König David als Künstler: Von der biblischen Gestalt zur poetologischen Leitfigur 3110698307, 9783110698305, 9783110700770, 9783110700848, 2020938879

Die Bibel schreibt König David musische Talente zu: Er ist nicht nur Herrscher, sondern auch Sänger, Tänzer, Psalmist. D

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German Pages 317 [318] Year 2020

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Table of contents :
Dank
Inhaltsverzeichnis
I Hinführung
1 „Mörder, König, Gottesfreund“ – ein kurzes Porträt Davids
2 Stationen der Wirkungsgeschichte – 3000 Jahre David
3 Der methodische Ansatz
4 Exkurs: Zur Besonderheit von biblischen Stoffen
II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken
1 David als Sänger und Dichter
2 David als Tänzer
3 David als Psalmist
4 David als Machtmensch und Künstler in zwei Romanen des 20. Jahrhunderts
III Resümee
1 Pluralität der David-Deutungen
2 Tendenzen der poetologischen David-Rezeption
3 Der formale Umgang mit dem Stoff
4 Im Spannungsfeld von Säkularisierung und Sakralisierung
5 Eine biblische Alternative zu Orpheus
6 David als Figur des kulturellen Gedächtnisses
7 David und das jüdische Erinnerungsgebot
8 Der Vielgeliebte als Vielgedeuteter
Literaturverzeichnis
Personenverzeichnis
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König David als Künstler: Von der biblischen Gestalt zur poetologischen Leitfigur
 3110698307, 9783110698305, 9783110700770, 9783110700848, 2020938879

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Andreas Bernhardt König David als Künstler

Hermaea

Germanistische Forschungen Neue Folge

Herausgegeben von Christine Lubkoll und Stephan Müller

Band 154

Andreas Bernhardt

König David als Künstler Von der biblischen Gestalt zur poetologischen Leitfigur

Als Dissertation genehmigt von der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg unter dem Titel „‚Ein Vater der Dichter‘ – Künstlerfigurationen König Davids in der deutschsprachigen Literatur“. Tag der mündlichen Prüfung: 19.12.2019 Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Thomas Demmelhuber Gutachter/in: Prof. Dr. Christine Lubkoll Prof. Dr. Gunnar Och

ISBN 978-3-11-069830-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070077-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-070084-8 ISSN 0440-7164 Library of Congress Control Number: 2020938879 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Dank „Ich vergesse dich nicht, König David“ – dieser beteuernde Vers von Rose Ausländer beschreibt ganz treffend mein eigenes Verhältnis zum Herrscher mit der Harfe. Nachdem ich 2005 noch voller Elan mein Promotionsvorhaben begonnen hatte und möglichst alle Facetten des literarischen Nachlebens von David untersuchen wollte, verlor ich alsbald den Überblick über all die Texte, Dichterinnen und Dichter, David-Variationen. Dann begann das Berufsleben. Und so schlummerten die Exzerpte, Vorarbeiten und ersten Studien jahrelang in meinem Keller. Doch vergessen war David nie. Dafür ist er in der Kunst- und Kulturgeschichte einfach zu präsent. Und außerdem ließ Monika Lindinger nicht locker mit ihrer Klage über das stillgelegte Promotionsprojekt. Bis ich dann die Ordner zurückholte aus dem Keller, die Konzeption der Arbeit neu durchdachte und bei Prof. Dr. Christine Lubkoll anfragte, ob sie David und mir noch eine zweite Chance geben wolle. Ihr habe ich zu danken für die klugen Impulse, die kritische Betreuung, die anregenden Diskussionen im Café Anna sowie für die Aufnahme der Dissertation in die Reihe „Hermaea“. Wertvolle Literaturtipps und Fingerzeige erhielt ich von Prof. Dr. Walter Dietrich, dem Experten für die Rezeptionsgeschichte der alttestamentlichen Schlüsselfigur David. Kathrin Scholz und Bruce Schönlein standen bereit, als es die Arbeit auf inhaltliche, formale und sprachliche Ungereimtheiten zu prüfen galt. Anja-Simone Michalski bereitete verlagsseitig die Veröffentlichung mit viel Geduld und Kompetenz vor. Und schließlich gebührt das größte Dankeschön Andreas Bösch, Monika Lindinger sowie meinen Eltern, Hilmar und Monika Bernhardt. Ohne ihren liebevollen Rückhalt und ihr Vertrauen, ohne die inspirierenden Gespräche mit Monika Lindinger wäre diese Arbeit nicht entstanden.

https://doi.org/10.1515/9783110700770-202

Inhaltsverzeichnis Dank

V

I

Hinführung

1

„Mörder, König, Gottesfreund“ – ein kurzes Porträt Davids

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2

Stationen der Wirkungsgeschichte – 3000 Jahre David Messianisch-theologische Deutung 8 Entwicklung der Deutungstradition 8 Literarische Adaptionen 11 Politische Deutung 14 Entwicklung der Deutungstradition 14 Literarische Adaptionen 16 Poetologische Deutung 20 Entwicklung der Deutungstradition 20 Literarische Adaptionen 22

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.3

Der methodische Ansatz 23 Forschungsüberblick 23 Überblicksdarstellungen 23 Einzeluntersuchungen 25 Fragestellung und Methodik 26 Zum Vorgehen 30

4 4.1 4.2

Exkurs: Zur Besonderheit von biblischen Stoffen Säkularisierung biblischer Inhalte 31 Sakralisierung der Kunst 34

II

David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

1. 1.1 1.1.1 1.1.2

David als Sänger und Dichter 39 Urszene 1: David spielt vor Saul Die biblische Erzählung 39 Die Deutungstradition 41

39

31

4 8

VIII

1.1.3 1.1.4 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.3 1.3.1 1.3.2 1.4 1.4.1 1.4.2 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5 1.5.6 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4

Inhaltsverzeichnis

Exkurs: Die „Orphisierung“ Davids. Die Überlagerung von biblischem und mythologischem Sängerbild 45 Station und Motor der Rezeption: Rembrandts Gemälde (1650–1655) 47 Literarische Adaptionen I: Deutungen im Gefolge Rembrandts 50 Stefan George: König und Harfner (1907) 51 Karl Wolfskehl: Saul (1905) 59 Zwischenfazit: Vergleich der David-Darstellungen bei George und Wolfskehl 66 Rainer Maria Rilke: David singt vor Saul (1905/06) 68 Robert Walser: Saul und David (II) (1919) 78 Vergleichende Zusammenschau: Intertextuelle Strategien 87 Literarische Adaptionen II: Ironisierungen und Verfremdungen 94 Die Urszene als Zitat und Verweismuster. Zu einem Kapitel aus Lion Feuchtwangers „Erfolg“ (1930) 94 Bertolt Brecht: David (1920) 102 Urszene 2: David trauert um Jonathan 109 Die biblische Erzählung 109 Die Deutungstradition 111 Literarische Adaptionen 113 Rainer Maria Rilke: Klage um Jonathan (1907/08) 114 Else Lasker-Schüler: David und Jonathan (1910) 120 Zwischenfazit: Vergleich der David-Darstellungen bei Rilke und Lasker-Schüler 128 Hans Henny Jahnn: Spur des dunklen Engels (1952) 130 Paul Heyse: David und Jonathan 143 Vergleichende Zusammenschau 156 David als Tänzer 159 Urszene 3: David tanzt vor der Bundeslade 159 Die biblische Erzählung 159 Die Deutungstradition 160 Literarische Adaptionen 162 Gottfried Keller: Das Tanzlegendchen (1872) 162 Nelly Sachs: Der magische Tänzer (1959) 178 Nelly Sachs: David / erwählt (1959) 195 Zweimal der tanzende David: Vergleich von Gedicht und Dramolett 199

IX

Inhaltsverzeichnis

2.2.5 2.2.6

Konstanten in der Stoffgeschichte 200 Schirmherr der Dichter. Der tanzende David bei Döblin

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5

David als Psalmist 204 Wie David zum Psalmendichter wurde 204 Ikonografische Schlaglichter 204 Die Deutungstradition 205 Literarische Adaptionen 208 Rainer Maria Rilke: So ist mein Tagwerk (1905) 210 Reinhard Johannes Sorge: König David (1916) 216 Nelly Sachs: David (1949) 224 Rose Ausländer: Nicht vergessen II (1981) 234 Vergleichende Zusammenschau: Intertextuelle Strategien 241

4

4.3

David als Machtmensch und Künstler in zwei Romanen des 244 20. Jahrhunderts Stefan Heym: Der König David Bericht (1972) 245 Kunst als Instrument der Macht 246 Demontierende Montage. Zur Integration der Psalm-Zitate 247 Kunst macht den Unterschied. Die Hoffnung auf das Gute im Menschen 248 Grete Weil: Der Brautpreis (1988) 250 Der weibliche Blick. Der Roman als Kritik am Patriarchat 250 Zwei Seelen in seiner Brust. David als König und Künstler 251 Zwischen Michelangelo und Rembrandt. Kontrastierende David-Bilder 254 Wenn der Künstler zum Kunstwerk wird. Annäherungen an David 255 Fazit: Der Künstler David bei Heym und Weil 257

III

Resümee

1 2 3 4 5 6

Pluralität der David-Deutungen 261 Tendenzen der poetologischen David-Rezeption 263 Der formale Umgang mit dem Stoff 267 Im Spannungsfeld von Säkularisierung und Sakralisierung Eine biblische Alternative zu Orpheus 272 David als Figur des kulturellen Gedächtnisses 274

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4

202

269

X

7 8

Inhaltsverzeichnis

David und das jüdische Erinnerungsgebot Der Vielgeliebte als Vielgedeuteter 281

Literaturverzeichnis 283 1 Primärliteratur 283 2 Sekundärliteratur 285 Personenverzeichnis

303

277

I Hinführung

„David darf nicht fehlen“, fordert Johann Wolfgang von Goethe. In seinem Aufsatz „Christus nebst zwölf alt- und neutestamentlichen Figuren, den Bildhauern vorgeschlagen“1 von 1832 beschreibt er dreizehn Gestalten, „in welchen der ganze biblische Zyklus begriffen werden könnte“. Doch während ihm für alle Skulpturen eine eindeutige physiognomische Besonderheit oder eine auf eine spezifische Begebenheit rekurrierende Haltung einfällt – „Adam, in vollkommen menschlicher Kraft und Schönheit“ (S. 210), Noah als „leicht gekleidet[er] und geschürzt[er]“ Winzer (S. 211), der Jünger Johannes mit einem „rundliche[n] Gesicht, krause[n] Haare[n]“ (S. 212) –, tut er sich mit dem jüdischen König schwer. David darf nicht fehlen, ob er mir gleich auch als eine schwierige Aufgabe erscheint. Den Hirtensohn, Glücksritter, Helden, Sänger, König und Frauenlieb in einer Person, oder eine vorzügliche Eigenschaft derselben hervorgehoben darzustellen, möge dem genialen Künstler glücken. (S. 211)

In seiner Anweisung, die an Bildhauer adressiert ist, sich aber auf alle Künste ausweiten lässt, formuliert Goethe zwei zentrale Aussagen im Hinblick auf den alttestamentlichen König David und seine geistes- und kulturgeschichtliche Rezeption: 1. Es ist schwierig, David künstlerisch gerecht zu werden. 2. Diese Herausforderung resultiert aus der Vielschichtigkeit der David-Figur, wie sie das Alte Testament zeichnet.2

1 Johann Wolfgang von Goethe: Werke, Bd. 12, S. 210. Die folgenden Zitate aus Goethes Aufsatz werden direkt im Text mit der Seitenangabe nachgewiesen. 2 Im Folgenden soll der Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit halber durchgehend der christlich geprägte Terminus „Altes Testament“ verwendet werden (statt etwa „Erstes Testament“ oder „Hebräische Bibel“), da Werke von jüdischen wie auch von christlichen Dichterinnen und Dichtern Gegenstand der Analyse sind. Die Bibel wird jeweils zitiert nach der Luther-Bibel in der revidierten Fassung von 2017.

1 „Mörder, König, Gottesfreund“3 – ein kurzes Porträt Davids Die beiden Samuelbücher, die das Leben König Davids erzählen, stellen ihn als facettenreichen, in sich gebrochenen Menschen dar, zeigen keinen idealtypischen Herrscher, sondern eine komplexe Persönlichkeit.4 Seine Begabungen sind vielfältig – so wird er bereits vor König Saul eingeführt: ein „Sohn Isais, des Bethlemiters, der ist des Saitenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön, und der HERR ist mit ihm“ (1. Samuel 16,18). David ist der Hirtenknabe, der seine Herde unerschrocken gegen Bären und Löwen verteidigt, was bereits seine königlichen Qualitäten vorwegnimmt.5 Nachdem König Saul wegen seines eigenmächtigen Handelns von Gott verworfen worden ist, macht der Prophet Samuel den Knaben im Auftrag Jahwes zum neuen Gesalbten. Der göttliche Segen manifestiert sich zudem in Davids künstlerischem Talent. Nur er vermag es, mit seinem Spiel und seinem Gesang den „bösen Geist“ zu bezwingen, der Saul peinigt (vgl. 1. Samuel 16,23). Als Sieger über den Philisterriesen Goliath stellt David schließlich seine Eignung zu herrschen unter Beweis, indem er nicht nur Mut und Geschicklichkeit demonstriert, sondern auch sein Gottvertrauen (vgl. 1. Samuel 17,47). Mit traumwandlerischer Sicherheit steigt David bei Hofe auf, wird vom Sänger zu Sauls Waffenträger und erringt die Liebe des Königs, seiner Kinder sowie des ganzen Volkes (vgl. 1. Samuel 16,21; 18,1–3,20,28). Der Philistertöter wird zum umjubelten Volkshelden, was ihm alsbald Sauls eifersüchtige Missgunst und Todfeindschaft einträgt. Auf der Flucht vor Saul, als gehetztes Freiwild, entwickelt David skrupellose Überlebensstrategien, indem er als Räuberhauptmann von reichen Herdenbesitzern Schutzgeld erpresst oder sich dem feindlichen Philisterkönig Achisch als Söldner andient. Jedoch legt der Erzähler Wert darauf, diesen Landesverrat zu motivieren: Davids Frontenwechsel sei nicht auf seine Charakterschwäche

3 Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 159. 4 Vgl. Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 201. 5 Im Orient ließen sich zahlreiche Herrscher mit Hirten vergleichen, um so ihre väterliche und überlegene Fürsorge für das Volk zu betonen (vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 61). Im Falle Davids wird diese Stilisierung auf die Spitze getrieben, da er tatsächlich ursprünglich ein Hirt war. Die Benennung „Hirt“ rückt das Augenmerk auf den Beginn von Davids Karriere, das soziale Nichts, aus dem ihn erst Jahwe erhoben hat. Die pastorale Metaphorik sowie die Bezeichnung Davids als Gottes Knecht veranschaulichen das enge Verhältnis von König und Jahwe (vgl. Regine Hunziker-Rodewald: David der Hirt, S. 170–172). https://doi.org/10.1515/9783110700770-001

1 „Mörder, König, Gottesfreund“ – ein kurzes Porträt Davids

5

zurückzuführen, sondern auf die Notlage, in die ihn Sauls mörderischer Hass gestürzt hat.6 Allen Anfeindungen zum Trotz bewahrt er dem gesalbten König die Loyalität und legt nicht Hand an ihn. In der Schlacht und durch Meuchelmord finden Saul und seine Söhne einen gewaltsamen Tod. Nach seiner Thronbesteigung führt David die beiden Reichshälften Israel und Juda zusammen, vereint als König den Norden mit dem Süden und wirft Aufstände nieder. Er besiegt die Philister, erobert das von den Jebusitern bewohnte Jerusalem und macht es zu seiner Haupt- und Residenzstadt. Seinen religiös herausragenden Rang beweist er durch seine stete Kommunikation mit Gott und seine Pläne für einen Tempelbau. Mit der Bathseba-Affäre erhält das Bild des erfolgreichen, idealen Königs jedoch tiefe Risse. Indem David mit der Ehefrau eines seiner Soldaten Ehebruch begeht und diesen dann in der Schlacht in den Tod schickt, vergisst er über seinen persönlichen Wünschen und Begierden jeglichen Sinn für Gerechtigkeit und Gott. Doch David bereut. Seine Bereitschaft, Kritik anzunehmen und die eigene Schuld einzugestehen, tut seiner Größe keinen Abbruch, nein, verstärkt sie sogar noch: „Selbst ein David kann tief fallen, doch kann gerade dieser Gesegnete und Große sich dann auch tief demütigen und von Gott wieder aufheben und voranbringen lassen.“7 Schließlich droht die von ihm begründete Dynastie an den Feindseligkeiten der Kinder und der Ohnmacht des Königs zu zerbrechen. Zu wirklich kraftvoller Aktivität findet David erst wieder, als sein Sohn Absalom einen Aufstand gegen seine Herrschaft losbricht. Hier erweist er sich erneut als kühler Taktiker, der sein Königreich zurückerobert. Zutiefst menschlich wird er dann in seiner Trauer um den von General Joab ermordeten Absalom. Der alte, gebrechliche König hat schließlich nicht mehr viel von dem Glanz einstiger Herrlichkeit; nicht mehr warm werdend und impotent liegt er in seinem Bett, in das ihm die Jungfrau Abischag Leben und Wärme bringen soll. Über seinem Kopf streiten sich Bathseba, der Prophet Nathan, Joab sowie die Söhne Adonija und Salomo um seine Nachfolge, doch auch hier setzt David zuletzt seinen Willen durch und sorgt für die Inthronisation Salomos.8

6 Vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 66 f. 7 Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 29. 8 Gerade Davids Schattenseiten, von denen die Samuelbücher erzählen, sind im Vergleich mit Herrscherviten des Alten Orients höchst ungewöhnlich. Während in diesen meist nur ein immer gleiches, glorifizierendes Bild der Vortrefflichkeit und Größe präsentiert wird, zeichnet die biblische Biografie eine Person mit Brüchen und Abgründen. Von idealisierender Apologetik kann keine Rede sein. Diese ungewöhnliche Offenheit und Direktheit der Autoren hat viele Wissenschaftler davon überzeugt, dass den Samuelbüchern ein historisch zutreffender Kern zugrunde liegt, sodass sich aus den Texten Rückschlüsse auf Leben und Wirken Davids ableiten lassen (vgl.  

6

I Hinführung

Die ganze Lebensbeschreibung Davids zeugt von einer immensen Entschlusskraft und einem unbeugsamen Willen zur Selbstbehauptung, mit denen er alle Hürden und Schläge überwindet und seine Macht erhält. Nicht zuletzt die göttliche Verheißung einer ewigen Dynastie verschafft ihm die nötige religiöse Legitimation.9 Trotz persönlicher Schuld findet er den Weg der Sühne, bleibt so zeitlebens der Gottesgeliebte, der erfüllt von Glauben Goliath tötet, in ekstatischer Begeisterung die Bundeslade nach Jerusalem holt und sich – anders als Saul – von den Propheten kritisieren lässt. David ist ein gemischter Charakter, er ist „Kriegsmann und Sänger, ein Vorbild der Partisanen in aller Welt und ein Patron der Meistersinger. Haudegen und Chorleiter, Anführer der verlorenen Haufen und Saitenspieler, Desperado und – Organist“.10 Sein Charakterbild erscheint reich, plastisch und nuancenreich; der Umfang seiner Lebensbeschreibung überschreitet so auffallend diejenigen der nachfolgenden Könige, dass seine zentrale Stellung in der Geschichte Israels außer Zweifel steht. Alle seine Nachkommen „mussten sich messen lassen an der Person des Dynastiegründers, wie sie in der biblischen Überlieferung fast übermenschliche und doch auch wieder ganz menschliche Gestalt angenommen hat“11. Umstritten ist dabei, ob David als historische Person überhaupt existiert hat. Für die frühe israelitische Königszeit gibt es so gut wie keine außerbiblischen schriftlichen Quellen, keine direkten archäologischen Zeugnisse von oder über Saul, David, Salomo; und die Samuelbücher selbst sind das Ergebnis eines langen, sich über Jahrhunderte erstreckenden Überlieferungs- und Redaktionsprozesses.12 So muss der Historiker die Spuren der geschichtlichen Realität im Alten Testament suchen, muss das Textamalgam auf seine Bestandteile zurückführen und sich dabei stets der Eigenarten der biblischen Historiografie, also des Umstands bewusst sein, dass die Autoren nicht nur direkte Zeugnisse verwendeten, sondern selbst Analogien herstellten und didaktisch auf ihr Publikum einwirken wollten.13 Anhand der biblischen Chronologie errechneten moderne historische Darstellungen die Regierungszeiten von Saul (ca. 1030–1010 v. Chr.), David (ca. 1010–970) und Salomo (ca. 970–931).14 Von Samuel über Saul zu David voll 

Walter Dietrich: König David – biblisches Bild eines Herrschers im altorientalischen Kontext, S. 3–31). 9 Vgl. Rainer Albertz: Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, S. 177. 10 Walter Jens: König David. 11 Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 198. 12 Einen Überblick über den archäologischen Befund bietet Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 102–119. 13 Vgl. Rudolf Smend: Elemente alttestamentlichen Geschichtsdenkens, S. 180, 183. 14 Vgl. Georg Fohrer: Geschichte Israels, S. 80.

1 „Mörder, König, Gottesfreund“ – ein kurzes Porträt Davids

7

zieht sich der Übergang des Volkes Israel von einer tribalen Organisation zu einem zentralistisch regierten, starken Königtum.15 Die beiden Samuelbücher berichten von dieser politischen Umbruchphase und erschufen dabei mit Davids Porträt das Ideal eines Königs, dessen Strahlkraft die Jahrtausende überdauert.

15 Vgl. Rainer Albertz: Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, S. 159–167. „Israel wurde unter David zum ersten Mal zu einem zusammenhängenden, großräumigen Territorialstaat mit einem Kranz von Vasallenstaaten um sich herum.“ (ebd., S. 167)

2 Stationen der Wirkungsgeschichte – 3000 Jahre David Wohl kaum eine andere Figur spielt in der Bibel eine derartige Schlüsselrolle und hat über die biblisch-jüdisch-christliche (und in Teilen auch: islamische!) Tradition die Geistes- und Kulturgeschichte Europas derart stark geprägt wie die des Königs David.1

Dabei lässt sich das Nachleben Davids grob in drei Rezeptionsstränge einteilen: eine messianisch-theologische Auslegung, eine politische Vereinnahmung und eine poetologische Deutung.2

2.1 Messianisch-theologische Deutung 2.1.1 Entwicklung der Deutungstradition Schon im alttestamentlichen Juda interpretierte man die Gestalt des vorbildlichen Königs mehrfach neu. Der Zerfall des übermächtigen Assyrerreiches um 630 v. Chr. evozierte die Hoffnung, mit dem damaligen König Josia sei ein neuer David erstanden, der den alten Traum von einem vereinigten Königreich Israel realisieren werde.3 Es war die Geburtsstunde des jüdisch-christlichen Messianismus4: Die Erwartung eines Retters aus dem Hause Davids wurde nach der Zerstörung Jerusalems durch Babylon im Jahre 587 v. Chr. zur Leitidee des jüdischen Volkes.5 Dabei verlor die ersehnte Wiederkunft des Messias mehr und mehr ihre realpolitischen Züge. Das Bild des Herrschers veränderte sich und wurde, durch konkrete Anlässe bedingt, umgemodelt. Ein beredtes Zeugnis hierfür liefert das David-Bild  



1 Walter Dietrich: Grundfragen und Grundlinien der David-Rezeption, S. 840. Auch der Bibelwissenschaftler Erich Zenger konstatiert: „King David has inspired the biblical tradition as no other figure has.“ (Erich Zenger: David as Musician and Poet: Plotted and Painted, S. 263) 2 Dabei ist es nicht immer möglich, die drei Deutungstraditionen trennscharf zu unterscheiden. So hatte der Messianismus im antiken Judentum immer auch eine entschieden politische Dimension oder beriefen sich frühneuzeitliche Herrscher auf David als politisches wie auch als künstlerisches Vorbild, wie z. B. der musikalische englische König Heinrich VIII. oder Kaiser Maximilian I., der eine Hofkantorei gründete (vgl. Karoline Czerwenka-Papadopoulos: Typologie des Musikerporträts in Malerei und Graphik, S. 121; Walter Salmen: König David – eine Symbolfigur in der Musik, S. 10). Der Überblick über die Deutungstraditionen erhebt angesichts der reichen David-Rezeption keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern kann nur Schwerpunkte setzen. 3 Vgl. Israel Finkelstein/Neil A. Silberman: David und Salomo, S. 177–180. 4 Vgl. Israel Finkelstein/Neil A. Silberman: David und Salomo, S. 184. 5 Vgl. Ernst-Joachim Waschke: David redivivus, S. 183.  

https://doi.org/10.1515/9783110700770-002

2 Stationen der Wirkungsgeschichte – 3000 Jahre David

9

in den Chronikbüchern, die nachweislich erst zwischen der Mitte und dem Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. unter dem Einfluss der Priesterschaft abgefasst wurden und bei ihrem Durchmarsch durch die Geschichte Israels eigene Akzente setzen, indem sie den kultischen Belangen große Aufmerksamkeit widmen.6 David und Salomo avancierten darin zu den Stiftern des Tempelkultes, was der Priesterschaft eine autoritative Legitimation verschaffte. Indem man ihm die Autorschaft vieler Psalmen zuschrieb, wurde der Krieger und Feldherr David „immer mehr zum Medium eines Offenbarungsmittlers stilisiert […], d. h. zum Prototyp eines Propheten“7. Die Psalmen gestalten die messianischen Züge des Vorbildkönigs weiter aus und preisen ihn als Jahwes Sachwalter auf Erden.8 Auch die Prophetenbücher untermauern die Hoffnung auf einen künftigen Retter aus dem Geschlecht Davids. Gerade die Erfahrungen von Zerstörung, Fremdherrschaft und Unterdrückung begünstigten die Imagination eines idealisierten, von Gott geliebten Musterherrschers, an dem sich Jahwes Verheißungen erfüllen sollten.9 „Aus dem exzeptionellen Gottesverhältnis des Königs leiteten die Hoftheologen […] direkt seine politischen und sakralen Funktionen ab: Weltherrschaft, Segensmittlerschaft, Rechtshilfe für die Schwachen und Priestertum.“10 Unter priesterlichem Einfluss gewann eine Neuinterpretation Geltung: Der dem Königshaus zugesicherte Segen und ewige Bestand galten nun als Versprechungen für das Volk an sich. David wurde zum Vorbild, Israel zu seinem Abbild.11 Nach dem babylonischen Exil entwickelte sich die Vorstellung von einer fortdauernden Gegenwart Davids zu einem religiösen Topos, der Israel einen gerechten Hirten und Freiheit versprach.12 Der Messias soll der „Sohn Davids“ sein, und das in Bezug auf all die Facetten seines Vorläufers, als Hirte, Krieger, König, Priester, Prophet und Gottgeliebter.13 Die messianischen Erwartungen gewannen umso mehr Sprengkraft, je bedrängter die reale Situation des antiken  



6 Da in Jerusalem nach der Rückkehr aus dem Exil kein König mehr residierte, fiel der Priesterschaft allein die Rolle der geistigen Führerschaft zu. Davids Charakter ist in den Chronikbüchern gereinigt von allen Brüchen und Schwächen, die ambivalenten Abschnitte seiner Vita wie sein Aufstieg, sein Söldnertum im feindlichen Dienst oder der Kampf um seine Nachfolge fehlen (vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 18). 7 Klaus Seybold: David als Psalmsänger in der Bibel, S. 157. 8 Vgl. Ernst-Joachim Waschke: David redivivus, S. 183. 9 Vgl. Ernst-Joachim Waschke: David redivivus, S. 185. 10 Rainer Albertz: Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, S. 181. 11 Vgl. Ernst-Joachim Waschke: David redivivus, S. 199. 12 Vgl. Hesekiel 34,23 f.: „Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, und ich, der HERR, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der HERR.“ 13 Vgl. Clemens Thoma: David im antiken Judentum, S. 222.  

10

I Hinführung

Judentums wurde. Besonders im 1. Jahrhundert n. Chr. beriefen sich viele Messiasprätendenten auf die Verheißungen eines Zusammenwirkens von Gott und David zum Heil des unterdrückten Volkes.14 Die fiebrigen Hoffnungen auf einen Umsturz und den Beginn eines neuen Goldenen Zeitalters kulminierten schließlich im jüdischen Aufstand der Jahre 66–70 bzw. 73 n. Chr. und der Zerstörung Jerusalems durch Rom. Doch auch nach der neuerlichen Katastrophe blieb David in der rabbinischen Auslegung als zentrale Vorbild- und Symbolfigur erhalten, die Jahwes Beistand garantierte und nun zum weisen Tora-Gelehrten umgedeutet wurde.15 Mit der Behauptung dieses eigenen David-Bildes bemühten sich die Rabbiner zugleich, sich von dem jungen, erstarkenden Christentum abzugrenzen, das David als Präfiguration seines Messias, Jesus Christus, begriff.16 Die Evangelien rekonstruieren Jesu Stammbaum, der an prominenter Stelle auch König David verzeichnet. Durch seine Wundertaten und Lehren erfüllte Jesus die zeitgenössischen messianischen Erwartungen. Auch wenn das Neue Testament sich vornehmlich auf die Segensverheißung bezieht, die Gott bereits Juda gab, bleibt David ein Wegbereiter Christi. Jesus überragt ihn allerdings in der christlichen Vorstellung, da er sogar den Tod überwand und auferweckt wurde. In der Darstellung des Lukas regiert Jesus als königlicher Davidide von einem himmlischen Thron aus, wobei er Frieden für alle Völker bringt.17 Auch das MatthäusEvangelium berichtet davon, dass Jesus von Zeitgenossen als Sohn Davids wahrgenommen wurde (vgl. Matthäus 12,22–24), was eine gewichtige Legitimation für seine Identität als Gesalbter bedeutete.18 Im Mittelalter gewann die theologische Ausdeutung des Lebens Davids eine neue Dimension, wobei die Analogien zu Christus herausgearbeitet wurden und David im Sinne des vierfachen Schriftsinns von den Kirchenvätern (wie z. B. Augustinus) als Allegorie für das Leben Jesu und die Kirche gedeutet wurde. In diesem typologischen Denken mussten die Schilderungen des Alten Testaments eine Entsprechung im Neuen finden.19  





14 Vgl. Clemens Thoma: David im antiken Judentum, S. 223; vgl. Israel Finkelstein/Neil A. Silberman: David und Salomo, S. 211. 15 Vgl. Israel Finkelstein/Neil A. Silberman: David und Salomo, S. 218. 16 Vgl. Clemens Thoma: David im antiken Judentum, S. 226. 17 Vgl. Martin Karrer: Von David zu Christus, S. 336, 341. 18 Vgl. Martin Karrer: Von David zu Christus, S. 343. 19 Vgl. Israel Finkelstein/Neil A. Silberman: David und Salomo, S. 219. Interessanterweise zollt auch der Islam David als Dâwûd große Verehrung, indem er ihn als gerechten Herrscher, weisen Richter und unerreichbares Vorbild feiert, das Allahs Willen erfüllte (vgl. ebd., S. 17). Allerdings wurde er anders als in Judentum und Christentum nicht als eschatologisches Vorbild, sondern als Prophet, Büßer und Sänger rezipiert (vgl. Simone Rosenkranz-Verhelst: David im Koran und in der islamischen Traditionsliteratur, S. 283–300).

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Während also die christliche Theologie in Jesus die Erfüllung und Einlösung der Präfiguration David erblickt, lebt im orthodoxen Judentum die Hoffnung auf die Wiederkehr eines davidischen Zeitalters fort, wie eine Anekdote über die Einwanderung der jemenitischen Juden in den neu gegründeten Staat Israel zeigt: Sie scheuten keine Strapazen, da sich unter ihnen „das Gerücht verbreitet [hatte], dass ein jüdischer Herrscher mit dem Namen David (David Ben-Gurion), der wahrscheinlich ein zweiter König David und der Messias sei, in Israel herrsche“20.

2.1.2 Literarische Adaptionen Das literarische Interesse an König David wuchs im Schatten der theologischen Disziplin heran.21 Da die zahlreichen Passions- und Weihnachtsspiele des 15. und 16. Jahrhunderts allein die Belehrung und Erbauung ihres Publikums verfolgten, brachten sie die biblische Erzählung möglichst genau auf die Bühne. In all seinen Taten und Eigenschaften verweist David darin in allegorischer Überhöhung „als Prophet, als Lehrer der Glaubenswahrheiten, als praefigura, ja auch als Geretteter in der Vorhölle, stets direkt auf Christus“22. Martin Luthers Wertschätzung für die didaktischen Möglichkeiten des Schultheaters sorgte in der Reformationszeit für einen neuen Rezeptionsschub biblischer Stoffe, wobei die Erzählung von David große Popularität genoss.23 Wie in der mittelalterlichen Tradition kommt David auch noch im Schauspiel des 16. Jahrhunderts präfigurative Bedeutung zu, jedoch galt er nun nicht mehr nur als Vorläufer Christi, sondern aller Christen im Allgemeinen. Der Sieg über Goliath antizipiert den Sieg, den jeder Christ über den Fürsten der Welt, den Teufel, erringen müsse. Da dem Volk Israel David als Retter gesandt wurde, sollten auch Christen auf ihren Retter Jesus warten.24 Besonders Hans Sachs betont in seinen

20 Michael Krupp: Die Geschichte des Staates Israel, S. 21 f. 21 Gisela Urbanek hat 1964 in ihrer bis heute nicht durch neuere Studien überholten Dissertation die Rolle König Davids im Drama des Mittelalters bis zum 16. Jahrhundert untersucht. Ihre vergleichende Analyse dient als maßgebliche Grundlage für den obigen Abriss über die literarischen Anfänge des David-Stoffs. 22 Gisela Urbanek: Die Gestalt König Davids in der deutschen dramatischen Dichtung, S. 265. 23 Vgl. Gisela Urbanek: Die Gestalt König Davids in der deutschen dramatischen Dichtung, S. 227. 24 Die dramatischen Dichtungen von Hans Tirolff (1541), Wolfgang Schmeltzl (1545) oder Hans von Rüte (1555) verfolgen diese interpretatorische Stoßrichtung. Dabei vermitteln nicht die Schauspieltexte selbst, sondern die Prologe und Epiloge die intendierte Belehrung (vgl. Gisela Urbanek: Die Gestalt König Davids in der deutschen dramatischen Dichtung, S. 158 ff.).  



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vielen Dramatisierungen von Begebenheiten aus Davids Leben25 die konkrete Nutzanwendung für die Gläubigen.26 Auf literarischer Ebene führte mit Friedrich Gottlieb Klopstock ein Dichter die messianische David-Deutung fort, der von Herder aufgrund seiner Psalmen-Dichtung selbst als „Novus David“ apostrophiert wurde.27 Klopstocks Haupt- und Lebenswerk, das monumentale Epos „Der Messias“, feiert die Vereinigung der Schöpfung mit Gott durch Christi Mittlerschaft und spendet Hoffnung auf Erlösung beim finalen Weltgericht.28 Drei biblische Trauerspiele flankieren den „Messias“, indem sie mit Adam, David und Salomo drei alttestamentliche Figuren auftreten lassen, die die menschliche Erlösungsbedürftigkeit illustrieren.29 Die Passion Jesu stellt den Gipfel- und Fluchtpunkt im göttlichen Heilsplan dar, der durch die Geschichten des Alten Testaments nur vorgeschattet wurde.30 Klopstocks David-Drama aus dem Jahre 1772 greift eine Episode aus der biblischen Lebensbeschreibung heraus, die ansonsten von den literarischen Adaptionen ausgespart wird. König Davids Volkszählung und das folgende göttliche Strafgericht wurde außer von Klopstock nur noch von Hans Sachs gesondert behandelt. Während Sachs mit seiner Dramatisierung den Prätext, ohne ihn inhaltlich zu modifizieren, lediglich zur Anschauung bringt und die zentrale Lehre daraus ver-

25 Darunter die „Tragedi Absalom mit David“ (1551), „David lest sein Volk zelen“ (1552), die „Comedi David mit Bathseba“ (1553), die „Tragedi Thamar mit Ammon und Absalom“ (1556) sowie die „Tragedi König Sauls mit Verfolgung König Davids“ (1557). 26 So sind für ihn Davids Verfolgung durch Saul und seine anschließende Erhöhung eine Parabel für den christlichen Heilsweg, der zwar Anfeindungen mit sich bringe, letztlich aber zur göttlichen Gnade führe (vgl. Gisela Urbanek: Die Gestalt König Davids in der deutschen dramatischen Dichtung, S. 233). 27 Vgl. Joachim Dyck: „König David, der liebliche Poet“, S. 805. 28 Vgl. Katrin Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. 71 f. 29 Alle drei Bibeldramen stehen gleichsam „im Vorhof zu dem Heiligthume“ (zitiert nach Gerhard Kaiser: Klopstock, S. 259), in das der Messias eingetreten ist. Sie zeigen den sündhaften, gestrauchelten Menschen, der noch nicht auf Erlösung hoffen darf. Erst mit dem Tode Christi bietet Gott die Möglichkeit einer Entsühnung. Adam, David und Salomo sollen exemplarisch die Notwendigkeit des Kommens des Messias demonstrieren, das Neue Testament erscheint als Vollendung des Alten Testaments, Klopstocks „Messias“ als krönender Überbau der Trauerspiele. „Dramen und Epos verhalten sich wie Frage und Antwort, wie Not und Befreiung.“ (Karl Kindt: Klopstock, S. 122) 30 Wie Klopstock den Leidensweg und die Verherrlichung Christi in der Form des antiken Epos behandelte, wählte er für die Stoffe des Alten Testaments die ebenfalls durch die antike Tradition nobilitierte Form der Tragödie. Die Gattungsbezeichnung ist irreführend, denn Tragik wohnt keinem der Dramen inne. Im christlich-religiösen Denken Klopstocks war eine solche allerdings auch gar nicht möglich, da der Mensch – trotz aller Anfechtungen und Verfehlungen – immer in einem liebenden und barmherzigen Vatergott aufgehoben bleibt (vgl. Gerhard Kaiser: Klopstock, S. 263).  

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mitteln will31, formt Klopstock die Begebenheit zu einem wahren Seelendrama um. Auch er will freilich dem Geist der Vorlage treu bleiben, was für ihn den spezifisch christlichen Blickwinkel nicht ausschließt. Weitere messianische Ausdeutungen im christlichen Sinne sind selten; sie finden sich in Reinhard Johannes Sorges David-Drama (1916), das den Protagonisten explizit als Vorläufer und Wegbereiter des kommenden Christus in Szene setzt, oder in dem Gedicht „Davids Traum“ (1998) des protestantischen Theologen Albrecht Goes: Hier schaut der sterbende König visionär den Messias.32 Bei den Werken jüdischer Dichter muss Richard Beer-Hofmanns unvollendete „Historie von König David“ genannt werden, „eines der bedeutendsten Zeugnisse religiöser Dichtung im 20. Jahrhundert“33. Nachdem 1919 mit großem Erfolg das Vorspiel „Jaákobs Traum“ in Wien unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführt worden war, folgten 1933 noch die Veröffentlichung von „Der junge David“ und 1936 die des „Vorspiels zu König David“. Die beiden weiteren geplanten Teile „König David“ und „Davids Tod“ stellte Beer-Hofmann nicht mehr fertig, obgleich belegt ist, dass er das Werkganze bereits konzeptioniert hatte und diesem eine heilsgeschichtliche Dimension verleihen wollte. Die komplette Dramentetralogie hätte – das zeigen die Entwürfe – am Beispiel Davids, des Einigers der Stämme und bedeutendsten König Israels, das Verhältnis des jüdischen Volkes zu seinem Gott problematisieren sollen. Die Erfahrungen der nationalsozialistischen Verfolgung und die Flucht ins amerikanische Exil ließen Beer-Hofmann jedoch sein David-Projekt fremd werden; sein Wunsch, dem Gang der jüdischen Geschichte einen Sinn einzuschreiben, wurde zur Utopie entwertet.34 Der zunehmende Antisemitismus war in den 1930er-Jahren der Anlass für die Entstehung eines monumentalen Bibelspiels, zu dem Franz Werfel den Text und Kurt Weill die Komposition beisteuerte35: In einer Rahmenhandlung sucht eine

31 Vgl. Gisela Urbanek: Die Gestalt König Davids in der deutschen dramatischen Dichtung, S. 236. 32 Das Gedicht findet sich in: Albrecht Goes: Leicht und schwer, S. 173 f.; zur Deutung vgl. Georg Langenhorst: Gedichte zur Bibel, S. 97–99.; zu Sorges Drama vgl. Kapitel 3.2.2 dieser Arbeit. 33 Norbert Otto Eke: „Wandle – schaue – höre Jisro-El!“, S. 560. 34 Vgl. Norbert Otto Eke: „Wandle – schaue – höre Jisro-El!“, S. 557–560. 35 Der Zionist Meyer Wolf Weisgal lancierte die Idee, dem bedrängten Judentum durch ein Bühnenwerk seine historische Größe und Würde bewusst zu machen. Max Reinhardt konnte für die szenische Umsetzung gewonnen werden. Das Projekt nahm gigantomanische Ausmaße an und erlebte, bedingt durch technische und finanzielle Komplikationen sowie künstlerische Differenzen der Urheber, erst 1937 im Manhattan Opera House in New York unter dem Titel „The Eternal Road“ seine erfolgreiche Uraufführung. Allerdings verschlang die laufende Produktion Unsummen, sodass sie nach fünf Monaten abgesetzt werden musste (vgl. Norbert Abels: Von den Mühen eines Bibelspiels, S. 141–143).  

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„zeitlose Gemeinde Israel in einer zeitlosen Nacht der Verfolgung“36 in ihrem Bethaus Zuflucht. Dort versichert sie sich ihrer Identität durch eine Beschwörung der wechselvollen Geschichte des jüdischen Volkes – dabei gewinnt die vergegenwärtigte Vergangenheit szenische Präsenz, zentrale Episoden spielen sich zugleich vor den Augen der Synagogenbesucher wie der Theaterzuschauer ab.37 In vier Teilen folgen die Erzväter, Moses, die Könige und die Propheten aufeinander, wobei die Könige David und Salomo zu den Fixgestalten des dritten Teils zählen. Franz Werfel deutet die alttestamentliche Geschichte des jüdischen Volkes als „Weg der Verheißung“, der auf die Erscheinung eines Messias zuläuft. Zum Befremden der jüdischen Geldgeber des Theaterprojekts trug dieser stark christliche Züge.38 In Max Zweigs Saul-Drama von 1944 nimmt das messianische Motiv schließlich eine stark politische Färbung an: Vor dem tagesaktuellen Hintergrund des im Entstehen begriffenen Staates Israel wird der Übergang von Saul zu David als Gründungsmythos des jüdischen Staats ausgestaltet.39 Für Zweig ist „Saul der Begründer des Königreichs Israel und David dessen Vollender“, der das „Reich des Friedens“ herbeiführen soll.40

2.2 Politische Deutung 2.2.1 Entwicklung der Deutungstradition Auch für die Politik besaß die David-Figur ein großes identifikatorisches Potenzial. Wurde den ersten christlichen römischen Kaisern wie Konstantius (337–361)

36 Franz Werfel: Gesammelte Werke. Die Dramen, Bd. 2, S. 91. 37 Die geschilderte Pogrom-Situation reflektierte in zugespitzter Weise die zeitgenössische Anfeindung der Juden, sollte dann aber von der Realität eingeholt und an Grausamkeit weit übertroffen werden. 38 Weisgal bat Werfel, bei der Neufassung des Stücks „auf christliche Assoziationen möglichst zu verzichten“ (Peter Stephan Jungk: Franz Werfel, S. 224). In der gedruckten Fassung wurde der Messias, der das Fortbestehen des ewigen Bundes zwischen Israel und Gott beglaubigt, durch die Figur des „Engels der Endzeit“ ersetzt (vgl. Wolfgang Nehring: Judentum und Christentum, S. 32–34). 39 Dieses Deutungspotenzial wurde vom jungen Staat aufgegriffen: Eine hebräische Fassung des Dramas wurde am ersten Jahrestag der Staatsgründung in Tel Aviv im Beisein Ben-Gurions aufgeführt (vgl. Armin A. Wallas: Von Mähren nach Israel, S. 165). 40 Armin A. Wallas: Von Mähren nach Israel, S. 164. Zweigs Verknüpfung des Stoffs mit der zeitaktuellen Geschichte wird ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der „modernen jüdischen Literatur“ wiederaufgegriffen, in der „das Wiedererzählen der Geschichte Davids zu einer Prüfung des Rechts auf einen eigenen Staat“ wird (Franz Link: Erträge einer literarischen Typologie des Alten Testaments, S. 900).

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oder Theodosius I. (379–395) David noch als Vorbild vorgehalten, lässt sich bei dem oströmischen Kaiser Herakleios (610–641) eine Gleichsetzung mit diesem nachweisen. So wurde er als „heute regierender Abkömmling Davids“ gefeiert.41 Diese von zahlreichen Dynastien betriebene Traditionsbildung formulierte einerseits ein Ideal und hatte andererseits legitimatorische Funktion: Eine Berufung auf David stützte die Idee eines gerechten Königtums trotz menschlicher Unvollkommenheit und Fehler.42 Zudem konnte die Salbung Davids durch den Propheten Samuel als Modell für das Gottesgnadentum verstanden werden, auf das christliche Potentaten seit dem frühen Mittelalter (ab dem Karolinger Pippin) ihre Berechtigung zu herrschen gründeten.43 Im Absolutismus nutzte namentlich Jacques-Bénigne Bossuet David als Gewährsmann für seine Apologie des Gottesgnadentums.44 „Die Gleichsetzung von David, der Verkörperung des idealen Königtums von Gottes Gnaden, mit den christlichen Herrschern der europäischen Fürstentümer war ein verbreiteter höfischer Topos des Barockzeitalters.“45 So ambivalent das biblische David-Bild ausfällt, so unterschiedliche Interpretationen und Instrumentalisierungsversuche erfährt es in den politischen Theorien der Frühen Neuzeit. Thomas Hobbes oder Niccolò Machiavelli führen den König Israels als Exempel an, um so ihre unabhängig von der Bibel entwickelte Argumentation zu illustrieren und mit dem nötigen autoritativen Rückhalt zu versehen. Machiavelli ignoriert dabei die transzendenten Bezüge von Davids Herrschaft und sieht in ihr ein nachahmenswertes Vorbild der raffinierten Machtsicherung; für Hobbes beweisen die Eidschwüre der Priesterschaft gegenüber David, dass die königliche Gewalt der kirchlichen übergeordnet ist.46 Im Denken der deutschen Humanisten und Reformatoren dient Davids Leben nicht nur als Beleg, sondern gar als konstitutiver Faktor für die jeweilige Theorie. In genauer Textarbeit leiten Martin Luther und Philipp Melanchthon aus den Samuelbüchern das

41 Vgl. Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 348–351, Zitat auf S. 351. 42 Vgl. Israel Finkelstein/Neil A. Silberman: David und Salomo, S. 222. 43 Zur imitatio Davids durch mittelalterliche Herrscher vgl. Hugo Steger: David Rex et Propheta, S. 128–132. Mit Karl dem Großen erreichte die Gleichsetzung von christlichem König und David einen Höhepunkt: „David besaß in diesem Zusammenhang aber nicht nur Bedeutung als Orientierung gebendes Idealbild eines Königs, sondern vor allem […] als Präfiguration des Heilands und imago Christi […], dessen Vorfahr der König ja nach biblischer Lehre war.“ (Franz-Reiner Erkens: Herrschersakralität im Mittelalter, S. 134) Es ist belegt, dass Karl der Große sich von seinem Vertrauten Alkuin „dominus meus David“ nennen ließ (vgl. Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 353). 44 Vgl. Hans-Dieter Metzger: David und Saul in Staats- und Widerstandslehren der Frühen Neuzeit, S. 467. 45 Linda Brüggemann: Herrschaft und Tod in der Frühen Neuzeit, S. 103. 46 Vgl. Herfried Münkler: Moses, David und Ahab, S. 114–117.

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Ideal eines gerechten, gottgefälligen Königtums ab und entwerfen einen Regentenspiegel, an dem sich Fürsten messen lassen müssen. In Luthers Augen bildet David das unerreichbare Vorbild in Herrschertugenden: „Es wirds doch keiner mehr David gleich thun, der hat billich den Vorzug über alle Könige und Herrn, Denn er hats zu gut gemacht“.47 Die Treue und Aufrichtigkeit, die Luther an David hervorhebt, will er auch noch bei seinen deutschen Landsleuten wiederentdecken, womit er zugleich einen Gegensatz zu den welschen Lastern der Prunksucht und Hoffart aufbaut. Immer wieder wird David von den unterschiedlichsten Seiten, im Dienst der unterschiedlichsten Ziele vereinnahmt. Machiavelli schätzt die skrupellosen Züge, Melanchthon betont den selbstlosen Dienst an der Gemeinde und Luther erhebt ihn zum Urbild deutscher Wesensart und zum Inbegriff weiser und gerechter irdischer Herrschaft. Auch in der neuesten Geschichte hat David als politische Bezugsgröße noch nicht ausgedient: Indem zunächst die zionistische Bewegung auf den Davidstern, d. h. den „Magen“ (Schild) Davids, als Symbol zurückgriff und schließlich auch der neu gegründete Staat Israel ihn 1948 zum Kernelement seiner Flagge machte, ist David ikonografisch eng mit Israel verbunden.48  

2.2.2 Literarische Adaptionen Hans Sachs führt in seinen Werken Davids Verhalten vor, das selbst beim Erdulden der himmlischen Strafe vortrefflich ist. Damit erscheint er neben seiner präfigurativen und allgemein exemplarischen Funktion auch als Vorbild für die christliche Obrigkeit. In der Nachfolge Luthers gestalten die Autoren den Stoff zum Fürstenspiegel, der ein frommes, gerechtes, väterliches Königtum predigt. Inwieweit die Mächtigen sich von den Anweisungen und Ratschlägen bürgerlicher Dramenschreiber wie Hans Sachs beeinflussen ließen, ist allerdings fragwürdig. Die Untertanen konnten aus dem Konflikt zwischen Saul und David immerhin Geduld

47 Zitiert nach Herfried Münkler: Moses, David und Ahab, S. 131. 48 Schon vor dem 12. Jahrhundert war das Hexagramm als magischer Talisman verbreitet. Doch wurden der Name Davids und das Zeichen erst im späten Mittelalter miteinander verknüpft, wobei die Vorstellung aufkam, dass das Hexagramm als magisches Schutzsymbol den Schild Davids geziert und diesen vor Gefahren bewahrt haben soll (vgl. Gerbern S. Oegema: Denn König David hatte einen Schild …, S. 22 f.). 1354 wurde der Davidstern erstmals offiziell als Kennzeichen den Juden zugestanden, als Kaiser Karl IV. der jüdischen Bevölkerung von Prag gestattete, eine rote Fahne mit dem Stern zu führen (vgl. Gerbern S. Oegema: „Ein Stern tritt hervor aus Jakob“, S. 18). Zur Verwendung des Sterns als zionistisches Symbol vgl. Gerbern S. Oegema: Juden, nehmt ihn auf, den Davidstern und tragt ihn in Ehren!, S. 94–96.  

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und Gottvertrauen lernen.49 Auch im Barock wurde David noch als Exempel für politische Argumentationen herangezogen, so etwa in Grimmelshausens „Simplicianischer Zweyköpffiger Ratio Status“ von 1670, worin der gottesfürchtige, zwar sündhafte, aber zur Umkehr bereite König David über den Tyrannen und Machiavellisten Saul erhoben wird.50 Nicht als nachahmenswertes Vorbild, sondern als zu attackierendes Feindbild dient David im Vormärz, in dem der Stoff eine literarische Renaissance erlebt. Der biblische König, der von der frühneuzeitlichen Politik zum ersten Vertreter des Gottesgnadentums stilisiert worden war, wurde für die politisch engagierten Dichter zum Inbegriff einer despotischen Willkürherrschaft. Wenn sie David in negativem Licht darstellten, meinten sie eigentlich die Potentaten, die das Volk von jeglicher Mitbestimmung fernhielten und die freie Meinungsäußerung unterdrückten. Während die Monarchen David zu ihrem ideellen Ahnherren ausriefen und so ihre Herrschaft auch religiös fundieren wollten, reagierten die Befürworter einer demokratischen Staatsform auf diese Vereinnahmung, indem sie von den aktuellen Mächtigen auf den jüdischen König zurückschlossen und bei ihm den Beginn einer theologisch verbrämten Tyrannei ausmachten.51 Die zwischen 1839 und 1852 entstandenen David-Adaptionen verfolgen meist eine ähnliche Stoßrichtung. Karl Gutzkow, eher Kritiker und Publizist als Dichter, versuchte sich als Erster im Vormärz an einer Dramatisierung des David-SaulKonflikts (1839).52 In fünf Akten schildert Gutzkow die zunehmende Entfremdung zwischen dem alternden König Saul und dem jugendlichen, aufstrebenden David, wobei der Priester Samuel die Konfrontation zusätzlich anschürt, um die eigene

49 Vgl. Gisela Urbanek: Die Gestalt König Davids in der deutschen dramatischen Dichtung, S. 245. 50 Vgl. Peter Rusterholz: Stefan Heym – Der König David Bericht, S. 826. 51 Friedrich Rückerts im selben Zeitraum, im Jahr 1843, entstandenes Saul-Drama fügt sich nicht in diese Tendenz der Politisierung des David-Stoffs. Das Lesedrama hangelt sich stattdessen an den Stationen des Prätextes entlang, ohne eigene interpretatorische Impulse zu geben. Helmut Prang fällt ein negatives Urteil über Rückerts „künstlerisches Unvermögen“ als Dramendichter: „Dieses wortreiche Stück ist nicht einmal handlungsarm, weist aber mehr erzählende Partien epischen Berichtens als dramatischen Handelns und gespannter Dialoge auf. Daher bestimmen mehr Gesinnung und Wollen als Geschehen und Tun diese Akte.“ (Helmut Prang: Friedrich Rückert. Geist und Form der Sprache, S. 221 f.) 52 Gutzkows Drama fand bezeichnenderweise nie den Weg auf die Bühne. Wenn schon die bei seinen Zeitgenossen populären Werke heute kaum noch vom Theater und der Literaturwissenschaft rezipiert werden, verwundert es nicht, dass ein Frühwerk wie „König Saul“ völlig in Vergessenheit geraten ist und von germanistischen Untersuchungen allenfalls am Rande erwähnt wird. Peter Stein beklagt die oberflächliche und rudimentäre Rezeption der Werke Gutzkows, deren Geringschätzung immer wieder mit dem „Unzulänglichkeits-Topos“ (Peter Stein: Probleme der literarischen Proklamation des Politischen, S. 135) begründet wird.  

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Oberherrschaft zu behaupten. Hinter der vordergründigen Auseinandersetzung zwischen Saul und David lässt Gutzkow den tiefer liegenden Machtkampf zwischen Saul und Samuel, Krone und Kirche, durchscheinen.53 Der biblische Stoff sollte als Vehikel dienen, um Kirchenkritik zu artikulieren, zugleich das weltliche Machtstreben der Geistlichkeit in grellen Farben zu präsentieren und die Deformation der Monarchie zur Tyrannei vorzuführen.54 Karl Isidor Becks Trauerspiel „Saul“, das 1840 in Pest zur Uraufführung kam, behandelt ebenfalls die Verquickung von Sauls Untergang und Davids Aufstieg. Auch wenn es am Beispiel Sauls die Gefahren der Macht für den Menschen beschreibt, ist es doch kein so eminent politisch aufgeladenes Werk wie das Stück Gutzkows.55 Es bildet eher eine psychopathologische Studie des kranken Königs. Der jüdische Autor, der selbst unter antijudäischen Anfeindungen litt, nutzte ein Kapitel aus der biblischen Geschichte, um das Leiden seines Volkes zu thematisieren. David, die jüdische Symbolgestalt, die Flucht und Exil erleiden musste, entpuppt sich in einem aus der Handlung fallenden Monolog als Stellvertreter des jüdischen Volkes, aber auch als Ankläger und Warner – die Juden müssten an ihre ruhmreichen Anfänge anknüpfen, um wieder als auserwähltes Volk gelten zu können.56 Ein ganz anderes Bild von David, das nichts mit dem Ideal des Hoffnungsträgers zu tun hat, entwirft Heine in seinem kurzen, zwischen 1848 und 1851 entstandenen Gedicht „König David“, das er in seine Sammlung „Romanzero“ auf-

53 Vgl. Paul Weiglin: Gutzkows und Laubes Literaturdramen, S. 5. 54 Eine ähnliche herrschafts- und kirchenkritische Botschaft transportiert Alfred Meißners fünfaktige Tragödie „Das Weib des Urias“ (1852) über Davids Ehebruch mit Bathseba. Ihr Liebesverhältnis wird zur Ursache für den Machtmissbrauch des Königs. Anders als im Prätext ist Bathseba die Nichte Nathans, den Meißner zudem zum Hohepriester macht und so den privaten mit dem religiösen und politischen Konflikt noch enger verschränkt. Es ist die Frau, die nicht nur zwischen ihrer verbotenen Liebe und ihrer ehelichen Pflicht, sondern auch zwischen den Machtansprüchen der Priesterkaste und der absolutistischen Herrschaftsauffassung Davids zerrieben wird. Sowohl die weltlichen als auch die geistlichen Autoritäten werden als verlogen, skrupellos und machtgierig demaskiert. 55 Zur antiklerikalen Stoßrichtung der Dramen von Gutzkow und Beck vgl. Sol Liptzin: Biblical Themes in World Literature, S. 133–135. 56 Der von Saul verfolgte David kündigt seinem Volk ein dunkles Schicksal an – rast- und heimatlos solle es weltweit umherirren, von allen Seiten verabscheut und gemieden (vgl. Sol Liptzin: Biblical Themes in World Literature, S. 134 f.). Der prophetisch angelegte Monolog konstruiert einen Gegensatz zur Vorzeit: Während die Alten stolz auf ihre ruhmreiche und glanzvolle Geschichte blicken konnten, hätten sich die neuzeitlichen Juden verächtlich gemacht und ihre Vergangenheit beschmutzt. Davids scharfe Worte deuten an, dass sie selbst ihren ehrlosen Stand mitverursacht haben. Wodurch bleibt offen, doch scheint die Geringschätzung der eigenen Tradition und Werte für Beck die allseitige Verachtung mitverschuldet zu haben.  

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nahm.57 Auf dem Totenbett beauftragt König David seinen Sohn und Nachfolger Salomo mit einer unliebsamen, von ihm versäumten Aufgabe: der Ermordung des verdienten Generals Joab. In der historischen Gewandung geißelt das Gedicht ganz aktuelle politische Missstände und prangert das Herrschaftsmodell des Gottesgnadentums als Despotie an, die das Volk niederdrückt und mit der Berufung auf Gott selbst Morde entschuldigt. Der König als Prototyp des Tyrannen und Gewaltherrschers58 – Heines negatives David-Bild wird in dieser Schärfe erst wieder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fortgeführt und -geschrieben. Im Zeitraum von 1880 bis 1920 wurde der Machtkampf zwischen Saul und David zu einem ausgesprochen beliebten Sujet auf deutschen Bühnen, wobei die stilistische Bandbreite vom expressionistischen bis zum lyrischen Drama reicht und so „dem Pluralismus der Dramenliteratur in den Jahrzehnten um 1900 entspricht“59. Diese Hausse von David-Saul-Dramen lässt sich möglicherweise mit dem großen „Interesse für die Königsmacht oder Kaisermacht während der Wilhelminischen Zeit“60 erklären. Vergleichbar zu den David-Dichtungen des Vormärz/Jungen Deutschland wurde auch um die Jahrhundertwende das machtoder religionskritische Potenzial herausgefiltert, nun allerdings meist in der Konfrontation von Saul und Samuel als Vertreter der weltlichen bzw. der geistlichen Macht.61 Zudem ließen sich unterschiedliche geistesgeschichtliche Tendenzen in dem Prätext spiegeln: Melancholie und Untergang des alternden Saul korrespondierten mit der Fin-de-siècle-Stimmung, wohingegen der kraftvolle Aufstieg des Riesentöters David Assoziationen zu Nietzsches „Übermenschen“ erlaubte.62 Einen Reflex zeitgenössischer politischer Ereignisse kann man auch in Stefan Heyms Roman „Der König David Bericht“ (1972) erkennen: Die Erfahrung der tota-

57 Vgl. Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 3, S. 40 f. 58 Siegbert S. Prawer spricht von der Darstellung Davids als „archetypal tyrant“ (Heine’s Jewish Comedy, S. 534). Eine ausführliche Interpretation des Gedichts findet sich bei Margaret A. Rose: Die Parodie: Eine Funktion der biblischen Sprache in Heines Lyrik, S. 76–83. 59 Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 266. Nebel, die etwa 40 dramatische Bearbeitungen des Stoffs nachweisen kann, konzentriert sich bei ihrer Untersuchung auf eine Auswahl, darunter die Adaptionen von Marie Eugenie delle Grazie, Johanna Wolff, Eberhard König, Paul Heyse, Reinhard Johannes Sorge sowie Franz Jung. 60 Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 270. 61 Vgl. Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 269 f. 62 Vgl. Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 271. Nebel lässt ihre Untersuchung in ein vage bleibendes, wenig spezifisches Fazit münden: „Im Grunde war es wohl die Frage nach dem Menschen, die in einer Zeit der Wende, des Umbruchs und neuer technischer oder kriegerischer Entwicklungen zahlreiche Autoren dazu veranlaßte, in einem altehrwürdigen Text Anstöße und Inspirationen für die literarische Gestaltung fundamentaler Menschheitsmotive zu suchen.“ (ebd., S. 272)  



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litären Regime Hitlers und Stalins scheint retrospektiv auf die Charakterisierung Davids durchzuschlagen. Sein Lebensbericht wird so zum „Paradigma der Geschichte des diktatorischen Herrschers“63. Apropos Riesentöter: Auch die Neudichtungen der Goliath-Episode sind oft politisch aufgeladen. Während Matthias Claudius’ „Geschichte von Goliath und David“ (1770/1775) in die Lehre mündet, dass man sich nicht auf Pracht und „großes Maul“ verlassen solle, dekonstruiert Friedrich Hebbel in einem kurzen Gedicht das Heldentum Davids, der sich an Goliaths Kopf zu Tode schleppt.64 Ein 1937 begonnenes, aber unvollendetes Opernprojekt von Bertolt Brecht und Hanns Eisler entfernt sich weit vom Prätext und spiegelt den zeitaktuellen Hintergrund des NS-Regimes: Gegen Goliath als Repräsentanten der Ausbeuterklasse helfen nur Einigkeit und die Überwindung der Klassengegensätze, wie sie David und Jonathan mit ihrem Bündnis vollziehen.65

2.3 Poetologische Deutung 2.3.1 Entwicklung der Deutungstradition Die Projektionsfigur David kam nicht nur bei der Ausgestaltung theologischer und politischer Anliegen zum Einsatz. Man entdeckte in ihm den Künstler, den Sänger und Dichter – und somit eine potenzielle Leitfigur und einen Geistesverwandten für andere Künstler.66 David avancierte zum dichterischen Vorbild, und das auf inhaltlicher wie auf formaler Ebene. Nach der Reformation erwählten Nürnberger und Memminger Handwerker König David zu ihrem Patron, als sie Passagen aus der Luther-Bibel in Meistergesängen vertonten.67 „Den Sieger eines vom sogenannten Merker schulisch beaufsichtigten Wettsingens nannte man ‚Kron- oder Davidsgewinner‘ und die diesem überreichte Kette den ‚Davidsgewinn‘.“68 Im deutschen Barock ging man noch einen Schritt weiter und erklärte David zur Autorität für formale Fragen der Dichtung. Barockdichter bemühten sich, ihre

63 Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 175. 64 Claudius’ Gedicht findet sich in: Matthias Claudius: Sämtliche Werke, S. 166–169; Hebbels Gedicht „David und Goliath“ ist enthalten in: Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke, Bd. 6, S. 451. 65 Vgl. Christine Bühler: Goliath, S. 336–339. 66 Erich Zenger zeigt, dass David durch seine Rezeption als Musiker und Dichter zum „cultural model“ wurde (vgl. Erich Zenger: David as Musician and Poet: Plotted and Painted, S. 264). 67 Vgl. Dietz-Rüdiger Moser: König David – Musiker und Dichter, Kämpfer, Tänzer und Prophet, S. 2. 68 Walter Salmen: König David – eine Symbolfigur in der Musik, S. 19.

2 Stationen der Wirkungsgeschichte – 3000 Jahre David

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Poetiken nicht allein auf die antiken heidnischen Autoren zurückzuführen, sondern den Psalmisten David zum Stammvater einer christlichen Dichtung zu küren und damit die poetische Dichtkunst allgemein zu nobilitieren. Und da die Lobgesänge Davids als viel älter als die Hymnen der Griechen und damit als näher am göttlichen Ursprung galten, eigneten sie sich umso besser zur Legitimation der Stellung des Dichters in der Gesellschaft.69 Mit der Berufung auf den alttestamentlichen König stellten sich die Autoren, die ja vielfach Geistliche waren, in eine erhabene Tradition und bewiesen, dass sich ihr geistlicher Beruf durchaus mit dem Verfertigen von Poesie vereinbaren lasse. Wieder verengte die eigene argumentative Intention den Blickwinkel und reduzierte David auf einen Aspekt, diesmal den Psalmisten. Gotthilf Treuers „Deutscher Dädalus“ (1675) charakterisiert ihn folglich als „Gottes Capellmeister und Sänger-Fürst. Der Königliche Poet / dessen Parnassus Sion gewesen. Der fromme Harfenist. Der geistliche Orpheus“.70 David wird am Maßstab der antiken Mythologie gemessen, die er jedoch als Person der Heiligen Schrift überragt. Johann Gottfried Herder schließlich erklärt David und Moses in Israel neben Homer und Pindar im antiken Griechenland zu „herausragenden Repräsentanten [eines] göttlichen Dichtertums“, dessen „Einheit von Musik und Sprache“71 dazu beitrug, das jeweilige Volk zu formen. In seiner Abhandlung „Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten“ (1777) beruft er sich auf David, um die „herrliche wirkende Poesie“72 der Hebräer zu veranschaulichen. Dabei führt Herder die überragende Stellung des Königs gerade auf dessen künstlerisches Wirken zurück, das in religiöser Dichtung aufging und das Davids fortdauernde Strahlkraft ermöglichte: Der zweite König in Israel, er, der unter allen Königen die größte Wirkung auf sein Volk getan, daß Name und Regierung ihnen das Sprichwort der Macht und Herrlichkeit eines Königs wurde, war Hirt und Sänger, der lieblichste Psalmensänger, den Israel gehabt hat und der eben durch Psalmen königlich wirkte. […] Der Ruhm seiner Lieder blieb, die Wirkung derselben überdauerte die Wirkung seiner Siege. […] der Geist, der um seine Harfe schwebte, hat große Wirkung gethan auf der Erde und wird sie tun, wenn vielleicht die Poesie andrer Nationen ein Traum ist.73

69 Vgl. Joachim Dyck: „König David, der liebliche Poet“, S. 800 f. 70 Zitiert nach Joachim Dyck: „König David, der liebliche Poet“, S. 802. 71 Manfred Koch: Der heilige Dichter-Sänger, S. 7. 72 Johann Gottfried Herder: Werke in zehn Bänden, Bd. 4, S. 158. 73 Johann Gottfried Herder: Werke in zehn Bänden, Bd. 4, S. 162 f. (Hervorhebungen im Original).  



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2.3.2 Literarische Adaptionen Nachdem David schon früh in dichtungstheoretischer Hinsicht vereinnahmt worden ist, setzte um 1900 eine Rezeption ein, die sein Künstlertum zum Inhalt von literarischen Texten machte. Dichter schrieben über David, weil er selbst ein Dichter war. Diese Rezeption wetterleuchtet in Richard Wagners 1868 uraufgeführter Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“, in der zugleich die Wertschätzung der Meistersinger für David einen späten Niederschlag findet: Als im dritten Aufzug die Meistersinger festlich am Ort des bevorstehenden Sängerwettkampfes einziehen, schwenkt das Volk eine Fahne, „auf welcher König David mit der Harfe abgebildet ist“74. Das Symbol der Harfe betont Davids Doppelfunktion als Künstlerkönig, d. h. als Herrscher, der zugleich ein begnadeter Dichter und Sänger war. Und nachdem der Junker Walter von Stolzing mit seinem Lied den Wettstreit gewonnen hat, schickt sich der Goldschmied Veit Pogner an, dem Sieger eine „goldn[e] Kette, daran drei große Denkmünzen“, anzulegen und so seine Aufnahme in den Kreis der Meistersinger formal zu vollziehen: „Geschmückt mit König Davids Bild, / nehm ich Euch auf in der Meister Gild!“75 So sehr sich Wagner bei der dichterischen Ausgestaltung des frühneuzeitlichen Nürnberg von den historischen Fakten entfernt, entspricht die Berufung der Meistersinger auf den alttestamentlichen König David als „Urbild aller meisterlichen Sänger und gerade auch des zünftigen Meistergesanges“76 durchaus der Überlieferung. Doch ging es Wagner offenbar nicht nur um die getreue Wiedergabe der damaligen David-Verehrung, auf subtile Weise verschafft Davids Konterfei, das die Meisterkette ziert, der Kunst eine gleichsam religiöse Legitimation. Was bei Wagner nur in Form von Anspielungen angetippt wird – die Stilisierung Davids zum künstlerischen Ahnherrn und die damit einhergehende quasireligiöse Aufwertung von Kunst –, sollte sich in den folgenden Jahren zu einem bedeutenden Rezeptionsstrang entwickeln. Die vorliegende Studie fokussiert sich auf diese poetologische Deutung des biblischen Stoffs, die auf literarischer Ebene erfolgt, und will diese in ihrer Entwicklung und ihren Wandlungen nachzeichnen.  

74 Richard Wagner: Die Musikdramen, S. 483. 75 Richard Wagner: Die Musikdramen, S. 491. 76 Vgl. Dietz-Rüdiger Moser: König David – Musiker und Dichter, Kämpfer, Tänzer und Prophet, S. 1. Zur Kunstdiskussion in Wagners „Meistersingern“ vgl. Ulrich Schreiber: Opernführer für Fortgeschrittene, Bd. 2, S. 540–545.

3 Der methodische Ansatz 3.1 Forschungsüberblick Der Berner Theologe Walter Dietrich, Experte für den biblischen David wie dessen politische und kulturelle Rezeption, stellt die emphatische Behauptung auf, dass gerade sein Facettenreichtum David unsterblich gemacht hat. Für die Verfasser der biblischen Texte wie für deren Ausleger, für fromme wie für weniger fromme Betrachter, für Poeten und Romanciers, für Komponisten und ihre Librettisten, für Bildhauer und für Maler gab es an David so unendlich viel zu entdecken und zu beleuchten, zu interpretieren und zu meditieren, fortzuschreiben und auszumalen, dass sich sein Bild im Lauf der Zeit immer weiter angereichert hat und die Betrachtenden aus dem Staunen kaum mehr entlässt.1

So präsent David in der abendländischen Kulturgeschichte ist, so absent ist er in der literaturwissenschaftlichen Diskussion – und das in Bezug auf alle drei Rezeptionslinien. Eine Sichtung der Forschungsliteratur ergibt, dass die wissenschaftlich-analytische Auseinandersetzung mit dem David-Stoff bislang eher kursorisch und punktuell ausfällt. Was Goethe für die künstlerische Seite schlussfolgert, gilt auch für die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit David: Es scheint kaum möglich, in einer systematischen Studie alle Ausprägungen der Stoffgeschichte, alle künstlerischen Rezeptionsstränge, alle David-Figurationen in den Blick zu nehmen. So ist es lexikografischen Darstellungen vorbehalten, Orientierungshilfen zu geben.

3.1.1 Überblicksdarstellungen Elisabeth Frenzels Nachschlagewerk „Stoffe der Weltliteratur“ (erstmals erschienen 1962) entfaltet in einem Längsschnitt die David-Stoffgeschichte einerseits diachron, benennt andererseits einzelne inhaltliche Schwerpunkte und skizziert deren literarische Rezeption.2 Diese Auflistung von Autoren und Werken bildet

1 Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 201. Georg Langenhorst differenziert aus theologischer Sicht: „David mag die anregendste und literarisch fruchtbarste Gestalt des Alten Testaments sein, die theologisch brisanteste und religiös interessanteste ist er sicherlich nicht, etwa im Gegensatz zu Noach, Abraham, Ijob oder Mose.“ (Georg Langenhorst: „Der magische Tänzer“, S. 487) 2 Vgl. Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur, S. 150–154. Einen ähnlichen, in der literarischen Wertung deutlich von Frenzel beeinflussten Ansatz bietet Martin Bocian in seinem „Lexihttps://doi.org/10.1515/9783110700770-003

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einen guten Überblick, der aber naturgemäß grob bleiben muss und einzelne Werke nicht immer treffsicher einordnet.3 Stärker in die Tiefe geht der Theologe Georg Langenhorst in seinem Aufsatz „Von heiligen Tänzern und Tempelbauern – Israels Könige“ (1999), der für Saul, David und Salomo „durch überblicksartige Titelnennungen den Reichtum dieser Literatur [andeuten]“ und „exemplarische Einzelinterpretationen an ausgesuchten, herausragenden Texten“4 bieten will. Bei David folgt er dem von Frenzel ansatzweise vorgeführten Verfahren, den ausufernden Stoff in Motivblöcke aufzuteilen und deren jeweilige literarische Verarbeitungen in chronologischer Reihenfolge zu präsentieren. Die Motive sind dabei fast alle an eine „speziell[e] biblisch[e] Gegenfigur“5 gebunden: Goliath, Jonathan, Samuel, Bathseba, Michal, Abigajil, Davids Söhne. Neben diesen Motivblöcken identifiziert Langenhorst Texte, die den ganzen Lebenslauf des Königs darzustellen versuchen.6 Auch Sol Liptzins Studie „Biblical Themes in World Literature“ (1985) nähert sich dem David-Stoff anhand einzelner Mit- und Gegenspieler: In fünf Kapiteln zu Saul, Michal, Nabal und Abigail, Jonathan sowie Abischag wird die Entwicklung der jeweiligen Motivstränge skizziert.7 In die Darstellung sind prägnante Kurzinterpretationen ausgewählter literarischer Adaptionen aus der Weltliteratur eingebettet. Liptzins Verfahren ist dabei eher additiv und verzichtet angesichts seines groß angelegten, das ganze Alte Testament abdeckenden Untersuchungsradius auf eine bündelnde, die Einzelbeobachtungen integrierende Gesamtdeutung. Diese die David-Stoffgeschichte umreißenden Kurzdarstellungen stecken deren gewaltige Ausdehnung ab und belegen die Schwierigkeit, einen umfassenden systematischen Zugriff zu finden.

kon der biblischen Personen“ (2. Auflage von 2004). Allerdings greift er weiter aus, indem er den eigentlichen Stoff kurz nachzeichnet, seine Deutung in jüdischer, christlicher und islamischer Tradition schlaglichtartig beleuchtet, bevor er dann Davids Nachleben in der Kunst darstellt. Neben der Literatur gibt es knappe Abschnitte zur Rezeption in Musik und bildender Kunst (vgl. Martin Bocian: Lexikon der biblischen Personen, S. 83–92). Kürzer und oberflächlicher als bei Frenzel und Bocian fällt der David-Eintrag in dem Nachschlagewerk „Themen und Motive in der Literatur“ (2. Auflage von 1995) aus (vgl. Horst S. und Ingrid G. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur, S. 92). 3 So wird Arnold Zweigs 1913 erschienenes Drama „Abigail und Nabal“ als Beispiel für eine „gewisse Vorliebe für den Gott im Liede preisenden König“ aufgeführt, die sich „nach dem ersten [!] Weltkrieg im Zeichen des Expressionismus“ (Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur, S. 153) ausgeprägt hätte. Tatsächlich spielen weder Davids Künstlertum noch seine Verherrlichung Gottes in Zweigs Stück eine herausragende Rolle. 4 Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 152. 5 Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 160. 6 Vgl. Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 160–165. 7 Vgl. Sol Liptzin: Biblical Themes in World Literature, S. 128–179.

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3.1.2 Einzeluntersuchungen Walter Dietrichs kenntnisreiche Monografie „König David. Der Herrscher mit der Harfe“ (2016 in der zweiten Auflage) setzt bei den Quellen an, analysiert die biblische Darstellung Davids, um dann ihre Nachwirkung auf die europäische Kultur- und Geistesgeschichte zu skizzieren. Der Band aus der Reihe „Biblische Gestalten“ schält die Traditionslinien heraus, kann allerdings naturgemäß nur exemplarisch und schlaglichtartig auf die literarischen David-Adaptionen eingehen. Dietrich stützt sich dabei immer wieder auf den von ihm und Hubert Herkommer herausgegebenen Sammelband „König David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt“ (2003), der den reichen Ertrag eines interdisziplinären Kongresses dokumentiert und eine unschätzbare Fundgrube für die Beschäftigung mit David darstellt. Darin wird die Herrschergestalt nicht nur im alttestamentlichen Kontext untersucht, sondern auch ihre Rezeption in Judentum, Islam und Christentum sowie in Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte beleuchtet. Zwei Einzelstudien fokussieren sich auf ausgewählte Autoren bzw. auf einen klar umgrenzten literaturgeschichtlichen Zeitraum. Pia Ecksteins Untersuchung mit dem Titel „König David“ (2000) legt zunächst eine strukturelle Analyse des Textes aus der Hebräischen Bibel vor und untersucht dann, inwieweit dessen strukturelle und erzähltechnische Besonderheiten in Romanadaptionen des 20. Jahrhunderts wiederaufgegriffen werden. Hierbei konzentriert sich Eckstein auf Stefan Heyms „König David Bericht“ sowie Joseph Hellers „God knows“. Inger Nebel erforscht dagegen in ihrer 2001 erschienenen Dissertation die zwischen 1880 und 1920 zu beobachtende Häufung von Saul-und-David-Dramen an deutschsprachigen Bühnen: Nachdem sie im biblischen Prätext eine Reihe von Referenzelementen identifiziert hat, verfolgt sie deren Rezeption in den einzelnen Dramenversionen mithilfe der Kategorien aus dem Intertextualitätskonzept. Dabei beschränkt sie sich auf die textimmanenten Bezüge und klammert aus ihrer Zielsetzung bewusst den theologischen, historischen und soziologischen Kontext aus.8 Die poetologische Deutung und Vereinnahmung Davids bleibt in den genannten Forschungsbeiträgen weitgehend unberücksichtigt bzw. wird nicht systematisch herausgearbeitet.9

8 Vgl. Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 6. 9 Eine Ausnahme bildet Walter Dietrichs Aufsatz „David und die Dichter“ von 2017, der aber lediglich einen kursorischen Überblick bieten will und weniger literaturwissenschaftlich interpretiert als exegetische Bezüge herstellt (vgl. Walter Dietrich: David und die Dichter, S. 167–192).

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3.2 Fragestellung und Methodik Eine literaturwissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der poetologischen Deutungstradition des David-Stoffs steht bislang aus, verspricht aber wesentliche Erkenntnisse einerseits zum geistesgeschichtlichen Stellenwert der biblischen Gestalt, andererseits zur Instrumentalisierung der Vorlage, die spezifische, das eigene Kunstverständnis spiegelnde Aussagen transportiert. Folgende Leitfragen sollen meine vergleichende Interpretation literarischer Texte aus diesem Stoffkreis strukturieren und ihr einen roten Faden geben: – Wie realisieren die einzelnen Adaptionen den Stoff? Wie verhält sich die jeweilige David-Figuration zur alttestamentlichen Vorlage? – Wie wird Davids Künstlertum ausgestaltet, akzentuiert, gedeutet? Welche Gattung wird dafür gewählt? – Welches Potenzial, aber auch welche Grenzen werden der Kunst zugeschrieben? Lassen sich daraus implizite poetologische Selbstaussagen ableiten?10 – In welchen historischen Kontext muss der literarische Text eingebettet werden? – Wie positioniert sich der Text zur kulturgeschichtlich geprägten David-Bildtradition? Mein problemorientierter thematologischer Ansatz zielt darauf ab, die Traditionslinien des Stoffs freizulegen und seine kulturelle Vernetztheit aufzuzeigen, indem er das Fortschreiben einer bestimmten Problemkonstellation verfolgt, Veränderungen nicht nur registriert, sondern auch hinterfragt bzw. Kontinuitäten herausarbeitet. Thematologie hat insofern die reine Stoffgeschichte überwunden, als sie sich auf die Stoffbehandlung konzentriert.11 Sie zielt darauf ab, „die Themen und Motive der Literatur in ihrer Verknüpfung mit den Kunstmitteln der Texte zu untersuchen und im thematischen Spektrum der Kulturen die besondere Bedeutung der Literatur (und im Weiteren auch der anderen Künste) zu erfassen“12. Freilich vollziehen sich solche stofflichen Wandlungen über Jahrhunderte, wirken Dichtungen über nationale und sprachliche Grenzen hinweg, speisen sich auch

10 Die Klassifikation „poetologisch“ wird hier in einem weiteren Sinne verstanden, soll also nicht nur Texte bezeichnen, die explizit „Fragen der Dichtungslehre thematisieren“ und „Probleme der Produktions-, Werk-, Wirkungs- und Rezeptionsästhetik“ reflektieren (Friedhelm Rudorf: Poetologische Lyrik und politische Dichtung, S. 11), sondern auch solche, in denen auf der Handlungsebene der schöpferische Prozess, das Wirken von Kunst oder die Rolle des Künstlers behandelt werden. 11 Vgl. François Jost: Grundbegriffe der Thematologie, S. 41. 12 Angelika Corbineau-Hoffmann: Einführung in die Komparatistik, S. 145.

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bildendende Kunst und Musik aus demselben Themen- und Stoffreservoir. Um die volle Bedeutung und Popularität eines Stoffs beschreiben zu können, fordert Manfred Beller, sämtliche künstlerischen Manifestationen aufzuspüren und zueinander in Beziehung zu setzen und dabei auch die weniger gelungenen Werke nicht zu vernachlässigen.13 Eine willkürliche Textauswahl würde falsche Akzente setzen und ein verzerrtes Bild von der Rezeption eines Stoffs entwerfen. So durchdacht Bellers Forderungen auch sind, so bodenlos sind sie, wenn man einen so häufig bearbeiteten Stoff wie die Geschichte König Davids systematisch in den Griff bekommen will. Er selbst gibt zu, dass viele Untersuchungen über der Fülle der Belege eine klare Strukturierung vermissen lassen und sich in dem textuellen Beziehungsgeflecht verheddern. Mit dem Anspruch, möglichst alle Zeugnisse zu einem Stoff, unabhängig von Entstehungszeit, -ort und Qualität zu berücksichtigen, verleitet Bellers Konzeption unwillentlich, aber zwangsläufig zu dem von ihm so scharf verurteilten positivistischen Auflisten. Zum einen legen es pragmatische Gründe nahe, den Untersuchungsgegenstand einzuschränken, sich dabei jedoch der selbst gesteckten sprachlich-nationalen und zeitlichen Grenzlinien bewusst zu sein.14 So werde ich mich auf die deutschsprachigen David-Dichtungen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konzentrieren, doch auch immer wieder den Blick für bildkünstlerische und fremdsprachige Umsetzungen weiten, um die Breitenwirkung des Stoffs sowie wechselseitige Rezeptionsimpulse aufzuzeigen. Zum anderen will die vorliegende Untersuchung anhand zentraler Texte die poetologische Ausdeutung das DavidStoffs fokussieren. Entsprechend thematologischer Definition bezeichnet dabei Stoff ein „Handlungsgerüst“ und eine „Problemkonstellation […], die in der literarischen Tradi-

13 Vgl. Manfred Beller: Von der Stoffgeschichte zur Thematologie, S. 14–17. Beller knüpft an Raymond Troussons wirkungsmächtiges „Plaidoyer pour la Stoffgeschichte“ an. Trousson fordert zwar von einer stoffgeschichtlichen Analyse die Vollständigkeit in Raum und Zeit, doch wendet er sich gegen eine rein mechanistische Titelaufzählung. Eine Ergänzung durch stil- und formgeschichtliche Untersuchungen sowie die Berücksichtigung der Manifestationen eines Stoffs in Werken der bildenden Kunst und Musik sollen die kulturelle Vernetztheit transparent machen. Ein „thème de héros“ bildet nach Trousson einen idealen Stoff, worunter er „eine der großen mythischen, biblischen oder sagenhaft historischen Gestalten [versteht], deren charakteristischer Kern im Wandel der Geschichte philosophische, theologische, moralische, soziale, politische oder poetische Ideen ankristallisiert“ (ebd, S. 3 f.). Eben solch eine Kristallisationsfigur, die auch von Trousson genannt wird, ist König David. 14 „Vollständigkeit bei der Untersuchung literarischer Themen anzustreben müsste […] in eine Kärrnerarbeit einmünden, die in Zeiten verstärkter Theoretisierung von Literatur(-wissenschaft) vollends obsolet geworden ist.“ (Angelika Corbineau-Hoffmann: Einführung in die Komparatistik, S. 147)  

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tion vorgeprägt, zugleich aber im Text individuell realisiert wird“15. Die Verpflichtung auf eine überlieferte Quelle und das Ringen um gestalterischen Freiraum stehen in einem spannungsvollen und spannenden Verhältnis zueinander. Anders als der Stoff, der an gewisse Figuren gebunden ist und auch meist durch feste räumliche und zeitliche Koordinaten bestimmt wird, transportiert das Thema eine umfassendere Bedeutung und eine Art obersten Leitgedanken.16 Bei einer vergleichenden Betrachtung von Texten, die David als Sänger, Dichter oder Tänzer zeichnen, lässt sich das Künstlertum als ein solcher Leitgedanke identifizieren, der hinter dem vorgeprägten Stoff aufscheint. Man kann wohl sogar noch weitergehen und behaupten: Das Thema Kunst, das in dem Stoff steckt, hat diesen für Dichter erst interessant gemacht und zu Neu- und Nachdichtungen unter poetologischer Perspektive angeregt. Um das Beziehungsgeflecht der David-Adaptionen, das Text-Text-Verhältnis und die Abhängigkeit von der biblischen Vorlage offenzulegen, werde ich auf Methoden der Intertextualitätsforschung zurückgreifen. Im Sinne von Manfred Pfister soll hier „Intertextualität“ als „Oberbegriff für jene Verfahren eines mehr oder weniger bewußten und im Text konkret greifbaren Bezugs auf einzelne Prätexte oder diesen zugrundeliegenden Codes und Sinnsystemen“17 benutzt werden. Pfisters mit sechs Kriterien operierendes, praxisnahes Modell zur Skalierung von Intertextualität stellt das nötige Instrumentarium zur Verfügung.18 Dabei sol-

15 Christine Lubkoll: Stoff, literarischer, S. 606. Elisabeth Frenzels Definition geht in die gleiche Richtung: Sie versteht unter „Stoff“ „eine durch Handlungskomponenten verknüpfte, schon außerhalb der Dichtung vorgeprägte Fabel, ein[en] ‚Plot‘, der als Erlebnis, Vision, Bericht, Ereignis, Überlieferung durch Mythos und Religion oder als historische Begebenheit an den Dichter herangetragen wird und ihm einen Anreiz zu künstlerischer Gestaltung bietet“ (Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur, S. V). 16 Vgl. Margot Kruse: Literaturgeschichte als Themengeschichte, S. 201; vgl. François Jost: Grundbegriffe der Thematologie, S. 42. 17 Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 15. 18 Offenbar in Anlehnung an die Intertextualitätskonzepte von Genette und Pfister hat Birgit Lermen den Versuch unternommen, die verschiedenen Rezeptionsformen der Bibel zu systematisieren, wobei die Übergänge fließend sind (vgl. Birgit Lermen: „Ich begann die Geschichten der Bibel zu lesen: Ein Riß; und der Abgrund Mensch klaffte auf“, S. 48–88). Ihre Kategorisierung ist ein Beispiel für das Ringen um einen klar strukturierten Zugang zur Bibeldichtung: Die Paraphrasierungen halten sich eng an Inhalt und Form der Vorlage, wollen das Alte lediglich in anderen Worten heutigen Lesern verständlich machen und keine Neudeutungen sein. Größere Eingriffe erfordert dagegen die Aktualisierung, die ebenfalls nicht an der Aussage rührt, aber biblische Problemkonstellationen in die heutige Lebenswirklichkeit und Vorstellungswelt transferiert. Mittels der Verfremdung will der Autor seine Leser irritieren und sie zum distanzierten Nachdenken anregen, indem er das Vertraute in neue Bezüge stellt und das Bekannte fremd und neu erscheinen lässt. Die Umdeutung greift in Intention und Aussage eines Textes ein und eliminiert dabei

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len die literarischen David-Variationen vornehmlich als Einzeltextreferenz zum biblischen Prätext verstanden werden. Zudem ließe sich nach Pfister/Broich auch eine sich als Textkollektiv manifestierende Systemreferenz postulieren. Dann würde man David (wie etwa Julius Caesar, Maria Stuart oder Napoleon) zu den Figuren zählen, die „[w]ie ein Relais […] mehrere Texte zu einem einzigen Prätext [verschalten], auf den ein neuer Text dann referieren kann“19. Die Analyse der inhaltlichen Verwandtschaft von Texten soll zu den anthropologischen Konstanten vorstoßen, die die überzeitliche Relevanz des Stoffs bedingen. Tatsächlich erscheint das Fortschreiben einer Stoffgeschichte als Möglichkeit, wiederkehrende, allgemeinmenschliche Problemkonstellationen neu durchzuspielen. Gérard Genette stellt fest: „Die Menschheit, die fortwährend Sinn entdeckt, kann nicht dauernd neue Formen erfinden und muß mitunter neue Bedeutungen in alte Formen einfließen lassen.“20 Thematologie und Intertextualität tragen dazu bei, den Prätext, aber auch seine Nachdichtungen präsent zu halten und über neue Variationen und Bearbeitungen immer wieder dem aktuellen Sinnkreislauf zuzuführen.

häufig die transzendenten Bezüge und die theologische Motivierung der Heiligen Schrift. Mit der Methode der Parodierung soll die Vorlage diskreditiert werden, indem entweder einzelne Aspekte verzerrt, isoliert, übertrieben werden oder der erhabene Gestus der Bibel gebrochen und verkehrt wird. Eine weit größere Abstraktion leistet die Transfiguration, die einzelne Züge einer biblischen Gestalt auf eine zeitgenössische Figur überträgt, was die biblischen Helden zugleich entmythologisiert und an der Realität misst. Bei der freien dichterischen Gestaltung schließlich fungiert die Bibel „als Sprungbrett eigener, die biblische Aussage umdeutender Gedanken“ (ebd., S. 80). Kriterium einer gelungenen schriftstellerischen Verarbeitung der Bibel ist für Birgit Lermen die theologische Frage, ob der neue Text zu einer Beschäftigung mit der Bibel selbst herausfordert: „Voraussetzung dafür, daß poetische Texte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Schrift führen, ist sowohl die Ernsthaftigkeit, mit der sich der Autor den Problemen stellt, als auch die künstlerische Qualität, das geistige und ästhetische Niveau.“ (ebd., S. 88) Da Lermen mehr die Auswirkung der jeweiligen Adaption auf die Rezeption des biblischen Prätexts in den Fokus rückt, werde ich vor allem auf den Ansatz von Pfister zurückgreifen, der die Struktur des neuen Textes, die Intentionen des Autors sowie das Vorwissen des Lesers stärker beleuchtet. 19 Frauke Berndt/Lily Tonger-Erk: Intertextualität, S. 153. 20 Gérard Genette: Palimpseste, S. 534. Die vorliegende Analyse der literarischen David-Variationen folgt zwar der von Genettes Intertextualitätskonzept vorgegebenen Stoßrichtung, bedient sich allerdings weitgehend nicht seiner terminologischen Differenzierung. So klar gegliedert und durchdacht konzipiert Genettes theoretisches Begriffsgerüst ist, tut es doch zu viel des Guten und führt zu einer „manchmal sperrige[n] Begrifflichkeit“ (Markus Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 146).

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3.3 Zum Vorgehen So vielgestaltig das David-Bild des Alten Testaments ausfällt, so facettenreich ist auch sein Künstlertum: Er ist 1. Sänger und Dichter sowie 2. Tänzer. Schließlich hat sich – bereits als Deutung und Weiterentwicklung der biblischen Erzählung – 3. die Vorstellung von David als Psalmist herausgebildet. Diese Trias schöpferischer Begabung gibt die Gliederung meiner Arbeit vor. Jede dieser künstlerischen Spielarten hat ihre eigene literarische Rezeptionsgeschichte entwickelt. Ausgehend von drei biblischen Urszenen werde ich die Entstehung der jeweiligen Bildtradition nachzeichnen und ihren Niederschlag in deutschsprachigen Dichtungen interpretatorisch in den Blick nehmen. Angesichts der oben skizzierten Fülle von David-Dichtungen ist es unumgänglich, sich auf eine exemplarische Textauswahl zu konzentrieren. Ich rücke jene Adaptionen in den Fokus, die explizit Davids Künstlertum behandeln und sich nicht damit begnügen, den überkommenen Stoff nur nachzuerzählen, sondern eigene Schwerpunkte setzen und Umdeutungen wagen. Dabei gilt es, einerseits auf einer inhaltlichen Ebene den Wandel des David-Bilds zu beobachten sowie andererseits das strukturelle Verweissystem der Adaptionen zum biblischen Prätext, aber auch zu anderen künstlerischen Bearbeitungen freizulegen. Renate Lachmann zufolge löst eine Interferenz von Texten einen „Prozeß der Sinnkomplexion“21 aus, eine „semantische Explosion, die in der Berührung der Texte geschieht, […] die Erzeugung einer ästhetischen und semantischen Differenz“22. Bezogen auf den David-Stoff ist zu fragen, wie diese Explosion bei den literarischen Anverwandlungen und Adaptionen aussieht. Welche neuen Sinnangebote ergeben sich aus dem Weiter- und Umschreiben der alten Vorlage? Welche poetologischen Aussagen transportiert die Darstellung von Davids Künstlertum im Zusammenspiel mit biografischen, literaturgeschichtlichen und gattungstypischen Bezügen?23

21 Renate Lachmann: Intertextualität als Sinnkonstitution, S. 67. 22 Renate Lachmann: Ebenen des Intertextualitätsbegriffs, S. 134. 23 Wolfgang Kayser vertritt die Meinung, dass nur diejenigen Werke einen Stoff haben, „in denen sich Vorgänge vollziehen und Figuren auftreten“, wobei er von den stoffhaltigen Gattungen wie Drama, Epos, Roman oder Erzählung das lyrische Gedicht ausschließt (Wolfgang Kayser: Das sprachliche Kunstwerk, S. 56). Das erscheint einsichtig, schließlich transportiert Lyrik statt Aktion vorwiegend Stimmung und Befindlichkeit. Allerdings wird sich an den hier zu behandelnden Texten zeigen, dass eine pauschale Klassifizierung nicht möglich ist, die Texte von Rilke, Lasker-Schüler oder Ausländer sind keine Handlungsgedichte und haben dennoch an dem Stoffkreis teil.

4 Exkurs: Zur Besonderheit von biblischen Stoffen Literarische Neudichtungen über den Künstler David stehen in dem komplexen Spannungsfeld von Religion und Kunst, denn zum einen ist der Stoff untrennbar mit seiner Quelle, der Bibel, verbunden, zum anderen erzählen alle diese Texte vom Potenzial der Kunst.

4.1 Säkularisierung biblischer Inhalte Als Grundlage zweier Buchreligionen ist die Bibel nicht nur von theologischem und historiografischem Gehalt; als Text, der das kulturelle Gedächtnis in der abendländischen Kultur wesentlich geprägt hat, regten ihre Geschichten immer wieder die Künste zu einer produktiven Auseinandersetzung an.1 Für Käte Hamburger ist die

1 Hans Blumenberg macht in seiner klassischen Studie „Arbeit am Mythos“ eine Dichotomie zwischen Mythos und Dogma aus. Der Mythos, den Blumenberg enger fasst als Jan Assmann, vererbte sich bis zu seiner Verschriftlichung durch Erzählen und Wiedererzählen immer weiter, differenzierte sich aus und wuchs zu einer großen Sammlung von Geschichten an, die Antwortmöglichkeiten auf die menschlichen Sinnfragen zur Verfügung stellte. Dies begründe seine prinzipielle Offenheit für Umformungen, Neudeutungen, unterschiedliche Sinngebungsversuche und Variationen – ein interpretatorischer Spielraum, der den biblischen Geschichten völlig abgehe. Die Bibel stelle einen Zusammenhang zwischen Wissen und Glauben her, wolle gleichermaßen Geschichtsschreibung und religiöse Sinnstiftung vermitteln und formuliere somit klar festgelegte Botschaften. Blumenberg sieht in solch eindeutigen Sinnzuweisungen „eine Art verbales Bilderverbot, das nicht gleicherweise die bildende Kunst trifft, weil ihre Mittel nicht kanonisch vorgeprägt und ausgegeben sind“ (Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, S. 240). Das Verbot, sich ein Bildnis von Gott zu machen, glaubt Blumenberg als Prinzip der ganzen Schrift zu erkennen: Die Buchreligion tendiere zur „abstrakten Begrifflichkeit“ (ebd., S. 241). Die tiefe Verankerung von biblischen Gestalten und Geschichten im allgemeinen Bewusstsein stehe einer dichterischen Umarbeitung entgegen – eine Verfremdung oder Verformung müsse somit in der Parodie enden. Das Moment der „Festgeschriebenheit“ (ebd., S. 241) begründe das Dogma, das Unterwerfung fordere. Solch eine Reduktion stelle für den Mythos eine Verarmung dar, da er gerade aus der unendlichen Vielfalt seiner fantastischen Geschichten, seinem Verzicht auf eine normative Wahrheit seine Vitalität und Unabschließbarkeit beziehe. „Alles, was das Dogma erfordert, erläßt der Mythos. Er fordert keine Entscheidung, keine Bekehrungen, kennt keine Apostaten, keine Reue. Er erlaubt Identität noch in der Verformung zur Unkenntlichkeit, ja noch in der Anstrengung, ihn zu Ende zu bringen.“ (Ebd., S. 269) Während der Mythos also immer zu neuen Fragen, zum Nachfragen herausfordere, lege sich das Dogma auf fixe Glaubenssätze fest, die keinen Spielraum zum narrativen Fabulieren ließen. Wenn Blumenberg allerdings behauptet, die biblische Welt sei im Gegensatz zum Mythos in der Weltliteratur „nahezu ungegenwärtig“ (ebd., S. 239), geht er zu weit und ignoriert die unzähligen, sich aus christlich-biblischer Tradition speisenden Metaphern, Verhttps://doi.org/10.1515/9783110700770-004

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biblische Überlieferung „keine Quelle einer geschichtlichen Wirklichkeit, sondern ein auszulegender Text“2. Autoren werden zu Exegeten, wenn sie den Urtext dichterisch neu zu gestalten versuchen, ihn hinterfragen oder modifizieren. Literarische Adaptionen biblischer Stoffe lösen diese aus ihrem ursprünglichen religiösen Kontext und verpflanzen sie in einen neuen Zusammenhang. Eine Figur und ihre Geschichte erfahren eine Neudeutung, verlieren ihre Bedeutung im Rahmen der Heilsgeschichte, gewinnen aber sowohl durch ihre Auswahl, die Neugestaltung sowie den anderen Kontext eine andere Aussage. Dieser Vorgang kann als Profanierung oder als Säkularisation bezeichnet werden.3 Die Verweltlichung eines religiösen Grundlagentextes ist Teil einer umfassenden gesamtgesellschaftlichen Veränderung weg von einem christlichen Orientierungs- und Erklärungsmodell, das alle Lebensbereiche einschloss. Um diesen hochkomplexen Prozess in seinen Auswirkungen erfassen zu können, unterscheidet Ulrich Ruh drei Grundstränge: In der Neuzeit differenzieren sich erstens die „verschiedenen Lebens- und Wirklichkeitsbereiche (Staat, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur)“ aus und lassen

weise und Deutungsfolien in den Werken von Goethe, Kleist über Rilke bis zu Böll und Grass. Blumenbergs Urteil besitzt nur bis zum 18. Jahrhundert Gültigkeit, als die Bibeldichtung vorwiegend geistlich ausgerichtet war und ehrfurchtsvoll biblische Stoffe im Kirchenlied, der biblischen Epik oder dem Jesuitendrama nur aufgrund ihres dogmatischen Gehalts aufgriff (vgl. Theodore Ziolkowski: Die Säkularisation der Bibel, S. 137 f.). 2 Käte Hamburger: Thomas Manns biblisches Werk. München 1984, S. 14. 3 Der Terminus der Säkularisierung ist, wie Hans Blumenberg in seiner „Kritik einer Kategorie des geschichtlichen Unrechts“ darlegt, zwar weit verbreitet, aber unscharf: „Jedermann kennt, als Feststellung, als Vorhaltung, als Bestätigung, diese Bezeichnung für einen langfristigen Prozeß, durch den ein Schwund religiöser Bindungen, transzendenter Einstellungen, lebensjenseitiger Erwartungen, kultischer Verrichtungen und festgeprägter Wendungen im privaten wie täglichöffentlichen Leben vorangetrieben wird.“ (Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, S. 11) Auch Ulrich Ruh sensibilisiert für die Vielschichtigkeit und Vielgesichtigkeit des Säkularisierungsbegriffs: Der damit bezeichnete Vorgang „betrifft die staatlich-politische Ordnung ebenso wie bildende Kunst und Musik, das philosophische Denken ebenso wie die Natur- und Geisteswissenschaften, das Wirtschaftsleben ebenso wie alltägliche Sitten und Gebräuche“ (Ulrich Ruh: Literatur und Säkularisierungsprozess, S. 8). Nicht zuletzt Albrecht Schöne hat den Begriff der Säkularisierung als ergiebige und erkenntnisleitende Kategorie in die hermeneutische Arbeit eingeführt, die greift, „wenn Worte und Wendungen, sprachliche Formen, Figuren, Bilder, Motive aus dem religiösen Sprachbereich, in dem sie geprägt oder doch überformt und mit spezifischem Sinn begabt worden sind, herausgelöst und dichterischem Gebrauch überantwortet werden“ (Albrecht Schöne: Säkularisation als sprachbildende Kraft, S. 26). Ausgehend von den Werken schreibender Pfarrersöhne von Gryphius bis Benn entwickelt Schöne eine „Typologie der Säkularisationsfiguren“. Da er die Säkularisation aber vornehmlich als „sprachbildende Kraft“ wahrnimmt und auch bei seiner Kategoriebildung sehr enge Definitionen vorgibt, werde ich nicht auf seine Typologie zurückgreifen.  

4 Exkurs: Zur Besonderheit von biblischen Stoffen

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sich nicht länger in ein einheitliches, theologisch fundiertes Weltbild einfügen. Zweitens ist von der Aufklärung bis in unsere Zeit ein zunehmender Bedeutungsverlust kirchlicher Praxis und christlichen Glaubens zu beobachten. Drittens werden durch die Säkularisierung „Elemente religiöser Welt- und Selbstdeutung“ freigesetzt und sind für die Verwendung in anderen Kontexten verfügbar.4 Diese drei Grundstränge der Säkularisation spiegeln sich in der Entwicklung der Literatur wider, die sich ab dem 17. Jahrhundert aus der Deutungshoheit des christlichen Weltbilds befreit und bis zum 19. Jahrhundert autonom wird, aber dennoch weiterhin Beziehungen zur religiösen Tradition unterhält.5 Theodore Ziolkowski identifiziert für das Ende des 18. Jahrhunderts eine Zäsur in der Wahrnehmung der Bibel. Durch das Aufkommen der Naturwissenschaften ebenso wie durch die kritische Bibelforschung wurden nicht nur „die Wunder der Schöpfung entmystifiziert“6, sondern auch die Heilige Schrift verlor ihren sakrosankten Status und wurde von einem Dokument göttlicher Offenbarung zu einem historischen und literarischen Zeugnis, zu „einem Kulturgut schlechthin nivelliert“7. Während vor diesem Paradigmenwechsel die literarische Bibelrezeption als geistliche Dichtung eine religiöse Intention verfolgte und darauf festgelegt war, Glaubensinhalte und Dogmen affirmativ und illustrierend aufzubereiten, verlor sie danach an Bedeutung. Nun war der Weg frei für die kritische intertextuelle Reibung, das Neu-, Gegen- und Weiterschreiben der Schrift.8 Seitdem greift eine säkulare Literatur „aus ausgesprochen weltlichen Gründen“ auf die kanonischen Texte zurück und nutzt sie als Stoff- und Motivfundus, aber auch als Referenz in sprachlich-rhetorischer Hinsicht, „um eine moderne Situa-

4 Ulrich Ruh: Literatur und Säkularisierungsprozess, S. 9. 5 Vgl. Georg Langenhorst: Christentum und Literatur, S. 72. 6 Theodore Ziolkowski: Die Säkularisation der Bibel, S. 138. Wolfgang Braungart weist darauf hin, dass die Anfänge zu diesem „Prozeß von Entinstitutionalisierung, Entkirchlichung“ in der Reformation zu suchen sind (vgl. Wolfgang Braungart: Literaturwissenschaft und Theologie, S. 54). 7 Theodore Ziolkowski: Die Säkularisation der Bibel, S. 138. An diesem rezeptionsästhetischen Paradigmenwechsel hatte Herder entscheidenden Anteil. Als einer der Ersten ordnete er die Bibel als Poesie des hebräischen Volkes in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ein, relativierte ihren sakralen Status und schuf mit Vergleichen zwischen Moses, Ossian und Homer die Grundlage für ein komparatistisches Vorgehen (vgl. Zoran Konstantinović: Die Nachwirkungen der Bibel als Problem der Vergleichenden Literaturwissenschaft, S. 17). 8 Vgl. Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 10 f.; siehe auch Georg Langenhorst: Christentum und Literatur, S. 73. Wolfgang Frühwald betont, dass es tatsächlich die Literatur war, die der Bibel aus ihrer Autoritätskrise und über ihren Bedeutungsschwund hinweghalf, in die sie die Modernisierungsschübe des 18. und 19. Jahrhunderts gestürzt hatten (vgl. Wolfgang Frühwald: Die Bibel als Literatur produzierende Kraft, S. 40).  

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I Hinführung

tion exemplarisch zu erhellen“9. So erscheint das Buch der Bücher als „Gedächtnisspeicher, in dem die komplexen Lebens-, Leidens- und Konfliktgeschichten der Menschen mit ihrem Gott, mit der Welt und der Schöpfung aufbewahrt sind“10. Das Buch der Bücher bietet als „verbindende[s] Urdokument der Menschheit“ (Goethe)11 einen immensen Steinbruch für Dichter auf Stoffsuche. Die in ihr angelegten Figuren und Ereignisse entwerfen quasi archetypische Grundsituationen und loten die Dimensionen der menschlichen Existenz aus.12 Hinter dem Phänomen der Säkularisierung erkennt Hans Blumenberg nicht das Fortdauern theologischer Gehalte, sondern eine uneingelöste „Hypothek der vorgegebenen Fragen“. Säkularisierung lässt sich dementsprechend als eine „Umbesetzung vakant gewordener Positionen von Antworten beschreiben, deren zugehörige Fragen nicht eliminiert werden konnten“.13 Das künstlerische Nachleben der DavidFigur erscheint somit als Indiz für eine ungebrochene Brisanz der von ihr berührten Fragen und Konstellationen.

4.2 Sakralisierung der Kunst Tatsächlich lässt sich eine Wechselwirkung beobachten: Die Bibel wird einerseits zum Text der Literaturgeschichte herabgesetzt und dient andererseits selbst dazu, nicht-religiöse Texte aufzuwerten. „Im Verweis auf sie, schafft sich auch die Literatur Aura, Legitimität und Dignität.“14 Diese reziproke Auf- und Entladung mit Bedeutung muss vor dem Hintergrund des kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Transformationsprozesses von Religion betrachtet werden: „Der aufklärerischen Religionskritik fällt die Rolle zu, das religiöse Bedürfnis von seinen traditionellen Gegenständen zu entfremden, die Kunst ist das neue Objekt des religiösen Bedürfnisses, sie füllt die Lücke wieder auf, die die Aufklärung gerissen hat.“15

9 Theodore Ziolkowski: Die Säkularisation der Bibel, S. 139. 10 Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 9. 11 Zitiert nach Birgit Lermen: „Ich begann die Geschichten der Bibel zu lesen: Ein Riß; und der Abgrund Mensch klaffte auf“, S. 48. 12 Vgl. Birgit Lermen: „Ich begann die Geschichten der Bibel zu lesen: Ein Riß; und der Abgrund Mensch klaffte auf“, S. 49. 13 Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, S. 75. 14 Wolfgang Braungart: Ritual und Literatur, S. 145. 15 Bernd Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. 362. Auerochs hinterfragt diese von ihm als „Vakuummodell“ bezeichnete Erklärung kritisch, da es „der aufklärerischen Religionskritik lediglich eine negative Rolle bei der Entstehung der Kunstreligion zuschreibt“ (ebd., S. 363). Für ihn ist die Kunstreligion kein Substitut für die überkommene Religion, sondern „eine Variante

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4 Exkurs: Zur Besonderheit von biblischen Stoffen

Die gewaltigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die mit der Industrialisierung und Urbanisierung einhergingen, aber auch die weltanschaulichen Erschütterungen, die von der materialistischen Philosophie Ludwig Feuerbachs, der Evolutionstheorie von Charles Darwin oder etwa der Psychoanalyse Sigmund Freuds ausgingen, wurden als Krisenerfahrung erlebt. Zur Jahrhundertwende wurde „der Glaubensverlust des modernen Menschen real […] zum Massenschicksal“16. Nietzsches Nihilismus und radikale Kritik am Christentum befeuerten diese Entwicklung.17 Die Großkirchen büßten mehr und mehr ihre Bedeutung als sinnstiftende Instanz ein, wohingegen andere Bereiche des Erlebens und des Empfindens religiös besetzt wurden. Bildende und darstellende Kunst, Musik und Literatur erhalten religiöse Weihen oder avancieren gar zum Gegenstand religiöser Verehrung und bekommen eine erlösende Funktion, ohne sich selbst als religiös verstehen oder traditionelle religiöse Themata verarbeiten zu müssen.18

Diese Entwicklung, die die Kunst zur Ersatzreligion erhebt, sie also in ein Konkurrenzverhältnis zur Religion setzt, hatte bereits im 18. Jahrhundert ihren Anfang genommen und erlebte um 1900 mit dem Ästhetizismus ihren Höhepunkt.19 Nach dem Einflussverlust der klassischen Religion erfuhren christliche Glaubensinhalte in säkularisierter Form ihre „Renaissance innerhalb der Kunst“20. Mit der

von Religion, die nach der aufklärerischen Religionskritik, unter Akzeptanz ihrer wichtigsten Prämissen, noch möglich ist“ (ebd., S. 363). 16 Justus H. Ulbricht: Ästhetik, Religion und neue soziale Bewegung um 1900, S. 55. 17 Vgl. Justus H. Ulbricht: Ästhetik, Religion und neue soziale Bewegung um 1900, S. 58 f. 18 Volkhard Krech: Die Geburt der Kunst aus dem Geist der Religion?, S. 22 f. Der Kunst spricht man nun die Fähigkeit zu, zu offenbaren und erlösen zu können, wobei die Erlösung durch Kunst als „innerweltliches Geschehen“ verstanden wird, „das ohne göttliche Instanz auskommt“ (Bernd Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. 14, vgl. auch Heinrich Detering: Was ist Kunstreligion?, S. 12). 19 Bernd Auerochs verortet die Ursprünge dieser kunstreligiösen Vorstellung im 18. und 19. Jahrhundert (vgl. Bernd Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, S. 17 f.). Aus der Aufklärung erwächst die „Vergleichgültigung der Offenbarungsreligion für die Kunst“ (ebd., S. 87), indem sich nun die Vernunft nicht länger den religiösen Dogmen unterordnet. Die Entwicklung kann „auf eine programmatische Selbstheiligung der Kunst hinauslaufen, die für autonom erklärt und damit sowohl Werkzeug als auch Fokus der verehrenden Zuwendung wird“ (Claudia Stockinger: Poesie und Wissenschaft als Religion, S. 20). Entscheidenden Einfluss auf diese Verabsolutierung der Kunst hatte Richard Wagner, der „von der autonom gewordenen Kunst [forderte], ihre Autonomie so weit fortzuentwicklen, dass sie sich geradezu selbst als ästhetische ‚Gegen-Kirche‘ etabliert, als gegenüber einer als überlebt und defizitär abgewerteten ‚Religion‘ einzig gültiger Zugang zum Numinosen“ (Heinrich Detering: Was ist Kunstreligion?, S. 15). 20 Friedhelm Marx: Heilige Autorschaft?, S. 108.  





