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German Pages 309 [312] Year 1997
Kierkegaard Studies Monograph Series 3
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Kierkegaard Studies Edited on behalf of the
Soren Kierkegaard Research Centre by Niels j0rgen Cappelern and Hermann Deuser in cooperation with C. Stephen Evans, Alastair Hannay, and Bruce H. Kirmmse
Monograph Series
3
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1998
Dorothea Glöckner
Kierkegaards Begriff der Wiederholung Eine Studie zu seinem Freiheitsverständnis
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998
Kierkegaard Studies Edited on behalf of the Seren Kierkegaard Research Centre by Niels Jorgen Cappelern and Hermann Deuser in cooperation with C. Stephen Evans, Alastair Hannay, and Bruce H. Kirmmse Monograph Series Volume 3 The Seren Kierkegaard Research Centre at Copenhagen University is funded by The Danish National Research Foundation.
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Die Deutsche Bibliothek — Cataloging-in-Publication Data Glöckner, Dorothea: Kierkegaards Begriff der Wiederholung : eine Studie zu seinem Freiheitsverständnis / Dorothea Glöckner. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Kierkegaard studies : Monograph series ; Vol. 3) Zugl.: Berlin, Humbold-Univ., Diss., 1996 ISBN 3-11-015636-9
ISSN 1434-2952 © Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin All rights reserved, including those of translation into foreign languages. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopy, recording or any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher. Printed in Germany Disk conversion: OLD-Satz digital, Neckarsteinach Printing: Werner Hildebrand, Berlin Binding: Lüderitz 6c Bauer-GmbH, Berlin
Vorwort »Der Schutz des ganz Bestimmten ist, daß es nicht wiederholt werden kann, und eben darum duldet es das andere« (Th. W. Adorno, Minima Moralia). Aus diesem Votum spricht eine Vorliebe für das Erst- und Einmalige, die mir zumindest selbst auch naheliegt. Welcher Reiz liegt schon im allzuoft Gehörten, Gesehenen oder Erlebten? Diesbezüglich aber kontert Kierkegaard: Immer wieder Neues wird langweilig, und auf der Jagd nach Erlebnissen rennt der Mensch nur zu leicht an sich vorbei. Von daher fordert dieser Denker, das Vertraute nicht zur gedankenlosen Gewohnheit verkommen zu lassen, sondern es mit Bewußtsein zu durchdringen, um so dem immer Gleichen die erneuernde Kraft des Ewigen abzuringen. Die Faszination der Wiederholung folglich beruht auf ihrer paradoxen Struktur, insofern das Wiederholte als solches dem Ersten gleicht und darin doch von diesem verschieden ist. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, diesem Verständnis der Wiederholung nachzugehen und es insbesondere in seiner Bestimmung als Aufgabe der Freiheit und als die Freiheit selbst {Pap. IV Β 117, 293) zu hinterfragen. Die Theologische Fakultät der HumboldtUniversität Berlin hat diese Untersuchung im Juli 1996 als Dissertation angenommen. Allen Beteiligten sei dafür gedankt, vor allem Herrn Prof. D. Dr. Wolf Krötke für seine Ermutigung zu diesem Vorhaben und für das von ihm erstellte Erstgutachten sowie Herrn Prof. Dr. Richard Schröder für das Korreferat. Für die Drucklegung wurde die Dissertation geringfügig überarbeitet. Entstanden ist diese Arbeit in Dänemark, wo meine Auseinandersetzung mit Kierkegaard durch zahlreiche Impulse und Anregungen motiviert und wachgehalten wurde. Den äußeren Rahmen dafür bot die Theologische Fakultät der Kopenhagener Universität, die ihren ausländischen Gästen mit großem Entgegenkommen gute Studienbedingungen gewährt. In internationalen Seminaren für Doktoranden wie auch in der S0ren-Kierkegaard-Bibliothek begegnete ich vielen Gesprächspartnern, an die ich gerne und mit guten Erinnerungen denke. Den Herren lie. theol. Joakim Garff, Prof. Dr. Arne Gr0n und
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Vorwort
Prof. Bruce H. Kirmmse danke ich für anregende Seminarstunden sowie Herrn Rektor Eberhard Harbsmeier für sein freundliches Interesse und seine Förderung der Arbeit. Von August 1994 bis August 1995 wurde mir vom internationalen S0ren-Kierkegaard-Forschungszentrum an der Kopenhagener Universität ein einjähriges Doktoranden-Stipendium gewährt, das vom dänischen Grundforskningsfond finanziert wurde. Mein Dank für diese interessante Zeit gilt allen, zu deren Gemeinschaft ich dort gehören durfte, insbesondere dem Leiter des Forschungszentrums, Dr. h.c. Niels J0rgen Cappel0rn. Hilfreich waren auch die Gespräche mit den dortigen Gastprofessoren, Prof. Alastair McKinnon und Prof. Dr. Michael Theunissen. Ihnen sowie allen Mitgliedern des dem Forschungszentrum beigeordneten wissenschaftlichen Komitees sei hier gedankt. Für die Befürwortung der Publikation dieser Arbeit innerhalb der Reihe Kierkegaard-Studies · Monograph Series danke ich deren Herausgebern Prof. Dr. Hermann Deuser und Forschungsleiter Dr. h.c. Niels J0rgen Cappel0rn, für finanzielle Unterstützung dem S0renKierkegaard-Forschungszentrum und für sein Entgegenkommen dem Verlag Walter de Gruyter. Daß mein Mann Bernt J0rgensen nicht nur Geduld und Verständnis aufgebracht, sondern mich auch in vieler Hinsicht unterstützt hat, trug wesentlich zur Entstehung dieses Buches bei. Greifswald, im Mai 1997
Dorothea Glöckner
Inhalt Vorwort Einleitung
V 1
1.
Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
12
1.1. 1.2.
Das Anliegen der Wiederholung Die Wiederholung - Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie von Constantin Constantius (1843) Das Pseudonym Constantin Constantius Die experimentierende Suche nach der Wiederholung Zur Komposition der Wiederholungsschrift Zur Auswertung der Experimente Die verschiedene Bedeutung der Wiederholung auf den Entwicklungsstufen der Freiheit
12
1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.3.
2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.2.1. 2.3.2.2. 2.3.2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.2.1.
Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös? Die Unmittelbarkeit der ersten Schulderfahrung Äußerliches Verständnis der Wiederholung Freiheit gegen die Last der Schuld Das Freiheitsverständnis des jungen Mannes Schuld - Ästhetisch abgelehnt Innerliches Verständnis der Wiederholung Handelnde Freiheit Constantins Kommentar zum jungen Mann Aneignung der Schuld als handelnde Freiheit Handeln als Entwicklung der Subjektivität Handeln als Leiden Die Wiederholung als handelnde Freiheit Das Ideal der Wiederholung Hiob, der Rebell Reue - der »weibliche« Weg in die Freiheit Der höchste ethische Selbstwiderspruch
20 20 24 32 34 38
49 49 51 51 57 63 63 67 68 69 74 80 80 89 89
Vili
Inhalt
2.4.2.2. Die Tat der Reue 2.4.2.3. Der Weg der Reue
92 94
3.
Die Wiederholung als Garant der Freiheit
97
3.1.
3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3.
Der Ort der philosophischen Reflexionen in der Wiederholungsschrift Wiederholung statt Erinnerung Der Entwurf der Wiederholung in Entsprechung zur Erinnerung Die Wiederholung als glückliches Pendant der Erinnerung Griechische Erinnerung als Suche des Verlorenen Wiederholung als Finden des Verlorenen Erinnerung und Wiederholung - Vorstufen des Synthesedenkens? Wiederholung statt Vermittlung Wiederholung als Verdoppelung Gleichheit Gottes und des Menschen? Der Empfang des Doppelten Verdoppelung der Freiheit
4.
Selbstwerdung durch Wiederholung
163
4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2.
Umsegeltes Dasein? Selbstwerdung als kontinuierliche Bewegung Selbstwerdung als Prozeß der Innerlichkeit Innerlichkeit als Subjektivität Innerlichkeit als Bestimmung des Ewigen im Menschen Der »Augenblick« als die Bedingung für das konkrete Verstehen des Ewigen Die Wiederholung als Ziel der Selbstwerdung Religiosität A und Β - Absolutes Verhalten zum Absoluten oder Relativen? Sokratisches und Christliches Paradox
163 164 174 175
3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5.
4.3.3. 4.4. 4.4.1. 4.4.2. 5. 5.1. 5.2.
97 100 100 110 116 120 126 132 146 146 150 156
185 190 200 200 205
Die Qualifizierung der Wirklichkeit durch die Wiederholung
212
Wirklichkeit als Schöpfung Die werdende Wirklichkeit
212 217
Inhalt
IX
5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.4. 5.4.1. 5.4.2. 5.4.3.
Die Wirklichkeit des Einzelnen Die eigene Wirklichkeit Offene Möglichkeiten Er-Öffnung der Wirklichkeit Die Möglichkeit, aus eigener Kraft nichts zu vermögen Der Glaube - Ein direktes oder indirektes Verhältnis? Der Glaube - Ein direktes und gleiches Verhältnis? . . .
227 227 231 236 236 239 242
6.
Die Freiheit der Wiederholung
248
6.1. 6.2. 6.3. 6.3.1. 6.3.2. 6.4. 6.5. 6.6.
Der Ort der Freiheitsfrage Die Leidenschaft des Absurden Der Mut der Freiheit Mut als Demut und Furcht Vorspiel des Mutes Die Fremde der Freiheit Freiheit im Gegenüber Freiheit - konkret oder unerreichbar?
248 250 262 262 266 269 275 280
Literaturverzeichnis Abkürzungen
289 297
Einleitung Die Wiederholung ist das höchste Interesse der Freiheit (vgl. Pap. IV Β 117, 282). Diese Behauptung macht von vornherein deutlich: Der Denker, dessen Freiheitsverständnis in dieser Arbeit diskutiert werden soll, zeichnet sich durch einen hohen Grad an Eigensinn aus. S0ren Kierkegaard, der zum Ausgangspunkt und Gegenstand seines Werkes die Wirklichkeit des Menschen gewählt hat, der es sich zum Anliegen gemacht hat, diese Wirklichkeit in ihrer Ganzheitlichkeit zu erfassen und den einzelnen Menschen auf seine eigene Wirklichkeit zu verpflichten, wird aufgrund dieses Anliegens zum Grenzgänger zwischen den humanen Wissenschaften. Dichtkunst, Psychologie, Philosophie und Theologie, die sich jeweils von ihrem eigenen Ansatz her darum bemühen, die Wirklichkeit des Menschen zu erfassen, sind in Kierkegaards Denken voneinander nicht zu isolieren, sondern dienen ihm der gegenseitigen Veranschaulichung und Illustration. Gewandter Umgang mit der Sprache, filigrane Beschreibungen psychologischer Beobachtungen und Experimente, philosophisch konsequent entwickelte Konzepte und theologische Dispute zum menschlichen Gottesverhältnis sind in dessen Werk alle derselben Bemühung verpflichtet, die in ihrer Einfalt zugleich die schwerste ist: Geklärt werden soll, was es heißt, ein Mensch zu sein. Die hier geplante Diskussion zu Kierkegaards Freiheitsverständnis ist damit von vornherein auf diese Frage ausgerichtet - und auch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn, laut eines der kierkegaardschen Pseudonyme, vermag es niemand, auch nur einen einzigen Menschen zu beschreiben, während doch ein jeder Mensch ein solcher ist (vgl. BA, 224 / BA, 149). Daß hier trotzdem der Versuch unternommen wird, sich schreibend und beschreibend dem Denken Kierkegaards zu nähern und sich mit diesem besonders im Hinblick auf die Frage nach der Wirklichkeit der Freiheit auseinanderzusetzen, statt aus eben Angeführtem die Konsequenz zu ziehen und sich in seiner Unbeschreibbarkeit zu bescheiden, bedarf zumindest einer Erklärung. Die meine ist folgende: Auf die Frage, was als Freiheit begriffen werden kann und darf, gibt es kaum eine zufriedenstellende Antwort. Weder die negative Bestimmung der Freiheit als absoluter Unabhängig-
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Einleitung
keit, als Spontaneität, als das Vermögen, eine Handlung ohne andere Ursache als den eigenen Willen zu beginnen, d.h. als Freiheit von Natur, Welt und Gott, noch der positiv angelegte Versuch, Freiheit als Pflicht, als moralisches Sittengesetz, als Einsicht in die Notwendigkeit zu klären, vermögen die Frage: >Was ist Freiheit?< tatsächlich zu beruhigen. In ihrer Ursprünglichkeit erwächst diese Frage aus dem unbedingten Bedürfnis des Menschen nach eigener Freiheit, aus dem Bedürfnis danach, sich selbst und seiner Wirklichkeit gerecht zu werden und ineins damit aus der Angst davor, diese Wirklichkeit endgültig zu verfehlen. In diesem klaren Verlangen nach Freiheit der ungeklärten Frage überlassen zu sein, worin diese Freiheit eigentlich besteht, stellt den Menschen in Deutungszwänge. Oftmals wird dabei nur der Ausweg eines Sich-Einrichtens gefunden, das zwar vorläufig geschieht, aus dem dann aber kaum noch auszubrechen ist. Ist das klare Verlangen nach Freiheit erst einmal darin besänftigt, daß Freiheit z.B. in der verbindlichen Verpflichtung auf das Gemeinwohl anzunehmen sei, so verstummt allmählich auch die noch immer ungeklärte Frage danach, was denn Freiheit sei. Dieses freiwillig angenommene Verständnis der Freiheit kann daher zu Recht mit der Einengung in eine Zwangsjacke verglichen werden, die nur dann als Freiheit zu begreifen ist, wenn diese Begrenzung eben freiwillig geschieht. Daß die solcherart erstickte noch immer ungeklärte - Frage nach der Bedeutung der Freiheit dennoch in einzelnen Momenten wieder aufzubrechen vermag, beruht darauf, daß in dieser - verstandesmäßig - angeeigneten Auffassung der Freiheit die Erfahrung tatsächlicher Befreiung ausbleibt. Denn diese Erfahrung gründet im Gefühl des Menschen, das sich durch Verstand und Vernunft nicht regieren läßt. Solange die Freiheit vorläufig ausschließlich durch Verstand und Vernunft, als Pflicht und Einsicht, bestimmt wird, bleibt die tatsächliche Erfahrung der Freiheit weiterhin unerreicht. Das aber bedeutet, daß die Frage nach der Bedeutung der Freiheit vor jenes Dilemma führt, daß ein Antwortversuch sich weder auf Verstand und Vernunft allein stützen kann, noch vom reinen Gefühl ausgehend eine Begriffsklärung geleistet werden kann. Diese Gefühlslosigkeit des Verstandes und Verstandeslosigkeit des Gefühls liefern den Menschen an sich selber aus, fangen ihn in seiner eigenen Begrenzung und führen mit sich, daß die Spannung zwischen klarem Freiheitsverlangen und unklarem Freiheitsbewußtsein von ihm selbst nicht aufzulösen ist. Soll gegen alle Beruhigungsversuche die ungeklärte Frage nach dem Verständnis der Freiheit weiterhin wachgehalten und bewegt werden, so ist daher gerade von dieser Zwiespältigkeit des Menschen und seiner inneren Widersprüchlichkeit auszugehen.
Einleitung
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Da es Kierkegaard ist, der diese Verfassung des Menschen, im innerlichen Widerspruch zu sich selbst zu stehen, mit einmaliger Schärfe und Einsicht nachgezeichnet und aufgedeckt hat, findet die Frage danach, was Freiheit sei, einen tiefen Resonanzgrund in dessen Werk. Kierkegaard hält gerade die Frage nach der Wirklichkeit der Freiheit wach, das heißt, sein Interesse richtet sich vorrangig darauf, nach der Verwirklichung der Freiheit durch das Individuum zu fragen. Weniger geht es ihm um eine Klärung des Begriffes der Freiheit oder um eine Einordnung dieses Begriffes in das Ganze einer wissenschaftlichen Weltanschauung.1 Sein Augenmerk ist darauf gerichtet, wie der Mensch in seinem Unvermögen, die Freiheit zu erfassen, diese dennoch für sich wirklich werden lassen kann. Kierkegaard nimmt die Forderung nach der Erfahrung tatsächlicher Befreiung ernst und stellt diese in das Zentrum seiner Diskussion der Freiheit. Damit ist im Denken Kierkegaards ein Schritt vollzogen, der die Not, in die jede Verständigung über Freiheit gerät, nicht umgeht, sondern der bis in das Innerste dieser Not vordringt, um so - fast trotzig - doch noch die Erfahrung des Befreitseins zu gewinnen. Der Ansatz Kierkegaards, der das Vermissen der Erfahrung des Befreitseins ernst nimmt und sich doch nicht in diesem Vermissen einrichtet, hält die Frage nach der Freiheit wach und ist damit selbst ein Schritt zur Freiheit. Diesem Schritt in Richtung auf die Freiheit zu ist die vorliegende Arbeit verpflichtet. Damit wird weder eine Klärung dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein, noch des Freiheitsbegriffes angestrebt, aber aufgenommen und entfaltet werden soll die Frage nach der Freiheit in ihrer Bedeutung für die Freiheit selbst.2 Die hier beabsichtigte Auseinandersetzung nimmt ihren Ausgangspunkt in der konkreten Frage: »Gibt es die Wiederholung?« (vgl. Pap. IV Β 111, 264), die Kierkegaard selbst als innerstes Problem der Freiheit anführt. Den Sinn dieser Frage einsichtiger zu machen, ihren Be-
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Vgl. F. W. J. Schelling, Freiheit, 228. Im Rahmen dieser Arbeit ist auch darauf verzichtet worden, die theologie- und philosophiegeschichtlichen Voraussetzungen Kierkegaards umfassender darstellen zu wollen. Auch auf die Rezeption Kierkegaards z.B. in der Existenzphilosophie oder der Dialektischen Theologie wird nicht eigens eingegangen. Mit dieser Begrenzung wird in Kauf genommen, daß diese Arbeit nicht nur eine größere Distanz zum kierkegaardschen Werk vermissen läßt, sondern daß auch andere Entwürfe, die die hier vorgenommene Auslegung illustrieren könnten, entbehrt werden müssen. Größe und Komplexität von Kierkegaards eigenem Universum aber zwingen hier zu der Eingrenzung, zunächst in bezug auf dessen eigene Werke einen Zugang zu dessen Freiheitsverständnis zu suchen.
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Einleitung
zug zur Freiheitsthematik herauszuarbeiten und auf diese Weise einen eigenen Zugang zu Kierkegaards Freiheitsverständnis zu gewinnen, ist das mit dieser Arbeit verbundene Anliegen. 3 Dabei wird
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Anstelle eines Forschungsberichtes zur Aufnahme sowohl der Freiheitsproblematik wie des Themas der Wiederholung in der Kierkegaardforschung wird hier auf die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur verwiesen, die sich im Anmerkungsteil dieser Arbeit findet. Besonders im Hinblick auf die umfangreiche Auseinandersetzung mit Kierkegaards Freiheitsverständnis könnte ein Überblick über die Forschungsliteratur hier nur eine recht willkürliche Auswahl präsentieren. Zumindest hingewiesen werden soll jedoch darauf, daß gerade in der neueren (deutschen) Kierkegaardforschung verstärkt darauf aufmerksam gemacht wurde, daß das Thema »Freiheit« eine Zentralstellung im Werk Kierkegaards einnimmt. Zu erwähnen sind hier z.B. die Arbeiten von J. Disse, Phänomenologie; W. Dietz, Existenz; M. Bosch, Schicksal, sowie H. Schulz, Identität. Während in diesen Arbeiten die Verbindung von Freiheits- und Wiederholungsthematik peripher diskutiert wird, bzw. nicht deutlich gemacht wird, daß ζ. B. die Frage nach Identität, nach Versöhnung und Erlösung im Begriff der Wiederholung ihren spezifischen Ausdruck findet, kommt in besonderer Weise G. Malantschuk das Verdienst zu, die Wiederholungsund Freiheitsthematik in ihrer zentralen Verkettung aufgezeigt zu haben. Sowohl in seiner Analyse des Freiheitsverständnisses im Begriff Angst (Vgl. G. Malantschuk, Frihedens Problem) als auch in den Studien zur Entwicklung des Individuums zum Einzelnen (Vgl. ders., Individ) wird die Wiederholung in ihrer Bedeutung gerade für das Freiheitsverständnis ausgewertet.Als einer der grundlegenden Verfechter der Drei-Stadien-Theorie geht G. Malantschuk dabei jedoch von einem Verständnis des Ethischen aus, das sich im Zusammenhang der in vorliegender Arbeit vorgenommenen Diskussion der Wiederholung nicht bewährt. Während der Drei-Stadien-Theorie zufolge das Ethische als ein Durchgangsstadium zwischen dem ästhetischen und dem religiösen Stadium begriffen wird, und damit innerhalb der Entwicklung des Selbst auf seine eigene Freiheit zu das ethische Stadium als ein Verwirklichungsgrad der Freiheit anzunehmen wäre, der dem ästhetisch zu erreichenden Grad der Freiheit überlegen, der religiös begründeten Freiheit jedoch unterlegen ist, kann eine nähere Diskussion des Wiederholungsbegriffes aufzeigen, daß die Annahme einer Wiederholung im ethischen Stadium zumindest problematisch ist. Unter der Voraussetzung, daß Freiheit in der Wiederholung gründet, ist damit zugleich die Annahme einer ethisch zu verwirklichenden Freiheit angefragt. Schon L. Reimer hat darauf aufmerksam gemacht, daß die als Losung der Ethik verstandene Wiederholung die »Tiefendimension« der Wiederholung nicht aufgreift. (vgl. L. Reimer, Wiederholung, 324). L. Reimer, der differenzierter von einer Umdeutung der Wiederholung als Losung der Ethik (in der Schrift Die Wiederholung) zur Wiederholung als Lösung der Ethik (in der Schrift Der Begriff Angst) ausgeht (vgl. a.a.O. 323-325), weist damit auf die Schwierigkeit hin, die mit der Annahme einer ethischen Wiederholung verbunden ist. Auch V. Guarda (ders., Wiederholung) geht in seiner Monographie von den drei Stadien oder den »drei großen Ideen« des Ästhetischen, Ethischen und Religiösen aus. Die Selbstwerdung des Menschen wird allerdings nicht als eine Abfolge dieser Stadien geschildert, sondern V. Guarda beschreibt die »Struktur der Selbstwerdung [...] aus dem dialektischem Verhältnis der einzelnen Stadien zueinander« (a.a.O. 97). Demnach vollbringt sich das Leben des einzelnen Menschen dadurch, »daß er sich fort und fort aus dem
Einleitung
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Kierkegaards fragender Ansatz als wesentliches Implikat seines Freiheitsverständnisses aufgefaßt. D.h. es wird davon ausgegangen, daß die eigentliche Frage die Antwort nicht schon in sich trägt, sondern aufbricht zu Unbekanntem und Neuem. 4 Mit diesem Vorverständnis kann es nur umso mehr befremden, daß gerade die Wiederholung angeführt wird als innerster Ausdruck der Freiheit. Der Begriff der Wiederholung, der in seiner alltäglichen Verwendung noch am ehesten assoziiert wird mit Routine oder ebenso ermüdenden pädagogischen Ermahnungen, findet jedoch in Kierkegaards Sprachgebrauch eine ganz eigene Verwendung. Wie zu zeigen sein wird, steht bei ihm die »Wiederholung« selbst für den Neubeginn, für die Wiederholung des Individuums in einer neuen Potenz und für ein
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einen Stadium in das andere übersetzt« (a.a.O. 96). Diese Übersetzung bedeutet das Aushalten der zwischen den einzelnen Stadien zugrundegelegten Spannung, die V. Guarda als Spannung zwischen Isolation und Kontinuität, sowie zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit aufzeigt (a.a.O. S. 97£). In diesem Prozeß überwindet erst die Wiederholung die in dieser Spannung enthaltene Widersprüchlichkeit (a.a.O. 100). Damit zeigt V. Guarda die Wiederholung auf als komplexe Kategorie mit verschiedenen Konkretionen innerhalb der einzelnen großen Ideen und zugleich als Bewegung über die Grenzen der Stadien hinweg. Für die Diskussion der Wiederholung als Aufgabe der Freiheit erweist sich dieses Konzept der Kontinuität als Einheit einer Bewegung von grundlegender Bedeutung. Dieses Verständnis der Frage unterscheidet sich dabei von der sonst vorherrschenden Auffassung, daß die Frage selbst das Erfragte in gewißer Weise immer schon vorwegnimmt (vgl. z.B. Paul Tillichs Methode der Korrelation). Das hier aufgenommene Verständnis der Frage dagegen stellt deren suchendes Ausgerichtetsein auf eine Antwort stärker in den Vordergrund und spricht damit erst der Antwort, nicht jedoch schon der Frage zu, das Unbekannte, Neue zu ergreifen. Wieweit dieses letztere Verständnis der Frage legitim ist, bzw. besonders im Ansatz Kierkegaards nachzuweisen ist, bleibt in bezug auf die Kategorie der Wiederholung erst zu diskutieren. Inwiefern die Frage sich in besonderer Weise als suchende auszeichnet, ist wegweisend thematisiert in: M. Theunissen, Andere. Im Zusammenhang einer Analyse der Dialogphilosophie M. Bubers arbeitet M. Theunissen hier u.a. die »Wesensverfassung des Anredens« (a.a.O. 318-321) heraus, für welche er feststellt, das »jedes Ansprechen [...] Anspruch auf Entsprechung ist« (a.a.O. 319). So wie z.B. die Mitteilung auf das Vernehmen ausgeht, so drängt die Frage auf Antwort. Damit ist zwar der Anspruch auf eine Antwort in der Frage vorgegeben, jedoch nicht die Antwort selbst. Im Gegensatz zu jenem Verständnis, demzufolge eine Frage erst dadurch zur Frage qualifiziert wird, daß sie die Antwort bereits in sich birgt, hebt M. Theunissen hervor, daß es auch unbeantwortbare Fragen gibt (vgl. a.a.O. 321). Dabei weisen sich die unbeantwortbaren Fragen durch das »unglückliche Bewußtsein aus, das die Antwortlosigkeit erweckt« (a.a.O.). Zwischen Frage und Antwort ist damit eine klare Differenz angenommen, die die Antwort gegenüber der Frage als das Neue qualifiziert. Diese am Denkansatz Bubers durchgeführte Bestimmung der Frage erscheint dabei zugleich geprägt und inspiriert durch die Vertrautheit des Verfassers mit dem kierkegaardschen Werk.
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Einleitung
neues Dasein. Daß dieser zugleich sehr vieldeutig verwendete Begriff der Wiederholung einer Auseinandersetzung mit Kierkegaards Freiheitsverständnis zugrundegelegt wird, hat folgende Argumente für sich: Zum einen wird sich erweisen, daß es gerade die Kategorie der Wiederholung ist, die die dem Menschen gestellte Aufgabe, seine Freiheit zu verwirklichen, zur ernsten Herausforderung qualifiziert. So macht Constantin Constantius, pseudonymer Verfasser der Schrift Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie von Constantin Constantius (1843) darauf aufmerksam, daß Freiheit zuerst die Ausdauer erfordert, einen Gedanken zu Ende zu führen, und sei es, daß die ganze Welt einem entgegendächte (vgl. G, 177 / W, 771). Damit ist schon angedeutet, daß die Freiheit, im Wagnis der Ungesichertheit beginnend und in Leidenschaft bestehend, erst in der ihr zugehörigen Erfahrung des Leidens positiv erlebt wird. Kierkegaards dialektisches Prinzip, in dem das Positive und das Negative in ihrem aufrecht erhaltenen Gegensatz untrennbar aufeinander bezogen sind, wird am Verständnis der Wiederholung durchgeführt, und so ist zugleich festgehalten, daß die Freiheit ihren Preis hat. Zum anderen ist im Verständnis der Wiederholung jene innere und innerliche Erfahrung des Befreitseins erfaßt, deren sonstiges Ausbleiben die Frage nach der Freiheit immer wieder motiviert und wachruft. Denn in der Schrift Die Wiederholung wird der Preis der Freiheit wie der der Unfreiheit ausgemessen mit dem Maß der Liebe. Damit wird das Ringen um die als Sinnerfahrung begriffene Freiheit aufgedeckt als ein Ringen um geglückte Liebe, und in der Kategorie der Wiederholung werden Freiheit und glückliche Liebe ineinsgesetzt. Mit dieser Thematisierung der Liebe wird aufgedeckt, daß Freiheit erst in gegenseitiger Beziehung und damit in Abhängigkeit von dieser Beziehung bestehen kann. Um das Ideal der Freiheit zu entfalten, wendet Kierkegaard seine Beobachtungsgabe den Liebenden zu, deren Mühen um geglückte Liebe er scharfsinnig analysiert. Diese Analyse hinterläßt jedoch nichts als Splitter und Wunden, als verfehlte werden die Mühen verworfen und so wird das Ideal immer näher eingegrenzt durch die Beschreibung alles dessen, was es nicht ist. Die Liebenden, denen Kierkegaards eigentliches Interesse gilt, sind Gott und Mensch. Daß deren Freiheit erst in ihrer gegenseitigen Beziehung gegeben ist, d.h. daß der Mensch nur frei ist in seiner Bindung an den freien Gott, der wiederum nur frei sein kann in bezug auf ein freies Gegenüber, wird im Verständnis der Wiederholung eigens zum Ausdruck gebracht. Hier nämlich ist festgehalten, daß ein Gelingen der Liebe Gleichheit in Liebe voraussetzt. Diese
Einleitung
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Gegenseitigkeit und Gleichheit beider Seiten des Verhältnisses näher aufzuzeigen, ist das dritte Anliegen der vorliegenden Arbeit. Die Analyse der »Wiederholung« wurde begrenzt auf eine Diskussion dieser Kategorie in den Schriften Kierkegaards bis einschließlich zur Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift I und II (1846). Mit Ausgangspunkt in der Schrift Die Wiederholung (1843) wird der Versuch unternommen, die innere Problematik dieser Schrift in Hinsicht auf die Frage nach der Bedeutung der Wiederholung als der zu entdeckenden Freiheitskategorie auszulegen. Für diese Verbindung einer Analyse der Wiederholungsschrift mit einer Bestimmung der Kategorie der Wiederholung werden besonders die unter dem Pseudonym des Johannes Climacus herausgegebenen Schriften Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est. Eine Erzählung. (1842/43); Philosophische Brocken (1844) sowie die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift I und II (1846) berücksichtigt. Diese Konzentration auf die Climacusschriften legt sich schon von daher nahe, daß der Begriff der Wiederholung in der unvollendet gebliebenen Abhandlung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est erstmalig entworfen wurde. Die eigentliche Begründung dafür, daß in dieser Arbeit gerade die Climacusschriften eine bevorzugte Aufnahme finden, aber liegt darin, daß Climacus jene Frage ausführlich behandelt, die sich für das Verständnis der Wiederholung als besonders problematisch erweist. Denn, wie sich zeigen wird, ist die Wiederholung einerseits ein Begriff auf der Grenze zwischen allgemein-religiöser und christlicher Existenz und andererseits daraufhin angelegt, in ausgezeichneter Weise die durch Christus gewährte Freiheit zu entfalten. Von daher ist ein Bemühen um ein Verständnis dieser Kategorie und des in ihr ausgesagten Freiheitsverständnisses immer auch ein Bemühen darum, das Verhältnis von humaner und christlicher Existenz in seiner Konsequenz für die Wirklichkeit der Freiheit zu begreifen. Da dieses Verhältnis von humaner und christlicher Existenz besonders von Climacus thematisiert wird, indem seine Verfasserschaft insgesamt von der Frage angetrieben ist, was es heißt, Christ zu werden und ineins mit diesem Prozeß des Werdens gerade auch der Übergang, der radikale Unterschied und gleichwohl der innere Zusammenhang von humaner und christlicher Existenz in immer wieder neuen Ansätzen analysiert wird, bietet Climacus sich in einer Verständigung über den Begriff der Wiederholung und deren konkrete Äußerungen als ein erster und bevorzugter Gesprächspartner an. Vigilius Haufniensis, pseudonymer Verfasser der Schrift Der Begriff Angst (1844), überführt dieses grundlegende Problem der Wiederho-
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Einleitung
lungskategorie in den Zusammenhang geschichtlicher Kontinuität und bereichert so die Diskussion zur Wiederholung um jenen Aspekt dieser Kategorie, der sich im Verhältnis des Individuums zu Geschlecht und Generationenfolge geltend macht. Eine Analyse, die anstrebt, die Problematik der Wiederholungsschrift wie der Kategorie der Wiederholung in gegenseitiger Interpretation zu erschließen und damit das Anliegen der Wiederholung als Frage nach der Verwirklichung der Freiheit zu entfalten, ist darüberhinaus vor allem auf das als Doppelwerk mit der Wiederholungsschrift herausgegebene Werk Furcht und Zittern (1843) sowie auf die parallel dazu erschienenen Erbaulichen Reden verwiesen. Wichtig sind auch die Aufzeichnungen und Kommentare in Kierkegaards Papieren, die sich direkt auf die Wiederholungsschrift beziehen (vgl. Pap. IV Β 110, 258ff.).5 In diesen Texten in den Papieren wird der aus der Wiederholungsschrift vom Leser nur in eigener Auslegung zu erschließende Zusammenhang von Freiheit und Wiederholung explizit als wesentliches Anliegen dieser Schrift aufgezeigt und interpretiert: »Die Wiederholung [...] als Aufgabe der Freiheit und als Freiheit selbst ist es, wonach das Buch benannt ist« {Pap. IV Β 117, 293). Von daher ist ein Rückgriff auf diese Texte für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wiederholung und Freiheit nicht nur besonders aufschlußreich, sondern eröffnet erst eigentlich den Zugang zum Thema dieser Arbeit. Die in dieser Arbeit vorgenommene Begrenzung der Analyse auf das Werk Kierkegaards bis 1846 bedarf vor allem daher einer Begründung, da die Kategorie der Wiederholung als Strukturbeschreibung der menschlichen Existenz nicht nur in den frühen Schriften nachzuweisen ist. Konkretionen der Wiederholung wie Nächstenliebe und Nachfolge sind Leitthemen in den Werken Der Liebe Tun (1847) und Einübung im Christentum (1850). Auch die Diagnose der in der Verzweiflung verfehlten Existenz, die Kierkegaard in der Schrift Die Krankheit zum Tode (1849) trifft, nimmt die Frage nach der Wirklichkeit der Wiederholung wieder auf. In den Schriften nach der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) wird die Kategorie der Wiederholung jedoch vorrangig der Sache nach diskutiert, während der Begriff »Wiederholung« selbst kaum noch verwendet wird. Diese unterschiedliche Verwendung des Begriffes »Wiederholung« in den Werken vor und nach 1846 legt es nahe, eine Analyse dieses Begriffes auf die Diskussion der Werke bis 1846 einzugrenzen.
