173 61 19MB
German Pages 311 [330] Year 2017
© 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447107716 # ISBN E-Book: 9783447196222
PHILIPPIKA Altertumswissenschaftliche Abhandlungen Contributions to the Study of Ancient World Cultures
Herausgegeben von /Edited by Joachim Hengstl, Elizabeth Irwin, Andrea Jördens, Torsten Mattern, Robert Rollinger, Kai Ruffing, Orell Witthuhn 106
2017
Harrassowitz Verlag . Wiesbaden
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Klio und die Nationalsozialisten Gesammelte Schriften zur Wissenschafts- und Rezeptionsgeschichte Volker Losemann Herausgegeben von Claudia Deglau, Patrick Reinard und Kai Ruffing
2017
Harrassowitz Verlag . Wiesbaden
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Bis Band 60: Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen.
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Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 1613-5628 ISBN 978-3-447-10771-6 e-ISBN PDF 978-3-447-19622-2
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Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort der Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Schriftenverzeichnis von Volker Losemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Aufsätze.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“ (1980).. . . . . . . . . . . . . 3 Zur Konzeption der NS-Dozentenlager (1980). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Reformprojekte der NS-Hochschulpolitik (1994). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Auf dem Wege zur „Alternativ-Universität“. Die „Hohe Schule“ Alfred Rosenbergs und die „Wissenschaftsarbeit“ der NSV in Marburg (1994). . . . . . . . . . . 77 Die Altertumswissenschaften in der Zeit des Nationalsozialismus (1996).. . . . . . . . . . . . . . . 101 Die Dorier im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre (1998). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die „Krise der Alten Welt“ und der Gegenwart. Franz Altheim und Karl Kerényi im Dialog (1998).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Nationalsozialismus und Antike. Bemerkungen zur Forschungsgeschichte (2001). . . . . . . . 161 „Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden“ R. W. Darré und die Agrargeschichte Spartas (2005). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Classics in the Second World War (2007). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Denkmäler, völkische Bewegung und Wissenschaft. Die römisch-germanische Auseinandersetzung in der Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts (2008). . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Die „Zeitgeschichte der Alten Geschichte“ (2009). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 „Statt Deutschland sollte man künftig Arminien sagen!“ Bemerkungen zur Terminologie der römisch-germanischen Auseinandersetzung (2010). . . 283 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
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Geleitwort Mit diesem Band wollen die Herausgeber Claudia Deglau, Patrick Reinard und Kai Ruffing und viele andere Weggefährten Volker Losemann eine lang verdiente Ehrung und Dank zuteilwerden lassen. Es fügt sich, ihm gleichzeitig Glückwünsche zu seinem 40. Doktorjubiläum aussprechen zu können. Mit seinem Dissertationsthema hatte sich Volker Losemann auf einen Wissenschaftsweg begeben, auf dem er bis heute konsequent und unbeirrbar vorangeschritten ist. Möge er diesen Weg noch lange gehen! Unbeirrbarkeit musste Volker Losemann in den 70er und 80er Jahren an den Tag legen, war er doch der einzige Althistoriker im deutschsprachigen Raum, der sich stetig auf das damals schlüpfrige Terrain, das mit „Klio und die Nationalsozialisten“ trefflich beschrieben ist, begeben – ja man kann aus der Retrospektive sagen – gewagt hat. Klio hatte die Nationalsozialisten sicher nicht geküsst. Es waren die Nationalsozialisten, die glaubten, sich Klio mit Judasküssen mindestens auf 1000 Jahre gefügig machen zu können. Volker Losemann hat mit seiner Dissertation, die unter dem Titel „Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945“ im Jahr 1977 erschienen ist, die Mauer des Schweigens über die Verhaltensweisen der eigenen Zunft in der damals gar nicht so fernen Vergangenheit durchbrochen. Dennoch mussten aus verschiedenen Gründen noch Jahre vergehen, bis man auch in der bundesrepublikanischen Althistorie ohne Scheu und ohne Repressionsdruck eine kritische Rückschau vornehmen konnte. Mit Recht ist jüngst die Dissertation von Volker Losemann als bahnbrechend auch im Vergleich zu faktenreichen Monographien aus jüngster Zeit bezeichnet worden (Uwe Walter, FAZ 22.8.2014, S. 10). Somit wird man auch andere frühe und spätere Arbeiten von Volker Losemann, von denen der vorliegende Band eine Auswahl präsentiert, als bahnbrechend im unmittelbaren Sinn des Wortes bezeichnen können. Es geht aber an dieser Stelle nicht nur um den Wissenschaftler Volker Losemann, der ebenso als akademischer Lehrer, als Editor, als Studiendekan, als Sachwalter im Universitätsarchiv und als Studienberater von Tausenden Studierenden ebenso unbeirrbar und beharrlich tätig gewesen ist. Es geht um die stets präsente Persönlichkeit. Volker Losemann ist über viele Jahrzehnte das personifizierte Kontinuum im Seminar für Alte Geschichte an der Philipps-Universität zu Marburg bis zum Ende seiner Dienstzeit und dankbarerweise darüber hinaus gewesen. Er hat sich aller Dinge angenommen, die im alltäglichen Betriebe eines durchaus ausgelasteten Seminars anfielen oder über dieses unvorhersehbar hereinbrachen. Er hatte gewichtigen Anteil am Funktionieren des Betriebes bis hin zum Privaten im wuchtigen Offiziellen: Er erinnerte in der Regel an die Geburtstage der aktiven und ehemaligen Mitglieder des Seminars; er machte auf kleinere oder größere Jubiläen aufmerksam; er kümmerte sich zu weiten Teilen um die Logistik solcher Festivitäten usw. So verdanken wir alle Volker Losemann viele Erinnerungen an behagliche Stunden, die für ein dauerhaftes Funktionieren eines Seminars keineswegs hintanzustellen sind. Und wenn Volker Losemann dann noch aus seinem unerschöpflichen Anekdotenborn schöpfte, wurde es gemütlich. Ich blicke auf eine über 20jährige Zusammenarbeit und auf viele – aber letztlich doch zu wenige – Stunden in privater Atmosphäre mit Volker Losemann zurück. Ich möchte diese Zeit
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Geleitwort
VIII
nicht missen. Deshalb stehe ich keineswegs allein, wenn ich mit anderen aus vollem Herzen sage: Sehr geehrter Herr Kollege, lieber Herr Losemann AD MULTOS ANNOS! Münster im September 2015
Hans-Joachim Drexhage
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Vorwort der Herausgeber Volker Losemann wurde am 9. Juni 1942 geboren und studierte nach dem Abitur am Fried richs-Gymnasium Kassel von 1962 bis 1968 Geschichte und Latein an der Philipps-Universität Marburg. Dort wurde er 1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Karl Christ, für den er bereits während des Studiums als studentische Hilfskraft tätig gewesen ist. 1975 wurde Volker Losemann mit seiner sehr mutigen, damals aufsehenerregenden und bis heute grundlegenden Dissertation „Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Fachs Alte Geschichte 1933–1945“ an der Philipps-Universität von Karl Christ promoviert. 1977 erfolgte die Drucklegung der leicht gekürzten Dissertation. Im selben Jahr wurde Volker Losemann akademischer Rat, später Oberrat sowie Studiendekan im Fachbereich 6 – Geschichte und Kultur wissenschaften der Philipps-Universität. Das Fach „Alte Geschichte“ an der Philipps-Universität sowie das Seminarleben hat er über Jahrzehnte auf einzigartige Art und Weise geprägt. Den durch die Dissertation erschlossenen Forschungsschwerpunkten blieb Volker Lose mann stets treu. Dabei gab es, wie er selbst verschiedentlich mitgeteilt hat (vgl. die Aufsätze Nr. 2, 8, 10 und 12), innerhalb des Fachs starke Ressentiments gegen eine Aufarbeitung der tabuisierten nationalsozialistischen Vergangenheit. Über die Historie der eigenen Disziplin hatte sich ein Deckmantel des Schweigens gelegt, der nur gegen hartnäckigen Widerstand gelüftet werden konnte. Dementsprechend wird Volker Losemanns Dissertation – auch wenn sie damals in bestimmten Teilen des Fachs „alles andere als freundlich aufgenommen“1 wurde – als „grundlegende“2 und „bahnbrechende“3 Studie geschätzt, die „einer kritischen Auseinandersetzung mit der ‚braunen Vergangenheit‘ den Weg“4 ebnete. Es war u. a. sein „Verdienst“, als erster „die Auswirkungen der ‚Säuberung‘ der deutschen Hochschulen im Fach Alte Geschichte ins Bewußtsein geführt zu haben.“5 Die Arbeit, die auch jenseits der Fach grenzen der Alten Geschichte weithin rezipiert wurde, ist bis heute „a seminal and important contribution“,6 deren Verfasser als „Pionier in Bezug auf die Erhellung der nationalsozialistischen Verstrickungen der Altertumswissenschaft“7 angesehen werden muss. Karl Christ be1 St. Rebenich, NZZ 19.11.2014. 2 Vgl. z. B. B. Näf, Von Perikles zu Hitler? Die athenische Demokratie und die deutsche Althistorie bis 1945, Bern u. a. 1986, 113; M. Willing, Althistorische Forschung in der DDR. Eine wissenschaftliche Studie zur Entwicklung der Disziplin Alte Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart (1945–1989), Berlin 1991, 16; K. Christ, Der andere Stauffenberg. Der Historiker und Dichter Alexander von Stauffenberg, München 2008, 17. 3 Vgl. z. B. F.-R. Hausmann, Rez. zu: B. Näf (Hrsg.), Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus, Cambridge 2001, in: H-Soz-Kult, 21.02.2002; St. Rebenich, Nationalsozialismus und Alte Geschichte. Kontinuität und Diskontinuität in Forschung und Lehre, in: I. Stark (Hrsg.), Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR. Beiträge der Konferenz vom 21 bis 23. November 2002 in Halle/Saale, Stuttgart 2005, 43; U. Walter, FAZ 22.8.2014. 4 M. Willing, Rez. zu: J. Chapoutot, Der Nationalsozialismus und die Antike, Darmstadt 2014, in: H-SozKult, 27.10.2014. 5 K. Christ, Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1982, 164 Anm. 1. 6 R. F. Thomas, Rez. zu: B. Näf (Hrsg.), Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus, Cambridge 2001, in: BMCR 2003.06.39. 7 M. Pesditschek, Wien war anders – Das Fach Alte Geschichte und Altertumskunde, in: M. G. Ash (Hrsg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen 2010, 288 Anm. 3.
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X
Vorwort der Herausgeber
zeichnete die Arbeit seines Schülers 30 Jahre nach ihrer Entstehung als „Pionierleistung, die als Ganzes bis heute unübertroffen ist.“8 Dies gilt auch noch uneingeschränkt im Jahr 2016! Der Pionier trotzte Widerständen und Ressentiments und legte zum Verhältnis von Antike und Nationalsozialismus, zur Wissenschaftsgeschichte der Alten Geschichte, zum Germanienund Sparta-Bild der NS-Zeit, zur NS-Hochschulpolitik und allgemein zur Antike-Rezeption zahlreiche Aufsätze und Lexikonartikel vor, die die Forschung ebenfalls maßgeblich vorangebracht und den Forschungsstand nachhaltig definiert haben. Darüber hinaus ist an seine Herausgebertätigkeit zu erinnern, die in gleichem Maße die Forschung belebte. Anlässlich seines 40jährigen Dissertationsjubiläums ist es den Herausgebern ein großes Ver gnügen, dreizehn ausgewählte Beiträge aus dem Werk Volker Losemanns in dem hier vorliegen den Band zu vereinen. Großen Dank schulden wir den Verlagen, die einen Wiederabdruck der Aufsätze ermöglicht haben. Zudem sind wir dem Stadtarchiv Goslar, insbesondere Herrn Ulrich Albers, für die Druckerlaubnis einer Abbildung zu Dank verpflichtet. Der Staatsbibliothek Berlin, insbesondere Frau Sabine Tolksdorf, sowie dem Lippischen Landesmuseum Detmold, insbesondere Herrn Dr. Michael Zelle, schulden wir für die Bereitstellung und die Druckerlaubnis von Abbildungen unseren Dank. Für Hinweise zu Abbildungen danken wir zudem Katja Brandes (Anne Roerkohl dokumentARfilm) und Dr. Magdalena Holzhey (Kunstmuseum Krefeld). Die Aufsätze wurden hinsichtlich der Zitationsweise in den Anmerkungsapparaten vereinheitlicht. Nach der ausführlichen bibliographischen Angabe in der Erstnennung erfolgt bei weiteren Nennungen eines Literaturtitels eine Zitation durch Nachname und Erscheinungsjahr. Dabei wird durch den Verweis [s. Anm.] auf die jeweilige Erstnennung mit der ausführlichen bibliographischen Angabe verwiesen. Wenn ein Literaturtitel auf einer Seite in unmittelbar aufeinander folgenden Fußnoten zitiert wird, wird auf eine Wiederholung des Verweises [s. Anm.] verzichtet. Die Aufsätze Nr. 2 und Nr. 12 besitzen in der Originalpublikation ein Literaturverzeichnis, das in beiden Fällen übernommen wurde. In den Fußnoten dieser Aufsätze stehen deshalb durchgehend nur Kurztitel. In manchen Fällen wurden in den Originalpublikationen Endnoten verwendet [Nr. 1, 5, 10 u. 11], die hier durch Fußnoten ersetzt sind. Ferner wurden Abbildungen, die in den Originalpublikationen im Fließtext stehen, hinter die Aufsätze angehängt und vergrößert sowie in besserer Qualität abgedruckt [Nr. 9 u. 11]. In den Anmerkungen stehen gelegentlich Verweise auf Aufsätze, die auch hier wieder abgedruckt sind. In diesen Fällen wurden die Angaben des Originalpublikationsortes im Text belassen, jedoch wurde in eckigen Klammern jeweils ein entsprechender Verweis (durch Angabe der Nummerierung des Aufsatzes) eingefügt. Die Seitenumbrüche der Originalpublikationen wurden im Fließtext in eckigen Klammern markiert. Zu großem Dank für technische Hilfe und organisatorische Unterstützung sind wir Rebecca Frei, Jane Parsons-Sauer und Louisa D. Thomas (alle Kassel) verpflichtet. Zudem haben Simon Thijs (Marburg) sowie Martin Muss, Marvin Seferi, Tom Decker, Arne Döpke, Katja Krell und Christoph Schäfer (alle Trier) die Genese des Bandes in vielfacher Hinsicht unterstützt, wofür wir uns sehr herzlich bedanken möchten. Unser besonderer Dank gilt außerdem Dr. Kerstin Droß-Krüpe, die mit bewährter Umsicht Layout und Satz des Manuskriptes über-
8 K. Christ, Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis heute, München 2006, 58.
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Vorwort der Herausgeber
XI
nommen hat. Herrn Prof. Dr. Hans-Joachim Drexhage (Marburg) danken wir für seine Bereitschaft, den Band durch ein Geleitwort zu eröffnen. Der größte Dank gilt Volker Losemann, der den Herausgebern in gemeinsamen Jahren in vielfacher Hinsicht geholfen sowie das kollegiale und freundschaftliche Miteinander auf seine ganze eigene und unnachahmliche Art bereichert hat. Wir sind uns sicher, dass er Klio und die Nationalsozialisten sowie ihre hochkomplexen Verflechtungen auch in Zukunft unbeirrbar erforschen wird.
Claudia Deglau / Patrick Reinard / Kai Ruffing
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Schriftenverzeichnis von Volker Losemann Monographie: 1.
Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977 (Historische Perspektiven 7).
Aufsätze: 1. Der Marburger Schloßplan 1927–1945. Zeitgeschichtliche Wandlungen eines Forschungs projektes, in: W. Heinemeyer u. a. (Hrsg.), Academia Marburgensis. Beiträge zur Geschichte der Philipps-Universität Marburg, Marburg 1977, 353–405. 2. Darstellungsformen der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, in: Hessisches Jahr buch für Landesgeschichte 29 (1979) 162–208. 3. Programme deutscher Althistoriker in der Machtergreifungsphase, in: Quaderni di storia 11 (1980) 35–105. 4. Zur Konzeption der NS-Dozentenlager, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Stuttgart 1980. (Veröffentl. d. Histor. Komm. der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 4.2), 87–109. 5. Rassenideologien und antisemitische Publizistik in Deutschland im 19. und 20. Jahr hundert, in: Th. Klein / V. Losemann / G. Mai (Hrsg.), Judentum und Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1984, 137–159. [Wiederabdruck in: W. Benz / W. Bergmann (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus, Freiburg 1997, 304–337] 6. Nationalsozialistische Weltanschauung und Herrschaftspraxis (1933–1935), in: K. Malettke (Hrsg.), Der Nationalsozialismus an der Macht. Aspekte nationalsozialistischer Politik und Herrschaft, Göttingen 1984, 9–52. 7. Aspekte der nationalsozialistischen Germanenideologie, in: P. Kneissl / V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ, Darm stadt 1988, 256–284. 8. Arminius und Augustus. Die römisch-germanische Auseinandersetzung im deutschen Geschichtsbild, in: E. Gabba (Hrsg.), Römische Geschichte und Zeitgeschichte in der deutschen und italienischen Altertumswissenschaft während des 19. und 20. Jahrhunderts, Como 1990 (Biblioteca di Athenaeum 12), 131–163. 9. „Varuskatastrophe“ und „Befreiungstat des Arminius“. Die Germanienpolitik des Augustus in antiker und moderner Sicht, in: Varusschlacht und Germanenmythos, eine Vortragsreihe anlässlich der Sonderausstellung „Kalkriese – Römer im Osnabrücker Land“ in Oldenburg 1993, Oldenburg 1994 (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland, Beih. 9), 25–44. 10. Reformprojekte der NS-Hochschulpolitik, in: K. Strobel (Hrsg.), Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rahmenbedingungen, Vierow 1994 (Abhandlungen zum Studentenund Hochschulwesen 5), 97–115.
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XIV
Schriftenverzeichnis von Volker Losemann
11. Auf dem Wege zur „Alternativ-Universität“. Die „Hohe Schule“ Alfred Rosenbergs und die „Wissenschaftsarbeit“ der NSV in Marburg, in: W. Speitkamp (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Wissenschaft. Beiträge zur modernen hessischen Geschichte, Marburg 1994 (Veröffent lichungen der Historischen Kommission für Hessen 55), 365–386. 12. Nationalistische Interpretationen der römisch-germanischen Auseinandersetzung, in: R. Wiegels / W. Woesler (Hrsg.), Arminius und die Varusschlacht. Geschichte – Mythos – Literatur, Paderborn 1995, 419–432. 13. Die Altertumswissenschaften in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Die Philipps-Uni versität im Nationalsozialismus: Veranstaltungen der Philipps-Universität zum 50. Jahres tag des Kriegsendes 8. Mai 1995, hrsg. v. der Philipps-Universität Marburg, Marburg 1996, 67–72. 14. Die Dorier im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre, in: W. M. Calder III / R. Schlesier (Hrsg.), Zwischen Rationalismus und Romantik. Karl Otfried Müller und die antike Kultur, Hildesheim 1998, 313–348. 15. Die „Krise der Alten Welt“ und der Gegenwart. Franz Altheim und Karl Kerényi im Dialog, in: P. Kneissl / V. Losemann (Hrsg.), Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption, Festschrift für Karl Christ, Stuttgart 1998, 492–518. 16. A. Diskurosok: Franz Altheim és Kerényi Karoly. Egy barátság szakaszai, in: J. G. Szilágyi (ed.), Mitologia és humanitas, Budapest 1999, 111–144 [erweiterte ungarische Fassung]. 17. „I Dioscuri“: F. Altheim e K. Kerényi – tape di una amicizia, in: L. Arcella (ed.), K. Kerényi: incontro son il divino, Roma 1999, 17–28 [italienische Vortragsfassung Mailand 1997]. 18. The Nazi concept of Rome, in: C. Edwards (ed.), Roman Presences. Receptions of Rome in European Culture 1789–1945. Cambridge 1999, 221–235. 19. Nationalsozialismus und Antike – Bemerkungen zur Forschungsgeschichte, in: B. Näf (Hrsg.), Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und National sozialismus, Cambridge u. a. 2001, 71–88. 20. Aspekte der Standortbestimmung der Altertumswissenschaften in „Umbruchzeiten“, in: R. vom Bruch / B. Kaderas (Hrsg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestands aufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahr hunderts, Stuttgart 2002, 310–323. 21. „Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden“: R. W. Darré und die Agrargeschichte Spartas, in: Laverna 16 (2005) 66–120. 22. Sparta in the Third Reich, in: N. Birgalias / C. Buraselis / P. Cartledge (eds.), The Contri bution of Ancient Sparta to Political Thought and Practice, Athen 2007, 449–462. 23. Classics in the Second World War, in: W. Bialas / A. Rabinbach (eds.), Nazi Germany and the Humanities, Oxford 2007, 306–340. 24. Denkmäler, völkische Bewegung und Wissenschaft. Die römisch-germanische Ausein andersetzung in der Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts, in: H. Schneider (Hrsg.), Feind liche Nachbarn. Rom und die Germanen, Köln 2008, 229–269. 25. Arminius. Karriere eines Freiheitshelden, in: B. van Schlun / M. Neumann (Hrsg.), Mythen Europas. Schlüsselfiguren der Imagination. Das 19. Jahrhundert, Regensburg 2008, 98–119. [Wiederabdruck in: B. van Schlun / M. Neumann (Hrsg.), Menschen die Geschichte schrieben. Das 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2014, 103–125]
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Schriftenverzeichnis von Volker Losemann
XV
26. Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik – Anstelle eines Vorwortes, in: V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Gedenkschrift für Karl Christ, Wiesbaden 2009 (Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen 29), 1–9. 27. Die „Zeitgeschichte der Alten Geschichte“, in: S. Rieckhoff / S. Grundwald / K. Reich bach (Hrsg.), Burgwallforschung im akademischen und öffentlichen Diskurs des 20. Jahrhunderts. Wissenschaftsgeschichtliche Tagung der Professur für Ur- und Früh geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 2009 (Leipziger Forschungen zur Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie 5), 9–20. 28. Die „Kulturhöhe“ der Germanen. Spuren der NS-Germanenideologie, in: 2000 Jahre Varusschlacht, Mythos, Ausstellungskatalog, hrsg. von Landesverband Lippe, Stuttgart 2009, 234–242. 29. Einführung (gemeinsam mit Barbara Stiewe), in: V. Losemann / B. Stiewe (Hrsg.), Arminius/Hermann und die Deutschen. Ein nationaler Mythos. Ein studentisches Aus stellungsprojekt in der Universitätsbibliothek Marburg 30. April – 21. Juni 2009, Marburg 2009, ix–xiii. 30. „Statt Deutschland sollte man künftig Arminien sagen!“. Bemerkungen zur Terminologie der römisch-germanischen Auseinandersetzung, in: K. Ruffing / A. Becker / G. Rasbach (Hrsg.), Kontaktzone Lahn. Studien zum Kulturkontakt zwischen Römern und germanischen Stämmen, Wiesbaden 2010, 167–180. 31. Sparta-Diskurse in den frühen USA, in: U. Niggemann / K. Ruffing (Hrsg.), Antike als Modell in Nordamerika? München 2011 (Historische Zeitschrift, Beih. 55), 137–147. 32. Arminius – Rezeption eines deutschen Helden, in: V. Gallé (Hrsg.): Arminius und die Deutschen. Tagung zur Arminiusrezeption am 1. August 2009, Worms 2011, 39–68. 33. The Spartan tradition in Germany, 1870–1945, in: St. Hodkinson / I. Macgregor Morris (eds.), Sparta in modern thought: politics, history and culture, Swansea 2012, 253–314. 34. Sparta als Kehrseite Griechenlands. Aspekte der literarischen Sparta-Rezeption im „Dritten Reich“, in: P. Mauritsch / Chr. Ulf (Hrsg.), Kultur(en) – Formen des Alltäglichen in der Antike. Festschrift für Ingomar Weiler zum 75. Geburtstag, Graz 2013, 829–850. 35. Stefan Andres und die Herrschaft der spartanischen „Blutjunker“. Regimekritik und literarische Sparta-Rezeption in der NS-Zeit, in: Mitteilungen der Stefan-Andres-Gesellschaft 15 (2014) 43–67. Herausgeberschaft: 1. Judentum und Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart. Im Auftrag des Fach bereichs Geschichtswissenschaften der Philipps-Universität hrsg. v. Th. Klein / V. Lose mann / G. Mai, Düsseldorf 1984 (189 S.). 2. Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ, hrsg. v. P. Kneissl / V. Losemann, Darmstadt 1988 (537 S.). 3. Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption, Festschrift für Karl Christ, hrsg. v. P. Kneissl / V. Losemann, Stuttgart 1998 (804 S.). 4. Arminius/Hermann und die Deutschen. Ein nationaler Mythos. Ein studentisches Aus stellungsprojekt in der Universitätsbibliothek Marburg 30. April – 21. Juni 2009, hrsg. v. V. Losemann / B. Stiewe, Marburg 2009 (217 S.).
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5.
Schriftenverzeichnis von Volker Losemann
Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Gedenkschrift für Karl Christ, hrsg. v. V. Losemann, Wiesbaden 2009 (Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen 29) (420 S.).
Lexikonartikel: 1. Anton Ritter von Premerstein (Altertumswissenschaftler), in: Österreichisches Biographisches Lexikon d. Österr. Akad. d. Wissenschaften, Bd. 8, Wien 1983, 262–263. 2. Arminius, in: DNP 2, 1997, Sp. 14–16. 3. Barbaren, in: DNP 2, 1997, Sp. 439–443. 4. Flavus, in: DNP 4, 1998, Sp. 551–552. 5. Inguiomerus, in: DNP 5, 1998, Sp. 999–1000. 6. Italicus, in: DNP 5, 1998, Sp. 1162. 7. Maroboduus, in: DNP 7, 1999, Sp. 941–942. 8. Nationalsozialismus I. NS-Ideologie und Altertumswissenschaften, in: DNP 15,1, 2001, Sp. 723–754. 9. Anton von Premerstein, in: Neue Deutsche Biographie, 20, 2001, 692–693. 10. Segestes, in: DNP 11, 2001, Sp. 339. 11. Segimerus, in: DNP 11, 2001, Sp. 339. 12. Segimundus, in: DNP 11, 2001, Sp. 339–340. 13. Thusnelda, in: DNP 12, 2002, Sp. 516–517. 14. Sparta I: Bild und Deutung, in: DNP 15/3, 2003, Sp. 153–172. 15. Jacobsthal, Paul Ferdinand (1880–1957), in: R. B. Todd (ed.), Dictionary of British Classicists, London 2004, Sp. 502–506. 16. Jacoby, Felix (1876–1959), in: R. B. Todd (ed.), Dictionary of British Classicists, London 2004, Sp. 506–510. 17. Minio-Paluello, Lorenzo (1907–1986), in: R. B. Todd (ed.), Dictionary of British Classicists, London 2004, Sp. 652–655. 18. Fascism, in: A. Grayton / G. W. Most / S. Settis (eds.), The Classical Tradition, Harvard 2010, 352–354. 19. Berve, Helmut, in: DNP, Suppl. 6, 2012, Sp. 90–93. 20. Irmscher, Johannes, in: DNP, Suppl. 6, 2012, Sp. 611–612. 21. Stein, Artur, in: DNP, Suppl. 6, 2012, Sp. 1184–1186. 22. Vogt, Joseph, in: DNP, Suppl. 6, 2012, Sp. 1272–1274. 23. Vogt, Joseph, in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) hrsg. von H. Heinen † in Verbindung mit U. Eigler, P. Gröschler, E. Herrmann-Otto, H. von Hesberg, H. Leppin, H.-A. Rupprecht, W. Schmitz, I. u. B. Zimmermann. Lieferung I–V, Stuttgart 2016, s.v. 24. Forschungen zur antiken Sklaverei. I. Das Projekt unter Leitung von Joseph Vogt (1950– 1978), in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) hrsg. von H. Heinen † in Ver bindung mit U. Eigler, P. Gröschler, E. Herrmann-Otto, H. von Hesberg, H. Leppin, H.-A. Rupprecht, W. Schmitz, I. Weiler u. B. Zimmermann. Lieferung I–V, Stuttgart 2016, s.v.
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Schriftenverzeichnis von Volker Losemann
XVII
Rezensionen: 1.
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Rez. zu: Verzeichnis der Hochschullehrer der TH Darmstadt. Höhere Gewerbeschule – Technische Schule – Polytechnische Schule – Technische Hochschule. Teil 1: Kurz biographien 1836–1945, bearb. v. C. Wolf, unter Mitwirkung v. M. Viefhaus, Darmstadt 1977 (Darmstädter Archivschriften 3), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 29 (1979) 401. Rez. zu: E. Maschke / J. Sydow (Hrsg.), Stadt und Hochschule im 19. und 20. Jahrhundert. 15. Arbeitstagung in Schwäbisch Gmünd 12.–14. 11. 1976, Sigmaringen 1979 (Stadt in Geschichte. Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichte 5), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 31 (1981) 306–309. Rez. zu: H. Dollinger (Hrsg.), Die Universität Münster 1780–1980, Aschendorff 1980, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 31 (1981) 309–310. Rez. zu: Catalogus professorum academiae Marburgensis. Die akademischen Lehrer der Philipps-Universität Marburg, Bd. 1: Von 1911 bis 1971, bearb. v. I. Auerbach, Marburg 1979 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 15,2), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 31 (1981) 310–311. Bibliographie zur Geschichte der Universität Tübingen. Im Auftrag der Universität hrsg. v. der Universitätsbibliothek, bearb. v. F. Seck / G. Krause / E. Stöhr, Tübingen 1980 (Con tubernium 27), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 31 (1981) 311–312. Sammelrez. zu: P. Moraw, Kleine Geschichte der Universität Gießen 1607–1982, Gießen 1982; H. G. Gundel / P. Moraw / V. Press (Hrsg.), Gießener Gelehrte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Marburg 1982 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 35,2); H. G. Gundel (Hrsg.), Statuta Academiae Marpurgensis deinde Gissensis de anno 1629. Die Statuten der Hessen-Darmstädtischen Landesuniversität Marburg 1629–1650/Gießen 1650–1879, Marburg 1982 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 44); P. Moraw / V. Press (Hrsg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, Marburg 1982 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45); Frontabschnitt Hochschule. Die Gießener Uni versität im Nationalsozialismus. Mit Beiträgen von H.-J. Böhles u. a., Gießen 1982, 2. Aufl. 1983, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 35 (1985) 303–309. Sammelrez. zu: G. Schormann, Aus der Frühzeit der Rintelner Juristenfakultät, Bückeburg 1977 (Schaumburger Studien 38); G. Schormann, Rintelner Studenten des 17. und 18. Jahrhunderts, Rinteln 1981 (Schaumburger Studien 42); G. Schormann, Academia Er nestina. Die schaumburgische Universität zu Rinteln an der Weser (1610/21–1810), Mar burg 1982 (Academia Marburgensis 4), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 35 (1985) 309–310. Rez. zu: N. Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule, Bd. 1: 1914–1950, Neuwied / Frankfurt a.M. 1989, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 41 (1991) 364–369. Rez. zu: M. Bernhardt, Gießener Professoren zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik. Ein Beitrag zur hessischen Hochschulgeschichte 1945–1957, Gießen 1990 (Studia Giessen sia 1), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 41 (1991) 369–372.
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Aufsätze
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Nr. 1 Originalpublikation in: Quaderni di Storia 11 (1980) 35–105. Ed. Dedalo, Bari.
Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“#* [35] Aus dem NS-Geschichtsbild lassen sich angesichts seiner typischen Uneinheitlichkeit nur sehr bedingt Leitlinien einer Auseinandersetzung mit der Antike im nationalsozialistischen Sinne entwickeln.1 Unstrittig war ganz sicher die bereits in Hitlers Mein Kampf erhobene Forderung nach einer Weltgeschichte, „in der die Rassenfrage zur dominierenden Stellung erhoben wird“.2 Hitlers „Antike-Obsession“ ist bekannt; es sollen deshalb hier nur zwei prägnante Formeln dieser Geschichtsbetrachtung wiedergegeben werden: In Sparta sah er „den klarsten Rassenstaat der Geschichte“ und die „Römische Geschichte in ganz großen Linien richtig aufgefasst“ blieb für ihn die „beste Lehrmeisterin nicht nur für heute, sondern wohl für alle Zeiten“.3 Derartige Bekenntnisse wurden auch von Vertretern der Altertumswissenschaften als Argumentationshilfe gern in Anspruch genommen. Äußerst distanziert stand Hitler schließlich der im Umkreis #
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Anm. der Hrsg.: Bei folgenden in diesem Beitrag genannten Aktenbeständen haben sich Änderungen in Hinsicht auf Aufbewahrungsort bzw. Bestandsnummer ergeben: Der Bestand NS 8 (Kanzlei Rosenberg) befindet sich heute im Bundesarchiv Berlin, ebenso wie der Koblenzer Altbestand R 21, der dort unter der Bestandssignatur R 4901 (Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung) verwahrt wird. Der Bestand Rep. 320 ist in den Bestand R 1501 (Reichsministerium des Innern) im Bundesarchiv Berlin eingegangen. Es handelt sich hierbei um die überarbeitete und ergänzte Fassung eines Kapitels meiner 1975 in Marburg abgeschlossenen Dissertation, das aus Raumgründen nicht in die Druckfassung Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977 (= Historische Perspektiven Bd. 7) aufgenommen werden konnte (= Losemann 1977). Soweit im Folgenden themabedingt auf Fragen, Ergebnisse und Nachweise dieser Studie Bezug zu nehmen ist, wird darauf nur in Einzelfällen zurückverwiesen. Die dort (S. 16) angesprochenen weiterführenden Fragen, die in dem Komplex „Nationalsozialismus und Antike“ angelegt sind, hofft der Verfasser an anderer Stelle behandeln zu können. Einzelstücke aus dem Dienststellenbereich Alfred Rosenbergs und dem Reichsministerium für Wissen schaft, Erziehung und Volksbildung werden mit Archivsignaturen des Bundesarchivs Koblenz (NS /8 ...; R 21/ ...; Rep. 320 ...) bzw. des Mikrofilmarchivs des Instituts für Zeitgeschichte in München (MA ...) nachgewiesen. Für zahlreiche Hinweise bin ich Herrn Prof. K. Christ (Marburg) zu herzlichem Dank verpflichtet. Danken möchte ich auch Herrn Prof. L. R. B. Elton (Guildford Surrey), dem Sohn des Althistorikers Victor Ehrenberg, der mir die Erinnerungen seines Vaters zugänglich gemacht hat. Dazu allgemein: K. F. Werner, Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stutt gart 1967. A. Hitler, Mein Kampf, 444–448; Aufl. München 1939, 468. Zu der Bemerkung über Sparta, die einer Rede aus dem Jahre 1929 entstammt, vgl. E. Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, München ²1965, 500. Zur römischen Geschichte vgl. ferner A. Hitler, Mein Kampf, Aufl. München 1939, 470; vgl. generell P. Villard, Antiquité et Weltanschauung hitlérienne, in: Revue d’histoire de la deuxième guerre mondiale 22, 88 (1972) 1–18.
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von Himmler und Rosenberg forcierten Germanenverehrung gegenüber, die z. T. Züge einer Ersatzreligion gewann.4 Der damit verbundene starke „antirömische Affekt“ Alfred Rosenbergs ließ zumindest unmittelbar nach der Machtergreifung wissenschaftspolitische Konsequenzen als möglich erscheinen. Althistoriker, Klassische Archäologen und Philologen hatten sich mit der betonten Hinwendung zur deutschen Vorgeschichte auseinanderzusetzen, die in Anlehnung an Gustaf Kossinna als eine „hervorragende nationale Wissenschaft“ propagiert wurde.5 Welche Gefahren auch der Fächergruppe der Klassischen Altertumswissenschaft von dieser Seite her drohten, erwies sich dann im Verlauf des [36] von Reinhard Bollmus eingehend analysierten „Kampfes um die deutsche Vorgeschichte“, den Rosenbergs Schützling Hans Reinerth entfesselt hatte.6 Letzterer verbat sich im November 1933 in seiner Auseinandersetzung mit Theodor Wiegand, dem Präsidenten des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches, „vom nationalsozialistischen Standpunkt die Einmischung der R(ömisch) G(ermanischen) K(ommission) und des Archäolog. Instituts in die Fragen der nationalen deutschen Vorgeschichte“ u. a. mit folgender Begründung: „Weil die deutsche Vorgeschichte nicht vom Gesichtspunkt der klassischen Archäologen und nicht als eine Teilerscheinung der ‚klassischen‘ Kulturentwicklung des Südens und des Orients betrachtet werden kann“, ferner „(...) weil der Röm. Germ. Kreis die richtigen Anschauungen von der selbständigen Hochkultur unserer germanischen Vorfahren zu allen Zeiten bekämpft, abgelehnt oder ‚objektiviert‘ hat (...)“.7 Reinerths Angriff galt natürlich in erster Linie der Klassischen Archäologie. Hätte er sich durchsetzen können, wäre aber nicht nur „der Fluss der Mittel für die damit als ‚wesensfremd‘ degradierte Auslandsforschung (...) in der Folge sicherlich beeinträchtigt worden“.8 Abgesehen davon, dass Reinerth dem „RömischGermanischen Kreis“ auch Althistoriker zuordnete, beinhaltete diese Argumentation letzten Endes die Forderung nach Unterwerfung der gesamten Klassischen Altertumswissenschaft unter das Diktat der Germanenideologie.9 Problematisch für das betroffene Fach war auch der Vorschlag eines Privatdozenten der Germanistik, der jeweils einen der an den Universitäten zumeist doppelt vertretenen Lehrstuhl inhaber für Klassische Philologie dazu verpflichten wollte, „sich vor allem der Verarbeitung des antiken Gutes durch die germanischen Völker in Forschung und Lehre zu widmen“.10 Derartige Äußerungen dokumentieren den Reformeifer der ersten Stunde nach der Machtergreifung, der 4 Vgl. K. v. See, Deutsche Germanen-Ideologie vom Humanismus bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 1970, 92 (= See 1970). 5 Vgl. G. Kossinna, Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragende nationale Wissenschaft, Würzburg 1912. 6 R. Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970, 153ff. (= Bollmus 1970). 7 Reinerth an Reichsministerium des Innern z. Hd. Ministerialdirektor Dr. Buttmann v. 10.11.1933: Entgegnung auf die von Staatsrat Prof. Dr. Wiegand beim Reichsinnenministerium gegen Priv. Doz. Dr. H. Reinerth eingereichte Beschwerde (NS 8/128 fol. 71). Reinerth ging dabei von seinem bei Bollmus 1970, 154 angesprochenen Rundschreiben v. 22.5.1933 aus. 8 G. Wiegand (Hrsg.), in: Th. Wiegand, Halbmond im letzten Viertel. Briefe und Reiseberichte aus der alten Türkei von Theodor und Marie Wiegand 1895–1918, München 1970, 18. 9 Reinerth griff insbesondere den Althistoriker Eduard Meyer an; vgl. Reinerth an Buttmann v. 10.11.1933 (NS 8/128 fol. 70). 10 H. Teske, Nationale Bildungs- und Erziehungsarbeit an den Universitäten (Möglichkeiten und Ansätze), in: Volk im Werden 1 (1933) H. 2, 12 (11–13). Darauf antwortet H. Weinstock, Die Altertumswissenschaft in der deutschen Bewegung, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 9 (1933) 467–469.
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Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“
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in der gleichsam revolutionären Phase absonderlichste Blüten trieb und für Historiker etwa in die Forderung nach der Totalrevision des Geschichtsbildes münden konnte.11 Die neuen Machthaber ließen es aber nicht bei programmatischen Äußerungen zur nationalsozialistischen [37] „Hochschulreform“ bewenden, sondern demonstrierten mit der „Säuberungswelle“, die über die Hochschulen hinwegging, ihre Entschlossenheit, das Bild der deutschen Universität gründlich zu verändern. An Bekenntnissen und Programmen von seiten der Professoren fehlte es in dieser Phase nicht. Das wohl bekannteste Beispiel dieser Haltung liegt in Martin Heideggers Rektoratsrede Die Selbstbehauptung der deutschen Universität vor.12 Es ist kaum verwunderlich, dass es auf diesem Hintergrund vielfältiger Erwartungen und Befürchtungen auch den Vertretern der Altertumswissenschaften geraten erschien, ihren Beitrag zur „nationalen Revolution“ zu leisten. Anlass zu einer ersten Bestimmung des Standorts dieser Fächergruppe im nationalsozialistischen Staat boten nicht zuletzt die widersprüchlichen Äußerungen aus dem Kreis der neuen Führungsschicht zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Antike.13 Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Studie der Versuch unternommen werden, die ersten Reaktionen des Faches Alte Geschichte auf die Machtergreifung und zugleich die Antworten von ‚parteiamtlicher‘ Seite festzuhalten.14 Aus einer solchen Gegenüberstellung können sich unter Umständen Rückschlüsse auf die Programmatik einer „nationalsozialistischen Altertumswissenschaft“ ergeben. Abgesehen von der fachspezifischen Seite, die in diesem Rahmen im Vordergrund steht, erscheint die Fragestellung bedeutsam auch unter dem Gesichtspunkt einer Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich, um einen Ansatz von Ernst Nolte aufzugreifen.15 In einem weiteren Sinne lässt sich hier außerdem die ganz unmittelbare Reaktion von Teilen des Bildungsbürgertums auf die Machtübernahme fassen. Gemeinsame Züge tragen diese Äußerungen in aller Regel in dem Bemühen, die Gegenwartsbedeutung bzw. die Existenzberechtigung ihres Faches nachzuweisen. Beispiele dafür lassen sich wohl aus allen Fakultäten beibringen. Im Bereich der Altertumswissenschaften kann man diese Beiträge im Hinblick auf ihr Grundmuster nach dem anscheinend geläufigsten Titel dieser Gattung, dem letztlich auch in der „Reflexionsliteratur“ der sechziger und [38] siebziger Jahre zu fassenden Typus Die Antike und wir zuordnen, auf den Geza Alföldy verwiesen hat.16 Wenn sich unter diesem Titel der Klassische Philologe Thaddaeus Zielinski erstmals 1905 zu Wort meldete, oder 11 Vgl. dazu K. D. Bracher u. a., Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln ²1962, 308ff. (= Bracher 1962). 12 M. Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität, Breslau 1933 (= Freiburger Universitäts reden 11). 13 Losemann 1977, 17ff. [s. Anm. *]. 14 Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ bzw. „Machtübernahme“ vollzog sich in mehreren Stufen. Die hier zu behandelnde Diskussion geht über die mit den Gewaltmaßnahmen des Sommers 1934 im strengen Sinne „vollendete Machtergreifung“ hinaus; vgl. K. D. Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln ²1969, 258ff. (= Bracher 1969). 15 Vgl. E. Nolte, Zur Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ B. 46/65 v. 17.11.1965, 3–14 (= Nolte 1965). Dazu jetzt U. D. Adam, Hochschule und Nationalsozialismus. Die Universität Tübingen im Dritten Reich, Tübingen 1977, 44. 16 Vgl. G. Alföldy, Beobachtungen zur Lage der Althistoriker in der Bundesrepublik, Vortrag geh. auf der Tagung „Geisteswissenschaften und Forschungspolitik“, Kronberg 1977, in: F. Flashar u. a. (Hrsg.), Geisteswissenschaft als Aufgabe, Berlin 1978, 197.
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der Althistoriker Karl J. Neumann 1909 zum Thema Entwicklung und Aufgaben der Alten Geschichte sprach, so äußert sich darin der besondere Legitimationszwang unter den die Fächergruppe der Altertumswissenschaften seit dem Ende des 19. Jahrhunderts geraten war.17 In der Diskussion über das Verhältnis von humanistischer und realistischer Bildung auf den bekannten Schulkonferenzen von 1890 und 1900 findet das Zurücktreten der Antike in der Bildungstradition deutlichsten Ausdruck.18 Angesichts der engen Verbindung der Klassischen Philologie und der Alten Geschichte mit dem humanistischen Gymnasium konnten Rück wirkungen auf die mit der Vermittlung antiker Gehalte befassten Universitätsfächer nicht ausbleiben. Auch die programmatischen Äußerungen deutscher Althistoriker über das Verhältnis des Nationalsozialismus zur Antike, die 1933 entstanden sind, lassen sich von der breiter angelegten Diskussion über die Rolle der altsprachlichen oder ‚humanistischen‘ Bildung im Dritten Reich nicht grundsätzlich trennen. Diese Problematik fand schon deshalb einen wesentlich stärkeren Niederschlag in den Fachzeitschriften und in der nationalsozialistischen Publizistik, weil die Vertreter der Alten Sprachen an Schule und Universität der relativ kleinen Gruppe von Althistorikern zahlenmässig überlegen und zudem besser organisiert waren. Exemplarisch für diesen Strang, der erst neuerdings von Reinhart Herzog angesprochenen, 1933 einsetzenden Erbe-Diskussion im Sinne des Verwerfens und der Rettungen soll kurz auf die Position des Altphilologen Werner Jaeger und seiner ersten Kritiker von Seiten der NS-Pädagogik eingegangen werden.19 Indessen können in unserem Zusammenhang diese Verbindungslinien nur angedeutet, keineswegs aber voll ausgezogen werden, da es hier primär um die wissenschaftsgeschichtliche Fragestellung geht. Im Mittelpunkt stehen dabei die Konzeptionen der Althistoriker Fritz Schachermeyr und Helmut Berve sowie diejenige des mit dem Anspruch einer parteiamtlichen Stellungnahme zur Gesamtdiskussion [39] auftretenden Graezisten Walter Eberhardt. Diese Beiträge sind bisher vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion über den altsprachlichen Unterricht zwischen 1933 und 1945 angesprochen worden, wobei aus der Fülle des Materials naturgemäss nur einzelne, mehr oder weniger „beweiskräftige“ Zitate ausgewertet wurden. In bewusster Konzentration auf die genannten Autoren soll hier nun versucht werden, ihre Argumentation in einem in sich geschlossenen Beitrag möglichst genau zu erfassen, da so eher die in der Programmdiskussion für den Zeitgenossen des Jahres 1933 nicht unwichtigen, heute schwerer wahrnehmbaren Unterschiede sichtbar werden. 17 Vgl. Die Antike und wir. Vorlesungen von Th. Zielinski übers. aus dem Russischen, Leipzig 1905, und K. J. Neumann, Entwicklung und Aufgabe der Alten Geschichte, Strassburg 1910 (= Rektoratsreden der Univ. Strassburg 1909). 18 Vgl. H.-J. Heydorn / G. Koneffke, Studien zur Sozialgeschichte und Philosophie der Bildung II: Aspekte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, München 1973, 179ff. und K. Vondung (Hrsg.), Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen 1976, 34ff. 19 Vgl. R. Herzog, Antike-Usurpationen in der deutschen Belletristik seit 1866 (mit Seitenblicken auf die Geschichte der Klassischen Philologie), in: Antike und Abendland 23 (1977) 19 (10–27) (= Herzog 1977). Zu diesem Themenbereich sind vor allem heranzuziehen: J. Irmscher, Altsprachlicher Unterricht im faschistischen Deutschland, in: Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte 5/6 (1965) 225–271 (= Irmscher 1965); ders., Die Antike im Bildungssystem der Weimarer Republik und der Zeit des Faschismus, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 18, 4 (1969) 17–25 (= Irmscher 1969); R. Nickel, Der Mythos vom Dritten Reich und seinem Führer in der Ideologie des humanistischen Gymnasiums vor 1945, in: Paedagogica Historica 10 (1970) 118–128; ders., Humanistisches Gymnasium und Nationalsozialismus, in: Paedagogica Historica 12 (1972) 485–503.
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Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“
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Der Versuch, auch derartigen Bekenntnisschriften in der beschriebenen Weise gerecht zu werden, zieht nur allzu leicht den Vorwurf der Apologetik auf sich. Indessen geht es hier weder um vordergründige Be- noch Entlastung, sondern darum, die Ausgangslage der Auseinandersetzung eines Teilbereichs der Geschichts- und Altertumswissenschaft mit dem Nationalsozialismus zu beschreiben, und damit auch einen in seiner Zielsetzung sicher begrenzten Beitrag zur Diskussion über die Lage der Wissenschaften im Dritten Reich zu leisten. Von den betroffenen Autoren wird dieses Schrifttum heute in der Regel übergangen und verdrängt, oder um eine Formulierung von Fritz Schachermeyr aufzugreifen, nicht mehr „als bleibend oder wenigstens erwähnenswert“ empfunden.20 Der Verfasser hält diese unter der älteren Hochschullehrergeneration weit verbreitete Einstellung zu eigenen Beiträgen aus der NS-Zeit und zur Geschichte der eigenen Disziplin nicht für angemessen. Unabhängig davon verkennt er aber auch nicht, dass neben den hier behandelten althistorischen Programmschriften ein Gesamtwerk dieser Gelehrten steht, das den Anspruch erheben darf, in größerem Rahmen gewürdigt zu werden. Vor dem Eintritt in die Analyse der einzelnen Programmschriften sind zunächst bestimmte Aspekte des Verhältnisses von Altertumswissenschaften und Nationalsozialismus vor 1933 anzusprechen. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Resonanz die Rassenlehre als das entscheidende Kriterium einer nationalsozialistischen Auseinandersetzung mit der Antike in dieser Fächergruppe gefunden hatte. Als Vermittler [40] einer derartigen Antike-Rezeption hätten möglicherweise Altertumswissenschaftler auftreten können, die sich frühzeitig zur NSDAP bekannt hatten. Insofern geht es hier auch um die politische Orientierung des Faches. Für das Programm einer nationalsozialistischen Altertumswissenschaft boten Äußerungen aus dem Kreis der NS-Führungsschicht nur allgemeinste Anknüpfungspunkte. Darüber hinaus konnte nach einer Feststellung Johannes Irmschers „von einer spezifisch ‚nationalsozialistischen‘ Konzeption vor 1933 sowohl in der Altertumswissenschaft wie auch im Bereiche des altsprachlichen Unterrichts kaum die Rede sein“.21 Dieser Sachverhalt erklärt sich nicht zuletzt aus der prinzipiellen „Hochschulferne“ des Nationalsozialismus.22 Dem entspricht eine auch im Bereich der Altertumswissenschaften geringe Repräsentanz der Hochschullehrer in der NSDAP vor der Machtergreifung. Die Althistoriker, die sich 1933 in der programmatischen Auseinandersetzung exponierten, vollzogen den Parteieintritt – wenn überhaupt – erst nach der Machtübernahme.23 Ob sich das im schulischen Bereich anders dargestellt hat, ist hier nicht zu klären. Die Bemerkung des Freiburger Altphilologen Wolfgang Aly, „auf den humanistischen Gymnasien (habe) etwas gelebt, unsichtbar, im stillen, was uns den Eintritt in die Bewegung zur Selbstverständlichkeit gemacht hat“, ist in diesem Zusammenhang zu unpräzise.24 Auch Aly, der als nichtplanmässiger außerordentlicher Professor eher in der zweiten Linie seines
20 Vgl. F. Schachermeyr, Forschungen und Betrachtungen zur griechischen und römischen Geschichte, Schriftenverzeichnis zusammengestellt von G. Dobesch, Wien 1974, 447; vgl. dazu jetzt R. Bichler, in: Anzeiger für Altertumswissenschaft 30 (1977) Sp. 197–203. 21 Irmscher 1965, 228 [s. Anm. 19]. 22 Nolte 1965, 4 [s. Anm. 15]. 23 Vgl. dazu unten [47f.]. 24 W. Aly, Von der Zukunft des humanistischen Gymnasiums, in: Volk im Werden 3 (1935) 433 (427–433).
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Faches stand und der Partei 1931 beigetreten war, hat selbst bezeichnenderweise seinen ersten programmatischen Beitrag zu unserem Themenkreis erst 1934 vorgelegt.25 Das Kriterium der Parteimitgliedschaft vor der Machtübernahme besitzt freilich nur bedingte Aussagekraft. Vor allem darf man sich dadurch nicht den Blick für Traditionslinien verstellen, die das Bildungsbürgertum mit den Nationalsozialisten verbanden und so manchen Kompromiss nach der Machtübernahme erklären: „Ein Großteil der geistigen Elite erwies sich (...) als hochgradig prädisponiert oder anfällig für die ideologischen Gebilde, aus denen die nationalsozialistische ‚Weltanschauung‘ ihre Postulate bezog“.26 Dies bestätigt auch die bereits [41] 1941 vorgelegte und in einem weiteren Sinne unserer Fragestellung verpflichtete Studie German Historians and the Advent of the National Socialist State, in der sich Oscar J. Hammen vor allem mit Neuhistorikern auseinandersetzte.27 Das politische Profil des Faches Alte Geschichte in dem mit dem Ersten Weltkrieg ausgehenden Kaiserreich und der Weimarer Republik, das etwa die Auswertung der Professoren resolutionen von 1914 bis 1933 und zahlreicher Universitätsreden in Umrissen hervortreten lässt, ist von der liberalen Position Theodor Mommsens weit entfernt.28 Auch wenn eine die vorliegenden Ergebnisse absichernde Spezialstudie bislang aussteht, gibt es kaum einen Zweifel daran, dass die Altertumswissenschaftler ganz überwiegend konservativ-nationalliberal eingestellt waren. Der Klassische Philologe Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff und der Althistoriker Eduard Meyer, die in dieser Fächergruppe eine dominierende Stellung einnahmen, sind als führende Vertreter des deutschnationalen Lagers anzusprechen. „Gemässigte und Freunde der Weimarer Republik“ waren in der Minderzahl, ein Arthur Rosenberg nahm eine absolute Außenseiterposition ein.29 Gab es auch keine genuin nationalsozialistische Konzeption für die Altertumswissenschaft, so blieb das Fach aus der gekennzeichneten politischen Disposition heraus nicht ohne Anteil an dem, was Reinhart Herzog die besonders gut im literarischen Bereich fassbare „pränazistische Integration“ der Antike genannt hat.30 In diesen Zusammenhang gehört etwa Hans Bogners Monographie Die verwirklichte Demokratie. Die Lehren der Antike aus dem Jahre 1930,31 deren „antidemokratische Tendenz (...) im Sektor der Alten Geschichte kaum übertroffen worden (ist)“.32 „Lehren der Antike“ versuchte der Klassische Philologe Bogner auch in seinem Beitrag Die Bildung einer politischen Elite in dem 1932 erschienenen Sammelband Was wir vom 25 W. Aly, Das griechisch-römische Altertum im Rahmen der nationalsozialistischen Erziehung, in: Volk im Werden 2 (1934) 226–235. – W. Aly (1881–1962) war 1931 der NSDAP beigetreten; nach Personalbogen Aly (R 21/376). 26 Bracher 1962, 266 [s. Anm. 11]. 27 In: Journal of Modern History XIII (1941) 161–188. 28 Vgl. H. Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewusstsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim 1975, 256ff. – Die neuere Literatur bei: K. Böhme, Kriegsdienst mit der Feder. Der Erste Weltkrieg im politischen Urteil deutscher Professoren, in: Quaderni di storia 3 (1976) 49–67; vgl. ferner L. Canfora, Wilamowitz e Meyer tra la sconfitta e la „Repubblica di Novembre“, in: Quaderni di storia 3 (1976) 69–94. Die Studie von L. Canfora, Cultura classica e crisi tedesca. Gli scritti politici di Wilamowitz 1914–1931, Bari 1977, lag dem Verf. bei Abschluss des Manuskripts nicht vor. 29 Vgl. dazu Losemann 1977, 27ff. [s. Anm. *]. 30 Herzog 1977, 17 [s. Anm. 19]. 31 Hamburg 1930. 32 K. Christ, Zur Entwicklung der Alten Geschichte in Deutschland, in: GWU 10 (1971) 577–593.
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Nationalsozialismus erwarten fruchtbar zu machen: „Wer Gefühl für die Grundelemente der Geschichte hat, kann die antiken Erfahrungen mit der Bildung einer politischen Auslese leicht auf die deutsche Gegenwart anwenden“33. Er zweifelte nicht daran, „dass eine staatsbildende Schicht in [42] Deutschland der Antike nicht entraten kann, dass die Erziehung gerade der politischen Führerauslese humanistisch sein muss”.34 Bogner, der sich im Juni 1933 in München für Klassische Philologie habilitierte und vor allem von Walter Frank, dem Präsidenten des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, gefördert wurde, konnte im Rückblick seine vor 1933 erschienenen Publikationen als „Beiträge zur geistigen Vorbereitung der deutschen Revolution“ kennzeichnen35. Indessen war es nicht nur die häufig mit der Verherrlichung des Führer- und Reichsgedankens einhergehende antidemokratische Komponente, die eine „pränazistische Integration der Antike“ ermöglichte. An partieller Bereitschaft, sich mit der Rassenlehre als dem für eine nationalsozialistische Antike-Konzeption entscheidenden Kriterium auseinanderzusetzen, hat es auch in der Altertumswissenschaft nicht gefehlt. Der Bibliothekar und Privatgelehrte Ludwig Schemann, der es als seine Lebensaufgabe ansah, die Gedanken Gobineaus in Deutschland zu verbreiten36, empfand zwar noch 1931 „besonders schmerzlich (...) die Zurückhaltung von seiten der Vertreter der klassischen Altertumswissenschaft, die einst auch meine Heimatwissenschaft war“. Während er „auf einen günstigen Wandel in der philologischen Welt erst noch“ hoffte, trat „ein solcher inzwischen in der historischen immer deutlicher und in immer stärkerem Grade zutage (...)“.37 Schemann hatte aus dem Bereich der Alten Geschichte für seine Zwecke insbesondere die Arbeiten von K. O. Müller, M. Duncker, E. Curtius, U. v. Wilamowitz, B. G. Niebuhr, Th. Mommsen, O. Seeck und Ed. Meyer herangezogen.38 Es ist keine Frage, dass „anthropologische Kategorien“ unter Einschluss „biologischethnischer“ und sprachlicher Merkmale viele dieser Arbeiten nachhaltig geprägt haben und Schemann sich insofern vielfach bestätigt sehen konnte.39 Allerdings musste er dort, wo es darum ging die Verbindung zu den „im Sinne der Rasse erhobenen Reformforderungen und -anschauungen“ herzustellen, einige seiner ‚Kronzeugen‘ geradezu als „Gegner der Rasse“ klassifizieren.40 Im Sinne dieser „Reformforderungen“ hatte der führende Repräsentant der „Nordischen Bewegung“, H. F. K. [43] Günther, der nationalsozialistischen Integration der Antike vorgearbeitet: In seiner Studie Platon als Hüter des Lebens untersuchte er „Platons Zucht-
33 A. E. Günther (Hrsg.), Was wir vom Nationalsozialismus erwarten. Zwanzig Antworten, Heilbronn 1932, 119 (114–122). 34 H. Bogner, Die Bildung der politischen Elite, Oldenburg 1932, 36. 35 Vgl. Personalbogen Bogner (R 21/379). 36 Zu ihm vgl. P. von zur Mühlen, Rassenideologie, Geschichte und Hintergründe, Berlin 1977, 67 (= Mühlen 1977). 37 L. Schemann, Die Rasse in den Geisteswissenschaften, Bd. III: Die Rassenfragen im Schrifttum der Neuzeit, München 1931, VII (Vorrede) (= Schemann 1931). Schemann sah die Zurückhaltung der Altertumswissenschaftler in dem „Einfluss eines dem Rassengedanken nicht geneigten hervorragenden Mannes, der in der Philologenschaft seit Jahrzehnten den Ton angab“, begründet, (ebd.). 38 Schemann 1931, 335ff. 39 Vgl. H. Kloft, in: E. Boshof / K. Düwell / H. Kloft, Grundlagen des Studiums der Geschichte, Köln 1973, 77. 40 So Schemann 1931, 347 [s. Anm. 37] zu Ed. Meyer; vgl. auch H. Liebeschütz, Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von Hegel bis Max Weber, Tübingen 1967, 290.
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und Erziehungsgedanken und deren Bedeutung für die Gegenwart“.41 Seine abschließende Definition des (mit der Erziehung zu verknüpfenden) für ihn zentralen Begriffs der „Auslese“ liest sich heute beinahe wie eine Anleitung zur nationalsozialistischen Rassenpolitik mit allen ihren Konsequenzen bis hin zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“: „Durch Auslese, d. h. durch Sonderung der Erblich-Tüchtigen aller Stände von den Erblich-Minderwertigen aller Stände bildet sich und durch größere Kinderzahl wächst ein Volkskern erblich-höherwertiger Menschen“.42 Zu den von Schemann in Konsequenz der Rassenlehre erhobenen „Reform forderungen und -anschauungen“ gehörte zweifellos auch der im geistigen Klima der Uni versitäten in der Weimarer Republik verbreitete Rassenantisemitismus. Auch das Fach Alte Geschichte ist in Einzelfällen vom Antisemitismus ‚politisierender Gelehrter‘ nicht verschont geblieben.43 Wie schwierig es ist, das Verhältnis der Altertumswissenschaftler allgemein zur Rassen lehre und speziell zum Rassenantisemitismus in den Griff zu bekommen, zeigt sich am Beispiel Mommsens. Unabhängig von der entschiedenen Haltung, die er im Berliner Anti semitismusstreit einnahm, wurde seine vielzitierte Äußerung über die Juden als „wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition“ von der antisemitischen Publizistik aufgenommen und natürlich auch von den nationalsozialistischen Rassenideologen popularisiert.44 Letzteres gilt z. T. auch für das Werk von Otto Seeck, der 1895 im ersten Band seiner Geschichte des Untergangs der antiken Welt nach dem Eindruck Schemanns „weit bewusster als Mommsen (...) Ernst mit der rassischen Betrachtungsweise (machte)“.45 Von darwinistischen Vorstellungen geprägte, schlagwortartige Thesen, wie die von der „Ausrottung der Besten“, fanden nur zu leicht Eingang in die Rassengeschichte des hellenischen und des römischen Volkes von H. F. K. Günther46 oder etwa in die Schriften des späteren „Reichsbauernführers“ R. W. Darré und die Alfred [44] Rosenbergs, münden aber, wie Seecks Äußerungen über die Juden zeigen, nicht notwendig in den Rassenantisemitismus47. Auch wenn Günther von den Fachanthropologen des In- und Auslandes nicht durchweg als Scharlatan angesehen wurde,48 konnte seine Rassengeschichte des hellenischen und des römischen Volkes den Anspruch der Wissenschaftlichkeit nach übereinstimmendem Urteil der Rezensenten nicht erheben. Dessen ungeachtet fühlten 41 München 1928 (= Günther 1928). Zu Günther vgl. H.-J. Lutzhöft, Der Nordische Gedanke in Deutschland 1920–1940, Stuttgart 1971 (= Lutzhöft 1971). 42 Günther 1928, 69. Zu ähnlichen Menschenzüchtungsprogrammen vor dem Ersten Weltkrieg vgl. Lutzhöft 1971, 134f. 43 Vgl. A. Momigliano, in: Dizionario Biografico degli Italiani, VIII, Rom 1966, 13f. (zu K. J. Beloch) und W. Jochmann, Die Ausbreitung des Antisemitismus, in: W. E. Mosse (Hrsg.), Deutsches Judentum in Krieg und Revolution, Tübingen 1971, 490 (zu U. Kahrstedt). 44 Zu diesem erstmals 1856 veröffentlichten Satz vgl. die späteren Bemerkungen Mommsens von 1880 bei W. Boehlich (Hrsg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt 1965, 217 und L. Wickert, Th. Mommsen und J. Bemays. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Judentums, in: HZ 205 (1967) 267f. (265–294); vgl. auch A. Heuss, Th. Mommsen und das 19. Jahrhundert, Kiel 1956, 200ff. und K. Christ, Th. Mommsen und die ‚Römische Geschichte‘, in: Th. Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 8, München 1976, 46f. 45 Schemann 1931, 346 [s. Anm. 37]. 46 München 1929; vgl. dort z. B. 108, 114f., 126f., 130. 47 Vgl. Die differenzierende Beurteilung von K. Christ, Der Untergang des Römischen Reiches in antiker und moderner Sicht, in: Ders. (Hrsg.), Der Untergang des Römischen Reiches, Darmstadt 1970, 17. 48 So Lutzhöft 1971, 36 [s. Anm. 41].
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sich auch Fachleute von dieser Richtung in nicht unbeträchtlichem Maße angezogen. Nach einer Feststellung des Göttinger Althistorikers Ulrich Kahrstedt lieferte Günther all denen, „denen die Stellung der Frage nach der Rassenzugehörigkeit der Menschen unbehaglich ist und die diesen ganzen Forschungszweig diskreditieren möchten“, eine „Waffe (...) um jeden solchen Versuch lächerlich zu machen“. In der abschließenden Bemerkung Kahrstedts „Und das ist sehr schade“, spiegelt sich sowohl eine gewisse Distanz des Faches zu Rassenideologen vom Schlage Günthers, wie auch die prinzipielle Bereitschaft, Kategorien der Rassenlehre aufzunehmen.49 Noch aufschlussreicher war das Urteil des Erlangener Archäologen Georg Lippold, der zwar in der Einseitigkeit Günthers eine Gefahr für den Laien sah, aber gleichzeitig hoffte, „dass (vielleicht) der eine oder andere bewusst nordische Mensch die Griechen wieder achtet, wenn er hört, dass ihr Bestes seiner Rasse gewesen sei“.50 Das Konzept Günthers kam bei aller Uneinheitlichkeit des NS-Geschichtsbildes genuin nationalsozialistischen Vorstellungen von der Erforschung der Antike wohl am nächsten. Wie sich am Beispiel Alfred Rosenbergs zeigen lässt, vermochte daran auch – soviel im Vorgriff auf die Entwicklung zwischen 1933 und 1945 – noch so großer Eifer einzelner Altertums wissenschaftler nichts zu ändern.51 Die Wertschätzung, der Günther sich bei führenden Nationalsozialisten schon lange vor der Machübernahme erfreute, fand ihren sichtbarsten Ausdruck in seiner 1930 erfolgten Berufung auf einen Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Universität Jena. Wilhelm Frick, damals Innen- und Volksbildungsminister von Thüringen, gab damit einen Vorgeschmack auf die künftige nationalsozialistische Hochschulpolitik.52 [45] Es sind hier nur einzelne Aspekte der Auseinandersetzung der Geschichts- und Altertumswissenschaften mit der Rassenlehre im fachlichen und – denkt man an die Verknüpfung mit dem Rassenantisemitismus – politischen Bezugsrahmen angesprochen worden. Von den Positionen Schemanns und Günthers her sollte deutlich werden, dass Vertreter dieser Disziplin bereit waren, als Fachwissenschaftler derartige Ansätze aufzugreifen. Sie taten dies nicht im Sinne vollständiger Identifikation und im Einzelfall auch nicht ohne Bedenken und Vorbehalte. Aber sie offenbarten damit zu einem Gedankengut, das in der nationalsozialistischen Weltanschauung eine zentrale Rolle spielte, eben jene „Affinitäten“, die eine wichtige Voraussetzung für das Arrangement nach der Machtübernahme bildeten. In diesem Sinne darf man wohl auch von einem Anteil der deutschen Altertumswissenschaft an der pränazistischen Integration der Antike sprechen. Unabhängig von den fachbezogenen Reaktionen deutscher Althistoriker auf die Macht ergreifung wird ihr politisches Engagement fassbar zuerst in den beiden Proklamationen deutscher Universitätslehrer für den Nationalsozialismus des Jahres 1933. So beteiligte sich Fritz Schachermeyr, damals Vertreter der Alten Geschichte und Lehrstuhlinhaber in Jena, zusammen mit dreihundert Kollegen an einem Aufruf zu den Reichstagswahlen, der am 3. März 1933 unter dem Titel Die deutsche Geisteswelt für Liste 1 im „Völkischen Beobachter“ erschien.53 Immerhin 700 Hochschulangehörige (unter Einschluss verschiedener Gruppen von Professoren bis hin zu Vertretern der Studentenschaft) unterzeichneten dann im Oktober 49 50 51 52 53
In: Gnomon 5 (1929) 296 (291–296). In: Deutsche Literaturzeitung 1929, Sp. 329 (326–329). Vgl. Losemann 1977, 173 [s. Anm. *]. Die Hintergründe hat Lutzhöft 1971, 38f. [s. Anm. 41] aufgehellt. Völkischer Beobachter v. 3.3.1933 (Beiblatt) Berliner Ausgabe. Zu den Unterzeichnern gehörte auch Prof. Dr. Aly (Freiburg); vgl. oben [40].
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1933 ein Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat, das als „Ruf an die Gebildeten der Welt“ vor allen Dingen um das Verständnis des Auslandes werben sollte.54 Die Unterschriften galten hier als Zustimmungserklärung zu einzelnen „Bekenntnissen“ u. a. so bekannter Gelehrter wie Heidegger, Pinder und Sauerbruch.55 Dazu fanden sich auch die Althistoriker Helmut Berve und Otto Theodor Schulz (Leipzig), Erich Ziebarth (Hamburg) und Anton von Premerstein (Marburg) [46] bereit.56 Es bleibt hier festzuhalten, dass das Zustandekommen derartiger Resolutionen einmal sehr stark von Zufälligkeiten abhängig war, und dass solche Erklärungen andererseits aber auch Dokumente bemerkenswerter Fehleinschätzungen sind. So hatten, um im Bereich der Altertumswissenschaften zu bleiben, auch die Klassischen Philologen Paul Maas (Königsberg) und Georg Rohde (Marburg), die später beide als Opfer der Rassengesetzgebung in die Emigration gingen, sich an jeweils einer Resolution beteiligt.57 Dieser Vorgang spricht für die Vermutung von Ernst Nolte, nach der man noch nicht einmal die Hälfte der damals entlassenen Hochschullehrer als „politisch bewusste und zu aktiver Tätigkeit entschlossene Gegner des nationalsozialistischen Regimes“ ansprechen darf.58 Im Hinblick auf die Althistoriker, die sich an den genannten Resolutionen beteiligten, fällt auf, dass sich in dieser Phase mit Berve, v. Premerstein, Schachermeyr und Ziebarth fast ausschließlich etablierte Lehrstuhlinhaber zu Wort meldeten.59 In diese Reihe gehört auch der Berliner Fachvertreter Wilhelm Weber, der „unter Preisgabe der Gesinnung (...) im Frühjahr 1933 Adolf Hitler als den germanischen Volkskönig feierte, der siegreich durch das Brandenburger Tor seinen Einzug hält“.60 Weber artikulierte dann mit der bemerkenswerten Zeitangabe „im zwanzigsten Jahr des Weltkrieges“ – man schrieb den Oktober 1933 – in der Zeitschrift „Der deutsche Student“ pathetisch Erwartungen und Forderungen des Professors.61 Unter dem Eindruck so radikaler studentischer Forderungen, wie sie im „Semester der ersten Erregung“ erhoben worden waren und im Blick auf die „vielerlei neuen Überschneidungen, welche zwischen dem studentischen Dienst als Amtswalter, im Kameradschaftshaus, im politischen Bund, in der wissenschaftlichen Fachschaft und in der Sturmabteilung einerseits und den Vorlesungen und Übungen auf der anderen Seite entstehen“, plädierte Weber für eine Beruhigung der Lage an den Universitäten.62 Mit dem Hinweis auf die akademische Ausbildung von Goebbels, d. h. darauf, „dass der ‚Doktor‘ einst im esoterischsten Kreis und in ‚Fachwissenschaft‘ sich das
54 Hrsg. v. Nationalsozialistischen Lehrerbund Deutschland/Sachsen, Dresden 1933; vgl. zu diesem Kom plex Bracher 1962, 317f. [s. Anm. 11]. 55 Bracher 1962, 13ff. 56 Bracher 1962, 129ff. 57 Zu P. Maas (1880–1964) vgl. Völkischer Beobachter v. 3.3.1933 (Beiblatt) und H. Lloyd-Jones, in: Gnomon 37 (1965) 219–221. – Zu G. Rohde (1899–1960) vgl. „Bekenntnisse der Professoren (...)“ (vgl. Anm. 54), 131 und P. Moraux, in: Gnomon 33 (1961) 109–111. 58 Nolte 1965, 12 [s. Anm. 15]. 59 Lediglich Otto Theodor Schulz (1879–1954) war Inhaber einer außerordentlichen Professur. 60 J. Werner, Zur Lage der Geisteswissenschaften in Hitler-Deutschland, in: Schweizerische Hochschulzeitung 19 (1945/46) 71 (71–81). 61 W. Weber, Erwartungen und Forderungen des Professors, in: Der deutsche Student 1 (Oktober) (1933) 2–11 (= Weber 1933). 62 Weber 1933, 4f.
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Rüstzeug holte“, forderte [47] er die Jugend auf, „in die Hochschulen zurück(zu)kehren“.63 Weber versuchte schließlich auch diejenigen seiner Kollegen, die bisher abseits gestanden hatten, zu integrieren: „Zage, Skeptiker haben aus ihrem Wissen den Mut gehabt, so zu sein, wie sie waren. Es ist ein Recht und eine wundersame Pflicht der Jugend, diese nicht zu schelten, sondern durch ihr Vorbild zu bekehren; sie durch ihre geistige Kraft zu überzeugen, durch ihre Leistung zu überwältigen“.64 Die neu zu formende Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden verglich Weber mit „einem Elitekorps bester Soldaten, in dem preußische Zucht alle zu Teilen einer Maschine zu machen scheint und Mannesverantwortung und Mannesmut jeden einzelnen an seinem Platz pflichtmäßig und begeistert alles zu leisten zwingen“. Am Ende dieses Prozesses waren dann „keine ‚Zusatz‘-Vorlesungen, kein ‚politisches‘ Semester oder ähnliche Behelfe mehr nötig, sondern der politische Mensch formt alles aus seinen Grundkräften zur spannungsreichen Einheit in sich, und eine neue Universitas ist die schönste Frucht“.65 Webers „Erwartungen und Forderungen“ stehen hier nicht nur für persönliche Ambitionen; sie sind darüber hinaus in hervorragender Weise geeignet, einen Eindruck von dem atmosphärischen Hintergrund zu vermitteln, auf dem die zahlreichen „Programmschriften“ im Umfeld der Machtergreifung auch zu sehen sind. Gerade am Beispiel Webers, der sich auch später an Bekenntniswillen kaum übertreffen ließ, wird die bedingte Aussagekraft des Kriteriums der Parteimitgliedschaft vor der Machtübernahme deutlich. Weber konnte zwar in seinem wohl 1934 ausgefertigten Personalbogen das genaue Datum einer 1923 in einer deutschnationalen Versammlung für den Nationalsozialismus gehaltenen Rede, aber keines für den Eintritt in die NSDAP namhaft machen. Auf diesem Hintergrund ist die Behauptung, er sei „alter Nationalsozialist“ gewesen unwahrscheinlich.66 Auf eine entsprechende Affinität Webers deutet vielleicht die Bemerkung des 1938 emigrierten Althistorikers Victor Ehrenberg, der in einer sehr ausgewogenen Charakteristik seinem Lehrer Weber „admiration for the great men in history, but not only in history“ attestiert, um dann [48] fortzufahren, „his enthusiasm for Mussolini led logically to Hitler“.67 Weber – das sei hier eingeschoben – besaß zumindest in den ersten Jahren nach 1933 als Berater des zuständigen Ministeriums erheblichen Einfluss auf die personalpolitischen Entscheidungen seines Faches.68 Möglicherweise konnte er dabei an gute Beziehungen zur Wissenschaftsverwaltung des preußischen Kultusministeriums in der Weimarer Republik anknüpfen. Nach 1945 soll sich Weber dann darauf berufen haben, nie Mitglied der NSDAP gewesen zu sein.69 63 Weber 1933, 6; vgl. dazu auch H. Neuhaus, Der Germanist Dr. phil. Joseph Goebbels, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 93 (1974) 398–416. 64 Weber 1933, 9 [s. Anm. 61]. 65 Weber 1933, 10. Auf diesen Beitrag bezieht sich auch Nolte 1965, 5 [s. Anm. 15]. 66 So H. Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966, 121 (= Heiber 1966) und H. Schleier, Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Berlin 1975, 27, jeweils ohne Belege; vgl. Personalbogen Weber (R 21/421). 67 Vgl. V. Ehrenberg, Personal Memories, Privatdruck London 1971, 47 (= Ehrenberg 1971). An dieser Stelle schildert Ehrenberg sein erstes Zusammentreffen mit Weber im Jahr 1919. Die zitierte Passage bezieht sich auf Webers spätere Entwicklung. 68 Vgl. Losemann 1977, 53 [s. Anm. *]. 69 Zu W. Weber (1882–1948) vgl. auch J. Vogt, in: Gnomon 21 (1949) 177–179 und G. Katsch, Alexander Graf Schenk von Stauffenberg. Eine historiographisch-biographische Untersuchung, phil. Diss. Leipzig 1968 (Ms.), III 4 (= Katsch 1968).
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Die zahlreichen pathetischen Bekenntnisformeln bei Weber können seine „Befürchtungen“ nicht verdecken. In einem ähnlichen Beitrag Helmut Berves stehen die bekenntnishaften Züge stärker im Vordergrund. Es handelt sich dabei um den Abdruck der „grundsätzlichen Gedankengänge“ eines an der Universität Leipzig gehaltenen Vortrags, der unter dem Titel Die Erfüllung des Reiches in dem HJ-Organ „Wille und Macht“ erschien.70 Berve rechnete darin mit all dem ab, was an dem „Wilhelminische(n) Zeitalter der Vorkriegszeit so bedenklich, so unecht, so innerlich brüchig“ gewesen war.71 Noch schärfer äußerte er sich über das „ganze scheindemokratische, mit dem Fluch von Versailles belastete System von 1918“, dem es nicht gelungen war, „die von mütterlichem Boden des Volkes losgerissenen Mächte der Wirtschaft, des Klassenbewusstseins, der ichbezogenen Geistigkeit ihrem Leerlauf zu entreißen, ihr zerstörendes Wirken zu hemmen und sie wieder in einen gemeinsamen Rahmen zu spannen“.72 In seiner Beschwörung des neuen Reiches spiegelt sich dann ein Erlebnis des „Umbruchs“, das kaum ausdrucksvoller gedacht werden kann. So versuchte er den „Glauben an das Deutsche Reich der Zukunft“ vom Vorwurf der „Profanierung religiöser Worte“ freizuhalten und bestimmte ihn als Ausdruck eines neuen Wirklichkeitssinns, der an Intensität und Wahrhaftigkeit weit über ein konfessionelles Bekenntnis hinausging: „Man sollte vielmehr empfinden, dass hier aus der Tiefe deutscher Herzen religiöse Kräfte hervorbrechen, die handelnd und leidend mit ihrer Inbrunst die Wende der Zeiten heraufführen. Aber dieser starke Glaube verliert sich nicht in fernen Zonen oder jenseitigen Welten, er [49] ist real und diesseitig, so hart, so sachlich, so unromantisch, wie das Leben im 20. Jahrhundert nun einmal ist und eben darum echt“.73 Über den rein althistorischen Rahmen hinausgehend wurde, wie eingangs angedeutet, das Verhältnis des Nationalsozialismus zur Antike auf breiter Grundlage in der Diskussion über die zukünftige Rolle der altsprachlichen Bildung angesprochen. Mitentscheidend dafür war die Verknüpfung dieser Diskussion mit der Auseinandersetzung um das von Werner Jaeger geprägte Programm des erneuerten oder des „Dritten Humanismus“, der seine Anhänger überwiegend, aber nicht ausschließlich, im Bereich der Klassischen Philologie gefunden hatte.74 Die Antike-Rezeption derartiger Bewegungen, die – wie der „Dritte Humanismus“ und der „George-Kreis“ – z. T. weltanschauliche Züge annahmen, gab der Kritik national-sozialistischer Reformer eher Anlass sich zu äußern, als die ersten Bemühungen deutscher Althistoriker, den Standort ihres Faches im NS-Wissenschaftsbetrieb zu suchen. Der Wechsel zwischen angepasster Apologetik des humanistischen Gymnasiums und parteioffiziösen Antworten lässt sich in den ersten Jahrgängen der von Ernst Krieck herausgegebenen Zeitschrift „Volk im Werden“ besonders gut verfolgen. Die größte Resonanz fand zweifellos Werner Jaegers Beitrag Die Erziehung des politischen Menschen in der Antike, der in der Reihe programmatischer Äußerungen 70 71 72 73 74
H. Berve, Die Erfüllung des Reiches, in: Wille und Macht 2 (1934) H. 5/6, 4–9 (= Berve 1934). Berve 1934, 5. Berve 1934, 7. Berve 1934, 8. Eine ausführliche Untersuchung über den Einfluss W. Jaegers und des „Dritten Humanismus“ bleibt ein Desiderat. An dieser Stelle ist die Behandlung Jaegers auf die aktuelle Situation des Jahres 1933 bezogen. Durch das Erscheinen der Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, 3 Bde., Berlin 1934– 47, wurde die Diskussion ohnehin auf eine neue Grundlage gestellt; vgl. A. Hentschke / U. Muhlack, Einführung in die Geschichte der Klassischen Philologie, Darmstadt 1972, 128ff. (= Hentschke / Muhlack 1972). Zur Gesamtbeurteilung von Jaegers Wirken im internationalen Rahmen auch M. I. Finley, in: History and Theory 7 (1968) 358ff. (= Finley 1968).
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deutscher Gelehrter nach der Machtergreifung eine besondere Stellung beanspruchen darf.75 Die Auseinandersetzung mit dem Ansatz Jaegers hat die weitere Behandlung des Themas „Die Antike und wir“ auf den verschiedensten Ebenen bis in den Krieg hinein geprägt.76 Nicht zuletzt als Nachfolger von Wilamowitz auf dem Berliner Lehrstuhl nahm Werner Jaeger eine führende Stellung innerhalb der deutschen Altertumswissenschaft ein. Abgesehen von seinen Beiträgen zur Textkritik sowie zur griechischen Philosophie und Patristik gründete sich der Rang dieses Philologen in einer breiteren Öffentlichkeit vor allem auf seine Arbeiten zur Geistesgeschichte. In ihrer Ausrichtung auf „Zielbegriffe wie die griechische [50] Idee der Paideia“ verkörpern diese auch ein erzieherisches Programm.77 Jaegers Anspruch, „die Spannung zwischen Wissenschaft und Lebenspraxis überwinden zu können“,78 manifestierte sich auch in der Gründung der Gesellschaft für antike Kultur (1924) und der dazu gehörigen Zeitschrift „Die Antike“ (1925). In diesen Zusammenhang gehört schließlich die ebenfalls 1925 erfolgte Einrichtung der „Fachtagung der klassischen Altertumswissenschaft“, durch die Jaeger gewissermaßen zum „Regulator der deutschen Altertumswissenschaft“ wurde.79 Es versteht sich, dass die hier angedeutete Stellung Jaegers einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Personalpolitik seines Faches einschloss.80 Werner Jaegers Aufsatz besaß in zweifacher Hinsicht programmatischen Charakter. Er musste nicht nur als Annäherungsversuch der Bewegung des „Dritten Humanismus“ an Krieck als einen der führenden Pädagogen des Nationalsozialismus gewertet werden, sondern erhielt zusätzliches Gewicht dadurch, dass er die Begründung für die „Leitsätze“ des deutschen Altphilologen-Verbandes über die „Gegenwartsbedeutung des deutschen Gymnasiums“ liefern sollte.81 Vorausgegangen war ein Besuch Jaegers beim preußischen Kultusminister Rust, dem er zusammen mit dem Vorsitzenden des Altphilologen-Verbandes, Emil Kroymann, „die die Altphilologenschaft bewegenden Fragen“ vorgetragen hatte.82 Jaeger umriss dort seine Grundposition mit einem Bekenntnis zu der Trias Antike, Christentum, Deutschtum. Im Widerspruch zu den großen Hoffnungen, die er im Glauben an „alle die klaren Aussprüche seiner Führer“ auf das lebendige Verhältnis des Nationalsozialismus zur „Formmacht der Antike“ gründete, stand die Ablehnung, „die dem ‚Humanismus‘ in unseren Tagen erneut erwächst“.83 Jaeger nahm diese Kritik auf und versuchte sie auf einen verengten Humanismus-Begriff abzulenken, der vornehmlich auf die „ästhetische und formale Selbstbildung des Individuums“ abzielte. Vor der Aufgabe, diesen Ansatz zu überwinden, hatte auch „die inzwischen zur historischen Forschung entwickelte neuere Altertumswissenschaft“, eine Erscheinungsform des „Historismus“, versagt, [51] ihr war es nicht gelungen „zu einem neuen erzieherischen Wollen 75 In: Volk im Werden 1 (1933) 3, 43–49 (= Jaeger 1933). Ausführlich wurde diese Diskussion bisher in den Arbeiten von J. Irmscher und R. Nickel behandelt (vgl. Anm. 19). 76 Das belegt am besten das Werk von H. Drexler, Der Dritte Humanismus. Ein kritischer Epilog, Frankfurt 1942 (= Auf dem Wege zum nationalpolitischen Gymnasium, H. 10) (= Drexler 1942). 77 Vgl. W. Jaeger, Scripta Minora, Bd. I, Rom 1960, S. XXVII. 78 Hentschke / Muhlack 1972, 128 [s. Anm. 74]. 79 Vgl. W. Schadewaldt, Gedenkrede auf Werner Jaeger (1888–1961), Berlin 1963, 18. 80 Irmscher 1965, 236 [s. Anm. 19]. 81 Irmscher 1965, 238; vgl. Leitsätze des deutschen Altphilologen-Verbandes zur Neugestaltung des humanistischen Bildungsgedankens auf dem Gymnasium (Fassung v. 30.9.1933), in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 9 (1933) 571, Anm. 1 (570–572). 82 Irmscher 1965, 238 [s. Anm. 19]. 83 Jaeger 1933, 43 [s. Anm. 75].
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vorzudringen“.84 In der „Wiederbesinnung auf die unvergänglichen erzieherischen und ethischen Kräfte der Antike“ aber lag eine wichtige Antriebskraft des „Dritten Humanismus“ als Reaktion auf den „‚Historismus‘ in den Geisteswissenschaften (...), die öde Mechanisierung ihrer ‚Methoden‘ und die positivistische Manie der bloßen Tatsachenvermehrung“.85 Ihren entscheidenden Impuls erhielt jene Bewegung freilich erst durch das „Erlebnis von Krieg und Zusammenbruch“, aus dem ihr die erzieherischen Leitbegriffe „Staat und Gemeinschaft“ erwuchsen.86 Jaeger umschrieb das Spannungsverhältnis seiner Richtung zur historischen Forschung mit „einem neuen Durchstoßen durch die Schicht des äußerlichen Tatsachenmäßigen zu der eigentlichen Wesensstruktur des antiken Menschen“. An die auf „seinem Charakter als staatlichem Gemeinschaftswesen“ beruhende „humanitas“ knüpfte die „griechische Idee der allgemeinen Menschenbildung“ an, der Ausgangspunkt des Humanismus. Mit der Ableitung dieser Idee „aus der altgriechischen Adelszucht, die in dem Augenblick ‚allgemeine‘ Bildung wird, wo sie sich zur Erziehung des politischen Menschen erweitert und umwandelt“, schlug Jaeger schließlich eine Brücke zu einem Satz Ernst Kriecks, dem „als Vorbild und zur Erhellung unseres eigenen Weges der Mensch griechischer Zucht, musischer und wehrhafter Erziehung im Zusammenhang frühgriechischer Polisordnungen“ entstanden war.87 Das der „Nationalpolitischen Erziehung“ Kriecks entnommene Zitat deckt, wie sich bei näherem Zusehen ergibt, diese Herleitung und Umdeutung des Humanismusbegriffes indessen nicht ab.88 Bei der weiteren Ausführung seiner Argumentationskette blieb Jaeger ganz den literarischen Ausdrucksformen „heroisch-politischen Menschentums“ verpflichtet, das sich im „stahlharten und biegsamen Geist“ der „griechischen humanitas“ wie in der römischen Virtus verwirklichte.89 Das eigentliche Anliegen seines Aufsatzes bestand in der Forderung, die Gymnasien als Stätten „humanistisch-politischer Bildung“ im „nationalen Erziehungsaufbau“ fest zu verankern. Diese Forderung benutzte er, um sich wirkungsvoll [52] von „der Verflachung und Materialisierung der echten humanistischen Zucht und Kraft“ in der Weimarer Republik abzusetzen.90 Das von Jaeger entworfene Bild der Entwicklung des Dritten Humanismus in der Abfolge „Erlebnis von Krieg und Zusammenbruch“ und Kampf gegen die Weimarer Republik ist geeignet, einen Gleichklang dieser Bewegung mit der des Nationalsozialismus, gewissermaßen ein geistiges Fronterlebnis des „Dritten Humanismus“ zu suggerieren. Es kann hier nicht ausführlich erörtert werden, ob für Jaeger und seine Anhänger tatsächlich erst das Kriegserlebnis den entscheidenden Durchbruch brachte. Jedenfalls hat Hans Drexler, der sich im Dritten Reich zum Wortführer der Auseinandersetzung mit Jaeger zu machen suchte, darin – und diese Bewertung wird rückblickend von Irmscher geteilt – „ein ganz akzessorisches Moment“ gesehen.91 Was sein Verhältnis zur Weimarer Republik anbetraf, konnte Jaeger auf die „von uns stets bekämpfte 84 85 86 87 88
Jaeger 1933, 44. Jaeger 1933, 44. Jaeger 1933, 44 [s. Anm. 75]. Jaeger 1933, 45. Krieck hatte sein Griechenbild u. a. von dem „modernen Humanismus“ abgesetzt; vgl. ders., National politische Erziehung, Leipzig 1933, 7. 89 Die Reihe reicht von Tyrtaios bis Tacitus; vgl. Jaeger 1933, 46f. [s. Anm. 75]. 90 Jaeger 1933, 48f. 91 Vgl. Drexler 1942, 16 und Irmscher 1965, 237 [s. Anm. 76 u. 19].
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Schulreform von 1924“ verweisen.92 Wesentlicher für die Einschätzung dieses Verhältnisses ist aber die Feststellung Hans Bogners, dass der für den „Dritten Humanismus“ zentrale Gedanke „von dem Griechen als dem Anthropoplasten unter den Völkern sehr viel weniger mit der altgriechischen Wirklichkeit als ‚mit der deutschen Ideologie‘ der Weimarer Republik, mit ‚dem modernen Menschheitsideal der Aufklärung‘ und ‚der bürgerlichen Demokratie‘ verknüpft“ sei.93 Entkleidet man diesen Beitrag seiner zahlreichen Anpassungsformeln, die sowohl die Gedankenführung ganzer Passagen, wie auch die Wortwahl prägen, so bleibt ein Plädoyer für den „Dritten Humanismus“, das in der Forderung nach dem Erhalt bzw. dem Ausbau des humanistischen Gymnasiums gipfelt. Einen typischen Reflex der Befürchtungen über das Ausmaß der vielstimmig proklamierten „nationalsozialistischen Revolution im Bildungswesen“ stellt etwa die Bewertung dar, humanistisch-politische Bildung als „Gegengewicht gegen das bloße Fachmenschentum“ werde „auch dann bleiben, wenn es bei uns zur Errichtung besonderer Führerhochschulen kommen sollte“.94 Die Antwort, die Jaeger in den folgenden Nummern der gleichen Zeitschrift von führenden Vertretern der nationalsozialistischen [53] Bildungspolitik erhielt, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Unter dem Pseudonym „Winfrid“ äußerte sich der Ministerialrat im preußischen Kultusministerium und spätere Inspekteur der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“, Joachim Haupt, über das „nationalsozialistische Gymnasium“.95 Er trennte „die hilflose und komische intellektualistische Raserei der Professoren und Altphilologen“ und die Idee des humanistischen Gymnasiums aufs schärfste von der „Nackt schule der Griechen“, die er zu den wirklichen Vorbildern des „nordischen nationalsozialistischen Gymnasiums“ zählte.96 Ernst Krieck selbst umriss in vier Punkten sein Verhältnis zu Griechen und Römern,97 die hier ihrer besonderen Prägnanz wegen aufgeführt seien: „Was uns von der Antike heute angeht, weil es unsere eigene Aufgabe betrifft, ist 1. die Lebensganzheit und Lebensordnung der frühen Polis, 2. die politisch-wehrhafte Zucht der Staatsbürger und der Jugend, insbesondere die römische Staatszucht, 3. die bündisch-körperschaftliche Lebensform der wehrhaften Männer und des Nachwuchses in den aufsteigenden Altersklassen, 4. das gymnastisch-musische Bildungssystem“. Zuvor hatte sich Krieck gegen „die Zwischenschaltung des Begriffes der ‚Humanität‘ – auch in Gestalt des ‚Dritten Humanismus‘ verwahrt und die Möglichkeit verneint, den HumanismusBegriff vom Literarisch-Ethisch-Ästhetischen ins Politisch-Geschichtliche“ umzuprägen. Den Beweis dafür sah er „gerade in jener humanitätslosen Staatszucht, vermöge deren Rom zuletzt über Gegner wie Pyrrhos und Hannibal triumphieren konnte“. 92 93 94 95
Jaeger 1933, 49 [s. Anm. 75]. Zitiert nach Irmscher 1965, 237f. [s. Anm. 19]. Jaeger 1933, 48 [s. Anm. 75]. Winfried (d.i. J. Haupt), Das nationalsozialistische Gymnasium, in: Volk im Werden 1 (1933) 4, 52–54 (= Haupt 1933); zu Haupt vgl. H. Scholtz, Nationalsozialistische Ausleseschulen, Göttingen 1973, 53ff. 96 Haupt 1933, 52f. 97 E. Krieck, Unser Verhältnis zu Griechen und Römern, in: Volk im Werden 1 (1933) 5, 77f. (= Krieck 1933).
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An Griechenland interessierte ihn nicht die „Linie spätgriechischer Humanität“, so Krieck weiter, sondern, und damit war das Konzept Jaegers endgültig erledigt, „die konkrete Gestalt, die geschichtliche Wirklichkeit, nicht die literarischen Prediger des humanen Einschlags“.98 [54] Jaegers Beitrag ist zweifellos abzuheben von der Flut sich extrem überschlagender Anpassungsversuche nach der Machtübernahme. Seine mit bemerkenswerter Offenheit und nicht ohne Selbstbewusstsein ausgegebene Parole, „nicht innere Umstellung, sondern äußere Umformung sei nötig, freilich müsse man den Begriff der humanistischen Bildung richtig fassen im Sinn politischer Bildung“ hat er in dem besprochenen Aufsatz konsequent durchgehalten.99 Das bezeugen nicht zuletzt die eindeutigen Reaktionen Haupts und Kriecks, die sehr wohl empfanden, dass die Idee der antiken Humanität, die das Kernstück des Jaegerschen Ansatzes war und blieb, sich primär nicht aus dem Kriegserlebnis ableiten ließ. Sein Rückgriff auf die „altgriechische Adelszucht“ diente mehr der äußerlichen Anlehnung an Krieck; an den damit vorgegebenen historischen Rahmen hat sich Jaeger nicht gehalten. Das Verhältnis seiner Kritiker zu den antiken Vorbildern, die sie unmittelbar in die Formen nationalsozialistischer Gemeinschaftserziehung umsetzen wollten, trug einen stark „vitalistischen“ Zug. Auf diesem Hintergrund verblasste der „politische Mensch der Antike“, den Jaeger so stark in den Vordergrund rückte, zu einem „intellektualistischen“ Modell. Soweit dieser Zug seine Gesamtkonzeption prägt, dürfte hier auch ein Ansatzpunkt moderner Kritik von althistorischer Seite liegen.100 Die weitere Diskussion um Jaeger im Umfeld der Machtergreifung, die in der Zeitschrift „Volk im Werden“ und an anderen Stellen weiterging, kann hier nicht nachgezeichnet werden.101 Jaeger selbst hat später das Scheitern seines „Gleichschaltungsversuchs“ eingestanden.102 Wenn Jaeger 1936 Deutschland verlassen hat, so lag dem die Einsicht zu Grunde, dass die Konzeption des „Dritten Humanismus“ im nationalsozialistischen Deutschland keine Chance hatte. Von den Althistorikern hat ganz sicher Fritz Schachermeyr, der sich im April 1933 mit einer Skizze über „die nordische Führerpersönlichkeit“ im „Völkischen Beobachter“ zu Wort meldete, in der Machtergreifungsphase die größte Breitenwirkung erzielt.103 Beginnend mit Zoroaster, über Themistokles, Perikles, die Reformatoren und Bismarck bis hin zu Hitler entwickelte er eine Reihe nordischer [55] Führerpersönlichkeiten, die jeweils für ihre Zeit „das Problem von Persönlichkeit und Umwelt in der indogermanischen Art“ gelöst hatten. Wie diese „Grußadresse“ an den Führer und nicht zuletzt ihr Publikationsort zeigt, hatte Schachermeyr sehr früh den Anschluss an die „Bewegung“ gefunden.104 Als noch stärkerer Ausdruck dieses Bemühens ist ein zweiter Beitrag über Die nordische Führerpersönlichkeit im Altertum zu werten, der – so der Untertitel – als Baustein zur Weltanschauung des 98 Krieck 1933, 77f. [s. Anm. 97]. 99 Zitiert nach Irmscher 1965, 238 [s. Anm. 19]. 100 Finley 1968, 359f. [s. Anm. 74] (mit Bezug auf A. Momigliano). 101 Dazu ausführliche Nachweise bei Irmscher 1965, 240ff. [s. Anm. 19]. 102 Vgl. Irmscher 1965, 242. 103 In: Völkischer Beobachter v. 13.4.1933 (Berliner Ausgabe). 104 F. Schachermeyr (geb. 1895) bezeichnete sich (ohne Nachweis der Parteizugehörigkeit) u. a. als „Mitbegründer des nat. soz. Kampfringes der Deutschösterreicher im Reich (zweitweise Gauführer im Gau Thüringen)“, Personalbogen Schachermeyr (R 21/412). Er gehört damit, wie H. v. Srbik und H. Steinacker, zu der besonders engagierten Gruppe der „Grenz- und Auslandsdeutschen“; vgl. Nolte 1965, 10 [s. Anm. 15].
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Nationalsozialismus auf die Bedürfnisse des Geschichtsunterrichts abgestellt war.105 Damit gab Schachermeyr zugleich einen ersten Einblick in sein aktuelles Arbeitsvorhaben, den umfassenden „Versuch, zur Grundlegung der nationalsozialistischen Weltanschauung aus dem Geist der Historie“.106 Mit diesem Beitrag vertrat Schachermeyr offenbar die Alte Geschichte in dem überwiegend von Schulpraktikern gestalteten Sammelband Humanistische Bildung im nationalsozialistischen Staate.107 Gemeinsames Ziel der Autoren war, wie Dr. Hermann Gieselbusch als Prokurist des Teubner Verlags einleitend formulierte, „die Herausbildung eines Deutschen Gymnasiums nicht nur als abgesonderter Schule für eine zahlenmässig geringe Auslese, sondern als einer unentbehrlichen Hauptform deutscher höherer Schule schlechthin“.108 Wenn man sich hier dagegen verwahrte, Anhänger eines elitären Bildungsideals zu sein, und gleichzeitig versuchte, den Humanismus vom „Fluche des Rationalismus und Intellektualismus“ zu befreien, so lief das auf eine vorsichtige Distanzierung vom „Dritten Humanismus“ hinaus.109 Die übrigen Autoren haben sich der Auseinandersetzung mit der Richtung Werner Jaegers weitgehend entzogen.110 Der Vorstoss erfolgte „zu einer Zeit, wo humanistisches Gymnasium und altsprachlicher Unterricht sich neuerdings nicht nur in ihrer schulorganisatorischen Stellung angegriffen sehen, sondern sich fast mehr noch in ihrem Wert für eine nationale deutsche Jugendbildung bestritten finden“.111 Es ging also auch in diesem Bereich in weiterem Sinne darum, die Vorwürfe zurückzuweisen, die Rosenbergs Schützling Reinerth [56] gegen die Klassische Altertumswissenschaft erhoben hatte.112 Ein Sonderdruck von Schachermeyrs Aufsatz ging im November 1933 an den damals für Hochschulangelegenheiten zuständigen Reichsinnenminister Frick, dem sich Schachermeyr, wie es im Begleitschreiben hiess, verantwortlich fühlte, „seit Sie mich vor nicht ganz drei Jahren nach Jena berufen haben“.113 Der Hinweis auf die Amtszeit Fricks als thüringischer Volksbildungsminister weckte vielleicht nicht ganz unbeabsichtigt die Erinnerung an die spektakuläre Berufung H. F. K. Günthers nach Jena im Jahre 1930.114 Es sei hier dahingestellt, ob Schachermeyrs Berufung vor dem gleichen Hintergrund zu sehen ist, sicher ist nur, dass er nach 1933 kaum eine Gelegenheit ausgelassen hat, sich in die geistige Nachbarschaft Günthers zu rücken. Schachermeyr versäumte nicht, auch den Minister auf das geplante Buch hinzuweisen, in dem er „die geschichtsbiologischen Grundlagen der nordischen Weltgeschichte“ aufarbeiten wollte. Der angekündigte Titel war für sein eigenes Empfinden zwar „reichlich bombastisch 105 F. Schachermeyr, Die nordische Führerpersönlichkeit im Altertum, in: Humanistische Bildung im nationalsozialistischen Staate, Leipzig 1933, 36–43 (= Neue Wege zur Antike, R. 1, H. 9) (= Schachermeyr 1933a). 106 Schachermeyr 1933a, 36, Anm. 1. 107 Schachermeyr 1933a. 108 H. Gieselbusch, Gymnasium in unserer Zeit, in: Humanistische Bildung im nationalsozialistischen Staate, Leipzig 1933, 1 (= Gieselbusch 1933). 109 Gieselbusch 1933, 2. 110 Vgl. die kurzen Bemerkungen bei B. v. Hagen, Wege zu einem Humanismus im Dritten Reich sowie G. Klingenstein, Humanistische Bildung als deutsche Waffe, in: Humanistische Bildung im nationalsozialistischen Staate, Leipzig 1933, 17 (17–22) bzw. 23 (23–35). 111 Gieselbusch 1933, 1 [s. Anm. 108]. 112 Vgl. oben [35f.]. 113 Schachermeyr an Frick v. 10.11.1933 (Rep. 320, Nr. 15, fol. 121). 114 Vgl. oben [44f.].
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ausgefallen“, schien ihm „aber im Hinblick auf den z. T. noch etwas schläfrigen Leserkreis der ‚Neuen Wege‘ als wünschenswert“.115 Aufbauend auf der publizistischen und unterrichtspraktischen Auswertung des Themas „Nordische Führerpersönlichkeit“ hat Schachermeyr noch im gleichen Jahr versucht, die „Aufgaben der Alten Geschichte im Rahmen der nordischen Weltgeschichte“ zu bestimmen.116 Trat Schachermeyr gegenüber dem Minister mit dem Anspruch auf, eine Grundlegung seines Faches auf der Basis der nationalsozialistischen Weltanschauung einzuleiten, so nahm er gegenüber den Kollegen diesen Reformanspruch weitgehend zurück: in einem Schreiben an den Marburger Althistoriker Fritz Taeger v. 1.12.1933 wies er darauf hin, dass die beiden angesprochenen Abhandlungen „auf Wunsch des Verlages geschrieben wurden und sich nicht so sehr an die Mitforscher wie auch an die Regierungsstellen wenden. Es wird Ihnen ja bekannt sein, dass augenblicklich maßgebende Strömungen geneigt sind, die Lehraufgabe der Alten Geschichte im dritten Reich gering zu [57] schätzen u.U. daraus auch schwerwiegende Konsequenzen zu ziehen. Hier gilt es, aufzuklären und entgegenzukommen. Letzteres fällt mir als altem Kämpfer für die Bewegung ja nicht schwer und deshalb habe ich diese Aufgabe schließlich übernommen“.117 Mehr noch als die bereits angesprochene Parole Werner Jaegers, „nicht innere Umstellung, sondern äußere Umformung sei nötig“, enthüllen die Ausführungen Schachermeyrs die ganze Zwiespältigkeit solcher Programmschriften. Seine Argumentation verdient dennoch besonderes Interesse, weil sie nicht im Zusammenhang nachträglicher Rechtfertigung – etwa in der Diskussion, die Ende der sechziger Jahre über das Verhalten der Hochschullehrer im Dritten Reich entbrannte –, vorgebracht wurde. Was die von Schachermeyr skizzierte Entstehungsgeschichte seiner Beiträge angeht, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass Befürchtungen hinsichtlich der Lehraufgabe der Alten Geschichte im dritten Reich berechtigt waren und auch von den meisten seiner Kollegen geteilt worden sein dürften. Weiter lässt sich – zumal nach den Ausführungen des Prokuristen der Firma Teubner – eine entsprechende Interessenlage des Verlags durchaus erkennen. Indessen spricht Schachermeyrs Artikel im „Völkischen Beobachter“ auch für ein nicht gerade geringes eigenes Artikulationsinteresse. Gerade dadurch dürfte sich Schachermeyr selbst dem Verlag für die Aufgabe empfohlen haben, die er dann „schließlich“ übernahm. Fiel es nach außen hin leicht, „aufzuklären und entgegenzukommen“, so scheinen seine Äußerungen gegenüber Fritz Taeger auch von der Sorge um die Reputation bei den Fachkollegen diktiert gewesen zu sein. Der darin enthaltene Versuch, vor diesem Forum die Radikalität mancher Position abzumildern, ändert nichts an der Außenwirkung, die seine Gedanken mit der Publikation in der um den Dialog zwischen Schulund Universitätshistorikern bemühten Zeitschrift „Vergangenheit und Gegenwart“ bekamen. Die Geschichte des Altertums – damit wenden wir uns dem Aufsatz über die Führer persönlichkeit im Altertum zu – stellte sich Schachermeyr dar als Geschichte blutsverwandter Völker und öffnete so den Blick für die „biologische [58] Gebundenheit“ der eigenen Gegenwart „im nordischen Kreis“. Sie wirkte nicht nur als Ansporn, an die Leistungen der Väter anzu115 Schachermeyr an Frick v. 10.11.1933 (Rep. 320, Nr. 15, fol. 121). 116 F. Schachermeyr, Die Aufgaben der Alten Geschichte im Rahmen der nordischen Weltgeschichte, in: Vergangenheit und Gegenwart 23 (1933) 589–600 (= Schachermeyr 1933b). 117 Diese Passage wurde dem Verfasser aus nachgelassenen Papieren F. Taegers von Prof. K. Christ (Marburg) zugänglich gemacht. – In der durch Kriegseinwirkungen nur noch bruchstückhaft erhaltenen Verlagskorrespondenz des Teubner Verlags (Leipzig) fanden sich keine Hinweise auf den Vorgang. (Briefliche Mitteilung des Verlags an den Verf. v. 6.6.1978).
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knüpfen, sondern zugleich als „Warnerin, welche allein es vermag, das furchtbare Schicksal einer blutmässigen und geistigen Entnordung plastisch vor Augen zu führen“.118 Wie stark sich Schachermeyr dem „Nordischen Gedanken“ verpflichtet wusste, zeigte nicht zuletzt die Übernahme des Begriffes „Entnordung“, der bei H. F. K. Günther und R. W. Darré eine wichtige Rolle spielte.119 Aus diesem Blickwinkel entwarf Schachermeyr das Bild einer griechischen Geschichte, deren bewegendes Prinzip im Kampf „nordischer Ideale“ zu sehen war, die ihre wichtigsten Ausdrucksformen in der Monarchie, der Aristokratie und der Demokratie gefunden hatten. Im Kampf zwischen Aristokratie (bzw. Oligarchie) und Demokratie erkannte er dementsprechend die „beiden nordischen, hier gegeneinander gekehrten Prinzipien der Auslese und der Volksgemeinschaft“. Nicht unwesentlich für diese Einschätzung war der „Umstand, dass sich im Adel das reiner erhaltene nordische Blut, im Demos aber das allerdings wieder mit Nordischem vermischte mediterrane Substrat verkörpert“.120 Die Konstruktion verschiedener nordischer Ideale erlaubte es, Angehörige beider Parteien, trotz unterschiedlicher Grade der Blutreinheit, als nordische Führerpersönlichkeiten zu reklamieren, und verschaffte zugleich die Möglichkeit, diese Reihe beliebig bis in die Gegenwart zu verlängern. Nach Perikles verhinderte „die Bleischwere des artfremden mediterranen Substrates“ die Entwicklung eines neuen Ideals, das die erstarrte demokratische Ideologie und die oligarchische Aristokratie hätte ablösen müssen: Griechenland versank im „autarken Individualismus“.121 Besonders aufschlussreich für die Position Schachermeyrs ist der Ausblick auf Alexander, der „trotz seinem schier überirdischen Persönlichkeitspotential geradezu den Gegenpol zum nordischen Führerprinzip“ bildete: „Mit der Lösung vom Eigenvolk wird Alexander zum Vertreter des autokratischen Weltherrschaftsprinzipes“.122 Gerade in diesem Punkt bei seiner negativen Bewertung erwies [59] er sich als konsequenter Vertreter des nordischen Standpunktes.123 Mehr noch als an dem Rekurs auf Alexander, der den Rassenhistoriker zumindest vor „Harmonisierungsprobleme“ stellte,124 ließe sich am Beispiel des von Schachermeyr unmittelbar nach der Machtergreifung aufgegriffenen Stichwortes „Führertum“ breiter ausführen, mit welcher Leichtigkeit hier ein Element des lange vor 1933 verbreiteten konservativen Geschichtsverständnisses in das NS-Geschichtsbild eingepasst werden konnte. Es bedurfte im Grunde nicht erst der durchsichtigen Parallelisierung der Krisis des ausgehenden perikleischen Zeitalters mit der, „welche wir unmittelbar vor dem Auftreten Adolf Hitlers selbst erlebten“,125 um klar zu machen, dass die antidemokratischen Implikationen des Gesamtthemas überwogen. Breitere Aufmerksamkeit soll hier dem Versuch Schachermeyrs gewidmet werden, die „Aufgaben der Alten Geschichte im Rahmen der nordischen Weltgeschichte“ zu skizzieren. 118 Schachermeyr 1933a, 36f. [s. Anm. 105]. 119 Vgl. Lutzhöft 1971, 127ff. und Mühlen 1977, 147 [s. Anm. 41 u. 36]. – Zur Bedeutung dieses Terminus bei Sch. vgl. auch E. Badian, Some Recent Interpretations of Alexander, in: Alexander le Grand. Image et Réalité, Genf 1976 (= Entretiens sur l’antiquité classique XXII), 283 (279–303). 120 Schachermeyr 1933a, 40 [s. Anm. 105]. 121 Schachermeyr 1933a, 41. 122 Schachermeyr 1933a, 42. 123 Das Alexanderbild Schachermeyrs hat neuerdings Badian 1976, S. 282ff. in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen kritisch beleuchtet; vgl. jetzt auch A. Heuss, Alexander der Grosse und das Problem der historischen Urteilsbildung, in: HZ 225 (1977) 62f. (29–64). 124 Dazu A. Demandt, Politische Aspekte im Alexanderbild der Neuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 54 (1972) 346ff. (325–363) (= Demandt 1972). 125 Vgl. Schachermeyr 1933a, 41 [s. Anm. 105].
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Damit sollte er der einzige Althistoriker bleiben, der sich zwischen 1933 und 1945 darum bemüht hat, vor einem größeren Publikum einen entschiedenen nationalsozialistischen Ansatz speziell für das Universitätsfach Alte Geschichte zu entwickeln.126 Im Rückblick auf die Entwicklung des Faches sprang ihm vor allem der unverkennbare Drang althistorischer Forschung zum Gegenwartsbezug in die Augen. Dafür standen die Klassiker Ernst Curtius, George Grote, Eduard Meyer und Theodor Mommsen ebenso wie Belochs Griechische Geschichte, aus der ihm der Hauch des sozialistischen Zeitalters entgegenschlug. Den Versuch, „das römische Revolutionszeitalter auch im marxistischen Sinne auszuschroten und die römischen Popularen zu Parteigängern der Internationale zu stempeln“, erwähnte er nur am Rande. Das Problem hatte sich nach der Machtübernahme erledigt: „Namen diesbezüglicher Autoren aufzuzählen lohnt aber gegenwärtig nicht mehr der Mühe“.127 Eine Reaktion der neueren Forschung auf die modernisierenden Tendenzen glaubte Schachermeyr vor allen Dingen in der Griechischen Geschichte Helmut Berves fassen zu können. Hervorstechendstes [60] Merkmal dieser neuen „isolierenden Betrachtungsweise“ war die radikale Rückbesinnung auf die „Tatbestände der griechischen Geschichte“.128 Demgegenüber hob Schachermeyr die Vorzüge der vergleichenden Methode hervor.129 Bei aller Bereitschaft, auch die Leistung Berves anzuerkennen, hatte die althistorische Forschung bisher letztlich ihr Unvermögen bewiesen, „dem rassischen Artverhältnis von Hellenentum und Deutschtum Rechnung zu tragen“. Aus der negativen Bilanz Schachermeyrs fiel allein die Geschichte des Hellenismus von Julius Kaerst heraus, der gewissermaßen im geistigen Vorgriff in der Lage war, „das griechische Volk als biologische Einheit zu erschauen und diese biologische Volkheit als Wertmesser und Sinn der geschichtlichen Betrachtung aufzustellen“.130 Mit der weitgehenden Verständnislosigkeit der Fachgenossen für den Rassengedanken entschuldigte Schachermeyr eigene Artikulationshemmungen in dieser Richtung vor 1933. So habe er den „Begriff des Nordischen“ durch den überwiegend sprachwissenschafltich geprägten Terminus „indogermanische Rasse“ ersetzen müssen, ohne damit aber den „erforderlichen rassenmässigen Bedeutungsakzent“ ausdrücken zu können.131 Die Belege für diese Behauptung deuten eher darauf hin, dass er speziell die „nordische“ Rasse, wie auch das Fach „Rassenkunde“, erst nach 1933 entdeckt hatte. Jedenfalls nannte er noch 1932 von den Disziplinen, „die unmittelbar auf Feststellungen ethnischer Natur ausgehen“, nur die Sprachwissenschaft und die Geschichte. Unabhängig davon war Schachermeyr schon damals auf das positive Charakterbild der indogermanischen Rasse eingeschworen.132 Die Gründe dafür, dass sich das Fach bisher diesem Gedankengut überhaupt versagt hatte, waren nach der Überzeugung Schachermeyrs nicht in der Alten Geschichte selbst, sondern eher in der Organisationsstruktur der Altertumswissenschaften zu suchen. Die enge Anbindung 126 Vgl. aber unten [85]. 127 Schachermeyr 1933b, 589f. [s. Anm. 116]. 128 Schachermeyr 1933b, 591 [s. Anm. 116]. 129 Vgl. F. Schachermeyr, Rez. H. Berve, Griechische Geschichte, Freiburg 1931, in: Historische Vierteljahresschrift 27 (1932) 403 (402–404) (= Schachermeyr 1932). 130 Schachermeyr 1933b, 592 [s. Anm. 116]. 131 Schachermeyr 1933b, 592. 132 Vgl. F. Schachermeyr, Dekorationsstil, Kulturkreis und Rasse, in: Klio 25, N. F. 7 (1932) 245 (245–247). Schachermeyr verneint dort einen Zusammenhang zwischen indogermanischer Rasse und einem spezifischen Dekorationsstil; vgl. ders., Etruskische Frühgeschichte, Berlin 1929, 27ff.
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an die Klassische Philologie hatte – so Schachermeyr – die Verengung des althistorischen Blickfeldes auf das griechisch-römische Altertum gefördert und der Entwicklung einer im „nordischen Sinne universaleren Betrachtungsweise“ im Wege gestanden.133 Darüber hinaus musste „die Fülle der unerlässlichen philologischen Vorarbeiten und Anforderungen“ den lebendigen [61] Austausch mit den historischen Nachbardisziplinen ebenso wie mit der „Rassenkunde und biologischen Wachstumslehre“ behindern. Schachermeyr machte sich damit – sieht man von den „rassenkundlichen“ Forderungen ab – ein Argument zu eigen, das universalgeschichtlich orientierte Althistoriker nicht ganz ohne Berechtigung immer wieder erhoben haben.134 Die Absetzbewegung von der Klassischen Philologie entsprang jedoch nicht allein dem universalhistorischen Motiv, sondern sie war auch als Distanzierung vom Dritten Humanismus zu verstehen, denn dieser ließ die „Auflockerung und Durchblutung im Sinne einer rassenmässig bedingten Wertung der klassischen Literatur“ vermissen.135 Die Entschlossenheit Schachermeyrs, die Alte Geschichte zugunsten einer großräumigen Weltgeschichte von unnötigem Ballast antiquarischer Einzelforschung zu befreien, zeigte auch sein Vorschlag, den Althistoriker von der Sorge um Epigraphik, Papyrologie und Numismatik zu entlasten. Das hiess nicht, dass er auf die Forschungsergebnisse der Hilfswissenschaften, zu denen er im Grunde auch die Klassische Philologie zählte, verzichten wollte. Er dachte vielmehr an eine personelle Trennung dieser Spezialistengruppen von den Althistorikern kommender Generationen. Zu den mehr praktischen Maßnahmen gehörte schließlich im Sinne sachgerechter Nachwuchsförderung die ausreichende finanzielle Absicherung der langfristigen Umstrukturierung des Faches, für die Schachermeyr einen Zeitraum von einigen Jahrzehnten veranschlagte.136 Über den wissenschaftsorganisatorischen Problemen blieb die Aufgabe der methodischen und inhaltlichen Neubesinnung noch zu lösen. Die Öffnung des Faches für den weiten Raum nordischer Weltgeschichte – neben Griechen und Römern waren Perser und Hethiter in den Kreis der Betrachtung einbezogen – legte eine vergleichende Methode nahe. Die entscheidenden Wertungsprinzipien künftiger althistorischer Arbeit lieferte das Werk H. F. K. Günthers, aus dem Schachermeyr unter ausdrücklicher Ablehnung voraussetzungsloser Forschung die „nordische Rassenkomponente“ und „das Volkstum an sich“ als „geschichtliche Höchstwerte“ ableitete.137 „Rassenkomponenten“ traten in vielfacher Mischung und Überschneidung [62] auf, „Volkstum an sich“ schien dagegen eine unverrückbare Größe zu sein.138 Nach dieser Wertsetzung – Schachermeyr sprach ausdrücklich von einem Freund-Feind-Verhältnis zwischen Nordischem und Nichtnordischem – konnte man z. B. griechisches Volkstum nur solange als geschichtlichen Höchstwert ansehen, wie es überwiegend von der nordischen Rasse geprägt war. Naturgemäss war dieser Idealzustand nur in der Frühphase des jeweiligen Volkstums
133 Schachermeyr 1933b, 593 [s. Anm. 116]. 134 Schachermeyr 1933b, 593 [s. Anm. 116]; vgl. zu Eduard Meyers Haltung in dieser Frage K. Christ, Von Gibbon bis Rostovtzeff. Leben und Werk führender Althistoriker der Neuzeit, Darmstadt 1972, 298. Zum Verhältnis von Alter Geschichte und Universalgeschichte vgl. F. Hampl, Universalhistorische Betrachtungsweise als Problem und Aufgabe, in: Ders. u. I. Weiler (Hrsg.), Kritische und vergleichende Studien zur Alten Geschichte und Universalgeschichte, Innsbruck 1974, 121–155 (= Hampl 1974). 135 Schachermeyr 1933b, 593, Anm. 8 [s. Anm. 116]. 136 Schachermeyr 1933b, 596. 137 Schachermeyr 1933b, 596f. 138 Schachermeyr 1933b, 598.
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anzutreffen. Ganz im Sinne Günthers lief hier der Prozess fortschreitender Entnordung ab, der durch das Eindringen art- und rassefremder Blutströme ausgelöst wurde. Die neue althistorische Methode „der kritischen Scheidung des klassischen Erbes in seine nordische und seine uns rassenfremde Komponente“ führte Schachermeyr am Beispiel der hellenistischen Epoche vor. Dem prüfenden Blick des Rassebiologen hielt weder die kulturelle Vermittlerrolle des Hellenismus noch das „Persönlichkeitspotential eines Alexander und der hellenistischen Kraftnaturen“ stand. In das Bild vollkommener Entnordung passte vor allem die von „Semiten und Mischlingen“ geschaffene Stoa, die radikaler Ablehnung verfiel: „Ihr verlogenstes Produkt ist diejenige Art von Humanität, welche unter dem Beifall der Harmlosen von Rassefremden angerufen und propagiert wird, auf dass sie ungefährdet und toleriert die Auflösung des Nordischen zu betreiben vermögen“.139 Entsprechend eingeschränkt war die Bedeutung des Humanitätsideals bei den nordischen Völkern: Humanität konnte „niemals zum kulturkonstituierenden Prinzip werden“ und blieb „eine bare Selbstverständlichkeit, die aber ihre Grenzen in den Belangen der Art- und damit der Selbsterhaltung findet“.140 Zu den inhumanen Konsequenzen dieser Einstellung, die auch als Antwort an den „Dritten Humanismus“ gedacht war, erübrigt sich jedes weitere Wort. Die Problemstellungen der nordischen Weltgeschichte hat Schachermeyr hier wie auch in dem Beitrag über das „Führertum“ bewusst aus der griechischen Geschichte heraus entwickelt. Wenn er beiläufig das römische Weltreich als ein „letzten Endes unnordische(s) Gebilde“ bezeichnete, wurde ein grundsätzlicher Vorbehalt gegenüber weiten Bereichen [63] der römischen Geschichte deutlich.141 Das Bekenntnis zur germanischen Frühzeit, das Schachermeyr an den Schluss seiner Ausführungen stellte, blieb eine Pflichtübung, zumal seine Konzeption über den „germanischen Kreis“ hinausging.142 Schachermeyr hat keinen Einsatz gescheut, den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der Rassenlehre für die Beschreibung des althistorischen Arbeitsfeldes ergaben. Er handelte in diesem Sinne nur konsequent, wenn er als sein „besonderes Forschungsgebiet“ die „Geschichte des Altertums mit besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zur Vorgeschichte, zur Rassenkunde u. Kulturpolitik“ im Ministerium aktenkundig werden ließ.143 Eine derartige Festlegung hat, wie eine Durchsicht des Materials ergab, kein weiterer Althistoriker getroffen.144 Mit Helmut Berve, auf dessen Beitrag Die Erfüllung des Reiches schon einzugehen war, meldete sich ein Vertreter jener „isolierenden Betrachtungsweise“ zu Wort, aus deren Blickwinkel sich nach Schachermeyr die rassische Verwandtschaft von Griechen- und Deutschtum nicht begründen ließ.145 Als Schüler Walter Ottos war Berve durch seine Prosopographie des Alexanderreiches146 früh bekannt geworden und hatte 1927 den Lehrstuhl für Alte Geschichte 139 Schachermeyr 1933b, 598f. (Sperrung im Original) [s. Anm. 116]. 140 Schachermeyr 1933b, 599, Anm. 17 (Sperrung im Original). 141 Schachermeyr 1933b, 599, Anm. 16. 142 Schachermeyr 1933b, 600. 143 Vgl. Personalbogen Schachermeyr (R 21/412). 144 Das gilt auch für die entsprechenden Bemerkungen der Klassischen Philologen. Auffällig oft wird „Römisches Germanien“ etc. als „besonderes Forschungsgebiet“ angegeben; vgl. den Bestand R 21/ ... (Personalbögen von Professoren). 145 Vgl. oben [59]. 146 H. Berve, Das Alexanderreich auf prosopographischer Grundlage, Bd. 1 u. 2, Leipzig 1926. Es ist zweifellos anregend, das Verhältnis von prosopographischer Methode und moderner Elitentheorie zu beleuchten. In diesem Zusammenhang eine Verbindung zwischen dem genannten Werk Berves und dem
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in Leipzig übernommen.147 Unter den Althistorikern fiel ihm schon bald eine Führungsrolle zu, die sich vielleicht am besten daran abschätzen lässt, dass er im Dritten Reich zum Haupt einer Schule wurde, die derjenigen Wilhelm Webers an Einfluss zumindest nicht nachstand.148 An Berve, der selbst der NSDAP erst im April 1933 beigetreten war,149 knüpften sich schon im Juni 1933 Hoffnungen des Historikerverbandes, dem es darum ging, „rechtzeitig und in geeigneter Weise Fühlung mit nationalsozialistisch gesinnten Kollegen zu gewinnen“, um „künftigen, etwa von außen her drohenden Versuchen politischer ‚Gleichschaltung‘ zuvorzukommen“.150 Aus ähnlichen Motiven sollte er später als Mitherausgeber der „Historischen Zeitschrift“ gewonnen werden, da er als Nationalsozialist „durchaus gemässigt“ erschien151 und zudem, wie Meinecke formulierte, „wissenschaftlich mit dem besten Gewissen empfohlen [64] werden konnte“.152 Letzteres Projekt kam aus zwei Gründen nicht zustande. Einmal wollte Berve nicht bei „äußerlichen Konzessionen“ stehen bleiben, andererseits war seine Stellung und Haltung als Nationalsozialist, wie man über Walter Frank erfuhr, in Parteikreisen umstritten.153 Im Zusammenhang mit der 1943 erfolgten Berufung Berves nach München urteilte das „Kulturpolitische Archiv“ Rosenbergs, dieser habe sich 1933 „aus ehrlicher Überzeugung von einem Gegner des Nationalsozialismus zum Parteigenossen gewandelt“.154 Der programmatische Beitrag „Antike und nationalsozialistischer Staat“ war zuerst 1933 an relativ entlegener Stelle erschienen, wurde dann 1934 seiner besonderen Wichtigkeit wegen in der Zeitschrift „Vergangenheit und Gegenwart“ noch einmal abgedruckt.155 Berve ging es vor allem darum, die Antike als Bildungsfaktor im weitesten Sinne wiederzugewinnen. Sein Anliegen schloss die Frage ein, „welche Werte das klassische Altertum in unserem neuen Staate auszustrahlen vermag, welcher Art heute unser Verhältnis, menschlich und wissenschaftlich, zur Antike sein kann und sein muss“155a. Er zielte damit zwar wie Jaeger über den altertumswissenschaftlichen Rahmen hinaus, argumentierte aber doch unverkennbar als Althistoriker. Das Verhältnis zum „antiken Gegenstand“, das er begründen wollte, ließ sich ex negativo erschließen aus der Reaktion des Historismus auf die „klassizistische Idealisierung“ des Altertums, mit der eine „geradezu fanatische Entgötterung der Antike“ eingeleitet worden war: An Stelle der eigentlich klassischen Epochen rückten die „Vor- und Spätzeiten“ in den Mittelpunkt des fachhistorischen Interesses. Dieser Impuls führte sehr rasch zu Auswüchsen des Aufkommen des Nationalsozialismus herzustellen, erscheint aber überspitzt; vgl. L. Canfora, Per una discussione sul classicismo nell ‚eta‘ dell‘ imperialismo: Classicismo e fascismo, in: Quaderni di Storia 3 (1976) 22. 147 Nachweise zu H. Berve (geb. 1896) vgl. Losemann 1977, 206f. [s. Anm. *]. 148 Vgl. Losemann 1977, 83f. 149 Vgl. Personalbogen Berve (R 21/378). 150 So der Antrag Hartungs in der Ausschusssitzung des Verbandes v. 10./11.6.1933, der zur Kooptation von Berve und A. Rein führte. Zitiert nach Heiber 1966, 170 [Anm. 66]. 151 Heiber 1966, 288. 152 Zitiert nach Heiber 1966, 283. 153 Vgl. Heiber 1966, 296. 154 Zitiert nach Losemann 1977, 80 [s. Anm. *]. 155 H. Berve, Antike und nationalsozialistischer Staat, in: Vergangenheit und Gegenwart 24 (1937) 257–272 (Nachdruck aus: Zeitschrift der Fachschaft Höhere Schulen im NSLB-Gauverband Sachsen) (= Berve 1937). 155a Berve 1937, 257.
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Wissenschaftsbetriebs, zu einer „Aufhäufung des Stoffes um des Stoffes willen“, die er z. B. bei der Erforschung des Hellenismus auf der Grundlage des epigraphischen und papyrologischen Materials beobachtete. Darüber musste – hier erhob Berve für sich die Altertumsforschung ähnlich wie Jaeger in den Rang einer „Ersatzreligion“ (Irmscher) – „die lebendige Wertung, das tiefe persönliche Verhältnis zum Gegenstand“ und das Bewusstsein für „seine [65] Einzigartigkeit, seine Heiligkeit“ verloren gehen. Charakteristisch für diese Richtung waren ihm Fachvertreter, die „ebenso gut wie griechische Geschichte – vielleicht sogar besser – ihre Arbeit irgendeinem anderen geschichtlichen Gebiet oder nationalökonomischen Problemen zugewandt haben könnten“.156 Ein „vitales Verhältnis“ zur Antike fand er nur auf einer unteren Ebene vor, im Interesse an „den Niederungen des Daseins, die es notwendig bei allen Völkern und zu allen Zeiten gegeben hat“. Auch gegen diese breite Kreise ansprechende Antike-Rezeption in der Art Theodor Birts verwahrte sich Berve „vom Standpunkt einer ehrfürchtigeren Betrachtung“. Er enthüllte dabei einen elitären Zug seiner Auseinandersetzung mit der Antike: „Denn die großen Leistungen der Menschheit sind nicht dazu da, dass man sich an den sie begleitenden Unzulänglichkeiten billig ergötze oder damit der kleine Geist eines Philisters mit Behagen die Genugtuung einschlürfe, dass ja schließlich damals doch alles genau so war wie heute, dass immer mit Wasser gekocht worden sei, und wie die banalen Ausdrücke sonst lauten mögen“.157 Berve beschränkte sich nicht darauf, die Krise der humanistischen Bildung zwischen Idealisierung und Profanierung des klassischen Erbes nachzuzeichnen, sondern identifizierte sich mit Einzelpositionen des George-Kreises und des „Dritten Humanismus“. In diesem Sinne lag das Verdienst des George-Kreises vor allem in der konsequenten Abwehr „jener Profanierung der Antike“, die die Anhänger des Meisters etwa in Wilamowitz‘ Tragödien-Übersetzungen bekämpft hatten.158 Über diesem Bemühen fielen die George-Jünger in ein anderes Extrem, in eine „Altertumsromantik bedenklicher Art“: Sie schufen sich – Berve bewertete damit die historischen Arbeiten des Kreises – „heroisierte und verklärte Vorbilder (...) einigermaßen unbekümmert um ihr historisches Milieu und um die reale Wirklichkeit vergangener Zeiten, einem Wunschbild gläubig hingegeben“.159 Von der Wirklichkeitsferne des George-Kreises hob Berve die Bewegung des „Dritten Humanismus“ ab. Erst Werner Jaeger war es mit seiner „wissenschaftlichen Forderung nach einer Deutung und Gestaltung des einstigen [66] Lebens aus der Art dieses Lebens selbst“ gelungen, die „nivellierende“ Betrachtung der Antike zu überwinden. Damit wurde zunächst einmal „eine neue Distanz, das Gegenüber einer geschichtlich wahren, nicht nur einer geträumten und ersehnten Welt“ geschaffen. Nicht zuletzt dadurch, dass man die besondere Stellung vor allem des Griechentums in der Geistesgeschichte herauszuarbeiten begann, gelang es, auch den klassischen Rang der Antike als weiteren bedeutenden „Bildungsfaktor“ zurückzugewinnen.160 Die Kritik Berves am „Dritten Humanismus“ setzte bei der rein geistesgeschichtlichen Begründung des antiken Vorbilds an. Ein echter Zugang zur Antike konnte von daher nicht 156 Berve 1937, 259. 157 Berve 1937, 260 [s. Anm. 155]. 158 Berve 1937, 261; vgl. dazu aus der Sicht des George-Kreises K. Hildebrandt, Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, Bonn 1965, 47f.; vgl. auch Hentschke / Muhlack 1972, 97ff. [s. Anm. 74]. Zur Verbindung einiger Althistoriker zum George-Kreis: Katsch 1968, III 1 [s. Anm. 69]. 159 Berve 1937, 262 [s. Anm. 155]. 160 Berve 1937, 262.
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gelingen, die Bewegung blieb „zu gedanklich, zu wenig vital“. So galt „das Werk des Historikers gleich dem geschichtlichen Gegenstand, an dem es sich entzündet hatte, die gewiss nicht leicht zu wertende Problematik des Denkers gleich dem blutigen Ringen todesmutiger Menschen im schicksalsvollen Daseinskampf des Tages“.161 Kriecks Forderung, die „konkrete Gestalt, die geschichtliche Wirklichkeit“ von dem „literarischen Prediger des humanen Einschlags“ abzuheben, hat hier ihren plastischen Ausdruck gefunden. Der Linie Kriecks folgte auch die Absage an „esoterische Richtungen“, an bloßen „Intellektualismus“, mit der Berve die Auseinandersetzung mit dem „Dritten Humanismus“ abschloss. Bei der neuen Auseinandersetzung mit der Antike, die von dem Willen geleitet war, ihre „sinnliche Gegenwart (...) zu beschwören“, musste die „politische Geschichte notwendig im Vordergrund stehen“. Abgesichert durch die Absetzbewegung von Jaeger, proklamierte Berve nun seinerseits das „Ideal des politischen Menschen“ der Antike, das er in die politische Bildungsarbeit einbringen wollte. Dabei setzte er voraus, „dass wir nicht modernisieren, sondern rücksichtslos gegen uns selbst, der unverfälschten Wahrheit nachgraben“.162 Das „Ideal des politischen Menschen“ wurde jetzt unbelastet von dem humanistischen Anspruch allgemeiner Menschenbildung zunächst einmal ganz eng auf den „politisch-geschichtlichen“ Raum bezogen und damit der Vorrang der politischen Geschichte betont. Mit dem [67] „Ideal des politischen Menschen“ hatte Berve einen eher konventionellen Ansatzpunkt gewählt, auf den er das nationalsozialistische Antike-Verständnis an erster Stelle festlegen wollte. Weniger entschieden und überzeugt als Schachermeyr zeigte sich Berve in der anschließenden Auseinandersetzung mit dem Rasse-Gedanken: „Noch schillert er in den mannigfachsten Farben, bald anthropologisch, bald quasi-historisch, bald als eine seelisch-leibliche Forderung an das lebende Geschlecht im Hinblick auf die Zukunft“.163 Erhebliche Vorbehalte galten der Möglichkeit seiner Anwendung auf „Zeiten, deren ethnische Struktur entweder so undurchsichtig ist, dass keine Erkenntnis daraus gewonnen werden kann, oder so unbekannt ist, dass nur allzuviel freier Raum für willkürliche, oft rührend primitive Konstruktionen bleibt“. Hier waren wohl in erster Linie die Verfasser von „Utopien über Rassenverhältnisse in grauester schlechthin unbekannter Vorzeit“ im Umkreis Rosenbergs angesprochen. Die in dieser Hinsicht leichter überschaubare Geschichte des Altertums ließ „die ganze Schwierigkeit des Rasseproblems“ um so deutlicher hervortreten, denn – und damit wandte sich Berve unüberhörbar gegen Schachermeyr – „so einfach, dass alles Positive indogermanisch oder gar, wie man vielfach sehr unbekümmert sagt, nordisch sei, während alles andere etwa der Mittelmeerrasse angehöre, liegen die Dinge wahrlich nicht“.164 Auch wenn Berve die krassen Wertungen Schachermeyrs vermied, so erkannte auch er grundsätzlich die Wirkung des „Rasseinstinktes, der Rassepolitik und der Rassezersetzung“ an. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die „artbewusste Behauptung des Makedonenund Griechentums in der ersten Zeit des Hellenismus, der dann durch die zunehmende Vermischung der Abendländer mit dem Orientalen seine Lebenskraft verlor“, auf die augusteische Bürgerrechtspolitik und den „Untergang der antiken Welt überhaupt, der nicht zuletzt durch die Zersetzung der herrschenden Rasse bedingt war“.165 161 162 163 164 165
Berve 1937, 264. Berve 1937, 267 [s. Anm. 155]. Berve 1937, 268. Berve 1937, 268. Berve 1937, 268 [s. Anm. 155].
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Die „wesentliche Seite“ des modernen Rasse-Gedankens war nach Berve darin zu sehen, dass er „ein körperliches Ideal verwirklichen will“.166 Mit dieser Überleitung [68] entzog er sich offensichtlich einer längeren Diskussion des Rasse-Gedankens in seiner antiken Ausprägung. Er fasste hier den Ausdruck eines „neuen Körperempfindens“, das im Sport-Gedanken der Gegenwart zu fassen war. Vom modernen Körperempfinden schlug Berve einen Bogen zurück zum sportlichen Kampf in der Zeit Pindars, kam auf das griechische Körperideal und die Formstrenge klassischer Kunst zu sprechen, die wiederum (in Anlehnung an Moeller van den Bruck) im „preußischen Stil“ des „Dritten Reiches“ ihre Entsprechung fand. Diese Verbindungslinie bestätigte sich nicht zuletzt – Berve konnte hier auf Mein Kampf verweisen – in dem engen Verhältnis des Führers zur hellenischen Kunst.167 Von dort aus fand Berve leicht den Übergang zur Auseinandersetzung mit der humanistischen Bildung neuer Prägung, die ihre beste Kraft aus dem unbedingten „Willen zum Gesetz“ schöpfte, die antike Dichtung, den Aufbau der lateinischen Sprache und das Rechtsdenken der Römer geformt hatte. Auch wenn Berve den neuen Erziehungsauftrag in Anlehnung an Kriecks Zuchtbegriff formulierte, – „Zucht nämlich, des allzu zuchtlos gewordenen Geistes zu Klarheit, Ordnung, Haltung und Form“ – ließ sich kaum verdecken, wie schwer sich Berve dabei von dem Ansatz Jaegers lösen konnte.168 Beide versuchten mit der Formel vom „politischen Menschen“ die humanistische Bildung vom Vorwurf des Individualismus freizuhalten. In ähnlicher Weise setzten sich beide vom Historismus ab, der den Primat des „klassischen Altertums“ in Frage gestellt hatte. Das Persönlichkeitsideal humanistischer Bildung verwirklichte sich „nicht so sehr in den Idealbildern ihrer Philosophen“, sondern – hier zog Berve den Trennungsstrich zu Jaeger – in den „Männern der geschichtlichen Tat“. Die Beschwörung dieser Leitbilder, „ob Leonidas oder Perikles, ob Demosthenes oder Alexander, Cato oder Caesar (...) sie zeigen sich gegenwärtig in den Stunden, da der ringende Mensch der Stärkung durch die Vision einer großen Erscheinung bedarf“, belegt eindrucksvoll, wie stark Berve selbst von der idealistischen Grundhaltung des George-Kreises und des „Dritten Humanismus“ angezogen wurde.169 Auch Berve hat damit dem Vorgang Schachermeyrs [69] folgend den Führergedanken althistorisch thematisiert. Der Anspruch, sich an der „konkreten Geschichte“ zu orientieren, den Berve in Anlehnung an Kriecks „völkischen Realismus“ erhob, sollte die Führungsrolle der Alten Geschichte in der nationalsozialistischen Auseinandersetzung mit der Antike gegenüber der klassischen Philologie sichern. Insofern setzte sich hier der Althistoriker von dem Altphilologen Werner Jaeger ab. Dass Berve im Grunde einem eher konservativen Ansatz humanistischer Bildung folgte, zeigte die abschließende Zusammenfassung dessen, „was die Antike unserer Gegenwart zu geben hat“. In der Reihe „Erziehung zum politischen Menschen, rechte Harmonie von Körper und Geist, Form in der Kunst, Zucht und Gesetz dem Denken, herrliche Vorbilder eines hohen Menschentums“ blieb der Rasse-Gedanke, das Kernstück der nationalsozialistischen Weltanschauung, ausgespart.170 Nach der Gedankenführung Berves, die bereits oben angesprochen wurde, wäre er bedingt als Körperideal hinter der Formel „rechte Harmonie von Körper und Geist“ und „Vorbildern hohen Menschentums“ zu fassen. Berve rückte in diesem Rahmen 166 167 168 169 170
Berve 1937, 268f. Berve 1937, 269. Berve 1937, 270. Berve 1937, 270f. [s. Anm. 155]; vgl. dazu die Bewertung von Demandt 1972, 340 [s. Anm. 124]. Berve 1937, 271.
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die „Feststellung des klassischen Charakters der Antike“ ganz entschieden in den Vordergrund. Demgegenüber trat hier – später legte sich Berve eindeutiger fest – die Auseinandersetzung mit dem Rassengedanken, wobei auch Vorbehalte anklangen, zurück. Damit steht sein Programm dem „Gleichschaltungsversuch“ Jaegers, über den er unter Einbeziehung der vorausgegangenen Kritik natürlich hinausging, sicher näher als den Äußerungen Schachermeyrs. Der letzte Beitrag, der hier behandelt werden soll, erschien im Februar 1935 unter jenem eingangs charakterisierten Titel Die Antike und wir in den „Nationalsozialistischen Monatsheften“171 und wenig später als Einzelheft der Reihe „Nationalsozialistische Wissenschaft“.172 Den grundsätzlichen Charakter gerade dieser Ausführungen rühmte schließlich der „Völkische Beobachter“ in einem Bericht über die NS-Monatshefte, deren Leser, wie Matthes Ziegler formulierte, „weltanschaulich unbedingt zuverlässige Darstellungen“ erwarten durften.173 Der Artikel war damit von Alfred Rosenberg in seiner Eigenschaft als [70] „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der Partei“ autorisiert worden. Bei dem Verfasser handelte es sich um einen promovierten Altphilologen, den bis dahin weitgehend unbekannten Altparteigenossen Dr. Walter Eberhardt. Soweit damals erkennbar – von Eberhardt lag die Dissertation De iteratis apud Platonem und eine Rezension von Jaegers Paideia vor – schien er eher der Griechischen Geschichte verpflichtet zu sein. Abgesehen von dem erheblichen publizistischen Aufwand, der den Auftritt Eberhardts begleitete, erhielt seine Stellungnahme dadurch zusätzliches Gewicht, dass er noch im gleichen Jahr in Münster mit der Vertretung einer Professur für Klassische Philologie beauftragt und schließlich der Fakultät als ordentlicher Professor aufgezwungen wurde.174 Auf diesen im Bereich der Klassischen Altertumswissenschaft einmaligen Vorgang ist noch im Anschluss an die Bewertung von Eberhardts Programmschrift zurückzukommen. Eberhardt fasste zu einem guten Teil die Diskussion der im strengen Sinne schon abgeschlossenen Machtergreifungsphase zusammen und lehnte sich dementsprechend in Aufbau und Gedankenführung streckenweise eng an Jaeger, Krieck, Schachermeyr und Berve an. Soweit das Verhältnis des Nationalsozialismus zur Antike positiv vom Griechentum her begründet wurde – hier bestätigte „der nationalsozialistische Umbruch (...) bis jetzt wenig beachtete Einsichten, vor allem die Erkenntnisse Nietzsches und Burckhardts“ – konnte er die Positionen seiner Vorgänger im Grundsatz übernehmen. Das galt auch für die Abgrenzung vom unpolitischen „humanistischen Ideal der Selbstbildung des Individuums“, vom „positivistischen Historismus des 19. Jahrhunderts“, von dem „Bildungsmaterialismus der historischen Schule“, vom „Bildungsformalismus“ im „überbetonten Sprachbetrieb“ und schließlich vom „Dritten Humanismus“. Gerade die Einschätzung dieser Richtung folgte im Positiven wie im Negativen gleichermaßen eng dem Ansatz Berves.175
171 In: Nationalsozialistische Monatshefte 6 (1935) 115–127 (= Eberhardt 1935); vgl. dazu bisher Irmscher 1965, 242ff. [s. Anm. 19]; vgl. auch Irmscher 1969, 22 und Herzog 1977, 19f. [s. Anm. 19]. 172 Nationalsozialistische Wissenschaft, H. 2, München 1935 (= Schriftenreihe der NS-Monatshefte). 173 M.(atthes) Z.(iegler), Die zentrale Zeitschrift der Partei, in: Völkischer Beobachter v. 13.2.1935 (Süddeutsche Ausgabe). 174 Vgl. W. Eberhardt, De iteratis apud Platonem, phil. Diss., Leipzig (Ms.) 1923 und ders., Rez. W. Jaeger, Paideia, in: Die höhere Schule Sachsen 13/14 (1935/36) 301–306. Angaben zu Eberhardt (geb. 1895) nach Personalbogen (R 21/385). 175 Eberhardt 1935, 117 [s. Anm. 171].
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Eigenständigen Charakter gewann dieser Beitrag in der Auseinandersetzung mit Rom, die Eberhardt auf eine neue Grundlage stellte. Die zahlreichen Versuche, das [71] Thema „Die Antike und wir“ nach 1933 zu „bewältigen“ hat Eberhardt aber auch in ganz anderer Hinsicht zusammengefasst und damit eine Beschreibung des Gleichschaltungsvorgangs geliefert. Seine Kritik an den Autoren, „die mit Vorliebe das griechisch-römische Altertum auf diejenigen Punkte hin absuchen, die sich im Sinne des Nationalsozialismus ‚auswerten‘ lassen“, traf, was die Methode angeht, alle Beiträge dieser Gattung: „Begriffe wie Heroismus, Vaterlandsliebe, Volksgemeinschaft, Ehre, Wehrhaftigkeit, Rasse, Religiosität, Führertum usw. werden in Bewegung gesetzt, um das klassische Altertum im ganzen oder einzelne seiner literarischen Erscheinungen, z. B. Cicero, Horaz oder Seneca, für eine moralisierende ‚nationalsozialistische‘ Erziehung als wichtig zu erweisen. Im Grunde übermalt man vielfach nur das alte humanistische Bild mit neuen, nationalmoralischen Farben“. Eberhardt ließ sich hier offenbar von der Kritik Walter Franks inspirieren, der unter der Überschrift Alter Wein in neuen Schläuchen schon 1934 im Völkischen Beobachter die „gleichgeschaltete Geschichtsschreibung“ angeprangert hatte.176 Der Anspruch Eberhardts, eine parteioffiziöse Antike-Konzeption zu vertreten, fand letzte Bestätigung erst durch die Konsequenz, mit der die Gedanken Rosenbergs aufgenommen wurden. Hatte dieser doch zusammen mit H. F. K. Günther die Grundlagen für die rassengeschichtliche Betrachtung der Antike gelegt: „Ob sie in allen Einzelheiten recht haben“, blieb für Eberhardt „belanglos gegenüber der Tatsache, dass ihre Gesamtschau richtig ist“.177 Nach dem bekannten Schema erschien „die innere Geschichte der beiden antiken Völker (...) als Auseinandersetzung mit der mediterranen Urbevölkerung und dem späteren orientalischen Zustrom“. So definierte Eberhardt „das Spartiatentum als Selbstbehauptungsmaßnahme der hellenischen Erobererschicht gegenüber der unterworfenen Bevölkerung“. Der unvermeidliche Kampf der nordischen Rasse war im „Sieg des Apollon über die Eumeniden“ gewissermaßen vorentschieden worden.178 Vom rassischen Gesichtspunkt aus begriff Eberhardt das „Phänomen des Römischen“ als überwiegend fremdartig. Die [72] charakteristische Interessenlinie Rosenbergs wurde mit dem Hinweis auf das „Augural- und Auspizienwesen“ breit ausgezogen: „Es ist nicht nur etruskisches Kulturgut, sondern auch etruskisches Blut in die römische Substanz eingegangen“.179 Hier lag dann der historische Ansatzpunkt für die Auseinandersetzung, die Rosenberg unter dem Stichwort „Romfrage“ mit der katholischen Kirche führte.180 Die davon ausgehende negative Grundstimmung gegenüber Rom überdeckte auch die positiven Wesenszüge, wie „das großartige bäuerliche Element des Menschentums seiner Frühzeit, das mit seinem unbedingten Einsatz für das Gemeinwesen dem römischen Staat überhaupt erst die Grundlage schafft“ und konnte auch durch die „großen Führerpersönlichkeiten“ nicht aufgehoben werden. 176 Eberhardt 1935, 118 [s. Anm. 171]; vgl. Heiber 1966, 765 [s. Anm. 66]. 177 Eberhardt 1935, 120. 178 Eberhardt 1935, 120. 179 Eberhardt 1935, 120. 180 Vgl. dazu R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg, Mainz 1977, 138ff. (= Baumgärtner 1977) und V. Losemann, Der Mar burger Schlossplan. Zeitgeschichtliche Wandlungen eines Forschungsprojektes, in: W. Heinemeyer u. a. (Hrsg.), Academia Marburgensis. Beiträge zur Geschichte der Philipps-Universität Marburg, Marburg 1977, 372ff. (353–405).
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Hinter diesen „rassisch durchsichtigen Einzelheiten“ wurde ein tieferer Gegensatz sichtbar, von dem die Bewertung der römischen Geschichte bestimmt war. Damit kam Eberhardt zu seinem zentralen Anliegen, zur Abrechnung mit der „geistespolitischen Macht“ der römisch-lateinischen Zivilisationsidee von ihrer Entfaltung in der augusteischen Epoche bis zur Gegenwart. In dieser Ideenverbindung fasste Eberhardt die geistige Begründung des römischen Weltherrschaftsanspruches, wie sie in Vergils: Tu regere imperio populos, Romane (...) oder im Monumentum Ancyranum ihren Ausdruck gefunden hatte. Begabt mit dem Sinn für geschichtliche „Wirklichkeiten“ verharrte er nicht in der humanistischen Bewunderung für diese „großartige Herrschaftsidee“, sondern dachte „vielmehr daran, dass im Zeichen dieses Humanitätsanspruchs der Statthalter des römischen Kaisers mit den Mitteln seiner Machtbefugnis die freien Völker Germaniens um ihre Unabhängigkeit und ihr Selbstbestimmungsrecht bringen wollte (...) Wir denken an die Züge des Germanicus und spüren die Wand, die uns von der römischen Zivilisationsideologie trennt“. Der römische Anspruch hatte sich in einer „säkularen, politisch-zivilisatorischen“, und einer „hierarchischen, politisch-kirchlichen“ Linie bis in die Gegenwart fortgesetzt. Die erste Traditionslinie wurde zunächst in Frankreich aufgenommen. Ihre Vertreter waren nicht nur in der „Action française“ um [73] L. Daudet und Ch. Maurras zu suchen, sie war vielmehr fest im französischen Geistesleben verankert und lieferte „die geistige Rechtfertigung der politischen Vormachtbestrebungen Frankreichs“.181 Die Pax Romana fand somit ihre Entsprechung in einer Pax Francogallica, sogar die „Sécurité“, das „Hauptschlagwort der französischen Außenpolitik und zugleich Ausdruck der bürgerlichen Welt“, war vorgebildet in der kaiserzeitlichen Münzlegende Securitas. Die Lage komplizierte sich dadurch, dass der „römische“ Anspruch neuerdings auch vom faschistischen Italien erhoben wurde, das „den lateinischen Zivilisationshochmut zur Geltung“ brachte. Eberhardt bezog sich auf die bekannte Rede Mussolinis, die dieser in Anwesenheit einer französischen Parlamentarierdelegation im September 1934 zu einem Zeitpunkt gehalten hatte, als die deutsch-italienischen Beziehungen nach der Ermordung von Dollfuss stark belastet waren. Mussolini sah sich durch „dreissig Jahrhunderte Geschichte“ legitimiert, „mit souveränem Mitleid auf gewisse Lehren jenseits der Alpen zu schauen, die von der Nachkommenschaft jener Leute entwickelt werden, welche zu einer Zeit noch Analphabeten waren, als Rom Cäsar, Vergil und Augustus hatte“.182 Auf dem Hintergrund des Gegensatzes „Germanentum-Rom“ konnte „die humanistische Idee von der ‚Einheit der Antike‘“ nicht mehr aufrecht erhalten werden: „Wie uns die geistespolitische Lage zur Abgrenzung gegenüber Rom zwingt, so weist sie uns andererseits auf Griechenland“.183 Auch die „hierarchische, politisch-kirchliche“ Traditionslinie des römischen Erbes – „die Weltherrschaft des antiken Rom wird zum Weltherrschaftsanspruch des christlichen Rom“ – ließ sich bis zur römisch-germanischen Auseinandersetzung in augusteischer Zeit zurückverfolgen. Seine Kritik, so betonte Eberhardt ausdrücklich, richte sich nicht gegen die konfessionelle Bindung, sondern allein gegen den politischen Katholizismus, der „einen heimlichen Limes innerhalb der deutschen Volksgrenzen“ aufgerichtet habe: „Dieser heimliche Limes ist seit einiger Zeit an der österreichischen Grenze vor aller Welt sichtbar geworden. Politischer 181 Eberhardt 1935, 122f. [s. Anm. 171]; vgl. auch I. Schönauer, Charles Maurras und die Antike, phil. Diss. Graz 1968 (Ms.). 182 Zitiert nach E. Nolte, Der Faschismus von Mussolini zu Hitler. Texte, Bilder, Dokumente, München 1968, 101; vgl. auch unten Anm. 188. 183 Eberhardt 1935, 124 [s. Anm. 171].
