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German Pages 163 [164] Year 2020
Philosophische Schriften Band 100
Kategoriendeduktion in der klassischen deutschen Philosophie Herausgegeben von Nicolas Bickmann, Lars Heckenroth und Rainer Schäfer
Duncker & Humblot · Berlin
NICOLAS BICKMANN, LARS HECKENROTH UND RAINER SCHÄFER (HRSG.)
Kategoriendeduktion in der klassischen deutschen Philosophie
Philosophische Schriften
Band 100
Kategoriendeduktion in der klassischen deutschen Philosophie Herausgegeben von
Nicolas Bickmann, Lars Heckenroth und Rainer Schäfer
Duncker & Humblot · Berlin
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Vorwort Von Rainer Schäfer Die Kategoriendeduktion in der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel bildet nicht nur ein weites Feld, sondern stellt auch noch immer ein ungelöstes, aber zentrales Problem der Philosophie dar. Die Initialzündung durch Kants berühmte „transzendentale Deduktion der Kategorien“ in der Kritik der reinen Vernunft wirkte auf seine direkten Nachfolger Reinhold, Fichte, Schelling und Hegel einerseits inspirierend, provozierte andererseits aber auch deutliche Kritik und den Wunsch nach völlig andersgearteten Deduktion. Bei Kant bildet die Deduktion in der ersten Kritik das Herzstück seiner theoretischen Philosophie und in deren Zentrum steht wiederum die Frage, wie sich Denken und Sinnlichkeit zueinander verhalten: Wie kann mit einer Zusammenführung von spontanem Denken und rezeptiver Anschauung objektive Erkenntnis von Gegenständen entstehen? Mit der Antwort auf diese Problemstellung gibt die transzendentale Deduktion der Kategorien gleichzeitig die gerechtfertigte Antwort auf Kants Grundfrage der ersten Kritik: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ (vgl. hierzu den Beitrag von Elena Ficara in diesem Band). Dieses Grundproblem der Deduktion bestimmt natürlich auch – ganz gleich ob Kant hierbei bewusst oder unbewusst im Hintergrund steht – die gegenwärtigen Debatten der theoretischen Philosophie. Insbesondere in der Analytischen Philosophie ist es nach wie vor ein Problem, wie sich Sinnesdaten in Begriffsschemata einfügen. Diese Frage zieht sich durch die Theorien der Philosophy of Mind, das Mind-Body-Problem, die Naturalisierung der Erkenntnis, die Transcendental- Arguments-Diskussion, den updated Pyrrhonism, die Debatte um Sinnesqualia, oder das Knowledge by Testimony etc. Ebenso wird das transzendentale Subjekt kritisch in Luhmanns Systemtheorie behandelt (vgl. hierzu den Beitrag von Wilhelm Metz in diesem Band). In der gegenwärtigen Debatte stellt die Deduktion von Grundbegriffen, d. h. Kategorien, jedoch höchstens ein Sonderproblem dar, das als eines der Themen moderner Epistemologie unter anderen gesehen wird. Oder radikaler: Eine Deduktion, d. h. ein systematisch geführter Beweis, für solche Begriffe wird von vornherein als unmöglich aufgegeben. – Eine solch leichtfertige Aufgabe ist aber auch problematisch, selbst wenn es von einem gewissen epistemischen Liberalismus und verführerischen skeptischen Relativismus zeugt, weil das solange nur eine ungerechtfertigte Behauptung bleibt, wie nicht bewiesen wurde, dass es für solche Grundbestimmungen keine Deduktion geben kann. D. h., eine solche Antideduktion wäre selbst auch schon wieder in gewissem Sinne denn doch eine Deduktion. –
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Kant, Fichte, Schelling und Hegel stellten die Kategoriendeduktion dagegen in das Zentrum ihrer systematischen Ansätze und hatten daher eine umfassendere Perspektive, wodurch sie mannigfaltigere Lösungsmöglichkeiten auch für andere Probleme der theoretischen Philosophie sehen konnten. So folgt aus der Behandlung der Kategoriendeduktion bei Kant und Fichte auch eine spezifische Antwort auf das Skeptizismus- und das Außenweltproblem und die Gegebenheit von Sinnesdaten. Des Weiteren sind bei Kant und Fichte neuartige Einsichten in Struktur und Bedeutung von Selbstbewusstsein impliziert (vgl. hierzu die Beiträge von Nicolas Bickmann, Klaus Düsing und Reinhard Hiltscher). Bei Schelling und Hegel ergeben sich aus der Problematik einer Kategoriendeduktion wiederum neuartige Konzeptionen der Methode der Philosophie, genetische Modelle von Selbstbewusstsein und Begriffsbildung, realistische Erklärungen der Natur und eine neuartige, metaphysisch-kritische Ontologie. Dies führt sogar bei Hegel durch die Radikalisierung des „Begriffs des Begriffs“ gegenüber der „Apperzeption“ Kants einerseits zu einer konsequenten Weiterführung des Ansatzes von Kant (vgl. hierzu den Beitrag von Lars Heckenroth und Klaus Erich Kaehler) und andererseits zu einer gewissen Überwindung der Kategorie durch die Einheit des Begriffs (vgl. hierzu den Beitrag von Markus Gabriel). Die Umgestaltung der Kantischen Deduktion war daher nicht nur in methodischer, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht fruchtbar, denn die nachfolgenden Idealisten führten nicht nur neue Kategorien ein, sondern modifizierten auch jene, die sie von Kant übernahmen. Des Weiteren etablierte Kant mit der Deduktion – als apriorischer Rechtfertigung von begrifflichen Grundbestimmungen wie Substanz, Kausalität, Realität, Negation, Wechselbestimmung etc. – eine neuartige Methodik, die bei seinen Nachfolgern eine Methodenreflexion freisetzte, wie sie die Philosophie zuvor und danach nicht mehr erlebt hat. Man muss daher zwei Problemfelder im Ausgang von Kants Kategoriendeduktion unterscheiden: Einerseits haben seine Nachfolger in formaler Hinsicht methodische Modifikationen an der Deduktion vollzogen, neue Methoden der Philosophie entwickelt und andererseits haben sie in inhaltlicher Hinsicht neuartige Kategorienbestimmungen eingeführt, so z. B. wenn Schelling im System des transzendentalen Idealismus, alle Kategorien aus der Fundamentalkategorie der „Wechselwirkung“ ableiten will. Jedenfalls führte Kants Version einer Kategoriendeduktion die Philosophie auf ein völlig neues und höheres Niveau, das von Nachfolgern bis heute nicht mehr ohne gute Argumente unterboten werden kann. Doch was ist überhaupt eine Kategorie? Kant begreift Kategorien als „Stammbegriffe“, d. h. fundamentale, unhintergehbare Grundbestimmungen unseres Denkens, ohne die für uns nichts bestimmt wäre. Begriffliche Grundbestimmung oder mit Kants Wort „Stammbegriff des Verstandes“ bedeutet: konkretes, intentional auf Erkenntnis gerichtetes Denken kann von diesen Bestimmungen nicht abstrahieren, ohne Sinn und Bedeutung zu verlieren, sich selbst zu widersprechen oder den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren, d. h., sie sind dem erkennenden Denken notwendig. (Dass dies eine Einheit von urteilslogischem Denken und
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denkendem Subjekt impliziert, untersuchen die Beiträge von Reinhard Hiltscher und Klaus Düsing in diesem Band.) Fichte bestimmt Kategorien als verstandesmäßige, begriffliche Fixierungen, mittels derer jedes Ding, jeder Gegenstand für uns konstituiert wird. Durch die Einbildungskraft – nach Fichte das Grundvermögen unseres theoretischen Wissens – werden begriffliche Bestimmungen fixierend in das wandelbare Mannigfaltige der Anschauung ein- und hineingebildet (vgl. hierzu den Beitrag von Nicolas Bickmann). Schelling sagt im System des transzendentalen Idealismus: „Alle Kategorien sind Handlungsweisen, durch welche uns erst die Objekte selbst entstehen.“1 Schelling integriert die Kategorien sowie deren Deduktion in seine als „Epochen“ bezeichneten drei Entwicklungsstufen der theoretischen Intelligenz. In Hegels Phänomenologie des Geistes taucht der Begriff der Kategorie an zentralen Stellen auf, denn in der Kategorie erkennt das Selbstbewusstsein seinen Zusammenschluss mit dem gegenständlichen Sein, das es sich gegenüberstellt (vgl. hierzu den Beitrag von Gaetano Basileo). In der Kategorie kommen nach Hegel (gegenständliche) Wahrheit und (subjektive) Gewissheit zusammen: „Die Kategorie, welche sonst die Bedeutung hatte, Wesenheit des Seienden zu sein, unbestimmt des Seienden überhaupt oder des Seienden gegen das Bewusstsein [wohl eine Anspielung auf die Kategorientafel der Pythagoreer sowie auf Aristoteles’ Kategorienkonzeption; Einf. R. S.], ist jetzt [d. h. auf der Stufe der Vernunft im Verlauf der Phänomenologie; Einf. R. S.] Wesenheit oder einfache Einheit des Seienden nur als denkende Wirklichkeit; oder sie ist dies, dass Selbstbewusstsein und Sein dasselbe Wesen ist; dasselbe nicht in der Vergleichung, sondern an und für sich. Nur der einseitige schlechte Idealismus lässt diese Einheit wieder als Bewusstsein auf die eine Seite und ihr gegenüber ein Ansich treten.“2 Letzteres ist sicherlich auch ein Seitenhieb gegen Kant und Fichte, vielleicht sogar gegen Schelling, der aus Hegels Sicht die kategoriale Bestimmtheit in die Natur selbst verlegt und nicht in jener oszillierenden Dialektik der begrifflichen Einheit von Subjekt und Objekt verortet. Die Kategorie ist Subjekt-Objekt-Einheit und diese darf weder auf die Subjekt- noch auf die Objektseite kippen. Hegel führt im Geistkapitel der Phänomenologie ebenfalls aus: „Der absolute Begriff ist die Kategorie; er ist dies, dass das Wissen und der Gegenstand des Wissens dasselbe ist.“3 Mit der Kategorie ist also eine gewisse Wahrheit erreicht. Um die Aufsätze dieses Buches weiter vorzustellen, seien nun noch einige Details der unterschiedlichen Kategoriendeduktionen der deutschen Idealisten dargelegt: Die unmittelbare Kritik der Zeitgenossen an Kants Deduktion in der ersten Auflage der Kritik von 1781 lautete meist dahin gehend, dass sie vor Dunkelheit und Komplexität nicht nachzuvollziehen sei. Man war sich also zunächst gar nicht sicher, ob die Deduktion korrekt oder inkorrekt war, man verstand sie schlicht nicht. – Ähnliches Unverständnis diagnostiziert Dieter Henrich auch noch
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Schelling: System des transzendentalen Idealismus, SW I,3, S. 471. Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 181. 3 Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 404. 2
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für uns Heutige.4 – Kant reagiert auf diese Rezeption mit einer Neubearbeitung des gesamten Kapitels; bekanntlich ist die Deduktion eine der wenigen Passagen der ersten Kritik, die Kant für die zweite Auflage von 1787 komplett neu geschrieben hat. Zwar gibt Kant an, dass er inhaltlich nichts geändert und nur für eine klarere Fasslichkeit methodische Vereinfachungen vorgenommen habe,5 doch tobt der Streit in der Kantforschung auch heute noch, ob das tatsächlich stimmt. Denn einerseits ist sicherlich korrekt, dass Kant vieles einfach nur umstellt, Hauptgedanken vereinfacht oder in Syllogismen in klarerer Form strukturiert, doch es stimmt eben andererseits auch, dass es nach der A-Auflage von 1781 drei Stämme der Erkenntnis gibt – Anschauung, Einbildungskraft und Verstand – und nach der B-Auflage von 1787 nur zwei, nämlich Anschauung und Verstand; die Einbildungskraft ist nun zu einem unselbständigen Moment des Verstandes herabgesetzt. Das ist offensichtlich eine inhaltliche Änderung. Diese Änderung hat auch Auswirkungen auf Folgekapitel nach der transzendentalen Deduktion, denn wenn die Einbildungskraft nun kein selbständiges Vermögen zur Generierung von Erkenntnis mehr bildet, dann hätte Kant auch das Schematismuskapitel ändern müssen,6 denn der Status der Schemata der Einbildungskraft ist nun ein anderer. Er hat es jedoch unverändert gelassen. (Die Auswirkung der Bestimmung des Verstandes im Rahmen der Kategoriendeduktion auf Kants Naturbegriff untersucht Wilhelm Metz in diesem Band.) Ob es Kant tatsächlich gelungen ist, mit der B-Version der Deduktion für größere Deutlichkeit zu sorgen, kann auch bestritten werden, denn die inhaltliche Komplexität bleibt. Schopenhauer und Heidegger bevorzugten bekanntlich die A-Version. In formaler Hinsicht ist Kants Argumentation in der B-Version jedoch durchaus vereinfacht. In der A-Version ist die Deduktion formal folgendermaßen aufgebaut:7 Nach einer kurzen Einleitung, die die Deduktion motiviert und erklärt, weshalb es Erkenntnis ohne apriorische Begriffe nicht geben würde, sofern diese für objektive Realität konstitutiv sind und auf sinnliche Anschauungen bezogen werden müssen (= 1. Abschnitt der Deduktion, A 95–98), stellt Kant die Elemente dar, die in einer Erkenntnis vorhanden sind. Dies bildet die Lehre von den drei Arten der Synthesis: a) Synthesis der Apprehension in der Anschauung, b) Synthesis der Reproduktion in der Einbildungskraft und c) Synthesis der Rekognition im Begriff (= 2. Abschnitt der Deduktion, A 98–110). Hierbei geht Kant so vor, dass er zunächst in unseren tatsächlichen empirischen Vollzügen jeweils eine empirische Synthesis der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition feststellt, um
4 Vgl. den für die Forschung zu Kants Kategoreindeduktion wegweisenden Aufsatz: Henrich, in: Prauss (1973), S. 90–104, bes. S. 90; vgl. auch: Henrich / Wagner, in: Tuschling (1984), S. 34–96; vgl. auch: Henrich, in: Oberer / Seel (1988), S. 39–70. Vgl. generell zum Thema auch: Baum (1996). 5 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Auflage, B XXXVII f. 6 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 137–147, B 176–187. 7 Vgl. insgesamt zur A-Deduktion: Carl (1992).
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dann darauf zurückzuschließen, dass es jeweils auch eine transzendentale Synthesis von Apprehension, Reproduktion und Rekognition geben muss, soll einheitliche Erfahrung möglich sein. Nachdem diese Elemente der Erkenntnis aufgezählt wurden, folgt eine diesen zweiten Abschnitt zusammenfassende und vorläufige Andeutung, worin das Ziel der Deduktion besteht (A 110–114). Die eigentliche systematische Argumentation erfolgt dann allererst im dritten Abschnitt (A 115–130). Hier wird gezeigt, dass Anschauungen, sofern sie zu Erkenntniselementen werden, auf die Einheit der Apperzeption, d. i. das transzendentale theoretische Selbstbewusstsein, bezogen werden müssen und daher einer begrifflichen synthetischen Einheit bedürfen. In der Vorrede zur ersten Auflage unterscheidet Kant zwei Seiten der Deduktion: Eine objektive Seite, die die Gegenständlichkeit und die objektive Gültigkeit apriorischer Begriffe betrifft, und eine subjektive Seite, die „nur“ die innere Struktur und subjektive Möglichkeit der Erkenntnisvermögen betrifft.8 Man sieht, dass sich das tatsächlich gut auf die Deduktion applizieren lässt. Die Lehre von den drei Arten der Synthesis und ihrem Zusammenwirken in Anschauung, Einbildungskraft und Apperzeption, also der zweite Abschnitt (A 98–110), bildet die subjektive Seite der Deduktion; die Argumentation, dass Anschauungen unter Begriffen stehen müssen, die durch die synthetische Einheit der Apperzeption vollzogen werden, bildet dagegen die objektive Seite der Deduktion und damit den eigentlichen Ausweis, dass wir rechtmäßigerweise Begriffe auf Anschauungen anwenden. Dies findet sich also im dritten Abschnitt der A-Deduktion (A 115–130). Formal ist die B-Version einfacher aufgebaut. Kant behält hier im Unterschied zur A-Version die Strukturierung durch Paragraphen bei, mit der er die „Transzendentale Elementarlehre“, also insbesondere die „Transzendentale Ästhetik“ mit der Lehre von Raum und Zeit, generell einteilt. Die B-Version erstreckt sich über die §§ 15–27 der zweiten Auflage der Kritik (B 129–169). Es war in der A-Version etwas verwirrend, dass dort die Paragrapheneinteilung plötzlich wegfiel. Die B-Version besteht eigentlich nur aus zwei Beweisschritten. Der erste findet sich als Zusammenfassung der §§ 15–19 in § 209 und der zweite als Zusammenfassung der §§ 24–25 in § 26.10 Die Struktur beider Beweisschritte besteht jeweils aus einer Reihung von Syllogismen. Die §§ 21–23 bieten Erläuterungen, Präzisierungen und Konsequenzen aus dem ersten Beweisschritt. (Vgl. zu diesen Zusammenhängen den Artikel von Elena Ficara in diesem Buch.) Man kann in gewissem Sinne die für die A-Deduktion geltend gemachte Unterteilung in eine objektive und eine subjektive Seite der Deduktion auch auf die bei-
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Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede, A XVI f. Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 143: „Das mannigfaltige in einer sinnlichen Anschauung […] in einer gegebenen Anschauung notwendig unter Kategorien.“ 10 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 160 f.: „Wir haben Formen […] auch von allen Gegenständen der Erfahrung.“ 9
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den Schritte der B-Deduktion applizieren. Der erste Beweisschritt der B-Deduktion zeigt die Objektivität der Kategorien, also dass das Mannigfaltige der Anschauungen unter Kategorien stehen muss, und entspricht damit der objektiven Seite der Deduktion. Der zweite Beweisschritt zeigt, wie bei unserer konkreten, menschlichen Anschauungsweise (räumlich, zeitlich, schematisch, wahrnehmend, empfindend) Anschauungen unter Begriffe geordnet werden – daher auch die Überschrift des § 24 „Von der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne überhaupt“ [Hervorhebung R. S.], es geht also um ein Anwendungsproblem, dies betrifft somit eher die subjektive Seite der Deduktion. In der A- und in der B-Version der transzendentalen Deduktion Kants spielt also die Einheit der reinen Apperzeption, des Selbstbewusstseins eine zentrale Rolle dafür, dass Anschauungen einheitlich, d. h. durch Kategorien, zu Elementen von Erkenntnis werden können und damit Gegenstände konstituieren. Was Kant jedoch nicht leistet, ist eine eigene Argumentation dafür, wie genau sich die Einheit der Apperzeption zu den einzelnen Kategorien verhält (vgl. zu dem Versuch einer weiterführenden Rekonstruktion dessen im Sinne Kants den Beitrag von Klaus Düsing in diesem Buch). Fichte hat Kants Methode der Deduktion in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre universalisiert. War die Deduktion bei Kant noch mit dem grundlegenden aber speziellen Problem einer Rechtfertigung der Anwendung von reinen Begriffen auf Anschauungen befasst, weil diese beiden Quellen der Erkenntnis heterogen sind, so hat Fichte seine gesamte Philosophie, als Wissenschaftslehre, in ein deduktives System ausgebaut (vgl. hierzu den Beitrag von Nicolas Bickmann). Ist bei Kant die „Deduktion“ – entlehnt aus dem juristischen Bereich als eine argumentative Beweiskette für einen Rechtsanspruch11 – zunächst in die erkenntnistheoretische Elementarlehre eingebettet und steht neben einem analytischen und einem deskriptiven Theorieabschnitt, der zunächst erklärt, was Anschauungen und Begriffe jeweils für sich sind, so entwickelt sich bei Fichte jeder einzelne Schritt seines philosophischen Systems zu einer Deduktion. Doch Fichte transformiert Kants Deduktionsgedanken auch inhaltlich. Hat bei Kant die Deduktion schon für sich selbst bestehende Elemente der Erkenntnis – Anschauungen und Begriffe – zusammenzuführen, um deren konstitutiven Bezug für Objektivität zu beweisen, so ist in Fichtes Wissenschaftslehre ein Begriff oder genereller eine Bestimmung genau nur dann deduziert, wenn gezeigt werden kann, dass sich Selbstbewusstsein nicht ohne diese Bestimmung selbst setzen kann. Bei Kant ist die Deduktion also auf Objekte und Objektivität ausgerichtet, bei Fichte dagegen auf Subjektivität selbst und dann erst in zweiter Linie auf die aus dem Setzen von Selbstbewusstsein folgende Objektivität. Bei Fichte ist diese Deduktion in der Grundlage bereits eine genetische Ableitung, d. h., aus einfacheren Bestimmungen werden höherstufige, vermitteltere und komplexere Bestimmungen hergeleitet: z. B. aus Realität Negation und aus dieser
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Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 116 f.
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Limitation, aus dieser wiederum Kausalität und Substantialität und sodann die Wechselwirkung. Diese genetische Deduktion lobt Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie überschwänglich: „Das ist der erste vernünftige Versuch in der Welt, die Kategorien abzuleiten; dieser Fortgang von einer Bestimmtheit zu einer anderen ist Analyse vom Standpunkte des Bewusstseins aus, nicht an und für sich.“12 Letzteres ist allerdings auch schon wieder der Keim einer Kritik, denn Fichte bleibt damit aus der Sicht Hegels der Endlichkeit Kants verhaftet und rechnet die Kategorien dem Bewusstsein zu, hat sie also nicht als reine Denkbestimmungen des Absoluten begriffen. Wie bereits gesagt, integriert Schelling die Kategorien sowie deren Deduktion in seine als „Epochen“ bezeichneten drei Entwicklungsstufen der theoretischen Intelligenz. Die erste Epoche geht von der Empfindung zur produktiven Anschauung, die zweite von der produktiven Anschauung zur Reflexion und die dritte von der Reflexion zum absoluten Willensakt – woran sich dann die praktische Philosophie anschließt. Das ist ein genetischer Bottom-up-Aufstieg von niedrigeren zu höheren Handlungsformen der Intelligenz. Die Kategorien in der zweiten Epoche des theoretischen Selbstbewusstseins sind in Schellings Systematisierung anschauliche Zusammenfassungen ursprünglich subjektiven Handelns, das einem Mannigfaltigen eingebildet wird. – Hier gibt es Überschneidungen mit dem Verständnis Fichtes. – Daher geht Schelling von einer produktiven Anschauung aus: Wir schauen nicht passiv an, sondern bilden aktiv Strukturen ein, während wir anschauen. Dies ist jedoch beim theoretischen Ich kein göttliches oder willkürliches Produzieren, sondern ein begrenztes, durch notwendige Strukturen bedingtes Produzieren. Das anschauliche Produzieren von Objektivität durch die Kategorien ist bedingt durch eine „ursprüngliche Duplizität“13 der Intelligenz, die für ihr Hineinbilden eines ihr gegebenen anschaulichen Äußeren bedarf. Im Unterschied zu Kant und Fichte, gibt es nach Schelling eigentlich nur Kategorien der Relation – d. i.: 1. Substanz – Akzidenz, 2. Ursache – Wirkung und 3. Wechselwirkung. Aus diesen Kategorien werden die anderen Kategorien der Qualität, Quantität und Modalität abgeleitet. Wiederum innerhalb der Relationskategorien ist die Kategorie Wechselwirkung grundlegend, aus ihr sind die beiden anderen Relationskategorien abgeleitet, weil es weder das Substanz-Akzidenz- noch das Ursache-Wirkungs-Verhältnis ohne Wechselwirkung geben könnte.14 Daher bildet die Wechselwirkung für den Schelling des Systems des transzendentalen Idealismus die Zentralkategorie, aus der sich alle anderen ableiten lassen. – Es ist natürlich naheliegend, dass Schelling zu diesem Gedanken durch Fichtes Bestimmung der Limitation bzw. Wechselwirkung in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre inspiriert wurde; ebenso kann eine Inspirationsquelle aber auch die Diskussion mit dem Homburger und Frankfurter Freundeskreis um Hegel, Hölderlin, Zwilling und Sinclair zwischen 12
Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 401. Schelling: System des transzendentalen Idealismus, SW I,3, S. 479. 14 Vgl. Schelling: System des transzendentalen Idealismus, SW I,3, S. 477 ff. 13
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1796–1800 gewesen sein, denn bei diesen vier Freunden bildet die Wechselwirkung ebenfalls die zentrale Bestimmung und Schelling hat den Freundeskreis zweimal besucht. – Nach Schelling erklärt also die Wechselwirkung, wie etwas überhaupt ein Objekt für uns sein kann, und aus ihr sind alle anderen Kategorien systematisch und vollständig herzuleiten. In Hegels überschwängliches und anerkennendes Lob der Kategoriendeduktion Kants mischt er von Anbeginn zugleich eine weiterführende Kritik (vgl. zu diesem Zusammenhang die Studien von Elena Ficara, Markus Gabriel und Klaus Erich Kaehler). Gerade weil Kant eine solch tiefe und richtige Einsicht in das Verhältnis von Sinnlichkeit, Begriff, Urteil und Apperzeption hatte, ist es aus Hegels Sicht besonders fahrlässig, dass er vor den letzten spekulativ-dialektischen Einsichten dann doch wieder zurückschreckte und in einer bloß reflexiv-verständigen Interpretation verharrte. Mit Kant geht Hegel über Kant hinaus. Hegels aufnehmend-weiterführende (d. h. „aufhebende“) Haltung zu Kants Kategoriendeduktion beginnt schon in Glauben und Wissen von 1802,15 setzt sich in der Phänomenologie des Geistes fort (vgl. hierzu den Beitrag von Gaetano Basileo in diesem Buch) und findet ihren krönenden Abschluss in der Wissenschaft der Logik (vgl. hierzu bes. die Beiträge von Markus Gabriel und Lars Heckenroth). Und auch in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie hält sich dieses ambivalente Verhältnis noch durch.16 In der Wissenschaft der Logik identifiziert Hegel einerseits die höchste logische Bestimmung, den Begriff, mit Kants Apperzeption und hält ebenso daran fest, dass begriffliche Bestimmungen und Selbstbewusstsein dasselbe sind: „Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, dass die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthe tische Einheit der Apperzeption, als Einheit des ‚Ich denke‘ oder des Selbstbewusstseins erkannt wird. – Dieser Satz macht die sogenannte transzendentale Deduktion der Kategorie[n] aus“.17
Andererseits macht er Kant hauptsächlich die folgenden Vorwürfe: 1. Kant bleibe im Psychologismus der Vermögensphilosophie stecken, er subjektiviere die Objektivität des Begriffs einerseits und andererseits beziehe und restringiere er die Bedeutung der Begriffsapperzeption dann auf sinnliche Anschauungen. Das sei deswegen verfehlt, weil die Grundbegriffe / Kategorien bei Kant in der metaphysischen Deduktion bereits aus den logischen Urteilsfunktionen hergeleitet werden und diese in sich selbst bereits jeweils Sinn und Bedeutung haben, sie erhalten Sinn und Bedeutung also nicht allererst aus der Sinnlichkeit oder der Anschauung, sie haben bereits als reine Begriffe je spezifische Bedeutungen. Damit trifft Hegel natürlich einen Punkt, denn auch für Kant ist z. B. die 15
Vgl. Hegel: Glauben und Wissen, TWA 2, S. 307 ff. Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 343–351. 17 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254. 16
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hypothetische Urteilsfunktion nicht dasselbe wie die kategorische Urteilsfunktion. Wenn sie nicht dasselbe sind, müssen sie schon als logische Urteilsfunktionen spezifische Bedeutung haben und bedürfen dazu nicht des Bezugs auf die sinnliche Anschauung. Man kann sagen, dass Hegels gesamte Logik diesem Ziel einer rein begrifflichen Untersuchung von reinen Denkbestimmungen dient und damit die Genese des logischen Raums darlegt. 2. Die Dialektik, die Kant anhand der Antinomien nur für einige wenige endliche Kategorien vorgeführt hat, hätte er an allen Kategorien durchführen müssen, sonst bleibe seine Deduktion unvollständig und sei nicht besser als ein bloß empirisches Aufraffen und willkürliches Aufzählen einiger Grundbestimmungen, was Kant selbst ja bereits Aristoteles vorwarf.18 In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie äußert Hegel: „Kant zeigt vier Widersprüche auf; das ist wenig, allenthalben sind Antinomien“.19 Dahinter steht, dass den Thesen und Antithesen der vier Antinomien jeweils eine Kategorie zugrunde liegt. Dass den Antinomien Kategorien zugrunde liegen, hätte auch Kant selbst so gesehen, nur dass diese von der Vernunft in dialektischer Weise („Dialektik“ hier in Kants Sinn) auf das Unbedingte angewandt werden und ihnen so ihr rechtmäßiger Boden, die sinnliche Anschauungsmannigfaltigkeit, entzogen wird, weil man sie auf Dinge an sich anwendet. 3. Kant hätte die Genese der Kategorien aus dem Begriff bzw. der Apperzeption im Einzelnen beweisen müssen. Gerade weil Kant solch grundlegende Einsichten hatte, ist es aus Hegels Perspektive umso schlimmer, dass er nicht die letzten Konsequenzen daraus zog. Bis zu einem gewissen Grade kann man in einer freien Rekonstruktion versuchen, Kant vor diesem berechtigten Vorwurf in Schutz zu nehmen – freilich sollte eine solche Rekonstruktion enger an Kant orientiert sein, als Hegel es war, weil man sonst evtl., wie Hegel, schlicht eine andere Philosophie aufstellt, bei der sich fragt, wieviel von Kant darin noch übrig bleibt – (vgl. hierzu den Beitrag von Klaus Düsing; ob Hegel selbst diese genetische Transformation der Deduktionsmethode gelungen ist, untersuchen die Beiträge von Lars Heckenroth und Markus Gabriel in diesem Buch). Die hier versammelten Beiträge zeigen auf, dass die Kategoriendeduktion in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht der Motor des klassischen deutschen Idealismus war, sie ein tatsächliches sachliches Problem der Erkenntnistheorie angeht und dass sie neue Maßstäbe gesetzt hat, die zu erreichen jeder Gegenwart eine unverlierbare Aufgabe bleibt. Dieser Band ist aus der Tagung „Kategoriendeduktion in der klassischen deutschen Philosophie“ hervorgegangen, die im November 2017 am Philosophischen Seminar der Universität Bonn im Internationalen Zentrum für Philosophie / NRW stattfand. 18 19
Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 216–227 u. S. 271–276. Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 356.
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Rainer Schäfer
Für die finanzielle, institutionelle und organisatorische Unterstützung bei der Realisation der Tagung und des Drucks dieses Buches bedanken sich die Herausgeber beim Internationalen Zentrum für Philosophie / NRW in Bonn sowie bei Prof. Dr. Michael Forster und der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Inhaltsverzeichnis Rainer Schäfer Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Elena Ficara Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Klaus Düsing Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? . . . 29 Reinhard Hiltscher Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein in Kants Transzendentaler Deduktion der Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Nicolas Bickmann Kategoriendeduktion bei Fichte. Zu den ersten drei Grundsätzen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Gaetano Basileo Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes von 1807 als Deduktion des Begriffs der Wissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Markus Gabriel Hegels Kategorienkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Lars Heckenroth Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Klaus Erich Kaehler ‚Transzendentale Deduktion der Kategorien‘: Kant und Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Wilhelm Metz Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? Von Elena Ficara „Sie [die transzendentale Deduktion der Kategorien] hat aber von jeher für eines der schwersten Stücke der Kantischen Philosophie gegolten, – wohl aus keinem anderen Grunde, als weil sie fordert, daß über die bloße Vorstellung des Verhältnisses, in welchem Ich und der Verstand oder die Begriffe zu einem Ding und seinen Eigenschaften […] stehen, zum Gedanken hinausgegangen werden soll.“1 „Dieses ist das wissenschaftliche Verfahren der Philosophie, [das] aus der philosophischen Logik vorauszusetzen [ist].“2
Mit den Debatten über transcendental arguments, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute geführt werden,3 ist die Frage nach der Natur transzendentalen Argumentierens in der zeitgenössischen philosophischen Landschaft durchaus präsent.4 Eine vollständige Durchdringung und genuine Fruchtbar machung der ursprünglichen Kantischen Idee einer transzendentalen Deduktion der Kategorien scheint jedoch in aktuellen Debatten noch auszustehen.5 1
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 32. 3 Für einen Überblick über die Anfänge der Debatte über transcendental arguments vgl. Ritter / Gabriel / Gründer, Bd. 10, 1424 ff. Zu den neueren Beiträgen zählen u. a. Grundmann, in: Engelhard / Heidemann (2004), S. 44–75, Stapelford (2008), Stern (2017), Giladi (2016), S. 212–231, und die Essays über den Nutzen transzendentaler Argumentationen in Moral philosophie und Politik gesammelt in Stern / Brune / Werner (2017). 4 Über die Grenzen der Diskussion über transcendental arguments hinsichtlich einer genuinen Erhellung der Kantischen Idee vgl. zuletzt Stapleford (2008). Dass die Protagonisten dieser Debatten die transzendentale Perspektive grundsätzlich missverstehen, wird hauptsächlich in der Europäischen Kant-Interpretation allgemein bedauert. Vgl. zuletzt Ferrari (2013), S. 254–256. Bubner (1975), S. 453, betont, dass die Diskussionen über transcendental arguments unabhängig von der Betrachtung von Kants eigenem Verständnis des Transzendentalen und der transzendentalen Deduktion geführt werden. 5 Die transzendentale Deduktion der Kategorien ist zwar Gegenstand klassischer und zeitgenössischer monographischer Werke (vgl. u. a. Erdmann (1973), De Vleeschauwer (1934–1937), Chiodi (1961), Henrich (1976), Baum (1986) und zuletzt Allison (2015)) und sie war Mittelpunkt der philosophischen Diskussion schon seit der Veröffentlichung der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (über die Unzulänglichkeit der Kantischen Deduktion, die Kategorien aus der ursprünglich synthetischen Leistung des Ich-denke abzuleiten vgl. u. a. Hegel 20, S. 345 ff.) und bis ins 20. Jahrhundert (vgl. u. a. Apels kritische Weiterführung des transzendentalphilosophischen Ansatzes in Apel (1973), Hogrebes Deutung der Kantischen Transzendentalphilosophie als transzendentale Semantik in Hogrebe (1974) – für die Deutung der Kategorien 2
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Die Aufgabe, das aufzuzeigen, was die transzendentale Kategoriendeduktion leistet und wieso die Idee der Deduktion heute noch lebendig ist, wird dadurch erschwert, dass der Begriff des Transzendentalen und der Transzendentalphilosophie, deren paradigmatischer Kern die Deduktion ist, vielen traditionell suspekt vorkommt bzw. Verlegenheit bereitet. Hegel erklärte ihn bekanntlich als barbarisch, unterschied dabei aber auch zwischen Kants barbarischer Terminologie und der Größe seiner Philosophie.6 Missverständnisse über die Bedeutung des Transzendentalen sind immer noch verbreitet. Dass die transzendentale Sphäre weder bloß logisch (weil sie sich auf die Möglichkeit objektiver Erkenntnis bezieht) noch inhaltlich / empirisch ist (weil sie keine Inhalte voraussetzt, sondern nur die Möglichkeit betrifft, solche Inhalte zu haben), verleitet dazu, auf die Transzendentalphilosophie als ein „Niemandsland“ einfach zu verzichten.7 Die Kategoriendeduktion gilt allgemein als obskur. Kant selbst bedauerte ihre Dunkelheit8 und änderte sie radikal in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Für Hegel ist die Deduktion zwar eine der schönsten Seiten, aber auch das schwerste Kapitel der Kantischen Philosophie.9 In diesem Panorama scheint es nützlich, die Frage erneut zu stellen: „Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien?“, um im Ausgang von einer Auseinandersetzung mit dem Kantischen Grundgedanken einer Kategoriendeduktion die Diskussionen über Natur und Aktualität des transzendentalen Denkens wiederaufzunehmen und auf eine neue Basis zu stellen. Im Folgenden erläutere ich Kants Idee der transzendentalen Deduktion der Kategorien wie sie in dem ersten Buch der Transzendentalen Analytik der Kritik der reinen Vernunft vorgestellt wird.10 Dann wende ich mich Hegels enthusiastischen Bemerkungen über die Kategoriendeduktion in der Subjektiven Logik der
deduktion vgl. hier insbesondere S. 94 ff.). In zeitgenössischen Debatten spielt jedoch weder die Rezeptionsgeschichte der Deduktion noch die Verbindung zwischen transzendentalphilosophischem und sprachphilosophischem Ansatz in Werken wie Apel (1973), Hogrebe (1974), Tugendhat (1970) eine Rolle. Dass die Transzendentalphilosophie in der kontinentalen und in der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts zwei verschiede Geschichten gehabt hat, wird von D’Agostini (1999), S. 212 ff. betont. Während der Transzendentalismus in der kontinentalen Philosophie zwar kritisiert wurde, aber als ernstzunehmender Bezugspunkt galt und weitergeführt wurde (vgl. z. B. Heidegger (1927) und Apel (1973)), wird er in der analytischen Philosophie skeptisch betrachtet (vgl. Maddy (2009), S. 47 ff. die zwischen zwei möglichen Interpretationen von Kants Transzendentalismus unterscheidet, „the harsh reading“ versus „the benign reading“, und betont, dass weder die erste noch die zweite heute als allgemeine philosophische Position – was sie „Second Philosophy“ nennt – vertretbar ist). 6 Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TWA 20, S. 336 f. 7 Dass Kants Begriff des Transzendentalen als etwas Erhabenes, Sublimes und Fernes üblicherweise missverstanden wird, ist beispielhaft die These in Adorno (1995), S. 35. Über die Transzendentalphilosophie als ein Niemandsland vgl. ebenfalls Adorno (1995), S. 35 ff. 8 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B XXXVIII. 9 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254. 10 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, insb. B 116–139.
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Wissenschaft der Logik sowie Hegels eigene Idee der Deduktion als spezifisch philosophisches Verfahren in den Grundlinien zur Philosophie des Rechts zu. Auf dieser Basis betrachte ich abschließend die Fragen „Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien?“ und „Wie lässt sich im Ausgang von der ursprünglichen Idee einer transzendentalen Deduktion der Kategorien über die Natur des transzendentalen Denkens neu denken?“. Meiner Ansicht nach ist Hegels Weiterführung des Kantischen Programms einer transzendentalen Deduktion der Kategorien richtungsweisend, indem sie eine Erhellung der Natur der Deduktion als das wissenschaftliche Verfahren der Philosophie ermöglicht.11 Somit erlaubt sie eine sachliche Antwort auf die Fragen zu geben: „Was ist die transzendentale Deduktion der Kategorien? Inwiefern ist sie für die Philosophie heute relevant?“. Hegels Philosophie teilt die Kantische und Fichtesche Idee der Philosophie als Transzendentalphilosophie und führt sie zugleich weiter. Philosophie als Transzen dentalphilosophie ist im Kantischen und Fichteschen von Hegel geerbten Sinne Wissen des Wissens (Wissenschaftslehre). Hegel macht zugleich die ontologischen Implikationen der so verstandenen Transzendentalphilosophie explizit. Indem Philosophie als Transzendentalphilosophie Wissen des Wissens ist, ist sie zugleich Wissen der Realität, wissen dessen, was ist, wahres Wissen. In der Kantischen und Hegelschen Idee der transzendentalen Deduktion der Kategorien drückt sich genau diese selbstreflexive und zugleich wahrheits-ermöglichende Natur des philosophischen Nachdenkens aus. In diesem Licht kann die transzendentale Deduktion der Kategorien als die eigentliche wissenschaftliche Durchführung dieser Idee, als die Methode und Logik des philosophischen Denkens vor Augen geführt werden.12
I. Die Idee der Kantischen Deduktion Mit der Deduktion der Kategorien belebt Kant ein Verfahren, dessen Destruktion das Ziel der Philosophie der Mitte des 18. Jahrhunderts durch Autoren wie Newton in England, d’Alembert und Mapertuis in Frankreich, Crusius in Deutschland gewesen war. 11
Zu Hegels Begriff der Dialektik als das eigentliche philosophische Beweisverfahren bzw. philosophische Deduktion, als Ableitung der Kategorien aus der reflexiven und selbstreflexiven Tätigkeit des Denkens vgl. Gadamer (1971), S. 4 f. und 25 f. 12 In seiner Rezeption der Kantischen Idee einer transzendentalen Deduktion der Kategorien führt Hegel die Transzendentalphilosophie auf die antike Konzeption der Dialektik als Methode der Philosophie zurück. Für eine Diskussion der These, dass die Entdeckung der Antinomie der reinen Vernunft grundsätzlich für die Entstehung des Kantischen transzendentalphilosophischen Projekts der Kritik der reinen Vernunft gewesen ist, vgl. Hinske, in: Ritter / Gabriel / Gründer (1971 ff.), Bd. 10, S. 1376–1388.
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In den Schriften von 1763 kritisierte Kant das für die Schulphilosophie seiner Zeit typische Verfahren des Deduzierens, das darin bestand, das Besondere aus gesetzten Begriffen syllogistisch abzuleiten.13 Das Ziel des traditionellen Verfahrens war es, ausgehend von der Definition eines Begriffs das Wirkliche, das was ist, zu beweisen. Z. B. ausgehend von der Definition Gottes als id quo maius cogitari nequit wird bewiesen, dass Gott existieren muss, da es ansonsten möglich wäre, sich ein Wesen vorzustellen, das neben allen im Begriff Gottes gedachten Perfektionen auch die Existenz besitzen würde und also höher als Gott wäre. In der Kritik der reinen Vernunft wiederholt Kant die frühere Kritik nicht, er nimmt sie aber auch nicht zurück. Er etabliert ausdrücklich die Methode der Deduktion auf eine Art, die die Kritik in sich bewahrt. Die Kantische Konzeption von Deduktion impliziert, dass die klassische Methode der Definitionen für die Analyse reiner apriorischer Begriffe neu gedacht werden muss. Kants Anknüpfung an die juristische Idee der Deduktion ist in diesem Sinne grundsätzlich. Kant beruft sich im zweiten Hauptstück der Transzendentalen Analytik § 13 auf die rechtswissenschaftliche Unterscheidung zwischen Fragen, die das Recht betreffen (quid iuris) und Fragen, die die Tatsache angehen (quid facti). Der Beweis, der den Rechtsanspruch dartun soll, wird Deduktion genannt. Kant erläutert, dass es verschiedene Typen von Begriffen gibt: empirische Begriffe, deren Bedeutung einfach angegeben werden kann, weil man sich dabei auf die Erfahrung berufen kann; Begriffe wie „Glück“ oder „Schicksal“, die Kant „usurpiert“ nennt, weil wir sie jederzeit benutzen, bei denen wir aber in Verlegenheit geraten, da wir keine Bezugspunkte haben (weder in der Erfahrung noch in der Vernunft), um ihre Bedeutung einwandfrei anzugeben. Wir haben dann auch Begriffe, die von der Erfahrung völlig unabhängig sind, bei denen man aber wie Kant betont „wissen muss, wie sie sich auf Objekte der Erfahrung beziehen können“14. Im Laufe der Deduktion wird noch erwiesen, dass diese Begriffe Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung sind – dies ist das, was sie im Unterschied zu den empirischen und den sog. usurpierten Begriffen auszeichnet. Kant definiert die transzendentale Deduktion der Kategorien dementsprechend als „Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände der Erfahrung beziehen können“15. Er weist zunächst auf die Natur der Begriffe (und der reinen Anschauung) als Formen und auf die Materie (die sinnlichen Eindrücke) als Gelegenheitsursache der Entstehung der Formen, d. h. der Begriffe, hin.
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Vgl. hierzu Puder (1974), S. 39 f. Für Puder ist Kants transzendentale Deduktion die Rettung des klassischen Deduktionsverfahrens, die dessen Kritik enthält. 14 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 117. 15 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 117.
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„Reine Anschauungen und reines Denken als Formen, die Materie zu ordnen, werden bei Gelegenheit der Materie (d. h. bei der Gelegenheit der sinnlichen Eindrücke) zur Ausübung gebracht und bringen Begriffe hervor.“ 16
Hier wird die Frage nach der Genese reiner Begriffe, noch nicht diejenige nach ihrer Gültigkeit angesprochen. Mit anderen Worten: Kant weist darauf hin, dass reine Begriffe der Möglichkeit ihrer Ausübung und faktischer Entstehung nach von der Erfahrung abhängen. Ähnlich betont Kant in B 1, dass jede Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, obwohl nicht jede Erkenntnis von der Erfahrung abhängt. Außerdem werden reine Begriffe hier als Formen, noch nicht als Möglichkeitsbedingungen definiert. Im § 14 macht Kant darauf aufmerksam, dass, wenn wir das Verhältnis zwischen Vorstellung und Gegenstand betrachten, sich zwei Möglichkeiten ergeben: entweder macht der Gegenstand die Vorstellung oder die Vorstellung den Gegenstand möglich. Hier wird die Idee der Formen als Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände und der objektiven Erkenntnis eingeleitet. Unsere objektive (wahre) Erkenntnis,17 argumentiert Kant, enthält neben der Anschauung, durch die etwas gegeben wird auch einen Begriff (oder ein Denken) von einem Gegenstand, der in der Anschauung gegeben wird. Also muss es Begriffe von Gegenständen überhaupt als Möglichkeitsbedingungen aller Erfahrungserkenntnis geben. Die Begriffe von Gegenständen überhaupt sind die Denkformen, die das Denken von Gegenständen möglich machen. Hier behauptet Kant, dass die Kategorien Formen der objektiven Erkenntnis sein können, weil sie Möglichkeitsbedingungen dieser Erkenntnis sind, d. h. Normen und Kriterien, ohne die es keine Wahrheit und keine Objektivität gäbe. Daraus lässt sich auch das Prinzip der transzendentalen Deduktion der Kategorien ableiten, das Kant am Ende von § 14 formuliert, nämlich dass „die Begriffe a priori als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung erkannt werden müssen. Begriffe, die den objektiven Grund der Erfahrung abgeben, sind eben darum notwendig.“18
Die Idee der Möglichkeitsbedingung wird hier mit derjenigen der Notwendigkeit verknüpft. Der Sinn der Notwendigkeit reiner Begriffe wird erklärt: Sie sind das, ohne dessen es keine Erfahrung geben könnte. Da es Erfahrung gibt, gibt es reine Begriffe. Die durch den Begriff der Möglichkeitsbedingungen zum Ausdruck gebrachte Notwendigkeit ist eine ermäßigte Notwendigkeit.19 Charakteristisch für sie
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Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 118. Für eine Interpretation der Kategoriendeduktion als Rechtfertigung des korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriffs vgl. Hiltscher (1993), S. 426–447. 18 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 127. 19 Vgl. hierzu Chiodi (1961), S. 263. 17
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ist, dass sie, wie Martin Puder mit Recht betont: „nicht positiv vorgetragen wird, sondern, dass die negative Präposition ‚ohne‘ verneint wird“20. Weitere Beispiele dieser restringierten negativen Art der Notwendigkeit sind: „wenn diese Vorstellung nicht Anschauung (innere) a priori wäre, [könnte] kein Begriff […] die Möglichkeit einer Veränderung in einem und demselben Orte begreiflich machen“21; „Ohne Bewusstsein, dass das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir einen Augenblick zuvor dachten, würde alle Reproduction in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein“22. Wie die reinen Begriffe oder Kategorien nun objektive Erkenntnis ermöglichen, wird von Kant über die Begriffe der Vereinigung des Mannigfaltigen der Anschauung, der Synthesis als Leistung der Spontaneität des Denkens, der Einheit des Bewusstseins in der Synthesis des Mannigfaltigen als Bedingung dieser Synthesis und mithin der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis entwickelt. In B 137 fasst Kant diesen Ankunftspunkt der Deduktion zusammen: „Objekt ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist. Alle Vereinigung der Vorstellungen erfordert Einheit des Bewusstseins in der Synthesis derselben. Folglich ist diese Einheit des Bewusstseins dasjenige, was die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit […] ausmacht und worauf selbst die Möglichkeit des Verstandes beruht“23.
Die Einheit des Selbstbewusstseins wird hier als oberste Möglichkeitsbedingung objektiver Erkenntnis aufgezeigt. Das Ich-denke oder ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption oder Einheit des Bewusstseins ist eine selbst-reflexive Struktur.24 Dies ist der Anknüpfungspunkt für Hegels weitere Überlegungen zur Kantischen Idee der Deduktion.25 Wie sich im Folgenden zeigen wird, impliziert die Kantische Idee der Deduktion, dass Kategorien als Gedanken von Gegenständen, als Denken der Realität im Denken des Denkens begründet sind. Sie sind Leistungen und Funktionen dieser grundlegenden selbst-reflexiven Tätigkeit des Denkens. Dieses Denken des Denkens ist das, was das Denken der Realität (objektive Erkenntnis) ermöglicht.
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Puder (1974), S. 43. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 48. 22 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 103. 23 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 137. 24 Über Probleme und Perspektiven der Weiterbildung von Kants Theorie der Apperzeption vgl. Düsing (2013), S. 30 ff., 52 ff., 72 ff. 25 Über die Aspekte in Kants Theorie des Verhältnisses von synthetischer und analytischer Einheit der Apperzeption, die auf Hegels Begriff des Begriffs vorausweisen, vgl. Schäfer, in: Ficara (2011), S. 267 ff. 21
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II. Die Idee der Hegelschen Deduktion Im Folgenden betrachte ich zuerst Hegels enthusiastische Bemerkungen über Kants Kategoriendeduktion in der Subjektiven Logik der Wissenschaft der Logik und anschließend Hegels Erläuterung der Deduktion reiner Begriffe als die wissenschaftliche Methode der Philosophie in den Grundlinien der Philosophie des Rechts. Mein Ziel ist es, einen roten Faden in Kants und Hegels Idee der Deduktion aufzuzeigen.26
1. Hegel über die Idee der Kantischen Deduktion Für Hegel ist die Kantische Deduktion grundsätzlich, um das Wesen des Begriffs vor Augen zu führen: „Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, daß die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, als Einheit des ‚Ich denke‘ oder des Selbstbewußtseins erkannt wird.“ Die Kantische Deduktion fordert „daß über die bloße Vorstellung des Verhältnisses, in welchem Ich und der Verstand oder die Begriffe zu einem Ding und seinen Eigenschaften […] stehen, zum Gedanken hinausgegangen werden soll.“27
In der Tat impliziert Kants Argumentation in der Kategoriendeduktion ein Hinausgehen über das Verhältnis zwischen dem Ich bzw. Verstand und dem Ding mit seinen Eigenschaften in Richtung dessen, was dieses Verhältnis möglich macht. Die herausragende Idee Kants ist laut Hegel, dass der Begriff als Einheit des Selbstbewusstseins diese oberste Möglichkeitsbedingung ausmacht oder mit anderen Worten: dass die Möglichkeitsbedingung der Übereinstimmung von Denken und Gegenstand (der Wahrheit als Korrespondenz) der Begriff (als ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) ist. Das, was Hegel an Kants Kategoriendeduktion lobt ist daher Folgendes. Die Kategoriendeduktion ist Erhellung des Wesens des Begriffs. Der Begriff ist für Hegel die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption, d. h. eine Struktur, die eine spekulative Natur hat: sie ist das Resultat der Reflexion und der Reflexion der Reflexion. Die geniale Einsicht Kants ist für Hegel, dass das Denken, das sich selbst denkt, denjenigen Horizont ausmacht, ohne den es keine Übereinstimmung 26
Dass Hegels Philosophie und insbesondere Hegels Logik Erfüllung des transzendentalphilosophischen Vorhabens Kants und echte kritische Philosophie ist, wird von Stekeler-Weithofer (1992), S. 8 ff. betont. Zu Hegels Transzendentalismus vgl. Horstmann (2006), S. 9–50, Pippin, in: Gardner / Grist (2015), S. 159–172 und Houlgate, in: Gardner / Grist (2015), S. 173–194. Gadamer (1971), S. 49–70 fasst Hegels Vorhaben in der Wissenschaft der Logik als Vereinigung der Kantischen und Fichteschen Transzendentalphilosophie mit der antiken Idee der Ersten Philosophie als Seinslehre auf. Über die Entwicklung von Hegels Interpretation des Kantischen Ich-denke vgl. Düsing (2012), S. 178 ff. 27 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 254.
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des Denkens mit der Realität gäbe. Die Kategorien sind Formen des selbstbewussten Denkens (des Denkens, das sich selbst denkt) und werden in der Kategoriendeduktion in ihrem Anspruch, Formen der Wahrheit zu sein, legitimiert. Hegel schreibt dies bezüglich „Die Kantische Darstellung enthält […], dass der Begriff als das Objektive der Erkenntnis […], somit als die Wahrheit [angegeben wird].“28 Was er meint, ist, dass der Begriff die Form und Norm der Wahrheit ist. Wir könnten sagen, der Begriff ist die Wahrheit als transzendentale Wahrheit, als Möglichkeitsbedingung der Wahrheit / Objektivität der Erkenntnis. Kant selbst führt den Ausdruck transzendentale Wahrheit ein: „In dem Ganzen aller möglichen Erfahrung liegen aber alle unsere Erkenntnisse, und in der allgemeinen Beziehung auf dieselbe besteht die transzendentale Wahrheit, die vor aller empirischer vorhergeht und sie möglich macht“29. Der Hegelsche Begriff ist dementsprechend mit anderen Worten eine allgemeine Struktur, die das Ganze bzw. das, was für alle Fälle gilt und allen Fällen gemeinsam ist, ausdrückt. Z. B. steht der Begriff des Guten für das, was in allen Fällen gut ist, der Begriff der Freiheit steht für das, was allen Fällen von Freiheit gemeinsam ist. Wie wir sehen werden, ist der Begriff in dieser formalen Bedeutung noch abstrakt. Durch die Selbstbeziehung, die durch die Erfahrung angeregt wird, wird er konkretisiert und in die Lage versetzt, die „empirische Wahrheit“ (die Wahrheit als Korrespondenz) zu ermöglichen.
2. Die Idee der Hegelschen Deduktion In dem Zusatz zu § 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts unterscheidet Hegel zwischen der Methode der Wissenschaften und der Methode der Philosophie. In den Wissenschaften wird zuerst die Definition gesucht und verlangt. In der Philosophie dagegen verhält es sich wie in den Rechtswissenschaften. Omnis definitio in iure civili periculosa, in der Rechtswissenschaft geht es darum, zu untersuchen, was Rechtens ist, d. h. welches die besonderen gesetzlichen Bestimmungen in den besonderen Fällen sind und ob sie in den besonderen Fällen gelten. Dies bringt gewisse Schwierigkeiten mit sich. Daher ist es den Juristen bewusst, dass das Verfahren der Definition mit Vorsicht zu behandeln ist. „Je unzusammenhängender und widersprechender in sich die Bestimmungen eines Rechts sind, desto weniger sind Definitionen in demselben möglich“30.
Hegel weist hier auf den juristischen Sachverhalt oder Tatbestand als spezifische juristische Situation hin, die vom allgemeinen Gesetz erfasst werden soll und betont, dass die Juristen sich sehr wohl dessen bewusst sind, dass der Sachverhalt häufig die allgemeine Definition widerlegt. Z. B. wäre für das Römische Recht keine Definition vom Menschen (im Sinne des Trägers von Rechten und 28
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 256. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 185. 30 Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 31. 29
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Pflichten) möglich, denn der Sklave (obwohl Mensch) ließe sich darunter nicht subsumieren. Oder wenn eine Definition vom Menschen als Träger von Rechten und Pflichten vorgeschlagen wird, dann behandeln die Juristen diese mit Vorsicht, denn sie wissen, dass das Auftauchen von Sachverhalten, in denen Menschen keine Träger von Rechten und Pflichten sind (wie der Sklave im Römischen Recht), die Unzulänglichkeit der Definition bzw. die Ungerechtigkeit des Römischen politischen Systems aufdeckt. Hegel kritisiert das in den Einzelwissenschaften übliche Verfahren der Deduktion von Begriffen: „die Deduktion aber der Definition wird […] vornehmlich daraus geführt, dass sie aus den besonderen Fällen abstrahiert und dabei das Gefühl und die Vorstellung des Menschen zum Grunde gelegt wird. Die Richtigkeit der Definition wird dann in die Übereinstimmung mit den vorhandenen Vorstellungen gesetzt. Bei dieser Methode wird das, was allein wissenschaftlich wesentlich ist, in Ansehung des Inhalts die Notwendigkeit der Sache an und für sich selbst (hier des Rechts), in Ansehung der Form aber die Natur des Begriffs, beiseite gestellt“31.