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Vgl. ausführlicher hierzu Kap. 1.1.
Einleitung
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Die vorliegende Untersuchung der Wiederholung folgt so der von Kierkegaard mit der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift innerhalb seines Gesamtwerkes selbst gesetzten Zäsur. In dieser Schrift, die Kierkegaard als »Wendepunkt« (SVF, 87 / SS, 27) seiner Verfasserschaft bezeichnet, stellt er explizit das Problem, das sein gesamtes Werk durchzieht; die Frage des Christ-Werdens (vgl. a.a.O.). Die Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift nimmt damit »wieder die pseudonyme Produktivität sowie die in diese eingeschlungenen achtzehn erbaulichen Reden in ihr Bewußtsein auf, zeigt all dieses als der Beleuchtung des Problèmes dienlich, ohne daß damit gesagt wird, daß es die Absicht der vorhergehenden Produktivität war« (SFV, 87 vgl. SS, 27).6 Selbst wenn der Begriff der Wiederholung schon in der Nachschrift kaum noch auftritt, berechtigt die Wiederaufnahme der Themen der vorhergehenden Schriften dazu, bei der Auslegung der Wiederholungskategorie besonders auch von der Nachschrift her zu argumentieren. Die Begrenzung der Analyse der Wiederholung auf die Schriften bis 1846 gewährleistet nicht nur eine differenziertere Betrachtung der Schriften, in denen Kierkegaard seine eigene Kategorie der Wiederholung hervorbringt, sondern impliziert zugleich die Frage, warum deren Begriff in der späteren Verfasserschaft kaum noch Verwendung findet. Die Frage danach, ob sich bereits in der frühen Verfasserschaft Ungenügen und Schwierigkeiten des Begriffs der Wiederholung abzeichnen, ist damit vorgegeben. Seine Entfaltung der Frage, ob eine Wiederholung möglich ist und was sie zu bedeuten hat, nimmt Kierkegaard unter dem Pseudonym des Constantin Constantius vor, der als Vertrauter eines jungen Mannes dessen Suche nach der Wiederholung beobachtet und kommentiert. Bei der Auslegung der Schrift Die Wiederholung kann daher nicht davon abgesehen werden, aus welcher Perspektive die Wiederholung thematisiert wird. Darin verborgen ist das Problem, inwiefern ein den Darstellungen Constantins bzw. des jungen Mannes übergeordnetes Verständnis der Wiederholung angenommen werden kann, und damit führt diese Schrift hin auf das Problem der Pseudonymen 6
Die hier zitierte Schrift Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller (SFV, 79-169 / SS, 21-120) ist eine nachträglich zusammenfassende Darstellung des Gesamtwerkes. Wieweit diese nachträgliche Interpretation die ursprüngliche Absicht der einzelnen Werke wiedergibt, ist fraglich und kann hier nicht diskutiert werden. Die hier zitierte Charakterisierung der AUN als Abschluß nicht nur der Philosophischen Brocken sondern der gesamten vorhergehenden Verfasserschaft aber ist zunächst eine formale Bestimmung und als solche in ihrer Aussage nicht anzuzweifeln.
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Einleitung
Verfasserschaft überhaupt. 7 Dieses Problem besteht darin, daß Kierkegaards Methode, seine Themen wachsamen Pseudonymen mit entweder humoristischem oder ironisch-distanzierendem Sinn anzuvertrauen, einem einheitlichen Verständnis seines Werkes entgegensteht. In bezug auf die Schriften bis 1846 wird daher in dieser Darstellung nicht davon abgesehen, welches Pseudonym referiert wird. Zitiert werden die Pseudonyme selbst, um so deren Eigenart und Unabhängigkeit voneinander zu markieren. Damit wird der Versuch unterlassen, die Pseudonyme in ein übergeordnetes System einzuordnen, von dem her etwa die eigentliche Aussage Kierkegaards zu konstruieren wäre. Vielmehr wird die Verwendung der Pseudonyme selbst als Ausdruck der Frage: >Gibt es Freiheit< aufgefaßt. Die Freiheit der Wiederholung, die Kierkegaard beschreibt als ein Werden dessen, was man ist, bedeutet, identisch mit sich selbst zu werden. Und es ist diese Identität, die durch die Verwendung der zahlreichen Pseudonyme in Frage gestellt wird. Kierkegaards pseudonyme Verfasserschaft, in der Identität allenfalls in einem Universum und d.h. in der Vielfalt gegründet ist, weist so hin auf die prinzipielle Schwierigkeit oder sogar das Unvermögen, Identität in einem Einheitsprinzip zu gründen. Mit diesem Ansatz, die pseudonyme Verfasserschaft insgesamt als Frage nach Identität und Freiheit zu begreifen, wird Kierkegaards Werk zwar nicht als einheitliches System gelesen, wohl aber aus einem inneren Zusammenhang heraus verstanden, der sich durch die Ausrichtung dieser Frage auf Einheit und Versöhnung als ein das ganze Werk bestimmendes religiöses Anliegen zu erkennen gibt. Der methodische Ansatz, der jedes Pseudonym als es selbst zur Sprache kommen läßt, folgt damit auch Kierkegaards Darstellungsweise, in der er seine Existenzanalyse vorrangig nicht in abstrakt philosophischer bzw. dogmatischer Begrifflichkeit entfaltet, sondern jeweils an einzelnen Fallbeispielen entwickelt. Dieses Vorgehen Kierkegaards, das ihm eine detaillierte Beschreibung einzelner Phänomene ermöglicht, erschwert andererseits das Bemühen, sich Kierkegaards Anliegen als einer Ganzheit zu nähern. Die Vielfalt und Genauigkeit des von ihm Beobachteten läßt sich kaum übersetzen in eine allgemein gefaßte Sprache, und so ist eine Analyse seines Werkes immer auch
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Zur Diskussion der Pseudonymität der Verfasserschaft Kierkegaards und deren Aufnahme in der Forschung vgl. z.B. Κ. E. Johansen, Gjentagelsen, 7-10 sowie J. Disse, Phänomenologie, 18ff. In vorliegender Arbeit wird die umfassende Diskussion zur Pseudonymität der Verfasserschaft nicht aufgenommen, sondern nur das zugrundegelegte Verständnis des Pseudonymen Werkes benannt.
Einleitung
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darauf angewiesen, den einen Einzelfall vom anderen zu unterscheiden. Dies gilt in besonderer Weise auch für den Entwurf der Wiederholung. Im Unterschied zu Schriften wie ζ. B. Der Begriff Angst oder Die Krankheit zum Tode, in denen Kierkegaard seine Analyse der menschlichen Existenz durchaus begrifflich abstrakt vollzieht, zeichnet sich die Wiederholungsschrift durch ihre narrative Darstellungsweise aus. Beschrieben wird die Suche nach der Wiederholung anhand zweier Figuren - und soll diese Kategorie verstanden werden, kommt der Leser nicht umhin, die Bekanntschaft sowohl mit Constantin als auch dem jungen Mann zu schließen. Kann aber eine Einzelanalyse, deren Gegenstand ebensogut ein alltägliches Gesprächsthema sein könnte, tatsächlich Zugang bieten zum Verständnis der grundlegenden Kategorie einer »neuen Philosophie«, wie es Kierkegaard für die Wiederholung in Anspruch nimmt? So läßt sich nicht ohne Grund fragen, und doch ist es der Gegenstand dieser »neuen Philosophie«, der zum Problem gewordene einzelne Mensch, der ein solches Vorgehen rechtfertigt. Von diesem Ansatz her erklärt sich auch die Gliederung vorliegender Arbeit. Die Auseinandersetzung mit Kierkegaards Verständnis der Wiederholung beginnt mit einer Aufnahme der individuellen Problematik der Wiederholungsschrift (Kap. 1), die in bezug auf das von diesen Einzelfällen her abzuleitende Freiheitsverständnis analysiert wird (Kap. 2). Anschließend werden die philosophischen Reflexionen zum Begriff der Wiederholung, die sich in der Schrift gleichen Namens finden, aufgenommen und im Gegenüber sowohl zur griechischen Erinnerungslehre als auch zum Vermittlungsdenkens Hegels diskutiert (Kap. 3). In den folgenden Kapiteln wird die in Auseinandersetzung mit den Experimenten und Reflexionen Constantin Constantius' analysierte Bedeutung der Wiederholung entfaltet in ihrer Relevanz für das Verständnis sowohl der werdenden Wirklichkeit des Individuums (Kap. 4) als auch eines umfassenderen Wirklichkeitsverständnisses (Kap. 5). Schließlich wird die an den Begriff der Wiederholung gebundene Intention, gültiger Ausdruck des Glaubens und dessen zeitlicher Dimension zu sein, in Weiterführung dieser bereits im Zusammenhang des Wirklichkeitsverständnisses aufgenommenen Thematik diskutiert (Kap. 6). Hier ist es die in dem gleichzeitig mit der Wiederholungsschrift erschienenem Werk Furcht und Zittern beschriebene Doppelbewegung des Glaubens, von der her das Anliegen der Wiederholung sich besonders deutlich als Aufgabe und Herausforderung der Freiheit erweist.
1. Die Wiederholung das höchste Interesse der Freiheit 1.1. Das Anliegen der Wiederholung Die »Wiederholung« ist Kierkegaards originelle Kategorie. Es gibt keine Vorbilder in der europäischen Geschichte der Philosophie, die das Phänomen der Wiederholung in den Rang eines ethisch relevanten Begriffes oder einer Existenzkategorie erhoben hätten.8 Nein, die »Wiederholung«, »Gentagelse« ist ein »gut dänisches Wort« (G, 131 / W, 22) und ihrem Entdecker verbleibt nur, seiner Muttersprache zu diesem »philosophischen Terminus« (a.a.O.) zu gratulieren. Wieweit dabei das deutsche Wort »Wiederholung« im Stande ist, diesen Terminus wiederzugeben, ist in einer kurzen Reflexion über das dänische Wort »Gentagelse« zu zeigen.9 Im Dänischen ist »Gentagelse« die substantivierte Form des Verbums »gentage«, wobei »gentage« zwei Hauptbedeutungen hat. In einem ersten Sinn bezeichnet »gentage«: eine Sache erneut zu nehmen, eine Sache erneut zu ergreifen oder sich ihrer erneut zu bemächtigen. In diesem Sinn bezeichnet »gentage« das Wiedergewinnen, die erneute Inbesitznahme von etwas, das einem zuvor gehörte. Verlorenes, Verliehenes, Verschenktes, Umgetauschtes, Weggegebenes wird durch eigenen aktiven Einsatz zurückgeholt. Diese Bedeutung von »gentage«, die zu Kierkegaards Zeit allgemein üblich war, hat das Verb inzwischen eingebüßt. Auch im Deutschen wird diese Bedeutung eher durch Zusammensetzungen mit »zurück-« als durch Zusammensetzungen mit »wieder-« gebildet. Als trennbar zusammengesetztes Verb aber kann das deutsche »wieder-holen« diese im Dänischen verlorengegangene Bedeutung des Wortes »gentage« noch immer zum Ausdruck bringen (z.B.: >das hole ich mir wiederSchnurrig< ist dieses Buch schon dadurch, daß es gleichsam das Protokoll verschiedener Experimente einer Person ist, die den wunderlichsten Ideen nachgeht. >Kaum zu verstehen< ist es jedoch erst dadurch, daß eine dieser Ideen darauf hinausläuft, die tiefere Bedeutung des Buches nur versteckt zugänglich zu machen (vgl. Pap. IV Β 117, 283 sowie Pap. IV Β 117,285). Zu diesem Versteckspiel gehört als erstes, daß der Gang der Erzählung invers angelegt ist (vgl. G, 190 / W, 92). Erst am Ende der Schrift wird dem Leser der Schlüssel gegeben, mit dessen Hilfe er sich den unter der unmittelbaren Aussage des Textes liegenden eigentlichen Sinn dieser Experimente erschließen kann. Was sonst bleibt zu tun, als das Buch - mindestens - zweimal zu lesen, um so vom Ende her den Anfang noch einmal anders zu verstehen? Gegen den vom Leser zu erhebenden Vorwurf einer unnötigen Zumutung hat sich Constantin dabei von vornherein gefeit. Schließlich heißt sein Buch Die Wiederholung und ist folglich nicht nur einmal zu lesen. Noch gründlicher wird der eigentliche Sinn dieser Schrift dann dadurch versteckt, daß in ihr die Bedeutung der Wiederholung nur via negationis aufgezeigt wird. Jegliches Experiment, das dem Nachweis einer Wiederholung gilt, schlägt fehl, und so erfährt der Leser schließlich nur, was die Wiederholung nicht ist. Eine der wenigen Hinweise, in denen Constantin einen positiven Zugang zum Verständnis der Wiederholung andeutet, ist darauf begrenzt, daß Constantin den zeitlichen Verlauf seiner Experimente eigens betont. Seine Berlinreise z.B. protokolliert er Tag für Tag und in seinem Experiment mit dem jungen Mann gibt besonders die fortlaufende Datumsangabe der Briefe den zeitlichen Verlauf dieser Entwicklung an. Daß die Wiederholung folglich selbst die Unterscheidung eines >vorher< und >nachher< gewährleistet, läßt sich jedoch erst aus anderen Texten bekräften.
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Ausführlichere Darstellungen zu Aufbau und Struktur der Wiederholungsschrift finden sich in: J. Garff, Spvnl0se, 115-156; W. Greve, Ethik, 145-161; À. Henriksen, Romaner, 87f£; E. Hirsch, Kierkegaard Studien, Bd. 1, 256-266; A. Paulsen, Deuter, 112-129; W. Struve, Metaphysik, 88-292; J. Taels, Herinnering, 195f£
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1. Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
Die entscheidende Verwirrung und fast endgültige Unzugänglichkeit des Wiederholungsbegriffes beruht schließlich darauf, daß die Schrift, so wie sie jetzt vorliegt, besonders in ihrem zweiten Teil zusammengestückt wurde aus verschiedenen (zwei) Textfassungen. Als »Fortsetzung des geheimen Dialogs mit Regine«17 erfährt diese Schrift in dem Moment, als Kierkegaard von der Wiederverlobung Regines erfährt, eine andere Orientierung. Brüche und Inkonsequenzen innerhalb der Darstellung bleiben nicht aus und machen für die Interpretation des Wiederholungsbegriffes einen gewissen kreativen Einsatz des Lesers nötiger denn je. Eine Hilfestellung dafür ist gegeben in verschiedenen Kommentaren zur Wiederholungsschrift, in denen deren pseudonymer Verfasser sich selbst dazu genötigt sieht, das Anliegen dieser Schrift explizit zu benennen und zu veranschaulichen. Prof. Heiberg, herausragende Kulturpersönlichkeit des Kopenhagener Geisteslebens zur Zeit Kierkegaards und zugleich Dänemarks führender Hegelianer, hatte Kierkegaards Wiederholungsschrift sehr zu dessen Mißbilligung rezensiert. Daher bedurfte es einer Zurechtweisung bzw. Zurechtrückung des obgleich nur versteckt angedeuteten Wiederholungsverständnisses. In den dann doch nie herausgegebenen Texten Sendschreiben an Herrn Prof. Heiberg R von D. von Constantin Constantius (Pap. IV Β 110-111, 258-274) und Ein Kleiner Beitrag von Constantin Constantius, Verfasser der »Wiederholung« (Pap. IV Β 112-124,275-312) wird besonders auch die Bedeutung der Wiederholung für das Freiheitsverständnis erschlossen. Weitere Hilfestellung findet der Leser in einer ausführlichen Anmerkung in der Schrift Der Begriff Angst (BA, 116f. / BA, 14f.), in der das Anliegen der Wiederholung ebenfalls konzentriert zusammengefaßt ist. Darüberhinaus bleibt zu beachten, daß die Wiederholungsschrift zusammen mit der Schrift Furcht und Zittern als Doppelwerk herausgegeben wurde. Was als Wiederholung zu begreifen ist, erschließt daher besonders auch die in Furcht und Zittern beschriebene Doppelbewegung des Glaubens.18 17
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L. Richter, Wiederholung, 119. Auch A. Paulsen, die Kierkegaards Werk insgesamt als Gespräch mit verschiedenen Dialogpartnern versteht (mit Regine, mit seiner Zeit, mit der Kirche) wertet besonders die Schrift Die Wiederholung als Gespräch mit Regine, das in den Stadien auf dem Lebensweg fortgesetzt wird. Vgl. A. Paulsen, Deuter, 129. So schon E. Hirsch, der unter Erwähnung einer diesbezüglichen Andeutung bei E. Geismar die »Doppelbewegung der Unendlichkeit« in Furcht und Zittern »als die lebendige Verwirklichung der Kategorie der Wiederholung« versteht (ders., Kierke-
1.1. Das Anliegen der Wiederholung
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In bezug auf die in den verschiedenen Kommentaren zum Ausdruck gebrachte eigentliche Bedeutung der Wiederholung als: »transzendent, eine religiöse Bewegung, in kraft des Absurden« (Pap. IV Β 117,285; vgl. auch BA, 116f. Anm. / BA, 14f. Anm.) wird im folgenden zunächst auf Text und Aufbau der Wiederholungsschrift eingegangen, um dann anschließend in Auswertung der Kommentare in den Papieren den dort aufgezeigten Zusammenhang von Wiederholung und Freiheit ausführlicher nachzuvollziehen. In der weitgehend als Nacherzählung angelegten Darstellung der Wiederholungsschrift ist dabei zumindest versucht worden, deren inversen Charakter aufzubrechen. D.h. die am Ende des erstmaligen Lesens sich erschließende Einsicht, daß die Frage nach der Wiederholung letztlich gemeint ist als Frage nach der Realisierung des den Menschen schon immer bestimmenden Gottesverhältnisses, wird bei dieser Nacherzählung von Anfang an mitbedacht.
gaard Studien. Bd. 2, 634.). Darüberhinaus interpretiert E. Hirsch: »Alles, was Kierkegaards Denken zur Deutung der menschlichen Existenz noch beigetragen hat, hat die Existentialanalyse von »Furcht und Zittern« zum Grunde« (a.a.O. 638) und stellt so mit der »Doppelbewegung der Unendlichkeit« die Kategorie der Wiederholung in das Zentrum des gesamten Werkes.
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1. Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
1.2. Die Wiederholung - Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie von Constantin Constantius (1843)19 1.2.1. Das Pseudonym Constantin Constantius »Ob eine Wiederholung möglich sei und welche Bedeutung sie besitze, ob eine Sache dadurch, daß sie wiederholt wird, gewinne oder verliere« (G, 115 ZW, 3), das ist die Ausgangsfrage dieser Schrift, der experimentierend und reflektierend nachgegangen wird. Der Fragende ist Constantin Constantius, ein eher humoristisch als ironisch angelegtes Pseudonym 20 Kierkegaards, dessen Name schon den Stoiker in ihm verrät. Daß Constantin die Suche nach der Wiederholung mit so großem Eifer betreibt, wie er es tut, kann darum zunächst verwundern. Ist es ein Hinweis auf die Gleichgültigkeit oder gar Belanglosigkeit der Themenstellung, daß auch eine eifrige Beschäftigung mit ihr der Natur eines Stoikers nicht zuwider ist oder sollte Constantin doch ein eigenes Interesse an der Wiederholung haben?
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Eine ausführliche Analyse der Wiederholungsschrift in der Gesamtheit ihrer Darstellung findet sich bei W. Struve, Metaphysik, 291-321, sowie bei A. Paulsen, Deuter., 112-129 und J. Garff, S0vnl0se, 115-156. Weitere Arbeiten zum Thema der Wiederholung konzentrieren sich in ihrer Darstellung der Wiederholungsschrift mit gewisser Berechtigung auf die Analyse der Situation des jungen Mannes sowie auf die Analyse der Hiobinterpretation. Vgl. W. Dietz, Existenz, 238-252; E. Johansen, Gjentagelsen, 114-123; G. Schiickler, Wiederholung, 246-252; J. Sl0k, Anthropologie, 113-117; K. J. Taels, Herinnering, 192f. Daß hier eine zusammenfassende Übersicht über die Wiederholungsschrift vorgenommen wird, ist zum einen darin begründet, daß alltägliches und eigentliches Verständnis der Wiederholung gegeneinander abgegrenzt werden können, zum anderen ist das Verständnis der eigentlichen Wiederholung erst zu erschließen aus der Kontroverse zwischen der Auffassung des jungen Mannes und dem Kommentar Constantins, insbesondere unter Berücksichtigung deren jeweiliger Hiobinterpretation. Daß der Begriff der Wiederholung nur aus dem Gesamtzusammenhang der Wiederholungsschrift zu erschließen ist, betonen W. Struve, Metaphysik, 290 und mit Bezug auf W. Struve M. Theunissen, vgl. ders., Ernst, 131. Vgl. dazu die Selbstcharakteristik Constantins in Pap. IV Β 111, 274; Pap. IV Β 119, 306 u.a. Wird dieses Pseudonym von seiner humoristischen Prägung her verstanden, so läßt sich dies auch in Übereinstimmung damit verstehen, daß Constantin sein Fragen nach der Wiederholung am Religiösen ausrichtet. Denn, wie Climacus schreibt: »So ist der Humor als letztes Grenzzeichen (terminus a quo) in bezug auf das christliche Religiöse dargelegt [...] Humor ist das letzte Stadium in Existenzinnerlichkeit vor dem Glauben« (AE, SV3 9, 244 / AUN, GW1 10, 287). Über den Unterschied zwischen Humor und Ironie vgl. auch die Darstellung bei W. Struve, Metaphysik, 270f£ Die Auffassung, daß Constantin Ironiker sei, vertreten dagegen G. Malantschuk, vgl. ders., Individ 54; A. Paulsen, Deuter 127; u.a.
1.2. Versuch i.d. experimentierenden Psychologie v. C. Constantius (1843)
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Aufschluß darüber gibt der Kontext, in dem das Thema der Wiederholung vorgestellt wird. Constantin führt sein Problem ein im Anschluß an eine die Wiederholungsschrift einleitende Reflexion über die in der griechischen Philosophie stattgefundene Auseinandersetzung über die Wirklichkeit der Bewegung: »Als die Eleaten die Bewegung leugneten, trat, wie jedermann weiß, Diogenes als Opponent auf; er trat wirklich auf; denn er sprach nicht ein Wort; sondern ging lediglich einige Male auf und nieder und meinte, damit jene hinreichend widerlegt zu haben« (G, 115 / W, 3). In diesem einleitenden Text werden zwei unterschiedliche Auffassungen über die Wirklichkeit der Bewegung referiert. Die Eleaten gehen aus von einem absoluten Verständnis der Bewegung und verneinen so mit der Bewegung zugleich, daß es im ewig festgelegten Sein eine Veränderung der Wirklichkeit gibt. Diogenes dagegen legt seinem Hin- und Hergehen in der Wirklichkeit ein relatives Verständnis der Bewegung zugrunde und geht damit am Argument der Eleaten vorbei.21 Es ist die Frage der Bewegung, die Constantins Interesse weckt, indem sie ihn in seiner Unbeweglichkeit herausfordert. Vertieft in die Kontroverse zwischen Eleaten und Diogenes richtet Constantin seine Aufmerksamkeit auf die nebensächlich wirkende Tatsache, daß Diogenes wiederholt hin und her ging und in diesem Detail findet Constantin einen Anlaß für sein eigenes Experimentieren mit der Wiederholung. Auf dieser Suche zeigt er die Meinungsvielfalt des Begriffes »Wiederholung« auf und kristallisiert aus dieser sein eigenes Verständnis der Wiederholung heraus. Constantins Experimente sind daher in zwei Gruppen zu unterteilen: Die eine Reihe der Experimente forscht nach der Vielfalt der Bedeutungen der Wiederholung, während die andere Experimentenreihe in der Wiederholung ein Argument gegen die Eleaten sucht. In diesen Versuchen fahndet Constantin nach der eigentlichen Wiederholung als nach einem Beweis nicht nur - wie Diogenes - für die relative, sondern für die absolute Bewegung. Wo diese zweite Experimentenreihe beginnt, wird angezeigt durch die erneute Aufnahme des Motivs des Hin- und Hergehens. Diesmal ist es ein junger Mann, der durch seine Liebe zu einem Mädchen ruhelos geworden ist (vgl. G, 119 / W, 8). Dieser junge Mann wendet sich an Constantin mit der Bitte, in dessen Gegenwart laut mit sich selbst sprechen zu dürfen. Der dahinterstehende Konflikt besteht darin, daß der junge Mann auf Grund seiner inneren 21
Ausführlicher wird das Verständnis der Bewegung diskutiert in Kap. 4.2. dieser Arbeit.
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1. D i e Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
Veranlagung zum Dichter, die durch das Mädchen erst geweckt wurde, seiner Liebe nicht leben kann. Da er dem Mädchen die Liebe bereits gestanden hat, kommt zu seiner eigenen gespaltenen Situation die Gewissensqual hinzu, das Mädchen unglücklich zu machen und ihr Leben zu zerstören (vgl. G, 121 / W, 10). Constantin, der als Beobachter des jungen Mannes zugleich nach der eigentlichen Wiederholung sucht, unterbreitet dem jungen Man einen Plan, wie dieser seinen früheren Zustand wieder etablieren könnte. Eine »redintegratio in statum pristinum« (G, 127 / W, 17) ist angestrebt und gelingt diese, so hat der junge Mann auch seine Freiheit zurückgewonnen. Constantins Interesse an dieser Wiederholung liegt in der Freude des Ränkeschmiedens, in der psychologischen Neugier des die Fäden haltenden Betrachters und letztlich in der Anziehung, die der verliebte junge Mann auch auf ihn ausübt (vgl. G, 119 / W, 8)22 Die Frage nach der eigentlichen Wiederholung stellt Constantin damit aus distanzierter Perspektive. Nicht um eine Wiederholung seiner eigenen Individualität ist es ihm zu tun, sondern rein prinzipiell geht es ihm darum, ob es die Wiederholung gibt und was sie bedeutet.23 Gibt es einen Zustand, den auch Constantin sich zurückwünschen könnte, so ist dies das Vernehmen von Zufriedenheit. Diesem Zustand, den er beschreibt als ein ekstatisches Glücksgefühl, war er »einmal nahe gewesen« (G, 151 / W, 47): »Ich stand eines Morgens auf und befand mich ungewöhnlich wohl; dies Wohlbefinden nahm wider alle Analogie den Vormittag über noch zu, genau um ein Uhr war ich auf dem Gipfel und ahnte das schwindelnde Maximum, welches auf keinem Gradmesser des Wohlseins sich angezeichnet findet, nicht einmal auf einem poetischen Thermometer« (G, 151 / W, 47). Unmittelbar vor diesem höchsten Glück aber brach diese Stimmung in sich zusammen: Wie gesagt, genau um ein Uhr war ich auf dem Gipfel, auf dem ich den Gipfel aller Gipfel ahnte, da fängt plötzlich in meinem Auge etwas zu scheuern an, ob es eine Wimper, ein Flöckchen, ein Staubkorn war, ich weiß es nicht, aber das weiß ich, daß
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Zu Constantins Interesse am jungen Mann und damit zur Frage, wieweit der Text der Wiederholungsschrift von einer latent gegenwärtigen Homosexualität her zu interpretieren wäre, vgl. die kritische Darstellung bei J. Garff, S0vnl0se, 131t Anm. 43. D e n stoischen Ansatz Constantins erwähnt G. Malantschuk, vgl. ders., Individ, 58. Constantins eigenes Interesse an einer Wiederholung analysiert besonders ausführlich W. Struve, vgl. ders., Metaphysik, 305f£, an dessen Interpretation sich die hier folgende Darstellung anschließt.
1.2. Versuch i.d. experimentierenden Psychologie v. C. Constantius (1843)
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ich gleichen Augenblicks hinunterstürzte nahezu in den Abgrund der Verzweiflung, etwas, das ein jeder leicht verstehen wird, der so hoch oben gewesen ist wie ich und während er auf diesem Punkte war, zugleich beschäftigt gewesen ist mit der grundsätzlichen Frage, wieweit überhaupt die unbedingte Befriedigung zu erreichen ist (G, 152 / W, 48).
So nahe am Absoluten gewesen zu sein und dieses als unerreichbar erlebt zu haben, ist die Erfahrung, die Constantin zum Stoiker gemacht hat. Seit diesem Erleben hat er es aufgegeben, etwas um des Glückes willen anzustreben. Die Hoffnung auf vollkommene Zufriedenheit hat er aufgegeben, und mit Mittelmaß ist ihm nicht zu dienen. So hat er sich selbst die Wiederholung von vornherein abgesprochen, und seine Bilanz ist konsequent: Je älter man wird, je mehr man sich auf das Leben verstehen lernt, je mehr Sinn man bekommt für das Angenehme, je fähiger man dazu wird, Geschmack an etwas zu finden, kurz, je kompetenter man wird, desto weniger ist man zufrieden. Zufrieden, ganz und gar, absolut und in jeder Weise zufrieden wird man nie, und einigermaßen zufrieden zu sein ist der Mühe nicht wert; dann ist es schon besser, ganz und gar unzufrieden zu sein (G, 151 vgl. W, 47).