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Katholizismus hat ihn im Verein mit dem Faschismus aufgebaut. Beider Mächte Zentrum [74] ist Rom“.184 Die antirömische Argumentation führte naturgemäss auch zur Abgrenzung von den faschistischen Bewegungen Frankreichs und Italiens. Mit dem Alleinanspruch auf das Erbe der griechischen Antike löste Eberhardt das Problem, eine eigenständige nationalsozialistische Antikekonzeption zu entwickeln; die „Action française“ und der italienische Faschismus wurden auf den lateinisch-romanischen Kulturkreis verwiesen. Entsprechende Dispositionen spiegelten sich auch in der französischen und deutschen Antike-Rezeption. So konnten zwar „Hölderlins Pindarübertragungen“ nicht aber „Claudels Versuche, Aischylos zu übersetzen“, gelingen. Von daher gesehen fiel es nicht schwer, den romanischen Völkern „insbesondere für die lateinische Dichtung ein unvergleichlich größeres Verständnis“ als den Deutschen zu bescheinigen.185 Die außen- und kulturpolitische Perspektive der Romfrage hat die Anhänger Rosenbergs, die ihre Betroffenheit über die imperiale Geste, mit der Mussolini die Auswüchse der GermanenIdeologie zurückwies, nur schwer verbergen konnten, noch lange beschäftigt. Das zeigte nicht zuletzt die Behandlung des Themas in den „Nationalsozialistischen Monatsheften“. Rosenberg selbst hatte schon im Februar 1935 beschlossen, in einer Kampagne dieser Zeitschrift „die römische Weltanschauung (...) systematisch von der Vorgeschichte her (anzugreifen)“.186 Er sprach damit die mehr innenpolitische Seite des Problems, d. h. die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche an und wollte insbesondere einen der schärfsten Kritiker der Germanenideologie, den Münchener Kardinal Faulhaber treffen.187 Was die außenpolitische Seite angeht, so waren schärfere Reaktionen auf die Rede Mussolinis durch eine Presseanweisung untersagt worden. Ähnliche Angriffe der italienischen Presse sollten „in überlegen zynischer Form kommentiert, aber nicht als große Staatsaktion aufgemacht werden“.188 Als äußerst ungeschickt agierender „Chef des Außenpolitischen Amtes der NSDAP“ hat Rosenberg die von ihm zu erwartende Zurückhaltung nicht immer geübt: In eben dieser Eigenschaft verfasste er 1938 ein Vorwort zu dem Sammelband „Unsterbliches Hellas“ und machte so [75] deutlich, welcher Traditionslinie er den Vorzug gab.189 In Rahmen der skizzierten größeren ideologischen Auseinandersetzung ordnen sich die Äußerungen Eberhardts natürlich auch in die Diskussion um den Mythus des 20. Jahrhunderts von Alfred Rosenberg ein, die 1935 einen Höhepunkt erreichte.190 Im fachspezifischen Rahmen konnten die Ausführungen Eberhardts durchaus als parteiamtliche Reaktion auf die Programmdiskussion der Machtergreifungsphase Geltung beanspruchen. Von der Sache her brachte Eberhardt kaum Neues, die Antike-Konzeption Rosenbergs war bekannt und war z. B. in den von katholischer Seite vorgelegten Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts einer für Rosenberg vernichtenden Kritik unterzogen worden.191 Aufsehen erregten Eberhardts Thesen vermutlich vor allem in Zusammenhang mit seiner vom Reichsministerium 184 Eberhardt 1935, 125. 185 Eberhardt 1935, 126. 186 H. G. Seraphim (Hrsg.), Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, Göttingen 1956, 57. 187 Baumgärtner 1977, 141 [s. Anm. 180]. 188 Zitiert nach J. Petersen, Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin – Rom 1933–1936, Tübin gen 1973, 370, der für den Gesamtzusammenhang heranzuziehen ist. 189 Ch. Kriekoukis / K. Bömer (Hrsg.), Unsterbliches Hellas, Berlin 1938, 8. 190 Vgl. Bollmus 1970, 22f. [s. Anm. 6]. 191 Dazu jetzt auch Baumgärtner 1977, 154ff. [s. Anm. 180].
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für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung wohl seit August 1935 betriebenen Berufung auf einen Lehrstuhl für Klassische Philologie in Münster. Dort ging es damals um die Nachfolge des 1935 emeritierten Graezisten Hermann Schöne.192 In Ablehnung einer von der zuständigen Fakultät eingereichten Liste, auf der mit K. Deichgräber, W. Theiler und B. Snell drei ordentliche, ferner mit H. Herter ein außerordentlicher Professor plaziert waren, wurde die Fakultät aufgefordert, zu einer möglichen Berufung Eberhardts Stellung zu beziehen. Abgesehen von einer „als anerkennenswerte Anfängerarbeit“ qualifizierten Dissertation und einer kurzen Rezension konnte die Fakultät ihr Urteil nur auf die behandelte Programmschrift stützen. Diese wies nun, wie man gegenüber dem Ministerium argumentierte, „eine Anzahl sachlicher Irrtümer auf, die zeigen, dass der Verfasser außerhalb der Forschung steht“. Die Fakultät beharrte mit Entschiedenheit darauf, dass der Zugang zur Hochschullehrerlaufbahn an die Vorlage weiterer, über die Dissertation hinausgehender Arbeiten gebunden bleiben müsse. Im vorliegenden Falle fehlten Leistungen, „durch die Herr Dr. Eberhardt sich als Wissenschaftler ausgewiesen oder durch die er doch wenigstens die Befähigung zu wissenschaftlicher Forschung überzeugend dargetan hätte“. Daraus konnte sich nur die Konsequenz einer eindeutigen [76] Ablehnung ergeben. Gleichzeitig signalisierte die Fakultät jedoch eine gewisse Kompromissbereitschaft dadurch, dass sie ihre ursprüngliche Liste um eine Reihe von Privatdozenten (H. Bogner, H. Diller, H. Hommel, F. Wehrli) ergänzte.193 Von den Vorgeschlagenen bot zumindest H. Bogner die Gewähr, dem Gedankengut der „national-sozialistischen Revolution“ aufgeschlossen gegenüber zu stehen.194 Eberhardt war schon zum Wintersemester 1935/36 mit der Vertretung des Lehrstuhls beauftragt worden. Das Ministerium ließ sich indessen von seinem Vorhaben auch durch eine weitere ablehnende Stellungnahme der Fakultät, wie aus einem Bescheid vom 20.10.1936 hervorgeht, nicht abbringen.195 Wenn sich das Ministerium in dieser spektakulären Weise über das Vorschlagsrecht der Fakultät hinwegsetzte, so musste dabei nach außen hin der Eindruck entstehen, dass Eberhardts Ansatz zum Maßstab einer Neuorientierung der Altertumswissenschaft gemacht werden sollte. Man hat sich dabei zu vergegenwärtigen, dass 1935 die Entlassung von Hochschullehrern aus politischen und rassischen Gründen keinesfalls abgeschlossen war. In Münster wurde in diesem Jahr der Althistoriker Friedrich Münzer ein Opfer dieser Maßnahmen. Es war damals nicht auszuschließen, dass mit den Säuberungen die Voraussetzung für eine nationalsozialistische Personalpolitik geschaffen werden sollte. Die ersten Versuche parteiamtlicher Organisationen, sich in die Berufungsverfahren einzuschalten, datieren vom Juli 1934, der NS-Dozentenbund formierte sich 1935 als selbständige Hochschulorganisation der NSDAP.196 Die Entwicklung schien jedenfalls – das soll hier mit Nachdruck hervorgehoben werden – für radikale Reformen durchaus offen. Die Publizität, die dieser Programmschrift gegeben wurde und die nachfolgende Berufung ihres Verfassers waren zweifellos geeignet, entsprechenden Befürchtungen Nahrung zu geben. Von dem Eberhardt zugedachten Wirkungsort Münster und der dortigen kirchenpolitischen Lage197 her hätte man ferner vermuten können, dass die 192 Hermann Schöne (1870–1941). 193 Nach Universitätsarchiv Münster (Prof. Dr. J. Bauermann) an den Verf. v. 13.5.1976 und v. 12.8.1976. 194 Vgl. oben [41f.]. 195 Nach Universitätsarchiv Münster an den Verf. v. 12.8.1976. 196 Vgl. Losemann 1977, 52ff. [s. Anm. *]. 197 Der Bischof von Münster, Clemens Graf von Galen, gehörte zu den schärfsten Kritikern Rosenbergs. Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Rosenberg versuchte er im Juli 1935 einen Auftritt des
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Berufung eines sich an die extrem „antirömische“ Argumentation Rosenbergs anlehnenden Altphilologen auch in dieser Hinsicht mit Bedacht erfolgt [77] war. Die Beurteilung dieses auch jetzt noch nicht in allen Einzelheiten überschaubaren Vorgangs hat von einer in vielfacher Hinsicht offenen Ausgangslage auszugehen. Dass insbesondere die nationalsozialistische Berufungspolitik im Bereich der Altertumswissenschaft in anderen Bahnen verlief, und die Berufung eines Außenseiters eine absolute Ausnahmeerscheinung blieb, war damals nicht abzusehen. Was den geschilderten Einzelfall betrifft, so besteht Anlass zu der Vermutung, dass Eberhardts Berufung vor dem Hintergrund guter Beziehungen zu einem außerordentlich einflussreichen Parteimitglied zu sehen ist.198 Die hier vorgestellten Positionen, die deutsche Althistoriker im Umfeld der nationalsozialistischen Machtergreifung vertraten, lassen sich in die in sehr allgemeinen Zügen von Ernst Nolte entworfene Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich einordnen: Gewissermaßen den „Vortrupp der radikalen Studentenschaft innerhalb der Hochschullehrer“ bildet die zahlenmässig kleine Aktivistengruppe der „Jungen“.199 Es handelt sich hierbei um in der Regel nach 1900 geborene Jahrgänge ohne sichere Position an den Universitäten. Dem Kreis der „Jungen“ – ihr bekanntester Repräsentant ist Walter Frank – eng verbunden erweist sich eine ebenfalls recht kleine Gruppe älterer, d. h. bereits vor 1933 etablierter Professoren. Im Rahmen der Typologie folgt die „Mittelgruppe der reinen Wissenschaftler“, der zweifellos die meisten Hochschullehrer zuzurechnen sind. Die ungefähr anderthalbtausend Universitätsangehörige umfassende Gruppe derer, die in die Emigration gingen, ist schließlich – damit kommen wir an das Ende der Skala – nur zum geringeren Teil mit zum aktiven Widerstand entschlossenen Gegnern des Nationalsozialismus gleichzusetzen. Wenn die „Motive nationalsozialistischen Verhaltens unter den älteren Professoren“, die schon vor 1933 einen Lehrstuhl besaßen, „fast stets in einer bestimmten Einschätzung der erwarteten Auswirkungen des Nationalsozialismus für das eigene Fach oder die deutsche Hochschulkonzeption bestanden“,200 so sind damit die Intentionen Berves, Schachermeyrs und Webers, die dieser Gruppe zugerechnet werden müssen, ganz allgemein umschrieben. [78] Die altersmässige Orientierung einer derartigen Typologie darf nicht überbetont werden, aber es bleibt festzuhalten, dass sich im Bereich der Alten Geschichte eben nicht die Gelehrten in der Machtergreifungsphase programmatisch zu Wort meldeten, deren Karriereinteresse unterhalb der Schwelle des Ordinariats naturgemäss stärker sein musste. Insbesondere Berve und Schachermeyr übernahmen eine Art Sprecherfunktion für die Alte Geschichte, die abgesehen von der fachlichen Kompetenz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zusätzlich durch eindeutige politische Bekenntnisse legitimiert und abgesichert wurde. Dass Berve in diesem Zusammenhang die Erfüllung des Reiches beschwor und Schachermeyr das Nordische Führertum verherrlichte, verweist auf überaus charakteristische politisch-historische Leitbilder, die auch den Erfahrungshorizont des ersten Weltkriegs und ein antidemokratisches Konzept in der Auseinandersetzung mit der vergangenen Republik widerspiegeln. „Reichsstatthalters“ in Münster zu verhindern, vgl. Baumgärtner 1977, 151ff. [s. Anm. 180]. 198 Dies ergibt sich aus der Nachkriegszeit zugehörigen Akten der Universität Münster, die der Verfasser unter Auf1agen einsehen konnte. In diesem Rahmen lässt sich die vom Verf. (Losemann 1977, 208 Anm. 24 [s. Anm. *]) wiedergegebene Feststellung modifizieren. 199 Nolte 1965, 8f. [s. Anm. 15]. 200 Nolte 1965, 9.
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Den von Wilhelm Weber im Blick auf die allgemeine Lage an den Universitäten artikulierten Erwartungen und Forderungen haben Berve und Schachermeyr in den eigentlichen Programmschriften fachspezifisch Ausdruck verliehen, wobei die Erwartungen hier eher im Sinne von Befürchtungen zu verstehen waren. Schachermeyr hat für sich gerade die wissenschaftspolitische Argumentation in Anspruch genommen. Nach dem Vorspiel der stärker auf den schulischen Raum orientierten Auseinandersetzung zwischen Werner Jaeger und Ernst Krieck und im Hinblick auf die im Umkreis Alfred Rosenbergs vertretenen Positionen hatten die Althistoriker und die Vertreter der Klassischen Altertumswissenschaft überhaupt ganz sicher Grund zu Befürchtungen. Angesichts der Entschiedenheit mit der Schachermeyr die Alte Geschichte vom „nordischen Standpunkt“ aus betrachten wollte, ist aber zu fragen, ob ein „Rettungsversuch“ dieser Art nicht eher die Preisgabe des Faches bedeutete. Die von Schachermeyr geforderten wissenschaftsorganisatorischen Konsequenzen liefen zunächst auf eine starke Distanzierung von der Klassischen Philologie hinaus. In die gleiche Richtung zielte die Forderung nach Entlastung von den „antiquarischen Einzeldisziplinen“ wie Epigraphik, Numismatik [79] und Papyrologie. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich hier ein Unbehagen an bestimmten Seiten des hochspezialisierten Wissenschaftsbetriebes, z. B. an aufwendiger Sammel- und Editionstätigkeit, ausdrückt. Selbst wenn man das einräumt, bleibt unklar, wie sich nach diesem Modell die Arbeit eines von der wesentlichen und ertragreichen Quellenbasis losgelösten Althistorikers vollziehen sollte. Offenbar fiel dem Althistoriker neuer Prägung als „Sachwalter edelster Nordik“201 in enger Kooperation mit Prähistorie und Rassenkunde die ‚größere‘ Aufgabe einer in gewissem Sinne universalhistorischen Betrachtungsweise zu. Die extreme Fixierung auf den nordischen Gedanken ließ im Sinne der „kritischen Scheidung des klassischen Erbes in seine nordische und seine uns rassenfremde Komponente“ ein unbefangenes Verhältnis zum Hellenismus und zu weiten Bereichen der römischen Geschichte nicht mehr zu.202 Es ist keine Frage, dass sich aus dieser Position ungleich schwerere Konsequenzen für die weitere Entwicklung der althistorischen Disziplin ergeben mussten als aus den wissenschaftsorganisatorischen Zielvorstellungen Schachermeyrs. Er kam damit der antirömischen Argumentation Rosenbergs bzw. Eberhardts weit entgegen, und blieb gegenüber den Gefahren, die sich für die Lehr- und Forschungspraxis abzeichneten, völlig kritiklos. Bei der Beurteilung der Äußerungen Schachermeyrs muss man freilich auch den Adressaten dieser Programmschriften, d. h. in erster Linie die Partei- und Regierungsstellen, im Auge behalten und die wechselseitigen Erwartungshaltungen berücksichtigen. Das Genos verlangte von vorneherein ein besonderes Maß an Konzessionsbereitschaft. Schachermeyr beließ es indessen nicht bei dem wissenschaftspolitisch motivierten, programmatischen Appell der Machtergreifungsphase. Er hat vielmehr für seine Person den Versuch unternommen, dieses Programm in die Praxis seiner fachwissenschaftlichen Arbeit umzusetzen und die „Geschichte des Altertums mit besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zur Vorgeschichte, zur Rassenkunde und Kulturpolitik“ zu betreiben.203 So übernahm er in dem u. a. von H. F. K. Günther herausgegebenen Organ „Rasse. Monatsschrift der Nordischen Bewegung“ seit 1936 die Fachberichte [80] für Alte Geschichte.204 Den 1933 angekündigten 201 Schachermeyr 1933b, 599 [s. Anm. 116]. 202 Schachermeyr 1933b, 599. 203 Vgl. oben [63]. 204 Rasse 3 (1936) 153–155; 4 (1937) 255–256; 5 (1938) 314–316; 6 (1939) 402–405; 8 (1941) 39–40 und 9 (1942) 159–160.
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Versuch zur Grundlegung der nationalsozialistischen Weltanschauung aus dem Geist der Historie brachte Schachermeyr 1940 unter dem Titel Lebensgesetzlichkeit in der Geschichte. Versuch einer Einführung in das geschichtsbiologische Denken heraus.205 Das Werk war eine Frucht seines Wirkens an der Universität Jena, „welche“ wie er rückblickend feststellte, „für rassenkundliche und biologische Betrachtungsweisen aufgeschlossen ist, wie kaum eine andere“.206 Unter ausdrücklicher Berufung auf die dort entwickelte Betrachtungsweise legte er 1944 mit dem Buch Indogermanen und Orient. Ihre kulturelle und machtpolitische Auseinandersetzung im Altertum die Zusammenfassung seiner Thesen vor.207 Diese (und weitere) Publikationen, die Schachermeyr im Dritten Reich publiziert hat, wären in einer inhaltlich orientierten Untersuchung des Themas „Nationalsozialismus und Antike“ zu analysieren. Im Rahmen der vorliegenden Studie sind sie als sicherer Beleg dafür zu werten, dass Schachermeyr den programmatischen Ansatz des Jahres 1933 konsequent aufgenommen hat. Gerade weil Helmut Berve nicht mit der Radikalität vorging wie Schachermeyr wird der enge Zusammenhang seiner Ausführungen mit Positionen erkennbar, die er bereits vor der Machtergreifung vertreten hatte. In Auseinandersetzung mit der „Cambridge Ancient History“ (CAH) hatte er schon 1931 unter Berufung auf Nietzsche gefordert, dass „Geschichte zu einem Bekenntnis des gegenwärtigen Menschen“ werden müsse, und darin „das Gegengewicht zu der scheinbar bis zur Selbstentäußerung getriebenen Wissenschaftlichkeit“ gesehen. Dabei wurde der neue Impuls der historischen und der gesamten Geisteswissenschaften ausdrücklich als „irrationaler Impuls, den sie jetzt nicht mehr verleugnet“, gefeiert.208 „Nietzsches heroische Elitenphilosophie“, die in vielfachen Brechungen auf den Nationalsozialismus einwirkte, hat auch manche Passagen seiner Programmschrift geprägt.209 Geschichtsbetrachtung, dies ergab sich aus der Kritik an der „positivistisch universale(n) Einstellung der Cambridge Ancient History“, war für Berve abhängig von der Voraussetzung einer „positiven Wertung“ verbunden mit einer „persönlichen Affinität zum Gegenstand“. Aus [81] diesem Blickwinkel heraus schien jede Berechtigung zur „Erforschung auch der altorientalischen, der chinesischen oder peruanischen Geschichte“ zu fehlen.210 Damit war im Kern bereits die Position festgelegt, von der aus Berve dann 1935 der „Wissenschaft vom Alten Orient, soweit sie fremdrassige, uns wesensfremde und darum in ihrer tiefen Eigenart nicht zu begreifende Völker betrifft“ – er nannte insbesondere die Assyriologie und Ägyptologie – das „Lebensrecht“ absprach.211 Der weitere Verlauf der Diskussion, die sich daraus ergab, kann hier nicht verfolgt werden. In unserem 205 Frankfurt 1940 (= Schachermeyr 1940). 206 Schachermeyr 1940, 6. 207 Stuttgart 1944. 208 H. Berve, Rez. CAH, Vol. IV–VII (1926–1928), in: Gnomon 7 (1931) 71 (= Berve 1931); vgl. auch Demandt 1972, 341 [s. Anm. 124]. 209 Bracher 1969, 30 [s. Anm. 14]. 210 Berve 1931, 72f. [s. Anm. 208]. 211 H. Berve, Zur Kulturgeschichte des alten Orients, in: Archiv für Kulturgeschichte 25 (1935) 229f. Noch schärfer gegen das Judentum akzentuiert hat Berve diese Position gegenüber Victor Ehrenbergs Schrift Ost und West. Studien zur geschichtlichen Problematik der Antike (= Schriften der Philosophischen Fakultät der Deutschen Universität Prag 15, 1935) vertreten; vgl. H. Berve, in: Philologische Wochenschrift 1937, 650–655. Für Ehrenberg ergab sich aus dieser Attacke folgende Konsequenz: „By then it had became impossible for me to write for German journals or publishers“; vgl. Ehrenberg 1971, 83 [s. Anm. 67]. Dazu auch: A. Momigliano, Rez. H. Berve, Storia greca, Bari 1959, in: Ders., Terzo contributo alia storia degli
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Zusammenhag ist wichtig, dass sich Berve in Konsequenz dieser Einstellung, die erhebliche Vorbehalte gegen die universalgeschichtliche Betrachtungsweise einschloss, schon 1931 umso nachdrücklicher darauf verwiesen sah, „die Geschichte der Griechen in ihrer Individualität darzustellen“.212 Die Beschwörung des klassischen Charakters der griechisch-römischen Antike in der Programmschrift des Jahres 1934 ist ein Teil dieser Argumentation, aus der heraus Berve seine Konzeption der griechischen Geschichte entwickelt hat. Ihr hervorstechendstes Merkmal gewinnt diese Konzeption in der Gegenüberstellung von Joniern und Doriern. Die Idealisierung Spartas, die Berve – dies sei hier eingeschoben – im Dritten Reich zu einem Höhepunkt geführt hat, ist bereits in der Griechischen Geschichte aus dem Jahre 1931 angelegt.213 Wohl nicht zuletzt im Hinblick darauf hat P. Treves von einer „storia pre-nazista“ gesprochen.214 Wenn ein Gutachter des Amtes Rosenberg in der Schlusspartie dieses Werks eine Huldigung an das „Ideal des 3. Humanismus“ sah, so bestätigt sich diese Beobachtung auch in der behandelten Programmschrift.215 Bei allen Abgrenzungsbemühungen – ähnliches gilt für das Verhältnis zum George-Kreis – waren Zeichen der Sympathie nicht zu verkennen. Der Appell an „Vitalismus“, „Aktivismus“ und „Härte“, mit dem Berve den „Dritten Humanismus“ überwinden wollte, hat ihn nicht gehindert, an zentralen Gedanken dieser Bewegung festzuhalten. Von daher gewinnt auch das Gesamturteil des erwähnten Gutachters eine gewisse Berechtigung, wonach Berve „den traditionellen Standpunkt der humanistisch verstandenen Altertumswissenschaft“ vertrat.216 [82] Bei der fachlichen Beurteilung Berves stützten sich die Anhänger Rosenbergs auch auf die Kritik Schachermeyrs an der „isolierenden“ Konzeption der Griechischen Geschichte. Schachermeyr hatte seine Einwände bereits 1932 unter Berufung auf Eduard Meyer gleichsam im Namen der „weltgeschichtlichen Betrachtungsweise“ vorgebracht.217 Von diesen schon vor der Machtübernahme angelegten Positionen ausgehend präsentierten Berve und Schachermeyr nach der Machtübernahme durchaus unterschiedliche Programme. Von einem Einverständnis der „nationalsozialistischen“ Althistoriker untereinander konnte, und das sollte ein fortdauernder Zustand bleiben, keine Rede sein. Grundlage beider Konzeptionen war der Rassengedanke. Schachermeyrs vergleichender und weiträumiger Ansatz war ganz dem nordischen Gedanken untergeordnet und insofern bedingungslos auf ein positives Erscheinungsbild der nordischen Rasse eingeschworen. Demgegenüber hat Berve die radikale Position Schachermeyrs ansatzweise problematisiert. Hinter seinen einschlägigen Äußerungen stand auch die Ablehnung der von Schachermeyr im Sinne Rosenbergs befürworteten Konsequenzen, d. h. insbeson-
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studi classici e del mondo antico, Bd. 2, Rom 1966, 703 (= Momigliano 1966) und Hampl 1974, 138f. [s. Anm. 134]. H. Berve, Griechische Geschichte, Bd. 1, Freiburg 1931, V. Vgl. dazu schon die Rezension von J. Hasebroek, in: Gnomon 8 (1932) 340f. (337–349) und E. Will, Doriens et Ioniens. Essai sur la valeur du critère ethnique appliqué à l’étude de l’histoire et de la civilisation grecques, Paris 1956. Zur Problematik derartiger Konzeptionen auch I. Weiler, Vom ‚Wesen‘, ‚Geist‘ und ‚Eigenart‘ der Völker der Alten Welt. Eine Anthologie altertumswissenschaftlicher Typisierungskunst, in: F. Hampl / I. Weiler (Hrsg.), Kritische und vergleichende Studien zur Alten Geschichte und Universalgeschichte, Innsbruck 1974, 243–291 (= Weiler 1974). Vgl. P. Treves, in: Athenaeum 43 (1965) 246 mit A. Momigliano, Chiarimento, in: Athenaeum 43 (1965) 441–443. Ferner ausführlich Momigliano 1966 [s. Anm. 211]. Handschriftliches Gutachten über Berve o.D. (nach 1937) gez. Grünewald (?) (MA 116/3). Handschriftliches Gutachten über Berve o.D. (nach 1937) gez. Grünewald (?) (MA 116/3). Schachermeyr 1932, 404 [s. Anm. 129].
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dere die Annäherung an Rassenkunde und Vorgeschichte. Berves Modell schloss aber die Berücksichtigung des Rassefaktors keineswegs aus. Die herausragende Rolle, die er dem Griechentum zuwies, führte jedoch nicht zu den weitreichenden Vorbehalten gegen die römische Geschichte. Berve nahm in diesem Punkt die übliche, auf das „Mein Kampf-Zitat“ über die römische Geschichte als „Lehrmeisterin“ gestützte Abwehrhaltung ein.218 Aus der mit dem Argument der rassischen Verwandtschaft begründeten Konzentration auf das Klassische Altertum folgte aber der Ausschluss der Kontaktzonen des Klassischen Mittelmeerraumes aus dem Gesichtskreis des Althistorikers. Auch aus dieser Position ergaben sich letztlich schwerwiegende wissenschaftsorganisatorische Konsequenzen für Nachbardisziplinen der Alten Geschichte und eine Verengung des althistorischen Blickfeldes. Von der späten Intervention Eberhardts her konnten Berve und Schachermeyr ihre programmatischen Ansätze in wichtigen Punkten bestätigt sehen. Eberhardt folgte nicht nur in z. T. wörtlicher Anlehnung Berves Kritik am Historismus [83] und am „Dritten Humanismus“, sondern stellte auch die griechische Geschichte in den Mittelpunkt der nationalsozialistischen Auseinandersetzung mit der Antike. Wie Schachermeyr zeigte er sich dem Gedankengut H. F. K. Günthers verpflichtet. Die antirömische Argumentation, die auch bei Schachermeyr zu fassen war, hat Eberhardt geradezu radikalisiert. Im Lichte dieser Position, im Zusammenhang mit Eberhardts Berufung nach Münster und der Diskussion um Alfred Rosenberg erfuhr die von Schachermeyr angesichts drohender „schwerwiegender Konsequenzen“ propagierte Haltung des „Entgegenkommens“ scheinbar ihre Rechtfertigung.219 Eberhardt vertrat nicht die, sondern eine nationalsozialistische Antike-Konzeption, und zwar diejenige Alfred Rosenbergs, was bisher nicht beachtet wurde. Aus der Diskussion um die Thesen des „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der Partei“ dürfen die Auslassungen Eberhardts nicht herausgelöst werden. Insofern hängt die Beurteilung dieser Schrift und ihrer Wirkung auch von dem Urteil über die Stellung Rosenbergs im Dritten Reich, insbesondere im Rahmen der Kultur- und Wissenschaftspolitik ab. Wenn diese Stellung, wie R. Bollmus überzeugend nachgewiesen hat, sich in der Polykratie der Ressorts als schwach erwies, so ist damit nicht gesagt, dass seine Schwäche bereits im Jahre 1935 so offenkundig war, dass sie in das Kalkül der wissenschaftspolitischen Argumentation einbezogen werden konnte. Im übrigen schloss die gekennzeichnete Stellung Rosenbergs Erfolge im Einzelfall nicht aus. Eberhardt sprengte den Rahmen rein wissenschaftspolitischer Diskussion, – er sprach bezeichnenderweise vom „Zwang der geistespolitischen Lage“.220 In seinen tagespolitischen Bezügen, d. h. in der aktuellen Auseinandersetzung mit den „säkular politisch-zivilisatorischen“ und den „politisch-kirchlichen“ Traditionslinien Roms blieb Eberhardts Programm „kurzatmig“. Spätestens die Achse Berlin-Rom zwang hier zu Korrekturen.221 Die möglichen Konsequenzen dieser Konzeption speziell für Althistoriker und Altertumswissenschaftler spiegeln sich am deutlichsten in den unmittelbaren Reaktionen der Fachwelt. Dabei wurden [84] Eberhardts Auslassungen keineswegs nur mit jener „schulmeisterlichen Geschäftigkeit gepriesen (...) wie sie Eberhardt selbst als typische Haltung dieser Kräfte in seinem Artikel gegeisselt hatte“.222 Selbst wenn Hans Bogner die Broschüre Eberhardts im „Gnomon“ als ein „schönes 218 219 220 221 222
Berve 1937, 258f. [s. Anm. 155]. Vgl. oben [56f.]. Eberhardt 1935, 123 [s. Anm. 171]. Herzog 1977, 20 [s. Anm. 19]; vgl. auch See 1970, 97f. und Weiler 1974, 274f. [s. Anm. 4 u. 213]. Irmscher 1965, 244 [s. Anm. 19].
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Zeugnis für die Wiedergeburt der Antike“ würdigte, so blieb auch für ihn „die Aufgabe bestehen und die Frage offen, ob nicht zu den positiven Werten des alten Rom ein unbefangenes Verhältnis möglich ist“.223 Auch Bogners Kollege, der als Latinist unmittelbar betroffene Hans Oppermann, bezog eine typische Abwehrposition, indem er das Führerwort von der römischen Geschichte als der „Lehrmeisterin jeder Politik“ gegen Eberhardt ins Feld führte.224 Helmut Berve schließlich war sich mit Eberhardt zwar darin einig, dass „heute Hellas mehr Sympathie als Rom erwecken muss“, wollte aber die radikalen Konsequenzen dieser Linie vermeiden: „Hier wird sich im Laufe der Zeit zweifellos einiges ändern, mag eine so eindeutige Ablehnung des Römischen, wie sie etwa (...) von W. Eberhardt (...) propagiert wird, auch weder im ganzen noch im besonderen auf dem Gebiete der politischen Geschichte, wo gerade von Rom unendlich viel zu lernen ist, sich durchsetzen können“.225 Die insgesamt recht vorsichtig formulierte Kritik entspricht der nach der Intervention Eberhardts offenen Lage. Während Eberhardts Aufsatz immerhin registriert wurde, liegen vergleichbare Reaktionen für die Programmschriften Berves und Schachermeyrs nicht vor. Abgesehen von den bereits oben vermerkten kritischen Anspielungen Berves scheint ein Echo auf den Beitrag Schachermeyrs überhaupt zu fehlen, was einer eher ablehnenden, zumindest aber abwartenden Haltung der Zunft in ihrer Mehrheit gleichkommt. Berve dagegen wurde 1934 immerhin von Hans Oppermann bescheinigt, dass sein Aufruf zur „Tat“ zu dem Besten zählte, was in letzter Zeit zur Frage „Antike und wir“ gesagt wurde.226 Entsprechend der Zielsetzung dieser Studie kann die weitere Entwicklung der Programm diskussion, die auf verschiedenen Ebenen fortgesetzt wurde, nicht nuanciert behandelt werden. Weder die Repräsentanten der Fachwissenschaft [85] noch die der Parteilinie im engeren Sinne sind über die Argumentationsmuster von Schachermeyr, Berve und Eberhardt wesentlich hinausgekommen. In Joseph Vogts apologetischem Beitrag Unsere Stellung zur Antike wurde vor allem die nationale Perspektive betont.227 Dabei hob sich Vogt in der Beurteilung der zeitgenössischen italienischen Antike-Konzeption deutlich von Eberhardt ab. Mit Hans H. Bielstein variierte ein Vertreter der studentischen Generation das Thema Unsere heutige Stellung zur Antike.228 Die Antike und die deutsche Wiedergeburt beschwor Herta Schemmel aus dem Lager Alfred Rosenbergs,229 während sich der promovierte Althistoriker Hans Lüdemann mit dem Beitrag Die Antike im politischen Geschichtsbild im Fahrwasser des Reichsbauernführers R. W. Darré zu profilieren versuchte.230 Im Rahmen der von ihm forcierten Auseinandersetzung mit dem „Dritten Humanismus“ nahm schließlich der Philologe Hans Drexler noch einmal das Thema Die Antike und wir auf.231 Neue Impulse erhielt die Programmdiskussion erst im 223 H. Bogner, in: Gnomon 12 (1936) 328. 224 H. Oppermann, Altertumswissenschaft und politische Erziehung, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 11 (1935) 368 (367–372). 225 H. Berve, in: Vergangenheit und Gegenwart 25 (1935) 689. 226 H. Oppermann, Wege der Altertumswissenschaft, in: Neue Jahrbücher und Jugendbildung 10 (1934) 366 (366–371). 227 J. Vogt, Unsere Stellung zur Antike, Breslau 1937 (= 110. Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur 1937, Geisteswissenschaftl. Reihe Nr. 3). 228 H. Bielstein, Unsere heutige Stellung zur Antike, in: Der deutsche Student 1936, 207–214. 229 H. Schemmel, Die Antike und die deutsche Wiedergeburt, in: Germanenerbe 1 (1936) 2–7. 230 H. Lüdemann, Die Antike im politischen Geschichtsbild, in: Vergangenheit und Gegenwart 27 (1937) 631–647. 231 H. Drexler, Die Antike und wir, in: Die alten Sprachen 4 (1939) 1–18.
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Zweiten Weltkrieg: Der Innsbrucker Althistoriker Franz Miltner umriss Die deutsche Aufgabe der Altertumswissenschaft,232 während sich seinem Schüler Peter Julius Junge wenig später dem Kriegsverlauf entsprechend Die Aufgabe der deutschen Altertumswissenschaft im Osten stellte.233 Die Antwort auf die Frage, ob von diesen und den Programmschriften Schachermeyrs, Berves und Eberhardts eine die althistorische Lehre und Forschung im Dritten Reich verändernde Wirkung ausgegangen ist, muss einer detaillierten Analyse der Gesamtentwicklung des Faches vorbehalten bleiben. Es wurde bereits angedeutet, dass Schachermeyr und Berve auf der Basis ihrer nach der Machtergreifung bekundeten Kooperationsbereitschaft in unterschiedlicher Weise versucht haben, ihre Programme zu realisieren. Sie füllten damit im gewissen Sinn auch in der Folgezeit die „Sprecherfunktion“ aus, die sie für das Fach 1933 übernommen hatten. Voraussetzung dafür boten nicht zuletzt gute Verbindungen zu Institutionen der NS-Wissenschaftspolitik: Schachermeyr fungierte als einer der Fachgutachter des Amtes Rosenberg und arbeitete [86] eng mit dem Dozentenbund zusammen.234 Berve wurde 1941 mit der Leitung des vom REM geförderten Kriegseinsatzes der Altertumswissenschaften betraut.235 Die Positionen dieser beiden Althistoriker im Dritten Reich werden aber auch dadurch gekennzeichnet, dass sie an ihren dem Führerprinzip unterstellten Universitäten wichtige Funktionen einnahmen. Schachermeyr amtierte als Dekan in Jena und beteiligte sich an der Dozentenbundsarbeit in Graz. Berve führte in Leipzig zunächst die Geschäfte des Dekans und übernahm schließlich das Rektorat.236 Im Sinne der „Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich“ liegen hier – wie unterschiedlich die Ämter auch ausgefüllt sein mochten – weitgehend übereinstimmende Verhaltensweisen vor. Walter Eberhardt dagegen trat in der weiteren Diskussion nicht mehr in Erscheinung.237 Er hat die ihm offenbar zugedachte Rolle eines Reformers der Altertumswissenschaft nicht ausfüllen können. Der Einbruch eines Außenseiters in das Fach und sein spektakulärer Aufstieg blieb im Rahmen der Altertumswissenschaften eine Ausnahme. Als Rosenberg und Himmler relativ spät daran gingen, im Rahmen außeruniversitärer Organisationsformen altertumswissenschaftliche Projekte zu fördern, griffen sie dabei auf habilitierte Fachkräfte zurück.238 Darin kann man auch ein Eingeständnis des Scheiterns radikaler Konzeptionen sehen. Von dieser in den Jahren 1938 und 1939 absehbaren Entwicklung her sollte sich manche in der Machtergreifungsphase geäußerte Befürchtung nicht bestätigen. Auch die Entwicklung des Faches Alte Geschichte verlief nicht konsequent in den Bahnen, die durch die Programmschriften vorgezeichnet waren. Die Beurteilung der Entwicklung dieser Disziplin darf nicht nur von den Positionen zweier führender Vertreter ausgehen, sondern hat die Breite des Faches im Auge zu behalten. Die in Erwartung gleichsam revolutionärer Veränderungen im gesamten Hochschulbereich entwickelten Programme einer nationalsozialistischen Auseinandersetzung mit der Antike spiegeln einen Anpassungsprozess, der in dieser Intensität nicht nur durch 232 F. Miltner, Die deutsche Aufgabe der Altertumswissenschaft, in: Deutschlands Erneuerung 25 (1941) 2–11. 233 P. J. Junge, Die Aufgabe der deutschen Altertumswissenschaft im Osten, in: Deutschlands Erneuerung 26 (1942) 579–583. 234 Losemann 1977, 81 und 98ff. [s. Anm. *]. 235 Losemann 1977, 108ff. 236 Losemann 1977, 206f. 237 Irmscher 1965, 242 [s. Anm. 19]. 238 Losemann 1977, 118ff. [s. Anm. *].
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ein eindeutiges politisches Bekenntnis nach der Machtergreifung, [87] sondern auch – das konnte in unserem Rahmen nur angedeutet werden – durch früher fassbare Einstellungen ermöglicht wurde. Wenn die Rassenlehre zur Grundlage aller weiteren Bemühung um die Alte Geschichte gemacht werden sollte, wurden dabei doch auch Unterschiede sichtbar, die sich etwa am Grad der Annäherung an Rosenberg ablesen lassen. Abgesehen von der bemühten Fixierung auf einzelne Komponenten der nationalsozialistischen Weltanschauung artikulierte sich in den Konzeptionen Berves und Schachermeyrs ein gemeinsames Unbehagen an der Detail- und Spezialforschung. Darin könnte man mit allem Vorbehalt ein über die Zeit des Nationalsozialismus hinausweisendes Reformanliegen sehen, wobei freilich zu berücksichtigen ist, dass es ohnehin nicht Sache derartiger Programmschriften war, Positionen antiquarischer Gelehrsamkeit zu verteidigen. In der Diskussion der sechziger Jahre über die Rolle der Universitäten im Dritten Reich warf ein studentischer Vertreter die Frage auf, ob „nicht auch, am Sturm des NS-Studentenbundes auf die Universitäten und an seinem Protest gegen die herkömmliche Wissenschaft und ihre Lebensform einiges ganz richtig“ gewesen sei.239 Ganz ähnlich lag für Helmut Heiber „in Walter Franks Angriff auf den erstarrten Objektivitätsbegriff eines historisierten Erkenntnisideals ein heute noch diskutabler Gedanke“.240 In diesem Sinne wird man den althistorischen Programmschriften Reformwillen kaum zubilligen dürfen: In ihnen überwiegen eindeutig – und damit passen sie in das Bild der deutschen Universität unmittelbar nach der Machtübernahme – das von persönlichen und fachbezogenen Erwartungen und Befürchtungen geprägte Bemühen um Anpassung und Gleichschaltung. [88–105 umfassen in der Originalpublikation die Endnoten]
239 Zitiert nach E. Nolte, Die deutsche Universität und der Nationalsozialismus, in: Neue Politische Literatur 12 (1967) 238 (236–239) (= Nolte 1967). 240 Nolte 1967, 238.
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Nr. 2 Originalpublikation in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Klett-Cotta, Stuttgart 1980 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft Bd. 4,2), 87–109.
Zur Konzeption der NS-Dozentenlager [mit nachstehendem Literaturverzeichnis] [87] Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Aspekte der Personalrekrutierung an den Hochschulen im Dritten Reich und gelten insbesondere Institutionen, deren „Bestehen“ zwischen 1933 und 1938 zu einer wichtigen Eingangsvoraussetzung für die Hochschullehrerlaufbahn wurde. In ihnen sollte eine Gruppe der typischen nationalsozialistischen „Lebens- und Er ziehungsform“ (Ehrhardt 1968) unterworfen werden, deren Arbeitsbedingungen und Habitus, wie die „Geschichte des Privatdozenten“ (Busch 1959) lehrt, den denkbar größten Gegensatz zum „Lagerleben“ bildeten. Die Modelle der „Lagererziehung“ und der „Dozentenakademie“, die dabei begegnen, sind in einem weiteren Sinne von Vorstellungen geprägt, die Alfred Baeumler auf die beinahe klassische Formel „Männerbund und Wissenschaft“ gebracht hat. Ein Blick in hochschul bezogene NS-Organe wie „Der deutsche Student“ oder „Volk im Werden“ zeigt, daß nach der Machtübernahme ein geradezu inflatorischer Gebrauch des Begriffes „Lager“ festzustellen ist (vgl. Nolte 1965, 8). In diesem Sinne werden die „Zucht- und Ordnungsformen“, die sich „die Jugend von Deutschlands Hochschulen“ in der Kampfzeit gegeben hat, beschworen: „Der Marsch und das Lager wurden die Stätten rassischer Härtung und Auslese und damit auch die Grundlagen jeglicher zukünftiger Wissenschaft“ (Bran 1934, 393). Die nationalsozialistische „Gemeinschaftserfahrung“ sollte dann die Gewähr dafür bieten, daß ,Wissenschaft als Beruf‘ „nicht mehr ein intellektualisiertes Asketentum in mißverstandener klösterlicher Tradition sein“, sondern „vielmehr (...) durch die unentbehrliche Verbindung zur Lehrtätigkeit und Erziehung an Lebensnähe und Fruchtbarkeit gewinnen“ werde (ebd., 398).1 Auf den eher hochschulspezifischen Teil dieser Modelle bezog sich Ernst Krieck in seiner Frankfurter Rektoratsrede vom 23. 5. 1933. Er erhob dabei die „Frage, ob nicht der Universität ein Organ eingebaut werden müsse, eine Akademie in der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes, die die Dozenten und den Nachwuchs auf Form und gemeinsame [88] Richtung zu bringen vermag“ (Krieck 1933, 4). Die „Dozentenakademie“ bildete für Krieck den „Ansatzpunkt der Hochschulreform“ (Müller 1978, 389). In seiner Heidelberger Zeit hat er
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Unter der Vielzahl der im Hochschulbereich anzutreffenden Lagerarten ist vor allem auf die anderen Zielsetzungen verpflichteten „Fachlager“ verschiedener „Fachkreise“ des NSD-Dozentenbundes zu verweisen (vgl. Losemann 1977, 94ff.). Zu den mit dem Habilitationsverfahren verknüpften NS-Dozenten lagern hat sich ausführlich bis jetzt vor allem Kelly 1973, 164ff. geäußert.
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diesen Gedanken weiterverfolgt, der dann zur Einrichtung von wissenschaftlichen Akademien des NSD-Dozentenbundes in Göttingen, Kiel und Tübingen führte (vgl. Müller 1978, 389ff.).2 Die neue Konzeption der Personalrekrutierung fand ihren Niederschlag in dem Erlaß des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (PMWKV) vom 18. 10. 1933 über die „Änderung von Universitätssatzungen“, mit dem sich der Minister die Genehmigung der bis dahin den Fakultäten obliegenden Erteilung der Lehrbefugnis (venia legendi) vorbehielt (ZB, 1933, 277f.). Abgesehen davon, daß in Anwendung der mit dem Status des Privatdozenten an sich nicht zu vereinbarenden beamtenrechtlichen Vorschriften (vgl. Maier 1966, 81) künftig Juden vom Zugang zur Hochschullehrerlaufbahn ausgeschlossen waren, wurde die Genehmigung der Habilitation von der Ableistung eines mehrmonatigen Dienstes in Wehrsport- oder Arbeitslagern abhängig gemacht. Mit diesem Lagerdienst sollten die Hochschullehrer ihre „Volksverbundenheit“ durch die Tat bekennen. Um zu gewährleisten, daß die Habilitanden über das eigene Fachgebiet hinaus den Kontakt zu anderen Fakultäten hielten, mußten sie zusätzlich zum Lager einen „mehrmonatlichen Kursus in der demnächst zu gründenden Dozentenakademie (...) durchlaufen, in der sie in strenger Lebensgemeinschaft sich auch charakterlich zu bewähren haben“. Lager und Dozentenakademie waren schon vor der Einleitung des Habilitationsverfahrens zu absolvieren, das dann nach Vorlage der „Dienstzeugnisse“ beim Minister „in der üblichen Weise“ ablaufen konnte. Im Zusammenhang mit dem Plan „einer Befristung der Venia auf eine Anzahl Jahre“ wurde den Habilitanden empfohlen, sich wie z. B. in der philosophischen Fakultät mit Ablegung des Staatsexamens neben der Doktorprüfung Übergangsmöglichkeiten in außeruniversitäre Laufbahnen offen zu halten.3 Den Willen des Ministers, den Hochschullehrernachwuchs möglichst rasch auf breiter Basis umzuformen, dokumentieren auch die restriktiv gefaßten Übergangsbestimmungen. An alle vor dem [89] 30. 1. 1933 habilitierten Privatdozenten erging die dringende Empfehlung, sich „der allgemeinen Regelung einzufügen“ (ZB, 1933, 277f.). Wie am Beispiel Württembergs zu sehen ist, wurden die preußischen Änderungen mit geringen Modifikationen alsbald von den Kultusverwaltungen der übrigen Länder übernommen (UAT, 117 C/37, v. 24. 4. 1934). Eine reichseinheitliche Regelung wurde dann mit dem Erlaß der Reichshabilitationsordnung (RhabO) vom 13. 12. 1934 vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volks bildung (REM) vorgelegt. Die wichtigste Neuerung betraf die Trennung zwischen Habilitation und Erteilung der Lehrbefugnis. Mit der Habilitation erwarb man in Zukunft nur mehr den neuen akademischen Grad des „Dr. phil. habil.“. Im Rahmen des wissenschaftlichen Verfahrens mußte der Habilitand wie bisher eine Habilitationsschrift anfertigen und sich anschließend einer wissenschaftlichen Aussprache vor der Fakultät unterziehen. Die Zulassung zur Habilitation sollte in Zukunft unabhängig von dem Bedarf an Lehrkräften erfolgen, um so eine möglichst breite Grundlage für die Auslese zukünftiger Hochschullehrer zu schaffen. Voraussetzung für die Erteilung der Dozentur war dann neben der durch die Habilitation nachgewiesenen wissenschaftlichen Befähigung eine „eingehende und strenge Beurteilung der didaktischen Fähigkeiten sowie vor allem der persönlichen und charakterlichen Eignung als 2 3
Die NSD-Dozentenbundsakademien sind nicht mit den in diesem Rahmen zu behandelnden Habili tanden-Kursen der „Dozentenakademie“ (s. u.) zu verwechseln. Entsprechende Bestimmungen fanden sich zum Beispiel in der Verfassung der Universität Gießen v. 13.10.1933 (vgl. UAT, C/39, Stellungnahme R. Matthaei v. 4.2.1935) und wurden mit Erlaß reichseinheitlicher Regelungen (s. u.) gegenstandslos.
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Lehrer an den Hochschulen des nationalsozialistischen Staates“ (DWEV, 1935, S. 13). Diese Qualifikationsmerkmale waren in einer in der Regel dreistündigen öffentlichen Lehrprobe, die auch an einer auswärtigen Fakultät stattfinden konnte, sowie in dem „Gemeinschaftslager“ und der „Dozentenakademie“ nachzuweisen. In Abänderung der preußischen Regelungen waren Lager und Akademie nach der Lehrprobe zu absolvieren. Das REM hatte dann „auf Grund der gesamten Urteile“ über die Verleihung der Lehrbefugnis zu befinden (ebd., S. 14). Der Referent im REM, Prof. Franz Bacher, versuchte in den Erläuterungen zur RhabO vor allem den Gesichtspunkt in den Vordergrund zu rücken, daß nunmehr das „schon sprichwörtliche Privatdozentenelend“ durch den „Eingriff eines verantwortungsbewußten Staates (...) herabgemindert“ worden war (DWEV, 1935, Nichtamtl. Teil, S. 17f.). In der unter nationalsozialistischem Vorzeichen geführten „Reformdiskussion“ im Umfeld der Machtergreifung begegnet die Kritik an der beherrschenden Stellung der Ordinarien und der Situation des Privatdozenten ebenso wie die Forderung nach besonderer Berücksichtigung der Lehrbefähigung und neuer Lehrformen.4 Von daher lassen sich, was hier außer Betracht [90] bleiben muß, durchaus auch Verbindungslinien zu Reformansätzen in der Weimarer Republik oder zu Positionen ziehen, die aus der Diskussion der 60er und 70er Jahre in der Bundesrepublik geläufig sind. Es ist sicher auch nicht zu bestreiten, daß im Dritten Reich die besoldungsrechtliche Stellung der Dozenten (und anderer Gruppen) an den Hochschulen verbessert wurde (Adam 1977, 214). Bei dem Erlaß der RhabO von 1934 standen aber andere Ziele im Vordergrund. In ihr findet nicht zuletzt das tiefverwurzelte Mißtrauen gegenüber der Intelligenz seinen Ausdruck, das Hitler in seinem „Kampfbuch“ artikuliert hatte. Hier ging es primär um die „Schaffung eines neuen Hochschullehrertyps“, mit dem „schon in der Machtergreifungsphase ein Umwandlungsprozeß eingeleitet (war), der tiefgreifender und ,organischer‘ als die Entlassungsaktionen, die Gleichschaltung und politisch-weltanschauliche Funktionalisierung der deutschen Universitäten sichern sollte“ (Bracher 1962, 322). „Die Unterrichtsminister im neuen Deutschland“, so kommentierte der Rektor der TH Berlin die Entwicklung, „werden keine krassen Materialisten oder blutleeren Papierseelen als Privatdozenten zulassen. (...) In die SA gehört jeder rüstige Dozent (...), damit der volksfremde Gelehrte bald der Vergangenheit angehört“ (Bracher 1969, 295). An den Hochschulen gab es aber auch andere Stimmen. Ein aufschlußreicher Kommentar zu der neuen RhabO liegt vor in Einzelstellungnahmen, die vier Tübinger Dekane (mit Ausnahme der beiden Theologischen Fakultäten) bereits im Januar und Februar 1935 gegenüber dem Rektorat abgaben (UAT, 117 C/39). In ihnen dürfte sich nicht nur die Interessenlage der meisten deutschen Fakultäten spiegeln, sie lassen auch die charakteristischen Elemente der neuen Ordnung gewissermaßen gegenbildlich hervortreten. Nach allgemeinen Zustimmungsformeln, mit denen die Bemühungen um sorgfältige Auswahl und materielle Sicherung des Nachwuchses gewürdigt werden, münden diese Äußerungen sehr rasch in eine bemerkenswert kritische Auseinandersetzung mit den neuen Regelungen ein. Erster Ansatzpunkt der Kritik ist der neue akademische Grad „Dr. phil. habil.“, der nach übereinstimmender Auffassung kaum als geeignetes Mittel anzusehen war, eine ausreichende „Qualitätsreserve“ für die Auslese des Nachwuchses zu schaffen. Vor allem die Vertreter der Fächer, in denen wie im Fall der Naturwissenschaften, der Rechtswissenschaften und der 4
Vgl. H. F. O. Haberland, Nationalsozialismus und Hochschule, in: Volk im Werden 1 (1933) H. 1, 35–40.
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Medizin bei höherem Verdienst gute Übergangsmöglichkeiten in die Praxis bestanden, befürchteten, daß der qualifizierte Nachwuchs vom Erwerb dieses Grades, der nicht zugleich den Erwerb der Lehrbefähigung einschloß, abgeschreckt werden würde. Der Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät verwies in diesem Zusammenhang [91] auf einen bereits feststellbaren geradezu beängstigenden Nachwuchsmangel, der sich angesichts der stark beschränkten Zugangsmöglichkeit zur Universität weiter verschärfen mußte. Als wesentlicher Abschreckungsfaktor wurden der Lagerdienst und die Dozentenakademie angesehen. „Wir fürchten“, so formulierte der Jurist auch im Sinne seiner Kollegen, „daß die Zahl derer, welche die Habilitation anstreben und das Opfer jahrelanger, nicht oder kaum bezahlter wissenschaftlicher Vorbereitung auf sich nehmen, noch weiter sinken wird, weil sie von vornherein nicht wissen können, ob sie den ihnen nicht näher bekannten Anforderungen des Gemeinschaftslagers und der Dozentenakademie genügen werden“ (UAT, 117 C/39, Dekan Feine v. 22. 1. 1935). Aus der Reihenfolge Habilitation – Lehrprobe – Lagerdienst – Dozentenakademie ergaben sich zwei Gefahren: Die längere Unterbrechung laufender Forschungsprojekte traf experimentell arbeitende Naturwissenschaftler und Mediziner besonders hart. Weiter mußte sich z. B. „der Dr. jur. oder Dr. rer. pol. habil. (...) als mißglückte Dozentur wegen Fehlens charakterlicher oder sonstiger nicht auf wissenschaftlichem Gebiet liegender Eigenschaften wie eine ausgesprochene Disqualifikation für andere juristische Berufe auswirken“ (ebd.). Sinngemäß leiteten daraus auch die anderen Fakultätsvertreter die Forderung ab, Gemeinschaftslager und Dozentenakademie vor den Erwerb des Dr. phil. habil. zu legen. Neben diesem mehr praktischen Verbesserungsvorschlag wurden aber auch grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der Beurteilungspraxis von Lager und Akademie formuliert: „Bestehen bleiben wird aber die Gefahr, daß durch Urteile von Stellen, denen die Vertrautheit mit den Notwendigkeiten wissenschaftlichen Lebens und Forschens fehlt, wertvolle geistige Kräfte ausgeschieden oder von der akademischen Laufbahn abgeschreckt werden. Vor allen Dingen die „stillen Gelehrten- und Forschernaturen“ würden, so wiederum der Jurist, der sich in dieser Einschätzung mit dem Vertreter der Philosophischen Fakultät völlig einig war, „in einem Gemeinschaftslager, einer Dozentenakademie hinter einem vordringlicheren, aber oberflächlicheren Durchschnitt zurücktreten“ (ebd.). Man beklagte in diesem Zusammenhang auch, daß den Vertretern der akademischen Selbstverwaltung die einschlägigen Beurteilungen nicht zugänglich gemacht wurden. Vor allen Dingen wünschten die Fakultätsvertreter dringend, bei der Persönlichkeitsbeurteilung beteiligt zu werden. Mußten sie doch bedauernd feststellen, „daß die oft berufene ,einseitige Intellektualität‘ uns auf dem Verordnungsweg zur Pflicht gemacht wird“ (ebd., Dekan Focke v. 26. 1. 1935). Gleichermaßen kritisch äußerte man sich zu den Paragraphen der [92] RhabO, mit denen die Zuweisung der Dozenten an andere Fakultäten geregelt wurde. Man empfand gerade diese Bestimmungen als schweren Angriff auf die Fakultätsgemeinschaft. Besonders betroffen gab sich der Dekan der philosophischen Fakultät, der auf die Landschaftsgebundenheit vor allen Dingen der historischen Disziplinen aufmerksam machte (ebd.). Beliebige Zuweisungen und Versetzungen konnten darüber hinaus auch langfristige Projekte anderer Fächer gefährden, Arbeitskreise auseinanderreißen und fruchtbare Lehrer-Schüler-Bindungen zerstören. Der Mediziner gab schließlich „zu bedenken, daß die wissenschaftlichen und klinischen Anschauungen in den einzelnen Kliniken oft weit divergieren“, was nach seiner Auffassung zu erheblichen Konflikten führen konnte (ebd., Dekan Albrecht v. 15. 2. 1935). Wie eng in die-
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sen Stellungnahmen die fach- und standespolitische Argumentationen miteinander verknüpft waren, zeigt sich schließlich daran, daß es als nachteilig empfunden wurde, „daß schon die Dozentur eine sichere Anwartschaft auf die Professur mit sich bringen wird, während heute unter den Privatdozenten noch eine Auslese stattfindet und ungeeignete ausgeschieden werden“ (ebd., Dekan Feine). Zum Teil aufbauend auf diesen Stellungnahmen verfaßte der damalige Führer der Tübinger Dozentenschaft, der Privatdozent Rupprecht Matthaei, seinerseits einen Bericht über die RhabO für die Deutsche Dozentenschaft. Er rückte dabei vor allem die Gefahren der Neuordnung in den Vordergrund und übernahm bis auf wenige Abweichungen die Position der Dekane. Eine Modifikation betraf die Habilitation im engeren Sinne. Matthaei sah in der Beschränkung auf ein rein wissenschaftliches Verfahren einen Rückgang hinter bereits errungene Reformpositionen und verlangte im Zusammenhang seiner Kritik am „Dr. habil.“ eine einheitliche Beurteilung der wissenschaftlichen Leistung, der Lehrbefähigung und der Persönlichkeit. In ähnlichem Sinne begrüßte er die Einführung von Gemeinschaftslager und Dozentenakademie, weil sie die Möglichkeit boten, „die bisher einseitige Bewertung der wissenschaftlichen Leistung zu ergänzen“. Allerdings verlangte auch er – freilich als Parteigenosse und nicht als akademischer Lehrer –, an der Persönlichkeitsbeurteilung der Habilitanden beteiligt zu werden. Zu den positiven Absichten der RhabO zählte Matthaei schließlich, daß das Prüfungsverfahren „unter möglichster Ausschaltung unsachlicher Gesichtspunkte aus persönlichen Beziehungen heraus“ ablaufen sollte (ebd., Matthaei v. 4. 2. 1935). Was die mit den §§ 9 und 17 der RhabO ermöglichte Zuweisung und Versetzung an beliebige Fakultäten betrifft, so überwogen auch für ihn die negativen Aspekte dieser Regelung, die etwa eine große Gefahr für die Bildung von „Schulen“ darstellte: „Die echte Schule bedeutet die [93] einzige hochschulgemäße Verwirklichung des Führergedankens im Wissenschaftsbetrieb“ (ebd., Matthaei). Es ist erstaunlich, in welchem Umfang der Führer der Tübinger Dozentenschaft, der seine Hauptaufgabe in der Interessenvertretung der Privatdozenten gegenüber den Ordinarien gesehen hatte (vgl. Adam 1977, 69), hier die Position der Dekane teilte. Zieht man eine Bilanz seiner Stellungnahme, so reduziert sich der positive Beitrag der RhabO zur national-sozialistischen Hochschulreform auf die Institutionalisierung der politischen Beurteilungspraxis. Die Äußerungen der Dekane und des Dozentenschaftsleiters lassen zusammengenommen einen ganz erheblichen Funktions- und Machtverlust der Fakultäten durch die RhabO erkennen. Die eher rückwärts gewandte Kritik der Dekane ist nicht allein von standes- und fachpolitischen Erwägungen bestimmt. Hier artikuliert sich verpackt in gewiß vorsichtigen Formulierungen ein tiefes Unbehagen an einer wissenschaftsfernen politischen Indoktrination, die durch die Einrichtung des Lagerdienstes und der Dozentenakademie gefördert werden sollte. Die Hochschulen sahen sich sehr bald mit den unmittelbaren Folgen der neuen Regelungen der RhabO und ihrer Vorgängererlasse für den Lehr- und Forschungsbetrieb konfrontiert. Das erste Geländesportlager fand als Dozentenlehrgang I des Reichs-SA-Hochschulamtes bereits vom 7. 1. bis 12. 3. 1934 in Zossen statt. Allein schon vom zeitlichen Aufwand her stellte der zehnwöchige Dienst in dieser Lagerform eine ganz außergewöhnliche Belastung dar. Von den Gemeinschaftslagern (nicht aber von den Dozentenakademien) befreit waren grundsätzlich nur katholische Theologen (UAT, 117 C/37, Württemberg. Kultmin. an Rektor Tübingen v. 22. 1. 1934). Einberufungen erfolgten bis zu einer Altersgrenze von 45 Jahren. Für Althabilitierte und Extraordinarien wurden zeitweise sogenannte „Kurzlager“ angesetzt. Angesichts häufiger
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Klagen von Instituts- und Klinikdirektoren, die die Funktionsfähigkeit ihrer Einrichtungen gefährdet sahen, wurde in begrenztem Umfang die Möglichkeit eröffnet, das Lager in zwei Etappen zu absolvieren (vgl. UAG, 3210 a, Rundschr. d. Dozentenschaft Nr. 9 u. 17). Anträge auf Befreiung von der „Lagerdienstpflicht“ in der Anlaufphase wurden in Preußen – davon hebt sich die Praxis in Württemberg ab – äußerst restriktiv behandelt.5 [94] Die Körperertüchtigung wurde nicht als Selbstzweck, sondern als Form der Wehrertüchtigung betrieben. Die „berufsständische Tarnung“ dieser Kurse, so äußerte 1934 der Syndikus der Universität München gegenüber einem Lagerteilnehmer, sei nur durch den Versailler Vertrag bedingt. Tatsächlich sollten hier von der Reichswehr dringend benötigte Reserve-Offiziere herangebildet werden (Scherzer 1965, 50).6 Als Lagerleiter fungierte der SAStabsführer W. Grundig, „im Zivilleben ein arbeitsloser Gerbergeselle“ (ebd.), der wohl bis 1938 in diesem Bereich tätig war. Die ca. 50 Teilnehmer eines Lagers waren überwiegend als SA-Männer uniformiert und hatten sich in eine kasernenmäßige Umgebung einzugliedern. Abgesehen von dem Gelände- bzw. Wehrsport standen auch Vorträge auf dem Programm. Schließlich veranstaltete man auch Exkursionen insbesondere „Grenzlandfahrten“. Die Lager teilnehmer sollten dabei „die widersinnige Grenzziehung und den Kampf des deutschen Volkstums im Osten aus eigener Anschauung kennen lernen“, wie es in einem der von Grundig regelmäßig an die Rektoren versandten Rundschreiben hieß, in denen er um Beihilfen für die Lehrgangsteilnehmer bat (UAG, 3210 b, Grundig an Rektor Göttingen v. 9. 9. 1934). Insgesamt kommt der Programmablauf dem der bekannten „Schulungslager“ für Lehrer durchaus nahe (vgl. Ehrhardt 1968, 135). In welchem Stil die Geländesport-Ausbildung ablief, kann man auch daran ablesen, daß die Bescheinigungen über die erfolgreiche Teilnahme am Dozentenlehrgang des Reichs-SAHochschulamtes die Rubriken „Strafen“ und „Führung“ enthielten. Der Kontrast zwischen den gerade erreichten wissenschaftlichen Qualifikationsstufen des Habilitationsverfahrens und dem als zusätzliche Hürde eingebauten Lagerdienst war ein durchaus beabsichtigter Effekt der „Lagererziehung“. Es kam darauf an, den Teilnehmer vollkommen aus der gewohnten Umgebung herauszulösen (Ehrhardt 1968, 140). So durften auch „Teilnehmer an Dozentenlehrgängen grundsätzlich keine dienstlich-fachlichen Arbeiten, die mit ihrer Hochschulstellung verbunden sind, ausführen“. Dieser Erlaß bezog sich darauf, daß man Assistenten Korrekturarbeiten ins Lager nachgesandt hatte (UAT, 117 C/37, PMWKV v. 4. 9. 1934). Die Zuständigkeit für die teilweise in Zusammenarbeit mit dem SA-Hochschulamt durch geführte Geländesportausbildung lag bei dem „Amt für körperliche Ausbildung“ der Preußischen bzw. der Deutschen Dozentenschaft, in deren Verantwortung bis Anfang 1936 auch die Do zentenakademien [95] an wechselnden Tagungsorten abgehalten wurden. Die Konzeption dieser zweiten Einsatzform, die der künftige Hochschullehrer zu durchlaufen hatte, beschrieb der Stabsleiter in der Deutschen Dozentenschaft, Dr. Werner Rudolph, im Dezember 1934 in E. Kriecks „Volk im Werden“. Er gab damit zugleich einen Erfahrungsbericht über die ersten 5
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Vgl. StAM, 424/400, Promotionen und Habilitationen, 1924–1934. Der württembergische Kultminister behielt sich die Freistellung von Dozenten vor, die besondere Verdienste um die „nationalsozialistische Erhebung“ nachweisen konnten. In diesem Sinne honoriert werden sollte auch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg sowie „an den Kämpfen im Baltikum, in Oberschlesien sowie gegen die Spartakisten“ (UAT, 117 C/37, Kultmin. an Rektor Tübingen v. 24. 4. 1934). Nach einem Erlaß v. 7. 5. 1935 legte der REM „allergrößten Wert“ auf eine zweimonatige ReserveoffiziersAusbildung aller Dozenten und Assistenten (Adam 1977, 132).
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Lehrgänge, die seit April 1934 abgehalten worden waren. In Absetzung von den traditionellen „Akademien der Wissenschaften“ stellte die Dozentenakademie den „Versuch einer neuartigen Hochschul-Führerschule“ dar, die als „Stätte eines geistigen ,Arbeitsdienstes‘“ erst zu ihrer eigenen Form finden mußte. Zu ihren Aufgaben gehörte es ganz im Sinne Kriecks, die „politische Willensbildung“ des Nachwuchses zu lenken und im Sinne der „weltanschaulichen Vertiefung der wissenschaftlichen Arbeit“, „Brücken zwischen den Fakultäten zu schlagen“ und einen „Weg zur Neugestaltung der Facharbeit“ zu finden (Rudolph 1934, 460f.). In den Habilitandenkursen der „Dozentenakademie“, die nicht identisch ist mit den NSD-Dozentenbundsakademien, sollte es nun nicht nur um die weltanschauliche Erziehung gehen, den künftigen Dozenten war – darin äußerte sich ein gewisser Reformanspruch der Dozentenschaft – „hier vor ihren kritischen Kameraden Gelegenheit geboten, ihre pädagogischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen“. Gerade der Eigenbeitrag der Lehrgangsteilnehmer in Form von Vorträgen hatte sich als besonders fruchtbarer Ausgangspunkt der Arbeit bewährt (ebd., 461). In den drei Wochen der Dozentenakademie waren die Teilnehmer in einer „strengen Lebensgemeinschaft“ zusammengeschlossen, deren Arbeitsrhythmus sich aus „geistiger Arbeit, sportlicher Entspannung und musischer Betätigung“ ergab. Wenn auch in der Akademie „Unterordnungsfähigkeit, Eingliederung in die Gemeinschaft, Kameradschaftlichkeit gezeigt werden“ sollte, so sprach Rudolph bemerkenswerterweise von der „Gefahr eines Abgleitens in lagermäßige Zustände“. In diesem Sinne mußte der sportliche Leiter – Rudolph bezog sich hier wohl auf aktuelle Konflikte – sich „stets bewußt bleiben, daß er zurückzustehen hat, daß es sich um eine Akademie und nicht um ein Lager handelt“ (ebd., 463). Vom äußeren Erscheinungsbild her war freilich kaum ein Unterschied zwischen „Lager“ und „Akademie“ auszumachen. Lager war in diesem Sinne jeweils ein Synonym für ein Gebäude von der Baracke bis hin zum umfunktionierten Jagdschlößchen. So fanden zahlreiche Kurse der Dozentenakademie in der Nähe von Göttingen, in dem vorwiegend von der dortigen Studentenschaft genutzten „Lager Rittmarshausen“ statt, wobei im Lehrgang selbst einheitliche Kleidung vorgeschrieben war: „Sportanzug, Braunhemd ohne Rangabzeichen, ungenagelte Schuhe oder Stiefel“ (UAG, 3205 b, Neumann an Keller v. 21.8.1935). Bei dem für die [96] äußere Lagerordnung und den Sport zuständigen „Lagerleiter“ und dem „Sangesleiter“, die dem „Kursleiter“ zur Seite standen, handelte es sich zumeist um entsprechend ausgewiesene Studenten und Assistenten aus dem Schülerkreis des betreffenden Kursleiters. Geleitet wurden die Kurse von Vertretern verschiedener Fachgebiete (vgl. UAG, 3210 b, Korrespondenz Neumann; StAH, Ui 16/2 Bd. 1, Teilnehmerlisten). Abgesehen von Alfred Baeumler und Ernst Krieck hatten sich auch die übrigen Akademieleiter teils durch allgemeine Beiträge zur Hochschulreform im Dritten Reich teils durch den Versuch, ihren Wissenschaftszweig in Beziehung zum nationalsozialistischen Weltbild zu setzen, für diese Leitungsfunktion qualifiziert. Nicht wenige von ihnen, so z. B. der Wehrwissenschaftler A. v. Arnim (Berlin), der Staatswissenschaftler H. v. Grünberg (Königsberg), der Philosoph H. Heyse (Königsberg), E. Krieck (Frankfurt/Heidelberg), der Germanist F. Neumann (Göttingen) und der Indogermanist W. Wüst (München) amtierten an ihren Universitäten zeitweise als Rektoren.7
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Als Kursleiter werden weiter genannt: der Historiker G. Franz (Jena), der Kriminalist W. Graf v. Gleispach (Berlin), der Pathologe E. Leupold (Köln), der Dermatologe F. Plattner (Berlin), der Jurist G. A. Walz
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Die Einberufung des an der Durchführung der Dozentenakademien beteiligten Personals (einschließlich der Gastreferenten) erfolgte auf Vorschlag des Kursleiters nach Genehmigung des Ministeriums durch die Preußische Dozentenschaft. Die Kursteilnehmer wurden durch das Ministerium über die Dozentenschaft einberufen. Abweichungen von diesem Ende Juli 1934 fixierten Verfahrensgang waren natürlich in der Anlaufphase möglich (UAG, 3210 b, PMWKV an Rektor Göttingen v. 31. 7. 1934). So wird von einem der ersten Kurse in Kiel berichtet, daß die Teilnehmer bei der Auswahl der geladenen Referenten mitbestimmen konnten. Der Leiter dieser Akademie, Hans Heyse, spielte danach eine eher passive Rolle und sah sich z. T. auch der Kritik der Teilnehmer, unter denen Naturwissenschaftler überwogen, ausgesetzt. Die Atmosphäre wurde in diesem Fall keineswegs als bedrückend oder bedrohlich empfunden (Auskunft Prof. Dr. K. Berger v. 5. 12. 1978). Das Programm eines Lehrgangs in Rittmarshausen vom 5.–26. 9. 1934 soll hier dem Bericht seines Leiters F. Neumann an das REM folgend kurz vorgestellt waren.8 Eine erste Gruppe von Vorträgen wurde von [97] Vertretern verschiedener Fachgebiete (überwiegend Privatdozenten) bestritten (UAG, 3210 b, v. 8. 10. 1934; vgl. Kelly 1973, 169f.). Es ging dabei um folgende Themen: „Nationalsozialistische Lebensanschauung und die wissenschaftspolitische Lage der Mathematik; Volk, Staat und Reich; Entstehung der Arten; Vorgeschichte und Indogermanenfrage; Nationalsozialistische Auslandswissenschaft“. Eine weitere Referentengruppe sprach über Aufgaben verschiedener Parteiorganisationen. Vertreten waren (z. T. durch Spitzenfunktionäre) der Reichsnährstand, der NS-Ärztebund, Studentenschaft, Dozentenschaft und der Hochschulkreis Niedersachsen. Der übrigens nicht habilitierte Führer der Deutschen Dozentenschaft, Dr. Heinz Lohmann, der wie auch in Rittmarshausen häufig in Dozentenlagern sprach, pflegte dies in der Pose des Studentenfunktionärs der Kampfzeit zu tun. Als solcher hatte er das Buch „SA räumt auf“ verfaßt (Kelly 1973, 176). Von daher läßt sich die Atmosphäre des Lagers zumindest in Teilbereichen einfangen. Abgerundet wurde das Programm durch Beiträge von zwei „Praktikern“: Ein Medizinalrat sprach einer Anregung des Kursleiters entsprechend über „Fragen der praktischen und Anstaltspsychiatrie in ihren Beziehungen zu Volksgesundheit, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und Strafgesetz“, während ein Oberstleutnant i. G. „Grundsätzliche Fragen unserer Landes verteidigung“ behandelte. Dieses gedrängte Vortragsangebot wurde durch Berichte von Lehr gangsteilnehmern ergänzt, die lobende Erwähnung fanden. Abgesehen von dem obligatorischen Frühsport absolvierte man zwei „Nachmittags-“ und einen „Tagesausmarsch“ und besuchte schließlich eine vom Hochschulkreis Niedersachsen veranstaltete Ausstellung über „Erbgut und Rasse“. Nach dem Eindruck von Neumann waren „Geist und Geschlossenheit des Lehrgangs sehr gut“. Seinem Bericht an das Ministerium waren im übrigen offenbar nicht mehr vorhandene Einzelcharakteristiken der Kursteilnehmer beigefügt (Neumann, v. 8. 10. 1934). Auch ohne genaue Kenntnis der Vorträge und der Reaktionen der Teilnehmer kann man davon ausgehen
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(Breslau), der Zoologe H. Weber (Danzig) und der Philosoph F. Weinhandl (Kiel) (vgl. StAE Ui 16 Bd. 2, Dozentenlehrgänge-Teilnehmerlisten und unten Anm. 11). Den Plan einer „Dozentenakademie des Deutschen Reiches“ legte der Göttinger Rektor F. Neumann im Mai 1934 vor: In deren „Stammhaus“ sollte „der akademische Nachwuchs, ehe er zur Habilitation oder zu anderem entscheidenden Einsatz zugelassen wird, in besonderen Arbeitstagungen durch ausgewählte Mitglieder der Akademie geschult und gesiebt“ werden (UAG, 3210 a, Neumann an REM v. 8. 5. 1934).
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– insoweit ist das Programm für den Charakter dieses Kurses durchaus aussagekräftig –, daß hier die Aufgabe der Schulung im Vordergrund stand. Eine besondere Funktion gewann der Dozentenakademielehrgang in Weichselmünde bei Danzig für den damals in Marburg wirkenden Philosophen Gadamer. Da er aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Dozentenbund als Privatdozent nicht vorankam, meldete er sich freiwillig und [98] versuchte so – der Vorgang ist außerordentlich aufschlußreich für die Ein schätzung der Lager –, ohne Eintritt in eine Parteiorganisation nach eigenem Bekunden in einer Art „Rehabilitationslager“, seine „akademische Existenz in Deutschland (zu) retten“. Abgesehen von dem „Frühsport, Kampfspielen, Märschen und ,nationalen‘“ Gesängen und all diesem „paramilitärischen Allotria“ bestand die Aufgabe der Teilnehmer vor allem darin, einen allgemein verständlichen Vortrag aus dem jeweiligen Fachgebiet zu halten und zur Diskussion zu stellen. Zum Rahmenprogramm gehörte hier neben einer „politischen Exkursion“ nach Danzig auch die Teilnahme an einer Feierstunde in Tannenberg in Gegenwart Hitlers (Gadamer 1977, 56). Kurse der Dozentenakademie wurden an wechselnden Orten wohl bis Ende 1935 durchgeführt. Ihre endgültige Form gewannen die „Habilitationslager“, als im Februar 1936 das REM die Durchführung übernahm (UAT, 117 C/37, REM v. 18. 2. 1936). Gemeinschaftslager und Dozentenakademie wurden jetzt zu einem sechswöchigen Lehrgang zusammengelegt und fanden im „Lager Tännich“, in einem Jagdschlößchen in Thüringen, statt. Die Verantwortung teilten sich der jeweils als Kursleiter fungierende Professor und W. Grundig als ständiger Lagerleiter. Auch in der in Tännich vereinten Form lief der übliche Lagerbetrieb mit ausgiebigem Sport in einer als „kommißhaft und kasernenmäßig“ beschriebenen Umgebung, zu der auch Einheitskleidung gehörte, ab (Gerstenmaier an Verf. v. 8. 12. 1978).9 Während die Lehrgänge der Dozentenakademie in der Anlaufphase in stärkerem Maße von geladenen Referenten bestritten wurden, scheint man später den Eigenbeiträgen der Teilnehmer stärkeren Raum gegeben zu haben. Das Verfahren dieser Vorträge ähnelte einer Lehrprobe und trug der eingangs beschriebenen Kritik an dem Bild des volksfremden Fachgelehrten Rechnung. Jeder Referent hatte drei Themenvorschläge einzureichen und erfuhr am Abend vor seinem Auftritt, welches Thema ausgewählt worden war. In diesen Vorlesungen, die ohne wissenschaftliche Hilfsmittel zu erarbeiten und frei zu halten waren, sollten die jeweiligen Fachgebiete vorgestellt werden (ebd.). Gefordert war die Fähigkeit, sich über den Kreis der Spezialisten hinaus verständlich zu machen. Es ging nicht um fachwissenschaftliche, sondern um Lehrbefähigung im allgemeinen [99] Sinne, wobei Rednergabe, Vortragsstil und Auftreten auch in der Diskussion bewertet wurden. Unabhängig insbesondere von den politischen Implikationen und unter der Voraussetzung einer „vernünftigen Leitung“ wird der Austauschprozeß, der dabei möglich war, von Beteiligten im Rückblick als außerordentlich gewinnbringend gewertet. Das Bild, das aus diesem Blickwinkel entsteht, kommt durchaus der Konzeption der Akademie Kriecks nahe: „Hier tat sich in diesen Zusammenkünften noch einmal so etwas wie eine Universitas literarum auf und gewährte dem jungen Akademiker vielseitige Einblicke in die Problemstellungen anderer Disziplinen“ (Werner 1945/46, 77). Diese Einschätzung ist auch deshalb von besonderem 9
Vgl. die Sonderregelungen für Dozenten katholisch-theologischer Fakultäten: Ihnen war Gelegenheit zu geben, morgens die Messe zu zelebrieren und im Tagesverlauf das Brevier zu verrichten. Uniform oder Sportkleidung mußten sie tragen, „soweit es sich um den inneren Betrieb handelt. Ein Tragen der Uniform bei Aufzügen usw. ist nicht zu verlangen“ (UAT, 117 C/37, REM v. 29. 5. 1935).
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Interesse, weil sie einem Beitrag aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstammt, in dem sich der Prähistoriker Joachim Werner, der damals noch in der Schweiz interniert war, „zur Lage der Geisteswissenschaften in Hitler-Deutschland“ äußerte. Werner geht dabei davon aus, daß die „ursprünglich mit dem Ziele politischer Überwachung eingerichteten“ Lager sich in der von ihm beschriebenen Richtung „in völlig anderem Sinn entwickelten“ (ebd.). Angesichts der verallgemeinernden Form der letzten Aussage, ist hervorzuheben, daß dieser Entwicklungsprozeß an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft ist. Es galt – damit setzt Werner selbst andere Akzente der Lageratmosphäre –, „unauffällig und mit Glück die Klippe dieses Lagers“ zu umschiffen. In einer besonders schwierigen Situation befanden sich naturgemäß die Theologen. Bekannt ist das Beispiel des späteren Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier, der 1936 an einem Lager in Tännich teilnahm. Nach seinem Vortrag über „Die Lehre von der Erbsünde in der evangelischen Theologie“ gab es nach Auskunft Gerstenmaiers „so etwas wie eine nationalsozialistische grundsätzliche Einlassung von seiten der wenigen anwesenden Nationalsozialisten“ (G. an Verf. v. 8. 12. 1978). Der Vorgang wurde 1960 in einem Prozeß vor dem Landgericht Kiel aktenkundig, ein Zeuge sprach dort stärker akzentuierend von „sehr scharfen weltanschaulichen Auseinandersetzungen“ (v. Schlabrendorff 1965, 18). Gerstenmaier selbst bemerkt zu der „Gruppenbildung“ im Lager, daß die „engagierten Nationalsozialisten (...) in einer hoffnungslosen Minderheit waren“. Nach seinem Eindruck waren außerdem „unechte Dozenten“ zur Bespitzelung der Lagerteilnehmer eingeschleust worden, die „von der großen Mehrzahl der Lagerteilnehmer gemieden“ wurden. Nicht zuletzt im Hinblick auf den Anschluß an Gruppen „Gesinnungsverwandter“ hat ihm „das Lager ausnehmend gut gefallen“ (G. an Verf. v. 8. 12. 1978). In diesem Sinne wurde dasselbe Lager so von dem Marburger Dozenten André auch als „menschliche Bereicherung“ [100] empfunden (Auskunft Dr. G. André v. 20. 11. 1978). Ähnliches berichtet Gadamer, bei dem sich ein positives Gemeinschaftserlebnis einstellte und der für seinen Teil „allen unangenehmen Kontakten leicht aus dem Wege gehen (konnte)“ (Gadamer 1977, 56). Daß man manches an dem widerwillig ertragenen Lagerdienst nicht ernst nahm, konnte man auch zeigen: So, wenn man das Lager persiflierend, als „Lagerinsasse“ hinter dem Maschendrahtzaun in einer Art Drillichanzug posierte und sich dabei vom Lagerpersonal fotografieren ließ (Auskunft Dr. G. André v. 20. 11. 1978). Vieles war hier vom Einzelfall abhängig, natürlich auch von dem jeweiligen Leiter der Akademie. So erwies sich der Kriminalist Graf von Gleispach als „äußerst tolerant und diskret und verlangte von niemandem Lippenbekenntnisse (wo sie von fragwürdiger Seite kamen, schien er stets peinlich berührt)“ (Gadamer 1997, 56). Hinter den subjektiven Erfahrungen, die hier wiedergegeben wurden, wird etwas von der Lageratmosphäre sichtbar, die der von E. Nolte geprägten Formel einer „Mischung von Opportunismus und geheimer Gegnerschaft“ sehr nahe kommt, auch wenn damit nicht alle Verhaltensformen abgedeckt sind (Nolte 1965, 9). Diese waren notwendigerweise davon bestimmt, daß die „Bewährung“ im Lager eine Voraussetzung für die Zulassung zur Dozentur blieb. Die Beurteilung war zunächst Sache des Kursleiters der Dozentenakademie, nach Einrichtung des Lagers Tännich wurde dann eine „Allgemeine Beurteilung“ ausgefertigt, in die sich der Akademieleiter und der ständige Leiter des Gemeinschaftslagers Grundig teilten.10 Diese Dokumente vermitteln auch einen plasti10 Einzelne Exemplare solcher Beurteilungen sind dem Verfasser (den Schutzbestimmungen für Personalakten entsprechend z. T. unter Löschung der Personaldaten) zugänglich gemacht worden. Sie
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schen Eindruck von der Lageratmosphäre, die der Auslesefunktion dieser Institution angepaßte Verhaltensweisen hervorbrachte. Neben persönlichen Daten waren darin Mitgliedschaften in der NSDAP oder anderen Gliederungen nachgewiesen. Beurteilt wurden zunächst die „weltanschauliche Haltung und Betätigung“ mit knappen Wendungen wie „gegeben, ohne aktiven Einsatz“, wie „bejahend“ oder „guter Nationalsozialist, auch kämpferisch im politischen Leben und einsatzbereit“. Das „Verhalten“ im Lager konnte dann z. B. als „kameradschaftlich“ oder als „kameradschaftlich, hilfsbereit, arbeitsam“ bewertet werden. Nach einer kurzen Bemerkung zum „körperlichen Leistungsvermögen“ folgte dann eine etwas längere „allgemeine Schilderung“ etwa von der Art: „X. ist ein sauberer, biederer Charakter. Sein Wesen [101] wirkt nachdenklich. Aus seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen versteht er auch die politischen Folgerungen zu ziehen. Sein Vortrag wirkt eindringlich und zeigt gute Lehrbegabung. In den Grenzen seines Faches wird er seinen Studenten ein guter Lehrer sein“. – Eine andere Beurteilung lautete: „X. ist eine disziplinierte, saubere Natur, bei der sich Wissen und Können gegenseitig ergänzen. Seiner ernsten und bejahenden Lebensauffassung merkt man an, daß er sich selbst emporgearbeitet hat. Er drängt nach selbständigem Einsatz. In politischer Hinsicht ist seine Haltung einwandfrei. Sein Vortrag wirkt lebendig und anregend und zeigt Lehrerfahrung“. Begegnen konnte dabei auch der Theologe, der gewillt war „eine enge Verbindung zwischen Nationalsozialismus und Kirche zu schaffen. Es scheint richtig, ihn an einen Platz zu stellen, wo er in diesem Sinne erfolgreich wirken kann. Sein Vortrag ist mitreißend, klar, überzeugend. Er scheut sich nicht, die groben Fehler der Kirche aufzuzeigen und zu verurteilen“. In einem anderen Fall erschien die „antisemitische Einstellung begrüßenswert“. An negativen Beobachtungen zur „körperlichen Beschaffenheit und zum Auftreten“ notierte man z. B. „eine etwas ungeschlachte breitspurige Erscheinung“, deren „Bestreben, natürlich und urwüchsig zu erscheinen (...) unnatürlich (wirkt)“. Man stellte Neigungen zu „Flunkerei und Geltungsbedürfnis“ oder „zu philiströser Kleinbürgerlichkeit“ fest und monierte den Mangel an „Männlichkeit, Härte und Frische“. Das „Gesamtbild“ der so Beurteilten wurde schließlich in einer Ziffer ausgedrückt, die einem von vier Gruppengraden entsprach. Die Gruppengrade bedeuteten im einzelnen: „1 = wünschenswerte Erscheinung, sehr gut; 2 = gut, brauchbar, befriedigend; 3 = mangelhaft, wenig genügend, begrenzt brauchbar, bedenklich; 4 = unbrauchbar, gefährlich“. Mit den Buchstaben A und B konnten diese Grade erhöht bzw. erniedrigt werden. Diese Klassifizierungsmöglichkeiten – in den hier zitierten Fällen schwanken sie zwischen 2 bis 3 A – enthüllen den Charakter der NS-Dozentenlager vielleicht am deutlichsten. Die Vorstellung, daß von diesen Urteilen die Zulassung zur Hochschullehrerlaufbahn abhängig sein konnte, ist mehr als beängstigend; bedrückend daran ist, daß sie von Hochschullehrern mitverantwortet wurden.11 [102] Zu welch abstrusen Wertungen sich Beurteiler verstiegen, zeigt die Vermutung, daß die „norddeutsche, insbesondere Hamburger Herkunft“ eines Bewerbers ein Grund dafür sei, „daß keine ausgesprochenen Führer- und Erziehereigenschaften hervortreten“. Der Reichs werden hier durchweg anonym ausgewertet. 11 Die hier angeführten Beurteilungen entstammen den Beständen UAG, StAH, StAM und UAT. Neben Grundig wurden sie von den Professoren Franz, Plattner, Schönberg und Wüst abgezeichnet, die z. T. mehrfach ‚gutachteten‘ (vgl. Anm. 7). Die Charakteristik Grundigs fällt bei Scherzer 1965, 50 und Gerstenmaier (an den Verf. v. 8. 12. 1978) wesentlich positiver aus als in der von Kleinberger in diesem Band zitierten Äußerung [= Kleinberger 1980].
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statthalter von Hamburg nahm diesen Vorgang zum Anlaß einer Beschwerde und hob vor allem den Widerspruch dieses Urteils zu „der allgemein üblichen und anerkannten Beurteilung des Menschen nordischer Herkunft“ hervor.12 Indessen handelte es sich hier wie auch beim REM, das die Auffassung der Hamburger Stellen teilte und derartige Vorkommnisse unterbinden wollte, nicht um eine prinzipielle Kritik an dem Beurteilungsverfahren (StAH, Ui 16/1, Bl. 14–18). Welcher Stellenwert derartigen Beurteilungen generell im Entscheidungsprozeß des Ministeriums zukam, ist schwer abzuschätzen. Gerade im Blick auf das Hamburger Beispiel fragt man sich, welche Entscheidungsgründe derartige Auslassungen liefern konnten (vgl. Kelly 1973, 171). Erkennbar sind aber doch das Kriterium der politischen Zuverlässigkeit und – mit allem Vorbehalt – das der hochschuldidaktischen Qualifikation, welches in den Bemerkungen zum Vortragsstil ausgedrückt ist. Ob die Verweigerung einer Dozentur auf eine negative Beurteilung im Dozentenlehrgang zurückzuführen ist, läßt sich mit Sicherheit nur im Einzelfall klären. Nicht zuletzt wird man dabei zeitlich differenzieren müssen. Wie rigoros man z. B. unmittelbar nach Erlaß der RhabO vorging, zeigt ein Beispiel aus Tübingen: Dort wurde einem Dozenten die bereits vor der Einrichtung der Lager erteilte Lehrbefugnis entzogen, „weil er in einem Dozentenlager ,nicht erfolgreich‘ bestanden hatte“ (Adam 1977, 132). In die Entscheidung des REM über die Erteilung der Lehrbefugnis hatten – das erschwert die Bewertung der Vorgänge – außer der Beurteilung auch die Stellungnahme der Fakultät, an der die Lehrprobe abgehalten wurde, und der Bedarfsgesichtspunkt einzugehen (DWEV, 1935, S. 13). Gerade letzterer ließ sich wissenschaftspolitisch leicht einsetzen und wurde u. a. auch bei „Bewährung“ im Lager gegenüber Theologen beider Konfessionen geltend gemacht. Eine positive Beurteilung im Dozentenlager verbürgte – wie die Durchsicht des einschlägigen Materials ergibt – also nicht unbedingt die Dozentur. Man wird [103] in dem gesamten Verfahrensablauf und Entscheidungsprozeß ebenso wie bei Lehrstuhlbesetzungen in vielen Fällen oft auch aktenmäßig nicht faßbare wechselseitige Absprachen zwischen Referenten des REM, Vertretern von Parteiorganisationen und Fakultäts- und Fachvertretem annehmen dürfen (Losemann 1977, 60). Die Bedeutung derartiger Verbindungen wird auch im Fall Gerstenmaiers, dem die „venia legendi“ in Berlin letztlich verweigert wurde, sichtbar. Er verdankte die Zulassung zum Dozentenlager wie zur späteren Probevorlesung in Berlin nach der Darstellung v. Schlabrendorffs der Fürsprache eines „Volksdeutschen Theologen“, der im REM nicht ohne Einfluß war und „G. als Patrioten, wenn auch nicht als Nationalsozialisten einschätzte“. Nicht weniger aufschlußreich ist der Umstand, daß der für ihn zuständige Leiter des Dozentenlagers Gerstenmaier den Übertritt in die Berliner Philosophische Fakultät, also auch den Austritt aus der Theologischen Fakultät, anbot, was kaum ohne Abstimmung mit dem REM möglich war (v. Schlabrendorff 1965, 18f.).13 Einen Hinweis auf die mögliche Schlüsselrolle der Kursleiter bzw. 12 In Abänderung des von der RhabO v. 1934 (DWEV, S. 14) vorgeschriebenen Verfahrens wurden nach dem REM-Erlaß v. 24. 5. 1935 die Beurteilungen der Dozentenlager auch den Kultusverwaltungen der Länder wohl bis Mitte 1937 nicht mehr zugänglich gemacht. Danach erhielten anscheinend auch die Universitäten zumindest in Einzelfällen Einblick in diese Dokumente (vgl. StAH, Ui 17/1, Hamburg, Staatsamt an REM v. 23. 1. 1937 und den Verfahrensgang in dem Bestand StAH, Ui 16/2). 13 Die Akzentuierung der Darstellung bei v. Schlabrendorff 1965, 18f. läßt im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen dem Dozentenlager und der Zulassung zur Probevorlesung Fragen offen; vgl. auch Kelly 1973, 171.
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ihre Vertrauensposition im REM liefert auch Gadamer; er gewann in dem Grafen Gleispach „einen einflußreichen Freund, der in Berlin für mich eintrat, und versuchte, den Professorentitel für mich zu erwirken“ (Gadamer 1977, 57). Ein allgemeiner Überblick über die Habilitationspraxis in Marburg zwischen 1934 und 1938, also in dem Geltungszeitraum der RhabO von 1934, läßt den Schluß zu, daß der Qualifikationsschritt der Lehrprobe in der Regel nicht die entscheidende Hürde darstellte. Der Verfahrensablauf ist auch hier vielfach von persönlichen, fachlichen und lokalen Konstellationen abhängig. Es zeigen sich dabei einmal Interessenlagen, die auch im Universitätsalltag vor 1933 und nach 1945 anzutreffen sind oder waren: Frontstellungen zwischen der Fakultät und einem Angehörigen des Lehrkörpers, der sich um das Fortkommen des Schülers bemüht, oder zwischen der Fakultät und dem Rektor, der die Sache eines Habilitanden im Gegensatz zur Fakultätsmeinung vertritt und sich beim Minister durchsetzt. Politische Implikationen sind im Einzelfall natürlich nicht auszuschließen, auch dann nicht, wenn Rektor, Fakultät und Dozentenschaft bzw. -bund Einigkeit demonstrieren und Anträge auf Erteilung der Dozentur „wärmstens befürworten“ (nach StAM, 424/400, 1934–1938). Neu war die Möglichkeit, den angehenden Dozenten einer „geeigneten“, [104] d. h. auch einer auswärtigen Fakultät zuzuweisen, von der reger Gebrauch gemacht wurde. Hier eröffnete sich den beteiligten Instanzen vielfacher Lenkungs- und Handlungsspielraum. So hat man daran zu denken, daß ein unerwünschter Bewerber einer Fakultät bzw. in der Praxis einem Fachvertreter zur Lehrprobe zugewiesen wurde, der einer anderen „Schule“ angehörte oder konträre Lehrmeinungen vertrat, – eine Auffassung, die von seiten eines Tübinger Dekans geltend gemacht worden war (s. o.). Die Zuweisung an eine fremde Fakultät bot aber – auch dafür liegen Hinweise vor – Ausweichmöglichkeiten für Kandidaten, die an der eigenen Universität mit Schwierigkeiten zu rechnen hatten (vgl. Losemann 1977, 85). In diesem Zusammenhang begegnet etwa die „Heimatfakultät“, die einen Habilitanden bei der Lehrprobe hatte scheitern lassen und sich mehrfach erbittert, aber letzten Endes vergeblich gegen die Anerkennung der an einer auswärtigen Fakultät erfolgreich verlaufenen Wiederholungs-Lehrprobe durch das REM wehrte (StAM, 424/400, 1934–1937). Läßt man die nationalsozialistischen Vorzeichen einmal beiseite, so ist es ein immerhin erwägenswerter Gedanke, ob mit der an einer fremden Fakultät zu haltenden Lehrprobe das Verfahren nicht objektiviert wurde. Im Falle Tübingens läßt sich zwischen der Zahl der verliehenen Dozenturen (21) und den vom Kultminister genehmigten Habilitationsverfahren (42) für den Zeitraum von Mai 1935 bis Ende 1938 ein Verhältnis von 1:2 erkennen (UAT, 117 C/38, Liste der Habilitationen). Bei diesen Zahlen muß natürlich eine Reihe von Fragen offen bleiben. Verläßliche Schlüsse lassen sich in unserem Zusammenhang aus derartigen Angaben nur ziehen, wenn der Verfahrensgang der Einzelfälle exakt überprüfbar ist. Eine genügend breite Materialbasis ist erst dann gegeben, wenn die einschlägigen Materialien, d. h. insbesondere Personalakten und die z. T. in der DDR lagernden Akten des REM, einbezogen werden können. Mit diesen Erwägungen zur Habilitationspraxis soll keinesfalls in Abrede gestellt werden, daß die Dozentenlager bei unterschiedlicher Erfahrung ihrer Wirklichkeit im Einzelfall prinzipiell als eine schwere Qualifikationshürde auf dem Weg zur Erlangung der Dozentur anzusehen sind. Die negativen Auswirkungen dieser Praxis der Personalrekrutierung lassen sich an den immer dringlicher erhobenen Klagen über den Nachwuchsmangel ablesen (vgl. Kleinberger in
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diesem Band14). Der württembergische Kultminister Mergenthaler sah im Oktober 1936 z. T. die Befürchtungen bestätigt, welche die Tübinger Dekane bereits im Frühjahr 1935 geäußert hatten (s. o.). In erstaunlicher Offenheit sprach er von der „Gefahr, daß die charakterlich und geistig Brauchbarsten von [105] den Hochschulen abwandern, während einerseits nicht charakterfeste Streber mit politischer Farblosigkeit, andererseits wissenschaftlich schwächer Begabte die künftig freiwerdenden Professuren mangels geeigneter Bewerber zu ersitzen drohen“ (UAT, 184/Jg. 1936 v. 30. 10. 1936; vgl. Adam 1977, 150f.). Die von den Universitäten erbetenen Verbesserungsvorschläge fielen, wie die Antwort der juristischen Fakultät Tübingen zeigt, deutlich aus. Der wesentliche Grund für die „Scheu unserer jungen Kameraden vor dem Eintritt in die Laufbahn des Hochschullehrers“ lag „nach der festen Überzeugung der Fakultät“ in den Regelungen der RhabO. Die Fakultät betonte, daß für einen juristischen Habilitanden, der nach 12jähriger Schulzeit, 2½ Jahren Arbeits- und Wehrdienst, 4 Jahren Studium und 3½jährigem Vorbereitungsdienst schließlich schon mit der Befähigung zum Richteramt ausgestattet war, eine Überprüfung seiner politischen und charakterlichen Eignung zum Dozenten völlig unzumutbar sei (UAT, 189/87, Dekan v. 18. 12. 1936). Die Forderungen der Fakultät liefen auf eine weitgehende Revision der RhabO von 1934 hinaus: So sollte das Habilitationsverfahren einschließlich der Lehrprobe wieder ganz in die Hände der Fakultät gelegt werden, aus der der Habilitand hervorgegangen war. Gemeinschaftslager und Dozentenakademie wollte man ganz aus dem Verfahren ausgliedern. Nach den Vorstellungen der Juristen konnten sie „während der ersten Dozentenjahre stattfinden und ganz dem Zwecke der Gemeinschaftserziehung und weiteren Ausbildung dienen, aber keinesfalls Prüfungscharakter haben, um so mehr, als mit einem neuen Prüfungsurteil doch alle früheren Beurteilungen politischer und wissenschaftlicher Art beiseite geschoben werden“ (ebd.). Der Tübinger Dozentenführer Schwenk sah in einer Zusammenfassung der eingegangenen Fakultätsberichte in den Punkten „Ungewisses Schicksal der Hochschule, mangelnder Idealismus bei den heutigen Studenten, ‚Verruf‘ der Hochschule und schlechte Bezahlung“ die Hauptgründe für den Nachwuchsmangel (UAT, 117/D Pö 9,37, v. 15. 7. 37). Damit sparte er bezeichnenderweise den zentralen Ansatzpunkt der Kritik an der RhabO und insbesondere der Überwachungsfunktion der Lager aus.15 Das Ministerium reagierte auf die Klagen über den Nachwuchsmangel im allgemeinen und die unzumutbare Belastung der angehenden Hochschullehre [106] im besonderen zunächst mit dem Versuch, die materielle Lage dieser Gruppe zu verbessern. In diesen Zusammenhang gehört die vom REM betriebene Gründung des „Reichsdozentenwerks e. V.“ im September 1936 (UAT, 117 C/378, Rundschreiben RDW 1/1936 v. 9. 6. 1936). Aufgabe dieser aus dem Vermögen des aufgelösten „Reichsverbandes Deutscher Hochschulen“ und Beiträgen der Hochschullehrerschaft finanzierten „Selbsthilfe der Akademikerschaft“ war es, den wissenschaftlichen Nachwuchs in Form von Darlehen zu unterstützen (ebd., Anlage W. Rudolph, Das Reichsdozentenwerk; vgl. Kelly, in diesem Band16). Daß im Hinblick auf das prinzipielle Problem die Erfolgsaussichten des Unternehmens gering waren, zeigt die Begründung, die ein Tübinger Professor für seine Weigerung, dem Reichsdozentenwerk beizutreten, gab: Nach seiner „Kenntnis der Stimmung 14 Vgl. das Literaturverzeichnis unten [Aufsatz-Titel dort ergänzt durch die Hrsg.]. 15 Mit dem Punkt „Ungewisses Schicksal der Hochschule“ bezog sich Schwenk auf den Artikel E. Kriecks, „Der Nachwuchs der Hochschullehrer“ (Volk im Werden 4 (1936) 111f.), in dem K. die „radikale und rücksichtslose Aufhebung eines Drittels der bestehenden Hochschulen“ gefordert und damit erhebliches Aufsehen erregt hatte (vgl. UAT, 117 C/383, REM an Rektor Tübingen v. 4. 6. 1937). 16 Kelly 1980; vgl. das Literaturverzeichnis unten [Aufsatz-Titel dort ergänzt durch die Hrsg.].
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bei einer Reihe von jungen Dozenten“ war er „nicht davon überzeugt (...), daß die materielle Lage das ausschlaggebende ist bei der Neigung (...) von der Universität oder Hochschule abzuwandern“ (UAT, 117 C/378, Kamke an Rektor Tübingen v. 1. 10. 1936).17 Eine Reaktion des Ministeriums auf die Klagen der Hochschulen darf man auch in der schrittweisen Reduzierung des zeitlichen Rahmens der Dozentenlager sehen. Nachdem man im Februar 1936 Gemeinschaftslager und Dozentenakademien zu einem sechswöchigen Lehrgang zusammengelegt hatte, wurde vom Mai 1937 an unter ausdrücklichem Hinweis auf die zeitliche Beanspruchung der angehenden Dozenten schließlich nur noch ein vierwöchiger Dienst gefordert (DWEV, 1937, 266f.). In den einschlägigen Erlassen findet zunehmend der Gedanke Beachtung, Störungen des Hochschulbetriebs durch die Lehrgänge möglichst zu vermeiden (UAT, 117 C/37, REM an Kultmin. Stuttgart v. 8. 2. 1938). Mit der Auflösung des Lagers Tännich im Juni 1938 begann eine neue Etappe der NSLagerarbeit. Im Rahmen allgemeiner beamtenrechtlicher Regelungen beanspruchte der „Stell vertreter des Führers“ die weltanschauliche Schulung auch des Dozentennachwuchses. Die Pflicht zur Teilnahme an dem dreiwöchigen „Reichslager für Beamte“ in Bad Tölz, das die Grundlage der für die Ernennung von Beamten „maßgebenden politischen Beurteilung“ liefern sollte, wurde auch in der Neufassung der RhabO, die am 1. 10. 1938 in Kraft trat, verankert (UAT, 117 C/37, REM v. 24. 6. 1938; DWEV, 1938, 415; 1939, 128). Der Verzicht [107] auf die Weiterführung der bis zu einem gewissen Grade hochschulspezifischen Lagerarbeit, den der Minister mit der Rücksichtnahme auf die zeitliche Beanspruchung des Nachwuchses „durch Beruf, Einsatz in der Bewegung, berufliche Fortbildung und Familie“ (REM v. 24. 6. 1938) motivierte, ist nicht nur ein Reflex auf die Klagen der Hochschullehrer, sondern stand auch im Zusammenhang mit den im Dritten Reich zwischen Staat und Partei üblichen Auseinandersetzungen um die Schulungsvollmachten und das Recht politischer Beurteilung. Wenn das Ministerium in diesem Zusammenhang von einem wesentlichen Unterschied der Aufgabenstellung des Reichsbeamtenlagers und der bisherigen Dozentenlehrgänge sprach (ebd.), so wird diese Behauptung durch die Lagerpraxis nicht gedeckt. Es war eben in den Dozentenlehrgängen nicht nur darauf angekommen, „dem künftigen Fachgelehrten einen Einblick in das gesamte Aufgaben- und Arbeitsgebiet der Hochschule zu geben und ohne Rücksicht auf die verschiedenen fachlichen Interessen das Bewußtsein der gemeinsamen Aufgabe nahezubringen“ (ebd.). Die politische Überwachungsfunktion dieser Lager wird durch die Beurteilungen klar belegt. Von ihr wurden auch die Verhaltensformen der Lagerteilnehmer beeinflußt. Insofern bieten auch die Lager das für die Hochschule im Dritten Reich charakteristische Bild von Kollaboration und Resistenz. Mit der Schließung des Lagers Tännich wies man die im engeren Sinne hochschulbezogenen Aufgaben den Universitäten zu und gestand damit das Scheitern dieses Konzeptes ein. Wenn man dagegen auf die jetzt von dem „Stellvertreter des Führers“ übernommene Aufgabe auch im Hochschulbereich nicht verzichten wollte, zeigt das vielleicht am besten, wie sehr der Charakter der nun aufgelösten Institution von der Überwachungsfunktion geprägt war. Es war nur dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zuzuschreiben, daß die vom „Stellvertreter des Führers“ übernommenen „Reichslager“ geschlossen
17 Zur weiteren Diskussion dieses Komplexes, der auch in den Zusammenhang intensiver Bemühungen zur Förderung der „Frühehe der Dozenten“ eingereiht wurde (Volk im Werden 5 (1937) 102f.) vgl. die Verhandlungen der Rektorenkonferenz in Marburg am 15. 12. 1937 (StAH, C 10/8, Bd. 2).
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wurden. Politische Indoktrination und ausuferndes Beurteilungswesen waren damit nicht beendet, sie wurden jetzt auf der Ebene der NSD-Dozentenbundsarbeit fortgeführt. Quellen und Literatur: Unveröffentlichte Quellen Universitätsarchiv Göttingen – General- und Spezielle Akten des Rektorats (zit. als: XJAG) Staatsarchiv Hamburg – Bestand Hochschulwesen II [108] – Bestand Staatliche Pressestelle HI (zit. als: St AH) Staatsarchiv Marburg (Universitätsarchiv) – Promotionen und Habilitationen 1924–1938 (zit. als: StAM) Universitätsarchiv Tübingen – Akademisches Rektorat 1928–1945 (zit. als: UAT) Für freundlich erteilte Auskünfte dankt der Verfasser: Dr. Gustav André (Marburg) vom 20. 11. 1978 (mündlich) Prof. Dr. Kurt Berger (Marburg) vom 5. 12. 1978 (mündlich) Prof. Dr. Eugen Gerstenmaier vom 8. 12. 1978 (brieflich) Literatur Adam 1977 = Adam, Uwe-Dietrich: Hochschule und Nationalsozialismus. Die Universität Tübingen im Dritten Reich, Tübingen 1977. Bracher 1962 = Bracher, Karl Dietrich, u. a.: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, 2. Aufl., Köln 1969. Bracher 1969 = Bracher, Karl Dietrich: Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, 2. Aufl., Köln 1969. Bran 1934 = Bran, Fritz: Junge Wissenschaft. Umrisse einer neuen Hochschule, in: Volk im Werden 2 (1934) 391–400. Busch 1959 = Busch, Alexander: Die Geschichte des Privatdozenten, Stuttgart 1959. DWEV = Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Amtsblatt des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Ehrhardt 1968 = Ehrhardt, Johannes: Erziehungsdenken und Erziehungspraxis des Nationalsozialismus, Phil. Diss. Berlin 1968. Gadamer 1977 = Gadamer, Hans-Georg: Philosophische Lehrjahre. Eine Rückschau, Frankfurt a. M. 1977. Kelly 1973 = Kelly, Reece C.: National Socialism and German University Teachers. Phil. Diss. Univ. of Washington, Seattle 1973. Kelly 1980 = Kelly, Reece C.: Die gescheiterte nationalsozialistisdie Personalpolitik und die mißlungene Entwicklung der nationalsozialistischen Hochschulen, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, 61–76. Kleinberger 1980 = Kleinberger, Aharon F.: Gab es eine nationalsozialistische Hochschulpolitik?, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, 9–30. Krieck 1933 = Krieck, Ernst: Der Neubau der Universität, in: Die deutsche Hochschule, H. 1, Marburg 1933.
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Krieck 1936 = Krieck, Ernst: Der Nachwuchs der Hochschullehrer, in: Volk im Werden 4 (1936) 111f. Losemann 1977 = Losemann, Volker: Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977 (Historische Perspektiven 7). Maier 1966 = Maier, Hans: Nationalsozialistische Hochschulpolitik, in: Die deutsche Universität im Dritten Reich, München 1966, 71–102 Müller 1978 = Müller, Gerhard: Ernst Krieck und die nationalsozialistische Wissenschaftsreform, Wein heim 1978. Nolte 1965 = Nolte, Ernst: Zur Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 46/65 v. 17. 11. 1965, 3–14. Rudolph 1934 = Rudolph, Werner: Die Dozentenakademie, ihre Aufgabe und Gestaltung, in: Volk und Werden 2 (1934) 460–463. Scherzer 1965 = Scherzer, Otto: Physik im totalitären Staat, in: Andreas Flitner (Hrsg.): Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus, Tübingen 1965, 47–58. Schlabrendorff 1965 = Schlabrendorff, Fabian v.: Eugen Gerstenmaier im Dritten Reich. Stuttgart 1965. Werner 1945/46 = Werner, Joachim: Zur Lage der Geisteswissenschaften in Hitler-Deutschland, in: Schweizerische Hochschulzeitung 1945/46, 71–81.
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Nr. 3 Originalpublikation in: K. Strobel (Hrsg.), Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rahmenbedingungen, SH-Verlag, Vierow 1994 (Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen 5), 97–115.
Reformprojekte der NS-Hochschulpolitik # [97] Nicht zuletzt im Blick auf einschlägige Äußerungen Hitlers hat man zu Recht von einer prinzipiellen „Hochschulferne“ des Nationalsozialismus gesprochen.1 Angesichts dieses unstrittigen Sachverhalts fand die Ende der 70er Jahre von Aharon F. Kleinberger zweifelnd gestellte Frage „Gab es eine nationalsozialistische Hochschulpolitik?“ ihre Berechtigung.2 Diese Frage verbindet sich auch mit dem von mir behandelten Thema „Reformprojekte nationalsozialistischer Hochschulpolitik“. Das von dem NS-Studentenbund vor 1933 vorgelegte „hochschulpolitische Programm“ war von sehr einfachem Zuschnitt und läßt sich mit Anselm Faust und Helmut Heiber in den Punkten 1. Führerprinzip statt parlamentarischem System, 2. Säuberung der Hochschulen (durch „Ausmerzung geistig und sittlich Auffälliger“) und 3. Mitsprache der Studentenschaft bis hin zu Berufungsangelegenheiten zusammenfassen. Dieser Katalog, der 1932 auf dem 15. Studententag in Königsberg verabschiedet wurde, läuft in der Tat auf ein hochschulpolitisches „Ermächtigungsgesetz“ (Faust) hinaus.3 Insofern verweist dieses „Programm“ auf die Säuberungs- und Verdrängungsaktionen von 1933/34, die man als die einschneidendsten Maßnahmen der NS-Hochschulpolitik bezeichnen muß.4 [98] Den nationalsozialistischen Anspruch einer grundlegenden Wissenschaftsreform hat G. Müller mit dem Werk Ernst Kriecks verbunden.5 Hier liegt zumindest der Ansatz für begrenzte Reformprojekte, auf die ich im Folgenden eingehen möchte. Die Aufmerksamkeit gilt in einem ersten Teil der ungefähr bis zum Herbst 1934 geführten „Programmdebatte“. # 1 2 3 4 5
Anm. der Hrsg.: Die in Anm. 65 genannten Aktenbestände NS 8 und NS 9 befinden sich heute im Bundesarchiv Berlin. E. Nolte, Zur Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 45/65 v. 17. November 1965, 4 (= Nolte 1965). A. F. Kleinberger, Gab es eine nationalsozialistische Hochschulpolitik?, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, 9–30 (= Kleinberger 1980). A. Faust, Der nationalsozialistische Studentenbund, Bd. 2, Düsseldorf 1973, 40; vgl. H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1, Der Professor im Dritten Reich, München 1991, 46. H. Seier, Die Hochschullehrerschaft im Dritten Reich, in: K. Schwabe (Hrsg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite, Boppard 1988, 252 (= Seier 1988). Vgl. G. Müller, Ernst Krieck und die nationalsozialistische Wissenschaftsreform, Weinheim/Basel 1978 (= Müller 1978).
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Im Anschluß daran werden Reformprojekte angesprochen, die die gleichsam revolutionäre Phase der NS-Hochschulpolitik zunächst überdauerten. Im Mittelpunkt des letzten Teils steht dann ausführlicher das fast bis zum Kriegsende betriebene Projekt der „Hohen Schule“ Alfred Rosenbergs, dessen Inangriffnahme 1937 auch als ein Eingeständnis des Scheiterns genuin nationalsozialistischer Hochschulpolitik zu werten ist. Ich möchte versuchen, einen Einblick in die mit diesen „Reformprojekten“ verbundene Praxis totalitärer Hochschulpolitik zu geben. Um die nach der Machtergreifung einsetzende Programmdebatte richtig einschätzen zu können, muß man sich deren Ausgangslage und Gesamteindruck vergegenwärtigen: Am radikalsten gebärdeten sich die teilweise mit dem NS-Studentenbund konkurrierenden SAStudenten. Aus ihren Kreisen waren Forderungen wie die nach prinzipieller Absage an jede Wissenschaft zu hören.6 Was in dieser Debatte von radikalen Studentenführern bis hin zum „Reformrektor“ (Heiber) produziert wurde, schloß kaum zu einem hochschulpolitischen Konzept zusammen, war aber geeignet, beträchtliche Befürchtungen zu wecken. Hier liegt neben den bekannten NS-Affinitäten ein wichtiger Grund für äußerst facettenreiche Verhaltensweisen der Hochschullehrer.7 Dazu gehören so bekannte Konzepte wie Hans Freyers „Vorschlag zur Universitätsreform“ mit dem Haupttitel „Das politische Semester“, das für alle Studienanfänger obligatorisch sein sollte.8 Weiter ging Adolf Rein, dessen Projekt in Gestalt der „politischen Fachgemeinschaft der Fakultäten“ strukturelle Veränderungen einschloß.9 Das galt auch für Joh. Wilhelm Mannhardt, der aus Marburg die Schrift „Hochschulrevolution“ beisteuerte. Mannhardt [99] wollte als untere Stufe der Universität eine „Akademie“ für die ersten Semester einrichten.10 Diese Konzepte, die zum Teil an Reformdiskussionen der Weimarer Zeit und angloamerikanische Vorbilder anknüpfen, signalisieren ein eher konservatives „Entgegenkommen“.11 Der Umfang genuin nationalsozialistischen Veränderungswillens spiegelt sich in dem Forderungskatalog eines studentischen Autors mit dem Titel „Junge Wissenschaft. Umrisse der neuen Hochschule“ aus dem Jahre 1934.12 In überaus charakteristischer Weise beschwört er zunächst die militärisch geprägten „Zucht- und Ordnungsformen“, womit er sich auf persönliche Erfahrungen im freiwilligen Arbeitslager bzw. -dienst von 1931 bezog, als ein solches Lager „plötzlich zum aktivsten Teil der Hochschule“ – gewissermaßen also zum Ausgangspunkt der nationalsozialistischen „Hochschulrevolution“ – geworden war.13 6 Seier 1988, 258 [s. Anm. 4]. – Vgl. Nolte 1965, 5 [s. Anm. 1]. 7 Dazu V. Losemann, Programme deutscher Althistoriker in der Machtergreifungsphase, in: Quaderni di storia 11 (1980) 35–105 [Nr. 1]. 8 H. Freyer, Das politische Semester, Jena 1933, 54. 9 Gustav Adolf Rein, Die Idee der politischen Universität, Hamburg 1933, 37. – Vgl. G. Giles, Die Idee der politischen Universität. Hochschulreform nach der Machtergreifung, in: M. Heinemann, (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, 51ff. (= Giles 1980) – Kritisch dazu Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil II, Die Kapitulation der Hohen Schulen, Bd. 1, München 1992, 512. 10 J. W. Mahnhardt, Hochschulrevolution, Hamburg 1933, 74ff. 11 Vgl. H. Seier, Universität und Hochschulpolitik im nationalsozialistischen Staat, in: K. Malettke (Hrsg.), Der Nationalsozialismus an der Macht, Göttingen 1984, 149f. (= Seier 1984). 12 F. Bran, Junge Wissenschaft. Umrisse der neuen Hochschule, in: Volk im Werden 2 (1934) 391–400 (= Bran 1934). 13 Bran 1934, 393.
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Hohen Stellenwert besitzen in dieser Konzeption – nur die wichtigsten Punkte können hier stichwortartig aneinandergereiht werden – – die enge Bindung der Wissenschaft an die Volksgemeinschaft – die politische Schulung in Kameradschaften des NS-Studentenbundes – die von der lokalen Ebene bis zur Reichsfachschaft durchorganisierte Fachschaftsarbeit – Arbeitsgemeinschaften und überhaupt Gemeinschaftserfahrungen – Einrichtung von „Hochschulabteilungen“ und „-kreisen“ als „Mittelpunkt der Hoch- schulen einer Landschaft“ – „Lehrdienst“ in der „Welt der Arbeit“ – Vorrang arischer Wissenschaft. In dieser Auflistung springt die Nähe zu zentralen Punkten der Vorstellungen Ernst Kriecks in die Augen. Abgesehen von der totalen Ideologisierung gehört eine antibürgerliche, antipositivistische und antiintellektuelle Grundhaltung zu diesen Reformideen.14 Unter den wesentlichen Punkten der Reformvorhaben Kriecks, die sein Biograph Müller aktualisierend aufgelistet hat, begegnen uns – das ergänzt z. T. den studentischen Forderungskatalog – [100] 1. die „Dozentenakademie als Ansatzpunkt der Hochschulreform“, 2. „Hochschuldidaktik und Mitspracherecht der Studenten“ und 3. „Kameradschafts- und Fachschaftserziehung“ der Studenten.15 Mit dieser Konzeption ist ein starker Affekt gegen die Ordinarienuniversität verknüpft, der mit Kriecks Aufstiegsbedingungen vom Volksschullehrer zum Professor an einer Lehrerakademie zusammenhängt. Krieck und sein Adept vertraten zweifellos radikale Reformpositionen. Welche langfristigen Realisierungschancen die Ansätze und Erscheinungsformen nationalsozialistischen Ver änderungswillens über das „Semester der ersten Erregung“ – in diesen Rahmen versuchte ein Berliner Althistoriker die Entwicklung einzuordnen – hinaus besaßen, erschien vorläufig schwer abschätzbar.16 In Auseinandersetzung mit der Wortwahl des Krieck-Biographen G. Müller, der Kriecks Wirken gern mit Begriffen aus der bundesdeutschen Hochschulreformdebatte umschreibt, hat H. Seier mehrfach daraufhingewiesen, daß Krieck „in mancher Hinsicht an Modernisierungs tendenzen schon der 20er Jahre an-(knüpfte) – teilweise an solche, die nach 1968 mit anderen Vorzeichen wieder aufgenommen wurden“.17 Den stärksten Ausdruck hat dieser Zusammenhang in der folgenden Frage eines am Anfang der 60er Jahre führenden Funktionärs des „Verbandes deutscher Studentenschaften“ (VDS) gefunden, die Ernst Nolte hervorgehoben hat: „War nicht auch“ – so heißt es dort – „am Sturm des NS-Studentenbundes auf die Universitäten und an seinem Protest gegen die herkömmliche Wissenschaft und ihre Lebensform einiges ganz richtig?“18 Die Frage entstammt 14 Seier 1984, 150 [s. Anm. 11]. 15 Vgl. die einzelnen Abschnitte bei Müller 1978, 389–402. 16 Vgl. W. Weber, Erwartungen und Forderungen des Professors, in: Der deutsche Student 1 (Oktober) (1933) 4f. 17 Seier 1984, 150 [s. Anm. 11]; vgl. Seier 1988, 258 [s. Anm. 4] und H. Seier, Rez. G. Müller, Krieck, in: HZ 231 (1980) 236–248. 18 E. Nolte, Die deutsche Universität und der Nationalsozialismus, in: Neue Politische Literatur 12 (1967) 236–239.
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einem Beitrag – damit schließt sich der Kreis in gewisser Weise – zu der bekannten Berliner Vortragsreihe „Nationalsozialismus und die deutsche Universität“ aus dem Jahre 1966.19 So verlockend es auch wäre, diese Verbindungslinien aufzunehmen, so groß ist die Gefahr, dabei den Gesamtrahmen totalitärer Hochschulpolitik, die von umfassender Ideologisierung und Politisierung geprägt war, aus den Augen zu verlieren: Es muß hier genügen, weiter an [101] die terroristischen Gleichschaltungs- und Boykottaktionen vor allem aber an die nach der Machtübernahme einsetzende Säuberungswelle zu erinnern. Viel stärker als auf den Wunsch nach einer wesentlichen Reform der Universitätsstruktur war die Interessenlage der Machthaber auf die politisch-weltanschauliche Kontrolle aller Hochschulangehörigen und -bereiche ausgerichtet. G. Giles, der sich mit der „Idee der politischen Universität“ in der Machtergreifungsphase auseinandergesetzt hat, ist zu dem Schluß gekommen, „daß die deutschen Hochschulen durch positives Nichtstun manches Schädliche zu verhindern verstanden.“20 Wenn das schon ein Ergebnis ist, so wurde es mit vielen Opfern und Verlusten erkauft. Von den „Reformkonzepten“ der Programmdebatte ist in der Tat wenig verwirklicht worden. Das Scheitern der genuin nationalsozialistischen Reformer zeichnete sich relativ früh ab. Walter Groß, damals Leiter des rassepolitischen Amtes und später Wissenschaftsfunktionär Rosenbergs, zog 1936 eine ernüchternde Bilanz: Die „politische Hochschule“, so heißt es bei ihm, „könne erst in etwa einem Jahrzehnt verwirklicht werden durch Nachrücken eines weltanschaulich einwandfreien Nachwuchses. In der Zwischenzeit sei die Hochschule zu entpolitisieren, d. h. man müsse auf die ‚peinlichen Bemühungen‘ der derzeitigen Lehrstuhlinhaber, ‚Nationalsozialismus zu spielen‘, verzichten“.21 Nach der Röhm-Krise im Juni 1934 gaben im Hochschulbereich nicht mehr die Reformer, sondern eher die im Reichserziehungsministerium (REM) etablierten „Machttaktiker“ – so hat H. Seier diese Gruppe genannt – den Ton an.22 Dieser Einschnitt wird auch durch die Auflösung der SA-Hochschulämter Mitte 1934 markiert.23 Zu den Ansätzen einer neuen Studentenpolitik gehörte der Versuch, das soziale Profil der Studentenschaft zu verändern: Über das „Langemarckstudium“ sollten in NS-Organisationen bewährte Arbeiter- und Bauernsöhne nach anderthalbjährigen Lehrgängen ohne Reifeprüfung Zugang zu den Hochschulen erhalten, in denen sie dann – in der Sprache der Zeit – den nationalsozialistischen „Stoßtrupp“ bilden sollten. Das „Bildungsmonopol des liberalistischen Bürgertums“ konnte nach Ausweis der Statistik so freilich nicht gebrochen werden.24 Der in der Programmdebatte oft beschworene Versuch, alle Anfangssemester in „Kameradschaftshäusern“ mit dem Ziel nationalsozialistischer „Mannschafts“- oder „Gemein schaftserziehung“ zu „erfassen“, gab man 1936 auf. Danach boten die Kameradschaften le19 Vgl. L. Krappmann, Die Studentenschaft in der Auseinandersetzung um die Universität im Dritten Reich, in: Nationalsozialismus und die deutsche Universität, Universitätstage 1966, Berlin 1966, 171. 20 Giles 1980, 57 [s. Anm. 9]. 21 Zitiert nach Kleinberger 1980, 11 [s. Anm. 2]. 22 Vgl. Seier 1984, 150f. [s. Anm. 11]. 23 Vgl. M. H. Kater, Professoren und Studenten im Dritten Reich, in: Archiv für Kulturgeschichte 67 (1985) 479 (= Kater 1985). 24 Kleinberger 1980, 20f. [s. Anm. 2].
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diglich [102] den Rahmen für Schulungsabende, teilweise auch für die bis Kriegsende immer weiter ausufernden und von den Universitäten beklagten „Dienstpflichten“.25 Näher an den eigentlichen Aufgaben der Hochschulen lag die „Fachschaftsarbeit“, einer der wichtigsten Ansatzpunkte für die weltanschauliche Indienstnahme der Wissenschaft: Fach bezogene studentische Arbeitsgruppen bemühten sich an vielen Universitäten in Zusammen arbeit mit aufgeschlossenen Dozenten in z. T. mehrsemestrigen Gemeinschaftsarbeiten (ebenso wie Arbeitsgemeinschaften von Dozenten und Fakultäten) um Themen ihrer wissenschaftlichen Fachgebiete mit Gegenwartsbezug. Hier sei auf das in der „Historischen Zeitschrift“ propagierte Beispiel „einer neuen akademischen Gemeinschaftsarbeit“ der Kulturwissenschaftlichen Fachschaft Freiburg verwiesen, die das Thema „Volk, Geschichte, Dichtung“ am Beispiel von Schiller und Vergil abhandelte.26 Versuche, die Fachschaftsarbeit obligatorisch zu machen, scheiterten. Grenzen der Freiwilligkeit ergaben sich allerdings daraus, daß die Prüfungszulassung in einigen Diplomund Staatsprüfungsordnungen von der Beteiligung an den Aktivitäten der Fachschaften abhing.27 Wenn im Zusammenhang mit dieser Arbeitsform – wohl auch aus dem Blickwinkel der 68er-Erfahrungen – von „gegenseminaristischer Indoktrination der Fachschaften“ die Rede ist, so trifft das durchaus die Hochschulwirklichkeit am Anfang der dreißiger Jahre.28 Die Fachschaftsarbeit bildete das Fundament für den Reichsleistungskampf der deutschen Studenten, das wichtigste Erprobungsfeld für neue Formen wissenschaftlicher Arbeit und Ausdruck eines besonderen weltanschaulichen Aktivismus.29 Mit dem erstmals im Winter semester 1935/36 durchgeführten Reichsleistungskampf ordnete sich die deutsche Studenten schaft nach der „Fachhochschülerschaft“ in den von der Deutschen Arbeitsfront getragenen „Reichsberufswettkampf“ ein.30 Trotz viel beschworener Parolen von der Einheitsfront der „Arbeiter der Stirn und der Faust“ – oder vom Gegensatz dieses freiwilligen Kampfes zum antreiberischen „Stachanow-System“31 [103] – lassen die Rechenschaftsberichte erkennen, daß auch diese Veranstaltungsform, die mit Ausbruch des Krieges eingestellt wurde, ihre Ziele nur in begrenztem Umfang erreichen konnte; es gelang nicht, die „vom Trägheitsprinzip ergriffene Masse von Studierenden“ für den Leistungskampf zu mobilisieren.32 Im Sinne der eingangs beschriebenen Reformforderungen war es das Hauptanliegen, über „Gemeinschaftsarbeiten“ einen „revolutionären Umbruch unseres heutigen Wissenschafts betriebes“ herbeizuführen.33 Auch wenn der „Grundsatz der Mannschaftsleistung“ immer wieder hervorgehoben wurde, konnte sich in der Praxis die Einzelarbeit, die auch in Dissertationen 25 Kleinberger 1980, 23. 26 Vgl. H. Oppermann, Volk, Geschichte, Dichtung, in: HZ 156 (1937) 71–81 und ders., in: Deutschlands Erneuerung 1941, 343. 27 Kleinberger 1980, 25 [s. Anm. 2]. 28 Seier 1984, 154 [s. Anm. 11]. 29 Vgl. generell M. H. Kater, The Reich Vocational Contest and Students of Higher Learnings in Nazi Germany, in: Central European History 7 (1974) 225–261. 30 H. Beer, Reichsleitungskampf der deutschen Studentenschaft im Wintersemester 1935/36, in: Der deutsche Student 3 (1935) 550–552 (= Beer 1935). 31 F. Kubach (Hrsg.), Studenten bauen auf! Der 2. Reichsberufswettkampf der deutschen Studenten 1936/37, Berlin o. J. (1937), 7f. 32 F. A. Six, Studenten bauen auf! Der 1. Reichsberufswettkampf 1935/36, Marburg / Berlin o. J., XI. 33 Vgl. Beer 1935, 550f. [s. Anm. 30].
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einmündete, gegen Widerstände im Reichsleistungskampf behaupten. Voraussetzung war, daß der Verfasser vorher an einer Mannschaftsarbeit teilgenommen hatte. Perspektivisch wollte man sogar die Habilitation in dieser Organisationsform nicht ausschließen.34 Mit dem Konzept verband man den weitergehenden Anspruch, ein Reservoir für zuverlässigen wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen, d. h. „die gesunden Kerne dieser Gemeinschaftsarbeit zum Träger der zukünftigen Forschungsarbeit“ zu machen.35 In einem vielleicht singulären Fall war immerhin die Karriere vom Führer einer Kameradschaft, die in ihrer Sparte zweimal den Reichssieger im Reichsleistungskampf stellte, bis zum außerordentlichen Professor möglich.36 Um einen begrenzten Einblick in die Praxis zu geben: Eine Reichssiegerarbeit, die von 13 Althistorikern und Mediaevisten in Berlin erstellt wurde, galt dem Thema „Das Vordringen des Römertums und Christentums im niedersächsischen Raum“, das – auch hier begegnet das militarisierende Vokabular – der „Kampfsparte“ „Volkstumsforschung“ zugeordnet war.37 Unter der Liste der Gutachter, die die Arbeiten zentral im Hinblick auf „politisch-wissenschaftliche“ und „praktisch-politische“ Brauchbarkeit bewerteten, begegnen durchweg [104] Namen, die im Kontext nationalsozialistischer Hochschul- und Wissenschaftsprogrammatik hervorgetreten sind. Die fachliche Zusammensetzung der „Mannschaften“ läßt, wie die Ergebnislisten zeigen, Ansätze zu interdisziplinärer Zusammenarbeit auf Fakultätsebene erkennen, deren Grenzen nur relativ selten überschritten wurden.38 Neben anderen möglichen Verpflichtungen – etwa Militär-, Arbeits-, Erntedienst oder Hochschullager – stellt der Reichsberufswettkampf – auch das muß gesehen werden – eine zusätzliche Belastung dar. Wie auch immer es um die „Freiwilligkeit“ der Teilnahme bestellt war, zumindest bedürftige Studenten konnten sich diesen neuen Organisationsformen kaum entziehen: Eine Untersuchung von M. H. Kater hat auf breiter Materialbasis gezeigt, daß das Reichsstudentenwerk nur dann Darlehen vergab, wenn die Zugehörigkeit zu mindestens einer „politischen Formation“ nachgewiesen war. Die meisten Darlehensnehmer gehörten in der Praxis mehreren Organisationen an.39 Das Lager als die typisch nationalsozialistische Lebens- und Erziehungsform bildete, wie wir gesehen haben, vor der Machtübernahme einen ideellen Ausgangspunkt der studentischen „Hochschulrevolution“. Im Lager sollte jetzt ein neuer Dozententyp geformt werden, der die „krassen Materialisten oder blutleeren Papierseelen“, „(...) den volksfremden Gelehrten“ – so beschrieb der Rektor der TH Berlin 1934 den Privatdozenten – ablösen mußte.40 Wehrbzw. Geländesportlager und – eng damit verknüpft – die Dozentenakademie als zusätzliche
34 F. Kubach (Hrsg.), Studenten bauen auf! Der 3. Reichberufswettkampf der deutschen Studenten 1937/38, Berlin o. J. (1938), 29f. 35 F. A. Six, Studenten, IX. 36 Vgl. V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977, 76 (= Losemann 1977). 37 Vgl. Beer 1935, 551 [s. Anm. 30] und F. A. Six, Studenten 10, Nr. 194. 38 Vgl. jeweils F. A. Six, Studenten (Anm. 32) und F. Kubach, Studenten (Anm. 31 und 34). 39 Kater 1985, 480 [s. Anm. 23]. 40 Zitiert nach K. D. Bracher, Die deutsche Diktatur, Köln ²1969, 295.
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Qualifikationsstufen und neues Element der Personalrekrutierung standen in denkbar größtem Gegensatz zu Arbeitsbedingungen und Habitus des traditionellen Dozenten.41 Die wichtigste Neuerung dieses Konzeptes betraf die Trennung zwischen Habilitation und Erteilung der Lehrbefugnis, die in der Reichshabilitationsordnung vom Dezember 1934 reichseinheitlich geregelt wurde. Nach dem bisher üblichen Habilitationsverfahren war die Erteilung einer Dozentur dann von einer öffentlichen Lehrprobe ggf. auch vor einer „auswärtigen“ Fakultät und der Bewährung in „Gemeinschaftslager“ und „Dozentenakademie“ abhängig. Diese Regelungen blieben mit gewissen Modifikationen bis Juni 1938 in Geltung. Gegen die „Dozentenlager“ artikulierte sich schon bald nach den ersten Erfahrungen Widerstand der Universitätsgremien, die die zutiefst wissenschaftsferne politische Indoktrination beklagten.42 [105] Die Berichte von Teilnehmern ergeben ein widerspruchsvolles Bild. Mit vergleichsweise positiven Einschätzungen der Atmosphäre, die man „keineswegs als bedrückend oder bedrohlich empfunden habe“, des als „menschliche Bereicherung“ erfahrenen „Gemeinschaftserlebnisses“, verbinden sich Hinweise auf Kritik an Lagerleitern – gemeint waren die Kursleiter, also Professoren –, Hinweise auf Opposition gegen „grundsätzliche nationalsozialistische Einlassungen“ und auch auf deutlich wahrnehmbare „Gruppenbildung“ im Lager, in dem „engagierte Nationalsozialisten in einer hoffnungslosen Minderheit“ sein konnten. Eher positiv beurteilt wird auch die Verpflichtung zu einer Art Lehrprobe, einem im Lager frei zu haltenden Vortrag mit einem Tag Vorbereitungszeit, die im Hinblick auf den interdisziplinären Austausch geradezu als außerordentlich gewinnbringend bewertet wird.43 Auf der anderen Seite gehörten Frühsport, Kampfspiele, Märsche, politische Exkursionen und – am stärksten in der Anlaufphase – breite politische Schulung ebenso zum Erscheinungsbild dieser Lager wie die Bespitzelung durch offenbar eingeschleuste „unechte“ Dozenten und das Gefühl tiefer Verletztheit empfindsamer Gelehrtennaturen, die die „antiintellektuelle und vitalistische“ (Kater) Atmosphäre nicht ertragen konnten.44 Die Bewertungspraxis läßt zumindest Rückschlüsse auf den neuen „Dozententyp“ zu, der durch das Lager eigentlich „gestählt“ werden sollte. Bedrückend deutlich wird aber auch, welchen Zumutungen ein erheblicher Teil des akademischen Nachwuchses hier nach der Habilitation ausgesetzt war. Neben „weltanschaulicher Haltung und Betätigung“, „körperlicher Betätigung“ und besonderen Charaktereigenschaften wurde – mit allem Vorbehalt – auch die hochschuldidaktische Qualifikation in die Beurteilung einbezogen. Die Notenskala reichte von Nr. 1 (= „wünschenswerte Erscheinung, sehr gut“) bis Nr. 4 (= „unbrauchbar, gefährlich“). Daß so mancher Teilnehmer dem von „Männlichkeit, Härte und Frische“ geprägten Bild des idealen Dozenten mit „besonderen Führer- und Erziehereigenschaften“ nicht nahekam, gehört zu den milderen Beurteilungen, wobei ich die abstrusen Wertungen beiseite lasse.45 Verantwortet wurden diese Beurteilungen von dem der SA angehörenden ständigen Leiter der Gemeinschaftslager und den die Kurse leitenden Hochschullehrern, unter denen nicht 41 Zum Folgenden vgl. V. Losemann, Zur Konzeption der NS-Dozentenlager, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, 87–109 (= Losemann 1980) [Nr. 2]. 42 Vgl. Losemann 1980, 90ff. [Nr. 2; s. Anm. 41]. 43 Losemann 1980, 99f. [Nr. 2]. 44 Losemann 1980, 99f. [Nr. 2]; vgl. Kater 1985, 471 [s. Anm. 23] und W. Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, Göttingen 1976, 162–165. 45 Losemann 1980, 100f. [Nr. 2; s. Anm. 41].
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wenige Rektoren vertreten waren. Daß die Hochschullehrerlaufbahn am Nichtbestehen des Dozentenlagers gescheitert ist, läßt sich in Einzelfällen nachweisen. Welchen Stellenwert diese Qualifikationsstufe generell bei der letzten Endes vom Berliner Ministerium zu treffenden Entscheidung über die Erteilung der Lehrbefugnis besaß, ist derzeit nicht abschließend zu klären. [106] Klarer ist, daß die Qualifikationsstufe der z. T. auswärtigen Lehrprobe in der Regel keine entscheidende Hürde darstellte. Gerade die Möglichkeit der „Zuweisung“ angehender Dozenten an auswärtige Fakultäten bot dem Ministerium zahlreiche Lenkungs- und Handlungsmöglichkeiten.46 Die oben angesprochenen, in manchen Bezügen vergleichsweise positiven Einschätzungen der Dozentenlager sind an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft. Dazu zählten nicht nur die einer vernünftigen Leitung, sondern auch, wie es in einem Bericht heißt, die Möglichkeit, „unauffällig und mit Glück die Klippe dieses Lagers zu umschiffen“.47 Die „Gefahr, daß die charakterlich und geistig Brauchbarsten von den Hochschulen abwandern, während einerseits nicht charakterfeste Streber mit politischer Farblosigkeit, andererseits wissenschaftlich schwächer Begabte die künftigen Professuren mangels geeigneter Bewerber zu ersitzen drohen“, hatte der württembergische Kultminister (sic!) Mergenthaler schon 1935 offen angesprochen.48 Die Zahl derer, die sich diesem Verfahren von vornherein entzogen, ist schwer abzuschätzen.49 Die immer lauter werdenden Klagen über den Nachwuchsmangel an den Hochschulen sprechen eine deutliche Sprache und sind auch als Urteil über die hier beschriebenen Verfahren der Personalrekrutierung für die Hochschulen zu verstehen. 1938 wurden die speziellen Dozentenlehrgänge zwar abgeschafft, die angehenden Hochschullehrer mußten dafür an einem dreiwöchigen „Reichslager für Beamte“ teilnehmen: die politische Überwachung war also weiter gewährleistet. Im letzten Teil wende ich mich dem von Alfred Rosenberg mit beträchtlicher Energie fast bis zum Kriegsende betriebenen Aufbau der sogenannten „Hohen Schule“ zu, die als „Projekt einer nationalsozialistischen Alternativ-Universität“ (Bollmus) den totalitären Anspruch der NS-Hochschulpolitik und ihre prinzipiellen Entwicklungsmöglichkeiten (bei einer anderen Nachkriegslage) m. E. am deutlichsten zum Ausdruck bringt.50 Es kann hier nur darum gehen, den wissenschaftspolitischen und organisatorischen Ansatz zu verfolgen, wobei der Versuch Rosenbergs, mit seiner „Hohen Schule“ in die Universitäten einzudringen, besondere Beachtung findet. Ansatzpunkte dafür boten Institute, sogenannte Außenstellen, der Hohen [107] Schule vorzugsweise in Universitätsstädten. Es hat den Anschein, daß der Realisierungsgrad dieser Institution größer ist als bisher angenommen wurde. Inhaltliche Fragen müssen weitestgehend zurücktreten. Nur soviel soll gesagt werden, daß die Positionen, die Alfred Rosenberg als „Chefideologe“ der NSDAP vor und nach 1933 46 Vgl. auch Heinrich Becker (Hrsg.), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus, München 1987, 36f. 47 So Eugen Gerstenmaier brieflich an den Verf. 1978; vgl. Losemann 1980, 101 [Nr. 2; s. Anm. 41]. 48 Zitiert nach Losemann 1980, 104f. [Nr. 2]. 49 Kater 1985, 471, Anm. 22 [s. Anm. 23]. 50 Grundlegend R. Bollmus, Zum Projekt einer nationalsozialistischen Alternativ-Universität: Alfred Rosenbergs Hohe Schule, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, 125–152 (= Bollmus 1980).
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verfochten hatte – man denkt an seinen „Weltanschauungskampf“ mit den Kirchen und die Auseinandersetzung um die germanische Vorgeschichte – im universitären Raum völlig diskreditiert waren.51 Die entscheidende Voraussetzung für die Inangriffnahme des Projekts schuf nach längerer Planungsphase eine Anordnung Hitlers vom 29. Januar 1940 „über die vorbereitenden Arbeiten zur Hohen Schule“, die als „zentrale Stätte der nationalsozialistischen Forschung, Lehre und Erziehung“ freilich erst nach dem Krieg eingerichtet werden sollte. Verbunden war damit – was sich als außerordentlich wichtig erweisen sollte – die Möglichkeit, bereits angelaufene Vorarbeiten „auf dem Gebiet der Forschung und Errichtung der Bibliothek“ weiterzuführen.52 Zunächst ließ sich kaum absehen, was aus diesem eher zufällig zustandegekommenen „Gründungserlaß“ bei extensivem Gebrauch zu machen war.53 Hervorzuheben ist, daß es bei der „Alternativ-Universität“ – so der von Bollmus geprägte Ausdruck – nicht um eine dem Kadernachwuchs dienende „Parteiuniversität“ ging, die in der „Programmdebatte“ nach der Machtübernahme als schwere Bedrohung der gesamten Universität angesehen wurde.54 Die schon erwähnte Anordnung Hitlers vom Januar 1940 verschaffte Rosenberg eine bessere Ausgangsposition für den Aufbau der Hohen Schule auch und gerade in der Ausein andersetzung mit dem zuständigen Ministerium, dem er im August 1940 sein langfristiges Konzept erläuterte: Er habe „in Aussicht genommen, bestimmte Institute unabhängig von Universitäten, die meisten jedoch in engster Verbindung mit den Hochschulen einzurichten“. „Ich glaube“, so fuhr Rosenberg fort, „dadurch beiden Teilen zu helfen: der Hohen Schule durch Heranziehen des akademischen Nachwuchses, den Hochschulen durch konkret gestellte Aufgaben neues wissenschaftliches Leben im Sinne unserer Weltanschauung zuzuführen. [108] Die späteren Ergebnisse der nationalsozialistischen Forschung würden ferner die Voraussetzung aller Hochschulreform abgeben.“55 Der Einbruch der Hohen Schule in die Universitäten gelang Rosenberg schließlich im November 1940 zunächst in München, wo sich die Gelegenheit zu bieten schien, die sechs Lehrstühle der geschlossenen katholisch-theologischen Fakultät für die Hohe Schule zu nutzen.56 Rosenberg einigte sich mit Rust zwar auf die Trennung zwischen künftigen Außenstellen der Hohen Schule und den Universitäten – erhielt aber von dem Minister die prinzipielle Zusage, er werde ihm bei Neuberufungen entgegenkommen. Die Verbindung des Instituts zur Universität war also dadurch gegeben, daß potentielle Institutsmitglieder zugleich Lehrstuhlinhaber an der Universität sein konnten.57 Einen Monat später wurde der Kieler Gräzist Richard Harder von Rosenberg zum Leiter des „Instituts für Indogermanische Geistesgeschichte“ der Hohen 51 Dazu R. Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg, Mainz 1977 (= Baumgärtner 1977), ferner V. Losemann, Aspekte der nationalsozialistischen Germanenideologie, in: Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte, Festschrift Karl Christ, Darmstadt 1988, 264ff. 52 Zitiert nach: L. Poliakov / J. Wulf, Das Dritte Reich und seine Denker, Berlin 1959, 131. 53 Zur Vorgeschichte der „Führerentscheidung“ vgl. R. Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner, Stuttgart 1970, 134 (= Bollmus 1970). 54 Vgl. Bollmus 1980, 128 [s. Anm. 50]. 55 Zitiert nach Bollmus 1980, 125. 56 Zu den Münchner Vorgängen vgl. Losemann 1977, 142ff. [s. Anm. 36]. 57 Losemann 1977, 146.
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Schule-Außenstelle München ernannt. Auch Rust hat sich an seine prinzipielle Konzession gehalten. Die Münchener Fakultät fand sich nur schwer mit der Berufung Harders ab, der bei dem späteren Beginn seiner Tätigkeit auf erhebliche Widerstände stieß.58 Dabei kam auch die notorische Konkurrenz zwischen Himmlers „Ahnenerbe“ und dem „Amt Rosenberg“ zum Tragen. Mit dem Organisationsmodell, das in München seit 1940 verwirklicht wurde, hatte Rosenberg schon 1938 in Halle und Marburg – damals erfolglos – versucht, religionswissenschaftliche Institute für die Hohe Schule aufzubauen bzw. zu „übernehmen“, deren Leiter zugleich in Personalunion, also als Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektoren, in der Universität verankert waren. Ein Hinweis darauf, wie konsequent er dieses Modell verfolgte.59 Zu den weiteren Stationen der Aufbauarbeit der Hohen Schule gehört die Einrichtung des „Instituts zur Erforschung der Judenfrage“ in Frankfurt, das u. a. die berühmte JudaicaSammlung der Stadt unter radikal antisemitischen Vorzeichen „erforschen“ sollte. Auch wenn dieses sogenannte „Forschungsinstitut“ außerhalb der Universität angesiedelt war, prägte es das Profil der Hohen Schule in dieser Phase nachdrücklich, zumal es die einzige „Außenstelle“ blieb, die mit beträchtlichem propagandistischem Aufwand feierlich im März 1941 eröffnet wurde.60 [109] Erst von diesem Vorgang und dem ihm zugrunde liegenden Programm her läßt sich in vollem Umfang abschätzen, was es bedeutete, wenn Rosenberg mit seinen Instituten in der Universität Fuß faßte, und wenn zudem offensichtlich qualifizierte Gelehrte wie etwa Richard Harder bereit waren, sich mit diesem Programm der Hochschul- und Wissenschaftsreform zu identifizieren. Im weiteren Verlauf des Jahres 1941 konnte Rosenberg in Halle, hier ist an die Pläne von 1938 zu erinnern, einen selbst im eigenen Dienststellenbereich umstrittenen Mitstreiter als Ordinarius in der philosophischen Fakultät und Leiter eines Hohe Schule-Instituts für Religionswissenschaft, das Teil der Universität war, etablieren.61 Im gleichen Jahr wurde das „Institut für Überseeforschung“ der „Hohen Schule“ in Hamburg unter Leitung des Hochschulreformers der ersten Stunde G. A. Rein gegründet, das ebenfalls in engster Ver bindung zur Universität stand.62 Damit sind nur die wichtigsten Etappen und die bekanntesten Fälle der Aufbauarbeit der Hohen Schule angesprochen.63 Das Bild bliebe freilich unvollständig, wenn man die Verbindung zwischen dem „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) und der Hohen Schule außer Acht ließe: Im Rahmen einer europaweiten Sammel- bzw. Raubtätigkeit versorgte diese Organisation nicht nur die vorläufig in der Nähe von Villach angesiedelte künftige „Zentralbibliothek der 58 Losemann 1977, 146. 59 Vgl. V. Losemann, Der Marburger Schloßplan 192–1945, in: W. Heinemeyer u. a. (Hrsg.), Academia Marburgensis, Bd. 1, Marburg 1977, 401. 60 Dazu H. Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966, 1077. 61 Bollmus 1980, 142 [s. Anm. 50] und Baumgärtner 1977, 40 [s. Anm. 51]. 62 Vgl. Giles 1980, 57 [s. Anm. 9] und G. Moltmann, Die „Übersee- und Kolonialkunde“ als besondere Aufgabe der Hamburger Universität, in: E. Krause (Hrsg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“, Die Hamburger Universität 1933–1945, Teil 1, 167ff. 63 Vgl. die Aufstellungen über Institutsgründungen und -planungen bei Bollmus 1980, 141f. und Baum gärtner 1977, 31 [s. Anm. 50 u. 51].
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Hohen Schule“ und ihre Außenstellen mit Buchbeständen.64 Institutsleiter und Mitarbeiter der Hohen Schule wußten auch die kriegsbedingten Möglichkeiten zu nutzen, die sich ihnen im Gefolge des ERR boten: So widmete sich etwa Richard Harder 1941 mit seinem „Sonderstab Griechische Altertumskunde“ archäologischen Untersuchungen in Chalkis und Sparta.65 Der stellvertretende Leiter des Hohe Schule-Instituts für Biologie und Rassenlehre in Stuttgart unternahm 1943 rassenkundliche Untersuchungen in der [110] Ukraine und fand noch im Juni 1944 (!) Zeit zu einem entsprechenden Einsatz in Norditalien.66 Trotz mehrfacher Stillegungsdrohungen und -verfügungen arbeiteten die Außenstellen praktisch bis Ende 1944 und z. T. noch darüber hinaus.67 Wie zielstrebig die Aufbauarbeit vorangetrieben wurde, zeigt ein bisher kaum bekanntes Projekt, das Rosenberg in Marburg erst relativ spät in Angriff nahm: In Zusammenarbeit mit der NS-Volkswohlfahrt gelang hier 1943 die Einrichtung einer Forschungsstelle der Hohen Schule. Der Vorgang zeigt wiederum, welchem Druck sich Universitätsgremien ausgesetzt sahen, wenn Ministerium und interessierte Parteistellen an einem Strang zogen.68 Mit der NSV, der nach der Deutschen Arbeitsfront (DAF) – gemessen an der Zahl von 17 Millionen Mitgliedern im Jahre 1943 – zweitgrößten NS-Organisation, fand Rosenberg einen interessanten und mächtigen Partner.69 In den verschiedenen Zweigen dieser auch in Kriegs zeiten expandierenden Massenorganisation, die so bekannte Aktionen wie das „Winterhilfswerk“, das „Hilfswerk Mutter und Kind“ und die „Kinderlandverschickung“ betreute, bestand Schulungsbedarf in vielfacher Hinsicht. Das gilt in besonderer Weise für den sozialpädagogischen Bereich, in dem der NSV neue Aufgaben zufielen: Dort hatte einmal die in den vierziger Jahren verstärkt betriebene „Entkonfessionalisierung der Kindergärten“ zur Übernahme zahlreicher Einrichtungen konfessioneller Träger geführt.70 Einem „Führerauftrag“ folgend sollte darüber hinaus kriegsbedingt „der Bestand von 35 000 NSV-Kindergärten im Reich beschleunigt auf einen Bestand von 80 000 erhöht“ werden. Aus Sicht der NSV erforderte dieses Ausbauprogramm zwingend eine weltanschaulich und wissenschaftlich fundierte Ausbildung des Führungspersonals. In der Hohen Schule glaubte die NSV nun den geeigne64 Losemann 1977, 153ff. [s. Anm. 36]. 65 Losemann 1977, 157f. [s. Anm. 36]. Neuerliches Aktenstudium zeigt übrigens sehr klar, daß Richard Harder seine Arbeit bis in die letzten Kriegstage viel enger mit Rosenberg abgestimmt hat als bisher bekannt war! Vgl. z. B. die Gesprächstermine R. Harders bei Rosenberg (Bundesarchiv Koblenz: NS 8/133 – 135). 66 Vgl. die Berichte von Dr. Werner Hüttig v. 13. April 1943 und Juli 1944 (BA Koblenz: Sammlung Schumacher 386 fol. 422 – 444 und NS 9/266 fol. 143 – 148). 67 Vgl. z. B. Bollmus 1970, 143f. [s. Anm. 53]. 68 Vgl. dazu jetzt Volker Losemann, Auf dem Wege zur „Alternativ-Universität“: Die „Hohe Schule“ Alfred Rosenbergs und die „Wissenschaftsarbeit“ der NSV in Marburg, in: W. Speitkamp (Hg.), Staat, Gesellschaft, Wissenschaft. Beiträge zur modernen hessischen Geschichte. Marburg 1994, 365–386 [Nr. 4]. 69 Dazu vor allem H. Vorländer, Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, Boppard 1988 (= Vorländer 1988), und E. Hansen, Wohlfahrtspolitik im NS-Staat, Augsburg 1991 (= Hansen 1991). – Abgesehen von den Aufstellungen von Bollmus und Baumgärtner (vgl. oben Anm. 62) ist – so weit ich sehe – bisher lediglich Vorländer 1988, 146f. auf das Marburger Projekt eingegangen. 70 Vgl. Hansen 1991, 220ff.