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I Hinführung

Bibel eröffnete sich ein gewaltiger Bild- und Motivspender für die Kunst, die nun Heil und Ganzheit herstellen sollte. Damit wurde die Kunst zum „Sakralraum des Ästhetischen“21. Die Säkularisierung des biblischen Stoffs sowie die Sakralisierung der Kunst als gegenläufige und doch komplementäre Tendenzen bilden gleichsam das geistesgeschichtliche Grundrauschen, die soziokulturellen und ästhetischen Koordinaten, in deren Rahmen die Herausbildung und Entwicklung der Künstlerfigurationen Davids untersucht werden soll.

21 Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 388. Zur Funktionsäquivalenz von Kunst und Religion sowie zur Aufladung der Poesie mit parareligiösem Anspruch vgl. Claudia Stockinger: Poesie und Wissenschaft als Religion, S. 11–40.

II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

1 David als Sänger und Dichter 1.1 Urszene 1: David spielt vor Saul 1.1.1 Die biblische Erzählung Eine existenzielle Konfliktkonstellation: das Alter gegen die Jugend, der Amtsinhaber gegen den Nachfolger, der Vereinsamte gegen den Vielgeliebten, der Kranke gegen den Gesunden, der Herrscher gegen den Künstler. Gleich mehrere Frontlinien überlagern sich im Verhältnis von Saul und David. Symbolhaft werden sie in der Szene verdichtet, in der David vor Saul Harfe spielt.1 Der König befindet sich in einer tiefen Herrschafts- und Persönlichkeitskrise: Durch zwei anmaßende Handlungen hat er die göttliche Gunst verspielt, woraufhin ihm der Richter Samuel verkündet, dass er verworfen sei, den Thron verlieren werde und ein neuer Erwählter seinen Platz einnehmen werde.2 Durch seine Schuldverstrickung und den unausweichlichen Untergang wird Saul „neben Ijob [zu der] wohl einzige[n] wirklich große[n] tragische[n] Hauptfigur des Ersten Testaments“3. Er wird erst zum König erhoben, dann ins Nichts gestoßen. David dagegen ist – bei allen Höhen und Tiefen seines Lebens – stets in seinem Gottvertrauen geborgen. Noch weiß Saul nicht, dass Samuel im Verborgenen den jungen Hirtenknaben David ausgezeichnet hat, doch ist er aufgrund des ihm in Aussicht gestellten Unheils zutiefst beunruhigt und mehr und mehr von Misstrauen und Verfolgungswahn zerfressen. „Der Geist des HERRN aber wich von Saul, und ein böser Geist vom HERRN verstörte ihn.“ (1. Samuel 16,14) Der Geist Gottes, der seit der Salbung auf Saul ruhte (vgl. 1. Samuel 10,10), macht einer negativen Kraft Platz, die offenbar ebenfalls von Gott ausgeht.4 Um Sauls innere Dämonen zum Schweigen zu bringen – oder in einer modernen Deutung: seine Depression zu lindern –, emp-

1 Pia Eckstein liest in ihrer strukturellen Analyse des Bibeltextes die Episode als Variation der „Handlungssequenz Heldenkampf“, die sie aus dem Kampf Davids gegen Goliath extrapoliert (vgl. Pia Eckstein: König David, S. 58 f.). Da die vorliegende Untersuchung keine Strukturanalyse des Prätextes vornimmt, sondern die kulturgeschichtliche Rezeption der Urszene nachzeichnen will, soll Ecksteins Ansatz unberücksichtigt bleiben. 2 „[…] Weil du des HERRN Wort verworfen hast, hat er dich auch verworfen, dass du nicht mehr König seist. […] Der HERR hat das Königtum Israels heute von dir gerissen und einem andern gegeben, der besser ist als du.“ (1. Samuel 15,23–28) 3 Georg Langenhorst: „Der magische Tänzer“, S. 470. 4 Vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 49.  

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II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

fehlen Sauls Knechte, einen Harfenspieler zu suchen, von dessen musischen Künsten sie sich eine heilende Wirkung versprechen. Die Wahl fällt eben auf David, den Sohn Isais, der zunächst als Musikant die Gunst des Königs gewinnt. „Wenn nun der Geist Gottes über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm.“ (1. Samuel 16,23) Während der Leser bereits mehr weiß und den sich anbahnenden Legitimationskonflikt zwischen altem und neuem Gesalbten voraussieht, ist Saul noch ahnungslos: Sein „Handeln zielt tragischerweise nur darauf ab, den Königsprätendenten David in seiner Nähe zu haben“5. Doch rasch nimmt beider Verhältnis ambivalente Züge an, denn David macht sich nicht nur als Musiktherapeut unentbehrlich, sondern begeht auch als Kriegsmann zahlreiche Heldentaten – zunächst noch mit den Waffen eines Hirten, indem er den Philisterriesen Goliath mit seiner Schleuder tötet, dann als Soldat im Kampf gegen die Philister. Erzähltechnisch wird so der Abstieg Sauls zur Folie von Davids Aufstieg, ohne dass der junge Held eine Schuld daran tragen würde.6 Bald überflügelt sein Ruhm denjenigen des Königs, dem die Lobgesänge seines Volkes nicht gefallen: „Saul hat tausend erschlagen, aber David zehntausend.“ (1. Samuel 18,7) So beginnt der König instinktiv ganz richtig zu fürchten, dass sein junger Günstling ihn auf dem Thron ablösen und so die Prophezeiung Samuels einlösen werde. Und Saul sah David scheel an von dem Tage an und hinfort. Des andern Tags kam der böse Geist von Gott über Saul, und er geriet in Raserei im Hause; David aber spielte auf den Saiten mit seiner Hand, wie er täglich zu tun pflegte. Und Saul hatte einen Spieß in der Hand und schleuderte den Spieß und dachte: Ich will David an die Wand spießen. David aber wich ihm zweimal aus. (1. Samuel 18,9 ff.)  

In einem cholerischen Anfall macht sich Sauls paranoid-depressiver Zustand Luft7; sein von Hass geschürter Wahn ist zu stark, als dass ihn das Spiel Davids

5 David Wagner: Geist und Tora, S. 195. 6 Vgl. David Wagner: Geist und Tora, S. 189 f. Moderne Exegeten erkennen hinter dem Bestreben der Erzähler, David von jeder Schuld am Untergang des saulidischen Königshauses zu entlasten, eine apologetische und legitimatorische Intention (vgl. Walter Dietrich: König David – biblisches Bild eines Herrschers im altorientalischen Kontext, S. 13 f.). 7 Dagmar Hoffmann-Axthelm versucht, die knappe biblische Beschreibung von Sauls Krankheit mit einem modernen psychotherapeutischen Zugriff zu erfassen, und stellt die These auf, der König sei als Borderline-Persönlichkeit einzustufen, der es an Urvertrauen fehle. Als mögliche Ursache für diese krisenhafte Entwicklung der Psyche führt sie ein problematisches Verhältnis zwischen Sohn und übermächtigem Vater, hier: zwischen Saul und Gott, an (vgl. Dagmar Hoffmann-Axthelm: David als „Musiktherapeut“, S. 569–572). Weitere Diagnoseversuche reichen von manisch-depressiver Verstimmung bis zu Meningitis (vgl. David Wagner: Geist und Tora, S. 213).  



1 David als Sänger und Dichter

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besänftigen könnte. Mit dem Speer, Insignium seiner königlichen Macht, versucht Saul, David zu töten, jenen Tausendsassa, der ihm auf so vielen Gebieten überlegen ist, der die Zuneigung seines Sohnes Jonathan gewonnen hat, dem allein es gelingt, seine psychischen Qualen zu lindern. Der Mordanschlag geschieht aus einer impulsiven Anwandlung heraus, gehorcht aber wohl auch der irrigen Logik, mit der Beseitigung des Hoffnungsträgers den Grund für seine Depressionen zu beseitigen. In der Szene kristallisiert sich einerseits ein Machtkampf heraus, auch wenn dieser nur von der einen Partei als solcher wahrgenommen und durchlitten wird. Der Herrscher glaubt, einen Thronprätendenten zu erkennen, der seinem Königtum gefährlich werden und die Bildung seiner eigenen Dynastie verhindern könnte. Die religiöse Dimension des Konflikts entsteht durch das Aufeinandertreffen von dem einst Gesalbten, doch dann von Gott Verworfenen und dem neuen Auserwählten. Auf einer psychologischen Ebene wird diese religiös-politische Frontstellung durch einen Generationenkonflikt grundiert, bei dem der alternde Mann das Aufbegehren des Jüngeren, die Vater-Figur die Rebellion der Sohn-Figur spürt. „Die biblischen Erzähler siedeln die David-Saul-Geschichte also genau an dem biographischen Ort an, wo sich erweist, ob ein Vater seinen Platz der jungen Generation überlassen kann oder ob er mit ihr darum rivalisieren muss.“8 Andererseits zeigt die Szene das Mit- und Gegeneinander von Macht und Kunst, von Speer und Harfe.9 Es wird im Bibelbuch nicht konkretisiert, welche Musik David spielt, doch scheint ihre therapeutische Wirkung zuletzt zu versagen – vielleicht weil der kranke Saul in ihr einen weiteren Beleg für die vielseitige Begabung und damit Überlegenheit Davids erkennt. So will der Mächtige den Künstler zum Schweigen bringen.

1.1.2 Die Deutungstradition Der Künstler beruhigt mit seinem Harfenspiel den depressiven Regenten, der bereits die Hand an der tödlichen Waffe hat – in der Deutung der David-Figur nimmt diese Szene einen besonderen Stellenwert ein, charakterisiert sie doch den künftigen König auch als Künstler. Die Erzählung vom musizierenden David sowie die ihm zugeschriebene Psalmendichtung trugen wesentlich dazu bei, die Harfe semiotisch aufzuladen: Sie wurde zu einem „Symbol der Verbindung zwi8 Dagmar Hoffmann-Axthelm: David als „Musiktherapeut“, S. 569. 9 Auch wenn die korrekte Bezeichnung von Davids Saiteninstrument Kinnor lautet, verwenden meine Ausführungen den Terminus „Harfe“, da dieser der in den literarischen Adaptionen gebräuchliche ist (vgl. Walter Salmen: König David – eine Symbolfigur in der Musik, S. 9).

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II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

schen Menschlichem und Göttlichem, des inspirierten Sängers bzw. Dichters und […] der Dichtung selbst“10. Harfe = David: In der kunstgeschichtlichen Rezeption führte die enge Zusammengehörigkeit der biblischen Figur und ihres Instruments dazu, dass sich das Attribut verselbstständigte und auch alleine für David stehen konnte.11 Das Buch Samuel lässt offen, ob David nur musiziert oder auch gesungen, d. h. „das am meisten zu Herzen gehende Musikinstrument der Schöpfung“12 genutzt hat, um Sauls Gemütskrankheit zu lindern. Dabei wurde im Verlauf der Rezeptionsgeschichte die Rolle der Musik ganz unterschiedlich gewichtet. Im Mittelalter stand man dieser Kunstform meist skeptisch gegenüber, da sie als sinnlich und damit potenziell sündhaft galt, sodass man den tröstenden Effekt von Davids Spiel eher einem göttlichen Eingreifen als der Musik selbst zuschrieb.13 Immerhin leiteten bereits die Kirchenväter aus dem Beispiel Davids eine Definition geistlichen, da im Dienste Gottes erfolgenden Musizierens ab, wobei „die Harfe als Symbol für die Musik von göttlicher Herkunft hochstilisiert wurde“14. Auch lag der interpretatorische Fokus eher auf dem „Exemplum des bösen Neids“, das Saul abgab, als auf dem „Exemplum der seelenheilenden Musik“15. Spätestens mit Luther wurde allerdings der Text auch als Lehrstück über die Kraft  

10 Marco Castellari: Harfe, S. 147. 11 Vgl. Bernd Kalusche: Harfenbedeutungen, S. 49. Dabei wurde die Harfe auch als Indikator für die prophetische Kompetenz Davids gelesen: „Der ‚Prophet‘ und angebliche Autor der Psalmen, David, steht wie andere Propheten, in enger Beziehung zum Saitenspiel, das offenbar die prophetischen Kräfte verstärkt oder gar hervorruft“ (Hugo Steger: David Rex et Propheta, S. 41; vgl. Kapitel 3 „David als Psalmist“). Interessanterweise ordnet Walter Muschg in seiner „Tragischen Literaturgeschichte“, in der er Archetypen der Dichter (Magier, Seher, Sänger, Gaukler, Priester und Poeten) unterscheidet, David nicht als Propheten, sondern als Sänger ein. Wie Demodokos am Hof der Phaiaken in der „Odyssee“ oder der „Fiedler Volker im Dienst der Wormser Könige“ im „Nibelungenlied“ sei David einer der „Gesellschafter, die an den Tischen der Könige und Vornehmen heimisch waren“ (Walter Muschg: Tragische Literaturgeschichte, S. 178). 12 Dagmar Hoffmann-Axthelm: David als „Musiktherapeut“, S. 578. Während die Bibel sich über den genauen Charakter von Davids Kunst ausschweigt, behauptet der jüdische Historiker Flavius Josephus in seinem im 1. Jahrhundert n. Chr. entstandenen Werk „Jüdische Altertümer“, David habe Saul als dessen „einziger Arzt“ Lieder vorgetragen (vgl. Flavius Josephus: Jüdische Altertümer, VI,8,2). 13 Oder man erklärte die segensreiche Wirkung von Davids Darbietung mit latent vorhandenen christlichen Symbolen: „Während des gesamten Mittelalters […] wird der Erfolg Davids darauf zurückgeführt, daß der hölzerne Boden seiner Harfe von den Saiten kreuzförmig bezogen war, daß also der böse Geist vor dem Zeichen des Kreuzes und nicht vor der Musik geflohen sei.“ (Günter Bandmann: Melancholie und Musik, S. 20). 14 Walter Salmen: König David – eine Symbolfigur in der Musik, S. 8. 15 Günter Bandmann: Melancholie und Musik, S. 13.  

1 David als Sänger und Dichter

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der nun als Gottesgabe verstandenen Musik gelesen. Da der Reformator in depressiven Stimmungen Angriffe des Teufels sah, empfahl er – offenbar in Anlehnung an die Behandlung Sauls – musikalischen Gottespreis als Gegenmittel.16 Und auch katholische Theologen wie der Jesuit Athanasius Kircher begannen, Davids „musicalische Wunder-Cur“ zu preisen, da sie „das Gemüth Sauls gleichsam als auß einem finstern Gefängnuß in das helle Liecht geführet“17. Nach und nach wurde die Erzählung aus dem Rahmen einer theologischen Exegese herausgelöst und das Augenmerk auf die allgemeine therapeutische Potenz der Musik gerichtet. Diese Ablösung vollzog sich allmählich: Die mittelalterliche Theologie sah in David zugleich den Ahnherrn sowie die Präfiguration Jesu Christi, die beide das Böse besiegen. Die von David hervorgebrachte Musik erschien in dieser Perspektive nur als Ausdruck der göttlichen Ordnung, mit der sich das Dämonische bannen lässt.18 Einen Schritt weiter geht dann das Emblembuch „Symbola heroica“ von Claude Paradin und Gabriele Simeoni aus dem Jahr 1567: Darin symbolisiert die Harfe – so erläutert die Explanatio – die heilsame Kraft der Musik bei psychischen Krankheiten und Missstimmungen. Erneut dient die biblische Erzählung von David als Autoritätsbeweis, wobei die Wirkung der Musik einerseits natürlich mit den der Psyche wohltuenden Harmonien, andererseits übernatürlich mit dem Wirken Gottes begründet wird.19 Auch Johann Kuhnau, Thomaskantor und Vorgänger Johann Sebastian Bachs, erkannte in der „biblischen Historie“ das Wirken Gottes, nutzte sie aber auch, um das eigene kompositorische Können zu demonstrieren, indem er im Jahr 1700 die Heilung Sauls mittels Musik zum Gegenstand einer Klaviersonate machte.20 In der Vorrede

16 Vgl. Walter Salmen: König David – eine Symbolfigur in der Musik, S. 14. 17 Athanasius Kircher: Neue Hall- und Thon-Kunst, S. 140. 18 Vgl. Bernd Kalusche: Harfenbedeutungen, S. 56 f. 19 Vgl. Stefan Bodemann: Der musizierende und tanzende David in der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 26 f. Bodemann zeichnet anhand zahlreicher Text- und Bildbeispiele die Entwicklung des Bildtyps „David musiziert vor Saul“ nach (vgl. ebd., S. 23–33). 20 Eine eigene musikologische Untersuchung wäre nötig, um die unterschiedlichen kompositorischen Rezeptionsarten der Urszene „David spielt vor Saul“ zu vergleichen. Hierzu nur wenige Stichpunkte: In Georg Friedrich Händels Oratorium „Saul“ aus dem Jahr 1738 singt David in der Stimmlage Altus zu einer reinen Streicherbegleitung ein schlichtes zweistrophiges Gedicht, das aufgrund der Strophenform sowie des gleichmäßigen Achtel-Rhythmus an ein Wiegenlied erinnert (vgl. Dagmar Hoffman-Axthelm: David als „Musiktherapeut“, S. 583 f.). Der Text richtet sich nicht an den kranken König, sondern direkt an Gott: „David betet gewissermaßen über Saul oder für Saul zu Gott.“ (Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 290) Ernst Lichtenhahn beleuchtet die Umsetzung der Urszene im Musiktheater des 20. Jahrhunderts, wobei er Carl Nielsens dänische Oper „Saul og David“ (1902 uraufgeführt), Arthur Honeggers Oratorium „Roi David“ (1921 uraufgeführt), Kurt Weills Bibelspiel „Der Weg der Verheißung“ (1937 uraufgeführt) sowie Darius Milhauds Oper „David“ (1954 uraufgeführt) untersucht. In allen vier Werken dienen  





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dazu betont Kuhnau: „Dieweil aber GOtt bißweilen durch Menschen Wunder zu thun pfleget; So schicket er [Saul] einen herrlichen Musicum / den vortrefflichen König David / und leget auff sein Harffen-Spiel eine ungemeine Krafft.“21 Ganz frei von religiösen Implikationen wurde die biblische Erzählung schließlich zur Referenz für Heilung mittels Musik. „Du bist mein David, sollte ich krank und traurig werden, so banne die bösen Träume durch dein Spiel, ich werde auch nie wie Saul den Speer nach dir werfen.“22 Mit dieser biblischen Anspielung soll Goethe dem 12-jährigen Felix Mendelssohn gegenüber seine Bewunderung für dessen Klavierspiel zum Ausdruck gebracht haben. Der alttestamentarische Stoff wird zur Folie für Reflexionen über die Möglichkeiten von Kunst. Gleiches gilt auch für eine Anekdote aus Carl Ludwig Schleichs 1920 veröffentlichten Lebenserinnerungen, die erzählt, wie er den erregten Freund Richard Dehmel besänftigen konnte: Richard Dehmels Temperament war doch im allgemeinen verhaltener und kam nur hier und da, dann aber zu ungeheuren, fast gefährlichen Explosionen. Dann waren freilich alle Teufel los, und wir mußten den ekstatischen Phönix mit allen Händen auf der Erde halten. […] Ich

die Psalmen als textliche Grundlage für Davids Gesänge vor Saul, jedoch werden ganz unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: „Das reicht von der Erzählung grosser Taten über den Lobpreis der Kraft und Herrlichkeit Gottes bis hin zur Unterwerfung unter Gottes Willen und zur demütigen Zwiesprache im Gebet.“ (Ernst Lichtenhahn: David im Musiktheater des 20. Jahrhunderts, S. 747) Unterschiedlich ist auch die musikalische Realisierung: Bei Nielsen versucht David, ein Heldentenor, Saul in zwei Liedern zu besänftigen, deren Emphase allerdings den König eher provoziert. Honeggers David trägt einen introvertierten psalmenartigen Gesang vor. Während Weill David einen heiteren Song singen lässt, mutet der Psalm, den Milhaud vertont und David (hier im Stimmfach Bariton) in den Mund legt, wie ein liturgischer Gesang an (vgl. ebd., S. 747–754). 21 Zitiert nach Constantin Floros: Der Mensch, die Liebe und die Musik, S. 71. Walter Dietrich hat einen Blick in Kuhnaus Partitur geworfen und stellt fest, dass Sauls Schwermut sowie Davids Therapie auch kompositorisch eingefangen wurden: „So klingt die ‚Saul-Musik‘ streckenweise quälend unrein, fast disharmonisch, die ‚David-Musik‘ hingegen heiter und anheimelnd, übrigens in gewisser Weise auch lauten- oder leierartig. Anscheinend hatte Kuhnau die Vorstellung, derart müsse Musik beschaffen sein, mit der man auf ein zerrissenes und gequältes Gemüt besänftigend und reinigend einwirken könne.“ (Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 289) 22 Zitiert nach Martin Geck: Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 26. Ausgehend von diesem GoetheZitat zeichnet Adolf Leschnitzer in seiner geschichtsphilosophischen Studie „Saul und David“ die „Problematik der deutsch-jüdischen Lebensgemeinschaft“ nach. Der Ansatz, den Mordanschlag Sauls auf David als Präfiguration des Holocaust, des Mordanschlags der Deutschen auf die Juden, zu lesen, wirkt befremdlich: „Es kam für das deutsche Volk der Augenblick, in dem die bösen Träume durch nichts mehr zu bannen waren, auch nicht durch Davids Spiel. In unseren Tagen haben Menschen des Volkes, dessen größter Vertreter Goethe war, den Speer gegen David geschleudert.“ (Adolf Leschnitzer: Saul und David. Die Problematik der deutsch-jüdischen Lebensgemeinschaft, S. 8)

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habe ihn dann wie David den irren König Saul mit Cellospiel und Klavierphantasien in einen natürlichen Schlaf gewiegt.23

Noch heute rekurrieren musiktherapeutische Werke gerne auf das Vorbild Davids.24 Walter Jens stellt heraus, dass mit der Geschichte von David und Saul – abgesehen von der Orpheus-Legende – „zum ersten Mal in der Weltliteratur die Musik als Heilmittel gegen die tödliche Seelenkrankheit, Schwermut, Melancholie und Depression, beschrieben“25 wird.

1.1.3 Exkurs: Die „Orphisierung“ Davids. Die Überlagerung von biblischem und mythologischem Sängerbild Orpheus und David: „Hier die Gestalt aus dem thrakischen Bergland zwischen Bestien, Wäldern und Felsen, dort der König auf seinem Thron samt allen königlichen Insignien.“26 Trotz dieser grundsätzlichen Differenz, des völlig anderen Settings, teilen die Figuren doch ein zentrales Charakteristikum, das in beiden Fällen das Essenzielle des Stoffs ausmacht. David bezwingt durch Gesang und Musik den bösen Geist, der Saul martert – Orpheus bezwingt durch sein Spiel Menschen und Natur. Beide spielen ein Saiteninstrument, beide sind trotz ihrer suggestiven und machtvollen Kunst gefährdet: David entgeht nur knapp den Mordanschlägen des rasenden Saul, Orpheus macht mit seinem Gesang Mänaden, die Anhängerinnen des Dionysos, auf sich aufmerksam und wird schließlich von ihnen zerfetzt. Die Ähnlichkeit der beiden Figuren im Hinblick auf ihre musische Begabung und die Kraft ihrer Musik ist so augenfällig, dass eine Beeinflussung, wenn nicht Verschmelzung der beiden ikonografischen Traditionen fast wie eine Zwangsläufigkeit erscheint. Dennoch blieben die „Versuche, beide Archetypen zur Kongruenz zu bringen, […] vereinzelt“27. Ein Erzählmotiv aus dem griechischen OrpheusMythos zeigt den Sänger, der mit seiner Kunst belebte und unbelebte Natur gleichermaßen bannt. Nicht nur Tiere, auch Bäume und Felsen werden durch Orpheus’

23 Carl Ludwig Schleich: Besonnte Vergangenheit, S. 212. 24 Auch wenn David als Ahnherr der Musiktherapie gilt, gibt Dagmar Hoffmann-Axthelm relativierend zu bedenken, dass sein Spiel darauf abzielte, den leidenden König zu trösten, wohingegen der heutige medizinische Ansatz eine Heilung anstrebe (vgl. Dagmar Hoffmann-Axthelm: David als „Musiktherapeut“, S. 567). 25 Walter Jens: König David. Herrscher und Musikant. 26 Günter Bader: Psalterium affectuum palaestra, S. 23. 27 Albrecht Betz: Musikhelden und Heldenmusik, S. 918.

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Vortrag angelockt und lauschen ihm.28 Gerade dieses Motiv findet auch Eingang in bildliche Darstellungen von David – und zwar sowohl im Judentum (etwa in einer Wandmalerei aus dem frühen 6. Jahrhundert n. Chr. in der Synagoge von Dura Europos) als auch im Christentum (so in Psaltern aus dem 10. und 13. Jahrhundert).29 David erscheint als „hebräische[r] Orpheus“.30 Sogar im Koran gibt es Passagen, die Davids Lobgesängen für Gott eine solch große Intensität zusprechen, dass selbst Tiere und Berge einstimmen. Auch hier werden also eindeutig Versatzstücke aus dem antiken Orpheus-Mythos auf David übertragen.31 Die im Samuelbuch beschriebene wundersame Kraft von Davids Harfenspiel, die je nach Auslegung in einer therapeutischen Wirkung oder einer geisterbeschwörenden Macht besteht, wird durch die Integration von orphischen Zügen weiter gesteigert. Die David-Figur erweist sich als kompatibel mit ähnlich ausgerichteten älteren Motivtraditionen. Und auch die mittelalterliche Vorstellung, dass der biblische König „als Musikant die Gesamt-Harmonie der Natur“32 evoziere, speist sich aus dem antiken Mythos. Dieser kleine Exkurs demonstriert nicht nur die „Arbeit am Mythos“. Er wird auch für die Untersuchung literarischer Adaptionen des DavidStoffs bedeutsam, die – manchmal versteckt und in Anspielungen – den Orpheus-Motivkreis anklingen lassen und somit im Kleinen die kulturgeschichtliche An- und Überlagerung zweier Stoffe nachvollziehen.33  

28 Vgl. Martin Kleer: „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“, S. 244. Dieses Motiv wird über mehrere Jahrhunderte hinweg tradiert: In Dramen des Euripides findet es sich ebenso wie in den „Carmina“ des Horaz und den „Metamorphosen“ des Ovid. 29 Vgl. Martin Kleer: „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“, S. 247 f. Für den Kirchenvater Isidor (ca. 560–636) war Davids musische Macht über die Tierwelt dann eine Gewissheit: „Selbst die Raubtiere sowie auch die Schlangen, Vögel und Delphine bringt er dazu, seinen musikalischen Modulationen zu lauschen.“ (Zitiert nach Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 283) 30 Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 277. 31 Vgl. Simone Rosenkranz-Verhelst: David im Koran und in der islamischen Traditionsliteratur, S. 288 f. Zur Integration von Orpheus in frühchristliche Argumentationsmuster – etwa als Präfiguration Christi oder als Vergleichsfigur für das allharmonische Wort Gottes – vgl. Eva-Maria Knittel: Orpheus im Horizont moderner Dichtungskonzeptionen, S. 14–18. 32 Walter Jens: König David. Herrscher und Musikant. 33 Einen Anklang an den Orpheus-Stoff enthält z. B. Friedrich Rückerts Gedicht „Davids Stellvertreter“, in dem der Chor der Nachtigallen und das Echo der Berge einspringen und Gott musikalisch lobpreisen, wenn David, „König auch im Sängerthum“, „müde worden“ (Friedrich Rückert: Gesammelte poetische Werke, Bd. 6, S. 35). Sobald David wieder einsetzt, verstummen sogleich die Vögel. Anders als bei Orpheus kommt es also zu einer Interaktion zwischen Sänger und Natur: Menschliche Stimme und Naturlaut vereinen sich so in einem harmonischen, von David initiierten Wechselgesang, um Gottes Ruhm zu feiern.  





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1.1.4 Station und Motor der Rezeption: Rembrandts Gemälde (1650–1655) Das Spiel des Orpheus vermag zu Tränen rühren. Bei seinem Gang in die Unterwelt, auf der Suche nach seiner verstorbenen Frau Eurydike, bringt er durch seine emotional wahrhaftige Kunst sogar die Rachegöttinnen, die Erinnyen, zum Weinen. Katharsis durch Musik – diese Wirkung erzielt auch Davids Kunst. Mit seinem Spiel auf der Harfe gelingt es ihm, die innere Versteinerung des Königs zu lösen, dessen Seelenqualen zu lindern und den bösen Geist zu vertreiben. Rembrandt war einer der ersten Künstler, der diese psychische Erschütterung Sauls zum Sujet eines Bildes machte. Sein Werk datiert auf die Jahre 1650 bis 1655.34 Vorhergehende Darstellungen der Szene, darunter auch Rembrandts erstes, um 1630 entstandenes Gemälde „David spielt die Harfe vor Saul“, hatten den von düsteren Stimmungen heimgesuchten König stets nur als Exemplum für den Neid vorgeführt.35 Das Novum an Rembrandts Gemälde, das seit 1898 im Mauritshuis in Den Haag hängt36, war der empathische Blick auf den Kranken. Der Zugang des niederländischen Meisters setzte nicht nur einen neuen Akzent in der Ikonografie der Geschichte, er beeinflusste auch zahlreiche Dichter, die das Gemälde in Den Haag bewunderten und sich von ihm bei ihrer literarischen Adaption inspirieren ließen. Deswegen ist es für eine Auseinandersetzung mit Texten, die Davids

34 Günter Bandmann stellt Spekulationen über den Auftraggeber von Rembrandts spätem Gemälde an, das möglicherweise gedacht war als „biblisches Exemplum der Macht der Musik, [als] Repräsentant des Gehörs im Zusammenhang mit einem Fünfsinnezklus“ oder als Legitimation des niederländischen Freiheitskampfes gegen die spanische Herrschaft. Im letzteren Falle wäre die Darstellung des Kampfes zwischen dem neuen und dem alten, verworfenen Gesalbten eine persönliche Stellungnahme zum aktuellen politischen Geschehen (vgl. Günter Bandmann: Melancholie und Musik, S. 15–19). 35 „Darstellungen, die König Saul als Hauptperson zeigten, waren in der Historienmalerei des 17. Jahrhunderts nicht sonderlich beliebt. Außer in der Szene ‚Saul wird von Samuel gesalbt‘ erschien der erste König der Israeliten hauptsächlich in einer negativen Rolle im Zusammenhang mit Samuel und David.“ (Judith van Gent: Die Zeit der Könige und der Propheten, S. 90) 36 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts äußerten Experten Zweifel an der Zuschreibung des Gemäldes, die nach eingehenden Untersuchungen erst 2015 ausgeräumt werden konnten. Das Gemälde gilt nun definitiv als Werk Rembrandts (vgl. Eileen Kinsella: “Yes, It’s a Rembrandt!” Mauritshuis Museum Finally Gives Attribution for Saul and David). Die lange umstrittene Echtheit des Bildes ist vermutlich der Grund, warum alle neueren Darstellungen zu Rembrandts Schaffen es übergehen. Auch das „Bildlexikon der Kunst“ zu Erzählungen und Personen des Alten Testaments behandelt in dem Kapitel „David und die Musik“ (S. 215–220) nur Rembrandts frühere Darstellung des Motivs von 1630. Zwar geht Stefan Bodemann in seiner ikonografischen Studie auch noch davon aus, dass das Gemälde aus Rembrandts Umkreis stammt, doch zeichnet er dessen „bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte“ nach (vgl. Stefan Bodemann: Der musizierende und tanzende David in der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 157 ff.).  

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Musiktherapie behandeln, von Gewinn, auch Rembrandts Bild einzubeziehen. Im Sinne einer intermedialen Wechselwirkung bildet es selbst eine Station in der Rezeptionsgeschichte und hat dann seinerseits neue Kunstwerke beeinflusst, sodass einige literarische Texte sowohl den biblischen Prätext spiegeln als auch auf Rembrandts aussagekräftige Interpretation anspielen.37 Das großformatige Gemälde38 fokussiert sich ganz auf die Beziehung von David und Saul; sie sind die einzigen Personen auf dem Bild und auch der Hintergrund, ein dunkles Gemach, ist allenfalls zu erahnen. Umso deutlicher heben sich die beiden als Halbfiguren erfassten Protagonisten in ihren farbkräftigen Gewändern ab. In der rechten Bildhälfte sitzt David, hier als schmächtiger Knabe mit dunklen Locken dargestellt, wobei ein zarter Bart andeutet, dass er an der Schwelle zum Mannesalter steht.39 Ganz versunken in sein Spiel, greift er mit beiden Händen in sein Saiteninstrument. Das leichte Lächeln um seine Lippen verrät, dass er mit seiner Kunst eins ist. Seinen einzigen Zuhörer scheint er in der Konzentration auf sein schöpferisches Tun nicht zu beachten. Und so besteht zwischen den beiden Personen auch keine direkte physische Verbindung.40 Saul thront im prächtigen Ornat eines orientalischen Herrschers mit mächtigem, bekröntem Turban, goldenem Gewand und leuchtend rotem Umhang in der linken Bildhälfte. Auch er sucht keinen Blickkontakt zu seinem Gegenüber; stattdes-

37 Noch in Grete Weils 1988 erschienenem Roman „Der Brautpreis“ nähert sich die Protagonistin Grete dem biblischen König anhand von bildkünstlerischen Darstellungen, darunter Rembrandts Gemälde (vgl. Kapitel 4.2.3 dieser Arbeit). 38 Das Bild misst 130 x 163,3 cm. Eine genaue Analyse der Beschaffenheit sowie der Provenienz und einen Überblick über unterschiedliche Deutungen liefert: A.B. de Vries et al.: Rembrandt in the Mauritshuis, S. 149–165; siehe auch Hans Joachim Zingel: König Davids Harfe in der abendländischen Kunst, S. 41. 39 Anna Seghers kontrastiert die beiden Ausführungen desselben Themas durch Rembrandt und betont die verfeinerte Charakterisierung Davids in dem späteren Gemälde: „Für den jungen David, dem auf dem Frankfurter Bild von 1630 […] eine Gestaltung gefehlt hat, ist hier ein Bild gewählt, bei dem die Erfassung des Lebendigen und Wirklichen die Einfügung von Zügen im Sinne des Schönen völlig ausschließt und das uns gleichzeitig zeigt, wie sehr die Aufnahme des jüdischen Modells aus Rembrandts Grundstimmung her zu erfühlen ist.“ (Anna Seghers: Jude und Judentum im Werke Rembrandts, S. 51) Christoph Gellner weist darauf hin, dass Rembrandt „durch den Zustrom verfolgter armer Juden aus Osteuropa […] einer ganz anderen Jüdischkeit begegnete“ (Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 61), als er sie von den Amsterdamer Oberschichtsjuden kannte. Diese Erfahrung spiegle sich in der Ausgestaltung der Figur Davids wider. 40 „Although David is doing his utmost to bring peace to his master’s mind, he is unable to bridge the gap between them, which is stressed by the curtain und Saul’s gesture.“ (A.B. de Vries et al.: Rembrandt in the Mauritshuis, S. 160)

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sen schaut er mit seinem rechten Auge wie ertappt den Betrachter an. An das linke Auge hält er einen Vorhang gepresst. Seine Gestik und Mimik spiegeln seine Ergriffenheit wider: Davids selbstvergessenes Spiel hat ihn erschüttert und zum Weinen gebracht. Diese eigentlich mit der königlichen Würde unvereinbare emotionale Schwäche versucht er zu kaschieren, indem er die Tränen mit dem Vorhang abwischt. Sauls Antlitz ist wie von Sorgen und seelischen Qualen zerfurcht, sodass der Betrachter den Eindruck gewinnt, ein zutiefst leidender, gemütskranker Mensch blicke ihn an. Anna Seghers hat treffend beobachtet, dass „die Kostbarkeit der Kleidung nur den Widerspruch […] zu einem sich in dieser Fülle vor Leid verzehrenden menschlichen Körper“41 herstellt. Im Gegensatz zu anderen Darstellungen der Szene hält Saul den Speer, Symbol seiner Herrschaft, nicht fest umklammert und ist offenbar auch nicht kurz davor, die Waffe nach seinem Musikanten zu schleudern.42 Jeder, der die Erzählung aus dem Buch Samuel kennt, weiß um die Gefahr, für die der Speer steht. Doch verzichtet Rembrandt auf eine Visualisierung der potenziellen Aggressivität des Königs, sondern porträtiert vielmehr einen schwachen, innerlich gebrochenen Menschen. Die Musik entfaltet ihre wundersame therapeutische Kraft, raubt Saul die Fassung, löst aber offenbar auch die innere Anspannung. So führt das Gemälde einerseits die seelenheilende, besänftigende Macht der Musik vor und bietet andererseits eine ungeschönte, mitfühlende Darstellung eines an Depressionen Erkrankten, der weniger als Monarch denn als verwundbarer Mensch gezeigt wird. „Auf bisher unvorstellbare Weise wird hier die komplexe Schwermut des Tyrannen, die Unruhe des Gemütes zum Ausdruck gebracht, die sich bei den Klängen der Harfe unter Tränen löst.“43

41 Anna Seghers: Jude und Judentum im Werke Rembrandts, S. 50. 42 In der kunsthistorischen Forschung ist umstritten, ob das Gemälde die Szene aus 1. Samuel 16,23 (Davids Kunst bannt Sauls bösen Geist) oder aber 1. Samuel 18,9–11 (Saul schleudert den Speer nach seinem Musikanten) visualisiert. Wenig plausibel klingt folgende These: „What [Rembrandt] shows is the hostile King in 1 Samuel 18, who is keeping his eye on David, whom he distrusts, and, half-concealing his face, his hand on his javelin, is waiting for the right moment to slay him.“ (A.B. de Vries et al.: Rembrandt in the Mauritshuis, S. 158) Denn Saul fixiert eben nicht David, sondern blickt nach vorne, in Richtung des Betrachters, und seine kraftlose Körperhaltung lässt keinen spontanen Wut- und Gewaltausbruch erwarten. 43 Günter Bandmann: Melancholie und Musik, S. 14; vgl. auch Bernd Kalusche: Harfenbedeutungen, S. 60. Erich Zenger spricht dem Gemälde auch eine politische Dimension zu: „Saul’s piercing gaze, his hand on the spear and his whole posture shrinking back into itself, such that he is almost in danger of falling over forward, make it clear that his rule is finished, even though he is still holding or trying to cling to its insignia. […] Here David is not just simply a harpist; the way he plays his instrument and intently listens to it makes him not only the embodiment of the healing

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1.2 Literarische Adaptionen I: Deutungen im Gefolge Rembrandts Die intensive literarische Rezeption der ersten Urszene, die um 1900 zu beobachten ist, könnte man auf eine wechselseitige Beeinflussung der Autoren zurückführen. Darüber hinaus bergen aber gerade die sich in dieser Episode überlagernden Konfliktlinien das Potenzial, damals aktuelle Tendenzen zu spiegeln und in biblischem Gewand zu verhandeln. Der dem Stoff inhärente Generationenkonflikt traf den Nerv einer Zeit, die die Jugend feierte, wobei diese sich ästhetisch vom Überkommenen abgrenzen und eigene Positionen beziehen wollte.44 Wie der jugendliche Thronfolger David den alternden König mit seiner Kunst bezwingt, trachtet ein gewandeltes Kunstverständnis danach, die realistische Tradition zu überwinden. Für eine der neuen Strömungen, die selbstreferenzielle, ästhetizistische Dichtung45, bot die Szene mit der Darstellung eines Künstlers in Aktion einen zusätzlichen Reiz. Der bereits um 1800 aufkommende Prozess der „Verdiesseitigung des Göttlichen [und] Heiligung des Diesseitigen“46 kulminierte in der Verabsolutierung der Kunst, ihrer Stilisierung zum Religionsersatz. In diese Neubewertung von Religion und Kunst passt die Geschichte vom Gesalbten, dessen Erwähltheit sich auch in seinem künstlerischen Genie beweist. Vielleicht lässt sich die Faszination für die Medizin Musik sogar als Reflex auf die um die Jahrhundertwende virulente Sprachkrise verstehen: Wo Worte nicht mehr ausreichen, richtet sich die Hoffnung auf die Sprache der Musik. Doch erzählt der Stoff nicht nur von der heilenden Kraft der Kunst, sondern auch von einer seelischen Krankheit, der Destruktivität einer Depression. Auf der einen Seite steht der Musiktherapeut David, auf der anderen der gemütskranke Saul. Das Interesse an psychischen Vorgängen und Abgründen, die Begeisterung für die Erkenntnisse der jungen Psychoanalyse mussten in Sauls Erkrankung ein ideales Thema finden.47

powers of music but also the symbolic figure for a political idea that trusts in charism and prevails against the concept of power represented by Saul.“ (Erich Zenger: David as Musician and Poet: Plotted and Painted, S. 297) 44 Vgl. Gottfried Willems: Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 5: Moderne, S. 58 f. 45 Vgl. Gerhard Plumpe: Epochen moderner Literatur, S. 58. 46 Silvio Vietta: Die literarische Moderne, S. 115. 47 Vgl. Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918, S. 89–91.  

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1.2.1 Stefan George: König und Harfner (1907) Ein Museumsbesuch mit Folgen. Zur Entstehungsgeschichte Ein barockes Rembrandt-Gemälde als Vermittler eines biblischen Stoffs, Anstoß zur literarischen Produktion und „Rezeptionsverstärker“48. Gleich mehrere deutschsprachige Dichter besuchten um 1900 das Mauritshuis in Den Haag, standen vor dem Bild des Niederländers und zeigten sich beeindruckt und bewegt von seiner emotionalen Wucht. Die Eindrücke eines solchen Besuchs schlugen sich in einem Brief vom Juni 1901 nieder, in dem Friedrich Gundolf Karl Wolfskehl berichtet, dass er, der „Meister“ Stefan George und der Maler Jan Toorop das Mauritshuis besucht haben. Psychologisierend beschreibt Gundolf den Bildaufbau: Saul in orientalischem Prunkgewand dunkelrot und goldgelb neben einem dunklen Vorhang sitzend, im Halbdunkel von einer Seite grell und doch trüb beleuchtet. Seine eine Hand hält das Zepter krampfhaft an den Arm gelehnt, weil es im Begriff scheint ihm zu entfallen, die andere Hälfte seiner Gestalt wird bedeckt durch den Vorhang, den er mit dem andern (unsichtbaren) Arm auf sein Auge drückt, die ausbrechenden Tränen zu trocknen oder zurückzuhalten. Ein Auge, halbes Obergesicht, Mund und Bart sind frei und sind wie in unterdrücktem Schluchzen gespannt, gehalten wie die ganze Gestalt, aber im nächsten Augenblick werden sich diese Züge lösen, wehmütig gerührt durch den Gesang des Knaben, von dem sich der Kopf abgewandt hat, vielleicht um die Erregung zu verbergen, vielleicht durch das Lied entrückt, gerührt durch eine jugendliche Vergangenheit, erschüttert durch Sorgen der Zukunft. David, eine Harfe in den Knieen, sitzt auf der andern Seite des Vorhangs, das Haupt nachdenklich vor sich hingeneigt, und greift zagend in die langen Saiten, als wüsste er, welche Wirkung sein Spiel auf den Sultan ausüben muss, und wäre selbst von dessen hoffnungsloser Pein ergriffen, obwohl er die Wirkung des Spiels nicht mit Augen sieht, denn er ist ganz über seinem Harfenspiel […].49

Mit einer Reihe von antithetischen Gegensätzen erfasst der Briefschreiber die dem Bild innewohnende Spannung: Die prachtvollen Farben von Sauls Gewand kontrastieren mit dem Hintergrund, die Beleuchtung ist zugleich „grell und […] trüb“. Den König erinnere der Musikant an seine „jugendliche Vergangenheit“ und er sehe in David auch die Zukunft, die für ihn den Verlust von Krone und Leben bringen wird. Gundolf zufolge hat das Rembrandt-Gemälde nicht nur auf ihn einen unauslöschlichen Eindruck gemacht, sondern auch auf George selbst: „Die Wirkung des Bildes auf uns drei Beschauer: den Meister, Toorop und mich, war völlig erschütternd, wie auf mich noch nie ein Bildwerk gewirkt hat.“50 48 Roman Luckscheiter: David singt vor Saul, S. 66. 49 Stefan George/Friedrich Gundolf: Briefwechsel, S. 91. 50 Stefan George/Friedrich Gundolf: Briefwechsel, S. 91; auch Ernst Morwitz nennt in seinem Kommentar das Gemälde als wesentliche Inspirationsquelle (vgl. Ernst Morwitz: Kommentar zu

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Ein Lehrstück über verfehlte Kunst. Deutung Bei George verwandelte sich der Eindruck zum Ausdruck, indem der Dichter eine lyrische Antwort auf das barocke Kunstwerk schuf: eine Art Dialog zwischen den beiden biblischen Figuren. Das Gedicht wurde in die 1907 veröffentlichte Gedichtsammlung „Der siebente Ring“ in die Abteilung der „Gestalten“ aufgenommen.51 König und Harfner52 H ARFNE R : Wie vor das antlitz du den mantel zogst Gewahrt ich dass du eine träne bargest Und einen · Herr · mir nicht gewognen wink. Wenn du auch heut zu deinem knecht nicht redest: Um ihn kannst du nicht zürnen den du hiessest Mit seinem sang nicht mehr von dir zu weichen … So murrte wieder undankbares volk? Bedrohn die stolzen priester dich? Nun weiss ichs: Den sieg missgönnt der eifersüchtige gott. K ÖNIG : Da du in meiner schande mich belauert – So hör was dir nicht frommt: mehr als die feinde Die du genannt und die ich all bestehe Vernichtet mich der lieben will: du selbst. Nun trag auch du dein teil das keiner ändert: Den ich nicht missen mag und den ich hasse Und der nicht weiss wie er mit gift mich füllt. Mein schwert mein schild · von fürchterlichem saft Noch klebrig · klopfst du an dass es dir klirre. Ins wasser wirfst du dass es tanzt und ringelt Geschoss wie ich es zum verhängnis wähle. Die früchte meiner felder – siedend mühsal Der langen sommer – gehst du achtlos schütteln Und kühlst mit einer dir den satten mund. Dir dienen fieberqualen meiner nächte Um sie in ton und lispeln zu verwehn. Mein heilig sinnen drob ich mich verzehre

dem Werk Stefan Georges, S. 242); vgl. auch: Lodewijk van Deyssel: Georges Lesung am 28. März 1896 im „Haagsche Kunstring“, S. 99 sowie Tina Winzen: Gestalten, S. 366. 51 Eine grundlegende Übersicht zu Entstehung, Komposition und Rezeption des „Siebenten Rings“ bietet Kai Kauffmann (Kai Kauffmann: Der siebente Ring, S. 175–191). Da sich die bisherige Forschung stets auf die Untersuchung des Gedichtbandes als Ganzes konzentriert habe, stünden genaue Einzelanalysen der Gedichte noch aus (vgl. ebd., S. 190). 52 Stefan George: Sämtliche Werke in 18 Bänden, Bd. 6/7, S. 46 f.  

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Zerschellst du in der luft zu bunten blasen Und schmilzest mein erhabnes königsleid In eitlen klang durch dein verworfen spiel.

Auch wenn die beiden Protagonisten des Rollengedichts, dem „letzte[n] Diptychon der ‚Gestalten‘“53, nicht namentlich genannt werden, ist die alttestamentliche Vorlage doch stets präsent. Ob es sich um ein tatsächliches Gespräch zwischen Harfner und König handelt oder ob man sich Sauls Part als Momentaufnahme seiner Gedanken vorzustellen hat, bleibt offen. Der erste, mit neun Versen kürzere Teil zeigt den ganz auf seinen Herrn, den König bezogenen Harfner, der den Kummer und die Missstimmung des Mächtigen registriert. Mit dem Mantel, dem herrscherlichen Insignium, sucht Saul seine Tränen zu verbergen. Komprimiert findet sich die Situation wieder, die Schiller in „Don Karlos“ ausgestaltet hat: Der weinende König erscheint als Mensch und gefährdet mit dieser Geste der Schwäche die eigene Würde und herausgehobene Stellung.54 Doch nicht nur Tränen wolle der König verbergen, auch „einen […] [ihm] nicht gewognen wink“ glaubt David zu bemerken. Diese Reaktionen lassen sich sowohl als Scham sowie als eine gewisse Verschlagenheit Sauls interpretieren: Er will in jedem Fall seinen „knecht“ von seinen innersten Gefühlen und Gedanken ausschließen. Die fassungslosen, in ihrer Direktheit zudringlichen Fragen des Harfners verraten, dass ein solcher emotionaler Rückzug des Herrn neu ist und dass ihr bisheriges Nahverhältnis durch Verdächtigungen, Misstrauen und wechselseitiges Belauern Schaden zu nehmen droht. Der König ist in einer schwermütigen Haltung, will nicht mit seinem Harfner sprechen, der nach Gründen für dessen Schmerz sucht und forschende Fragen stellt – ob es das „undankbar[e] volk“ oder machtbewusste „stolz[e] priester“ seien, die Saul bedrücken. Hier spielt der Text auf Sauls Ärger darüber an, dass sich die Volksgunst dem strahlenden Kriegshelden David zuwendet (vgl. 1. Samuel 18,7–9), sowie auf sein Leiden an dem durch den Propheten Samuel vollzogenen Bruch mit Gott (vgl. 1. Samuel 15,22–31). Am Ende von Davids Monolog steht eine Schlussfolgerung, die durch eine Inversion prägnant herausgestellt wird: „Den sieg missgönnt der eifersüchtige gott.“ Auch wenn dieses negative Gottesbild, das

53 Tina Winzen: Gestalten, S. 366; zur dramenähnlichen, dialogischen Anlage der Gedichtpaare vgl. auch Kai Kauffmann: Der siebente Ring, S. 178. 54 Ralf Simon gelangt zu der These, dass George mit den Gedichten des „Gestalten“-Kreises „eine Systematik der Macht“ entwirft, wobei „König und Harfner“ ein Beispiel für die Unterminierung der herrscherlichen Macht vorführt: „Aber die Superiorität des Herrschers wird unterminiert, wenn es möglich ist, daß eine innere Kraft den Herrscher gefährden kann.“ (Ralf Simon: Das Wasser, das Wort. Lyrische Rede und deklamatorischer Anspruch beim späten Stefan George, S. 54)

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einen missgünstigen, die Menschen beneidenden Gott für möglich hält, mit dem traditionellen David-Bild bricht, folgt die Charakterisierung des Harfners ansonsten ganz dem Herkommen. Entsprechend dem Prätext erscheint David als Inbegriff der Treue und anhänglichen Loyalität; unterwürfig nennt er sich Sauls „knecht“ und kann sich nicht vorstellen, selbst der Grund für die Schwermut seines Herrn zu sein: „Um ihn kannst du nicht zürnen den du hiessest / Mit seinem sang nicht mehr von dir zu weichen…“ Der Harfner hat vom König den Auftrag erhalten, ihm mit seinem Gesang zum ständigen Begleiter zu werden. Das bange und beharrliche Nachforschen des Harfners deutet darauf hin, dass er wohl die Wahrheit ahnt, dass nämlich der König in ihm die Ursache seines Leids sieht. Der zweite Teil des reimlosen Gedichts bestätigt diese Erwartung. Die zwanzig Verse zählende Strophe lässt Davids Konterpart zu Wort kommen und seine Gedanken und Gefühle quasi monologisch verbalisieren. Der paranoide König fühlt sich von seinem Vertrauten verfolgt und in „[s]einer schande […] belauert“. Scharf formuliert er seine Anklage: Es „[v]ernichtet mich der lieben will: du selbst.“ Diese paradoxe Schuldzuweisung erinnert an Oscar Wildes Aphorismus „Doch jeder tötet, was er liebt…“55 und offenbart den Charakter der Beziehung von König und Harfner. Beide sind in einer Schicksalsgemeinschaft aneinander gekettet, der König kann ihn nicht entbehren und hasst ihn doch zugleich. Der gequälte, von Missgunst aufgeriebene Herrscher wird in seiner Schwere zum Gegenpol des ahnungslosen, spielerischen David, dem alles gelingen will. Die Kriegstaten Sauls – seine Waffen sind vom Blut, dem „fürchterliche[n] saft“, noch klebrig – werden nicht gewürdigt, denn David verkehrt die düstere Stimmung ins Heitere, indem er Schwert und Schild klirren lässt. Auch die Wurfgeschosse, die Saul im Kampf einsetzt, sind ihm nichts anderes als Steine, die er übers Wasser springen lässt. Der fliegende Stein spielt zugleich auf die unorthodoxe Waffe an – eine Schleuder und einen gewöhnlichen Stein –, mit der der ungerüstete Hirtenknabe David Goliath erschlug. Hier ist auch ein poetologischer Subtext greifbar: Was sich der König in mühevoller Arbeit abtrotzt, seine gewichtigen Taten sind für den Knaben nur Anlass zu oberflächlich-spielerischer Auseinandersetzung. Der im Wasser Kreise hinterlassende, springende Stein ist dabei Metapher für eine flüchtige, nicht in die Tiefe gehende und daher auch nicht nachhaltige Dichtkunst. Dieser Vorwurf findet sich ebenfalls in Sauls folgender Suada: David missbrauche die „fieberqualen [s]einer nächte / Um sie in ton und lispeln zu verwehn“. Die schweren, heiligen Gedanken des Alten würdige er zu „bunten blasen“ herab, wobei die alliterie-

55 Oscar Wilde: Salome. Dramen, Schriften, Aphorismen und „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“, S. 250.

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rende Metapher der Seifenblasen erneut für eine schön glänzende, doch substanzlose und unnütze Kunst steht. Die letzten beiden Verse wiederholen noch einmal die Anklage: „Und schmilzest mein erhabenes königsleid / In eitlen klang durch dein verworfen spiel.“ Im Sinne des biblischen Stoffs erscheint David als Vertreter der Jugend, als Glückskind, das „achtlos“ das Leben genießt und dem in den Schoß fällt, was Saul unter Mühen und Blutvergießen erringt. Der König leidet dagegen unter der Last des Königtums und beneidet seinen unbeschwerten Diener, doch ist er angewiesen auf ihn und seine Lieder, die seine Schwermut lindern sollen. Rudolf Borchardt erkennt in dem Rollengedicht die Darstellung einer kurze[n], gleichsam sekundenartige[n] Unterbrechung des Bewusstseins, dämonisch aneinander geschmiedet zu sein und einander nicht zu entrinnen […], diesen Moment, in dem der König den freundlich dreisten Trost zurückweist und mit bitterer Wahrheit erwidert, hat Stefan George hier einmal zu Ende gestaltet.56

Mit der Rahmenhandlung bleibt George der Vorlage – dem alttestamentlichen Text wie auch dem Rembrandt-Bild – treu: Er zeigt die beiden aufeinander angewiesenen, zwischen Zuneigung und Hass stehenden Personen. Während allerdings auf dem Gemälde David in sein Spiel versunken ist und Saul sich seinem Schmerz hingibt, während hier nur die Musik eine Brücke zwischen beiden herstellt, findet zwischen den Figuren des Gedichts eine kommunikative Interaktion statt, ist der König eher hasserfüllt als verzweifelt und provoziert die Kunst eher, als dass sie besänftigt. Es wirkt, als würde der König im nächsten Moment zum Speerwurf auf den Harfner ausholen. Die Gründe für seine Missgunst werden nicht explizit ausgeführt, die Verwerfung durch Gott, die Saul keine Ruhe lässt, muss sich der bibelkundige Leser selbst mitdenken. Durch diese Aussparung löst George allerdings sein Gedicht auch vom Prätext und schafft eine Leerstelle, die, wie bereits angedeutet, eine zweite Lesart erlaubt: Der König fühlt sich durch Davids Verwandlung seiner Leiden in Poesie missbraucht; dass seine Qualen und Kämpfe nun als Stoff für Kunst genutzt werden, erscheint ihm unangemessen und demütigend. Zudem stellt er die Qualität von Davids Dichtung infrage, indem er sie mit rhythmischem Klirren, Kreisen auf dem Wasser, verwehten Tönen und Seifenblasen vergleicht. Dessen Spiel verfehle die Tiefe, schlimmer: sei von Anfang an als Oberflächenreiz gedacht und darum „verworfen“ und sogar „gift“. Nicht mehr der König ist der von Gott Verworfene, sondern die Dichtung des Harfners trifft der Fluch. Raffiniert verschiebt Stefan George so den Akzent der eigentlichen Handlung, indem er – passend zu seinem elitären Selbstverständnis als Poet –

56 Rudolf Borchardt: Stefan Georges „Siebenter Ring“, S. 90.

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den Frevel in einer falschen, spielerisch-hohlen Kunst sieht, die Sauls Taten und seinem „heilig sinnen“ nicht gerecht wird (und somit Georges eigenen nachhaltigen und bedeutungsschwangeren Werken nicht gleichkommt).57 Jedoch gibt George mit seinem Kommentar zu dem Gedicht „Das recht liegt nicht allein auf des königs seite“58 zu verstehen, dass Protagonist (König) und Antagonist (Harfner) nicht in einem klaren Täter-Opfer-Verhältnis zueinander stehen. Der König repräsentiert die kraftvolle Tat, der Harfner die Sphäre des Wortes und der Kunst. Nach Georges Verständnis müssen sie einander ergänzen, um die „Ordnung der Welt“ zu bewahren. Diese „wird geschaffen und gehalten durch das rechte Verhältnis von Geist und Tat, kann aber leicht gestört werden, wenn die Kunst zur Empfindsamkeit, die Tat zur Gewalt entartet.“59 Friedrich Gundolf gelangt in seiner 1920 erschienenen Studie „George“ unter dem Kapitel „Die Gestalt im Werk“ zu einer ähnlichen Interpretation des lyrischen Textes: „,König und Harfner‘ vergegenwärtigt den unsterblichen Zwiespalt zwischen dem Spiel und dem Ernst, dem bunten Schein und dem dunklen Wesen, zwischen dem Vorsteller und dem Erfüller des hohen Lebens – auch sie zwei Eimer die abwechselnd aus dem kosmischen Brunnen schöpfen.“60 Abhängigkeit und Abneigung. Spuren einer enttäuschten Liebe Doch das Rollengedicht ist mehr als eine poetologische Kampfansage an ästhetische Taschenspielertricks. Der Subtext transportiert auch eine erotische Botschaft. „[E]indringliche Bilder des Getrenntseins und der Zerfallenheit“61 prägen die Gedichte des „Gestalten“-Zyklus, wie Ernst Osterkamp in seiner Untersuchung zum Kussmotiv im „Siebenten Ring“ nachweist. Und auch in „König und Harfner“ lässt sich der unausgesprochne Wunsch nach Vereinigung, nach einer Überwindung der Hassliebe, nach einem Kuss aufspüren. Verräterisch ist der Vorwurf des

57 Die eindeutig abwertenden Metaphern, die Davids Spiel als verfehlt und frevelhaft brandmarken, lassen die Deutung von Tina Wilzen wenig plausibel erscheinen: „Aufgrund mangelnder ästhetischer Sensibilität und seines profanen Neids auf die Befähigung des Künstlers, Leiden in Schöpfung zu transponieren, bleibt Saul ein impotenter Ästhet, den die Liebe des David vernichtet statt zu heilen“ (Tina Wilzen: Gestalten, S. 366). Wilzens Auslegung folgt eher der Sympathielenkung der zugrunde liegenden biblischen Erzählung und verkennt so die Pointe von Georges Adaption. 58 Zitiert nach Victor A. Schmitz: Bilder und Motive in der Dichtung Stefan Georges, S. 192. 59 Victor A. Schmitz: Bilder und Motive in der Dichtung Stefan Georges, S. 192. 60 Friedrich Gundolf: George, S. 230. 61 Ernst Osterkamp: Die Küsse des Dichters. Versuch über ein Motiv im „Siebenten Ring“, S. 76 f. Osterkamp zufolge verkörpern König und Harfner die Gegensätze „Spiritualität und Sensualität, Wärme des Körpers und Kälte des Geistes, jene Trennung von Göttlichem und Leiblichem, von Glaube und Liebe“ (ebd., S. 76 f.).  



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Königs: „Die früchte meiner felder […] gehst du achtlos schütteln / Und kühlst mit einer dir den satten mund.“ Während die „fieberqualen“ des Herrschers keine Linderung finden, genießt der Harfner eine kühlende Frucht. Berücksichtigt man, dass das „Essen der Frucht […] das vornehmste erotische Symbol der jüdischchristlichen Überlieferung“62 ist, hält Saul seinem Musikanten verklausuliert vor, „achtlos“ bei Frauen sexuelle Befriedigung zu suchen. So verzichtet George in der Formulierung „Und kühlst mit einer dir den satten mund“ auf die substantivische Ergänzung, sodass der Leser den unbestimmten Artikel „einer“ sowohl um „Frucht“ als auch um „Frau“ ergänzen kann. Damit wäre der Text auch Zeugnis einer unerwiderten mannmännlichen Liebe, verstecktes Eingeständnis eines Begehrens, das der alternde Herrscher für seinen Musikanten empfindet und das in Hass umschlägt.63 Es fehlt nicht viel, um von diesen Befunden ausgehend das Gedicht „König und Harfner“ biografisch zu deuten, was Gunilla Eschenbach tut, wenn sie in Davids Spiel „ein Beispiel fehlgeleiteter ästhetizistischer Nachahmung“ sieht, das den von George erwarteten „imitativen Dialog“64 gefährdet. Sie bezieht in der Folge die Aussagen über den Harfner zunächst auf den „,Spassmacher‘ und Poeta ludens“ Friedrich Gundolf, dann auf Hanns Meinke, die beide mit ihren rasch verfertigten Versen in Georges Augen die Erhabenheit und Heiligkeit der Dichtung gefährdeten.65 Nach

62 Ernst Osterkamp: Die Küsse des Dichters. Versuch über ein Motiv im „Siebenten Ring“, S. 76. 63 Auch Marita Keilson-Lauritz, die Georges Liebes-Begriff anhand seiner poetischen Texte konturiert, entdeckt in dem Gedicht einen verborgenen homoerotischen Subtext. Bezogen auf die Verse „mehr als die feinde / […] Vernichtet mich der lieben will: du selbst“ schlägt sie trotz der grammatikalischen Unstimmigkeit vor, den Relativsatz „der lieben will“ auf das Personalpronomen „mich“, somit auf Saul selbst anzuwenden. Diese Lesart unterstellt ebenfalls Saul ein geheimes Sehnen nach seinem „knecht“ (vgl. Marita Keilson-Lauritz: Von der Liebe, die Freundschaft heißt, S. 49). Eine ähnliche, allerdings weit eindeutigere Charakterisierung Sauls liefert das 1903 veröffentlichte Drama „Saül“ von André Gide: Es zeigt die Tragik eines älteren Mannes (Saul), der einen Jüngling (David) bis zum Wahnsinn begehrt. Auch hier wird die Beziehung der beiden biblischen Figuren homoerotisch aufgeladen und der Prätext durch eine neue Motivierung umgedeutet (vgl. Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 90). Sigrid Gätjens zeichnet Gides sehr freien Umgang mit dem Stoff detailliert nach und gelangt zu dem Fazit: „Der schmerzhafte Prozeß der Bewußtwerdung einer homosexuellen Neigung wird künstlerisch geschickt in die aus der biblischen Überlieferung bekannten Etappen auf dem Weg des Niedergangs König Sauls eingekleidet.“ (Sigrid Gätjens: Die Umdeutung biblischer und antiker Stoffe im dramatischen Werk von André Gide, S. 98) 64 Gunilla Eschenbach: Imitatio im George-Kreis, S. 159. 65 Vgl. Gunilla Eschenbach: Imitatio im George-Kreis, S. 159, 188. Auch Thomas Karlauf erkennt in dem Gedicht eine Spiegelung des Verhältnisses von George und seinem Jünger Gundolf, das zwischen Zuneigung und Abstoßung schwankte: „Mit zunehmender Intensität und Nähe wuchs bei George das Bedürfnis, sich von dem Geliebten zu distanzieren, ja ihn zu schmähen. Leiden-

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dieser Lesart wäre der „Meister“ selbst in die Rolle Sauls geschlüpft.66 Und aus der vordergründigen Kritik an ästhetischer Oberflächlichkeit lässt sich auch der Vorwurf heraushören, Gundolf würde Georges Liebe nur unzureichend erwidern.67 Obwohl dieser biografische Ansatz sehr plausibel ist, sollte er doch nicht dazu verleiten, über den Animositäten zwischen George und seinen Anhängern die kunstvolle Fortführung des überlieferten Stoffs zu ignorieren. Auch wenn George seiner Vorlage zu folgen scheint, verändert er die Konfliktursache zwischen Verworfenem und Erwähltem, indem nun nicht länger der König im Unrecht ist und es auch nicht um die legitime Herrschaft geht, sondern um die rechte Auffassung von Dichtung.68 Im Kern ist der dramatisierte Dialog somit eine poetologische Stellungnahme, wobei der sonst als dichterisches Leitbild verehrte Sänger David zum Vertreter einer falschen, nichtigen Kunst gemacht wird. George suchte offenbar eine Meister-Schüler-Konstellation, in der er die Problematik des eigenen Kreises spiegeln konnte, und deutete daher die Rolle des Königs Saul positiv als Identifikationsfigur um.69 Saul, der in der Stoffgeschichte

schaften mussten gezähmt werden, Abhängigkeit durfte gar nicht erst aufkommen. […] Jede Form der ‚Öffnung‘ musste als Gefährdung erscheinen. […] Gerechtfertigt im platonischen Sinn war die Liebe zu Gundolf erst, wenn sie als Liebe zum Schönen an sich erkannt wurde.“ (Thomas Karlauf: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma, S. 283 f.). 66 Birgit Dahlke stellt das Gedicht in eine Reihe mit weiteren George-Texten wie „Der Fürst und der Minner“, „Templer“ und „Die Hüter des Vorhofs“ und konstatiert treffend, dass darin „maskuline Beziehungsmuster“ geformt würden, die Georges Ideal einer rein männlichen Sozialisation widerspiegelten (vgl. Birgit Dahlke: Jünglinge der Moderne: Jugendkult und Männlichkeit in der Literatur um 1900, S. 129). 67 Vgl. Gunilla Eschenbach: Imitatio im George-Kreis, S. 157. 68 Victor A. Schmitz weist mit Blick auf die anderen Gedichte im „Siebenten Ring“ darauf hin, dass „George das Verhältnis von Wort und Tat, Dichter und Held, vita activa und vita contemplativa, sonst nicht so gegensätzlich sah, sondern als ein gutes Gleichgewicht und notwendige Ergänzung“ (Victor A. Schmitz: Das Ethos der Kunst bei George und Rilke, S. 114). 69 Die ungewöhnliche, da antiquierte Bezeichnung Davids als Harfner weckt Assoziationen an eine Figur aus Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/96) und fordert zu einer Deutung dieser versteckten intertextuellen Parallele heraus: Bei dem Harfner Augustin handelt es sich um einen entlaufenen Mönch, der unwissentlich mit seiner Schwester ein Kind, Mignon, gezeugt hat und der infolge der Enthüllung dieser inzestuösen Beziehung dem Wahnsinn verfallen ist. In seinen Liedern artikuliert der Harfner das Leiden an seiner Schuld sowie seine Todessehnsucht, zugleich lassen sie ihn wie auch seine Tochter als Personifikation der Poesie erscheinen (vgl. Hannelore Schlaffer: Wilhelm Meister, S. 40–43). Beider Tod wurde in der Forschung als strukturelle Zwangsläufigkeit gedeutet, da für Poesie und Theater kein Raum mehr ist, nachdem Wilhelm seine Rolle in der zweckorientierten Gesellschaft gefunden hat (vgl. ebd., S. 45). Da George gut mit Goethes Werk vertraut war und sich sogar in dessen Nachfolge sah (vgl. Manfred Durzak: Stefan George und Goethe, S. 206, 219), stellt sich die Frage nach der Bedeutung der auffälligen Namensparallele zwischen Goethes Roman und Georges Rollengedicht. Aufgrund der  

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traditionell die dunkle Kontrastfolie abgibt, vor der sich Davids Aufstieg umso strahlender abhebt, erscheint nun vorbildhaft, wohingegen der Harfner abgewertet wird.

1.2.2 Karl Wolfskehl: Saul (1905) Aufstrebender Stern vs. Todesrose. Entstehungsgeschichte und Inhalt des Dramas Herr und Knecht, die aneinander gekettet sind – dieselbe Grundkonstellation bestimmt auch Karl Wolfskehls Drama „Saul“70. Zwar liegt der Fokus dieses Werks auf dem Schicksal des Titelhelden, doch soll es im Vergleich mit Georges Gedicht in die Untersuchung einbezogen werden. Immerhin tritt David auch hier vor allem als Sänger in Erscheinung. Es lässt sich nicht nachvollziehen, inwieweit Wolfskehl bei der Ausarbeitung seines Stücks Georges „König und Harfner“ kannte, das vermutlich bald nach dem Museumsbesuch von 1901 entstanden ist. Wolfskehl hat sich schon seit 1900 für den Stoff interessiert71, und es ist gut vorstellbar, dass Gundolfs Brief über die beeindruckende Wirkung des Rembrandt-Gemäldes im Mauritshuis einen entscheidenden Impuls darstellte. Was den Meister zur Dichtung inspirierte, regte offenbar auch den Jünger Wolfskehl zu einer eigenen literarischen Bearbeitung an.72

obigen Analyseergebnisse lässt sich eine kontrastive Konstruktion herleiten: Wenn der Harfner 1 (Augustin) für die Poesie steht, sticht das verfehlte, skrupellose Dichten von Harfner 2 (David) umso deutlicher hervor. Darüber hinaus soll der Harfner 2 entsprechend der biblischen Vorlage mit seinem Gesang die depressive Verfinsterung des Königs therapieren, wohingegen die Lieder von Harfner 1 dessen eigene psychische Zerrüttung verraten. Die Namensgleichheit lenkt die Aufmerksamkeit auf die Unterschiede in Charakter und Kunst der beiden Figuren. 70 Der Dramentext wird im Folgenden zitiert nach dem Erstdruck von 1905. 71 Vgl. Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 92. 72 Die Begegnung mit dem Werk Stefan Georges im Jahr 1892 bedeutete für Wolfskehl eine Art Initiation als Dichter (vgl. Karlhans Kluncker: Karl Wolfskehl und Stefan George, S. 207): Zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Charakteren kam es zu einer intensiven und produktiven „Dichterfreundschaft“ (ebd., S. 209), bei der sich Wolfskehl jedoch stets als Jünger des Meisters George ansah (vgl. Frederick P. Bargebuhr: Karl Wolfskehl. Deutscher Dichter und Jude, S. 35). Wolfskehl wurde eines der wichtigsten Mitglieder des Münchner George-Kreises und wirkte als Autor an Georges „Blättern für die Kunst“ mit, galt gar (wohl auch aufgrund seiner imposanten körperlichen Statur) als „Zeus von Schwabing“. In Anlehnung an George wählte er für „Saul“ eine eigenwillige Typografie, die außer bei Eigennamen und Zeilenanfängen auf Großbuchstaben verzichtet. Da Wolfskehl persönlich 1909 bei einer Aufführung des Dramas die Titelrolle spielte, schlussfolgert Norman Franke, dass der Dichter sich selbst in der Figur Sauls spiegelte. Auch wenn Saul im Drama als „oberster und meister“ (Saul, S. 24) angesprochen wird, fungiere er

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Ein „Spiel in vier Teilen“ hat Wolfskehl sein 1905 veröffentlichtes dramatisches Werk genannt, wobei er die biblische Geschichte radikal verknappt und auf nur drei handelnde Personen – den Titelhelden Saul, David sowie den Priester (Samuel) – reduziert hat.73 Details und Hintergründe der Vorlage wie Davids Verhältnis zum Königssohn Jonathan oder der Sieg über Goliath werden nur am Rande erwähnt und dies häufig in verschlüsselter Form. Mit einer genauen Kenntnis des Prätextes lassen sich diese Anspielungen freilich auflösen, allerdings ist sie für ein Verständnis des Grundkonflikts, um den es Wolfskehl geht, nicht notwendig. Das Spiel kommt ohne größere dramatische Aktionen aus und konzentriert sich ganz auf den Dialog, durch den ein scharfes Psychogramm des verzweifelnden Königs Saul vermittelt wird. Paul Gerhard Klussmann klassifiziert Wolfskehls Stück als „lyrisches Drama“74, das ganz mit den konventionellen, aristotelischen Vorstellungen von Theater bricht. Der in der Vorlage angelegte Konflikt wird nivelliert, es wird keinerlei Problementwicklung vorgeführt. Stattdessen fügt Wolfskehl mehrere statische Situationen aneinander, was einer Lyrisierung gleichkommt.75 Hier soll die Handlung nur in groben Zügen skizziert werden, um dann das Verhältnis der beiden unfreiwilligen Gegenspieler herauszuarbeiten. Das erste

somit nicht als literarisches Abbild Georges. Die Gleichsetzung von Dichter und Protagonist wirft neue, kaum zu beantwortende Fragen auf: „Finden sich in der Dramatisierung der manischdepressiven Königsgestalt Hinweise auf Wolfskehls eigene psychische Verfassung?“ (vgl. Norman Franke: „Jüdisch, römisch, deutsch zugleich …“?, S. 192 f.) 73 In dieser Reduktion haben bereits Zeitgenossen die Tendenz zum Symbolhaften erkannt. So lobte Alfred Bock: „Die Handlung geht vor sich zwischen drei Personen, die […] das Schicksal, den Absinkenden, den Aufsteigenden symbolisieren. (Priester, Saul, David.)“ (In: Das literarische Echo VIII/12, Sp. 861 f.; zitiert nach: Karl Wolfskehl 1869–1969. Leben und Werk in Dokumenten, S. 28). Indem Samuel nur als Priester bezeichnet wird, eine Funktion, die er in den Samuelbüchern gar nicht innehat, wird seine Figur entindividualisiert und auf das Amt reduziert, somit seine Position ins Allgemeine überführt. 74 Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 106. 75 Vgl. Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 107. Das Drama ist im Zusammenhang der symbolistischen Bemühungen um ein neues Drama zu sehen, die von Stéphane Mallarmé angestoßen wurden und die naturalistischen Darstellungsweisen eine Absage erteilten. Auch Wolfskehl zielt auf eine symbolhafte Verdichtung, um so zur eigentlichen Wahrheit vorzudringen (vgl. ebd., S. 90–92). Die Konzentration der vier Bilder auf die Krise Sauls und das Fehlen eines profilierten Antagonisten, die symbolüberladene, feierliche Sprache sowie die zahlreichen Anspielungen auf biblische Hintergründe machen Wolfskehls Stück zwar zu einer höchst interessanten und kunstvollen Adaption des Stoffs, die sich aber kaum für die Bühne eignet und eher ein Lesedrama darstellt. Die emphatische Aussage Klussmanns „in jedem Fall verlangt das lyrische Drama ‚Saul‘ die Aufführung“ (ebd., S. 108) ist aufgrund der genannten Einwände wenig überzeugend.  



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Bild zeigt Saul als siegreichen Feldherrn – gemeint ist offenbar sein Triumph über die Amalekiter, deren König er gegen das göttliche Gebot verschonte. Saul legt unverhohlen Wert auf seinen Ruhm: Davon wird ruhm gehn Bis zum himmel mir und meinem gott Und uns allen · mehr als schlachtenbeute Mehr als herden und gold und erzgeräte Und dass der fremde könig gebunden liegt: Gilt mir das lob das um in liedern zieht Unter göttern und menschen. (S. 7)

Auffälligerweise nennt Saul bei seiner Selbstpreisung zuerst sich und dann Gott. Er sucht Verehrung und Anerkennung bei anderen Göttern und den Menschen. Sein Vertrauter David soll ihm dabei als Sprachrohr dienen und bietet sich auch selbst als „[s]einer taten laute zunge“ (S. 7) an. Zwischen dem König und „[s]einem starken knaben zur seite“ (S. 8) herrscht ein besonderes Nahverhältnis, in dem sich David sogar als Teil Sauls empfindet und emphatisch seine Treue betont: Seit du von der hürde mich in dein haus nahmst Mich an deine seite zogst im feld Dass ich unter deinem blick erblühe Bin ich dein eigen als ein teil von dir. (S. 8)

Anders als in der Bibel stellt Wolfskehl David schon hier als Waffenträger an die Seite Sauls und hebelt das traditionelle Konfliktschema aus, indem er die beiden in völliger Übereinstimmung zeigt.76 Saul ist sich allerdings seiner Stellung nicht sicher, sodass er Davids Worte benötigt, um Seelenfrieden zu finden. Naturmetaphern beschreiben die erfrischende, wohltuende Wirkung dieser Zuwendung: Frischen seewind fächeln deine worte · Kühlen abend-tau träufeln sie ins herz mir Das wie ein tier des waldes erspürt vom jäger In der öde scheu wird. (S. 8 f.)  

Der Angstzustand, ein „Gefühl einsamen Ausgeschlossenseins von Feier und Freundschaft“77, ist nicht unbegründet, denn „schweratmend“ (S. 10) naht der Priester, um Saul für seinen Ungehorsam gegenüber Gottes Anordnung, alle

76 Vgl. Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 96. 77 Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 97 f.  

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Feinde ausnahmslos zu töten, zurechtzuweisen: „Du, sein Gesalbter verhöhnst Gott“ (S. 12).78 Der Priester wirft dem König Selbstüberhebung sowie ein anmaßendes Streben nach „Heldenlob“ (S. 14) vor, schließlich solle Gott allein „unser held [sein]! Kein andrer neben ihm.“ (S. 14) An Sauls eigenmächtigem Handeln macht der Priester den Bruch des Bundes fest und verkündet den göttlichen Fluch: „Einsam in die wüste stösst er dich.“ (S. 14)79 Saul werde keine Freunde mehr haben und in seinem Wahn sogar den einzigen Treuen, der ihm geblieben ist, verkennen80, sein Seelenfrieden sei verloren, die Krone werde an einen anderen übergehen. Als der aufgebrachte Saul den Priester zurückhalten will, zerreißt dessen Gewand, was von diesem sogleich als Sinnbild für den Bruch Gottes mit Saul interpretiert wird. Der König bleibt verzweifelt zurück. Im zweiten Bild ist die Drohung des Priesters wahr geworden: Der König wird inmitten seines Volkes zum Außenseiter. Geplagt von Wahnvorstellungen begegnet er David, der in unverbrüchlicher Loyalität zu ihm hält, mit Argwohn. Dabei erkennt er scharf den Gegensatz zwischen sich, dem Alten, Kranken, und dem Jugendlichen, Gesunden: Du lachst mit den augen · Alles strahlt an dir · hier im schwülen hause wo ich fast ersticke dehnst du die brust. (S. 17 f.)  

Das Drama verzichtet darauf, explizit Davids Erwählung und Salbung zu Sauls Nachfolger darzustellen, doch scheint der König von ihm Gefahr zu fürchten. Vergebens beteuert David, dass er „schuldlos schuldig“ sei (S. 21), und sucht das Wohlgefallen seines „Schützer[s] und richter[s] und gesalbte[n] herr[n]“ (S. 22). Mit ausdrucksstarken Metaphern verbalisiert der gepeinigte Saul seine Schwermut, „die nebelgesichte die um die schläfen / [ihm] Hängen wie spinnweb“ (S. 23). Linderung erhofft er sich von Davids Saitenspiel, der ihm „den gram zer-

78 Das Gottesbild, das hier in der Tirade des Priesters gezeichnet wird, ist ein hartes und unbarmherziges: Gott allein hat sich die Entscheidung über Leben und Tod vorbehalten, duldet es nicht, wenn ein anderer da verschont, wo er blinden Gehorsam fordert. Durch die Figur des Priesters wird der metaphysische Bezug sichergestellt: Gott ist in Wolfskehls Drama eine Realität, die Voraussagen des Priesters treffen allesamt ein. Sein Bild flößt in der Form, wie es der Priester vermittelt, allerdings nur Furcht ein. Deutlich wird, dass Gott unbedingte Ergebenheit erwartet und widerspenstiges Verhalten mit dem Entzug seiner Gnade vergilt. 79 Im Unterschied zur Vorlage werden hier die einzelnen Vergehungen Sauls zu einer einzigen zusammengezogen. 80 „Und wenn dir einer bliebe / Seinem herrn ergeben mit leib und lieben / Grade dem – hör mich! so spricht der Herr – / Grade dem muss sich dein sinn verschliessen / Dass er nie die riegel rücken könne. / Grade den stösst weit dein böses wähnen / Als den lauernden feind im eignen hause ..“ (S. 15).

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singen“ (S. 24) soll. Der Knabe beschwört in seinem dreistrophigen Schlaflied Himmelserscheinungen und Traumbilder und evoziert Vorstellungen des Glücks, bis Saul, der sein Haupt auf Davids Knie gebettet hat, einschläft: Siehe nun löset liebliche ruh Weichen fingers dem meister die binde Von der schläfe · tief sinkt sein haupt · Winkt zur rast den boten und lächelt Im entschlafen lichtglanzgewiegt · (S. 25 f.)  

Jedoch hält die von David geschaffene Atmosphäre aus Helligkeit, Geborgenheit und Ruhe, die der Neologismus „lichtglanzgewiegt“ abbildet, nicht vor. Rasch verselbstständigt sich der Traum, gleiten Sauls Träume zur Vision eines Schlachtfelds, auf dem Jonathan und er selbst „[b]lutig im kot“ (S. 27) sterben. Zuletzt sieht er „den buben gekrönt“ (S. 27), womit er aus dem Schlaf auffährt: Wo ist mein speer! – Kenn ich dich? Wahre dich nun! Der alte wolf Kann noch beissen … (S. 27)

Auch wenn David beteuert, seine Hand nicht gegen Gottes Gesalbten erheben zu wollen, schleudert Saul den Speer, Symbol seiner königlichen Macht, nach ihm, doch fehlt er, lähmt ihm eine Macht den Arm. Die beiden Mordversuche Sauls, von denen das Alte Testament berichtet, werden zu einem verdichtet. David erscheint selbst in der größten Gefahr noch souverän und zieht sich zurück: „Herr ich weiche dass du nicht fehlest!“ (S. 28) Ein Wortspiel greift den fehlgeleiteten Speerwurf auf. Er flieht, um Saul so vor einem Fehltritt, dem Mord an ihm, zu bewahren. Das dritte Bild zeigt Sauls Ringen mit seinem Schicksal: In einer Höhle beschwört er nachts den Geist des mittlerweile verstorbenen Priesters, indem er seinen Speer in die Erde stößt. Die Hexe von Endor, die dies in der Vorlage tut, fehlt. Der herbeigezwungene Tote verkündet das Ende Sauls: „Morgen du und dein haus bei mir!“ (S. 32), woraufhin der König ohnmächtig zusammenbricht. Wolfskehl legt die Beschwörungsszene mit der Verschonung Sauls durch den flüchtigen David zusammen.81

81 Die in der Bibel gedoppelte Begebenheit – zweimal fällt Saul in Davids Hände, zweimal begnügt dieser sich mit einer Demonstration seiner Ergebenheit und lässt den Gesalbten am Leben – verknappt Wolfskehl zu einer. Indem er mehrere Szenen des Prätextes verquickt, schafft er eine komprimierte Fassung, der es nicht um Detailtreue und Nacherzählung geht, sondern um eine verdichtende Zuspitzung des Gehalts. Historiker gehen ohnehin von der Annahme aus, die Bibelschreiber hätten die beiden Episoden eingefügt, um die lauteren Absichten des neuen

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David sucht in eben jener Höhle Zuflucht, in der Saul bewusstlos liegt, nützt aber nicht den Vorteil, den ihm die Situation bringt: „König! nun wärst du mein und mein die krone. / […] Ich will nicht gedenken / Als an den herrn den Gesalbten · mit ihm friede!“ (S. 32 f.) Obwohl sich Saul ergibt und den Tod aus Davids Hand erwartet, akzeptiert ihn dieser weiterhin als seinen König und erinnert ihn an seine einstige Größe. Nun begehrt Saul nicht mehr auf, sondern erkennt David als neuen Erwählten an: „Der vor dir herr war huldigt dem neuen herrn.“ (S. 36) Die Himmels- und Lichtbilder, die vormals für ihn verwendet wurden, überträgt er auf David, macht ihn damit zum neuen Lichtträger, er sei „[u]nsres volkes steuer und stern von nun an“ (S. 40). Während David sich bemüht, den fatalistischen Saul zu motivieren, das Heer gegen die aufmarschierenden Feinde in den Kampf zu führen, und seine Treue unter Beweis stellt, vollzieht sich in Saul eine Läuterung. Er holt aus zu einem gefassten, erhabenen Abschiedsmonolog, spürt seinen zu Ende gehenden, abfallenden Lebensweg und schließt mit einem Segenswunsch für David: „Wie du mir lieb bist knabe! Alle kronen / Auf dein haupt – wie du rot wirst! – alle kronen!“ (S. 39) Er erwählt David bewusst und selbst als Nachfolger und besiegelt die Übergabe der Herrschergewalt mit einem Kuss.82 Als letzten Liebesdienst erbittet er schicksalsergeben von ihm ein weiteres „schlaflied“ (S. 40), einen Totengesang. Mit dieser Geste der Versöhnung erhebt sich Saul wieder zu seiner königlichen Würde und bereitet sich auf den Tod vor: „Aus der nacht in die nacht mein weg.“ (S. 41) Der Thronerbe ruft ihn zuletzt als „Vater“ (S. 41) an und willigt ein. Sauls entschlossener Gang in den Tod sowie seine Adoption von David stellen eine Umdeutung Wolfskehls dar, der einen neuen Saul-Mythos schaffen will, was sich auch noch einmal im letzten Bild zeigt. Dieses enthält Davids Klagelied um Jonathan, der selbst in dem Stück nie in Erscheinung getreten ist, und um Saul, den toten König.83 Für David zählt Saul zu „den vätern […]· zu den Heiligen den helden! / Zu den gottesstreitern den königshelden!“ (S. 44). Sein panegyrischer Hymnus steigert sich zu einer bildgewaltigen, an Fragen und Ausrufen reichen Verklärung von Sauls Tod, der „ins meer der nacht“ (S. 44) versunken ist:  

Königs David herauszustellen und seine Unschuld am Untergang von Sauls Königshaus zu betonen. Diese David-Saul-Erzählungen werden daher als Ausdruck der prodavidischen Geschichtsschreibung gelesen (vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 220). 82 In der Übertragung des Königtums auf einen Nachfolger, der nicht aus der königlichen Familie stammt, spiegeln sich Vorstellungen des George-Kreises vom römischen Adoptivkaisertum wider (vgl. Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 101 f.). 83 Die Zeilen „Raubte König Saul sich König Saul ·/ Er den keiner fällen konnte fiel“ (S. 43) spielen auf Sauls Selbsttötung in der Schlacht an (vgl. 1. Samuel 31,4).  

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Im vergehn erblühest · Todesrose! Aus dem schosse der nacht zurückgeboren Strömt dein düften durch den schweigenden saal – Unsern vätern unten ein gemahnen Das mit kosendem flügel ihre scheitel Das mit leisen lippen ihren mund Das mit süssem hauch ihr steinern herz rührt: Ewiger nacht sohn! Todesrose Saul! (S. 44)

Mit typisch symbolistischer Metaphernsprache lädt Karl Wolfskehl diese Wehklage auf, wobei er zweimal das ungewöhnliche Bild der Todesrose aufruft: In seinem Untergang und Sterben ist Saul am strahlendsten, entfaltet er die größte Schönheit und Erhabenheit und rührt sogar die toten Vorväter.84 Wie in der Décadence-Dichtung oft der Fall, werden Schönheit und Tod eng zusammengedacht und in einem morbiden Bild vereint. Paul Gerhard Klussmann hat der tieferen Aussage dieses Zentralsymbols nachgespürt und sieht in der Rose ein Sinnbild für „höchste Schönheit, seelische Grösse, heilige Reinheit und menschliche Vollendung“85. Das Spiel endet folglich mit einer Verherrlichung von Saul als Held und Streiter. Es ist die Psyche des verworfenen Gesalbten, die die seelische Bühne für das Geschehen abgibt. Sauls Gefühle durchmessen Extreme. Als er an seiner Selbstüberhebung und seinem Streben nach weltlicher Ehre scheitert, stürzt er in einen Strudel aus Misstrauen, Angst und Verfolgungswahn. Erst nachdem er sich dem Gottesurteil fügt, weicht sein Wahnsinn, kann er als König würdevoll in den Tod gehen. Knecht, Sohn, Sänger. David bei Wolfskehl Im Gegensatz zu Saul, der in seiner ganzen psychischen Zerrissenheit dargestellt wird, wirkt David eindimensional. Er ist der Knabe, der dem König unbedingt ergeben und treu ist: „Wo du bist ist David dir zu nächst.“ (S. 8) Auch als der 84 Der Neologismus „Todesrose“ erinnert stark an Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ (1882). Darin bezeichnet der Zauberer Klingsor die ihm hörige Kundry, die durch ihre Verführungskünste die Gralsritter von deren Mission abbringen soll, als „Höllenrose“. 85 Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 102. Saul verkörpert für Klussmann die ganze Komplexität des menschlichen Daseins, die zahlreiche Aspekte umfasst: „die innere Spannung zwischen menschlicher und göttlicher Macht, die religiöse Identitätssuche des Menschen im Angesicht des Todes, die Gefährdung des Erwählten durch Isolation und Einsamkeit, das Todesgrauen des Menschen im Sinn banger Erwartung zukünftigen Schicksals, aber auch die Hoffnung auf Erfüllung der Zeit im Sinn irdischer Vollendung und die Hoffnung auf den Heilsgang der Geschichte“ (Paul Gerhard Klussmann: Wolfskehls Entwurf eines neuen Dramas, S. 105).

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König ihn ermorden will, zweifelt David nicht an dem Gesalbten. Über mögliche Gewissenskonflikte wird nichts bekannt. Er sieht sich selbst als „schuldlos schuldig“ (S. 21), wird zum Thronerben, ohne dies beabsichtigt zu haben, kann aber dank seiner Loyalität Sauls Vertrauen zurückgewinnen. Auch wenn an einer Stelle kurz auf seinen Sieg über Goliath angespielt wird (vgl. S. 19) und er als königlicher Waffenträger auftritt, erscheint David nicht als Krieger oder Held, er nimmt die Position des Freundes und Vertrauten Sauls ein. Von den traditionellen Rollenzuweisungen greift Wolfskehl nur eine einzige auf: Der Knabe soll als Sänger die Depressionen seines Herrn vertreiben, soll ihn durch ein Schlaflied zur Ruhe kommen lassen bzw. ihm zuletzt eine Totenklage singen. Im vierten Bild erfüllt David, der neue König, diese Aufgabe. Was Saul von Anfang an wünschte – Lobpreis und Ruhm dank eines von David verkündeten Tatenberichts –, wird ihm posthum zuteil. Der König selbst stellt die besondere Qualität seines Sängers heraus: Einst hört ich einen fremden Prahlerisch berühmen: Einer der ihren Habe die felsen mit seinem sang bezwungen Dass sie sich ihm zum hause aufgeschichtet · Habe die wilden löwen gezähmt und die schlangen Mit dem giftzahn sich zu füssen gelagert – Alles durch sein lied . . Da musst ich denken: Wie viel mehr vermöchte mein blonder knabe! (S. 24)

Saul erhebt die Gaben Davids über die des mythischen Sängers Orpheus. Durch den Vergleich zwischen der griechischen Sagenwelt und den Erzählungen des Alten Testaments wertet Karl Wolfskehl die Möglichkeiten des Dichters als wundersam auf, womit wohl auch eine selbstreferenzielle Aussage verbunden ist. Wie Orpheus wird der Sänger David zur Identifikationsfigur für Dichter.

1.2.3 Zwischenfazit: Vergleich der David-Darstellungen bei George und Wolfskehl Sowohl Wolfkehls Drama „Saul“ als auch Georges Gedicht „König und Harfner“ fokussieren das Verhältnis von David und Saul, wobei das Gedicht – der Gattung entsprechend – den im Prätext konturierten Konflikt noch stärker aus den Handlungssträngen herausschält, ihn somit auf das Wesentliche reduziert. Obwohl George auf die Nennung der Namen verzichtet und in abstrahierender Weise nur ihre sozialen Rollen nennt – Herrscher und Künstler –, ist doch der Bezug zum David-Stoff jederzeit erkennbar. Beide Werke bleiben zwar im Handlungsgerüst

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der Vorlage, entfernen sich jedoch völlig von den Wertungen, die die Samuelbücher implizieren. Anders als diese ergreifen Wolfskehl und George eher die Partei des „Untergehers“ Saul, von dem jeweils ein komplexes Charakterbild gezeichnet wird. Der in und an seiner Rolle scheiternde König ist nicht nur im Zwiespalt mit Gott, seinem Volk und seinem Waffenträger, Kriegshelden und Harfner David, sondern auch mit sich selbst. Seine Vereinsamung, das Gefühl, belauert bzw. gehetzt zu werden, kontrastiert im größtmöglichen Maß mit der Beliebtheit, der Jugend und dem ungebrochenen Erfolg Davids. Angesichts von Sauls zerklüfteter Seelenlandschaft wirkt David stets eher unbedarft und unfähig, die Dimensionen von Sauls Krise auch nur annähernd zu begreifen. Obwohl die Figurenkonstellation in den beiden Texten eine ganz ähnliche ist, wird die Beziehung der beiden Männer anders akzentuiert. Wolfskehl interessiert nicht der aufsteigende „goldn[e] stern“ David (S. 41), sondern die innere Wüste, in die Saul verstoßen wurde.86 Zudem löst er den Antagonismus David – Saul auf: Der neue Gesalbte behauptet seine Loyalität gegenüber dem alten König und betrachtet sich als Teil Sauls. Nach der Überwindung seiner existenziellen Krise ist dieser sogar bereit, seinen Nachfolger zu adoptieren. Bei George dagegen ist der König durch eine fanatische Hassliebe an den Harfner gefesselt: Der die Tat verkörpernde Herrscher und der die Kunst repräsentierende Harfner erscheinen geradezu als komplementäre Figuren. Während im Drama David und Saul einander zuletzt als Sohn und Vater gegenüberstehen, wird bei George die Fixierung Sauls auf David auch durch erotisches Begehren und Eifersucht grundiert. Dem finalen Einklang bei Wolfskehl steht eine unaufgelöste Dissonanz bei George entgegen – und diese betrifft nicht allein den Legitimationskonflikt. Vielmehr behandeln beide Texte auch Fragen der Kunst, führen sie doch David vor allem in seiner Rolle als Künstler und Musiktherapeut vor. Bei Wolfskehl ist Saul geradezu abhängig von Davids Dichterwort. Den „segner / Mit dem lied“, der es versteht, „die lust ins herz“ (S. 23 f.) zu singen, stellt er sogar über Orpheus. Nachdem er von David zuerst eine Mehrung des königlichen Ruhmes durch des 

86 Bezeichnenderweise hat die Gestalt Sauls Wolfskehl nie mehr losgelassen, wurde zu einer Identifikationsfigur für ihn, da er sie als „Symbol der Fremdheit und Einsamkeit, des unverstandenen und deshalb isolierten Menschen“ (Daniel Hoffmann: „Wie kommt Saul unter die Juden?“, S. 22) betrachtete. In der Isolation des Königs erkannte der Dichter die jüdische Existenz in der Diaspora wieder (vgl. ebd., S. 32). An seiner eigenen jüdischen Identität hat sich Wolfskehl zeit seines Lebens abgearbeitet und verwehrte sich dagegen, seine Person auf seine Herkunft reduziert zu sehen (vgl. Frederick P. Bargebuhr: Karl Wolfskehl. Deutscher Dichter und Jude, S. 37). Obwohl er mit seinen Dichtungen und Übersetzungen einen Beitrag zur deutschsprachigen Kultur leisten wollte, fühlte er sich doch als Fremder unter den Deutschen. Seine 1939 aufgeworfene Frage „Wie kommt Saul unter die Juden?“ (Daniel Hoffmann: „Wie kommt Saul unter die Juden?“, S. 22) spiegelt damit seine eigene geistige Exilsituation in Deutschland wider.

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sen literarisch-poetisches Genie erwartet87, benötigt Saul dann Davids Spiel zur Linderung seiner psychischen Qual und schließlich trägt er ihm vor seinem Tod auf dem Schlachtfeld auf, eine Elegie auf ihn zu singen, also sein Andenken durch Dichtung zu verklären. In allen Fällen erteilt Saul seinem „knecht“, dessen Worte für ihn „[w]ie ein abendbeten von den bergen“ (S. 39) sind, den Auftrag zu singen. Bei George weitet sich dagegen die Situation zum Diskurs über richtiges, d. h. wahrhaftiges künstlerisches Schaffen. Die Vorwürfe des Königs attackieren dort eine falsche Kunst, die Heldentaten missbraucht und herabwürdigt zu banalen, rein oberflächlich glänzenden Werken. Davids Spiel entfaltet so nicht den heilenden Effekt, den ihr die Bibel zuschreibt, sondern erreicht das Gegenteil: Sie vernichtet den Kranken. Das traditionelle Bild vom schuldlosen David, dem auch Wolfkehls Drama verpflichtet ist, wird im Gedicht auf den Kopf gestellt. Das letzte Wort behält hier der gequälte Saul. Insofern ist Georges Adaption des Stoffs kompromiss- und heillos.  

1.2.4 Rainer Maria Rilke: David singt vor Saul (1905/06) Bibel und bildende Kunst. Einflüsse auf Rilke Dieselbe Zeit, dasselbe Thema, derselbe Impuls. Aber ein anderer Zugriff, eine andere Perspektive und eine andere Aussage. In den Jahren 1905/06 schrieb Rainer Maria Rilke, damaliger Privatsekretär von Auguste Rodin, das Gedicht „David singt vor Saul“, das er in die „Neuen Gedichte“ aufnahm. Dieser Gedichtband vereint lyrische Texte, die ein neues, intensives Sehen in Sprache fassen: Rilke „nahm wahr, in welchem Maße visuelle Gestaltung auch das Unsichtbare vergegenwärtigen konnte, ja vielmehr noch, er wurde sich darüber klar, daß Inneres oder Leben als inneres Ereignis erst dann zur faßlichen Wirklichkeit wurde, wenn der Künstler es ins Bild umzusetzen vermochte.“88 Diese neuartige Lyrik war wesentlich von Werken der bildenden, visuellen Kunst beeinflusst.89 Nach Person und Schaffen Rodins wurde die Malerei Paul Cézannes zu Rilkes Bezugspunkt – die Anregung zum David-Gedicht fand er

87 [Saul zu David:] „Drum rief ich dich / Als der andre [geschlagene König] zitternd meine knie griff / Dass du sähst und verkündest ..“ (S. 7). 88 Brigitte L. Bradley: R. M. Rilkes Neue Gedichte, S. 6. 89 Vgl. Wolfgang G. Müller: Neue Gedichte/ Der Neuen Gedichte anderer Teil, S. 297. Ulrich Fülleborn weist darauf hin, dass gerade die biblische Motivik, die die „Neuen Gedichte“ prägt, über die bildende Kunst vermittelt wurde (vgl. Ulrich Fülleborn: Rilkes Gebrauch der Bibel, S. 24).

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jedoch woanders: Wie Stefan George wurde er von dem Rembrandt-Gemälde in Den Haag inspiriert.90 Rilkes „Neue Gedichte“ bilden einen Höhepunkt in seiner produktiven Beschäftigung mit der Bibel, die für ihn zu den wichtigsten Büchern überhaupt zählte91 und ihm als „gewaltiges Stoffreservoire“92 diente. Während er dem Neuen Testament und v. a. der Figur Jesu Christi kritisch gegenüberstand, faszinierte ihn das Alte Testament aufgrund der Schilderungen von einer direkten Interaktion zwischen Gott und den Juden. Darin fand er den Stoff für 22 seiner „Neuen Gedichte“ bzw. „Der Neuen Gedichte anderer Teil“.93 In sechs dieser Texte spielen Saul und / oder David eine Rolle94, was zeigt, wie intensiv sich Rilke mit den Büchern Samuel und dem ersten Buch Könige auseinandergesetzt hat. David als Künstler gewinnt naturgemäß in dem Gedicht „David singt vor Saul“ Kontur.  

90 Clara Rilke hat explizit das Gemälde aus Den Haag als Vorlage für den Text genannt (vgl. Marianne Sievers: Die biblischen Motive in der Dichtung Rainer Maria Rilkes, S. 61). Hans Berendt will dagegen in dem früheren Rembrandt-Gemälde aus dem Frankfurter Städel-Museum das Vorbild für das Gedicht erkennen und begründet dies – wenig überzeugend – damit, dass hier „David noch viel eindrucksvoller als der kleine Knabe [auf dem Haager Bild] ganz ins Dunkle und fast schon über den Rand des Bildes geschoben“ sei (Hans Berendt: Rainer Maria Rilkes „Neue Gedichte“, S. 83 f.). Es bleibt offen, warum diese Randposition Davids zu einem Gedicht passen soll, das von dem Sprecher David dominiert wird. 91 Vgl. Katja Bunkhorst: Bibel, S. 37 f. („Ohne die starken Bilder, die poetische Sprachkraft und die vielen bewegenden Themen der Bibel wäre ein Großteil seiner Dichtung sicher nie entstanden.“, ebd., S. 38) Marianne Sievers hat in ihrer Studie Rilkes Beziehung zur Bibel beleuchtet und dabei auch die von ihm verwendete Textausgabe aufgespürt (vgl. Marianne Sievers: Die biblischen Motive in der Dichtung Rainer Maria Rilkes, S. 8–12). Zwar gilt ihre Arbeit mittlerweile als veraltet, wurde aber bislang durch keine systematische Untersuchung von Rilkes spezifischer Bibelrezeption ersetzt. Diese bleibt laut Georg Langenhorst „eine[s] der wichtigsten Forschungsdesiderate im Feld von ‚Bibel und Literatur‘“ (Georg Langenhorst: Theologie & Literatur, S. 116). 92 Ulrich Fülleborn: Rilkes Gebrauch der Bibel, S. 24; vgl. auch Christoph Gellner: „… beinah rabiate Antichristlichkeit“, S. 78. 93 Zoltán Szendi weist sehr überzeugend nach, dass die durch das Alte Testament inspirierten Gedichte einer zyklischen Ordnung innerhalb der Gedichtsammlung gehorchen. Zur Ironie wird es dann, wenn auf „Abisag“, das erste Gedicht dieser Reihe, eben „David singt vor Saul“ folgt. Denn während der erste Text das körperliche Erlöschen des greisen David und seine Impotenz thematisiert, zeigt der zweite – ganz entgegen der Chronologie des Stoffs – die sexuelle und politische Ermächtigung des Knaben David (vgl. Zoltán Szendi: Perspektivierung und Daseinsdeutung in der Lyrik der mittleren Periode Rainer Maria Rilkes, S. 92–96). 94 Es handelt sich neben „David singt vor Saul“ um „Saul unter den Propheten“, „Klage um Jonathan“, „Samuels Erscheinung vor Saul“, „Absaloms Abfall“ sowie „Abisag“.  



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Die Selbstermächtigung eines Sängers. Inhalt und Deutung David singt vor Saul95 I König, hörst du, wie mein Saitenspiel Fernen wirft, durch die wir uns bewegen: Sterne treiben uns verwirrt entgegen, und wir fallen endlich wie ein Regen, und es blüht, wo dieser Regen fiel. Mädchen blühen, die du noch erkannt, die jetzt Frauen sind und mich verführen; den Geruch der Jungfraun kannst du spüren, und die Knaben stehen, angespannt schlank und atmend, an verschwiegnen Türen. Daß mein Klang dir alles wiederbrächte. Aber trunken taumelt mein Getön: Deine Nächte, König, deine Nächte –, und wie waren, die dein Schaffen schwächte, o wie waren alle Leiber schön. Dein Erinnern glaub ich zu begleiten, weil ich ahne. Doch auf welchen Saiten greif ich dir ihr dunkles Lustgestöhn? – II König, der du alles dieses hattest und der du mit lauter Leben mich überwältigest und überschattest: komm aus deinem Throne und zerbrich meine Harfe, die du so ermattest. Sie ist wie ein abgenommner Baum: durch die Zweige, die dir Frucht getragen, schaut jetzt eine Tiefe wie von Tagen welche kommen –, und ich kenn sie kaum. Laß mich nicht mehr bei der Harfe schlafen; sieh dir diese Knabenhand da an: glaubst du, König, daß sie die Oktaven eines Leibes noch nicht greifen kann?

95 Rainer Maria Rilke: Werke, Bd. 1, S. 455 f.  

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III König, birgst du dich in Finsternissen, und ich hab dich doch in der Gewalt. Sieh, mein festes Lied ist nicht gerissen, und der Raum wird um uns beide kalt. Mein verwaistes Herz und dein verworrnes hängen in den Wolken deines Zornes, wütend ineinander eingebissen und zu einem einzigen verkrallt. Fühlst du jetzt, wie wir uns umgestalten? König, König, das Gewicht wird Geist. Wenn wir uns nur aneinander halten, du am Jungen, König, ich am Alten, sind wir fast wie ein Gestirn das kreist.

Wie bei Georges „König und Harfner“ handelt es sich bei Rilkes Text um ein Rollengedicht, hier bleiben allerdings die Sprechsituation monologisch und der Adressat stumm.96 Rilke identifiziert durch den Titel eindeutig die beiden Dialogpartner, verzichtet aber in den Versen darauf, die Eigennamen nochmals zu nennen. Doch während Georges Version unterschwellig auch die Aggressivität der Speerwurf-Episode anklingen lässt, gestaltet Rilke nur die Begebenheit aus 1. Samuel 16,14–23 aus: Der musisch begabte Hirte David soll durch seinen Gesang die Schwermut des depressiven Königs Saul lindern. Die drei unregelmäßig angelegten Teile, die Rilkes Gedicht umfasst, setzen jeweils mit der Anrede „König“ ein und wenden sich direkt an den Adressaten. David nimmt den Kranken mit auf eine virtuelle Reise: König, hörst du, wie mein Saitenspiel Fernen wirft, durch die wir uns bewegen: Sterne treiben uns verwirrt entgegen, und wir fallen endlich wie ein Regen, und es blüht, wo dieser Regen fiel.

Beschwörend ist der Ton des Liedes, die Du-Anrede wandelt sich zu einem „Wir“, die anaphorische Wiederholung der Konjunktion „und“ erzeugt eine große Sug-

96 Wenn man aufgrund der steten Anrede eines Du dem Text einen dialogischen Charakter zuspricht, wenn man zudem den anfangs flehentlichen Ton sowie die Figurenkonstellation (Sohn-Figur bittet Vater-Figur) berücksichtigt, könnte man Rilkes Gedicht auch als profanierte Variation psalmischen Sprechens deuten (zur Definition von Psalmendichtung vgl. Inka Bach/ Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, S. 19, 43 sowie Kapitel 3.1.2 dieser Arbeit).

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gestionskraft, die den Zuhörer bannen soll. Mit seinem Spiel auf der Harfe zaubert David eindrückliche Bilder herbei und beschreibt, wie er und sein Zuhörer einen kosmischen Flug erleben und sich dann in einen fruchtbaren Regen verwandeln. Bilder der Fertilität schlagen die Brücke zu Sauls erotischen Erinnerungen, denn es blühen nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Mädchen. Jedoch lässt das Lied keinen Zweifel daran aufkommen, dass die beschworenen Liebesabenteuer vergangen sind. Es führt Saul schmerzhaft vor Augen, dass in sexueller Hinsicht eine Wachablösung bevorsteht. Denn die Mädchen, die einst der König „noch erkannt“, sind zu Frauen herangereift und verführen nun ihrerseits den jungen David. Indirekt behauptet der Sänger so seinen Anspruch, den Herrscher abzulösen, lehnt sich die junge aufstrebende gegen die alternde Generation auf.97 Sexuelle Potenz und politische Macht scheinen eng miteinander verbunden zu sein. Nachdem das lyrische Ich frühere sexuelle Lüste heraufbeschworen hat, indem es das Du an den „Geruch der Jungfraun“ erinnert hat, schlägt der Ton um: „Daß mein Klang dir alles wiederbrächte. / Aber trunken taumelt mein Getön“. David beklagt das Unvermögen seiner Kunst, das Vergangene wieder lebendig werden zu lassen, was sich auch auf sprachlicher Ebene spiegelt: Der Sprecher stockt, wiederholt, vollendet einen Satz nicht („Deine Nächte, König, deine Nächte –“). Die Personifizierungen der künstlerischen Produkte („mein Klang“, „Getön“) erfassen dabei die Macht seiner Kunst, doch scheint sie nicht auszureichen: Dein Erinnern glaub ich zu begleiten, weil ich ahne. Doch auf welchen Saiten greif ich ihr dunkles Lustgestöhn? –

Der Künstler versucht ein retrospektives Ahnen. Davids Kunst entrückt den Zuhörer und eröffnet Gedankenräume – das Saitenspiel wirft „Fernen“ –, sie gestaltet Erinnerungen aus und vergegenwärtigt die Vergangenheit.98 Einerseits

97 Der sexuelle Verkehr mit Frauen des Königs kam einem usurpatorischen Griff nach der Königsmacht gleich (vgl. Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 246). Möglicherweise spielt Rilke auf diese zweimal im David-Stoff thematisierte Möglichkeit an, Herrschaftsansprüche zu erheben. So schläft der rebellische Prinz Absalom mit den von David in Jerusalem zurückgelassenen Nebenfrauen, um dem Volk zu beweisen, dass er seinem Vater sowohl als Anführer sowie auch als Mann überlegen ist (vgl. 2. Samuel 16,21–23). Und als später Prinz Adonija Anstalten macht, Abischag, die letzte Bettgefährtin seines verstorbenen Vaters, zu heiraten, weiß König Salomo, dass er diesen Thronprätendenten beseitigen muss (vgl. 1. Könige 2,13–25). 98 Das räumliche Konzept von Erinnerung sowie die Verbindung von Gedächtnis und Raum, die sich in entsprechenden Metaphern niederschlägt, hat Aleida Assmann in ihrer Studie mit dem bezeichnenden Titel „Erinnerungsräume“ nachgezeichnet (vgl. u. a. Aleida Assmann: Erinnerungsräume, S. 158–162).  