In dieser Haltung hat Constantin es auch vermocht, sein beschäftigtes Suchen nach der Wiederholung von dem Bemühen um eine persönliche Wiederholung seines Glücks gründlich zu unterscheiden und sich darin als Stoiker treu zu bleiben. Seine nach der Bekanntschaft mit dem jungen Mann erwachte Begeisterung für die Wiederholung ist der Eifer für ein Prinzip, und gerade durch die Jagd nach dem Prinzip verhindert Constantin sich jedes freudige Erleben (vgl. G, 152 / W, 48): Oh, daß ich mich nicht innerhalb des Gewöhnlichen halten kann, daß ich Grundsätze haben muß, daß ich mich nicht wie andere Leute kleiden kann, daß ich immer in steifen Stiefeln gehen will! Sind sie nicht allesamt, geistliche wie weltliche Redner, Dichter wie Prosaiker, Schiffer wie Leichenbitter, Helden wie Memmen darin einig, daß das Leben ein Strom ist. Wie kann man da auf so eine törichte Idee verfallen, und was noch törichter ist, sie zum Prinzip machen wollen (G, 152£ / W, 48).
Als Prinzip ist die Wiederholung Ausgangspunkt und zentrales Interpretament des Selbstverständnisses. In seiner Darstellung dieses Prinzips wendet Constantin die eben angeführte Aussage und gibt so zu verstehen, daß im Törichten sein Stolz liegt und daß er der dem Strom folgenden Menge nichts neidet: Wenn man das Dasein umsegelt hat, da wird es sich zeigen, ob man Mut hat zu verstehen, daß das Leben eine Wiederholung ist, und Lust hat, sich an ihr zu freuen. Wer das Leben nicht umsegelt hat, bevor er begann zu leben, der gelangt niemals dahin, zu leben; wer es umsegelt hat, aber satt geworden ist, der hatte eine schlechte Konstitution; wer die Wiederholung wählte, der lebt (G, 116 vgl. W, 4f.).
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1. Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
Diese Bewertung der Wiederholung als Prinzip aber bleibt für Constantin theoretisch. Zwar versteht er sich selbst von der Möglichkeit der Wiederholung her, doch gerade weil er diese Möglichkeit für sich nicht sieht, ist ihm das eigene Leben leer. Statt sich selbst zu betrügen im Ablehnen des Prinzips der Wiederholung oder im Herabsetzen des Anspruchs, stellt er sich diesem inneren Nichts. Dieser Preis, den Constantin auf sich nimmt, macht ihn zugleich hart in seinem Urteil über andere. Märtyrer seines eigenen unerreichten Prinzips stellt er sich über die Menge und maßt sich an, darüber zu befinden, wer die Wiederholung vollziehe - und wer nicht.
1.2.2. Die experimentierende Suche nach der Wiederholung Constantin geht wie beschrieben seiner Frage in zwei Experimentenreihen nach. Als Versuchsprotokoll ist die Schrift Die Wiederholung dementsprechend aufgeteilt. Sie besteht aus zwei Teilen und einem abschließenden Brief an den wirklichen Leser des Buches. Im ersten Teil des Buches beginnt Constantin seine Suche nach Wiederholungsphänomenen im umgangssprachlichen Sinn. Seine Experimente sind auf zwei Schwerpunkte konzentriert. Ihn interessiert die Bedeutung der Wiederholung in der Kommunikation, und er möchte wissen, ob sich ein Erlebnis exakt kopieren läßt. Eingebunden in diese Versuche ist die Frage nach der eigentlichen Wiederholung, und so wird die Bekanntschaft mit dem jungen Mann bereits im ersten Teil des Buches beschrieben. Umgangssprachliches Verständnis der Wiederholung und die Frage nach der Wiederholung der Individualität sind in engem Zusammenhang miteinander dargestellt: Als wenn man auf der Straße einen unendlich kleinen Teil vom Vortrag eines einsamen Flötenspielers hört, und fast im selben Moment das Rasseln der Wagen und der Verkehrslärm die Amagerfrau dazu nötigt, laut zu schreien, damit die Frau, die dabei steht, den Preis ihres Grünkohls hören kann, und es dann wieder einen kleinen Augenblick still wird und man den Flötenspieler wieder hören kann, so hört man im ersten Teil [der Wiederholungsschrift] die eigentliche Wiederholung ständig unterbrochen vom Lärm des Lebens (Pap. IV Β 117, 283).
Diese Verflechtung des eigentlichen Wiederholungsbegriffes in das tägliche Verständnis der Wiederholung24 interpretiert die eigentliche
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Diese Verflechtung geschieht auf zweifache Weise. Zum einen ist aus den Experimenten zum alltäglichen Verständnis der Wiederholung die Bedeutung der eigentlichen Wiederholung >herauszuhörenbegriffen< werden. Um die Bedeutung der eigentlichen Wiederholung im ersten Teil des Buches herauszuhören, sind die alltäglichen Wiederholungsphänomene jedoch zu überhören. Nur durch »Mißverständnisse« {Pap. IV Β 117, 282) der Wiederholung im gewohnten Wortsinn kann die eigentliche Bedeutung der Wiederholung erfaßt werden. Worin diese Mißverständnisse bestehen, ist im folgenden zu zeigen. Die Reihe der Experimente beginnt mit einer Reise nach Berlin, in der Constantin testet, ob die Erlebnisse einer früheren Berlinreise neuaufgelegt werden können. Das Resultat dieses Versuchs war jedoch enttäuschend: »Das einzige, das sich wiederholte, war die Unmöglichkeit einer Wiederholung« (G, 149 / W, 44). Constantin hatte erfahren, daß es keine Wiederholung gab und sich dessen vergewissert, indem er es auf alle mögliche Weisen wiederholte. Damit war die Unmöglichkeit einer Wiederholung als identische Neuauflage des zuvor Erlebten und des dabei Empfundenen erwiesen. Wiederholungen als Werkzeug der Kommunikation konnte Constantin zwar nachweisen, doch grenzt er diese von der eigentlichen Wiederholung ab (vgl. G, 131 / W, 23). Constantin denkt hier an einen Professor, der sich selbst wiederholt, an einen Pfarrer, der die gleiche Predigt hält und schließlich an einen tauben Minister, der den eben erzählten Witz der Königin nun selbst zum Besten bietet. Seine Untersuchung über das trivielle Verständnis der Wiederholung hatte Constantin als Spaß behandelt, um dadurch zu vermeiden, selbst lächerlich zu werden, indem er im Ernst über etwas belehrt, was jedermann weiß (vgl. Pap. IV Β 111, 274). So endet der erste Teil des Buches mit einer Hymne auf das Posthorn. Dieses Instrument, dem niemand mit Sicherheit den gleichen Ton entlocken kann, wird zum Symbol für die Einsicht des ersten Teiles, daß es keine Wiederholung gibt. Bei allem Spaß ist dies eine ernste Einsicht. »Ja, gäbe es keine Wiederholung, was wäre dann das Leben?« (G, 116 / W, 5), hatte Constantin zu Beginn seiner Experimente gefragt und zieht nun die Konsequenz, dem Leben seinen Sinn abzusprechen: Die Hoffnung der Jugend ist gegenstandslos, die Manneskraft wird verschwendet auf Einbildungen, das Leben hat keine Überzeugungskraft. »Warxionen über die Bedeutung der Wiederholung in die Experimente eingebunden. U m der Übersichtlichkeit der Darstellung willen wird die begriffliche Klärung der Wiederholung erst im folgenden Kapitel diskutiert.
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1. Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
um ist nie jemand zurückgekehrt von den Toten? Weil das Leben nicht so zu fesseln weiß, wie der Tod es weiß, weil das Leben nicht die Überredungskunst besitzt, die der Tod hat« (G, 154 / W, 50). In dem Mißverständnis, mit seinen Experimenten die Unmöglichkeit der Wiederholung aufgezeigt zu haben, verdeutlicht Constantin die Bedeutung der eigentlichen Wiederholung: Sie betrifft den Sinn des eigenen Lebens und darin die innere Existenz des Menschen. Nachdem der erste Teil damit endete, die Suche nach der Wiederholung als ergebnisloses Unterfangen zu entlarven, deutet schon die Tatsache, daß es überhaupt einen zweiten Teil gibt, darauf hin, daß diese Konklusion nicht beibehalten wird. Im Gegensatz zum ersten Teil hat dieser zweite Teil eine eigene Überschrift: Die Wiederholung. Damit ist der erneute Beginn der schon aufgegebenen Versuche signalisiert, sowie die Tatsache, daß es jetzt um die Wiederholung im eigentlichen Sinne geht. Eine individuelle Geschichte wird der Suche nach der eigentlichen Wiederholung zugrundegelegt (vgl. Pap. IV Β 117, 282), und das Versuchsobjekt ist der besagte verliebte junge Mann. Constantins Plan für den jungen Mann läuft darauf hinaus, daß dieser dem Mädchen gegenüber den Betrüger spielen solle, um es so dazu zu bringen, sich selbst aus dieser Beziehung zu lösen. Dieser Plan zielt auf die Rückeroberung der Ungebundenheit und Freiheit des jungen Mannes. Folgt der junge Mann Constantins Rat, kann er die in ihm erwachte Dichterbegabung ungestört entfalten, seiner eigenen Veranlagung folgen und so mit sich selbst identisch sein. Während der junge Mann im Widerstreit seiner Existenzmöglichkeiten sich weder für seine Liebe noch für seine Begabung entscheiden kann, sieht Constantin in seinem analytischen Scharfsinn nur eine Möglichkeit für den jungen Mann. Aus dessen Dilemma führt nur ein Ausweg, der dem jungen Mann künftige Herausforderung und ein künftiges Erfülltsein erschließt. Daß die Liebe zu dem Mädchen ihm diese Zukunft nicht eröffnen kann, hatte Constantin schon bei der ersten Begegnung mit dem jungen Mann erfaßt: Er war tief und innerlich verliebt, das war klar, dennoch war er imstande, gleich an einem der ersten Tage sich seiner Liebe zu erinnern. Er war im Grunde mit dem ganzen Verhältnis fertig. Indem er anhebt, hat er einen so entsetzlichen Schritt getan, daß er das Leben übersprungen hat (G, 119 / W, 8£).
Zwar erkennt Constantin dieses »potenzierte Erinnern« (G, 120 vgl. W, 9)25 als eigentlichen Ausdruck beginnender Liebe an, doch gehört 25
Abweichungen von der Übersetzung E. Hirschs erfolgen aus sprachlichen Gründen.
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andererseits eine »ironische Elastizität« (G, 120 vgl. W, 9)26 dazu, um dieses Symptom wirklicher Liebe anwenden zu können.27 »Es muß Wahrheit sein, daß im ersten Augenblick das Leben in einem vorüber ist, es muß aber auch Lebenskraft da sein, diesen Tod zu töten und in Leben zu verwandeln« (G, 120 / W, 9f.). Diese Lebenskraft, die die ganzheitlich erfaßte - und damit übersprungene - Liebe wieder verwandeln kann in ein noch vor einem liegendes Leben, ist in der ironischen Elastizität gegeben. Als das Vermögen, die eigenen Erfahrungen in ihre Negation zu verkehren, ermöglicht die »ironische Elastizität«, daß dem bereits ganzheitlich Erfaßten begegnet werden kann als einem Neuen. Die »ironische Elastizität« ermöglicht so den Neubeginn und das bedeutet auch, daß die eigentliche Wiederholung ironisch zu vollziehen ist. Constantins Gedanke der »ironischen Elastizität« als Bedingung der eigentlichen Wiederholung ist gleichzeitig die Bedingung glücklicher Liebe. Hätte der junge Mann die für eine glückliche Liebe notwendige Elastizität gehabt, so hätte aufgrund derselben auch das Mädchen seiner Dichterwirksamkeit nicht hinderlich sein können. In der eigentlichen Wiederholung wäre die Alternative: Verwirklichung der Liebe oder der poetischen Begabung< aufgehoben. Um des einen willen hätte der junge Mann auf das andere nicht verzichten müssen, denn in der Wiederholung hätte er sich absolut zurückgeholt. Dieser ganzheitlichen Idee der Wiederholung aber legt Constantin ein eigenes Verständnis der Liebe zugrunde. Glücklich nämlich wäre diese Liebe, wenn auch das Mädchen über »ironische Elastizität« verfügen würde. Verstünde sie es, ihrer Liebe den richtigen Ausdruck zu geben, so würde sie den jungen Mann aufgeben, statt sich treu an ihn zu klammern (vgl. G, 122 / W, 11). Daß der Ausdruck der Liebe darin gesehen wird, daß der eine Partner dem anderen seine Freiheit einräumt in dem Sinne, daß er ihn sich selbst überläßt und gerade dadurch die Beziehung zu ihm bewahrt, ist entscheidend für Kierkegaards Verständnis des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. Constantins Diskussion der Liebe des jungen Mannes dient damit der Veranschaulichung dieser zugrundeliegenden Problemstellung. 26 27
Abweichungen von der Übersetzung E. Hirschs erfolgen aus sprachlichen Gründen. In seiner Rekonstruktion der Erstfassung dieser Schrift argumentiert E. Hirsch für folgende ursprüngliche Textstelle: »Er hatte nicht die Kraft, den Plan durchzuführen, er schoß sich tot. Seine Seele ermangelte der Elasticität der Ironie« (ders., Kierkegaard Studien. Bd. 1, 259 Anm. 2.) In dieser Zusammenstellung tritt der Gedanke ironischer Elastizität als wesentliches Interpretament der Wiederholung, bzw. als deren wesentliche Bedingung hervor.
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Erst die Liebe könnte den jungen Mann sich selbst wiedergeben, Liebe und Freiheit sind nur ineins zu gewinnen. Die hier vorgestellte ironische Liebe aber ist blutleer und ohne direkte Nähe. Daß darin eine innere Nähe erreicht werden kann, die der Nähe des Zusammenseins noch überlegen ist, ist nur ironisch zu erfassen. Dies jedoch vermochte der junge Mann nicht, »dazu war seine Seele zu zart« (G, 120 / W, 9). Seine Lebenskraft reicht nicht aus, und er wird stattdessen ein zeitlebens unglücklicher Dichter werden. Diesen Ausgang hat Constantin bereits zu Beginn seiner Bekanntschaft mit dem jungen Mann erkannt, schon in der Anfangsphase ist er fertig mit seinem Versuch zur Wiederholung, und so heißt es dann im Protokoll: »Mein junger Freund verstand die Wiederholung nicht, er glaubte nicht an sie und wollte sie nicht mit Kraft« (G, 128 / W, 18). Darum läuft der Plan auch nicht auf die eigentliche Wiederholung hinaus, sondern soll diese nur vorbereiten. Constantins Bestreben ist darauf gerichtet, den jungen Mann zurückzuführen in den Zustand der Ausgeglichenheit mit sich selbst, in dem er sich vor der Begegnung mit dem Mädchen befand.28 Geplant also war ein einjähriges Scheinverhältnis zu einem dafür angestellten Mädchen aus niederem Stand. In dieser Zeit sollte sowohl das geliebte Mädchen von sich aus Abstand gewinnen als auch der junge Mann seine Dichterexistenz zum Durchbruch bringen (vgl. G, 127 / W, 17). Erst nachdem dieser frühere Zustand der Ausgeglichenheit etabliert wurde, könnte der Versuch eines erneuten Beginns der Beziehung beginnen. Wenn mit diesem früheren Zustand »der Augenblick der Wiederholung« (G, 127 / W, 17) kam, könnte es zwar sein, daß das Mädchen müde geworden wäre, aber auf jeden Fall hätte der junge Mann doch hochherzig gehandelt (vgl. G, 127 / W, 17). Soweit Constantins Plan. Der junge Mann aber kämpft auf eigene Weise.Vor dem Mädchen und den Ränken Constantins nach Stockholm geflohen, richtet er sich nun brieflich an seinen Vertrauten. Zentrales Thema dieser Briefe ist die Auseinandersetzung des jungen Mannes mit seiner Situation. Ohne zunächst über diese hinaussehen zu können, denkt er nicht an eine Wiederholung, sondern benennt seinen Verlust. Verloren hat der junge Mann jegliche Sinnerfahrung und die Unschuld, die er zu haben glaubte. Der Schluß, den Constantin am Ende des ersten
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Daß zwischen der Bewegung der Wiederholung und dem Erreichen eines N u l l punktes«, einer Ausgangssituation, von der her erst die Wiederholung einsetzen kann, eigens zu unterscheiden ist, hat besonders W. Struve aufgezeigt. Vgl. ders., Metaphysik, 2991
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Buchteiles zog: »Keine Wiederholung, keine Überredungskraft im Leben« (vgl. G, 154 / W, 50) findet in diesen Briefen seine ernsthafte Variante. Der durch seine eigene Veranlagung erzwungene Entzug der Liebe läßt den jungen Mann schreiben: Mein Leben ist bis zum Äußersten gebracht, es ekelt mich des Daseins, welches unschmackhaft ist, ohne Salz und Sinn. [...] Man steckt den Finger in die Erde, um zu riechen, in welch einem Lande man ist, ich stecke den Finger ins Dasein - es riecht nach nichts (G, 171 / W, 70).
Die Erfahrung der Sinnlosigkeit als Strafe erlebend vertieft der junge Mann sich in die Frage nach der Schuld oder Unschuld seines Verhaltens. Schuldlos schuldig geworden am Unglück des Mädchens ist ihm seine Persönlichkeit verpfuscht (vgl. G, 160 / W, 58), und diese gilt es ihm nun wiederzugewinnen Schuld - was soll das heißen? Ist das Hexerei? Weiß man etwa nicht mit Bestimmtheit, wie es zugeht, daß ein Mensch schuldig wird? [...] Mein Verstand steht stille, oder richtiger, ich gehe seiner verlustig? In dem einen Augenblick bin ich müde und matt, ja wie tot vor Gleichgültigkeit, in dem andern Augenblick tobe ich und fahre verzweifelt von einem Ende der Welt zum andern, um jemanden zu finden, an dem ich meinen Grimm auslassen könnte. Alles, was in meinem Wesen enthalten ist, schreit auf in Widerspruch zu sich selbst. Wie ist es zugegangen, daß ich schuldig ward? Oder bin ich etwa nicht schuldig? (G, 171 / W, 71).
In diesem Aufruhr steht der junge Mann vor der Herausforderung, seine eigene Persönlichkeit zu negieren, indem er diese als schuldig erkennt. Auf der Grenze zu genau dieser Entscheidung verharrt der junge Mann. In der Alternative: >schuldig - unschuldig< gefangen, steht er unmittelbar vor der Möglichkeit, seine Individualität durch deren Negation in eine neue Potenz zu heben, aber er vermag es nicht. Constantin kommentiert: »Das Problem, durch welches er ins Stocken gerät, ist weder mehr noch weniger als die Wiederholung« (G, 161 vgl. W, 58) .29 In dieser Grenzsituation sucht der junge Mann Hilfe und Aufklärung in der biblischen Hiobfigur. In Hiob findet er ein Vorbild für die Bewältigung der eigenen Situation, die er analog zu dessen Unglück versteht. Auch Hiob steht vor der Herausforderung, an seiner Unschuld festzuhalten oder sich den Erklärungen seiner Freunde zu beugen und sich schuldig zu bekennen. An Hiobs Protest, der gegen den Widerspruch des ganzen Daseins im Unglück
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E. Hirsch übersetzt: »Das Problem, vor welches er gestellt ist, ist nicht mehr und nicht weniger als die Wiederholung«. Im dänischen Text: »Det Problem, ved hvilket han er standset« bedeutet »standse« aber nicht nur ein Gestelltsein, sondern bezeichnet auch das Gestoppt-Werden und Nicht-weiter-kommen-Können.
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an seiner Schuldlosigkeit festhält, richtet der junge Mann sich wieder auf. So gelingt es ihm, die Frage nach eigener Schuld zum Verstummen zu bringen. Schuld oder keine Schuld - diesen Begriffen spricht der junge Mann ab, die Wirklichkeit angemessen beschreiben zu können (vgl. G, 173 / W, 73). Statt weiter um eine Lösung dieser Alternative zu kämpfen, geht er jetzt darüber hinweg. Er vergewissert sich selbst, dem Mädchen gegenüber »Recht zu haben«, »richtig gehandelt zu haben« (vgl. G, 173 / W, 73). Er hätte sie nicht heiraten können, denn die Wirklichkeit, in der sie ihre Bedeutung haben soll, bleibt ihm ein Schatten, der seiner eigentlichen geistigen Wirklichkeit nur nebenher läuft. Ihr Leben wäre verspielt, und er könnte in die Versuchung geraten, zu wünschen, daß sie tot sei (vgl. G, 172 / W, 72). In dieser Entscheidung gegen das Mädchen hat der junge Mann seine Handlungsfähigkeit zurückgewonnen, der Entschluß zum Schreiben ist getroffen und damit auch die Erfahrung der Sinnlosigkeit überwunden. Zwar gelang es dem jungen Mann nicht, das Bewußtsein der eigenen Unschuld zurückzuerlangen, doch mit der Erfahrung der Sinnlosigkeit überwand er auch das Empfinden des Gestraftseins. Die Schuldfrage hat so, ohne gelöst worden zu sein, ihren Anlaß verloren. Nur in der Grenzsituation war die Schuldfrage zu stellen, wobei dem jungen Mann gleichzeitig deutlich wurde, daß es in dieser Situation und für diese Frage keine Sprache gibt. Über diese Krise hinweggekommen, weist der junge Mann jegliche Rede von Schuld und Unschuld von sich, sowohl in bezug auf sein eigenes Selbstverständnis als auch konkret in bezug auf das Mädchen. Die Frage nach der Wiederholung seiner Unschuld ist ihm irrelevant geworden. Im Nachhinein versteht er diese Frage als Prüfung und d.h. als ein »Verhältnis, [...welches] unendlich gedacht gar nicht ist, sondern allein ist für das Individuum« (G, 178 / W, 79). Zu diesem Verständnis der Prüfung und damit seines eigenen Erlebens gelangt der junge Mann durch seine intensive Beschäftigung mit Hiob. Am Falle Hiobs beschreibt er das Wesen der Prüfung und gewinnt gerade durch dieses distanzierte Vorgehen Einsicht in die eigene Situation. Dabei erkennt er die Prüfung als eine vorübergehende Kategorie an. Selbst wenn sie die ganze Wirklichkeit auslöschen und suspendieren kann, ist die Prüfung eo ipso bestimmt im Verhältnis zur Zeit und muß darum in der Zeit aufgehoben werden (vgl. G, 179 / W, 81). Die Intensität, mit der der junge Mann unter seinem Zustand litt, nimmt daher auch mit der Zeit ab. Dieser Entwicklung gibt er dadurch Ausdruck, daß er nun in seiner Auseinandersetzung im
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zeitlichen Verlauf der Hiobsgeschichte vorankommt. Am Ende seiner Prüfung erhält Hiob sein verlorenes Gut doppelt zurück, und seine Behauptung, sein Unglück nicht durch eigenes Verschulden verursacht zu haben, wird durch diese Rehabilitierung in den Augen der Freunde bekräftet. Wenn Hiob auch das Bewußtsein der Unschuld aufgegeben hat (vgl. Hi 42, 6), so ist er doch vor den Menschen ins Recht gesetzt worden. Das Ende der Hiobsgeschichte, in dem Hiobs früherer Stand und sein früheres Ansehen wiedererichtet sind, steht in eminentem Widerspruch zu sonst Erfahrbarem. Immanentem Gerechtigkeitsempfinden entsprechend erhält Hiob eine Abfindung für seinen Verlust und sein Leiden, in doppeltem Umfang erhält er das Eingebüßte zurück. Diese Gerechtigkeit aber wird in der menschlichen Wirklichkeit wieder und wieder vergeblich eingefordert, und so ist das Ende der Hiobsgeschichte nichts anderes als unerklärlich und absurd.30 So sieht es auch der junge Mann: Wer hätte nun solch einen Schluß sich denken können? Und doch ist ein andrer Schluß nicht denkbar, wiewohl dieser es gleichfalls nicht ist. Wenn alles ins Stocken geraten ist, wenn der Gedanke stillsteht, wenn die Erklärung verzweifelt umkehrt - so muß ein Gewitter her. Wer mag das verstehen? Und doch, wer kann etwas andres erdenken? (G, 180 / W, 82).
Die Rehabilitierung Hiobs als Wiedererrichtung seines früheren Zustandes ist der einzige Ausgang der Geschichte, den sich das Verlangen nach Recht vorstellen kann, und doch ist sie nur gegen alle Wahrscheinlichkeit erreichbar: So gibt es denn also eine Wiederholung. Wann tritt sie ein? Ja, in irgendeiner menschlichen Sprache läßt sich das nicht gut sagen. Wann ist sie eingetreten für Hiob? Als alle denkbare menschliche Gewißheit und Wahrscheinlichkeit für die Unmöglichkeit sprach. [...] Einen Ausweg nur wissen seine Freunde, insbesondere Bildad: daß er, indem er sich unter die Strafe demütige, eine Wiederholung bis zum Überfluß erhoffen dürfe. Das will Hiob nicht. Hiermit spannt sich der Knoten und die Verunsicherung, welche allein gelöst werden können durch einen Donnerschlag (G, 180 / W, 82).
Anhand der Metaphern »Gewitter« und »Donnerschlag« ist das Eintreten der Wiederholung als ein grenzenüberschreitendes Ereignis beschrieben. D.h. die Wiederholung eines Geschehens kann nicht aus diesem selbst hervorgebracht werden, sondern erfordert ein Überschreiten dieses Geschehens. Wie schon die Prüfung ist damit auch die Wiederholung als transzendentes Ereignis beschrieben. Formal bedeutet das Überschreiten eines Geschehens den Übergang in das, was dieses Geschehen nicht ist und damit bedeutet das Transzendie30
Vgl. W. Dietz, Existenz, 244, besonders Anm. 26.
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ren eines Geschehens zugleich den Übergang in dessen Negation. Constantins Einsicht, daß die Wiederholung ironische Elastizität und d.h. das Vermögen der Negation erfordert, ist hier vom jungen Mann auf eigene Weise zum Ausdruck gebracht. Jedoch ist mit den Metaphern »Gewitter« und »Donnerschlag« noch nicht die Wiederholung selbst, sondern erst jenes Überschreiten beschrieben, in dem der Nullpunkt, der »status pristinus« erreicht wird, von dem ausgehend die Wiederholung einsetzen kann. Dieses »Gewitter« wird daher als die unbedingte Voraussetzung einer jeden Wiederholung im eigentlichen Sinn verstanden. Andererseits aber ist es möglich, daß dieser Nullpunkt erreicht wird, ohne daß eine Wiederholung darauf folgt (vgl. G, 181 / W, 83). Durch die Verwendung der Gewittermetapher vermeidet der junge Mann zu benennen, daß im biblischen Text Entstehung wie Lösung von Hiobs Konflikt auf das Eingreifen Gottes zurückgeführt sind. In unmittelbar aus dem Naturgeschehen gegriffenen Bildern veranschaulicht er stattdessen dieses Überschreiten der menschlichen Wirklichkeit. Dabei aber dient das Naturgeschehen nicht selbst als Erklärung, sondern ist nur Umschreibung des Ereignisses der Transzendenz. Dieses »Gewitter« führt im Falle Hiobs die Wiederholung herbei, die der junge Mann in der äußeren Rehabilitierung Hiobs gegeben sieht. Auch diese Wiederholung ist keine exakte Kopie der Ausgangssituation. Hiobs Jugend ist für immer eingebüßt, die verlorenen Kinder sind in ihrer Eigenart durch nachgeborene Geschwister nicht zu ersetzen, das Verhältnis zu Frau und Freunden ist um tiefe Erfahrung reicher. Vor den Menschen ins Recht gesetzt aber ist Hiob die Möglichkeit des Neubeginns gegeben. Für sich selbst und zur Lösung seines Konflikts wartet der junge Mann nun auch »auf ein Gewitter - und auf die Wiederholung« (G, 181 / W, 83): Kommt das Gewitter nicht, so werde ich tückisch; so sterbe ich überhaupt nicht, sondern tue bloß einmal so, als ob ich tot wäre, damit Verwandte und Freunde mich begraben können. Wenn man mich dann in den Sarg legt, so stecke ich in aller Heimlichkeit meine Erwartung zu mir. Dies kriegt keiner zu wissen; denn sonst würde man sich wohl hüten, einen Menschen zu begraben, in dem noch Leben wäre (G, 181 / W, 83).
1.2.3. Zur Komposition der Wiederholungsschrift Die Komposition der Briefe ist hier nicht ohne Widersprüchlichkeit. Hatte der junge Mann in seinem dritten Brief in einem innerlichen Prozeß das jede Entwicklung verhindernde Dilemma seiner Existenz bereits überwunden, indem er sich für ein Leben ohne das Mädchen
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und ohne Schuldbewußtsein entschied, so wartet er jetzt im siebenten Brief noch immer auf eine Konfliktlösung von außen. Diese Differenz zwischen dem dritten und dem siebenten Brief ist nicht dadurch zu erklären, daß die Entscheidung im dritten Brief nur halbherzig wäre, so daß mangelnde Entschlossenheit die Unentschiedenheit der Situation nicht überwinden konnte, sie ist vielmehr Indiz dafür, daß innerhalb der Wiederholungsschrift die Aussagerichtung geändert wurde.31 Im Gegensatz zur Darstellung des dritten Briefes erwartet der junge Mann das Geschehen der Wiederholung nun ausschließlich als ein ihn von außen treffendes Ereignis. »Was soll dieses Gewitter bewirken? Es soll mich dazu tauglich machen, Ehemann zu sein« (G, 181 / W, 83). Erst nach der Überwindung der Grenzsituation, erst nach der durchlebten Krise der Prüfung kann der junge Mann nach einer Wiederholung für sich selbst fragen. Die Einsicht, daß das Überstehen der Krise auch die Überwindung der Schuldfrage bedeutet, wird im siebenten Brief allerdings übergangen. In seinem Verlangen nach der Ehe als Ausdruck des Ethischen äußert sich jetzt der Wunsch des jungen Mannes, seine Unschuld vor dem Mädchen und im Ansehen aller Eingeweihten zurückzugewinnen. Schon der Zusammenhang, in dem dieser Wunsch geäußert wird, ist deutliches Zeichen für die Brüche im Text des zweiten Teiles der Wiederholungsschrift. Der Wunsch nach der Ehe als Anpassung an die Forderung des Ethischen und des Allgemeinen könnte eigentlich nicht mehr geäußert werden, nachdem Hiobs Standhaftigkeit, sich gegen alle Anpassungsversuche zu widersetzen, bereits als gangbarer Weg aufgezeigt wurde. In seinem Wunsch nach der Ehe hat der junge Mann sowohl das Dichtertum als auch die Hoffnung auf seine Liebe aufgegeben. Er selbst weist darauf hin, daß gerade durch die Ehe, in der er seine Liebe verwirklichen wolle, diese Liebe verflüchtigt würde. Mit der Feststellung, daß ein Verzicht auf die Ehe ihm das Mädchen in einer wahren, wenn doch auch ängstigenden Wirklichkeit erhalten würde (vgl. G, 172 / W, 72), eröffnet der junge Mann den Blick auf die unter sei31
Die Erklärung hierfür wird allgemein üblich in der Biographie Kierkegaards gesehen, der während der Arbeit an der Wiederholungsschrift von der Verlobung Regines mit Schlegel erfuhr. Diese Nachricht veranlaßte ihn dazu, in der Wiederholungsschrift, seinem geheimen Dialog mit Regine, das Verhalten des jungen Mannes in Abweichung von der ursprünglichen Planung darzustellen. Die Argumente, die dafür sprechen, den jetzigen Schluß als Variante einer Erstfassung zu verstehen, sind zusammengestellt bei E. Hirsch, Kierkegaard Studien. Bd. 1, 2581 Anm. 2.