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ten Träger ihrer – so der im dienstlichen Verkehr geprägte Ausdruck – „Wissenschaftsarbeit“ gefunden zu haben. Als Standorte von drei „NSV-Instituten“, die ausdrücklich „im Rahmen der Hohen Schule“ gegründet werden sollten, waren Universitätsstädte (und [111] zwar Berlin, Tübingen und Marburg) vorgesehen, da man eine „enge Zusammenarbeit der Institute mit den entsprechenden Seminaren der Universität“ für „zweckmäßig“ hielt.71 Diesem Organisationsmodell liegt wiederum die von Rosenberg angestrebte Personalunion zwischen Lehrstuhlinhabern und Institutsleitern der Hohen Schule zu Grunde. Verwirklicht wurde dieses Konzept letztlich nur in Marburg, die Pläne für Berlin und Tübingen fielen zunächst der Kriegsentwicklung zum Opfer. Prinzipiell hielt man aber an dem Ziel der Einrichtung von drei Instituten fest. Beide Institutionen, die Hohe Schule und die NSV, waren sich in dem Ziel einig, ihre „Wissenschaftsarbeit“ in den Universitäten zu verankern. Die entsprechenden Ambitionen der NSV gingen, wie die Vorgeschichte der Gründung des Instituts der Hohen Schule in Marburg lehrt, über die Kooperation mit Rosenberg hinaus. Mit Unterstützung der Reichs gesundheitsführung und des Reichserziehungsministeriums (REM) versuchte sie dort letzten Endes erfolgreich in der medizinischen Fakultät das Fach „Volksgesundheitspflege“ zu etablieren. Zunächst konzentrierte man sich auf die Schaffung einer Honorarprofessur und die Einrichtung eines Instituts, das „innerhalb der medizinischen Fakultät“ in enger Kooperation mit anderen medizinischen Fächern Arbeits- und Fortbildungsmöglichkeiten für angehende Sozial-, Jugend-, Amts- und NSV-Ärzte schaffen sollte. Langfristig wollte man über ein Ordinariat für Volksgesundheitspflege diesem Fach einen festen Platz an der Universität sichern. Von der Kooperation zwischen NSV und Universität auf diesem Gebiet erhoffte sich die NSV eine starke Signal- und Außenwirkung: Die „medizinische Fakultät Marburg“ sollte, wie es in einer Denkschrift hieß, „sichtbar als eine Fakultät in Erscheinung (treten)“, die bereit war, dieses Aufbauprogramm zu fördern.72 Hinter diesen Plänen stand der für den Gau Kurhessen und damit auch für Marburg zuständige NSV-Gauamtsleiter Richard Benzing, einer der politisch und fachlich profiliertesten Gauamtsleiter der NSV. Als Chef einer Kinderklinik und als NSV-Funktionär befaßte sich Benzing insbesondere mit Fragen der Säuglings- und Kinderfürsorge.73 Benzing wurde in kürzester Zeit – wobei das Reichserziehungsministerium erheblichen Druck auf Universität und Fakultät ausübte – als Honorarprofessor in der medizinischen Fakultät „installiert“. Gleichzeitig nahm ein unter seiner Leitung stehendes und von der NSV finanziertes „Institut für Volksgesundheitspflege“ die Arbeit auf, das freilich nur in einer relativ lockeren Verbindung zur Universität stand, da dieses Institut auf Betreiben des Universitätskurators [112] an, nicht aber unmittelbar in der Universität eingerichtet wurde.74 Es zählte zu den Anstalten, die, wie es üblicher Weise im Personal- und Vorlesungsverzeichnis hieß, „mit der Universität verbunden“ waren. Die beteiligten Instanzen hatten für diese „Operation“ von Juli bis Dezember 1942 noch nicht einmal ein halbes Jahr benötigt! 71 Vgl. Besprechungsvermerk Reichsschatzmeister der NSDAP v. 13. August 1942 (BA Koblenz Sammlung Schumacher 386 fol. 342). 72 Vgl. Denkschrift über einen geplanten Lehrauftrag für Volksgesundheitspflege an der Univ. Marburg o. J. (Juli 1942), (Berlin Document Center, WI/Strohschneider). 73 Zu R. Benzing (1892–1947) vgl. Hansen 1991, 245 [s. Anm. 69]. 74 Univ. Kurator v. Hülsen an REM v. 18. November 1942 (Staatsarchiv Marburg, Best. 310 Nr. 2330).
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Knapp vier Monate später gründeten die NSV und Rosenberg mit Zustimmung der Parteikanzlei Anfang April 1943 außerdem ein Institut für „Nationalsozialistische Volkspflege“ als „Forschungsstelle der Hohen Schule i. V.“, das ebenfalls unter der Leitung des gerade ernannten Honorarprofessors Benzing stand. Finanzieller Träger war wiederum die NSV, der es gelungen war, ihre Schulungsarbeit unter dem Dach des Projekts der Hohen Schule zumindest universitätsnah zu organisieren bzw. ihr einen akademischen Anstrich zu verleihen. Das galt im konkreten Marburger Fall für die Aufgabe, NSV-Mitarbeiterinnen in einem zunächst zwei-, später dreisemestrigen Studiengang „eine vertiefte Schulung über die Aufgaben der nationalsozialistischen Volkspflege“ zuteil werden zu lassen.75 Eine Verbindung zur Universität lief über den Institutsleiter, der als Honorarprofessor seinen Lehraufrag in der medizinischen Fakultät versah und in dem neuen Institut der Hohen Schule die Abteilung „Volksgesundheitspflege“ betreute. Neben ihm fungierte – und damit war die Hohe Schule noch tiefer in die Universität eingedrungen – der Direktor des Universitätsinstituts für psychologische Anthropologie und außerordentliche Professor Gert Heinz Fischer – nach dem bekannten Organisationsschema – in Personalunion als Abteilungsleiter für „Familienund Volkserziehung“.76 Eine dritte Abteilung für „Recht der nationalsozialistischen Volkspflege“ leitete der Kammergerichtsrat Dr. Edmund Keßler, der seit 1937 in der juristischen Fakultät als Lehrbeauftragter für „Nationalsozialistisches Jugendrecht“ tätig war.77 Auch in diesem Falle war die Verbindung zwischen Universität und Hoher Schule gegeben. Allein von der organisatorischen Seite, vom Vorgang der Gründung des Instituts in Marburg her werden beträchtliche Entwicklungsmöglichkeiten der „Alternativ-Universität“ deutlich. Hohe Schule und NSV hatten das erreicht, was in den einschlägigen Denkschriften bis hin zur Institutssatzung immer wieder betont wurde: Es ging darum, „Schulungsarbeit“ zu akademisieren, aus ihr „Wissenschaftsarbeit“ zu machen und den damit betrauten Institutionen „Hochschulcharakter“ [113] zu verleihen. Das gilt für den „Lehrzweck“ und die immer wieder hervorgehobenen „Forschungsaufgaben“ gleichermaßen.78 Beträchtliche Brisanz besaß das Marburger Projekt schließlich von der inhaltlichen Seite her: „Grenzpfähle der Fakultäten werden überschritten“, so beschrieb der Marburger Institutsleiter gegenüber Rosenberg seine Ziele, „wenn sich der Biologe, der Pädagoge und der Rechtserzieher zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen, um Fragen der nationalsozialistischen Volkspflege in einer möglichst ganzheitlichen Schau zu bearbeiten.“79 Der Ansatz der „Volkspflege“, um den das Reformkonzept Benzings kreiste, zielte im Unterschied zur traditionellen „Fürsorge“ und „Wohlfahrtspflege“ auf eine Art „Nationalbiologie“, d. h. die vorrangige Förderung der Starken und Aussonderung der „Schwachen“ aus dem 75 Rundschreiben Hauptamt Volkswohlfahrt/Hilgenfeldt Nr. 55/43 v. 6. April 1943, zitiert nach H. Vorländer, Dok. Nr. 248 (456). 76 Zu G. H. Fischer (geb. 1909) vgl. U. Geuter, Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1984, 568. 77 Zu E. Keßler (1902–1977) vgl. I. Auerbach (Bearb.), Catalogus professorum academiae Marburgensis, Bd. 2, Marburg 1979, 165. 78 Vgl. Satzung des Instituts für nationalsozialistische Volkspflege in Marburg, undatiert, (BA Koblenz: NS 8/265 fol. 168–170). 79 R. Benzing an Rosenberg v. 12. April 1943 (Inst. f. Zeitgeschichte München, Mikrofilmarchiv, MA 253 fol. 731 f.).
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Volkskörper.80 „Volkspflege“ als Ausdruck nationalsozialistischer Wohlfahrtspflege sollte, wie ein führender NSV-Funktionär 1936 formulierte, „grundsätzlich erbbiologisch und rassenhygienisch orientiert“ sein.81 In diesem Zusammenhang hat H. Vorländer auf den hohen Stellenwert des Faches „Erb- und Rassenpflege“ in der Schulung der NSV hingewiesen.82 Den Vorgaben der „Volkspflege“ entsprechend, hob man auch im Blick auf die von Benzing vertretene „Volksgesundheitspflege“ die „biologische Ausrichtung dieser Erziehungspflege“ hervor. Dieser Hintergrund darf nicht ausgeblendet werden, wenn man die im Prinzip wohl vorhandenen modernisierenden Impulse des Konzepts der „Volksgesundheitspflege“ anspricht. Zu deren Praxis sollten jedenfalls nach den Plänen Benzings die „sozialmedizinische Statistik“, „leistungsphysiologische Beobachtungen am Kind“ und die „Gesundheitserziehung“ gehören.83 Der „volkspflegerische Anspruch“ des Reformkonzeptes erforderte nach Auffassung des zuständigen Referenten im REM auch eine „Ausbildung auf dem Fachgebiet der Rassenhygiene“.84 Die z. Zt. begrenzten Einblicke in die Praxis der in Marburg 1942 und 1943 gegründeten Institutionen – die hier vor allem unter wissenschaftsorganisatorischen und -politischen Aspekten behandelt wurden – lassen zweifelsfrei erkennen, daß die Instituts- und Abteilungsleiter [114] sich dem Konzept der NS-Volkspflege verpflichtet fühlten. Das Spektrum der in Rosenbergs Alternativ-Universität vertretenen Disziplinen wurde um mehrere Fächer erweitert, die auf das Konzept der „Volkspflege“ festgelegt waren. Schwer abschätzbar bleibt, welche Konsequenzen sich bei längerer Arbeitsphase daraus ergeben konnten, daß die Hohe Schule zumindest in Grenzbereiche der medizinischen Fakultät eingedrungen war. Über Marburg hinaus werden mit den Institutsplänen für Tübingen und Berlin günstige Zukunftsperspektiven der von der Hohen Schule unterstützten „Wissenschaftsarbeit“ der NSV erkennbar. Die Verbindung von NSV und Hoher Schule führte zu einer Stärkung der „Alternativ-Universität“. Die Marburger Vorgänge belegen auch, daß die Aufbauarbeit der Hohen Schule trotz erheblicher kriegsbedingter Schwierigkeiten erfolgreicher war, als gemeinhin angenommen wird; sie verweisen ferner darauf, daß die Geschichte dieser Institution von der lokalen Basis und von den einzelnen Fächern her weiterer Aufarbeitung bedarf. Zweifellos besaß die Hohe Schule, das entspricht der Einschätzung von R. Bollmus, günstige Entwicklungs- bzw. bedrohliche Nachkriegsperspektiven einer totalitären Hochschulpolitik.85 Das läßt sich von den anderen, hier behandelten Reformprojekten der nationalsozialistischen Hochschulpolitik nicht sagen. Die neuen Formen studentischer Arbeit wurden offenbar nur von kleinen aktiven und z. T. auch reformwilligen Gruppen getragen, während die Masse der von ausufernden Dienst pflichten bedrängten Studierenden sich fernhielt. Die Reformansätze scheiterten auch da, wo sie – wie im Falle des Reichsleistungskampfes – ein kriegsbedingtes Ende fanden. Die Idee der „Gemeinschaftsarbeit“ scheint unabhängig von den politischen Vorzeichen in HochschulReformphasen größere Anziehungskraft auszuüben. Die „Nachwuchsfrage“ als zentrales Pro 80 81 82 83 84 85
Vgl. Vorländer 1988, 143f. [s. Anm. 69]. Zitiert nach Vorländer 1988, 382, Dok. Nr. 180. Vgl. Vorländer 1988, 143f. Vgl. Denkschrift Volksgesundheitspflege Juli 1942 (wie Anm. 72). De Crinis an Strohschneider v. 14. Juli 1942 (BDC/WI – Strohschneider (wie Anm. 72)). Vgl. die unterschiedlichen Positionen zu dieser Frage bei Bollmus 1980, 142 und Giles 1980, 57f. [s. Anm. 50 u. 9].
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Reformprojekte der NS-Hochschulpolitik
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blem der NS-Hochschulpolitik konnte weder auf der Studenten- noch auf der Dozentenebene nur halbwegs befriedigend gelöst werden. Der Versuch, durch „Lagerarbeit“ einen neuen Hochschullehrertyp zu formen, gehört noch eindeutiger zur Negativbilanz dieser Reformpolitik. Dies nicht allein wegen der unmittelbaren Auslesefunktion der Lager, sondern auch deshalb, weil von ihnen ein Abschreckungseffekt ausging, der gerade die Nicht-Anpassungswilligen oder -fähigen von vornherein ausschloß. Den Abbruch dieses Projekts dürfte der bis in die Lager selbst reichende, von ihrem Beginn an feststellbare Widerstand gegen diese Institution beschleunigt haben. Es trifft gewiß zu, daß die Hohe Schule, wie man häufig lesen kann, über Ansätze nicht hinausgekommen ist. Das berechtigt – wie sich bei näherem Zusehen ergibt – nicht dazu, von ihrem Scheitern zu sprechen. Vielmehr besteht wenig Anlaß daran zu zweifeln, daß Rosenberg nach einer längeren Regimephase in immer mehr Universitäten und Fakultäten hätte einbrechen können, um dort mit seinen „Außenstellen“ der Hohen Schule wichtige [115] Bausteine für die künftige „Alternativ-Universität“ zu schaffen. Die Hemmschwelle, die Wissenschaftler von dem Projekt des „Weltanschauungsbeauftragten“ zunächst fernhielt – das zeigt die Unbedenklichkeit, mit der kriegsbedingte Einsatzmöglichkeiten und -formen in seinem Gefolge ausgenutzt wurden –, sollte man nicht zu hoch ansetzen. Der Blick auf die insgesamt gescheiterten Reformkonzepte bleibt beunruhigend genug.
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Nr. 4 Originalpublikation in: W. Speitkamp (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Wissenschaft (Beiträge zur modernen hessischen Geschichte Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 55), Elwert, Marburg 1994, 365–386.
Auf dem Wege zur „Alternativ-Universität“ Die „Hohe Schule“ Alfred Rosenbergs und die „Wissenschaftsarbeit“ der NSV in Marburg # [365] Unter den hochschul- und wissenschaftspolitischen Aktivitäten Alfred Rosenbergs, des Beauftragten des Führers für die „Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der Partei“, nimmt die sogenannte „Hohe Schule“ einen besonderen Rang ein. Rosenberg ging es dabei um das von ihm fast bis zum Kriegsende mit beträchtlicher Energie verfolgte „Projekt einer nationalsozialistischen Alternativ-Universität“ (Bollmus). Ursprünglich war die „Hohe Schule der Partei“ von Robert Ley als Endstufe des Erziehungsweges bei der nationalsozialistischen Führerauslese konzipiert worden. In den Auseinandersetzungen um die Schulungsvollmachten wurde das Projekt jedoch Rosenberg unterstellt, dessen Planungen sich bald auf die Errichtung eines gigantischen Forschungsinstituts konzentrierten.1 Von Anfang an bestand zwischen dem Unternehmen Rosenbergs und Himmlers Lehr- und Forschungsgemeinschaft „Das Ahnenerbe“, die über beste Kontakte zum Reichserziehungsministerium (REM) verfügte, ein starkes Konkurrenz- beziehungsweise Spannungsverhältnis.2 Die entscheidende Voraussetzung für den Aufbau der Hohen Schule schuf eine Anordnung Hitlers vom 29. Januar 1940 über die vorbereitenden Arbeiten zur Hohen Schule, die als „zentrale Stätte der nationalsozialistischen Forschung, Lehre und Erziehung“ freilich erst nach dem Krieg eingerichtet werden sollte. Verbunden war damit – was sich als außerordentlich wichtig
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Anm. der Hrsg.: Bei folgenden in Ann. 19 genannten Aktenbeständen haben sich Änderungen in Hin sicht auf den Aufbewahrungsort ergeben: Die Bestände NS 8, NS 15 und NS 37 befinden sich heute im Bundesarchiv Berlin. Die Sammlung des Berlin Document Centers wird ebenfalls heute vom Bundesarchiv Berlin verwahrt. R. Bollmus, Zum Projekt einer nationalsozialistischen Alternativ-Universität: Alfred Rosenbergs „Hohe Schule“, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980 (= Heinemann 1980), 125–152 (= Bollmus 1980) und R. Baum gärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg, Mainz 1977, 30ff. (= Baumgärtner 1977) (jeweils mit weiteren Literaturhinweisen). Grundlegend: M. H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945, München 1974, 142ff. (= Kater 1974) – vgl. H. Seier, Die Hochschullehrerschaft im Dritten Reich, in: K. Schwabe (Hrsg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945 (Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1983), Boppard 1988, 274 (= Seier 1988).
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erwies – die Möglichkeit, bereits angelaufene Vorarbeiten „auf dem Gebiet der Forschung und Errichtung der Bibliothek“ weiterzuführen.3 Wenn R. Bollmus für dieses Projekt, dessen Konturen sich in den Planungen abzeichnen, die Bezeichnung „Alternativ-Universität“ an Stelle des früher von ihm verwandten Begriffs der „Gegenuniversität“ gewählt hat, geht es ihm vor allem um die Abgrenzung von einer „nur dem Kadernachwuchs dienende(n) Parteiuniversität“, die in der von radikalen Forderungen geprägten Programmdebatte nach der Machtübernahme als schwere Bedrohung der gesamten Universität angesehen wurde.4 [366] Hier können zunächst nur die Grundzüge dieses Konzeptes vorgestellt werden, wobei der Versuch, in die Universitäten einzubrechen oder -zudringen, besondere Beachtung finden muß. Ansatzpunkte dafür boten Institute, sogenannte „Außenstellen der Hohen Schule in Vorbereitung“ vorzugsweise in Universitätsstädten. Als Modellvorstellung für die enge Verknüpfung der Hohen Schule Rosenbergs mit den Universitäten zeichnet sich die Personalunion zwischen einem Lehrstuhlinhaber und einem Instituts- beziehungsweise Außenstellenleiter der Hohen Schule schon in den frühesten Planungen ab. Wie er am 12. August 1940 dem zuständigen Minister Rust mitteilte, wollte Rosenberg „bestimmte Institute unabhängig von Universitäten, die meisten jedoch in engster Verbindung mit den Hochschulen“ aufbauen.5 Was die beabsichtigte enge Verbindung angeht, so stieß Rosenberg dabei auf erhebliche Widerstände. Auch wenn er sich im November 1940 mit Rust auf die Trennung zwischen künftigen Außenstellen der Hohen Schule und den Universitäten einigte, oder einigen mußte, erhielt er von dem Minister die Zusage, er werde ihm bei Neuberufungen entgegenkommen.6 Das geschah dann auch gegen den Willen der betroffenen Philosophischen Fakultät mit der Berufung des Kieler Gräzisten Richard Harder nach München, den Rosenberg im Dezember 1940 zum Leiter des „Instituts für Indogermanische Geistesgeschichte der Hohen Schule – Außenstelle München“ ernannte.7 Die Verbindung des Instituts zur Universität war in diesen und anderen Fällen in der Praxis also dadurch gegeben, daß Institutsleiter und -mitglieder zugleich Lehrstuhlinhaber an Universitäten sein konnten. Zu den weiteren Stationen der Aufbauarbeit der Hohen Schule gehört die Einrichtung des „Instituts zur Erforschung der Judenfrage“ in Frankfurt, das unter anderem die berühmte Judaica-Sammlung der Stadt unter radikal antisemitischen Vorzeichen „erforschen“ sollte.8 Auch wenn dieses sogenannte Forschungsinstitut außerhalb der Universität angesiedelt war, prägte es das Profil der Hohen Schule in dieser Phase nachdrücklich, zumal es die einzige „Außenstelle“ blieb, die mit beträchtlichem propagandistischen Aufwand feierlich im März 1941 eröffnet wurde.9 Erst von diesem Vorgang und dem ihm zugrunde liegenden Programm her läßt sich 3 4 5 6 7 8 9
Abgedruckt in: L. Poliakov / J. Wulf, Das Dritte Reich und seine Denker, Dokumente, Berlin 1959, 131 (= Poliakov / Wulf 1959). – Zur Vorgeschichte der „Führergenehmigung“ vgl. R. Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner, Stuttgart 1970, 134 (= Bollmus 1970). Bollmus 1980, 128 [s. Anm. 1]. Zur „Gegenuniversität“ vgl. den vervielfältigten Tagungsbeitrag (Ms.) Bollmus, Bielefeld 1978, 1. Zitiert nach Bollmus 1980, 125. Vgl. V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977, 146 mit Anm. 48 (= Losemann 1977a). Vgl. Losemann 1977a, 146f. u. Bollmus 1980, 141ff. [s. Anm. 1]. Dazu H. Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966, 1070ff. Abdruck des Programms in: Poliakov / Wulf 1959, 140 [s. Anm. 3].
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in vollem Umfang abschätzen, was es bedeutete, wenn Rosenberg mit seinen Instituten in der Universität Fuß faßte und wenn zudem offensichtlich qualifizierte Gelehrte (wie etwa Richard Harder) bereit waren, sich mit diesem Programm der Hochschul- und Wissenschaftsreform zu identifizieren. Im Verlauf des Jahres 1941 konnte dann Rosenberg einen selbst im eigenen Dienststellen bereich umstrittenen Mitstreiter in Halle als Leiter eines Hohe Schule-Instituts für Religions wissenschaft, das Teil der Universität war, und später sogar noch als Ordinarius in der Philosophischen Fakultät etablieren.10 In das gleiche Jahr fällt auch die Gründung eines „Instituts für Überseeforschung“ der Hohen Schule in Hamburg unter Leitung des Hochschulreformers der ersten Stunde und zeitweiligen Hamburger Rektors, Gustav Adolf [367] Rein, das wiederum in engster Verbindung zur Universität stand.11 Darüber hinaus nahmen mit unterschiedlicher Intensität folgende Einrichtungen der Hohen Schule ihre Arbeit auf: ein „Institut für nationalsozialistische Volkspflege“ in Marburg – auf das noch näher einzugehen ist –, eines für „Deutsche Volkskunde“ in Graz (Stift Rein) und ein weiteres für „Biologie und Rassenlehre“ in Stuttgart. In St. Andrä bei Villach/Kärnten arbeitete der Aufbaustab der Zentralbibliothek der Hohen Schulen. Geplant waren schließlich Institute für Ostforschung (Prag), germanische Forschung (Kiel) und ein „Germanisch-gallikanisches Institut“ in Straßburg. Hinzu kamen neben einer Forschungsstelle für Erziehungswissenschaften in Nürnberg mehrere entsprechende Einrichtungen, die dem Institut für deutsche Volkskunde unterstellt waren.12 Auch diese Institute und Forschungsstellen waren zum Teil über ihre Leiter oder Mitarbeiter in Personalunion mit Universitäten verbunden. Die Auflistung verdeutlicht, welche bedrohlichen Ausmaße das Projekt Rosenbergs annehmen konnte. „Allerdings blieb“, so hat H. Seier im Blick auf das Projekt Rosenbergs festgestellt, „die Durchsetzungschance trotz beiläufiger Unterstützung durch Hitler unbestimmt“.13 Abgesehen von den prinzipiellen Entwicklungsmöglichkeiten werden schon die Folgen der Institutionalisierung einzelner Außenstellen der Hohen Schule sehr unterschiedlich bewertet: Während R. Bollmus bezogen auf die Institute in München, Halle und Hamburg von „Aushöhlung (der Universitäten) in Form der Errichtung von HS-Außenstellen“ oder im Falle Hamburg vom „siegreichen Vormarsch des HS-Prinzips“ spricht, kommt G. Giles zu einer anderen Einschätzung.14 Er sieht in der Gründung des Hamburger Überseeinstituts der Hohen 10 Vgl. V. Losemann, Der Marburger Schloßplan 1927–1945, in: W. Heinemeyer / Th. Klein / H. Seier (Hrsg.), Academia Marburgensis. Beiträge zur Geschichte der Philipps-Universität Marburg, Marburg 1977, 401 (= Losemann 1977b); dazu auch Baumgärtner 1977, 40 und Bollmus 1980, 142 [s. jeweils Anm. 1]. 11 Vgl. G. Giles, Die Idee der politischen Universität. Hochschulreform nach der Machtergreifung, in: Heinemann 1980, 57 [s. Anm. 1] (= Giles 1980); Bollmus 1980, 142 und G. Moltmann, Die „Überseeund Kolonialkunde“ als besondere Aufgabe der Hamburger Universität, in: E. Krause / L. Huber /H. Fischer (Hrsg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933–1945, Teil I: Einleitung. Allgemeine Fragen, Berlin, Hamburg 1991, 167ff. (= Moltmann 1991). Zu G. A. Rein jetzt H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz, Teil II, Bd. 1: Die Kapitulation der Hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, München 1992, 511ff. 12 Aufstellungen bei Bollmus 1980, 141f. [s. Anm. 1] und Baumgärtner 1977, 31 [s. Anm. 1]. 13 H. Seier, Universität und Hochschulpolitik im nationalsozialistischen Staat, in: K. Malettke (Hrsg.), Der Nationalsozialismus an der Macht. Aspekte nationalsozialistischer Politik und Herrschaft, Göttingen 1984, 143–165, hier 152. 14 Bollmus 1980, 142 [s. Anm. 1].
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Schule gegenüber Bollmus „keinen Schritt zum ideologischen Totalitarismus, sondern eher ein Zeichen der erfolgreichen Hochschulpolitik Adolf Reins“. Das Bündnis Reins mit Rosenberg zielte danach gegen den Dozentenbund und führte sogar zu einer „sichere(n) Stärkung der Universität und der Stellung Reins“.15 G. Moltmann, der aus Hamburger Perspektive die Argumentation von Giles unterstützt, verweist auf eine vertrauliche Mitteilung des Rustschen Ministeriums vom 31. März 1941, nach der „eine Verknüpfung der Außenstelle der Hohen Schule mit den Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen nicht stattfinden werde“, ferner sollten „die allgemeinen Grundsätze des Berufungsverfahrens eingehalten und die ‚bisherigen akademischen Rechte‘ gewahrt werden“. Für Moltmann „bleibt (so) nur die Personalunion Reins, der in beiden Institutionen wichtige Posten einnahm, als Klammer zwischen zweierlei Wissenschaften“.16 Gegenüber der Vorstellung beziehungsweise der Praxis von „zweierlei Wissenschaften“ sind zumindest Zweifel angebracht. Sicherlich „hätte“, wie Moltmann in diesem Zusammenhang feststellt, „die kurze Dauer der Institutsaktivitäten eine tiefe Penetration [368] der Universität sowieso verhindert“.17 Der Erwägung aber, ob diese „Penetration“ überhaupt beabsichtigt und gegebenenfalls für die Kriegsjahre beweisbar wäre, widersprechen die Planungen des „Aufbauamtes der Hohen Schule i.V.“ und ihre teilweise Verwirklichung sehr eindeutig. Natürlich spielen wie hier im Falle Hamburgs auch persönliche Dispositionen und lokale Konstellationen eine ganz wichtige Rolle. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist die Arbeit der einzelnen Zweige der Hohen Schule bis zum Kriegsende auch an ihren Standorten noch nicht wirklich geklärt. Das wäre eine Voraussetzung dafür, um die „Durchsetzungschancen“ (Seier) dieser Institution bis 1945 und ihre Entwicklungsmöglichkeiten bei einer anderen Nachkriegslage besser einschätzen zu können. Bis heute fehlt noch eine zusammenhängende Darstellung der Hohen Schule, die, wie R. Baumgärtner schon 1977 festgestellt hat, nach der Aktenlage wohl möglich wäre.18 Zu der Diskussion über die Hohe Schule soll mit den folgenden Ausführungen ein kleiner Beitrag geleistet werden, der sich überwiegend auf Vorgänge im näheren und weiteren Umfeld der Universität Marburg im Zweiten Weltkrieg bezieht.19 Es geht um von der NS-Volkswohlfahrt (NSV) betriebene und realisierte Institutsprojekte, wobei 1943 ein „Institut für Nationalsozialistische Volkspflege“ als wichtiger Träger der „Wissenschaftsarbeit“ – so der von A. Rosenberg verwandte Ausdruck – ausdrücklich unter dem Dach der „Hohen Schule“ eingerichtet wurde.20 Bisher ist, soweit ich sehe, diese Einrichtung in den einschlägigen Arbeiten über die Hohe Schule nur in der Auflistung der einzelnen Institute angesprochen worden.21 In der neuerdings anwachsenden Literatur zur NSV wird das Konzept lediglich in der Pionierstudie von H. 15 16 17 18 19
Giles 1980, 59 [s. Anm. 11]. Moltmann 1991, 169 [s. Anm. 11]. Moltmann 1991, 169. Baumgärtner 1977, 31, Anm. 11; vgl. Bollmus 1980, 128 [s. jeweils Anm. 1]. Dafür wurden einschlägige Bestände der nachfolgend genannten Institutionen (Abkürzungen in Klammern) durchgesehen, deren Mitarbeitern für freundlich gewährte Unterstützung zu danken ist: Berlin Document Center (BDC) Einzelstücke; BA Koblenz (NS 8, NS 15, NS 37, Sammlung Schumacher 386, NSD 30/1); Institut für Zeitgeschichte München – Mikrofilmarchiv (MA), Staatsarchiv Marburg (StAM 305a u. 310) u. Stadtarchiv Marburg (StadtAM Best. E). 20 Vgl. Rosenberg an Reichsschatzmeister Schwarz v. 23.11.1942 (NS 8/207 fol. 73). 21 Vgl. oben [367] mit Anm. 12. Das gilt auch für die verdienstvolle Arbeit von H. P. Rothfeder, A Study of Rosenbergs Organization for National Socialist Ideology, Diss. phil. Michigan 1963, 351.
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Vorländer gestreift, aber verständlicherweise nicht im hochschul- und wissenschaftspolitischen Kontext erörtert.22 Mein vorrangiges Interesse gilt der Institutionalisierung dieses Projekts im Rahmen der Hohen Schule und im Umfeld der Universität. Inhaltliche Fragen der NSVWissenschaftsarbeit in diesem Rahmen treten demgegenüber eher zurück. In der NSV fand die Hohe Schule über das Marburger Projekt einen mächtigen Partner. Wie hoch der Bekanntheits- und Popularitätsgrad der nach der Deutschen Arbeitsfront (DAF) zweitgrößten NS-Organisation – 1943 zählte sie 17 Millionen Mitglieder – anzusetzen ist, zeigt die Bemerkung H. Vorländers, daß „der Mythos der NSV und des Winterhilfswerks (...) das Dritte Reich überdauert“ habe.23 Es sind vor allen Dingen Erfahrungen der letzten Kriegsjahre, die Erinnerungen an groß angelegte „prestigeträchtige“ Hilfsaktionen wie das schon erwähnte „Winterhilfswerk“ oder das „Hilfswerk Mutter und Kind“ einschließlich [369] der „Kinderlandverschickung“ bis hin zur Betreuung von Flüchtlingstrecks, die das positive Bild der NSV weithin prägten.24 E. Hansen hat die besondere „Kampfdynamik“ und den mit der Formel vom „Sozialismus der Tat“ verknüpften Anspruch hervorgehoben, mit dem die NSV in eine von der Öffentlichkeit zum Teil durchaus zustimmend aufgenommene Konkurrenz zu den traditionellen Trägern der Fürsorge und Wohlfahrtspflege trat.25 So einig sich die Forschung über die zeitweise beträchtliche Popularität dieser Organisation ist, so nachdrücklich verweist sie aber auch darauf, daß die NSV ganz ohne Zweifel der „erbund rassenbiologischen Volkspflege“ verpflichtet war, die die inhumanen Konsequenzen der Ausgrenzung „Minderwertiger“ einschloß.26 H. Vorländer bezweifelt, meines Erachtens zu Recht, daß dieser „weltanschauliche Vorbehalt“ von der breiten Masse in der Kriegszeit wirklich realisiert wurde. Er verbindet damit die Warnung vor den Gefahren einer „naive(n) Bestandsaufnahme“, die deutlich werden, wenn Zeitzeugen im historischen Interview diesen Sachverhalt ausblenden.27 Wahrgenommen wurde bis in Kreise des Widerstandes hinein die „systemstabilisierende Funktion“ (Vorländer) der NSV. Zu dem allgemeinen Profil dieser Massenorganisation gehört schließlich, daß wesentliche Antriebe von der regionalen und lokalen Basis ausgingen. Insbesondere die einzelnen Gaue der NSDAP besaßen – wie auch in unserem Zusammenhang deutlich werden wird – beträchtlichen Gestaltungsspielraum. Hansen sieht in ihnen den „eigentliche(n) Motor der fürsorgepolitischen Entwicklung“.28 In den verschiedenen Zweigen der NSV bestand Schulungsbedarf in vielfacher Hinsicht. Die weltanschauliche Schulung kreiste um den programmatischen Begriff der „Volkspflege“. Anders als die traditionelle „Fürsorge“ und „Wohlfahrtspflege“ zielte man damit auf eine Art „Nationalbiologie“, das heißt die Förderung der „Starken“ und die „Aussonderung“ der 22 H. Vorländer, Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, Boppard 1988, 146f. (= Vorländer 1988) u. Dokumente Nr. 245–248. Umfassende Literaturnachweise jetzt auch bei E. Hansen, Wohlfahrtspolitik im NS-Staat. Motivationen, Konflikte und Machtstrukturen im „Sozialismus der Tat“ des Dritten Reiches, Augsburg 1991 (= Hansen 1991). 23 Vorländer 1988, 186 [s. Anm. 22]. Angabe der Mitgliederzahl auf S. 1 – NSV und DAF zählten zu den sogenannten „angeschlossenen Verbänden“; vgl. Vorländer 1988, 35 und 1 (zur Mitgliederzahl). 24 Vorländer 1988, 1ff. – Vorländer (vgl. auch 126ff.) und Hansen 1991, 1 [s. Anm. 22] beziehen sich dabei ausdrücklich auf die Rolle der NSV in der Kriegszeit. 25 Hansen 1991, 1f. [s. Anm. 22]. 26 Vgl. Vorländer 1988, 143f. [s. Anm. 22] u. 186 sowie Hansen 1991, 2f. 27 Vorländer 1988, 185f. 28 Hansen 1991, 2 [s. Anm. 22].
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„Schwachen“ aus dem Volkskörper.29 „Volkspflege“ als Ausdruck nationalsozialistischer Wohlfahrtspflege sollte – wie Hermann Althaus, einer der führenden NSV-Funktionäre, 1936 formulierte – „grundsätzlich erbbiologisch und rassenhygienisch orientiert“ sein.30 Das Problem der auf diesem Fundament aufbauenden fachlichen Ausbildung in Sparten, die von der Gesundheits- bis zur Volksgemeinschaftspflege zum Beispiel für Kindergärtnerinnen und -pflegerinnen reichten, löste die NSV vor allem durch die „Übernahme“ von Ausbildungsstätten konfessioneller Träger der „alten“ Wohlfahrtspflege.31 Nach Jahren vorwiegend praktischer Arbeit, in denen sich, wie es in einer programmatischen Erklärung hieß, „der Aufbau der NSV aus dem Nichts zur größten Wohlfahrtsorganisation der Welt“ vollzogen hatte, war 1937 die Zeit gekommen, die Arbeit der NSV wissenschaftlich zu fundieren: Ein von der NSV gegründetes „Sozialwissenschaftliches Institut für Volks wohlfahrtspflege“ wurde von Reichsminister Rust der Universität Berlin angegliedert. [370] An dieser „Stätte der Lehre und Forschung“ nahmen Hauptamtsleiter Hilgenfeldt, der Leiter der NSV und andere führende Funktionäre ihre Lehrtätigkeit auf.32 Während die NSV im Jahre 1936 lediglich über vier sozialpädagogische Seminare verfügte, besaß man nach einer offiziellen Aufstellung 1940 über 65 Ausbildungsstätten von der NSV-Gau- bis zur Kinderpflegerinnenschule.33 Diese Zahlen spiegeln nicht nur einen dynamischen Ausbau, sondern genauso eindrucksvoll den Verdrängungsprozeß vor allem konfessioneller Organisationen. Die entsprechenden Aktivitäten der NSV waren nicht ohne die im Machtgefüge des NS-Staates üblichen Auseinandersetzungen um die immer prekären „Schulungsvollmachten“ abgegangen. Insbesondere das Reichserziehungsministerium hatte dem Ausgreifen der NSV wenig entgegenzusetzen.34 Gerade vor diesem Hintergrund ist die Initiative, die Hauptamtsleiter Hilgenfeldt im November 1941 ergriff, um so bemerkenswerter. Als Ansatzpunkt einer verstärkten Wissen schaftsarbeit seiner Organisation wählte er die Hohe Schule Alfred Rosenbergs. Er erbat von Rosenberg die Zustimmung zum Aufbau eines „Instituts für Volkswohlfahrtspflege“ in Tübingen, in dem „durch Forschung und Lehre das Ausbildungswesen innerhalb der NSV für die volkspflegerischen Berufe“ vertieft und „insbesondere durch Vermittlung wissenschaftlicher Grundlagen“ qualifizierter Nachwuchs herangebildet werden sollte. Als Leiter war Professor Dr. G. Pfahler vom „Institut für Erbcharakterologie und Erziehungswissenschaft“ an der Universität Tübingen vorgesehen. Von daher ergab sich auch eine primär erziehungswissenschaftliche Orientierung der Institutsarbeit, „wobei die gegenwärtigen wie künftigen Ergebnisse der rassenpsychologischen Forschung zur Grundlage der Forschungs- und Lehrtätigkeit des Instituts gemacht werden soll(t)en.“35 Rosenbergs Reaktion fiel zunächst sehr zurückhaltend aus. Dies wohl nicht nur deshalb, weil er – wie er Hilgenfeldt schrieb – „schon seit längerer Zeit die Errichtung eines päda29 30 31 32
Vgl. Vorländer 1988, 123 [s. Anm. 22]. Zitiert nach Vorländer 1988, Dok. Nr. 180 (382). Vorländer 1988, 124f. Vorländer 1988, 124f. – Zitate nach Dok. Nr. 182 (1937/38), 385; vgl. Vorlesungsverzeichnis Universität Berlin, Sommersemester 1944, 54. 33 Nach Vorländer 1988, 124 u. Dok. Nr. 233 (434ff.) [s. Anm. 22]. 34 Vgl. Vorländer 1988, 124 u. Dok. Nr. 233 (434ff.). 35 Hilgenfeld an Rosenberg v. 28.11.1984 (NS 8/208 fol. 97f.); vgl. Vorländer 1988, Dok. Nr. 245 (453) [s. Anm. 22].
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gogischen Forschungsinstituts“ vorbereitete.36 Er äußerte nach internen Abklärungen – wohl mit Alfred Baeumler, der als Leiter des „Aufbauamtes der Hohen Schule“ gewissermaßen als ihr „Gründungsrektor“ (Bollmus) fungierte – auch Vorbehalte gegen die „erbcharakterologische“ Fundierung der Institutsarbeit durch den potentiellen Institutsleiter. „Durch die Hereintragung des Gedankens der Erbcharakterologie in die einfachen und klaren Verhältnisse des Kindergartens“ könnte, so befürchtete Rosenberg, „eine Komplizierung (...) entstehen, die am Anfang wenigstens besser vermieden würde“. Auch wenn hier wohl Bedenken gegen die Konzeption Pfahlers deutlich werden, so klingt die folgende Empfehlung aus dem Munde des „Weltanschauungsbeauftragten“ der NSDAP doch zumindest erstaunlich: „Wir müssen auf keinem Gebiete vorsichtiger sein als auf dem der Rassenforschung, gerade weil es sich hier um den wichtigsten Begriff unserer Weltanschauung handelt. Es scheint mir richtig, der Forschung noch ein wenig Zeit zu lassen, um zu gesicherten Ergebnissen zu gelangen, bevor wir Wissenschaft und Praxis zusammenbringen“. Den Tübinger Institutsplan wollte Rosenberg trotz dieser Bedenken zwar nicht behindern, er lehnte es aber ab, „diese Gründung in den Aufbau der Hohen Schule hineinzunehmen.“37 [371] Eben gerade darauf legt Hilgenfeldt, wie er Rosenberg umgehend wissen ließ, „selbstverständlich den größten Wert“, wobei bald deutlich werden sollte, daß die Ambitionen der NSV über das Tübinger Projekt hinausgingen.38 Das war der Stand der Dinge im März 1942. Bereits im August dieses Jahres hatte Rosenberg die „Wissenschaftsarbeit“ der NSV zu seiner eigenen Sache gemacht. In der Dienststelle des Reichsschatzmeisters der NSDAP erläuterte der stellvertretende Leiter des Aufbauamtes der Hohen Schule, Dr. Wagner, den Plan, „im Rahmen der Hohen Schule auch ‚drei NSV-Institute‘ zu gründen“. Deren Aufgabe bestand neben „der Pflege der Forschung“ darin, eine weltanschaulich und wissenschaftlich fundierte Ausbildung von „Seminar-Leiterinnen“ sicherzustellen, die ihrerseits Leiterinnen von Kindergärten zu schulen hatten. Begründet wurde das Ausbauprogramm – der Interessenlage der NSV folgend – mit einem „Führerauftrag“, nach dem „der Bestand von ungefähr 35.000 NSV-Kindergärten im Reich beschleunigt auf einen Bestand von 80.000 erhöht werden solle“. Als Standorte waren Universitätsstädte vorgesehen. In Berlin sollte der Psychologe Oswald Kroh, in Marburg der Mediziner Richard Benzing und in Tübingen der schon erwähnte G. Pfahler als Institutsleiter fungieren. Für „zweckmäßig“ hielt man eine „enge Zusammenarbeit der Institute mit den entsprechenden Seminaren der Universität“.39 Im Falle Krohs und Pfahlers, die als ordentliche Professoren für Psychologie beziehungsweise Psychologie und Pädagogik mit einem relativ hohen Bekanntheitsgrad in ihren Fächern lehrten, waren die Voraussetzungen dafür im Prinzip gegeben.40 Eben diese fehlten Richard Benzing, dem Kandidaten für ein Marburger Institut, der – auf seine Laufbahn ist noch ausführlicher einzugehen – bis dahin ohne engere Verbindung zu einer Universität als Kinderarzt, Klinikchef und NSV-Gauamtsleiter in Kassel gewirkt hatte.41 Als kommissarischer Vorsitzender der „Deutschen Gesellschaft für Psychologie“ hatte 36 Rosenberg an Hilgenfeldt v. 6.3.1942 (NS 8/208 fol. 194–196); vgl. Vorländer 1988, Dok. Nr. 246 (454ff.); vgl. Baumgärtner 1977, 31 [s. Anm. 1]. 37 Rosenberg an Hilgenfeldt v. 6.3.1942 (NS 8/208 fol. 194–196). 38 Hilgenfeldt an Rosenberg v. 18.3.1942 (NS 8/202 fol. 193). 39 Besuchvermerk v. 13.8.1942 (Sammlung Schumacher 386 fol. 342 mit Rs.). 40 Zu Kroh und Pfahler vhl. U. Geuter, Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im National sozialismus, Frankfurt a. M. 1984, 574 u. 577 (= Geuter 1984). 41 Vgl. unten [373f.].
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Kroh – das gehört zur Vorgeschichte seiner Nominierung für das Projekt – schon 1940 eine enge Kooperation seines Faches mit der NSV eingeleitet, die sich für die „Professionalisierung“ (Geuter) dieser Disziplin als äußerst wichtig erwies.42 Aus der Sicht der NSV war die Hohe Schule Rosenbergs, wie H. Vorländer formuliert hat, ein „prestigeträchtige(s) Projekt“.43 Die Bemühungen, die NSV-Institute in sie „einzubauen“, stehen – wie Verhandlungen zwischen dem zuständigen Ministerium (REM) und der NSV im April 1942 zeigen – natürlich auch im Zusammenhang mit den andauernden Auseinandersetzungen um Schulungsvollmachten.44 In einem späteren Fall – der Vorgang bezieht sich auf das Jahr 1943 – beanspruchte das „Hauptschulungsamt“ des Reichsorganisationsleiters Ley die Zuständigkeit für die „weltanschauliche Schulung der Kindergärtnerinnen“. Die Aufgaben der NSV-Institute lagen – wie Bormann als Leiter der Parteikanzlei gegenüber dem in diesen Fragen äußerst empfindlich reagierenden Rosenberg feststellte [372] – auf einer anderen Ebene. Sie sollten „der Forschung, der Schulung und der Ausrichtung der in der Volkspflege tätigen Spitzenkräfte dienen“.45 Bormann hat diesen Gesichtspunkt mehrfach betont.46 In dem Bestreben der NSV, die Schulungsarbeit für ihr Führungspersonal zu akademisieren, liegt der eigentliche Grund für die Zusammenarbeit mit Rosenberg. Über die „Hohe Schule“ bot sich unter Umständen eine Möglichkeit, die Wissenschaftsarbeit der NSV in den Universitäten zu etablieren. Deren Reaktionen auf das nun von Rosenberg und der NSV gemeinsam betriebene Projekt dürften eindeutig ablehnend ausgefallen sein. Es sei hier nur an den Widerstand der Münchener Universität gegen den Aufbau eines Instituts der Hohen Schule und das zumindest zwiespältige Verhalten des REM erinnert.47 Die Initiative der NSV spricht doch wohl auch für eine gewisse parteiinterne Akzeptanz des Konzepts der Hohen Schule. In der von Stillegungsverfügungen gefährdeten Aufbauphase der „Hohen Schule i. V.“ versprach die Verbindung mit der NSV sehr aussichtsreiche Entwicklungs perspektiven auch und gerade in Kriegszeiten. Der „Führerauftrag“ zum Ausbau des NSVKindergartenwesens im Kriege machte die NSV zu einem außerordentlich interessanten Partner, der den Fortgang der Aufbauarbeit der Hohen Schule wirkungsvoll unterstützen konnte. Wenn es Parteiorganisationen beziehungsweise -verbänden vom Zuschnitt der NSV gelang, mit Hilfe der Hohen Schule in die Universitäten „einzudringen“, so konnte das langfristig von der institutionellen wie von der inhaltlichen Seite her durchaus einen wichtigen Schritt in Richtung „Alternativ-Universität“ bedeuten. Konkrete Gestalt nahmen letztlich nur die Planungen für Marburg an. Prinzipiell hielt man an dem Konzept von drei NSV-Instituten fest. Wichtig für Rosenberg war die Grund satzentscheidung für „die wissenschaftliche Verankerung dieser Arbeiten in der Hohen Schule“, handelte es sich doch hier um kriegswichtige Arbeiten auf einem Gebiet, „das ebenso für
42 Vgl. Geuter 1984, 406f. [s. Anm. 40] bzw. das Kapitel „Der Einsatz von Psychologen bei der National sozialistischen Volkswohlfahrt im Krieg“ (406–414). 43 Vorländer 1988, 146 [s. Anm. 22]. 44 Vgl. die Notizen zu einem Gesprächstermin v. 16.4.1942 mit Hilgenfeldt / Hebenbrock (NSV) und Baeumler (NS 8/133 fol. 57). 45 Borman an Rosenberg v. 1.7.1943 (MA 697 fol. 973); vgl. Rosenberg an Bormann v. 2.6.1943 (MA 697 fol. 973). 46 Bormann an Rosenberg v. 23.6.1943 (MA 697 fol. 980–82). 47 Vgl. oben [366].
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nationalsozialistische Forschung und Lehre, wie für die politische Praxis bedeutungsvoll ist“.48 Vorteilhaft für die Aufbauarbeit der Hohen Schule war ganz sicher auch, daß die NSV in der Lage war, ihre Institute beziehungsweise ihre Wissenschaftsarbeit selbst zu finanzieren. Finanzielle Probleme – dieser Aspekt kann zunächst zurücktreten – scheinen dem Ausbau der Hohen Schule im Kriege kaum im Wege gestanden zu haben. Die Pläne für Berlin und Tübingen, die zunächst bis Oktober 1943 zurückgestellt waren, fielen wohl der Kriegsentwicklung zum Opfer.49 Im Falle Tübingens mögen die oben erwähnten Vorbehalte gegen das Konzept Pfahlers eine Rolle gespielt haben. Von den regionalen Parteiinstanzen wurde das Projekt durchaus unterstützt: Jedenfalls verwahrte sich das Amt Rosenberg nachdrücklich gegen eine von der württembergischen NSV-Gauamtsleitung lancierte Zeitungsnotiz, in der die Errichtung einer mit der Hohen Schule verbundenen „Außenstelle für Volkspflege an der Universität Tübingen“ angekündigt wurde.50 [373] Die Universität Marburg trat nicht zum ersten Mal in das Blickfeld des Amtes Rosenberg. Bei den Planungen für die Hohe Schule hatte man sich seit 1938 für den „Marburger Schloßplan“ interessiert, ein seit Ende der 1920er Jahre betriebenes ehrgeiziges Projekt, die „Religionskundliche Sammlung“ auf dem Marburger Schloß zu einem „Forschungsinstitut für Religionskunde mit Sammlung und Weihestätten“ auszubauen, das in den 1930er Jahren immer größere Dimensionen annahm.51 Daß Rosenberg religionswissenschaftliche Interessen sehr eigener Prägung verfolgte, war spätestens seit der Auseinandersetzung um den Mythos des 20. Jahrhunderts bekannt.52 Die entscheidende Bedingung, die von Rosenberg und schließlich auch von Bormann gestellt wurde, war die „Enttheologisierung“ der Religionswissenschaft, das heißt eine Verlagerung des mit der Institutsleitung verbundenen Ordinariats von der Theologischen in die Philosophische Fakultät. Gleichzeitig wollte man – im Sinne der erwähnten Modellvorstellungen für die Verbindung von Hoher Schule und Universität – eine Personalunion zwischen dem Inhaber eines der beiden altsprachlichen Lehrstühle der Marburger Universität und dem Posten des stellvertretenden Leiters des geplanten Instituts der Hohen Schule herstellen. Das Projekt scheiterte praktisch schon Ende 1938 – auch am Widerstand der Universität. Der in erster Linie betroffene Theologe Heinrich Frick konnte sich nicht mit einer Konzeption identifizieren, die inhaltlich und wissenschaftsorganisatorisch mit „antitheologischen Vorzeichen“ belastet war.53 Wohl mit Bezug auf den Schloßplan erwog man 1940 im Amt Rosenberg die „Wiederaufnahme der alten Pläne der Auswertung der Bibliothek an der Universität Marburg“.54 Das Beispiel zeigt, daß Bibliotheken und Sammlungen wie im bekannten Falle der Frankfurter Judaica-Sammlung eine besondere Anziehungskraft auf die Planer der „Hohen Schule i.V.“ ausübten. Zumindest für einzelne Wissenschaftler waren aber 48 Rosenberg an Reichsschatzmeister Schwarz v. 23.11.1942 (NS 8/207 fol. 73 mit Rs.); vgl. den Auszug bei Vorländer 1988, Dok. Nr. 247 (455) [s. Anm. 22]. 49 Vgl. den Besuchsvermerk v. 13.8.1942 (Sammlung Schumacher 386 fol. 342 mit Rs.). – Der von Geuter 1984, 413 [s. Anm. 40] erwähnte Plan des „Hauptamtes Volkswohlfahrt“ von 1943 zur Einrichtung eines zentralen Instituts der NSV in Berlin gehört wohl in den Rahmen des hier behandelten Projektes. 50 Dr. Wagner / Aufbauamt d. Hohen Schule an Reichsschatzmeister v. 31.8.1942 (Sammlung Schumacher 386 fol. 498). 51 Vgl. Losemann 1977b, 353–405, vgl. insbesondere 363 [s. Anm. 10]. 52 Baumgärtner 1977, 42ff. [s. Anm. 1]. 53 Losemann 1977b, 391ff. [s. Anm. 10]. 54 Vgl. Rosenberg an Reichsminister Rust v. 31.5.1940 (MA 544 fol. 624).
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auch die Arbeitsmöglichkeiten verlockend, die Rosenberg mit seinen Institutsprojekten zu bieten schien. In diesem Zusammenhang ist zum einen an die exzessive Sammel- beziehungsweise Raubtätigkeit des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR) im Zweiten Weltkrieg, zum anderen an die mit dieser Organisation verbundenen besonderen „Einsatzmöglichkeiten“ für Mitarbeiter der Hohen Schule zu erinnern.55 Den Anstoß zu den Planungen für ein NSV-Institut in Marburg dürfte der oben schon erwähnte, für den Gau Kurhessen zuständige NSV-Gauamtsleiter Richard Benzing gegeben haben. Benzing, einer der politisch und fachlich profiliertesten Gauamtsleiter der NSV, hatte diese Position von 1933 bis 1945 inne.56 Unter seinen länger amtierenden Kollegen war er einer von zweien, die eigene Erfahrungen in der Fürsorgepraxis einbringen konnten.57 Nach einer Tätigkeit als Oberarzt in der Universitätskinderklinik Würzburg kam er 1927 nach Kassel, wo er sich vor allem der Säuglings- und Kinderfürsorge widmete. 1930 übernahm er die Leitung eines städtischen Kinderkrankenhauses, der Eintritt in die NSDAP erfolgte 1932, als Leiter der Gauabteilung für Volksgesundheit [374] fungierte er ab August 1932. Nach der Machtübernahme war er zusätzlich in zahlreichen Ausschüssen und Organisationen der ärztlichen Standesvertretung tätig.58 Im Jahre 1941 spielte er – das läßt sich auch am Beispiel der Stadt Marburg dokumentieren – bei der Übernahme der konfessionellen Kindergärten durch die NSV offensichtlich eine Vorreiterrolle: Seinem Einfluß wird es zugeschrieben, daß im Gau Kurhessen die konfessionellen Kindergärten „ausnahmslos“ der NSV zufielen.59 Über Benzings Arbeits- und Interessen schwerpunkt in der Kinderfürsorge kam es 1941 zur Arbeitsverbindung mit Einrichtungen beziehungsweise Repräsentanten der Universität Marburg, so vor allem mit dem Direktor des Instituts für psychologische Anthropologie, dem außerordentlichen Professor Gert Heinz Fischer.60 G. H. Fischer war Schüler und Nachfolger von E. R. Jaensch und hatte sich 1935 in Marburg für das Fach Psychologie und Pädagogik habilitiert.61 In seiner Eigenschaft als Institutsdirektor schloß Fischer im Jahre 1941 mit der durch R. Benzing vertretenen Gauamtsleitung der NSV eine auf die unmittelbare Zusammenarbeit in Marburg bezogene, mehrere Punkte umfassende Vereinbarung. Geregelt werden sollten unter anderem die Vergabe von Praktikumsplätzen in NSV-Einrichtungen für angehende Diplompsychologen, weitere Möglichkeiten des praktischen Einsatzes von PsychologieStudenten in der NSV, die Unterstützung der „Einsatzlenkung von Nachwuchskräften der NSV“ sowie der NSV-Erziehungsberatung durch Fachkräfte des Instituts für psychologische Anthro pologie und die unentgeltliche Bereitstellung eines NSV-Kindergartens für „Zwecke der Beobachtung am Kleinkind und für Arbeiten auf dem Gebiet der Pädagogik des 55 Dazu Bollmus 1970, 145ff. [s. Anm. 3] und zu einem speziellen Beispiel Losemann 1977a, 153ff. [s. Anm. 6]. 56 Zu R. Benzing (1892–1947) vgl. den biographischen Anhang bei Hansen 1991, 245 [s. Anm. 22] sowie I. Auerbach (Bearb.), Catalogus professorum academiae Marburgensis. Die akademischen Lehrer der Philipps-Universität, Bd. 2: 1911–1971, Marburg 1979, 194f. und StAM 310, Nr. 2330 (= Auerbach 1979). 57 So Hansen 1991, 377 [s. Anm. 22]. 58 Nach Personalbogen R. Benzing (StAM 310, Nr. 2330). 59 So der Bischof von Fulda an den Reichsminister des Innern v. 17.5.1941 zitiert nach Hansen 1991, 223f. [s. Anm. 22]; vgl. Vorländer 1988, Dok. Nr. 272 (480) [s. Anm. 22] und unten [375]. 60 Zur Laufbahn G. H. Fischers (geb. 1909) vgl. Geuter 1984, 568 [s. Anm. 40]. 61 Vgl. Geuter 1984 [s. Anm. 40] und Auerbach 1979, 299 [s. Anm. 56].
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Kindergartens“.62 Schließlich wollte das Institut Fischers den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der NSV Gelegenheit geben, „in Vorlesungen und Übungen, die im Zusammenhang mit den Jugendrechtsvorlesungen und Übungen des Lehrbeauftragten Dr. Kessler, gehalten werden, (...) als ordentliche Hörer und Gasthörer (...) ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet der Wissenschaft und Forschung zu bereichern.“63 In ersten Umrissen zeichnet sich in der Vereinbarung insgesamt auch gerade in dem zuletzt erwähnten Punkt das Konzept einer universitären Ausbildung von NSV-Mitarbeitern ab, die auf der Linie der schon besprochenen Institutspläne lag. Zumindest der Vertreter des in der Philosophischen Fakultät angesiedelten Instituts für psychologische Anthropologie war der Interessenlage der NSV entsprechend zur Kooperation mit dem der juristischen Fakultät zugeordneten Lehrbeauftragten Dr. Kessler – auf ihn ist noch zurückzukommen – bereit.64 Die Vereinbarung stand unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch den Reichs erziehungsminister. Ob sie in der beschriebenen Form in Kraft trat, ist nicht klar, in Teilbereichen ist nach ihr verfahren worden. Auf jeden Fall besaß sie für die NSV, wie der im Februar 1942 vorgelegten Arbeitsplanung für den Ausbau der Erziehungsberatung auf Reichsebene zu entnehmen ist, Modellcharakter.65 [375] Da immer mehr sozialpädagogische Einrichtungen wie Kindergärten oder Jugend heime in die Verfügungsgewalt der NSV kamen, mußten Fachkräfte verschiedener Disziplinen, die an diesem Sektor interessiert waren, nahezu zwangsläufig mit der NSV kooperieren. Die Vereinbarung zwischen Benzing und Fischer ist nur ein Beispiel dafür, daß die NSV zu „einem neuen wichtigen Koalitionspartner der Psychologie bei ihrer Professionalisierung” wurde.66 Läßt man die weltanschaulichen Vorgaben einmal beiseite, so ist der interdisziplinäre Einsatz von Medizinern, Psychologen und Juristen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendfürsorge durchaus als modern anzusprechen.67 Auf der Grundlage der von Benzing und Fischer geschlossenen Arbeitsvereinbarung zwischen der NSV und dem Universitätsinstitut für psychologische Anthropologie kam es zumindest im Kindergartenbereich zur Zusammenarbeit. In Marburg hatte die NSV in diesem Sektor mit der Übernahme der konfessionellen und privaten Kindergärten – städtische Einrichtungen dieser Art existierten damals nicht – bis Ende 1941 eine Monopolstellung erreicht.68 Der Vorgang belegt eindrucksvoll, welche Durchsetzungskraft lokale und regionale Funktionsträger der NSV entwickeln konnten: Obwohl der Regierungspräsident in Kassel nur die Übernahme der „bisher von den konfessionellen und sonstigen Organisationen“ betriebenen Kindergärten durch die NSV verfügt hatte, verlangte und erreichte die örtliche NSVDienststelle von der mehr oder weniger reibungslos in diesem Sinne „funktionierenden“ Stadt
62 Vereinbarung zwischen der Gauamtsleitung der NSV Kurhessen (Benzing) u. d. Institut f. psycholog. Anthropologie d. Univ. Marburg (Fischer) o. D., Anlage 1 zu Schreiben des Amts f. Wohlfahrtspflege u. Jugendhilfe v. 20.2.1942 betr. Ausbau d. Erziehungsberatung der NSV-Jugendhilfe (NS 37/1006). 63 Zu Edmund Keßler (1902–1977) vgl. Auerbach 1979, 165 [s. Anm. 56]. 64 Vgl. unten [381f.] u. [384f.]. 65 Vgl. oben Anm. 62. 66 Vgl. Geuter 1984, 413f. [s. Anm. 40]. 67 Das zeigt die Praxis heutiger Erziehungsberatungsstellen. 68 Im Jahre 1938 wurden neben acht konfessionellen Kindergärten weitere vier Privatkindergärten betrieben; vgl. die Aufstellung v. 28.2.1938 (StadtAM E 288).
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Marburg auch die Übernahme beziehungsweise Schließung der Privatkindergärten.69 Als zwei ihrer Betreiber Widerspruch einlegten, erklärte man, der Gauleiter – hinter ihm stand in dieser Sache NSV-Gauamtsleiter Benzing als treibende Kraft – habe mit der Einbeziehung auch der privat geführten Kindergärten „eine einheitliche Linie (...) wahren“ wollen.70 Am Ende dieser Übernahmeaktion am 1. Dezember 1941 waren neben neun konfessionellen auch drei private Kindergärten in die Trägerschaft der NSV übergegangen, ein privater Kindergarten wurde geschlossen.71 Die zum Teil widerstrebenden Verhandlungspartner sahen sich den Drohungen und dem Druck der NSV ausgesetzt. Dabei wird mehrfach deutlich, daß die letzte Entscheidung bei Benzing lag. In die Verhandlungen hatte sich, das sei am Rande angemerkt, auch Professor G. H. Fischer und diesen unterstützend die [376] Universität eingeschaltet. Es ging darum, den in der Vereinbarung zwischen Benzing und Fischer erwähnten ursprünglich privat betriebenen Kindergarten, der dem psychologischen Institut schon früher zur Verfügung gestanden hatte, zu erhalten.72 Das gelang in der Form, daß seine Besitzerin als Kindergartenleiterin von der NSV angestellt und der Kindergarten selbst zumindest zeitweise Fischers Institut für psychologische Anthropologie angegliedert wurde. In den Händen Fischers sollte auch die „erzieherische Oberleitung“ liegen.73 In der Zusammenarbeit zwischen dem Mediziner Benzing, dem Psychologen Fischer und dem Juristen Kessler sind zweifellos Ansätze zu einer universitären Ausbildung von NSV-Mitarbeitern faßbar, die den Vorgaben für das in Marburg geplante NSV-Institut der Hohen Schule entsprechen. Das Interesse der NSV am Ausbau ihrer Wissenschaftsarbeit in Marburg ging aber weit über diese Planungen, auf die sich das Amt Rosenberg ungefähr seit Mitte 1942 konzentrierte, hinaus.74 Spätestens im Juli 1942 lag im Rustschen Ministerium eine „Denkschrift über einen geplanten Lehrauftrag für Volksgesundheitspflege in Verbindung
69 Auf Gauebene war die Initiative von Benzing ausgegangen. Vgl. die Aktennotiz OB Voss v. 31.3.1941. Auf der Grundlage einer Verfügung des Regierungspräsidenten v. 21.4.1941 beantragte NSV-Kreisamts leiter Pflüger am 28.4.1941 beim Oberbürgermeister der Stadt Marburg den bisherigen Trägern die Weiterführung ihrer Kindergärten zu untersagen, was dieser mit Wirkung v. 1.5.1941 umgehend tat. Vgl. OB Voss an Kindergartenträger v. 2.5.1941 (StadtAM E 788). 70 Vgl. zum Beispiel Widerspruch B. Ennecerus (Privater Kindergarten Barfüßerstr. 26) nach Bericht OB Voss an Regierungspräsident v. 12.5.1941 (E 788). 71 Bericht OB Voss an Regierungspräsident v. 5.12.1941 (E 788). – In vollem Umfang konnte die „Übernahmeaktion“ erst 1943 abgeschlossen werden: Damals kam es zu einer Vereinbarung über die „Inanspruchnahme von konfessionellen Kindergärten für die Zwecke von NSV-Kindergärten“ mit a) dem Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in Fulda (Kindergarten Ritterstr. 4) und b) dem St. Elisabethverein (Kindergarten Julienstift, Leckergäßchen), deren Träger hinhaltenden Widerstand ge leistet hatten. Vgl. OB Marburg an Regierungspräsident v. 14.8.1943 sowie den Bericht über die Mar burger Kindergärten v. 26.5.1946 (E 788). – Vgl. zum Gesamtkomplex M. Heinemann, Evangelische Kindergärten im Nationalsozialismus. Von den Illusionen zum Abwehrkampf, in: Ders. (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 1: Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung, Stuttgart 1980, insbesondere 76 u. 85. 72 Vgl. G. H. Fischer an Dekan Phil. Fak. Mbg. v. 10.5.1941 und Univ. Kurator an OB Marburg v. 13.5.1941 (E 788). 73 B. Ennecerus an OB Marburg v. 2.12.1941 (E 788); vgl. auch den später nicht wiederholten Hinweis auf den „Institutskindergarten Barfüßstr. 26“ im Personal- und Vorlesungsverzeichnis der PhilippsUniversität Wintersemester 1942/43, 26. 74 Vgl. oben [371f.].
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mit einem Univ. Institut für Volksgesundheitspflege an der Univ. Marburg“ 75 vor, die allem Anschein nach im „Amt für Volksgesundheit“ der NSV in Berlin entstanden war.76 Das ganz auf die Interessen Benzings – er hat vermutlich die Vorlage für die Denkschrift geliefert – zugeschnittene Projekt zielte letztlich darauf ab, ein von diesem vertretenes Fach „Volksgesundheitspflege“ an der Universität zu etablieren. Der Lehrauftrag sollte ausdrücklich „innerhalb der mediz. Fakultät selbständig zwischen den Lehrstühlen Kinderheilkunde und Hygiene“ stehen und „Arbeitsverbindungen zu den übrigen medizinischen Lehrfächern insbesondere zur Frauenheilkunde“ unterhalten. Das Institut für Volksgesundheitspflege hatte in enger Verbindung mit den Fürsorgeeinrichtungen als „Beobachtungsstation“ Forschungen auf sozialmedizinischem Gebiet wie etwa „Reihenbeobachtungen an gesunden Kindern (z. B. in der Heimpflege)“ in Angriff zu nehmen. Ein wichtiges Arbeitsfeld für die insgesamt drei Abteilungen „für sozialmedizinische Statistik“, für „leistungsphysiologische Beobachtungen am Kind“ und schließlich für „Gesundheitserziehung“ (Hervorhebung im Original) sah man in der Gemeinschaftserziehung des Kindergartens, deren Rang neben der Familienerziehung hervorgehoben wurde. Wenn in diesem Rahmen zum Beispiel eine „Leistungsphysiologie des vorschulpflichtigen Kindes vom 3. bis 6. Jahr entwickelt“ werden sollte, war das eine Voraussetzung für „eine biologische Ausrichtung dieser Erziehungspflege“.77 Dieses Ziel entsprach exakt den Vorstellungen von nationalsozialistischer Volkspflege, wobei betont von Gesunderhaltung, Gesundheitserziehung, Beobachtungen an gesunden Kindern die Rede war. Mit dem Institut wollte man ausdrücklich „innerhalb der medizinischen Fakultät“ in enger Kooperation mit anderen medizinischen Fächern insbesondere Arbeits- und Fort bildungsmöglichkeiten [377] für angehende Sozial-, Jugend-, Amts- und NSV-Ärzte schaffen. Eine Signal- und Außenwirkung war von der NSV in der Art beabsichtigt, „daß die medizinische Fakultät Marburg sichtbar als eine Fakultät in Erscheinung träte“, die für das skizzierte Ausbildungsprogramm „besondere Einrichtungen unterrichtender und praktischer Art (Übungen in Fürsorgeeinrichtungen usw.) bereitstellt“. Das Hauptamt der NSV unterbreitete der Universität gewissermaßen als Gegenleistung das Angebot, sämtliche mit Lehrauftrag und Institut verbundenen Kosten „laufend zu über nehmen“.78 Gewürdigt wurde außerdem, das kann im Augenblick übergangen werden, die wissen schaftliche und gesundheitspolitische Qualifikation Benzings für die angestrebte Honorarprofessur. Sehr erwünscht war schließlich – begründet mit weitergehenden Plänen – die Umwandlung des Lehrauftrages in ein „Ordinariat für Volksgesundheitspflege“, um diesem Fachgebiet einen festen Platz in der Universität zu sichern. Damit sollte dem potentiellen Schülerkreis ausdrücklich „die Aussicht der Habilitation und damit auch der späteren Lehrtätigkeit“ eröffnet werden. Für den Fall, daß ein Lehrstuhl vom REM nicht bewilligt würde, war die NSV bereit, sämtliche „mit dem Ordinariat verbundenen persönlichen Kosten“ zu 75 Enthalten in: BDC/WI – Strohschneider (im Folgenden zitiert als Denkschrift Volksgesundheitspflege), 2. 76 Vgl. Professor Dr. M. de Crinis (REM) an Dr. H. Strohschneider (Amt f. Volksgesundheit d. NSV) v. 14.7.1942 zu der anliegenden Denkschrift (wie Anm. 75). – Strohschneider war Leiter des Amtes Gesundheit der NSV und in Personalunion stellvertretender Leiter des NS-Reichsbundes Deutscher Schwestern; vgl. Vorländer 1988, 401 [s. Anm. 22] und H Strohschneider, Der Arzt in der NSV, in: Deutsches Ärzteblatt 72 (1942) 147–150. 77 Denkschrift Volksgesundheitspflege, 1. 78 Denkschrift Volksgesundheitspflege, 2.
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tragen. Zumindest mit dem Verweis auf Finanzierungsprobleme konnte diese NSV-Initiative von Ministerium und Universität also wohl kaum verhindert werden. Im Vertrauen auf die eigene Durchsetzungskraft hatte die NSV ohnehin schon Fakten geschaffen: Da im Krieg kein Neubau erfolgen konnte, waren schon geeignete Institutsräume „ermietet“. Der Beginn der Lehrtätigkeit war für Anfang des Wintersemesters vorgesehen.79 Die von diesen Plänen, das dürfte deutlich geworden sein, doch erheblich betroffene medizinische Fakultät hatte sich bis dahin zu dem ganzen Vorhaben überhaupt noch nicht äußern können.80 Im Anhang der hier besprochenen Denkschrift über die Einrichtung eines Instituts für Volksgesundheitspflege bezog man sich genauer auf das Vorhaben, unter dem Dach der Hohen Schule drei NSV-Institute für Volkspflege einzurichten, wobei im Falle Marburgs bekanntlich Benzing als Leiter vorgesehen war.81 Erst von daher wird der volle Umfang des Engagements der NSV in Marburg erkennbar, das auf die Gründung von zwei Instituten zielte. Alle drei Institute der Hohen Schule – die Planungen für Berlin und Tübingen waren zu diesem Zeitpunkt, wie oben erwähnt, schon sistiert – sollten über Abteilungen für Volks erziehung, Volksgesundheitspflege und für Jugendrecht und -hilfe verfügen, wobei man das jeweilige Spezialgebiet der Institutsleiter – in Marburg also die Volksgesundheitspflege – besonders herausstellen wollte. Im Sinne der Modellvorstellung für die Verbindung von Hoher Schule und Universität legte auch die NSV Wert darauf, daß die Instituts- und Abteilungsleiter „gleichzeitig dem Lehrkörper der betreffenden Universität angehören“. Von daher erklärt sich die speziell für Marburg im Hinblick auf Benzing erhobene Forderung, den Lehrauftrag für Volksgesundheitspflege möglichst in ein Ordinariat umzuwandeln. Die Aufgabenstellung der NSV-Institute wurde dahingehend präzisiert, daß hier für NSV-Führungskräfte „eine viersemestrige Fortbildung mit Hochschulcharakter“ eingerichtet werden sollte.82 Das NSV-Institut der Hohen Schule in Marburg, das ist der Tenor einer weiteren [378] Denkschrift, die hier nicht weiter berücksichtigt werden muß, war als höchste Stufe der Schulungseinrichtungen der NSV konzipiert.83 Die Wissenschaftsarbeit der NSV, auf deren Institutionalisierung in Marburg die Initiative dieser Organisation abzielte, sollte also in doppelter Weise zunächst über Benzing und sein Institut für Volksgesundheitspflege fest in der Medizinischen Fakultät, sodann über die Abteilungsleiter des NSV-Instituts der Hohen Schule in der Philosophischen und in der Juristischen Fakultät verankert werden. Die Frage war nur, wieviel Entscheidungsspielraum der Universität bei der Auseinandersetzung mit diesem massiven Vorstoß der NSV und des Amtes Rosenberg blieb. Der Gesichtspunkt der Mitsprache der Universität spielte zumindest für den zuständigen Referenten im REM, Professor Max de Crinis, dem „Herren der medizinischen Hoch schul-Personalia“ (Heiber) eine Rolle, der sich zu der Denkschrift der NSV erst nach der Stellungnahme der Marburger Medizinischen Fakultät äußern wollte. Gegenüber einem Ver treter des NSV-Hauptamtes für Volksgesundheit stellte er gleichwohl interessante grundsätzliche Erwägungen an. Nach seiner Auffassung sollte Benzing als künftiger Vertreter des Faches 79 80 81 82 83
Denkschrift Volksgesundheitspflege, 3f. Vgl. unten [378f.]. Denkschrift Volksgesundheitspflege (Anhang), 5f. Denkschrift Volksgesundheitspflege (Anhang), 5f. Denkschrift über ein zu errichtendes Institut für Volkswohlfahrtspflege in Marburg (BDC/WI – Strohschneider).
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Volksgesundheitspflege „nur Schüler aufnehmen, die wie er, Fachärzte für Kinderheilkunde sind und ausserdem eine Ausbildung auf dem Fachgebiet der Rassenhygiene mitgemacht haben“.84 Die Bemerkung über die Qualifikation für Rassenhygiene zielt interpretierend auf den „volkspflegerischen“ Anspruch des NSV-Reformkonzepts. Abgesehen davon lehnte de Crinis eine weitergehende Spezialisierung ab und sprach sich dafür aus, dem geplanten Institut Fortbildungsaufgaben zu übertragen.85 Als ersten Schritt zur Realisierung dieser weitreichenden Pläne nahm das REM die mit Erteilung eines Lehrauftrags verbundene Ernennung Benzings zum Honorarprofessor in Angriff. In einer offenbar abgestimmten Aktion waren Parteiinstanzen, die NSV und die Reichsgesundheitsführung im Ministerium vorstellig geworden.86 Ende August zu einer Stellungnahme in Sachen Erteilung eines Lehrauftrags für Benzing aufgefordert, gab die Fakultät diese nach mehrfachem Drängen Anfang November 1942 ab. Der Entscheidungsablauf und das Kräfteverhältnis in Universität und Fakultät sind schwer durchschaubar. Trotz „wärmster“ Befürwortung durch Kurator, Rektor, Dekan und Dozentenbund muß man wohl von einer eher geschäftsmäßigen Unterstützung sprechen. Die Fakultät nun begrüßte die Einrichtung eines „Forschungsinstituts als Universitätsinstitut“ und war auch mit der Erteilung eines Lehrauftrags und der Ernennung Benzings „sehr einverstanden“, ließ aber zumindest deutliche Reserven gegen den Ablauf des Verfahrens erkennen. Sie wünschte in Zukunft „doch bei der Berufung des Nachfolgers ausschlaggebend beteiligt“ zu sein.87 Während die Frage der Honorarprofessur und die Vergabe eines unentgeltlichen Lehrauftrags relativ einfach zu regeln war, scheint man sich der von der NSV beabsichtigten Einrichtung eines voll in die Hochschule integrierten wirklichen Universitätsinstituts widersetzt zu haben. Eine Neigung, sich – wie gewünscht – als eine Art „NSV-Fakultät“ zu profilieren, lassen diese Äußerungen nicht erkennen. [379] Am Ende der Verhandlungen gewährte man dem „Institut für Volksgesundheitspflege“ wenig mehr als verbale Unterstützung: Der Kurator stellte klar, daß die NSV alleinige Rechtsund Kostenträgerin des Instituts sein sollte. Für vertragliche Regelungen „zwischen NSV. und Universität über das Institut, seine Leitung und seinen Betrieb“ gab es solange keinen Anlaß, wie Benzing mit der Universität als Honorarprofessor verbunden war. Einen Vertrag stellte man für den Fall in Aussicht, daß „später einmal eine Professur für Volksgesundheitspflege an der Universität Marburg geschaffen werden sollte“. Im Augenblick schien es ausreichend, der Verbindung des Instituts mit der Universität lediglich dadurch Ausdruck zu geben, daß es den Namen „Institut für Volksgesundheitspflege an (Hervorhebung des Verfassers) der Universität“ unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs führen konnte.88 Unter diesen Voraussetzungen wurde Benzing am 2. Dezember 1942 zum Honorarprofessor für Volksgesundheitspflege in Marburg ernannt.89 Geht man von den Zielvorstellungen der NSV aus, so hatte sie sicher nur einen Teilerfolg errungen. Auf der anderen Seite konnte auch die Universität dem Druck, dem sie sich ausgesetzt 84 85 86 87 88
De Crinis an Strohschneider v. 14.7.1942 (wie Anm. 76). De Crinis an Strohschneider v. 14.7.1942 (wie Anm. 76). Vgl. Eingangsvermerke REM Personalkarte R. Benzing v. 11. u. 20.8.1942 (BDC/WI). REM an Kurator Marburg v. 26.8.1942 u. Dekan Bach an Kurator v. 5.11.1942 (StAM 310, Nr. 2330). Kurator von Hülsen an REM v. 18.11.1942; vgl. den Aktenvermerk des Kurators über Besprechung mit Benzing v. 14.11.1942 (StAM 310, Nr. 2330). 89 REM an Kurator v. 2.12.1942 (StAM 310, Nr. 2330). – Im Vorlesungsverzeichnis wurde das Institut in der Rubrik „Mit der Universität verbundene Anstalten“ geführt; vgl. Wintersemester 1943/44, 21.
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sah, nur teilweise widerstehen. Auch wenn von dem weiterreichenden Plan für ein NSV-Institut der Hohen Schule in den offiziellen Äußerungen der akademischen Behörden nicht die Rede war, dürfte er in die Überlegungen und Entscheidungen der Universität stillschweigend einbezogen worden sein. Die für das Institut für Volksgesundheitspflege gefundene Regelung deutet kaum auf eine positive Haltung der Universität gegenüber dem Plan, eine engere Verbindung zwischen Universität, NSV und der Hohen Schule Rosenbergs herzustellen. Bislang ließen sich nur relativ wenig Spuren der praktischen Arbeit des unter NSV-Ägide eingerichteten Instituts für Volksgesundheitspflege an der Universität und der Tätigkeit Benzings auffinden. Bevor darauf Bezug genommen wird, ist zunächst der von der NSV und Rosenberg betriebene, auf die Verbindung von Universität, NSV und Hoher Schule zielende zweite Institutsplan weiterzuverfolgen, der Teil des von der NSV vorgelegten Gesamtkonzepts war. Die Planungsphase und die praktische Arbeit des NSV-Instituts der Hohen Schule sind bislang ausschließlich als parteiinterne Vorgänge zu dokumentieren. Das heißt allem Anschein nach haben sich weder das REM noch die Universität Marburg beziehungsweise ihre Medizinische Fakultät zu dem Komplex „NSV-Institut der Hohen Schule“ in Marburg offiziell geäußert. Daß sie von der NSV-Denkschrift Kenntnis hatten, steht außer Frage. Aus dieser Aktenlage ist mit allem Vorbehalt auf eine distanzierte Haltung auch von seiten des Berliner Ministeriums zu diesem Projekt zu schließen. Hinweise auf die Verbindung Benzings zur Hohen Schule fehlen anscheinend auch in den Äußerungen der Universität nach dem Ende des NS-Regimes. Auf Antrag der amerikanischen Militärregierung wurde Benzing der „Lehrauftrag für Volksgesundheitspflege“ im November 1945 entzogen. Aus der Leitung des von der NSV getragenen Instituts für Volksgesundheitspflege, das „zur Universität nur Beziehungen wissenschaftlicher Art“ unterhalten habe, könne die Universität, so stellte Rektor Ebbinghaus fest, Benzing nicht entlassen.90 Ein Jahr später, im November 1946, schlug die Medizinische Fakultät vor, Benzing den Titel des Honorarprofessors und die Lehrbefugnis zu entziehen: Die Ernennung [380] Benzings, der „dem Vernehmen nach im Stabe des Gauleiters“ tätig gewesen sei, „war auch“, wie es lapidar in dem Bericht des Rektors hieß, „parteitaktisch bedingt“.91 Nachdem sich Rosenberg und die NSV, wie oben erwähnt, wohl Ende August 1942 darauf verständigt hatten, ihr gemeinsames Vorhaben zunächst nur in Marburg zur realisieren, einigte man sich schon Ende des Jahres über die Finanzierung. Die NSV war selbst in der günstigen Lage, die Kosten tragen zu können. Der Reichsschatzmeister der NSDAP betrachtete dieses Institut ausdrücklich als Einrichtung der Hohen Schule und legte Wert darauf, daß die Verwaltungsangelegenheiten von ihm, nicht aber dem eigentlichen Kostenträger NSV geregelt wurden.92 In der Dienststelle des Reichsschatzmeisters gewann man den Eindruck, daß in Marburg – und das entsprach den Intentionen Benzings – ein „Musterinstitut“ geschaffen werden solle.93 Der Hinweis Rosenbergs, daß in den Erziehungseinrichtungen der NSV den rund 16000 Fachkräften rund 40000 nicht ausgebildete Hilfskräfte gegenüberstünden, überzeugte auch Reichsschatzmeister Schwarz von der „Kriegswichtigkeit“ des Vorhabens.94 90 91 92 93 94
Aktenvermerk v. 23.11.1945 (StAM 310, Nr. 2330). Rektor Marburg an Ministerium f. Kultus und Unterricht v. 21.11.1946 (StAM 305a, Nr. 48). Reichsschatzmeister an Rosenberg v. 29.4.1943 (NS 8/207 fol. 33 m. Rs.). Besuchsvermerk v. 8.6.1943 (Sammlung Schumacher 386 fol. 352). Rosenberg an Reichsschatzmeister v. 13.4.1943 (Sammlung 386 fol. 55).
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Am 6. April 1943 wurde von der NSV offiziell bekanntgegeben, daß das „Institut für Nationalsozialistische Volkspflege“ als Einrichtung der Hohen Schule unter Leitung Benzings eingerichtet worden war.95 In einem zunächst nur zweisemestrigen Studiengang sollten – wegen des Krieges – vorläufig nur Mitarbeiterinnen der NSV auf wissenschaftlicher Grundlage „eine vertiefte Schulung über die Aufgaben nationalsozialistischer Volkspflege erhalten“. Der Aufbau des Instituts in die drei Abteilungen Familien- und Volkserziehung, Volksgesundheitspflege und Recht der nationalsozialistischen Volkspflege entsprach den Vorgaben der Planungsphase. Zugelassen zur Teilnahme wurden Volkspflegerinnen, Schwestern (einschließlich Säuglings schwestern), Jugendleiterinnen und Kindergärtnerinnen, die „im allgemeinen“ über die Reife prüfung verfügen mußten. Ursprünglich hatte man „nur an die Fortbildung von Leiterinnen“ gedacht. Die NSV-Gauamtsleitungen mußten unverzüglich jeweils eine geeignete Teilnehmerin melden.96 Bis zu einem gewissen Grad läßt sich das Profil dieser Einrichtung nach einer Instituts satzung umreißen, die in einigen Punkten neue Akzente setzt:97 In den einschlägigen Denk schriften und in der offiziellen Mitteilung über den Arbeitsbeginn war immer nur von einem „Institut“ für „Volkswohlfahrtspflege“ beziehungsweise „Volkspflege“ und dessen Lehrzweck die Rede. In der Satzung firmiert die Neugründung dagegen auch ausdrücklich als „Forschungs stelle der Hohen Schule“. Dementsprechend führte man in Marburg den offiziellen Titel „Institut für Volkspflege. Forschungsstelle der Hohen Schule i.V.“. Die betont angeführten Forschungsaufgaben lagen „auf dem gesamten Gebiet nationalsozialistischer Volkspflege (...) einschließlich der Behandlung von Fragen, die Grenzgebiete, namentlich der Sozialpolitik, berühren“. Zu weiteren Aktivitäten gehörten wissenschaftliche Auskunfts-, Gutachter- und Publikationstätigkeit, Vortragsreihen und Lehrgänge.98 [381] Die Betonung des Forschungscharakters entspricht der Interessenlage der Hohen Schule. Abweichend von den früheren Plänen mußte nach der Satzung – das betrifft einen weiteren zentralen Punkt – nur der Institutsleiter dem Lehrkörper der Universität angehören. Von den auf „dem ihnen zugewiesenen Wissenschaftsgebiet“ selbständigen Abteilungsleitern und den wissenschaftlichen Mitarbeitern wurde der Nachweis wissenschaftlicher Vorbildung verlangt. Warum die Forderung einer möglichst engen Verbindung mit dem Lehrkörper der Universität auch auf Abteilungsleiterebene in der Satzung nicht umgesetzt wurde und ob dem etwa unterschiedliche Auffassungen von NSV und Hoher Schule zugrunde lagen, ist unklar. Die Satzung eröffnete schließlich die Möglichkeit, daß „auch Studierende“ im weiteren Sinne, das heißt also nicht nur dazu abgeordnete „besonders befähigte und für besondere Aufgaben vorgesehene“ NSV-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen an den “Studienlehrgängen‘“ teilnehmen konnten. Die Satzung, in der wiederum der hochschulnahe Charakter der Institution betont wird, geht ausdrücklich von einer Nachkriegsperspektive der Hohen Schule und einer Verbindung mit weiteren „Institutionen des gleichen Lehr- und Forschungsgebiets“ aus.99 An 95 Hauptamt Volkswohlfahrt / Hilgenfeldt Rundschreiben Nr. 55/43 v. 6.4.1943 (NS 37/1010); vgl. Vorländer 1988, Dok. Nr. 248 (Auszug) [s. Anm. 22]. 96 Daraus ergab sich eine Kursstärke von ca. 20 Teilnehmerinnen. 97 Satzung des Instituts für nationalsozialistische Volkspflege in Marburg a. d. L., o. D. (NS 8/265 fol. 168–170). 98 Satzung des Instituts (fol. 168). 99 Satzung des Instituts (fol. 168).
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der engen Einbindung des Marburger Instituts in den Organisationsrahmen der Hohen Schule gibt es keinen Zweifel. Die Einrichtung des Marburger Zweiges erfolgte, auch das spricht für die Durchsetzungskraft der Bündnispartner NSV und Rosenberg, zu einem Zeitpunkt, als die immer noch im Aufbau befindliche Hohe Schule schon von der Stillegung bedroht war. Rosenberg selbst hatte – nicht zuletzt auf Druck Bormanns – am 22. Februar 1943 unter anderem die Einstellung von „Neuplanungen“ verfügt, was freilich weder den Fortgang der Planungen für Marburg noch die Aktivitäten der übrigen Außenstellen ernsthaft behinderte.100 Von seiten der Hohen Schule waren die entscheidenden Verhandlungen mit der NSV, die zur Berufung Benzings als Institutsleiter führten, unter maßgeblicher Beteiligung von Alfred Baeumler, dem Leiter des „Aufbauamtes“ der Hohen Schule, geführt worden.101 Benzing sah seinerseits, wie er Rosenberg schrieb, in der „Tatsache der unmittelbaren Unterstellung“ unter die Hohe Schule „den verpflichtendsten Auftrag“ seines Lebens. Unter ihrem Dach wollte er mit der „wissenschaftlichen Durchdringung“ der nationalsozialistischen Volkspflege „Lehre und Leben der Gegenwart in einer einzigartigen Weise verknüpfen, wie sie zum Beispiel der Universität heute noch verschlossen sind“. Mit seinem Reformkonzept sollten neue, fächerübergreifende Arbeitsformen in die Universität hineingetragen werden: „Grenzpfähle der Fakultäten werden überschritten“, das zählt zu den Gemeinplätzen nationalsozialistischer Hochschulreformvorstellungen, „wenn sich der Biologe, der Pädagoge und der Rechtserzieher zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen, um Fragen der nationalsozialistischen Volkspflege in einer möglichst ganzheitlichen Schau zu betrachten“.102 Benzing präsentierte als Abteilungsleiter für „Familien- und Volkserziehung“ den Psychologen Professor G. H. Fischer, für „Recht der nationalsozialistischen Volkspflege“ den Lehrbeauftragten Kammergerichtsrat Dr. Kessler, mit denen er sich wenig später auch persönlich bei Rosenberg vorstellte.103 Das Konzept einer wissenschaftlichen Fundierung der nationalsozialistischen Volkspflege, das letztlich schon der oben skizzierten Vereinbarung zwischen Benzing und Fischer [382] über die Zusammenarbeit zwischen der NSV und dem Universitätsinstitut für psychologische Anthropologie zugrunde lag, wurde nun in der Hohen Schule gewissermaßen institutionalisiert. Der NSV war es damit gelungen, ihre Wissenschaftsarbeit in der Universität, wenn nicht zu verankern, so doch sehr universitätsnah zu etablieren. Der Honorarprofessor Benzing leitete also jetzt neben dem Institut für Volksgesundheit an der Universität eine gleichfalls von der NSV getragene Forschungsstelle der Hohen Schule. Deren weitere Abteilungsleiter Fischer und Kessler waren als außerordentlicher Professor beziehungsweise als Lehrbeauftragter auch in der Universität tätig. Mit Modifikationen wurde das Konzept in die Tat umgesetzt, das die NSV vor weniger als einem Jahr an das zuständige Ministerium herangetragen hatte. Zusammen mit der Hohen Schule konnte sie wesentliche Teile des Vorhabens verwirklichen. Was die praktische Arbeit der beiden in Marburg gegründeten NSV-Institute angeht, so sind nur begrenzte Einblicke möglich. Von der organisatorischen, technischen und zum Teil 100 Vgl. die Verfügung Rosenbergs v. 22.3.1943 (Sammlung Schumacher 386 fol. 343–344), Kater 1974, 435, Anm. 148 und Bollmus 1970, 144f. [s. Anm. 3]. 101 Zur Rolle Baeumlers vgl. Bollmus 1980, 144ff. [s. Anm. 1]. 102 Benzing an Rosenberg v. 12.4.1943 (MA 253 fol. 731f.). 103 Benzing an Rosenberg v. 12.4.1943 (MA 253 fol. 731f.); vgl. Hilgenfeldt an Rosenberg v. 15.4.1943 (MA 253 fol. 729f.). – Vorstellungstermin am 19.4.1943 im Beisein von Baeumler, Hilgenfeld und Wagner (NS 8/134).
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auch von der inhaltlichen Seite her lassen sich der Aufbau der Bibliothek und die Regelung der Verwaltungsangelegenheiten teilweise dokumentieren. Die Zuständigkeit für die Verwaltung der Institute auch in finanzieller Hinsicht lag zunächst bei dem Beauftragten des Reichsschatzmeisters für Revisionsangelegenheiten im Gau Kurhessen. Ab Ende 1943 ging die Verwaltungsführung an den Sonderbeauftragten des Reichsschatzmeisters für den Gau Hessen-Nassau über, dem auch die Frankfurter Außenstelle der Hohen Schule, das bekannte „Institut zur Erforschung der Judenfrage“, unterstand – ein Beleg dafür, daß die Marburger Institution voll in die Hohe Schule integriert war.104 Schon vor Eröffnung der Marburger Forschungsstelle der Hohen Schule Mitte Mai 1943 wurden dafür vorgesehene Buchbestände im Vorgriff über die Bibliothek des „Instituts für Volksgesundheit“ erworben, danach bestanden zwei offizielle, getrennte Bibliotheken nebeneinander.105 Benzing selbst kümmerte sich um den Erwerb französischer und belgischer Fachliteratur, die Bibliothek – auf die inhaltliche Ausrichtung ist noch einzugehen – enthielt auch einen größeren Bestand an holländischen Titeln, insgesamt umfaßte sie ca. 2.000 Bände. Die finanzielle Ausstattung war stets so reichlich bemessen, daß die zur Verfügung stehenden Personal- und Sachmittel – die Abteilungsleiter und eine Mitarbeiterin erhielten lediglich Aufwandsentschädigungen – nicht voll ausgegeben werden konnten.106 Noch im Mai 1944 wurde der Studiengang am Institut für Volkspflege von „ursprünglich zwei auf nunmehr endgültig drei Semester“ verlängert.107 Ende September 1944 verständigten sich das Aufbauamt der Hohen Schule und die NSV darauf, die Marburger Forschungsstelle zunächst bis zum 31. März 1945 stillzulegen.108 Wann genau die Stillegung erfolgte, ist nicht klar. Die Spuren der verwaltungsmäßigen Betreuung enden mit [383] der Zuweisung der Mittel für das letzte Quartal 1944 und der Bitte, rechtzeitig den Etatvorschlag für das erste Quartal des Jahres 1945 einzureichen.109 Von der inhaltlichen Seite her ist die Arbeit der beiden Marburger Institute nur bedingt erfaßbar. Aussagen über ihre Ausrichtung erlauben vor allem die Publikationen der Abteilungsleiter Benzing, Fischer und Kessler sowie bis zu einem gewissen Grade ihre Ankündigungen für das Lehrprogramm der Universität. Über den offiziellen Lehrplan des „Instituts für nationalsozialistische Volkspflege“ liegen bislang keine Informationen vor. Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang auch der Katalog der beiden Institutsbibliotheken, der zumindest einen Eindruck von der Interessenlage vermitteln kann. Die 29 Abteilungen reichen vom „Bürgerlichen Recht“ bis zur „Wirtschaftspolitik“, wobei die Masse des Bestandes von ca. 2.000 Bänden sich auf die Schwerpunkte Recht, Psychologie und Pädagogik verteilt. Benzings 104 Vgl. Besuchsvermerk Dienststelle des Reichsschatzmeisters v. 8.6.1943 (Sammlung Schumacher 386 fol. 352f.) und Reichschatzmeister an Reichsoberrevisor Wick v. 24.12.1943 (fol. 356). 105 Vgl. Schriftwechsel zw. Reichsschatzmeister und seinem Beauftragten f. Revisionsangelegenheiten v. 19.7., 28.7., 8.12. u. 20.12.1943 (Sammlung Schumacher fol. 350, 349, 355 u. 354) u. Reichsschatzmeister an Reichsoberrevisor Wick v. 30.6.1944 (fol. 364). 106 Im Jahre 1943 entstanden Kosten in Höhe von ca. 15.000 RM. Die jeweils auf ein Vierteljahr berechneten Etatvoranschläge schwankten zwischen 8.000 und 10.000 RM. Einzelaufstellungen in: Sammlung Schumacher 386 fol. 358–366. 107 Hauptamt Volkswohlfahrt / Hilgenfeldt Rundschreiben Nr. 63/44 v. 16.5.1944 (NS 37/1012). 108 Vermerk Dr. Wagner f. Rosenberg v. 28.9.1944 (Sammlung Schumacher 386 fol. 103). 109 Reichsschatzmeister an Reichsoberrevisor Wick v. 7.10.1944 (Sammlung Schumacher 386 fol. 366). – Im Januar 1944 war die Stillegung vorerst abgewendet worden; vgl. Aktenvermerk Wagner v. 20.1.1944 (NS 8/267 fol. 95); vgl. Kater 1974, 435, Anm. 148 [s. Anm. 2].
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Arbeiten ressortieren zum Beispiel unter der Rubrik „Biologische Pädagogik“.110 Neben ausgesprochener Fachliteratur sind in den Abteilungen Erblehre, Rassenkunde und Volkstum/ Vorgeschichte die entsprechenden „Klassiker“ der NS-Zeit vertreten. Benzings Interessen galten vor allem dem Themenbereich – so der Titel einer Schrift aus dem Jahre 1941 – „Grundlagen der körperlichen und geistigen Erziehung des Kleinkindes im nationalsozialistischen Kindergarten“,111 wobei ein Schwerpunkt im Gebiet der Säuglings- und Kleinkinderernährung erkennbar ist.112 Im Rahmen seines Lehrauftrags – die Veranstaltungen fanden im „Institut für Volksgesundheitspflege“ statt – kündigte Benzing vom Sommersemester 1943 bis zum Wintersemester 1944/45 jeweils die zwei Themen „Volksgesundheitspflege in Familie und Fürsorge“ (als Vorlesung) und „Übungen zur Volksgesundheitspflege mit Betonung der Leistungsformen gesunder Kinder“ an.113 Hinweise auf eine enge Zusammenarbeit mit der NSV und Benzing finden sich in dem programmatischen Beitrag des Abteilungsleiters am Institut für NS-Volkspflege Professor G. H. Fischer „Über Ziele und Einsatz psychologischer Anthropologie“, den dieser im Oktober 1941 anläßlich des Besuchs flämischer Sozialfachleute in seinem Universitätsinstitut hielt.114 Fischer skizzierte darin die von seinem Lehrer Jaensch getragene Entwicklung des Faches Psychologie zur „psychologischen Anthropologie“. Deren aktuelle – so jedenfalls in Marburg – „biologische Orientierung“ schloß die „besonders gute Nachbarschaft zur medizinischen Fakultät“ ein. In diesem Zusammenhang betonte er – damit wird die Nähe zum Konzept der „Volkspflege“ deutlich –, „daß auch in der Medizin (...) nicht mehr allein der kranke Mensch, sondern auch der gesunde im Vordergrund des Interesses“ stehe. [384] Die „Volks- und Jugendpflege“ empfahl Fischer als wichtiges Bewährungsfeld zukünftiger praktischer Psychologie.115 Dieser Schwerpunkt verleiht denn auch dem das Gesamtgebiet der Psychologie abdeckenden Lehrprogramm Fischers seine besondere Charakteristik. Dazu gehören die zeitgebundenen Ankündigungen beziehungsweise Themen wie „Psychologische Anthropologie (Rassenkunde und Typenlehre)“, „Grundlagen und Formen nationalpolitischer Erziehung“ oder „Erziehungswirklichkeit im nationalsozialistischen Staat“.116 Praktische Übungen zum Seminar „Pestalozzi und Fröbel“ fanden im „Instituts-Kindergarten“, solche zur psychologischen Begutachtung in der Erziehungsberatungsstelle des Instituts statt.117 In dem erwähnten Vortrag verwies Fischer darauf, daß sich „im Rahmen der Aufgaben von Auslese, Menschenführung und Erziehung (...) eine besonders enge Verbindung zur HJ, NSV 110 Die Kataloge der beiden Institutsbibliotheken sind in der UB Marburg erhalten. 111 Berlin 1941 (Schriftenreihe der NSV Nr. 12); vgl. die wohlwollende Besprechung von O. Scheibner, in: Zeitschrift für pädagogische Psychologie 43 (1942) 154–156, der Vorbehalte Benzings gegen kinderpsychologische Arbeiten zurückwies (155). – Vgl. auch den Sammelband R. Benzing, Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind, Stuttgart 1941. 112 Dazu auch die Beiträge einer Mitarbeiterin Benzings: C. Hellpap, Die NSV-Frauenmilchsammelstelle in Kassel, in: Nationalsozialistischer Volksdienst 8 (1941) 7–11 und C. Sieberg, Praktische Gegenwarts maßnahmen zum Säuglingsschutz, in: Nationalsozialistischer Volksdienst 9 (1942) 119–126 (NSD 30/1). 113 Vgl. zum Beispiel Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Philipps-Universität Wintersemester 1943/44, Nr. 172 und Nr. 173 (37). 114 Auszug in: Nationalsozialistischer Volksdienst 9 (1942) 1–8 (NSD 30/1). 115 G. H. Fischer, Zur Entwicklung der neueren Psychologie, in: Zeitschrift für pädagogische Psychologie 43 (1942) 2f. (= Fischer 1942). 116 Vorlesungsverzeichnis d. Philipps-Universität Sommersemester 1943, 49 (Nr. 182 und 183). 117 Vgl. Sommersemester 1942, 49 (Nr. 182 und 185).
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und staatlichen Jugendfürsorge angebahnt“ habe. Ausdrücklich bekannte er sich – dahinter steht (Ende 1941) schon das Konzept des Instituts der Hohen Schule für NS-Volkspflege – zur Zusammenarbeit mit der NSV und Benzing auf dem Gebiet „der theoretischen Forschung, der praktischen Ausbildung und der großen volkspflegerischen Aufgaben der NSV“.118 Als Psychologe unterstützte er auch die mit dem Konzept Benzings verknüpften hochschulpolitischen Ziele: Von der „Basis der Fakultätsschranken und der Verwaltungstradition“ erwuchsen der von ihm verfolgten „Entwicklungslinie der neueren Psychologie“ eher Schwierigkeiten. Seine „praktischen Arbeitsverbindungen“, die über NSV und die „neuen Erziehungsinstanzen“ hinaus bis in die Deutsche Arbeitsfront und die Medizinische Fakultät reichten, eröffneten ihm ein weites Forschungsfeld „besonders für die Typenlehre, die Rassenpsychologie, die Charakterkunde sowie für die Erb- und Entwicklungslehre“.119 In Fischer hatten NSV und Hohe Schule ein profiliertes Mitglied für die Marburger Forschungsstelle gewonnen, an dessen Abwerbung offenbar auch Himmlers Konkurrenzunternehmen „Ahnenerbe“ interessiert war.120 Auch der Kammergerichtsrat Edmund Kessler, der seit 1937 seinen Lehrauftrag für nationalsozialistisches Jugendrecht versah,121 dokumentierte seine Verbundenheit mit der Konzeption Benzings. Auf den Spuren des Gauamtsleiters, „der bei der Schaffung des NSV-Kindergartens eigene und neue Wege ging“, machte er sich vom „Standpunkt des Rechtswahrers“ für eine Rechtsreform stark, die „möglichst jedem vorschulpflichtigen Kind eine zusätzliche Erziehung durch den NSV-Kindergarten sichern“ sollte.122 Sein Beitrag „Kindergarten und Recht“, den er Benzing zum 50. Geburtstag gewidmet hatte, zog die heftige Kritik des bekannten Verfechters der NS-Rassenideologie Johann von Leers auf sich. Unter der Frage „Elternhaus oder Zwangskindergarten“ polemisierte dieser gegen den von Kessler erwogenen „Pflichtkindergarten“.123 In diesem Punkt fand von Leers die Unterstützung von Carl Maria Fernkorn: Der Leiter der Hauptstelle Lehrwesen beim Reichsschulungsbeauftragten [385] der NSV unterstrich die Funktion der Familie als der „natürliche(n) Pflegestätte der Gemeinschaftserziehung des Kleinkindes”. Im übrigen empfahl er dem „in den Dingen der NSV-Jugendhilfe bekannten und bewährten Praktiker“ Kessler in bezug auf dessen Konzept der Rechtserziehung des Kleinkindes mehr Rücksichtnahme auf die Entwicklungsstufe des Kindergartenalters!124 Diese Diskussion, in der zweifellos Grundsatzfragen nationalsozialistischer Erziehungsziele angeschnitten wurden, kann hier nicht so ausführlich erörtert werden, wie sie es verdienen würde. In unserem Zusammenhang geht es nur darum, über die Positionen Benzings, Fischers und Kesslers eine Vorstellung von Arbeitsgebiet und Interessen der Marburger NSV-Institute zu gewinnen. Dabei ist wiederum deutlich geworden, daß die im Umfeld der Universität etablier-
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Fischer 1942, 8 [s. Anm. 115]. Fischer 1942. 4f. Kater 1974, 435, Anm. 145 [s. Anm. 2]. Zum Trimester 1941 erhielt Keßler zusätzlich einen Lehrauftrag für Bürgerliches Recht; vgl. Mitteilungen des Universitätsbundes 21 (1941) H. 1, 38. 122 E. Kessler, Kindergarten und Recht, in: Nationalsozialistischer Volksdienst 9 (1942) 184–190, hier 184. 123 In: Völkischer Wille Nr. 11 v. 1.11.1942. Zu von Leers vgl. Poliakov / Wulf 1959, 57f. [s. Anm. 3]. 124 C. M. Fernkron, Kindergarten und Recht, in: Nationalsozialistischer Volksdienst 9 (1942) 249f. u. 253. – Keßler war auch Mitglied des Jugendrechtsausschusses für deutsches Recht; vgl. Kessler 1942, 184; vgl. auch ders., Jugendschutzkammer und NSV-Jugendhilfe, in: NS-Volksdienst 7 (1940) 95ff. (NSD 30/1).
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ten Institutionen konzeptionell sehr stark von Richard Benzing geprägt waren, der auf seinem Arbeitsgebiet innerhalb der NSV eine Führungsrolle einnahm. Es ist möglich und notwendig, über die einleitenden allgemeinen Aussagen zum Konzept nationalsozialistischer Volkspflege hinaus den ideologischen Hintergrund der Ausbildung etwas näher auszuleuchten, in die im Prinzip auch die Marburger Institutionen eingebunden waren. Es geht darum, die Konsequenzen anzusprechen, zu denen in bestimmten Fällen das Konzept der „Volkspflege“ führte. H. Vorländer hat auf den besonderen Stellenwert des Faches „Erb- und Rassenpflege“ in der Schulung der NSV hingewiesen. Weitere Fächer und Themen wie „Weltanschauliche Schulung“, „Erb- und Rassenkunde“, „Bevölkerungspolitik“, „Volk als blut-, boden- und kulturgebundene Einheit“ oder „Gesetz der Fruchtbarkeit, des Kampfes, der Auslese“ unterstreichen die biologische Ausrichtung.125 Der NSV wuchs in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Aufgabe zu, „gut-rassische Ausländerkinder“ – es handelte sich um Fälle, „in denen der Erzeuger des Kindes einer Ausländerin ein Deutscher oder ein Angehöriger eines artverwandten, stammesgleichen (germanischen) Volkstums“ war – in besonderen Kinderheimen zu betreuen.126 Dieses Beispiel illustriert, warum unter der Rubrik „Rassenpflegerische Maßnahmen“ unter anderem das Thema „Verbesserung der biologischen Substanz: Aufartung unseres Volkes (Rassenhygiene und Fremdvolkpolitik)“ 1943 in den Lehrplan der Volkspflegehelferinnen eingefügt wurde.127 Ausfluß eben dieser weltanschaulichen Vorgaben des Hauptamtes für Volkswohlfahrt war auch die Regelung, daß Angehörige „germanischer Nachbarvölker“ zwar grundsätzlich zu NSV-Seminaren zugelassen werden, aber „nur innerhalb ihres Volkes zum Einsatz gelangen“ konnten.128 Die begrenzten Einblicke in die Arbeitspraxis der Marburger NSV-Institute ergeben kein vollständiges Bild. Eindeutig ist aber die Verpflichtung auf das Konzept nationalsozialistischer Volkspflege, das mit seinen vielfältigen Implikationen in die Universität eingebracht wurde, auch wenn die Institute selbst als Organisationseinheiten nicht voll in sie inkorporiert waren. Immerhin wurde, was die angestrebte Verbindung zur Universität angeht, [386] das Modell der Personalunion zwischen Institutsleitung und Mitgliedschaft im Lehrkörper praktiziert, mit dem die Hohe Schule auch andernorts erfolgreich in die Universitäten eindrang. Im Gesamtrahmen der Außenstellen der Hohen Schule nehmen sich diese Dimensionen bescheiden aus. Dennoch bleibt es bemerkenswert, daß die NSV trotz kriegsbedingter Schwierig keiten in Marburg – das verdankt sie auch der Durchsetzungskraft Benzings – zwei Institute errichtete. Im Rahmen des Aufbaus der Hohen Schule – darin liegt die besondere Bedeutung des Marburger Vorgangs – wurde das Spektrum der in Rosenbergs „Alternativ-Universität“ vertretenen Disziplinen um mehrere Fächer erweitert, die der „Volkspflege“ verpflichtet waren. Damit drang die Hohe Schule zumindest in Grenzbereiche der Medizinischen Fakultät ein. Die Konsequenzen, die sich daraus von der ideologischen Fundierung und den prinzipiellen Entwicklungsmöglichkeiten dieses Projekts her ergeben konnten, sind schwer abzuschätzen. NSV und Hohe Schule waren von ihrer natürlichen Interessenlage her durchaus am weiteren 125 Vorländer 1988, 143f. [s. Anm. 22]. 126 Rundschreiben Reichsführer SS / Chef d. Deutsch. Polizei v. 27.7.1943 betr. Behandlung schwangerer ausländischer Arbeiterinnen (Abschrift), 2f. (NS 37/1011). Zur Mitarbeit der NSV bei der „Germanisierung“ polnischer Kinder vgl. Geuter 1984, 410ff. [s. Anm. 40]. 127 Haptamt f. Volkswohlfahrt Rundschreiben Nr. 228/43 v. 23.12.1943 (NS 31/1011). 128 Hauptamt f. Volkswohlfahrt Rundschreiben Nr. 139/43 v. 30.7.1943 (NS 37/1011).
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Ausbau ihrer Marburger Einrichtungen interessiert, der auch eine engere Verzahnung gerade mit der Medizinischen Fakultät einschloß. Über Marburg hinaus werden mit den NSV-Institutsplänen für Tübingen und Berlin die Zukunftsperspektiven der NSV-Wissenschaftsarbeit deutlich. Aus fachspezifischer Sicht der darin eingebundenen Psychologen konnte der Bereich der NSV durchaus als der „zukunftsträchtigste im Hinblick auf die Nachkriegszeit“ gelten.129 Daß die Zusammenarbeit von NSV und Hoher Schule beiden Seiten besondere Wirkungsmöglichkeiten bot, belegt eine Aktennotiz des stellvertretenden Leiters des Aufbauamtes der Hohen Schule, Dr. Wagner, vom 9. September 1944. Ihm hatte NSV-Chef Hilgenfeldt vorgeschlagen, für die Dauer des Krieges die Vertretung des Reichsschulungsbeauftragten der NSV Hebenbrock zu übernehmen: „Wegen der Bedeutung der Schulung der NSV (Einwirkung auf Millionen Volksgenossen, jetzt noch 50 Gauschulen, 120 Seminare)“ war Wagner bereit, für den Fall der Stillegung der Hohen Schule auf dieses Angebot einzugehen.130 Die institutionelle Verbindung von NSV und Amt Rosenberg stellte im Gesamtrahmen der Hohen Schule sicher einen Sonderfall dar, führte aber zweifellos zu einer Stärkung der „Alternativ-Universität“. Erstaunlich genug bleibt, darauf hat R. Bollmus hingewiesen, was Rosenberg trotz aller nicht nur kriegsbedingten Widerstände gegen sein Projekt der Hohen Schule bis zum Kriegsende erreichen konnte.131 Auch ihre Marburger Außenstelle fügt sich in das von H. Seier beschriebene facettenreiche Bild, daß in der Aufbauarbeit der Hohen Schule „Fundamente eines radikal veränderten, auf die Epoche nach dem erwarteten Weltkriegssieg bezogenen Wissenschaftssystems damit Gestalt annahmen“.132 Die zwischen R. Bollmus und G. Giles strittige Frage nach den Erfolgsaussichten dieses Konzepts läßt sich von dem Marburger Beispiel her eher im Sinne von Bollmus beantworten: Es besteht wenig Anlaß daran zu zweifeln, daß Rosenberg nach einer längeren Regimephase in immer mehr Universitäten und Fakultäten hätte einbrechen können. Man kann prinzipiell durchaus von einer bedrohlichen Nachkriegsperspektive der Hohen Schule sprechen.
129 M. Stadler, Das Schicksal der nichtemigrierten Gestaltpsychologen im Nationalsozialismus, in: C. F. Graumann (Hrsg.), Psychologie im Nationalsozialismus, Berlin 1985, 185. 130 Aktenvermerk Wagner f. d. Persönl. Referent des Reichsleiters v. 9.9.1944 (NS 8/267 fol. 58). 131 Bollmus 1980, 126 [s. Anm. 1]. 132 Seier 1988, 276 [s. Anm. 2].
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Nr. 5 Originalpublikation in: Die Philipps-Universität im Nationalsozialismus: Veranstaltungen der Philipps-Universität zum 50. Jahrestag des Kriegsendes 8. Mai 1995, hrsg. v. der Philipps-Universität Marburg, Universitätsverlag, Marburg 1996, 67–72.
Die Altertumswissenschaften in der Zeit des Nationalsozialismus* [67] Meine kurzen Bemerkungen zum Thema „Altertumswissenschaften in der Zeit des National sozialismus“ sind in mehrfacher Hinsicht einzugrenzen: Es geht im folgenden nicht um die Alter tumswissenschaften in Marburg, sondern um einzelne Aspekte der Entwicklung dieser Fächer gruppe in der NS-Zeit, wobei in erster Linie das Fach Alte Geschichte bzw. einige seiner Vertreter angesprochen werden. Dieses relativ kleine Fach – im zweiten Weltkrieg zählte man 31 Lehrstühle – ist nicht nur eine Teildisziplin der Klassischen Altertumswissenschaft. Wohl die Mehrzahl der althistorischen Fachvertreter sieht sich stärker in der Geschichtswissenschaft verankert. Der 8. Mai kann aus fachspezifischer Sicht durchaus Anlaß sein, die Entwicklung dieser Disziplin zwischen 1933 und 1945 zu beleuchten, wobei eine zu enge Fixierung auf diese Spanne von zwölf Jahren den Blick wohl eher verstellt. Als man sich im September 1949 auf der ersten Tagung dieser Fächergruppe nach dem Kriegsende mit der Frage beschäftigte „Wo steht die deutsche Altertumswissenschaft heute?“, erfaßte den Berichterstatter der Neuen Zürcher Zeitung „tiefes Erschrecken über den Niedergang“ der Fächer, zu deren bekanntesten Repräsentanten der Althistoriker Theodor Mommsen (1817– 1903) und der Klassische Philologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931) zählten. Ich zitiere weiter aus der NZZ: „Insbesondere scheint das Studium der Alten Geschichte durch die nationalsozialistische allgemeine Politisierung der Geschichtswissenschaft ganz heruntergekommen zu sein, und wenn man von der Veteranenfigur eines Matthias Gelzer absieht, der mit Charme den Großteil der Verhandlungen leitete, so konnte der Umstand, daß Gelehrte (wie der Tübinger Vogt und der Marburger Taeger), die unter den Nazis zu besonderen Konzessionen bereit waren, als ‚entnazifiziert‘ wieder [68] das große Wort führten, für die Zukunft nur bedenklich stimmen.“ Diese Bemerkungen – daraus ergeben sich Fragen – stammen von dem Soziologen Walter Ruegg, der in den Jahren von 1965–70 in Frankfurt u. a. als Rektor wirkte und zu den Kritikern des deutschen Hochschulwesens zählte.1 Sieht man von dem Genos der Nachrufe, Gedenk- und Jubiläumsschriften ab, so beschäftigt man sich erst seit den 70er Jahren mit der Geschichte des Faches der Alten Geschichte in der sogenannten „Jüngsten Vergangenheit“. In einer Skizze „Zur Entwicklung der Alten Geschichte in Deutschland“ umriß Karl Christ 1971 ein umfangreiches Programm, in dessen Rahmen nicht nur „Leben und Werk der maßgebenden Althistoriker (...) ihr persönliches Schicksal und ihr politisches Engagement“, sondern auch die „Bedeutung der geistigen, religi* 1
Nahezu unveränderte mit Belegen versehene Vortragsfassung. W. Ruegg, Wo steht die Altertumswissenschaft heute?, in: NZZ v. 20.9.1949 (Nr. 1900, Bl. 1–2). – vgl. ders., Hochschule und Öffentlichkeit, Frankfurt 1965 (= Frankfurter Univ. Reden, H. 40).
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ösen, gesellschaftlichen und politischen Einflüsse auf die Formung der Persönlichkeit, auf die Wahl der historischen Perspektiven und Themen“ untersucht werden sollte.2 Gefordert wurde auch, „die Wechselverbindungen zwischen monarchistischen und imperialistischen Positionen zur Zeit des wilhelminischen Deutschlands und der Weimarer Republik und der Bewertung antiker Phänomene oder die Voraussetzungen und Wandlungen des deutschen Spartabildes zwischen 1918 und 1945 wie generell das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Antike“ zu analysieren.3 Wurde die Umsetzung dieses Programms im Rahmen eines DFGProjekts Anfang der 70er Jahre auch abgelehnt, so sind doch eine Reihe von Anstößen, die Christ gegeben hat, über Marburg hinaus aufgenommen worden. Den Rahmen für das Thema „Nationalsozialismus und Antike“, das unter wissenschaftspolitischem und organisatorischem Aspekt behandelt wurde,4 hat Christ selbst abgesteckt: Dazu gehörte es auch, im Sinne einer „wissenschaftliche(n) Passivbilanz“ überhaupt erst einmal an die Opfer des Nationalsozialismus im eigenen Fach zu erinnern, die bis dahin in einer erstaunlichen Weise aus dem „Gedächtnis“ des Faches verdrängt worden waren.5 Hinter der Summe der Einzelschicksale steht ein bedeutendes wissenschaftliches Potential.6 Erst in den 80er Jahren sind einzelne Schriften entlassener Althistoriker neu- oder nachgedruckt worden, deren Verbreitung in Hitler-Deutschland untersagt bzw. verhindert worden war.7 In einer ganzen Serie von Biographien bedeutender Fachvertreter und vor allem in seinem Standardwerk „Römische Geschichte und Deutsche Geschichtswissenschaft“ von 1982 hat Christ – im Unterschied zu der Mehrzahl seiner Kollegen – der Zeit zwischen 1933 und 1945 jeweils breiten Raum gewidmet.8 Dabei treten die Altertumswissenschaftler – unter Einschluß der Opfer der Entlassungswellen an den Universitäten – als eine Gruppe ins Blickfeld, in der „nationalkonservative“ Einstellungen bei weitem dominieren. „Gemäßigte“ und „Freunde der Weimarer Republik“ waren in der Minderzahl, ein Arthur Rosenberg (1889–1943) nahm eine absolute Außenseiterrolle ein.9 Was die Inhalte der wissenschaftlichen Produktion angeht, so läßt sich durchaus von einer „pränazistischen Integration“ der Antike (R. Herzog) sprechen. Der Verherrlichung des Führerund Reichsgedankens entspricht häufig eine ausgeprägt antidemokratische Komponente. Dies bestätigen neuere Arbeiten, die dem Ansatz Christs verpflichtet sind, eindrucksvoll. Ich nenne einmal die Zürcher Dissertation von Beat Näf aus dem Jahre 1986 „Von Perikies zu Hitler? Die athenische Demokratie und die deutsche Althistorie [69] bis 1945“. Auch Ines Stahlmann, die hier in Marburg 1986 mit dem Thema „Imperator Caesar Augustus. Studien zur Geschichte des Principatsverständnisses in der deutschen Altertumswissenschaft bis 1945“ promoviert wurde, 2 3 4 5 6 7 8 9
K. Christ, Zur Entwicklung der Alten Geschichte in Deutschland, in: GWU 22 (1971) 577–593, hier: 592 (= Christ 1971). Christ 1971, 593. Vgl. V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977 (= Losemann 1977). Christ 1971, 584 [s. Anm. 2]. Vgl. A. Kneppe / J. Wiesehöfer, Friedrich Münzer. Ein Althistoriker zwischen Kaiserreich und National sozialismus. Mit einem kommentierten Schriftenverzeichnis von H.-J. Drexhage, Bonn 1983. Vgl. den Neudruck von E. Täubler, Der römische Staat. Mit einer Einleitung von J. v. Ungern-Sternberg, Stuttgart 1985. München 1982. R. W. Müller / G. Schäfer (Hrsg.), „Klassische“ Antike und moderne Demokratie – Arthur Rosenberg zwischen Alter Geschichte und Zeitgeschichte, Politik und politischer Bildung, Göttingen / Zürich 1986.
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untersuchte in einem großen Rahmen Entwicklungslinien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts – so die „seit der Gründung des deutschen Kaiserreichs zu verfolgende stete Aufwertung des Augustus, die schließlich in eine führerstaatliche Überhöhung (mündete)“.10 Auch aus dem eher biographischen Blickwinkel treten diese und andere Kontinuitätslinien deutlich hervor, wie Diemuth Königs in einer soeben in Basel abgeschlossenen Dissertation über „Joseph Vogt“, – der Name ist schon gefallen – mit dem Untertitel „Ein Althistoriker in der Weimarer Republik und im Dritten Reich“11 gezeigt hat: Das gilt, um nur einige Stichworte aufzunehmen, für Fragen des römischen „Imperialismus“, die Motive „Macht und Machtstaat, Führer und Führertum und Zivilisationskritik“, die in Vogts Geschichte der römischen Republik von 1932 eine Rolle spielen.12 Aufnehmen lassen sich auch Spuren von völkischem und rassistischem Gedankengut. Auch wenn man sich von den Ausflügen H. F. K. Günthers, des sog. „Rasse-Günther“, in die Alte Geschichte distanzierte, bekundete man durchaus Interesse an der Rassentheorie. Damit war auch der Boden für den Rassenantisemitismus bereitet, der im übrigen in der Berufungspolitik in der Weimarer Zeit generell eine Rolle gespielt hat.13 Im Hinblick auf die hier sehr allgemein angesprochenen Dispositionen spielt das Kriterium der fehlenden Parteimitgliedschaft der bereits vor 1933 etablierten Althistoriker keine besondere Rolle. In der vielstimmigen Diskussion über die Bedeutung der Antike für die nationalsozialistische Gegenwart fehlte es an Bekenntnissen zu Führertum, Reichs- und Rassegedanken nicht.14 Der Leipziger Fachvertreter Helmut Berve (1896–1979) beschwor die „Erfüllung des Reiches“ und ging der Frage nach „Was ist von der griechischen Geschichte lebendig?“ Der Berliner Althistoriker Wilhelm Weber (1882–1948) verklärte „Das neue Reich der Deutschen“ und artikulierte „Erwartungen und Forderungen“ des Professors, während sich Fritz Schachermeyr (1895–1987) Anfang 1933 mit dem Thema „Die nordische Führerpersönlichkeit im Altertum“ im „Völkischen Beobachter“ und dem Beitrag „Die Aufgaben der Alten Geschichte im Rahmen der nordischen Weltgeschichte“ zu Wort meldete. Schachermeyr wollte, wie er Anfang Dezember 1933 seinem Marburger Kollegen Fritz Taeger (1894–1960) brieflich mitteilte, „aufklären und entgegenkommen“, da „augenblicklich maßgebende Strömungen geneigt sind, die Lehraufgabe der Alten Geschichte im Dritten Reich gering zu schätzen“.15 In der gleichsam revolutionären Phase nationalsozialistischer Hochschulpolitik befürchtete man eine Totalrevision des Geschichtsbildes nach den Vorgaben der von Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler propagierten Germanisierung der Geschichte. Das „Bewußtsein von der eigenen Inaktualität“ habe die Altertumswissenschaftler in verschiedenen Epochen der Moderne in eine politische Rolle gedrängt, meint der Klassische Philologe Luciano Canfora, der sich damit auch auf die „Vereinnahmung der italienischen Altertumswissenschaft durch den Faschismus“ bezog. Die „Programmdiskussion“ in Deutschland zeigt, daß die „Illusion einer unmittelbaren Aktualität und politischen Funktion der Disziplin“ – so Canfora weiter – nicht nur in Italien 10 I. Stahlmann, Imperator Caesar Augustus. Studien zur Geschichte des Principatsverständnisses in der deutschen Altertumswissenschaft bis 1945, Darmstadt 1988, 188. 11 Basel / Frankfurt 1995 (= Königs 1995). 12 Königs 1995, 72ff. und 122ff. 13 Losemann 1977, 26 und 29 [s. Anm. 4]. 14 Die Belege zu den folgenden „Bekenntnissen“ in: V. Losemann, Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“, in: Quaderni di storia 11 (1980) 35–105 (= Losemann 1980) [Nr. 1]. 15 Zitiert nach Losemann 1977, 47 [s. Anm. 4].
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eine bedeutende [70] Rolle spielte.16 Von offizieller Seite erntete die „hilflose und komische intellektualistische Raserei der Professoren und Altphilologen“ z. T. beißenden Spott.17 „Begriffe wie Heroismus, Vaterlandsliebe, Volksgemeinschaft, Ehre, Wehrhaftigkeit, Rasse, Religiosität, Führertum werden“, so schrieb ein Anhänger des „NS-Chefideologen“ Alfred Rosenberg, „in Bewegung gesetzt, um das klassische Altertum (...) als wichtig zu erweisen“.18 Ansatzpunkte für derartige Beiträge zur „Relevanzdiskussion“ boten häufig einschlägige Äußerungen des „Führers“: Hitler war vom Imperium Romanum ebenso fasziniert wie von Sparta als dem „klarsten Rassenstaat der Geschichte“.19 Was die weitere Entwicklung der Alten Geschichte anbelangt, so bietet eine aufschlußreiche Zwischenbilanz in dem Jahreslagebericht des Reichssicherheitshauptamts von 1938 keinen Anlaß zu einer optimistischen Bewertung der Rolle des Faches in der NS-Zeit. „Auf dem Gebiete der alten und mittelalterlichen Geschichte sind keinerlei Vorstöße im Sinne eines nationalsozialistischen Geschichtsbildes zu verzeichnen. Die Forscher“, so heißt es dort weiter, „begnügen sich vielmehr, alte wissenschaftliche Enzyklopädien weiterzuführen und für die Aufhellung einzelner Epochen neue wissenschaftliche Beiträge zu liefern“.20 Soweit die Feststellung des Reichssicherheitshauptamts. Es ist sicher richtig, daß alte, z. T. uralte, Reihenwerke weitergeführt werden konnten. Bei genauerem Zusehen ergibt sich freilich, daß durchaus führende Fachvertreter über den Bekenntniseifer der Anfangsjahre hinaus bereit waren, den Fragestellungen der NS-Rassenideologen nachzugeben. Auch das belegt die schon erwähnte Dissertation über den Althistoriker Joseph Vogt (1895–1986), der folgende Publikationen gewissermaßen „anbot“: „Bevölkerungsrückgang im römischen Reich“ (1936), „Kaiser Julian und das Judentum“ (1939), „Das Puniertum und die Dynastie des Septimius Severus“ (1942).21 Joseph Vogt und Helmut Berve – beide amtierten zeitweise als Rektoren – organisierten 1941 und 1943 den sogenannten „Kriegseinsatz der Altertumswissenschaften“, aus dem die Sammelbände „Das neue Bild der Antike“ (1942) und „Rom und Karthago“ (1943) hervorgingen. Diese „Selbstdarstellung“ stand unter der Schirmherrschaft des zuständigen Reichs ministeriums und diente u. a. auch der Abgrenzung von altertumswissenschaftlichen Projekten, die in den Dienststellenbereichen Himmlers und Rosenbergs angelaufen waren. Dement sprechend harsch fiel das Urteil des Berliner Fachvertreters Wilhelm Weber aus, der dem konkurrierenden Amt Rosenberg verbunden war: Er sah 1944 in diesen Gemeinschaftsarbeiten den „klarste(n) Beweis“ dafür, daß sich in der Alten Geschichte wenig geändert hatte.22 Eine weitere Gemeinschaftsarbeit soll hier noch erwähnt werden, an der sich Angehörige verschiedener altertumswissenschaftlicher Disziplinen beteiligten: Das von dem Archäologen O. W. von Vacano herausgegebene Arbeitsheft für die Adolf-Hitler-Schulen trug den Titel 16 L. Canfora, Die klassische Antike und ihre Rezeption in der Moderne, in: Ders., Politische Philologie. Altertumswissenschaften und moderne Staatsideologien, Stuttgart 1995, 206. 17 So 1933 der Ministerialrat im preußischen Kultusministerium und spätere Inspekteur der „National politischen Erziehungsanstalten“ (Napola) Joachim Haupt; vgl. Losemann 1980, 53 [Nr. 1; s. Anm. 14]. 18 W. Eberhardt, Die Antike und wir, in: Nationalsozialistische Monatshefte 6 (1935) 71. 19 Losemann 1977, 11 [s. Anm. 4]. 20 Losemann 1977, 178. 21 Vgl. generell Königs 1995 [s. Anm. 11]; vgl. dazu jetzt K. Christ, Homo Novus. Zum 100. Geburtstag von J. Vogt, in: Historia 44 (1995) 504–507. 22 Vgl. Losemann 1977, 111 [s. Anm. 4].
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Die Altertumswissenschaften in der Zeit des Nationalsozialismus
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„Sparta. Der Lebenskampf einer nordischen Herrenschicht“.23 In diesem Beitrag zur NSEliteerziehung fanden Altertumswissenschaftler und Vertreter der NS-Führungsschicht, die wiederholt das spartanische Beispiel beschworen, zu einer gemeinsamen Sprache. Helmut Berve als Spezialist für Griechische Geschichte schrieb dafür einen Beitrag über „Kriegsführung und Kampfauffassung der Spartaner“, in dem er abgestimmt auf die Interessenlage der Adolf-HitlerSchulen [71] im zweiten Weltkrieg alle Aspekte eines spartanischen Kriegszuges vom Auszug über das Lagerleben bis zum Helden- bzw. Opfertod zeichnete: „Wie ein Feiertag war der Feldzug und zumal der Tag der Schlacht gewesen, weniger streng die Zucht im Lager als in der Heimat, tief beglückend die Stunden, als man im edlen Kampf Mann gegen Mann sich bewähren und für das künftige Leben daheim Ehre und Stolz gewinnen konnte. Keine Schrecken, nur Verheißungen hatte für Spartas Söhne die Schlacht, weil ihnen von frühester Jugend an eines zutiefst in die Seele gepflanzt war: Es gibt kein schöneres Los, keine höhere Erfüllung des Lebens, als im ordnungsgemäßen Kampf für Sparta tapfer fechtend zu fallen.“24
Helmut Berve kündigte noch für den 2. Mai 1945 in München – damit kommen wir sehr nah an den 8. Mai 1945 heran – einen Vortrag über Sparta an.25 So schloß er den Kreis zu Hitlers Spartabeschwörung der letzten Stunde (J. Fest). Mit diesem Blick auf Sparta als dem „Modellthema“ nationalsozialistischer Antike-Konzeptionen könnte man schließen.26 Ich möchte aber noch einmal an die einleitend zitierte Bemerkung von W. Rüegg erinnern, der 1949 am Beispiel Joseph Vogts und Fritz Taegers auf die personelle Kontinuität im Fach Alte Geschichte nach der Entnazifizierung hingewiesen hatte: Die hier ebenfalls mehrfach angesprochenen Althistoriker Wilhelm Weber und Helmut Berve sind in der Tat, wie Reinhold Bichler 1989 festgestellt hat, „Eckpfeiler der Kontinuität der deutschen Althistorie in der Nachkriegs- und Aufbauära“, was die Verteilung der „Berve“- und „Weberschüler“ auf die althistorischen Lehrstühle belegt.27 Die Frage nach der Neuorientierung in der Alten Geschichte nach 1945, in die Bichlers Feststellung eingebunden ist, findet auch vom „Geschichtsbild der Alten Geschichte“ in der Zeit des Wiederaufbaus eine zumindest zwiespältige Antwort. Ich komme zum Schluß! Die hier besprochenen Aspekte der Entwicklung des Faches Alte Geschichte und die Hinweise auf neuere Arbeiten zu diesem Komplex sollten zeigen, daß über diese Ansätze hinaus durchaus weitere Resultate für die Geschichte der Beziehungen zwischen Altertumswissenschaft und Nationalsozialismus zu erbringen sind. Die Grenzen thematischer und biographischer Ansätze dürfen dabei jedoch nicht zu eng auf den Zeitraum von 1933 bis 1945 fixiert sein!28 [72 umfasst in der Originalpublikation die Endnoten]
23 24 25 26
Kempten 1940 (= Vacano 1940). Vacano 1940, 58. Vgl. Münchener Neueste Nachrichten v. 28.4.1945. Dazu auch K. Christ, Spartaforschung und Spartabild, in: Ders. (Hrsg.), Sparta, Darmstadt 1986 (Wege der Forschung 622), 45ff. 27 R. Bichler, Neuorientierung in der Alten Geschichte?, in: E. Schulin (Hrsg.), Deutsche Geschichts wissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1965), München 1989, 70 mit Tabelle 4. 28 Vgl. H. Flashar (Hrsg.), Altertumswissenschaften in den 20er Jahren, Stuttgart 1995.
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Nr. 6 Originalpublikation in: William M. Calder III / Renate Schlesier (Hrsg.), Zwischen Rationalismus und Romantik. Karl Otfried Müller und die antike Kultur, Weidmann, Hildesheim 1998, 313–348.
Die Dorier im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre „Otfried Müllers Dorer, die das Urteil nicht mehr befriedigen mögen, wirken als mächtige geschlossene Anschauung unzensierbar auf die Vorstellungen fort“ (Rudolf Borchardt, Epilegomena 1944, 105).
[313] Zu dem angekündigten Thema lege ich hier vorläufige Ergebnisse einer Spurensuche vor.* Aus der Prämisse einer besonderen Nachwirkung der Dorier in den 30er und 40er Jahren, die in der vorangestellten Bemerkung R. Borchardts beschrieben wird, ergibt sich, daß es bei den folgenden Ausführungen eher mittelbar um das Werk Müllers geht. In den Vordergrund des Interesses rückt der Komplex des nationalsozialistischen Spartabildes insgesamt, die damit verknüpfte Konzeption Helmut Berves und andere Ansätze, die eher dem außerwissenschaftlichen Bereich zuzuordnen sind. Die Bezüge zwischen Müllers Doriern und den 30er Jahren im weiteren Sinne sind vor allem von Edouard Will in seiner Abhandlung Doriens et Ioniens. Essai sur la valeur du critère ethnique appliqué à l’ étude de l’ histoire et de la civilisation grecques von 1956 untersucht worden.1 Zu verweisen ist ferner auf Arbeiten von A. Momigliano, E. Rawson, K. Christ, A. Wittenburg, P. Janni und B. Näf, die diesen Problemkreis berühren.2 Auf die Rolle, die Helmut Berve in diesem Zusammenhang spielt, hat neuerdings W. Nippel hingewiesen, der in seiner 1993 herausgegebenen [314] Textsammlung Über das Studium der Alten Geschichte Müllers Vorrede zu den Doriern neben anderen ,klassischen‘ Texten ebenso abgedruckt hat wie Berves programmatischen Beitrag Antike und nationalsozialistischer Staat * 1 2
Den Teilnehmern der Bad Homburger Tagung danke ich für Kritik und Anregungen. Darüber hinaus bin ich W. M. Calder III, K. Christ und B. v. Reibnitz für wichtige Hinweise und Unterstützung zu besonderem Dank verpflichtet. Paris 1956 ( = Will 1956). Vgl. A. Momigliano, Premesse per una discussione su K. O. Müller, in: AnnPisa, ser. III, 14.3 (1984) 895–909 (= Momigliano 1984); E. Rawson, The Spartan Tradition in European Thought, Oxford 1969 (= Rawson 1969); K. Christ, Spartaforschung und Spartabild (1986), in: Ders., Griechische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart 1996 (= Historia-Einzelschriften 106), 9–57 (= Christ 1996) und „Nachträge“ (1996), 219–221; A. Wittenburg, I Dori di K. O. Müller, in: AnnPisa, ser. 111, 14.3 (1984), 1031–1044; P. Janni, Romanticismo e unità délia Doricità: K. O. Müller, in: Studi Germanici N. S. 6.3 (1968) 13–43 (= Janni 1968) und B. Näf, Von Perikles zu Hitler? Die athenische Demokratie und die deutsche Althistorie bis 1945, Bern / Frankfurt a. M. 1986 (= Näf 1986).
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aus dem Jahre 1933/34.3 Nippel sieht Berve „mit der Dichotomie von Dorier- und Ioniertum in der Nachfolge K. O. Müllers“.4 In seinen eigenwilligen Betrachtungen De se ipse bezieht sich Alfred Heuß auf Berves Idee, „die griechische Geschichte von ihren Stämmen und deren Eigenart auf(zu)rollen“.5 Damit verknüpft er die zweifelnde Frage, „ob ihm“ – also Berve – „bewußt war, daß dies längst 100 Jahre früher von Karl Otfried Müller versucht worden war, und zwar im Grunde ohne Erfolg“. Heuß ist sich darüber hinaus „nicht sicher, ob dies, wie überhaupt die Gestalt von Karl Otfried Müller, Berve geläufig war“, und äußert die Vermutung, „daß es eher Berves nahes Verhältnis zur griechischen bildenden Kunst war, das ihn auf diese Spur brachte“.6 Auch diese überraschenden Bemerkungen bieten Anlaß, die Konzeption Berves ausführlicher zu erörtern. Wenn Müllers Dorier und ihre Nachwirkung in den 30er Jahren behandelt werden, besteht vielleicht zum einen die Gefahr einer zu starken Isolierung dieses Buches aus dem Gesamtwerk. Zu berücksichtigen wäre auch, daß Müller sich über die Dorier z. T. skeptisch geäußert hat. H.-J. Gehrke verweist sicher zu Recht auf das „Gefühl des Ungenügens und eine Veränderung seiner Einstellung gegenüber den ,Minyern‘ und den ,Doriern‘“. Wenn er darüber hinaus moniert, daß bei der Beurteilung und Einschätzung dieser Werke viel zu wenig beachtet werde, „daß er sich innerlich von diesen Arbeiten gelöst hatte“, – Gehrke bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Äußerungen Müllers aus dem Jahre 1833 – fragt man sich unter anderem, wie es noch 1830 zu der englischen Ausgabe der Dorier kommen konnte.7 Natürlich sind Einschränkungen und Vorbehalte Müllers zu berücksichtigen. Unabhängig davon hat die Wirkung der Dorier eine eigene Dynamik entwickelt – die nicht zuletzt damit zusammenhängt, daß die Geschichten Hellenischer Stämme und Städte unvollendet blieben. Das Werk, um das es hier geht, findet heute vor allem noch Erwähnung in knappen forschungsgeschichtlichen Anmerkungen. Bis in unsere Tage werden die Dorier aber auch im Sinne eines klassischen ,Sparta-Handbuches‘ benutzt.8 Zunächst einmal soll hier dem Autor der Dorier selbst das Wort erteilt werden, um so die Grundpositionen zu verdeutlichen, die für die Auseinandersetzung [315] mit der griechischen Geschichte und insbesondere mit dem Phänomen ,Sparta‘ wichtig geworden sind.9 Getragen von der Überzeugung, daß in den „Stämmen“, den ,,Hauptglieder(n) in dem Organismus des Hellenischen Nationallebens“, die „Hellenische Nationalität bis auf die tiefste Wurzel sich spaltet und verzweigt“ (Vorrede, Bd. 1, v-vi), wollte Müller den dorischen Stamm als Individuum, als Einzelperson erfassen: Es ging ihm darum, „aus genauer Betrachtung des Dorischen Lebens in allen seinen Kreisen und Richtungen das eigenthümliche Wesen dieses 3 4 5 6 7
8 9
W. Nippel, Über das Studium der Alten Geschichte, München 1993, 104–114 u. 282–299 (= Nippel 1993). Nippel 1993, 282. A. Heuß, De se ipse, in: J. Bleicken (Hrsg.), Colloquium aus Anlaß des 80. Geburtstages v. A. Heuß, Kallmünz 1993, 181 (= Heuß 1993). Heuß 1993, 181. H.-J. Gehrke, Karl Otfried Müller und das Land der Griechen, in: Athenische Mitteilungen 106 (1991), 28, Anm. 69; vgl. den Beitrag von R. Ackermann in diesem Band [Es handelt sich um den Aufsatz: R. Ackermann, K. O. Müller in Britain, in: W. M. Calder III / R. Schlesier (Hrsg.), Zwischen Rationalismus und Romantik. Karl Otfried Müller und die antike Kultur, Hildesheim 1998, 1–17]. So etwa C. W. Weber, Die Spartaner. Enthüllung einer Legende, Düsseldorf / Wien 1977; vgl. jetzt auch C. M. Stibbe, Das andere Sparta, Mainz 1996, 281f. (= Stibbe 1996). Zitiert wird im Text generell nach K. O. Müller, Die Dorier, 2 Bde., 2. Aufl., Breslau 1844.
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Die Dorier im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre
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Stammes, wie eines einzelnen Menschen (Hervorhebung d. Verf.), aus seinen Handlungen und Reden, mit möglichster Schärfe und Bestimmtheit auszumitteln“ (vii). Zu seinen „Hauptabsichten“ gehörte, wie es in der Vorrede weiter heißt, zum einen von dem „Anfangspunkte“ des Heraklesmythos die politischen Grundstrukturen des Stammes abzuleiten und zum anderen den „Begriff des Dorischen Staates überhaupt nachzuweisen“ (xi-xii). Damit sind die wichtigsten Punkte markiert, die nach einem geschichtlichen Abriß als „Abhandlungen über Religion, Staat, Sitte und Kunst (...) und alles Dies unter dem Titel von Geschichte“ (viii-ix) den Aufbau des Werkes bestimmen. Da Müller „von den Staaten der Dorier außerhalb der Peloponnes nur die Anlage“ (viii) behandelt,10 firmiert Sparta nicht nur als der „Dorische Normalstaat“ (2.47), von dem her die wichtigsten Institutionen beschrieben werden, sondern es stellt „lange“ – auch das kennzeichnet die Konzeption Müllers – die „Seele“ der griechischen Geschichte dar (2.63). Welchen Rang und welches Wesen er dem „Dorischen Staat“ zuspricht, zeigt sich am Ende des 1. Kapitels im „Dritten Buch“ in einer verklärenden Charakteristik, in der er versucht, gerade den Unterschied zu dem kriegerischen und „erobernden“ Staat hervorzuheben. „Sondern“ – so heißt es dort – „der Dorische Staat ist ein Kunstwerk, wie es menschliches Handeln stets wird, wo es von einem Prinzip beseelt, sich zu einem Organismus gestaltet, ein Kunstwerk, welches die gesammte Nation in ihrer Einheit fortwährend schafft und darstellt.“ (2.15)11
Im letzten Buch über „Sitte und Kunst“ beschreibt Müller zusammenfassend den „Grund charakter des Dorischen Stammes“, um zu einem „Endergebniß über dessen innerstes Wesen“ (2.392) zu kommen. Hier sind nur die wichtigsten Charakterzüge hervorzuheben. Mit „besonderer Entschiedenheit“ tritt dabei „das S t r e b e n n a c h d e r E i n h e i t i m G a n z e n“ (2.394 – Hervorhebung im Original!) hervor. Das Festhalten an den alten Ordnungen, „die größte Anhänglichkeit an das Gegebne und [316] Gewordne“ bewirkte, „daß die Dorier unter allen Griechenstämmen das althellenische Leben am treusten bewahrten und am reinsten darstellten“ (2.395). Eine zentrale Rolle kommt dem Apollonkult zu: „Eine Hauptabsicht des Apollinischen Cultus war, das ruhige Gleichgewicht des Gemüths zu erhalten, und alles Sinnzerrüttende, zum Taumel Aufregende, die innere Klarheit Verdunkelnde zu entfernen. Der Dorische Sinn will überall eine reine und klare Harmonie, die auch im Kleinsten harmonisch sei.“ (2.395f.)12
Der ganze „Volksstamm“ trägt anders als bei Schlegel13 das „Gepräge des m ä n n l i c h e n G e s c h l e c h t s“ (Hervorhebung im Original), wie andererseits „das Empfangende und Bedürftige, das Anschließende und Sehnsüchtige, das Weiche und U n s t e t e , w e s e n t l i c h e Z ü g e d e s w e i b l i c h e n We s e n s , G e g e n s ä t z e d e r Dorischen Natur sind, die den Cha ra kter der Selbstä ndigkeit und gebä nd i g t e n K r a f t t r ä g t .“ (2.396f.) 10 Vgl. auch 2.323. 11 Vgl. Stibbe 1996, Kap. 3: „Der Staat als Kunstwerk“, 69ff. [s. Anm. 8]. 12 Zur Stelle und den Einflüssen Winckelmanns und Schlegels vgl. B. v. Reibnitz, Ein Kommentar zu Friedrich Nietzsche „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ (Kapitel 1–12), Stuttgart / Weimar 1992, 107 (= v. Reibnitz 1992). 13 Vgl. dazu Rawson 1969, 323 [s. Anm. 2].
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Die hier apostrophierte „gebändigte Kraft“ begegnet gewissermaßen als Leitmotiv auch in der „besonnenen Tapferkeit“ im Krieg. Im Zusammenhang der dorischen „Kampfweise“ spricht Müller von der „künstlerischen und heitern Ansicht des Kriegs“ (xxi) vornehmlich der dorischen Spartiaten: „Es war ihnen die Kriegführung fast weniger ein wirkendes, auf Verderb Anderer gerichtetes Handeln, als ein darstellendes; das den schönsten Theil des Volkes in einstimmender und gelenker Bewegung, wie einen kräftigen und ebenmäßig ausgebildeten Körper im freudigen Bewußtsein seiner Stärke zeigen sollte.“ (2.245)
Ganz wesentlichen Ausdruck hat der dorische Charakter schließlich in der Baukunst gefunden. In der „Kunstschöpfung“ des dorischen Tempels äußert sich wiederum „der dem Stamme eigene Sinn für strenges Gesetz, einfaches Maaß, reine Uebereinstimmung“ (2.255). Noch schärfer als in den Idealisierungen nahezu aller Lebensbereiche ist das dorische Wesen im Gegensatz zur Typologie des ionischen Stammes zu fassen. Auch wenn sich Müller gegen Generalisierungen, wie sie z. B. in der Rede vom „subjektiven“ Dorier bzw. dem „objektiven“ Ionier angelegt sind (2.392), verwahrt, bleibt er doch, wie seine Gegensatzbildungen ausweisen, der „Idee einer nationalen Individualität“ (2.393) verpflichtet.14 Kennzeichnete die „Ehrfurcht vor der alten Zeit“, die Sorge um „der Väter Sitte“, den „reinen Dorismus“ der Spartiaten, so waren die Angehörigen des Ionischen Stammes „n e o t e r i s t i s c h (Hervorhebung im Original) [317] in jeglichem Thun und für fremde Mittheilung ausnehmend empfänglich“ (2.3). Diese Disposition beschleunigte nicht nur den „Verfall alter Zucht und Sitte“ bei diesem Stamm, sondern der „Verkehr mit den asiatischen Nachbarn“ hatte „schon in den frühesten Zeiten (...) die größte Verweichlichung und Erschlaffung herbeigeführt“ (2.4). Der mit eben diesen Wertungen belegte dorisch-ionische Gegensatz prägt auch die Sprache. Während der dorische Dialekt überwiegend von „treuer Bewahrung des Alterthümlichen“ zeugt, kann Müller im ionischen Dialekt nur „eine im weichen Klima Asiens unter asiatischen Einflüssen gebildete Mundart“ sehen, die als „eine Verweichlichung und Entartung“ (1.16f.) qualifiziert wird. Ähnlich scharf äußert sich der Unterschied im „h ä u s1 i c h e ( n ) Verhältniß der Frau zum Manne“. Im „strengen Gegensatz mit dem Ionisch-Attischen“ steht das „Ansehn, dessen die Lakonischen Frauen genossen“ (2.282f.). Von ganz zentraler Bedeutung ist schließlich für den Autor der Gegensatz zwischen Aristokratie und Demokratie, wobei sich auch tagespolitische Bezüge andeuten. Müller hebt nachdrücklich den aristokratischen Charakter der „S p a r t i a t i s c h e n Staatsform“ hervor. Sparta war der „Hellenischen Aristokratie Grundstein und Angelpunkt“ (2.178) und blieb nicht zuletzt deshalb „allein unter allen Städten von Hellas vor Revolutionen und Revolutionsgräueln“ (2.9) bewahrt. Das Aufkommen der Demokratie, die „Veränderungen, welche der sogenannte Geist der Zeit herbeiführte“, wies Müller vor allem an der Geschichte Athens, aber auch an „ursprünglich Dorischen Staaten“ (2.9) wie Argos nach. In diesem wie in anderen Fällen konnte die „mächtig überhand“ nehmende Demokratie „nicht ohne das Verschwinden des eigentlichen Dorismus eintreten“ (2.52f.). 14 Vgl. auch 2.3f. und Rawson 1969, 322 [s. Anm. 2].
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„Aristokratie“ und „Demokratie“ stehen auch im Peloponnesischen Krieg gegeneinander. Der mit dem „Stammcharakter beider Parteien“ begründete „Widerspruch (gab) den Anlaß des Krieges“ (1.197).15 Am Ende des Krieges allerdings war „jenes ,Aufrichtige und Edelgeartete‘ der Dorischen Natur, jene schöne Einfalt der altgriechischen Zeit“ (1.198) auch auf Seiten Spartas verschwunden. Müller stützt sein Plädoyer für den „aristokratischen Geist“ des spartiatischen Staates schließlich auf den Modellcharakter, den Sparta etwa für des „Pythagoras Orden“ oder auch für Platon besaß, wobei letzterer die „Attisch-Ionische Demokratie (...) in Betracht zu ziehn (gänzlich verschmäht)“ (2.182). Die durchgängige Idealisierung spartanischer Einrichtungen prägt auch die Darstellung der „Untertänigkeitsverhältnisse“. Insbesondere die ,dunklen‘ Seiten Spartas, Helotie und Krypteia – darauf ist später noch einzugehen – [318] werden durchaus harmonisierend beschrieben.16 Müller tadelt die von rhetorischem Geist erfüllten Geschichtsschreiber, die, „sich besonders in Deklamationen für die Humanität gefallend“ (2.34), Wesen und Sinn dieser Institutionen nicht verstehen können. Im Gefolge des antiken „Lakonismus“ kritisiert er auch neuere Schriftsteller, die „wie der unverständige de Pauw (...) in dem Bestreben, Sp. zu verunglimpfen“, diesen Staat „als eine Horde von Halbwilden vorgestellt haben“ (2.181 mit Anm. 4).17 Müllers idealisierenden und harmonisierenden Grundpositionen sollten hier nur grob umrissen werden. Den stärksten Akzent setzt er – damit ist der für ihn wichtigste Grundzug dorischen Wesens noch einmal angesprochen – auf die Fähigkeit der Spartaner zur Ein- bzw. Unterordnung in die Gemeinschaft. Müller sieht darin den Ausdruck eines besonders engen Verhältnisses zum Staat, den Ausdruck einer besonderen Freiheit: „Die hohe Freiheit des Spartiaten wie des Hellenen überhaupt war eben nichts als ein lebendiges Glied des Ganzen zu sein, während was man in neuerer Zeit gewöhnlich Freiheit nennt, darin besteht, vom gemeinen Wesen möglichst wenig in Anspruch genommen zu werden (...).“ (2.2)
Müller hat sich an herausgehobener Stelle, am Beginn des dritten Buches über den Staat der Dorier, mit diesem Grundzug dorischen Wesens, wie unschwer zu erkennen ist, identifiziert. Mit dieser wie mit anderen gelegentlichen Äußerungen – etwa der Rede von den „Revolutionsgräueln“ – markiert Müller seine politische Position: Klingt hier die Auseinandersetzung mit der französischen Revolution an, so verweist die Betonung des Nationalen auf die starke innere Anteilnahme an den Befreiungskriegen. Die Rolle, die Müller dem Staat zuspricht, läßt eine Affinität zu Preußen erkennen. Als „Symbol des Dorismus“ stellt Sparta in der Restaurationszeit eine „Präfiguration“ eines hierarchisch gegliederten, militaristischen deutschen Staates „evidemment la Prusse“, wie Ed. Will formuliert, dar.18 Von Müllers
15 Vgl. 1.195: „(...) und dieser innerliche Gegensatz ist die wahre Quelle des Peloponnesischen Kriegs“; vgl. unten [322ff.]. 16 Vgl. unten [346]. 17 Vgl. Rawson 1969, 260 [s. Anm. 2]. 18 Will 1956, 11f. [s. Anm. 1].