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will David voller Empathie Saul auf der Reise in sein Gedächtnis begleiten, andererseits bedrängt er ihn mit seiner Kunst geradezu, indem er Saul mit seinem körperlichen Niedergang konfrontiert. Aufdringlich und indiskret wirkt der Musikant, als er das „dunkl[e] Lustgestöhn“ künstlerisch ausmalen will. Der letzte Vers springt aus dem bis dahin durchgehaltenen Trochäus, das Lied gerät aus dem Takt. Der sexuell noch unerfahrene David vermag es nicht, Sauls sinnliche Erlebnisse zu imaginieren. So muss seine Frage unbeantwortet bleiben. Bereits der erste Teil zeichnet ein ambivalentes Bild des Sängers „zwischen Huldigung und Usurpation“99. Er ist zum einen derjenige, der Saul neue Kraft schenken soll durch die Beschwörung seiner früheren Potenz, doch deutet er zum anderen an, dass nun er an der Reihe ist, Saul in Bezug auf Lust und Leben zu beerben. Noch ist er der Verführte, noch gehört er zu den Knaben, die „angespannt / schlank und atmend, an verschwiegnen Türen“ lauschen, noch vermag er mangels eigener Erfahrung nicht Sauls Lüste adäquat musikalisch einzufangen. Der zweite Teil des Gedichts führt die Zweifel des Künstlers an seiner Eignung weiter aus: König, der du alles dieses hattest und der du mit lauter Leben mich überwältigest und überschattest: komm aus deinem Throne und zerbrich meine Harfe, die du so ermattest.

Die übermächtige Königsgestalt lähmt den Künstler; eine zweifache Alliteration („lauter Leben“; „überwältigest und überschattest“) spiegelt auf sprachlicher Ebene die frühere Energie Sauls.100 David arbeitet sich mit seinem Gesang an Saul ab, wird sich aber bewusst, dass sein Vortrag der Realität nicht gerecht werden kann. Er fordert den König auf, sein Instrument zu zerstören, dessen Personifikation („ermattet“) die künstlerische Überforderung betont. Die Harfe vergleicht David dann mit einem „abgenommne[n] Baum“, um Saul zu verdeutlichen, dass seine Zeit zu Ende geht. Hierbei überlagern sich zwei Bildbereiche, die beide mit der Baummetaphorik arbeiten: Die aus Holz gefertigte Harfe taugt nicht mehr, um eine positive Perspektive zu besingen. Zudem spricht das lyrische Ich davon, dass „durch die Zweige, die dir Frucht getragen, / […] jetzt eine Tiefe von Tagen / welche kommen“, schaut.101 Die Fruchtbarkeit der Zweige schlägt eine Verbindung

99 Roman Luckscheiter: David singt vor Saul, S. 68. 100 Brigitte L. Bradley beschreibt Saul sogar als Inbegriff der „Schöpfungskraft, die sich ohne Verminderung erhält“ (R.M. Rilkes Neue Gedichte. Ihr zyklisches Gefüge, S. 39). 101 Brigitte L. Bradley deutet die Harfe als Metapher für Davids Person: „Der im Rhythmus gestörte Lebensbaum Davids ist vorzeitig herbstlich, und seine Frucht erwirkt die Bereicherung

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zum Regen, der die Vegetation grünen lässt, und zu den blühenden Mädchen. All diese Zeichen von Vitalität gehören für Saul der Vergangenheit an; stattdessen steht ihm eine ungewisse, bedrohliche Zukunft bevor. Wie im ersten Teil räumt David ein, dass er für deren Tiefe noch zu unreif ist, er sie also nicht besingen kann. Der zweite Teil mündet dann auch in Davids Flehen, nicht mehr bei der Harfe schlafen zu müssen.102 Der Künstler will sein Instrument gegen einen menschlichen Körper eintauschen, will „die Oktaven / eines Leibes“ greifen, ihn drängt es, zum vollwertigen Mann zu werden.103 In der abschließenden Frage liegt erneut die verborgene Drohung, dass David sich anschickt, den König abzulösen. Doch wird die anmaßende Haltung des ersten Teils zurückgenommen, so als fühlte sich der Sprecher selbst überrollt von den Entwicklungen und dem Kommenden gleichsam ausgeliefert. War die Harfe zunächst das Medium der Erinnerung und Vergangenheitsbeschwörung, wird sie nun – da es um die Zukunft geht – zur Bedrohung. Angesichts der unheilvollen Visionen, die sie entwirft, will David seine Kunst aufgeben und die körperliche Liebe genießen – als könnte er so die Voraussagen an ihrem Eintreffen hindern. Was das Gedicht nicht ausspricht, lässt sich mithilfe des Prätextes konkretisieren: Würde David von der Zukunft singen, müsste er Sauls Tod und seine eigene Thronfolge schildern. Doch kann der Knabe nicht seinem Schicksal entgehen. Selbst wenn er der Kunst abschwört und sein Instrument gegen Frauen eintauscht, wenn er also zum Mann heranreift und seine Potenz beweist, tut er einen Schritt in Richtung Thron und trägt zum Untergang Sauls bei.

Sauls, jedoch nicht die eigene Vollendung.“ (R.M. Rilkes Neue Gedichte. Ihr zyklisches Gefüge, S. 40) Dieser Deutung schließe ich mich nicht an, würde sie doch auch besagen, dass David (die Harfe) wünscht, von Saul getötet zu werden. Ich verstehe die Harfe eher als prophetisches Medium, durch Kunst vergangene blühende Zeiten zu erinnern, aber auch die dunkle Zukunft vorauszuahnen, wovor David zurückschreckt. 102 Die Dissertation von Antonia Egel, die Rilkes musikalische Poetik aus dem Werk des Dichters herausfiltert, unterscheidet zwischen dem Instrument und der Musik: „Die Musik, das ist wichtig, wird nicht aufgegeben, bei diesem erotischen Sehnsuchtslied, sie wird nur verlegt – vom Instrument in den Leib, der wie ein Instrument erscheint und zum Klingen gebracht werden kann.“ (Antonia Egel: „Musik ist Schöpfung“, S. 331) Dadurch, dass sich die Untersuchung ganz auf den Aspekt der Musik fokussiert, bleiben zentrale interpretatorische Dimensionen des Textes – der Generationenkonflikt, Sexualität, die Macht der Kunst – unberücksichtigt. 103 Im Widerspruch zu der Gesamtaussage des Gedichts steht Peter Pors Deutung, dass David sich mit einem „(homo-) erotischen Unterton“ wünscht, „den genießenden und leidenden Leib [des Königs] als ein Saiteninstrument [zu] begreifen“ (Peter Por: Die orphische Figur, S. 93, vgl. auch S. 116). Wenn David Sauls sexuelle Erlebnisse besingt, wird deutlich, dass auch er sich reif fühlt für ähnliche Liebesabenteuer, dass er also ein potenter Mann ist – und nicht, dass er Saul sexuell begehrt.

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Der dritte Teil beginnt dann mit einer selbstbewussten Betonung der eigenen Macht über das Du. Auch wenn Saul sich in seine Depression zurückgezogen hat, befindet er sich nun in Davids Macht: „König, birgst du dich in Finsternissen, / und ich hab dich doch in der Gewalt.“ Der Künstler hat sein Sujet gemeistert: „Sieh, mein festes Lied ist nicht gerissen“. Entgegen der vorausgegangenen Ängste, beim Vortrag zu versagen oder von dem zu Singenden überwältigt zu werden, hat David sich behauptet.104 Die Metapher vom nicht reißenden Lied spielt auf die den Schicksalsfaden spinnenden Nornen (nordische Mythologie) bzw. Parzen (römische Mythologie) an. Davids Lied erweist sich als „fest“, das Folgende damit als unausweichlich. Singend hat er sich – auch gegen den eigenen Willen (2. Teil) – seinem Ziel, der Herrschaft, angenähert. Seine Kunst leitet ihn zu seiner Bestimmung. Dass „der Raum […] um […] beide kalt“ wird, lässt an die nahende Nacht, aber auch an Tod und Gefahr denken. Das Musikspiel bekommt endgültig existenzielle Züge. Die Kräfteverhältnisse haben sich umgedreht: Nun wird nicht mehr David von der Präsenz des Königs und der Wucht seiner Lebens- und Liebeserfahrung überwältigt, nun dominiert er selbst das Gegenüber. Und doch sind beide aufeinander angewiesen, sind in einem Machtkampf der „verwaist[e]“ David und der „verworrn[e]“ Saul, beide durch die Synekdoche „Herz“ auf das zentrale Organ reduziert, wie kämpfende Tiere „wütend ineinander eingebissen / und zu einem einzigen verkrallt“. Der König ist geistig zerrüttet, David fühlt sich vaterlos – offensichtlich hat er in Saul keinen Vaterersatz gefunden. An der äußeren Situation, dem Musizieren Davids, hat sich nichts geändert, doch findet auf emotionalgeistiger Ebene, „in den Wolken [des] Zornes“ Sauls, ein Kampf statt. Auch diese Metapher wirkt wie eine mythologische Reminiszenz, lässt sie doch an den Blitze schleudernden griechischen Göttervater Zeus denken, der wie Saul viele Frauen „erkannt“ hat. Zugleich deuten die Wolken auf Sauls Gemütsverfinsterung hin. Er hat keine gottgleiche Souveränität mehr, er verliert Macht und Klarheit. Das Patt zwischen geschwächtem König und erstarkendem David, zwischen Alter und Jugend stellt Rilke in der letzten Strophe als Art Epiphanie, als eine „Verklärung des Daseins, eine Überhöhung des Realen“105, dar: Fühlst du jetzt, wie wir uns umgestalten? König, König, das Gewicht wird Geist. Wenn wir uns nur aneinander halten,

104 Antonia Egel erkennt in Davids Aussage die „Anstrengung, die es bedeutet, das Element, aus der [!] die Kunst lebt, in der Gewalt zu haben“ (Antonia Egel: „Musik ist Schöpfung“, S. 331). 105 Wolfgang G. Müller: Neue Gedichte/ Der Neuen Gedichte anderer Teil, S. 304. Müller resümiert hier, wie Rilke zahlreiche Gedichte in Epiphanien gipfeln und enden lässt.

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du am Jungen, König, ich am Alten, sind wir fast wie ein Gestirn das kreist.

Das „Gewicht“ wird entmaterialisiert zu „Geist“, die königliche Übermacht Sauls also in Kunst überführt. Sänger und Herrscher scheinen sich vom Irdischen zu lösen. Damit wird der Rahmen zur ersten Strophe geschlossen, das Gedicht gewinnt eine mythisch-kosmische Dimension: „Mit diesem Schluß […] erreicht der Sänger die endgültige Stilisierung seiner Koexistenz mit Saul zur symbolischen ‚Konstellation‘, im wörtlichen, astronomischen, wie im übertragenen, mythischen Sinn.“106 Das fragile Gleichgewicht wird dank der Kunst eingefroren. Jedoch ist nicht gesichert, dass der Ausgleich von Dauer ist, steht der Wunsch doch in einem Konditionalsatz und wird seine Realisierbarkeit durch den Vergleich „fast wie“ eingeschränkt. Auch hier gilt, was Wolfgang Müller für die Epiphanie feststellt, die als Moment der Verwandlung Flucht- und Endpunkt zahlreicher Gedichte von Rilke ist: „Das paradoxe Wesen der Epiphanie zeigt sich darin, daß das Ereignis flüchtig ist und zugleich von ewiger Dauer“.107 Das seine Bahnen ziehende Gestirn, das David im Schlussvers imaginiert, scheint ewig, doch kann das Kräftegleichgewicht zwischen König und Thronprätendenten nicht halten. Im Unterschied zu den treibenden, „verwirrt[en]“ Sternen, die David in der ersten Strophe evoziert, formieren der Sänger und der Herrscher zuletzt einen Himmelskörper, der sich geordnet fortbewegt und beinahe eine stellare Choreografie vollführt. Vielleicht versteckt sich hinter diesem Kreisen auch eine Anspielung auf den Tänzer David.108 Roman Luckscheiter erkennt im Schlussbild eine Versöhnung zwischen dem Leben, für das Saul steht, und dem durch David repräsentierten Geist. Der Künstler emanzipiert sich gegenüber der Erdenschwere des Lebens, weshalb das Gedicht auch ein „Plädoyer für das klassische Muster der unabhängigen und wegweisenden Kunst, für die Autonomieästhetik“109 sei. Der Kunst gelingt die Auf-

106 Roman Luckscheiter: David singt vor Saul, S. 70. 107 Vgl. Wolfgang G. Müller: Neue Gedichte / Der Neuen Gedichte anderer Teil, S. 305. Nach Peter Por stellt die Überführung der Beziehung Saul-David in eine Sternenkonstellation „eine privilegierte Verwirklichung der orphischen Figur“ dar, die für alle „Neuen Gedichte“ typisch ist. Die sich im Gedicht vollziehende Verwandlung ist demzufolge „eine systematisch vollbrachte Schöpfung einer Welt des eigenen Seienden, was ebenso viel heißt wie: einer Welt der eigenen RaumGestalt“ (Peter Por: Die orphische Figur, S. 84, 94). 108 Vgl. das Kapitel 2 „David als Tänzer“ dieser Untersuchung. 109 Roman Luckscheiter: David singt vor Saul, S. 70; auch Zoltán Szendi erkennt in dem Wunsch, das Gewicht zu entmaterialisieren und in Geist zu überführen, eine Überhöhung des dichterischen Worts (vgl. Zoltán Szendi: Perspektivierung und Daseinsdeutung in der Lyrik der mittleren Periode Rainer Maria Rilkes, S. 98).

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lösung der Gegensätze. Das Gedicht erzählt damit auch von einer Dichterwerdung: Zuletzt ist David fähig, „Sauls Vergangenheit, nämlich das Urschöpferische des Lebens […] zu vergegenwärtigen“.110 Der Kunst werden schier unbegrenzte Möglichkeiten zugesprochen, sie kann die Vergangenheit zurückholen und prophetische Ausblicke in die Zukunft wagen und dabei Grenzen überschreiten: Trotz seiner Bedenken und trotz seines Mangels an subjektiver Erfahrung nähert sich der singende David den Themen Sexualität, Machtkampf und Tod an. Doch zuletzt vollbringt er das Kunststück, die Gegensätze und Hassgefühle zu transformieren in ein geistiges Bild. Die künstlerische Omnipotenz entfaltet sich erst allmählich, gleichsam während des Gesangs und scheint den Sänger selbst zu überraschen. Allerdings ist David zugleich ein Medium seiner Kunst und Konfliktpartei. Alt vs. jung, Rilke vs. Rodin. Weitere Lesarten Denn neben dem programmatischen Subtext ist der Text auch Dokument eines Generationenkonflikts, wie ihn die alttestamentliche Vorlage präfiguriert. Der Knabe David ruft mit seinem Gesang die einstige Potenz und Jugend des leidenden Saul herauf und wird sich dabei des eigenen sexuellen Begehrens bewusst. Ihm gehört die Zukunft, der Machtkampf droht, bricht aber noch nicht aus. Das Gedicht bietet damit eine Momentaufnahme von Davids Stimmung. Saul erhält keine eigene Stimme, seine Haltung zu seinem Harfenspieler bleibt offen. Zu Recht stellt Marianne Sievers fest, dass das Gedicht „nur den äußeren Rahmen“ des biblischen Berichts aufgreift und den dort geschilderten Konflikt um eine erotische Dimension erweitert.111 Dass Saul ein großer Verführer war, wird im Alten Testament nicht gesagt; ebenso wenig überliefert ist die erotische Konkurrenz zwischen David und Saul. Tatsächlich passt das im ersten Teil angedeutete Begehren von schönen Leibern eher zu David selbst, der, als er bereits die Königsherrschaft innehat, durch seine Liebe zu Bathseba Unglück über deren Mann und Gottes Zorn auf sein eigenes Haus heraufbeschwor.112 Erneut erweist sich das Lied als prophetisch – wenn auch nur unterschwellig. Rilke nutzt den Prätext, um einen Machtkampf zweier Generationen sowie zugleich Fragen der Kunst durchzuspielen.113 Darüber hinaus schlägt Roman

110 Brigitte L. Bradley: R. M. Rilkes Neue Gedichte, S. 40. 111 Vgl. Marianne Sievers: Die biblischen Motive in der Dichtung Rainer Maria Rilkes, S. 61. 112 Vgl. Zoltán Szendi: Perspektivierung und Daseinsdeutung in der Lyrik der mittleren Periode Rainer Maria Rilkes, S. 97 f. 113 Manfred Windfuhr will auch einen spirituellen Subtext des Gedichts erkennen, wenn er den Schluss als „Symbol für das Aufeinander-Angewiesensein von Gott und Mensch“ (Martin Windfuhr: „Religiöse Produktivität“ – die biblisch-jüdischen Motive in Rilkes „Neuen Gedichten“,  

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Luckscheiter eine ergänzende biografische Lesart vor, die sehr plausibel klingt: Zu dem Zeitpunkt, als Rilke das Gedicht schrieb, wurde er zutiefst dadurch verletzt, dass Rodin ihn als Sekretär entließ. Luckscheiter zufolge hat Rilke die Konfrontation von Saul und David als Folie genutzt, um den Generationenkonflikt zwischen sich, dem Dichter, und dem um 35 Jahre älteren, launisch gewordenen Bildhauer zu spiegeln. Rodin war der „Repräsentant des Lebens“114, der als bildender Künstler die „Oktaven / eines Leibes“ griff, so wie es David Saul zuschreibt. Wenn sich daher der Sänger in dem Gedicht von der Übermacht des Königs emanzipiert und sich singend und dichtend behauptet und sogar eine Form des Ausgleichs findet, löst sich auch Rilke von seinem Mentor. Im Medium des Textes begegnen sich „zwei königliche Vertreter unterschiedlicher Künste, die beide beanspruchen, gottbegnadete Statthalter des Göttlichen auf Erden zu sein“115.

1.2.5 Robert Walser: Saul und David (II) (1919) Gefangen in sich selbst. Der Patient Saul Bieten die Gedichte von Stefan George und Rainer Maria Rilke jeweils eine lyrische Momentaufnahme der Konfrontation von David und Saul, so arbeitet Robert Walser den Konflikt in seiner Prosaminiatur „Saul und David (II)“ aus.116 Dabei

S. 149) deutet. Er bezieht sich mit dieser Gleichsetzung auf Rilkes Verständnis der jüdischen Religiosität. Rilke gefiel es, dass die Juden die Beziehung zwischen Gott und Mensch als „wechselseitige Abhängigkeit“ auffassten. Für Windfuhr bedeutet das ineinander verkrallte Verhältnis von David und Saul somit eine Spiegelung der Beziehung Gott-Mensch. Diese Lesart erscheint mir wenig schlüssig, da sie all die sexuellen Implikationen des Gedichts sowie die kämpferisch-verbissene Konstellation der beiden Kontrahenten ignoriert. Aus den nämlichen Gründen überzeugt auch die Interpretation von Hans Berendt nicht, der hinter dem lyrischen Ich den Dichter Rilke und hinter dem Adressaten Saul Gott sieht. Aus dem Gedicht wird in dieser Deutung das Dokument einer persönlichen Suche Rilkes nach Gott: „Erschütternder hatte keines der bisherigen Gedichte dies Ringen um die Zuneigung des Gottes und das Kämpfen des Dichters um ihn ausgesprochen.“ (Hans Berendt: Rainer Maria Rilkes Neue Gedichte. Versuch einer Deutung, S. 85) Die Gleichsetzung von Saul und Gott wirkt schief und nicht zu Ende gedacht, denn der von Gott verworfene, geistig „verworrn[e]“ König Saul eignet sich nicht als Chiffre für Gott. 114 Roman Luckscheiter: David singt vor Saul, S. 72. 115 Roman Luckscheiter: David singt vor Saul, S. 73. 116 Der Text wird im Folgenden zitiert nach Robert Walser: Sämtliche Werke in Einzelausgaben, Bd. 16, S. 224–228. Das früher, um 1913 entstandene, nicht veröffentlichte Dramolett „Saul und David (I)“ (ebd., S. 223–224) soll nicht Gegenstand der Betrachtung sein, da es keine Ansatzpunkte für eine poetologische Lesart bietet. Obwohl es offensichtlich die Vorlage für die Erzählversion bildete, ist die Stoßrichtung eine andere. In erster Linie übt das Kurzdrama Kritik an den

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zerfällt der Text in zwei Teile: ein Psychogramm des gemütskranken Königs und die Beschreibung der (scheiternden) Musiktherapie Davids. Der Einstieg „Zimmer im Palast von Judäa.“ (S. 224) ähnelt stark einer Bildbeschreibung bzw. der Skizzierung eines Bühnenbilds.117 Sehr präsent ist in dem ersten Teil ein Ich-Erzähler, der als Außenstehender und Betrachter schildert, kommentiert und seine eigenen Aussagen reflektiert bzw. gleich wieder hinterfragt, so als suche er die richtigen, treffenden Worte für die Charakterisierung Sauls: Mürrisch sitzt Saul auf dem Thron. Wenn ich „mürrisch“ sage, so klingt das, als wenn ich zu kleinlich von dem Manne redete. Ein Fürst und mürrisch? Es ist unangenehm für Könige, ärgerlich und grämlich sein zu müssen. (S. 224)

Die Beschreibung, die immer wieder in philosophierende Überlegungen mündet, ist geprägt von Ellipsen, Fragen und kurzen Hauptsätzen. Am Beispiel Sauls entwickelt sich so eine Reflexion über Herrscher, die sich trotz ihrer Allmacht nicht der Schwermut erwehren können. Die in scheinbar naivem, kindlichem Duktus vorgebrachten Fragen nach den Ursachen von Sauls Kummer erzeugen eine unterschwellig komische Wirkung, entlarven sie doch, dass die Stellung als Fürst alles andere als eine Gewähr für innere Zufriedenheit und Glück ist. Düster schaut er aus, als sei er schwermütig. Das ist schlimm. Was quält ihn? Was ist es, das ihn so finster blicken macht? Warum trauert er? Will ihm das Leben nicht mehr schmecken? Steht er sich selbst vielleicht im Weg? Leidet er unter dem Machtgefühl? Er befiehlt nach Belieben, und alles gehorcht ihm. Man sollte meinen, daß er zufrieden sein könnte. (S. 225)

Der Erzähler bleibt bei seiner Außensicht und nähert sich fragend den Gründen für die Depression des Herrschers an: Mutmaßungen über Saul. Die Überlegungen, ob Saul „des Thrones überdrüssig“ (S. 225) und lebensmüde sei, erscheinen ihm selbst als „wunderliche Fragen“ (S. 225). Als gesichertes Faktum formuliert er apodiktisch: „Krank ist er.“ (S. 225), wobei die Diagnose durch die Inversion des Adjektivs zusätzlich betont wird. Ein kurzer antithetischer Satz reduziert die

Herrschenden und entfaltet in Dialogform den Generationenkonflikt, wobei David und Saul – entgegen der Vorlage – in ein Vater-Sohn-Verhältnis gesetzt werden. Kirsten Scheffler nimmt das Dramolett unter dem Aspekt der Schriftzeichen unter die Lupe, greift aber zu weit hergeholten Argumenten, wenn sie sich auf Details der biblischen Vorgeschichte bezieht, die in Walsers Text keine Rolle spielen. Zudem zitiert sie wenig trennscharf auch die zweite Textfassung (vgl. Kirsten Scheffler: Mikropoetik, S. 325–329). Zur Editionsgeschichte des Dramoletts vgl. Robert Walser: Sämtliche Werke in Einzelausgaben, Bd. 16, S. 429. 117 Shinja Park geht davon aus, dass der Erzähler hier schon das Rembrandt-Gemälde beschreibt. Dass David im Prosatext nicht von Anfang an zugegen ist, sondern erst gerufen werden muss, wäre demzufolge Ausdruck der künstlerischen Freiheit Walsers (vgl. Shinja Park: Robert Walsers Prosa und die bildende Kunst der Jahrhundertwende, S. 77).

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Depression auf den Kern: „Er mag nicht leben und doch auch nicht sterben.“ (S. 225) Das Alter scheint dem Erzähler kurzzeitig als mögliche Erklärung zu taugen, doch verwirft er auch diese rasch wieder: „Hm! Wird doch wohl nicht etwa so sein.“ (S. 225) Die stockende, nachforschende Sprache, die hier nah am mündlichen Sprachgebrauch ist, weist die Gedanken als vorläufig und spekulativ aus, und zoomt den Gegenstand der Betrachtung langsam heran, bis dann plötzlich ein Blick ins krause Innenleben des Kranken fällt.118 Niemand tut ihm etwas zu leid, und dennoch beleidigen ihn alle. Furchtsam schauen sie ihn an, als erwarteten sie etwas Ungeheueres von seiner Seite. Zerreißen möchte er sie, weil er weiß, daß sie sich vor ihm fürchten. (S. 225)

Erst diese Innensicht legt die Verletztheit und Verletzlichkeit des Königs offen, der in einer Art Teufelskreis über die Furcht seiner Untertanen rast und ihnen damit nur neuen Grund zur Furcht gibt. Zwar will Saul geliebt werden „wie ein Vater von seinen Kindern“ (S. 225), doch erzeugt er mit seinen finstren Blicken und seiner gramverzerrten Miene nur Ablehnung, wenn nicht sogar Hass. Er scheint gefangen in sich und entfremdet sich immer weiter von seinem Volk. Obwohl er die Kluft zwischen sich und den anderen wahrnimmt, ist er offenbar nicht in der Lage gegenzusteuern. Die Herkunft seines Leidens wird nicht ergründet; stattdessen liefert der Text eine eindrückliche Beschreibung von Sauls psychischem Gefängnis. Wenn die Musik spricht. Der Therapeut David Linderung soll nun David bringen: „Wenn David käme, so würde er sich womöglich besser fühlen.“ (S. 225) Mit dem Auftritt des Harfenspielers beginnt der zweite Teil des Prosatextes: Saul erhält einen Gegenpart, der tatsächlich in allen Details als Gegenteil des kranken Königs charakterisiert wird. Während Sauls Alter als mögliche Ursache seiner Depression erörtert wird, ist David „jugendschö[n]“ (S. 225). Ist Saul schwach, verbissen, krank, unbeherrscht, auf sich fixiert, so verkörpert David dagegen Tapferkeit, Stärke, Besonnenheit und die Zuwendung zu anderen Menschen (vgl. S. 226).119 Zwar deutet der Erzähler „[s]chwierige Verhältnisse“ (S. 226) an, die David zum Mann hätten heranreifen lassen, doch werden

118 In dieser sukzessiven sprachlichen Annäherung an den Gegenstand manifestiert sich das für Walsers Prosa charakteristische Verfahren des Aufschiebens: „Wenn nämlich die Digression anzeigt und performativ zur Darstellung bringt, dass in der der Verschiebungsstruktur unterstellten Aussage immer etwas verfehlt ist, so ist es genau dieses Verfehlen, welches die Vorstellung von etwas Köstlichem und Erwünschtem erzeugt.“ (Marianne Schuller: Poetik, S. 239) 119 Spannungserzeugende Kontrastbeziehungen begegnen in vielen Texten Walsers (vgl. Christoph Siegrist: Vom Glück des Unglücks: Robert Walsers Bieler und Berner Zeit, S. 66).

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diese nicht näher erläutert. Die biblische Erzählung nennt außer dem Kampf gegen Goliath keine Auseinandersetzungen oder Konflikte, die Davids Jugend geprägt hätten. Der zum Idealbild stilisierte David wird zwar als „tapfer“ und „unerschrocken“ (S. 226) beschrieben, aber nicht als Kriegsheld vorgestellt, der er ja im Buch Samuel auch ist, sondern als Künstler, „der sich im Spiel völlig vergißt“ (S. 226). Ungeachtet der Hingabe an seine Kunst bleibt er aber instinktiv wachsam, da er die in der Luft liegende Gefahr wittert. Ohne weitere Aufforderung beginnt er zu musizieren, singt dabei aber nicht. Stattdessen ist es das Harfenspiel selbst, das personifiziert wird und zu sprechen „scheint“ (S. 226). Bei dem folgenden, in direkter Rede wiedergegebenen Text handelt es sich somit auch nicht um ein Lied in gebundener Sprache – vielmehr erhält die Musik eine eigene Stimme. Auf diese Weise kann die Erzählung Methode und Wirken der Musiktherapie verbalisieren, ohne zu theoretischen Erläuterungen Zuflucht nehmen zu müssen. In vielen kurzen Imperativen beruhigt die Musik gleichsam das aufgebrachte Gemüt Sauls, indem sie Trost spendet: „Sei nicht traurig. Quäle Dich nicht nutzlos. […] Blicke nicht so wild, denn es steht kein Feind vor Dir. Die Welt ist gut. Irgendeinen Kummer haben wir alle.“ (S. 226) Wie einem verängstigten Kind will Davids Spiel Saul Mut zusprechen und ihm vor Augen führen, dass er nicht allein ist, sondern alle Menschen von einem seelischen Leid geplagt werden. Statt seinen Groll zu nähren, solle Saul den Tränen freien Lauf lassen, da diese ihn einerseits befreien würden und andererseits nahbarer erscheinen ließen. An den Trost schließt sich allerdings unmittelbar eine Ermahnung an, die in Suggestivfragen verpackt ist und den König an seine Vorbildfunktion erinnert: „Sollte nicht der Herrscher mit dem schönsten Beispiel vorangehen und der sanfteste, duldsamste Mensch im Volke sein?“ (S. 226) Durch seinen Gram mache sich Saul selbst klein („Zorn ist zu wenig groß“, S. 227), wohingegen nur die „zum unersteiglichen Block“ (S. 227) aufgetürmten Sorgen in den Himmel wüchsen. Die Metapher vom „Turm“ (S. 227) lässt den Mythos vom Turmbau zu Babel anklingen, der als Sinnbild für menschliche Hybris gilt – Sauls selbstquälerische Fixierung auf sein Leid, die weder Maß noch Ziel kennt, wird so in die Nähe von Sünde gerückt. Während Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung ihren Kummer überspielten, „sink[t]“ Saul – so wirft ihm die Musik vor – „völlig in eine einzige unerträgliche Empfindung“ (S. 227). Er müsse der paradoxen Erkenntnis ins Auge sehen, dass auch die Mächtigen machtlos seien, sich in die menschliche Begrenztheit fügen und seine Einstellung überdenken: „Tausendmal schöner als leben ist: für andere leben, oder sehen, wie andere leben.“ (S. 227) Der Rat lautet folglich, die Selbstbezogenheit zu überwinden und sich altruistisch für andere zu öffnen. Dass wahre Gefahr nicht von außen, sondern aus dem Inneren kommt, beobachtet David auch bei sich selbst. In einem kurzen Abschnitt reflektiert das

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Spiel bzw. David über die Beziehung zu Saul. Er fürchte Saul nicht: „Ich fürchte mich vor nichts als vor dem Unheil, das in mir selbst ist.“ (S. 227) Der Künstler ist nicht bereit, dem Mächtigen nach dem Mund zu reden, die „Kunst ist gut“ und verkünde die „Wahrheit“ (S. 227), die man annehmen müsse. Auch wenn David in unpersönlichen Formulierungen („man“) spricht und so die Botschaft ins Allgemeine wendet, ist sein eigentlicher Adressat der König. Indem Saul dem Hass die Herrschaft über sein Leben eingeräumt hätte, zerstöre er sich selbst. Das Plädoyer, Frieden mit sich selbst zu machen, weitet sich zu einer allgemeinen Moral: „Wenn alle sich mit sich selbst verständigt haben, so hat niemand mehr einen Gegner.“ (S. 227) Da somit alle Zwistigkeiten und Konflikte aus individuellen, seelischen Zerrissenheiten herrühren, müsse jeder bei sich selbst ansetzen und den „einzigen Feind“ (S. 227), die eigenen psychischen Anfechtungen, bekämpfen. Die Feststellung, dass die „Natur“ – und nicht etwa Gott – uns „Grenzen gezogen“ (S. 227) habe, profaniert und psychologisiert den Stoff. Tatsächlich wird Gott kein einziges Mal erwähnt, sodass Saul nicht wie in der Vorlage von einem bösen Geist besessen ist, den es auszutreiben gilt. Vielmehr erscheint seine Depression als pathologische Manifestation einer allgemein menschlichen psychischen Zerrissenheit. Aus dieser Einsicht resultiert Davids Rat, sich von der Ich-Zentrierung zu lösen und das Leben zu bejahen. Seine Reaktion auf Sauls Gemütskrankheit ist von großer Sensibilität geprägt, gibt dem Patienten aber nicht recht. Zwar nimmt er dessen psychische Probleme ernst, aber er ordnet sie auch als gewöhnliches Phänomen ein und relativiert sie so. Mit der Ermahnung, sich den negativen Gefühlen nicht hinzugeben, sondern ihnen etwas Positives entgegenzusetzen, nimmt er den Kranken selbst in die Pflicht. Ein von Verständnis grundierter Appell umzudenken und zu handeln erscheint als sinnvoller therapeutischer Ansatz, doch ist er im Falle Sauls nicht erfolgreich. Abrupt bricht Davids Spiel ab, da der König seinen Speer nach ihm geschleudert hat. Es ist unklar, ob es sich bei der Folgerung „Der König ist wahnsinnig.“ (S. 228) um einen Gedanken Davids oder einen Kommentar des Erzählers handelt. Unklar bleibt auch, warum sich Saul zu dem Anschlag hinreißen lässt. Erträgt er nicht die Erkenntnis, dass er selbst sein größter Feind ist? Empfindet er Davids implizite Herrscherkritik als anmaßend? Kann er es nicht hinnehmen, dass seine Schwermut relativiert und so verkleinert wird? Dem wahnsinnigen, da irrationalen Handeln Sauls begegnet David lachend und souverän. Voller Ironie dankt er „für die gute Absicht“ (S. 228) und bekennt sich nun umso mehr zum Leben und zu seiner Tatkraft: „Kopf und Herz und der unverstümmelte Körper. Damit will ich es wagen, und kein schwächliches Gefühl soll mich je im Leben hemmen.“ (S. 228) Die Tatsache, dass er den Angriff unbeschadet überstanden hat, ist für ihn der Anlass, noch furchtloser zu leben, was

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der bibelkundige Leser auch als versteckte Kampfansage werten kann: Saul wird seinen Nachfolger nicht mehr bremsen können. Fast wie bei Rembrandt. Bezüge zum Gemälde Das Alte Testament ist zwar der offensichtliche und primäre Prätext dieses Prosastücks, doch nicht der einzige: Bei der idealtypischen Gegenüberstellung von Krankem und Gesundem beruft sich der Erzähler explizit auch auf die bildkünstlerische Darstellung Rembrandts, doch wirft diese Referenz mehr Fragen auf, als sie beantwortet: „Die unheimliche Art, wie beide Männer einander entgegengestellt sind und sich mit den Augen durchbohren, ist von Rembrandt herrlich dargestellt worden.“ (S. 226) Diese Beschreibung trifft auf keines der beiden Rembrandt-Gemälde zu, zeigt doch weder das Bild im Mauritshuis noch das im Städelschen Institut einen direkten Blickkontakt zwischen Saul und David. Auch ist David jeweils als zarter Knabe porträtiert, wohingegen der Erzähler eigens betont, dass er „kein Kind mehr“ (S. 226) sei. Der von Saul „mit krampfhafter Hand umkrallt[e] Speer“ (S. 226) passt besser zu der früheren, in Frankfurt hängenden Version; auf dem Haager Gemälde ist Saul das Insignium seiner Macht entglitten. Davids selbstvergessenes Spiel findet sich in beiden Versionen. Ganz offenbar will der Erzähler keine exakte Bildbeschreibung liefern, ihm geht es eher um einen Autoritätsverweis, der seine ins Extreme gesteigerte, auf Schlagwörter reduzierte Schwarzweiß-Kontrastierung beglaubigen soll: „Auf der einen Seite ist ein böser, auf der andern ein annehmbarer Zustand. Dort Aufruhr; hier Besonnenheit. Jenes gewaltsam, dieses friedfertig und sanftmütig.“ (S. 226) Während die bildkünstlerische Umsetzung die Außensicht präsentiert, liefert der Erzähler dazu eine Innensicht der Personen, v. a. einen Einblick in Sauls Gedankenwelt.120 Selektivität und künstlerische Freiheit sind Merkmale aller Bildbeschreibungen Robert Walsers, der jeweils „über die einfache Dingbeschreibung hinaus[geht] und […] sie aus seiner eigenen Betrachtung und Phantasie heraus [ergänzt]“121. Demzufolge liefert das bildende Kunstwerk den Anstoß für eine erzählerische Adaption, doch entfaltet der entstehende Text dann eine Eigendynamik und emanzipiert sich von dem konkreten Gemälde Rembrandts, bietet also eine eigenständige Bearbeitung des Stoffs.122 Ulf Bleckmann hat die Arten der intermedialen Rezeption von Malerei in Walsers Werk klassifiziert und unterscheidet zwischen Texten, die sich a) auf Bildzyklen oder b) auf einzelne Bilder beziehen oder c) das „semiotische System  

120 Vgl. Dominik Müller: Text und Bild, S. 286. 121 Shinja Park: Robert Walsers Prosa und die bildende Kunst der Jahrhundertwende, S. 74; vgl. auch Dominik Müller: Text und Bild, S. 285. 122 Vgl. Shinja Park: Robert Walsers Prosa und die bildende Kunst der Jahrhundertwende, S. 77.

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der Malerei“ den literarischen Darstellungsmöglichkeiten gegenüberstellen.123 Die Adaption der biblischen Szene ließe sich in die zweite Kategorie einordnen, da sie einzelne Aspekte eines bestimmten Bildes in einer Erzählung aufgreift, wobei das erzählerische Verfahren vor dem beschreibenden den Vorrang hat.124 So liegt es zwar nahe, dass das Rembrandt-Gemälde den Anstoß für die Erzählung gab, doch wird sein Inhalt nicht wiedergegeben, sondern nur an einer Stelle als Referenz zitiert. Heilung und Humanität. Was kann Kunst? Es ist davon auszugehen, dass Walser aufgrund seiner frühen Begeisterung für den Religionsunterricht bestens mit den Geschichten der Bibel vertraut war.125 Als Schriftsteller nutzt er ihre Erzählungen so wie auch Märchen, Trivialliteratur und die Werke anderer Dichter als Stoffreservoir, wobei er die jeweiligen Texte entsprechend seiner Bedürfnisse und Intentionen modifiziert. „Erzählt er Bibeltexte nach, so interessieren ihn weder die poetischen Eigenheiten des Textes noch sein Offenbarungscharakter.“126 Die Urszene „David spielt vor Saul“ unterzieht Walser einer Transmotivation127, indem er Sauls psychische Zerrüttung nicht mit dessen Verwerfung durch Gott in Verbindung bringt, sondern das Pathologische von Sauls Zustand offenlegt. Wie oben ausgeführt bedingt diese Psychologisierung des Stoffs auch eine Säkularisierung. Gott selbst ist kein aktiver Mitspieler und wird nicht einmal erwähnt; der Konflikt spielt sich vielmehr einmal auf seelischer und dann auf zwischenmenschlicher Ebene ab. Und so wird auch die Kernaussage der alttestamentlichen Erzählung – Gott steht seinem loyalen Gesalbten bei und errettet ihn aus jeder Gefahr – ersetzt. Hass ist eines Herrschers nicht würdig. Glück erlangt nur, wer sich für andere öffnet. Diese zentralen Botschaften des Textes entfalten sich unausgesprochen im Verlauf von Davids Spiel. Die Kunst vermag es, die „süß“ (S. 227) tönende Wahrheit besser zu transportieren, als es Worte könnten. Sie kann trösten, sie kann dazu appellieren, allen destruktiven Gefühlen abzuschwören und sich dem Leben sowie anderen Menschen zuzuwenden. „Davids Moral der inneren Gesundung, des Ausgleichs und der Lösung […] findet ihren Ausdruck im anmutigen Spiel der

123 Vgl. Ulf Bleckmann: Thematisierung und Realisierung der bildenden Kunst im Werk Robert Walsers, S. 48. 124 Vgl. Ulf Bleckmann: Thematisierung und Realisierung der bildenden Kunst im Werk Robert Walsers, S. 35. 125 Vgl. Robert Mächler: Robert Walser und das Christentum, S. 89. 126 Monika Lemmel: Robert Walsers Poetik der Intertextualität, S. 83. 127 Dieser auf Genette zurückgehende Terminus bezeichnet einen intertextuellen Vorgang, bei dem „eine Motivation durch eine andere ersetzt wird“ (Gérard Genette: Palimpseste, S. 373).

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Harfe.“128 Doch als Therapie funktioniert die Kunst nur, wenn der Patient die Bereitschaft zeigt, mitzuwirken und Rat anzunehmen. Deutlich wird auch, dass die Kunst alles wagen darf. David glorifiziert nicht Sauls Königtum, er preist nicht frühere Heldentaten, ganz im Gegenteil: Er thematisiert die Fehlbarkeit und Machtlosigkeit des Herrschers, der eben auch nur ein Mensch ist. Was Davids sprechendes Harfenspiel leistet, tut auch Robert Walsers Erzählung: Indem sie nicht allein von Saul spricht, sondern alle Herrscher in den Blick nimmt, übt sie Kritik an Regenten, die nicht Herr ihrer eigenen psychischen Befindlichkeit sind, die „die weichen Stimmen töten wollen und den Haß leben lassen“ (S. 227). Unmittelbar klingt hier in dem 1919 in den „Weissen Blättern“ veröffentlichten Text die Verstörung über den Ersten Weltkrieg nach, der auch aus unkontrolliertem Hass, übersteigertem Nationalismus und Machtegoismen resultierte.129 Die Herrscher ließen die eingeforderte „Geduld“ (S. 227) vermissen und ignorierten, dass sie, um den Frieden zu sichern, „sich mit sich selbst aussöhn[en]“ (S. 227) hätten müssen. Die „weich[e] Stimm[e]“, den Künstler, dessen Werke diese Wahrheit offen aussprechen, will der König zum Schweigen bringen. So lässt sich Walsers Text auch als Bekenntnis zu künstlerischer Wahrhaftigkeit lesen, die sich nicht den Mund verbieten lässt, die es „wagen“ und sich von „kein[em] schwächliche[n] Gefühl“ (S. 228) hemmen lassen wird. Die Kunst hat demzufolge nicht nur eine tröstende, therapeutische Funktion, sie propagiert nicht nur Leben und Menschlichkeit, sie weist darüber hinaus im Sinne eines gesellschaftlichen Engagements unerschrocken auf politische Missstände hin.130 Das bedeutet allerdings auch, dass der Künstler einen harten Kampf für seine

128 Felix Karl Strebel: Das Ironische in Robert Walsers Prosa, S. 75. 129 Vgl. Kirsten Scheffler: Mikropoetik, S. 325, 329; zum Einfluss des Ersten Weltkriegs auf Walsers Bieler Prosa vgl. auch Marion Gees: Prosa der Bieler Zeit, S. 170. 130 Das Gegenüber von Saul und David als Frontstellung von Mächtigem und Künstler greift Walser später noch einmal in einem anderen Text, seiner 1928 erschienenen kurzen Erzählung „Der verlorene Sohn“ auf (Robert Walser: Sämtliche Werke in Einzelausgaben, Bd. 19, S. 105– 108). Hier ist allerdings der Künstler wesentlich ambivalenter charakterisiert: Ohne nähere Begründung wird David als „einwandfreier Schurke“ vorgestellt, dem es aber „nicht an Schönheit und Schmiegsamkeit fehlte“. Obwohl Saul die Musik „als gesundheitswidrig“ fürchtet, ist er auf sie angewiesen und lässt David für sich spielen und singen, der dies dann „wunderbar, geradezu schurkischschön“ tut. „Saul, nicht faul, sondern gewerbig, angriffig, warf seinen Speer gegen den Seelenwecker und -necker.“ Auch hier wird der ganze biblische Kontext außen vor gelassen. Der König attackiert David nicht etwa aus Neid und Eifersucht, sondern weil er es nicht erträgt, dass Gesang und Spiel in ihm „Erstarrtheiten“ wecken, ihn rühren und so seine weiche, emotionale Seite offenbaren. Erneut wird der „künstlerischen Kultur“ die Macht zugesprochen, die Psyche zu beeinflussen (alle Zitate ebd., S. 107). Karl Joachim Wilhelm Greven sieht in Saul das Leben und in David die Kunst verkörpert. Der Konflikt spielt sich ab „zwischen dem handelnden und auf ‚Haltung‘, also Endlichkeit, Begrenzung bedachten König und dem das Gebundene lösenden Künst-

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Unabhängigkeit führen muss, „denn obgleich er mehr im ‚Geist‘ lebt, lebt er auch in der ‚Welt‘, er lebt ein anstrengendes ‚doppeltes Leben‘“131. Künstlertum und Depression. Biografische Spuren Liest man die Bestimmung der Aufgabe des Künstlers als poetologische Selbstaussage, erscheint David als Maske Walsers.132 Doch bildet nicht nur die Figur des Harfenspielers eine Projektionsfläche für autobiografische Themen, auch die Darstellung Sauls zeigt Parallelen zu Walsers eigener Gemütslage. Die große Sensibilität, die er bei der Schilderung von Sauls depressiver Verstimmung an den Tag legt, könnte autobiografisch motiviert sein. Ein Jahr vor Veröffentlichung des Textes, 1918, berichtet er in einem Brief von ersten Anzeichen einer eigenen psychischen Krise, spricht von einer Wechselwirkung zwischen der Kriegssituation, Zweifeln an seiner Laufbahn als Schriftsteller sowie seiner Angespanntheit: Im Allgemeinen war ich aus mir selbst heraus gereizt, und zwar hauptsächlich berufs wegen, der mir oft zu stocken und starren scheint, wenn ich mich nicht jede Minute schaffend am Schreibtisch sitzen sehe. Die Lage, die der lange Krieg schafft, ist für Künstler und Schriftsteller höchst ernsthaft und kann wohl vorübergehend etwas wütend machen. Auf der einen Seite Lebensschwierigkeit, Verteuerung u.s.w., auf der andern eine anschwellende Uninteressiertheit, die ihren Grund in der Lockerung der sozialen Ruhe hat.133

In den folgenden Jahren sollten sich diese psychischen Probleme verschärfen: Walser litt unter Angststörungen, Stimmenhören und Alpträumen.134 Auch die Beobachtung, dass Walsers „inhaltliches Repertoire stets schmal bleibt – es besteht im wesentlichen aus seinen täglichen Erfahrungen, aus Traum- und Lektürereminiszenzen“135–, spricht dafür, dass er bei der Konfrontation von David

ler, freilich aber auch schon in Saul selbst, in der Zwiespältigkeit der Existenz“ (Karl Joachim Wilhelm Greven: Existenz, Welt und reines Sein im Werk Robert Walsers, S. 144). 131 Felix Karl Strebel: Das Ironische in Robert Walsers Prosa, S. 75. 132 Walter Keutel untersucht in seiner Dissertation die Verwobenheit von Werk und Leben Walsers und gelangt zu dem Schluss, dass sich der Schriftsteller gerade in seinen Dichter-Porträts immer auch selbst spiegelt: „In Walsers Fall, wo Dichtung und Leben ineinander übergehen, steht auf beiden Seiten der Kamera jedoch dieselbe Person. Der Porträtist und der Porträtierte sind identisch.“ (Walter Keutel: Der Autor als Fiktion: produktive literarische Rezeption am Beispiel Robert Walsers, S. 63) Elemente dieses Verfahrens, im Fremden Eigenes zu verkleiden, lassen sich auch im Psychogramm Sauls finden. 133 Zitiert nach Christoph Siegrist: Vom Glück des Unglücks. Robert Walsers Bieler und Berner Zeit, S. 58. 134 Vgl. Christoph Siegrist: Vom Glück des Unglücks. Robert Walsers Bieler und Berner Zeit, S. 59. 135 Christoph Siegrist: Vom Glück des Unglücks. Robert Walsers Bieler und Berner Zeit, S. 65.

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und Saul Phänomene verarbeitet, die ihn selbst betreffen: Symptome einer Gemütskrankheit einerseits, die gefährdete Stellung des Künstlers andererseits.

1.2.6 Vergleichende Zusammenschau: Intertextuelle Strategien Vier Texte, vier unterschiedliche Umdichtungen der Urszene „David spielt vor Saul“, die doch die Art des Umgangs mit dem Prätext verbindet.136 In allen vier Fällen sind die von Manfred Pfister definierten Intertextualitätskriterien der Referentialität und Kommunikativität stark ausgeprägt, ist doch die biblische Vorlage jeweils deutlich präsent und ist davon auszugehen, dass nicht nur der Autor die Bezüge intentional in seinen Text eingewoben hat, sondern auch der Rezipient den Ursprungstext identifizieren kann.137 Im Folgenden sollen diese Techniken der intertextuellen Anverwandlung systematisiert werden. Intermedialität: Rezeption bildender Kunst Bemerkenswert ist die Strahlkraft, die Rembrandts Gemälde aus Den Haag auf Dichter ausübte. Diese Visualisierung bedeutet zugleich eine Konkretisierung, Verlebendigung und Interpretation der biblischen Episode, die den Betrachter einerseits auf das Leid des gemütskranken Königs, andererseits auf die Macht der Musik, d. h. der Kunst, aufmerksam macht. Möglicherweise hat das Bild die unterschiedlichen Dichter auch erst an die Szene erinnert und ihnen deren dramaturgisches Potenzial bewusst gemacht. Dabei ist der Künstler bei Rembrandt kein strahlender Held, sondern ein introvertierter, ganz seinem Spiel hingegebener Knabe. Und doch stellt er die größtmögliche Gefahr dar für den mächtig im Bildzentrum thronenden Saul, dessen Antlitz die Spuren von tiefer seelischer Qual trägt. Abhängig von der jeweils fokussierten Konfliktpartei setzen die dichteri 

136 Einen Vorläufer zu diesen literarischen Adaptionen des Prätextes bildet August von Platens 1813 entstandenes sechsstrophiges Gedicht „Saul und David“. Der Text wurde nicht in die Untersuchung einbezogen, da er – anders als die behandelten Werke – darauf verzichtet, die beiden Kontrahenten näher zu charakterisieren und Davids Gesang, der die Schöpfung preist, eine poetologische Dimension zu unterlegen. Sein Lied, das die Hinwendung zu Gott predigt, wird von Saul abrupt mit einer Geste der Gewalt beendet: „,So laß dein Herz an Gott, so laß dein Ohr / An meiner Töne Harmonie sich laben!‘ / Allein der König springt in Wut empor / Und wirft den Spieß nach dem erschrock’nen Knaben.“ (August Graf von Platen: Sämtliche Werke in zwölf Bänden, Bd. 6, S. 92 f.) 137 Vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 26 f. Ulrich Broich zufolge ist der Bekanntheitsgrad der Bibel so hoch, dass der Autor auf eine explizite Markierung der Intertextualität verzichten kann. Die Identifikation des Prätextes durch die Leserschaft könne in diesem Fall erwartet werden (vgl. Ulrich Broich: Formen der Markierung von Intertextualität, S. 32).  



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schen Adaptionen andere Schwerpunkte. George und Wolfskehl präsentieren Perspektive und Sorgen Sauls, wohingegen Rilke die Entwicklung Davids zum Mann, Thronfolger und Künstler zeigt. Keiner der drei bietet eine Bildbeschreibung. Robert Walser schließlich macht aus der Episode ein Lehrstück über die Gefahr, die von hasserfüllten Regenten für Künstler ausgeht; der für die Handlung anachronistische Verweis auf Rembrandts Darstellung der Gegner Saul und David zieht in die Handlung eine Metaebene ein und belegt den dominanten Erzähler. Doch wie gezeigt, lässt sich keines von Rembrandts Bildern mit der Schilderung von Walsers Erzählung zur Deckung bringen. So wird der alte Meister vor allem aufgerufen als eine weitere „weiche Stimme“, die mit ihrer schonungslos ehrlichen Kunst den Mächtigen Paroli bietet. Walsers explizite Thematisierung des Artefakts macht diesen intermedialen Bezug zur Performanz, wohingegen die Texte von George, Wolfskehl und Rilke das Gemälde Rembrandts zitieren, d. h. eine Referenzbeziehung unterhalten.138 Unabhängig davon, wie intensiv die vier Dichter das Kunstwerk rezipieren und es in ihrem Text anverwandeln, lässt sich für alle bilanzieren: Das Gemälde Rembrandts lenkt als eine Art Brille die Wahrnehmung sowie die weitere Rezeption des Stoffs und wird damit neben dem Buch Samuel zum zweiten Prätext. Die zum Bild geronnene Urszene setzt nun selbst literarische Produktivität frei und verwandelt sich zurück in einen Text – und dies auf ganz unterschiedliche Weise, in unterschiedlichen Gattungen, mit unterschiedlichen Aussagen und Gewichtungen.  

Reduktion und Amplifikation139 Der eigentliche Stoff, die alttestamentliche Geschichte vom Aufstieg Davids zum König, wird in allen Texten durch die Namen der Figuren und die bekannte Konstellation aufgerufen, aber nicht ausgebreitet. Noch einen Schritt weiter geht Stefan George, der ganz auf die Nennung der Namen verzichtet und allein über die Berufsbezeichnung der beiden Sprecher den Bezug zur biblischen Vorlage erzeugt. Der Rezipient wird jeweils vor die Herausforderung gestellt, selbst die Episoden zu kontextualisieren. Sauls Verwerfung, Davids Salbung, die Kriege, der Sieg über Goliath, die Liebe zu Prinzessin Michal, die Freundschaft zum eigentlichen Thronfolger Jonathan – all das wird in keiner der literarischen Adaptionen erzählt, kann aber vom Rezipienten aufgrund der Vorlage, die zum Kulturwissen zählt, gedanklich ergänzt werden. Käte Hamburgers Urteil über die erzählenden Gedichte Rilkes lässt sich auf alle hier behandelten Werke ausweiten: Ihr dichterischer Reiz beruht „gerade auf dem Fehlen der genauen Zusammenhänge

138 Vgl. Frauke Berndt, Lily Tonger-Erk: Intertextualität, S. 169, 172. 139 Vgl. Gérard Genette: Palimpseste, S. 314, 363.

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und Fakten des jeweiligen Geschehens, auf der Verkürzung, Konzentrierung und der eigentümlichen Diskrepanz, die zwischen dem der Historie, dem Mythos oder der Legende angehörigen Stoff und der modernen Diktion […] besteht“140. Naturgemäß verlangen die kurzen Gattungen Lyrik und Erzählung eine besondere Beschränkung und Selektion des Stoffs, wohingegen Wolfskehls Drama auch Raum für die Darstellung der Ursache-Folge-Beziehungen lässt. In dem Maße, in dem all die Hintergründe, Zusammenhänge und Kausalitäten der David-Saul-Geschichte gleichsam abgeschnitten werden, erfolgt eine Ausweitung und Vertiefung der einen Szene, die in der Bibel in nur wenigen Sätzen abgehandelt wird. Während in der Vorlage Art und Wesen von Davids musiktherapeutischer Kunst nicht genauer bestimmt und nicht erwähnt wird, ob er neben dem Harfenspiel auch sang, geben ihm die Gedichte eine Stimme.141 Die literarischen Texte liefern einen Einblick in Davids Empfinden und seine Wahrnehmung der Situation, was die Bibel schuldig bleibt. Rilkes Gedicht stellt nichts anderes dar als den Text des fiktiven Lieds, das Sauls bösen Geist bannen soll. Wie unter einem Brennglas wird der Konflikt Saul gegen David fokussiert und die Rolle der Kunst – weniger der Musik als der gesungenen Dichtung – definiert. Robert Walser geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er nicht David einen Liedtext in den Mund legt, sondern vielmehr das Musikspiel selbst mit dem Kranken auf einer emotional-affektiven Ebene kommunizieren lässt. Tendenz zur Dramatisierung Auf den ersten Blick decken die untersuchten literarischen Rezeptionen der Urszene – zwei Gedichte, ein Drama, eine Prosaerzählung – alle drei großen Gattungen ab, scheint die Literarisierung von „David spielt vor Saul“ keine spezifische Textsorte nahezulegen. Eine genauere Betrachtung enthüllt allerdings einige gattungstypische Gemeinsamkeiten. Die Konstellation der Episode, die sowohl Altes Testament als auch Rembrandt-Gemälde nahelegen – der Antagonismus von David und Saul –, ist dialogisch angelegt, ließe somit eine dramatische Umsetzung erwarten. Demgegenüber scheint für Davids Lied (sofern man von einem singenden und nicht nur von einem Harfe spielenden David ausgeht) eine lyrische Realisierung angemessen. Tatsächlich bewegen sich die behandelten Werke, was die Gattung anbelangt, jeweils in einer Grauzone. Bezeichnenderweise kommen in Georges und Rilkes Rollengedichten die Figuren zu Wort, bei Ersterem in Rede und Gegenrede, bei Letzterem nur David in einem Monolog, 140 Käte Hamburger: Rilke. Eine Einführung, S. 42. 141 Da der Prätext keinen Gesangstext Davids überliefert, kann man alle vier Adaptionen von Urszene 1 als „Nachdichtungen von lediglich erahnten Dichtungen“ bzw. als „[f]iktive Therapiegedichte Davids“ (Walter Dietrich: David und die Dichter, S. 178) auffassen.

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sodass – auch wenn keine szenische Aktion im eigentlichen Sinne beschrieben wird – die Gedichte eine dramatische Note erhalten. Wolfskehls Drama dagegen hat in seiner Statik und seiner metaphorisch verdichteten Sprache einen stark lyrischen Zug, ist weniger theatrale Handlung denn poetische Innenschau des Protagonisten. Und Robert Walsers Prosatext, dem immerhin ein Dramolett zu derselben Szene voranging, hat mit den einleitenden Regieanweisungen und der monologartigen Verbalisierung von Davids Musikspiel eine gewisse Nähe zum Drama.142 Alle Adaptionen weisen folglich Bezüge zur dramatischen Gattung auf, haben aber auch lyrische Elemente. Als gebundene Sprache ist Davids Gesang in den beiden Gedichten und dem Drama gestaltet, wo der Künstler David sein beruhigendes, mal humane Zuwendung ausdrückendes, mal kosmische Weiten eröffnendes Lied singt. Nur bei Walser spricht das Musikspiel in alltagsnaher, dem mündlichen Sprechen angenäherter Sprache direkt zu einem Adressaten und wird so selbst zu einer (allerdings immateriellen) Figur. Säkularisierung Während das Alte Testament am Beispiel Davids demonstriert, wie Gott eine schützende Hand über seinen Auserwählten hält und ihn allen Anfeindungen und Nachstellungen Sauls trotzen lässt, während also Gott als wesentlicher, wenn nicht als der wichtigste Mitspieler in der Geschichte von der Bestimmung des israelitischen Königs agiert, ist in den literarischen Verarbeitungen dieser transzendente Bezug minimiert und marginalisiert. Am ehesten bestimmt Gott noch in Wolfskehls Drama das Geschehen, wobei der Priester als seine prophetische Stimme fungiert. Doch auch hier gelingt es Saul und David, selbst eine Lösung ihres Konflikts zu finden und eine versöhnliche, harmonische Thronfolge festzulegen, womit sie eigentlich die von Gott verordnete Frontstellung unterwandern. Indem Rilke und George in ihren kürzeren Werken nur die Konfrontation von krankem König und musizierendem Diener behandeln, besteht keine Notwendigkeit, die Mechanismen von göttlicher Erwählung und Verwerfung der beiden Könige darzustellen. Zwar fragt Georges Harfner, ob Gott Saul um seine Siege beneide, was ein ausgesprochen negatives Bild der überirdischen Instanz evoziert, doch wird im Folgenden rasch deutlich, dass der König nicht unter Gott, sondern dem anmaßenden Knecht und dessen frevelhafter Kunst leidet. In Rilkes „David singt

142 Jochen Greven definiert das Prosastück, das typisch ist für Walsers Werk, „durch sein Kleinformat, durch die Abwesenheit von Gattungsnormen und die damit möglich werdende Vielförmigkeit“ (Jochen Greven: Die Geburt des Prosastücks aus dem Geist des Theaters, S. 22). Diese Offenheit bzw. Unbestimmheit erlaubt es dann auch, Elemente verschiedener Gattungen zu mischen oder den Text von einer Gattung in die andere kippen zu lassen (vgl. Kerstin Gräfin von Schwerin: Gattungen und Gattungspoetik, S. 251 f.).  

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vor Saul“ wird Gott nicht einmal mehr erwähnt. Die Pole Liebe, Macht und Kunst, um die das Gedicht kreist, werden allein über das zwischenmenschliche Spannungsfeld David-Saul entfaltet. Zwar bringt die abschließende Epiphanie ein wundersames, metaphysisches Element in den Text, doch ist sie nicht auf göttliches Wirken zurückzuführen, sondern allein auf die Kunst, die somit die Stelle der Religion einnimmt.143 Auch bei Robert Walser spielen heilsgeschichtliche Bezüge, Sauls Verwerfung und Davids Salbung durch Gott keine Rolle mehr, sodass sich das Geschehen ganz auf die psychische Erkrankung sowie den richtigen Umgang mit ihr konzentriert. Weder die Krankheit noch die Heilung kommt von Gott: Sauls Feind lauert in seiner eigenen Seele und Linderung verspricht die Musik. Die dichterischen Ausgestaltungen der David-Saul-Szene fallen allesamt sehr diesseitig aus. Die wahre Macht geht in keinem Fall von einer überirdischen, allmächtigen Instanz aus, sondern von der Kunst. Die Bibel wird damit zum Stofflieferanten, sie stellt Geschichten bereit, die „entkernt“, aus ihrem eigentlichen religiösen Kontext herausgenommen und mit einem neuen Sinn aufgeladen werden können. Es ergibt sich eine spannungsvolle Reibung zwischen der überkommenen Vorlage und dem jeweiligen Akzent, den der einzelne Dichter setzt. Diese „semantische und ideologische Spannung“ zwischen ursprünglichem und neuem Text lässt beide in eine Art Dialog treten144, der dem Rezipienten die profane Umdeutung im literarischen Text umso bewusster macht. Poetologisierung Zwar ist der inhaltliche Schwerpunkt jeweils ein anderer – George exponiert den „Gegensatz von Wort und Tat, Träumen und Wirken“, bei Rilke stehen „Jugend und Alter, Sehnsucht und Erfahrung“145 einander gegenüber –, doch lässt sich aus den beiden Gedichten ein vergleichbarer struktureller Zugriff auf den Stoff ableiten. Sowohl George als auch Rilke benutzen den überkommenen biblischen Stoff, um programmatisch Stellung zu beziehen sowie zusätzlich eine autobiografische Situation zu spiegeln. Während jedoch George sich im Gestus des Meisters mit Saul zu identifizieren scheint, der gegen die oberflächliche Kunst des Harfners kämpft, schlüpft Rilke in die Rolle Davids, dem es schließlich gelingt, künstlerisch das Leben in Geist zu verwandeln. In beiden Fällen übt die Kunst Davids Gewalt aus: Bei George entwertet der Harfner Taten und Leid des Königs durch seinen nichtigen Gesang. Doch auch in Rilkes Text bedrängt David Saul, den er eigentlich trösten und heilen soll. Der König befindet sich jeweils in einer Abhän143 Vgl. Christoph Gellner: „… beinah rabiate Antichristlichkeit“, S. 78. 144 Dialogizität ist nach Manfred Pfister ebenfalls ein zentrales Kriterium für Intertextualität (vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 29). 145 Victor A. Schmitz: Das Ethos der Kunst bei George und Rilke, S. 113.

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gigkeit von seinem Hofmusikanten und spürt selbst (George) bzw. muss aufgrund von Davids Gesang einsehen (Rilke), dass er als Herrscher und Mensch seinem Ende entgegentreibt. Doch während der König dem Harfner unversöhnlich gegenübersteht (George), erreicht David zumindest kurzfristig eine Auflösung der Feindschaft, indem er das Reale entmaterialisiert (Rilke).146 Wolfskehls David wirkt mit seinem Gesang segensreich auf den Kranken ein und wird deshalb mit Orpheus verglichen, während Walser David zum Idealtyp des Künstlers stilisiert, der in seiner Liebe zum Leben und zu den Menschen dem hasserfüllten Herrscher als Widerpart entgegengesetzt ist. Die Frage, was aus der „weichen Stimme“ wird, wenn David selbst einmal den Thron bestiegen hat, ob sie sich von der Macht korrumpieren lassen und die eigenen Ideale verraten wird, blendet Walsers Erzählung aus. Während das Medium Künstler in den Hintergrund tritt, emanzipiert sich das Kunstwerk und spricht, durch eine Personifikation sprachlich umgesetzt, selbst. Die Ausschnitthaftigkeit der Saul-David-Konfrontation erlaubt es in allen Fällen, die Kunst in den Vordergrund zu rücken und die weiteren Implikationen des David-Stoffs zu ignorieren. Es handelt sich insofern um poetologische Texte, als sie die Möglichkeiten und die Macht von Dichtung / Musik / Kunst vorführen. Negativ gewendet, kann sie den Zuhörer quälen und ihn als Stofflieferanten missbrauchen – oder aber, positiv gesehen, heilen, Vergangenheit zurückholen und in die Zukunft schauen sowie das Dasein überhöhen. Und doch ist sie auch gefährdet, da sie durch ihre Botschaften Gewaltakte der Regierenden provoziert. Immer ist der mit der Harfe musizierende David Bezugsfigur und Projektionsfläche, um Fragen des künstlerischen Schaffens durchzuspielen. Elemente der Sprachkritik Keiner der vier Texte thematisiert explizit das Versagen der Sprache, keiner stellt sprachkritische Reflexionen an. Und dennoch lassen sich Spuren der um 1900 verbreiteten Sprachskepsis ausmachen.147 So verwehrt sich Georges König vehe-

146 Victor A. Schmitz entfaltet am Beispiel der beiden David-Gedichte das konträre Kunstverständnis von George und Rilke, die sich auch im realen Leben einander eher fremd gegenüberstanden: „[F]ür George geht es vornehmlich um das königliche Schicksal des Helden Saul, bei Rilke mehr um den Jünglingstrotz Davids. Jeder der beiden Dichter überträgt seine Spannung und seine Not in das überlieferte Bild. Hat das Saitenspiel zu schweigen vor der Verantwortung in einem Leben der Tat – so fragt George. Rilke aber sieht, wie die Kunst von Leid und Leidenschaft befreit zu einem dauernden Sein und Miteinandersein.“ (Victor A. Schmitz: Das Ethos der Kunst bei George und Rilke, S. 114) 147 Zur Sprachkrise und zu Überwindungsversuchen in der literarischen Moderne vgl. Helmuth Kiesel: Geschichte der literarischen Moderne, S. 177–231.

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ment gegen die Verharmlosung seiner Leiden durch die Kunst Davids, die sowohl Harfenspiel als auch Dichtung („lispeln“) einschließt. Offen bleibt, ob der Harfner bewusst und skrupellos Sauls Krankheit künstlerisch ausschlachtet oder ob dieser den Gesang missdeutet. Ein grundsätzliches Missverstehen begründet auch in Wolfskehls Dramolett den Konflikt, denn es gelingt dem Knaben David lange nicht, Saul durch Worte von seiner Unschuld zu überzeugen. Doch setzt der dem Tod geweihte König zuletzt seine Hoffnung darauf, in Davids Gesang, also in Dichtung, zu überdauern. Hier ist das Misstrauen in die Sprache weit weniger fundamental, sodass eine Versöhnung möglich ist. Ebenfalls ambivalent erscheint das Medium Sprache in Rilkes Gedicht: Einerseits beklagt David sein Unvermögen, mit seinem Lied Sauls Taten gerecht zu werden – „trunken taumelt [s]ein Getön“. Und Davids stets neu einsetzende Beschwörungen sowie die wiederholte, flehentliche Anrede des Königs legen den Schluss nahe, dass der Zuhörer Davids Ängste und Argumente nicht verstehen kann oder will. Auch hier scheint die Sprache nicht ihr Ziel zu erreichen, doch erweist sie sich – im Verbund mit der Musik – andererseits als machtvoll, immerhin vermag sie es, David zu Selbstbewusstsein zu verhelfen und eine Art Ausgleich zwischen Sänger und König zu schaffen. Noch einen Schritt weiter geht Robert Walser, wenn er Davids Gesang durch eine wortlose, doch sprechende Musik ersetzt. Paradox ist dabei, dass die unausgesprochene Botschaft der Musik durch Sprache verbalisiert werden muss. Doch auch die Musik verfehlt ihr Ziel, den depressiven Saul zu beruhigen, weshalb der seine Waffe nach dem Musikanten schleudert. Die Kommunikationssituation zwischen Saul und David ist in allen vier Adaptionen angespannt oder gestört, doch nicht nur die gesprochene Sprache stößt an ihre Grenzen. Selbst die Musik, die direkter die Emotionen aktiviert, bringt oft keine Erlösung. Fazit: Vom Reiz der Urszene In allen Fällen verfügt das konkrete literarische Werk über mehrere semantische Ebenen: Hinter dem Inhalt liegt die stoffgeschichtliche Dimension, also die Beziehung zum Prätext, daneben werden mit dem Generationenkonflikt sowie der psychischen Erkrankung Sauls allgemeine anthropologische Konstanten thematisiert sowie eine poetologische Fragestellung aufgeworfen. Diese Möglichkeit zur Übercodierung musste die David-Saul-Episode für selbstreflexiv arbeitende Dichter besonders reizvoll machen. Neben dem Kunstdiskurs, an dem alle vier Texte teilhaben, werden die anderen Konfliktebenen jeweils unterschiedlich stark akzentuiert: Während bei George das Gegenüber von Alt und Jung auch als ungelöster Machtkampf inszeniert ist, mündet dieser bei Wolfskehl wie bei Rilke in einen ver-

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söhnlichen Ausgleich. Die von Wolfskehls Drama vorgeführte psychische Zerrüttung Sauls wird in Walsers Prosatext – möglicherweise aufgrund der biografischen Disposition des Autors – noch differenzierter zur pathologischen Studie ausgestaltet. Zugleich ist die Urszene bei Walser auch eine Auseinandersetzung von Künstler und Machthaber. Die vorgestellten literarischen Bearbeitungen haben Teil an der emanzipatorischen Entwicklung, die die oben skizzierte Rezeptionsgeschichte der Urszene erkennen lässt. Die Szene löst sich aus dem Kontext der biblischen Erzählung vom Aufstieg Davids, verlässt gleichsam das religiöse Koordinatensystem und wandelt sich zu einer idealen Form, um künstlerische Fragen und Reflexionen durchzuspielen. Die allgemeine Bekanntheit, die der Prätext zumindest zur Entstehungszeit der Texte im christlich-jüdischen Kulturkreis genoss, erlaubte es, Ursachen, Zusammenhänge und Folgen der Geschichte auszublenden und die eine Szene zu fokussieren.148 So verwundert es nicht, dass schließlich allein die Nennung der Namen der beiden Antagonisten ausreicht, um beim Rezipienten seine Kenntnis des Stoffs zu aktivieren, auch wenn der Text gar nicht mehr die eigentliche Handlung erzählt. Doch bleiben die Adaptionen von George, Wolfskehl, Rilke und Walser im originalen biblischen Setting verhaftet. Eine andere Form der intertextuellen Bezugnahme liegt vor, wenn dieser Handlungskontext verlassen wird und der Prätext nur noch als Anspielung im Text gegenwärtig ist. Dies gilt für ein Kapitel aus Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“, das zwar die vorgespurte poetologische Umdeutung aufgreift und fortführt, sich dabei aber weit stärker vom Stoff emanzipiert.

1.3 Literarische Adaptionen II: Ironisierungen und Verfremdungen 1.3.1 Die Urszene als Zitat und Verweismuster. Zu einem Kapitel aus Lion Feuchtwangers „Erfolg“ (1930) David heißt nun Pröckl und ist Ingenieur Das München der frühen 1920er-Jahre, das mehr und mehr zu einem rückwärtsgewandten Sammelbecken rechtsextremer und nationalistischer Kräfte wird. Lion Feuchtwanger hat diese Entwicklung in seinem 1930 erschienenen Prosawerk

148 Die wahre Schwemme an Dramatisierungen des David-Saul-Stoffs, die für die Zeit um 1900 zu beobachten ist, belegt zusätzlich dessen Popularität (vgl. Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 10).

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„Erfolg“149 auf satirisch-entlarvende Weise nachgezeichnet und dabei einen „Zeitroman, ein[en] Schlüsselroman, ein[en] Roman, in dem viele Elemente der Neuen Sachlichkeit verarbeitet sind, ein[en] politische[n] Roman“150 geschaffen. Nicht selten akzentuieren und konterkarieren Kapitelüberschriften, die oft bildungsbürgerliche Zitate und Anspielungen enthalten, das Geschehen. Und so eröffnet auch beim 19. Kapitel des zweiten Buchs die Überschrift „David spielt vor König Saul“ (S. 233) eine Art Resonanzraum, der zu dem eigentlichen Kapitelinhalt in Relation gesetzt werden will, schließlich geht es auf der Handlungsebene nicht um eine Nacherzählung der alttestamentlichen Geschichte. Tatsächlich tauchen die Namen David und Saul im eigentlichen Kapitel auch gar nicht mehr auf; die anfängliche Nennung reicht aus, um im Kopf des Lesers den entsprechenden Referenztext aufzurufen.151 Saul und David – das sind hier der Freiherr von Reindl, Generaldirektor der Bayrischen Kraftfahrzeugwerke, „unter den bayrischen Industriellen unbestritten führend“ (S. 140), der „reiche Sohn einer alteingesessenen Aristokratenfamilie“ (S. 140), und der proletarische Ingenieur und Freizeitdichter Kaspar Pröckl.152 Der Prototyp eines Kapitalisten trifft auf den in seiner Fabrik beschäftigten leidenschaftlichen Marxisten und obwohl beide nach ihrem Welt- und Selbstbild Todfeinde sein müssten, sind sie wechselseitig voneinander fasziniert.153 Herr von Reindl indes mit seinen traurigen, braunen Augen betrachtete interessiert den großen Riß oben rechts in der Lederjacke Pröckls. Er erinnerte sich deutlich, diesen Riß vor einem halben Jahr schon gesehen zu haben. Rasiert war der Kerl natürlich auch nicht. In der Art, wie er sich die Haare in die Stirn wachsen ließ, lag eine gewisse naive Koketterie. Selt-

149 Feuchtwangers Roman wird im Folgenden zitiert nach der Auflage von 1993. 150 Wilhelm von Sternberg: Lion Feuchtwanger, S. 279. 151 Feuchtwanger hat sich bereits in seinem 1905 uraufgeführten Einakter „König Saul“ mit dem David-und-Saul-Stoff auseinandergesetzt, doch gilt das Werk als verschollen. Dieser Verlust ist vermutlich auf Auswanderung und Exil zurückzuführen, die Feuchtwangers Leben erschütterten. Inger Nebels Recherchen förderten nur ein vierseitiges Fragment zutage, das – zusammen mit einer zeitgenössischen Rezension – eine Rekonstruktion der Handlung erlaubt: Demzufolge behandelt das kurze Drama Sauls Besuch bei der Hexe von Endor, bei der zufälligerweise und abweichend vom Prätext David Zuflucht vor Sauls Verfolgung gesucht hat (vgl. Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 30–34 sowie Anhang C). 152 Dass Pröckl als Kraftfahrzeug-Ingenieur arbeitet, lässt sich laut Egon Brückener und Klaus Modick als Kritik an seinem mechanistischen, unmenschlichen Weltbild verstehen, das keine Einzelschicksale berücksichtigen will (vgl. Egon Brückener/Klaus Modick: Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“, S. 39). 153 „The capitalist Reindl and the Marxist Pröckl would seem natural enemies. However, Reindl enjoys Pröckl’s company, even though he ist fully aware of their diametrical opposed personalities.“ (Judith Wessler: Lion Feuchtwanger’s Erfolg, S. 102 f.)  

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sam eigentlich, daß der junge Pröckl Frauen gefiel. […] Der Kerl roch wirklich wie Soldaten auf dem Marsch. Sein eckiger, bösartiger Humor war auch nicht gerade das Rechte für Frauen. Es war ein sicherer Geruch von Revolution um ihn. Offenbar machte er es mit seinen hundsordinären Balladen. Wenn er die sang, mit seiner gellenden Stimme, dann wurden die Weiber schwach. […] Eigentlich möchte er den Pröckl einmal einladen, ihm so eine Ballade vorzusingen. Aber er wird ihn bestimmt abfahren lassen, der Bazi. (S. 143)

Pröckl lässt seinen Arbeitgeber nicht abfahren. Von diesem an einem Wintertag in den Kurort Garmisch-Partenkirchen beordert, macht er sich auf den Weg und ärgert sich zugleich über seine Willfährigkeit und darüber, dass er „wie irgendein Arschkriecher“ (S. 233) den Wunsch Reindls erfüllt. Die Einblicke in die jeweilige Gedankenwelt offenbaren die ambivalente Haltung beider Männer zueinander. Proletarische Kunst im Privatkonzert Das 19. Kapitel, das eine moderne Version der Urszene „David spielt vor König Saul“ bietet, gestaltet den Kontrast zwischen Reindl und Pröckl denkbar groß und drastisch aus. So wird der „finster“ dreinblickende Ingenieur in seinem „verwahrlosten Aufzug“, der „verdächtig[e] Kerl in der zerrissenen, verschwitzten Lederjacke“, im Luxuskurort und im Palace-Hotel, wo Reindl residiert, wie ein Fremdkörper mit „Spott und Neugier“, aber auch mit Misstrauen beäugt. Zweimal werden sein Auftreten und sein Äußeres, das den Habitus des klassenkämpferischen Revolutionärs widerspiegelt, als „befremdlich“ (alle Zitate auf S. 233) bezeichnet. Pröckl glaubt, der Baron wolle nähere Informationen zu dem von ihm entworfenen Serienwagen erfahren, doch erweist sich dieser Gesprächsanlass lediglich als Köder, um den jungen Ingenieur zu einer Unterredung in privater Umgebung zu bewegen. Erneut spart der Erzähler nicht mit Attributen, die die beiden Figuren auch rein äußerlich als Antipoden ausweisen. Während der „hagere Pröckl“ (S. 234) mit seinem „magere[n] Hals“ (S. 235) auf einem Stühlchen Platz nimmt, lagert der Großindustrielle „unförmig, in einem üppigen, violetten Schlafrock“ (S. 234) auf dem Sofa. Das herrschaftliche, stark geheizte Hotelzimmer verströmt eine dekadente, schwüle Atmosphäre: Vor dem wie ein römischer Kaiser liegenden Baron sitzt der kleine Arbeiter „[s]teif, unschön“ (S. 234). Als er die Details seines Projekts referiert, bemerkt Pröckl rasch die „Zerstreutheit“ (S. 234) seines Chefs, der ihm nicht zuhört, und reagiert daraufhin aggressiv. Doch der Baron geht nicht auf den Vorwurf ein, läutet dem Zimmermädchen, das die Beleuchtung dimmen soll – Pröckl ärgert sich insgeheim über die Bequemlichkeit, banale Handgriffe zu delegieren –, und genießt „stark gezuckerten Te[e]“ (S. 234). Diese Demonstration einer verfeinerten, verschwenderischen Lebensweise bietet den Rahmen für die Darbietung, die Reindl eigentlich im Sinn hat. Er bittet seinen Angestellten, ihm einige seiner sozialkritischen Balladen vorzusingen, worauf der zu seinem eigenen Erstaunen sogleich eingeht. Als ein Banjo organisiert ist,

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schaltet Pröckl das Licht an, was den schonungslos aufklärerischen Impetus seiner Kunst unterstreicht, und legt los: Dann stellte er sich mitten in den Raum, und hell, frech, mit schriller Stimme, häßlich, unverkennbar mundartlich, überlaut begann er zu dem Geklapper des Banjos seine Balladen aufzusagen. Es enthielten aber diese Balladen Geschehnisse des Alltags und des kleinen Mannes, gesehen mit der Volkstümlichkeit der großen Stadt, nie so gesehen bisher, dünn und böse, frech duftend, unbekümmert stimmungsvoll, nie so gehört bisher. (S. 235)

Alles andere als einen Kunstgenuss soll dieser Vortrag bieten. In der Art der Rezitation und in seinen Inhalten ist er eine Provokation, ein Kampfgesang, der auf den Zuhörer, jenen profilierten Vertreter des Großkapitals, wie eine einzige Attacke wirken muss. Entsprechend ambivalent fällt dann auch die Haltung Reindls aus, der zwischen „Empörung, Hohn, Anerkennung, Unmut, Genuß“ (S. 235) schwankt. „Der Ingenieur Pröckl starrte ihn unverwandt an, schrie ihm seine zotigen, proletarischen Verse in das gepflegte, feine Antlitz.“ (S. 235) So „besudel[t]“ (S. 235) der kommunistische Barde nicht nur mit seinen schmutzigen Schuhen den Teppich, sondern mit seinen aggressiven Gesängen auch alles, wofür Reindl steht. Abrupt endet Pröckls Darbietung – als nämlich der Baron um weniger Licht bittet, verweigert ihm der Ingenieur diese Geste des Zuvorkommens und kehrt zu dem ursprünglichen Thema, seinem Serienwagen, zurück. Reindl weist ihn ab, woraufhin der gekränkte Pröckl überzogen reagiert und umgehend kündigt. Trotz dieses Affronts lädt der Industrielle seinen Noch-Angestellten zum Abendessen ein, schenkt ihm eine „Luxusausgabe der Sonette Shakespeares“ (S. 236) und bittet ihn, ihm für hundert englische Pfund ein Exemplar von dem Privatdruck seiner Balladen zu überlassen. Während Pröckl eine Antwort schuldig bleibt, schaltet sich kommentierend der Erzähler ein und veranschaulicht die Folgen der durch die Wirtschaftskrise ausgelösten galoppierenden Inflation, indem er den tagesaktuellen Wert von hundert englischen Pfund („107 068 Mark“) beziffert und eine materielle Entsprechung („ein Haus“, S. 236) benennt. Zwar will Pröckl sich offenbar selbst treu bleiben, indem er kein Geld annimmt, lässt sich aufgrund der winterlichen Witterung dann aber doch von Reindl aushalten und übernachtet auf dessen Kosten im Palace-Hotel. Aufgrund dieser Inkonsequenz ärgert sich Pröckl über sich selbst, doch Not verhindert Prinzipientreue. So endet die Konfrontation von Mächtigem und Künstler mit einer ironischen Pointe: Der Revoluzzer wird als Salonschreck entlarvt, der durchaus pragmatisch denkt. Den Baron und den Arbeiter trennt nicht etwa Hass, vielmehr verbindet sie eine wechselseitige Faszination. Der sinnliche Reindl fühlt sich auf unausgesprochene Weise hingezogen zu dem kämpferischen, für sein Ziel brennenden Ingenieur, der in Herkunft und Lebensentwurf den größtmöglichen Kontrast zu ihm selbst verkörpert. Die laszive, schwüle Atmosphäre, in der der Baron seinen

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Besucher empfängt, scheint auch erotisch grundiert zu sein. Die verschenkten Shakespeare-Sonette, die ja auch Liebesgedichte mit homoerotischer Tendenz enthalten, lassen sich ebenfalls als subtiler Hinweis auf die körperliche Anziehungskraft lesen, die Pröckl auf seinen Chef ausübt. Neuer David und neuer Saul. Vergleich von Prätext und Text Die Frage, wie sich der Künstler gegenüber dem Herrscher positioniert, ist ein wiederkehrendes Thema im Werk Feuchtwangers, das Karl Kröhnke generell auf das Motiv „David spielt vor König Saul“ zurückführt.154 Explizit bezieht sich Feuchtwanger freilich nur in dem oben interpretierten Kapitel auf den biblischen Prätext, der als Folie dient, um das Gegenüber von Machthaber und Dichter zu beleuchten, aber auch ironisch zu konterkarieren. Der Vergleich der beiden Texte öffnet den Blick für Art und Funktion der intertextuellen Anverwandlung.155 Aus dem ersten israelitischen König wird ein bayerischer Großindustrieller, aus dem politischen Herrscher ein Wirtschaftsmagnat. Der Hirte, der mit seinem Spiel die Depressionen Sauls lindern bzw. dessen bösen Geist vertreiben soll, wird zum klassenkämpferischen Arbeiter, der seine Kunst in den Dienst des politischen Engagements stellt. Statt der Harfe kommt ein Banjo zum Einsatz. Statt eines wohltuenden Gesangs bietet Pröckl schrilles Geschrei, schließlich würde eine besänftigende, einlullende Kunst die sozialkritischen Inhalte seiner Balladen entschärfen. Seine Darbietung hat somit keine therapeutische Qualität, er singt vielmehr auf Wunsch seines Arbeitgebers, dessen Motive (Interesse am Rebellen, Begeisterung für diese proletarisch-freche Form der Kunst, körperliche Anziehung?) unklar bleiben. Die Mischung aus Empörung, Belustigung und latentem Begehren, mit der Reindl den Gesang Pröckls anhört, hat nichts zu tun mit dem Neid und der Eifersucht Sauls auf seinen potenziellen Rivalen um die Herrschaft. Und so fällt auch der Anschlag auf den Künstler ganz anders aus: Während Saul mit seinem Speerwurf David beseitigen will, attackiert Reindl die moralische Inte-

154 Zu Feuchtwangers Variationen des Themas zählen u. a. der „Schriftsteller Josephus in Audienzen beim römischen Kaiser … Goya am Hofe … Beaumarchais […] vor dem König in Versailles […] … der gebildete Jehuda vor Alfons VIII“ (Karl Kröhnke: Lion Feuchtwanger, S. 54). Kröhnke findet mit der Audienz, die Stalin dem exilierten Feuchtwanger im Januar 1937 gewährte, eine biografische Spiegelung des im Werk allgegenwärtigen Themas „Der Künstler beim Machthaber“ (vgl. ebd., S. 33). 155 Feuchtwangers Adaption des David-Stoffs entspricht der von Genette definierten heterodiegetischen Transposition: Hierbei kommt es zu einem Austausch der geographisch-historischen Rahmenbedingungen, in denen sich eine Geschichte abspielt. Ein Handlungsgeflecht und eine Personenkonstellation können so in eine andere Zeit oder an einem anderen Ort angesiedelt werden. Dabei ändert sich auch die Identität der Figuren. Nur noch der vergleichbare Handlungsverlauf verweist auf den Ursprungstext (vgl. Gérard Genette: Palimpseste, S. 406–408).  

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grität Pröckls, indem er ihm eine immense Summe Geld anbietet. Da das unmoralische Angebot das kommunistische Selbstverständnis des Ingenieurs zu untergraben droht, entzieht dieser sich. Allerdings fällt die Flucht nicht so eindeutig aus wie bei David, der sich vor Saul in Sicherheit bringt. Zwar nimmt Pröckl das Geld nicht an, lässt sich dann aber doch von Reindl den Aufenthalt im Luxushotel bezahlen.156 Vor dem Hintergrund der stofflichen Vorlage wirkt die Auseinandersetzung von Baron und Arbeiter komisch und weniger existenziell, schließlich tritt an die Stelle des religiös grundierten, machtpolitischen Ringens zweier Gesalbter das ungefährliche Aufeinandertreffen der Vertreter zweier konträrer Ideologien. Die zeitgenössische Verortung der Szene bedingt eine Profanierung und Banalisierung des Prätextes.157 Der machtlose Freizeitdichter. Fast eine Anti-Poetik Beide Figuren sind satirisch überzeichnet: Pröckl ist offenbar zerrissen zwischen seinem bürgerlichen Herkommen und dem Wunsch, als engagierter kommunistischer Dichter zu wirken. An anderer Stelle im Roman wird seine Begabung für Poesie mit seinem Scheitern, sich klar in Prosa auszudrücken, kontrastiert. Als scharfer revolutionärer Geist scheint er jedenfalls ungeeignet: „Denn was er dachte, gerann ihm zu Bildern, und wenn er diese Bilder aus seinem Hirn herausstellte, in seinen Balladen zum Beispiel, dann stimmten sie. Faßte er aber, was er dachte, in dürre Worte, in Prosa, dann wurde es trüb und stimmte nicht.“ (S. 404)158 Trotz seiner verbalen Attacken wirkt der Ingenieur nur wie ein macht-

156 „Verärgert, nachdem er den Reindl verlassen hatte, saß er in der Halle. Er wäre am liebsten noch in der Nacht zurückgefahren; aber die Straßen begannen auf eine für den Wagen unangenehme Art zu vereisen. So mußte er, da er nur ganz wenig Geld hatte, in dem scheißfeinen Palace-Hotel bleiben, weil dort Herr von Reindl seine Rechnung beglich.“ (S. 236) 157 Wilhelm von Sternburg schlussfolgert aus der biblischen Anspielung der Kapitelüberschrift, dass Feuchtwanger nicht nur die konkrete Episode des vor Saul musizierenden David, sondern darüber hinaus das weitere Schicksal der alttestamentlichen Antagonisten in Erinnerung rufen will. Ein Aufstieg zu Macht und Herrschaft, wie er David zuteil wurde, bliebe Pröckl allerdings verwehrt: „[U]nd wenn der Marxist ‚König‘ werden sollte, dann allenfalls im Land seiner Träume, im kommunistischen Russland.“ (Wilhelm von Sternburg: Lion Feuchtwanger, S. 286) Sternburgs Versuch, mehrere Handlungselemente des Prätextes auf die Adaption zu beziehen, ist wenig überzeugend. Die David-Anspielung dient kaum dazu, die weitere Entwicklung von Pröckls und Reindls Lebensläufen anzudeuten. Stattdessen schafft sie einen Kontrast und erzeugt eine Fallhöhe zwischen dem zum König auserwählten genialischen Künstler und dem grölenden marxistischen Autoingenieur. 158 Im weiteren Verlauf der Handlung befreit sich Pröckl aus seiner inneren Zerrissenheit zwischen Marxismus und Ästhetik, indem er seine Ballade verbrennt und so dem Künstlertum abschwört. Um den realen Marxismus leben zu können, geht er auf das Angebot Reindls ein, in

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loser Schreihals und Hofnarr, der dem Mächtigen zur Belustigung dient. Dieser erscheint als Inbegriff der trägen Dekadenz und gelangweilter Kapitalist, der seine innere Leere mit künstlerischen Interessen übertüncht. Er genießt im Bewußtsein seiner unumstößlichen Macht Inhalte einer Dichtung, die dazu auffordert, seinesgleichen an die Wand zu stellen, als neuen ästhetischen Reiz. Feuchtwanger beleuchtet hier ironisch die Vereinnahmung der sozialen Kritik und des Aufrufs zur Revolution im Kunstwerk durch die falsche Seite.159

Am Beispiel des neuzeitlichen David wird die Wirkungsmacht politischer Dichtung infrage gestellt, gerät Pröckls Rezitation klassenkämpferisch-anarchischer Balladen zum Begleitprogramm für den Nachmittagstee. Die Gesellschaftskritik zeitigt bei dem Wirtschaftsmogul – anders als bei Saul – offenbar keine Wirkung. Er bleibt in seinem Selbstbild und seiner Rolle unerschüttert, ohne die eigene Haltung zu überdenken. Und so hat auch diese intertextuelle Anspielung auf den David-Stoff eine poetologische Ebene, indem sie das Auseinanderklaffen von künstlerischem Anspruch und tatsächlichem Effekt vorführt sowie die Grenzen von Kunst offenbart. Auch in dieser Hinsicht sind also Pröckl und Reindl ein klarer Gegenentwurf zu David und Saul. Auffälligerweise verzichtet der Erzähler darauf, die Texte der von Pröckl dargebotenen Balladen wiederzugeben. Zwar werden ihre Art und Wirkung beschrieben, jedoch bleiben die Gedichte in ihrer konkreten künstlerischen Gestaltung unbestimmt. Der Leser kann somit nicht nachvollziehen, was das Verstörende und zugleich Faszinierende an Pröckls Liedern ist, wobei ein Teil der Wirkung – soviel gibt der Erzähler zu verstehen – auf die Rezitation des Ingenieurs zurückzuführen ist. Während in den oben untersuchten Adaptionen der Urszene „David spielt vor Saul“ stets auch das wirkmächtige Künstlerwort artikuliert wurde, belässt es der allwissende Erzähler in Feuchtwangers Romankapitel bei einer resümierenden Schilderung von Inhalt und rhetorischer Ausgestaltung. Das lyrische Element bleibt somit außen vor, die Kunst erhält – anders als in Robert Walsers Prosaminiatur – keine eigene Stimme. Durch diese Leerstelle führt das Kapitel die Ohnmacht politischer Lyrik angesichts auf Ungleichheit und Ungerechtigkeit gegründeter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse vor. Beschworen die übrigen Literarisierungen der biblischen Episode stets Wunder und Macht der Kunst herauf und lancierten so eine poetologische Botschaft, vermittelt Pröckls nachmittäglicher Auftritt letztendlich die Einsicht in das Scheitern

Russland am Bau einer Autofabrik mitzuwirken (vgl. Egon Brückener/Klaus Modick: Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“, S. 43). 159 Egon Brückener/Klaus Modick: Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“, S. 41.

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seiner künstlerischen Intention. Vor dem Hintergrund der Stoffgeschichte lässt sich das 19. Kapitel des zweiten Buchs von Feuchtwangers Roman „Erfolg“ daher auch als Anti-Poetik werten. Funktion der Urszene. Verfahren der intertextuellen Integration Wie die oben untersuchten Adaptionen der Szene „David spielt vor Saul“ erfüllt auch Feuchtwangers Version die Kriterien der Säkularisierung und Poetologisierung, doch ist durch die Verlagerung von Handlungszeit und -ort sowie die Verschiebungen in Charakteren und Intentionen der Figuren die Transmotivation viel stärker. Es geht nicht mehr darum, die Handlung der biblischen Geschichte nachzuerzählen, neu zu deuten oder anders zu akzentuieren. Diese bildet vielmehr ein Verweismuster, um die beiden Romanfiguren zu entlarven und mit einer Fallhöhe zu versehen, die Komik erzeugt. Für das Verständnis des Kapitels ist es unerheblich, ob der Leser den Prätext identifizieren und zur Handlung in Beziehung setzen kann. Jedoch vermag die Kenntnis der Vorlage das Lesevergnügen zu intensivieren. Feuchtwangers Text ist somit ein Beispiel für eine noch weiter gelockerte intertextuelle Rezeption, die nur noch über Zitat und Allusion funktioniert. Manfred Pfister weist solchen prägnanten, selektiven intertextuellen Verweisen die Funktion einer Synekdoche zu, die über ein Zitat den Prätext aufruft.160 Das Thema der Urszene ist bei Feuchtwanger eine Chiffre für die Frontstellung von Mächtigem und Künstler. Alternativ kann sie auch für die Wirkungsmacht von Musik bzw. Kunst im Allgemeinen stehen.161 Vor dem Hintergrund der

160 Vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 29. 161 So zu beobachten in der 1973 erschienenen Kurzgeschichte „David spielt vor Saul“ von Robert Wolfgang Schnell, in der sowohl der Titel als auch die Selbstidentifikation des Protagonisten mit Saul deutliche intertextuelle Marker darstellen. Die Erzählung ist in der durch das Wirtschaftswunder saturierten bundesrepublikanischen Gesellschaft angesiedelt, hat also auf den ersten Blick wenig mit dem zitierten Prätext gemein. Steinbach, ein von sadistischen Gewaltfantasien (seinem „bösen Geist“) geplagter, misantropischer Personalchef einer Bank, erlebt bei einem biederen Hausmusikabend seines Chefs eine Läuterung. Ironischerweise ist es das dilettantische Klavierspiel von Reinhold Korbinian, dem achtjährigen, wie ein „Zirkuspferd“ dressierten Sohn des Gastgebers, das die Befreiung von Steinbachs Obsessionen ermöglicht: „Steinbach war […] fast elektrisiert. Ihn ergriff das Klapperhafte des Kinderspiels, es war ein weicher Kuß für ihn. Er starrte auf das kleine, bemühte Gesicht, das in der Beflissenheit des Notenlesens den Blick eines Kurzsichtigen bekam. Was wollte dieser Junge von ihm? Spielte er für Steinbach? Lag er im Kampf mit Goliath, dem riesigen bösen Geist Steinbachs? […] Diese Musik begriff er, er begriff auch Reinhold Korbinian, der beim Zählen den Mund öffnete und die Musik in das Taktgerüst zwängte, ob sie wollte oder nicht. So versuchte er, Steinbach, das Leben zu zwingen, nur füllte er sein dürres Gerüst nicht mit unbegriffenen Tönen, sondern mit Wünschen nach Tod und Elend für jedermann. Hier schuf sich die Dürre ein anderes Leben, das größer war als das eigene.“ (Robert

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durch Religion und Tradition mit einem Nimbus versehenen, ehrwürdigen Vorlage lässt sich die Erbärmlichkeit und Banalität der literarischen Figuren besonders grell beleuchten. Die intertextuelle Spiegelung wird so zu einem Pfeil im Köcher der Satire, des Spotts und der Gesellschaftskritik.

1.3.2 Bertolt Brecht: David (1920) Pröckl alias David alias Brecht. Die Vorlage für Feuchtwangers Romanfigur Als Schlüsselroman lässt Feuchtwangers „Erfolg“ zahlreiche Figuren auftreten, die auf historische Zeitgenossen zurückgehen. Der Baron von Reindl verkörpert dabei den Typus des Großindustriellen und ist keiner bestimmten realen Person nachempfunden, sondern steht „für die Gruppe der Wirtschaftsführer, die in der Weimarer Republik großen Einfluss auf das politische Geschehen hatten“.162 Kaspar Pröckl ist dagegen in seiner Physis und seinen Ansichten unverkennbar ein literarisches Abziehbild Bertolt Brechts, der wie Pröckl den Vortrag seiner Gedichte selbst gern auf der Klampfe begleitete.163 In seiner Romanfigur gestaltet Feuchtwanger die Identitätskrise aus, unter der Brecht um 1920 litt: War der Künstler wie Baal ein genialischer gesellschaftlicher Außenseiter oder sollte er nicht eher ein nüchterner Arbeiter sein – der Künstlerberuf als ein Beruf wie jeder andere? Waren für ihn demnach primär Gefühl, Phantasie und Inspiration wichtig oder aber Verstand und planende Vernunft?164

Wolfgang Schnell: David spielt vor Saul, S. 83) Nicht das virtuose Spiel eines gottbegnadeten Harfners, sondern das wenig kunstvolle Geklimper eines angestrengten Knaben öffnet dem von Hassgefühlen gesteuerten Junggesellen die Augen für sein verfehltes Leben. Die seelenlos vom Blatt gespielten, in ein Raster gezwungenen Noten werden für ihn zu einem Sinnbild seiner eigenen Entfremdung und Fremdsteuerung (vgl. Manfred Durzak: Die deutsche Kurzgeschichte der Gegenwart, S. 397–399). Steinbach verabschiedet sich mit dem Ausruf „Laß dir danken von deinem befreiten Saul!“ (Robert Wolfgang Schnell: David spielt vor Saul, S. 84) von dem Kind und drückt ihm vor den Augen der verstörten Abendgesellschaft einen Kuss auf die Lippen. Die Gäste sind nicht in der Lage, die Tiefe seiner existenziellen Erschütterung nachzuvollziehen, sondern empören sich über „das Laster der Homosexualität“ (ebd., S. 84), dem Steinbach offenbar fröne. Wie in Feuchtwangers Romankapitel fordert auch in Schnells Kurzgeschichte die intertextuelle Markierung den Leser dazu auf, das Erzählte in Bezug zum biblischen Prätext zu setzen und den Dialog zwischen beiden Texten zu erkennen. In beiden Fällen wirken die modernen Wiedergänger des Königs und seines Musikanten wie ein ironischer Abklatsch. 162 „Erfolg“ – Lion Feuchtwangers Bayern, S. 26. 163 Vgl. Thomas Naumann: Wo Du hingehst – Brecht und die Bibel, S. 166. 164 Albrecht Dümling: Laßt euch nicht verführen, S. 98.

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Auch wenn Marta Feuchtwanger darauf hinwies, dass die Romanfigur nur eine Seite von Brecht widerspiegle und zudem dessen Genie vermissen lasse, fiel es den zeitgenössischen Lesern nicht schwer, das Vorbild zu identifizieren.165 Und auch Brecht selbst erkannte sich sofort wieder, als er die Druckfahnen zu Gesicht bekam. Zwar wollte er den mit ihm befreundeten Feuchtwanger noch zu Änderungen bewegen, doch war der Roman schon im Druck.166 Wie eine Ironie der Literaturgeschichte wirkt es, dass Brecht, der bei Feuchtwanger einen Auftritt als neuzeitlicher David alias kommunistischer Balladendichter hat, selbst ein DavidDrama geplant und sogar die Urszene „David spielt vor Saul“ bereits ausgearbeitet hatte.167 Es ist durchaus möglich, dass Feuchtwanger, der als Mentor Brechts Schaffen begleitete, von diesem Fragment wusste, er also mit einem Augenzwinkern und Hintersinn Brecht und David-Pröckl gleichsetzte.168

165 Vgl. Judith Wessler: Lion Feuchtwanger’s Erfolg, S. 104. Egon Brückener und Klaus Modick haben Pröckl noch genauer untersucht, mit dem Vorbild abgeglichen und gelangen zu der Erkenntnis, dass in der Figur „zwei verschiedene Entwicklungsstufen Brechts auf eine simultane Ebene gebracht“ wurden. Der Ingenieur zeige nämlich sowohl Züge einer „aus dem Bürgertum kommenden, esoterischen Antibürgerlichkeit“, wie sie für Brecht vor 1927 typisch waren, und solche einer „marxistisch orientierten Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft“, die Brecht erst nach 1927 an den Tag legte (Egon Brückener/Klaus Modick: Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“, S. 38). 166 Vgl. „Erfolg“ – Lion Feuchtwangers Bayern, S. 25. 167 Tatsächlich existieren mehrere Skizzen zum David-Stoff, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte nicht zu einem Ganzen zusammenfügen lassen. So finden sich neben der David-Saul-Thematik auch Notizen zur Bathseba-Geschichte, die Brecht mit der Rebellion des Königssohns Absalom verquicken wollte (vgl. Entwürfe A1 bis A6). Die konkrete Anregung, den Machtkampf von David und Saul zu dramatisieren, verdankt Brecht dem erfolglosen Werk eines Dichterkollegen, der ihn um Rat fragte. Otto Zareks 1921 veröffentlichtes dramatisches Gedicht „David“ legt den Schwerpunkt auf die homoerotische Liebesbeziehung von David und Jonathan. Die pathetische, hyperbolische Sprache sowie die religiös-mystische Verherrlichung der Freundschaft von David und Jonathan ließen in Brecht offenbar die Überzeugung wachsen, dass er selbst eine bessere literarische Adaption des Stoffs zuwege bringen könnte (vgl. Wolf Borchers: Männliche Homosexualität in der Dramatik der Weimarer Republik, S. 133; vgl. Kommentar in: Bertolt Brecht: Werke, Stücke 10, Teil 2, S. 1014 f.). 168 Die Gründe, warum Brecht sein David-Drama nicht weiterverfolgt hat – die letzte Erwähnung des Projekts in den Journalen datiert auf den April 1921 –, sind unbekannt. Vermutlich blieb aufgrund der Vielzahl an Stücken, an denen Brecht parallel arbeitete, keine Zeit mehr dafür (vgl. Kommentar in: Bertolt Brecht: Werke, Stücke 10, Teil 2, S. 1015 f.; vgl. David Jobling: „David on the Brain“, S. 238 f.). Zu einem späteren Zeitpunkt, im März 1937, beschäftigte Brecht sich dann noch einmal mit dem David-Stoff, doch konzentrierte sich die zusammen mit Hanns Eisler projektierte Oper „Goliath“ auf einen anderen Abschnitt aus Davids Lebensgeschichte. Auch dieses Vorhaben blieb Fragment (vgl. Kommentar in: Bertolt Brecht: Werke, Stücke 10, Teil 2, S. 1016 f.).  







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Provokation eines Taugenichts. Die Urszene bei Brecht Die 1920 entstandenen Skizzen und Fragmente, die von Brechts Dramenprojekt „David“ erhalten sind169, zeugen von der tiefen Vertrautheit des Autors mit der Bibel, die Brecht generell „als Betriebskapital seiner literarischen Produktion“ nutzte.170 Doch während er üblicherweise die meisten dieser intertextuellen Verweise auf die Bibel in Form von Anspielungen und Motiven in einem unbiblischen Kontext platziert und so einen verfremdenden Effekt erzielt, macht er hier die alttestamentliche Geschichte selbst zum Gegenstand.171 Dass er 1920 genau die Szene „David spielt vor Saul“ als Erstes in Angriff genommen hat, veranschaulicht die Schlüsselstellung, die er ihr in seinem Drama einräumen wollte. Und wie zu erwarten, drückt er der Episode seinen ureigenen Stempel auf, indem er die beiden Charaktere scharf profiliert und Rolle und Funktion von Davids Kunst vorführt. Im Verlauf der Szene offenbart sich mehr und mehr Sauls psychische Erkrankung. Dabei ist Saul von Beginn an der dominierende Gesprächspart und monologisiert gegenüber David, den er überlegen als „Kind“ anspricht, über die Bedeutung militärischer Heldentaten. Wenn Saul immer wieder betont, dass er Davids Erfolgen gelassen gegenüberstehe, verrät er allerdings, dass er doch beunruhigt und von Neid zerfressen ist: Was den Sieg betrifft: ich gebe nichts darauf. Man sagt, ich habe 1000 erschlagen. Du hast 10000, sagt man, 1000 sind nichts mehr jetzt, die Zeit schreitet vor. Aber ich denke: Es ist besser, 1000 erschlagen und Ruhe zu haben, als wenn man 10000 töten muß, bis man siegt. Das gibt ein mageres Gesicht und schlechten Schlaf gibt es auch. Sie haben alle Nägel und Häute und ein Herz und Gedärme und eine Mutter und man erschlägt sie nicht wie Fliegen. Du hast natürlich kein Herz, Kind, aber ich verzeihe es dir. (S. 128)172

Mit seinem Wortschwall verfolgt Saul offenbar die Absicht, sich seiner eigenen Position zu versichern und sich von David abzuheben, dem er ein Herz, also

169 Das David-Fragment wird zitiert nach Bertolt Brecht: Werke, Stücke 10, Teil 1, S. 120–142. 170 Thomas Naumann: Wo Du hingehst – Brecht und die Bibel, S. 159. Thomas Naumann bringt Brechts intensive Bibel-Rezeption auf die prägnante Formel: „[H]at Brecht von der Bibel Besitz ergriffen oder die Bibel von Brecht?“ (ebd., S. 201). Seine Faszination für die Bibel brachte Brecht 1928 selbst auf den Punkt, als er auf die Frage, welches Buch ihn am stärksten beeinflusst habe, antwortete: „Sie werden lachen: die Bibel.“ (Zitiert nach Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 73) 171 Vgl. Eberhard Rohse: Der frühe Brecht und die Bibel, S. 291; Rohse skizziert, ausgehend von Brechts jugendlichen literarischen Versuchen, Brechts Strategien der Aneignung und Rezeption biblischer Stoffe und Motive (vgl. ebd., S. 280–350). 172 Sauls gedankliches Kreisen um Davids Erfolg rekurriert auf 1. Samuel 18,7: „Und die Frauen sangen einander zu und tanzten und sprachen: Saul hat tausend erschlagen, aber David zehntausend.“

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Menschlichkeit und Empathie, abspricht. Doch obwohl Saul ihn als „dumm wie ein Stier und charakterlos wie [s]ein Grab“ (S. 131) beschimpft sowie ihn mit einer „giftige[n] Frucht“ (S. 131) vergleicht, ist er doch auf ihn angewiesen, liebt ihn und kann „ohne [ihn] nicht sein“ (S. 131). Tatsächlich scheint David nicht sonderlich intelligent zu sein – auf Sauls sich steigernde existenzielle Verzweiflung, sein Gefühl, als Einziger von Gott vergessen worden zu sein („[…] wie es einem Baum ist, der in einer schwarzen Tiefe auf Steinen steht und es ist zu weit geworden bis zu seiner Wurzel, er ängstigt sich.“, S. 131), reagiert er mit Hilflosigkeit. Davids Vorschlag „Kannst du dich nicht in die Sonne legen oder schwimmen oder Feinde töten?“ entlarvt seinen Stumpfsinn. Doch trotz seines Hangs zur Faulheit, trotz seiner Oberflächlichkeit und seiner Bereitwilligkeit zu töten hat David doch ein instinktives Gespür dafür, was Saul gut tut. So schlägt er angesichts der Tirade des Königs selbst vor, ein Lied zu singen, da bei seinem Gesang Sauls „Gesicht […] anders und [s]eine Hände […] ruhiger“ (S. 128) würden. Auch ahnt er, dass es den König „erleichtert“ (S. 130), ihm sein Innerstes zu offenbaren. So haben sowohl seine reine Anwesenheit als auch sein Gesang einen Katalysator-Effekt auf Saul, indem sie den vereinsamten, paranoiden König dazu bewegen, seine psychischen Qualen zu verbalisieren. Der Text von Davids dreistrophigem Lied wirkt banal, teilweise widersinnig und wie eine Verherrlichung der puren Vitalität. Der Refrain verkündet dem Zuhörer jeweils eine Lehre, die Freude und Begeisterung auslösen soll. Stark ist der Stier, der den Himmel nicht Sieht! Er geht herum in der Sonne und Stampft das Gras nieder! Ha! Lacht in Juda und klatscht, weil Der Stier stark ist! Stark ist der Stier, aber das Gras ist stärker Das er niederstampft. Es kennt den Himmel Und richtet sich wieder auf. Ha! Lacht in Juda und klatscht, weil das Gras stärker ist! (S. 129)173

Der Refrain legt den Schluss nahe: Wer den Himmel kennt, sprich: sich an Gott ausrichtet, setzt sich letztlich gegen tumbe Gewalt durch. Saul scheint vor allem auf Musik und Rhythmus zu achten, denn er klatscht mit. Immerhin hat er gegenüber David behauptet, dass ihm nichts am Lied selbst liege: „Es fällt mir viel ein,

173 Das Motiv, dass der Stier stärker ist als das Gras, hat Brecht aus Walt Whitmans 1855 erschienener Gedichtsammlung „Leaves of Grass“ übernommen (vgl. Kommentar in: Bertolt Brecht: Werke, Stücke 10, Teil 2, S. 1021).