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nen Überlegungen liegende Reflexion über die Gottesbeziehung des Menschen. Daß die Wahrheit des Menschen in einer nicht abzusichernden Gottesbeziehung gesehen wird, daß diese Beziehung als die innigste und zugleich ängstigende verstanden wird, ist im Fortgang dieser Arbeit zu entfalten und genauer zu erläutern. Zunächst ist jedoch der Handlungsverlauf für den jungen Mann weiter zu verfolgen.
1.2.4. Zur Auswertung der Experimente Aus ethischer Verpflichtung dem Mädchen gegenüber entschied sich der junge Mann dafür, auf die Ehe zu setzen. Aus sich selbst heraus aber kann der junge Mann seinen Schaffensdrang nicht überwinden und damit auch die Ehetauglichkeit nicht erzwingen: Im übrigen tue ich alles, was in meiner Macht steht, um mich zum Ehemann zu bilden. Ich sitze da und beschneide mich, nehme all das Unangemessene (Incommensurable), um maßgerecht (commensurabel) zu werden. Allmorgendlich tue ich meiner Seele ganze Ungeduld und unendliches Streben ab, es hilft nichts, im nächsten Augenblick sind sie wieder da (G, 181£ / W, 84).
Die Veränderung, die ihn zur Ehe tauglich machen soll, erwartet er gleich einem Wunder, das ihm widerfahren soll und doch kennt er den Preis: »Das wird meine ganze Persönlichkeit zerschmettern« (G, 181 / W, 83).32 Zum Opfer bereit, trifft ihn die Lösung seines Konfliktes anders als erwartet. Aus der Zeitung erfährt er, daß das Mädchen geheiratet hat. Seiner Verpflichtung ist er so enthoben. Zwar anders als erwartet, doch tatsächlich ohne sein Zutun ist sein Konflikt damit gelöst. Der junge Mann erlebt diese Hochzeitsnachricht als Befreiung: Ich bin wieder ich selbst. [...] Der Splitter, der in meinem Wesen war, ist gezogen, ich schließe mich wieder in mich zusammen. [...] Ist das keine Wiederholung? Bekam ich nicht alles doppelt? Bekam ich nicht mich selbst zurück, gerade so, daß ich die Bedeutung davon doppelt fühlen konnte? (G, 1851 vgl. W, 89).33
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Der Gedanke, seine ganze Persönlichkeit verpfuschen bzw. zerschmettern (dän. »knuse«) zu können, wird besonders von W. Struve aufgenommen, der diese Vorstellung als tieferen Grund dafür anführt, warum der junge Mann Constan tins Plan nicht folgen konnte. Die Furcht vor einer Zerschmetterung der ganzen Persönlichkeit wird so von ihm - durchaus sachgemäß - in einen anderen Kontext überführt. Hier ist von der Hirsch-Übersetzung abgewichen worden,um den Bezug zwischen »Wiederholung« und »Verdoppelung« deutlicher hervortreten zu lassen. (Vgl. den dän.Text: Fik jeg ikke Alt dobbelt? [...] netop saaledes, at jeg dobbelt maatte fole Betydningen heraf?« (G, 185t).
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Insgesamt zweimal, im Falle Hiobs und für sich selbst, nimmt der junge Mann die Wiederholung als gegeben an. Wie für Hiob, so erkennt er auch für sich in der Wiederholung die neu eröffnete Zukunft. Nun aber ist ihm Hiobs Rückerhalt seines irdischen Besitzes nur noch Abbild der eigenen Wiedergewinnung seines geistigen Besitzes. Der Unterschied zwischen Hiobs und seiner eigenen Wiederholung liegt im Wiederholten selbst. Hiob erhält nur sein irdisches Gut, nicht jedoch seine Kinder doppelt zurück. Endlich betrachtet läßt sich ein Menschenleben nicht verdoppeln - und da in Hiobs Fall die Verdoppelung von Menschenleben ausbleibt, ist die ihm widerfahrene Wiederholung aufgewiesen in ihrer Begrenzung auf ein endliches Geschehen (vgl. G, 186 / W, 89). So argumentiert der junge Mann etwas herbeigeholt und grenzt sein eigenes Erleben von dieser endlichen Wiederholung ab. Ihm ist die Intensivierung und Verdoppelung des Bewußtseins seiner selbst widerfahren, in der Wiederholung der eigenen Persönlichkeit sind die Grenzen derselben und damit die Endlichkeit überschritten. Soll der Mensch sich selbst zurückgewinnen, so gilt: »Hier ist allein des Geistes Wiederholung möglich, ob sie gleich in der Zeitlichkeit nie so vollkommen wird wie in der Ewigkeit, welche die wahre Wiederholung ist« (G, 186 / W, 89f.). Seine Wiederholung erlebt der junge Mann als Wiedergeburt: Ich bin wieder ich selbst; die Maschinerie ist in Bewegung gesetzt. Zerhauen sind die Stricke, in denen ich gefesselt gewesen; gebrochen ist die Zauberformel, die sich in mich hineingehext hatte, so daß ich nicht zu mir selbst zurückzukehren vermochte. Da ist niemand mehr, der seine Hände wider mich erhebt, meine Befreiung ist sicher, ich bin geboren zu mir selbst; denn solange Ilithya ihre Hände faltet, kann der Gebärende nicht gebären. Es ist vorüber, meine Jolle ist flott, im nächsten Augenblick bin ich wiederum dort, [...] wo man jeglichen Augenblick das Leben einsetzt, jeglichen Augenblick es verliert und wieder gewinnt (G, 186 vgl. W, 90).34
Mit der Konklusion, die Wiederholung erlebt zu haben, widerspricht der junge Mann dem diesbezüglichen Urteil seines Beobachters und Vertrauten Constantin. Meinung steht gegen Meinung, und die Frage, ob es die Wiederholung gibt, ist an den Leser zurückgespielt. An diesen wendet Constantin sich nun direkt in seinem Abschlußbrief an
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Hirsch übersetzt das dänische: »jeg er f0dt til mig selv« als: »ich bin zu meinem Selbst geboren«. In der Wiederholungsschrift wird aber anders als z.B. in der Krankheit zum Tode der Begriff »Selbst« nicht in spezifischer Bedeutung verwendet. Im angeführten Zitat steht das kleingeschriebene »selv« eindeutig nicht für den Begriff »Selbst«, der auch im dänischen Text großgeschrieben wird. Weitere Abweichungen gegenüber der Hirsch-Übersetzung erfolgen aus sprachlichen Gründen.
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den wirklichen Leser des Buches. Hier räumt Constantin ein, daß er den jungen Mann hervorkommen ließ (vgl. G, 191 / W, 94), daß dieser ein Gedankenexperiment war. Für dieses Experiment hatte Constantin einen Dichter und damit eine Ausnahmeexistenz gewählt. Daß er sich dem allgemein gestellten Problem der Wiederholung gerade durch die Beobachtung einer Ausnahmeexistenz nähern zu können meint, begründet er folgendermaßen: Die Ausnahme denkt, indem sie sich selber durchdenkt, zugleich das Allgemeine, sie wirkt, indem sie sich selber durchwirkt, für das Allgemeine, und sie erklärt das Allgemeine, indem sie sich selber erklärt. Die Ausnahme erklärt mithin das Allgemeine und sich selber und wenn man das Allgemeine so recht studieren will, braucht man sich bloß nach einer berechtigten Ausnahme umzusehn (G, 191 / W, 93).
Die Ausnahme also bestätigt die Regel, doch dies gilt nach Constantin nur für die berechtigte Ausnahme. Damit ist gesagt, daß im Allgemeinen selbst der Anlaß liegen muß, der die Ausnahme hervorbringt und sie dadurch mit sich versöhnt (vgl. G, 191 / W, 93). Will dagegen ein Einzelfall sich durch seine Eigenart gegenüber dem Allgemeinen behaupten, so ist er mit diesem unversöhnt und daher unberechtigt. Als Ausnahme kann er nur bestehen, solange er sich gegen das Allgemeine stellt. Versöhnt mit dem Allgemeinen ist die unberechtigte Ausnahme als Ausnahme aufgehoben (vgl. FB, 51f. / FZ, 57f.). Worin liegt nun die Berechtigung, mit der der junge Mann in seiner Ausnahmesituation zur Erklärung des Allgemeinen dienen kann? Der junge Mann ist Dichter und kann als solcher sowohl »berechtigt« als auch »unberechtigt« sein. Eines Dichters Leben hebt an im Streit mit dem ganzen Dasein, es gilt, eine Beruhigung zu finden oder eine Berechtigung; denn in dem ersten Kampfe muß er stets verlieren, und will er unverzüglich siegen, so ist er unberechtigt. Mein Dichter findet nun eine Berechtigung eben damit, daß das Dasein ihn in dem Augenblick freispricht, da er sich selbst gleichsam vernichten will. Seine Seele gewinnt nun einen Anklang an das Religiöse. Das ist es, was eigentlich ihn trägt, obwohl es niemals zum Durchbruch kommt (G, 192 / W, 95).
Dieser Passus aus dem Abschlußbrief Constantins deutet noch die erste Fassung der Wiederholungsschrift an, in der der junge Mann sein Leben durch Selbstmord beendet. 35 In der jetzigen Fassung bezeugt 35
Vgl. die Ausführungen zum ersten Entwurf der Wiederholungsschrift bei E. Hirsch, Kierkegaard Studien. Bd. 1, 258f Anm. 2, sowie die weitergeführte Analyse bei J. Garff, Unoder, 44. Es ist nicht genau festzustellen, an welcher Stelle dieser »Abschluß« eingesetzt wurde. Nach dem Brief vom 17. Februar hat Kierkegaard fünf Seiten des Manuskripts abgeschnitten,von denen vier mit Sicherheit beschrieben waren. Unter Hinweis auf Ä. Henriksen, Romaner, 130 rekonstruiert I Garff: »Phi-
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besonders der Beginn des dritten Briefes die Niederlage, die der junge Mann im Kampf gegen das Dasein erleidet. Sein Leben ist an die Grenze gebracht, ihn ekelt vor dem Dasein, das ihm sinnlos erscheint (vgl. G, 171 / W, 70). Constantin zufolge führt den jungen Mann erst die in der Auseinandersetzung mit Hiob angelegte religiöse Stimmung (vgl. G, 192 / W, 95) aus der Erfahrung der Sinnlosigkeit heraus. Dieser religiöse Halt, der den jungen Mann als Ausnahme berechtigt, bürgt gleichzeitig für seine Erklärung des Allgemeinen. Es ist die als Heimlichkeit bewahrte religiöse Stimmung, die ihm hilft, dichterisch die Wirklichkeit zu erklären (vgl. G, 192 I W, 95). Mit dieser Berechtigung erklärt der junge Mann »das Allgemeine als die Wiederholung« (G, 192 / W, 95). In dem Augenblick, in dem das Mädchen heiratet und der junge Mann sich auf andere Weise zurückerhält, bleibt das Religiöse nur als nichtsagbarer Grund seiner Produktivität (vgl. G, 193 / W, 96) zurück. Für sich selbst versteht der junge Mann daher die Wiederholung auf eigene Weise, »denn während die Wirklichkeit zur Wiederholung wird, wird ihm selbst die andere Potenz seines Bewußtseins zur Wiederholung« (G, 192 / W, 95). Der junge Mann kann zwar das Allgemeine erklären, doch da die Religiosität, die ihn dazu berechtigte, in ihm »niemals zum Durchbruch kommt« (vgl. G, 192 / W, 95), gehört er nicht zu den Ausnahmen, die das Allgemeine deutlicher erklären können, als dieses durch sich selbst erkannt werden kann. Dies ist zumindest die Meinung Constantins. Ihm zufolge hat der junge Mann die Wiederholung nicht erlebt. In seinem Abschlußbrief diskutiert Constantin nur deren Möglichkeit für den jungen Mann: Hätte er einen tieferen religiösen Hintergrund besessen, so wäre er nicht Dichter geworden. Alsdann hätte alles religiöse Bedeutung empfangen, [...] er hätte alsdann mit einer ganz andern eisernen Konsequenz und Unerschütterlichkeit gehandelt, er hätte alsdann eine Bewußtseinstatsache gewonnen, an die er sich hätte halten können, und die ihm niemals zweideutig geworden wäre, sondern reiner Ernst, weil sie von ihm selbst gesetzt worden wäre in Kraft eines Gottesverhältnisses (G, 193 vgl. W, 96).
Hier legt Constantin den seinem Experiment mit dem jungen Mann zugrundeliegenden Gedanken offen. Daß der Mensch sich selbst nur im Verhältnis zu Gott wiederholen und d.h. selbst gewinnen kann, ist die Voraussetzung seines Denkens über die Wiederholung. Die Aus-
lologisch gesehen spricht alles dafür, daß der junge Mann sich zu einem Zeitpunkt nach dem Brief vom 17. Februar das Leben genommen hat und daß die verschiedenen Texteingriffe sowie die Änderung des Buchschlusses erst danach stattgefunden haben (vgl. Pap. IV Β 97,4;5;6)«.
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1. Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
gangsfrage: »Ob eine Wiederholung möglich sei und welche Bedeutung sie besitze« (G, 115 / W, 3) ist damit enthüllt als Frage danach, ob und wie der Mensch sein ihn schon immer bestimmendes Gottesverhältnis verwirklicht. Daß er selbst sein Gottesverhältnis nicht vollziehen kann, macht Constantin zum nicht nur rhetorischen, sondern wahrhaftem Frager: »Die Wiederholung ist auch mir zu transzendent. Ich kann mich selbst umsegeln; aber ich kann nicht über mich hinauskommen, den archimedischen Punkt vermag ich nicht zu entdecken« (G, 161 / W, 59). Constantin und der junge Mann entfalten jeweils ein eigenes Verständnis der Wiederholung. Unterschieden sind diese Auffassungen schon im Ansatz. Während Constantin in der Aneignung des Gottesverhältnisses die Voraussetzung für die Selbstwerdung des Menschen gegeben sieht, führt der junge Mann die Möglichkeit, sich selbst wiederzugewinnen, auf ein ihn von außen treffendes, zufälliges Ereignis zurück. Dieser unterschiedliche Ansatz führt dann auch zu den verschiedenen Konklusionen über die Wirklichkeit der Wiederholung. Bis zum Schluß hat der wirkliche Leser des Buches selbst zu entscheiden, ob Constantins Auffassung der Wiederholung oder die des jungen Mannes in letzter Hinsicht gültig ist. Zu beachten bleibt dabei, daß der junge Mann lediglich eine Erfindung Constantins ist, mit deren Hilfe dieser einen Dialog mit sich selber führt. Ob er sich einen ebenbürtigen Partner ausgedacht hat, oder ob er dieses Spiel von Anfang an so angelegt hat, daß er nur gewinnen kann, ist im Kapitel 2 zu diskutieren. Dort ist dann zu zeigen, daß mit dem Gegensatz zwischen Constantins Auffassung der Wiederholung und der Meinung des jungen Mannes zugleich die Alternative zwischen einem ästhetischen und einem religiösem Lebensentwurf gestellt ist, in denen die Freiheit auf jeweils eigene Weise begriffen wird.
1.3. Die verschiedene Bedeutung der Wiederholung auf den Entwicklungsstufen der Freiheit Schon in der Wiederholungsschrift selbst leuchtet der innere Zusammenhang zwischen Wiederholungs- und Freiheitsthematik auf. Einsichtig wird dies an der Bedeutung, die der Diskussion der Hiobsfigur im zweiten Teil der Schrift, in dem erst eigentlich nach der Wiederholung gefragt wird, zukommt. Die gesamte Auseinandersetzung des jungen Mannes mit seiner Situation erfolgt in bezug auf Hiob, an
1.3. Die verschiedene Bedeutung der Wiederholung
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dem der junge Mann das Große gerade darin sieht, »daß die Leidenschaft der Freiheit [...] nicht erstickt und nicht zur Ruhe gebracht wird in einem verkehrten Ausdruck« (G, 176f. / W, 77). In seinem Protest gegen das ganze Dasein, das ihn bestraft wie einen Schuldigen und in seinem aufrechten Streiten mit Gott hält Hiob an seiner Freiheit fest. Er paßt sich der Deutung seines Unglücks, die ihm Freunde und Umwelt aufzwingen wollen, nicht an, sondern bewahrt ein eigenes Bewußtsein seiner selbst, »das ihm nicht einmal Gott entreißen kann, obwohl er es ihm gegeben hat« (G, 177 vgl. W, 78).36 Wie zu zeigen sein wird,37 wird Hiob in dieser Freiheitsäußerung zum Muster der Wiederholung (vgl. Pap. IV Β 117,299). Die Auseinandersetzung mit Hiob als diesem Ideal der Freiheit ist inneres Zentrum des zweiten und wesentlichen Teils der Wiederholungsschrift und damit steht die Freiheitsthematik im Zentrum der Wiederholungsschrift, auch wenn der Begriff der Freiheit innerhalb der Schrift nur selten verwendet wird. Über den Zusammenhang der Hiobsgeschichte hinaus dient der Begriff »Freiheit« in der Wiederholungsschrift vorrangig der Erläuterung der Beziehung zwischen dem Mädchen und dem jungen Mann. Durch die Freiheit, die nur das Mädchen ihm geben könnte, wäre der junge Mann erlöst (vgl. G, 126 / W, 16). Um diese Freiheit nicht gebeten zu haben, ist ihm Gegenstand der Reue (vgl. G, 180 / W, 82). Unter Freiheit ist hier verstanden, daß das Mädchen von sich aus die Erwartung auf ein gemeinsam verbrachtes Leben aufgegeben hätte. Mit der Bitte um diese Freiheit wäre die Frage des eigenen SchuldigSeins keine Anfechtung mehr gewesen und weder Constantins Betrugsversuch noch die Flucht des jungen Mannes nötig gewesen. Diese Freiheit, die in direkter Mitteilung und Offenheit besteht, führt Kierkegaard bis ins Spätwerk hinein als wesentliches Moment des »wahren« (BA, 117 / BA, 15) Menschen an. Da unter der Schilderung der Liebesbeziehung des jungen Mannes die Frage nach dem Gottesverhältnis des Menschen verborgen ist, ist auch für die Beziehung zwischen Gott und Mensch die Freiheit in der Offenheit und Offenbarkeit angenommen. Daß Offenheit und Offenbarkeit dabei auch die vor sich selbst eingestandene Negativität der Beziehung einschließen, ist am Beispiel der Liebesgeschichte des jungen Mannes bereits ausgeführt worden. Die Einsicht, daß Freiheit durch sich anklammernde Treue zerstört wird, führt zu keinem unverbindlichen 36 37
Abweichungen von der Übersetzung E. Hirschs erfolgen aus sprachlichen Gründen. Vgl. Kap. 2.4. dieser Arbeit.
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1. Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
Freiheitsverständnis, sondern korrigiert das Verständnis der Treue. Denn es ist die die Loslösung überstehende und die Loslösung tragende Treue, in der eine Beziehung - und in dieser die Freiheit - verbindlich wird. Insgesamt gilt für die Wiederholungsschrift, daß in ihr »Freiheit« grundsätzlich als individuelle, menschliche Freiheit.38 diskutiert wird. Am Beispiel von Einzelpersonen wie Hiob und dem jungen Mann wird das Thema der Freiheit individuell betrachtet. In sprachlichen Formulierungen wie »menschliche Freiheit« (vgl. G, 136 I W, 28) und »menschliche Freimütigkeit« (vgl. G, 175 / W, 75; G, 177 / W, 78) ist der Bezug von Freiheit und Menschsein ausdrücklich benannt. Daß »Wiederholung« und damit »Freiheit« in erster Hinsicht individuell aufzufassen sind, betont Constantin besonders in seinen Kommentaren zur Wiederholungsschrift (vgl. Pap. IV Β 110, 258ff.).3y Die38
Es fällt auf, daß in der Wiederholungsschrift die Rede von Freiheit oder vom Einlösen (dän.: indfrie) der Freiheit mehrfach im Kontext mit generellen Aussagen über das Mensch-Sein steht. Im unmittelbaren Anschluß an das Postulat: »Nur wer wirklich lieben kann, nur er ist ein Mensch; nur wer seiner Liebe jeden Ausdruck geben kann, nur er ist ein Künstler« (G, 127 / W, 18) wird demjenigen, der des Schweigens mächtig ist, die Fähigkeit zugesprochen, diese Forderung »einzufreien« (vgl. G, 127 / W, 18). Deutlicher noch wird dieser Zusammenhang der Rede von Freiheit und der Rede darüber, was es heißt, Mensch zu sein, in Constantins Schilderung seiner Berlinreise. In einer Postkutsche zusammengepfercht mit anderen Reisenden, kaum seine Beine von denen der anderen unterscheiden könnend, fällt es Constantin ein, zu fragen, ob er jemals wieder Mensch werden würde, d.h. imstande, sich selbst in der Isolation der Einzelheit freizumachen, oder ob er eine Erinnerung daran behalten würde, Glied an einem größeren Gliede zu sein (vgl. G, 133 / W, 24). Natürlich kommen dem Pseudonym Constantin diese Gedanken auf der Reise in die Stadt, in der unter anderem Hegel lehrte. Gegen Hegels Idee der Unterordnung des Einzelnen unter ein Ganzes begehrt Constantin hier beineverrenkend auf Mensch zu sein bedeutet für ihn, ein Einzelner zu sein, wobei die Verwirklichung des Menschseins an Befreiung gebunden ist. So wird erst in der Verwirklichung der Freiheit Menschsein verwirklicht.
39
Schon E. Hirsch macht in seinen Kierkegaardstudien auf den Zusammenhang von Freiheit und Wiederholung gerade in bezug auf diese Kommentare in den Papieren aufmerksam. So schreibt er: »Die Frage nach der Möglichkeit der Wiederholung ist die Frage nach der Selbstbehauptung der Freiheit des Einzelnen im Verhältnis zur Umwelt, Schicksal und Geschichte. Freiheit und Wiederholung sind insofern das Gleiche« (E. Hirsch, Kierkegaard Studien. Bd. 2, 632£, angemerkt werden Pap. IV Β 111, 264; IV Β 117, 281f£.; IV Β 117, 282). Diese Ineinssetzung von Freiheit und Wiederholung aber wird von ihm nicht weiter ausgelegt. Auch wenn er anschließt: »Allein die Versöhnung ist die vollkommene Verwirklichung der Wiederholung« (in bezug auf Pap. IV Β 117, 293; IV Β 118,1; IV Β 120, 309), bleibt unerklärt, was damit gesagt ist. Denn die Fragwürdigkeit des spezifisch zu verstehenden Begriffes der »Wiederholung« läßt durch die Gleichsetzung von Freiheit, Versöhnung und Wiederholung auch die Begriffe »Freiheit« und »Versöhnung« unverständlicher
1.3. Die verschiedene Bedeutung der Wiederholung
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sen Kommentaren zufolge gibt es die als Freiheit qualifizierte Wiederholung nur in der Sphäre des Geistes, nicht in der Sphäre der Natur. In der Natur ist die Wiederholung, z.B. als immer wiederkehrende Abfolge der Jahreszeiten, ein notwendiges Geschehen und damit für Constantins Fragestellung irrelevant. Das Versuchsfeld zur Frage nach der Wiederholung als Aufgabe der Freiheit ist damit eingegrenzt auf das »Reich des Geistes« {Pap. IV Β 111, 262). Auf diesem vorgegebenen Versuchsfeld differenziert Constantin: Nicht nur der weltgeschichtliche Prozeß ist zu betrachten, sondern besonders auch die geistige Existenz der Individuen (vgl. Pap. IV Β 111, 262), die selbst eine geschichtliche Größe ist. So ist die Frage nach der Bedeutung der Wiederholung übersetzt in die Frage nach dem »Verhältnis der Freiheit zu den Phänomenen des Geistes, in deren Kontext das Individuum lebt, indem seine Geschichte im Kontext mit seinem eigenen Vorangehen und mit der es umgebenden kleinen Welt vorangeht« {Pap. IV Β 111, 263f.). Die Bedingungen, unter denen Freiheit zu verwirklichen ist, sind damit aufgewiesen als in doppelter Hinsicht geschichtlich. Zum einen ist »jedes Individuum [...] als solches bestimmt als Geist und sein Geist hat eine Geschichte« {Pap. IV Β 111, 263), zum anderen sind die Phänomene des Geistes, in deren Zusammenhang das Individuum eingebunden ist, Teil des weltgeschichtlichen Prozesses (vgl. Pap. IV Β 111, 262). Von ihrer weltgeschichtlichen Prägung und der sie »umgebenden kleinen Welt« {Pap. IV Β 111, 264) ist die individuelle Geschichte nicht zu lösen. Doch unter diesen in der Sphäre des Geistes allgemein geltenden Bedingungen hat das Individuum eine ihm eigene Aufgabe: die Verwirklichung der Freiheit. Da diese Aufgabe nur zu erfüllen ist im gleichzeitigen Fortgang in der eigenen individuellen Geschichte, ist die Verwirklichung der Freiheit selbst ein Prozeß. Nicht ein für allemal kann Freiheit erlangt
werden. Das Konzept der Wiederholung hat so zuerst die Funktion, Vorverständnisse aufzubrechen und ein neues Klärungsbedürfnis zu wecken. In den Kommentaren zur Wiederholungsschrift, die sich in Kierkegaards Papieren finden, tritt eine Stelle über den Zusammenhang von Wiederholung und Freiheit besonders hervor. Diese Passage (Pap. IV Β 117,280-282), in der innerhalb der Entwicklung der Freiheit auf sich selbst zu die Funktion der Wiederholung differenziert beschreiben wird, ist in einzelnen Arbeiten besonders aufgewertet worden. Zu erwähnen sind hier folgende Untersuchungen: G. Malantschuk, Individ, 54-58; Κ. E. Johansen, Gjentagelsen, 20-23. Κ. E. Johansen versteht dabei seine gesamte Arbeit im wesentlichen als Kommentar zu diesem Text Pap. IV Β 117, 280£ (Vgl. a.a.O. 22); J. Taels, 195; Herinnering, 198; A. Gr0n, Repetition, 153-156.
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1. Die Wiederholung - das höchste Interesse der Freiheit
werden, sondern deren Verwirklichung ist ständig zu wiederholen. In diesem Prozeß der Freiheitsentwicklung erkennt Constantin verschiedene Grade der Freiheit an. Kriterium für die Unterscheidung dieser Freiheitsgrade ist deren Wiederholbarkeit, wobei der ständig wiederholbaren Form der Freiheit der höchste Grad zugemessen wird. Dieses Kriterium für die Einteilung der »Sphäre der individuellen Freiheit« {Pap. IV Β 117,280f.) ist insofern problematisch, als der Begriff der Wiederholung innerhalb der verschiedenen Stadien der Freiheit selbst eine Geschichte hat (vgl. Pap. IV Β 117,280f.) und d.h. seine Bedeutung ändert. Damit ist die Entwicklung der eigenen Individualität als radikal dynamischer Prozeß verstanden. Innerhalb dieser Entwicklung gibt es keine konstant bleibenden Vorstellungen oder Begriffe, im Verhältnis zu denen das Individuum seinen jeweiligen Standort bestimmen könnte. Mit der Veränderung des Individuums in der Veränderung seiner Umwelt ändert sich sowohl das Verständnis des Individuums von sich selbst und seiner Umwelt als auch die begriffliche Voraussetzung dieses Verständnisses. Innerhalb dieser ständigen und umfassenden Veränderung aber bleibt das Individuum es selbst und steht damit vor der Aufgabe, der Zersplitterung der eigenen Individualität entgegenzuwirken. Aus dieser Spannung zwischen stetiger Veränderung und konstantem Bezug des Individuums auf sich selbst resultieren die verschiedenen Freiheitsgrade.40 Der Zusammenhang zwischen Bedeutung der Wiederholung und Entwicklungsgrad der Freiheit wird von Constantin als Abfolge dreier Stadien beschrieben, die die Freiheit durchläuft, um sich selbst zu erreichen (vgl. Pap. IV Β 117, 280f.). Damit ist jedoch nicht gemeint, daß jedes Individuum innerhalb der eigenen Entwicklung diese Stadien zeitlich aufeinanderfolgend ganz oder teilweise durchläuft. Eher bezeichnen diese Stadien verschiedene, nicht unbedingt aufeinanderfolgende, Spannungsverhältnisse zwischen Veränderung und Kontinuität in der individuellen Existenz.41
40 41
Vgl. V. Guarda, Wiederholung, 97f J. Disse bezieht sich auf diese hier dargestellte Stadienfolge der Freiheit und versteht von ihr her Kierkegaards Stadientheorie des Ästhetischen, Ethischen und Religiösen insgesamt als »Stufen einer Phänomenologie der Freiheit« (ders., Phänomenologie, 50). Diesen Aspekt von Kierkegaards Freiheitsverständis, der festhält, daß die Freiheit mehrere Stadien durchläuft, um sich selbst zu erreichen, hat bisher, wie J. Disse betont, »allein G. Malantschuk hervorgehoben, etwa in >Stadien der Bewegung der Freiheit bei S0ren Kierkegaards S. 151, oder in Fra Individ til den Enkelte, S. 195. Schon in Frihedens Problem i Kierkegaards Begrebet Angst, S. 29, ist die Rede von einem >vel gennemtaenkte Skema over frihedens Frem-
1.3. Die verschiedene Bedeutung der Wiederholung
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Die Aufeinanderfolge dieser in den Papieren dargestellten Stadien steht demnach nicht für die innere Entwicklung des Individuums, sondern bezeichnet eine Hierarchie der Freiheitsformen (vgl. Pap. IV Β 117, 281). Auf dem ersten dieser ihrer Stadien ist die Freiheit bestimmt als Lust oder in der Lust. »Wiederholung« bedeutet in diesem Stadium das nochmalige Erleben eines Ereignisses und verbunden damit ist die Abnutzung des Lusteffektes dieses Erlebens. Trotz allen Erfindungsreichtumes der Lust, immer neue Erlebnisse zu planen und zurechtzulegen, stellt sich mit der Zeit die Wiederholung ein. Die Ereignisse werden in ihrer Bekanntheit immer voraussehbarer, berechenbarer und damit langweilig. In diesem Stadium aber wird Lust gerade in der Abwechslung gesehen und so fürchtet die als Lust bestimmte Freiheit die Wiederholung. Unausweichlich ist es, daß sich Handlungen oder Situationen, die den Lustgewinn herbeiführen sollen, mit der Zeit wiederholen. Die Wiederholung minimiert den Lustgewinn, und so ist aufgewiesen, daß die als Lust oder in der Lust bestimmte Freiheit letztlich nicht wiederholbar ist, ohne ihr Wesen einzubüßen. In ihrem ersten Stadium ist Freiheit folglich deswegen nur begrenzt zu verwirklichen, weil ihr Prinzip der Abwechslung die zeitlichen Bedingungen der Freiheitsverwirklichung ignoriert. Die Freiheit verzweifelt in der Lust und tritt in der Verzweiflung in ihr nächstes Stadium: die Klugheit. Daß auch diese Bestimmung der Freiheit an ihrer eigenen Wiederholung scheitert, ist begründet in ihrer Aufgabe, der Wiederholung eine immer neue Seite abzugewinnen. Damit dient auch die Klugheit dem Lustprinzip der Abwechslung, nur wird die Abwechslung diesmal in einer kontinuierlichen Hand-
trasdelsesformerVerhältnis zur ewigen Seligkeit< ist das tiefste Anliegen dieser Pseudonyme, das sich, übersetzt in heutige Erfahrung, als Sinnfrage, als Frage nach dem ganzheitlichen Zusammenhang der Existenz entschlüsseln läßt. Soll sich das Leben nicht in inhaltslosen Lärm (vgl. G, 131 / W, 22) auflösen, soll wirklich noch der Versuch unternommen werden, diesem Leben einen Maßstab zu geben, an dem es sich aufrichten und messen kann, so darf die Frage nach dem Sinn nicht in willkürliches Belieben gestellt bleiben. Constantin verlangt selbst nach dem Absoluten, nach jenem »archimedischen Punkt« (G, 161 / V^ 59) außerhalb der Existenz, von dem aus dieser Zusammenhang zu stiften wäre. In der Wiederholungsschrift wird so zugleich mit dem Entwurf eines doppelten Verständnisses der Wiederholung deren eigentlicher und einziger Begriff eingeklagt. Wird diese Forderung akzeptiert, so ist zunächst die zwischen Constantin und dem jungen Mann aufgestellte Alternative noch gründlicher zu analysieren. Beiden Entwürfen gemeinsam ist dabei der Ausgangspunkt, von dem aus erst nach einer Wiederholung der zuvor als selbstverständlich hingenommenen Übereinstimmung des Individuums mit sich selbst gefragt wird. Dieser Ausgangspunkt wird gesehen in der ersten Schulderfahrung, die in sich die Zweideutigkeit birgt, sowohl Schuld als auch Unschuld zu sein. »Wie ist es zugegangen, daß ich schuldig ward? Oder bin ich etwa nicht schuldig?« (G, 171 / W, 71).