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Dorern, den „Preußen der Antike“, ist der Weg – das deutet Momigliano an – zu den Germanen nicht weit.19 Die Dorer/Spartaner vergleicht Müller (1.47 u. 1.135) auch mit den Juden.20 Das Konzept der „Stämme“, dem sich Müller in „organischem Zugriff“ (Gehrke) nähert, ist eingebunden in die Romantik. Die ‚Vorläufer‘ Müllers – auch in Hinsicht auf die Betonung der Unterschiede zwischen ‚Dorier- und Ioniertum‘ können hier nicht behandelt werden. Die zunächst unbeabsichtigte Konzentration auf die Dorier hat dazu geführt, daß dieser Ansatz besondere Wirkung entfalten konnte. [319] Müllers Wertungen von den Gegensatzbildungen „stark-schwach“ und „männlichweiblich“ bis zu den Termini „Erschlaffung“, „Ab- und Entartung“ und „Verweichlichung“ lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, wo seine Sympathien liegen. Ed. Will stellt Müller an den Anfang einer über das 19. Jahrhundert hinausgehenden Entwicklung, in der sich stark nationalistische Antriebe mit wissenschaftlichen Konzeptionen verbinden, für die die Unterscheidung und Bewertung ethnischer Gruppen in der griechischen Geschichte und Zivilisation charakteristisch sind: Diese Entwicklungslinie führt – von Will stark verkürzt – von Müller zu Busolt und von Busolt zu Berve und Schachermeyr.21 Damit ist von Müllers Betrachtung der „Stämme“ eine Linie zu Konzeptionen durchgezogen, die, abgesehen von anderen Dispositionen, in sehr unterschiedlicher Ausprägung dem Rassegedanken verpflichtet sind. Wenn Müller so betont an den Anfang dieser Entwicklungslinien gestellt wird wie bei Will, besteht durchaus die Gefahr, die Dorier zu stark von dem Endpunkt, d. h. von der nationalsozialistischen Spartarezeption her zu interpretieren. Entsprechende Vorbehalte gegenüber Will hat P. Janni geäußert.22 Für die mit der Konzeption Müllers verbundene Ausgangslage ist – wie Will unter Hinweis auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch in England, Frankreich und Deutschland anschaulich macht – die Verwendung vieldeutiger bzw. unscharfer Begriffe kennzeichnend.23 Der von Müller akzentuierte Stammescharakter hatte eben noch nicht den vollen Begriffsinhalt, der später mit „Rassencharakter“ verbunden ist.24 Der Weg vom „Stammes-“ zum „Rassencharakter“ war, wie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte, nicht allzu weit. Die von Müller angewandte Typologie ließ sich relativ leicht mit Rassenkonzepten verknüpfen. Auf den Spuren Müllers zieht Will auch Verbindungslinien vom „nordischen“ und „maskulinen“ Charakter des dorischen Dialekts zu Entsprechungen in der deutschen Sprache und verknüpft zumindest in der Tendenz diese Erwägungen Müllers mit dem Programm des politischen Germanismus im 19. Jahrhundert.25 In Sparta, so muß man den Gedankengang Wills wohl fortsetzen, kann man deutsche Tugenden bzw. Werte schlechthin wiederfinden. 19 Momigliano 1984, 899 [s. Anm. 2]. – Wie nah dieser Übergang für Müller liegt, zeigt sein Vergleich von dorischer und germanischer Frauentracht (2.259). 20 Janni 1968, 25 [s. Anm. 2]; vgl. B. Cardanus, Juden und Spartaner. Zur hellenistisch-jüdischen Literatur, in: Hermes 95 (1967) 317–324. – Janni 1968, 34 beschreibt Müllers Urteil über Preußen differenzierter als Will. 21 Will 1956, 12f. [s. Anm. 1]. 22 Janni 1968, 33f. [s. Anm. 2]. 23 Will 1956, 12f. [s. Anm. 1]. 24 Vgl. G. Billeter, Die Anschauungen vom Wesen des Griechentums, Leipzig / Berlin 1911, 168ff. (= Billeter 1911). 25 Will 1956, 12 [s. Anm. 1]; vgl. H. Gollwitzer, Zum politischen Germanismus des 19. Jahrhunderts, in: FS H. Heimpel, Bd. 1, Göttingen 1971, 282–356.
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Wenn man die Spuren der Auseinandersetzung mit der „Schlegel/Müller-Tradition“ (Rawson) im Spannungsfeld der politischen und geistesgeschichtlichen Strömungen des 19. Jahrhunderts in weiterem Sinn aufnimmt, [320] so ist zunächst auf Nietzsches außerordentlich wirkungsmächtiges Griechenbild zu verweisen: In der langen Tradition der Antithese des „Apollinischen und Dionysischen“ vor dem Erscheinen von Nietzsches Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik kommt den Doriern K. O. Müllers, die Nietzsche schon seit seiner Schulzeit kannte, eine wichtige Vermittlerrolle zu.26 Das gilt vermutlich für den „mystischen Dionysos“, stärker aber noch für den „Apollinischen Cultus“.27 Müllers „Abhandlungen über Religion, Staat, Sitte und Kunst“ (Vorrede, 1, viii-ix) haben Nietzsches Bild des „Dorischen“ beeinflußt: Nietzsche vermochte sich „nämlich den d o r i s c h e n Staat (Hervorhebung im Original) und die dorische Kunst als ein fortgesetztes Kriegslager des Apollinischen zu erklären: Nur in einem unausgesetzten Widerstreben gegen das titanisch-barbarische Wesen des Dionysischen konnte eine so trotzig-spröde, mit Bollwerken umschlossene Kunst eine so kriegsgemäße und herbe Erziehung, ein so grausames und rücksichtsloses Staatswesen von längerer Dauer sein“.28
Nietzsche setzt sich aber durchaus kritisch mit K. O. Müller auseinander. Das kann die eben zitierte Passage ebenso belegen, wie die Kritik an Müllers Vorstellung von der – so Wilamowitz – ,,reine(n) Autochthonie der griechischen Kultur“ zeigt.29 Ganz zweifellos hat die Spartaideologie durch Nietzsche „einen neuen Impuls“ erhalten. Nietzsches „griechischer Staat“ ist mit vielfältigen Implikationen ein „dorischer Staat“.30 Aber auch in anderer Hinsicht ist Nietzsches Einfluß – und das gilt letztlich auch für die weitere Wirkungsgeschichte der Dorier – wichtig geworden. Nietzsche befand sich, wie H. Cancik im Kontext seiner Analyse von Nietzsches Antike festgestellt hat, „im Gespräch mit den Rassenlehren seiner Zeit“.31 Seine biologische und rassistische Begrifflichkeit reicht mit zahlreichen Varianten von „züchten“ bis „Herrenrasse“.32 In dieses „Gespräch“ des „Vorläufers Nietzsche“ (Cancik) fließen – und das wird auch in unserem Zusammenhang deutlich – Beiträge der Natur- und Geisteswissenschaften (mit den Sprachwissenschaften) ebenso ein wie radikal antisemitische Positionen.33 Bei der Ausbildung der Rassenlehren im [321] 19. Jahrhundert spielte – daran ist hier zu erinnern – die Sprachwissenschaft eine besondere Rolle.34 Neben Nietzsche wäre natürlich auch auf den im Rahmen der Spartarezeption außerordentlich bemerkenswerten Ansatz von J. Burckhardts 1872 entstandener Griechischer 26 Vgl. generell v. Reibnitz 1992, 106f. [s. Anm. 12]. 27 v. Reibnitz 1992, 62 und 107; vgl. oben [316]. 28 F. Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Krit. Studienausgabe hrsg. v. G. Colli und M. Montinari, Bd. 1, München / Berlin 1988, 41. 29 Zitiert nach A. Henrichs, Philologie und Wissenschaftsgeschichte: Zur Krise eines Selbstverständnisses, in: H. Flashar (Hrsg.), Altertumswissenschaft in den 20er Jahren. Neue Fragen und Impulse, Stuttgart 1995, 439 (= Flashar 1995). – Zur Kritik Nietzsches an Sparta vgl. auch Rawson 1969, 330 [s. Anm. 2]. 30 B. v. Reibnitz, Nietzsches ‚Griechischer Staat‘ und das deutsche Kaiserreich, in: Der altsprachliche Unterricht 30.3 (1987) 83 (= v. Reibnitz 1987). – Zu Nietzsches Plänen für die Darstellung der griechischen Kultur vgl. H. Cancik, Nietzsches Antike, Stuttgart / Weimar 1995, 98ff. (= Cancik 1995). 31 Cancik 1995, 122. 32 Cancik 1995, 122. 33 Cancik 1995, 9. Vorlesung: „Nietzsches Gebrauch der Rassentheorien seiner Zeit“, 122–133. 34 Vgl. R. Römer, Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland, München² 1989.
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Kulturgeschichte zu verweisen. Sein Spartabild darf indes als „entschiedene Absage an die Konzeptionen eines F. Schlegel und K. O. Müller“ gelten.35 Der Einfluß Müllers ist, wie schon E. Rawson gesehen hat, eher außerhalb des engeren Kreises der Historiker nachweisbar, das lehrt auch das Beispiel von Wilamowitz.36 W. Burkert zeigte in diesem Kontext, daß sich Müllers Ansatz „in die historisch nationale Richtung der deutschen Kultur, nicht zuletzt der deutschen Schule im 19. Jahrhundert leicht integrieren ließ“. Wichtig ist auch Burkerts Hinweis auf die Vermittlungsfunktion der Schönsten Sagen des Klassischen Altertums und die Ausformung des „Mythos“ – so bei Wilamowitz – „als ‚Heldensage‘ im Zeichen griechisch-germanischer Reckenhaftigkeit“.37 Der eher kritischen Haltung der (Alt)historiker verlieh Eduard Meyer 1893 sehr prägnanten Ausdruck: „Man abstrahiert seit K. O. Müller das Dorertum aus den Spartanern, das Ioniertum aus den Ioniern des 6. und 5. Jahrhunderts, verallgemeinert die historisch gewordenen Unterschiede, ganz unbekümmert darum, daß z. B. Argos, Korinth, Korkyra, Syrakus in das dorische Schema absolut nicht hineinpassen, und datiert sie in die Urzeit zurück.“38
Um die Jahrhundertwende weist J. Miller in der RE – z. T. gestützt auf Ed. Meyer und K. J. Beloch – zentrale Vorstellungen Müllers von einer „dorischen Stammesreligion“ oder dem „dorischen Nationalcharakter“ zurück.39 Im wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Bereich ist eine Nachwirkung Müllers und seiner Dorier im 19. und 20. Jahrhundert auch im Zusammenhang mit der Diskussion von „Rassenfragen“ festzustellen,40 die sich erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts stärker entfaltet. Der Begriff „Rasse“ wird in den z. T. beiläufigen Äußerungen, die G. Billeter notiert hat, ganz im Sinne der von Ed. Will angesprochenen Begriffsverwirrung unscharf, d. h. synonym mit Stamm-, Volks- oder Nationalcharakter gebraucht.41 [322] G. P. Gooch bemerkte 1913 im Blick auf die Dorier, es sei „nicht unbedenklich, eine Rasse zu personifizieren“ und meinte weiter, daß Müller „die nivellierende Wirkung einer jahrhundertelangen Rassenmischung“ unterschätze.42 In gewissem Sinne ist diese allgemeine Diskussion von Ludwig Schemann, der wesentlichen Anteil an der deutschen Gobineau-Rezeption hat, zusammengefaßt worden.43 Ich kann 35 Christ 1996, 36 [s. Anm. 2]. 36 Rawson 1969, 328 [s. Anm. 2] und generell W. M. Calder III u. a. (Hrsg.), Wilamowitz nach 50 Jahren, Darmstadt 1985. 37 W. Burkert, Griechische Mythologie und die Geistesgeschichte der Moderne, in: W. den Boer (Hrsg.), Les études classique aux XIXe et XXe siècles (Entretiens sur l’antiquité classique XXVI), Genf 1980, 16. Zu Wilamowitz‘ „Spartabild“ jetzt Christ 1996, 230 [s. Anm. 2]. 38 Ed. Meyer, Geschichte des Altertums II, Stuttgart 1893, 583. 39 J. Miller, Dores, in: RE V (1905) 1553f. 40 Rawson 1969, 333ff. [s. Anm. 2]. 41 Billeter 1911, 168f. [s. Anm. 24]. 42 G. P. Gooch, Geschichte und Geschichtsschreiber im 19. Jahrhundert, 1. Aufl. 1913, Frankfurt² 1964, 48. 43 Zu Schemann vgl. P. von zur Mühlen, Rassenideologien, Geschichte und Hintergründe, Berlin / Bonn² 1979, 67. – Für J. A. Gobineau selbst ist das Etruskerbuch Müllers, nicht aber die Dorier wichtig geworden. Müllers Werk wurde dennoch von Rassenkundlern unterschiedlicher Interessenlagen um die Jahrhundertwende relativ häufig benutzt (vgl. E. Rawson 1969, 335 [s. Anm. 2]). Das geringere Interesse Gobineaus hängt, das gilt auch für H. St. Chamberlain, mit dem pessimistischen Grundzug die-
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mich hier auf Schemanns Werk Die Rasse in den Geisteswissenschaften beziehen, das in reichem Maß Belege dafür liefert, wie relativ leicht Müllers Konzeption rassengeschichtlich ausgewertet werden kann.44 Schemann bekennt sich geradezu hymnisch zu K. O. Müller, dem ,,schönste(n) Typus deutscher Hellenenbegeisterung“, rühmt die „begnadete Divinationskraft“, die Müller bei seinen Forschungen über die „Stämme“ geleitet habe. „Man möchte meinen“, so heißt es mit Blick auf das Dorierbuch, „er habe in dem Aufrichtigen und Edelgearteten der dorischen Natur (nach Thuc. III 83), das er feiert, das eigene Wesen wiedergefunden“.45 Im Kapitel über die „Griechen“ in dem Band „Hauptepochen und Hauptvölker der Geschichte in ihrer Stellung zur Rasse“ hat Schemann die Spartaner unter dem Stichwort „Rassenzucht und Rassenhygiene“ an die Spitze gestellt, „weil sie die rassenhaften Eigenschaften der Griechen in ihrer Gipfelung und in Reinzucht darbieten“.46 Schemann bezieht sich unter den Überschriften „Dauerbarkeit der Stämme, Charakteristik der griechischen Stämme, Einwirkungen der Stammesunterschiede“ auf die Dorier, aber ebenso auf die Griechische Literaturgeschichte.47 Die „semitischen Einwirkungen auf die Griechenwelt“ belegt er etwa mit Müllers Ausführungen über die gegensätzlichen Auffassungen „von Ehe und häuslichem Leben“ bei Doriern und Ioniern, die oben erwähnt wurden.48 Der dorisch-ionische Gegensatz [323] ist auch für Schemann „eine Hauptquelle des Peloponnesischen Krieges“ gewesen.49 Es sollte hier nur angedeutet werden, daß Müller von Schemann als ein, wenn nicht als der wichtigste Gewährsmann aus der Altertumswissenschaft für seine Zwecke bemüht wird. Schemann belegt am Anfang der 30er Jahre zumindest die Möglichkeit einer Vereinnahmung Müllers für rassengeschichtliche Konzepte, die nach 1933 Konjunktur hatten. Wie bekannt, hat L. Schemann die Zurückhaltung der Altertumswissenschaft gegenüber der Rassenlehre etwa im Blick auf Wilamowitz beklagt.50 Auf der anderen Seite fühlten sich durchaus manche Vertreter dieser Fächergruppe von diesen Fragestellungen angezogen – auch wenn man sich von dem Dilettantismus eines H. F. K. Günther distanzierte.51
44 45 46 47 48 49 50 51
ser Konzeptionen zusammen. Vgl. V. Losemann, Rassenideologien und antisemitische Publizistik in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Th. Klein u. a. (Hrsg.), Judentum und Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1984, 138f. [Der Aufsatz wurde später nochmals abgedruckt in: W. Benz / W. Bergmann (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus, Freiburg 1997, 304–337]. Bde. I–III, München 1928–1931. Dazu: K. Nemitz, Antisemitismus in der Weimarer Republik: ‚Der Fall Ludwig Schemann‘, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte 12 (1983) 385ff. L. Schemann, Bd. III: Die Rassenfragen in Schrifttum der Neuzeit, München 1931, 335. L. Schemann, Bd. II, München 1930, 81 (= Schemann 1930). Schemann 1930, 83ff. Schemann 1930, 75; vgl. oben [317]. Schemann 1930, 91; vgl. oben [317]. Vgl. V. Losemann, Programme deutscher Althistoriker in der ‚Machtergreifungsphase‘, in: Quaderni di storia 11 (1980) 42 (= Losemann 1980) [Nr. 1]. Vgl. Losemann 1980, 44 [Nr. 1] und Näf 1986, 122ff. [s. Anm. 2] – Der typologische Gegensatz dorisch/ ionisch spielt im Werk Günthers sicher eine wichtige Rolle. Mit dem Werk Müllers scheint sich Günther aber wohl kaum auseinandergesetzt zu haben. Janni 1968, 38 [s. Anm. 2] verweist auf mögliche Bezüge in H. F. K. Günthers, Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes, München 1929. Direkt auf Müller bezieht sich Günther erst in der Lebensgeschichte des hellenischen Volkes, 2. Aufl., Pähl 1965, 143, Anm. 470.
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Ein Beispiel von vielen dafür liefert Helmut Berve, der die Kategorie der Rasse schon in seiner Prosopographie des Alexanderreichs von 1926 „in einer damals durchaus üblichen und keineswegs besonders auffallenden Weise (benutzte)“.52 Wie schon einleitend betont, wird Berves Konzeption der Griechischen Geschichte hier – auch im Wortlaut – besonders breiter Raum gegeben, da ihr im Hinblick auf die Nachwirkung Müllers in den 30er und 40er Jahren eine Schlüsselrolle zukommt.53 Helmut Berve hat seine Griechische Geschichte, die 1931 und 1933 erschien, mit zwei programmatischen Beiträgen vorbereitet. Die Leipziger Antrittsvorlesung von 1927 über „Ionien und die griechische Geschichte“54 und der Vortrag „Sparta“, den Berve auf der bekannten Weimarer Fachtagung 1928 hielt,55 lassen in ihrer Abfolge schon Elemente der Strukturierung des „neuen Gesamtbildes“ der griechischen Geschichte erkennen.56 Im Rückblick auf moderne Interpretationen der griechischen Geschichte bezog sich Berve in dem Beitrag über „Ionien“ auf die „Romantik“, die „unbewußt, als eine Selbstverständlichkeit (...) die nationale Idee in die griechische Geschichte hineingetragen“ (42) habe. Vor allem aus dieser Befangenheit [324] resultierte eine gewisse „Vernachlässigung“ bzw. „Geringschätzung“ der Ionier und hier insbesondere der kleinasiatischen Griechen in der politischen Geschichte. Berve ging es bei seinem Versuch darum, „nicht Gegenwartselemente, sondern das Eigenartige, einmal unter bestimmten Bedingungen Gewesene aufzuspüren, gerade seine Fremdartigkeit als Wert zu empfinden“ (43). Er entwarf dann ein weit über die politische Geschichte der kleinasiatischen Griechen hinausgehendes durchaus zwiespältiges „Wesensbild“ der Ionier: Lag „über diesem ionischen Wesen eine sonnige Freiheit sinnenfroh und farbentrunken“, hatten die Götter ihm einerseits den „durch ihre Begnadung erleuchteten Geist und unwiderstehliche Anmut verliehen, (...) zugleich aber den ruhelosen Drang, die frei und unablässig quellenden Kräfte auszuströmen in die lockende Welt“ (45). Berve sah hier neben den „Anlagen, von deren künstlerischer Entfaltung die Menschheit zehrt“, im politischen Raum die „Unfähigkeit zu energisch bewußter Staatsgestaltung, Abneigung gegen jede zusammenfassende Kraft, ein Abenteurertum auf kurze Sicht, Drang in die Weite, auch unter Preisgabe des Volkstums, und die Gefahr des Zerfließens“ (45). Die mangelnde politische Gestaltungskraft war so stark ausgeprägt, daß der „Staat als solcher, an dessen Gestaltung man im Mutterlande die besten Kräfte und alle Leidenschaften setzt, (...) in Ionien immer etwas Sekundäres (bleibt)“ (47). Auch das ionische „Weltgriechentum“ wird zweifellos zumindest „teilweise“ pathetisch verklärt: Wer den „unzerstörbare(n) Geist Ioniens, der fortwirkt nicht minder als das Zeitlose am perikleischen Athen (...) fühlt und würdigt im Ablauf der griechischen Geschichte, nur dem erschließt sich ihre herrliche Fülle und ihr ewiger Sinn“ (57). Gegenüber dem für seinen Beitrag höchst charakteristischen Versuch der ,,begriffliche(n) Fixierung“ der „Gegensätzlichkeit“ betont Berve auch die „Einheit im griechischen Wesen aller 52 K. Christ, Neue Profile der Alten Geschichte, Darmstadt 1990, 130 (= Christ 1990). 53 Dabei folge ich dem Darstellungsprinzip K. Christs, der die einschlägigen Schriften Berves ausführlich besprochen hat. 54 Im Text zitiert nach dem Wiederabdruck in: H. Berve, Gestaltende Kräfte der Antike, München² 1966, 42–57; vgl. L. Canfora, Helmut Berve, in: Ders., Politische Philologie. Altertumswissenschaften und moderne Staatsideologie, Stuttgart 1995, 126–178 (= Canfora 1995). 55 Im Text zitiert nach: Historische Vierteljahresschrift 25 (N. F.) (1931) 1–22. 56 Christ 1990, 135 [s. Anm. 52].
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Stämme“ (46), wobei dem „dorischen Geist“ schon früh eine Führungsrolle zufällt: „Mehr oder weniger zeigen sich alle Stämme und Gebiete von diesem dorischen Geiste“ – mit dem Berve „die Härte des Doriertums“ assoziiert – „ergriffen“ (44). Der zweite programmatische Beitrag galt 1928 Sparta, dem – damit ist die Grundposition Berves in den 30er Jahren umrissen – „positivsten aller Hellenenstaaten“ (3). In seiner „Gesamtvorstellung der spartanischen Geschichte“ entdeckt Berve als „zwei ihrer vornehmsten Motive, die enge Bindung einmal an den delphischen Gott, der mindestens formal der Gesetzgebende ist, zum anderen einen ungewöhnlich kraftvollen Willen zur klaren staatlichen Gestalt“ (3). In der immer wieder hervorgehobenen „angeborenen staatbildenden Kraft“ (5f.) faßt Berve „etwas eigentümlich Spartanisches“, das sich in deutlicher Absetzung vom „ionischen Wesen“ in der Blütezeit nach dem zweiten Messenischen Krieg als Wesensmerkmal des Stammes erweist: „Wie stets in der Geschichte hat auch hier die den traditionellen Mächten abgerungene Anteilnahme des gesamten, bewußt gewordenen Volkes am Staate aus dem [325] Volk, wenn man so sagen darf, eine Nation gemacht und dadurch die eigentümlichen Kräfte des Stammes erst zu großer politischer Wirkung geführt“ (10). Offenbar hat Berve hier nun, wie seine vorsichtige Wortwahl andeutet, selbst „die nationale Idee“ in die griechische Geschichte hineingetragen. Auch das „bewußt organisierte Gemeinschaftsleben“ läßt dieses Wesensmerkmal erkennen: Wenn man in Sparta „das Lagerdasein zur Lebensform erhob“ war auch das „nicht nur kriegerischer Geist, sondern bewußter Wille zur staatlichen Gemeinschaft“ (11). „Eigentlich spartanisch“ an dieser gemeingriechischen Lebensform war „die eiserne Härte, mit der die Sitte als Gesetz durchgeführt und bewahrt wurde“ (9). Dieses Prinzip gilt schließlich auch für die Erziehung der Jugend „für den Staat“, wobei im Falle Spartas „die Stetigkeit und Härte seines Wesens diesen Maßnahmen eine andere Dauer und Kraft, eine prinzipielle Stellung im Staatswesen gibt“ (11). Berve zeichnet hier zunächst ein „Wesensbild“ des frühen Sparta. Eine „katastrophale Überspannung des inneren Prinzips“ – Berve benennt auch weitere Krisensymptome wie den Bevölkerungsrückgang – macht schon im ausgehenden fünften Jahrhundert „aus dem Staat fast eine kriegerische Sekte“ (20). Berve sieht in diesem Zusammenhang durchaus auch „lebensfeindliche“ Züge des Systems (11). Aber auch, wenn „nicht Geist, Musen und freie Anmut, die selbst Athens politische Abgründe noch verklären“, die Geschichte Spartas „umschweben“, sichert der spartanische Kosmos doch den besonderen Rang Spartas in der griechischen Geschichte: „Vor dem Vorwurf der Geistlosigkeit, den unpolitischer und unhistorischer Sinn leicht erhebt, sollte Sparta schon durch die Wirkung geschützt sein, die sein Kosmos, der im griechischen Sinne sicher ein Kunstwerk war, auf die hellenische Philosophie ausgeübt hat.“ Berve schließt seine Apotheose Spartas mit dem Hinweis auf die Thermopylenschlacht: „(...) aber auch derer, die bei Thermopylae sanken, tönet ewig das Lied“ (22). Es muß hier offen bleiben, ob in der Rede vom Kosmos als „Kunstwerk“ ein unmittelbarer Rückgriff auf K. O. Müller vorliegt.57 Die bekenntnishaften Wertungen und die Verklärung Spartas in Berves Wesensbild sind durchaus mit den Ausdrucksformen der Spartabegeisterung Müllers vergleichbar. 57 Vgl. oben [315].
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Was die historische Entwicklung im engeren Sinne angeht, äußerte sich Berve auch zu einigen Punkten der aktuellen Diskussionen in der Forschung. In unserem Zusammenhang aufschlußreich ist vielleicht seine Kritik an der „These vom ionischen Sparta der archaischen Zeit und seinem jähen Ende, wohl gar durch einen Gesetzgeber, den keine Überlieferung nennt“. Diese These „verkannte“ die „griechisch-organische Entwicklung (...), weil sie glaubte, aus sehr vieldeutigen kulturellen Zeichen Fakten der politischen Geschichte erschließen zu können“. Sie mußte aber auch deshalb fehlgehen, [326] „weil sie dem nacharchaischen Sparta ohne ein inneres Verhältnis gegenüberstand“ (12). Gerade dieses aber reklamierte Berve – wie noch zu zeigen sein wird – für sich selbst und sprach es Victor Ehrenberg, gegen dessen Ansatz er hier polemisierte, ab.58 In diesem Kontext verwies er auf Eduard Meyers Geschichte des Altertums, der seiner Meinung nach Spartas Entwicklung „am richtigsten“ beurteilt hatte (22, Anm. 19). In den programmatischen Vorträgen über „Ionien und die griechische Geschichte“ und „Sparta“ werden Grundpositionen der Griechischen Geschichte Berves erkennbar: Zu deren „Grundmotiven“ gehört die Gegenüberstellung von ionischem und dorischem bzw. spartanischem Wesen, wobei Berve „dem eigentümlich Spartanischen“ mit besonderer Intensität immer wieder nachspürt. Dafür steht vor allem die Formel von der ,,angeborene(n) staatliche(n) wie kriegerische(n) Energie“ (10). Deutlichen Ausdruck hat Berve schließlich seiner Sympathie für Sparta gegeben; wobei die pathetische Sprache, die beiden Beiträgen eigen ist, als Ausdruck der Griechenbegeisterung der 20er Jahre etwa auch bei Victor Ehrenberg begegnet.59 In einem eher allgemeinen Rahmen kann man, was den Spartavortrag von 1928 angeht, von einer Übereinstimmung mit der Konzeption Müllers sprechen. Die Vielzahl der literarischen Entwicklungsstufen, die zwischen Müller und Berve liegen, macht einen einfachen Rückgriff eher unwahrscheinlich. Genannt wird Müller in einer langen Reihe der wichtigsten Werke – von Curtius bis Ed. Meyer – erst in dem Literaturverzeichnis der Griechischen Geschichte, der ich mich jetzt zuwenden möchte.60 Die zweibändige Griechische Geschichte Helmut Berves, die in der ersten Auflage 1931 und 1933 und mit einigen ,Retuschen‘ 1951/52 in der zweiten Auflage erschien, ist vor allem von L. Canfora, K. Christ, A. Momigliano, B. Näf und E. Will auch im Hinblick auf die Bezüge, die hier von Interesse sind, analysiert worden.61 Die Verbindungslinien, die von K. O. Müller zu Berves Konzeption führen, hat Ed. Will am stärksten belichtet.62 Nicht zuletzt im Hinblick darauf kann ich mich hier auf die Auseinandersetzung mit zentralen Passagen und Punkten aus dem Werk Berves beschränken. Berve ging es, wie er in dem Vorwort von 1931 ausführte, darum, „die Geschichte der Griechen in ihrer Individualität darzustellen, die besonderen Bedingungen und Schicksale, unter denen sie sich vollzog, das Einzigartige ihres organischen Verlaufes, das Eigentümliche der sie bewegenden Kräfte, ihre originalen Leistungen und Bildungen zu erfassen. Indem nach [327] Möglichkeit die historischen Erscheinungen von Entstellungen befreit werden, die modernes Denken meist unbewußt und in noch unerschütterter Selbstsicherheit an ihnen vorgenommen hat, indem statt dessen danach gestrebt wird, sie ungetrübt in ihrer herben Eigenart 58 59 60 61 62
Vgl. unten [344]. Christ 1996, 48 [s. Anm. 2]. Die Belege im Text beziehen sich auf die 1. Aufl., Freiburg 1931–33. Christ 1990, 139ff. [s. Anm. 52]. Vgl. oben [319].
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zu sehen und nur aus ihrer Welt zu deuten, soll die Geschichte der Hellenen reiner erstehen und stärker ihre bildende Kraft entfalten können.“ (v)
In diesen zwei Sätzen sind in der Tat vier „Hauptcharakteristika“ (Näf) der Griechischen Geschichte Berves und weiterer Schriften zu fassen – erstens: ihre „individuelle Einheit“, zweitens: ihr charakteristischer „organischer Verlauf“, drittens: ihre „individuellen bewegenden Kräfte“ und viertens: ihr „Bildungswert“.63 Als „individuelle bewegende Kräfte“ treten in der weiteren Ausführung die griechischen „Stämme“ hervor. Berve verwies nachdrücklich auf die für die Griechische Geschichte konstitutive „Verschiedenartigkeit der Stammesgruppen“: „Es stehen im wesentlichen drei große Einheiten nebeneinander, Nordwestgriechen, Dorier und Frühgriechen, unter letzteren aber fast allein die Ioner, da mit Ausnahme der Arkader das achaiische und das aiolische Volkstum im Mutterland von den Einwanderern, in Kleinasien von den Ionern überschichtet wird und damit als selbständige Größe ausscheidet, so bedeutsam es sich in der blutsmäßigen und kulturellen Durchdringung der neuen Herrenschicht erweist.“ (1.48)
Die „Verschiedenartigkeit der Stammesgruppen“, unter denen in Mischung und Überschichtung Dorier und Ionier dominieren, hat – ergänzt um die Einheit der „Westgriechen“ – den Aufbau der Griechischen Geschichte bestimmt.64 Am Beispiel der „überwiegend dem ionischen (...) Stamme zugehörigen Einwanderer“, die sich an der Ostküste der Ägäis niederließen, zeigt Berve die Entwicklung ionischer Stammeseigenart, die „in dem dunkle(n) halbe(n) Jahrtausend von 1300–800“ sich vollzog: „Nicht die auf sich gerichtete, nach außen abweisende dorische Energie, vielmehr die instinktive Abneigung eines nach freier Entfaltung verlangenden Sinnes gegen jede Einordnung machte, vom isolierenden Geist kolonialer Ansiedlung unterstützt, auch hier partikularistische Zersplitterung zum Schicksal der überwiegend dem ionischen, nur im Norden dem aiolischen Stamme angehörigen Einwanderer. Dem freieren, an ,karischen‘ Elementen selbst überreichen mykenischen Griechentum entstammend, hatten sie sich auf ,karischem‘ Boden niedergelassen und erfuhren hier in unvermeidlicher Verschmelzung mit den Eingeborenen und dauernder Beeinflussung durch das tiefe Hinterland eine Lösung und Wandlung ihres griechischen Wesens. Gewann es einen Reichtum, eine Fruchtbarkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber jeglichem Leben, wie sie keinem andern Stamm [328] eignete, so büßte es an der organisch zusammenfassenden, aufbauenden und gestaltenden Kraft des echten Hellenen ein und lief fortan ständig Gefahr, sich an die Umwelt zu verlieren. Nicht eigener Kraftanspannung, der Schwäche und Zerrissenheit des Hinterlandes haben die Ioner stets ihre Freiheit verdankt, wie anderseits im freien Ausströmen der reichen Gaben und Kräfte von Natur ihr Glück und ihre Größe lag.“ (1.85)
Die Ionier sind hier, wie schon in dem programmatischen Beitrag von 1927, von der Gefahr bedroht, etwas von der „Kraft des echten Hellenen“ einzubüßen bzw. sich sehr rasch an „alles Fremde“ zu verlieren: „Und überhaupt nahm die geringe Sprödigkeit des ionischen Griechentums alles Fremde leicht bei sich und in sich auf, wie es auch schneller als andere Hellenen von traditionellen Formen des Lebens ließ“ (1.86). Noch deutlicher zeigen sich diese „Wesenszüge“ bei den kleinasiatischen Ioniern: 63 Näf 1986, 148 [s. Anm. 2]. 64 Christ 1990, 138f. [s. Anm. 52].
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Volker Losemann „Verglichen mit den von Nordwestgriechen und Doriern umgebenen und beeinflußten Ionern des Mutterlandes zeigen die kleinasiatischen Ioner den zur Weichheit und Zwanglosigkeit neigenden Charakter des Stammes noch gelöster. Kam es drüben zur politischen Zusammenfassung einer ganzen Landschaft, so hat ihr individuellerer, willkürlicherer Sinn jede politische Zusammenfassung, auch kleinen Umfangs, obgleich die Grenzlage sie zu erzwingen schien, abgelehnt. Lieber nahm man die Gefahr der Fremdherrschaft auf sich als eine freiwillige Bindung und, ähnlich den Stammesbrüdern auf den Inseln, einte man sich nur im Kult.“ (1.86)
Der Charakteristik der Ionier sei die „Apotheose dorischer Art“ (Christ) an die Seite gestellt, die ihre charakteristischen Züge im Vergleich mit den Nordwestgriechen gewinnt: „Nicht nur, daß die andersartige geographische Situation andere Wirkungen zeitigt und der Besitz der mykenischen wie der minoischen Kernlande besondere Bildungen hervorruft, der Geist der dorischen Einwanderer ist von Natur ein anderer als der ihrer Stammesvettern. Sie sind aus knorrigerem Holz, ihre Kraft wirkt weniger eruptiv, aber zäher und viel gehaltener. Ja, es wohnt ihnen geradezu ein Drang inne, dem persönlichen wie dem gemeinsamen Leben Bindungen aufzuerlegen, es durch Bindungen zu formen (...). Wenn aber in der Gestaltung des Lebens nach Menschenmaß ein Grundzug griechischen Wesens liegt, dann wird man sagen dürfen, daß die Dorier, die sich selbst dem Blute nach für die reinsten Griechen hielten, auch dem Geiste nach den Anspruch erheben könnten, es zu sein.“ (1.77).
Einen Höhepunkt der Idealisierung der von dorischem und ionischem „Wesen“ bewegten griechischen Geschichte bietet die Darstellung des perikleischen Athen: „In ihm schließen sich auf der Mittagshöhe, die hier das griechische Leben für kurze Zeit erreicht, die tiefen Gegensätze hellenischen Wesens, seine agonalen Spannungen klingen zusammen in einer reinen Harmonie. Ionisches Menschentum und dorische Ordnung vermählen sich im Staat, der [329] das Gesetz in die Brust des einzelnen legt, in der Tragödie mit ihrem Gefüge von ionischem Sprechvers und dorischem Chor, den Akropolisbauten, deren dorischen Stil mannigfache ionische Formelemente durchdringen, wie denn ihre Gestalt zwischen leichter Eleganz und ernster Würde eine wundervolle Mitte hält, (...). Darüber hinaus aber zeigen sich jetzt, von der dem Griechen in die Wiege gelegten Einheit des Körperlichen und Geistigen, der Form und des Inhaltes abgesehen, letzte menschliche Gegebenheiten, letzte Gegensätze jedes Lebens verbunden und versöhnt. Tragen und Lasten ist am Parthenon restlos gegeneinander aufgewogen, Freiheit und Zucht, Wille und Gesetz sind in der vollendeten Polis eins geworden.“ (1.301f.)
Trotz der harmonischen Zusammenführung, der „Vermählung“ von dorischen und ionischen Elementen, scheint das perikleische Athen Berves Konturen zu tragen, die dem „Atene dorica“ K. O. Müllers (G. Cambiano) entsprechen.65 Auch Beat Näf, der naturgemäß von seinem Ansatz her Berves Verhältnis zur Geschichte Athens stärker akzentuiert, räumt ein, daß den Dorern „Berves spezielle Liebe gegolten“ habe. Er legt aber andererseits Wert auf die Feststellung, daß Athen in dieser Konzeption „aber keineswegs zu kurz (komme), auch nicht zugunsten Spartas“. Nach seiner Auffassung nahm Athen darin „gemäß Aufbau und geschichtstheoretischen Gesichtspunkten eine Mittelstellung zwischen dorischer und ionischer Welt ein“.66
65 Vgl. G. Cambiano, L’Atene dorica di Karl Otfried Müller, in: AnnPisa, ser. III, 14.3 (1984) 1045–1067. 66 Näf 1986, 150f. [s. Anm. 2].
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Zu weit geht B. Näf m. E., wenn er in diesem Zusammenhang im Hinblick auf Berves Interpretation formuliert: „Von K. O. Müller unterscheidet sie die Sympathie für Athen.“67 Wenn sich Berve nach Näf „durch die Herbheit des humanitätsfernen Staates“ „fasziniert“ zeigt, oder, wenn wiederum für Näf, die Bewunderung des Aristokratischen, des Elitären und Exklusiven (...) fast auf jeder Seite der Griechischen Geschichte spürbar“ wird,68 so trägt dieses Athen zumindest dorische Konturen. Die geradezu obsessiven Züge der Spartabegeisterung Berves, deren Spuren noch weiter zu verfolgen sind, haben auch die Griechische Geschichte nachdrücklich geprägt. Der auf Franz Hampl zurückgehende Hinweis, „daß Berve in den 30er Jahren ein Werk über Athen plante“, ändert an dieser „Gewichtsverteilung“ der Griechischen Geschichte nichts: Zur Ausführung kam dieser Plan nicht.69 Die für Berves Konzeption – so K. Christ – konstitutive „Priorität des Staates, die Unterordnung des einzelnen unter den Staat, der dominierende ,Wille zur staatlichen Gemeinschaft‘“70 mit allen Konsequenzen, die sich [330] daraus für das Individuum ergaben, fanden, wie seine Publikationen aus dem Zeitrahmen von 1927 bis 1933 ausweisen, ihren stärksten Ausdruck eher in Sparta als in Athen. Daß die Idealisierung Spartas zu den besonderen Akzenten der Griechischen Geschichte gehörte, die selbst wohlwollende Rezensenten so nicht akzeptieren konnten, zeigt die Reaktion von J. Kromayer: Für ihn war Sparta eben gerade „nicht die ,absoluteste Form hellenischer Staatsbildung‘ und nicht der ‚griechischste‘ in der griechischen Staatenwelt (263), sondern mit seiner Knechtung aller Individualität des Einzelmenschen eine weit von der Richtlinie des Griechentums abbiegende Abnormität.“71 Auch J. Hasebroek nahm u. a. Anstoß an der Charakteristik des Doriertums.72 Im Rückblick klassifizierte P. Treves 1965 Berves Griechische Geschichte als „storia prenazista“.73 Das lenkt die Frage auf Berves Verhältnis zur Rassenlehre. Anklänge an deren Begrifflichkeit enthalten die oben zitierten Passagen aus der Griechischen Geschichte. B. Näf hat auf die „höchst eigenständige(n) Züge“ von Berves „personen- und rassengeschichtliche(m) Ansatz“ aufmerksam gemacht: „Berves Rassenbegriff bezieht sich auf das ,Wesen‘ der griechischen Stämme und hat mit einer anthropologischen empirischen Rassenlehre gar nichts zu tun.“74 Das „Wesen“ der griechischen Stämme ist sicherlich ein wichtiger Bezugspunkt des zumindest schillernd gebrauchten Rassebegriffs, den Berve nach der Machtübernahme schärfer akzentuierte. Als „storia pre-nazista“ kann Berves Griechische Geschichte aber nicht allein wegen der Anwendung des Rassebegriffs qualifiziert werden. Dazu gehören auch Elemente wie die schon angesprochene Verherrlichung des starken Staates und der Führergedanke, die sich auch 67 68 69 70
71 72 73 74
Näf 1986, 159. Näf 1986, 157 [s. Anm. 2]. Näf 1986, 151. Christ 1990, 148 [s. Anm. 52]. Zur „Priorität des Staates“ als „Leitmotiv“ von Ed. Meyers Geschichte des Altertums vgl. W. M. Calder III und A. Demandt (Hrsg.), Eduard Meyer. Leben und Leistung eines Universalhistorikers, Leiden 1990, 47, Anm. 19 (Hinweis W. M. Calder III); vgl. jetzt R. Schlesier, Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropolgie der Antike seit 1800, Frankfurt 1994, 99ff. HZ 145 (1932) 365f. Vgl. Gnomon 8 (1932) 343. P. Treves, Rez. H. Bengtson, Griechische Geschichte, in: Athenaeum N. S. 43 (1965) 246. Näf 1986, 157 [s. Anm. 2].
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in Berves Werk nachweisen lassen. Insofern ist Berves Konzeption – dies braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden – als Beleg für die Affinitäten der Geschichtswissenschaft zum Nationalsozialismus zu werten. In unserem Zusammenhang stellt sich vor allem die Frage nach dem Verhältnis dieser Konzeption zum Ansatz K. O. Müllers. Es besteht kein Zweifel daran, daß die starke Betonung des Gegensatzes von Doriern und Ioniern für Berves Griechische Geschichte ebenso prägend ist wie für Müllers Dorier. Dennoch würde es zu weit gehen, in Berves Werk eine Art ,Ausführung‘ der unvollendeten Geschichten Hellenischer Stämme und Städte zu sehen. Bei der Lektüre der Darstellung Berves fühlt man sich bisweilen an Formulierungen und Gedanken, die auf Müllers Dorier zurückgehen könnten, erinnert. Gemeinsam ist beiden Autoren sicherlich das Ringen um die individuellen Wesenszüge, auch die Vorstellung von dem [331] „organischen Verlauf“ der griechischen Geschichte. Für Müller und Berve verkörpern die Dorier die „reinsten Griechen“, wie auch weibliches Wesen und Weichheit den ionischen Stamm kennzeichnen. Diese Beispiele, die sich in den oben zitierten Passagen wiederfinden, können unten durch ähnliche Bezüge ergänzt werden. Weitere Parallelen dieser und ähnlicher Art wären aufzunehmen. So wird z. B. der „Zusammenhang zwischen der Gestalt der Landschaft und der Formung des Lebens“ (Christ) von Müller und Berve – von letzterem ganz stark in der Einleitung der Griechischen Geschichte (I 1ff.) – thematisiert.75 In keinem Fall aber läßt sich ein schlüssiger Nachweis führen, daß Berve direkt auf Müller zurückgreift. Motive wie das zuletzt angesprochene sind auch in anderen maßgebenden Konzeptionen der griechischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, wie z. B. bei E. Curtius, zu finden.76 Daß Berve aus diesem reichen Fundus geschöpft hat, ist nicht nur mit seinem einschlägigen Literaturverzeichnis, sondern wiederum mit entsprechenden Anklängen in den oben zitierten Passagen zu belegen. Von daher kommt auch eine Vermittlung der Konzeption Müllers über Zwischenstufen in Betracht. Daß ein gemeinsamer und zwar ein wesentlicher „Grundbestand“ (Näf) vorliegt, ist erkennbar. Daß Berve, was Heuß nicht ausschließt, sich dieser Verbindung nicht bewußt war, halte ich für eher unwahrscheinlich. Der einfache Literaturhinweis auf Müller in der Griechischen Geschichte von 1931 belegt nicht, daß Berve – im Sinne der Vermutung von Heuß – diese Traditionslinien tatsächlich noch nicht geläufig waren, als er am Ende der 20er Jahre das Programm seiner Griechischen Geschichte entwarf. Daß er aber bei der Ausführung sich nicht mittel- oder unmittelbar mit Müller auseinandergesetzt hat, erscheint mir unvorstellbar. L. Canfora ist insbesondere „Spenglers Einfluß auf die Griechische Geschichte“ nachgegangen, der sich auch für die vorbereitenden Studien nachweisen läßt.77 Als weitere zeitgenössische „Quellen der Inspiration“ kommen natürlich Stefan George und Werner Jaeger in Betracht.78 Auf Spengler verweist sicherlich die Betonung des „organischen Ablaufs“ der griechischen Geschichte. Diese Einflüsse sind, wie Canfora zeigen kann, bereits von J. Hasebroek und F. Heichelheim – letzterer verwies auf den „Vitalismus“ Berves – erkannt worden.79 Spengler „bedeutet außerdem Rekurs auf Burckhardt und Bachofen“.80 Auf diese Quellen lassen sich „zahl75 76 77 78
Zu Müller vgl. unten [345]. Christ 1990, 136 [s. Anm. 52]. Canfora 1995, 143ff. [s. Anm. 54]. Canfora 1995, 137, unter Hinweis auf A. Momigliano; vgl. generell W. M. Calder III (Hrsg.), Werner Jaeger Reconsidered, Atlanta 1992 (Illionis Classical Studies, Suppl. 3) (= Calder 1992). 79 Canfora 1995, 143 und 145 (Bewertung von A. Heuß). 80 Canfora 1995, 146.
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reiche idealisierende und sogar irrationalisierende Elemente“ sicher zurückführen.81 [332] In ihrer Reihe sollten aber K. O. Müller und seine Dorier nicht fehlen. Das Jahr 1933 brachte eine veränderte Ausgangslage für die Auseinandersetzung mit Sparta. Auch wenn Hitlers einschlägige Äußerungen keine allzu große Publizität erreichten, ist seine starke Sympathie unverkennbar: Hitler sah hier den archaischen Zustand der Rassereinheit in agrarischen Verhältnissen, den „klarsten Rassenstaat“, eine vorbildliche Herrschaftsordnung und z. B. eine nachahmenswerte „Geburtenpolitik“ verwirklicht.82 Ein Vertreter der nationalsozialistischen Führungsschicht, der spätere „Reichsbauernführer“ und Landwirtschaftsminister R. W. Darré, hatte sich Ende der zwanziger Jahre in dem Werk Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse (1929) intensiver mit Sparta beschäftigt. Darré führte darin seine These vom ursprünglich bäuerlichen Charakter des Indogermanentums, den Sparta besonders lang bewahrt habe, aus. Das Buch war in enger Zusammenarbeit mit H. F. K. Günther entstanden; für Einzelangaben griff Darré sehr oft auf die Griechische Staatskunde von G. Busolt zurück.83 Nach der Machtübernahme brachte Darré seine Erwägungen über das spartanische Bodenrecht in die Diskussion über die von ihm betriebene Erbhofgesetzgebung ein. Er erstellte ein Manuskript mit dem Titel Sparta. Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden (Grundlagen, Aufstieg, Niedergang) und förderte – darauf ist noch einzugehen – in seinem Dienststellenbereich die Auseinandersetzung mit Sparta. Die deutschen Althistoriker reagierten in ihrer Mehrzahl auf die Sympathiewelle, die über Sparta hereingebrochen war, so wie Hans Volkmann, der in einem Fachbericht für das Jahr 1933 ausdrücklich die „aktive zeitbezogene Mitarbeit“ an den Problemen des Faches, „wie (sie) z. B. Landwirtschaftsminister Darré (...) in Aussicht gestellt hat“, begrüßte.84 In kaum einer der zahlreichen Programmschriften, die nach der Machtübernahme nach dem Muster ,Die Antike und wir‘ vorgelegt wurden, fehlt die Beschwörung Spartas. Zu den bekanntesten Äußerungen in der vielstimmigen „Programmdiskussion“ zählen diejenigen Werner Jaegers. Sein Aufsatz Die Erziehung des politischen Menschen in der Antike, der in der von Ernst Krieck herausgegebenen Zeitschrift Volk im Werden erschien, zielte nicht ohne Anpassungsformeln auf den Erhalt des humanistischen Gymnasiums und wurde u. a. von dem Herausgeber Krieck selbst zurückgewiesen.85 Eine [333] längere und kontroverse Diskussion löste das Erscheinen des ersten Bandes von Jaegers Paideia 1934 aus. Dabei spielt, wie zuletzt B. Näf dokumentiert hat, die „mögliche Nähe der ,Paideia-Konzeption‘ zu nationalsozialistischen Auffassungen“ eine große Rolle.86 81 Canfora 1995, 146. 82 Vgl. V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977, 17ff. (= Losemann 1977). „Mit den Griechen meinte er“, so A. Speer, „die Dorier“; vgl. A. Speer, Erinnerungen, Berlin 1969, 110. Dazu jetzt: L. Kroll, Geschichte und Politik im Weltbild Hitlers, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996) 343f. 83 Vgl. Losemann 1977, 23f. [s. Anm. 82]. 84 [Das angesprochene Manuskript war damals noch unpubliziert und wurde 2005 von V. Losemann („Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden“. R. W. Darré und die Agrargeschichte Spartas, in: Laverna 16 (2005) 67–120 = Nr. 9) vorgelegt.] Vgl. Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 9 (1933) 561f. 85 Vgl. Losemann 1980, 49ff. [Nr. 1; s. Anm. 50]. 86 B. Näf, Werner Jaegers Paideia: Entstehung, kulturpolitische Absichten und Rezeption, in: Calder 1992, 127 [s. Anm. 78] (= Näf 1992).
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In unserem Zusammenhang darf der Abschnitt „Spartanische Staatserziehung“ besonderes Interesse beanspruchen, da Jaeger auch die Konzeption K. O. Müllers würdigt: Gegenüber den hypothetischen Versuchen, „die klassische Form des spartanischen Staates, den ,lykurgischen‘ Kosmos als die Schöpfung einer relativ späteren Zeit zu erweisen“, verweist Jaeger auf den Verfasser der Dorier. „Karl Otfried Müller, der geniale Begründer der Geschichte der griechischen Stämme und Städte, selbst ganz erfüllt von der ethischen Größe des Dorertums, die er gegen den traditionellen Kultus Athens in das hellste Licht zu rücken suchte, hat das altspartanische Kriegertum ganz anders und wahrscheinlich richtig verstanden als die Fortdauer eines hochaltertümlichen Zustandes des dorischen Stammes, der sich in Lakonien durch die besonderen Verhältnisse von den Tagen der Völkerwanderung und ersten Landnahme bis in späte Zeit konserviert habe.“87
Auch am Ende der Ausführungen über die „Spartanische Staatserziehung“ bezieht sich Jaeger indirekt auf K. O. Müller: „Das freiere Auftreten der Frau im öffentlichen und im privaten Leben Spartas, das den von Asien beeinflußten Ioniern und den darin von ihnen abhängigen Athenern auffiel“, ist für Jaeger nach K. O. Müller „wie so manche andere Eigentümlichkeit dorischer Stammesart in Sitte und Sprache ein treu bewahrter Rest der hier lebendiger als sonst in Hellas fortwirkenden Vorzeit der eingewanderten Herrenrasse“.88 Auch am Beispiel des genannten Abschnitts ließe sich der Analyse Näfs entsprechend zeigen, daß Jaeger mit der „Kategorie des Politischen“, der Verwendung „kulturbiologischer und rassenkundlicher Begriffe“ und dem Versuch der „Wesensdeutung“ die Annäherung an den nationalsozialistischen Staat gesucht hat.89 Eine sachgerechte Beurteilung der Ausführungen Jaegers von 1933 und 1934 hat selbstverständlich die ältere Spartarezeption ebenso zu berücksichtigen wie etwa die altertumswissenschaftlichen Traditionslinien in der Anwendung „rassenkundlicher“ Begriffe, die Einflüsse Nietzsches oder Spenglers – aber ebenso selbstverständlich auch die aktuelle Absicht in der Diskussion über das Verhältnis von Nationalsozialismus und Antike und endlich die Wirkung auf die Leser des Jahres 1934!90 Dabei treten, wie A. Momigliano deutlich gemacht hat, Annäherungen an und Unterschiede zu [334] nationalsozialistischem Gedankengut in den Blick. Darüber hinaus meint Momigliano, daß die Paideia für Jaeger „nur eine vorübergehende Phase gewesen (sei)“.91 Die Spuren der Auseinandersetzung W. Jaegers mit Müllers Doriern lassen sich nicht nur in der Paideia selbst, sondern auch in der Phase ihres Entstehens nachweisen. Das belegt eindrucksvoll der Schriftwechsel zwischen Jaeger und Rudolf Borchardt im Jahre 1931: Nach der Lektüre von Borchardts Nachwort/Einleitung in das Verständnis der Pindarischen Poesie, d. h. dem Nachwort zu Borchardts 1929/30 entstandener Pindar-Übertragung, äußert sich Jaeger wie folgt: „Daher habe ich mitten hinein Ihr Nachwort in einem Zug gelesen und es aus der Hand gelegt voll Bewunderung der wahrhaft dichterischen Konzeption Ihrer Doreroffenbarung, die den Geist der 87 W. Jaeger, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Bd. I, Berlin 1934, 118 (= Jaeger 1934). 88 Jaeger 1934, 139 [s. Anm. 87]. – vgl. auch oben: „(...) daß die Dorier (...) am treusten bewahrten“ (2.395) und „treue Bewahrung des Altertümlichen“ (1.16f.). 89 Vgl. Näf 1992, 134ff. (die Abschnitte III-V) [s. Anm. 86]. 90 Vgl. Näf 1992, 139 und Cancik 1995, 122ff. [s. Anm. 30]. 91 A. Momigliano, Prospettiva 1967 della storica greca, in: Ders., Quarto contributo alla storia degli studi classici del mondo antico, Rom 1969 und Näf 1992, 127.
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Wanderungszeit und ihres Heroentums aus dem Dichter des V. Jahrhunderts noch einmal prophetisch hervorbrechen läßt, ehe er im griechischen Volke für immer erlischt. Otfried Müller könnte seine helle Freude daran haben, wie der Geist des von ihm in seine Rechte wieder eingesetzten Stammes gegen die Übermacht der panhellenischen Überlieferung und Bildung verteidigt wird, und wenn auf Grund ihrer unanfechtbaren Rechte die Liebe zu dieser Form des Griechentums, verwurzelt in urindogermanischem Lebensinstinkt, den Gegensatz zum Jonisch-Homerischen und zum Attisch-Klassischen bis zur Überschärfung gesteigert hat, so spürt der Zeitgenosse unserer Kulturtragödie darin die leidenschaftliche kämpfende Stellungnahme für ein Edles und Echtes, das verloren geht und dessen Verlust sich im Bilde der Griechen Ihnen spiegelt.“92
Über die Charakteristik Jaegers hinaus kann die „Dorer-“, besser die „Pindaroffenbarung“ Borchardts nur kurz vorgestellt werden. Die Nähe zu K. O. Müller ist offensichtlich – auch wenn die Dorier nicht ausdrücklich genannt werden. Borchardt kritisiert neben anderen namentlich Wilamowitz’ Urteil über Pindar als einen Ausdruck „unserer einseitigen Tradition, der konsequenten ionischen Fälschung der echten Geschichte von Hellas“.93 Sein Anliegen ist es, „die Vorzeichen der geschichtsdialektischen Polaritäten der griechischen Völkergeschichte zu verkehren und Alt-Hellas nicht ausschließlich als dummen Grundstoff für die von immergleicher Seite kommende ,Kultur‘ oder als demütige Folie für Homer und Athen anzusehen“.94 Die Dorer bzw. vorzugsweise Sparta oder der Spartaner als „Hellene“ repräsentieren [335] die „echte Geschichte von Hellas“, „indem er in treuer (Hervorhebung d. Verf.) und allmählich grimmer und erstarrender Ausformung alleine bei sich erhielt, was die alte panhellenische Stufe des Mannes guter Art, ἀγαθὸς ἀνήρ, gewesen war (...)“.95 Im Gefolge der „Schlegel/Müller Tradition“ (Rawson), in deren Rahmen Pindar eine zentrale Rolle spielt, ließ sich auch Borchardt für sein Bild des ‚Dorischen‘ ganz stark von Pindar inspirieren.96 In seiner dichterischen Gestaltung erscheint Pindar als „Prophet und Restaurator, Bildner, Lehrer und Sprecher seines Volks, Denker und Grübler und Träumer“,97 der „mit dem Anschläge seines Zauberstabes ein unerhörtes Hellas aus der heroischen Sage, dem Liede und dem Kulte gebannt, das sich diesseits des Inselmeeres gegen Ilion und Phäaken auftürmt“.98 Pindar fungiert als Anwalt des dorisch geprägten „älteren Hellenenvolkes“ als der „einzige Dichter stummer Völker, ihr einziges Gegengewicht gegen die gesamte übrige griechisch gesprochene Literatur (...)“.99 Pindars Poesie trägt männliche, dorische Züge, die Borchardt im 19. Jahrhundert bei einem Zeitgenossen Hölderlins – und hier muß ergänzt werden auch K. O. Müllers – wiederfindet in „wahrhaft dorischen Worten“ des Freiherrn vom Stein, in denen nach Borchardt die 92 E. A. Schmidt, Werner Jaeger and Rudolf Borchardt: Correspondence 1929–1933, in: Calder 1992, 187f. [s. Anm. 78] (= Schmidt 1992) (Hinweis von W. M. Calder III). 93 R. Borchardt, Einleitung in das Verständnis der Pindarischen Poesie, in: R. Borchardt, Gesammelte Werke in Einzelbänden, hrsg. v. M. L. Borchardt und E. Zinn, Prosa II, Stuttgart 1956, 168 (= Borchardt 1956) [Die nachfolgenden Verweise auf Borchardt 1956 beziehen sich sämtlich auf den Prosa II-Band der ‚Gesammelten Werke‘]. 94 Borchardt 1956, 168f. 95 Borchardt 1956, 167. 96 Rawson 1969, 306, 328 und 330 [s. Anm. 2]. 97 Borchardt 1956, 227 („Einleitung“) [s. Anm. 93]. 98 Borchardt 1956, 228. 99 Borchardt 1956, 231.
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„religiöse Sittlichkeit und Vaterlandsliebe (...) die einzigen nicht zu erschütternden Träger des Charakters (sind)“.100 Die Einleitung in das Verständnis der Pindarischen Poesie gehört in die Schaffensperiode Borchardts am Ende der zwanziger Jahre, die man als erneute Hinwendung zur Antike bezeichnen darf: Es ist die Zeit, in der er Verbindung etwa zu Werner Jaeger, Felix Jacoby und Paul Friedländer aufnimmt.101 Auf Drängen Jaegers hatte Borchardt im Dezember 1930 vor der „Gesellschaft für Antike Kultur“ sein Pindar-Nachwort unter dem Titel „Die Pindarische Restauration“ vorgetragen.102 Er beginnt in dieser Zeit mit den Causa victa-Studien, deren „Leitthema“ es ist, eben „der nicht zum Zuge gekommenen geschichtlichen Möglichkeit (...) nachzugehen, zum Beispiel der Geschichte des Dorierstammes oder Caesars hellenistischem Weltreichsgedanken gegenüber Augustus’ römischem Imperium“.103 Borchardts Äußerungen vermitteln einen plastischen Eindruck von der Intensität der Antikerezeption [336] der verschiedenen „Kreise“, die das geistige Milieu der zwanziger Jahre prägten. Mit ihm artikuliert sich ein Vertreter der „Konservativen Revolution“ – A. Mohler führt ihn nach H. v. Hofmannsthal und St. George unter den „stilisierenden Dichtern“ an –,104 der z. B. 1931 dezidierte „Führererwartungen“ formulierte.105 Den Rang und die Bedeutung K. O. Müllers und seiner Dorier hat Borchardt explizit angesprochen in der bis 1944 niedergeschriebenen und erst später veröffentlichten Abhandlung Grundriß zu Epilegomena zu Homeros und Homer, die hier im Vorgriff zu behandeln ist.106 Müller ist für Borchardt zunächst einmal „der einzige mit mächtiger Einsicht ausgestattete Erforscher griechischer Frühgeschichte“, dessen früher Tod die Korrektur von Fehl entwicklungen verhindert hat.107 Seine Dorier stellt Borchardt in eine Reihe herausragender Geschichtskonzeptionen, die weit mehr sind als „fachhistorische Tatsachenbilder“ (Ott) und bei denen sich vielmehr „unabweisbar die Analogie der Wirkung des gedichteten Kunstwerks“ aufdrängt.108 „Dem entgegen“, so formuliert Borchardt in Abgrenzung zur „Forschung des letzten Halbjahrhunderts“, „ist das einzige Kriterium des echtentsprungenen Geschichtsbildes der darstellenden Phantasie – wie es Otfried Müllers Dorer, Winckelmanns Stilbild der Antike, Thierrys archaisches Frankenreich, Mommsens Sullanisches Restaurations- und Cäsarisches Reichsbild, vor allem aber Gibbons und Burckhardts souveräne Gesamtlesungen (...) sind – nicht ihre sogenannte objektive Richtigkeit (...), sondern eine andere, weder ,subjektive‘ noch ‚objektive‘, Richtigkeit – ihre Richtigkeit in sich selbst“ (Hervorhebung im Original).109 Dem 100 Borchardt 1956, 233f. [s. Anm. 93]. 101 Vgl. U. Ott, Rudolf Borchardt und die Klassische Altertumskunde, in: H. A. Glaser (Hrsg.), Rudolf Borchardt 1877–1945. Referate des Pisaner Colloquiums, Frankfurt a. M. / New York 1987, 303 (= Ott 1987). 102 Schmidt 1992, 177 [s. Anm. 92]. 103 Ott 1987, 303 [s. Anm. 101] – Zu Borchardts Kritik an Augustus (und Wilamowitz) vgl. L. Canfora, Wilamowitz und die augusteische Dichtung, in: Ders., Politische Philologie. Altertumswissenschaften und moderne Staatsideologie (Stuttgart 1995), 122f. 104 A. Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland. Ein Handbuch, Darmstadt³ 1989, 319f. und Ergänzungsband, 45. 105 Canfora 1995, 151f. [s. Anm. 54]. 106 Abgedruckt in: Borchradt 1956, 7–108 [s. Anm. 93]. 107 R. Borchardt, Grundriß zu Epilegomena zu Homeros und Homer, in: Borchardt 1956, 55. 108 Borchardt 1956, 104. 109 Borchardt 1956, 103f. [s. Anm. 93].
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von Borchardt wiederholt beschworenen „Geschichtsbild der darstellenden Phantasie“ eignet eine „über Jahrhunderte reichende wissenschaftliche Festigkeit gegen die Kugelsaat der vieles bald besserwissenden Zeit, jene heroische Überlegenheit (...) vor allem jene unberechenbare Kraft des geschichtlichen Wiederauflebens nach langem Scheintode, wie sie sich in der unerwarteten ,Rückkehr‘ zu Gibbon oder Otfried Müller so unterscheidend bewährt hat“.110 Dieser Rückblick Borchardts von 1944 – auch auf Müllers Wirkung in den 30er Jahren – zeigt, welch hohen Rang der Verfasser der Dorier in der dichterischen Konzeption Borchardts einnimmt. Borchardts Aufsatz trägt sicherlich sehr eigene Züge, seine Wirkung ist schwer abzuschätzen. Wenn er „die tragischen Linien der Geschichte, die Fälle, in denen große Antriebe gescheitert sind“, bevorzugt, dann ist, wie Ulrich Ott meint, auch Karl [337] Otfried Müller ein solcher Fall im Rahmen der oben erwähnten Causa victa-Studien: „Cäsar, Antonius und Cleopatra gegenüber Brutus und Augustus, Hektor gegenüber Achill, Dorier gegenüber Ioniern, ja, wenn man will, Karl Otfried Müller gegenüber Wilamowitz. Schöpferische Restauration also auch“ – so das Fazit von Ott – „durch den Geschichtsschreiber“.111 Von Borchardts ,K. O. Müller-Offenbarung‘ des Jahres 1944 muß nun wieder zurückgelenkt werden zum Dialog W. Jaegers mit Borchardt von 1931. Bei seiner Arbeit an dem PaideiaBuch zeigt sich Jaeger von der Konzeption Borchardts – und der K. O. Müllers – stark beeindruckt. Borchardt und „er selbst bekennen sich als Zeitgenosse(n) unserer Kulturtragödie“ zu der ,,leidenschaftliche(n) kämpfende(n) Stellungnahme für Edles und Echtes“, die Müller mit seinen Doriern geliefert hat.112 Über die Stellungnahme zu Müller hinaus ist das Bekenntnis Jaegers gegenüber Borchardt außerordentlich aufschlußreich, nicht nur für die Entstehungsbedingungen der Paideia, sondern auch für ihre Wirkungsabsicht. In der Paideia von 1934 selbst fällt die Würdigung, wie zu sehen war, weniger emphatisch aus, die Bewertung der Konzeption Müllers bleibt aber durchaus positiv.113 Die Ausführung des Abschnitts „Spartanische Staatserziehung“ zeigt darüber hinaus, wie z. T. angedeutet, Anklänge an die Konzeption K. O. Müllers, so in der Rede von der ,,diametrale(n) Verschiedenheit des geistigen Wesens der griechischen Stämme (...) als eine Urtatsache des geschichtlichen Lebens der griechischen Nation“.114 Auf dieser Linie hebt Jaeger die wichtigsten Ausdrucksformen des „Stammescharakters“ von den bei Homer und Hesiod faßbaren Zuständen ab: „Um so schärfer scheidet sich die dorische und ionische Eigenart in der Form des staatlichen Lebens und in der geistigen Physiognomie der Polis.“115 In diesem Kontext beschwört Jaeger – sicherlich auch unter dem Eindruck von Borchardts Gestaltung – Pindar, der von „dem dorischen Stamm (...) sein Ideal des blonden hochrassigen Menschentypus hergenommen“ habe: „Pindars Adelsglaube“ – er zeigt das „Ideal des hellenischen Rassenadels“ –, seine „Adelspaideia“ oder seine „Adelslehre vom Blut“ unterstreichen den aristokratischen Charakter des Humanismus Jaegerscher Prägung.116 Ebenso „eindrucksvoll“ wie Pindar präsentiert Jaeger „Tyrtaios’ Aufruf zur Arete“, d. h. gewissermaßen 110 111 112 113 114 115 116
Borchardt 1956, 106. Ott 1987, 317 [s. Anm. 101]. Vgl. oben [334]. Vgl. oben [333]. Jaeger 1934, 115 [s. Anm. 87]; Näf 1986, 189 [s. Anm. 2]. Jaeger 1934, 115f. Jaeger 1934, 271, 285 und 189; vgl. Näf 1992, 141 und 143 [s. Anm. 86].
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die „Stiftungsurkunde des spartanischen Machtstaats“.117 In der Gesamtwirkung leistet Jaeger zweifellos einen bedenklichen Beitrag zur zeitgenössischen Idealisierung Spartas, der z. T. durch K. O. Müller vermittelt ist. Jaegers [338] Betrachtungsweise und seine Terminologie ließen sich in entsprechende Konzepte gut einpassen.118 In diesen Rahmen gehört ganz sicher auch Gottfried Benns bis Anfang Mai 1934 entstandener Essay Die Dorische Welt. Eine Untersuchung über die Beziehung von Kunst und Macht.119 Dies ist vor allem gegenüber F. W. Wodtke zu betonen, der die Bezüge zur nationalsozialistischen Spartarezeption weitgehend ausblendet und auf Benns spätere „schroffe Abwendung von der nationalsozialistischen Ideologie“ verweist.120 Als Hauptquellen sind Hippolyte Taines Philosophie der Kunst, Jacob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte und Schriften Nietzsches, vor allem der Aufsatz Der griechische Staat von 1872 akribisch nachgewiesen – ausdrückliche Spuren Müllers wurden dabei nicht sichtbar.121 Dennoch hat P. Janni sicher nicht zu Unrecht eine Linie von Müller zu Benn durchgezogen.122 Bei Benn, dessen Bewunderung des Dorischen schon früh, 1913, dokumentiert ist,123 dominiert die Auseinandersetzung mit Nietzsche. Dies tritt bei seiner betonten Ableitung der griechischen Welt aus dem Dorisch-Apollinischen und Griechenlands aus Sparta deutlich hervor.124 G. Benn hat seine Vorlagen in einer geradezu exzessiven „Montagetechnik“ (F. W. Wodtke) zum Teil auch verfälschend zusammengefügt, so daß letztlich nur relativ wenige Passagen „als eigenständig gelten können“.125 Die „Dorische Welt“ ist mit Renate Schlesier als „Magna Charta“ von Benns rasch verglimmendem Fanatismus für den ,neuen Staat‘ der Nationalsozialisten zu werten: „Auf Nietzsches Spuren“ kann „Benn 1934 aus Apollon einen präfaschistischen Gott und aus Sparta ein Nazideutschland avant la lettre“ machen.126 Folgt man einer Bemerkung Benns, so hat er sich zu dem Essay Die Dorische Welt von der „Dorischen Musik“ Heinrich Kaminskis (1886–1946) anregen lassen.127 Zumindest nach außen hin paßt dieses Anfang 1934 entstandene und uraufgeführte Orchesterwerk in die Zeit einer Hochschätzung [339] des Dorisch/Spartanischen. Spuren nationalsozialistischer
117 Jaeger 1934, 125ff. und 138. 118 Vgl. z. B. J. Brake, Spartanische Staatserziehung, Hamburg 1939 (= Quellen-Reihe zur volkspolitischen Erziehung), 23. Zur Terminologie Jaegers in den 30er Jahren sehr abgewogen E. Badian, Jaeger’s De mosthenes, in: Calder 1992, 296f. [s. Anm. 78]. 119 Gekürzter Vorabdruck in: Europäische Revue 10.1 (1934) 364–376. Vgl. Gottfried Benn, Sämtliche Werke, hrsg. v. G. Schuster, IV: Prosa 2, Stuttgart 1989, 124–153. 120 F. W. Wodtke, Die Antike im Werk Gottfried Benns, Wiesbaden 1963, 124f. (= Wodtke 1963). 121 Vgl. G. Benn, Sämtliche Werke IV (wie Anm. 119), 562ff. – Zum Bezug auf Nietzsche vgl. v. Reibnitz 1987, 83 [s. Anm. 30]. 122 Janni 1968 [s. Anm. 2]. 123 Wodtke 1963, 108 [s. Anm. 120]. 124 Dazu v. Reibnitz 1992, 151 [s. Anm. 12]. 125 Vgl. G. Benn, Sämtliche Werke IV (wie Anm. 119), 563 und L. Rohner, Der deutsche Essay, Neuwied / Berlin 1966, 278f. 126 R. Schlesier, ‚Dionysische Kunst‘. Gottfried Benn auf Nietzsches Spuren, in: Modern Language Notes 108 (1993) (Literary Sexualities) 525f. 127 Vgl. G. Benn, Essays, Wiesbaden 1951, 7f. (Vorbemerkung). – Zu Kaminski und seiner dorischen Musik vgl. W. Abegg u. a., Heinrich Kaminski, Tutzing 1986 [Komponisten in Bayern, Bd. 11], 48ff. (= Abegg 1986).
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„Berichterstattung“ zeigen, daß diese Musik „das Fühlen und Wollen des ,Neuen Deutschland‘ repräsentiere(n)“ konnte.128 Am Ende der zwanziger und am Beginn der dreißiger Jahre lassen sich beachtliche Zeugnisse der Auseinandersetzung mit K. O. Müller sichern. Das gilt für H. Berve und W. Jaeger, die als Repräsentanten einer zu erneuernden Altertumswissenschaft mit der Griechischen Geschichte und der Paideia bekannte „Vorbildbücher“129 vorgelegt, sich aber auch programmatisch zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Antike geäußert hatten. Jaegers Dialog mit Rudolf Borchardt, einem Vertreter der „Konservativen Revolution“, läßt eine „Doreroffenbarung“ erkennen, die – das zeigen auch die Reaktionen auf Jaegers Paideia – wohl kaum den diffusen Vorstellungen einer nationalsozialistischen Antikekonzeption entsprach. Als Beleg einer intensiven Auseinandersetzung mit K. O. Müller besitzt sie ihren eigenen Wert. In das weitere Umfeld der „Konservativen Revolution“ gehört auch Benns Dorische Welt, – ein „Annäherungsversuch“ sehr eigener Art, der etwas von der Attraktivität der Modellvorstellungen, die sich mit den ,Dorern‘ und der Chiffre ,Sparta‘ verbanden, ahnen läßt. Im Rahmen der weiteren Auseinandersetzung mit K. O. Müller, die stärker in die nationalsozialistische Spartarezeption eingebettet ist, kommen vermehrt auch Althistoriker zu Wort, deren ,Spartaproduktionen‘ insgesamt ein breites Publikum erreichen. Der Althistoriker Ernst Kirsten lieferte 1936 ein entsprechendes Bekenntnis: „Sparta hat sich von der Wirklichkeit gelöst, ist zur Idee geworden. Spartiatentum ward Begriff, ward Wertung, ward Vorbild.“130 Auch im Blick auf die mit dem Hinweis auf Schiller, K. O. Müller und Burckhardt beschriebene Wirkungsgeschichte sah er „im Sinne volksgebundener Wissenschaft“ die Verpflichtung zu einem „neuen Spartabild“, dessen Ziel „nicht Entwicklungsdarstellung, sondern Wesensdeutung“ sein mußte.131 Kirsten, dessen „Spartaerlebnis“ 1940 in eine Habili tations schrift mündete, erwies auch dem Ansatz des „Reichsbauernführers“ Darré seine Reverenz.132 In seiner kleinen Spartamonographie von 1937, die am Anfang einer Reihe ähnlicher Spartabücher steht, unternahm Berve den Versuch, „in großen Zügen ein Bild des historischen Sparta (zu) geben, wie es sich dem [340] um Wahrheit und Tiefe bemühten Geschichtsforscher heute darbietet“.133 Berve war wohl nicht zuletzt im Blick auf Darré von der Absicht durchdrungen, „manche allzu einfache Parallele, die man gezogen hat, als unhaltbar zu erweisen“ (7), teilte aber ganz offensichtlich Grundpositionen der NS-Ideologie. Der Beitrag Berves stellt den Höhepunkt seiner Spartaidealisierung dar und belegt eine weitgehende auch gefühlsmäßige Identifikation des Autors mit diesem Gegenstand. Erheblich stärker akzentuiert als in der Griechischen Geschichte von 1931/33 sind 1937 die rassengeschicht128 Vgl. Abegg 1986, 167f. – Zwischen 1938 und 1941 wurde Kaminski mit Aufführungsverbot belegt; vgl. Abegg 1986, 170. 129 Der Ausdruck stammt von Bruno Snell; vgl. J. Latacz, Die Altertumswissenschaft der Jahre 1900–1930, in: Flashar 1995, 46 [s. Anm. 29]. 130 Vgl. E. Kirsten, Die Entstehung des spartanischen Staates, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 12 (1936) 385f. (= Kirsten 1936). 131 Kirsten 1936, 387. 132 E. Kirsten, Die dorische Landnahme (Phil. Habilschrift), Heidelberg 1940. 133 Vgl. H. Berve, Sparta, Leipzig 1937 (2. Aufl. 1944), 7 (= Berve 1937). Wiederabdruck in: Ders., Gestaltende Kräfte der Antike, München² 1966, 58–207. Zitiert wird im Text generell nach der ersten Auflage von 1937.
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lichen Bezüge. Insgesamt entwirft Berve dabei das Bild eines „aristokratischen Sparta“, das wesentlicher Ausdruck der dorischen Stammesart ist und in dem von Anbeginn „Rassengesetze“ Anwendung finden: „Zu einer blutsmäßigen Vermischung der Einwanderer mit der ansässigen Bevölkerung ist es dagegen weder in der ersten Zeit, als die Gegensätze der Herkunft und die Tatsache der gewaltsamen Unterwerfung von beiden Teilen unmittelbar empfunden wurden, noch später, als aus dem Verhältnis von Siegern und Besiegten sich dasjenige von Herr und Knecht ergab, gekommen, dazu war der Geist der Dorier zu aristokratisch exklusiv, ihr Instinkt zu rein und stark.“ (15)
Von daher erklärt sich die bis zum Untergang durchgehaltene konsequente Trennung des Staatswesens in zwei Schichten: „die dorische Stammeseinheit und, von ihr unwiderruflich getrennt, die Unterworfenen, die Heloten. Die absolute Härte, mit der diese Zweiheit aufrechterhalten wurde, hat den Lakedämoniern und besonders ihrem Adel eine schlechthin einzigartige Reinheit der Stammesart, Einheitlichkeit der Gesinnung und damit höchste Geschlossenheit nach außen bewahrt“ (16). Berve akzentuiert Stammesmerkmale, die, das klingt auch bei K. O. Müller an, auf eine Wesensverwandtschaft von Doriern und Germanen verweisen: „Hier, wenn irgendwo, konnte daher der Geist der nordischen Einwanderer, der in so vielen Zügen sich germanischem Wesen verwandt zeigt, die ideale Form des Lebens verwirklichen, die in ihm von Natur angelegt war“ (ebd.). Im Adel bestätigen sich dann ausdrucksvoll die Wesensmerkmale der griechischen Stämme: „Denn wie in der Tempelform, die nicht ohne Grund die dorische heißt, das Gesetz des Ganzen den einzelnen Baugliedern ihr Lebensrecht gibt, so empfindet der dorische Adel in Sparta, anders als der individualistischer gestimmte Jonier, den einzelnen jetzt durch die Ordnung des Ganzen gerechtfertigt, nur als Glied des Ganzen wertvoll. Und je bewußter und stärker sich dieser Gedanke durchsetzt, um so weniger sind es die äußeren Anforderungen der Selbstbehauptung, welche die Lebenshaltung bestimmen.“ (38)
[341] Es ist dies eine der ausdrucksvollen Passagen, in denen möglicherweise ähnliche Formu lierungen Müllers anklingen: „Nur als Glied des Ganzen wertvoll“ war der einzelne bei Berve. Die „hohe Freiheit des Spartiaten wie des Hellenen überhaupt“, so hieß es bei Müller, „war eben nichts als ein lebendiges Glied des Ganzen zu sein“.134 Auch Müller sieht im übrigen einen Zusammenhang zwischen dem Dorischen Tempel und der Lebensordnung (2.255). Wie schon in der Griechischen Geschichte zog Berve verklärende Parallelen zwischen ,,geformte(m)“ spartanischem Adel und den Ritterorden des Mittelalters. Charakteristisch für beide Erscheinungsformen war ein „Wille, der die adlige Selbstzucht zur selbstlosen Hingabe an eine asketische, doch eben darum dem Dasein der Masse weit überlegene Lebensordnung gesteigert hat“ (44f.). Diese „Gemeinschaftsform“ schuf „hier wie dort einen Typus des Herren menschen, der in demselben Maße sein Ansehen steigert, in dem er die Bedürfnisse und Wünsche natürlicher Menschlichkeit unter sich läßt“ (45). Eine Einschränkung findet der Vergleich Spartas mit den mittelalterlichen Orden im Hinblick auf die „im Gegensatz zu den Orden, von der Gemeinschaft gewünschte“ Einrichtung der Ehe: „Handelte es sich doch in Lakedämon nicht um einen Verband vornehmer Männer 134 Vgl. oben [318].
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verschiedener Herkunft, sondern um den gewachsenen Adel eines Stammes, der auch in den absoluten Formen, die er seinem Leben gab, immer noch ein Stück Volk und somit ein Stück fortzeugender Blutsgemeinschaft blieb“ (ebd.). Diese „Blutsgemeinschaft“ bewahrte in der Kindesaussetzung – Berve bediente sich hier deutlich der Termini der Rassenideologen – „alte Stammessitte einer natürlichen Zuchtwahl“. Auch diese zeugt für Berve „von der Eigenart und Großartigkeit dieser Schöpfung“ (39). In der Beschränkung auf Sparta hat Berve das Bild des dorischen Stammes schärfer gefaßt und in konsequenter Idealisierung mit Positionen der NS-Ideologie verknüpft. Aus deren Blickwinkel konnte Berves Sparta den Charakter eines zeitgemäßen Herrschaftsmodells gewinnen. Zu den Implikationen dieser Konzeption gehört letzten Endes die Rechtfertigung bestimmter rassenpolitischer Maßnahmen wie die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“.135 Gegenüber den härteren Konturen, die Berve Sparta verleiht, trägt Müllers Spartabild eher romantische Züge. Allem Anschein nach gab Berve mit seiner Darstellung den Anstoß dazu, daß Reichs bauernführer R. W. Darré ein Spartabuch in Auftrag gab, das seiner Konzeption eher entsprach: Hans Lüdemann, der Verfasser der Monographie Sparta. Lebensordnung und Schicksal, die 1939 im Teubner-Verlag erschien,136 war als promovierter Althistoriker im Stabsamt Darrés [342] beschäftigt.137 Wie schon die einleitende Distanzierung von Berves Ansatz erkennen läßt, sollte er offenbar ein Gegenstück zu dieser „aristokratischen“ Spartakonzeption liefern. Lüdemann war dabei auf Vorgaben Darrés festgelegt, zu denen das Bekenntnis zum „nordischen Spartiatentum“ gehört: „Der dorische Stamm“, so hieß es apodiktisch, „ist der reinrassigste und ganz überwiegend nordisch bis ans Ende geprägt“ (115). Die Dorier wurden mit dem Kapitel „Bauerntum und Staat“ eingeführt, und Erörterungen über „Bauerntum und Aristokratie als Geschichtsmächte“ bilden den Abschluß des Werks. Es soll hier freilich nicht um diese z. T. abstrusen Positionen im Gefolge Darrés gehen. In unserem Zusammenhang darf Lüdemanns Darstellung vielmehr deshalb Interesse beanspruchen, weil K. O. Müller hier zum Sprechen gebracht wird. Müllers Werk ist für Lüdemann – und so wird es (in der ersten Auflage von 1824) in zentralen Passagen benutzt – „immer noch die beste Gesamtdarstellung des Doriertums und seiner Bedeutung an sich und für die hellenische Volksgeschichte“ (107). Lüdemann verwendet Müllers Werk nun freilich nicht als eine Art ,Sparta-Handbuch‘, sondern identifiziert sich durchaus mit Grundpositionen. Mit einer bekenntnishaften Charakterisierung Müllers deutet Lüdemann eine seiner Inter pretationslinien an: „Bisher hat niemand die reine Gestalt des dorischen Kosmos klarer nachgezeichnet als vor über 100 Jahren der hochverdiente Karl Otfried Müller, der die Lebenskräfte hellenischer Gemeinschaftsordnung in gleicher Weise zu verstehen strebte, wie die Gebrüder Grimm die Glaubens- und Rechtsordnung des Germanentums.“ (14)
135 Vgl. V. Losemann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Herrschaftspraxis 1933–1945, in: K. Malettke (Hrsg.), Der Nationalsozialismus an der Macht, Göttingen 1984, 23ff. 136 Leipzig 1939 (= Lüdemann 1939) 137 Losemann 1977, 241, Anm. 19 [s. Anm. 82].
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So wie Müllers Grabstelle in Athen als „ein Mahnmal der germanisch-hellenischen Bruderschaft“ (ebd.) wirkt, möchte Lüdemann – auch im Sinne Darrés – die Wesensverwandtschaft von Griechen und Germanen herausstellen. Anschließend daran zitiert Lüdemann aus der Passage über den „Staat der Dorier“, mit der bei Müller der zweite Band bzw. das dritte Buch beginnt. K. O. Müller versucht darin, den dorischen Staat „als eine im Bewußtsein der Individuen anerkannte und durch Tätigkeiten, die auf das Ganze Bezug haben, ausgesprochene Einheit zu fassen“, die „aus keiner anderen hervorgegangen sein (kann), als einer durch Natur gegebenen, also der des Volkes oder eines Stammes oder eines noch geringeren Gliedes desselben (...).“ Vom Grad der „Einheit“ hing der „Begriff des Staates“ ab, der „vielleicht nirgends so sehr als bei den Doriern“ ausgeprägt war (2.1). Es folgt die oben zitierte, bekannte Passage von der ,,hohe(n) Freiheit des Spartiaten“, der „nichts als ein lebendiges Glied des Ganzen (...) sein“ will. „Der Dorier“ – damit endet dieser Absatz – „suchte im Staate den κόσμος, die Einigung des Mannigfaltigen“ (2.2). [343] Lüdemann erkennt in der Einheit des Kosmos „zutiefst eine Einheit des Blutes“ (15), womit die relativ leichte Übergangsmöglichkeit zu einer rassengeschichtlichen Betrachtung der Stämme angedeutet ist. Diese „Einheit“ war, so paraphrasiert Lüdemann weiter, „in dem Gefüge lebendiger Zellen bei den Doriern besonders streng und als göttliche Satzung bewußt.“ Mit Recht habe Müller deshalb „die sinnhafte Entsprechung zu solchem Grundgesetz des dorischen Volkscharakters (betont): den unbedingten Willen zur Erhaltung, das Streben nach Beständigkeit“ (15). Lüdemann knüpft an die Gedanken Müllers an, auf die dann unmittelbar die Beschreibung des Gegensatzes „des Dorischen und Ionischen Stammes“ bzw. des „reinen Dorismus“ folgt.138 Lüdemann baut damit seine Darstellung zumindest zum Teil auf dem Fundament Müllers auf. Nicht zufällig bezieht sich Lüdemann vor allem in dem zentralen Abschnitt „Der Kosmos von Sparta“ wiederholt auf K. O. Müller. Bei ihm findet er nicht nur Belege für einzelne Problemkreise, wie z. B. für die „gemeingriechischen Verhältnisse“ bezüglich des von dem „Reichsbauernführer“ R. W. Darré aktualisierten „Anerbenrechts“ (89), sondern vor allem aussagekräftige Vorlagen für die positive Schilderung des Kosmos, die dort, wo es sich anbietet, rassengeschichtlich „erweitert“ werden. Was Müller etwa in dem Abschnitt über das „Verhältnis der Gatten, und von der Bildung und Sitte Dorischer Frauen überhaupt“ mitteilte, ordnet Lüdemann der Rubrik „Hohes Ethos von Ehe und Familie. Züchterische Zweckbestimmung im Kosmos“ zu. „Bereits Otfried Müller hat“ – so heißt es dort – „mit überzeugender Kraft die Ehre dieser Frauen aus der Wirklichkeit der Geschichte selbst hervorleuchten lassen; sie hat ihre Reinheit bewahrt bis in ,die letzten Tage Lakedaimons, welche Frauentugend mit wunderbarem Glanze erhellte‘ (K. O. Müller)“ (90). Ist hier die Bewertung Müllers mit wörtlichem Zitat verbunden, so hat Lüdemann weitere Passagen ohne Quellenangabe in recht enger Anlehnung an die Vorlage paraphrasiert. Aufschlußreich für die Identifizierung mit Müllers Wertungen sind etwa auch die Ausführungen über die „dorische Tonart“: Deren Name hat nach Müller „nicht etwa blos in dem äußeren Vorwiegen des Volksstammes seinen Grund (...), dafür bürgt (...) auch die innre Übereinstimmung des Charakters derselben mit dem Dorismus überhaupt“ (2.312).139
138 Vgl. Müller D 2.3. 139 Lüdemann 1939, 99 [s. Anm. 136].
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Auf einer gemeinsamen positiven Interpretationslinie liegen schließlich die Aussagen „zur Stellung der Familie in Sparta“: Lüdemann schließt sich nachdrücklich der Aussage Müllers an, daß „das Familienleben Spartas trotz ständiger Zusammenstöße mit dem öffentlich-staatlichen ‚doch immer noch mehr Geschlossenheit und Innigkeit‘ besaß als in Athen“ (2.280).140 [344] Wertvolle Argumentationshilfe auf der Basis weitgehender Übereinstimmung boten Müllers Ausführungen auch für das gerade in einem traditionell positiv gestalteten Spartabild schwierige Problem der Knabenliebe. Insgesamt liefert Lüdemann zahlreiche Belege dafür, daß die Dorier Müllers durchaus einen geeigneten Rahmen für ein positives Wesensbild Spartas bilden konnten, der je nach Interessenlage der modernen Interpreten – z. B. im Sinne der Rassengeschichte – ausgestaltet werden konnte. Die Publikationswelle zum Thema Sparta – vom Quellenheft bis zur Habilitationsschrift – kann hier nicht ausgebreitet werden. Bemerkenswert ist vielleicht aber doch der Anspruch, den Berve in einer Sammelbesprechung neuerer Spartaliteratur im Jahre 1941 erhob. Mit Blick auf die französische Sparta-Monographie von Pierre Roussel (1939) wies er darauf hin, daß allein die deutschen Beiträge aus den dreißiger Jahren die wesentlichen Voraussetzungen einer Sparta-Darstellung erfüllten: „die tiefere innere Anteilnahme an Lakedämon, seiner Art und seinem Geschick.“141 Berve forderte schon früh „Mitleben, individuelle Affinität und nationale Affinität“142 und – einen Schritt weitergehend – „rassische Affinität“ zum Gegenstand, wie 1937 in einer Auseinandersetzung mit V. Ehrenberg klar wird.143 Die unterschiedlichen Ansätze nationalsozialistischer Spartarezeption werden in einem Arbeitsheft der ,Adolf Hitler-Schulen‘, das als Schulbuchersatz gedacht war, zusammengeführt. Das von dem Archäologen Otto Wilhelm v. Vacano herausgegebene Heft mit dem Titel Sparta. Der Lebenskampf einer nordischen Herrenschicht 144 stellt einen höchst bemerkenswerten Beitrag der nationalsozialistischen Spartaidealisierung – z. T. auch auf den Spuren K. O. Müllers – dar. Bevor diese aufgenommen werden, muß zunächst der Gesamtaufbau zumindest skizziert werden. Der historische Überblick des Herausgebers über den „Lebenskampf“ Spartas folgt der Devise „Manches ist zum Ruhme der Dorier zu sagen“ (11). Das geschieht denn auch mit einer starken Tendenz zur Aktualisierung: Insbesondere in dem Abschnitt „Die Erziehung zum Spartiaten“ werden in der Wortwahl Parallelen zwischen der Lebensordnung der Spartiaten und der der Adolf Hitler-Schulen nahegelegt. Gerade in den Perspektiven der Rassengeschichte ist Sparta – so ein Titel von Franz Miltner – „Vorbild und Mahnung“:145 „Spartas Schicksal ist das Beispiel des Lebenskampfes einer arischen Herrenschicht in fremdem Raum, die nach strahlender Leistung zusammenbricht, weil die Kräfte des Blutes im Einsatz verbraucht und damit auch die von ihm geschaffenen Lebensordnungen sinnlos geworden sind. Was Lakedämons [345] Adel in diesem Kampf an Tugenden entfaltet hat, was er in dienender Zucht gestaltet hat, ist unvergänglich.“ (25) 140 141 142 143
Lüdemann 1939, 119. Gnomon 17 (1941) 11. Näf 1986, 147 [s. Anm. 2]. H. Berve, Rez. zu V. Ehrenberg, Ost und West (1935), in: Philolog. Wochenschrift 12.6 (1937) 650ff.; vgl. Christ 1990, 171 [s. Anm. 52]. 144 Kempten 1944. 145 F. Miltner, Sparta. Vorbild und Mahnung, in: Die Antike 19 (1943) 1–29.
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Ein kurzer Beitrag von Hans Lüdemann über „Heilige Aussaat“ (27) stand für die Position Darrés. Von Helmut Berve stammt eine für seine Diktion höchst charakteristische, emphatisch-verklärende Beschreibung der ,,Spartanische(n) Landschaft“. Die hier wiederabgedruckten Sätze, die dem Spartabuch von 1937 entnommen waren, verweisen in der Akzentuierung der „Gegensätze“ auf die für seine Griechische Geschichte konstitutiven gegensätzlichen Stammesmerkmale: In der spartanischen Landschaft waren „die Gegensätze zwischen dem sonnigen Frucht garten der Ebene und der wilden Felseinsamkeit des schroffen Gebirges von einer Gewalt und Erhabenheit, die den nordischen Menschen, der im Banne dieser Natur Wohnung nahm, in dauernder Spannung halten mußte. (...) Es ist nicht Zufall, daß just in dieser Landschaft der großen Gegensätze von milder Schönheit und übermenschlicher Härte eine Lebensordnung von Unerbittlichkeit gegenüber dem weichen Genuß und einem steilen Willen zur Erhebung menschlichen Seins in eine höhere Sphäre verwirklicht worden ist.“ (26)146 Den „Zusammenhang zwischen der Gestalt der Landschaft und der Formung des Lebens“ (Christ) hatte Berve schon in der Griechischen Geschichte mehrfach hergestellt. Man fühlt sich, wie schon oben bemerkt, an Gedanken K. O. Müllers erinnert, für den kein Zweifel daran bestand, „daß dieser bestimmte (der dorische) Charakter binnenländische und gebirgige Wohnsitze brauchte, um sich consequent auszubilden und feste Gestaltung zu gewinnen. (...) Das Land ist wie der Leib der Nation, und wirkt allerdings auf diese, um eine nothwendige Uebereinstimmung beider hervorzubringen“ (2.397). Berve steuerte schließlich einen neu ausgearbeiteten Abschnitt über „Kriegführung und Kampfauffassung der Spartaner“ bei, in dem er – abgestimmt auf die Interessenlage der Adolf Hitler-Schulen im zweiten Weltkrieg – alle Aspekte eines spartanischen Kriegszugs vom Auszug über das Lagerleben bis zur stolzen Heimkehr beleuchtete: „Wie ein Feiertag war der Feldzug und zumal der Tag der Schlacht gewesen, weniger streng die Zucht im Lager als in der Heimat, tief beglückend die Stunden, als man im edlen Kampf Mann gegen Mann sich bewähren und für das künftige Leben daheim Ehre und Stolz gewinnen konnte. Keine Schrecken, nur Verheißungen hatte für Spartas Söhne die Schlacht, weil ihnen von frühester Jugend an eines zutiefst in die Seele gepflanzt war: Es gibt kein schöneres Los, keine höhere Erfüllung des Lebens, als im ordnungsgemäßen Kampf für Sparta tapfer fechtend zu fallen.“ (58)147
[346] Berve zeigt auch den artgemäßen Umgang mit dem „Gegenbild“ des aristokratischen spartanischen Kriegers: „Feigheit und menschliche Schwäche, die wie alles Menschliche dem Griechen an sich nicht fern lag, hätte in Sparta nicht nur den Mann, der wie ein Gezeichneter umhergegangen wäre, sondern schon den Knaben moralisch vernichtet, ihm vermutlich auch das Leben gekostet, um das er ge bangt hatte. Feige Naturen, die um so seltener waren, je höher im Laufe der Generationen der spartanische Mensch gezüchtet wurde, merzte bereits die mitleidlose Erziehung so gut wie völlig aus.“ (58f.)
146 Berve 1937, 13 [s. Anm. 133]. 147 Vgl. oben [316] zur „künstlerischen und heiteren Ansicht des Krieges“ bei K. O. Müller.
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Auf ähnlicher Argumentationslinie lagen die „Altspartanischen Kampfreden“ des Tyrtaios, die in der Übersetzung von Richard Harder abgedruckt waren (47–52).148 Ein Leitmotiv durchzog das ganze Arbeitsheft: die Opferbereitschaft der Spartiaten in der Thermopylenschlacht. Den weitaus größten Teil dieser Publikation nahmen Abschnitte aus Herodot, Thukydides, Xenophon, Plutarch und anderen antiken Autoren ein, deren Auswahl und Präsentation gewissermaßen antike und moderne Spartalegenden zusammenführte. Im Quellenteil werden zwei Passagen K. O. Müllers über die „Krypteia“ abgedruckt, die auf der Linie der Harmonisierung bzw. Idealisierung spartanischer Institutionen liegen. Müller wendet sich z. B. gegen „eine sehr einseitige Vorstellung (...) von dieser eigentümlichen Sitte“, die „eine hervorspringende Einzelheit herausnehmend aus einem innerlich verbundenen Ganzen und an dieser eine Kritik übend, die entweder den Geist der nationalen Sitte überhaupt treffen sollte oder gar nichts“ (92). Die Beurteilung der Sitte, den „Unterhalt aus den Häusern und Höfen, in denen sie jetzt als gänzlich fremd angesehen wurden, durch allerlei schlaue Anschläge und Listen mühsam und kümmerlich zusammen(zu)rauben, der gelegenem Zeitpunkt oft ganze Nächte hindurch erlauernd und dabei immer der Gefahr, Schläge zu bekommen, ausgesetzt“ stellte Müller unter den folgenden „unbefangenen“ Gesichtspunkt: „Die Verhältnisse des Besitzes sollten einen Anlaß mehr zur Stärkung und Übung des Mutes und der List hergeben, dadurch, daß sie in einem kleinen Kriege von einer Seite festgehalten von der andern angegriffen wurden“ (92f.). Müller fand hier „Überreste und Erinnerung“ an die Zeiten des „alten Bergleben(s) der Dorier am Öta und Olympos in beschränkter und gedrängter Lage und in beständigem Kampfe mit den glücklicheren Besitzern der fruchtbaren Ebene“. Die Einrichtung, welche „die gesamte Nation in ihrer früheren Jugend stählte und kräftigte“, fand man „nun auch zur Erziehung der Individuen desselben Alters geeignet (...)“ (ebd.).149 [347] Müller ging es darum, die schon in der Antike angelegten „Verzerrungen“ und „Miß verständnisse“ des mit dem Vorwurf des „heimlichen Helotenmords“ belasteten Instituts aufzuheben. Müller habe, wie der Herausgeber O. W. v. Vacano die einschlägigen Passagen kommentierte, in seinen Doriern den „Versuch unternommen, dieses grausame Zerrbild zu berichtigen“, das Vorstellungen von „planmäßiger“ Beseitigung ,,alle(r) irgendwie bedeutenden Heloten und alle(r) überzähligen Heloten“ durch eine „staatliche Geheimorganisation“ vermittelte (93). Daß die modernen Spartainterpreten im Umfeld der Adolf Hitler-Schulen gerade in diesem Zusammenhang die Argumentationshilfe Müllers in Anspruch nahmen – auch gegen die antike Überlieferung – kennzeichnet nicht allein das Bild, das hier von einer „nordischen Herren schicht“ entworfen werden soll, sondern auch die Gesamttendenz dieser Schrift deutlich genug. Die Passagen, die hier (92–94) aus den Doriern zitiert werden, sind im Abschnitt „Spartas Jugend“ gewissermaßen „gleichrangig“ zwischen einschlägigen Auszügen aus Plutarch, Aelian und Xenophon eingeordnet, deren Autorität der Verfasser der Dorier gleichkommt. Dement sprechend ist eine Kurzbiographie aus der Feder von O. W. v. Vacano in dem umfänglichen Ab schnitt „Quellen und Abbildungen“ zwischen Plutarch und dem „Apoll von Olympia“ plaziert (110). Müller findet Würdigung als eine „deutsche Forscherpersönlichkeit von weiten Ausmaßen“. In dem Überblick über seine wichtigsten Schriften rühmt man die Dorier als „die bisher umfas148 Dazu Losemann 1977, 172 [s. Anm. 82]. 149 Vgl. Müller D 2.38f.
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sendste Darstellung der Schicksale und Leistungen dieses Stammes“. „Es gibt“, so resümiert v. Vacano, „kaum eine neuere Arbeit über Sparta und die Dorier, die nicht von ihr zehrte“ (ebd.). Franz Miltner würdigte diese „Erziehungshilfe“ der Altertumswissenschaft für die Adolf Hitler-Schulen „als eine der besten Arbeiten über Sparta“ und wertete sie als Anzeichen dafür, „daß gerade gediegene nationalsozialistische Erziehung die richtig verstandenen Werte der Antike zu heben gewillt und fähig ist“. Der Rezensent Franz Miltner stellte sich weiter die Frage, ob „in dem Charakter der Mono graphie die Gefahr einer Überbewertung Spartas gegeben“ sei.150 Mit Hinweis auf ein weiteres Arbeitsheft der Adolf Hitler-Schulen über Athen, das über das Manuskriptstadium nicht hinausgekommen ist, verwahrt sich ein früheres Mitglied des Erzieherkollegiums der AHS gegen den Eindruck einer beabsichtigten Überbewertung Spartas im Rahmen der NS-Eliteschulen.151 Der Hinweis ist nicht unwichtig, dennoch bleibt es keine Frage – das belegen die ,SpartaAktivitäten‘ der Adolf Hitler-Schulen und ähnlicher NS-Institutionen und [348] eine nicht geringe Zahl von Publikationen –, daß Sparta d a s Modellthema war, das durchaus bewußt zuerst in Angriff genommen wurde. Wie im Falle von Berves nicht ausgeführtem Plan, ein Werk über Athen zu schreiben, der oben erwähnt wurde,152 ergibt sich hier ein anderer ,Nachwirkungseffekt‘, der letzten Endes auch für K. O. Müllers Bände über die Dorier aus den unvollendeten Geschichten Hellenischer Stämme und Städte gilt. In diesem zeitlichen Rahmen, in den diese Zeugnisse nationalsozialistischer Spartarezeption während des zweiten Weltkrieges gehören, entstanden – daran muß hier noch einmal erinnert werden – R. Borchardts 1944 abgeschlossene Epilegomena zu Homeros und Homer. Auch wenn diese Schrift keine Breitenwirkung entfaltete, belegt sie, daß gerade die Geschlossenheit der „Dorier-Konzeption“ Müllers, die „mächtige geschlossene Anschauung“, eine ganz wichtige Voraussetzung für ihre Nachwirkung war.153 Das romantische Konzept der Stämme, das ausgeprägt positive Wesensbild der Dorier bzw. Spartaner bot Anknüpfungspunkte für aktualisierende Ideal- und Modellvorstellungen von einem urtümlich rassereinen Staat. Für das eigentlich historische Sparta greifen die Spartaverehrer der 30er Jahre bezeichnender Weise nicht oder nur kaum auf Müllers Werk Die Dorier zurück. Ganz zweifellos ist dieses Werk bzw. diese Konzeption durch die kleinen Spartamonographien von H. Berve, H. Lüdemann und das Schulungsheft der Adolf Hitler-Schulen – damit sind nur die wichtigsten Belege genannt – breiteren Kreisen vermittelt worden. Die Intentionen Müllers, vor allem seine spätere distanzierte Einstellung zu dem Werk, spielen in diesem Nachwirkungsprozeß keine Rolle. Gleichwohl wäre es interessant zu wissen, ob die Dorier diese Wirkung auch entfaltet hätten, wenn Müller doch noch „eine einigermaßen vollendete griechische Geschichte“ vorgelegt hätte.154 150 F. Miltner, Bericht über Schrifttum aus dem Jahre 1940 zur griechischen Geschichte, in: Klio 35 (1942) 136. 151 M. Klüver, Die Adolf-Hitler-Schulen. Eine Richtigstellung, Plön³ 1985, 55, Anm. 15. 152 Vgl. oben [329]. 153 Borchardt 1956, 105 [s. Anm. 93]. Vgl. oben [336ff.] – Zu den nicht vollendeten Schriften Borchardts gehört ein „Dorer-Fragment“, das 1943 entstand. Vgl. U. Ott, Borchardts Epilegomena zu Homeros und Homer, in: Silvae. Festschrift für E. Zinn, Tübingen 1970, 162. 154 Vgl. C. O. Müller, Lebensbild in Briefen an seine Eltern mit dem Tagebuch seiner italienisch-griechischen Reise, hrsg. v. O. und E. Kern, Berlin 1908, 62.
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Nr. 7 Originalpublikation in: P. Kneissl / V. Losemann (Hrsg.), Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ zum 75. Geburtstag, Franz-Steiner, Stuttgart 1998, 492–518. [Der Aufsatz ist auch in einer erweiterten ungarischen Fassung (A. Diskurosok: Franz Altheim és Kerényi Karoly. Egy barátság szakaszai, in: J. G. Szilágyi (ed.), Mitologia és humanitas, Budapest 1999, 111–144) sowie einer kürzeren italienischen Vortragsfassung („I Dioscuri“: F. Altheim e K. Kerényi – tape di una amicizia, in: L. Arcella (ed.), K. Kerényi: incontro son il divino, Roma 1999, 17–28) erschienen.]
Die „Krise der Alten Welt“ und der Gegenwart . Franz Altheim und Karl Kerényi im Dialog* Denn diese Ereignisse haben uns allesamt – gleich an welcher Stelle wir standen – gepackt und fortgerissen; sie haben uns niedergeworfen und sind über uns hinweggegangen; sie haben uns die eigene Fragwürdigkeit in einer Weise enthüllt, daß uns der Geschmack an jedem Richteramt vergällt ist. Vor allem: sie haben uns selbst umgeformt – so sehr, daß keiner aus den Schmelzprozeß des letzten Vierteljahrhunderts, als derselbe herausgekommen ist, als der er darin eintrat. (Franz Althein, Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum, Bd. 1, Halle 1948, 2)
[492] Die meinem Beitrag vorangestellte Sentenz aus der Einleitung von Franz Altheims „Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum“ von 1948 lenkt den Blick zunächst auf die Krise der Gegenwart. Im Werk des Althistorikers Franz Altheim (1898–1976) ist die „Krise der Alten Welt“, eines seiner großen Themen seit den dreißiger Jahren, im übertragenen Sinn mehrfach mit der Krise der Gegenwart [493] verschränkt. Dies zeigt sich vordergründig in der Entstehungsgeschichte seiner Werkreihe zur Krise des 3. Jahrhunderts und in ganz elementarer Weise darin, wie F. Altheim und K. Kerényi vor allem im Zweiten Weltkrieg von der Krise der Gegenwart ergriffen und betroffen wurden. Diese Wechselbeziehung zwischen den „Krisen“ hat in z. T. dramatischen Wendungen in einem brieflichen Dialog, den die zwei alten Freunde vor allem in der Kriegszeit führten, starken Ausdruck gefunden. In der Regel folgt die Darstellung – das prägt sie nachdrücklich – dem Fortgang des Briefwechsels, nur gelegentlich werden auch andere Dokumente herangezogen.1 *
Vorbemerkung: Bei der Abfassung dieses Beitrags habe ich von vielen Seiten Hilfe erfahren: An erster Stelle möchte ich Frau Magda Kerényi (Ascona) herzlich danken, die mir den Briefwechsel zwischen F. Altheim und K. Kerényi, der sich zum größten Teil in Ascona befindet, zugänglich machte und in
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Damit beginne ich im Jahre 1943, als die Freundschaft zwischen Kerényi und Altheim in eine kritische Phase kam. Karl Kerényi (1897–1973) hatte Ungarn, wie man damals glaubte, nur vorübergehend verlassen, um in der Schweiz als international angesehener Gelehrter ein „anderes Ungarn“, das die Annäherung an die demokratischen Länder suchte, zu repräsentieren.2 Franz Altheim schrieb aus Halle, wo er schon seit 1936 das Fach Alte Geschichte vertrat.3 Ein weiterer Abschnitt des Briefwechsels von 1946 bis 1949 gehört in die Nachkriegszeit, in der Altheim weiter in Halle, in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, lebte, während Kerényi in der Schweiz blieb. In der letzten Phase der Korrespondenz von Ende 1949 bis ca. 1960 wirkte Franz Altheim dann an der „Freien Universität“ in Westberlin. In dem schon angedeuteten Sinne treten zeitgeschichtliche Aspekte im Zusammenhang des Zweiten Weltkriegs stark in den Vordergrund, wobei der Briefwechsel immer auch ein Austausch von zwei eigenwilligen Wissenschaftlern bleibt. Eine im engeren Sinne wissenschaftsgeschichtliche Auswertung des Materials, die die Konzeption Kerényis und Altheims ausführlich würdigt, kann in diesem Zusammenhang nicht geleistet werden.
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Begleitung meiner Arbeit mit zahlreichen Gesprächen und Auskünften vielfältig weiter erschlossen hat. – Sehr zu danken habe ich ferner Frau Prof. Dr. Ruth Altheim-Stiehl (Münster), die mir großzügig Einzelstücke aus dem Briefwechsel sowie Bildmaterial überlassen und außerdem viele wichtige Hinweise zu F. Altheim einschließlich einer kritischen Stellungnahme zu einer früheren Fassung des Manuskripts gegeben hat. Die „Erinnerungsarbeit“ an den Briefen und in den Gesprächen in Ascona und Münster hat mich mit Leben und Werk von F. Altheim und K. Kerényi auf eine eindrückliche Weise etwas vertrauter gemacht. Das schließt freilich Irrtümer, für die ich einzustehen habe, nicht aus, es kann aber auch Anlaß zu weiterer Beschäftigung mit diesem Themenkreis sein. Schließlich danke ich Herrn Prof. Dr. Thomas Köves-Zulauf (Marburg) herzlich dafür, daß er zahlreiche Passagen aus ungarischen Texten übersetzt und damit zusammenhängende Fragen mit mir besprochen hat. In diesem Sinne ist schließlich Herrn Dr. Jänos György Szilägyl (Budapest) zu danken, der mir mit Auskünften und bei der Beschaffung von Material aus Ungarn behilflich war. Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags war ein Vortrag auf dem „Convegno internazionale Käroly Kerényi: Incontro con il Divino“ in Mailand (24.–25. Oktober 1997). Den Veranstaltern und Referenten, insbesondere Herrn Prof. Arcella (Universität L’Aquila) und Frau Dr. Cornelia Isler-Kerényi (Zürich) gilt ebenfalls herzlicher Dank für zahlreiche Anregungen. Auf die Briefe wird mit Datumsangabe in runden Klammern (...) in der Regel im Text verwiesen. Das in Einzelfällen benutzte Aktenmaterial zu Franz Altheim aus den Beständen des ehemaligen Berlin Docu ment Center (BDC), das jetzt vom Bundesarchiv (Berlin) verwahrt wird, zitiere ich in den Anmerkungen mit der Foliierungsnummer (fol. ...). Vgl. Th. Köves-Zulauf, K. Kerényi (1897–1973), in: Eikasmos. Quaderni Bolognesi di Filologia Classica IV, 1993 (= Festschrift für Ernst Vogt), 243 (= Köves-Zulauf 1993). Zum Gesamtwerk (mit Bibliographie) vgl. A. Magris, Carlo Kerényi e la ricerca fenomenologica della religione, Mailand 1975; für eine weitere Bibliographie vgl. M. Kerényi, A Bibliography of C. Kerényi, in: C. Kerényi, Dionysos. Archetypal Image of Indestructible Life, Princeton 1976, 445–474; W. Burkert, Griechische Mythologie und die Geistesgeschichte der Moderne, in: W. den Boer (Hrsg.), Les études classiques aux XIXe et XXe siècles, Genf 1980 (Entretiens sur l’antiquité classique XXVI), 191ff. und R. Schlesier, Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800, Frankfurt 1994 (= Schlesier 1995); vgl. demnächst die Akten der Tagungen im Jahre 1997 in Ascona und Mailand. Zu ihm vgl. Karl Christ, Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1982, 246–254 (= Christ 1982); G. Sanders, Gnomon 50, 1978, 789–791; E. Merkel, F. Altheim. Bibliographie seiner Schriften, Frankfurt 1958 (mit Rezensionen) (= Merkel 1958); eine weitere vorzügliche, ebenfalls von E. Merkel bearbeitete Bibliographie in: R. Stiehl / H. E. Stier (Hrsg.), Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben (Festschrift für F. Altheim), Bd. 2, Berlin 1970, 390–426, erschließt das Werk Altheims mustergültig (= Merkel 1970).
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Wir treffen in den Briefen auf einen sehr offenen Dialog, der sich von dem Austausch mit anderen prominenten Briefpartnern der Freunde – etwa dem [494] Kerényis mit Thomas Mann4 oder dem Altheims mit Oswald Spengler – deutlich abhebt.5 Wie schon die Anreden zeigen, sind ihre Briefe von einem vertrauten Ton geprägt, der sehr persönliche Dinge – Altheim äußert sich auch zu seinem Privatleben –, bisweilen apodiktische, sehr drastische Kritik, auch an Kollegen, einschließt. Vom Ton her beansprucht Kerényi eine „Führungsrolle“. Auf beiden Seiten begegnen ein ausgeprägtes Bedürfnis zur Selbstdarstellung, Angriffslust, Ironie bis hin zum Zynismus und überschwengliches Lob. Dies ist besonders zu bedenken, wenn in den kritischen Phasen der Freundschaft und der Zeit auch scharfe Töne anklingen. Dahinter stehen nicht nur verschiedene Temperamente, sie sind auch Ausdruck unterschiedlicher Reaktionen auf Krisen, denen menschliche und wissenschaftliche Existenz z. B. in totalitären Systemen ausgesetzt sind. Die frühen Etappen dieser Freundschaft, auf die man später nostalgisch zurückblickt, sollen nur sehr kurz angesprochen werden: Beide lernen sich wohl 1932 an der italienischen Riviera zufällig kennen. In seinen „Tage- und Wanderbüchern 1953–1960“ erwähnt Kerényi Franz Altheim als seinen „Reisegefährten am Anfang der dreißiger Jahre“.6 Wenn sich die Freunde als geistige Zwillinge, als „Dioskuren“ – das begegnet später gelegentlich – bezeichnen, stammt das wohl aus der Anfangszeit ihrer Freundschaft.7 Franz Altheim zählte zum Schülerkreis von Walter F. Otto in Frankfurt. Seine Arbeiten zur altitalischen und römischen Religionsgeschichte boten genug Ansatzpunkte für engen Kontakt und eine Freundschaft mit Karl Kerényi, der seit 1929 mit W. F. Otto in Verbindung stand. Die gemeinsame Verankerung in dieser „Frankfurter Schule“8 schloß auch die Verbindung zum Kreis um Leo Frobenius, dem Institut für Kulturmorphologie9 und seit 1934 zur „Doorner Arbeitsgemeinschaft“, einer von Kaiser Wilhelm II. gegründeten wissenschaftlichen Gesellschaft, ein.10 1936 arbeitete Altheim an der von Kerényi in ungarischer Sprache herausgegebenen „Universalgeschichte“11 ebenso mit wie wiederholt an Sommerkursen [495] der Universität Debrecen. Im Vorwort zum ersten Band der Universalgeschichte rühmte Kerényi Franz Altheim „als Bahnbrecher auf dem Gebiet der römischen Geschichte, der die Tradition 4 Th. Mann – K. Kerényi, Gespräch in Briefen, Zürich 1960 (= Mann / Kerényi 1960). 5 Vgl. etwa die zwei Briefe Altheims an Spengler v. 28.2.1935 und 17.5.1935, in: O. Spengler, Briefe 1913– 1936, hrsg. v. A. M. Koktanek, München 1963, 738–740 (= Spengler 1963). – Siehe auch F. Altheim, Briefe an einen Verleger. Max Niedermayer zum 60. Geburtstag, Wiesbaden 1965. 6 K. Kerényi, Tage- und Wanderbücher 1953–1960, München / Wien 1969, 401f. und ders., Auf den Spuren des Mythos, München / Wien 1967, 79f. 7 Dazu die Widmung „Gemello Castori. Gemellus Castoris“ in Altheims Werk „Italien und Rom“ in den Auflagen von 1941 bis 1951; vgl. Merkel 1970, Nrn. 58, 76, 82, 104 [s. Anm. 3]. 8 Dazu die jetzt gesammelt vorliegenden Arbeiten H. Canciks in: Ders., Antik – Modern. Beiträge zur römischen und deutschen Kulturgeschichte, hrsg. v. R. Faber u. a., Stuttgart / Weimar 1998, Kap. II (= Religionsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert) 139–186, sowie Schlesier 1995, 215ff. [s. Anm. 2]. 9 Dazu und generell zur Frankfurter Atmosphäre auch N. Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt a. M., Bd. I, Neuwied-Frankfurt/M. 1989, 71ff. und 88ff. (= Hammerstein 1989). 10 Vgl. H. Wilderotter, Zur politischen Mythologie des Exils. Wilhelm II., Leo Frobenius und die „Doorner Arbeits-Gemeinschaft“, in: Ders. u. H. Pohl (Hrsg.), Der letzte Kaiser Wilhelm II. im Exil, Berlin 1991, 141. 11 Siehe K. Kerényi (Hrsg.), Universalgeschichte 1: Geschichte des Altertums [ungar.], Budapest 1936 (= Kerényi 1936); vgl. Merkel 1970, Nr. 24 [s. Anm. 3].
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Mommsens“ – das trifft Züge seiner Konzeption – „mit einer organischeren und kunstmäßigeren Tradition ergänze“.12 Damit sind die wissenschaftlichen Kontakte kurz angesprochen. Im eher privaten Bereich fungiert Altheim 1936 als Trauzeuge Karl Kerényis. Bilder, die mir vorliegen, zeigen Karl und Magda Kerényi, Altheim und Frobenius bei den Felsbildzeichnungen in der Val Camonica; sie dokumentieren auf andere Art wissenschaftliche Zusammenarbeit und enge Freundschaft. Gemeinsame Reisen führten 1938 und in dem folgenden Jahr nach Schweden, Griechen land und Italien. Die für längere Zeit letzte persönliche Begegnung fand wohl nach dem Aus bruch des Zweiten Weltkriegs in Ungarn statt.13 Eine andere Vorstellung von dem Umfeld der beiden Freunde vermittelt Antal Szerb in seinem (Schlüssel-)roman „Der Wanderer und das Mondlicht“.14 Hinter der Person des „Rudi Waldheim“ sind unschwer unkonventionelle, lebensvolle Züge Altheims zu erkennen, die auf eine enge Vertrautheit Szerbs mit dem Leben der „Dioskuren“ schließen lassen. Da begegnen – neben vielen Frauen – Religionshistoriker und Altphilologen in Rom – „Religionsgeschichte“ wird geradezu als Lebensform, als die „aktuellste aller Wissenschaften“ empfohlen.15 Es verdeutlicht auch seine wissenschaftliche Konzeption, wenn „R. Waldheim“/Altheim einem Gesprächspartner ein „Produkt der Marke Spengler“ anbietet.16 Im Werk Altheims lassen sich Spuren der Auseinandersetzung mit Spengler aufnehmen.17 Spengler, den H. E. Stier auf Alt heim aufmerksam gemacht hatte, versprach sich von diesem „einmal eine römische Geschichte, die endlich die von Mommsen ersetzen kann“.18 Altheims Projekte wurden seit 1937 auf Vermittlung seiner langjährigen Mitarbeiterin Erika Trautmann-Nehring von dem „Reichsmarschall“ Hermann Göring unterstützt. Die Verbindung zu diesem war auch der weiteren Hochschulkarriere Altheims förderlich. Seit 1937 arbeitete Altheim mit der Lehr- und Forschungsgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ zusammen, die zum Organisationsbereich der SS bzw. Himmlers gehörte.19 Unter dem Dach dieser Organisation [496] genossen z. T. sehr angesehene und ernst zu nehmende Wissenschaftler aus den verschiedensten Sparten großzügige Unterstützung; mit dem Namen „Ahnenerbe“ sind aber auch verbrecherische Menschenversuche verbunden.20 Im nationalsozialistischen Wissenschaftsbetrieb besaß „Das Ahnenerbe“ höheres Ansehen als die entsprechenden Institutionen, die von Alfred Rosenberg eingerichtet wurden. 12 Kerényi 1936, XV. 13 Vgl. V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977, 90 (= Losemann 1977). 14 A. Szerb, Der Wanderer und das Mondlicht (ungar.), Budapest 1937. Zitiert wird nach der deutschen Ausgabe Budapest 1970 (= Szerb 1970); vgl. Köves-Zulauf 1993, 241 [s. Anm. 2]. 15 Szerb 1970, 192ff. und 203. 16 Szerb 1970, 211. 17 Diese müßten genauer analysiert werden. Vgl. etwa F. Altheim, Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum, Bd. 1, Halle 1948, 16. Zu Spuren Spenglers in Altheims „Weltgeschichte Asiens im griechischen Zeitalter“, Bd. 1, Halle 1948, vgl. M. Willing, Althistorische Forschung in der DDR. Eine wissenschaftsgeschichtliche Studie zur Entwicklung der Disziplin Alte Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart (1945–1989), Berlin 1991, 44 (= Willing 1991). 18 So O. Sprengler an H. E. Stier v. 6.6.1934, in: Spengler 1963, 728 [s. Anm. 5]. 19 Zur Rolle Altheims im „Ahnenerbe“ vgl. Losemann 1977, 123–139 [s. Anm. 13]. 20 Dazu generell: M. H. Kater, Das Ahnenerbe der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München ²1998 (= Kater 1998).
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Zweifellos war Altheim kein überzeugter Nationalist, dafür darf eine Aussage Rosenbergs stehen, der 1935 den „in keiner Weise als Nationalsozialist verdächtige(n) Franz Altheim“ als Gewährsmann für seine Etruskerdarstellung bemühte.21 Am Anfang seiner Laufbahn kann man – das legt zumindest die Mitarbeit im Doorner Arbeitskreis nahe – eher von einem konservativen Habitus sprechen. Seine Runen- und Felsbildforschungen waren für Himmler als einem der wichtigsten Repräsentanten der nationalsozialistischen Germanenideologie besonders attraktiv.22 Altheim seinerseits hat in beträchtlichem Umfang auf finanzielle Mittel und die Förderung des „Ahnenerbes“ zurückgegriffen. Das belegen seine Forschungsreisen ebenso wie seine Publikationen. Er „galt“, wie M. H. Kater formuliert hat, „als einer der Stars unter den im ‚Ahnenerbe‘ aufgehobenen Gelehrten“.23 Altheim war – dieses Urteil bezieht sich auch auf die Zeit nach 1945 – ganz sicher ein unkonventioneller, aber auch, wenn man an den Radius seiner Forschungen denkt, die die Grenzen des klassischen Mittelmeerraums sprengen, ein faszinierender Althistoriker. K. Christ hat Altheim als den Forscher gewürdigt, „der die Perspektiven der deutschen Althistorie am stärksten ausgeweitet und das neuhumanistische Geschichtsbild am entschiedensten überwunden hat“.24 So weit die wenigen Bemerkungen zur Ausgangslage des Dialogs. Der mir zugängliche Briefwechsel setzt im Juli 1940 ein. Man tauscht darin akademische Nachrichten, Reise- und Publikationspläne aus und diskutiert Einzelfragen. In dem ersten Brief, den Altheim am 23.4.1943 in das neue Schweizer Domizil Kerényis schickt, berichtet er von der Arbeit an seinem Werk „Die Krise der Alten Welt“, das zu der Reihe der von Himmlers „Ahnenerbe“ geförderten Schriften [497] zählt.25 Das Werk sollte als „Beispiel deutscher Gelehrtenarbeit im Kriege“ mit einer hohen Auflage für das Ausland herauskommen. Nach dem Abschluß des auf drei Bände veranschlagten Vorhabens wollte Altheim die „politische Geschichte“ wieder verlassen und sich erneut der Religionsgeschichte zuwenden. Kerényi reagierte am 6. September 1943 auf die Zusendung des ersten Bandes mit deutlicher Kritik an der „veraltete(n) Dekoration“ und dem Vorwort. Gemeint war damit das mit ‚neuzeitlicher‘ Runenschrift umrandete Signet des „Ahnenerbes“, ein anderes Emblem, schließlich der Dank an den Reichsmarschall Göring und den „Reichsführer-SS“ (mit der SS-Rune!) und das übliche Geleitwort Himmlers.26 Offenbar hatten Altheim und Kerényi schon früher, vermutlich im Zusammenhang mit dem Erscheinen 21 A. Rosenberg, An die Dunkelmänner unserer Zeit, München 1935, 71. Ein aufschlußreiches Gutachten des Frankfurter Dozentenbundes kam zu demselben Ergebnis. Man verwies dort auch auf „einen schöpferischen, fast bis ans Künstlerische reichenden Individualismus Altheims“; vgl. Hammerstein 1989, 426f. [s. Anm. 9]. 22 Vgl. K. von See, Barbar, Germane, Arier, Heidelberg 1994 und A. Lund, Germanenideologie im Nationalsozialismus, Heidelberg 1995. Zu Altheims Runen- und Felsbildforschung vgl. auch U. Hunger, Die Runenkunde im Dritten Reich – Ein Beitrag zur Wissenschafts- und Ideologiegeschichte des Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1984, 263–278. 23 Kater 1998, 79 [s. Anm. 20]. 24 Christ 1982, 303 [s. Anm. 3]. Den fesselnden Universitätslehrer Altheim würdigt G. Mühlpfordt: Franz Altheim (1898–1976) als Lehrer und Mensch, in: Klio 60 (1978) 635–639 (= Mühlpfordt 1978). 25 Bde. 1 und 3, Berlin 1943 (= Deutsches Ahnenerbe, Reihe B: Fachwissenschaftliche Untersuchungen, Abt.: Arbeiten zur Alten Geschichte Bd. 2.3); vgl. Merkel 1970, Nr. 77 [s. Anm. 3]. 26 Das Geleitwort auf dem Vorblatt beider Bände der „Krise“ lautete: „Ein Volk lebt so lange glücklich in Gegenwart und Zukunft, als es sich seiner Vergangenheit und der Größe seiner Ahnen bewußt ist.“
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von Altheims „Soldatenkaisern“ von 1939,27 über das Bekenntnis zum „Ahnenerbe“ gesprochen: „Du fragtest mich früher, ob Du auf derartige Ornamente nicht eher verzichten solltest, hast es aber trotz meiner Bedenken nicht getan.“ Die Kritik Kerényis an der Verbindung Altheims mit der SS und deren weiteren Im plikationen bezog sich auch auf die Nähe Altheims zur nationalsozialistischen Germanen ideologie (23.11.1943). Die Schärfe seiner Kritik zeigt eine Indiskretion des Verlegers Kollár,28 der Altheim von der „Ansicht“ Kerényis berichtet habe, „ich müßte nach dem Kriege wahrscheinlich 4–5 Jahre gänzlich schweigen und mich dann durch eine besondere geistige Leistung ‚rehabilitieren‘ (...)“. Altheim bat um rückhaltlose Aufklärung, konnte er sich doch nicht vorstellen, daß derartige Äußerungen von Kerényi stammten. „Deine letzten Briefe an mich“, so schrieb er am 7.2.1944, „gehörten zur schwersten Belastung, der unsere Freundschaft ausgesetzt war“. Für ihn bedeutete es eine schwere Überwindung, die Korrespondenz überhaupt fortzusetzen. Abgesehen davon äußerte sich Altheim zu aktuellen Publikationsplänen, wie vor allem zu dem geplanten Buch „Hellenismus in Asien“, hinter dem er, anders als die Philologen, die „eigentliche geschichtliche und kulturelle Großtat“ sah. Der „Hellenismus in Asien“ schien ihm die schlagende Parallele zu dem Verhältnis der europäischen Kolonialmächte zu Asien zu sein. „Die Befreiung und Wiedererweckung Asiens ist wahrscheinlich der bedeutendste geschichtliche Vorgang [498] der Gegenwart, das entscheidende Ereignis hinter vielem, was jeweils stärker in den Blick fällt“. Die Vorliebe Altheims für die Erweiterung des Raumes der Alten Geschichte, für weltgeschichtliche Perspektiven und ihre Verbindung mit Zeitgeschichte und aktuellem Geschehen fällt hier wiederum ins Auge und illustriert auch Kerényis Befürchtungen. Bemerkenswert ist auch, daß Altheim dieses Buch im Augenblick „wichtiger und aktueller“ schien als das Projekt „Römische Religion der Kaiserzeit“, die nur auf eine „geschichtliche Spiegelung der gegenwärtigen geistigen Krise hinauslaufen“ würde, die „genug beredet“ sei. „Zur ,Religion‘“ gehört – auch das eine aufschlußreiche Bemerkung, die eine verstärkte Distanz zu Kerényi markiert – „mehr Altersweisheit als ich sie vorerst besitze (..).“. Die Hoffnung Altheims auf eine rückhaltlose Antwort Kerényis wurde nicht enttäuscht: Kerényi sah sich in seinem Brief vom 21.2.1944 zu „schwer zu ertragender Offenheit“ genötigt. „Wäre meine Freundschaft nicht, so hätte ich zu Deinen mir in der letzten Zeit zugeschickten Arbeiten kühl geschwiegen (...)“. Ausdrücklich bezog er sich dabei auf Altheims „Krise“ und die Arbeit „Goten und Finnen“.29 Im Zusammenhang damit stellte er die Frage, wie Altheim sich seine Zukunft denke, gemeint war die Zukunft nach dem Krieg. Er beschwor Altheim, nicht „in jene falschesten Träumereien eines Weltgeschichteprofessors“, denen er sich 1939 hingegeben habe, zurückzufallen. Insgesamt wird hier schon eine ganz erhebliche Distanz zwischen Altheim und Kerényi deutlich, die mit Altheims Stellung zum NS-Staat, seiner Verbindung 27 Siehe Merkel 1970, Nr. 43 [s. Anm. 3]. – F. Altheim und Erika Trautmann verhandelten seit 13.1.1941 mit dem „Ahnenerbe“ über eine „erweiterte Bearbeitung“ der ,Soldatenkaiser‘. Vgl. Aktenvermerk Sievers 13.1.1941 (fol. 22–23) und ein undatiertes Exposé über das dreibändige Werk mit dem endgültigen Titel „Krise der Alten Welt im 3. Jahrhundert n.Chr. und ihre Ursachen“ (fol. 32–33). Zeitweise erwog man den Titel „ehernes Zeitalter“ (fol. 49). 28 Kollár war mit der Pantheon Verlagsanstalt Amsterdam-Leipzig ein gemeinsamer Verleger Altheims und Kerényis, mit dem es, wie ihren Briefen zu entnehmen ist, später zu langwierigen Auseinandersetzungen kam. 29 F. Altheim, Goten und Finnen im 3. und 4. Jh., Berlin 1944 (= Geschichte als Gegenwart).
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zum „Ahnenerbe“ Himmlers, seiner Position im Zweiten Weltkrieg und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für seine wissenschaftliche Produktion zusammenhängt. Verweise auf frühere Gespräche zeigen auch, daß der Dissens zumindest am Beginn des Zweiten Weltkrieges vorhanden war. Altheim markierte am 6.3.1944 seinen Standpunkt wie folgt: „Du weißt, daß ich nie einen Zweifel darüber gelassen habe, wie ich zur Sache meines Volkes stehe, und daran hat sich nicht das Geringste geändert“. Er war bereit, dafür auch „Nachteile welcher Art auch immer“ in Kauf zu nehmen – auch den, daß Kerényi seine „hilfreiche Hand“ zurückziehen könnte. Was bleiben sollte, war gegenseitiger Respekt für letzten Endes unvereinbare Auffassungen. Altheim nahm auch in anderer Hinsicht eine Positionsbestimmung vor: Im Kontext von Äußerungen über den Begriff „das Wesen des Geistes“ – hierzu hatte Kerényi eine Abhandlung angekündigt – bekannte er, daß seine „Gesamtauffassung (...) immer mehr eine radikal historische, immer weniger eine ontologische“ (werde). Obwohl er seine „Möglichkeiten“ auf historischem Gebiet sah, war er dennoch bereit, von Kerényi „zu lernen und gegebenenfalls umzulernen“. Der Austausch über diese Fragen trat ab Mitte Mai ganz in den Hintergrund – der Briefwechsel nahm eine dramatische Wendung, es ging um das Schicksal von Grazia Kerényi (1925–1985): Am 16. Mai 1944 erhielt Altheim von Kerényi einen kurzen Brief, in dem er einleitend bat, „menschlich zu verstehen, daß wir in diesen Tagen nicht viel Zeit und Lust haben zur Korrespondenz“. [499] Zwischen Nachrichten über den Stand einzelner Buchprojekte findet sich folgende z. T. verschlüsselte Mitteilung: „Meine kleinen Töchter sind gesund, die kleinere von den größeren, Grazia, wurde vor 5 oder 6 Wochen in ein Sanatorium gebracht. Es ist eine furchtbar verzweifelte Sache, ich kann es Dir nicht erklären, aber es kann sich sehr wohl um einen ärztlichen Irrtum handeln. Ich wollte Dich bitten, vielleicht kennt jemand von Deinen wissenschaftlichen Mitarbeitern einen von den dortigen Professoren, der die Sache anders ansieht als einen gewöhnlichen Patienten. Du mußt Dich aber sofort umsehen, denn gerade in diesen Tagen entscheidet sich viel“. Im Klartext ging es um die Verhaftung von Kerényis damals 19jähriger Tochter Grazia (aus erster Ehe), die nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im März 1944 denunziert, am 3. April 1944 verhaftet wurde und über Gefängnisse und Lager in Budapest und Wien schließlich nach Auschwitz gelangte – dafür stand hier offensichtlich „Sanatorium“. Altheim, an den sich auch gemeinsame ungarische Freunde gewandt hatten, wurde, wie er am 25.5.1944 mitteilte, in der „Angelegenheit der Charitinnen“ – so der mit Grazia korrespondierende Deckname – aktiv.30 Im Zusammenhang der in Ungarn verstärkt einsetzenden Judenverfolgung wird das mögliche Ausmaß der Gefährdung der Tochter einer jüdischen Mutter an Altheims Frage deutlich: „Kennst Du die Mutter Grazias? Weißt Du, was sie nach ungarischem Gesetz ist? Das ist von grundlegender Wichtigkeit für eine andere Möglichkeit“.31 Auch diese Zeilen waren in eine anscheinend ganz normale wissenschaftliche Korrespondenz eingebunden. Das Brieforiginal Altheims zeigt außerdem Spuren der Zensurbehörde. Mitte 30 Altheim erwähnt ein Telegramm und Briefe des mit Kerényi gut befreundeten klassischen Philologen Dénes Kövendi (dazu vgl. unten Anm. 66) und von Schiller Pál(?). 31 Zum Gesamtkomplex jetzt M. Szöllösi-Janze, Die Judenpolitik in Ungarn in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg, in: Chr. Dipper u. a. (Hrsg.), Faschismus und Faschismen im Vergleich, Vierow 1998, 167–182 (mit neuerer Literatur) und das Standardwerk von R. L. Braham, The Politics of Genocide. The Holocaust in Hungary, 2 Bde., New York 1981.
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Juni 1944 war Altheim in Budapest vorstellig geworden. „Eine Eingabe an Herrn H.“ – also wohl an Himmler – so hob er nachdrücklich hervor, „ist nicht möglich, da er es regelmäßig und grundsätzlich ablehnt, in ein schwebendes Verfahren einzugreifen“.32 Er wiederholte die Frage nach der Stellung der Mutter „nach ungarischem Gesetz“ und ließ wissen, „nach deutschem ist ohnehin nichts zu machen“ (18.6.44). Der Vorgang ist im Briefwechsel nicht lückenlos dokumentiert. Die Lücken lassen sich z. T. mit den 1979 unter dem Titel „Utazäsok könyve“ (deutsch: „Buch der Reisen“) erschienenen Erinnerungen von Grazia Kerényi schließen.33 Wie [500] ihnen zu entnehmen ist, wurden die Mutter und Schwester Grazia Kerényis sowie die ungarischen Behörden vom Augenblick der Verhaftung an immer wieder bei der deutschen Botschaft und den Sicherheitsorganen (Gestapo) in Budapest und später in Wien vorstellig.34 Diese Initiativen können hier freilich nicht detailliert besprochen werden. Daß G. Kerényi „wegen ihrer freien Reden“35 gegenüber der deutschen Besatzung denunziert und verhaftet worden war, wurde im Verlauf der Rettungsbemühungen erst allmählich klar. Als Tochter einer jüdischen Mutter war sie aber noch stärker gefährdet. Altheim äußerte sich in seinem Brief vom 18.6.1944 auch zu den Schwierigkeiten für Kerényi, im deutschen Einflußbereich zu publizieren. Nicht der Verleger Kollár sei schuld, sondern die „Haltung“ Kerényis: „Man weiß anscheinend“, damit umschrieb Altheim mehr oder weniger offizielle deutsche Positionen zu Kerényi, „beträchtlich mehr als Du denkst“. Schließlich ging es um die angebliche Absicht Kerényis, aus der Schweiz nach Ungarn zurückzukehren, die er als ein „Glück“ ansah. Altheim nahm dies zum Anlaß einer „rückhaltlosen“ Äußerung und reagierte damit ganz offenbar spät und heftig auf die oben behandelte deutliche und offene Kritik Kerényis an seinem Engagement in Himmlers „Ahnenerbe“. Den Schweizaufenthalt Kerényis qualifizierte Altheim als „Rückzug in ein kulturelles Rückzuggebiet“. Trotz seiner dortigen Kontakte – „die ärztlich-psychologischen Kreise in Ehren“36 – sei Kerényi in dieser Umgebung „außer Berührung mit den entscheidenden Fragen, die heute die Welt (bewegen) – und das ist die kriegführende Welt – geraten“. Den Vorwurf Kerényis, er habe keine Nachkriegsperspektive, kehrte Altheim um: „Du willst doch von der Jugend gelesen werden, und, was glaubst Du, kann irgendwer, der Jahre vorne gestanden hat und den es nach geistiger Nahrung und Deutung der Zeit verlangt, mit Deinen letzten Schriften anfangen“. Für sich selbst nahm er in Anspruch, daß ihm das ge32 Diese Formulierung entspricht dem „Argumentationsmuster“ entsprechender „offizieller“ Antworten aus dem „Ahnenerbe“; vgl. dazu unten Anm. 48 – Zu Eingriffen Himmlers in schwebende Verfahren vgl. Kater 1998, 186 und 237 [s. Anm. 20]. 33 G. Kerényi, Utazäsok könyve Budapest 1979 (= Kerényi 1979). Die Reise 1, 9–128, umfaßt die „Erinnerungen an die Zeit meiner deutschen Gefangenschaft (3.4.1944–30.4.1945)“. Der Untertitel nimmt S. 9 ein Zitat des ungarischen Dichters Pilinszky auf: „Tödliche Stille. Gotische Buchstaben. Deutschland“. Ihre Rekonstruktion, die sie 1962 in Angriff nahm, stützt sich z. T. auch auf den Briefwechsel Altheim-Kerényi, der ihr 1961 in Ascona bekannt wurde. Vgl. insbesondere die Zitate 117–119. 34 Kerényi 1979, 119f. 35 So der Ausdruck, den Kerényi am 21.12.1944 gegenüber Th. Mann gebrauchte; vgl. Mann / Kerényi 1960, 101 [s. Anm. 4]. 36 Altheim spielte ironisch auf die seit 1939 angeknüpfte Verbindung Kerényis mit C. G. Jung an. Vgl. C. G. Jung / K. Kerényi, Das göttliche Kind in mythologischer und psychologischer Beleuchtung, Amsterdam 1940 (= Albae Vigiliae 6, 7).
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lungen sei und bezog sich dafür auf „hunderte von begeisterten Zustimmungen von jungen Leuten (...) aus den verschiedensten Ländern (...), die die ,Krise‘ I als das geschichtliche Buch bezeichneten.“ Der Band III war damals herausgekommen, der Band II gerade „verbombt“ worden. Altheim wollte die Wiederherstellung sofort in Angriff nehmen. Er unterstrich noch einmal die Deutungsabsicht seiner aktuellen Werke: „Wie die ‚Krise‘ natürlich die heutige Lage Europas, der Welt meint, so auch das neue Buch („Hellenismus in Asien“) die heutige Lage Asiens: Den Untergang der europäischen Herrschaft und das Wiedererwachen des Erdteils. Ich halte das“ – damit schloß diese Standortbestimmung – „für das zweite entscheidende Ereignis unserer Zeit“ (18.6.1944). [501] Es folgen schließlich weitere, heftige Vorwürfe: Kerényi habe nie nach dem Bombenterror und den Opfern, die die deutschen Städte, Altheim selbst und seine Angehörigen im Krieg erlitten hätten, auch nur gefragt, ebenso wenig wie nach den sonstigen Arbeits- und Lebensbedingungen. Anfang Juni verschlimmerte sich die Lage der Gefangenen. Am 15. Juni 1944 war sie, wie ein hilfsbereiter Vertreter der deutschen Botschaft mitteilte, in ein „Erziehungslager“ nach Wien verlegt worden.37 Wie ernst Kerényi diese Nachricht nahm, läßt sein Telegramm an Altheim erkennen38: „Grazia in Wien. Bist für sie verantwortlich“. Kerényi drohte in einem knappen Brief vom 10.7.1944 im Anschluß an das Telegramm mit „gerichtlichen Folgen“, die Altheim als „Mitwissender eines Verbrechens mittragen müsse (...)“. In diesem letzten Brief, den er in der Kriegszeit an Altheim richtete, beschwor er indirekt dessen Einflußmöglichkeiten in der SS: „Wenn Du aber mit bist, mußt Du helfen, denn es geht nun um Dich, persönlich“. In seiner unmittelbaren Antwort auf das Telegramm vom 11.7.1944 versprach Altheim „auch diesmal alles zu tun, was ich kann“, konnte aber insgesamt „nur ganz wenig Hoffnung machen“. Dazu gehört auch die Bemerkung, „daß man sich heute für anderes interessiere als für das Schicksal eines jungen Mädchens“. Die Verantwortung lag nach seiner Auffassung allein bei Kerényi: „Denn die Haltung des Vaters, die jedermann kennt, ist die schwerste Belastung, die jeder Aktion für Grazia im Wege steht. Jetzt erwartest Du von denselben Leuten, die Du geschmäht hast, Rettung“. Nach Altheim genoß Grazia Kerényi „noch eine Vorzugsbehandlung. (...) Andere müssen ganz anderes mitmachen“. Was blieb, war die Hoffnung, „daß irgendein Wunder möglich ist“. Ende Juli 1944 sah Altheim eine Rettungsmöglichkeit (Hervorhebung im Original), er fragte nach den Vorwürfen gegen Kerényis Tochter, dem Aufenthaltsort und dem Kommandeur des Lagers (27.7.1944). Kerényis oben erwähnten drohenden Brief vom 10.7.1944 hatte Altheim offenbar erst später erhalten: „Es ist im Interesse Deiner Tochter“, antwortete er gereizt am 27.8.1944, „nur gut gewesen, daß Dein Brief kam, nachdem ich meine Schritte getan hatte. Denn sonst hätte ich bestimmt keinen Finger mehr gerührt. Nun ist auf mein Betreiben hin ihre formelle Freilassung verfügt und die Erledigung wird hoffentlich nicht mehr allzulange dauern, eine Ausreise in die Schweiz kommt nicht in Frage“ (Hervorhebungen im Original).39
37 Nach Kerényi 1979, 120 [s. Anm. 33]. 38 Telegramm v. 9.7.1944 zitiert nach Altheim an Kerényi v. 10.7.1944. 39 Auch die Mutter G. Kerényis, die sich ebenfalls an Altheim gewandt hatte, erhielt eine gereizte Antwort, in der sich Altheim über die Drohungen K. Kerényis beschwerte; vgl. Kerényi 1979, 122 [s. Anm. 33].
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Die Erregung Kerényis ist sicherlich verständlich. Es bleibt aber fraglich, ob seine Reaktion in der gefährlichen Lage, die sich hier immer deutlicher abzeichnete, – allein schon aus taktischen Erwägungen – hilfreich war. Zweifel daran hatte offensichtlich auch Grazia Kerényi, die später von einem „unglaublich groben Brief“ ihres Vaters an Altheim sprach.40 [502] Mit dem Schreiben Altheims vom 27. August 1944 brach der Briefwechsel in der Kriegszeit ab. Altheim setzte sich aber weiter intensiv für Grazia Kerényi ein: In seinem ersten Brief an Kerényi nach dem Kriegsende vom 10. April 1946 (!) hat Altheim seine Bemühungen rekonstruiert. Er wollte damit versuchen, „die Ursache unseres Streites zu beseitigen.“ Der Darstellung Altheims folgt auch Grazia Kerényi in ihren Erinnerungen.41 Unmittelbar vor dem ,Ausbruch‘ der „Grazia-Krise“, die im Briefwechsel in insgesamt sieben Dokumenten behandelt wird, hatte sich Altheim zu Gunsten norwegischer Gelehrter beim „Ahnenerbe“ eingesetzt. Diese Bemühungen hätten, wie er Kerényi am 10.4.1946 mitteilte, seinen Einsatz für Grazia Kerényi zunächst behindert. Bevor ich ihren Fall weiter verfolge, möchte ich kurz auf den früheren Vorgang, der sich aus „Ahnenerbe-Akten“ z. T. rekonstruieren läßt, eingehen. Die Vorgeschichte ist indirekt zu erschließen aus einem Schreiben Altheims an das „Ahnenerbe“ vom 24. Februar 1944: Damals bemühte er sich auf wiederholte Bitten des Rektors der Universität Lund, Prof. Dr. Einar Löfstedt, noch einmal darum, über den „Reichsgeschäftsführer“ des „Ahnenerbes“ Wolfram Sievers eine Besserung der Lage des norwegischen Literaturwissenschaftlers Prof. Francis Bull (1887–1974) zu erreichen. Bull hatte damals schon eine „2½ Jahre lange Gefängniszeit“ hinter sich und war gesundheitlich „aufs Schwerste angegriffen“.42 Löfstedt fragte, ob es „möglich wäre, diesen Fall zu einer ebenso glücklichen Lösung zu bringen wie den Fall Seip, um den Sie sich ebenfalls so freundlich bemüht haben (...) .“43 Die Anfrage Löfstedts verweist auf die guten Kontakte Altheims nach Skandinavien.44 Löfstedt sprach den bekannteren Fall des Rektors der Universität Oslo, Prof. Dr. Didrik Arup Seip, an, der im Frühjahr 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert worden war. Auf Grund zahlreicher auch diplomatischer Interventionen wurde Seip aus dem Konzentrationslager entlassen und in München unter Hausarrest gestellt, wobei er einen Forschungsauftrag des „Ahnenerbes“ zu bearbeiten hatte.45 Sievers leitete den Hilferuf Löfstedts für Prof. Bull auf Anregung Altheims an den SSHauptsturmführer Prof. Hans Schwalm weiter, der im Rahmen des „Germanischen Wissen schaftseinsatzes“ in Norwegen tätig war.46 Schwalm gab die Information weiter, daß die zuständigen Stellen es als aussichtslos ansahen, „wenn hier auf anderen Wegen eingegriffen wird“ und verwies auf „erfolgversprechende [503] Bemühungen des SD“. Gleichzeitig riet er dazu, 40 Kerényi 1979, 122. 41 Kerényi 1979, 117–124. 42 Altheim an Sievers v. 24.2.1944 (fol. 54). A. zitierte ausführlich aus einem Schreiben Löfstedts v. 12.2.1944! 43 Zitiert nach Altheim an Sievers v. 24.2.1944 (fol. 54). 44 Vgl. Losemann 1977, 128 [s. Anm. 13]. 45 Dazu ausführlich Kater 1998, 179 und 327f. [s. Anm. 20], der die von Löfstedt bezeugte Beteiligung Altheims an den Befreiungsversuchen für Seip nicht erwähnt. – Zur Rolle Seips, der als Mitglied des „Administrationsrates“ das Kirchen- und Unterrichtsministerium leitete, vgl. H.-D. Loock, Quisling, Rosenberg und Terboven. Zur Vorgeschichte und Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen, 1970, 331–33 und 553. 46 Sievers an Schwalm v. 3.3.1944 (fol. 55). Zu Schwalm vgl. Kater 1998, 175 [s. Anm. 20].
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Altheim dringend zu bitten, in der Angelegenheit „äußerst vorsichtig“ zu sein. Sievers übermittelte Altheim die Vorgaben Schwalms nahezu wörtlich: „Schon die Tatsache, daß Sie dem Rektor der Universität Lund mitteilten, daß Sie einen Versuch machen wollen, irgend etwas zugunsten eines norwegischen Gelehrten zu unternehmen, ist nicht klug, da von schwedischer Seite solche Äußerungen gerne dazu benutzt werden, um Deutsche gegen Deutsche auszuspielen. Noch dazu ist die Frage der verhafteten norwegischen Professoren gegenwärtig Tagesgespräch, dem man keine Nahrung geben sollte.“47
Altheim antwortete, „daß jetzt alles getan ist, was sich tun läßt, und dabei muß man sich in Lund beruhigen.“ Er meinte auch, daß es „wirklich nicht ganz einfach“ sei, die Ratschläge zu befolgen.48 Der Abschluß dieses Falles konnte nicht geklärt werden. Der begrenzte Blick hinter die Kulissen zeigt bei einem Fall, der anders gelagert ist als der G. Kerényis, die Schwierigkeiten solcher Interventionsversuche und läßt auch die Argumentationsmuster der beteiligten Dienst stellen erkennen. Altheim – damit beziehe ich mich wieder auf seine Rekonstruktion vom 10. April 1946 – dürfte sich auch im Falle G. Kerényis zunächst an W. Sievers gewandt haben. Nach mehreren Initiativen bei dem „Kurator“ des „Ahnenerbes“ und damaligen Rektor der Universität München, dem Indogermanisten Walter Wüst (1901–1993), – er stand nach Himmler und neben Sievers an der Spitze der Organisation – erhielt er im Oktober 1944 Nachricht, daß Grazia Kerényi „auf Grund der verschiedenen Interventionen wahrscheinlich demnächst freigelassen“ werde. Anfang Dezember war das noch nicht geschehen, stattdessen lagen ihm Nachrichten über einen guten Gesundheitszustand vor, die er an die erste Frau Kerényis und D. Kövendi weiterleitete. Danach, d. h. nach dem 4.12.1944, brach auch hier der Kontakt Altheims nach Ungarn ab.49 In seinem ersten Brief nach Kriegsende vom 10. April 1946 beteuerte Altheim, wie gefährlich damals derartige Rettungsbemühungen gewesen seien. Der im Briefwechsel bzw. in der Rekonstruktion Altheims faßbare Ablauf ist wiederum durch die Erinnerungen G. Kerényis zu ergänzen. Am 30. September 1944 erhielt Kerényi ein Telegramm seiner ersten Frau aus Budapest: „Das Kind in Auschwitz“. Ihrem Vater, so berichtet G. Kerényi, habe dieser Name viel mehr gesagt als denen zu Hause in Budapest. Von diesem Augenblick an habe er wenig von Interventionen und Protektion erhofft.50 G. Kerényis Schwester Kati faßte in einem Brief an ihren Vater vom 1.10.1944 das zusammen, was sie in Erfahrung hatte bringen können: Auschwitz, das sei „der schlimmste existierende Ort“. Die dringliche Bitte, weiter alles für die Befreiung zu tun, verband sie mit einer Mahnung: „Also, sei energisch, aber auch vorsichtig und paß’ auch darauf auf, was Du sagst (...) Denn hier,“ so faßte sie die Einschätzung in Budapest im Oktober [504] 1944 zusammen, „hält man es für wahrscheinlich, daß Dein Draußensein der Sache bedeutend schadet“.51
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Sievers an Altheim v. 5.51944 (fol. 58). Altheim an Sievers v. 14.5.1944 (BDC fol. 60). Vgl. Altheim an Kerényi v. 10.4.1946. Kerényi 1979, 123 [s. Anm. 33]. Kerényi 1979, 123 [s. Anm. 33].