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wenn ich dich singen höre. Ich höre nie auf den Text.“ (S. 128) Im Widerspruch zu dieser Selbstaussage steht seine Reaktion auf die zweite Strophe, die in ihrer seltsamen und kaum aufzulösenden Kombination von Metaphern und Vergleichen den Zuhörer herausfordern will. Saul konzentriert sich nicht mehr allein auf die rein musikalische Ebene, sondern moniert die fehlende inhaltliche Botschaft: „Halt ein, ich verstehe dein Lied nicht. Es hat keinen Sinn, Kind.“ (S. 129) Als würde er Sauls Kritik beherzigen, greift David in der dritten Strophe das Thema von Stärke und Widerständigkeit erneut auf: […] Stark sind die, die da tun, was sie müssen Und stärker sind, denen es nichts ausmacht. (S. 129)

Davids Gesang löst beim König einen wahren Mitteilungsdrang aus, doch hofft Saul vergeblich, bei seinem Gegenüber Verständnis zu finden. Im Vergleich mit seinen mäandernden Reflexionen wirken die schlichten Kommentare des Musikers („Ich kann nicht soviel denken wie du. Es macht mich elend.“, S. 130) eher dümmlich. Und doch kitzelt David damit immer weitere intime Mitteilungen aufseiten Sauls hervor.174 Wieder und wieder kommt der König auf Davids blutige Heldentaten – die 10000 Erschlagenen – zurück und konfrontiert ihn mit seiner Verachtung, die nur schlecht Neid und Misstrauen kaschiert. Schließlich erniedrigt Saul sich bis zum Äußersten, indem er David seine Zuneigung und seine Abhängigkeit von dessen Kunst gesteht: „ich liebe dich sogar ein wenig, ich sehe dein Gesicht gern und liebe es, wenn du singst, singe bald wieder bei mir, jetzt bin ich in Gedanken, die gut sind, was sagst du dazu, daß ich dich liebe?“ (S. 132). Auch jetzt vermag David nicht, auf diese emotionale Selbstentäußerung einzugehen, sondern registriert den erneuten Stimmungsumschwung Sauls eher nüchtern. Aber seine beiläufig-beliebige Antwort führt Saul zu der Erkenntnis, dass Davids Lied den Sieg der entschlossen Handelnden verherrlichte und dass er selbst handeln muss, will er nicht von dem „Kind“ überrundet und entmachtet werden. David unterm Vorhang: Ich freue mich, daß mein Lied dich erquickt hat. Ab. Saul steht getroffen: Was sagst du? Dein Lied? Was hat mich erquickt? Ist es nur dein Lied? Freut es dich? Er läuft quer über die Bühne und holt den Speer. Aber es geht weiter dein Lied, es ist noch nicht aus, dein Lied. Stark sind, die da tun, sagst du, was sie wirft den Speer m ü s s e n. Geschrei draußen. Sagst du! (S. 132)

174 David Jobling zeichnet die quasi-analytische Ergründung von Sauls Krise mithilfe von Davids Musiktherapie nach (vgl. David Jobling: „David on the Brain“, S. 236).

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Die gewaltsam endende Szene zeigt zugleich Sauls Klarsicht und Paranoia. Sie führt einerseits die psychischen Qualen Sauls und andererseits sein zwischenmenschliches Verhältnis zu David vor, darüber hinaus veranschaulicht sie die Kräfte, die Davids provokantes Lied entfaltet, ist aber frei von theologisch-religiösen Implikationen. Dass ein Auserwählter mit einem von Gott Verworfenen rivalisiert, wird nicht in der Szene – und auch nicht in dem restlichen Fragment – in irgendeiner Weise thematisiert. Brechts Anverwandlung des biblischen Stoffs bietet eine radikale Enttheologisierung der Darbietungsperspektive, d. h. eine Transponierung der alttestamentlichen Geschichtswelt in einen nurmehr menschlich-innerweltlichen Wirklichkeitshorizont, innerhalb dessen der (die Samuelbücher ursprünglich durchwaltende) Gedanke des Handelns Gottes in der Geschichte konsequent eliminiert bleibt.175  

Die Charakterisierung Sauls als existenziell Verlassener, Zerrissener, der kommunikativ keinen Widerpart findet, ist so im Prätext angelegt, wohingegen David als geistloser Taugenichts gezeichnet wird und sich damit von der Vorlage unterscheidet.176 Beruhigung oder Bereinigung? Die Funktion von Davids Kunst Brecht selbst hat in seinem Tagebuch die Interaktion der beiden ungleichen Gegenspieler auf spöttische Weise zusammengefasst: „Saul schwatzt sein Potpourri und durchläuft alle Höhen und Tiefen, und bei der ganzen Berg-und-TalBahn sitzt David da und schneidet sich die Nägel.“177 Damit spielt der Autor den Anteil seines Titelhelden an dem Dialog herunter. David Jobling führt dagegen den Nachweis, dass David ganz bewusst agiert und durch seine Kunst Saul dazu bringt, sich seinen inneren Dämonen zu stellen: „It is as if David were a skilled therapist – with music therapy in his repertoire – nudging Saul along to confront his problems.“178 Es ist offen, welche Intention er mit seinem Liedtext verfolgt – will er nur Saul beruhigen und erleichtern, wie er es selbst sagt und wie es der Stoff vorgibt? Oder will er, wie oben dargelegt, Sauls Redebedürfnis befriedigen

175 Eberhard Rohse: Der frühe Brecht und die Bibel, S. 292. 176 In der zweiten ausgearbeiteten Szene des „David“-Dramas (B 10) wird David als unverschämter Taugenichts vorgestellt, der ziellos in den Tag hineinlebt („Er hockt nur faul herum und schwatzt wie eine Eule und am Abend steht er faul auf und geht fort an den Fluß zum Vögeln!“, S. 139). Selbst sein Vater Isai beschimpft ihn als „verfluchte[n] Lügenbeutel“ (S. 140). Die Figur Davids erscheint so als eine „Variation des gesellschaftlichen Außenseiters, ja des Ausgestoßenen“ (Hans Peter Neureuter: Stückfragmente und Stückprojekte, S. 55). 177 Journale, 28. Juli 1920, zitiert nach Kommentar in: Bertolt Brecht: Werke, Stücke 10, Teil 2, S. 1015. 178 David Jobling: „David on the Brain“, S. 236.

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und ihn zu einer Selbsterkenntnis führen? Handelt er dabei intentional oder bringt er – seine geistlosen Einwürfe legen es nahe – eher unbewusst-instinktiv die richtigen Saiten in Saul zum Klingen? Der Künstler lässt sich jedenfalls nicht vom Mächtigen einschüchtern und erweist sich damit diesem als überlegen. Saul attackiert ihn, weil er glaubt, dies tun zu müssen. Doch Davids Lied verkündete, dass derjenige stärker sei, dem dies nichts ausmache. Der Gesang wirkt wie eine self-fulfilling prophecy, indem er erst aus Saul eine extreme Aktion, den Mordversuch, herauskitzelt und zugleich dem Indifferenten – also David selbst – die wahre Stärke zuspricht. „Der harmonisch in sich ruhende Sänger kann nicht ertragen werden und muß getötet werden.“179 So tumb der Harfenspieler wirkt, gehört ihm doch – die Szene lässt es erahnen – die Zukunft. Ihm und nicht dem skrupulösen, von Selbstzweifeln und Ängsten zerfressenen König hat sich das Volk zugewendet. Der Künstler als fauler, gleichgültiger Taugenichts, gegen den der Herrscher nicht ankommt. Sein Gesang als Ausweis einer geistlosen, von Gedanken und Zweifeln unangekränkelten Lebenskraft.180 Im Rahmen der vom Stoff vorgegebenen Figurenkonstellation gelingt Brecht eine Neubewertung Davids, die die Figur mit provokanten bis negativen Eigenschaften (Mangel an Reflexionsfähigkeit, an Empathie und Skrupeln) versieht und ihr so das Identifikationspotenzial raubt. Ob diese Charakterzeichnung als Kritik daran zu verstehen ist, dass sich die Geistlosigkeit durchsetzt, hätte wohl erst die Ausgestaltung der Figur im weiteren Handlungsverlauf gezeigt. Die wenigen überlieferten Skizzen und Fragmente deuten immerhin darauf hin, dass Brechts David-Drama die Stoffgeschichte gegen den Strich gebürstet und mit den traditionellen Deutungsmustern gebrochen hätte – auch weil es zwischen seiner Adaption und der Bibel „kein einheitliches Wertsystem oder eine übereinstimmende Lebensauffassung“181 gab.

179 Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 255. 180 Die Stoßrichtung, die Chiara Conterno für die zeitgleich, d. h. um 1920 entstandenen „Psalmen“ Brechts ausmacht, lässt sich ohne Weiteres auch auf das David-Fragment übertragen: „Die Natur wird für sich besungen und zelebriert, ohne dass ihr Schöpfer erwähnt wird. Der Preis Gottes wird durch das Lob auf anarchische Vitalität und Natürlichkeit ersetzt, und der Kreislauf der Natur lehrt, das Leben und die Welt materialistisch zu sehen, was ein göttliches Prinzip ausschließt.“ (Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 76) In Brechts Weltanschauung um 1920 lassen sich sowohl expressionistische als auch vitalistische und nihilistische Elemente identifizieren (vgl. Susanne Gillmayr-Bucher: „Ich muss noch einmal Psalmen schreiben“, S. 269). 181 Susanne Gillmayr-Buchers eigentlich auf Brechts „Psalmen“ bezogene Beobachtung gilt auch für die hier untersuchten Dramenauszüge (Susanne Gillmayr-Bucher: „Ich muss noch einmal Psalmen schreiben“, S. 272).  

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1.4 Urszene 2: David trauert um Jonathan 1.4.1 Die biblische Erzählung Die Niederlage gegen die Philister ist vernichtend. Der König und der Kronprinz sind gefallen. Für David, längst zum Nachfolger gesalbt, steht nun der Weg zum Thron offen. Der alte Machthaber, der ihm nach dem Leben getrachtet hat, ist tot. Ein Grund zur Freude? Die Nachricht, dass Saul, einstige Vaterfigur und späterer Todfeind, in der Schlacht das Leben verloren hat, bestürzt David zutiefst, doch noch größer ist sein Schmerz über den Verlust Jonathans: Da fasste David seine Kleider und zerriss sie, und ebenso taten alle Männer, die bei ihm waren, und sie hielten Totenklage und weinten und fasteten bis zum Abend um Saul und seinen Sohn Jonatan und um das Volk des HERRN und um das Haus Israel, weil sie durchs Schwert gefallen waren. (2. Samuel 1,11 f.)  

Der künftige König stimmt ein großes Klagelied an, in dem er die gefallenen Helden betrauert. Mit dem öffentlichen Preis ihrer Taten folgt David dem Herkommen – doch schert er aus dem Trauerritual aus. Statt standardisierter Floskeln findet er persönliche Worte. Während er im Falle Sauls die Frauen zur Klage auffordert, übernimmt er für Jonathan selbst die Rolle des Klageweibs182 und wendet sich in einer direkten Apostrophe an ihn: Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonatan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen, als Frauenliebe ist. (2. Samuel 1,26)

„[I]n der erschütternden Ich-Klage um den toten Freund Jonathan […] tritt die Persönlichkeit Davids so markant hervor, daß an der Authentizität des Textes kaum zu zweifeln ist“.183 Diese Stanze setzt dem einzigen Freundespaar, von dem das Alte Testament erzählt184, ein poetisches Denkmal. Wenn David Jonathans Zuneigung zu ihm als „wundersam“, d. h. als „alle Grenzen des Faßbaren übersteigend“185, preist, reflektiert er die Gefühle des anderen, ohne aber selbst explizit die eigene Hingabe zu erwähnen. Dies bestätigt Thomas Naumanns Beobachtung, dass an keiner Stelle gesagt wird, David, der Vielgeliebte, habe selbst und aktiv jemanden geliebt, sei er also nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der Liebe  

182 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele, S. 112. 183 Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 181; vgl. auch Otto Kaiser: David und Jonathan, S. 296. 184 Vgl. Otto Kaiser: David und Jonathan, S. 281. 185 Thomas Naumann: David und die Liebe, S. 62.

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gewesen.186 Eine leichte Asymmetrie prägt dann auch das Verhältnis von David zu Sauls Sohn: „Jonatan erscheint als der gebende, David als der empfangende Teil.“187 Rückblick vom Ende der Männerfreundschaft zu ihrem Beginn, der in 1. Samuel 18,1–4 wie eine „Liebe auf den ersten Blick“188 inszeniert wird: Als David aufgehört hatte, mit Saul zu reden, verband sich das Herz Jonatans mit dem Herzen Davids, und Jonatan gewann ihn lieb wie sein eigenes Leben. […] Und Jonatan schloss mit David einen Bund, denn er hatte ihn lieb wie sein eigenes Leben. Und Jonatan zog seinen Rock aus, den er anhatte, und gab ihn David, dazu seine Kleidung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel.

Mit dem Geschenk von Mantel, Kleidung und Schwert vollzieht Jonathan einen „Identitätstausch“189 und erhebt den sozial Niedrigergestellten auf seine Stufe. Sieben Mal wiederholt die biblische Erzählung, wie sich Jonathan emotional an ihn bindet190 – und sich so einem extremen Loyalitätskonflikt aussetzt, denn Saul, der mehr und mehr in seinem schönen und begabten Gefolgsmann einen potenziellen Thronprätendenten erkennt, bemüht sich, David auszuschalten. Der fühlt sich schuldlos verfolgt und bittet heimlich Jonathan um Hilfe. Bei dieser Gelegenheit leisten sich die beiden Männer einander einen Eid: Jonathan schwört David seine unbedingte Treue und bittet diesen im Gegenzug darum, ihn und sein Haus im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zu schonen. Um die Absichten des Königs herauszufinden, greifen sie zu einer List: David bleibt an Neumond einem kultischen Festmahl der königlichen Tafel fern. Als Jonathan dem misstrauischen Saul die verabredete Entschuldigung ausrichtet, verliert der König die Beherrschung und schreit seine Meinung über David, aber auch über die Freundschaft der beiden Männer heraus: Du Sohn einer ehrlosen Mutter! Ich weiß sehr wohl, dass du den Sohn Isais erkoren hast, dir und der Blöße deiner Mutter zur Schande! Denn solange der Sohn Isais lebt auf Erden, wirst du und auch dein Königtum nicht bestehen. So sende nun hin und lass ihn herholen zu mir, denn er ist ein Kind des Todes. (1. Samuel 20,30 f.)  

186 Vgl. Thomas Naumann: David und die Liebe, S. 57, 62. 187 Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 292. 188 Stefan Ark Nitsche: König David, S. 108. 189 Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele, S. 107. 190 Michael Brinkschröder sieht in der Tatsache, dass die Initiative jeweils von Jonathan ausgeht, keinen Beleg für dessen emotionale Unterlegenheit, sondern einen Hinweis darauf, dass der Prinz David in Bezug auf den sozialen Rang übergeordnet ist (vgl. Michael Brinkschröder: Sodom als Symptom, S. 223).

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Als Jonathan dann noch David zu verteidigen wagt, schleudert Saul seinen Speer nach ihm. Sauls Ausbruch ist in erster Linie vermutlich Ausdruck seiner Angst vor dem Machtverlust. Doch lassen sich die Kraftausdrücke, in denen eine sexuelle Bedeutung mitschwingt, auch als Vorwurf lesen, Jonathan verkehre sexuell mit einem Mann, was unvereinbar war mit der in Israel geltenden Sexualmoral.191 Spätestens nach Sauls öffentlichem Ausfall weiß Jonathan, dass an eine Aussöhnung von König und David nicht mehr zu denken ist. Der Abschied von seinem Freund, vollzogen in aller Heimlichkeit auf offenem Feld, zeigt die Innigkeit und Wahrhaftigkeit ihrer Beziehung: David „fiel auf sein Antlitz zur Erde und beugte sich dreimal nieder, und sie küssten einander und weinten miteinander, David aber am allermeisten“ (1. Samuel 20,41). Noch einmal, ein letztes Mal, wird Jonathan den Outlaw David wiedersehen, um quasi seine Thronansprüche an ihn abzutreten und Davids Auserwähltheit anzuerkennen: „[D]u wirst König werden über Israel, und ich werde der Zweite nach dir sein“ (1. Samuel 23,17).

1.4.2 Die Deutungstradition Zwar gehen Theologen wie Historiker davon aus, dass die ganze Aufstiegsgeschichte Davids von späteren Bearbeitern in apologetischer Intention stark erweitert und umgeschrieben wurde, um das Freundespaar David und Jonathan umso strahlender von dem negativ verzeichneten Saul abzuheben. Doch der Kern der Geschichte – die wechselseitige Zuneigung der Männer, die eigentlich Rivalen um den Thron hätten sein müssen – gilt als authentisch.192 Andreas Kraß nennt beider Geschichte einen „kleinen Freundschaftsroman […], der in das israelitische Geschichtswerk eingebettet ist“.193 Mit Jonathan verliert David den Freund, der ihm das Leben gerettet hat, seinen engsten Verbündeten – und auch seinen Geliebten? Umstritten ist bis heute, wie man Davids Bekenntnis, er habe Jonathans Liebe mehr als die von Frauen geschätzt, werten soll, ob es sich dabei um das Eingeständnis einer mannmännlichen Liebe oder aber um den Ausdruck einer einzigartigen Freundschaft handelt.194 Es muss offen bleiben, „[w]elche Facetten der Liebe in der Beziehung

191 Vgl. Stefan Ark Nitsche: König David, S. 112; vgl. Thomas Naumann: David und die Liebe, S. 61; vgl. Michael Brinkschröder: Sodom als Symptom, S. 227. 192 Vgl. Otto Kaiser: David und Jonathan, S. 295. 193 Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele, S. 106. 194 Verhindert wird eine endgültige Klärung durch die Bedeutungsvielfalt des hebräischen Verbs für „lieben“ (’aheb), die von der freundschaftlichen Zuneigung über die erotische Liebe bis

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zwischen Jonatan und David aufleuchteten bzw. von den Erzählern zum Leuchten gebracht werden“195. Dabei ragt die Exklusivität dieser Freundschaft heraus: Im Unterschied zu den mehreren Ehefrauen Davids ist der Freund einzigartig.196 Ihren Höhepunkt erlebt ihre Bindung paradoxerweise im Tod. Andreas Kraß nennt in seiner Studie zu Männerfreundschaften in der Literatur mehrere Gründe, warum das Thema Freundschaft oft mit dem Tod verschränkt wird: Erstens ermöglicht die Trauer es, das „Pathos der Freundschaft“ auf die Spitze zu treiben. Zweitens wird durch den Tod des Freundes auch „die Dialektik von Nähe und Ferne, von Präsenz und Absenz“ zugespitzt. Drittens kann der Überlebende sich in der Totenklage sein eigenes Bild von dem toten Gegenüber machen und diesen idealisieren, ohne dass der sich wehren kann. Viertens schwingt im literarischen Phantasma der männlichen Leiche auch das Verbot der Homosexualität mit: Erst der Tod erlaubt es, die sozial stigmatisierten Gefühle zu artikulieren, ohne sich

hin zur Nächstenliebe reicht (vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 292; Thomas Naumann: David und die Liebe, S. 62 f.). Allerdings lässt die Ächtung homosexueller Beziehungen in der offiziellen JHWH-Religion es als unwahrscheinlich erscheinen, dass zwei Männer gerade JHWH als Zeugen ihres Liebesbundes anrufen (vgl. 1. Samuel 20,23) bzw. dass die späteren Bearbeiter der Aufstiegsgeschichte nicht diesen Wesenszug Davids eliminiert haben (vgl. Markus Zehnder: Exegetische Beobachtungen zu den David-Jonathan-Geschichten, S. 173 f.). So negiert Fritz Stolz alle homosexuellen Implikationen und beschreibt die Beziehung von David und Jonathan als „Bruderbund“: „Es geht um die Zuneigung von Freunden, die das erste Mannesalter miteinander erlebt haben und deren Beziehung alle Wechselfälle des Schicksals überdauerte.“ (Fritz Stolz: Das erste und zweite Buch Samuel, S. 189) Markus Zehnder betont daneben den legitimatorischen Zug der Darstellung, der auf die politische und nicht auf die sexuelle Ebene der Beziehung zwischen David und Jonathan hindeute: Jonathan komme damit „die Rolle des Übermittlers des Königtums von Saul an David [zu], womit die Rechtmässigkeit der Thronübernahme durch David unterstrichen“ werde (Markus Zehnder: Exegetische Beobachtungen zu den David-JonathanGeschichten, S. 170). Eine solche heteronormative Lesart wird u. a. von Michael Brinkschröder als „antihomosexuell[e] Apologetik“ attackiert (Michael Brinkschröder: Sodom als Symptom, S. 215). Brinkschröder argumentiert auf inhaltlicher wie philologischer Ebene, um die homoerotische „Gegenkohärenz“ der biblischen Erzählung, also deren unterschwellige gleichgeschlechtliche Doppeldeutigkeiten aufzudecken (vgl. ebd., S. 213–229). Allerdings gelangt auch er zu dem Schluss: „Ob ihre Freundschaft einen im engeren Sinne sexuellen Charakter hatte oder nicht, bleibt offen.“ (ebd., S. 229) Silvia Schroer und Thomas Staubli sind sich dagegen sicher, dass David und Jonathan durch „eine homoerotische und sehr wahrscheinlich auch homosexuelle Beziehung“ verbunden sind (Silvia Schroer/Thomas Staubli: Saul, David und Jonatan – eine Dreiecksgeschichte?, S. 15). Wie der Titel ihres Aufsatzes nahelegt, stellen die beiden Autoren die These auf, dass auch König Saul David begehrte. Die Leidenschaftlichkeit seines Hasses sei auf enttäuschte Liebe und Eifersucht zurückzuführen (vgl. ebd., S. 22). 195 Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 292. 196 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele, S. 111.  





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dem Verdacht der Homosexualität auszusetzen. „Die Angst vor dem Begehren wird in ein Begehren nach dem Tod übersetzt.“197 All diese von Kraß herausgearbeiteten Motive lassen sich als interpretatorisches Muster auch auf Davids Totenklage übertragen: In seinem Lied kann David demnach seine Gefühle verbalisieren und sein Bild von Jonathan festigen. Diese Vielschichtigkeit der Beziehung wirkt auch in der folgenden künstlerischen Rezeption nach.

1.5 Literarische Adaptionen Auch wenn Sol Liptzin in seiner weitgespannten Untersuchung über die Rezeption biblischer Themen in der Weltliteratur zu dem Schluss gelangt, dass gerade die Integrität und der Edelmut Jonathans, d. h. sein Mangel an charakterlichen Defiziten, ein intensives literarisches Nachleben verhindert hätten198, lassen sich doch einige bemerkenswerte Adaptionen dieser besonderen Freundschaft finden. Gerade die große Gefühlsintensität, die sich in Davids Totenklage mitteilt, regte Künstler zur produktiv-kreativen Auseinandersetzung an. Hier, in diesem Lied, mit dem der künftige König einen Einblick in sein Seelenleben gestattet, wird David als Sänger und Dichter greifbar. Jenes individuelle Trauerlied trug wesentlich dazu bei, das Bild vom singenden David prototypisch werden zu lassen.199  

197 Vgl. Andreas Kraß: Ein Herz und eine Seele, S. 78 f. Kraß nennt noch einen fünften, in die Psychoanalyse ausgreifenden Grund, der im Rahmen der David-Stoffgeschichte zu vernachlässigen ist: „Die Trauer um den toten Freund spiegelt die Melancholie des Geschlechts, die aus dem Homosexualitätsverbot, das dem Inzesttabu noch vorausgeht, resultiert. Die individualisierte Trauer repräsentiert das im ödipalen Konflikt virulente Problem, dass im Begehren des Sohnes nach dem Vater nicht nur das Objekt, sondern auch die Zielrichtung des Begehrens verneint wird.“ (Ebd., S. 79) 198 „If painters and composers, poets, novelists, and dramatists […] do not display any great interest in him, it is because saintly personalities do not lend themselves as easily to artistic presentation, and apparently do not normally move emotions as deeply, as characters who sin grandly, who have to work their way through error to clarity, and who have to pay by intense suffering the penalty for their moral aberrations.“ (Sol Liptzin: Biblical Themes in World Literature, S. 169) 199 Vgl. Klaus Seybold: David als Psalmensänger in der Bibel, S. 150. Neben dem Klagelied für Jonathan und Saul sind die Totenklage um den Feldherrn Abner (2. Samuel 3,33 f.), das Danklied für die Errettung vor seinen Feinden (2. Samuel 22) sowie die in Form eines Gebets übermittelten letzten Worte (2. Samuel 23) als Dichtungen Davids in das Geschichtswerk eingebettet. Vor allem die Trauerlieder werden als wörtlich erhaltene Zeugnisse Davids betrachtet (vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 181).  



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Ein Rezeptionsstrang der Stoffgeschichte gestaltete die vorbildliche Freundschaft von David und Jonathan zu einem „literarischen Topos“200 aus. Als abgründiger und interessanter erwies sich jedoch die Möglichkeit, die homoerotische Dimension herauszuarbeiten und mit der Künstler-Thematik zu kombinieren.201 Die folgende Analyse von Adaptionen bzw. Weiterdichtungen der Urszene berücksichtigt nur Textzeugen, die eine solche poetologische Ebene aufweisen.202

1.5.1 Rainer Maria Rilke: Klage um Jonathan (1907/08) Elegie auf den Geliebten. Inhalt und Deutung Der Versuch, dichtend den Verlust des Geliebten zu verarbeiten – auf diese Formel lässt sich die als Rollengedicht angelegte, erotisch und emotional aufgeladene „Klage um Jonathan“ bringen. Rainer Maria Rilkes in „Der Neuen Gedichte anderer Teil“ enthaltener, 1907/08 entstandener Text basiert auf dem zweiten Samuel-Buch (1,17–27) und bietet eine intime Innenschau Davids, der um Jonathan, den im Kampf gegen die Philister gefallenen Sohn und Thronfolger Sauls, trauert.203

200 Martin Bocian: Lexikon der biblischen Personen, S. 88. So stellte 1590 der Humanist Edmund Spenser in seinem Epos „The Faerie Queene“ David und Jonathan in eine Reihe mit antiken Freundespaaren wie Achill und Patroklos oder Orest und Pylades (vgl. Raymond-Jean Frontain/Jan Wojcik: Introduction, S. 5). 201 Vgl. Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 160. 202 Unberücksichtigt bleiben Texte, die lediglich das Thema der Freundschaft beleuchten, wie etwa Fritz Rosenthals (d. i. Schalom Ben-Chorin) 1935 veröffentlichtes Gedicht „David geht von Jonathan“, in dem David den Moment der Trennung von seinem Freund (der hier kein Geliebter ist) beschreibt. Die letzte der vier Strophen zeigt einen trauernden, aber entschlossenen David: „Reich mir noch einmal die vertrauten Hände, / Neig mir die Stirne, die ich lieb gewann, / Ich weiß nicht, ist es Ende oder Wende / – Gleichviel, ich reite ins Gelände – / Und reiße mich von dir, mein Jonathan.“ (Fritz Rosenthal: Das Mal der Sendung, S. 15) Während Rosenthals Gedicht nah an der Aussage des biblischen Prätextes bleibt, deutet Bertolt Brecht die Episode in seiner 1937 entstandenen, dialogisch angelegten Ballade „Jonathan und David (Zwiegespräch)“ um. Die Freundschaft der beiden Männer, die ihre gegensätzlichen politischen Interessen überwinden, wird zu einem zeitlosen Modell erhoben. In schlichter Sprache wird die Wichtigkeit von Einigkeit und Solidarität vermittelt, durch die sogar scheinbar Verfeindete zu Freunden werden können: „Ich bin nur ein Bauer.“ – „Ich weiß.“ – / „Und du mußt ein Müller sein.“ – / „Zwischen Bauer und Müller ist Feindschaft. / Sind wir jetzt Feinde?“ – „Nein.“ – // „Weil: wir haben beide gefroren.“ – / „Denn unsere Röcke sind beide dünn.“ – / „Und wir sind beide verloren / Wenn wir nicht beide gerettet sind.“ (Bertolt Brecht: Werke, Bd. 10, S. 780–782; vgl. Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 161) 203 Unverständlich, zumal unbegründet und unvereinbar mit der Stoffgeschichte bleibt Peter Pors überraschende Hypothese, dass sich Rilkes Gedicht „eindeutig als die Klage einer Frau

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Klage um Jonathan204 Ach sind auch Könige nicht von Bestand und dürfen hingehn wie gemeine Dinge, obwohl ihr Druck wie der der Siegelringe sich widerbildet in das weiche Land. Wie aber konntest du, so angefangen mit deines Herzens Initial, aufhören plötzlich: Wärme meiner Wangen. O daß dich einer noch einmal erzeugte, wenn sein Samen in ihm glänzt. Irgend ein Fremder sollte dich zerstören, und der dir innig war, ist nichts dabei und muß sich halten und die Botschaft hören; wie wunde Tiere auf den Lagern löhren, möcht ich mich legen mit Geschrei: denn da und da, an meinen scheusten Orten, bist du mir ausgerissen wie das Haar, das in den Achselhöhlen wächst und dorten, wo ich ein Spiel für Frauen war, bevor du meine dort verfitzten Sinne aufsträhntest wie man einen Knaul entflicht; da sah ich auf und wurde deiner inne: – Jetzt aber gehst du mir aus dem Gesicht.

Die zugrundeliegende Klage, die das Alte Testament überliefert, greift viel weiter aus, als es Rilkes Text tut.205 Sie widmet sich zunächst beiden in der Schlacht gegen die Philister gefallenen Helden, dem König und seinem Sohn. Dann erst konzentriert sie sich allein auf Jonathan und wechselt unversehens vom konventionellen Herrscherpreis in einen unerhörten intimen Ton: Hier betrauert ein

lesen“ lasse (Peter Por: Die orphische Figur. Zur Poetik von Rilkes „Neuen Gedichten“, S. 345, vgl. auch S. 268). 204 Rainer Maria Rilke: Werke, Bd. 1, S. 517 f. 205 Zum Vergleich noch einmal der Originaltext: „Die Edelsten in Israel sind auf deinen Höhen erschlagen. Wie sind die Helden gefallen! […] Saul und Jonatan, geliebt und einander zugetan, im Leben und im Tod nicht geschieden; schneller waren sie als die Adler und stärker als die Löwen. […] Wie sind die Helden gefallen im Streit! Jonatan ist auf deinen Höhen erschlagen! Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonatan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen, als Frauenliebe ist.“ (2. Samuel 1,19–26)  

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Mann den Tod seines engsten Freundes, dessen Zuneigung ihm sogar mehr bedeutete als die Liebe der Frauen. Rilkes fünfstrophiges Gedicht blendet Saul dagegen weitgehend aus. Zwar artikuliert die erste Strophe die Sentenz, dass Könige ebenso sterblich sind wie andere Menschen, schließt damit also auch den ersten israelitischen König ein, doch fällt der Name Saul an keiner Stelle.206 Generell erlaubt es nur der Gedichttitel, die Klage zu kontextualisieren und als Neudichtung eines alttestamentlichen Textes zu identifizieren. Dass es sich bei dem Sprecher um David handelt, muss der Leser selbst ergänzen. Die Interjektion „Ach“, mit der die erste Strophe einsetzt, drückt zugleich Verwunderung und Erschütterung über die Vergänglichkeit des Menschen aus.207 Selbst Könige müssen „hingehn wie gemeine Dinge, / obwohl ihr Druck wie der der Siegelringe / sich widerbildet in das weiche Land“. Die Siegelringmetaphorik, die hier auf einer allgemeinen Ebene die prägende Kraft der Herrscher ins Bild fasst, wird in der zweiten Strophe variiert und auf den privaten Bereich angewandt. Das lyrische Ich stellt dem toten Du bohrende Fragen, die ins Leere gehen müssen; der Sprecher bleibt allein mit der Unfassbarkeit des Todes. Der abrupte, harte Umbruch vom zweiten zum dritten Vers vollzieht in der Sprache diesen Bruch nach. So wie Könige ihrem Land einen Stempel aufdrücken, so hat Jonathan sich mit seines „Herzens Initial“ bei David eingeprägt, hat seine Wangen gewärmt. Der antithetische Umschlag von „angefangen“ in „aufhören“, von der metaphorischen Umschreibung „Initial“ zum Tod zeigt die Fassungslosigkeit des Trauernden. Das Erkalten des Körpers Jonathans wird auch Davids Wangen erkalten lassen; der Abdruck, den der Freund bei ihm hinterlassen hat, hört auf.208 Tod und Zerstörung werden mit Samen und Zeugung kontrastiert. Die Strophe gipfelt in dem als irreal markierten Wunsch, dass der Tote ein zweites Mal gezeugt werden könnte. Dabei eröffnet der letzte Vers mit der Metapher des glänzenden Samens, die zusätzlich durch die Waise „glänzt“ betont wird, eine homoerotische Deutungsebene, die in den folgenden Strophen ihre Fortsetzung findet. Die Klage Davids verrät eine leidenschaftliche Liebe zu Jonathan und steigert sich ins Maßlose:

206 Vgl. auch Grant H. Henley: Aus der Fülle des Herzens – Rilke’s biblical Poetry in the „Neue Gedichte, Anderer Teil“, S. 614. 207 Der Ausruf variiert den ersten Vers von Schillers „Nänie“: „Auch das Schöne muss sterben!“ (Vgl. Gerhard Härle: Lyrik – Liebe – Leidenschaft, S. 190) 208 Vgl. Brigitte L. Bradley: Rainer Maria Rilkes „Der Neuen Gedichte anderer Teil“, S. 53.

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Irgend ein Fremder sollte dich zerstören, und der dir innig war, ist nichts dabei und muß sich halten und die Botschaft hören; wie wunde Tiere auf den Lagern löhren, möcht ich mich legen mit Geschrei:

In seiner Ohnmacht fühlt sich David, der dazu verurteilt ist, die Todesnachricht hinzunehmen und nach außen die Fassung zu wahren, wie ein todwundes Tier. Während der lyrische Sprecher zunächst noch von sich in der dritten Person spricht, als er die Zumutung beschreibt, wie ein Außenstehender die Zerstörung seines Liebsten akzeptieren zu müssen, wechselt er mit dem fünften Vers zur Ich-Form: Am liebsten würde er seinen Schmerz herausschreien. Besonderes Gewicht legte Rilke auf das Reimwort „löhren“ – als es der Setzer der Erstauflage in das geläufigere Verb „röhren“ korrigierte, protestierte der Dichter mit Nachdruck: Es mag übertrieben sein, wenn ich diese Abänderung als wesentlich störend empfinde, aber es ist so: löhren enthält soviel von Tierklage, auch wilder Tiere, hat einen etwas anderen ö-Laut und das l ist an dieser Stelle ebenso korrespondierend mit ‚Lagern‘ und dem ‚Legen‘ der kommenden Zeile, wie das r schwierig und widerstrebend und nach ‚Lagern‘ geradezu unmöglich ist; überdies: röhren ist ein Fachausdruck, nur für bestimmte Wildarten gültig …209

Mithilfe der Alliterationen lenkt Rilke die Aufmerksamkeit auf den Schmerzenslaut. Die seelische Qual wird in den letzten beiden Strophen mit dem körperlichen Schmerz verglichen: Jonathan wurde David wie das Schamhaar ausgerissen. Der Vergleich mit der Intimbehaarung enthüllt nun endgültig die Beziehung zwischen den beiden Männern als homoerotische Liebe. Sie ist „als ein In-mirEingewachsensein erfasst, um das Leid als einen körperlichen Schmerz, wie er beim Haarausreißen entsteht, zu konkretisieren“.210 Die Haarmetaphorik dient nicht nur dazu, den unermesslichen Schmerz in Worte zu fassen, sondern auch, um zu beschreiben, wie Jonathan David zur sexuellen Selbstfindung verhalf. Als er ein Spielball für Frauen war, empfand er seine Sinne als „verfitzt“, also als undurchschaubar. Erst Jonathan entwirrte seine Empfindungen und brachte ihn

209 Zitiert nach Hans Berendt: Rainer Maria Rilkes „Neue Gedichte“, S. 206. Passend zu Rilkes Erläuterung verzeichnet das Deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm folgende Definition für „löhren“: „wie ein thier heulen, ein thierisches geheul ausstoszen“ (Deutsches Wörterbuch, Bd. 12, Sp. 1143). Als Belegstelle wird die Luther-Übersetzung des Bibelbuchs Hosea 7,14 angeführt. 210 Brigitte L. Bradley: Rainer Maria Rilkes „Der Neuen Gedichte anderer Teil“, S. 55.

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zur Klarheit.211 Das schlichte Fazit „ich […] wurde deiner inne“ scheint eine Variation des Erkennens im biblischen Sinne zu sein. David erlebte die körperliche Homoerotik. Nachdem das Gedicht auf diese Selbstentblößung, das bedingungslose Bekenntnis zu einer Liebe, hingesteuert ist, bricht die Rede abrupt ab, was bereits der Gedankenstrich am Ende des vorletzten Verses andeutet. Der Text endet in einer Antiklimax: „Jetzt aber gehst du mir aus dem Gesicht.“ Der enthemmte Schmerz, den David wie ein Tier herausgebrüllt hat, mündet in eine vergleichsweise sachliche Feststellung des Verlusts. War Jonathan zuvor derjenige, der Davids Gesicht, seinen Wangen, Wärme spendete, verliert sich nun sein Abdruck.212 Damit eröffnet sich ein Gegensatz zu dem von der ersten Strophe beschriebenen Sachverhalt: Während das Wirken der Könige sich auch nach ihrem Tod noch im Land manifestiert, hinterlässt die Liebesbindung keine physisch manifesten Spuren. Wie Brigitte L. Bradley zutreffend herausgearbeitet hat, folgt das Gedicht einer dreigliedrigen Struktur: Die anfängliche Betroffenheit über die Vergänglichkeit der Mächtigen im Allgemeinen und Jonathans im Besonderen geht über in ein Crescendo des Schmerzes, das mit Erinnerungen an die gemeinsame Zeit durchsetzt ist, bevor dann der gleichsam ausgehöhlte David verstummt und „aufhört, des Freundes Empfindungsabdruck zu sein“213. Klage eines Dichters. Der Text als Liebeslyrik und poetologische Lyrik Mit „Klage um Jonathan“ greift Rilke nur einige Motive aus der biblischen Vorlage auf und komponiert sie neu.214 Zwar bewegt sich Rilke auf struktureller Ebene in

211 Walter Dietrich schlägt eine andere Deutung vor: „Doch Davids Dank an Jonathan geht tiefer: Er erkennt in ihm den, der seine verworrenen Sinne entflochten, was wohl bedeutet: ihm durch seine Selbstrücknahme die eigene Bestimmung bewusst gemacht hat.“ (Walter Dietrich: David und die Dichter, S. 177) Diese Lesart erscheint nicht zwingend, schließlich thematisiert das Gedicht an keiner anderen Stelle Davids politische Mission, sondern konzentriert sich auf die intime Beziehung der beiden Männer. 212 Vgl. Brigitte L. Bradley: Rainer Maria Rilkes „Der Neuen Gedichte anderer Teil“, S. 56. 213 Brigitte L. Bradley: Rainer Maria Rilkes „Der Neuen Gedichte anderer Teil“, S. 56. Besonders die äußerste Emotionalität der „Klage um Jonathan“ entspricht nicht der immer wieder vorgebrachten These, Rilke perfektioniere mit seinen „Neuen Gedichten“ die Form des objektiven Dinggedichts (vgl. Grant H. Henley: Aus der Fülle des Herzens – Rilke’s biblical Poetry in the „Neue Gedichte, Anderer Teil“, S. 624). 214 Auch für diesen Text lassen sich autobiografische Einflüsse ausfindig machen: Grant H. Henley beschreibt die Entstehungszeit des Gedichts (1907/08) als eine bedrückte Phase im Leben Rilkes, die durch Erfahrungen von Tod, Leid und Verlust geprägt war: „It is the man and the poet Rilke wrestling with human tragedy and loss.“ (Grant H. Henley: Aus der Fülle des Herzens – Rilke’s biblical Poetry in the „Neue Gedichte, Anderer Teil“, S. 616) Neben einer Zeit der Krankheit erschütterten besonders der Tod der engen Freundinnen Paula Modersohn-Becker im November

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den Konventionen der Gattung Klagelied: „Im alten Gebrauch der weinenden Weiber, ebenso wie in der kirchlichen Gattung des Requiems vergegenwärtigt sich derselbe Wunsch und dasselbe Ideal: durch die Klage über den endgültigen Abschied eine letzte Einheit mit dem Toten hervorzubringen.“215 Auf inhaltlicher wie rhetorischer Ebene ereignet sich dagegen etwas Neues. Mit ungewöhnlichen Bildern gestaltet Rilke die überlieferte innige Freundschaft weiter aus und identifiziert sie eindeutig als homoerotische Liebe. David beklagt den Verlust desjenigen, der seine Sinne geordnet und ihn die „wahre“ Liebe gelehrt hat. Die Totenklage wandelt sich so zur Liebeslyrik.216 „Eine Totenklage, die ein Liebesgeständnis ist, und ein Liebesgeständnis, das sich nur vor dem Leichnam äußern kann“.217 Hier greift der oben dargestellte Erklärungsansatz von Andreas Kraß, nach dem es erst der Tod des Geliebten dem Homosexuellen erlaubt, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen. David, der eigentlich als Liebhaber von Frauen berühmt ist, wird von Rilke als Liebhaber eines Mannes gezeichnet.218 Während das zweite Buch Samuel sich mit der Aussage begnügt, dass David die Liebe Jonathans wichtiger war als weibliche Zuneigung, implizieren Rilkes Verse, dass David die Beziehung zu Jonathan – im Gegensatz zu seinen verworrenen heterosexuellen Liebschaften – als wahre, geordnete Liebe begreift. Der Prätext erfährt so eine Transmotivation: nämlich eine Umdeutung hin zu einem Bekenntnis einer mannmännlichen Liebe. Darüber hinaus schwingt im Subtext des Gedichts eine selbstreferenzielle Aussage mit. Verräterisch ist die der Schriftkultur entlehnte Metapher von des „Herzens Initial“, die die Vorstellung von aufwendig ausgeschmückten Anfangsbuchstaben aufruft, wie sie in mittelalterlichen Handschriften üblich waren. „Initial“ steht einerseits für den Beginn der zärtlichen Beziehung von David und Jonathan 1907 und Alice Faehndrich im Juni 1908 Rilke tief – es liegt nahe, dass er im zweiten Teil seiner „Neuen Gedichte“ auch diese Trauer verarbeitete, zumal Rilke selbst die Kraft der Kunst betont, Leid zu verwandeln (vgl. ebd., S. 618 f.). Ein Klagelied scheint sich da geradezu aufzudrängen. Eine biografische Lesart, wie sie Henley vorschlägt, wird allerdings nur der Form der Totenklage gerecht und vernachlässigt darüber die sexuelle Ebene. 215 Peter Por: „Zu den Engeln (lernend) übergehen“, S. 88. Por arbeitet die Parallelen zwischen der „Klage um Jonathan“ und der „Klage um Antinous“, ebenfalls enthalten in „Der neuen Gedichte anderer Teil“, heraus (vgl. ebd., S. 88 f.). 216 In der Forschung tat man sich bisweilen schwer mit den ausgeprägt homoerotischen Anspielungen. So versucht Hans Berendt, auch hier eine religiöse Botschaft herauszulesen. Er versteht die „Totenklage als Klage über den sich versagenden Gott“ (Hans Berendt: Rainer Maria Rilkes „Neue Gedichte“, S. 207) und will darin eine Selbstaussprache des Dichters erkennen. Diese Deutung erscheint verfehlt, da sie die sexuellen Aussagen des Textes nicht stimmig aufzulösen vermag. 217 Gerhard Härle: Lyrik – Liebe – Leidenschaft, S. 192. 218 Vgl. Martin Windfuhr: „Religiöse Produktivität“ – die biblisch-jüdischen Motive in Rilkes „Neuen Gedichten“, S. 149.  



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und lässt andererseits an die geschriebene, d. h. dauerhafte Schrift denken, in der das Klagelied vorliegt. Wenn David zuerst die Sterblichkeit aller Menschen und zuletzt resigniert das Schwinden seiner Gefühlsintensität feststellt, ist es ihm doch gelungen, seinen Schmerz in sein Lied zu gießen und so zu konservieren. Impliziert ist die poetologische Überzeugung, dass Dichtung Menschen sowie vorübergehende Affekte zu überdauern und diese zu bewahren und zu überliefern vermag.  

Als Arbeitsprodukte, die die geleistete Arbeitskraft überleben, und auch im Vergleich zur Flüchtigkeit aller menschlichen Energieleistung sind [die Worte der Dichtung] „von Bestand“ oder mit den Worten der Rodin-Monographie ausgedrückt, sie entspringen dem Versuch, „aus Menschlichem … ein Nicht-Mitsterbendes zu formen, ein Dauerndes, ein Nächsthöheres: ein Ding“.219

Was könnte sich besser eignen, um die Lebenskraft der Dichtkunst zu beweisen, als eine Nachdichtung von Davids Totenklage, die gemäß den Erkenntnissen der Bibelwissenschaft Authentizität beanspruchen kann? Es ist der vom Künstler geformte und fixierte Text, in dem Jonathan und die Erinnerung an beider Beziehung weiterleben. Mit dem Bezug auf das alttestamentliche Freundespaar werden Aufgabe und Funktion von Dichtung jenseits eines l’art pour l’art als Medium des Trostes und des Widerstands gegen den Tod aufgewertet. Rilkes Gedicht präsentiert David zwar in erster Linie als Liebenden, doch ist er auch ein Künstler und als solcher – wie schon in „David singt vor Saul“ – eine Identifikationsfigur für Rilke selbst. Aus dem Text, der durch seine Existenz die Verzweiflung über die Vergänglichkeit relativiert, lässt sich eine Hoffnung ableiten: Wie Davids Trauergesang die Zeiten überdauerte, möge auch das Werk des Dichters fortwirken.

1.5.2 Else Lasker-Schüler: David und Jonathan (1910) Gedenklied auf ein Freundespaar. Inhalt und Deutung Das Thema dieser einzigartigen Männerbeziehung greift auch Else Lasker-Schüler in ihrem Gedicht „David und Jonathan“ auf, was den Vergleich mit Rilkes Adaption reizvoll macht. Der Text, der erstmals im „Sturm“ vom 24. März 1910 veröffentlicht und 1913 von der Dichterin in ihren Gedichtzyklus „Hebräische Balladen“ aufgenommen wurde, beschwört ebenfalls die besondere Intimität der Verbindung zwischen den zwei Männern, ist aber keine Totenklage. 220 Noch lebt Jonathan. 219 Brigitte L. Bradley: Rainer Maria Rilkes „Der Neuen Gedichte anderer Teil“, S. 57. 220 Else Lasker-Schüler widmete die „Ballade“ Senna Hoy, d. h. Johannes Holzmann, Anarchist, Verleger und Herausgeber der Wochenschrift „Kampf“ (1904/05), in der er sich vehement für die Enttabuisierung von Homosexualität einsetzte (vgl. Frederike Haberkamp: Buntumschlungen in  

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David und Jonathan221 In der Bibel stehn wir geschrieben Buntumschlungen. Aber unsere Knabenspiele Leben weiter im Stern. Ich bin David, Du mein Spielgefährte. O, wir färbten Unsere weißen Widderherzen rot! Wie die Knospen an den Liebespsalmen Unter Feiertagshimmel. Deine Abschiedsaugen aber – Immer nimmst du still im Kusse Abschied. Und was soll dein Herz Noch ohne meines – Deine Süßnacht Ohne meine Lieder.

Anders als es die Gattungsbezeichnung Ballade erwarten ließe222, bietet der Text keinerlei Handlung, sondern vielmehr ein Stimmungsbild zur Bindung von David

der Bibel, S. 117). 1907 war Hoy nach Russland gereist, um die dortigen revolutionären Umtriebe zu unterstützen, wurde aber umgehend verhaftet und blieb bis zu seinem Tod 1914 unter furchtbaren Bedingungen inhaftiert. Lasker-Schüler bemühte sich vehement, doch ohne Erfolg um seine Freilassung (vgl. Walter Fähnders: Else Lasker-Schüler und „Senna Hoy“, S. 55–77). Ihre enge Verbundenheit mit ihm schlägt sich auch in der Widmung der zweiten Auflage von „Die Nächte der Tino von Bagdad“ (1919) nieder: „Dieses Buch schenke ich meinem geliebten Spielgefährten Sascha (Senna Hoy)“ (zitiert nach ebd., S. 56). Diese zärtliche Bezeichnung des Freundes sowie die Zueignung erlauben den Rückschluss, dass die Dichterin mit dem Rollengedicht über David und seinen „Spielgefährten“ Jonathan auch die eigene enge Beziehung zu Senna Hoy spiegelt – ein Verfahren, das typisch ist für ihre „scheinbare Autobiographisierung des Werks und die Poetisierung der eigenen Existenz“ (Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 45). 221 Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe, Bd. 1.1, S. 161. 222 In der Forschung hat man zu Recht darauf hingewiesen, dass die von Lasker-Schüler versammelten Texte alle gängigen Merkmale der Kunstballade, das Zusammenspiel von epischen, lyrischen und dramatischen Elementen sowie die didaktische Stoßrichtung, vermissen lassen und eher dem Typus der Romanze entsprechen (vgl. Norbert Oellers: Else Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“, S. 364). Eine Parallele zur zeitgenössischen Balladendichtung, die vorwiegend auf mythische, sagenhafte und historische Stoffe rekurriert, lässt sich in der Themenwahl erken-

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und Jonathan, das allein durch den Titel die Hintergründe der biblischen Vorlage aufruft. In acht ungereimten Verspaaren ohne festes Metrum wird der Freundschaft der beiden alttestamentlichen Figuren ein lyrisches Denkmal errichtet. Symmetrie im Aufbau der Strophen verweist in der Lyrik von Lasker-Schüler oft auf die Vollkommenheit einer Beziehung – und so auch hier: Während die beiden mittleren Strophen 4 und 5 im Präteritum das vergangene Liebesglück beschwören, behandeln die letzten drei Strophen (6–8) die gegenwärtige Situation der Trennung, wohingegen die einleitenden drei Strophen das Nachleben der Freunde in der Zukunft andeuten.223 Entgegen der Chronologie greifen die ersten drei Strophen über die Gegenwart des Textes hinaus, indem sie einen Ausblick in die Rezeptionsgeschichte der Freundschaft wagen. Bereits das erste Verspaar konstatiert, dass David und Jonathan, die hier als lyrisches Wir auftreten, „[b]untumschlungen“ in der Bibel geschrieben stehen. Der Neologismus verleiht der Beziehung eine vegetativ-organische Dimension, während das alle Farben einschließende Attribut „bunt“ ihre umfassende Qualität veranschaulicht.224 Doch nicht nur die Schrift konserviert das Andenken an die beiden Männer, sie leben auch „im Stern“ fort und erinnern

nen: Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“ kreisen allesamt um biblische Figuren. Womöglich wollte die Dichterin mit ihrer nachträglichen Gattungszuweisung den Texten „eine Aura von Ursprünglichkeit, Volkstümlichkeit und von Authentizität“ verleihen (Christine Radde: Else Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“, S. 37) und sich zugleich von der traditionellen Balladendichtung distanzieren: „Sie ruft mit der Gattungsbezeichnung Erwartungen auf, die einerseits von ihrer eigenen Verwendung des Balladenbegriffs, andererseits von dessen gängigem Verständnis gespeist werden, um sie in eine ganz bestimmte Richtung – ins ‚Hebräische‘ umzulenken.“ (Ebd., S. 42) Das Attribut „hebräisch“ deutet die Dichterin selbst als Synonym für „poetisch, mythisch, heilig“. Durch die Titelwahl stellt sie sich in die Tradition von Heines „Hebräischen Melodien“ (1851) und bezieht sich darüber hinaus auf Martin Bubers kulturzionistisches Konzept des „hebräischen Humanismus“ (vgl. Birgit M. Körner: Hebräische Avantgarde, S. 223). 223 Vgl. Christine Radde: Else Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“, S. 176 f. Die Detailanalyse folgt im Wesentlichen der detaillierten Interpretation von Christine Radde. Dagegen wird der rhetorische und grammatologische Ansatz von Marina Krug nicht berücksichtigt, da sich deren dekonstruktive und feministische Lektüre als nicht zielführend für die intertextuellen, stoffgeschichtlichen und poetologischen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit erweist (vgl. Marina Krug: Die Figur als signifikante Spur). 224 Frederike Haberkamp macht darauf aufmerksam, dass Lasker-Schüler mit der dem Bildfeld des Webens entlehnten Metapher „[b]untumschlungen“ einen Bezug zu ihrem eigenen Werk, namentlich dem Gedicht „Ein alter Tibetteppich“, herstellt. Darin heißt es: „Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzentron / Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl / Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.“ (Vgl. Frederike Haberkamp: Buntumschlungen in der Bibel, S. 120)  

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an das mythologische Zwillingspaar Castor und Pollux, das in einem Sternbild verewigt wurde.225 Ab Vers 5 ergreift David allein das Wort, Jonathan wird als „Spielgefährte“ angeredet: Diese Individuation („Ich“ – „Du“) vollzieht auf sprachlicher Ebene die zwangsweise Trennung der Freunde nach. Aus der Zukunft, in der ihre Umschlungenheit und Zusammengehörigkeit als „Spielgefährte[n]“ fortdauert, erfolgt quasi ein Rückblick zum Beginn ihrer Bindung. Zwar klingt im Motiv des Spiels die Konnotation kindlicher Unschuld an, doch berichtet David, wie sich die Beziehung verändert hat, wie die beiden ihre „weißen Widderherzen“ rot gefärbt haben. Die Farbe der Unschuld macht dem Rot des Blutes und der Leidenschaft Platz, wobei der Widder nicht nur als Opfertier gilt, sondern ebenso für animalische Triebhaftigkeit steht. Die ungewöhnliche Bildsprache nimmt deutlich erotische Züge an; auch der Vergleich mit „Knospen an den Liedespsalmen / Unter Feiertagshimmel“ weist die Freundschaft als Liebe aus. Mit der Fügung „Liebespsalmen“ provoziert Lasker-Schüler eine fehlerhafte Lektüre, da der Leser durch das vorangehende Bezugswort „Knospen“ leicht „Liebespalmen“ liest, was an die vegetative Motivik aus Vers 2 anknüpfen und zugleich eine phallische Metapher darstellen würde.226 Der korrekt gelesene Neologismus spielt dagegen auf den Psalmendichter David an und zieht – zusammen mit dem ersten Verspaar – in das Gedicht eine poetologische Ebene ein.227 Er vereinigt „die zwei brennenden Elemente [von Davids] Leben, irdische Liebe und göttliche Lobpreisung, in eins“228. Dass die Liebesdichtung unter einem „Feiertagshimmel“ erblüht, lässt dabei die intime Beziehung von David und Jonathan als von Gott gesegnet erscheinen. Nachdem die Entwicklung der Freundschaft von David und Jonathan sowie ihr Fortexistieren in Literatur und am Nachthimmel nachgezeichnet worden ist, bringt das sechste Verspaar eine Zäsur, indem es in die defiziente Gegenwart einblendet: Das Paar musste Abschied nehmen und ist getrennt. Es ist ein stiller und zärtlicher („im Kusse“) Abschied, den David beklagt. Die Sprache scheint dem lyrischen Ich zu versagen, als es mitten im Satz abbricht: „Deine Abschiedsaugen aber –“ Der alliterierende Neologismus veranschaulicht Jonathans Tränen und

225 Hier lässt sich auch eine Parallele zum Orpheus-Mythos herstellen: Nachdem der Sänger von den Mänaden zerfetzt worden ist, versetzen die Musen seine Leier als Sternbild an den Himmel (vgl. Albrecht Betz: Musikhelden und Heldenmusik, S. 918). 226 Vgl. Christine Radde: Else Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“, S. 180 f. 227 Zu Recht macht Chiara Conterno darauf aufmerksam, dass es sich bei dem Gedicht um keinen Psalm handelt, da die Erwähnung Davids und der Neologismus „Liebespsalmen“ nur „oberflächliche Hinweise auf die Psalmen“ darstellen (Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 48). 228 Meir Gertner: Biblische Spiegelbilder, S. 180.  

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zeigt, dass der Trennungsschmerz beidseitig ist. „Und was soll dein Herz / Noch ohne meines –“: Die beiden zuvor „[b]untumschlungen[en]“ „Widderherzen“ wurden auseinandergerissen, was sich auch in der formalen Gestaltung spiegelt. Das Enjambement visualisiert den Bruch, der Gedankenstrich die Leerstelle, die Jonathans Abschied in Davids Leben hinterlassen hat. Auch das letzte Verspaar dokumentiert die Unvollständigkeit der getrennten Liebenden: Jonathans „Süßnacht“ – eine Wortschöpfung, die nächtliche Zärtlichkeiten anklingen lässt – braucht Davids Lieder. Erneut und mit dem letzten Wort gibt sich das lyrische Subjekt als Dichter bzw. Sänger zu erkennen. Liebe und Lied gehören zusammen, wie es bereits der Begriff „Liebespsalmen“ antizipiert hat. Dabei tritt das lyrische Ich aktiv und sehr selbstbewusst auf („Ich bin David“) und macht Jonathan zu seinem Widerpart, der nur einmal selbst, beim Abschied, die Initiative ergreift. „Indem David […] ein ‚Spielgefährte‘ gegenübersteht, wird in ‚David und Jonathan‘ [die] Figur des herrschaftlichen Dichters in einer Beziehung verankert; und erst der Austausch mit dem anderen könnte sein poetisches Potential zur Entfaltung bringen.“229 David und Jonathan gehören zusammen – in beider Liebe sowie in der von dem einen inspirierten und von dem anderen geschaffenen Dichtung. Das Gedicht dokumentiert so ihr produktives, Leben und Kunst gleichermaßen umfassendes Verhältnis, das aufgrund ihrer erzwungenen Trennung in Schmerz und Klage mündet und erst auf literarischer und kosmischer Ebene, in der Bibel und im Sternbild, geheilt und wiederhergestellt werden wird.230

229 Christine Radde: Else Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“, S. 179. 230 Im Jahr 1918 hat Else Lasker-Schüler ein weiteres Gedicht mit demselben Titel und über dasselbe Thema – den Abschied des Paares David und Jonathan – geschrieben (vgl. Else LaskerSchüler: Werke und Briefe, Bd. 1.1, S. 204 f.). Dieser Text fand in die Ausgabe der „Hebräischen Balladen“ von 1920 Eingang. In stilistischer Hinsicht wurde die Neufassung von der Forschung unterschiedlich bewertet: So arbeitet Sigrid Bauschinger den Kontrast zu den „fast lapidaren Sätzen“ des ersten Gedichts heraus und urteilt, „durch längere Strophen, größeren Reichtum an Epitheta, melodischere Sprache“ werde „Pracht und Feierlichkeit“ erzeugt (Sigrid Bauschinger: Else Lasker-Schüler. Ihr Werk und ihre Zeit, S. 177). Christine Radde kritisiert dagegen die „[s]chwülstige[n], an Jugendstil-Kitsch erinnernde[n] Bilder“ sowie die „Sammlung von Selbstzitaten“ (Christine Radde: Else Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“, S. 273). In meiner Untersuchung wird diese zweite Gedichtfassung nicht berücksichtigt, da sie die poetologische Stoßrichtung des ersten Gedichts gleichsam zurücknimmt. Auch in der späteren Version sind die beiden Titelfiguren ein Liebespaar, das „ineinander verwachsen, eins“ ist (Sigrid Bauschinger: Else Lasker-Schüler. Ihr Werk und ihre Zeit, S. 177) – David apostrophiert sein Gegenüber mit großer Emphase: „Du bist mein Himmel mein, du Liebgenoß.“ Hier wie dort erscheint ihre Beziehung in der Realität nicht lebbar, doch wird im zweiten Text diese Erkenntnis zugespitzt. Die erste und die letzte Strophen erwecken den Eindruck eines sterbenden David, der dem Geliebten sein Vermächtnis mitteilt („O Jonathan, ich blasse hin in deinem Schoß“; „O Jonathan, dein spielerischer Bibelprinz /  

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Poetisches Judentum. Lasker-Schülers Umgang mit dem Prätext Else Lasker-Schüler bezieht sich in ihrem Gedicht offensichtlich auf die Trennung, zu der sich Jonathan und David aufgrund von Sauls Hass und Nachstellungen gezwungen sehen und die ihrem engen Umgang ein Ende setzt.231 Der Text entfernt sich weiter als Rilkes „Klage um Jonathan“ vom Prätext, indem er die biblische Freundschaftserzählung zu einem Liebeslied verdichtet und umdichtet.232 Damit greift Lasker-Schüler ein Detail aus dem David-Stoff heraus und reduziert es auf seinen zwischenmenschlich-emotionalen Gehalt. Die von der Quelle gelieferten Umstände – die Konkurrenz von David und Saul, der sich bis zum Wahnsinn steigernde Argwohn des alten Königs, die Anschläge auf Davids Leben und die Beweise für Jonathans unbedingte Treue – werden allesamt ausgespart. Erst die entsprechende Bibelkenntnis ermöglicht ein Verstehen der Ursachen für den Trennungsschmerz und für die Unmöglichkeit, die vertraute Beziehung fortzuführen.233 Während, wie oben gezeigt, die Schilderungen der Bücher Samuel eine homoerotische Deutung der Beziehung von David und Jonathan erlauben, aber nicht als zwingend nahelegen, macht Lasker-Schüler aus den beiden Männern eine Liebes- und Dichtungsgemeinschaft. David erscheint nicht als Kriegsheld und Soldat, sondern allein als „Held der Liebe“234.

Nippt sterbend noch von deiner Liebe Minz.“). Dabei wird nicht mehr der Bibel oder der Dichtung die Aufgabe zugeschrieben, die Erinnerung an ihre außergewöhnliche Liebe zu bewahren. Jonathan selbst soll mit dem Andenken betraut werden: „In meiner Schläfe pflege du den Mond, / Des Sternes Gold sollst du erhalten, / […] / O Jonathan, nimm du die königliche Träne, / Sie schimmert weich und reich wie eine Braut.“ Die Erinnerung wird damit in die private Sphäre verschoben, ist nicht mehr im Alten Testament oder am nächtlichen Sternenhimmel überzeitlich und allgemein sichtbar konserviert und so wird sie spätestens mit dem Tod Jonathans vergehen. „Die Dichtung erscheint jetzt nicht mehr als das Refugium, in dem vergängliche Vorbilder für die Nachwelt aufgehoben werden.“ (Christine Radde: Else Lasker-Schülers „Hebräische Balladen“, S. 275) 231 „[…] und sie küssten einander und weinten miteinander, David aber am allermeisten. Und Jonatan sprach zu David: Geh hin mit Frieden! Denn wir beide haben im Namen des HERRN geschworen und gesagt: Der HERR sei Zeuge zwischen mir und dir, zwischen meinen Nachkommen und deinen Nachkommen in Ewigkeit.“ (1. Samuel 20,41 f.) 232 Vgl. Gerhard Härle: Lyrik – Liebe – Leidenschaft, S. 192. 233 Die dichterische Freiheit bei der Umgestaltung der im Prätext geschilderten Charaktere und Abläufe ist typisch für die „Hebräischen Balladen“ (vgl. Ulrike Frank: Nicht untätig am Gotteswerk, S. 259). 234 Meir Gertner: Biblische Spiegelbilder, S. 180. Ulrike Frank hinterfragt in Bezug auf die Liebesgedichte in den „Hebräischen Balladen“ eine interpretatorische Vereindeutigung der Geschlechterrollen: „Eine eindimensionale Deutung des Geschehens als Liebe zwischen Mann und Frau oder zwischen zwei Männern wird jedoch in keinem Fall der Vielschichtigkeit gerecht, mit der das Liebesthema behandelt wird.“ (Ulrike Frank: Nicht untätig am Gotteswerk, S. 265) Diese verallgemeinernde, sich auf den ganzen Zyklus beziehende Beobachtung lässt sich im Falle  

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Der identifikatorische Zugang zu den beiden biblischen Figuren ist typisch für die in den „Hebräischen Balladen“ versammelten Texte. Andrea HennekeWeischer hat in ihrer Dissertation Lasker-Schülers dichterisches Verfahren als „poetisches Judentum“ charakterisiert. Obgleich in einer assimilierten Familie aufgewachsen, erfuhr die Dichterin schon früh in ihrer Jugend Diskriminierung sowie antisemitische Ressentiments und wurde von außen auf ihre jüdischen Wurzeln gestoßen.235 Vor dem Hintergrund der um 1900 einsetzenden jüdischen Renaissance begann Lasker-Schüler, sich ihrem Judentum auf literarische Weise anzunähern, und stilisierte sich selbst zu einer „auserwählten, inspirierten und gottnahen Dichterin“236, die mit ihrem Schaffen einem göttlichen Auftrag nachkomme.237 Im Zuge ihrer spielerisch-fantastischen Selbstpoetisierung schlüpfte Lasker-Schüler nicht nur in orientalische Kostüme, sondern experimentierte auch in ihrer Dichtung mit fremden Rollen und anderen religiösen, kulturellen oder geschlechtlichen Identitäten. Dabei stellt sie sich in die „Tradition jüdischer Gottessänger und Dichter wie David und Salomo und baut Jehova einen Tempel“238. Besonders zu König David verspürte sie eine enge Bindung, verglich in „Dichtung und Christentum“ gar Davids Psalmendichtung mit ihrer eigenen: „Ich freue mich, aus dem Volke Christo Jesus zu stammen. Er liebte David besonders, und wie Ihn seine Psalme erfreuten, so würde Er auch meine Psalme lieben, die ich dem Vater dichtete, am Abend im silbernen Heiligenscheine Jerusalems.“239 In den späteren krisenhaften Jahren, etwa 1927, als ihr Sohn verstarb, oder kurz vor ihrem Gang ins Exil, berichtete sie Freunden sogar, der König sei ihr in Visionen erschienen. An Weihnachten 1932 saß er in einem Berliner Hotelzimmer „[i]m faltenschweren dunklen Trauergewand und hohem, breitem Turban […] neben

von „David und Jonathan“ relativieren, da der Text die Intensität einer mannmännlichen Beziehung vergegenwärtigt und dabei das im Prätext angelegte homoerotische Potenzial verstärkt. 235 Die auf den sogenannten Gründerkrach von 1873 folgende Wirtschaftskrise brachte auch ein erneutes Anschwellen des politischen Antisemitismus mit sich (vgl. Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 21). 236 Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 172. 237 Zum Einfluss Martin Bubers auf die jüdische Selbstfindung von Else Lasker-Schüler vgl. auch Sigrid Bauschinger: Else Lasker-Schüler. Ihr Werk und ihre Zeit, S. 168 f. 238 Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 23. Berühmt wurde Else Lasker-Schülers Selbstcharakterisierung in der Lyrikanthologie „Menschheitsdämmerung“: „Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich“. (Kurt Pinthus: Menschheitsdämmerung, S. 352) 239 Else Lasker-Schüler: Prosa 1921–1945. Nachgelassene Schriften, S. 133.  

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ihrem Bett und kündete ihr ‚grenzenloses Leid‘“240. Und noch in ihrem späten Exilwerk, der sechsaktigen Tragödie „Ichundich“ von 1941, lässt sie David auftreten, wenn auch nur als Randfigur: Zusammen mit den Königen Saul und Salomo thront er in einer Loge und wohnt einer Art Welttheater bei, durch das die Dichterin, ein Alter Ego von Else Lasker-Schüler, führt und das in einer Theater-im-Theater-Handlung die gesamte Nazi-Prominenz in der Hölle mit Faust und Mephisto konfrontiert.241 Die Bibel, die für die Dichtung Else Lasker-Schülers das Material- und Zitatreservoir bereitstellt, dient ihr als „Medium der Selbstauseinandersetzung“ und „identitätsstiftende[r] Text“242. Die „Hebräischen Balladen“ reflektieren daher die Geschichten des Alten Testaments auf einer anderen Ebene, indem sie diese bewusst und aktualisierend umschreiben und zur Folie für die eigene Identität, das eigene Verständnis von Literatur und Judentum machen.243 Die Textsammlung wird zu einem „Kabinett von Spiegelfiguren […], die panoptisch Eigenes oder ein als ideal vorgestelltes Wunschbild jüdischer Existenz vertreten“244. Die Trennung des Liebespaares David und Jonathan erscheint so als existenziell bedeutsamer Augenblick, den die Dichterin psychologisierend auslotet. Dabei bedient sie nicht nur den liebeslyrischen Topos der Klage über den Verlust des Geliebten, sie knüpft im Rückgriff auf Bibel und Stoffgeschichte an Davids Künstlertum an, das – ebenso wie die Liebe – für die Dichterin ein Signet der Auserwähltheit dar-

240 Sigrid Bauschinger: Else Lasker-Schüler: Biographie, S. 401. Lasker-Schüler konsultierte wegen der ihr erscheinenden Gesichte – neben David sah sie Jesus von Nazareth, Engel oder verstorbene Verwandte wie ihre Mutter – sogar einen Psychologieprofessor und fühlte sich von ihm ernst genommen. Dass dagegen Martin Buber und Gershom Scholem ihre Offenbarungen als Form der dichterischen Inspiration rationalisieren wollten, erboste Lasker-Schüler sehr (vgl. ebd., S. 402 f.). 241 Vgl. Sigrid Bauschinger: Else Lasker-Schüler: Biographie, S. 420–425. Sigrid Bauschinger sieht in diesem Werk noch einmal alle Motive und Motivationen Lasker-Schülers versammelt: „Kunst als Spiel, Künstler und Künstlerin als Kind vor und mit Gott spielend sind zentrale Vorstellungen Else Lasker-Schülers, in welchen Kunst und Religion zu einer Einheit verschmelzen, zu einer Kunstreligion. Nirgends hat sie es deutlicher gesagt als in ihrem letzten Drama.“ (Ebd., S. 425) 242 Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 27; vgl. auch S. 115. 243 Birgit M. Körner beschreibt ebenfalls Lasker-Schülers Spagat zwischen Überlieferung und Neudeutung: „Lasker-Schülers poetologischer Entwurf in den ‚Hebräischen Balladen‘ changiert zwischen kommentierendem Traditionsbezug und radikaler und aktualisierender Erneuerung.“ (Birgit M. Körner: Hebräische Avantgarde, S. 252); vgl. auch Frederike Haberkamp: Buntumschlungen in der Bibel, S. 117; vgl. Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 22. 244 Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 236. Birgit M. Körner liest die „Hebräischen Balladen“ sogar als „avantgardistischen Midrasch“, d. h. als literarische Exegese von kanonischen Texten des Judentums (vgl. Birgit M. Körner: Hebräische Avantgarde, S. 222–252).  



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stellt.245 Folglich lässt sich das Gedicht als „Apotheose der Dichtkunst“246 lesen. Auch Sigrid Bauschinger weist darauf hin, dass es sich bei dem Rollen-Ich um David, den „Dichter und Sänger“ handle, der Jonathan seine Liebe und seine Lieder schenkt: „Lied und Liebe sind eins.“247 Diese Beobachtung fügt sich in die allgemeine Poetik von Else Lasker-Schüler, nach der Künstlertum und Liebe einander bedingen.248

1.5.3 Zwischenfazit: Vergleich der David-Darstellungen bei Rilke und Lasker-Schüler Wie bei Rilkes Gedicht über David und Jonathan handelt es sich auch bei Else Lasker-Schülers Text um eine Klage, während erstere allerdings auf den endgültigen Verlust, den Tod des Geliebten, reagiert, behandelt letztere die vorläufige erzwungene Trennung eines Paares. Beide Adaptionen der Urszene bedienen sich ähnlicher intertextueller Verfahren. Selektion, Reduktion und Amplifikation Sowohl Rilke als auch Lasker-Schüler lösen einen bestimmten Teilaspekt aus dem David-Stoff heraus – die Wahl erweist sich als überlegt, lassen sich doch an dem biblischen Figurenpaar die Phänomene Liebe(sschmerz), Homosexualität und die Macht von Dichtung beleuchten. Um sich auf diese Grundkonstellation zu konzentrieren, ist es nötig, den Handlungskontext weitgehend auszublenden. Beide Gedichte sind folglich kurz und handlungsarm, arbeiten mit Anspielungen und Metaphern, die mithilfe einer rein textimmanenten Lektüre nur schwer aufzulösen sind. Erst die Kenntnis des biblischen Prätextes erlaubt es, die geschilderten Verlusterfahrungen zu kontextualisieren, aber auch die Widersprüche zwischen Vorlage und literarischer Anverwandlung zu erkennen. Der biblische Stoff wird auf einen Moment reduziert, doch dieser gewinnt eine Tiefe und Autonomie, die den Gehalt des Prätexts überschreitet und teilweise auch umdeutet.

245 Vgl. Birgit M. Körner: Hebräische Avantgarde, S. 252. Brigitte Hintze konstatiert: „Wie das Künstlertum ist die Fähigkeit zu lieben für Else Lasker-Schüler ausgewählten und außergewöhnlichen Menschen vorbehalten.“ (Brigitte Hintze: Else Lasker-Schüler in ihrem Verhältnis zur Romantik, S. 65) 246 Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 357. 247 Sigrid Bauschinger: Else Lasker-Schüler. Ihr Werk und ihre Zeit, S. 175. 248 „Die Liebe ist aber nicht nur Ziel und Aufgabe des künstlerischen Schaffens, sondern zugleich Voraussetzung zu aller Erkenntnis und zu allem Schaffen“ (Brigitte Hintze: Else LaskerSchüler in ihrem Verhältnis zur Romantik, S. 67).

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Was in den Büchern Samuel nur in gedrängter Form erzählt wird, wird in den Gedichten ausgeweitet und reflektiert. Diese Ausweitung bedeutet jeweils eine Konkretisierung der Beziehung von David und Jonathan als homosexuelle Liebe und eine psychologische Einfühlung in den unter der Trennung leidenden David.249 Säkularisierung, Poetologisierung Unbeachtet bleibt die religiös-metaphysische wie die politische Dimension des Stoffs. Dass die Beziehung zum eigentlichen Thronfolger Jonathan Teil der Geschichte vom Aufstieg Davids zum israelitischen König ist, spielt allenfalls am Rande eine Rolle. Während das Alte Testament David zuallererst als Gesalbten und Schützling Gottes präsentiert, interessiert dieses transzendente Vater-SohnVerhältnis in den Gedichten nicht und wird völlig von der tragischen mannmännlichen Liebe verdrängt. Bei Lasker-Schüler wird nur über die Erwähnung des traditionellen Opfertiers Widder und des Feiertags ein religiöser Bezugsrahmen angedeutet.250 So revitalisieren beide Dichter biblische Geschichten, indem sie sie säkularisieren, die überkommenen Stoffe und Bilder in einen neuen Zusammenhang versetzen und ihnen so einen anderen semantischen, nämlich weltlichen Gehalt verleihen.

249 Die Verschränkung von homoerotischer Liebe und Hochschätzung der Dichtung prägt auch Johannes R. Bechers in den Jahren 1917/18 entstandenes Gedicht „David. Jonathan“, das mit seinen wild aufgetürmten Metaphern, bemühten Neologismen, drastischen Gegensätzen, der abgehackten Syntax und der dauererregten Ausrufshaltung wie eine Parodie auf expressionistische Lyrik wirkt. Jonathan verherrlicht mit einer aggressiven Bildsprache, in der die Gräuel des Ersten Weltkriegs nachzuhallen scheinen, David als Mensch der Zukunft und Führergestalt, die vollbringt, was Jonathan sich erdenkt: „[…] / Hah, Höllen-Schemen kneten uns noch fester. / Welch Himmel quöll in Stern-Gefilden breit! / Ich denke Welten. Und du formst sie Bester. / Jed Sang pries hellst dich: Mensch der Ewigkeit! // Ja, deinem Thron versammelt Kreaturen …/ Wie schreitest du! Tribünen-Obelisk! Mann-Führer. / Bald schläng ich dir aus splitterigen Azuren / Schärpe der Menschheit so Gehirn-Blitz-Feuer schüren.“ Angesichts einer Liebe, die nicht gelebt werden darf und für die nur das „Grab gemeinsam Bett“ ist, endet das Gedicht mit einer Anrufung von Eros. Auch hier bleibt die Hoffnung, dass die Liebesdichtung Davids das Andenken an das Paar bewahrt: „Hilf uns: o Eros: hilf! Uns schlecht Verdammten. / Schmilz ein so zwischen Mensch : Mensch erzene Schicht. / Ausströmt dein Dichter Liebes-Dithyramben. / Vergessene … kaum … Deß Atem-Segel birst.“ (Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 463 f.) 250 Brigitte Hintzes These, dass „viele der Liebesgedichte Else Lasker-Schülers, die sich primär an ein irdisches Du wenden, […] die Liebe zu Gott mit ein[schließen]“ (Brigitte Hintze: Else Lasker-Schüler in ihrem Verhältnis zur Romantik, S. 68), lässt sich für das vorliegende Gedicht nicht bestätigen – zu stark konzentriert es sich auf die erotisch aufgeladene Beziehung von David und Jonathan.  

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Entsprechend zu diesem Paradigmenwechsel verraten die beiden Gedichte ein ungebrochenes Vertrauen in das Potenzial der Kunst: In „Klage um Jonathan“ wie in „David und Jonathan“ spricht jeweils der lyrische Sprecher David als Dichter und als Liebender. Lasker-Schülers Verse thematisieren, was die Erinnerung an die Liebe bewahren kann, die Bibel, das nächtliche Gestirn – und letztlich bilden sie selbst ein Gefäß für diese Erinnerung. Es handelt sich um ein Gedicht über eine unverkennbar homoerotische Liebe und zugleich um ein Gedicht über die Kraft der Poesie. Jonathans „Süßnacht“ entfaltet sich erst im Zusammenspiel mit Davids Liedern. Und auch Rilkes „Klage um Jonathan“ wohnt die poetologische Aussage inne, dass eben nur jenes Klagelied angesichts der Vergänglichkeit der Menschen wie der Gefühle als Einziges Dauer garantieren kann. Beide Texte vereint ihre doppelte Codierung: Als Liebesgedichte verewigen sie eine einzigartige Beziehung, als poetologische Lyrik werten sie die Dichtkunst auf. Möglich wird diese Verschränkung zweier Ebenen erst durch den lyrischen Sprecher David.

1.5.4 Hans Henny Jahnn: Spur des dunklen Engels (1952) Dramatische Nachdichtungen der Aufstiegsgeschichte Davids, die so eng und zwangsläufig mit Sauls Abstiegsgeschichte verquickt ist, waren um 1900 geradezu inflationär. Atypisch, ja ein Solitär ist ein solches David-Drama allerdings in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Dabei folgt Hans Henny Jahnns 1952 veröffentlichtes Stück „Spur des dunklen Engels“251 dem vom Prätext vorgegebenen Plot und stellt die Königswerdung Davids sowie den Untergang der Sauliden weitgehend entsprechend den Stationen der biblischen Chronologie dar. Liebe vs. Macht. David zwischen Jonathan und Saul Eine auffällige Abweichung ergibt sich bei Jahnn durch die Vorverlegung der ersten Begegnung von David und Jonathan an den Beginn des Dramas: Schmuel (wie hier Samuel heißt) und Jonathan erkennen zeitgleich die Außergewöhnlichkeit des jungen Hirten David und der Prinz schließt sich sofort dem schönen jungen Mann an. Durch diese Umstellung wird der Fokus sofort auf die Freundschaft zwi-

251 Das bereits 1950 fertiggestellte Stück sollte ursprünglich von Gustav Gründgens in Düsseldorf mit Hubert Fichte in der Rolle Jonathans uraufgeführt werden, doch zerschlug sich der Plan (vgl. Rainer Guldin: Spiegelgeschichten, S. 56 f.). Die eigentliche Uraufführung erfolgte erst 1969 an den Städtischen Bühnen in Münster und fiel durch (zur Entstehungsgeschichte vgl. Thomas Freeman: Hans Henny Jahnn, S. 516–518). Im Folgenden wird das Drama zitiert nach Hans Henny Jahnn: Dramen II, S. 397–610.  

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schen den beiden Männern gelegt, die auch im weiteren Handlungsverlauf einen wesentlichen Schwerpunkt bildet. Die Freundschaft von David und Jonathan trägt alle Anzeichen einer Liebe, die sich auf Seiten des Prinzen bis zur Besessenheit steigert.252 Gleich bei seiner erster Begegnung mit David verfällt Jonathan ihm. Spöttisch bemerkt Schmuel, dass der Prinz „den Gefundenen mit einer Stirn voll Getöse an[starrt]“ (S. 410) – dabei nimmt nicht nur Davids Schönheit Jonathan gefangen, sondern auch sein Charisma. Zwar spürt Schmuel als Erster die besondere musische Ausstrahlung des schönen Jungen („Seine Schritte waren wie Tanz, und sein Antlitz war Musik.“, S. 403), doch ist er sich seiner Sache noch nicht sicher: „Ich bin noch niemals einem Genie begegnet. Es wäre das erste Mal. Die Söhne der Engel sind selten.“ (S. 413) Jonathan ist dagegen sofort überzeugt, dass es sich bei David um einen „Auserwählte[n]“ (S. 412) handelt, wobei er dessen Genie allein aus seinem ganzen Wesen und Auftreten ableiten zu können glaubt. Seine Verehrung geht mit einem homoerotischen Begehren einher, sodass unklar bleibt, wie objektiv er David wahrnehmen kann. Nach ihrem Kennenlernen ist der Prinz sofort bereit, die Nacht mit dem Hirten bei dessen Herde zu verbringen. Eine Art geistige Faszination steht neben seiner sexuellen Erregung, Jonathan ist gebannt von Davids „Undurchdringlichkeit und Unerfaßbarkeit“ (S. 420), hat aber zugleich Vereinigungsfantasien: „Es hat mich heute das Schicksal des Menschen ereilt, das ich nicht kannte: jemand, der scheinbar meinesgleichen ist, zugetan zu sein, als hätte ich ihn in meinen Eingeweiden getragen.“ (S. 421) Die Begegnung mit David lässt für ihn alle früheren sexuellen Kontakte zu Frauen verblassen, die im Rückblick nur noch wie „Spiel“ und „Täuschung“ (S. 421) erscheinen. David ist an diesem Punkt das verwunderte Objekt einer amour fou, der Jonathans in selbstzerstörerischen Fantasien gipfelndes Verlangen mit der Frage quittiert: „Ist es so heftig zwischen dir und mir?“ (S. 422) Dabei erkennt er durchaus den Vorzug, den es bedeutet, einen wohlhabenden Freund zu haben, und akzeptiert auch Jonathans Geschenk, ein Goldkettchen. Doch weist er dessen Ansinnen, ihm das Thronrecht zu übertragen, als unsinnig und wider „Staatsrecht“ und dynastisches Gesetz zurück. Schließlich muss Jonathan selbst einräumen, dass es „nicht erstrebenswert“ (S. 424) sei, König zu werden, doch ist der Thronverzicht in seinen Augen das größte ihm zur Verfügung stehende Mittel, den Geliebten auszuzeichnen: „Ich weiß mir nicht zu helfen. Denn mein Geist betet dich an. Ich möchte dich erhöhen; doch alle Mittel sind unzulänglich.“ (S. 424) Bereits bei 252 Friedhelm Krey hat eine detaillierte Studie zur homosexuellen Thematik, ihrer Entwicklung und ihren Spielarten in Jahnns Werk vorgelegt, wobei er sich auf zahlreiche Textanalysen stützt, die „Spur des dunklen Engels“ jedoch nur am Rande behandelt (vgl. Friedhelm Krey: Hanns Henny Jahnn und die mann-männliche Liebe, S. 211, 254, 360).

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ihrer ersten Begegnung entäußert sich der Prinz völlig, schließt ein Bündnis mit David, den er gar nicht kennen kann, und schwört, stets alles an ihm zu lieben. Die Szene endet in intimer Zweisamkeit. Eng aneinander geschmiegt schlafen die beiden auf der Heide ein. In der Folge hält Jonathan David bei sich verborgen, doch kann er es nicht verhindern, dass Saul diesen selbst vereinnahmen will und ihn in die politischen Ränkespiele hineinzieht. Obwohl David sich bei der ersten Begegnung mit dem König „ängstlich und störrisch“ (S. 439) an Jonathan hält, ist Saul so fasziniert, dass er erwägt, ihn als „königlichen Bastard auszugeben“ (S. 441). Vergebens warnt Jonathan seinen Vater, David „in die Entartung der politischen Krämerei ein[zu]führen“ (S. 441). Nicht ohne Hintergedanken hat Saul von der demütigenden Forderung des Philisterriesen Goliath erzählt, ihm einen Gegner zum Zweikampf zu schicken. Und David begreift, stellt sich freiwillig dem Feind, tötet diesen und fühlt sich danach durch die „schmählich[e] Erfahrung mit [sich] selbst“ traumatisiert und „verdorben“ (S. 447). Die mit wechselseitigem Misstrauen und Begehren aufgeladene Situation am Hofe Sauls, in der sich sexuelles und machtpolitisches Streben überkreuzen, spitzt sich zu, bis der „geiferkrank[e]“ (S. 468) Saul mit einer Pistole auf den für ihn musizierenden David schießt – jedoch nur auf den Fuß zielt, um dessen Anmut zu beschädigen. Als Jonathan seinem Vater die Waffe entwinden will, wird er ebenfalls von Saul angeschossen. Selbst dieser Gewaltausbruch vermag nicht das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis der drei zu durchbrechen, stattdessen verfängt bei David die Verlockung der Macht und er gibt die Neigung zu, „[s]eine Rolle als König zu spielen“ (S. 475). Auch wenn Jonathan erkennt, dass er und seine Schwester für David als „eine Art doppelflügeliges Einfallstor mit zwei morschen Pfosten“ (S. 475) fungieren, kommt er nicht von seinem Freund und Geliebten los. So muss er es hinnehmen, dass David ein Mitglied der Königsfamilie wird und Michal heiratet.253 Doch das Auf und Ab im Ringen um Macht und Liebe setzt sich fort, Michal verhilft David zur Flucht vor Sauls Anschlägen, der hinter Davids Handeln das Kalkül eines „Legitimitätserschleicher[s]“ (S. 513) vermutet. Es beginnt die Zeit der Flucht, der Karriere als Räuberhauptmann, der Zusammenarbeit mit dem Philisterherzog Achis. Während all dieser Wirren bleibt Jonathan seinem Freund loy-

253 Anders als in der Vorlage verdankt sich die Ehe der Initiative Michals, die mit der Behauptung, sie sei von David schwanger, Sauls Erlaubnis erzwingt. Dass Jonathan die Verheiratung Davids mit seiner Schwester zulässt, bezeichnet Friedhelm Krey als „Kompromiß im Verhältnis zu seinem Geliebten“ – in Jahnns letztem, unvollendeten Roman „Jeden ereilt es“ (1968 posthum veröffentlicht) verweigert sich dagegen der Protagonist Matthieu der „heterosexuelle[n] Normerfüllung“ und bekennt sich offen zu seiner Homosexualität (vgl. Friedhelm Krey: Hanns Henny Jahnn und die mann-männliche Liebe, S. 254).

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al, erklärt erneut seine Bereitschaft, die Thronanwartschaft an David abzutreten (vgl. S. 524 f.), kommt aber selbst immer weiter herunter und wird als Preis für seine Hingabe allmählich „zum Krüppel geschossen“ (S. 523).254 Auch an David gehen die Entbehrungen und Anfeindungen nicht spurlos vorbei. Zu Beginn des dritten Abschnitts, der einen Zeitsprung von drei Jahren macht, beschreiben die Regieanweisungen die Veränderungen, die sich an dem mittlerweile 23-Jährigen, der nun wieder eine Räuberbande anführt, zeigen. Er ist „unordentlich und unsauber gekleidet“, die Gesichtszüge sind „sehr verändert, vergrämt und unfrisch“ (S. 554). Beim Wiedersehen sind beide Freunde über die Verwahrlosung des jeweils anderen bestürzt. Der Prinz, der von der Sympathie des Philisterherzogs für David weiß und erfahren muss, dass der Geliebte mittlerweile mehrere Frauen hat, verliert allmählich den Lebensmut, kann sich aber nicht von David lösen:  

Ich möchte mein Leben wegwerfen. Ich harre nur aus, weil ich dich von Gefahren umgeben sehe. […] Die Zeit der Trennung von dir hat mich nicht tauglicher zum Dasein gemacht. Ich betete dich in deiner Musik an. Doch das Gebet ist Monate und Jahre lang geworden. Es stockte endlich, fiel zu Boden. Nun schmelzen mir die Muskeln, wenn ich dich sehe und berühre. (S. 565)

Davids Verrohung und Promiskuität schmerzen Jonathan, doch bleiben die beiden trotz all der Hindernisse, der Verlockungen der Macht und der Phasen der Entfremdung durch ihre intensiven Gefühle aneinander gebunden. Als er die Ungewissheit, den „unentfaltete[n], undeutliche[n] Bürgerkrieg“ sowie das fortgesetzte „Bangen“ (S. 573) um David nicht mehr erträgt, verstümmelt sich Jonathan zuerst selbst und zieht schließlich in den Krieg gegen die Philister, in dem er sein Leben verliert.

254 Auf Jonathan trifft die aus der Analyse diverser Texte Jahnns gewonnene Erkenntnis Friedhelm Kreys zu, dass „die soziale Ächtung ihrer Liebesart die Protagonisten Jahnns gerade die Vielfalt ihres homosexuellen Begehrens als so bedrohlich erfahren läßt und sie zur heftigen Sehnsucht nach der großen, einzigen, wahren Liebe, zur unlösbaren (durchaus ja zerstörerischen) Fixierung auf den Geliebten, die Liebenden zugleich letztlich auseinander und in Isolation und Tod treibt“ (Friedhelm Krey: Hanns Henny Jahnn und die mann-männliche Liebe, S. 55). Auch Jonathan geht an seiner Leidenschaft für David zugrunde. Für ihn gilt die von Wolfgang Popp aufgestellte These: „Jahnn thematisiert die Verbindung von Eros und Thanatos, von Liebe und Tod, als Grundfärbung der mann-männlichen ‚Schicksalsgemeinschaft‘“ (Wolfgang Popp: Männerliebe. Homosexualität und Literatur, S. 66). David verzichtet dagegen nach kurzem Zögern darauf, dem Geliebten in den Tod zu folgen.

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Der versäumte Liebestod. Davids Klage um Jonathan Ein Amalekiter überreicht David einen Armreif des Prinzen, um seinen Bericht vom Ende der Sauliden zu belegen. Und wie im Prätext verdichten sich Davids Erschütterung und Schmerz zu einer tief empfundenen Klage: D AVID (schweigt eine Weile; spricht dann wie abwesend, leidenschaftlich, doch überwiegend leise) Jonathan – Nato – Nato – den ich geliebt habe – mein Freund – süßer als eines Weibes Hingabe. – Dies sein Geschmeide – dies – und nichts anderes von ihm! – Das Teuerste, Gold, mit sich selbst multipliziert – Nein, nichts als warm und duftend, gut und tötbar – ein Mensch wie keiner – angenehm im Schlaf, mit ihm den Traum zu teilen. – Der frühe Morgen neben ihm, das Gold des Lichts an unserer Haut. Es waren Tage und Nächte: die Bürgschaft für den Sinn aller Verstrickung. Tot – tot – nichts weiter. Mit kalten Lippen, kalten Eingeweiden – verstümmelt –. Es wurde zugelassen. Es war möglich – so wurde es zugelassen. (Er schreit) Ulei! Ich muß hinab! – ihm nach! (Er beginnt in seinen Taschen zu kramen) Das Gift – – wo habe ich das Gift! (Er taumelt ein paar Schritte hin und her, bleibt plötzlich stehen. […]) (S. 601)

David singt kein vollendetes, rhetorisch und rhythmisch gestaltetes Lied, ganz im Gegenteil: Sein Stammeln, seine stockende Rede – greifbar in einer elliptischen Syntax sowie in den durch Gedankenstrichen abgetrennten Satzfragmenten – gewähren einen Einblick in sein Inneres, verbalisieren wie in einem Monolog seine unmittelbaren Gedanken. Ausgangspunkt der assoziativen Klage bildet der biblische Vergleich von Jonathans Liebe mit derjenigen von Frauen, wobei David nur einmal den Toten direkt apostrophiert („mein Freund“), bevor er dann in der distanzierten dritten Person über ihn spricht. Das Einzige, was ihm von dem Geliebten bleibt, ist der Armreif, dessen Material zur antithetischen Kontrastierung herausfordert: hier das unvergängliche Gold, dort das ungleich wertvollere, aber sterbliche Leben Jonathans, das David metaphorisch als „Gold, mit sich selbst multipliziert“, verherrlicht. Die Farbe Gold wird noch einmal aufgegriffen bei der Beschreibung des Sonnenaufgangs, der die Haut der beiden zusammen schlafenden Männer leuchten lässt. Spätestens an dieser Stelle entpuppt sich die Freundschaft unzweifelhaft als homosexuelle Liebe, die eine körperliche und eine geistige Dimension besaß. Ihr geteilter „Traum“ kann sich somit sowohl auf den konkreten Schlaf beziehen wie auch auf die gemeinsamen Pläne und Ziele von David und Jonathan. Es ist eine „Verstrickung“, die sie aneinander bindet, also eine Art unentrinnbares, fremdbestimmtes Verhängnis, doch wird sie zugleich als sinnhaft erlebt. David vergegenwärtigt den Verlorenen in seiner ganzen Sinnlichkeit und Einzigartigkeit („ein Mensch wie keiner“), um dann um so krasser seinen jetzigen Zustand, die „kalten Lippen“ und „kalten Eingeweid[e]“

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dagegenzuhalten. Das apodiktische Fazit „Es wurde zugelassen“ scheint eine höhere Instanz anzuklagen, die den Tod des Freundes nicht verhindert hat, was Davids Einsamkeit noch in metaphysischer Hinsicht verschärft. In einem lautstarken Aufschrei macht er schließlich seiner Verzweiflung Luft sowie dem Schuldgefühl, den Geliebten überlebt zu haben. Ein gemeinsamer Liebestod würde es freilich erfordern, dass er Jonathan nachstirbt, doch lässt Davids Aktionismus so unvermittelt nach, wie er begonnen hat.255 Da er das Gift nicht findet, kommt er zur Ruhe, besinnt sich und nimmt Rache an dem Amalekiter, der Jonathan in der Hoffnung auf Belohnung getötet hat. Er befiehlt den Leichnam zu suchen, den das Volk der Philister geschändet hat, ist aber selbst in der Rolle des Klagenden und die Erinnerung Bewahrenden wieder mehr dem Leben zugewandt. Ein Gespräch mit seinem Vertrauten Abjathar hilft David, sich in die Tatsachen zu fügen. D AVID (gleichsam ergeben, setzt sich wieder auf den Stuhl) Ein Jahr lang und vier Monate habe ich auf ihn gewartet. Nun soll ich ihm nicht entgegengehn. Meistens kam er bei Nacht. Oder ich kam bei Nacht. Du meinst gewiß, die Lippen aller Toten schmeckten gleich kalt und fade. Und jeder Leichnam hätte den Geruch des Gewesenen. Und hätte keine Arme zum Umarmen, kein Ohr zu hören –. Nicht so mit Jonathan. A BJATHAR Du wirst erkennen, daß sich der Tote von dir entfernt. In einer Nacht wandert er weit. Was du noch mit ihm sprechen willst, mach mit dir selbst ab. Deine letzte Begegnung geht niemand etwas an. (S. 607)

Der Schmerz soll sich nach innen kehren, Davids Abschied von Jonathan wird diesen nicht mehr erreichen, sondern hat allein für den Trauernden die psychische Funktion, diese Liebesgeschichte abzuschließen. So gewinnt letztlich der Lebensund Machttrieb die Oberhand. Anders als der völlig auf den Geliebten fixierte Jonathan kann David auch allein weiterexistieren und jene Stellung einnehmen, für die ihn erst Jonathan interessiert hat. Die Beziehung von David und Jonathan ist von Anfang an komplementär angelegt, wobei David als der nehmende, Jonathan als der gebende Part erscheint. „David, der schwache, sprachgehemmte, musikalische, soziale Outlaw

255 Hier lässt sich eine interessante Parallele zu Rilkes „Klage um Jonathan“ ziehen, die (wie oben gezeigt) die Entwicklung von Davids Gefühlszustand widerspiegelt – vom Erstaunen über den rasenden Schmerz bis zur emotionslosen Ernüchterung.

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ist der eigentliche Mächtige, Jonathan, der Königssohn, gibt die Macht auf.“256 Bereits die der Handlung vorangestellte Vorbemerkung charakterisiert den Prinzen als „Sklave[n] der Liebe“ (S. 400), was dessen bis zur Selbstaufgabe reichende Obsession für David auf den Punkt bringt. Wann ist ein Genie ein Genie? David als Künstler Allerdings ist es nicht allein die jugendliche Schönheit des Hirten, die den Prinzen bannt. Jonathan erspürt vielmehr dessen künstlerisches Genie und wird nicht müde, dieses immer wieder zu preisen. So ist David in seinen Augen „ein Auserwählter“ (S. 412) und „der Sohn eines Engels“ (S. 422), der es verdiene, an seiner statt den Thron zu erben: „Ist nicht Genie der Ausdruck höchster Legitimität?“ (S. 423, vgl. S. 525) Jonathan vertraut in das künstlerische Talent seines Schützlings und plant, Saul mit Davids Musik zu „überwältigen“ (S. 424) – und das obwohl der Knabe zugibt, keine Übung im Tastenspiel zu haben. Tatsächlich hat er bislang nur die Werke „vieler Meister“ studiert und im Kopf komponiert: „Nach ihrem Vorbild kommen mir eigene Einfälle. Das ist nacheinander und gleichzeitig ein Schmaus von – von – Unschmeckbarem –“ (S. 412) Dass Jonathan David als Gipfel der Vollkommenheit verherrlicht257, ließe sich als Idealisierung eines Verliebten relativieren, doch können sich auch die anderen nicht der von ihm ausgehenden Faszination entziehen. So spielt David, nachdem er seine Fingerfertigkeit geschult hat, dem König zwei Fugen am Klavier vor. Und obwohl er eher in technischer Hinsicht brilliert, denn Ausdruck in sein Spiel legt258, ist Saul zutiefst berührt und kann es nicht fassen, dass auch David ein sterblicher Mensch ist (vgl. S. 439), ja, er plant unter dem Eindruck seiner Gefühle sogar, den Knaben als Sohn anzunehmen. Alsbald beginnt er, in der Begabung Davids nicht mehr nur ein Mittel zu sehen, um seine Melancholie zu therapieren,

256 Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 343. Auch Dietrich Molitor und Wolfgang Popp betonen die Gegensätzlichkeit der Freunde: „Jonathan als der der Freundschaftsliebe vorurteilslos und hemmungslos Hingegebene, ‚Geworfene‘, David als der politisch Kalkulierende, seine sexuelle Anziehungskraft planmäßig Ausnützende, – natürlich auch als der ‚Gesalbte‘ des Herrn.“ (Dietrich Molitor/Wolfgang Popp: Vom Freundschaftsmythos zum Sexualtabu, S. 35) 257 Jonathan ereifert sich: „Es treibt mich in blöde Zanksucht, daß dieser Mensch, der ein Mensch und wiederum kein Mensch ist, anderen Menschen gleichgesetzt wird. Dem Antinoos wurden Tempel errichtet; ein Stern am Himmel erstrahlt mit seinem Namen. Solche Denkmale wurden dem Fleisch gesetzt. David, dem Antinoos gleich oder besser, überfliegt mit seiner Musik den Stern.“ (S. 457) Der Vergleich mit dem Geliebten des römischen Kaisers Hadrian verknüpft erneut die Verehrung des künstlerischen Genies mit der homoerotischen Liebe. 258 Die Regieanweisung hält fest: „Sein Vortrag ist präzise, eher zu schnell als zu langsam, doch ohne nennenswerte Affekte, gleichsam nur das Abstrakte der kunstvollen Formen herausstellend“ (S. 432).

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sondern auch eine Bedrohung für seine Herrschaft – gegenüber Jonathan verurteilt er ihrer beider Abhängigkeit: „Daß du und ich den jungen Menschen als Genie verehren, ist Albernheit zu unserm Schaden.“ (S. 512) Dennoch betrachtet er David weiterhin als einzigartig: „Ich beuge mich dem Genie David – trotz meiner Einsicht, daß etwas faul an ihm ist.“ (S. 536) Die Figuren des Dramas bestätigen letztendlich, was Jahnn selbst in der Vorbemerkung zur Handlung apodiktisch festlegt: „David ist ein Genie; – das Wort möchte ich so aufgefaßt wissen, wie Kant es in seiner Anthropologie definierte: ‚das Talent der Erfindung dessen, was nicht gelehrt und gelernt werden kann‘.“ (S. 400) Jahnn beglaubigt diese Charakterisierung seines Protagonisten durch einen besonderen dramaturgischen Kunstgriff: An zentralen Stellen der Handlung integriert er in den Text instrumentale Kompositionen, die der Eingebung Davids zugeschrieben werden.259 Wie Jahnn in der Vorbemerkung erläutert, sind sämtliche eigens für das Werk geschaffenen Zwischenspiele der Form der Fuge zuzuordnen und verraten „eher die expansive Geschicklichkeit als die Intuition des jungen Talents“ (S. 400).260

259 Zwischenspiele finden sich nach der ersten Begegnung von David und Jonathan (zwischen 1. und 2. Szene), während Davids Spiel vor Saul (in der 3. und 5. Szene), nach dem Wiedersehen der Freunde, das auf Davids Sieg über Goliath folgt (zwischen 8. und 9. Szene), zur Überbrückung des Zeitsprungs, nach dem David als Räuberhauptmann in Erscheinung tritt (zwischen 11. und 12. Szene), sowie als Überleitung von der 14. zur 15 Szene, in der Jonathans Tod gemeldet wird. Die Einbettung von Musiknoten in den Text stellt eine intermediale Medienkombination dar (vgl. Frauke Berndt/Lily Tonger-Erk: Intertextualität, S. 193), die dazu dient, Davids musisches Genie szenisch zu vergegenwärtigen. 260 Die eingelegten Musikstücke bilden in Jahnns Augen „ein[en] nicht heraustrennbare[n] Bestandteil“ (S. 401) des Dramas und sollten nach seinem Willen bei Aufführungen nicht weggelassen werden. Die Kompositionen stammen „von einem Jungen im Alter von fünfzehn und sechzehn Jahren […], also einem Menschen, der in seiner Grundveranlagung dem jugendlichen David […] entspricht“ (S. 400). Bei diesem Jungen handelt es sich um Jahnns Patensohn Yngve Jan Trede, der von dem Dichter geradezu vergöttert und als musisches Genie gefördert wurde. Die explizite Parallelisierung, die Jahnn in der Vorbemerkung zum Dramentext vornimmt, fordert dazu auf, nach autobiografischen Bezügen zu suchen, wie dies der Jahnn-Biograf Thomas Freeman getan hat. Ihm zufolge hat Jahnn seine eigenen Gefühle für den Jungen auf die Figuren Jonathan und Saul projiziert. „Wie Jahnn will auch Jonathan das junge Genie umsorgen und fördern, ihm Kleider, Geld und eine Orgel schenken.“ (Thomas Freeman: Hans Henny Jahnn, S. 517) Mit Jonathan teilt der Dichter zudem die sich bis zur Besessenheit steigernde Fixierung auf einen als Genie erkannten jungen Mann. Bezeichnenderweise nannte Jahnn Yngve, den er für ein Wunderkind vom Rang Mozarts hielt, den „Sohn eines Engels“ – eine Wendung, die er auch seiner Figur Jonathan in den Mund legte (vgl. Elsbeth Wolffheim: Hans Henny Jahnn, S. 105). Wie Saul wollte der Dichter den begabten Jungen am liebsten adoptieren, zudem spiegelte er in der Figur des Königs seine durch den Alterungsprozess bedingte Krise. Einer Freundin schrieb er: „Wenn man in meinem Alter noch einmal zu lieben anfängt, und sei es die Liebe zu einem Kinde, dann ist man zu

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David verfügt somit über eine besondere schöpferische Gabe, die sich in Kompositionen manifestiert. Bevor er von dem politischen Machtkampf mehr und mehr absorbiert wird, bemüht er sich, zur Meisterschaft heranzureifen (vgl. S. 453). Mit seinen Werken will er auch dem misstrauischen König beweisen, dass er seine Ambitionen allein auf die Kunst und nicht etwa auf die Usurpation des Thrones konzentriere: „Ich komponiere Tag und Nacht, um ihn zu überzeugen, daß ich nicht gegen ihn bin.“ (S. 497) Doch der König erblickt in der „menschenunähnlichen Leistung“ (S. 563) ein bedrohliches, aufrührerisches Potenzial und lässt Davids Werke im Land verbieten. Durch das Intrigenspiel sowie die ihm unterstellte Rebellion, die ihn erst zum Rebellen macht, wird David allmählich seiner Bestimmung entfremdet, jener Realisierung der in ihm schlummernden „unerlöste[n] Schaffenskraft“ (S. 518). Äußerlich und innerlich gealtert, erkennt er selbst, dass er seine Unschuld verloren hat und sich seine Kunst nicht mehr mit seinem Leben in Einklang bringen lässt: „Ich bin anrüchig geworden. Es ist ein Mißverhältnis zwischen meinem Fleisch und meinem Tun, zwischen meiner Musik und diesem Räuberleben.“ (S. 575) Der Tod Jonathans, der zugleich einen Abschied von der Jugend und seinen Aufstieg zur Herrschaft markiert, bedingt dann eine radikale Zäsur in Davids Schaffen und künstlerischem Selbstverständnis: Ab heute ist meine Musik keine revolutionäre Musik mehr. Sie ist auch nicht mehr zu streng, zu undurchschaubar, zu expansiv, zu mißtönend, gesanglos und polyphon. Sie ist auch nicht zu jonathan-sinnlich, zu sinnlich schlechthin, zu demoralisierend, zu theologastisch, zu volksfremd. Sie hat alle Eigenschaften verloren. Sie ist klassisch geworden. Das Leben, das sie hervorgebracht hat, wird in den Biographien von morgen abgepreßt und ausgeschüttet. Vom Räuberhauptmann und seinen Verbrechen, seinem Hochverrat und dem Fundament seiner Seele bleibt nichts bestehen. (S. 607)

Gehörten seine früheren Kompositionen der Avantgarde an und ließen in ihrer dissonanten Unkonventionalität auch die körperliche Beziehung zu Jonathan widerhallen, schwört David nun dem aufrührerischen Gestus seiner Kunst ab, der seiner Existenz als Rebell und Staatsfeind entsprach. Konservativ, gefällig und systemstabilisierend wird sie sein, seine neue Musik. Er distanziert sich von seiner Begabung und seiner Exzeptionalität: „Zukünftig wird mein Genie gewöhnlich sein“ (S. 603). „Ins Staatsgeschäft integriert, verliert die ästhetisch-erotische Genialität, so das Fazit des Stückes, eben das, was sie spezifisch auszeichnete:

neun Zehnteln verloren.“ (zitiert nach: ebd., S. 106) Die erotische Färbung seiner Zuneigung zeigt sich auch darin, dass Jahnn (vergeblich) hoffte, dass Yngve – so wie seine Figur David – bisexuell sei und er ihm einen Freund als eine Art Stellvertreter zuführen könne.

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ihre Entzogenheit, Ungreifbarkeit […] und Unverfügbarkeit; ihre affektive Macht; ihre subproletarische, kreatürliche Revolte“261. Déformation politique. Verstrickungen der Macht So beschreibt das Drama die Erwartungen, die sich an das Künstlertum knüpfen: Das ästhetische Genie soll die Vereinigung von Politik und Kunst deshalb leisten können, weil es dank seiner unvordenkbaren, undiskutierbaren ästhetischen Fähigkeiten erotische Hingabe zu erzwingen vermag. […] Die gesellschaftliche Krise zu lösen heißt also – das ist das Konzept der ‚Spur‘ –, den Künstler an die Macht zu bringen und mit der sensitiven, intersubjektiven, anarchischen, affektiv befreienden und erotisch verbindenden Kraft der Kunst eine neue Sozialität zu installieren.262

Doch die Vereinigung von Kunst und Politik misslingt. Der dramatische Konflikt ergibt sich aus der Entfremdung des Künstlers von seiner eigentlichen Bestimmung unter dem Einfluss der Politik. Vor dem Hintergrund der Krise von Sauls Herrschaft avanciert der charismatische David in den Augen des Priesters und des Kronprinzen zum politischen Hoffnungsträger.263 David wird mehr und mehr in das Ränkespiel zwischen Saul und Schmuel hineingezogen und lässt sich von der Gier nach Macht anstecken.264 So erhält Davids Genie eine abgründige, zerstörerische Dimension. Bezeichnete ihn Jonathan anfangs noch als „Sohn eines Engels“ (S. 422), erkennt er in ihm schließlich einen „dunkle[n] Engel“ (S. 536) – eine ambivalente Metapher, die auch den Titel des Dramas bildet. Aufgrund seines Charismas und seiner Begabung, die ihn über das menschliche Normalmaß hinausheben, zieht David

261 Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 344; Friedhelm Krey sieht Davids grundlegende Verfehlung darin, dass er auf die Nachricht vom Tod seines Geliebten Jonathan nicht Gift nimmt, um diesem nachzusterben. Dadurch büße Davids Handeln jede Genialität ein und werde gewöhnlich (vgl. Friedhelm Krey: Hans Henny Jahnn und die mann-männliche Liebe, S. 211). 262 Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 342. 263 Vgl. Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 341 f. 264 Kritiken der Uraufführung in Münster titelten: „Allen Mächtigen wird ein neues Herz gegeben“ (Kölnische Rundschau, 11.12.1969), „Verführung durch die Macht bedroht alle Menschlichkeit“ (Westfälische Nachrichten, 8.12.1969), „Politik verdirbt den Charakter“ (Weser-Kurier, 9.1.1969) – sie erkannten in dem Stück also eine Warnung vor dem schlechten Einfluss, den Macht auf die Humanität ausübt. Eine solche allgemeinmenschliche Deutung ignoriert Jahnns eigentliche Intention, die Gefährdung eines jedes normalmenschliche Maß übersteigenden Genies vorzuführen (Titel der Rezensionen zitiert nach Ulrich Bitz/Jan Bürger/Alexandra Munz: Hans Henny Jahnn. Eine Bibliographie, S. 190 f.).  