Was im üblichen deduktiven Verfahren beiseite gestellt wird, ist die Einsicht in die Notwendigkeit der Begriffe, die „deduziert“ werden (in dem Kantischen Sinne der Notwendigkeit reiner Begriffe als Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis – vgl. § 14 der Kategoriendeduktion). In der philosophischen Erkenntnis ist für Hegel dagegen „die Notwendigkeit eines Begriffs die Hauptsache, und der Gang als Resultat, geworden zu sein, [ist] sein Beweis und Deduktion“32. Dies bedeutet, dass der philosophische Beweis oder Deduktion der Begriffe in dem Argumentationsgang besteht, der sich aus der Natur der Begriffe als Möglichkeitsbedingungen ergibt. Kant selbst betont in den Prolegomena, dass die Deduktion Einsicht in die Natur der Kategorien, d. h. in ihre Natur als Möglichkeitsbedingungen objektiver Erkenntnis, ist.33 Hegel erläutert dann, dass „Indem so sein Inhalt für sich notwendig ist so ist das zweite sich umzusehen was in den Vorstellungen und in der Sprache demselben entspricht. Wie aber dieser Begriff für sich in seiner Wahrheit und wie er in der Vorstellung ist, dies kann nicht nur verschieden von einander, sondern muss es auch der Form […] nach sein. Wenn jedoch die Vorstellung nicht auch ihrem Inhalte nach falsch ist, kann wohl der Begriff als in ihr enthalten und seinem Wesen nach in ihr vorhanden aufgezeigt, d. h. die Vorstellung zur Form des Begriffs erhoben werden. Aber sie ist so wenig Maßstab und Kriterium des für sich selbst notwendigen 31
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 31. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 31 f. 33 Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, AA IV, S. 324. Vgl. auch Puder (1974), S. 41, und Baum (1986) über die Kantische Deduktion als eine besondere Form der Definition. 32
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Elena Ficara und wahren Begriffs, dass sie vielmehr ihre Wahrheit aus ihm zu nehmen, sich aus ihm zu berichtigen und erkennen hat“34.
Die philosophischen Begriffe sind daher notwendig, ihre Deduktion ist der Beweis ihrer Notwendigkeit und erfolgt zunächst dadurch, dass man die Erfahrung berücksichtigt, eine Erfahrung, die von Hegel als das sprachlich artikulierte Feld der Vorstellungen interpretiert wird, die man von diesen Begriffen hat. Vorstellungen sind immer der Form nach falsch, behauptet Hegel, und d. h. dass sie immer einseitig, d. h. endlich sind. Dennoch können sie inhaltlich richtig sein, d. h. Treffliches (obzwar Partielles) über die Bedeutung des in Frage stehenden Begriffs aussagen. Indem sie es tun, kann der Begriff an ihnen gezeigt werden, d. h. die einseitige Vorstellung wird zur Form des Begriffs gebracht. Dabei ist der Begriff, und nicht die Vorstellung, Maßstab der Wahrheit. Daran sieht man den Unterschied zwischen der Deduktion als Verfahren der Philosophie und dem gängigen Verfahren der Definition und Beweis der Richtigkeit derselben. In dem nicht philosophischen Verfahren werden Begriffe dadurch definiert, dass man die Vorstellungen berücksichtigt, die man von ihnen hat und dass man aus diesen Vorstellungen allgemeine Merkmale des Begriffs abstrahiert. Die Prüfung der Richtigkeit der Definition besteht darin, dass man schaut, ob sie mit den Vorstellungen übereinstimmt. Im Gegenteil dazu setzt die philosophische Deduktion voraus, dass der Begriff als selbstbezügliches Denken (und d. h. auch als kritische Reflexion über die normale vorstellungsartige Bedeutung des in Frage stehenden Begriffs) die Möglichkeitsbedingung der (Wahrheit der) Vorstellung ist. Die Berücksichtigung der Vorstellungen impliziert, dass sie aus der Perspektive des Begriffs kritisch hinterfragt, negiert werden müssen. So wird das einzelwissenschaftliche Verfahren der Definition und Deduktion der Definition in der Philosophie zur transzendental-dialektischen Deduktion. Der Begriff wird hier zum kritischen Nachdenken über die Vorstellungen, zu einer skeptischen Instanz, die die Vorstellungen negiert und zugleich zur begründenden Instanz, die die Vorstellungen in ihrer Wahrheit setzt. Anhand dieser Rekonstruktion kommt zum Vorschein, dass die transzendentale Kategoriendeduktion durch Hegel explizit als die Methode bzw. Logik der Philosophie aufgefasst wird. Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption wird zum spekulativen Denken als der Grundstruktur und wesentlichen Natur des philosophischen Nachdenkens. Hegel schreibt: „Dieses ist das wissenschaftliche Verfahren der Philosophie, [das] aus der philosophischen Logik vorauszusetzen [ist]“35.
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Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 32. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, S. 32.
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III. Schlussbemerkungen Mein Ziel war es, eine Leitlinie in der Kantischen und der Hegelschen Idee der Deduktion hervorzuheben, die erlaubt, im Allgemeinen nach der Bedeutung der transzendentalen Deduktion für uns heute zu fragen. Die Fragen „Was ist die transzendentale Deduktion?“ „Wieso ist sie für uns nützlich und relevant?“ lassen sich im Ausgang von dieser Rekonstruktion ansatzweise besprechen. In den Debatten über transcendental arguments, die die philosophische Diskussion über Kant in der analytischen Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet haben, ist das transzendentale Deduktionsverfahren programmatisch wiederaufgenommen worden. Transzendentale Argumente werden in diesen Debatten als antiskeptische Argumente interpretiert und als Argumente, in denen wir aufzeigen, dass wenn man Q zugibt man auch dazu gezwungen ist, P als Bedingung von Q zuzugeben. Wenn der Skeptiker z. B. behauptet, dass es keine Subjekt-unabhängige Gegenstände gibt aber zugleich annimmt, dass es möglich ist, „über sich selbst bewusst zu sein“, dass Selbstbewusstsein also existiert, dann benutzt man ein transzendentales Argument um dem Skeptiker zu zeigen, dass Selbstbewusstsein ohne die Annahme der Existenz unabhängiger Gegenstände nicht möglich ist, und dass daher vom Subjekt unabhängige Gegenstände existieren müssen.36 Die Betrachtung der ursprünglichen Idee der Kantischen und Hegelschen Deduktion zeigt, dass die antiskeptische Funktion transzendentalen Denkens nur ein Teil eines komplexen, in seinen multiplen Facetten noch zu erhellenden Unterfangens ist. Weitere Aspekte müssen mitgedacht werden, um die Natur des transzendentalen Denkens so vollständig wie möglich vor Augen zu führen. Sowohl in der ursprünglich Kantischen als auch in der Hegelschen Erörterung ist das Deduktionsverfahren eng mit der Aufgabe des Nachdenkens über besondere Begriffe, die Kant „Möglichkeitsbedingungen der objektiven Erkenntnis“ oder „reine Begriffe“ und Hegel „der Gedanke“ bzw. „reines Denken“ oder „der Begriff“ nennt, verknüpft. Es geht um Strukturen, die 1) in der selbst-reflexiven Tätigkeit des Ich-denke verwurzelt sind und d. h. selbst-reflexive Natur haben und 2) objektive / wahre Erkenntnis ermöglichen. Die transzendentale Kategoriendeduktion kommt dementsprechend als ein begriffsanalytisches Verfahren besonderer Art zum Vorschein.37 Da die Kategorien oder die Begriffe, die im deduktiven Verfahren analysiert werden, Möglichkeitsbedingungen objektiver / wahrer Erkenntnis sind, ist die Deduktion zugleich Normierung und Reglementierung des Rahmens, in dem objektive / wahre Erkenntnis möglich ist. Das bedeutet, dass die deskriptive Analyse von der normativen Aufgabe der Reglementierung und Einschränkung des Kategoriengebrauchs unzertrennlich ist. Hierin liegt die 36
Vgl. hierzu Stern (2017). Dass Deduktion im kantischen Sinne nicht primär Ableitung oder Beweis, sondern Exposition eines Begriffs (d. h. eine Form der Begriffsanalyse) ist, wird von Baum (1986) betont. 37
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juristische Bedeutung der Deduktion bei Kant und Hegel. Dieser Aspekt drückt sich in Kants Rückbindung der Kategorien auf das in der sinnlichen Anschauung gegebene Mannigfaltige und in Hegels Betonung der den philosophischen Beweis ausmachenden Dialektik zwischen Vorstellung und Begriff aus. Indem wir die Bedingungen objektiver Erkenntnis darlegen / analysieren, legen wir auch Kriterien fest, denen gemäß Erkenntnis stattfindet. Indem die Möglichkeitsbedingungen auf Erfahrung angewiesen sind, geht ihr Gebrauch nicht ins Leere. Die Kategorien bilden nur insofern den Horizont, der objektive Erkenntnis ermöglicht, als sie Leistungen des Ich-denke (d. h. des Begriffs, des spekulativen Denkens oder der Reflexion der Reflexion) sind.38 Dementsprechend hat die Kategoriendeduktion eine doppelte skeptische Aufgabe, nämlich erstens diejenige, das in der Erfahrung Gegebene durch die Kategorien als Funktionen des Ichdenke kritisch zu ordnen und zweitens diejenige, den Gebrauch der Kategorien auf das in den Formen der Sinnlichkeit gegebene Mannigfaltige zurückzubinden. Die Unzertrennlichkeit von Skeptizismus und Fundationalismus, die sich bereits in Kants Kategoriendeduktion ausdrückt, wird dann zu einem charakteristischen Zug der Kategoriendeduktion im deutschen Idealismus und der Hegelschen Idee der Dialektik als wissenschaftlichen Skeptizismus.39 Mit der Idee eines wissenschaftlichen Skeptizismus ist die Idee einer ermäßigten, „doppelt negativen“ Art der Notwendigkeit der Möglichkeitsbedingungen verbunden sowie der Gang des philosophischen Beweisverfahrens bestimmt.40
38 Über den Unterschied zwischen der Kantischen und der Idealistischen Konzeption der Subjektivität vgl. Düsing (2012), S. 159 ff. 39 Dass die Debatten über transcendental arguments nicht die Tatsache berücksichtigen, dass die transzendentale Deduktion der Kategorien und das kritische Vorhaben Kants insgesamt mit dem Vorhaben eines wissenschaftlichen Skeptizismus übereinstimmt, wird von Stapleford (2008) betont, vgl. S. 16 f., 25 f., 130. Vgl. hierzu auch Ferrari (2013), S. 255. 40 Vgl. Chiodi (1961), S. 77 ff. und Puder (1974), S. 43.
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘? Von Klaus Düsing Claudia Bickmann, der allzu früh verstorbenen, mir langjährig freundschaftlich verbundenen Philosophin zum ehrenden Gedenken1
Die zentrale, nur scheinbar einfache Frage, was Denken für den Kant der kritischen Philosophie bedeutet, wird keineswegs einfach zu beantworten sein. Der schwer aufzulösende „Knoten“ wird schon darin sichtbar, dass für Kant in Cartesianischer Profilierung Denken immer ‚Ich denke‘ heißt und dieses Ich oder Selbst oder Selbstbewusstsein von ihm wesentlich einsichtsreicher und differenzierter als durch seine neuzeitlichen Vorgänger, aber doch nicht endgültig und z. T. auch nicht einheitlich bestimmt wird. So gilt es hervorzuheben, welche grundlegenden Bedeutungen in diesem reinen Denken das reine Ich oder Selbstbewusstsein hat und von welcher internen Struktur es ist; dies ist entscheidend für die Klärung der Frage, wie es Prinzip der logischen Funktionen zu urteilen als dem Kernbestand der traditionellen formalen Logik sein kann sowie auch Prinzip der von diesen Urteilsformen geprägten Kategorien als der zentralen „Termini ontologici“. Denn gerade mit einem System der Kategorien bringt Kant eine deutlich stringentere Grundordnung der Ontologie zustande als die vorangehenden Ontologiekonzeptionen, wobei nach Kant dieses Ontologiesystem für das endliche Denken gerade noch keine Erkenntnis erbringt, sondern nur ein reines Gedankengebäude darstellt. Dies gründet also im reinen ‚Ich denke‘; aber Kant hat – außer in wenigen späteren Andeutungen – keine genetische Entwicklung der Urteilsformen und Kategorien aus der Einheit des ‚Ich denke‘ ausgeführt, wie alle nachfolgenden Idealisten kritisieren. Eine Art Ersatzlösung dafür könnte Kant in ganz anderem Kontext umrissen haben, nämlich in der Auflösung der „Paralogismen“ der rationalen Psychologie in der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“, die dem reinen ‚Ich denke‘ 1 Auch das Thema dieses Beitrags haben wir mehrfach in Gesprächen erörtert. Es war für sie in ihrer systematischen, zum Weiterdenken anregenden Kantinterpretation eingeschrieben in den Gesamtkontext: Denken des Mannigfaltigen, Denken des Denkens, Denken des Einen, das sie als Fundamentalidee im Kantischen „Ideal der reinen Vernunft“ erblickte; s. hierzu ihr umfassendes Werk: Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Einheitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Kants, Hamburg 1996.
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gelten. Hier skizziert er, dass vom ‚Ich denke‘ zwar keine Unsterblichkeit bewiesen werden kann, dass aber von ihm kategoriale Prädikate als reine Gedankenbestimmungen ausgesagt werden können; und diese stammen natürlich aus ihm selbst. Aber auch hier werden die Kategorien nicht genetisch aus dem ‚Ich denke‘ entwickelt, und es gilt zu eruieren, warum nicht. So sei nun in einem ersten Teil erörtert, welche grundlegenden Bestimmungen Kant vom reinen ‚Ich denke‘ konzipiert und ob sie miteinander vereinbar sind, ferner welche Selbstbewusstseinsstruktur er dabei zugrunde legt. Hierbei sei gezeigt, wie Kant zunächst Grundweisen der Synthesis aus der reinen Apperzeption aufsuchte, bevor er die Urteilsfunktionen in dieser begründete, ohne dass es zu einer genetischen Entwicklung kam. In einem zweiten Teil sei der viel erörterte Zirkel-Einwand gegenüber dem ‚Ich denke‘ am Anfang der „Paralogismen“ der Seelenlehre sowie in deren Auflösung dann die prinzipielle Charakterisierung des ‚Ich denke‘ durch reine kategoriale Gedankenbestimmungen aufgewiesen mit der Frage, wie das ‚Ich denke‘ darin entfaltet ist. In einem dritten Teil sei im Ausgang von diesen Kant-Darlegungen die Gewinnung eines reinen Selbstbewusstseinsmodells erwähnt, aus dem sich dann analytisch-genetisch grundlegende ‚Termini ontologici‘ z. T. in unterschiedlichen Ontologietypen entwickeln lassen.
I. Einfache Bestimmungen des ‚Ich denke‘ als Grundlage für Urteilsformen und Kategorien Die erste – und anspruchsloseste – Bestimmung des ‚Ich denke‘ besteht darin, dass es „möglich“ sein muss, dass es „alle unsere Vorstellungen“ „begleitet“2; nur auf dieses „Begleiten“ soll es zunächst ankommen. Diese Bestimmung erinnert an Lockes Erklärung, dass „das Bewusstsein das Denken stets begleitet“3; Denken bedeutet für Locke in diesem Kontext: etwas bewusst wahrnehmen; und dieses geschieht durch das Ich. Es „begleitet“ also unser bewusstes Vorstellen. Solches „Begleiten“, auch dasjenige, das Kantisch vom apriorischen ‚Ich denke‘ ausgesagt wird, hängt den Vorstellungen nur an und verändert sie inhaltlich nicht. So ist es auch selbst inhaltsleer und kein Begriff. Kant deutet hiermit an, dass solches ‚Ich denke‘ inhaltlich nicht produktiv ist, was offensichtlich Unsterblichkeitsbeweise für das rein denkende Ich abweisen soll. Aus solchem bloß begleiten-könnenden ‚Ich denke‘ aber lassen sich schwerlich Urteilsformen oder gar Kategorien hervorbringen. So fügt Kant – wie beiläufig – einmal hinzu, dass es „die Vorstellung Ich“ sei, die „sie alle begleitet und verknüpft“4. Aber hierin liegt die entscheidende Bestimmung, die Kant besonders in 2
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131, vgl. B 132, B 404 u.ö. Locke: Über den menschlichen Verstand, Bd. I, S. 420, vgl. auch 428 (ders. An Essay Concerning Human Understanding, Bd. I, S. 280 f., vgl. S. 286). 4 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 364. 3
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der zweiten Auflage ausführt5, dass das denkende Ich nicht als gegebenes im Fluss der Vorstellungen oder im Bewusstseinsstrom auftaucht und wieder verschwindet, sondern von ihm selbst ausgeübte, also spontane Synthesis von Vorstellungen und darin Vorgestelltem zustande bringt und damit nicht der passiv-rezeptiven Sinnlichkeit angehört, sondern aktive, spontane Tätigkeit ist, somit den Intellectus auszeichnet. Solche spontane intellektuelle Tätigkeit kann nicht impersonal oder anonym erfolgen, sondern muss von einem aktiven Subjekt vollzogen werden, dem Ich, das seiner gewiss ist. In Reflexionen der frühen siebziger Jahre nahm Kant hierfür, was nur erwähnt sei, eine intellektuelle Anschauung an, eine unmittelbare intellektuelle Selbstgewissheit des Ich von der eigenen Freiheit, was für Kant zugleich als Aufweis der Unsterblichkeit dieses selbständig agierenden Ich galt.6 Er verließ diesen Ansatz wieder, offenbar weil das Bewusstsein von Sittengesetz und Kausalität aus Freiheit von uns nicht intellektuell angeschaut, sondern nur gesetzmäßig gedacht werden kann. So kommt dann die spontane Synthesis spezifisch einem ‚Ich denke‘ zu. In den weiteren Reflexionen der siebziger Jahre, worauf hier ebenfalls nur hingewiesen sei, sucht Kant grundlegende Arten dieser spontanen intellektuellen Synthesis aufzustellen, z. B. hinsichtlich der Synthesis, ihrem Gegenteil, der Analysis (die er beide auch „Kategorien“ nennt) und der Thesis unter Hinzufügung von Verstandesbestimmungen.7 Wohl nicht nach langer Reifung, sondern eher kurzzeitig ergab sich für ihn, wie er in den „Prolegomena“ schildert, für die spontane Synthesis des ‚Ich denke‘ eine neue Einsicht in ein „Prinzip“ als eine „Verstandeshandlung […], die alle übrigen enthält“, nämlich als „Modifikationen oder Momente“,8 und dies Prinzip war die logische Einheit in Urteilsfunktionen; hier lag, wie Kant sagt, die „schon fertige“, wenn auch noch verbesserungsfähige „Arbeit der Logiker“ vor ihm. Die Grundarten der Verstandessynthesis des ‚Ich denke‘ sind also nach dieser neuen Auffassung Kants die logischen Funktionen zu urteilen. Dies ergab sich für ihn kaum aus einer genaueren Betrachtung jener rein logischen Formen; es ging für ihn vielmehr aus dem Versuch hervor, eine systematische Ordnung der Verstandessynthesen aufzustellen. 5
Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 129–138. Vgl. hierzu grundlegend Heimsoeth (1956), S. 227–257. Erlaubt möge auch der Hinweis auf die Darlegung des Verf. sein: Spontaneität und Freiheit in Kants praktischer Philosophie, in Düsing (2013b), S. 211–235, bes. 223–228. 7 Vgl. Kant: Reflexion 4476, AA XVII, S. 565 f.; auch Reflexion 4276, AA XVII, S. 492¸Reflexion 4493, AA XVII, S. 571 f., Reflexion 4674, AA XVII, S. 646 f. u. a. Zu Kants Suche nach Synthesisarten als Verstandeshandlungen in den frühen siebziger Jahren vgl. Carl (1989), bes. S. 57 ff.; Brandt (1991), S. 108 ff. Vgl. ebenso Heidemann, in: Hüning / Michel / T homas (2004), S. 189–218, hier bes. 196 ff., 209 ff. Vgl. auch vom Verf.: Düsing, in: Doyé / Heinz / Rameil (2004), S. 83–107, bes. 89 ff. 8 Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, AA IV, S. 323 f. (§ 39), s. diese Stelle auch im Folgenden. Zur korrespondierenden Vervollständigung der Ontologie vgl. Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, AA IV, S. 325 f. – Welche Aufnahmen, Modifikationen und Verbesserungen Kant in der Logik vornahm, dazu vgl. Wolff (1995), S. 19–43, 46 ff., 58–174. 6
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Die logischen Urteilsfunktionen sind also nichts anderes als die systematisch explizierbaren „Momente“ der reinen Verstandessynthesis oder des reinen ‚Ich denke‘. Von diesem Grundgedanken kann sich die formale Logik nicht suspendieren. Kant lässt in jener Bemerkung in den „Prolegomena“ über die „Momente“ der Verstandessynthesis als logische Urteilsfunktionen nicht erkennen, dass er eine Ableitung oder Entwicklung dieser „Momente“ aus der Einheit es ‚Ich denke‘ als eine grundlegende neue Aufgabe etwa zum Erweis ihres Systemcharakters ansah. Solches idealistische Denken war ihm ebenso wie etwa beim Vermögenspluralismus fremd.9 Allerdings finden sich nicht veröffentlichte Ansätze zum Zusammenhang der Urteilsfunktionen und ihres Verhältnisses zu den logischen Grundsätzen beim späteren Kant, wie hier hinzugefügt sei. So gründen bestimmte Urteilsfunktionen in obersten logischen Grundsätzen, wie Kant besonders im Brief an Reinhold vom 19.5.1789 skizziert. Im Satz vom Widerspruch gründet das kategorische Urteil: S ist P, dessen modale Gültigkeit bloß möglich, wie Kant sagt: bloß „problematisch“ ist. Im Satz vom logischen Grund ist das hypothetische Urteil mit seinem ‚Wenndann-Gefüge‘ verankert, dessen Satz, genauer: dessen Nachsatz von der modalen Gültigkeit der Wirklichkeit ist; der Nachsatz ist also assertorisch; und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist die Grundform des disjunktiven Urteils, dessen logische Modalgültigkeit die Notwendigkeit oder Apodiktizität ist.10 In der „Kritik der Urteilskraft“ betont Kant überdies den synthetischen Charakter der jeweiligen Dreigliedrigkeit der Urteilsfunktionen und Kategorien. Doch bleiben dies interne logische oder kategoriale Anordnungen, die weder das Hervorgehen der logischen Grundsätze noch der Urteilsformen noch der Kategorien in der jeweiligen Trichotomie aus der Einheit des ‚Ich denke‘ aufzeigen. Kant geht es vor allem um die systematische Aufstellung von ‚Termini onto logici“ oder Kategorien; die Urteilsfunktionen, die formal und inhaltslos bleiben, stellen für ihn die spezifisch logischen Teilbedeutungen der Kategorien dar. Sie sind die logischen, regelhaften Verstandeshandlungen, die aber nun nicht bloß formal bleiben, sondern regelgeleitete Zusammenfassungen oder Synthesen eines ihnen vorgegebenen, noch unbestimmten Anschauungsmannigfaltigen zustande bringen und dieses dadurch zu spezifischen Einheiten bestimmen. Dass und wie dies möglich und notwendig ist, diesem Problem gilt die „transzendentale Deduktion“ der Kategorien. Die Kategorien gelten dort in einem ersten Schritt als 9
Solches idealgenetische Denken gehört zum deutschen Idealismus; alle Idealisten fordern von Kant eine idealgenetische systematische Entwicklung der Urteilsfunktionen und der Kategorien, ebenso wie sie eine Überwindung des statischen, wenn auch systematisch geordneten Vermögenspluralismus bei Kant durch eine idealgenetische „Geschichte des Selbstbewusstseins“ für notwendig halten, die – je unterschiedlich – Fichte, Schelling und Hegel durchführen. 10 Vgl. Kant: Briefwechsel, S. 391; vgl. auch Kant: Fortschritte der Metaphysik, AA XX, S. 278. Vgl. zum Folgenden Kant: Kritik der Urteilskraft, LVII Anm., auch Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 110 ff. – Vgl. speziell zu jenem Brief an Reinhold auch die Hinweise von Reich (1948), S. 74 ff.
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logisch-regelhafte Zusammenfügungen eines gegebenen, d. h. rezeptiv-sinnlich vorgegebenen Mannigfaltigen überhaupt; dieses muss nicht unseren sinnlichen Anschauungsformen entsprechen, sondern kann von ganz anderer Art sein, wenn diese nur grundsätzlich sinnlich-rezeptiv ist. In einem zweiten Schritt wird dann bewiesen, dass die Kategorien regelhafte logische Synthesen unseres gegebenen räumlich-zeitlichen Mannigfaltigen sind. So stellt Kant die generelle Definition von „Kategorien“ auf als „Begriffen von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird“11. Die formale, logisch regelhafte Einheit in Urteilen ist also dieselbe logisch regelhafte Einheit wie in Kategorien als ontologischen Grundbegriffen, sofern diese nach Kant synthetische Bestimmungen eines, und spezifischer unseres, gegebenen Anschauungsmannigfaltigen sind.12 Auf diese Weise gewinnt Kant eine grundlegende systematische Ordnung der Ontologie, die an Stringenz die bisherigen Versuche deutlich übertrifft. Daher heißen bei ihm die ‚Termini ontologici‘ auch wieder wie bei Aristoteles: ‚Kategorien‘, die Urteilsformulierungen implizieren.13 Trotz aller Kritik am rhapsodistischen Charakter der Kategorienaufstellung bei Aristoteles14 folgt Kant doch dessen prinzipieller Intention, eine Ontologie (wie diese Wissenschaft des Seienden als solchen seit dem frühen 17. Jahrhundert heißt) von der Grundart einer urteilslogischen Ontologie aufzustellen. Ihr gegenüber steht, was hier nur genannt sei, eine dialektische Ontologie, wie sie Platon oder Hegel entwerfen.
II. Das ‚Ich denke‘, bestimmt durch reine Kategorien Eine Fortführung des problemreichen Verhältnisses von ‚Ich denke‘ und Kategorien ergibt sich in der „Kritik der reinen Vernunft“ an einer systematischen Stelle, die dafür nicht besonders prädestiniert zu sein scheint, nämlich in der Erörterung der „Paralogismen“ der Seelenlehre hinsichtlich der Unsterblichkeit. Am Anfang dieses Kapitels führt Kant den Versuch, die Unsterblichkeit des reinen ‚Ich denke‘ zu beweisen, allerdings so ein, dass ein solches Unternehmen von vornherein als aussichtslos erscheint; doch hier müssen die zahlreichen Interpretationen, die darin eine Unmöglichkeit der Bestimmung des reinen ‚Ich denke‘ sehen, kritisch betrachtet werden, wenn Kants spätere Sätze über eine Bestimmung dieses ‚Ich denke‘ einen Sinn behalten sollen. 11
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 128. Diese Auffassung fügt sich nahtlos insbesondere in die Theorie der „Selbstaffektion“ der zweiten Auflage ein, da die „Selbstaffektion“ die spontane Einwirkung des Verstandes auf das passiv vorgegebene anschauliche Mannigfaltige ist, wovon die Einbildungskraft – nun nicht mehr ein selbständiges Erkenntnisvermögen wie in der ersten Auflage – nur ein wesentlicher Ausübungsteil beim Menschen ist (vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 155 f.). 13 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 105. 14 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 105 ff. 12
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Kant legt an diesem Anfang die oben erwähnte, inhaltlich ganz anspruchslose Kennzeichnung des Ich als des ‚Ich denke‘ zugrunde, nämlich dass es inhaltsleer und nicht einmal ein Begriff, sondern nur ein „Bewusstsein“ sei, das die Begriffe bloß „begleitet“; ja sogar der Ich-Charakter wird hierin fraglich, wenn Kant vom „Ich oder Er oder Es (das Ding)“15 spricht, „welches denkt“, womit er offenbar auf Descartes’ Bestimmung des ‚ego cogito‘ als ‚res cogitans‘ anspielt. Dies „Subjekt der Gedanken“ ist danach nur ein konturloses: x; und wenn man von ihm etwas aussagen und es dadurch erfassen will, dann muss man den Inhalt des Auszusagenden schon in dieses für sich inhaltslose x-Subjekt verlegen, „um welches wir uns daher in einem beständigen Zirkel herumdrehen“, wenn wir darüber „urteilen“ wollen.16 Daraus folgerte Natorp17 – und viele folgten ihm hierin – das reine ‚Ich denke‘, d. h. die reine Apperzeption sei selbst unfassbar, ja undenkbar – wohlgemerkt: das reine ‚Ich denke‘, der reine Verstand sind demnach selbst undenkbar, was eine seltsame und sicherlich nicht Kants Ansicht ist. Das Zirkel-Argument verstand man in der Aufnahme Natorps auch als Zirkel der Reflexion in der Selbstvorstellung des denkenden Ich, nämlich dass sich das Ich, wenn es sich denkend erfassen wolle, eben dafür schon wieder voraussetzen müsse, was dann auch für das Sich-erfassen-Wollen des vorausgesetzten Ich gilt usf. ins Unendliche. Eigentlich ist dies ein Argument der unendlichen Iteration im fehlschlagenden Versuch der Selbstvorstellung. Aber erstens trifft dies auf Kant nicht zu, der sehr wohl mehrfach von einem reinen ‚Ich denke mich‘ spricht;18 und zweitens trifft es auf eine inhaltlich reichere Bestimmung des denkenden Ich nicht zu, weil Ich-Subjekt und Ich-Objekt nicht von symmetrisch gleichem Inhalt sind, sich also der sog. „Zirkel“ oder die unendliche Iteration nicht einstellt. – Kant denkt aber bei dem von ihm vorgebrachten Zirkeleinwand im allgemeinen Kontext der Unsterblichkeitsbeweise offenbar an einen Zirkel, wie er sich, ausführlicher formuliert, in einem Beweis ergibt. Wenn das Ich inhalts- und begrifflos ist, dann muss man, will man dessen intellektuelle, zeitlose Existenz nachweisen, in ihm schon voraussetzen, was sich in der Conclusio des Beweises erst ergeben soll, nämlich eben diese intellektuelle, zeitlose Existenz. Diese aber wird dadurch nicht bewiesen. So ist es ein Zirkel in einem Beweis, nicht in der Definition oder Begriffsbestimmung von Selbstbewusstsein.
15 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 404. Ob Kant hiermit auch an ein Diktum wie dasjenige von Lichtenberg denkt, der erklärt, man solle „es denkt“ sagen, „so wie man sagt, es blitzt“, mag offen bleiben; vgl. Lichtenberg: Aphorismen, S. 7 ff. 16 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 404. 17 Vgl. Natorp (1912), S. 27–39, 202–213. Vgl. auch zu späteren Erörterungen des Zirkelvorwurfs (im allgemeinen) Henrich (1967), S. 10 ff.; Gloy (1985), S. 47 ff.; s. auch folgende Anm. 18 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 158, 420, 429 f. u.ö. Zur Zurückweisung des Zirkel- oder Iterationsarguments vgl. ausführlicher und detaillierter vom Verf.: Düsing (1997), S. 97–120; dort finden sich auch systematische Differenzierungen des Zirkeleinwands und des Iterationseinwands sowie die Rückführung weiterer, radikaler Einwände gegen die Möglichkeit einer Konzeption von Ich, Selbst und Selbstbewusstsein auf den Iterationseinwand und das je zugrunde gelegte Selbstbewusstseinsmodell, ferner eine Geschichte solcher Einwände und ihrer Zurückweisungen bis in die Gegenwart.
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In der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ führt Kant die Widerlegung der Beweise unsterblicher Existenz des ‚Ich denke‘ nicht mehr im Einzelnen vor. Denn das eigentliche inhaltliche Grundargument kehrt immer wieder, nämlich dass der Mensch mit seinem endlichen Denken, das für Erkenntnisse auf unser sinnlich-anschaulich Gegebenes, hier: auf das Mannigfaltige der Zeit und dann auch des Raumes, angewiesen ist, eine unzeitliche, ja unsterbliche Existenz des rein denkenden Ich nicht erkennen könne. In der Auflösung der „Paralogismen“ aber ergibt sich, dass dies rein denkende Ich gleichwohl widerspruchslos gedacht werden und d. h. auch konsistent rein sich selbst denken könne (in logischem, nicht in konkret empirischem Sinne), ohne Existenzerkenntnis zu beanspruchen. Dies geschieht dadurch, dass das reine ‚Ich denke‘ durch signifikante Kategorien als reine Gedankenbestimmungen nach den vier Grundtiteln logisch bestimmt wird und damit sich selbst bestimmt in dem von Kant mehrfach erwähnten Sinn, nämlich dass „ich mich denke“ (s.o). In der ausführlichen Darlegung dieser gedanklichen Selbstbestimmung des reinen Ich, die also von Kant nicht zurückgewiesen wird, beginnt er mit der zentralen Bestimmung, die auch in Unsterblichkeitsbeweisen grundlegend ist, aber nun bloße Gedankenbestimmung bleibt, mit der Substanz aus der Titelgruppe der Relation.19 Das reine Ich, das da denkt, ist immer Subjekt seiner Gedanken, niemals bloßes Akzidens20, und zwar, wie man aus der vorausgegangenen ausführlicheren Charakterisierung der reinen Apperzeption ergänzen kann, als reines, spontanes und aktives, in der Vielzahl seiner Gedanken identisch bleibendes Subjekt und ihnen Zugrundeliegendes. Die so ergänzte Bestimmung des reinen ‚Ich denke‘ als Subjekt und Zugrundeliegendes seiner Gedanken geschieht für Kant nur in einem analytischen Satz21, in dem lediglich ein zentraler interner Sinn des ‚Ich denke‘ und des ‚Ich denke mich‘ hervorgehoben wird; es ist kein synthetischer Satz über eine substantielle, selbständige, rein intellektuelle Existenz des Ich, wie er für Unsterblichkeitsbeweise notwendig wäre.22 Die zweite reine Gedankenbestimmung, die dem reinen ‚Ich denke‘ in seiner analytischen Selbstbestimmung zukommt, ist aus der Titelgruppe der Qualität die Einfachheit.23 Denn die Apperzeption „ist etwas Reales“24, Sachhaltiges (von „res“) gemäß der rein gedanklich verwendeten Qualitätskategorie der Realität; und dies Reale ist sie spezifischer: als Einfaches. Damit ist nicht die metaphysische Bestimmung der Existenz des denkenden Ich gemeint, die besonders für Leibniz 19 Kategorien haben hier als rein gedachte doch inhaltliche Bedeutung; sie fallen ohne Bestimmung unseres räumlich-zeitlichen Anschauungsmannigfaltigen nicht lediglich auf die Urteilsfunktionen zurück, wie Kant gelegentlich nahelegt (vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 245). So bedeutet z. B. Freiheit: intelligible Kausalität und fällt nicht lediglich in die hypothetische Urteilsfunktion zurück. 20 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407. 21 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407. 22 Vgl. dazu und zum Folgenden Heimsoeth (1966), bes. S. 166 ff. 23 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407 f. 24 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 419.
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in der Lehre von der einfachen, unräumlich und damit unzerstörbar existierenden Monade von großer Bedeutung ist, sondern bloß die analytische Gedankenbestimmung des ‚Ich denke‘, die Kant in der ersten Auflage folgendermaßen erläutert25: Zwar kann ein vielfältiger Gedanke auf mehrere Subjekte verteilt werden; aber das: ‚Ich denke‘ einen solchen Gedanken und dessen Einheit, kann nicht auf dessen Teile verteilt und dadurch jeweils von sich getrennt werden; das Ich oder die reine Apperzeption als Subjekt des Denkens eines solchen Gedankens muss als einfach, somit als unzusammengesetzt und als nicht in sich geteilt aufgefasst werden.26 Die dritte reine Gedankenbestimmung des ‚Ich denke‘, die Kant auch schon in der Erörterung der zweiten vorausnimmt, ist die „Singularität“ des Ich27 oder die Einzelheit. Sie gehört zur Titelgruppe der Quantität. Die Einzelheit des ‚Ich denke‘ besteht, näher betrachtet, darin, dass das reine Ich oder die Apperzeption im Denken von vielen Gedanken eine und dieselbe bleibt.28 Die grundsätzliche Bestimmung der Identität der Apperzeption, die Kant zuvor in der „Kritik“ darlegte29, wird hiermit analytisch-kategorial der Einzelheit zugeordnet, obwohl Kant in jenen vorausgehenden Darlegungen die prinzipielle Bedeutung der synthetischen Einheit der Apperzeption der speziellen Kategorie der (quantitativen) Einheit übergeordnet hatte30; und auch die der „synthetischen“ folgende „analytische Einheit der Apperzeption“31 als das reflexive Bewusstsein des Ich von sich als eines und desselben in den vielen von ihm synthetisierten Vorstellungen,32 also der selbst bewussten Identität des Ich in ihnen, ist der Singularität des denkenden Ich eigentlich übergeordnet. In dieser systematischen Doppeldeutigkeit liegt, von Kant nicht erörtert, das grundlegende Problem des Kategorienursprungs.
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Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 354. Kant folgert aus der ursprünglichen Einheit, Ungeteiltheit und damit Einfachheit des Ich im ‚Ich denke‘, dass sie „nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sich fasse“, nämlich keinerlei Mannigfaltigkeit des anschaulich Gegebenen, und dass es insofern inhaltslos sei, Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 355. Unerwähnt bleibt hierbei, dass das denkende Ich, wie gerade aus den erörterten Prädikaten hervorgeht, eine gedankliche, logische Pluralität von Bestimmungen enthält. Vgl. zur detaillierten Darlegung des vielfältig erörterten (wesentlich von Leibniz ausgehenden) Gedankens der Simplizität der denkenden Seele und ihres Verhältnisses zur Singularität im 18. Jahrhundert und noch beim Kant der siebziger Jahre Dyck (2014), S. 113 ff., 121–129. Vgl. ebenso Engelhard (2005), bes. S. 254–275. 27 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 407. 28 Solche Einzelheit betrifft das Subjekt des Denkens; dieses bleibt aber hinsichtlich des konstituierten, rein logischen Gedachten „ein allgemeines Selbstbewusstsein“, Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 132. 29 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131–136. 30 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131. 31 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 133. 32 Die Lehre vom diskursiven Begriff, sofern er die analytische Allgemeinheit und Identität in sonst vielfältig Verschiedenem bedeutet, von dessen Besonderheiten dabei jeweils abstrahiert wird, ist bei Kant eigentlich nicht neu, wohl aber deren subjektivitätstheoretische Begründung in der analytischen Einheit der Apperzeption; vgl. auch vom Verf.: Düsing, in: Doyé / Heinz / Rameil (2004), bes. S. 103 ff. 26
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Die vierte reine Gedankenbestimmung des Ich, die dem kategorialen Titel der Modalität folgt, gilt der Existenz des denkenden Ich. Diese Bestimmung ist die schwierigste, da sie die Kritik an Descartes’ „cogito, ergo sum“ enthält. Kant weist den Cartesischen Anspruch auf Erkenntnis der substantiellen Existenz des ‚Ich denke‘ durch reines Denken als dogmatisch-metaphysisch zurück. Die Cartesische erste Gewissheit behalte nur Berechtigung, wenn sie als ‚Ich existiere denkend‘ lediglich „unbestimmte“ Wahrnehmung oder „unbestimmte empirische Anschauung“ ist33, d. h. ein psychisch-anschauliches, aber inhaltlich noch unbestimmtes Erlebnis, da z. B. noch kein bestimmter Inhalt dafür angegeben wird.34 Es ist, wie Kant problemreich sagt, damit weder ein bestimmtes Erkenntnisobjekt als Erscheinung noch gar ein Ding an sich; eine positive Bestimmung aber bleibt, wohl wegen der Unbestimmtheit des Wahrnehmungsinhalts, aus. – Dieses ‚Ich denke‘, das Kant in einer zweiten ebenfalls kategorial durchgeführten „Tafel“ bestimmt35, die mit der Modalität beginnt, muss als ‚Ich existiere denkend‘ und dieses in charakterisiertem Sinne nach Kant als „empirisch“36 verstanden werden; dieser zweite, kurze Durchgang durch die Bestimmungen des existierenden Ich ist also, wie Kants Erläuterung zeigt, im Ausgang von diesem Modalitätssatz über das Ich entgegen der Lehre Descartes’ empirisch fundiert. Von dieser unbestimmt empirischen Bedeutung aber ist das ‚Ich existiere d enkend‘ in dem hier erörterten ersten Durchgang der rein gedanklich-kategorialen Bestimmung nicht. Hier wird vielmehr dem ‚Ich denke‘ rein gedanklich und logisch die Kategorie der Existenz zugesprochen;37 wie bei Descartes, aber nur begrifflich wird damit das denkende Ich von allen möglichen Dingen außer ihm unterschieden; ob es ohne sie existieren kann, wird damit nicht gesagt. In diesem reinen ‚Ich existiere denkend‘ ist somit die gedanklich-kategoriale Bestimmung der Existenz analytisch enthalten. Der analytische Charakter dieser Aussage wird deutlicher, wenn man hinzufügt: Das reine ‚Ich denke‘ ist ein spontaner, aktiver, rein intellektueller Vollzug; und dieser muss als stattfindend, d. h. als seiend gedacht werden; er kann schwerlich als nicht stattfindend, d. h. als nichtseiend gedacht werden, wenn das ‚Ich denke‘ gilt. Aber dem ‚Ich denke‘ wird damit nur rein gedanklich-kategorial Existenz zugesprochen. Von dieser Bedeutung einer rein gedanklichen, analytisch im ‚Ich denke‘ enthaltenen Existenzaussage sind wohl
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Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 422, Anm. Zu weiteren Ausführungen über Kants Auseinandersetzung mit Descartes’ ego-cogito- sum-Lehre mag der Hinweis auf die Darlegung des Verf. gestattet sein: Düsing (2013a), S. 3–16. 35 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 419 f. 36 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 419 f. 37 Vgl. hierzu die differenziert argumentierende, lehrreiche, teils der hiesigen ähnliche, teils im Ergebnis abweichende Studie von Heidemann (2013), S. 153–164. Vgl. auch Dyck (2014), S. 183–190, bes. 189. Martin Heidegger interpretiert dieses Daßsein des reinen Ich als bloßes Vorhandensein, vgl. Heidegger: Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA II,21, S. 328 ff. 34
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auch Kants sonstige verstreute Bemerkungen, „dass ich bin“38 oder „Ich bin“39 geprägt. – Dieser Gedanke, dass dem reinen spontanen ‚Ich denke‘ widerspruchsfrei kategoriale Existenz zugesprochen werden kann, ohne darüber eine Erkenntnis zu gewinnen, ist die theoretische Mindestvoraussetzung für Kants Konzeption einer durch praktische Vernunft postulierten Unsterblichkeit. So zeigt sich in der kritischen Auflösung der „Paralogismen“ der Seelenlehre, dass vom ‚Ich denke‘ zwar keine theoretisch-metaphysischen Erkenntnisse von dessen zeitloser, ja unsterblicher Existenz gewonnen werden können, dass von ihm aber rein kategoriale Bestimmungen gedacht werden können; diese sind analytisch im ‚Ich denke‘ enthalten, das daher reicher bestimmt ist als in der oben erwähnten reduktionistischen Auffassung, es sei bloß Begleitung oder Vehikel von Vorstellungen, inhaltslos und nicht einmal ein Begriff. Damit will Kant offenbar nur hervorheben, dass unser endliches Denken keine mannigfaltigen Inhalte produktiv oder kreativ hervorbringt. Aber es wird, wie auch Kants Erläuterungen zu den kategorialen Bestimmungen zeigen, durchaus als spontane, synthetisierende, intellektuelle Tätigkeit gefasst, die synthetisch gedachte Einheiten zustande bringt und dabei selbst höchste synthetische Einheit ist als Prinzip logischer Regeln; und damit ist verbunden, dass sie reflexiv in solchen spontanen Synthesen der Vorstellungen ein Selbstbewusstsein der eigenen analytischen Identität zustande bringt. Die mehrfachen Bestimmungen der rein gedanklich von diesem ‚Ich denke‘ ausgesagten Kategorien kommen ihm analytisch zu. Doch werden diese Kategorien als reine Gedankenbestimmungen hierbei von Kant nicht genetisch aus der Einheit des ‚Ich denke‘ entwickelt; sie liegen unabhängig davon bereits vor, um auf das ‚Ich denke‘ nur angewendet zu werden; ihre statische Systematik geht für Kant, begründet in der statischen Tafel der logischen Urteilsfunktionen, bereits voraus. Aber erstens bedürfte diese selbst mancher Revision, bes. beim nicht-formalen einzelnen sowie unendlichen Urteil, und d. h., es bedürfte grundsätzlich einer eigenen, ihren Bestand allererst rechtfertigenden genetischen Entwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘. Zweitens ergeben sich nicht alle von Kant gelehrten ursprünglichen Verstandesbegriffe oder Kategorien hinsichtlich ihres logischen Gehalts aus den entsprechenden Urteilsfunktionen, was bei den Kategorien der Limitation (aus dem unendlichen Urteil) und der Wechselwirkung (aus dem disjunktiven Urteil) unmittelbar einleuchten dürfte. Vor allem aber gehen drittens den Kategorien, wie Kant selbst darlegt40, prinzipielle inhaltliche Begriffe voraus wie Gegenstand überhaupt, auch: Etwas im Gegensatz zu Nichts und andere, die für die Bestimmung der Einheit der Apperzeption unabdingbar sind wie synthetische Einheit, Identität, Verschiedenheit und weitere mehr. – Das sich daraus ergebende Programm folgt z. T. idealistischen Forderun-
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Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 157. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 138, B XL Anm. 40 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346 ff. 39
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gen Fichtes und Hegels, kann aber auch als Präzisierung und zugleich Erweiterung von Kants Bemühungen der siebziger Jahre verstanden werden, Grundweisen der Synthesis als Entfaltungen der reinen Einheit der Apperzeption aufzuweisen, bevor er die These vertrat, diese Weisen der Synthesis lägen vollständig in der statisch-systematischen Tafel der Urteilsformen vor als den hinreichenden logischen Bestimmungen der Kategorien.
III. Skizze eines genetischen Aufweises ontologischer Grundbestimmungen aus der Einheit des ‚Ich denke‘ Die folgende Skizze soll mit Modifikationen im Geist des kritischen trans zendentalen Idealismus verbleiben. Zunächst muss, da man die Darstellung nicht unmittelbar mit dem Prinzip anfangen kann, ein hinreichender Begriff vom reinen ‚Ich denke‘ – entsprechend Kants Begriff der synthetischen Einheit der Apperzeption und ihres Vollzuges – gewonnen werden, und zwar nicht abstrakt, sondern im Ausgang von konkreten lebensweltlichen Bestimmungen des menschlichen Denkens, die in phänomenologischer Deskription sowie durch Idealisierung und Konstitutionsanalyse zu reinen, wissensbegründenden Bestimmungen erhoben werden, damit man auf diese Weise zu einer begründeten Konzeption des Prinzips des spontanen reinen ‚Ich denke‘ gelangt;41 und dieses ‚Ich denke‘ erstrebt im Denken seiner selbst schließlich reines, intellektuelles Sich-selbst-Begreifen. Diesen prinzipiellen Ich-denke-Vollzug gilt es sodann, in seinen internen essentiellen Bestimmungen genetisch-analytisch zu entwickeln. Der spontane, aktive Vollzug des reinen ‚Ich denke‘ ist zuerst immanent intentional und konstitutiv gerichtet auf einen bloßen Vereinigungspunkt als Gedachtes überhaupt noch ohne nähere Bestimmung; jenes Ich denkt – mit Kant – einen 41
Auf die grundsätzliche Nachfrage in der Diskussion (von Rainer Schäfer, Bonn), wie ein solcher Aufstieg von lebensweltlichen Erfahrungen zum Prinzip des ‚Ich denke‘ denn gelingen soll, kann die Kurzantwort lauten: in umgekehrter Abfolge wie Husserls Rückgang in der Krisis der europäischen Wissenschaften (um 1936) von wissenschaftlicher Erkenntnis aufgrund des Prinzips des ‚Ego cogito‘ zum „vergessenen Sinnesfundament“, der Lebenswelt. An einem Beispiel sei es skizziert: Eine in sinnlich-lebensweltlicher Wahrnehmung gegebene Grünfläche wird in erster kulturell-lebensweltlicher Profilierung als rechteckiger Acker umgrenzt. Sodann wird – unter Absehen vom realen Acker – das geometrische Rechteck idealisierend hervorgehoben und damit ein erster Apriori-Bereich abgesteckt. Die Aussagen über Gesetzmäßigkeiten solchen Rechtecks beanspruchen bereits wissenschaftliche Einzelwahrheit, die einzufügen ist in zweidimensionale euklidische Geometrie als Sonderfall sehr viel reichhaltigerer, dann n-dimensionaler (Riemannscher) Geometrien; diese sind nur gedanklich zu konstruieren und beruhen letztlich auf in höherer Allgemeinheit noch weiter zu idealisierenden, im Prinzip logischen Aktivitäten, die nur ein konstituierendes reines ‚Ich denke‘ hervorbringen kann. Eine solche Skizze muss natürlich in einer Erkenntnistheorie näher ausgeführt und begründet werden.
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„Gegenstand überhaupt“42. Der erste spontane Actus des Denkens konstituiert also nur einen ganz allgemeinen, inhaltlich noch gänzlich unbestimmten Vereinigungspunkt der Intentionalität, nämlich jenen „Gegenstand überhaupt“. Dieser ist allgemeiner und deutlich unbestimmter als z. B. der Begriff: Seiendes. Wird nun der „Gegenstand überhaupt“ in jenem in idealisierendem Aufstieg gewonnenen intentionalen Denken des Ich inhaltlich näher bestimmt, so ergibt sich das Etwas wie bei Kant43, das „aliquid“ und sodann, inhaltlich reicher erfüllt, die ‚res‘ als Sach gehalt, d. h. zwei Transzendentalien nach alter Bestimmung, die in ihrer Allgemeinheitsbedeutung dem spezifischen Sinn von erst noch zu gewinnenden Kategorien vorangehen und die dann für alle diese Kategorien des ‚Ich denke‘ gelten. Wenn das ‚Ich denke‘ sich denkt, erfasst es sich somit in erster Folge als Gegenstand überhaupt und näherhin als Etwas und Sachgehalt im allgemeinen. Aber schon solches Etwas ist, wie Hegel später sagt, „der Anfang des Subjekts“,44 und zwar hier als in sich zentrierter, inhaltlich irgendwie bestimmter Vereinigungspunkt, der konstituiert wird durch jene zugrunde liegende Denkintentionalität, die darin ein anfängliches Moment ihrer selbst konstituiert. Diesem Etwas und Sachgehalt entgegengesetzt ist das Nichts, wiederum wie bei Kant45, das aber nicht bereits, wie Kant es vorsieht, in durch Kategorien spezifizierte Arten unterteilt werden kann, da diese noch gar nicht entwickelt sind. Vielmehr impliziert diese erste Entgegensetzung reine, ganz allgemeine logische Verhältnisbegriffe, nämlich: eben Entgegensetzung, bloße Verschiedenheit und Identität, wie sie dann als Momente der inneren Beziehung der reinen Apperzeption zu denken sind. Erst auf der Grundlage dieser ganz allgemeinen Bestimmungen lässt sich als genetische Weiterführung die zentrale Bestimmung der Ontologie entwickeln: Seiendes – so wie Hegel die reine Gedankenbestimmung des „Daseienden“ als Äquivalent für das griechische ‚on‘ oder das lateinische ‚ens‘ auf eine Reihe vorheriger, weniger bestimmter Denkinhalte folgen lässt;46 Hegels Abfolge dieser Anfangsbestimmungen, die inhaltlich eine andere als die hiesige ist, sei hier nur als Parallele erwähnt. ‚Seiendes‘ ist nun dasjenige Etwas und derjenige Sachgehalt, der explizit dem Nichts entgegengesetzt ist, dadurch eine bestimmte artikulierte Bedeutung hat, die begrenzt ist, hierin von Anderem, auch inhaltlich Bestimmtem, verschieden ist und in der Rückkehr aus dieser Verschiedenheitsbeziehung zu sich mit sich identisch ist. Platons oberste Gattungen im „Sophistes“ stellen eine bedeutsame Präfiguration hierzu dar. Auf dieser Basis können nun die Seinsbestimmungen entwickelt werden, die ‚Kategorien‘ heißen und nach dem Vorentwurf von Aristoteles in Kants Theorie systematisch in Urteilsfunktionen ein vorliegendes Mannigfaltiges synthetisch ver 42
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346. Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346 f. 44 Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 103. 45 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 346 f. 46 Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 68–95, 96–116. 43
Gibt es eine Kantische Kategorienentwicklung aus der Einheit des ‚Ich denke‘?
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einigen und dieses so zu bedeutungsreichen Inhaltsbestimmungen bringen; dieses so Bestimmte kann dann als ‚seiend‘ gesetzt werden – oder kürzer, aber auch weniger differenziert: Kategorien sind urteilslogische Bestimmungen von Seiendem. Erst hier also erhalten die Urteilsfunktionen logisch prägende Bedeutung für ontologische Gedankenbestimmungen, nämlich für Kategorien. Grundlegend für die kategorialen Bestimmungen innerhalb einer Ontologie ist nun einerseits die Kategorie der Substanz; sie bedeutet das selbständig und konstant Bestehende, das in sich zentriert ist und dem die wechselnden Akzidentien inhärieren. Hierin liegt das Fundament einer Substanzontologie. – Dieser Grundbestimmung der Substanz aber muss andererseits die Grundbestimmung des Ereignisses oder Prozesses ohne feststehendes Beharrliches als sich wandelndes Geschehen mit seinen verschiedenen Phasen oder auch Umbrüchen gegenüber gestellt werden; dies wird zum Fundament für einen anderen Ontologietypus, für eine Ereignis- oder Prozessontologie. Rein ontologisch sind beide Grundtypen gleichermaßen möglich; dabei mag es hier im Entwurf von ontologischen Grundbestimmungen bleiben. Als weitere Entwicklungen von ontologischen Gedankenbestimmungen des prinzipiell zugrunde liegenden ‚Ich denke‘ folgen als genetische Differenzierungen von Substanz oder von Ereignis die Relationskategorien der Kausalität und der Wechselwirkung in gewisser Analogie zu Kant. Die in diesen kategorialen Bestimmungen schon latent enthaltenen Modalbestimmungen: Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit und deren Gegenteile stellen als grundsätzliche Differenzierungen der Seinsarten von Seiendem ein weiteres, und zwar zentrales Problem dar. Entweder: diese Modaldifferenzierungen von Seiendem werden gänzlich unabhängig von Inhalts- oder gar Vollkommenheitsbestimmungen des Seienden gedacht, also ob es etwa unbelebt oder pflanzlich-organisch oder tierisch belebt oder geistig belebt ist; dann gelten sie im Grunde für alle Arten von Seiendem in einer universalistischen Ontologie, in der, wie Kant sagt, Sein „kein reales Prädikat“47 ist. Oder: Die Modalbestimmungen gelten differenziert für inhaltlich bzw. nach Vollkommenheit und Güte bestimmtes Seiendes, so dass vollkommeneres Seiendes auch in intensiverem, bedeutungsreicherem Sinne Seiendes ist als weniger vollkommenes. Dann orientiert sich eine solche Ontologie am Maßstab des höchsten, vollkommensten Seienden und bestimmt mit abnehmenden Graden der Vollkommenheit das immer weniger Vollkommene als weniger Seiendes. Dies geschieht in einer paradigmatischen Ontologie. Auch diese Ontologietypen sind rein ontologisch gleichwertig; eine Entscheidung fällt erst in deren jeweiligem Verhältnis zur Metaphysik. – So dürfte sich in dieser sehr vorläufigen und auch nicht vollständigen Skizze einer Ontologie gezeigt haben, dass die Kantische Urteilstafel keinen hinreichenden Grund zur Explikation einer gesamten Ontologie darstellt, dass diese vielmehr 47
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 626.