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Erst jetzt also wurde der Familie das Ausmaß der Gefährdung Grazia Kerényis deutlich.52 In den bis dahin erhaltenen Nachrichten über den Aufenthaltsort von G. Kerényi war zunächst von einem „Erziehungslager“, dann auch von einer „Fabrik für Geheimwaffen“ die Rede.53 Anstelle der von Altheim angekündigten „formellen Freilassung“ wurde Grazia Kerényi – nachdem ihr mehrfach die Entlassung in Aussicht gestellt worden war – in „EntlassungsQuarantäne“ gelegt und schließlich in das Konzentrationslager Ravensbrück verlegt.54 Das brachte in diesem Falle eine Verbesserung ihrer Lage. Die Freilassung nach Budapest wurde auf Betreiben der Dienststelle Eichmanns – das kam im Eichmann-Prozeß im Juni 1961 zur Sprache – abgelehnt. Grazia Kerényi war, so ist es einem Prozeßbericht zu entnehmen, „von dem Augenblick an, da das Mädchen das Grauen in Auschwitz gesehen hatte, (...)“ – wie es im Amtsdeutsch der korrespondierenden Dienststelle Eichmann hieß –, „zur ,Geheimnisträgerin‘ geworden: ,Rückkehr daher ausgeschlossen‘.“55 Ende 1944, das sei hier eingeschoben, hat Kerényi die Verschleppung seiner Tochter Grazia „wegen ihrer freien Reden“ nach Auschwitz in einem bekannten Brief an Thomas Mann erwähnt. Er bezieht sich dort auch auf die Rettung seines „psychologischen Freundes Dr. Szondi aus Budapest, der mit etwa 1300 jüdischen Leidensgenossen den Weg nach der Schweiz fand“ (21.12.1944). Am 25. Juni 1945, nach ihrer Befreiung „aus dem gewesenen Ravensbrücker (sic) Kon zentrationslager“, faßte G. Kerényi in einem bewegenden Brief an ihren Vater ihre Leidenszeit zusammen: „(...) ich selbst schwere politische Gefangene, die 5 Gefängnisse und 4 Lager durchlitt, ich war im Vernichtungslager von Auschwitz, mein Kopf wurde kahlgeschoren und eine Zahl wurde in meinen Arm eingebrannt, ich stand alltäglich stundenlang in Frühmorgenkälte, unter brennender Sonne oder in gießendem Regen, in demselben dünnen Kleid und oft barfuß, brach Stein und trug Ziegel, – und ich sah brennen tagundnachts das Krematorium, in dem 4 Millionen Menschen vernichtet wurden.“56
In dem Brief, den Kerényi auch an Th. Mann und Hermann Hesse weiterleitete, bat seine Tochter flehentlich um Bereitstellung von Autobussen durch das Rote Kreuz und die ungarische Regierung für die Rückführung von deportierten [505] ungarischen Juden und Zigeunern, die anders als die Tschechen und Franzosen noch nicht abgeholt worden waren.57 Dem bewegenden Schicksal von Grazia Kerényi wurde hier bewußt mehr Raum gegeben, obwohl damit keineswegs alle dramatischen Wendungen und Abläufe erfaßt werden können. Ihre Rettung, zu der Altheim maßgeblich beigetragen hat, war ein sehr komplexer Vorgang. 52 G. Kerényi vermittelt vielfältige Einblicke in den KZ-Alltag. Im KZ war sie als Schutzhäftling Nr. 84505 registriert; vgl. Kerényi 1979, 108. 53 Kerényi 1979, 122f. 54 Kerényi 1979, 125; vgl. generell F. Pingel, Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbetrachtung und Vernichtung im Konzentrationslager, Hamburg 1978 und R. Hilberg, Die Vernichtung der osteuropäischen Juden, Bde. 1–3 (Taschenbuchausgabe), Frankfurt/M. 1990. 55 Zitiert nach B. Nellessen, Der Todesmarsch der Budapester Juden, in: Die Welt v. 2. Juni 1961 (Nr. 125), 5; vgl. dazu auch Kerényi 1979, 117. 56 Zitiert nach Hermann Hesse und Karl Kerényi, Briefwechsel aus der Nähe, hrsg. u. kommentiert v. M. Kerényi, Frankfurt 1972, 124f. (= Hesse / Kerényi 1972). 57 Briefwechsel Hesse / Kerényi 1972, 124f. [s. Anm. 56].
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Dabei spielen lagerinterne Entscheidungen zu Gunsten der schwer erkrankten Grazia Kerényi58 ebenso eine Rolle wie die hier dargestellten intensiven verzweifelten Bemühungen, die von der Familie ausgingen. Wie außergewöhnlich der Vorgang insgesamt ist, zeigt – damit wird der Blick noch einmal in das Konzentrationslager Ravensbrück gelenkt – die Bemerkung einer „Oberaufseherin“ zu einer „Aufseherin“ in der Lager-Schreibstube, die von Grazia Kerényi ebenso wie die erwähnten einschlägigen KZ-Termini in der deutschen Originalfassung überliefert wird: „Wie die sich für diese eingesetzt haben!“, sagte die „Oberaufseherin“, als sie wohl vor Weihnachten 1944 die umfangreiche Akte zum Fall Grazia Kerényi betrachtete.59 Im Austausch zwischen Kerényi und Altheim markiert die „Grazia-Krise“ – das dürfte im folgenden deutlich werden – sicherlich einen wichtigen Einschnitt. Franz Altheims Wirkungsstätte Halle befand sich nach dem Krieg erst unter amerikanischer, dann unter russischer Besatzungsherrschaft. Nach seiner Entlassung ohne Bezüge und einigen Turbulenzen auch im Zusammenhang mit Denunziationen wurde er von der russischen Militärregierung in seine „vollen Rechte“ eingesetzt (10.4.1946). Dabei spielte auch der Einsatz für Grazia Kerényi und mehrere jüdische Freunde eine entlastende Rolle.60 Zunächst fungierte Altheim als Latinist, „da Geschichte noch nicht gelesen werden durfte“. Gleichzeitig war er intensiv mit der Neu- und Weiterbearbeitung bereits erschienener Werke und noch nicht abgeschlossener Arbeiten – darauf ist später einzugehen – beschäftigt (10.4.1946). Auch nach dem Kriegsende galten für den Briefwechsel besondere Bedingungen. Hatten sowohl Altheim wie Kerényi bei ihrer Korrespondenz während des Zweiten Weltkriegs mit Zensur der Nationalsozialisten zu rechnen, so setzte sich das nun unter anderen Vorzeichen fort. Vor allem Altheim sah sich nun also genötigt, auf die Zensur der neuen Machthaber in der russischen Besatzungszone Rücksicht zu nehmen. Kerényi ließ sich mit einer Antwort auf den ersten Brief Altheims nach Kriegsende (10.4.1946) freilich vier Monate Zeit. Dabei lenkte er den Blick auf die glückliche Geburt des Sohnes Dionigi am 29.1.1945 in Zürich einerseits und auf die gleichzeitige Sorge über das Schicksal der im Konzentrationslager vermißten Tochter Grazia und der bedrängten Familienangehörigen in Ungarn andererseits: „Die fernen Hintergründe aber waren noch düster, da wir Grazia totgeglaubt, auch von Katóka im belagerten und befreiten Budapest nichts wußten und von Dildils (d. i. Magda [506] Kerényi) Eltern und seinem Bruder, den Verfolgten, das Schlimmste annehmen mußten. Es ist ein Wunder, daß diese alle uns am nächsten Stehenden gerettet sind. Meine erste Frau gleichfalls. Ich will Dir bekennen, daß dies mir für mein künftiges Leben von unerhörter Wichtigkeit ist. Nicht, als ob ich mich jetzt durch Verwandtschaftliches mehr gebunden fühlte als ehedem. Aber dieses Negative: daß ich durch keine elementaren Rachegefühle beengt und beeinflußt bin – auch dieses Negative ist etwas Großes! Denn ich wäre es gewesen, es sei denn, meine leidenschaftliche Urnatur müßte sich verändert haben, und sie tat es nicht, obwohl ich ein großer Weißhaariger, seit ein paar Tagen Mitglied der reorganisierten Ungarischen Akademie der Wissenschaften, sicherlich etwas weicher geworden bin. Beispiel: auch dieser Brief.“ (8.8.1946).
Darüber hinaus berichtete Kerényi über die Lage in Ungarn aus seiner Sicht und mit spürbarer Emphase über seine aktuellen Publikationen – darunter auch über den Briefwechsel mit 58 Vgl. Kerényi 1979, 22f. und 67ff. [s. Anm. 33]. 59 Kerényi 1979, 108f. 60 Mitteilung R. Altheim-Stiehl an den Verf.; vgl. auch allgemein Willing 1991, 30 [s. Anm. 17].
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Thomas Mann. Erst nach der Rückkehr der beiden Töchter Katóka und Grazia waren in vollem Umfang die, wie sich Kerényi ausdrückte, „psychologischen und sachlichen Bedingungen“ erfüllt, um den Kontakt wieder aufzunehmen. Er ging davon aus, daß manches, was „in der allzu großen Aufregung und in Kriegsnervosität geschrieben“ worden war, „unsere Beziehung, wie sie vor dem Krieg bestand, nicht zu stören hat“ (21.9.1946). Indessen mußten sich Altheim und Kerényi sehr bald und intensiver noch einmal mit den Kriegszeiten auseinandersetzen. Den Vorgang, den Kerényi am 21.9.1946 mitteilte, kann ich hier nur sehr verkürzt darstellen: In der Budapester Wochenzeitung „Köztársaság“ (= Republik) war am 4. September 1946 ein mit Gábor Lórinc (dabei handelt es sich wahrscheinlich um ein Pseudonym) unterzeichneter Artikel über „Irrationalismus und Faschismus“ veröffentlicht bzw. lanciert worden. Darin wurden, wie sich schon in dem Untertitel „Wie kam das Geld der SS an einen demokratischen Religionshistoriker?“ andeutete, die Verbindung Kerényis zu Thomas Mann und zu Franz Altheim, die als Bezugspunkte für demokratische und antidemokratische Orientierung Kerényis dienten, gegenübergestellt. Der offenbar bestens informierte Verfasser sprach u. a. die enge Beziehung zwischen Altheim und Kerényi in der Vorkriegszeit an. So wie er auf die antidemokratischen Implikationen ihrer Mitarbeit im „Doorner Arbeitskreis“ um Kaiser Wilhelm II. verwies, bezweifelte er durchgängig die demokratische Gesinnung Kerényis. Ein anderes Thema, das in dem Artikel – unter Rückgriff auf einen Brief Altheims an Kerényi – beleuchtet wurde, bezog sich auf Äußerungen Altheims zur Besetzung des Lehrstuhls für klassische Philologie an der Universität Debrecen Anfang der vierziger Jahre 61: Im Vorfeld der Berufung Árpád Szabós auf die Professur hatte Altheim im Grunde Plagiatsvorwürfe gegen diesen erhoben. Der Fall spielt in dem Briefwechsel Kerényi – Altheim eine große Rolle. Szabó, der Schwiegersohn Walter F. Ottos, war ursprünglich ein Schüler Kerényis und hatte auch mit Altheim zusammengearbeitet.62 [507] In erster Linie aber wollte der Artikelschreiber die Rolle Altheims in der SSOrganisation „Ahnenerbe“ und seine enge Verbindung zu Kerényi herausstellen: Mit einem Auszug aus einem Brief Altheims an Kerényi lieferte er gleichsam den dokumentarischen Nachweis: Am 14. Juni 1941 hatte Altheim unter Bezugnahme auf ein ihm vorliegendes Schreiben des Sicherheitsdienstes (SD) Kerényi mitgeteilt, daß die Berliner Reichsbank am 7. Februar 1941 im Auftrag des „Deutschen Ahnenerbes“ 544, 82 P-t, d. h. in ungarischer Währung (= pengö), an das Altertumswissenschaftliche Institut der Horthy-Miklos Universität in Szeged überwiesen habe.63 Diese Passage aus dem Brief Altheims wurde wörtlich zitiert. Im Schlußsatz des Zeitungsartikels, der auf diese „Entdeckung“ angelegt war, hob der pseudonyme Verfasser die Identität von Himmler, „Ahnenerbe“ und SS hervor. Wie einem ganz offenbar zu diesem Vorgang gehörenden Antrag der „Ahnenerbe“Geschäftsführung an den „Reichsführer-SS“ vom 21. Januar 1941 zu entnehmen ist, ging es dabei darum, 400 RM als Honorar für Übersetzungsarbeiten an das „Institut für klassische Altertumswissenschaften in Szegedin“ zu überweisen.64 Die Übersetzungen aus dem Wogulischen und Ostjakischen sollten danach für Altheims Arbeit „Der Hirsch in der in61 Vgl. Altheim an Kerényi v. 3.7.1940. 62 Siehe F. Altheim und A. Szabó, Eine Vorläuferin der großen Völkerwanderung, in: Welt als Geschichte 2 (1936) 314–343. 63 Zitat nach Gábor Lórinc, „Irracioalismus“, Köztársaság v. 4. September 1946. 64 Schreiben v. 21.1.1941 (BDC fol. 150).
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dogermanischen Frühgeschichte“ angefertigt werden. Der Name des Übersetzers wurde nicht genannt. Das Honorar war, das läßt sich sicher rekonstruieren, für Dr. Honti vom ungarischen Nationalmuseum bestimmt. Das belegt nicht zuletzt eine Druckfahne vom Anhang des durch Kriegseinwirkungen wiederholt vernichteten und in dieser Fassung nicht erschienenen 2. Bandes der „Krise der Alten Welt“: Dort wird auf die erste deutsche Übersetzung einer nordostjakischen Sage verwiesen, die „mit dankenswerter Unterstützung der Forschungs- und Lehrgemeinde (sic!) ,Das Ahnenerbe‘ und des Altertumswissenschaftlichen Institutes der Universität Pécs (unter Leitung von K. Kerényi) (...) durch H. Honti vom Nationalmuseum in Budapest (angefertigt wurde)“.65 Honti war – das hatte Kerényi Altheim schon geschrieben – „in einem Arbeitslager für zur Vernichtung bestimmten (sic!) Juden umgekommen“. Das für ihn bestimmte Honorar war seinerzeit von der SS-Organisation „Ahnenerbe“ an die Institutsadresse Kerényis in Ungarn überwiesen worden. In der Zeitungsveröffentlichung des Jahres 1946 sollte nun einmal der Eindruck erweckt werden, so schrieb Kerényi, „als ob ich durch Deine Vermittelung (sic!) von Leuten bezahlt gewesen wäre, von denen Du mir sogar durch die deutsche Zensur offen schriebst, daß ich sie immer ‚geschmäht‘ hatte“. Kerényi bezieht sich hier auf die oben zitierte Passage aus einem Brief Altheims vom 11.7.1944. Einerseits sollte also Kerényi in die Nähe des nationalsozialistischen „Ahnenerbes“ gerückt werden, Altheim andererseits auf Grund seiner „Ahnenerbe“-Vergangenheit, so Kerényi, „auf eine gemeine Weise verleumdet und gewissermaßen als ein Gegenpol zu Thomas Mann hingestellt“ werden (21.9.1946). [508] Die entsprechenden Briefe Altheims an Kerényi, die der pseudonyme Verfasser des Zeitungsartikels vom 4. September 1946 referierte und zitierte, waren anscheinend aus dem Briefarchiv Kerényis in Zalaiut, seiner alten Wohnung in Budapest, gestohlen worden. Man vermutete, daß Szabó der Urheber war. Gegen „die niederträchtige Verleumdung“ wollte Kerényi nun mit Photokopien vorgehen. Wegen der nationalsozialistischen Zensur hatte man bei dem oben erwähnten Vorgang „nicht offen von Honti reden“ können: „Jetzt hindert uns aber nichts, Deinen jüdischen Schützling, dessen Abstammung Du kanntest, zu nennen“. In der Tat wird hier eine mehrfache Verkehrung der Fronten, Wechsel von der Kriegs- zur Nachkriegsperspektive deutlich, der auf verschiedenen Seiten von dem Bemühen um Be- und Entlastung geprägt ist. Um in jeder Lage angemessen auf zu erwartende Verleumdungen Altheims reagieren zu können, sollte dieser eine „Erklärung“ abgeben, und zwar „gegen die lügenhafte Behauptung, daß Du / der Du nicht einmal Parteimitglied warst! / der ,Liebling‘ irgendwelcher Machthaber gewesen wärest; die Feststellung der reinen Wissenschaftlichkeit Deiner Forschungsweise, die von der geradezu antirassischen Kulturmorphologie ausging, und die offene Nennung der Wohltaten, die Du Juden und Linksseitigen in der schwersten Zeit erwiesest, (waren) auch für die ungarische Öffentlichkeit gut“ (21.9.1946).
Altheim lieferte am 8.10.1946 eine Erklärung im Sinne Kerényis, wobei man sich klarmachen muß, daß diese Zeilen aus der damals sowjetischen Besatzungszone kamen: Er hatte sie zu einem Zeitpunkt verfaßt, als er sich selbst den Denunziationen einiger Fachkollegen ausgesetzt sah. 65 Die Krise, II. Bd., Anhang Sp. 1 (Druckfahne im Briefwechsel Altheim / Kerényi, Ascona).
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Er bestätigte, daß die vom „Ahnenerbe“ an das Institut Kerényis überwiesene Summe für die Honorierung Dr. Hontis bestimmt war: „Es war mir bekannt, daß der in einem Arbeitslager umgekommene Dr. Honti Jude war. Obwohl es für mich damals mit Lebensgefahr verknüpft war, habe ich keinen Augenblick gezögert, die Summe auf dem bezeichneten Wege an Herrn Dr. Honti gelangen zu lassen.“ – Schließlich hob Altheim auch, um den von Kerényi gebrauchten Ausdruck aufzunehmen, seinen Einsatz für „Linksseitige“ hervor. Wie im Fall Hontis habe er sich „allein von wissenschaftlichen Gesichtspunkten leiten lassen. Darum habe ich auch Herrn Dr. Kövendi, dessen frühere kommunistische Betätigung mir bekannt war, für einen zweimaligen Studienaustausch in Deutschland in Vorschlag gebracht“.66 Kerényi ließ schließlich am 23. Oktober 1946 eine Gegendarstellung zu dem Artikel „Irrationalismus und Faschismus“ einrücken, in der er einmal den Sachverhalt der Honorierung von Dr. Honti klarstellte.67 Zum anderen wies er darauf hin, daß er „z. Zt. der Verschleppung seiner Tochter Grazia nach Auschwitz als politische Straftäterin“ jede Verbindung zu Altheim abgebrochen habe, als dieser – wie oben im Brief vom 11. Juli 1944 zitiert – sein (also Kerényis) Verhalten als [509] „größte Belastung“ bei den Rettungsbemühungen für seine Tochter bezeichnet habe.68 Der anonyme Artikelschreiber bedauerte in seiner gleichzeitig abgedruckten Erwiderung, daß Kerényi sich nur auf von ihm ohnehin nicht bezweifelte konkrete Tatsachen wie den tragischen Fall Dr. Honti und den Abbruch der Beziehungen zu Altheim beschränkt habe. Er sah dadurch die „prinzipielle Stellungnahme unseres Artikels in keiner Weise modifiziert“. Ausdrücklich hielt er, möglicherweise in Anlehnung an die Kritik von G. Lukács daran fest, „daß die von ihm (K. K.) vertretene wissenschaftliche Haltung selbst gegen seine Absichten ,Quartiermeister‘ des Faschismus ist“.69 Diese Dokumente haben ihre eigene Sprache: Der Vorgang wirft ein grelles Schlaglicht auf Be- und Entlastungsbemühungen in der Nachkriegszeit. Dabei werden offenbar im Kontext des „Falles“ Szabö „alte Rechnungen“ beglichen.70 Aktuell ging es aber auch darum, eine mögliche Rückkehr Kerényis nach Ungarn, ggf. nach Budapest, darauf ist noch einzugehen, zu verhindern. Daß sich Kerényi, der, wie bereits erwähnt, inzwischen Mitglied der ungarischen Akademie geworden war, gewisse Hoffnungen machte, wurde schon angesprochen. Die Attacke dürfte Kerényi einige Illusionen geraubt haben. Was die Beurteilung der Position Altheims im Nationalsozialismus angeht, so zogen sich beide zunächst auf das formale Kriterium der Mitgliedschaft in der NSDAP zurück. Im Kontext der Entlastungs- bzw. Entnazifizierungsbemühungen ist diese Argumentation außerordentlich charakteristisch. Dieses Kriterium der Parteimitgliedschaft in einer Staatspartei oder ihr eng verbundener Organisationen spielt – insofern entspricht der Vorgang einer Typologie – generell in totalitären Systemen unterschiedlichster Provenienz eine große Rolle. 66 Dazu liegt ein außerordentlich positives Gutachten Altheims v. 9.9.1940 über D. Kövendi vor. Altheim und Kerényi setzten sich offensichtlich auch für seine Berufung nach Debrecen ein; vgl. zu Kövendi auch Merkel 1970, Nrn. 194, 237,3 und 4 [s. Anm. 3]. 67 Köztársaság v. 23.10.1946, 4. 68 Der entsprechende Brief Altheims datiert v. 11.7.1944; Kerényi nennt in seiner Gegendarstellung irrtümlich den 1.7.1944! 69 G. L., Kötzársaság v. 23.10.1946, 4; vgl. Köves-Zulauf 1993, 242 [s. Anm. 2]. 70 Im Zusammenhang mit dem Diebstahl der Briefe wurden auch gerichtliche Schritte eingeleitet.
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Die nächste Etappe von Anfang 1946 bis Ende 1949, dem Zeitpunkt, als Altheim Halle und die russische Besatzungszone verließ, kann nur sehr summarisch behandelt werden; ihr müßte man einen eigenen Beitrag widmen. Neben den wirtschaftlichen Alltagsproblemen der Familie Kerényi in der Schweiz und bei Altheim in Ostdeutschland und dem Austausch der Publikationen wird mehrfach die Frage der Rückkehr Kerényis, der von entsprechenden Erwägungen berichtet hatte (21.9.1946), nach Ungarn erörtert. Altheim verbindet seine Glückwünsche zur „Budapester Professur“ (8.10.1946) mit der zweifelnden Frage, ob Kerényi überhaupt an die Universität zurückkehren, oder ob er sich vielleicht eher mit einer freien Verbindung zu einer mehr westlichen Universität begnügen solle. Im nächsten Schreiben vom 30.12.1946 hatten sich Altheims eigene Perspektiven und damit auch seine Einschätzung der Lage Kerényis geändert: „Du willst also doch nach Budapest? Ich würde Dir heute nicht mehr abraten wie einst. Der Aufbauwille, die Fülle des Zukunftsträchtigen ist vielleicht in der europäischen [510] Ostzone (sic!) doch stärker. Du stößt auf eine ganz neue, hochinteressante Problematik, und als Professor wird man zuweilen sogar verhätschelt. Also, fasse Mut, – ich bin auch dabei, es zu tun“. Anscheinend hatte Altheim im Wissenschaftsbetrieb der russischen Besatzungszone festeren Fuß gefaßt: Für seine Forschungen standen ihm ausreichende Zuschüsse und zahlreiche Mitarbeiter zur Verfügung. Gleichzeitig versuchte er, Kerényi zur Mitarbeit an neu zu gründenden Zeitschriften (Unternehmen der Ostberliner Akademie) zu begeistern. Bei Kerényi wuchsen dagegen die Zweifel, ob er in Budapest, wie es am 23. Januar 1947 hieß, nicht „plötzlich vom Ausland abgeschnitten werden“ könne. Auch die USA lockten ihn nicht, wie er auf eine entsprechende Frage Altheims mitteilte: „ (...) höchstens (...) Mexiko und das altamerikanische Kulturgebiet im Norden Südamerikas, aus rein archäologisch-mythologischen Gründen. Mein Ideal“, so schrieb er am 17.3.1947 aus Rom, „wäre dies: an großen, in Amerika erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen hier auf dem alt-europäischen Kulturboden zu arbeiten“. Am 19.3.1947 beurteilte er die Rückkehraussichten nach Ungarn noch skeptischer: „Mir ist das freie Wachstum der drei kleinen Blondköpfe (also seiner drei Kinder) und der genannten Werke wichtiger“ – als den „Lockungen aus Ungarn nachzugeben“. So weit die Überlegungen Kerényis, mit denen er wohl schon auf die sich in Ungarn abzeichnenden Veränderungen reagierte. Im November 1947 brach er nach Budapest auf, um dort seine Antrittsrede in der Akademie zu halten (19.11.1947), zu der es damals aber nicht kam.71 Damit hatten sich wohl auch die Rückkehrabsichten erledigt. Altheim fühlte sich in Halle und in der russischen Besatzungszone schließlich doch immer stärker isoliert und abgeschnitten (21.3.1947). Nach seinen Worten war in Halle – das bezog sich auch auf den Austausch mit seinen dortigen Kollegen – „geistig alles tot“ (5.4.47; 2.7.47; 22.8.48). Immer drängendere Bitten nach ausführlicheren Antworten Kerényis, nach Anregungen, Nachrichten, Austausch durchziehen die Korrespondenz wie ein roter Faden. Auf drei oder vier Briefe Altheims kommt eine Antwort Kerényis, wobei Magda Kerényi immer häufiger die Beantwortung übernahm. Die Fragen Altheims nach Bekannten und Kollegen, wie z. B. nach Andreas Alföldi, lassen eine enge Vertrautheit mit Ungarn und ein starkes Interesse an der neuen Entwicklung erkennen (4.12.1949). In dem Bemühen, die Verbindung 71 Anfang der 90er Jahre wurde Kerényi mit anderen „Betroffenen“ von der Akademie rehabilitiert bzw. wiederaufgenommen (Mitteilung von Magda Kerényi an den Verf.). Zu den Berufungsplänen von 1947 vgl. auch Köves-Zulauf 1993, 243 [s. Anm. 2].
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wieder enger zu gestalten, bringt Altheim den Plan eines „Dioskuren“-Verlags ins Gespräch (4.6.1947). Für „den gemeinsamen Dioskuren-Verlag, wozu ich von Herzen Ja sage, würde es“, antwortet Kerényi, „auch einen seltenen Memoirenband geben“ (16.6.1947). Auch Altheim, der damals den Gedanken ansprach, sich in der Nähe Kerényis in Italien oder im Tessin als freier Schriftsteller niederzulassen (1.7.1947; 20.7.1948), stellt Memoiren in Aussicht (1.7.1947). Dabei beschwor er das gemeinsame Interesse an der Religionsgeschichte: Auch wenn er wirtschaftsgeschichtlichen Fragen – „einer alten, von Dir (d. h. Kerényi) immer bekämpften Liebe“ breiten Raum gebe (30.12.1946; 21.3.1947), seien große Partien seiner Publikationen religionsgeschichtlich [511] geprägt. Gemeint waren die Neubearbeitung der „Krise“ und das Buch „Hellenismus in Asien“ – auf die an dieser Stelle – z. T. rückblickend – eingegangen werden soll. Es gehört zur bekannten Eigenart von Altheims Œuvre, daß viele seiner Bücher immer wieder überarbeitet, erweitert, neugefaßt, gewissermaßen „fortgeschrieben“ wurden.72 Bei der Neubearbeitung nach 1945 konnte er auf bereits weit fortgeschrittene Projekte, z. T. abgeschlossene Manuskripte, zurückgreifen. Wie einem Statusbericht von Erika Trautmann und Franz Altheim zur „Jahreswende“ 1944/45 zu entnehmen ist, plante man u. a. eine beträchtliche Erweiterung der „Krise“.73 Abgesehen von Band II der inzwischen erneut ausgedruckt wurde,74 hatte man einen vierten Band „Das geschichtliche Bewußtsein“ – so der vorläufige Untertitel – in Angriff genommen. Einige Kapitel wie „Roman und Dekadenz“ und „Mimus und Pantomimus“ lagen schon vor. Dem Problem der Dekadenz kam in der Endphase des Krieges besondere Bedeutung zu. Altheim kündigte für den 29. Januar 1945 einen Vortrag in Halle über „Roman und Dekadenz“ an:75 „Gewisse Erscheinungen der Zeit nach dem 1. Weltkrieg werden“, so beschrieb er seine Darstellung, „insgeheim mit den Zuständen der ausgehenden Antike parallel gesetzt.“ Ein fünfter Band der „Krise“ zum Thema „Gesellschaft und Wirtschaft“ lag damals, so Altheim zu den Arbeitsvorhaben, indessen noch „in weiter Feme“.76 Nach dem Ende des Krieges ließ das Erscheinen der neu bearbeiteten „Krise“, die unter dem Titel „Niedergang der Alten Welt“ herauskommen sollte (6.9.1946), auf sich warten. Gegenüber Kerényi hob Altheim (wie schon in seinem Brief vom 18.6.1944) die Deutungsabsicht der beiden großen Werke hervor: Der „Hellenismus“ sei zwar „in erster Linie gelehrt, wenn auch insgeheim ein Schlüsselroman, wie die ,Krise‘ auch.“ Diese Deutung bezog er auch auf die Erweiterung dieses Werks: „Speziell für Dich geschrieben (wie etwa ‚Plotin‘ und ,Ursachen der Größe Roms‘)“, damit verwies Altheim auf alte ‚Widmungen‘ an Kerényi, „ist das Romankapitel im 4. Band der neuen ‚Krise‘ (Literatur und Kunst), wo der Vergleich zwischen spätantiken und modernen europäischen Romanen gezogen ist.“ (2.7.1947). Altheim erinnert so an Kerényis Werk „Die griechisch-orientalische Romanliteratur in religionsgeschichtlicher Beleuchtung“ von 1927.77 72 Dazu etwa Christ 1982, 250f. [s. Anm. 3] und aus anderer Perspektive Mühlpfordt 1978, 637 [s. Anm. 24]; vgl. auch die Belege bei Merkel 1958 und Merkel 1970 [s. Anm. 3]. 73 Arbeitsbericht Jahreswende 1944, gez. F. Altheim u. E. Trautmann-Nehring (fol. 62–65). Diese Planungen und Manuskriptangebote wurden noch Ende Februar 1944 im „Ahnenerbe“ erörtert; vgl. Sievers an J. O. Plassmann v. 24.2.1944 (fol. 66). 74 Auch der zweite Ausdruck von Bd. II der „Krise“ wurde vernichtet; vgl. F. Altheim, Niedergang der Alten Welt, Bd. 1, Frankfurt 1952 (Vorwort) (= Altheim 1952). 75 Arbeitsbericht Jahreswende 1944, fol. 62. 76 Altheim an Sievers Ahnenerbe v. 12.12.1944 (fol. 61). 77 Tübingen 1927 (= Darmstadt ²1962).
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‚Habent sua fata libelli‘: Im August 1947 wurde eben dieser angesprochene Band IV der „Krise“ in ein anderes Konzept eingebettet, das Altheim zunächst Magda Kerényi vorstellte: [512] „Also ich höre auf, politische Geschichte zu schreiben, wie ich jetzt gerade vor 14 ½ Jahren begonnen habe. Ich glaube, daß trotz aller gegenteiligen Reden eine längere Friedenszeit kommen wird. Genug, ich habe mich der Literatursoziologie zugewandt. Das kommende Buch heißt ‚Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum‘ (...). Darin wird das ausgehende Altertum und das kommende Neue – Abendland (Germanen, Kelten) und Orient (Mittelpersisch, Armenisch, Syrisches, Koptisch, Alt-Arabisch) – behandelt.“
Dafür wollte er (und mußte er), das zeigte die Energie Altheims, erst neue Sprachen (z. B. Armenisch, Koptisch) lernen (16.8.1947). Wenig später kündigte er auch Kerényi selbst den Beginn des neuen Werkes an. Den Band IV der „Krise“ hatte er beim Verleger „kassiert“. Bestandteil des neuen Buches war als „Apospasma“ der „Krise“ (10.4.1946) auch das schon erwähnte Kapitel „Roman und Dekadenz“. Unverkennbar prägte die Krisenvorstellung dieses Werk, dessen erster Band 1948 unter dem Titel „Literatur und Gesellschaft“ erschien.78 So erhielten die aus der ersten „Krise“ herausgelösten Partien – die Mühe der Neubearbeitung und Erweiterung soll damit nicht gering veranschlagt werden – einen Rahmen, der besser in die Nachkriegslandschaft paßte. Das Werk gehört aber, auch hier gilt es, die Kontinuitätslinien aufzunehmen, eindeutig in die Werkreihe zur Krise des 3. Jahrhunderts! Eine Reaktion Kerényis auf das mehrfach angekündigte und ihm eigentlich gewidmete Werk „Literatur und Gesellschaft“ liegt – abgesehen von der Bestätigung des Erhalts (11.3.1949) – nicht vor.79 Sein nächster Brief vom 9.10.1949 dokumentiert in diesem und in anderen Punkten eine zunehmende Distanz: Kerényi beklagt sich z. B. über die „unkritische Benützung Deiner Quellen in bezug auf mein Leben und Schicksal“ (9.10.1949).80 Auch das erste Werk Altheims, das nach dem Krieg 1947/48 herauskam, „Die Weltgeschichte Asiens im griechischen Zeitalter“ (hervorgegangen aus dem Projekt „Hellenismus in Asien“),81 ließ sich damals leichter verlegen als die beiden Bände der alten „Krise“. Andererseits verfuhr man damit in der damaligen Ostzone bemerkenswert „praktisch“: Das Werk „konnte“, so schreibt J. Irmscher, „nachdem die Verlagsangabe (d. h. die von Kerényi am 6.9.1943 angegriffene, ,veraltete Dekoration‘) eliminiert worden war, nach der Befreiung unbedenklich im Buchhandel der Deutschen Demokratischen Republik vertrieben werden.“82 Mit Altheims Flucht nach Westberlin und dem Neubeginn als Professor für Alte Geschichte an der „Freien Universität“ verbesserten sich die Rahmenbedingungen für den brieflichen Austausch „Wir konnten (...) nie wissen, was wir Dir schreiben (durften)“, bemerkt Kerényi rückblickend am 3.1.1950. Dann nahm er eine selbstbewußte Standortbestimmung vor: [513] „Was mein allgemeiner Eindruck heute, am Anfang des Jahres 1950 über den Stand unserer Wissenschaft, der in unserem Sinne von 1939 gefaßten klassischen Altertumswissenschaft ist, kann kurz gefaßt werden: wir sind heute genau dort, wo (wir) 1939 (standen): auf dem ganzen 78 79 80 81 82
Bde. 1–2, Halle a.d.S. 1948–50; vgl. Merkel 1970, Nr. 87 [s. Anm. 3]. Am 25.2.1949 hatte Altheim Magda Kerényi gebeten: „Bitte lesen Sie ‚Roman und Dekadenz‘“. Altheim hatte eine angebliche Trennung Kerényis von Thomas Mann begrüßt (31.7.1949; 16.6.1947). Bde. 1–2, Halle a.d.S. 1947–1948 (Merkel 1970, Nr. 83 [s. Anm. 3]). J. Irmscher, Die klassische Altertumswissenschaft in der faschistischen Wissenschaftspolitik, in: Altertumswissenschaften und ideologischer Klassenkampf. Wiss. Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1980/35, 87; vgl. dazu schon Willing 1991, 31 Anm. 17 [s. Anm. 17].
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Volker Losemann Gebiet bedeuten nur die Werke etwas Neues und Zukunfts verheißendes, die Du oder ich hervorgebracht haben. Ob man es anerkennen will oder nicht, beherrschen praktisch wir die Situation“.
Altheim nahm zu dieser eher realitätsfernen Passage nur am Rande Stellung. Als Kerényi im Zusammenhang mit einem Kongreß in Amsterdam beklagte, „daß kein einziger Vertreter der Erneuerer der philologischen Religionswissenschaft durch Otto-Altheim-Koch, kein einziger aus dem Frobenius-Institut und auch von meiner Schattierung nur Brelich“ auftrete (17.8.1950), distanzierte sich Altheim von der Einordnung in „Gruppen und Schulen“:83 „Ich lege keinen großen Wert darauf, einer Gruppe Otto-Altheim-Koch anzugehören. Ich habe mit beiden nur gelegentliche Verbindung. Koch ist mir zu katholisch und zu bigott, und Otto und ich sind die verschiedensten Menschen, die es gibt. Gut, wir sind zusammen gegangen, aber das ist jetzt 15 Jahre her“ (31.8.1950). Altheim unterstrich aber noch einmal, daß „die antike Religion“ ein Viertel bis ein Drittel seiner letzten großen Publikationen einnehme.84 In Altheims Selbsteinschätzung kommt seine auch bewußt vertretene Sonderrolle in der klassischen Altertumswissenschaft recht gut zum Ausdruck. Entsprechendes gilt für Kerényis „Standortbestimmung“. Für Altheim stand im Augenblick die Klärung seiner eigenen Lage in Westberlin im Vordergrund: Er berichtet mehrfach von intensiven Bemühungen der Hallenser Universität und anderer offizieller Stellen der russischen Besatzungszone, ihn nach Halle zurückzuholen. Solche erstaunlichen Angebote erhielt er bereits dreieinhalb Wochen nach seiner Flucht nach Westberlin. (16.1.50; 4.2.50; 23.7.51). Er nahm dies zum Anlaß für einen kritischen Rückblick auf seine Zeit in Halle von 1945–1949, in der er manchen Gefahren ausgesetzt war. Damit korrigiert er zugleich indirekt seine Briefe, die er in dieser Zeit in die Schweiz geschickt hatte. Er fühlte sich auch in Westberlin noch bedroht: „Die Sitte, immer Gift in meiner Rocktasche zu tragen, habe ich aus Halle beibehalten“, schreibt er am 4.2.1950!85 Die Erklärung dafür, warum die ostzonalen Stellen den entflohenen Althistoriker zurückholen wollten, lieferte Altheim zumindest teilweise selbst: „Ich galt als progressiv und in der Tat hat der Marxismus auf meine Anschauungen ein wenig abgefärbt“, erklärte er Kerényi in dem Brief, in dem er seine Stellung an der Freien Universität in Berlin beschrieb (6.1.1950). Die Reaktion Kerényis auf diese Bemerkung fiel eindeutig und besorgt aus: [514] „Du schreibst, eine gewisse, längst veraltete, heute aber mit Gewalt mißbrauchte nationalökonomische Theorie hätte auf Deine Anschauungen abgefärbt. Das merkte ich bis jetzt an Deinen Büchern nicht. Immerhin habe ich schon so etwas über Dich gehört – nicht zu meiner Freude. Ich verbleibe schon – wie Du es nennst: In meiner ,Eigenwüchsigkeit‘ und galt für keinen Augenblick weder in Ungarn, als ich zuhause war, noch seitdem als Marxist und habe vielleicht eben darum auch in der öffentlichen Meinung in Budapest meinen Hauptfeind, in den letzten Zeiten Lukács, gewissermaßen ‚überlebt‘. Wie lange das noch dauert und wann wird man etwas gegen mich for83 Vgl. auch eine ähnliche Äußerung (6.1.1950) über die bekannte Tagung in Hinterzarten. Dazu C. J. Classen, Die Tagung der deutschen Altertumsforscher in Hinterzarten 29. August – 2. September 1949, in: Eikasmos. Quaderni Bolognesi di Filologia Classica IV, 1993 (= Festschrift für Ernst Vogt), 51–53. 84 Vgl. Brief v. 21.3.1947. Er nannte die „Krise“, „Italien und Rom“ und die „Weltgeschichte Asiens“ (= Merkel 1970, Nr. 58, 76 und 83 [s. Anm. 3]). – Ende März 1949 hatte er geäußert, daß „ihm der Gegenstand heute nicht mehr so nahe (liege) wie einst, wie überhaupt mein Interesse an römischer Religion unter dem Eindruck des gegenwärtigen Weltgeschehens zurückgegangen ist“ (26.3.1949). 85 Entsprechende Befürchtungen finden sich in dem Brief Altheims v. 6.2.1950.
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mell noch tun – meinen Paß habe ich längst nicht mehr, bin aber unverändert Ordinarius in Szeged – weiß ich nicht und kümmert mich wenig. Aber das müßtest Du als Historiker schon wahrgenommen haben; wer im Osten glaubt, auf einem diplomatischen Mittelweg bleiben zu können, der ist gefährlich für sich und die Allgemeinheit. Da gilt es nur völliges (sic) sacrificium intellectus et libertatis und die, die das gebracht haben, sind immer auch noch klug genug, zu merken, wer es nicht gebracht hat. Die da immer noch glauben, klüger zu sein, sind die dümmeren. Und ich weiß nicht, ob es von Dir so klug ist, mit Deiner Berliner-Stellung so zufrieden zu sein und von den westlicheren Universitäten mit Verachtung zu reden“ (3.2.1950).
Kerényis Besorgnis rührte auch daher, daß er nicht nur nach dem Gerücht von Altheims „Linksorientierung“ gefragt wurde, sondern daß „die Fragen an mich kamen, eher von alten, gemeinsamen Freunden, die – ebenso wie ich – auch das ,andere‘ Gerücht in den Kriegsjahren, schmerzlich empfanden. Und gerade das andere Gerücht gab Anlaß zum neuen (24.2.1950). Altheim bemühte sich eilends, das „Mißverständnis über meinen angeblichen Marxismus“ aus dem Weg zu räumen. Er tat das unter Hinweis auf Verfolgung, Haft, Lebensgefahr, Lügenpropaganda usw., die ihn zur Flucht von Halle nach Westberlin getrieben hätten. „Ich bin hier“, so beschrieb er seine neue Position in Westberlin, „in einer Kampfstellung gegen die Marxisten, die Du Dir schärfer kaum vorstellen kannst“. Die über ihn umlaufenden Gerüchte über enge Kontakte – einst zur SS und jetzt zur SED – gipfelten darin, wie Altheim ironisierend mitteilte, „daß Stalin mir ein Forschungsinstitut auf der Krim geschenkt habe“ (6.2.1950). An Kerényi richtete er die Bitte, allen Gerüchten hinsichtlich der „Linksorientierung“ entgegenzutreten, was dieser auch versprach. Wenn Altheim schrieb, „also laß mich mit Marxismus kokettieren – Dir gegenüber“, so gehört das sicher auch zu dem besonderen Verkehrston in den Briefen, man gewinnt aber schon den Eindruck, daß er selbst mit diesen Gerüchten gewissermaßen „kokettierte“. Dies etwa auch, wenn er mit einem Anklang von Zynismus die „Rückholungskampagne“ der ostzonalen Stellen ansprach. Indessen verweisen die über ihn umlaufenden Gerüchte zumindest darauf, daß manchen Zeitgenossen der Werdegang Altheims in der Kriegs- und Nachkriegszeit wirklich unverständlich und unheimlich war; sie sind kennzeichnend für seine schwer faßbare Stellung. Seine früheren Beziehungen zum „Ahnenerbe“ waren in der SBZ sehr wohl bekannt. Mit Hinweis auf die Kopien seiner Korrespondenz wurde er in Halle unter Druck gesetzt.86 Altheim war in der Nachkriegszeit in seinem Fach einer der ganz wenig verbliebenen, renommierten Gelehrten und zudem ein Beispiel für ungewöhnliche Produktivität.87 Daraus [515] ergaben sich, bei aller Gefährdung, die nicht bestritten werden soll, ein gewisser Spielraum und auch Förderungsmöglichkeiten. Bei seiner lange vorbereiteten Flucht nutzte er einen Ruf nach Greifswald (den er gleichzeitig mit dem an die Freie Universität Berlin erhalten hatte) als Vorwand für auswärtige Verhandlungen.88 In Halle hinterließ er eine große Lücke. Was seine politische Orientierung betrifft, so war er weder (früher) Nationalsozialist noch (später) Marxist. Seine einschlägigen Äußerungen in den Briefen ergeben kein geschlossenes Bild. Am ehesten könnte man – über den politischen Bereich hinausgehend – von einer ‚nonkonformistischen‘ Haltung sprechen.89 Wenn man sich von östlicher Seite auch nach sei86 87 88 89
Mitteilung R. Altheim-Stiehl an den Verf. Willing 1991, 31 [s. Anm. 17]. Mitteilung von R. Altheim-Stiehl an den Verf. Zu dieser Kennzeichnung Willing 1991, 225 [s. Anm. 17].
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ner Flucht weiter um ihn bemühte, erklärt sich das zum einen aus seinem wissenschaftlichen Rang: In der damals einschlägigen Terminologie galten diese Bemühungen einem „fortschrittlichen, bürgerlichen Historiker“,90 dessen Konzeption beeindruckte. M. Willing spricht darüber hinaus von einer „scheinbaren Affinität zum historischen Materialismus in Bezug auf ‚Gesetzmäßigkeiten‘ und universelle Betrachtungsweise“.91 Altheim hat schließlich, wie vielfach belegt ist, und auch das kennzeichnet seine Sonderstellung in seinen Westberliner Jahren, u. a. auch immer in Kontakt mit marxistischen Altertumswissenschaftlern gestanden.92 Beide Punkte müßten, das kann hier nicht geschehen, breiter ausgeführt werden. Auch von daher ist aber nachvollziehbar, daß die Bemühungen der DDR, Altheim zurückzugewinnen, im Briefwechsel bis zum März 1958 dokumentiert sind: Es ging um den Plan, Altheim für eine Professur in Leipzig zu gewinnen (24.3.1958).93 Auch wenn sich Kerényi über die Erklärungen Altheims zu seiner politischen Haltung beruhigt gab (24.2.1950), im Gesamtzusammenhang muß man wohl von weiter bestehenden politischen Differenzen ausgehen. Auch Altheim scheint das gespürt zu haben. Er wollte, wie er vier Jahre später, am 22.5.1954, schrieb, von Kerényi nicht wegen seiner „politischen Anschauungen, heute wie damals, beschimpft werden. Vor allem nicht in einem Augenblick, da sie unterlegen sind“. Die Wege der „Dioskuren“ gingen freilich noch weiter auseinander: Über einige Passagen in Altheims „Roman und Dekadenz“, einem erweiterten Sonderdruck aus „Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum“, kam es 1951 zu einer Verstimmung, zu Mißverständ nissen. Altheim hatte die Sonderausgabe „mit einer umfangreichen Erweiterung, in deren Mittelpunkt Du stehst, geistesgeschichtlich mit D. H. Lawrence zusammengestellt“, brieflich angekündigt (22.3.1951). Es kennzeichnet den Stand der Freundschaft, daß nicht Kerényi selbst, sondern seine Frau zur Feder griff. Sie warf Altheim vor, gerade in dem Augenblick, als er seine Bereitschaft erklärt habe, „sein Dioskurentum mit K. K. fortzusetzen“, [516] diesen vor dem böswilligen Publikum der wissenschaftlichen Öffentlichkeit angegriffen zu haben: Kerényi sei als ein „Träumer, der die Mythenforschung ins Unfaßbare, nur Ahnbare gerückt“ habe, charakterisiert worden. Auch der Umstand, daß Kerényi über D. H. Lawrence „verständig“ gemacht werden müsse, sei als Distanzierung zu verstehen (10.5.1951). Altheim erwiderte, er habe eigentlich mit der Einfügung Kerényi eine Freude machen wollen: „Eine reine Lobrede wird niemand verlangen und (sie) wäre in diesem Zusammenhang zugleich unzweckmäßig und stillos gewesen“. Wenn er schließlich „Kerényi als Erscheinung der Dekadenz auffasse“, schließe er sich selbst ein: „Wir haben uns unser Zeitalter nicht ausgesucht“. Wenn er Kerényi D. H. Lawrence zugeordnet habe, so sei das in Übereinstimmung mit Kerényi selbst94 geschehen. Insgesamt habe sich Magda Kerényi in Sorgen um das Ansehen ihres Mannes gestürzt, die bei Lichte gesehen, nicht vorhanden seien (17.5.1951). Die Diskussion kann hier nicht weiter ausgebreitet werden. Was blieb, waren „Mißverständnisse“ oder „Nichtverstehen“ 90 91 92 93 94
Zitiert nach Willing 1991, 45. Willing 1991, 45 Belege bei Willing 1991, 92, 122, 133f. und 166. Willing 1991, 163 erwähnt diesen Plan für 1956/57. Kerényi hatte sich durchaus schon, z. B. in seinem ersten Brief an Thomas Mann v. 7.2.1934 (vgl. Mann / Kerényi 1960, 38 [s. Anm. 4]), mit D. H. Lawrence auseinandergesetzt; vgl. auch K. Kerényi, Wege und Weggenossen, München 1985, 115 und 362.
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Die „Krise der Alten Welt“ und der Gegenwart
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der Differenzen über die Abhandlung „Roman und Dekadenz“. Die Hoffnung, die Magda Kerényi im Juli 1951 (!) ausdrückte, „daß durch eine persönliche Begegnung zwischen Euch beiden wieder alles in Ordnung kommt, d. h. alle Punkte durchdiskutiert werden können“, erfüllte sich nicht (19.7.1951). Wie der Briefwechsel zeigt, verstummte Karl Kerényi immer mehr, während Altheim in den zumeist an Magda Kerényi gerichteten Schreiben gelegentlich um seinen alten Freund warb: Als das Erscheinen des „Niedergangs der Alten Welt“ bevorstand – Altheim verwies auf die „unvorstellbare Arbeit“ der Neubearbeitung –, fragte er bei Magda Kerényi an, ob er sie Kerényi zuschicken sollte. Diese fast resignierende Frage verband er mit dem Hinweis, daß Kerényi das Werk damals „nach Strich und Faden beschimpft“ habe (28.2.1952).95 Eine Rückäußerung dazu fehlt ganz offenbar. Am Ende seiner Werkreihe zur Krise des 3. Jahrhunderts bezog sich Altheim ausdrücklich auf die Abfolge der verschiedenen Fassungen, in denen sich einzelne Etappen der Geschichte spiegelten. Er bekräftigte wiederum ihre jeweils aktuelle Deutungsabsicht: „Es wird kein Geheimnis verraten, wenn ich sage, daß ich die Gegenwart stets mitgemeint habe.“96 Das belegen – freilich zurückhaltender formuliert – die oben zitierten Äußerungen zur „Krise“ 1944 (18.6.1944)97 und zu „Literatur und Gesellschaft“ von 1947 (2.7.1947). Die „Krise der Alten Welt“ und die „Krise der Gegenwart“ waren für Altheim immer miteinander verknüpft. Der direkte Austausch mit Kerényi beschränkte sich beim Abschluß der Werkreihe auf wenige Briefe. Zu der von Magda Kerényi erhofften persönlichen Begegnung, die der Klärung dienen sollte, kam es erst 1958 in Berlin. „Dabei [517] zeigte sich nun“, so Ruth AltheimStiehl, „doch sehr deutlich die geistige Entfremdung, die wohl vor allem jene Mißverständnisse bewirkt hatten“. Altheim war darüber so erschüttert, daß er selbst an dem Vortrag Kerényis, dem erregte Diskussionen vorausgegangen waren, aus zwingenden gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte.98 Kerényi seinerseits erwähnte in den Tagebuchnotizen zum BerlinAufenthalt Altheim mit keinem Wort. Die Korrespondenz, die nach 1951 stark zurückgegangen war, beschränkte sich nach 1958 auf insgesamt fünf Briefe. Die Freundschaft der „Dioskuren“, die am Anfang der dreißiger Jahre auf der Basis gemeinsamer wissenschaftlicher Interessen begann, war, wie sich in dem hier auszugsweise vorgelegten Dialog zeigt, im Verlauf des Zweiten Weltkriegs immer stärkeren Belastungen ausgesetzt. Es handelt sich dabei um politische Differenzen, die Altheims enge Verbindung mit dem „Ahnenerbe“ und seine teilweise Identifikation mit neuen wissenschaftlichen Aufgaben unter Einfluß der NS-Ideologie, ganz speziell auf die Kriegsgeneration zielend, betreffen. Karl Kerényi geht deutlich auf Distanz zu Altheims Werk. Die Verschleppung von Grazia Kerényi ins Konzentrationslager zeigte den Charakter des NS-Regimes und auch der Organisation, mit der Altheim als Wissenschaftler zusammenarbeitete. Daraus ergab sich für ihn aber die Chance, ganz maßgeblich zur Rettung von Kerényis Tochter beizutragen. Die Krise der Freundschaft verschärfte sich im Verlauf der Rettungs bemühungen; sie ist im Grunde nicht mehr überwunden worden.
95 96 97 98
Vgl. Kerényi an Altheim v. 6.9.1943. Altheim 1952, Bd. 1 (Vorwort) [s. Anm. 74]. Vgl. auch Arbeitsbericht Jahreswende 1944, fol. 62. Mitteilung R. Altheim-Stiehl an den Verf.
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Nach dem Krieg scheinen sich in der Reaktion auf die Angriffe gegen Kerényi – eben wegen seiner Verbindung zu Altheim – die Fronten mehrfach zu verkehren. In dem „Faschismusvorwurf“ gegen Kerényis Werk, den Entlastungsbemühungen auch für Altheim im Kontext der Auseinandersetzungen in Ungarn und denen um Altheim an der Universität Halle in der Ostzone spiegeln sich auf unterschiedlichen Ebenen und an verschiedenen Schauplätzen in gewissem Sinne typische Abläufe von Umbruchszeiten. Für Altheim und Kerényi ging es in dieser Phase um Sicherung bzw. Wiederbegründung nicht allein der wissenschaftlichen Existenz. In der Schlußphase der Korrespondenz in Altheims Westberliner Zeit sind letztlich politische Differenzen erkennbar. Die zunehmende Entfremdung zwischen den „Dioskuren“, die in dem Briefwechsel seit 1943 zu fassen ist, hängt aber auch damit zusammen, daß Altheims Interesse mehr der politischen Geschichte und, von Kerényi kritisch bewertet, auch wirtschaftsgeschichtlichen Fragen gilt. Das religionsgeschichtliche Interesse tritt dagegen, aufs Ganze gesehen, eher zurück. Die Reaktion Magda Kerényis auf Altheims „Roman und Dekadenz“ und das Schweigen Kerényis zum „Niedergang der Alten Welt“ zeigen, daß hier mittlerweile die ursprünglich vorhandene Basis fehlte. Der Dialog zwischen F. Altheim und K. Kerényi eröffnet zweifellos bemerkenswerte zeitgeschichtliche Perspektiven und klärt Positionen Altheims und Kerényis. Im Rahmen der Altertumswissenschaft nehmen beide ganz selbstbewußt, [518] auch das deutet sich im Briefwechsel an, eine Sonderstellung ein: Kerényi in seiner „humanistischen Existenz“ und der Ausdeutung des Mythos – in einem „Dialog“ weit über die Grenzen seines Faches. Altheim darin, daß er, wie Karl Christ formuliert hat, „seinen anspruchsvollen Weg als Individualist konsequent zu Ende (ging), unbeirrt durch Kritik, Gruppenbildung oder andere Rücksichtnahmen“.99 „Eine Sonderstellung“ nahm Altheim nach K. Christ auch „in der Diagnose der römischen Reichskrise“ ein.100 Sein Deutungsmuster entstand in Auseinandersetzung mit großen „Entwürfen“ wie denen Spenglers oder im engeren fachlichen Rahmen mit denen Rostovtzeffs. In beiden Fällen, dem Altheims und Kerényis, bleibt die Aufgabe, ihren Dialog auch im engeren Bezug auf ihre Konzeptionen wissenschaftsgeschichtlich auszuwerten.
99 Christ 1982, 303 [s. Anm. 3]. 100 K. Christ, Der Niedergang des Römischen Reiches aus der Sicht der neueren Geschichtswissenschaft, in: Ders., Römische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 2, Darmstadt 1983, 210; vgl. auch die Einordnungen von K.-P. Johne (Hrsg.), Gesellschaft und Wirtschaft des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert, Berlin 1993, 13f. (Einleitung); A. Demandt, Der Fall Roms, München 1984, 483–485 und G. Alföldy, Der Fall von Rom und die Geschichte, in: Ders., Die Krise des Römischen Reiches, Stuttgart 1989, 483.
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Nr. 8 Originalpublikation in: B. Näf (Hrsg.), Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus. Kolloquium Universität Zürich 14.–17. Oktober 1998, Ed. Cicero, Cambridge u. a. 2001, 71–88.
Nationalsozialismus und Antike Bemerkungen zur Forschungsgeschichte [71] Im Nachlaß des Klassischen Archäologen Gerhart Rodenwaldt (1886–1945) finden sich zwei Blätter in Schreibmaschinenschrift zum Stichwort Hitler über die Antike. Dort werden drei bekannte Passagen aus Mein Kampf und ein Auszug aus Hitlers Rede auf der Kulturtagung des Parteitages 1933 zitiert. Nach Ausführungen über den Parthenon als „die gewaltigste, weil herrlichste Proklamation des griechischen Wesens und Geistes“ und das „klassische Zeitalter in der Kunst“, beschwor Hitler die Verwandtschaft mit den Völkern der Antike: „Griechen und Römer werden (...) den Germanen so nahe, weil alle ihre Wurzeln in einer Grundrasse zu suchen haben, und daher üben auch die unsterblichen Leistungen der alten Völker immer wieder ihre anziehende Wirkung aus auf die ihnen rassisch verwandten Nachkommen“.1 Diesen keineswegs spektakulären Vorgang erwähne ich, weil er am Beispiel eines Alter tumswissenschaftlers einen für die Phase der sogenannten „Machtergreifung“ typischen Vor gang, gewissermaßen einen Arbeitsschritt der Anpassungs- und Anbiederungsversuche belegt. Zitate aus Reden der jeweiligen „Führer“ und „Ideologen“ gehören in ganz unterschiedlichen „Bewegungen“ oder „Regimen“ zum „Repertoire“ etwa der Relevanzliteratur vom Typus „Die Antike und wir“. Im konkreten Falle sehen wir hier einen Archäologen, der auf der Suche nach Anknüpfungs punkten zwischen seiner Disziplin und einer im Prinzip sehr „hochschulfernen“ Bewegung in einem sehr weitem Sinn das Forschungsgebiet „Altertumswissenschaft in der Zeit des Faschismus bzw. Nationalsozialismus in seiner deutschen Variante“ konstituiert. Meine Bemerkungen zur Forschungsgeschichte setzen freilich erst nach dem Ende des Dritten Reiches ein, sie sind mit einer Reihe von Einschränkungen zu versehen. In einem ersten Schritt nehme ich sehr disparate Spuren aus der Phase der Entnazifizierung auf. Vor allem aber konzentriere ich mich dann auf den Umgang mit unserem Thema in dem Zeitraum von Mitte der sechziger bis zu den achtziger Jahren. Am Schluß beziehe ich mich auf einige Aspekte der Entwicklung [72] in den neunziger Jahren, die von einer „Radikalisierung“ der Fragestellungen gekennzeichnet ist. Mit den folgenden Ausführungen biete ich keine lückenlose Forschungsgeschichte, sondern ausschnittartige, zum Teil persönlich gehaltene Bemerkungen, wobei Überschneidungen mit dem Forschungsbericht von Beat Näf nicht zu vermeiden sind. An einigen Punkten möchte ich in diese Spurensuche Fragen aus der Diskussion einbringen, die vor allem über Neuhistoriker, darunter führende Vertreter der deutschen Sozial 1
Nachlaß G. Rodenwaldt, Staatsbibliothek zu Berlin Dep. 7 (Rodenwaldt) U 718, Blatt 34 v.
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geschichtsschreibung, entbrannt ist: Aktuellen Anlaß dazu bot der Streit, der unter beträchtlicher Anteilnahme der Medien auf dem Frankfurter Historikertag im September 1998 über Positionen geführt wurde, die der Fachwelt eigentlich hätten bekannt sein müssen. Bewußt beziehe ich mich dabei auch auf meine persönlichen Eindrücke als Zuhörer dieser Diskussion. Der jüngst erschienene, von Winfried Schulze und Otto Gerhard Oexle herausgegebene Sammelband Deutsche Historiker im Nationalsozialismus dokumentiert neben zusätzlichen Beiträgen die „überarbeiteten Referate und ausformulierten Kommentare“.2 Bei der Überarbeitung ist viel von der leidenschaftlichen Diskussion und ihrer Spontaneität in einer spannungsgeladenen Atmosphäre verlorengegangen, die ein Wortprotokoll vielleicht besser hätte einfangen können. Insgesamt vermitteln die Beiträge des Tagungsbandes vielfach einen „fortgeschrittenen“ Diskussionsstand. Wie die „Goldhagen-Debatte“ auf dem Münchner Historikertag von 1996 darf man auch die Frankfurter Diskussion als ein Lehrstück für das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit bezeichnen. Die Debatte von 1996 lieferte unverkennbar auch Stichworte für Frankfurt, wie etwa den Terminus von den „willigen Vollstreckern“, aus denen dann sehr schnell „willige Historiker“ werden. Von Altertumswissenschaftlern und Althistorikern war in Frankfurt zwar keine Rede, aber als Teil der Geschichtswissenschaft wird zumindest das Fach Alte Geschichte von diesen Fragen tangiert. Dabei ist die Frage erlaubt, ob das „Desaster der Historiographiegeschichte“ (K. F. Werner), von dem im Blick auf die „Aufarbeitung“ der neuesten „Geschichte der Geschichtswissenschaft“ die Rede ist, so auch für die Alte Geschichte gilt. Die Positionen der Frankfurter Disputanten sind nur kurz zu umreißen. Ganz vehement erinnern sie an die „Opfer“ der NS-Diktatur insgesamt und die aus den Reihen der Geschichts wissenschaft. In diesem Sinne ist das von Peter Schöttler zuerst 1997 herausgegebene SuhrkampBändchen Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, auf das ich mich wiederholt beziehen werde, der „Erinnerung an Siegmund Hellmann, Friedrich Münzer, Ernst [73] Perels, Georg Sacke und andere deutsche und nichtdeutsche Historiker, Männer und Frauen, die in deutschen Konzentrationslagern umkamen“, gewidmet.3 „Die deutsche Historikerzunft“, so wird die These im Klappentext vorgestellt, „war an der nationalsozialistischen Eroberungsund Vernichtungspolitik intellektuell beteiligt und muß sich endlich ihrer Geschichte stellen“. Anstöße zu dieser Diskussion gaben nicht zuletzt die Arbeiten von Götz Aly (mit Susanne Heim) Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung (1991) bis hin zu Alys neuestem Titel Macht – Geist – Wahn, Kontinuitäten deutschen Denkens (1997). Für Aly und seine Mitstreiter ist erwiesen, daß die übergroße Zahl der deutschen Historiker das NS-Regime engagiert unterstützt haben. „Strittig sind jedoch“, so P. Schöttler, „Ausmaß und Konsequenzen dieses fatalen Engagements. Und natürlich seine Interpretation“. Nach seiner Einschätzung könnte deren Spielraum über „die bloße Konstatierung eines verbalen Mitmachens aus menschlicher Schwäche“ hinausgehend zum Nachweis „einer moralischen
2 3
Vgl. W. Schulze / O. G. Oexle (Hrsg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Fischer Taschenbuch 14606, Frankfurt a. M. 1999, Klappentext und „zur Anlage des Bandes“ (17f.) (= Schulze / Oexle 1999). P. Schöttler (Hrsg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, Frankfurt a. M. 1997, 6 (= Schöttler 1997).
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und wissenschaftlichen Mitverantwortung, ja Mitschuld“ reichen.4 Soviel zu einer knappen Charakteristik dieser Diskussion. Zu den insgesamt spärlichen Spuren, die sich unmittelbar nach Kriegsende aufnehmen lassen, zählt der Beitrag Zur Lage der Geisteswissenschaften in Hitler-Deutschland, der 1945/46 in der Schweizerischen Hochschulzeitung erschien. Er stammt aus der Feder des Prähistorikers Joachim Werner (1909–1994).5 Der Autor, der das Fach Vor- und Frühgeschichte von 1942–1944 an der „Reichsuniversität“ Straßburg vertreten hatte, schrieb aus einem Internierungslager in der Schweiz. Er schilderte unter anderem den raschen Anpassungsprozeß des Berliner Althistorikers Wilhelm Weber (1882– 1948) nach 1933 und auch seine persönlichen, offenbar nicht ganz negativen Erfahrungen im sogenannten „Dozentenlager“. Eine Auseinandersetzung mit dem Emigrationsverlust fehlt. Am 15. März 1946 – damit komme ich zu einem ganz anderen Ansatz – schloß Max Weinreich sein im gleichen Jahr erschienenes Werk Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany’s Crimes against the Jewish People ab, das im Auftrag des Yiddish Scientific Institute erstellt worden war.6 Diese „Pionierstudie“ hätte, so P. Schöttler, „mit ihrer Auflistung von Taten und Zitaten vielen ‚Persilscheinjägern‘ arg zugesetzt (...), wenn sie ins Deutsche übersetzt worden wäre“.7 [74] Erfaßt wurden darin u. a. die Aktivitäten des Klassischen Philologen Hans Bogner (1885–1948) in Walter Franks „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“ und die Verbindungen der Althistoriker Friedrich Cornelius (1893–1976) und Joseph Vogt (1895– 1986) zum „Frankfurter Institut zur Erforschung der Judenfrage“, einer Außenstelle der sogenannten „Hohen Schule“ Alfred Rosenbergs.8 Naturgemäß blieb diese Aufstellung unvollständig, so fehlt etwa der Name des Klassischen Philologen Hans Oppermann (1885–1982), auf dessen „für den Dienstgebrauch“ bestimmte Schrift Der Jude im griechisch- römischen Altertum9 von 1943 Jürgen Malitz erneut aufmerksam gemacht hat.10 In Oppermanns Beitrag wurde, so Christhard Hoffmann, „das offizielle nationalsozialistische Geschichtsbild mit all seinen Abstrusitäten wohl am konsequentesten auf die ‚antike Judenfrage‘ übertragen“.11 1947 äußerte sich Theo Herrle (Jahrgang 1888), ein Schulmann aus Leipzig, in der Sowjeti schen Besatzungszone knapp zum Thema Nationalsozialismus und Altertumswissenschaft; ein Mann, der sich, wie seine kritischen Schriften in beiden Regimephasen belegen, weder unter dem NS-Regime noch in der SBZ anpaßte.12 Darin dürfte auch ein Grund dafür liegen, daß 4 Schöttler 1997, 8f. 5 Schweizerische Hochschulzeitung 19 (1945/46) 71–81. 6 M. Weinreich, Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany‘s Crimes against the Jewish People, New York 1946 (repr. 1999) (= Weinreich 1946). 7 Schöttler 1997, 12 [s. Anm. 3]. 8 Vgl. Weinreich 1946, 48 und 55 (zu Bogner), 102 (zu Cornelius) und 102 (zu Vogt) [s. Anm. 6]. 9 München 1943 (Schriftenreihe zur weltanschaulichen Schulungsarbeit der NSDAP, H. 22). 10 J. Malitz, Römertum im „Dritten Reich“: Hans Oppermann, in: Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ, hrsg. v. P. Kneissl / V. Losemann, Stuttgart 1998, 538f. (= Malitz 1998). 11 Chr. Hoffmann, Juden und Judentum im Werk deutscher Althistoriker des 19. und 20. Jahrhunderts, Leiden u. a. 1988, 264. 12 Th. Herrle, Nationalsozialismus und Altertumswissenschaft, in: Aufbau 3,2 (1947) 29–32; vgl. ders., Gegenwartsfragen des altsprachigen Unterrichts, in: Die Erziehung 12 (1937) 474–479 und 517–522.
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der Byzantinist Johannes Irmscher 1965 den Beitrag Herrles – inzwischen war der Autor in den Westen gegangen – nur sehr verhalten als Beginn einer Aufarbeitung würdigte.13 Bei Herrle begegnet freilich der Himmlers „Ahnenerbe“ eng verbundene Althistoriker Franz Altheim (1898–1976) nicht, der gerade dabei war, seine SBZ-Karriere aufzubauen und zu sichern: Er konnte nicht nur die Grundgedanken seines noch unveröffentlichten zweiten Bandes der Krise der Alten Welt 1943 in dem Organ Forschungen und Fortschritte bzw. 1947 in dem ostzonalen Organ Forum. Zeitschrift für das geistige Leben an den deutschen Hochschulen, wortgleich herausbringen,14 es gelang ihm auch, die mit erheblicher Unterstützung der SSOrganisation „Ahnenerbe“ veröffentlichten Bände 1 und 3 seiner Krise der Alten Welt in die SBZ und DDR hinüberzuretten. Dazu mußten nur [75] Vorsatzblätter bzw. die „Ahnenerbe“Dekoration mit dem Geleitwort des „Reichsführers SS“ entfernt werden. Ein in der Tat bemerkenswertes Zeugnis für die Aufarbeitung der Vergangenheit in der SBZ, das Johannes Irmscher beiläufig erwähnt hat.15 Eine andere Spur führt nach Hinterzarten im Schwarzwald: Im September 1949 fand dort die erste Tagung der deutschen Altertumswissenschaftler nach dem Krieg statt, die sich mit der Frage beschäftigte „Wo steht die Altertumswissenschaft heute in Deutschland?“ Der Berichterstatter der Neuen Zürcher Zeitung, Walter Rüegg, äußerte bei dem Gedanken an die Tradition Mommsens und Wilamowitz’ tiefes Erschrecken: „Insbesondere scheint das Studium der alten Geschichte durch die nationalsozialistische allgemeine Politisierung der Ge schichtswissenschaft ganz heruntergekommen zu sein“, und „der Umstand, daß Gelehrte (wie der Tübinger Vogt und der Marburger Taeger), die unter den Nazis zu besondern Konzessionen bereit waren, als (entnazifiziert) wieder das große Wort führten, (konnte) für die Zukunft nur bedenklich stimmen“.16 Der nach England emigrierte Althistoriker Victor Ehrenberg (1891– 1976), der aus diesem Anlaß zum ersten Mal wieder Deutschland besuchte, notierte später in seinen Personal memoirs, daß seine Bereitschaft, Brücken über den Abgrund der letzten Dekade zu bauen, sehr begrüßt wurde und fuhr fort: „No revival of Nazism seemed possible, but“, so Ehrenberg weiter, „there was comparatively little feeling of guilt“.17 Das geringe Schuldbewußtsein bezog sich nicht allein auf die eigene Tätigkeit, sondern wohl auch auf das Verhältnis zu den Opfern der „Säuberung“ der Altertumswissenschaft und spiegelt die auf Sicherung oder Wiederbegründung der Existenz ausgerichteten individuellen Interessenlagen der Entnazifizierung, hinter denen die Frage nach und die Sorge um das Schicksal der Verdrängten und Verfolgten weithin zurücktrat. František Graus, ein sehr genauer Kenner der Materie, hat im Blick auf die Masse der sogenannten „Revisionsliteratur“ der Nachkriegszeit davon gesprochen, daß man die große Aufgabe 13 J. Irmscher, Altsprachlicher Unterricht im faschistischen Deutschland, in: Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte 5/6 (1965) 226 (= Irmscher 1965). 14 Vgl. F. Altheim, Rom: Reich und Reichskrise, in: Forschungen und Fortschritte 19, Nr. 29/30 v. 10. und 20.10.1943, 297–288; ders., Das Römische Reich und die Reichskrise, in: Forum 1, H. 8/9 (1947) 2–5. 15 J. Irmscher, Die klassische Altertumswissenschaft in der faschistischen Wissenschaftspolitik, in: Altertumswissenschaften und ideologischer Klassenkampf. Wissenschaftliche Beiträge d. MartinLuther-Univ. Halle-Wittenberg 1980, 35, 87; vgl. dazu auch M. Wiling, Althistorische Forschung in der DDR, Berlin 1991, 31 Anm. 17. 16 W. Rüegg, Die Altertumswissenschaft in Deutschland, in: NZZ v. 20.9.1949 (Nr. 1900, Bl. 1–2). Auf dieser Tagung wurde die „Mommsen-Gesellschaft“ gegründet. 17 V. Ehrenberg, Personal Memoirs, London 1971 (Ms.), 115; vgl. auch D. Königs, Joseph Vogt. Ein Alt historiker in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Basel 1995, 59f. (= Königs 1995).
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der Auseinandersetzung mit der „nazistischen Historiographie“ nicht „durch eine mechanische Verurteilung der Vergangenheit [76] als ‚Irrweg‘ bewältigen“ könne, „wie es nach 1945 oft die Regel war“.18 So weit einzelne Schlaglichter auf die Phase der „Entnazifizierung“. Führende Vertreter der Altertumswissenschaft der ehemaligen DDR, wie der schon erwähnte Johannes Irmscher, nahmen für sich zu Recht in Anspruch, daß sie die Auseinandersetzung mit dem hier in Rede stehenden Themenkomplex relativ früh, gewissermaßen als „nationale Aufgabe“ ihrer Disziplin, in Angriff genommen hätten. Irmscher verwies darauf, daß auf dem ersten Kongreß der „Fédération internationale des Associations d’études classiques“ (FIEC) 1950 von Seiten der UNESCO „die Erforschung der Ursprünge des Faschismus und National sozialismus“ als ein „erstrangiges Anliegen“ bezeichnet wurde.19 Abgesehen von einigen frühen Beiträgen zur Universitätsgeschichte begann die „Aufarbeitung“ auf dem Boden der DDR erst Anfang der 60er Jahre: An ihrem Beginn steht der ungewöhnlich materialreiche und umfängliche Aufsatz von Johannes Irmscher Altsprachlicher Unterricht im faschistischen Deutschland, der vielfältige Querverbindungen zur Altertums wissenschaft aufweist. Bei vielen richtigen Ansätzen und Beobachtungen und einem radikaleren Zugriff blieb doch der plakativ programmatische Anspruch, mit dem die Auseinandersetzung mit der westdeutschen Althistorie als Teil der „bürgerlichen Geschichtsschreibung“ geführt wird, in seiner ideologischen Gebundenheit seinerseits hochproblematisch. Die Diskussion über die Rolle der Universitäten im Dritten Reich kam – nicht zuletzt angestoßen von kritischen Fragen der Studentenbewegung – Mitte der sechziger Jahre in den bekannten Vortragsreihen in Berlin, München und Tübingen in Gang. Probleme der Altertums wissenschaften wurden dort aber nicht angesprochen. Was die Geschichtswissenschaft anbelangt, so war damals die Stunde prominenter Neuhistoriker wie Hans Rothfels (1899–1976) oder Hans Herzfeld (1892–1982). „Mit der ganzen Autorität des konservativen Emigranten“, bescheinigte Hans Rothfels nach einer Formulierung von P. Schöttler, „daß die große Mehrheit seiner Fachgenossen, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geblieben war, nur aus irregeleiteten Mitläufern oder heimlichen Oppositionellen bestanden habe“. Rothfels’ Schuldzuweisung an „wildgewordene Studienräte oder Außenseiter“ ist mehrfach aufgenommen worden.20 Im Zentrum der aktuellen Diskussion stehen ehemals führende Repräsentanten der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft wie Werner Conze (1910–1986), Karl Dietrich Erdmann (1910–1990) und Theodor Schieder (1908–1984), wobei sich die Angriffe, wie bekannt, auch gegen den Historikerverband und sein fehlendes „Schuldeingeständnis“ richten. Zumindest Karl [77] Dietrich Erdmann, den jetzt der Vorwurf trifft, die „eigene Nachgiebigkeit ausgeblendet zu haben,21 unternahm schon in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre einen Versuch, eine Debatte über die Rolle der Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit vor dem Forum des Historikertages von Freiburg 1967 zu führen: Im Vorfeld dieses Historikertages wurde bei einem Treffen deutscher Historiker in Koblenz (1965/66?) sein entsprechender Vorschlag nach der Erinnerung von Karl Christ aber mehrheitlich abgelehnt. 18 F. Graus, Geschichtsschreibung und Nationalsozialismus, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 17 (1969) 94; vgl. Schöttler 1997, 7 [s. Anm. 3]. 19 Irmscher 1965, 225 [s. Anm. 13]. 20 Schöttler 1997, 9 [s. Anm. 3]. 21 H.-U. Wehler, Nationalsozialismus und Historiker, in: Schulze / Oexle 1999, 325 [s. Anm. 2].
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Eine wichtige Etappe der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der deutschen Geschichtswissenschaft markiert dann die äußerst umfangreiche Arbeit von Helmut Heiber über Walter Franks Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands von 1966, die im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte erstellt wurde: Auch wenn die ehrgeizigen Pläne Walter Franks, das Parteiinstitut für Geschichte zu schaffen, nicht verwirklicht wurden, wenn diese Institution eine „völlig periphere Rolle“ (Graus) spielte, hat Heiber unbestreitbar auf dem Umweg über die Geschichte dieser Institution auch Verhaltensformen und Verwicklungen der deutschen Universitätshistoriker in den Blick genommen: So auch Hauptakteure aus der Alten Geschichte wie Helmut Berve (1896–1979), Fritz Schachermeyr (1895–1987), Wilhelm Weber und im Kontext der Forschungen zur Judenfrage Joseph Vogt. Daß Heibers Buch, so wiederum P. Schöttler, „gerade wegen seiner unglaublichen Ausführlichkeit (...) das Forschungsfeld, das eigentlich erst zu entdecken und zu öffnen war, sofort wieder geschlossen“ habe, kann ich nicht finden.22 Wenn der Eindruck nahegelegt wird, man habe „einige quasi-offizielle NS-Historiker wie Walter Frank im Scheinwerferlicht“ stehen lassen, um den Beitrag der Universitätshistoriker „übersehen“ zu können, wird das der Darstellung Heibers kaum gerecht. Gegenüber der ironisierenden Wortwahl Heibers, seiner ausufernden Darstellungsform – das gilt auch für seine Bände aus der Reihe Universität unter dem Hakenkreuz – sind sicherlich Vorbehalte angebracht, aber sein Beitrag über das Reichsinstitut hat m. E. in der Tat ein Forschungsfeld erschlossen. In diese Reihe gehören dann die Arbeit von M. H. Kater über Das Ahnenerbe der SS (1965/1974) und die Monographie über das Amt Rosenberg von Reinhard Bollmus (1970) – beide aus der Schule Werner Conzes, mit denen zwei wichtige Parteiorganisationen untersucht wurden. Indirekt sehen sich auch diese Arbeiten dem Vorwurf ausgesetzt, mit der Konzentration auf Machtbereiche Himmlers und Rosenbergs einen Großteil der Verantwortung bei diesen „abzuladen“. Indessen kann auch hier das Beispiel einzelner Altertumswissenschaftler und Historiker, ich nenne Franz Altheim, Franz Dirlmeier (1904–1977), Franz Miltner (1901–1959), Rudolf Till (1911–1979) und Richard Harder (1896– 1957), lehren, wie bereitwillig hier Allianzen eingegangen wurden, die ihren Tribut verlangten. [78] Auf jeden Fall ist die Auseinandersetzung mit Institutionen und Organisationen unter dem Einfluß führender NS-Ideologen ein wichtiger und sachlich notwendiger Forschungsansatz – auch im Kontext „Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft“. Der Frankfurter Dis kussion entstammt dagegen der Gedanke, daß jetzt belastete bzw. angegriffene Historiker wie W. Conze mit der Förderung von Arbeiten wie denjenigen von Bollmus und Kater eine indirekte Antwort auf ihre Vergangenheit gegeben hätten. Eine gerade für die sechziger Jahre – das gilt es mit Nachdruck hervorzuheben, und das räumen auch die Kritiker der Historiographiegeschichte ein, – außerordentlich mutige Studie stammt von dem Mediävisten Karl Ferdinand Werner, der 1967 über das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, auch unter Einschluß von Althistorikern, handelte.23 Was die Wirkung dieser kleinen Pionierstudie angeht, so vermittelt diese alles andere als den von Schöttler nahegelegten Eindruck, daß man nach den Arbeiten von Heiber und Werner „das Problem ‚Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus‘ für erledigt hielt“.24
22 Schöttler 1997, 13 [s. Anm. 3]. 23 Stuttgart 1967. 24 Schöttler 1997, 14 [s. Anm. 3].
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Im Hinblick auf die mit dem Umriß eines NS-Geschichtsbildes verbundenen Probleme wird gegen Werner und andere der Vorwurf einer „ideengeschichtlichen Reduktion der nazistischen Ideologie auf die Elaborate eines Hitler, Rosenberg oder Goebbels“ mit „fatale(n) nämlich vorschnell diskulpierende(n) Folgen“ erhoben. Dies im Sinne einer Ablenkungs- bzw. Entlastungsstrategie für betroffene oder belastete Historiker.25 Wie wichtig und fruchtbar dieser kritisierte Ansatz ist, den P. Villard 1972 in dem Beitrag Antiquité et Weltanschauung hitlerienne für einen Teilbereich aufnahm,26 belegt jetzt eindrucksvoll die Monographie Utopie als Ideologie – Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich von Frank-Lothar Kroll.27 Mit diesen Bemerkungen zu einzelnen Ansätzen vor allem der sechziger Jahre und ihrer kritischen Beleuchtung im Kontext der aktuellen Diskussion im Umfeld des Frankfurter Historikertages war die Ausgangslage für die Auseinandersetzung mit dem Thema „National sozialismus und Antike“ allgemein und zugegebenermaßen subjektiv zu umreißen. In den folgenden Ausführungen komme ich zu den Anstößen, die Karl Christ gegeben hat. Das Interesse an wissenschafts- und wirkungsgeschichtlichen Fragen verlieh den Publi kationen, aber auch den Lehrveranstaltungen Christs in Marburg einen besonderen Akzent: So hat er, das ist wohl eine der frühesten Spuren, Anfang der sechziger Jahre nach einem Jahrestag zum 17. Juni 1953 in seine Vorlesung einen Exkurs über die marxistisch orientierte Althistorie eingefügt. Seine [79] Auseinandersetzung mit der Rolle der Geschichtswissenschaft in der NSZeit wurde durch entsprechende Angriffe auf westdeutsche Historiker aus der DDR ebenso angestoßen wie durch ideologiekritische Arbeiten auch über Altertumswissenschaftler und althistorische Themen in der NS-Zeit aus dem Umfeld der Marburger Politikwissenschaft. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Disziplin sah er ganz im Sinne Amaldo Momiglianos (1908–1987), dessen Anregungen Christ seit 1970 immer stärker aufnahm, eine genuine Aufgabe des Althistorikers. Zu diesen Anregungen zählte auch die Aufforderung Momiglianos, daß die deutschen Wissenschaftler ihre Vergangenheit selbst aufarbeiten sollten. 1971 hat Christ dann in einer Skizze Zur Entwicklung der Alten Geschichte in Deutschland ein umfangreiches Programm umrissen, in dessen Rahmen nicht nur „Leben und Werk der maßgebenden Althistoriker (...) ihr persönliches Schicksal und ihr politisches Engagement“, sondern auch die „Bedeutung der geistigen, religiösen, gesellschaftlichen und politischen Einflüsse auf die Formung der Persönlichkeit, auf die Wahl der historischen Perspektiven und Themen“, untersucht werden sollte. Verlangt wurde auch, „die Wechselverbindungen zwischen monarchistischen und imperialistischen Positionen zur Zeit des wilhelminischen Deutschlands und der Weimarer Republik und der Bewertung antiker Phänomene oder die Voraussetzungen und Wandlungen des deutschen Spartabildes zwischen 1918 und 1945 wie generell das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Antike“ zu analysieren.28 Zu den für die damalige Zeit ungewöhnlichen, aber längst überfälligen Forderungen zählte auch die, „die wissenschaftliche Passivbilanz jener Epoche zu ziehen“, d. h. an die seit 1933 vertriebenen und verfolgten Fachvertreter zu erinnern“. Christ nannte damals nur wenige Namen: Arthur Rosenberg (1889–1943), Fritz Heichelheim (1901–1968), Victor Ehrenberg 25 26 27 28
Schöttler 1997, 16. Revue d’histoire de la deuxième guerre mondiale 22, 88 (1972) 1–18. Paderborn 1998. K. Christ, Zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte in Deutschland, in: GWU 22 (1971) 592f. (= Christ 1971).
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(1891–1976), Friedrich Münzer (1868–1942) und Ernst Stein (1891–1945).29 Diese programmatische Skizze war der Kern eines Projektantrages, der bereits Ende 1968 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestellt und von den zuständigen Fachvertretern in „Rekordzeit“ mit negativen Konsequenzen „bearbeitet“ wurde. Die wenigen Daten, die dazu heute noch mit freundlicher Unterstützung der DFG zu ermitteln waren, belegen überdeutlich, daß auf Seiten der Fachgutachter bzw. -vertreter der Alten Geschichte – in der großen Mehrheit – keine Bereitschaft vorhanden war, dieses Projekt zu unterstützen. Der Projektantrag zum Thema „Alte Geschichte und Nationalsozialismus“ ging, wie der Antragskartei zu entnehmen ist, am 27. November 1968 bei der Forschungsgemeinschaft ein und wurde am 3. Januar 1969 von dort an „FA.“, vermutlich an die Gutachter [80] des Fachausschusses Alte Geschichte weitergeleitet. Bereits fünf (!) Tage später, am 8. Januar 1969, kam der Antrag an die DFG zurück.30 Als Fachgutachter fungierten zu dieser Zeit Horst Braunert (1922–1976) und Karl Friedrich Stroheker (1914–1988), wobei nicht klar ist, ob beide Gutachter den Antrag überhaupt gesehen haben. Nachdem ihm das nahegelegt worden war, zog Christ mit Schreiben vom 24. März 1969 den Antrag zurück. Am 31. März 1969 wurde der Antrag bei der DFG dann „aus der Bearbeitung genommen“, so der letzte Vermerk in der Antragskartei. Die Antragsunterlagen selbst wurden 1975 vernichtet. Angesichts der eher spärlichen schriftlichen Belege darf man wohl – das legen ähnliche Vorgänge nahe – von einem beträchtlichen Ausmaß der fachinternen mündlichen Kommunikation über diese Angelegenheit ausgehen. Allein die ungewöhnliche „Bearbeitungs zeit“, die diesem Projektantrag gewidmet wurde, spricht für sich. Es ist keine Frage, daß sich die zuständigen Fachgutachter wohl durchaus im Einklang mit der Bewußtseins- und Interessenlage der Mehrheit ihrer Fachgenossen befanden. Der Vorgang fügt sich in das bekannte Bild ein, er entspricht dem vielfach kritisierten typischen Verhaltensmuster der älteren Historikergeneration. Er belegt aber auch relativ frühe Ansätze und Initiativen – dreißig Jahre vor der erregten Debatte auf dem Frankfurter Historikertag –, denen keine Chance gegeben wurde. Das hat Aktivitäten, die Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre durchaus aus dem Rahmen althistorischer Seminarroutine fielen, nicht behindert: Christ hatte schon 1965 eine wissenschafts- und rezeptionsgeschichtliche Bibliotheksabteilung u. a. mit den Sparten „NSZeit“ und „DDR“ eingerichtet. Er ließ Materialsammlungen beispielsweise zur Entwicklung der Alten Geschichte in England, Frankreich oder in der Zeit des Nationalsozialismus anlegen – dazu gehörte etwa die Auswertung von NS-Publikationen vom Völkischen Beobachter bis zu den NS-Monatsheften. Die Ankündigung einschlägiger Dissertationen, die Inangriffnahme einzelner Themen im Rahmen von Staatsexamensarbeiten, löste in der Fachöffentlichkeit zumindest Unruhe, ablesbar an besorgten telefonischen Nachfragen von Fachkollegen, bei Christ selbst aus. Nicht alles, was die Gerüchteküche produzierte, drang nach Marburg. Zuverlässig überliefert ist aber eine vielleicht nicht untypische Szene, aus einer Teerunde an einer großen deutschen Universität am Rhein: Die Marburger Dissertationsvorhaben, die damals in einer Liste der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik vorlagen, wurden mit dem Kommunismusverdacht versehen. 29 Christ 1971, 583f. [s. Anm. 28]. 30 Diese und die folgenden Angaben nach Antragskartei der DFG (2 Blatt) und Schreiben der DFG/Dr. Briegleb an den Verfasser v. 16.8.1999.
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Meine Erfahrungen bei der Bearbeitung des Dissertationsthemas „Nationalsozialismus und Antike“ möchte ich übergehen. Nur soviel: Die Bemerkung von D. Königs, meine Arbeit sei nicht durch neue Datenschutzgesetze behindert [81] worden, vermittelt einen falschen Eindruck.31 In einigen Archiven habe ich unter zum Teil grotesken Bedingungen arbeiten müssen. Gerne hätte ich auch die Bestände benutzt, die etwa Johannes Irmscher in DDR-Archiven zugänglich waren. Im Vorfeld der Drucklegung entstand ein Gutachterstreit, der in allgemeinen Zügen nachgezeichnet werden soll. Im ersten Durchgang des Begutachtungsverfahrens kam ein Mediävist mit wissenschafts- und zeitgeschichtlichen Ambitionen zu einem positiven, ein Politologe eher konservativer Observanz, der in der Alten Geschichte promoviert hatte (Schäfer-Schule), zu einem negativen Votum bezüglich der Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Studien zur Zeitgeschichte“ des Münchner Instituts. Ein Obergutachter, ein Politologe und Zeitgeschichtler und ebenfalls promovierter Althistoriker, ebnete ein Jahr später den Weg – aber inzwischen war das Angebot einer anderen Reihe angenommen worden. Strittig war die Frage, ob die Dissertation von althistorischem oder zeitgeschichtlichem Interesse sei. Mitte der siebziger Jahre lag, wie im Gutachterkreis, zu dem auch die Heraus geber der Reihe Historische Perspektiven gehörten, konstatiert wurde, eine „Analyse der Ge schichtswissenschaft in der Aera des Nationalsozialismus (...) nur in Umrissen“ vor. Deshalb sollte, ich beziehe mich hier auf Überarbeitungswünsche, die Alte Geschichte als Teil der Geschichtswissenschaft herausgestellt werden. Gefordert wurde aber auch, die Ansätze der Arbeit zur Berücksichtigung der gesamten Altertumswissenschaft auszubauen. Die „wichtigste Legitimation der Arbeit“ sah man darin, „daß ein Fach, wiewohl an den Universitäten nicht etwa vergleichbar den neusprachlichen Philologien, dem nationalsozialistischen Gedankengut exponiert, seine ‚angebräunte‘ Vergangenheit bewältigt. „Insgesamt“ sollte freilich auch „das Thema etwas relativiert werden“, resümierte ein Zeithistoriker: „Altheims ‚Kriegseinsatz‘ ändert doch wohl kaum etwas daran, daß die Blockwarte für den NS meinungsbildender und einflußreicher waren als alle Ordinarien der Alten Geschichte“.32 Bei den Überarbeitungswünschen ergab sich ziemlich eindeutig, daß die Gutachter die Schwierigkeiten der Materialbeschaffung, etwa den Zugang zu Nachlässen etc., unterschätzten. Ein anderer Diskussionspunkt betraf die ernsthaft erwogene Frage, ob einzelnen Betroffenen vor der Drucklegung Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden sollte. Gerade von den Zeithistorikern wurde dieser Vorschlag mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Ein Gutachter argwöhnte sogar, daß dieses bedenkliche Verfahren schon angewandt worden sei und wollte damit ein teilweise allzu großes „Verständnis“ des Autors für bestimmte Positionen erklären. Der Verfasser habe „nicht aus persönlicher Erfahrung das Schockerlebnis“ gekannt, „das sich für Angehörige einer älteren Generation in den Jahren 1933ff. einzustellen pflegte, wenn sie dem Nationalsozialismus [82] ablehnend gegenüberstehend, beobachten mußten, wie angesehene Gelehrte nicht davor zurückschreckten, sich in mehr oder minder eklatanter Form zur ‚Bewegung‘ und ihrer wissenschaftsfremden ‚Weltanschauung‘ zu bekennen“.
31 Königs 1995, 4 [s. Anm. 17]. 32 Darauf bezieht sich auch K. Christ, Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1982, 259.
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Der Verzicht auf Zeugenbefragungen – die entsprechenden Erfahrungen M. H. Katers bei seiner Studie zu Himmlers „Ahnenerbe“ gaben Anlaß zur Skepsis – führte nun aber auch nicht dazu, daß sich die „Angesprochenen“ oder „Betroffenen“ selbst zu Wort meldeten. Abgesehen von Gerüchten über Verärgerung und Wutausbrüche wegen der Veröffentlichung einzelner Sachverhalte war aus diesem Kreis wenig zu vernehmen. Ein Gesprächsangebot bzw. eine Einladung von Alfred Heuß blieb in dieser Hinsicht die einzige Ausbeute. Das weitgehende Schweigen dieser Generation war auch Thema der erregten Diskussion auf dem Frankfurter Historikertag: Das „Schweigen der Väter“, das Werner Conzes gegenüber seinen Assistenten, das Theodor Schieders gegenüber seinem eigenen Sohn Wolfgang, gehört zu den stärksten Impressionen dieser Veranstaltung. Wolfgang Schieder, der dies bezeugte und ausdrücklich weitere Forschungsaktivitäten in dieser Richtung unterstützte, hat m. E. einen richtigen Weg gewiesen. Man sollte sich dabei auf das für die Generationen und ihre jeweilige Sozialisation Typische konzentrieren.33 Zweifel scheinen mir persönlich angebracht, ob ein „Schuldeingeständnis“ des Historiker verbandes, wie von Götz Aly seit 1995 mehrfach eingefordert, irgendwie hilfreich sein kann. Das 1990 gefallene Diktum des amerikanischen Historikers Charles Maier von „der geringen Beitschaft der Schüler-Generation, ihre NS-Väter symbolisch zu ermorden“, wurde in Frankfurt wieder aufgebracht.34 Die Bereitschaft dazu war, daß ließ die Diskussion erkennen, zur Überraschung jüngerer Teilnehmer etwa bei Jürgen Kocka und Hans Ulrich Wehler eher gering. Der Dissens ging quer durch Familien, wie der Disput zwischen Wolfgang J. und Hans Mommsen zeigte, deren Vater Wilhelm Mommsen (1892–1966) schon für Helmut Heiber ein wichtiger Zeitzeuge und Untersuchungsgegenstand war.35 Diese Verhaltensform der „Väter“ und „Söhne“ aus dem neuhistorischen Umfeld finden auch in der Althistorie ihre Entsprechung: Das bestätigt ein eindrucksvolles [83] Zeugnis von Jochen Bleicken, das er in dem „Schlußwort“ zu dem Kolloquium aus Anlaß seines siebzigsten Geburtstages gegeben hat: Bleicken berichtet von der durch gemeinsame Kriegsteilnahme bestimmten Nähe zwischen Hochschullehrern und der Studentengeneration seiner eigenen Jahrgangsgruppe in der Nachkriegszeit. Andererseits empfand und empfindet Bleicken wohl bis heute „eine besondere Distanz“ zu dieser Professorengeneration, die aus dem konsequenten „Verschweigen einer dunklen Vergangenheit der Universität“ resultiert.36 Bleicken bekundet weiter, daß ihm „übrigens auch die jüdischen Gelehrten, die aus der Emigration oder dem Untergrund in die Universität zurückkehrten, in dieser Sache nicht weitergeholfen“ hätten: Sie schienen das Gespräch über das Geschehen vor 1945 sogar ausdrücklich 33 Vgl. die ausformulierte Einlassung von W. Schneider, Keine Fragen, keine Antworten?, in: Schulze / Oexle 1999, 302–305 [s. Anm. 2]. 34 Schöttler 1997, 26 [s. Anm. 3]. 35 Vgl. H. Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966, 64ff.; vgl. auch das für „Väter-Söhne“-Beziehungen im engeren und weiteren Sinne höchst aufschlußreiche Interview mit Hans Mommsen, Neubeginn und Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft in den 1950/60er Jahren, im Internet unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin. de/beitrag/intervie/hmommsen.htm v. 3.2.1999 [unter dem gleichen Link weiterhin abrufbar; 26.3.2016]; die Interviews werden publiziert: R. Hohls / K. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000. 36 J. Bleicken, Schlußwort, in: Th. Hantos / G. A. Lehmann (Hrsg.), Althistorisches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstages von J. Bleicken, Stuttgart 1998, 249f.
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meiden zu wollen“. Das entspricht zum Teil auch der Verhaltensweise von Victor Ehrenberg, der 1958 in einer Rezension äußerte: „(...) now it will be best let all this sink into oblivion“.37 So beeindruckend dieses Zeugnis von J. Bleicken auch ist, es wirft zugleich die Frage auf, warum er diese Problematik erst als Siebzigjähriger lange nach dem Tod der eigentlichen Adressaten offen angesprochen hat. Die von Bleicken beklagte Haltung der weitaus meisten Fachvertreter gilt, wie mehrfach bezeugt, etwa für Joseph Vogt und nicht weniger ausgeprägt für Helmut Berve. Beide sind wohl die augenfälligsten Beispiele für eine erfolgreiche – so ein Ausdruck aus der Frankfurter Diskussion – „zweite bundesrepublikanische Karriere“ und ein konsequentes Schweigen zu ihren Verstrickungen. Um zunächst bei Berve zu bleiben, so wurde dieser Althistoriker nach 1945 zur „Symbolfigur und zur Personifikation der Kontinuitätsproblematik“.38 K. Christ spielt mit dieser Formulierung darauf an, daß der ehemalige „Beauftragte für den Kriegseinsatz der Altertumswissenschaften“ von 1960 bis 1967 an die Spitze der „Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik“ trat, ein Vorgang, der z. T. auch von älteren Schülern und Kollegen kritisch bewertet wurde. Abgesehen von apologetischen Äußerungen liegen mir aus dem althistorischen Umfeld nur zwei sehr spärliche Zeugnisse von einer Art Schuldbewußtsein vor. Ein Hinweis findet sich in einer kurzen Würdigung Detlef Lotzes zum 100. Geburtstag Helmut Berves (1996): „Manche Polemik hat er sehr bald bedauert; eine davon (gegen Victor Ehrenberg) zählte er, wie er mir einmal schrieb, zu den Sünden, die er sich nicht verzeihen könne“.39 Dieses Zeugnis bezieht sich auf seine Ablehnung der „Wissenschaft vom Alten Orient, soweit sie [84] fremdrassige, uns wesensfremde und darum in ihrer tiefen Eigenart nicht zu begreifende Völker betrifft“ (von 1935), die er 1937 in schärferer Akzentuierung gegen das Judentum richtete und dabei insbesondere die „jüdisch apologetische Tendenz“ in Victor Ehrenbergs Schrift Ost und West (1935) angriff.40 Dieses für Berve bislang wohl singuläre Zeugnis läßt sich ergänzen durch eine Äußerung von Hans Erich Stier (1902–1979), der über Passagen seiner Schrift Die Bedeutung der römischen Angriffskriege für Westfalen. Ein Beitrag zum Verständnis der germanischen Revolution (1938) später (diese Mitteilung verdanke ich G. A. Lehmann) „Scham“ empfand.41 Wahrscheinlich lassen sich diese spärlichen „Zufallsfunde“ durch Äußerungen im engsten Schülerkreis ergänzen. Vor der Fachöffentlichkeit aber ist das „Schweigen“ die vorherrschende Verhaltensform gewesen. Was die „Söhne“ der weithin schweigenden „Väter“ in der Althistorie angeht, so ist die Hemmschwelle zum „symbolischen“ Vatermord ähnlich wie bei den Neuhistorikem wohl eher hoch anzusetzen. Das Wissen um ganz offensichtliche Verstrickungen des Lehrers wird von einer stark empfundenen Dankbarkeitsverpflichtung überlagert, die dem Betreffenden weitere und gar öffentliche Äußerungen unmöglich macht. Das Arbeitsprogramm von K. Christ steht gegen dieses Schweigen, das zeigt etwa seine über mehrere Stufen zunehmend kritischer werdende Auseinandersetzung mit dem Werk von 37 V. Ehrenberg, Re. E. Will, Doriens et Ioniens (1956), in: JHS 78 (1958) 156. 38 K. Christ, Neue Profile der Alten Geschichte, Darmstadt 1990, 186f. (= Christ 1990). 39 D. Lotze, Zum 100. Geburstag des Althistoriker Helmut Berve, in: Mitteilungen der Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 11 (1996) 30. 40 Zitiert nach Christ 1990, 170f. [s. Anm. 38]. 41 Westfälische Forschungen 1 (1938) 269–301; Nachdruck in: H. E. Stier, Kleine Schriften, Meisenheim a. Glan 1979, 111–143.
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Joseph Vogt. Dabei ist freilich, wie ein Vergleich der Partien über Vogt und Berve in dem Werk Neue Profile der Alten Geschichte von 1990 zeigt, eine größere Nähe zu Vogt und die stärkere Distanz gegenüber Berve schon aus biographischen Gründen kaum zu überwinden. Söhne in echtem und übertragenem Sinne melden sich aber auch mit anderer Motivation zu Wort: So liegen ausführliche Briefe von Otto Eberhardt vor, dem Sohn des Münsteraner Graezisten Walter Eberhardt (1897–1981), dem Verfasser der Programmschrift Die Antike und wir, der der Münsteraner Fakultät als ordentlicher Professor aufgezwungen wurde.42 Sein Sohn hat sich in den achtziger Jahren in ausführlichen Stellungnahmen unter Beifügung von Entnazifizierungsdokumenten u. a. an K. Christ, M. Fuhrmann und mich selbst gewandt. Darin wird der Versuch einer ansatzweisen Uminterpretation der fatalen Programmschrift seines Vaters unternommen, es werden die Biographien und Publikationen Eberhardts und Stiers verglichen und schließlich soll der Nachweis einer Wandlung Eberhardts und einer „interpretatio antinazistica“ in der Kriegszeit geführt werden. Trotz aller apologetischen Töne leistet Otto Eberhardt dennoch einen Beitrag zur „Dekonstruktion“ solcher Texte. [85] Im Münsteraner Seminar kam es im Gefolge der Diskussion über Eberhardt zu einem „Bilderstreit“. Eberhardts Porträt wurde schließlich aus der Reihe der Institutsdirektoren entfernt. Diese Auseinandersetzung gab wohl den Angehörigen einer jüngeren Generation, Alfred Kneppe, Josef Wiesehöfer und Hans-Joachim Drexhage, 1983 den Anstoß, die Spuren Friedrich Münzers bis zu seinem Tod in Theresienstadt zu verfolgen.43 Ein Jahr zuvor, 1982, war Christs Römische Geschichte und Deutsche Geschichtswissenschaft erschienen, ein Werk, in dessen Rahmen die „Opfer des Nationalsozialismus“ eindringlich gewürdigt werden. In diesen zeitlichen Horizont gehört auch der von Jürgen v. Ungern-Stemberg (1985) herausgegebene Neu- bzw. Nachdruck von Eugen Täublers Beitrag Der Römische Staat zu Gercke-Nordens „Einleitung in die Altertumswissenschaft“, der seit 1935 in Deutschland nicht mehr verbreitet werden durfte.44 In den achtziger Jahren erschien die Arbeit Von Perikles zu Hitler? Die athenische Demokratie und die deutsche Althistorie von Beat Näf,45 der in sehr fruchtbarer Weise von einem thematischen Ausgangspunkt her das Problemfeld Antike und Nationalsozialismus erschloß. Zu dieser verstärkt einsetzenden Erinnerungsarbeit, die das „Gedächtnis des Fachs“ – wenn auch sehr spät – schärfte, steht eine auch von den Frankfurter Disputanten beklagte, bedenkenlose und schon früh einsetzende Nachdruckpraxis in scharfem Kontrast – ich verweise hier nur auf den Nachdruck von Berves „Spartabuch“ von 1937 im Jahre 1966.46 Mit den neunziger Jahren ist die aktuelle Diskussion, die ich eingangs grob umrissen habe, erreicht. Zur „Radikalisierung der Perspektiven“, die deren Wortführer konstatieren, gehört übrigens auch die Polemik gegen ein in verschiedenen Formeln faßbares „Eingeständnis“ vieler 42 V. Losemann, Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“, in: Quaderni di storia 11, 1980, 70 [Nr. 1]. 43 A. Kneppe / J. Wiesehöfer, Friedrich Münzer. Ein Althistoriker zwischen Kaiserreich und National sozialismus. Mit einem kommentierten Schriftenverzeichnis von H.-J. Drexhage, Bonn 1983. 44 Losemann 1977, 36 und E. Täubler, Ausgewählte Schriften zur Alten Geschichte, HABES 2, Stuttgart 1987. 45 Frankfurt a. M. / New York 1986. 46 Vgl. V. Losemann, Die Dorier im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre, in: W. M. Calder III / R. Schlesier (Hrsg.), Zwischen Rationalismus und Romantik. Karl Otfried Müller und die antike Kultur, Hildesheim 1998, 40 [Nr. 6].
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Historiker. So wie es etwa Rudolf Vierhaus 1968 formulierte, „daß es kein Verdienst ist, dreißig Jahre später promoviert worden zu sein, zu forschen und zu lehren als andere (...)“. Ist die wichtigste von P. Schöttler beklagte Konsequenz einer solchen „Selbstvergewisserung“ wirklich die „Empfehlung, sich in der Radikalität der Aufarbeitung bitte etwas zurückzuhalten“?47 Die Bereitschaft, radikaler zu fragen, hat von den in unserem Kontext einschlägigen Arbeiten am ehesten, das kann hier nur kurz angedeutet werden, die Dissertation von Diemuth Königs über Joseph Vogt von 1995 nachdrücklich geprägt. Eine Voraussetzung dafür war eine äußerst intensive und ertragreiche [86] Material- und Spurensuche. Mit Bezug auf Vogts Aufsätze zum „Reichsgedanken der Römer“ stellt Königs etwa die Frage, ob „Vogt, der die römische Herrschaft so ideal zeichnet und mit der des Dritten Reiches auf eine Stufe stellt, sich über die Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtausübung in den eroberten Gebieten, besonders im Osten, im Klaren war“.48 Dafür verweist sie auf die schon erwähnte Studie von G. Aly / S. Heim Vordenker der Vernichtung, sie kann aber die Frage, wie viel Vogt tatsächlich von den rassischen Säuberungen und bevölkerungspolitischen Zwangsmaßnahme bekannt war, nicht eindeutig klären. Vogts Äußerungen wird einerseits eine gewisse „Realitätsferne“ attestiert, aber im Ergebnis festgehalten, „daß Vogt mit den Ideologemen Reich und Raum“ von seinem Fachgebiet „rasch und zuverlässig“ auf tagespolitische Erfordernisse reagierte.49 Die Frage nach Einfluß und Reichweite althistorischer Konzepte und tagespolitisch akzentuierter Einlassungen verbindet sich auch mit der vielzitierten Formulierung von Königs, die Vogt als „Wegbereiter und Steigbügelhalter Hitlers“ charakterisiert.50 Das Bild von Joseph Vogt, das D. Königs entwirft, hätte sicherlich noch schärfere Konturen bekommen, wenn auch die bundesrepublikanische Karriere Vogts Gegenstand der Untersuchung gewesen wäre. „Nicht jede zeitgerechte Formulierung“, damit hat Jürgen Malitz die Interpretations schwierigkeiten angedeutet, „macht einen Autor schon zum willigen Befürworter der nationalsozialistischen Herrschaft“.51 Seinem aktuellen Beitrag Römertum im Dritten Reich: Hans Oppermann entnehme ich, das sei am Rande vermerkt, eine Bereitschaft zu schärferer Fragestellung. Aus einer ganz anderen Perspektive, nämlich derjenigen eines Mitglieds einer jüdischen Familie, deren größter Teil in NS-Vernichtungslagern umkam, hat Arnaldo Momigliano bereits 1966 in der Rezension der italienischen Übersetzung von Berves Griechischer Geschichte Verbindungslinien zwischen althistorischen Werken und nationalsozialistischer Vernichtungs politik hergestellt, die man in das Diskussionspektrum „Vordenker der Vernichtung“ einordnen kann: „Die Übersetzung des Werkes von Berve scheint mir nützlich vor allem unter dem Gesichtspunkt, einen der wichtigsten nazistischen Historiker kennenzulernen. Es ist tatsächlich opportun, daß man in Italien die nazistischen Historiker in allen ihren Phasen des vollen Nazismus, des Pränazismus und des Postnazismus kennenlernt. Der Nazismus ist ein Phänomen, das in seinen originalen Dokumenten studiert werden muß, weil nur sie verständlich machen können, [87] wie
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Schöttler 1997, 20 mit Anm. 59 [s. Anm. 3]. Königs 1995, 276 [s. Anm. 17]. Königs 1995, 280. Königs 1995, 287. Malitz 1998, 519 [s. Anm. 10].
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Volker Losemann Intellektuelle von nicht geringer Befähigung Anhänger einer Religion wurden, die ihre großen Heiligtümer in Dachau und Auschwitz hat.“52
Mit anderer Akzentuierung kann man diese Linie weiterverfolgen, wenn Altertumwissenschaftler wie Franz Altheim oder Richard Harder in gefährliche Nähe zu den „Vollstreckern“ geraten. Die Verbindung Altheims zu Himmlers „Ahnenerbe“ gab ihm, um nur einen Fall zu nennen, die Möglichkeit, zur Rettung der Tochter Karl Kerényis aus Auschwitz beizutragen. Der erregte Briefwechsel zwischen Altheim und seinem Freund Kerényi vermittelt sehr wohl Vorstellungen von der existentiellen Bedrohung von Grazia Kerényi.53 Der Graezist Richard Harder, der mit dem Amt Rosenberg eng zusammenarbeitete, sah sich im Februar 1943 unversehens mit einem Gutachten über die Flugblätter der „Weißen Rose“, dem Widerstandskreis um die Geschwister Scholl, beauftragt.54 Dieser ganz anders gelagerte Fall verweist wiederum auf Konsequenzen, die sich aus wie auch immer motivierten Verbindungen zu den Machtträgern und aus der Nähe zur Macht ergeben können. Am Ende dieser kurzen Bemerkungen bleibt als ein vorläufiges Ergebnis festzuhalten, daß das Forschungsfeld „Deutsche Geschichtswissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus“ – jedenfalls in der Abteilung Alte Geschichte – zweifellos stärker erschlossen ist, als es die der Radikalisierung der Perspektiven verpflichteten Frankfurter Disputanten wahrhaben wollen oder wahrgenommen haben. Das, was etwa von den Ansätzen Christs hier gesagt wurde und das, was in der von Näf zusammengestellten Bibliographie dokumentiert wird, müßten auch die jüngeren Forscher, deren erstaunliche und vielen unbequeme „Entdeckungen“ niemand bestreiten will, zur Kenntnis nehmen – denn die Alte Geschichte ist immer noch ein Teil der Geschichtswissenschaft. Die Feststellung, daß sich „die Geschichtswissenschaft (...) bislang mit diesem Thema nur am Rande befaßt (habe) – bis zum 42. Deutschen Historikertag (1998) in Frankfurt am Main“ – kann zumindest für die Alte Geschichte kaum aufrechterhalten werden.55 Am Ende der sechziger und am Anfang der siebziger Jahre sind Chancen vergeben worden: Der abgelehnte Projektantrag Christs bei der DFG, die Initiative, die einen sicherlich spannungsgeladenen „Dialog der Generationen“ hätte einleiten können, wurde, wie andere Vorhaben, nicht adäquat unterstützt. [88] Was schließlich die „Radikalisierung der Perspektive“ angeht, so hat Momigliano, ich erinnere noch einmal an seine Äußerung zur Griechischen Geschichte Berves, das „Diskussionsthema“ um „Vordenker der Vernichtung“ schon 1966 umrissen. Es ist an der Zeit, daß diese Diskussion auch in der Alten Geschichte auf breiterer Basis als bisher geführt wird.
52 Zitiert nach Christ 1990, 290 [s. Anm. 38]. 53 V. Losemann, Die „Krise der Alten Welt“ und der Gegenwart. F. Altheim und K Kerényi im Dialog, in: Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ, hrsg. v. P. Kneissl / V. Losemann, Stuttgart 1998, 492–518 [Nr. 7]. 54 Vgl. R. Lill (Hrsg.), Hochverrat? Die Weiße Rose und ihr Umfeld, Konstanz 1993 und M. Schneider / W. Süß, Keine Volksgenossen. Studentischer Widerstand in der Weißen Rose, München 1993. 55 Schulze / Oexle 1999, Klappentext [s. Anm. 2].
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Nr. 9 Originalpublikation in: Laverna 16 (2005) 66–120. Scripta Mercaturae, St. Katharinen.
„Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden“ R. W. Darré und die Agrargeschichte Spartas [67] Der folgende Beitrag setzt sich mit der Spartakonzeption auseinander, die Richard Walther Darré (189–1953), der als Agrarexperte der NSDAP und „Reichsbauernführer“ bzw. „Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft“ amtierte, seit dem Ende der 1920er Jahre bis zum Beginn der 1940er Jahre vertrat. Im Mittelpunkt steht dabei die Vorlage eines bislang unveröffentlichten handschriftlichen Manuskripts Sparta. Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden (Grundlagen, Aufstieg, Niedergang)*, das Darré beinahe auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn im engen Zusammenhang mit der „Erbhofgesetzgebung“ im Juli/August 1933 erstellt hat.1 Den Ansatz dieser Gesetze hat Darré zu einem guten Teil aus der Geschichte Spartas, d. h. genauer mit seinem Niedergang, begründet. Darré, der „Erfinder“ des Schlagwortes „Blut und Boden“,2 das geradezu zum Synonym für die NS-Agrar- und Rassenideologie geworden ist, hat dieses Begriffspaar schon vor Beginn und bis zum Ende seiner politischen Laufbahn in Beziehung zum spartanischen Staatsgedanken gesetzt. In der langen Geschichte der Spartarezeption besitzt Darrés Beitrag auch in den politischen Bezügen einen durchaus eigenständigen, sehr persönlich geprägten Charakter. Insbesondere die deutsche Spartaforschung hat sich – das wird zu zeigen sein – in den 30er Jahren des 20. Jh. mit Darrés Vorstellungen auseinandergesetzt. In ihrem Standardwerk „The Spartan Tradition in European Thought“ ist Elizabeth Rawson auf Darré eingegangen,3 Karl Christ hat darüber hinaus die Antike-Bezüge [68] der Agrarideologie R. W. Darrés behandelt.4 Was die Darré-Forschung angeht, so hat – abgesehen von Randnotizen – bislang nur
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Mein Dank gilt zunächst dem Stadtarchiv Goslar (Herrn Alberts) für die Erlaubnis zur Publikation dieses Textes aus dem Nachlaß R. W. Darrés und die Unterstützung meiner Arbeit. Für rasche Hilfe bei der Erschließung des Darré-Nachlasses im Bundesarchiv Koblenz ist ferner Herrn G. Pickro zu danken. [Die S. 66 beinhaltet in der Originalpublikation die Abbildung der ersten Manuskriptseite, die hier hinter den Aufsatz gesetzt ist] Stadtarchiv Goslar Nachlaß Darré Nr. 147. So G. Corni / G. Gies, Blut und Boden. Rassenideologie und Agrarpolitik im Staat Hitlers, Idstein 1994 (= Hist. Seminar N. F., Bd. 5), 17 (= Corni / Gies 1994). E. Rawson, The Spartan Tradition in European Thought, Oxford 1969, 341f. (= Rawson 1969); vgl. auch V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977, 23–26 (= Losemann 1977). K. Christ, Spartaforschung und Spartabild (1986), NDr. in: Ders., Griechische Geschichte und Wissen schaftsgeschichte, Stuttgart 1996, 44 (= Christ 1986) und ders., Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1982, 200; vgl. V. Losemann, Sparta I. Bild und Deutung, in: DNP 15/3 (2003) Sp. 164f. (= Losemann 2003).
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Andrea D’Onofrio Darrés Spartabild analysiert.5 In der sich breit entfaltenden internationalen Spartaforschung im engeren Sinne hat – soweit ich sehe – lediglich Stephen Hodkinson auf den Zusammenhang zwischen Darrés Spartakonzept und der NS- Erbhofgesetzgebung verwiesen.6 Der 1895 in Argentinien geborene Darré entstammte einer deutschschwedischen Kaufmannsfamilie, die 1905 nach Deutschland zurückkehrte. Die Schullaufbahn schloß Darré mit dem „Einjährigen“ (d. h. ohne Abitur) ab. Seine kurze Ausbildungszeit an der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen endete mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in dem Darré als Kriegsfreiwilliger in Frankreich diente. Danach blieb die Fortsetzung der Ausbildung in Witzenhausen ohne Abschluß. Nach Praxisjahren in landwirtschaftlichen Betrieben nahm Darré in Gießen und Halle das Studium der Landwirtschaft auf, das er 1925 als Diplomlandwirt beendete. Seit dieser Zeit publizierte er in alldeutsch-völkischen Organen wie „Deutschlands Erneuerung“ mit dem Anspruch eines Fachmannes für den Agrarsektor. Erkennbar stand Darré in diesem Umfeld unter dem Einfluß der Schriften H. St. Chamberlains und H. F. K. Günthers (1891–1958, dem sog. „Rasse-Günther“), wobei letzterer bald zum „Mentor“ Darrés wurde.7 Seine beiden Hauptwerke „Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse“ von 1928/9 und „Neuadel aus Blut und Boden“ (1930) schrieb Darré noch als politischer „Einzelgänger“.8 Die Verbindung zur NSDAP ergab sich relativ spät im Zusammenhang der schweren Krise der Landwirtschaft am Ende der 1920er Jahre. Angesichts des starken Zu laufs zur radikalen Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein arbeitete Darré mit anderen Agrarideologen an einem Organisationskonzept für eine reichsweit agierende agrarpolitische Zentrale [69] der Landvolkbewegung in Weimar.9 Nach einem Treffen mit Hitler im Mai 1930 übernahm der bisher beruflich nicht sonderlich erfolgreiche Diplomlandwirt ab dem 1. Juli 1930 die Funktion eines agrarpolitischen Beraters der NSDAP, der er erst im Mai 1930 beigetreten war. Er erhielt damit freie Hand zum Aufbau des „agrarpolitischen Apparates“ der NSDAP, eine Aufgabe, der er sich, wie u. a. der Zuwachs an Wählerstimmen aus dem ländlichen Raum belegt, sehr erfolgreich entledigte.10 „Darrés Beitrag zur nationalsozialistischen Machtergreifung auf dem Lande“, so heißt es bei F. Grundmann, „ist (...) kaum zu überschätzen“.11 Der von Darré aufgebaute agrarpolitische Apparat hat „mit der Diskreditierung des Weimarer Staates in der Landbevölkerung, der erfolgreichen Bekämpfung demokratischer Institutionen sowie der personellen und ideologischen Infiltration der berufsständischen Organisationen der Landwirtschaft“, wie H. Gies zuerst in seiner bis heute maßgebenden Dissertation gezeigt hat, „nicht wenig zum schließlichen 5 A. D’Onofrio, Ruralismo e storia nel Terzo Reich. Il caso „Odal“, Napoli 1997, 171–176 (= D’Onofrio 1997). 6 St. Hodkinson, Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000, 14–17 (= Hodkinson 2000). 7 Corni / Gies 1994, 19 [s. Anm. 2]. 8 H. Haushofer, Ideengeschichte der Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im deutschen Sprachgebiet, Bd. 2, Bonn 1958, 92 (= Haushofer 1958). 9 F. Grundmann, Agrarpolitik im Dritten Reich. Anspruch und Wirklichkeit des Reichserbhofgesetzes, Hamburg 1979, 24 (= Grundmann 1979). 10 Vgl. M. Eidenbenz, „Blut und Boden“. Zu Funktion und Genese der Metaphern des Agrarismus und Biologismus in der nationalsozialistischen Bauernpropaganda R. W. Darrés, Bern 1993, 28f. (= Eidenbenz 1993). 11 Grundmann 1979, 26 [s. Anm. 9].
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„Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden“
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Zusammenbruch des Weimarer Staates bei(getragen)“.12 1931 setzte Heinrich Himmler, dessen agrarpolitische Vorstellungen in vielen Punkten mit denen Darrés übereinstimmten, seinen Freund Darré als Chef des „Rasse- und Siedlungshauptamtes“ (RuSHA) der SS ein, in dessen Namen schon die Aktionsrichtung und die rassenpolitischen Implikationen der „Lebensraum“Eroberung im Osten anklingt.13 Ab der zweiten Hälfte des Jahres 1930 sind in den weitgehend taktisch bestimmten agrar politischen Verlautbarungen der NSDAP programmatische Hinweise auf die Erbhofpolitik zu finden, die die ‚Handschrift‘ Darrés tragen. Seine Hoffnungen auf die Übernahme des Land wirtschaftsressorts nach der „Machtergreifung“ wurden zunächst enttäuscht, da Hitlers Bündnis partner A. Hugenberg dieses Ministeramt erhielt. Das von Darré im Konflikt mit Hugenberg forcierte und am 15. Mai 1933 verabschiedete preußische „Bäuerliche Erbhofrecht“ leitete die „Ära der nationalsozialistischen Agrarpolitik“ (K. D. Bracher) ein. Nach der [70] Ablösung Hugenbergs avancierte Darré am 29. Juni 1933 auf dem frühen Höhepunkt seiner politischen Laufbahn zum Reichs- und Preußischen Minister für Ernährung und Landwirtschaft und hatte so die Möglichkeit, die „Erbhofpolitik als Konkretisierung der Blut- und Boden-Ideologie“ voranzutreiben.14 Insgesamt gehört Darré, das war 1933 freilich nicht erkennbar, eher in die zweite Reihe der „Braunen Elite“. In der praktischen Agrarpolitik wurde spätestens ab 1936 insbesondere über Fragen der Emährungswirtschaft klar, daß Darré sein Ministeramt nicht wirklich ausfüllen konnte. Die schrittweise Entmachtung mündete 1942 in eine zeitlich unbefristete Beurlaubung aus Gesundheitsgründen. Der „weltfremde Ideologe“ Darré wurde durch seinen Rivalen, den „Technokraten“ Herbert Backe (1896–1947) ersetzt.15 Seine Außenseiterposition kam Darré im „Wilhelmstraßenprozeß“ 1949 zugute: Zu sieben Jahren Haft verurteilt, wurde er 1950 wegen Krankheit vorzeitig entlassen. Darré starb am 6. September 1953 in München.16 Die bislang überwiegend von seinem politischen Scheitern bestimmte Einschätzung Darrés in der Forschung erhält dadurch einen neuen, interessanten Akzent, daß man „Darré als den eigentlichen Ideologen hinter Himmler“ sehen möchte.17 Während seines Studiums der Landwirtschaft in Halle hatte sich Darré vornehmlich mit Tierzucht und Vererbungsbiologie befaßt. Die Beschäftigung mit historischen Problemen ist zunächst in seiner ersten umfangreichen Arbeit „Gedanken zur Geschichte der Haustier werdung“ (1926) zu fassen. Von diesem Feld her kam er, so beschrieb Darré rückblickend seinen Werdegang, „zur menschlichen Vorgeschichte und im besonderen zur menschlichen Rassenkunde“,18 In diesen Kontext gehört auch einer seiner frühen Beiträge mit dem aussagekräftigen Titel „Das Schwein als Kriterium für nordische Völker und Semiten“,19 mit dem sich Darré der „Nordischen Bewegung“ empfahl. 12 H. Gies, Richard Walther Darré und die nationalsozialistische Bauernpolitik in den Jahren 1930–1933, phil. Diss. Frankfurt 1965, 162. 13 Grundmann 1979, 22 [s. Anm. 9]. 14 Grundmann 1979, 39–62. 15 Corni / Gies 1994, 58f. [s. Anm. 2]. 16 Eidenbenz 1993, 29 [s. Anm. 10]; vgl. R. A. Blasius, Fall 11: Der Wilhelmstraßen-Prozeß, in: G. R. Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht, Frankfurt a. M. 1999, 192. 17 So auch U. Mai, „Rasse und Raum“. Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Paderborn 2002, 15 (= Mai 2002) mit Bezug auf Corni / Gies 1994, 15 [s. Anm. 2]. 18 R. W. Darré, Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, München 1929, V. 19 In: Volk und Rasse 2 (1927) 138–151.
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Auf diesem Grundstock baute er sein Hauptwerk „Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse“ auf, das gewissermaßen im Dialog mit H. F. K. [71] Günther, dem führenden Vertreter der Nordischen Bewegung,20 entstand. Dieser ermunterte Darré, eine „Abwehrschrift“ gegen das 1927 erschienene Werk „Stammbaum und Artbild der Deutschen“ des Bonner Historikers Fritz Kern (1884–1959) zu verfassen.21 Kern führte die Entstehung des indogermanischen Bauerntums auf eine Synthese von nördlichen Pflanzern und südlichen Hirtenkulturen zurück, aus der schließlich die Sozialtypen „Herren und Bauern“ hervorgingen. Darré hingegen vertrat im Sinne der Nordischen Bewegung mit Entschiedenheit die Annahme von dem ursprünglich bäuerlichen Charakter des Indogermanentums. Aus „Pflanzern und Hirten“ wurden „Indogermanen und Semiten“. Dem Idealtypus des nordischen Bauern entsprach ein Zerrbild des semitischen Nomaden. H. F. K. Günther war es auch, der Darré den Weg zu dem alldeutsch-völkischen Verleger Julius Friedrich Lehmann (1864–1935) in München geebnet hatte. Bei der Vorlage des Manuskripts „Bauern, Krieger und Nordische Rasse“ – so der ursprünglich geplante Titel – hob der selbstbewußte Autor als das eigentliche Anliegen seines Buches das Aufzeigen praktischer Vorschläge zur Verbesserung der nordischen Rasse, d. h. also „Aufnordungspläne“ hervor. Dementsprechend betonte er im Blick auf das Kapitel IX (Bauerntum und Dauerehe als biologische Grundlage der Nordischen Rasse) und insbesondere das Kapitel X (Einige weitere Maßnahmen der Nordischen Rasse zur Gesunderhaltung usw.) die „Wichtigkeit der züchterischen Zielsetzung.22 Wie zu zeigen sein wird, nahm in diesen beiden zentralen Kapiteln der Rückgriff auf antike Beispiele und insbesondere auf Sparta breiteren Raum ein. Vor der Niederschrift des „Bauerntums“ hatte sich Darré, das geht aus dem Briefwechsel mit seinem Vater gegen Ende der Studienzeit hervor, mit Problemen der römischen Rechtsentwicklung auseinandergesetzt. Vermutlich über H. St. Chamberlains „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ (1899) war Darré auf Rudolph von Iherings „Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts“23 gestoßen.24 Eine besondere Affinität zur Antike, etwa vermittelt durch den Besuch eines humanistischen Gymnasiums, lag im Falle Darrés nicht vor. [72] Seine Spartakonzeption bzw. ein im engeren Sinne historisches Bild Spartas entwickelte Darré im Kapitel IV „Die Indogermanen und der Ackerbau“ (145–218). Auf der Suche nach dem bäuerlichen Wesenskern des Indogermanentums vergleicht Darré die „bodengebundene Familienverfassung“ der römischen und griechischen Frühzeit und Entsprechungen der germanischen Familienverfassung. Von der „althellenischen Siedlungsart“, deren agrarisches Gepräge besonders hervorgehoben wird, kommt er dann zur Geschichte Spartas. Er wählt dieses Beispiel, weil Teile der Rassenbewegung sich nicht vorstellen könnten, „wie z. B. der spartanische Militärstaat von dorischen ‚Bauern‘ errichtet werden konnte, (...) und weil man gerade immer und immer wieder Sparta als einen Beweis dafür heranzieht, wie ein solcher angeblich mit dem Schwerte aufgebauter Herrenstaat aussieht und wie er sich dann weiterhin durch seine Kriege fortdauernd ‚entnordet‘, um schließlich unterzugehen“ (162). 20 Vgl. H.-J. Lutzhöft, Der Nordische Gedanke in Deutschland 1920–1940, Stuttgart 1971, 28–46 (= Lutzhöft 1971). 21 Haushofer 1958, 168ff. [s. Anm. 8]. 22 Vgl. Darré an Lehmann v. 8.5.1928 (StA Goslar Nr. 84). 23 R. von Ihering, Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts. Aus dem Nachlaß hrsg. v. Victor Ehren berg, Leipzig 1894. 24 Vgl. R. W. Darré an Richard Darré v. 25.3.1925 (StA Goslar Nr. 80).
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„Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden“
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Auf Sparta stieß Darré möglicherweise bei Rudolph von Ihering, nach dem man „Sparta“ das „Rom Griechenlands“ nennen konnte.25 Diese Stelle könnte Darré den Anstoß gegeben haben, Sparta als Pendant zu Altrom zu behandeln. Eine Vermittlerrolle H. F. K. Günthers, der 1927/28 an seiner „Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes“ (1929) arbeitete, kommt im Hinblick auf Sparta kaum in Betracht. Günther, der Darré bei seiner Niederschrift des „Bauerntums“ u. a. mit Literaturhinweisen unterstützte, wollte sich in seinem Werk weniger an Dinge halten, die Darré bringen werde, da dieser „in der bäuerlichen Frage der richtige Beurteiler“ sei.26 Die „Hauptquelle“ für Darrés Spartadarstellung war die „Griechische Staatskunde“ von Georg Busolt (1850–1920),27 die exzessiv ausgeschrieben wurde. Für Darrés Arbeitsweise ist charakteristisch, daß er sich relativ großzügig an wenige Autoritäten angelehnt hat, die nicht immer wörtlich zitiert, sondern paraphrasiert werden, wobei auch „Zitatenester“ übernommen wurden. So gehen in unserem Falle Verweise auf Gustav Gilberts „Handbuch der Staatsaltertümer“ (Bd. 1, 1891) auf entsprechende Stellenangaben Busolts zurück. Darré findet im Bd. 2 der Busoltschen Staatskunde „eine wundervoll klare und übersichtliche Einführung in den Aufbau des spartanischen Staates“ (157). [73] Bei seiner „Busolt-Bearbeitung“ geht es Darré im Grunde nur um das Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen Spartas zum Grundbesitz, dem entscheidenden Kriterium für den urbäuerlichen Charakter dieses Gemeinwesens. Auch wenn man zugesteht, daß in einer Zusammenfassung Verkürzungen notwendig sind, springt doch ein einseitiges Auswahlprinzip Darrés ins Auge: Alle unbäuerlichen Wesensmerkmale, z. B. die „der Kriegergemeinde der Spartiaten“, werden stark zurückgedrängt.28 Der Ansatz Darrés läuft auf ein „Wunschbild“ eines bäuerlichen Spartas hinaus. Sein höchst einseitiges Interesse an Sparta kommt etwa darin zum Ausdruck, daß die wichtigsten spartanischen Institutionen vom Königtum bis zum Ephorat so gut wie gar nicht gewürdigt werden. Kein Wort findet sich vor allem über die Erziehungs- und Lebensordnung – dem klassischen Ansatz der Auseinandersetzung mit Sparta. Die unterschiedlichen Wertungen von Busolt und Darré kommen etwa bei der Beurteilung des Umganges mit den Heloten zum Ausdruck. Für Busolt ist „die Helotie (...) ein sehr wunder Punkt des Staatswesens“.29 Darré spricht dagegen von einem geradezu „erstaunlichen Verantwortungsgefühl“ im Verhalten zu den Heloten. Dabei beschwört er immer wieder die bäuerliche Grundstruktur der Spartiaten und Heloten, muß letztlich aber konzedieren, daß Sparta in seiner geschichtlichen Gestalt wesentlich stärker vom Krieger- als vom Bauerntum geprägt ist. In seiner Sicht trägt dieser Kriegerstaat freilich defensiven Charakter: Sparta erscheint so als „echte Verteidigungsordnung eines offenen Bauernstaates. Dem Typus des „offenen Bauernstaates“ entsprechen – damit sind konstituierende Elemente des NS-Geschichtsbildes und historischer Vergleichsbildung genannt – Preußen und Rom: „Echte Militärstaaten sind immer aus offenen Bauernstaaten hervorgegangen, was 25 R. von Ihering, Vorgeschichte der Indoeuropäer. Aus dem Nachlaß hrsg. v. Victor Ehrenberg, Leipzig 1894, 466. 26 H. F. K. Günther an Darré v. 16.4.1928 und v. 2.5.1928 (StA Goslar Nr. 84). 27 G. Busolt, Griechische Staatskunde, Bd. 1, München 1920, Bd. 2 bearb. von H. Swoboda, München 1926 (= HdA, Abt. IV, T.1, Bd. 1) (= Busolt 1920). 28 Busolt 1920, II 655. 29 Busolt 1920, II 670.
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man bei Sparta, Rom und Preußen genau verfolgen kann“ (328/170).30 Darré beschreibt hier einmal eine verbreitete Spartacharakteristik. Mit dem Hinweis auf den Prozeß der „Entnordung“ – gemeint ist die „Gegenauslese“ durch Kriege, durch die die alten indogermanischen Staaten „fortlaufend ihr bestes und edelstes Blut verloren und auf diese Weise eine ‚Entnordung‘ erlebten, die notwendigerweise den Untergang des Staates zur Folge hatte“ (168) –, bezog sich Darré, ohne allerdings Namen zu nennen, auf aktuelle Diskussionen in der Nordischen Bewegung. [74] Bei dieser Diskussion, die seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges geführt wurde, ging es um die „eugenischen Auswirkungen“ von Kriegen. „Eugenisch“ orientierte Kriegsgegner, darunter auch Mediziner, stellten die Frage, ob durch Kriege gerade die besten Teile der Bevölkerung vernichtet würden.31 Die völkische Publizistik diskutierte dann nach dem Ersten Weltkrieg mit der gleichen Fragestellung über die „Entnordung durch Kriege“. Die Kriegsfolgen der „Entnordung“ bzw. des Verlustes des „besten Menschenmaterials“ erforderten wiederum „eugenische Konzepte“.32 Entnordungsprozesse werden in einem nahezu weltweiten historischen Vergleichsrahmen sichtbar: Darré schloß sich hier besonders an die Positionen des dem „völkisch gesinnten Flügel der Heimatschutzbewegung“ verpflichteten Robert Mielke (1863–1935) an,33 der Sparta als positives Gegenbild innerhalb der gesamtgriechischen Entwicklung mit deutlich antiurbaner Tendenz gewürdigt hatte: „Das Zusammenwohnen in den Städten und wahrscheinlich Blutmischung mit Karern und mit Angehörigen anderer Rassen verminderte und verdarb das alte Indogermanentum; nur die Bewohner Spartas widerstanden der Versuchung noch lange Zeit“.34 Frühgeschichtliche Siedlungsuntersuchungen des Mittelmeergebietes von Robert Mielke35 belegen dies ebenso wie die Kolonisierung Preußens durch den Deutschritterorden in der Darstellung von Treitschke und die Besiedelung der Vereinigten Staaten,36 auf die in Anlehnung an Madison Grant (1865–1937) zurückgegriffen wird. Mielke und Grant sind denn auch die Kronzeugen Darrés dafür, „daß die Loslösung vom ländlichen Leben der eigentliche Schritt zum Untergang der ‚Großen Rasse‘ ist (Hervorhebung im Original); in diese Entwurzelung greifen dann die Kriege nur beschleunigend ein“ (56f.).37 [75] Diese These stellt Darré nun polemisch der oben skizzierten „Lehre von der Entnordung durch Kriege“ gegenüber. Sparta, der „indogermanische Militärstaat ‚par excellence‘“, als das augenfälligste Beispiel steht dabei auch für all die nordischen Herrenschichten, die angeblich durch Kriegsverluste „entnordet“ wurden (165). Die Lösung des Rätsels der Entnordung liegt für Darré in der „Bodenfrage und dem Urbauerntum der Nordischen Rasse“ (164). Es geht 30 31 32 33 34
Zum Vergleich Sparta / Preußen vgl. Rawson 1969, 327f. und D’Onofrio 1997, 173 [s. Anm. 3 u. 5]. Dazu Eidenbenz 1993, 50 [s. Anm. 10]. Eidenbenz 1993, 50. U. Puschner u. a. (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“, München 1996, 535. Vgl. R. Mielke, Siedlungskunde des deutschen Volkes und ihre Beziehung zu Menschen und Landschaft, München 1927, 14f. (= Mielke 1927). 35 Darré bezieht sich hier auf den einleitenden Abschnitt „Die vorgeschichtliche Siedlung in Europa“; vgl. Mielke 1927, 7–26. 36 M. Grant, Der Untergang der großen Rasse, München 1925. 37 Der in der „Nordischen Bewegung“ sehr angesehene amerikanische Rassentheoretiker M. Grant fungierte in seiner Heimat zeitweilig als Direktor der „Eugenics Research Association“ und als Vizepräsident der „Immigration Restriction League“; vgl. Lutzhöft 1971, 52 [s. Anm. 20].
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ihm nun um den Nachweis, daß das „Bauerntum der Spartiaten und die in der Geschichte Spartas nachweisbare Minderung der spartiatischen Geschlechter durch Kriegsverluste gar keine Gegensätze sind, sondern in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander stehen“ (ebd.). Darré reduziert (ebd.) das Problem auf einen „biologischen Rechenfehler“. Entscheidend für ihn als Biologen ist daher „nicht etwa die rein geschichtlich festgestellte Tatsache, daß die Kriege entnordend eingegriffen haben“, sondern es erhebt sich „die Frage, warum die herrschenden nordischen Geschlechter nicht mehr in der Lage gewesen sind, die Kriegsverluste durch Neuzeugungen wieder wett zu machen“ (165).38 Der Einfluß der Kriegsverluste auf die Verminderung der Bevölkerungszahl wird keineswegs geleugnet, sie sind aber ein nur äußerlicher Gradmesser einer letzten Endes biologisch begründeten Entwicklung. Wie buchstäblich biologisch der Diplomlandwirt an sein Thema herangeht, offenbart das Beispiel, mit dessen Hilfe er seine These entwickelt: Wenn von 100 ausgesäten Erbsenkörnern 50 von Tauben aufgepickt werden, müssen die aus den verbleibenden 50 Körnern hervorgehenden Pflanzen so viel Saatgut hervorbringen, daß bei der nächsten Aussaat die ursprüngliche Anzahl von 100 Erbsenkörnern wieder bereit steht. Ist das nicht der Fall, so liegt die Ursache nicht in der „Ausmerze“ durch die Tauben, sondern in einer Störung des biologischen Gleichgewichts: „Erst wenn dieses Gleichgewicht gestört wird und die Anzahl der der Ausmerze zum Opfer fallenden Lebewesen anfängt, die Anzahl der gezeugten Nachkommenschaft zu übertreffen, geht in der Natur die Art oder Rasse an Zahl und Stärke zurück“ (165). Diesen biologischen Aspekt verdeutlicht Darré in seiner Zusammenfassung der „Geschichte der Entnordung Spartas“ (165–179), die ihren Stoff naturgemäß vor allem aus dem Abschnitt „Verfall und Ende“, dem Schlußkapitel von Busolts Spartadarstellung bezieht.39 Insgesamt fließen in diesen mehr am historischen [76] Verlauf orientierten Teil der Darstellung in stärkerem Maße Wertungen Darrés ein. Darré beschreibt einen „intakten“ spartanischen Staat der Frühzeit, der gegründet auf „gesunde, kinderstarke spartanische Ehebündnisse“ aller Sorge um die Nachkommenschaft enthoben war (165). Garant der wirtschaftlichen Sicherheit waren die Landlose bzw. Erbgüter, deren Anzahl derjenigen der spartanischen Ehen entsprach. Der von Darré hier eingeführte Terminus Erbgüter wird von jetzt an analog zu Busolts Landlosen (κλῆρος / κλᾶρος) gebraucht. Wie sehr dieser Staat darauf bedacht war, das Erbgut gewissermaßen als Stütze des biologischen Gleichgewichts zu erhalten, zeigt die der Herrin eines Gutes auferlegte gesetzliche Verpflichtung der Sorge um den Nachwuchs, zu dessen Sicherung notfalls ein „Zeugungshelfer“ herangezogen werden konnte. Die ersten Nachrichten über eine rapide Abnahme der Spartiatengeschlechter gibt es erst seit Beginn des 5. Jahrhunderts. Für das Absinken der Bürgerzahl von 7000 um 480 v. Chr. auf 1000 nach der Schlacht bei Leuktra 371 v. Chr. kommen die Bevölkerungsverluste durch Kriege, Helotenaufstände und Erdbeben als Erklärung erst in zweiter Linie in Betracht. Entscheidend sind für Darré die in der Überlieferung „ganz plötzlich“ auftretenden Klagen über den Rückgang der Kinderzahl und das aufkommende Ein- und Zweikindersystem, für den Biologen sichere Hinweise auf „innere Schäden im Spartiatentum“ (168). Die tieferen Gründe dafür liegen in der „Bodenfrage“: Das erbrechtliche Gebot der Unteilbarkeit des Landloses und das Verbot über das Erbgut hinaus Vermögen anzusammeln, legten das Ein38 Vgl. Eidenbenz 1993, 49–52 [s. Anm. 10]. 39 Busolt 1920, II 718 [s. Anm. 27].
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oder Zweikindersystem nahe. Die wirtschaftliche Belastung des einzelnen Spartiaten wuchs wiederum entsprechend der politischen Vormachtstellung Spartas. Eine Antwort auf die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten soll das Gesetz des Ephors Epitadeus zu Beginn des 4. Jahrhunderts gewesen sein, das für Darré den Wendepunkt in der „Geschichte der Entnordung“ Spartas markiert. Hierdurch erhielt der Besitzer das freie Verfügungsrecht über das Erbgut durch Schenkung oder Testament und somit eine leichte Handhabe, das ursprüngliche Verkaufsverbot zu umgehen. Schon um die Mitte des 4. Jahrhunderts soll daher der größte Teil des Landes „in den Besitz weniger“ gekommen sein.40 Ein relativ hoher Anteil davon, ungefähr zwei Fünftel, befand sich in den Händen von Frauen, die als Erbtöchter Erbgüter übernommen hatten. [77] In dieser Entwicklung sieht Darré „die inneren und eigentlichen Gründe“ der Ent nordung Spartas (175). Vom biologischen Standpunkt aus betrachtet wird durch das Ein- und Zweikindersystem „die züchterische Auswahl unter den zur Verfügung stehenden Erben gefährlich vermindert (...)“ (172). Noch verhängnisvoller waren die biologischen Auswirkungen des wirtschaftlichen Konzentrationsprozesses, weil sich durch jede Zusammenlegung von Erbgütern „die Möglichkeiten für die Schließung vollbürtiger Ehen, die an ein Erbgut gebunden waren, verringerten“ (ebd.). Hinzu kam ein mit den außenpolitischen Erfolgen zunehmender Sittenverfall, insbesondere bei den spartanischen Frauen, der ebenso wie die Inzucht für die sich ausbreitende Unfruchtbarkeit der Frauen verantwortlich gemacht wird. Darré ergänzt Busolts Erklärung für die Unfruchtbarkeit um den Hinweis, daß in der „Verfallszeit“ Spartas der „allgemein übliche voreheliche Geschlechtsverkehr“ und der „Gebrauch von Schwangerschafts verhütungsmitteln“ dafür ursächlich sei (175).41 Damit ist – mit fließenden Übergängen von ‚pflanzlicher‘ und ‚tierischer‘ zu menschlicher Rassengeschichte – das Schema für den biologischen Ablauf der Geschichte in den wichtigsten Zügen umrissen. Darré hat ganz deutlich ausgesprochen, daß er dabei im Grunde nur sein „Erbsenbeispiel“ auf ein historisches Geschehen angewandt hat: „Die inneren, d. h. biologischen Gründe für den Verfall Spartas“ sind für ihn das, „was wir am Beispiel mit den Erbsen als Ursache suchten, um als Biologen die Gründe zu finden, die beim Nachlassen des Geburtenüberschusses gegenüber der Ausmerze zu einem Aufhören der Rasse führen müssen“ (175). Gegenüber diesen eigentlichen Ursachen für den Niedergang Spartas fallen die verheerenden Kriegsverluste, die als gleichsam „natürliche Ausmerze“ gedeutet werden, nicht sonderlich ins Gewicht. Nachdem das „Rätsel“ der Entnordung gelöst ist, lassen sich die eigentlichen historischen Stationen dieses Vorgangs relativ kurz abhandeln: Das Übel begann mit der „Abkehr vom Lande“, einen Prozeß, den Darré im Sinne der „Bauerntumsideologie“ plastisch beschreibt: „So kam schließlich, was immer kommt, wenn nordischer Adel den Schollen- und Stallgeruch von seinen Kleidern fernhält und anfängt, mit dem Golde die Welt beherrschen zu wollen, nämlich die von unten heraufsteigende Revolution“ (175). Ein Prinzip aber haben die Spartaner in dem allgemeinen Auflösungsprozeß streng beachtet, den „schroffe(n) Standpunkt der Reinblütigkeit“ der Vollbürger. [78] Mit dieser Behauptung möchte Darré der in der rassenkundlichen Literatur vertretenen These „von der notwendiger40 Busolt 1920, II 722 [s. Anm. 27]. 41 Busolt 1920, II 702 und 719.
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weise eintretenden Blutmischung der Spartaner auf Grund ihrer Verluste im Kriege, die sie durch Nichtspartiaten auffüllten“, entgegentreten (176). Gerade in der scharfen Ablehnung von Blutsvermischungen sieht er die Erklärung für den trotz aller Katastrophen ungebrochenen „Herrenwillen zur Macht“ der Spartiaten (177). Besonderes Interesse bringt Darré schließlich den Reformversuchen Agis IV. und Kleomenes III. entgegen. Insbesondere die Reformen Kleomenes III., der „zwar an sich ganz richtige Maßnahmen zur Errettung des Staates traf“, gaben ihm Gelegenheit, moderne agrarpolitische Probleme zu diskutieren (177). Die Landaufteilung des Kleomenes von 235 v. Chr., auf die sich Darré hier bezieht, führte seiner Meinung nach deshalb nicht zum gewünschten Erfolg, weil man die falschen Leute auf die Erbgüter gesetzt hatte. Man hatte vergessen, „daß diese Dinge auch im wesentlichen eine Blutsfrage sind“ (ebd.). Bei Darré fehlt ein Bezug zu dem „sozialistischen“ Ansatz dieses Reformprogramms, der in der „Spartan Tradition“ diskutiert wird.42 Darrés Vorliebe für weiträumige historische Vergleiche zeigt sich auch an dieser Stelle. So arbeitet er den Unterschied zwischen den Reformversuchen Kleomenes III. und der Vergabe von vererbbaren „Helden- und Adelsdomänen“ an bewährte Frontsoldaten durch den ungarischen Reichsverweser M. Horthy (1868–1957) heraus und diskutiert die unterschiedlichen Erfolgschancen. Der Hauptfehler des Spartanerkönigs lag darin, daß er das Bürgerland ohne besondere Auswahl unter den Bewerbern aufteilte. Im Unterschied dazu hatte Horthy der Verteilung der Adelsdomänen „eine Art von sittlicher Leistungsprüfung“ vorgeschaltet (177 Anm. 1). Zu den Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in den Heldengenossenschaften gehörten „tadelloser Charakter, tadellose Lebensführung, hingebende Treue an das Vaterland, Verehelichung mit einer einwandfreien Frau usw. (...)“ (ebd.). Hier waren, kurz gesagt, alle Eigenschaften versammelt, die Darré in dem Sparta vor Beginn des Sittenverfalls verwirklicht gesehen hatte. Horthy hatte somit den „altspartanischen Gedanken der ländlichen Staatslehen“ in „richtiger Weise“ erneuert. Aus den „Erfahrungen des Altertums“ zieht Darré dann den Schluß, daß Horthy mit seinen Bestrebungen wohl zu einem guten Ende kommen wird (177f. mit Anm. 1). Die letzte Etappe des spartanischen Untergangs wird von der Gestalt des Nabis geprägt, dessen Herrschaft „das übliche Bild einer stilechten Revolution im [79] Altertum“ bietet, die schließlich 195/194 v. Chr. von den Römern zerschlagen wird (178). Damit sind die wichtigsten Stationen der Geschichte Spartas in der Beleuchtung Darrés genannt. In einer kurzen Zusammenfassung seiner Ergebnisse hat er die entscheidenden Akzente seines Spartabildes noch einmal hervorgehoben. Ausgangspunkt für die im Rahmen seines Buches relativ ausführliche Würdigung Spartas war der Widerstand gegen bestimmte Erklärungsversuche für den Untergang Spartas. Vor allem die von ihm so bezeichnete „Lehre von der Entnordung Spartas durch Kriege“, aber auch die These, daß Blutsvermischungen der herrschenden Spartiatenfamilien dieses Gemeinwesen zu Grunde gerichtet hätten, erregten seinen Widerspruch. Die Erklärung für den Untergang dieses „ursprünglich (...) erbbiologisch glänzend durchdachten“ Staates sieht Darré vielmehr in erster Linie in der Abkehr von dem „Gedanken der Erbgüter als Ernährungsunterlage der Familie“, also darin, daß Sparta es zuließ, „das altnordische Anerbenrecht zur Herbeiführung eines familiengebundenen 42 Losemann 2003, Sp. 162 [s. Anm. 4].
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Großgrundbesitzes zu verwenden, wodurch es fortlaufend die Zahl seiner blutmäßig wertvollen Geschlechter verminderte“ (178f.). Auch außerhalb der „Geschichte der Entnordung Spartas“ liefert Sparta wichtige Beispiele: Im Kapitel IX „Bauerntum und Dauerehe als biologische Grundlage der Nordischen Rasse“ gewinnt Darré von tierzüchterischen Problemen wie den „eisern(en) Gesetz(en) der Leistungshochzucht“ her den Anschluß, „um die Eheprobleme der Nordischen Rasse biologisch zu erschließen“ (369). Als ein spartanisches Beispiel für diese Hochzucht, d. h. „die immer wieder getroffene Auslese innerhalb eines abgeschlossenen Blutstammes sowie die ausschließliche Weiterzüchtung mit dem ausgesuchten Material“ (371) deutet Darré die Rechtsstellung der nicht erbberechtigten „Mothakes“ und „Nothoi“ (379f.). Diese „Bastarde“, die unehelichen Kinder von Spartiaten und Helotinnen, durchliefen zwar die bürgerliche Erziehung und waren frei, erhielten aber nicht oder in ganz wenigen Fällen das „Vollbürgerrecht“ (375).43 Damit vertiefte Darré den Gedanken der Blutsreinheit als unabdingbare Voraussetzung für das volle Bürgerrecht bzw. das Anrecht auf das Erbgut. Das Sparta und Athen gemeinsame besondere „Interesse für die bürgerrechtliche Legi timität des Nachwuchses“ dokumentiert sich auch in der Einrichtung des schon erwähnten „Zeugungshelfers“ (389).44 Hierin hatte Darré ein außerordentlich [80] beweiskräftiges Indiz für den Zuchtgedanken gefunden. Er konstatiert nicht nur, daß sich die diesbezüglichen Überlieferungen über Sparta „haargenau mit den germanischen Zuchtgesetzen decken“, sondern er ‚sichert‘ auch die Spuren dieser altnordischen Einrichtung in der solonischen Gesetzgebung (389f.). Am Ende dieser Diskussion kommt Darré zu der Überzeugung, daß die „Zeugungshelfer als eine züchterische Notwendigkeit“ angesehen wurde (382), wobei sich insbesondere „die Spartanerin bis zum Untergang von Sparta ihrer Zuchtaufgabe bewußt geblieben (ist)“ (409). Der im praktischen Sinne züchterische Akzent – mit jeweils fließenden Übergängen von der Tier- zur Menschenzüchtung – ist im Schlußkapitel „Einige weitere Maßnahmen der Nordischen Rasse zur Gesunderhaltung ihrer Art“ noch stärker ausgeprägt (424–472). In diesem Rahmen behandelt Darré u. a. auch die „Aussetzungsbestimmungen in Sparta“, die bei Verfechtern rassenkundlicher Bestrebungen gewissermaßen ein historisches Alibi für die Forderung bestimmter eugenischer Maßnahmen lieferten (427f.). Darré, der solchen Bestrebungen gegenüber – das dürfte bis hierher klargeworden sein – mehr als aufgeschlossen war, hat die dafür zentrale Stelle aus Plutarchs Lykurg sogar in der Übersetzung aus einer Reclam-Ausgabe zitiert und beschränkt sich hier nicht auf die von Busolt übernommene Stellenangabe (427f.). Abgesehen von der biologischen Seite interessierten ihn aber vor allem die Konsequenzen, die sich aus den Angaben Plutarchs für das Erbrecht ergaben. Nach der Bestimmung Lykurgs hatte der Vater das Neugeborene den Ältesten der Gemeinde zur Untersuchung zu bringen: „Wenn es stark und wohlgebaut war, hießen sie ihn, es aufzuziehen und wiesen ihm eins von den neuntausend Losen an“.45 Mit dem sich hieraus ergebenden Rechtsanspruch eines jeden Spartiaten auf ein Landlos war, wie Busolt bemerkt hatte, die Erblichkeit der kleroi bzw. in 43 Nach Busolt 1920, II 657 [s. Anm. 27]. 44 Nach Busolt 1920, II 941. 45 R. W. Darré, Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, München 1929, 427; Plut., Lyk. 16; vgl. St. Link, Zur Aussetzung neugeborener Kinder in Sparta, in: Tyche 13 (1998) 153–164.
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Darrés Terminologie „das Anerbenrecht auf den Erbgütern allerdings unvereinbar“ (428).46 Die Beurteilung dieser Stelle bzw. die Lösung des Problems hat Darré fast wörtlich von Busolt übernommen, der vermutete, „d a ß i n d e r Ü b e r l i e f e r u n g s o v i e l Wa h r e s s t e h t , d a ß n u r k r ä f t i g e K i n d e r b e f ä h i g t s e i n s o l l t e n , H e r r e i n e s K l e r o s“ (bzw. – so Darré – „auf e i n e m E r b g u t e “) zu werden (Hervorhebung Darré!).47 Hier wie an [81] anderen Stellen hat Darré die kritischen Stimmen, die Busolt in der einläßlichen Erörterung dieser Stelle zu Wort kommen läßt, übergangen.48 Nach ausführlicher Behandlung der Aussetzungs- und Ausmerzebestimmungen der nordischen Rasse versucht Darré schließlich die „tierzüchterische Beurteilungslehre“, d. h. die Fähigkeit, „den gesunden Körper im Hinblick auf seine züchterische Tauglichkeit zu beurteilen“, für das „Zuchtziel des Nordischen Gedankens“ fruchtbar zu machen (436). Darunter kann mit H. F. K. Günther z. B. die „Aufartung eines Volkes“ oder aber auch „die Ausmerze der Untüchtigen nach einem bestimmten Plan“ gemeint sein (442). Während Günther „Erfahrungen in der deutschen Geschichte“ verwertete, ging Darré auch hier von Sparta aus: Die Anleitung für „die züchterische Beurteilungsschulung in Sparta“ findet er in Plutarchs Lykurgbiographie, dessen Ausführungen über Körpererziehung er ausführlich zitiert (447f.). Daß Lykurg den Mädchensport vor allem im Hinblick auf die Gebärtüchtigkeit der Spartanerin angeordnet hatte, war eine Maßnahme ganz im Sinne Darrés, wie etwa auch das „Streben nach körperlicher Wohlbeschaffenheit“, das durch die Gymnopaidien der Mädchen gefordert werden sollte. Für den Tierzüchter Darré war auch klar, „daß die Entkleidung bei den Spartanern aus z ü c h t e r i s c h e n Gründen einer B e u r t e i l u n g s s c h u l u n g (Hervorhebung im Original) vorgenommen wurde“ (448). Wenn der Beitrag Darrés zu den Diskussionen der Nordischen Bewegung heute eher abstrus und befremdlich erscheint, so bleibt zu berücksichtigen, daß für derartige Gedankengänge im weitesten Sinne in den 1920er Jahren – wie z. B. die bekannte Diskussion über die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zeigt – ein hohes Maß an Aufgeschlossenheit vorhanden war.49 Mit der Erörterung vorbildlicher eugenischer Zielsetzungen Spartas verfolgte Darré (im Sinne von Aufartungsplänen) durchaus das praktische Ziel der Verbesserung der Nordischen Rasse. Zumindest diese Blickrichtung auf Sparta – das sei hier eingeschoben – entsprach nahezu zeitgleich derjenigen Adolf Hitlers: In Sparta bewunderte er – so in einer vielzitierten Rede vom 4.8.1929 – nicht nur den „klarsten Rassenstaat“ der Geschichte, in dem eine „rassisch hochwertige“ Minderheit von 6000 Spartiaten [82] 340 000 Heloten unterdrückte.50 In seinen Reden und in seinem 1928 verfaßten (damals aber nicht veröffentlichten) sog. „Zweiten Buch“ unterstützte er die Auslesepraxis des ersten „völkischen Staates“ wie folgt: „Die Aussetzung kranker, schwächlicher, mißgestalteter Kinder, d. h. also deren Vernichtung war menschenwürdiger und 46 Busolt 1920, II 636 Anm. 3 [s. Anm. 27]. 47 Busolt 1920, II 636 Anm. 3 und R. W. Darré, Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, München 1929, 428. 48 Vgl. Busolt 1920, II 636 Anm. 3. 49 Vgl. K. Binding / A. Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, Leipzig 1920 und P. Weingart u. a., Blut und Gene. Geschichte der Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988, 524. 50 A. Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen, Bd. III, T. 2, hrsg. und kommentiert v. K. A. Lankheit u. a., München 1994, 348.