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die Faszination der ganzen Umwelt auf sich und ungewollt eine Spur des Verderbens hinter sich her.265 Saul fühlt sich wider Willen zu ihm hingezogen und schwankt zwischen Zuneigung und Hass, Jonathan gibt sich für ihn auf und vergeht vor Eifersucht auf seine Schwester und auf den Philisterherzog, Michal betreibt die Ehe mit David und tut alles, um den Einfluss ihres Bruders zurückzudrängen, wird aber selbst von David fallengelassen. Auch Achis wirbt um David, möglicherweise, weil er zärtliche Gefühle für ihn empfindet. Goliaths sexuelles Begehren äußert sich unverstellter: Als ihm David beinahe nackt zum Kampf gegenübertritt – so erzählt David es Jonathan –, will der Riese ihn missbrauchen. Daraufhin schlägt ihn David mit einem in seinen Lendenschurz eingenähten Bleiklotz nieder und tanzt in seiner Anspannung um ihn und auf ihm herum, sodass er ihm das Genick bricht (vgl. S. 449 f.). Sogar die Tötung Goliaths erinnert an eine künstlerische Handlung und spielt auf den im Alten Testament geschilderten Tanz vor der Bundeslade an. Reiner Niehoff vergleicht dieses „erotisch[e] Duell“ mit einer „Art Tanz der Sieben Schleier“.266 Die Vereinnahmung durch die Politik raubt Davids künstlerisch-erotischen Fähigkeiten „ihre selbstzweckhafte, absichtlose, reine Souveränität“, wobei die politisch instrumentalisierte Erotik zur „Prostitution“ wird.267  

Aktualisierung, Säkularisierung und Poetologisierung. Intertextuelle Strategien Hans Henny Jahnn selbst kommentiert in einer Anmerkung zum Personenverzeichnis seine Art der intertextuellen Anverwandlung: „Den Autor hat nicht die Absicht bewegt, einen Abschnitt der Geschichte darzustellen. Dem 1. Buche Samuelis sind nur die Elemente der Handlung entnommen, die ins Überallgültige übersetzt wurden.“ (S. 398) Um den Plot aus dem ursprünglichen Kontext des Stoffs zu lösen und die Verallgemeinerbarkeit seiner Aussage nachzuweisen, bietet Jahnn ein alternatives Personenverzeichnis an, das die bekannten biblischen Namen durch „andere, ungeprägtere“ (S. 398) ersetzt: Saul wird so zu Paulus,

265 Dass die Freundschaft zu David Unheil mit sich bringt, wird schon früh deutlich. In der Nacht, in der sich Jonathan mit ihm verbindet, stürzt sein Sohn Mephiboseth und ist fortan körperlich behindert (vgl. S. 428). 266 Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 344. Überhaupt ist die Goliath-Episode bezeichnend für den Umgang Jahnns mit der Vorlage: Die Grundelemente des Stoffs werden aufgegriffen, doch durch andere Akzente völlig neu gedeutet. Hier mutiert der von Gott unterstützte Sieg des Kleinen über den Mächtigen zu einem von Ruhmsucht motivierten, dann in Verzweiflung begangenen Mord an einem sexuellen Aggressor. 267 Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 344. Jahnn zufolge behandelt „die ‚Spur des dunklen Engels‘ zu allem Überfluß einen ‚anrüchigen Stoff‘, nämlich den Absteig [!] des Genies David zum König David“ (Brief vom 1. Oktober 1952 an Hans-Hasso von Veltheim-Ostrau, zitiert nach Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 344).

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Jonathan zu Oristan, David zu Robert usw.268 Damit wird das Alte Testament klar auf seine Rolle als Stofflieferant beschränkt, die theologische Ebene und der historische Gehalt werden aber außen vor gelassen. Stattdessen stellt Jahnn die These auf, dass sich die Erzählung auf eine anthropologische Grundkonstellation zurückführen lässt. Zur Betonung dieser Überzeitlichkeit spielt das Drama auch nicht in der alttestamentlichen Welt der frühen israelitischen Königszeit, sondern wird in einer nicht genauer definierten Moderne verortet.269 Zahlreiche Anachronismen resultieren aus dem zeitlichen Transfer: So trägt Saul eine gestreifte Hose und eine schwarze Weste, „darüber einen braunen Samtmantel und [eine] goldene Halskette“ (S. 425), er hört Klavierwerke von Mozart und attackiert später David nicht mit einem Speer, sondern einem Revolver (vgl. S. 459). Eine geheime Staatspolizei unterrichtet Saul über bedrohliche Vorkommnisse in seinem Reich (vgl. S. 510); Goliath soll sich in seiner Jugend als Preisboxer verdingt haben (vgl. S. 426); der geistliche Fürst Schmuel residiert in der Burg Rama, die stark an den Vatikanstaat erinnert.270 Solche auf die Entstehungszeit des Dramas verweisenden Elemente sollen die Gegenwärtigkeit und Allgemeingültigkeit des Stoffs beweisen, bewirken aber den gegenteiligen Effekt, indem sie das Augenmerk auf die historische Verankerung des Prätextes lenken und eine strukturelle Inkongruenz bedingen. Die Rahmenbedingungen der alttestamentlichen Erzählung – der Übergang von einer vorstaatlichen theokratischen zu einer monarchischen Staatsform – sind an eine bestimmte historische Epoche gebunden. Die sich vollziehende „Homogenisierung der disparaten Stämme zum Staat und die Ausdifferenzierung von Religion und Staat“271 stehen im Widerspruch zu den modernen Elementen in Jahnns Drama. Dessen Handlungsgerüst hätte sich stärker von der Vorlage emanzipieren müssen, um den Anspruch überzeitlicher Gültigkeit einlösen zu können. So erscheint weniger der Stoff zeitlos, vielmehr erweisen sich die in ihm behandelten Themen – Freundschaft, Eifersucht, ein Machtkampf, der zugleich auch ein Generationenkonflikt ist – als anthropologische Konstanten.272

268 Ursprünglich wollte Jahnn das Stück „David und Jonathan“ nennen, fürchtete dann aber, dass man aufgrund dieses Titels ein jüdisches Geschichtsdrama erwarten könnte (vgl. Thomas Freeman: Hans Henny Jahnn, S. 516). 269 Dieser Kunstgriff lässt sich im Sinne Genettes als heterodiegetische Transposition verstehen, bei der der zeitliche und räumliche Rahmen verändert, die Grundzüge der Handlung jedoch beibehalten werden (vgl. Gérard Genette: Palimpseste, S. 406–408). 270 Vgl. Thomas Freeman: Hans Henny Jahnn, S. 516. 271 Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 341. 272 Eben in diesen vom biblischen Stoff berührten Themen sehen Dietrich Molitor und Wolfgang Popp das Hauptmovens für Jahnn, die Geschichte neu zu erzählen: „Süß und ergreifend ist das Freundschaftsbündnis der Jugendlichen, weil es Aufstand gegen die Generation der Väter bedeutet. Vergeblichen Aufstand, – wie der Fortgang der Geschichte zeigt.“ (Dietrich Molitor/Wolfgang

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Die Modernisierung des Prätextes geht mit seiner Säkularisierung einher. Anders als im Alten Testament vollzieht Schmuel die Salbung Davids auf Drängen Jonathans, was die Tiefe von dessen Zuneigung zu David unterstreicht (II. Abschnitt, 11. Szene). Es ist also nicht Gott, der den Priester beauftragt, den neuen König auszuzeichnen, sondern der Kronprinz tut dies selbst, wobei er aber ganz im Einklang mit Schmuels Ambitionen handelt. Auch hier zeigt sich eine gravierende Abweichung von der Vorlage, denn der geistliche Führer tritt nicht als göttliches Werkzeug auf, sondern betreibt eine eigene Machtpolitik, die sogar ein geheimes Bündnis mit dem Feind, Herzog Achis, sucht, um den Herrschaftsantritt Davids zu befördern.273 Um die politische Macht ringen Thron und Kirche, wohingegen Gott im Unterschied zum Prätext kein aktiver Mitspieler ist, ja nicht einmal als Instanz angerufen wird.274 Die Einbettung in einen heilsgeschichtlichen Kontext wird aufgegeben zugunsten einer rein profanen Ausgestaltung des Geschehens. Die Menschen sind nicht mehr in einem göttlichen Plan aufgehoben, sondern ihren eigenen Begierden unterworfen. Statt den Aufstieg des von Gott Erwählten vorzuführen, zeigt das Stück die Gefährdung des genialen Künstlers sowie einer Liebesbeziehung durch Machtstreben. Damit wird die affirmative teleologische Stoßrichtung der biblischen Erzählung umgewandelt in ein düsteres, bedrückendes Verhängnis. Indem dem Stoff eine neue Aussage zugewiesen wird, findet eine Transmotivation statt. Während im Alten Testament Davids Erwählung gleichbedeutend ist mit seiner Auszeichnung zur Herrschaft und der auf ihm ruhenden göttlichen Gnade, das musische Talent aber nur eine weitere, begleitende Qualität darstellt, ist im

Popp: Vom Freundschaftsmythos zum Sexualtabu, S. 28) Mein Ansatz geht hingegen davon aus, dass die Verquickung von Männerfreundschaft, Künstlertum und Macht den Dreh- und Angelpunkt des Dramas bildet. 273 Als verschlagener Taktierer gibt Schmuel sich auch zu erkennen, als es noch einmal zu einem Zusammentreffen mit Saul in seiner Burg in Rama kommt – auch dies eine Erfindung Jahnns. Saul, der durch seine Geheimpolizei von Schmuels Verschwörung weiß, wirft dem Priester „Hochverrat“ (S. 533) vor, woraufhin ihm der überraschte Geistliche die Wiederherstellung ihrer Freundschaft anbietet. Ein erneuter Kurswechsel, dem Saul keinen Glauben schenken kann. 274 In einem Monolog reflektiert Schmuel das Flehen des Volkes „zum Unsichtbaren“. Auch wenn diese Gebete keine Antwort fänden – offenbar gibt es für Schmuel keinen Gott –, hätten sie doch einen psychologischen Zweck: „Und es ist sinnvoll, dies Geschrei, dies Feilschen um Hilfe, dieser Zorn des Anrufens, diese Drohung, daß man die Erhörung glaube. Es ist betäubend Verfehlungen zu bekennen, Sünden zu nennen, Lauheit und Wankelmut hinauszuröcheln – zu fasten, bis Ohnmachten den Leib umwerfen und das Haupt zerschlagen auf einen Stein niederfällt. Denn es gibt Errettung von allen Übeln, aus allen Nöten für den, der weiterlebt. Aber es gibt keine Errettung von der Häßlichkeit alten Fleisches, das graue Haare bedecken wie Waldflechten hinsiechende Zedern – wenn man weiterlebt. Da ist niemand, den es jammert, und kein Tröster findet sich.“ (S. 408)

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Drama Davids Genie sein zentrales Wesensmerkmal. Es macht ihn zum Objekt der Zuneigung und des Hasses, zum Auslöser von Besessenheit. In einer Welt, in der Gott abwesend zu sein scheint, hebt sein Charisma den jungen Künstler heraus aus der Masse. Seine Kunst lässt ihn als „Sohn eines Engels“ erscheinen, bringt eine Ahnung des Übernatürlichen in die profane Realität, sodass die Kunst als legitimatorische Funktion an die Stelle der Religion tritt. Jahnns Drama vollzieht damit eine ungeheure Aufwertung der Kunst, stellt sie allerdings zugleich als Bürde dar, die Davids Verwicklung in die große Politik, in Mord und Verrat auslöst. Es ergibt sich eine paradoxe Korrelation: Das Genie weckt das Begehren anderer sowie eigene Begehrlichkeiten, die dann jedoch zurückwirken und den Künstler seiner Aufgabe entfremden, sodass der „Sohn eines Engels“ zum „dunklen Engel“ wird.275

1.5.5 Paul Heyse: David und Jonathan Als letzte Adaption von Urszene 2 soll Paul Heyses Novelle „David und Jonathan“276 untersucht werden, obwohl sie, 1882 entstanden und zuerst im Berliner Tagblatt veröffentlicht, eigentlich in der Chronologie am Anfang stehen müsste. Doch entfernt sich der Text stärker als die zuvor interpretierten Werke vom Prätext und bedient sich eines anderen strukturellen Zugriffs auf den Stoff. Denn mit dem Titel enthält die Novelle eine starke intertextuelle Markierung, die den Bezug

275 Reiner Niehoff erkennt in dem Drama eine generelle poetologische Neupositionierung Jahnns, da es „die desillusionierte Zurücknahme nicht nur der ugrinischen Resakralisierung, sondern darüber hinaus der revoltierenden Heterogenisierung des Lebens durch die Kunst“ sei (Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 345). Die von Jahnn, Gottlieb Harms und Franz Buse in den frühen 1920er-Jahren gegründete Glaubensgemeinde Ugrino strebte eine sakrale, institutionalisierte Form des Zusammenlebens an, bei der schaffende Künstler die Leitung innehaben sollten. Das Programm der hierarchisch organisierten, von Männern dominierten Gemeinde bot eine „seltsam unbestimmte Konstellation von Körper, Jugendstilerotik, Kunst, Tod und Anti-Ökonomie“ (vgl. ebd., S. 57). Den Künsten, federführend der Architektur, der Musik bzw. dem Orgelbau und dem Theater, wurde die Aufgabe zugewiesen, eine sakrale Gesellschaft zu schaffen, die sich auch als Gegenreaktion auf die profanierte und rationalisierte Gesellschaft der Weimarer Republik verstand. Das Projekt, das in der Lüneburger Heide realisiert werden sollte, scheiterte am Mitgliederschwund sowie an finanziellen Problemen und wurde schließlich 1935 von den Nationalsozialisten verboten. Wie Reiner Niehoff treffend feststellt, bedeutet die Transformation Davids vom Künstler zum Politiker Jahnns Absage an sein früheres Ideal Ugrino. Während er damals eine religiöse Sinnstiftung durch eine Herrschaft der Künstler propagierte, zeigt das Beispiel Davids, wie die profanen Staatsgeschäfte das Genie ersticken. Eine genaue Untersuchung von Geschichte und Programmatik Ugrinos bietet Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn, S. 41–131. 276 Die Novelle wird zitiert nach Paul Heyse: Gesammelte Werke. Reihe I, Bd. 4, S. 3–105.

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zur alttestamentlichen Vorlage herstellt, auch wenn diese dann nicht nacherzählt wird.277 Zumindest auf den ersten Blick. Wie sowohl der Titel als auch die Aufnahme der Novelle in den Zyklus „Buch der Freundschaft“ nahelegen, behandelt sie eine besondere Freundschaft zweier Männer, die sich allerdings problematisch gestaltet, da sie zwei völlig unterschiedliche Menschen miteinander verbindet. Als die beiden erkennen, dass sie sich von ihrem Gegenüber jeweils ein falsches Bild gemacht haben, kommt es zum Bruch.278 Gegensätze ziehen sich an. Der neue David und der neue Jonathan Der Protagonist, der junge Bauingenieur Johann Jonathan, ein „täppische[r] Bä[r]“ mit einem „massive[n] Äußere[n]“ (S. 3), ist von seiner Jugend an ein Einzelgänger mit geringem Selbstwertgefühl, der „sich selbst nicht sonderlich liebenswürdig“ (S. 3) findet. Als „Mensch ohne Feiertag“ (S. 5) und ohne größere Ansprüche geht er in einer norddeutschen Stadt seinem verantwortungsvollen Beruf nach, vermeidet es aber, engere soziale Bindungen zu knüpfen. Die Verkuppelungsversuche seiner Wirtin laufen alle ins Leere. Seine freien Stunden füllt er mit dem Skizzieren architektonischer Fantasien, der Lektüre von Gedichten und dem Spiel mit seinem „einzige[n] Kamerad[en]“ (S. 6), dem kleinen Hund Raffel. Auf den Kopf wird sein gleichförmiges, zurückgezogenes Leben gestellt, als er an einem Juniabend Zeuge eines Suizidversuchs wird und, ohne zu überlegen, Eduard Vanesse aus dem Fluss rettet, in den sich dieser gestürzt hatte. Sofort fühlt sich Jonathan für den jungen Mann verantwortlich und kümmert sich um dessen physisches und psychisches Wohlergehen. Der junge Bankangestellte ist in allem das Gegenteil von Jonathan, „ein schöner, schlanker junger Mensch“ (S. 12), zierlich, elegant gekleidet, charmant und lebhaft, sich selbst und seiner Wirkung auf die Damenwelt sehr sicher. Mit seinem Brotberuf ist Eduard nicht zufrieden, fühlt er sich doch zum Dichter berufen und daher wie „Pegasus im Joche“ (S. 21). Um so härter traf ihn daher die freundliche, aber eindeutige Totalkritik eines berühmten Dichters, dem er einige Gedichte und den

277 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Rainer Hillenbrand: Heyses Novellen, S. 473–479. Heyse hat sich ein weiteres Mal mit dem David-Stoff auseinandergesetzt: In dem 1908 vollendeten Drama „König Saul“, einer „biblischen Historie in fünf Akten“, behandelt er den Kampf des verworfenen Königs mit dem neuen Gesalbten, doch bietet das recht langatmige Werk keinen neuen, interessanten Zugriff, sondern begnügt sich vielmehr mit einer spannungsarmen, episierenden und sprachlich überladenen Variation des Prätextes, die den Schwerpunkt auf Sauls Resignation legt. Einen genauen Vergleich mit der Vorlage und eine Deutung liefert Inger Nebel (Harfe, Speer und Krone, S. 171–193). 278 Auch in dieser Novelle bedient Heyse sein zentrales Thema, „das Problem der Liebe und der Leidenschaft“, wobei er „sich kaum für die gesellschaftlichen und historischen Dimensionen seiner Figuren interessiert“ (Johannes Mahr: Paul Heyse, S. 180).

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Beginn eines Trauerspiels zur Begutachtung zugeschickt hatte.279 Das briefliche Urteil jenes Dichters über seine „dilettantischen Verskünste“ (S. 23) stürzte Eduard in eine so große Verzweiflung, dass er sich umbringen wollte. Trotz der rückhaltlosen Offenheit, die Eduard Jonathan gegenüber an den Tag legt, entlarvt sein Monolog doch einen Hang zur Selbststilisierung. Den Verriss des berühmten Dichters empfindet er in hyperbolischer Übersteigerung als „Todesurteil“ (S. 22): „es ist unbeschreiblich, was ich gelitten habe!“ (S. 24) Und auch der Erzähler mischt sich ein und analysiert mit kritischem Unterton Eduards Offenbarung als „seltsames Gemisch von echter Empfindung und theatralischer Selbstbespiegelung“ (S. 25). Jonathan sieht sich in der Pflicht, Eduard zu neuem Lebensmut zu verhelfen, weshalb er noch in derselben Nacht alle seine Gedichte liest. Zwar muss er dem berühmten Dichter darin recht geben, dass Eduards Lyrik die Substanz vermissen lässt, doch entdeckt er in dem dramatischen Fragment einer schauerromantischen Zigeuner-Kolportage das Feuer sowie den persönlichen Reiz von Eduards Charakter wieder, weshalb er diesen darin bestätigt, das Werk zu vollenden und als Dramatiker zu reüssieren. Die Arbeit an dem Trauerspiel wird nun zu dem großen gemeinsamen Projekt, das die beiden Männer verbindet und die Basis ihrer Freundschaft bildet. Jonathan akzeptiert diese Beziehung als neuen Lebensinhalt: „Seine einsame arme Seele hatte nun etwas, woran sie sich aufrichten und anklammern konnte. Ein unerhörtes Glück, wie er es sich nie hatte träumen lassen. Es galt eine andere Seele zu retten, die sich selbst verloren gab.“ (S. 30) Eduard nimmt dankbar Jonathans Bewunderung an und versetzt den scheuen und einsamen Junggesellen in einen Glückstaumel, als er ihm die Brüderschaft anbietet. Die zwischenmenschliche Beziehung von Jonathan und Eduard ist von Anfang an komplementär angelegt: Der Ingenieur, der seinen Wert geringschätzt, ordnet sich bereitwillig und in allem dem zum Genie verklärten Künstler unter. Eduards Dominanz und Gewohnheit, seinen Willen durchzusetzen, finden ihre Entsprechung in Jonathans serviler Haltung. Dabei wird Eduard, so wie Jonathan ihn sieht bzw. sehen will, zur Kontrastfolie für seine eigene Existenz. In Jonathans Perspektive, die in Form der erlebten Rede eingefangen wird, erscheint Eduard Vanesse als begnadeter Dichter, wohingegen Jonathan die eigenen Zeichnungen als Beweis für seinen Dilettantismus herabwürdigt:

279 Möglicherweise spielt Heyse mit dem prominenten Dichter, den Eduard auch als „Orakel“ apostrophiert, ironisch auf seine eigene Stellung im deutschen Kulturleben an, galt er seinen Zeitgenossen doch als „Nachfolger Johann Wolfgang von Goethes, der mit seiner lebenslangen umfangreichen Produktivität in allen Gattungen den literarischen Buchmarkt im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts“ beherrschte (Ingrid Rückert: Paul Heyse – ein Liebling der Musen, S. 7). Er dichtete nicht nur, sondern wirkte darüber hinaus als Übersetzer, Kritiker und Herausgeber, weshalb er als „,Literaturpapst‘ seiner Zeit“ (ebd., S. 36) geachtet wurde.

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Genial war nichts von alledem. Wie sollte auch ihm, dem Bauernsohn, dem grobschlächtigen Gesellen, etwas Meisterliches, Feines und Hohes gelingen! Wenn man so aussah, freilich, wie dieser Eduard Vanesse, da hatte man’s im Blut, da konnte man leicht ein Elitemensch sein. (S. 31)

Selbst die charakterlichen Defizite Eduards – seine Ich-Fixierung, seine Oberflächlichkeit, seinen Mangel an Empathie – erkennt Jonathan zwar, entschuldigt sie aber als zwangsläufige Eigenschaften der künstlerischen Ausnahmeerscheinung: Wessen Ich wertvoll ist, dachte er, der hat ein Naturrecht darauf, ein Egoist zu sein. Kommt doch auch das allen anderen zugute. Und dieses Schoßkind der Natur, muß man ihm nicht dankbar sein, wenn es sich keinen Zwang antut, da es, so wie es ist, wie eine seltene Blume Aug’ und Herz erfreut? (S. 39)

Jonathans Disposition zu Minderwertigkeitsgefühlen wird so bestärkt: Er, der „Dutzendmensch“ mit dem „mittelmäßige[n] Talent“ (S. 40), könne nicht konkurrieren mit dieser „reizbaren, weichen, phantastischen Künstlerseele“ (S. 45). Die Begeisterung, erstmals einen Freund zu haben, bringt Jonathan dazu, seine Bedürfnisse stets hintanzustellen und sich selbst mit einer Reihe sich steigernder Opfer zu verleugnen: Da Eduard Rauchen verabscheut, schwört Jonathan dieser Angewohnheit ab. Da der Freund sich von dem lebhaften Hund gestört fühlt, sperrt Jonathan Raffel zunächst aus, gibt ihn schließlich weg und greift unter dem Druck Eduards zur Peitsche, als der Hund zu ihm zurückkehrt. Dass er auf diese Weise seinen Hund verrät, das Tier, das traditionell für die Treue steht, deutet darauf hin, dass er von seinem neuen Freund zum Schlechten beeinflusst wird. Als Jonathans Mutter im Sterben liegt, versäumt er es trotz heftiger Gewissensqualen, rechtzeitig zu ihr zu fahren und sich von ihr zu verabschieden, weil zeitgleich Eduard mit Fieber darniederliegt und ihn vereinnahmt. Das größte Opfer bringt Jonathan schließlich, indem er eine Frau, die er liebt, Eduard überlässt. Nachdem Eduard für eine mehrwöchige Geschäftsreise nach Paris geschickt worden ist – sein Chef will die romantischen Gefühle seiner Tochter für Eduard unterbinden –, lernt Jonathan Gesine, die Tochter seiner Wäscherin kennen, und wirbt unbeholfen um sie. Seine Bemühungen haben Erfolg und das Paar plant seine Verlobung, doch unterlässt Jonathan es, den Freund zu informieren. Auch als dieser heimgekehrt ist und sich selbst entzückt von Gesines Schönheit zeigt, klärt ihn Jonathan nicht auf, ja streitet, von Eduard befragt, sämtliche Absichten ab. Gesine gegenüber versucht er den Vorrang von Eduards Bedürfnissen begreiflich zu machen, wobei seine stockende, abgehackte Rede die emotionale Anspannung widerspiegelt: „[…] es handelt sich gar nicht um mich – um Ihr Glück handelt es sich und um seines. Er ist schön und liebenswürdig und wird einmal von sich reden machen – Ich – nun, ich bin, wie Sie mich hier sehen, und werde nie

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etwas anderes sein.“ (S. 71) Gesine kann sein Verhalten nicht nachvollziehen, sodass die Beziehung ein abruptes Ende findet und sich die enttäuschte junge Frau auf Eduards Avancen einlässt.280 Jonathans fixe Idee, dass er ein unbedeutender Niemand sei, begründet seine Überzeugung, er müsse jedes noch so großes Opfer zugunsten Eduards bringen, um dessen künstlerischen Durchbruch zu ermöglichen. Bezeichnenderweise hat Eduard nie einen dieser Verzichte verlangt, vielmehr antizipiert Jonathan jeweils die Wünsche des anderen und unterwirft sich ihnen mit willfähriger Hingabe. So wie er sich selbst nur einseitig und negativ wahrnimmt, hat er ein undifferenziertes, idealisiertes Bild von Eduard. Über die Desillusionierung zur Selbstfindung Allerdings verblassen Eduards dichterische Ambitionen immer mehr. Wollte er sich zunächst wegen eines kritischen Urteils über sein Werk sogar umbringen und macht er sich zu Beginn der Freundschaft mit Jonathan voller Verve an die Arbeit an seinem Trauerspiel, verliert er allmählich das Interesse am Künstlertum. Ausritte oder amouröse Abenteuer drängen die Dichtung in den Hintergrund. Mit Verzweiflung beobachtet Jonathan, dass sich sein Freund nicht „ermann[t]“ (S. 69) und das Ziel nicht weiterverfolgt. Dabei soll doch das Werk Eduard „vor der Welt in jenem Lichte zeigen […], in welchem bisher nur die Augen des Freundes ihn gesehen“ (S. 69). Der Freund soll sich dem Bild angleichen, das sich Jonathan von ihm gemacht hat. Auf seine Ermahnungen („Du bist zu gut, um dich an all solche Eitelkeiten wegzuwerfen. Erinnere dich, daß du eine Zukunft hast, die aber immer in der Ferne bleibt, wenn du nur der abgeschmackten Gegenwart angehörst“, S. 74) reagiert Eduard schuldbewusst, doch sind seine Flatterhaftigkeit und Oberflächlichkeit stärker.281 Sein Geständnis „Man ist nicht immer Dichter, man muß auch zuweilen Mensch sein dürfen.“ (S. 44) enthüllt, dass das Künstlertum für Eduard nur eine Rolle darstellt, er also nicht dem Ideal entspricht, das Jonathan entwirft. Nur dank des Drucks Jonathans und seiner Mitwirkung vollendet Eduard

280 Sebastian Bernhardt, der in seiner Dissertation zum Werk Heyses das Individuum im Spannungsfeld der sozialen Normen und dem Wunsch nach Liebe untersucht, nennt Jonathans Verzicht einen „psychopathologischen Entsagungsakt“, der „als dezidiert abzulehnendes Modell“ vorgeführt werde: „Tatsächlich ist damit der einzige bei Heyse zu findende Akt der durch einen Mann vollzogenen Entsagung irrational, basiert auf einem krankhaften Minderwertigkeitsgefühl des Mannes und führt zum allseitigen Unglück“ (Sebastian Bernhardt: Das Individuum, die Liebe und die gesellschaftlichen Normen im erzählerischen Gesamtwerk Paul Heyses, S. 219). 281 In Eduards Nachname Vanesse klingt die Schmetterlingsgattung der Eckflügler (Vanessa) an, was seine charakterliche Unbeständigkeit zusätzlich betont (vgl. Hans Otto Horch: Jüdische Spuren in Heyses Leben und Werk, S. 215).

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das Drama, hat aber offenbar alle seine ursprünglichen Ziele aufgegeben: „Er äußerte, nachdem es mühsam genug zur Welt gebracht war, eine große Gleichgültigkeit gegen sein eigenes Geschöpf, hatte den Kopf voll neuer Pläne, ließ auch die wieder fallen und ergab sich einem träumerischen Nichtstun“ (S. 75). Nicht dem Urheber ist es zu verdanken, dass die Uraufführung in die Wege geleitet wird, sondern allein der Beharrlichkeit, mit der Jonathan den Theaterdirektor und die Hauptdarstellerin von der Qualität des Stücks überzeugt. Doch die Illusion platzt: Der „unscheinbare graue Specht“, der all seine unerfüllten Träume auf den „Paradiesvogel“ (S. 38) projiziert, muss die Charakterschwäche Eduards erkennen. Als er an einem Winterabend zufällig der verwüsteten Gesine begegnet, berichtet ihm diese voller Hohn, wie sie Eduard mit seinem „Schlangenlächeln“ (S. 81) verführt, dann aber um einer anderen willen verlassen habe. Noch einmal entschuldigt Jonathan bei sich den „Leichtherzige[n]“, den „Liebling der Götter“ (S. 83). Doch am selben Abend gesteht Eduard ihm, dass er sich mit der hässlichen Tochter seines Chefs verlobt habe, und verkauft diesen Akt, der ihn zum Kompagnon befördert, als Akt des Mitgefühls mit dem liebeskranken Mädchen. Daraufhin verliert Jonathan die Beherrschung. In einer großen Philippika macht er seiner Verachtung Luft und entlarvt den Freund als Heuchler: Ich sehe, daß nichts mehr zu retten ist, daß ich mich auf eine unerhört jämmerliche Weise in diesem Menschen geirrt habe. Ich hielt ihn für einen Ehrenmann – und er ist ein Schuft; für einen Künstler – und er ist ein engherziger Philister; für ein Wesen, das hoch über mir stünde, – und er ist so tief unter mir, daß es mich entehrt, ihn je geliebt zu haben. (S. 89)

Als er die Wahrheit akzeptieren muss, dass er all sein Hoffen und Planen auf einem Selbstbetrug gegründet hat, ist er nahe davor, sich selbst zu töten. Dadurch, dass er sich an jene Stelle am Fluss begibt, an der er damals Eduard gerettet hat, schließt sich ein Kreis: Dort, wo ihre Freundschaft begann, beendet Jonathan sie auch. Die Einsicht ist für ihn eine Grenzerfahrung, die ihn zu sich selbst finden lässt.282 So befolgt er den Rat des Baudirektors, sich an einem Architekturwettbewerb für einen großen Bahnhof zu beteiligen, und steigert sich in einen kreativen Rausch. Die Schilderung des Erzählers vergegenwärtigt den Vorgang der Inspiration:

282 Diese Selbstfindung spiegelt sich auch auf motivischer Ebene wider: Jonathan entdeckt, als er über eine Selbsttötung nachdenkt, jene Pfeife wieder, die er bei der ersten Begegnung mit Jonathan verloren hatte (vgl. S. 10, 91). Heyse selbst beschreibt Jonathans Selbstfindung: „Ich lasse ihn dadurch, daß er sich an einen andern fruchtlos verschwendete, zu sich selbst kommen“ (Brief an Fanny Lewald vom 31.10.1882; zitiert nach Rainer Hillenbrand: Heyses Novellen, S. 479).

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Dann war es, wie wenn eine plötzliche Umwälzung seines inneren Menschen zustande gekommen wäre; er hob den Kopf mit einem kühnen, freudigen Ausdruck, wiegte beide Fäuste langsam vor der Brust, als schicke er sich an, eine große, gewichtige Last in Angriff zu nehmen, und ein Lächeln, wobei er ein wenig rot wurde, erschien einen Augenblick auf seinen Lippen. […] Die ganze übrige Welt war wie in einem bodenlosen Abgrund verschwunden, alle Qual dieser letzten finsteren Stunden von ihm abgefallen. (S. 92)

Er, der stets seine Arbeit kleingeredet hat, erweist sich als der wahre Künstler. Nachdem er die Ausschreibung gewonnen und den Bau übertragen bekommen hat, fühlt er „eine hohe und reinigende Kraft in dieser Arbeit“, die ihm erstmals „ein Gefühl seines eigenen Wertes“ (S. 95) verschafft. So löst sich der Konflikt völlig in Wohlgefallen auf. Zwar stürzt der überraschende Auftritt Eduards bei der Einweihungsfeier des Bahnhofs, bei der er ein Gedicht auf Jonathan und ihre Freundschaft rezitiert, den Architekten in eine erneute psychische Krisis. Doch überwindet er diese und freut sich über positive Zukunftsaussichten: Man trägt ihm die Stelle eines Stadtbaumeisters in der Provinzhauptstadt an und es gelingt ihm, erneut Gesines Gefühle zu gewinnen. Zwei Freunde, zwei Künstler? Der David-Stoff als Folie einer Künstlernovelle Anhand zahlreicher Detailanalysen hat Sebastian Bernhardt den Konflikt des seine Bestimmung suchenden Individuums mit dem herrschenden Normensystem als Gegenstand von Heyses Texten herausgearbeitet: „Um sich selbst zu entfalten, muss das Individuum seinem eigenen Gefühl ohne Rücksicht auf die äußerlichen Normen und Regeln folgen.“283 Dieses Thema prägt ebenso die Novelle „David und Jonathan“, auch wenn Jonathan sich nicht gegen die gesellschaftlichen Konventionen behaupten, sondern sich vielmehr von seinen eigenen Inferioritätsgefühlen befreien muss. Erst mit der Tätigkeit als Architekt gelingt Jonathan die „Realisierung der im Zuge der Selbstfindung nur erkannten Potenziale“284. Nicht nur inhaltlich, auch in struktureller Hinsicht bleibt Paul Heyse seinem Grundmuster treu: Er wird der eigenen Novellentheorie gerecht, in der er die Forderung aufstellt, dass „die Novelle einen scharf umgrenzten bedeutenden Einzelfall bis zum Ende, d. h. bis zu seiner klaren Lösung abhandeln solle“285. In „David und Jonathan“ findet innerhalb einer Männerfreundschaft eine diametrale Entwicklung der beiden Protagonisten statt: Während Eduard sich als philiströser  

283 Sebastian Bernhardt: Das Individuum, die Liebe und die gesellschaftlichen Normen im erzählerischen Gesamtwerk Paul Heyses, S. 11. 284 Sebastian Bernhardt: Das Individuum, die Liebe und die gesellschaftlichen Normen im erzählerischen Gesamtwerk Paul Heyses, S. 92. 285 Johannes Mahr: Paul Heyse, S. 180.

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II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

Möchtegern-Künstler erweist, der all seine Ideale dem sozialen Aufstieg opfert, reift der unsichere Jonathan zu einem selbstsicheren Künstler heran. Insofern lässt sich die Erzählung – abhängig vom Blickwinkel – als Künstler- bzw. als Anti-Künstlernovelle klassifizieren.286 Und die Verschränkung von Künstler- und Freundschaftsthematik geschieht im Zeichen des David-Stoffs, der zwar nur latent präsent ist, jedoch den Bezugspunkt für die Grundkonflikte bildet. „Jonathan, wo ist dein David?“ (S. 4) verspotten schon die Mitschüler den einsamen Jonathan – und auch später nutzt die Umwelt seinen Nachnamen, um sich mit spöttischem Bezug auf das Alte Testament über ihn und seinen neuen Freund zu wundern: „Sie haben sich ja einen David angeschafft! neckte ihn sein Baudirektor. Ist es wahr, daß der junge Herr auch die Harfe schlägt? Zum Goliathtöter ist er doch wohl zu zart gebaut.“ (S. 45 f.) Bereits diese Anspielung ruft beide Bereiche auf, die in der biblischen Vorlage verknüpft sind: Freundschaft und Künstlertum. Der Ingenieur und der dichtende Kommiss werden – mit einem ironischen Unterton – in die Nachfolge der biblischen Figuren gestellt. Auch der Erzähler misst Eduard am biblischen Helden, wenn er dessen Bemühungen, Jonathan nach dem Tod der Mutter zu zerstreuen, würdigt. Dass Eduard „sich als ein rechter David an diesem von Gespenstern heimgesuchten Geist“ (S. 51) erweist,  

286 Christine Anton hat in ihrer Analyse von Künstlernovellen des Realismus die Wechselwirkung von Kunsttheorie und narrativer Umsetzung herausgearbeitet und dabei drei Künstlertypen klassifiziert: die Figur des romantischen und die des naturalistischen Künstlers sowie diejenige des Bürger-Künstlers. („Naturalistisch“ versteht Anton nicht als epochenspezifische Kategorie, sondern als Kunstideal, das auf die Wiedergabe der Realität abzielt.) Auch wenn sie dabei keine Novelle von Heyse genauer untersucht, lassen sich ihre Ergebnisse doch auf „David und Jonathan“ beziehen. Die Kunstprogrammatik des Realismus distanzierte sich von der romantischen Vorstellung eines außerhalb und in intellektueller Gegnerschaft zur bürgerlichen Gesellschaft schaffenden genialischen Künstlers (vgl. Christine Anton: Selbstreflexivität der Kunsttheorie in den Künstlernovellen des Realismus, S. 27–30). Eduard Vanesse scheint anfangs diesem idealistischen Bild vom Künstlertum anzuhängen, er leidet unter den Pflichten des bürgerlichen Lebens, sieht sich in der Nachfolge Lord Byrons und verzweifelt über den Verriss eines berühmten Dichters. Doch fällt er gegenüber den selbstgesetzten Maßstäben durch, scheitert aber auch darin, seine künstlerische Identität „in die moderne Sozietät zu integrieren“ (ebd., S. 154). Er verfehlt damit das Ziel der realistischen Dichter, zum Bürger-Künstler zu werden und „Möglichkeiten der Einheit von Kunst und Leben, Künstlertum und Bürgertum, sowie künstlerischer Idealität und gesellschaftlicher Realität, zu suchen“ (ebd., S. 153 f.). Stattdessen verzichtet Eduard auf Wunsch seines Schwiegervaters und Chefs auf die künstlerische Betätigung und entpuppt sich als Inbegriff des Philisters. Demgegenüber gelingt es Jonathan, seine architektonisch-gestalterische Kreativität zugunsten eines gesellschaftlich anerkannten und nützlichen Berufs zu kanalisieren. Gemäß der Poetik des Realismus, wie sie in der einflussreichen Zeitschrift „Die Grenzboten“ propagiert wurde (vgl. ebd., S. 189–196), werden Eduard als Pseudo- und Jonathan als ideale Künstlerfigur vorgeführt.  

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erinnert an die heilsame Wirkung von Davids Harfenspiel auf die von einem bösen Geist zerrüttete Psyche Sauls. Tatsächlich berufen sich die beiden Freunde sogar selbst explizit auf die biblischen Ahnen und sprechen so ihrer Bindung eine idealtypische Qualität zu, die sich gerade in ihrem Zusammenwirken auf künstlerischem Gebiet manifestiere. Eduard erkennt Jonathans großen Anteil an der Dichtung des Dramas an: „Wir schreiben dann auf den Titel: Trauerspiel in fünf Akten von David und Jonathan.“ (S. 51) Und diese von beiden mythisch überhöhte Freundschaft ist es dann auch, die Jonathan davon abhält, Eduard nach Paris von seiner Liebe zu Gesine zu schreiben: „Was mußte sein David denken, wenn er las, Jonathan habe sich mit der Tochter seiner Wäscherin verlobt!“ (S. 63 f.) Es liegt in der Natur der Sache, dass eine derart mit wechselseitigen Erwartungen und Projektionen überfrachtete Freundschaft scheitern muss, sobald einer aus dem starren Rahmen fällt, den das biblische Vorbild vorgibt. So muss Jonathan zuletzt einsehen, dass Eduard eben nicht dem Dichterkönig David gerecht wird, sondern vielmehr ein schäbiger „Philister“ (S. 89) ist. Die typisch romantische Diskreditierung aller Spießbürger, die kein Sensorium für die wahre Kunst haben, erscheint im unterschwelligen intertextuellen Verweissystem als weitere Reminiszenz der Vorlage: Gegen die Philister führte Israel erst unter Saul und Jonathan, dann unter David erbittert Krieg. Eduard und Jonathan scheitern gegenüber ihrem übergroßen Ideal in beiderlei Hinsicht: Zwar ähnelt das Verhalten des neuzeitlichen Jonathan durchaus demjenigen des biblischen Prinzen, da beide selbstlos ihre eigenen Interessen zurückstellen. Aus Loyalität zu David ist Sauls Sohn bereit, die eigenen Thronansprüche aufzugeben und sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Heyses Protagonist Johann Jonathan hat schon vor der Begegnung mit Eduard kein Vertrauen in seine Fähigkeiten und konzentriert umso bereitwilliger all seine Hoffnungen und Erwartungen auf den charismatischen Eduard. Wie David erscheint dieser als „Schoßkind der Natur“ (S. 39), dem die Herzen zufliegen, jedoch gelingt es Eduard nicht, die Bedürfnisse seines Freundes wahrzunehmen, und er akzeptiert dessen Opfer als Selbstverständlichkeit. Eduards windiges und egoistisches Verhalten unterscheidet sich gravierend vom Charakter der biblischen Bezugsfigur, sodass er als „pervertiert[er]“ David erscheint.287  

287 Hans Otto Horch: Jüdische Spuren in Heyses Leben und Werk, S. 214; vgl. Rainer Hillenbrand: Heyses Novellen, S. 477. Hans Otto Horch führt den Nachweis, dass die Novelle auch eine versteckte antisemitische Spitze transportiert, indem er in Eduard eine negativ gezeichnete jüdische Figur erkennt. Dessen Nachname Vanesse erinnere an das jüdische Menasse; Eduard entstammt ursprünglich einem reichen Elternhaus, die Mutter lud Dichter und Denker in ihren Salon – für Horch alles Indizien für eine unausgesprochene jüdische Identität. Er wertet es als „[b]edenklich“, dass „der maskiert jüdisch stilisierte Exponent als extrem amoralisch, der christ-

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Allerdings existiert eine andere Parallele zum Prätext. So wie bei dem alttestamentlichen Paar lässt sich eine homoerotische Grundierung der Beziehung identifizieren, die jeweils nur angedeutet und nie zur Eindeutigkeit verdichtet wird. Bezeichnenderweise erblickt Jonathan sein dichterisches Ideal in den Werken von August von Platen-Hallermünde, der in seinen Gedichten immer wieder die eigene homosexuelle Veranlagung angedeutet hat.288 Aus diesen Texten hört Jonathan einen „Geist der Einsamkeit und des Weltverzichtes“ heraus, „dem er sich verwandt fühlte, während der Unterstrom eines leidenschaftlichen Bedürfnisses, den die meisten überhören, eine tiefe Mitempfindung in ihm weckte“ (S. 6). Offenbar verspürt er eine emotionale Nähe zu dem Dichter und dessen Situation, was den Rückschluss erlaubt, dass auch Jonathan Gefühle für Männer hegt. Zudem wird eigens betont, dass „die schönere Hälfte der Menschheit für ihn gar nicht auf der Welt zu sein“ (S. 6) scheint, sodass die heftigen Emotionen, die er für Eduard zeigt,

lich-deutsche Exponent als extrem moralisch hingestellt wird“ (Hans Otto Horch: Jüdische Spuren in Heyses Leben und Werk, S. 215 f.). Folgt man dieser Lesart, könnte man auch die beiden unterschiedlichen Auffassungen vom Künstlerdasein in Beziehung zu antisemitischen Klischees setzen. So hat Richard Wagner die Behauptung vertreten, dass Juden unfähig zu wahrem, schöpferischem Künstlertum seien – so wie auch Eduard als uninspirierter Epigone entlarvt wird (vgl. Jens Malte Fischer: Richard Wagner und seine Wirkung, S. 114 f.). Jedoch ist der antisemitische Subtext der Novelle nicht eindeutig. Horch muss selbst einräumen, dass diese denunziatorische Figurencharakteristik unverständlich ist: Zum einen beruft sich Heyse in seiner Autobiografie „Jugenderinnerungen und Bekenntnisse“ mit einem gewissen Stolz auf das „orientalisch[e] Temperament“ (Hans Otto Horch: Jüdische Spuren in Heyses Leben und Werk, S. 205) seiner jüdischen Mutter. Zum anderen stellt er in anderen zeitgleichen Texten (darunter das Gedicht „Asylrecht“, mit dem er dem erstarkenden Antisemitismus entgegentritt) Juden objektiv dar. Auch lässt sich gegen Horchs These einwenden, dass die allgegenwärtige Folie, die Geschichte des jüdischen Freundespaares David und Jonathan, als Idealbild nicht hinterfragt wird. Und obwohl Jonathan moralischer und integrer als Eduard handelt, ist er – anders als Horch es resümiert – in seinem pathologischen Minderwertigkeitsgefühl und seiner Fixierung auf Eduard als gemischter Charakter angelegt, der durchaus zu Kritik herausfordert. 288 Gunnar Och hat in einem kenntnisreichen Aufsatz Heyses Platen-Rezeption nachgespürt, die sich nicht nur in einer großen Bewunderung für Platens Formbewusstsein niederschlug, sondern auch in seinen eigenen Dichtungen nachwirkt in Form von „Partizipation und Transformation als kulturellen Funktionen der Intertextualität“ (Gunnar Och: „Echtes Plateniden-Blut“? Paul Heyse und August von Platen, S. 48). Der Platen-Bezug in „David und Jonathan“ dient laut Och einer „vorsichtige[n] und vorbehaltliche[n] Annäherung an ein tabuisiertes Thema, das anders kaum zu benennen war“ (ebd., S. 54), also der subtilen Anspielung auf Jonathans homoerotisch grundiertes Begehren. Bezeichnenderweise gehört das von Jonathan am Fluss gelesene und wörtlich in der Novelle wiedergegebene Platen-Sonett zu einem Zyklus, den der Dichter einem umschwärmten Mitstudenten gewidmet hatte und den er selbst als seine „Sonette an Jonathan“ bezeichnete – „eine Formulierung, die sich passgenau in das Namenskonzept der Novelle fügt“ (ebd., S. 53).  



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auch Anzeichen einer Verliebtheit sein könnten.289 Mehrfach wird die zierliche, beinahe mädchenhafte Gestalt Eduards erwähnt, die ihn auch äußerlich zum Gegenbild des grobschlächtigen Jonathan macht.290 Zwischen den beiden Männern herrscht eine latente erotische Spannung, jedoch wird dieses Motiv nicht weiterverfolgt – möglicherweise wagte Heyse nicht, eine den gesellschaftlichen und moralischen Konventionen zuwiderlaufende Beziehung zu konkretisieren, sondern er löste die wechselseitige Anziehung zugunsten heteronormativer Rollenbilder auf: Eduard erweist sich als Frauenheld, Jonathan verliebt sich in Gesine.291 Anders als in der Bibel ist keinem der beiden Männer die Freundschaft wichtiger und lieber als die Zuneigung von Frauen. Tatsächlich geht ihre Bindung aufgrund amouröser Verstrickungen in die Brüche. Noch problematischer ist jedoch der in diesem „fast pathologische[n] Freundschaftsverhältnis“ zum Ausdruck kommende Versuch, den Freund nach den eigenen Bedürfnissen zu bilden: Nicht nur das Trauerspiel hat zuletzt mehr von Jonathan als von Eduard – auch „der ganze Freund, der ganze ‚David‘ [ist] ein Produkt seines eigenen Innern“292.

289 Vgl. Rainer Hillenbrand: Heyses Novellen, S. 476; Peter Küng: Die Krise der liberalen Anthropologie in der Literatur des Bürgerlichen Realismus, S. 474. 290 „[…] das blasse Gesicht sah aus, wie das Pastellbild eines jungen Mädchens in einem Ebenholzrahmen. Auch ganz mädchenhaft war das Erröten, mit dem er den Herantretenden begrüßte.“ (S. 14) Eduard trägt „winzige Lackstiefel“ (S. 17), ein „Hausröckchen“ (S. 33) und ein „Strohhütchen“ (S. 39), wobei auch die Diminutive auf seine feminine Feingliedrigkeit hindeuten. Jonathans Vermieterin wundert sich über Eduards „Äußeres, das fast zu fein für einen jungen Mann sei und eher einem vornehmen Fräulein anstünde“ (S. 32). Sogar seine Handschrift wirkt zart und weiblich (vgl. S. 27). 291 Heyses literarische Ausgestaltung des Aufeinanderprallens von gesellschaftlichen Konventionen und dem Recht auf individuelle Selbstverwirklichung wurde von Zeitgenossen „gelegentlich als erotisch anstößig verurteilt“ (Ingrid Rückert: Paul Heyse – ein Liebling der Musen, S. 51). Und auch die literaturwissenschaftliche Rezeption hat Heyse „eine gewisse […] Kühnheit der erotischen Darstellung und moralischen Auffassung“ attestiert (Rainer Hillenbrand: Heyses Novellen, S. 36). Allerdings betreffen moralisch-sittliche Konflikte in Heyses erzählerischem Werk in der Regel nur heterosexuelle Beziehungen und hier gilt: „Auch bei Heyse müssen die Grenzüberschreitungen schließlich überführt werden in das vorgefundene System der Normen.“ (Sebastian Bernhardt: Das Individuum, die Liebe und die gesellschaftlichen Normen im erzählerischen Gesamtwerk Paul Heyses, S. 240, vgl. auch S. 201–238) Eine homosexuelle Beziehung hätte eine noch viel radikalere Grenzüberschreitung der Konvention bedeutet und das war wahrscheinlich zu viel Kühnheit für Heyse (vgl. auch Gunnar Och: „Echtes Plateniden-Blut“? Paul Heyse und August von Platen, S. 54). 292 Rainer Hillenbrand: Heyses Novellen, S. 476 f. Hillenbrand weist darauf hin, dass die zu großen Kleidungsstücke, in die Jonathan Eduard nach dessen Suizidversuch steckt, das Missverhältnis zwischen Jonathans zu hohen Ansprüchen und der unzureichenden Realität vorwegnehmen (vgl. ebd., S. 477). Interessanterweise schreiben die ersten Leser und Rezensenten Eduard die Schuld am Scheitern der Freundschaft zu. So nennt ihn Gottfried Keller ein „Scheusal“ und Wil 

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So wie Jonathan und Eduard in der Freundschaft nicht an die biblischen Figuren heranreichen, erweist sich auch das Nacheifern im Künstlerischen als Illusion. Eduard hat die Rolle des Dichters nur gespielt, ist schließlich nicht mehr bereit, sich bis zur letzten Konsequenz der Kunst zu widmen. Stattdessen zieht er die Ehe mit einer Millionärstochter vor und schwört allen poetischen Ambitionen ab. Im Rückblick erscheint sein Suizidversuch somit nur als Teil der Selbststilisierung sowie als Ausdruck einer narzisstischen Kränkung.293 Ironischerweise wächst sein Helfer und „dramatische[r] Seelsorger“ (S. 39) über ihn hinaus, emanzipiert sich und beweist sein eigenes künstlerisches Talent – wenn auch auf einem anderen Gebiet (vgl. S. 100). Damit ist die Berufung auf die biblische Referenz für das Künstlertum Eduards obsolet. Kontrastierung und Poetologisierung. Intertextuelle Strategien Die intertextuelle Bezugnahme vollzieht sich in Heyses Novelle auf zwei Ebenen: Zum einen fordern der Titel und der kommentierende Erzähler durch die Erwähnung des biblischen Freundespaares dazu auf, stets die Vorlage mitzudenken. Zum anderen ziehen die Figuren selbst die Parallelen zu David und Jonathan, offenbaren so ihre Selbstwahrnehmung sowie unwillentlich ein Missverhältnis zwischen Ideal und Realität. In diesem Fall ist es ergiebig, die von Franz Link vorgeschlagene hermeneutische Kategorie der Typologie294 – die Neudichtung verhält sich zum biblischen Prätext wie die neutestamentliche Erfüllung zur alttestamentlichen Präfiguration – anzuwenden. Denn die beiden Protagonisten der Novelle sehen ihre Beziehung in der Heiligen Schrift vorgebildet und wollen sich bewusst als Nachfolger erleben. Jonathan hält Eduard für einen genialen Künstler und der teilt zumindest anfangs diese Meinung, doch lässt sich auch hier das Vorbild nicht mit der neuzeitlichen Variante zur Deckung bringen, sind Eduards lyrische Werke dürftig und sein Trauerspiel scheint nur dank einer effekthascheri-

helm Bolin „einen Unwürdigen“ (vgl. ebd., S. 480 f.). Hillenbrands Kurzinterpretation fällt dagegen differenzierter aus, indem sie Jonathans Minderwertigkeitsgefühl als Ursache von dessen Verblendung und Fixierung auf Eduard identifiziert. 293 Wie Peter Küng nachweist, bilden Wahnsinn und Suizid ein wiederkehrendes Motiv in Heyses Novellenwerk, das sogar eine eigene Untergruppe mit verhinderten Suiziden aufweist. Die meisten der geschilderten Suizid(versuch)e resultieren aus einem als unerträglich empfundenen Leben oder einem Wahnzustand (vgl. Peter Küng: Die Krise der liberalen Anthropologie in der Literatur des Bürgerlichen Realismus, S. 473–498). Eduard Vanesses gescheiterter Selbstmord passt allerdings nicht in diese Reihe, da er mehr aus gekränkter Eitelkeit – er verkraftet die Zurückweisung des berühmten Dichters nicht – handelt. Auch Jonathan spielt zuletzt kurz mit dem Gedanken, sich zu ertränken, allerdings hat er ein stärkeres Motiv, muss er doch erkennen, dass er sich völlig in Eduard getäuscht und seine Geliebte verraten hat. 294 Vgl. Franz Link: Möglichkeiten einer literarischen Typologie des Alten Testaments, S. 26 f., 29.  



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schen Kontrastdramaturgie zu beeindrucken. Heyse selbst bezeichnet seine Figur als „Dilettant“295. Durch den deutlichen Verweis auf den Prätext sind die Prinzipien der Referentialität und Kommunikativität stark ausgeprägt: Der Leser wird geradezu auf den Widerspruch zwischen hehrem Vorbild und unzureichender Nachahmung gestoßen. Diese Spannung zwischen den beiden Texten (Dialogizität) ergibt sich durch die scheiternde Freundschaft wie durch die Degradierung „Davids“ zum künstlerisch dilettierenden Spießbürger. Mit Blick auf die David-Stoffgeschichte erscheint es bedeutsam, dass Heyses Novelle über ein durch die Kunst verbundenes Freundespaar gerade auf David und Jonathan rekurriert – eine Konstellation, die durch Treue, Loyalität und Selbstaufopferung, aber auch durch eine künstlerische Komponente bestimmt wird. Vor dem Hintergrund des biblischen Idealbilds zeigt der Text nicht nur ex negativo, wie eine tatsächliche, wechselseitige Freundschaft funktionieren sollte, sondern konturiert auch den wahren Künstler, der wie der Ingenieur und Architekt Johann Jonathan, ein Vertreter des „homo faber“-Typus, mitten in der Gesellschaft wirkt und nicht an deren Rand steht. An ihm wird das Ringen mit der Inspiration vorgeführt und an ihm bewahrheitet sich das Diktum des berühmten Dichters, der Eduards Verskünste als halbherzig und oberflächlich-gefällig kritisiert: „Es müsse eben alles an alles gesetzt werden.“ (S. 23) Der Künstler müsse demzufolge Wagemut und eine unbedingte Entschlossenheit an den Tag legen, um seiner Berufung gerecht zu werden. Dieses implizit enthaltene künstlerische Bekenntnis verleiht der Novelle eine poetologische Dimension, die durch die Spiegelung und Umkehrung des Prätextes transportiert wird. Schließlich dient die biblische Geschichte vom Künstler David zunächst dazu, das dichterische Ungenügen Eduards zu entlarven, bevor sich dann die Rollen völlig verkehren und sein Jonathan vom Lektor und Korrektor zum Künstler (wenn auch auf einem anderen Gebiet) wird.296 Sein schöpferisches Wirken wird – anders als im Falle

295 Brief an Fanny Lewald vom 31.10.1882; zitiert nach Rainer Hillenbrand: Heyses Novellen, S. 479. 296 Rainer Hillenbrand hat auf der Basis der Novellen Heyses, die künstlerische Themen behandeln, die Ästhetik des Autors herausgearbeitet: „dem realen, unausweichbaren, weil existentiellen Elend dieser Welt in eine neugeschaffene ‚zweite schönere Welt‘ der Kunst entkommen, doch so, daß der dunkle Grund, dasjenige, dem man entkommen will und muß, fühlbar bleibt und dem Gegenentwurf Substanz verleiht.“ (Rainer Hillenbrand: In die Poesie verbannt: Poetologisches in Paul Heyses Novellen, S. 105) Eduard behauptet zwar, vor seinem ihn anödenden Brotberuf in die Dichtung fliehen zu wollen, doch arrangiert er sich schließlich ganz gut mit der realen Welt und zieht die bürgerliche Karriere der Kunst vor. Er entspricht somit nicht Heyses Anforderungen an einen Künstler. Jonathan schafft es dagegen, aus dem tiefsten Elend zu künstlerischen Höhen aufzusteigen und dabei Künstler- und Bürgertum produktiv zu vereinen.

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Eduards – an keiner Stelle ironisch konterkariert, sondern rein affirmativ gezeichnet. Die vom Stoff vorgegebene Handlung erfährt so eine doppelte Brechung und die neuzeitlichen Wiedergänger von David und Jonathan erlauben durch die Reibung mit der Vorlage den Rückschluss darauf, was Freundschaft bzw. Künstlertum ausmacht. Insofern erfolgt das intertextuelle Spiel mit der Vorlage im Dienst einer poetologischen Positionierung. Auch wenn sich die Novelle inhaltlich und strukturell weit vom Prätext entfernt, hält sie diesen durch Allusionen präsent. Gerade der unterschwellige Dialog der beiden Texte erzeugt den Reiz dieser subtilen Variation des David-Stoffs. Erneut bildet der Dichter David den Ausgangspunkt einer literarischen Reflexion über das Wesen von Kunst, wobei hier allerdings die vom Stoff definierte Konstellation mit ihren Rollen völlig auf den Kopf gestellt wird. Dass mit eindeutigen Verweisen auf den biblischen Prätext beim Leser eine Erwartungshaltung geweckt, diese dann aber desillusioniert wird, erscheint als ironische Pointe und Spiel mit dem Rezipienten. Der wahre Künstler ist eben nicht automatisch derjenige, der sich David nennt. An seinen Früchten wird man ihn erkennen.

1.5.6 Vergleichende Zusammenschau Alle vier oben interpretierten Fort- und Umschreibungen der zweiten Urszene rekurrieren auf die eigentümliche, vom Stoff begründete Verschränkung von homoerotisch gefärbter Freundschaft und Künstlertum. Homoerotischer Subtext Wie gezeigt wurde, aktivieren alle vier Texte die in der biblischen Erzählung angelegten homoerotischen Implikationen und formulieren sie mehr oder weniger deutlich als Wesensmerkmal dieser Männerbeziehung. Rilkes lyrisches Ich alias David klagt mit eindeutig sexuell konnotierten Metaphern um den gefallenen Geliebten und auch Lasker-Schülers Rollengedicht lässt sich als Liebeslyrik lesen. Während die beiden Gedichte intakte Beziehungen heraufbeschwören, die allenfalls der Tod zu beenden vermag, zeigen sich im Drama wie in der Novelle Brüche. Bei Jahnn zelebrieren die beiden Protagonisten ihre zwischen Raserei, Besessenheit und Verrat oszillierende Beziehung in einer pathosgeladenen Sprache. Trotz der beiderseitigen, aber nicht gleich intensiven Liebe scheut David vor einer Vereinigung mit Jonathan im Tod zurück. In Heyses Novelle ist die Anziehungskraft von Eduard auf Jonathan viel diskreter im Text versteckt, jedoch anhand eindeutig aufzulösender Anspielungen zu identifizieren, auch wenn die der Norm zuwiderlaufende Beziehung durch ein gesellschaftlich verträgliches, heterosexuelles Modell substituiert wird. In allen Texten ist David der dominierende Part,

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weil er der Überlebende (Rilke) und der Dichtende, d. h. seine Perspektive Artikulierende (Rilke, Lasker-Schüler) ist oder weil Jonathan seinen Gefühlen für ihn ausgeliefert ist und sich freiwillig mit der Rolle des Gebenden bescheidet (Jahnn, Heyse).  

Umgang mit der Vorlage Während Rilkes Gedicht direkt an dem Prätext, Davids Totenklage, ansetzt und diese adaptiert, greift Lasker-Schülers Ballade weiter aus und vergegenwärtigt, losgelöst von den konkreten Handlungselementen des Stoffs, die überzeitliche Größe der Freundschaft von David und Jonathan. Jahnns Drama hält sich trotz der Modernisierung des zeitlichen Rahmens weitgehend an das Gerüst der Vorlage, spitzt die Beziehung der beiden Männer allerdings zur obsessiven Schicksalsgemeinschaft zu. Heyses Novelle schließlich, gleichwohl chronologisch der älteste Text in der Reihe der Neudichtungen, entfernt sich am weitesten vom Prätext und arbeitet nur in Form der Kontrastfolie mit ihm. Rolle der Kunst Die Kunst, Davids Dichtung, ist das Medium, um die Erinnerung an den verlorenen Geliebten (Rilke) bzw. ihre innige Freundschaft (Lasker-Schüler) zu bewahren, wobei die „Hebräische Ballade“ explizit das konservatorische Potenzial der Schrift aufruft, die gemäß Aleida Assmann „nicht nur Verewigungsmedium, sondern auch Gedächtnisstütze“ sowie „zugleich Medium und Metapher des Gedächtnisses“297 ist. Dichtkunst schafft Dauer. Die dem Rollen-Ich David in den Mund gelegten Worte, die der Vergänglichkeit etwas Beständiges, den Tod Überdauerndes entgegenstellen, lassen sich im Sinne einer poetologischen Positionierung als Bekenntnis zur Dichtung lesen.298 So wie auf inhaltlicher Ebene die Totenklage bzw. das Liebeslied Davids die Freundschaft zu Jonathan verewigt, stehen die beiden Gedichte auf einer übergeordneten, selbstreferenziellen Ebene für den Wunsch, Bleibendes zu schaffen. So erscheint der alttestamentliche Dichter David als Sprachrohr des neuzeitlichen Dichters. Jahnns Drama kreist um das Phänomen des Genies, das jedes normalmenschliche Maß übersteigt und darum von Jonathan in die Nähe einer Engelsnatur gerückt wird. Davids Begabung, die hier eine musische ist, bedingt sein persönliches Charisma, dem sich keiner entziehen kann, und wird als Legitimation zum

297 Aleida Assmann: Erinnerungsräume, S. 184. 298 Hier berührt sich der David-Stoff mit dem Orpheus-Mythos: Orpheus’ Gang in den Hades lässt sich als Bild für die Aufgabe des Dichters verstehen, Leben und Taten der Verstorbenen dem Vergessen zu entreißen (vgl. Wolfgang Storch: Orpheus, S. 20). Auch Davids Elegie gehorcht dieser Funktion.

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Herrschen verstanden. Damit birgt das Künstlertum auch den Keim der Zerstörung in sich, da die politische Macht unvereinbar erscheint mit dem unkonventionellen, unangepassten Schöpfertum. Die Idee des Genies wird so zur Aporie. Während hier das künstlerische Wirken als Nachweis der Exzeptionalität fungiert, haben bei Heyse Eduards schriftstellerische Ambitionen eine demaskierende Funktion: Sie zeigen, dass ihm das tatsächliche Genie fehlt und die David-Rolle angemaßt ist. In allen Fällen bildet die Figur des Dichter-Sängers David das Zentrum künstlerischer Fragestellungen, die im Falle der Urszene „David klagt um Jonathan“ mit einer tiefgehenden Männerfreundschaft verbunden sind. So bildet eine 3000 Jahre alte Elegie die Wurzel für einen zeitlosen Diskurs über Wesen und Macht der Kunst.

2 David als Tänzer 2.1 Urszene 3: David tanzt vor der Bundeslade 2.1.1 Die biblische Erzählung Der König tanzt. An der Spitze des ganzen Volkes. Nicht etwa höfisch gemessen, nach einer streng ritualisierten Choreografie, sondern entfesselt, ausgelassen, selbstvergessen – und beinahe nackt. Die Überführung der Bundeslade, jenes die Präsenz Gottes symbolisierenden Kultgegenstands, von einem provisorischen Interimsstandort1 nach Jerusalem ist eine Herzensangelegenheit für den jungen israelitischen König David und ein nationaler Festakt. „Und David und ganz Israel tanzten vor dem HERRN her mit aller Macht im Reigen, mit Liedern, mit Harfen und Psaltern und Pauken und Schellen und Zimbeln.“ (2. Samuel 6,5) Ein Freudenkonzert begleitet den Zug mit der Lade, bei dem der Regent nicht würdevoll-langsam voranschreitet, er „tanzte mit aller Macht vor dem HERRN her und war umgürtet mit einem leinenen Priesterschurz“ (2. Samuel 6,14).2 Davids Euphorie für die Sache Gottes macht sich gleichsam in seinem Tanz Luft, sodass dieser nicht als Teil einer Machtdemonstration erscheint, sondern zum Gottesdienst selbst wird. Nur mit einem Lendenschurz, dem Ephod, bekleidet, gibt David ein wenig königliches Bild ab, was das freudetrunkene Volk nicht zu stören scheint. Seine Frau dagegen umso mehr. Die öffentliche, im Tanz entäußerte Anbetung mündet in einen privaten Konflikt, einen Ehekrieg, der im Bibeltext nur kurz, aber in seiner schonungslosen Konsequenz eindrucksvoll umrissen wird. Königin Michal, stolz und als Kind Sauls selbst aus königlichem Geblüt, blickt aus dem Fenster auf David herab – im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne. Der allwissende Erzähler merkt an, dass sie David „in ihrem Herzen“ verachtete (2. Samuel 6,16). Ihre Abscheu vor dem in ihren Augen würdeund schamlosen Auftritt ist so groß, dass sie diese nicht für sich behalten kann, sondern ihren Mann, als er seinen Palast betritt, gleich damit konfrontieren muss: „Wie herrlich ist heute der König von Israel gewesen, als er sich vor den Mägden seiner Knechte entblößt hat, wie sich die losen Leute entblößen!“ (2. Samuel 6,20) Voll Ironie verhöhnt sie David, für den diese Worte nach dem allgemeinen Jubel

1 Die Lade war den Philistern bei einem Feldzug in die Hände gefallen, wurde jedoch von ihnen, da sie von Gott mit Plagen geschlagen wurden, zurückgesandt. Sie fand daraufhin im Haus des Bauern Abinadab eine Bleibe (vgl. 1. Samuel, 4–7). 2 Einen ähnlichen, leicht variierten Bericht über den Transport der Lade nach Jerusalem bietet das Bibelbuch 1. Chronik 15. https://doi.org/10.1515/9783110700770-006

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wie ein Schlag ins Gesicht wirken müssen. Mit einer Hyperbel wirft Michal ihm vor, sich vor den Niedrigsten der Niedrigen, den Bediensteten der Bediensteten, zum Narren gemacht und so sein königliches Amt verraten zu haben. David kontert ebenso hart: Zunächst entlarvt er ihren Stolz als unbegründet, indem er ihr in Erinnerung ruft, dass er der von Gott Erwählte ist, der den Thron von ihrem verworfenen Vater Saul erbte. Dabei betont er gleich mehrfach sein Nahverhältnis zum Herrn, das jede Form der Selbsterniedrigung angemessen erscheinen lasse. Und zuletzt kündigt er ihr trotzig an, dass er auch in Zukunft solche Handlungen vollführen werde und bei den Mägden „zu Ehren kommen“ (2. Samuel 6,22), also wohl auch deren Liebe gewinnen wolle. David „straft Michal als Mann, indem er ihr androht, bei den von Michal gering geachteten Frauen aus der Unterschicht sexuell aktiv zu werden“3. Der folgende Satz des Erzählers zieht ein in seiner Nüchternheit grausames Fazit: „Aber Michal, Sauls Tochter, hatte kein Kind bis an den Tag ihres Todes.“ (2. Samuel 6,23) Auch wenn der Text keine explizite Kausalbeziehung herstellt, ist der Zusammenhang zwischen Michals Verachtung für David und ihrer Kinderlosigkeit unverkennbar. Der Königstochter und -gattin wird das schlimmste Schicksal zuteil, das eine Frau in der damaligen Zeit haben konnte.4 Sich die Gründe auszumalen – ob David ihr fortan seine Liebe vorenthielt oder ob etwa gar Gott selbst ihr die Fruchtbarkeit nahm –, überlässt der Text der Fantasie der Leser.

2.1.2 Die Deutungstradition Deutlich wird an dieser verdichteten Episode, die Politisches, Religiöses und Zwischenmenschliches verquickt, dass der Tanz ganz konträr gedeutet werden kann: Er ist im Falle Davids zugleich Ausdruck der Lebensfreude, Spielart des Gottesdienstes und in seiner kreatürlichen Körperlichkeit Stein des Anstoßes. Während die Anbetung Gottes im Tanz in der hebräischen Religionspraxis durchaus ihren Platz hatte5 und von den Chassidim sogar als Gottesdienst „nicht nur mit der Seele, sondern auch mit dem Körper“6 aufgewertet wurde, ließ sich diese Körperlichkeit nur schwer mit dem christlichen Frömmigkeitsideal vereinen. So verwundert es nicht, dass der Tanz auch bei den christlichen Theologen des Mittelalters unter Generalverdacht stand. Bereits die Kirchenväter Ambrosius

3 Thomas Naumann: David und die Liebe, S. 59. 4 Vgl. Thomas Naumann: David und die Liebe, S. 59. 5 Vgl. Psalm 149,3 und 150,4 sowie Julia Zimmermann: König Davids Tanz vor der Bundeslade, S. 546. 6 Shmuel Barzilai: Musik und Ekstase (Hitlahavut) im Chassidismus, S. 72.

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und Augustinus verdammten ihn als Teufelswerk und erblickten in ihm einen Auswuchs heidnischer Sinnlichkeit und somit den Inbegriff des Lasters. Dieses Verdikt wirkte bis in die nachreformatorische Zeit nach.7 Dennoch gab es Bemühungen, von dem orgiastisch-paganen Tanz, der als Einfallstor der Sünde galt, eine gottgefällige Variante abzugrenzen, den himmlischen Reigen, für den David als „Legitimationsfigur“8 herangezogen wurde. Es kostete die mittelalterlichen Theologen einige argumentative Anstrengung zu begründen, warum der als unzüchtiges Teufelszeug geschmähte Tanz im Falle Davids nicht als verwerflich, sondern vielmehr als vorbildlich einzustufen sein sollte.9 Entscheidend war die Verbindung zum Gottesdienst, die in der Geschichte von David durch die Präsenz der Bundeslade beglaubigt wurde. Damit galt sein Tanz als „Akt der Demut“, durch den er „seinen königlichen Körper auf die unterste Ebene der menschlichen Daseinsform herabgesetzt“10 habe. So erblickte Ambrosius von Mailand in Davids Hüpfen und Springen das „Signet einer jubilierenden Seele und Ausdruck eines durch gute Taten aufgerichteten Körpers sowie [die] spezifische Möglichkeit, Gott die Ehre zu erweisen“11. Noch Cervantes wertete entsprechend seinen Tanz zum „Beten mit Füssen“12 auf. Davids Entblößung, die Michals Verachtung provozierte, integrierte man in diese Deutung als äußersten Grad der Selbstdemütigung vor Gott.13 Doch Schule machte die solistische Tanzkunst als priesterliche Aufgabe nicht; nach christlicher Lehrmeinung waren stilisierte spirituelle Tanzdarbietungen vor dem Altar allenfalls als Reigen vorstellbar.14 Der tanzende König sollte lieber ein Einzelfall bleiben.

7 Vgl. Gabriele Brandstetter: De Figura, S. 238. Brandstetter führt in ihrer Analyse von Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“ einige frühneuzeitliche Textbeispiele an. 8 Gabriele Brandstetter: De Figura, S. 237. 9 Vgl. die zahlreichen Zitate aus Begründungen frühchristlicher und mittelalterlicher Theologen bei Julia Zimmermann: König Davids Tanz vor der Bundeslade, S. 546–554. Als Paradebeispiel für einen höllischen, da allein auf Unterhaltung und Verführung ausgerichteten Tanz galt Salomes Darbietung vor König Herodes, die die Enthauptung von Johannes dem Täufer zur Folge hatte. 10 Julia Zimmermann: König Davids Tanz vor der Bundeslade, S. 549. 11 Stefan Bodemann: Der musizierende und tanzende David in der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 35. 12 Zitiert nach Walter Salmen: Die Vielzahl der Attribute des musizierenden und „springenden“ David, S. 721. Salmen bietet in seiner ikonografischen Untersuchung einen systematischen Überblick über die unterschiedlichen Darstellungen und Attribute, mit denen man den „musizierenden und ‚springenden‘ David“ auf Werken der bildenden Kunst versah. Die Abbildungen einiger Kunstwerke werfen die Frage auf, wie realistisch das gängige Bildmotiv ist, das David als Tänzer und Sänger zugleich in Aktion zeigt. Ist es möglich, zu tanzen und dabei die Harfe zu schlagen? 13 Vgl. Julia Zimmermann: König Davids Tanz vor der Bundeslade, S. 549 f. 14 Vgl. Walter Salmen: König David – eine Symbolfigur in der Musik, S. 16 f.; Stefan Bodemann führt zwar vereinzelte überlieferte Beispiele liturgischer Tänze aus dem 16. und 17. Jahrhundert  



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Beschäftigten sich im Mittelalter vornehmlich theologisch-exegetische Traktate mit der Deutung von Davids Tanz als Demutsgeste, setzte in der Frühen Neuzeit ein weltlicherer Zugriff ein, wobei der König in Tanztraktaten zum Patron für das rechte Tanzen erkoren wurde. So schlussfolgert Samuel Rudolph Behr in dem Traktat „L’art de bien danser“ (1713): Was das Tanzen der Alten anbetrifft, so lesen wir: Wie David mit aller Macht vor der Lade des Bundes herumgesprungen und getantzet, 2. Sam. VI,14.16. […] Und ob nun gleich geschrieben stehet, David hätte mit aller Macht vor der Lade des Bundes herumgesprungen; So ist doch wohl nicht zu glauben, daß es etwan ein unbesonnenes und wider die Natur ganz unbedachtsames Springen und Tanzen gewesen, sondern weil er, wie aus der Historia bekandt, ein guter Musicus gewesen, so wird er ohne Zweiffel seine Pas und Schritte nach der Music gethan, und sein freudiges Springen und Dantzen in Cadence verrichtet haben.15

In dem Maße, wie das kirchliche Verdikt gegen das Tanzen seine Allgemeingültigkeit einbüßte, entfiel auch die Notwendigkeit, Davids impulsives körperliches Tun mit dem religiösen Kontext zu rechtfertigen. Stattdessen wurde der biblische König nun seinerseits Referenz für das richtige, d. h. musikalische Tanzen, dem somit ein eigener künstlerischer Wert zuerkannt wurde. So avancierte David neben dem Dichten, Singen und Musizieren auch im Bereich des Tanzes zur Künstlerfigur par excellence, die Dichter aufrufen, zitieren, relativieren oder parodieren konnten. Der König tanzt – nicht nur in der Bibel, sondern auch in der Literatur.  

2.2 Literarische Adaptionen 2.2.1 Gottfried Keller: Das Tanzlegendchen (1872) König David als Emissär der Jungfrau Maria, dessen Aufgabe es ist, Nachwuchs für das himmlische Tanzkorps zu rekrutieren. Der Auftritt des israelitischen Herrschers in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“ gehört zu den eigenwilligsten Varia-

an, doch auch bei diesen handelte es sich um Tänze in Gruppen, oft anlässlich von Prozessionen (vgl. Stefan Bodemann: Der musizierende und tanzende David in der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 36). 15 Zitiert nach Stefan Bodemann: Der musizierende und tanzende David in der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 37. In Bodemanns Abriss zur ikonografischen Darstellung Davids finden sich noch weitere aufschlussreiche Beispiele für die sich wandelnde Auslegung von Davids Tanz.

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tionen in der Stoffgeschichte, da sie keine Episode aus Davids Vita nacherzählt, sondern ihn in einen völlig anderen Kontext platziert. Die 1804 erschienene Legendensammlung des protestantischen Pfarrers Ludwig Theoboul Kosegarten inspirierte Keller zu einer Neu- und Umdeutung ausgewählter Texte, die er von 1855 bis 1858 zu dem Novellenzyklus „Sieben Legenden“ komponierte und dabei die „in einem läppisch frömmelnden und einfältiglichen Stile erzählt[e]“ Vorlage zu einer „erotisch-weltliche[n] Historie“ abwandelte.16 Erst 1871 entschloss sich Keller auf die Anfrage eines Verlegers hin, sein Manuskript in den Druck zu geben, unterzog die einzelnen Legenden aber noch einer Überarbeitung und gruppierte sie neu. Den Abschluss bildet nun das „Tanzlegendchen“17, dessen Handlung in Kellers ursprünglicher Version Kosegartens Text folgte, durch die Überarbeitung von 1872 – eine „zweimalige Schlußerweiterung“18 – aber eine ganz neue Stoßrichtung erhielt. Anders als die übrigen sechs Texte, aus deren Titel Keller die Gattungsbezeichnung eliminierte, präsentiert das „Tanzlegendchen“ diese weiterhin, und zwar in einem „liebevolle[n] Diminutiv“19, der bereits auf den ironisch-naiven Erzählgestus des ganzen Textes einstimmt.20 Zwischen Tanzlust und Tanzfrust. Interpretation Protagonistin ist Musa, „ein anmutvolles Jungfräulein, welches der Mutter Gottes fleißig diente, nur von einer Leidenschaft bewegt, nämlich von einer unbezwinglichen Tanzlust, dermaßen, daß, wenn das Kind nicht betete, es unfehlbar tanzte“ (S. 421). Eine unbändige Bewegungslust bestimmt ihr ganzes Dasein, sodass selbst Andacht und Gottesdienst tanzend verrichtet werden. Als sie in der Kirche „der Jungfrau Maria ein niedliches Gebet vor[tanzt]“ (S. 421), bleibt sie nicht allein. Ihre selbstvergessen ausgeführte Tanzfigur wird unversehens von einem

16 Zitiert nach Karl Reichert: Die Entstehung der „Sieben Legenden“ von Gottfried Keller, S. 98; Reichert zeichnet nach, wie und warum Keller ursprünglich die Legenden in den „Galatea“Zyklus integrieren wollte, sie aber dann zu einem eigenen Novellenzyklus umformte. Für Walter Morgenthaler beweist dagegen die „Siebenzahl“, die Keller schon früh in einem Brief erwähnt, dass die Sammlung von Anfang an als geschlossener Zyklus angelegt war (vgl. Walter Morgenthaler: Sieben Legenden, S. 120; vgl. auch Marianne Schuller: „Sieben Legenden“, S. 86). 17 Im Folgenden wird der Text zitiert nach Gottfried Keller: Sämtliche Werke, Bd. 7, S. 421–427. 18 Karl Reichert: Die Entstehung der „Sieben Legenden“ von Gottfried Keller, S. 115. 19 Marianne Schuller: „Sieben Legenden“, S. 103. 20 Dass Kellers Legenden auch als Novellen zu behandeln sind, wird von Marianne Schuller herausgestellt (vgl. Marianne Schuller: „Sieben Legenden“, S. 89). Immerhin hat Keller selbst in seinem Vorwort zu den „Sieben Legenden“ darauf hingewiesen, dass die von ihm vorgefundenen hagiografischen Texte „Spuren einer ehemaligen mehr profanen Erzählungslust oder Novellistik“ (Gottfried Keller: Sämtliche Werke, Bd. 7, S. 333) enthalten.

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„ältliche[n], aber schöne[n] Herr[n]“ (S. 422) aufgegriffen und in einen eleganten Pas de deux überführt. Für die musikalische Untermalung sorgt eine Schar kleiner dicker Putti, die „im Stile frühbarocker Freskenmalerei“21 im Chor diverse Instrumente zum Erklingen bringt und sich dabei neckt. Erst nach der langen Tanzdarbietung, bei der die beiden Partner völlig harmonieren, stellt sich der würdevolle, zu Musas Erstaunen überhaupt nicht erschöpfte Tänzer als David, „königliche[r] Ahnher[r] der Jungfrau Maria […] und […] deren Abgesandte[r]“ (S. 422) vor. Der Besucher kommt gleich zur Sache und bietet Musa an, „die ewige Seligkeit in einem unaufhörlichen Freudentanze zu verbringen, einem Tanze, gegen welchen der so eben beendigte ein trübseliges Schleichen zu nennen sei“ (S. 422) – ein Angebot, das die tanzversessene junge Frau begeistert. Doch ist es an eine Voraussetzung geknüpft: David fordert, dass sie, um sich für das himmlische Tanzvergnügen auszuzeichnen, ihr restliches irdisches Leben in Buße und Gebet zubringen, folglich ihrer Leidenschaft, dem Tanz, abschwören müsse. Die rigiden Bedingungen lassen die Jungfrau stutzen und veranlassen sie zu der Nachfrage, ob der Tanz im Himmel überhaupt gebräuchlich und nicht eher eine spezifisch irdische Beschäftigung sei. Mit einer theologischen Beweisführung und der Berufung auf sein eigenes Beispiel versucht sie der „selige König“ (S. 423) davon zu überzeugen, dass der Tanz „eine geheiligte Beschäftigung für Selige sei“ (S. 423). Als Musa noch immer zögert, drängt David auf eine rasche Entscheidung und bemüht einen übernatürlichen Kunstgriff: Auf seinen Wink hin ertönen „einige Takte einer so unerhört glückseligen, überirdischen Tanzweise, daß dem Mädchen die Seele im Leibe hüpfte und alle Glieder zuckten“ (S. 423), es sich aber dennoch nicht zu rühren vermag. Die Musik der Seligen ist so sublim-entrückt, dass Musa die Schwerfälligkeit ihres irdischen Körpers bewusst wird.22 Erst die Verheißung weckt das Begehren. Per Handschlag sagt Musa David zu, woraufhin König sowie Engelchen verschwinden. Musa macht sich sofort daran, das Tanzverbot umzusetzen und alle Lust aus ihrem Leben zu vertreiben. Unter Bußübungen und Selbstkasteiungen fristet sie ihr Dasein in einer ärmlichen Zelle und geht sogar soweit, ihre „feinen Füßchen“ (S. 424) mit einer Kette zu beschweren, um deren bei jeglicher Melodie erfolgende unwillkürliche Zuckungen zu unterbinden. Durch ihre Selbstverleugnung, aber auch durch Wundertaten – sie verhilft durch ihre Berührung

21 Marianne Schuller: „Sieben Legenden“, S. 100. 22 Es drängt sich die Parallele zur Geschichte vom Dornauszieher aus Heinrich von Kleists Schrift „Über das Marionettentheater“ (1810) auf, in der ein Jüngling unbewusst eine grazile Bewegung vollführt, aber bei dem Versuch, diese erneut und willentlich zu wiederholen, jede Eleganz und Geschicklichkeit verliert. Die Reflexion entzweit den Menschen von seinem Körper (vgl. Gabriele Brandstetter: De Figura, S. 241).

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ungeschickten Menschen zu Anmut und ermöglicht anderen gerade das, was sie sich selbst versagt – gelangt Musa in den Ruf einer Heiligen. Nach drei Jahren ist sie so ausgezehrt („fast so dünn und durchsichtig wie ein Sommerwölkchen“, S. 424), dass sie im Sterben liegt, wobei sich all ihr Hoffen und Sehnen auf den verheißenen himmlischen Reigen richtet. Die Himmelfahrt vollzieht sich dann vor den Augen einer andächtigen Gemeinde unter allen Zeichen des Wunders: Der Wind wird zu Musik, die Bäume grünen, „Myrten und Granaten blühten und dufteten“ (S. 425). Im Moment von Musas Tod öffnet sich der Himmel und gibt den Blick frei auf die ewigen Lustbarkeiten der Himmlischen: „Da sah man viel tausend schöne Jungfern und junge Herren im höchsten Schein, tanzend im unabsehbaren Reigen.“ (S. 425) David höchstpersönlich fährt auf einer Wolke herab, um die selige Musa abzuholen. Dabei gerät die Himmelfahrt zu einem kraftvollen Himmelssprung, mit dem sich die Tänzerin Musa ins Gewühl stürzt „und augenblicklich tanzend sich in den tönenden und leuchtenden Reihen verlor“ (S. 425).23 Im Himmel herrscht offenbar Personalmangel: Denn nicht nur David will Musa mit der Erklärung anwerben, „man habe im Himmel noch einige Tänzerinnen von nöten“ (S. 423). Auch an hohen Festtagen benötigt man bei der Ausrichtung des künstlerisch-musikalischen Programms „Aushülfe“ (S. 426), für die man die eigentlich zu Höllenqualen verdammten neun antiken Musen rekrutiert. So kommt es, dass Musa beim himmlischen Bankett ihrem „heidnischen Plural“24 begegnet. Es findet sich eine harmonische, kultur- und religionsübergreifende Tischgemeinschaft zusammen, die – zumindest kurzzeitig – antike mythologische Figuren mit christlichen Heiligen (darunter Martha aus dem Evangelium und die heilige Cäcilie, die Patronin der Kirchenmusik) versöhnt. Bezeichnenderweise ist diese friedliche Runde weiblich. Als nun die Tänze und Gesänge und alle Ceremonieen zu Ende und die himmlischen Heerscharen sich zu Tische setzten, da wurde Musa an den Tisch gebracht, an welchem die neun Musen bedient wurden. Sie saßen fast verschüchtert zusammengedrängt und blickten mit den feurigen schwarzen oder tiefblauen Augen um sich. Die emsige Martha aus dem Evangelium sorgte in eigener Person für sie, hatte ihre schönste Küchenschürze umgebunden und einen zierlichen kleinen Rußfleck an dem weißen Kinn und nötigte den Musen alles Gute freundlich auf. Aber erst, als Musa und auch die heilige Cäcilia und noch andere kunsterfahrene Frauen herbeikamen und die scheuen Pierinnen heiter begrüßten und sich zu ihnen gesellten, da tauten sie auf, wurden zutraulich und es entfaltete sich ein anmutig fröhliches Dasein in dem Frauenkreise. (S. 426)

23 Walter Morgenthaler erkennt in Musas Himmelfahrt die für die Novelle konstitutive unerhörte Begebenheit, die „in der Legende legitimerweise als Wunder“ auftrete (Walter Morgenthaler: Sieben Legenden, S. 123). 24 Artur Henkel: Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 245.

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Das entworfene Tableau vivant setzt nicht nur pagane und christliche Symbolfiguren zusammen an einen Tisch, es vermengt auch Motive aus beiden Ikonografien und nimmt sich wie „die Schöpfung einer neuen Mythologie“25 aus: So erinnert das Festmal mit den „glänzenden Früchten […], die auf dem ambrosischen Tische strahlten“ (S. 426), an die sich auf dem Olymp tummelnde Götterfamilie der griechischen Mythologie, die sich mit menschlichen, allzumenschlichen Beschäftigungen und Affekten die Zeit vertreiben. Die Idee eines caritativen Umsorgens, für die Martha steht, ist dagegen eine genuin christliche. Ihre Emsigkeit und ihr Auftreten mit Küchenschürze und Rußfleck am Kinn lassen allerdings an eine bürgerliche Hausfrau denken, was – beinahe in Heine’scher Ironie – die hehre Szenerie mit einem profanen Akzent versieht und für Komik sorgt. Der „Musentisch“ (S. 426) vereint nicht nur mythologische und christliche Vertreterinnen der Kunst, wobei die tanzsüchtige Musa neben ihrem antiken Pendant Terpsichore, der Muse des Tanzes, sitzt, er ist auch Ort einer ganz und gar nicht ätherischen, sondern eher diesseitigen Sinnlichkeit. Zum einen strahlen die Musen mit ihren „feurigen“ Augen Erotik aus, zum anderen gesellt sich „unsere liebe Frau in all’ ihrer Schönheit und Güte“ zu den heiteren Besucherinnen und küsst Urania, die Muse der Astronomie, „zärtlich“ (S. 426) auf den Mund.26 Diese körperlich-intime Geste der Zuneigung, noch dazu von Frau zu Frau, von der keuschen „Muttergottes“ zu einer antiken Göttin, verweist mehr auf eine heidnisch-hedonistische Lebenslust denn auf das christliche Ideal von Heiligkeit. So verwundert es nicht, dass die Musen nur kurzzeitig im Himmel Aufnahme finden und die interreligiöse Harmonie keine Dauer hat. Auch wenn Maria verspricht, „nicht [zu] ruhen, bis die Musen für immer im Paradiese bleiben könnten“ (S. 426), werden sie alsbald aus demselben vertrieben. Um sich für die Aufnahme in den Himmel besonders auszuzeichnen, haben die Musen nämlich eigens in der Unterwelt einen Choral einstudiert, der allerdings genau das Gegenteil bewirkt: Aber in diesen Räumen klang er so düster, ja fast trotzig und rauh, und dabei so sehnsuchtsschwer und klagend, daß erst eine erschrockene Stille waltete, dann aber alles Volk von Erdenleid und Heimweh ergriffen wurde und in ein allgemeines Weinen ausbrach. (S. 427)

Der Gesang beschwört bei all den im Himmel versammelten Ältesten und Propheten, bei allem „was je auf grüner Wiese gegangen oder gelegen“ (S. 427), die

25 Marianne Schuller: „Sieben Legenden“, S. 102. 26 Auch an dieser Stelle hat Keller die mythologische und die christliche Spielart eines Bildbereichs verschränkt: Maria, die traditionell mit Sternenkranz oder -mantel dargestellt wird, liebkost die Schutzgöttin der Sternenkunde.

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Erinnerung an die eigene irdische Vergangenheit herauf.27 Obwohl es sich dabei um „Erdenleid“, also durchaus schmerzliche Erfahrungen und Entbehrungen handelt, erfasst die Zuhörer eine Sehnsucht nach dem Diesseitigen, eine Art „Heimweh“. Die ironische und eigentlich widersinnige Spitze dieser Schilderung liegt darin, dass dem Himmel in seiner ganzen Pracht und Vollkommenheit eben doch etwas fehlt, dass der „Mangel am Mangel“28 die Seligkeit mit einem Fragezeichen versieht.29 Es gilt, was Karl Kraus in einem paradoxen Aphorismus formulierte: „Zur Vollkommenheit fehlte ihr nur ein Mangel.“30 Auf den defizitären Charakter des Himmels hatte bereits die Tatsache hingedeutet, dass man bei Festivitäten auf die neun Musen als Aushilfe zurückgreifen muss. In einem neuen Licht erscheint im Rückblick auch Musas kritische Nachfrage an David, als der sie vom Martyrium, dem Verzicht aufs Tanzen, überzeugen will: Und sie zweifelte, ob denn auch im Himmel wirklich getanzt würde? Denn alles habe seine Zeit; dieser Erdboden schiene ihr gut und zweckdienlich, um darauf zu tanzen, folglich würde der Himmel wohl andere Eigenschaften haben, ansonst ja der Tod ein überflüssiges Ding wäre. (S. 423)

Musa wird als Entschädigung für die irdischen Freuden, denen sie abschwört, die himmlische Erfüllung versprochen. Und doch ist diese Erfüllung irgendwie unvollständig, lässt der Mehrwert (die „andere[n] Eigenschaften“), die der Himmel bietet, nicht die „grün[e] Wiese“ vergessen. Es fehlt die spezifische Qualität des irdischen Daseins, sodass Musa getäuscht wurde. Bezeichnenderweise gerät sie im Schlussteil der Novelle aus dem Blick, während das traurige Schicksal der heidnischen Göttinnen im Fokus steht. Deren Vokalkunst hat das Leben in all seiner Wechselhaftigkeit thematisiert und die Seligen in große Verwirrung gestürzt, was Gott nicht dulden kann.31 Die „allerhöchste Trinität“ lässt die antiken Sängerinnen „mit einem lang hinrollenden Donnerschlage“ (S. 427) verstummen und wirft sie dauerhaft aus dem Himmel, sodass wieder „Ruhe und Gleichmut“ einkehren. Dieses grollende Machtwort ist sonst eher typisch für den olympischen

27 Bezeichnenderweise sind die Musen in der griechischen Mythologie Töchter der Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung. 28 Marianne Schuller: „Sieben Legenden“, S. 102. 29 Oder wie es Walter Morgenthaler auf den Punkt bringt, handelt das „Tanzlegendchen“ „nicht mehr davon, wie im Endlichen etwas vom Glück des Unbedingten erfahrbar sei, sondern vom Unendlichen, das nicht ohne das Endliche auskommt“ (Walter Morgenthaler: Sieben Legenden, S. 128). 30 Karl Kraus: Aphorismen, S. 23. 31 Gerhard Kaiser spricht sogar von einem „Sündenfall“ (Gerhard Kaiser: Gottfried Keller. Das gedichtete Leben, S. 418).

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Göttervater Zeus – auch hier spielt Keller mit den unterschiedlichen ikonografischen Traditionen. Das Versprechen der Jungfrau Maria, den Musen ein dauerhaftes Bleiberecht im Paradies zu verschaffen, scheitert an der göttlichen Strenge. „[L]aw and order sind der harte Kern der Himmelsharmonie.“32 Legende oder Antilegende? Gattungsfragen Diese Schlusswendung – die definitive Ausweisung der Musen aus dem Himmel – hat Keller erst im Rahmen einer zweiten Überarbeitung noch während der Drucklegung ergänzt33; sie verleiht der Legende eine zutiefst melancholische Grundierung und unterwandert damit die Gattung, die eigentlich per definitionem eine kanonische und affirmative Erzählung der Vita eines Heiligen verlangt.34 Doch nicht nur der schwermütige Ausgang oder die subtile Ironie, die Musas Verführung zum Martyrium oder das Geschehen im Himmel konterkarieren, entwerten die Legende. Auch die fragwürdige Erfüllung der Verheißung höhlt ihre Botschaft aus. In gewissem Sinne führt Keller die religionskritische Stoßrichtung der von ihm hochgeschätzten materialistischen Philosophie Ludwig Feuerbachs auf die Spitze. Feuerbach zufolge ist die Vorstellung eines paradiesischen Jenseits nichts anderes als eine Projektion, mit der der Mensch seine defizitäre Existenz zu bewältigen versucht, d. h. der gedankliche Entwurf einer ins Vollkommene gewendeten, schöngezeichneten Erde.35 In Entsprechung dazu wird Musa auf die ewige Seligkeit vertröstet, in der sie die Erdenschwere überwinden, metaphysische Leichtigkeit gewinnen und sich in den himmlischen Reigen einordnen soll. Die Pointe ist jedoch, dass das Himmelreich Wünsche offenlässt (es  

32 Gerhard Kaiser: Die heilige Musa und die Musen, S. 80. Ursula Amrein erkennt im „Tanzlegendchen“ eine unterschwellige Verhandlung des Geschlechterdiskurses, da die Wiederherstellung der Ordnung nur durch „eine Aufspaltung des Weiblichen“ möglich wird: „Dessen bedrohliche Anteile werden in Gestalt der Musen in die Unterwelt verbannt, während die bereichernden Elemente in Musa gleichzeitig eine neue Aufnahme finden.“ (Ursula Amrein: „Süsse Frauenbilder zu erfinden, wie die bittre Erde sie nicht hegt!“ Inszenierte Autorschaft bei Gottfried Keller, S. 21) Der Himmel beraubt sich folglich selbst der Vielfalt, indem er das Andere dämonisiert und ausgrenzt. 33 Vgl. Marianne Schuller: „Sieben Legenden“, S. 102. 34 Vgl. die deskriptive Gattungsbeschreibung von André Jolles, der die Legende unter die „einfachen Formen“ einordnet: „Die abendländisch-katholische Legende hat […] eine geschlossene Gestalt: sie gibt das Leben des Heiligen, oberflächlich gesagt seine Geschichte – sie ist eine Vita.“ (André Jolles: Legende, S. 39) 35 Vgl. Gabriele Brandstetter: De Figura, S. 240. Zu Kellers Anverwandlung von Feuerbachs Kritik am Christentum bzw. seinem Atheismus vgl. auch Gerhard Kaiser: Die heilige Musa und die Musen, S. 76 f. und Ursula Amrein: Anthropologie, S. 283–285. „[Keller] erklärt die mit der Verabschiedung des Jenseits geforderte neue Sicht auf das Diesseits zur Aufgabe des mündigen Menschen schlechthin.“ (Ebd., S. 285)  

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ist „die Langeweile der undramatischen Vollkommenheit“36) und eine dialektische Bewegung entsteht. „Die Sehnsucht kehrt sich damit um: von der Sehnsucht Musas nach dem Himmel in die Sehnsucht der Seligen nach der Erde“.37 Um alle Bedürfnisse, auch die nach irdischem Leben und Leiden, zu stillen und wahrhaft vollkommen zu sein, müsste der Himmel die Erde integrieren und würde so seine Vollkommenheit einbüßen.38 Doch der Himmel ist in seinem Mangel an Hinfälligkeit und Schmerz, die das tatsächliche Leben kennzeichnen, nicht nur eindimensional.39 Er ist auch ignorant: Wenn Gott mit den Musen die Schutzgöttinnen der Künste aus dem Paradies verbannt, entlarvt sich die Religion als lebens- und kunstfeindlich. Der Himmel ist kein Parnass. Da die Kunst, wie sie sich im sehnsuchtsvollen, widerständigen Gesang der Musen artikuliert, das Leben in seiner Diesseitigkeit feiert, gefährdet sie die Legitimation des Himmels: Hat es sich für Musa gelohnt, ihr irdisches Vergnügen zu opfern für einen Himmel, in dem „Ruhe und Gleichmut“ (S. 427) an erster Stelle stehen?40 Tatsächlich kommt der Kunst nicht die Funktion zu, das Unvereinbare zusammenzubringen, das Paradox aufzulösen oder den Riss zwischen Sehnsucht und Erfüllung zu kitten – sie hat vielmehr die Aufgabe, die „Reflexion des Begehrens“41 zu leisten, also jenes Missverhältnis bewusst zu machen. Dieser Aufgabe

36 Artur Henkel: Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 253. 37 Christine Renz: Gottfried Kellers „Sieben Legenden“, S. 246. Gerhard Kaiser kommt zu demselben Schluss: „Der Himmel mag die vollkommene Erde als Sehnsuchtsziel sein; am Ziel der Sehnsucht wird das Heimweh zurück nach jenem Unvollkommenen geweckt, das der Ausgangspunkt der Sehnsucht war“ (Gerhard Kaiser: Die heilige Musa und die Musen, S. 79). Gabriele Brandstetter erkennt in dieser fehlenden Erfüllung eine Umkehrung der Realprophetie der Kirchenväter, die mit dem Denkmuster von „praefiguratio“, der Verheißung, und „figura“, ihrer Erfüllung, operierte. „Und schon dies, nämlich daß es am Ort der Erfüllung [dem Himmel] ein Versprechen gibt und damit – auch in jenem sehnsuchtsfreien Raum – das Begehren sich fortsetzt, widerspricht ja dem Erfüllungsgedanken der ‚Figura‘.“ (Gabriele Brandstetter: De Figura, S. 242) 38 Gerhard Kaiser beschreibt diese „unaufhebbare Trennung des Zusammengehörigen“ als konstituierendes Merkmal von Kellers ganzem Schaffen und erhebt so das „Tanzlegendchen“ zur Leseanweisung für seine Texte: „Überall im Werk Kellers tanzt die kleine Musa, der sich durch Entsagung ein Himmel öffnet, der nicht ganz ist. […] Es ist ein Werk, das aus Dissonanzerfahrungen immer neue Harmoniebilder hervorbringen muß und in dem Harmoniebilder immer neue Dissonanzerfahrungen wecken.“ (Gerhard Kaiser: Die heilige Musa und die Musen, S. 90 f.) 39 Vgl. Artur Henkel: Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 253. 40 Vgl. Christine Renz: Gottfried Kellers „Sieben Legenden“, S. 248; Artur Henkel betont, dass der Erzähler „mit einer melancholisch-bitteren, ja anklagenden Gebärde [endet], indem er auf die tiefe Geschiedenheit von Christlichem und Musischem deutet“ (Artur Henkel: Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 255). 41 Gabriele Brandstetter: De Figura, S. 242 f.  



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wird Kellers „Tanzlegendchen“ selbst gerecht, das insofern keine traditionelle Legende mit einem verklärenden Schluss mehr sein kann und das folglich eine poetologische Dimension enthält. Der Auftritt König Davids. Funktion und literarische Vorläufer Doch welche Rolle spielt der alttestamentliche König David in dieser an der Oberfläche so fromm-naiv daherkommenden, aber in der Tiefe philosophische und ästhetische Fragen anschlagenden Legenden-Neuschreibung? Wie ist er in dem Wechselspiel von Diesseitsbejahung und Jenseitssehnsucht zu positionieren?42 Auffällig ist, dass erst Keller den König in persona auftreten lässt – in der Vorlage von Kosegarten, die sogar zwei Varianten der Geschichte erzählt, beruft sich einmal ein Prediger auf David, um die junge Frau auf das Martyrium einzustimmen; im zweiten Fall tut dies die Jungfrau Maria selbst.43 Bei der Darstellung Davids kann Keller sich somit nicht an den Prätext anlehnen, doch lassen sich durchaus zwei literarische Texte eines prominenten Autors benennen, die auf ähnlich komische, da etwas respektlose Weise den tanzenden König auftreten lassen und die Keller bekannt gewesen sein könnten. In Heinrich Heines 1843 veröffentlichtem Versepos „Atta Troll. Ein Sommernachtstraum“44 beruft sich der Titelheld, der Tanzbär Atta Troll, namentlich auf David und zieht eine Traditionslinie vom biblischen König zu sich, der Jahrmarktsattraktion: Ja, der Tanz, in alten Zeiten, War ein frommer Akt des Glaubens; Um den Altar drehte heilig Sich der priesterliche Reigen. Also vor der Bundeslade Tanzte weiland König David; Tanzen war ein Gottesdienst, War ein Beten mit den Beinen! Also hab’ auch ich den Tanz Einst begriffen, wenn ich tanzte Auf den Märkten vor dem Volk, Das mir großen Beifall zollte.

42 Bislang hat sich nur Gabriella Cattaneo in einer Detailstudie gezielt mit Bedeutung und Funktion der Figur Davids im „Tanzlegendchen“ auseinandergesetzt (vgl. Gabriella Cattaneo: König David in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 71–79). 43 Vgl. Gabriella Cattaneo: König David in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 74. 44 Die folgenden Zitate stammen aus Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 4, S. 28.

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Grotesk wirkt Attas Missdeutung des Publikumszuspruchs: Aus dem Beifall leitet er die Bestätigung ab, dass er mit seinem tapsigen Bärentanz eine sakrale Handlung vollziehe, die sich mit Davids Tanz vor der Bundeslade vergleichen lasse. Die Bewegungskunst wird aufgewertet zu einem „Beten mit den Beinen“, das „in alten Zeiten“ üblich gewesen sei.45 Eine ähnliche Meinung scheint Kellers Musa zu vertreten, bei der jede Andacht einen tänzerischen Ausdruck findet. Atta nobilitiert sich durch den selbst gewählten Vorfahren selbst und mystifiziert seine eigentlich erzwungene, noch dazu schwerfällige Darbietung zu einem heiligen Akt. Die Gleichsetzung von dem der Volksbelustigung dienenden Bären und der hehren, verklärten biblischen Gestalt erzeugt eine gewaltige Fallhöhe und damit Komik.46 Wird David in diesen Versen nur als Gewährsmann und Autorität aufgerufen, hat der tanzenden König in einem anderen Werk Heines einen tatsächlichen, wenn auch nur kurzen Auftritt, der ebenfalls ironisch grundiert ist. Im 1851 erschienenen Tanzpoem „Der Doktor Faust“47 sollen der Schwarzkünstler Faust und seine teuflische Begleiterin Mephistophela im zweiten Akt auf Wunsch eines Herzogs „den verstorbenen König David“ herbeibeschwören, „wie er vor der Bundeslade tanzte“. Auf solches allerhöchste Verlangen nimmt Faust den Zauberstab aus den Händen Mephistophelas, schwingt ihn in beschwörender Weise, und aus der Erde, welche sich öffnet, tritt die begehrte Gruppe hervor: Auf einem Wagen, der von Leviten gezogen wird, steht die Bundeslade, vor ihr tanzt König David, possenhaft vergnügt und abentheuerlich geputzt gleich einem Kartenkönig, und hinter der heiligen Lade, mit Spießen in den Händen, hüpfen schaukelnd einher die königlichen Leibgarden, gekleidet wie polnische Juden in lang herabschlotternd schwarzseidenen Kaftans und mit hohen Pelzmützen auf den spitzbärtigen Wackelköpfen. Nachdem diese Karikaturen ihren Umzug gehalten, verschwinden sie wieder in den Boden unter rauschenden Beyfallsbezeugungen.

45 Möglicherweise kannte und variierte Heine hier Cervantes’ Charakterisierung des Tanzes als „Beten mit den Füßen“ (vgl. Walter Salmen: Die Vielzahl der Attribute des musizierenden und „springenden“ David, S. 721). 46 Heine ritt mit seinem Versepos eine satirische Attacke gegen alle „Tendenzdichter“, d. h. die politische Opposition des Vormärz, die seiner Meinung nach ihre großsprecherischen politischen Ideale in künstlerisch dürftiger Form propagierte. Atta Troll verkündet einige dieser Gesinnungen in seinen wortgewaltigen Reden. „Durch seine feierliche Ernsthaftigkeit und sein Pathos, schließlich durch seine Bergpredigerpose gibt er diese Ideen der Lächerlichkeit preis.“ Die oben zitierte Passage aus Caput VIII verspottet „aus ästhetischer Sicht die Idee der Kunst als Kultus“ (Gerhard Höhn: Heine-Handbuch, S. 85 f.). 47 Die folgenden Zitate stammen aus Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 9, S. 89.  



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Hier wird nun der König zu einer Art Schießbudenfigur, die zur Illustration magischer Mächte aufgerufen wird und – der choreografischen Anlage des Werks entsprechend wie in einer Revue – eine lächerliche Tanzeinlage bietet. Die abfällige Wortwahl unterminiert jegliche königliche Würde, „possenhaft vergnügt und abentheuerlich geputzt“ wirkt David aufgekratzt und überladen kostümiert; immerhin ist er – anders als in der biblischen Erzählung vom Tanz vor der Lade – nicht so gut wie nackt. Der Vergleich mit einem „Kartenkönig“ schließlich lässt einerseits Mephistophelas Kunstdemonstration wie einen Taschenspielertrick erscheinen. Andererseits macht er David gerade im Kontrast zur „heiligen Lade“ zu einer absurden, nicht ernst zu nehmenden Erscheinung, die nur noch entfernt an den politischen und religiösen Symbolgehalt dieses bedeutendsten israelitischen Königs erinnert. Auch seine militärische Begleitung widerspricht herkömmlichen Vorstellungen von Garden. Heine reiht bei ihrer Beschreibung zeitgenössische Klischees von Ostjuden aneinander, was einen Bruch zu der alttestamentlichen Gestalt erzeugt. Die traditionell gekleideten orthodoxen Juden, die damals von den assimilierten, westlich geprägten Juden oft mit Verachtung und Spott betrachtet wurden48, werden ebenso wie der von ihnen verehrte König vom Text als „Karikaturen“ bloßgestellt. Die gleichermaßen überspitzt gezeichneten Vertreter vergangenen und gegenwärtigen Judentums haben nur einen kurzen, belustigenden und heftig akklamierten Gastauftritt. In beiden Texten, der Geschichte vom Tanzbären wie dem Tanzpoem, thematisiert Heinrich Heine den Tanz und nutzt die Gelegenheit, um den prominentesten jüdischen Tänzer, König David, einzubauen – beide Male in ironischer Absicht. Doch während im ersten Falle die Berufung auf den König dazu dient, den Sprecher, also den Möchtegern-Künstler Atta Troll zu desavouieren, ist im zweiten Fall David selbst Gegenstand des Spotts. Der Tanz vor der Bundeslade, der ja bereits im Buch Samuel den Hohn von Davids Frau Michal provozierte, ist zu einer grotesken Zirkusnummer geworden, bei der der König und sein ostentativ jüdisches Gefolge über die Bühne springen. Beide Werke zitieren klar und explizit den biblischen Prätext, indem sie David stets in den Kontext der kultischen Handlung, der Überführung der Lade nach Jerusalem, stellen. Gottfried Keller scheint in seinem „Tanzlegendchen“ zwar auf der ironischen, wenig respektvollen Darstellung Davids aufzubauen, doch geht er in intertextueller Hinsicht einen Schritt weiter und löst den tanzenden David aus dem Zusammenhang. So findet weder die Bundeslade noch Davids Verbindung von Gebet und Tanz bei Keller eine

48 Vgl. Ludger Heid: Das Ostjudenbild in Deutschland, S. 634; siehe auch die Erläuterungen zum Text in: Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 9, S. 789.

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Erwähnung; der Hintergrund wird quasi stillschweigend vorausgesetzt, David zum vorchristlichen Patron des Tanzes ernannt. Charakterisierung Davids Auch wenn der Text mit keinem Wort direkt auf die biblischen Erzählungen um David anspielt, greift er doch zwei Charakteristika auf, die auf die Samuelbücher zurückgehen: David den Tänzer und David den Verführer. Damit sind die beiden Gesichter der biblischen Figur, geradezu zwei Pole seines Charakters, benannt. Der Tänzer erinnert – wie oben skizziert – an den Kämpfer im Dienste Gottes, der dem Festzug mit der Bundeslade nach Jerusalem vorantanzte und den Akt der enthusiastischen Selbstentäußerung zu einer Form der Anbetung machte (vgl. 2. Samuel 6,14 f.). Doch David begegnet dem Leser nicht nur als Gesalbter, sondern auch als Sünder. So begehrte er Bathseba, die Frau seines Hauptmanns Uria, verführte und schwängerte sie und sorgte indirekt für die Beseitigung Urias, indem er ihn an die vorderste Kriegsfront beorderte (vgl. 2. Samuel 11,1–17).49 Beide Episoden weisen David als zutiefst menschliche, fehlbare und ambivalente Figur aus, die nicht entrückt, sondern ganz im weltlichen Leben verankert ist.50 Diese Sündhaftigkeit und Widersprüchlichkeit hat den König vermutlich für Gottfried Keller interessant gemacht, der ausgehend von seiner humanistischen Grundhaltung und Feuerbachs Dekonstruktion des christlichen Jenseitsglaubens eine klare Diesseitsorientierung, die Konzentration auf das Leben im Hier und Jetzt, propagierte. In seiner Ausgestaltung der David-Figur greift er zwar in den hebräischen Schriften angelegte Züge auf, akzentuiert und deutet sie aber im Sinne der Aussage des Textes um und erschafft so „seinen ganz persönlichen David“51. Drei Auftritte hat David im „Tanzlegendchen“ – gleich seine erste Erscheinung in der Kirche präsentiert ihn als tanzenden Verführer bzw. als verführerischen Tänzer. Musa ist bei ihrer getanzten Andacht so selbstvergessen,  

daß sie bloß zu träumen wähnte, als sie sah, wie ein ältlicher aber schöner Herr ihr entgegen tanzte und ihre Figuren so gewandt ergänzte, daß beide zusammen den kunstgerechtesten Tanz begingen. Der Herr trug ein purpurnes Königskleid, eine goldene Krone auf dem Kopf und einen glänzend schwarzen gelockten Bart, welcher vom Silberreif der Jahre wie von einem fernen Sternenschein überhaucht war (S. 241 f.).  