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in der Vielfalt ihrer reinen Gedankenbestimmungen grundsätzlich aus der Einheit des reinen ‚Ich denke‘ genetisch-analytisch entwickelt werden muss. Dieses ‚Ich denke‘ muss zuvor aus lebensweltlichen und wissenschaftlichen Vollzügen idealisierend herausgehoben und als reines Prinzip endlichen Denkens zunächst hinreichend eindeutig charakterisiert aufgestellt werden. Dieses ‚Ich denke‘ muss der dann folgenden Ontologie mit ihren reinen Gedankenbestimmungen, die ja gedacht werden müssen, immer zugrunde liegen, so dass es darin letztlich sich selbst denkt. Die einzelnen Gedankenbestimmungen werden inhaltlich als dessen Momente hervorgehoben und im intentionalen, immer komplexer werdenden Zusammenhang in analytisch-genetischer Methode entwickelt. Diese bedeutet, dass die erwähnten ontologischen Bestimmungen in immanenter Entwicklungsfolge aus dem ‚Ich denke‘ eruiert werden; solches analytisch-immanente Vorgehen bleibt freilich nicht bei isolierten, einzelnen Bestimmungen stehen, sondern entwickelt diese in einer synthetischen Sequenz. Dabei muss nicht jede einzelne Bestimmung schon – rudimentär oder höherstufig – intellektuelle Selbstbeziehung enthalten; diese Bestimmungen müssen vielmehr als zusammenhängende gedankliche Momente in ihrer synthetischen Einheit die entwickelte Bedeutung des reinen Denkens seiner selbst ausgestalten. – Die philosophische Grundposition bleibt hierbei die von Kant begründete eines kritischen transzendentalen Idealismus. Es ist das endliche ‚Ich denke‘, das hier expliziert wird, nicht ein absolutes Denken; und es werden in genetischem Zusammenhang ontologische Gedankenbestimmungen des reinen, sich letztlich vollständig in ihnen denkenden endlichen Ich entwickelt, die eine, aber eben auch nur eine wesentliche Bedeutung für wahre Erkenntnis haben. Sie bleiben zugleich angewiesen auf Wahrnehmung, freilich auf eine sehr viel stärker – als Kant es wissen konnte – durch vorherige Konstruktionen, Entwurfstheorien und ggf. hoch technisierte Versuche imprägnierte Wahrnehmung, die allererst in unsere natürliche Wahrnehmung zu unserem Verständnis zurücktransformiert werden muss, wenn uns wahre Erkenntnis gelingen soll.
Funktionale Reflexivität, Apperzeption und Selbstbewusstsein in Kants Transzendentaler Deduktion der Kategorien Von Reinhard Hiltscher Ich beabsichtige aufzuweisen,1 dass Kant für die Schlüssigkeit der Transzenden talen Deduktion zwei Aspekte der „Apperzeption“ strapazieren muss: Einen subjektbezogenen Aspekt einerseits und einen rein urteilstheoretisch-funktionalen Aspekt der Selbstbezüglichkeit des reinen Denkens andererseits. Beide Aspekte sind nicht zu eliminieren, wenn die „Deduktion“ argumentativ kohärent sein können soll, aber der urteilstheoretisch-funktionale Aspekt vermag erst den subjektbezogenen letztgültig zu fundieren. Andererseits ist die subjektbezogene Bedeutung der Apperzeption Bedingung dafür, dass Kant die invariante Reflexivität der Apperzeption überhaupt als ‚ichliches Selbstbewusstsein‘ charakterisieren durfte.
I. Apperzeption als Selbstbewusstsein. Das konkrete Subjekt, das als das erkennende Subjekt fungiert Wenden wir uns zunächst dem Text Kants zu. In § 16 der B-Deduktion schreibt Kant: „Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine nothwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben [ks. R. H.] Subject, darin dieses Mannigfaltige [ks. R. H.] angetroffen wird.“2 Die Wendung „in demselben Subject, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird“ schließt es aus, hier von einem ‚bloß logischen‘ Ich auszugehen.3 Denn es ist von einem ‚Subjekt‘ die Rede, in welchem sinnliches, dieses Subjekt individuierende Mannigfaltigkeit angetroffen wird. Andererseits indiziert die Formulierung „auf das: Ich denke“ [ks. R. H.] die Allgemeinheit des Geltungsgrundes.
1 Seit längerer Zeit schon versuche ich die Aufgabe einer funktionalen Rekonstruktion von Kants Transzendentaler Deduktion möglichst gut zu bewältigen. Ich habe hierfür in Form von Aufsätzen schon mehrere ‚Anläufe‘ unternommen. Im Literaturverzeichnis finden sich meine seit 2011 erschienen diesbezüglichen Arbeiten gesondert aufgeführt. Es sei hier ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Ergebnisse dieser angeführten Arbeiten in den vorliegenden Text eingearbeitet worden sind. 2 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 132. 3 Vgl. hierzu die erhellenden Ausführungen von Flach (2002), S. 115 f.
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Das „Ich denke“ bringt eine sehr spezifische funktionale Struktur zum Ausdruck, welche durch die zwei Wörter der Phrase artikuliert wird. (a) Das „Ich“ bezeichnet hier durchaus ein konkretes Subjekt, aber ein solches konkretes Subjekt, das die invarianten Funktionen des erkennenden Subjekts4 angemessen erfüllt. (b) Das „denke“ dagegen verweist auf die reine, dem konkreten Bewusstsein enthobene, gleichwohl singulare Funktion des Denkens selbst, welche das konkrete Subjekt (nur) in Anspruch nimmt. Nun drängt sich hier natürlich sofort die Frage auf, was denn nun unter der Funktion des singularen erkennenden Subjekts genau zu verstehen sei. Sie ist bezogen auf unseren ektypischen Verstand nichts anderes als die Gemeinschaft der invarianten Prinzipien der Sinnlichkeit (= reine Anschauungsformen) und des Denkens (= Funktionen des reinen Verstandes), sofern sie eine / alle jeweils erhobene Geltungsprätention(en) gültig formen. Mein Rekonstruktionsterminus ‚des erkennenden Subjekts‘, den Kant selbst nicht verwendet, unterscheidet sich von dem eines Transzendentalen Subjekts oder gar dem Begriff des „Gemüts“ ziemlich klar. Das ‚Transzendentale Subjekt‘ ist letztlich nur ‚statischer Prinzipieninbegriff‘, während das ‚Gemüt‘ sich teilweise zurecht als schlichter Vermögenssack karikieren ließe: Nur im wahrheitsdifferenten Erfahrungsurteil konstituiert sich ‚das erkennende Subjekt‘, da nur ‚bei Gelegenheit‘ des Erfahrungsurteils die Prinzipien des reinen Verstandes und die Anschauungsformen zusammen vollständig geltungsrelevant im Sinne einer erkenntnisfundierenden Funktionseinheit geformt sind und dementsprechend fungieren. Der ‚systematische Kitt‘, der die auseinander unableitbaren Prinzipien der Verstandesfunktionen und Anschauungsformen allererst zur funktionalen Einheit ‚des erkennenden Subjekts‘ formt, kann überhaupt erst in der Lehre vom gültigen Erfahrungsurteil sichtbar werden und hat in den Lehrstücken von der Affektion des inneren Sinnes durch den Verstand (§ 24 B-Deduktion) sowie in der Lehre vom transzendentalen Schematismus sein subjekttheoretisches Fundament. Das exegetische Problem hierbei liegt allerdings darin, dass Kant zu Beginn der B-Deduktion noch keinen genauen Gebrauch von der Bestimmtheit der Prinzipien unserer Sinnlichkeit macht (machen muss). Zumindest der Beginn der Deduktion setzt nur eine vom Verstand unabhängige Sinnlichkeit voraus, auf deren Mannigfaltiges der ektypische Verstand (gegenständlichen Sinn überhaupt stiftend) bezogen ist. Die Funktion ‚des erkennenden Subjektes‘ zu Beginn des § 16 stellt die invariante Kooperationsweise der Prinzipien des ektypischen Verstandes mit denen einer endlichen Sinnlichkeit überhaupt bei der funktionalen Erzeugung von synthetischer Einheit sinnlicher Mannigfaltigkeit dar. Diese Zugangsweise kann Kant wählen, weil seiner Doktrin nach einzig und allein das Denken synthetische Einheit und damit Bewusstheit zu stiften vermag. Es ist eine von Kant in wünschenswerter Deutlichkeit präsentierte ‚Bewusstseinsdoktrin‘, dass nur das Denken (der begriffliche Verstand) die Bewusstheit aller Vorstellun 4 Vgl. hierzu Hiltscher, in: Hüning / K lingner / Olk (2013), bes. S. 44–49 u. Hiltscher (2016), S. 44–54, bes. 47 ff.
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gen abschließend garantieren könne. Anschauliche Vorstellungen, sofern sie bewusst sein können sollen, müssen neben ihrem ‚sinnlichen Pol‘ deshalb auch eine Denkformung aufweisen. Daher vermag auch das konkrete Subjekt, das als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, sich nur selbst im selbstreferentiellen Denken (= im „Ich denke“) bewusst vorzustellen. Die Selbstbezüglichkeit des Subjekts im „Ich denke“ ist wegen der exklusiven Bewusstheit stiftenden Funktion des Denkens (qua Verstand) ausschließlich in die Kompetenz des Denkens gestellt.5 Der § 16 der B-Deduktion ist nun noch in einem anderen Punkte unmissverständlich. Das „Ich denke“ ist ein Gedanke, der immer erst jeweils erzeugt werden muss – keinesfalls begleitet jedoch das „Cogito“ als eine Art Automatismus eo ipso jeden Gedanken (bzw. Vorstellung). Soll mit dem Gedanken „Ich denke“ etwas Bestimmtes bewusst werden, muss dieser Gedanke immer auch und zugleich als „Ich denke etwas“ verstanden werden.6 Dies bedeutet aber auf dem Fundament von Kans Systematik: Der Gedanke „Ich denke“ kann ausschließlich dann als ein (je) bestimmter Sinn bewusst werden, wenn er in Beziehung zu einer „synthetischen Einheit“ erzeugt wird. Nun verlangt aber die Bestimmtheit des Cogitogedankens zudem, dass das Subjekt gerade mit diesem Gedanken „Ich denke“ das „Ich“ von der synthetischen Einheit unterscheidet, auf die das konkrete Subjekt jeweils bezogen ist. Die von Kant so deutlich eingeforderte durchgängige Denkbarkeit (!) der Identität des „Ich“ ist nur dann genau als eine solche möglich, wenn das Denken in seiner Prinzipiensphäre die durchgängige synthetische Einheit der an sich selbst noch unverbundenen Vorstellungen der Anschauung garantiert. Das konkrete Subjekt, sofern es als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, muss besagte synthetische Einheit mittels der invarianten Funktionen ‚des erkennenden Subjekts‘ leisten – vor allem natürlich mittels der invarianten Funktionen des Denkens. Das Selbstbewusstsein, das sich im „Ich denke“ ausdrückt, ist allerdings nur aufgrund einer zweifachen Unterscheidung möglich. Das konkrete Subjekt muss – wie gesagt – prinzipiell dazu in der Lage sein, sofern und nur sofern es die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, sich von jeder synthetischen Einheit bewusst 5
„Der Gedanke: diese in der Anschauung gegebene Vorstellungen gehören mir insgesammt zu, heißt demnach so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie wenigstens darin vereinigen; und ob er gleich selbst noch nicht das Bewußtsein der Synthesis der Vorstellungen ist, so setzt er doch die Möglichkeit der letzteren voraus, d. i. nur dadurch, daß ich das Mannigfaltige derselben in einem Bewußtsein begreifen kann, nenne ich dieselbe insgesammt meine Vorstellungen; denn sonst würde ich ein so vielfärbiges, verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin. Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen, als a priori gegeben, ist also der Grund der Identität der Apperception selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorhergeht.“ (Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 134). 6 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 403 f.
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zu unterscheiden, auf die es referiert (1). Dies allein reichte jedoch noch nicht aus. Denn das konkrete Subjekt muss gerade, indem und weil es die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, sich auch von dieser invarianten Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ unterscheiden7 können (2). Unterscheidung (1) ist notwendig, damit auch das konkrete Subjekt, insofern es als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, sich als durchgängige Identität denken (!) kann – Unterscheidung (2) ist erforderlich, damit diese Identität überhaupt als Ichbewusstsein verstanden werden darf. Im Klartext: Damit das konkrete Subjekt, das als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, sich auch als konkretes Subjekt als identisch und invariant mittels des ‚Ich‘ denken (nicht erkennen!) kann, muss es sich gleichermaßen von jeder synthetischen Einheit, auf die es bezogen ist sowie von der invarianten Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘, die es erfüllt, unterscheiden können.
1. Das bewusstseinstheoretische Argument Jede bewusste Vorstellung, sei sie anschaulicher oder begrifflicher Natur, muss in Beziehung zum „Ich denke“ stehen. Eine selbstreflexive Anschauung der Anschauung oder Wahrnehmung der Wahrnehmung schließt Kant bekanntlich kate gorisch aus. Nur die in der Beziehung zum „Ich denke“ etablierte Referenz auf das „Denkvermögen“ kann anschauliche Vorstellungen überhaupt letztlich bewusst machen.8 Im „Ich denke“ unterscheidet sich das konkrete Subjekt nämlich bewusst von den Vorstellungen, die es hat und die ‚nur‘ auf es bezogen sind.9 Bewusst kann diese Unterscheidung jedoch nur dann erfolgen, sofern die Vorstellungen, die vom ‚Bezugs-Ich‘ unterschieden werden, ebenfalls bewusst sind. Das Subjekt kann sich seiner also nur dann im Gedanken „Ich denke“ selbstbewusst werden, wenn es sich bewusst von Vorstellungen unterscheiden kann, die ebenso bewusst sind.10 Darin liegt nun eine erste bewusstseinstheoretische Pointe Kants: Da nämlich die anschaulichen Vorstellungen als solche noch nicht bewusst sind, muss sie das Subjekt, wenn es selbstbewusst sein können soll, allererst bewusst machen.11 7 Vgl. hierzu die hilfreichen Darlegungen von Königshausen (1977), S. 69, 75, 102 f., 171–177, bes. 170, 172 f. u. 176. Königshausen arbeitet vorbildlich heraus, dass die ‚bewusstmachende Meinheit‘ der Vorstellungen gleichermaßen der Bezogenheit der Vorstellungen auf das „Ich“ wie des Differenzbewusstseins von „Ich“ und Vorstellungen bedürftig sei. 8 Hans Graubner schreibt für diese Zusammenhänge sehr hilfreich: „Wenn sich nun das erkennende Subjekt als ganzes vorstellen, d. h. sich seiner selbst als erkennenden Subjekts bewußt sein können soll, so muß sich auch das reine Anschauen vorstellen lassen, und dieses Vorstellen muß, da es ein Anschauen nicht sein kann, ein denkendes Vorstellen, ein Bewußtsein des reinen Anschauens sein … Um aber … als mein Anschauen bewußt zu werden, muß das reine Anschauen vom ‚Ich denke‘ begleitet werden können, weil es nur so meine Vorstellung ist.“ (Graubner (1972), S. 108). 9 Vgl. hierzu Königshausen (1977), S. 69, 75, 102 f., 172 f. u. 176. 10 Vgl. hierzu Königshausen (1977), S. 69, 75, 102 f., 172 f. u. 176. 11 Vgl. Hiltscher, in: Hüning / K lingner / Olk (2013), S. 45 u. Hiltscher (2016), S. 44–50, exempl. 48.
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In Kants Terminologie heißt dies, dass das als solches unverbundene Mannigfaltige der Anschauung vom denkenden Subjekt einer synthetischen Einheit unterworfen wird.12 Die als invariant und ebenso als durchgängig gedachte Identität des „Ich denke“ kann als eine solche Invarianz und Durchgängigkeit nur bestehen, wenn sie grundsätzlich an jeder anschaulich präsentierten Vorstellung gedacht werden kann. Somit muss das Denken ‚schon immer‘ jede Anschauung bewusst gemacht haben (können) – und diese anschaulichen Vorstellungen schon durchgängig einer synthetischen Einheit unterworfen haben. Da diese synthetische Einheit aus der notwendigen Beziehung zum „Ich denke“ resultiert, wenn das „Ich denke“ und die präsentierten Vorstellungen bewusst sein können, so entspringt dieser Synthesisleistung eine notwendige synthetische Einheit. Zugleich bedeutet diese Unterwerfung anschaulicher Vorstellungen durch das Denken unter die notwendige synthetische Einheit auch, dass diese anschaulichen Vorstellungen hierdurch auf einen objektiven Gegenstand bezogen werden. Es ist allerdings als prima facie verborgener Clou dieser Position Kants zu bemerken, dass diese Konzeption keineswegs bedeutet, dass die gesamte Mannigfaltigkeit einer gegebenen Anschauung der notwendigen (!) Einheit unterliegen muss, sondern eben nur ein Teil.
2. Die Funktionalität ‚des erkennenden Subjekts‘ Diese Asymmetrie zwischen notwendiger und nicht-notwendiger synthetischer Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, die beide aus dessen Bezug zum „Ich denke“ resultieren, hat ihre Wurzel in Kants funktionalem Erkenntnisbegriff. Dieser Funktionsbegriff lässt sich vortrefflich am Modell von Organfunktionen veranschaulichen, ein Beispielshorizont, den auch Klaus Reich strapaziert hatte.13 Nehmen wir einen Medizintechniker an, der eine Apparatur entwickeln will, die z. B. die natürlich-biologische Nierenfunktion bei Nierenkranken substituieren soll. Eine Dialysemaschine braucht nun keinerlei Ähnlichkeit mit dem natürlichen Organ aufzuweisen. Allerdings muss der Medizintechniker z. B. sehr genau wissen, welches Material zum Bau der Maschine geeignet ist, damit diese die Funktion zu erfüllen vermag. Dies setzt zwingend voraus, dass der Medizintechniker einen hinreichend klaren Begriff von der ‚reinen Organfunktion‘ besitzt, den er technisch umsetzen kann – und dass er zudem diese ‚reine Funktion‘ von all ihren Anwendungsfällen bei konkreten natürlichen einzelnen Organen oder einzelnen 12
Vgl. Hiltscher (2016), S. 44–50, exempl. 48. Vgl. Reich (1986), S. 30. Uns zumindest partiell der Interpretation Michael Wolffs annähernd, können wir Kants Funktionsbegriff zunächst generell so bestimmen, dass er einen in sich geschlossenen „zeitfreien“ Handlungs-Typus bezeichnet, der potentiell unendlich oft instantiiert werden kann. Siehe Wolff (1955), S. 20–25, bes. 21 f.
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Maschinen zu unterscheiden versteht. Denn die reine Funktion des Organs kann potentiell unendlich oft instantiiert werden, das einzelne Organ oder die einzelne Apparatur fristen dagegen ein zeitlich begrenztes Leben. Die Nierenfunktion verhält sich erstens invariant in ihrem Bezug zu allen natürlichen Organen und Maschinen, die sie erfüllen. Zweitens bilden die Abläufe in einem bestimmten Organ oder einer bestimmten Maschine durch das Erfüllen der Funktion sozusagen eine individuelle funktionale Einheit. Nicht funktions dependente ‚Eigenschaften‘ an der Dialysemaschine dagegen, etwa, dass sie blau ist, dass sie eine bestimmte Aufschrift trägt etc. gehören drittens nicht zur Funktion der Maschine. Funktionsirrelvante Eigenschaften der Dialysemaschine (wie Farben oder Schriftart ihrer Aufschrift) können aber gleichwohl der einzelnen Maschine zugeschrieben werden. Es ist zwar für die Funktion einer einzelnen Dialysemaschine völlig ohne Belang, welche Farbe sie aufweist. Andererseits kann man trivialerweise z. B. die Farbe ‚Blau‘ der einzelnen Dialysemaschine als Dialysemaschine nur dann als Eigenschaft zuschreiben, wenn man davon ausgeht, dass de facto eine ‚funktionstüchtige‘ Maschine vorliege. Da wir den kantischen Erkenntnisbegriff als funktionalen rekonstruieren, kann uns die einzelne Maschine als Modell dienen: Jedes konkrete Subjekt fungiert als das invariante und singulare ‚erkennende Subjekt‘, wenn es notwendige synthetisch- gegenständliche Einheit gegebener Mannigfaltigkeit in einem geltungsrelevanten und empirisch geltungsdifferenten Urteil leistet. Dies ist der reine und invariante Funktionssinn der Erkenntnis. Jedes konkrete, jedoch funktionserfüllende Subjekt ist ein ‚Analogon‘ zu den funktionsgemäßen Abläufen in einer bestimmten einzelnen Dialysemaschine. Legt man die Ausführungen des § 19 der B-Deduktion zur „notwendigen Einheit der Synthesis“ zugrunde, so ist klar, dass diese Notwendigkeit der Bezogenheit der Vorstellungsmannigfaltigkeit auf die notwendige Einheit der Apperzeption entstammt. Diese jeweils durch das objektiv gültige (mithin geltungsdifferente) Urteil zu leistende Beziehung unterwirft diese Mannigfaltigkeit zugleich einer Beziehung auf den Gegenstand. Das geltungsrelevante Erfahrungsurteil besitzt deshalb notwendigerweise Gegenstandsbezug, aber es ist keineswegs notwendigerweise wahr. Es ist vielmehr notwendigerweise geltungsdifferent, d. h. empirisch wahr oder falsch.14 Wenn wir unser Modell vom Dialysegerät weiter strapazieren, müssen wir noch dessen funktionsirrelevante blaue Aufschrift auf das Funktionsmodell der Erkenntnis übertragen können. Die Parallele wird schnell klar, wenn man sich verdeutlicht, dass ‚das erkennende Subjekt‘, indem es ein gültiges gegenstandsbezogenes Urteil erzeugt, gleichwohl ‚nebenher‘ eine derivative Anschauungseinheit und eine para 14
Vgl. zum Begriff der Wahrheitsdifferenz vgl. Prauss (1971), bes. S. 81–101.
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sitäre empirische Bewusstseinseinheit mitermöglicht. Beide Einheiten sind aber gerade keine notwendigen Einheiten. Die derivative Einheit der Anschauung sowie die parasitäre Einheit des empirischen Bewusstseins können als solche (!) nur dem jeweiligen konkreten Subjekt zugeschrieben werden, gehören aber nicht in die reine Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘. Um dies besser verstehen zu können, sollten wir zwischen (1) Einheit der Anschauung vom Gegenstand, (2) der Einheit des Gegenstandes der Anschauung und (3) dem objektiven Gegenstand der Erkenntnis unterscheiden. Auch diese Unterscheidung trifft Kant nicht expressis verbis.15 Sie ist aber für das angemessene Verständnis von Kants Position von fundamentaler Bedeutung. Beginnen wir unsere Erläuterung sozusagen an den ‚Enden‘:16 Das, was ich in meiner Kantexegese die ‚Einheit der empirischen Anschauung vom Gegenstand‘ (1) nennen würde, ist in vollem Umfange ein Bestandteil des empirischen Bewusstseinslebens eines konkreten Subjekts. Es stellt seine einheitliche Anschauung dar, mit der dieses konkrete Subjekt jeweils in Bezug zu Gegenständen tritt. Das ‚andere Ende‘ stellt der objektive Gegentand (3) der Erkenntnis dar. Dieser wird im Urteil objektiv bestimmt gedacht – und zwar so – dass er im Urteil als nicht in der privaten Anschauung aufgehend gefasst wird. Ihm kommt deshalb intersubjektive Relevanz zu und er wird, indem er als objektiv gültig bestimmt wird, uno actu auch als intersubjektiv relevant bestimmt. Die ‚Mitte‘ und ‚Schaltstelle‘ ist m. E. im Gegenstand der Anschauung und dessen Einheit (2) zu sehen. Denn im Urteil werden gehaltliche Aspekte der Einheit der empirischen Anschauung auf den objektiven Gegenstand bezogen und stellen deshalb in ihrer Funktion als gedachte anschauliche Repräsentationen dieses objektiven Gegenstandes die Einheit des Gegenstandes der Anschauung dar. Diese Repräsentation wird vom konkreten Subjekt, sofern es als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, im Erfahrungsurteil geleistet. Der Gegenstand der Anschauung in seiner Einheit ist der bestimmbare Gegenstand, den die Anschauung kraft ihrer kategorialen Formung als zu bestimmenden Gegenstand gibt. Der Gegenstand der Anschauung ist nicht nur der kategorialen Formung bedürftig, sondern stellt innerhalb des kantischen terminologischen Kosmos ein Produkt von transzendentaler und produktiver Einbildungskraft dar. Transzendentale Einbildungskraft und produktive Einbildungskraft letztermöglichen in derivativer Weise die Einheit der Anschauung (= die Wahrnehmung) vom Gegenstand (Aspekt 1) sowie die Einheit 15
Vgl. hierzu Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2011), bes. S. 134–152. In diesem Aufsatz habe ich versucht nachzuweisen, dass Kant systematisch zwischen Einheit der Anschauung vom Gegenstand und Einheit des Gegenstandes der Anschauung unterscheidet, ohne diese Termini so zu benutzen. Der § 24 der B-Deduktion zeigt, wie die Einheit de Anschauung vom Gegenstand nur aus der Perspektive der Einheit des Gegenstandes der Anschauung möglich ist. Der § 26 entfaltet dann den vollständigen Sinn der Einheit des Gegenstandes der Anschauung. 16 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2011), bes. S. 137–147; Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2017), S. 181–188 und Hiltscher (2016), S. 32.
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des korrelativen empirischen Bewusstseinsvorganges (ebenfalls Aspekt 1) eines konkreten Subjekts, ausschließlich indem (!) sie Schemata in einen zeitlich-sukzedierenden Anschauungsvollzug ‚hineinregeln‘ und damit die gegenstandsrelevante Einheit des Gegenstandes des Anschauung (Aspekt 2) erzeugen. Während die kategorialen Schemata der transzendentalen Einbildungskraft Zeitschemata nach Kant sein sollen, stellen empirische Schemata der „sinnlich-empirischen Begriffe“ räumliche Gestaltschemata dar und sind ein Erzeugnis der engsten Kooperation zwischen empirisch produktiver und reiner produktiver Einbildungskraft. Die transzendentalen Zeit-Schemata haben die ausschließliche Funktion, die sinnliche Mannigfaltigkeit einer Anschauung (Wahrnehmung) zur anschaulichen Repräsentation kategorial fundierter objektiver Gegenständlichkeit überhaupt formbar zu machen. Die Gestaltschemata empirischer (sinnlicher) Begriffe stellen das Folgeergebnis des Fungierens kategorialer Zeitschema bezogen auf bestimmte empirische Mannigfaltigkeit dar. Denn erst dann, wenn sinnliche Mannigfaltigkeit schon als anschauliche Repräsentation von „Gegenständlichkeit überhaupt“ wahrgenommen werden kann, vermag diese Gegenständlichkeit in Begriffe von empirischen Gegenstandstypen spezifiziert zu werden, die eigene ‚Gestaltschemata‘ besitzen. Die reine produktive Einbildungskraft, wie sie z. B. in der Mathematik vonnöten ist, ermöglicht zudem mit ihren Schemata die räumliche Einheit jedes einheitlichen Gegenstandes der Anschauung in seiner „Figürlichkeit“. Man muss sich in diesen Zusammenhängen somit unbedingt verdeutlichen, dass es auch eine produktiv-empirische Einbildungskraft gibt17 – und nicht nur die reine produktive Einbildungskraft, wie man dies oftmals in der Sekundärliteratur fälschlicherweise liest. Der empirische Begriff vom Gegenstand und sein Schema regeln sich in die konkrete Apprehensionsvollzug (eines Gegenstandes) ein. Hier müssen wir zwei Aspekte der empirisch-produktiven Einbildungskraft unterscheiden. Einmal ist Kant so zu verstehen, dass die produktive empirische Einbildungskraft in engster Kooperation mit der reinen produktiven ‚Raumeinbildungskraft‘ ein Schema des „sinnlichen empirischen Begriffes“ in Form einer ‚schematischen Raumgestalt‘18 erzeugt, der andere Aspekt der empirisch produktiven Einbildungskraft (im Sinne der B-Deduktion) liegt in der empirischen Apprehension, die gemäß den transzen 17
Vgl. Natterer (2003), z. B. S. 177. Vgl. auch Haag (2007), z. B. S. 257. „…das Bild ist ein Product des empirischen Vermögens der productiven Einbildungskraft [ks R. H.], das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen und an sich demselben nicht völlig congruiren.“, Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 181. 18 „Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Thieres [ks. R. H.] allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein.“, Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 180. Ähnlich wie in der Prädikabilienlehre Kants könnte man beim Schema empirischer Begriffe eine Mischung von Apriorität und Empirizität vermuten. Dies allerdings ist ein anderes Thema.
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dentalen Schemata, den Schemata der reinen produktiven Einbildungskraft, aber eben auch gemäß den Schemata empirischer Begriffe fungieren muss und hierdurch das singulare Bild eines konkreten Gegenstandes im Sinne der Einheit der Anschauung vom Gegenstand zusammensetzt. Die empirische Apprehension, die ihre Tätigkeit gemäß den drei Schematypen leistet, ist notwendigerweise ebenfalls eine Funktion der empirisch produktiven Einbildungskraft. Nun gilt nach Kant aber für alle Typen von Schemata, dass kein konkretes Wahrnehmungsbild mit einem Schema gleichgesetzt werden darf. Der schemagemäße Vollzug der Einbildungskraft erzeugt jedoch ein Wahrnehmungsbild (Einheit der Anschauung vom Gegenstand), das wegen sein Konkretheit einen ‚Bestimmtheitsüberschuss‘19 seinem Schema gegenüber beinhalten muss. Besagter Bestimmtheitsüberschuss ist exakt jener Teil der Einheit der Anschauung vom Gegenstand, der zumindest noch nicht als Einheit des Gegenstandes der Anschauung bewusst wurde, da er noch nicht im Erkenntnisurteil wahrheitsdifferent auf einen Gegenstand bezogen wurde. Wenn Peter20 – im Sinne des bekannten kantischen Gedankenexperimentes – um ein Haus herumläuft, verfügt er natürlich über eine zeitlich-subjektive Folge vor Wahrnehmungen. Allerdings bedarf es eines Elementarurteils mit Geltungs anspruch wie „An dieser Straße befindet sich ein Haus“ um diese Folge als Repräsentation eines Gegenstandes zu fassen, der gerade nicht in seinem Angeschaut werden aufgeht. Das Urteil formt allererst den gegenstandsrelevanten Inhalt der Wahrnehmungsfolge zu einer geltungsrelevanten und objektiven Sinneinheit. Mit dieser Leistung im Urteil fungiert Peter als ‚das erkennende Subjekt‘. Und ein weiterer ‚Clou‘ verbindet sich mit dieser Konzeption. Denn gerade indem Peter im Urteil einen Teil des gegenstandsrelevanten Inhalts der Wahrnehmungsfolge als Repräsentation des objektiven Gegenstands fasst, besitzt seine Wahrnehmungsfolge zusätzlich gleichsam parasitär eine empirische Bewusstseinseinheit, in der Peter gerade nicht als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert. Diese derivativ parasitäre Einheit charakterisiert ihn vielmehr als ein konkretes Subjekt. Ganz sicher sind sie nämlich betreffs des bezeichneten Elementarurteils nicht als gegenständliche Repräsentationen aufzufassen: Dass die Vorderseite des Hauses subjektiver Ausgangspunkt der Wahrnehmungsfolge ist und nicht die Rückseite, dass der breite Haupteingang des Hauses perspektivisch zwischen Zeigefinger und Daumen von Peters rechter Hand passt, dass vor dem Haus Fahrräder wahrgenommen werden (zu denen auch prinzipiell Gegenstände hinzugedacht werden können), dass das Haus lindgrün angestrichen ist, etc. etc. Ein isolierter ‚atomisch-einzelner‘ Gegenstand der Anschauung kann niemals wahrgenommen werden, sondern ist vielmehr stets Teil einer viel größeren empirischen Wahrnehmungsstruktur, in die er eingegliedert ist. Aus besagter größerer Wahrnehmungsstruktur lassen sich nun immer erneut weitere Gegenstände der Anschauung durch weitere einzelne Urteile ausgliedern. Urteilsfunktional betrachtet, ist der einheitliche Gegenstand der An 19
Vgl. Birrer (2017), z. B. S. 64 f. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2011), bes. S. 137–147; Hiltscher Krijnen / Zeidler (2017), S. 181–188 und Hiltscher (2016), S. 32. 20
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schauung der zur Bestimmung gegebene Gegenstand – um mit Werner Flach zu sprechen – er fungiert als die Bestimmungsaufgabe der Erkenntnis. Diese Weiterbestimmung kann dadurch erfolgen, dass Elemente der Einheit der Anschauung vom Gegenstand, die bisher noch nicht zur Einheit des Gegenstandes der Anschauung zu rechnen sind, im Erfahrungsurteil neu und zusätzlich als Elemente der Einheit des Gegenstandes der Anschauung gedacht werden.21 Und das heißt genauerhin, dass wir es nach Kant mir einer sehr originellen, asymmetrischen Begründungsstruktur zu tun haben: Das Urteil (und mithin ‚das erkennende Subjekt‘) fundiert, indem es notwendige synthetische Einheit funktional leistet, einerseits die Bewusstseinseinheit einer gesamten Wahrnehmungsfolge, doch nur die inhaltlichen Elemente dieser Folge, die durch das Urteil qua notwendige synthetische Einheit als Repräsentationsmomente des objektiven Gegenstandes gedacht werden, stellten den geltungsrelevanten Gegenstand der Anschauung dar. Nur die durch das Urteil gedachte und mithin erzeugte Sinneinheit der Wahrnehmungselemente, die aufgrund dieser notwendigen synthetischen Einheit gegenstandsrepräsentativ fungiert, ist Leistung des konkreten Subjekts, insofern es als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert – die hierdurch derivativ und parasitär bedingte empirische Bewusstseinseinheit des konkreten Subjektes dagegen gehört nicht unter die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘. In dem schon von uns angesprochenen Elementarurteil „An dieser Straße befindet sich ein Haus“ stehen mit objektiver Relevanz vor allem jene Wahrnehmungselemente im Mittelpunkt, die man als Spezifikationen des Elementarkategorienpaars Substanz / A kzidenz auffassen kann und die es erlauben, der Anschauungssequenz einen Gegenstand hinzuzudenken.22 Obschon also das einheitliche Wahrnehmungsbild vom Gegenstand, sowie insbesondere die Einheit der Anschauung vom Gegenstand, in toto das Fungieren der transzendentalen und produktiven Einbildungskraft voraussetzen müssen – und nur kraft ihrer begrifflichen Strukturiertheit sowie ihrer notwendigen Urteilsreferenz möglich sind –, stellen weder einheitliches Wahrnehmungsbild noch die Einheit der Anschauung vom Gegenstand vollumfängliche Repräsentationen des Gegenstandes dar. Um es erneut zu sagen: Nur im gegenstandsreferenten Urteil, in dem Elemente der Einheit der Anschauung (bzw. der Einheit der Einbildungskraft) als Repräsentationen einheitlichen gegenständlichen Sinns gedacht werden und damit als einheitlicher Gegenstand der Anschauung vorgestellt werden, fungiert das konkrete 21
Peter könnte z. B. mit Blick auf das minimal bereits erstbestimme Haus urteilen: „Das (besagte) Haus dort ist (überdies auch) lindgrün“. Durch dieses Urteil würde nun ein weiteres inhaltliches Element der kontinuierlichen Wahrnehmungsfolge als Repräsentation des Gegenstandes gedacht werden und damit als wahrheitsdifferente und geltungsrelevante Urteilsleistung ‚dem erkennenden Subjekt‘ zugeordnet werden. 22 Vgl. hierzu durchgängig durch die gesamte Monographie Prauss (1971); Cramer (1985), S. 216 f. u. Zocher (1959), S. 39. Alle genannten Arbeiten profilieren das ‚Hinzudenkenmüssen‘ des empirischen Gegenstandes selbst zu seiner Erscheinung.
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Subjekt als ‚das erkennende Subjekt‘. Alle anderen, mit keiner notwendigen Synthesis verbundenen Elemente dieser Einheit der Anschauung vom Gegenstand stellen eine prinzipientheoretisch derivative Einheit nur des konkreten Subjekts dar. Keinesfalls ist dies aber so zu verstehen, als ob zuerst die Einheit der Anschauung vorläge und sich danach aus ihr erst durch das Urteil der Gegenstand der Anschauung (bzw. die Einheit des Gegenstandes der Anschauung) erzeugte. Vielmehr liegt der Fall genau umgekehrt. Ausschließlich bezogen auf die Folge der Bewusstseins- und Wahrnehmungszustände, die adäquat die invariante Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, kann das konkrete Subjekt, das jeweils als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, sich als eine Identität gegenüber all seinen Vorstelllungen denken. Diese ‚abgeleitete Identität‘ des fungierenden konkreten Subjekts erlaubt es diesem schließlich, sich all seine bewussten Wahrnehmungs-und Bewusstseinszustände zuzuschreiben – eben auch die nicht geltungsrelevanten. Sofern diese ‚Selbstzuschreibung‘ sowie die vorstellbare (!) Identität des konkreten Subjekts nur möglich sind, sofern dieses als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert und diese Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ immer schon notwendigerweise die kategoriale Bezogenheit auf objektive Gegenstände (mindestens auf den „Transzendentalen Gegenstand“ der A-Deduktion) zur Voraussetzung hat, ist das Wahrnehmungsbewusstsein eine derivative Folge objektiven Gegenstandsbewusstsein und objektiver Gegenstandsreferenz im Erfahrungsurteil.
3. Parasitäre Prinzipiation im Wahrnehmungsurteil Hier hat Kants Lehrstück vom „Wahrnehmungsurteil“ seinen systematischen Ort.23 Wenn man das, was Kant zu diesem Urteilstyp in der B-Deduktion (vor allem aber in den ‚Prolegomena‘, AA IV, S. 298–302) auf den Punkt bringen will, so könnte man das Wahrnehmungsurteil als eine defizitäre Untererfüllung der Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ fassen. Laut Kants Einlassungen soll das Wahrnehmungsurteil begrifflich, durch Urteilsfunktionen jedoch nicht durch Kategorien geformt sein. Begrifflich strukturiert muss es sein, da nur begrifflich Geformtes für Kant zu Bewusstsein kommen kann. So könnte man z. B. – um ein simples Beispiel zu strapazieren – ein Foto, das Personen oder Gegenstände darstellt, auf die weiße Rückseite legen und zerschneiden. Würde man z. B. darauf achten, diese weiße Fläche in völlig gleichartige Quadrate zu teilen und diese dann durcheinander vermischen, so wäre es problemlos möglich, die weiße Rückfläche wieder in alter Form zusammenzusetzen. Es wäre jedoch ein gigantischer Zufall, wenn hierdurch auf der Vorderseite wieder das genaue Ursprungsfoto entstünde. An diesem Beispiel lässt sich leicht der Kern des Unterschiedes zwischen Einheit der Anschauung vom Gegenstand und Einheit des Gegenstandes der Anschauung absehen. Eine Einheit der Anschauung vom Gegen 23
Vgl. zu diesem Abschnitt besonders Hiltscher, in: Krijnen / Zeidler (2017), S. 185 ff.
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stand kann allein schon durch unmotiviertes Drehen des Kopfes entstehen – so wie die weiße Rückfläche des Fotos problemlos nur nach Quadratform ‚kombiniert‘ werden kann. Nun könnte man eine Kombination auch nach Regeln empirischer Assoziation vornehmen. Etwa könnte man die zerschnittenen Quadrate nun doch auf die Vorderseite drehen und sie nach bloßen Farbähnlichkeiten und Farbabstufungen (ohne auf den Zusammenhang der dargestellten Objekte zu achten) wieder zusammensetzen. Erkennbar ergäbe sich hier wiederum keine gegenständliche Ordnung. Fest steht allerdings, dass man einen Unterschied zwischen der assoziativ-willkürlichen Zusammensetzung der zerschnittenen Teile (entspricht Einheit der Anschauung vom Gegenstand) und der wirklichen Zusammensetzung der abgebildeten Dinge des Fotos (entspricht Einheit des Gegenstandes der Anschauung) nur treffen kann, sofern man diese abgebildeten Gegenstände des Fotos wirklich kennt und diese auch jederzeit zur Unterscheidung zur Verfügung hat. In einer nicht räumlichen (wie im Beispiel), sondern zeitlichen Assoziation könnte dann das Kriterium der Verbindung die Beobachtung einer ständigen Begleitung von bestimmten Vorstellungstypen sein. In den ‚Prolegomena‘ erwähnt Kant bekanntlich die assoziative Verknüpfung der Vorstellungen von Stein, Sonne und Wärme. Aber genau wie in unserem Beispiel können in einem Wahrnehmungsurteil nur deshalb geltungsirrelevante Aspekte der Einheit der Anschauung vom Gegenstand in assoziativer Weise als subjektive Aspekte bewusst gemacht werden, sofern schon immer bestimmte Aspekte der Einheit der Anschauung von Gegenstand im Urteil als Repräsentationen des objektiven Gegenstandes gedacht worden sind. Die assoziative Verknüpfung von Rottönen auf unserem Foto können wir nur deshalb als gegenständlich unangemessen verstehen, wenn das Foto nicht nur ausschließlich Farbtöne präsentiert, sondern Farbtöne an abgebildeten Gegenständen. Für das Beziehen der geltungsrelevanten Teile der einheitlichen Anschauung im Urteil (im Sinne des Gegenstandes der Anschauung) auf objektive Gegenstände, die hierdurch gegenstandsrepräsentierend gedacht werden, müssen deshalb schon alle Kategorien fungieren, insbesondere auch die Relationskategorien. Formulieren wir die Begründungsstruktur ein wenig ‚angelehnt‘ an die Deutung dieser Zusammenhänge durch Gerold Prauss:24 Im „wahrheitsdifferenten Urteil“ muss mittels des kategorialen Apparates zu einer Erscheinung schon immer ein objektiver Gegenstand hinzugedacht worden sein (sei es auch nur durch ganz elementare zeitlich-räumlich Separierung eines Gegenstandes als bestimmbaren Gegenstand), soll das parasitäre Wahrnehmungsurteil die nicht geltungsrelevanten Aspekte der Einheit der Anschauung vom Gegenstand bewusst machen können. Nur weil also das konkrete Subjekt als ‚das erkennende Subjekt‘ im geltungsrelevanten Urteil fungiert und hierdurch auch die Einheit des Gegenstandes der Anschauung er 24
Zum Begriff der „Wahrheitsdifferenz“ siehe Prauss (1971), bes. S. 87, 98, 173, u. 235. Zum „Hinzudenken“ der Gegenständlichkeit zu Erscheinungen vgl. durchgängig durch die gesamte Monographie Prauss Prauss (1971); sowie Cramer (1985), S. 216 f. u. Zocher (1959), S. 39.
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zeugt, kann es überhaupt eine bewusste und einheitliche Anschauung vom Gegenstand besitzen, die z. T. aus bewussten Sinnelementen besteht, die noch nicht im geltungsdifferenten Urteil dem Gegenstand der Anschauung zugeschrieben worden sind. Die Einheit des Gegenstandes der Anschauung, die im Erfahrungsurteil konstituiert wird, ermöglicht die gesamte Einheit der empirischen Anschauung vom Gegenstand – und diese letztere wiederum die Einheit des empirischen Bewusstseins des konkreten Subjekts. Die Abkünftigkeit des Wahrnehmungsurteil erweist sich als unhintergehbar.
II. Apperzeption als funktionale Reflexivität Damit sind wir nun beim rein urteilslogischen Sinn der „Apperzeption“ angelangt. Denn das konkrete Subjekt fungiert ausschließlich im geltungsdifferenten Erfahrungsurteil als ‚das erkennende Subjekt‘, da nur in diesem „Erfahrungsurteil“ die invarianten Funktionen von Denken und Sinnlichkeit, die nach Kant nicht auseinander ableitbar sind, auch eine voll bestimmte, invariante und damit objektiv gültige Begründungsgemeinschaft von Prinzipien bilden. Die Prinzipien des objektiv gültigen Erfahrungsurteils sind damit erstens auch die abschließenden Prinzipien der Invarianz ‚des erkennenden Subjekts‘ und hierdurch zweitens zugleich die Prinzipien der Identität des konkreten Subjekts, sofern dieses als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert. Der ‚Clou‘ besteht somit darin, dass diese durch apperzeptive Prinzipienmomente konstituierte objektive Einheit des Urteils sowohl die funktionale Invarianz ‚des erkennenden Subjekts‘ als auch die Identität des konkreten Subjekts, das als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, allererst letztfundiert.
1. Das „Vermögen“ der Apperzeption als ursprüngliche Reflexivität des reinen Denkens Erinnern wir an unser Beispiel von der Organfunktion. Der Medizintechniker muss den Sinn der reinen Funktion des Organs unterschieden von allen ihren konkreten Inanspruchnahmen bei einzelnen Organen denken können, wenn er eine Maschine konstruieren will, welche die Organfunktion zu substituieren vermag. Das heißt anders gesagt, dass die reine Funktion nur dann durchgängig invariant gegenüber allen ihren Instantiierungen sein kann, wenn sie auch von diesen unterschieden gedacht werden kann und nicht in diesen Einzelheiten einfach aufgeht. Ginge sie nämlich in diesen Einzelheiten auf, könnte man die Funktion nicht als potentiell unendlich verstehen. Die Organfunktion muss auf einen reinen Begriff gebracht werden können, der ihre unbegrenzte Aktualisierung bei einzelnen natürlichen Organen oder Maschinen möglich macht. Auch das Denken in seiner Eigenbestimmtheit muss, da es eine solche reine Funktion sein soll, von allen seinen Begründungsleistungen (z. B. in einzelnen Urteilen
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oder geltungsrelevanten Vorstellungen) unterschieden gedacht werden können. Erkennbar kann diese Unterscheidung seiner selbst von allen seinen ‚Prinzipiaten‘ aber nur das Denkens selbst leisten, da Denken sich in sich nur im Denken selbst differenzieren und unterscheiden kann. Diese selbstbezügliche Unterscheidung des Denkens von seinen jeweiligen Prinzipiierungsleistungen ist jener Sinn von Apperzeption, den ich funktionale Reflexivität nenne und der mit einer bewusstseinstheoretischen (bzw. subjekttheoretischen) Lesart von Apperzeption nichts mehr zu tun hat. Besagte funktionale Reflexivität fundiert (1.) die objektive Einheit der Apperzeption im geltungsrelevanten Erfahrungsurteil, (2.) die Konstanz begrifflicher Regeln, (3.) die Invarianz und potentielle Unendlichkeit der reinen Funktion der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption selbst allen konkreten Gedanken gegenüber und schließlich (4.) die Invarianz der ursprünglichen Form jedweden Denkens qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption in allen ihren Funktionsmodi (Kategorien und Urteilsfunktionen).
2. Der elementare Urteilstheoretische Sinn der Apperzeption Die Struktur jedes gültigen Verstandesgebrauchs wird von Kant als Leistung des reinen Denkens verstanden, mannigfaltige Vorstellungen, synthetisch unter die Einheit der Apperzeption zu „bringen“. In unserer Analysesprache formuliert: Die funktionale Grundform jeder gültigen synthetischen Verstandesoperation besteht in der ursprünglich apperzeptiv-funktional geformten Erzeugung synthetischer-Einheit: „Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperception zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen Erkenntniß ist. […] Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt in Ansehung des Mannigfaltigen der mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesammt meine Vorstellungen nenne, die eine ausmachen. Das ist aber so viel, als daß ich mir einer nothwendigen Synthesis derselben a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperception heißt, unter der alle mir gegebene Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen.“25
Die bezeichnete synthetische Einheit besitzt aber nur dann den Wert einer geltungsdifferenten und geltungsrelevanten Sinnstruktur, wenn und insofern sie in Form der objektiv-apperzeptiven Einheit von Vorstellungen im Erkenntnisurteil geleistet wird. Vorstellungen im Erkenntnisurteil unter die objektiv-synthetische Einheit der Apperzeption zu bringen, bedeutet nach Kant auch, diese hierdurch
25
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 134 ff.
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objektiv gültig auf Gegenstände zu beziehen. Deshalb gelingt Kant auch die Definition des Erkenntnisurteils wie folgt im § 19 der B-Deduktion:26 „so finde ich, daß ein Urtheil nichts andres sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objectiven Einheit der Apperception zu bringen. Darauf zielt das Verhältnißwörtchen ist in denselben, um die objective Einheit gegebener Vorstellungen von der subjectiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperception und die nothwendige Einheit derselben, wenn gleich das Urtheil selbst empirisch, mithin zufällig ist, z. B. die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung nothwendig zu einander, sondern sie gehören vermöge der nothwendigen Einheit der Apperception in der Synthesis der Anschauungen zu einander…“27
Das gegenstandsreferente und geltungsdifferente Urteil steht nach Kant seiner Form nach also unter der „objektiven Einheit der Apperzeption“. Der Verstand bezieht ihm vorgegebene mannigfaltige Vorstellungen im Erfahrungsurteil ausdrücklich auf seine Ursprungsinvarianz und unterwirft diese Vorstellungen damit der notwendigen synthetischen Einheit.
3. Funktionale Reflexivität qua Apperzeption als Garantin der Regelkonstanz von Begriffen Sofern nun Kants Ausführungen in den § 16 und 17 der B-Deduktion die funktionale Grundform jeder Verstandesoperation als identische Instantiierung der „ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption“ darlegen, muss der Identitätssinn, den die Apperzeption nach Kant besitzen soll, präziser dargelegt werden. Identität – hier müssen wir Königshausen unbedingt zustimmen28 – ist ein notwendiger Prinzipienaspekt an jeder synthetischen Einheit. Synthetische Einheit besteht strukturell in einer Vorstellungsmannigfaltigkeit, die von dem Identitätsaspekt einer begrifflichen Regel überformt ist. Die nach Kant hierin liegende ausdrückliche Beziehung der Mannigfaltigkeit zur Identität des Denkens formt das Mannigfaltige zu synthetischer Einheit. Identität und Einheit dürfen aber nicht in einen Topf geworfen werden. Einheit, verstanden als synthetische Einheit, besteht in einer Relation zwischen den Relaten „Mannigfaltigkeit“ einerseits und 26
„Die transscendentale Einheit der Apperception ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Object vereinigt wird. Sie heißt darum objectiv und muß von der subjectiven Einheit des Bewußtseins unterschieden werden, die eine Bestimmung des inneren Sinnes ist, dadurch jenes Mannigfaltige der Anschauung zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird. Ob ich mir des Mannigfaltigen als zugleich oder nach einander empirisch bewußt sein könne, kommt auf Umstände oder empirische Bedingungen an; daher die empirische Einheit des Bewußtseins durch Association der Vorstellungen selbst eine Erscheinung betrifft und ganz zufällig ist.“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 139 f.) 27 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 141 f. 28 Vgl. Königshausen (1977), S. 99–115, z. B. 108 f.
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„Identität“ andererseits.29 Identität und Vorstellungsmannigfaltigkeit besitzen zwar nur in ihrer Relation einen bestimmten Sinn, dennoch stellen beide die Relate (bzw. Momente) der Relation dar. Der Sinn ihrer Relationsbeziehung dagegen besteht in synthetischer Einheit. Identität als Relat und Moment der Relation darf deshalb nicht mit dem Sinn der Relation selbst (= synthetische Einheit) konfundiert werden. In einer konkreten synthetischen Verstandesoperation wird nun die Ursprungsidentität des Denkens durch eine bestimmte Begriffsregel sozusagen vertreten. Jeder konkrete nichtkategoriale Begriff besitzt also eine Art derivative Invarianz und derivative Regelidentität in Bezug auf das Mannigfaltige, das gemäß seiner Regel synthetisch strukturiert wird.30 Kant sieht die Möglichkeit dieser derivativen Invarianz und Regelidentität des Begriffes als davon letztbedingt an, dass der „Begriff“ Mannigfaltiges der Anschauung auf die ursprüngliche Iden tität des Denkens zu beziehen vermag und hierdurch als Begriff selbst erst seine derivative Regelkonstanz gewinnt. Diese essentielle Beziehung auf die ursprüngliche Identität des Denkens selbst leistet der Begriff, indem er das Mannigfaltige mittels seiner Regel synthetisch vereint. Damit ist die ursprüngliche Identität des Denkens Prinzip der Regelkonstanz aller Begriffe, nicht aber sind die Begriffe diese Ursprungsidentität selbst, da Begriffe die Ursprungsidentität des Denkens voraussetzen müssen. Deshalb erzeugen begriffliche Regeln keineswegs die Ursprungsidentität des Denkens, sondern werden vielmehr durch diese Ursprungsidentität überhaupt erst als konstante Regeln möglich.31 Um diese Zusammenhänge ist es Kant auch zu tun, wenn er von „analytischer Einheit der Apperzeption“ handelt. Vorstellen könne man sich besagte „analytische Einheit der Apperzeption“ an jedem „Conceptus communis“, weil diesen Begriffen die „analytische Einheit der Apperzeption“ anhänge. Exakt gesprochen, geht es hier um die notwendige funktionale Invarianz des reinen Denkens selbst, die das reine Denken stets gegenüber jeder auf es bezogenen Vorstellungsmannigfaltigkeit und jeder konkreten synthetischen Operation, der es die Einheit stiftet, aufweisen muss. Die funktional-reflexive Vorstellung „Ich“ unterscheidet in diesem Kontext (!) die Identität der Apperzeption von einer jeden konstanten Begriffsregel und erweist kraft dieser Unterscheidung, dass die Apperzeption in ihrer funktionalen Identität sich nicht in einzelne konstante Begriffsregeln zersplittert und sich in diesen ‚aufbraucht‘, sondern vielmehr den Sinn der Eigenbestimmtheit des reinen Denkens darstellt, der alle konkreten in sich identischen Begriffsregeln allererst begründet. Die Vorstellung „Ich“ als Vorstellung der „analytischen Einheit der Apperzeption“ macht hier deutlich, dass die Invarianz des Denkens in seinen 29
Vgl. Königshausen (1977), S. 99–115, z. B. 108 f. Natürlich ist diese derivative Invarianz auch bezüglich aller Begriffe gegeben, die unter diesen jeweils subsumiert werden können sowie natürlich bei analytischen Urteilen, in welchen alle Merkmale eines Begriffes durch ein Merkmal vertreten gedacht werden. Vgl. hierzu evtl. auch Prien (2006), S. 137 ff. 31 Vgl. Königshausen (1977), S. 105–108. Königshausen arbeitet diese bezeichnete Struktur mustergültig heraus. 30
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Funktionen der Ermöglichungsgrund der selbigen Begriffsregel in jeder Synthesisrelation ist – und sofern jede konkrete Einheit einer Synthesis durch eine Begriffs regel gestiftet sein muss, wird im „Ich“ der letzte Grund jeder durch einen Begriff fundierten synthetischen Einheit gedacht.32
4. Das ‚Ich‘ als Vorstellung der Differenz zwischen ursprünglich synthetischer Einheit der Apperzeption und ihren einzelnen Instantiierungen Der wichtigere Hinweis, den wir von Kant betreffs der „analytischen Einheit der Apperzeption“ erhalten, ist allerdings der, dass die „analytische Einheit der Apperzeption“ die „synthetische Einheit der Apperzeption“ voraussetze. Königshausen stellt überzeugend heraus, dass die sogenannte „analytische Einheit der Apperzeption“ das funktionale Invarianz- und Selbigkeitsmoment an der ursprünglichsynthetischen Einheit der Apperzeption selbst darstelle.33 Die Vorstellung „Ich“ stellt also in diesen Zusammenhängen die analytische Einheit der Apperzeption nicht nur als letzten Grund aller Regelkonstanz vor, sondern macht vor allem die fundamentale, niemals aufhebbare Differenz zwischen der invarianten eigen bestimmten funktionalen Struktur des Verstandesgebrauchs und deren jeweiligen Instantiierung in konkreten Urteilen deutlich. Das bedeutet, dass die gesamte invariante Form des Verstandesgebrauchs, die von Kant als ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption verstanden wird, in einem einzelnen ihrer Momente, nämlich dem der Identität (= analytische Einheit der Apperzeption), ‚asymmetrisch‘ vorgestellt34 wird. Das „Ich denke“ artikuliert in diesen Zusammenhängen die reflexive Selbstreferentialität des reinen Verstandes im Sinne der Apperzeption. In dieser Selbstreferentialität erfasst der reine Verstand die (prinzipientheoretisch betrachtet) invariante Grundform seiner Operationsfunktion als ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption und unterscheidet zudem diese eigenbestimmte Grundform (qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) von jeder ihrer Instantiierungen in einzelnen Urteilen.35 Nur weil der reine Verstand reflexiv diese Unterscheidung zu treffen vermag, kann er sich kraft dieses reflexiven Vermögens als reine Prinzipienfunktion und „durchgängige Einheit der Apperzeption“ auszuweisen. In der Sprache der A-Deduktion:
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Wenn Kant das Identitätsmoment in der B-Deduktion als „analytische Einheit“ klassifiziert, will er damit dieses Identitäts-und Invarianzmoment als potentiell selbigen Bezugspunkt aller (deshalb der Begriff „Einheit“) auf es bezogenen Vorstellungen darlegen. Der Bestandteil „Einheit“ innerhalb des Terminus der „analytischen Einheit der Apperzeption“ sollte nicht verdecken, dass es hier wirklich primär um das ursprüngliche Identitätsmoment der Eigenbestimmtheit der Apperzeption geht. 33 Königshausen (1977), z. B. S. 107 f. u. Fn. 315. 34 Vgl. hierzu auch Prien (2006), S. 137 ff. 35 Vgl. Königshausen (1977), S. 170, 172 f. u. 176.