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in Wirklichkeit tausendmal humaner als der erbärmliche Irrsinn unserer heutigen Zeit, die krankhaftesten Subjekte zu erhalten (...) .“51 Trotz erkennbarer Berührungspunkte ist auch klar, daß sich aus den Spartavorstellungen Darrés und Hitlers unterschiedliche Forderungen für die politische Praxis ergaben. Die Gründe für den Niedergang Spartas liegen – auf diesen Nenner läßt sich das „BodenMotiv“ Darrés bringen – in der „Abkehr vom Landleben“. Demgegenüber sind die für Anhänger der Rassenlehre typischen Untergangsszenarien wie „Rassenmischung“ oder „Blut verschlechterung“ der Führungsschicht von geringerer Bedeutung. Die „Abkehr vom Land leben“ wird durch die Aufgabe des „altnordischen Anerbenrechts“, dem in der Konzeption Darré eine Schlüsselfunktion zukommt, befördert. In der Sicht Darrés ist Sparta aber auch in zentralen Punkten mit dem „Blut-Motiv“ (in einer Art Wechselwirkung mit dem Boden-Motiv) verknüpft. So ist die Sorge um die „Blutsreinheit“, wie die Reformpläne des 3. Jahrhunderts v. Chr. zeigen, mit bürger- und erbrechtlichen Grundfragen verknüpft. Mit dem Rekurs auf die „Zuchtgesetze“, die „Aussetzungs-“ und „Ausmerzebestimmungen“ und die „züchterische Beurteilungsschulung“ in Sparta plädiert Darré auch für „Aufartungs-“ und „Aufzuchtpläne“. Sparta liefert ein Grundmuster: Ähnlich verhängnisvoll hat sich – wie z. T. schon erwähnt – die „Abkehr vom Landleben“ in Rom ausgewirkt, das „nach dem Siege über Karthago die bäuerliche Grundlage aufgibt und ein weltwirtschaftlich-händlerisch denkendes Volk wird, mit all den Schattenseiten eines kapitalistisch aufgezogenen Staatswesens“ (184). In diese Reihe gehören auch die nordamerikanischen Siedler und mit ihren Auswirkungen die „SteinHardenbergschen Reformen, die statt Bauernbefreiung „Bauernentwurzelung“ brachten (70). „Abkehr vom Landleben“ vollzog sich mit der Aufgabe der alten Erbgesetze schließlich in der Gegenwart Darrés mit der Einführung des Bürgerlichen [83] Gesetzbuches im Jahre 1900: „Erst mit der allgemeinen Einführung der ländlichen Erbgesetze im BGB hat das deutsche Volk zum ersten Male die Axt an die Wurzel seines Volkstums gelegt und damit – das kann wohl ruhig so gesagt werden – auch den Lebensnerv der Nordischen Rasse im deutschen Volkskörper zerschnitten“ (466).52 Darrés „Bauerntum“-Konzept wurzelt in Traditionen, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die Entwicklung des industriellen Systems herausbildeten. Dieser zivilisationskritische Ansatz, der sich z. T. mit der Formel „Agrarromantik und Großstadtfeindschaft“ beschreiben läßt,53 beinhaltet die „Vision einer Reagrarisierung von Staat und Gesellschaft“.54 Ein nicht geringer Teil der vielschichtigen Anhängerschaft dieser Ideen wandte sich dem Nationalsozialismus zu. Auch Darrés „Bauerntum“ steht in der Tradition des rückwärts gewandten agrarutopischen Denkens.55 Schon in seinem „Bauerntum“ überwand aber Darré die diesen Strömungen eigene Verbindung von Kulturpessimismus und Zivilisationskritik, die prinzipiell auch die Rassenlehre prägt, mit seinen „Aufartungs-“ und „Aufnordungsplänen“ 51 Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahre 1928, hrsg. v. G. L. Weinberg, Stuttgart 1961, 56. – vgl. V. Losemann, Nationalsozialismus I. NS-Ideologie und Altertumswissenschaften, in: DNP 15/1 (2001) Sp. 724. 52 Vgl. Eidenbenz 1993, 52f. [s. Anm. 10]. 53 K. Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim 1970. 54 F.-L. Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn 1998, 157 (= Kroll 1998). 55 Kroll 1998, 157 [s. Anm. 54].
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und seinen „Züchtungsvisionen“.56 Insofern ist sein agrarpolitischer Ansatz, wie neuerdings stärker betont wird,57 primär rassenideologisch und nicht, wie im Falle Hitlers, „machtpolitisch“ motiviert.58 Hinter diesem „Primärziel“ tritt die Reform des Boden- und Erbrechts eindeutig zurück.59 Diesen „Praxisbezug“ hat Andrea D’Onofrio im Zusammenhang der Vorlage einer Geheimrede Darrés aus dem Jahre 1936 eindrucksvoll unterstrichen.60 Dementsprechend ist auch die Vorstellung von Darré als „einer politisch-ideologischen Außenseiterfigur“ erheblich zu modifizieren.61 [84] Darrés Spartakonzept, insbesondere seine erkennbar mit Reformvorstellungen verknüpften Ausführungen zur „Bodenfrage“ sind von der althistorischen Forschung am Ende der 20er Jahre aus verständlichen Gründen nicht beachtet worden. (Das änderte sich – vorübergehend – erst mit der nationalsozialistischen Machtergreifung). Vieles von dem, was Darré im Kontext von Landbesitz und Erbrecht von seinem Referenzautor G. Busolt übernommen hat, gehört bis heute zu Grundproblemen der althistorischen Sparta-Forschung. Das belegt nachdrücklich Stephen Hodkinson in seinem Standardwerk „Property and Wealth in Classical Sparta“, der u. a. in der Konzentration von Reichtum und Landbesitz in den Händen weniger die Gründe für den Untergang Spartas sieht.62 Die mit Sparta seit der Antike verbundenen Modellvorstellungen, die Darré aufgenommen hat, werden in der neueren Forschung immer stärker hinterfragt: So etwa die eher modernen Leitbildern verpflichtete Vorstellung von der „Gleichheit“ der Spartiaten, die, wie Lukas Thommen gezeigt hat, auch von G. Busolt, dem Gewährsmann Darrés, nicht geteilt wurde.63 Zu den Ergebnissen St. Hodkinsons und der neueren Spartaforschung gehört, daß zentrale Vorstellungen von der Agrar- und Sozialstruktur Spartas wie die von den gleichgroßen Landlosen (Klaroi) und dem angeblichen Verkaufsverbot nicht von den Quellen gestützt werden.64 Hodkinson behandelt Darrés im „Bauerntum“ entwickeltes Konzept im Kontext einer langen Traditionsreihe in dem Abschnitt „Spartan economic egalitarianism and communitarianism in modern thought“ im Zusammenhang mit dem „Reichserbhofgesetz“.65 Er verweist dabei auf die Lykurg- und Agis-Biographien Plutarchs als die antike Wurzel dieser Spartabilder, 56 Kroll 1998, 197. 57 Vgl. Mai 2002, 42 [s. Anm. 17]. 58 G. Corni / H. Gies, Brot, Butter, Kanonen. Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers, Berlin 1997, 73. 59 Kroll 1998, 192 [s. Anm. 54]. 60 A. D’Onofrio, Rassenzucht und Lebensraum: zwei Grundlagen im Blut- und Boden-Gedanken von Richard Walther Darré, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 49,2 (2001) 144 (= D’Onofrio 2001). 61 D’Onofrio 2001, 150, der sich auch kritisch mit A. Bramwell, Ecology in the 20th Century, New Haven/ London 1989, auseinandersetzt, bei der Darré zum Vertreter einer „grünen Partei“ Hitlers avanciert. Dazu auch G. Gerhard, R. W. Darré – Naturschützer oder „Rassenzüchter“, in: J. Radkau / F. Uekötter (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt 2003, 257–271 (= Gerhard 2003). 62 Hodkinson 2000, 399ff. [s. Anm. 6]. 63 L. Thommen, Der spartanische Kosmos und sein >Feldlager< der Homoioi. Begriffs- und forschungsgeschichtliche Überlegungen zum Sparta-Mythos, in: R. Rollinger / Chr. Ulf (Hrsg.), Das Archaische Griechenland. Interne Entwicklungen – externe Impulse, Berlin 2003, 128. 64 Hodkinson 2000, 65–104 [s. Anm. 6]; vgl. St. Link, Landverteilung und sozialer Frieden im archaischen Griechenland, Stuttgart 1991, 81ff. 65 Hodkinson 2000, 14–17.
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auf die sich auch Darré [85] in diesem Kontext vielfach bezogen hat.66 Ihr Einfluß auf die Ausformung des Spartamythos kann kaum überschätzt werden. Das unmittelbare Echo, das Darrés „Bauerntum“ fand, war, wie ein kurzer Blick auf die wichtigsten Rezensionen vor 1933 zeigt, vielstimmig. Begeisterte Aufnahme fand das Werk naturgemäß im engsten Kreis der Nordischen Bewegung bei H. F. K. Günther und R. Mielke.67 Selbst wenn man diese bei allem Beifall doch nicht völlig unkritischen Stimmen zunächst einmal unberücksichtigt läßt, kann von „homerischem Gelächter“ in allen nicht-nationalsozialistischen Kreisen, das ein amerikanischer Autor 1940 vernommen hatte, nur bedingt die Rede sein.68 Wie schon C. R. Lovin feststellte, ließen es auch namhafte Rezensenten, bei denen die kritischen Ausstellungen überwogen, nicht an Anerkennung für manche Partien des Buches fehlen.69 Auf beinahe einmütige Ablehnung stieß Darrés monokausale Lösung der „Entnordungs frage“. Selbst einem so wohlwollenden Kritiker wie Ludwig Schemann (1852–1938), dem Übersetzer und Vermittler J. A. Gobineaus in Deutschland, war nicht recht einsichtig, warum Darré die weithin akzeptierte Erklärung der „Entnordung durch Kriege“ „ausschließlich auf die Abkehr vom Lande“ zurückführte.70 In seiner außerordentlich positiven Besprechung von 1929 forderte Robert Mielke, im Anschluß an Darré das „fast verschwundene Anerbenrecht wieder herzustellen“. Ausdrücklich verwies er in diesem Kontext auf ‚Darrés‘ Sparta, weil dieses Beispiel zeige, „daß die Entwicklung sich mächtiger erwies als die Wirkung einer guten Gesetzgebung und der Wille der den Untergang ahnenden Geschlechter“. Mielke fand über Darré einen „Ausweg“ aus dem pessimistischen Ansatz Oswald Spenglers, der „in dem Nieder gleiten hochstehender Rassen (...) ein Entwicklungsgesetz“ sehen wolle. Darrés Hinweise auf die Gesetze der Tierzucht – oft waren „nur wenige edle Stammtiere nötig (...), um ganze Tierzuchten zu heben und den Zuchtergebnissen Edeleigenschaften zu vererben“ – boten die Lösung: „Auch der Mensch ist naturgemäß gleichen [86] Zuchtgesetzen unterworfen, wenn er die gewonnene Erfahrung auf sich selber anwendet“. Für Mielke lag die große Bedeutung von Darrés „Bauerntum“ darin, daß es „praktische Wege“ wies.71 Selbst Fritz Lenz (1887–1976), der damals führende Rassenhygieniker, der sich in vielen Punkten von Darré distanzierte, stand den „Darlegungen über die Grundlagen des spartanischen Staates und die Ursachen seines Verfalls“ außerordentlich positiv gegenüber. Das galt insbesondere auch für die Schlüsselrolle, die Darré dem Anerbenrecht zugewiesen hatte.72 Diese „Vorformulierung“ des Erbhofgedankens berührte sich mit dem von Lenz bereits 1923 (ohne
66 Zum neuerdings verstärkten Interesse an den kommunitären Lebensformen vgl. E. Rodemeyer, Geraubt – Geschoren – Geehelicht. Zur Frage kommunitärer Lebensformen in Sparta, in: Laverna 14 (2003) 48–64. 67 Vgl. H. F. K. Günther, Darrés „Bauerntum“ und der Nordische Gedanke, in: Deutschlands Erneuerung 14 (1930) 135–142 und R. Mielke, Rez. „Bauerntum“, in: Volk und Rasse 4 (1929) 108–111 (= Mielke 1929). 68 Vgl. O. Dutch, Hitler’s Twelve Apostels, New York 1940, 233. 69 C. R. Lovin, Blut und Boden: The Ideological Basis of the Nazi Agricultural Program, in: Journal of the History of Ideas 28 (1967) 280. 70 L. Schemann, Über R. W. Darré „Das Bauerntum“, in: Die Sonne 6 (1929) 565f. 71 Mielke 1929, 110f. [s. Anm. 67]. 72 F. Lenz, Rez. Bauerntum, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 26 (1932) 442 (= Lenz 1932).
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Rückgriff auf Sparta) vorgelegten Konzept der „bäuerlichen Lehen“.73 Lenz besprach 1932 (!) freilich nicht das Erstlingswerk des „Einzelgängers“ oder Privatmannes Darré, sondern er setzte sich ganz bewußt mit dem Gedanken des inzwischen nicht einflußlosen Agrarexperten der NSDAP auch im Blick auf den „nationalsozialistischen Zukunftsstaat“ auseinander.74 Speziell mit Sparta hat sich Darré nach dem Erscheinen des „Bauerntums“ Ende 1928 bis zur Machtübernahme nur am Rande beschäftigt. Erwähnenswert ist der kleine Beitrag mit dem Titel „Hellenen, Germanen und wir“, der im Juli 1929 in der Zeitschrift „Die Sonne. Monatsschrift für nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung“ erschien.75 In der Diskussion über das Thema „Antike und Nordische Bewegung“ versuchte Darré die her kömmliche „Griechenbegeisterung“ mit der in der Nordischen Bewegung verbreiteten „Germanenverehrung“ in Einklang zu bringen76 und beantwortete die „Frage nach der Daseins berechtigung des klassischen Hellenentums (...) in der Nordischen Bewegung“ mit einem klaren „Ja“.77 In seiner zweiten größeren Monographie „Neuadel aus Blut und Boden“ – in ihr kommt die „Blut und Boden“-Metapher zum Tragen – wollte Darré die Gedanken seines „Bauerntums bis zu greifbaren Vorschlägen für das von uns [87] allen erstrebte Deutsche Reich der Deutschen, für das Dritte Reich“, fortführen.78 Wie konkret die Reformvorstellungen im einzelnen waren, zeigt sehr drastisch der Vorschlag, Deutschland mit einem Netz von „Zuchtwarten“ zu überziehen, deren Aufgabe es u. a. war, durch „planmäßige(s) Zusammenhalten des guten Blutes bei gleichzeitiger Fernhaltung von fremdem oder unerwünschtem“ eine „Bereinigung unseres Volkskörpers von seinen Blutschlacken durchzuführen“.79 Der „aufgezüchtete“ Neuadel soll auf unteilbaren und unvererbbaren Hegehöfen „verwurzelt“ und in „Adelsgenossenschaften“ zusammengefaßt werden.80 Besondere Bestimmungen galten für die Selektion der Frauen nach ihrem „Erbwert“.81 Ähnliche Gedanken waren im „Bauerntum“ am Beispiel Spartas historisch begründet und vorbereitet worden. Naturgemäß mußte aber bei einer so betont auf deutsche Verhältnisse zugeschnittenen Konzeption eines neuen Adels zunächst einmal der Adel des deutschen Mittelalters in das historische Blickfeld treten. Abgesehen davon bezieht sich die historische Vergleichsbildung im „Neuadel“, soweit sie die Antike betrifft, mehr auf den Bereich der (frühen) römischen Geschichte. Römischer Adel, römische Agrargeschichte und römisches Recht sind die wichtigsten Programmpunkte in diesem Problemkreis.82 In dem Kapitel „Wege und Möglichkeiten zu einer Adelsneubildung“ diskutiert er ausführlicher die Heldengenossenschaften M. Horthys, die schon im „Bauerntum“ als eine 73 Vgl. E. Baur / E. Fischer / F. Lenz, Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, Bd. 2, München 1923, 230. Zu der äußerst positiven Einschätzung des „Bauerntums“ durch Eugen Fischer vgl. Lutzhöft 1971, 53 mit Anm. 166 [s. Anm. 20]. 74 Lenz 1932, 444. 75 E. Th. Lagergren (d. i. R. W. Darré), Hellenen, Germanen und wir, in: Die Sonne 6 (1929) 316–328 (= Lagergren / Darré 1929); vgl. Losemann 1977, 24f. [s. Anm. 3]. 76 Lagergren / Darré 1929, 319f. 77 Lagergren / Darré 1929, 327 [s. Anm. 75]. 78 R. W. Darré, Neuadel aus Blut und Boden, München 1930, 5 (Vorwort). 79 R. W. Darré, Neuadel aus Blut und Boden, München 1930, 169. 80 Vgl. W. L. Heinrich, Richard Wahlter Darré und der Hegehofgedanke, med. Diss. Mainz 1980, 97–108 (= Heinrich 1980). 81 Heinrich 1980, 87ff. 82 R. W. Darré, Neuadel aus Blut und Boden, München 1930,9, 22ff., 80f., 65ff.
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moderne Parallele zu den Reformen Kleomenes III. behandelt worden waren.83 Mit den „Heldengenossenschaften“ korrespondiert das häufig als „Orden“ vorgestellte Sparta.84 Auch wenn sich Darré weder in diesem Zusammenhang noch bei dem Modell der „Hegehöfe“ – den „Heimstätten seines Neuadels aus Blut und Boden“85 – auch nur mit einem Wort auf das spartanische Vorbild bezieht, gibt es keinen Zweifel daran, daß der „Hegehof“ in Anlehnung an das spartanische Landlos konzipiert ist. „Das Wesen der Klaroi wie der ‚Hegehöfe’ ist ihr Charakter als eines vererblichen Staatslehens, das unverkäuflich und unteilbar war und sich an einen Sohn oder eine Tochter vererbte“.86 Das [88] offensichtliche Verschweigen der Analogie zu Sparta dürfte thematisch bedingt sein: Der ,,Hegehof“ war ein Teil der Neuadelskonzeption, die mit der spartanischen Lebensordnung nur schwer in Einklang zu bringen war. In unserem Zusammenhang ist der Hegehof vor allem als „direkte geistige Vorstufe zum späteren Erbhof“ von Interesse.87 Mit dem Erbhofgedanken ging Darré nach der Machtübernahme hinter das umfassendere Konzept der Hegehöfe zurück. Mit der Begründung des Erbhofgedankens vollzieht sich eine Neubelebung der Spartaideologie Darrés, die jetzt im einzelnen zu verfolgen ist. Auf einer seiner ersten Pressekonferenzen als Reichs- und Preußischer Minister für Ernährung und Landwirtschaft machte Darré deutlich, welche Rolle Sparta in seiner agrarideologischen Konzeption spielte: Er erwähnte Versuche, „ihn in seiner Eigenschaft als Minister zu veranlassen, am Erbhofgesetz nicht weiter mitzuarbeiten. Dabei hätten diese Kreise so getan, als ob sie ihn von ‚romantischen Gedankengängen‘ abbringen müßten“. Demgegenüber betonte Darré, daß er sich „aus grundsätzlicher w e l t a n s c h a u l i c h e r Auffassung zu diesem Gesetz b e k e n n e “, weil er aus der germanischen Frühgeschichte gelernt habe, „daß die enge Verbindung von Blut und Boden für die Erhaltung des Volkes von erheblicher Bedeutung sei“. Besonders eindeutig – so fuhr Darré fort – ergebe sich die Richtigkeit dieser Erkenntnis aus der s p a r t a n i s c h e n Geschichte, was er, der Minister, noch in einer besonderen Veröffentlichung nachweisen wolle. Aufstieg und Niedergang eines Staates, so ergebe sich aus der objektiven Betrachtung der Geschichte, sei also mit einem Gedanken verknüpft, der äquivalent ist dem Gedanken des neuen deutschen Erbhofrechts“ (Hervorhebung im Original).88 Darré, der am 6. Juli 1933 gemeinsam mit dem als Preußischer Justizminister amtierenden Hans Kerrl der Presse den Entwurf zu den Ausführungsbestimmungen für das schon am 15. Mai 1933 erlassene preußische [89] „Bäuerliche Erbhofrecht“ vorgestellt hatte,89 bezog sich mit der hier wiedergegebenen Äußerung doch wohl eindeutig auf das geplante Reichserbhofgesetz.90 In dem Bericht über die Pressekonferenz wird auf die in der Tat erheblichen Widerstände verwiesen, auf die das Reichserbhofgesetz – auch im Reichskabinett – stieß. Hitler habe, so 83 84 85 86 87 88
R. W. Darré, Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, München 1929, 39ff. Christ 1986, 45 [s. Anm. 4]. Haushofer 1958, 197 [s. Anm. 8]. Haushofer 1958, 197 [s. Anm. 8]. Haushofer 1958, 165. Vgl. „Die Reformwerke der preußischen Justiz“, in: Deutsche Allgemeine Zeitung v. 8.7.1933, Beiblatt. – Auch der „Völkische Beobachter“ berichtete über interessante „Einblicke, die Darré seinen Zuhörern in die Geschichte der Völker vermittelte“. Auch dort steht das Beispiel der „Spartiaten“ an erster Stelle; vgl. Völkischer Beobachter / Berliner Beobachter (Nr. 189) v. 8.7.1933, 2. 89 Grundmann 1979, 38 [s. Anm. 9]. 90 Insofern ist die Angabe Grundmanns 1979, 39, Darré habe sich erst am 20. Juli 1933 öffentlich zu diesem Gesetzesvorhaben geäußert, zu korrigieren.
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wird berichtet, den Weg dazu Anfang September 1933 nur „ungern“ freigemacht. Dafür spricht auch seine Bemerkung, „Darré idealisiere den Bauern viel zu sehr“.91 Danach wurde das Gesetz bis zum 29. September 1933 „förmlich durchgepeitscht“.92 Am „Reichserntedank“ verkündete Darré auf dem „Bückeberg“ den Beginn einer neuen „Epoche deutscher Agrargeschichte“, in der „die Erbhöfe (...) wieder die Keimzellen der rassischen Wiedergeburt des deutschen Volkes werden (sollten)“.93 Mit dem Reichserbhofgesetz war, darauf hat neuerdings A. D’Onofrio hingewiesen, die Rassendiskriminierung noch vor dem „Reichsbürgergesetz“ eingeführt: So war im Zusammenhang mit dem „Auslesegedanken“ der „Ariernachweis“ zu führen.94 Bislang ist dieses Gesetzeswerk „kaum unter seinen rassenpolitischen Gesichtspunkten untersucht“ worden.95 In der Zwischenzeit hatte Darré schon mit seinem in der Presse angekündigten „SpartaProjekt“ begonnen: Ende Juli/Anfang August erstellte er während eines Kuraufenthaltes in Bad Wörishofen das nachfolgend abgedruckte etwa fünfzig Seiten starke handschriftliche Manuskript Sparta. Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden (Grundlagen, Aufstieg, Niedergang),96 das jetzt vorgestellt werden [90] soll.97 Es handelt sich dabei, wie Darré am 25. Mai 1937 notierte, um den „ersten Entwurf zu einem Buch über Sparta“.98 Die Ankündigung des Spartaprojekts in der Presse sollte wohl auch zeigen, daß der „Reichsbauernführer“ sich wie Hitler historischer Vorbilder versicherte. Insofern möchte Darré gewissermaßen mit staatsmännischem Gestus die historischen Dimensionen und die Fundierung national sozialistischer Agrarpolitik unterstreichen. Dabei passen die Spartaner gut zu den vor und nach der NS-Machtübernahme immer wieder beschworenen Germanen und Preußen. Darüber hinaus zeigen z. B. die „Dorer“ bzw. „Spartaoffenbarungen“ in Gottfried Benns „Dorischer Welt“ (1934) oder Werner Jaegers „Paideia“ (Bd. 1, 1934), die mit „SpartaBekenntnissen“ der NS-Führungsschicht 1933/34 korrespondieren, daß die NS-Zeit in der „Spartan Tradition“ (E. Rawson) einen wichtigen Einschnitt markiert.99 Am besten läßt sich die Atmosphäre der Spartabegeisterung mit den Äußerungen G. Benns über die „Dorier“ beschreiben: „Ihr Traum ist Züchtung und ewige Jugend, Göttergleichheit, großer Wille, stärkster aristokratischer Rassenglaube, Sorge über sich hinaus für das ganze Geschlecht“.100 Darrés eigenständige Spartakonzeption im „Bauerntum“ und sein Buchprojekt wurden in dieser Phase 91 So Hermann Reischle, ein Gefolgsmann Darrés, der später als Stabsamtsleiter des Reichsnährstandes fungierte. Zitiert nach Grundmann 1979, 41 [s. Anm. 9]. 92 Grundmann 1979, 41. 93 Zitiert nach Grundmann 1979, 43. 94 D’Onofrio 2001, 147 [s. Anm. 60]. 95 So Mai 2002, 50 [s. Anm. 17]. Zur Kritik an der Durchführung des Reichserbhofgesetzes vgl. D. Münkel, Bäuerliche Interessen versus NS-Ideologie. Das Reichserbhofgesetz in der Praxis, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996) 549–480. 96 Im Text zitiert nach der Foliierung des Stadtarchivs Goslar in fett gedruckten eckigen Klammern [ ], die auch den Seitenanfang des Manuskripts markieren. – Die Datierung ergibt sich aus fol. 2! 97 Das Manuskript sollte zunächst seinem Archiv zugeführt und „gut aufgehoben werden“ [1] (= Darré v. 27.3.37 mit Paraphe v. 30.3.). Es ist bislang nur von D’Onofrio 1997, 172f. [s. Anm. 5] erwähnt worden. 98 Vgl. fol. 1. 99 Losemann 2003, Sp. 165f. [s. Anm. 4]. 100 G. Benn, Dorische Welt (1934), zitiert nach: Ders., Gesammelte Werke, Bd. 3, München 1975, 836; vgl. V. Losemann, Die Dorier im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre, in: W. M. Calder III / R. Schlesier (Hrsg.), Zwischen Rationalismus und Romantik. Karl Otfried Müller und die antike Kultur, Hildesheim 1998, 338f. (= Losemann 1998) [Nr. 6].
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durchaus registriert.101 Die enge Verbindung der im „Bauerntum“ entwickelten Konzeption Darrés mit dem Reichserbhofgesetz wurde auch dadurch unterstrichen, daß von der 5. Aufl. (1935) an dieses Gesetz im Anhang anschließend an den sog. SS-„Heiratsbefehl“ Himmlers vom 31.12.1931 abgedruckt wurde.102 Die Niederschrift des Spartamanuskripts fällt in die ersten Wochen des Ministeramtes von Darré, in die Zeit also, in der das Reichserbhofgesetz auf den Weg gebracht wurde. Daß sich der Minister von der in der Tat heftigen Kritik [91] auch an seinen „romantischen Gedankengängen“ nicht von seinen Plänen abhalten ließ, kennzeichnet den in gewisser Weise weltfremden „Agrarund Rasseideologen“ Darré und unterstreicht seine starke Fixierung auf diesen Gegenstand. Vermutlich hat Darré das Manuskript, das 52 Blätter (mit jeweils ca. 20 Zeilen) umfaßt, ohne Hilfsmittel „in einem Zug“ niedergeschrieben, ohne sich ausdrücklich auf sein „Bauern tum“ oder andere eigene Publikationen zu beziehen. Ein genauerer Einblick in seine „Schreib werkstatt“ ergibt, daß Darré sich gelegentlich selbst (oder Busolt) aus dem „Bauerntum“ zitiert [28]. In einzelnen Fällen sind Lücken für Zitate nicht geschlossen [17] oder nur Stichworte angegeben. Insofern fassen wir hier eine ganz geschlossene – freilich unvollendete – Sparta konzeption, die natürlich viele Berührungspunkte mit dem „Bauerntum“ und Elementen des NS-Geschichtsbildes aufweist. [2] Sparta Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden (Grundlagen, Aufstieg, Niedergang) von R. W. D. [3] Vorbemerkung: Der Verfasser hat mit Überlegung in der Überschrift zum Ausdruck gebracht, daß Sparta ein Staatsgedanke aus Blut und Boden ist: d. h. daß Sparta vom Verfasser nicht als der Staatsgedanke aus Blut und Boden schlechthin betrachtet wird, sondern als eine der geschichtlich gewachsenen Ausdrucksmöglichkeiten dieses Staatsgedankens. Dies vorweg zu betonen, ist notwendig, weil durch die öffentliche Stellung des Verfassers und durch [4] die von ihm zum Leitgedanken seiner Agrarpolitik erhobene Begriffsfestsetzung „Blut und Boden“ sonst leicht der Gedanke auftauchen könne, der Verfasser sähe in der Anlage des spartanischen Staates das Vorbild und Wunschbild eines deutschen Staates im Staatsgedanken aus Blut und Boden. Der Verfasser will aber mit der Veröffentlichung dieser Arbeit nur das Wesen eines geschichtlich gewordenen und also einmal tatsächlich gewesenen Staatsgedankens aus Blut und Boden zeichnen, an welchem der Leser für sein deutsches Zielbild eines deutschen Staates im gleichen Staatsgedanken, Beur teilungsgrundlagen und Erfahrungen finden kann. Außerdem: Der Staatsgedanke des Nationalsozialismus ist ohne die Vorarbeit des preußischen Staatsgedankens undenkbar, ja man kann geradezu sagen, daß Nationalsozialismus der [5] in die Aufgaben unseres Jahrhunderts weiterentwickelte preußische Staatsgedanke ist. Damit wird aber auch der spartanische Staat für den Nationalsozialismus [92] wieder zeitgemäß, denn die Gleich heit des spartanischen und preußischen Staatsgedankens auf der Grundlage des Heldentums und in der Überordnung des Ganzen über den Einzelnen ist zu auffällig, als daß sie nicht schon längst aufgefallen wäre. Und wir stimmen daher gerne z. B. Moeller van den Bruck zu, wenn er in dem Stil der „Hauptwache“ in Berlin „Unter den Linden“ das Gesetz dieser Verwandtschaft am unmittelbarsten und
101 So von dem Althistoriker Hans Volkmann (1900–1975), in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 9 (1933) 563f. 102 R. W. Darré, Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, München 51935, 464–481.
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echtesten dargestellt sieht: ein preussischer Stil zwar und in seiner Art einzig in Europa, aber seinem Wesen nach doch am unmittelbarsten dem Dorischen verwandt. [6] Einleitung Als an der Schwelle dieses Jahrhunderts, im Jahre 1900, drei europäische Gelehrte zufällig und unabhängig voneinander die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung in der Pflanzenwelt fanden und gleichzeitig die Feststellung machten, daß ein Vierteljahrhundert vor ihnen der Pater Gregor Mendel durch ursächliches Denken und folgerichtige Kombination in der Stille seines Gelehrtendaseins die gleichen Gesetzmäßigkeiten bereits gefunden hatte, sodaß hinfort von der Wissenschaft zu seinen Ehren und Erinnerung alle Vererbungsgesetze als „mendelsche Gesetze“ oder „Mendelismus“ schlechthin bezeichnet werden, da ahnten wohl nur wenige klarsehende Geister, daß mit dieser Entdeckung eine der größten geistigen Umwälzungen Europas eingeleitet werden [7] würde: eine geistige Umwälzung, die in ihrem Ausmaß und ihrer Tiefe durchaus derjenigen gleichkommt, die die Einführung des Christentums unter den Germanen ausgelöst hat. Denn die Erkenntnisse, die diese ersten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse einleiteten, waren nicht mehr und nicht weniger als die, daß es auch auf Erden und mithin nicht nur im Himmel eine Ewigkeit gibt, die Ewigkeit nämlich des Keimplasmas oder der Erbmasse oder wie man es sonst bezeichnen will. Das ist eine sehr grundlegende Erkenntnis! Weil nunmehr das einzelne Wesen, der Mensch z. B., erkannt wird als Ausdrucksform, als eine Zweckmäßigkeitseinrichtung, einer ewigen Körperlichkeit, nämlich seiner Erbmasse, seines Keimplasmas. Diese ist das Wesent[8]liche, und der Einzelmensch ist mithin nur eine Zweckmäßigkeitsform diese ewige Erbmasse zu ernähren und fortzupflanzen: Etwa so, wie die einzelne Pflanze, der einzelne Baum auch nur Teil eines ? (sic!) Ewigen ist, das ihnen aus dem Samen, dem sie entstammen, zugekommen ist und das sie durch ihren Samen in die ferne Zukunft hinein wieder weiterreichen. [93] Dieses Ewige nennen wir bei uns Menschen die Rasse: leider, möchte man sagen, denn es ist ein Fremdwort und verdrängt das schöne deutsche Wort „Art“, welches dasselbe bedeutet und in den Wörtern „arteigen“, „unartig“, „aus der Art schlagen“ noch so bewußtseinshaft unter uns lebendig ist. Damit stehen wir an der wesentlichen Stelle im Hinblick auf die neue geistige Erkenntnis von der Bedeutung der Erbmasse, d. h. der Rasse. Wir erkennen nämlich, daß Grundlage aller menschlichen Daseinsformen, aller Sittlichkeit und Gesittung, der Rassenkern [9] der Menschen ist, welche diese Daseinsformen, diese Sittlichkeit und Gesittung schaffen. Mit anderen Worten heißt dies: alle menschlichen Überlieferungen der Geschichte sind Resultanten aus Rasse und deren Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, sowie den sie beeinflussenden Zeitgeistströmungen. Demgemäß wird alle geschichtliche Überlieferung zu untersuchen sein auf den Rassenkern seiner Menschen, auf das sich auswirkende Blut und auf die Landschaft mit ihren deren Blut Bedingungen setzenden Grundzügen, d. h. dem Boden. Blut und Boden sind die bewegenden Grundkräfte aller menschl ichen Daseinsformen, sind insbesondere Ursache aller geschichtlichen und heutigen Er scheinungsformen der Völker. So wird klar, wie bei gleichbleibender Landschaft ein Wandel des Rassen kerns doch das Bild des Volkes in seinen gesittungsmäßigen und staatsbildenden Äußerungen zu ändern vermag – (Frankreich, vor noch 150 Jahren das Land blauäugiger [10] blondhaariger hochgewachsener Franken, zu dieser Zeit ein Land voller Schöpferkraft auf allen Gebieten des menschlichen Daseins, heute jedoch ein Land des vernegerten schokoladenäugigen Rassendurcheinanders, bar jeder großen schöpferischen Eigenleistung, mag hierfür ein handgreifliches Beispiel bieten), daß aber ebenso die gleiche Rasse in verschiedener Umwelt und unter der Einwirkung unterschiedlicher geistiger Beeinflussung sich unterschiedlich in ihren Ausdrucksformen kundtun muß. In letzter Beziehung mag man als Beispiel an rassereine Söhne eines Elternpaares denken, deren einer in England, einer in Schweden, einer in Deutschland und einer in Frankreich erzogen wird; es ist klar, daß trotz aller gemeinsamen Brüderlichkeit und Rasseneinheit diese Menschen als Erwachsene doch einen jeweils unterschiedlichen Stil ihrer Ausdrucksform hätten, allerdings diese Unterscheidbarkeit nicht auf ihre Nachkommen vererben würden.
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Volker Losemann [11] Von dieser Erkenntnis ausgehend wird klar, daß alle geschichtlichen Überlieferungen in dem Augenblick keine Museumsstücke mehr sind, wo wir sie als Ausdrucksformen einer uns verwandten oder gar uns gleichen Rasse empfinden. Denn die Ewigkeit der Erbmasse sagt ja, daß die Ausdrucksform der gleichen [94] Rasse bedeutet, es handelt sich um Blut von unserem Blut, welches jene geschichtlichen Ausdrucksformen schuf. Mithin ist es wertvoll für uns, diese Ausdrucksformen zu untersuchen, weil sie uns Rückschlüsse gestatten auf unsere eigene Rasse. Was früher unzusammenhängende Bruchstücke schien, wie z. B. die geschichtliche Überlieferung untergegangener Völker erscheinen konnte, erhält jetzt blutvollen Zusammenhang durch die Erkenntnis, daß es Ausdrucksformen eines Rassekernes sind [12] und sie zur Einheit des Bildes über die Rasse zusammengefügt werden können, etwa so wie in der Paläontologie die vorgefundenen Versteinerungen als Ausdrucksformen der Lebensgesetze einer Art erkannt wurden und man nunmehr aus den Bruchstücken der gefundenen Versteinerungen die Wahr scheinlichkeit des Lebensbildes der Art rekonstruieren kann. Wenn also die vergleichende Altertumswissenschaft feststellt, daß zwischen Indogermanen und Ger manen kein Rassenunterschied festzustellen ist, – (weswegen man zur Kennzeichnung der rassischen Gemeinsamkeit von Indogermanen und Germanen und ihres gemeinsamen Herkunftsgebietes in Nord west- und Nordnordwesteuropa sie unter dem Begriff Nordische Rasse zusammenfaßt) – dann gestatten alle [13] germanischen Staatsschöpfungen unmittelbare Vergleiche mit indogermanische(n) und – da das Deutsche Volk auf der Grundlage des Nordischen Menschen entstanden ist – mit uns. Umgekehrt kann man sagen, daß das Studium von Staatengebilden indogermanischer und germanischer Art, also Staatsschöpfungen von Menschen Nordischer Rasse für uns unmittelbar bedeutungsvoll sind, da wir an ihren Gesetzmäßigkeiten des Aufbaues und ihres Unterganges unmittelbar Erfahrungen schöpfen können für unser eigenes staatliches Dasein. Während also früher die Geschichte eine Lehrmeisterin allgemeiner Art zu sein vermochte, wird nunmehr die Geschichte der Staaten Nordischer Rasse unmittelbar bedeutungsvoll für uns als Volk, da [14] die Erkenntnisse vom Ewigkeitswert der Erbmasse uns die unmittelbare Verwandtschaft der Geschichte dieser Völker mit uns selber aufgezeigt hat. Wenn daher Sparta, um ein Beispiel zu zeigen, als Staatsschöpfung aus Nordischem Blut erkannt ist, dann heißt das, daß sich dort unser Blut, soweit wir Nordisches Blut in uns haben, vor drei Jahrtausenden in der dortigen Umwelt seine Ausdrucksformen suchte, wie sie sich als geschichtliche Überlieferungen darstellen. Sparta wird damit nicht eine Staatsform unter anderen der geschichtlichen Überlieferung, zu der man je nach Lust und Neigung dafür oder dagegen [95] Stellung nehmen kann, sondern es wird zu einer staatlichen Ausdrucksmöglichkeit unseres Blutes im damaligen Zeitabschnitt und in der Bedingt[15]heit ihres Bodens, d. h. der landschaftlichen Umwelt. [16] Die Grundlagen des Staates Wenn wir im vorhergehenden Abschnitt die Gleichheit des Blutes der alten Spartiatengeschlechter mit dem germanischen Blutskern in unserem Volke als Voraussetzung dieser Betrachtung hinstellten, dann ist es gut, sich vielleicht an Hand eines einfachen Hinweises diese Tatsächlichkeit möglichst eindrucksvoll vor Augen zu führen und festzustellen, daß die Hellenen tatsächlich ein Nordisches Volk gewesen sind. Wir verzichten dabei auf die Wiederholung aller jener Nachweise, die gerade in den letzten 15 Jahren die Beweise herbeigebracht haben, daß die Hellenen [17] ein langschädeliges, blondes und blauäugiges Volk gewesen sind – (wovon sich übrigens jeder aufmerksame Leser der Ilias und Odyssee ohne weiteres selber überzeugen könnte) – sondern geben im folgenden nur den Worten Raum: [18] Haben wir uns so von der Nordischen Art der Hellenen überzeugen lassen, dann muß man zunächst mit einer Vorstellung brechen, die fast unausrottbar in den Köpfen unserer gebildeten Welt zu haften scheint, um volles Verständnis für das Wesen der Hellenen und zwar insbesondere der Spartiaten zu gewinnen. Es ist die Vorstellung, daß die Eroberung Griechenlands durch die Hellenen und insbe-
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sondere der Landschaft – durch die Spartiaten auf ein rein kriegerisches unbäuerliches Eroberervolk zurückzuführen sei. Der Verfasser selber hat in mehrfachen Arbeiten daraufhingewiesen, daß alle Eroberungen der Indogermanen und Germanen sich grundsätzlich [19] von jeder unbäuerlichen kriegerischen Wanderhirten-Eroberung dadurch unterscheiden, daß sie entweder rein bäuerliche Landnahmen sind oder aber bäuerliche Landnahmen im Stil der Grund herrschaften, d. h. daß die Vorgefundene bäuerliche Bevölkerung nicht einfach abgabepflichtig gemacht wird, sondern einer oder mehrere der unterworfenen Bauern dem indogermanischen oder germanischen Herrn zu seinem Gut, seinem Hof, zugeteilt werden, wo sie mit einem Teil ihres Ertrages dem neuen Herrn abgabepflichtig werden. Man kann dies auch so ausdrücken: mehrere der unterworfenen Bauern werden zu einer Grundherrschaft zusammengefaßt, der sie bestimmte Abgaben zu zahlen haben, auf ihrem Hof erblich schollengebunden bleiben, aber im übrigen tun und lassen können, was sie wollen, also zwar „Hörige“ sind, welches Wort von „gehorchen“ [96] stammt, aber nicht etwa Leibeigene oder Sklaven. Man wirft bei uns immer die Worte „Leib[20]eigene“ und „Hörige“ durcheinander. Sehr zu unrecht, denn im alten indogermanischen Recht und im germanischen Recht sowie im deutschen Recht bis zum XIX. Jahrhundert ist der Hörige zwar schollengebunden, aber sonst nicht in seiner persönlichen Freiheit beschränkt, der Leibeigene dagegen eine Sache, eine Ware, die man nach Belieben kaufen und verkaufen kann, wie ein Stück Vieh. Wenn durch den Einbruch kapitalistischer Gedankengänge die deutschen hörigen Bauern immer mehr in Richtung der Leibeigenen hinabgedrückt wurden, so lag das an den sich ausbreitenden kapitalistischen Erwerbsgedankengängen der deutschen Grundherren, aber nicht an der Hörigkeit an sich. Diese – von der uns Tacitus bereits eindeutig berichtet – war etwa so [21] wie heute noch das Verhältnis eines Erbpächters zu seinem Verpächter oder des nordwestdeutschen Heuerlings zu seinem Bauern; nur mit dem Unterschied, daß diese heute jederzeit aus dem Verhältnis zum Eigentümer des Grund und Bodens, dem sie Abgaben zahlen, sich frei machen können, was der alte Hörige nicht ohne weiteres konnte. Aber auch der Leibeigene ist beim Germanen ursprünglich kein Sklave in unserer heutigen Auffassung des Wortes gewesen, sondern war durchaus Hausgenosse, der vollkommen in die Herd- und Haus gemeinschaft einging und deren Schutz genoß. Wie wenig der Germane von Anfang den Begriff des Sklaven kannte, geht schon daraus hervor, daß [22] der Name „Sklave“ nichts weiter bedeutet als „Slave“ – (im englischen heute noch slave) –, d. h. daß erst durch die Berührung mit den Slaven und ihrer offensichtlichen Unfähigkeit zu selbständiger, wenn auch höriger Bauernarbeit – (Widukind von Corvey berichtet hierüber ausdrücklich Fußnote) – die sklavenmäßige Leibeigenschaft bei den Germanen in Aufnahme kam: Genau dasselbe berichten uns die Quellen von den Alt-Patriziern Roms, die erst mit dem Einbruch kapitalistischer Gedankengänge zur Zeit der punischen Kriege die Sklaven im überlieferungsgemäßen Sinne des Wortes kennen lernen. Und ebenso berichten alle Quellen ganz eindeutig, daß die Hellenen [23] ursprünglich keine Sklaven kannten, und diese erst mit dem Einbruch kapitalistischer Wirtschafts weisen in Hellas eingeführt werden, um schließlich durch ihre Massen geradezu die Quelle aller hellenischen Volkszersetzung zu werden. Ganz im Gegensatz zu diesen rein bäuerlichen oder wenigstens grundherrschaftlichen Landnahmen der Indogermanen und Germanen vollzieht sich die kriegerische Eroberung durch Hirtenvölker. Diese – (es ist ganz gleichgültig, ob [97] man daraufhin die Geschichte der Araber, Türken, Hunnen, Ungarn, Tataren usw. untersucht) – schonen das vorgefundene Bauerntum niemals, sondern plündern es entweder in riesigen und blitzschnell [24] durchgeführten Raubzügen aus oder aber sie setzen sich in Zwingburgen zwischen die unterworfene Bauernbevölkerung und leben vom blutig erpreßten und rücksichtslos eingezogenen Ertrage der Bauern. Für erstes sind die grauenhaften Plünderungszüge der Tataren, der Hunnen und Ungarn ein Beispiel, für das zweite bieten die Maurenkastelle unter der Berberbevölkerung, die Tatarenkreml unter den russischen Bauern, Attilas Zwingburg fokaj in Ungarn, das Türkenserail in Konstantinopel Beispiele genug. In jedem Falle ist aber wesentliches Ziel dieser nomadischen Raubzüge neben der Plünderungsgier
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Volker Losemann die Eroberung von Sklaven, weil der Nomade, d. h. Wanderhirte an sich unschöpferisch ist und den fähigen Sklaven braucht, um sich und seine Bedürfnisse zu befriedigen. [25] Indogermanen und Germanen treten nirgends und niemals bei ihren Eroberungszügen derart auf. Nachdem Hans F. K. Günther nachgewiesen hat, daß in den Ursitzen der Nordischen Rasse, in Nordwesteuropa und insbesondere Schweden, die dortige Kultur eine von Anfang an bäuerliche Kultur gewesen ist, kann mithin am Urbauerntum der Nordischen Rasse wohl nicht mehr gezweifelt werden. Übrigens läßt sich der gleiche Beweis erbringen, wenn man Sprache und Kultur der Indogermanen und insbesonders Germanen in Verbindung mit den Lebensgesetzlichkeiten der Umwelt ihrer Urheimat bringt, doch führt uns dies zu weit. Kehren wir aber wieder zu den Hellenen zurück. Wer sich eine solche [26] hellenische Grundherrschaft möglichst eindrucksvoll vor Augen führen will, dem sei die Odyssee empfohlen, wo in einer wundervoll zeichnenden Sprache das Leben und Treiben auf hellenischen Gütern geschildert ist. Wir haben uns also mithin den Einbruch der Hellenen in Griechenland und insbesonders der uns hier beschäftigenden Spartiaten in – als große Bauerntrecks vorzustellen, etwa so, wie noch die Burentrecks in Südafrika im vorigen Jahrhundert wanderten oder die großen Wagenzüge der Siedlungslustigen in Nordamerika Meilen auf Meilen von der Ostküste nach dem Wilden Westen aufbrachen. Oder – das ist noch gar nicht so lange her – große [27] Wagenzüge deutscher Bauern ihre Heimat verließen und in Südost- und Osteuropa eine neue Heimat suchten und fanden. [28] Derjenige Stamm der Hellenen, aus welchem sich später der spartanische Staat entwickeln sollte, die Dorer, wanderten etwa im 11. Jahrhundert v. Chr. durch die Thyreatis – vermutlich von Argolis her – in die Landschaft Lakonien ein. Für diese lakonischen Dorier ist als Ausgangspunkt des Zuges nach der [98] Peloponnesos die Landschaft Doris am Oeta gut bezeugt. Hier in Doris hatte der Stamm längere oder kürzere Zeit Rast gemacht, ehe er weiter nach Süden vorstieß, offenbar unter dem Druck nördlicher, raumsuchender Stämme. Nach der Eroberung Lakoniens überschritten [29] die Stämme das Taygeton-Gebirge und nahmen die Ostküste des messenischen Golfes sowie die untere Ebene in Besitz. Wir dürfen annehmen, daß die sackgassenartige Gestaltung der fast wie eine Insel anmutenden Peloponnesos die Bauerntrecks der Dorer zum Halten zwang, da sie nach dem Norden infolge der halbinselförmigen Gestaltung Griechenlands und ihrer Anfüllung mit raumsuchenden Bauerntrecks verwandter Stämme nicht zurück konnten, auf das Meer aber als Bauerntreck nicht hinaus[30] zufahren vermochten. Diese landschaftsbedingten Zwangsläufigkeiten für die Wanderrichtungen von landsuchenden Bauerntrecks können wir ein Jahrtausend später bei dem Zuge der Kimbern und Teutonen wiederfinden, wie sie überhaupt ein Kennzeichen der germanischen sog. Völkerwanderung sind. Aber noch in sehr viel jüngerer Zeit, in den Kämpfen des deutschen Ritterordens im Nordosten, spielte dieses Gesetz eine Rolle, als es dem Orden zwar gelang, das heutige Ostpreußen mit deutschen Bauern zu besiedeln, weil diese auf dem Landwege als Bauerntreck herankommen konn[31]ten – (Gen Ostland Ostland wolle vi fahren!) – es dagegen nicht gelang, Lettland und Estland mit deutschen Bauern zu beschicken, weil der Landweg hätte durch das heidnische und mithin feindliche Litauen gehen müssen, was nicht möglich war, und auf Schiffe zu damaliger Zeit ein Bauerntreck noch nicht verladen werden konnte. Denn in damaliger Zeit konnte man Bauern noch nicht verpflanzen wie heute und auf neuzeitlichen Verkehrswegen alle ihre Bedürfnisse nachkommen lassen, etwa so wie die deutschen Bauernsiedlungen in Amerika entstanden sind, sondern zur damaligen Zeit und noch bis vor wenige Jahrhun[32]derte überhaupt, mußten Bauern alles von zu Hause mitnehmen, was sie in der neuen Heimat brauchten, vom Saatkorn bis zum Vieh, vom gewohnten Ackergerät bis zum letzten Werkzeug. Dies schuf eben die Schwerfälligkeit solcher Bauerntrecks, wie sie uns insbesonders stimmungsvoll von den Buren in Südafrika überliefert sind. Überhaupt ist die Geschichte der Buren in Südafrika sehr lehr-
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reich, um sich recht eindrucksvoll auch die Verhältnisse bei den Wanderungen der Indogermanen und Germanen vor Augen zu führen, denn auch in Südafrika kommt die Wanderung nicht gleich zur Ruhe [33] oder geht sofort bewußt auf ein Ziel los, sondern der Treck wandert erst einmal, macht dann Halt, bleibt einige Zeit dort und errichtet mit seinen Wagen eine feste Wagenburg; er weidet dann das Vieh, versucht einen einfachen Ackerbau [99] zur Befriedigung der Bedürfnisse an Brot, welches ja nicht „gekauft“ werden und auch nicht in riesigen Getreiderückhalten mitgeschleppt werden kann, sondern laufend durch Getreideanbau sichergestellt werden muß; schließlich bleiben die Bauern je nach Laune oder den Zwangsläufigkeiten der Landschaft irgendwo hängen und verwurzeln endlich auf Höfen, wobei es oftmals vorkommt, daß aus der alten Wagenburg ein fester Standort wird, der den Bauern immer wieder in Zeiten [34] der Not als Zufluchtsort dient. So erging es auch den Doriern. Wenn sie auf der das Oinustal herabkommenden Straße den Eurotas erreichten und den Fluß überschritten, bot sich ihnen sozusagen zwangsbedingt auf den letzten Ausläufern einer sich von Norden her vorschiebenden Hügelkette ein natürlicher Stützpunkt im feindlichem Gebiet an: Sparta. Hier schlugen sie ein Standlager auf, von dem aus sie zunächst die weitere Eroberung des Landes vorantrieben, das Eroberte dann aber gleichzeitig von hier aus sicherten. Die Stätte Spartas wurde also [35] einmal durch eine natürliche Lage als militärischer Stützpunkt und zum andern dadurch, daß die inselartige Gestaltung der Peloponnesos die Weiterwanderung ausschloß und die Stämme zwang, sich in der eroberten Landschaft einzurichten, folgerichtig der staatsbildende Mittelpunkt dieser ganzen Eroberung, aus welchem schließlich eben das entstand, was ewig in die Blätter der Geschichte eingehen sollte: Sparta. Nach erfolgter und gesicherter Eroberung des Landes taten die Dorier etwas, was wir haargenau auch wieder bei den Landnahmen der Germanen wiederfinden und was merkwürdigerweise bisher von unserer [36] Wissenschaft restlos übersehen wird, sowohl bei der Landnahme der Hellenen als auch bei der Landnahme der Germanen in der sog. Völkerwanderungszeit: Das eroberte Land wird zu einem bestimmten Teil – bei den Alemannen des Ariovist, den Ostgoten, den Franken usw. ist es ein Drittel des eroberten Gebietes – in Erbhöfe, Sitze eines Geschlechts, aufgeteilt, welche mit Ausnahme der den Führern (Königen) zugebilligten Landentschädigung nicht von gleichem Gebietssumfange sind, sondern – dies beweist ein sehr bäuerliches Denken – vom gleichem Ertrage. Bei den Germanen war stellenweise der bäuerliche Gerechtigkeitssinn so stark, [37] daß die im Ertrage wegen der Bodengüte oder Bodenlage unterschiedlichen Äcker nicht im ganzen vergeben wurden, sondern man verteilte sie auf die Mitglieder des Dorfes derart, daß jeder Bauer von jedem Acker seinen Dorfgenossen [100] gegenüber eine gleichwertige Nutznießung hatte. Bei den Doriern war dies zwar nicht der Fall, sondern sie teilten das eroberte und ackerfähige Land in abgerundete Grundstücke auf, beachteten aber, daß der betriebswirtschaftliche Ertrag jedes solchen Grundstücks gleich war. Diese Grundstücke wurden verlost, – was sich ebenfalls bei den Germanen wiederfindet – weswegen die Grundstücke auch „Lose“ hießen. Wesentlich ist nun, daß diese Lose nicht in sog. freies Eigentum übergingen, sondern das ein Los innehabende [38] Geschlecht nur ein gebundenes Eigentumsrecht an dem Los hatte und die Interessen der Gesamtheit dem Eigentumsrecht des Inhabers übergeordnet blieben. Der Spartiat durfte seinen Klaros = Erbhof nicht verkaufen oder bei der Erbabfindung seiner Söhne gar aufteilen. Die Vererbung ging entweder auf den vom Vater bestimmten Erbsohn über oder falls dieser nicht vorhanden war, auf eine Erbtochter, falls der Vater nicht aus der Verwandtschaft einen Erben an Kindesstatt annahm. Dieser Vererbungsbrauch ist der übliche bei Indogermanen und heidnischen Germanen, so daß die wenigen geschichtlichen Über lieferungen in Sparta hierüber doch ein ganz eindeutiges
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Volker Losemann [39] Bild vermitteln, was insbesonders dann sehr eindeutig wird, als der Kampf um die Vererbungsgebräuche der Erbhöfe in Sparta in späterer Zeit einsetzt. Denn diese Erbhöfe sind der Angelpunkt im Aufstieg und Niedergang Spartas, wie wir noch sehen werden. Diese Erbhöfe sind so grundwichtig für das Verständnis des spartiatischen (sic!) Staates, daß wir nicht umhin können, uns einen Augenblick damit ausführlicher zu beschäftigen. (Beispiel der Bedeutung von Geschlecht, Haus, Herd, Ackerland) Bauer usw. [40] Nur wenn wir diese weltanschaulich verankerte, zum lebensgesetzvollen Ganzen zusammenge wachsene Einheit von Blut und Boden im indogermanischen-germanischen Denken kennen und begriffen haben, erhalten wir Verständnis für eine Erscheinung, die sowohl bei der hellenischen Völkerwanderung, d. h. bei der Inbesitznahme Griechenlands durch die Hellenen, als auch bei der germanischen Völkerwanderung eindeutigst auffällt, welche aber unsere Geschichtsforscher und Gesittungsforscher bisher mit einer gewissen verlegenen Hilflosigkeit gegenüberstanden: der Erscheinung nämlich, welche sonst alle gleichsinnigen Eroberungen durch [41] rein kriegerisch bedingte, unbäuerliche Eroberervölker glatt widerspricht, daß Hellenen und Germanen in Gebiete vervollkommneter Civilisation und Gesittung mit entwickelter Staatsverwaltung einbrechen, aber ganz unbekümmert darum ihrer arteigenen Bauerngesittung, ihrem mitgebrachten bäuerlichen [101] Brauchtum und ihrer bäuerlichen Sitte weiterleben. Dies ist so auffallend, daß sie jedem unvoreingenommen an solche Erscheinungen herangehenden Forscher sofort zum Nachdenken anregen müssen. Denn es ist ja nicht so, daß diese Bauerntrecks der Indogermanen und Germanen der vorgefundenen Civilisation verständnislos gegenüberständen und sie aus Unverstand verschmähten, [42] sondern sie lassen umgekehrt diese Civilisation, die meistens wie alle Civilisation im Gegensatz zu echter Gesittung (Kultur) rein oder vorwiegend städtisch bedingt ist, unangetastet, siedeln sich aber auf einem Drittel des eroberten flachen Landes in Geschlechtssitzen an und stehen der ganzen vorgefundenen städtischen Herrlichkeit so vollendet gleichgültig, ja einzig ablehnend gegenüber, daß dies aus Gründen innerer Bedeutungslosigkeit langsam abstirbt, was schließlich auch den tatsächlichen baulichen Verfall dieser Städte zur Folge hat. Die Geschichte der germanischen Völkerwanderung ist hierin so eindeutig, [43] daß diese Erscheinung längst ein Herzstück unseres Geschichtsunterrichts wäre, wenn – ja wenn gewisse Kreise nicht ein so großes Interesse daran hätten, das deutsche Volk seiner Art sich nicht bewußt werden zu lassen und demgemäß die Fiktion von den dummen, biertrinkenden, fellbehangenen Germanen aufrechterhielten, die – oh, welche Gnade wurde ihnen!! – vom Orient über Rom erst mit den Gaben eines entwickelten Menschentums versehen wurden: ex Oriente lux hieß es und war bis zum 30.1.1933 ein Beweis besonders gesinnungstüchtiger „Objektivität“, wenn man sich dazu bekannte. Leider erweist sich aber gerade diese Lehre bei wirklicher [44] „Objektivität“ als glatte und sogar recht gelungene Geschichtsfälschung. Es ist hier nicht unsere Aufgabe die in dieser Beziehung durchaus eindeutigen Verhältnisse bei Franken, Goten Langobarden usw. zu erinnern, weil dies nicht hierher gehört, sondern wir kehren wieder zu den Hellenen zurück. Die Hellenen fanden eine hochentwickelte Staatsentwicklung vor, genau wie die Germanen beim Römischen Reich: es ist die sog. kretisch-mykenische Kultur mit ausgeprägter städtischer Entwicklung und sehr prunkvollen Fürstensitzen. Dies ließ die Bauerntrecks der Hellenen durchaus [45] kalt, nur übernahm man gelassen und mit durchaus innerer Freiheit – genau wie die Germanen es später auch tun – an handwerklichen Kunstfertigkeiten, das was der Übernahme wert schien und sich gebrauchen ließ. Wenn also Busolt feststellt: „Die neue Entwicklung setzte in Hellas mit einfachen, bäuerlichen Verhältnissen ein; ihr Wesen kommt in dem ‚Bauernstil‘ der geometrischen Vasen zum Ausdruck“, so spricht er damit eigentlich nur aus, was bei der weltanschaulichen Einheit der Begriffe „Blut“ und „Boden“ für Indo[46]germanen eigentlich selbstverständlich ist. [102] Ob die Dorer von dem eroberten Lande ein Drittel, wie die Alemannen, Franken, Goten usw., für ihre Geschlechtssitze einzogen, ist uns nicht überliefert, aber Anhalt zu vermuten, weil feststeht, daß sie nur einen Teil des eroberten Landes als „Bürgerland“ bezeichneten, in Erbhöfe aufteilten und diese
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verlosten. Die Bauern, die auf diesem Bürgerland angesessen waren, machten sie zu schollengebundenen „Hörigen“ und nannten sie Heloten. Die Bauern auf dem Lande außerhalb des „Bürgerlandes“ aber noch im Bereich des eroberten Gebietes blieben [47] frei, hießen die „Umwohnenden“ = Perioiken und gerieten zu den herrschenden Doriergeschlechtern in ein einfaches Untertanenverhältnis, allerdings ohne jemals Vollbürgerrecht zu erhalten, d. h. mit den Doriergeschlechtern in staatlicher Hinsicht auf eine Stufe gestellt zu werden. Zu diesen Perioiken hinzugerechnet wurden auch die in Städten, besser Stadtdörfern wohnenden Bürger des eroberten Gebietes, so daß sich die Perioiken in Bauern und Gewerbetreibende aufteilen. Ihre Hauptverpflichtung war die Heeresfolge, von sonstigen Abgaben waren sie so gut wie frei, ja, der Handel und das Gewerbe waren ausschließlich in ihren Händen, so daß ein großer Reichtum stellenweise unter ihnen Platz [48] ergriff. Da die herrschenden Doriergeschlechter Handel und Gewerbe als unstandesgemäß für sich ablehnten, entwickelten sich die Perioiken immer stärker in Richtung eines händlerischen Geistes, und hier lagen denn auch die Keime ihrer späteren Unzufriedenheit mit den Spartiaten als die dauernden Kriege und die damit für sie verpflichtende Heeresfolge ihrer händlerischen Beständigkeit abträglich und der Kriegsdienst ihnen auch als solcher lästig wurde. Hier ist zu betonen, daß zwischen Heloten und Perioiken kein Unterschied ihrem Wesen nach bzw. ein rassenmäßiger Un[49]terschied vorhanden ist, sondern nur ein gebietsmäßiger, indem die Heloten auf dem als Bürgerland bezeichneten Gebiet als schollengebundene Hörige festgehalten wurden, die Perioiken dagegen so gut wie frei waren. Aus dieser unterschiedlichen Behandlung der ursprünglich rassenmäßig offenbar verhältnismäßig einheitlichen Bauernbevölkerung erklärt sich auch, daß die Heloten sich nie mit ihrem Lose abfanden, sondern ununterbrochen das spartiatische Joch abzuschütteln versuchten, so daß schließlich das anfänglich durchaus patriarchalische Verhältnis zwischen Spartiaten und Heloten sehr gespannt wurde. Die Landnahme des Bürgerlandes erfolgte nicht auf einmal, sondern [50] ganz offensichtlich den Bedürfnissen entsprechend im Laufe der ersten Jahrhunderte, d. h. zunächst wurde das Landbedürfnis der erobernden Geschlechter [103] befriedigt und dann im Laufe der Zeit durch Söhne und Sohnessöhne weitere Geschlechtssitze gegründet. Das in solche Geschlechtssitze = Erbhöfe (Klaroi) aufgeteilte Bürgerland umfaßte die Eurotasebene mit den ackerbaufähigen, fruchtbaren Vorbergen des Taygeton und Parnon. Dazu kam wohl das Bürgergebiet in Messenien. Man hat errechnet, daß auf dem alten Bürgerlande 4500 Erbhöfe errichtet wurden, [51] im ganzen vielleicht 7000 Erbhöfe vorhanden gewesen sind. Diese Erbhöfe (Klaroi) sind nun einer der Angelpunkte des spartanischen Staates, mit ihnen entscheidet sich, wie wir später sehen werden, das Schicksal des ganzen Staates. Eigentümer eines solchen Erbhofes konnte immer nur ein vollbürtiger Spartiat aus einer Verbindung mit einer Vollblut-Spartiatin sein, welche die Vollbürgerrechte erworben hatte, und wiederum nur auf diesen Erbhöfen Geborene waren zu irgendwelchem Staatseinfluß zugelassen. Daher konnten die Spartiaten so viele oder so wenige mit Helotinnen oder sonstigen Haussklavinnen gezeugte unebenbürtige Kinder haben, wie sie wollten, diese folgten immer der [52] ärgeren Hand und waren mithin vom Erbhof grundsätzlich ausgeschlossen, so daß kein fremdes Blut in die auf Erbhöfen sitzenden Spartiatengeschlechter eindringen konnte. Das gleiche galt gegenüber den Perioiken, weswegen es barer Unsinn ist, zu behaupten, die Spartiaten seien durch „Vermischung“ mit der unterworfenen Bevölkerung zugrundegegangen. Nein, solange den Spartiaten das Wesen ihrer Erbhöfe noch gegenwärtig gewesen ist, waren sie unüberwindlich und erst als sie dieses vergaßen oder gleichgültig behandelten, sollten sie einen Weg einschlagen, der ihr Verhängnis wurde, doch werden wir darüber später [53] berichten. Wie sah nun ein solcher Erbhof aus?
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In seinem Manuskript hat Darré den Erbhof in die Geschichte Spartas gewissermaßen „eingeschrieben“. Das Spartathema verbindet Darré 1933 konsequent mit der zum „Leitgedanken seiner Agrarpolitik erhobenen Begriffsfestsetzung Blut und Boden“ [4], die er erstmals 1930 programmatisch mit seinem „Neuadel“-Buch verknüpft hatte.103 „Voraussetzung“ seiner „Betrachtung“ ist die „Gleichheit des Blutes der alten Spartiatengeschlechter mit dem germanischen Blutskern“ [16], [104] mit Rücksicht auf seine öffentliche Stellung schränkt Darré die Bedeutung seines Gegenstandes in seiner etwas umständlichen Vorbemerkung dahingehend ein, daß mit Sparta nicht „der“, sondern nur „eine der geschichtlich gewachsenen Ausdrucksmöglichkeiten dieses Staatsgedankens“ behandelt wird. Es soll nicht der Eindruck entstehen, daß der Minister in Sparta „das Vorbild und Wunschbild eines deutschen Staates im Staatsgedanken aus Blut und Boden“ sehe. Der Blick auf Sparta dient vielmehr dazu, dem „Leser für sein deutsches Zielbild eines Staates im gleichen Staatsgedanken, Beurteilungsgrundlagen und Erfahrungen“ zu vermitteln. Der Vorrang der deutschen Geschichte, den Darré wohl auch mit Rücksicht auf die „NS-Germanenideologie“ betont, ergibt sich auch aus der engen Verwandtschaft zwischen Nationalsozialismus und Preußentum bzw. den entsprechenden Staatsgedanken [4]. Auf dem Umweg über das häufig mit Sparta verglichene Preußen wird „aber auch der spartanische Staat für den Nationalsozialismus wieder zeitgemäß“. Die Verwandtschaft zwischen Preußen und Sparta hat nach Arthur Moeller van den Bruck auch im „preußischem Stil“ (der Hauptwache in Berlin), der „seinem Wesen nach doch am unmittelbarsten dem Dorischen verwandt“ ist, Ausdruck gefunden [5]. In der Einleitung [6–13] entwickelt Darré zunächst seinen Rassenbegriff. Er vergleicht die Entdeckung der Vererbungsgesetze mit der geistigen Umwälzung, „die die Einführung des Christentums unter den Germanen ausgelöst hat“ [7]. Im Licht dieser Entdeckungen wird der Mensch praktisch auf eine „Ausdrucksform“ seiner „Erbmasse, seines Keimplasmas“ reduziert. Seine wichtigste Aufgabe besteht in Ernährung und Fortpflanzung der „Erbmasse“. Darré formuliert mit der Gleichsetzung von Erbmasse und Rasse [8] einen extrem biologischen Rassenbegriff.104 Als „Grundlage aller menschlichen Daseinsformen aller Sittlichkeit und Gesittung“ wird der „Rassekern der Menschen“ erkannt [8f.]. Er umschließt gewissermaßen „Blut und Boden“ als die „bewegenden Grundkräfte aller menschlichen Daseinsformen“ [9]. Deren Wirkungsmächtigkeit in der Neuzeit bzw. Gegenwart illustriert Darré am Beispiel Frankreichs, das lehrt, welche Auswirkung der „Wandel des Rassenkerns (bei gleichbleibender Landschaft)“ hat: War Frankreich „vor noch 150 Jahren das Land blauäugiger [9] blondhaariger hochgewachsener Franken, zu dieser Zeit ein Land voller Schöpferkraft auf allen Gebieten des menschlichen Daseins“, so ist es „heute jedoch ein Land des vernegerten, schokoladenäugigen Rassendurcheinanders, bar jeder großen schöpferischen Eigenleistung (...)“ [10]. Darré steht bei diesem Bild deutlich unter dem [105] Eindruck antisemitischer und rassistischer Schriften wie Arthur Dinters „Die Sünde wider das Blut“ (1920) oder Guido Kreutzers „Die Schwarze Schmach“ (1921) aus der Weimarer Zeit. Im Zusammenhang der Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen gab es heftige Diskussionen über die „Schwarze Schmach am Rhein“. Nach der NS-Machtergreifung kam es dann zur Sterilisierung der sogenannten
103 Vgl. Heinrich 1980, 97ff. [s. Anm. 80]. 104 Kroll 1998, 203 [s. Anm. 54].
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„Rheinland-Bastarde“105 – ein Beispiel dafür, mit welcher Konsequenz die rassenpolitische Zielsetzung umgesetzt wurde. Im Blick auf die Vergangenheit erhält die früher eher bruchstückhafte „geschichtliche Überlieferung untergegangener Völker (...) jetzt blutvollen Zusammenhang durch die Erkenntnis, daß es Ausdrucksformen eines Rassekernes sind“ [11]. Unter Berufung auf Er gebnisse der „vergleichenden Altertumswissenschaft“, die keinen Rassenunterschied zwischen Indogermanen und Germanen – die nun unter dem Begriff „Nordische Rasse“ firmieren – erkennen kann, sieht sich Darré zum Studium der „Geschichte der Staaten Nordischer Rasse“ legitimiert, die „unmittelbar bedeutungsvoll für uns als Volk“ sind [13]. So kommt Sparta, das „als Staatsschöpfung aus Nordischem Blut erkannt ist“ [14], ins Spiel, weil es im Bezugsrahmen der Rassenideologie besonderen Rang besitzt: „Sparta wird damit nicht eine Staatsform unter anderen der geschichtlichen Überlieferung, zu der man je nach Lust und Neigung dafür oder dagegen Stellung nehmen kann, sondern es wird zu einer staatlichen Ausdrucksmöglichkeit unseres Blutes im damaligen Zeitabschnitt und in der Bedingtheit [15] ihres (sic!) Bodens, d. h. der landschaftlichen Umwelt“ [16]. Damit ist Sparta in das „Blut- und Boden“-Konzept „eingepaßt“: Über die „Erkenntnisse vom Ewigkeitswert der Erbmasse“ ist „die Gleichheit des Blutes der alten Spartiatengeschlechter mit dem germanischen Blutskern in unserem Volke“ erwiesen [16]. Jetzt kann Darré zu den „Grundlagen des Staates“ übergehen [16]. Darré hält sich nicht lange bei den Beweisen für die „Nordische Art“ der Hellenen auf. Er argumentiert vielmehr mit Emphase gegen die „unausrottbare“ Vorstellung von der Eroberung Griechenlands durch „rein kriegerisches unbäuerliches Eroberervolk“, die ein wirkliches „Ver ständnis für das Wesen der Hellenen, und zwar insbesondere der Spartiaten“, verhindert [18]. (Auffällig ist, daß er dabei nicht auf die Diskussion über die „Entnordung durch Kriege“ zurückkommt). Im Sinne seines Konzepts vom „Urbauerntum der Nordischen Rasse“ [25] kann Darré nur „rein bäuerliche Landnahmen (...) oder aber bäuerliche Landnahmen [106] im Stil der Grundherrschaften“ erkennen. Wichtig ist ihm dabei auch, die unterworfenen „Bauern“ von Leibeigenen oder Sklaven abzuheben: Als abgabepflichtige Hörige werden sie „zu einer Grundherrschaft zusammengefaßt“, bleiben aber „auf ihrem Hof erblich schollengebunden“. Daß aus deutschen hörigen Bauern immer mehr Leibeigene werden, hängt mit den sich „ausbreitenden kapitalistischen Erwerbsgedankengängen der deutschen Grundherren“ zusammen [20]. In ähnlicher Weise ist die Entwicklung der Sklaverei „im überlieferungsgemäßen Sinne des Wortes“ in Rom und Hellas mit dem „Einbruch kapitalistischer Gedankengänge“ bzw. „Wirtschaftsweisen“ (Hervorhebung im Original) zu erklären, wobei die Sklavenmassen in Griechenland „geradezu die Quelle aller hellenischen Volkszersetzung“ sind [22f.]. Hier wie im „Bauerntum“ argumentiert Darré betont gegen den „Einbruch kapitalistischer Gedankengänge“ in Griechenland und Alt-Rom. Im Sinne der Rassenideologie wird das hier vermittelte Bild der Sklaverei verschärft, da Sklaven nicht nur im Römischen Weltreich ein wichtiger Träger der „Rassenmischung“ sind.106 Von „rein bäuerlichen oder wenigstens grundherrschaftlichen Landnahmen“ der Indo germanen hebt Darré dem Grundmuster seines „Bauerntums“ entsprechend die kriegerische 105 Vgl. R. Pommerin, „Sterilisierung der Rheinlandbastarde“. Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit 1918–1937, Düsseldorf 1979. 106 Vgl. H. F. K. Günther, Rassengeschichte des hellenistischen und römischen Volkes, München 1929, 99–101 und J. Vogt, Rassenmischung im römischen Reich, in: Vergangenheit und Gegenwart 26 (1936) 1–11.
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Eroberung durch Hirtenvölker ab, bei der die Bauern durch „grauenhafte Plünderungszüge“ geschädigt werden [24], (Indogermanischer Art würde die „Schonung“ der Bauern entsprechen). „Kronzeuge“ für das „Urbauerntum der Nordischen Rasse“, das sich auf dem Hintergrund des bekannten Zerrbildes vom „unschöpferischen Nomaden“ positiv abhebt, ist auch hier H. F. K. Günther. Plastische Züge kann die hellenische Landnahme und Grundherrschaft durch die Lektüre der Odyssee gewinnen. Die „Bauerntrecks“ der Spartiaten findet Darré bei den Buren, den nordamerikanischen Siedlern oder den nach Südost- und Osteuropa ziehenden Wagenzügen deutscher Bauern wieder. Das historische Gerüst liefert in Grundzügen Georg Busolt, von Darré stammt das Bild „nördlicher raumsuchender Stämme“ oder „raumsuchender Bauerntrecks“ [28f.], wobei sich die Assoziation „Volk ohne Raum“ einstellt. Im Rückblick auf die gescheiterte Besiedlung Lettlands und Estlands (vielleicht im Vorausblick auf spätere Ostsiedlungspläne) ist der Hinweis interessant, daß man früher „Bauern noch nicht verpflanzen (konnte) wie heute“ [31]. In diesem Kontext nähert sich Darré (bzw. seine spartiatischen Bauerntrecks) dem „natürlichen Stützpunkt“ [107] Sparta. Daraus wurde – mit einem gewissen Pathos formuliert – „folgerichtig der staatsbildende Mittelpunkt dieser ganzen Eroberung, aus welchem schließlich das entstand, was ewig in die Blätter der Geschichte eingehen sollte: Sparta“ [35]. Von diesem „Spartabekenntnis“ leitet Darré über zum Kern seiner Spartakonzeption: Die „Landnahme der Hellenen“ ist (ebenso wie die der Germanen in der Völkerwanderungszeit) mit der Einrichtung von „Erbhöfen“ verbunden, die bei den Alemannen, den Ostgoten und den Franken als „Sitze eines Geschlechts (...) nicht von gleichem Gebietsumfange (...), sondern von gleichem Ertrage“ her dimensioniert sind. Das belegt „ein sehr bäuerliches Denken“ [36] der Dorier, die ihre Grundstücke verlosten und darauf achteten, „daß der betriebswirtschaftliche Ertrag jedes solchen Grundstückes gleich war“ [37]. Dieser Ablauf der Landnahme und -aufteilung mit der Einrichtung von Erbhöfen ist, damit leitet Darré einen zentralen Punkt seiner Darstellung ein, „merkwürdigerweise bisher von unserer Wissenschaft restlos übersehen“ worden [35f.]. Wesentliche Merkmale des spartanischen bzw. spartiatischen Erbhofs sind ein „gebundenes Eigentumsrecht“, das Verkaufsverbot, der Übergang auf einen Erbsohn oder eine Erbtochter [38]. Trotz der „wenigen geschichtlichen Überlieferungen“ vermittelt der „Kampf um die Vererbungsgebräuche der Erbhöfe in Sparta in späterer Zeit“ für Darré „doch ein ganz eindeutiges Bild“. Für die weitere Ausführung dieser für das „Verständnis des spartiatischen Staates (...) so grundwichtig(en)“ Erbhöfe hat Darré nur Stichworte notiert: „(Beispiel der Bedeutung von Geschlecht/Haus/Herd/Ackerland/Bauer usw.)“ [39]. Die Einsicht in diese „weltanschaulich verankerte, zum lebensvollen Ganzen zusammengewachsene Einheit von Blut und Boden“, (die sich im Erbhof manifestiert), ist die Voraus setzung für das Verständnis grundlegender indogermanischer/hellenischer bzw. germanischer Verhaltensweisen bei Landnahme und Völkerwanderung. Auch diesen Phänomenen stehen „unsere Geschichtsforscher bisher mit einer gewissen verlegenen Hilflosigkeit gegenüber“: Es geht darum, daß Hellenen und Germanen (entschieden anders als „rein kriegerisch bedingte, unbäuerliche Eroberervölker“) beim Vordringen in „Gebiete vervollkommneter Civili sation und Gesittung mit entwickelter Staatsverwaltung“ konsequent an „ihrer arteigenen Bauerngesittung“ festhalten, also Bauern bleiben. Dies nicht aus Verständnislosigkeit oder
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„Unverstand“, sondern sie stehen „städtisch bedingter Kultur“ oder „der ganzen Vorgefundenen städtischen Herrlichkeit“, wie Darré meint, eher „vollendet gleichgültig, ja einzig ablehnend“ gegenüber [41f.]. Damit nimmt Darré, der hier mehr Nachdenklichkeit der Forschung fordert, wieder die in seinem „Bauerntum“ vorgeprägte Argumentation auf. Das [108] zeigt, wie stark er antizivilisatorischen, antiurbanen und agrarromantischen Konzepten verpflichtet war, die zum Kernbestand nationalistischer bis nationalsozialistischer Germanenideologen gehörten. Die beschriebene Erscheinung wäre „längst ein Herzstück unseres Geschichtsunterrichts“, wenn nicht die ‚germanenfeindliche‘ Geschichtsbetrachtung nach dem Muster „ex Oriente lux“ einem alten Germanenklischee anhängen würde.107 Diese Ausführungen reagieren wohl auf den nach der „Machtergreifung“ u. a. von Alfred Rosenberg erbittert geführten Streit um die „germanische Kulturhöhe“.108 Die antiurbane Disposition der Hellenen illustriert Darré an ihrer von Gelassenheit und „innerer Freiheit“ geprägten Reaktion auf die „kretisch-mykenische Kultur mit ausgeprägter städtischer Entwicklung und sehr prunkvollen Fürstensitzen“ [12f.]. In diesem Kontext kommt Busolt (mit dem einzigen wörtlichen Zitat in dem Manuskript) zu Wort. Seine Rede von einer neuen Entwicklung in Hellas „mit einfachen bäuerlichen Verhältnissen“ entspricht für Darré vereinnahmend dem, „was bei der weltanschaulichen Einheit der Begriffe ‚Blut‘ und ‚Boden‘ für Indogermanen eigentlich selbstverständlich ist“ [45f.]. Die Beschreibung der dorischen Erbhofpraxis ist mit der der Germanen mehrfach verquickt. Dem bereits beschriebenen Muster folgend werden in Sparta die ursprünglich auf dem „Bürgerland“ ansässigen Bauern „zu schollengebundenen Hörigen“ – gemeint sind die Heloten [46]. Die Periöken waren ursprünglich freie Bauern und entwickelten sich „immer stärker in Richtung eines händlerischen Geistes“. Für Darré war wichtig, daß zwischen Heloten und Periöken kein „rassenmäßiger Unterschied vorhanden“ war. Ihr letztlich urbäuerlicher Charakter erklärt auch den beständigen Widerstand der Heloten gegen das spartiatische Joch [49]. Im Anschluß an Busolt geht Darré von einer Gesamtzahl von 7000 Erbhöfen in Sparta aus. Schließlich unterstreicht er die Grundvoraussetzung des Vollbürgerrechts für Erbhofbesitzer: „Nur ein vollbürtiger Spartiat aus einer Verbindung mit einer“ – hier spricht der Tierzüchter Darré – „Vollblut-Spartiatin (sic!) (...) war zu irgendwelchem Staatseinfluß zugelassen“. Im Sinne eines „rassereinen“ Spartas war so sichergestellt, „daß kein fremdes Blut in die auf Erbhöfen sitzenden [109] Spartiatengeschlechter eindringen konnte“ [52]. Deshalb konnten Spartiaten auch nicht durch „Vermischung“ zugrundegehen. Ihr Untergang wurde vielmehr dadurch besiegelt, daß sie das „Wesen ihrer Erbhöfe (...) vergaßen oder gleichgültig behandelten“. – Bis dahin waren sie „unüberwindlich“ [51]. Dieser Abschnitt sollte später breiter ausgeführt werden. Das Manuskript bricht mit der Frage ab: „Wie sah nun ein solcher Erbhof aus?“ Die Beantwortung dieser Frage blieb Darré – das war 1933 noch nicht abzusehen – bis zum Ende seiner Laufbahn schuldig. In dem Spartamanuskript vollzog er im Vergleich zu seinem „Bauerntum“ in der Terminologie den Schritt vom „Klaros“ zum „Erbhof“. (So löste er sich auch von seinem „Referenzautor“ Busolt). Die Niederschrift entstand im engsten Zusammenhang 107 Vgl. I. Wiwjorra, „Ex oriente lux – Ex septentrione lux“. Über den Widerstreit von zwei Identitätsmythen, in: A. Leube (Hrsg.), Prähistorie und Nationalsozialismus, Heidelberg 2002, 73–106. 108 V. Losemann, Aspekte nationalsozialistischer Germanenideologie, in: P. Kneissl / V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte, Darmstadt 1988, 256–284.
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mit der Verabschiedung des Reichserbhofgesetzes. Mit seinen programmatischen Aussagen zu Sparta wollte sich der neu ernannte Minister in den vielstimmigen „Weltanschauungsdebatten“ und „Reformdiskussionen“ der „Machtergreifungsphase“ ideologisch positionieren. Darrés kritische Attitüde gegenüber der Geschichtsforschung [35f.] und die Reformforderungen für den Geschichtsunterricht entsprechen generell dem Sendungsbewußtsein, das etwa der NSChefideologe Alfred Rosenberg oder Heinrich Himmler Anfang der 30er Jahre im „Kampf um ein neues (germanophiles) Geschichtsbild“ zeigen. In dem Bewußtsein in dieser gleichsam „revolutionären“ Phase als Minister viel bewirken zu können, aktualisiert Darré sein Spartakonzept vom Ende der 20er Jahre mit erkennbarer Tendenz zur Radikalisierung rassenideologischer Bezüge. Auch wenn die neue Version unvollendet blieb, zeichnet sich eine geschlossene Konzeption ab. Mit dem „Staatsgedanken aus Blut und Boden“ wird nicht nur die Erbhof-, sondern auch die Rassengesetzgebung historisch legitimiert. Erkennbar ist auch die Aktionsrichtung der „Ostsiedlungs“-Pläne. Diese Implikationen der früh kritisierten „romantischen“ Gedankengänge des Ministers Darré müssen bei der Beurteilung seiner Position im Machtgefüge des Dritten Reiches der Tendenz der neueren Forschung entsprechend berücksichtigt werden. Über seinen Aufgaben als Reichsminister verlor Darré seine Spartapläne nicht aus den Augen: In einer Rede vor der Akademie für deutsches Recht von 1935 rühmte er die Verdienste, die sich G. Busolt um die Geschichte Spartas erworben habe. Die Problematik des Aufstiegs und Niedergangs von Staaten im Zusammenhang mit ihrem Bodenrecht hielt er für so „bedeutungsvoll, daß sie (...) die Errichtung eines Lehrstuhls an jeder deutschen Universität rechtfertigen“ [110] würde.109 Da der traditionellen Geschichtsforschung – wie von Darré gezeigt – in wichtigen Punkten die richtige Einstellung zu dem Staatsgedanken aus „Blut und Boden“ fehlte, veranstaltete er ein Preisausschreiben, das 1935 in der Zeitschrift „Odal. Monatsschrift für Blut und Boden“ mit der Preisfrage „Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas für den Aufstieg und Niedergang des Staates?“110 Möglicherweise hatte der Minister sich von einem „für alle Gymnasien Italiens vom ‚Duce‘ selbst um 1930 verkündeten Wettbewerb über die ‚Landwirtschaftliche Lehre Vergils und die Agrarpolitik des Faschismus‘“ inspirieren lassen.111 Obwohl angeblich 134 (!) Einsendungen eingegangen waren, befand der Reichsbauernführer, daß „eine in jeder Hinsicht erschöpfende und selbständige Lösung der Aufgabe (...) nicht erbracht worden“ war und verteilte lediglich zwei zweite Preise.112 Die Preisarbeit von Hartmann Lempp wurde 1936 veröffentlicht.113 Der Preisträger, der damals als Jäger in einem Infanterieregiment in Ulm diente, lieferte eine gegenüber Darré eigenständige Arbeit, in der Spartiaten nicht so sehr als Bauern, sondern eher als Krieger gesehen wurden. Die einläßliche Auseinandersetzung mit dem Bodenrecht Spartas markiert die immensen Probleme, die sich aus der antiken Überlieferung und insbesondere aus den einschlägigen Äußerungen Plutarchs 109 R. W. Darré, Blut und Boden, ein Grundgedanke des nationalsozialistischen Rechts (1935), in: Ders., Um Blut und Boden. Reden und Aufsätze, München 1940, 297f. 110 Vgl. Odal 3 (1934/35), H. 3, 189. 111 Dazu U. Piacentini, Über die Rolle des Lateinunterrichts im faschistischen Italien, in: Das Altertum 10 (1964) 121. 112 Vgl. Odal 4 (1935/36), H. 2, 179. 113 H. Lempp, Welche Bedeutung hat das Bodenrecht Spartas für den Aufstieg und Niedergang des Staates, in: Odal 4 (1935/36), H. 7, 589–603 (= Lempp 1935/36). Die Arbeit des zweiten Preisträgers, des Studienassessors Dr. Otto Walter (Worms) konnte nicht ermittelt werden.
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ergeben.114 Nicht zuletzt deshalb wird auch der von Darré eingebrachte Terminus „Erbhof“ nicht gebraucht.115 Nicht ausdrücklich zitiert und gewürdigt wird Darrés „Bauerntum“ und sein Spartakonzept, dafür aber Victor Ehrenbergs „Neugründer des Staates“ (1925). Der damals in Prag wirkende und später nach England emigrierte jüdische Althistoriker V. Ehrenberg (1891–1976) war der Verfasser des RE-Artikels Sparta, der 1934 in einem Rundfunkvortrag von Prag aus mit Blick auf NS-Deutschland Sparta als „totalitären [111] Staat“ klassifiziert hatte.116 Sein Name wurde in der systemkonformen Spartaliteratur zumeist vermieden – oder ausdrücklich als „Nichtarier“ gekennzeichnet.117 H. Lempp bezieht sich in seiner Preisarbeit auch auf Vorlesungen des dem Georgekreis zugerechneten Tübinger Althistorikers Woldemar Graf Uxkull-Gyllenband (1898–1939) aus dem Wintersemester 1932/33 und seines Berliner Kollegen, einem der führenden NS-Althistoriker, Wilhelm Weber (1882–1948) von 1934. Die von Darré am Ende seines Manuskripts von 1933 gestellte Frage „Wie sah nun ein solcher Erbhof aus?“ konnte – ehrlicherweise – auch durch die Preisarbeit nicht beantwortet werden. Im engeren nationalsozialistischen Umfeld fand Darrés Spartakonzept ein außerordentlich positives Echo: Johann von Leers (1902–1965), einer der aggressivsten Vertreter antisemitischer Publizistik, folgte Darré in zentralen Punkten: Er stimmte mit ihm darin überein, daß der „rassische Niedergang der Spartaner (...) nicht aus der Blutvermischung, sondern aus der Entwurzelung (erfolgte)“. Darré war auch sein Kronzeuge für den Niedergang der spartanischen Erbgüter und die „biologischen“ Gründe der „Entnordung“.118 Spuren einer zumindest vorsichtigen Annäherung an Darrés Positionen lassen sich freilich auch unter den Althistorikern finden: Ernst Kirsten (1911–1987), der die 1933 gestellte akademische Preis aufgabe der „Fürstlich-Jablonowskischen Gesellschaft“ (Leipzig) über „Spartas ältere Geschichte“ als Nachwuchswissenschaftler erfolgreich bearbeitet hatte,119 sah im Sinne volksgebundener Wissenschaft „die Verpflichtung zu einem neuen Spartabild“, dessen Ziel „nicht Entwicklungsdarstellung, sondern Wesensdeutung“ sein sollte.120 Mit dieser Konzeption erwies er auch Darré seine „Reverenz“: Bei einem Spartaaufenthalt gewann er einen lebhaften Eindruck von [112] dem „spartanischen Agrarstaat“ und kam zu dem Schluß: „Die Geschichte der Spartiaten ist die Geschichte ihres Bodens, ihres Landbesitzes“.121 Im Jahre 1937 legte dann Helmut Berve (1896–1979), ein angesehener Vertreter der Griechischen Geschichte in Deutschland und überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus, eine kleine Spartamonographie, sein „wichtigstes und folgenschwerstes Werk in der nationalso114 Vgl. Lempp 1935/36, 593 Anm. 2. 115 Nur einmal ist vom „Erbhofcharakter“ die Rede; vgl. Lempp 1935/36, 599. 116 Vgl. den Abdruck in: K. Christ (Hrsg.), Sparta (Wege der Forschung 622), Darmstadt 1986, 217–228 und V. Ehrenberg, Sparta (Geschichte), in: RE III A (1929), Sp. 1373–1453. 117 Vgl. z. B. R. Tolles, Untersuchungen zur Kindesaussetzung bei den Griechen, phil. Diss. Breslau 1941, 15 Anm. 10. 118 J. v. Leers, Blut und Rasse in der Gesetzgebung. Ein Gang durch die Völkergeschichte, München 1936, 29f. 119 Vgl. Gnomon 9 (1933) 400 und Gnomon 12 (1936) 174; vgl. E. Kirsten, Landschaft und Geschichte in der Alten Welt, Bonn 1984, 279f. 120 E. Kirsten, Die Entstehung des spartanischen Staates, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugend bildung 12 (1936) 385f. (= Kirsten 1936). 121 Kirsten 1936, 391 mit Anm. 171. – Spuren dieser Sichtweise finden sich auch in E. Kirstens ungedruckter Habilitationsschrift „Die dorische Landnahme“ (Heidelberg 1940), ferner in E. Kirsten / W. Kraiker, Greichenlandkunde, Heidelberg 1955, 184ff.
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zialistischen Ära“, vor.122 Berve wollte „in großen Zügen ein Bild des historischen Sparta geben, wie es sich dem um Wahrheit und Tiefe bemühten Geschichtsforscher heute darbietet“. Es ging ihm auch darum, – so hieß es wohl in erster Linie im Hinblick auf Darrés Aktivitäten – „manche allzu einfache Parallele, die man gezogen hat, als unhaltbar zu erweisen“.123 Berve entwarf mit starker gefühlsmäßiger Anteilnahme dabei das Bild eines „aristokratischen Sparta“, in dem „eine schlechthin einzigartige Reinheit der Stammesart“ und der „Typus des Herrenmenschen“ sich verwirklichte und auch die „natürliche Zuchtwahl“ nicht fehlt.124 Zu den Implikationen dieser Spartakonzeption gehörte letzten Endes auch die Rechtfertigung rassenpolitischer Maßnahmen wie die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“.125 Berves Sparta konnte durchaus den Charakter eines aktuellen Herrschaftsmodells gewinnen. Berves aristokratisches Herrschaftsmodell, aber auch das bäuerlich geprägte Sparta wurde nicht nur in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand, sondern auch im Geschichtsunterricht rezipiert. Unter dem Stichwort „Rassischer Staatsgedanke“ des „sozialistischen Kriegerstaat(s) der dorischen Spartaner“ wurden in dem als vorläufiger Schulbuchersatz weit verbreiteten „Kleinen Gehl“ die wichtigsten Elemente aus den Konzeptionen Berves und Darrés aufgeführt.126 Wolfgang Gebhardt, ein Lehrer oder Schüler der Adolf-Hitler-Schule Weimar, zeigt in seinem Artikel Spartanische „Pimpfe“ im Hinblick [113] auf die äußerst harten Bedingungen im „Heerlager von Sparta“, wie erfolgreich dieser „Erziehungsansatz“ war: „Die Jungen wußten vielleicht noch nicht, warum sie so eine Erziehung genossen. Aber wir wissen, daß Sparta so lange stark war, wie seine Jugend so erzogen wurde.“127 Im Jahr 1939 kann man geradezu von einer Spartaoffensive aus dem Umfeld Darrés sprechen.128 Der im Stabsamt des Reichsbauernführers beschäftigte Hans Lüdemann, der im Fach Alte Geschichte promoviert worden war,129 kündigte 1939 unter dem Titel „Sparta. Bodenrecht, Zuchtgedanke, Politische Erziehung, Staatsordnung“ zwei neue Spartaarbeiten an.130 Er selbst wollte sich diesem Gegenstand aus „biologisch politischer Sicht“ widmen, während Dr. Jürgen Brake im „Auftrag des Reichsbauernführers“ ein Quellenheft zur spartanischen Staatserziehung herausgeben konnte.131 Damit sollten ausdrücklich Defizite, die in dem erwähnten Spartabuch Berves von 1937 angelegt waren, ausgeglichen werden.132 Gemeint war sein einseitiges „Bild des erstarrten homerischen Adelsstaates“ und der Umstand, daß Berve „das Bodenrecht, die 122 K. Christ, Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1999, 249f. 123 H. Berve, Sparta, Leipzig 1937 (2. Aufl. 1944), 7 (= Berve 1937). – Wiederabdruck in: Ders., Gestaltende Kräfte der Antike, München ²1966, 58–208. 124 Vgl. Berve 1937, 16, 45 und 39. 125 Vgl. Losemann 1998, 341 [= Nr. 6; s. Anm. 100]. 126 W. Gehl, Geschichte der Antike in Stichworten, Breslau 1938, 6f. – Vgl. K. Bullemer, Die Frage der Erbhöfe im Kriegerstaate Sparta, in: Vergangenheit und Gegenwart 28 (1938) 264–281. 127 W. Gebhardt, Spartanische „Pimpfe“, in: Adolf-Hitler-Schule Weimar. Arbeitsbericht und Elternbriefe 1938/39, 9. 128 Vgl. die instruktive Zeittafel zu Spartaforschung und Spartabild, in: Christ 1986, 56f. [s. Anm. 4]. 129 H. Lüdemann, Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte Karthagos bis auf Aristoteles, phil. Diss. Jena 1933. 130 H. Lüdemann, Sparta. Bodenrecht, Zuchtgedanke, Politische Erziehung, Staatsordnung, in: Odal 8 (1939) H. 5, 357 (Anmerkung) (= Lüdemann 1939a). 131 Vgl. J. Brake, Spartanische Staatserziehung. Nach den Quellen bearbeitet, Hamburg 1939 (= Quellenreihe zur volkspolitischen Erziehung). 132 Lüdemann 1939a, 357 [s. Anm. 130].
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bäuerlichen Fundamente überhaupt, so gut wie völlig außer acht (ließ)“.133 Lüdemann, dessen dem „Bauernführer“ gewidmetes Spartabuch im renommierten Teubner Verlag erschien, argumentierte prinzipiell gegen Berves „aristokratisches“ Konzept.134 Er bekannte sich dazu, daß „Spartas Ursprung, Leben und Sterben – seine ‚Entwicklung‘ und seine überdauernde Gestalt – im erbgebundenen Landlos, im Klaros, beschlossen“ liege.135 In dem entscheidenden Abschnitt „Das Erbrecht und der Blutsgedanke“ scheitert der Autor an den widersprüchlichen und spärlichen Quellen zu diesem Komplex und kann kein schlüssiges Erbhofkonzept nachweisen.136 Mehr [114] als eine „ursprünglich bäuerliche Lebenswirklichkeit“ ist auch im Schlußkapitel „Bauerntum und Aristokratie als Geschichtsmächte“ nicht zu erschließen.137 Es bleibt der Versuch, das „bäuerliche Gesetz“ Spartas und seine „Abwandlung im Verlauf eines historisch-biologischen Prozesses in tragischer Größe“ zu verstehen.138 Darré avancierte in den dreißiger Jahren auch zum Gesprächspartner von Doktoranden und Habilitanden, die zumindest verbal die Bedeutung seiner Konzeption würdigten. Das gilt etwa für die Abhandlung „Das Wesen der spartanischen Staatsordnung nach ihren lebensgesetzlichen und bodenrechtlichen Voraussetzungen“ von Theodor Meier, der sich auf die „ganz neuartigen Begründungen“ Darrés zur Frage der „Entnordung“ durch Kriege bezog.139 Diese „Ergebenheitsadresse“ kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der von Darré vorgestellte Erbhof auch von diesem Autor nicht rekonstruiert werden konnte. Dabei wird einmal mehr deutlich, wie letztlich unüberbrückbar groß die Distanz zwischen Darrés Spartavorstellungen und den Ergebnissen der Autoren war, die bereit waren, sich in unterschiedlichen Graden auf die Vorgaben der NS-Agrar- und Rassenideologie einzulassen, aber immer noch als Altertumswissenschaftler an ihre Aufgabe herangingen. Die erwähnte Arbeit von Th. Meier war übrigens aus einem „Gemeinschaftsseminar“ über Sparta hervorgegangen, zu dem sich Dozenten und Studenten der Königsberger Universität im Wintersemester 1936/37 auf studentische Anregung hin zusammengeschlossen hatten.140 Das „Modethema“ Sparta war also in dem Veranstaltungstypus des „Gemeinschaftsseminars“, der zu den Reformprojekten der NS-Hochschulpolitik gehörte, durchaus aktuell.141 Über Hans Lüdemann fand Darrés Spartaansatz schließlich in dem der NS-Eliteerziehung verpflichteten Schulungsheft „Sparta. Der Lebenskampf [115] einer nordischen Herrenschicht“ Eingang, das der Archäologe OttoWilhelm von Vacano (1910–1997) herausgebracht hatte.142 Darré dürfte die Resonanz auf die von ihm selbst in Auftrag gegebenen Publikationen und die übrigen „Spartaproduktionen“ des Jahres 1939 verfolgt haben. Viel spricht dafür, daß 133 134 135 136 137 138 139
Lüdemann 1939a, 357. H. Lüdemann, Sparta. Lebensordnung und Schicksal, Leipzig/Berlin 1939, 3f. (= Lüdemann 1939b). Lüdemann 1939b, 4. Vgl. Lüdemann 1939b, 87. Lüdemann 1939b, 179. Lüdemann 1939b, 4. Th. Meier, Das Wesen der spartanischen Staatsordnung nach ihren lebensgesetzlichen und bodenrechtlichen Voraussetzungen, Leipzig 1939 (= Klio Beih. 42, N. F. 29), NDr. Aalen 1962, 23 (= Meier 1962). 140 Meier 1962, II (Vorbemerkung) [s. Anm. 139]; vgl. auch Th. Lenschau, Rez. zu Die Geschichte und Lebensordnung Spartas. Altertumskundliche Fachabteilung der Univ. Königsberg, Königsberg 1937 (Ms.), in: Philologische Wochenschrift 1938, 574–578. 141 V. Losemann, Reformprojekte der NS-Hochschulpolitik, in: K. Strobel (Hrsg.), Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert, Vierow 1994, 102 [Nr. 3]. 142 O.-W. Vacano (Hrsg.), Sparta der Lebenskampf einer nordischen Herrenschicht, Kempten 1940, 27.
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auch Hans Lüdemanns „Bauern-Sparta“ nicht dem entsprach, was sich der Reichsbauernführer erhofft hatte. Anlaß zu dieser Vermutung gibt der Umstand, daß sich Darré im Juni 1940 in seiner Zeitschrift „Odal“ mit dem Beitrag „Vom Lebensgesetz zweier Staatsgedanken (Konfuzius und Lykurgos)“ zu Wort meldete,143 der (wohl Ende 1940) auch in Buchform erschien.144 Aus dem Tagebuch Darrés145 geht hervor, daß er sich während eines Kuraufenthaltes in Bad Gastein mit diesem Projekt beschäftigte: „Alles, was ich will“, so heißt es unter dem 23. Juni 1939, „ist auf folgende Erkenntnisformel zu bringen: Konfuzius × Lykurg × Altrom × Preußentum und × nordischer Gedanke = Deutschtum“.146 In dieser „Erkenntnisformel“ war der (uns) schon bekannte Rahmen Darréscher Vergleichsbildung um Konfuzius, der in seinen früheren Publikationen keine Rolle spielte, erweitert worden. Der weitgehend entmachtete Reichsminister, der, wie er unter dem 7. Juli 1939 mitteilte, in „den 3 Wochen (des Kuraufenthaltes) die letzten 3 Jahre innerlich aufgearbeitet“ hatte, fand genug Zeit, seine SpartaObsession auszuleben.147 Am 19. August 1939, im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges, bezog sich Darré, was er selten tat, auf das „kriegerische“ Sparta: „Das deutsche Volk hat nur den Weg Spartas, sich als Volk in Waffen zu behaupten und auf der Spitze seiner Bajonette die Garantie für die arteigene Entwicklungsmöglichkeit seiner Kultur zu tragen“.148 Der Vergleich Konfuzius und Lykurg gewann für Darré nahezu existentielle bzw. therapeutische [116] Bedeutung. Zwei Tage nach einem Besuch beim „Führer“ am 19. Januar 1940 betrachtete er die Arbeit über Konfuzius und Lykurg „zum Teil als Medizin im Abwarten, seelisch zu überleben“.149 Man hat diese Wendung Darrés durchaus zutreffend als Flucht aus der Realität in der für ihn äußerst schwierigen Phase vor seiner völligen Entmachtung bezeichnet.150 Mit Konfuzius bzw. China argumentierte Darré 1939 auch an anderer Stelle gegen Oswald Spengler: „An der Tatsache des chinesischen Volkes und an der Tatsache seiner Lebenskraft zerschellt alle Untergangsstimmung im Sinne von Oswald Spengler“.151 Bei seinen Ausführungen über Konfuzius stützte sich Darré auf die Übersetzungen und Schriften des Sinologen Richard Wilhelm (1873–1930), einem der wichtigsten Vermittler zwischen China und Europa im 20. Jahrhundert.152 Darré wollte einen Vergleich durchführen, der ausdrücklich nicht „in das Gebrauchsschema unserer wissenschaftlich genehmigten oder sonst üblichen Vorstellungswelt (...) (hineinpaßte)“.153 143 In: Odal 9 (1940) H. 6, 409–441. 144 R. W. Darré, Vom Lebensgesetz zweier Staatsgedanken (Konfutius und Lykurg), Goslar 1940. 145 Die Tagebücher Darrés wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von Hanns Deetjen, einem engen Mitarbeiter Darrés, redigiert bzw. bearbeitet, sie liegen in hektographischer Form vor. Die von Gerhard 2003, 258 mit Anm. 6 [s. Anm. 61] beschriebene Problematik dieser Bearbeitung mindert die Aussagekraft der hier zitierten Äußerungen nicht (Stadtarchiv Goslar: NL Darré Nr. 484). 146 StA Goslar, NL Darré Nr. 484 (13. Heft). 147 StA Goslar, NL Darré Nr. 484 (13. Heft). 148 StA Goslar, NL Darré Nr. 484 (14. Heft). 149 Eintrag v. 21. Januar 1940 StA Goslar, NL Darré Nr. 484 (15. Heft). 150 Haushofer 1958, 314 [s. Anm. 8]; vgl. Heinrich 1980, 38 [s. Anm. 80]. 151 So R. W. Darré, Die große Frage an die deutsche Jugend, 1939, in: Um Blut und Boden, Reden und Aufsätze, München 1940, 14, 26; vgl. H. Haushofer, Die agrargeschichtlichen und agrarsoziologischen Aussagen Oswald Spenglers. Eine Überprüfung nach rund 60 Jahren, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 28, H. 2 (1980), 144 und D’Onofrio 1997, 168, Anm. 4 [s. Anm. 5]. 152 R. W. Darré, Vom Lebensgesetz zweier Staatsgedanken (Konfutius und Lykurg), Goslar 1940. 153 R. W. Darré, Vom Lebensgesetz zweier Staatsgedanken (Konfutius und Lykurg), Goslar 1940.
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Für ihn ergab sich die Vergleichbarkeit ganz einfach daraus, daß die von Lykurg abgeleitete Erneuerung Spartas durch Chilon, den zu den „Sieben Weisen“ gezählten sog. ersten Ephoren Spartas, in die Zeit zwischen 580–560 v. Chr., in der Konfuzius 551 v. Chr. geboren wurde, fällt. Darré vergleicht China, das „durch Jahrtausende hindurch alle wechselvollen Stürme seines Schicksals“ überstand, mit Sparta, das nach einer Führungsrolle „von wenigen Jahrhunderten (...) zur Bedeutungslosigkeit“ herabsank (7). Das besondere Interesse an Konfuzius ist dadurch bestimmt, daß er „als tragfähigsten Grundgedanken des geschichtlichen Altertums seines Volkes die auf bäuerlichen Grundlagen aufbauende Ahnenverehrung erkennen lernte“, die noch in Darrés Gegenwart wirksam war (14). Im Zentrum des insgesamt breiter ausgeführten Lykurg- und Spartateils steht wiederum der „Erbhof“ der Spartiaten, das „Kernstück im ganzen Staatsgedanken“, der auch mit dem „Zuchtgedanken“ verknüpft ist (42f.). So werden „die [117] Eheschließungen auf den Erbhöfen (...) zum Filter, das (sic!) in jeder Geschlechterfolge immer wieder die Familie auf Blutsreinheit und Leistung durchsiebt“ (46f.). Sparta geht – das entspricht dem uns schon geläufigen Bild – „schließlich durch die falsche Handhabung seines Erbhofgesetzes an der Verringerung der Zahl seiner vollbürgerlichen Geschlechter“ – oder anders ausgedrückt – „an der Veräußerlichung seines Erbhofgedankens und seines Reinzuchtgedankens“ zugrunde (55). Entscheidend für die „Lebenskraft des Chinesischen Volkes“ war dagegen, daß Konfuzius „sein Volk zum Bauerntum hin(entwickelte), nicht von ihm fort“ (68), – wie das in Sparta geschah: Sparta „gewann den echtesten Blutsadel artreinster Prägung, aber auf Kosten seiner bäuerlichen Haltung (...)“ (89). Der Vergleich endet mit einer überraschenden Wendung. Lykurg und Konfuzius finden „in Japan zur Zeit seiner Samurai“ gewissermaßen zur Synthese: „Erbhof, Ackerbau, Ahnenkult, Schwert und adelige Lebensordnung bilden ganz wesentlich die tragenden Säulen des damaligen Japan“ (89). In seiner besonderen „Volkskraft“ liegt wiederum Japans Aufstieg zur Großmacht begründet (89f.). Dem Japanthema wurde nicht zuletzt im Hinblick auf die aktuelle Bündniskonstellation der Achse Berlin-Rom-Tokio besondere Aufmerksamkeit gewidmet.154 Zu den besonderen Akzenten des „Lebensgesetzes“ von 1940 gehört die Betonung des ausgeprägten Körperbewußtseins der Spartaner: „Die Nacktheit wird zielbewußt als Mittel zur Hochzucht in den Staatsgedanken eingeordnet“ (50). Das findet auch in der Bebilderung starken Ausdruck: Neben antiker Plastik, die für Sparta reklamiert wird, wird das (durchweg blonde) aktuelle nordrassische Auslesevorbild in männlicher und weiblicher Ausprägung bei der Gymnastik – dem in der Zeitschrift „Odal“ exzessiv gepflegten Körperkult entsprechend – vorgeführt. In diesem Kontext distanziert sich Darré deutlich von der zwar „humanistisch geschulten, aber körperentfremdeten Gelehrtenwelt“ des 19. Jahrhunderts (73 u. 50).155 Insgesamt hat Darré in seiner letzten größeren Publikation seine oben erwähnte „Er kenntnisformel“ von Konfuzius bis zum Deutschtum breit ausgeführt, wobei insbesondere „Preußen“ in Kriegszeiten besonders hervortrat. Der Schlußsatz, ist als eine Art „Vermächtnis“ Darrés zu werten: „Es gilt die Lebensordnung des Deutschen Volkes zu finden, welche auf der bäuerlichen Grundlage aufbaut, [118] in Erbhöfen und Ahnenverehrung wurzelt, aber sich im
154 Vgl. z. B. A. E. Johann, Vom Geist der Preussen und der Samurai, in: Odal 9 (1940) 519–525. Weitere Nachweise bei D’Onofrio 1997, 175 Anm. 28 [s. Anm. 5]. 155 Zum Topos der „Nacktheit in der dorischen Gymnastik“ bei Wilamowitz vgl. Christ 1986, 220 (Nachträge) [s. Anm. 4].
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germanisch-nordrassischen Auslesevorbild und im Zuchtgedanken lebensgesetzlich und staatlich in die Zukunft ausrichtet“ (90). Als Reaktion auf die letzte Arbeit Darrés ist eine Gießener medizinische Dissertation über „Die Familie als erbbiologische Grundlage des Staates. Nachgewiesen an der Geschichte Spartas“ von 1942 zu werten.156 Ihr Verfasser Wolf Schaeffer überprüfte Darrés oben erwähnte These, „daß der Untergang Spartas durch eine falsche Handhabung des Erbhofgesetzes und die Veräußerlichung seines Reinzuchtgedankens verursacht worden sei“.157 Dem von Darré hergestellten Zusammenhang wurde darin „keine ursächliche, sondern nur nachfolgende Bedeutung“ zugemessen. Die eigentliche „Ursache des Rückgangs der Spartiaten“ sah der Gießener Doktorand in der in Lykurgs Gesetzgebung angelegten „Überbetonung des Staatsgedankens unter Vernachlässigung und Mißachtung der Familie als der biologischen Grundlage jeden Volkstums und damit auch jeden Staatswesens“.158 Letztlich wurde damit der Kern der Spartakonzeption von der Seite der Rassenlehre her angegriffen. Heinz Haushofer hat den Vergleich von Konfuzius und Lykurg als „merkwürdigsten Beitrag“ zu einer Reihe von Arbeiten über Ahnenverehrung in Ostasien bezeichnet, die seit der Mitte der 30er Jahre auftauchten. Auch in seinem engsten Mitarbeiterkreis habe man es als „abwegig empfunden, daß der oberste Repräsentant der deutschen Ernährungs- und Landwirtschaft in einer solchen Situation eine Arbeit über Kungfutse schreiben und veröffentlichen konnte.“159 Dieser Aussage kann man durchaus zustimmen, die genannte Publikation dürfte in der Tat die völlige Entmachtung Darrés beschleunigt haben. Gegenüber der weitergehenden Erklärung Haushofers, es habe sich dabei „aber um nichts anderes als den Versuch (gehandelt), dem raschen Zerfall und der Selbstzerstörung des nationalsozialistischen Reiches das Gegenbild einer jahrtausendealten Tradition in Zucht und Sitte gegenüberzustellen“,160 sind allerdings Vorbehalte [119] anzumelden. Der ehemalige Mitarbeiter Darrés argumentiert hier wohl zu sehr im Sinne der Verteidigungsstrategie Darrés im sog. Wilhelmstraßenprozeß. Allein im Hinblick auf die Implikationen, die sich aus dem in die Zukunft ausgerichteten „nordrassischen Auslesevorbild“ und dem „Zuchtgedanken“ ergeben, wird klar, daß Darré mit diesem Ansatz umfassendere bevölkerungspolitische Ziele verfolgte. Insgesamt sind hier drei Etappen der Entwicklung das Spartabildes von Darré, das durchaus eigenständige Züge trägt, verfolgt worden: Im völkischen Umfeld entwirft Darré im Rahmen seines „Bauerntums“ am Ende der 20er Jahre sein Bild von Sparta, aus dessen „Bodenrecht“ sich Reformforderungen für eine zukünftige Agrarpolitik ableiten lassen. Zu diesem Bild gehören aber auch die ebenfalls zukunftsorientierten Vorstellungen, die sich mit der in Sparta praktizierten Auslese- und „Rassenzuchtpolitik“ verbinden. Als gerade ernannter Reichsminister hat Darré dieses Konzept in dem hier abgedruckten unvollendet gebliebenen Manuskript weiter ausgebaut – und radikalisiert. Auch wenn das darin umrissene Spartabuch nicht geschrieben 156 W. Schaeffer, Die Familie als erbbiologische Grundlage des Staates, med. Diss. Gießen 1942 (Aus dem Hygienischen Institut, Leiter Prof. Dr. Haag) (= Schaeffer 1942). F. E. Haag (1896–1945) war seit 1934 Professor für Hygiene und Rassenhygiene an der Medizinischen Akademie Düsseldorf, Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP und von 1940–1945 Professor in Gießen. 157 R. W. Darré, Vom Lebensgesetz zweier Staatsgedanken (Konfutius und Lykurg), Goslar 1940. 158 Schaeffer 1942, 34 [s. Anm. 156]. 159 Haushofer 1958, 314 [s. Anm. 8]. 160 Haushofer 1958, 314.
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wurde, hat Darré Spartaarbeiten, die seinem Konzept entsprachen, gefordert und die deutsche Spartaforschung in den 30er Jahren zumindest stimuliert. In der von Resignation geprägten Schlußphase verknüpfte der nahezu entmachtete Minister den chinesischen und den spartanischen Staatsgedanken, ohne die agrar- und rassenpolitische Zielsetzung aufzugeben. Einen ‚Epilog‘ zu der geradezu obsessiven Auseinandersetzung Darrés mit Sparta findet man in seiner Nachkriegskorrespondenz mit „alten Bekannten“: Noch in der Zeit der Landsberger Haft erreichen Darré Briefe „seines“ Sparta-Autors Lüdemann. Dieser bekundet, er könne das Sparta-Buch von 1939 eigentlich jetzt „wesentlich besser schreiben“.161 Der weitere Austausch über dieses Thema bis Mitte 1953, die Randnotizen Darrés zu den Briefen Lüdemanns – aber auch die Themen in der Korrespondenz Darrés z. B. mit dem damals in Argentinien lebenden Johann von Leers (!) und H. F. K. Günther – verweisen eher auf eine Konstanz des Sparta-Bildes von Richard Walther Darré und seiner Anhänger über 1945 hinaus. In seiner ursprünglich als „Rassengeschichte“ geplanten „Lebensgeschichte des Hellenischen Volkes“ von 1955 hat H. F. K. Günther in die „Lebensgeschichte der Spartaner“ u. a. den Abschnitt „Die spartanische Erbpflege“ [120] eingearbeitet. Einleitend bekundete er, daß er den oben erwähnten Spartaarbeiten von H. Berve (1937) und H. Lüdemann (1939) für „die folgende rassenkundliche Erhellung entscheidende Einsichten verdanke“.162 In dieses Bild der Kontinuität des deutschen Spartabildes der NS-Zeit paßt, daß auch Helmut Berves Spartabuch von 1937 im Jahre 1966 nahezu unverändert abgedruckt wurde.163 Inzwischen betrachtet auch die deutsche Spartaforschung im engeren Sinne Sparta längst „beyond the mirage“.164 R. W. Darrés Spartakonzeption, die hier vorgestellt wurde, trägt mit ihrer agrarpolitischen Ausrichtung innerhalb der intensiven nationalsozialistischen Auseinandersetzung mit Sparta einen durchaus eigenständigen Charakter und bezeugt die Lebenskraft des Spartamythos im 20. Jahrhundert. Bis heute zeigen populärwissenschaftliche „Produktionen“ in anderen Ausformungen, daß dieser nichts von seiner Faszination verloren hat.165
161 H. Lüdemann an Darré (Landsberg/Lech – Festung) v. 1.2.1950 (Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Darré 1094, I 19). – Dieser Nachkriegsbriefwechsel, der stark an die Korrespondenz der Protagonisten in den 20er Jahren erinnert, ist an anderer Stelle auszuwerten. 162 H. F. K. Günther, Lebensgeschichte des Hellenischen Volkes, Pähl ²1965, 121. 163 Vgl. oben Anm. 123. – In der Reihe Klio-Beihefte wurde auch die Darré verpflichtete Arbeit von Th. Meier (Meier 1962 [s. Anm. 139]) wieder nachgedruckt. 164 Vgl. A. Powell / St. Hodkinson (eds.), Sparta: Beyond the Mirage, London 2003. 165 Losemann 2003, 169f. [s. Anm. 4].
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Abbildung der ersten Manuskriptseite von R. W. Darrés Sparta. Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden (Grundlagen, Aufstieg, Niedergang) aus dem Stadtarchiv Goslar (vgl. Anm. 1) [Abb. in der Originalpublikation vor dem Aufsatz (66)].
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Nr. 10 Originalpublikation in: W. Bialas / A. Rabinbach (eds.), Nazi Germany and the Humanities. How German Academics embraced Nazism, Oneworld Publications, London 2007, 306–340.
Classics in the Second World War [306] This article discusses the role German classics played during the Third Reich and the Second World War. Classics in Germany traditionally consisted of classical philology, classical archaeology, and ancient history, whose importance for the humanities of the late nineteenth century was apparent in scholars like the famous classicist Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931) and the ancient historian Theodor Mommsen (1817–1903). In general, the political profile of the academic representatives of these fields was staunchly conservative. For instance, in the „wartime speeches“ prominent classicists delivered during the First World War they identified themselves closely with Wilhelmine Germany. The fall of the monarchy and the German defeat was considered a caesura – indeed a catastrophe. The Weimar Republic had few friends among classicists. Yet, very few classics scholars were committed to National Socialism before Hitler came to power. A genuinely National Socialist concept of classics did not exist. At the same time, points of convergence with Nazi ideology did emerge when scholars adopted ideas associated with the Führer principle, imperialism, and power politics (Machtstaat). Among classicists there existed aristocratic circles, inspired by the idea of a „Third Humanism“ and by the charismatic poet Stefan George, who promoted a version of anti quity that attained an almost religious dimension – Suzanne Marchand speaks of a „platonic religion“.1 It was also in this era that Walter Friedrich Otto (1874–1958), a scholar in the field of ancient religion, who in 1923 was called a „Nietzsche redivivus“, published his masterpiece Dionysos, Mythos, Kultus, named the [307] Dionysos 1933.2 But even within these exclusive circles certain predispositions prevailed which prepared the way for the ideology of the Third Reich. In her 1996 book, Litteris et Patriae. Das Janusgesicht der Historie, Ursula Wolf described the ancient historian Fritz Taeger (1894–1960) as a „typical“ representative of that generation.3 During the denazification process, he wrote about his earlier years and those of two colleagues of the „Weber School“ in his curriculum vitae (1946): We were united in the feeling that we were stumbling in the course of our development into serious danger because of our overstretched individualistic demands. We were against the Weimar constitution, even though our backgrounds were so different: (Joseph) Vogt the son of a strongly Catholic Swabian peasant, raised in an austere Catholic atmosphere, Ehrenberg from an old, li1 2 3
S. L. Marchand, Down from the Olympus. Archaeology and Philhellenism in Germany, 1750–1970, Princeton 1996, 358 (= Marchand 1996). H. Cancik, Dionysios 1933. W. F. Otto, ein Religionswissenschaftler und Theologe am Ende der Weimarer Republik, in: Ders. (Hrsg.), Antik-Modern. Beiträge zur römischen und deutschen Kulturgeschichte, Stuttgart 1998, 165–186. U. Wolf, Litteris et Patriae. Das Janusgesicht der Historie, Stuttgart 1996, 22.
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German classicists, therefore, shared a widespread anti-democratic conviction. Take for instance the title of the 1930 book by the classical philologist Hans Bogner (1885–1948), Die verwirklichte Demokratie: Die Lehren der Antike (Democracy Realized: The Lessons of Antiquity 1930), which is characteristic for some of these scholars. Before Hitler’s seizure of power, some classicists were even prepared to avail themselves of the precepts of racial theory. The reaction to H. F. K. Günther (1891–1968), the notorious „Rasse-Günther“, is evidence enough. His 1928 booklet Platon als Hüter des Lebens. Platons Zucht- und Erziehungsgedanken und deren Bedeutung für [308] die Gegenwart (Plato as Protector of Life. Plato’s Ideas of Social Hygiene and Education and their Present Relevance) demonstrates the fervor with which ideas associated with Social Darwinism and racial hygiene were discussed in the 1920s; Günther’s book can be regarded as an example of the „pre-Nazi integration of the classics“.5 Another work, Günther’s Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes (Racial History of the Greek and Roman People), constructed a typical imbrication of racial and agrarian ideology. Typically, Günther’s concept of the ancient world is pessimistic – to him Athens and Sparta were victims of „denordification“ (Entnordung) and „degeneration“ (Entartung).6 Considering that these were some of the prevailing attitudes of classicists at the time, what did the National Socialists themselves expect from the field? Their conceptualization of ancient Greece and Rome exemplifies the quite disparate attitudes of Nazi Party leadership towards antiquity in general.7 Nevertheless, despite numerous conflicts over questions of historical ideology, Hitler’s main contention – that the „racial question“ was the „key to world history“ – was not disputed.8 The Nazi approach to the ancient world originated in Hitler’s concept of history, which was based on his racial theories and was established in Mein Kampf: 4 5 6 7
8
Cit. in K. Christ, Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, Munich 1982, 225–226 (= Christ 1982). R. Herzog, Antike-Usurpationen in der deutschen Belletristik seit 1866, in: Antike und Abendland 23 (1982) 1–27. H. F. K. Günther, Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes, Munich 1929, 42. Cf. P. Villard, Antiquité et Weltanschauung hitlérienne, in: Revue d’histoire de la deuxième guerre mondiale 22, no. 88 (1972) 1–18; V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung der althistorischen Disziplin 1933–1945, Hamburg 1977, 17–26 (= Losemann 1977); Christ 1982, 195– 210 [s. Anm. 4]. A. Hitler, Mein Kampf, New York 1971 (1943), 339.
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Especially in historical instruction we must not be deterred from the study of antiquity. Roman history correctly conceived in extremely broad outlines is and remains the best mentor, not only for today, but probably for all time. The Hellenic ideal of culture should also remain preserved for us in its exemplary beauty. We must not allow the greater racial community to be torn asunder by the differences of individual peoples. The struggle that rages today is for very great aims. A culture combining millenniums and embracing Hellenism and Germanism is fighting for its existence.9
Apart from the general lines of his racist view of history, Hitler also drew on ancient history for his most prevalent ideas about the nature of rule. Hitler admired the architecture of classical Greece. But even when he invoked the common ground of „Hellenism and Germanism“ as he does here in Mein Kampf, the Athenian example was never as crucial as Rome to his program for architecture and governance.10 The connection between his views of history and his conception of rule seems based on his beliefs about world empires as [309] expressed in conjunction with the Roman Empire, which provided him themes for a „history of German world power“. Hitler attributed Rome’s ability to become „the crystallization point for a world empire“ to the fact that Rome was „fundamentally a peasant state“.11 These speculations formed the basis for his concept of a peasant utopia, whose characteristics included the „maintenance of agrarian ways of life“, the defense of the land with „one’s own blood“, and a „gigantic growth of power“.12 Sparta similarly trumped Athens in Hitler’s grand design: in Sparta he saw the prototype of a minority ruling class of superior racial quality. Hitler was fascinated with Sparta, which, in Mein Kampf he regarded as the „purest racial state in history“ with „the greatness of his blood“. Sparta, not unlike the „peasant state Rome“, was characterized by the archaic condition of racial unity inherent in an agrarian society. Moreover, the Spartan social structure, to him, delivered proof positive of the Social Darwinist principle of the „survival of the fittest“ and the „destruction of the weak“.13 Hitler borrowed the concept of the future power structure in occupied Eastern Europe from the examples of Sparta and Rome.14 Similarly Hitler developed a pronounced interest in an historical event that was of utmost importance for German history: the colonization of Eastern Europe in the Middle Ages and the development of the Prussian state.15 The notions of Sparta, Rome, and the medieval empire in Eastern Europe were pivotal aspects of Nazi doctrine and served as models for future German rule, continuing imperialist expansion with archetypal methods of securing internal power while at the same time maintaining an agrarian social structure in which racial purity was preserved. The perspectives of race history shaped not only Hitler’s ideas about the rise of Rome and the conflict with Carthage, but also his concept of Rome’s decline and fall. He was convinced that Rome was not „broken“ by Germans or Jews, but rather by Christians. These are the most
9 A. Hitler, Mein Kampf, New York 1971 (1943), 423. 10 F.-L- Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn 1998, 345. 11 Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahre 1928, ed. G. L. Weinberg, Munich 1961, 119. 12 J. Thies, Architekt der Weltherrschaft. Die Endziele Hitlers, Düsseldorf 1976, 72–73 (= Thies 1976). 13 Cf. V. Losemann, Sparta I. Bild und Deutung, in: DNP 15,3, 2003, 164–165. 14 E. Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, Munich 1965, 415. 15 Thies 1976, 103–104 [s. Anm. 12].
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important examples of Hitler’s obsession with the ancient world. His fixation on Rome is already evident at the very beginning of his career.16 Hitler’s notion of history incorporated central topics of his ideology and established a general framework for the Nazi concept of Greece and Rome. Especially in the early years after his seizure of power, one gets the distinct impression that a well-defined and binding concept of history did not exist in his mind. Despite the calls [310] for a „fight for a new history“, there was a contradiction between Hitler’s own positive assessment of Roman antiquity and the extreme admiration for Germanic prehistory preferred by other leading Nazi ideologists, particularly Alfred Rosenberg. As the party’s chief ideologist, Rosenberg might have become the leading representative of the Nazi view of history, but his position in the Nazi hierarchy was not strong enough. He can, however, claim special interest as the main proponent of a „Germanic Weltanschauung“. His barely intelligible work The Myth of the Twentieth Century (1930) was based on Houston Stewart Chamberlain’s Foundations of the Nineteenth Century (1899). The basic pattern of Rosenberg’s interpretation of history is the struggle of a preeminent Nordic race against hostile inferior powers – primarily the Asian race of the Jews, depicted as a „counter-race“ or (Gegenrasse). With Rosenberg, the ideology of Germanism was elevated into a state religion. Corresponding to his worship of the Germans, he, unlike Hitler, exhibited a decidedly anti-Roman attitude.17 Like Rosenberg, Heinrich Himmler was also committed to the program of „Germanizing“ German history, but was not content with leaving it at that, and vigorously advanced an active „Germanization policy“ which included killing, kidnapping, and human-breeding programs.18 Another representative of the Nazi elite, the later Reichsbauernführer (National Farmers’ Leader) and Minister of Agriculture, Richard Walther Darré, saw Sparta as a model in his 1929 book Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse (Peasantry as the Life-Source of the Nordic Race), in which he developed the idea of the intrinsically peasant-like character of IndoEuropean culture, which had been preserved in Spartan society for a particularly long time. According to Darré, Sparta was not primarily a state of warriors but rather one of peasants. In his view, the decline of Sparta was not precipitated as much by the tremendous military defeats as by the abandonment of Nordic inheritance laws whereby inherited estate passed unchanged into the possession of one heir, and every heir was allowed only one such estates or klaros to feed his family. Economic decline set in at the point when it became possible to acquire more than one such estate, that is, to become a large landholder.19 The economic decline of Sparta resulted in biological disintegration: as land became scarce, the number of children declined, and the reduced number of births in turn left no room for „health-bringing selection“. As early as July 1933, Darré [311] produced a fifty-page handwritten manuscript entitled „Sparta. Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden. Grundlagen, Aufstieg, Niedergang“ (Sparta. A State
16 Cf. V. Losemann, Nationalsozialismus I. NS-Ideologie und die Altertumswissenschaften, in: DNP 15,1, 2001, 724–725. 17 Losemann 1977, 21–23 [s. Anm. 7]. 18 V. Losemann, Aspekte der nationalsozialistischen Germanenideologie, in: Ders. / P. Kneissl (Hrsg.), Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte, Festschrift K. Christ, Darmstadt 1988, 280–281. 19 St. Hodkinson, Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000, 14; cf. A. D’Onofrio, Ruralismo e storia nel Terza Reich. Il caso „Odal“, Naples 1997.
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Ideology of Blood and Soil. Foundations, Rise, Decline).20 This paper is perhaps the most salient example of the connection between his very personal view of Sparta and the ongoing discussions about agricultural policy. Taken together, Hitler’s and Darré’s ideas about Sparta demonstrate the high level of identification of many members of the Nazi elite with that ancient form of state structure. According to Henri Marrou (1902–77), the French author of a well-known history of education in antiquity, that connection was first established in the early nineteenth century with the enthusiastic eulogy to the Spartans in Karl Otfried Müller’s 1824 book Die Dorier.21 The title of the English edition, The History and Antiquity of the Doric Race (Oxford, 1830) outlines the way that Müller’s concept of tribes could easily be connected to the racial concept.22 In 1933, „Sparta“ or „the Dorians“ were popular in Nazi Germany, as clearly evidenced by the poet Gottfried Benn (1886–1956) in his 1934 essay, „Die Dorische Welt. Eine Untersuchung über die Beziehung von Kunst und Macht“ (The World of the Dorians. An Investigation of the Relationship between Art and Power). Benn, who later turned away from Nazi ideology, was inspired by the 1934 orchestral piece Dorian Music by Heinrich Kaminski (1896–1946).23 One of the leading contemporary English „Sparta maniacs“, Paul Cartledge, even sees a very distant, but nonetheless visible, connection between the anti-democratic, conservative, and pro-Spartan politician Kritias in fifth century B.C.E. Athens and the idealization of Sparta by the Nazis.24 In light of the enormous pressure placed on them to „Germanize“ German history, ancient historians and classicists feared a complete revision of the new ancient history which would call into question the raison d’être of Roman studies. This point is essential for understanding the programmatic discussion about the relationship between the ancient world and National Socialism. In the early years following the seizure of power, articles like „Die Antike und wir“ were notorious for underlining the importance of classics in the education of the Third Reich.25 A typical reaction can be found in the works of Gerhart Rodenwaldt (1886–1945), a famous archeologist who immediately after 1933 privately compiled Hitler’s remarks on antiquity.26 For classicists, Hitler’s opinions provided a point of departure from [312] which they could demonstrate the relevance of Roman history. Similar arguments in defense of Roman history can be found in the work of distinguished classical scholars. Many members of the National Socialist academic community treated ancient history as part of German historiography. Most of them did so in the context of a discussion that began after the seizure of power in 1933, in which the relationship between traditional classics, on one hand, and „German prehistory“, on the other, came under scrutiny. The latter was sponsored by leading National Socialists as „an outstanding national field of study“ (G. Kossinna). .
20 V. Losemann, „Ein Staatsgedanke aus Blut und Boden“. R. W. Darré und die Agrargeschichte Spartas, in: Laverna 15 (2005) 67–120 [Nr. 9]. 21 H. Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, Freiburg 1957, 43. 22 V. Losemann, Die Dorier im Deutschland der 30er und 40er Jahre, in: W. M. Calder III (ed.), Zwischen Rationalismus und Romantik. Karl Otfried Müller und die antike Kultur, Hildesheim 1998, 314–348 (= Losemann 1998) [Nr. 6]. 23 Losemann 1998, 370 [Nr. 6]. 24 P. Cartledge, Agesilaos and the Crisis of Sparta, London 1987, 461. 25 V. Losemann, Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“, in: Quaderni di storia 11 (1980) 35–105 (= Losemann 1980) [Nr. 1]. 26 Marchand 1996, 350 [s. Anm. 1].
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The classical philologist Werner Jaeger (1888–1961), often called the „regulator of German classics“, proposed a program of „Third Humanism“ in which he sought to preserve the humanistic Gymnasium, with its traditional focus on classical languages. In his article „Die Erziehung des politischen Menschen in der Antike“ (The Education of the Political Individual in Antiquity) and in the programmatic idea of his book Paideia, he tried to attach himself to the National Socialist educational policy.27 However, his attempt to embrace the concept of „national political education“ developed by the National Socialist educator Ernst Krieck (1882–1947) was a failure: Jaeger’s approach was dismissed as „intellectualist“.28 Jaeger’s way of characterizing the Greek tribes, which ultimately resembled a racial typology, is not far removed from the basic precepts of Nazi ideology. In Paideia the section entitled „Spartan State Education“ is a eulogy to the „ethical greatness of the Dorians“ and separates them positively from the “traditional way of life” of Athens. Jaeger was explicitly committed to the ideas of Karl Otfried Müller, which combined „rationalism and romanticism“. Müller’s 1824 book Die Dorier (The D orians) m ade an e xtraordinary comeback in Germany in t he 1930s and 1940s.29 Jaeger emphasized the sharp distinction between „the nature of the Dorians and the Ionians concerning the character of their states’ public life and the spiritual physiognomy of the polis.“ He praised the Dorian master race and the fifth-century B.C.E. poet Pindar as the personification of „ideal of the blond high-racial type of man“, of „aristocratic belief“, of „aristocratic culture“, of „the aristocratic teaching about blood“, and the „ideal of the Hellenic racial aristocracy“. In Tyrtaios, a lyric poet of the seventh century B.C.E., he saw the „foundation charter of the Spartan Machtstaat“.30 Jaeger’s Third Humanism demonstrates a highly aristocratic worldview, but also resembles Nazi ideology.31 [313] The prominent ancient historian Helmut Berve (1896–1979) subscribed to Krieck’s 1934 criticism of Jaeger, especially the notion that Jaeger’s Third Humanism was „spiritually not vital enough“; he called for the „vitalization of antiquity“. With his dismissal of „esoteric ideas“, Berve also dissociated himself from the followers of Stefan George and emphasized the relevance of Greek history.32 But in contrast to the extremely anti-Roman position propounded by the chief ideologist of the NSDAP, Alfred Rosenberg, and his disciples in the 1930s, Berve advocated a more moderate position in his paper „Antike und nationalsozialistischer Staat“ (1934), in which he repeatedly made reference to Hitler’s passages on Roman history in Mein Kampf. Even though Berve mentioned „difficulties concerning the race question“, he nevertheless accepted such concepts as „race instinct“, „race politics“, and „race deterioration“. On the basis of Roman history, he interpreted the civic laws as the „end of the ancient world, caused by the decomposition of the ruling race“.33 The parallel to Hitler’s treatment of this subject is salient and even more glaring in Berve’s extreme idealization of Sparta. Like Berve, Wilhelm Weber (1882–1948) in the 1930s and 1940s was one of the most important German historians of Rome. Furthermore, he was among the cadre of political or 27 28 29 30 31
Vol. I–III, Berlin / Leipzig 1934–1945. E. Krieck, Unser Verhältnis zu Griechen und Römern, in: Volk im Werden 1, no. 5 (1933) 77–78. Losemann 1998, 334–338 [Nr. 6] [s. Anm. 22]. Cf. Losemann 1998, 337–338 [Nr. 6]. Cf. Teresa Orozco, Die Platon-Rezeption in Deutschland um 1933, in: I. Korotin (ed.), „Die besten Geister der Nation“. Philosophie und Nationalsozialismus, Vienna 1994, 141–185. 32 Losemann 1980, 64–67 [Nr. 1; s. Anm. 25]. 33 H. Berve, Antike und nationalsozialistischer Staat, in: Vergangenheit und Gegenwart 24 (1934) 264–265.
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politicizing professors so prominent in the Wilhelmine and Weimar periods. Weber’s commitment to the monarchy and the Reich, his belief in a „savior“ and „leader“, his anti-democratic convictions, his invocation of the „Great War experience from the front“, and his anti-Versailles slogans firmly placed him (together with many of his colleagues) into the political context of the so-called „conservative revolution“. Weber repeatedly cites examples from the ancient world to buttress his arguments, and there are indicators of a fundamental predisposition toward Nazism throughout his works. Following Hitler’s seizure of power, Weber certainly had no difficulties falling in line with the glorification of such concepts as the „leader“ and „empire“ in both their ancient and modern forms. He found a suitable occasion for this in the „celebration of the foundation of the Reich and renewal of the Reich by the Führer“ on 30 January 1935. As far as the ancient world is concerned, the ever-recurring theme of his research is the „4,000-year history of our German-Teutonic people“. With these anti-Roman remarks Weber fueled the discussion about the „cultural level of the Germanic peoples“.34 [314] Nonetheless, the situation in 1933/34 can be summarized as follows: the dialogue between the classics and prominent representatives of the National Socialist Wissenschaftspolitik was characterized by considerable distance – between a field rich in t radition, with a p ronounced conservatism, and the National Socialist movement that represented a quite different attitude from the university environment. Efforts by classicists to accommodate or to survive better in that complex mixture of opportunism and true belief were often ridiculed by the radical representatives of the N.S.-university administration, who talked about a „revolution“ in the universities. Berve and Wilhelm Weber revealed themselves to be National Socialists from very early on, as is apparent from the fact that they seriously took up the ideology of race in articles reaching a wider audience. Weber outlines the expectations and demands incumbent on professors in the context of the „National Socialist revolution“ at the universities in his „Erwartungen und Forderungen des Professors“ (Expectations and Demands Placed on the Professor),35 and Berve bore witness to the fulfillment of the ideas of empire in an article published in the National Socialist periodical Wille und Macht.36 Berve served as dean (1933–35), Prorektor (1936–39), and Rektor (1940–43) of Leipzig University, and became founder of an influential school of thought. In this „Berve School“ the „all-inclusive ideological approach“ was somewhat less visible and the competing „(Wilhelm) Weber School“ was much better and more widely received. What is perhaps worse, the „Berve School“ was „in no way free from humanist or classicist ideas“. Despite the widespread pro-Nazi activism apparent across the board, there is nevertheless evidence of a defensive streak which cannot be ignored. Classical philology, the key subject in the field, was in a defensive position from the end of the nineteenth century onwards, when the role played by classical languages in the schools became diminished in Germany.37 As we shall see, this defensive position was a key element in the programmatic publications of the classics 34 V. Losemann, The Nazi-Concept of Rome, in: C. Edwards (ed.), Roman Presence, Cambridge 1999, 228–229 (= Losemann 1999). 35 W. Weber, Erwartungen und Forderungen des Professors, in: Der deutsche Student 1 (1933) 2–11. 36 H. Berve, Die Erfüllung des Reiches, in: Wille und Macht 2, no. 56 (1934) 4–9. 37 V. Losemann, Aspekte der Standortbestimmung der Altertumswissenschaft in ‚Umbruchszeiten‘, in: R. vom Bruch / B. Kaderas (Hrsg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, 310 (= Losemann 2002).
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in the Second World War, and this brings us to the discussion of developments in the field of classics during the war. Joachim Lerchenmüller recently published a description of ancient history written by the historian Hermann Löffler in 1941 for a speech about „The Situation of German Historiography“ at a meeting of bureaucrats in the cultural department of the Reich Central Security Office (Reichssicherheitshauptamt).38 The speech is based on an elaborate memorandum that Löffler, an S.S.-Obersturmführer, had [315] submitted to the Sicherheitsdienst on 8 February 1939.39 Löffler (1908–78) belonged to a group of S.D. historians who launched their careers by completing doctorates at the Reichsuniversität in Strasbourg under the supervision of the historian Günther Franz (1902–92). Like the well-known professor of German studies, Hans Schneider/ Schwerte, who changed his name and made a second career in postwar Germany, Löffler (albeit under his own name) enjoyed a second career after the Second World War by landing a chair for history at the Educational College in Heidelberg.40 According to Löfflers 1941 speech, ancient history formed the „link“ between prehistory and medieval history and was therefore of considerable importance for the National Socialist Weltanschauung. Most of all, study of ancient history was to follow the rules set by „race studies“ and to pursue the role of the Nordic people and their confrontation with Mediterranean cultures from the early migrations to late antiquity and the spread of Christianity. Löffler, however, found that very few historians were engaged in research that fit within these prescriptive parameters. More than half of the professors – and this judgment was probably true not only for the classics but also for most of the humanities – were seen as „individualists“ with varying degrees of competence. Among them, he distinguished two „schools“. First, the group associated with Wilhelm Weber included respected ancient historians such as Vogt from Tübingen, Taeger from Marburg, and Paul Strack (1904–41) from Kiel. A group of six young students of Weber’s were also noteworthy, since the attendant „ideological direction“ was a prominent feature of their work. These young historians were winners of the Reichsberufswettkampf (Reich Vocational Contest) in 1936 and 1937, a competition staged annually until the beginning of the war which was highly indicative of the „reformist“ approach inherent in National Socialist university policy. It emphasized collaborative academic research, testing new forms of scholarly work, e. g. interdisciplinary approaches. These team efforts, often organized by students, were characterized by ideological activism; the same can be said of similar projects conducted by professors and departments within the university. In some instances, winning this contest could jumpstart an academic career and catapult the award recipient directly into a university chair in ancient history.41 While it is interesting to note the vagaries of career development and promotions involved, what is of perhaps greater [316] significance is the new direction in scholarship witnessed here, whereby a group of students, rallying around Weber, become seriously engaged in collaborative efforts with their mentor and teacher and, in so doing, fulfilled demands for reform in National Socialist university policy. Weber’s former students – as the S.D. observer 38 J. Lerchenmüller, Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS, Bonn 2001, 240–243 (= Lerchenmüller 2001). 39 Lerchenmüller 2001, 189–239. 40 Lerchenmüller 2001, 189–239. 41 Losemann 1977, 76 [s. Anm. 7]; cf. Lerchenmüller 2001, 241–243 [s. Anm. 38].
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noted – often later assumed prominent positions in their universities or in the National Socialist research communities. Some adherents of „universal history“, following Eduard Meyer (1855–1930), were also subject to censure, others working on antiquity were classified as individualists in the S.D. historians account, and yet others, like Walter Otto (Munich) and Friedrich Oertel (1884–1975) another economic historian, are dismissed as „typical encyclopedic scholars“ and chastised for being „unproductive for years“. Six historians, including Matthias Gelzer (1886–1974), are depicted as being „mediocre“ and lacking historical and political talent. Franz Altheim is generally rejected as being a dreamer. Only two historians, Fritz Schachermeyr (1895–1987) and Franz Messerschmidt (1902–43?), worked on „mainly Greek and Roman prehistory“ and the results of their work were seen as „debatable“. In summary, the majority of the ancient historians „followed the traditional ways in their field or used only cheap slogans about race and Volkstum, while many rejected the idea of a racial view on history as impossible“. As far as junior or assistant professors are concerned, explicit judgment is missing. Of the diverse array of publications produced by the Weber School, Löffler selectively chose two larger works that were directed not at the scholar community but to the general public: Taegers Das Altertum (1939) and Weber’s contributions to the Propyläen Weltgeschichte. In contrast, the more specialized articles offered the possibility „of easily avoiding questions of ideology“, a method of personal retreat that was a particularly popular strategy deployed by Catholic scholars – at least according to S.D. observers. Two scholars working in the Berlin Academy on epigraphical corpora were described as „devout Catholics“ representing „religious reaction“. When positions had to be filled, Löffler observed that demands of „earnest scholarship“ were in reality given priority over questions of ideology, which were secretly rejected. To Löffler, this pattern of behavior was only restricted to the mediocre and to reactionary adherents of religious, humanist, or other affiliations. The leading scholars in their fields were open to new, National Socialist history [317] while the type of „meticulous scholar“ dedicated to „serious methodology and detailed work“ was regarded as an obstacle to an ideologically oriented view of history. The description of ancient history presented in this S.D. historian’s account is sketchy and makes no reference at all to three professors and two university lecturers. And this is not the only indicator that the S.D. speaker has no intimate knowledge of the field. Innsbruck professor Franz Miltner (1901–59) is one of the professors who remained unnamed, and he was probably a spy for the S.D., as we might glean from the fact that, in 1941, he obligingly fulfilled the S.D. order to compile a report that would „show and justify the importance of ancient history“ and drew up a „secret paper“, in which he takes recourse to Hitler’s Mein Kampf and the work of H. F. K. Günther to construct a sort of „unity of antiquity“. In his efforts to defend ancient history as a whole, he advocated the improvement of study opportunities and additional support for Latin and Greek in schools.42 Miltner was regarded as one of the most important representatives of National Socialist ancient history. Moreover, this 1941 account of ancient history presented by the S.D. contains no reference to the considerable number of classicists and historians who had been persecuted for racist or political reasons, who had been forced to leave their universities, or who in some cases had 42 C. Ulf, Franz Miltner, in: R. Bichler (ed.), 100 Jahre Alte Geschichte in Innsbruck, Innsbruck 1985, 54.
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become victims of the extermination policy. In Löffler’s 1939 memorandum, only four ancient historians are listed under the category of „opponents“. „Emigrated Jews, people related to Jews and Aryans“ were Elias Bickermann (1897–1981), Clemens (Emin) Bosch (1899–1955), Arthur Rosenberg (1889–1943), and Eugen Täubler (1879–1953). The whole list of „opponents“ contained twenty-seven names.43 However, the number of persecuted classicists was much higher. Cornelia Wegeler has collected ninety-six cases in the field of classical philology, ancient history, history of law, and archeology, and this presents a much more accurate picture of the degree to which the „potential of scholarly opinions“44 was restricted by these measures.45 Once this „non-Aryan“ group of opponents had been eliminated, the remaining opponents were situated primarily in the camp that persisted in its pursuit of liberal, democratic ideals, and this constituted a relatively small portion of scholars in the classics. Another oppositional stronghold was to be found in scholars strongly committed to religious convictions; the S.D. identified only two ancient [318] historians as belonging to this category in 1941. Löfflers description of the state of affairs in the field of ancient history in 1941 is completed with the group consisting of so-called „apolitical friends“ of Stefan George.46 Among them, Löffler counted the ancient historian Woldemar Graf von Uxkull-Gyllenband (1898–1939), by then already dead, and his Würzburg colleague Alexander Schenk Graf von Stauffenberg (1905–1964), a brother of the would-be Hitler assassin of 20 July 1944. Together that group formed, according to Löffler, „a circle of more or less strong disciples of Stefan George“. To him, the scholars around George opposed specialization but placed great individuals in the center of history and „returned to history on a larger scale“. This interest reflects the tremendous influence George had in the 1920s on the classicists. According to the S.D. account, the most prominent representatives of the George circle in the classics included the „cosmopolite“ and democrat Friedrich Gundolf (1880–1931), author of Caesar. Die Geschichte seines Ruhmes (1924), the „nationally oriented“ Jew Ernst Kantorowicz (1895–1936), author of the famous biography on the medieval emperor Friedrich II, and the group around the economic historian Friedrich Wolters (1876–1930), described in this report as „nationally oriented, partly influenced by national socialist tendencies“. In his discussion of George’s followers in the field of classics, William M. Calder III presents numerous early statements in favor of George made by classical philologists, ancient historians, and archeologists. Citing a 4 July 1921 letter from the professor of Greek studies Paul Friedländer (1882–1968) to Wilamowitz, Calder correctly describes the tenor of these letters as representing „the credo of a new generation“.47 George’s influence on the „intellectual cosmos“48 of Berve is similarly evident in his preface to the new edition of J. G. Droysen’s Alexander in 1931. Berve talked about the 43 Lerchenmüller 2001, 220–223 [s. Anm. 38]. 44 R. Bichler, Neuorientierung in der Alten Geschichte?, in: E. Schulin (ed.), Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1965), Munich 1989, 65. 45 C. Wegeler, Wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik: Altertumswissenschaft und Nationalsozialismus: Das Göttinger Institut für Altertumskunde 1921–1962, Vienna 1996, 373–394 (= Wegeler 1996). 46 Cf. Lerchenmüller 2001, 251–252 [s. Anm. 38]. 47 W. M. Calder III, The Credo of a New Generation: Paul Friedländer to Ulrich von WilamowitzMoellendorff, in: Antike und Abendland 26 (1980) 90–102. 48 L. Canfora, Politische Philologie: Altertumswissenschaften und Moderne Staatsideologien, Stuttgart 1989, 152.
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„unity of man, life and research; of spirit and form“ and conceded, in expressing a sentiment that is wholly congruent with the style of George and his disciples, that the Kunstwerk, the „historical work of art“, is „the aim of our striving“.49 The notion that Stefan George strongly influenced the Weber School, including Alexander Schenk Graf von Stauffenberg, in the 1920s is easily substantiated.50 Like Berve before 1933, von Stauffenberg was attracted by the classic triad of great „Doers“ – Alexander, Caesar, and Napoleon – as late as 1944. As a trained historian, Stauffenberg belonged to the inner circle around Stefan George,51 as [319] did his brothers Claus and Berthold, both executed on 20 July 1944.52 While the historian Stauffenberg did not belong to the resistance, it must be assumed that the followers of George represented a certain potential for resistance. In this context FrankRutger Hausmann referred to the Deutsches Wissenschaftliches Institut in Athens (directed by the George follower Rudolf Fahrner (1903–33)) as a control center of the resistance movement,53 and it was in Athens that Alexander Schenk Graf von Stauffenberg was arrested after the unsuccessful assassination attempt on Hitler of 20 July 1944.54 In the George circle, antiquity was a medium for opposition and one of its adherents, Percy Gothein (1886–1944), published a dramatic poem called „Tyrannis. Scene aus altgriechischer Stadt“ in occupied Holland, reflecting on tyrannicide and the ethos of friendship. The last known traces of its author were seen in the concentration camp at Neuengamme.55 From the perspective of the S.D., rivalry between the two schools of thought surrounding Weber and Berve was a constitutive element shaping the field of ancient history. Each of these central figures exercised a great deal of influence over appointments in the field, and each of them served the needs of National Socialist history in different areas of specialty within the field of ancient history. The more reserved assessment of the ideological reliability of the Berve School, which was accused of harboring „classicist or humanist ideas“, can be attributed to the rivalry between these two schools of thought. In 1941, the S.D. was confronted with a situation that not only included activists like Berve, Weber, and their students; besides the followers of Stefan George, there was also a considerable group of „individualists“ who upheld the narrow constrictions of their specialized disciplines. The S.D. insinuated that this was a purposeful retreat into detailed research and specialization designed as a way of dissociating themselves from the ideological demands placed on them by National Socialist scholarship. This pattern of behavior is evident, for instance, in those academics working on the Corpus Inscriptionum Latinarum (C.I.L.), the edition of Latin inscriptions inaugurated by Theodor Mommsen. The long list of major classical projects run by academies illustrates the high degree of specialization and time-consuming detailed work of their employees. The numerous corpora of inscriptions, prosopographies, text editions, 49 J. G. Droysen, Geschichte Alexanders des Großen, ed. H. Berve, Stuttgart 1931, 24. 50 Cf. Christ 1982, 242 [s. Anm. 4]; W. Günther, Alexander Schenk Graf von Stauffenberg, in: J. Seibert (ed.), 100 Jahre Alte Geschichte an der Ludwigs-Maximilians-Universität München (1901–2001), Berlin 2002, 106–127 (= Günther 2002). 51 Christ 1982, 242 [s. Anm. 4]. 52 P. Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 1992. 53 F.-R. Hausmann, „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“. Die deutschen wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2001, 255 (= Hausmann 2001). 54 Günther 2002, 113 [s. Anm. 50]. 55 K. Kluncker, Pery Gothein. Humanist und Erzieher, Amsterdam ²1986, 21.