49 Zur Interpretation der biblischen Szene vgl. auch Thomas Naumann: David und die Liebe, S. 64–74. 50 „Obwohl er Gottes Schützling ist, lebt er nicht in einer überirdischen Dimension, sondern ist Teil des weltlichen Geschehens.“ (Gabriella Cattaneo: König David in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 72) 51 Gabriella Cattaneo: König David in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 74.

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Dass David der jungen Frau entgegentanzt, gibt ihrer Begegnung eine latente erotische Spannung und lässt ihn angesichts seines gleich zweimal betonten fortgeschrittenen Alters wie einen „alternde[n] Don Jua[n]“52 erscheinen. Musas natürlicher, ihrem ureigenen Bewegungsdrang entsprungener Tanz wird von dem ihr unbekannten Mann aufgenommen und in einen „kunstgerechte[n]“, gleichsam nach einer höfischen Schrittfolge choreografierten Tanz umgewandelt. Seine Gewandtheit lässt sich in zweierlei Hinsicht deuten: als tänzerische wie als sexuelle Erfahrenheit. Das purpurne Gewand und die Krone scheinen ihn erstaunlicherweise in seiner Bewegungsfreiheit nicht zu behindern und verleihen ihm eine hoheitlich-majestätische Ausstrahlung. Er ist doppelt gekrönt: mit dem goldnen Reif, der seine Stellung als Herrscher symbolisiert, und mit einem „Silberreif“, der einerseits auf die Hoheit des Alters, andererseits auf seine Nachkommin und Auftraggeberin – Maria im Sternenkranz – verweist. Die beiden Tanzpartner harmonieren perfekt: „[D]er lustige Herr schien sich dabei so wohl zu gefallen, als die Jungfrau, welche im Himmel herumzuspringen meinte.“ (S. 422) Die königliche Würde wird durch subtile Ironie unterminiert – etwa durch das Adjektivattribut „lustig“ sowie durch die Vorstellung einer veritablen Ballettdarbietung vor dem Altar. Anders als Musas Solotänze, die sich dem Gebet widmen, hat der Pas de deux offenbar keine transzendente Funktion mehr, sondern erfolgt eher um seiner selbst willen. Der Tanz bildet die größte Leidenschaft und Schwäche Musas – und damit auch den idealen Ansatzpunkt für David, um die junge Frau als Tänzerin zu gewinnen, wobei er wie ein „Ballettimpresario“ auftritt, der „für sein himmlisches Ballett nach Ensemblemitgliedern sucht“53. So handelt es sich bei seinem Vorgehen um eine „getanzt[e] Werbung“54, der die argumentative Auseinandersetzung folgt. Wie oben ausgeführt, kann nicht die theologische Beweisführung die zaudernde Musa überzeugen, sondern die von David ausgelöste „unerhört glückselig[e], überirdisch[e] Tanzweise“ (S. 423). Und mit all diesen Kunstgriffen, darunter nicht zuletzt die körperliche Annäherung, verführt der galante TänzerKönig das Mädchen – so wie der David der Bibel Bathseba zum Ehebruch verleitet hat. Sobald Musa schwach geworden ist und eingeschlagen hat, verschwindet David mitsamt seinem quirligen Puttigefolge. Und erst als Musa sich mit Entsagung und tödlicher Askese das Himmelreich verdient hat, kehrt er persönlich wieder, um die Jungfrau in den Himmel zu geleiten. Zwar wird er an dieser Stelle nicht namentlich genannt, doch steht außer

52 Christine Renz: Gottfried Kellers „Sieben Legenden“, S. 232. 53 Peter Stamer: Tanz / Legende. Zur Diskursivierung von Tanzmotiven im „Tanzlegendchen“. 54 Christine Renz: Gottfried Kellers „Sieben Legenden“, S. 233.

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Zweifel, dass es sich um David handelt, der den Neuzugang zu seinem Tanzensemble abholt: „Ein herrlicher König fuhr auf einer Wolke, auf deren Rand eine kleine Extramusik von sechs Engelchen stand, ein wenig gegen die Erde und empfing die Gestalt der seligen Musa vor den Augen aller Anwesenden […] “ (S. 425). Das beschriebene figürliche Arrangement erinnert an einen „ins Zierliche übersetzte[n], barockisierende[n] Opern-Schluß“55, schließlich passt das Bild eines Wolkenaufzugs mit einer Musikkapelle eher zu einer barocken Theatermaschinerie, die den Auftritt eines Deus ex machina in Szene setzen soll, als zu einem übernatürlichen Wunder. Nicht zuletzt die „Extramusik“ verleiht dem Geschehen eine ironische Spitze, indem sie Assoziationen an Bühnenvorgänge weckt, und zerstört so die Illusion.56 Die Himmelfahrt wird zum gemachten Theaterzauber abgewertet, das Himmlische erhält ein sehr irdisches Gepränge. Auch Davids letztes Erscheinen in der Legende hat etwas Diesseitiges. Bei der himmlischen Festivität darf er freilich nicht fehlen und macht seine Aufwartung am Musentisch, an dem christliche und mythologische Patroninnen der Künste traulich vereint sind. König David selbst kam und brachte einen goldenen Becher, aus dem alle tranken, daß holde Freude sie erwärmte; er ging wohlgefällig um den Tisch herum, nicht ohne der lieblichen Erato einen Augenblick das Kinn zu streicheln im Vorbeigehen. (S. 426)

Die Figur David inmitten eines ausgelassenen Gelages bei Tänzen und Banketten, dazu im Kreis der neun Musen, wird um eine mythologische Facette bereichert: So erscheint er einerseits wie Apollon, der Musagetes. Andererseits – darauf weist Gabriella Cattaneo hin – trägt Kellers David in dieser Szene nicht nur apollinische, sondern auch dionysische Züge.57 Wenn er „einen goldenen Becher“ zu der weiblichen Tischgesellschaft trägt, könnte er sogar der antike Gott der Fruchtbarkeit und des Rausches sein, dem in ausgelassenen Riten, den Bacchanalien, in der Regel Frauen huldigten. Auch bei der Figur David bleibt Keller seinem, für das „Tanzlegendchen“ charakteristischen poetischen Verfahren treu, christliches und mythologisches Bildrepertoire zu verschränken und das Jenseitige ganz diesseitig aussehen zu lassen. Wenn David Erato, bezeichnenderweise die Muse der Liebeslyrik, zärtlich berührt, passt das sowohl zum biblischen Verführer und Ehebrecher als auch zum heidnischen Gott der Ekstase, nicht aber zum christlichen Tugendideal. Vielmehr entspricht er der Vorstellung des Autors einer natürlichen, unverbildeten, nicht

55 Artur Henkel: Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 249. 56 Vgl. Christine Renz: Gottfried Kellers „Sieben Legenden“, S. 240. 57 Vgl. Gabriella Cattaneo: König David in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 77 f.  

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durch religiöse Dogmen eingeengten Menschlichkeit.58 Damit gehört eigentlich David ebenso wenig wie die Musen und ihr düsterer erdverhafteter Gesang in den Himmel. Auffällig ist, dass er in der Schlusspassage, die vom kontraproduktiven Vorsingen der Musen erzählt, nicht mehr auftritt. Aufgrund seiner Ambivalenz, die auch durch die Integration paganer Vorstellungen erzeugt wird, avanciert er zu einem „Gegner des christlichen Prinzips“ und „einer der interessantesten und bekenntnishaftesten Figuren der Legende“.59 Vor diesem Hintergrund erscheint es wie eine bittere Ironie, dass gerade David, der gemäß den Büchern Samuel alle Höhen und Tiefen des Daseins ausgekostet hat, der trotz Kritik und Spott Gott im Tanz verherrlicht hat, dass gerade eine solch weltliche Figur die kleine Musa zur Entsagung überredet und auf postmortale Freuden vertröstet. Wenn er in der Kirche Musa „durch sein eigenes Beispiel [beweisen will], daß das Tanzen allerdings eine geheiligte Beschäftigung für Selige sei“ (S. 423), täuscht er sie, schließlich hat er sehr wohl als Lebender dem Tanz gefrönt. Eigentlich wäre David das ideale Sprachrohr für eine menschenfreundliche hedonistische Lebensmaxime – wie sie Keller selbst statt christlicher Selbstkasteiung befürwortet –, doch nimmt er Musa die Lebensfreude, um Personal für den himmlischen Reigen zu sammeln. Möglicherweise verfolgt er eine andere, weltlichere Idealvorstellung von den himmlischen Lustbarkeiten – so will ja auch seine Nachkommin Maria den neun Musen zum Eingang ins Paradies verhelfen, scheitert aber an der „allerhöchste[n] Trinität“ (S. 427). Intertextuelle Strategien I. Sakralisierung vs. Säkularisierung Tatsächlich lässt sich die Janusköpfigkeit Davids in Beziehung setzen zur strukturellen Doppeldeutigkeit des Textes. So wie der biblische König ursprünglich für menschliche Schwächen und einen diesseitigen Gottesdienst steht, bei Keller aber Selbstkasteiung einfordert, so predigt die Legende gattungskonform an der Textoberfläche Musas Märtyrertum, unterwandert aber subtil die Botschaft, indem sie die Erfüllung der Verheißung infrage stellt. Der Text ist folglich so ambivalent wie die Figur David. Der Leser kann hinter der kirchengefälligen Moral, alles Hoffen und Streben auf das ewige Heil zu konzentrieren und das Leben auf der Erde mit Bußübungen zuzubringen, die subversive Aussage erkennen, dass alle Verheißungen und Jenseitsvertröstungen sich nur als schale, unbefriedigende Illusion erweisen. So ist der Text zugleich Legende, da „wahrhaftig fromm in einem christlich einfachen Sinn“, und Anti-Legende, da „voltairianisch

58 Vgl. Gabriella Cattaneo: König David in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 78 f. 59 Gabriella Cattaneo: König David in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“, S. 79.  

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weltlich“ in der Feier des Lebens im Diesseits.60 Was sich so sakral gibt, entpuppt sich als handfeste Säkularisierung von Gattung und Stoff. Hinter der vordergründigen Aussage lässt sich eine gegenteilige säkulare Botschaft entdecken: Der Mensch soll sein Leben im Hier und Jetzt genießen. Indem Kellers „Tanzlegendchen“ beide Originaltexte – Kosegartens Legende sowie das Alte Testament – ironisch relativiert sowie ideologisch unterminiert, tritt es mit diesen in einen intertextuellen Dialog. Diese Spannung zwischen Prätext und neuem Text wird für den Rezipienten umso augenfälliger, als es sich – im Falle der Bibel – um eine kanonische Vorlage mit großem Bekanntheitsgrad handelt.61 Gerade die intertextuellen Bezüge sowie die Umkehrung ihrer ursprünglichen Stoßrichtung, das Spiel von Ironie und tieferer Bedeutung, bedingen die Mehrdeutigkeit des Textes und adressieren sich an den Intellekt des Lesers. Intertextuelle Strategien II. Transponierung und Poetologisierung König David gehört bei Keller bereits zu den Seligen. Er nimmt als überirdische Instanz Einfluss auf auserwählte Fromme. Die Legende als explizit an Gläubige gerichtete Textsorte muss sein Auftreten und seine Rolle nicht begründen, schließlich weiß der christliche Leser um Davids Tanz vor der Bundeslade und vermag aufgrund seiner Kenntnis des Prätextes zu entschlüsseln, warum gerade der Herrscher aus dem Alten Testament der ideale Werber für die tanzbesessene Musa ist. Kellers „Tanzlegendchen“ transponiert somit – im Sinne einer selektiven Intertextualität62 – die Figur Davids aus seiner Lebensbeschreibung und verpflanzt sie in einen neuen Kontext, wo die an sie geknüpften Bedeutungen und Traditionen einerseits fortwirken und andererseits neue Funktionen einnehmen. David wird nicht in seiner Rolle als Sänger-Dichter, sondern nur als Tänzer heraufbeschworen, wobei der Tanz als Inbegriff der Lebensfreude fungiert, als Medium der Begegnung eine erotische Dimension besitzt, für Ausgelassenheit

60 Peter von Matt: Wetterleuchten der Moderne, S. 22 f. Gottfried Keller betont in seinem Vorwort zu den „Sieben Legenden“ sein Bestreben, die überkommenen Vorlagentexte dichterisch umbzw. neu zu deuten, den Legenden somit eine andere Stoßrichtung zu geben: „Wie nun der Maler durch ein fragmentarisches Wolkenbild, eine Gebirgslinie, durch das radierte Blättchen eines verschollenen Meisters zur Ausfüllung eines Rahmens gereizt wird, so verspürte der Verfasser die Lust zu einer Reproduktion jener abgebrochen schwebenden Gebilde, wobei ihnen freilich zuweilen das Antlitz nach einer anderen Himmelsgegend hingewendet wurde, als nach welcher sie in der überkommenen Gestalt schauen.“ (Gottfried Keller: Sämtliche Werke, Bd. 7, S. 333) 61 Zu den Intertextualitätskriterien der Kommunikativität und Dialogizität vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 27 und 29. 62 Vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 28.  

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und Nähe steht, aber auch für eine besondere Variante des Gebets.63 Als Kunstform fügt er sich damit eher in ein profanes, erfülltes und lebensbejahendes Weltund Menschenbild ein als in eine metaphysische Sphäre. David ist nicht nur ein Emissär der Jungfrau Maria, sondern darüber hinaus ein Botschafter seines Autors. Sünder, Künstler, Liebender – wer könnte sich besser eignen, um entgegen der offiziellen, kanonisierten Lehre der Legende allein durch seine Vita insgeheim ein ganz anderes weltliches Evangelium zu verkörpern? Wie der Tanz dazu beiträgt, die eigene Körperlichkeit zu erfahren, legt auch Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“ letztendlich ein Ja zum Leben und zu sinnlichen Freuden nahe, was ihm eine poetologische Stoßrichtung gibt. König David ist der Drehund Angelpunkt dieser poetologischen Camouflage. Die Kunst verkündet, was Musa längst erkannt hatte: „Denn alles habe seine Zeit; dieser Erdboden schiene ihr gut und zweckdienlich, um darauf zu tanzen“ (S. 423).64

2.2.2 Nelly Sachs: Der magische Tänzer (1959) Aus einer anderen Welt, einem himmlischen Jenseits, kommt in Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“ der tanzende David. Und auch in Nelly Sachs’ 1959 entstandener szenischer Dichtung wird die biblische Figur mit einer überirdisch-metaphysischen Sphäre in Beziehung gebracht – bezeichnenderweise trägt der Text den Titel „Der magische Tänzer“65. Mit der israelitischen Königszeit haben Zeit und Ort der Handlung dieses Dramoletts in zwei Szenen wenig zu tun: Sie spielen in einem, vermutlich in der zeitgenössischen Gegenwart anzusiedelnden, ärmli63 Christine Renz gelangt aufgrund des dialektischen Wechselspiels von Verheißung, Erfüllung und neuer Sehnsucht, d. h. der Ausrichtung auf das Jenseits, die zuletzt wieder in die Trauer über das verlorene Diesseits umschlägt, zu dem Schluss, der Tanz bilde auch das strukturelle Prinzip des Textes, der zu einer „tanzenden Legende“ werde (Christine Renz: Gottfried Kellers „Sieben Legenden“, S. 251). Gabriele Brandstetter zieht ebenfalls Parallelen zwischen Inhalt und Struktur und weist nach, dass das „Tanzlegendchen“ fünf unterschiedliche Tanzkonzepte verwebt: den natürlich-ursprünglichen Tanz (Musa), die höfische Choreografie (Tanzfigur Musa – David), die Vorstellung eines paradiesischen Reigens sowie als Gegenbild der Tanz als Sünde und schließlich das romantische Tanzideal der Schwerelosigkeit (Musas Askese und Sprung in den Himmel); vgl. Gabriele Brandstetter: De Figura, S. 239, 241. 64 Musas Fazit variiert eine Maxime aus dem Bibelbuch Prediger, das König Salomo, also dem Sohn Davids, zugeschrieben wird. Nachdem Prediger 3 anhand exemplarischer menschlicher Tätigkeiten gezeigt hat, dass es für alles seine eigene Zeit gebe, mündet das Bibelbuch in ein lebensbejahendes, sinnenfrohes Fazit, das mit der unterschwelligen Botschaft von Kellers „Tanzlegendchen“ übereinstimmt: „Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.“ (Prediger 3,12) 65 Im Folgenden wird die szenische Dichtung zitiert nach Nelly Sachs: Werke, Bd. 3, S. 187–198.  

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chen, „als Wohnküche eingerichtet[en] [Bodenverschlag]“ (S. 189), der sich schließlich zu einem „Globus mit kristallenen durchsichtigen Wänden“ (S. 192) verwandelt. Die Wäscheleinen werden zu „Meridiane[n] und Breitengrade[n]“ (S. 192), das Kleinste und Banalste wächst sich somit zum Größten aus. Auch der Untertitel sowie das Figurenverzeichnis „Versuch eines Ausbruchs. Für zwei Menschen und zwei Marionetten“ deuten darauf hin, dass auf der Bühne keine realistische Handlung vergegenwärtigt werden soll, sondern symbolisch aufgeladene Geschehnisse vorgeführt werden. Tatsächlich erweist sich die Dichtung als hermetisch, hochkomplex und fordert damit zur Deutung des rätselhaften Geschehens heraus.66 Lesart I: Der gescheiterte Primoballerino In der ersten Szene verteidigt Marina, eine Hausfrau, David, dem sie aus Liebe Unterschlupf gewährt hat, gegenüber ihrer misstrauischen Mitbewohnerin.67 Wie ein „große[r] angeschossene[r] Voge[l]“ (S. 189) dämmert David in einer Art Erschöpfungsdepression mit herabhängenden Armen und zwischen den Knien hängendem Kopf auf einem Stuhl vor sich hin, sodass er selbst eher eine Marionette denn ein lebendiger Mensch zu sein scheint. Wie Marina weiß, war der Vogel nicht immer so wund, sondern David vermochte früher beinahe zu fliegen. Als „weltberühmt[er]“ (S. 191) Tänzer Sylphano – der Künstlername lässt an die mythologischen Luftgeister der Sylphen und damit an Schwerelosigkeit denken – begeisterte er sein Publikum, doch offenbar war ihm seine Kunst zu unvollkommen: an einem Abend voll Glanz als hätte der Himmel seine Edelsteine auf die Bühne gesenkt da stand er zuletzt – und stieß den Kopf an die Wand und stieß und stieß – denn er wollte heraus – heraus und heraus – (S. 191)

66 Christine Rospert legt eine profunde, strukturalistisch ausgerichtete Interpretation der szenischen Dichtung vor, die – auch im Bereich der dramaturgischen, theaterpraktischen Realisation – zu erhellenden Erkenntnissen gelangt, es aber nicht versucht, die gedeuteten Details in eine umfassende Lesart zu integrieren (vgl. Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 263– 370). Einen linguistischen Schwerpunkt setzt auch Dorothee Ostmeiers Untersuchung der szenischen Dichtungen von Nelly Sachs, wobei sie entwicklungspsychologische Fragen herausarbeitet und bei David den Verlust der Sprache diagnostiziert. Da diese lesenswerte Studie seltsamerweise die Shoa als Bezugsrahmen des dichterischen Schaffens von Nelly Sachs weitgehend ausspart und alle entsprechenden Indikatoren ignoriert, fehlt ihr jedoch eine entscheidende Dimension (vgl. Dorothee Ostmeier: Sprache des Dramas – Drama der Sprache, S. 99–122, 151). 67 Dass die Nachbarin durch eine „Marionette mit eingebautem Tonband“ (S. 189) verkörpert wird, kontrastiert ihr seelenlos-kaltes Wesen mit der menschlichen Anteilnahme und Zuwendung, die Marina ihrem Gast entgegenbringt.

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Sein tänzerisches Vermögen stieß an Grenzen, als es darum ging, die eigene Begrenztheit zu besiegen, zu fliegen wie ein Schmetterling (vgl. S. 197) und dem eigenen Ich zu entkommen. Sein Scheitern mündete in einen geistigen Zusammenbruch und das Ende seiner künstlerischen Karriere – ein Schicksal, das Nelly Sachs bewusst demjenigen des legendären russischen Balletttänzers und Choreografen Vaslav Nijinski nachempfunden hat. Während einer Privataufführung in der Schweiz erlitt der gefeierte Virtuose, der noch heute als Inbegriff vollendeten Tanzes gilt, einen psychischen Zusammenbruch. Sachs ließ sich nach eigener Aussage durch ein Bild des kranken Nijinski zu ihrem Text inspirieren: […] auch kam eine Malerei Nijinskis, ein Selbstporträt seiner Krankheitszeit, dazu, nur aus Linien bestehend, die mich darauf brachten, die Längen- und Breitengrade dieser Erdkugel am Leibe abwickeln zu lassen, bis das Herz übrig bleibt, um es herauszunehmen.68

Den einstigen Ruhm des Tänzers Sylphano beschwört auch der David erscheinende magische Tänzer herauf, wenn er ihm den genossenen Beifall akustisch vergegenwärtigt und ihm so seinen Absturz bewusst macht: „Nur die Hände die klatschen waren deine Welt.“ (S. 193) Tatsächlich erweist sich der nächtliche Besucher als eine Art Wiedergänger Davids, nimmt er doch „immer mehr die Gestalt des ganz jungen David“ (S. 193) an und verkörpert so Davids abgespaltene jugendliche Persönlichkeitsanteile sowie seine Vergangenheit, die – auch darauf deuten sein marionettenhaftes Wesen und die Tonbandstimme hin – unwiederbringlich verloren ist. Allerdings handelt es sich angesichts seiner unmenschlichen Perfektion um ein idealisiertes Bild Davids und die Personifikation seiner Kunst: „Die Figur des magischen Tänzers ist nicht allein über die Künstlichkeit ihres Sprechens und ihres Bewegungsapparats an das Symbolische gekoppelt, sondern durch ihren Status als Tänzer und magisches Geschöpf auch an die Kunst.“69 Dass er auf die Spiegelwand zeigt, aus der er selbst hervorgetreten ist (vgl. S. 192 f.), unterstreicht einerseits die Dopplung der Figur David und verrät andererseits auch die narzisstischen Züge des einstigen Tanzstars Sylphano.  

68 Brief an Heinz Holliger vom 17. Januar 1963, zitiert nach Kristina Ericson: Heinz Holliger – Spurensuche eines Grenzgängers, S. 198. Zudem erinnert der Tanz, den David in der szenischen Dichtung vollführt, an zwei Choreografien Nijinskis. So beschloss er das Ballett „Carneval“ in der Rolle des Pierrot, indem er sich das Herz aus dem Leib riss und vor seiner Colombine zusammenbrach (vgl. ebd., S. 199). Im skandalumwitterten, 1913 uraufgeführten Ballett „Le sacre du printemps“ von Igor Stravinsky vollführt im heidnischen Russland eine Jungfrau einen Opfertanz, um den Frühlingsgott gegenüber dem Volk gnädig zu stimmen. Auch bei Nelly Sachs tanzt sich David zu Tode – allerdings nicht im Rahmen eines religiösen Fruchtbarkeitsrituals, sondern als Konsequenz seines Wahnsinns. 69 Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 315.

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Auch in Marinas bescheidener Wohnung wird er von seiner Vergangenheit eingeholt, auch hier quält ihn das Gefängnis seiner Identität weiter, sodass er des Nachts wild auf dem Dachboden tanzen muss und „in den Bottich springt und plantscht“ (S. 189). Seine Tanzobsession, das „Feuer […] unter den Sohlen“ (S. 191), will er vergeblich im Wasser des Waschkübels auslöschen.70 Von Marionetten und Schnüren. Zur Metaphorik Ziel und Mittel stimmen überein: Tanzend will der kranke David sich aus seiner Identität als Tänzer befreien. Nelly Sachs selbst nennt sein Bestreben die „Sehnsucht im Tanz den unsichtbaren Kerker zu durchbrechen“71. Das Adverb „heraus“ dominiert den Text, sei es als Appell des magischen Tänzers, sei es als stammelnd hervorgebrachtes Flehen Davids („Muß heraus – heraus – heraus – / Muß heraus – heraus – heraus“, S. 197). Die den ganzen Text strukturierende Schnur-Metapher versinnbildlicht das Gefangen-Sein in Ordnungssystemen. Wenn die Mitbewohnerin David abschätzig als „spindeldürre Garnrolle“ (S. 190) bezeichnet, wird damit sein ausgezehrter Zustand beschrieben. Darüber hinaus wird auf seinen innerlich eingeschnürten Zustand angespielt, aus dem er sich befreien will. Eine reale Entsprechung findet diese Fixierung in den Schnüren, auf denen Marina ihre Wäsche aufgehängt hat. Dass sie in der zweiten Szene die Gestalt von Meridianen und Breitengraden annehmen, versinnbildlicht die Kartierung des Globus durch den Menschen, also ein verbindliches, normatives System von Definitionen und Zuschreibungen, die auch für Zwänge stehen können. Der magische Tänzer fordert David auf, sich freizumachen, sich zu lösen aus all den Begrenzungen und Festlegungen, die seine Existenz – und damit seine Identität – determinieren:

70 Der Versuch, durch kaltes Wasser zur Besinnung zu gelangen, sich sozusagen seiner Identität zu versichern, verweist auf Georg Büchners Erzählung „Lenz“, in der der geistig zerrüttete Protagonist sich in das kalte Wasser des Brunnentrogs stürzt, um wieder zur Ruhe zu gelangen: „[…] er konnte sich nicht mehr finden, ein dunkler Instinkt trieb ihn, sich zu retten, er stieß an die Steine, er riß sich mit den Nägeln, der Schmerz fing an, ihm das Bewußtsein wiederzugeben, er stürzte sich in den Brunnstein, aber das Wasser war nicht tief, er patschte darin.“; „Lenz rannte durch den Hof, rief mit hohler, harter Stimme den Namen Friederike mit äußerster Schnelle, Verwirrung und Verzweiflung ausgesprochen, er stürzte sich dann in den Brunnentrog, patschte darin, wieder heraus und herauf in sein Zimmer, wieder herunter in den Trog, und so einigemal, endlich wurde er still.“ (Georg Büchner: Werke und Briefe, S. 139, 152); zu den „Lenz“-Parallelen vgl. auch Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 295–301. 71 Brief an Heinz Holliger vom 17. Januar 1963, zitiert nach Kristina Ericson: Heinz Holliger – Spurensuche eines Grenzgängers, S. 198.

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Heraus aus dem Gewirre – heraus sage ich – David, David – die Haut ist keine Grenze sprenge sie – sprenge sie! (S. 192)

Der Befehl, aus der Haut zu fahren, läuft auf die Zerstörung der eigenen Identität und all ihrer Einengungen und Zumutungen hinaus. Doch stellt sie der magische Tänzer nicht als rein destruktiven Akt dar, sondern als Form der Weiter- und Höherentwicklung, indem er sie mit der Metamorphose eines Schmetterlings parallelisiert: „Larve, Puppe, Schmetterling“ (S. 192). Auch die Schmetterlingsmetapher, die später Marina aufgreift („Ich wickle dich aus – wickle dich aus / aus allen Banden – / Flieg, Schmetterling – flieg –“, S. 197), variiert den Bildbereich des Gefesselt- bzw. Eingeschnürtseins. Die Verpuppung erscheint als Zustand, der überwunden sein will, wenn man zur Freiheit gelangen will.72 Entsprechend „schlägt [David] die Arme auf wie Flügel“ (S. 193), als ob er wie ein Vogel in die Freiheit abheben wolle. Zugleich macht er „Bewegungen[,] als ob er unsichtbare Schnüre abwickelte“ (S. 193), und entpuppt sich gleichsam. Vergeblich will Marina David bei seinem wahnwitzigen Entfesselungsversuch helfen und stirbt aufgrund der Anstrengung, mit seiner kreiselartigen Bewegung mitzuhalten. Paradoxerweise wird der magische Tänzer, der David in seinem „somnambulen Tanz“ (S. 192) antreibt, durch eine Marionette mit mechanischer Stimme verkörpert. Dass die seelenlose Puppe virtuoser tanzt als der Mensch – sie „beginnt zu tanzen, daß der Fußboden raucht“ (S. 195) –, lässt an Heinrich von Kleists Essay „Über das Marionettentheater“ denken, der das Paradoxon thematisiert, dass gerade die Marionette wahre „natürliche Grazie“ entwickle, wohingegen die Existenz des Bewusstseins den Menschen an der Entfaltung wahrer motorischer Eleganz hindere.73 „Die zunehmend zwanghafte Art, in der David in dieser Szene um sich selbst tanzt und Kleidungsfetzen – und schließlich sein Innerstes – von sich reißt, entfernt ihn von der unmenschlichen Souveränität der Marionette.“74

72 Die Schmetterlingsmetapher ist eine wiederkehrende Konstante in der Dichtung von Sachs und wird von ihr auch autobiografisch gedeutet: „In den ‚Briefen aus der Nacht‘ vergleicht Sachs sich selbst in ihrer Leidenssituation mit einer verpuppten Raupe, die irgendwann ihr Leiden zu besiegen vermag: ‚Die Puppe meines Leidens eingehüllt. Wann fliegt der Schmetterling, der Überwinder der Schwerkraft?‘“ (Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 261). 73 Vgl. Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 338–345. Die Bezüge zum Essay Kleists sowie die bühnentechnischen Probleme bei der szenischen Umsetzung von Sachs’ Dichtung beleuchtet Dorothee Ostmeier (vgl. Sprache des Dramas – Drama der Sprache, S. 108 f.). 74 Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 310.  

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Tatsächlich emanzipiert sich der magische Tänzer von all den Schnüren und Leinen, die den Dachboden dominieren, und vermag es, sie in einen „Nullmeridian“ genannten Wäschesack zu packen.75 Dem immer panischer tanzenden David will es dagegen nicht gelingen, sich aus all den Stricken zu befreien: „Er macht mit den Händen eine Bewegung des Aufschnürens, als ob er ersticken müßte.“ (S. 197) Widersinnigerweise befreit sich die Marionette, die an Schnüre fixiert ist, und verschwindet – der in seiner Bewegung eigentlich ungebundene Mensch verstrickt sich dagegen immer mehr. „Da wo der magische Tänzer Grenzen überwindet, bleibt David in sie eingespannt.“76 Tanz als Medium der Transzendenz Seine Bemühungen, die irdische Schwere abzustreifen und sich selbst zu entfesseln, steigern sich weiter, bis sich der ekstatisch tanzende David „immer schneller wie eine Spule [dreht], die abgespult wird“ (S. 197). Und nicht nur er rotiert – seine tänzerische Selbstentäußerung setzt den ganzen Raum in Bewegung: „Die einzelnen Länder [d. h. die Wäschestücke] beginnen zu flattern, […] die Meridiane und Breitengrade drehen sich und laufen.“ (S. 194) Davids Tanz entwickelt nicht nur die Kraft, die eigene Identität zu transzendieren, sondern auch die räumlichen Gegebenheiten zu verändern (vom Bodenverschlag zum Globus) und so die feststehende, unflexible geografische Ordnung generell zu dynamisieren.77 Mit den einzelnen Ländern und Kontinenten, die in Form der Wäschestücke um David herumkreisen, werden auch Erinnerungen an Begegnungen mit Frauen lebendig, die David-Sylphano in unterschiedlichen Weltteilen hatte. Die assoziativ vom magischen Tänzer heraufbeschworenen Frauen – „die Prinzessin im Eis“, „die kleine Schuhu“ (S. 194) – erhalten keine Kontur, bleiben nicht greifbare, rätselhafte Erinnerungsfetzen. Möglicherweise handelt es sich bei ihnen um weibliche Bühnenfiguren oder frühere Tanzpartnerinnen Sylphanos. „Der magische Tänzer läßt David durch sein Leben tanzen“.78  

75 Sehr plausibel ist Dorothee Ostmeiers Deutung, die den magischen Tänzer als „Figur der Kindheit“ identifiziert, die „den der Kindheit Entfremdeten“ in „die Kindheit und die Unabhängigkeit von allen Bindungen, ‚Schnüren‘ und ‚Meridianen‘“ zurückruft (Dorothee Ostmeier: Sprache des Dramas – Drama der Sprache, S. 109). 76 Dorothee Ostmeier: Sprache des Dramas – Drama der Sprache, S. 124. 77 Wäschestücke verwandeln sich zu Kontinenten. Diese „Kontinentalisierung und Geologisierung“ findet sich häufiger in der Dichtung von Nelly Sachs. Klaus Jeziorkowski weist nach, dass ihre Texte selbst „die Tendenz [haben], sich zum Universum zu weiten, selbst zu diesem Universum zu werden“ – eine Tendenz, in der sich die Vorstellung der jüdischen Mystik spiegelt, dass der tatsächlichen Schöpfung die Präexistenz der Buchstaben, d. h. die sprachlichen Schöpfung, vorausgegangen ist (vgl. Klaus Jeziorkowski: Nelly Sachs, S. 352 f.). 78 Hellmut Geißner: Sprache und Tanz, S. 378.  



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Lesart II: Leiden an der Shoa „Erinnerst du dich?“ – Siebenmal stellt der magische Tänzer David diese beschwörende Frage und aktiviert damit dessen Gedächtnis. Doch haben die Erinnerungen nicht nur eine individuell-biografische Dimension. Der Text erzählt mehr als die Geschichte eines gebrochenen Balletttänzers, der über sein künstlerisches Versagen den Verstand verliert. Gleich die einleitenden Regieanweisungen geben den entscheidenen Hinweis, dass es sich bei der Identität, der David sich entledigen will, um eine jüdische handelt. Seine anfängliche schlaffe Körperhaltung wird dort als „Haltung der äußersten Kontemplation in der chassidischen Mystik“ (S. 189) beschrieben, was zu einer zweiten Lesart unter dem Aspekt der jüdischen Mystik auffordert. Es ist bekannt, dass Nelly Sachs sich intensiv mit den Traditionen des Chassidismus und der Kabbala auseinandergesetzt hat und mit deren Hilfe „nicht nur den Zustand der Welt, sondern auch ihr persönliches Schicksal“ gedeutet hat.79 So lassen sich verschiedene im Text aufgerufene Bildbereiche auf diese spirituellen Bewegungen zurückführen – in Chassidismus und Kabbala fand Nelly Sachs Reflexionen und Metaphern, in denen sie die eigenen Erfahrungen wie Wahrnehmungen spiegeln konnte. „Insbesondere die chassidische Mystik half Sachs, ihren Alltag zu bestehen und darüber hinaus ihre traumatische Vergangenheit zu bewältigen.“80 Die Kabbalisten bemühten sich, die Erfahrung der Diaspora, das jüdische Exildasein, in eine schöpfungsgeschichtliche Dimension einzubetten. Dabei beobachteten sie für die Welt einen Spannungszustand zwischen „Exil und Erlösung, zwischen der Welt unter dem Bann und der Sehnsucht und Hoffnung auf eine ‚einst‘ erlöste Welt“81. Diese kosmische Konstellation wird im Kleinen in Davids manisch-rastlosem Ringen um Freiheit gespiegelt. Doch nicht nur der an

79 Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 169. Die Dissertation von Sabine Grittner weist anhand einer Vielzahl von Detailanalysen die Einflüsse der jüdischen Mystik auf das Werk von Nelly Sachs nach (vgl. ebd., S. 49–169; siehe auch Klaus Jeziorkowski: Nelly Sachs, S. 351). 80 Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 49. 81 Gisela Dischner: Die Lyrik von Nelly Sachs und ihr Bezug zur Bibel, zur Kabbala und zum Chassidismus, S. 37 f. Entsprechend dieser dualistischen Weltsicht bilden in der Kabbala die antagonistischen Pole Alltag und Kosmos bzw. Sein und Nichts unterschiedliche Erscheinungsformen der göttlichen Realität (vgl. Kristina Ericson: Heinz Holliger – Spurensuche eines Grenzgängers, S. 202). Auch Nelly Sachs sieht in der chassidischen Mystik „die Quelle aller existentiellen Durchströmung des Alltagsaugenblickes“ (30. Dezember 1957, in: Briefe der Nelly Sachs, S. 181), was sie in „Der magische Tänzer“ umsetzt: So geht die alltägliche Örtlichkeit – der Bodenverschlag in einem gewöhnlichen Mietshaus – über in einen kosmischen Raum, einen von Längen- und Breitengraden eingefassten Globus.  

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seiner Identität Verzweifelnde, sondern auch seine Mutter Rahel befindet sich in einem Zustand der Unerlöstheit. Der magische Tänzer berichtet: Als Rahel aufwachte deine Mutter aus ihrem Bett aus Stein singend: und jeder Stein war schon Musik geworden (S. 194 f.).  

Unabhängig davon, ob der magische Tänzer sich hier auf die tatsächliche Mutter Davids bezieht, verweist ihr Name auch auf die jüdische Stammmutter und Frau Jakobs, die bei der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin starb und von ihrem Mann am Wegesrand beigesetzt wurde. Ein Vers aus dem Bibelbuch Jeremia, wohl verfasst im babylonischen Exil, macht Rahel zur Symbolfigur, die um den Verlust ihrer Kinder weint.82 In dieser späteren Deutung wurde die Urmutter zum „Symbol für die Leiden der Juden im Exil“83, deren angebliche Grabstätte noch heute von Juden verehrt wird und gerade von Überlebenden der Shoa aufgesucht wird, um ihre Klagen vorzubringen. Das „Bett aus Stein“ umschreibt eben jenes Grab Rahels und spielt auf die Trauer der Mutter um das jüdische Volk an. Die Transformation der Steine in Musik geht ebenfalls auf kabbalistische Vorstellungen zurück: Diese Entmaterialisation des Grabes könnte die „Unerlöstheit von Rahel“84 meinen und so Davids eigenen heillosen Zustand weiter zuspitzen.85 Das „Erwachen der Mutter evoziert […] auch ein Sich-Lösen vom toten Körper“86 und variiert Davids „Versuch eines Ausbruchs“.

82 Jeremia 31,15: „So spricht der HERR: Man hört Klagegeschrei und bittres Weinen in Rama: Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder; denn es ist aus mit ihnen.“ 83 Christine Ritter: Rachels Klage im antiken Judentum und frühen Christentum, S. 248. 84 Kristina Ericson: Heinz Holliger – Spurensuche eines Grenzgängers, S. 205. Stein fungiert in Anlehnung an das kabbalistische Hauptwerk Sohar bei Sachs generell als Metapher für den versteinerten, unerlösten Zustand der Welt (vgl. Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 179–181). 85 Auch die Schmetterlingsmetapher hat in der jüdischen Mystik eine eigene, auf die Sprache bezogene Bedeutung: „Der Schreiber des Sohar wickelt den Buchstabenleib aus, die Falterpuppe, die sich entfaltet zum göttlichen Namen, aber zugleich verschlüsselt und verborgen bleibt durch das leidvolle Schicksal des Exils, des gesamten unerlösten Kosmos.“ (Kristina Ericson: Heinz Holliger – Spurensuche eines Grenzgängers, S. 205) Entsprechend vermag es David nicht, sich selbst völlig zu entpuppen, sondern bleibt gefangen in seinem Ich. 86 Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 327. Die Verwandlung von Stein in Musik hat ihr Vorbild in den orphischen Mysterien (vgl. Dorothee Ostmeier: Sprache des Dramas – Drama der Sprache, S. 113).

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Einen Ausweg aus dem Kerker der eigenen Identität, die auch die leidbehaftete Geschichte des jüdischen Volkes einschließt, scheint der Tanz zu bieten – der Tanz, der gemäß chassidischer Überzeugung Teil des Gottesdienstes ist und „zum Zeitpunkt des Tanzes den Tanzenden mit der Gesamtheit seiner Seele und mit G-tt [!] in Beziehung bringt“87. Der Tänzer konnte dabei in ekstatische Verzückung geraten, wie diverse Berichte über Rebben belegen. So erzählen die Chassidim, im frühen 19. Jahrhundert habe der Rabbi Motele von Chernobyl dadurch, dass er sich unentwegt und unermüdlich im Kreis drehte, die Stufe der „Verneinung des Seins“ erklommen und sei beinahe „wirklich ein Engel Gottes“ geworden, sodass seine Umgebung schlussfolgerte: „Er ist nicht von dieser Welt“.88 Gerade diese Selbstentäußerung im Tanz strebt auch David an, wobei seine Drehbewegungen – das Sich-Abspulen der Garnrolle – ebenso an den Trancetanz der Derwische erinnern.89 „Davids Tanz um die eigene Längsachse ist dabei lesbar als Ausdruck einer spirituellen Suche, bei der Aus-Sich-Herausgehen und Sich-Finden ohne Ende zusammenzufallen und sich zugleich immer weiter hinauszuschieben scheinen.“90

87 Shmuel Barzilai: Musik und Ekstase (Hitlahavut) im Chassidismus, S. 70. Artur Landsberger führt dazu aus: „Die Brücke, die den Menschen zum Schöpfer hinführt, ist das Gebet. Deshalb sucht der Chasid im Gebet, das wie eine Entflammung über ihn kommen muß, sein geläutertes Empfinden, sein ganzes Denken und Wollen auszudrücken. Zu diesem Zwecke genügt ihm das vorgeschriebene Gebet durchaus nicht. Er geht oft über den Buchstaben hinaus, sprengt die Form, die seine Seelenfülle nicht zu fassen vermag, und gerät in eine religiöse Ekstase, die sich, wie beim verzückten Yoghi, in Springen, Tanzen, Singen und Pfeifen äußert.“ (Artur Landsberger: Das Volk des Ghetto, S. 20) 88 Zitate nach Shmuel Barzilai: Musik und Ekstase (Hitlahavut) im Chassidismus, S. 76. Martin Buber charakterisiert das Außer-sich-Sein des Tanzes folgendermaßen: „Die reinste Form, die, in der der ganze Körper der erregten Seele dient und jeder ihrer Hebungen und Neigungen das sichtbare Geschwister erschafft, ist der Tanz.“ (Martin Buber: Vom Leben der Chassidim, S. 23 f.) 89 Vgl. Peter Michel: Mystische und literarische Quellen in der Dichtung von Nelly Sachs, S. 38. Hellmut Geißner klassifiziert Davids Tanz als Form des enthusiasmierten Tanzes, den er vom ekstatischen Tanz unterscheidet. Diese Differenzierung wirkt allerdings wenig überzeugend (vgl. Hellmut Geißner: Sprache und Tanz, S. 368 f.). 90 Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 331. Auch Dorothee Ostmeier erkennt in der permanenten Drehbewegung den zentralen Unterschied zwischen dem artistischen Tanz, den David früher ausgeübt hat, und dem Marionettentanz, den ihn der magische Tänzer lehrt: „[A]ls Wickelbewegung, als Ein- und Auswickeln, zieht die Drehung eine radikale Veräußerlichung dadurch nach sich, daß das Innerste der [Garn-]Rolle ständig ins Äußerste gewendet werden kann und Verborgenes sich insofern ständig veräußerlicht.“ (Dorothee Ostmeier: Sprache des Dramas – Drama der Sprache, S. 107)  



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Das Geheimnis der Bundeslade Dass die Chassidim den Tanz als Element der Anbetung und der Kommunikation mit Gott betrachten, verbindet sie mit dem König David. Im Dramolett wird Sylphano-David explizit mit seinem alttestamentlichen Namensvetter verglichen, wenn Marina ihren Gast charakterisiert: „Da sehen Sie, so sitzt er und betet – / heißt doch David wie der König, / der vor der Bundeslade tanzte“ (S. 190). In seiner Selbstidentifikation mit dem jüdischen König hält David Marinas Truhe, in der sie Nahrungsmittel aufbewahrt, für die heilige Lade (vgl. S. 189). Er sieht sich demnach in einer Weise dem heiligsten Kultgegenstande des historischen Judentums verpflichtet, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Verlorenem und mit Händen Greifbarem, zwischen heilig-entrücktem Objekt und profanem Haushaltsgegenstand keinen Unterschied macht oder machen kann91.

Was die Mitbewohnerin als Bestätigung für Davids Wahnsinn wertet, hat auf der erinnerungspsychologischen Ebene eine tiefere Bedeutung. Die Truhe bzw. die Lade repräsentiert als „Gedächtniskiste“ eine der Erinnerungsmetaphern, die Aleida Assmann definiert hat. Ihr zufolge zählt die Lade zu den „transportable[n] Behälter[n]“, die sich „als Bilder für die Engführung des kulturellen Gedächtnisses“92 anbieten. Für das jüdische Volk symbolisierte die Bundeslade die Rechte und Pflichten, die der Bund mit Gott beinhaltete, einerseits seine Gegenwart und seinen Schutz, andererseits als Aufbewahrungsort des Gesetzes (der Tora) die Ermahnung zu Gehorsam und Loyalität. Wenn nun Marinas Truhe nur einen angeschimmelten Blumenkohl sowie Äpfel enthält, wirkt sie wie eine Banalisierung und ironische Spiegelung der Bundeslade, in der auch das Manna lag, jenes Himmelsbrot, mit dem Gott die Israeliten während ihrer 40-jährigen Wüstenwanderung speiste. Doch die Bedeutung der Lade wird nicht allein entwertet, sie wird darüber hinaus in ihr grausames Gegenteil verkehrt. Denn sie steht in der szenischen Dichtung auch für einen Sarg und damit für den Tod. Wenn Marina anfangs feststellt, dass David „das Geheimnis in der Lade“ (S. 190) suche, konkretisiert dieser selbst später den Gegenstand seiner rastlosen Überlegungen: „Die Nacht / Ich suche die Nacht / Wo ist die Tür der Nacht / die wacklige Tür –“ (S. 194). Offenbleibt, ob hier die geistige Umnachtung, das Absinken in den Wahnsinn, gemeint ist oder der Tod. Die Spannung zwischen diesen Alternativen spricht auch der magische Tänzer an, als er David auffordert, sich der Vergangenheit und den Toten zu stellen, wobei sich plötzlich die Zeilen zu reimen beginnen:

91 Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 302. 92 Aleida Assmann: Erinnerungsräume, S. 114.

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Laß das Spielen rühre nicht an die Gestirne mit dem kranken Hirne – […] Die Toten warten Heraus aus ihrem kalten Garten – (S. 195)

Immer deutlicher wird, dass es gerade das Schicksal der Toten ist, das David umtreibt und quält, sodass er um die Frage „Wo werden die Toten lebendig?“ im buchstäblichen und im übertragenen Sinn „kreist“ (vgl. S. 196). Auf diesem Höhepunkt seines rasenden Tanzes öffnet er die Truhe und entnimmt ihr den „Blumenkohlkopf“ (S. 196), der in seinen Händen zu einem Totenschädel mutiert: Deine Augen Löcher aber die Haare – wachsen nach dem Tod – schreiend: Hier werden die Toten lebendig – (S. 196)

Die Lade scheint ein unheimliches Geheimnis zu umschließen, das mit den Toten in Verbindung steht. So hat David wenig später eine weitere entsetzliche Vision: Watete durch die Meere Oklahoma – Oklahoma Watete durch die Adern des Himmels blutrot – Wo werden die Toten lebendig – Es klopft in der Lade – es klopft Die wacklige Tür der Nacht öffnet sich – Still das Geheimnis – (S. 198)

Die aneinandergereihten, teilweise elliptischen Sätze wirken assoziativ und lassen sich nur schwer entschlüsseln, verbalisieren aber alle Todesahnungen, wenn nicht gar -wünsche. Unklar bleibt auch die wiederholte Apostrophe „Oklahoma“.93 Einen interpretatorischen Wink gibt eine klangliche Parallele zu den Schlussversen aus dem Sachs-Gedicht „Immer noch um die Stirn geschlungen“:

93 Der Ortsname „Oklahoma“ bildet möglicherweise einen intertextuellen Verweis auf das letzte Kapitel aus Franz Kafkas unvollendetem Roman „Der Verschollene“ (vgl. Hellmut Geißner: Sprache und Tanz, S. 379). Dort ist das „große Naturtheater von Oklahoma“ ähnlich mehrdeutig wie die Truhe in „Der magische Tänzer“ und lässt sich ebenso „als Ort des Heils und als Ort des Verderbens, als Ort der Wahrheit und als Ort der Lüge“, als „Himmel oder Hölle“ deuten (Monika Schmitz-Emans: Franz Kafka, S. 100 f.).  

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O-A-O-Aein wiegendes Meer der Vokale Worte sind alle abgestürzt – 94

„Zwischen dem dunklen ‚o-‘ und dem helleren ‚a-‘Phonem schwankt die Stimme hin und her wie in einer Verkehrung von Anfang und Ende zwischen Omega und Alpha.“95 Neben dem Auf und Ab der Vokalfolge sticht auch die jeweilige Verwendung der Meer-Metapher ins Auge, die auf einen fehlenden festen Halt schließen lässt. So evoziert der kurze Monolog Davids mit seinen sprachlichen Bildern und klanglichen Anmutungen eine unmittelbare Todesnähe. Denn auch die drastische Metapher, im Blut des Himmels zu waten, spricht für eine düstere Lesart.96 Ist Gott selbst gestorben? Stammt das Klopfen in der Lade von Untoten, die nicht zur Ruhe kommen? Es korrespondiert mit der Erzählung des magischen Tänzers, derzufolge David sein „Herzklopfen“ in der „Schatulle der heiligen Knochen“ (S. 195) in St. Peter, also im Herzen der Christenheit, abgelegt habe. Ist David alias Sylphano zum christlichen Glauben konvertiert, um sein Herz zum Schweigen zu bringen, sein Wissen um die jüdische Leiderfahrung zu verdrängen? In diesem Fall war er nicht erfolgreich, denn die Toten lassen ihn innerlich nicht los, sodass er gezwungen ist, sich der eigenen Identität zu stellen. Die Truhe bzw. Bundeslade als Erinnerungsbehälter beherbergt das Grauen, statt eines Symbols der Verheißung ist sie eines des Todes.97

94 Nelly Sachs: Gedichte 1951–1970, S. 169. 95 Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 359 f. 96 Das Eingangsgedicht des Zyklus „Geheimnis brach aus dem Geheimnis. Sohar: Schöpfungskapitel“ arbeitet mit einer ähnlichen Metaphorik, verleiht dieser aber eine stärker poetologischselbstreferenzielle Aussage: „Da schrieb der Schreiber des Sohar / und öffnete der Worte Adernetz / und führte Blut von den Gestirnen ein, / die kreisten unsichtbar, und nur / von Sehnsucht angezündet.“ (Nelly Sachs: Kommentierte Ausgabe, Bd. 2, S. 39) Dieses Gedicht, das eine anatomische, eine sprachliche und eine kosmische Ebene verwebt, verarbeitet laut Gisela Dischner nicht nur chassidische Vorstellungen, sondern offenbart auch Sachs’ dichterisches Selbstverständnis: Ihre Sprache „entspricht […] dem Glauben an die schöpferische Kraft des dichterischen Erinnerns und der Intention, das Nicht-mehr-Sagbare, das ‚Unsagbare‘, zu artikulieren“ (Gisela Dischner: Die Lyrik von Nelly Sachs und ihr Bezug zur Bibel, zur Kabbala und zum Chassidismus, S. 46). 97 Christine Rospert vermutet, dass sich hinter dem Geheimnis der Lade die von Gott selbst geschriebenen Zehn Gebote verbergen, die gemäß der Tora in dem Schrein aufbewahrt wurden. Wenn David in der Nachfolge des biblischen Königs die Lade retten wolle, strebe er danach, „[d]as Gesetz an seinen Ort zu holen, in die Obhut jener, denen es gegeben ward“ (Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 303). Allerdings ist der Inhalt der Bundeslade gemeinhin bekannt, bildet also keinerlei Geheimnis. Zudem ignoriert Rosperts Lesart, dass Davids Fixierung auf das Geheimnis der Lade offensichtlich mit der ihn quälenden Frage nach dem Zustand der Toten in Verbindung steht.  

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Das Grauen der Shoa. Biografische Aspekte Die Geschichte des jüdischen Volkes kann nicht ohne Auschwitz erzählt werden. Auch „Nelly Sachs’ Selbstverständnis als Dichterin und Jüdin gründet in der geschichtlichen Erfahrung der faschistischen Judenverfolgung“98. Sachs konnte sich und ihre Mutter 1940 quasi im letzten Moment vor dem Abtransport ins Arbeitslager nach Schweden retten und war dann in der sicheren Ferne entsetzte Zeugin des Massenmords. In einem Brief an Gisela Dischner schrieb sie im Juli 1944: […] die furchtbaren Erlebnisse, die mich selbst an den Rand des Todes und der Verdunkelung gebracht haben, sind meine Lehrmeister gewesen. Hätte ich nicht schreiben können, so hätte ich nicht überlebt. Der Tod war mein Lehrmeister. Wie hätte ich mich mit etwas anderem beschäftigen können, meine Metaphern sind meine Wunden. Nur daraus ist mein Werk zu verstehen.99

Das Trauma, selbst den Holocaust überlebt zu haben, während Nahestehende, Verwandte, Freunde ermordet wurden, quälte die Dichterin zeitlebens. Auch sie litt an dem sogenannten „Überlebenden-Syndrom“ (survivor syndrom).100 Offenbar hat sie die eigene existenzielle Verstörung auf ihre Figur David projiziert. Angstzustände, wie sie von David artikuliert werden, setzten Nelly Sachs in den Jahren nach der Entstehung von „Der magische Tänzer“ (1959) so sehr zu, dass sie in die Psychiatrie eingeliefert werden musste.101 Implizit, auf der Ebene der Metaphern und Motive, ist die Shoa in der szenischen Dichtung stets präsent. Unter anderem prägt die Feuermetaphorik, die in Werken von Nelly Sachs oft auf die Verbrennungsöfen von Auschwitz verweist, diesen Text.102 So meint die Mitbewohnerin, David habe Feuer „unter den Sohlen“ und wolle „sie löschen im Bottich“ (S. 191)103; auch der Blumenkohlkopf, der „ein bißchen schwarz ist“ (S. 191), weckt die Assoziation an einen verbrannten Schädel. Der magische Tänzer, der tanzt, „daß der Fußboden raucht“ (S. 195), macht

98 Russell A. Berman: „Der begrabenen Blitze Wohnstatt“, S. 280. 99 Briefe der Nelly Sachs, S. 37. Alo Allkemper deutet Sachs’ lyrisches Schaffen sogar als „literarische Theodizee, eine Rechtfertigung des Grauens, eine Legitimation des Leidens“ (Alo Allkemper: Nelly Sachs, S. 193). 100 Vgl. Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 196. 101 Vgl. Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 195–197. 102 Vgl. Peter Michel: Mystische und literarische Quellen in der Dichtung von Nelly Sachs, S. 55. 103 Der Tanz mit brennenden Sohlen erinnert auch an das Märchen „Schneewittchen“, in dem sich die böse Königin mit glühenden Eisenpantoffeln zu Tode tanzen muss. Zugleich handelt es sich um ein wiederkehrendes Motiv in der Dichtung von Nelly Sachs. So heißt es in den Gedichten von „Flucht und Verwandlung“: „kann auch sein / er hat Feuer unter den Sohlen“ (vgl. Hellmut Geißner: Sprache und Tanz, S. 375).

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David schließlich darauf aufmerksam, dass er „in der Mitte“ brenne und seinen Gürtel, „die züngelnde Schlange“ (S. 193), abwerfen solle. Bezeichnenderweise nennt der magische Tänzer David an einer Stelle nicht mehr Sylphano, sondern Seraphino – eine Anrede, die an die Seraphim denken lässt, eine Kategorie der Engel, deren Name sich mit „die Brennenden“ übersetzen lässt. Das Feuer ist allgegenwärtig und mit ihm die Erinnerung an die Shoa.104 Eine weitere Engelart erwähnen die Regieanweisungen, kurz bevor David das ihn quälende Geheimnis lüftet und sich selbst tötet. Er unterbricht seinen Tanz, „steht plötzlich still im Hintergrund, leuchtend wie ein Cherub“ (S. 198). Zwei Cherubimstatuen waren gemäß dem Bibelbuch 2. Mose auf der Bundeslade angebracht und beschirmten sie gleichermaßen mit ihren ausgebreiteten Flügeln.105 Und es waren auch Cherubim, die Gott am Eingang des Garten Edens postierte, um den Menschen nach dem Sündenfall die Rückkehr zu verwehren.106 Dass David in seinem Glanz einem Cherub zu ähneln beginnt, allerdings nicht zu einem solchen wird, lässt sich somit zweifach deuten – einmal als Beweis für sein Bestreben, die heilige Lade zu schützen, zum anderen als Andeutung, dass ihm das Paradies versperrt bleiben wird und er nicht in den Zustand des Nichtwissens

104 Auch das weniger deutlich ausgeführte Schuh-Motiv („Geld für Schuhwichse ist da“, S. 190; „So ist man zu den Schuhen heruntergekommen“, S. 191; „Feuer unter den Sohlen“, S. 192) zählt zu den Bildbereichen, die in Sachs’ Gedichten die Shoa präsent halten. Das bekannteste Beispiel für dieses Motiv stellt wohl das Gedicht „WER ABER leerte den Sand aus euren Schuhen“ dar, das einerseits das Bild der Schuhberge der vergasten Juden heraufbeschwört, andererseits auf Wanderschaft und Exildasein des jüdischen Volkes anspielt (vgl. Ruth Kranz-Löber: In der Tiefe des Hohlwegs: die Shoah in der Lyrik von Nelly Sachs, S. 51). 105 „Und du sollst zwei goldene Cherubim machen. Als getriebene Arbeit sollst du sie ausführen an beiden Enden des Gnadenstuhls, sodass ein Cherub sei an diesem Ende, der andere an jenem. Aus dem Gnadenstuhl sollt ihr die Cherubim herausarbeiten an seinen beiden Enden. Und die Cherubim sollen ihre Flügel nach oben ausbreiten, dass sie mit ihren Flügeln den Gnadenstuhl bedecken und eines jeden Antlitz gegen das des andern stehe; und ihr Antlitz soll zum Gnadenstuhl gerichtet sein. Und du sollst den Gnadenstuhl oben auf die Lade tun und in die Lade das Gesetz legen, das ich dir geben werde. Dort will ich dir begegnen und mit dir reden von dem Gnadenstuhl aus, der auf der Lade mit dem Gesetz ist, zwischen den beiden Cherubim, alles, was ich dir gebieten will für die Israeliten.“ (2. Mose 25, 18–22) 106 „Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“ (1. Mose 3, 23 f.) Heinrich von Kleist greift in seinem Marionettentheater-Essay diese biblische Episode auf, um zu verdeutlichen, dass dem Menschen eine Rückkehr zu einem vorbewussten Zustand der Unschuld und selbstvergessenen Grazie unmöglich ist: „Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“ (Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 342)  

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zurückkehren und den Holocaust vergessen können wird. Vergeblich will er den „große[n] Sack Nulle-Nulle-Nulle-Meridian“ (S. 197) schleppen, wobei der Nullmeridian, jener Meridian, von dem aus alle weiteren geografischen Angaben definiert werden, einen glücklichen Urzustand symbolisiert. Der einzige Ausweg besteht darin, den Toten zu folgen und durch die „wacklige Tür der Nacht“ (S. 198) zu gehen. So lässt David schließlich die letzte Hülle, sein Trikot, fallen und reißt sich „mit einem herzzerreißenden Schrei […] sein Herz heraus“ (S. 198). Der „Versuch eines Ausbruchs“ aus seiner Identität und seiner Geschichte ist nur erfolgreich um den Preis der Selbstauslöschung. Die Meridian-Metapher bildet eine auffällige Parallele zwischen „Der magische Tänzer“ und der Rede, die Paul Celan ein Jahr nach Veröffentlichung des Stücks, 1960, anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises hielt. Auch Celan veranschaulicht mit dem Merdian das Bemühen, zum „Ort [s]einer eigenen Herkunft“ zurückzukehren – „diesen unmöglichen Weg“ glaubt er in der Dichtung gehen zu können: „Ich finde etwas – wie die Sprache – Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei – heitererweise – sogar die Tropen Durchkreuzendes –: ich finde… einen Meridian.“107 König David. Intertextuelle Bezüge Der alttestamentliche König David tritt nicht als Figur auf in Nelly Sachs’ szenischer Dichtung. Und doch spielt er für das Verständnis des Stücks eine essenzielle Rolle. Es wird nicht konkretisiert, ob der Protagonist tatsächlich David heißt oder ob er sich aufgrund seiner Identifikation mit dem tanzenden König nach diesem benennt.108 Auf beide trifft die wörtliche Bedeutung ihres Namens, „Vielgeliebter“, zu, denn nicht nur vom König sind zahlreiche Liebesbeziehungen (darunter Michal, Bathseba, Abigail, eventuell auch Jonathan) bekannt, auch der Protagonist des Dramoletts hat neben Marina offenbar einige Geliebte gehabt. Mit dem biblischen Herrscher teilt er den Anspruch, durch den Tanz eine Verbindung zu einer anderen, metaphysischen Ebene herzustellen. Und wenn er während seines Tanzes nach und nach alle Kleidungsstücke abwirft, sodass er zuletzt nackt ist (vgl. S. 198), ähnelt er dem König, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet,

107 Paul Celan: Büchnerpreis-Rede, S. 112 f. 108 Hellmut Geißner erkennt in der Dramenfigur eine „Inkarnation des Königs“ (Hellmut Geißner: Sprache und Tanz, S. 376) – eine Gleichsetzung, die nicht überzeugen kann, schließlich wird der David auf dem Dachboden nur mit dem tanzenden König verglichen, mit dem er den Namen und die jüdische Identität gemein hat. Doch ansonsten überwiegen die Unterschiede zwischen dem psychisch zerrütteten, an seiner Existenz leidenden Tanzkünstler und dem alle Höhen und Tiefen des Lebens auslotenden König.  

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also beinahe nackt, tanzt. Doch anders als König David, für den der Tanz vor der Bundeslade eine Form der Anbetung darstellt, und anders als die Chassidim, die im Tanz eine Möglichkeit der Kommunikation mit Gott erblickten, wendet sich David zu keinem Zeitpunkt direkt an eine überirdische Instanz.109 Tatsächlich kennt er zweierlei Arten des Tanzes: zum einen den virtuos-brillanten Balletttanz, durch den er als Sylphano zum gefeierten Star geworden ist, zum anderen die Selbstentäußerung im solistischen Tanz, mit dem er die eigene Begrenztheit, aber auch sein Ich zu transzendieren versucht. Dass dieser Tanz nicht nur eine individuelle, sondern auch eine kollektive und sogar kosmische Dimension hat, wurde oben ausgeführt. Die eigene Geschichte sowie der Globus kommen durch ihn in Bewegung und er verheißt einen Zugang zum Geheimnis, d. h. eine Auskunft auf die Frage, wo die Toten lebendig werden. Durch seinen Tanz und seine Fixierung auf die Truhe, die er für die Bundeslade hält, scheint David an seinen königlichen Namensvetter anknüpfen zu wollen. Doch während dieser für den Gipfelpunkt in der jüdischen Geschichte steht, eine Zeit, in der die Bundeslade den göttlichen Beistand versprach und der Bund zwischen dem Schöpfergott und seinem auserwählten Volk galt, sind die Gewissheiten des jüdischen Glaubens mit der Shoa zertrümmert worden. Im Himmel wähnt sich David durch das kniehoch stehende Blut zu waten, in der Lade lauert der Tod. König David ist als Repräsentant für einen gesegneten Zustand Israels die Folie, die den Kontrast zum Völkermord an den Juden umso krasser hervortreten lässt. Auf einem schlichten Dachboden werden Höhe- und Tiefpunkt des jüdischen Volkes zusammengebracht und erzeugen eine Spannung, die der Protagonist nicht aushalten kann. Der vom Wissen um Auschwitz geschundene David beim wahnsinnigen Versuch, an den mythisch überhöhten, gesalbten David anzuknüpfen – mit dem Gegensatz der beiden unvereinbaren David-Bilder schreibt Nelly Sachs ihrer szenischen Dichtung den „20. Jänner“ ein. Paul Celan deutet in seiner Büchnerpreis-Rede mit dieser Anspielung auf die Wannseekonferenz und die dort am 20. Januar 1942 beschlossene „Endlösung der Judenfrage“ an, dass seine Lyrik immer vor dem Hintergrund des Kulturbruchs der Shoa gelesen werden muss.110 Auch die Dichtung von Nelly Sachs – und ganz besonders „Der magische Tänzer“ – zeugt von diesem Trauma.  

109 „Der Tanz wird aus dem Kontext des Kultes isoliert, denn er findet nicht zu Ehren einer von außen gegebenen göttlichen Instanz statt.“ (Dorothee Ostmeier: Sprache des Dramas – Drama der Sprache, S. 101) 110 Vgl. Paul Celan: Büchnerpreis-Rede, S. 107.

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Intertextuelle Strategien. Tanz als Medium der dichterischen Selbstaussage Legt man die von Manfred Pfister aufgestellten Intertextualitätskriterien an den „Magischen Tänzer“ an, so lässt sich ein starker referenzieller Bezug auf den Prätext nachweisen – die Bibel wird explizit erwähnt –, doch handelt es sich bei dem strukturellen Verhältnis lediglich um ein Anzitieren; es wird selektiv nur ein Aspekt – der Tanz vor der Bundeslade – aufgegriffen. Doch ist wie generell bei den Adaptionen der David-Stoffgeschichte aufgrund des kanonischen Prätextes die Kommunikativität stark ausgeprägt: Eine punktuelle Bezugnahme reicht aus, um beim Rezipienten weitere Implikationen des Stoffs und seiner religions- wie kulturhistorischen Überlieferung aufzurufen und ihm das Erschließen der Bedeutung zu überlassen.111 Die Arbeit mit Verweisen, Anspielungen und Zitaten ist zudem typisches Signum für das hermetische Dichten von Nelly Sachs, das kein Nachbuchstabieren der alttestamentlichen Erzählung zulässt, sondern die tradierten Texte hart mit den Erfahrungen und Traumata der eigenen Gegenwart und Biografie verschränkt. Intertextualität wird so zu einem essenziellen Gestaltungsmittel, um Verstörung zu artikulieren wie auszulösen. Die implizite Fallhöhe von Verheißung und Vernichtung, von auserwähltem König David und innerlich zerstörtem Primoballerino David, will vermessen sein. Doch warum fokussiert sich Nelly Sachs bei den intertextuellen Allusionen nur auf den einen Aspekt der David-Stoffgeschichte, seinen Tanz für Gott? Es hätten sich doch auch andere Bereiche, seine Siege über die Philister etwa oder die Einigung des Königreiches, angeboten, um den Glanz der Vergangenheit heraufzubeschwören. Vermutlich muss man die Frage anders stellen. David wurde für Sachs gerade deshalb ein attraktiver Fluchtpunkt der jüdischen Geschichte, weil er nicht nur König war, sondern auch als Tänzer in Erinnerung geblieben ist. Denn der Tanz ist ein zentrales Motiv im Werk von Nelly Sachs, die in ihrer Jugend „als Tochter eines gutbürgerlichen Berliner Hauses […] epochengerecht“112 selbst hatte Tänzerin werden wollen. Exemplarisch für ihre Faszination ist das Gedicht „Tänzerin“, das auf formaler Ebene die Pirouette der titelgebenden Ballerina nachvollzieht und diese inhaltlich mit einer Bedeutung auflädt, die bis ins Metaphysisch-Kosmische vorstößt.113 Dieses Gedicht verbalisiert so „das Sichlösen von der Schwere der dunklen erdgebundenen Materie und das Hinaufwirbeln in die Höhen des Lichts und der Erlösung“114. Angesichts ihrer werkübergreifenden Ausgestaltung des Tanzmotivs und ihrer intensiven Beschäftigung mit der jüdisch-religiösen 111 112 113 114

Vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 26–30. Klaus Jeziorkowski: Nelly Sachs, S. 357. Vgl. Nelly Sachs: Gedichte 1951–1970, S. 74 f. Klaus Jeziorkowski: Nelly Sachs, S. 358.  

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Überlieferung erscheint es fast wie eine Zwangsläufigkeit, dass Nelly Sachs den tanzenden König David zu ihrer literarischen Figur macht.115 Im Tanzmotiv fallen hier autobiografische Bezüge, Parallelen zur Person Nijinski, chassidische Tradition sowie das alttestamentliche Vorbild zusammen. Doch im Vergleich mit dem König David des Alten Testaments hat der Tanz für den Protagonisten der szenischen Dichtung eine existenzielle Bedeutung. Für ihn ist er ein Versuch der künstlerischen Bewältigung seines Traumas und verfolgt damit wohl denselben Zweck wie die Dichtung von Nelly Sachs, der „Dichterin des jüdischen Schicksals“116, die einmal unter ein Gedicht notierte: „Meine Herzen / alles Versuche Schreckliches zu Worten zu sammeln“117. Insofern eignet dem Tanzmotiv in dem Stück eine poetologische Qualität. Der Tanz wie das Schreiben scheinen das Potenzial zu bergen, wenn nicht Erlösung zu bringen, so doch vielleicht das Leid zu lindern. Und so wirkt auch der Handlungsort der ersten Szene selbstreferenziell aufgeladen: Die Wäscheleinen, die „durch den ganzen Raum gezogen“ (S. 189) sind, erinnern an die alte poetologische Metapher des Gewebes und lassen den Dachboden damit zugleich als Textraum erscheinen. Hier unternimmt Nelly Sachs schreibend – nicht tanzend wie ihr Protagonist – den Versuch eines Ausbruchs aus allem Leid.

2.2.3 Nelly Sachs: David / erwählt (1959) Den Zusammenhang zwischen dem tanzenden David und der Hoffnung auf Erlösung hat Nelly Sachs auch in dem Gedicht „David / erwählt“118, erschienen 1959 im Band „Flucht und Verwandlung“, hergestellt. Dabei wird das Thema anders akzentuiert. Während „Der magische Tänzer“ nur einen Balletttänzer beim identifikatorischen Nachvollzug des jüdischen Königs präsentiert, wird hier die tatsächliche biblische Gestalt in Aktion gezeigt.

115 Hellmut Geißner erkennt auch im Titel der gesammelten szenischen Dichtungen eine Manifestation des Tanzmotivs: „Zeichen im Sand“ wären demzufolge die „Projektion aller dieser [Tanz-]Bewegungen auf die Grundfläche“, das „Spurengeflecht auf dem Boden“ (Hellmut Geißner: Sprache und Tanz, S. 366). Eine ausführliche Deutung des Titels bietet auch Christine Rospert (vgl. Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 272–274). 116 Russell A. Berman: „Der begrabenen Blitze Wohnstatt“, S. 281. 117 Handschriftliche Notiz unter dem Manuskript des Gedichts „Abends in die Knie / gesunken“; zitiert nach Christine Rospert: Poetik einer Sprache der Toten, S. 371. 118 Nelly Sachs: Werke, Bd. 2, S. 80 f.  

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David erwählt noch in der Sünde wie Springflut tanzend gebogen in heimlichen Mondphasen vor der Bundeslade losgerissene Erdwurzel Heimwehgischt. Aber im Flammentopf der Erde mit Pflanze und Getier die Lenden hinauf standen noch die Propheten sahen aber schon durch Gestein hin zu Gott. Christus nahm ab an Feuer Erde Wasser baute aus Luft noch einen Schrei und das Licht im schwarzumrätselten Laub der einsamsten Stunde wurde ein Auge und sah.

Der tanzende David bildet den Ausgangspunkt der vier ungleichmäßig gebauten Strophen, deren spärliche Satzzeichen sowie Versumbrüche die Syntax verunklaren und durch das Stilmittel des Apokoinu – ein Wort lässt sich auf unterschiedliche Satzteile beziehen – für eine Mehrdeutigkeit der Aussagen sorgen.119 So lassen sich die auf den Eingangsvers folgenden Verse als attributive Bestimmungen auffassen, die David genauer charakterisieren. Offen bleibt aber z. B., ob er „erwählt“ wurde, als er sich „noch“ in einem sündhaften Zustand befand oder – wenn man Vers 3 auf Vers 4 bezieht – ob er sogar „noch“ tanzt, als er gesündigt hat. Im Vergleich mit der szenischen Dichtung wird David nicht nur als König, der  

119 Vgl. Birgit Lermen: David, S. 207.

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die Bundeslade auf jüdischen Boden zurückführt, vergegenwärtigt, er erscheint vielmehr als ambivalente Gestalt, die sich versündigt hat. Will man die Wendung „noch in Sünde“ nicht allein als Hinweis auf die allgemeine menschliche Unvollkommenheit verstehen, lassen sich Parallelen zu einigen im Prätext berichteten Fehltritten Davids ziehen, die Gottes Zorn heraufbeschworen, aber – da David jeweils demütig bereute – nie seinen Status als Auserwählter infrage stellten: Neben dem Ehebruch mit Bathseba lud der König Blutschuld auf sich, als er den gehörnten Ehemann Uria in den Tod schickte. Als Vater versagte David, da er gegenüber seinem Sohn Amnon, der die eigene Schwester vergewaltigt hatte, zu nachsichtig auftrat und so die Rache eines anderen Sohnes, Absalom, provozierte. Schließlich verging sich David, als er eine Volkszählung anstrengte und so verriet, dass er seine Macht eher auf die Zahl seiner Untertanen denn auf die Hilfe Gottes gründete. Das Motiv der Sünde klingt auch in der Metapher „Springflut“ nach, lässt sie doch an die Sintflut denken, mit der Gott in den Tagen Noahs alle ungerechten und gottlosen Menschen vernichtete. Ein Tanz wie eine „Springflut“ hat die Kraft einer Naturgewalt und strebt nach oben – zu Gott. Dass sie durch besondere Gezeiten und Sonne-Erde-Mond-Konstellationen hervorgerufen wird, spiegelt sich in der weiteren Konkretisierung von Davids Tanz wider: „gebogen / in heimlichen Mondphasen“. Wenige Wörter reichen aus, um die ekstatische Qualität seiner Bewegungen zu beschreiben: Auf das flutartige Sich-Aufbäumen folgt die Verbeugung, die dem sakralen Charakter des Tanzes gerecht wird. Dabei lassen sich auch die „Mondphasen“, die zyklisch wiederkehren, als Zeitpunkt eines kultischen Gottesdienstes einordnen.120 Ort der Anbetung ist die Bundeslade, in der sich Präsenz und Beistandszusage Gottes manifestieren. Die himmelwärts gerichtete Bewegung von Davids Tanz prägt auch die Metapher „losgerissene Erdwurzel“, die zudem die Möglichkeit impliziert, sich tanzend aus Zwängen zu lösen und aus einem erdverhafteten Leben auszubrechen. In dieser Lesart trifft sich das Gedicht mit dem Dramolett „Der magische Tänzer“. Doch ist die Metapher mehrdeutig und ambivalent, lässt sie doch in der Kombination mit dem folgenden Neologismus „Heimwehgischt“ auch die Gefahr einer Entwurzelung und eines Heimatverlusts erkennen.121 Das zerstäubende Wasser der Gischt, die an den Bildbereich der Flut anknüpft, evoziert die Vorstellung von Haltlosigkeit: „Im Zustand der Entrückung ist sowohl die visionärmystische Gottesnähe enthalten als auch eine vollkommene Bindungslosigkeit 120 Beate Sowa-Bettecken weist darauf hin, dass die erste Strophe auch auf formaler Ebene die Mondphase nachzeichne, indem sie „selber fließend zur gebogenen Linie“ werde (Beate SowaBettecken: Sprache der Hinterlassenschaft, S. 64). 121 Vgl. Birgit Lermen: David, S. 209.

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und Gefährdung.“122 So erscheint gerade der zwischen Erwählung und Fehlbarkeit schwankende, in seiner Ekstase zugleich vorbildliche wie gefährdete David als Repräsentant des jüdischen Volkes, das vom Exildasein gezeichnet ist und eine Erfüllung der göttlichen Verheißung ersehnt. In der zweiten Strophe wechselt der Blick vom volatilen Tänzer und König sowie von den in der ersten Strophe implizit vorherrschenden Elementen Luft und Wasser („Springflut“, „Heimwehgischt“) zu den statisch „im Flammentopf der Erde“ stehenden Propheten, als deren Elemente Erde und Feuer ausgewiesen werden. Auch wenn sie im Vergleich zu David fest mit der Erde verbunden sind, teilen sie doch mit ihm die transzendente Ausrichtung, denn ihr Blick geht „durch Gestein / hin zu Gott“. Überbrückte David die Distanz zu Gott noch ausgelassen tanzend, müssen die Propheten mit ihren Augen einen Stein durchdringen, wohingegen in der dritten Strophe nur noch ein Schrei aufsteigt. Von David, dem Vorvater und Vorläufer des Messias (vgl. Jesaja 11,1 ff.), wird ein Bogen zu Christus, dem Auserwählten, geschlagen, wobei der Titel „Christus“ sowohl Jesus als auch den von den Juden noch erwarteten Gesalbten bezeichnen kann.123 Noch einmal werden alle vier Elemente durchlaufen, übrig bleibt allein der Schrei, der auch aufgrund der Zeitangabe „der einsamsten Stunde“ an den von den Evangelisten berichteten Todesschrei Jesu und somit an seine Passion erinnert (vgl. Matthäus 27,50; Markus 15,37). „In der Gegenüberstellung von David, Propheten und Christus fließen altund neutestamentliche Geschichte ineinander, erweist sich aber auch, daß das Christus-Verständnis der jüdischen Dichterin auf ein exemplarisches Modell menschlichen Leidens zielt.“124 Am Ende des Gedichts steht ein sehendes Auge und damit ein traditionelles Symbol für Gottes Allgegenwart, das hier eine tröstliche Botschaft (Gott nimmt alle Gebete wahr und ist bei seinem Volk) wie auch eine desillusionierende Aussage (Gott sieht dem Leiden seines Volkes tatenlos zu) transportieren kann.125  

122 Beate Sowa-Bettecken: Sprache der Hinterlassenschaft, S. 65. 123 Vgl. Beate Sowa-Bettecken: Sprache der Hinterlassenschaft, S. 68 f. Birgit Lermen zeigt, dass „Christus“ als Wort nur zweimal in Nelly Sachs’ lyrischem Werk auftaucht, als Motiv aber in zahlreichen Bildern „assoziativ gegenwärtig“ ist (vgl. Birgit Lermen: David, S. 211 f.). Notker Füglister geht sogar noch weiter: „Für Nelly Sachs steht Christus in der Reihe der israelitischen Propheten und ist gleichsam deren Krönung.“ (Notker Füglister: Die Wirkgeschichte biblischer Motive in den Dichtungen von Nelly Sachs, S. 59) 124 Birgit Lermen: David, S. 214. 125 Beate Sowa-Bettecken spricht der letzten Strophe trotz ihrer düsteren Metaphorik eine rein positive Aussage zu: „Der Moment des Todesschreis wird so zum göttlichen Augen-Blick, damit zur Gotteinung, zur anbrechenden Erlösung.“ (Beate Sowa-Bettecken: Sprache der Hinterlassenschaft, S. 71).  



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2.2.4 Zweimal der tanzende David: Vergleich von Gedicht und Dramolett Auch dieser David-Text von Nelly Sachs setzt beim Tanz ein und endet mit dem Tod, allerdings nicht in der kausalen Vernetzung wie im „Magischen Tänzer“. Während das Gedicht durch die Fluchtlinie David – Christus eine heilsgeschichtliche Dimension eröffnet, ist in der szenischen Dichtung die Todesmetaphorik viel dominanter und durch zahlreiche Konnotationen eindeutig auf die Shoa bezogen. Doch beiden Texten gemein ist die Bedeutung Davids als jüdische Bezugsfigur, die „auf das allgemein und jetzt Gültige“ verweist und „zur evozierenden Chiffre und zum provozierenden Symbol, oder […] zum vergangenheitsüberwindenden zeitlos-existentiellen Mythos“126 wird. Dank seiner Selbstentäußerung im Tanz vermag David es, die eigene Begrenztheit zu überwinden und an das Unsagbare zu rühren: Im Gedicht handelt es sich dabei um Gott selbst, im Dramolett um das Geheimnis der Bundeslade sowie um die Frage, wo die Toten lebendig werden. Tanz bedeutet jeweils ein Außer-sich-Sein, ein Sich-Öffnen für das Andere, eine Annäherung an Gott, aber auch ein Risiko. Der König David des Gedichts läuft Gefahr, verloren zu gehen bzw. die Heimat zu verlieren – der gescheiterte Primoballerino und Möchtegern-David verliert bei seinem Versuch eines Ausbruchs erst den Verstand, dann das Leben. Nicht umsonst ist Tanz bei Nelly Sachs oft in der Nähe der Schmetterlingsmetaphorik angesiedelt, ermöglicht er doch die tiefgreifendste Metamorphose – aus der irdischen Beflecktheit und Qual hin zur Gottnähe, vom Leben hin zum Tod. Das unabdingbare Utensil stellt bei den Vergegenwärtigungen des tanzenden David die Bundeslade dar, die den Tanz über die Stufe der reinen Kunstfertigkeit hinaushebt und in einen religiös-kultischen Rahmen stellt. Durch diese Truhe werden die Verheißung Gottes für sein Volk sowie sein in der Lade aufbewahrtes Gesetz in Erinnerung gerufen. Die Lade verspricht die Kommunikation mit Gott. Während sie im „Magischen Tänzer“ nur noch als Abklatsch, als alte Truhe mit Lebensmitteln, vertreten ist und schließlich zum Sarg mutiert, somit die Verheißung infrage stellt, bleibt sie in „David / erwählt“ positiv konnotiert.127

126 Notker Füglister: Die Wirkgeschichte biblischer Motive in den Dichtungen von Nelly Sachs, S. 49. 127 Auch ein weiteres Gedicht, „Im Park Spazierengehen“ (1961 veröffentlicht), zeichnet ein bejahendes Bild von dem Kultgegenstand als Lebensspender. Dort heißt es in einer Strophe: „Davids Tanz / Vor dem Mirakel / Die knospenden Welten in der Bundeslade führend –“ (Nelly Sachs: Werke, Bd. 2, S. 138).

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2.2.5 Konstanten in der Stoffgeschichte Auch wenn 100 Jahre die oben untersuchten literarischen Anverwandlungen der biblischen Urszene trennen, auch wenn sie als Legende, Dramolett und Gedicht ganz unterschiedlichen Gattungen angehören, lassen sich doch Gemeinsamkeiten beim Umgang mit der Stoffgeschichte herausarbeiten: David als Medium der Verheißung Alle behandelten Texte picken nur den einen Aspekt aus Davids Vita, seinen Tanz vor der Lade, heraus, führen ihn aber nicht aus, sondern begnügen sich mit Zitaten und Anspielungen, sodass der Blick auf David stark verengt wird. In beiden Texten von Nelly Sachs fungiert der jüdische König als Repräsentant einer ruhmreichen Vergangenheit. In „Der magische Tänzer“ dient diese dazu, sich dem Grauen und der Unfassbarkeit der Shoa über das Mittel der Kontrastierung anzunähern; in „David / erwählt“ erscheint David als Ahnherr des verheißenen Messias. Gottfried Kellers Prosatext hat zwar mit jüdischer Geschichte oder Theologie nichts zu tun, doch übermittelt auch sein König David eine Verheißung, nämlich die Versprechung, dass Musa für ihre irdische Askese mit himmlischen Tanzfreuden belohnt werde. Und auch auf die Prophezeiung, dass der Christus aus dem Geschlecht Davids stammen werde, spielt der Text an, wenn auch in gebrochener Form: So tritt David als Gesandter der Jungfrau Maria auf, die ja eigentlich seine Nachkommin ist. Der Tanz im sakral-religiösen Bezugsrahmen Nelly Sachs bleibt dem Prätext verpflichtet, wenn sie den Tanz von David stets in räumlicher und geistiger Nähe zur Bundeslade verortet. Während es sich in ihrem Gedicht um den realen Kultgegenstand handelt, bildet die Truhe in der szenischen Dichtung eine Art Platzhalter und eine Black Box, deren Geheimnis an existenzielle Fragen rührt. Durch die Erwähnung bzw. die Realpräsenz der Lade wird der Tanz in eine kultische Handlung eingebettet und so auch aufgewertet, das Gedicht eröffnet durch den Christus-Bezug sogar eine heilsgeschichtliche Perspektive. In Kellers „Tanzlegendchen“ taucht die Bundeslade nicht auf, dennoch ist der ganze Text allein durch die Gattung auf ein religiöses Weltbild bezogen. Zudem tritt der selige König David als marianischer Bote sowie als Initiator von Martyrien auf. Der Tanz ist also nie als l’art pour l’art inszeniert bzw. hat der Startänzer Sylphano im Dramolett eine solche rein virtuose Kunstfertigkeit hinter sich gelassen. Stattdessen hat er immer eine transzendente Funktion: die Brücke zu Gott zu schlagen oder die eigene traumatische Identität zu überwinden und den Toten näherzukommen oder als jenseitige Belohnung für die irdische Entsagung zu fungieren. Laut Kellers David ist das Tanzen „eine geheiligte Beschäftigung für

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Selige“ (S. 423) und bei Sachs wird der Tanz zum „Symbol der Überwindung irdischer Gebundenheit“128. Trotz dieser vergleichbaren metaphysischen Qualität erfährt der Tanz bei den beiden Autoren eine konträre Bewertung. Denn anders als Kellers Erzählung, deren ironischer Erzählton die fromme Grundhaltung der Gattung Legende unterwandert, sind die beiden David-Adaptionen von Nelly Sachs von heiligem Ernst geprägt. So steht auf der einen Seite ein berechnender Verführer und Ballettimpresario, auf der anderen ein ekstatischer Tänzer für Gott („David / erwählt“) bzw. ein psychisch kranker neuzeitlicher David, der sich in der Nachahmung des großen Vorgängers von den Zwängen seines Lebens befreien will („Der magische Tänzer“). Der Tanz als poetologische Chiffre Wenn der tanzende David bei Gottfried Keller zwischen Daseinsfreude und Askeseforderung oszilliert und entgegen seinem Lippenbekenntnis eher eine Vereinigung von Kunst und Lebenslust nahelegt, wird er zum Sprachrohr einer diesseitigen Kunstauffassung. Eher durch seine Taten denn durch seine Worte predigt er ein Evangelium der Sinnenfreude, was mit Kellers materialistischem Weltbild korrespondiert. Doch auch den David-Texten von Nelly Sachs ist eine implizite poetologische Standortbestimmung eingeschrieben, auch darin ist die künstlerische Ausdrucksweise des Tanzes selbstreferenziell aufgeladen. Die rastlose Suche des Protagonisten ihres Dramoletts spiegelt sich in Sachs’ eigenem Bestreben, schreibend das Erlebte zu bewahren und zu verarbeiten sowie in Dimensionen jenseits der Alltagsrealität vorzustoßen. So schrieb sie an W. A. Berendsohn: Du warst ja derjenige, der das schöne Wort von meinen Dingen prägte, daß ich durch mein ahnendes Wort die Wirklichkeit überströmte, als du von Dichtern sprachst, die dann das „Nichts“ sehn, antwortete ich, daß auch das „Nichts“ bei den Mystikern identisch mit den letzten erahnten Wirklichkeiten sein kann. Indem sie die Wirklichkeit abbröckeln lassen als Vorläufiges, wie eine Mauer, die die Aussicht hindert, suchen sie.129

Die Ähnlichkeiten in Funktion und Wirkungsmacht erlauben es, Tanzen und Schreiben in eine Analogiebeziehung zu setzen. Der tanzende jüdische König erscheint so als Identifikationsfigur der jüdischen Dichterin. Im Subtext verborgen, verweist die Tanzkunst in den Texten von Keller und Sachs auch zurück auf die Dichtkunst, wodurch sich die Dichter in eine Filiation zur biblischen Figur setzen lassen.

128 Peter Michel: Mystische und literarische Quellen in der Dichtung von Nelly Sachs, S. 38. 129 Brief vom 28.11.1957, in: Briefe der Nelly Sachs, S. 176 f.  

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2.2.6 Schirmherr der Dichter. Der tanzende David bei Döblin Noch einen Schritt weiter geht Alfred Döblin, der in poetologischen Schriften den tanzenden König explizit zum Vorbild und „Schutzpatron der Dichter“130 ernennt. Sowohl in seinem Vortrag „Der Bau des epischen Werks“ von 1928 als auch in seinem Mainzer Akademievortrag von 1950 zitiert er die biblische Erzählung von Davids Tanz anlässlich der Heimführung der Lade, um dann daraus ein dichterisches Ideal abzuleiten. In dem ersten Text beruft sich Döblin zunächst auf Dante, der als Autor selbst in seiner „Göttlichen Komödie“ auftritt: „Er hat teilgenommen am Leben seiner Figuren. Er hat wie König David vor dem siegreichen Heer seiner Figuren getanzt.“131 Für Döblin darf der Dichter nicht am Rand stehen, darf nicht unbeteiligter Beobachter bleiben. Stattdessen müsse er singend und springend wie Dante und David in Bewegung sein, teilhaben am Geschehen, dynamisch den Standort wechseln. Feststehende, klare Urteile sind so nicht mehr möglich und auch das Verstehenkönnen der Welt ist nicht länger gewährleistet.132 In der späteren Rede rekurriert Döblin erneut auf die Episode vom tanzenden David, um zu veranschaulichen, dass der Dichter „sich inmitten des Lebendigen“133 bewegen müsse. Dabei zitiert er die Lutherübersetzung des ersten Buchs Samuel 6,12-23, um dann die Gegenüberstellung von lebenslustigem David und herablassender Michal zu einer Typologie zu verallgemeinern: „Da haben wir die Würde und Art des Sängers und Dichters, da die Verachtung der Banausen und Ahnungslosen.“134 Michal, die für den „dem Dichter entfremdete[n] Mensch[en]“135 steht, bildet die Negativfolie, vor der sich der teilnehmende, empathische David als Ideal abhebt. Dieses David-Bild entspricht generell Döblins Ansicht von der Rolle der Literatur: Der Schriftsteller solle „am Leben der Gesamtheit teilnehme[n] und die Realität nicht übersehe[n]“, als „das Gewissen der Zeit“ solle er „ein Rufer und Aufklärer sein und für das Aufrechterhalten des Gedankens an den Menschen im heutigen kommerziellen und industriellen Staat eifern“136.

130 Alfred Döblin: Die Dichtung, ihre Natur und ihre Rolle, S. 267. 131 Alfred Döblin: Der Bau des epischen Werks, S. 114. 132 Vgl. Erwin Kobel: Alfred Döblin, S. 58–61. Kobel grenzt den durch Döblin beschriebenen dichterischen Paradigmenwechsel von den traditionellen Erzählkonzepten eines Gottfried Keller oder Thomas Mann ab: Diese weisen dem Dichter einen fixen Standpunkt als Zuschauer zu, der es ihnen ermöglicht, das Ganze zu überblicken und geordnet darzustellen. 133 Erwin Kobel: Alfred Döblin, S. 60. 134 Alfred Döblin: Die Dichtung, ihre Natur und ihre Rolle, S. 263. 135 Erwin Kobel: Alfred Döblin, S. 60. 136 Monique Weyembergh-Boussart: Alfred Döblin, S. 277.

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Mit seiner David-Lesart führt Alfred Döblin die poetologische Deutungstradition, die sich an die Figur angelagert hat, fort, und zwar nicht auf einer literarisch-impliziten, sondern auf einer theoretisch-reflexiven Ebene. Es geht nicht um eine Um- oder Weiterdichtung des Stoffs, vielmehr wird David zur Präfiguration des wahren Dichters stilisiert, wobei die historischen oder religiösen Implikationen des Stoffs unberücksichtigt bleiben. Der ursprünglich als Form des Gottesdienstes ausgelebte Tanz Davids wird aus seinem religiösen Bezugsrahmen in eine ästhetische Programmatik überführt. Der Künstler tanzt nicht für Gott, er tanzt für die Kunst. Auch Döblin verfährt selektiv mit der Bibel, indem er sich auf die künstlerische Seite des Königs fokussiert.137 Zugleich nobilitiert er mit der Berufung auf diesen Ahnherrn seine eigene Position. Wer das eigene Verständnis von Wesen und Aufgabe der Literatur in die biblische Vergangenheit zurückprojiziert, sieht sich selbst in einer edlen Traditionslinie. Und aus der Geschichte vom springenden König lässt sich eine Botschaft ableiten: Tanz, wenn du ein Dichter bist! Es ist der Appell, geistig selbst zu tanzen, keine festgefahrenen Positionen zu besetzen, sich dynamisch durch das eigene Werk zu bewegen.

137 Die Berufung auf eine biblische Gestalt resultiert weniger aus den jüdischen Wurzeln als aus der späten Frömmigkeit Döblins, der 1941 infolge vieler Schicksalsschläge und nach einer ausgiebigen Beschäftigung mit den christlichen Glaubensinhalten zum Katholizismus konvertierte. Monique Weyembergh-Boussart hat ausführlich und bezogen auf seine gesamte Biografie die Entwicklung von Döblins Religiosität nachgezeichnet (vgl. für die letzten Lebensjahre Monique Weyembergh-Boussart: Alfred Döblin, S. 259–371).

3 David als Psalmist 3.1 Wie David zum Psalmendichter wurde 3.1.1 Ikonografische Schlaglichter Der Psalter von St. Alban (um 1120), Frontispiz des Buchs der Psalmen: Inmitten der gewaltigen, prächtig ausgeschmückten Initiale zu den einleitenden Worten des Bibelbuchs („Beatus vir“) thront König David im herrscherlichen Ornat. Eine überdimensionierte Taube als Symbol des Heiligen Geistes flüstert direkt in sein rechtes Ohr die von Gott inspirierten Worte, die die Grundlage für Davids künstlerisches Wirken bilden. Mit der rechten Hand greift er in die Saiten einer kleinen Harfe, während er in der linken Hand ein aufgeschlagenes Buch hält, das die Sammlung seiner poetischen religiösen Texte enthält.1 Die Buchmalerei, die alles andere als eine realistische Abbildung des Harfenspiels ist, zielt darauf ab, zugleich Davids musikalisches und dichterisches Schaffen zu visualisieren und unmissverständlich deutlich zu machen, dass ihm beides von Gott eingegeben wird. Das Instrument ist somit „mehr geistiges Zeichen als real gemeinter Klang“2. Tintoretto: Das Paradies (1589/90): Das monumentale Gemälde im Saal des großen Rats im venezianischen Dogenpalast setzt eine „Marienkrönung vor himmlischem Publikum“3 in Szene und schart um Christus und die Madonna Hunderte von Figuren – ein schier unüberblickbares Gewimmel von Engeln, Putti, Heiligen, Propheten. Als prominenter Vertreter der israelitischen Könige schwebt in der linken Bildhälfte, getragen von Putti, David, hier bereits mit ergrautem Bart, doch eindeutig identifizierbar dank einer sich hinaufwindenden Schriftrolle und einer zitterartigen Harfe, die ihn als Psalmisten ausweisen. Gerrit van Honthorst: König David spielt die Harfe (1622): David, dargestellt als Mann mittleren Alters und angetan mit einem reich bestickten, pelzgeschmückten Gewand sowie einer orientalisch anmutenden Krone, schlägt mit beiden Händen die Harfe, deren Hals mit einem Puttokopf verziert ist. Der Blick geht konzentriert nach oben, die Stirn ist gerunzelt, der Mund leicht geöffnet, so als würde er soeben singen. Die ehrfürchtig angespannte Mimik verrät, dass der König hier zu einem Größeren aufblickt und diesen mit Spiel und Gesang lob-

1 Der lateinische Schriftzug lautet: „Der von Gott auserwählte und gesegnete Psalmist David kündete voll Freude von der Ankunft des Heiligen Geistes.“ 2 Bernd Klausche: Harfenbedeutungen, S. 71. 3 Patrick Bahners: Tintoretto zerbricht die Symmetrie, an die weltliche Herrschaft sich klammert. https://doi.org/10.1515/9783110700770-007

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preist. Durch die angedeutete Verbindung von Kunst und Anbetung wird auch in dieser Darstellung David als Psalmist porträtiert. Marc Chagall: König David mit der Harfe (1956): Der Blick von Chagalls David ist nach unten gerichtet, wirkt verinnerlicht. Liebevoll hält er die Harfe in seinen Armen an der Seite seines Herzens. Mit ihrem rotgoldenen Glanz hebt sie sich von dem einfarbig roten Gewand des Herrschers ab, wodurch auf farblicher Ebene die verklärende Kraft der Poesie mit der Macht kontrastiert wird. Einen ähnlichen Gegensatz bilden die Zacken von Davids Krone und der gewellte obere Rahmen des Instruments. Auf subtile Weise gibt das Bild zu verstehen, dass David beides ist: Herrscher und Künstler, machtbewusst-hart und nachdenklich-sanft.4

3.1.2 Die Deutungstradition Das typische, in der Kunstgeschichte immer weiter tradierte Attribut Davids ist die Harfe. Sie ist zwar, der jeweiligen Epoche und der damaligen Musikpraxis entsprechend, unterschiedlich gestaltet, doch fast immer vorhanden, um die Identifikation des Königs zu ermöglichen.5 Diese ikonografische Prägung ruft die mit seinem Namen verbundene Psalmendichtung auf.6 Die im Buch der Psalmen versammelten Texte sind „Lied, Dichtung und Gebet zugleich“7, aufgrund ihres „dialogischen Prinzip[s]“ erscheinen sie als Form der Kommunikation mit Gott8, artikulieren Lobpreisung und Danksagung oder aber verzweifelte Klagerufe und inständiges Flehen. 73 der Psalmen nennen explizit König David als Verfasser, wobei der 150. Psalm in seinem Aufruf zum Lobpreis Gottes das mit David assoziierte Instrument, die Harfe, explizit als Mittel der Verehrung anführt: „Mein Herz

4 Vgl. Sabine Tischbein: Marc Chagall als Interpret und Vermittler biblischer Lebensdeutung, S. 201. 5 Vgl. Bernd Klausche: Harfenbedeutungen, S. 49. Während die mittelalterliche Kunst das Attribut noch variierte, David auch mal mit Leier oder Fidel darstellte, setzte sich im Spätmittelalter die Harfe als typisches Instrument durch (vgl. ebd., S. 67). 6 Das Attribut der Harfe wurde auch mit einer theologischen Bedeutung versehen: „David ist Hirt, König, Psalmendichter und Musikant in einem, er sitzt kraft seiner Würde repräsentativ auf dem Weltenthron, musiziert im Einklang mit der Musik der Sphären und bezeugt im Stimmen der Saiten die Harmonie der Welt.“ (Hans Joachim Zingel: König Davids Harfe in der abendländischen Kunst, S. 20) 7 Inka Bach/Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, S. 19. 8 Vgl. Inka Bach/Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, S. 43.

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ist bereit, Gott, mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe. Wach auf, meine Ehre, wach auf, Psalter und Harfe, ich will das Morgenrot wecken!“ (Psalm 57,8 f.) Die Datierung der Psalmen fällt schwer, da sie – so der Stand der modernen Bibelforschung – über einen Zeitraum von fast einem Jahrtausend, zwischen dem zehnten und dem dritten vorchristlichen Jahrhundert, „im Rahmen der offiziellen, lokalen und familiären, gottesdienstlichen Feiern“ entstanden sind.9 Die Gattungsbezeichnung geht auf das griechische psalmós zurück, das seinerseits eine Übertragung des hebräischen mizmôr darstellt – beide Begriffe bedeuten „Saitenspiel“.10 Wie diese Benennung nahelegt, wurden die Texte wohl zunächst mündlich als Gesang tradiert und erst später verschriftlicht und kompiliert. „Aus mehr oder weniger organischen Sammlungen […] ist in einem Jahrhunderte umspannenden Traditions-, Umbildungs- und Erweiterungsprozeß der kanonische Psalter entstanden.“11 Infolge der komplizierten, vielschichtigen Überlieferungsgeschichte kann die Urheberschaft Davids für die Psalmen nicht nachgewiesen werden. Da die Psalmenüberschriften spätere redaktionelle Zutaten sind, geht man heute davon aus, dass die Texte nachträglich dem König zugeschrieben wurden.12 Die Psalmen wurden laut dieser Ansicht im Laufe der Überlieferung und durch redaktionelle Eingriffe der Schreiber mit David verknüpft sowie teilweise auf Stationen aus seiner Vita bezogen. Eine direkte textliche Verknüpfung zwischen dem deuteronomistischen Geschichtswerk und den Psalmen findet nur in Psalm 18 statt, der in 2. Samuel 22 als Dankgebet Davids für die Errettung vor Saul zitiert wird.13 Die Autorisierung der Psalmen als Dichtungen des Königs nobilitierte diese Gebete gewissermaßen. Zugleich wurden die Texte dadurch auf göttliche Einge 

9 Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 18; vgl. Inka Bach/Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, S. 21–23. 10 Vgl. Cornelius Hell/Wolfgang Wiesmüller: Die Psalmen – Rezeption biblischer Lyrik in Gedichten, S. 158. 11 Otto Kaiser: Einleitung in das Alte Testament, S. 355. 12 Martin Kleer nimmt an, dass die „Identitätskrise des Exils“ zur „Davidisierung der Psalmen“ führte. Dabei wollte die Nennung Davids noch keine Autorschaft andeuten, sondern dem „Beter ein Identifikationsangebot“ machen, das sich jedoch allmählich zu einer Zuschreibung wandelte und schließlich das Bild Davids als Dichter und Sänger der Psalmen verfestigte (vgl. Martin Kleer: „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“, S. 126). Anzumerken ist, dass die Zuschreibung sprachlich nicht eindeutig ist und sich nicht nur mit „von David“, sondern auch mit „für David“ übersetzen lässt. Demzufolge könnte „Israel in und und mit diesen Psalmen seine ‚davidisch-messianische‘ Würde bzw. Sendung einüben und realisieren“ (Frank-Lothar Hossfeld/Erich Zenger: Einleitung, S. 16). 13 Vgl. Martin Kleer: „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“, S. 11. Zur redaktionellen Synchronisation des Psalms und des Geschichtsbuchs sowie zur dadurch bedingten „Annäherung von Tora-Theologie und Messianologie“ vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 83.

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bung zurückgeführt und in einen heilsgeschichtlichen Kontext eingeordnet, was ihre Kanonisierung garantierte.14 David wurde so „zu einem weisen und vor allem prophetischen, vom Geist JHWH inspirierten Dichter und Sänger der Psalmen“15. Gleichzeitig bot diese Individualisierung der Texte dem Gläubigen die Möglichkeit, sich mit David, der in Krisensituationen zu Gott Zuflucht nimmt, zu identifizieren und die Textsammlung als Gebetbuch zur Erbauung zu lesen. Der „Formularcharakter“ der Psalmen sowie die darin verhandelten „universellen Lebensbereiche und Lebenszustände“16 bedingten ihre überzeitliche Relevanz für den Leser. In nachkanonischer Zeit verfestigte sich die Zuordnung Text – Autor durch entsprechende ikonografische Darstellungen, die ein eigenes Bild von „David als königlicher Prophet und Dichter, Musiker und Sänger“17 prägten. Die Zuschreibung wirkte in beide Richtungen: Aus einer über Jahrhunderte überlieferten, redaktionell überformten Gebetssammlung war der göttlich inspirierte Psalter des berühmtesten israelitischen Königs geworden. Und eben jener König galt nun im Gegenzug als bedeutender religiöser Dichter. „[A]us dem auf verschlungenen Wegen zur Macht aufgestiegenen König [wurde] ein spiritueller Führer, der die Gläubigen auf ihrem über Höhen und durch Tiefen führenden Lebensweg begleitet.“18 Die ikonografische Gleichsetzung von David und Psalmist verfestigte sich durch Gesangbücher für die Synagoge sowie durch kirchliche Psalter: Darin wurde oft den für den liturgischen Gebrauch aufbereiteten Psalmen ein „Bild des königlichen Harfners“ vorangestellt.19 Somit erscheint die Vorstellung von David

14 Die Argumentation folgt Klaus Seybold: David als Psalmensänger in der Bibel, S. 150–155. 15 Martin Kleer: „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“, S. 126. Die Bücher der Chronik machen David sogar zum Begründer der Kultmusik und Ordner der Liturgie, wodurch – anders als in den Samuel-Büchern, die den musizierenden David zeigen – seine Stellung als hohepriesterlicher König betont wird. Vermutlich wollten Leviten und Tempelsänger durch diese Stilisierung Davids zu ihrem Ahnherrn die eigene Funktion legitimieren (vgl. Klaus Seybold: David als Psalmensänger in der Bibel, S. 152). 16 Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 22. 17 Stefan Bodemann: Der musizierende und tanzende David in der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 43. Hugo Steger hat anhand von Bildvorlagen vom 8. bis 12. Jahrhundert die Entwicklung der Bildformel „David Rex et Propheta“ herausgearbeitet: Ihre Integration in die ikonografische Ausgestaltung mittelalterlicher Herrscherbilder spiegelt „die imitatio David regis“ durch die Herrscher wider (vgl. Hugo Steger: David Rex et Propheta, S. 146). 18 Walter Dietrich: David. Der Herrscher mit der Harfe, S. 88. 19 Hans Joachim Zingel: König Davids Harfe in der abendländischen Kunst, S. 45. Stilbildend erwies sich die erste vollständige Luther-Bibel von 1534, genauer gesagt: der die Psalmen einleitende Holzschnitt, der David mit Harfe zeigt. Diese ikonografische Setzung sollte sogar jüdische Illustratoren prägen (vgl. Falk Wiesemann: Das „Volk des Buches“ und die Bilder zur Bibel vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, S. 30–32). Hans Joachim Zingel veranschaulicht anhand zahlreicher

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als Psalmensänger eher als Ergebnis der Rezeptions- als der Entstehungsgeschichte der Psalmen.20 Trotz dieser erst von der Nachwelt begründeten Darstellung Davids ist die Verbindung zu den gesungenen Dank- und Klageliedern keineswegs eine willkürliche Zuordnung. Stefan Bodemanns These, dass der abstraktere Bildtypus des Propheten und Sängers „nicht auf einer bestimmten Episode der alttestamentlichen Davidgeschichte“21 basiert, muss relativiert werden, lassen sich im Prätext doch Andockstellen für diesen stoffgeschichtlichen Strang ermitteln. Tatsächlich weisen mehrere Begebenheiten aus Davids Lebensbeschreibung auf seine besondere musische Begabung hin, die es nahelegten, ihn mit dem Verfasser vieler Psalmen gleichzusetzen. Zum einen wäre da die oben analysierte erste Urszene, sein Harfenspiel vor dem schwermütigen Saul, wobei jedoch der Bibeltext nicht erwähnt, dass David auch gesungen hat. Zum anderen ist David in der zweiten Urszene der Dichter einer bewegenden Totenklage für Jonathan.

3.2 Literarische Adaptionen Da die vorliegende Arbeit die Künstlerfigurationen Davids in den Blick nimmt, soll die rege literarische Rezeption der Psalmen unberücksichtigt bleiben, zumal dieses weite Feld bereits durch umfassende Untersuchungen bzw. Detailstudien zu einzelnen Dichtern bearbeitet worden ist.22 Während der Bildtypus „David

Beispiele die Verbreitung des Bilds vom König mit der Harfe durch religiöse Liederbücher (vgl. Hans Joachim Zingel: König Davids Harfe in der abendländischen Kunst, S. 45–47). Auch Moses Mendelssohns 1783 erschienene Übersetzung der Psalmen präsentiert auf der einleitenden Seite einen Kupferstich, der auf diese Ikonografie rekurriert: In dem von J.W. Meil geschaffenen Medaillon ist David zu erkennen, wie er auf seiner Harfe spielt (vgl. Vera Bendt: Stil, Themen, jüdische Künstler, S. 90 f.). Sowohl seine demütige Haltung – er kniet und hat die Krone neben sich gelegt – als auch der freudig nach oben gerichtete Blick weisen den Gesang als Gebet aus. 20 Vgl. Klaus Seybold: David als Psalmensänger in der Bibel, S. 147. 21 Stefan Bodemann: Der musizierende und tanzende David in der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts, S. 43. 22 In ihrem grundlegenden Aufsatz zur literarischen Rezeption des Psalters beleuchten Cornelius Hell und Wolfgang Wiesmüller die Merkmale der Gattung sowie Aufbau und Entstehung des Bibelbuchs. Sie plädieren dafür, dessen unterschiedliche Untergattungen auf wenige Grundtypen zurückzuführen, die den „zentralen religiösen Sprachgebärden Klage / Bitte und Lob / Dank“ folgen. Diese Unterteilung erlaubt eine Erklärung für die rege dichterische Psalmen-Rezeption im 20. Jahrhundert, die sowohl in formaler als auch in inhaltlicher Hinsicht zu beobachten ist. „Die religiöse Sprache ist nämlich das umfassendste ‚Reservoir‘ des Rühmens / Lobens / Preisens wie auch der Klage.“ (Cornelius Hell/Wolfgang Wiesmüller: Die Psalmen – Rezeption biblischer Lyrik in Gedichten, S. 163) Der Aufsatz liefert einen konzisen Überblick über die Psalm-Gedichte des  

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Psalmista“ (auch „David Rex et Propheta“) intensiv in der bildenden Kunst rezipiert und die Harfe zum Symbol für die göttlich inspirierte Psalmendichtung wurde, spielte diese Facette Davids in den literarischen Adaptionen eine nachgeordnete Rolle. Haben die frühen Zweifel der Bibelforschung an der Identität von König und Psalmist eine eigene literarische Motivbildung verhindert? Zwar finden sich Texte, die das Psalmistentum als ein Kennzeichen des Königs nennen, doch nur selten rückt es in den Fokus. Als Beispiel für das eher beiläufige, gleichwohl bedeutsame Aufrufen des Psalmisten-Motivs mag Heinrich Heines Fragment gebliebener, 1840 veröffentlichter Prosatext „Der Rabbi von Bacherach“ dienen.23 Im späten Mittelalter zwingt ein Pogrom den Rabbi und seine schöne Frau Sara, mit einem Kahn auf dem Rhein aus Bacherach zu fliehen. Auch wenn der Rabbi ihr weismachen will, dass die Mörder es nur auf seine Schätze abgesehen hätten, ahnt Sara, welche Folgen der Überfall für die Gemeinde haben wird – sie glaubt, ihre Freunde und Verwandten „mit Leichengesichtern und in weißwallenden Todtenhemden schreckenhastig“ (S. 120) vorüberlaufen zu sehen. Die furchtbare Erkenntnis, dass all ihre zurückgelassenen Lieben zweifellos ermordet werden, und ihre Gewissensbisse, selbst noch zu leben, lösen sich in einer versöhnlichen Vision auf. Die verstörte Sara, „ein weinendes Marmorbild“ (S. 117), findet in einem Traum Trost. Während der Rabbi zu ihrer Beruhigung ein traditionelles jüdisches Gebet murmelt, sieht die entschlummernde Sara das himmlische Jerusalem, in dem sich nun ihre Familie und Freunde befinden und sie herzlich grüßen – und „im Allerheiligsten kniete der fromme König David, mit Purpurmantel und funkelnder Krone, und lieblich ertönte sein Gesang und Saitenspiel“ (S. 120). David als der wichtigste Herrscher der jüdischen Geschichte, als frommer Diener Gottes und Sänger heilender Psalmen befindet sich am heiligsten Ort, am Platz, der Gott am nächsten ist. Seine Anwesenheit in Saras wirren Gedanken vor dem Einschlafen ist einerseits eine

20. Jahrhunderts, die sich oft aus einem religiösen Bezugssystem lösen, aber aufgrund ihrer Heterogenität eine systematische Kategoriebildung erschweren (vgl. ebd., S. 166 f.). Als tragfähige Kriterien für einen Vergleich mit der Vorlage werden von den Verfassern formale und stilistische Aspekte, die Nähe bzw. Distanz zum biblischen Text oder thematische Aspekte vorgeschlagen. Auch Chiara Conterno stützt sich bei ihrer breit angelegten Studie zu Psalm-Gedichten im 20. Jahrhundert auf formale wie inhaltliche Aspekte, anhand derer sie die Wirkungsweise der Psalmen nachzeichnet. In der intensiven Rezeption der biblischen Texte erkennt sie eine „Antwort auf die gesellschaftlichen, sozialen und psychischen Brüche und Desorientierungen“ eben dieses Jahrhunderts (Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 30). Auf musikalischer Ebene wurden die Psalmen v. a. im christlichen Gottesdienst immer wieder neu vertont (vgl. Rüdiger Bartelmes: Die David-Psalmen in der Musikgeschichte, S. 631–660). 23 Im Folgenden wird der Text zitiert nach Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 5.  