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
In dieser Frage des jungen Mannes ist festgehalten, aus welcher Unmittelbarkeit heraus der Mensch erstmalig des eigenen Schuldigseins gewahr wird. Erstmaligkeit und Unmittelbarkeit der Schulderfahrung gehören aufs engste zusammen, auch wenn es dann die Schulderfahrung ist, die ein unmittelbares Verhältnis des Menschen zu sich selbst fernerhin verhindert. Die Unmittelbarkeit liegt demnach in der Erstmaligkeit der Erfahrung, und diese Erstmaligkeit schließt in sich, daß die Erfahrung der Schuld als totale Veränderung der eigenen Existenz erlebt wird. Dementsprechend fragt der junge Mann auch nicht nach konkreter Schuld, sondern danach, wie seine Persönlichkeit als ganze schuldig werden konnte. Zur Unmittelbarkeit der Schulderfahrung gehört es ebenfalls, daß diese totale Veränderung der eigenen Existenz als unschuldig erlittene erlebt wird. Immer führt ein äußeres Geschehen, eine andere Person oder eine ausweglose Situation, in der es keine Möglichkeit schuldlosen Verhaltens gibt, in die erste Schulderfahrung. Denn würde die Schuld als selbst verursachte verstanden, so wäre die Möglichkeit eigenen Schuldig-Seins schon vor der ersten Schulderfahrung akzeptiert und die Erstmaligkeit des bewußten Verschuldens bedeutete keine totale Veränderung mehr. Das erste Erkennen eigener Schuld steht so in der Spannung gleichzeitiger Erfahrung von Schuld und Unschuld. Diese erste, unmittelbare Spannung zwischen Schuld und Unschuld aber erweist sich als nicht tragbar. Auf längere Zeit dieser Spannung ausgesetzt zu sein, führt - wie im Fall des jungen Mannes - in die Verzweiflung. So bleiben nur die Verneinung der Schuld als scheinbarer Ausweg und die Annahme der eigenen Schuld als wirklicher Ausweg aus dieser Verzweiflung. Die Diskussion, auf welche Weise der Ausweg aus der Verzweiflung der Schulderfahrung gangbar ist, nimmt damit die Frage nach dem Verständnis der Wiederholung wieder auf. Worin das angestrebte Objekt der Wiederholung besteht, bleibt zu klären. Ist es die verlorene Unschuld? Oder ist es die Spannung zwischen Schuld und Unschuld, die es wiederzuerrichten gilt als eine solche, die nunmehr ausgehalten werden kann? Daß und wie mit beiden Auswegen aus der Schulderfahrung zugleich der Weg in die Wirklichkeit der Freiheit riskiert wird, bleibt zu untersuchen. Die beiden vom jungen Mann und Constantin vorgeschlagenen Wege der Schuldverneinung bzw. der Annahme der Schuld als eigener Schuld sind dazu je für sich zu rekonstruieren. Als gemeinsames Korrektiv tritt dabei die Gestalt Hiobs auf den Plan, die allerdings dadurch die Diskussion erschwert, daß diese Idealfigur eines Gerechten noch von der Möglichkeit einer tatsächlichen Schuldlosigkeit ausgeht.
2.2. Äußerliches Verständnis - Freiheit gegen die Last der Schuld
2.2. Äußerliches Verständnis der Wiederholung Freiheit gegen die Last der Schuld
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-
2.2.1. Das Freiheitsverständnis des jungen Mannes In der Situation, in der der Widerspruch zwischen Schuld und Unschuld den jungen Mann in den Wahnsinn zu treiben droht, rettet er sich schließlich in Versuche, die Schuld an seiner Schuld von sich zu weisen. D a es die Liebe war, die ihn in die Schulderfahrung führte, wird diese, zusamt dem Mädchen, zur ersten Angeklagten: Als ich ihre Freude darüber sah, daß sie geliebt wurde, unterstellte ich mich selber und alles, worauf sie zeigte, der Zaubermacht der Liebe. Ist es eine Schuld, daß ich es vermochte, oder eine Schuld, daß ich es tat? Wer ist schuld daran, außer sie selbst, und jenes dritte, von dem niemand weiß, woher es gekommen, jenes dritte, das mich mit seinem Schlage berührte und mich verwandelte? (G, 173 / W, 73).
Die Liebe selbst, sowohl wie ihr Anlaß, sind als Schuldige entlarvt, und daß die Liebe sich nicht realisieren läßt, schreibt der junge Mann der Beschaffenheit der ihm widerfahrenen Existenz zu: Ist mir nicht einfach etwas zugestoßen, ist das Ganze nicht ein Widerfahrnis? Hätte ich vorauswissen können, daß mein ganzes Wesen eine Veränderung erfahren würde, daß ich ein andrer Mensch werden würde? Ist vielleicht etwa hervorgebrochen, was dunkel schon in meiner Seele lag? Jedoch, lag es im Dunkel, wie hätte ich es dann voraussehen sollen? Konnte ich es aber nicht voraussehn, so bin ich ja unschuldig. Falls ich einen Schlaganfall erlitten hätte, wäre ich dann auch schuldig gewesen? (G, 172 / W, 72).
So weit vorgedrungen in seiner Schuldabweisung steht der junge Mann vor der Frage, wer die ihm widerfahrende Existenz zu verantworten hat. Was heißt denn das: die Welt? Was bedeutet dies Wort? Wer hat mich in das Ganze hineinbetrogen und läßt mich nun dastehen? Wer bin ich? Wie bin ich in die Welt hineingekommen, warum hat man mich nicht vorher gefragt, warum hat man mich nicht erst bekannt gemacht mit Sitten und Gewohnheiten, sondern mich hineingestukt in Reih und Glied als wäre ich gekauft von einem Menschenhändler? Wie bin ich Teilhaber geworden in dem großen Unternehmen, das man die Wirklichkeit nennt? Warum soll ich Teilhaber sein? Ist das nicht Sache freien Entschlusses? Und falls ich genötigt sein soll es zu sein, wer ist denn da der verantwortliche Leiter - ich habe eine Bemerkung zu machen - ? Gibt es keinen verantwortlichen Leiter? An wen soll ich mich wenden mit meiner Klage? (G, 171 / W, 71).
In diesem inneren Kampf kann der junge Mann dem Bewußtsein, nicht mehr unschuldig zu sein, nichts entgegen setzen. Denn dadurch, daß er versucht, die Schuld an seinem Schuldig-Sein von sich zu weisen, um sich so als unschuldig schuldig geworden verstehen zu kön-
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
nen, gerät er nur tiefer in die Erfahrung des Schuldig-Seins hinein. Seine Versuche der Schuldabweisung lassen so nur deutlicher werden, daß die Erfahrung des Schuldig-Seins unausweichlich geworden ist. Mit der Frage danach, wieweit diese Schuld vorherbestimmt ist, wieweit nicht Schicksal oder Zufall die Schuld von vornherein zum unentrinnbaren Ereignis werden lassen, stellt der junge Mann zugleich die Alternative: >Schicksal oder Freiheit auf. Auf diese Weise ist in seinen Versuchen der Schuldabweisung die Vertiefung der eigenen Schulderfahrung untrennbar verknüpft mit der Frage nach der eigenen Freiheit. Dieser Zusammenhang von Schulderfahrung und Freiheitsfrage ist an den aufgeführten Anklagen - gegen die Liebe, gegen unerbetene Begabung und schließlich gegen den Betrug, der einen in die Welt zwang - nun differenzierter zu entfalten. Zuerst: Die Anklage gegen die Liebe. Diese Liebe, an die der junge Mann hier seine Schuld zu delegieren versucht, ist verstanden als starke emotionale Zuneigung zu einem bestimmten Menschen. Als diese starke Zuneigung ist die Liebe imstande, das Leben eines Menschen grundlegend zu verändern. Sie kann aus geplanten und angelegten Lebensbahnen werfen, und sie kann dazu führen, daß geltende gesellschaftliche Normen gebrochen werden. Andererseits ist diese Zuneigung nicht willentlich hervorzubringen und nicht bewußt zu erzwingen. So ist es die Liebe, die den Menschen beherrscht, während dieser selbst keine Macht über die Liebe besitzt. Wird diese romantische Vorstellung der Liebe zugrundegelegt, so scheint der junge Mann seine Anklage zu Recht gegen die Auslieferung an die Liebe zu richten. Doch seine Argumentation, in der er die Liebe schuldig zu sprechen versucht, ist schon in ihrem Ansatz verfehlt. Trotz ihrer Macht nämlich kann die Liebe eines nicht: zerstören. Liebe ist weder Selbstzerstörung noch Zerstörung des geliebten Menschen, und so ist sie ohne Schuld. >Schuld< daran, daß der junge Mann sich selbst als schuldig erfährt, ist die Liebe nur in dem Sinne, als sie Ursache dieser Erfahrung ist. Indem der junge Mann die Frage nach der Schuld stellt, die darin besteht, daß er sich dieser Liebe ergeben mußte, zeigt er sein Ausgeliefertsein an diese Liebe. Freiheit im Sinne einer freien Wahl und einer freien Entscheidung ist in diesem Ausgeliefertsein an die Liebe nicht gegeben. Daß überhaupt die Frage nach der Schuld dieser Liebe gestellt werden kann aber ist Anzeichen dafür, daß nicht mehr aus der Liebe selbst heraus gefragt wird. Die Schuldfrage erfolgt aus einer Reflexion außerhalb der Liebe, in der sichtbar wird, daß der Vollzug der Liebe unter konkreten gegebenen Bedingungen zerstörerisch sein kann. Da sich die Liebe selbst der Schuldanklage entzieht, kann die
2.2. Äußerliches Verständnis - Freiheit gegen die Last der Schuld
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Schuld nur noch den gegebenen Bedingungen angelastet werden, bevor der Einsicht, als Liebender schuldig zu sein, nicht mehr ausgewichen werden kann. Der zweite Versuch des jungen Mannes, seine Schuld von sich zu weisen, ist demnach nur folgerichtig. Für seine Begabung kann der junge Mann nichts, und somit lehnt er es ab, sich diese als Schuld anzurechnen. Unter >Schuld< versteht der junge Mann ausschließlich das, was er selbst verursacht hat, und daher diskutiert er letztlich nur, inwiefern seine Unwissenheit über diese Begabung schuldhaft sei. Für die Unwissenheit über das Zukünftige erwägt er zwei gegensätzliche Erklärungen. Zum einen kann diese Unwissenheit darauf beruhen, daß das Zukünftige weder vorherbestimmt noch planbar ist, sondern sich jeweils spontan ergibt. Die Unwissenheit entspricht darin der Unberechenbarkeit des Zufalls. Zum anderen kann Unwissenheit das Unvermögen bezeichnen, die bereits festgelegte Zukunft zu durchschauen und entspricht darin der Verborgenheit des Schicksals. Zufall sowie Schicksal aber schließen aus, daß der Mensch sich das durch sie verursachte Geschehen selber zurechnen kann. Der Mensch ist ihnen ausgeliefert und hat wiederum keine Freiheit eigenen Entscheidens. Indem der junge Mann für sich sowohl die Möglichkeit des Zufalls als auch die des Schicksals erwägt, stößt er in seinem Versuch der Schuldabweisung am weitesten vor. In seiner Berufung auf Zufall oder Schicksal kann er sich selbst als auf unschuldige Weise schuldig geworden verstehen. Der Schuld entrinnt er jedoch nicht, und diese Verhaftung in der Schuld ist es, die ihn gegen die Berufung auf Schicksal oder Zufall nach der Freiheit fragen läßt. In seinem radikalsten Versuch der Schuldabweisung ist die Alternative zwischen der Freiheit eigenen Entschließens und dem absoluten Ausgeliefertsein explizit gestellt. Schuld und eigene Existenz sind hier in so engem Zusammenhang gesehen, daß die Schuld nur noch im Fakt des eigenen Existierens angenommen werden kann, bevor sie endgültig als eigene zu akzeptieren ist. Die Wahllosigkeit gegenüber der eigenen Geburt, die Vorgegebenheit der Bedingungen, in die hinein man geboren ist, lassen einen freien Entschluß diesbezüglich gar nicht zu. »Hineinbetrogen in das Ganze« findet sich der Mensch als sich selbst unter den ihn bestimmenden Bedingungen vor. Was hier als »Betrug« bezeichnet wird, ist die Gegebenheit, daß der Mensch sich selbst ausgeliefert ist und daß er sich als dieser Ausgelieferte erfährt. 44 44
Das Thema des Betruges, eingespannt in die Frage nach der Möglichkeit des Zweifels sowohl wie des Glaubens, hat Kierkegaard in vielfältiger Hinsicht beschäftigt.
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
N u r in b e z u g
auf dieses An-sich-selbst-Ausgeliefertsein
ist
Schuld
ü b e r h a u p t zu b e g r ü n d e n . D i e s e r Z u s a m m e n h a n g wird v o m j u n g e n M a n n a u f g e d e c k t , und so forscht e r n a c h d e m , d e r ihm sich selbst ausgeliefert h a t . S e i n e N a c h f o r s c h u n g sucht die Wirklichkeit, in d e r d e r M e n s c h seinen endgültigen G r u n d findet, und das heißt letztlich, e r fragt n a c h G o t t . In dieser v o n ihm offen gelassenen F r a g e n a c h G o t t ist
die U n a u s w e i c h l i c h k e i t
der
Erfahrung
eigenen
Schuldig-Seins
w e n n a u c h nicht ü b e r w u n d e n , s o d o c h u m g a n g e n . D a G o t t , v o n d e m h e r das e i g e n e Ausgeliefertsein zu erschließen ist, in d e r F r a g e v e r bleibt, wird das Schuldig-Sein selbst fraglich. D i e E i n s i c h t des j u n g e n M a n n e s , d a ß Schuld letztlich nur in bezug auf G o t t b e g r ü n d e t w e r d e n k a n n , verweist a u c h die R e d e v o n Schuld an ihren O r t im G e s p r ä c h
Dabei geht es ihm sowohl darum, der Wirklichkeit des Betruges nicht auszuweichen (z.B. BA, 171 / BA, 83) als auch darum, den Selbstbetrug zu überwinden (z.B. AE, SV3 9, 64 / AUN, GW1 10, 66). Er hebt hervor, daß es in der Unmittelbarkeit keinen Betrug gibt (z.B. PS, 74 / PB, 77), und schreibt andererseits, daß die Zuverlässigkeit der Sinne Betrug sei (z.B. AE, SV3 9,221 / AUN, GW1 10,246). Auch die innere Verdoppelung des Betruges ist ihm nicht entgangen: »denn die Schlange hat ja Eva betrogen (1. Mos. 3,13), und dergestalt ist durch einen Betrug die Erkenntnis in die Welt gekommen als ein Betrug« (4T3, 118 / 4R3, 23). Auch in der Wiederholungsschrift tritt das Thema des Betruges hervor. Läuft doch der Plan Constantins insgesamt darauf hinaus, den jungen Mann durch einen Betrug sich selbst zurückzugeben. Besonders im Zusammenhang der Frage nach wahrer Liebe entwickelt Kierkegaard die spitzfindigsten Betrachtungen über den Betrug und das Betrügen. So beschreibt er im einleitenden Abschnitt zu Furcht und Zittern, »Stimmung«, daß es der Mutter nur durch einen Betrug gelingt, ihr Kind abzustillen und doch die Liebe des Kindes zu erhalten (vgl. FB, 14£ / FZ, 9). In der Frage nach Gottes wahrer Liebe aber läßt Kierkegaard den Gedanken an Betrug nicht gelten. Gott mußte sich selbst erniedrigen, um seine Liebe in Wahrheit offenbaren zu können, »jede andere Offenbarung war für Gottes Liebe ein Betrug« (PS, 34 / PB, 31). Daß Gott dennoch - wie hier in der Wiederholungsschrift vom jungen Mann gleich einem Betrüger erfahren werden kann, streitet Kierkegaard nicht ab. Übertreiben ließe sich dieser Gedanke noch dahingehend, daß Gott unauffindbar bleibt, solange nach ihm als nach einem Betrüger gesucht wird. Gehört es doch zu einem wahren Betrüger, daß er sich als solcher nicht zu erkennen gibt! Doch zurückgeführt wird diese Erfahrung eines Gottesbetruges letztlich auf den Selbstbetrug des Menschen: »Dergestalt ist der Gott der entsetzlichste Betrüger geworden, dadurch, daß der Verstand sich selbst betrogen hat« (PS, 45 / PB, 43t). Wenn er auch dem Betrug damit in letzter Hinsicht keine Berechtigung zugesteht, so enthält sich Kierkegaard andererseits doch nicht des Betrügens. Das Hauptanliegen seiner indirekten Methode besteht ja wie bekannt darin, den Leser in das Christentum hineinzubetrügen. Eine ausführliche Darstellung bzw. Analyse zu Kierkegaards Faszination an allem, was mit Betrug zu tun hat, ist mir nicht bekannt. Hinweise auf diese Problematik finden sich in: H. Schulz, Identität, 382 (im Zusammenhang der Problematisierung von Kierkegaards Freiheitstheorie); 433f. (über den Zusammenhang von Angst und Betrug, hier auch das oben angeführte Zitat 4T3, 118 / 4R3, 23).
2.2. Äußerliches Verständnis - Freiheit gegen die Last der Schuld
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zwischen Gott und Mensch. Die Auseinandersetzung um Schuld oder Unschuld wird so überführt in die Frage danach, wieweit die Rede von Schuld angemessen ist. »Wie ist es zugegangen, daß ich schuldig ward? Oder bin ich etwa nicht schuldig? Warum werde ich dann so genannt in allen Zungen? Was ist doch die menschliche Sprache für eine jämmerliche Erfindung, die das eine sagt und das andere meint?« (G, 172 / W, 71). Thematisiert wird damit zweierlei: Ob es überhaupt eine Sprache zwischen Gott und Mensch gibt, ist genauso problematisch wie die Frage, inwiefern zwischen Menschen von Schuld geredet werden kann. Der junge Mann lehnt beides ab (vgl. G, 173 / W, 73f.). Ihm zufolge läßt sich zwischen Menschen über Schuld weder reden noch verhandeln, und so bleibt zwischenmenschlich nur die Rede vom Recht. »Und stünde gleich die ganze Welt wider mich auf, und wollten gleich alle Scholastiker mit mir disputieren, und ginge es gleich um mein Leben, ich habe doch recht. [...] Ich habe gehandelt, wie recht ist. Meine Liebe läßt sich nicht ausdrücken in einer Ehe. 1\ie ich es, so ist das Mädchen zerbrochen« (G, 172 / W, 72). In dieser Rede vom Recht hat der junge Mann die Schuldfrage übersprungen. Er verneint nicht die Schuld, sondern schon deren Vorstellung als irrelevant. So gewinnt er sein eigenes Verständnis der Freiheit: Weder die Liebe, der Zufall, das Schicksal noch seine Existenz können ihn schuldig machen, da die Vorstellung der Schuld für ihn in ihrem fraglichen Grund der Gottesbeziehung des Menschen versinkt. Die für sich selbst behauptete Wiederholung erlebt der junge Mann damit als Wiederholung seiner Unschuld. Die Spannung zwischen Schuld und Unschuld ist ihm nunmehr gleich einer Prüfung ein Zwischenzustand, der zeitlich gesehen aufgehoben werden muß (vgl. G, 179 / W, 81). Er hat sich zurückerhalten und ist, der Idee hörig, vorwärts ausgerichtet auf die Verwirklichung - wie er es versteht - seiner selbst. Dieses Verständnis der Freiheit, das für ihn im wiedererlangten schuldlosen Selbstverständnis besteht, gewinnt und bekräftet der junge Mann in seiner steten Auseinandersetzung mit Hiob. Diese Hiobinterpretation ist in sich allerdings inkonsequent und nicht einheitlich durchgeführt. Eine zunächst darauf angelegte Deutung, Hiob von seinem Bewußtsein, Gott gegenüber nichts zu vermögen, her zu verstehen, kippt schließlich um in eine Konzentration auf den Protest Hiobs, die zum Beleg für das bisher diskutierte Freiheitsverständnis des jungen Mannes wird. Konzentriert auf dessen Protest sieht der junge Mann das Große an Hiob darin, »daß die Leidenschaft der Freiheit bei ihm nicht erstickt und nicht zur Ruhe gebracht wird in einem verkehrten Ausdruck« (G, 176f. / W, 77). Unter einem »verkehrten Aus-
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
druck« ist dabei verstanden, daß ein Mensch annimmt, für die Schuld seiner Sünden zu leiden, obwohl er das nicht tut. Hier ist die Leidenschaft erstickt und der Seele dieses Menschen fehlt die Ausdauer, einen Gedanken durchzuführen, wenn die Welt ihm ununterbrochen entgegendenkt (vgl. G, 177 / W, 77). Hiob dagegen hält die Leidenschaft der Freiheit wach. Er protestiert gegen das Unrecht, das er erleidet und beugt sich nicht den Erklärungen seiner Freunde, die ihn dazu auffordern, sich als schuldig zu bekennen. »Hiob hält indes an seinem Standpunkt fest. Seine Behauptung ist wie ein Passierschein, mit dem er die Welt und die Menschen verläßt, sie ist eine Forderung, welche die Menschen abweisen, Hiob aber dennoch nicht für nichtig erklärt« (G, 178 / W, 79). Hiob lehnt sich auf gegen den Widerspruch des ganzen Daseins. Er wird zum Rebellen, der an seinem Recht festhält und aus diesem Bewußtsein seines Rechts die Kraft zur Selbstbehauptung auch in der Isolation nimmt. Der junge Mann verkürzt in dieser Interpretation das Recht-Behalten Hiobs darauf, daß Hiob es ablehnt, sich als schuldig zu verstehen. Konsequent zeichnet er Hiob als Rebellen auch gegen Gott. Gerade deswegen ist Hiob »in Richtung auf die Freiheit etwas Großes«, weil er ein Bewußtsein hat, »daß nicht einmal Gott ihm rauben kann, obwohl er es doch war, der es ihm gegeben hat« (G, 177 vgl. W, 78).45 Dem jungen Mann zufolge hält Hiob sowohl vor den Menschen als auch vor Gott an seiner Schuldlosigkeit fest. Er läßt sich in seinem Selbstvertrauen und seiner Selbstbejahung nicht brechen. So tritt er Gott als Freier gegenüber und fordert von Gott selbst die Erklärung seines Unglücks, die dieser ihm schuldet. In dieser Standhaftigkeit ist Hiobs Leiden potenziert. Zusätzlich zu seinem äußeren Leiden, zum Verlust von Hab und Gut, Familie und Gesundheit, tritt die Isolation gegenüber seiner gesamten Umwelt. So »gebiert« Hiob »unter großen Schmerzen« (vgl. G, 179 / W, 81) den höchsten Gegensatz zwischen sich selbst und Gott, der der Schuld an diesem Leiden angeklagt wird. Der junge Mann sieht es als Hiobs eigentliche Leistung an, diesen Gegensatz - und das bedeutet: die »Kategorie der Prüfung« (G, 179 / W, 81) - hervorgebracht zu haben. In dieser Reaktion des jungen Mannes ist zunächst der erste Weg aus der Diskrepanz der gleichzeitigen Erfahrung von Schuld und Unschuld aufgezeigt, der in der Verneinung der Schuld besteht. Auf diesem Weg ist die Erfahrung, nach Gott nur fragen zu können, in ihren
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Abweichungen von der Hirsch-Übersetzung erfolgen aus sprachlichen Gründen.
2.2. Äußerliches Verständnis - Freiheit gegen die Last der Schuld
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Konsequenzen ernst genommen. Unter dieser Voraussetzung zeigt sich die Vorstellung der Schuld als nicht mehr begründbar. Wiedererlangt wird durch diese Aufhebung der Schuldvorstellung der Zustand vor dem ersten Bewußtwerden eigener Verschuldung. Damit ist in dieser Wiederholung jedoch nicht das Bewußtsein eigener Unschuld erreicht. Das Bewußtsein der Unschuld nämlich setzt ein Bewußtsein darüber, was es heißt, schuldig zu sein, voraus. Wird die Rede von Schuld zum Verstummen gebracht, bedeutet das auch, daß eine bewußte Aneignung der Unschuld ausgeschlossen wird. Unschuld ist so vorausgesetzt als eine von sich selbst unbewußte Unschuld. Wird diese Unschuld sich ihrer selbst bewußt, steht sie bereits in der Frage nach Schuld. Die Wiederholung, die durch die Verneinung der Schuldvorstellung erlangt wird, wiederholt folglich nicht die Unschuld, aber die Schuldlosigkeit als den Zustand, in dem weder Schuld noch Unschuld bewußt reflektiert werden. Durch diese Wiederholung ist die Freiheit bestimmt in und als Schuldlosigkeit. Wesen dieser Schuldlosigkeit und ineins damit der Freiheit ist es, daß der Mensch sich als ganzer, in der Totalität seiner Existenz als positiv gestimmt bejaht. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß der Mensch akzeptiert, einzelne konkrete Vergehen begangen zu haben, aber seine Persönlichkeit als ganze ist nicht unter der Bestimmung der Schuld niedergedrückt. In der Freiheit der Schuldlosigkeit ist dem Menschen ein unmittelbarer Zugang zu sich selbst und zu seiner Umwelt bewahrt. Daß diese Freiheit wesentlich ästhetisch ist, ist Konsens unter Kierkegaards Pseudonymen. Die folgende Darstellung der ästhetischen Betrachtung der Schuld kann daher die Diskussion zum Schuldverständnis des jungen Mannes vertiefen.
2.2.2. Schuld - Ästhetisch abgelehnt In der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift referiert Climacus: Ästhetisch gesehen ist die Dialektik der Schuld die: das Individuum ist unschuldig, dann kommen Schuld und Unschuld als alterierende Bestimmungen des Lebens, bald wird das Individuum schuldig in diesem oder jenem, bald ist es unschuldig. Wäre dieses oder jenes nicht gewesen, so wäre das Individuum nicht schuldig geworden; unter anderen Umständen wäre derjenige; der nun als unschuldig angesehen wird, schuldig geworden (AE, SV3 10,209 / AUN, GW1 11,247).
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
Damit sind die Auffassung, daß Schuld ausschließlich in jeweils konkretem Vergehen besteht, sowie die Auffassung, daß es die inneren und äußeren Umstände sind, die dazu führen, ob ein Mensch schuldig wird oder nicht, als Ausdruck der ästhetischen Sichtweise einander zugeordnet. Beide Auffassungen sind dabei nicht unabhängig voneinander dargestellt, in dem Sinne, daß etwa die eine Auffassung auch ohne die andere angenommen werden könnte. Die Möglichkeit, daß ein Mensch die Schuld einer konkreten Tat auf sich nimmt, diese Schuld also nicht aus den Umständen erklärt und doch zugleich die Gesamtheit seiner Persönlichkeit nicht unter die Bestimmung der Schuld stellt, wird von Climacus nicht diskutiert. Grundlage dieses letztgenannten Selbstverständnisses ist die atheistische Vorstellung des auf sich selber gestellten Menschen. Der Unterschied dieses Selbstverständnisses zur ästhetischen Betrachtung der Schuld verdeutlicht, daß die atheistische Vorstellung des auf sich selbst gestellten Menschen nicht einfach dem ästhetischen Existenzverständnis subsumiert werden kann. Auch wenn das ästhetische Existenzverständnis dem religiösen Existenzverständnis alternativ gegenübersteht, ist es nicht von vornherein a-religiös. Noch am ehesten läßt sich das ästhetische Existenzverständnis als ein unbewußt-religiöses beschreiben. Dafür ist im folgenden zu argumentieren.46 46
Dieser Diskussion liegt die prinzipielle Frage nach dem Verhältnis des Ästhetischen und Religiösen in Kierkegaards Gesamtwerk zugrunde. Die diesbezüglich in der Kierkegaardforschung vorgeschlagenen Antworten lassen sich auf zwei grundsätzlich verschiedene Deutungsmodelle zurückführen. Zum einen ist in konsequenter Anwendung der Drei-Stadien-Theorie das ästhetische Stadium zu begreifen als jenes erste unmittelbare Stadium, das durch den Sprung in das ethische Stadium verlassen und überwunden wird. Das religóse Stadium dagegen wird wiederum erst durch einen erneuten Sprung aus dem ethischen Stadium heraus erreicht. Ästhetisches und religiöses Stadium sind so durch einen doppelten Bruch absolut voneinander unterschieden. Ein zweites Deutungsmodell läuft darauf hinaus, das religiöse Stadium als Wiederholung des ästhetischen Stadiums zu begreifen. (So zuletzt M. Bosch, Schicksal, 402£). Dieses Deutungsmodell geht davon aus, daß es die Unmittelbarkeit des Ästhetischen ist, die in der neuen Unmittelbarkeit des Religiösen in potenziertem Grade wieder aufgenommen wird. Mit der Unterscheidung von erster und zweiter Unmittelbarkeit ist dabei sowohl der absolute Unterschied als auch die grundliegende Übereinstimmung beider Stadien zum Ausdruck gebracht. Die obenstehend vorgenommene Interpretation des ästhetischen Stadiums als eines unbewußt religiösen Stadiums schließt sich so am ehesten dem zweiten Deutungsmodell an. Der Unterschied zwischen ästhetischem und religiösem Stadium wird hier darin gesehen, daß ersteres eine unbewußte Unmittelbarkeit zum Ausdruck bringt, während das explizit als religös angeführte Stadium eine bewußte Unmittelbarkeit bzw. eine Unmittelbarkeit des wachen Bewußtseins bedeutet. Sofern es die Unmittelbarkeit und damit der Zustand des Sich-Anvertrauens ist, der
2.2. Äußerliches Verständnis - Freiheit gegen die Last der Schuld
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Die Auffassungen, daß Schuld jeweils das konkrete Vergehen ist, sowie, daß Schuld sich aus den Umständen erklärt, stehen also - Climacus zufolge - in einem inneren Zusammenhang, welcher gerade im ästhetischen Zugang zur Schuld besteht. Das heißt, es ist die Konstitution des Individuums selbst, in der der Zusammenhang beider Auffassungen gewährleistet ist. Dabei liegt das »Ästhetische [...] darin, daß das Individuum in letzter Instanz undialektisch in sich selbst verbleibt« (.AE, SV3 10, 209 / AUN, GW1 11,247). Daß das in sich selbst undialektisch verbleibende Individuum die Schuld nicht auf sich nehmen kann, schließt in sich die Behauptung, daß die Bestimmung der Schuld selbst dialektisch zusammengesetzt ist. Denn erst weil es zwischen dem undialektisch verbliebenen Individuum und der als dialektisch aufgefaßten Bestimmung der Schuld keine Korrelation gibt, wird die Bestimmung der Schuld veräußerlicht und der einzelnen Tat bzw. den Umständen zugeordnet. Inwiefern die Schuld als in sich selbst dialektisch aufzufassen ist, wird besonders in Entweder/Oder I am Verhältnis der tragischen Schuld zum Schicksal aufgezeigt (vgl. EE1, 133-148 / EOI, 154-172).« Gegenstand des tragischen Dramas ist es, den Helden in seiner Bestimmung durch seine Vorzeit aufzuzeigen. Ein nicht gewußter Familienkonflikt läßt den tragischen Helden sich in sein Vergehen stürzen. Auch wenn die Tat des Vergehens dem Helden selbst angerechnet
als eigentliches Kennzeichen des Religiösen begriffen wird, ist schon das ästhetische Stadium als ein - wenn auch unbewußt - religiöses aufzufassen. Das Einende beider Stadien wird damit in der Unmittelbarkeit gesehen, während der Grad des Bewußtseins den absoluten Unterschied beider Stadien angibt. Die letzte Begründung für diesen Zusammenfall von absolutem Unterschied und gleichzeitiger innerer Übereinstimmung zwischen ästhetischem und religiösem Stadium kann dabei in dem unterschiedlichen Zeitverhältnis gesehen werden, das beiden Stadien zugrundeliegt. Während der Ästhetiker im einzelnen Moment lebt, und von Moment zu Moment eilend, seinem Leben keine Kontinuität verleiht, gibt der Religiöse seinem Leben gerade dadurch Kontinuität, daß er es von einem Moment, von einem ganzheitlichen Zusammenhang her, begreift. Eine derart schematische Bestimmung des Verhältnisses von Ästhetischem und Religiösem hat doch darin ihre Grenze, daß sie die Bedeutungsvielfalt besonders des Ästhetischen nicht einfängt. Zu unterscheiden ist in Kierkegaards Begriff des Ästhetischen besonders die Figur des Ästhetikers A in Entweder/Oder als Verkörperung eines ästhetischen, am Genuß orientierten Lebensstiles, und der Bestimmung des Ästhetischen als einer »anthropologischen Strukturbestimmung« (H. Fahrenbach, Ethik, 61). Letztere Bedeutung des Ästhetischen ist es, die obenstehender Analyse zugrundeliegt. Ausführlicher zur Bedeutungsvielfalt des Ästhetischen in Kierkegaards Gesamtwerk vgl. H. Deuser, Kierkegaard, 58-70. 47
Vgl. H. Schulz, Identität, 155-162.