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Reinhard Hiltscher „Die Einheit der Apperception [= Invarianz und Selbstreferentialität des Denkens; R. H.] in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand und eben dieselbe Einheit beziehungsweise auf die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft der reine Verstand. Also sind im Verstande reine Erkenntnisse a priori, welche die nothwendige Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft in Ansehung aller möglichen Erscheinungen enthalten. Dieses sind aber die Kategorien, d. i. reine Verstandesbegriffe“36.
Das „Ich denke“ artikuliert also jetzt (!) die konstitutive Reflexivität (Apperzeption) des reinen Verstandes, deren prinzipientheoretische Bedeutung darin liegt, dass nur sie die Differenz zwischen Grundfunktion (= ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) und deren jeweilig konkreten Inanspruchnahmen denkbar macht – und so verhindert, dass diese Grundfunktion mit ihren jeweiligen konkreten Inanspruchnahmen schlicht zusammenfällt. Nur wenn die Funktion von ihren Inanspruchnahmen unterschieden ist und mithin auch so gedacht werden kann, vermag sie eine invariante potentiell unendliche Funktionalität zu sein.37
5. Transzendentales Selbstbewusstsein und funktionale Reflexivität Das reine Denken selbst, qua funktionaler Eigenbestimmtheit des reinen Verstandes, besitzt deshalb notwendig Selbstreferentialität, in der es sich von allen diesen bezeichneten Inanspruchnahmen seiner selbst unterscheiden kann. Nur diese selbstbezügliche Unterscheidung verhindert es, dass sich das Denken selbst in seiner funktionalen Eigenbestimmtheit in einzelne konkrete Gedanken zersplittert und verliert und somit keine unendliche sowie invariante Funktionalität zu sein vermag. Der reine Verstand im Sinne der Eigenbestimmtheit und Prinzipienbestimmtheit des reinen Denkens muss also ursprünglich selbstreflexiv sein, um in dieser seiner Form invariant sein zu können. Der reine Verstand ist deshalb in seinem ‚Wesenskern‘ reine und hiervon in Folge transzendentale Apperzeption. Dieses „transzendentale Selbstbewusstsein“ besitzt jedoch als solches keine subjekttheoretischen Konnotationen. Die Ursprünglichkeit der Unterscheidung bedeutet genauerhin, dass diese bei jeder Inanspruchnahme der Funktion in einzelnen Gedanken und Urteilen immer schon getroffen sein muss.38 Das „Ich“ der „reinen Apperzeption“ indiziert diese 36
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 119 ks. R. H. Wir können hier getrost erneut unser Modell von Organfunktionen benutzen. Die Organfunktion muss sich distinkt von jedem Organ, das sie ausübt unterschieden denken lassen. Nur kraft dieser Unterscheidung kann man sich die Funktion als potentiell unendlich und als zugleich invariant bezüglich aller ihrer Aktualisierungsmöglichkeiten in konkreten Organen vorstellen. 38 Königshausen schreibt: „Ich muß die apriorische Möglichkeit besitzen, mich von meiner ‚Function‘ unterscheiden zu können, das aber heißt, daß ich nicht erst meine ‚Function‘ bin bzw. diese mich definiert und ich mich bloß im Nachhinein von ihr zu unterscheiden vermag. Diese apriorische Differenz zwischen mir und meiner ‚Function‘ ist konstitutiv für die 37
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funktionale Ursprungsdifferenz. Gemäß unserem Funktionsmodell muss die reine Funktion, die jeder Verstandesoperation zugrunde liegt (= die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption), die einzelnen synthetischen Einheiten prinzipiieren, so wie sich die reine Organfunktion nur in einzelnen Organen ausführen kann. In ihrer Begriffsregel oder ihrem Prädikatbegriff besitzt jede synthetische Einheit ihr genuines Identitätsmoment. Die Ursprungsidentität des Denkens ist also in jeder konkreten Synthesis, in der sie sich ‚ausführt‘, gleichsam transformiert ‚zugegen‘. Aber natürlich muss diese Ursprungsidentität ein funktionales Prinzipienmoment der reinen und invarianten Form des Verstandesgebrauchs selbst darstellen und ihren Instantiierungen gegenüber funktional unabhängig sein, wenn sie ein ursprüngliches Prinzipienmoment soll sein können. Gemeint ist also, wie bereits angemerkt, die ursprüngliche Invarianz der reinen Funktion des Verstandesgebrauches (qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) gegenüber allen konkreten Vorstellungen, seien diese Anschauungen, Begriffe oder gar Urteile. Besagte Ursprungsinvarianz der Grundform des Verstandesgebrauchs (qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) muss sich das Denken reflexiv machen können, indem es diese von jeder konkreten Synthesis unterschieden denkt. Dies ist Aufgabe des Gedankens „Ich denke“ im Rahmen des reflexionsfunktionalen Sinnes der „Apperzeption“. Sofern das ‚abstrakte Ich‘ die analytische Einheit der Apperzeption vorstellt, wird, genau genommen, die Invarianz der vollständigen ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption vorgestellt. Die Ichvorstellung repräsentiert somit nicht nur die analytische Einheit der Apperzeption als ein Fundamentalmoment der gesamten ursprünglich synthetischen Einheit Identität derselben, unabhängig davon, ob ich mir diese Differenz noch bewußt mache oder nicht.“ (Königshausen (1977), S. 172 f.) Diese von ihm in seinem herausragenden Kantbuch glänzend herausgearbeitete Struktur strapaziert allerdings in seiner ‚Lesart‘ doch noch etwas zu stark den bewusstseinstheoretischen Akzent. Das „Ich“, das sich als ‚selbstbewusste Bewusstheit‘ von seiner Funktion unterscheidet (unterscheiden kann), ist meiner Interpretation nach das konkrete Subjekt nach der subjekttheoretischen / bewusstseinstheoretischen Seite der „Apperzeption“, nicht aber die ‚subjektlose Apperzeption‘ des reinen selbstreferentiellen Denkens. Wie herauszuarbeiten sein wird, besteht im Bezug auf die ‚subjektlose Apperzeption des reinen Verstandes‘ (die wir hier verhandeln) die ursprüngliche (in der Reflexion des Denkens einholbare) Differenz vielmehr zwischen dem reinen Funktionssinn qua ursprünglich synthetischer Einheit der Apperzeption einerseits und deren Funktionsmodi (Kategorien) andererseits, welche diese zur objektiven Einheit der Apperzeption konstituieren. Dass Kant den reinen Funktionssinn als für im „Ich“ vorstellbar erachtet, erschwert natürlich auf der Ebene der reinen (subjektlosen) „Apperzeption“ das Verständnis der Argumente Kants. Königshausen sieht dieses Problem zwar, wenn er z. B. (S. 170 u. 172 f.) empfiehlt „Apperzeption“ weniger mit „Selbstbewusstsein“, sondern viel eher mit „Selbstbezüglichkeit“ zu übersetzen. Es entgeht ihm jedoch die letzte Grundstruktur von Kants Argumentation. Diese Grundstruktur beinhaltet 3 Aspekte: 1. ‚Subjektapperzeption‘ und ‚Verstandesapperzeption‘ müssen systematisch unterschieden werden. 2. Beide Aspekte der „Apperzeption“ sind aber für das Gelingen der transzendentalen Deduktion notwendig. 3. Die ‚Verstandesapperzeption‘ fundiert abschließend die ‚Subjektapperzeption‘. Dennoch ist zu konstatieren, dass die Monographie Königshausens das bisher einzige Erzeugnis der Kantforschung darstellt, das Kants Reflexionstheorie angemessen und wirklich sachgerecht abhandelt.
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der Apperzeption, sondern stellt damit zugleich die Invarianz der gesamten funktionalen Struktur der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption vor.39 Diesem Modell entspricht in unserem Falle die Tatsache, dass die Funktion des reinen Verstandesgebrauchs qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption an einer bestimmten Synthesis, die unter ihr steht, die Identität und Invarianz dieser synthetischen Einheit sichert. Jede einzelne synthetische Operation stellt einen Bezug zur Identität bzw. Invarianz der reinen Funktionsform des Verstandes – der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption – dar und unterstellt sich damit zugleich den Bedingungen dieser reinen Form qua Synthesisprinzipien. Dies ist zunächst durch die schon angesprochenen begrifflichen Regeln gewährleistet, welche die Identität der Apperzeption vertreten. Besonders spielt hier natürlich betreffs des „logischen Verstandesgebrauchs“ der Prädikatsbegriff des Urteils eine Rolle. Doch muss für das gültige Erfahrungsurteil, in welchem mit Blick auf die objektive Bestimmung des Gegenstandes auch Begriffe und generell Vorstellungen als notwendig verbunden gedacht werden müssen, die nicht schon von sich aus in einem analytischen Verhältnis zueinander stehen, die konstitutive Invarianz des synthetischen Sinnes jedes objektiven Urteils noch weiter durch und in der „Apperzeption“ letztfundiert sein. Diese Invarianz des objektiven gegenständlichen Sinnes artikuliert im Erfahrungsurteil die „objektive Einheit der Apperzeption“. Deren Grundmodi basieren auf den invarianten Urteilsfunktionen des Denkens. Zu reinen Begriffen transformiert, stellen sie qua Kategorien an jeder objektiven Synthesis, die sie prinzipiieren, die Invarianz der reinen Denkfunktion sicher, indem sie einen konstanten synthetischen Sinn von objektiver Gegenständlichkeit prinzipiieren, den invariant jeder konkrete Gegenstandssinn erfüllen muss – und unter dem er notwendig steht.40 Doch auch die Urteilsfunktionen und Kategorien können als Modi der Invarianz des reinen Denkens nicht vollständig mit der reinen invarianten Funktion iden tifiziert werden. Zum einen setzen Urteilsfunktionen und Kategorien schon die Invarianz der Grundform des reinen Denkens als ihr Grundprinzip voraus, sofern sie ja dessen Modi darstellen sollen. Zum anderen gewinnen sie nur in je bestimmten synthetischen Operationen Bedeutung. Sogar auch noch die Invarianz der einzelnen Funktionsmodi muss sich letztlich in Unabhängigkeit von den je bestimmten synthetischen Operationen vorstellen lassen, nämlich als Invarianz der Momente der ursprünglichen-synthetischen-Einheit der Apperzeption selbst, sofern letztere als objektive Einheit der Apperzeption fungiert. Die Modi müssen sich als Modi 39
Vgl. bes. Königshausen (1977), z. B. S. 107 f. u. Fn. 315. Vgl. hierzu aber auch Prien (2006), S. 137 ff. 40 In der A-Deduktion wird dieser konstante Sinn als „Begriff “ vom „transzendentalen Gegenstand“ bezeichnet. Die Betonung liegt hier also bei Kant nicht auf dem „Begriff vom transzendentalen Gegenstand“, sondern vielmehr auf dem „Begriff vom transzendentalen Gegenstand“!
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der reinen Verstandesfunktion denken lassen, was voraussetzt, dass man reine Verstandesfunktion einerseits von deren Modi anderseits noch im Denken unterscheiden kann. Es ist somit zwingend notwendig, dass die Grundfunktion der ursprünglich-synthetischen Einheit ihrerseits noch rein in Unabhängigkeit von ihren gegenstandskonstitutiven Modi, welche sie zur objektiven Einheit der Apperzeption konstituieren, gedacht werden kann. Könnte sie dies nicht, würde sie vollständig in ihren Teilfunktionen und reinen Begriffen aufgehen – und wäre ausschließlich durch diese Modi ‚definiert‘. Dies hätte zur Folge, dass man dem Denken keine ursprüngliche Reflexionsfähigkeit mehr attestieren könnte, da es vollständig an seine gegenstandskonstitutiven Modi gebunden wäre und sich in diese gleichsam ‚verloren‘ hätte. Ein solches Denken besäße nicht die Verfasstheit, sich von der Welt weg auf sich selbst zu richten und könnte sich nicht mehr als letzten invarianten Grund alles Denkbaren erfassen. Die Invarianz der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption des reinen Verstandesgebrauchs selbst (i) sowie auch der reine Operationssinn (ii) des Verstandesgebrauches (= Erzeugung synthetischer Einheit) müssen deshalb im „Ich denke“ reflexiv sogar noch im Unterschied von deren Modi gedacht werden können. Das reine Denken muss selbstreflexiv in der Lage sein, wenn die reine Funktion des Verstandesgebrauchs (ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption) eine invariante und potentiell unendliche Prinzipienfunktion sein können soll, diese reine Funktion als als sie selbst invariant und selbig ‚anwesend‘ in allen ihren Modi (Urteilsfunktionen und Kategorien) denken zu können – und damit ausschließen, dass die Funktion jeweils gänzlich in ihren speziellen Modi aufgeht. Dieser reflexive Gedanke der Invarianz und Selbigkeit der reinen Form des Verstandesgebrauches in all seinen konstitutiven Modi bedeutet, dass das Denken diese reine und invariante Form des Verstandesgebrauches noch einmal von den Modi ihrer selbst unterscheiden können muss. Auch hier stoßen wir wiederum auf die Vorstellung der analytischen Einheit der Apperzeption im Ichgedanken. Mittels der Vorstellung der „analytischen Einheit der Apperzeption“ im „Ich“ erfasst das reine Denken in einer letzten ursprünglichen apperzeptiven Unterscheidung die ursprünglich synthetische Einheit als selbige Form jeder Verstandesoperation in den Modi ihrer selbst (= Urteilsfunktionen und Kategorien) und vermag sich somit noch von diesen Modi seiner selbst zu unterscheiden.41 Während das „Ich“ des „Ich denke“ im Rahmen des funktional reflexiven Sinnes der Apperzeption die Invarianz der Grundform alles Verstandesgebrauches (= Invarianz der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption) vorstellt, bringt in diesem Kontext das „denke“ den reinen invarianten Grundsinn der Verstandesoperation qua „synthetisches Vereinigen“ zum Ausdruck. 41
Zum besseren Verständnis können wir auch auf ein „anschauliches Beispiel“ von Michael Wolff zurückgreifen: „So enthält, um ein anschauliches Beispiel zu gebrauchen, das Fahrradfahren, als numerische Handlungseinheit betrachtet, nicht als zeitlich lokalisierbare Handlung genommen, mehrere vom Radfahren selbst unterschiedene Funktionen als Momente in sich, nämlich wenigstens das Treten und das Lenken, das seinerseits die Unterfunktionen des Gleichgewichthaltens und des Richtungsgebens als Momente enthält.“ (Wolff (1955), S. 22).
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Hierin liegt eine Pointe von Kants Deduktion, die ihm gewöhnlich als systematischer Fehler vorgehalten wird, ein solcher aber keineswegs ist, sondern vielmehr einen genialen ‚Schachzug‘ darstellt. Üblicherweise beklagt man, Kant müsse auf die Ergebnisse der sogenannten metaphysischen Deduktion zurückgreifen.42 Genau dies ist aber prinzipientheoretisch betrachtet, geradezu eine Stärke von Kants Position. Denn nur dadurch, dass die transzendentale Deduktion die reine Funktion des Denkens (ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) im Unterschied zu deren Modi entwickeln und denken kann, geht diese Funktion nicht in ihren notwendigerweise gegenstandsgebundenen Modi (Kategorien) sofort auf und vermag sich diesen Modi gegenüber abschließend noch im Sinne einer reflexiven Differenz zu verhalten, die endgültig ihre Invarianz zu sichern vermag. Und gerade deshalb ist die Reflexionsfähigkeit des reinen Denkens von einer Verfasstheit, die es dem Denken prinzipiell ermöglicht, sich seine Prinzipien in der Reflexion zu explizieren, indem es seine reine Ursprungsverfasstheit, d. h. seinen reinen Operationssinn (ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption) noch einmal von deren / dessen Prinzipien zu unterscheiden vermag. Das heißt natürlich nicht, dass die reine Verstandesfunktion erst da wäre und dann noch einmal von ihren Prinzipien unterschieden werden könnte. Die Funktion ist durchaus vollständig betreffs ihrer gegenstandsrelevanten Instantiierbarkeit von ihren Prinzipien konstituiert. Verwenden wir zur Erläuterung wieder das Organmodell. Die Funktion des Herzens ist sicherlich eine Spezifikation der allgemeinen Pumpfunktion, die auch z. B. eine Wasserpumpe in einem PKW erfüllen könnte. Zu verstehen, welche „Prinzipien“ die allgemeine Pumpfunktion zu einer Wasserpumpe oder aber alternativ zu einer Herzpumpe machen, bedeutet, die Prinzipien der jeweils bestimmten Funktion (Herz oder Auto) zu verstehen und hierdurch die allgemeine Pumpfunktion zu spezifizieren. So gewiss man einerseits eine reine Pumpfunktion denken kann und so gewiss andererseits diese Funktion durch ihre speziellen Prinzipien entweder Herzpumpe oder der Wasserpumpe oder aber auch sonstige Pumpe notwendigerweise sein muss, so muss auch die reine Funktion des Denkens erfassbar sein, um überhaupt die Prinzipien verstehen zu können, die sie allererst zur objektiv gültigen, gegenstandsreferenten Struktur konstituieren, die uns Menschen auszeichnet. In die Terminologie Kants gewendet: Die reine Vorstellung des Operationssinnes der invarianten ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption unterscheidet ‚die Apperzeption‘ von den Prinzipien (= Kategorien und Urteilsfunktionen), die sie zur objektiven Einheit der Apperzeption im Urteil konstituieren. In dieser Unterscheidung kann der Operationssinn der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption nur dann klar reflexiv im Unterschied zu seinen kategorialen Modi gewusst werden, wenn diese Modi ebenfalls in der Reflexion erfassbar sind. Objektiv gültig und mithin gegenstandsrelevant fungiert die ursprünglichsynthetische Einheit der Apperzeption allerdings nur als objektive Einheit der Apperzeption im Erfahrungsurteil und es gibt die ursprünglich synthetische Ein 42
Siehe exemplarisch Henrich (1976), S. 54–107.
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heit der Apperzeption nicht sozusagen separat neben ihren Prinzipien, die sie zur objektiven Einheit der Apperzeption machen. Gleichwohl muss sich der Sinn der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption als der invariant und ‚selbig‘ in allen ihren Funktionsprinzipien zu realisierende Sinn denken lassen, wenn das Denken nicht mit seinen (ausschließlich) gegenstandskonstitutiven Prinzipien völlig unauflösbar zusammenfallen soll, was seine durchgängige funktionale Konstanz bedrohte. Diese Unterscheidbarkeit wird durch die Reflexionsfähigkeit des Denkens konstituiert. Da diese Unterscheidung reflexiv bewusst getroffen werden muss und die reine Funktion nur dann von ihren Teilprinzipien unterschieden werden kann, wenn diese Teilprinzipien bei Gelegenheit dieser Unterscheidung deutlich erfasst werden können, besitzt das Denken die Fähigkeit, sich seine eigenen Prinzipien zu entfalten und diese zu erfassen. Immer wieder wurde Kant gegenüber der Vorwurf erhoben, vom „reinen Selbstbewusstsein“ aus führe kein direkter Weg zum Bewusstsein der Kategorien. Dieter Henrich rekonstruiert deshalb die Kategorien als konstante Weisen der Übergänge des Selbstbewusstseins.43 Bezüglich der reinen funktionalen Ebene beruhen Vorwurf und Rekonstruktion auf einem Missverständnis. Denn besagten funktionalen Sinn der „Apperzeption“ kennzeichnet Kant als „Vermögen“.44 Da die apperzeptive Reflexivität des Denkens Reflexivität des Denkens und nicht des Subjektes ist, geht es nur um die Fähigkeit, das „Vermögen“ zur Prinzipienexplikation des Denkens. Und dieses Vermögen ist durch die funktionale Differenzstruktur des Denkens uneingeschränkt gegeben. Dies heißt aber andererseits nicht, dass das konkrete Subjekt, das als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert und deshalb die Funktion des Denkens ausübt, über die Fähigkeit zur zutreffenden Prinzipienexplikation hinaus auch wirklich die zutreffenden Prinzipien sofort exakt in einem transzendentalphilosophischen Sinn kennen muss oder gar entfalten kann. Wenn man im „Ich“ also die Invarianz der Ursprungsfunktion auch im Verhältnis der Unterscheidung zu ihren Modi denkt, muss man sich – wie schon angedeutet – über den prinzipienlogischen Status dieser Reflexivität klar sein. Da es hier um die reine ‚Verstandesapperzeption‘ des Denkens geht und nicht von einem Subjekt die Rede ist, charakterisiert der Terminus der „Apperzeption“ diese im Sinnes eines „Vermögens“, soll heißen wesenhaft als Fähigkeit des Denkens zur Prinzipienselbstexplikation. M. a. W.: Das Denken besitzt die Fähigkeit zur gelungenen Prinzipienexplikation. Diese Fähigkeit sagt aber nichts darüber aus, ob diese Fähigkeit faktisch gelungen ausgeübt wurde – oder aber überhaupt vollzogen wird. Wenn wir an den § 15 der B-Deduktion erinnern, können wir lernen, dass Kant mit der „Synthesis überhaupt“ einen Synthesisbegriff entwickelt, der einerseits alle Formen von Synthesis (Synthesis anschaulicher Mannigfaltigkeit sowie Synthesis von Begriffen im Urteil) umgreift – und andererseits die Einheit dieser „Synthesis 43
Siehe Henrich (1976), S. 54–112, bes. 84–101 (exemp. 88). Den Unterschied zwischen ‚Subjektapperzeption‘ und ‚apperzeptiver Selbstreferenz des reinen Denkens‘ qua „Vermögen“ scheint auch für Allisons Deduktionsinterpretation von eini ger Bedeutung zu sein. Siehe Allison (2015), S. 251. 44
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überhaupt“ ausschließlich durch den Verstand und dessen reine Begriffe garantiert sieht. Die „Synthesis überhaupt“ ist das Prinzipiat der invarianten Form des geltungsrelevanten Verstandesgebrauchs qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption, und demzufolge verdankt sich die Einheit der Synthesis überhaupt der Prinzipiiertheit in der invarianten Funktion des reinen Denkens. Die ursprüngliche Einheit der Apperzeption ist also die letzte reine Prinzipienfunktion des Denkens und ihr Prinzipiat, die Synthesis überhaupt, ist nicht mit der Begriffssubsumtion des (nur) logischen Verstandesgebrauches der metaphysischen Deduktion zu verwechseln. Vielmehr ist dieser logische Verstandesgebrauch schon ein bestimmter Fall der „Synthesis überhaupt“.45 Die invariante Funktion der ursprünglich synthetischen Einheit der Apper zeption ist ganz präzise als reine Funktion eines ektypischen Verstandes zu verstehen, der sich auf eine ihm fremde Anschauungsmannigfaltigkeit beziehen muss. Dieser Verstand kann durch notwendige synthetische Einheit im Urteil nur dann gegenständliches und wahrheitsdifferentes Wissen erzielen, wenn seine Prinzipien gleichermaßen synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung wie die synthetische Einheit „von Begriffen“ im objektiven Erfahrungsurteil begründen. Die reine Funktion des ektypischen Verstandes selbst beinhaltet den Bezug auf ihm vorgegeben sinnliche Mannigfaltigkeit, deren synthetische Einheit er leisten soll. Die bestimmte Struktur dieser sinnlichen Mannigfaltigkeit steht hier noch nicht zu Debatte. Zwar erlaubt die Reflexivität den intern sich selbst unterscheidenden Zugang des Denkens zu Kategorien, welche letzteren es allererst ermöglichen, dass die Anschauung dem Denken Gegenstände als Gegenstände geben kann, aber das reflexiv einholbare Wissen um gültige Kategorien ist noch kein Wissen um deren objektive Realität.46 Diese objektive Realität sichert erst der Schematismus.47 Erst durch den Schematismus wird die reine Funktion des ektypischen Verstandes zu einer objektiv realen Funktion. Oder anders gesagt. Der reine Funktionssinn des ektypischen Verstandes überhaupt (ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption) kann erst durch die schematisierte Restriktion auf unsere Sinnlichkeit zu einem bestimmten und gültigen spezifizierten Funktionssinn von ektypischem Verstand überhaupt werden, nämlich zu dem menschlichen. Genau wie Pump funktion durch spezifische Prinzipien Herzpumpe oder Wasserpumpe, oder aber irgendein ein anderer Typus von Pumpe sein muss, ist der ektypische Verstand nur durch spezifische Prinzipien der Sinnlichkeit, mit denen er konfungiert, menschlicher Verstand oder aber eben ein anderer ektypischer Verstand, dessen ihm beigeordnete Prinzipien der Sinnlichkeit wir nur nicht kennen. Dennoch kann andererseits die Invarianz des Funktionssinnes auch unseres Verstandes nur gesichert 45
Vgl. Hiltscher (1993), S. 427 ff. Vgl. hierzu Cramer (1985), S. 255–259, 278–286, exemp. 283. 47 Konrad Cramer weist überzeugend nach, dass Kategorien die einzigen Begriffe in Kant Begriffskosmos darstellen, bei denen man zwischen objektiver Gültigkeit einerseits und objektiver Realität andererseits unterscheiden muss. Letztere werde nicht in der „Deduktion“, sondern im Schematismus dargetan. Cramer (1985), S. 255–259, 278–286, exemp. 283. 46
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werden, wenn man die reine Funktion des ektypischen Verstandes denken kann, auch wenn diese immer schon eine je bestimmte Funktion sein muss. Die reine funktionale Form des Verstandesgebrauchs qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption ist in ihren schematisierten Modi (Kategorien) Fundament der objektiv synthetischen Einheit des Erfahrungsurteils. Diese objektive synthetische Einheit ermöglicht es dem konkreten Subjekt, sofern es die bezeichnete objektive Einheit im Urteil leistet, als ‚das erkennende Subjekt‘ zu fungieren und sich als fungierendes Subjekt seine Identität im „Ich denke“ vorzustellen. Die funktionale apperzeptive Reflexivität des reinen Verstandes begründet also die ‚Subjektapperzeption‘‚des erkennenden Subjekts‘. Mögen die reinen Funktionen unseres ektypischen Verstandes nicht strikt notwendig an die Prinzipien unserer Sinnlichkeit gekoppelt sein, operationsfähig ist unser ektypischer Verstand nur in der Prinzipiengemeinschaft ‚des erkennenden Subjekts‘ gemeinsam mit den Prinzipien der Sinnlichkeit. Die Pointe dieser Konzeption liegt insbesondere darin, dass nur durch diese Gemeinschaft mit den Prinzipien der Sinnlichkeit die Subjektivität vermittels der Prinzipien der Sinnlichkeit konkretisiert und zugleich vereinzelt wird. Genauer gesagt, macht diese Prinzipienge meinschaft überhaupt nur das möglich, was wir gemeinhin unter ‚Subjekt‘ verstehen. Das konkrete Subjekt fungiert als ‚das erkennende Subjekt‘, indem es in seinen einzelnen, Geltung beanspruchenden Urteilen gehabte Vorstellungen auf die invariante funktionale Form des reinen Verstandes qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption bezieht. Nur hierdurch kann es diese Vorstellungen in Folge zugleich auf sich in seiner Funktion als konkretes Subjekt, das die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, beziehen – und sich als Bezugspunkt der eigenen gehabten Vorstellungen denken. Deshalb stellt in Kants Konzeption das „Ich“ gleichermaßen die Identität des konkreten Subjekts, das als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, wie die funktionale Invarianz des reinen ektypischen Verstandesgebrauches qua ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption vor, was zwangsweise zu Missverständnissen führen musste. Denn der invariant denkbare Funktionssinn des isoliert gefassten ektypischen Verstandes ist als solcher überhaupt kein „Ich“. Diese Invarianz überhaupt kann nur vor der Voraussetzung einer Prinzipiengemeinschaft mit Prinzipien der Anschauung als ein solches „Ich“ verstanden werden. Fassen wir die komplizierten Begründungszusammenhänge im Sinne Kants zusammen: (i) Den sich im inneren Sinn zeitlich erstreckenden empirischen Bewusstseinsakt eines konkreten Subjektes kann man nur als Einheit auffassen, wenn dieser gesamte Bewusstseinsvorgang ein Identitätsmoment besitzt. (ii) Dieses Identitätsmoment besteht in der Identität einer begrifflichen Regel, gemäß welcher der gesamte Bewusstseinsvorgang konstant vollzogen wird.
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(iii) Das Identitätsbewusstsein ist aber erst dann ein Ichbewusstsein, wenn ein und dieselbe Identität grundsätzlich – bezogen auf alle zeitlichen Bewusstseinsvorgänge im inneren Sinne eines konkreten Subjekts – als konstante Identität vorgestellt werden kann. Dies bedeutet auf der anderen Seite, dass diese durchgängige Identität von allen einzelnen zeitlichen Bewusstseinsvorgängen unterschieden werden können muss, denen sie jeweils nur die Einheit stiftet. Ohne besagte Unterscheidbarkeit fiele das Identitätsbewusstsein mit einem einzelnen Bewusstseinsvorgang zusammen. (iv) Ein konkretes Subjekt als solches kann sich grundsätzlich nicht als durchgängige Identität erkennen, denn dies führte nach Kant zu unzulässigen ontologi schen Annahmen. (v) Als durchgängige Identität kann sich das konkrete Subjekt nur denken (nicht erkennen!) im Sinne seiner Funktion als ‚das erkennende Subjekt‘, die es ausübt. (vi) Sofern das konkrete Subjekt die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, vereinigt es nach konstanten Regeln, die im funktionalen Prinzipieninbegriff ‚des erkennenden Subjekts‘ begründet liegen, alles Mannigfaltige synthetisch. Hierdurch vermag es sich erst durchgängig als Identität zu denken (!), jedoch nicht (im ontologischen Sinne) zu erkennen. (vii) Das konkrete Subjekt kann sich nunmehr von jedem konkreten Gegenstand, auf den es bezogen ist, als selbiges Ich unterschieden denken, weil es, sofern es als ‚das erkennende Subjekt‘ fungiert, alle Mannigfaltigkeit nach denselben invarianten Funktionen ‚des erkennenden Subjekts‘ vereinigt hat und damit Gegenständlichkeit konstituiert hat. (viii) Um sich als invariantes durchgängiges „Ich“ denken (!) zu können und nicht nur einfach als durchgängige Identität, muss das konkrete Subjekt, sofern und nur sofern es die Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ erfüllt, sich gleichwohl auch von der Funktion ‚des erkennenden Subjekts‘ unterscheiden können. (ix) Seine Funktion als ‚das erkennende Subjekt‘ erfüllt das konkrete Subjekt im objektiv gültigen Erfahrungsurteil. Dessen Prinzipien sind deshalb die Fundierungsgründe ‚des erkennenden Subjekts‘ – in Folge sind sie die Fundierungsgründe für die Möglichkeit, dass sich das konkrete Subjekt als Identität denken (nicht erkennen) kann – und in letzter Folge sind sie auch die Prinzipien der Möglichkeit eines einheitlich-einzelnen Bewusstseinsvorgangs. (x) Die reine Funktion des geltungsdifferenten Erfahrungsurteils nennt Kant die „objektive Einheit der Apperzeption“. Der reine Verstand stiftet nicht nur die Möglichkeit der objektiven synthetischen Einheit, sondern er muss, um dazu in der Lage zu sein, auch apperzeptiv, d. h. selbstreflexiv geformt sein. Das heißt zunächst, dass er sich von all seinen Instantiierungen unterscheiden können muss. Nur dann kann er eine begründungstüchtige invariante Funktion darstellen, die nicht in ihren Prinzipiaten aufgeht.
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(xi) Die Modi dieser funktionalen objektiven Einheit der Apperzeption sind die aus den Urteilsfunktionen abgeleiteten reinen Begriffe (Kategorien). (xii) Wenn das reine Denken die selbige Invarianz in allen seinen Modi darstellen können soll, muss es sich noch einmal reflexiv selbst von diesen Modi unterscheiden können. Nur dann verliert das Denken sich nicht in ausschließlicher Gegenstandsbindung an die Welt. Wäre es strikt identisch mit dem Inbegriff seiner kategorialen, gegenstandskonstitutiven Grundbegriffe, wäre es unfähig, sich selbst zu thematisieren und könnte nicht die identische Invarianz darstellen, die von allen Kategorien vorausgesetzt wird. (xiii) Die Fähigkeit zur apperzeptiven Selbstbeziehung ist neben der Invarianz des reinen Verstandes die zweite Grundverfasstheit des reinen Denkens selbst. (xiv) Die Invarianz des reinen Denkens in all seinen Modi, die notwendigerweise das Vermögen zur Reflexion voraussetzt, ist damit Grund selbst noch der Einheit des schlichtesten empirischen Bewusstseinsvorganges.
Kategoriendeduktion bei Fichte Zu den ersten drei Grundsätzen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre Von Nicolas Bickmann Das Thema der folgenden Ausführungen ist die Deduktion der Kategorien im Zusammenhang der ersten drei Grundsätze der Grundlage der Gesamten Wissenschaftslehre von Johann Gottlieb Fichte. Ziel soll es sein, die Deduktion der Kategorien der Realität, Negation und Limitation zu analysieren, die im Zusammenhang der Entwicklung der ersten drei Grundsätze der Grundlage der Gesamten Wissenschaftslehre erfolgt. Insofern die Kategorien der Realität, Negation und Limitation im Kontext der ersten drei Grundsätze der Wissenschaftslehre deduziert werden, haben sie in Bezug auf die weiteren zu deduzierenden Kategorien eine fundamentale Bedeutung. Die drei genannten Kategorien sind als Ausdrücke für jeweils allgemeine Formen der ursprünglichen Handlungen des Ich zu verstehen, die Fichte in den ersten drei Grundsätzen darstellt. Aus ihnen können dann im weiteren Verlauf der Wissenschaftslehre die Kategorien der Wechselwirkung, der Kausalität und der Substantialität abgeleitet werden. Diese Ableitung der Kategorien aus den ersten drei Grundsätzen stellt ein Verfahren dar, das auch als genetisch bezeichnet werden kann. Eine Kategorie ist in diesem Sinne genau dann genetisch deduziert, wenn sie als eine ursprüngliche Handlung des Ich bewiesen ist. Die Deduktion von Kategorien zielt damit nicht primär darauf, zu zeigen, inwiefern Kategorien konstitutiv für die Bestimmung gegebener Objekte sind. Die Kernaufgabe der genetischen Deduktion besteht viel zunächst darin, den Ursprung von Kategorien in einer tätigen Subjektivität aufweisen. Wie aus Fichtes Erster Einleitung in die Wissenschaftslehre hervorgeht, kritisiert Fichte den kantischen Ansatz dafür, dass hier die Kategorien nur so betrachtet werden können, wie sie schon unmittelbar auf Objekte angewendet werden. Auf dieser „tiefsten“ Stufe der Untersuchung könne er aber nicht zeigen, dass sie wirklich immanente Gesetze des Ich bzw. der Intelligenz selbst sind.1 Betrachtet man die Kategorien zunächst auf der Stufe ihrer Anwendung auf ein empirisch Gegebenes, hat man sie nach Fichte letztlich bloß durch Abstraktion von der Erfahrung gewonnen und gerade dadurch nicht transzendentalphilosophisch deduziert. Bleibt aber eine solche Fundierung der Kategorien im Subjekt aus, lässt sich nach Fichte auch keine überzeugende Argumentation gegen dogmatische Entwürfe 1
Fichte: Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 201/SW I, S. 442.
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entwickeln, nach denen die Kategorien bloß jene Eigenschaften bezeichnen, die den Dingen wesentlich auch unabhängig von der denkenden Subjektivität zukommen. In diesem Sinne versucht Fichte im Rahmen der Grundsatzlehre der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre zunächst die Vorbedingungen zu erhellen, unter denen die kantische Frage nach dem Bezug der Kategorien auf ein Gegebenes erst zu beantworten ist. Ausführungen zur objektkonstitutiven Funktion der Kategorien finden sich erst am Ende des theoretischen Teils der Wissenschaftslehre, nämlich in der „Deduktion der Vorstellung“.2 Hier zeigt er, wie das Ich die Kategorien als subjektive Handlungsweisen auf ein Äußeres überträgt und damit erst Objekte konstituiert. Das Vermögen, durch welches die Kategorien entstehen und zugleich auf Objekte übertragen werden, begreift Fichte als Einbildungskraft.3 Da die Kategorien in diesem engen Begründungsverhältnis zu den drei Grundsätzen stehen, kann ihre Deduktion nur begriffen werden, wenn die Entwicklung der drei Grundsätze selbst mitanalysiert wird. Bei dieser Analyse soll sich zeigen, dass Fichte aus den drei Grundsätzen nicht bloß sukzessiv neue Kategorien aufstellen kann, sondern mit der Aufstellung der drei Grundsätze zugleich die Methode für die philosophische Deduktion überhaupt fundiert. Mit Blick auf die ersten beiden Grundsätze spricht Fichte von einer methodisch noch nicht fundierten Deduktion durch „abstrahierende Reflexion“. Diese soll in einem ersten Abschnitt (I) näher betrachtet werden. Die feste methodische Form der Deduktion zeigt sich dabei erst mit Abschluss des dritten Grundsatzes. Diese vollzieht sich in ausgereifter Form, wie Wolfgang Janke treffend formuliert, am „Leitfaden der Dialektik“, nämlich in einer gedanklichen Bewegung, die eine Antithesis und eine Synthesis miteinander verbindet.4 Die Deduktion der Limitationskategorie ist Gegenstand des zweiten Abschnitts (II). Im dritten Abschnitt (III) erfolgt dann die abschließende Reflexion auf die methodische Grundlegungsfunktion der ersten drei Grundsätze und der in ihr deduzierten Kategorien für den weiteren Verlauf der genetischen Deduktion in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre.
I. Deduktion durch Abstraktion: Die Kategorien der Realität und der Negation Im ersten Teil der Grundlage der Gesamten Wissenschaftslehre kann also zwischen zwei Verfahren zur Entdeckung und zur Deduktion von Kategorien und den ihnen korrespondierenden Grundsätzen unterschieden werden. Den methodischen Zugang einer „abstrahierenden Reflexion“ wählt Fichte ursprünglich, um die Tathandlung (also das absolute Sich-Setzen des Ich) als schlechthin unbeding 2
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 369–383/SW I, S. 227–246. 3 Vgl. Fichte: Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, GA I,3, S. 188/SW I, S. 386 f. 4 Janke (1970), S. 121.
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ten Grund alles menschlichen Wissens aufzustellen.5 Die Tathandlung bzw. der erste Grundsatz, welcher die Tathandlung ausdrückt, kann nicht bewiesen oder abgeleitet, sondern bloß aufgefunden werden – die Tathandlung ist nämlich selbst der Grund der Möglichkeit alles Beweisens und Ableitens. Sie kann damit keinen weiteren Grund mehr voraussetzen, aus dem sie selbst herzuleiten ist. Mithilfe der abstrahierenden Reflexion kann also nur dargelegt werden, dass die Tathandlung „als Grundlage alles Bewusstseyns“ notwendig gedacht bzw. angenommen werden müsse.6 Es fällt nun auf, dass Fichte die Kategorie der Realität am Ende des ersten Paragraphen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, welcher methodisch mit der abstrahierenden Reflexion operiert, eher unvermittelt einführt, d. h. ohne eigens noch einmal zu erläutern, inwiefern ein Zusammenhang zwischen der erwiesenermaßen notwendig anzunehmenden Tathandlung und der Kategorie der Realität besteht. Diesen Zusammenhang möchte ich nun im Folgenden erhellen.7 Die abstrahierende Reflexion ist für Fichte ein frei gewählter Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Untersuchung überhaupt. In der Wissenschaftslehre im Besonderen besagt Reflexion zunächst, dass die Handlungen des Ich, ihre Form sowie ihre Produkte zum Bewusstsein erhoben werden.8 Es handelt sich dabei um eine abstrahierende Reflexion, da die jeweilige Ichhandlung rein und für sich betrachtet wird, d. h. unabhängig von ihrem Zusammenhang mit diversen weiteren Handlungen im konkreten Bewusstseinsvollzug. Insofern diese Reflexion in einem freien Akt ihren Ausgangspunkt nimmt, entzieht sie sich zunächst einer metho dischen Grundlegung. Die der reflektierenden Analyse zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Geistes können erst sukzessiv transzendentalphilosophisch aufgehellt werden – dies leistet Fichte in allgemeinen Zügen bereits durch die Aufstellung der drei Grundsätze.9 Die Suche nach dem unbedingten und schlechthinnigen Grundsatz unseres Wissens fängt an bei einem formalen Identitätsurteil A = A. Der erste Grundsatz 5
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 255/SW I, S. 91. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 255/SW I, S. 92. 7 Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 99. 8 Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 142/SW I, S. 72. 9 Die abstrahierende Reflexion untersteht also bereits jenen Gesetzmäßigkeiten geistiger Handlungen, die sie selbst zu ermitteln sucht. Hierin entdeckt Fichte einen notwendigen Zirkel. In diesem Zirkel sieht Fichte ferner den Grund, dass das System der Wissenschaftslehre bloß den Anspruch auf eine wahrscheinliche Richtigkeit, nicht aber Infallibilität erheben kann. Letztlich lässt sich nämlich nach Abschluss des Systems bloß feststellen, ob die vorausgesetzten Gesetze der abstrahierenden Reflexion mit den aufgefundenen Gesetzen der Handlungen des Geistes übereinstimmen. Diese Übereinstimmung stellt dabei allerdings ein bloß negatives Kriterium der Richtigkeit des Systems dar. Stellt man diese Übereinstimmung fest, lässt sich ferner nicht mehr abschließend beurteilen, ob die Übereinstimmung ausschließlich durch richtiges Folgern oder vielleicht aber „von ungefähr durch zwei oder mehrere Uebereinstimmung bewirkende unrichtige Folgerungen hervorgebracht sei“, Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 144f / SW I, S. 75. In Ermangelung der Möglichkeit, das System und seine mannigfaltigen Argumentationsketten in einer Gesamtschau als richtig zu beurteilen, ist das System der Wissenschaftslehre also kein absolutes Wissen. 6
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unseres Wissens nimmt dabei den Ausgang bei einem Urteil, das gemeinhin als unbedingt gewiss gilt. Der Satz A = A stellt zugleich in seiner allgemeinen Form für Fichte den Grundsatz der formalen Logik dar. Fichte begreift das Fürwahrhalten dieses Grundsatzes als empirische Tatsache des Bewusstseins, die keiner seiner Leser leugnen dürfte, ohne performative Widersprüche zu begehen. Schließlich macht auch derjenige, der die Wahrheit dieses logischen Grundsatzes bezweifelt, Gebrauch von demselben, da auch der Zweifler zur Darlegung seiner Position Gedanken fassen müsste, die mit sich selbst identisch sind. Eine empirische Tatsache des Bewusstseins muss dabei streng von einem Urteil über die empirische Wirklichkeit unterschieden werden.10 Es handelt sich in Fichtes Terminologie um eine empirische Tatsache, da der Satz in seiner Wahrheit dem Bewusstsein gegeben ist. Der bloß logisch-formale Satz A = A sagt noch nicht aus, dass überhaupt ein A gegeben ist. Vor diesem Hintergrund ist auch Fichtes Umformulierung des Satzes A = A in das Konditional „wenn A, so A“ zu verstehen, da in diesem Konditional noch stärker zum Ausdruck kommt, dass es für ein bloßes formallogisches Urteil nicht relevant ist, dass ein A tatsächlich gesetzt ist. Eine empirische Bewusstseinstatsache ist also noch kein Urteil über ein empirisch Gegebenes, dessen Möglichkeit zu Beginn der Grundlage der Wissenschaftslehre ohnehin noch nicht in den Blick genommen wird. In einem ersten Abstraktionsschritt von der Reflexion auf die empirische Bewusstseinstatsache des A = A reflektiert Fichte nun auf die Bedingungen der Möglichkeit, ein A als identisch mit sich selbst in einem zweistelligen Identitätsurteil zu denken. Die Ermöglichungsbedingung der Bewusstseinstatsache A = A erkennt Fichte nun in einer weiteren, fundamentaleren Bewusstseinstatsache, nämlich in der Identität des Ich. Diese kann wiederum in dem Satz „Ich bin Ich“ oder „Ich bin“ ausgedrückt werden kann. Denn ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem A der Subjektstelle und dem A der Prädikatstelle im Urteil „A = A“ oder „Wenn A, so A“ kann nur dann hergestellt werden, wenn das Urteilende, also das Ich, selbst mit sich identisch ist. Wäre das urteilende Ich, welches das A der Subjektstelle setzt, nicht identisch mit dem Ich, das das A der Prädikatstelle setzt, wäre gar keine Beziehung zwischen beiden Relata möglich und es würde letztlich von einem jeweils verschiedenen Ich ein jeweils verschiedenes A gesetzt werden. Dies würde die Identität von A mit A aufheben. Die Identität des Ich bleibt für Fichte eine Tatsache des Bewusstseins, da sie selbst – wie soeben gezeigt – aus einer Tatsache des Bewusstseins abgeleitet wurde. In diesem Sinne ist die Identität des Ich, welche in dem Satz ausgedrückt werden kann: Ich bin Ich, die höchste Tatsache des Bewusstseins. Das Gesetztsein des Ich in Identität mit sich selbst wird damit zugleich zum Erklärungsgrund aller empirischen Tatsachen des Bewusstseins erhoben, zumal der Gehalt jeder empirischen Vorstellung unter der Bedingung steht, mit sich selbst identisch zu sein – Er muss eine Identität haben, die er nur durch und für ein mit sich Identisches Ich haben kann. 10
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 257/SW I, S. 93.
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Fichte liegt es also daran, in einem ersten Abstraktionsschritt von dem nicht bestreitbaren Fürwahrhalten des Satzes A = A die oberste Tatsache des Bewusstseins aufzuweisen, welche in der Identität des urteilenden Ich mit sich selbst besteht. In einem zweiten Abstraktionsschritt geht Fichte nun weiter und er versucht, die Bedingung der Möglichkeit dieser Identität selbst noch einmal zu denken. Diese Identität, so Fichtes Erklärung, kann das Ich nur seiner eigenen Setzung verdanken. Schließlich ist der Satz Ich=Ich die oberste Tatsache des empirischen Bewusstseins und damit unbedingt für das Ich gegeben. Ein Unbedingtes für das Ich kann nun, so Fichte, nur durch das Ich selbst gesetzt sein, da es ansonsten nicht unbedingt für dasselbe, sondern bedingt durch ein anderes wäre. Das Selbstsetzen des Ich beschreibt hierbei nun eine „reine Tätigkeit des Geistes“, in der das Ich sowohl das Tätige als auch das Produkt der Tat bzw. der Handlung ist, weshalb Fichte hierfür die berühmte Formel der „Thathandlung“ wählt.11 Der erste Grundsatz, welcher die Tathandlung ausdrückt, lautet dementsprechend: „Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eignes Seyn.“12 Die Tathandlung selbst konnte nur abstrahierend, analytisch-regressiv erschlossen werden, als Bedingung der Möglichkeit der Identität des Ich selbst, ohne aber selbst zu einer Tatsache des Bewusstseins zu werden. Die Tathandlung selbst ist also nach diesen Ausführungen nicht isoliert anschaubar.13 Das Ich der Tathandlung ist zugleich das „absolute Subjekt“ und damit „dasjenige, dessen Seyn (Wesen) bloss darin besteht, dass es sich selbst als seyend setzt“.14 Mithilfe der Methode der abstrahierenden Reflexion ist Fichte also von der obersten Bewusstseinstatsache zum obersten Grundsatz unseres Wissens gelangt, welcher nicht abgeleitet oder bewiesen, sondern nur in seiner Denknotwendigkeit herausgestellt werden sollte. Das im Grundsatz benannte Ich als absolutes Subjekt ist dabei zugleich keine Tatsache im endlichen Bewusstsein wie es etwa die Grundsätze der formalen Logik sind. Als ein bloß Denknotwendiges ist es vielmehr ein transzendentalphilosophisch aufzufindender Gedanke über den ersten Grund unseres Wissens und unseres Handelns. Nachdem die Tathandlung des Ich als erster Grundsatz unseres Wissens aufgezeigt wurde, ist für Fichte der Weg zur Deduktion der Realitätskategorie nicht mehr weit. Sie erfolgt, wie er bekundet, in zwei weiteren Abstraktionsschritten: 11
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 259/SW I, S. 96. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 98. 13 In der Zweiten Einleitung in der Wissenschaftslehre erläutert Fichte das Verhältnis von Tathandlung und dem faktischen, endlichen Bewusstsein folgendermaßen: „Das Ich wird durch den beschriebenen Act bloss in die Möglichkeit des SelbstBewusstseyns, und mit ihm alles übrigen Bewusstseyns versetzt; aber es entsteht noch kein wirkliches Bewusstseyn. Der angegebene Act ist bloss ein Theil, und ein nur den Philosophen abzusondernder, nicht aber etwas ursprünglich abgesonderter Theil der ganzen Handlung der Intelligenz, wodurch sie ihr Bewusstseyn zu Stande bringt“, Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, GA I,4, S. 214/SW I, S. 459. 14 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 259/SW I, S. 97. 12
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Zunächst abstrahiert Fichte vom Inhalt des ersten, transzendentalen Grundsatzes unseres Wissens, wodurch der oberste Grundsatz der formalen Logik bewiesen werden kann. Dann betrachtet er die „bloßen Handlungsart“ unseres Geistes in einem Identitätsurteil und begreift diese dann als Kategorie der Realität.15 Fichtes Verfahren, vom ersten transzendentalen Grundsatz seiner Philosophie durch Abstraktion den Grundsatz der Logik sowohl zu beweisen als auch zu bestimmen, erscheint auf einen ersten Blick fragwürdig: Schließlich setzte im Vorangegangenen seine Überlegung beim logischen Grundsatz der Identität selbst an, um dann in abstrahierender Reflexion vom logischen zum transzendentalen Grundsatz des sich selbst setzenden Ich zu gelangen. Fichtes Argumentation, so scheint es, mündet letztlich in einem unstatthaften Zirkel. Dieses Problem lässt sich jedoch dadurch lösen, dass Fichte mit diesem Abstraktionsschritt das Ich als Tathandlung nicht erneut durch ein regressives, abstrahierendes Verfahren in dem Satz A = A zu begründen versucht, sondern im Grunde genommen nur die bereits gewonnene Einsicht wiederholt, dass der logische Grundsatz A = A im Verfahren der abstrahierenden Reflexion zwar die ratio cognescendi (also den Erkenntnisgrund) des Ich als Tathandlung darstellt, die Tathandlung selbst aber als ratio essendi den logischen Grundsatz der Identität erst erklären kann.16 Im Gegensatz zur bereits analysierten, regressiven, aufsteigenden Abstraktion handelt es sich hierbei also in gewisser Weise um eine herabsteigende Abstraktion, welche dazu dient, das transzendentalphilosophische Begründungsgefüge auf angemessene Weise darzustellen. Es ist der transzendentalphilosophische Grundsatz, welcher den logischen Grundsatz begründet – oder wie Fichte sagt, der ihn erweist und bestimmt. Der logische Grundsatz ist aus dem transzendentalen Grundsatz „Ich = Ich“ erwiesen, da er nur gelten kann, weil das Ich, welches das A der Subjektstelle setzt, dasselbe ist wie das A, das das Ich der Prädikatstelle setzt. Der logische Grundsatz ist durch das Ich = Ich bestimmt, was bedeutet, dass er nur dort Gültigkeit hat, wo ein Ich sich selbst oder ein anderes für sich setzt: „Kein mögliches A (…) kann etwas anderes seyn, als ein im Ich gesetztes.“17 Betrachtet man den logischen Grundsatz A = A und alle weiteren Urteile, die die Identität von etwas mit sich aussagen, selbst als Produkte einer Bewusstseinshandlung, so ist es möglich, dieses Produkt noch einmal vom Handeln des Bewusstseins bzw. von der Handlungsart in diesem Urteil zu unterscheiden. Tut
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Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261 f. / SW I, S. 98 f. So hält Fichte an anderer Stelle fest: „(D)ie Wissenschaftslehre kann schlechterdings nicht aus der Logik bewiesen werden, und man darf ihr keinen einzigen logischen Satz, auch den des Widerspruchs nicht, als gültig vorausschicken; hingegen muss jeder logische Satz, und die ganze Logik aus der Wissenschaftslehre bewiesen werden. (…) Also entlehnt die Logik ihre Gültigkeit von der Wissenschaftslehre, nicht aber die Wissenschaftslehre die ihrige von der Logik“, Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 138/SW I, S. 68. 17 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 99. 16
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man dies, gelangt man zu der Unterscheidung zwischen einem mit sich identisch Gesetztem und der Handlung, etwas als mit sich identisch zu setzen. Diese Unterscheidung bildet nun den von Fichte benannten zweiten Abstraktionsschritt. Es ist nun dieses Setzen selbst, die „Handlungsart des menschlichen Geistes“, die überhaupt zu seinem Gesetzten führt, die Fichte als Kategorie der Realität begreift. In diesem Sinne wird die Kategorie der Realität durch die Abstraktion vom logischen Grundsatz der Identität einsehbar gemacht, wenngleich auch hier gilt, dass der Handlungsvollzug, der in der Kategorie der Realität auf den Begriff gebracht wird, der Grund der Möglichkeit des Gesetzseins eines Identischen ist. Die Kategorie der Realität wird von Fichte also in ihrem fundamentalen Sinne betrachtet als eine Tätigkeitsweise des Ich, als ein Identischsetzen überhaupt.18 Das, was auf diese Weise realisiert ist, hat Realität. So heißt es: „Alles, worauf der Satz A = A anwendbar ist, hat, inwiefern derselbe darauf anwendbar ist, Realität.“19 Nun wird auch einsehbar, warum die Kategorie der Realität im Gang der genetischen Deduktion der Kategorien eine fundierende Rolle einnimmt: Es ist nämlich erst durch dieses identifizierende Setzen möglich, dass sich ein Subjekt selbst konstituiert und dass darüber hinaus ein anderes (ebenfalls mit sich identisches) zum Objekt des Bewusstseins werden kann. Insofern dieses Identischsetzen, das als Handlungsweise des Ich allgemein auf den Begriff der Realität gebracht wird, ursprünglich in der Tathandlung des Ich wurzelt, kann Fichte beanspruchen, die Kategorie der Realität aus dem obersten Grundsatz des Wissens abgeleitet zu haben. In diesem Sinne handelt es sich um eine genetische Deduktion der Realitätskategorie. Die Frage, wie die Kategorie der Realität und die weiteren Kategorien regelhaft-spontane Ordnungsfunktion für ein gegebenes Mannigfaltiges sein können, welcher Kant in seiner transzendentalen Deduktion nachgeht, kann nach Fichte an dieser Stelle noch nicht thematisiert werden. Für Fichte geht es darum, die Kategorien in ihrer allgemeinsten Form, als Handlungsarten bzw. als Tätigkeitsweisen des Ich aus der Selbstsetzung des Ich abzuleiten, ehe die speziellere Frage nach ihrer Anwendbarkeit auf ein gegebenes Mannigfaltiges, wie Kant sie begründen wollte, beantwortet werden kann. Das Verfahren, eine Kategorie im Rahmen einer mehrschrittigen, abstrahierenden Reflexion ausgehend von einer Tatsache des Bewusstseins und einem obersten
18 Es fällt auf, dass Fichte in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre den Begriff der Realität je nach Kontext verschieden verwendet. Im ersten Paragraphen verwendet er ihn in seiner fundamentalsten Bedeutung, nämlich im Sinne einer „rein gedankliche(n) Sachhaltigkeit (…), die aus der widerspruchsfreien Identität von etwas mit sich selbst folgt“, Schäfer (2006), S. 166. Im Rahmen der Synthesis E spricht Fichte hingegen davon, dass es Realität nur vermittelst der Anschauung geben kann. Hier liegt also ein bereits spezifizierter Realitätsbegriff vor, der vor dem Hintergrund seiner Theorie von der produktiven Einbildungskraft relevant wird. Die produktive Einbildungskraft ist dabei die Bedingung der Möglichkeit der Beziehung auf ein Anschaubares, vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 368/SW I, S. 226 f. 19 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 261/SW I, S. 99.