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Erinnerung an seine wunderheilerische Gabe, andererseits eine Garantie dafür, dass Gott sein auserwähltes Volk trotz aller Verfolgungen und Demütigungen nicht vergessen hat und ihm zu früherer Größe verhelfen wird. Heine evoziert ganz gezielt die gängige Vorstellung von David als Gesalbten und Gottesgeliebten, die das Judentum gerade in Zeiten der Unterdrückung besonders pflegte.24 Dass Saras Vision auf eine andere, jenseitige Welt verweist, entlarvt die Hoffnung auf Besserung als Wunschtraum, den erst das himmlische Jerusalem wird einlösen können.25 Während der kurze Auftritt des Psalmisten in Heines Fragment vor allem an die messianische Deutungstradition anknüpft, lässt sich bei den folgenden vier David-Adaptionen ein spezifisch poetologischer Zugriff herausarbeiten, der den Psalmensänger zur Leitfigur stilisiert – sei es für den jeweiligen individuellen Dichter oder aber für Dichter im Allgemeinen. Dabei unterscheiden sich die vier Texte stark in ihren intertextuellen Strategien sowie ihrer Nähe zum biblischen Prätext.

3.2.1 Rainer Maria Rilke: So ist mein Tagwerk (1905) Rainer Maria Rilkes in den Jahren 1899 bis 1903 entstandenes, 1905 veröffentlichtes „Stunden-Buch“ versammelt in der Tradition mittelalterlicher Erbauungsbücher Gebete, wobei sich „religiös-erbauliche Intention, ritualisierte und strukturierte lebensweltliche Ordnung und eine besondere ästhetische Gestaltung aufs engste verbinden“26. Der religiöse Sprechgestus rückt die Texte in die Nähe der biblischen Psalmen, der Zyklus folgt der „selbstgestellte[n] Aufgabe, Gott, das Leben und den Tod zu deuten“27. Auch wenn Rilke den Zyklus als „Gesang“ und „einziges Gedicht“ verstanden haben wollte, „in dem keine Strophe von ihrem

24 Walter Dietrich bringt das umgekehrt proportionale Verhältnis von messianischen Hoffnungen und den eigenen politischen Gestaltungsmöglichkeiten auf die Formel: „je weniger Macht, desto mehr Hoffnung auf den machtvoll kommenden David“ (Walter Dietrich: Grundfragen und Grundlinien der David-Rezeption, S. 840). 25 Wie Klaus Briegleb pointiert herausstellt, lässt das Gebot, Jerusalem nicht zu vergessen, Sara selbst im Traum nicht los, sie „gerät in den Kultzustand des jüdischen Gedenkens schlechthin“ (Klaus Briegleb: Bei den Wassern Babels, S. 211; vgl. auch die Erläuterung zum Text in Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 3, S. 681). Frankfurt, auf das das Ruderboot mit dem Ehepaar zugleitet, erscheint als Jerusalem. 26 Wolfgang Braungart: Das Stunden-Buch, S. 218. Bezeichnenderweise hatte Rilke dem ersten Buch des Zyklus ursprünglich den Titel „Die Gebete“ gegeben (vgl. ebd., S. 216). 27 Wolfgang Braungart: Rilkes Gott, Rilkes Mensch, S. 128.

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Platz gerückt werden kann“28, auch wenn die Gedichte oft nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind29, soll im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ein einzelnes Gedicht aus dem ersten Buch, dem „Buch vom mönchischen Leben“, herausgelöst und separat interpretiert werden. Denn auch Rilkes Text erweist dem Psalmisten David die Reverenz, obwohl dieser nicht als handelnde Figur in Erscheinung tritt. So ist mein Tagwerk30 So ist mein Tagwerk, über dem mein Schatten liegt wie eine Schale. Und bin ich auch wie Laub und Lehm, sooft ich bete oder male ist Sonntag, und ich bin im Tale ein jubelndes Jerusalem. Ich bin die stolze Stadt des Herrn und sage ihn mit hundert Zungen; in mir ist Davids Dank verklungen: ich lag in Harfendämmerungen und atmete den Abendstern. Nach Aufgang gehen meine Gassen. Und bin ich lang vom Volk verlassen, so ists: damit ich größer bin. Ich höre jeden in mir schreiten und breite meine Einsamkeiten von Anbeginn zu Anbeginn.

Mit religiöser Kunst wider den Tod Wie alle Texte aus dem Zyklus ist auch dieses Gedicht aus der Perspektive eines fiktiven Rollen-Ich, nämlich derjenigen eines Ikonen malenden russischen Mönchs, geschrieben, der über sein „Tagwerk“ reflektiert.31 Doch spricht hier nicht nur ein bildender Künstler, sondern zugleich ein Schreiber, sodass der Mönch zum Sprachrohr des Dichters wird. „Der Beter kleidet sich auch in die Rolle eines Künstlers, stellt sich im Bilde des Malers, Bildhauers, Baumeisters,

28 Zitiert nach Rainer Maria Rilke: Gedichte 1895 bis 1910, S. 732. 29 Vgl. Wolfgang Braungart: Rilkes Gott, Rilkes Mensch, S. 127. 30 Rainer Maria Rilke: Werke, Bd. 1, S. 184. 31 In der ersten Fassung des Buchs hatte Rilke Zwischentexte in Prosa eingefügt, in denen sich der russische Mönch explizit vorstellte. Auch wenn in der Druckfassung diese verbindenden Elemente fehlen, bleibt das Rollen-Ich noch immer erkennbar, wovon auch der Name des ersten Buchs „vom mönchischen Leben“ zeugt (vgl. Käte Hamburger: Rilke. Eine Einführung, S. 45).

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Dichters dar. Mit dem Wesen und Rätsel des Seins ist in Rilkescher Sicht vor allem der Künstler befaßt, der sich selbst als Schaffender, Bildender weiß.“32 Sascha Löwenstein ergründet die kunsttheoretische Dimension des „Stunden-Buchs“, die Rilkes eigene Poetik widerspiegelt. Im Gegensatz zur klassischen bildenden Kunst wird der Ikonenmalerei und eben der Dichtung die Möglichkeit zugeschrieben, ein Bild Gottes zu schaffen, das auch der Einbildungskraft genügend Raum zur Entfaltung lässt: „Die Dichtkunst entwirft auf diese Art eine unerschöpfliche Bedeutungsvielfalt, die dem Vorbild der russischen Ikone nachkommt und der angenommenen Eindeutigkeit der bildenden Künste entgegensteht.“33 In der ersten der drei Strophen resümiert der lyrische Sprecher die conditio humana, die Beschränktheit allen menschlichen Daseins: Der Schatten, den der Maler-Mönch auf sein Werk wirft, erinnert an den Tod – ebenso wie der alliterierende, auf die Genesis anspielende Vergleich seiner Existenz mit „Laub und Lehm“ (vgl. 1. Mose 3,19). Doch eröffnet sich dem Ich die Möglichkeit, die irdische Begrenztheit zu transzendieren. Ein konditionales Satzgefüge nennt Bedingung und Folge: „sooft ich bete oder male / ist Sonntag, und ich bin im Tale / ein jubelndes Jerusalem.“ Durch seine Kunst und die Anbetung, die hier zusammengedacht werden, verwandelt er nicht nur seinen Arbeits- zum Feiertag, sondern sogar sich selbst zur gelobten Stadt, die im Mittelalter als Zentrum der Welt galt, als Wiege des Christentums verehrt wird und folglich Anbetung und Gottnähe symbolisiert. Die zweite Strophe führt die Metamorphose fort, indem das Ich sich mit einer entschlossenen Setzung („Ich bin …“) seiner selbst vergewissert und sich gleich darauf multipliziert: „Ich bin die stolze Stadt des Herrn / und sage ihn mit hundert Zungen“. Die Zungen können pars pro toto die versammelte Bevölkerung Jerusalems darstellen, die Gott, den „Herrn“, lobpreist, sie können zugleich aber auch auf das Pfingstwunder anspielen, bei dem sich der Heilige Geist in Gestalt von feurigen Zungen auf die ersten Christen verteilte (vgl. Apostelgeschichte 2,1–4). Der Sprecher wird zum Medium und Ort des Gottespreises, der sich – anknüpfend an den Bildbereich „Jerusalem“ – in der Nachfolge des größten jüdischen Königs, des Psalmisten David, vollzieht. Die Aussage „in mir ist Davids Dank verklungen“ lässt sich somit sowohl wörtlich als auch visionär deuten, als Abschluss des Tag-

32 Käte Hamburger: Rilke. Eine Einführung, S. 52; vgl. auch Wolfgang Braungart: Das StundenBuch, S. 220. 33 Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 197. Rilke betrachtet infolge seiner Russlandreisen und seiner Faszination für die archaische bäuerliche Lebensweise Ikonen als Ausdrucksform „einer noch immer lebendigen und mit dem Lebensvollzug vermittelten, nicht historisch überständigen, einer unangefochtenen Religiosität“ (Wolfgang Braungart: Literatur und Religion in der Moderne, S. 269).

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werks, bei dem der Mönch durch seine Kunst Gott verherrlicht, oder aber noch immer auf Davids Residenzstadt bezogen als Verklingen des Lobpreises des Königs. Der lyrischer Sprecher, der ja ein Künstler ist, wird zum Resonanzraum der Anbetung, die sich offenbar im Gesang von Psalmen vollzieht, schließlich stellt die alliterierende Fügung „Davids Dank“ metonymisch den Bezug zu der Psalmendichtung her und auch der Jubel Jerusalems könnte sich den „zahlreichen zur Harfe gesungenen hymnischen Psalmen“34 verdanken. Auf das Tagwerk bzw. die Danksagung folgt die Nacht, in der sich das Ich in „Harfendämmerungen“ wiederfindet. Durch den Neologismus wird der ausklingende Tag mit der Erwartung neuer künstlerischer Tätigkeit verbunden. Die zum Synonym für David und seine Psalmen gewordene Harfe steht für die schöpferische Eingebung, die sich mit einer zyklischen Regelmäßigkeit – wie der Wechsel von Tag und Nacht – sowie unangestrengt und natürlich, vergleichbar dem Atmen, einstellt. So rückt der Dichter in Analogie zum Schöpfer, der sich in Erwartung des neuen Schöpfungstags gleichsam in einer Latenzphase befindet. Das Bild vom eingeatmeten Abendstern wirft die Frage auf, was das Ich ausatmen wird bzw. welcher Schöpfung es seinen Odem einhauchen wird.35 Die Assoziation zur ursprünglichen Wortbedeutung von „Inspiration“ ist naheliegend. Das Einatmen des Sterns erscheint als Bedingung für das Hervorbringen eines Kunstwerks. Die letzte Strophe bringt die Ernüchterung und die Kehrseite dieser kreativen Macht: Der Künstler fühlt sich „lang vom Volk verlassen“, ist ausgegrenzt. Sein Genie ist zugleich Stigma und Auszeichnung, Zeichen seiner Exklusivität, was er sich geradezu trotzig bestätigt: „so ists: damit ich größer bin.“ Zwar erweist er sich als sensibel und empfänglich für seine Umwelt, deren Bewegungen er in sich selbst wahrzunehmen glaubt, doch bleibt er in seiner Isolation gefangen. Der ungewöhnliche Plural „Einsamkeiten“ und die paradoxe Zeitspanne „von Anbeginn zu Anbeginn“ vermitteln die Endlosigkeit dieses Zustands, wobei das Substantiv „Anbeginn“, das bezeichnenderweise das Schlusswort bildet, den Bogen zurück zur Genesis schlägt, dem Beginn allen Lebens. Die Vereinzelung des

34 Stellenkommentar zu Rainer Maria Rilke: Werke, Bd. 1, S. 758. Der Kommentar schlägt als weitere mögliche Bezugspunkte Christi Einzug in Jerusalem am Palmsonntag oder Davids Rückführung der Bundeslade in die Stadt vor. 35 Die ungewöhnliche Metapher lässt sich auch als Umkehrung der berühmten Sentenz von Friedrich Nietzsche aus der Vorrede Zarathustras auffassen: „Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ (Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 19) Während dort der Stern metaphorisch für das Ergebnis einer (künstlerischen) Schöpfung steht, die aus dem inneren Chaos erwächst und die somit ein Aus-sich-selbstSchöpfen bedeutet, symbolisiert in Rilkes Gedicht der eingeatmete Abendstern die göttliche Eingebung, der sich das künstlerische Schaffen verdankt (zur Stern-Metapher bei Nietzsche vgl. auch Birgit Recki: Über die „Einheit des künstlerischen Stiles in allen Lebensäusserungen“, S. 537).

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Künstlers erweist sich als Preis für seine Gabe. Die Pointe des Gedichts resultiert daraus, dass der Sprecher durch die Einsamkeit, die kein Ende kennt, die anfangs konstatierte Endlichkeit überwindet. Der Schöpfer-Künstler trotzt dem Tod. „Davids Dank“. Der Künstler und sein biblischer Gewährsmann Als Ahnherr und Vorbild wird David aufgerufen. Allein die Nennung seines Namens und seines Instruments evoziert die Psalmendichtung als kulturgeschichtlichen Hintergrund von Rilkes Gedicht.36 Es findet sich kein Bezug auf eine konkrete Episode aus Davids Vita, die historische Figur interessiert nicht. Vielmehr bedient sich das Gedicht der ikonografischen Tradition, die aus dem König den Psalmisten geformt hat, und beansprucht so, selbst an der sakralen Aura der Psalmen teilzuhaben. Das Künstlertum in Davids Nachfolge ist dem Gottesdienst gewidmet und beansprucht für sich eine überirdische Inspiration. Allerdings handelt es sich bei dem vorliegenden Text keineswegs um einen Psalm oder ein Dankgebet, immerhin findet keine direkte Anrufung eines göttlichen Du statt.37 Vielmehr reihen sich die Selbstaussagen des lyrischen Ich aneinander, sodass sich der Text als Selbstfeier des kreativen Subjekts entpuppt38 – auch wenn er sich im Kontext des „Buchs vom mönchischen Leben“ bzw. des gesamten Zyklus in das Ziel einfügt, Gott „zu bauen“39. Dabei wird nicht ein christliches

36 Dass Rilke in David den tatsächlichen Verfasser der ihm zugeschriebenen Psalmen sah, zeigt die von ihm benutzte, 1770 in Minden gedruckte Luther-Bibel: Darin markierte er v. a. in den sogenannten David-Psalmen einzelne Passagen mit roten Randstrichen und setzte hinter Psalm 72 einen Querstrich, „der mit der Bemerkung schließt, daß hier die ‚Gebete Davids‘ ihr Ende hätten“ (Ulrich Fülleborn: Rilkes Gebrauch der Bibel, S. 21). 37 Gleichwohl wird die Kunst an einen religiösen Zweck gebunden, schließlich „sag[t]“ das Ich „ihn [d. h. den Herrn] mit hundert Zungen“. Wolfgang Braungart gelangt für das ganze erste Buch zu dem Schluss: „Das Künstler-Subjekt braucht dieses Gegenüber ‚Gott‘, um sich selbst in einer unabschließbaren Auseinandersetzung mit ihm zu ‚umkreisen‘.“ (Wolfgang Braungart: Das Stunden-Buch, S. 221) Gott ist somit als Konstruktion nötig, damit sich das Subjekt als solches empfinden und definieren kann (vgl. ebd.). Der vorliegende Text lässt sich zu den „Ich bin“-Gedichten des „Stunden-Buchs“ zählen, die das Sprecher-Subjekt konturieren, während die „Du bist“Gedichte den komplementären Pol umkreisen, der Gott heißt (vgl. Käte Hamburger: Rilke. Eine Einführung, S. 47–52). 38 Diese Deutung korrespondiert mit Ulrich Fülleborns Lesart des Zyklus: „Zweifellos geht es im ‚Stunden-Buch‘ um Selbstfindung bzw. Selbstschöpfung oder Selbstverwirklichung.“ (Ulrich Fülleborn: Rilkes Weg ins 20. Jahrhundert, S. 61) Wie Fülleborn ausführt, dienen Rilkes SubjektObjekt-Kontrastierungen, die auch gegen die Grenzen der Sprache anrennen, dazu, die unbestimmbar gewordene „Stellung des Ich im Ganzen der Wirklichkeit“ zu thematisieren (vgl. ebd.). 39 Vgl. Manfred Koch: Der Gott des innersten Gefühls, S. 49. Manfred Koch nennt Rilkes Herangehensweise eine „ästhetische Theologie“: „Gott wird zum Fluchtpunkt einer von der Dichtung zu leistenden Ganzheit, die das lyrische Ich durch immer konsequentere Selbstversenkung erreichen  



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Gottesbild gepflegt, vielmehr erweist sich – wie Sascha Löwenstein überzeugend belegt – der Gott des „Stunden-Buchs“ als „eine poetische Chiffre für die Kunst“40, die so den Nimbus des Heiligen erhält. Dem Schaffen des lyrischen Künstler-Ich erwächst damit die Relevanz einer religiösen Handlung.41 Dieses von Löwenstein als „poetologische Theologie“42 bezeichnete elitäre Dichtungsverständnis Rilkes prägt auch das analysierte Gedicht. Zwar wird durch die religiöse Metaphorik und die Sprecherrolle des Mönchs der sakrale Rahmen gewahrt43, doch erfährt auch hier der David-Stoff eine poetologische Neudeutung, handelt es sich doch um ein Gedicht über das künstlerische Schaffen und die Situation des Künstlers44: Mit seinem Malen, das synonym mit Dichten zu setzen ist, transzendiert der lyrische Sprecher die Grenzen des irdischen Daseins, durchlebt dank seines Schaffens eine beglückende Metamorphose – er wird zum „jubelnden Jerusalem“, muss dafür allerdings Absonderung und Einsamkeit ertragen. „Nur der von der Welt verlassene, der einsame Künstler vermag jenem Gott, der ihm in der Abgeschiedenheit erscheint, gerecht zu werden.“45 Der Rückgriff auf das biblischen Motivrepertoire im Allgemeinen und den Psalmisten David im Besonderen adelt den Künstler und sein Werk gleichermaßen, sodass das Gedicht eine religiös verbrämte Reflexion über die Inspiration

will.“ (Vgl. ebd., S. 51) Die metaphorische Wendung „an Gott bauen“ bezeichnet „allgemein den auf ‚Gott‘ bezogenen künstlerischen Arbeits- und Schaffensprozess: das ‚Gebet‘“ (Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 186). 40 Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 186. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Isolde Schiffermüller: „Der Gott dieser Lyrik ist ein schöpferischer Künstler-Gott, der den Tod der Metaphysik im Sinne Nietzsches voraussetzt.“ (Isolde Schiffermüller: Euphonie und Sprachreflexion in Rainer Maria Rilkes „Buch vom mönchischen Leben“, S. 44) 41 Vgl. Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 187 f. 42 Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 198. 43 Wolfgang Braungart, der den Zyklus im Werkzusammenhang und im geistesgeschichtlichen Kontext beleuchtet, konstatiert, dass das polare Begriffspaar „Säkularisierung und Sakralisierung“ dem „Stunden-Buch“ nicht gerecht wird – auch wenn Rilke damit keine christlich-religiöse Lyrik schreibt, repräsentiert die Gedichtsammlung doch einen Modus „der Suche nach dem Sakralen in der ästhetischen Moderne“ (Wolfgang Braungart: Rilkes Gott, Rilkes Mensch, S. 141; vgl. dazu auch Käte Hamburger: Rilke. Eine Einführung, S. 57). Sascha Löwenstein gelangt zu einem radikaleren Schluss, wenn er die Religiosität des Zyklus allein in Verbindung mit der Kunst gelten lässt: „Nur wenn ‚Religion‘ als ästhetisches Phänomen, nur wenn sie in Relation zur Dichtung stehend verstanden wird, lässt sich in bezug [!] auf ‚Das Stunden-Buch‘ von einer religiösen Dichtung sprechen. Für das lyrische Ich, den Beter, gibt es nur einen ‚Gott‘: seine Dichtung.“ (Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 207) 44 Isolde Schiffermüller erkennt in den Gedichten des „Buchs vom mönchischen Leben“ „kein anderes Thema als das Reifen des dichterischen Sprechens selbst“ (Isolde Schiffermüller: Euphonie und Sprachreflexion in Rainer Maria Rilkes „Buch vom mönchischen Leben“, S. 44). 45 Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 198 f.  



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darstellt.46 David interessiert folglich im Zuge einer theologisch aufgeladenen Verherrlichung der Kunst mehr in seiner Rolle als Künstler denn in derjenigen als Diener Gottes.47

3.2.2 Reinhard Johannes Sorge: König David (1916) Hatte Rilkes Gedicht nur durch aussagekräftige Signalwörter David als Kronzeugen für das propagierte dichterische Selbstverständnis aufgerufen, positioniert sich Reinhard Johannes Sorges Drama viel näher an der Bibel. Bezeichnenderweise stammt das Werk, das David besonders als Gesalbten, König und Psalmendichter in Szene setzt, von einem Dichter mit starker christlicher Glaubensüberzeugung. Sorges 1916 veröffentlichtes Schauspiel „König David“ ist „ein lyrisches, von der katholisch-christlichen Inbrunst des eben bekehrten jungen Autors geprägtes Drama“48, das in fünf Aufzügen die ganze Laufbahn des Titelhelden nachzeichnet.49 Inhalt und Umgang des Dramas mit dem Stoff Bereits im 1. Aufzug, in dem er als junger Hirt von Gott berufen wird, agiert David im vollen Bewusstsein seiner Erwählung, als Begnadeter, dem alles leicht von der Hand geht. So kann er auch ohne jeden Selbstzweifel die Auseinandersetzung mit Saul bestehen und diesem auf den Thron nachfolgen (2. Aufzug), bevor er im 3. Aufzug in eine Krise stürzt und sich in Sünde verstrickt: Er bezieht in seine intensive väterliche Liebe zu Absalom Gott nicht ein; schließlich verführt er Bathseba 46 Der in dem Gedicht veranschaulichte Vorgang der Inspiration hat eine biografische Parallele. Die bemerkenswert kurze Entstehungszeit, die Eingebung sowie den lustvollen schöpferischen Prozess führt Rilke in einem Brief an Marlise Gerding vom 14. Mai 1911 auf „inner[e] Diktate“ zurück (Rainer Maria Rilke: Briefe, Bd. 1, S. 355). 47 Auch im dritten Teil des „Stunden-Buchs“, dem „Buch von der Armut und vom Tode“, wird David als Gewährsmann aufgerufen, obwohl sein Name nicht fällt. Das Gedicht „Das letzte Zeichen laß an uns geschehen“ mündet in die Aufforderung an Gott, das lyrische Ich als Künder und Sprachrohr zu gebrauchen: „und mich laß Tänzer dieser Bundeslade, / laß mich den Mund der neuen Messiade, / den Tönenden, den Täufer sein.“ (Rainer Maria Rilke: Werke, Bd. 1, S. 239) Der dem Zug mit der Bundeslade vorantanzende David, wie er in der dritten Urszene beschrieben wird, avanciert ebenso zum Vorbild des Dichters wie Johannes der Täufer – beide biblische Figuren bereiten dem ihnen folgenden Göttlichen die Bahn. Auch der lyrische Sprecher will mit seiner Dichtung eine dienende, „[t]önend[e]“ Funktion einnehmen. 48 Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 194. Die Uraufführung erfolgte 1922 durch Amateure (vgl. ebd., S. 201). 49 Reinhard Johannes Sorges Schauspiel „König David“ wird im Folgenden zitiert nach der Auflage von 1916.

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und schickt ihren Mann in den Tod.50 Dass zeitgleich sein rebellischer Sohn Absalom seine Herrschaft gefährdet, deutet auf den Verlust des göttlichen Beistands hin. Der 4. Aufzug gehört der Reue Davids, der vor Absalom fliehen muss. David überkommt die Einsicht „seiner Gottesferne, die Erkenntnis, daß sein Königtum nicht absolutes Schreiten zu Gott hin war, sondern daß er Sklave seines kleinen Menschtums wurde“51. Aus Angst um sein Seelenheil und seine Beziehung zu Gott demütigt sich der König und erfüllt so die Voraussetzung für seinen Wiederaufstieg.52 So ist er im letzten Aufzug „der ganz geläuterte Mensch, der hingegebene, zweckerfüllte, der in mystischer Verbindung mit Gott lebende“53 – er kann seine Nachfolge regeln und nach einem letzten Lobgesang mit der Harfe in der Hand sterben. Bereits anhand der hier kurz zusammengefassten Handlung zeigt sich der selektive Zugriff Sorges auf den Stoff, der auf die zentralen Stationen von Davids Lebensweg reduziert ist. Viel Handlung wird in Botenberichte ausgelagert. So erfahren die Salbung durch Samuel, also die Initialzündung von Davids Aufstieg, sowie die Affäre mit Bathseba, d. h. der Anlass für die Entfremdung von Gott, keine theatrale Realisierung, sondern werden nur durch Erzählungen vergegenwärtigt. Hans Gerd Rötzer hat Sorges Umgang mit dem biblischen Prätext systematisiert und mit Beispielen aus dem Text abgestützt:54 Neben der Umwandlung der novellistischen Szenen des Alten Testaments in Erzählung komprimiert der Dichter die überlieferte Ereignisfolge, indem er kürzt und vereinfacht. Die Chronologie wird bisweilen umgestellt, Szenen werden zusammengezogen oder anders motiviert. Die Aneinanderreihung von Bildern verdeutlicht die Ausschnitthaftigkeit der einzelnen Episoden. Schließlich arbeitet Sorge in der Figurenzeichnung mit Typisierungen und – im Falle Davids – mit Idealisierungen: „Das Schauspiel führt keine abgestuften Charaktere vor. David und Jonathan gehören in das Lager  

50 Die Sündhaftigkeit der zu starken Liebe zu Absalom ist eine Zutat Sorges, der damit Davids Schuld verdoppelt – wohl auch, um die Schwere der göttlichen Strafe zu begründen (vgl. Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 133). 51 Michel Becker: Reinhard Johannes Sorge, S. 53. 52 Der Kampf um die Seele und die Furcht, dem Teufel zu verfallen, verraten die christliche Perspektive auf den alttestamentlichen Stoff. David klagt in größter Verzweiflung: „David! schreit meine Seele. Seele! schreie / Ich ihr zurück und kann doch nicht zu ihr! / Denn abgegrenzt hat Jahwe die Gemeinschaft,/ Ich stehe hinterm Zaun mit wehen Blicken! / Weh! Ai! Weh! Ai! Ich bin des Satans, wehe! […] / Hündischer als ein Hund / Verlange ich zu winseln, großer Gott, / Im Staub mich wälzend, Erde essend, Abfall / Von Tritten andrer: nur die Seele gib / Zurück, du schrecklicher Zurückbehalter!“ (S. 119 f.) 53 Michel Becker: Reinhard Johannes Sorge, S. 54. 54 Vgl. Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 129–131.  

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der gottergebenen Menschen, Saul und Abner in das der gottfernen. Übergänge gibt es nicht.“55 Den scherenschnittartigen Figuren sowie der gerafften Ereignisfolge des Prätextes steht eine Amplifikation einer speziellen Facette des Königs gegenüber: Das Drama konzentriert sich auf seine Beziehung zu Jahwe. Welche zwischenmenschlichen Relationen und Interaktionen Davids Leben auch geprägt haben mögen, sie erscheinen aufgrund ihrer stichwortartigen, reduzierten Darstellung marginal gegenüber der einzig wichtigen Bindung – derjenigen zu Gott. Deren dialogischen Charakter veranschaulicht das Stück, indem es das Geschehen mit der Psalmendichtung verwebt. Davids in den Samuelbüchern enthaltene Gesänge werden durch Zitate aus dem Psalter sowie neu erdichtete Lobpreisungen Gottes vervielfacht – auf Kosten der dramatischen Aktion. Ein Leben in Psalmen. David als Christus-Vorläufer Mit der Profilierung Davids als Psalmist erfährt der Prätext eine Transmotivation56, denn auch wenn die Handlung im Wesentlichen der Vorlage zu folgen scheint, unterlegt ihr Sorge doch eine klare theologische Deutung, die auf einem typologischen Denkmuster gründet.57 David empfindet sich selbst als Präfiguration des kommenden Messias, als Verheißung, der die Erfüllung in der Person Christi folgen soll. Schon vor der Begegnung mit Samuel und vor der Salbung durchlebt der Hirtenknabe David eine besonders innige Gottverbundenheit, die sich in einer Vielzahl an Exklamationen und der Natur entlehnten Metaphern und Vergleichen ausdrückt: O meine vielen Lämmer! O meine Lämmer! David, weide! […] Ich blühe unter Blüten, eine Blüte Des Herrn. Ich bin des Herrn, ich, David. Horch! Das sind die Bienen! Summend schwirren froh Die weißen Bienenflügelchen. Sie schwirren Und schwirren Jahwe Dank. Ich bin des Herrn, Ihr seid des Herrn, die weite, grüne Erde, Die Sonne, die Gestirne und der Mond Ist alles Jahwes. Und die Menschen sind

55 Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 131; vgl. Stefan Scherer: Richard Beer-Hofmann und die Wiener Moderne, S. 159. 56 Zum intertextuellen Phänomen der Transmotivation vgl. Gérard Genette: Palimpseste, S. 373. 57 Die Typologie als Methode der Bibelexegese nimmt die „Erfüllung des alttestamentlichen Typs durch den neutestamentlichen Antityp“ an, „wobei eine Person des Alten Testaments auf den Christus des Neuen Testaments vorverweist und beide als historische Gestalten verstanden werden“ (Franz Link: Möglichkeiten einer literarischen Typologie des Alten Testaments, S. 26 f.).  

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Lieblinge Jahwes, Auserkorene, Söhne. Du springst nicht, Herz? Du kannst noch klopfen, kleines Ding? Meine Harfe! Meine Harfe! Oh! O meine Hände! Müssen sie bleiben leer! Ihr solltet klingen, Saiten, wie die Flügel Der Bienen! Doch mein Herz greift in die Saiten, Greift tief hinein, tut einen tiefen Sang. (S. 13 f.)58  

Überwältigt von der Schöpfung sowie seiner eigenen Gottnähe gerät David ins Schwärmen. In Ermangelung seines Instruments wird dabei das Herz zum Medium des Lobpreises, es verherrlicht Gott im Gesang. Im ganzen Drama wird Davids eigentliches und einzig wichtiges Gegenüber Jahwe sein – die Monologe sind daher Zwiesprachen mit Gott, dessen Antworten David erspürt. Alle übrigen Figuren werden auf die Funktion von Stichwortgebern reduziert. Als David vor dem kranken Saul spielt, besingt er, wie Gott die Völker erleuchtet und seinen Gesalbten erwählt („Und Ich will Dich zum Erstgeborenen machen, / Höher als alle Könige!“, S. 25). Damit beschreibt er seinen eigenen Status (und spielt indirekt auch wieder auf den Messias an), während Saul sich umso stärker der Abwendung Gottes bewusst wird und den Sänger mit seinem Speer attackiert.59 Der Knabe lässt sich in seinem Vortrag nicht irritieren und fährt unverzagt in seiner Hymne auf den fürsorglichen Schöpfergott fort. Als der König und Jonathan sich zurückgezogen haben, singt David alleine für sich: Er herzet mich, Er herzet mich, Mein Haupt an Seinem Herzen ruhet, Geliebter Du! Geliebter Du!

Das Liebesbekenntnis bezieht sich nicht etwa auf Jonathan oder gar Saul – es ist keinem Sterblichen gewidmet: Vergönnst du mir die Narde Deiner Küsse? Christos! Christos! Christos! Christos! Vergönnst Du mir die Liebe Deiner Gegenwart? (S. 27)

Mit der viermaligen, im Rahmen des Stoffs anachronistischen Anrufung Jesu tritt David als Visionär auf, der das Kommen und auch die Passion des Messias antizi-

58 Der Text von Davids Gesang ist Sorges eigene Erfindung (vgl. Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 135), in die allerdings Jesu Auftrag an Petrus, seine Lämmer zu weiden, einmontiert ist (vgl. Johannes 21,15 ff.). 59 Inger Nebel weist nach, dass in dem Lied, das David vor Saul singt, Zitate aus dem Neuen Testament (wie z. B. aus Lukas 1,52 und Matthäus 6,28b, 29) eingewoben sind (vgl. Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 200).  



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piert – immerhin fühlt er sich durch „[s]eines Blutes Trank“ (S. 28) gespeist, was auf den Opfertod des Gottessohnes und die Eucharistie anspielt. Die ChristusBezüge zählen zu den Konstanten des Dramas, sie halten stets die Einbindung des Geschehens in die Heilsgeschichte präsent und charakterisieren David als Vorläufer eines Größeren. Am Ende seines Lebens besingt der harfeschlagende König seinen Thron als „Stuhl meines Christos“ (S. 158), der weiter gedeihen und blühen soll. Während es sich bei den beiden zitierten Gesängen Davids um Dichtungen Sorges handelt, die einem „im expressionistischen Oh-Pathos gehaltene[n] Deklamationsstil“60 gehorchen, finden sich im weiteren Handlungsverlauf zahlreiche, meist wörtlich aus dem Buch der Psalmen übernommene Bitt- und Dankgebete.61 So folgt die Danksagung nach dem Sieg über Goliath weitgehend Psalm 61, das Klagelied um Saul und Jonathan ist dem Original nachempfunden62, der Dankpsalm zur Heimführung der Bundeslade kombiniert wörtliche Zitate aus den Psalmen 95 und 135, der Klagegesang, mit dem der König auf Nathans Verkündung der göttlichen Strafe reagiert, stammt aus Psalm 37.63 Davids letzter Gesang, der seine Entrückung begleitet, antizipiert unter Verwendung mehrerer wörtlicher Passagen aus Psalm 110 ein weiteres Mal die Regentschaft des Messias, um dann in einer frei erfundenen Anrufung Gottes den Liebestod zu erflehen, der hier nicht erotisch konnotiert ist, sondern das Eingehen in den Schöpfer bedeutet: K ÖNIG D AVID blickt gen Himmel, stimmt langsam an: Es spricht der Herr zu meinem Herrn: „Setze Dich zu Meiner Rechten, Bis Ich Deine Feinde strecke zum Schemel Deiner Füße!“

60 Stefan Scherer: Richard Beer-Hofmann und die Wiener Moderne, S. 158. 61 Wie Hans Gerd Rötzer nachweist, nehmen im Verlauf des Dramas die aus dem Alten Testament stammenden Passagen zu und damit der dichterische Gestaltungswille ab, was auch der raschen Fertigstellung des Werks binnen 15 Tagen geschuldet sein mag (vgl. Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 128 f.). 62 Eine Zutat Sorges sind die beiden letzten Verse, die offenbar dazu dienen, jedes homoerotische Verdachtsmoment in der Beziehung von David zu Jonathan zu beseitigen und ihre Liebe zu einer quasi-familiären Bindung zu erklären: „Wie eine Mutter ihren Einzigen liebt, / So habe ich dich geliebt.“ (S. 71) Interessanterweise singt David die Klage, während er sich alleine auf der Bühne vor dem gefallenen Vorhang befindet (vgl. S. 70). Dieses Heraustreten aus der sich im Bühnenbild vollziehenden Handlung hat verfremdende Wirkung und weist den Gesang umso deutlicher als künstlerische Verarbeitung des Verlustes aus. 63 Einen genauen Abgleich von Bibeltext und dichterischer Adaption bietet Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 135–146. Sorge übersetzte die entsprechenden Zitate selbst aus einer lateinischen Vorlage der Psalmen (vgl. ebd., S. 128 sowie Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 197).  

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Dein mächtiges Zepter wird der Herr von Zion ausrecken, Herrsche inmitten deiner Feinde! Dein Volk ist Dir bereit an Deinem großen Tage Auf heiligen Bergen, aus dem Schoße der Morgenröte Kommt Dir der Tau Deiner jungen Mannschaft. Der Herr hat geschworen und Er läßt Sich’s nicht gereuen: „Du bist Priester in Ewigkeit Nach der Ordnung Melchisedeks!“ Der König, während des Liedes rüstig emporgewachsen, sinkt nieder. Er hat die Harfe in den Händen. Die Stimme Davids schon ganz aus Gott: Du hast mich aufgezehrt in Deiner Liebe; Mein Leben in dem linden Feuer schmelzend, Unsäglich liebend ziehst Du mich an Dich. Herr, laß genug sein dieses Erdenlebens! Schick mir den Liebestod! O nimm mich an! Er gibt den Geist auf. (S. 168 f.)  

Es wird viel gebetet, viel gefleht, viel gesungen, viel lobgepriesen in Sorges DavidDrama. Und obwohl wörtlich übernommene Texte aus dem Psalter auch anderen Figuren wie etwa dem Hohepriester Abjathar oder den Tempelsängern in den Mund gelegt werden, ist es vorrangig der Titelheld, der psalmodierend mit Gott kommuniziert, was die Handlung zum monologischen Zwiegespräch und das Drama zum religiösen Weihespiel werden lässt.64 Die alttestamentlichen Textbausteine sollen die Authentizität von Davids Suche nach Gott beglaubigen und bedienen zugleich den durch Konvention geprägten Bildtypus des Psalmisten. Allerdings funktioniert die christlich-typologische Umdeutung „den alttestamentarischen Stoff in etwas [um], das diesem selbst fremd ist“65. Die Kunst wie auch das Leben stehen nun ganz im Dienst des Gottesdienstes. David resümiert vor seinem Tod: „Hier fühle ich den Sinn unsrer Erschaffung: / Die Harfe schlagen und den Rätselhaften / Besingen durch Äonen. Unablässig.“ (S. 161) Trotz seiner menschlichen Sündhaftigkeit, die ihn vorübergehend von Jahwe entfremdet, fungiert David bei Sorge als Vorbild für ein gottgefälliges Leben, darüber hinaus als Vorläufer des Erlösers. Jonathan erkennt in ihm einen Mittler zu Gott, wobei er der Musik eine entscheidende Bedeutung zuweist: „David, / Du bist mein Traum zu Jahwe mir, der süße, / Huldvolle Klang, der mich dem Gotte nah bringt.“ (S. 50)

64 Vgl. dazu auch die Bewertung von Julius Bab: „Im wesentlichen ist hier kein Drama, keine Menschenschlacht, sondern ein Gottesdienst, ein Weihespiel. Nicht Gestalten leben wider einander – Schatten ziehen vor Gott dahin.“ (Julius Bab: Die Chronik des deutschen Dramas, Bd. IV, S. 23) 65 Stefan Scherer: Richard Beer-Hofmann und die Wiener Moderne, S. 159.

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Davids Kunst, die auch für andere eine Brücke zu Gott bildet, lässt ihn selbst als „liebender Gesang zu Gott“ (S. 51) erscheinen. Der Zweiklang von Beten und Dichten. Sakralisierung und Poetologisierung War allen anderen intertextuellen Anverwandlungen des David-Stoffs eine unverkennbare Tendenz zur Säkularisierung eigen, lässt sich bei Sorges Drama die genau gegenteilige Ausprägung beobachten: Er wahrt nicht nur den religiös-theologischen Rahmen der Vorlage, er sakralisiert diese zusätzlich und lädt sie eschatologisch auf, indem er Davids Lebenslauf als einzigen Dialog mit Jahwe vorführt, zahlreiche Parallelen zu bzw. Vorausdeutungen auf Jesus Christus einflicht und Gott als tatsächlichen „Akteur des Spieles“66 offenbart. Die hinter dem Stück stehende Intention ist die Verkündigung, bei der die dichterische Erfindungsgabe gegenüber dem Wortlaut der Heiligen Schrift zurücktritt.67 Besonders ab dem 3. Aufzug verursachen lange Monologe, wie die von Nathan in III.2 und von David in V.2 und 3, eine „diegetische Entfaltung“ sowie eine Verstärkung des „Predigerton[s]“68. Aus der Anlage und der Ausgestaltung des ganzen Dramas spricht die persönliche Glaubensüberzeugung von Johannes Reinhard Sorge, der 1913 nach einem Rom-Besuch zusammen mit seiner Frau vom Protestantismus zum Katholizismus konvertiert war.69 Aus einem Adepten Nietzsches und Vorreiter des Expressionismus – sein Drama „Der Bettler“ (1912) gilt als erstes expressionistisches Drama70 – wurde ein gläubiger Dichter: „Sobald er […] den Weg zur Trans-

66 Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 132. 67 Das Montageprinzip ist ebenfalls prägend für das Drama „Der Weg der Verheißung“: Auch Franz Werfel wollte das Alte Testament selbst zum Sprechen bringen, indem er die einzelnen Stationen aus der kollektiv erinnerten jüdischen Vergangenheit mittels ausgewählter und zusammengefügter biblischer Textbausteine darstellt. Wie bei Sorge herrschen auch hier ein tiefer Respekt vor dem Bibelwort sowie die Absicht, den eigenen dichterischen Gestaltungswillen zurückzunehmen. Mit Sorges Drama teilt Werfels Bibelspiel auch den messianischen Fluchtpunkt: Der seit Langem vom Katholizismus faszinierte Werfel hat zahlreiche christliche Assoziationen in den Text eingearbeitet und lässt im Theatermanuskript die Rekapitulation der jüdischen Geschichte in das Auftreten des Messias münden (vgl. Wolfgang Nehring: Judentum und Christentum, S. 32–34; zu Werfels polaren, zwischen Judentum und Katholizismus changierenden religiösen Gefühlen vgl. ebd., S. 19–22). 68 Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 198. 69 Vgl. Susanne Maria Sorge: Reinhard Johannes Sorge, S. 77, 82. 70 Vgl. Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918, S. 566. Allerdings kann man bei einem Vergleich der expressionistischen Stücke und des David-Dramas durchaus eine Kontinuität in der Haltung erkennen. Zwar ist das Aufbegehren „gegen die Bedingtheit des Menschen durch Geschichte, Milieu, sozialen Rang, durch Psychologie und Moralkonventionen“ in „König David“ suspendiert, das Stück will nicht mehr „über die Bühne hinweg Aktionen […] entzünden“ (Eberhard Lämmert: Das expressionistische Verkündigungsdra-

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zendenz fand, änderte er seine Ich-Schau zu Demut vor Gott, dem Urheber alles [!] Seins.“71 Anfang 1914, als Sorge mit der Arbeit an seinem David-Drama begann, formulierte er in einem Brief an einen Freund sein dichterisches Selbstverständnis, das unverkennbar das Bühnenstück prägt: „So! Nun kann ich vor der Welt meine Predigt beginnen, um deretwillen ich da bin. Und Gott wird den Schwachen schon stützen, der ihn verkündigt, er wird auch meine Zunge mächtig machen.“72 Das Schauspiel über den psalmodierenden, Gott in Danksagung und Lobpreis zugewandten David ist seinerseits eine Verherrlichung Gottes und seines Heilsplans. Der Dichter stimmt quasi zusammen mit seinem Protagonisten, dem Dichter David, in Lobgesänge ein.73 Wenn er David ein Mittlertum zwischen Jahwe und den Menschen zuweist (vgl. S. 51), bezeichnet er damit zugleich sein eigenes Rollenverständnis und Sendungsbewusstsein.74 Dichtung muss sich – wie im Falle des als Psalmisten porträtierten David – der höheren Aufgabe unterordnen, den Weg zur göttlichen Gnade aufzuzeigen. Daraus resultieren die Beschränkung der poetischen Freiheit und die intensive Verwendung von Zitaten aus der Heiligen Schrift.75 Reinhard Johannes Sorges Drama will das sein, was es vorführt: Dichtung als Akt des Gottesdienstes. Indem Davids Psalmendichtung, sei sie nun dem Alten Testament entlehnt oder vom Verfasser selbst gedichtet, qua definitionem an einen religiösen Zweck gebunden ist und indem das Schauspiel diese Dichtung zum Ideal erklärt, wird dem Drama ein poetologischer Subtext unterlegt. Der Psalmist David wird zum Vorbild des Dichters Sorge, der das Walten der göttlichen Gnade verständlich machen und den Blick auf den Erlöser, Jesus Christus, lenken

ma, S. 313, 317), doch teilt es mit den expressionistischen Verkündigungsdramen das Anliegen, den Menschen religiös und politisch zu verwandeln (vgl. ebd., S. 329). 71 Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 156. 72 Zitiert nach Susanne Maria Sorge: Reinhard Johannes Sorge, S. 105. 73 Michel Becker setzt in seiner emphatischen Würdigung des Dramas David und Dichter gleich, wenn er in den letzten Worten des Titelhelden „David im Spiel und Sorge in der Ahnung […] gemeinsam [stammeln]“ hört (Michel Becker: Reinhard Johannes Sorge, S. 51). Inger Nebel vermutet, dass auch die dem Drama vorangestellte Widmung, eine von Sorge selbst übersetzte Kompilation von Versen aus dem 44. Psalm implizit eine „Identifikation zwischen dem Verfasser und dem König“ andeuten könnte (Inger Nebel: Harfe, Speer und Krone, S. 199). 74 Seine Frau Susanne überliefert Sorges Bilanz nach der Fertigstellung des Dramas: „Ich habe mit Gottes Hilfe neben dem Buch, das ich schon erwähnte, noch ein anderes jetzt fertiggestellt, ein großes biblisches Drama: David. Natürlich ist auch dies, wie alles, was ich schreibe, in vielem eine Verherrlichung der Kirche, für die ich einzig wirke.“ (Susanne Maria Sorge: Reinhard Johannes Sorge, S. 106) Seine Dichtung soll eindeutig einem höheren, religiösen Zweck gehorchen. 75 Vgl. Hans Gerd Rötzer: Reinhard Johannes Sorge, S. 158.

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will.76 In der David-Stoffgeschichte ab 1800 ist eine solche ungebrochene, unkritische, affirmative Nachdichtung, die darüber hinaus die theologischen Bezüge intensiviert, eine Singularität.77 Typisch für die Rezeption des Motivs „David als Künstler“ ist dagegen, dass die biblische Figur zur Maske, wenn nicht sogar zum role model für den neuzeitlichen Dichter wird. Zwar suggeriert das Drama, dem Geist des Prätextes nachempfunden zu sein, doch handelt es sich tatsächlich um eine Interpretation aus neutestamentlich-christlicher Sicht. David tritt kaum in einem anderen literarischen Text so prominent als Psalmist in Erscheinung wie in Sorges Drama. Anders verhält es sich in beiden folgenden Gedichten, die auf keiner konkreten Episode aus Davids Leben basieren, sondern – wie Rilkes Gedicht aus dem „Stunden-Buch“ – nur über die intertextuellen Verweismuster des Zitats und der Anspielung den Bildtypus des Psalmisten aktivieren. Der Text von Nelly Sachs weist dabei eine größere Nähe zu Handlungselementen des Stoffs auf.

3.2.3 Nelly Sachs: David (1949) Mit einer hermetischen, „bewußt zur Unkenntlichkeit [!] aber eben auch Ausdeutbarkeit verdichtet[en]“78 Bildsprache hat Nelly Sachs ein in der Stoffgeschichte herausragendes Porträt Davids skizziert, das durch Anspielungen, assoziative Bilder und der mystischen Tradition entstammende Topoi die charakterliche Ambivalenz sowie die wechselvolle Laufbahn Davids einfängt. Der Text ist Teil des Zyklus „Die Muschel saust“ aus dem 1949 veröffentlichten Gedichtband „Sternverdunkelung“.

76 Julius Bab gelangt daher zu dem Urteil: „Es ist ein schönes und reifes Kunstprodukt, es hat eigentlich nichts Dilettantisches mehr, aber es hat auch kaum noch allgemeine menschenerregende Kraft, es ist […] mehr eine katholische als eine menschheitliche, mehr eine kirchliche als eine religiöse Angelegenheit.“ (Julius Bab: Die Chronik des deutschen Dramas, Bd. IV, S. 22) 77 Eine ähnliche Intention findet sich in Friedrich Gottlieb Klopstocks David-Drama aus dem Jahre 1772 über König Davids Volkszählung und das folgende göttliche Strafgericht. Klopstock sieht in der Figur Davids den Menschen an sich, den Gottesgeliebten und den König. Er zeigt ihn nicht als Dichter, was auf den ersten Blick überraschen mag. Von dem Poeten, der selbst in der Nachfolge Davids Psalmen und Hymnen schuf, hätte man eine poetologische Stellungnahme im biblischen Gewand vermuten können. Klopstock verfolgt aber ein anderes Anliegen: Die ganze Aufmerksamkeit des Lesers soll sich auf die theologische Botschaft konzentrieren. Es geht Klopstock nicht um sein dichterisches Selbstverständnis, sondern um die Läuterung eines Sünders, den Heilsweg und die Rolle des Messias, letztlich um seine Seligkeit und die seiner Leser (vgl. Katrin Kohl: Friedrich Gottlieb Klopstock, S. 104 sowie Gerhard Kaiser: Klopstock, S. 259–263). 78 Georg Langenhorst: „Der magische Tänzer“, S. 473.

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David79 Samuel sah hinter der Blindenbinde des Horizontes – Samuel sah – im Entscheidungsbereich wo die Gestirne entbrennen, versinken, David den Hirten durcheilt von Sphärenmusik. Wie Bienen näherten sich ihm die Sterne Honig ahnend – Als die Männer ihn suchten tanzte er, umraucht von der Lämmer Schlummerwolle, bis er stand und sein Schatten auf einen Widder fiel – Da hatte die Königszeit begonnen – Aber im Mannesjahr maß er, ein Vater der Dichter, in Verzweiflung die Entfernung zu Gott aus, und baute der Psalmen Nachtherbergen für die Wegwunden. Sterbend hatte er mehr Verworfenes dem Würmertod zu geben als die Schar seiner Väter – Denn von Gestalt zu Gestalt weint sich der Engel im Menschen tiefer in das Licht!

Davids Leben in vier Stationen. Deutung Die erste Versgruppe des ungleichmäßig gebauten Gedichts erzählt von der Berufung Davids zum Nachfolger Sauls durch Samuel, wobei sie in Grundzügen dem Prätext, 1. Samuel 16, folgt. „Samuel sah David“ – auf diesen Kern lässt sich der erste Abschnitt reduzieren, doch zögert Nelly Sachs durch Wiederholung, Parenthese und Relativsatz die Mitteilung des Objekts von Samuels Blick hinaus und erzeugt so einen Spannungsbogen.80 David wird somit nicht direkt präsentiert, sondern vermittelt durch die Perspektive des Propheten Samuel, dessen seherische Gabe der wiederholte, alliterierende Vers „Samuel sah“ beschwört: Mit sei-

79 Nelly Sachs. Werke, Bd. 1, S. 65. 80 Vgl. Birgit Lermen: David, S. 199.

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nem Blick, der „hinter die Blindenbinde des Horizontes“ reicht, also hinter den äußeren Schein ins Herz des Menschen (den „Entscheidungsbereich“) zu dringen vermag81, sieht auch der Leser den „Hirten“ David in einem Spannungsfeld zwischen bukolischer Idyllik und kosmischer Lenkung. Der göttliche Auftrag an Samuel wird nicht explizit genannt, jedoch eröffnet der „Entscheidungsbereich / wo die Gestirne entbrennen, versinken“, einen transzendenten Raum. David erweist sich als Medium für „Sphärenmusik“, d. h. über seine musische Begabung hinaus als empfänglich für Überirdisches und als ideales Werkzeug für den göttlichen Willen. Er ist „vom Numinosen ergriffen“82. Dass sogar die Gestirne ihre Bahn verlassen und sich ihm nähern – sie werden im Bienen-Vergleich zu lebenden Kreaturen –, veranschaulicht sein übergroßes Charisma, das gleich Honig eine starke Lockkraft entfaltet, sowie sein Potenzial, „Nahrung, Lebensnotwendigkeit, Sinn“83 zu spenden. Das Ahnen der Sterne mündet in einen Gedankenstrich, ihren Drang zu David hin visualisierend. Mit ihm schließt die erste Strophe, ohne die eigentliche rituelle Handlung, die Salbung des Thronanwärters, zu beschreiben. Die zweite Versgruppe setzt neu ein, mit einer erneuten Annäherung an David. Diesmal suchen ihn Männer, womit wahrscheinlich die Boten Sauls gemeint sind, die den musisch begabten Sohn Isais holen, damit er die seelischen Qualen des Königs lindere (vgl. 1. Samuel 16,19).84 Die mit Davids Aufstieg ver 

81 Die metaphorische Wendung, die zudem den Horizont personifiziert, geht offensichtlich auf die Lehre zurück, die Gott Samuel bei der Suche nach dem neuen Gesalbten erteilt: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16,7) 82 Birgit Lermen: David, S. 199. 83 Georg Langenhorst: „Der magische Tänzer“, S. 474. Birgit Lermen liest in der Honig-Metapher die bereits in David angelegte, aber noch nicht Wirklichkeit gewordene Musik der Psalmen, die von den Sternen erahnt wird (vgl. Birgit Lermen: David, S. 199). Daneben mag der Vergleich auf Rilkes Diktum von den Dichtern als den „Bienen des Unsichtbaren“ zurückgehen: „[U]nsere Aufgabe ist es, diese vorläufige, hinfällige Erde uns so tief, so leidend und leidenschaftlich einzuprägen, daß ihr Wesen in uns ‚unsichtbar‘ wieder aufersteht. Wir sind die Bienen des Unsichtbaren.“ (Brief vom 13.11.1925 an Witold Hulewicz, in: Rainer Maria Rilke: Briefe, Bd. 2, S. 376) Überträgt man Rilkes Metapher auf das Gedicht, erscheinen die mit Bienen verglichenen Sterne selbst als Chiffren für Künstler. Dass David für sie zum Gegenstand der Anschauung bzw. zum potenziellen Thema von Kunst wird, schlägt einen poetologischen Bogen zu dem vorliegenden Gedicht über David. 84 Die Lesart von Birgit Lermen, dass David „von Vertretern des Volkes gesucht [wurde], nachdem Saul enttäuschte und von Gott verworfen war“ (Birgit Lermen: David, S. 199), ist zwar prinzipiell denkbar, bricht aber völlig mit der Chronologie und Kausalität der alttestamentlichen Erzählung, in der David bei seiner Thronbesteigung längst nicht mehr Hirt war, sondern es bereits zum Kriegshelden und Schwiegersohn des Königs gebracht hatte. Zudem befand er sich zum Zeitpunkt von Sauls Tod im Exil bei den Philistern.

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bundenen Konflikte sind völlig ausgeblendet, ebenso der von Gott verworfene König. Stattdessen wird das Bild eines empfindsamen Menschen gezeichnet, der, allein bei seiner Herde, vor Gott tanzt. Indem Nelly Sachs eine erst zu einem viel späteren Zeitpunkt in der biblischen Erzählung geschilderte Begebenheit, Davids selbstvergessenen Tanz vor der Bundeslade (Urszene 3), adaptiert und David schon als Hirtenknaben tanzen lässt, integriert sie das ihr so wichtige Tanzmotiv und stellt die Außerordentlichkeit des jungen Hirten heraus.85 Dass Davids Bewegungen nicht recht von dieser Welt sind, sondern ihnen eine religiöse Erhabenheit innewohnt und sein Tanz „kultischer Ausdruck der Bezogenheit auf Gott“86 ist, verrät das Partizip „umraucht“. Es provoziert Assoziationen an Weihrauch und Brandopfer – und damit einerseits an die Anbetung, der sein Tanz dient, andererseits aber auch an die Verbrennung der in den Gaskammern ermordeten Juden. So erscheint „Davids Erwählung – wie die Israels – [als] Erwählung zu stellvertretendem Leiden“87. Der Tanz wird hier zum Zustand einer tranceartigen, irrealen Entrückung, worauf die Genitivmetapher „von der Lämmer Schlummerwolle“ hindeutet. Beide Wortbestandteile des Neologismus „Schlummerwolle“ versprechen Geborgenheit: Auch wenn er konkret wohl nur als Metonymie für das wollene Gewand steht, das David trägt, erzeugt er darüber hinaus das Bild eines mit sich selbst und Gott im Einklang befindlichen Knaben.88 Mit einem kurzen dreisilbigen Vers endet diese Selbstvergessenheit, endet der Tanz, endet sein Hirtendasein: „bis er stand“ gibt auch zu verstehen, dass David angesichts seiner neuen Aufgabe mit beiden Beinen auf dem Boden stehen muss. Schwer aufzulösen ist die Darstellung von Davids Schatten, der auf einen Widder fällt. Handelt es sich um eine Anspielung auf die Opferung Isaaks, die Gott von Abraham als Loyalitätsbeweis forderte, dann aber in letzter Sekunde verhinderte und durch die Schlachtung eines Widders ersetzte (vgl. 1. Moses 22,13)? Durch das traditionelle Opfertier wird die Berufung Davids mit einer religiösen Handlung verbunden89, während sich der Schat-

85 In einem Brief an Walter A. Berendsohn schrieb Sachs am 25. Januar 1959: „Der Tanz war meine Art des Ausdrucks noch vor dem Wort. Mein innerstes Element. Nur durch die Schwere des Schicksals, das mich traf, bin ich von dieser Ausdrucksweise zu einer anderen gekommen: dem Wort!“ (Briefe der Nelly Sachs, S. 201) 86 Ulrich Klingmann: Religion und Religiosität in der Lyrik von Nelly Sachs, S. 199. 87 Birgit Lermen: David, S. 200. 88 Die Wolle wäre dann eine Entsprechung für Davids Ephod bei dem Tanz vor der Bundeslade (vgl. Birgit Lermen: David, S. 200 f.). 89 So Ulrich Klingmann: „Davids Bereitschaft zum Opferdienst zeigt sich im Bild des auf den Widder fallenden Schattens noch deutlicher als im Tanz. […] Über die Idee des Opfers hinausgehend, weist das Bild des Widders auf die schöpferische, auf Gott bezogene Tätigkeit, die mit David einsetzt.“ (Ulrich Klingmann: Religion und Religiosität in der Lyrik von Nelly Sachs, S. 200)  

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II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

tenwurf konträr deuten lässt: Im Alten Testament wird „Schatten“ oft als Metapher für Schutz und liebevolle Fürsorge gebraucht, wie sie Gott seinen Dienern spendet.90 David wird fortan nicht mehr nur seine Schafherde hüten, ihm wird die Verantwortung für Gottes Volk anvertraut – dieses soll in seinem Schatten leben. Zugleich wohnt dem Schatten auch eine bedrohliche Komponente inne, scheint er das folgende Unheil zu antizipieren. Der erneut die Strophe abschließende – oder besser offenhaltende – Gedankenstrich weckt die Erwartung auf das Kommende. „Da hatte die Königszeit begonnen –“ Mit der dritten, unmittelbar anschließenden Versgruppe wird das Bild des jugendlichen Hirten abgelöst durch das des gereiften, „im Mannesjahr“ stehenden Herrschers. In emphatischem Ton und abweichend von der Überlieferung, d. h. unter erneuter Tilgung Sauls, wird Davids Thronbesteigung zum Beginn der Königszeit deklariert. Ein weiterer Gedankenstrich sowie das adversative „Aber“ deuten an, dass entgegen Samuels Vision die Herrschaft Davids nicht nur Glück und Segen brachte, dass sie vielmehr überschattet war:  

maß er, ein Vater der Dichter, in Verzweiflung die Entfernung zu Gott aus, und baute der Psalmen Nachtherbergen für die Wegwunden.

Die Einsicht in die „Entfernung zu Gott“, die möglicherweise erst aus der Entfremdung von Gott nach der Affäre mit Bathseba erwächst, stürzt den König in „Verzweiflung“, doch resigniert er nicht. David misst die Distanz aus, strebt also nach einer (Wieder-)Annäherung an Gott, was sich in seiner Psalmendichtung niederschlägt.91 „Aus Glaubensnot und Leiderfahrung wurde er zum Dichter.“92 Der alliterierende Neologismus „Wegwunden“ bezeichnet die leidenden, nieder-

90 So etwa in Psalm 91,1 f.: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ 91 Die dritte Versgruppe, die vom Psalmisten David spricht, ist von jener „Ambivalenz von Nähe und Ferne, von Schmerz und Hoffnung“ geprägt, die ein zentrales Merkmal der Gattung Psalm darstellt (Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 153). Allerdings machen Inka Bach und Helmut Galle darauf aufmerksam, dass die Gedichte aus dem Band „Sternverdunkelung“ eher durch Motive und Inhalte als durch formale Merkmale die Psalmentradition zitieren, ihre Klassifizierung als Psalmendichtung daher fragwürdig ist (vgl. Inka Bach/Helmut Galle: Deutsche Psalmendichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, S. 371). 92 Birgit Lermen: David, S. 204.  

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geschlagenen Menschen, die Gott näherzukommen suchen und die in Davids Dichtung vorübergehend Trost, eine Herberge für die Nacht, finden.93 Heinrich Heines berühmtes Diktum von der Tora als dem portativen Vaterland der Juden94 wird gespiegelt und variiert: Nun sind es die Psalmen, die den „Wegwunden“ Schutz gewähren. Auch wenn der Adressat allgemeiner gefasst ist und nicht exklusiv mit dem jüdischen Volk gleichgesetzt wird, haben sich in diesen Versen wohl vor allem jüdische Dichter wiedergefunden, denen aufgrund ihres Daseins im Exil allein die Sprache eine Heimat bot.95 Den Gebeten Davids wird eine räumliche Dimension zugewiesen, die sie zu einem Schutz- und Zufluchtsort werden lassen – einer Art Zuhause, das gerade den Ermatteten und Versehrten offensteht. Seine Gabe, mit Worten Hoffnung und Sicherheit zu schenken sowie zeitlose Texte zu verfassen, an denen sich Menschen wiederaufrichten und mit denen sie die Entfernung zu Gott überbrücken können, macht David zu einem „Vater der Dichter“. Das Gedicht verharrt nicht mit diesem tröstlichen Bild. Es kontrastiert die Zeichnung Davids als begnadeter Dichter hart mit einer Evokation des sterbenden Königs, dessen Sünden im Angesicht des Todes vergegenwärtigt werden. Seine Außergewöhnlichkeit gilt nicht nur im Guten, sondern auch im Schlechten, mit dem er „die Schar seiner Väter“ übertrifft. Folglich ist er noch verworfener als der eigentliche verworfene Gesalbte, der vom Text übergangene Saul. Die drastische Umschreibung „mehr Verworfenes / dem Würmertod zu geben“ stutzt den eben noch zum Inbegriff des Dichters erhobenen David auf normalsterbliches Maß zurück. Mit einem Gedankenstrich bricht der Gedanke ab, bevor eine lehrhafte Sentenz folgt: Denn von Gestalt zu Gestalt weint sich der Engel im Menschen tiefer in das Licht!

Bezeichnenderweise endet der letzte Vers und damit das ganze Gedicht mit einem Ausrufezeichen, so als wollte es dem Leser eine Lehre mitgeben. Diese drei rätselhaften Verse, die aus Davids Vita eine allgemeingültige Botschaft ableiten, wurden bislang in der Forschung oft nur im Hinblick auf einzelne für Sachs typische Motive und Bilder untersucht, jedoch kaum zusammenhängend gedeutet. So begnügt sich Georg Langenhorst mit der Schlussfolgerung, dass Nelly Sachs „be93 Georg Langenhorst schlägt eine zweite, ergänzende Lesart vor, bei der der Neologismus die Wunden meint, „die auf dem Weg der Entfernungsmessung zu Gott entstehen“ und die durch „Nachtherbergen“ gelindert werden sollen (Georg Langenhorst: „Der magische Tänzer“, S. 475). 94 Vgl. Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 15, S. 43. 95 Vgl. Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 154.

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wußt kein eindeutiges Hoffnungsbild am Ende aufleuchten, sondern in einer paradoxalen Gegensätzlichkeit eine Sinnspannung offen[lässt]“96. Im Folgenden soll dennoch eine Annäherung an den Bedeutungsgehalt dieser Verse versucht werden. Der weinende Engel. Deutungsebenen Die Metamorphosen „von Gestalt zu Gestalt“ bezeichnen im Hinblick auf David wohl die zuvor skizzierten Lebensstufen, die er vom tanzenden Hirtenjungen zum König und Psalmisten bis hin zum Sterbenden durchläuft. Die „vier impressionistisch hingetupften Einzelbilder“97 stehen für die Gesamtheit seines Lebens, das zuletzt zum Exemplum für das menschliche Dasein verallgemeinert wird. Zu diesem gehören segensreiche wie verhängnisvolle Taten, eine Wanderung durch das irdische Tal der Tränen, die auf eine Annäherung an das Licht – und damit auf eine Verringerung der Distanz zu Gott – abzielt. Auf der bildsprachlichen Ebene variieren die Metamorphosen die bei Sachs wiederkehrende, auf die jüdische Mystik zurückgehende Schmetterlingsmetaphorik. In der chassidischen Vorstellungswelt werden Verwandlung und Erlösung zusammengedacht, so in einem von Martin Buber überlieferten Spruch des Mystikers Rabbi Nachman: Die Welt ist wie ein kreisender Würfel, und alles kehrt in sich, und es wandelt sich der Mensch zum Engel und der Engel zum Menschen und das Haupt zum Fuß und der Fuß zum Haupt, so kehren sich und kreisen alle Dinge und wandeln sich, dieses in jenes und jenes in dieses, das oberste zu unterst und das unterste zu oberst. Denn in der Wurzel ist alles eines, und in dem Wandel und dem Wiederkehren der Dinge ist die Erlösung beschlossen.98

Bei Sachs werden Engel und Mensch allerdings nicht als zwei unterschiedliche Wesensstadien dargestellt, vielmehr wohnt der Engel dem Menschen inne, ist also ein Teil von ihm, der der Erlösung entgegenstrebt. Die Figur des Engels steht in der Lyrik von Nelly Sachs für das sich offenbarende Göttliche und „lässt den Menschen die Transzendenz ahnen, er verweist auf eine mögliche Öffnung zu

96 Georg Langenhorst: „Der magische Tänzer“, S. 475. Nur punktuelle Deutungen des Gedichts finden sich bei Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 62 f. und Ulrich Klingmann: Religion und Religiosität in der Lyrik von Nelly Sachs, S. 199 f. Eine umfassende Deutung bietet Birgit Lermen: David, S. 196–206; sie tendiert jedoch dazu, mit einem Zuviel an Bezügen zum weiteren Werk von Sachs, zu Paul Celan und zu mystischen Schriften den Blick auf die eigenen Schlussfolgerungen wieder zu verstellen. 97 Georg Langenhorst: „Der magische Tänzer“, S. 475. 98 Martin Buber: Die chassidischen Bücher, S. 32 f.  





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anderen Welten hin“99. Erst die Herausbildung und Entwicklung der engelhaften Anlage im Menschen ermöglicht die Verwandlung ins Immaterielle, ins Licht.100 Das Licht erinnert an das Hauptbuch der Kabbala, den Sohar, der wörtlich übersetzt „Lichtglanz“ bedeutet und mit dem sich Nelly Sachs schon früh auseinandergesetzt hat.101 Die Relevanz des Lichts als Zielpunkt der menschlichen Existenz hat sie in einem Brief vom 24. März 1948 an Walter A. Berendsohn formuliert: „[W]ir sind ja berufen, mit unseren Leibern das Licht zu vollbringen, was sollten sonst auch die wandernden Kräfte der ganzen Schöpfung bedeuten.“102 Doch warum wird das positive Bild der Annäherung an das Licht gebrochen, warum weint der Engel? Zwei Deutungen bieten sich an: Da die finale sentenzhafte Lehre direkt als Begründung für Davids Verworfenheit („Denn“) angeschlossen ist, ließe sie sich als Legitimation der menschlichen Sündhaftigkeit verstehen. Die individuellen Verfehlungen wären dann die notwendige Voraussetzung zur Erlösung. Der Weg zum Licht führt zwangsläufig durch Tränen. Eine zweite Lesart eröffnet sich, wenn man die zwei Hauptfunktionen berücksichtigt, die der Engel gemäß Laurent Cassagnau im Werk von Sachs erfüllt: Er soll einerseits „die Wunde der Erinnerung“ offenhalten und andererseits „die Welt der Menschen zu Gott“ zurückführen.103 Beide Funktionen sind aufs Äußerste verknappt auch im Bild des sich ins Licht weinenden Engels vorhanden: Der Ausdruck des Schmerzes verbindet sich mit einer Andeutung der leuchtenden Nähe Gottes. Das Weinen des Engels wie die Verzweiflung Davids deuten darauf hin, dass hinter der Evokation einer biblischen Leitfigur ein Abgrund lauert. Beide Ausdrücke für seelische Qualen fordern dazu auf, die Judenvernichtung der Shoa in Beziehung zu dem Gedicht zu setzen. So wirft der sich tiefer ins Licht weinende Engel die Frage auf, ob nach Tod und Vernichtung die Hoffnung auf ein ZurRuhe-Kommen möglich ist. Obwohl der Völkermord nicht explizit genannt wird, bildet er doch die stets gegenwärtige Folie der Texte von Sachs: „Das Leiden des 99 Laurent Cassagnau: „Es sammelt der Engel ein / Was ihr fortwarft …“, S. 86. Cassagnau untersucht Vorkommen und Funktion der Engelsfigur in der Lyrik von Sachs. 100 Vgl. Birgit Lermen: David, S. 205. Sabine Grittner erkennt in den letzten Versen eine Anverwandlung der Merkaba-Mystik. Diese älteste Strömung der jüdischen Mystik sieht allerdings den Engel „von außen an die Seele herankommend“ und nicht „im Menschen beheimatet“. Grittner schlussfolgert, dass diese Umdeutung die Aufmerksamkeit auf die „Ambiguität der menschlichen Existenz“ lenken soll, doch verzichtet sie auf eine genauere Interpretation des Gedichtschlusses (Sabine Grittner: „Aber wo Göttliches wohnt – die Farbe ‚Nichts‘“, S. 62 f.). 101 Vgl. Kristina Ericson: Heinz Holliger – Spurensuche eines Grenzgängers, S. 206. 102 Briefe der Nelly Sachs, S. 92. 103 Laurent Cassagnau: „Es sammelt der Engel ein / Was ihr fortwarft…“, S. 91 f.  



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II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

jüdischen Volkes unter den Nationalsozialisten wird behandelt anhand und innerhalb biblisch vorgegebener Muster.“104 Ruth Kranz-Löber erkennt in den biblischen Figuren, die im Gedichtzyklus „Die Muschel saust“ auftreten – neben David sind es Abraham, Jakob, Hiob, Daniel und Saul –, „eine Ansammlung von ‚Schmerzensmännern‘, solcher, die für oder durch ihren Gott litten und als Stellvertreter jüdischen Leidens erscheinen“105. David wäre in dieser Deutung der Gesalbte, der durch seine Verfehlungen sein Nahverhältnis zu Gott aufs Spiel gesetzt hat, zugleich steht er für eine Zäsur in der jüdischen Geschichte: für den von Gott initiierten Gründungsakt des Königtums. Kranz-Löber diagnostiziert die Tendenz der Gedichte aus der „Sternverdunkelung“, das Leiden der Shoa durch den Rekurs auf biblische Motive zu mythisieren. Zwar problematisiert sie diese Verklärung des Leidens – auch aus dem David-Gedicht könnte man Verzweiflung und Qual als notwendige Voraussetzungen für den Weg des Menschen ins Licht ableiten –, doch erschließt sie eine andere Zielsetzung von Nelly Sachs. Diese habe versucht, aus den „spärlichen, rudimentären Reste[n] einer mit dem Genozid untergegangenen Welt“106 eine neue poetische Welt zu erschaffen. So ergibt sich eine Parallele zwischen der Dichterin und dem Protagonisten ihres Textes. Wie bei David wird die Verzweiflung produktiv, manifestiert sich in Dichtung: „Das Grauen der systematischen Menschenvernichtung mündet in die Lyrik.“107 David – Engel – Dichter. Die poetologische Dimension Doch damit nicht genug der poetologischen Bezüge. Es existiert eine Verwandtschaft zwischen Engel und Dichter: „Als Vertreter [der] geistigen, göttlichen Sphäre in der Welt der Menschen, als leidendes Wesen und Zeuge des mit den Menschen geteilten Schmerzes übernimmt der Engel Aufgaben, die Sachs dem poetischen Schreiben zuschreibt.“108 Sowohl mit David als auch mit dem Engel teilt der Dichter die Aufgabe, Trauerarbeit zu leisten und doch auch eine Sammlung, eine Bewegung auf das Licht

104 Ruth Kranz-Löber: „In der Tiefe des Hohlwegs“, S. 23. 105 Ruth Kranz-Löber: „In der Tiefe des Hohlwegs“, S. 23; übereinstimmend dazu Ulrich Klingmann: „Im wesentlichen deuten diese Gedichte die besondere Beziehung ‚Israels‘ zu seinem Gott.“ (Ulrich Klingmann: Religion und Religiosität in der Lyrik von Nelly Sachs, S. 102) 106 Ruth Kranz-Löber: „In der Tiefe des Hohlwegs“, S. 33. 107 Ruth Kranz-Löber: „In der Tiefe des Hohlwegs“, S. 33. Kranz-Löber weist in ihrer differenzierten, sich mit unterschiedlichen Lesarten der Dichtung von Sachs annähernden Studie nach, dass die Inadäquatheit der für die Shoa verwendeten Metaphern „gerade Ziel der Darstellung ist, daß es der Lyrik von Nelly Sachs über weite Strecken offenbar darum geht, das Ereignis, das sie behandelt, zu verfehlen, einen Umweg um es zu machen, sich ihm gegenüber zu verspäten“ (ebd., S. 153). 108 Laurent Cassagnau: „Es sammelt der Engel ein / Was ihr fortwarft…“, S. 93.

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hin anzustreben. Und genau diese beiden Ziele verfolgt auch Nelly Sachs’ Gedicht. Mit der metaphorischen Umschreibung der Psalmen Davids als „Nachtherbergen / für die Wegwunden“ erzeugt der Text genau den Effekt, den er den Psalmen zuspricht: Er wirkt wie ein poetischer Trost und spendet mit Worten Geborgenheit. So erweist sich Nelly Sachs mit ihrem Gedicht als Tochter des „Vater[s] der Dichter“: Wie dieser misst sie die Entfernung zu Gott aus, dessen Abwesenheit während der Shoa für sie eine stete Ursache des Zweifelns und Verzweifelns ist. Auch sie will mit ihren Versen eine „Nachtherberge“ bauen, die freilich nur kurz – für die Nacht – Unterschlupf zu gewähren vermag. Eine dauerhafte Erlösung von der quälenden Erinnerung an die Shoa kann und will sie nicht bieten. Doch versucht sie, trotz Wunden und Tod etwas „Licht“ zu spenden – bezeichnenderweise läuft der Text gerade auf dieses Wort zu. Ungeachtet seiner charakterlichen Ambivalenz, seiner Wandlung vom Hirten zum König erscheint David in dem Gedicht als Inbegriff der Kunst – stets baut diese eine Brücke zur Transzendenz: Er ist erfüllt von „Sphärenmusik“, in der sich jenseits der Sprache „das Harmonieprinzip der Schöpfung“109 verwirklicht, er sucht im Tanz wie in seinen Psalmen den Kontakt mit Gott und selbst das Weinen des Engels zielt auf das Licht ab. Durch die Auswahl und Montage mehrerer, teilweise verfremdeter Episoden aus Davids Biografie verwebt Nelly Sachs die Bilder des Sängers, des Tänzers und des Psalmisten zu einem schillernden Porträt, dessen Vielschichtigkeit derjenigen der biblischen Figur entspricht. David ist für die Dichterin poetologische Bezugs- und Perspektivfigur, die als Vorbild dafür dient, wie Gott aus der Verzweiflung heraus zu suchen ist, aber auch, wie man mit Worten Trost und Linderung schaffen kann. Gerade seine Rolle als Psalmendichter bietet Anknüpfungspunkte für diese Stilisierung Davids zu einem Ahnherrn der Dichter. Noch in weiteren Gedichten hat Nelly Sachs das Bild des Psalmisten David aufgerufen und damit die Bedeutung dieser biblischen Figur für ihre eigene Dichtung untermauert.110 Der Psalmist David ist darin nicht nur Vorläufer und Vorbild der Dichter, sondern des ganzen jüdischen Volkes. Das Eingangsgedicht aus dem 1948 entstandenen Zyklus „Land Israel“111 endet mit folgender Versgruppe:

109 Birgit Lermen: David, S. 199. 110 Auch die „7. Elegie von den Spuren im Sande“ stellt den Dichter in eine Abstammungslinie zu David: „Am Abend dann, / Wenn der Geheimnisse Schrein / Offen steht, / Nimmst du dein Saitenspiel, / Das noch von David her tönende.“ (Nelly Sachs: Werke, Bd. 1, S. 128) 111 Nelly Sachs: Werke, Bd. 1, S. 77–81, hier zitiert S. 77 f.  

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[…] Land Israel, nun wo dein Volk aus den Weltenecken verweint heimkommt um die Psalmen Davids neu zu schreiben in deinen Sand und das Feierabendwort Vollbracht am Abend seiner Ernte singt – steht vielleicht schon eine neue Ruth in Armut ihre Lese haltend am Scheidewege ihrer Wanderschaft.

Angesichts des noch jungen Staates Israel beschwört Nelly Sachs, die das Land nie selbst betreten hat, dessen biblisch-mythische Vergangenheit und überführt sie in eine Vision des Zukünftigen. Es geht darum, das zerstreute Volk wieder zu versammeln und „nun mit Uraltem, Heiligem, Gesegnetem den neuen Bund [zu] schließen“112. Die Gebete Davids sollen vor dem Hintergrund des im 20. Jahrhunderts erfahrenen Grauens neu formuliert werden: „Sie zeigen den Versuch, einen Dialog, ein Gespräch mit Gott zu führen, aber zugleich bezeugen sie die Summe des erlittenen Leidens.“113 Wie ihre Vorväter, stellvertretend verkörpert durch David, transformieren die heimkehrenden Juden ihre Klagen und Bitten in Psalmen, die zugleich dazu dienen, das Gedenken aufrechtzuerhalten. David ist in dieser Versgruppe nicht nur explizit als Autor des Psalters präsent, sondern auch implizit als Nachkomme der Ruth. Die Moabiterin, die aus Loyalität bei der Mutter ihres verstorbenen jüdischen Mannes blieb, bekannte sich aus freien Stücken zum Volk Jahwes und fand in Bethlehem eine neue Heimat wie den Segen Gottes. Sie wird als Urgroßmutter Davids und Stammmutter verehrt.114 Mit der Evokation einer „neue[n] Ruth“ schließt das Gedicht mit der vagen Aussicht auf Freundschaft zwischen verfeindeten Völkern und auf einen Messias, der aus dem Hause Davids stammen soll.

3.2.4 Rose Ausländer: Nicht vergessen II (1981) Rose Ausländers Gedicht „Nicht vergessen II“ aus dem Jahr 1981 gelingt es trotz seiner Kürze, David zugleich als Subjekt und als Objekt von Kunst zu vergegen-

112 Nelly Sachs in einem Brief vom 24. März 1948 an Walter A. Berendsohn (Briefe der Nelly Sachs, S. 92). 113 Chiara Conterno: Die andere Tradition, S. 156. 114 Vgl. Martin Bocian: Lexikon der biblischen Personen, S. 440 f.  

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wärtigen und durch das Motiv des Sich-Erinnerns eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen. Nicht vergessen II115 Ich vergesse dich nicht König David „Vor dir hüpfen die Hügel wie die Lämmer“ Ich reise hinab ins Vergangene Komme zurück und sehe dich wieder hoch in Florenz hinabschauen ins schöne Tal wo die Welt wohnt Es tut weh und wohl nicht zu vergessen

Rose Ausländer, die als „letzte jüdische Psalmistin deutscher Zunge“116 gilt, arbeitet sich in ihrem lyrischen Schaffen an der Menschheitskatastrophe der Shoa ab. 1901 in Czernowitz in eine liberale jüdische Familie hineingeboren, überlebte sie, die eigentlich schon in die USA ausgewandert war, dann aber in die Bukowina zurückkehrte, um ihre Mutter zu pflegen, nur knapp die Judenvernichtung.117 Ihre Dichtung ist charakterisiert durch die „Verschmelzung [des] biblisch-chasidischen [!] Erbes mit dem aufklärerisch-religionskritischen Geist der Moderne“118 sowie durch eine „eskapistische Welthaltung“, einen „Rückzug der Autorin von Geschichte und Gesellschaft“119, der die Konsequenz ihres Versuchs bildet, sich selbst im Schreiben zu verwirklichen.120 Beide Tendenzen lassen sich auch in dem vorliegenden Gedicht wiederfinden.

115 Rose Ausländer: Gesammelte Werke, Bd. 6, S. 88. 116 Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 35. 117 Zur Herausbildung von Rose Ausländers jüdischer Mentalität durch ihre Familie sowie die geistige Atmosphäre in Czernowitz vgl. Peter Rychlo: „Der Jordan mündete damals in den Pruth“, S. 176 f. sowie Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 35. 118 Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 37. 119 Annette Jael Lehmann: Im Zeichen der Shoah, S. 113. 120 Vgl. Annette Jael Lehmann: Im Zeichen der Shoah, S. 106.  

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Brücken in die Vergangenheit. Die Pflicht zu gedenken Der Text ist eine reflexive Reise des lyrischen Ich zurück in die Vergangenheit und die eigenen Erinnerungen, die gegen das Vergessen verteidigt werden müssen. Zugleich trägt der aus unregelmäßig gebauten Versgruppen bestehende Text die Züge eines Dialogs mit König David, der zweimal direkt angesprochen wird. Die das erste Verspaar bildende Beteuerung, ihn nicht zu vergessen, ruft die Assoziation zu Psalm 137 auf, der berühmten Klage der Juden im babylonischen Exil: „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meine Rechte vergessen. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.“ (Psalm 137,5 f.)121 In dem Entschluss, nicht zu vergessen, manifestiert sich das spezifisch jüdische Verständnis, auch in der Diaspora die gemeinsame Religion und Kultur durch Gedenken zu perpetuieren.122 Identitätsstiftende Ereignisse sind dabei die von Gott an seinem auserwählten Volk gewirkten Wunder.  

Dafür im Gebet, besonders am Sabbat und an den großen Festtagen des jüdischen Kalenders, Dank zu sagen und im Lobpreis des zwischen Himmel und Erde geknüpften Gedächtnisbandes die Erinnerung an die Großtaten, die der Herr an seinem Volk vollbracht hat, zu bekräftigen, ist Herzstück jedes jüdischen Ritus und Inbegriff jüdischer Religiosität.123

Das Pessachfest soll dabei die Erinnerung an die in 2. Mose beschriebene Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei wachhalten. An diesen Fixpunkt der jüdischen Identität knüpft das zweite Verspaar von „Vergessen II“ an, das ein wörtliches Zitat aus Psalm 114,4 darstellt: „Die Berge hüpften wie die Widder, / die Hügel wie die jungen Schafe.“ Zwar handelt es sich bei Psalm 114, der die Wundertaten Gottes beim Auszug aus Ägypten besingt, nicht um eines der traditionell David zugeschriebenen Gebete, jedoch lassen die Lämmer, mit denen die vor Freude über Gottes Wunder erbebenden Hügel verglichen werden, an Davids ursprüng-

121 Frank-Lothar Hossfeld paraphrasiert den Vers folgendermaßen: „Wenn ich Jerusalem (jetzt und in Zukunft!) nicht mehr zur Mitte meines Lebens mache, soll ich lieber tot sein!“ (FrankLothar Hossfeld/Erich Zenger: Psalmen 101–150, S. 694) Er liest dabei die Verse im Kontext der Nachbarpsalmen 135 und 136, die ebenfalls durch das Verbum „gedenken, sich erinnern“ geprägt werden: „Das ‚Gedenken‘ ist das Israel in Ex 3,15 von JHWH selbst geschenkte bzw. aufgetragene Medium der Bewahrung seines Ursprungs und seiner kollektiven Identität ‚von Generation zu Generation‘.“ (ebd., S. 698) Aleida Assmann weist darauf hin, dass es König David war, der durch die Eroberung Jerusalems und die Begründung seiner Residenz die Stadt erst zu einem Gedächtnisort für die Juden machte (vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume, S. 306). 122 Vgl. Yosef Hayim Yerushalmi: Zachor: Erinnere Dich!, S. 17. 123 Harald Weinrich: Lethe, S. 231; vgl. auch Yosef Hayim Yerushalmi: Zachor: Erinnere Dich!, S. 24.

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liche Profession, das Hirtentum, denken.124 Doch nicht nur die ritualisierte kollektive Erinnerungsarbeit will das lyrische Ich leisten. Es begibt sich ganz individuell auf eine Reise in die Vergangenheit, die bezeichnenderweise „hinab“ führt, gleichsam in den tiefen, unergründlichen Brunnen der Vergangenheit, den Thomas Mann zu Beginn seiner Tetralogie der Josephromane beschwört. Mann betitelt dieses Vorspiel mit „Höllenfahrt“125 und auch in Rose Ausländers Gedicht scheint der Abstieg in das Gedächtnis schmerzliche, quälende Gedanken mit sich zu bringen, doch werden sie nicht zur Evidenz geführt, sondern vom lyrischen Sprecher verschwiegen. Er kehrt zurück aus seiner Versenkung und sieht sich erneut mit David konfrontiert – dieser repräsentiert hier einen positiven Anker, der dem Ich die Rückkehr in die eigene Gegenwart ermöglicht. Allerdings handelt sich dabei nicht um den leibhaftigen König. Vielmehr erblickt das lyrische Ich in Florenz Michelangelos Monumentalstatue, jenes bildhauerische Gipfelwerk der Renaissance, das den jungen David vor seiner heldenhaften Tötung des Philisterriesen Goliath darstellt. Offensichtlich bezieht sich der Text auf den Bronzeabguss, der um 1900 auf der Piazzale Michelangelo, einem hoch über der Stadt Florenz gelegenen Aussichtspunkt, errichtet wurde. Der Blick des lyrischen Ich wird durch den Blick des Bronze-Davids gelenkt, dessen Richtung derjenigen seiner Erinnerungsreise entspricht – wieder geht es „hinab“. Allerdings bietet sich den Augen des Ich ein lieblicher Anblick dar, das „schöne“ Po-Tal, das über den konkreten geografischen Ort hinaus zum Inbegriff der Welt wird.126 Eine Totalität,

124 Erich Zenger schlägt in seinem Stellenkommentar die Deutung vor, nach der „,die Berge‘ und ‚die Hügel‘ hier metonymisch für das Land Israel / Juda als Zielpunkt des Exodus / Eisodus stehen […]. Sie ‚springen‘ vor Freude, weil JHWH mit seinem Volks [!] aus der ‚Fremde‘ zurückkommt“ (Erich Zenger/Frank-Lothar Hossfeld: Psalmen 101–150, S. 269). 125 Thomas Mann: Gesammelte Werke, Bd. IV, S. 9. 126 Die Evokation von Florenz, seiner Kultur und seiner malerischen Lage lässt „Nicht vergessen II“ als Nachklang zu Rose Ausländers lyrischen Italienbildern erscheinen, die infolge ihrer ausgedehnten Europareise von 1957 entstanden und in denen sie Italien als „Mein Immerland“ preist. Mit diesen Gedichten schrieb sie sich einerseits in die bedeutende Tradition deutschsprachiger Dichter ein, die ihre italienischen Reiseerlebnisse künstlerisch verarbeiteten. Andererseits kommt Ausländers Texten auch eine existenzielle Dimension zu, verspürte sie doch auf der Reise durch Italien nicht nur das „Streben nach menschlicher Wärme, Harmonie und Klarheit“, das die deutsche Italiensehnsucht üblicherweise prägt. „Nach all den Ängsten und der schauerlich-düsteren Atmosphäre der Kriegszeit im Czernowitzer Ghetto sowie dem harten Alltag im Steinwald New York sollte das sonnige Italien mit seinen arkadischen Landschaften und seinem gemessenen Lebensrhythmus eine richtige Befreiung für sie bedeuten.“ (Peter Rychlo: „Italien / Mein Immerland“, S. 106 f.) Peter Rychlos Beobachtung, dass Rose Ausländer in den Landschaften und Sehenswürdigkeiten Italiens „geheime Botschaften und Zeichen“ wahrnahm, „die nur für sie allein bestimmt“ waren (ebd., S. 109), lässt sich auch zu dem interpretierten David-Gedicht in Beziehung setzen. Die Michelangelo-Statue mitsamt ihrem erhabenen Standpunkt wird für das  

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die auch durch die Alliteration („wo die Welt wohnt“) eingefangen wird. So sieht sich das Ich allein, an der Seite einer künstlerischen Vergegenwärtigung Davids, der Menschheit gegenüber. Diese Situation entspricht einer gängigen Stilisierung des Künstlers, der sich vom Getriebe der Welt ausgeschlossen fühlt – und doch steht hier das Ich erhöht, noch dazu neben einem künstlerischen Meisterwerk, das selbst das Gedenken an einen Helden, König und Künstler befördert. Auf diese Weise entsteht eine mehrfache Spiegelung des Künstler-Ich: Mit einem poetischen Kunstwerk, dem vorliegenden Gedicht, wird Michelangelos Statue evoziert, die ihrerseits einem Künstler bildnerisch zu Dauer verhilft. Das Unaussprechliche als Mitte des Gedichts Von der Allgemeinheit geschieden mag das lyrische Ich auch aufgrund seines Wissens um die Vergangenheit sein, das eben nicht nur die jüdischen Identifikationsfiguren wie König David oder die segensreichen Erfahrungen des jüdischen Volkes mit Gott wie den Auszug aus Ägypten einschließt. Auch wenn die in ihrer Grausamkeit unbegreifliche Shoa mit keinem Wort erwähnt wird, liegt sie doch wie ein Schatten über dem Gedicht. So bringt die letzte Versgruppe die Ambivalenz des Nicht-Vergessens auf den Punkt: „Es tut weh / und wohl / nicht zu vergessen“.127 Neben der angenehmen Erinnerung steht die traumatische – keine davon darf dem Vergessen überantwortet werden. Auffälligerweise spricht das Gedicht an prominenter Stelle – im Titel wie im ersten und letzten Vers – vom Nicht-Vergessen und nicht etwa von der positiven Entsprechung, dem SichErinnern. Tatsächlich macht das Nicht-Vergessen das Sich-Erinnern erst möglich

lyrische Ich zum Rettungsanker, um das erlittene wie beobachtete Leid zu ertragen und der selbstgestellten Aufgabe zu genügen, nichts davon zu vergessen. 127 Ein vergleichender Blick auf das Gedicht „Nicht vergessen I“ (1977), das durch die Titelvariation eine Verwandtschaft zu „Nicht vergessen II“ nahelegt, zeigt die wechselseitige Abhängigkeit von dichtendem Subjekt und Dichtung: „Heute / hat ein Gedicht / mich wieder erschaffen […] // Ich vergaß / das Gedicht zu schreiben / vergaß es // Es hat mich / nicht vergessen / kam zurück zu mir / und schrieb sich / in meine Worte.“ (Rose Ausländer: Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 62) Annette Jael Lehmann erblickt in der „Idee eines Eigenlebens der Sprache, einer immanenten, im poetischen Vollzug freisetzbaren Wesenhaftigkeit der Sprache“ ein Zentrum von Rose Ausländers Poetik (Annette Jael Lehmann: Im Zeichen der Shoah, S. 216). So wie das Gedicht das lyrische Ich nicht loslässt und seine Verbalisierung einfordert, verweigern sich in „Nicht vergessen II“ die Erinnerungen dagegen, ins Dunkel abzusinken. Während der erste Text mit der Selbstermächtigung des eigentlichen Objekts, des Gedichts, eine poetologische Relevanz behauptet, stellt der zweite Text keine solch explizite Verbindung zu Fragen der Autorschaft her. Doch erlauben einerseits das Kreisen beider Gedichte um das Phänomen des Vergessens und andererseits die Assoziation zum Psalmendichter David, auch hinter dem lyrischen Ich des zweiten Textes einen Künstler zu vermuten, der mit seinen Werken dem Vergessen entgegenwirkt.

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und begründet das Gedächtnis.128 Das antithetische Begriffspaar weh / wohl erweist sich als Schlüssel für den Text, der hinter all den aufgeführten positiven Gegenständen von Erinnerung den Abgrund aufscheinen lässt. Die Shoa als Leerstelle ist durchaus symptomatisch für diese Dichterin, die als „Überlebende / des Grauens“129 in ihre Dichtung zwar Trauer und die Erfahrung von Schrecken, Verfolgung und Mord einfließen lässt, doch auch sprachkritisch das Versagen der Sprache vorführt, wenn es darum geht, das Unfassbare, das Unsagbare zu sagen. Leslie Morris ordnet Ausländers Lyrik der „post-Holocaust“-Kunst zu: Diese Texte, die sich mit der Realität und Möglichkeit von Geschichte, Wissen und Subjektivität auseinandersetzen, sind geprägt von Meta-Reflexionen über den Holocaust, Erinnerung und die Grenzen von Kunst. Noch bedeutsamer ist, dass sie durch ihren Versuch, die Grenzen der Darstellbarkeit des Holocaust zu problematisieren, Elegien werden, die bis an die Grenzen der äußersten Durchführbarkeit der Holocaustdarstellung gehen.130

Annette Jael Lehmanns These, dass Rose Ausländers Lyrik „vielfach den direkten Respons auf die Shoah [verweigert]“, ist in seiner apodiktischen Zuspitzung missverständlich.131 Auch wenn in Ausländers Spätwerk nach 1975 die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung der Juden oft chiffriert und nicht das ausdrücklich und explizit artikulierte Sujet ihrer Lyrik ist, bleibt sie doch als eine Art Metatext stets präsent.132 Der Vorsatz, nicht zu vergessen, kehrt in unter-

128 Vgl. Michel Lemercier: Enfance, S. 93: „La dualité oppositionelle du weh / wohl et, avec lui, grâce à lui, la dialectique bouleversante de la mémoire, génitrice ambiguë tout à la fois de souvenirs de bonheur et de réminiscences atroces, ne peuvent être exprimées de manière plus concise, plus frappante et plus symbolique que dans cette strophe souveraine aux sept monosyllabes sur huit mots.“ 129 Zitat aus dem späten Gedicht „Als ich / aus der / Kindheit floh“ von 1985 (Rose Ausländer: Gesammelte Werke, Bd. 7, S. 287). 130 Leslie Morris: Poesie und Verlust, S. 74; zur Schwierigkeit der Überlebenden, das fortwährend Erinnerte dichterisch zu gestalten, vgl. auch Julia Kristensson: Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik, S. 79 f. 131 Annette Jael Lehmann: Im Zeichen der Shoah, S. 63. Lehmann relativiert ihre eigene Aussage selbst, indem sie die ungenannte, doch stets präsente dunkle Kontrastfolie von Ausländers Gedichten nachweist: „Rose Ausländers Gedichte mit ihrer Vielzahl an oberflächlichen Impressionen, Eindrücken, Stimmungen und ihren partiellen wortmythischen Verankerungen lassen sich daher als unermüdlicher und unabdingbarer Versuch interpretieren, die allzeit latente Negativität und Trauer wortreich zu verdrängen.“ (Ebd., S. 228) Helmut Braun betont die Omnipräsenz der Shoa in Ausländers Spätlyrik: „Wir müssen […] davon ausgehen, dass allen ihren nach 1945 entstandenen Gedichten, [!] das Erleben und Erleiden der Shoa als Metatext eingegeben, ‚eingebrannt‘ ist.“ (Helmut Braun: „Gedichteschreiben / ein Handwerk“, S. 64) 132 Vgl. Claudia Beil: Sprache als Heimat, S. 331. Julia Kristensson zeigt anhand von zwei exemplarischen Gedichtanalysen, wie Rose Ausländer versucht, mit Herbstmotiven und der Kumula 

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schiedlichen Texten immer wieder – bezeichnenderweise trägt eines ihrer Gedichte den Titel „Urne Erinnerung“, der metaphorisch das Gedächtnis mit dem Genozid verknüpft.133 David als künstlerisches Subjekt und Objekt David wird in unterschiedlichen Rollen aufgerufen – und sei es nur über Anspielungen oder Assoziationen: Er ist König, Hirte, Psalmist, aber nicht nur Kunstschaffender, sondern auch Objekt von Kunst – bildender wie auch poetischer. Und daneben fungiert David als Gegenüber für das Sprecher-Ich und ein Stück weit als Vertrauter und Trostspender. Das David zugesicherte Erinnern scheint auch dem Ich gutzutun und es ihm erst zu ermöglichen, nicht den Weg des geringsten Widerstands zu wählen und die unaussprechlichen Belastungen der Vergangenheit zu verdrängen. Zwar lässt das Gedicht vieles ungesagt, doch leistet es nichtsdestoweniger seinen Beitrag zur Pflege der jüdischen Erinnerungen, der guten wie der schlechten.134 Der Bogen, den der Text schlägt, reicht vom Auszug aus Ägypten zum Königtum Davids, um dann über die Renaissance bis in die eigene Gegenwart des lyrischen Ich auszugreifen, womit Rose Ausländer ihrer selbstgesteckten Aufgabe als Dichterin gerecht wird, „Vergangenheit und Gegenwart wieder zu verbinden – besser zu verbünden – und damit eine Basis für die Zukunft zu schaffen“135. Einzelne Signalwörter, die Anspielung auf Michelangelos Statue und ein Psalm-Zitat reichen aus, um verschiedene Facetten Davids wie seiner künstlerischen Rezeption aufscheinen zu lassen. Auf die Ansprache Davids als lyrisches Du trifft Peter Rychlos allgemeines Urteil zu: „Die biblischen Anspielungen bei tion biblischer Naturkatastrophen wie der Sintflut und der Zerstörung Sodoms die Shoa metaphorisch zu erfassen (vgl. Julia Kristensson: Identitätssuche in Rose Ausländers Spätlyrik, S. 212–222). Dabei demontiert Ausländer die traditionelle Bildsprache und entlarvt sie als unzulänglich. Die im Alten Testament als göttliche Strafgerichte legitimierten destruktiven Naturgewalten werden dabei umgedeutet: Sie sind „als ein experimenteller Beschreibungsversuch einer Grenzerfahrung in der Schoah zu werten, in der die Intensität der Gefährdung durch eine Kumulation der Katastrophen erreicht wird“ (ebd., S. 217). 133 Rose Ausländer: Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 54. Ein spätes, 1987 veröffentlichtes Gedicht variiert das Nicht-Vergessen, wobei es offenbleibt, ob das Ich sich bewusst weigert, mit dem Vergangenen abzuschließen, oder ob es dazu nicht in der Lage ist: „Nein / ich vergesse nicht / die eingebrannten Jahre / ich vergesse nicht / daß Stiefel / den Regenbogen zertraten / daß sie sich rüsteten / und zu verwandeln in / Feuerrosen Feuerfalter Feuerschwingen“ (Rose Ausländer: Gesammelte Werke, Bd. 7, S. 261). 134 Die Paradoxie, etwas eigentlich Unsagbares zur Sprache zu bringen, ließe sich auch als Reflex auf Vorstellungen der jüdischen Mystik deuten, mit der sich Rose Ausländer auseinandergesetzt hat (vgl. Claudia Beil: Sprache als Heimat, S. 361 f., 368). 135 Helmut Braun: „Gedichteschreiben / ein Handwerk“, S. 65.  

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Rose Ausländer sind zum Teil auch Quelle jener tiefliegenden Suggestion, die mittels lapidarster Sprachelemente die größte Eindruckskraft erzielt.“136 Das Sprechen in Andeutungen und Verschweigen erzeugt ein Mosaikbild, dessen leere Stellen der Rezipient selbst füllen muss. Das Bekenntnis zu König David ist zugleich ein Bekenntnis zum Judentum und zur abendländischen Kultur, das allerdings die leidvolle Vergangenheit, den Zivilisationsbruch der Shoa, nicht überspielt. Die Existenz des Gedichts belegt, dass nichts vergessen ist.137

3.2.5 Vergleichende Zusammenschau: Intertextuelle Strategien Auch wenn die moderne Bibelforschung David als Urheber der Psalmen suspendiert hat, halten Dichter nicht nur an seiner Rolle als Psalmist fest, Nelly Sachs kürt ihn sogar zum Prototyp des Dichters. Bezüge zum Prätext Reinhard Johannes Sorges David-Drama verdeutlicht durch die Integration biblischer oder erfundener Psalmverse die permanente Kommunikation zwischen David und Gott. Die zahlreichen Psalmzitate verleihen dem Bühnenstück einen lyrischen Charakter. Und eigentlich bietet sich Lyrik auch als naheliegende Gattung an, wenn es darum geht, die Rezeption des Psalmisten David fortzuschreiben. Für diese Tradition stehen die drei besprochenen Gedichte. Die darin zum Einsatz kommenden intertextuellen Verweisungsmuster sind raffiniert und subtil, da sie meist nur mit Zitaten und Anspielungen arbeiten und allein mit den Signalwörtern „David“, „Harfe“ oder „Psalm“ das kulturgeschichtliche Wissen des Lesers zur Psalmendichtung Davids aktivieren. Diese Signalwörter sind allerdings so fest im kulturellen Gedächtnis verankert, dass sie ausreichen, um dem Leser ein Bewusstsein der intertextuellen Verwandtschaft von Gedicht und Vorlage zu vermitteln (Prinzip der Kommunikativität).138 Während das David-Gedicht von Nelly Sachs vier klar identifizierbare, auf den Prätext zu beziehende Stationen aus Davids Leben in chronologischer Reihenfolge abschreitet, arbeitet Rose Auslän-

136 Peter Rychlo: „Der Jordan mündete damals in den Pruth“, S. 193. 137 Peter Rychlo gelangt zu dem Schluss, dass das ganze lyrische Werk von Rose Ausländer „ein riesiges Erinnerungsbild, eine vielfältige retrospektive Metapher ist“ (Peter Rychlo: „Der Jordan mündete damals in den Pruth“, S. 184). Er weist in diesem Zusammenhang auf den biografischen Hintergrund hin: Da Ausländer einen Großteil ihres Werks erst im Alter in dem kleinen Zimmer des Nelly-Sachs-Hauses in Düsseldorf verfasste, war sie darauf angewiesen, auf ihre Erinnerungen zurückzugreifen. 138 Vgl. Manfred Pfister: Konzepte der Intertextualität, S. 27.

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ders Gedicht lediglich mit Assoziationsangeboten, erzählt aber keine vorgeprägte Geschichte nach. Rilkes Gedicht aus dem „Stunden-Buch“ begnügt sich schließlich mit der reinen Allusion, um die Kunst und Inspiration Davids mit der eigenen zu parallelisieren. Der auf Konvention und Tradition beruhende Bildtypus des Psalmisten ist kaum durch Handlungszusammenhänge festgelegt und erlaubt daher einen freieren dichterischen Zugriff. Alle drei Gedichte sind somit von Selektivität und Referentialität geprägt – wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung. Der Bezug auf die Figur Davids ist jeweils deutlich markiert, nur bei Nelly Sachs erfolgt ein Ausgreifen in die Biografie Davids, alle aber thematisieren (explizit oder implizit) seine Psalmendichtung. In „Nicht vergessen II“ knüpft ein durch Anführungszeichen als Zitat ausgewiesener Psalmenvers eine zusätzliche Verbindung zum alttestamentlichen Primärtext. Der Psalmist als poetologische Projektionsfigur Die Annahme liegt nahe, dass Dichtung über den Verfasser religiöser Poesie selbst eine religiöse Tendenz aufweist. Als dramatisierter Psalmengesang lässt sich Sorges „König David“ lesen, mit dem der Dichter in die Spuren des Psalmensängers treten will. Seine Kunst soll einem heiligen Zweck dienen, wohingegen bei Rilke die Kunst selbst zu diesem wird. Ihm dient die Berufung auf David dazu, vordergründig die religiöse Aufgabe des Künstlers zu veranschaulichen, tatsächlich aber nobilitiert sie den Künstler, ja schreibt der Kunst selbst einen religiösen Stellenwert zu. Weitaus existenzieller ist die Beziehung von David und Dichter bei Nelly Sachs – zwar wird auch hier der Dichter durch den „Vater“ David erhöht, doch ergibt sich für ihn darüber hinaus die Verpflichtung, in der Nachfolge des israelitischen Königs mit seinen Worten den „Wegmüden“ Kraft und Geborgenheit zu spenden. Mit seiner Bildsprache scheint dieses Gedicht einen metaphysischen Trost zu versprechen. Zugleich darf das biblische Thema nicht darüber hinwegtäuschen, dass Nelly Sachs mit ihrem Werk die Erinnerung an das apokalyptische Grauen des industrialisierten Massenmords wachhalten will, selbst wenn sie dies in ihrem frühen Exilwerk, zu dem „David“ gehört, auf mythisierende Weise tut.139 „Das offenbare Fehlen oder Verfehlen der Abbildung bezeichnet die Präsenz des Unrepräsentierbaren. Die Shoah bildet nicht den Gegenstand,

139 Am 27. Oktober 1947 schrieb Nelly Sachs in einem Brief an Carl Seelig: „Wir nach dem Martyrium unseres Volkes sind geschieden von allen früheren Aussagen durch eine tiefe Schlucht, nichts reicht mehr zu, kein Wort, kein Stab, kein Ton – (schon darum sind alle Vergleiche überholt) was tun, schrecklich arm wie wir sind, wir müssen es herausbringen, wir fahren zuweilen über die Grenzen, verunglücken, aber wir wollen ja dienen an Israel“ (Briefe der Nelly Sachs, S. 83 f.).  

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sondern die imaginäre Mitte des lyrischen Werkes, um die sich die Gedichte in konzentrischen Kreisen anordnen, die sie jedoch nicht berühren.“140 Dieser Befund von Ruth Kranz-Löber lässt sich ohne Einschränkung auf das lyrische Schaffen von Rose Ausländer ausweiten, das ebenfalls dem Gedenken verpflichtet ist. Die Gedichte der beiden jüdischen Dichterinnen setzen den Psalmisten David in Bezug zur eigenen Gegenwart, die jeweils „im Zeichen der Shoah“141 steht. Auch in Ausländers Gedicht wird das Bild von David als Herrscher und Künstler evoziert. Darüber hinaus erzeugt die Hinwendung zur Michelangelo-Statue einen intermedialen Konnex, der einen Zusammenhang zwischen Künstler (Dichter und Bildhauer) sowie Werk (Gedicht, Psalm, Skulptur) stiftet. Dabei erfüllt David als Schöpfer wie als Gegenstand von Kunst eine poetologische Funktion, bietet er doch dem lyrischen Ich Halt und einen lichten Bezugspunkt und motiviert er das Ich, seiner Gedenkpflicht treu zu sein, was in den vorliegenden Text mündet. Die schmerzvollen Erinnerungen müssen ertragen werden – eine Erlösung wird nicht in Aussicht gestellt. Während Rilkes Text ganz im Kunst-Diskurs der Jahrhundertwende verhaftet ist, erfolgt der Zugriff der jüdischen Dichterinnen auf die biblische Figur aus dem Trauma der Shoa heraus. Die Auseinandersetzung mit dem Psalmisten steht im Dienst der Erinnerung an das jüdische Leiden.

140 Ruth Kranz-Löber: „In der Tiefe des Hohlwegs“, S. 56. 141 So der Titel von Annette Jael Lehmanns Dissertation, die die Gemeinsamkeiten und Eigenheiten der Dichtung von Rose Ausländer und Nelly Sachs im Umgang mit der Shoa in den Blick nimmt.