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
wird, so ist dieses nur zum Teil gerechtfertigt. Denn auch, wenn der Held es war, der den Mut zur Tat besaß, so ist es der ererbte Familienkonflikt, der ihn gar nicht anders handeln ließ. Tat und Schuld sind daher dem Helden nur bedingt zuzurechnen, selbst wenn dieser jene für sich in Anspruch nimmt. Die Schuld des tragischen Helden ist angelegt als Erbschuld, für welche gilt: »Erbschuld aber enthält in sich diesen Selbstwiderspruch, Schuld zu sein und doch nicht Schuld zu sein« (EE1, 139 / EOI, 161). Somit ist am Beispiel der tragischen Schuld die dialektische Bestimmung der Schuld in ästhetischer Betrachtung erfaßt. Die ästhetische Betrachtung der Schuld nimmt darin zu Recht wahr, daß die Gesamtheit des Schuldzusammenhanges nicht aus dem Individuum allein erklärt werden kann. Daher ist auch der Aufruhr des jungen Mannes gegen die Auslieferung an die Liebe, an seine Begabung, an die Existenz kein Scheingefecht, sondern benennt die Bedingungen, von denen sein Verhalten bestimmt ist.48 Der Mangel des ästhetischen Schuldverständnisses besteht daher nicht darin, daß in ihm die Schuld nicht aus dem Individuum allein erklärt wird, sondern darin, daß das undialektisch verbliebene Individuum sich der Schuld nicht als seiner eigenen bewußt wird. Dieser unterschiedliche Zugang zur Schuldest in beiden Teilen von Entweder/Oder beschrieben als »Sorge« bzw. »Schmerz«. Als trauernde Empfindungen werden »Sorge« und »Schmerz« dadurch voneinander unterschieden, daß sie auf unterschiedliche Objekte gerichtet werden (vgl. EE1, 137f. / EOI, 158f.). Die »Sorge« ist gezeichnet als Sorge über etwas, wobei die Sorge, die das Individuum über sich selbst empfindet, genauer eingegrenzt wird als »Schmerz«. Auch der »Schmerz« ist daher eine »Sorge«, so wie schon die »Sorge« die Möglichkeit in sich birgt, »Schmerz« zu sein. Daß »Sorge« und »Schmerz« dennoch voneinander zu unterscheiden sind, ist dadurch bedingt, daß im Übergang von der Sorge in den Schmerz der Richtungssinn der Empfindung verkehrt wird. Ist die Sorge nach außen und gegen die Umstände gerichtet, so ist erst der Schmerz nach innen gegen das Individuum selbst gerichtet. Solange das Individuum in der Sorge bleibt, das heißt, solange es die Sorge nicht gegen sich selbst richtet, verbleibt es ästhetisch. Die
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Daß es hier unterlassen wird, diese dem jungen Mann gegebenen Bedingungen entweder als dessen (zufälliges) Schicksal oder als dessen Überantwortung an die Vorsehung Gottes auszulegen, beruht darauf, daß in der unbewußten Religiosität des Ästhetischen auf den Unterschied zwischen Vorsehung und Schicksal nicht reflektiert wird.
2.2. Äußerliches Verständnis - Freiheit gegen die Last der Schuld
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ästhetisch begründete Sorge gewinnt ihre Tiefe dabei aus der Zweideutigkeit der Schuld (vgl. EE1, 137 / EOI, 159). In dieser Sorge wird das Individuum seiner Verankerung in einen Zusammenhang gewahr, in dem es zwanghaft schuldig werden muß. Die ästhetische Sorge über das Vergehen sorgt daher nicht eigentlich über die Schuld, sondern über die unglücklichen Umstände (vgl. EE2, 218 / E 0 2 , 250). Als Sorge aber bereitet der ästhetische Umgang mit der Schuld den Schmerz als Sorge über sich selbst schon vor. Im ästhetischen Umgang mit der Schuld ist bereits die Sorge als Form des Umgangs gefunden - nur ist der eigentliche Gegenstand der Sorge noch unentdeckt und daher auch die Schuld wesentlich unverstanden. Die Sorge aber empfindet bereits die Unausweichlichkeit der Schuld und deckt darin die totale Bestimmung des Individuums durch die Schuld auf. Wird dem Individuum seine totale Bestimmung durch die Schuld bewußt, kehrt sich die Sorge über die Umstände um in die Sorge über sich selbst. In dieser Änderung des Selbstverhältnisses ist der Schmerz kein ästhetischer Ausdruck mehr, sondern wird in Entweder/Oder I als Ausdruck des Ethischen angeführt (vgl. EE1, 137 / EOI, 159). Der ästhetische Zugang zur Schuld, in dem jeweils das einzelne konkrete Vergehen als Schuld verstanden und aus den Umständen erklärt wird, bereitet so die Erkenntnis der Schuld als totaler Bestimmung der Existenz vor. Während das Bewußtsein um die Totalität der Schuld in Entweder/Oder I noch durch den Begriff des Ethischen erfaßt ist, wird in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift das Bewußtsein um die Totalität der Schuldbestimmung zum Kennzeichen des religiösen Selbstverständnisses. Wird in Entweder/Oder I einsichtig, daß die ästhetische Sorge durch das Aufdecken der Totalität der Schuld den ethischen Schmerz vorbereitet, so demonstriert Climacus in der Nachschrift, wie das ästhetische Verständnis der Schuld, in dem die Schuld ausschließlich im jeweils einzelnen Vergehen gesehen wird, die Totalität der Schuld bereits aufdeckt. Seine Argumentation ist diese: Wer wesentlich unschuldig ist, kann nie darauf verfallen, Schuld von sich abzuwälzen; denn der Unschuldige hat gar nichts mit der Bestimmung Schuld zu tun. Wenn daher einer die Schuld in einem einzelnen Falle von sich abwälzt, und meint, er sei ohne Schuld, macht er in demselben Augenblick eine Konzession, daß er überhaupt einer ist, der wesentlich schuldig ist, nur ist er möglicherweise in diesem Einzelnen nicht schuldig (AE, SV3 10,202 / AUN, GW1 11,238).
Aufgezeigt ist in diesem Argument des Climacus, daß derjenige, der sich im Einzelfalle unschuldig - oder schuldig - spricht, bereits voraus-
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
setzt, daß er überhaupt wesentlich schuldig sein kann. Wäre er dagegen wesentlich unschuldig, ein schieres Opfer von Zufall und Schicksal, könnte er auch im Einzelfall nicht schuldig sein. Die Rede von einzelner Schuld oder Unschuld setzt so die Totalität der Schuld, die gewährleistet, daß ein Mensch im konkreten Fall schuldig oder unschuldig sein kann, immer schon voraus. Daß das ästhetische Verständnis der Schuld überhaupt beibehalten werden kann, daß es überhaupt möglich ist, seine Schuld auf den Einzelfall zu begrenzen, muß folglich darauf beruhen, daß das Individuum, das seine Schuld ästhetisch versteht, sich die Grundlage und Voraussetzung dieser Schuldauffassung nicht bewußt macht. Bereits dem ästhetischen Schuldverständnis liegt - unbewußt - das in der Nachschrift als Ausdruck des Religiösen angeführte totale Schuldverständnis zugrunde. Und so ist - zumindest für die Terminologie der Nachschrift - das ästhetische Schuldbewußtsein nachgewiesen als ein unbewußt religiöses. Diese Einsicht, daß das ästhetische Schuldverständnis im Grunde ein unbewußt religiöses ist, läßt sich auch zurückführen auf die Darstellung der Schuldbewältigung des jungen Mannes in der Wiederholungsschrift. Dabei wird am Beispiel des jungen Mannes illustriert, inwiefern dieses Unbewußt-Lassen der religiösen Voraussetzungen auch bewußt gewählt werden kann. Der junge Mann, der eingesehen hat, daß die gesamte Existenz des Menschen nur dann unter der Bestimmung der Schuld verstanden werden kann, wenn der Mensch im Verhältnis zu Gott begriffen wird, spricht sich bewußt die Fähigkeit ab, Klarheit über dieses Gottesverhältnis zu gewinnen. So hat er gewählt, sich der religiösen Voraussetzungen seines Selbstverständnisses nicht zu vergewissern. Bewußt aber kann er die Vorstellung der Schuld als Totalitätsbestimmung der Existenz nur ablehnen, weil er das zugrundeliegende Gottesverhältnis als ein ihm unzugängliches anerkennt. Daß eben dieses Bewußtsein der eigenen Unklarheit die Voraussetzung dafür ist, daß der junge Mann sich die Wiederholung und darin die Freiheit der Schuldlosigkeit zuspricht, benennt auch Constantin in seiner Analyse: »Für den jungen Mann ist es eben als Dichter bezeichnend, daß er niemals so recht darüber ins Klare kommen kann, was er getan hat, eben weil er es in dem Äußerlichen und Sichtbaren sowohl sehen wie nicht sehen will, oder es in dem Äußerlichen und Sichtbaren sehen, und daher es sowohl sehen wie nicht sehen will« (G, 193 / W, 96). Unter dieser Voraussetzung gründet die dadurch erlangte Freiheit in der Unklarheit des eigenen Selbstverständnisses, in der zwar darum gewußt wird, daß der Mensch an sich selbst ausgeliefert ist, in der
2.3. Innerliches Verständnis - Handelnde Freiheit
63
jedoch dieses Wissen nicht ergriffen werden kann. Es fehlt das Vermögen, dieses Wissen um das eigene Ausgeliefert-Sein in einer Gewißheit zu verankern, und so gründet das Individuum, der junge Mann, seine Gewißheit stattdessen in dem, was ihm außerhalb seiner selbst begegnet. Die Freiheit, die er dadurch erlangt, ist somit nur um den Preis seiner Abhängigkreit von dem ihm Äußerlichen zu erlangen. Da das eigene Ausgeliefertsein hierbei nur noch außen projeziert, jedoch nicht innerlich vergewissert wird, ist die so gewonnene Freiheit trotz ihrer Abhängigkeit vom Äußeren zugleich doch ohne Halt. Wird Constantins Bemerkung zum jungen Mann so verstanden, wird auch einsichtig, warum Constantin dem jungen Mann einen eigentlichen Vollzug der die Freiheit bedeutenden Wiederholung abspricht.49 Zu diskutieren bleibt Constantins Alternative.
2.3. Innerliches Verständnis der Wiederholung - Handelnde
Freiheit
2.3.1. Constantins Kommentar zum jungen Mann Constantins alternative Deutung der Wiederholung hat eine grundlegende Schwierigkeit: Er spricht nicht über sich, sondern über einen anderen. Rechenschaft darüber, worin seine Befugnis zu einem solchen Urteil besteht, gibt Constantin dagegen nicht. Einzig die selbstsichere Schilderung seiner Beobachtungsgabe verteidigt den Anspruch der Angemessenheit seines Urteils: Derart bin ich nun einmal gebaut, im ersten Schauer der Ahnung hat meine Seele im selben Nu alle Konsequenzen durchlaufen, die oft einer langen Zeit bedürfen, um in der Wirklichkeit sichtbar zu werden. D i e Konzentration der Ahnung vergißt man nie. Derart muß indes, meine ich, ein Beobachter gebaut sein; ist er aber derart gebaut, so wird er auch viel leiden. Der erste Moment muß ihn so überwältigen, daß ihm nahezu schwindelt; aber in diesem Erblassen hat die Idee ihn geschwängert, und von nun an ist er im aufdeckenden Rapport zur Wirklichkeit. Wenn ein Mensch nicht diese weibliche Art hat, daß die Idee ins rechte Verhältnis zu ihm kommen kann, welches stets
49
Eine gegenteilige Auslegung, die statt Constantins Kritik die Meinung des jungen Mannes gelten läßt, findet sich bei W. Greve, Ethik, 150-159. Als Argument dafür, daß dem jungen Mann der Vollzug der Wiederholung zugesprochen werden kann, wird hier angeführt, daß dieser durch seine Bestätigung als Ausnahme die von ihm angestrebte ethische Wiederholung erlangte. Auf Kierkegaards Unterscheidung zwischen berechtigter und unberechtigter Ausnahme geht W. Greve allerdings nicht ein.
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
dies ist, daß sie ihn beschläft, so taugt er nicht zum Beobachten, denn wer nicht das Totale entdeckt, der entdeckt eigentlich gar nichts (G, 128£ vgl. W, 19).so
In dieser Beschreibung der gelingenden Beobachtung ist die selbe Struktur von ganzheitlicher Antizipation und nachfolgender Entfaltung aufgenommen, die Constantin als Wesen der Wiederholung beschreibt. Constantins Beobachtung ist so - zumindest der Struktur nach - eine Wiederholung dessen, was im ersten Moment der Ahnung vorweggenommen wurde. Auch geschieht dieses vorwegnehmende ganzheitliche Erfassen des zu beobachtenden Geschehens nicht aus eigenem Ermessen, sondern bedeutet ein weitgehendes Ausgeliefertsein des Beobachters an die Idee. Erst das Vermögen, sich selbst auszuliefern, umschrieben als »weibliche Art«, qualifiziert zum Beobachter. 51 Insofern macht Constantin in seiner Eigenschaft als Beobachter gerade solche Erfahrungen, die dem Vollzug der Wiederholung wesentlich zugehören. In bezug auf seine eigene Person dagegen gesteht Constantin ein, sich nicht selbst überschreiten und so auch nicht die Bewegung der Wiederholung vollziehen zu können (vgl. G, 161 / W, 59). Inwiefern ihm dennoch Einsicht in das von ihm beschriebene Phänomen zugemessen werden kann, bleibt zu erwägen. Ausgegangen wird dabei von der Selbsteinschätzung Constantins, die sich im Sendschreiben an Herrn Prof. Heiberg findet (vgl. Pap. IV Β 118, 301). Hier beschreibt Constantin die verschiedenen Stadien innerhalb der Entwicklung der Freiheit und stuft sich selbst auf der Grenze zur höchsten Stufe der Freiheit ein. Auf dieser Stufe, wo die Freiheit im Verhältnis zu sich selbst bestimmt wird, fürchtet sie nicht mehr die Wiederholung, sondern die Abwechslung, die sie zuvor gesucht hatte (vgl. Pap. IV Β 117,282). Da jedoch sowohl die äußeren als auch die inneren Ereignisse des individuellen Lebens in ständiger Abwechslung vor sich gehen, kann die Er-
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Abweichungen von der Hirsch-Übersetzung erfolgen aus sprachlichen Gründen. Constantin beschreibt verschiedene Grade der Auslieferung an die Idee. In dem Zusammenhang, wo Constantin verteidigt, daß sich seine Darstellung des Konfliktes des jungen Mannes nicht an Äußerlichkeiten aufhält, heißt es: »Ich ziehe mit Lessing die Wollüste der Empfängnis den Beschwerlichkeiten der Geburt vor« (G, 124 / W, 13). E. Hirsch weist in seinem Kommentar zu dieser Stelle auf Lessings Vorrede zu seinen Fabeln und Abhandlungen über die Fabel 1759 hin. »So lange der Virtuose Anschläge fasset, Ideen sammlet, wählet, ordnet, in Pläne verteilet: so lange genießet er die sich selbst belohnenden Wollüste der Empfängnis« (W, 151 Anm. 20). Bezogen auf dieses Lessing-Zitat beschreibt Constantin folglich keine reine Auslieferung an die Idee, sondern zeichnet ein Zusammenspiel von eigenem Hervorbringen und empfangender Inspiration.
2.3. Innerliches Verständnis - Handelnde Freiheit
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fahrung der Abwechslung nur vermieden werden, wenn den Ereignissen entweder mit gleichbleibender Apathie begegnet wird oder sie in ihrer Gesamtheit einem einzigen Ziel untergeordnet werden. Constantin bekennt sich zur ersten Lösung, die dem Lebensentwurf der stoischen Philosophie entspricht:52 »ich bin nämlich eigentlich Stoiker, das ist die höchste Form von b, die an c angrenzt.53 So klug bin ich, daß ich auf eine Weise das Problem [der Wiederholung] verstanden habe, darum kann ein Teil des ersten [Buchteiles] wahr sein, aber ich habe nicht verstanden, daß es religiös ist, das sehe ich dann, aber erkläre, daß ich es nicht kann« {Pap. IV Β 118,301).5·* Daß Constantin die eigentliche Wiederholung nicht vollziehen kann, ist damit zurückgeführt auf den stoischen Ansatz seines Lebensvollzuges. »Soweit nun dieses Wollen der Wiederholung Stoizismus ist, da widerspricht es sich selbst und endet darum damit, sich selbst zu vernichten, denn auf diese Weise die Wiederholung zu behaupten, ist das gleiche, wie ein Ding wegzuwerfen, um es besonders sicher zu verstecken« (Pap. IV Β 117, 282). Es ist die vom Stoizismus angestrebte Interesselosigkeit, die die eigentliche Wiederholung verhindert. Die Wiederholung als Interesse der Freiheit dagegen ist nur zu verwirklichen durch Interesse am eigenen Lebensvollzug. Soll dieses Interesse abwechslungslos sein, muß es sich auf die Gesamtheit des eigenen Lebens beziehen. Die Aufgabe, das Leben unter ein einziges Interesse zu stellen, erfordert ein totales Verstehen der eigenen Existenz, welches Constantin nur dann als möglich annimmt, wenn es von einem Punkt außerhalb der eigenen Existenz erfolgt.55 Darum gilt: »Wenn [...] der Stoizismus zur Seite getreten ist, da bleibt nur die religiöse Bewegung zurück als der wahre Ausdruck der Wiederholung« (Pap. IV Β 117, 282). Constantin argumentiert hier dafür, daß seine Einsicht in das Wesen der Wiederholung aus eigener Erfahrung erwächst. Seine Erfahrung ist negativ und beruht in der Erkenntnis, die Wiederholung nicht vollziehen zu können. Doch aus der Einsicht,
52 53
54 55
Vgl. G. Malantschuk, Individ, S. 58. Mit b) und c) sind hier Entwicklungsstufen der Freiheit bezeichnet, b) steht für das Stadium, in dem die Freiheit sich als Klugheit äußert, c) ist das Stadium, in dem die Freiheit bestimmt ist im Verhältnis zu sich selbst (vgl. Pap. IV Β 117,281). Vgl. auch Pap. IV Β 117,283. Dieser Standpunkt Constantins allerdings ist fraglich. Abgelehnt wird er von M. Theunissen: »Wer jedoch so denkt, unterschätzt die Macht des Menschen. Daß der Mensch unfähig sei, das Ganze seines Daseins vor sich zu bringen, weil er sich nicht seiner Stellung innerhalb des Ganzen entäußern könne, ist nur scheinbar plausibel« (Vgl. M. Theunissen, Gebetsglaube, 352).
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
daß die Wiederholung als religiöse Bewegung das Interesse an der Existenz voraussetzt, erwächst sein Urteil über den jungen Mann: Hätte er einen tieferen religiösen Hintergrund besessen, so wäre er nicht Dichter geworden. Alsdann hätte alles religiöse Bedeutung empfangen, [...] er hätte alsdann mit einer ganz andern eisernen Konsequenz und Unerschütterlichkeit gehandelt, er hätte alsdann eine Bewußtseinstatsache gewonnen, an die er sich hätte halten können, und die ihm niemals zweideutig geworden wäre, sondern reiner Ernst, weil sie von ihm selbst gesetzt worden wäre in Kraft eines Gottesverhältnisses (G, 193 vgl. W, 96).56
In diesem Passus diskutiert Constantin, worin der junge Mann nicht nur eine sich selbst eingebildete, sondern die tatsächliche Wiederholung seiner Persönlichkeit hätte vollziehen können. Nach Gott nicht nur zu fragen, sondern sich selbst unbedingt aus dem eigenen Gottesverhältnis heraus zu verstehen, ist hier angeführt als das >Verstehen des TotalenHandeln< bedeutet, heranzuziehen. Constantin schreibt: »Er würde alsdann mit religiösem Furcht und Zittern, aber auch mit Glaube und Vertrauen verstehen, was er von Anbeginn an getan, und was er, in Folge davon, verpflichtet sei, fürderhin zu tun, sollte diese Verpflichtung gleich das Absonderliche veranlassen« (G, 193 / W, 96). Konsequent ist dieses Tun darin, daß im Verständnis früheren Tuns die weiteren Vorhaben bereits vorgegeben sind. Ob es nun doch die Ehe oder etwas weit Absonderlicheres ist, in dem die Wiederholung zum Ausdruck käme, bleibt unausgesprochen. Schon die Unterscheidung in der Wortwahl zwischen >handeln< (handle) und >tun< (gj0re) weist jedoch darauf hin, daß das konsequente Handeln nicht auf einen verpflichtenden Tatzusammenhang zu reduzieren ist. Das Verständnis des >Handelns< erschließt sich dagegen von der Bedingung her, die Constantin dafür anführt: es ist die tiefere Religiosität, die das Handeln zu einem Ereignis werden läßt, das sich wesentlich von äußerem Tun unterscheidet.
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Die Abweichung von der Übersetzung E. Hirschs erfolgt aus sprachlichen Gründen.
2.3. Innerliches Verständnis - Handelnde Freiheit
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2.3.2. Aneignung der Schuld als handelnde Freiheit Dieser Unterschied zwischen >Tun< und >Handeln< wird von Climacus in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift weiter ausgeführt. Auch Climacus versteht erst das Geschehen, in dem die eigene Existenz umgebildet wird, als eigentliches, religiös begründetes Handeln (vgl. AE, SV3 10, 121 / AUN, GW1 11, 140). Dieser Gedanke wirkt vertraut. War es doch die Botschaft der praxisorientierten Aufklärung, daß der Mensch sich durch und in seinem Handeln hervorbringt, daß er sich handelnd selber versteht. Diesen Ansatz nimmt auch Climacus auf, doch interpretiert er ihn selbständig. Was es bedeutet zu handeln, ist für ihn abhängig davon, was unter »Umbildung der Existenz« zu verstehen ist. Dieses Kriterium läßt ihn zwischen »Handeln im Äußeren« (AE, SV3 10, 121 / AUN, GW1 11, 140) und »Handeln im Innern« {AE, SV3 10,121 / AUN, GW1 11,141) unterscheiden: Handeln im Äußeren bildet wohl die Existenz um (wie wenn ein Kaiser die ganze Welt erobert und die Völker zu Sklaven macht), aber nicht die eigene des Individuums; und Handeln im Äußeren bildet wohl die Existenz des Individuums um (wie wenn einer aus einem Leutnant ein Kaiser wird, aus einem Schacherjuden ein Millionär oder was so in jemandes Los fallen mag), aber nicht die innere Existenz des Individuums (AE, SV3 10,121 / AUN, GW1 11,140).
Das Problem des Handelns im Äußeren liegt darin, daß in diesem Handeln das Individuum zwar die Welt, nicht jedoch sich selbst verändert (vgl. AE, SV3 10,121 / AUN, GW1 11,140). Soll die eigene Existenz umgebildet werden, ist ein Handeln im Inneren erforderlich. Worin dieses innere Handeln besteht, beschreibt Climacus in zwei unterschiedlichen Ansätzen. Zum einen wird das Handeln dargestellt als »Entwicklung der Subjektivität« (AE, SV3 9,141 /AUN, GW110,160), zum anderen als Ausdruck des »existentiellen Pathos« (AE, SV3 10, 121 / AUN, GW1 11, 141), in dem die Entwicklung nurmehr erlitten werden kann. Die Frage, welches dieser Handlungsverständnisse das Handeln zum Ausdruck bringt, das in der Wiederholungsschrift als Realisierung der eigentlichen Wiederholung angeführt wird, veranschaulicht dabei, von welcher Doppeldeutigkeit der Begriff der Wiederholung geprägt ist. Denn zum einen ist die Wiederholung zu verstehen als ein Prozeß, der immanent im Individuum selbst zu vollziehen ist, zum anderen gilt die Wiederholung als das Ereignis, das nur möglich ist, wenn das Individuum seine Grenzen überschreitet und sich einläßt auf eine Wirklichkeit, die nicht die eigene ist. Mit der ebenge-
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
nannten Unterscheidung zwischen Entwicklung der Subjektivität und existentiellem Pathos< läßt sich dabei sowohl dem immanenten als auch dem transzendenten Wiederholungsverständnis eine entsprechende Auffassung des Handelns zuweisen. Beide Handlungsverständnisse sind zunächst je für sich darzustellen, um daran anschließend mit der Frage nach deren Verhältnis zueinander eine genauere Analyse zur Doppeldeutigkeit der Wiederholung aufzunehmen. 2.3.2.1. Handeln als Entwicklung der Subjektivität Im ersten Zusammenhang wird - unter der Voraussetzung, daß das Individuum sich mit dem Gedachten identifiziert - das innere Handeln aufgezeigt als denkender Entwurf des Handelns. Damit ist zweierlei gesagt: Zum einen wird das Handeln nicht reduziert auf das die Handlung nur vorstellende Denken. Auch das so vollkommen wie möglich Ausgedachte ist keine Handlung, wenn sich das Individuum nicht mit diesem Gedachten identifiziert. Andererseits wird das Gedachte nicht erst durch die Ausführung zur Handlung.57 Entscheidend dafür, daß die Handlung wirklich ist, ist allein die Interessiertheit, das Engagement dafür, im Gedachten zu existieren (vgl. AE, SV3 10, 43 / AUN, GW1 11,44). Zwar ist diese Interessiertheit darauf ausgerichtet, das Gedachte äußerlich realisieren zu wollen, doch stehen die äußeren Bedingungen des Handelns nicht unter der Macht dieses Interesses. Daher ist, selbst wenn ein Vorhaben sich nicht realisieren läßt, das Engagement dafür bereits die Handlung selbst. Gute Vorsätze und dergleichen dagegen sind keine Handlung, diese liegt erst im leidenschaftlichen Beschluß, das Gedachte existieren zu wollen (vgl. AE, SV3 10, 43 / AUN, GW1 11, 44). Da der Beschluß, das Gedachte existieren zu wollen, den Entwurf des Gedachten voraussetzt, be57
Daß bereits die Identifikation mit dem Gedachten als Handeln verstanden werden kann, auch wenn dieses Gedachte nicht ausgeführt wird, demonstriert Climacus am Beispiel des Leviten im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (vgl. AE, SV3 10, 42t / AUN, GW1 11, 43£): Der Levit, der am Hilfsbedürftigen vorbeiritt, hat nicht gehandelt. Der Gedanke daran, Gutes zu tun, wurde angesichts der damit verbundenen Schwierigkeiten zunichte. Was aber würde es bedeuten, wenn sich der Levit besänne? Wenn er eilend zurückritte, nun weder die Räuber noch die Schwierigkeiten fürchtend, sondern einzig und allein fürchtend, zu spät zu Hilfe zu kommen? Wenn er da zu spät käme, weil der barmherzige Samariter ihm zuvor gekommen wäre, hätte der Levit da nicht gehandelt? »Ganz gewiß hätte er gehandelt, und doch kam er nicht dazu, im Äußeren zu handeln« (AE, SV3 10,43 / AUN, GW111, 44). Zur Aufwertung eines innerlichen Handlungsverständnisses vgl. z.B. J. Disse, Phänomenologie, 13; sowie V. Guarda, Wiederholung, 62.
2.3. Innerliches Verständnis - Handelnde Freiheit
69
zeichnet die spezifische Auffassung des Handelns das Zusammenspiel von entwerfendem Denken, Wollen und Beschluß.58 Im Handeln selbst ist so die Einheit von Denken und Handeln gestiftet, in der »der Mensch handelnd in seinem Denken über seine eigene Existenz sich selbst durcharbeitet; daß er also wirklich das Gedachte denkt, indem er es verwirklicht« (AE, SV3 9,1411 AUN, GW1 10,160). Um sich mit einem denkend hervorgebrachten Entwurf seiner selbst identifizieren zu können, ist das Individuum nicht darauf angewiesen, sich von seinem Verhältnis zu Gott her zu begreifen. Das Handeln, das als Einheit von Denken und Handeln bestimmt wurde, ist insofern ein immanentes Geschehen, als das Individuum aus sich selbst heraus dieses Handeln vollziehen kann. Die Identifikation mit einem gedachten Entwurf ist somit eine innerlich vollzogene Umbildung der eigenen Existenz. D.h. nicht die äußeren Umstände, sondern die innere Einstellung diesen Umständen gegenüber wird geändert. Noch zu unterscheiden von diesem Handlungsverständnis aber ist die Umbildung der inneren Existenz, die das Individuum nicht mehr aus sich selbst heraus vollziehen kann, sondern nur geschehen lassen kann. 2.3.2.2. Handeln als Leiden In seinem zweiten Ansatz (vgl. AE, SV3 10, 121f. / AUN, GW1 11, 140f.) versteht Climacus das Handeln nicht mehr als einen Prozeß, der vom Individuum voraussetzungslos begonnen werden kann. Um etwas verändern zu können, sei es nun die Welt oder die eigene Existenz, muß zuvor dieses Zu-Verändernde eine Angriffsstelle bieten, eine Bruchstelle haben, von der aus die Veränderung ansetzen kann. So jedenfalls läßt sich Climacus verstehen, wenn er schreibt: Das nicht dialektisch gemachte Individuum verändert die Welt, bleibt aber selbst unverändert; denn das ästhetische Individuum hat niemals das Dialektische in sich, sondern immer nur außer sich, oder das Individuum verändert sich im Äußeren, bleibt aber selbst, innerlich, unverändert (AE, SV3 10,121 / AUN, GW1 11,140).
58
Vgl. dagegen K. Schäfer, Ontologie, 74-76. Κ. Schäfer, der von der traditionellen Gegensätzlichkeit von Denken und Willen ausgeht, stellt dementsprechend die Übereinstimmung von Wollen und Handeln sowie die absolute Unterscheidung von Denken und Handeln gegenüber. So schreibt er einerseits: »Wer handelt, der will etwas, und das heißt, es geht ihm darum, daß dies Etwas existiert; Wille ist Interesse am Sein von Etwas. [...] Deshalb ist das Handeln immer etwas Neues, das es noch nicht gab, selbst wenn es nicht zur Entstehung neuer Seiender führt, sondern eine andere Haltung zu etwas Bestehendem bewirkt« (S. 741) Und andererseits konstatiert er: »Denken und Handeln schließen einander aus« (S. 75).