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Grundsatz zu deduzieren, wendet Fichte auch bei der zweiten fundamentalen Kategorie, der Kategorie der Negation an. Insofern die Struktur der Argumentationsschritte also bereits aus dem ersten Abschnitt bekannt ist, können die einzelnen Deduktionsschritte in knapperer Form nachvollzogen werden. Das Vorgehen der Deduktion der Negationskategorie lässt sich knapp folgendermaßen darstellen: Ähnlich wie der Satz A = A in freier Reflexion aufgefunden und aufgestellt sowie sein Fürwahrhalten als Tatsache des Bewusstseins behauptet wurde, stellt Fichte nun auch den Satz −A nicht = A auf. Auch die Erhellung des zweiten Grundsatzes bzw. die Deduktion der Negationskategorie geht also von einem Urteil aus, das gemeinhin für wahr gehalten werden muss. Damit ist auch das Fürwahrhalten dieses Satzes, also des Satzes des zu vermeidenden Widerspruchs, der besagt, dass ein identisches Selbst nicht zugleich nicht es selbst sein kann, für Fichte eine Tatsache des Bewusstseins. Als eine solche Tatsache des Bewusstseins leuchtet er mit unmittelbarer Evidenz ein. Es gilt also auch für diesen Satz, der zugleich einen weiteren Grundsatz der formalen Logik darstellt, die Bedingungen seiner Möglichkeit aufzuzeigen. Was nun die Art und Weise bzw. die Form des Setzens eines −A gegen ein gesetztes A angeht, fällt schnell auf, dass sie selbst nicht aus dem Setzen selbst bzw. aus der Kategorie der Realität abgeleitet werden kann. Die Tätigkeit des Entgegensetzens ist der Tätigkeit des Setzens vielmehr selbst entgegengesetzt und es findet sich nach Fichte auch keine höhere Handlung, aus der sie begründet werden kann. „Demnach kommt unter den Handlungen des Ich, so gewiss der Satz −A nicht = A unter den Thatsachen des empirischen Bewusstseyns vorkommt, ein Entgegensetzen vor; und dieses Entgegensetzen ist seiner blossen Form nach eine schlechthin mögliche, unter gar keiner Bedingung stehende, und durch keinen höheren Grund begründete Handlung.“20
Insofern das Entgegensetzen seiner bloßen Form nach schlechthin möglich ist und er aus keiner höheren Handlung des Ich begründet werden kann, spricht Fichte auch von einer formalen Unbedingtheit dieses Satzes. Demgegenüber gilt es jedoch ebenso festzuhalten, dass die Handlung des Entgegensetzens auf ein Setzen überhaupt bezogen ist − um entgegenzusetzen muss zugleich gesetzt werden. Es handelt sich damit zwar um eine formal unbedingte, dem Gehalte nach jedoch bedingte Handlung, wenn das Gesetzte jeweils den Bezugspunkt des Entgegensetzens bestimmt. Die materielle Bestimmtheit des Entgegensetzens durch ein Setzen überhaupt und damit durch die Selbstsetzung des Ich ergibt sich für Fichte ferner dadurch, dass jedes Entgegensetzens die Identität des Ich selbst voraussetzt. Es muss ein und dasselbe Ich sein, das einerseits die Identität von A = A beurteilt und andererseits das Entgegengesetztsein eines Nicht-A. Denn nur wenn es ein und dasselbe Ich ist, das die Identität bzw. Nicht-Identität von A und Nicht-A feststellt, wird zugleich sichergestellt, dass A und −A als Entgegengesetzte auf einander bezogen können.
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Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 265/SW I, S. 102.
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Wäre es nicht ein und dasselbe Ich, würde eine zweifache Setzung stattfinden, wodurch A nicht ungleich −A wäre, sondern vielmehr A = −A.21 Die Überlegung, die Fichte nun zum Aufstellen eines zweiten Grundsatzes un seres menschlichen Wissens und damit auch zur Entdeckung einer zweiten fundamentalen Kategorie, der Kategorie der Negation führt, ist die folgende: Nach der Einsicht des ersten Paragraphen ist das Ich das Produkt des bloßen Setzens seiner selbst. Das Ich ist schlechthin gesetzt und das Ich ist schlechthin nur Setzen. Das Selbstsetzen des Ich ist die Bedingung für jedes Setzen im Ich, d. h. für die Realität von einem Objekt des Bewusstseins überhaupt. Findet im Ich nun ein reines Entgegensetzen statt, das aufgrund der Bewusstseinstatsache der Wahrheit des Satzes vom Widerspruch angenommen werden muss, ist mit diesem Entgegensetzen zugleich ein reines Produkt des Entgegensetzens zu denken. Dieses reine Produkt der Entgegensetzung, bloß für sich betrachtet als das Entgegengesetzte überhaupt, konzipiert Fichte nun als Nicht-Ich.22 Das Nicht-Ich ist daher der Gegensatz zum bloß setzenden Ich. Der zweite Grundsatz menschlichen Wissens lautet daher: Dem Ich ist „schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich.“23 – Das Nicht-Ich muss angenommen werden, solange im Ich überhaupt Entgegensetzungen stattfinden. Dabei ist zu bedenken, dass zumindest an dieser Stelle in der Entwicklung der Wissenschaftslehre das Nicht-Ich nicht mit einer Welt von äußeren Objekten identifiziert werden kann. Vielmehr benennt der zweite Grundsatz die Bedingung der Möglichkeit, dass es im Ich überhaupt zu einer Unterscheidung zwischen einem vorstellenden Subjekt und einem vorgestellten Objekt kommen kann. Diese Unterscheidung ist im Rahmen einer transzendentalphilosophischen Grundsatzlehre in den Blick zunehmen, da sie noch fundamentaler ist als etwa die Frage nach der spezifischen apriorischen oder empirischen Bestimmtheit vorgestellter Objekte. Die Vorstellung einer Außenwelt mitsamt gegebenen Objekten für das endliche Bewusstsein wird weitere komplexe Ableitungsschritte im theoretischen und praktischen Teil der Wissenschaftslehre erfordern und letztlich erst im praktischen Teil fundiert werden können. Dort argumentiert Fichte, dass es nur dann äußere Objekte für ein Bewusstsein geben kann, wenn das Subjekt dieses Bewusstsein über ein praktisches Vermögen des Strebens verfügt, welches aufgrund einer Hemmung der eigenen strebenden Tätigkeit zur vorstellenden Setzung von äußeren Objekten genötigt ist.24 Fichte wählt in der Aufstellung des zweiten Grundsatzes ferner die passive Formulierung, dass dem Ich schlechthin ein Nicht-Ich entgegengesetzt wird. So lässt 21 „Das Entgegensetzen ist nur möglich unter Bedingung der Einheit des Bewusstseyns des setzenden, und des entgegensetzenden. Hinge das Bewusstsein der ersten Handlung nicht mit dem Bewusstseyn der zweiten zusammen: So wäre das zweite Setzen kein Gegensetzen, sondern ein Setzen schlechthin. Erst durch Beziehung auf ein Setzen wird Gegensetzen“, Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 266/SW I, S. 103. 22 Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 266/SW I, S. 104. 23 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 266/SW I, S. 104. 24 Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 388/SW I, S. 263.
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er es an dieser Stelle offen, ob der Ursprung dieser Entgegensetzung eines NichtIch im Ich selbst oder tatsächlich außerhalb des Ich zu verorten ist. Die konkrete Auseinandersetzung mit diesem Problem erfolgt unter anderem im Rahmen der Analyse der Synthesen der Kausalität und der Substantialität im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre, vor allem mit Blick auf die Frage, ob das Nicht-Ich seinen Idealgrund im Ich habe oder ob das Nicht-Ich vielmehr selbst Realgrund für die Beschränkung des ursprünglich absoluten Ich sei.25 Analog zu seinem Vorgehen in § 1 behauptet Fichte nun, dass auch der zweite Grundsatz von der notwendigen Entgegensetzung des Nicht-Ich als Ermöglichungs grund (ratio essendi) des zunächst aufgefundenen vom Widerspruch, dem Satz A nicht = −A angenommen werden muss. Fichtes These, dass die Tätigkeit des logischen Entgegensetzens von einem ursprünglichen Entgegensetzen eines NichtIch, wird seit Erscheinen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre kritisch diskutiert: So erkennt Hölderlin bekanntermaßen in der von Fichte so bezeichneten höchsten Tatsache des Bewusstseins, dem Ich bin Ich, bereits eine Ur-Teilung: Nach Hölderlin drückt nämlich Fichtes erster Grundsatz bereits eine Differenz von setzendem und gesetztem Ich, d. h. vom Ich als Subjekt und Objekt aus.26 Es handelt sich dabei also um eine Entgegensetzung, für welche das Ich gar nicht auf ein Nicht-Ich angewiesen ist. Dass nach Fichte allerdings eine solche Urteilung nicht im absoluten Ich verortet, sondern letztlich erst nach der Aufstellung eines dritten Grundsatzes thematisch macht, welcher vom Begrenzen und Beziehen des Ich und Nicht-Ich handelt, soll im zweiten Abschnitt (II) deutlich werden. Die Kategorie der Negation wird nun ähnlich wie die Kategorie der Realität nach Aufstellung des ihr korrespondierenden transzendentalen Grundsatzes heraus gestellt: Die Kategorie der Negation kann gedacht werden, insofern man vom Satz des Gegensetzens selbst abstrahiert und bloß auf die zugrundeliegende Handlungsart des Ich schaut, nämlich auf die Form der „Folgerung eines Entgegengesetzt seyns auf das Nicht-Seyn“, was für Fichte nun der allgemeine Ausdruck des Negierens überhaupt ist. Es gilt erneut daran zu erinnern, dass von einer abgeschlossenen Deduktion der Kategorie der Negation an dieser Stelle nicht gesprochen werden kann, da bislang der Bezug des Ich und des Nicht-Ich noch nicht hinreichend geklärt ist. Erst wenn gezeigt ist, dass das Entgegensetzen eines Nicht-Ich und die Handlung der Negation mit der Selbstsetzung des Ich vermittelbar sind, kann Fichte sichergehen, dass auch die Negationskategorie einen wirklichen Vollzug des Ich ausdrückt.
25 Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 325–328/SW I, S. 175–178. 26 Vgl. Hölderlin: Urteil und Sein, StA IV, S. 226–228. In der neueren Literatur findet sich eine ähnlich lautende Kritik bei Peter Baumanns, der ebenfalls am Ich des ersten Paragraphen beanstandet, dass die ursprüngliche Handlung des Entgegensetzens auch am Sichsetzen des Ich hätte aufgewiesen werden können, vgl. Baumanns (1979), S. 74.
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II. Deduktion durch Limitation Mit Blick auf die Kategorien der Realität und der Negation wurde nun folgendes Verfahren erkennbar: Durch Reflexion auf eine Tatsache des Bewusstseins (A = A oder −A nicht = A) und den durch Abstraktion erfolgten Aufweis der Bedingungen der Möglichkeit dieser Tatsache gelangt Fichte sowohl zu den Grundsätzen des menschlichen Wissens als auch zu den Kategorien, die die fundamentalen Handlungsarten des Ich in Bezug auf sich und in Bezug auf das Nicht-Ich bezeichnen. Diese Handlungsarten selbst erweisen sich ferner als Bedingung der Möglichkeit aller logischen Grundsätze, insofern diese durch ursprüngliche Handlungen des Ich bewiesen und bestimmt sind. Nachdem nun also auf diesem Weg, also ausgehend von notwendigen Tatsachen des Bewusstseins, zwei Grundsätze des menschlichen Wissens und zwei fundamentale Kategorien gewonnen werden konnten, stellt sich vor der Formulierung des dritten Grundsatzes ein neues Problem. Erstmals – und dies wird weiteren Verlauf der Wissenschaftslehre beibehalten – verfolgt Fichte mit der Ableitung eines Grundsatzes bzw. mit der Deduktion einer Kategorie das Ziel, Widersprüche zu beheben, welche die vorangegangenen Grundsätze mit sich bringen. Dass ein dritter Grundsatz als Lösung eines durch die beiden vorangegangenen Grundsätze entstandenen Widerspruchs formuliert werden soll, bedeutet für Fichte, dass die Handlung des Ich, welche er ausdrückt, der Form nach durch die beiden vorangegangenen Grundsätze bedingt ist – gleiches gilt auch für Deduktion der Limitationskategorie, welche die Deduktion der Realitäts- und der Negationskategorie voraussetzt. Der dritte Grundsatz ist also als Antwort auf die „Aufgabe“ zu verstehen, welche durch die ersten beiden Grundsätze gestellt ist. Dass er dem Gehalt nach dagegen unbedingt ist, dass also die Handlung des Ich, die er ausdrückt, unbedingt erfolgt, zeigt Fichte durch die Formulierung an, dass die beiden ersten Grundsätze des Setzens und des Entgegensetzens für sich genommen noch keine Lösung des angezeigten Widerspruchs enthalten – er ist also dem Gehalt nach nicht aus den beiden vorangegangenen Grundsätzen abzuleiten. Fichte erkennt eine Aufgabe in dem zu lösenden Problem, dass die Setzung eines Nicht-Ich, welche der zweite Grundsatz fordert, die Identität und die Einheit des Bewusstseins und damit „das einige absolute Fundament unseres Wissens“ aufzuheben droht.27 Hierfür argumentiert Fichte wie folgt: Das Nicht-Ich wird gesetzt als das dem Ich absolut Entgegensetzte, welches als solches das Ich aufhebt: „Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, ist das Ich nicht gesetzt; denn durch das Nicht-Ich wird das Ich völlig aufgehoben“.28 Demnach gilt, dass wenn Negation überhaupt standfindet, d. h. wenn ein Nicht-Ich gesetzt ist, das Ich vollständig vernichtet wird. Andererseits hat Fichte zuvor argumentiert, dass das Ich gesetzt sein muss, wenn überhaupt ein Nicht-Ich gesetzt sein 27 28
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 269/SW I, S. 107. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 268/SW I, S. 106.
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soll. Denn auch das Setzen eines Entgegengesetzten setzt ein einiges, identisches Bewusstsein voraus, dem entgegengesetzt werden kann. Wäre nicht dem Ich bzw. wäre nicht im Ich ein Nicht-Ich entgegengesetzt, dann wäre dieses Nicht-Ich gar nicht entgegengesetzt, sondern bloß gesetzt. Die Analyse der beiden Grundsätze, insofern sie als solche zusammen bestehen sollen, deckt also widersprüchliche Folgerungen auf: Durch die Setzung eines Nicht-Ich ist das Ich aufgehoben und auch nicht aufgehoben. Eine Konsequenz dieser Einsicht könnte nun sein, dass der zweite Grundsatz, durch den überhaupt erst ein Widerspruch eingetreten ist, als solcher aufgehoben werden müsse, um die Identität und Einheit des Ich zu wahren. Dass der zweite Grundsatz schlichtweg aufgehoben wird, schließt Fichte jedoch aus: Denn aus den genannten Gründen kann der zweite Grundsatz nur dann aufgehoben werden, wenn er wiederum vorausgesetzt ist – und hier zeigt sich seine fundamentale Bedeutung. Er kann nur aufgehoben werden, wenn bereits gilt, dass ein Gesetztes durch ein Entgegengesetztes aufgehoben wird. Er muss bereits vorausgesetzt sein, wenn überhaupt ein Widerspruch zwischen der ersten Folgerung (das Ich wird durch das Nicht-Ich aufgehoben) und der zweiten Folgerung (das Ich wird durch das Nicht-Ich nicht aufgehoben) ausgemacht werden soll. So gelangt Fichte zu einer paradoxen Diagnose: Der zweite Grundsatz hebt sich auf, wenn aus ihm Entgegengesetztes folgt und er hebt sich nicht auf, indem er vorausgesetzt wird, um diese Aufhebung zu begründen. Es ist diese Diagnose, die nun auch die Identität und Einheit des Ich aufzuheben droht und damit auch den ersten Grundsatz als einzig mögliche, unbedingte Gewissheit zunichtemachen könnte: Denn in beiden Fällen, unter der Bedingung der Aufhebung und der Nicht-Aufhebung des zweiten Grundsatzes, scheint das Ich aufgehoben werden zu müssen: Gilt der zweite Grundsatz uneingeschränkt und wird ein Nicht-Ich gesetzt, so wird das Ich durch ein gesetztes Nicht-Ich aufgehoben und vernichtet. Er kann nur negiert werden unter der Voraussetzung seiner Geltung. Auch im Fall seiner Negation würde also das Ich aufgehoben werden müssen, mithin wäre das Ich in beiden Fällen ein Aufgehobenes, also ein Nicht-Ich. Der Ausgangspunkt, von dem aus nun ein dritter Grundsatz gesucht werden soll, ist also keine zunächst in freier Reflexion aufgefundene Tatsache des Bewusstseins, sondern ein analytisch gewonnener Widerspruch, der die Identität des Bewusstseins und damit das Fundament des Wissens selbst aufzuheben droht. Der dritte Grundsatz ist der Ausdruck einer Handlung des Ich, vermittelst derer die Einheit und Identität des Ich gewahrt werden kann, ohne dass die Gültigkeit des ersten und des zweiten Grundsatzes selbst bestritten werden muss. Dass die Geltung des zweiten Grundsatzes vernünftigerweise nicht bestritten werden kann, liegt daran, dass er jederzeit vorausgesetzt ist, wenn überhaupt irgendetwas bestritten werden soll. Die für Fichte nun einzig denkbare Möglichkeit, die Setzung eines Ich mit der Setzung eines Nicht-Ich als gemeinsam geschehend zu denken, ohne dass sich beide gegenseitig gänzlich aufheben, besteht darin, dass beide Setzungen im Ich nicht absolut geschehen können. Denn dadurch würden sie, wie wir gesehen haben, jeweils absolut aufgehoben oder vernichtet werden. Vielmehr muss die Setzung des
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Ich ebenso wie des Nicht-Ich in bloß eingeschränkter Weise geschehen – und zwar im und für das Ich. Die Voraussetzung dafür, dass Ich und Nicht-Ich überhaupt eingeschränkt werden können, ist nach Fichte das Setzen ihrer Einschränkbarkeit und damit ihrer Teilbarkeit – die Teilbarkeit ist ein Attribut, welches dem ursprünglich gesetzten Ich ebenso wenig zukommt wie dem ursprünglich entgegengesetzten Nicht-Ich. In diesem Sinne ist das Setzen ihrer Teilbarkeit dem Gehalt unbedingt und kann aus keiner weiteren Handlungen des Ich abgeleitet werden. In der Setzung ihrer Teilbarkeit werden Ich und Nicht-Ich nun zugleich aufeinander bezogen, sodass Fichte davon ausgeht, dass sich Ich und Nicht-Ich gegenseitig einschränken. Der dritte Grundsatz lautet demnach: Das Ich setzt im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen.29 Oder auch: „Das Ich ist im Ich nicht gesetzt, insofern, d. i. nach denjenigen Theilen der Realität, mit welchen das Nicht-Ich gesetzt ist.“30 Die Kategorie der Bestimmung bzw. der Limitation, die Fichte im Rahmen des dritten Grundsatzes deduziert, kann nun erneut in einem zweifachen Abstraktionsschritt von dem dritten, materialen Grundsatz unseres Wissens gewonnen werden. Dabei gewinnt er zunächst in einem ersten Abstraktionsschritt ausgehend vom transzendentalen Grundsatz der Teilbarkeit den formallogischen Satz des Grundes, welcher die „Vereinigung entgegengesetzter durch den Begriff der Teilbarkeit“ ausdrückt. Dieser logische Grundsatz, der für den weiteren Gedankengang der Wissenschaftslehre eine herausragende methodische Stellung einnimmt, ist erneut bewiesen und bestimmt durch den transzendentalen Grundsatz. Nach Fichte enthält der transzendentale, materiale Grundsatz „Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen“ die allgemein logische Form der „Vereinigung entgegengesetzter durch den Begriff der Theilbarkeit“. Der logische Grundsatz, so Fichtes zentrale These, drückt die Vereinigung zweier Momente durch Beziehung einerseits (und das heißt durch Gleichsetzung) und durch Unterscheidung (und das heißt Entgegensetzung) andererseits aus.31 Er kann nach Fichte insofern aus dem den transzendentalen materialen Grundsatz bewiesen werden, da seine Wahrheit auf der Möglichkeit beruht, dass das Ich zum Einschränken bzw. Teilbarsetzen entgegen- und gleichzusetzender Momente überhaupt in der Lage ist. Der logische Grundsatz kann also nur dann wahr sein, wenn gilt: „Jedes Entgegengesetzte ist seinem Entgegengesetzten in Einem Merkmale = X gleich; und: jedes Gleiche ist seinem Gleichen in Einem Merkmale = X entgegengesetzt.“32 Das bedeutet also, dass in jeder Beziehung zweier nicht-identischer Momente Gleichsetzung und Unterscheidung miteinander vollzogen werden. – Ein doppelter Vollzug, der immer geschieht, auch wenn in einem bestimmten Urteil die Gleichsetzung einerseits oder die Unterscheidung der beiden Momente andererseits für sich genommen in den 29
Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, 110. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 271/SW I, S. 109. 31 Vgl. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, S. 111. 32 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, S. 111. 30
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Blick genommen werden kann. Ein Merkmal X, das entweder die Gleichsetzung oder die Unterscheidung zweier Momente ermöglicht, ist für Fichte nun entweder Beziehungs- oder Unterscheidungsgrund. Formal drückt Fichte den logischen Grundsatz folgendermaßen aus: „A zum Theil = −A und umgekehrt“, also ‚−A zum Theil = A‘.33 Dass sich der dritte logische Grundsatz des Gleichsetzens und des Beziehens zweier nicht identischer Momente nun allgemein durch den dritten transzendentalen Grundsatz (und damit aber auch, so sei hier erinnert auch durch die beiden vorangegangenen Grundsätze) bestimmen lässt, zeigt Fichte durch die folgende Argumentation. Der logische Satz des Grundes ist nämlich eingeschränkt auf die Sphäre, in der überhaupt entgegengesetzt oder bezogen wird. Diese Sphäre wird selbst erst durch die entgegensetzenden und beziehenden bzw. durch die antithetischen und synthetischen Handlungen des Ich gesetzt. Er gilt also nicht dort, wo gar keine Entgegensetzung oder Gleichsetzung mit einem anderen stattfindet. Ausgenommen von allen limitierenden, bestimmenden Urteilen ist nämlich das absolute Ich, dem wie Fichte sagt, nichts Anderes gleich oder entgegengesetzt ist. Das absolute Ich, wie Fichte erläutert, steht gar nicht „unter dem Satz des Grundes“, in ihm vollziehen sich weder antithetische noch synthetische Leistungen.34 In diesem Sinne lässt es für sich betrachtet gar keinen Raum für Differenz. Der einzig adäquate Ausdruck des absoluten Ich ist ein thetisches Urteil, das Fichte in Abgrenzung zu synthetischen oder antithetischen Urteilen konzipiert. Das ursprünglich höchste thetische Urteil lautet demnach schlichtweg „Ich bin“, wobei eine weitere Eingrenzung und Bestimmung des Urteilssubjekts nicht erfolgt. Die „Stelle des Prädicats für die mögliche Bestimmung des Ich“ wird nach Fichte „ins Unendliche leer gelassen“.35 Dies kann nun auf Hölderlins Interpretation, dass im absoluten Ich bereits eine Teilung enthalten sei, entgegnet werden: Fichte konzipiert das absolute Ich, wie wir bereits gesehen haben, als dasjenige, das nicht durch ein anderes begründet wird, sondern selbst der Grund der Möglichkeit alles Begründen und Urteilens ist. Die Kategorie der Limitation expliziert Fichte nun erneut in einem Abstraktionsschritt von dem logischen Grundsatz, indem er diejenige Handlung des Ich in den Blick nimmt, die in jedem bestimmten logischen Urteil selbst vollzogen werden muss. Die Kategorie der Limitation drückt dabei die allgemeine Handlung aus, die sowohl dem Gleichsetzen bzw. dem Beziehen als auch dem Unterscheiden zugrunde liegt. Limitation bedeutet nämlich allgemein, eines auf ein anderes durch Einschränkung zu beziehen. Betrachtet man sie als solche, ist es zunächst irrelevant, ob sie vollzogen wird, um in einem bestimmten Urteil den Gegensatz oder die Gleichsetzung zweier Momente gleichzusetzen hervorzuheben. Entscheidend
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Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 272/SW I, S. 111. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 273/SW I, S. 112. 35 Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 277/SW I, S. 116. 34
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ist für Fichte bloß die Einsicht, dass in beiden Fällen eine Limitation, d. h. die Bestimmung des Einen durch das Andere vollzogen wird. Mit der Aufstellung des dritten Grundsatzes bzw. mit der Deduktion der Limitationskategorie aus demselben gelingt Fichte ferner abschließend die Deduktion der Negation im Gefüge der ursprünglichen Handlungen des Ich. Schließlich musste zunächst gezeigt werden, wie die Setzung des Ich mit der Entgegensetzung des Nicht-Ich zusammen bestehen kann, um der Negation tatsächlich einen festen Platz im Gefüge der Kategorien zu sichern. Nun am Ende des dritten Paragraphen hat Fichte gezeigt, dass Negation im Ich immer schon angewiesen ist auf Limitation. Die Entgegensetzung, die in der Negation zum Ausdruck kommt, geschieht damit im Ich niemals isoliert, sondern stets im Verbund mit einer limitierenden und zugleich synthetisierenden Handlung.
III. Die methodische Bedeutung der drei Grundsätze Mit Abschluss des dritten Paragraphen hat Fichte jedoch nicht nur drei Grundsätze über das Verhältnis von Ich und Nicht-Ich aufgestellt und drei fundamentale Kategorien deduziert, er hat auch zugleich ein methodisches Verfahren aus den grundlegenden Strukturen des Ich legitimiert, welches bereits zur Gewinnung des dritten Grundsatzes und der Limitationskategorie zum Einsatz kam und auch die folgenden Deduktionsschritte bestimmt. Er beansprucht zu zeigen, dass Gleichsetzung und Entgegensetzung bzw. Synthesis und Antithesis überhaupt unter dem dritten Grundsatz der Wissenschaftslehre stehen, also bloß dadurch möglich sind, dass das Ich in sich ein Ich und ein Nicht-Ich teilbar setzt und aufeinander bezieht. Es ist diese Ursynthesis, die immer schon mit einer Antithesis einhergeht, die der Grund der Möglichkeit jeder bestimmten Gleich- oder Entgegensetzung ist. Gleichund Entgegensetzung findet nach Fichte in der philosophischen Reflexion jederzeit statt. Dadurch, dass Entgegensetzen und Beziehen als fundamentale Handlungen des Ich bewiesen werden, ist das Entgegensetzen und Beziehen also als Methode der philosophischen Reflexion gerechtfertigt. In diesem Sinne spricht Fichte von einem antithetisch-synthetischen Verfahren, das in der argumentativen Entwicklung der Wissenschaftslehre leitend ist. Die Methode der Wissenschaftslehre ist zum einen antithetisch, insofern der Ausgang für die Aufdeckung weiterer Bestimmungen des Ich zunächst dadurch beginnt, das bereits Einsichten auf die in ihnen implizit enthaltenen Widersprüche hin untersucht werden. Dies wurde, wie wir gesehen haben, mit Blick auf den zweiten Grundsatz vollzogen, aus dem ja zwei einander widersprechende Folgerungen gezogen werden konnten, welche die Identität und Einheit des Ich aufzuheben drohten. Das Verfahren ist synthetisch, in dem versucht wird, Bedingungen anzugeben, unter denen die aufgefundenen Widersprüche behoben werden können – und zwar mit dem Ziel, die Identität und Einheit des Bewusstseins zu wahren. Die einzige Bedingung, unter der die Einheit und die Identität des Bewusstseins angesichts des ursprünglichen Entgegenge-
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setztseins des Nicht-Ich gewahrt werden kann, wurde schließlich darin gefunden, dass das Ich und das Nicht-Ich als sich gegenseitig einschränkend, d. h. dass sie als teilbar gesetzt werden müssen, in dieser Teilbarkeit aber ursprünglich aufeinander bezogen sind. Für die im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre folgenden Deduktionsschritte gibt Fichte daher folgende Methode an: „Wir haben demnach in dem [durch die höchste Synthesis] verbundenen Ich und Nicht-Ich, insofern dieselben verbunden sind, übriggebliebene entgegengesetzte Merkmale aufzusuchen, und sie durch einen neuen Beziehungsgrund, der wieder in dem höchsten Beziehungsgründe enthalten seyn muss, zu verbinden.“36
Die Form seines ganzen theoretischen Systems von kategorialen Ichbestimmungen ist damit, wie Fichte bekundet, durch die höchste Synthesis bestimmt, die im dritten Grundsatz ihren Ausdruck findet. Sie gibt damit nicht bloß die Struktur des Verhältnisses von Ich und Nicht-Ich im Ich an, sondern zugleich den methodischen Leitfaden für die philosophische Reflexion, nachdem weitere zu analysierende Gegensätze im Bewusstsein miteinander in Einklang gebracht werden sollen. Der Anspruch, dass Philosophie überhaupt ein System – oder wie Fichte betont: Ein System – sein muss, gründet sich ebenfalls in einer grundlegenden Strukturbestimmung des Ich. Denn dadurch, dass das Ich ursprünglich als sich identisch mit sich selbst setzend gedacht werden muss, ist dem Philosophen erst die Aufgabe gegeben, überhaupt auftretende Widersprüche auf synthetischem Wege zu vereinen – und zwar so lange, „bis die absolute Einheit hervorgebracht sey“.37 Die Art und Weise der Verbindung und Entgegensetzung von Kategorien oder weiteren Ichbestimmungen ist also durch die Synthesis von Ich und Nicht-Ich nach dem Begriff der Teilbarkeit bestimmt − die Notwendigkeit, dass überhaupt verbunden werden muss, dagegen durch die ursprüngliche, absolute Thesis des Ich. Die Idee eines absoluten Ich hat in diesem Sinne eine regulative Gültigkeit für das gesamte System. Diese regulative Funktion des ersten Grundsatzes für das gesamte theoretische System kann auch dahingehend charakterisiert werden, dass der erste Grundsatz ein negatives Kriterium zum Ausschluss derjenigen Sätze aus dem theoretischen System an die Hand gibt, welche nicht mit der Idee eines sich selbst setzenden Ich vereinbar sind.38 Auch wenn sich beim Übergang in den praktischen Teil der Wissenschaftslehre methodische Verschiebungen im Vergleich zum theoretischen Teil zeigen,39 bleibt auch hier die regulative Funktion des ersten Grundsatzes erhalten. 36
Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 274/SW I, S. 115. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 274/SW I, S. 115. 38 Vgl. Metz (1991), S. 249 ff. Fichte verwirft dementsprechend alle Sätze aus seinem System, die einen Realismus begründen, welcher die Vorstellung entweder aus einem nichtichaften, bestimmenden Ding (qualitativer Realismus) oder aus dem Faktum einer bloßen Bestimmung unspezifischen Ursprungs (quantitativer Realismus) erklären, vgl. u. a. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 327/SW I, S. 177 sowie GA I, 2, S. 334–336/SW I, S. 186. 39 Der theoretische Teil der Wissenschaftslehre, der mit § 4 beginnt, ist eine Analyse der Widersprüche, die sich aus dem Satz „Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich“ ergeben und widmet sich dabei der Aufgabe, diese Widersprüche in abgeleiteten Synthesen zu überwinden. Der praktische Teil der Wissenschaftslehre stellt sich dagegen die Aufgabe, den 37
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Denn auch dem praktischen Teil der Wissenschaftslehre liegt ein Widerspruch zugrunde, der gemäß der Idee eines absolut sich selbst setzenden Ich vermittelt werden soll. Der hier zugrundeliegende Widerspruch besteht zwischen der Idee eines unendlichen, bloß auf sich selbst tätigen Ich und einem Ich als endliche Intelligenz, dessen Endlichkeit in Begrenzung durch ein Nicht-Ich begründet wird.40 Im Übergang in den praktischen Teil der Wissenschaftslehre bleibt dabei die Idee des sich selbst setzenden Ich als Postulat bzw. als Forderung nach einer vollständigen Bestimmung des Nicht-Ich durch das absolute Ich erhalten. Er drückt damit ein Sollen aus, das zugleich zum fundierenden Prinzip einer sittlichen Praxis erhoben wird.
Satz „das Ich setzt sich, als bestimmend das Nicht-Ich“ zu erörtern. Dagegen verfährt er nicht in strikter Analogie zum theoretischen Teil, sondern er wählt eine „kürzere, und darum nicht weniger erschöpfende Art, ihn (= Ausgangssatz der praktischen Wissenschaftslehre; N. B.) zu erörtern (…)“, indem er den Gegensatz zwischen absolutem Ich und endlicher Intelligenz zum Ausgangspunkt nimmt, Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 225/SW I, S. 247. 40 „Das absolute Ich soll demnach seyn Ursache des Nicht-Ich an und für sich, d. i. nur desjenigen im Nicht-Ich, was übrig bleibt, wenn man von allen erweisbaren Formen der Vorstellung abstrahirt; desjenigen, welchem der Anstoss auf die ins unendliche hinausgehende Thätigkeit des Ich zugeschrieben wird (…).“ (GA I,2, 389/SW I, S. 251).
Die Geschichte des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes von 1807 als Deduktion des Begriffs der Wissenschaft? Von Gaetano Basileo In Hinblick auf die Gesamtkonzeption der Phänomenologie des Geistes von 1807 dürfte erstens ihre systematische Funktion einer notwendigen Einleitung zur Wissenschaft unterstrichen werden. Dass das Werk eine solche Funktion hat, wird von Hegel übrigens noch am Anfang der Wissenschaft der Logik behauptet, wo er erklärt, in der Phänomenologie des Geistes „das Bewusstsein in seiner Fortbewegung von dem ersten unmittelbaren Gegensatz seiner und des Gegenstandes bis zum absoluten Wissen dargestellt“ zu haben.1 Er hebt hier hervor, dass dieser Weg durch alle Formen des Verhältnisses des Bewusstseins zum Objekt hindurchgeht und die „Deduktion“ des Begriffs der Wissenschaft zu seinem Resultat hat;2 und eben aus diesem Grund sei auch der Standpunkt gerechtfertigt, auf dem die vollständige und systematische Darstellung der reinen Kategorienentwicklung stattfinden kann, in der das Absolute zum Wissen seiner selbst gelangt. Zweitens sollte aber betont werden, dass Hegel in der Phänomenologie diese Einleitung zur Wissenschaft in der Form einer modifizierten Geschichte des Selbstbewusstseins verwirklicht hat; im Folgenden versuche ich zu zeigen, dass nicht nur der vielfältige, konkrete Gehalt und der theoretische Charakter der Bewusstseinsgestalten, sondern auch die Bedeutung des Werkes hinsichtlich der Kategorienfrage mit diesem zweiten Grundzug der Phänomenologie wesentlich verbunden sind. So soll nun in einem ersten Teil dieses Vortrages dargelegt werden, dass H egels Konzeption der Phänomenologie nur dann hinreichend erklärt werden kann, wenn das Werk nicht nur als systematische Einleitung zur Wissenschaft, sondern auch zugleich als eine Fortführung und Modifikation der idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins begriffen wird. In einem zweiten Teil sei dann Hegels Bestimmung des absoluten Wissens umrissen und dargelegt, wie aus dieser letzten Bewusstseinsgestalt die Geschichte des Selbstbewusstseins als systematische Einleitung sich zugleich als Erscheinungslehre des Geistes erweist. Der dritte Teil soll dann die Korrespondenz der notwendig aufeinanderfolgenden Gestalten des Bewusstseins mit Kategorien der Logik kurz erörtern und zeigen, wie einige 1 2
Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 32. Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 33.
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Grundzüge der Kategorienentfaltung, wie sie erst in der Logik thematisch dargelegt wird, bereits in der phänomenologischen Entwicklungsgeschichte des Selbstbewusstseins implizit angelegt sind.
I. Idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins in Hegels ‚Phänomenologie‘ von 1807 Ein angemessenes Erfassen des vielfältigen besonderen Gehalts und der Abfolge derjenigen Gestalten, die in der Phänomenologie dargestellt werden, gelingt nicht, wenn man dieses Werk ausschließlich als notwendige Einleitung zur Wissenschaft versteht. Zu diesem Zweck wäre vielmehr nötig, hervorzuheben, dass Hegel die einleitende Funktion mit der Aufnahme des idealistischen Programms einer Geschichte des Selbstbewusstseins interagieren lässt. So wird in der Geschichte der Bildung des Bewusstseins zur Wissenschaft – wie Hegel sein Unternehmen programmatisch definiert – die ganze Reihung der Erfahrungen dargestellt, wodurch das Bewusstsein, das seine Gestalten im Rahmen einer skeptischen Prüfung seiner jeweiligen Wissensansprüche durchläuft, schließlich zum wahren Wissen gelangt. Wie K. Düsing gezeigt hat, bedeutet Geschichte hier ideale und systematische Genese in der philosophischen Darstellung des Bewusstseins; und Bewusstsein ist dabei „das allgemeine Subjekt des Fürwahrhaltens“, welches sich in den verschiedenen Stufen des endlichen Bewusstseins, des Selbstbewusstseins, der Vernunft und des Geistes durchhält und in diesen sich allmählich bildet, bis die vollendete Gestalt erreicht wird, die Hegel im reinen Sich-wissen der absoluten Subjektivität sieht.3 Damit rezipiert Hegel den Ansatz einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins überhaupt, welchen er schon in einigen Arbeiten von Fichte und Schelling vorfinden konnte.4 Gegenüber seinen Vorgängern nimmt Hegel aber auch deutliche Abänderungen an dieser Konzeption vor, die letztendlich gerade in der besonderen systematischen Funktion der Phänomenologie als Einleitung zur Wissenschaft gründen. Generell ist es möglich eine idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins durch folgende Merkmale zu erkennen: Sie legt zum einen eine ideale und systema 3
Vgl. Düsing (2008), S. 185. Fichte behauptet in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95, dass „die Wissenschaftslehre […] eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes“ sein soll, Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I,2, S. 365/SW I, S. 222. Und Schelling erklärt im System des transzendentalen Idealismus, dass „die Philosophie […] eine Geschichte des Selbstbewusstseins“ ist, „die verschiedene Epochen hat“, Schelling: System des transzendentalen Idealismus, AA I,9,1–2 S. 91. Zur Konzeption der Geschichte des Selbstbewusstseins bei diesen Philosophen und auch für weitere Literatur vgl. (in Auswahl) Düsing (2008), S. 178–181 und Stolzenberg (2009). Vgl. ebenso Di Tommaso (2008). 4
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tische Entwicklung von Vermögen und Leistungen des menschlichen Geistes dar, und zwar „geleitet von einer Konzeption der Subjektivität, die am Ende in erfüllter Weise selbst thematisch wird“.5 Somit unterscheidet sie sich sowohl von einer empiristischen oder bloß klassifizierenden und rubrizierenden Aufklärungspsychologie, welche z. B. Platner und Condillac darlegen, aber auch von der statischen und apriorischen Anordnung der menschlichen Vorstellungsvermögen, die Kant etwa in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft geleistet hatte. Hegel polemisiert in der Phänomenologie gegenüber diesen Theorien, die seiner Meinung nach nur ein „Sack voller Vermögen“6 präsentieren, ohne aber diese systematisch und teleologisch entwickeln zu können, und also auch ohne jede Garantie für Vollständigkeit sind. Zum anderen lässt sich eine idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins dadurch charakterisieren, dass sie im Rahmen einer stufenartigen Entwicklung zeigt, wie sich „das intentionale Korrelat oder der vorgestellte Gegenstand solcher mentalen Tätigkeiten und Leistungen immer mehr mit Inhalten der Subjektivität anreichert, bis schließlich ein vollständig entwickeltes Ich-Objekt erreicht wird, in dem sich die tätige Subjektivität (das betrachtende Ich) unverhüllt als sie selbst erkennt“.7 Obwohl die allgemeine Idee einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins maßgebend für die Phänomenologie von 1807 ist, distanziert sich Hegel von den Vorbildern, die er bei Fichte und Schelling vorfinden konnte. Der Grund davon liegt wie erwähnt darin, dass die Geschichte des Selbstbewusstseins bei Hegel zugleich Einleitung in das logische Wissen sein soll, und so eine systematische Funktion ausübt, die sie weder bei Schelling noch bei Fichte hatte. Ausgehend von diesem fundamentalen Unterschied ist es nun möglich drei weitere Abänderungen hervorzuheben, die die in der Phänomenologie dargestellte Geschichte des Selbstbewusstseins gegenüber den entsprechenden Unternehmen von Fichte und Schelling kennzeichnen. Erstens ist die Phänomenologie, weil sie zugleich Einleitung zum logischen Wissen sein soll, nicht eine systematische und prozessuale (genetische) Darlegung von Fähigkeiten und Leistungen des menschlichen Geistes, sondern der ihnen entsprechenden „Weisen des Fürwahrhaltens“8, d. h. der Wissensansprüche des jeweiligen Bewusstseins bezüglich dessen, was für es das Wesen der Gegenständlichkeit darstellt. So, obwohl auch die hegelsche Darstellung mit der scheinbar einfachsten und unmittelbarsten Bestimmung anfängt, wird diese nicht – wie es bei Fichte und Schelling geschieht – in der Empfindung gefunden, sondern in der durch sie kons 5
Düsing (2010), S. 298. Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 169. 7 Düsing (2010), S. 298. 8 Vgl. Düsing (2008), S. 185–186. 6
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tituierten Art des Fürwahrhaltens, in der sinnlichen Gewissheit. Ebenso werden in den darauffolgenden Stufen der Darstellung nicht Vermögen oder psychische Leistungen dargelegt, sondern die entsprechenden Weisen des Fürwahrhaltens. Stufenweise und genetisch werden gerade diese Modi des Bewusstseins im Lauf der Phänomenologie weiterentwickelt bis schließlich das wahre Wissen oder der absolute Geist erreicht wird. Dieser Weg, der mit der Tradition auch als Weg der Seele, die sich zum Geist läutert, bezeichnet werden könnte, wird von Hegel zweitens als „sich vollbringende[r] Skepticismus“9 gekennzeichnet. Wie Hegel in der Einleitung zum Werk programmatisch behauptet, besteht der Skeptizismus darin, dass das fürwahrhaltende Bewusstsein von Stufe zu Stufe immer erneut erfährt, in der Prüfung seiner jeweiligen Wissensansprüche „seine Wahrheit“ zu verlieren10 – bis aber schließlich das absolute Wissen erreicht wird, welches der skeptischen Prüfung standhält. Die Bedeutung der skeptischen Prüfung in dem Bildungsprozess des Bewusstseins wird aber nicht von der jeweiligen Gestalt anerkannt: Für das konkrete Bewusstsein wird dieser Bildungsprozess aufgrund des Skeptizismus vielmehr zu einem Weg des Zweifels und sogar der Verzweiflung; denn jede Gestalt des Bewusstseins ist gerade durch ihr besonderes Fürwahrhalten wesentlich bestimmt und vermag nicht „durch sich selbst über sein unmittelbares Dasein hinauszugehen“.11 Die skeptische Widerlegung ihres endlichen Wissens bedeutet also für jede Gestalt ihren Untergang. Aber von diesem Standpunkt wird derjenige des philosophierenden Zuschauers unterschieden, welcher in der Entwicklung der verschiedenen, immer erneut skeptisch negierten Weisen des Fürwahrhaltens einen notwendigen Zusammenhang oder eine vernünftige Reihung anerkennen kann, die zum Telos des absoluten Wissens hinführt. Nur für uns, die philosophisch diese Entwicklung Betrachtenden, wird so die skeptische Prüfung zu einem sich vollbringenden Skeptizismus und die Geschichte des Selbstbewusstseins eine notwendige Wissenschaft.12 Verbunden mit dieser Charakterisierung des Bildungsweges des Bewusstseins als eines sich vollbringenden Skeptizismus ist nun ein dritter Unterschied der Phänomenologie zur idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins im allgemeinen, welcher besonders die Methode der Ausführung betrifft: Hegel beansprucht nämlich, dass die Entwicklung von einer Stufe zu der anderen des Bewusstseins und der damit verbundenen Weise des Fürwahrhaltens dank einer dialektischen Erfahrung geschieht.13 Was darin wirklich ist, ist aber auch in diesem Fall nicht 9
Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 56. Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 56 f. 11 Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 57. 12 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 61. Hegel erklärt hier, dass die Bedingung – der Entstehungsprozess – des Gegenstandes, welcher sich dem natürlichen Bewusstsein im Rahmen seiner Erfahrung immer erneut darbietet, nur „für uns“ ist und nicht für das natürliche Bewusstsein selbst. „[…] der Inhalt aber dessen, was uns entsteht, ist für es“, d. h. „für es ist diß entstandene nur als Gegenstand, [aber] für uns zugleich als Bewegung und werden“. 13 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 60 f. 10
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für das jeweilige wahrhaltende Bewusstsein, sondern nur für uns, die philosophierenden Zuschauer. Wie Hegel programmatisch in der Einleitung zum Werk erklärt, entdeckt das Bewusstsein als Subjekt des jeweiligen Fürwahrhaltens auf einer jeden Stufe seiner Erfahrung, dass sich das Gegenteil dessen, was es für das Wahre hielt, als das Wahre erweist:14 Die sinnliche Gewissheit hält z. B. ein sinnlich unmittelbar gegebenes Einzelnes, ein Dieses für das Wahre; es erweist sich aber auf vielfältige Weise, dass ihr Wahres vielmehr ein Allgemeines ist und Ähnliches gilt für jede Gestalt des Bewusstseins. Eben wegen dieser negativ dialektischen Seite seiner Erfahrung und der damit verbundenen Vernichtung seines Wahren muss das Bewusstsein wie erwähnt immer wieder in Zweifel und sogar in Verzweiflung stürzen. Von dieser Betrachtung der Erfahrung unterscheidet Hegel aber, wie bekannt, was darin für uns, für den spekulativen Philosophen, ist. Denn dieser ist nach Hegel in der Lage, anzuerkennen, dass die Negation der jeweiligen Weise des Fürwahrhaltens nicht eine abstrakte, ins leere Nichts führende, sondern eine bestimmte Negation ist, die ein positives Resultat hat.15 Für den philosophierenden Zuschauer geht so jeweils ein neuer Gegenstand und eine neue Art des Fürwahrhaltens aus der Vernichtung des Vorhergehenden hervor: So ist z. B. in der Wahrnehmung und in dem Wahrnehmungsding die sinnliche Gewissheit und ihr Korrelat, das Diese, das eigentlich ein Allgemeines ist, aufgehoben und als aufgehobenes Moment zugleich aufbewahrt. „Dieser Umstand ist es, welcher die ganze Folge der Gestalten des Bewußtseyns in ihrer Nothwendigkeit leitet“.16 Da wir das „reine Entstehen“ und das Werden der Gestalten begreifen, ist deren Auftreten im Rahmen der Darstellung für uns nicht ein bloßes Geschehen, sondern notwendiges Ergebnis der vorhergehenden Erfahrungen. Die Geschichte der Bildung des Bewusstseins als Einleitung zur Wissenschaft wird so für uns durch die bestimmte Negation, die von einer Stufe zur anderen bis zum absoluten Wissen notwendigerweise führt, selbst zur Wissenschaft.17 Die drei bis jetzt dargelegten Abänderungen gegenüber der allgemeinen Idee einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins prägen wesentlich die Phänomenologie und gründen, wie erwähnt, in der systematischen Funktion dieses Werkes als Einleitung zur Wissenschaft. Es sei hier aber noch einmal betont, dass in diesem Werk Grundstrukturen einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins erhalten bleiben. Insbesondere charakterisiert sich die in der Phänomenologie dargestellte Reihe von Gestalten dadurch, dass darin immer komplexer werdende Bestimmungen stufenartig und in systematischer Genese aufgestellt werden: Auf der einen Seite ist das allgemeine Subjekt des Fürwahrhaltens, welches von Stufe zu Stufe immer reichhaltigere Bestimmungen gewinnt; ebenso wird 14
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 60 f. Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 57. 16 Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 61. 17 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 61. 15
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auf der anderen Seite dargelegt, wie das intentionale Korrelat des Bewusstseins immer komplexere Bestimmungen gewinnt,18 bis es an sich selbst die Bewegung der Reflexion und somit die Struktur der Subjektivität aufweist und manifestiert. Erst auf diesem Niveau der Darstellung, wo Geist für den Geist anwesend ist, kann sich die hochkomplexe tätige, fürwahrhaltende Subjektivität mit sich als entwickeltem Ich-Objekt identifizieren. Und da somit der Unterschied von Subjekt und Objekt, der allen vorherigen Gestalten des Bewusstseins immanent ist, endlich aufgehoben wird, ist auch der Standpunkt erreicht, auf dem es möglich wird, nicht mehr Gestalten des Bewusstseins, sondern „bestimmte Begriffe“ und die „organische, in sich selbst gegründete Bewegung derselben“19 darzustellen.
II. Absolutes Wissen und Phänomenologie des Geistes Die am höchsten entwickelte, die Geschichte des Selbstbewusstseins vollen dende Gestalt, das absolute Wissen kann auf eine erste Weise durch den Vergleich mit der ihr vorangehenden Gestalt charakterisiert werden, nämlich der offenbarten, christlichen Religion. Hegel schreibt der Religion bekanntlich eine bedeutende Funktion und sogar die Fähigkeit zu, früher in der Zeit, als die Wissenschaft, es auszusprechen, was der Geist ist.20 Inhalt des religiösen und insbesondere des christlichen Fürwahrhaltens ist nämlich bereits „der absolute sich auf sich (auch) im menschlichen Bewusstsein beziehende Geist“.21 Es ist vor allem die Vorstellung des Verhältnisses des göttlichen Vaters und des göttlichen Sohnes in der trinitarischen Bewegung, die Hegel hier vor Augen hat: In der Bewegung der Menschwerdung, des Todes und der Auferstehung wird Gott – freilich noch auf eine bildhafte Weise – als „sich selbst wissender Geist“ vorgestellt, oder auch als „das Wesen, das die Bewegung ist, in seinem Andersseyn die Gleichheit mit sich selbst zu behalten“.22 Hegel betont aber auch, dass allein die Wissenschaft das wahre Wissen des Geistes von sich selbst sein kann.23 Das religiöse Fürwahrhalten kann nämlich die strukturelle Identität von Wissen und Sein noch nicht anerkennen. Nur für uns ist es möglich, in der Bewegung, die das Leben Gottes ausmacht, eine Vorprägung der Struktur des Begriffs zu sehen. Diese Bewegung, die im religiösen Fürwahrhalten noch nur vorgestellt wird, bleibt dagegen dem Vorstellen selbst noch äußerlich; für 18
Vgl. Düsing (2008), S. 188–189. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 432. 20 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 430. 21 Düsing (2010), S. 301. 22 Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 405. 23 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 430. 19
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das Vorstellen wird damit die Struktur eines von ihm unterschieden Gegenstandes dargestellt, in dem es sich nicht vollständig zu erkennen vermag.24 Die Aufhebung dieses letzten Unterschieds zwischen dem Wissen und seinem Gegenstand erfordert nach Hegel den Übergang von der Form der Vorstellung zu der des Begriffs, wodurch auch das religiöse Fürwahrhalten in reines philosophisches, standhaltendes Wissen transformiert wird. Im absoluten Wissen, das damit entsteht, wird das, was „in der Religion I nhalt […] des Vorstellens eines andern war […] eignes Thun des Selbsts“25, des Geistes, der sich in die Reihe seiner Gestalten bestimmt. Was jetzt gewusst wird, nämlich die reine Selbstbeziehung des Geistes oder, wie Hegel sagt, „der sich in Geists gestalt wissende Geist“,26 ist für dieses absolut wissende Bewusstsein sein eigenes Wesen. Das absolute Wissen zeigt so, eine letzte Bewusstseinsgestalt und zugleich ein reines Wissen seiner selbst zu sein, welches nicht mehr dem Zweifeln und dem Vorantreiben der Erfahrung ausgesetzt ist. Denn für dieses Wissen besteht nicht mehr ein Unterschied von Gewissheit und Wahrheit. „Die Wahrheit ist [jetzt] nicht nur ansich vollkommen der Gewißheit gleich, sondern […] sie ist […] für den wissenden Geist in der Form des Wissens seiner selbst“.27 Bei der Darstellung dieser Gleichheit mit sich selbst und dieses Sich-Wissen des Geistes rekurriert Hegel auf Fichtes Prinzip des Ich = Ich.28 Diese Selbstgleichheit darf aber nicht missverstanden und als eine einfache, unmittelbare Identität aufgefasst werden, sondern muss vielmehr als absolute Identität begriffen werden, welche nicht nur die Entzweiung und den Unterschied an sich enthält, sondern auch deren Aufhebung. Denn nur dadurch, dass das Negative ihm immanent ist, kann der Geist absolute Subjektivität sein, die ihre eigene Geistigkeit begreift und rein spekulativ entwickelt. Die Struktur dieser absoluten Sichselbstgleichheit des Geistes wird nun von egel am Ende der Phänomenologie kurz skizziert: Sie ist die gesamte Bewegung H der Vergegenständlichung seiner selbst, der Selbsterkenntnis im Anderen – im Gegenstand – und der Rückkehr zu sich selbst. Als eine solche Bewegung kann der Geist auch als absoluter „Grund […] der gesamten Reihe der phänomenologischen Gestalten und als ein Fundament, das diese Gestalten nicht transzendiert noch von ihnen getrennt ist“29, angesehen werden. Auf dem Standpunkt des absoluten Wissens ergibt sich so, dass die idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins für Hegel zugleich ein spekulativ-metaphy
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Zu diesem Punkt siehe auch Labarrière (1968), S. 208. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 427. 26 Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 427. 27 Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 427. 28 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 425 und 428. 29 Lugarini (1973), S. 169. 25
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sisches Fundament hat und als eine dem Geist selbst völlig interne Bewegung verstanden werden kann, wodurch er in einem Prozess retrospektiver Selbsterfahrung zum adäquaten Wissen seiner selbst gelangt. Aus diesem Standpunkt können so die Gestalten des Bewusstseins und seines jeweiligen Fürwahrhaltens metaphysisch als Erscheinungen des Geistes gedeutet werden, „der sich selbst und zwar für sich als Geist durchläufft“30 bis er in seiner Wahrheit auftritt. Auch der Begriff der Erfahrung wird in der Vorrede entsprechend gedeutet: Erfahrung sei nämlich die Bewegung, worin „das Unmittelbare, das Unerfahrene, d. h. das Abstrakte […] sich entfremdet“ – sich im Element des Bewusstseins überhaupt setzt – und „dann aus dieser Entfremdung zu sich zurückgeht, und hiemit itzt erst in seiner Wirklichkeit und Wahrheit dargestellt, wie auch Eigenthum des Bewußtseyns ist.“31 Ob dies allerdings mit dem Charakter der Einleitung, die doch erst metaphysische und spekulative Erkenntnisse ermöglichen sollte, kohärent zusammenpasst, bleibt fraglich.
III. Gestaltenfolge, Geschichte des Selbstbewusstseins und Kategorien der Logik Es hat sich ergeben, dass sich die systematische Anordnung und der vielfältige, konkrete Gehalt der Gestalten des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und des Geistes nur dann begreifen lassen, wenn diese Gestalten als verschiedene Momente und Bestandteile einer modifizierten Geschichte des Selbstbewusstseins verstanden werden, welche zugleich Einleitung zum Standpunkt der Wissenschaft sein soll. Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass der notwendige Zusammenhang der verschiedenen Gestalten, durch den allein die Geschichte der Bildung des Bewusstseins zu einer systematischen Wissenschaft wird, in der bestimmten Negation gründet. Nur der Philosoph kann aber begreifen, dass der Erweis der Nichtigkeit der jeweiligen Weise des Fürwahrhaltens nicht ins leere Nichts mündet, sondern dass sich daraus ein positives Resultat ergibt. Und so kann nur er in der systematischen Abfolge der Weisen des Fürwahrhaltens, die sich immer wieder als nichtig
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Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 428. Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 29. Aus dieser Perspektive ergibt sich, anders gesagt, dass die Geschichte des Selbstbewusstseins als systematische Darlegung sich als unwahr erweisender Gestalten des Fürwahrhaltens zu begreifen ist, bis das wahre Wissen erreicht wird, und zugleich als „die Verwandlung jenes Ansichs in das Fürsich, der Substanz in das Subject, des Gegenstands des Bewußtseyns in Gegenstand des Selbstbewußtseyns, d. h. in ebensosehr aufgehobnen Gegenstand, oder in den Begriff.“ (Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 429.) 31
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erweisen, die ideal-genetische Entwicklung des Bewusstseins erkennen, bis dieses das reine Denken seiner selbst im absoluten Wissen erreicht. Dieser progressiven und teleologisch ausgerichteten Entwicklung der Bewusstseinsgestalten ist nun nach Hegel eine parallele Entwicklung von logischen Kate gorien mindestens koordiniert und sogar zugrunde gelegt. So behauptet Hegel am Ende der Phänomenologie des Geistes, dass „jedem abstracten Momente der Wissenschaft eine Gestalt des erscheinenden Geistes überhaupt [entspricht]“.32 Die Gestalten des Bewusstseins und ihre Weisen des Fürwahrhaltens stellen also Konkretionen der Momente des „Ganzen Reiches der Wahrheit des Geistes“, d. h. der Kategorien und der Kategoriengruppen dar. Hegel erklärt, dass auch diese Fähigkeit, die „reinen Begriffe der Wissenschaft in dieser Form von Gestalten des Bewußtseyns“ und „ihrer Realität“ zu „erkennen“, nicht dem konkret fürwahrhaltenden und jeweils skeptisch widerlegten Bewusstsein angehört, sondern nur dem spekulativen Philosophen.33 Mindestens für uns erweisen sich die Kategorien an der idealistischen und genetischen Geschichte des Selbstbewusstseins beteiligt und in ihrer Realität von diesem Prozess wesentlich geprägt. Angesichts dieser Umstände dürfte Zweierlei für ein besseres Verständnis der Gesamtkonzeption der Phänomenologie des Geistes versucht werden: Erstens scheint es notwendig, den Versuch zu unternehmen, die Kategorienfolgen und allgemeiner die Konzeption derjenigen Logik zu bestimmen, die Hegel der geordneten Reihung der Bewusstseinsgestalten entsprechen ließ. Zweitens ist zu zeigen, welche Bedeutung dieses Verhältnis von Kategorien und prozeduraler Veränderung der Gestalten des Bewusstseins hinsichtlich der Auffindung der Kategorien selber, der Bestimmung ihres Status und der Rechtfertigung der Gültigkeit erhält, die sie in Rahmen dieses Prozesses jeweils gewinnen. Eine ausführliche Darlegung der ersten Frage ist aber mit spekulativen und philologischen Problemen verbunden, die zu lösen eine bedeutende Phase der Hegel- Forschung versucht hat34. Denn zum einen lassen sich die Kategorien nicht eindeutig aus der Analyse der Gestaltenfolge eruieren, zum anderen ist Hegels eigene Logik-Konzept, die der Abfolge der Gestalten entspricht, nicht überliefert worden. So hat man versucht, die logische Substruktur der Gestalten dadurch zu rekon struieren, dass man einen dazu am nächsten stehenden Logikentwurf Hegels in
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Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 432. Mit dem Wort „Wissenschaft“ wird hier offensichtlich die spekulative Ebene, das System der reinen Kategorien gemeint. Hegel schreibt, dass „der daseyende Geist“ welcher sich in seinen Gestalten artikuliert, „nicht reicher ist“, als dies, aber „auch nicht ärmer“. 33 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 432. 34 Bezüglich dieser Debatte vgl. insbesondere Fulda (1975), S. 140 ff., wo der Autor versucht, Argumente für die Verwendung eines Logikaufrisses aus der Nürnberger Zeit Hegels (1808–1809) aufzufinden; Pöggeler (1976), S. 359 ff.; Pöggeler versucht gegen Fulda zu zeigen, dass der Verweis auf eine Logik-Skizze aus den Jahren 1805–1806 vorzuziehen ist.