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and specialist dictionaries (such as the Thesaurus Linguae Latinae and the Vocabularium [320] Iurisprudentiae Romanae) were mostly begun at the end of the nineteenth century (and for the most part remain incomplete to this day). Work on these projects is (and always has been) largely contingent on international cooperation. In this regard, the S.D. findings of 1941 conform to appraisals previously presented by the S.D. in its 1938 annual report: „In the field of ancient and medieval history“, it said, „there are no violations against the National Socialist view of history. The scholars were content to continue old encyclopedias and to look for new scholarly finds to explain various epochs“.56 In summary, the 1941 S.D. status report proves that the demands for a National Socialist renewal of the classics as originally outlined in the programs of 1933/34 had only been partially realized. Among the scholars still representing humanistic or classicistic ideals were the followers of Stefan George who had been vehemently criticized in 1933. Even they were still working and had achieved academic prominence and occupied important academic chairs. This interim appraisal demonstrates a degree of inertia within the university system. But it also shows that the years between 1933 and 1941 had not provided the National Socialist regime enough time to effect the kind of fundamental changes for which it had hoped. The Second World War witnessed the advent of new approaches in the humanities in the attempt to justify their significance for the war effort by engaging in „military service with the pen“. The emergence of specialized „camps“ within the N.S.D.D. was among the new wartime strategies.57 Old-style congresses were to be replaced by the more modern specialized camps such as Alfred Baumlers Männerbund und Wissenschaft (Science, Scholarship, and the Men’s Leagues). Under the organizational auspices of the N.S.D.D., the first meeting of studies of antiquity since 1933 took place in Würzburg 1941. In later years, the work of these „camps“ came under increasing influence of the Amt Rosenberg. One of the overt aims of these camps was to promote ideological homogeneity. Neither Berve nor Weber was present, though there had been some discussion of the possibility that Weber would attend. The aim of the first camp was to open new perspectives for ancient history. However, the inaugural topic was something that could just as easily have been a thing of the past. The camp was chaired by Hans Drexler (1895– 1984), Latinist and later rector of Göttingen, who was closely connected to the N.S.D.D.58 The focal point of discussion was Jaeger’s „so-called Third Humanism“, w hich revealed t hat the confrontation with Jaeger had by no means come to any sort of [321] resolution. In addition, the relationship between ancient history and racial science remained at the forefront of controversy; the presentations by Schachermeyr and Arnold Schober (1886–1959), an archeologist from Graz, met with considerable resistance to their versions of „racial science“. Apparently, the majority of ancient historians only paid lip-service to „racial science“. A follow-up event in June 1942 was the source of the term „opposition of the Augsburg Camp“ – just one indication of the degree of controversy that characterized discussions of culture and politics in Greek literature. Similarly, oppositional viewpoints were voiced at the camp for younger historians in Seefeld (Tirol) in October 1942. Friedrich Müller (1900–75), a professor of Greek from Marburg, launched a fundamental attack aimed at Drexler’s criticism of Werner Jaeger, and expressed vigorous opposition to the treatment of ancient history from 56 Losemann 1977, 178 [s. Anm. 7]. 57 Losemann 1977, 94–108. 58 Wegeler 1996, 244–254 [s. Anm. 45].
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an Indo-Germanic point of view which ultimately culminated in a passionate plea to resist the notion of racial science. These new specialist camps were apparently not dominated by a band of „ancient history stormtroopers“. The discussion of these fundamental questions demonstrated that debates about the Third Humanism and the race question were not restricted to the conformist terms required by the system.59 One of the leading men in the N.S.D.D., Miltner, responded to the Würzburg camp with a paper entitled „Die Deutsche Aufgabe der Altertumswissenschaft“ (German Tasks of Ancient Scholarship),60 but this was not the first time he had taken up the subject of reluctance within the ranks of ancient historians. Miltner’s earlier 1939 proposition to establish a „Rassenkundlich-Historisches Institut“ in Rome did not meet with a positive response, either from the ministry or from the German Archeological Institute. In 1941, he was still seeking to convince archeologists to face up to the demands of racial science. In stark contrast to the Lagerarbeit of the N.S.D.D., another conference on classics took place in Berlin on 2–3 April 1941 modeled on similar events during the Weimar Republic in the 1920s, such as the well-known Classics Conferences (Fachtagungen fur Klassische Altertumswissenschaften). Classics thus joined the ranks of the Aktion Ritterbusch, the extremely important scholarly and political network with around 600 scholars participating, as Hausmann has shown. It also had potential to serve as a network for postwar scholarly organization.61 [322] The humanities as a whole competed for resources with fields that were more obviously essential to the war effort, such as medicine, science, and technology It was not only in classics that the war propaganda of World War I was recalled (in particular the wartime I speeches of German professors like Eduard Meyer). The „Wartime Mobilization for the Humanities“, however, was concentrated around not public, but scholarly work. Chaired by Berve, who acted as the Kriegsbeauftragter für die Altertumswissenschaften (war representative for ancient scholarship), a sweeping agenda was drawn up which encompassed nearly all areas of the classics. Not only Berve and other leading scholars, primarily of a conservative bent, were present at a preliminary meeting, but also important „leaders“ like H. Bogner, H. Drexler, and H. Oppermann who were actively engaged in the N.S.D.D. Only one prominent classical philologist, Karl Reinhardt (1886–1958), was close to the George circle and had temporarily discontinued his lectures in May 1933, declined the invitation to participate. Invitations were extended to the whole spectrum of affiliated scholars – from professors to temporarily employed teachers, to representatives of neighboring disciplines, and even to foreign scholars, a fact that reflects the European dimension of this effort, though, this, too, had its limits. For example, the Dutch classical philologist Hendrik Wagenvoort was not invited by the ministry because the Office of Foreign Affairs within the NSDAP had deemed him to be „hostile or at least unfriendly in his stance toward Germany“, particularly in his dissenting opinion with regard to „our measures against Jews“.62 59 V. Losemann, Reformprojekte der NS-Hochschulpolitik, in: K. Strobel (Hrsg.), Die Deutsche Universität im 20. Jahrhundert, Vierow 1994, 104–106 [Nr. 3]. 60 F. Miltner, Die deutsche Aufgabe der Altertumswissenschaft, in: Deutschlands Erneuerung 24 (1941) 2–11. 61 Cf. F.-R. Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die Aktion Ritterbusch (1940–1945), Dresden 2002, 21–37 (= Hausmann 2002). 62 Hausmann 2001, 24 n. 25 [s. Anm. 53].
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Of the 350 participants invited, 165 were in attendance at the April meeting. The opening address by Minister Rust marked a clear departure from other meetings of the „wartime mobilization“. Rust promised the classics „all conceivable intellectual, and material means“.63 What is particularly remarkable is the degree of support for this conference from the Propaganda Ministry, which issued special press releases stressing the precedence of the role of „classical ancient history“ over German prehistory. According to the pronouncements of the N.S.D.D., scholars „of all political opinions regardless of their ideological stance“ were to convene under the auspices of Aktion Ritterbusch. Judging from the historical record about those who actually attended the conference, this could indeed be said about that meeting, at which wellknown „leaders“ and politically influential persons were present, but also scholars like Hans Ulrich Instinsky (1907–73) [323] and Herbert Nesselhauf (1909–95), both of whom had been classified as „oppositional“ by the Security Service (S.D.).64 The first results of the „Wartime Moblization of the Classics“ were published in two volumes entitled Das neue Bild der Antike.65 How „new“ was this picture? There is no straightforward answer to this question. Berve, in an emotional introduction, declared himself in favor of National Socialism and bore witness to the ideology of race, however, the majority of articles, drawn from a vast range of archeological, philological, philosophical, and historical themes, were phrased rather cautiously. The title „Die Gymnastik und Agonistik der Griechen als politische Leibeserziehung“ (Greek Gymnastics and Agonistics as a Political Education of the Body) from volume 1 on Greek history (pp. 218–236) constitutes the one exception to the rule. In an exemplary text, Teresa Orozco has intensively analyzed the article „Platos Staat und die Erziehung“ by the philosopher Hans-Georg Gadamer (1900–2002).66 In most of the articles from the second volume on Roman history the „continuity of traditional approaches and evaluation“ is palpable and very few modernizing approaches are in evidence – among them Vogt’s contribution (vol. 2, pp. 100–132) which examines the „concept of space and organization of space in Roman politics“.67 Ernst Kornemann (1868–1946) published a lecture on the Roman Empire as the „first largescale European political structure“.68 The latter illustrates the extent to which the war influenced the choice of subject matter in 1941. These geopolitical concepts, adopted from Karl Haushofer, evoke the developmental and organizational concepts that Hitler had articulated when he described his own conquest plans in terms of Roman expansion. Thus, when Vogt, Kornemann, and Berve adopted the idea of empire as a thematic underpinning of their work at the beginning of the Second World War, they linked it explicitly to then current German war aims. Returning to the Roman aspect of the Neues Bild der Antike, Rodenwaldt sought (vol. 2, pp. 356–373) to link Roman state architecture with Hitler’s architectural program for Berlin (pro maiestate imperii). The most conspicuous display of racial ideology in these volumes is to be found in Miltner’s „Die Antike als Einheit in der Geschichte“ (vol. 2, pp. 433–453), which 63 64 65 66 67 68
Cf. Losemann 1977, 108–115 [s. Anm. 7]. Cf. Lerchenmüller 2001, 242–243 [s. Anm. 38]. H. Berve, Das Neue Bild der Antike, vols. 1–2, Leipzig 1942. T. Orozco, Platonische Gewalt. Gadamers politische Hermeneutik der NS-Zeit, Hamburg 1995, 149–198. Christ 1982, 206 [s. Anm. 4]. E. Kornemann, Das Imperium Romanum. Ein Beitrag zur ersten europäischen Großraumgestaltung, Breslau 1939; cf. K. Schönwälder, Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1992, 230.
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takes as its subject matter the alien world of the East. In general, though, despite the fact that H. Berve, in his introduction, underscores the relevance of „racial selfawareness“ (vol. 1, p. 8) to the purportedly „new“ view of ancient [324] history, the book as a whole cannot be said to rest on the precepts of race theory; this was one of the criticisms voiced by Schachermeyr, an adherent of race theory, at the time of its publication – a criticism seconded by Karl Christ, who stated that „the majority of the articles (...) were methodically rather conventional and not ‚new‘“.69 The theme of „race“ did not appear in the above-mentioned work-plan for the classics. By contrast, the second Gemeinschaftswerk produced by the „Wartime Mobilization of the Classics“, Rome and Carthage, focused on the way the „racial conflict“ was mirrored in the wars between the two powers – as its editor, Vogt, outlined in his introduction.70 The impetus for this thematic focus originally came from Berve; the fact that it was immediately adopted is another indication of his influence. During the Second World War, Berve delivered lectures on „Rome and Carthage“ no less than thirteen times to teachers, officers, and S.S. men and offered them an eloquent example of racist historical interpretation.71 Berve’s speeches and lectures were peppered with much more volatile language than his publications.72 This demonstrates how a topic that had played such a crucial role in Hitler’s historical analogies emerged as a major concern in the field of classics. As early as the nineteenth century, the conflict between Rome and Carthage had been recast in modern terms and used for propaganda purposes. Identifications changed, but it was Britain that served for various purposes as „the modern Carthage“. According to later stereotypes of „racial history“, the „Nordic Romans“ were contrasted with the „Semitic trading people, the Carthaginians“, though later this antiSemitic stereotype was transferred by Nazis to Britain. In the Nazi conceptualization of Rome, this trope assumed a formulaic function and acted as a model. The articles of Schachermeyr (pp. 9–43), Vogt, and the archeologist Reinhard Herbig (1898–1961) were structured around racist categories. Vogt’s article on „Septimius Severus and His Dynasty“ (pp. 346–366) is riddled with anti-Semitism, as is R. Herbig’s piece on „The archeological picture of Carthaginians“ (Puniertum, pp. 139–177). On the other hand, a few articles tended to negate the importance of race as a factor in history. It is therefore no wonder that official Nazi Germany was ultimately disappointed with the conclusions reached in Rome and Carthage especially with the section on the „racial conflict“. For the reviewer of the party newspaper Völkischer Beobachter the contribution of the book was „dubious and conspicuously negligible“.73 [325] The contributions of classics to the war effort aimed not only at an audience of professional classicists. The text of an advertisement for Rom und Karthago published in the periodical Europäische Literatur (a journal devoted to the Nazi European ideology) is illustrative of the project’s underlying aims (see figure 11).74 69 K. Christ, Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, Munich 1999, 473 (= Christ 1999). 70 J. Vogt (ed.), Rom und Karthago. Leipzig 1943, 7. 71 St. Rebenich, Alte Geschichte in Demokratie und Diktatur. Der Fall Helmut Berve, in: Chiron 31 (2001) 473 (= Rebenich 2001). 72 Hausmann 2002, 135 [s. Anm. 61]. 73 Cf. Losemann 1977, 115 [s. Anm. 7]. 74 Cf. Europäische Literatur 2, Fasc. 5, May 1943, 25. [Das Publikationsrecht der Abbildung, die in der Originalpublikation auf S. 325 abgedruckt ist, liegt
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These publications were distributed to the S.S., the S.D., and the National Socialist elite schools in the interest of promoting the foundations of race ideology in their ranks. It would be something of an oversight to judge the results of these research activities solely against the standards established within the profession, since these works were intended for broad circulation. Compared with its predecessor, Das Neue Bild der Antike, Rome and Carthage reflects an unequivocal shift toward a more radically Nazified interpretation of history, although the development of collaborative research that led to the production of these books has nevertheless been regarded as an innovative approach.75 Yet, the anti-Semitism in these works is clearly recognizable. Hausmann speaks of „passive anti-Semitism“ in conjunction with the way the work of Jewish scholars is conveniently glossed over and finds no mention in the volumes published by the „Wartime Mobilization of the Humanities“.76 But this should come as no surprise, since Berve displayed signs of active anti-Semitism as early as 1935 when he attacked „the Jewishapologetic tendencies“ of [326] his Prague colleague, Victor Ehrenberg (1891–1976).77 And this is but one example among many. The „Wartime Mobilization of the Classics“ is a painful commentary on the severe blows inflicted by forced emigrations in the field of social and economic history. The fact that departures from the official party position emerged from the efforts of classicists working on a modern view of antiquity should certainly give little ground for reassurance. On the contrary, it remains a cause for concern because it demonstrates how many scholars succumbed to the demands of the Nazi doctrine. We must, however, bear in mind the fact that research in the classics moved on a very different level than the programmatic demands of the Nazi ideologists for a racial history of the ancient world and the consequent statements of certain classicists. Weber, who had been closely aligned with the Nazis from very early on, summarized the efforts of classicists concerning a new National Socialist notion of antiquity in February 1944 when he said, „Everything is just as it was long before 1933!“78 Weber did not restrict himself to such harsh criticisms. He showed how he could outmaneuver his colleagues and, at the end of 1943, unleashed the militaristic „power of his pen“ in an essay on „The Rise and Fall of the Roman Empire“ written for the periodical Wille und Macht – an instructors manual for leaders of the Hitler Youth.79 The historical outline of the Roman Empire advocated here is largely congruent with a genuinely Nazi concept of Rome: he begins with the „foundation of the races“, emphasizes the „determining power of the aristocracy“ in peasant Rome, describes the „extension of the state“ and „the rise of the monarchy and a world
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den Herausgebern nicht vor. Deshalb ist der besagte „Werbetext“ aus der Ausgabe der „Europäischen Literatur“ hier wiedergegeben: „Der Vernichtungskrieg zwischen Rom und Karthago der sich durch / vier Generationen erstreckte, hat die größten historischen Erfolge ge/zeitigt, er ist zum festen Begriff geworden, der noch in unserer Zeit eine / viel erörterte aktuelle Bedeutung besitzt. Er ist schon wiederholt dar/gestellt worden, wird aber in dieser von Professor Joseph Vogt, / Tübingen, herausgegebenen Gemeinschaftsarbeit von der bisher wenig / beachteten Frage aus behandelt und beurteilt, wie jener folgenschwere / Konflikt in seinem Ablauf vom Blutserbe der Völker aus determiniert ist.“] Cf. F.-R. Hausmann, Anglistik und Amerikanistik im „Dritten Reich“, Frankfurt a. M. 2003, 297–303. F.-R. Hausmann, Der ‚Kriegseinsatz der Deutschen Geisteswissenschaften‘ im Zweiten Weltkrieg (1940– 1945), in: W. Schulze / G. Oexle (eds.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. ²2000, 82. H. Berve, V. Ehrenberg, Ost und West, in: Philologische Wochenschrift, 12. June 1937, 655. Cf. Losemann 1977, 111 [s. Anm. 7]. W. Weber, Aufstieg und Untergang Roms, in: Wille und Macht 11 (1943) 1–22.
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empire“, the „growth and change“, which were affected by „opposing powers“, and he sketches the „century of crises“. He concludes with a section on „the Germans“. The „life-cycle of Rome“ was dictated by the laws of „blood“, which, for Weber, was synonymous with „race“. The main thrust of the article is: in contrast to the interpretation he advanced in his Princeps, a work published in 1936 and written in the style of the 1920s, he views manumission as being justified by the danger posed by the „dilution of the ruling class of Roman citizens“. Augustus’s grant of citizenship to the extended population of the empire, and the Constitutio Antoniniana are interpreted negatively: from then on Rome really became a „cosmopolis“ – a term that can be traced back to Oswald Spengler – that drowned in the „Empire of the ‚Roman citizens‘ masses“ concentrated in the cities, which for Weber, as for Vogt, [327] had deleterious effects. The empire as a whole presents the vision of a „wild mixing of nations“, in which Jews and Christians are seen as „enemies of the Empire“ and „oppositional elements“. The life-cycle of Rome comes to its end when „the young peoples of the North advance to the last attack“, and, to cite Weber’s use of the terminology that was in vogue at the time, „to recover the living space of their ancestors“. These are the central points in his racist interpretation of the decline and fall of Rome. In the context of the Nazi European ideology as it was mobilized in the last years of the war, Weber transforms Rome into a kind of timeless advanced outpost of Europe in the struggle against Asia. Here Weber follows the official line of the cultural propagandists, setting aside the conceptual exigencies defined by the war and constructing a simple model of racial history alongside its contemporary political aspects, which fulfilled at least some of Hitler’s requirements. How close Weber came to these ideas can be seen in the way that the notorious model of the Nazi concept of Rome, exhibited in Rome and Carthage, was dealt with during the end phase of the Second World War.80 Hans Oppermann (1895–1982) supported the Nazi extermination policy with a „wartime mobilization“ of an entirely different nature. In 1943, he penned an official brochure entitled Der Jude in der griechisch-römischen Antike (The Jew in Greco-Roman Antiquity) for the „NSDAP Periodical for Ideological Teaching“ (Schriftenreihe zur Weltanschaulichen Schulungsarbeit der NSDAP), published by the Department of Party-Sponsored Curricular Materials in Rosenberg’s office.81 The entire litany of anti-Jewish clichés was reiterated in this unadulterated anti-Semitic propaganda. The description of the Jews’ „parasitic existence“ was ideally suited to the 1943–44 educational theme of the Rosenberg office: „The Jew as Parasite“. Even before the „blood-andrace“ specialist Oppermann came along, propagandists Johannes von Leers and H. Bogner were publishing on the „ancient Jew question“ (the latter during his work for the Forschungsabteilung Judenfrage of the Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands). Max Weinreich, in his 1946 book Hitler’s Professors had already pointed out the activities of Bogner and Vogt,82 and Oppermanns brochure seamlessly fits into that same tradition. Oppermann was also a member of and lecturer for Rosenberg’s teaching association, the Reichslehrgemeinschaft, and was one of „the few truly National Socialist philologists“.83 It is certainly no coincidence that Oppermann received a Latin chair at the Reichsuniversität in Strasbourg. 80 Cf. Losemann 1999, 234 [s. Anm. 34]. 81 H. Oppermann, Der Jude in der griechisch-römischen Antike, Munich 1943. 82 M. Weinreich, Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany’s Crimes against the Jewish People, New York 1946, 48, 55 (Bogner), 102 (Vogt); second edition published in 1999. 83 J. Malitz, Römertum im ‚Dritten Reich‘: Hans Oppermann, in: P. Kneissl / V. Losemann (eds.), Imperium Romanum. Festschrift für Karl Christ, Stuttgart 1998, 519–543.
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[328] Oppermanns colleague Friedrich Vittinghoff (1910–1996) at the Reichsuniversität Posen wrote the only post-doctoral dissertation in ancient history which was welcomed by National Socialist critics as „innovative“ in the National Socialist sense of the term. The text, „Aufstieg der unterworfenen Völker in Roms Bürgertum und Herrenschicht“ (The Rise of Subjugated Peoples in Romes Bourgeoisie and Ruling Class), has since been lost and can only be partially reconstructed from the documents in Vittinghoff’s university records. As Stefan Rebenich recently revealed, Vittinghoff discussed questions of Volkstum and race studies using quantifying methods.84 Race studies, Ostforschung, and demography were integral to the special academic profile of the Reichsuniversität Posen.85 So Vittinghoff, as an ancient historian, was appointed to his position in Posen as a colleague of Werner Conze (1910–86) in an overtly political move.86 After the war, Vittinghoff, like many others, followed a familiar pattern in which he was able to again find work in the same field, and subsequently strongly influenced the social history of antiquity, following the lead of social history in the modern era.87 Continuities like that must be examined in greater detail, for the classics in particular. Vittinghoffs case is but one example of the need to incorporate the field of ancient history into the stimulating discussion begun in 1998 about the role of historians in the Third Reich. During the Second World War, new fields opened up for a number of activists. Peter Julius Junge (1913–43), a student of Miltner, described them in his article „Die Aufgabe der Altertumswissenschaften im Osten“. The task of the ancient historian, according to his account, was to reclaim „the wide East of the Indogermanic area“ for Europe, and this, of course, resulted in an increased number of positions for classicists in the occupied territories.88 In the planning, implementation, and support of these projects, the ideas and aims of Himmler and Rosenberg combined with classicist research. As early as 1937, a branch of the classics was established within Himmlers Ahnenerbe (initially focused on Germanic ancestral heritage) to explore „Italy and Greece in their Indogermanic-Aryan connections“. In the end, the goal was to prove the intellectual world leadership of Aryan Germanic culture.89 The new institution formed a marked contrast to the more than bizarre programmatic ideas and orders of Himmler. During the 1940s the Latinist Rudolf Till (1911–79) examined the Codex Aesinas, a document that was essential to the preservation of Tacitus’s Agricola and Germania. Hardly a trace remains of the work completed in that [329] institution by the professor of Greek studies Franz Dirlmeier (1904–77). With these classicists, Himmler won two young, respected scholars who were interested in the research possibilities opened up by the Ahnenerbe project. All this occurred within the framework of an institution that supported 84 St. Rebenich, Nationalsozialismus und Alte Geschichte. Kontinuität und Diskontinuität in Forschung und Lehre, in: I. Stark (Hrsg.), Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR. Beiträge von der Konferenz vom 21. bis 23. November 2002 in Halle/Saale, Stuttgart 2005, 58–61 (= Rebenich 2005). Many thanks to St. Rebenich for supplying this text in the conference version. 85 T. Wróblewska, Uniwersytety Rzeszy w Poznaniu, Pradze i Strassburgu jako model histlerowskiej szkoty wyzszej na terytoriach okupowanych, Toru’n 1984. 86 Cf. Th. Etzemüller, Kontinuität und Adaption eines Denkstils. Werner Conzes intellektueller Übertritt in die Nachkriegszeit, in: B. Weißbrod (ed.), Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zu Wissenschaftspolitik der Nachkriegszeit, Göttingen 2002, 123–146. 87 Rebenich 2005, 18–19 [s. Anm. 84]. 88 P. J. Junge, Die Aufgabe der Altertumswissenschaft im Osten, in: Deutschlands Erneuerung 16 (1942) 579–583. 89 Losemann 1977, 119 [s. Anm. 7].
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pseudo-scholarly projects and attracted well-known scholars, whose names, since then, have been connected with secret human experiments in the Second World War. Even though the project for a department of ancient history was never brought to fruition, Franz Altheim (1898–1976) became the leading „ancient historian“ in the Ahnenerbe. Himmler was interested in Altheim’s research on runes and petroglyphs – an undertaking that was also sponsored by Hermann Göring. Altheim, an especially gifted individualist, used his association with the Ahnenerbe extensively to support his travels, which he connected with military observation (voluntarily offered) and planned publications until the last days of the war.90 One way of assessing the nature and degree of engagement on the part of these three classicists is to examine their responses to the plan for a Rassenkundlich-Historisches Institut (RacialHistorical Institute) in Rome as submitted to the Ahnenerbe in 1939 by Miltner. Altheim was the only one who responded unambiguously in favor of the proposed „race-history“ approach. Dirlmeier, the philologist, was less enthusiastic, though he did recognize some rewarding prospects for a „Racial History of the Greco-Roman People“ in the plan. Till, on the other hand, could see no redeeming value for classical philologists in the plan, explaining that questions of race were really of no interest to classical antiquity. So there were indeed strong reservations towards a project that might have had top priority for Nazi-oriented classicists.91 Some importance was placed on studying antiquity in Rosenberg’s concept for a Hohe Schule. This project, which he developed from 1937 on, was to be an „alternative university“ in competition with Himmler’s Ahnenerbe.92 Within this context, Rosenberg managed to establish the professor of Greek, Richard Harder (1896–1957), at the University of Munich and as director of the Institute for Indogermanic Intellectual History in Munich (a branch of the Hohe Schule). Rosenberg gained a respected scholar in Harder, a pupil of Werner Jaeger and the editor of Gnomon, the preeminent review in the field. On Rosenberg’s orders, Harder developed the foundations of a [330] „genuinely racial intellectual history“. The institute’s first research project began in 1941 with an archeological survey in Greece. In a department of the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (E.R.R.), notorious for its theft of artworks, Harder led a small team of researchers working on epigraphy and topography in Greek history. Parallel to this, Rosenberg endeavored to break into the field of prehistory with a similar „special staff“ team installed at the Deutsches Archäologisches Institut in Greece – though, ultimately, his efforts were in vain. Apart from this war effort, there are only a few traces of the institute’s work in Munich. Among these are projects in the history of research, such as an appraisal of Franz Bopp (1791– 1867), founder of Indogermanic linguistics, or work on the literary estate of Victor Hehn (1813–90), which Harder regarded as a „piece of political research“, especially with respect to anti-Jewish tendencies. In his „intellectual war effort“, the Western perspective, the „Crisis of Europe“, was the point of focus. The very disparate approaches to the field of classics under Himmler and Rosenberg render any final conclusions difficult to ascertain, since these projects never developed beyond their preliminary stages. Nevertheless, some conclusions can be drawn about the varying degrees of cooperation, compromise, and personal disposition among the researchers and scholars 90 91 92
Losemann 1977, 123–132 [s. Anm. 7]. Losemann 1977, 132–139. R. Bollmus, Zum Projekt eine nationalsozialistischen Alternativ-Universität: Alfred Rosenbergs ‚Hohe Schule‘, in: M. Heinemann (Hrsg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule und Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, 125–152.
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involved. Because of their diverging concepts of antiquity, allying oneself for research purposes with Himmler or with Rosenberg was professionally problematic. Younger scholars like Dirlmeier und Till were primarily intent on enhancing their chances for career advancement. Originally, Altheim and Harder were lured in by generous financial support and good working conditions, but both of them soon became dangerously aligned with the extermination policies of the National Socialist state. Altheim’s connection with Himmler’s organization provided him with the opportunity to rescue a daughter of Karl Kerényi (1897–1973) from Auschwitz,93 hut Harder was forced to write a statement about the leaflets of the „White Rose“ resistance group in Munich.94 Another example of war-related work produced by classicists from various fields, was a teaching manual for the Adolf-Hitler-Schools advocating a National Socialist elite education, published by the archeologist Otto-Wilhelm von Vacano (1910–97), entitled Sparta – Der Lebenskampf einer Nordischen Herrenschicht (Sparta: The Fight for Life of a Nordic Master Race).95 Miltner praised this contribution [331] as the premier „educational aid“ of the classics for the Adolf-Hitler-Schools and it was here that representatives of the classics and members of the National Socialist ruling elite found some common ground (especially since Hitler was so prone to citing Spartan example).96 The authors were members or teachers at the educators’ academy of the Adolf-Hitler-Schools. Among them was Harder, working for Rosenberg’s Hohe Schule, who had translated elegies of Tyrtaios under the title Altspartanische Kampfreden (OldSpartan Battle Speeches).97 Berve contributed a paper on „The View of Spartan Warfare and Battle“. In view of the needs of the Adolf-Hitler-Schools, he glorified examples of sacrifice and heroic death: „There is no better fate, no higher fulfillment of life, than to die in orderly battle, fighting bravely for Sparta“.98 As already noted, Berve’s idealization of Sparta goes back to the Weimar period, when he took up the idea of a „dichotomy of Dorians and Ionians“. Already in his Griechische Geschichte (1931–33), a work that was considered exemplary in its time, he applied a racial approach to ancient history, a book Piero Treves described in 1965 as „storia prenazista“.99 The climax of Berve’s Sparta glorification was marked by his 1937 monograph on Sparta, in which he constructs the image of an „aristocratic“ Sparta whose innately Dorian nature was expressed in the enforcement of „race laws“, a conceptualization of Sparta that could easily be manipulated to justify the extermination of „life unworthy of living“. The volume was reprinted in 1944 and again in 1966 without the benefit of significant abridgements or redaction.100 By his own account, Berve delivered his „Sparta. An Indogermanic Warrior State“ on three separate occasions before audiences of officers and leaders of the Reichsarbeitsdienst (R.A.D., the 93 V. Losemann, Die Krise der Alten Welt und der Gegenwart. Franz Altheim und Karl Kerényi im Dialog, in: P. Kneissl / V. Losemann (eds.), Imperium Romanum. Festschrift für Karl Christ, Stuttgart 1998, 492–518 [Nr. 7]. 94 Cf. R. Lill et al. (eds.), Hochverrat? Die Weiße Rose und ihr Umfeld, Konstanz 1993. 95 O. Wilhelm von Vacano (ed.), Sparta. Der Lebenskampf einer nordischen Herrenschicht. Arbeitsheft der Adolf-Hitler-Schule, Kempten 1943 (= Vacano 1943). 96 Losemann 1998, 347 [Nr. 6] [s. Anm. 22]. 97 Cf. Vacano 1943, 47–52 [s. Anm. 95]. 98 Vacano 1943, 58. 99 Losemann 1998, 370 [Nr. 6] [s. Anm. 22]. 100 Losemann 1998, 340 [Nr. 6].
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compulsory labor service).101 His last Sparta speech was announced for 2 May 1945, two days before American troops reached Munich.102 Especially in the context of educating the National Socialist elite, Sparta obviously served as a model for the National Socialist concept for understanding antiquity and Berve’s views were very much congruent with Hitler’s repeated references to Sparta, which persisted up until the final hours of his reign.103 Berve was a spokesman for the classics and at the same time a confirmed Nazi who demanded total devotion to the war effort from his colleagues. As a representative of the classics and as rector of the University of Leipzig, he worked closely with the ministry, which enabled him (at least in some cases) to defend the [332] autonomy of the university, academic standards, and some of his threatened colleagues. Following his dismissal in 1945, he called attention to these activities and represented himself as a victim who had indeed offered opposition, an untenable defense, since Berve, as evidence has shown, was hardly an advocate of pure academic freedom.104 Berve and his school constitute a prime example of continuity from the Third Reich into postwar Germany (and the same can be said of the Weber School). This continuity is clearly legible in Berve’s attitude toward his own work: in 1951/52, when he issued the second edition of his Greek history (first edition 1931/32), he insisted that his perspective on Greek history had not changed in the twenty-year interim between publications. Arnaldo Momigliano (1908–87), who lost the greater part of his family in the Nazi concentration camps, welcomed the appearance of an Italian translation of Berve’s book in 1966 with the following statement: The translation seems useful to me, in that it acquaints us with one of the most prominent Nazi historians; it is entirely beneficial for us in Italy to have the opportunity to familiarize ourselves with Nazi historians in all phases of their development – full Nazism, pre-Nazism, and postNazism. Nazism is a phenomenon that must be studied in its original documents, only then can we understand how intellectuals of no minor ability became followers of a religion that erected its greatest cathedrals in Dachau and Auschwitz.105
In this context it is provocative to note that Momigliano himself was a member of a Fascist student organization and later of the Fascist Party, as attested by documents published in the 1990s.106 In Germany, the effects of Momigliano’s efforts to encourage an examination of the Nazi past with regard to the classics were not felt until much later, and they took hold in the G.D.R. before they had any impact in the F.R.G. The conventional wisdom concerning classicists at the time was that this involved the „silence and silencing“ of a whole generation, and this position was also adopted by the victims forced into emigration. The prominent ancient historian Jochen Bleicken (1926–2005) did not come out with his complaints about the silence of 101 Cf. Rebenich 2001, 473, n. 90 [s. Anm. 71]; cf. an unpublished lecture about Sparta held on 29 January 1936, 27 January 1942, and 9 April 1943 in Berve’s estate (Bayerische Staatsbibliothek Munich (B.St.B)) Ana 468. AII.2.2. 102 Losemann 1977, 231 [s. Anm. 7]. 103 J. C. Fest, Hitler. Eine Biographie, Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1973, 989. 104 Cf. Rebenich 2001, 478–479 [s. Anm. 71]. 105 Cf. K. Christ, Neue Profile der Alten Geschichte, Darmstadt 1990, 290. 106 R. Di Donato, Materiali per una biografia intelletuale di Arnaldo Momigliano, in: Athenaeum n. s. 83 (1995) 213–244; cf. St. Rebenich, From Thermopylae to Stalingrad: The Myth of Leonidas in German Historiography, in: A. Powell / St. Hodkinson (eds.), Sparta: Beyond the Mirage, London 2002, 334 with n. 92.
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his teachers’ generation until the late 1990s, when he was seventy years old. Over the years, he seemed to get the impression that even the persecuted Jewish scholars wanted to avoid talking about events before 1945.107 [333] The difficulties Karl Christ encountered when he sought to break through this wall of silence are indicative of how formidable this task was. At the end of 1968, Christ submitted an application to the Deutsche Forschungsgemeinschaft (D.F.G.) for funding of a project on the development of ancient history from the end of the First World War until 1945. His application was rejected immediately without consideration.108 Christ nevertheless carried out his program, which resulted in many publications. In his Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft (1982) and Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft (1999), he deals with the biographies of leading classics scholars.109 Some aspects of scientific policy are treated in my own doctoral dissertation, Nationalsozialismus und Antike (1977), which Christ supervised. Furthermore, the Swiss ancient historian Beat Näf’s 1986 doctoral dissertation, Von Perikles zu Hitler? Die athenische Demokratie und die deutsche Althistorie bis 1945, begins its historical analysis in the nineteenth century and continues through to the „Tyranny of Greece over Germany“.110 Cornelia Wegeler’s 1996 documentation of the history of Göttingen’s Institut für Altertumskunde from 1921 to 1962, a work that began as a student project designed as a kind of anti-festschrift on the history of the university in the Nazi period, revealed the merits of a broader investigation.111 Diemuth Königs wrote with great personal conviction in her dissertation submitted to the University of Basel in 1995, Joseph Vogt. Ein Althistoriker in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, a work that identified Vogt with the „architects of the annihilation“ – and which was greeted with anger by prejudiced reviewers.112 In 1998, in Zürich, a colloquium titled „Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus“ sought to establish preliminary conclusions about developments in Germany and Italy. Long before the 1998 Historikertag in Frankfurt, several attempts had been made to open the classical disciplines to scrutiny, but it wasn’t until the late 1990s that these efforts met with widespread resonance. Since then, some prehistorians have taken up the investigation of their subject. Borrowing its title from Gustav Kossinna’s famous formulation regarding an „outstanding national field of study“, a sizable volume of essays entitled Eine hervorragend nationale Wissenschaft was edited by Heiko Steuer and published in 2001.113 This same group of researchers
107 J. Bleicken, Althistorisches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstages von J. Bleicken, Stuttgart 1998, 249–250. 108 Cf. K. Christ, Zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte in Deutschland, in: GWU 22 (1971) 592–593. 109 Cf. n. 6 and 66. 110 E. M. Butler, The Tyranny of Greece over Germany: The Influence exercised by Greek Art and Poetry over the Great German Writers of the 18th–20th centuries, Cambridge 1935. 111 H. Becker / H.-J. Dahms / C. Wegeler (eds.), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapitel ihrer 250-jährigen Geschichte, Munich 1987, second ed. 1998. 112 Cf. B. Näf (ed.), Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus, Zürich 2001, 30. 113 H. Steuer, Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1945, Berlin 2001.
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had previously published a volume [334] entitled Prähistorie und Nationalsozialismus114 and has since extended its activities to investigate the beginnings of prehistory research in the whole of Europe. Particularly noteworthy is the German-French project in which archeologists from the museums of Metz, Strasbourg, and Trier created the exhibition entitled „Propaganda, Macht, Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus“ (2002).115 The exhibition takes into account, among other things, the activities of German archeologists in the occupied „western territories“ during the war. The press, alluding to Daniel Goldhagens famous expression, spoke of „Hitler’s willing archaeologists“. In my view, the history of prehistory reveals that in the National Socialist period classical archeology was in danger of being sidelined by this „outstanding national science“, and it would seem advantageous to briefly extend the period of investigation to include some aspects of the development of classics after the Second World War. What would someone like the National Socialist historian Hermann Löffler have included in his report were he charged with writing it today? He would have noted that, after a lengthy interim period, Berve was restored to academic service with a post at the University of Erlangen (Much the same could be said of Rudolf Till, who served Himmler). Berve rose to become director of the Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik in Munich from 1960 to 1967 and once again secured a leading position in his field. After the Second World War, the very mention of Sparta became virtually taboo in Germany. Berve encouraged and supervised only non-ideological works on that subject based on traditional source criticism. And yet, the papers from his Sparta seminars in the 1950s and 1960s demonstrate a remarkable continuity, with only minor changes in his reading lists since the National Socialist period.116 Paradigmatically, his favorite object of study was now Greek tyranny.117 Berve’s „Roman“ colleague Weber died in 1948 without ever returning to a university post. His students, however, remained extraordinarily influential. Vogt ventured into a new area of research in the F.R.G., ancient slavery, as a reaction to Soviet Marxist domination of this field. The students of Berve and Weber therefore are the successors in an uninterrupted line of descent connecting the National Socialist period with F.R.G. Reinhold Bichler’s provocative question of whether or not the field of ancient history experienced a genuine change in direction [335] in the newly established Federal Republic must be answered in the negative.118 Nor did we witness any renewal in East Germany before 1949; there, even under the Soviet occupation, there was no change in personnel. Scholars such as the philologist Johannes Stroux (1886–1954), the first rector of the Berlin (Humboldt) University, or the ancient historian Franz Altheim, after a brief period of antifascist, socialistic conformity, demonstrated remarkable ability to adapt to the new-old world.119 Once the many „bourgeois“ classicists had left the G.D.R., new organizational forms for the classics were found and the field’s presence in the universities 114 A. Leube / M. Hegewisch (eds.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuopäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–45, Heidelberg 2002. 115 H.-P. Kuhnen (ed.), Propaganda. Macht. Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus, Trier 2002. 116 Cf. estate H. Berve, B.St.B. Ana 468. AIV.1.10. 117 Cf. Christ 1999, 300–302 [s. Anm. 69]; Rebenich 2001, 486–489 [s. Anm. 71]. 118 R. Bichler, Neuorientierung in der Alten Geschichte?, in: E. Schulin (ed.), Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1965), Munich 1989, 63–86. 119 Cf. Losemann 2002, 322–323 [s. Anm. 37].
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diminished drastically. Not until after 1989 was there a renaissance of classical studies in the universities in East Germany. A conference about the role of classicists and ancient historians in the former German Democratic Republic held in November 2002 in Halle was opened by Stefan Rebenich with a lecture on „Nationalsozialismus und Alte Geschichte. Kontinuität und Diskontinuität in Forschung und Lehre“ (National Socialism and Ancient History. Continuity and Discontinuity in Research and Teaching). This comparative study offered many promising points of departure for understanding the role of classics and classicists in Germany in the twentieth century. Future research on this topic should include both the Weimar Republic and the 1960s in both parts of Germany. [336–340 umfassen in der Originalpublikation die Endnoten]
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Nr. 11 Originalpublikation in: H. Schneider (Hrsg.), Feindliche Nachbarn. Rom und die Germanen, Böhlau, Köln / Weimar / Wien 2008, 229–269.
Denkmäler, völkische Bewegung und Wissenschaft. Die römisch-germanische Auseinandersetzung in der Sicht des 19. und 20. Jahrhunderts [229] Das dritte Kapitel von Helmuth Plessners Klassiker „Die verspätete Nation“ trägt den Titel „Nicht Staat, sondern Volk. Der römische Komplex“. An seinem Ende markiert der Soziologe Plessner – es geht um das deutsche Staatsbewußtsein, das sich in der Geschichte, in „naturhafter Ursprünglichkeit“ zu verankern sucht – den Beginn der deutschen Geschichte, wie folgt: „Und wenn es sich, also das deutsche Staatsbewußtsein, stolz auf sein ewiges Barbarentum, gegen den älteren, glücklicheren, nüchternen Westen verteidigt, scheint es, als bildeten alle großen Aufbrüche deutscher Geschichte: der Krieg gegen Napoleon, Luthers Reformation, Widukinds Widerstand gegen Karl einen Kampf der Riesen gegen Rom, den Armin, der Cherusker, begann.“1
Im Zentrum der damit in großen Zusammenhängen angesprochenen römisch-germanischen Auseinandersetzung steht eindeutig der Arminius-Komplex, auf den ich mich in meinen folgenden Ausführungen konzentriere. Die dominierende Rolle der Geschichte des Arminius, des „Befreiers Germaniens“, im deutschen Geschichtsbild verengt, wie man schon lange gesehen hat, die Wahrnehmung der römisch-germanischen Auseinandersetzung in ihrer Gesamtheit: Die römische Erschließung und der Gewinn, bzw. die „römische Geschichte“ weiter Teile Südund Westdeutschlands geraten bei der Konzentration auf Arminius und die Varuskatastrophe im Teutoburger Wald sicherlich aus dem Blickfeld. Die römisch-germanische Auseinandersetzung kann in meinen Ausführungen keine sehr scharfen historischen Konturen erhalten. Es geht mehr um ihre Wirkung im 19. und 20. Jahr hundert in wissenschaftlichen Ansätzen, in der Denkmalslandschaft (wobei ich den Begriff Denkmal sehr weit fasse), in Historiengemälden und in der Literatur, die auch triviale Pro duktionen einschließt. [230] Tacitus und die Folgen: Arminius im älteren deutschen Geschichtsbild Die bis heute andauernde Suche nach der „Örtlichkeit“ der Varusschlacht (einschließlich der andauernden Diskussion um den Fundort Kalkriese) ist ein klassischer Ansatzpunkt des Interesses an der römisch-germanischen Auseinandersetzung in augusteischer Zeit, auf den ich aber nur am Rande eingehen kann. 1
H. Plessner, Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, Stuttgart 1959, 57. Das Buch war 1935 zuerst unter dem Titel ‚Das Schicksal des deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche‘ erschienen.
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Das ältere deutsche Geschichtsbild ist stark von den Vorgaben des römischen Historikers Tacitus bestimmt: Er lieferte die bekannte Formel von Arminius als dem Befreier Germaniens. Arminius war, so heißt es in den Annalen (2,88,2), nachdem Tacitus das Ende des einem Anschlag von Verwandten zum Opfer gefallenen Arminius geschildert hatte, der liberator haud dubie Germaniae. Zweifellos war er der Befreier Germaniens. An diese Vorgabe knüpft sich die weitverbreitete Vorstellung eines von Arminius angeführten Freiheitskampfes der Germanen gegen die Römer zur Zeit des Augustus. Im 37. Kapitel seiner Germania, auf die gelegentlich zurückzukommen ist, bringt Tacitus zweihundertzehn Jahre römisch-germanischer Auseinandersetzung auf die kurze Formel tam diu Germania vincitur: so lange schon wird Germanien besiegt! So lange, d. h. von den Kimbern- und Teutonenzügen am Ende des 2. vorchristlichen Jahrhunderts bis zum Jahr 98 n. Chr., als diese Worte geschrieben wurden. Kein anderer Feind von den Samniten bis zu den Parthem habe den Römern „öfter einen Denkzettel gegeben“ (saepius admonuere). So steht der Untergang des Varus und seiner drei Legionen in einer Reihe römischer Niederlagen und verlustreicher Kämpfe, die Tacitus bis in seine Gegenwart verfolgt: Gerade wieder (proximis temporibus) sind, wie der Historiker sehr bissig bemerkt, über die Germanen „mehr Triumphe gefeiert als Siege errungen worden“ (triumphati magis quam victi sunt). Tacitus möchte damit auf den Widerspruch zwischen den offiziellen Siegesmeldungen und der tatsächlichen Lage in Germanien, zwischen Anspruch und Wirklichkeit römischer Germanienpolitik aufmerksam machen. Damit bezieht er sich auf die römische Germanienpolitik am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. und auf die Reaktionen Roms auf die Varuskatastrophe. Wie die Rezeptionsgeschichte seiner Germania belegt, haben die suggestiven Formulierungen des Tacitus ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Historiker gibt eine Sichtweise vor, in der die römisch-germanische Auseinandersetzung einen besonderen Rang besitzt und mit der gleichsam der Grund für die Römer-Germanen- bzw. „Barbaren“-Antithese gelegt wird. Für die Bewertung der Varuskatastrophe spielt Tacitus, wie zu zeigen sein wird, eine Schlüsselrolle. Das für Tacitus’ Germania charakteristische „antithetische Vorstellungsschema“ (z. B. korrupte römische Gegenwart vs. strenges moralisches Verhalten [231] der Germanen) ermöglicht immer neue Aktualisierungen. Auch die „Arminius-Geschichte“ in Tacitus’ Annalen ist von einer „antithetischen Struktur“ bestimmt, die in den Gegenspielern des „Befreiers“ Arminius – in seinem romfreundlichen Schwiegervater Segestes, seinem in römischen Diensten stehenden Bruder Flavus, dem Markomannenkönig Marbod und dem unglücklichen Feldherrn Varus – zum Ausdruck kommt.2 Hierin dürfte einer der Gründe für die Wirkungsmächtigkeit dieses Rezeptionsprozesses liegen, der zur „stufenweisen Konstruktion nationalen Bewusstseins“ führt.3 Ausgelöst wird der Rezeptionsprozess durch die Wiederentdeckung der Schriften des Tacitus im 15. und 16. Jahrhundert. Nach dem Erstdruck der Germania (1470) beginnt ein spannungsgeladener Dialog zwischen italienischen und deutschen Humanisten, in dem es auch um den barbarischen Charakter der Germanen geht. Mit den 1515 gedruckten Annalen wird 2 3
D. Timpe, Die Schlacht im Teutoburger Wald: Geschichte, Tradition, Mythos, in: W. Schlüter / R. Wiegels (Hrsg.), Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese, Osnabrück 1999, 724. M. Werner, Die „Germania“, in: R. François / H. Schulze (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte III, München 2001 (= François / Schulze 2001), 574 (= Werner 2001).
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dann die Arminiusgeschichte zugänglich. Für den Rezeptionsschub des 17. und 18. Jhs. muss ein Hinweis auf Klopstock genügen. In Klopstocks „Hermanns-Bardieten“ (1769–1789) begegnet er als „aufgeklärter Diener seines Volkes“ und als „Wahrer deutscher Sprache und Sitte“. Die „nationale Leitfigur“ Arminius steht „am Beginn eines allgemeineren Germanismus“, der dann im 19. Jh. zu breiter Wirkung kam.4 Zur politischen Aktualisierung und Weiterentwicklung des Arminius- und Germanen komplexes in der Aufklärung gehört auch Montesquieus bekannter Blick „in die germanischen Wälder, in denen die Freiheit geboren wurde“ (1748 l’esprit des lois 11,6). Darin dürfen wir einen Hinweis auf das politische Potential des Germanenbildes sehen. Montesquieus Vorstellung von der Geburt der Freiheit in den germanischen Wäldern, die in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten rezipiert wurde, steht prinzipiell gegen die römische Staats- und Reichsidee.5 Im 19. Jahrhundert gewinnt die Arminius-Rezeption immer stärkere politische Bezüge. Den Impuls dafür geben die Herrschaft Napoleons und die Befreiungskriege, in deren „Lyrik“ Ernst Moritz Arndt (1769–1860) eine starke Rolle spielt. Seit seinem „Siegerlied Hermanns“ (1787) beschwor Arndt den Freiheitshelden immer drängender: „An der Schlacht im Teutoburger Walde“, so heißt es 1813 in der „Friedensrede eines Deutschen“, „hing das Schicksal der Welt, darum ist Hermann Weltname geworden; er ist nicht bloß durch das graue Alterthum und den Wahn der Zeiten Geheiligtes, nein, er ist etwas Ewiges und Wirkliches, weil ohne ihn vielleicht seit sechzehnhundert Jahren kein Teutsch mehr gesprochen würde.“6 Gerade mit dem letzten Satz lieferte Arndt eine vielfach aufgenommene Formel, in der die Leistung Hermanns zusammengefasst wurde. Arndt beschwört in diesem Kontext den Cherusker als ein Symbol der kommenden deutschen Einheit: „Deutsche, vergesset Hermann nicht; flehet die Vorsehung an [232] um einen solchen Mann und Befreier, weist eure Mitwelt und Nachwelt darauf hin, und er wird kommen, und ihr werdet ein Volk sein und ein freies und starkes Volk.“7 Zu den bekanntesten Stimmen neben Arndt gehört die von Fichte: In seiner achten „Rede an die deutsche Nation“ würdigt er die Leistung der „von den Römern Germanier genannten Deutschen“, ähnlich wie später Arndt: „Ihnen verdanken wir, die nächsten Erben ihres Bodens, ihrer Sprache und ihrer Gesinnung, dass wir noch Deutsche sind (...).“8 Neben Arndt und Fichte ist vor allem Heinrich von Kleist zu nennen. Seine 1809 entstandene Ode „Germania an ihre Kinder“ hat als Kleists „Haßgesang“ oder „Kriegslied der Deutschen“ eine eigene Wirkungsgeschichte bis ins Dritte Reich.9 Es ist ein flammender Aufruf zum Kampf gegen die „Franken“, den er an „Unbesiegtes Marsenblut, Enkel der Kohortenstürmer, Römerüberwinderbrut“ richtet.10 Zeitgenossen fühlten sich an die altspartanischen „Kriegselegien“ des Tyrtaios (7. Jahrhundert v. Chr.) erinnert.11 4 G. Unverfehrt, Arminius als nationale Leitfigur. Anmerkungen zu Entstehung und Wandel eines Reichssymbols, in: E. Mai / St. Waetzold (Hrsg.), Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich, Berlin 1981, 317 (= Unverfehrt 1981). 5 Werner 2001, 575 [s. Anm. 3]. 6 E. M. Arndt, Friedensrede eines Deutschen (1813), in: Geist der Zeit, 2. Teil, hrsg. v. H. Meisner, Leipzig 1908, 94f. (= Arndt 1813). 7 Arndt 1813, 95. 8 J. G. Fichte, Reden an die Deutsche Nation (1807/08), eingeleitet v. R. Lauth, Hamburg 1978, 137f. 9 H. C. Seeba, Hermanns Kampf für Deutschlands Not, in: R. Wiegels / W. Woesler (Hrsg.), Arminius und die Varusschlacht, Paderborn ³2003 (= Wiegels / Woesler 2003), 361 (= Seeba 2003). 10 H. v. Kleist, Sämtliche Werke, Bd. 3, hrsg. v. K. Müller-Salget, Frankfurt a. M. 1987, 426 (= Kleist 1987). 11 Kleist 1987, 1001.
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Die Verlagerung der Rezeption vom literarischen Bereich in die Öffentlichkeit der bürgerlichen Nationalbewegung spiegelt sich u. a. in der politisch begründeten außerordentlich späten Resonanz auf Kleists Hermannsschlacht.12 Für die politische Wirkung dieses 1808 geschriebenen Dramas, dem Thomas Mann „nationalistischen Furor“ attestierte, sprechen die folgenden Daten: 1809 verhinderte die österreichische Zensur eine Aufführung in Wien. Nach der Veröffentlichung aus dem Nachlass 1821 wurde das Stück 1860 zum ersten Mal gespielt. Zu breiterer Wirkung kam es seit der Reichsgründung 1871. Am Anfang des 19. Jahrhunderts begegnet wahrscheinlich erstmals die Gleichsetzung Arminius/Siegfried, und zwar bei dem Mörder August von Kotzebues, dem radikalen Burschenschafter Karl Ludwig Sand (1795–1820). Unmittelbar vor seiner Hinrichtung am 18. Mai 1820 bekannte sich Sand zu Hermann als dem „Erretter des Vaterlandes“. Er schlug ein Denkmal für Hermann und Siegfried vor, wobei man „diese Bilder (...) aber aus Granit hauen (sollte), der sich in den deutschen Urgebirgen findet.“13 Die langlebige und vieldiskutierte „Kontamination“ Arminius/Siegfried wurde seit 1837 von dem Sprachforscher Adolf Giesebrecht vertreten und ist auch im 20. Jahrhundert vielfach aufgenommen worden. Der Rezeptionsprozess wird aber auch, das gilt es hervorzuheben, immer schon von ironischer Distanz begleitet. Ich verweise zuerst auf Heinrich Heine, der in seinem Wintermärchen (1844) „die deutsche Nationalität (...) im Drecke“, d. h. im „klassischen Morast“ des Teutoburger Waldes siegen lässt (XI. Caput). Heine variiert in der ihm eigenen Art die Formeln Arndts und Fichtes: [233] „Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann, Mit seinen blonden Horden, So gab es deutsche Freiheit nicht mehr, Wir wären römisch geworden!“14
Auf seiner Harzreise trifft Heine schließlich auf einen „deutschen Barden“ aus Greifswald, der ihm anvertraute, dass er an einem „Nazionalheldengedicht zur Verherrlichung Hermanns und der Hermannsschlacht“ arbeite. Heine macht den „Barden“ mit „nützlichen“ Hinweisen „darauf aufmerksam, dass er die Sümpfe und Knüppelwege des Teutoburger Waldes sehr onomatopöisch durch wässrige und holprige Verse andeuten könne, und dass es eine patriotische Feinheit wäre, wenn er den Varus und die übrigen Römer lauter Unsinn sprechen ließe.“15 In ironischer Brechung erscheint die Geschichte Hermanns auch in Karl Leberecht Immermanns Roman „Münchhausen“, in dem es in dem Buch „Der Oberhof“ (1838) heißt, dass das „ganze deutsche Wesen“ „auf der Hermannsschlacht“ beruhe.16 Immermann glossiert im „Oberhof“ auch die bis heute nicht abgeschlossene Suche nach dem Ort der Varusschlacht. Er stellt einen Sammler vor, der erklärt, er „habe nun wahr und wahrhaftig den Ort gefunden, wo Hermann den Varus schlug“. Im Dialog mit seinem Widerpart, einem „Hofschulzen“, zieht der Sammler triumphierend einen Knochen hervor. Die trockene Antwort des Hofschulzen 12 K. von See, „Hermann der Cherusker“ in der deutschen Germanenideologie, in: Ders., Texte und Thesen. Streitfragen der deutschen und skandinavischen Geschichte, Heidelberg 2004, 74–76 (= See 2004). 13 Zitiert nach Unverfehrt 1981, 340 [s. Anm. 4]; vgl. I. Wiwjorra, Der Germanenmythos. Konstruktion einer Weltanschauung in der Altertumsforschung des 19. Jahrhunderts, Darmstadt 2006, 62. 14 H. Heine, Sämtliche Werke, Bd. 4, Hamburg 1985, 114. 15 H. Heine, Sämtliche Werke, Bd. 6, Hamburg 1973, 123. 16 K. L. Immermann, Münchhausen (Der Oberhof), bearb. v. J. Bab, Berlin 1924, 95 (= Immermann 1924).
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lautet: „Ein Kuhknochen, Herr Schmitz. Sie sind auf einen Schindanger gestoßen und nicht auf das Teutoburger Schlachtfeld.“17 In der Suche nach dem Schlachtfeld darf man wohl eine Art „Nebenkriegsschauplatz“ des modernen Interesses an der Varusschlacht sehen, das bis heute zu immer neuen Thesen führt. Hermannsdenkmal und Saalburg als Zeugnisse eines nationalen Geschichtsbildes „Brennpunkt“ der „römisch-germanischen Auseinandersetzung“ im 19. Jahrhundert ist das Hermannsdenkmal.18 Seine lange Planungs- und Baugeschichte zeigt vielseitige Deutungs- und Verwendungsmöglichkeiten. Hier geht es lediglich darum, die Impulse der Reichsgründungs zeit für die Germanenideologie hervorzuheben: „Die großen Gegensätze des Germanismus und Romanismus“, so heißt es in einer Mitschrift einer Vorlesung des Althistorikers Theodor Mommsen vom Wintersemester 1872/73, „die heute noch die Existenz der Welt bedingen, entwickeln sich ebenfalls in der Kaiserzeit: in ihr liegt die Wurzel dieses gewaltigen Problems.“19 Ganz offensichtlich hat Mommsen damit unter dem Eindruck des [234] deutsch-französischen Krieges in einem sehr weiten Sinn die römisch-germanische Auseinandersetzung in den Erfahrungshorizont des politischen Germanismus eingerückt.20 Diese Form des Germanismus wurzelt in einem international verbreiteten „kulturellen Germanismus“ – der Terminus ist uns schon in Bezug auf Klopstock begegnet. Unter dem Einfluss der Romantik und des Ringens um den Nationalstaat steigert sich seine „politische und geschichtsinterpretatorische Funktion“ (Th. Nipperdey) im 19. Jahrhundert, und er gewinnt die Qualität des politischen Germanismus, der für die Entwicklung der Germanenideologie wichtig ist. Als „wilhelminisches Siegeszeichen“ (G. Unverferth) diente das Hermannsdenkmal unter anderem der politischen Agitation gegen Frankreich. Der Deutungsimpuls der Reichsgründung fand starken Ausdruck in den Inschriften: Wie die gesamte Überlieferung der ArminiusGeschichte trägt auch das Denkmal einen „römischen Anstrich“. Dazu gehört eine lateinische Inschrift, die die berühmte Würdigung des Tacitus von Arminius, als dem „liberator Germaniae“, dem „Befreier Germaniens“ zitiert (Tac. ann. 2,88,2). In der Sprache des politischen Germanismus zogen drei weitere Inschriften die zweite „antirömische“, auch nach 1870/71 gegen Frankreich gerichtete Argumentationslinie scharf aus. Angebracht wurde schließlich ein Bildnis Kaiser Wilhelms I., der, so der Text ,seiner Inschrift‘ „welsche Macht und Tücke siegreich überwand (...) – Armin, dem Retter (...), gleich“.21 Damit waren der Kaiser und Arminius buchstäblich miteinander verschmolzen. Im Hermannsdenkmal konnte man den „wilhelminischen Arminius“ erkennen. Als Arminius zieht Kaiser Wilhelm I., wie eine bekannte Karikatur im Punch vom 11.3.1871 dokumentiert, in Paris ein (Abb. 1). Die offizielle Feier der „Übergabe des Denkmals an das deutsche Volk“ – darum sollte es ursprünglich gehen – fand am 16. August 1875 statt; sie stand ganz im Zeichen Kaiser Wilhelms I. 17 Immermann 1924, 93–95 [s. Anm. 16]. 18 G. Engelbert, Ein Jahrhundert Hermannsdenkmal 1875–1975, Detmold 1975 (= Engelbert 1975). 19 Th. Mommsen, Römische Kaisergeschichte. Nach den Vorlesungsmitschriften von S. und P. Hensel 1882/86, hrsg. v. B. und A. Demandt, München 1992, 67 Anm. 1. 20 H. Gollwitzer, Zum politischen Germanismus des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift für H. Heimpel zum 70. Geburtstag, Bd. 1, Göttingen 1971, 282–356 (= Gollwitzer 1971). 21 A. Dörner, Politischer Mythos und symbolische Politik. Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel des Hermannsmythos, Opladen 1995, 241f. (= Dörner 1995).
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Das von monarchischem und militärischem Zeremoniell stark geprägte Fest, die Siegesfeier für den im Gedicht besungenen „Arminius Wilhelmus“, trug einen stark ausgeprägten preußischprotestantischen Charakter. Die Frage bleibt, wie weit die im Denkmal des wilhelminischen Arminius angelegte „nationale Einheit“, die im kleindeutsch preußischen Kaiserreich erreicht worden war, die katholische Bevölkerung einschloss.22 Hier ist an den schon im frühhumanistischen Germanenbild angelegten „antirömischen Affekt“ gegen die römisch-katholische Kirche und an den sehr aktuellen „Kulturkampf“ zu erinnern. Für die Bewertung der römisch-germanischen Auseinandersetzung ist die konfessionelle Perspektive ebenso prägend wie der regionale Blickwinkel aus „norddeutscher“ oder „süddeutscher“ Richtung. Der wilhelminische Arminius stand in einem breiteren „germanischen“ Umfeld. Mit dem 1876 erstmals [235] geschlossen aufgeführten „Ring des Nibelungen“ werden hinter „Arminius/Hermann“ auch die Konturen des in der Reichsgründungszeit „heldisch“ aufgefassten Siegfried sichtbar.23 Zu den unmittelbaren Impulsen der Reichsgründung für die Arminiusrezeption gehört, um ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich zu nennen, die 1872 in Dresden uraufgeführte, von Heinrich Hofmann nach einem Text von Felix Dahn komponierte, „heroische“ Oper Arminius. Bei dem von dem Dirigenten Hans v. Bülow als „ultra-teutonisch“ bespöttelten Werk zeigte sich, „dass ein patriotischer Text noch längst keine nationale deutsche Kunst ausmacht, da das Werk ‚eindeutig‘ in der Tradition der französischen Großen Oper steht.“24 An Arminius Seite auf der Operbühne trat 1881 Thusnelda in Carl Grammanns (1842–1897) ebenfalls in Dresden uraufgeführter großer Oper „Thusnelda und der Triumphzug des Germanicus“. Die von dem „Traumpaar des deutschen Gründungsmythos“ verkörperten „männlichen und weiblichen Nationaltugenden“ sollten sich vor „dem Hintergrund des dekadenten Rom“ wirkungsvoll abheben.25 Felix Dahn lieferte mit seinem ab 1876 erscheinenden „Ein Kampf um Rom“ ein weiteres „Identifikationsangebot“ mit den Germanen.26 Zwischen 1870 und 1873 entstand der Arminius gewidmete Gemäldezyklus, den der bekannte Historienmaler und Kunstprofessor Peter Janssen (1844–1908) unter Verwendung taciteischer Motive für das Krefelder Rathaus fertigte. Janssen nahm dabei antike Motive auf und brachte die 16 n. Chr. über die Weser hinweg geführte „Wechselrede“ der streitenden Brüder Arminius und Flavus ins Bild. Er übertrug die von Tacitus (ann. 2,9–10) in eindrucksvoller Antithese gestaltete Szene gewissermaßen ins 19. Jahrhundert und traf, wie zeitgenössische Äußerungen belegen, die Gemütslage der Nation:27 Ein Zeitgenosse verspürte in Janssens [236] Bildern „eine Wucht und ein(en) flammende(n) Ernst“, so „als ob sie unterm Donner der Kanonen von Sedan gemalt wären“ (Abb. 2).28
22 Dörner 1995, 259. 23 K. von See, Barbar, Germane, Arier, Heidelberg 1995, 99 (= See 1995). 24 A. Forchert, Arminius auf der Opernbühne, in: Engelbert 1975, 57 [s. Anm. 18]; vgl. F. Dahn, Arminius. Heroische Opfer in fünf Aufzügen. Textbuch. Dichtung von F. Dahn, Berlin 1878. 25 B. Eichner, Eisenmänner und edle Völkerchöre: Die deutsche Nation auf der Opernbühne, in: C. Winschermann u. a. (Hrsg.), Geschichtsbilder. Berichtsband 46. Deutscher Historikertag in Konstanz 2007, 137. 26 Vgl. J. L. Simon, The Concept of Germanic Heroism in Felix Dahn’s Ein Kampf um Rom, in: Iceland and the Medieval World, Melbourne 1974, 101–115. 27 Vgl. D. Bieber, Peter Janssen als Historienmaler, Bonn 1979, 47 (= Bieber 1979). 28 Zitiert nach Bieber 1979, 47.
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Am Ende des 19. Jahrhundert wird die Erforschung der Römerzeit in Deutschland auf eine neue Grundlage gestellt: Mit der Gründung der Reichslimeskommission im Jahre 1892 setzt der „Wissenschaftsorganisator“ Theodor Mommsen „im Widerspiel von Zentralismus und Föderalismus“ die „Reichseinigung der Limesforschung“29 und deren „Verwissenschaftlichung“ durch.30 Förderung erfuhr die Limesforschung durch den für seine Altertumsinteressen und archäologischen Kenntnisse bekannten Kaiser Wilhelm II.31 Sein Interesse am Limes geht auf die Schulzeit zurück, in der er mit seinen Eltern Ausgrabungen unter anderem am Limeskastell Saalburg besucht hatte. In der mit maßgeblicher Unterstützung des Kaisers von 1900 bis 1907 wiederaufgebauten „Saalburg“ ist eine andere Blickrichtung auf die römisch-germanische Auseinandersetzung angelegt als im Hermannsdenkmal, die unter den Vorzeichen des „politischen Germanismus“ auf den ersten Blick befremdlich wirkt.32 [237] Näheren Aufschluss über seine Motive zu diesem Schritt gab der Kaiser, als er am 11. Oktober 1900 im Rahmen eines „römisch-wilhelminisch“ inszenierten Festes unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit den Grundstein für ein „Reichs-Limes-Museum“ legte.33 In der Gründungsurkunde wurde die „Römerveste“ auf der Höhe des Taunus relativ maßvoll als ein „Denkmal vergangener Herrschermacht und folgenreicher Kultureinwirkung“ gewürdigt, das das Verständnis für die Vergangenheit beleben und zu „weiterem Forschen“ anregen sollte. Diesem Tenor folgte zunächst die Rede des Kaisers: „Auf den Höhen des ragenden Taunus (ist) dem Phönix gleich aus seiner Asche emporgestiegen das alte Römerkastell, ein Zeuge römischer Macht, ein Glied in der gewaltigen ehernen Kette, die Roms Legionen um das gewaltige Reich legten, und die auf das Geheiß des einen römischen Imperators, des Cäsar Augustus, der Welt ihren Willen aufzwangen und die gesamte Welt der römischen Kultur eröffneten, die befruchtend vor allem auf Germanien fiel.“
Das war ein Blick zurück. Der Kaiser bot eine erstaunlich positive Einschätzung des Imperium Romanum, die Anerkenntnis des römischen „Weltherrschaftsberufs“ – bzw. ,,-anspruchs“ und römischer Kultur. Der anschließende Blick in die „Zukunft unseres deutschen Vaterlandes“ im nächsten Satz ließ freilich andere Perspektiven erkennen: Dem Vaterland sollte „es beschieden sein, (...) in künftigen Zeiten durch das einheitliche Zusammenwirken von Fürsten und Völkern, ihren Heeren und ihren Bürgern, so gewaltig, so fest geeint und so maßgebend zu werden, wie es einst das römische Weltreich war, damit es auch in Zukunft dereinst heißen möge, wie in der alten Zeit: civis Romanus sum, nunmehr: Ich bin ein deutscher Bürger!“34 29 H. Leppin, Die Römer in der Heimat zu suchen. Manuskript eines Vortrages auf dem Aachener Historikertag 2000. Hartmut Leppin ist dafür zu danken, dass er dieses Manuskript zugänglich gemacht hat (= Leppin 2000). 30 Vgl. R. Braun, Die Saalburg als Reichs-Limesmuseum? Die Gründung des Saalburgmuseums im Widerspiel von Zentralismus und Förderalismus, in: E. Schallmayer (Hrsg.), Hundert Jahre Saalburg. Vom römischen Grenzposten zum europäischen Museum, Mainz 1997 (= Schallmayer 1997), 55–59. 31 Vgl. W. Gutsche, Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. in Holland. Ein Kaiser im Exil, Marburg 1991, 68–82. 32 Vgl. Leppin 2000, 7f. [s. Anm. 29]. 33 J. Obmann / D. Wirtz, „Sie muß den Kaiser auf der Saalburg sehen.“ Die Grundsteinlegung des wiedererrichteten Römerkastells am 11. Oktober 1900, in: Schallmayer 1997, 33–54 [s. Anm. 30] (= Obmann / Wirtz 1997). 34 Obmann / Wirtz 1997, 41.
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Wilhelm II. nahm damit eine germanische Position ein: Als „civis Germanus“, als „Ger manischer Bürger“ mit römisch-imperialem Anspruch setzte er auf ein Weltreich von römischen Dimensionen, wobei eine expansive Aktionsart vorgegeben war.35 Der Auftritt des Kaisers auf der Saalburg fand rasch ein breites, sehr unterschiedliches Echo: So sprach man im Ausland etwa von „Megalomanie“.36 Die „Times“ äußerte sich in einem Leitartikel relativ scharf und ironisch (13.10.): Der Verweis auf das römische Weltreich als Vorbild des Deutschen Reiches könne als „Bedrohung des Weltfriedens“, vielleicht aber auch als „Wunsch nach Stabilität“ gedeutet werden.37 Die „neueste Rolle des civis Germanus“ wurde im Amsterdamer Wochenblatt karikiert. Regierungsnahe deutsche Blätter reagierten darauf gereizt und empfindlich: Die „wilhelminische imitatio der römischen Kaiser“ wurde aber auch im Inland deutlich kritisiert. Im freisinnigen demokratischen [238] Lager sprach man von einem „Zwing Uri“, welches bestimmt war, nicht nur den Limes zu schützen, sondern das ,Kattenland‘ in Unterwürfigkeit zu halten“ – so hieß es im Berliner Tageblatt vom 13.10.1900! Insgesamt glich die Inszenierung auf der Saalburg eher einem „historisierenden Theaterdonner“ als einem „altrömischen Fest“.38 Der Kaiser akzeptierte mit dem Aufbau des „wilhelminischen Gesamtkunstwerks Saalburg“ (E. Schallmayer) die Rolle Roms als „notweniger Kulturbringer“ auch für die Germanen. Er orientierte sich aber vor allem am vorbildlichen „Machtstaat Imperium Romanum“ und verlängerte die Traditionslinien des hohenzollerschen Kaisertums bis in die römische Kaiserzeit.39 Unter dem Vorzeichen des immer stärker werdenden politischen Germanismus, der im ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend von „Rassismus“ gestützt wurde, fiel die Identifikation gerade mit dem römischen Beispiel immer schwerer.40 Das Interesse Wilhelms II. an der Saalburg steht in einem Spannungsverhältnis zu der vom Kaiser selbst – nicht zuletzt im Dialog mit dem Rasseideologen Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) – geforderten Germanenverehrung. Dem Verfasser der „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ (1899) schrieb der Kaiser 1901 im kritischen Rückblick auf seinen altsprachlichen Unterricht am Kasseler Friedrichsgymnasium: „Das ist es doch nicht, das kann es nicht sein, was wir aus dem Hellenentum für die Förderung des Germanentums brauchen!“41 Festkultur und Wissenschaft: Völkische Weltanschauung und Germanenideologie Mit Chamberlain treffen wir auf einen der „wichtigsten Wegbereiter“ der völkischen Welt anschauung und Bewegung, deren Ursprünge ins Kaiserreich fallen, und die um die Jahr hundertwende schärfere Konturen gewann.42 Ihre Bedeutung für die weitere Ausbildung der 35 Vgl. M. Lemberg, CIVIS GERMANUS SUM. Wilhelm II. und seine Zeit im Friedrichsgymnasium Kassel, in: W. Heinemeyer (Hrsg.), Hundert Jahre Historische Kommission flür Hessen 1897–1997. Teil 2, Marburg 1997, 987–1016. 36 Vgl. E. Erdmann, Die Römerzeit im Selbstverständnis der Franzosen und Deutschen. Lehrpläne und Schulbücher aus der Zeit zwischen 1850 und 1918, Bochum 1992, 271. 37 Obmann / Wirtz 1997, 46 [s. Anm. 33]. 38 Obmann / Wirtz 1997, 47f. 39 Schallmayer 1997, 17 und Leppin 2000, 9 [s. Anm. 30 u. 29]. 40 Gollwitzer 1971, 319 [s. Anm. 20]. 41 Zitiert nach J. C. G. Röhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers 1859–1888, München 1993, 229. 42 Grundlegend dazu U. Puschner, Die Völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich: Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001 (= Puschner 2001); vgl. jetzt auch St. Breuer, Die Völkischen in Deut schland. Kaiserreich und Weimarer Republik, Darmstadt 2008.
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Germanenideologie43 ist außerordentlich hoch zu veranschlagen. Wie eine Reihe von prominenten Vorläufern zitiert Chamberlain bei der Bestimmung des Begriffs „Germane“ die „intuitiv richtige Einsicht“ des Tacitus, dass die Germanen „seit jeher ein besonderes, unvermischtes Volk bilden, welches nur sich selbst gleicht (Tac. Germ. 4).“44 Geschichte läuft für ihn als „Rassenkampf“ ab, in dessen Verlauf die Germanen das „Erbe der Alten Welt“ antreten. Im Ringen um die Freiheit tragen sie im „Völkerchaos“ der untergehenden Antike erbitterte Kämpfe mit der Kirche aus. Ihr schärfster Widersacher – darin zeigt sich die Sprengkraft dieser Konzeption – ist der Jude. Zwischen Germanen und Judentum tobt – so heißt es am Ende des ersten Bandes der „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ – ein Kampf „auf Leben und Tod“.45 [239] Das Beispiel des „Altvölkischen“ Chamberlain zeigt die Bedeutung der Rassenideologie für die völkische Weltanschauung. „Sprache-Rasse-Religion“ sind Schlüsselbegriffe der völkischen und der Germanenideologen.46 Wenn der engen Verbindung von Germanen- und Rassenideologien nachzugehen ist, so muss unter den „Anti“-Haltungen der „Völkischen“, wie Antiromanismus oder -slawismus auch der Antisemitismus eingereiht werden. Mit K. von See kann man geradezu von der bei Chamberlain fassbaren „antisemitischen Erweiterung der Römer-Germanen-Antithese“ sprechen, die in der zeitgenössischen Parole „Ohne Juda, ohne Rom bauen wir Germaniens Dom“ plastisch formuliert wurde.47 In der „völkischen Weltanschauungssprache“ (U. Puschner) findet die Abgrenzung von „römischen“ Einflüssen beinahe jeder Art starken Ausdruck: Deutsch- oder germanengläubige Anhänger der „Los von Rom“-Bewegung agitieren gegen die römisch-katholische Kirche oder das Christentum überhaupt. „Antirömische“ Argumentation bestimmte den langen Streit um „lateinische“ oder deutsche Schrift. Wenn etwa Herrmann von Pfister-Schweighusen als einer der Vordenker in der Schriftenfrage 1896 vom „großen Rassen-Streite im Welten-Ringen zwischen Germanen, Slawen, Romanen“ sprach und die „Stärkung des Volkstums“ forderte, deutet sich schon die „rassisch gewendete Germanenideologie“ an.48 Der klassische Ausgangspunkt ist, das gilt es hervorzuheben, wiederum die Germania des Tacitus. Abgesehen von dem schon erwähnten häufigen Rekurs auf die „Unvermischtheit“ (will sagen Rassereinheit) der Germanen, liefert der römische Historiker den Germanenideologen auch Hinweise auf äußere Rassenmerkmale. Die „Rassenhygieniker“ setzen sich mit seiner Beschreibung des „Volkslasters der Germanen“, der „Trinkfreudigkeit“, auseinander. Tacitus fungiert ebenso als Gewährsmann für die „völkische Weiblichkeitskonzeption“ und spielt eine zentrale Rolle in der facettenreichen Diskussion über die „Germanisierung der Religion“, wobei es auch zum Streit über die Auslegung der ansonsten „sakrosankten Urkunde für die anzustrebenden völkischen Werte und Normen“ kommt.49 43 Puschner 2001, 92–99. 44 H. St. Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, Bd. 1, 17. Aufl. München 1933, 551 (= Cham berlain 1933). 45 Chamberlain 1933, 632; vgl. V. Losemann, Rassenideologie und antisemitische Publizistik in Deut schland im 19. und 20. Jahrhundert, in: W. Benz / W. Bergmann (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus, Freiburg 1997, 317ff. 46 Puschner 2001, 15–17 [s. Anm. 42]. 47 See 2004, 300f. [s. Anm. 12]. 48 Nach Puschner 2001, 98 [s. Anm. 42]. 49 Vgl. U. Puschner, Grundzüge völkischer Rassenideologie, in: A. Leube (Hrsg.), Prähistorie und National sozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945, Berlin 2002 (= Leube 2002), 62.
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Dazu melden sich zahlreiche Gruppen und Zirkel zu Wort, von denen ich nur die nenne, die schon im Namen „germanische“ Akzente setzten wie der „Germanenbund Walhall“, der „Germanenorden“, der „Germanenorden Walvater“, die „Germanisch-deutsche ReligionsGemeins chaft“, die „Germanische Gemeinschaft“ oder die „Germanische Glaubens ge mein schaft“. Germanisch-nordische Anknüpfungspunkte prägten auch die „völkische Weltanschauungspresse“.50 Gerade die Anfangsphase der römisch-germanischen Auseinandersetzung ist für die völkische Bewegung in übertragenem Sinne konstitutiv: Der „Zeitweiser“ – das völkische Ersatzwort für den Kalender – hält drei Varianten neugermanischer Zeitrechnung bereit: Diese reichen von Stonehenge (1800 v. Chr.) über die [240] Schlacht von Noreia (gegen die Kimbern und Teutonen 113 v. Chr.) bis zur Varusschlacht 9 n. Chr.51 Mit der „völkischen Weltanschauungssprache“ korrespondiert die „völkische Bildersprache“, in der sich, so Klaus von See, eine „Theatralisierung des Germanenbildes vollzieht“:52 Im Kopftitel von „Heimdall“, der „Zeitschrift für reines Deutschtum und All-Deutschtum“, und von „Odin – Ein Kampfblatt für die alldeutsche Bewegung“ (Motto: „Durch Kampf zum Siege! Durch Reinheit zur Einheit“) begegnen „Theatergermanen“ zum Kampf blasend oder mit in einem in mythische Ferne weisenden Gestus (Abb. 3).53 Ein anderer Vertreter dieser Gattung reicht – es geht um die Titelillustration des 1908 von Adolf Bartels veröffentlichten Aufsatzes „Rassenzucht“ – Bismarck die Hand, im Hintergrund ist das Germania-Denkmal zu erkennen.54 Ein gemeinsames Attribut dieser Germanen ist ein Flügelhelm – ähnlich dem, den der Arminius auf dem Hermannsdenkmal E. v. Bandels trägt. Vereint treten auch die „völkischen Ikonen“ (U. Puschner) Arminius und Bismarck auf, genauer das erwähnte Hermannsdenkmal und das Hamburger Bismarckdenkmal, so auf einer Klebemarke des „Deutschbundes“.55 Die Frage „Was heißt germanisch?“ beantwortet Harald Grävell, ein Außenseiter unter den „Vordenkern der völkischen Bewegung“ im Juli 1900 wie folgt: „Germanisch heißt echt. In diesem einen Worte liegt alles zusammengefasst. Germanisch sein heißt keusch sein, heißt bieder sein, heißt treu sein, heißt gewissenhaft sein, heißt tapfer sein, gerecht, mitleidig, ehrenhaft, schlicht, einfältig und wahr.“56 Diese Charakteristik wird von der Physiognomie der beschriebenen „Theatergermanen-Bilder“ in hohem Maße bestätigt. Die Entwicklungslinien der Germanenideologie führen auch zur 1900-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald, im August 1909 in Detmold. Auch wenn [241] mit dem Kaiser ein wichtiges nationales Symbol fehlte, zeigt die breit entfaltete Festkultur und das reichsweite Echo, dass die Bedeutung dieser Inszenierung weit über den lokalen und regionalen Rahmen hinausging. Der lokale Bezug und die Integration des Bürgertums trat, so Charlotte Tacke, hinter den ideologischen und politischen Zielen auf nationaler Ebene zurück.57 Im Zentrum 50 51 52 53 54 55 56 57
Vgl. Puschner 2001, 98 [s. Anm. 42]. Puschner 2001, 42. See 1995, 116 [s. Anm. 23]. Puschner 2001, 34 (Abb. 3a und b) und 42 (Abb. 4) [s. Anm. 42]. Puschner 2001, 136 (Abb. 13). Vgl. Puschner 2001, 111 (Abb. 10). Zitiert nach Puschner 2001, 94. Ch. Tacke, Die 1900-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald 1909. Von der „klassenlosen Bürger gesellschaft“ zur „klassenlosen Volksgemeinschaft“?, in: M. Hettling (Hrsg.), Bürgerliche Feste: Symbole
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der Veranstaltung stand eindeutig der bekannte „Germanenzug“, der die „siegreiche Heimkehr der Deutschen“ nach der Hermannschlacht und ihren Empfang darstellen sollte: 900 „wackere Helden und minnigliche Frauen des germanischen Altertums in realistischer Anschauung“ (...) unter ihnen „Thusnelda, eine prachtvolle Frauengestalt in langem Blondhaar unter Eichbäumen thronend“, zogen an zwei Sonntagen bejubelt durch Detmold (Abb. 4).58 Der offizielle Festakt fand am Fuß des Hermannsdenkmals statt. Der Berliner Historiker Hans Delbrück (1848–1929), der Nachfolger Treitschkes, der in seiner „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ (1901–1921) der Schlacht im Teutoburger Wald breiten Raum gewidmet hatte, trat dort im Professorentalar eher im Stil einer Vorlesung auf. In seiner Festrede beschrieb er die Entwicklung der Germanen „von den Urwäldern und ihrer barbarischen Wildheit (...) bis zu den höchsten Gipfeln der Kultur“, einer Kultur, die aber eine Synthese von germanischem Geist, römischer Kultur und christlichem Denken darstellte. Arminius war ein politischer Führer, „feurig und doch zugleich von der Klugheit, die sich durch Feuer nicht hinreißen lässt“, der „höchste Kühnheit“ mit „tiefster Verschlagenheit“ verband, – das kommt dem ausgewogenen [242] Urteil Mommsens nahe.59 Die viel zitierte, nicht immer beifällig aufgenommene Würdigung des Arminius findet sich im 5. Band der „Römischen Geschichte“ Mommsens: Arminius ist für ihn „der tapfere und verschlagene und vor allen Dingen glückliche Führer im Verzweiflungskampf um die verlorene nationale Unabhängigkeit; nicht weniger aber auch nicht mehr.“60 Delbrück lieferte wohl kaum, wie das „Westfälische Volksblatt“ meinte, die allseits erwartete das „nationale Bewusstsein entflammende wahre Festrede.“61 Dieser Erwartungshaltung entsprach – und damit komme ich zur „Begleitpublizistik“ – der 1909 in der „Deutschen Rundschau“ erschienene Beitrag „Die Schlacht im Teutoburger Wald“ von Gottlob Egelhaaf (1848–1934). Der zutreffend als „süddeutscher Treitschke“ beschriebene Autor, der sich in dem „repräsentativem Nationaljournal“ (E. Leroy) „Deutsche Rundschau“ zu Wort meldete, verkörpert den bekannten Typus des „Gymnasialprofessors“, der in der Antikevermittlung und in der Arminiusrezeption eine Schlüsselrolle spielt.62 Einige Elemente seiner nationalistischen Interpretation sollen hier angesprochen werden: So setzte Egelhaaf die aus nationaler Perspektive problematische Bereitschaft der germanischen Führungsschicht zur „Romanisierung“ deutlich vom „sicheren“ Empfinden der breiten Masse der Germanen ab, die „das Eindringen des Römertums in voller Schärfe wie das eines Fremdkörpers empfand. Die Charakteristik des Varus zeigt, dass sich das Urteil von Egelhaaf seit 1886, als er sich zum ersten Mal mit dem Arminiuskomplex auseinandersetzte, erheblich verschärft hatte: In bösartiger Interpretation einer Florusstelle (Flor, epit. 2,30,31), die erstmals bei dem Humanisten Joh. Aventinus (1477–1534) zu finden ist, sagte er Varus nach, dass er politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, 192–230 (= Tacke 1993). 58 Tacke 1993, 212f. und P. Veddeler, Nationale Feste am Hermannsdenkmal in früherer Zeit, in: Engelbert 1975, 175ff. [s. Anm. 18]. 59 Vgl. V. Losemann, „Varuskatastrophe“ und „Befreiungstat“ des Arminius. Die Germanienpolitik des Augustus in antiker und moderner Sicht, in: M. Fansa (Hg.), Varusschlacht und Germanenmythos, Oldenburg ³2001, 32. 60 Th. Mommsen, Römische Geschichte, Bd. V, Berlin ³1886, 39f. 61 Dörner 1995, 266 [s. Anm. 21]. 62 V. Losemann, Nationalistische Interpretationen der römisch-germanischen Auseinandersetzung, in: Wiegels / Woesler 2003, 420 (= Losemann 2003).
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„nach germanischen Weibern lüstern“ gewesen sei. 1886 hatte Egelhaaf den Begriff libido noch mit „Willkür“ übersetzt!63 Arminius erkannte nun – und damit begegnen wiederum Topoi der Arminiusrezeption – die Gefahren der „Verwelschung“ und der „Entnationalisierung“, die er mit dem Sieg im Teutoburger Wald bannte. „Mit dem Sieg hatte er unsere Nationalität gerettet. Dass wir noch Deutsche sind“, – heißt es in dieser Fassung der uns von Arndt und Fichte bekannten Formel – „verdanken wir ihm.“ Dabei wird der Vorwurf des Verrats und der Treulosigkeit, die den „Lernprozess“ des Arminius begleiten, bezeichnenderweise mit der Kritik an der nüchternen Position Mommsens ausgeblendet.64 Egelhaaf hatte in der Tat den richtigen Ton für die Feier von 1909 getroffen, was sich daran zeigt, dass sich auch die katholische „Germania“ der geläufigen Rede von der Rettung der deutschen Nationalität in scharfer Ausprägung anschließen konnte. Man hat dies als Beleg für die „Konversion des Katholizismus zur nationalen Sache“ bezeichnet.65 [243] Egelhaaf wurde hier als Beispiel der breiten Begleitpublizistik zur 1900 Jahrfeier aufgeführt, in der wiederum Felix Dahn präsent war, die aber auch im Vaterländischen Jugendbuch Ausdruck fand. Dahns Beitrag zum Festchor von 1909 „Armin der Cherusker. Erinnerungen an die Varusschlacht“ endet mit dem Siegesgesang nach der Varusschlacht, dreistimmig für Schulchöre vertont. Hier gebe ich seine Antwort auf die Frage wieder „Warum sollen wir Armin feiern?“, bei der er sich kritisch mit der Romanisierung auseinandersetzt. „Was hätte es geschadet, wären auch wir verrömert worden? Dieser Auffassung liegt ein unlogisches Weltbürgertum zu Grunde, eine Verkennung der Bedeutung des Konkreten, hier des Nationalismus, gegenüber dem hohlen Begriffe „Menschheit“. Es gibt gar keine Menschheit, abgesehen von der Summe der Völker, in welchen allein die Menschheit sich darlebt. Wer seinem Volk am besten dient, dient der Menschheit am besten: einen „Menschen im allgemeinen“ hab ich noch nicht gesehn. Gewiß haben Mischvölker – Römer, Engländer, Franzosen – Ausgezeichnetes geleistet: ob auch eine Mischung von Römern und Germanen so gut ausgefallen wäre, ob die nur allzu empfänglichen Deutschen gegenüber dem Römischen ihre deutsche Art ausreichend gewahrt hätten, das wissen wir nicht. In Italien und Spanien ist das Germanische fast verschwunden. Aber jene weltbürgerlichen Herrn (und Frauen) würden es ja gar nicht beklagen, wäre das spezifisch Deutsche untergegangen und hätte es weder einen Schiller noch einen Kant gegeben. Wir anderen aber danken für Kant und Schiller und für Erhaltung unserer deutschen Art und Sprache Armin und der Varus-Schlacht.“66
Mit der Rede von den den „Deutschen“ entgegengesetzten „Mischvölkern“ folgt der als Dichter und völkischer Publizist sehr aktive Rechtsprofessor der Spur der rassisch gewendeten völkischen Germanenideologie. Ein eigenwilliges Arminiusportrait im Kontrast zu der Jubiläumsliteratur von 1909 lieferte Arthur Moeller van den Bruck (1876–1925) mit dessen Name die Rede vom „Dritten Reich“ (1923) verbunden ist. Sein „Armin“ von 1909 eröffnet in seiner „Deutschen Menschheits 63 G. Egelhaaf, Die Schlacht im Teutoburger Wald, in: Deutsche Rundschau 140 (1909) 411f. (= Egelhaaf 1909). 64 Egelhaaf 1909, 423. 65 Dörner 1995, 258f. [s. Anm. 21]. 66 Vgl. F. Dahn, Armin der Cherusker. Erinnerungen an die Varus-Schlacht im Jahre 9 n. Chr., München 1909, 43f.; ferner Prof. Dr. Jakob Nover, Hermann der Cherusker und die Freiheitskämpfe der Germanen gegen Rom, Berlin: Verlag Jugendhort 1909 (= Vaterländische Jugendschriften Bd. 8).
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geschichte“ die Reihe „scheiternder Deutscher“. Armin scheitert, weil er vor der endgültigen Einigung Deutschlands „in tragischer Erfüllung des deutschen Erbfluches“ von einem „Dolch stoß“ getroffen wird. Zum Ansatz Moeller van den Brucks gehört eine ausgeprägt (antiwestliche) Zivilisationskritik an Rom, die zumindest Spuren antisemitischer Stereotype enthält. Weil Armin „die Sinne von Wald und Wiese mitbrachte“, konnte er den „Verwesungsglanz“ und den „Fäulnisduft“ spüren, der schon über dem „Rom des Augustus“ lag. Dort begegnete ihm als „Durchschnittstyp des Römers der gierige Bankier.“67 [244] Zu dem nationalen Pathos der Beiträge zum Jubiläumsjahr 1909 bilden die einschlägigen Wertungen des Provinzialarchäologen Friedrich Koepp (1860–1949) einen starken Kontrast. Das in drei Auflagen von 1905 bis 1926 erschienene Standardwerk „Die Römer in Deutschland“ zeichnet sich durch einen unverkrampften, unvoreingenommenen Umgang mit der römisch-germanischen Auseinandersetzung aus. Die Gegenüberstellung von „römischer Zivilisation und germanischer Barbarei“ und die nüchternen Hinweise auf die für den Sieg über Varus mitentscheidenden naturräumlichen Faktoren belegen eine beträchtliche Differenz zum nationalistischen Germanenbild.68 Die von Koepp vertretene römische Provinzialarchäologie war in der 1902 gegründeten Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des Deutschen Archäologischen Instituts verankert, durch die das Arbeitsfeld der Limesforschung bzw. der Reichslimeskommission beträchtlich erweitert wurde. Die neue Institution hatte die satzungsgemäße Aufgabe, „die archäologische Erforschung derjenigen Theile des Deutschen Reiches, die dauernd unter römischer Herrschaft gestanden haben, mit Rath und That zu fördern.“ Dabei sollten aber auch die älteren, vorrömischen Epochen gleichermaßen berücksichtigt werden.69 Der ursprüngliche, auch von Mommsen seit 1890 verfolgte Plan für ein „vaterländisches archäologisches Institut“ kam nicht zum Tragen.70 Damit wurde die Vorgeschichte des nördlichen und östlichen Deutschlands von der RGK, die auch personell eher mit der Klassischen Archäologie verbunden war, weitgehend ausgeklammert. Im selben Jahr, in dem die RGK (1902) gegründet worden war, erhielt Gustaf Kossinna (1858–1931) eine außerordentliche Professur für „Deutsche Archäologie“. Kossinna repräsentiert die sich in einem Spannungsverhältnis zur Archäologie etablierende „nationalistische Vorgeschichtsforschung“ und zwar, wie I. Wiwjorra unter Verweis auf Vorläufer formuliert hat, als „Fortführer (und) nicht Begründer.“ 71 Im Dialog mit Alfred Götze (1865–1948) entwickelte er eine stammesgeschichtliche Kulturkreislehre, in deren Rahmen vor- und frühgeschichtliche Kulturprovinzen „ethnisch“ gedeutet wurden. Durch Gleichsetzung von „Kulturgebieten“ mit „Völkern“ konnte man „also durch archäologische Feststellung von Kultureinheiten ent67 Zitiert nach V. Losemann, Arminius und Augustus. Die römisch-germanische Auseinandersetzung im deutschen Geschichtsbild, in: K. Christ / E. Gabba (Hrsg.), Römische Geschichte und Zeitgeschichte in der deutschen und italienischen Altertumswissenschaft während des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. I, Como 1989, 140 (= Losemann 1989). 68 Zu Koepp vgl. Losemann 2003, 421ff. [s. Anm. 62]. 69 Vgl. Satzung der RGK 1901, in: 100 Jahre Römisch-Germanische Kommission, Bericht der RGK 82 (2001) 451. 70 B. Pinsker, Ferdinand Kutsch und der West- und Süddeutsche Verband für Altertumsforschung (1931– 1962), in: Nassauische Annalen 112 (2001) 497. 71 I. Wiwjorra, Die deutsche Vorgeschichtsforschung und ihr Verhältnis zu Nationalismus und Rassismus, in: U. Puschner u. a. (Hrsg.), Handbuch der „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München 1996 (= Puschner 1996), 197 (= Wiwjorra 1996).
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sprechende Volkseinheiten ermitteln.“72 Die Möglichkeit, auf diese Weise die Geschichte der Germanen gewissermaßen „nach rückwärts“ zu verlängern, erwies sich als außerordentlich attraktiv und bediente ein um die Jahrhundertwende stark verbreitetes „Bedürfnis nach gleichsam vorgeschichtlicher Repräsentation.“73 Entscheidend war die Frage, wann dieses bis heute weiterwirkende „Paradigma der ethnischen Deutung mit der Bewertung von Völkerschaften verknüpft wurde.“74 Der Schritt dahin war nicht groß, zumal Kossinna fest im „Netzwerk“ der völkischen Bewegung verankert war. Als „Mitglied vieler völkischer Vereine in Berlin“ wie dem „Alldeutschen Verband“, dem [245] „Deutschbund-“ oder der „Gobineau-Vereinigung“ war er auch in der völkischen Publizistik präsent.75 Der von ihm 1909 gegründeten Zeitschrift „Mannus“ hatte der bei Tacitus’ Germania 2 erwähnte Stammesvater der Germanen den Namen geliehen. Mit dem bekannten Vortrag von 1911 „Die Vorgeschichte als hervorragende nationale Wissenschaft“ lieferte „der unbestrittene Repräsentant der völkischen deutschen Vorgeschichtsforschung“ eine Programmschrift, die als Buch von 1912 bis 1941 acht Auflagen erlebte. Die Rede von der „hervorragend nationalen Wissenschaft“ war bei Kossinna seit 1892 vorgeprägt.76 Nicht weniger aussagekräftig ist sein seit 1913 dreimal publizierter Titel „Altgermanische Kulturhöhe“, der ebenfalls bis in die 40er Jahre verbreitet wurde. Die Aufgabe seiner Disziplin nahm Kossinna auch nach dem Ersten Weltkrieg wahr. Auf Wunsch nationaler Verbände verfasste er 1919 die Schriften „Die deutsche Ostmark, ein Urheimatboden der Germanen“ und „Das Weichselland, ein uralter Heimatboden der Germanen“, die der deutschen Delegation zu den Friedenverhandlungen in Versailles (erfolglos) mitgegeben wurden. Dieses aktuelle Argumentationsmuster war indessen in ganz Europa in den Grenzregionen verbreitet.77 Kossinna vertrat die Ansprüche der „hervorragend nationalen Wissenschaft“ in aggressiver Abgrenzung zur Provinzialarchäologie, deren Vertreter seither als „Römlinge“, gelegentlich auch als Anhänger der „Klassischen Afterwissenschaft“ attackiert wurden.78 Kossinnas „Entwicklung zum subjektiven Wegbereiter der nationalsozialistischen Ideologie“ (H. Grünert) kann hier nicht genauer verfolgt werden. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg ergänzte er seine siedlungsarchäologische Methode um rassengeschichtliche Bewertungen.79 Das Germanenbild der völkischen Bewegung Nach Kossinna, dem wichtigsten Vertreter der völkischen deutschen Vorgeschichtsforschung, stelle ich nun regionale Ausprägungen vor allem der völkischen Germanenideologie vor:
72 Zitiert nach A. Götze, Mannus. Zeitschrift für Vorgeschichte 24 (1932) 8. 73 H. Döbler, Die Germanen. Legende und Wirklichkeit von A-Z, München 2000, 283. 74 H. Steuer, Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, in: Ders. (Hrsg.), Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin / New York 2001, 4. 75 H. Grünert, Gustaf Kossinna – ein Wegbereiter der nationalsozialistischen Ideologie, in: Leube 2002, 311 (= Grünert 2002) [s. Anm. 49]. 76 Grünert 2002, 309 [s. Anm. 75]. 77 J. Callmer, Archäologie und Nationalsozialismus als Gegenstand der modernen Forschung, in: Leube 2002, 9 [s. Anm. 49]. 78 W. Pape, Zur Entwicklung des Faches Ur- und Frühgeschichte, in: Leube 2002, 170f. 79 Wiwjorra 1996, 198f. [s. Anm. 71].
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Zu deren Repräsentanten zählt der Kasseler Rechtsanwalt Dr. Franz Winterstein (1852– 1925). Winterstein verkörpert den Typ des völkischen „Multifunktionärs“: er war Mitglied des Alldeutschen Verbandes (und dessen Vorsitzender in Kassel 1900), des radikalen Deutschbundes, zeitweilig auch der Gobineau-Vereinigung und Koordinator des 1904 gegründeten „DeutschVölkischen Austausches“ (D.V.A.), der die Verbindung von Reichs- und Ausländsdeutschen und „allen Germanen des europäischen Festlandes“ fördern sollte, dazu gehörte [auf 246 ist in der Originalpublikation die Abb. 5] [247] gleichsam in „großgermanischer Perspektive“ auch die Eheanbahnung, vor allem zwischen den „fast reinrassigen Nordgermanen“ und „Deutschen“.80 Winterstein hielt zahlreiche Vorträge über „nationale Kultur“ und äußerte sich zur „gelben Gefahr“ ebenso wie zum „deutschen Drang nach dem Osten“. Zum in der völkischen Bewegung nahezu selbstverständlichen Repertoire Wintersteins gehörten aber auch „Germanenthemen“ im engeren Sinne. So hatte sich Winterstein durch photographische Wiedergaben von „Germanenstätten“ und kartographische Darstellungen der „Germanenheimat“ verdient gemacht, so etwa durch die 1899 in Kassel erschienene Germanentafel, auf der Fundstücke in einer Bandbreite von der älteren Steinzeit (8000–4000) bis zur Merowingerzeit gezeigt werden.81 Auf der Rückseite im Textteil geht es um „Darstellungen altgermanischer Gesittung“. Dabei begegnen die vertrauten Interpretationsmuster für die „römisch-germanische Auseinandersetzung“: Winterstein weist die Ansicht zurück, „unsere Vorfahren seien rohe Barbaren gewesen, als sie in den Gesichtskreis der Römer traten, ja noch bis zur Annahme des Christentums.“ Von der „germanischen Kulturhöhe“ werden – aus dem Blickwinkel des politischen Germanismus – die „Slaven“ deutlich abgehoben: „Wie unendlich tief darunter stehen die Hervorbringungen namentlich der slawischen Urzeit.“ Winterstein geht auch auf die Schlacht im Teutoburger Wald ein, in der „Armin mit Hülfe mehrerer Germanenstämme (...) den Hauptteil Deutschlands für immer vor dem römischen Joch (sicherte).“82 Den Rahmen bildet ein Bekenntnis zu den bedeutenden wissenschaftlichen und künstlerischen Leistungen der Germanen in der Gegenwart. In diesem Sinne sollte die Germanen-Tafel „unser völkisches Selbstbewusstsein stärken“ und Anregungen für die Kunst geben. „Denn“, damit schließt das germanische Bekenntnis Wintersteins, „an deutschem Wesen wird dereinst die Welt genesen.“83 Die „Germanentafel“ vermittelt einen guten Einblick in die völkische Bildungsarbeit (Abb. 5). Von den Chatten waren nur bescheidene Spuren aufzunehmen. Die Berufung auf sie als Stamm war vor allem deshalb attraktiv, weil sie sich als Verbündete der Cherusker im „deutschen Freiheitskampf“ im Teutoburger Wald und zudem am Limes im Kampf mit den Römern bewährt hatten. Rainer Kipper hat die regionale Dimension des Germanenmythos im Kaiserreich u. a. am Beispiel historischer Romane und Jugendbücher beleuchtet, in denen auch Chatten- und Cherusker-Schicksale begegnen. In verschiedenen Varianten geht es vor allem darum, „der regionalen Geschichte eine besondere Wertigkeit zuzuschreiben“ bzw. „geringe politische Bedeutung zu kompensieren.“84 80 81 82 83 84
Puschner 2001, 110 [s. Anm. 42]. F. Winterstein, Germanentafel, Kassel 1899 (= Winterstein 1899). Winterstein 1899, 2. Winterstein 1899, 4. R. Kipper, Der Germanenmythos im Deutschen Kaiserreich. Formen und Funktionen historischer Selbstt hematisierung, Göttingen 2002, 236 (= Kipper 2002).
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Die in diesem Genre bei weitem dominierenden Arminius-Romane tragen der RömerGermanen Antithese folgend einen ausgesprochen „konfrontativen“ [248] Charakter.85 In A. (d. h. Auguste) von der Elbes Erzählung „Astolf der Cherusker“ (Berlin 1898) erhält der junge Brukterer Ubbo von seiner Schwester Veleda folgenden Rat für den Umgang mit den Römern: „Dein Vaterland vom Feinde befreien, mit tapferem Arm das Haus schirmen, in der Feldschlacht unentwegt zu den Deinen stehen, den Führer deines Volkes mit dem eigenen Leibe decken, Kühnes, Gewaltiges, Heldenhaftes vollbringen, das ist’s, wofür die hehren Schlachtjungfrauen dich in ihre Arme nehmen und zum Freudenmahl nach Walhalla tragen!“86
Im Unterschied zu den Arminius-Romanen ist das Verhältnis zu den Römern in den Limesbüchern und -romanen wesentlich differenzierter, eher „integrativ“ gestaltet: Positiv gewerteten heroischen und tugendhaften „Altrömern“ stehen „dekadente, weiblich erschlaffte Neurömer“ gegenüber. Der „positive“ Typus des Germanen im römischen Militärdienst lässt sogar eine „kulturoptimistische Würdigung“ der zivilisatorischen Leistung der Römer im späteren Süd- und Westdeutschland zu.87 Andere Spuren der völkischen Bewegung führen nach Nordhessen, in das Waldecker Land, noch genauer in das „Upland“, d. h. in die als Skigebiete bekannten Regionen um Usseln und Willingen im nördlichsten Nordhessen zu einer besonderen Ausprägung des Hermannskultes am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Hier treffen wir auf einen bekannten völkischen „Vordenker und Führer“, auf Wilhelm Schwaner (1863–1944), einen der Gründerväter der „Volkserzieher Bewegung“ und der „Germanisch-Deutschen Religionsgemeinschaft.“88 Der 1863 in Korbach geborene Schwaner war von 1885–1887 Volksschullehrer u. a. in dem Uplanddörfchen Rattlar und hatte gerade angeekelt von der Tätigkeit als „Staatspädagoge“ den Schuldienst verlassen und wurde ein glühender Anhänger kulturkritisch-nationalreformatorischer Kreise bzw. Gruppen. Insbesondere war er den Ideen Moritz von Egidys (1847–1898) verbunden, der ein dogmenfreies nationales Christentum forderte. Nach journalistischer Tätigkeit gründete Schwaner 1897 die Zeitschrift „Der Volkserzieher“, zu deren Mitarbeitern u. a. Houston Stewart Chamberlain zählte. Diese Zeitschrift hat man als „Keimzelle“ der „Volkserzieher-Bewegung“ bezeichnet, die sich 1907 in dem „Bund deutscher Volkserzieher“, einem der wichtigsten Träger der völkischen Erwachsenenbildung mit engen Kontakten zur Landerziehungsbewegung (Hermann Lietz), organisierte.89 Damit hatte Schwaner sich, wie U. Puschner festgestellt hat, eine „hervorragend organisierte und funktionstüchtige Operationsbasis geschaffen“, die er gegen „Übernahmepläne“ erfolgreich verteidigte. Die Volkserzieher-Bewegung, die sich [249] zu ca. 75 Prozent aus der Volksschullehrerschaft rekrutierte, besaß eine erhebliche „multiplikatorische“ Bedeutung. Die Mitgliederzahl lag zwischen 7000 und 10000, die der Sympathisanten dürfte die Zahl 10000 überstiegen haben.90 Der Typus des Volkserziehers, zu dem der „Volksschullehrer“ ebenso wie die Träger der Erwachsenenbildung gehören, spielt in der Regional- und Lokalgeschichte ähn85 86 87 88 89 90
Kipper 2002, 191. Zitiert nach Kipper 2002, 191. Kipper 2002, 193. Puschner 2001, 239–240 [s. Anm. 42]. J. H. Ulbricht, Wilhelm Schwaner, in: Puschner 1996, 926 [s. Anm. 71] (= Ulbricht 1996a). Puschner 2001, 248f. [s. Anm. 42].
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lich dem oben erwähnten Typus des Gymnasialprofessors gerade auch in Bezügen der römischgermanischen Auseinandersetzung eine wichtige Rolle. 1904 hatte Schwaner die erste Auflage einer „Germanenbibel“ vorgelegt, ein „Bekenntnis-“ oder besser „Hausbuch“ seiner Bewegung. Es handelt sich um eine „Anthologie mit Auszügen aus Texten vor allem deutschsprachiger Dichter, Philosophen, Theologen und Staatsmänner“, die zunächst mit Luther begann. Erst in der sechsten, beträchtlich veränderten Auflage von 1936 (!) beginnt die Reihe mit Auszügen aus der Edda – am Rande kommt auch die Germania des Tacitus zu Wort. Folgen Sie mir nun in das Uplanddörfchen Rattlar. Südlich des Dörfchens erhebt sich der lang gestreckte Hermannsberg (705 m hoch), an dem die vorgeschobenen Besitzungen Hermanns des Cheruskers gelegen haben sollen. Schwaner bezieht sich auf eine – kaum nachweisbare – Sage, dass auf diesem Berg (im Volksmund Ermenlich; Berg des Irmin) schon in altgermanischer Zeit alljährlich zur Frühlingsgleiche die Feuer im Land loderten. Demnach wären die südlichsten Gebiete der Cherusker – und diese Variante wird auch in der Forschung vertreten – an der Diemel anzusetzen.91 [auf 250 sind in der Originalpublikation die Abb. 7 u. 8] [251] Angeblich hatte also hier „der Cheruskerhermann seinen südlichsten Besitz (...) hier nahm er den letzten Abschied von seiner blaublonden (d. h. mit den sog. arischen Farben geschmückten) Gattin Thusnelda – ehe sie durch den Verrat ihres unnatürlichen Vaters Segestes in die Hand der feindlichen Römer fiel“ (Segestes, der Schwiegervater des Arminius, hatte den Verschwörungsplan des Arminius/Hermann verraten – ohne aber bei Quinctilius Varus Gehör zu finden).92 Angesichts dieser Vorgeschichte des Platzes war es kein Wunder, wenn, so Schwaner weiter, „der geistesreligiöse Vaterlandstrupp der Selbst- und Volkserzieher um die Jahrhundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig“ (1913) tatsächlich aber schon 1912 „sich gerade hier mit eigenem Grundbesitz“ (Hermannsberg), einem „mit Sonnenrad gezeichneten Feueraltar und Runentor an der alten Osterklippe seßhaft machte.“93 Schwaner hatte den Hermannsstein aus Blöcken zusammensetzen lassen, die von Eisenbändern zusammengehalten wurden. Die Anlage war durch ein hölzernes Runentor (mit Hakenkreuzsymbolen) zugänglich und war am Fuß des Feueraltars von Tannen umrahmt (Abb. 6–8). Die Weihe erfolgte laut Urkunde am 26. Wonnemond im Jahr „1903 n. d. Teutoburger Schlacht“ und zwar „im Beisein von Vertretern des Armanenbundes, des Deutschen Ordens, des Deutschen Kulturbundes, der Wandervögel (und) der gesamten Uplandbevölkerung.“94 Der Schriftsteller und Maler Ludwig Fahrenkrog (1867–1952), der zeitweise zu den Weggefährten Schwaners zählte, unterzeichnete die Weiheurkunde mit der Parole „Germania erwache, sei frei“. Mehrfach wurde in den Unterschriften auch Wotan beschworen. Der Hermannsstein war künftig Bezugspunkt für Sonnenwendfeiern und gemeinsame Weihetage wie z. B. für Goethe, Bismarck und Wagner. Zur deutsch-religiösen Leseliste zählten u. a. Chamberlains „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“, Dahns „Walhalla“ und die „Edda“.95 Die gelegentlich auch als „Wotansweihe“ bezeichnete Weihe des Hermannssteins im Jahre 1912 verschärfte die Spannungen in der „deutschgläubigen“ Szene: Die religiöse Gemeinschaft 91 92 93 94 95
Nach W. Schwaner, Das Uplandbuch, Rattlar bei Willingen 1931, 11f. und 25f. (= Schwaner 1931). Schwaner 1931, 12 [s. Anm. 91]. Schwaner 1931, 26. Teilnachlaß W. Schwaner, Stadtarchiv Korbach, Kt. 4. Chr. Carstensen, Der Volkserzieher: eine historisch-kritische Untersuchung über die Volkserzieher Bewegung Wilhelm Schwaners, phil. Diss. Würzburg 1941, 62.
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der „Upländer“ zielte unter Schwaners Einfluss immer stärker in eine „deutsch-kristliche“ (christlich in diesem Falle mit „k“ geschrieben) Richtung, auch mit Rücksicht auf die „Volks erzieher“-Kreise. Daraus ergab sich eine zunehmende Distanz zu den „germanisch-gläubigen, neuheidnischen Kreisen um Fahrenkrog.“ Die „deutschkristliche“ Orientierung schließt einen ausgeprägten „antirömischen Affekt“ ein, letzten Endes ein Produkt der Römer-GermanenAntithese!96 Diese nach Schwaner „nun in Waldeck heimsassigen, netzartig über das ganze Reich verteilten Hermannssöhne (– so weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt –)“, bildeten ein für die völkische Organisationsstruktur außerordentlich typisches Netzwerk.97 [252] 1914 wurde an anderer Stelle des Dorfes Rattlar ein Bundesheim, das „Hermannshaus“, errichtet, das mit Runensaal und einer Ratsdiele ausgestattet war. 1931 wurde hierin das ganze „Aufbauwerk“ des Volkserzieherbundes verlegt. „Von dem jahrhundertelang vergessen gewesenen Uplande und Wald=Eck der Cherusker“ sollte der „geistesreligiöse Vaterlandstrupp“, oder so Schwaner, „die neue Hermannsschlacht der Geister ganz in der Stille“ vorbereitet werden.98 Der Plan zu einer „Volkserzieher-Siedlung“ geht auf den Bodenreformer und Siedlungstheoretiker Prof. Gustav Ruhland (1860–1914) zurück.99 Die Idee zu der Anlage des Hermannsteins stammt wohl von Ludwig Fahrenkrog, der schon 1907 fur den Bau eines Germanentempels „in bewaldeter Höhe“ zwischen „ragenden Tannen und Eichen“ geworben hatte.100 Eine Vorstellung davon kann ein (unsicher) auf die 20er Jahre datiertes Ölgemälde Fahrenkrogs vermitteln: „Hermann als Befreier“ steht auf einem Gipfel vor lichtem Hintergrund ungefähr in der Pose des Arminius vom Detmolder Hermannsdenkmal eingerahmt von Tannen. Am Fuß des Gipfels breitet eine mit Ketten gefesselte Germania ihre Hände aus.101 Der Rückzug Schwaners aus der lebensreformerisch-germanisch orientierten Vorstadtkultur in Berlin-Schlachtensee ist als eine Flucht aus der Stadtkultur in die germanischen Berge und Wälder zu deuten: „Und weil ich das bin (aus anderer Landschaft)“, so bekannte er 1912, „suche ich den Ausdruck meines Wollens und Schaffens hier, hier auf dem Berge, hier im Cheruskerlande! Nicht in Berlin, nicht in einem Restaurant oder Café oder Wohnzimmer. Ich will wirkliche Freiheit, nicht konzedierte Freiheit.“102 Wie Schwaner aus aktuellem Anlass 1931 feststellte, waren es die „Hermannssöhne“, die das „längst vergessene Licht- und Wärmesymbol des Geistes der Swastika, das uralte Hakenkreuz mit dem Sonnenzirkel, an den Kopf ihres Blattes“ (d. h. der Zeitschrift „Upland“) „setzten – ihren Feueraltar das Hohe Runentor damit schmückten – und damit“, so Schwaner weiter, „Ernst machten mit der geistig-seelischen Wiederbelebung des Deutschenvolkes.“103 96 97 98 99 100 101 102
J. H. Ulbricht, Völkische Erwachsenenbildung, in: Puschner 1996, 259 [s. Anm. 71] (= Ulbricht 1996b). Schwaner 1931, 26 [s. Anm. 91]. Schwaner 1931, 26. Ulbricht 1996b, 257–260 [s. Anm. 96]. Puschner 2001, 242 [s. Anm. 42]. Unverfehrt 1981, 335, Abb. 19 [s. Anm. 4]. Zitiert nach http://www.germanische-glaubensgemeinschaft.de/hochwarte.htm, S. 3 (letzter Zugriff am 1.5.2008) [Die in Rede stehende Homepage ist inzwischen unter http://www.germanische-glaubens-gemeinschaft.de erreichbar; 18.3.2016]. 103 Zitiert nach http://www.germanische-glaubensgemeinschaft.de/hochwarte.htm, S. 3 (letzter Zugriff am 1.5.2008).
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Wir brauchen nun die von Schwaner 1912/13 begonnene „Hermannsschlacht der Geister“ und die für die völkische Bewegung typischen Abspaltungen und Streitigkeiten zwischen den „germanisch“- oder deutschgläubigen Richtungen hier nicht weiterzuverfolgen. Ein „Deutschmeister-Orden“, in dem sich 1917 die bedingungslosen Anhänger Schwaners sammelten, bzw. die „Germanische-Glaubens-Gemeinschaft“ existiert anscheinend bis heute und ist im Internet präsent, wobei auch die Geschichte der Weihestätte „Hermannsstein“ vorgestellt wird. Das erwähnte Runentor ist offenbar um 1960 niedergelegt worden. Ob die „Hermannssöhne“ am Altar noch „praktizieren“, ist unklar. Das „Sonnenrad am Altar“, d. h. wohl das Hakenkreuz, ist heute entfernt. „Zwei dort ausgeschmiedete [253] eiserne Hämmer werden zuweilen entwendet und ersetzt.“ So heißt es aktuell auf der Homepage der „GermanischenGlaubens-Gemeinschaft“.104 Der Hermannsstein wird heute noch als Wanderziel ausgewiesen. Erhalten am Ort ist lediglich der von einem Eisenband zusammengehaltene Steinsockel. Jeglicher Hinweis auf seine frühere Funktion fehlt. Am Rande der alten Anlage steht noch ein Gedenkstein für prominente Anhänger der Volkserzieherbewegung. Im Grenzgebiet zwischen Cheruskern und Chatten in Nordhessen war ein buchstäblich „sagenhafter“ Bezug zur römisch-germanischen Auseinandersetzung im 20. Jh. zu fassen. Das Beispiel Schwaners verweist darauf, dass die völkische Bewegung in ihren zahlreichen Facetten einer der wichtigsten Träger der Germanenideologie ist. Die Arminiusverehrung in den völkischen Kreisen der Weimarer Republik Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches 1918 war dann der „große gefühlsmäßige Schwung“ der Arminiusverehrung, wie Harald v. Petrikovits formuliert hat, „gebrochen“.105 Insbesondere in völkischen Kreisen war Arminius aber durchaus präsent. Dies zumindest als Symbol oder eine Art Chiffre für Widerstand. Das mag das Titelblatt der „Frontkämpferzeitschrift“ „Arminius“ mit dem aussagekräftigen Untertitel „Kampfschrift für deutsche Nationalisten“ belegen, die zumindest zeitweise von Ernst Jünger mitherausgegeben wurde (Abb. 9).106 „Arminius“ war der neue Titel der verbotenen Zeitschrift „Standarte“. Mit der Übernahme der Herausgeberschaft distanzierte sich Jünger damals vom „legalistischen“ Kurs des Stahlhelms. Am Anfang der Weimarer Republik bot das Römer-Germanen-Thema im weiteren Kontext der Rheinlandbesetzung neue Möglichkeiten, die alte Frontstellung zwischen „Germanismus“ und „Romanismus“ an der Rheingrenze und am Limes zu beschreiben. Wenn bislang nationalistische Interpretationen dominierten, so ist darauf zu verweisen, dass die Begeisterung für Armin den Cherusker und die Germanen schon im Kaiserreich und dann auch in der Weimarer Zeit über die völkische Bewegung und entsprechende Kreise hinausging. Altertümliche „Germanenbilder“, die 1925 etwa im Festzug eines Bayerischen ArbeiterSängerfestes begegnen, sind nicht kurzschlüssig auf „den patriotischen Staatsbombast des Wilhelminismus“ zu beziehen. Symbole „germanischer Freiheit“ (wie die viel besungene Eiche) stehen durchaus nicht im „Widerspruch zu den sozialistischen Visionen“. In diesem Zusammen hang hat der Germanist [254] Henning Eichberg gezeigt, dass Gruppen der Arbeiterjugend 104 Vgl. Anm. 102. 105 H. von Petrikovits, Arminius, in: BJ 166 (1966) 175. 106 Vgl. H. Schwilk, Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben, München 2007, 302f.
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Mitte der 20er Jahre „auf den Spuren Armin des Cheruskers“ den Teutoburger Wald durchwanderten.107 So bildeten „frei“, „grün“, „Ahnen“ und „Walhalla“ einen „zwar romantischen, aber durchaus mit sozialistischen Hoffnungen stimmigen Zusammenhang“! „Proletarische Naturfreunde“ konnten sich schon um die Jahrhundertwende mit Programmen der „grünen“ Lebensreformbewegung identifizieren. Armin der Cherusker war also durchaus auch in der „proletarischen Festkultur“ präsent.108 Die im weitesten Sinne positive Einschätzung der Schlacht im Teutoburger Wald in diesen Kreisen dürfte auf Friedrich Engels zurückgehen. In seinem Beitrag „Zur Urgeschichte der Deutschen“ (1881/82) fand er hier „einen der entscheidendsten Wendepunkte der Geschichte“.109 Die Entwicklungslinie der NS-Germanenideologie spreche ich zuerst aus oppositioneller Perspektive an: In den bekannten Tagebüchern des Dresdner Romanisten Victor Klemperer (1881–1960) findet sich unter dem 31. März 1933 folgender Eintrag: „Statt Deutschland sollte man künftig Arminien sagen.“110 Mit seinem Umbenennungsvorschlag stand Klemperer ganz offenbar unter dem Eindruck des vor allem von dem NS-Chefideologen Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler ausgerufenen „Kampfes um die deutsche Vorgeschichte“ mit dem Ziel der „Germanisierung der deutschen Geschichte“.111 In diese Perspektive gehört auch eine Szene aus Lion Feuchtwangers Exil-Roman „Die Geschwister Oppermann“ von 1933. Dort zwingt ein nationalsozialistischer Oberlehrer einem halb-jüdischen Schüler das Vortragsthema „Was bedeutet uns Heutigen Hermann der Deutsche?“ auf. Der gewissenhafte Schüler [255] trifft bei seiner Lektüre auf Th. Mommsens Römische Geschichte, auf H. Dessaus Geschichte der römischen Kaiserzeit und auf den „deutsch-nationalen Historiker Seeck“ und relativiert in seinem Vortrag die Bedeutung der Hermannsschlacht. Mit dem Vorwurf „eine der hehrsten deutschen Taten durch platte rationalistische Kritik zu zersetzen“, treibt ihn der nationalsozialistische Lehrer in den Selbstmord.112 Dieser Lehrer zitiert übrigens „auswendig“, wie es bei L. Feuchtwanger heißt, „einige jener gewaltigen Verse irrsinnigen Hasses gegen die Weltschen“ – gemeint ist Kleists eingangs erwähnte Ode „Germania an ihre Kinder“.113 Nach der NS-„Machtübernahme“ wurde von dem „Verfasser der Hermannsschlacht Besitz ergriffen.“ Aus Kleist, der „Fackel Preußens“ (J. Maass), wurde ein „germanophiler Antisemit“.114 Ähnlich wie Klemperer äußerte sich der als Stadtplaner, Architekturkritiker und linksliberaler politischer Schriftsteller bekannt gewordene Werner Hegemann (1861–1936). Insbesondere das Kapitel „Frühgermanentum“ seines 1933 erschienenen Buches „Entlarvte Geschichte“, das alsbald ein Opfer der Bücherverbrennungen wurde, trug ihm von nationalsozialistischer Seite den Vorwurf des „Radauantigermanismus“ ein, eine Wortbildung, die offensichtlich vom 107 H. Eichberg, Kommen die alten Götter wieder? Germanisches Heidentum im 19. und 20. Jahrhundert – Zur Genese alternativer Mythen, in: B. Thum (Hrsg.), Gegenwart als kulturelles Erbe. Ein Beitrag der Germanistik zur Kulturwissenschaft deutschsprachiger Länder, München 1985, 136f. (= Eichberg 1985). 108 Eichberg 1985, 136f. 109 Zitiert nach W. M. Doyé, Arminius, in: François / Schulze 2001, 60 [s. Anm. 3] (= Doyé 2001). 110 V. Klemperer, Tagebücher 1933–1934, hrsg. v. W. Nowojski, Berlin ³1999, 17. 111 Vgl. V. Losemann, Aspekte der nationalsozialistischen Germanenideologie, in: P. Kneissl / V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte, Darmstadt 1988, 264 (= Losemann 1988). 112 L. Feuchtwanger, Die Geschwister Oppermann, in: Gesammelte Werke, Bd. 11, Berlin / Weimar 1988, 94 und 62 (= Feuchtwanger 1988). 113 Feuchtwanger 1988, 57f. 114 Zitiert nach Seeba 2003, 363 [s. Anm. 9].
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Begriff „Radauantisemitismus“ abgeleitet ist und in der das Grundmuster der vertrauten RömerGermanen-Antithese zu fassen ist. Hegemann vertrat in schärfster Ironie so etwas wie eine „(provinzial-)römische Position“: „Des Arminius anfänglicher Sieg im Verzweiflungskampfe gegen Rom hatte zum Verzweifeln böse Folgen für Deutschland östlich und nordöstlich des römischen Grenzwalles: Die Römer überließen künftig die Germanen östlich des Rheins ihrer Barbarei.“115 Arminius war „schuld daran, dass große germanische und slawische Gebiete der besseren Segnungen der römischen Kultur nicht teilhaftig geworden sind.“116 Die Germanenideologie im Nationalsozialismus Mit seinen kritischen Bemerkungen reagiert Hegemann auf das geradezu „ekstatische Ger manenbild“ (K. von See), das im Umfeld Rosenbergs verbreitet wurde. In diesen Kreisen gewann die Germanenideologie nahezu den Charakter einer „Staatsreligion“. Die nationalsozialistische Germanenverehrung korrespondiert mit einem ausgeprägten „antirömischen Affekt“. Die „Romfrage“, die in einem nicht vollendeten Handbuch zumindest angegangen wurde, lieferte Rosenberg das Stichwort für eine Auseinandersetzung mit der Katholischen Kirche und dem „jüdisch“ geprägten Christentum. Dabei sahen sich die großen Amtskirchen mit der Forderung nach „Regermanisierung“ des Christentums konfrontiert.117 [256] In diesen Kontext gehört schließlich der 1934 entbrannte „Streit um die Kulturhöhe der Germanen“, in dem u. a. die Germania des Tacitus als ein Schlüsseldokument der Germanenideologie „interpretiert“ wird. Zu den wichtigsten Kontrahenten zählt der Münchener Kardinal Faulhaber (186–1952). Er hatte die traditionsreiche Programmschrift des deutschen Nationalismus als Waffe gegen die z. T. sektiererische NS-Germanenideologie in seinen weit verbreiteten Predigten benutzt und offen auch die rassenpolitische NS-Gesetzgebung, konkret das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und die Praxis der Zwangssterilisierung, kritisiert. Gegen den Kardinal wurde Johann von Leers (1902–1965), einer der aggressivsten Vertreter antisemitischer Agitation, ins Feld geschickt. Leers war einem anderen „Germanenklischee“ verpflichtet als der Kardinal. Er insistierte auf den „positiven“ Aussagen der Germania und reagierte auf die Vertiefung des Barbarenvorwurfs äußerst gereizt.118 Von dem öffentlichen „Streit um die Kulturhöhe der Germanen“ und der extrem „antirömischen“ Argumentation der NS-Germanenideologen war auch die Interessenlage des faschistischen Italien berührt: Es war Mussolini selbst, der den Germanomanen deutlich antwortete: Wie er im September 1934 gegenüber französischen Parlamentariern bemerkte, erlaubten ihm „dreißig Jahrhunderte der Geschichte (...) mit überlegenem Mitleid auf gewisse Theorien jenseits der Alpen zu blicken, die von den Nachkommen eines Volkes vertreten werden, das zu einer Zeit, als Rom Caesar, Virgil und Augustus besaß, nicht einmal die Schrift kannte, um Zeugnisse seines Lebens zu überliefern.“119 Diese viel zitierte Äußerung des „Duce“ fiel in einer schwierigen Phase der deutsch-italienischen Beziehungen; sie belegt eine „esplosione giornalistica antigermanica“ in Italien im August und September 1934, in der die NS-Rassenlehre, 115 116 117 118
W. Hegemann, Entlarvte Geschichte, Prag ²1934, 21 (= Hegemann 1934). Hegemann 1934, 25. Losemann 1988, 265f. [s. Anm. 111]. A. Lund, Germanenideologie im Nationalsozialismus. Zur Rezeption der „Germania“ des Tacitus im „Dritten Reich“, Heidelberg 1995, 44f. 119 Zitiert nach J. Petersen, Hitler-Mussolini, Tübingen 1973, 370 (= Petersen 1973).
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ausdrücklich die Sterilisationspraktiken, der nordische Gedanke, antisemitische Äußerungen und die neugermanische Religiosität angeprangert wurden.120 „Jenseits der Alpen“ sahen sich die erbitterten Germanomanen wiederum von der „uralten Lüge von unserem nordischen Barbarentum“ verunglimpft. Nicht nur in der Gleichsetzung Germanen = Deutsche, sondern auch in der Gesamtaussage belegt Mussolinis Äußerung die Lebenskraft alter Klischeevorstellungen. Wenn er die zivilisatorischen Leistungen Roms und seine imperiale Tradition der „Kulturhöhe“ der Germanen gegenüberstellte, tat er das in Übereinstimmung mit Hitler, der zum Ärger der Germanomanen ganz ähnlich argumentierte. Für Hitler stellte die Antike so etwas wie eine „Idealzeit“ dar.121 Hauptakteur in dieser Auseinandersetzung war der von Rosenberg protegierte Prähistoriker Hans Reinerth (1900–1990), dem Fachkreise schon 1921 eine Hinwendung zu „nordisch“germanophilen Deutungsmustern attestierten.122 Reinerth, der sich 1931 Rosenberg angeschlossen hatte, gründete innerhalb des [257] NSDAP-„Kampfbundes für deutsche Kultur“ 1931 die „Fachgruppe Deutsche Vorgeschichte“, der sich auch in Opposition zur RGK überwiegend Prähistoriker aus Ost-, Mittel- und Norddeutschland anschlossen. Erfolgreich betrieb Reinerth 1933 die Gleichschaltung der Vereine für Vorgeschichte und Altertumskunde, um selbst zum Führer des „Reichsbundes für deutsche Vorgeschichte“, einer „Erweiterung“ von Kossinnas „Gesellschaft für deutsche Vorgeschichte“, zu avancieren. 1934 übernahm Reinerth den Lehrstuhl seines „geistigen Vorkämpfers“ Kossinna in Berlin.123 Der „Kampf um die deutsche Vorgeschichte“ wurde von Reinerth mit einer „Kampfansage gegen die römisch germanische Forschung“ eröffnet. „Wir werden uns entschließen müssen, die bis zum Überdruß durchforschte provinzial-römische Fremdkultur endlich ruhen zu lassen und alle verfügbaren Kräfte und Mittel der Erschließung unserer arteigenen Vorzeit anzuwenden.“124 Diese Forderung lief zunächst auf eine „de facto-Auslöschung der RGK“ hinaus. Darüber hinaus betrieb Reinerth mit aller Energie die Einrichtung eines vom Archäologischen Institut des Deutschen Reiches unabhängigen „Reichsinstituts für deutsche Vorgeschichte“.125 Eine weitere Perspektive der NS-Politik und Weltanschauung bietet die sogenannte großgermanische Politik. Konkrete Züge nahm die großgermanische Politik im Zweiten Weltkrieg mit der Besetzung Dänemarks und Norwegens im Jahre 1940 an: „So wie aus dem Jahre 1866 das Reich Bismarcks entstand“, ließ Hitler am 9. April 1940, am Tag des deutschen Einmarschs in Dänemark verlauten, „so wird aus dem heutigen Tage das Großgermanische Reich entstehen.“126 Die Lebens- und Großraumvisionen, die Hitler im Osten verwirklichen wollte, berührten sich eng mit den Vorstellungen Himmlers, der im Zweiten Weltkrieg im Osten immer größere 120 Petersen 1973, 370 [s. Anm. 119]. 121 F.-L. Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn 1998, 73. 122 R. Bollmus, Das „Amt Rosenberg“, das „Ahnenerbe“ und die Prähistoriker. Bemerkungen eines Histo rikers, in: Leube 2002, 24 [s. Anm. 49]. 123 K. Junker, Das archäologische Institut des Deutschen Reiches zwischen Forschung und Politik, Mainz 1997, 55 (= Junker 1997). 124 Nach G. Schöbel, Hans Reinerth. Forscher – NS-Funktionär – Museumsleiter, in: Leube 2002, 341 [s. Anm. 49]. 125 Junker 1997, 54 [s. Anm. 123]. 126 Zitiert nach H.-D. Loock, Zur „großgermanischen Politik“ des Dritten Reiches, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 8 (1960) 39.
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Radien großgermanischer „Rassen“- und Vernichtungspolitik zog. Er sah im Juli 1942 seine Aufgabe darin, „den Osten nicht im alten Sinn zu germanisieren, das heißt den dort wohnenden Menschen deutsche Sprache und deutsche Gesetze beizubringen, sondern dafür zu sorgen, dass im Osten nur Menschen wirklich deutschen, germanischen Blutes wohnen.“127 Diese kurz skizzierte Entwicklungslinie großgermanischer Politik mit ausgeprägten rassepolitischen Implikationen lässt erkennen, welche Sprengkraft der politische Germanismus nationalsozialistischer Provenienz besaß. Die Gegensätze zwischen der NS-Germanenideologie und dem „römischen“ Sendungsbewusstsein Italiens waren letztlich unüberbrückbar, auch wenn sie aus bündnispolitischen Rücksichten kurzfristig überdeckt wurden: In „diesem so genannten Europa Hitlerscher Auslegung“ konnte es, wie Paul Kluke formuliert hatte, auch für romanische Völker „kaum einen Platz“ geben.128 [258] Arminius im Geschichtsbild der Bundesrepublik Deutschland Nach dem Zweiten Weltkrieg schien Arminius nach einer Bemerkung von Dieter Timpe aus dem Jahre 1973 (!) einer „Entnazifizierung“ bedürftig zu sein.129 In der Region rund um das Hermannsdenkmal hatte man dazu kaum einen Anlass gesehen: Als typischer Vertreter nationalistischer Arminius-Rezeption hat der Detmolder Geschichts- und Lateinlehrer Hermann Kesting in der von 1950 bis 1984 weitverbreiteten Broschüre „Der Befreier Arminius im Lichte der geschichtlichen Quellen“ (in sechzehn Auflagen) Positionen eines „großgermanischen Rassenimperialismus“ mit Arminius verknüpft, die er bereits als Lehrbeauftragter an der Universität Münster in den 30er und 40er Jahren vertreten hatte. Ein einziger neuer Akzent kam in den 50er Jahren hinzu: Die Erinnerung an das Schicksal des Arminius sollte zur Wiedervereinigung beitragen.130 Nahezu ungebrochen verliefen die Kontinuitätslinien von den 40ern in die 50er Jahre auch in anderen pan- oder großgermanisch angehauchten Schriften zum Themenkreis Arminius/Siegfried, wobei internationale Verbindungen dieser „Kreise“ und Zirkel nach Groß britannien und Südafrika erkennbar wurden. Ganz ähnliche Linien ließen sich auch in der Rezeption der Germania des Tacitus in den 50er Jahren nachweisen. Die Grundmuster deutscher Germanenideologie (einschließlich ihrer nationalsozialistischen Varianten) sind zumindest in den 50er Jahren noch in den Werken bekannter Altertumswissenschaftler nachzuweisen.131 Wenn Reinhard Wolters davon ausgeht, „dass es nach dem 2. Weltkrieg in nahezu allen Bereichen der Germanienforschung zu einem Kontinuitätsbruch gekommen“ sei, ist das nur bedingt richtig.132 Abgesehen davon zeichnete sich aber am Ende der 60er Jahre in verschiedenen Bereichen, die für das Geschichtsbild prägend sind, ein Bewusstseinswandel ab, der auch für die fachwissenschaftliche Beurteilung des Arminius nicht ohne Folgen blieb. Den Einschnitt markieren in deutlicher Weise die 1970 publizierten Arminius-Studien von Dieter Timpe, die in ihrer Grundannahme gegen jede Heroisierung standen. 127 Nach J. Ackermann, Himmler als Ideologe, Göttingen 1970, 205. 128 P. Kluke, Nationalsozialistische Europaideologie, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3 (1955) 261. 129 D. Timpe, Neue Gedanken zur Arminius-Geschichte, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 42 (1973) 7 (= Timpe 1973). 130 Losemann 2003, 429 [s. Anm. 62]. 131 Vgl. Losemann 1989, 149 [s. Anm. 67] . 132 R. Wolters, Die Römer in Germanien, München 2000, 116.
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Der deutlich als hypothetisch gekennzeichnete Ansatz läuft darauf hinaus, dass Arminius als „römischer Offizier und nicht als Stammeshäuptling“ gegen den Legaten Varus rebellierte, dass er „abtrünnige Hilfstruppen“ und nicht „das Volk“ gegen die Römer führte. Demnach wäre die Schlacht im Teutoburger Wald kein „auf breiter Basis geführter Volkskampf gegen die aufgezwungene Fremdherrschaft“, sondern die „Folge einer Meuterei der germanischen Auxilien gegen die Legionen des römischen Rheinheeres.“ Das Hauptanliegen dieser Studie war es, nicht nur „die Probleme der Erhebung gegen Varus zu präzisieren“, sondern [259] auch „die Stellung dieses Vorgangs im modernen Geschichtsbewusstsein zu modifizieren.“133 Im Vorfeld der Vorbereitungen auf das 100-jährige Jubiläum des Hermannsdenkmals hat Timpe 1971 die Thesen seiner Arminius-Studien mit dem Bemühen um eine allgemeinverständliche Form in Detmold zur Diskussion gestellt. Seine verärgerten Vorbemerkungen im Abdruck dieses Vortrags lassen ahnen, auf welch erbitterten Widerspruch der Althistoriker bei dem Versuch der Revision des Arminiusbildes stieß. Sie kennzeichnen aber auch das lokale Umfeld germanophiler Schwarmgeister um das Hermannsdenkmal immerhin noch am Anfang der 1970er Jahre: Timpe sah sich der „Entrüstung jener Patrioten“ ausgesetzt, „die zwar mit sicherem Gefühl ,Nestbeschmutzung‘ konstatieren, wenn die Erörterung dieses Stoffs nicht vom vertrauten Luren-Schall untermalt wird, die aber wenig geneigt sind, einer wissenschaftlichen Argumentation zu folgen, die nicht ihre Mühlen treibt.“134 Für die „Arminiuspatrioten“, die offensichtlich den Verlauf der Diskussion bestimmten, war die Degradierung des „Freiheitshelden“ zum Meuterer eine Provokation. Als Wortführer der in der Lokalpresse geäußerten Kritik, die sich auch auf einen späteren Vortrag von Horst Callies zum Thema „Hermann der Cherusker. Legende oder Wirklichkeit?“ bezog, beklagte der eben erwähnte Hermann Kesting die „im Zug der Zeit liegende Ent heroisierung und Nivellierung“ und befand, dass man mit den beiden Althistorikern nur abwertende und negierende Stimmen habe zu Wort kommen lassen. „Abwertung des Arminius und des Freiheitskampfes“ war der Hauptvorwurf der insbesondere gegen Timpe erhoben wurde.135 Es bleibt die Frage, ob angesichts der geradezu erstarrten Heroisierung eine Vermittlung zwischen der Fachhistorie und den „Arminius-Patrioten“ überhaupt möglich ist. Das gilt nicht nur für wissenschaftliche Bemühungen um eine neue historische Interpretation des dürftigen Quellenbestandes, sondern auch für die Konfrontation dieser Kreise mit einer um Abbau von Klischees bemühten Rezeptionsforschung. Gleich, ob man den Hypothesen Timpes folgen möchte oder nicht, so ist der mögliche „Verlust an lebendigem Geschichtsbewusstsein“ geeignet, den Intentionen Timpes entsprechend, „die Forschung freier und unbefangener zu machen“, was wiederum „auch einen Gewinn für die wissenschaftliche Geschichtserkenntnis bedeutet.“136 In diesem Sinne markieren die Arminius-Studien einen wichtigen Einschnitt in der deutschen Arminius-Literatur. Die Reaktionen im außer- und vorwissenschaftlichen Bereich auf die Hypothesen Timpes erinnern an die Emotionen, die Eduard Nordens Werk ,Die germanische Urgeschichte in Tacitus’ Germania‘ 1920 in patriotischen Kreisen weckte: War doch mit dem Nachweis der [260] Abhängigkeit des taciteischen Germanenbildes von ethnographischen Vorläufern die Frage der 133 134 135 136
D. Timpe, Arminius-Studien, Heidelberg 1970, 140. Timpe 1973, 5 [s. Anm. 129]. H. Kesting, Schwankt Arminius-Bild in neuerer Geschichte?, in: Lippische Rundschau v. 12.12.1972. Timpe 1973, 7 [s. Anm. 129].
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„Glaubwürdigkeit“ des wichtigsten Gewährsmannes für das deutsche Germanenbild aufgeworfen worden. Das Echo in der Fachwissenschaft auf Timpes Ansatz zu einem neuen Arminiusbild nahm sich demgegenüber ermutigender aus – auch wenn ein älterer Gelehrter wie der Althistoriker Hans-Erich Stier (1902–1979) mit seiner kritischen Reaktion auf die Thesen Timpes dem alten nationalgeschichtlichen Denkmuster verhaftet blieb und die römisch-germanische Auseinandersetzung zur Zeit des Augustus mit der französisch-deutschen in napoleonischer Zeit verglich.137 Aufs Ganze gesehen wurde ausgehend von der Fachwissenschaft ein neuer Bewusstseinsstand erreicht, der auch in der Sachbuchliteratur den Abbau von Klischeevorstellungen förderte. Arminius in der Literatur der Deutschen Demokratischen Republik Spuren der Arminiusrezeption, auf die Martin Schierbaum aufmerksam gemacht hat, führen auch in die DDR. Unter dem Titel „Die Welt ist ein Schlachthaus“ – damit ist eine Formel von Alfred Döblin wiedergegeben – und mit dem Untertitel „Arminius und die Endspiele des Humanismus“ widmet sich der Autor der „Hermannschlacht“ von Kleist und Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“.138 Ich stelle vor allem den Ansatz Heiner Müllers kurz vor: Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“ entstand zwischen 1956 und 1971 und wurde 1977 veröffentlicht, 1978 in München uraufgeführt. Dabei werden in unterschiedlichen Kontexten „Serien von Agonie, Betrug, Morden und Selbstmorden“ inszeniert, wobei große Diktatoren und Feldherren von Caesar bis Stalin vorgeführt werden.139 In diesem Szenario kämpfen z. B. die Nibelungen gegen „imaginäre Hunnen“ und liefern damit das Schema für den Konflikt des Arminius mit seinem römerfreundlichen Bruder Flavus. Die einzelnen Szenen sind durch historische Einschnitte des 20. Jahrhunderts geprägt, so z. B. durch den Kessel von Stalingrad, die Gründung der DDR 1949 oder die Gefängniszelle mit Dissidenten des 17. Juni 1953. Uns interessieren die Szenen Brüder 1 und Brüder 2: In Brüder 1 zitiert Müller wörtlich die von Tacitus Annalen (2,9–10) geschilderte „Kampfrede“ der feindlichen Brüder über die Weser. Müller gibt dafür die auf die Kämpfe zwischen Arminius und Germanicus 16 n. Chr. bezogene Stellenangabe „Tacitus 0016“. Er greift damit die Szene auf, die, wie oben erwähnt, der Historienmaler Peter Janssen zwischen 1870 und 1873 nach Tacitus ins Bild gesetzt hatte.140 Die Parteinahme für Germanen (Arminius) und Römer (Flavus) ist bei Tacitus [261] durch Größe und Macht des Imperiums und die Verpflichtung für Vaterland, Erbe und Freiheit erklärt. Müller interpretiert diese Tacitusstelle als Beginn des Themas Bruder- und Familienzwists in der deutschen Literatur. Die Szene Brüder 2, die mit der Tacitusstelle bzw. Brüder 1 konfrontiert wird, spielt in einem DDR-Gefängnis nach dem 17. Juni 1953. Dort sitzt u. a. der Typ Nazi, in dessen Zelle der Typ Kommunist eingeliefert wird. Mit dieser Szene hinterfragt Müller nach der Interpretation 137 Losemann 2003, 431 [s. Anm. 62]. 138 M. Schierbaum, Die Welt ist ein Schlachthaus. Arminius und die Endspiele des Humanismus am Beispiel von Kleists Hermanschlacht und Heiner Müllers Germania Tod in Berlin, in: G. Lohse / S. Malatrait (Hrsg.), Die griechische Tragödie und ihre Aktualisierung in der Moderne, München / Leipzig 2006, 185–218 (= Schierbaum 2006). 139 Schierbaum 2006, 210. 140 Vgl. Bieber 1979 und Abb. 2 [s. Anm. 27].
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von M. Schierbaum die Begriffe Brüderlichkeit und Freiheit: Zwei durch zwei Diktaturen im selben Land gebrochene Brüder, der Nazi und der Kommunist, stehen sich wie Arminius und Flavus gegenüber. Die Aktualisierungen der Arminiusstellen bei Tacitus sollen in Heiner Müllers Kontext nicht für „nationalistische Interpretationen“ (so wie im Gemälde Janssens aus dem 19. Jh.) vereinnahmt werden. Vielmehr wird hierfür der aus der Heiner Müller-Forschung stammende Begriff des „Katastrophismus“, der den Humanismus ablöst, angewandt: Am Beispiel der Arminiusgeschichte soll das vereinfacht heißen, dass die Brüderlichkeit ein „Opfer des Zerstörungswerks der Systeme und Ideologien“ wird.141 Nach Schierbaum lässt sich das Katastrophismus-Modell auch auf Kleists „Hermann schlacht“, genauer auf die originären Intentionen Kleists übertragen: Etwa in der Extremsituation der Befreiungskriege „tritt an die Stelle von Menschlichkeit oder Nation die Dehumanisierung und Auslöschung, kurz die Katastrophe.“ Kleist und Müller weisen nach Schierbaum die „planen Deutungen“ der „konventionellen nationalistischen Interpretationstradition“ ab.142 Ob das für Kleist zutrifft, möchte ich offen lassen. Mir ging es darum, am Beispiel Heiner Müllers ausschnittartig auf die zweifellos vorhandene Arminiusrezeption in der DDR hinzuweisen, die auch in Jugendbüchern zu fassen ist.143 Zu deren Spuren gehören letztlich auch Aufführungen von Kleists Hermannsschlacht in der DDR. Dokumentiert ist, dass Walter Ulbricht 1956 mit Frau Lotte eine programmatische Aufführung im bekannten Harzer Bergtheater in Thale besuchte: Die Aufführung stand unter dem Motto „Die Römer sind die Amerikaner und Aristan“ (das ist bei Kleist ein Fürst der Ubier, der zu den Verbündeten des Varus zählte) „ist Adenauer“.144 Die Hermannsschlacht von Kleist im Theater der Gegenwart Von der DDR-Aufführungspraxis kann man freilich nur sehr bedingt zur bis heute spektakulärsten Inszenierung der Kleistschen Hermannsschlacht übergehen, die Claus Peymann 1982 in Bochum ablieferte: Damit wurde nach Matthias Matussek, [262] dem Chef der „Spiegel“Kulturredaktion, „Hermann hundert Jahre nach Kaiser Wilhelm zur Linken zurückgholt!“145 Das stimmt sicherlich so nicht – ich erinnere an den Hinweis von Henning Eichberg auf die „sozialistischen Visionen“ in der Weimar Republik.146 Matussek berichtet über eine Unterhaltung mit Peymann über seine Kleist-Inszenierung. Dort heißt es: „Er sprach kurz von den deutschen Befreiungskriegen und dann viel und lang von Franz Fanon (1925–1961) und den Guerilla kämpfern gegen die kolonialistische Unterdrückung in der Dritten Welt.“ Aus Hermann wurde endlich „Che Guevara“.147 Diese „linke“ Vereinnahmung Hermanns gilt freilich nicht für sein Denkmal: Im Jahr 2000 artikulierte sich im Internet (http:/www.junge-linke.de) und mit einer Massenzeitung die in Hannover ansässige „junge Linke“ mit dem Aufruf zu einer Kampagne 141 142 143 144
Schierbaum 2006, 213 [s. Anm. 138]. Schierbaum 2006, 214. Vgl. L. Renn, Hermin und Armin, Berlin (Kinderbuchverlag), 2. Aufl. o. J. So die Kommentierung des Bildes von L. u. W. Ulbricht, in: Burgtheater Wien (Hrsg.), Programmbuch Nr. 14 v. 20.2.1987 zur Inszenierung von Claus Peymann, 209. 145 M. Matussek, Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können?, Frankfurt a. M. 2006, 171 (= Matussek 2006). 146 Eichberg 1985, 136f. [s. Anm. 107]. 147 Matussek 2006, 171 [s. Anm. 145].
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„Das Hermannsdenkmal kann und muss und wird gesprengt werden“ (Untertitel: „Den Mythos angreifen, die Sache treffen!“), die bisher folgenlos geblieben ist. Text und Bildauswahl verweisen auf eine einlässliche Beschäftigung mit dem Hermanns-Mythos! Für die über die entsprechende Auseinandersetzung mit Arminius und der Germania des Tacitus hinausgehende „rechtsradikale Neuauflage der Arminius-Ideologie“ (G. Unverfehrt), blieb das Hermannsdenkmal ein wichtiger Bezugspunkt: Das dokumentierte ein Flugblatt der NPD zum 100-jährigen Jubiläum des Hermanns-Denkmals 1975. Darauf ist die Silhouette des Denkmals als „Symbol für Freiheit und Einheit“ über eine schematische Karte des geteilten Deutschland geblendet (Abb. 10). Noch drastischer dokumentiert wurde die rechtsradikale Variante durch einen Aufkleber „Ausländer raus“, den die inzwischen lange verbotene, im Detmolder Umfeld beheimatete „Nationalistische Front“ 1991 verbreitete (Abb. 11). [263] Im Kontext der 1989er Parole „Deutschland einig Vaterland“ kam es nicht zu einer neuen Vereinnahmung des Cheruskers. Der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom gelangte im November 1989 aus dem Berlin der „Wendezeit“ fliehend zum Hermannsdenkmal. Beim Anblick einiger Trabis auf dem leeren Parkplatz stellt er sich die Frage „Wenn Hermann ihr erstes Reiseziel war, jetzt, wo sie nach so vielen Jahren ihre Umzäunung verlassen durften, was bedeutete das?“148 Die Antwort müsste wohl lauten, dass die „Noch“-DDR- Bürger oder Trabi-Fahrer in erster Linie vom touristischen Interesse geleitet waren. Eine emotionale Bindung oder nationale Identitätssuche dürfte heute die wenigsten Besucher zu den Figuren der reichhaltigen wilhelminischen Denkmalslandschaft führen. Auch am möglichen neuen Ort der Varusschlacht bei Kalkriese scheint sich keine nationale oder nationalistische Identitätsstiftung zu vollziehen – dort scheint man eher dem Schicksal des Varus zugeneigt zu sein. In Erinnerung an Arminius und seine Germanen artikulierten sich vielmehr Befürchtungen unserer „Verbündeten“ zum Prozess der Wiedervereinigung: Unter der Frage „Anything to fear?“ blendete das Time-Magazin im März 1990 zunächst in den Teutoburger Wald, beschwor die Taten des „chieftain“ Arminius und zeichnete mit Sentenzen aus der Germania ein grobes Bild vom „furor teutonicus“ – auch dieses ein Beleg für die Lebenskraft der Arminiustradition.149 Was bleibt am Ende dieses Überblicks von dem „geschichtlichen Arminius“? Er behauptet mehr oder weniger symbolisch seinen Platz am Anfang der Deutschen Geschichte. Er gilt aber auch als anerkannter Deutscher „Erinnerungsort“ im übertragenen Sinn. In dem 2001 von Francois Etienne und Hagen Schulze [264] herausgegebenen dreibändigen Werk „Deutsche Erinnerungsorte“ beginnt der Abschnitt „Identitäten“ mit Beiträgen über die „Germania“ und „Arminius“. Darauf folgen die Artikel „Faust“, Friedrich der Große, Vornamen, Der Kultur bunker, die Nationalhymne und Beethovens Neunte. Der Arminius-Bearbeiter Werner M. Doyé (Jahrgang 1971) erinnert abschließend an den 2000 Jahre langen Kampf des Arminius gegen Rom – aus dem ich ihnen einen schmalen Ausschnitt präsentiert habe. Sehr zu Recht weist er darauf hin, dass fast alle europäischen Länder „antike Streiter“ für ihre „Nationalgeschichte“ gefunden haben, wie Vercingetorix, Boadicea, Civilis im propagandistischen Kampf gegen europäische Nachbarn.150 Er wagt dann 148 C. Nooteboom, Berliner Notizen, Frankfurt a. M. 1991, 139. 149 Time Magazine v. 26.3.1990, 12. 150 Doyé 2001, 602 [s. Anm. 109]; vgl. jetzt auch M. Reddé / S. von Schnurbein (Hrsg.), Alésia et la bataille du Teutoburg. Un parallele critique des sources, Ostfildern 2008.