70
2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
Das »Dialektische« kann hier als die Bruchstelle verstanden werden, von der aus die Veränderung ansetzen kann. Ein inneres Handeln setzt damit voraus, daß das Individuum in sich selbst dialektisch ist. Wie jedoch soll das Individuum sich innerlich verändern, im Inneren handeln, wenn es gerade diese >Bruchstelle< nicht hat? Climacus hält fest »denn sich selbst umzuschöpfen, vermag das Individuum nicht, das wird genauso wie sich selbst Schöpferei zu schöpfen und deshalb ist das Leiden das höchste Handeln im Innern« (AE, SV3 10,121 vgl. AUN, GW1 11, 141).59 Climacus lehnt hier ab, daß das Individuum, das nicht in sich dialektisch ist, von sich aus seine innere Existenz umbilden kann. Die Umbildung muß also damit einsetzen, daß das Individuum in sich selbst dialektisch wird. Gerade diese Veränderung aber kann das Individuum nicht von sich aus vollziehen. Es ist angewiesen darauf, daß es diese Umbildung erfährt und so ist das als Umbildung der inneren Existenz verstandene Handeln aufgewiesen als ein zu erleidendes Geschehen. Um nachzuvollziehen, was Climacus unter »höchstem Handeln« versteht, ist daher ausführlicher darauf einzugehen, worin das Individuum in sich selbst dialektisch wird und in welchem Sinn »Leiden« zum höchsten Handeln ernannt wird. Dabei ist es die Absicht der folgenden Darstellung, den Zusammenhang beider Themen zu erschließen, d.h. aufzuzeigen, daß und wie das in sich dialektisch gewordene Individuum im Leiden steht.60
59
60
Vgl. den dän. Text: »thi at skabe sig selv om formaaer Individet ikke, det bliver ligesom at skabe sig skaberi« (AE, SV3 10, 121). H. M. Junghans übersetzt: »Denn sich selbst umzuproduzieren vermag das Individuum nicht, das wird ebenso wie das Sich-Produzieren Produziererei« (AUN, GW1 11,141). In dieser Übersetzung geht das in den Wörtern »at skabe sig« und »Skaberi« verborgene Wortspiel verloren. H. M. Junghans weist allerdings in einer Anmerkung (vgl. AUN, GW1 11, 375, Anm. 388) darauf hin. Das Wortspiel ist folgendes: »at skabe« als transitives Verb bedeutet »schöpfen, erschaffen, ins Leben rufen«, während »at skabe« als reflexives Verb »sich affig benehmen, affektiert sein, Theater spielen, sich anstellen, sich zieren, Geschichten machen« bedeutet. Die substantivierte Form »Skaberi« bedeutet »Gehabe, affiges,affektiertes Benehmen,Getue, (das reinste) Theater«, (vgl. Dansktysk, 838£). In der zitierten Textstelle hat das Wort »Skaberi« darüberhinaus den doppelten Klang von »Schöpfung« und »Gehabe«. Diese Verbindung signalisiert Climacus schon in der Überschrift des Paragraphen, in dem er den »wesentlichen Ausdruck des existentiellen Pathos« - das Leiden entfaltet: »Die Wirklichkeit des Leidens im letzten Verhältnis als Kennzeichen davon, daß ein Existierender sich zu einer ewigen Seligkeit verhält« (AE, SV3 10, 6 vgl. AUN, GW1 11, VI; wo »forhold« als »Bezug« übersetzt wurde. Im Paragraphen selbst aber wird »Leiden« als »Verhältnis« beschrieben, und so ist auch in dieser Überschrift »Leiden« als »Verhältnis« einzuführen.).
2.3. Innerliches Verständnis - Handelnde Freiheit
71
Zunächst zum Verständnis des »Leidens«: Wenn Climacus das höchste Handeln im Innern als Leiden bezeichnet, so versteht er »Leiden« in erster Hinsicht als das Erleiden der Umbildung der eigenen Existenz. Ob das Individuum jedoch zwangsläufig einer Veränderung der eigenen Existenz ausgesetzt ist und diese damit rein passiv erleidet, oder ob es dieses Leiden nur erfährt, wenn es sich diesem öffnet, wenn es dem Leiden nicht nur ausgesetzt ist, sondern es auch zuläßt und erst durch dieses Über-sich-ergehen-L&ssen die Veränderung erfährt, ist damit noch nicht gesagt. Da das Verständnis des Leidens auch die Dimension der Ent-Täuschung und des Schmerzes in sich birgt, bleibt ebenfalls zu fragen, inwiefern Climacus die Veränderung der inneren Existenz ineins denkt mit seelischer und/oder physischer Leiderfahrung. Entscheidend ist hier, daß Climacus »Leiden« als wesentlichen Ausdruck des religiösen Bewußtseins versteht (vgl. AE, SV3 10,130f. / AUN, GW1 11,151f). Damit ist das Leiden kein zufälliges Ereignis als solches wäre es ästhetisch verstanden (vgl. AE, SV3 10,133 / AUN, GW1 11, 153). Sondern »religiös gesehen sind alle Menschen leidend und es kommt gerade darauf an, in das Leiden hineinzukommen (nicht dadurch, daß man sich darein stürzt, sondern daß man entdeckt, daß man darin ist)« (AE, SV3 10, 124 / AUN, GW1 11, 144). Dieses Leiden zu entdecken bedeutet, bewußt darauf zu reflektieren (vgl. AE, SV3 10, 130 / AUN, GW1 11, 151), daß man gesetzt ist im Verhältnis zu der Macht, die einen selbst gesetzt hat.61 So ist das »Leiden [...] eben der Ausdruck für das Gottesverhältnis, das religiöse Leiden nämlich, das das Kennzeichen des Gottesverhältnisses ist und Kennzeichen dessen, daß er [das Individuum] nicht dadurch glückselig gemacht worden ist, daß er [das Individuum] von dem Verhältnis zu einem absoluten Telos entbunden wurde« (AE, SV3 10,138 / AUN, GW1 11,161). Dabei gilt für das Leiden als Ausdruck des Gottesverhältnisses, daß es Gegensatz der Freude (vgl. AE, SV3 10, 137 / AUN, GW1 11, 160f.), nicht aber Gegensatz des Glücks ist (vgl. AE, SV3 10, 121f. / AUN, GW1 11, 141f.). Als religiöses ist das Leiden gegenüber dem Glück als »Lebensanschauung der Unmittelbarkeit« (AE, SV3 10,121 / AUN, GW1 11, 141) indifferent: »Religiös gesehen ist der Glückliche, dessen Wünschen sich die ganze Welt fügt, ebensosehr ein Lei61
Der Gedanke, daß das Selbst zu begreifen ist im Verhältnis zu jener Macht, die es gesetzt hat, tritt in dieser Konsequenz besonders in der Spätschrift Die Krankheit zum Tode auf. Vgl. SD, 73 / KT, 9.
72
2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
dender, wenn er religiös ist, wie der, den das Unglück im Äußeren einholt« (.AE, SV3 10, 124 / AUN, GW1 11, 144). Darum kann auch einem Menschen, dem kein Unglück zugestoßen ist, nicht abgesprochen werden, zu leiden und d.h. religiös zu sein (vgl. AE, SV3 10,138 / AUN, GW1 11,161). Zwar kann durch beständiges Unglück das Leiden erschlossen werden, in dem das nicht endenwollende Unglück in die Verzweiflung führt, in der die Unmittelbarkeit endet und in der damit nicht mehr dieses oder jenes Unglück, sondern das Leiden selbst begriffen wird (vgl. AE, SV3 10,122 / AUN, GW1 11,141), und doch hat das Leiden eine tiefere Dimension, in die Glück oder Unglück nicht hineinreichen. Seines wahren Leidens bewußt geworden ist es dem Menschen dann auch möglich, selbst im Unglück ein positives Selbstverhältnis zu errichten. Eine Rechtfertigung äußeren Leidens, wie es z.B. durch Krankheit, Krieg, soziale Ungerechtigkeit verursacht wird, und ein resigniertes Abfinden gegenüber solchem Leiden ist damit nicht ausgesagt. Der Meinung, daß äußeres Leid immer als von Gott geschicktes demütig zu erdulden wäre, wird mit der Trennung von religiösem Leiden und äußerem Unglück ja gerade widersprochen. Wenn auch - wie erwähnt - das Unglück in das Leiden führen kann und damit auch äußeres Leid angenommen werden kann als >gnädiges Geschenk GottesRebellentum Hiobs< insofern abweichend von der Deutung W. Dietz' verstanden, als zwischen dem Hiobverständnis des jungen Mannes und derjenigen Constantins in der Wiederholungsschrift noch eigens unterschieden wird, wobei Constantins Hiobauffassung als Ideal der Wiederholung begriffen wird. W. Dietz dagegen bezieht sich auf die Hiobdeutung des jungen Mannes und radikalisiert darin das Bild Hiobs dahingehend, daß dieser in seinem Aufruhr gegen Gott und Mensch zugleich protestiert. Als Hiobbild des jungen Mannes mag diese Interpretation gültig sein - doch das Hiobbild der Wiederholungsschrift ist - qua Constantins Kommentar - moderater. Hiob wird zum Rebellen, indem er die ihm von der Welt und seinen Freunden aufgedrängte Deutung seiner Situation und damit seiner selbst abweist. Dies kann er dadurch, daß er die ihm von Gott zugestandene Freiheit im Anerkennen der Freiheit Gottes annimmt und auf sich nimmt. Daß die Hiobdeutung des jungen Mannes in Relation zu Constantins kritischer Auswertung dieses Deutungsansatzes gesehen werden muß, betont auch M. Bosch, Schicksal, 256-259. Die gegenteilige Annahme, daß Constantin der Deutung des jungen Mannes, die sich dieser in Auseinandersetzung mit seinem eigenen wie mit Hiobs Konflikt erkämpft, zustimmt, vertritt W. Greve, Ethik, 158. Daß diese Übereinstimmung zwischen Constantin und dem jungen Mann im abschließenden Brief Constantins wiederum in Frage gestellt wird, führt W. Greve auf eine »maieutische Raffinesse gegenüber dem Leser« (a.a.O) zurück.
2.4. Das Ideal der Wiederholung
81
habe, läßt Constantin zunächst unkommentiert. Begrüßt aber hatte er die Wahl des jungen Mannes, Rat nicht mehr bei ihm, Constantin, zu suchen, sondern in der Gestalt Hiobs. In seiner Zustimmung zu dieser Wahl des jungen Mannes stellt Constantin sich selbst und Hiob alternativ gegenüber. So beschreibt Constantin einerseits seinen stoischen Standpunkt (vgl. G, 161 / W, 59), und andererseits führt er für Hiob aus: Mein Freund sucht also glücklicherweise keine Aufklärung bei einem weltberühmten Philosophen oder bei einem ordentlichen Professor, er wendet sich an einen privatisierenden Denker, welcher voreinst der Welt Herrlichkeit besessen hatte, sich aber später vom Leben zurückzog - mit anderen Worten, er nimmt seine Zuflucht zu Hiob, der nicht auf einem Katheder Figur macht und mit beteuernden Gesten für die Wahrheit seiner Sätze einsteht, sondern in der Asche sitzt und sich mit einem Tonscherben kratzt, und ohne diese Handarbeit zu unterbrechen, flüchtige Winke und Bemerkungen hinwirft (G, 161 / W, 59).
Für Hiob wird in erster Hinsicht erwähnt, daß seine Reflexion über das Dasein aus leidender Erfahrung erwächst, wobei in dieser Erfahrung sowohl Mündigkeit als auch Berechtigung dieser Reflexion gründen. Die von Constantin aufgestellte Alternative zwischen sich selbst und Hiob ist damit aufgezeigt als Alternative zwischen stoischer Interesselosigkeit und beteiligtem Interesse am eigenen Lebensvollzug. Die sich von daher nahelegende Vermutung, daß in dieser Gegenüberstellung Constantins und Hiobs auch die Alternative: >Nichtvollzug und Vollzug der Wiederholung< aufgestellt ist, findet ihre Bestätigung in den Papieren, wo Constantin schreibt: Wenn er [der junge Mann] Wegweisung und Hilfe bei Hiob sucht, dann ist die Wiederholung soweit längst entdeckt, welches zu verleugnen gewiß auch niemals meine Meinung war, da Hiob ja dargestellt ist, aber darum kann es doch vollkommen richtig sein, daß die Wiederholung im Verhältnis zu einer neueren Philosophie zu entdecken ist (von einer neueren) (Pap. IV Β 117, 298).
Da in dieser Notiz Hiob direkt zum Ideal der Wiederholung erklärt wird, bietet eine Erörterung darüber, was Hiob zu diesem Ideal macht, Zugang zum Wesen dessen, was Kierkegaard als »Wiederholung« begriffen wissen will. Erschwert wird diese Erörterung allerdings dadurch, daß die Hiobinterpretation innerhalb der Wiederholungsschrift ihre Aussagerichtung ändert. Für die Frage nach dem Ideal der Wiederholung ist daher besonders die vom jungen Mann zwar angelegte, aber nicht konsequent durchgeführte Hiobdeutung zu berücksichtigen. Eine Trennung zwischen angelegter und letztendlicher Hiobdeutung nachvollziehen zu wollen, hat - wie einzugestehen ist - etwas Mutmaßliches. Andererseits läßt sich dieser Trennungsver-
82
2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
such auf die inkonsequente Entwicklung des jungen Mannes (vgl. G, 192 / W, 96) zurückführen, und somit wird der Wandel des Hiobverständnisses in Kongruenz zum Abklingen der ursprünglich religiösen Bewegtheit des jungen Mannes (vgl. G, 193 / W, 96) begriffen. Constantins ausdrückliche Bezugnahme auf diese ursprünglich angelegte Religiosität des jungen Mannes legt damit nahe, auch Constantins Hiobverständnis in Übereinstimmung mit der vom jungen Mann zwar angelegten, jedoch nicht ausgeführten Hiobinterpretation zu verstehen. Was also ist es, das Hiob zum Ideal der Wiederholung und darin zum Vorbild der Freien macht? Sowohl der junge Mann als auch Constantin erkennen als die eigentliche Freiheitsäußerung Hiobs an, daß dieser daran festhält, Recht zu haben (vgl. G, 176 / W, 77; Pap. IV Β 117, 299). Constantin und der junge Mann sind sich einig in der Auffassung, daß Hiobs Freiheits-Leistung darin besteht, daß er sich weigert, sein Leiden aus einer Schuld zu begründen, daß er sich weigert, sich dem Urteil der anderen zu beugen, auch wenn aller äußerer Anschein gegen ihn spricht. Wenn trotzdem ein Unterschied zwischen Constantins Hiobverständnis und der letztendlichen Hiobdeutung des jungen Mannes festzustellen bleibt, so muß dieser darauf zurückzuführen sein, worin Hiob dieses sein Recht begründet. Dem jungen Mann zufolge hält Hiob in der Gewißheit seines eigenen gerechten und rechtschaffenen Lebenswandels am Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit fest, welche er selbst gegen Gott verteidigt. Dadurch, daß er auch im Leiden Gott nicht aufgibt, bringt Hiob durch das Festhalten an seiner aus dem eigenen Verhalten begründeten Schuldlosigkeit zugleich den absoluten Gegensatz zwischen Gott und sich hervor.70 Im Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit richtet sich Hiob auf zum Gegenüber Gottes; zu einem Gegenüber, das sich im absolut begriffenen Gegensatz zu Gott befindet und darin diesem ebenbürtig ist. In dieser Aufgerichtetheit hält Hiob an seinem Recht als an einer Forderung fest: Er klagt von Gott eine Erklärung, eine Rechtfertigung vor den Freunden, eine Wiedergutmachung ein. Das aber ist die individuelle Variante der klassischen Theodizeefrage: Ich selbst, Hiob, habe beständig das Gute getan - warum läßt Gott das Böse dann zu? Hiobs Festhalten an seiner Freiheit ist so zutiefst verbunden mit einer doppelten Leidenserfahrung: Der Isolation gegenüber den Menschen und dem Erleben eines persönlichen Gegensatzes zu Gott.
70
Vgl. diese Arbeit, Kap. 2.2.
2.4. Das Ideal der Wiederholung
83
Dem jungen Mann darin zustimmend, daß Hiobs aufrechter Gang ein leidenschaftlicher Erhalt der Freiheit ist (wobei >Erhalt< sowohl das Erlangen und Bewahren der Freiheit meint), sucht Constantin nach einer anderen Begründung für das Recht-Behalten Hiobs. Ihm zufolge beruft sich Hiob nicht im Bewußtsein seiner eigenen Gerechtigkeit auf seine Schuldlosigkeit, sondern er tut dies aus dem Vertrauen darauf, daß »Gott schon noch alles zu erklären vermöge« (G, 177 / W, 78). Das Besondere, wodurch Hiob sich auszeichnet, ist nun darin gesehen, daß er in seinem Unglück ein Gottesverhältnis vertieft, das in dem Bewußtsein gründet, Gott gegenüber keine Ansprüche zu haben. Hiob wird so gezeichnet als der, der es verstanden hat, daß seine eigene Gerechtigkeit ihn nicht dazu berechtigt, ein glückliches, leidfreies Leben zu verlangen; als einer, der es verstanden hat, daß er auch in eigener Vollkommenheit nicht über sein eigenes Leben verfügt. Dieses Bewußtsein aber ist es, welches Hiob andererseits in den Stand setzt, sich gegen die Erklärungen seiner Freunde als schuldlos in seinem Unglück zu verstehen. »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet« (G, 178 / W, 80; Hi 1,21). Diese Haltung äußert Hiob nicht nur zu Anfang seines Leidens - wie der junge Mann betont 71 - sondern Hiob stellt sich - Constantin zufolge - in diese seine Äußerung hinein und lernt sie immer innerlicher zu verstehen. So bezieht sich Constantin auf die Aussage des jungen Mannes, die dieser selbst doch nicht begriffen hat: »Hat Hiob also Unrecht bekommen? Ja! auf ewig; denn höher hinauf kann er nicht gehen als zu dem Gerichtsstuhl, der ihn gerichtet. Hat Hiob Recht bekommen? Ja! auf ewig, dadurch, daß er Unrecht bekommen hat vor Gott« (G, 180 / W, 82). Wenn Constantin in seiner Beilage zur Wiederholungsschrift Hiob als Muster der Wiederholung anführt, so bezieht er sich darauf, daß Hiob sein Recht-Behalten in seiner Selbstaufhebung vor Gott begründet. In dieser Haltung stellt sich Hiob unter Gottes Allmacht, auf die er sein Glück wie seinen Verlust in gleicher Weise zurückführt. Daß Hiob sich selbst und seinen Freunden gegenüber aufrecht bleiben kann, gründet folglich darin, daß Hiob an Gottes Allmacht und d.h. an Gottes Freiheit festhält. Daß Hiob Gott auch im Leiden nicht aufgibt, scheint zunächst in Übereinstimmung mit dem Rat seiner Freunde zu sein. Nur seine Frau fordert Hiob auf, Gott abzusagen
71
Vgl. W. Dietz, Existenz, 245.
84
2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
(Hi 2, 9).72 Indem die Freunde erwarten, daß Hiob sein Unglück als eine Züchtigung Gottes annimmt, raten auch sie, sich nicht von Gott abzuwenden. In dem auf ethische Bestimmungen festgelegten Gottesverständnis der Freunde aber ist die Souveränität Gottes aufgegeben. Gegenüber dieser Eingrenzung erweist sich Hiobs Größe darin, Gottes Allmacht zuzugestehen. Zwar ist hier noch nicht darauf eingegangen, wie diese Allmacht zu verstehen ist - ungeklärt ist z.B., ob der Mensch und sein Ergehen gegenüber dieser Allmacht nichtsbedeutend sind, ob der Mensch sich als Opfer reiner Willkür oder als Empfänger einer ihm zugewendeten Liebe verstehen kann - und doch wird mit diesem Zugeständnis der Allmacht Gott entschieden von seiner Freiheit her verstanden. Somit steht Hiob dafür ein, daß der Mensch nur frei ist im Verhältnis zu Gott als einem freien Gegenüber. Die im Verhältnis zu sich selbst bestimmte Freiheit, die innerhalb der Entwicklungsstufen der Freiheit als deren höchste und eigentliche Form aufgezeigt wurde (vgl. Pap. IV Β 117, 281),73 ist hier konkret wiedergegeben als die Freiheit, die im Verhältnis des freien Menschen zum freien Gott aktualisiert wird. Wird diese Hiobinterpretation Constantins noch einmal dem Verständnis des jungen Mannes gegenübergestellt, so zeigt sich, daß in beiden Fällen die Frage einer Gleichheit zwischen Gott und Mensch problematisiert wird. Dem jungen Mann zufolge bestand der Anspruch des Menschen, mit Gott zu rechten, aus der Erfahrung eines Gegensatzes zwischen eigenem (guten) Tun und Gottes (das Böse zulassendem) Walten, wobei andererseits erst dieser Anspruch auf das Recht zu richten und damit der Anspruch auf Ebenbürtigkeit den Gegensatz zwischen Gott und Mensch als absoluten Gegensatz erfahren läßt. Wenn sich Constantin demgegenüber auf Hiobs leidenschaftliches Festhalten daran, »daß Gott lösen kann« (G, 176 vgl. W, 77), bezieht, so meint er damit nicht nur ein Überwinden des Unglücks, sondern tiefer noch ein Lösen dieses absoluten Gegensatzes zwischen Gott und Mensch. Gelöst aber ist dieser Gegensatz im Verhältnis des Freien zum Freien, und d.h. in dieser >Lösung< wird die Gleichheit 72
73
In einer Tagebuchaufzeichnung äußert sich Kierkegaard über diesen Ratschlag: »Menschlich gesprochen hätte Hiobs Frau in gewißem Sinne recht. O, denn es ist in Wahrheit, menschlich, eine sehr große Last mehr, bei einem derartigen Leiden zugleich durch den Gedanken beansprucht werden zu sollen, daß Gott dennoch Liebe ist. Es ist, als solle man darüber den Verstand verlieren - und, menschlich, ist es weit leichter zu verzweifeln, und damit Schluß« (Pap. 10,1 A 478, A E, SV3 10 304 / Übersetzung / Τ 3, 251). Vgl. diese Arbeit, Kap. 1.3.
2.4. Das Ideal der Wiederholung
85
beider Seiten dieses Verhältnisses in ihrem vollkommenen Anteil an der Freiheit gesehen. In der Kontroverse zwischen Constantin und dem jungen Mann kommt der Position des jungen Mannes das Verdienst zu, das Gegenüber von Gott und Mensch als Gegensatz herausgearbeitet zu haben. Am Beispiel Hiobs wird deutlich, daß das Selbstverständnis, in dem der Mensch sich selbst im Gegenüber zu Gottes Freiheit begreift, nicht schon in seiner Unmittelbarkeit Wiederholung und darin die höchste Form der Freiheit ist. Zum Ideal der Wiederholung w i r d Hiob erst dadurch, daß er auch in der Vernichtung alles dessen, was sein Leben erfüllte, es nicht aufgibt, sich von Gottes Freiheit her zu verstehen. Die Krise, die Hiob durchlebt, ist sowohl Erfahrungshorizont als auch >Geburtshelfer< seiner Freiheit. Dabei ist diese Krise nicht zu begrenzen auf den äußeren Verlust von Hab und Gut, Gesundheit und Ansehen vor den Menschen. In seiner Auseinandersetzung mit der Hiobfigur deckt der junge Mann die eigentliche Dimension der Krise auf. Hiob ängstet sein Gewissen, er verschreckt seine Seele, und ihm wird Angst vor sich selbst (vgl. G, 177 / W, 78). Innerhalb des endlichen Daseins kann Hiob sein Selbst- und Weltverständnis nicht mehr vergewissern. So verflucht er den Tag seiner Geburt,74 hadert mit Gott und klagt vor ihm in der verzweifelten Sprache der Leidenschaften (vgl. G, 170 / W, 69). Hiob täuscht sich nicht darüber hinweg, daß seine Krise ein »rein persönliches Gegensatzverhältnis zu Gott«(G, 179 / W, 80) ist, und doch gibt er Gott nicht auf. Am Beispiel Hiobs ist die Wirklichkeit der Krise derart entfaltet, daß sie über sich selbst schon hinausweist auf die Sünde als die >Krise menschlichen Daseinswieder gut machen zu wollenleicht< aus der Reue komme, weil er sie in ihrem Grund als Liebe verstanden hat. Wenn von einer Grenze des Reuebegriffes bei Assessor Wilhelm gesprochen werden soll, dann liegt sie nicht darin, daß er vom Leiden absieht, sondern darin, daß er die Reue noch als eigenmächtiges Geschehen versteht. Zur Charakterisitk Wilhelms, insbesondere zu seiner inneren Verwandtschaft mit Constantin, vgl. W. Greve, Ethik, 148.
2.4. Das Ideal der Wiederholung
95
fern und anzuvertrauen als »weibliche Art« zur Voraussetzung eines totalen Verstehens bestimmt (vgl. G, 128f. / W, 19), so ist erst mit der Reue der konkrete Weg dieser Hingabe benannt. Die so verstandene Reue ist damit als jene innere Handlung angeführt, in welcher die Bewegung der Wiederholung konkret realisiert wird. Nur in der Reue vermag der Mensch gegenüber dem ihn schon immer prägenden geschichtlichen Kontext seine Freiheit geltend zu machen. Was gewesen ist, wird jetzt. Diese Struktur der Wiederholung ist im Zusammenhang der Reue in ausgezeichneter Weise gültig. In der Aneignung des Gewesenen, in der Aneignung der Schuld auch der vorigen Generationen geht der Mensch über die Erinnerung hinaus, die Aneignung wird zu seiner Tat, in der er seine konkrete Existenz übernimmt. In der Spannung zwischen geschichtlicher Determiniertheit und der dem Menschen gestellten Aufgabe, seine Freiheit zu verwirklichen, ist der Weg der Reue damit derjenige Weg, der der Einbindung in einen geschichtlichen Kontext entspricht - ohne jedoch die Freiheit zu verraten. Reue ist folglich im Sinne Kierkegaards mehr und anderes als büßende Selbstzerknirschung. Sie bezeichnet jene schwierige Aufgabe, im Verhältnis zur Geschichte zu unterscheiden zwischen dem Inhalt des Gewesenen, den es lebendig anzueignen und weiterzuführen gilt und den nur äußeren Formen des Gewesenen, welche daraufhin zu befragen sind, ob sie weiterhin tragfähig sind oder der Erneuerung bedürfen. Als Kennzeichen dessen, was als Inhalt des Gewesenen angesehen werden kann, erweist sich gerade die Schuld. Der Gedanke einer geschichtlichen Kontinuität der Schuld, einer geschichtlichen Verpflichtung auf ein Lebendigerhalten der Erinnerung der Schuld ist so schon auf den Gedanken der Erbsünde hin angelegt, der besonders im Begriff Angst entfaltet wird. Die Reue ermöglicht die Verwirklichung der Freiheit somit gerade innerhalb der Spannung zwischen einer schon geschichtlich bedingten Verstrickung des Menschen in Schuld und Sünde und seinem Streben nach dem Guten. Als konkrete Äußerung der Wiederholung ist die Reue daher wesentlich als Ausrichtung auf Erneuerung, auf Re-Formation, auf tatsächliches Lebendig-Erhalten des Gewesenen zu begreifen. Die Unterscheidung zwischen innerer Eigentlichkeit des Gewesenen und dessen äußerer Form aber ist eine Aufgabe, der der Mensch in der Offenheit der Zukunft ohne die Möglichkeit einer Vergewisserung im Äußeren gegenübersteht. Die Reue wird ihm so zur Aufgabe, die seine Freiheit, sein Vergewissern in der Innerlichkeit herausfordert und ihn darin in die Verantwortung für die Zukunft hineinstellt. D.h. in eine Verantwortung, die der Mensch von sich aus nicht tragen
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2. Äußere und innere Wiederholung - Freiheit ästhetisch oder religiös?
kann und der gegenüber er darauf angewiesen bleibt, daß sein innerliches Vergewissern im Gottesverhältnis begründet ist. Seinen freien Umgang mit der Geschichte im eigenen Gottesverhältnis zu begründen, bedeutet dabei auch, daß der Mensch sich darauf verlassen darf, daß sein Tbn und Lassen, daß sein Gelingen und Versagen in der Kontinuität der Geschichte Gegenstand der Reue und d.h. Gegenstand eines auf Gottes Liebe angewiesenen Selbst- und Weltverhältnisses des Menschen bleiben wird, in dem ihm die Beständigkeit dieser Liebe zugesagt ist. Diese Einbindung der Reue in das Gottesverhältnis des Menschen qualifiziert diese zugleich zur wesentlichen Äußerung des Glaubens, in welchem der Mensch gerade seine endliche Existenz als die ihm konkret gestellte Aufgabe auf sich nimmt.85
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Mit dieser Feststellung ist schon auf die Gleichsetzung von Wiederholung und Glaube hingewiesen, die besonders in den Kapiteln 4 - 6 dieser Arbeit ausführlicher aufzunehmen ist. Der Nachweis der Reue als der konkreten Verwirklichung der Wiederholung einerseits und die Identifizierung von Glaube und Wiederholung andererseits wird damit nicht im Widerspruch zueinander gesehen, sondern das hier entfaltete Verständnis der Reue wird als Konkretion des Glaubens begriffen. Da der Begriff der Reue im Werk Kierkegaards jedoch ein ausgesprochen vielseitig - und zumeist ablehnend - verwendeter Begriff ist, trifft eine Gleichsetzung von Reue und Glauben auch auf Widerspruch. Besonders manifest trägt H. Diem diesen Widerspruch vor (vgl. ders., Philosophie, 303f£). H. Diem zufolge ist die Reue die »letzte Bewegung vor dem Glauben« (a.a.O. 303), die nur bis zur Resignation führt, jedoch nicht zu jener Bewegung, in der der Mensch seine Endlichkeit zurückgewinnt (vgl. a.a.O. 304). Die Frage, die H. Diem hierbei besonders bewegt, ist die Frage der Werkgerechtigkeit: Denn, ist die Reue schon der Glaube, wird der Mensch dann nicht durch eigene Leistung gerecht, bzw. wird der Glaube dann nicht zu einem menschlichen Werk? (vgl. a.a.O. 304). Um diese Möglichkeit auszuschalten, nimmt H. Diem eine strikte Unterscheidung von Reue und Glauben vor. So hält er fest: »Kierkegaards Meinung ist durchaus nicht, daß die Reue durch ihre Potenzierung von selbst zum Glauben führe. Der Platz für das göttliche Eingreifen bleibt offen« (a.a.O. 304). Allerdings sieht H. Diem das Problem weiterhin bestehen, daß Kierkegaards Werk gegen dessen Absicht (a.a.O. 305) mindestens den Anschein erweckt, als ob Kierkegaard »den entscheidenden Übergang zum Glauben doch in den Bereich der menschlichen Selbstätigkeit lege und, wenn auch in sehr feiner Form, doch zu einer Werkgerechtigkeit komme« (a.a.O. 304t). H. Diem zeigt auf, daß Kierkegaard diesen Verdacht der Werkgerechtigkeit durch ein striktes Einhalten der Reihenfolge von Vergebung und Bekehrung ausschalten wollte, doch stellt H. Diem im Anschluß daran die Frage, wieweit ihm dies gelungen sei (vgl. a.a.O. 305). Seine Diskussion zur Frage der Werkgerechtigkeit schließt H. Diem mit einer besonders auch gegen H. Barth gerichteten (vgl. a.a.O. 3061) Verhältnisbestimmung von Reue und Glauben ab: »Die Reue darf erst dann aufhören, wenn der Glaube da ist, aber andererseits muß sie erst weg, damit der Glaube eintreten kann. Über diesen Widerspruch hinaus läßt sich die Dialektik von Reue und Glaube nicht mehr weiterführen. Aus diesem Widerspruch muß der Glaube hervorgehen« (a.a.O. 308). Vgl. auch die entsprechende Auffassung der Reue bei E. Hirsch,
3. Die Wiederholung als Garant der Freiheit 3.1. Der Ort der philosophischen Reflexionen in der Wiederholungsschrift Nach Aufnahme und Diskussion der Experimente Constantins zur Frage nach der Wirklichkeit der Wiederholung ist nun auf die philosophischen Reflexionen zur Bedeutung der Wiederholung einzugeKierkegaard Studien. Bd. 1, wo die »Dialektik der Reue zwischen Dämonie und Glaube« (a.a.O. 116) für Kierkegaard als ein Gegenstand lebenslanger Auseinandersetzung aufgezeigt wird. G. Malantschuk, der zwischen abstrakter und konkreter Reue noch differenziert (vgl. ders., Stadien, 162) erkennt die konkrete Form der Reue zwar als die höchste Form innerhalb der Bewegung der Freiheit auf sich selbst zu an (nach Ironie und Resignation; vgl. a.a.O. 152), doch versteht er diese Stadien der Freiheit insgesamt als »eine Vorbereitung für die christliche Existenz, wo die Versöhnung und die Gnade die Grundlage bilden« (a.a.O. 166; Hervorhbg. d.g.). Als entscheidendes Argument für diese Unterscheidung von Reue und Versöhnung ist besonders auf eine Tagebuchaufzeichnung aus dem Jahr 1843 hinzuweisen: »Wenn man nun dadurch, daß man bereut, in einem Verhältnis der Liebe zu Gott bleiben könnte, so wäre es doch wesentlich der Mensch selbst, der alles tut, selbst wenn die Reue in ihrer äußersten Grenze als ein Leiden bestimmt ist. Die Reue ist kein Paradox, doch da, wo sie aufhört, beginnt das Paradox; darum ist der, der an die Versöhnung glaubt, größer als der, der am tiefsten bereut. Die Reue verstrickt sich beständig in sich selbst; denn wenn sie das Höchste, das Einzige in einem Menschen, das Erlösende sein soll, so beugt sie sich wiederum unter einer Dialektik, ob sie nun auch tief genug sei, usw.« (Pap. IV A 116, 46). Die in vorliegender Arbeit vorgenommene Auslegung zum Verständnis der Reue versucht, diese Annahme eines Widerspruches zwischen Reue und Glaube dadurch zu überwinden, daß gerade der Begriff der Reue einer genauen Bestimmung unterzogen wird. Als aktiv sich hingebende Annahme der Liebe Gottes sind Reue und Vergebungsgewißheit als ein- und derselbe Vollzug begriffen. D.h. die Reue geht der Vergebungsgewißheit nicht voraus, noch arbeitet sie auf diese hin oder bewirkt sie selbst durch einen das Schuldbewußtsein kompensierenden Akt, sondern die Reue ist konkret vollzogene Gewißheit der Vergebung. Auf diese Aussage hin ist jedenfalls der Reuebegriff der Erbaulichen Rede von 1843 angelegt. Obenstehende Interpretation versucht zu zeigen, in welcher Weise auch das Verständnis der Reue in Entweder/Oder und der versteckte Reuebegriff in der Wiederholungsschrift auf dieses Verständnis der Reue hin auszulegen sind. Weitere Darstellungen, die eine positive Aufwertung der Reue vornehmen, finden sich bei J. Sl0k, Anthropologie, 127f; sowie bei J. Tzavaras, Bewegung, 74, der ebenfalls die Reue als höchste Form der Wiederholung begreift.