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Anspruch nimmt. Auch dieser Versuch bringt jedoch weitere spekulative Schwierigkeiten mit sich, worauf aber hier nicht eingegangen werden kann.35 Es sei nur daran erinnert, dass nach einer der am meisten vertretenen interpre tatorischen Thesen dieses Fundament für die Entwicklung der Bewusstseinsgestalten von der Skizze der spekulativen Philosophie oder Logik am Ende der sogenannten Realphilosophie III von 1805/1806 dargestellt wird. So liegt das „absolute Sein, das sich anders (Verhältnis) wird“, den ersten drei Gestalten, die Hegel im Bewusstseinskapitel der Phänomenologie gruppiert, zugrunde. Die folgenden rein logischen Momente „Leben und Erkennen“ bilden die Basis für die Entwicklung der im Selbstbewusstseinskapitel dargelegten Erfahrungen,36 während das „Wissende Wissen“ dem Vernunftkapitel zugrunde liegt. Das spekulativ-logische Moment des Geistes stellt das Fundament für das Geist-Kapitel in der Phänomenologie dar; und das spekulativ-logische „Wissen des Geistes von sich“ ist die Grundlage schon für das religiöse Bewusstsein, vor allem aber für den „sich in Geistgestalt wissenden Geist“, nämlich für das absolute Wissen. Somit wird aber nur das logische Fundament der Großgliederung der Phänomenologie erhellt; was der konkrete Gehalt und die Entwicklung der Kategorien sei, bleibt dagegen nicht erklärt und für ihre endgültige Auffindung würde nur die Analyse der genetischen Entwicklung der Weisen des Führwahrhaltens im Rahmen der idealistischen Geschichte des Bewusstseins übrig bleiben. Wie soeben erwähnt, konnte ein solcher Versuch bis jetzt nicht zu eindeutigen Ergebnissen hinführen. Jedoch scheint es mir möglich, hervorzuheben, dass die Phänomenologie mindestens programmatisch eine besondere Bedeutung hinsichtlich des Problems der Auffindung der Kategorien in Hegels Augen erlangt hat, und dass es noch immer möglich ist, zu schildern, wie ihre Deduktion methodisch zu entwerfen ist. So wird bereits in der Phänomenologie klar, dass nach Hegel die Kategorien weder in transzendentaler Reflexion aus der endlichen Subjektivität entwickelt werden können, noch es für ihn berechtigt wäre, sie als einen „Fund“ aus den Urteilformen aufzunehmen – ein Prozedere, welches Hegel in einer bekannten Stelle aus der Einleitung zum Vernunftkapitel sogar als eine „Schmach der Wissenschaft“37 bezeichnet. Anders als mittels einer Analyse der Formen des Ist-sagens und ihrer Abfolge, müssen die Kategorien nach Hegel vielmehr in den Gestalten des Bewusstseins selbst und im Prozess ihres systematischen und dialektischen Anreicherns bis zum Erreichen des absoluten Wissen aufgewiesen werden: So wird die fortschreitende Aufhebung der Gestalten des Bewusstseins zwar über die skeptische Prüfung der jeweiligen Weise des Fürwahrhaltens durchgeführt, aber sie ist 35
Hegel: Jenaer Systementwürfe III, S. 286. Die Grundzüge der logischen Struktur dieser Erfahrungen werden in Pöggeler (2006), S. 133–136, geschildert. 37 Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 135. 36
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auf jede Stufe zugleich – und wenn auch nur für uns und für die bereits spekulativ philosophierenden Zuschauer – eine Kritik und Aufhebung der diese Weise des Fürwahrhaltens jeweils ermöglichenden Kategorien.38 Sei also das phänomenologische Ebene der verschiedenen Weise des Fürwahrhal tens oder das logische Ebene der ihnen zugrundeliegenden Kategorien betrachtet: was entscheidend ist, ist die prozedurale Veränderung und Aufhebung der gesetzten Bestimmungen, denn nur durch ihre dialektische Entwicklung und Verknüpfung kann die systematische und teleologisch organisierte Reihung, die zum absoluten Wissen führt, hervorgebracht und dargestellt werden. Auf der Basis dieser methodischen Charakterisierung des Entwicklungsganges der Bewusstseinsgestalten und der ihnen zugrundeliegenden Kategorien ist es nun möglich, zwei weitere Merkmale hervorzuheben, die diesen Entwicklungsgang implizit kennzeichnen. Erstens sind für uns diese Gestalten des Bewusstseins sowie die Kategorien als deren implizite Voraussetzungen nicht selbständig, gegenseitig unabhängig und einander prinzipiell gleichwertig; denn sie haben sich vielmehr erwiesen als im Zusammenhang eines systematischen und genetischen Prozesses konstitutiv inbegriffen, welcher methodisch durch die Dialektik dargelegt wird: sie sind anders gesagt nur als hierarchisch geordnete Momente des dialektischen Prozesses begreifbar, durch den das Selbstbewusstsein des Geistes erreicht wird.39 Eben aus diesem Grund ergibt es sich zweitens, dass Inhalt und Geltung dieser Bewusstseinsgestalten und Kategorien nur in diesem Prozess konstituiert und begründet sind. Auf dem Standpunkt des absoluten Wissens weißt Hegel darauf hin, dass es in diesem Prozess nicht um das bloße Vorfinden der Weisen des Fürwahrhaltens und der damit verbundenen reinen Kategorien geht. Denn würden die Kategorien als unabhängig vom Prozess ihrer Genese und als unmittelbar an sich selbst begründet angenommen werden, so wäre der Begriff einer absoluten Subjektivität unmöglich, insofern diese dann nämlich nicht allein durch sich selbst zum Selbst-Wissen gelangen könnte, sondern nur durch ihr vorgegebene Bestimmungen, was aber unmittelbar der Definition des Absoluten widerstreitet. Im Kapitel zum absoluten Wissen erklärt Hegel also, dass die in der Geschichte des Selbstbewusstseins dargestellten „Momente“ „sich selbst weiter treiben“; genauer: da „das negative Verhalten zur Gegenständlichkeit ebensosehr positiv, Setzen ist“, so habe das Selbstbewusstsein die Reihung der Momente, in denen es sich selbst denkt, „aus sich [selbst] erzeugt“.40 Am Ende der Phänomenologie 38
Zum besonderen Status der Kategorien im Rahmen eines spekulativen Denkens siehe Kaehler (2010), S. 507–515. Siehe auch den Beitrag desselben in diesem Band, S. 127–139. 39 Vgl. dazu Kaehler (2010), S. 513. 40 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, GW 9, S. 428 f.
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wird so in kontrahierter und unentwickelter Weise auf das hingewiesen, was erst am Schluss der Logik explizit entfaltet werden kann, nämlich auf das „aus der Kategorienentwicklung hervorgehende reine sich Denken und Sich-Wissen der absoluten Subjektivität, das die Kategorienentwicklung selbsttätig und autonom dialektisch hervorbringt“.41
IV. Schluss In diesem Beitrag habe ich zunächst zu zeigen versucht, dass der konkrete Gehalt und die Abfolge der Bewusstseinsgestalten der Phänomenologie nur dann hinreichend verstanden werden können, wenn das Werk nicht nur als Einleitung zur Wissenschaft, sondern zugleich als Veränderung und Fortführung des Programms einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins begriffen wird. Daraufhin ist gezeigt worden, dass Hegel den Bewusstseinsgestalten reine Kategorien entsprechen lässt, welche auch an der genetischen Entwicklung des Selbstbewusstseins mindestens implizit beteiligt sind. In diesem Verhältnis von Bewusstseinsgestalten und Kategorien kann man nun eine konzeptuelle Schwierigkeit der Phänomenologie erkennen. Denn die Phänomenologie sollte Einleitung zur Wissenschaft sein: So behauptet Hegel zwar, dass die vorläufigen Weisen des Wissens und ihre Subjektbestimmungen nur für uns in der selbstbezüglichen Einsicht des Geistes aufgehoben sind und dass der ganze Reichtum an aufgehobenen Wissensweisen und Kategorien sowie an bestimmten Negationen, der in diesem Erkennen prinzipiell und implizit enthalten ist, erst in der Wissenschaft der Logik thematisch und explizit entfaltet wird. Zugleich aber legt er diese Kategorien, an die man eigentlich einleitend herangeführt werden soll, den Bewusstseinsgestalten zugrunde und benutzt bei der Darstellung der Gestalten bereits die bestimmte Negation, die aber selbst erst noch zu rechtfertigen ist: So scheint die Phänomenologie des Geistes schon die Gesetze und die Methode der Logik vorauszusetzen. Dieses Beweisproblem, welches von einem Teil der Literatur hervorgehoben wurde,42 ergibt sich offensichtlich daraus, dass für Hegel die Phänomenologie nicht nur rechtfertigende Einleitung zur Wissenschat und modifizierte Geschichte des Selbstbewusstseins sein soll, sondern zugleich selbst Wissenschaft und also systematischer und notwendiger, letztlich spekulativ-logisch fundierter Argumentations- und Entwicklungsgang. Diese divergierenden Aufgaben sind schwer zusammen zu erfüllen: Hegel hat das selbst anerkannt und in späteren Zeit die Phänomenologie des Geistes zwar noch als wissenschaftliche Einleitung betrachtet, aber nicht mehr als die not 41 42
Düsing (2010), S. 310. Vgl. z. B. Ottman (1973), S. 185 f.; vgl. ebenso De Vos (1989), S. 261–269.
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wendige, mit Begründungsfunktion ausgestattete Einleitung. Sie ist nur noch ein Voraus der Wissenschaft und die Logik gilt ihm als an sich selbst begründet und gerechtfertigt.43 Trotz dieser nicht immer versöhnten Spannungen bleibt aber die Auseinandersetzung mit der Phänomenologie des Geistes wichtig und fruchtbar für den Leser, insbesondere in postmetaphysischen Zeiten. Nicht nur ist es eben aufgrund dieser Spannungen möglich, bereits in der dialektischen Darstellung der Bewusstseinsgestalten einige Grundzüge der erst in der Logik thematisch entfalteten Kategorienentwicklung zu erkennen; allgemeiner bleibt die Phänomenologie des Geistes unausweichlich für diejenigen, die die Möglichkeit eines spekulativen Wissens bedenken und bleibende philosophische Menschheitsfragen untersuchen wollen.
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Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, GW 21, S. 7 (Anm.) und 54 f.
Hegels Kategorienkritik Von Markus Gabriel
I. Das Kategorienproblem In der Geschichte der Philosophie herrscht seit den Vorsokratikern weitgehende Einigkeit, dass es eine Hierarchie der Begriffe gibt. Zu behaupten, alles sei Wasser, das Sein sei ein allumfassendes unteilbares Ganzes, ein ἄπειρον, es gebe nur Atome und das Leere, werden seit Platons Ontologie der Prädikation im Sophistes und Parmenides und seiner Epistemologie im Theaitetos als Versuche betrachtet, ein Gefüge von μέγιστα γένη zu explizieren. Dies ist die Steilvorlage für die Aristotelische Kategorienlehre, die aus den vorsokratischen und platonischen Rudimenten einer Prädikationstheorie die erste respektable Logik konstruiert. Bekanntlich rekonstruiert Aristoteles diese Vorgeschichte selber in einer solchen Optik im ersten Buch seiner Metaphysik. Allerdings gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten, die man leicht aus dem Blick verliert, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat zu glauben, es gebe Kategorien. Diese Schwierigkeiten treten bei Aristoteles selber bereits zu Tage. Sie drehen sich dabei insgesamt um etwas, was ich im Folgenden kurzum als das Kategorien problem bezeichnen werde. Das Kategorienproblem erstreckt sich in drei Dimensionen: eine aszendente, eine deszendente und eine synthetische. Die aszendente Fragestellung ergibt sich daraus, dass wir eine Antwort darauf geben müssen, unter welchen Bedingungen wir einen nicht nur formalen Begriff des Begriffs angeben können. Seit Frege hat sich hierfür bis heute der Begriff der Identität eingebürgert, was in der kanonischen Existenzauffassung resultiert, die Existenz auf den Existenzquantor reduziert und diesem eine Standardformel zuordnet der Form, dass etwas dann existiert, wenn es mit etwas identisch ist.1 Der Begriff des Begriffs ist dann derjenige der Identität. Natürlich gibt es konkurrierende Antworten auf die Frage, wie wir einen nicht nur formalen Begriff des Begriffs angeben können. Sie verbleiben aber alle im selben Rahmen. Daraus ergibt sich umgehend die deszendente Fragestellung: verfügen wir nämlich einmal über einen nicht nur formalen Begriff des Begriffs, stellt sich die Frage, wie man diesen so spezifizieren kann, dass die logisch nächste Stufe nicht unmittelbar alle empirischen Begriffe umfaßt. Ein Begriffssystem, in dem es nur einen ein-
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Vgl. insbesondere Frege (1983), S. 60–75.
Hegels Kategorienkritik
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zigen logischen Begriff, den des Begriffs, gibt, unterhalb dessen sich dann lediglich die vermutlich selber empirisch offene Menge der Begriffe findet, die unter den Begriff des Begriffs fallen, ist aus vielen Gründen nicht befriedigend, die alle aus der Empirismuskritik der letzten zweihundert Jahre bekannt sind. Insbesondere fällt damit die klassische Idee einer Logik in sich zusammen, da es keinerlei logischen Apparat geben kann, der die empirischen Begriffe strukturiert. Was übrig bleibt, ist ein formaler Begriff des Begriffs, der keine inferenziell artikulierbaren Eigenschaften hat, mittels derer man ihn in logische Begriffe spezifizieren könnte, ehe man in einer Begriffshierarchie auf die empirischen Begriffe trifft. Dies generiert das von Jan Westerhoff in Ontological Categories herausgearbeitete, in seinen Augen bis heute ungelöste „cut-off point problem“. Diesem zufolge gelingt es Kategorientheorien lediglich „to identify ontological categories as categories sufficiently high up in a particular ordering“, während sie nicht imstande seien „[to] tell a story about how far down we are allowed to go before the categories become too special to qualify as ontological categories.“2 Zur Vermeidung arbiträrer Kategorienkataloge sind wir deswegen auf eine deszendente Ordnung angewiesen, da wir ansonsten keinen kategorialen Unterschied zwischen dem Begriff der Bewegung, dem Begriff einer bewegten Amöbe oder gar dem Begriff einer Amöbe etablieren können. „This would be just as problematic as it would be for logic if we had no story to tell about the fundamental difference between logical and non-logical notions.“3 Wenn alle Begriffe bis auf einen nicht-formalen Begriff des Begriffs auf derselben, nämlich empirischen Stufe stünden, wäre nicht mehr verständlich, in welchem Sinn man eine klassische Logik entwickeln könnte, die berechtigten alteuropäischen Ansprüchen an Intelligibilität genügt. Zu diesen Ansprüchen gehört insbesondere dasjenige, was Hegel an einer berühmten Stelle der Wissenschaft der Logik ohne Umschweife als „Idealismus“ bezeichnet. „Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen. Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus oder hat denselben wenigstens zu ihrem Prinzip, und die Frage ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist. Die Philosophie ist es sosehr als die Religion; denn die Religion anerkennt die Endlichkeit ebensowenig als ein wahrhaftes Sein, als ein Letztes, Absolutes, oder als ein Nicht-Gesetztes, Unerschaffenes, Ewiges. Der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie ist daher ohne Bedeutung. Eine Philosophie, welche dem endlichen Dasein als solchem wahrhaftes, letztes, absolutes Sein zuschriebe, verdiente den Namen Philosophie nicht; Prinzipien älterer oder neuerer Philosophien, das Wasser oder die Materie oder die Atome, sind Gedanken, Allgemeine, Ideelle, nicht Dinge, wie sie sich unmittelbar vorfinden, d. i. in sinnlicher Einzelheit, selbst jenes Thaletische Wasser nicht; denn obgleich auch das empirische Wasser, ist es außerdem zugleich das Ansich oder Wesen aller anderen Dinge,
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Westerhoff (2005), S. 4. Westerhoff (2005), S. 37.
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und diese sind nicht selbständige, in sich gegründete, sondern aus einem Anderen, dem Wasser, gesetzte, d. i. ideelle.“4
In einigen Publikationen habe ich Hegels Überlegung dahingehend rekonstruiert, dass er hier ein „Prinzip der Intelligibilität“ verteidigt.5 Sein sogenannter „absoluter Idealismus“ ist die Verschmelzung von Logik und Metaphysik in derjenigen Hinsicht, dass sichergestellt werden soll, dass es keinen arbiträren „cut-off point“ zwischen dem Logischen und dem Nicht-Logischen gibt. Das Nicht-Logische wird dank der Wissenschaft der Logik vom Logischen unterschieden. Wie Kant strebt Hegel damit eine Bestimmung der „Grenze der Logik“ an, die allerdings gerade nicht „ganz genau“ dadurch bestimmt ist, „daß sie eine Wissenschaft ist, welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens (es mag a priori oder empirisch sein, einen Ursprung oder Objekt haben, welches es wolle, in unserem Gemüte zufällige oder natürliche Hindernisse antreffen) ausführlich darlegt und strenge beweist.“6
Kants Revolution auf dem Gebiet der Kategorientheorie besteht in der hier eingenommenen Perspektive darin, ein Kriterium zur Lösung des Aszendenz- und des Deszendenzproblems eingeführt zu haben. Damit tritt die synthetische Fragestellung in Erscheinung. Diese besteht darin, dass angegeben wird, unter welchen Bedingungen wir uns auf der Begriffsleiter überhaupt von oben nach unten bzw. von unten nach oben bewegen können. In der vielzitierten Passage, in der Kant sich gegen Aristoteles abgrenzt, attestiert er sich einen Erfolg auf diesem synthetischen Gebiet: „Diese Einteilung ist systematisch aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, nämlich dem Vermögen zu urteilen, (welches ebensoviel ist, als das Vermögen zu denken,) erzeugt, und nicht rhapsodistisch, aus einer auf gut Glück unternommenen Aufsuchung reiner Begriffe entstanden, von deren Vollzähligkeit man niemals gewiß sein kann, da sie nur durch Induktion geschlossen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die letztere Art niemals einsieht, warum denn gerade diese und nicht andere Begriffe dem reinen Verstande beiwohnen.“ 7
Diese Überlegung wird in § 16 der B-Deduktion aufgegriffen, wo Kant „die synthetische Einheit der Apperzeption“ als den „höchste[n] Punkt“ auszeichnet, „an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.“8 Damit antwortet Kant auf die Frage, unter welchen Bedingungen wir uns durch eine Begriffshierarchie bewegen können, ohne allerdings angegeben zu haben, wie sich das cut-off-Problem lösen läßt. 4 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 172. Zu Hegels Begriff des Idealismus vgl. Gabriel (2016), S. 181–208. 5 Vgl. Gabriel (2016), S. 181–208, sowie Gabriel (2011). 6 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B VIII f. 7 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 80 f. / B 106 f. 8 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 134, Anm.
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Natürlich mangelt es nicht an Versuchen, an Kants Stelle auf der Basis seiner spärlichen Äußerungen eine Antwort zu liefern, indem man etwa dafür argumentiert, dass Kategorien als reine Verstandesbegriffe solche Begriffe sind, von denen mindestens einige jedes mögliche Urteil informieren, das „Beziehung aufs Objekt“9 haben kann. Kategorien wären dann diejenigen Begriffe, ohne die kein einziges Urteil möglich ist, während es für keine Menge von nicht-kategorialen Begriffen der Fall ist, dass einige von ihnen in einem Urteil zur Anwendung kommen müssen, soll es sich überhaupt um ein Urteil handeln. Doch selbst wenn eine solche transzendentale Strategie aussichtsreich sein sollte, stellte sich ihr wiederum die Frage, wie genau man im Einzelfall, d. h. etwa für den vorgeschlagenen Kategorienapparat von zwölf Kategorien, zeigen kann, dass sich die allgemeine Strategie auch einlösen und damit gegen vorgeschlagene Alternativen verteidigen lässt.
II. Hegels Kategorienkritik An dieser Stelle setzt Hegels Methode einer „Kritik der Kategorien und der Vernunft“10 an. Hegel erläutert diese zum ersten Mal im Kontext der Anmerkungen zum „Werden“ in der Seinslogik, wobei es wichtige Vorbemerkungen, insbesondere in der „Vorrede zur zweiten Ausgabe“ gibt, die ich aus Platzgründen hier ausspare. In diesen geht es um die Frage, wie aus der „natürlichen Logik“, d. h. dem „Gebrauch“ der „Denkbestimmungen“, „die uns in jedem Satze, den wir sprechen, zum Munde herausgehen“11, Kategorien herausdestilliert werden können. Wie dem auch sei, die wahrhafte Kategorienkritik soll Hegels Auskunft zufolge darin bestehen, „das Erkennen“ über den „Unterschied“ des „Endlichen“ und „Gottes“ „zu verständigen und dasselbe abzuhalten, die Bestimmungen und Verhältnisse des Endlichen auf Gott anzuwenden.“12 Aber was soll das bitte bedeuten? An dieser Stelle kommen wir nicht umhin, erste Interpretationsvorschläge de re zu machen. Mein Vorschlag lautet, unter „Gott“ hier den logischen Raum zu verstehen, sofern wir uns dessen bewußt sind, dass wir als Denker von Gedanken auf einen vorgängigen stabilen logischen Raum angewiesen sind. „Gott“ ist in diesem Sinn ein selbstbewußter logischer Raum, der sich in unserem Bewußtsein des logischen Raums artikuliert.13 Ich rede von „Vorgängigkeit“, um Hegel beim Wort zu nehmen, dass die Logik „die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.“14 Die Vorgängigkeit des logischen Raums 9
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 300. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 92. 11 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 22. 12 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 92. 13 Vgl. dazu insgesamt die Rekonstruktion der Ausgangslage Hegels bei Koch (2014). 14 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 44. 10
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wird nicht dadurch zurückgenommen, dass er sich wesentlich über Gedanken artikuliert, die wir erfassen können. Dass wir als Denker prinzipiell nicht vom logischen Raum abgestoßen werden oder aus unerfindlichen Gründen a limine aus ihm ausgeschlossen sind, bedeutet gerade nicht, wie die anti-realistische Tradition dies aufgrund eines einseitigen Realismus-Verständnisses meint, dass wir den logischen Raum irgendwie, etwa durch Sprachgebrauch hervorbringen, sondern lediglich, dass Wahrheit nicht immer darin besteht, dass das Denken mit etwas in Kontakt tritt, was nicht von der Art des Denkens ist. Vielmehr kann sich das Denken mit dem Denken befassen, ohne dabei eine Wirklichkeit vorzufinden, die sich in einem extramentalen Urgestein eingemeißelt findet. Gedanken sind kein „Vorkommen“ im Sinne eines Erzvorkommens, es handelt sich nicht um einen Fall von „gisement“, wie Jocelyn Benoist dies nennt.15 Deswegen nimmt Hegel eine Struktur für die Selbsterfassung des logischen Raums in Anspruch, welche die klassische Vokabel „Gott“ zum Ausdruck bringen sollte, jedenfalls bei Platon, Aristoteles und den Neuplatonikern, die hier für diesen Sprachgebrauch Pate stehen.16 .
„Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbstbewußtsein und hat die Gestalt des Selbsts, daß das an und für sich Seiende gewußter Begriff, der Begriff als solcher aber das an und für sich Seiende ist. Dieses objektive Denken ist denn der Inhalt der reinen Wissenschaft.“17
Der logische Raum, Hegel selber spricht kurzerhand vom „Logos“,18 kommt nicht dadurch zustande, dass wir uns ihm zuwenden. Wir sind nicht dadurch Denker von Gedanken, dass wir uns als solche verstehen. Vielmehr sind wir Denker von Gedanken, ehe wir uns die Frage stellen können, was dies bedeutet. Deswegen sind die Denkbestimmungen, also dasjenige, was Denken als solches ausmacht, in einer natürlichen Logik bereits realisiert, ehe wir uns ihrer Explikation zuwenden können. Doch das bedeutet keineswegs, dass Kategorien linguistische Gebilde sind. Sie sind keine Rudimente des Sprachgebrauchs, sondern Formen, ohne die es keinen Sprachgebrauch geben könnte, der imstande ist, zur Erkenntnis zu führen. Damit stehen wir nun auf dem Vorhof zu Hegels Kategorienkritik. Man gestatte mir, mich für einen Augenblick noch einmal auf weiten Abstand zum Text zu begeben und eine allgemeine These über die Wissenschaft der Logik aufzustellen, die 15
Benoist (2017), S. 365. Vgl. dazu die Rekonstruktion dieser Traditionslinie bei Halfwassen (2016). 17 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 43. 18 Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 30: „am wenigsten ist es der Logos, was außerhalb der logischen Wissenschaft gelassen werden soll. Es muß darum nicht ein Belieben sein, ihn in die Wissenschaft hereinzuziehen oder ihn draußen zu lassen. Wenn die Denk bestimmungen, welche nur äußerliche Formen sind, wahrhaft an ihnen selbst betrachtet werden, kann nur ihre Endlichkeit und die Unwahrheit ihres Für-sich-sein-Sollens und, als ihre Wahrheit, der Begriff hervorgehen. Daher wird die logische Wissenschaft, indem sie die Denkbestimmungen, die überhaupt unseren Geist instinktartig und bewußtlos durchziehen und, selbst indem sie in die Sprache hereintreten, ungegenständlich, unbeachtet bleiben, abhandelt, auch die Rekonstruktion derjenigen sein, welche durch die Reflexion herausgehoben und von ihr als subjektive, an dem Stoff und Gehalt äußere Formen fixiert sind.“ 16
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ich gleich anhand einer Bemerkung Hegels über Kategorien belegen werde. Meines Erachtens handelt es sich bei allen Kategorien der Logik um Übergeneralisierungen, die auf die Seinslogik beschränkt sind. Es gibt keine wesens- oder begriffslogischen Kategorien. Jede Kategorie entspricht einer objektstufigen Metaphysik des logischen Raums. Unter einer „Metaphysik des logischen Raums“ verstehe ich eine Behauptung darüber, was alles dasjenige, was sich überhaupt denken läßt, gemeinsam haben muß. Eine solche Metaphysik ist objektstufig, wenn sie den Grund dafür, dass sich etwas denken läßt, in einem Gegenstandsbereich sucht, dessen Artikulation die Anwendung unrestringierter Quantoren in Anspruch nimmt. Dies hat insbesondere die Konsequenz, dass eine objektstufige Metaphysik des logischen Raums üblicherweise mit einer singulären Einrichtungsfunktion auskommt, die erläutert, was es heißt, dass etwas zum singulare tantum ihres Universums gehört. Das kann der Existenzquantor, das Elementschaftsprädikat der Mengenlehre oder ein primitiver mereologischer Begriff wie derjenige der Fusionsoperation sein. Heidegger bezeichnet all dies als eine Metaphysik der Vorhandenheit, die das Seiende zum Bestand erklärt, der als Denkbares vorliegt. Hegel behandelt die Varianten einer solchen objektstufigen Präsenzmetaphysik in der Seinslogik mit dem Anspruch auf Vollständigkeit, indem er in einem geordneten Vorgehen zeigt, wie ein Fehler auf den nächsten aufbaut. Die erste Station einer solchen objektstufigen Metaphysik des logischen Raums ist das Sein, was Hegel naheliegenderweise mit Parmenides in Verbindung bringt. „Das Sein“ ist die Annahme, dass alles, was sich überhaupt denken läßt, zum logischen Raum gehört. Der logische Raum wird in dieser Hinsicht nicht weiter in Gedanken differenziert, sondern als maximaler Wahrheitsklumpen eingeführt, was man durchaus mit Freges Begriff eines undifferenzierten Gesamtgegenstands namens „das Wahre“ identifizieren kann. „Das Wahre“ ist so wie „das Sein“ der Name für einen Zustand maximaler Informationsdichte im logischen Raum, sozusagen der logische Raum vor seinem Urknall. Maximale Informationsdichte eignet sich aber nicht für Erkennbarkeit, da wir nur dort etwas als etwas erkennen können, wo wir Unterschiede ziehen können, dank derer wir überhaupt über explizite Begriffe verfügen, d. h. über Begriffe, die wir als solche erfassen können. Wenn wir einfach nur von einem logischen Raum mit maximaler Informationsdichte intellektuell bestrahlt würden, verschlüge es uns buchstäblich die Sprache, wie man etwa bei Plotin und der nachfolgenden negativen Theologie nachlesen kann, deren Eines Hegel als einen Fall von Sein identifiziert.19 Wenn der logische Raum nicht artikuliert wäre, könnten wir jedenfalls nicht begreifen, wie wir dazu gelangt sind, uns einen Begriff vom logischen Raum zu machen. Der logische Raum muß also selber als ausdifferenziert gedacht werden können, wenn wir uns in die Position versetzen wollen, etwas über seine Kom position zu behaupten. Diese Struktur eines unverzichtbaren Entgegenkommens 19
Vgl. Gabriel (2007), S. 70–83.
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des logischen Raums habe ich in einem Buch desselben Titels als „transzendentale Ontologie“ bezeichnet.20 Anton Friedrich Koch spricht in einem ganz ähnlichen Sinn von der Wissenschaft der Logik als einer Theorie der „Evolution des logischen Raums.“21 Jede Kategorie scheitert daran, die notwendig selbstbezügliche Struktur des logischen Raums im Rahmen ihrer Übergeneralisierung nicht angemessen zu artikulieren. Deswegen legt Hegel auch eine Kategorienkritik vor. Doch das Scheitern einer Kategorie ist nicht nur Anlaß, sie zurückzuweisen. Vielmehr kommt in der Logik ebenso wie in der Phänomenologie des Geistes die Methode der „bestimmten Negation“ zum Einsatz. Bei dieser handelt es sich entgegen Brandoms interessanter, aber abwegiger Deutung, keineswegs um eine semantische Eigenschaft. Es geht bei Hegel nicht darum, einen semantischen Holismus zu entwickeln, der etwa gegen Fodors und Lepores Einwände resistent ist.22 Vielmehr ist die bestimmte Negation Element von Hegels Metatheorie. Sie besteht in der Logik in der Anweisung, von einer minimalen Metaphysik des logischen Raums nur dann zu einer weiter entwickelten überzugehen, wenn sich diese als eine wiederum möglichst minimale Reparatur der entscheidenden logischen Schwäche der vorhergehenden einführen läßt. Erörtern wir dies wieder am einfachsten Beispiel für diese Struktur, dem Beginn der Seinslogik. „Das Sein“ ist eine Metaphysik des logischen Raums, deren ontologische Verpflichtung und deren Ideologie minimal ist.23 Ontologisch wird nur ein Eigenname mit Referenz ausgestattet, d. h. „das Sein“. Diese Metaphysik ist geradezu ideologiefrei, da sie keine einzige primitive Relation und weder einfache noch komplexe Prädikate anerkennt. Denn sie braucht eingangs nicht einmal Seiendes als Fall von Sein. Doch dieser Minimalismus trägt auch schon den Keim seines eigenen Untergangs in sich. Denn ohne ontologische Verpflichtung läßt sich die Theorie nicht ideologiefrei halten. Geht man aber eine ontologische Verpflichtung ein, gelingt dies nur, weil es Referenzbedingungen für den privilegierten Eigennamen „das Sein“ gibt. Dies kann ideologiefrei, also ohne primitive Relation der Referenz oder der Designation, nicht sichergestellt werden. Referiert aber gar nichts, insistiert der Theoretiker also auf seiner erhabenen Ideologieferne, ist es wie im Haupttext der Logik nicht mehr weit bis zur metatheoretischen Einsicht: „Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe.“24 Soll der logische Raum Gegenstand irgendeines Gedankens sein, bedarf es also einer Relation, etwa derjenigen des Fallens-untereinen-Begriff, wovon wir freilich in der Seinslogik noch meilenwert entfernt sind. 20
Vgl. Gabriel (2011). Vgl. wiederum Koch (2014). 22 Brandom (2002), S. 178–209. Brandom antwortet dabei u. a. auf Fodor / L epore (1992). 23 Vgl. zu dieser Distinktion Quine (1951), S. 11–15; sowie Quine (1983), S. 499–502. 24 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83. 21
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Diese erörtert minutiös das prinzipielle Scheitern jedes Versuchs, den Denker aus dem logischen Raum rauszuhalten und diesen vor dem Auge eines unbeteiligten Betrachters vorliegen zu lassen. Der Denker kann sich aus den logischen Gedanken nicht heraushalten. Die jenigen logischen Relationen, die wir uns als Denker von Gedanken in unserer Einstellung zu einem Gegenstandsbereich attestieren, wie auch immer wir ihn dann einrichten mögen, können aus dem Gegenstandsbereich der Logik nicht entfernt werden. Damit liegt ein Erfolgskriterium vor. Es besteht darin, sich nicht in eine Dialektik der bestimmten Negation zu verstricken, um zu einer weiteren Kategorie geführt zu werden, die ihrerseits an einer unzulässigen Übergeneralisierung scheitert. Was ich soeben in einer groben Skizze zur Schwäche der Seinslogik ausge führt habe, erörtert Hegel expressis verbis anhand des Kategorienbegriffs in der Anmerkung zur Einleitung in das Kapitel „Die Wesenheiten oder die Reflexions bestimmungen“. „Sein, Dasein usf. sind als logische Bestimmungen überhaupt Prädikate von allem. Die Kategorie ist, ihrer Etymologie und der Definition des Aristoteles nach, dasjenige, was von dem Seienden gesagt, behauptet wird. – Allein eine Bestimmtheit des Seins ist wesentlich ein Übergehen ins Entgegengesetzte; die negative einer jeden Bestimmtheit ist so notwendig als sie selbst“.25
Kategorien sind logische Bestimmungen von allem, wie Hegel sagt. Sie sind dieser Ausführung zufolge auf den Bereich des Seins, d. h. auf eine Gegenstands ontologie eingeschränkt, die annimmt, dass die Logik – unsere denkende Erfassung der „Regeln und Gesetze des Denkens“26 – in einem gegebenen Gesamtbereich verankert ist, der aus wohlbestimmten Individuen besteht.27 Die Annahme, es gebe Kategorien, d. h. Denkbestimmungen, die von allem Seienden handeln, scheitert daran, dass der Gegenstandsbereich der Kategorien damit unzulässig restringiert ist, da sie nicht für die Selbsterfassung des Denkens gelten. Denn „ihr Gegenstand [d. h. derjenige der Logik, M. G.], das Denken oder bestimmter das begreifende Denken, wird wesentlich innerhalb ihrer abgehandelt; der Begriff desselben erzeugt sich in ihrem Verlaufe und kann somit nicht vorausgeschickt werden.“28
Kategorien weisen prinzipiell die nicht behebbare begriffliche Schwäche auf, unhaltbare Übergeneralisierungen zur Folge zu haben. Jede Kategorie scheitert daran, dass es sich bei ihr um den Versuch handelt, einen Begriff im Ensemble unseres begrifflichen Equipments derart auszuzeichnen, dass es sich bei ihm um eine Spezifikation des Seins handelt. Kategorien, so Hegels Variante des 25
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 36 f. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 35. 27 Dies habe ich an anderer Stelle unter Rekurs auf Hegel und Kant als „naive Einzeldingontologie“ bezeichnet und zurückgewiesen. Vgl. Gabriel (2014). 28 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 35. 26
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Markus Gabriel
„cut-off-problems“, sind wesentlich solche Begriffe, deren Allgemeinheit direkt unterhalb des Begriffs des Begriffs einsetzt. Damit können sie aber nicht seinslogisch behandelt werden, da sie eine reichere Ideologie benötigen, die ohne einen ausdifferenzierten „Begriff des Begriffes“29 nicht auskommt. Dies bedeutet, dass wir den Gegenstandsbereich der Logik nicht objektstufig erschöpfen können, d. h. ohne die überprüf- und revidierbare Einführung eines Vokabulars zu beobachten, dank derer wir annehmen dürfen, dass der logische Raum uns nicht einfach nur mit Wahrheit bestrahlt. Im Kapitel über die Reflexionsbestimmungen geht Hegel über die Annahme hinaus, es gebe Kategorien. Aus den Kategorien werden Reflexionsbestimmungen. Aus den Reflexionsbestimmungen werden dann freilich in der Begriffslogik wiederum genuine Begriffe, für die sich das Kategorienproblem gar nicht mehr stellt. In der Wissenschaft der Logik geht es demnach u. a. um eine Überwindung sowohl des Aristotelischen als auch das Kantischen Kategorienproblems, was Hegel im Abschnitt „Vom Begriff im allgemeinen“ in aller wünschenswerten Deutlichkeit ausführt, wie man der folgenden Passage entnehmen kann. „So wie die Kantische Philosophie die Kategorien nicht an und für sich betrachtete, sondern sie nur aus dem schiefen Grunde, weil sie subjektive Formen des Selbstbewußtseins seien, für endliche Bestimmungen, die das Wahre zu enthalten unfähig seien, erklärte, so hat sie noch weniger die Formen des Begriffs, welche der Inhalt der gewöhnlichen Logik sind, der Kritik unterworfen; sie hat vielmehr einen Teil derselben, nämlich die Funktionen der Urteile für die Bestimmung der Kategorie aufgenommen und sie als gültige Voraussetzungen gelten lassen. Eine Logik, welche dies nicht leistet, kann höchstens auf den Wert einer naturhistorischen Beschreibung der Erscheinungen des Denkens, wie sie sich vorfinden, Anspruch machen. Es ist ein unendliches Verdienst des Aristoteles, welches uns mit der höchsten Bewunderung für die Stärke dieses Geistes erfüllen muß, diese Beschreibung zuerst unternommen zu haben. Aber es ist nötig, daß weitergegangen und teils der systematische Zusammenhang, teils aber der Wert der Formen erkannt werde.“30
Hegel unterscheidet drei Arten von „Denkbestimmungen überhaupt“31: „die Kategorien, die Reflexionsbestimmungen sowie der formale Begriff und dessen Momente“32. Daran sieht man, dass die weit verbreitete Lehrmeinung, der zufolge Hegels Wissenschaft der Logik insgesamt eine Art Kategoriendeduktion darstellt, verfehlt ist. Nicht alle Denkbestimmungen, die in der Logik dialektisch abgeleitet werden, sind Kategorien. Natürlich handelt es sich bei allen drei Formen der Denkbestimmungen nicht um sein letztes Wort, da sich erst im dritten Abschnitt der subjektiven Logik, also dank der Idee, die angemessene Struktur des logischen Raums, seine „absolute Form“ ergibt.
29
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 252. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 268 f. 31 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 500. 32 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 500. 30
Hegels Kategorienkritik
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III. Der Begriff des Begriffs und der logische Raum Soweit der Textbestand. Doch was bedeutet dies philosophisch? In meinen abschließenden Überlegungen möchte ich versuchen, den nötigen Abstand zu gewinnen, um aus Hegels Überwindung des Kategorienproblems philosophisches Kapital zu schlagen. Im Abschnitt, der „Vom Begriff im allgemeinen“ handelt, führt Hegel den „Begriff des Begriffes“33 ein. Dieser ist eine Einheit von Allgemeinem und Einzelnem, die darin besteht, dass sich das Einzelne als etwas auffassen läßt, dass einem Begriff auf die geeignete Weise, d. h. als Besonderes zugeordnet ist. Diese Konzeption dient dazu, die synthetische Dimension des Kategorienproblems handhabbar zu machen. Die Hegelsche Idee lautet an dieser Stelle, dass wir den logischen Raum nicht hierarchisch nach dem Modell einer arbor porphyriana verstehen sollten. Es gibt kein summum genus, den Begriff des Begriffs, unter den dann nach einem Prinzip der Spezifikation alle anderen, sowohl die logischen als auch die empirischen, Begriffe fallen. Vielmehr ist „der Begriff“ der Name für das gesamte Ordnungssystem. Der Begriff ist genau genommen eine Dimension des logischen Raums, namentlich diejenige Dimension, die es uns erlaubt, etwas als einen Fall von etwas Anderem einzustufen. Der Begriff manifestiert sich in unserer Urteilspraxis in der seit Strawson und Evans vieldiskutierten Form einer „Allgemeinheitsauflage (generality constraint)“.34 Die Relation des Fallens-unter-einen-Begriff erlaubt uns einen expliziten epistemischen Zugriff auf den logischen Raum, insofern wir ihm eine Gesamtordnung attestieren können, die wohlgemerkt weitgehend kompatibel mit einer Einsicht in den Umstand ist, dass wir durch ihre Vermittlung den besagten Zugriff haben können. Deswegen läßt sich Hegel im Absatz, welcher der Einführung des Begriffs des Begriffs folgt, zu der jüngst seit Interpreten wie Robert Pippin, John McDowell und Béatrice Longuenesse zu Gesamtdeutungen ausgearbeiteten Bemerkung hinreißen, dass der Begriff „nichts anderes“ sei „als Ich oder das reine Selbstbewußtsein.“35 Allerdings verwendet Hegel das Ich oder reine Selbstbewußtsein hier als eine Analogie zur Erläuterung der begrifflichen Struktur des logischen Raums. Das reine Selbstbewußtsein ist nämlich nicht mit dem Begriff identisch, sondern vielmehr ein Hinweis, „daß an etwas Bekanntes, d. i. der Vorstellung Geläufiges erinnert wird.“36 33
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 252. Vgl. Strawson (1959), S. 99: „The idea of a predicate is correlative with that of a range of distinguishable individuals of which the predicate can be significantly, though not necessarily truly, affirmed.“ Vgl. dazu Gareth Evans’ Begriff der „Allgemeinheitsauflage (generality constraint)“, in Evans (1982), S. 100–105. Die Allgemeinheitsauflage formuliert Evans folgendermaßen: „if a subject can be credited with the thought that a is F, then he must have the conceptual resources for entertaining the thought that a is G, for every property of being G of which he has a conception.“ (Evans (1982), S. 104). 35 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 253. Vgl. die einflußreichen Arbeiten Pippin (1989); McDowell (2009), S. 69–89; Longuenesse (2007). Vgl. dagegen Gabriel (2018), i. Ersch. 36 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 253. 34
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Markus Gabriel
Der logische Raum muß damit kompatibel sein, dass wir uns in ihm verorten. Damit unterminiert Hegel das Prämissengefüge einer Philosophie, die im Rahmen des Themas „Geist und Welt“ operiert, vollständig. Denn eine solche Philosophie, die Hegel in der Differenzschrift als „Reflexionsphilosophie der Subjektivität“ bezeichnet hatte, ist stets auf eine objektstufige Metaphysik des logischen Raums verpflichtet und kann deshalb bestenfalls in einem zweiten Akt versuchen, die Subjektivität bzw. den Geist noch ins Universum einzuholen. Sie verbleibt deswegen in ihren jüngeren Varianten, etwa bei McDowell, im Dunstkreis des Naturalismus, den sie zwar um die Versicherung eines grenzenlosen logischen Raums der Gründe etwas liberaler auftreten läßt, ohne aber an dem zugrundeliegenden Irrtum etwas zu ändern.37 Der zugrundeliegende Irrtum besteht aus einer Hegelschen Perspektive darin, dass übersehen wird, dass sich nicht etwa der logische Raum irgendwie in die Natur einzufügen habe – etwa in der Form eines Geistes oder wie in Chalmers’ und Nagels spekulativer Physik in der Form proto-phänomenaler oder proto-intentionaler Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung –, sondern dass umgekehrt sowohl Natur als auch Geist ihren Ort im logischen Raum finden. Der Name für die Einheit von Geist und Natur ist letztlich die absolute Idee und damit diejenige Realisierung einer Einsicht in den logischen Raum, die das Natürliche und das Geistige als Begriffe zweiter Stufe erkennt, mittels derer wir nicht etwa vorhandene Dinge charakterisieren, um das Universum in zwei Großkategorien à la res cogitans und res extensa aufzuspalten, sondern die vielmehr die Funktion erfüllen, uns etwas über die Partitur unserer Begriffe zu lehren. Natürliche Begriffe sind solche, denen bestimmte Objektivitäts- und damit Referenzbedingungen zukommen, sobald sie in Theorien eingebettet sind, die freilich u. a. auch inferenzielle Muster einführen müssen. Natürlich sind dabei insbesondere diejenigen Begriffe, die sich extensionalistisch, also etwa nach dem Modell des semantischen Externalismus für natürliche Arten auffassen lassen. Worauf sie sich beziehen legt hier maßgeblich die Bedeutung fest, die deswegen für die Begriffsverwender partiell intransparent bleibt. Geistig hingegen sind Begriffe, die hyperintensional sind, d. h. Begriffe, zwischen denen bestimmte explanatorische Strukturen bestehen, die sich insbesondere philosophisch explizieren lassen, ohne dabei Rekurs auf ein „furniture of reality“ zu nehmen. Ich deute dies hier nur grosso modo an. Dass „Intensionalität“ und „Intentionalität“ zusammenhängen, ist weitgehend anerkannt und worauf ich Hegel festlegen möchte, ist eine weitreichende metaphysische Einsicht in diesen Zusammenhang, die viel tiefer als eine Analyse der Grammatik unseres egologischen Vokabulars reicht. Die logischen Begriffe sind solche Begriffe, die uns erlauben, einem gegebenen Fall von Irrationalismus bezüglich unserer Natur als Denker von Gedanken den Garaus zu machen. Ein Fall von Irrationalismus liegt vor, wenn eine Theoriekonstruktion dunkle Flecken im logischen Raum annimmt. Der Gegner ist hier 37
Vgl. natürlich McDowell (1996).
Hegels Kategorienkritik
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die „üble Nachrede“ gegenüber dem Begriff, „ihn, der das Höchste des Denkens ist, verächtlich zu machen und dagegen für den höchsten sowohl szientifischen als moralischen Gipfel das Unbegreifliche und das Nichtbegreifen anzusehen.“ (TWA, 5, 253), was neben einschlägigen Zeitgenossen Hegels nicht nur Heidegger und Adorno avant la lettre trifft, sondern auch diejenigen Auswüchse einer defizienten Begriffsauffassung, die heute unter Berufung auf angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse insbesondere in der Philosophie des Geistes ihr Unwesen treiben. Man denke an die vielen subtilen und nicht-subtilen Varianten eines „hard problems“, die sich bis zum Mysterianismus hochgeschaukelt haben.38 Der Irrtum, der zu diesen Ausschweifungen führt, ist hierbei eine Konsequenz der Fehl verortung des Geistigen und Logischen. Werden sie in der Natur gesucht, wird man sie aufgrund der semantischen Struktur der hierbei zum Einsatz gerufenen Begriffe prinzipiell nicht finden. In der Wissenschaft der Logik wird das Projekt einer Kategoriendeduktion nicht etwa dem Anspruch nach besser durchgeführt als bei Kant, sondern vielmehr überwunden. Kategorien sind untergeordnete, defiziente Denkbestimmungen, die es prinzipiell nicht erlauben, den logischen Raum insgesamt so aufzufassen, dass man eine angemessene Einrichtungsfunktion gewinnt. Freilich reicht dazu auch der Begriff des Begriffs keineswegs hin. Auch Schlüsse leisten dies noch nicht, weshalb Hegel auch kein Inferentialist ist. Vielmehr müßte man ausführlich die Frage beantworten, welche semantischen Ressourcen Hegels Ideenlehre zur Verfügung stellt, da diese der eigentliche Austragungsort der Charakterisierung des logischen Raums unter den Bedingungen seiner epistemologischen Zugänglichkeit ist. Bis dahin ist von der Skizze von Hegels Begriffstheorie freilich noch ein weiter logischer Weg. Wichtig ist es dabei aber meines Erachtens, den Gegenstand nicht aus den Augen zu verlieren, um den es Hegel geht. Dieser Gegenstand ist der maximale Gegenstandsbereich unseres Nachdenkens, der logische Raum. Was wir aus Hegels Kategorienkritik mitnehmen können ist eine Variante der Erkenntnis, dass der logische Raum nicht vollständig und angemessen in einer objektstufigen Metaphysik behandelt werden kann, da diese nolens volens naturalistisch bleibt, wie offenherzig auch immer man sich gegenüber Hegel im Versuch gebärden mag, einen liberalen Naturalismus zu inszenieren, der einen irreduziblen logischen Raum der Gründe einrichtet.
38 Vgl. in diesem Sinne die Rekonstruktion des Zusammenhangs von Selbsterkenntnis und Objektivität bei Rödl (2018).
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik Von Lars Heckenroth
Vorbemerkungen Schon in der Betrachtung des Anfangs der Hegelschen Logik zeigt sich, dass der Entwicklung des logischen Inhalts, d. h. der Deduktion der Kategorien des reinen Denkens, methodische Dimensionen eingelagert sind, die zum einen als methodische Bestimmungen notwendig in Gebrauch genommen sind, zum anderen aber aufgrund der Komplexität ihrer Struktur in früheren Stadien der Entwicklung nicht selbst als Bestimmungen des Inhalts thematisch werden können. Diese Diskrepanz von methodischen und inhaltlichen Aspekten der Logik wird bereits im Anfang der Geschichte des Logischen und insbesondere unter Hinzuziehung der ausführlichen und dem eigentlichen Anfang vorausgehenden Kapitel deutlich. Ohne Zweifel stehen die Bestrebung, die mit dem unbestimmten Unmittelbaren das Prinzip absoluter Differenz- und Negationslosigkeit zu denken sucht, und mithin die methodischen Schwierigkeiten, die mit dieser Bestrebung verbunden sind, in platonisch-neuplatonischer Tradition. Bereits in den theologisch geprägten Frühschriften Hegels ist es vor allem die Frage, wie das Absolute unter Absprache aller Bestimmtheit und Negation zu denken sei, die den Horizont bildet, in dem das Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung, von Einheit und Differenz problemorientiert befragt wird. Ziel der vorliegenden Ausführungen ist eine systematische Annäherung an die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Methode und Inhalt in Hegels Logik. Damit stehen meine Ausführungen in einem größeren Forschungskontext und müssen an dieser Stelle exemplarisch auf den Anfang der Logik und dessen methodischen Dimensionen beschränkt werden. Auch liegt der Fokus der Darstellung hier auf den reflexionslogischen Aspekten der Methode, wenn auch Ausblicke auf die Reflexionsbestimmungen sowie auf die absolute Methode an einigen Stellen nötig sein werden. Meine Argumentation gliedert sich in drei Teile: Erstens soll der Einstieg in Hegels Logik, der mit dem Denken des reinen Seins gemacht wird vor dem Hintergrund seiner Methodik, d. h. als Negation der Negation, erörtert werden. In einem zweiten Schritt sollen anhand dieser bereits in sich reflektierten methodischen Struktur setzende, äußere und bestimmende Reflexion als methodische
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik
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Dimensionen des Fortgangs der anfänglichen Entwicklung zur Kategorie des Werdens beleuchtet werden. In einem dritten und letzten Schritt soll die konstitutive Bedeutung bedacht werden, die dem Verhältnis von Methode und Inhalt im Allgemeinen für die Charakterisierung der Wissenschaft der Logik als spekulative Kategoriendeduktion zukommt.
I. Die Negation der Negation Das Kapitel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ leitet die Notwendigkeit, dass der Anfang der logischen Wissenschaft mit dem reinen Sein zu machen ist, im Zuge zweier Argumentationslinien her: Zum einen ist der Einstieg in die Logik begründet durch das Ende der Phänomenologie des Geistes, er ist „Resultat einer jenseits liegenden Wissenschaft“,1 zum anderen ist er auch nur als der freie Entschluss, das Denken als solches betrachten zu wollen,2 möglich. Das reine Sein ist dasjenige Prinzip, mit dem der Anfang der Logik, wenn er wirklicher, d. h. selbst nicht mehr bedingter Anfang sein soll, gemacht werden muss. Nur das Unbestimmte und Unmittelbare, so der Gedanke, ist dem Inhalt nach nicht mehr Resultat von Anderem, aus dem es abgeleitet werden könnte. Der Versuch, das reine Sein gedanklich zu fixieren, unterscheidet sich notwendigerweise zum einen in den Vollzug der Negationsleistung, in den Vollzug der Absprache aller Prädikate, deren Beibehaltung die Reinheit und Unbestimmtheit des reinen Seins zerstören würde, und zum anderen in den so anvisierten Inhalt des anfänglichen Prinzips, die unbestimmte Unmittelbarkeit. Das reine Sein ist dem Inhalt nach das Unmittelbare, methodisch aber ist es vermittelt. Für das Verhältnis der Negationsleistung zum reinen Sein bedeutet dies, dass der Unterschied zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung, der mit der Negation gesetzt ist, nicht als Bestimmung des reinen Seins als Inhalt veranschlagt werden darf. Der methodische Akt der Negation ist aufgrund dieser Natur des Anfangs der Logik als eine implizite Bestimmung des gesamten anfänglichen Denkvollzugs, als implizites Moment der anfänglichen Entwicklung zu verstehen. Da die Negationsleistung der methodische Weg ist, auf dem allein das notwendig nur negativ und privativ bestimmte reine Sein begrifflich festzuhalten ist, muss sie als konstitutives Moment der anfänglichen logischen Entwicklung aber durchaus berücksichtigt werden. Diese Unhintergehbarkeit der Methode im Anfang der Logik und ihre simultane notwendige Unterschiedenheit vom Inhalt, vom reinen Sein, unterscheidet die Gesamtstruktur des anfänglichen reinen Denkvollzuges, der das reine Sein zu denken versucht, unmittelbar in implizite und explizite Entwicklungsmomente. Explizit thematisch 1 2
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 57. Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68.