4 David als Machtmensch und Künstler in zwei Romanen des 20. Jahrhunderts Literarische Texte, die König David als Figur auftreten lassen und seine ganze Vita nachzeichnen bzw. neu beleuchten, beziehen sich oft auch auf seinen Status als Sänger, Dichter und Psalmist, allerdings nur als Dreingabe und zusätzliches Charakteristikum, das das traditionelle, durch ikonografische Darstellungen bekannte Bild bedient.1 Eine stärkere Funktionalisierung und Problematisierung erfährt Davids Künstlertum dagegen in zwei Gegenwartsromanen, die beide von jüdischen Schriftstellern stammen und nachhaltig von den Menschheitskatastrophen des 20. Jahrhunderts geprägt sind. Wie in den Dichtungen von Nelly Sachs und Rose Ausländer bedingt auch in Stefan Heyms und Grete Weils Texten die

1 Dies gilt z. B. für Franz Werfels Bibelspiel „Der Weg der Verheißung“ von 1937, das die Schlüsselfiguren des Alten Testaments, darunter natürlich auch David, heraufbeschwört. Der Anlage des Stücks entsprechend ist die Vita Davids aufs Äußerste komprimiert und reduziert. Doch findet David als „saitenkundige[r] Mann“ (Franz Werfel: Gesammelte Werke. Die Dramen, Bd. 2, S. 148) Zeit, zwei Psalmen zu rezitieren, beide Male wörtlich dem Psalter entnommene und als Zitate kenntlich gemachte Gebete (vgl. ebd., S. 148, 158 f.). Die Integration der Psalmenverse bedient die gängige Vorstellung, dass König David auch für einen Großteil der Psalmendichtung verantwortlich zeichnet und darin seine – jeweils konkreten biografischen Situationen entsprungenen – Bitten und Danksagungen artikuliert. Es bleibt bei diesen punktuellen Andeutungen von Davids Künstlertum, das nur als eine Facette seiner Person angelegt ist und hier nicht als Ansatzpunkt für selbstreferenzielle Reflexionen dient. „Die Historie von König David“ von Richard Beer-Hofmann spart dagegen das Künstlertum der Titelfigur weitgehend aus, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass der jüdisch-österreichische Dichter trotz eines über 40-jährigen Arbeitsprozesses sein auf vier Teile angelegtes monumentales Werk nicht vollendete. Da das Geschehen von „Der junge David“ nach Samuels Tod und Sauls Zerwürfnis mit David einsetzt, werden Davids Musiktherapie sowie Sauls Speerwurf übersprungen. Beer-Hofmann nutzt somit nicht das dramaturgische Potenzial, das die Entfremdung zwischen altem und neuem Erwählten birgt und das zahlreiche Dichter bei ihren Adaptionen des Stoffs in den Mittelpunkt gerückt haben. Davids eigentliches Gegenüber ist auch nicht Saul, sondern sein Mitspieler und zeitweise scheinbarer Gegenspieler ist Gott. Auch wenn David in den existierenden Partien nicht als Künstler in Erscheinung tritt (im Prolog zu „König David“ wird er immerhin als „Hirt! König! Sänger!“ gefeiert, Große Richard Beer-Hofmann-Ausgabe, Bd. 5, S. 503), stellt Beer-Hofmann eine Parallele zwischen dem Gesalbten und dem Dichter her. Dieser fungiert für ihn nämlich als Auserwählter und Mittler im Dienst einer Tradierung des Judentums (vgl. ebd., S. 555 f.). In Entsprechung zu diesem hohen Sendungsbewusstsein versteht er sich selbst als verkündender Dichter, die Kunst wird zum Gottesdienst (zum dichterischen Selbstverständis Beer-Hofmanns vgl. Stefan Scherer: Richard Beer-Hofmann und die Wiener Moderne, S. 121–123).  





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Erfahrung der Shoa einen neuen Blick auf den berühmtesten jüdischen König. Doch hier steht das David-Bild unter negativem Vorzeichen.

4.1 Stefan Heym: Der König David Bericht (1972) Stefan Heyms 1972 in der Bundesrepublik erschienener Roman „Der König David Bericht“ gibt vor, die offizielle Lebensbeschreibung des Vaters von König Salomo zu präsentieren.2 Der Ich-Erzähler, der aus einer israelitischen Kleinstadt stammende Historiker Ethan, wird von Salomo berufen, „als Redakteur, jedoch ohne Stimmrecht“ (S. 12), mit einer Kommission aus geistlichen und weltlichen Würdenträgern an der „Ausarbeitung des Einen und Einzigen Wahren und Auroritativen, Historisch Genauen und Amtlich Anerkannten Berichts über den Erstaunlichen Aufstieg, das Gottesfürchtige Leben, sowie die Heroischen Taten und Wunderbaren Leistungen des David ben Jesse, Königs von Juda während Sieben und beider Juda und Israel während Dreiunddreißig Jahren, des Erwählten GOttes und Vaters von König Salomo“ (S. 11) mitzuwirken. Bereits diese Kumulation von Hyperbeln, die ins Absurde umschlägt, entlarvt das Unternehmen als hybrid und den Roman Heyms als satirisch.3 Salomo, der durch Intrigen seine Brüder bei der Thronfolge ausgeschaltet hat, will mit einer offiziellen Version der Biografie Davids dessen Erwähltheit zweifelsfrei darlegen und so seine eigene Herrschaft legitimieren. Zwar soll Ethan anhand von Aufzeichnungen, Augenzeugenberichten und anderen Überlieferungen die Vita Davids rekonstruieren, zwar fördert er „Stück für Stück die Wahrheit über die bereits mythisch irrlichternde Gestalt Davids zutage“4, doch wird er gezwungen, ein affirmatives, von allen Schatten bereinigtes David-Bild zu zeichnen und Geschichtsklitterung zu betreiben. Dennoch fühlt er sich seinem Ethos als Historiker verpflichtet und versucht, „ein Wörtchen hier und eine Zeile dort in den König-David-Bericht einzufügen, aus denen spätere Generationen ersehen würden, was wirklich in diesen Jahren geschah und welch

2 Stefan Heyms Roman wird im Folgenden zitiert nach der Auflage von 1988. Georg Langenhorst ordnet den Text als „Höhepunkt der David-Romane unserer Zeit“ ein (Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 171). 3 Vgl. Christiane Bohnert: Stefan Heym: „Der König David Bericht“, S. 168. Peter Rusterholz fordert, Bohnerts Klassifikation des Romans als Satire zu differenzieren. So sei Ethan eher eine tragische Figur und auch die Figur Davids werde nicht durchgehend satirisch überzeichnet (vgl. Peter Rusterholz: Stefan Heym – Der König David Bericht, S. 815). 4 Walter Dietrich: Von einem, der zuviel wußte, S. 46.

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ein Mensch David, Jesses Sohn, gewesen“ (S. 14).5 In dem Roman über die Entstehung dieses Berichts finden auch Davids musisch-künstlerische Talente Erwähnung, bleiben aber gewissermaßen ein Seitenmotiv.

4.1.1 Kunst als Instrument der Macht Der Fokus liegt auf dem skrupellosen Griff Davids nach der Königsmacht sowie seinem Ringen um den Erhalt der Herrschaft, sodass eher der Politiker als der Künstler porträtiert wird.6 Bei dem ganzen Roman muss man freilich die redigierende, komponierende, filternde Hand des fiktiven Autors Ethan mitbedenken. „Ethan bildet einen Text, welcher an der Oberfläche das hehre Bild eines edlen Königs malt, unterschwellig jedoch eine andere Geschichte erzählt.“7 So verwundert es nicht, dass auch Davids künstlerischem Wirken ein Hintersinn unterstellt wird. Sowohl das Harfenspiel vor Saul als auch später der Tanz vor der Bundes-

5 Peter Rusterholz gleicht im Hinblick auf die widersprüchlichen Passagen der biblischen Vorlage Stefan Heyms Darstellung mit den Erkenntnissen der modernen Bibelwissenschaft ab und gelangt zu dem Schluss, dass „Heyms Fiktionen der historischen Forschung näher [sind] als man wegen der kühnen Erfindungen von Autoren- und Quellenzuschreibungen denken könnte“ (Peter Rusterholz: Stefan Heym – Der König David Bericht, S. 818 f.). 6 In der Forschung wird die Stoßrichtung von Heyms Roman kontrovers diskutiert. Zwar hat der Autor selbst sein Werk als historischen, biblischen und aktuell politischen Roman zugleich klassifiziert (vgl. Walter Dietrich: Von einem, der zuviel wußte, S. 59), doch konzentrierte sich die erste (westdeutsche) Rezeption vor allem auf den letzteren Aspekt und destillierte ideologiekritische Aussagen heraus. Die biblische Geschichte galt als Tarnung, um am Beispiel Davids die totalitären Herrschafts- und Propagandamethoden Stalins anzuprangern. Man wollte hinter David Lenin und hinter Salomo Stalin erkennen (vgl. Christiane Bohnert: Stefan Heym: „Der König David Bericht“, S. 144 f.). Wie Pia Eckstein allerdings zu Recht feststellt, würde eine Analogisierung von David und Stalin bzw. eine Verengung auf eine antikommunistische Perspektive den komplexen Roman verflachen, zumal sich das Buch mit dem Untergang des sowjetischen Machtblocks selbst überlebt hätte (vgl. Pia Eckstein: König David, S. 226–229). Nicht zuletzt hat sich Heym nie vom Marxismus als Bezugsgröße seines Denkens abgewandt (vgl. Karl-Josef Kuschel: Weil wir uns auf dieser Erde nicht ganz zu Hause fühlen, S. 102). Christine Bohnert arbeitet in ihrer differenzierten Untersuchung des Romans eine zeitlose Intention heraus, die sich gerade in der doppelbödigen Erzählweise verwirkliche: „Da in diktatorisch regierten Ländern das Zwischen-den-Zeilen-Lesen als Mittel gegen den Herrschaftsanspruch eines Mannes, einer Gruppe oder einer Partei ohnehin Tradition hat, sind Heyms Hinweise leicht verständlich.“ (Christiane Bohnert: Stefan Heym: „Der König David Bericht“, S. 192) Auch Christoph Gellner erkennt in dem Roman eine über die Stalinismuskritik hinausgehende „köstliche Persiflage auf das Verhältnis von Geist und Macht in totalitären Staaten“ (Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 210; vgl. auch Georg Langenhorst: Von heiligen Tänzern und Tempelbauern, S. 175). 7 Pia Eckstein: König David, S. 221.  



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lade erweisen sich als politisch motiviert. Ethan findet Indizien, die darauf hindeuten, dass die intrigante Priesterkaste David erst im Leierspiel geschult und ihn gezielt am Königshof eingeschleust hat, um Saul zu manipulieren. In einem Brief Abners an Saul heißt es: „Samuel habe den bösen Geist, der meinen Herrn König plagt, heraufbeschworen; um aber das Kommen und Gehen des Geistes zu überwachen, habe man den Jüngling David hingebracht, damit er vor dem König singe und aufspiele“ (S. 61).8 Die Heimführung der Lade hat dagegen klar propagandistische Funktion und soll dem Volk die Auserwähltheit seines Königs möglichst imposant vor Augen führen: David weiß, was er dem HErrn schuldet: dies wird die größte Prozession in der Geschichte Israels werden, mit zahllosen Musikanten, die vor dem HErrn auf Harfen spielen, auf Psaltern, auf Pauken, auf Kornetten, auf Zimbeln, genug, um auch den stärksten Ochsen zu erschrecken. […] Alsbald gürtet er sich mit dem leinenen Leibrock des Priesters und tanzt in Verzückung vor dem HErrn, zum großen Jubel des Volkes, das sein wohlentwickeltes Zubehör bewundert, und zum großen Mißvergnügen Michals, die von ihrem Fenster aus seine Sprünge beobachtet, während er die Lade zum Tabernakel geleitet. (S. 156 f.)  

Die ironischen Spitzen des Berichts lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Geltungssucht des Königs sowie auf die Sensationslust des Volkes. Der Tanz ist weniger Kunst oder Ausdruck religiöser Ekstase als eine Mischung aus Selbstdarstellung und Volksbelustigung.

4.1.2 Demontierende Montage. Zur Integration der Psalm-Zitate An drei Stellen werden David zugeschriebene Gebete wörtlich aus der Bibel in den Roman einmontiert, jedoch gewinnen sie durch den Kontext, in den sie unvermittelt gestellt werden, einen demaskierenden Charakter.9 Die Gebete erhalten so den Anstrich öffentlicher Verlautbarungen, die jeweils den wahren Sachverhalt beschönigen, indem sie David von einer Schuld an zuvor geschehenen Verbrechen freisprechen. Im Zusammenspiel mit den vom Ich-Erzähler Ethan davor bzw. danach präsentierten Ergebnissen seiner Recherchen wirken sie zynisch und

8 Eine ähnliche Vermutung äußert Prinzessin Michal gegenüber Ethan: „Manchmal kam mir der Verdacht, daß David in der Tat sein Spiel trieb mit dem Geiste.“ (S. 41) 9 Walter Dietrich kritisiert scharf, dass Heym an der längst als überholt geltenden PsalmenAutorschaft Davids festhält und die Texte, die eigentlich aus anderer Feder stammen, zum Nachweis für Davids Scheinheiligkeit umdeutet. Dietrich gelangt zu dem Schluss, dass Heym „an Dekonstruktion viel, an sachgerechter Information aber wenig gelegen ist“ (Walter Dietrich: Von einem, der zuviel wußte, S. 65).

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berechnend, wie gemacht, um Davids eigenes Angedenken zu befördern. So wird Psalm 7,10–16 auszugsweise als lyrisches Gebet, nämlich als „Shiggaion des David, welches er gesungen hat dem Herrn“ (S. 85 f.), unmittelbar an die Erzählung über den Tod Nabals angeschlossen. Der reiche Nabal hatte es abgelehnt, den damals als Rottenführer agierenden David für den Schutz seiner Herden zu bezahlen. Nur die Intervention von Nabals schöner Frau Abigail, die auf eigene Verantwortung David die geforderten Nahrungsmittel zukommen ließ, verhinderte dessen geplanten Rachefeldzug. Den übervorteilten Nabal traf aus Wut der Schlag, was Abigail als Urteil Gottes auslegte, weshalb sie jede Hilfe für den Sterbenden verweigerte – nur um dann als Witwe schnellstmöglich Davids Frau zu werden. Der Dankpsalm lässt David als gleichermaßen kaltblütigen und selbstgerechten Nutznießer erscheinen, der Abigails Agieren als Beweis für die göttliche Gnade deutet. Noch scheinheiliger wirkt David durch die Einfügung des Klagelieds anlässlich der Ermordung von Sauls Feldherr Abner (vgl. S. 148). Dessen Tod liegt eigentlich in seinem taktischen Interesse, wird aber nach außen allein dem rachsüchtigen Joab angelastet. Und auch die Auslöschung der verbliebenen Nachkommen Sauls, die Hinrichtung seiner sieben Söhne zu Gibeon, kommt David bei der Festigung seiner Thronansprüche sehr zupass und geht sogar auf seine Initiative zurück. Doch betont er mit dem „Lobgesang Davids für die Errettung von seinen Feinden“ (S. 170), entnommen Psalm 18,21–25, mehrfach seine Integrität sowie die „Reinheit [s]einer Hände“ – der Untergang des Hauses Saul erscheint so ebenfalls als Folge des göttlichen Wirkens.10  

4.1.3 Kunst macht den Unterschied. Die Hoffnung auf das Gute im Menschen Auch wenn in all diesen Episoden die Kunst, das Leierspiel, der Tanz, der Gesang von Psalmen, einem machtpolitischen Kalkül entspringen und Davids Aufstieg unterstützen sowie seine Herrschaft sichern sollen, finden sich doch auch vereinzelt Hinweise darauf, dass David nicht nur das Zeug zum egoistischen Machtmenschen, sondern auch zum empfindsamen Dichter hat. Als Michal, die von Saul nach Davids Flucht mit einem anderen verheiratet worden war, dem nunmehrigen König Judas zurückgegeben wird, erwartet sie von David eine Geste der Zärtlichkeit. Michal erzählt Ethan: Er sagte: Ich habe letztlich einige recht interessante Verse geschrieben. Vielleicht möchtest du sie einmal hören. Ich selber singe kaum noch; ich habe einen Chormeister und Sänger mit verschiedenen Stimmen, hohen wie niedrigen, welche zum Psalter, oder zur Harfe, oder

10 Vgl. Walter Dietrich: Von einem, der zuviel wußte, S. 52 f.  

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zur Laute singen; ich lasse gern ein paar zu dir kommen. So dankte ich ihm und sagte, sein Anerbieten sei höchst gnädig, und er sei mein Lieblingsdichter. […] Dann legte er mir vier Finger auf die Stirn und sprach: Möge HErr Jahweh deine Ankunft in diesem Hause segnen; gute Nacht. Und ging. (S. 145)

Zwar demonstriert der Dialog vor allem die Entfremdung des Ehepaares, bei der der Vortrag von Dichtung den Liebesakt substituieren soll, doch lässt er auch erkennen, dass das politische Geschäft einer künstlerisch-schöpferischen Verwirklichung im Wege steht. Tatsächlich wird an anderer Stelle, in der echauffierten Selbstaussprache des Propheten Nathan, die künstlerische Ader Davids angeführt, die aus ihm mehr gemacht hätte als einen reinen Verbrecher und die ihn gegenüber seinem Sohn und Nachfolger Salomo auszeichne: Sein Vater, König David, war ein Dichter und besaß die Vorstellungskraft eines Dichters. So kam es, daß er sich in einer besonderen Beziehung zu GOtt sah: als den Erwählten des HErrn, und dennoch als GOttes Diener, der aufgerufen war, sich im Dienst der Sache zu verschleißen. […] Dieser aber? […] dieser ist ein Nachäffer, eitel, ohne Erleuchtung, seine Träume mittelmäßig, seine Verse seicht, seine Verbrechen Ergebnis seiner Furcht, nicht seiner Größe. (S. 264)

So ist es neben seinem persönlichen Charisma seine Kunst, die verhindert, dass David allein als verabscheuungswürdiger Gewalttäter erscheint, sondern ihn als faszinierenden und anziehenden Herrscher über das Mittelmaß heraushebt. Anders als sein Sohn Salomo ist David kein „kleiner Halsabschneider“, sondern „ein großer Mörder“ (S. 95). „Der reichhaltige Perspektivismus [von Heyms] Erzähle[n] richtet sich sowohl gegen das David-Bild als Schlächter und Mörder wie gegen seine heroische Idealisierung und versucht, seine Verbrechen als Ausdruck seiner Grösse nicht zu entschuldigen, wohl aber zu verstehen, ohne sie zu billigen.“11 Und es schwingt der Gedanke mit, dass aus ihm ein vollkommener Künstler hätte werden können, hätte er sich nicht in die Machtkämpfe hineinziehen lassen. So hat Davids Kunst in Heyms Roman eine doppelte Funktion: Einerseits wirkt sie herrschaftsstabilisierend, indem sie die Grausamkeit und Willkür des Königs verschleiert und zugleich seine Besonderheit herausstellt. Andererseits ist sie der Gegensatz zur Politik, die utopische Andeutung eines anderen, selbstlosen, feinsinnigen Lebensentwurfs.

11 Peter Rusterholz: Stefan Heym – Der König David Bericht, S. 823.

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4.2 Grete Weil: Der Brautpreis (1988) Wie Stefan Heyms „König David Bericht“ rekapituliert auch Grete Weils 1988 veröffentlichter Roman „Der Brautpreis“12 das ganze Leben Davids aus der Rückschau, allerdings ist es hier Sauls Tochter und Davids erste Frau Michal, die als Ich-Erzählerin ihre Erinnerungen wiedergibt.

4.2.1 Der weibliche Blick. Der Roman als Kritik am Patriarchat Michal, die hochbetagte, im Palast Salomos lebende Witwe, vergegenwärtigt ihre spannungsreiche Beziehung zu David, gerät darüber aber immer wieder in herrschafts-, gesellschafts- und religionskritische Reflexionen. Die Figur ist dabei anachronistisch angelegt, da sie „mit dem Bewusstsein einer Frau am Ende des 20. Jahrhunderts ihre Abhängigkeit beklagt“13. Michal, der in der biblischen Erzählung eher eine Nebenrolle zukommt, rückt ins Zentrum, wobei Grete Weil die Leerstellen des Prätextes psychologisierend ausfüllt.14 Aus spezifisch weiblicher Perspektive wird die patriarchalische Welt der frühen Königszeit geschildert, in der Frauen nur als Gebärerinnen von Kindern – vor allem von Söhnen – oder als Ware, als Tausch- und Beutegut interessieren: „Eine Frau im Lande Kanaan. Eine Königstochter. Handelsware der Männer. Je höher die Männer stehen, desto schlimmer für die Frau.“ (S. 36) Prinzessin Michal selbst muss es erdulden, dass Saul für ihre Hand von David einen Brautpreis fordert, mit dem er den Brautwerber in Lebensgefahr bringen will. Als Tauschgut setzt er 100 Philistervorhäute fest, was David als Zeichen seiner Überlegenheit und aus „selbstverliebte[r] kriegerische[r] Hypertrophie“15 verdoppelt. Die Auszahlung des grauenvollen Preises – David schüttet körbeweise blutverkrustete Penisse vor Sauls Thron aus – traumatisiert Michal nachhaltig und wird zum Exemplum für eine von Gewalt bestimmte Welt, in der Männer den Ton angeben. Die überkommene Geschlechterdiochtomie bestimmt dann auch die Ehe von Michal und David: „Der Mann David macht Geschichte, seine

12 Grete Weils Roman wird im Folgenden zitiert nach der Auflage von 1991. 13 Agnes Wuckelt: „Der Brautpreis“, S. 109. 14 Grete Weil hält sich bei der Chronologie der Michal-Erzählung eng an den Prätext. Außer der Hebräischen Bibel, die ihr in der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig vorlag, nutzte sie keine weiteren Quellen oder religionshistorischen Studien (vgl. Uwe Meyer: „Neinsagen, die einzige unzerstörbare Freiheit“, S. 280 f., 290 f.). 15 Elke Liebs: Michal: „Braut der Trauer – Braut des Schmerzes“, S. 70.  



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Frau Michal erlebt, erleidet und erzählt sie.“16 Ihr Traum von einer friedliebenden, gleichberechtigten Gesellschaft bleibt angesichts der männlichen Fixierung auf Krieg und Kampf eine Illusion. Kritisch hinterfragt die Ich-Erzählerin die Skrupellosigkeit und Grausamkeit, mit der David seine Herrschaft begründet und festigt, und sie, die den Glauben an einen personalen allmächtigen Gott verloren hat, erkennt in Davids steter Berufung auf Jahwes Willen nur ein weiteres Mittel, um die eigenen Taten zu legitimieren.17 Indem er alle Ereignisse auf menschliche Motivationen und Aktionen zurückführt und das göttliche Walten als reine Behauptung entlarvt – selbst die Salbung Davids erweist sich als Legende und Propaganda (vgl. S. 45) –, vollführt Grete Weils Roman eine Säkularisierung und „,Entmythologisierung‘ des biblischen Geschehens“18. Er will „keine Nacherzählung der biblischen Handlung [sein], sondern bietet eine atheistische Lesart an“19. Und auch der strahlende Held David wird schonungslos demontiert.20

4.2.2 Zwei Seelen in seiner Brust. David als König und Künstler Trotz ihres scharfen Blicks kommt Michal nicht los von ihren tiefen Gefühlen für David, den sie in seiner ganzen charakterlichen Ambivalenz, seiner „Doppelgesichtigkeit“21, porträtiert. Noch viel stärker als bei Heym wird seine musischkünstlerische Seite als Kontrast zu seinem Machtbewusstsein ausgestaltet. Tatsächlich ist es eine Liebe auf den ersten Ton, die Michal für den Hirtenknaben David empfindet. In Übereinstimmung mit der biblischen Vorlage wurde David an

16 Walter Dietrich: Gott, Macht und Liebe, S. 302. 17 Michal beschreibt sich selbst als „Rebellin, die sich auflehnt gegen die Religion, gegen den Zwang, alles, was einer an Untaten vollbringt, mit den Worten zu erklären: Jahwe hat es gewollt. Keiner hat es öfter gesagt als David. Leere Worte: Jahwe hat es gewollt. Kriege führen, Menschen umbringen, Menschen ins Unglück stürzen. Jahwe hat es gewollt.“ (S. 19) Später resümiert sie: „Männer bringen sich gegenseitig um und machen den Frauen Angst. So will es Jahwe, und alle finden es ganz natürlich. Ich kann mir einen Gott, der das wünscht und zuläßt, nicht vorstellen. Ich kann mir unseren unsichtbaren, allmächtigen, allgegenwärtigen Gott überhaupt nicht vorstellen.“ (S. 98) Mit ihrer Gottferne unterscheidet sich die Figur Michal am deutlichsten von der Bibel (vgl. Walter Dietrich: Gott, Macht und Liebe, S. 307). 18 Uwe Meyer: „Neinsagen, die einzige unzerstörbare Freiheit“, S. 288. 19 Lisbeth Exner: Land meiner Mörder, Land meiner Sprache, S. 107. 20 Vgl. Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 60. Selbst seine berühmteste Heldentat, die Tötung Goliaths, wird David in Weils Roman abgesprochen. Es wird angedeutet, dass Jonathan den entscheidenden Schlag mit dem Schwert ausführt (vgl. S. 32 f.). 21 Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 60.  

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den Königshof geholt, um mit seinem Harfenspiel Sauls Schwermut und Wutausbrüche zu lindern. Der Bruder legt mir den Arm um die Schulter: „Du mußt ihn sehen und hören, Michal, Jahwes Engel, schöner, erhöhter als je ein Mensch gewesen ist. Vater hat wieder einen Anfall gehabt. Jetzt spielt David die Harfe. Komm mit.“ Wir wagen nicht einzutreten in den Thronsaal, bleiben draußen stehen, eng aneinandergeschmiegt, und lauschen. Der Harfenton, jubilierend, anders als jemals zuvor vernommen, darüber eine helle Männerstimme, die summt, die singt, die ohne Worte preist. Sie fordert, schenkt, steigt zum Himmel, kehrt zur Erde zurück, voll Kampfeslust, doch auch voll Frömmigkeit. Ich beginne zu fliegen, dahinzugleiten durch Zeit und Raum, selbstverloren, selbstgefunden. Meine Ewigkeit. (S. 21)

Mit einer Ellipse und asyndetischen Reihungen fängt Michal die betörende Wirkung von Davids Darbietung ein, die nicht nur konträre Gemütsstimmungen ausdrückt, sondern auch auslöst. Die Musik lässt Michal die Gegenwart und ihre soziale Rolle vergessen und öffnet ihr dabei gleichsam die Tür zu ihrem wahren Ich. Die Königstochter verliebt sich in den Musiker David, dessen Spiel sie als beglückend erlebt, ihre glücklichsten Stunden verbringt sie mit dem musizierenden Knaben. Er holt eine Flöte hervor, sagt: Die hab ich mir in Bethlehem bei meinen Schafen geschnitten. Und fängt an zu spielen. Sehnsucht, Zärtlichkeit, Werbung, Begierde. Die Musik hüllt mich ein, trägt mich fort, wieder fliege ich. […] Das Lied, das er mir auf der Flöte spielte, war ein Liebeslied. Das Lied war er selbst. (S. 25)

Der musizierende David wird zum Engel und zum Lied gewordenen Menschen verklärt und erscheint dadurch als Inbegriff des Wunderbaren.22 Auch als Michals Mann erst zum Kriegshelden, dann zum König aufgestiegen ist und die Verantwortung für zahlreiche Gewalttaten trägt, sehnt sie sich zurück nach dem empfindsamen Sänger in ihm, „nach seiner Schönheit, seiner Musik, merkwürdig genug oft mehr nach seiner Musik als nach ihm selbst“ (S. 85). Doch gewinnt die andere Seite des „Künstlerkönig[s]“ (S. 122), sein Kriegertum und Machtstreben, die Oberhand, was Michal in einen fortdauernden Zwiespalt stürzt: In den betörenden Sänger und Harfenspieler hat sie sich verliebt; den gepriesenen Goliathbezwinger und neuen Helden Israels bekommt sie zum Mann. Den Künstler, seine Musik

22 Die Gemeinsamkeit mit Hans Henny Jahnns „Spur des dunklen Engels“ sticht ins Auge: Auch hier wird David aufgrund seines musischen Genies zum Engel verklärt, auch hier enttäuscht er die Hoffnungen.

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und Dichtung liebt und bewundert sie; den König, der sich schuldlos fühlt, weil er selbst nicht tötet, sondern töten läßt, lehnt sie ab.23

Auch als Herrscher schafft David noch künstlerische Werke, wobei er hier nicht mehr als Komponist und Musiker in Erscheinung tritt, sondern als Dichter und Psalmist. Indem Grete Weil einen Psalm als wörtlichen Zitatblock in Michals Erinnerungen integriert, folgt sie dem überlieferten Bildtypus. Beim Wiedersehen von Michal und David nach seiner Thronbesteigung singt er ihr ein Loblied auf den gottesfürchtigen Mann vor, das Psalm 1 entnommen wurde (vgl. S. 113 f.). Zwar kommt dem wörtlichen Psalm-Zitat keine so klar demaskierende Funktion wie in Heyms „König David Bericht“ zu, doch provoziert es auch hier im Kontext der Handlung einen kritischen Blick auf Davids Selbstwahrnehmung: Der Plünderer und Bandenanführer scheint sich selbst als Mann zu sehen, der „den Weg der Sünde nicht beschritt“ und sich daher des göttlichen Segens erfreut.24 Michals letzte Begegnung mit David, mittlerweile „ein hohlwangiger, zahnloser Greis“ (S. 228), ereignet sich auf seinem Sterbebett und im Zeichen der Harfe. Die Ehepartner blicken angesichts ihres Alters und der Todesnähe desillusioniert und bitter auf ihr Leben zurück. Da bittet der schwache König seine Frau, ihm die Harfe zu reichen, die über seinem Lager hängt.  

[E]r hält sie im Arm, zärtlich, als sei sie ein kleines Kind. Und er fängt an zu spielen, eine süße, mich wie einst in ungeahnte Höhen hebende Melodie. So schön wie kein anderer es kann. Er zittert, öffnet den Mund wie ein Fisch, der vergebens nach Luft schnappt. Dann sagt er leise: „Singen kann ich nicht mehr. Das ist vorbei. Das schönste Lied ist in mir, bleibt ungesungen, auch die Worte formen sich nicht mehr zum Lied, vorbei, vorbei.“ (S. 233)

Seiner Berufung zum Künstler wurde David nicht gerecht, das „schönste Lied“, das in ihm schlummert, wird nicht zum Kunstwerk transformiert, erlebt keine Realisation. Im Rückblick offenbart sich, dass David aus Ruhmsucht „das Kostbarste in sich verleugnet [hat]: die Musik als ‚Einklang mit sich selbst‘, als Symbol für das Glück und ein geglücktes Mensch-Sein“25.

23 Uwe Meyer: „Neinsagen, die einzige unzerstörbare Freiheit“, S. 282 f. 24 Als weitere Dichtung Davids findet sich im Roman die 2. Samuel 3 entstammende Klage um den ermordeten Feldherrn Abner, die in der Bibel wie im Roman als Beweis für Davids Schuldlosigkeit gewertet werden (vgl. S. 120 f.). 25 Elke Liebs: Michal: „Braut der Trauer – Braut des Schmerzes“, S. 70.  



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II David als Künstler in Bibel und literarischen Werken

4.2.3 Zwischen Michelangelo und Rembrandt. Kontrastierende David-Bilder Die Kontrastierung von König und Künstler erfolgt nicht allein in Michals Lebensbericht, ihre Erinnerungen werden immer wieder unterbrochen durch Reflexionen einer zweiten Stimme, die sich jeweils als „Ich, Grete“ zu erkennen gibt. Wie Michal blickt Grete, „die Spätgeborene“ (S. 50), als alte Frau auf ihr Leben zurück. Sie, die dem gebildeten Bürgertum entstammte und mit Religion im Allgemeinen und ihrer jüdischen Herkunft im Besonderen nichts anfangen konnte, hat die Shoa überlebt und sucht nun in der literarischen Annäherung an die jüdische Symbolfigur David nach ihren jüdischen Wurzeln. Ihr Name sowie die von ihr geschilderten Erlebnisse, die allesamt der Biografie Grete Weils entlehnt sind, legen die Gleichsetzung dieser zweiten Ich-Erzählerin mit der Autorin nahe.26 David wird zum „Kristallisationspunkt des Erzählens“27 und Verbindenden zwischen der erzählten Königstochter aus mythischer Zeit und Grete Weils erzählendem Alter Ego: Er ist für sie der Anlass, zu schreiben und sich schreibend mit ihrer jüdischen Identität auseinanderzusetzen, die ihr erst durch die antisemitische Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen Regimes aufgezwungen worden ist. Davids polare Seiten, das Helden- und das Künstlertum, verdeutlicht Grete mithilfe von zwei bildkünstlerischen Darstellungen. Bereits als junges Mädchen begeistert sie sich für Michelangelos Monumentalstatue, den „Gigante“ (S. 7). Anders als bei ihren Mitschülerinnen hängt kein Foto vom jugendlichen Liebhaber des Staatstheaters in ihrem Zimmer, sondern ein Bild von dem marmornen David, „[z]um Ansehen, zum Lieben. Die Schönheit schlechthin.“ (S. 8) Er verkörpert den Inbegriff des strahlenden Helden, der das Böse alias Goliath vernichtet. „Ich brachte David mit nichts Jüdischem in Verbindung. Er war Florentiner und basta.“ (S. 9) Ein Besuch des Mauritshuis in Den Haag konfrontiert sie mit Rembrandts David, der so ganz anders als der meine war und mich doch anrührte, mehr als mich je zuvor ein Bild angerührt hatte. Ein kleiner Judenjunge spielt die Harfe vor dem großen, gewaltigen, turbangeschmückten König Saul, der sich ergriffen halb hinter einem Vor-

26 Vgl. Agnes Wuckelt: „Der Brautpreis“, S. 109 sowie Magda Motté: „Dass ihre Zeichen bleiben“, S. 246. Lisbeth Exner sieht im Zentrum beider Erzählstränge das Verhältnis zum Judentum (vgl. Lisbeth Exner: Land meiner Mörder, Land meiner Sprache, S. 108), doch kann diese Aussage nur für die Grete-Ebene Gültigkeit beanspruchen. Michal reibt sich vor allem an der patriarchalisch geprägten Gesellschaft und weniger an ihrer Zugehörigkeit zu ihrem Volk. Kritik äußert sie allerdings an dem Unvermögen oder Unwillen der Juden, friedlich mit den Nachbarvölkern zusammenzuleben (vgl. S. 55), was einen versteckten Kommentar Grete Weils zum Nahostkonflikt darstellt. 27 Magda Motté: „Dass ihre Zeichen bleiben“, S. 246.

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hang verbirgt und sich die Träne aus dem Auge wischt. David kein Held, ein Dichter und Sänger, warum hatte ich nie daran gedacht? […] Dieser dunkellockige, eher häßliche Knabe verdrängte den Krieger […]. (S. 11)

Die Ausdrucksstärke von Rembrandts Gemälde erweist sich dabei als so groß, dass sie die strahlende Schönheit der Florentiner David-Plastik von Michelangelo verblassen lässt. Grete kauft einen Farbdruck von Rembrandts Gemälde und hängt diesen zu Hause neben das Bild der Skulptur. In ihnen erkennt die IchErzählerin Grete „zwei Pole des Menschseins“ (S. 11), ist zugleich „hingerissen […] von der Schönheit, doch mit der Ahnung, daß der Kleine, der Häßliche, der Künstler besser in meine Welt paßte“ (S. 11 f.). David erscheint als Repräsentant der jüdischen „Leidens- und Schicksalsgemeinschaft“ (S. 167), zu der sie sich infolge der Gräuel der Shoa zugehörig fühlt. Am Schluss ihrer „Geschichte“ (S. 236) blickt Grete auf Michal zurück. Zwei alte Frauen in Erwartung des Todes, getrennt durch 3000 Jahre, die den „geschichtliche[n] Wiederholungszwang“28 von Krieg und Vernichtung offenbaren. Beide kreisen um David: die Prinzessin aus alttestamentlicher Zeit, weil er ihr Schicksal bestimmt, die Überlebende aus der Neuzeit, weil sie an ihm als ihrem „Ahne[n]“ (S. 236) die Geschichte ihres Volkes zu erschließen versucht. Zuletzt muss Grete sich eingestehen, dass die „Frage, wie David wirklich war“ (S. 236), unbeantwortet bleibt.  

Wahrscheinlich ähnelte er weder dem von Michelangelo noch dem von Rembrandt. Ich finde Michelangelos David noch immer schön, doch würde ich sein Bild nicht mehr in mein Zimmer hängen, um Zwiesprache mit ihm zu halten. Rembrandts Judenjunge steht mir näher, ihn, dem zu leiden vorbestimmt scheint, der Auschwitz nicht überlebt hätte, möchte ich an mein mit Trauer erfülltes Herz drücken. (S. 236)

4.2.4 Wenn der Künstler zum Kunstwerk wird. Annäherungen an David Kunst stellt das Medium dar, um David, „halb der Geschichte, halb dem Mythos angehörend“ (S. 12), heraufzubeschwören und seinen Charakter zu ergründen. In einem intermedialen Wirkungszusammenhang setzen zwei bildkünstlerische Darstellungen den Prozess des Erzählens in Gang. Kunst wird zur Initiation für Kunst. Eingekreist von den Interpretationen Michelangelos und Rembrandts erscheint David selbst als Kunstprodukt, das sich einer objektiven Darstellung

28 Uwe Meyer: „Neinsagen, die einzige unzerstörbare Freiheit“, S. 289.

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entzieht.29 Jede künstlerische Vergegenwärtigung Davids erweist sich damit als Interpretation, als Lesart, die keine absolute Wahrheit beanspruchen kann: David ist der Gigante Michelangelos, der hässliche Judenjunge Rembrandts, aber auch der braungebrannte schöne Hirte, in den sich Michal verliebt. „Immer nur Ahnungen, Spekulationen, immer ein reizvolles Spiel, Stein wird an Stein gelegt, bis das Puzzle ein Bild ergibt.“ (S. 168) Auf der biblischen Erzählebene macht das Künstlerisch-Schöpferische für Michal das wahrhaft Anziehende und Wundersame an David aus, sein Genie, das von Politik, Krieg und Machtstreben in den Hintergrund gedrängt wird. So stellt der Roman das Künstlertum als größte Gabe der ambivalenten Persönlichkeit Davids heraus, und die vergleichende Kunstbetrachtung Gretes dient ihrerseits dazu, diese Gegensätze in den Blick zu nehmen.30 Der bereits von Stefan Heyms literarischem Porträt nahegelegte Schluss, das Künstlertum sei der bessere Teil Davids, wird in „Der Brautpreis“ bis zur letzten Konsequenz ausgestaltet. So bildet Grete Weils Roman nicht nur eine feministisch-pazifistische Absage an Krieg und Gewalt und nicht nur die Suche der Autorin nach ihren jüdischen Wurzeln. Er fächert darüber hinaus im Subtext das Wirkungsspektrum von Kunst auf – sie fungiert als Spiegel eines friedlich-harmonischen Miteinanders (in Davids Spiel und Gesang; Michal-Ebene), als erkenntnisfördernder Zugang zur Person Davids (Kunstwerke von Michelangelo und Rembrandt; Grete-Ebene) und schließlich als Möglichkeit, die eigene Geschichte aufzuarbeiten (Weils Roman als solcher).31

29 Vgl. Uwe Meyer: „Neinsagen, die einzige unzerstörbare Freiheit“, S. 301 sowie Magda Motté: „Dass ihre Zeichen bleiben“, S. 247. Da im literarischen Text eine Inszenierung der beiden David-Kunstwerke erfolgt, die auf einer Metaebene in einen Kunstdiskurs mündet, lässt sich die Beziehung von Roman und Skulptur bzw. Bild als intermediale Performanz verstehen (vgl. Frauke Berndt/Lily Tonger-Erk: Intertextualität, S. 172). 30 Bezeichnenderweise bildet ein Ausschnitt aus Gustav Klimts Gemälde „Die Musik“ von 1895 das Coverbild der Taschenbuchausgabe des Fischer-Verlags aus dem Jahr 1991. Das darauf gezeigte junge Mädchen, das auf einem antiken Saiteninstrument, der Kithara, spielt, erscheint als Personifikation der Musik. Nicht seine Heldentaten, sondern gerade seine musische Gabe liebt Michal an David. 31 Die Ich-Erzählerin Grete räumt ein, dass sie sich selbst durch die produktive Auseinandersetzung mit dem David-Stoff verändert hat: „Bin ich jüdischer geworden, seitdem ich mich mit David und Michal beschäftige? Ja sicher, irgend etwas hat angefangen, das vorher nicht da war.“ (S. 168)

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4.3 Fazit: Der Künstler David bei Heym und Weil In den Romanen von Stefan Heym und Grete Weil ist die Konzeption der DavidFigur spürbar von den Erfahrungen mit Diktatur und Totalitarismus geprägt. Beide zeichnen das Bild eines Gewaltherrschers, der sich nimmt, was er will, der keine Mittel scheut, an die Macht zu kommen und diese zu festigen, und der mit denselben Ritualen und Täuschungsmanövern, mit derselben politischen Rhetorik seine Verbrechen bemäntelt, rechtfertigt oder sogar zur notwendigen Tugend erklärt, wie das in totalitären Systemen überall und zu allen Zeiten geschieht32.

Während im „König David Bericht“ die Kunst nur als weiteres Mittel missbraucht wird, um die eigene Herrschaft zu sichern, fungiert sie im „Brautpreis“ als Gegenentwurf zur Politik. In einer entgöttlichten Welt wirkt sie dort wie ein Abglanz des Übernatürlichen. Auch wenn die Parallelen zwischen den beiden Erzählsträngen den geschichtsfatalistischen Schluss nahelegen, dass der Wiederholungszwang von Gewalt und Vernichtung nie durchbrochen werden wird, stiftet die Kunst doch die utopische Vorstellung eines friedlichen, harmonischen Miteinanders.

32 Elke Liebs: Michal: „Braut der Trauer – Braut des Schmerzes“, S. 76.

III Resümee

1 Pluralität der David-Deutungen Auch wenn die vorliegende Studie den Fokus auf die poetologische Vereinnahmung König Davids legt, hat die Detailanalyse der einzelnen Texte gezeigt, dass jede Adaption des Stoffs weitere, komplementäre Lesarten zulässt. In allen Fällen sind immer mehrere Bedeutungsebenen miteinander verwoben. So schlagen sich in manchen Bearbeitungen auch die beiden anderen prägenden Rezeptionsstränge der David-Figur, die politische und die religiöse Deutung, nieder. Die politische Ebene Von den untersuchten Texten verfolgen die beiden Romane von Stefan Heym und Grete Weil am klarsten eine politikkritische Stoßrichtung, schließlich fungiert darin jeweils die biblische Erzählung als Folie und Camouflage für politischgesellschaftliche Missstände und Katastrophen der jüngsten Vergangenheit. David erscheint so nicht als Vorläufer des Messias, sondern als Prototyp moderner Gewaltherrscher und Massenmörder, der sein Umfeld dank seines Charismas manipuliert. Während „Der König David Bericht“ auch von der Instrumentalisierung der Geschichtsschreibung durch die Mächtigen erzählt, beleuchtet „Der Brautpreis“ die spezifisch weiblichen Existenzbedingungen in patriarchalisch dominierten Gesellschaften. Ebenfalls als politischer Kommentar lässt sich Lion Feuchtwangers Variation der David-Saul-Konfrontation deuten, bei welcher der dekadente Kapitalist dem trotzigen Kommunisten dessen politische Ohnmacht vor Augen führt. Dabei entlarvt das Kapitel aus „Erfolg“ die Repräsentanten beider Weltanschauungen gleichermaßen. Die religiöse Ebene Einem ungebrochenen, geradezu penetranten Messianismus huldigt Reinhard Johannes Sorges „König David“-Drama, in dem der Protagonist mit einer Vielzahl von anachronistischen Bezügen Jesus Christus als seinen eigenen Nachfolger antizipiert. Die Brücke von David zu Jesus schlägt auch Nelly Sachs in ihrem Gedicht „David / erwählt“, doch zeichnet sie – anders als Sorge – keine affirmative Fluchtlinie, sondern evoziert mehrdeutige Bilder des Leids und der Finsternis. So speist sich ihre Dichtung sowohl aus der jüdischen als auch aus der christlichen Tradition, ohne dabei eine eindeutige religiöse Botschaft zu formulieren. Gottfried Kellers „Tanzlegendchen“ beansprucht schließlich allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer genuin christlichen Gattung eine religiöse Tendenz. Allerdings unterwandert der Prosatext durch Ironie, die Verschränkung christlicher und heidnischer Motivbereiche und den unbefriedigenden Ausgang die an https://doi.org/10.1515/9783110700770-009

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III Resümee

der Textoberfläche formulierte Lehre. Diese Spannung zwischen Frömmigkeit und Religionskritik resultiert nicht zuletzt aus der ambivalenten Charakterisierung der Figur David. Die psychologische Ebene Neben diesen beiden kulturgeschichtlich geprägten Rezeptionsweisen Davids spiegeln die meisten intertextuellen Bearbeitungen ein Interesse an den zwischenmenschlichen Konflikten wider und psychologisieren den Stoff. Sowohl das Gedicht Stefan Georges als auch das Drama Karl Wolfskehls und die Erzählung Robert Walsers, die allesamt Urszene 1 variieren, aber auch Hans Henny Jahnns Drama zeichnen ein Psychogramm des gemütskranken Saul, der mal als Depressiver, mal als Paranoiker erscheint. Beim Spiel Davids vor Saul eskaliert ein psychischer Machtkampf, was in allen Anverwandlungen von George bis Brecht ausgestaltet wird. Eine weitere Gemeinsamkeit vieler Adaptionen bildet die homoerotische Anziehung, die in der Beziehung zwischen David und Jonathan bzw. zwischen David und Saul mitschwingt. Während in Feuchtwangers „Erfolg“ der Saul-Wiedergänger den neuen David zu begehren scheint, erweitert Jahnns „Spur des dunklen Engels“ diese Konstellation zu einem sexuell aufgeladenen Beziehungsdreieck (Saul – David – Jonathan). Die übrigen Neudichtungen von Urszene 2 thematisieren alle die im Stoff implizit angelegte Liebe von David und Jonathan. Neben der psychologischen Durchdringung der biblischen Vorlage bieten einige der untersuchten Werke Anknüpfungspunkte für biografische Deutungen: Das konfliktgeladene Verhältnis von David und Saul wird in dieser Lesart zur Folie für ähnliche Konstellationen im Leben Rilkes, Georges oder Jahnns. Ebenso lässt sich zwischen Robert Walsers psychischer Erkrankung und Sauls Depression eine Parallele ziehen. Nelly Sachs, Rose Ausländer und Grete Weil schrieben ihre David-Texte auch, um ihr eigenes, durch die Shoa bedingtes Leid festzuhalten und so dem Vergessen entgegenzuwirken. Viel ergiebiger als diese Engführung von Biografie und Werk hat sich allerdings der Blick auf das Künstlertum Davids erwiesen, mit dem sich alle Adaptionen auseinandersetzen.

2 Tendenzen der poetologischen David-Rezeption So komplex das David-Bild ausfällt, das die Hebräische Bibel entwirft – eigentlich ist es eine Vielzahl von Bildern –, so vielseitig erweist sich David im Künstlerischen. Er ist der Musikant mit der Qualifikation zum Musiktherapeuten (Urszene 1), er ist der Sänger und Dichter, der Kummer und Trauer schöpferisch verarbeitet (Urszene 2), er ist der Tänzer, der durch seinen expressiven Tanz Gott verherrlicht (Urszene 3). Und schließlich ist er der Psalmist, der seine Gebete in lyrische Form gegossen hat. Die ersten beiden Urszenen, Davids therapeutisches Spiel vor Saul sowie seine Totenklage um Jonathan, haben wesentlich dazu beigetragen, das Bild des Königs um die Seite des Sänger-Dichters zu ergänzen. An Urszene 3 wird schließlich deutlich, wie sich die Wahrnehmung des Tanzes vor dem Kultobjekt vom Akt der Anbetung hin zur künstlerischen Darbietung verschiebt. Die literarischen Adaptionen fokussieren sich in der Regel auf eine Spielart von Davids umfassender musisch-künstlerischer Begabung, setzen in der Behandlung eigene Akzente und gelangen zu teilweise konträren Deutungen seines Künstlertums, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden sollen. Rezeptionsverstärkung durch bildkünstlerische David-Darstellungen Einen starken intermedialen Impuls verdankt die literarische Rezeption von Urszene 1 „David spielt vor Saul“ Rembrandts suggestivem Gemälde. Stefan George, Karl Wolfskehl, Rainer Maria Rilke und Robert Walser wurden durch das Bild angeregt, sich mit der zugrundeliegenden Erzählung auseinanderzusetzen und dann schöpferisch sowohl den biblischen als auch den malerischen Prätext anzuverwandeln. Explizit thematisiert nur Walsers Prosatext das Gemälde auf einer Metaebene, wodurch das Augenmerk auf den intermedialen Wirkungszusammenhang gelenkt wird. Eine ähnliche kunsttheoretische Reflexion findet sich auch im Roman „Der Brautpreis“: Für Grete Weil erzeugen die konträren David-Darstellungen von Rembrandt und Michelangelo das Spannungsfeld, in dem sie einerseits den tatsächlichen Charakter des Königs ergründen und sich andererseits ihrer jüdischen Identität annähern will. Kritik/Satire In völliger Abkehr von der Stoßrichtung des Prätextes wird David – jeweils als Dichter und Sänger – zum Negativbeispiel eines sein Ziel verfehlenden Künstlers umgedeutet. Sowohl Paul Heyses Novelle als auch Stefan Georges Gedicht stellen Davids Dilettantismus und berechnenden Missbrauch der Kunst bloß. Die kommunistischen Ideale von Lion Feuchtwangers Romanfigur Pröckl, einem neuen https://doi.org/10.1515/9783110700770-010

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David, mögen zwar ehrenhaft sein, doch werden sie in der Konfrontation mit einem neuen Saul, dem kapitalistischen Fabrikanten, als wirkungslose Berieselung entlarvt. David erfährt nicht nur eine Transfiguration, er wird auch satirisch überzeichnet. Alle drei Texte nutzen die biblische Erzählung als Kontrastfolie, vor der sich die jeweilige Neudeutung der David-Figur umso deutlicher abhebt. Stefan Heym schließlich entlarvt Davids dichterische Produkte als Instrumente der Täuschung und Selbstherrlichkeit, mit denen ein Despot seine Herrschaft garniert. Verwandlungspotenzial der Kunst Urszene 1 führt die heilende Kraft von Davids Spiel bzw. Gesang vor. Rilke weitet diese in seinem Gedicht zur Macht aus, durch Kunst Gegensätze zu überwinden, Alter und Jugend zu versöhnen und ein quasi kosmisches Gleichgewicht zu schaffen. Verwandlungen löst Davids Kunst auch in den Werken von Nelly Sachs aus; hier ist es allerdings sein Tanz, der Zeiten wie Welten in Bewegung versetzt. Der in „Der magische Tänzer“ vorgeführte Versuch, tanzend das Trauma der Shoa zu bewältigen, muss allerdings scheitern. Kunst vs. Macht Im Gegenüber von David und Saul ist die Frontstellung von Künstler und Herrscher präfiguriert. Robert Walsers Prosaminiatur zeigt die „weiche Stimme“ Davids im Widerstand gegen den unberechenbaren König. In Lion Feuchtwangers „Erfolg“ kommt der proletarische Balladensänger nicht an gegen den dekadenten Großindustriellen und hadert damit, dass er sich hat kaufen lassen. Korrumpiert wird David auch in Hans Henny Jahnns „Spur des dunklen Engels“: Dadurch, dass er sich in politische Machtkämpfe verwickeln lässt und Gefallen an der Thronfolge findet, verrät er sein Künstlertum. Eine ähnliche Dichotomie baut Grete Weil in „Der Brautpreis“ auf, wenn sie die künstlerisch-empathische Seite Davids durch sein unbedingtes Machtstreben verkümmern sieht.1 Mit diesem anti-

1 Auch Hermann Hesses Erzählung „Die Morgenlandfahrt“ von 1932 kontrastiert mit einer intertextuellen Anspielung auf Urszene 1 die beiden Seiten Davids und schafft so eine poetologische Deutungsfolie. Der Ich-Erzähler, der Violinspieler H.H., begegnet dem Diener Leo wieder, mit dem er gemeinsam früher Mitglied im „Bund vom Hohen Stuhl“ gewesen war. Dass H. seine Violine verkauft hat, scheint Leo als Verrat an Kunst und Spiel zu werten und belegt seine Meinung mit dem Beispiel Davids: „Er ist auch Musiker gewesen. Als er ganz jung war, hat er dem König Saul Musik gemacht und hat ihm manchmal seine böse Laune weggespielt. Und nachher ist er selber König geworden, so ein großer sorgenvoller König mit allerlei Launen und Plagen. Er hat eine Krone getragen und hat Kriege geführt und alles das, und manche richtige Gemeinheiten hat er auch begangen, und ist sehr berühmt geworden. Aber wenn ich an seine Geschichte denke, dann ist das Schönste von allem der junge David mit seiner Harfe, und wie er dem armen Saul Musik

2 Tendenzen der poetologischen David-Rezeption

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thetischen Denkmodell bricht Stefan Heyms Deutung des Königs: In seinem Roman ist die Kunst kein Gegenentwurf zur Macht, sondern vielmehr nur ein weiteres Mittel, um die skrupellose Politik voranzutreiben und eigene Verbrechen zu verschleiern. Kunst als Verkündigung Eine religiöse Mission verfolgt nur das David-Drama von Reinhard Johannes Sorge: Es will das christliche Evangelium verkündigen. Zwar scheint auch das Rollen-Ich aus Rilkes „Stunden-Buch“ seine Kunst in den Dienst der Anbetung zu stellen, doch entpuppt sich die Kunst selbst als eigentlicher Gegenstand der Verehrung. Ebenso doppelbödig ist Kellers „Tanzlegendchen“ angelegt, das sich trotz der vordergründig christlichen Botschaft der Entsagung als Evangelium der Lebensfreude und der Sinnlichkeit positioniert. Während Sorge sein Anliegen direkt wie mit erhobenem Zeigefinger in Szene setzt, versteckt Keller sein Plädoyer für die Diesseitigkeit in einer genuin christlichen Gattung, sodass Form und Inhalt in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander stehen. Sowohl bei Sorge als auch in Sachs’ Gedicht „David / erwählt“ streben die künstlerischen Äußerungen Davids auf den Messias als Fluchtpunkt zu, doch auch hier sind Darstellungsweise und Aussage komplett unterschiedlich: Im Drama lobpreist der König den kommenden Christus im Gesang, das Gedicht parallelisiert Davids Tanz mit dem zu Gott aufsteigenden Todesschrei Jesu. Sorges affirmativer Verkündigung stehen bei Sachs Bilder der Passion und die Farbe des Todes gegenüber. Der moderne Text mündet in Verzweiflung und Verunsicherung. Kunst als Medium der Erinnerung und des Trostes Davids Dichtung (und mit ihr auch der Dichtung über seine Dichtung) wird die Fähigkeit zugesprochen, Erinnerungen zu bewahren. In Wolfskehls lyrischem Drama trägt der todgeweihte Saul David auf, sein Andenken im Gesang zu bewahren. Bei Else Lasker-Schüler vertraut das lyrische Ich alias David seine Liebe zu Jonathan dem Gedicht an, Rilkes „Klage um Jonathan“ erscheint als Medium, um den toten Geliebten zu verewigen. Die Neudichtungen von Nelly Sachs und Rose Ausländer ordnen sich dem übergeordneten Ziel unter, das Gedenken an das Leiden des jüdischen Volkes aufrechtzuerhalten. Damit einher geht die Funktion, durch Kunst Trauer zu verarbeiten und Trost zu spenden. Rilkes „Klage“ vollzieht diesen therapeutischen Effekt nach, indem sie den Tonfall des Schmerzes in

gemacht hat, und ich finde es schade, daß er nachher König geworden ist. Er war viel glücklicher und hübscher, als er noch Musikant war.“ (Hermann Hesse: Die Morgenlandfahrt, S. 75)

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III Resümee

Gefasstheit münden lässt. Für das lyrische Ich in „Nicht vergessen II“ wird Michelangelos David-Statue zum Haltepunkt, um aus den traumatischen Erinnerungen in die Gegenwart zurückzukehren. Und bei Nelly Sachs („David“) fungieren die Psalmen als Nachtherbergen, die Schutz und Geborgenheit versprechen. Vorbildfunktion für Dichter Die ab 1900 verstärkt einsetzende poetologische Vereinnahmung des Künstlers David korrespondiert mit der „Selbstreferenz“ moderner Literatur, ihrer „literaturimmanente[n] Poetizität“2. David wird zum Inbegriff des Künstlers stilisiert, was es dem Dichter erlaubt, sich in eine ehrwürdige Tradition zu stellen und zugleich sein eigenes poetisches Ideal zu formulieren. So wie David in Sorges Drama mit Psalmen den Messias verkündet, so will Sorge mit seinem Drama den Blick auf den Christus lenken. Als Vorbild in religiöser Dichtung dient David scheinbar auch in Rilkes Gedicht aus dem „Stunden-Buch“, tatsächlich aber preist der Text das künstlerische Schöpfertum an sich. Bei Nelly Sachs wird dieser Ansatz explizit und David zu einem „Vater der Dichter“. Und auch Alfred Döblin erwählt in seinen programmatischen Schriften David – und zwar den tanzenden David – zum Leitbild, das ein volatiles, auf keinem fixen Standpunkt verharrendes Dichten verkörpert.3

2 Gerhard Plumpe: Epochen moderner Literatur, S. 58. 3 Und König David ließ sich nicht nur von Literaten, sondern auch von Literaturkritikern als Vorbild vereinnahmen. Alfred Kerr erkannte in ihm eine Denkfigur, an der er sein Ideal von Kritik schärfen konnte. So verstand er sich selbst als Davidsbündler und bezog sich damit auf den von Robert Schumann initiierten Künstlerkreis, der sich ganz in romantischer Manier den Kampf gegen Philister auf die Fahnen geschrieben hatte. Musikalisches Zeugnis dieses Selbstverständnisses sind u. a. Schumanns Davidsbündlertänze von 1838. Kerrs David-Rezeption fußt somit ihrerseits auf einer künstlerischen David-Deutung. Wie Schumann wollte er eine philiströse Kunst attackieren – und zwar mithilfe seiner Feder. Kerrs Maxime zufolge sollte der Kritiker „die Kritik des Hasses und der Liebe [geben], temperiert durch historische Gerechtigkeit. Davidsbündlerkritik, die gleich dem biblischen König zwei Werkzeuge liebt: die Schleuder und die Harfe.“ (Alfred Kerr: Das neue Drama, S. VII) David diente in zweierlei Hinsicht als Leitfigur, als Held und Goliathtöter sowie als Künstler. Zum Metier des Kritikers gehört folglich Kritik wie auch künstlerisches Talent, denn: „Der wahre Kritiker bleibt für mich ein Dichter: ein Gestalter.“ (ebd., S. X; vgl. Deborah Vietor-Engländer: Alfred Kerr, S. 124–126)  

3 Der formale Umgang mit dem Stoff Die Wahl der Gattung In dramatischen und epischen Werken, die das ganze Leben Davids entfalten, wird oft auch sein poetisches Schaffen thematisiert (so in den Romanen von Heym oder Weil oder im Drama von Werfel), wenn auch nur als weiteres Merkmal des Protagonisten. In diesen Fällen trägt die Ausgestaltung des musischen Talents Davids dazu bei, seinen Charakter zu profilieren. Die Texte, die sich hauptsächlich mit dem Künstlertum Davids auseinandersetzen, sind dagegen mehrheitlich kurz, sind Gedichte oder knappe Prosatexte. Ausnahmen bilden die beiden Dramen von Reinhard Johannes Sorge und Hans Henny Jahnn, die das ganze Leben Davids bzw. einen größeren Abschnitt daraus unter dem Aspekt des Künstlertums in den Blick nehmen. Bei Sorge sollen die überreichen Beispiele für Davids Psalmendichtung seine Bindung zu Gott sowie seine prophetischen Qualitäten beglaubigen, bei Jahnn wird David zum musischen Genie, dem alle verfallen und das durch die Macht korrumpiert wird. Die Verengung der Perspektive auf das Künstlerisch-Musikalische bedingt letztlich die wenig überzeugende, überspannte Konzeption dieser Dramen. Davids Vita, wie sie vom Alten Testament erzählt wird, ist zu reich an Erlebnissen und Verwerfungen, als dass man sie ohne Verflachung seines schillernden Charakters nur auf einen Aspekt reduzieren könnte. Der Großteil der hier analysierten literarischen Texte rekurriert daher lediglich auf jeweils eine der drei Urszenen, die die ikonografische Tradition geprägt haben. Die Dominanz der lyrischen Gattung erklärt sich teilweise aus Davids Rolle als Sänger und Psalmendichter. Wie ausgeführt weisen literarische Darstellungen des konfliktreichen Verhältnisses von David und Saul häufig eine Nähe zum Dramatischen auf. Zentrale intertextuelle Strategien Nicht überall, wo David draufsteht, tritt David auch auf. Die untersuchten DavidDichtungen lassen sich in zwei Grobkategorien unterteilen: Auf der einen Seite stehen die Werke, die den vorgeprägten Stoff in seinen historischen sowie inhaltlichen Grundzügen aufgreifen und neu erzählen, darunter die Dramen von Wolfskehl, Sorge und (trotz aktualisierendem Setting) von Jahnn, aber auch die Gedichte von George, Rilke („Klage um Jonathan“, „David singt vor Saul“), Lasker-Schüler sowie der Prosatext von Walser. Auf der anderen Seite finden sich Texte, die den Prätext nur über Zitate und Anspielungen aufrufen und so den Bibelbezug als Subtext einfügen. Dies gilt für Heyses Novelle, Feuchtwangers Romankapitel, Kellers „Tanzlegendchen“, Rilkes Gedicht aus dem „StundenBuch“, aber auch für Ausländers Gedicht und Nelly Sachs’ szenische Dichtung „Der magische Tänzer“. https://doi.org/10.1515/9783110700770-011

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Es konnte nachgewiesen werden, dass alle literarischen Werke über David als Künstler eine Poetologisierung des Stoffs betreiben. Birigit Lermens These, dass es Autoren unserer Zeit bei der literarischen Adaption biblischer Figuren generell um die menschlichen Probleme geht, die an diesen Figuren aufscheinen, muss für die vorgestellten Dichtungen über David eingeschränkt werden.1 Hier sind es weniger anthropologische Konstanten, die David zum attraktiven Sujet machen, vielmehr bedeutet eine Thematisierung seines Künstlertums die Konzentration auf eine ganz spezifische Seite, die im ureigenen Interesse von Dichtern liegt. Tatsächlich scheint gerade die Möglichkeit, einen Kunstdiskurs im historisch-biblischen Gewand zu führen, Dichter besonders zur kreativen Auseinandersetzung gereizt zu haben. Unter den zum Einsatz kommenden intertextuellen Strategien dominiert die Transmotivation, da die eigentliche Aussage des Prätextes durch eine selbstreferenzielle poetologische Neudeutung überschrieben wird. Diese Interferenz von Bibel und Nachdichtung erzeugt jene „semantische Explosion“2, die Renate Lachmann beschrieben hat. Hier werden die alttestamentliche Erzählung bzw. die von ihr skizzierten Problemkonstellationen zum Gefäß, in dem ein neuer, poetologischer Sinn transportiert wird. Und da es sich bei der Hebräischen Bibel um ein fundierendes Buch sowohl des jüdischen als auch des christlichen Glaubens handelt, das historische Ereignisse und Figuren im Hinblick auf ihre heilsgeschichtliche Relevanz beleuchtet, bedingt eine Verschiebung der Aussage zwangsläufig auch eine Säkularisierung des Inhalts.

1 Vgl. Birgit Lermen: „Ich begann die Geschichten der Bibel zu lesen: Ein Riß; und der Abgrund Mensch klaffte auf“, S. 49. Die gleiche Einschränkung gilt für die Schlussfolgerung Karl-Josef Kuschels zur Bibelrezeption in der Literatur des 20. Jahrhunderts: „Biblische Figuren sind für Schriftsteller unserer Zeit Modellfiguren unserer Bewußtseinsgeschichte, Spiegelfiguren unseres Selbst, Archetypen unseres kollektiven Erinnerungsvermögens.“ (Karl-Josef Kuschel: Die Bibel in der Literatur des 20. Jahrhunderts, S. 191) David fungiert in den untersuchten Texten weniger als Spiegelfigur für den Menschen im Allgemeinen, sondern für den Künstler im Speziellen. 2 Renate Lachmann: Ebenen des Intertextualitätsbegriffs, S. 134.

4 Im Spannungsfeld von Säkularisierung und Sakralisierung In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die intensive Rezeption von König David als Künstler um 1900 einsetzt. In jener als krisenhaft erfahrenen Zeit wurde nicht nur das Vertrauen in die Ausdrucksfähigkeiten der Sprache erschüttert, durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und philosophische Paradigmenwechsel gerieten auch weltanschauliche Gewissheiten ins Rutschen und die Einheit des Subjekts wurde infrage gestellt. Den Umwälzungen auf wirtschaftlicher wie sozialer Ebene, der gesellschaftlichen Pluralisierung, der Mechanisierung durch den Kapitalismus stand keine einheitliche Weltanschauung mehr gegenüber, die den Menschen Halt geboten hätte. „[D]ie Krise der Gesellschaft wurde daher vornehmlich als Krise ihrer Orientierungskultur empfunden.“1 Von der Erosion betroffen war vor allem die religiöse Sinnstiftung. „Die gewaltigen Modernisierungsschübe des 18. und 19. Jahrhunderts haben im Prozeß der Ausdifferenzierung aller Wertsysteme die alltags-, herrschafts- und bewußtseinsprägende Kraft der Religion geschwächt, die Religion zu einem Wertesystem neben anderen gemacht.“2 Angesichts des Bedeutungsverlustes der institutionalisierten Religionen mögen die zahlreichen literarischen Wiederbelebungen Davids um 1900 auf den ersten Blick verwundern. Allerdings emanzipieren sich diese vom religiösen Kontext und lassen erkennen, dass die Bibel für sie lediglich ein „menschheitlich-kultureller Referenztext“3 ist. Bezogen auf die Bibel hat sich mit der Aufklärung eine „zweifache Rezeption“ herausgebildet: Das literarische Fort- und Umschreiben der David-Erzählungen ist in der Regel nicht von einer gläubigen Haltung gegenüber einem „heilige[n] Text religiöser Bekenntnisgemeinschaften“ geprägt, vielmehr rekurriert es unter ästhetischen Gesichtspunkten auf die Bibel und behandelt sie als ein „kulturprägendes Stück (Welt-)Literatur“.4

1 Volker Drehsen/Walter Sparn: Kulturkrise und Konstruktionsgeist, S. 20. 2 Wolfgang Frühwald: Die Bibel als Literatur produzierende Kraft, S. 40. Volker Drehsen und Walter Sparn skizzieren die gesamteuropäische Dimension der Kulturkrise um 1900: „Der Abdankung im geistigen ‚Überbau‘, wo fortschrittsgläubiger Positivismus, Naturalismus und Historismus die alten metaphysisch-spekulativen Systeme bereits ersetzt hatten, korrespondierten auf der Ebene des ‚Unterbaus‘ die Erfahrungen der radikalen Erschütterung fundamentaler Ordnungs- und Orientierungsmuster in allen Bereichen der Gesellschaft und individuellen Lebensführung.“ (Volker Drehsen/Walter Sparn: Kulturkrise und Konstruktionsgeist, S. 19) 3 Andrea Henneke-Weischer/Christoph Gellner: Bibel und Literatur, S. 159. Eine Ausnahme ist Sorges Bearbeitung, die ein religiöses Bekenntnis in Dramenform darstellt. 4 Andrea Henneke-Weischer/Christoph Gellner: Bibel und Literatur, S. 166. Für Kulturschaffende wird die Bibel zu einem Steinbruch. Bezieht man den wissenschaftlichen Konsens über die https://doi.org/10.1515/9783110700770-012

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Zugleich fügen sich die David-Variationen in die Tendenz der frühen Moderne, die Kunst zu sakralisieren und so Friedrich Nietzsches Kunstmetaphysik zu beglaubigen: Die Kunst erhebt ihr Haupt, wo die Religionen nachlassen. Sie übernimmt eine Menge durch die Religion erzeugter Gefühle und Stimmungen, legt sie an ihr Herz und wird jetzt selber tiefer, seelenvoller, so dass sie Erhebung und Begeisterung mitzutheilen vermag, was sie vordem noch nicht konnte.5

In Davids Figur verdichtet sich die oben geschilderte Wechselbeziehung von Säkularisierung des Stoffs und Sakralisierung der Kunst.6 In ihr kreuzen sich gleichsam die abfallende Linie des Bedeutungsverlusts der religiösen Dogmen und die aufsteigende Linie der Aufladung der Kunst mit quasi-religiöser Bedeutung. Zum einen wird David, der in der theologischen Exegese als Vorläufer und Wegbereiter des Messias gilt, zur literarischen Figur profaniert und seine Auserwählung, die ihn eigentlich für seine königliche Aufgabe legitimiert, zum künstlerischen Genie säkularisiert. Zum anderen entdecken vor allem Dichter der Jahrhundertwende um 1900 in dieser alttestamentlichen Gestalt den Künstler, der ihnen zur Form wird, in der sie Eigenes verhandeln, ihr kreatives Schaffen reflektieren können. Und da es sich bei David im christlichen wie jüdischen Glauben um eine Zentralfigur der Heilsgeschichte handelt, partizipieren die literarischen Texte über ihn auch ein Stück weit an dem religiösen Nimbus, der ihm anhaftet. So trägt die Rezeption der David-Künstler-Thematik zu der um 1900 virulenten Tendenz bei, der Kunst religiöse Züge zu verleihen. Die Auserwähltheit des israelitischen Königs wird analogisiert mit dem dichterischen Selbstverständnis: War der biblische David zum

Entstehung des Alten Testaments in die Überlegungen ein, lässt sich ein spannender dialektischer Prozess beschreiben. Der vorliegende Endtext gilt als Ergebnis einer Redaktion aus deuteronomistischer Zeit, die als „Traditionsliteratur“ unterschiedliche Quellen und Überlieferungen, darunter Erzählungen zu einzelnen Abschnitten, zu einem Ganzen kompiliert (vgl. Walter Dietrich: Die frühe Königszeit in Israel, S. 259 f.). Der kanonische Text, wie wir ihn kennen, erscheint so als Amalgam unterschiedlicher Erzählungen und wird nun seinerseits zum Fundus, dem Künstler einzelne Figuren, Ereignisse und Motive entnehmen, um darüber Geschichten zu erzählen. 5 Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 144; Zitat aus: Menschliches, Allzumenschliches I; Aphorismus 150. 6 „Kompensatorisch zur Säkularisierung biblischer Texte erfolgte die Sakralisierung profaner Literatur“ (Wolfgang Frühwald: Die Bibel als Literatur produzierende Kraft, S. 40). Silvio Vietta beschreibt dieses reziproke Phänomen in der Literatur und Kunst der Moderne als „Religionskonflikt […], als Versuch der Bewahrung des Religiösen wie als Darstellung des Entzuges des Göttlichen“ (Silvio Vietta: Die literarische Moderne, S. 114).  

4 Im Spannungsfeld von Säkularisierung und Sakralisierung

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Königtum gesalbt, fühlt sich der Dichter, der sich mit ihm identifiziert, als ausgezeichnet zum Künstlertum. Das Ineinanderübergehen von Ästhetischem und Religiösem wird besonders deutlich in dem Gedicht aus Rilkes „Stunden-Buch“, das in eine „Apotheose der Dichtung“7 mündet. Doch auch die späteren Texte sprechen der Kunst ein herausragendes Potenzial zu, zu heilen, zu bewahren, zu versöhnen, zu verwandeln, zu gedenken. So verraten gerade die Adaptionen der Shoa-Überlebenden Sachs, Ausländer und Weil, dass die Kunst in all ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen ein Hoffnungsträger sein kann. Am David-Stoff bestätigt sich Michael Brauns These zur Bibelrezeption der Moderne: „Im Modus verfremdender und transfigurierender Rezeptionsweisen können sie [d. h. biblische Gestalten] aber zu literarischen Kontrastfiguren heranwachsen – und somit zu ästhetischen Paradigmen einer neuen Sinnsuche und Wertorientierung werden.“8  

7 Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis, S. 207. Löwenstein zeigt die Parallele zwischen der frühen Dichtung Rilkes und dem Werk Georges: Beide streben eine Aufwertung der Kunst und des Künstlers an (vgl. ebd., S. 208 f.). Andrea Henneke-Weischer hat herausgearbeitet, wie Else Lasker-Schüler die Kunst zum „Sakralraum des Ästhetischen“ macht und sich eine „Kunst-Religion“ erschreibt (vgl. Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 388). 8 Michael Braun: Verfremdung und Transfiguration, S. 452.  

5 Eine biblische Alternative zu Orpheus Die intensive Rezeption sowohl des Orpheus- als auch des David-Stoffs fügt sich in die mit der Säkularisierung einhergehende Tendenz, in der Kunst sinnstiftendes Potenzial zu entdecken: Sagenhafte wie historische Dichter-Sänger als Vermittler, ja Schöpfer sinn- und haltgebender Mythologie werden zu Fixpunkten einer anhaltenden Diskussion über die Frage, ob nicht auch modernen Gesellschaften eine „neue“, von Dichtern zu erschaffende Mythologie als geistige Vereinigungsmacht gegeben werden könnte.1

Als „Archipoeta“, als „Ur-Dichter“ und zugleich „Ur-Musiker“ gilt Orpheus: Seit der Antike ist sein Mythos „ein bevorzugtes Medium poetologischer Selbstreflexion“2. Eine ähnliche Qualität entfaltet der David-Stoff, auch wenn der jüdische König der Historie angehört. Auffällig sind Ähnlichkeiten zwischen den Handlungselementen der zwei Stoffkreise: Sowohl Orpheus als auch David bezwingen durch ihre Kunst feindliche Kräfte – der thrakische Sänger rührt die Götter der Unterwelt, der biblische bändigt Sauls innere Dämonen –, beide beklagen mit ihrem Gesang den Tod eines geliebten Menschen – denjenigen Eurydikes bzw. Jonathans –, beide werden auch als Prophet und Theologe verehrt.3 So verwundert es nicht, dass Orpheus in David eine poetologische Konkurrenz erwachsen ist. Der von Nelly Sachs zu einem „Vater der Dichter“ erklärte jüdische König steht neben dem mythischen „Vater des Lieds“4. Die Bibel und die an sie anknüpfende jüdisch-christliche Deutungstradition präsentieren die Figur eines gottbegnadeten musisch-schöpferischen Genies, die man dem griechischen Orpheus-Mythos zur Seite stellen konnte. Für Dichter bot sich somit auch im biblischen Stofffundus eine potenzielle Projektionsfigur, die aus ihrem theologischen Kontext geschält und im Dienst poetologischer Reflexionen mit neuer Bedeutung aufgeladen werden konnte. Orpheus wie David standen ihnen als konkurrierende, aber

1 Manfred Koch: Der heilige Dichter-Sänger, S. 3. 2 Jochen Schmidt: Deutung als esoterische Sinnstiftung. Rilkes „Sonette an Orpheus“, S. 221 f. Die von Wolfgang Storch herausgegebene Textsammlung zum „Mythos Orpheus“ bietet einen guten, thematisch gegliederten Überblick über dessen literarische Rezeption von Vergil bis Ingeborg Bachmann. 3 Vgl. Walter Hinck: Das Gedicht als Spiegel der Dichter, S. 7. Orpheus gilt auch als Religionsstifter (vgl. Jochen Schmidt: Deutung als esoterische Sinnstiftung. Rilkes „Sonette an Orpheus“, S. 223 f.). 4 Wolfgang Storch: Orpheus, S. 12; vgl. auch Albrecht Betz: Musikhelden und Heldenmusik, S. 917.  



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auch komplementäre role models zur Verfügung, um die eigene Situation zu spiegeln und dichtungsspezifische Fragen zu verhandeln.5 Auch Albrecht Betz resümiert die Gemeinsamkeiten der beiden Figuren: Dennoch ist beider Bild vorab das von jugendlichen Heroen: Als Künstler-Helden leisten sie, dank ihres Muts und ihrer Fähigkeiten und geschützt von einem Gott, Übermenschliches für ihre Gemeinschaft; die lohnt es ihnen, indem sie sie ins Zeitlose überhöht. Auch dies ist ein Triumph des Gesangs über den Tod.6

Allerdings schillert die Person Davids in noch mehr Facetten, weist sein Charakter mehr Brüche und Ambivalenzen auf, sind die an seine Person geknüpften Geschichten präsenter, sodass eine Darstellung des Künstlers David immer auch andere durch den Stoff bedingte Ebenen mit transportiert. Der Sänger vor Saul ist zugleich ein Thronprätendent, die Konfrontation immer auch eine politische. Ebenso politisch lässt sich der um Jonathan Klagende deuten, schließlich trägt hier der neue König den eigentlichen Thronfolger zu Grabe. Darüber hinaus werden die Themen der Freundschaft und gleichgeschlechtlichen Liebe berührt. Anhand des Tänzers schließlich lässt sich diskutieren, ob bei der Anbetung nur erlaubt ist, was sich ziemt. Diese Schichtung von Themen und Konflikten in den Urszenen verhindert dann auch eine einseitige Reduzierung der David-Adaptionen auf selbstreferenzielle Aussagen über Kunst. Während allein die Nennung von Orpheus’ Namen ausreicht, um den Bezug zu Dichtung und Musik herzustellen, er also schon zum Symbol für Poesie geworden ist, ist die Abstraktion im Falle Davids nicht so weit fortgeschritten, sondern wird oft auch der narrative Rahmen des Stoffs mit ausgestaltet.7 Die poetologische Stimme ist in den fiktionalen Texten über David zwar immer eine tragende, doch nie die alleinige. Erst im Zusammenklang mit anderen Lesarten ergibt sich die Komplexität und Mehrdimensionalität des jeweiligen Textes.

5 Interessanterweise erlebte auch die literarische Orpheus-Rezeption, die in der nachromantischen Zeit so gut wie zum Erliegen gekommen war, im 20. Jahrhundert einen neuen Schub (vgl. Eva-Maria Knittel: Orpheus im Horizont moderner Dichtungskonzeptionen, S. 37–52). 6 Albrecht Betz: Musikhelden und Heldenmusik, S. 917. 7 Eva-Maria Knittel bietet im einführenden Kapitel ihrer Dissertation einen diachronen Überblick über die literarische Rezeption des Orpheus-Stoffs, die im Dienst poetologischer Aussagen steht (vgl. Eva-Maria Knittel: Orpheus im Horizont moderner Dichtungskonzeptionen, S. 5–52).

6 David als Figur des kulturellen Gedächtnisses Das Fort-, Weiter- und Umschreiben eines Stoffs basiert – im Sinne von Pfisters Kriterium der Kommunikativität – wesentlich auf der Bekanntheit der zugrundeliegenden Erzählung.1 Sie sorgt dafür, dass der Stoff als mögliches Sujet einer künstlerischen Anverwandlung interessiert, sie erlaubt es dem Rezipienten auch, die Art der intertextuellen Beziehung zu erfassen und über den Abgleich mit dem Prätext Besonderheit und Eigenart des jeweiligen Textes zu beurteilen sowie Rückschlüsse auf dessen Aussage zu ziehen. Jene inhaltliche wie ideologische Reibung von Vorlage und Adaption entspricht dem von Manfred Pfister definierten Kriterium der Dialogizität. Alle Adaptionen der Urszenen, ob sie nun bildkünstlerischer oder literarischer Art sind, ob sie sich eng an den Prätext halten oder ihn nur in Form des Zitats und der Anspielung aufrufen, alle Ausgestaltungen zeugen von der Wirkungsmacht der biblischen Erzählung. Im Zuge der intensiven Rezeptionsgeschichte sind die Episoden aus Davids Vita gewissermaßen zu Bildern geronnen, deren Erwähnung beim Rezipienten konkrete, kulturell geprägte Vorstellungen evoziert. Die Urszenen fanden Eingang in das kulturelle Gedächtnis, wurden weiter und weiter tradiert, wurden bildhafte Formeln, die im allgemeinen Bewusstsein christlichjüdisch geprägter Gesellschaften einen gemeinsamen Bezugspunkt bildeten. Das Weltbild und die Wurzeln einer Schriftkultur sind in Texten fixiert, ein verbindlicher, unveränderlicher Kanon des Wissensbestands hat sich herausgebildet, der den Traditionsstrom an einem bestimmten Stand einfriert. Der Kanon enthält die zentralen Normen und Werte einer Gesellschaft – da sich die Realität verändert, der Wortlaut aber unantastbar ist, benötigt man laut Jan Assmann Deuter, die die alten Texte für das Heute fruchtbar machen und sie so in der Erinnerung halten.2 Die untersuchten Variationen, Um-, Neu- und Weiterdichtungen des David-Stoffs lassen sich als solche Aktualisierungen des kanonischen Wissens verstehen. Die wesentliche Leistung des kulturellen Gedächtnisses ist Jan Assmann zufolge seine konnektive Struktur – zum einen schweißt es eine Gruppe zusammen, bindet Menschen aneinander, zum anderen baut es eine Brücke zur Vergangenheit. Da die Erinnerung immer auch ein Bekenntnis zu gemeinsamen Werten

1 Für die Variationen des David-Stoffs trifft die allgemeine Aussage von Volker Kapp und Dorothea Scholl zu: „Bibeldichtung kann nur in einer Kultur entstehen, in der die Bibel, auch unabhängig von der persönlichen Glaubenshaltung, bekannt ist.“ (Volker Kapp/Dorothea Scholl: Bibeldichtung, S. 13) 2 Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 94–96. https://doi.org/10.1515/9783110700770-014

6 David als Figur des kulturellen Gedächtnisses

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bedeutet, kommt dem kulturellen Gedächtnis eine normative Funktion zu, die Anleitung und Orientierung schafft. Eine kulturelle Identität verweist stets in die Vergangenheit zurück und konstruiert eine Kontinuität. Die faktische Geschichte wird dabei vom kulturellen Gedächtnis in erinnerte Geschichte und damit in den Mythos überführt.3 Assmann plädiert für eine neue Mythos-Definition – Mythos ist für ihn nicht mehr die Erzählung der Urzeit, muss nicht fiktiv, sondern kann auch jüngste Geschichte sein, sofern sie erinnert und vom chronologischen Gerüst der Historiografie gelöst wird. Das Erzählen von der Vergangenheit soll helfen, die Gegenwart zu verstehen und Perspektiven für die Zukunft zu entwerfen. Assmann nennt diesen Versuch der Sinnstiftung einen „Akt der Semiotisierung“4. Der Mythos kann einerseits fundierend wirken, indem er aktuelles Geschehen durch die Geschichte rechtfertigt, begründet und herleitet. Andererseits kann er auch kontrapräsentisch eingesetzt werden, d. h. der eigenen, als mangelhaft erfahrenen Gegenwart wird eine verklärte Vergangenheit gegenübergestellt. In beiden Fällen kommt dem Mythos eine sinnstiftende, orientierende Kraft zu, die Mythomotorik.5 Beide Funktionen des Mythos lassen sich in den einzelnen literarischen Ausprägungen des David-Stoffs wiederfinden. Durch die Berufung auf den Sänger David definieren Dichter zum einen ihren eigenen Stellenwert sowie die Relevanz ihres Schaffens, indem sie es implizit in die Nähe von Auserwähltheit rücken. Zum anderen wirkt das sinnstiftende und heilende Potenzial von Kunst wie ein Versprechen in einer von Disparatheit und Kontingenz gekennzeichneten Moderne. Dichter pflegen im Falle des David-Stoffs einen Zugriff auf das kulturelle Gedächtnis, wie er eigentlich für Mächtige typisch ist. Jan Assmann konstatiert die Instrumentalisierung des Gedächtnisses durch die Herrschenden, die sich retrospektiv legitimieren und zugleich prospektiv verewigen wollen.6 Sie arbeiten somit bewusst mit der Erinnerung – einmal, indem sie sich in Traditionslinien stellen, und zum anderen, indem sie ihre eigene Erinnerung durch künstlerischkulturelle oder historiografische Leistungen fördern: Sie „setzen sich in ihren Taten Denkmäler, sorgen, daß diese Taten erzählt, besungen, in Monumenten verewigt oder zumindest archivarisch dokumentiert werden“7. Das Königtum Davids diente in Mittelalter wie Früher Neuzeit für Herrscher als legitimatorisches Vorbild, auf das sie sich beriefen und in dessen Nachfolge sie sich sahen. Doch wurde die Erinnerung an David nicht nur politisch vereinnahmt. Seine doppelte  

3 4 5 6 7

Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 52. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 77. Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 79 f. Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 71. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 71.  

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III Resümee

Profilierung als König und als Künstler bedingte es, dass sich auch Dichter als seine Erben verstanden, ihn retrospektiv zum Vater und Schirmherrn erkoren, und darüber hinaus seine Geschichte bzw. ihm zugeschriebene Gesänge nutzten, um prospektiv eigene poetologische Statements zu formulieren.

7 David und das jüdische Erinnerungsgebot Während alle untersuchten künstlerischen Adaptionen am kulturellen Gedächtnis partizipieren1, werden in den Texten der jüdischen Dichterinnen Gedenken und Vergessen selbst zum Thema. Dabei stehen sie in einer spezifisch jüdischen Tradition, die das Sich-Erinnern als existenzielle und identitätssichernde Aufgabe einfordert. Jan Assmann weist nach, dass es den Juden allein durch die Kanonisierung des kulturellen Gedächtnisses möglich war, ihre Identität trotz des babylonischen Exils zu bewahren.2 Dabei stellte „das 5. Buch Mose, das Deuteronomium, als Gründungstext einer Form kollektiver Mnemotechnik […] in der damaligen Welt etwas vollkommen Neuartiges“ dar und fundierte „mit einer neuen Form von Religion zugleich auch eine neue Form kultureller Erinnerung und Identität“.3 Die verloren gegangenen „lieux de mémoire“, Königtum, Territorium und Tempel, wurden ins Innere verlagert und in ein „geistiges Israel“ transformiert. „Hier wird eine Erinnerungskunst entwickelt, die auf der Trennung von Identität und Territorium basiert.“4 Der jüdisch-amerikanische Historiker Yosef Hayim Yerushalmi führt die Anfänge der jüdischen Geschichtsschreibung auf das biblische Erinnerungsgebot zurück: Die Aufforderung, sich zu erinnern, ergeht bedingungslos, und selbst wenn eine ausdrückliche Aufforderung nicht erfolgt, spielt das Erinnern stets eine Schlüsselrolle. Das Verb zachar (erinnern) in all seinen Formen kommt in der Bibel nicht weniger als 169 Mal vor. Angesprochen sind meistens entweder Israel oder Gott, denn Erinnerung obliegt beiden. Dem Verb ist sein Gegenteil zugeordnet – vergessen. Israel wird ermahnt zu gedenken, und zugleich wird dem Volk eingeschärft, nicht zu vergessen. Angesichts der ungeheuren Wirkung, welche diese beiden Gebote seit biblischen Zeiten bei den Juden entfaltet haben, möchte ich behaupten: Wer verstehen will, wie ein Volk überleben konnte, welches wäh-

1 Auch auf struktureller Ebene lässt sich ein Bezug zum kulturellen Gedächtnis ausmachen, da Intertextualität „ein konstruierendes Prinzip der kulturellen Vernetzung“ darstellt: „Durch sie stiftet der Text eine Art sozialer Integration. Und die Kunst als das auf Dauer gestellte Organ der Vergewisserung einer Gesellschaft bekommt durch ihre Reminiszenzen die Aufgabe, an Vergangenes zu erinnern.“ (Markus Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 156) In diese Richtung argumentiert auch Renate Lachmann, wenn sie eine Wechselwirkung zwischen Textproduktion und Mnemotechnik annimmt (vgl. Frauke Berndt/Lily Tonger-Erk: Intertextualität, S. 133). 2 Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 159, 213. 3 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 212. 4 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 213. https://doi.org/10.1515/9783110700770-015

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III Resümee

rend des größten Teils seiner Existenz über die ganze Welt verstreut war, kann aus der […] Geschichte des Gedächtnisses dieses Volkes vermutlich Wichtiges lernen.5

Jacques Le Goff hat die Juden auch das „Gedächtnisvolk par excellence“ genannt.6 Der Auftrag, sich an die Wundertaten zu erinnern, die Gott an seinem auserwählten Volk gewirkt hat, klingt nach in den David-Dichtungen von Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs, Rose Ausländer und Grete Weil. In Lasker-Schülers Gedicht „David und Jonathan“ hat Erinnern noch eine rein private, auf die Liebe bezogene Dimension – die Bindung der beiden Liebenden überdauert dank ihrer Aufzeichnung in der Bibel. Allerdings sind die „Hebräischen Balladen“ eine Folge von Lasker-Schülers poetischer Wiederentdeckung ihrer jüdischen Wurzeln. Mit ihren Gedichten will Lasker-Schüler das jüdische Traditionsgut sowie das kulturelle Gedächtnis für sich revitalisieren.7 Dieser Zugang zu den biblischen Schriften ist ein extrem subjektiver und steht im Dienst einer ganz eigenen kreativen Anverwandlung der Überlieferung. Mit den Menschheitskatastrophen des 20. Jahrhunderts geht dann ein Paradigmenwechsel einher, für den die beiden Überlebenden Nelly Sachs und Rose Ausländer stehen. In ihren David-Dichtungen hat das Gedenken seine Intimität und Privatheit eingebüßt, es bedeutet auch mehr als eine Beschwörung des vom 137. Psalm verkündeten Gebots, im Exil Jerusalem nicht zu vergessen. Das selbst erfahrene und bezeugte Leid führt zu einer Aktualisierung und Neudefinition des Imperativs zu gedenken: Zuerst und vor allem wollen Sachs und Ausländer die Erinnerung an den nationalsozialistischen Massenmord der Shoa präsent halten. So schreibt Nelly Sachs: „Uns anderen Betroffenen fällt es zu, bis zum eigenen Tod die Leidtragenden der Opfer zu sein. Ihnen gehört mein Wort, das vor den Tätern verstummt.“8 Und auch Rose Ausländer „wendet […] sich ‚wieder und wieder‘

5 Yosef Hayim Yerushalmi: Zachor: Erinnere Dich!, S. 17. Jan Assmann ergänzt: „Mit Hilfe [ihrer] Mnemotechnik haben die Juden es fertiggebracht, über fast zweitausend Jahre hinweg, in alle Weltgegenden verstreut, die Erinnerung an ein Land und an eine Lebensform, die zu ihrer jeweiligen Gegenwart in schärfstem Widerspruch standen, als Hoffnung lebendig zu erhalten: Dieses Jahr Knechte, nächstes Jahr Freie, dieses Jahr hier, nächstes Jahr in Jerusalem.“ (Jan Assmann: ReMembering – Konnektives Gedächtnis und jüdisches Erinnerungsgebot, S. 45) 6 Zitiert nach Harald Weinrich: Lethe, S. 230 f. Ausgehend von dieser Charakterisierung des jüdischen Volkes deutet Weinrich die Shoa über die physische Dimension hinaus als „unvergleichliches und beispielloses Attentat auf das kulturelle Gedächtnis der Menschheit […], als millionenfache[n] Gedächtnismord (Memorizid)“ (ebd., S. 232). 7 Vgl. Andrea Henneke-Weischer: Poetisches Judentum, S. 371–373. 8 Nelly Sachs: Dem Geheimnis nahen, S. 109.  

7 David und das jüdische Erinnerungsgebot

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zurück, um das erlebte Grauen – Bedrohung, Flucht, Emigration und Entwurzelung, Getto, Verfolgung und Mord – der Vergessenheit zu entreißen“9. Während ihr Gedicht das „Nicht vergessen“ zum Programm erhebt, bedrängt in Sachs’ Bühnenwerk „Der magische Tänzer“ die Titelfigur den verstörten David mit der wiederkehrenden, bohrenden Frage „Erinnerst du dich?“10. In beiden Fällen ist der Gegenstand des Erinnerns eine Art Black Box, die die Texte in Assoziationen, Andeutungen und Metaphern umkreisen, ohne sie jemals explizit zu benennen. Das „Geheimnis in der Lade“11 ist unerträglich, es berührt die Grenzen des Unsagbaren.12 Die David-Variationen von Nelly Sachs und Rose Ausländer verfolgen insofern eine poetologische Zielsetzung, als sie den Anspruch der beiden Dichterinnen an ihr eigenes Schaffen transportieren: nämlich einen Beitrag zur Erinnerungsarbeit zu leisten.13 Doch sprengen sie auch den Rahmen einer selbstreferenziellen, ästhetische Fragen durchspielenden Dichtung: Mit der Thematisierung von Trauma, Trauer und Leid, mit ihrem Gedenken an die Opfer sind sie von existenzieller Dringlichkeit.14 Eindrücklich widerlegt beider Lyrik das

9 Christoph Gellner: Schriftsteller lesen die Bibel, S. 36. 10 U. a. Nelly Sachs: Werke, Bd. 3, S. 194. 11 Nelly Sachs: Werke, Bd. 3, S. 190. 12 „Das Erschrecken und der Schmerz verstören die Sprache und zwingen zu einem Sprechen jenseits der Zeichennatur der Sprache, ins Zentrum treten Rätsel, Geheimnis und eben – das Schweigen.“ (Walter Busch: In welcher Sprache schweigen die Gedichte der Nelly Sachs?, S. 107 f.) 13 In einem Brief an Carl Seelig vom 1.10.1946 beschreibt Nelly Sachs ihr dichterisches Selbstverständnis: „Aber es muß doch eine Stimme erklingen und einer muß doch die blutigen Fußstapfen Israels aus dem Sande sammeln und sie der Menschheit aufweisen können. Nicht nur in Protokollform!“ (Briefe der Nelly Sachs, S. 67 f.) Ein ähnliches Anliegen verfolgt Grete Weil, die sich als „Zeugin des Schmerzes“ versteht (zitiert nach Uwe Meyer: „Neinsagen, die einzige unzerstörbare Freiheit“, S. 67) und mit ihrem schriftstellerischen Schaffen dem Vergessen entgegenwirken will: „Vergessen tötete die Menschen noch einmal. Vergessen durfte nicht sein. Und so schrieb ich weiter.“ (zitiert nach Agnes Wuckelt: „Der Brautpreis“, S. 108) 14 Aleida Assmann erläutert am Beispiel von Überlebenden der Shoa, wie sich die unerträgliche Erinnerung dem Körper in Form des Traumas einschreibt: „Durch eine Erfahrung, deren Exzeß das psychophysische Fassungsvermögen übersteigt, wird anschließend die Möglichkeit einer integralen Selbstkonstitution zerschlagen. Das Trauma stabilisiert eine Erfahrung, die dem Bewußtsein nicht zugänglich ist und sich im Schatten dieses Bewußtseins als eine latente Präsenz festsetzt.“ (Aleida Assmann: Erinnerungsräume, S. 258 f.)  





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III Resümee

Adorno’sche Diktum, es sei barbarisch, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben.15

15 Hans Magnus Enzensberger hat 1959 in seinem Aufsatz „Die Steine der Freiheit“ die Lyrik von Nelly Sachs ins Feld geführt, um Adornos apodiktische Aussage zurückzuweisen: „Wenn wir weiterleben wollen, muß dieser Satz widerlegt werden. Wenige vermögen es. Zu ihnen gehört Nelly Sachs.“ Allerdings erneuerte Adorno seine Kritik, wobei er den Fokus verschob und nicht mehr Lyrik nach Auschwitz, sondern Lyrik über Auschwitz attackierte. Er wendet sich nun gegen die verklärende, verharmlosende Tendenz der Lyrik, die einer „ästhetischen Theodizee“ zuarbeitet, also dem Leid einen Sinn zuschreibt. „Adornos Ablehnung eines solchen dichterischen Umgangs mit der Shoah gründet in seiner Auffassung, daß die Lyrik die gesellschaftlichen Zustände, die den Genozid hervorbrachten, stützt; sie sei Bestandteil und Alibi der Kultur, die auch den Völkermord mitzeugte.“ (Ruth Kranz-Löber: In der Tiefe des Hohlwegs, S. 36) Wie Ruth Kranz-Löber belegt, trifft sein Verdikt auf die mit mythischen Elementen arbeitende Lyrik von Sachs zu (vgl. ebd., S. 37 f.).  

8 Der Vielgeliebte als Vielgedeuteter Mit dem dichterischen Selbstbild wandelt sich die Sicht auf den Künstler David, der sich ebenso wie bei den politischen und messianischen Vereinnahmungen auch im poetologischen Bereich als erstaunlich vielseitige Projektionsfigur erweist. Es bestätigt sich Margarete Susmans These, dass die Gestalt Davids „unerschöpflich […] und in diesem Sinne unsterblich“ ist, da er „jeder geschichtlichen Zeit, jedem geschichtlichen Raum ein neues Gesicht zeig[t]“.1 Der eher egozentrische Kunstdiskurs eines Stefan George und die Traumaverarbeitung einer Nelly Sachs scheinen zwei unterschiedlichen Welten anzugehören. Und doch vollziehen sich beide im Zeichen Davids. Sie stehen stellvertretend für die zwei Verdichtungen in der Rezeption des Künstlers David, von denen die eine um 1900, die andere nach der Shoa zu beobachten ist. In einer Zeit, die zur Verabsolutierung und quasi-religiösen Verbrämung der Kunst tendierte, konnte Dichtung über den Gesalbten David von dessen sakralem Nimbus profitieren. Und für jüdische Dichter, die die Shoa überlebt hatten, wurde David in anderer Hinsicht zur Symbolfigur, da sich an ihr die jüdische Geschichte reflektieren und die Brisanz des Erinnerungsgebots verdeutlichen ließ. In Davids literarischem Nachleben spiegeln sich weltanschauliche Paradigmenwechsel wider – er kann als Kronzeuge für die Sakralisierung der Kunst um 1900 aufgerufen werden, er dient aber auch als Bezugsfigur bei der Suche nach einem künstlerischen Umgang mit der Shoa. Wer von David als dem Sänger, Dichter, Tänzer oder Psalmisten erzählt, spricht auch und manchmal nur über die Kunst: was sie kann, was sie soll, woran sie scheitert. Und da solche selbstreferenziellen, autoreflexiven Fragen der Kunst inhärent sind und nicht nur theoretisch, sondern gleichfalls in poetologischer Dichtung verhandelt werden wollen, ist „Davids Dank“ wohl noch nicht „verklungen“. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es wieder zu „Harfendämmerungen“ (Rilke) kommen wird und sich auch künftig Töchter und Söhne finden werden, die dem „Vater der Dichter“ die literarische Reverenz erweisen.

1 Margarete Susman: Deutung biblischer Gestalten, S. 88. Im Folgenden deutet Susman allerdings David (und Saul) lediglich unter religiösem Blickwinkel, indem sie in beiden „Sinnbilder eines in allen Zeiten wiederkehrenden Menschentums, einer unerschöpflich lebendigen Beziehung zwischen Menschlichem und Göttlichem“ erblickt (ebd., S. 88, vgl. auch S. 131). https://doi.org/10.1515/9783110700770-016

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Personenverzeichnis Adorno, Theodor W. 280 Alkuin 15 Allkemper, Alo 190 Ambrosius von Mailand 160–161 Amrein, Ursula 168 Anton, Christine 150 Assmann, Aleida 72, 157, 187, 236, 279 Assmann, Jan 31, 274–275, 277–278 Auerochs, Bernd 34–35 Augustinus 10, 161 Ausländer, Rose 30, 234–235, 237–244, 262, 265, 267, 271, 278–279 Böll, Heinrich 32 Büchner, Georg 181 Bab, Julius 221, 224 Bach, Inka 228 Bach, Johann Sebastian 43 Bachmann, Ingeborg 272 Bandmann, Günter 47 Bauschinger, Sigrid 124, 127–128 Becher, Johannes R. 129 Beck, Karl Isidor 18 Becker, Michel 223 Beer-Hofmann, Richard 13, 244 Behr, Samuel Rudolph 162 Beller, Manfred 27 Ben-Gurion, David 11, 14 Berendsohn, Walter A. 201, 227, 231, 234 Berendt, Hans 69, 78, 119 Bernhardt, Sebastian 147, 149 Betz, Albrecht 273 Bleckmann, Ulf 83 Blumenberg, Hans 31–32, 34 Bocian, Martin 23–24 Bock, Alfred 60 Bodemann, Stefan 43, 47, 161–162, 208 Bohnert, Christiane 245–246 Borchardt, Rudolf 55 Bossuet, Jacques-Bénigne 15 Brückener, Egon 95, 103 Bradley, Brigitte L. 73, 118 Brandstetter, Gabriele 161, 169, 178 Braun, Helmut 239 https://doi.org/10.1515/9783110700770-018

Braun, Michael 271 Braungart, Wolfgang 33, 214–215 Brecht, Bertolt 20, 102–105, 107–108, 114, 262 Briegleb, Klaus 210 Brinkschröder, Michael 110, 112 Broich, Ulrich 29, 87 Buber, Martin 122, 126–127, 186, 230, 250 Buse, Franz 143 Byron, George Gordon 150 Cézanne, Paul 68 Cassagnau, Laurent 231 Cattaneo, Gabriella 170, 175 Celan, Paul 192–193, 230 Cervantes, Miguel de 161, 171 Chagall, Marc 205 Claudius, Matthias 20 Conterno, Chiara 108, 123, 209 Döblin, Alfred 202–203, 266 Dahlke, Birgit 58 Dante Alighieri 202 Darwin, Charles 35 Dehmel, Richard 44 Dietrich, Walter 6, 23, 25, 44, 118, 210, 247 Dischner, Gisela 189–190 Drehsen, Volker 269 Eckstein, Pia 25, 39, 246 Egel, Antonia 74–75 Eisler, Hanns 20, 103 Enzensberger, Hans Magnus 280 Eschenbach, Gunilla 57 Euripides 46 Exner, Lisbeth 254 Füglister, Notker 198 Fülleborn, Ulrich 68, 214 Faehndrich, Alice 119 Feuchtwanger, Lion 94–95, 98–103, 261–264, 267 Feuchtwanger, Marta 103 Feuerbach, Ludwig 35, 168, 173

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Personenverzeichnis

Fichte, Hubert 130 Frühwald, Wolfgang 33 Frank, Ulrike 125 Franke, Norman 59 Freeman, Thomas 137 Frenzel, Elisabeth 23–24, 28 Freud, Sigmund 35 Gätjens, Sigrid 57 Galle, Helmut 228 Geißner, Hellmut 186, 192, 195 Gellner, Christoph 48, 246 Genette, Gérard 28–29, 84, 98, 141 George, Stefan 51–53, 55–60, 66–69, 71, 78, 88–94, 262–263, 267, 271, 281 Gerding, Marlise 216 Gide, André 57 Gillmayr-Bucher, Susanne 108 Goes, Albrecht 13 Goethe, Johann Wolfgang von 3, 23, 32, 34, 44, 58, 145 Gründgens, Gustav 130 Grass, Günter 32 Grazie, Marie Eugenie delle 19 Greven, Jochen 90 Greven, Karl Joachim Wilhelm 85 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 17 Grittner, Sabine 184, 231 Gundolf, Friedrich 51, 56–59 Gutzkow, Karl 17–18 Händel, Georg Friedrich 43 Haberkamp, Frederike 122 Hamburger, Käte 31, 88 Harms, Gottlieb 143 Hebbel, Friedrich 20 Heine, Heinrich 18–19, 122, 166, 170–172, 209–210, 229 Heinrich VIII. 8 Hell, Cornelius 208 Heller, Joseph 25 Henkel, Artur 169 Henley, Grant H. 118–119 Henneke-Weischer, Andrea 126, 271 Herakleios 15 Herder, Johann Gottfried 12, 21, 33

Herodes 161 Hesse, Hermann 264 Heym, Stefan 19, 25, 244–247, 249–251, 253, 256–257, 261, 264–265, 267 Heyse, Paul 19, 143–145, 147–158, 263, 267 Hillenbrand, Rainer 153–155 Hintze, Brigitte 128–129 Hitler, Adolf 20 Hobbes, Thomas 15 Hoffmann-Axthelm, Dagmar 40, 45 Holliger, Heinz 180–181 Holzmann, Johannes 120–121 Honegger, Arthur 43–44 Honthorst, Gerrit van 204 Horaz 46 Horch, Hans Otto 151–152 Hossfeld, Frank-Lothar 236 Isidor von Sevilla 46 Jahnn, Hans Henny 130–133, 137–143, 156–157, 252, 262, 264, 267 Jesus 10–12, 43, 69, 126, 198, 213, 219, 222–223, 261, 265 Jeziorkowski, Klaus 183 Jobling, David 106–107 Johannes der Täufer 161, 216 Josephus, Flavius 42 Jung, Franz 19 König, Eberhard 19 Körner, Birgit M. 127 Küng, Peter 154 Kafka, Franz 188 Kaiser, Gerhard 167, 169 Kapp, Volker 274 Karl der Große 15 Karl IV. 16 Karlauf, Thomas 57 Kauffmann, Kai 52 Kayser, Wolfgang 30 Keilson-Lauritz, Marita 57 Keller, Gottfried 153, 161–163, 166, 168–173, 175–178, 200–202, 261, 265, 267 Kerr, Alfred 266 Keutel, Walter 86

Personenverzeichnis

Kircher, Athanasius 43 Kleer, Martin 206 Kleist, Heinrich von 32, 164, 182, 191 Klimt, Gustav 256 Klopstock, Friedrich Gottlieb 12–13, 224 Klussmann, Paul Gerhard 60, 65 Knittel, Eva-Maria 273 Kobel, Erwin 202 Koch, Manfred 214 Konstantius 14 Kosegarten, Ludwig Theoboul 163, 170, 177 Kraß, Andreas 111–113, 119 Kranz-Löber, Ruth 232, 243, 280 Kraus, Karl 167 Krey, Friedhelm 131–133, 139 Kristensson, Julia 239 Krug, Marina 122 Kuhnau, Johann 43–44 Kuschel, Karl-Josef 268 Löwenstein, Sascha 212, 215, 271 Lachmann, Renate 30, 268, 277 Landsberger, Artur 186 Langenhorst, Georg 23–24, 69, 229, 245 Lasker-Schüler, Else 30, 120–130, 156–157, 265, 267, 271, 278 Le Goff, Jacques 278 Lehmann, Annette Jael 238–239, 243 Lenin, Wladimir Iljitsch 246 Lermen, Birgit 28–29, 198, 226, 230, 268 Leschnitzer, Adolf 44 Lichtenhahn, Ernst 43 Link, Franz 154 Liptzin, Sol 24, 113 Luckscheiter, Roman 76, 78 Lukas 10 Luther, Martin 11, 15–16, 42 Müller, Wolfgang G. 75–76 Machiavelli, Niccolò 15–16 Mallarmé, Stéphane 60 Mann, Thomas 202, 237 Maximilian I. 8 Meißner, Alfred 18 Meil, Johann Wilhelm 208 Meinke, Hanns 57

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Melanchthon, Philipp 15–16 Mendelssohn, Felix 44 Mendelssohn, Moses 208 Michelangelo 237–238, 240, 243, 254–256, 263, 266 Milhaud, Darius 43–44 Modersohn-Becker, Paula 118 Modick, Klaus 95, 103 Molitor, Dietrich 136, 141 Morgenthaler, Walter 165, 167 Morris, Leslie 239 Morwitz, Ernst 51 Mozart, Wolfgang Amadeus 137, 141 Muschg, Walter 42 Naumann, Thomas 104, 109 Nebel, Inger 19, 25, 95, 144, 219, 223 Niehoff, Reiner 140, 143 Nielsen, Carl 43–44 Nietzsche, Friedrich 19, 35, 213, 215, 222, 270 Nijinski, Vaslav 180, 195 Och, Gunnar 152 Osterkamp, Ernst 56 Ostmeier, Dorothee 179, 182–183, 186 Ovid 46 Paradin, Claude 43 Park, Shinja 79 Petrus 219 Pfister, Manfred 28–29, 87, 91, 101, 194, 274 Pippin 15 Platen-Hallermünde, August von 87, 152 Popp, Wolfgang 133, 136, 141 Por, Peter 74, 76, 114, 119 Rötzer, Hans Gerd 217, 220 Rückert, Friedrich 17, 46 Rüte, Hans von 11 Rabbi Motele von Chernobyl 186 Rabbi Nachman 230 Radde, Christine 122, 124 Reichert, Karl 163 Reinhardt, Max 13 Rembrandt van Rijn 47–51, 55, 59, 69, 79, 83–84, 87–89, 254–256, 263

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Personenverzeichnis

Renz, Christine 178 Rilke, Clara 69 Rilke, Rainer Maria 30, 32, 68–69, 71–72, 74–78, 88–94, 114–120, 125, 128, 130, 135, 156–157, 210–216, 224, 226, 242–243, 262–267, 271, 281 Rodin, Auguste 68, 77–78 Rohse, Eberhard 104 Rosenthal, Fritz 114 Rosenzweig, Franz 250 Rospert, Christine 179, 189, 195 Ruh, Ulrich 32 Rusterholz, Peter 245–246 Rychlo, Peter 237, 240–241 Sachs, Hans 11–12, 16 Sachs, Nelly 178–185, 189–195, 198–201, 211, 224–225, 227, 229–234, 241–244, 261–262, 264–267, 271–272, 278–281 Salmen, Walter 161 Salome 161 Schöne, Albrecht 32 Scheffler, Kirsten 79 Schiffermüller, Isolde 215 Schiller, Friedrich 53, 116 Schleich, Carl Ludwig 44 Schmeltzl, Wolfgang 11 Schmitz, Victor A. 58, 92 Schnell, Robert Wolfgang 101–102 Scholem, Gershom 127 Scholl, Dorothea 274 Schroer, Silvia 112 Schuller, Marianne 163 Schumann, Robert 266 Seelig, Carl 242, 279 Seghers, Anna 48–49 Sievers, Marianne 69, 77 Simeoni, Gabriele 43 Simon, Ralf 53 Sorge, Reinhard Johannes 13, 19, 216–224, 241–242, 261, 265–267, 269 Sorge, Susanne 223 Sowa-Bettecken, Beate 197–198 Sparn, Walter 269 Spenser, Edmund 114 Stalin, Josef 20, 98, 246 Staubli, Thomas 112

Steger, Hugo 207 Stein, Peter 17 Sternburg, Wilhelm von 99 Stolz, Fritz 112 Storch, Wolfgang 272 Stravinsky, Igor 180 Susman, Margarete 281 Szendi, Zoltán 69, 76 Theodosius I. 15 Tintoretto, Jacopo 204 Tirolff, Hans 11 Toorop, Jan 51 Trede, Yngve Jan 137–138 Treuer, Gotthilf 21 Trousson, Raymond 27 Urbanek, Gisela 11 Vergil 272 Vietta, Silvio 270 Wagner, Richard 22, 35, 65, 152 Walser, Robert 78–80, 83–86, 88–94, 100, 262–264, 267 Weil, Grete 48, 244, 250–251, 253–254, 256–257, 261–264, 267, 271, 278–279 Weill, Kurt 13, 43–44 Weinrich, Harald 278 Weisgal, Meyer Wolf 13–14 Werfel, Franz 13–14, 222, 244, 267 Weyembergh-Boussart, Monique 203 Whitman, Walt 105 Wiesmüller, Wolfgang 208 Wilde, Oscar 54 Wilzen, Tina 56 Windfuhr, Manfred 77–78 Wolff, Johanna 19 Wolfskehl, Karl 51, 59–67, 88–90, 92–94, 262–263, 265, 267 Yerushalmi, Yosef Hayim 277 Zarek, Otto 103 Zehnder, Markus 112 Zenger, Erich 8, 20, 49, 237

Personenverzeichnis

Zingel, Hans Joachim 207 Ziolkowski, Theodore 33

Zweig, Arnold 24 Zweig, Max 14

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