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3. Die Wiederholung als Garant der Freiheit
hen. Dabei fällt von vornherein auf, wie eng diese philosophischen Reflexionen eingebunden und verflochten sind in die praktisch-experimentierenden Bemühungen um ein Verständnis dieser Kategorie. Daß die theoretischen und praktischen Erörterungen nur in ständigem Bezug aufeinander zu begreifen sind, wird schon durch den Ort verdeutlicht, den diese philosophischen Reflexionen im Text der Wiederholungsschrift einnehmen. Gleich einer Arbeitshypothese, die es experimentierend zu bestätigen gilt, sind diese Reflexionen den jeweils einzelnen Experimenten, sei es der Berlinreise oder Constantins Plan für den jungen Mann, vorangestellt.86 Erst in diesen Experimenten ist der Prüfstein für die Gültigkeit der Arbeitshypothesen gegeben, wobei der Wiederholung - diesmal in ihrem allgemeinüblichen Sinn - wiederum eine zentrale Bedeutung zukommt. Denn zumindest in der naturwissenschaftlichen Forschung gelten die Versuchswerte eines Experimentes erst dann als Beweismittel, wenn dieses Experiment mit eben den gleichen Ergebnissen wiederholt werden kann.87 Eingebunden in Constantins Experimente wird die theoretisch gestellte Frage nach der Wiederholung zu einer Frage nach der Wahrheit. Denn: läßt sich ein Experiment niemals bis in die kleinste Kleinigkeit genauso wiederholen - wie kann dann noch der Versuchswert eines Experimentes Beweismittel für die Wahrheit einer These sein? Insofern dieses Problem weder von Constantin noch sonst von Kierkegaard explizit entfaltet wird, darf es hier dahingestellt bleiben. Eine ausführliche Behandlung dieser Fragestellung würde auch zu weit weg führen von der hier geplanten Analyse, in der es darum gehen soll, auf dem Hintergrund des bisher 86
87
Besonders W. Struve hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Stellung der philosophischen Erörterungen im Ganzen der Schrift streng durchdacht ist. Er faßt zusammen: »Die erste, mit der das Buch beginnt, leitet den Bericht über die erste Phase der Liebesgeschichte des jungen Mannes ein, die zweite steht vor dem Bericht über die Erfahrungen, die Constantin Constantius mit der Wiederholung einer Reise nach Berlin macht. Erst in der dritten fällt das entscheidende Wort über die Wiederholung als einer >Transzendenzheidnischen< und christlichen Position« (a.a.O. 31) gründet er dabei einerseits auf das Sokrates kennzeichnende primär erkenntnistheoretische Interesse und andererseits darauf, daß Kierkegaard das »In-der Wahrheit-Sein christlich als eine praktische Aufgabe« (a.a.O. 32) versteht.Die von V. Guarda angeschlossene Konsequenz, daß Sokrates auf Grund dieses erkenntnistheoretischen Zuganges zur Wahrheit diese als etwas objektiv Auffindbares sucht, während Kierkegaard den »Wahrheitsbegriff aus der Sphäre des reinen Denkens in das Interesse des konkreten Subjekts« (a.a.O. 32) zurückzuholen trachtet, zeichnet allerdings einen etwas zu starken Kontrast. Zumindest ist das »Interesse des konkreten Subjektes« hier nicht im Sinne eines rein subjektiv begründeten Wahrheitsverständnisses zu begreifen.
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3. D i e Wiederholung als Garant der Freiheit
bzw. nach dem Verhältnis von Idealität und Realität. Den mit der griechischen Erinnerungslehre bzw. dem hegelschen Vermittlungsgedanken vorgegebenen Lösungsversuchen dieser Frage wirft Kierkegaard vor, die Wirklichkeit der Freiheit nicht einbeziehen, festhalten und wiedergeben zu können. Diese Schwäche der ihm vorliegenden Konzepte veranlaßt ihn dazu, die Kategorie der Wiederholung sowohl in Abgrenzung zum griechischen Modell der Erinnerung als auch von der hegelschen Vorstellung der Vermittlung zu entwerfen. So heißt es: »Wiederholung ist ein entscheidender Ausdruck für das, was >Erinnerung< bei den Griechen gewesen ist« (G, 115 / W, 3) und: »die Wiederholung (ist) eigentlich das [...], was man irrtümlich die Vermittlung genannt hat« (G, 130 / W, 21). Dieses abgrenzende Vorgehen macht methodisch zwei Schritte erforderlich: Zum einen ist sowohl für die Erinnerung als auch für die Vermittlung nachzuweisen, daß diese nicht im Stande sind, die Wirklichkeit der Freiheit angemessen zu erfassen, und darüberhinaus, worin dieses Unvermögen besteht, zum anderen ist im Anschluß daran aufzuzeigen, daß und wodurch gerade in der Kategorie der Wiederholung Freiheit gültig erfaßt ist. Daß dabei in der Diskussion des Verhältnisses zwischen Erinnerung und Wiederholung diese beiden Arbeitsschritte noch eng ineinander verwoben sind, entspricht der engen sachlichen Verflechtung beider Begriffe. Erst für die radikale Gegenüberstellung von Vermittlung und Wiederholung ergibt sich dann auch eine konsequente Abfolge beider Schritte.
3.2. Wiederholung statt Erinnerung 3.2.1. Der Entwurf der Wiederholung in Entsprechung zur Erinnerung Den Begriff der Wiederholung führt Kierkegaard erstmalig ein in seiner unvollendet gebliebenen Abhandlung: Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est. Eine Erzählung (1843) (Pap. IV Β 1, 103-150). Daß diese Abhandlung genau im Entwurf der Wiederholung abbricht, ist Anzeichen dafür, daß dieser Begriff erst noch einer genaueren Klärung bedurfte, die dann auch in der Schrift: Die Wiederholung erfolgte.89 Insofern gibt die Abhandlung: Johannes Cli89
Zu Datierungsfragen vergleiche die ausführliche Darstellung bei W. Dietz, Existenz, 157, Anm. 3. Für die in den Papieren angegebene Datierung November 1842-
3.2. Wiederholung statt Erinnerung
101
macus oder De omnibus dubitandum est Aufschluß über Kierkegaards erste Überlegungen bezüglich der Wiederholung und läßt damit die Entwicklung dieses Begriffes von seiner grundlegenden Problemstellung her nachvollziehen. Entscheidend ist dabei, daß es gerade das Verhältnis zwischen Erinnerung und Wiederholung ist, das in der weiteren Entwicklung des Begriffs der Wiederholung neu bestimmt wird. Da darüberhinaus in dieser Abhandlung bereits wesentliche mit der Wiederholung verbundene Themen (wie z.B. das der Verdoppelung) vorweggenommen sind und sich die prinzipielle Grundlegung der Wiederholung daran bereits ablesen läßt, ist die folgende Diskussion ausführlicher angelegt. Eingeführt wird der Begriff der Wiederholung in diesem Text im Zusammenhang der Frage nach der ideellen Möglichkeit des Zweifels im Bewußtsein (vgl. Pap. IV Β 1,144 / JC, 153). Erkenntnistheoretische Fragen sind der Ausgangspunkt für die Betrachtungen des Johannes, auch wenn seine eigentliche Intention dann darauf hinausläuft, nachzuweisen, daß der konsequent durchgeführte Zweifel in einer existentiell verstandenen Verzweiflung enden muß.90 Um zweifeln
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Ostern 1843 spricht neben dem bei Dietz angeführten Argument der Nähe zum Vorwort in FZ (1843) die Tatsache, daß die Abhandlung genau mit dem Entwurf der Wiederholung abbricht. Die in der Schrift Die Wiederholung (geschrieben April 1843) erfolgte nähere Bestimmung dieser Kategorie wäre dann ein Grund für den Abbruch der Abhandlung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est. Diese Datierung vertreten W. Struve, Metaphysik, 8 und E. Hirsch, GW1 6, XI. Argumente für eine frühere Einordnung sind Parallelen zu Tagebuchaufzeichnungen (Faustthematik) und zur Ironiedissertation (Ironie und Zweifel beide als negierend-distanzierende Einstellungen) vgl. W. Dietz, a.a.O. Vgl. auch die Argumente für eine Frühdatierung bei W. Dietz, a.a.O. 158. Diese Intention, die Johannes nicht selbst benennt, ergibt sich aus dem Gesamtplan der nicht vollendeten Schrift. Das geplante Ziel dieser Abhandlung bestand darin, die Forderung der Philosophie, an allem zu zweifeln, ernst zu nehmen und dadurch ihre Undurchführbarkeit nachzuweisen (vgl. Pap. IV Β 16 und 17, 181£ / JC, 161f.). Am Beispiel des Johannes Climacus, eines jungen Mannes, dessen persönlicher Einleitungsbericht autobiographische Züge Kierkegaards trägt, sollte der Vollzug des Zweifels demonstriert werden. Der Plan war groß angelegt: Nach prinzipiellen Erörterungen über den Zweifel als Beginn der Philosophie sollte der junge Mann das philosophische Denken Hegels, Kants, Spinozas und Descartes (vgl. Pap. TV Β 13,16,177 / JC, 160£) nachvollziehen, um letztlich nicht nur daran, sondern in seiner ganzen Existenz zu scheitern. Gegenüber diesem Plan ist doch zugleich festzuhalten, daß das in der Abhandlung entfaltete Verständnis des Zweifels die Möglichkeit für dessen Überwindung offenläßt. Sehr ausführlich rekonstruiert W. Dietz den Gesamtplan dieser Schrift in zwei Alternativen (vgl. W. Dietz, Existenz, 169f£) auf der Grundlage diverser Notizen in Kierkegaards Papieren (vgl. a.a.O. 170, Anm. 46). Er analysiert diesen Gesamtplan in seiner Konsequenz für das Verständnis des Zweifels als aktualisierter Freiheit (vgl. a.a.O. 177f£).
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3. Die Wiederholung als Garant der Freiheit
zu können, ist es Johannes zufolge notwendig, daß es im Bewußtsein die Möglichkeit eines Vergleiches zwischen einem vorhergehenden und einem nachfolgenden Moment gibt. Erst unter Voraussetzung dieser Unterscheidung der Momente ist der Zweifel als die Frage nach der Wahrheit der Behauptung von Gleichheit oder Ungleichheit dieser Momente möglich. Mit dieser Problematik einer Unterscheidung von vorhergehendem und nachfolgendem Moment aber ist bereits die Frage nach der Bedeutung sowohl der Erinnerung als auch der Wiederholung vorgegeben. Die Argumentation des Johannes, die ihn schließlich auf die Themen der Erinnerung und Wiederholung hinführt, setzt ein mit einer grundlegenden Verständigung über die Bedeutung des Bewußtseins, die von vornherein polemisch angelegt ist gegenüber einer distanzierenden, sich selbst heraushaltenden Bestimmung des Bewußtseins. Für den jungen Johannes ist die Frage nach dem Bewußtsein im Grunde die Frage danach, wie er selbst fragen, zweifeln und erkennen kann - Bewußtsein ist Interesse und damit von vornherein zu unterscheiden von der Reflexion, in der das Verhältnis zwischen Realität und Idealität analysiert wird, ohne daß der Reflektierende sich davon selbst betreffen läßt. Schon hier beginnt Johannes seine Auseinandersetzung mit dem abstrakt gedachten hegelschen System: die Reflexion ist interesselos und kann daher das Verhältnis zwischen Idealität und Realität nur seiner Möglichkeit nach erfassen - das Bewußtsein dagegen wird bestimmt als das Verhältnis selbst (vgl. Pap. IV Β 1,148 / JC, 156). D.h. das Bewußtsein tritt zu den in der Reflexion gegebenen dichotomischen Bestimmungen (wie z.B. Idealität und Realität, Seele und Geist, Erkennen - das Wahre, Wollen - das Gute, Lieben - das Schöne) (vgl. Pap. IV Β 1,147 / JC, 156) hinzu als ein Drittes, welches die zwei Bestimmungen ins Verhältnis setzt (vgl. Pap. IV Β 1, 148 / JC, 156). So wird das Verhältnis einerseits durch das Bewußtsein gesetzt (vgl. a.a.O.), andererseits ist das Bewußtsein das Verhältnis selbst (vgl. a.a.O.), welches in seiner ersten Form als Widerspruch aufgezeigt wird:»Die Unmittelbarkeit ist die Realität, die Sprache ist die Idealität, das Bewußtsein ist der Widerspruch. In dem Augenblick, in dem ich die Realität ausspreche, ist der Widerspruch da, denn das, was ich sage, ist die Idealität« {Pap. IV Β 1,146 / JC, 155). Es ist diese Qualifizierung des Bewußtseins als Widerspruch, an der sich die Bedeutung von Erinnerung und Wiederholung auftun wird. Besonders in der weiteren Entwicklung des Wiederholungsbegriffes bei Constantin wird der Widerspruch, der Gegensatz zwischen Realität
3.2. Wiederholung statt Erinnerung
103
und Idealität, zum Kennzeichen der Wiederholung, das diese entscheidend von der Erinnerung absetzt. Der Begründung, warum die erste Form des Bewußtseins als Widerspruch zu bestimmen ist, ist daher in einer Analyse des letztgenannten Zitats genauer nachzugehen.91 In der ersten Aussage: »Die Unmittelbarkeit ist die Realität« {Pap. IV Β 1,146 / JC, 155) ist »Unmittelbarkeit« zu verstehen als »Unbestimmtheit« (vgl. Pap. IV Β 1,145 / JC, 154). Daß Johannes hierbei an das Bewußtsein des Kindes denkt (vgl. a.a.O.), läßt Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit verstehen als ursprüngliche und direkte Einbindung des Bewußtseins in die es umgebende Welt. In dieser Unbestimmtheit zeichnet Johannes die Unmittelbarkeit als per se verhältnislos (vgl. a.a.O.), und somit ist in der Unmittelbarkeit auch die Frage nach der Wahrheit aufgehoben (vgl. Pap. IV Β 1,146 / JC, 154). Die Gleichsetzung von Unmittelbarkeit und Realität ist folglich so zu verstehen, daß die einen umgebende Welt, die Johannes als Realität begreift (vgl. Pap. IV Β 1, 149 / JC, 158), zunächst unmittelbar und d.h. fraglos als wahr angenommen wird. In der Realität für sich genommen ist daher auch die Möglichkeit des Zweifels ausgeschlossen. Mit der zweiten Aussage: »die Sprache ist die Idealität« (Pap. IV Β 1,146 / JC, 155), wird der Realität die Idealität gegenübergestellt, wobei die Sprache als Ausdruck der Idealität und d.h. als Ausdruck der ewigen Ideen (vgl. Pap. IV Β 1, 150 / JC, 158) angeführt wird. Insofern die Idealität die absolute Bestimmtheit ist, ist auch in ihr die Frage nach der Wahrheit aufgehoben: »In der Idealität ist völlig genauso wie in der Realität alles wahr« (Pap. IV Β 1,147 vgl. JC, 155)92 oder, anders gesagt: in der Idealität ist genau wie in der Realität alles wirklich (vgl. Pap. IV Β 1,147 / JC, 155). Als die Frage nach der Wahrheit ist der Zweifel daher erst möglich, wenn Realität und Idealität zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Geschieht dies, ist das Bewußtsein nicht mehr in der Unmittelbarkeit, 91
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Zur hier vorgenommenen Interpretation des Textes von Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est vgl. M. Theunissen, Andere, 281 ff. Im Zusammenhang dieser sozialontologischen Studie analysiert M. Theunissen hier das Problem der »Sprache als Basis des Absprungs von der Intentionalität« (a.a.O. 281). Wenn auch dieser Paragraph in erster Hinsicht als Analyse zu »Bubers Ontologie des Zwischen« (a.a.O. 281) gemeint und zu verstehen ist, so eröffnet er doch auch einen Zugang zu dem in sich sehr schwierigen Text der unvollendet gebliebenen Abhandlung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est. E. Hirsch übersetzt: »In der Idealität ist alles ebenso gefüllt wie in der Realität alles wahr ist« (JC, 155). Im dänischen Text: »I Idealitäten er ligesaa fuldt som i Realiteten Alt sandt« (JC, 146) aber ist »fuldt« als Adverb (=voll, ganz, völlig, genau) verwendet worden.
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3. Die Wiederholung als Garant der Freiheit
sondern in der Mittelbarkeit (vgl. Pap. IV Β 1,146 / JC, 154). Was Johannes hier unter »Mittelbarkeit« versteht, wird einsichtig durch die nähere Beschreibung des Mittels, mit dessen Hilfe eine direkte Einbindung des Bewußtseins in die ewigen Ideen bzw. in die es umgebende Welt aufgebrochen wird: das Wort (vgl. Pap. IV Β 1, 146 / JC, 155). Zu differenzieren ist dabei zwischen dem Verständnis des »Wortes« und der »Sprache«. Während die »Sprache« der Idealität zugeordnet wird,93 steht das als Mittelbarkeit angeführte »Wort« zwischen Realität und Idealität. Inwiefern das »Wort« zwischen Realität und Idealität eine eigene Größe ist, führt Johannes mithilfe der Bestimmung »das Gesagte« (Pasp. IV Β 1,146 / JC, 155) näher aus. »Wort« und »Gesagtes« werden dabei schon bei der ersten Erwähnung des Wortes als Mittelbarkeit gleichgesetzt, indem Johannes auf die sich selbst gestellte Frage, wie die Mittelbarkeit die Unmittelbarkeit hebe, antwortet: »Dadurch, daß es [das Wort] ausgesprochen wird« {Pap. IV Β 1,146 vgl. JC, 155). Das »Gesagte« ist somit im Unterschied zur idealen Sprache Resultat einer Handlung, einer Tätigkeit des Bewußtseins. Durch diese Handlung selbst wird eine Differenz gesetzt zwischen Wort und Realität sowie zwischen Wort und Idealität. Genauer müßte Johannes daher die Mittelbarkeit bestimmen nicht als »Wort«, sondern als gesagtes Wortgesagtes Wort< immer schon gebunden ist an einen Sagenden. Die Mittelbarkeit kann somit darin begründet werden, daß das Bewußtsein aufgewiesen wird in seiner Eigenschaft als Bewußtsein des jeweils einzelnen Sagenden. Als Einzelner hebt sich der Sagende ab von der Allgemeinheit der Idealität sowie von der Zusammengesetztheit der Realität. Darum auch wird als Mittelbarkeit das einzelne Wort und nicht etwa die >gesagte Sprache< angeführt. 94 Doch zurück zu Johannes. Das »Gesagte« wird von ihm ein-
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94
Welcher Art dieses Zuordnungsverhältnis ist, führt Johannes nicht weiter aus. Die Aussage: »Die Sprache ist die Idealität« {Pap. IV Β 1,146 / JC, 155) ist wohl am ehesten so zu lesen, daß »Sprache« das Subjekt ist, »Idealität« das Prädikat. D.h. die Sprache wird als ideale Größe begriffen und nicht umgekehrt die Idealität der Sprache subsumiert. Dementsprechend wurde zuvor die Sprache als >Ausdruck der Idealität< interpretiert. In dieser Verlängerung der Argumentation des Johannes träte der >Sagende< an die Stelle des >Ich denkeSagende< gegenüber dem >Ich denke< immer schon handelnd ist.
3.2. Wiederholung statt Erinnerung
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geführt als die Größe, die weder Idealität noch Realität ist, sondern diese jeweils zum Ausdruck bringen soll. Daß diese Intention prinzipiell unerfüllbar ist, bringt das Gesagte in dessen Zwischenstellung: »In der Realität allein ist keine Möglichkeit des Zweifels; indem ich sie in der Sprache ausdrücke, ist der Widerspruch da, da ich sie gar nicht ausdrücke, sondern etwas anderes erzeuge« {Pap. IV Β 1, 146 / JC, 155). Wenn Johannes es auch nicht anführt, so gilt doch das Gleiche für die Idealität. Sobald diese ausgesagt wird, ist es nicht mehr die Idealität, sondern Mittelbares. Das »Gesagte« ist gerade kein beliebiges, wie es das z.B. als Ausdruck des Phantastischen sein könnte, sondern setzt, indem es entweder die Realität oder die Idealität zum Ausdruck bringen soll, diese ins Verhältnis zueinander: »Insofern das Gesagte ein Ausdruck für die Realität sein soll, habe ich diese zur Idealität ins Verhältnis gesetzt, insofern das Gesagte ein von mir Erzeugtes ist, habe ich die Idealität zur Realität ins Verhältnis gesetzt« (Pap. IV Β 1, 146 / JC, 155). Voraussetzung des Verhältnisses ist die zugrundeliegende »Dupplizität« von Realität und Idealität (vgl. Pap. IV Β 1,146 / JC, 155),95 während die Konstitution des Verhältnisses erst im Bewußtsein erfolgt. Abhängig davon, ob die Idealität auf die Realität oder die Realität auf die Idealität bezogen wird, hat diese »Dupplizität« zwei Ausdrücke (vgl. Pap. IV Β 1,146 / JC, 155), die - über die Darstellung des Johannes hinausgehend - als Erkennen und Handeln begriffen werden können. Zu klären bleibt die dritte Aussage des oben angeführten Zitats: »Das Bewußtsein ist der Widerspruch« {Pap. IV Β 1, 146 / JC, 155). Zwei Probleme sind hier zu diskutieren: Zum ersten, wie ist es zu verstehen, daß das Verhältnis zwischen Idealität und Realität sich gerade als Widerspruch auftut? Oder, die Bestimmung des Johannes aufnehmend, inwiefern ist die (erste) Form des Bewußtseins der Widerspruch? Zum anderen, worin besteht dieser Widerspruch konkret? Beide Fragen sollen in ihrem inneren Zusammenhang diskutiert werden. Bereits gezeigt wurde, daß das Bewußtsein nicht in der Unmittelbarkeit, sondern erst in der Mittelbarkeit in der Form des Widerspruchs auftritt. Daß der Widerspruch genauer als >erste Form< des Bewußtseins angeführt wird, disqualifiziert insofern das sich in der (ersten) Unmittelbarkeit vorfindliche Bewußtsein als uneigentliches 95
E. Hirsch übersetzt hier: »Zwiefältigkeit«. Um den Gedanken der Verdoppelung schärfer herausarbeiten zu können, folgt obige Übersetzung dem dänischen Original.
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3. Die Wiederholung als Garant der Freiheit
Bewußtsein. Der Widerspruch selbst ist auf zweifache Weise beschrieben. Zum einen heißt es am Schluß des angeführten Zitats: »In dem Augenblick, da ich die Realität aussage, ist der Widerspruch da; denn das, was ich sage, ist die Idealität« {Pap. IV Β 1, 146 / JC, 155), zum anderen steht kurz danach: »indem ich sie [die Realität] in der Sprache ausdrücke, ist der Widerspruch da, da ich sie gar nicht ausdrücke, sondern etwas anderes erzeuge« (Pap. IV Β 1, 146 / JC, 155). Beide Aussagen miteinander zu harmonisieren, bereitet Schwierigkeiten. Wird angenommen, daß das >Erzeugte Andere< des hier zweiten Satzes letztlich der Idealität des hier ersten Satzes gleichzusetzen ist, so bleibt zu klären, inwiefern die ausgesagte Idealität noch als Idealität zu verstehen ist und nicht vielmehr schon als Mittelbarkeit begriffen werden muß. Da Johannes selbst darauf aufmerksam macht, daß das Verhältnis zwischen Realität und Idealität zu diesen hinzutritt als ein Drittes (vgl. Pap. IV Β 1,148 I JC, 157) und damit eine eigene Größe ist, wird hier zunächst davon ausgegangen, daß der Widerspruch darin gründet, daß im Bewußtsein etwas >anderes erzeugt< wird, das sich sowohl von der Realität als auch von der Idealität abhebt. Zu erwägen bleibt dabei, inwieweit dieses >andere Erzeugte< in Übereinstimmung zur Idealität aufzufassen ist. Wichtig für die Argumentation ist dabei, daß das Bewußtsein als Verhältnis selbst als schöpferisch beschrieben wird. Aufgabe des Bewußtseins ist es, die Realität zum Ausdruck zu bringen. Das Bewußtsein bezieht folglich nicht einfach die an sich vorhandene Realität auf eine andere Größe, die Idealität, sondern bezieht erst die zum Ausdruck gebrachte Realität auf die Idealität. Im Erzeugen des Ausdrucks zeichnet sich dabei der Widerspruch ab, der darin besteht, daß die ausgesagte Realität nicht mehr die Realität selbst ist, und doch das Gesagte ausgesagt wird als Ausdruck der Realität. Damit ist auch aufgezeigt, daß der Widerspruch nicht zwischen Idealität und Realität besteht, sondern innerhalb des Bewußtseins, innerhalb des Gesagten selbst verankert ist. Der Widerspruch im Gesagten ist näher zu beschreiben als Widerspruch zwischen ausgesagter Identität des Gesagten mit der Realität und der Nicht-Identität des Gesagten mit der Realität, die gerade durch das Aussagen erzeugt wird. Zu diskutieren bleibt, wieweit das »Gesagte« als ein »Erzeugtes« der Idealität gleichzusetzen ist. Denn ist das »erzeugte Andere« zugleich die Idealität, so ist der Widerspruch zwischen Identität und Nicht-Identität im Gesagten selbst aufgewiesen als Widerspruch zwischen Realität und Idealität. Der Widerspruch im Gesagten gäbe so
3.2. Wiederholung statt Erinnerung
107
den zugrundeliegenden Widerspruch zwischen Realität und Idealität wieder. Die bisher vorgenommene Interpretation der Abhandlung des Johannes schließt allerdings eine solche Gleichsetzung von Idealität und dem »Gesagten« als dem >Erzeugten Anderen< schon durch die Differenzierung zwischen Sprache als idealer Größe und Wort als mittelbarer Größe aus. Trotz dieser von ihm selbst vorgenommenen Differenzierung aber scheint Johannes andererseits »Idealität« und das »Gesagte« gleichzusetzen. Der bereits zitierte Satz: »insofern das Gesagte ein von mir Erzeugtes ist, habe ich die Idealität ins Verhältnis zur Realität gesetzt« {Pap. IV Β 1, 146 / JC, 155) deutet darauf hin. Auch die Aussage über das Wesen des Bewußtseins als Widerspruch, »der erzeugt wird durch und selbst eine Dupplizität erzeugt« (Pap. IV Β 1,146 vgl. JC, 155) - nämlich die Dupplizität von Idealität und Realität (vgl. Pap. IV Β 1,146 / JC, 155) - ist ein weiteres Argument dafür, daß der Widerspruch im Bewußtsein angenommen wird als Widerspruch zwischen Realität und Idealität selbst, bzw. als Wiedergabe dieses zugrundeliegenden Widerspruchs.96 Wenn in diesen Überlegungen der »Widerspruch des Bewußtseins« auch nicht eindeutig geklärt werden konnte, so ist doch aufmerksam gemacht worden auf die an das Bewußtsein geknüpfte Problematik des Verhältnisses zwischen Realität und Idealität. Bereits in dieser Abhandlung moniert Johannes an Hegel, daß letzterer diesen »Übergang« nicht diskutiere (vgl. Pap. IV Β 1, 147 Anm. / JC, 156 Anm.) und später wird sich zeigen, daß der Unterschied zwischen Wiederholung und hegelscher Vermittlung sich gerade an der Diskussion dieses >Zwischen< manifestiert. Das Bewußtsein also ist verstanden als das Verhältnis zwischen Idealität und Realität, dessen Form der Widerspruch ist (vgl. Pap. IV Β 1,149 / JC, 158). In der sich daran anschließenden Frage, wie das Bewußtsein diesen Widerspruch entdecke, tut sich die Bedeutung von Erinnerung und Wiederholung auf: 96
Wird trotz der Differenz zwischen idealer Sprache und mittelbarem Wort mit Johannes der Widerspruch im Bewußtsein zurückgeführt auf den Widerspruch zwischen der Realität und der Idealität (als erzeugter), so läßt sich dieser Widerspruch weitergehend konkretisieren als Widerspruch zwischen dem Allgemeinen der Idealität und dem Individuellem, aus dem die Realität zusammengesetzt ist (wobei z.B. auch Gegenstände aufzufassen sind als Individualitäten). Am Beispiel des ZumAusdruck-Bringens einzelner Gegenstände kann dabei einsichtig gemacht werden, inwiefern der Widerspruch zwischen dem Allgemeinen und dem Individuellen zugleich der Widerspruch ist zwischen Identität und Nicht-Identität. Indem nämlich bei der Beschreibung einzelner Gegenstände einkreisend zuerst deren Gattung als allgemeiner Bestimmung genannt wird (z.B. >Tisch