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Lars Heckenroth
ist somit der Inhalt, auf den das Denken des Seins abzielt, implizit aber all jene Bestimmungen des Denkaktes, die mit diesem als immanente Aspekte seines Vollzugs notwendig einhergehen, selbst allerdings nicht zugleich auch als Bestimmung des Inhalts thematisch werden können. Betrachtet man diese methodische Dimension des immanenten, innerlogischen Anfangs in ihrem Verhältnis zum Einstieg in die Logik mit der Phänomenologie des Geistes, so stellt sich rasch eine Wesensverwandtschaft der beiden Einstiege in die logische Wissenschaft heraus. Im Rahmen eines sich selbst vollbringenden Skeptizismus entwickelt die Phänomenologie die unterscheidbaren Strukturen des seinsbezogenen Erkenntnisvollzugs des Geistes als hierarchisch organisierte Momente einer einheitlichen Bewegung. Mit der Darstellung dieser Entwicklung des erscheinenden Geistes, die ineinsfällt mit der Geschichte des sich wissenden Selbstbezugs des Absoluten, ist – dem Anspruch des Werkes nach – zugleich auch die Ontologie des Seinsganzen in der Entwicklungsgeschichte dieses Selbstbezuges aufgehoben. Die Negation der Negation als notwendiger methodischer Schritt, der dem Denken das Prinzip der unbestimmten Unmittelbarkeit eröffnet, ist der Sache nach nichts anderes als die Negation der Bewusstseinsgestalten des erscheinenden Geistes; was am Ende der Phänomenologie als Resultat der Geschichte des Selbst bewusstseins bleibt und was mit dem absoluten Wissen gedanklich fixiert wird, ist nur die basale Struktur der Sichselbstgleichheit des reinen Wissens: die „Wahrheit aller Weisen des Bewusstseins“.3 Sind im absoluten Wissen alle Bewusstseins gestalten – und prinzipiell der Unterschied von Bewusstsein und Gegenstand – aufgehoben, so sind sie im Begriff des absoluten Wissen auch negiert: Wie die Vollendung der Geschichte der Selbstbewusstseins Thron des absoluten Geistes ist, so ist dieser Thron wesentlich auch Schädelstätte.4 Aus der Negation aller Differenz von Bewusstsein und Gegenstand resultiert (als positives Resultat) bloße Sichselbstgleichheit in der seinslogischen Bedeutung der unbestimmten Unmittelbarkeit. Der methodische Schritt der Absprache aller Prädikate, der „Beiseitsetzung aller Reflexionen“,5 der in eins fällt mit dem bloßen Aufnehmen dessen, was im Begriff des reinen Wissens der Phänomenologie enthalten ist, vollzieht sich nicht als Negation einer Folge von Prädikaten; bei der unendlichen Möglichkeit prädikativer Bestimmung würde dies ebenso die Form einer ins schlecht Unendliche laufenden und unsystematischen Folge von bestimmten Negationen annehmen. Vielmehr ist dementgegen die methodische Negationsleistung, als deren Resultat das reine Sein als logischer Inhalt gedanklich festgehalten werden soll, die Negation aller Bestimmtheit überhaupt, d. h. die Negation des Prinzips der Bestimmtheit. Das reine Sein ist als das der Bestimmtheit kontradiktorisch entgegengesetzte Prinzip der Unbestimmtheit zu denken. Da Bestimmtheit zugleich immer auch Negation 3
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 43. Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 591. 5 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68. 4
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik
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von anderen, außerhalb des bestimmten Begriffes liegenden Bestimmungen ist, ist die prinzipielle Negation von Bestimmtheit als solche zugleich Negation aller Negation überhaupt. Der anfängliche methodische Akt, der dem Versuch, das reine Sein gedanklich zu fixieren, als implizit in Gebrauch genommener Aspekt der Entwicklung notwendig zugrunde liegt und den Hegel als die Vermittlung, welche „zugleich Aufheben ihrer selbst ist“,6 bezeichnet, ist somit ergänzend, aber sinngemäß auch als Bestimmung, die sich selbst aufhebt, oder als Negation, die sich selbst negiert, zu verstehen. Die Methodik des Anfangs der Logik, des – immerhin freien – Entschlusses, „daß man das Denken als solches betrachten wolle“,7 ist demnach eine Form der gedoppelten Negation. Auf diesen Umstand, der zu Beginn der Seinslogik zumindest keine Erwähnung expressis verbis findet, verweist Hegel dafür in der Begriffslogik und hier in den Ausführungen zum allgemeinen Begriff. Um das spezifische Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung darzustellen, wie es der Subjektivität des Begriffs zukommt, unterscheidet Hegel die konkrete Allgemeinheit des Begriffs, die Besonderheit und Einzelheit in sich enthält, von der abstrakten Allgemeinheit des analytischen Erkennens. Diese ist dem Besonderen und Einzelnen äußerlich entgegengesetzt8 und damit „ein Vermitteltes“,9 jene hingegen „absolute Vermittlung“,10 denn ihr Entgegengesetztes, d. h. Besonderheit und Einzelheit, ist zugleich Moment ihrer positiven Identität mit sich. Die Methode, die der Genese der abstrakten Allgemeinbegriffe des endlichen Erkennens dabei zugrunde liegt, beschreibt Hegel wie folgt: „Aber auch schon das Abstrakte enthält dies, daß, um es zu erhalten, erfordert werde, andere Bestimmungen des Konkreten wegzulassen. Diese Bestimmungen sind als Determinationen überhaupt Negationen; ebenso ist ferner das Weglassen derselben ein Negieren. Es kommt also beim Abstrakten gleichfalls die Negation der Negation vor. Diese gedoppelte Negation wird aber vorgestellt, als ob sie demselben äußerlich sei und sowohl die weggelassenen weiteren Eigenschaften des Konkreten von der beibehaltenen, welche der Inhalt des Abstrakten ist, verschiedenen seien, als auch diese Operation des Weglassens der übrigen und des Beibehaltens der einen außer derselben vorgehe.“11
Natürlich unterscheidet sich das reine Sein des Anfangs der Logik von bestimmten abstrakten Allgemeinheiten, denn seine Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit verlangt, dass keine inhaltliche Bestimmtheit in seinem Begriff beibehalten wird. Das Gemeinsame des Anfangs der Logik und des Erkennens endlicher abstrakter Begriffe ist jedoch die Methode der Negation der Negation, die im Akt des Abstrahierens in Gebrauch genommen ist. Dies begründet die Relevanz dieser begriffslogischen und eigentlich auf die epistemologische Natur bestimmter 6
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68. 8 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 275. 9 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 275. 10 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 275. 11 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 275. 7
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Allgemeinbegriffe des endlichen Erkennens ausgerichteten Passage für das Verständnis desjenigen methodischen Akts, der der begrifflichen Fixierung des reinen Seins zugrunde liegt. Der Anfang der Logik darf, wie bereits erörtert worden ist, „nichts voraussetzen, muß durch nichts vermittels sein noch einen Grund haben“12, womit er sich jedoch als ein „abstrakter Anfang“13 erweist. Hegel betont sogar, dass die Abstraktheit des Anfangs der Logik gleichbedeutend ist mit seiner Absolutheit14, und als absolute Abstraktion unterscheidet sich das reine Sein von endlichen abstrakten Begriffen, die eben darum endlich und nicht absolut sind, weil ihnen eine Bestimmung, die durch Negation aller anderen gewonnen worden ist und daher abstrakt ist, positiv zukommt. Die gedoppelte Negation des Anfangs sieht sich hingegen mit dem Widerspruch konfrontiert, in dem Begriff, den sie zu bestimmen versucht, keinerlei Bestimmung zurücklassen zu dürfen. Das reine Sein ist weder die konkrete Allgemeinheit des Begriffs noch ein bestimmter abstrakter Allgemeinbegriff, sondern als absolute Abstraktion besteht die Allgemeinheit des Anfangs und damit die inhaltliche Bestimmung des reinen Seins in der absoluten Determinations- und Negationslosigkeit. Negiert werden mit dem Denken des reinen Seins neben den Bewusstseins gestalten der Phänomenologie des Geistes auch mögliche kategoriale Bestimmungen; die Negation der Negation negiert alle durch Differenz gesetzten Determinationen. Vorausblickend können wir sagen, dass die Negation der Kategorien dann im Rahmen der logischen Entwicklung schrittweise wieder negiert werden wird. Dann aber wird aufgrund der Methode der bestimmten Negation je die spezifische Differenz einer allgemeineren Kategorie gegenüber der nächst folgenden, konkreteren gesetzt, wodurch die Kategorien in ein systematisches Verhältnis zueinander gebracht werden. Wo der in sich reflektierte methodische Akt der Negation im Anfang der Logik die Negation aller Negation, d. h. die Negation des Prinzips der Negation überhaupt, gewesen ist, ist dieser methodische Akt im Fortgang der logischen Entwicklung und ab den Daseinskategorien je eine spezifisch geartete bestimmte Negation: Das Andere ist Negation des Etwas, das An-sich-sein ist Negation des Seins-für-Anderes usf. Die Negation der Negation ist im Anfang der Logik nur Bestimmung der zugrundeliegenden Methode, nicht inhaltliche Bestimmung des reinen Seins, denn dies würde dem Begriff des reinen Seins, der Unmittelbarkeit und Reflexionslosigkeit, widersprechen. Erst mit der Daseinskategorie des Etwas, welches als grundlegende Negation der Negation den Anfang des Subjekts darstellt,15 wird die basale negative Beziehung auf Anderes Bestimmung des jeweiligen kategorialen
12
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 69. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68 f. 14 Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68 f. 15 Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 123. 13
Methodische Dimensionen des Anfangs von Hegels Logik
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Begriffs und die Struktur der Negation Formbestimmung des auf seinen verschiedenen Entwicklungsstufen je materialiter spezifisch bestimmten logischen Inhalts.
II. Die Kategorien der Reflexionslogik als methodische Dimensionen des Anfangs der Logik Der freie Entschluss, das reine Sein zu denken und mit dem Prinzip der unbestimmten Unmittelbarkeit den Anfang der logischen Wissenschaft zu machen, besteht in der Negation aller Prädikate, im methodischen Schritt der Negation der Negation. Die Negation der Negation ist in dieser ihrer methodischen Bedeutung – noch nicht als bestimmte Negation, sondern als Negation aller Negation überhaupt – setzende Reflexion. Dies ist die erste methodische Dimension des Anfangs der Logik, die hier erörtert werden soll. Der Begriff der setzenden Reflexion als Bestimmung der Methode ist an dieser Stelle durchaus in seinem wesens- bzw. reflexionslogischen Sinn zu gebrauchen. Als „sich auf sich beziehende Negativität“16 ist die anfängliche, dem Begriff des reinen Seins in seiner Bestimmung als absolute Unbestimmtheit und Negationslosigkeit zugrundeliegende Negation der Negation unmittelbar „Negieren ihrer selbst.“17 Im Kapitel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ verweist Hegel auf die in sich reflektierte Struktur dieses methodischen Schrittes, der der Fixierung des reinen Seins zugrunde liegt: „Die einfache Unmittelbarkeit ist selbst ein Reflexionsausdruck und bezieht sich auf den Unterschied von dem Vermittelten.“18 Und weiter: „Hier ist das Sein das Anfangende, als durch Vermittlung, und zwar durch sie, welche zugleich Aufheben ihrer selbst ist, entstanden dargestellt“.19 In Abgrenzung zur Reflexionslogik der „Lehre vom Wesen“ und auch schon zu den folgenden Kategorien der Seinslogik ist hier, d. h. im Anfang der Logik, diese sich selbst negierende reflexive Beziehung keine Bestimmung des logischen Inhalts. Nicht das reine Sein negiert sich selbst, denn als das unbestimmte Unmittelbare kann es die Negation und den Unterschied gegenüber dem reinen Nichts nicht an sich selbst haben. Es ist vielmehr der übergeordnete Vollzug des Denkens des reinen Seins, der jene reflexive und sich selbst negierende Struktur als methodische Bestimmung seiner selbst aufweist. Auf mittelbare Art und Weise ist das reine Nichts jedoch ebenso Resultat der anfänglichen Negation der Negation – in ihrer methodischen Bedeutung als setzende Reflexion – wie das reine Sein. Eine Interpretation des Verhältnisses von 16
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 25. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 25. 18 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68. 19 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 68. 17
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Sein und Nichts zueinander, nach welcher das reine Sein und das reine Nichts je unterschiedliche Aspekte des übergeordneten und in sich widersprüchlichen Gedankens der unbestimmten Unmittelbarkeit fixieren würden – etwa das Sein die Bestimmtheit und das Nichts die Unbestimmtheit –, ist von Dieter Henrich im Rahmen seiner Ausführungen zu „Anfang und Methode der Logik“ in Hegel im Kontext überzeugend widerlegt worden.20 Vielmehr liegt es in der Natur des Anfangs der Logik und insbesondere in ihrer immanenten Widersprüchlichkeit, das reine Sein als Unbestimmtheit zu bestimmen, dass die anfängliche Gedanken bestimmung der unbestimmten Unmittelbarkeit sich verdoppelt, wie anhand der im Folgenden skizzierten Entwicklungsschritte demonstriert werden kann: 1) Wir denken das reine Sein in dieser seiner Bestimmung, d. h. als unbestimmte Unmittelbarkeit. 2) Von der Negationsleistung, die zu diesem Zweck alle Bestimmtheit, Vermittlung, Reflexion, Negation etc. negieren muss und damit selbst eine reflexive Negationsleistung ist, bleibt der basale Denkvollzug neben dem so anvisierten reinen Sein als Zugrundeliegendes: das „leere Anschauen und Denken“.21 Der Vollzug der Negationsleistung ist dasjenige, was selbst nicht negiert werden kann. 3) stellt sich sodann die Frage: Was wird mit diesem Denkvollzug, der der Methode als ihr basaler Vollzugsaspekt zugrunde liegt, konkret gedacht? Die Antwort auf diese Frage lautet: Nichts, – unbestimmte Unmittelbarkeit. Weniger von Bedeutung ist also, ob der Anfang mit dem reinen Sein oder mit dem reinen Nichts gemacht wird, denn beide sind in demselben Sinn absolute Unbestimmtheit und Negationslosigkeit. Sowohl mit Sein als auch mit Nichts wird das Ganze der unbestimmten Unmittelbarkeit gedacht.22 Vielmehr ist es von Bedeutung, dass sich das unbestimmte Unmittelbare, sobald ich es zu denken versuche, in ein binnendifferenziertes und reflexives methodisches Verhältnis und in eine methodische Entgegensetzung von Identischen einteilt, wie soeben gezeigt worden ist. Nun aber ist das Denken des reinen Nichts gegenüber dem Denken des reinen Seins, aus dem es als Resultat geworden ist, eine äußere Reflexion. Das reine Nichts ist die Unmittelbarkeit, von der aus die methodische Reflexion als sich auf sich beziehende Negationsleistung erneut anheben muss: Wie das reine Sein, so ist auch das reine Nichts unbestimmte Unmittelbarkeit, dessen notwendige gedank liche Fixierung die Negation aller Negation – als zugrundeliegenden methodischen Akt – voraussetzt. In Hinblick auf das Ganze des anfänglichen Entwicklungsprozesses bestimmt sich die Reflexion – in ihrer methodischen Bedeutung – als die Einheit von Setzen und Voraussetzen. Das Denken des reinen Seins als die Negation der Negation ist Voraussetzen, da der Denkvollzug zum reinen Nichts übergeht. In dieser Hinsicht sind die beiden Bestimmungen, das reine Sein und das reine Nichts, einander als 20
Vgl. Henrich (1971), S. 77 f. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83. 22 Vgl. Henrich (1971), S. 77. 21
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gänzlich Verschiedene und Relationslose entgegengesetzt. Das Voraussetzen ist jedoch zugleich Setzen, denn das Denken des reinen Nichts, von dem ausgehend und mit dessen Vollzug der in sich reflektierte Akt der Negation der Negation erneut von vorne beginnt, geht wieder zum reinen Sein und dem Denken dieser anfänglichen inhaltlichen Bestimmung über: „Nichts Anschauen oder Denken“,23 das Denken des reinen Nichts, ist, so Hegel, „dasselbe leere Anschauen oder Denken als das reine Sein.“24 Setzen und Voraussetzen zeigen sich daher als zwei Momente des Resultierens von Sein und Nichts auseinander: Das Denken des reinen Seins ist vermittels des „leere[n] Anschauen[s] und Denken[s]“25 nicht nur Setzen des Seins, sondern auch Setzen des reinen Nichts. Dieses Setzen ist jedoch Voraussetzen, da das gesetzte reine Nichts, weil es wie das reine Sein das unbestimmte Unmittelbare ist, an sich in keinerlei inhaltlicher Beziehung zum reinen Sein stehen kann. Da das reine Nichts und damit auch der erneut in sich reflektierte Akt des Denkens des reinen Nichts jedoch in methodischer Hinsicht als Resultate aus dem Denken des reinen Seins geworden sind, ist dieses Voraussetzen im Vollzug der gesamten Entwicklung immer auch Setzen. Erneut zeigt sich hier „das leere Anschauen und Denken“ 26 als notwendige vermittelnde Instanz zwischen den einander äußerlichen Reflexionen, die das reine Sein und das reine Nichts je gedanklich zu fixieren suchen. Die Einsicht, dass das Voraussetzen auch Setzen ist, dass setzende und äußere Reflexion als einheitlicher Vollzug sind, stellt die Identität der beiden in sich reflektierten Akte her und begründet den Fortgang zur bestimmenden Reflexion. Die bestimmende Reflexion ist die Einheit der setzenden und der äußeren Reflexion. Die beiden Einsichten, d. h. dass das Setzen Voraussetzen und das Voraussetzen immer auch Setzen ist, werden einander nicht nur abstrakt-verständig oder dialektisch als ineinander-übergehend entgegengesetzt, sondern das Resultieren der beiden Entgegengesetzten auseinander wird selbst als das Affirmative in ihrem Übergehen festgehalten, sodass die entgegengesetzten Bestimmungen in der bestimmenden Reflexion nur noch Momente des übergeordneten Vollzugs sind. Es steht dabei noch aus, die Art und Weise dieser Erkenntnisleistung – d. h. des Fortgangs der äußeren zur bestimmenden Reflexion – darzustellen und aufzuhellen, wie genau das Affirmative im negativ-vernünftigen Moment der Entwicklung aufgefasst wird. Dies leisten die Reflexionsbestimmung in ihrer methodischen Bedeutung und insbesondere das positive Resultat des Widerspruchs sowie der darin gründende Rückgang in den Grund. In der weiteren Explikation der bestimmenden Reflexion wird die Einsicht, dass das Setzen Voraussetzen ist, das Moment des Gegensatzes, die Einsicht, dass das Voraussetzen auch Setzen ist, das Moment der Identität ausmachen. 23
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83. 25 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83. 26 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 83. 24
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Beim Übergang der äußeren zur bestimmenden Reflexion ist aber vor allem die Einsicht, dass das Voraussetzen Setzen ist, mit einigen methodischen Schwierigkeiten verbunden. So stellt sich die Frage, wie, wenn die beiden Reflexionen zunächst einander äußere Reflexionen sind, die ursprüngliche setzende Reflexion überhaupt als solche, d. h. als die ursprüngliche, erinnert wird bzw. wie sie als erster Teil des ganzen Entwicklungsvollzugs festgehalten wird. Welches einheitsstiftende Prinzip lässt die beiden Reflexionen ihre Äußerlichkeit gegenüber einander überwinden? Auf diesen Problemzusammenhang verweist auch Manfred Frank in Der unendliche Mangel an Sein, wenn er in Bezug auf Hegels Reflexionslogik bemerkt, dass es kein Entkommen aus der äußeren Reflexion gäbe und der Fortgang zur bestimmenden Reflexion unbegründet bliebe, wenn die Reflexion die Sphäre der bloßen Relation nicht schon auf irgendeine Weise überschreiten sollte.27 Diese Problematik ist verbunden mit dem Umstand, dass die Reflexionsbestimmungen zum einen zeigen, wie die äußere zur bestimmenden Reflexion fortschreitet, und zum anderen allererst die entwickelte Explikation der Struktur der bestimmenden Reflexion darstellen. Ob sich diese Begebenheit als ein methodischer Zirkel – und, wenn ja, als ein notwendiger Zirkel – herausstellt, dies ist im Rahmen weiterer Arbeiten zu untersuchen.
III. Die ‚Wissenschaft der Logik‘ als spekulative Kategoriendeduktion Welche allgemeinen Schlüsse lassen sich in Hinblick auf das Verhältnis von Methode und Inhalt in der Logik aus der Betrachtung ihres Anfangs ziehen? Welche sind die Implikationen des allgemeinen Verhältnisses von logischer Methode und logischem Inhalt für die weitere genetische Entwicklung der Kategorien? Mit der Setzung des gesamten anfänglichen Denkvollzugs – der Einheit von Methode und Inhalt – als bestimmende Reflexion ist die logische Entwicklung zur Kategorie des Werdens fortgeschritten. Das Werden ist die höhere Einheit von reinem Sein und reinem Nichts. Das Denken des reinen Seins sowie das Denken des reinen Nichts, die zuvor – jedes als absoluter Akt – noch im Verhältnis der äußeren Reflexion zueinander standen, sind nunmehr nur noch Momente des übergeordneten Entwicklungsvollzugs. Dieser hat sie in sich aufgehoben und sich als ihre Wahrheit bestimmt. In Hinblick auf diesen übergeordneten Vollzug der Entwicklung stellt sich die in sich reflektierte Negation der Negation, die dem Denken das Prinzip der unbestimmten Unmittelbarkeit eröffnet und mit der der Anfang gemacht wird, als Allgemeinheit dar, die sich im Vollzug der Negationsleistung aufgrund ihrer immanent widersprüchlichen Struktur in das reflexive Verhältnis von reinem Sein 27
Vgl. Frank (1975), S. 60.
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und reinem Nichts besondert. Der Gehalt der Allgemeinheit, der hier die reflexive Beziehung von Unmittelbarkeit und Vermittlung ist, bleibt in der Besonderheit, d. h. im Verhältnis von Sein und Nichts zueinander, erhalten und positiv bestehen: Das reine Sein und das reine Nichts stellen beide das vollständige Prinzip der unbestimmten Unmittelbarkeit dar und befinden sich zugleich in methodischer und reflexiver Entgegensetzung zueinander. Was in der Logik im Ausgang vom reinen Sein entwickelt wird, ist somit der logische Inhalt als eine einheitliche, sich entfaltende Komplexität. Die Rede von logischen bzw. kategorialen Gegenständen – von Kategorien im traditionellen Sinn der generellen Metaphysik – macht nur dann Sinn, wenn einzelne, unterscheidbare Entwicklungsstufen des logischen Inhalts gedanklich fixiert werden. Dass es sich bei den Seinskategorien um allgemeinere Kategorien als die der Wesenslogik handelt und die Wesenslogik wiederum allgemeinere Kategorien als die Begriffslogik erörtert, dies ist eine in der Forschung grundlegend akzeptierte Charakterisierung des Verhältnisses der Kategorien zueinander. Dass die Kategorienfolge sich fortschreitend konkretisiert, dies ist jedoch durchaus im begriffslogischen Sinn, d. h. vor dem Hintergrund der Begriffsbestimmungen, zu verstehen. In gesamtlogischer Hinsicht ist die Methode eine Allgemeinheit, die sich schrittweise in den logischen Inhalt als in ihre Besonderheit einteilt. Daraus folgt jedoch, dass sich auch im Vorfeld der absoluten Idee eine jede Kategorie zu der ihr folgenden wie Allgemeinheit zu Besonderheit verhält. Dasjenige, was als logischer Inhalt zu beschreiben ist, d. h. die Kategorienfolge in ihrer Gesamtheit, ist somit eine in sich organisierte Einheit, deren konkrete Organisation, d. h. die Notwendigkeit ihrer Abfolge, nur im Rückbezug auf ein zugrundeliegendes einheitliches Formprinzip, im Rückbezug auf die Methode begreifbar ist. Leben und Organismus sind vor diesem Hintergrund durchaus Prinzipien, deren Behandlung im Rahmen des selbstreflexiven Denkens des Denkens gerechtfertigt ist, denn sie stellen zusammen mit der absoluten Idee die kategoriale Manifestation des allgemeinen Verhältnisses von Methode und Inhalt in der Logik dar. Dasjenige, was in der Logik als Methode zu verstehen ist, gemäß welcher der logische Inhalt entwickelt wird, erschöpft sich nicht in denjenigen Kategorien, die in der Reflexionslogik – dort nicht nur als formale, sondern auch als materiale Bestimmungen des logischen Inhalts – aus allgemeineren Kategorien deduziert worden sind. Vielmehr besteht die Methode in der Einheit von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion, den Reflexionsbestimmungen inklusive des Rückgangs in den Grund und der Darstellung dieses gesamten fortschreitenden Entwicklungsvollzugs als konkrete Allgemeinheit, d. h. als Syllogismus der Form A-B-E.28 Die Einheit von methodischer Formaktivität und sich im Fortgang transformierender 28 In der Interpretation der methodischen Struktur der dialektischen Methode als spekulativer Schluss der Form A-B-E stütze ich mich in erster Linie auf die Forschungsarbeiten von Düsing (u. a. Düsing (1986), S. 15–38.) sowie auf Schäfer (2001), insbesondere S. 219 ff.
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materialer Bestimmung macht den Inhalt aus. Der logische Inhalt ist demnach wesentlich Prozess. Die prozessuale Einheit seiner methodisch-formalen und seiner materialen Strukturaspekte ist auch dasjenige, was in Hinblick auf eine jede Kategoriengruppe derselben Entwicklungsebene gemäß den drei Momenten des Logisch-Reellen (Paragraphen 79–82 der Enzyklopädie) beschrieben werden kann.29 Es stellt sich dabei die Frage, mit welcher Art von Allgemeinheit in der absoluten Methode – und somit z. B. auch mit dem Denken des reinen Seins zu Beginn der Logik – der Anfang der fortschreitenden Entwicklung gemacht wird. Ist die Allgemeinheit analytisch oder synthetisch? Sind Besonderheit und Einzelheit in der Allgemeinheit enthalten? Sind die spezifische Differenz, die im Zuge der Dihairesis zu den Bestimmungen der Allgemeinheit hinzutreten muss, um die Besonderheit zu generieren, (erste Negation) sowie das Prinzip der Individuation, welches Allgemeinheit und Besonderheit zu einer Einzelheit vereinigt, (zweite Negation oder Negation der Negation) bereits in den Bestimmungen der Allgemeinheit angelegt? Diese Frage nach der Natur des logischen Inhalts und nach seinem Verhältnis zur Methode ist auch im Kontext der Auseinandersetzung Hegels mit Kant und mit dessen kritisch-restringierter Charakterisierung des intuitiven Verstandes verortet. In Hinblick auf das Verhältnis von Inhalt und Methode in der Logik zeigt es sich erstens, dass der allgemeine Anfang der Entwicklung bereits in sich widersprüchlich ist. So auch, wie zuvor dargelegt, das Gefüge von methodischen und inhaltlichen Bestimmungen, aus welchen sich das Denken des reinen Seins als die Negation aller Negation zusammensetzt: Das reine Sein, den notwendigen Anfang der Logik, als unbestimmte Unmittelbarkeit zu bestimmen, damit jegliche Negation zu negieren, ist bereits ein methodischer Akt, dessen immanente Widersprüchlichkeit ein positives Resultat aufweist. So ist die binnendifferenzierte Struktur des in sich widersprüchlichen Verhältnisses von reinem Sein und reinem Nichts in dem Allgemeinen, dem Denken des reinen Seins, mit dem der Anfang gemacht wird, bereits implizit enthalten. Dies ist das analytische Moment der absoluten Methode im Allgemeinen und spezifisch in ihrer Bestimmung als methodische Dimension des Anfangs der Logik. Der Gegenstand, dem die Besonderheit immanent ist und aus dem sie analytisch herausgehoben werden kann, ist hier das Allgemeine selbst. Das Allgemeine ist wesentlich sich auf sich beziehende Negativität. Im Kapitel zur absoluten Idee bemerkt Hegel somit analog, es müsse „das Unmittelbare des Anfangs an ihm selbst das Mangelhafte und mit dem Triebe begabt sein, sich weiterzuführen.“30 Zweitens muss der Widerspruch des allgemeinen Anfangs jedoch aktiv freigelegt und entwickelt werden. Dies geschieht dadurch, dass das noch abstrakt Allgemeine gedanklich fixiert wird, also Denken des Allgemeinen ist, und als materialiter je spezifisch bestimmter Inhalt durch den Vollzug seiner ihm immanenten metho 29
Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, TWA 8, S. 168–177. 30 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 555.
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disch-formalen Negationsstruktur sukzessive entwickelt wird. Es ist dies das synthetische Moment der Entwicklung. Von alleine analysiert und synthetisiert sich im Ausgang vom allgemeinen Anfang nichts, es teilt sich der Anfang nicht selbst in die Entgegensetzung seiner Momente ein, ohne dass das Denken des Allgemeinen aktiv vollzogen wird. Das Allgemeine muss gedacht werden, die ihm immanente reflexive Negation ist aktualiter durchzuführen. Nicht ist die Methode daher im Sinne eines Sets von Operatoren äußerlich auf den logischen Inhalt anzuwenden, sondern sie ist Vollzug seiner ihm als Form untrennbar innewohnenden Negativität. Resultat dieses ersten Negationsvollzugs ist daher auch nur die Explikation des bereits in sich widersprüchlichen noematischen Gehalts des Allgemeinen. Die Allgemeinheit ist somit konkrete Allgemeinheit – analytisch und synthetisch zugleich –, wenn Inhalt und Methode in ihrer Einheit betrachtet werden. Für alle Kategorien der Logik – mit ihrem je unterschiedlichen noematischen Gehalt – ist die Einheit der methodischen Dimensionen das allgemeine Formprinzip der Entwicklung des Inhalts. Fortschritt und Erkenntnisgewinn besteht in der Logik in der schrittweisen Deduktion von unterscheidbaren Strukturbestimmungen der Methode und in der Einteilung dieser methodischen Bestimmungen gemäß ihres Grades der Allgemeinheit. Die Allgemeinheit transformiert sich in ihrem dialektischen Fortgang über die Besonderheit hin zur Einzelheit und „bereichert und verdichtet sich in sich.“31 Das Verhältnis von Methode und Inhalt in der Logik ist analog zum Verhältnis von Seele und Leib im lebendigen Organismus zu bestimmen: Die innere Not wendigkeit des Fortgangs der Kategorienentwicklung – von der Allgemeinheit über die Besonderheit hin zur Einzelheit (und damit zur neuen Allgemeinheit höherer Stufe) – ist nur verständlich im Rückbezug auf die Methode als einheitliches Formprinzip. Nur so ist das synthetische Moment des Fortgangs – die Herausbildung der spezifischen Differenz und der Besonderheit (als erste Negation) sowie die Herausbildung der kategorialen Individuation und der Einzelheit (als zweite Negation oder Negation der Negation) – zu begründen. In der Seinslogik vollzieht sich diese aktive Explikation des Widerspruches durch das Agens der logischen Entwicklung so, dass die Besonderheit, in die das anfängliche Allgemeine sich einteilt, d. h. die einander entgegengesetzten Kategorien, ineinander übergehen. Die Bestimmungen der Reflexionslogik (setzende, äußere und bestimmende Reflexion) sowie die Reflexionsbestimmungen (Identität, Gegensatz, Widerspruch und Grund) sind in der Entwicklung der seinslogischen Kategorien zwar bereits Formbestimmungen des Inhalts, allerdings weist seine jeweilige materiale Bestimmung gegenüber seiner ihm immanenten Form dort noch strukturelle Defizite auf. Dass in der Seinslogik die methodischen Bestimmungen, die in der Entwicklung des logischen Inhalts als dessen Form notwendig in Gebrauch genommen sind, über die materialen Bestimmungen des Inhalts hinausgehen und gegenüber diesen von komplexerer Struktur sind, dies erkennt 31
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 569.
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der metareflektierende Philosoph daran, dass die seinslogischen Kategorien ineinander übergehen. Ihr widersprüchliches Verhältnis zu ihrem entgegengesetzten Anderen ist zwar Formbestimmung des übergeordneten Entwicklungsvollzugs, d. h. der Einheit von methodisch-formaler und materialer Bestimmung des Inhalts, aber noch keine materiale Bestimmung der seinslogischen Kategorien an sich. Durch die immanente und notwendige methodische Ingebrauchnahme des Widerspruches und der restlichen damit verbundenen methodischen Bestimmungen hören die seinslogischen Kategorien dem Inhalt nach auf, dasjenige zu sein, was sie sind. Erst mit Beginn der Wesenslogik hat sich der logische Inhalt in Hinblick auf seinen materialen Gehalt in ausreichendem Maß konkretisiert, sodass dieser hier mit dem Gehalt und der Struktur seiner reflexionslogischen methodischen Formbestimmungen konvergiert. Ausblickhaft sei darauf hingewiesen, dass sich mit dieser ersten Konvergenz von methodisch-formaler und materialer Bestimmung des logischen Inhalts zu Beginn der Wesenslogik auch die Struktur des dialektischen Prozesses ändert. Der dialektische Prozess in der Wesenslogik ist nicht länger das Übergehen-in-Anderes der unmittelbaren Kategorien des Seins, sondern das Scheinen-in-Anderes der komplexeren, in sich relationalen Kategorien des Wesens.32 Abschließend seien noch einige Bemerkungen zum Verhältnis von „Ableitung“ und „Rechtfertigung“ der Kategorien angeschlossen. In der Interpretation der Wissenschaft der Logik als spekulative Kategoriendeduktion fallen diese beiden Bedeutungen von „Deduktion“ zusammen. Das Sich-denken des Begriffs ist seine selbstbezügliche Einteilung. Die Logik ist Noesis noeseos im Sinn eines selbstbezüglichen Definitionsprozesses. Im Fortgang einer jeden Kategorie zur nächst spezifischeren werden die Kategorien auseinander abgeleitet. Gerechtfertigt wird ihre methodisch-formale Ingebrauchnahme auf früheren Stufen der Entwicklung dadurch, dass sie durch ihre Ableitung in die einheitlich logifizierte Bewegung des Absoluten eingebunden und in ihr spezifisch, d. h. als in ihrer Beziehung zu den restlichen Kategorien stehend, verortet sind. Gegenüber der Entwicklung des logischen Inhalts ist die Methode somit kein äußerliches Prinzip. Wenn Schelling in seinem System des transzendentalen Idealismus von einer Odyssee des Geistes33 spricht, im Rahmen derer der Geist im Durchlaufen seiner niederen Potenzen in der unbelebten und belebten Natur schrittweise zu sich kommt, sich als Organisationsprinzip der Natur begreift und jene Potenzen als die Momente seiner eigenen Genese erkennt, so lässt sich die teleologische Entwicklung der Hegelschen Logik metaphorisch als Odyssee der Methode betiteln bzw. als Odyssee des Geistes in dieser seiner logisch-spekulativen Hinsicht, als Odyssee des Geistes, der mit den Kategorien als den intelligiblen Formbedingungen seiner seinsbezogenen Erkenntnisprozesse sein Wesen denkt.34 Im Spannungsverhält 32
Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, TWA 8, S. 391. 33 Vgl. Schelling: System des transzendentalen Idealismus, S. 299. 34 Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 17.
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nis von methodisch-formalen und materialen Entwicklungsaspekten wird die materiale Seite des sich transformierenden und konkretisierenden logischen Inhalts der Struktur der sich auf allen Ebenen der Entwicklung einheitlich durchhaltenden Formaktivität schrittweise angenähert. Die Logik ist das sich in Sukzession vollziehende Konvergieren der materialen Bestimmungen des logischen Inhalts mit seinen methodisch-formalen Aspekten. Dieses allmähliche Konvergieren von Form und Materie des Logischen hat zur Folge, dass methodische Bestimmungen, die, wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit ansatzweise gezeigt werden konnte, bereits im Anfang der Logik als notwendige Momente der Entwicklung in Gebrauch genommen sind, selbst Betrachtung als eigenständige und in formaler wie materialer Hinsicht durchgängig bestimmte kategoriale Bestimmungen finden. Der Umstand, dass sich dies im Rahmen eines einheitlichen Entwicklungsprozesses vollzieht und die kategorialen Manifestationen der methodischen Bestimmungen dabei schrittweise aus je allgemeineren Kategorien abgeleitet werden, begründet zudem ihre jeweilige spezifische Eingliederung in das systematische Ganze der Denkbestimmungen und rechtfertigt damit ihre bis dahin unreflektierte, implizite Ingebrauchnahme als notwendige Formbestimmungen. Da die zugrundeliegende Methode sich – als Zweck – so schrittweise im logischen Inhalt realisiert, sich in selbstbezüglicher Anwendung aus einer Ordnung von allgemeineren Seins-, Wesens- und Begriffskategorien ableitet, begreift sie diese zurückliegende Ordnung schlussendlich als die Momente ihrer eigenen Genese. Die Selbstbezüglichkeit der Methode, d. h. die Einheit von Methode und Inhalt, und die ganze Komplexität dieser Gesamtstruktur, die sich stets in einem Spannungsverhältnis von impliziten und expliziten Entwicklungsmomenten vollzieht, begründet die Organisation der spekulativen Logik und die Notwendigkeit und Sprunglosigkeit des logischen Fortgangs. In der Notwendigkeit der Abfolge der Kategorienentwicklung ist die Methode als absolute Idee bei sich selbst im Anderen, begreift sich als die Seele zu diesem ihrem Leib und das logische System als die Geschichte ihres Selbstbewusstseins. Es ist dies die Selbsterkenntnisleistung des Geistes in seiner Bestimmung als logisch-spekulatives Subjekt, aufgrund derer die Methode sich in der absoluten Idee als Einzelheit des gesamten Prozesses der schrittweisen kategorialen Einteilung begreift; als Einzelheit, in welcher die Methode als Allgemeinheit und der Inhalt als Besonderheit zu ihrer Einheit gelangen. Dies ist der Ort, so Hegel, an dem „der Inhalt des Erkennens als solcher in den Kreis der Betrachtung eintritt, weil er nun als abgeleiteter [d. h. als deduzierter, L. H.] der Methode angehört.“35 Die absolute Idee ist, mit anderen Worten, die vollständige Konvergenz von methodisch-formaler und materialer Bestimmung des logischen Inhalts und damit die absolute Selbstbegründung des Logischen. Als finales Resultat des teleologischen Entwicklungsprozesses der spekulativen Logik, nicht nur als Leben und Organismus, sondern als in theoretischer Hinsicht sich-erkennendes und in praktisch-normativer Hinsicht sich-bestimmendes Leben 35
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 567.
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gelangen logische Methode und logischer Inhalt, Denken und Sein, subjektive und objektive Logik, Metaphysica specialis und Metaphysica generalis in Gestalt der absoluten Idee zu ihrer Einheit: „Die Methode selbst erweitert sich durch dies Moment zu einem Systeme.“36 Letztlich löst das Ende der Logik diejenige systematische These ein, die Hegel schon in der Einleitung dem eigentlich Vollzug der logischen Entwicklung vorausgeschickt hatte: Der Inhalt der Logik ist „die Darstellung Gottes […], wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.“37 Die ontotheologische Dimension der absoluten Idee besteht gerade darin, dass sie als absolute Subjektivität diejenige denkende Selbstbezüglichkeit ist, die sich im Seinsganzen selbst erkennt und sowohl das Seinsganze als auch sich selbst als gleichursprüngliche Momente ihres prozessualen Selbstbezugs bestimmend hervorbringt. Der Begriff des Seinsganzen bezieht sich in der Logik nicht auf eine ontische Erfassung alles Seienden, sondern meint in prinzipientheoretischer Hinsicht die Einheit der ontologischen Grundbestimmungen. Mit der Ontologie der Seins- und Wesenskategorien wird zunächst zwar das Andere des Denkens entwickelt und der Gang des Denkens ist daher zunächst ein Gang durch fremde Gefilde. Die Odyssee der Methode in der Logik ist aber keine Irrfahrt. Vielmehr ist im Denken des Denkens die Methode sich selbst Ariadnefaden im Vollzug eines selbstbezüglichen und teleologisch organisierten Bildungsprozesses, im Rahmen dessen sie sich in der Ontologie der Seins- und Wesensbestimmungen als in ihrem Anderen selbst erkennt und konkretisiert.
36 37
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 567. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 5, S. 44.
‚Transzendentale Deduktion der Kategorien‘: Kant und Hegel Von Klaus Erich Kaehler Gibt es bei oder für Hegel eine „transzendentale Deduktion der Kategorien“ oder zumindest etwas dieser Entsprechendes? Meine These ist, dass sich für Hegel die Aufgabe einer transzendentalen Deduktion im Sinne Kants gar nicht stellt, da die systematischen Voraussetzungen, aufgrund derer für Kant diese Aufgabe unvermeidlich und wesentlich ist, von Hegel zwar aufgenommen werden, doch darin zugleich eine Umdeutung von prinzipieller Tragweite erfahren. Es geht also bei unserer Frage nicht nur um dieses kantische Lehrstück, sondern zugleich um die „Architektonik“ und deren philosophieimmanente Genesis – oder zumindest die Suche nach einer solchen, die nämlich den grundbegrifflichen Wandel der großen Positionen begreifbar machen könnte. Da auch Kants transzendentale Wende mehr als ein origineller Einfall war, werde ich in der Darlegung seiner Position gelegentlich auch auf leibnizsche Grundbegriffe hinweisen, aus deren Wandel im kantischen Kontext sich die inhaltlichen Voraussetzungen für die Aufgabenstellung der „transzendentalen Deduktion“ ergeben. Angesichts der Fülle dessen, was dazu zu sagen wäre – und natürlich auch schon längst gesagt ist –, nehme ich zum Leitfaden die Grundfrage nach den verschiedenen Verhältnissen der Vernunft zu ihrem Anderen.
I. Kant: Zur systematischen Bedeutung der transzendentalen Deduktion Kant sagt von der transzendentalen Deduktion der Kategorien, sie solle „zuerst die Möglichkeit einer Metaphysik ausmachen“.1 Damit macht er das Gesamtziel seiner Philosophie, zumindest ihres theoretischen Teils, abhängig von dieser „transzendentale Deduktion“. Für die von Kant geradezu feierlich suspendierte Metaphysik, so für die Kant historisch nächstliegende Position Leibnizens, stellte sich die Ausgangssituation des Erkennens im endlichen Bewusstsein einer geschaffenen Monade etwa so dar: Die denkende Monade (mens, esprit) findet sich im Fluss ihrer Perzeptionen permanent bezogen auf etwas, welches sie als einen Gegenstand von sich zu unterscheiden vermag, indem sie dieses Etwas von ihrem Perzipieren auch abgehoben 1
Kant: Prolegomena, IV, S. 260.
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und unter eine Bestimmung gefasst hat, ein „Merkmal“, wie die Schullogik sagte. Ein solches Merkmal aber ist ein Begriff – das heißt für das endliche Subjekt: eine Bestimmung seines Denkens, die auf mehreres zutrifft, das außer dieser Gemeinsamkeit noch in vielerlei Hinsicht untereinander verschieden ist. Wie aber kann die denkende Monade die Gewissheit haben, dass ein bestimmter Begriff gerade auf einen gegebenen Inhalt ihrer Perzeptionen zutrifft, dass dieser Inhalt also unter jenen Begriff fällt? Ohne diese Gewissheit könnte kein Bewusstsein etwas als seinen Gegenstand wissen – nämlich so, dass dieses Etwas weder bloß ein beliebig Gedachtes, sondern etwas Wirkliches, dem Wissen selbständig Vorliegendes ist, noch etwas so völlig Heterogenes, Anders- und Fremdartiges, dass das Subjekt überhaupt nichts positiv von ihm wissen kann. In der Tat kann keine der vorkantischen Positionen des Subjekts auf diese Frage nach dem Grund der Gewissheit des endlichen Bewusstseins von seiner gegenständlichen Erkenntnis eine solche Antwort geben, die das Bewusstsein nicht über sich hinaus, außer sich selbst suchen müsste; denn alle Antworten, die Descartes, Spinoza und Leibniz gegeben haben, sind Antworten einer objektiven Metaphysik, in der das Subjekt selbst als ein Seiendes vorgestellt und in seiner realen Beziehung auf anderes Seiende begründet wird. Zwar hatte Leibniz bereits die prinzipielle Möglichkeit einer begrifflichen, also rationalen Bestimmung dessen, was präreflexiv bloß perzipiert wird, dadurch mit der subjektiven Selbstgewissheit verknüpft, dass er die gesamte Ordnung und Realität jeglichen Bewusstseins und seiner Gegenstände als ursprünglich aus einem Vernunftgrund hervorgehend annahm; und dieser Vernunftgrund war dann als solcher auch dem endlichen Subjekt im Allgemeinen, ex principiis, in seiner eigenen reflexiv zu entfaltenden „natürlichen“ Vernunft zugänglich. Aber gerade jenes Hervorgehen aller Realität konnte das endliche Subjekt dennoch niemals für und durch sich selbst rekonstruieren. Hinsichtlich der unendlichen verschiedenartigen Inhalte seiner Perzeptionen war das Subjekt deshalb unaufhebbar an diese nicht-rationalen Repräsentationsformen verwiesen. Solange aber jene übergreifende metaphysische Real-Begründung in Geltung war, war die Frage, wie und warum den sich unaufhörlich verändernden Perzeptionen überhaupt so etwas wie selbständige Objekte entsprechen können, immer schon, nämlich „im Allgemeinen“, beantwortet. Diese Frage brauchte deshalb nicht eigens gestellt zu werden; sie konnte gar nichts Beunruhigendes enthalten, galt doch jene Voraussetzung als Garantie für die prinzipielle Möglichkeit einer Übereinstimmung der oft verworrenen, meist sogar nur dunklen Perzeptionen mit etwas, das ihnen entsprach und das außer dem perzipierenden Subjekt mit eigener Realität existierte. Die Einschränkung, dass diese Übereinstimmung dem endlichen Bewusstsein, das von je seinen individuellen Perzeptionen ausgehen musste, gar nicht en détail einsichtig war, wurde somit erst dann zum Problem,2 als jene metaphysische 2 Im Rückblick auf Descartes: wieder zum Problem – doch hatte gerade Descartes ja nach der Entdeckung des Problems der realitas actualis (formalis) der bloß vorgestellten (obiec tivae) Sachgehalte den Weg über die transzendente Begründung festgelegt.
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Real-Begründung im göttlichen Garanten in Frage gestellt oder gar außer Kraft gesetzt wurde – so geschehen, als Kant mahnte, vor aller inhaltlichen Metaphysik zuallererst „die in der Vernunft befindliche Quelle derselben“3 zu untersuchen. Diese sich selbst untersuchende und wie Kant sagt: sich „ausmessende“ Vernunft4 ist im Vollzug das Subjekt der kantischen Position. Der Weg der Selbstvollendung des Subjekts als philosophischem Prinzip, der mit der Verselbständigung der ratio naturalis bei Descartes begann, musste auf jene ursprüngliche Frage des Entdeckers des Subjekt-Prinzips zurückführen, nachdem der Rekurs auf einen supramundanen Urheber als eine äußere, weil im Wissen selbst nicht einholbare Voraussetzung reflektiert war. – In einem viel zitierten Brief aus dem Jahre 1772 sah Kant sich vor die Frage gestellt: „… auf welchem Grunde beruht die Beziehung desjenigen, was man in uns Vorstellung nennt, auf den Gegenstand?“ (X, 130). Diese Frage ist nun – nach der Verabschiedung der gesamten objektiven Metaphysik – „der Schlüssel zu dem ganzen Geheimnisse der sich selbst noch verborgenen Metaphysik“ (X, 130). Der gesuchte „Grund der Beziehung“ der Vorstellung auf den Gegenstand muss ein Erkenntnisgrund sein, der es erlaubt, Metaphysik als Wissen, d. h. im Erkennen des Subjekts dieses Wissens selber, zu begründen. Indem Kant die Bedingungen und Formen der endlichen Erkenntnis von Leibniz aufnimmt und transformiert, überantwortet er – in gebrochener und begrenzter Form – dem Subjekt der Vorstellung die grundlegende methodische Funktion, welche die real-metaphysisch gedachte Ultima Ratio für das endliche Erkennen hatte. Kant weist nun das Subjekt selber als jenen gesuchten Grund der Beziehung auf den Gegenstand aus, indem er ihn aus dem internen Zusammenspiel der Vermögen und ihrer höchsten Vollzugseinheit, der „ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption“ erklärt. Zunächst ist die Grundverfassung des Subjekts, die Kant nun voraussetzt, daraufhin zu bestimmen, dass es insgesamt und durchgängig auf Anderes seiner selbst bezogen ist, zugleich aber in den Zuständen seines Bezogenseins – also je unmittelbar in Anschauungen – das, worauf es sich bezogen findet, selbsttätig zu bestimmen vermag. Nach beiden Seiten, dem Bezogensein wie der Bestimmung, kann aber überhaupt etwas für das Subjekt nur da sein nach Maßgabe der allgemeinen Verfassung des Subjekts an ihm selbst. So vollzieht es schon sein Empfangen von etwas, das ihm als gegeben erscheint, unter Formen, die für alles gelten, was nur immer gegeben sein mag. Diese universalen Formen der Rezeptivität des Subjekts können keine anderen sein als die vormals allgemeinsten Ordnungsformen, unter denen alle Perzeptionen endlicher Monaden sich vollziehen: Die Form der inneren Repräsentationen als subjektiver Zustände und die Form der äußeren Repräsentation von Anderem, was nicht in der Monade ist.5 Die erste Form ist die Zeit, die zweite der Raum. So vollzieht sich alle Rezeptivität, deren das Subjekt
3
Kant: Prolegomena, IV, S. 377. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur 2. Auflage XXIII (III: 15). 5 „Sed perceptio nihil aliud est, quam illa ipsa repraesentatio variationis externae in interna.“ (Leibniz: GP VII, S. 329 f.) 4
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fähig ist, in dieser Differenz, die durch die Reflexionsbegriffe des Inneren und Äußeren als transzendentaler Formunterschied bestimmt werden kann. Diese Formen sind somit, in ihrer Relativität auf das Subjekt, die Bedingungen, unter denen überhaupt etwas dem Subjekt als gegeben erscheinen, weil „unbestimmter Gegenstand“ der empirischen Anschauung sein kann. Dabei sind sie zwar als Formen a priori gänzlich unabhängig von dem, was je gegeben sein mag, so dass sie in der Reflexion als reine Formen bestimmt und thematisiert werden können, unter Abstraktion von der Materie und der korrespondierenden Empfindung. Da jedoch dieses Aposteriori – dasjenige, wovon die reinen Formen der Anschauung in ihrer Bestimmtheit unabhängig und gegen dessen qualitative Mannigfaltigkeit sie indifferent sind, – da also dieses ganze materiale Aposteriori die Bedingung der Wirklichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände ist, so sind die reinen Formen der Anschauung Bedingungen nur ihrer Möglichkeit. Zur Wirklichkeit einer realen Erfahrung können diese Bedingungen nur dadurch werden, dass etwas hinzukommt, das als solches nur dem Vermögen der Sinnlichkeit zugänglich ist (Kants „Affektion“), durch Denken im Sinne Kants hingegen weder antizipiert noch gar erzeugt werden kann. Darum betont Kant: „Die Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine Weise“6 – sie bedarf ihrer nicht, um Anschauung zu sein und als solche vollzogen zu werden; wohl aber bedarf sie „der Funktionen des Denkens“, um Erkenntnis zu werden – und damit sind wir bei dem basalen Argument der transzendentalen Deduktion: Das in einer Anschauung und ihren Formen a priori Gegebene – Kants „Mannigfaltiges“ – würde gar nicht als solches vorgestellt werden, d. h. da sein für das Subjekt, wenn es nicht auch in der Zeit als Sukzession von Eindrücken unterschieden würde – „denn als in einem Augenblicke enthalten kann jede Vorstellung niemals etwas anderes als absolute Einheit sein“7. Unterschieden aber wird das Mannigfaltige nur, indem es durchlaufen und zudem verknüpft wird, und so erst als Mannigfaltiges in einer Vorstellung erfasst wird. Diese Synthesis ist eine für alles Bewusstsein notwendige subjektive Leistung. Sie ist immer das Produkt einer Tätigkeit, die nicht dem Gegebenen als solchem, sondern nur dem Subjekt entspringen kann. Das Subjekt übt seine Tätigkeit, die Spontaneität des begrifflichen Denkens, am Gegebenen aus, um es dadurch erst zu einem Gegenstand seines Bewusstseins zu machen. Die ursprüngliche Unabhängigkeit des in Anschauungen Gegebenen vom Denken und seine Unerschöpflichkeit durch Begriffe a priori bleiben darin erhalten als Voraussetzungen für die Anerkennung des Unterschieds zwischen Gegenstand und Vorstellen. Daraus wird aber zugleich umgekehrt ersichtlich, warum die Begriffe a priori ohne Bezug zum Mannigfaltigen der Anschauung keine objektive Realität beanspruchen können – warum also für sie eine „transzendentale Deduktion“ notwendig
6 7
Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 123. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 99.
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ist. Ihre Erkenntnisleistung ist nun mit ihrer logischen Funktion gerade nicht mehr eo ipso gesichert. Wenngleich die ersten Begriffe allein im reinen Verstand, und damit in der reinen subjektiven Spontaneität, entspringen, so ist ihre Realität, ihr Sachgehalt, nicht damit bereits gegeben wie im Denken der Ideen der leibnizschen Vernunft, deren Ursprung allein die eine absolute Wirklichkeit der Ultima Ratio war. Vielmehr können die im diskursiven Denken des endlichen Vernunft-Subjekts erzeugten Kategorien nur dadurch Realität erhalten, dass sie nicht nur als bloß logische „Gedankenformen“8, sondern als jene synthetischen Einheitsformen für das in der bloßen Anschauung zusammenhanglos Gegebene, ja für jeglichen Zusammenhang aller Sukzession im inneren Sinn, vollzogen werden. Der Nachweis, dass und wie diese Bestimmung des Gegebenen zum Gegenstand in der synthetischen Einheit des Begriffs möglich ist, bedeutet deshalb auch erst die transzendentalmethodische Rechtfertigung der reinen Verstandesbegriffe. Erst die Synthesis des Mannigfaltigen in einer Anschauung bringt das darin Gegebene (wie eigentlich auch die Anschauung selber) zum unterscheidenden Bewusstsein: In der Verknüpfung des Mannigfaltigen vollzieht sich das tätige Subjekt, und dieser Vollzug der Synthesis, als einer Selbsttätigkeit des Subjekts, ist auch überhaupt erst dasjenige, wovon ein Korrelat als Anderes zum Selbstvollzug abgehoben werden kann. Das derart Unterschiedene, vom subjektiven Vollzug Abgehobene aber muss als Eines gefasst werden; so nur ist es ein bestimmter Gegenstand. Solche einigende Bestimmung, also synthetische Einheit, ist der Begriff. Der Vollzug der synthetischen Einheit eines Begriffs ist somit die Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand, weil dieser nur in der so getätigten Beziehung überhaupt sein kann. Die explizit gedachte synthetische Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen ist die Bestimmung im Bewusstsein selbst, durch die das, was äußerlich angeschaut wird, erst als bestimmter Gegenstand vorgestellt wird. Vermöge dieser gedachten und denkbaren Bestimmung kann in allen Anschauungen eben dieser Gegenstand wiedererkannt werden. Mit dieser transzendental-logischen Funktion ist der Begriff als Bewusstsein bestimmter synthetischer Einheit eine Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes in der Erfahrung. Der bewusste Vollzug der Einheit übergreift jeweils den Vollzug der Synthesis in der Apprehension und in der Einbildungskraft. Auch diese sind schon nur dann bestimmte Vorstellungen, wenn sie Eines (Zusammengehöriges, aber in der Komplexion Unterscheidbares) vorstellen. Aber erst der durchgängige Vollzug der Einheitsbestimmung am Mannigfaltigen bringt das Zusammenfassende als solches zum Bewusstsein. Der Begriff, isoliert von dieser seiner objektiven Realität, d. h. als bloß logische, nicht transzendental-logische Einheit, ist die untergeordnete analytische Einheit. Um den Grund der Beziehung des Bewusstsein resp. der Vorstellung auf den Gegenstand aus dieser Struktur zu erklären, kommt es darauf an, wie der Vollzug
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Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 148.
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der synthetischen Einheit eines Begriffs selber möglich ist. Dieser Vollzug setzt voraus: 1. ein gegebenes Mannigfaltiges, 2. eine Verbindungsleistung; 3. die Einheit des Bewusstseins in allen Momenten dieser Verbindung und damit der Verbindung als ganzer. Denken wir die Einheit eines Begriffs und damit des Bewusstseins seiner Synthesis nicht nur als die Einheit dieses oder jenes Begriffs, sondern als eine Einheit, die für alle Begriffe gleichermaßen gilt, somit auch für die synthetische Einheit allen begrifflichen Denkens überhaupt, so haben wir den Gedanken der Einheit des Bewusstseins in allem bestimmten Bewusstsein überhaupt gefasst – den Gedanken der äußersten Bedingung der Möglichkeit jeglicher Beziehung von Vorstellungen auf Gegenstände überhaupt. Diese gründende und einigende Einheit ist die bereits erwähnte „transzendentale Einheit der Apperzeption“, die Kant deutlicher auch „ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption“ nennt (§ 16).9 Das im Vollzug der synthetischen Einheit der Apperzeption sich konstituierende Subjekt ist, als endliches, durch Sinnlichkeit bezogen auf unvordenklich Ge gebenes, doch unbedingt selbsttätig als Vernunft-Subjekt. Diese komplementären Bestimmungen ergeben erst zusammen diejenige Verfassung des Subjekts, durch die seine Erkenntnis, d. h. seine bewusste Beziehung auf Anderes, den bestimmten Gegenstand, a priori begründet werden kann. Die eine Seite, die der äußeren Bedingtheit und Endlichkeit, besteht zwar nur in der Beziehung auf die andere, die unbedingte, die darin eine Vorgabe aufnimmt, sich aneignet und aus eigener Kraft bestimmt. Aber nur dank dieser Vorgabe gibt es für das erkennende Subjekt überhaupt etwas, das es als seinen Gegenstand wissen kann und in dessen Erkenntnis es zugleich sich selbst konstituiert. Zwar wird das Gegebene nur vermöge der innersubjektiv auf es ausgeübten Selbsttätigkeit des aufnehmenden Subjekts überhaupt erst zum Gegenstand; Aufnehmen eines Gegebenen und Bestimmen desselben zum Gegenstand haben ihren gemeinsamen Grund in der verbindenden und durchgängigen Einheit des Bewusstseins – diese ursprünglich-synthetische, unterscheidend-verbindende und einigende Einheit ist das Subjekt nach der transzendentalen Wende. Aber gerade weil das, was im Vollzug der Spontaneität überhaupt verknüpft und als Gegenstand unterschieden werden kann, nicht schon im Subjekt selbst liegt oder ursprünglich, in seinem Gegebensein überhaupt, von ihm erzeugt werden kann, kann die Einheit des sich vollbringenden Subjekts als Grund nur eine synthetische Einheit sein, die nämlich fortwährend resultiert aus den aufnehmenden, verbindenden und vereinigenden Leistungen, in denen das Subjekt seine Gegenständlichkeiten konstituiert und genau nur darin zugleich sich selbst verwirklicht. – Von diesem systematischen Resultat der transzendentalen Deduktion bei Kant schauen wir nun auf Hegels „Begründung, Kritik und Aufhebung … .“
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Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131–136.