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die Prognose, dass ein geeintes Europa andere Helden brauche und „dabei vermutlich auf das letzte real existierende gesamteuropäische Reich zurückgreifen (werde) – das antike Rom“ und schließt mit dem Satz „Ein später Triumph der Stadt am Tiber über den Befreier Germaniens.“151 Demgegenüber versucht Matthias Matussek Arminius/Hermann für die Gegenwart zu retten. Im Anschluss an die Feststellung, dass Hermann heute eine interessante Figur wäre, stellt er die folgende Frage: „Säße er bei Attac oder im Europäischen Parlament oder in Davos? Oder würde er eine Separatistengruppe anführen? Vielleicht genügt das Wissen, dass er nicht der schlechteste Beginn war.“152 [264–269 umfassen in der Originalpublikation die Endnoten] Anhang: Abb. 1–11 [Nicht von allen Abbildungen konnte eine Publikationserlaubnis eingeholt werden. Deshalb muss für die Abbildungen 1 und 10 auf die Originalpublikation verwiesen werden.] Abb. 1 „Arminius Wilhelmus“. Kaiser Wilhelm zieht als Arminius in Paris ein; Punch vom 11.3.1871. In der Originalpublikation auf S. 235 [vgl. auch R. Wolters, Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien, München 2008, 189, Abb. 22]. Abb. 10 NPD-Flugblatt aus dem Jahr 1975. In der Originalpublikation auf S. 262 [vgl. auch V. Losemann / B. Stiewe (Hrsg.), Arminius/ Hermann und die Deutschen. Ein nationaler Mythos. Ein studentisches Ausstellungsprojekt in der Universitätsbibliothek Marburg 30. April – 21. Juni 2009, Marburg 2009, 215, Abb. 2].
151 Doyé 2001, 602 [s. Anm. 109]. 152 Matussek 2006, 172 [s. Anm. 145].
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Abb. 2: Peter Janssen, „Flavus“. Die Brüder Arminius und Flavus 16 n. Chr. an der Weser [in der Originalpublikation auf S. 236]; Kunstmuseum Krefeld; Dauerleihgabe an das Lippische Landesmuseum.
Abb. 3: Kopftitel der Zeitschrift „Heimdall. Zeitschrift für reines Deutschtum und All-Deutschtum“ und „Odin – Ein Kampfblatt für die all-deutsche Bewegung“ [in der Originalpublikation auf S. 246].
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Abb. 4: Ansichtskarte zur 1900-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald in Detmold [in der Originalpublikation auf S. 241; vgl. M. Fansa (Hrsg.), Varusschlacht und Germanenmythos, Oldenburg³ 2001, 33, Abb. 2].
Abb. 5: Franz Winterstein, Germanentafel. Darstellung germanischer Gesittung (1899) [in der Originalpublikation auf S. 246; vgl. auch V. Losemann / B. Stiewe (Hrsg.), Arminius/ Hermann und die Deutschen. Ein nationaler Mythos. Ein studentisches Ausstellungsprojekt in der Universitätsbibliothek Marburg 30. April – 21. Juni 2009, Marburg 2009, 148, Abb. 1]. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Sa 935.
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Abb. 6: Titelseite des ersten Bandes der Zeitschrift „Upland. Germanisch-deutsche Religionsgemeinschaft“ mit Runentor und Hermannsstein aus dem Jahr 1912. Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein. Staatsarchiv Marburg, Teilnachlass W. Schwaner [in der Originalpublikation auf S. 249; vgl. auch V. Losemann / B. Stiewe (Hrsg.), Arminius/Hermann und die Deutschen. Ein nationaler Mythos. Ein studentisches Ausstellungsprojekt in der Universitätsbibliothek Marburg 30. April – 21. Juni 2009, Marburg 2009, 150, Abb. 3].
Abb. 7: Photographie des Runentors am Hermannsberg bei Rattlar; undatiert (vermutlich 1950er Jahre). Staatsarchiv Marburg, Teilnachlass W. Schwaner [in der Originalpublikation auf S. 250]
Abb. 8: Photographie des Hermannsteines auf dem Hermannsberg bei Rattlar; undatiert (vermutlich 1950er Jahre). Staatsarchiv Marburg, Teilnachlass W. Schwaner [in der Originalpublikation auf S. 250].
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Abb. 9: Titelblatt der Zeitschrift Arminius (1926) [in der Originalpublikation auf S. 254]. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Rx 400/15.
Abb. 11: Aufkleber der Nationalistischen Front (1991) [in der Originalpublikation auf S. 263]. LWL-Medienzentrale für Westfalen; A. Roerkohl, Das Hermannsdenkmal, Diaserie, Münster 1992, Nr. 9.; vgl. auch die farbige Abb. in V. Losemann / B. Stiewe (Hrsg.), Arminius/ Hermann und die Deutschen. Ein nationaler Mythos. Ein studentisches Ausstellungsprojekt in der Universitätsbibliothek Marburg 30. April – 21. Juni 2009, Marburg 2009, 216, Abb. 3.
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Nr. 12
Originalpublikation in: S. Rieckhoff / S. Grunwald / K. Reichbach (Hrsg.), Burgwallforschung im akademischen und öffentlichen Diskurs des 20. Jahrhunderts. Wissenschaftsgeschichtliche Tagung der Professur für Ur- und Frühgeschichte der Universität Leipzig, Leipzig 22.–23. Juni 2007, Universitätsverlag, Leipzig 2009 (Leipziger Forschungen zur Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie 5), 9–20.
Die „Zeitgeschichte der Alten Geschichte“ [mit nachstehendem Literaturverzeichnis]
[9] Zusammenfassung: Die Alte Geschichte befand sich als eine der im Wissenschaftssystem des 19. Jahrhunderts etablierten Leitdisziplinen seit Beginn des 20. Jahrhunderts eher in einer Defensivposition, die sie mit den übrigen Fächern der Klassischen Altertumswissenschaften teilte. Das unterscheidet die Ausgangslage des Faches von der der Prähistorie oder der eines gerade erst professionalisierten Faches wie der Psychologie. Im folgenden Beitrag werden die wichtigen Etappen der Zeitgeschichte der Geschichtswissenschaft am Beispiel des Faches Alte Geschichte beleuchtet mit einem Schwerpunkt auf der Entwicklung des Faches in der NS-Zeit. Im Vordergrund steht im ersten Teil die „Wissenschaftlergeschichte“, im zweiten Teil dagegen die Darstellung der „Forschungsgeschichte“. Schlagworte: Alte Geschichte, Klassische Altertumswissenschaften, Helmut Berve, Wilhelm Weber Abstract: Whereas Ancient History was one of the established main disciplines within the science system of the 19th century, it holds at the beginning of the 20th century a rather defensive position sharing it with other branches of the Classical Studies. Its precondition thus differed from the situation of Prehistory or those of only just professionalised disciplines like Psychology. In the following article the main periods of Historical Science in contemporary history are highlighted at the example of its subdiscipline Ancient History, emphasising the development of this subject in the time of National Socialism. While the first part centres a history of scholars, the second part concentrates on the history of research. Key Words: Ancient History, Classical Studies, Helmut Berve, Wilhelm Weber Beide Teile meines Beitrags, die Wissenschaftler- und die Forschungsgeschichte, lassen sich in unterschiedlicher Prägung unter dem Stichwort „Desaster in der deutschen Historiographie geschichte“ verbuchen. Die 1984 von Karl Ferdinand Werner geprägte Rede vom „Desaster in der deutschen Historiographiegeschichte“ markiert die Erweiterung der Interpretation, die der Mediävist mit seiner „Pionierstudie“ in dem Taschenbuch „Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft“ bereits 1967 vorgelegt hatte; damit beschreibt er zutreffend den Umgang der Mehrzahl der deutschen Historiker mit ihrer Vergangenheit von 1933–1945. Im Jahre 1967 kam Werner zu der These, dass „die Gleichschaltung der deutschen Uni versitäten gescheitert“ sei. Auch die Geschichtswissenschaft sei den Machthabern nicht „mehr
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und mehr“ verfallen: Die Entwicklung sei eher umgekehrt verlaufen: „Anfangserfolge des Systems konnten auf die Dauer nicht behauptet werden“ (Werner 1967, 61 u. 67). In seinem zweiten Interpretations-Anlauf sprach Karl Ferdinand Werner 1984 dann vom „Desaster in der deutschen Historiographiegeschichte“ über dessen „methodische und geistige Ursachen“ hätten die Fachgenossen, so Werner weiter, „noch nicht genug nachgedacht (...)“ (und zwar, Einf. V. L.) „schon allein darum, weil sie den bedrückenden Befund vielfach gar nicht erst wahrgenommen haben, der gerade auch manche bedeutenden Forscher dieser Jahre betrifft, und eben nicht allein die marginalen Kaum-Historiker, die sich offen zur Partei bekannten“ (Werner 1984, 356; Schöttler 1999, 13f.). Auf die hier unterschiedenen Gruppen wird noch zurückzukommen sein. Zunächst möchte ich versuchen, in Umrissen ein grobes Profil der althistorischen Disziplin in der NS-Zeit zu zeichnen – dies aus einer ungewöhnlichen Optik: Am 17. März 1941 hielt der SS-Obersturmführer Hermann Löffler (1908–1978) auf einer Tagung der Kulturreferenten des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) einen Vortrag über „Die Lage der deutschen Geschichts wissenschaft“, dessen Einleitung der Alten Geschichte gewidmet war. Löffler gehört zu den so genannten „Gegnerforschern“, einer Gruppe der „SD-Historiker“, die unter ihrem Mentor, dem [10] Neuhistoriker Günther Franz (1902–1992) u. a. an der Reichsuniversität Straßburg mit Promotion und Habilitation Karriere machten und eng mit Himmlers SS-Ahnenerbe kooperierten. Löffler konnte im Rahmen einer nicht so seltenen „zweiten Karriere“ seine Laufbahn 1962 als Geschichtsprofessor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg fortsetzen. Der Alten Geschichte, so beginnt Löfflers Vortrag, fielen „als Bindeglied zwischen Frühgeschichte und mittelalterlicher Geschichte (...) für die nationalsozialistische Weltan schauung wesentliche Aufgaben zu“: Vor allem sollte sich die Disziplin den Vorgaben der Rassen lehre entsprechend mit der Rolle der „nordischen Völker“, ihren „gewaltigen, Jahrtausende überdauernden Auseinandersetzungen mit den mittelmeerischen und orientalischen“ Kulturen „auf militärischem, politischem und geistigem Gebiet“ von der frühen Wanderungszeit bis zur Spätantike und der Übernahme des Christentums beschäftigen (Lerchenmüller 2001, 240). Der Referent des SD fand 1941 indessen nur wenige Historiker, die sich diesen großen Fragen widmeten: Mehr als die Hälfte der Professoren wurde – und dieses Urteil dürfte für viele Geisteswissenschaftler zutreffen – als „typische Einzelgänger“ eingestuft. Diese bewegten sich überwiegend „in den alten Bahnen der Fachwissenschaft oder bedienten sich gelegentlich billiger Schlagworte über Rasse und Volkstum“, ja sie „lehn(t)en sogar die Möglichkeit rassischer Geschichtsbetrachtung im Altertum als unmöglich ab“ und hemmten „unter dem Deckmantel strenger Methodik und Kleinarbeit die weltanschaulich ausgerichtete Geschichtsbetrachtung“, die „insgeheim“ abgelehnt wurde (Lerchenmüller 2001, 242f.). Dieser weitgehend negative Befund von 1941 ähnelt stark einer Zwischenbilanz aus dem Jahre 1938. In dem Jahreslagebericht des RSHA kam man zu folgendem Ergebnis: „Auf dem Gebiete der alten und mittelalterlichen Geschichte sind keinerlei Vorstöße im Sinne eines nationalsozialistischen Geschichtsbildes zu verzeichnen. Die Forscher begnügen sich vielmehr, alte wissenschaftliche Enzyklopädien weiterzuführen und für die Aufhellung einzelner Epochen neue wissenschaftliche Beiträge zu liefern“ (Losemann 1977, 178). Von diesen Verhaltensweisen, die zweifellos zu belegen sind, hoben sich aus der Sicht des SD im Jahre 1941 indessen im Fach Alte Geschichte zwei voneinander völlig unabhängige „Schulen“ ab, die ein schärferes ideologisches Profil besaßen.
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Die „Zeitgeschichte der Alten Geschichte“
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Zum einen die des Berliner Althistorikers Wilhelm Weber (1882–1948): Von Webers älteren Schülern waren Victor Ehrenberg (1891–1976), Joseph Vogt (1895–1986) und Fritz Taeger (1894–1960) schon in der Weimarer Republik zu Ordinarien aufgestiegen. Ehrenberg mußte wegen seiner jüdischen Herkunft 1939 von Prag nach England fliehen. Vogt und Taeger öffneten sich später durchaus der NS-Rassenlehre. Gewürdigt wurden vor allem die jüngeren Schüler Webers, deren Arbeiten „besonders deutlich die weltanschauliche Ausrichtung zeigten“. Webers Schüler Johannes Straub (1917–1996) absolvierte geradezu eine „Musterkarriere“ neuen Typs: Er siegte zweimal (1936 und 1937) mit Gemeinschaftsarbeiten im sog. „Reichsleistungskampf der deutschen Studenten“, die die Grundlage seiner Dissertation bildeten (Lerchenmüller 2001, 240f.) und konnte nach der Habilitation 1944 eine Professur in Erlangen übernehmen. Die älteren Schüler Webers – auch das hielt der SD-Beobachter fest – hatten als Rektoren und Dekane wichtige Führungspositionen an den Universitäten und im NS-Wissenschaftsbetrieb übernommen. Das galt auch für Helmut Berve (1896–1979), der u. a. von 1940–1943 als Rektor in Leipzig wirkte und die zweite, vom SD ausgemachte einflussreiche althistorische Schule anführte. Bei ihr trat nach Meinung Löfflers freilich „die umfassende weltanschauliche Fragestellung weniger hervor“ als bei der konkurrierenden Weber-Schule. Vor allem bewegte sich der „Bervekreis“, wie kritisch angemerkt wurde, „in einer keineswegs von klassizistischen und humanistischen Ideen freien Geschichtsbetrachtung“ (Lerchenmüller 2001, 242). Das erinnert an Äußerungen der „Programmdebatte“ unmittelbar nach der Machtergreifung, in der auch Berve und Weber sich als Aktivisten und Leitfiguren des Faches hervorgetan hatten (Losemann 1980 [Nr. 1]). [11] Die Schüler Helmut Berves, von denen Alfred Heuß (1909–1995) und Hans Schaefer (1906–1961) hervorzuheben sind, wurden wissenschaftlich und politisch in der Weimarer Republik „sozialisiert“ und zwischen 1933 und 1945 habilitiert. Die „Wurzeln“ der Weber Schule reichen bis in das Kaiserreich bzw. in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück. Zum Fachmilieu der Alten Geschichte gehörten auch Anhänger Stefan Georges, so der den in der SD-Terminologie sogenannten „unpolitischen Freunden Georges“ zugerechnete, später an die Reichsuniversität Straßburg berufene Althistoriker Alexander Graf von Stauffenberg (1905–1964), der Bruder der Widerstandskämpfer Claus und Berthold von Stauffenberg. Auf den „Anderen Stauffenberg“ und die enge Verbindung zwischen Altertumswissenschaftlern und dem Georgekreis hat Karl Christ in seinem letzten Buch aufmerksam gemacht (Christ 2008). Als ausgesprochene „Gegner“ in der Alten Geschichte galten als „strengste Katholiken bekannte“ Vertreter der „konfessionellen Reaktion“ (Lerchenmüller 2001, 243). Eine frühere Denkschrift Löfflers von 1939 listet verschiedene „Gegnergruppen“, u. a. auch „Emigrierte Juden, jüdisch Versippte und Arier“ auf. Dazu zählen die Privatdozenten Elias Bickermann (1897–1981), Clemens (später Emin) Bosch (1899–1955), der dem linken politischen Spektrum zugehörige a. o. Professor Arthur Rosenberg (1889–1943) und Eugen Täubler (1897–1953), ehemals Professor in Heidelberg (Lerchenmüller 2001, 220–223). Diese Liste vermittelt indessen nur eine Ahnung, keine wirkliche Vorstellung von dem weitaus größeren Emigrationsverlust des Faches Alte Geschichte und der Altertumswissenschaften insgesamt. Die Denkschrift Löfflers ergibt, auch was die personelle Entwicklung angeht, natürlich kein vollständiges Bild. Es bleibt aber festzuhalten, dass von der Berve- und der Weber-Schule in der NS-Zeit mehr als die Hälfte der althistorischen Professuren (von insgesamt zehn) besetzt wurden. Die Berve- und Weber-Schüler verkörpern aber auch, wie Reinhold Bichler und
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Stefan Rebenich hervorgehoben haben, das hohe Maß an Kontinuität der Althistorie zwischen Drittem Reich und der alten Bundesrepublik: Insgesamt nur zwei Professoren der Alten Geschichte blieb eine Wiedereinstellung in Deutschland bzw. in Österreich versagt: dem 1948 verstorbenen Wilhelm Weber und Franz Miltner (1901–1959), die in Berlin bzw. in Innsbruck gewirkt hatten (Bichler 1989; Rebenich 2005). Der Hinweis auf die weitgehende personelle Kontinuität legt die Frage nach inhaltlichen Kontinuitäten nahe. Dieser Frage möchte ich mich über das Beispiel des bereits angesprochenen „Ausnahmealthistorikers“ Helmut Berve annähern und dies eingegrenzt auf seine beinahe lebenslange Auseinandersetzung mit Sparta. Damit wird zugleich der von der „Wissenschaftlergeschichte“ geprägte wissenschaftsgeschichtliche Ansatz mit der Rezeptionsoder Wirkungsgeschichte verknüpft, der zumindest einen begrenzten Einblick in die Inhalte althistorischer Produktion zulässt. In seinem Beitrag „Alte Geschichte in Demokratie und Diktatur. Der Fall Helmut Berve“ (Rebenich 2001) hat Stefan Rebenich den Nachlass Berves mustergültig erschlossen und auch den Blick auf die frühen Jahre Berves geöffnet: Der 1896 geborene Berve entstammt großbürgerlichem Milieu. Literarisch sensibilisiert verfasst bereits der Schüler Gedichte und Dramen. Der wegen Krankheit entlassene Kriegsfreiwillige steht früh im „Bann“ Nietzsches. 1917 liest er mit „Erschütterung“ Nietzsches „Willen zur Macht“. Den neuen Staat lehnt Berve, dem national überhöhter Antirationalismus und ausgeprägter Antiparlamentarismus zugeschrieben werden, ab (Rebenich 2001, 460f.). Das im Krieg begonnene Studium der Altertumswissenschaften und Kunstgeschichte führt zu Promotion (1921) und Habilitation (1924) im Fach Alte Geschichte. Beide Qualifikations arbeiten sind der Prosopographie des Alexanderreiches gewidmet. Mit dem 1926 erschienenen vielgerühmten Werk, das den 31jährigen (!) auf den Leipziger Lehrstuhl führt, verbindet Berve mehr als die Ermittlung von ca. 880 Personen aus dem Umfeld Alexanders des Großen. Berve distanziert sich ausdrücklich von den „ausgetretenen Pfaden positivistischer Quellenexegese“ (Rebenich 2001, 464). Er „rang“, wie es im Vorwort heißt, „um den Menschen Alexander (...) in seiner ungeheuren, irrationalen Menschlichkeit“ und versuchte – mehr war dem Historiker nicht möglich – „ahnend den Genius zu spüren“ (Berve 1926, Bd. 1, XI). [12] Im Sinne von Nietzsches Kritik an der von Ernst Troeltsch beschriebenen „Gedankenlosigkeit und Unfruchtbarkeit der bloßen fachgelehrten Historie“ sucht Berve, wie führende Altertumswissenschaftler in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, in der Antike nach Konzepten der Sinnstiftung. Die Anhänger Stefan Georges wenden sich gegen die „historische Krankheit“ und verherrlichen eine „monumentalische“ Historie. Nach Luciano Canfora haben George und auch Oswald Spengler den intellektuellen Kosmos Berves nachhaltig geprägt (Canfora 1995, 136f.). In dieser Zeit begründet der einem aristokratischen Griechenbild verpflichtete Werner Jaeger (1888–1961) den „Dritten Humanismus“: Archäologen, Philologen und Althistoriker sollen „Stil, Form und geistige Substanz“ analysieren und fordern historisches Verstehen von „Wesen“ und „Geist“ (Rebenich 2001, 465). Der wichtigste Bezugspunkt von Berves Antikenkonzeption ist wohl Sparta. Bereits 1925 beschreibt er in Auseinandersetzung mit Victor Ehrenberg sein „antihistoristisches“ Sparta konzept: „Der eigenartige Kosmos und der ihn tragende spartanische Geist (...) sind nicht gemacht, sondern gewachsen aus den letzten zeitlosen Tiefen einer Volksseele hinaus“ (Berve 1925, 311). 1931–1933 erscheint Berves „Griechische Geschichte“, die man ebenso wie Jaegers
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Die „Zeitgeschichte der Alten Geschichte“
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„Paideia“ (1934ff.) zu den „Vorbildbüchern“ gezählt hat. Sie ist geprägt von der romantischen, auf Carl Otfried Müllers „Dorier“ (1824) zurückgehenden Dichotomie zwischen den „dorischen“ und „ionischen“, höchst gegensätzlichen Stämmen (Losemann 1998, 314 [Nr. 6]). Die Auseinandersetzung mit dorischem und ionischem Wesen, Stämmen und Rassen führt zu einer „Apotheose dorischer bzw. spartanischer Art“ (Christ). Zu ihr gehört auch die „Härte des Doriertums“, die „Akzeptanz von Gewalt“ und „Selektion“: In der griechischen Geschichte dominiert neben der aristokratischen Einzelpersönlichkeit das „Gesetz dorischer Mannheit“, das in den Thermopylenkämpfern bleibenden Ausdruck gefunden hat. Im Blick darauf hat der italienische Althistoriker Piero Treves 1965 Berves Griechische Geschichte als „storia prenazista“ qualifiziert (Losemann 1998, 330 [Nr. 6]). Die Elemente einer „vitalistischen, rassistischen und aristokratisch-elitären Betrachtung der Antike“ – so Stefan Rebenich – sind weitgehend vorhanden, als Berve im Mai 1933 in die NSDAP eintritt und bald zu einem der Wortführer unter den NS-Althistorikern in der Debatte über das Verhältnis von Antike und NS-Staat avanciert (Rebenich 2001, 469). Berve fordert, wie schon in der 1920er Jahren, die Rückkehr zu den „irrationalen Ausgangspunkten und geistigen Prinzipien der Historie“ und verlangt „irrationales Einfühlen“. Klassische universalgeschichtliche Konzeptionen wie die Eduard Meyers werden abgelehnt. Moderne „Volks- und Stammesgeschichte“ führt eher zu einer „nationalen“ Altertumswissenschaft. Deren Programm hat der ultrakonservative Göttinger Althistoriker Ulrich Kahstedt (1888–1962) 1934 pathetisch wie folgt formuliert: „Wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik!“ Diese Sentenz wählte Cornelia Wegeler als Obertitel für ihre vorzügliche Arbeit über das „Göttinger Institut für Altertumskunde 1921–1962“ (Wegeler 1996). Um zu Sparta zurückzukommen, so wendet sich Berve 1935 in einem seiner zahlreichen Spartavorträge scharf gegen die übertriebene Pflege der „Kranken, Abnormen, Lebensunwerten“, die zu „rassischem Niedergang, Überfremdung und Zersetzung des deutschen Volkes und seiner Kultur“ führen würden (Losemann 2007, 456; Rebenich 2001, 472). Diese Position ist nahezu deckungsgleich mit Hitlers Zugang zu Sparta, das für ihn, wie wir seinen Reden am Ende der 1920er Jahre entnehmen können, den „Prototyp einer rassisch hochwertigen Minderheit“ darstellte, die mit der Konsequenz der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ „planmäßige Rassenerhaltung“ betrieb (Losemann 1998, 332 [Nr. 6]). Den Höhepunkt von Berves Spartaidealisierung bildet seine kleine Sparta-Monographie von 1937, in der angelehnt an die „Ritterorden des Mittelalters“ der Ordenscharakter der spartanischen Gemeinschaftsform beschworen wird, in der der „Typus der Herrenmenschen“ in vielen Bezügen „die Bedürfnisse und Wünsche natürlicher Menschlichkeit unter sich läßt“ (Losemann 1998, 341 [Nr. 6]). Berves wissenschaftsorganisatorische und -politische Funktionen als Rektor und mehrfacher Dekan in Leipzig sind schon erwähnt worden. 1941 avancierte der Althistoriker dann zum „Kriegsbeauftragten der Altertumswissenschaften“ im Rahmen der sog. „Aktion Ritterbusch“, als deren Ergebnis das Gemeinschaftswerk „Das neue Bild der Antike“ erschien (Losemann 1977, 109f.). [13] Zum Kriegseinsatz Berves gehört auch sein Beitrag zur NS-Eliteerziehung: Für das Schulungsheft der Adolf Hitler-Schulen „Sparta, der Lebenskampf einer nordischen Herrenschicht“ (1940; 1943) verfasste er einen Beitrag über „Kriegführung und Kampfauffassung der Spartaner“. Hier sei nur die Passage über den „artgemäßen“ Umgang mit dem „Gegenbild“ des aristokratischen spartanischen Kriegers zitiert: „Feigheit und menschliche Schwäche, die wie alles Menschliche dem Griechen an sich nicht fern lag, hätte in Sparta nicht nur den Mann, der wie ein Gezeichneter umhergegangen wäre, sondern
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Volker Losemann schon den Knaben moralisch vernichtet, ihm vermutlich auch das Leben gekostet, um das er gebangt hatte. Feige Naturen, die um so seltener waren, je höher im Laufe der Generationen der spartanische Mensch gezüchtet wurde, merzte bereits die mitleidvolle Erziehung so gut wie völlig aus.“ (Losemann 1998, 346 [Nr. 6])
Berve verband mit Hitler auch eine Sparta-Beschwörung „der letzten Stunde“. Jedenfalls wurde, zwei Tage bevor die amerikanischen Truppen München erreichten, für den 2. Mai 1945 ein Spartavortrag Berves in der Münchener Universität angekündigt (Losemann 1977, 231 Anm. 173)! In seiner Person und seinem Werk verkörpert Berve in besonderer Weise die Kon tinuitätslinien, die vom Dritten Reich in die frühe Bundesrepublik führen: Als 1951/52 die kaum veränderte Auflage seiner kurz angesprochenen „Griechischen Geschichte“ von 1931/32 erschien, stellte er fest, dass sein Verhältnis zur griechischen Geschichte sich nicht geändert habe. Nahezu völlig unverändert erschien 1966 auch das hochproblematische Spartabuch Berves von 1937, das 1944 schon eine 2. Auflage erlebt hatte (Losemann 1998, 340 [Nr. 6]). Aus Anlass der Übersetzung von Berves Griechischer Geschichte ins Italienische äußerte sich der jüdische Althistoriker Arnaldo Momigliano (1908–1987), dessen Familie zu einem großen Teil in Konzentrationslagern ermordet wurde, 1966 wie folgt: „Die Übersetzung des Werks von Berve scheint mir vor allem insofern nützlich, als sie einen der wichtigsten nationalsozialistischen Historiker bei uns bekannt macht. Es ist ohne Frage notwendig und angebracht, dass die nationalsozialistische Geschichtsschreibung in allen ihren Entwicklungsphasen während, vor und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Italien bekannt wird. Der Nationalsozialismus ist eine Erscheinung, die anhand von Original belegen untersucht werden muß, denn nur sie können uns begreiflich machen, wie durchaus fähige Intellektuelle einer Religion haben anhängen können, die ihre größten Kathedralen in Dachau und Auschwitz errichtete.“ (Losemann 2001, 86f. [Nr. 8])
In der Bemerkung Momiglianos, auf den ich noch einmal zurückkomme, überschneiden sich die Perspektiven der Wissenschaftler- und der Forschungsgeschichte, auf die ich mich im Folgenden konzentriere. Zu den frühesten Äußerungen über die Rolle der Wissenschaften in der NS-Zeit gehört ein bemerkenswertes Zeugnis des Prähistorikers Joachim Werner (1909–1994) aus der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ich gehe darauf ein, weil Werner, der zu einer Leitfigur der Prähistorie in der Bundesrepublik wurde, zum Umfeld der Altertumswissenschaft gehört und Beobachtungen zur Rolle von Althistorikern im Dritten Reich einfließen ließ. Werner meldete sich mit dem Beitrag „Zur Lage der Geisteswissenschaften in Hitler-Deutschland“ 1945/46 aus einem Internierungslager in der Schweiz zu Wort (Werner 1945/46). Prinzipiell bekennt sich Werner zwar zum Versagen deutscher Wissenschaftler, die in der NS-Zeit moralische Schuld auf sich geladen hätten. Darüber hinaus charakterisiert er seine Kollegen aber als überwiegend unpolitische Fachwissenschaftler, die „fernab von jeder Politik“ weiter gearbeitet hätten (Werner 1945/46, 76). Problematisch sind u. a. die Ausführungen über die hohen Judenzahlen unter den Berliner Professoren, die im Kontext ,,gewisse(r) Miß stände personeller Art“ und antisemitischer Tendenzen unter den Studenten erörtert werden (Werner 1945/46, 72 Anm. 1). Es ist außerordentlich erstaunlich, dass der Autor für den Emigrationsverlust der deutschen [14] Wissenschaft – auch den seiner eigenen Disziplin – kein Wort findet. Immerhin stellt er die doch wohl selbstgerechte Frage, wie die Fachgenossen zu
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beurteilen seien, „die trotz des ständigen Drucks eines totalen Staates weiter gelehrt und geforscht haben, anstatt zu schweigen oder zu emigrieren“ (Werner 1945/46, 71). Eher positiv schätzt Werner auch den „Reformansatz der NS-Hochschulpolitik“ in Gestalt der – so die überwiegende Wahrnehmung der davon betroffenen Nachwuchswissenschaftler – „berüchtigten“ NS-Dozentenlager ein, die durchaus eine Karriere beenden konnten (Werner 1945/46, 77). Die Vorstellung Werners von dem Typus des angeblich (mehrheitlich) „unpolitischen Wissenschaftlers“ im Dritten Reich hat sich in der Diskussion über diesen Komplex sehr lange gehalten. Viel spricht dafür, dass diese Argumentation von Anfang an, wie im Falle Werners, der eigenen Entlastung diente. Der höchst interessante Text ist von den Prähistorikern, damit wird wiederum eine Etappe der Forschungsgeschichte markiert, wohl erst in den 1990er Jahren „entdeckt“ worden (Steuer et al. 2001, 13 u. 353–357). Die unmittelbare Nachkriegszeit mit der sog. „Revisionsliteratur“ (F. Graus) und die mit dem Stichwort „Mitläuferfabrik“ gekennzeichnete Phase der Entnazifizierung muss ich übergehen. Ich zitiere nur eine Beobachtung des, wie oben erwähnt, nach England emigrierten Althistorikers Victor Ehrenberg, der im September 1949 die erste Tagung der deutschen Altertumswissenschaften nach dem Krieg in Hinterzarten besucht hatte: Mit Blick auf seine gerade entnazifizierten Kollegen und z. T. stark kompromittierten Freunde notierte er in seinen „Personal memoirs“: „No revival of Nazism seemed possible, but there was comparatively little feeling of guilt“ (Losemann 2001, 75 [Nr. 8]). Die von mir sogenannte „Zeitgeschichte der Geschichtswissenschaft“ wurde recht eigentlich erst von Karl Ferdinand Werner, auf den ich mich schon einleitend bezogen habe, bearbeitet. Zu seiner Zeit war der Titel „Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft“ ein wichtiges und, das ist zu unterstreichen, mutiges Buch. Zuvor traten, nicht zuletzt von den kritischen Fragen der Studentenbewegung angestoßen, prominente Neuhistoriker in Berlin, München und Tübingen in Vortragsreihen über die Rolle der deutschen Universitäten in der NS-Zeit auf. Damals lieferte Hans Rothfels (1891–1976) in Tübingen, so die Formulierung von Peter Schöttler, „mit der ganzen Autorität des konservativen Emigranten“ seine vielzitierte Schuldzuweisung an „wildgewordene Studienräte oder Außenseiter“ ab, die in erster Linie mit dem Regime kooperiert hätten. Die Mehrheit seiner Fachkollegen wurde dagegen weitgehend entlastet (Schöttler 1999, 9). Vor Karl Ferdinand Werners kleiner Studie von 1967 war bereits das voluminöse Werk „Walter Frank und das Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands“ (1966) aus der Feder von Helmut Heiber erschienen. Man kann Heiber wohl kaum vorwerfen, er habe einzelne – offizielle NS-Historiker – wie den Reichsinstitutsleiter Walter Frank „im Scheinwerferlicht“ stehen lassen, um den Beitrag der Universitätshistoriker und anderer Geisteswissenschaftler „übersehen zu können“. Auch wenn dieses Institut, so Graus, eine „völlig periphere“ Rolle spielte (Graus 1969, 90), sind durchaus Hauptakteure aus der Geschichtswissenschaft – u. a. auch die Althistoriker Berve, Weber, Schachermeyr und Vogt – einlässlich behandelt. Heiber trifft der Vorwurf, das gilt wohl auch für seine unvollendete Werkreihe „Universität unter dem Hakenkreuz“, das Thema und die in diesem Kontext angesprochenen Akteure in einer Art „Schlüssellochperspektive“ lächerlich zu machen. Auch wenn Vorbehalte gegenüber der ironisierenden Wortwahl angebracht sind, so hat Heiber aber durchaus ein Forschungsfeld erschlossen und nicht, so Peter Schöttler, „sofort wieder geschlossen“ (Schöttler 1999, 13).
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Zu nennen wären in diesem kursorischen Überblick die Arbeiten von Michael Kater „Das Ahnenerbe der SS“ (Kater 1974/1997) und von Reinhard Bollmus über „Das Amt Rosenberg und seine Gegner“ (1970/2006). Mit der Auseinandersetzung mit Institutionen der führenden NS-Ideologen wurde und wird nicht ein Großteil der Verantwortung, die auch die involvierten Fachhistoriker tragen müssen, bei den Ideologen „abgeladen“. Interessanter ist schon der in der Frankfurter Diskussion ventilierte Gedanke, dass Universitätslehrer wie Werner Conze (1910–1986), mit dessen Namen der Verweis auf die „braunen Wurzeln“ der Sozialgeschichte verbunden ist, mit den von ihm betreuten Arbeiten von Kater und Bollmus eine indirekte Antwort auf seine Vergangenheit gegeben habe. [15] Die Feststellung von Peter Schöttler, dass nach den hier skizzierten Versuchen „das Problem Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus in den 60er und 70er Jahren kaum mehr vom Fleck gekommen (sei), eben weil man es für ‚erledigt‘ hielt“, kann so nicht stehen bleiben bzw. muss zumindest modifiziert werden (Schöttler 1999, 14). Dafür, dass man es eben nicht für „erledigt“ hielt, ist auf zwei, freilich gescheiterte Initiativen zu verweisen: So versuchte Karl Dietrich Erdmann (1910–1990), einer der führenden Repräsentanten der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft und ein wichtiger Funktionär im Verband der Historiker Deutschlands, bereits in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre (!) eine Diskussion über die Rolle der Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit auf dem Freiburger Historikertag von 1967 zu führen. Ein entsprechender Vorschlag Erdmanns, dem man in den Debatten der 1990er Jahre vorwarf – das ist ein mildes Urteil von Hans-Ulrich Wehler – die „eigene Nachgiebigkeit in der NS-Zeit ausgeblendet und verschwiegen zu haben“ (Schulze/Oexle 1999, 325), wurde auf einem Historikertreffen (1965/66), wie sich Karl Christ erinnerte, mehrheitlich abgelehnt. Wie groß die Chance war, die damit vergeben wurde, ist schwer abzuschätzen. Die Prognose für Erdmanns tatsächliche Diskursbereitschaft ist nicht sehr günstig – dies legt sein Schweigen über seine eigene Rolle nahe. Auch die zweite gescheiterte Initiative, die ich angekündigt habe, wäre als „Desaster in der deutschen Historiographiegeschichte“ zu verbuchen: Es geht um einen Projektantrag, den mein Lehrer Karl Christ (1923–2008) Ende 1968 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema „Alte Geschichte und Nationalsozialismus“ stellte, der nach seinem Eingang bei der DFG am 27. November 1968 am 3. Januar 1969 an die Fachgutachter weitergleitet wurde. Von dort kam er fünf Tage später, gleichsam in Rekordzeit, am 8. Januar 1969 (!) zurück. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass dieser Antrag im Fach Alte Geschichte einen heftigen Kommunikationsschub (vermutlich telefonisch) auslöste. Im Ergebnis legte man Christ nahe, den Antrag zurückzuziehen. Das geschah im März 1969 (Losemann 2001, 79f. [Nr. 8]). Eine Vorstellung von dem Konzept Christs vermittelt sein Beitrag „Zur Entwicklung der Alten Geschichte in Deutschland“ von 1971: Im Rahmen seines Projekts sollten zum einen „Leben und Werk der maßgebenden Althistoriker (...) ihr persönliches Schicksal und ihr politisches Engagement“, aber auch die „Bedeutung der geistigen, religiösen, gesellschaft lichen und politischen Einflüsse auf die Formung der Persönlichkeit, auf die Wahl der historischen Perspektiven und Themen“ untersucht werden. Gefordert wurde auch, „die Wechsel verbindungen zwischen monarchistischen und imperialistischen Positionen zur Zeit des wilhelminischen Deutschlands und der Weimarer Republik und die Bewertung antiker Phänomene oder die Voraussetzungen und Wandlungen des deutschen Spartabildes zwischen
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1918 und 1945 wie generell das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Antike“ zu analysieren (Christ 1971, 592f.). Diese Auseinandersetzung mit der Rolle der Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit wurde durch entsprechende Angriffe auf westdeutsche Historiker aus der DDR ebenso angestoßen wie auch durch ideologiekritische Arbeiten über Altertumswissenschaftler und althistorische Themen in der NS-Zeit aus dem Umfeld der Politikwissenschaft. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Disziplin sah er ganz im Sinne Momiglianos, dessen Anregungen Christ seit 1970 aufnahm, eine genuine Aufgabe der Althistoriker. Zu diesen Anregungen zählte auch die Empfehlung Momiglianos, dass die deutschen Wissenschaftler ihre Vergangenheit selbst aufarbeiten müssten. Zu den für die damalige Zeit ungewöhnlichen, aber längst überfälligen Forderungen gehörte auch die, „die wissenschaftliche Passivbilanz“ der NS-Zeit zu ziehen, d. h. an die z. T. oben erwähnten, seit 1933 vertriebenen und verfolgten Fachvertreter zu erinnern, die aus dem „Gedächtnis des Faches“ weitgehend ausgeblendet waren (Christ 1971, 583f.) Der abgelehnte Antrag Christs belegt, dass am Ende der 1960er Jahre die Chance vertan wurde, einen sicherlich spannungsgeladenen Dialog der Generationen über die Rolle der Altertums- und Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit einzuleiten – dreißig Jahre vor den erregten Debatten des Frankfurter Historikertages von 1998. Christ ist immer wieder auf diese Thematik zurückgekommen. [16] Im Unterschied zu der Mehrzahl seiner Kollegen hat er in seinen Standardwerken, z. B. „Von Gibbon zu Rostovtzeff (1972) und „Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft“ (1982), der Zeit zwischen 1933 und 1945 breiten Raum gewidmet. Meine von ihm angeregte Dissertation „Nationalsozialismus und Antike“ von 1975/77 war als Teilprojekt des gescheiterten Antrags von 1969 geplant. Ich möchte nur auf zwei Aspekte der Publikationsgeschichte eingehen. Im Institut für Zeitgeschichte entbrannte ein bemerkenswerter Gutachterstreit: Im ersten Durchgang des Begutachtungsverfahrens kam Paul Egon Hübinger, ein Mediävist mit wissenschafts- und zeitgeschichtlichen Ambitionen, zu einem positiven, Hans Buchheim, ein Politologe eher konservativer Observanz, der in der Alten Geschichte promoviert hatte, zu einem negativen Votum bezüglich der Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Studien zur Zeitgeschichte“ des Münchner Instituts. Die schwer nachvollziehbare Begründung lautete, es handele sich um eine Arbeit, die nur die Althistoriker betreffe. Der Obergutachter, Karl D. Bracher, Politologe und Zeitgeschichtler und ebenfalls promovierter Althistoriker, ebnete ein Jahr später den Weg – aber inzwischen war das Angebot einer anderen Reihe angenommen worden. Im Beirat des Münchner Instituts führte das ablehnende Votum Hans Buchheims dem Vernehmen nach zu heftigen Reaktionen. Inzwischen mehrfach zitiert wird, damit spreche ich einen weiteren Aspekt der Publi kationsgeschichte meiner Dissertation an, eine Bemerkung eines Herausgebers der Reihe „Histo rische Perspektiven“: Der Zeithistoriker wollte das Thema etwas relativieren und stellte 1974 fest: „Altheims Kriegseinsatz (der Hallenser Althistoriker war enger Mitarbeiter von Himmlers Lehr- und Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe) ändert doch wohl kaum etwas daran, dass die Blockwarte für den NS meinungsbildender und einflußreicher waren als alle Ordinarien der Alten Geschichte“ (Losemann 2001, 81 [Nr. 8]). Stefan Rebenich sieht in diesem Statement nicht ganz zu Unrecht ein eindrucksvolles Zeugnis für das Diskursverbot, das weite Teile der
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professionellen Historikerzunft über das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und National sozialismus „verhängt hatten“ (Rebenich 2005, 64). Erst Anfang der 1980er Jahre traten dann die Opfer und die Verdrängten stärker in das Bewusstsein der Fachöffentlichkeit. Junge Münsteraner Althistoriker verfolgten in einer Mono graphie die Spuren Friedrich Münzers (1868–1942) von seiner Entlassung in Münster bis zu seinem Tod in Theresienstadt. 1985 wurde Eugen Täublers Handbuchbeitrag „Der römische Staat“, der 1935 in Alfred Gerckes und Eduard Nordens „Einleitung in die Altertumswissenschaft“ erscheinen sollte, erstmals in Deutschland herausgebracht. Er war 1935, als Täubler, wie oben erwähnt, als Jude in Heidelberg entlassen wurde, nach dem Ausdruck im Sinne einer ‚konsequenten Verfolgung‘ vernichtet worden (Losemann 2001, 85 [Nr. 8]). Der von Peter Schöttler herausgegebene Band „Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft: 1918–1945“, auf den ich mich mehrfach bezogen habe, dokumentiert mit der folgenden programmatischen Widmung an die „Opfer“ eine neue Etappe der Erinnerungsarbeit: „In Erinnerung an Siegmund Hellmann, Friedrich Münzer, Ernst Perels, Georg Sacke und andere deutsche und nichtdeutsche Historiker, Männer und Frauen, die in deutschen Konzentrationslagern umkamen“ (Schöttler 1999, 6). Vor diesem Hintergrund stellt die schon früh einsetzende bedenkenlose Nachdruckpraxis, auch von stark „angebräunter“ althistorischer Literatur, – ich verweise nur auf den Nachdruck von Berves hochproblematischem Spartabuch von 1937 – durchaus einen Skandal dar. Zu der verstärkt einsetzenden Erinnerungsarbeit, die das „Gedächtnis des Fachs“, wenn auch sehr spät, schärfte, gehört die 1986 erschienene Zürcher Dissertation „Von Perikles zu Hitler? Die athenische Demokratie und die deutsche Althistorie“ von Beat Näf, die in äußerst fruchtbarer Weise von einem thematischen Ausgangspunkt her das Problemfeld „Antike und Nationalsozialismus“ in einen breiten Untersuchungshorizont einbettete. In den 1990er Jahren deutete sich eine „Radikalisierung der Perspektiven der Wissenschafts geschichte“ an: Die Bereitschaft, radikaler zu fragen, hat von den in meinem Fach einschlägigen Arbeiten am ehesten, das kann hier nur kurz angedeutet werden, die Dissertation von Diemuth [17] Königs über Joseph Vogt von 1995 nachdrücklich geprägt. Eine Voraussetzung dafür war eine äußerst intensive und ertragreiche Material- und Spurensuche der Autorin. Mit Bezug auf Vogts Aufsätze zum „Reichsgedanken der Römer“ aus den 1930er und 1940er Jahren stellt Königs etwa die Frage, ob „Vogt, der die römische Herrschaft so ideal zeichnet und mit der des Dritten Reiches auf eine Stufe stellt, sich über die Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtausübung in den eroberten Gebieten, besonders im Osten im Klaren war“ (Königs 1995, 280). Dafür verweist sie auf die bekannte Studie von Götz Aly und Susanne Heim „Vordenker der Vernichtung“ von 1991; sie kann aber die Frage, wie viel Vogt tatsächlich von den rassischen Säuberungen und bevölkerungspolitischen Zwangsmaßnahmen bekannt war, nicht eindeutig klären (Königs 1995, 280). Die Frage nach Einfluss und Reichweite althistorischer Konzepte und tagespolitisch akzentuierter Einlassungen verbindet sich auch mit der vielzitierten Formulierung von Königs, die Vogt als „Wegbereiter und Steigbügelhalter Hitlers“ charakterisiert (Königs 1995, 287). Man kann nur darüber spekulieren, wie die Autorin die Akzente gesetzt hätte, wenn sie Vogt selbst – das wäre theoretisch möglich gewesen – hätte sprechen können oder wenn ihr sein Nachlass zugänglich gewesen wäre. Joseph Vogt selbst hat indessen auch gegenüber seinen engs-
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ten Schülern oder besser „akademischen Söhnen“ über diesen Komplex nicht nur konsequent geschwiegen, sondern auch deren Ansätze einer Aufarbeitung nicht unterstützt. Die Generation der Töchter und Söhne reagiert unterschiedlich: Wie auch im Falle Vogts „hütet“ man den Nachlass der prominenten Vaterfiguren, hält ihn unzugänglich und folgt dem bekannten Muster des „Beschweigens“. Man kann auch versuchen, die Spuren zu verwischen: So forderten Angehörige des oben erwähnten Berliner Althistorikers Wilhelm Weber von betagten Professorenwitwen die Briefe ihres Vaters zurück. Auf dem bekannten Frankfurter Historikertag von 1998, der eine wichtige Etappe für die Auseinandersetzung der Geschichtswissenschaft mit ihrer NS-Vergangenheit markiert, musste man zunächst in der erregten Diskussion geradezu bedrückende, eigentlich kaum glaubliche Beispiele der Sprachlosigkeit und des Schweigens zwischen damals wie heute prominenten Vätern und Söhnen wahrnehmen. Auch die Enkelgeneration, dafür liegen Belege vor, folgt im Einzelfall den hier beschriebenen Verhaltensmustern, mit denen Diemuth Königs bei ihrer Arbeit über Vogt konfrontiert wurde. Abgesehen davon, dass generell die Archive über die NS-Zeit heute „offener“ sind, ist aber auch auf relativ aktuelle Beispiele zu verweisen, in denen Nachlässe von Altertumswissenschaftlern, die im Dritten Reich führende Positionen einnahmen, von kooperationsbereiten Nachfahren zugänglich gemacht werden, die darüber hinaus wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten unterstützen. Davon hat etwa die Studie Stefan Rebenichs zu Helmut Berve profitiert, die zeigt, welche „Entdeckungen“ zu machen sind. Auch in einer anderen Richtung zeigt sich das Gedächtnis geschärft: In dem traditionsreichen „Gnomon“, dem Rezensionsorgan für die klassische Altertumswissenschaft, findet sich in dem Nachruf auf den langjährigen Heidelberger Latinisten Victor Pöschl (1910–1997) die folgende Anmerkung: „Der Abschnitt über die politische Biographie Pöschls wurde auf Wunsch des Verlages geändert (...)“ (Wlosok 2001, 371 Anm. 11). Die Änderungen bezogen sich allem Anschein nach auf ursprüngliche Ausführungen über die SS-Mitgliedschaft Pöschls. Mit diesem in der deutschen Altertumswissenschaft bis dahin einmaligem Vorgang wird der bislang überwiegende, in der Regel auf exkulpierende Formeln reduzierte Umgang mit der NS-Zeit (nicht nur) in den Gnomon-Nekrologen erstmals in Frage gestellt. Vielleicht wurde damit das als „hilfloser Antifaschismus“ (Wolfgang Fritz Haug) gekennzeichnete traditionelle Verhaltensmuster überwunden. Insgesamt haben sich die Rahmenbedingungen für wissenschaftsgeschichtliche Studien im Umfeld der althistorischen Disziplin und weit darüber hinaus weiter verbessert. Der Überblick über die einzelnen Etappen der Auseinandersetzung der Althistoriker mit der Zeitgeschichte ihres Faches seit dem verhinderten Projektantrag Karl Christs von 1968/69 dürfte gezeigt haben, wie schwer es war, die „Mauern des Schweigens“ zu überwinden. [18] Im Rahmen der gesamten Geschichtswissenschaft – vor allen Dingen aber von den Neuhistorikern – wurden die Ansätze Christs auf breiter Front erst in den 1990er Jahren aufgenommen. Wie die heftigen Debatten auf dem Frankfurter Historikertag im September 1998 zeigten, wurden sie erst damals, z. T. aber auch durchaus widerwillig, von der Fachöffentlichkeit akzeptiert. Bezogen auf diesen Prozess hat Otto Gerhard Oexle in seiner Analyse der „Erinnerungskultur deutscher Geisteswissenschaftler nach 1945“ festgestellt, dass „inzwischen (...) auch die Historiker (...) von der Geschichte eingeholt worden“ seien (Oexle 1997, 380). Dass die Aufarbeitung der Zeitgeschichte der Alten Geschichte damals schon viel weiter gekommen war, zeigte eindrucksvoll das Züricher Kolloquium „Antike und Altertumswissenschaft
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in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus“ im Oktober 1998. Die interdisziplinär angelegte Veranstaltung – auf ihr kamen neben Althistorikern, Klassischen Archäologen und Philologen auch Prähistoriker, Kunsthistoriker und Soziologen zu Wort – ermöglichte einen breiten internationalen Dialog. Das Jahr 1998 könnte man im Hinblick auf Initiativen in anderen Fächern wie z. B. in der Prähistorie als ein Schlüsseljahr für die Aufarbeitung moderner Disziplingeschichte bezeichnen. Der im Vergleich zu anderen Disziplinen vergleichsweise positive Befund für das Fach Alte Geschichte bietet freilich keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit. Die jüngere Generation, man darf wohl schon von den Enkeln sprechen, die der Lehrer/Schüler-Bindung entwachsen sind, stellt im neuen Jahrtausend unbefangener radikalere Fragen und hat, was den Radius der zu untersuchenden Zeitgeschichte des Faches angeht, schon die frühe Bundesrepublik erreicht. Stefan Rebenich, der Autor der oben zitierten mustergültigen Fallstudie zu Helmut Berve, hat aktuell (2008) den folgenden Tagungsbeitrag geliefert: „Alte Geschichte zwischen Kaltem Krieg und Capri Sonne: Hermann Bengtson“153. Es geht dabei um eine Leitfigur der Alten Geschichte in der frühen Bundesrepublik, die von München aus eine große Schule gebildet hat. Wichtiger ist vor allem der Nachweis der Kontinuitätslinien, die vom Dritten Reich in die Bundesrepublik führen. Insofern ist der Untersuchungsrahmen und der Blickwinkel – und das gilt für eine Reihe anderer moderner Studien – erweitert worden. Rebenich erfüllt die für derartige Arbeiten m. E. unabdingbare Voraussetzung der Verankerung im Fach Alte Geschichte: Auch die Zeitgeschichte der Alten Geschichte sollte weiter von Althistorikern, die ihr Fach besser kennen als die Zeithistoriker, geschrieben werden. Diese Forderung richtet sich in übertragenem Sinn an Mittelalter- und Neuhistoriker ebenso selbstverständlich wie an die Prähistoriker. Die Zeitgeschichte der Alten Geschichte wird aber auch durch internationale Kooperation bei der Bearbeitung von Problemfeldern in Erfolg versprechender Weise auf einer ganz anderen Ebene „bewältigt“. Die Konfrontation zwischen Deutschland und Frankreich hat im 19. Jahrhundert, vermittelt durch „althistorische“ Themen, im Hermannsdenkmal bei Detmold seit 1875 und dem „Vercingetorix“ am vermuteten Ort der Schlacht von Alesia monumentalen Ausdruck gefunden. Beiden Freiheitshelden wurde eine wichtige Rolle bei der Konstruktion der nationalen Identität zugeschrieben. Französische und deutsche Altertumswissenschaftler aus einem breiten Spektrum trafen sich im April 2005 zu einem Kolloquium, das vom Deutschen Historischen Institut in Paris organisiert wurde, um sich interdisziplinär mit ihren jeweiligen nationalen Mythen auseinander zu setzten. Vorausgegangen waren deutsch-französische Grabungen (1991–1997) in Alesia. Der gerade erschienene Sammelband „Alesia et la bataille du Teutoburg. Un parallèle critique des sources“ (Redé/von Schnurbein 2008) steht für einen Erfolg versprechenden Ansatz bei der Bearbeitung von Themen, die aus dem Blickwinkel jeweils „hervorragender nationaler Wissenschaften“ eher konfrontativen Charakter tragen. Kooperation über die nationalen Grenzen hinweg öffnet auf beiden Seiten den Blick für die Problemzonen in der Zeitgeschichte vieler Disziplinen. Dieser Ansatz stimuliert, wie ich als Gast der Leipziger Tagung 2007 erleben durfte, auch die Burgwallforschung. 153 [Der Beitrag ist inzwischen erschienen: St. Rebenich, Hermann Bengtson und Alfred Heuß. Zur Entwicklung der Alten Geschichte in der Zwischen- und Nachkriegszeit, in: V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Gedenkschrift für Karl Christ, Wiesbaden 2009, 181–208].
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Wegeler 1996 = C. Wegeler, Wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik. Altertumswissenschaft und Nationalsozialismus. Das Göttinger Institut für Altertumskunde 1921–1962, Wien 1996. Werner 1945/46 = J. Werner, Zur Lage der Geisteswissenschaften in Hitler-Deutschland. Schweiz. Hochschul-Zeitung 19 (1945/46) 71–81. Werner 1967 = K. F. Werner, Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stuttgart 1967. Werner 1984 = K. F. Werner, Machtstaat und nationale Dynamik in den Konzeptionen der deutschen Historiographie 1933–1940, in: F. Knipping / K.-J. Müller (Hrsg.), Machtbewußtsein in Deutschland am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, Paderborn 1984, 327–361. Werner 1997 = K. F. Werner, Ein Historiker der „Generation 1945“. Zwischen „deutscher Historie“, „Fach“ und Geschichte, in: H. Lehmann / O. G. Oexle (Hrsg.), Erinnerungsstücke. Wege in die Vergangenheit. Festschrift Rudolf Vierhaus, Wien 1997, 237–248. Wlosok 2001 = A. Wlosok, Viktor Pöschl †, in: Gnomon 73 (2001) 369–378.
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Nr. 13 Originalpublikation in: K. Ruffing / A. Becker / G. Rasbach (Hrsg.), Kontaktzone Lahn. Studien zum Kulturkontakt zwischen Römern und germanischen Stämmen, Harrassowitz, Wiesbaden 2010 (Philippika 38), 167–180.
„Statt Deutschland sollte man künftig Arminien sagen!“ Bemerkungen zur Terminologie der römisch-germanischen Auseinandersetzung [167] Die Festlegung des Tagungsthemas „Kontaktzone Lahn“ mit dem Untertitel „Begegnung dreier antiker Kulturen. Römer – Germanen – Kelten“ für die Tagung, auf der die folgenden Bemerkungen zuerst vorgetragen wurden, provozierte die Erinnerung an einen viel weiter gefassten Umbenennungsvorschlag des Dresdner Romanisten Victor Klemperer (1881–1960): In seinen bekannten Tagebüchern, die einen erschütternden Einblick in den „Alltag“ der Verfolgung der Juden im „Dritten Reich“ vermitteln, findet sich unter dem 31. März 1933 folgender Eintrag: „Statt Deutschland sollte man künftig Arminien sagen.“1
Mit dieser Aussage stand Klemperer auch stark unter dem Eindruck des vor allem von dem NS-Chefideologen Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler ausgerufenen „Kampfes um die deutsche Vorgeschichte“ mit dem Ziel der „Germanisierung der deutschen Geschichte“.2 Der Vorschlag Klemperers einer Umbenennung Deutschlands unter germanischen Vor zeichen veranlasste mich, im Folgenden eine Diskussion über die zeitgemäße Terminologie für die römisch-germanische Auseinandersetzung am Ende der 1930er Jahre vorzustellen. Ein weiterer deutlich oppositioneller Reflex auf die exzessive Germanenverehrung der Nationalsozialisten – damit komme ich zur Vorgeschichte des Terminologiestreits – begegnet in Lion Feuchtwangers Exilroman „Geschwister Oppermann“ von 1933. Dort zwingt ein nationalsozialistischer Deutschlehrer einem halb-jüdischen Schüler das Referatsthema „Was bedeutet uns Heutigen Hermann der Deutsche?“ auf. Der Vorwurf, „eine der hehrsten deutschen Taten durch platte rationalistische Kritik zu zersetzen“, treibt den auch von seiner Familie allein gelassenen Schüler letztlich in den Selbstmord.3 [168] In ähnlich ,widerständiger‘ Perspektive wie Klemperer und Feuchtwanger äußerte sich der als Stadtplaner, Architekturkritiker und linksliberaler politischer Schriftsteller bekanntgewordene Werner Hegemann (1861–1936). Insbesondere das Kapitel „Frühgermanentum“ seines 1933 erschienenen Buches „Entlarvte Geschichte“, das alsbald ein Opfer der Bücher 1 2 3
V. Klemperer, Tagebücher 1933–1934, Berlin ³1999, 17. F.-L. Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn 1998, 139ff. (= Kroll 1998). L. Feuchtwanger, Die Geschwister Oppermann, in: Gesammelte Werke, Bd. 11, Berlin / Weimar 1988, 62 u. 94.
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verbrennungen wurde, trug ihm von nationalsozialistischer Seite den Vorwurf des „Radauanti germanismus“ ein.4 Hegemann vertrat darin in schärfster Ironie so etwas wie eine „(provinzial)römische Position“: „Des Arminius anfänglicher Sieg im Verzweiflungskampfe gegen Rom“, – ich zitiere nach der 1934 in Prag erschienenen 2. Auflage der „Entlarvten Geschichte“ – „hatte zum Verzweifeln böse Folgen für Deutschland östlich und nordöstlich des römischen Grenzwalles: Die Römer überließen künftig die Germanen östlich des Rheins ihrer Barbarei“. Arminius war „schuld daran, daß große germanische und slawische Gebiete der besseren Segnungen der römischen Kultur nicht teilhaftig geworden sind“.5 Mit seinem so bezeichneten „Radauantigermanismus“, in dem Grundelemente der vertrauten Römer-Germanenantithese zu fassen sind, reagiert Hegemann auf das geradezu „ekstatische Germanenbild“ (K. von See), das vor allem im Umfeld Rosenbergs gepflegt wurde. In diesen Kreisen gewann die Germanenideologie nahezu den Charakter einer „Staatsreligion“.6 Die nationalsozialistische Germanenverehrung korrespondiert mit einer ausgeprägten „Anti-Rom haltung“ bzw. einem „antirömischen Affekt“. Die „Romfrage“, die in einem nicht vollendeten Handbuch der Romfrage zumindest angegangen wurde, lieferte Rosenberg das Stichwort für eine Auseinandersetzung mit der Katholischen Kirche und dem jüdisch geprägten Christentum.7 Dabei sahen sich die großen Amtskirchen mit der Forderung nach „Regermanisierung“ des Christentums konfrontiert. In diesen Kontext gehört schließlich der 1934 entbrannte „Streit um die Kulturhöhe der Germanen“, in dem u. a. die taciteische Germania als ein Schlüsseldokument der Germanenideo logie bemüht wird.8 Zu den wichtigsten Kontrahenten zählt der Münchener Kardinal Michael von Faulhaber (1869–1952), der die oder eine Programmschrift des deutschen Nationalis mus als Waffe gegen die z. T. sektiererische NS-Germanenideologie in seinen weit verbreiteten Predigten benutzt und offen auch die rassenpolitische NS-Gesetzgebung, konkret das Gesetz zur Verhütung [169] erbkranken Nachwuchses und die Praxis der Zwangssterilisierung, kritisiert.9 Gegen den Kardinal wurde Johann von Leers (1902–1965), einer der aggressivsten Vertreter antisemitischer Agitation, ins Feld geschickt, der auf „positiven“ Aussagen der Ger mania insistierte und einem anderen „Germanenklischee“ verpflichtet war als der Kardinal und auf dessen Vertiefung des „Barbarenvorwurfs“ äußerst gereizt reagierte.10 4 W. Hegemann, Entlarvte Geschichte, Prag ²1934, 13 (Nachdruck 2. Auflage Hildesheim 1979) (= Hege mann 1979). Die Wortprägung „Radauantigermanismus“ von Seiten der NS-Ideologen folgt wohl dem Begriff „Radauantisemitismus“, der auf den sich nach 1918 radikalisierenden Antisemitismus angewandt wurde. Vgl. D. Walter, Antisemitismus (Weimarer Republik), in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayems.de/artikel/artikel_44324 (18.05.2009). [Der Artikel ist inzwischen erreichbar unter der Adresse: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/ Antis emitismus_(Weimarer_Republik)#Radikalisierung_nach_1918:_.22Radauantisemitismus.22 (17.3.2016)] 5 Hegemann 1979, 21 u. 25. 6 K. von See, Deutsche Germanenideologie vom Humanismus bis zur Gegenwart, Frankfurt/M. 1970, 93. 7 E. Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005, 212ff. 8 A. A. Lund, Germanenideologie im Nationalsozialismus. Zur Rezeption der ‚Germania‘ des Tacitus im „Dritten Reich“, Heidelberg 1995. 9 M. Kardinal Faulhaber, Judentum, Christentum, Germanentum. Adventspredigten gehalten in St. Michael in München 1933, München 1934. 10 J. v. Leers, Der Kardinal und die Germanen, Hamburg 1934; vgl. dazu generell V. Losemann, Aspekte der nationalsozialistischen Germanenideologie, in: P. Kneißl / V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte und
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Von dem öffentlichen „Streit um die Kulturhöhe der Germanen“ und der extrem „antirömischen“ Argumentation der NS-Germanenideologen war auch die Interessenlage des faschistischen Italien berührt: Es war Mussolini selbst, der den Germanomanen deutlich antwortete: Wie er im September 1934 gegenüber französischen Parlamentariern bemerkte, erlaubten ihm „dreißig Jahrhunderte der Geschichte (...) mit überlegenem Mitleid auf gewisse Theorien jenseits der Alpen zu blicken, die von den Nachkommen eines Volkes vertreten werden, das zu einer Zeit, als Rom Caesar, Vergil und Augustus besaß, nicht einmal die Schrift kannte, um Zeugnisse seines Lebens zu überliefern.“11 Diese vielzitierte Äußerung des „Duce“ fiel in einer schwierigen Phase der deutsch-italienischen Beziehungen; sie belegt eine „esplosione giornalistica antigermanica“ in Italien im August und September 1934, in der die NS-Rassenlehre, ausdrücklich die Sterilisationspraktiken, der nordische Gedanke, antisemitische Äußerungen und die neugermanische Religiosität angeprangert wurden.12 „Jenseits der Alpen“ sahen sich die erbitterten Germanomanen wiederum von der „uralten Lüge von unserem nordischen Barbarentum“ verunglimpft. Nicht nur in der Gleichsetzung Germanen = Deutsche, sondern auch in der Gesamtaussage belegt Mussolinis Äußerung die Lebensk raft alter Klischeevorstellungen. Wenn er die zivilisatorischen Leistungen Roms und seine imperiale Tradition der „Kulturhöhe“ der Germanen gegenüberstellte, tat er das in Über einstimmung mit Hitler, der zum Ärger der Germanomanen, ganz ähnlich argumentierte. Für Hitler stellte die Antike die „Idealzeit“ dar.13 Der „Streit um die Kulturhöhe der Germanen“ ist Teil des eingangs erwähnten „Kampfes um die deutsche Vorgeschichte“. Dieser ist schon 1970 von Reinhard Bollmus ausführlich erörtert worden, so dass ich ihn in Reduktion auf seine im weiteren Sinne wissenschaftspolitischen Bezüge nur grob skizzieren muss.14 [170] Hauptakteur in dieser Auseinandersetzung war der von Rosenberg protegierte Prä historiker Hans Reinerth (1900–1990), dem Fachkreise schon 1921 eine Hinwendung zu „nordisch“-germanophilen Deutungsmustem attestierten.15 Reinerth, der sich 1931 Rosenberg angeschlossen hatte, gründete innerhalb des NSDAP-„Kampfbundes für deutsche Kultur“ 1931 die „Fachgruppe Deutsche Vorgeschichte“, der sich auch in Opposition zur RGK überwiegend Prähistoriker aus Ost-, Mittel- und Norddeutschland anschlossen. Erfolgreich betrieb Reinerth 1933 die Gleichschaltung der Vereine für Vorgeschichte und Altertumskunde, um selbst zum Führer des „Reichsbundes für deutsche Vorgeschichte“, einer „Erweiterung“ von Kossinnas „Gesellschaft für deutsche Vorgeschichte“, zu avancieren. 1934 übernahm Reinerth den Lehrstuhl seines „geistigen Vorkämpfers“ Kossinna in Berlin.16 Wissenschaftsgeschichte, Darmstadt 1988, 256–284. 11 Zitiert nach J. Petersen, Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1993–1936, Tübingen 1973, 370 (= Petersen 1973). 12 Petersen 1973, 369f. 13 Kroll 1998, 73 [s. Anm. 2]. 14 R. Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970 (hier zitiert nach der 2. Aufl. München 2006) (= Bollmus 1970). 15 R. Bollmus, „Das Amt Rosenberg“, das „Ahnenerbe“ und die Prähistoriker, in: A. Leube (Hrsg.), Prä historie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945, Heidelberg 2002 (= Leube 2002), 24. 16 K. Junker, Das archäologische Institut des Deutschen Reiches zwischen Forschung und Politik, Mainz 1997, 55 (= Junker 1997).
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Der „Kampf um die deutsche Vorgeschichte“ wurde von Reinerth mit einer „Kampfansage gegen die römisch germanische Forschung“ eröffnet. „Wir werden uns entschließen müssen, die bis zum Überdruß durchforschte provinzial-römische Fremdkultur endlich ruhen zu lassen und alle verfügbaren Kräfte und Mittel der Erschließung unserer arteigenen Vorzeit anzuwenden.“17 Diese Forderung lief zunächst auf eine „de facto-Auslöschung der Römisch-Germanischen Kommission“ (RGK) hinaus. Darüber hinaus betrieb er mit aller Energie die Einrichtung eines vom Archäologischen Institut des Deutschen Reiches unabhängigen „Reichsinstituts für deutsche Vorgeschichte“.18 Mit Klaus Junker bleibt festzuhalten, dass die Angriffe und Forderungen Reinerths nur vor dem Hintergrund einer „weit zurückreichenden Polarisierung in der deutschen Prähistorie“ zu verstehen sind. Junker verweist auch mit Recht darauf, dass Hans Reinerth wohl kaum allein für den länger schwelenden Grundkonflikt im Verhältnis zwischen Archäologie und Vorgeschichte, der jetzt offen ausbrach, verantwortlich zu machen ist.19 Damit wird ein erheblicher Anteil Reinerths, der selbst die Polarisierung seiner Anhänger provozierte, nicht bestritten. Seine Attacken wurden mit breiter Unterstützung der NS-Publizistik geführt. Wie Rosenberg, der Chefideologe, 1935 notierte, sollte die „römische Weltanschauung“ systematisch von der Vorgeschichte angegriffen werden. Im Februar 1936 erschien in der Zeitschrift „Dienst am Deutschen Schrifttum“ der anonyme Artikel „Jüdische Archäologen [171] vertreten germanische Vorgeschichte“.2010Er war Teil der letztlich erfolgreichen Hetze Reinerths, die 1937 zur Zwangspensionierung des „nichtarischen“ Direktors der RGK Gerhard Bersu (1889–1964) führte.2111 Reinerths Angriffe provozierten auch Widerstand, an dessen Spitze der Präsident des DAI Theodor Wiegand (1864–1936) stand. Die Gegenoffensive der westdeutschen Archäologen, die Reinerths Gleichschaltungsversuche abwehrten, führte zu einer bemerkenswerten Bündnis konstellation. Dazu gehörten der Nord- und der Süd- und Westdeutsche Verband der Vereine für Altertumskunde, die eine Dach- bzw. Tarnorganisation (Bollmus) gründeten, um sich dem Anschluß an Reinerths „Reichsbund“ zu entziehen. Sie fanden dabei die Unterstützung der Provinzialverwaltung unter dem Landeshauptmann Heinrich Haake (1892–1945) und die des Gauleiters Josef Terboven (1898–1945), des Oberpräsidenten der Rheinprovinz.2212 Die Gegenoffensive der beschriebenen Bündniskonstellation gipfelte in einer Rede des Landesrates Hans-Joachim Apffelstaedt (1902–1944) am 26. April 1936 anlässlich der Wiedereröffnung des Bonner Museums, das nun die neue Ausstellung „Der Kampf um den Rhein“ präsentierte. R. Bollmus hat Apffelstaedts Rede als „ein Zeichen hohen Mutes“ bezeichnet.2313Der Leiter der Kulturabteilung der rheinischen Provinzialverwaltung verwahrte sich energisch gegen alle Diffamierungen aus dem Rosenberglager und stellte fest, daß die provinzialrömische Forschung „hier im Westen ein unveräußerliches Stück der Landesforschung“ 17 Zitiert nach G. Schöbel, Hans Reinerth. Forscher – BS-Funktionär – Museumsleiter, in: Leube 2002, 341 [s. Anm. 15]. 18 Junker 1997, 54 [s. Anm. 16]. 19 Junker 1997, 54f. [s. Anm. 16]. 20 W. Krämer, Gerhard Bersu – ein deutscher Prähistoriker (1889–1964), in: 100 Jahre Römisch-Ger manische Kommission, Bericht der RGK 82 (2001) 49 (= Krämer 2001). 21 Krämer 2001, 59. 22 Zitiert nach Bollmus 1970, 191 [s. Anm. 14]. 23 Bollmus 1970, 193.
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sei. Schließlich forderte er „ein Reichsinstitut im Sinne des Wiegand-Planes“, der gegen Reinerths Konzept auf ein Reichsinstitut „mit der Aufgabe einer einheitlichen Pflege von Vorgeschichte und Archäologie“ abzielte.2414Ohne Rückendeckung des Gauleiters und Oberpräsidenten Terboven und wahrscheinlich auch mit der stillen Duldung durch Himmler, der u. a. auf dem archäologischen Gebiet mit dem Amt Rosenberg konkurrierte, hätte diese Rede nicht gehalten werden können. Das erstaunliche Ergebnis der Offensive gegen Rosenberg fasste der Gauleiter Terboven selbstbewusst in der vertraulich abgegebenen Bemerkung zusammen, er „habe dafür gesorgt, dass Rosenberg dem Rheinland ferngehalten wird“.2515 Soweit zunächst das von Bollmus in seiner Pionierstudie von 1970 gezeichnete Bild. Was die Position Apffelstaedts angeht, setzt Bettina Bouresh, die 1996 die „Neuordnung des Rheinischen Landesmuseums 1930–1939“ untersucht hat, etwas andere Akzente;2616darauf wird im Zusammenhang mit dem Terminologiestreit noch zurückzukommen sein. [172] Auf der anderen Seite konnten Rosenberg und sein Schützling Reinerth Mitte 1936 glauben, das zentrale Ziel der Schaffung eines von der Archäologie unabhängigen Reichsinstituts für „deutsche Vorgeschichte“ erreicht zu haben. Indessen blieb das für Provinzial- und Klassische Archäologen gleichermaßen bedrohliche Projekt letztendlich im „Kompetenzenchaos“ des Führerstaats hängen, das Institut wurde nicht eingerichtet, was 1936/37 freilich nicht absehbar bzw. erkennbar war. Allem Anschein nach resignierten die Vertreter des Archäologischen Instituts. Insofern darf man von einer prinzipiell offenen Lage oder von der Fortdauer des Bedrohungsszenarios sprechen. Das blieb auch so, als Reinerth ab 1937 im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines erst im Februar 1945 (!) abgeschlossenen Parteigerichtsverfahrens allmählich immer stärker unter Druck geriet – wodurch sein Aktionsradius aber zunächst nicht eingeschränkt wurde. Die bislang von mir verfolgten Spuren der NS-Germanenideologie und die Ausein andersetzungen zwischen Reinerth und den archäologischen Disziplinen sind weitgehend bekannt – ich habe auf die einschlägigen Studien verwiesen. In einer begrenzten Perspektive, gleichsam ausschnittartig, spiegelt sich die weitere Ent wicklung in einem Dokument aus den Beständen des Reichsministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung (RMWEV), das – soweit ich sehe – bislang nicht ausgewertet wurde. Es geht um eine Initiative des bereits erwähnten Landeshauptmanns Haake, der, wie bekannt, mit anderen Bündnispartnern den Ambitionen des Rosenberglagers schon 1936 entgegengetreten war. Unter dem 25.11.1938 wandte sich Haake als Landeshauptmann der Rheinprovinz, als MdR und Amtsleiter der NSDAP zunächst an den für Koblenz und Trier zuständigen Gauleiter Gustav Simon (1900–1945).2717Im „Völkischen Beobachter“ hatte er gelesen, dass der „Führer“ den Auftrag zur Ausgrabung des, so Mommsen, „Pompeji an der Donau“, also Carnuntums gegeben habe.2818Der Artikel im „Völkischen Beobachter“ vom 12. November 1938 trug folgende 24 Nach Bollmus 1970, 192f. [s. Anm. 14]. 25 Bollmus 1970, 27. 26 B. Bouresh, Die Neuordnung des Rheinischen Landesmuseums Bonn 1930–1939. Zur nationalsozialistischen Kulturpolitik in der Rheinprovinz, Bonn 1996, 141 (= Bouresh 1996); vgl. H. Gansohr-Meinel, Die Wiedereröffnung am 26. April 1936, in: Das Rheinische Landesmuseum Bonn 2 (2002) 25–32. 27 Haake an Simon v. 25.11.1938, BA Berlin, R 4901, 15177, fol. 11–14. 28 Haake an Simon v. 25.11.1938, BA Berlin, R 4901, 15177, fol. 11–14.
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Überschrift: „Auf Befehl des Führers: Carnuntum wird freigelegt!“2919Die Initiative ging auf den „Gauleiter Landeshauptmann Dr. (Hugo) Jury“ zurück, der nach Absprache mit dem „Österreichischen Archäologischen Institut“ (ÖAI) eine reich ausgestattete Pergamentkassette mit Bildtafeln und u. a. einem Gutachten von Rudolf Egger (1882–1969) herstellen ließ, die über Rudolf Heß dem „Führer“ zugeleitet wurde.3020Das in der [173] Schrift „Rätsel um Carnuntum“ ausführlich vorgestellte Projekt „Führergrabung“ zeigt aus der Perspektive der Landeshauptmannschaft Niederdonau einen deutlich anderen Blick auf die „römisch-germanische Auseinandersetzung“ der Antike und der Neuzeit als den in Hitler-Deutschland üblichen. In der (farbigen) Bildtafel I weht die Hakenkreuzflagge einträchtig neben einer Säule mit dem Liktorenbündel (Bildunterschrift: Hakenkreuz und Liktorenbündel). Die Tafel XI zeigt unter einer Umzeichnung einer Münze „Kaiser Pius und der Quadenkönig“ das Foto „Führer und Duce“, die im Handschlag (wie der Kaiser und der Quadenkönig) verbunden sind. Diese Bilder suggerieren eine vereinte, konfliktfreie faschistische und nationalsozialistische Antikerezeption. Von dem konfrontativen, dezidiert antirömischen Zugang zur Antike der NS-Germanenideologen ist in diesen Bildern nichts zu spüren. Für die von Erich Swoboda begonnene „Führergrabung“ wurden, das sei hier eingeschoben, beträchtliche Mittel eingesetzt: Allein für 1939 hatte man 1,846000 Millionen Reichsmark für die Aktivitäten in Carnuntum berechnet!3121Von daher ist leicht vorstellbar, dass das Projekt Führergrabung bzw. Carnuntum auch im Rheinland Begehrlichkeiten weckte. Im Blick auf das erfolgreiche Agieren der Landeshauptmannschaft Niederdonau und der Gauleitung, die vermutlich auch Hitlers „Antike-Obsession“ ausnutzten, verwies Haake seinen Gauleiter angelegentlich auf ein noch im rheinischen Boden ,schlummerndes‘ Großprojekt, „nämlich die Freilegung des gesamten Palast-Platzes“. Angeblich hatte dies der Preußische Finanzminister Popitz (1884–1945) 1937 vorgeschlagen, der befürchtete, dass auf dem Gebiet der Römerforschung als Folge der dauernden Angriffe ein empfindlicher Nachwuchsmangel eintreten werde, der die „Weltgeltung“ der deutschen Archäologie gefährdete.3222 Der Führerbefehl „Carnuntum wird ausgegraben“ besaß für Haake aber auch grundsätzliche Bedeutung als ein klares Signal Hitlers „gegen die negativen Einstellungen, wie sie seit Jahr und Tag auch im Rheinland über die Erforschung der römerzeitlichen Epoche zutage getreten sind“. Dem Willen des Führers entsprach es also eindeutig, dass „neben der Vorgeschichte auch die Hinterlassenschaft der Römerzeit eine einwandfreie, wissenschaftliche Erforschung“ finden sollte. Haake ging es darum, die Interessen der ihm unterstellten Provinzialarchäologie im Rheinland zu wahren bzw. deren Existenzberechtigung zu sichern, dies ausdrücklich unter Be 29 Zitiert nach F. Kreutz, Rätsel um Carnuntum. Verfasst und zusammengestellt vom Leiter des Sonder dienstes Carnuntum der Landeshauptmannschaft Niederdonau Franz Kreuz, o. O., o. J. [1939], 83 (= Kreutz 1939). 30 Vgl. Kreutz 1939, 83f.; vgl. zu diesem Projekt jetzt G. Wlach, Camillo Praschniker (1884–1949), in: M. Maischberger / G. Brands (Hrsg.), Lebensbilder – Klassische Archäologen 1933- 1945 (im Druck), Manuskript S. 12. Frau Gudrun Wlach danke ich herzlich für die Bereitstellung des Manuskripts. [Der Band ist im VML-Verlag in Rahden/Westf. 2012 in der Reihe „Menschen – Kulturen – Traditionen. Studien aus den Forschungsclustern des Deutschen Archäologischen Instituts 2,1“ erschienen. Der angesprochene Aufsatz steht auf den Seiten 75–89]. 31 Vgl. Landeshauptmannschaft Niederdonau. Sonderdienst Carnuntum, Befehl des Führers: Die Ausgrabung von Carnuntum. Kostenvoranschlag und Grabungsplan für 1939, Wien im Januar 1939, 5. 32 Haake an Simon v. 25.11.1938, BA Berlin, R 4901, 15177, fol. 11–14.
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achtung des Primats der Vorgeschichtsforschung. Dabei suchte der Landeshauptmann auch die Chancen des unter dem Vorzeichen der gerade befestigten „Achse Berlin-Rom“ geschlossenen Kulturabkommens zwischen Deutschland und Italien zu nutzen. Danach sollten „aus den Schul- und Geschichtsbüchern beider Staaten verfälschende Ansichten der beiden Völker übereinander ausgemerzt werden“. So begrüßt Haake es „freudig“, dass der „Achsenpartner“ [174] nunmehr endlich „mit dem ,Barbarenunfug‘ ausräumen will“.3323Der deutsch-italienische „Streit um die germanische Kulturhöhe“ hatte die NS-Germanenideologen erbittert. Von ihnen verlangte Haake, jetzt ein neues Verhältnis zu den römischen Überresten auf deutschem Boden zu gewinnen. So sei es etwa nicht mehr tragbar, „von der Kultur des Imperiums als einer ,Niederrassen-‘ oder Allerweltskultur“ zu sprechen – und dies unbeschadet einer von ihm bejahten „klare(n) völkischen Stellungnahme zu dem Problem Germanen-Römer“. In diesem Zusammenhang war für Haake „immer wieder sachlich und klar festzustellen, dass es sich hier um eine Fremdherrschaft gehandelt hat, deren gelungene Beseitigung eine der stolzesten Taten unseres Volkes darstellt“.3424 Der komplizierte Weg zu dem deutsch-italienischen Kulturabkommen zeigt sehr deutlich, dass die kulturpolitischen Beziehungen zwischen den Achsenpartnem im Bezugsrahmen der „Römer-Germanen-Antithese“ im Grunde weiterhin belastet waren. Das belegt ein Detail: Ein in Berlin unter deutscher Leitung zu gründendes ,,Istituto tedesco per lo Studio della cultura italiana e della Romanità“ firmierte in der deutschen Fassung des Abkommens als „Deutsches Institut für das Studium der italienischen und nachrömischen Geschichte und Kultur“. Damit war Romanità, der Schlüsselbegriff der faschistischen Antikerezeption ganz offenbar bewusst, sehr inadäquat und für die italienische Seite provozierend mit nachrömisch übersetzt worden.3525 Im Rahmen dieser Initiative wandte Haake sich schließlich auch an andere Gauleiter, vor allem aber auch an das Reichspropagandaministerium von Joseph Goebbels, mit der Anregung, im Einvernehmen mit dem Reichsministerium Rusts (RMWEV) „auf amtlichem Wege“ eine „für das gesamte wissenschaftliche Schrifttum gültige Sprachregelung“ vorzunehmen, die zu einer „einheitliche(n) Bezeichnung der Römerzeit in Deutschland“ führen sollte. Haake nannte die Termini „römerzeitliche Epoche“, „römische Besatzungszeit“, „Zeit der Römerherrschaft“ und „römische Fremdherrschaft“. Im Geiste des erwähnten Kulturabkommens sollten so durch „eine allgemein gültige, klare Bezeichnung“ (...) „vielfältige Zwistigkeiten und Fehl beurteilungen“ beseitigt werden.3626 „Terminologieprobleme“ im Umgang mit der römisch-germanischen Auseinandersetzung gab es nicht nur im Kontext des deutsch-italienischen Streits um die germanische Kulturhöhe. Der Landeshauptmann Haake hatte – und das gehört zur Vorgeschichte seiner Initiative – auch in seinem eigenen Amtsbereich Erfahrungen mit derartigen Terminologieproblemen. [175] Hier ist auf die Rolle des Landesrates Apffelstaedt zurückzukommen: In der Museumsarbeit, insbesondere im Umgang mit den römischen Steindenkmälern zeigte sich nach B. Bouresh sehr deutlich, „wie wenig die (oben erwähnten) demonstrativen Worte Apffelstaedts 33 Haake an Simon v. 25.11.1938, BA Berlin, R 4901, 15177, fol. 11–14. 34 Haake an Simon v. 25.11.1938, BA Berlin, R 4901, 15177, fol. 11–14. 35 A. Hoffend, „Verteidigung des Humanismus“? Der italienische Faschismus vor der kulturellen Herausforderung durch den Nationalsozialismus, in: J. Petersen / W. Schieder (Hrsg.), Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat – Wirtschaft – Kultur, Köln 1998, 188. 36 Haake an Reichsminister Goebbels v. 25.11.1938, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 10 und Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda/Ministerbüro an RMEWV v. 5.12.1928.
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von 1935 für die ,Einheit der Bodenforschung“ und sein Ruf nach ‚unbedingter Exaktheit wissenschaftlicher Forschung‘ mit der Praxis gemeinsam hatten.“3727 Römische Wehrbauten wie den Limes oder die Porta Nigra wollte Apffelstaedt 1935 „auch in der Zukunft bewußt sehen (...) als Zwingburgen gegen unser Volk, die aber gerade deshalb und bei der rückhaltlosen Anerkennung der bautechnischen Leistungen, uns mit umso größerem Stolz erfüllen über die urgewaltige Lebenskraft der germanischen Stämme, unter deren Drang nach Freiheit und Lebensrecht sie dennoch wie nichts zerbrachen.“3828 Ein Beispiel für einen freilich eher „verhaltenen“ Widerstand von Wissenschaftlern gegen die Termini des germanozentrisch und antirömisch akzentuierten NS-Geschichtsbildes lieferte der Bonner Museumsdirektor Franz Oelmann (1883–1963), der sich im April 1936 gegenüber einem Pressereferenten gegen die Benutzung ,germanenideologisch‘ geprägter Begriffe in der Museumsfestschrift von 1936 verwahrte: „Erst gestern am Sonntag fand ich eine ungestörte Stunde, um die 2. Korrektur der Festschrift zu erledigen. (...) Der Ausdruck ,Besatzungszeit‘ passt in diesem Zusammenhang keinesfalls. Er ist ein politischer Begriff mit propagandistischem Beigeschmack aus der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit und lässt sich unmöglich auf eine so entfernte Vergangenheit übertragen, wo es ein Deutschland im politischen Sinne überhaupt noch nicht gab.“3929
Im deutlichen Unterschied dazu mahnt Apffelstaedt im Oktober 1936 gegenüber dem Bonner Landesmuseum eine zeitgemäße Terminologie an: „Gelegentlich des Studiums des wissenschaftlichen Schrifttums der Rheinischen Landesmuseen ist mir jüngst noch wiederholt aufgefallen, dass hinsichtlich der Zeiteinteilung der Vor- und Frühgeschichte immer noch das mehrere Jahrtausende umfassende Gebiet der Vorzeit als vorrömische Zeitstufe und entsprechend die Völkerwanderungszeit im weitesten Sinne als nachrömische Zeitstufe bezeichnet wird. Eine solche Benennung entspricht in keiner Weise den An schauungen unserer Zeit und ist in Zukunft bei allen [176] Veröffentlichungen grundsätzlich durch: Vorgeschichte, Römerzeit, frühgermanische (Völkerwanderungs-) Zeit zu ersetzen.“4030
Mit diesen Einlassungen befand sich Apffelstaedt in Übereinstimmung mit den auf der Ulmer Reichsbundtagung für Vorgeschichte vom Oktober 1936 offenbar gleichzeitig formulierten „Zeitstufenbenennungen“. Damit vertraten Apffelstaedt und Haake ähnliche Positionen wie die „völkischen Germanenkundler“, die sich schon vor der Machtübernahme für eine „korrekte“ germanische Terminologie, genauer gesagt für „Zeitstufenbenennungen“ interessiert hatten. Für Wilhelm Teudt (1860–1942), den Gründer der „Vereinigung der Freunde germanischer Vorgeschichte“ (1928), die später in Himmlers „Ahnenerbe“ überging, war das schon damals ein aktuelles Anliegen.4131„Neubenennungen“ der Zeitstufen, so äußerte er auf der eben erwähnten „3. Reichstagung für deutsche Vorgeschichte“ im Oktober 1936 in Ulm, sollten „bei der Bedeutung, die Vorgeschichte heute für jeden Deutschen besitzt, so einfach und klar wie mög37 Bouresh 1996, 106 [s. Anm. 26]. 38 H.-J. Apffelstaedt, Wiedereröffnung des Rheinischen Landesmuseums in Bonn, in: Die Rheinprovinz 4 (1935) 238; vgl. Bouresh 1996, 106. 39 F. Oelmann an Kornfeld v. 6.4.1936, zitiert nach Bouresh 1996, 106 mit Anm. 423 (158) [s. Anm. 26]. 40 H.-J. Apffelstaedt an Landesmuseum Bonn v. 19.10.1936, zitiert nach Bouresh 1996, 158 mit Anm. 424. 41 U. Halle, Detmold und die deutsche Vorgeschichtsforschung, in: Nationalsozialismus in Detmold. Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, Bielefeld 1998, 546 (= Halle 1998).
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lich geprägt“ werden, um „allgemeinverständlich“ zu bleiben.4232Teudts Vorstoß auf der oben genannten Tagung wurde ohne Namensnennung referiert, mit seinen Vorschlägen konnte er sich freilich nicht durchsetzen. Immerhin fanden „die Bezeichnungen Urgermanische Zeit für Bronzezeit, d. h. ungefähr für den Zeitraum von 2000 bis 750 vor Beginn unserer Zeitrechnung und Großgermanische Zeit (Hervorhebung im Original) für die bisher als Eisenzeit bezeichnete Stufe, deren Ende auf deutschem Boden etwa um 800, im Norden Europas etwas später anzusetzen ist, allgemeine Billigung.“4333 Mit diesem auf der Ulmer Tagung erzielten Kompromiss lag also im Grunde schon die von Haake, wie oben erwähnt, angemahnte „klare völkische Stellungnahme zu dem Problem ,Germanen – Römer‘“ vor. Diese „Stellungnahme“ kam freilich von der „Gegenseite“. Diese umfasste um die Klassifizierung von Uta Halle aufzugreifen, neben „unheilvollen Phantasten“ wie Wilhelm Teudt auch Vertreter „beamteter Wissenschaft“ wie z. B. Hans Reinerth.4434Soweit die unmittelbare Vorgeschichte von Haakes Initiative. Haakes Vorstoß bei dem für Sprachregelungen im weitesten Sinne zuständigen Reichs propagandaministerium führte dann zu einer Rundfrage bei einzelnen Institutionen und Wissenschaftlern, die vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ausging. [177] Die Federführung lag beim Amt Wissenschaft des RMWEV, dessen Himmlers Ahnenerbe nahestehender Referent, Prof. Werner Buttler (1907–1940), von Hause aus ein Prä historiker (ein Schüler Gero von Merharts), zusammen mit dem Ministerialrat Frey diese Um frage im Januar 1939 auf den Weg brachte.4535 Die Reaktionen von Januar bis April 1939 ergaben kein einheitliches Bild und können hier nur kurz zusammengefasst werden: So gingen Martin Schede und Ernst Sprockhoff, die Vertreter des Deutschen Archäologischen Instituts und der Römisch-Germanischen Kommission, also die vom „Primat der Vorgeschichtsforschung“ und den NS-Germanenideologen am ehesten bedrohten Institutionen, ebenso wie ein Vertreter der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Distanz zu den „im volkstümlichen Schrifttum“ häufig verwendeten Begriffen „Besatzungszeit“ und „Fremdherrschaft“, die besser nicht zu „propagandistischen“ Zwecken verwendet werden sollten.4636Stattdessen empfahl man „römische Kaiserzeit“ als „reinen Epochenbegriff“, der für keine Seite – so der damalige Präsident des DAI, Schede, – „etwas Anstößiges“ enthielt. Da rüber hinaus könnten Zusätze wie „Römische Kaiserzeit im Rheinland“ oder in „Donau-Deut schland“ zu noch genauerer Bezeichnung führen.4737 Sprockhoff und Schede waren für derartige Terminologieprobleme sensibilisiert. Sprock hoff hatte 1936 erwogen, auf den Namen „Römisch-Germanische Kommission“ zu verzichten, 42 Zitiert nach Halle 1998, 546 [s. Anm. 41]. 43 W. Hülle, Zeitbestimmung und Zeiteinteilung in der Vorgeschichtswissenschaft, in: Nationalsozialistische Monatshefte 8 (1937) 310 (mit entsprechender Zeittafel zwischen 304 und 305). 44 U. Halle, „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“ Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld 2002, 69. 45 Hs. Notiz Ministerialrat Frey v. 7.1.1939 mit Bearbeitungsvermerk Buttlers v. 10.1.1939, R 4901, 15177 fol. 9 (Rs.). 46 Ernst Sprockhoff an Archäologisches Institut des Deutschen Reiches v. 13.2.1939 (Abschrift), BA Berlin R 4901, 15177 fol. 25. 47 Schede an Reichsministerien für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung v. 17.2.1939, BA Berlin R 4901, 15177 fol. 25.
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da dieser seit langem Anlaß zu Angriffen bot. Schede hielt dagegen die „Formlosigkeit“ der reinen Ortsbezeichnung „Abteilung Frankfurt“ (des DAI) im Augenblick für den „beste(n) Schutz“. Zeitweise wurde nach 1936 der Traditionsname durch den Begriff „Zweiganstalt Frankfurt“ ersetzt.4838In ihren Stellungnahmen zur einheitlichen Bezeichnung der Römerzeit in Deutschland vom Februar 1939 traten Sprockhoff und Schede allem Anschein nach selbstbewusster auf. Ernst Petersen (1905–1944), damals Direktor des Landesamtes für Vorgeschichte in Breslau, sah in der einheitlichen Bezeichnung „ein für die Volksaufklärung wie für die Wissenschaft gleich bedeutsames Erfordernis“.4939Nach Erwägungen über substantivischen wie adjektivischen Gebrauch schlug er den kürzesten Begriff „Römerzeit“ als ein Gegenstück zur „Germanenzeit“ vor, der im „Wertinhalt so zurückhaltend wie möglich“ war, aber auch nicht ausschloss, dass „während dieses Zeitraums in West- und Süddeutschland und der Ostmark beträchtliche [178] Bevölkerungsteile germanischer, keltischer und illyrischer Abstammung ansässig“ waren. Zu „schwerfällig“ schienen dagegen die Formen „Zeit der römischen Fremdherrschaft“, „Rö mische Besatzungszeit“ und – eine neue Variante – „Römische Überfremdungszeit“.5040Gustav Schwantes (1881–1960), der Vertrauensmann für Kulturgeschichtliche Bodenaltertümer in Kiel, der aus dem Nordwestdeutschen Verband kam, unterstützte ganz ausdrücklich Haakes Einsatz für die Römerforschung, über die man erst „die hohe Bedeutung der germanischen Kultur“ klarer erkennen könnte. Zum Punkte „einheitliche Benennung“ schloss er sich weitgehend dem Vorschlag Petersens an, d. h. er votierte für die „Römerzeit“.5141 Der Kurator des Himmlerschen „Ahnenerbes“, der Münchener Indogermanist Walther Wüst (1901–1993), ein bekannter NS-„Wissenschaftspolitiker und Multifunktionär“,5242beklagte in diesem Zusammenhang die im Ansatz falsche, lange Zeit übliche „Gegenüberstellung einer imperialen Stadtkultur und einer nationalen Bauernkultur“, die „zu dem hinreichend bekannten ‚Barbarenstandpunkt‘ geführt“ habe.5343Gleichzeitig unterstrich er auch aus der ‚indogermanischen‘ Perspektive die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der römischen Kultur und den römischen Resten an Rhein und Donau. Wüst offerierte seinerseits die letztlich auch für ihn unbefriedigende Bezeichnung „Zeit der Römerkriege“.5444 Kurz und eindeutig reagierte schließlich der zu dieser Zeit im Fach eher isolierte Hans Reinerth, der für Rosenbergs „Amt Vorgeschichte“ antwortete. Er hielt den Ausdruck „unter römischer Fremdherrschaft für besonders gerechtfertigt“, da er ohne Spitze gegen das „heutige Italien“ (...) „klar die fremde, nicht bodenständige Kultur dieses Zeitabschnittes und die Unterwerfung der ansässigen keltischen und germanischen Stämme unter fremdem Macht willen“ bezeichne.5545
48 S. von Schnurbein, Abriß der Entwicklung der Römisch-Germanischen Kommission, in: 100 Jahre Römisch-Germanische Kommission, Bericht der RGK 82 (2001) 210f. 49 E. Petersen an RMEWV v. 21.2.1939, BA Berlin R 4901, 15177 fol. 26 (Rs.). 50 E. Petersen an RMEWV v. 21.2.1939, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 10. 51 G. Schwanters an RMEWV v. 11.3.1939, BA Berlin R 4901, 15177 fol. 29–30. 52 So jetzt M. Schreiber, Walther Wüst. Dekan und Rektor der Universität München 1935–1945, München 2008, 151. 53 W. Wüst an RMEWV v. 5.5.1939, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 38f. 54 W. Wüst an RMEWV v. 5.5.1939, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 40. 55 H. Reinerth an RMEWV v. 29.3.1939, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 37.
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Der Münchner Ordinarius für Vor- und Frühgeschichte, Hans Zeiß (1895–1944), schied zunächst aus sprachlichen Gründen den Begriff „römerzeitliche Epoche“ aus. Auch von „römischer Besatzungszeit“ wollte er im Hinblick auf „die Maßnahmen der Alliierten nach dem Weltkrieg, deren Verschiedenheit von der Ausbreitung des römischen Imperiums keiner besonderen Begründung bedarf“, nicht sprechen.5646Bedingt tauglich „für jene Gebiete unseres Vaterlandes, die einst kürzere oder längere Zeit zum Römerreich gehört haben“, schien schließlich die Bildung „Zeit der [179] Römerherrschaft“, den er ebenso wie den „reinen Zeitbegriff“ ,römische Kaiserzeit‘ für das wissenschaftliche Schrifttum empfahl.5747 Der Ausdruck „römische Fremdherrschaft“ war zwar „für das wissenschaftliche Schrift tum nicht zweckmäßig“, sollte aber der „Darstellung bestimmter geschichtlicher Aus ein andersetzungen vorbehalten“ bleiben. In bestimmten Fällen, „so z. B. bei dem berühmten Freiheitskampf der Cherusker und ihrer Bundesgenossen“ war er nach dieser Auffassung „der Geschichtsschreibung“, wie H. Zeiß formulierte, geradezu „unentbehrlich“.5848Nur einer der Gutachter, der Bonner Prähistoriker Kurt Tackenberg (1899–1992), hielt eine „auf amtlichem Wege festzusetzende Bezeichnung für die Römerzeit (...) für nicht glücklich“ und gab der Hoffnung Ausdruck, dass der von ihm bevorzugte neutrale Begriff „Römerzeit“ zum Allgemeingut werden würde.5949Ungewöhnlich deutlich – natürlich aus Bonner Perspektive – unterstützte er das Anliegen Haakes, der „Diffamierung von Römerforschung und von Vertretern dieses Faches im Rheinland“ wirkungsvoll entgegenzutreten.6050 Diese Momentaufnahme von Anfang 1939 illustriert die schwierigen Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten auf dem Gebiet der römischen Geschichte. Die Mehrzahl der Gutachter geht eher auf Distanz zu propagandistischen Geschichtsbildern und möchte im konkreten Fall den Terminus „römische Kaiserzeit“ beibehalten. Erkennbar ist immerhin noch ein gewisser Erklärungs- und Rechtfertigungsdruck gegenüber den radikalen Positionen der Germanenideologen. Deutlich sind auch in diesen Äußerungen zu terminologischen Problemen der römisch-germanischen Auseinandersetzung regionale Unterschiede und Dispositionen zu erkennen. Die wohl mit Bedacht vom Ministerium ausgewählten Fachleute äußerten sich zumindest für den wissenschaftlichen Bereich eher moderat und hoben sich in der Mehrzahl damit deutlich konsequent von der antirömischen Position Reinerths ab. Insgesamt sind hier eher schwache Reflexe auf die NS-Germanenideologie zu fassen. Der für die Phase der Machtübernahme charakteristische Bekenntnisdruck und -willen in den „Programmdiskussionen“ vom Typ „Die Antike und wir“ ist deutlich zurückgegangen.6151 Zu einer amtlichen Bezeichnung der Römerzeit ist es im Dritten Reich nicht gekommen. Im Ministerium war man sich nach Rücksprache mit Landesrat Apffelstaedt einig, das Vorhaben im Krieg „aus politischen Gründen zweckmäßigerweise“ zurückzustellen. Die Rücksprache mit Apffelstaedt zeigt sehr klar, dass die Initiative, eine verbindliche Terminologie für die römischgermanische Auseinandersetzung [180] festzulegen, von ihm ausgegangen ist. Gleichwohl wur56 57 58 59 60 61
H. Zeiß an RMEWV v. 23.1.1939, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 23. H. Zeiß an RMEWV v. 23.1.1939, BA Berlin, R 4901, 15177, fol. 23 (Rs.). H. Zeiß an RMEWV v. 23.1.1939, BA Berlin, R 4901, 15177, fol. 23 (Rs.). K. Tackenberg an RMEWV v. 13.3.1939, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 32. K. Tackenberg an RMEWV v. 13.3.1939, BA Berlin, R 4901, 15177 fol. 33–34. Vgl. V. Losemann, Programme deutscher Althistoriker in der „Machtergreifungsphase“, in: Quaderni di storia 11 (1980) 35–105 [Nr. 1].
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de der Vorgang im Ministerium akribisch verwaltet bzw. den wechselnden Referenten bis zum 22. Juni 1944 immer wieder vorgelegt. Der für den 22.6.1945 (!) notierte Vorlagetermin konnte nicht mehr wahrgenommen werden! Im Zweiten Weltkrieg wären – das kann hier nicht geschehen – andere Spuren der NSGermanenideologie aufzunehmen, die vor allem die hauptsächlich von Himmler getragene Großgermanische Politik (inklusive eines „germanischen Wissenschaftseinsatzes“ betreffen). Das Beispiel der „Großgermanischen Politik“ zeigt, welche Sprengkraft die NS-Germanen ideologie besaß. Die hier vorgestellte Terminologiediskussion ist, in einem sehr weiten Sinne, eine Vorbedingung für den Schritt in die Praxis der „Großgermanischen Politik“. Insgesamt konnte hier kein spektakuläres Ergebnis der Debatte vorgelegt werden. Es bleibt die von Bettina Bouresh formulierte Aufgabe einer Studie „über die angewendete wissenschaftliche Be grifflichkeit und deren Wandel“.6252 Am Schluss möchte ich noch einmal an das einleitend zitierte Diktum von Victor Klemperer erinnern und fragen, was sich hinter seinem auf einer anderen Ebene angesiedelten Um benennungsvorschlag Arminien verbarg. In seiner bedrängten Lage trug das germanisch geprägte Arminien seiner Gegenwart bedrohliche Züge. Vielleicht fürchtete Klemperer, wie der Literaturwissenschaftler Andreas Kelletat meint, die Erfüllung der in Friedrich Schillers „Die Räuber“ angelegten „Vision“ eines „deutsch-arminischen Mega-Sparta“: In der zweiten Szene des ersten Akts beschwört dort der Räuberhauptmann Karl Moor den „Geist Hermanns“, der als Arminius 9 n. Chr. den römischen Feldherrn Varus vernichtend schlug. Ein im „Geist Hermanns“ geführtes Heer würde, so Moor, aus Deutschland „eine Republik“ machen, „gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sein sollen“.6353 Im NS-Geschichtsbild sind die Vorstellungen und Visionen von Sparta und den Germanen stark agrar- und rassenideologisch geprägt. Den darin vorgestellten ursprünglich rassereinen Gesellschaften eignet unverkennbar ein utopischer Grundzug (F.-L. Kroll). Für einen Mann in der bedrängten Lage Victor Klemperers musste diese mit der Praxis der Rassengesetzgebung verknüpfte Vorstellung mehr als bedrohlich sein.
62 Bouresh 1996, 158 Anm. 424 [s. Anm. 26]. 63 Friedrich v. Schiller, Die Räuber. Gesammelte Werke in fünf Bänden, hrsg. v. R. Netolitzky, Bd. 1, Bielefeld 1955, 43; vgl. auch V. Losemann, Arminius. Karriere eines Freiheitshelden, in: B. van Schlun / M. Neumann (Hrsg.), Mythen Europas – Schlüsselfiguren der Imagination. Das 19. Jahrhundert, Regensburg 2008, 99 [Dieser Aufsatz wurde wiederabgedruckt in: B. van Schlun / M. Neumann (Hrsg.), Menschen die Geschichte schrieben. Das 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2014, 103–125].
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Register Personenregister Achill 127 Agis IV. 183, 187 Aischylos 32 Alexander (der Große) 21, 28, 223, 272 Alföldi, Andreas 1 53 Alföldy, Geza 5 Althaus, Hermann 82 Altheim, Franz 137–160, 164, 166, 169, 174, 221, 231, 232, 235, 277 Altheim-Stiehl, Ruth 138* Aly, Götz 162, 170, 173, 278 Aly, Wolfgang 7 André, Gustav 52, 58 Apffelstaedt, Hans-Joachim 286, 287, 289, 290, 293 Ariovist 197 Arminius 237–242, 246–249, 251–268, 284 Arndt, Ernst Moritz 239, 240 Arnim, Achim v. 49 Attila 195 Augustus 31, 127, 238, 243, 257, 261, 285 Aventinus, Joh. 247 Bacher, Franz 45 Bachofen, Johann Jakob 122 Backe, Herbert 177 Baeumler, Alfred 43, 49, 83, 84*, 94, 224 Bandel, Ernst v. 246 Bartel, Adolf 246 Baumgärtner, Raimund 71*, 80 Beethoven, Ludwig van 263 Beloch, Karl Julius 22, 114 Bengtson, Hermann 280 Benn, Gottfried 128, 129, 191, 217 Benzing, Richard 72–74, 83, 86–98 Berger, Kurt 50, 58 Bersu, Gerhard 286
Berve, Helmut 6, 12, 14, 22, 24– 29, 34, 36–41, 103, 104, 105, 107, 108, 112, 116–122, 129, 130, 131, 133, 134, 136, 166, 171–174, 205, 206, 211, 218, 222–228, 232, 233, 235, 269, 271–275, 279, 280 (s. auch Berve-Schule) Bichler, Reinhold 105, 235 Bickermann, Elias 222, 271 Bielstein, Hans H. 39 Billeter, Gustav 114 Birt, Theodor 26 Bismarck, Otto v. 18, 246, 253, 258 Bleicken, Jochen 170, 171, 233 Bogner, Hans 8, 9, 17, 33, 38, 39, 163, 214, 225, 229 Bollmus, Reinhard 4, 38, 68, 69, 71*, 74, 77–80, 83, 99, 166, 276, 285–287 Bopp, Franz 231 Borchardt, Rudolf 107, 124–127, 129, 136 Bormann, Martin 84, 85, 94 Bosch, Clemens Emin 222, 271 Bouresh, Bettina 287, 289, 294 Bracher, Karl D. 45, 177, 277 Brake, Jürgen 206 Braunert, Horst 168 Brutus 127 Buchheim, Hans 277 Bull, Francis 146 Burckhardt, Jacob 29, 113, 122, 126, 128 Burkert, Walter 114 Busolt, Georg 112, 123, 179, 181, 182, 184, 187, 192, 198, 202, 203, 204 Buttler, Werner 291 Bülow, Hans v. 242 Caesar 28, 31, 126, 223, 257, 261, 285 Calder III, William M. 107*, 222
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Register
Cancik, Hubert 113, 139* Canfora, Luciano 103, 118, 122, 272 Cartledge, Paul 217 Cato 28 Chamberlain, Houston St. 114*, 176, 178, 216, 244, 245, 252, 253 Chilon 209 Christ, Karl 3*, 101, 107, 118, 120, 121, 122, 134, 141, 160, 165, 167, 168, 171, 172, 174, 175, 227, 234, 271, 273, 276, 277, 279 Cicero 30 Conze, Werner 165, 166, 170, 230, 276 Cornelius, Friedrich 163 Curtius, Ernst 9, 22, 118, 122 D‘Onofrio, Andrea 176, 187 Dahn, Felix 242, 248, 253 Darré, Richard Walther 10, 21, 39, 123, 129, 131, 132, 134, 175–192, 200–211, 216, 217 Daudet, Leon 31 de Crinis, Max 90 Deichgräber, Karl 33 Delbrück, Hans 247 Demosthenes 28 Dessau, Hermann 256 Diller, Hans 33 Dionysios 113 Dirlmeier, Franz 166, 230–232 Dollfuss, Engelbert 31 Doyé, Werner M. 263 Döblin, Alfred 261 Drexhage, Hans-Joachim 172 Drexler, Hans 16, 39, 224, 225 Droysen, Johann Gustav 222 Duncker, Maximilian 9 Ebbinghaus, Julius 92 Eberhardt, Otto 172 Eberhardt, Walter 6, 29–33, 35, 38, 39, 172 Egelhaaf, Gottlob 247, 248 Egger, Rudolf 288 Egidys, Moritz v. 252
Ehrenberg, Victor 3*, 13, 36*, 118, 133, 164, 167, 171, 205, 213, 228, 271, 272, 275 Eichberg, Henning 255, 262 Eichmann, Adolf 148 Epitadeus 182 Erdmann, Karl Dietrich 165, 276 Etienne, Francois 263 Fahrenkrog, Ludwig 253, 254 Fahrner, Rudolf 223 Fanon, Franz 262 Faulhaber, Michael v. 32, 257, 284 Faust, Anselm 61 Fernkorn, Carl Maria 97 Fest, Joachim 105 Feuchtwanger, Lion 256, 283 Fichte, Johann G. 239, 240, 248 Fischer, Gert Heinz 73, 86, 87, 88, 94–97 Flavus 242, 261, 262, 265 Florus 247 Frank, Walter 9, 25, 30, 34, 41, 163, 166, 275 Franz, Günther 49*, 53*, 220, 270 Frey, Herman-Walther 291 Freyer, Hans 62 Frick, Heinrich 85 Frick, Wilhelm 11, 19 Friedländer, Paul 126, 222 Friedrich II. 222, 263 Frobenius, Leo 139, 140, 156 Fuhrmann, Manfred 172 Gadamer, Hans-Georg 51, 52, 55, 226 Galen, Clemens Graf v. 33* Gebhardt, Wolfgang 206 Gehrke, Hans-Joachim 108 Gelzer, Matthias 101, 221 George, Stefan 122, 213, 214, 218, 222–225, 271, 272 (s. auch George-Kreis) Germanicus 31, 242, 261 Gerstenmaier, Eugen 51, 52, 53*, 54, 58 Gercke, Alfred 278
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Register
Gibbon, Edward 126, 127, 277 Gies, Horst 176 Gieselbusch, Hermann 19 Gilbert, Gustav 179 Giles, Geoffrey J. 64, 79, 99 Gleispach, Wenzelaus 49*, 52, 55 Gobineau, Joseph A. de 9, 114, 188, 250, 251 (s. auch Gobineau-Rezeption u. Gobineau-Vereinigung) Goebbels, Joseph 12, 167, 289 Goethe , Johann W. v. 253 Gooch, George P. 114 Gothein, Percy 223 Göring, Hermann 140, 141, 231 Götze, Alfred 249 Graf Uxkull-Gyllenband, W. 205, 222 Grammanns, Carl 242 Grant, Madison 180 Graus, František 164, 166, 275 Grävell, Harald 246 Groß, Walter 64 Grote, George 22 Grundig, W. 48, 51, 52, 53* Grundmann, Friedrich 176 Grünberg, Hans-Bernhard v. 49 Grünert, Heinz 250 Guevara, Che 262 Gundolf, Friedrich 222 Günther, Hans F. K. 9, 10, 11, 19, 21, 23, 24, 30, 35, 38, 103, 115, 123, 176, 178, 185, 188, 196, 211, 214, 221 György Szilägyl, Jänos 138* Haake, Heinrich 286–293 Halle, Uta 291 Hammen, Oscar J. 8 Hampl, Franz 121 Hannibal 17 Hansen, Eckhard 81 Harder, Richard 69, 70, 71*, 78, 79, 135, 166, 174, 231, 232 Hartung, Fritz 25* Hasebroek, Johannes 121, 122 Haug, Wolfgang Fritz 279 Haupt, Joachim 17, 18
297
Haushofer, Heinz 210 Hausmann, Frank-Rutger 223, 225 Hausofer, Karl 226 Hegemann, Werner 256, 257, 283, 284 Heiber, Helmut 41, 61, 62, 90, 166, 170, 275 Heichelheim, Fritz 122, 167 Heidegger, Martin 5, 12 Heim, Sussane 173, 278 Heine, Heinrich 240 Hektor 127 Hellmann, Siegmund 162, 278 Herbig, Reinhard 227 Hermann 253, 256, 259, 260, 262, 263, 266, 283, 294 Herodot 135 Herrle, Theo 163, 164 Heß, Rudolf 288 Herzfeld, Hans 165 Herzog, Reinhart 6, 8, 102 Hesiod 127 Hesse, Hermann 148 Heuß, Alfred 108, 122, 170, 271 Heyse, Hans 49, 50 Hilgenfeldt, Erich 82, 83, 94*, 99 Himmler, Heinrich 4, 40, 70, 77, 97, 103, 104, 140, 141, 142, 147, 150, 164, 166, 170, 174, 177, 192, 204, 216, 230, 231, 232, 235, 256, 258, 270, 277, 283, 287, 290, 292, 294 (s. auch Reichsführer-SS u. SS-Ahnenerbe) Hitler, Adolf 3, 12, 13, 18, 21, 45, 51, 61, 69, 79, 102, 104, 123, 161, 163, 167, 172, 173, 177, 185, 186, 187, 190, 213–219, 221, 222, 226, 227, 229, 234, 258, 259, 273, 274, 278, 285, 288 Hodkinson, Stephen 176, 187 Hoffmann, Christhard 163 Hofmann, Heinrich 242 Homer 125, 127 Hommel, Hildebrecht 33 Honti, H. 151, 152 Horaz 30 Horthy, Miklós 183, 189
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Hölderlin, Friedrich 32, 125 Hugenberg, Alfred 277 Hübinger, Paul Egon 277 Ihering, Rudolph v. 178, 179 Instinsky, Hans Ulrich 226 Irmscher, Johannes 7, 26, 164, 165 Isler-Kerényi, Cornelia 138* Jacoby, Felix 126 Jaeger, Werner 6, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 26, 27, 28, 29, 35, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 191, 218, 224, 231, 272 (s. auch Dritter Humanismus) Jaensch, Erich Rudolf 86, 96 Janni, Pietro 107, 112, 128 Janssen, Peter 242, 261 Julian 104 Junge, Peter Julius 40, 230 Junker, Klaus 286 Jury, Hugo 288 Kaerst, Julius 22 Kahrstedt, Ulrich 10*, 11, 273 Kaminski, Heinrich 128, 217 Kant, Immanuel 248 Kantorowicz, Ernst 222 Karl der Große 237 Kater, Michael H. 66, 67, 141, 166, 170, 276 Kelletat, Andreas 294 Kerényi, Grazia 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 152, 159, 174 Kerényi, Karl 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 157, 158, 159, 160, 174, 232 Kerényi, Katóka 150 Kerényi, Magda 137*, 140, 149, 153, 155, 158, 159, 160 Kern, Fritz 178 Kerrl, Hans 190 Kesting, Hermann 260 Keßler, Edmund 73, 87, 88, 95, 97 Kipper, Rainer 251 Kirsten, Ernst 129, 205
Kleinberger, Aharon F. 55, 61 Kleist, Heinrich v. 239, 240, 256, 261, 262 Klemperer, Victor 256, 283, 294 Kleomenes III. 183, 190 Klopstock, Friedrich G. 239, 241 Kluke, Paul 259 Kneppe, Alfred 172 Kocka, Jürgen 170 Koepp, Friedrich 249 Konfuzius 208, 209, 210 Kornemann, Ernst 226 Kossinna, Gustaf 4, 217, 234, 249, 250, 258, 285 Königs, Diemuth 103, 169, 173, 234, 278, 279 Kövendi, Dénes 143*, 147, 152* Köves-Zulauf, Thomas 138* Kreutzer, Guido 200 Krieck, Ernst 14, 16, 17, 18, 27, 28, 29, 35, 43, 48, 49, 51, 56*, 61, 63, 123, 218 Kritias 217 Kroh, Oswald 83, 84 Kroll, Frank-Lothar 167, 294 Kromayer, Johannes 121 Kroymann, Emil 15 Lawrence, David Herbert 158 Leberecht Immermanns, K. 240 Leers, Johann v. 97, 205, 211, 229, 257, 284 Lehmann, Gustav Adolf 171 Lehmann, Julius Friedrich 178 Lempp, Hartmann 204, 205 Lenz, Fritz 188, 189 Leonidas 28 Lerchenmüller, Joachim 220, 271 Leupold, Ernst 49* Leroy, Esther 247 Ley, Robert 77 Lietz, Hermann 252 Lippold, Georg 11 Lohmann, Heinz 50 Lotze, Detlef 171
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Lovin, Clifford R. 188 Löffler, Hermann 220, 221, 222, 235, 270, 271 Löfstedt, Einar 146 Lukács, Georg 152 Luther, Martin 237, 253 Lüdemann, Hans 39, 131, 132, 133, 134, 136, 207, 208, 211 Lykurg 184, 187, 208, 209, 210 Maas, Paul 12 Maass, Joachim 256 Maier, Charles 170 Malitz, Jürgen 163, 173 Mann, Thomas 139, 148, 150, 151, 155*, 158*, 240 Mannhardt, Joh. Wilhelm 62 Marchand, Suzanne 213 Marrou, Henri 217 Matthaei, Rupprecht 47 Matussek, Matthias 262, 264 Maurras, Charles 31 Meier, Theodor 207, 211* Meinecke, Friedrich 25 Mendel, Gregor 193 Mergenthaler, Christian 56, 68 Merhart, Gero v. 291 Messerschmidt, Franz 221 Meyer, Eduard 4*, 8, 9, 22, 23*, 37, 114, 118, 221, 225, 273 Mielke, Robert 180, 188 Miller, Julius 114 Miltner, Franz 40, 133, 136, 166, 221, 225, 226, 230, 231, 232, 272 Moeller van den Bruck, A. 28, 192, 200, 248, 249 Mohler, Armin 126 Moltmann, Günter 80 Momigliano, Arnaldo 18*, 107, 112, 118, 122*, 124, 167, 173, 174, 233, 274, 277 Mommsen, Hans 170 Mommsen, Theodor 8, 9, 22, 101, 126, 140, 164, 213, 223, 241, 247, 248, 256, 287
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Mommsen, Wilhelm 170 Mommsen, Wolfgang J. 170 Montesquieu 239 Moor, Karl 294 Mussolini, Benito 13, 31, 32, 257, 258, 285 Müller, Friedrich 224 Müller, Gerhard 61, 63 Müller, Heiner 261, 262 Müller, Karl Otfried 9, 107–118, 120– 136, 217, 218, 273 Münzer, Friedrich 33, 162, 168, 172, 278 Nabis 183 Napoleon 223, 237, 239 Näf, Beat 102, 107, 118, 119, 120, 122, 123, 124, 161, 172, 174, 234, 278 Nesselhauf, Herbert 226 Neumann, Friedrich 49, 50 Neumann, Karl J. 6 Niebuhr, Barthold Georg 9 Nietzsche, Friedrich 29, 36, 113, 124, 128, 213, 272 Nippel, Wilfried 107, 108 Nipperdey, Th. 241 Nolte, Ernst 5, 12, 34, 43, 52, 63 Nooteboom, Cees 263 Norden, Eduard 260, 278 Oelmann, Franz 290 Oertel, Friedrich 221 Oexle, Otto Gerhard 162, 279 Oppermann, Hans 39, 163, 173, 225, 229, 230 Orozco, Teresa 226 Ott, Ulrich 127 Otto, Walter 24 Otto, Walter F. 139, 150, 156, 213 Perels, Ernst 162, 278 Perikles 18, 21, 28, 102, 172, 234, 278 Petersen, Ernst 292 Pfahler, Gerhard 82, 83, 85
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Pilinszky, János 144* Pindar 28, 124, 125, 126, 127 Pinder, Wilhelm 12 Platon 9, 29, 111, 214, 226 Plattner, F. 49*, 53* Plessner, Helmuth 237 Plotin 154 Plutarch 135, 184, 187, 204 Popitz, Johannes 288 Pöschl, Victor 279 Premerstein, Anton v. 12 Puschner, Uwe 245, 246, 252 Pyrrhus 17 Pythagoras 111 Rawson, Elizabeth 107, 113, 114, 125, 175, 191 Rebenich, Stefan 230, 236, 272, 273, 277, 278, 279, 280 Reibnitz, Barbara v. 107* Rein, Gustaf Adolf 25*, 62, 70, 79, 80 Reinerth, Hans 4, 19, 258, 285, 286, 287, 291, 292, 293 Reinhardt, Karl 225 Rodenwaldt, Gerhart 161, 217, 226 Rohde, Georg 12 Rosenberg, Alfred 3*, 4, 8, 10, 11, 19, 25, 27, 29, 30, 32, 33*, 34, 35, 37–40, 64, 68, 69, 70, 73, 74, 75, 77– 80, 82–86, 92, 94, 99, 103, 104, 140, 163, 166, 167, 203, 204, 216, 218, 229, 230, 231, 232, 256, 257, 283– 287, 292 (s. auch Amt Rosenberg) Rosenberg, Arthur 102, 167, 222, 271 Rostovzteff, Michael I. 160, 277 Rothfels, Hans 165, 275 Roussel, Pierre 133 Ruegg, Walter 101, 105, 164 Rudolph, Werner 48, 49 Rust, Bernhard 15, 69, 70, 78, 80, 82, 88, 226, 289
Sacke, Georg 162, 278 Schachermeyr, Fritz 6, 7, 11, 12, 18– 24, 28, 29, 34–37, 39, 40, 41, 103, 112, 166, 221, 224, 227, 275 Schaefer, Hans 271 Schaeffer, Wolf 210 Schallmayer, Egon 244 Schede, Martin 291, 292 Schemann, Ludwig 9, 10, 11, 114, 115, 188 Schemmel, Herta 39 Schieder, Theodor 165, 170 Schieder, Wolfgang 170 Schierbaum, Martin 261, 262 Schiller, Friedrich 65, 129, 248, 294 Schlegel, Friedrich 109, 113, 114, 125 Schneider, Hans 220 Schober, Arnold 224 Scholl, Hans 174 Scholl, Sophie 174 Schönberg, M. 53* Schöne, Hermann 33 Schöttler, Peter 162, 163, 165, 166, 173, 270, 275, 276, 278 Schulz, Otto Theodor 12 Schulze, Hagen 263 Schulze, Winfried 162 Schwalm, Hans 146, 147 Schwaner, Wilhelm 252–255, 267 Schwantes, Gustav 292 See, Klaus v. 245, 246, 257, 284 Seeck, Otto 9, 10, 256 Segestes 253 Seier, Helmut 63, 64, 79, 80, 99 Seip, Didrik Arup 146 Seneca 30 Septimius Severus 104 Siegfried 240, 242 Sievers, Wolfram 146, 147 Simon, Gustav 287 Snell, Bruno 33, 129* Spengler, Oswald 122, 124, 139, 140, 160, 188, 208, 229
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Sprockhoff, Ernst 291, 292 Stahlmann, Ines 102 Stalin, Josef 157, 261 Stauffenberg, Alexander v. 222, 223, 271 Stauffenberg, Berthold v. 223, 271 Stauffenberg, Claus v. 223, 271 Stein, Ernst 168 Steuer, Heiko 234 Stier, Hans Erich 140, 171, 172, 261 Strack, Paul 220 Straub, Johannes 271 Stroheker, Karl Friedrich 168 Swoboda, Erich 288 Szabó, Árpád 150, 151 Szerb, Antal 140 Tacitus 230, 237, 238, 242, 245, 250, 259, 260, 261, 262 Tacke, Charlotte 246 Tackenberg, Kurt 293 Taeger, Fritz 20, 101, 103, 105, 164, 213, 220, 221, 271 Taines, Hippolyte 128 Täubler, Eugen 172, 222, 271, 278 Terboven, Josef 286, 287 Teudt, Wilhelm 290, 291 Theiler, Willy 33 Themistokles 18 Thierry, Augustin 126 Thommen, Lukas 187 Thukydides 135 Thusnelda 242, 247, 253 Till, Rudolf 166, 230, 231, 232, 235 Timpe, Dieter 259, 260, 261 Trautmann-Nehring, Erika 140, 142*, 154 Treitschke, Heinrich v. 180, 247 Treves, Piero 121, 232, 273 Troeltsch, Ernst 272 Tyrtaios 127, 218, 232, 239 Ungern-Stern, Jürgen v. 172 Unverfehrt, Gert 241, 263 Vacano, Otto Wilhelm v. 104, 133, 135, 207, 232
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Varus 238, 240, 247, 249, 253, 260, 262, 263, 294 (s. auch Varuskatastrophe u. Varusschlacht) Vercingetorix 263, 280 Vergil 31, 204, 257, 285 Vierhaus, Rudolf 173 Villard, Pierre 167 Vittinghoff, Friedrich 230 Vogt, Joseph 39, 101, 103, 104, 105, 163, 164, 166, 171, 172, 173, 213, 226, 227, 229, 234, 271, 275, 278, 279 Volkmann, Hans 123, 192* von der Elbe, Auguste 252 Vorländer, Herwart 74, 80, 81, 84, 98 Wagenvoort, Hendrik 225 Wagner, Kurt 83, 99 Wagner, Richard 253 Walz, Gustav Adolf 49* Weber, Hermann 50* Weber, Wilhelm 12, 13, 14, 35, 103, 104, 105, 163, 205, 213, 218–221, 223, 224, 229, 235, 269, 271, 275, 279 (s. auch Weber-Schule) Wegeler, Cornelia 222, 234, 273 Wehler, Hans-Ulrich 170, 276 Wehrli, Fritz 33 Weinhandl, Ferdinand 50* Weinreich, Max 163, 229 Werner, Joachim 52, 163, 274, 275 Werner, Karl Ferdinand 162, 166, 167, 269, 270, 275 Widukind 237 Wiegand, Theodor 4, 286, 287 Wiesehöfer, Josef 172 Wilhelm, Richard 208 Wilamowitz-Möllendorff, U. v. 8, 9, 15, 26, 101, 113, 114, 115, 125, 126*, 127, 164, 209*, 213, 222 Wilhelm I. 241, 242, 262, 264 Wilhelm II. 139, 150, 244, 262 Will, Edouard 107, 111, 112, 114, 118 Willing, Matthias 158 Winckelmann, Johann J. 109*, 126
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Winterstein, Franz 251, 266 Wittenburg, Andreas 107 Wiwjorra, Ingo 249 Wodtke, Friedrich W. 128 Wolf, Ursula 213 Wolters, Friedrich 222 Wolters, Reinhard 259 Wüst, Walter 49, 53*, 147, 292 Xenophon 135 Zeiß, Hans 293 Ziebarth, Erich 12 Ziegler, Matthes 29 Zielinski, Thaddeus 5 Zoroaster 18 Sachregister Achse Berlin-Rom 38, 209, 289 Action française 31, 32 Adolf-Hitler-Schule (AHS) 104, 105, 133, 134, 135, 136, 206, 232, 273 Aktion Ritterbusch 225, 226, 273 Alternativ-Universität 68, 69, 73, 74, 75, 77, 78, 84, 98, 99, 231 Altphilologen-Verband 15 Amt Rosenberg 37, 70, 85, 88, 99, 104, 174, 224 Anerberecht 132, 183, 185, 186, 188 Anthropologie 73, 86, 87, 88, 94, 96 Antike-Konzeption 9, 30, 32, 38, 39, 105, 129 Antike-Rezeption 7, 14, 26, 32, 126, 288, 289 Antisemitismus 10, 227, 245, 257 (s. auch Rassenantisemtismus) Apollonkult 109 Arbeitslager 44, 62, 151, 152 Aristokratie 21, 110, 111, 131, 207 Arminiusrezeption 239, 242, 247, 248, 261, 262 Assyriologie 36 Aufklärung 17, 142, 239, 292
Aufnordungspläne 178, 186 Auslese 9, 10, 19, 21, 43, 44, 45, 47, 53, 57, 96, 98, 180, 184, 185, 191, 209, 210 Auslesepolitik 210 Auslesepraxis 185 Auslesevorbild 209, 210 Ägyptologie 36 Berlin Document Center 138* Berliner Antisemitismusstreit 10 Berufungspolitik 34, 103 Berve-Schule 219, 223 (s. auch Berve, Helmut) Besatzungszone 138, 151, 163 Besatzungszone, russische 149, 153, 156 Bronzezeit 291 Cambridge Ancient History 36 Charakter, programmatischer 15 Christentum 15, 66, 193, 200, 220, 229, 245, 251, 252, 257, 270, 284 CIL 223 DAI 231, 286, 291, 292 Demokratie 8, 17, 21, 102, 110, 111, 172, 214, 234, 272, 278 Demos 21 Denkschrift 72, 73, 88, 89, 90, 92, 93, 271 Deutsche Arbeitsfront 65, 71, 81, 97 Deutscher Orden 253 Deutschritterorden 180 Deutschtum 15, 22, 24, 208, 209, 246, 265 DFG 168, 174, 234, 276 DHI 280 Doorner Arbeitsgemeinschaft 139, 141, 150 Doriertum 112, 121, 124, 131 Dorische Natur 109, 111, 115 Dorischer Staat 110, 113 Dorismus 110, 111 (s. auch Dorier u.a.)
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Dozentenakademie 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 56, 57, 63, 66, 67 Dozentenbund 40, 51, 80, 91, 141* (s. auch NS-Dozentenbund) Dozentenführer 56 Dozentenlager 43, 50, 54, 55, 57, 67, 68, 163 (s. auch NS-Dozentenlager) Dritter Humanismus 14–19, 23, 24, 26– 29, 37, 39, 213, 218, 224, 272 (s. auch Jaeger, Werner) Drittes Reich 5, 6, 7, 16, 20, 25, 28, 34, 36, 37, 38, 40, 41, 43, 45, 49, 57, 103, 161, 165, 167, 173, 189, 204, 213, 217, 230, 233, 234, 239, 248, 272, 274, 275, 278, 279, 280, 283, 293 Eichmann-Prozess 148 Entartung 110, 112, 214 Entnazifizierung 105, 152, 161, 164, 165, 172, 259, 275 Entnordung 21, 24, 180–184, 188, 201, 205, 207, 214 Ephorat 179 Epigraphik 23, 35 Erbhofgedanke 188, 190, 209 Erbhofgesetz 123, 175, 187, 190, 191, 192, 204, 209, 210 Erbhofpolitik 177 Erbhofrecht 177, 190 Erblehre 96, 97 Erbpflege 74, 98, 211 Erobererschicht 30 Eroberervolk 195, 198, 200, 201 Eroberungspolitik 162 Erster Weltkrieg 8, 12, 176, 180, 225, 234, 250, 252 Faschismus 32, 103, 150, 152, 160, 161, 165, 204, 234, 280 FIEC 165 Fluch von Versailles 14 Frankfurter Schule 139 Führer 29, 104, 161, 208, 247, 252, 285, 288 Führerauslese 9, 77 Führereigenschaften 53, 67
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Führergedanke 9, 102 Führerpersönlichkeit 18, 20, 21, 30, 103 Führerprinzip 21, 40, 61 Führertum 21, 24, 30, 34, 103, 104 Gegenrasse 216 Gegenuniversität 78 Geistesgeschichte 15, 26, 69, 78 Geländesport 48, 66 Geländesportlager 47, 66 Gemeinschaftserziehung 18, 56, 64, 89, 97 Gemeinschaftslager 45, 46, 47, 51, 52, 56, 57, 67 George-Kreis 14, 26, 28, 37, 126, 205, 214, 222, 223, 225, 271 (s. auch George, Stefan) Germanenbild 239, 242, 246, 249, 250, 255, 257, 260, 261, 284 Germanenbund 246 Germanenideologie 32, 141, 142, 241, 244, 245, 246, 248, 250, 255, 257, 259, 284, 294 Germanenmythos 251 Germanentum 31, 131, 244, 256 Germanenverehrung 4, 189, 244, 257, 283, 284 Germanischer Wissenschaftseinsatz 146, 294 Germanisierung 103, 245, 256, 257, 283 Germanismus 112, 215, 216, 239, 241, 243, 244, 251, 255, 259 Germanomanen 257, 258, 285 Geschichtsbetrachtung 3, 36, 203, 270, 271 Geschichtsbild 104, 105, 163, 238, 270 (s. auch NS-Geschichtsbild) Gleichschaltung 18, 25, 29, 30, 41, 45, 64, 258, 269, 285, 286 Gnomon 38, 231, 279 Gobineau-Rezeption 114 Gobineau-Vereinigung 250, 251 Goldhagen-Debatte 162 Griechentum 26
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Habilitationslager 51 Hakenkreuz 166, 253, 254, 255, 275, 288 Heldentod 105 Hellenentum 22, 189 Hellenismus 22, 24, 26, 27, 142, 143, 154, 155, 215 Helotie 111, 179 (s. auch Heloten) Heraklesmythos 109 Hermannsberg 253, 267 Hermannschlacht 247, 254, 255, 256, 261, 262 Hermannsdenkmal 241, 243, 246, 247, 254, 259, 260, 263, 280 Hermannskult 252 Hermannstein 253–255, 267 Herrenmenschen 273 Herrenrasse 113, 124 Herrenschicht 105, 119, 180, 207, 230, 273 Herrenstaat 178 Historikertag 162, 165, 167, 174, 234, 276, 277, 279 Historikerverband 165 Historische Zeitschrift 65 Historismus 16, 25, 28, 29, 38 Hitler-Deutschland 102, 274, 288 Hitlerjugend 14, 96, 228 Hochschulorganisation 33 Hochschulpolitik 61, 62, 103 (s. auch NS-Hochschulpolitik) Hochschulrevolution 62 Hohe Schule 68–85, 88, 90, 92–95, 97, 98, 99, 163, 231, 232 Humanismus 15, 16, 19, 127, 261, 262 Humanität 18, 24, 111 Indogermanentum 123, 178, 180 Indoktrination 58, 65, 67 Ioniertum 112 Judaica-Sammlung 70, 78, 85 Judenfrage 70, 78, 95, 163, 166, 229
Judentum 36*, 104, 171, 245 (s. auch Juden) Kaiserreich 8, 103, 242, 244, 251, 255, 271 Kalter Krieg 280 Katholizismus 32, 248 Kiel 220, 292 Kirche, katholisch 30, 32 Klassenbewusstsein 14 Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik 168, 171, 235 Konzentrationslager 148, 149, 159, 162, 274 Kriegseinsatz der Altertumswissenschaften 40, 171, 225– 228, 273, 277 Krise der Gegenwart 137, 159 Krise des 3. Jahrhunderts 159 Krypteia 111 Körperideal 28 Kulturkampf 242 Kulturkreis 32 Kulturkreislehre 249 Kulturpessimismus 186 Kulturpolitik 38 Kulturpolitisches Archiv 25 Kultusministerium 13 Lagerdienst 45 Lagererziehung 43 Lakonismus 111 Limes 31, 244, 251, 290 Limesforschung 249 Limeskastell 243 Machtergreifung 3, 4, 5, 7, 11, 13, 15, 18, 21, 34, 36, 40, 41, 45, 62, 161, 176, 177, 187, 200, 203, 271 Machtergreifungsphase 29, 32, 34, 35, 40, 45, 64, 204 Machtübernahme 5, 7, 8, 11, 13, 18, 22, 34, 37, 41, 43, 64, 66, 69, 78, 86, 121, 123, 189, 190, 191, 256, 274, 290, 293 Marxismus 156, 157 Maßnahmen, rassenpflegerische
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98 Mein Kampf 3, 28, 38, 45, 161, 214, 215, 218, 221 Mendelismus 193 Merowingerzeit 251 Messenischer Krieg 117 Mischling 24 Monatshefte 29, 32, 168 Monumentum Ancyranum 31 Nachkriegszeit 138, 152, 157, 164, 170, 275, 290 Nationalbiologie 73, 81 Nationalität, hellenische 108 Nationalistische Front 263, 268 Nationalsozialismus 5, 6, 7, 9, 11, 13, 14, 15, 25, 29, 30, 34, 36, 61, 101, 102, 124, 129, 161, 163, 166–169, 172, 192, 200, 205, 217, 226, 234, 235, 236, 257, 274, 276, 277, 278, 280 Neues Deutschland 9, 129, 163, 166, 229, 275 Nibelungen 242, 261 NPD 263, 264 Nordische Bewegung 177, 178, 180*, 185, 189 NSDAP 7, 13, 25, 32, 33, 53, 68, 81, 83, 86, 92, 152, 175, 176, 177, 189, 218, 225, 229, 258, 273, 285, 287 NSDD 224, 225, 226 NS-Agrarideologie 175, 207 NS-Ärztebund 50 NS-Dozentenbund 33, 43*, 44, 58 NS-Dozentenlager 43, 53, 275 NS-Eliteerziehung 105, 207, 273 NS-Eliteschule 136 NS-Erbhofgesetzgebung 176 NS-Führungsschicht 7 NS-Germanenideologie 200, 203, 244, 245, 256, 257, 259, 284, 285, 287, 288, 289, 291, 293, 294 NS-Geschichtsbild 11, 21, 166, 167, 179, 269, 275, 290, 294
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NS-Hochschulpolitik 61, 62, 68, 75, 207 NS-Ideologie 129, 131, 159, 166 NS-Monatshefte 168 NS-Pädagogik 6 NS-Rassenideologie 97, 104, 192, 207 NS-Rassenlehre 271, 285 NS-Studentenbund 41, 61, 62, 63 NS-Vernichtungslager 173 NS-Volkspflege 74, 93, 96, 97 NS-Volkswohlfahrt (NSV) 71–74, 77, 80, 82–99 NS-Wissenschaftsbetrieb 14 NS-Wissenschaftspolitik 40, 219 NSV-Wissenschaftsarbeit 81 Numismatik 23, 35 Odal 209 Oligarchie 21 Opfertod 105 ÖAI 288 Papyrologie 23, 35 Parteimitgliedschaft 8, 13, 103, 152 Parthenon 120, 161 Patristik 15 Peloponnesischer Krieg 115 Philosophie 15, 36, 117, 128 Polis 16, 17, 120, 127, 218 Porta Nigra 290 Prähistorie 35, 235, 269, 274, 280, 286 (s. auch Vor- u. Frühgeschichte) Preußentum 200, 208 Preußische Akademie d. Wissenschaften 291 Programmdebatte 61, 62, 64, 69, 78, 271 Programmdiskussion 6, 32, 39, 103, 123, 293 Programmschrift 7, 13, 20, 29, 33, 35–41, 123, 172, 250, 257, 284 Publizität 33 Publizistik 10, 180, 205, 247, 250, 286
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Rasse 9, 11, 22, 27, 30, 35, 104, 114, 115, 116, 178, 180, 181, 184, 186, 188, 193, 194, 196, 200, 230, 273 Rasseinstinkt 27 Rassereinheit 123, 245 Rassenadel 127 Rassenantisemitismus 10, 11, 103 Rassenbegriff 121, 200 Rassenbewegung 178 Rassenbiologe 24 Rassencharakter 112 Rassendiskriminierung 191 Rassenfrage 3, 114 Rassenfremde 24 Rassengedanke 22, 27, 28, 103 Rassengeschichte 10, 133, 179 Rassengesetzgebung 12, 204, 232, 294 Rassenglaube 191 Rassenhistoriker 21 Rassenhygiene 74, 91, 98, 115, 188, 245 Rassenideologen 11, 244 Rassenideologie 10, 175, 201, 245 Rassenkampf 245 Rassenkern 193, 200, 201 Rassenkomponente 23 Rassenkonzepten 112 Rassenkunde 22, 23, 35, 38, 96, 177 Rassenlehre 7, 9, 10, 11, 41, 71, 79, 113, 115, 121, 186, 257 (s. auch NS-Rassenlehre) Rassenmischung 114, 186, 201 Rassenpflege 74, 98 Rassenpolitik 10, 27, 259 Rassenpsychologie 97 Rassenstaat 123, 185 Rassentheorie 103 Rassenunterschied 194 Rassenverhältnis 27 Rassenzersetzung 27 Rassenzucht 115 Rassenzuchtpolitik 210
Rassenzugehörigkeit 11 Rasse- und Siedlungshauptamt 177 Reflexionsliteratur 5 Rehabilitationslager 51 Reichsarbeitsdienst (RAD) 232 Reichsbauernführer 175, 206, 216 Reichsbeamtenlager 57, 68 Reichsberufswettkampf 65, 66 Reichsdozentenwerk 56 Reichserbhofgesetz 187, 190, 192, 204 Reichserziehungsministerium 40, 44, 45, 50, 51, 54, 55, 56, 64, 72, 74, 77, 84, 89, 90, 91, 92 Reichsfachschaft 63 Reichsführer-SS 141, 150, 164 (s. auch Himmler, Heinrich) Reichsgedanke 9, 102, 103, 126, 173, 278 Reichshabilitationsordnung 44, 45, 46, 47, 54, 55, 56, 57, 67 Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands 9 Reichskrise, römische 160 Reichslager 57, 68 Reichsleistungskampf 65, 66 Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volks bildung 3*, 32, 33, 44, 287, 289, 291 Reichsnährstand 50, 191* Reichsschatzmeister 92, 95 Reichssicherheitshauptamt 104, 270 Reichsuniversität 230, 270 Reichs-SA-Hochschulamt 47, 48 Reinzucht 115 Revisionsliteratur 164, 275 Revolution 5, 9, 17, 33, 110, 111, 126, 129, 182, 183 Revolutionszeitalter 22 Romantik 112, 116, 186, 241 Romfrage 30, 32, 257, 284 Röhm-Krise 64 Römertum 66, 173
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Römisch-Germanische Kommission (RGK) 4, 249, 258, 285, 286, 291 Runen- und Felsbildforschung 141 SA-Hochschulamt 48 SA-Studenten 62 Schulkonferenz 6 Schulung, weltanschauliche 57 SED 157 Sicherheitsdienst (SD) 150 Sittenverfall 182, 183 Sozialanthropologie 11 Sozialdarwinismus 214, 215 Sozialismus 81 Spartabild 102, 110, 111, 114, 130, 167, 187, 210, 211, 276 Spartaidealisierung 129 Spartaideologie 113, 190 Spartakonzeption 131, 178, 187, 192, 202, 205, 211, 272 Spartamythos 188, 211 Spartarezeption 113, 124, 129, 175 Spartiatentum 30 SS-Ahnenerbe 70, 77, 97, 140, 142, 143, 146, 147, 150, 151, 152, 157, 164, 166, 170, 230, 231, 270, 276, 277, 290, 292 (s. auch Himmler, Heinrich) SS-Rune 141 Staatserziehung, spartanisch 124, 127 Teubner Verlag 19, 20, 131, 207 Textkritik 15 Thesaurus Linguae Latinae 224 UNESCO 165 Urgeschichte 256, 260 Varuskatastrophe 237, 238 Varusschlacht 237, 240, 241, 246, 248, 263 (s. auch Varus) Veränderung, revolutionäre 40 Verband deutscher Studentenschaft (VDS) 63 Vernichtungspolitik 162, 173, 259 Versailler Vertrag 48 Volkserzieher 252, 253, 255
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Volksgemeinschaft 63, 104 Volksgesundheit 50, 94, 95 Volksgesundheitspflege 72, 73, 74, 86, 88–93, 96 Volkskörper 74, 82, 186, 189 Volkskunde 79 Volkspflege 73, 74, 79, 80, 81, 82, 84, 85, 88–91, 93, 94, 95, 98 (s. auch NS-Volkspflege) Volksstamm 109, 132 Volkstum 23, 48, 66, 96, 98, 116, 119, 186, 210, 221, 230, 245, 270, 291 Vorgeschichte 24, 177, 217, 250, 258, 285, 287, 288, 290, 291, 292 (s. auch Prähistorie) Vor- und Frühgeschichte 163, 293 (s. auch Prähistorie) Völkerwanderung 124, 196, 197, 198, 202, 290 Völkische Bewegung 237, 246, 255 Völkischer Beobachter 11, 18, 20, 29, 30, 103, 227, 287 Weber-Schule 213, 219, 221, 233, 271 (s. auch Weber, Wilhelm) Wehrsport 44, 48 Wehrsportlager 43 Weimarer Republik 8, 10, 13, 16, 45, 102, 103, 167, 213, 219, 225, 234, 236, 255, 262, 276 Weimarer Staat 176, 177 Weimarer Zeit 62, 103, 200, 232 Weiße Rose 232 Weltanschauung 8, 11, 18, 19, 20, 28, 32, 36, 41, 69, 75, 83, 167, 169, 189, 204, 216, 220, 244, 245, 246, 258, 270, 286 Weltanschauungskampf 69 Weltbild 49 Weltgeschichte 23, 24, 221 Weltgriechentum 116 Weltherrschaftsanspruch 31 Wiedervereinigung 259, 263 Wilder Westen 196
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Register
Wilhelminisches Deutschland 102, 167, 213, 219 Wilhelmstraßenprozess 177, 210 Wissenschaftspolitik 38, 219, 292 (s. auch NS-Wissenschaftspolitik) Yiddish Scientific Institute 163 Zensurbehörde 143 Zivilisationsidee 31 Zweiter Weltkrieg 40, 57, 80, 86, 101, 105, 134, 137, 138, 140, 143, 149, 159, 208, 213, 220, 224, 226, 227, 230, 235, 258, 259, 274, 294 Geographisches Register Akropolis 120 Alesia 280 Alter Orient 36, 171 Amerika 153, 196 (s. auch Nord-, Südamerika u. Vereinigte Staaten) Amsterdam 156 Argentinien 176 Argos 110, 114 Arminien 256, 283, 294 Asien 124, 142, 145, 154, 155, 216, 229 (s. auch Ostasien) Athen 110, 116, 117, 121, 125, 132, 136, 184, 214, 215, 217 Augsburg 224 Auschwitz 143, 147, 148, 152, 162, 174, 232, 233, 274 Ägäis 119 Basel 103, 234 Berlin 3*, 10, 12, 15, 38, 45, 49, 54, 55, 63, 64, 66, 68, 72, 74, 77*, 80*, 82, 83, 85, 89, 90, 92, 99, 103, 104, 150, 156, 157, 159, 163, 165, 192, 200, 205, 209, 221, 225, 226, 235, 244, 247, 250, 254, 258, 261, 275, 285 (s. auch Ost- u. Westberlin) Bonn 178, 286, 290, 293 Breslau 50*, 292 Budapest 143, 147, 148, 151, 152, 153, 156
Carnuntum 287, 288 Chalkis 71 China 208, 209 Dachau 174, 233, 274 Dänemark 258 DDR 55, 155, 164, 165, 167, 168, 169, 236, 261, 262, 263, 277 (s. auch Ostdeutschland, Ostberlin, Ostzone u. SBZ) Detmold 246, 247, 254, 259, 260, 263, 280 Deutsches Reich 14, 244, 249, 255 Deutschland 9, 18, 107, 164, 165, 167, 176, 188, 193, 205, 233– 236, 243, 249, 251, 252, 256, 257, 258, 275, 276, 278, 283 Donau 287, 288, 291, 292 Doris 196 England 112, 164, 168, 193, 205, 239, 271, 275 Erlangen 11, 235, 271 Europa 145, 193, 194, 208, 215, 225, 229, 230, 231, 235, 250, 259, 264, 291 (s. auch Osteuropa u. Südosteuropa) Frankfurt 43, 49, 70, 78, 85, 95, 101, 139, 141*, 162, 163, 166– 172, 174, 214, 234, 276, 277, 279, 292 Frankreich 31, 32, 112, 168, 176, 193, 200, 239, 241, 280 Freiburg 7, 11*, 65, 165, 276 Germanien 24*, 238, 243, 245, 264 Gießen 44*, 176, 210 Göttingen 44, 48, 49, 50, 58, 224, 234 Griechenland 18, 21, 31, 128, 140, 179, 194, 196, 198, 201, 214, 216, 231 Großbritannien 259 Halle 138, 149, 153, 154, 156, 157, 176, 236, 277
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Register
Hannover 262 Heidelberg 43, 49, 220, 270, 271, 278, 279 Hellas 32, 110, 124, 125, 195, 201, 203 Hinterzarten 156*, 164, 275 Holland 223 Ilion 125 Imperium Romanum 104, 215, 226, 228, 243, 244 Ionien 116, 118 Italien 31, 31, 71, 103, 140, 154, 173, 204, 233, 234, 248, 257, 259, 274, 285, 289, 292 Jena 11, 19, 36, 40, 49* Kalkriese 237, 263 Karthago 104, 215, 227, 228 Kassel 83, 86, 87, 244, 251 Kiel 44, 50, 52, 69, 78, 79, 220, 292 Koblenz 3*, 165, 175*, 287 Konstantinopel 195 Korinth 114 Korkyra 114 Königsberg 12, 49, 61, 207 Krefeld 242 Krim 157 Lakonien 124, 196 Leipzig 12, 14, 20*, 25, 40, 103, 116, 142*, 158, 163, 205, 219, 223, 253, 271, 272, 273, 280 Leuktra 181 Lund 146, 147 Marburg 3*, 12, 20, 51, 52, 55, 58, 62, 70, 71, 72, 73, 74, 77, 79–87, 89–99, 101–103, 164, 167, 168, 220, 224, 264 Messenien 199 Metz 235 Mexiko 153 München 3*, 9, 25, 32, 48, 49, 69, 70, 78, 79, 84, 105, 146, 147,
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165, 177, 178, 231, 232, 233, 235, 257, 261, 273, 274, 275, 277, 280, 284, 292, 293 Nordamerika 196 Norwegen 146, 258 Olympos 135 Orient 198 Oslo 146 Ostasien 210 Ostberlin 153 Ostdeutschland 153, 235, 236 Osteuropa 196, 202, 215 Ostpreußen 196 Ostzone 155 Peloponnes 109, 197 Posen 230 Prag 271, 284 Preußen 111, 112, 179, 180, 191, 200, 209, 215, 256 (s. auch Ostpreußen) Rhein 168, 200, 235, 255, 257, 284, 286, 292 Rheinland 200, 201, 255, 287, 288, 291, 293 Rheinprovinz 286, 287 Riviera 139 Rom 30, 31, 38, 39, 104, 140, 153, 154, 179, 180, 186, 198, 201, 208, 209, 214, 215, 216, 225, 227–230, 237, 238, 242, 245, 249, 258, 263 Römisches Weltreich 24, 201, 243 Saalburg 241, 243, 244 Schleswig-Holstein 176 Schweden 140, 193, 196 Schweiz 52, 138, 141, 144, 145, 148, 153, 156, 163, 234, 274 Sedan 242 Skandinavien 146 Sowjetische Besatzungszone 163, 164 Spanien 248 Sparta 3, 71, 104, 105, 108, 109, 111, 112, 116, 117, 118, 120, 121, 123, 125, 128, 129, 130, 131, 133, 134, 136, 175, 178, 179, 180,
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Register
182, 183, 184, 186–192, 194, 197, 198, 200, 202, 204–210, 214–217, 232, 233, 235, 272, 273, 294 (s. auch Lakonien, Spartaner, Spartiaten u. Spartiatentum u.a.) Stalingrad 261 Strasbourg 220, 229, 235, 270 Südafrika 196, 259 Südamerika 153 Südosteuropa 196, 202 Syrakus 114 Teutoburger Wald 237, 239, 240, 241, 246, 247, 248, 251, 253, 256, 260, 263, 266 Theresienstadt 172, 278 Thermopylae 117, 135, 273 Tokio 209 Trier 287 Tübingen 44, 72, 74, 85, 90, 165, 220, 275 Thyreatis 196 Ulm 204, 290, 291 Ungarn 138, 149, 152, 153, 195 Vereinigte Staaten 180, 239 Waldeck 252, 254 Weimar 176, 206, 214 Westberlin 138, 155–158, 160 Wien 143–145, 240 Würzburg 86, 222, 224, 225 Zürich 138*, 149, 234, 278, 279 Völker- u. Gruppenbezeichnungen Alemannen 197, 198, 202 Araber 195 Buren 196, 202 Chatten 251, 255 Cherusker 237, 239, 248, 251– 256, 260, 263, 293 Dorer 125, 129, 191, 196
Dorier 37, 107, 108, 110, 112, 113, 115, 119, 120, 122, 127, 130, 132, 135, 136, 191, 196, 197, 217, 218, 232 (s. auch Doriertum, Dorischer Staat u.a.) Dorierer/Dorischer Stamm 109, 126 Franken 193, 197, 198, 200, 202, 239 Germanen 130, 189, 193, 195, 196, 197, 202, 215, 219, 242, 245, 247, 248, 250, 251, 254, 255, 257, 258, 261, 284, 285, 289, 291, 294 Goten 142, 198, 202 (s. auch Ostgoten) Griechen 11, 37, 115, 116, 118, 125, 134, 273 (s. auch Hellenen, Nordwest- u. Westgriechen, Hellenen 119, 125, 130, 189, 194, 196, 197, 198, 201, 202, 203 (s. auch Griechen) Heloten 130, 135, 179, 181, 185, 199, 203 Hethiter 23 Hunnen 195, 261 Indogermanen 194, 197, 198 Ioner 120 Ionier 37, 115, 116, 119, 120, 122, 127, 130, 232 Juden 10, 44, 112, 148, 151, 170, 173, 215, 216, 222, 225, 228, 229, 234, 271, 274, 278, 283 (s. auch Judenfrage u. Judentum) Kimbern 196, 238, 246 Langobarden 198 Mothakes 184 Nordwestgriechen 120 Nothoi 184 Orientalen 27 Ostgoten 197 Periöken 199 Perser 23 Römer 23, 173, 183, 238, 239, 248, 252, 253, 254, 255, 257, 261, 283, 284, 289, 291 (s. auch Rom)
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Register
Semiten 24, 177, 178 Stamm, ionischer 110 Tataren 195 Teutonen 196, 238, 246 Türken 195 Ubier 262 Ungarn, die 195
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Spartaner 111, 112, 115, 125, 134, 183, 184, 185, 205, 209, 273 Spartanerin 184, 185 Spartiaten 132, 135, 179, 181, 182, 183, 190*, 194, 195, 196, 199, 202, 209 (s. auch Sparta, Spartabild u.a.) Westgriechen 119
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