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II. Hegel: Begründung, Kritik und Aufhebung des transzendentalen Wissens in der Wirklichkeit des Geistes In den Formen des Idealismus vor Hegel hat alles gegenständliche Erkennen zwar Bedingungen a priori, die der nichtempirischen Natur des erkennenden Subjekts selber entspringen. Insoweit ist das Subjekt Grund der Möglichkeit alles Empirischen, subjektiv und objektiv. Doch dieser Grund ist nicht absolut, denn er kann nicht allein durch sich selbst zur Erkenntnis führen und Erkenntnis hervorbringen. Das Hinzukommende muss als für das Denken und Begründen a priori unverfügbar vorausgesetzt werden. Zwar kann es nur da sein, sofern es schon Moment des Bewusstseins ist; aber darin ist es doch ein dem Denken heterogenes Element – gerade dieses gilt als unverzichtbar dafür, dass Denken sich auf einen realen und wirklichen Gegenstand bezieht und so erst zum wirklichen Erkennen wird. Auch das transzendentale Wissen, das diesen Unterschied festhält, und d. h. begrifflich fasst, erkennt zwar den Momentcharakter des Sinnlichen im Bewusstsein und für es; das heißt, es erkennt die Unselbständigkeit des Sinnlichen in der Gegenstandskonstitution. Aber mit dieser Erkenntnis zieht es gerade nur die Grenze zwischen dem, was am wirklichen gegenständlichen Wissen in der Form des Bewusstseins dem Denken zu verdanken ist und was der Sinnlichkeit bzw. dem Gegensetzen. Daraus ergibt sich, welche Formen des Denkens in welcher Weise einen Beitrag zur gegenständlichen Erkenntnis leisten.
1. Bewusstsein und erscheinendes Wissen Im Unterschied hierzu beginnt Hegels kritische Darstellung der Erfahrung des Bewusstseins bei dem gegenständlich konkreten Bewusstsein, das immer schon eine Einheit von Apriori und Aposteriori ist. Im schrittweisen Rückgang in den absoluten Grund dieses Bewusstseins werden ihm seine internen notwendigen Bedingungen als selbst gesetzte Voraussetzungen aufgewiesen, unter denen es sich jeweils auf eine entsprechend bestimmte Gegenständlichkeit bezieht. So nimmt Hegel die Endlichkeit auf, wie sie sich in Bewusstseinsverhältnissen für das jeweilige Bewusstsein selbst zeigt. Dessen Selbstreflexion führt nach und nach, über viele Stufen, auf denen der vorgestellte Sachgehalt immer umfassender und inhaltlich bestimmter wird, zu der Erkenntnis, dass in seinen Gegenständlichkeiten keine unverfügbare fremde Vorgabe liegt, durch welche dem Begriff erst Realität gegeben werden müsste, dass vielmehr ihre Realität im bestimmenden Vollzug des Subjekts selber liegt. Indem das Bewusstsein diese Einsicht von Grund auf und im Ganzen vollzieht, hebt es seine differentielle Seinsweise – als Dasein des Geistes ist Bewusstsein die Entzweiung in Wissen und Gegenstand – auf und erfasst seinen wahren Begriff als „Geist“, der „seinem vollständigen und wahren Inhalte zugleich die Form des Selbst gibt und dadurch seinen Begriff ebenso realisiert, als er in
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dieser Realisierung in seinem Begriffe bleibt.“10 Von diesem Resultat her ist diese Selbstaufhebung dann zugleich als die positive Selbstvermittlung des Absoluten, das der Geist als Geist ist, zu begreifen. In dieser spekulativen Doppelbewegung gewinnt das Subjekt seine Wahrheit und wird wirklich in dem emphatischen Sinne, dass es die absolute Immanenz in aller Endlichkeit als seiner Erscheinung ist. Die11 Wissenschaft des erscheinenden Wissens, dieses ewige Selbstwerden des absoluten Subjekts, in dem es sich ebenso entäußert wie zugleich in dieser Entäußerung zu sich kommend sie aufhebt und sich erinnert zum vollendeten Für sichsein, um darin sein reines Sich-Wissen oder die absolute Wissenschaft zu entfalten – diese Phänomenologie des Geistes also enthält sowohl das gegenständliche als auch das transzendentale Wissen, und zwar so, dass beides gerade in seiner Verschränkung, als jeweils verschieden erfüllte und bestimmte Einheit des empi rischen und des reinen Bewusstseins oder des Aposteriori und des Apriori, aufgewiesen wird. Die fortschreitende Aufhebung von Voraussetzungen der Gegenständlichkeit, d. h. die kritische Enthüllung dieser Voraussetzungen als Setzungen des Subjekts selber ist zwar über die Kritik der Inhalte des gegenständlichen Vorstellens geführt, sie mündet aber auf jeder Stufe in die Kritik der diese Inhalte jeweils ermöglichenden Formen. So werden die Formen nicht in transzendentaler Reflexion aus der von allem Aposteriori isolierten reinen Subjektivität entwickelt, sondern an den Bewusstseinsweisen selber aufgewiesen, zugleich allerdings wieder als ihrerseits bedingt durch höhere, umfassendere Formen, bis zu derjenigen Form, die alle anderen Formen und damit auch alle Inhalte überhaupt erst möglich macht. Dies ist die Form des reinen Begriffs, der absolute Grund allen Wissens, des gegenständlichen wie des transzendentalen. Dieser Grund ist also der Geist als das Selbst, das sich in der Form des reinen Begriffs weiß. Dies ist somit auch die Form der wahren Wirklichkeit, die alle Möglichkeiten trägt, zugleich aber sie auch in ihrer Bestimmtheit als Momente realisiert, nämlich als die bestimmten Bewusstseinsformationen, deren notwendiger Zusammenhang eben nichts anderes ist als die Erscheinung, das Fürsichwerden der substantiellen, alle Momente tragenden und umfassenden Wirklichkeit des Geistes.
2. Spekulative Begründung des transzendentalen Wissens So begriffen, sind die Formen, in denen als impliziten Voraussetzungen von Gegenständlichkeit das Bewusstsein allein gegenständliches Wissen hat, Momente des absoluten Begriffs. Diese Momente sind die bestimmten Begriffe. Im Bewusstsein und damit auch im erscheinenden Wissen aber sind sie noch nicht aus ihrem Grund abgeleitet und begriffen. Sie müssen als implizite Voraussetzungen des endlichen Wissens noch aufgewiesen und in ihre reine Begriffsform zurückgeführt 10
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 582. Von hier an wird in leicht überarbeiteter und gekürzter Form der Text S. 509–515 aus Kaehler (2010) übernommen. 11
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werden, worin sie erst ihre immanente Vermittlung und spekulative Gültigkeit erhalten. Als transzendentale sollten sie zwar unbedingte Denk- und Anschauungsformen sein, jedoch Gültigkeit nur im Sinne von objektiver Gültigkeit haben, d. h. nur in der Beziehung auf mögliche Erfahrung und ihre Gegenstände. Mit der Rückführung der transzendentalen Formen in den absoluten Grund des Subjekts kehrt sich das Verhältnis ihrer internen Unbedingtheit zur äußeren Bedingtheit, ihrem Bezogensein auf Anderes, um: Unbedingt sind sie gerade nur in der Negativität des absoluten Begriffs als dessen eigene, selbst erzeugte Momente. Durch diese Negativität, kraft ihrer Begriffsnatur, entfalten sie sich an ihnen selbst zu jenem dialektischen Vermittlungszusammenhang, der die absolute Wissenschaft ist. Darin aber sind die bestimmten Formen nicht auf solches Anderes bezogen, das ihnen äußerlich und in seinem Gegebensein heterogen wäre. Ihre Wahrheit liegt somit nicht in einer transzendentalen Bedeutung für die Möglichkeit dieses Anderen, der materialen Erfahrung, sondern gerade umgekehrt in ihrer Aufhebung und ihrem Aufgehobensein in der sich wissenden Totalität der Vernunft. Diese ist die eigentliche, wahre Wirklichkeit – diejenige, von der Hegel sagt, sie sei „das Reich, das er [der Geist] sich in seinem eigenen Elemente erbaut“12. Hierin ist der Prinzipcharakter des methodischen Vernunft-Subjekts der kantischen Position vollendet, auf das von Anfang an die Bedingungen der Möglichkeit des Anderen zum Subjekt, also seiner Objektivität, gegründet waren. Diese Gründung ist aber erst dadurch auch zureichende und vollständige Begründung, dass sie ebenso als Zurückführung des Anderen in seinen Grund wie als die Hervorbringung dieses Anderen aus diesem Grund zum vollständigen begreifbaren Inhalt der derart spekulativen Wissenschaft ausgeführt und dargestellt wird. Man könnte schlagwortartig sagen: Die transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung haben nicht bloß empirische, sondern eben darin immer schon spekulative Realität.
3. Begründung als Kritik Die spekulative Begründung des vormaligen transzendentalen Wissens impliziert also eine Kritik: Sie kritisiert die grundlegende Selbstbegrenzung des transzendentalen Wissens, indem sie das Andere, auf das hin es sich begrenzt hat, also das empirische Bewusstsein und seine vermeintlich realen Gegenstände, als selber abkünftig, unselbständig und begründungsbedürftig erweist. Zwar verläuft dieser Erweis – in der Phänomenologie des Geistes – durch diejenigen Formen hindurch, die auch das transzendentale Wissen bereits als Bedingungen wenigstens der Möglichkeit des Empirischen geltend gemacht hat; aber die Begründung bleibt nicht bei diesen Formen stehen, um sie dann etwa wieder zurückzuwenden auf das, wofür sie Bedingungen sein sollen. Es ist eben diese Rück-bindung an eine 12
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 29.
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unvordenkliche Vorgabe, durch die das transzendentale Wissen sich selbst begrenzt und den Spielraum dessen, was durch bloß notwendige Bedingungen nicht schon mitbestimmt ist, als das a priori unverfügbare Andere erst affirmiert. Die Kritik, die die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins durchführt, ist schon hier radikaler als die sog. Erkenntniskritik, als welche zumindest Kants transzendentaler Idealismus auch von spekulationsfeindlichen Positionen immerhin noch akzeptabel scheint, d. h. aber eigentlich bloß: vereinnahmt wird. Die spekulative Kritik des gegenständlichen Wissens führt dieses nämlich, wie ausgeführt, vollständig in den Grund zurück, der selber nicht mehr Gegenstand im Sinne des Bewusstseins sein kann: das sich als Substanz wissende und vollbringende Subjekt. Damit geht diese Kritik in doppelter Weise über die transzendentale Erkenntniskritik hinaus: Zum einen, indem sie das gegenständliche Wissen gänzlich auf die Wahrheitsbedingungen festlegt, die der transzendentalen Kritik als bloß notwendig galten; und sodann, indem es auch diese Bedingungen der Gegenständlichkeit überhaupt, die von jeder Bewusstseinsgestalt zunächst als ihr jeweiliges Ansich vorausgesetzt werden, wiederum insgesamt als unselbständige Momente des absoluten Wissens, der reinen Wissenschaft, erweist. So vollbringt der gesamte Gang der Phänomenologie des Geistes die Kritik des gegenständlichen und des transzendentalen Wissens als deren Begründung, in der diese Wissensweisen zugleich nur gelten als aufgehobene. Der Sinn solcher Geltung aber lässt sich, wie diese gesamte Begründung, nur spekulativ begreifen: als der doppelseitige Prozess der Darstellung des erscheinenden Wissens, die als Wissenschaft in einem der Weg der Erfahrung des Bewusstseins, das zum wahren Wissen sich bildet, und das Fürsichwerden der geistigen Substanz ist.
4. Aufhebung als Transformation An dieser Kritik, die in der aufhebenden Begründung des transzendentalen Wissens liegt, lässt sich der grundlegende Wandel erkennen, den das Prinzip Subjekt in dieser metaphysischen Wende zum spekulativen Wissen erfährt: Entscheidend ist, um es noch einmal hervorzuheben, dass schon die scheinbare Wiederholung der transzendentalen Begründung innerhalb des erscheinenden Wissens zugleich eine Aufhebung ist: Das, was das Bewusstsein zuerst jeweils für das Ansich seines gegenständlich intendierten Wissens hält, z. B. am Anfang des Ganzen die Form der sinnlich-einzelnen Unmittelbarkeit, wird erkannt als bloßes Für-es-Sein, also als Voraussetzung dieses Bewusstseins selbst, um dann aufgehoben zu werden als unselbständiges Moment der nächsten höheren Gegenständlichkeit: In der Wahrnehmung wird dies Wahre, der Maßstab für das bestimmte Wissen vom Gegenstand, gesetzt in die einfache Vielheit, d. h. die sinnliche Allgemeinheit, oder auch: die Unmittelbarkeit von Unterschiedenem. Das Moment des Sinnlichen darin hat kein anderes Bestehen als nur dieses Aufgehobensein, die „Idealität“ als Seinsweise des ontologisch Unselbständigen. Auch das in der nächsten Bewusstseins-
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gestalt, der Wahrnehmung, subjektiv vorausgesetzte Ansich erfährt diese Aufhebung, und ebenso alle weiteren Formen der verschiedenen Gegenständlichkeiten, unter denen entsprechende Gegenstände etwas „für“ das Bewusstsein sein können. Durch den methodischen Prozess, in dem diese Formen jeweils selbstreflexiv aufgedeckt werden, werden sie also in die hierarchische Ordnung fortschreitender, immer höherer Aufhebung gesetzt. Sind im transzendentalen Wissen die Formen oder „Bedingungen“ der Erfahrung einander prinzipiell gleichwertig, mit jeweils irreduziblen Funktionen, zugeordnet, so lässt dagegen die geist-phänomenologische Aufhebungsbewegung nur übrig, d. h. bewahrt nur auf, was sich schließlich in der Form des reinen Begriffs „festhalten“ lässt, wie es im Schlusskapitel der Phänomenologie des Geistes heißt. Die umfassendste Form jeglichen Bewusstseinsvollzugs, die von Anfang an allen Gestalten des Bewusstseins zugehören musste, nämlich die Zeit, wird deshalb, – eben weil sie alle Formen endlichen Wissens mitbestimmt, also für die Totalität des erscheinenden Wissens wesentlich sein muss – auch gar nicht innerhalb des Prozesses, sondern erst an seinem Ende begriffen. Dort nämlich kann sie unmittelbar auf den erreichten Begriff bezogen, d. h. in ihm aufgehoben werden: „Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist und als leere Anschauung sich dem Bewusstsein vorstellt; deswegen erscheint der Geist notwendig in der Zeit, und er erscheint solange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfasst, d. h. die Zeit nicht tilgt. Sie ist das äußere angeschaute, vom Selbst nicht erfasste reine Selbst, der nur angeschaute Begriff; indem dieser sich selbst erfasst, hebt er die Zeitform auf, begreift das Anschauen und ist begriffenes und begreifendes Anschauen.“13
Die entsprechende umgekehrte Bewegung ist dann die, die nicht von der Zeit, sondern von dem in seinem Begriff vollendeten Geist ausgeht. Diese Bewegung wird im vorletzten Absatz der Phänomenologie des Geistes, im Zusammenhang mit der spekulativen Notwendigkeit des erscheinenden Wissens als solchem, bestimmt als die Entäußerung des reinen Selbst, die der Geist außer sich anschaut; und entsprechend ist der Raum diese Entäußerung, sofern der Geist in ihr sein Sein anschaut. Gegenüber dem transzendentalen Standpunkt ist hiermit sogleich klar, dass Raum und Zeit nicht als bloße Formen der Anschauung, unabhängig von Selbstbewusstsein und Denken, bestimmt werden, sondern wieder eine ontologische Bedeutung erhalten – aber nun zugleich nur nach Maßgabe ihres Verhältnisses zur absoluten Wirklichkeit des Subjekts. So wie die Zeit im Resultat des Fürsichwerdens und Erscheinens des Geistes, also im absoluten Wissen, „getilgt“ wird, wie es hieß, so werden überhaupt alle zum begreifenden Denken heterogenen Qualitäten und Aspekte, alles durch Sinnlichkeit ohne Spontaneität Gebbare, „getilgt“ – dieser ganze „empirische Stoff“14 trägt nicht als solcher zur Wahrheit bei, nämlich nicht, „wie er außer und vor dem Begriffe erscheint, […] sondern
13 14
Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 584. Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 258.
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allein in seiner Idealität und Identität mit dem Begriffe“15. So „aufgehoben“ zu Momenten des übergreifenden Vermittlungszusammenhangs sind die sinnlichen Qualitäten transformiert in die Besonderungen des Begriffs überhaupt. Führte bei Kant die Frage nach dem Ursprung des zum Denken Heterogenen oder nach dem Grund seines Auftretens im endlichen Bewusstsein überhaupt in die Problematik des „Dinges an sich“, so hat Hegel hierauf die Antwort, dass die Beschränkung des Denkens, die bei Kant erzwungen wird durch die Irreduzibilität der für Erkenntnis gleichermaßen notwendigen, weil Realität gebenden Anschauung, – woraus sich eben die eigene Aufgabe einer „transzendentalen Deduktion der Kategorien“ ergibt, – dass also diese Beschränkung des Denkens entfällt, da es sich in und durch sich selbst differenziert, als Realisierung des Wesens der absoluten Subjektivität, näher als „Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst“16, wie Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes formuliert. So hat das zur „Wissenschaft der Logik“ ausgeführte „absolute Wissen“ als Wissenschaft der ‚absoluten Form‘ ihre Realität bereits in sich selbst, nämlich in den „unterschiedenen Bestimmungen der Begriffe“, welche den Inhalt der Logik ausmachen: „[…] der Begriff, indem er nicht die triviale, leere Identität ist, hat in dem Momente seiner Negativität oder des absoluten Bestimmens die unterschiedenen Bestimmungen; der Inhalt ist überhaupt nichts anderes als solche Bestimmungen der absoluten Form, – der durch sie selbst gesetzte und daher auch ihr angemessene Inhalt.“17
5. Ausblick Damit, so scheint es, ist das Subjekt zu seiner höchsten, unüberbietbaren Machtfülle gelangt, – aller Fremdheit ledig, alle Wirklichkeit in und durch sich selbst, in der vollkommenen Durchsichtigkeit seines reinen Sich-Wissens, vollbringend. Wenn jedoch die wahre Totalität nicht nur der Geist in seinem absoluten Sich- Wissen, sondern ebenso in seinem ewigen Sich-Erscheinen, also Entzweien und Aufheben dieser Entzweiung und ihrer Endlichkeit ist, dann ist auch sein Sich-Wissen, d. h. seine spekulative Wirklichkeit nicht vollendet, wenn er jene Endlichkeiten nicht auch begreifend, aus und in der Bestimmtheit des Begriffs und somit aus sich selbst, hervorzubringen vermag, um darin erst seine vollkommene Selbsterkenntnis zu gewinnen. Diese Aufgabe verlangt die Darstellung nicht nur der rein immanenten Selbstentfaltung und Selbstvermittlung des absoluten Wissens in der „Wissenschaft der Logik“, sondern darüber hinausgehend die produktive Wiederholung – Wiedererrichtung – der bestimmten Bewusstseinsformationen mit ihren mannigfaltigen Inhalten, die im erscheinenden Wissen nur aus der geschichtlichen Bildung des natürlichen Bewusstseins aufgenommen werden. Solche Rekonstruktion aber ist nur durchzuführen als begriffliche Konstitution des Endlichen, sowohl 15
Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 264. Hegel: Phänomenologie des Geistes, TWA 3, S. 23. 17 Hegel: Wissenschaft der Logik, TWA 6, S. 265. 16
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der Natur als auch der Bereiche des endlichen Geistes, d. h. des Geistes überhaupt, sofern und so wie er existiert als nicht-absoluter, sich selbst nicht vollkommen adäquat wissend. Die Sphären des Endlichen und die entsprechenden Gestalten des Bewusstseins würden hierin nicht nur als „natürliche“ aufgegriffen, um sie dann ins erscheinende Wissen zu integrieren und in dessen Vollendung nach Maßgabe ihres Wahrheitsgehalts aufzuheben, sondern sie wären allererst zu setzen, d. h. in realphilosophischer Begrifflichkeit zu gewinnen und im Gesamtzusammenhang des spekulativen Wissens zu bestimmen, um sie dann in der fortschreitenden Hervorbringung jeweils höherer Stufen wahrhaft aufzuheben. In dieser Form der Selbstvollendung des Subjekts als sich wissende Produktion aller wahrheitstauglichen Realität, hat Hegel sein späteres „System der philosophischen Wissenschaften“ zur Darstellung gebracht. Aus dieser Darstellung gilt es zu begreifen und zu bedenken, was es mit Anspruch und Wirklichkeit des absoluten Subjekts in seiner Selbstvollendung auf sich hat; damit aber auch, ob und wie nicht auch diese Vollendungsposition des neuzeitlichen Prinzips der Ersten Philosophie über sich hinausweist, gerade weil sie als vollendete Position auf ihre Grenze festgelegt ist, und so jeden Unterschied zu sich vom Ganzen ihrer Wahrheit ausschließt – den Unterschied, der mit der Entäußerung, dem absoluten Anfang der Realphilosophie, doch permanent miterzeugt wird. So ist es dieser prinzipielle Ausschluss und die mit ihm unvermeidliche Ambivalenz des Endlichen,18 woraus dem absoluten Subjekt nach seiner Entäußerung in absolutes Anderssein eine endogene Krisis erwächst, die, als radikale Reflexion der Gesamtverfassung dieses Subjekts durchgeführt, zu einer innerphilosophisch gerechtfertigten Neubestimmung des Subjektprinzips führt. Doch das ist eine andere Geschichte.
18
Dazu näher: Kaehler (2016).
Der Streit um das ‚Subjekt‘. Luhmann versus Kant Von Wilhelm Metz Kants These, dass der Verstand der Natur das Gesetz vorschreibt,1 soll im Folgenden zum Ausgangspunkt dienen, um den Anspruch der Kategoriendeduktion und die Weise, wie er eingelöst werden kann, zu verdeutlichen. Zweitens ist Kants Konzeption des transzendentalen Subjekts zu beleuchten, die seiner theoretischen und seiner praktischen Philosophie zugrundeliegt. Drittens wird mit einigen Hinweisen charakterisiert, wie Luhmann das transzendentale Subjekt ins ‚alteuro päische Denken‘ verabschiedet.
I. ‚Der Verstand schreibt der Natur das Gesetz vor‘. Es seien zum Einstieg einige grundlegende Sachverhalte erinnert. Kant bestimmt die Neuheit seiner philosophischen Position als ‚kopernikanische Wende‘, welche die Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung voraussetzt. Wenn nämlich Bedingungen der Möglichkeit aufgezeigt werden, dank derer überhaupt etwas für uns sein kann, so müssen diese in Bezug auf alles uns Erscheinende a priori gültig sein, nicht für das, was die Dinge an sich sind. Dass sich nicht die Erkenntnis nach den Gegenständen, sondern diese nach jener richten müssen, lässt sich nur für Erscheinungen denken. Diese können uns entweder unmittelbar, als sinnlich angeschaute, oder mittelbar, als im Denken erkannte, gegenständlich sein. In Raum und Zeit erblickt Kant die apriorischen Formen der Anschauung, in den Kategorien die apriorischen Formen der denkenden Erkenntnis. Was uns nicht „in“ Raum und Zeit erscheint, kann nicht von unserer sinnlichen Anschauung und Wahrnehmung erfasst werden.2 Ebenso muss ein Objekt, das ein Gegenstand des Verstandes ist, von jenen Denk- und Erkenntnisformen a priori bestimmt sein,3 in 1 Siehe die berühmte Formulierung in den Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, § 36, in: Kants Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1913, Bd. IV, S. 320 f. Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 126 f. Vgl. zur ganzen Thematik Heckmann (1997), Kugelstadt (1998) sowie Natterer (2003). 2 Siehe zu dieser Thematik: Dörflinger (2000), bes. S. 61 f. 3 Diese Formulierung bringt zum Ausdruck, dass für den Verstand etwas zum Gegenstand wird, weil es von ihm bestimmt wird. Der Verstand ist kein hinnehmend-rezeptives Erkenntnisvermögen, sondern erkennende Spontaneität, die ihren „Gegenstand“ durch die Denkformen erst konstituiert.
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denen sich die synthetische Einheit des transzendentalen Selbstbewusstseins, die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, vollzieht; diese bezeichnet Kant auch als ‚objektive Einheit des Selbstbewusstseins‘,4 da sie die Einheit aller Erfahrung konstituiert. Die apriorische Synthesis des Selbstbewusstseins ist ursprünglich, da sie bereits die sinnliche Anschauung und Wahrnehmung unter die Form der Kategorie bringt. Obwohl Kant Rezeptivität und Spontaneität des erkennenden Subjekts unterscheidet, fallen beide doch nicht abstrakt auseinander, sondern gleichen zwei Linien, die sich wechselseitig durchdringen. Der Verstand wäre nicht ‚synthetisch‘, wäre er nicht auf ein Material der Erkenntnis bezogen, das uns nur sinnlich-empirisch gegeben werden kann; ebenso jedoch wären ‚Axiome der Anschauung‘ oder ‚Antizipationen der Wahrnehmung‘, in denen eine Konstitution durch Kategorien dargelegt wird, gar nicht denkbar, wäre nicht schon der rezeptive Bezug auf das gegebene Material der Erkenntnis ursprünglich rationalisiert bzw. ‚verständigt‘.5 Das Gesamt-Apriori, welches Kant in den ersten Teilen seiner Kritik der reinen Vernunft herausstellt, ergibt ein System der Erfahrung, eine Grund- und Rahmenbestimmtheit, der Alles a priori entsprechen muss, was auch nur ein möglicher Gegenstand unserer Erfahrung soll werden können. Diese ganze Lehre sei von ihrem reichsten und konkretesten Resultat her in den Blick genommen, nämlich dem System der Grundsätze des reinen Verstandes!6 Kant legt hier seine eigentliche Theorie der Erfahrung dar, die nicht bloße Erkenntnistheorie ist, sondern ebenso Theorie der objektiven Grundgesetze der Erfahrungswelt; werden doch Thesen über die Gegenstände der Erfahrung aufgestellt und begründet. Im System der Grundsätze des reinen Verstandes kommen die Kategorien zur Anwendung, da sie die Denkformen jener prinzipiellen synthetischen Urteile a priori sind, die die Grundstruktur der einen ‚alles befassenden Erfahrung‘7 bestimmen.8 4 Siehe den § 18 der Deduktion der Kategorien in der B-Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft (Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 139 f.). 5 Allein die schlichte Tatsache, dass Kant in den Axiomen der Anschauung (Kritik der reinen Vernunft, A 162 f., B 202 f.) und den Antizipationen der Wahrnehmung (Kritik der reinen Vernunft, A 166 f., B 207 f.) die konstitutive Bedeutung von Verstandeskategorien, nämlich den Kategorien der Quantität und Qualität, in der Form von ‚Grundsätzen des reinen Verstandes‘ herausstellt, belegt, dass in seiner Erkenntniskonstruktion auch das Anschauen und Wahrnehmen als ursprünglich rationalisiert gedacht werden müssen. 6 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 154 f., B 193 f. In meinem Buch Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes (1991) habe ich die Argumentationslinien dieses Kapitels nachgezeichnet unter dem Titel „Die volle Bestimmtheit der ursprünglichen Synthesis“ (S. 104 f.). 7 Zur ‚einigen allbefassenden Erfahrung‘ siehe z. B. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 582, B 610. Wie das von Kant gedachte Sittengesetz für alle endlichen (sogar nicht-menschlichen) Vernunftwesen als kategorisch verbindlich gedacht wird – und es bei Kant nur eine einzige Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft geben kann –, so wird auch die Einheit des empirischen Erfahrungswissens in seiner Ganzheit transzendental begründet. 8 Die transzendentale Deduktion der Kategorien erhebt den Anspruch, die objektive Gültigkeit der Kategorien für alle Gegenstände der Erfahrung darzulegen, und die Deduktion hat
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Wilhelm Metz
„Alle Anschauungen sind extensive Größen“, so lautet das Axiom der Anschauung, welches Kant im Beginn des Grundsatzkapitels herausstellt.9 Dieses Axiom ist unmittelbar einsichtig, da wir uns nicht einmal in einer Phantasie-Welt sinnliche Anschauungen vorstellen könnten, die keine extensiven Größen wären. Obwohl ein ganz anschaulicher Sachverhalt expliziert wird, ordnet Kant die Axiome der Anschauung den Kategorien der Quantität zu, denn in jeder extensiven Größe wird eine Vielheit als Einheit, d. i. als eine je bestimmte Allheit, angeschaut. Wenn unter Deduktion der Kategorien verstanden wird, dass diese als Bedingungen der Möglichkeit jeder möglichen Erfahrung nach- bzw. aufgewiesen werden, so ist die Deduktion der bestimmten Kategorien, hier derjenigen der Quantität, dort vollendet, wo sie als Bausteine jeder konkreten Anschauung aufgezeigt werden, sodass mit dem Wegfall dieser Strukturmomente die sinnliche Anschauung selbst unmöglich sein würde; genau dies will Kant mit den Axiomen der Anschauung erweisen. Die Antizipationen der Wahrnehmung, die Kant als zweite abhandelt10, stellen eine These auf, die ebenfalls unmittelbar evident ist und hinter die wir auch nicht in unserer Phantasie zurückgehen können: dass nämlich ‚in allen Erscheinungen das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, eine intensive Größe, d. i. einen Grad besitzt‘. Die Kategorien der Qualität, Realität, Negation und Limitation, sind die Denkformen dieser Antizipation der Wahrnehmung, da der jeweilige Grad der Empfindung weder eine unendliche Realität noch eine Null-Realität (Negation), sondern notwendig eine limitierte Realität aufweisen muss; dies gilt von jeder denkbaren Welt, in der eine sinnliche Wahrnehmung vorkommt. Die ersten beiden Grundsätze, die Kant als die mathematischen charakterisiert und einer ‚intuitiven Gewißheit fähig‘ erachtet11, lassen erkennen, dass nach Kant unser Anschauen und Wahrnehmen ursprünglich rationalisiert sind. Denn die Kategorien der Quantität und Qualität lassen sich in prinzipielle ‚synthetische Urteil a priori‘ entfalten, d. i. in ‚das‘ Axiom der Anschauung und ‚die‘ Antizipation der Wahrnehmung, die für den gesamten Bereich sinnlicher Anschauung und Wahrnehmung a priori gelten;
dieses Beweisziel vollständig zu erbringen. Dennoch kann das Grundsatzkapitel als immanente Konkretisierung der Kategoriendeduktion angesehen werden, weil erst hier die Konstitution der zwölf bestimmten Kategorien herausgestellt wird. Kant charakterisiert das Beweisziel der Deduktion der Kategorien und des Grundsatzkapitels denn auch so, dass die untrennbare Verbindung beider Lehrstücke hervortritt. Über die transzendentale Deduktion schreibt Kant, sie sei „die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe […] als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung“ (Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 168); ebenso sind nach seinen Worten die „Grundsätze des reinen Verstandes […] nichts weiter als Prinzipien a priori der Möglichkeit der Erfahrung“ (B 294), nur dass diese Prinzipien jetzt in der höchst möglichen Konkretion, die sie innerhalb der Transzendental-Philosophie erhalten können, dargelegt werden. Vgl. Metz (1991), S. 51. 9 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 162, B 202. Obwohl im Titel von den Axiomen der Anschauung die Rede ist, wird doch nur das eine prinzipielle Axiom herausgestellt, so wie Kant auch nur eine Antizipation der Wahrnehmung begründet. 10 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 166 f., B 207 f. 11 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 162, B 201.
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dank dieser Konstitution ist auch die „reine Mathematik in ihrer ganzen Präzision [erst] auf Gegenstände der Erfahrung anwendbar […].“12 Sind Kategorien, gleichsam als Bausteine, schon für das Anschauen und Wahrnehmen konstitutiv, so erst recht für die denkende Verknüpfung der Wahrnehmungen zur Erfahrung. Die letztere wird durch die Relationskategorien „Substantialität“, „Kausalität“ und „Wechselwirkung“ konstituiert; diese Kategorien werden zu drei Synthesen, den Analogien der Erfahrung, entwickelt, dank derer wir nicht nur Erscheinungen anschauen und wahrnehmen, sondern Objekte denkend erkennen. Wir können sinnliche Erscheinungen aber nur denken, sofern wir sie als die Akzidenzien einer Substanz bestimmen. Diese Substanz, die eine Konstitution des transzendentalen Subjekts ist, bedeutet, dass der Wechsel sinnlicher Erscheinungen gedacht werden kann, nämlich als die Veränderung einer Substanz, die bei allem Wechsel ihrer Akzidenzien erhalten bleibt. Würden sinnliche Erscheinungen, bzw. unsere Wahrnehmungen von ihnen, bloß wechseln, ohne bleibenden Untergrund, würde die wahrgenommene Welt in jedem Augenblick für uns neu entstehen; die Einheit der alles befassenden Erfahrung wäre aufgehoben, die selber nichts anderes als das objektive Gegenstück zur Einheit des Selbstbewusstseins ist, welches all seine Vorstellungen als die seinen sich zurechnen können muss. „Das Ich denke muss all meine Vorstellungen begleiten können“13, was jedoch unmöglich wäre, würden die Vorstellungen absolut unverbunden von Augenblick zu Augenblick neu entstehen. Wenn das Bewusstsein der Wahrnehmung A mit dem Bewusstsein der Wahrnehmung B in keinem synthetischen Zusammenhang stünde, wäre die Einheit des transzendentalen Selbstbewusstseins in allem Bewusstsein aufgehoben. Es muss also in den wahrzunehmenden Erscheinungen etwas geben, das die durchgängige Einheit des Selbstbewusstseins ermöglicht. Das aber ist die den wechselnden Akzidenzien zugrundeliegende Substanz, die bei Kant, aus der Stellung des ‚Prinzips‘ verdrängt, als eine Konstitution und Projektion des transzendentalen Subjekts gedacht wird.14 Die zweite Relationskategorie, nämlich die Kategorie der Kausalität, die zum Kausalsatz „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“15 entfaltet wird, geht über den Grundsatz der Substantialität hinaus und fügt diesem entscheidend etwas hinzu. Gemäß der ersten Analogie der Erfahrung (Substantialität) kann der wahrgenommene Wechsel der Erscheinungen als die Veränderung einer Substanz gedacht werden, die bei allem Wechsel ‚beharrt‘. Das Wechseln selbst aber, das einander Folgen der Erscheinungen in der Zeit als das Gegenstück zum ‚Beharrenden‘, ist damit noch nicht rationalisiert bzw. unter die Kategorie a priori gebracht. Das transzendentale Selbstbewusstsein 12
Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 165, B 206. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 131. 14 Vgl. Metz (1991), S. 143; zum Begriff „Projektion“ vgl. S. 111 f. 15 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 189, B 232. 13
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würde sich angesichts des Wechselns der Erscheinungen nur leidend verhalten, da es angesichts desselben nichts zu denken gäbe. Wenn jedoch der Wechsel als Wechsel durch ein Gesetz a priori bestimmt wird, nämlich das Kausalgesetz, so ist das Wechseln der Erscheinungen bzw. der Veränderungsprozess der Substanz erst ein Objekt des Verstandes; der Verstand bestimmt dann den Wechsel durch sein Gesetz. Dieses Gesetz betrifft alle Veränderungen in der Erscheinungs-Welt.16 Die ursprüngliche Synthesis des transzendentalen Selbstbewusstseins besagt dabei nur, dass jede Veränderung in der Welt eine Ursache haben muss; was die bestimmte Ursache einer bestimmten Veränderung ist, lässt sich nur empirisch ermitteln. Das gilt nach Kant für den gesamten Bereich der „Erscheinung“, von Allem, was überhaupt „für uns“ ist. Nehmen wir als Beispiel einen Planeten, der einen Stern umkreist und von ihm beleuchtet wird, und stellen uns vor, wir könnten aus ungeheurer Entfernung eine plötzliche Sternfinsternis auf dem Planeten beobachten; es wäre klar, dass es für diese Veränderung eine Ursache geben muss. Vielleicht haben sich wolkenähnliche, lichtundurchlässige Entitäten auf dem Planeten gebildet, vielleicht ist ein Mond zwischen den Stern und den Planeten getreten, vielleicht haben Prozesse auf dem Stern zu seiner Selbstverfinsterung geführt; was konkret die Ursache für die eingetretene Sternfinsternis ist, muss empirisch ermittelt werden; dass wir nach einer Ursache fragen und suchen, liegt jedoch an unserem apriorischen Wissen, dass es eine Ursache geben muss. Wäre nämlich die Sternfinsternis, im absoluten Sinn, ‚nur so‘ eingetreten, ohne jegliche Ursache, wäre sie für uns nicht einmal ein möglicher Gegenstand der Erfahrung, sondern schlechthin nichts; sie fiele aus dem Rahmen der uns möglichen Erfahrung heraus. Obwohl die Kategorie der Kausalität bereits eine Universalität impliziert – die Welt im Zeitpunkt 1 enthält die Gesamtursache für die Welt im Zeitpunkt 2, weshalb der Zeitpunkt 2 auf 1 notwendig folgt17 –, so wäre es doch noch möglich, dass die verschiedenen Kausalreihen, die alle gleichzeitig die Welt von 1 auf 2 über gehen lassen, nur parallel zueinander verliefen, weshalb ihr Nebeneinander nur passiv konstatiert werden könnte, ohne gedacht werden zu können. Diese irrationale Parallelität, die die Erfahrungswelt in Parallelwelten und Parallelerfahrungen auseinanderfallen ließe, wird durch diejenige Synthesis aufgehoben, die die Kategorie der Wechselwirkung zu einem prinzipiellen synthetischen Urteil a priori entfaltet: „Alle Substanzen, so fern sie im Raume als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung“.18 Dank dieser Konstitution bildet die Gesamtheit aller Gegenstände unserer Erfahrung ein rational verknüpftes Ganzes, ein System der Welt. Alle Prozesse der Erfahrungswelt sind dank der universellen Synthesis der Wechselwirkung in ein einziges System vereinigt. Das apriorische Wissen besagt,
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Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 189, B 232. Siehe zu dieser Thematik Metz (1994), S. 71–94, bes. S. 77 f. 18 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 211, B 256. 17
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dass dieses Welt-System besteht; wie es sich jedoch konkret und im Einzelnen darstellt, ist empirisch zu ermitteln.19 Das Eine Grundgesetz, das die Einheit und Rationalität der ‚alles befassenden Erfahrung‘ konstituiert, ist das Gesetz, das der Verstand der Natur vorschreibt. Der Verstand könnte nicht empirisch informiert werden (Rezeptivität), wenn er nicht die Grund- und Rahmenbestimmtheit der Erfahrung und in Eins damit aller Gegenstände der Erfahrung immer schon konstituiert und vorgebildet hätte (Spontaneität, ursprüngliche Synthesis). Das Apriori stellt ein geschlossenes System dar, welches der Offenheit des empirischen Wissens nicht widerspricht, sondern diese erst möglich macht. Geschlossenheit und Offenheit des Wissens sind nur als vereinigte, in wechselseitiger Durchdringung, möglich. Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt, die die objektive Bedeutung der Modalitätskategorien Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit darlegen, haben das Besondere an sich, die „Bestimmung des Objekts nicht im mindesten [zu] vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen“20 auszudrücken; auf diese reflexiven Konstitutionen sei jetzt nicht eingegangen. Die Synthesis der Wechselwirkung bestimmt das objektive System der Welt bereits inhaltlich vollständig. Sofern wir unter Deduktion der Kategorien den Nachweis verstehen, dass die Kategorien keine bloßen Denkformen sind, sondern eine objektive Bedeutung für die Erfahrungswelt besitzen, so hat das Grundsatzkapitel die Deduktion der bestimmten Kategorien vollendet, da es sie als die Bausteine des Formalen der uns möglichen Erfahrung systematisch aufgewiesen hat; die Kategorien können bei Kant tendenziell-genetisch, d. h. hinsichtlich ihres Gesamtprodukts, deduziert werden; auf diesem Weg allein lassen sich die objektive Bedeutung und Wahrheit der Kategorien bei Kant dartun.21 19 Im o.g. Buch, Metz (1991), wird die Synthesis der Wechselwirkung folgendermaßen als Gesamtsynthesis charakterisiert: „Welche Ausdehnung (Axiome der Anschauung) bzw. sachhaltige Bestimmtheiten (Antizipationen der Wahrnehmung) diese oder jene Erscheinung in concreto haben wird, welche Veränderungen der Substanzen eintreten und wie sie ihre bestimmten Akzidentien zum Wechseln bringen werden, – das Insgesamt dieser in der Natur auftretenden Bestimmungen ist durch eine [alles übergreifende] Wechselwirkung universell bestimmt. Dass dieses Eine Grundgesetz allem Erscheinen zum Grunde liegt, ist a priori erkennbar, weil von uns dem Gegebenen im Vorhinein transzendental vorgeschrieben. Das konkrete Wie dieses Zusammenhangs kann jedoch nur empirisch und somit niemals vollständig ermittelt werden“ (S. 158). Es kann von einer Gesamtsynthesis gesprochen werden, die sich in den bestimmten Synthesen in ein System von Synthesen immanent entfaltet. Daher konnte auch die Transzendentale Deduktion der Kategorien noch von den bestimmten Kategorien und ihren Synthesen absehen, wo sie die ursprüngliche Synthesis (das transzendentale „Ich denke“) in ihrer objektiven Bedeutung und Wahrheit für alles Erfahrungswissen begründete. 20 Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 219, B 266. 21 Bunte (2016) vertritt in seiner gelungenen Studie Erkenntnis und Funktion. Zur Vollständigkeit der Urteilstafel und Einheit des kantischen Systems die These, Kant gelinge die vollständige Genetisierung der Kategorien, sofern diese „als logische Funktionen der kognitiven
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II. Das ‚transzendentale Subjekt‘ bei Kant Kants philosophische Position lässt sich durch eine geschichtliche Unterscheidung, nämlich einen Vergleich mit Descartes, weiter verdeutlichen. Unser geistiges Erkenntnisvermögen – von Descartes als mens, intellectus, ratio, auch ingenium und animus bezeichnet22 – vermag die Welt der ausgedehnten Dinge zu erkennen, wie sie an sich ist; denn die Welt ist rational aufgebaut und für unsere Erkenntniskraft transparent, sofern die ratio der rechten Methode folgt, durch die das Licht unserer Erkenntniskraft vervollkommnet wird. In Descartes’ Metaphysik steht Gott für die Wahrheitsfähigkeit unserer ratio letztlich ein.23 Denn der wahrhaftige Gott, der unmöglich ein Betrüger ist, hat uns das „natürliche Licht“ gegeben; ebenso ist von Gott eine mathematisch-klare, rationale Welt erschaffen worden, aus der, geschichtlich gesehen, Rationalismus und Aufklärung all jene irrationalen Wesen vertrieben haben, die dort lange ihr Unwesen getrieben hatten. Bei Descartes erhält die ratio ihre metaphysische Garantie von Gott, denn das natür liche Licht unseres intellectus ist ein Licht vom Licht des wahrhaftigen Gottes.24 In Kants Transzendentalphilosophie begegnet uns hingegen ein absoluter Vernunftbegriff, der in der praktischen Philosophie explizit hervortritt. Die moralische Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft bedarf keiner göttlichen Garantie und Bestätigung, sondern stellt eine absolute Verbindlichkeit aus eigener Gesetzgebung (Autonomie) dar; im Gegenteil müssen ‚heilige‘ Texte wie die Bibel oder der Lebenswandel des Heiligen des Evangelii an der moralischen Idee gemessen und nach ihr beurteilt werden, die a priori in unserer Vernunft selbst begründet ist.25 Obwohl die Absolutheit der Vernunft bei Kant erst im Horizont der praktischen Philosophie eigens hervortritt, enthält die theoretische Philosophie, die vordergründig besehen die Erkenntnisansprüche der Vernunft begrenzt,26 in der Lehre vom reinen Verstand und der ursprünglichen Synthesis des Selbstbewusstseins Selbstbestimmung“ erkannt werden (S. 14, Fn. 7). Zu fragen bleibt, ob das, was Bunte im Blick auf die metaphysische Deduktion überzeugend ausführt, auch für die Kategorien gilt, sofern sie die Konstitutionsformen des formalen Rahmens aller Erfahrung sind. Denn im Zuge dieser transzendentalen Deduktion, die Kant zu einer Theorie der Erfahrung immanent entfaltet, werden die konstitutiven Synthesen hinsichtlich ihres Produkts einsichtig gemacht. 22 Vgl. Descartes: Regulae ad directionem ingenii, Reg. 8 [1628]. Oeuvr., hg. C. Adam / P. Tannery, Paris 1897–1913, Nachdruck 1964–1976, S. 10, S. 395–398; Reg. 3, a. a. O., 368; vgl. Descartes: Meditationes de prima philosophia, Med. 2 (1641), a. a. O., 7, 31. 23 Diesen Sachverhalt umschreibt Cassirer (1995), S. 38, folgendermaßen: „Die Legitimation der Wahrheit durch Gott schließt keinerlei Modifikation in sich, sie verändert sie nicht, sondern bestätigt sie vielmehr und drückt ihr das Siegel der Vollendung auf“. 24 Vgl. Boeder (1980), S. 384. 25 Kant hebt in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten hervor: „Selbst der Heilige des Evangelii muß zuvor mit unserem Ideal der sittlichen Vollkommenheit verglichen werden, ehe man ihn dafür erkennt […]“. In: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Erste Abteilung (Werke), Berlin 1913, Band IV, S. 408. 26 Siehe zu dieser Thematik die gründliche Studie von Pissis (2012).
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einen Vorschein der absolut autonomen Vernunft. Denn die Rationalisierung der Erscheinungswelt, die bei Descartes sich dem Schöpfergott verdankt, wird in Kants Philosophie vom transzendentalen Subjekt a priori erbracht, und zwar untrüglich, wenn auch bezogen nur auf die Welt, insofern sie uns „erscheint“ und ein Gegenstand der Erfahrung ist, nicht bezogen darauf, was die Dinge an sich sein mögen. Für die Erfahrungswelt aber gilt die Synthesis und objektive Einheit des Selbstbewusstseins, die dank der Synthesen, die im System der Grundsätze des reinen Verstandes herausgestellt worden sind, die rationale Einheit der Erfahrungswelt konstituiert, indem sie dieser die Grund- und Rahmenbestimmtheit vorschreibt bzw. vorbildet, deren Bausteine die Kategorien sind. Jetzt gilt es dem von Kant gedachten „Subjekt“ näher nachzufragen, welches in theoretischer Bedeutung der Natur das Gesetz vorschreibt und welches in praktischer Bedeutung sich selbst das Moralgesetz gibt und sich diesem kategorisch unterstellt, welches Gesetz in allen Moralbegriffen wie Gerechtigkeit, Güte und Heiligkeit, sowie in allen religiösen Morallehren, unbewusst immer schon vorausgesetzt ist. Da gilt zum ersten, dass das von Kant gedachte transzendentale Subjekt als schlechthin überindividuell und universell gedacht werden muss. Denn nicht ich als individuelles Bewusstsein schreibe der Natur das Gesetz vor, sondern die transzendentale Subjektivität als solche, die ursprüngliche Synthesis des transzendentalen Selbstbewusstseins, die wir mit Hegel als das ‚tätige Allgemeine‘ charakterisieren könnten.27 Etwas Analoges gilt im Bereich der praktischen Philosophie. Nicht in mir als diesem Individuum, sondern in der praktischen Vernunft als solcher ist die moralische Gesetzgebung begründet, welche Vernunft als so universell zu denken ist, dass auch nicht-menschliche Vernunftwesen dem moralischen Gesetz kategorisch unterstellt sein würden. Zugleich aber manifestiert sich dieses tätige Allgemeine im individuellen Bewusstsein, es ist keine ihm transzendente Instanz.28 Wir können die ursprüngliche Synthesis des Selbstbewusstseins in Klarheit nachvollziehen, können den Aufbau des Systems der Erfahrung a priori erkennen, mittels transzendentaler Reflexion.29 Es ist für mich a priori evident, dass die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste ist, weil dies allen Vernunftwesen evident ist, deren apriorische Anschauungsformen Raum und Zeit sind. Dasselbe 27
So schreibt Hegel im § 20 seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften: „Das Denken als die Tätigkeit ist somit das tätige Allgemeine, und zwar das sich betätigende, indem die Tat, das Hervorgebrachte, eben das Allgemeine ist. Das Denken als Subjekt vorgestellt ist Denkendes, und der einfache Ausdruck des existierenden Subjekts als Denkenden ist Ich“ (Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, TWA 8, S. 71 f.). 28 Bunte (2016) verwendet die Formel „[…] die je eigene individuelle Synthesis gemäß der überindividuellen Bewusstseinsform […]“ (S. 189, Fn. 331); allerdings ist die überindividuelle Synthesis nicht nur als Form, sondern als Tätigkeit zu begreifen, nämlich als Gesetzgebung in theoretischer und praktischer Bedeutung, die wir uns im Rahmen der Transzendentalphilosophie zum Bewusstsein bringen. 29 Den Begriff „transzendentale Reflexion“ verwendet Kant selber nicht, der bekanntlich die Bedingungen der Möglichkeit des Wissens der Transzendentalphilosophie niemals systematisch dargelegt hat. Siehe zu diesem Thema Metz (1991), S. 174 f.
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gilt im Bereich der praktischen Philosophie. Das Sittengesetz ist universell, es ist für alle, auch nicht-menschliche Vernunftwesen ein kategorischer Imperativ,30 während es für Gott nicht als Imperativ zu denken ist, sondern als Prinzip seines heiligen Willens.31 Aber ein anderes Moral-Prinzip, einen anderen Maßstab des Guten, hat selbst Gott nicht. Dieses universelle Gesetz ist jedoch mit dem Spruch des individuellen Gewissens identisch, der nach Kant bei jedem Menschen infallibel ist; lediglich das Verständnis des eigenen Gewissens vermag fehlzugehen.32 In summa: Das von Kant gedachte transzendentale Subjekt ist sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht überindividuell und schlechthin universell, ebenso aber gilt, dass es vom individuellen Bewusstsein nicht getrennt und für dieses transzendent wäre. Wir haben immer schon a priori der Natur das Gesetz vorgeschrieben; und wir haben uns a priori das Sittengesetz immer schon selbst gegeben; beide Gesetzgebungen müssen und können nicht kreiert, sondern brauchen „nur“ aufgeklärt zu werden, durch transzendentale Reflexion. Zweitens gilt vom transzendentalen Subjekt in theoretischer und praktischer Bedeutung, dass es an ihm selbst unerkennbar ist. Wir erkennen zwar die ursprüngliche Synthesis des Selbstbewusstseins hinsichtlich ihrer Konstitution, nicht aber an ihr selbst. Deshalb kann, so die Lehre der Paralogismen, aus dem „Ich denke“ keine Seelenlehre entwickelt werden; weder ist ein Schluss auf die Immaterialität oder gar Immortalität unserer Seele möglich, noch vermag ein seelenloser Materialismus diese dogmatisch auszuschließen.33 Der Einblick in das „Ich denke“, in das konstituierende Subjekt vor seiner Konstitution ist für uns unmöglich. Daher kann es bei Kant eben so wenig eine genetische Deduktion der Kategorien geben wie eine Einsicht darein, wie Freiheit möglich ist. Kurz: Das transzendentale Subjekt wird von Kant als an ihm selbst unerkennbar festgehalten, obwohl es die Position des Prinzips für seine theoretische wie praktische Philosophie innehat.
III. Luhmanns Verabschiedung der Subjekt-Philosophie ins alteuropäische Denken Die klassische Philosophie der Neuzeit steht für Luhmanns an der Schwelle zur Moderne. Die alte Substanz-Metaphysik ist durch eine Subjekt-Philosophie ersetzt; statt der Ableitung alles Seienden von einem ersten und höchsten Seienden (Onto-Theologie) hat Kants Transzendentalphilosophie die gesamte Objektivität auf das transzendentale Subjekt bezogen, dessen ursprüngliche Synthesis den 30
Kant hebt dies an der o.g. Textstelle (Anm. 17) der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten explizit hervor. 31 Siehe die Ausführungen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Anm. 17), S. 414. 32 Siehe Kants Ausführungen in seiner Metaphysik der Sitten, Einleitung zur Tugendlehre, XII,a (Akademieausgabe, Bd. 6, S. 399 f.). 33 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 421.
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formalen Rahmen aller Erfahrung a priori entwirft und für das empirische Wissen vorbildet, welches nur innerhalb dieses Rahmens möglich ist. In Kants Trans zendentalphilosophie sowie in Hegels absolutem Idealismus sieht Luhmann den letzten denkerischen Versuch Alteuropas, eine vollständige Ganzheit des Wissens zur Präsenz zu bringen.34 Dieser Subjekt-Philosophie setzt er seine Systemtheorie entgegen, die, bei aller Differenz, doch einige Berührungspunkte insbesondere mit Kants Philosophie aufweist.35 In aller Kürze sei an einige grundlegende Thesen Luhmanns erinnert. Für die Entstehung unserer Welt müssen zunächst drei Evolutionen angeführt werden, die sich den drei Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie zuordnen ließen, nämlich erstens die kosmologische Evolution des Universums, zweitens die geo logische Evolution des Planeten „Erde“, drittens die biologische Evolution der Lebewesen, die Luhmann auch als „Einmalerfindung des Lebens“ charakterisiert.36 Mit der Entstehung des Menschen kommt es zur Co-Evolution der psychischen und sozialen Systeme; denn der Mensch kann, wie schon Aristoteles hervorhob, ohne Sozialität nicht leben. In der Moderne werden das System „Gesellschaft“ und ihre Subsysteme immer weiter ausdifferenziert. Psychische Systeme und soziale Systeme beziehen sich auf „Sinn“, der von Luhmann als eine evolutionäre Errungenschaft bezeichnet wird.37 Psychische und soziale Systeme können nicht existieren und operieren, so sie nicht ausnahmslos und durchgehend „Sinn“ ver 34 So schreibt Luhmann (1992), S. 27, Fn. 19: „Das hochgetriebene, nie wieder übertroffene Bewußtsein der Theoriearchitektur, das man bei Kant wie bei Hegel findet, zeigt im übrigen an, daß in der Umbruchszeit um 1800 jedenfalls nicht mehr naiv ontologisch argumentiert werden konnte, man aber andererseits auch nicht bereit war, die Hoffnung auf eine Welt referierende Metaphysik aufzugeben“. 35 Scheier (2017) hat in dem Artikel Glanz und Elend der Subjektivität – von Hegel zu Luhmann die Abwandlungen der Subjekt-Konzeption herausgestellt, die diese von den klassischen Philosophien der Neuzeit (Kant, Fichte, Schelling, Hegel) über die Philosophien des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zu Luhmann erfahren hat: „Die Subjektivität überhaupt erschien in der Vollendungsphase des klassischen Denkens als transzendentale Subjektivität, sodann modern als horizontale, sich serialisierende, existenzielle, kontingente und schließlich als mediale Subjektivität. Das Subjekt der medialen Moderne ist der fürsichseiende Daten-Träger im Kommunikationssystem. Damit haben wir einstweilen zu rechnen“ (S. 87). Die Nachfragen zu diesem Befund lauten: Gibt es eine sich durchhaltende Bedeutung von ‚Subjektivität‘, die ihre Metamorphosen übergreift? Zeigt die einstweilige Letztgestalt (‚fürsichseiender Daten-Träger im Kommunikationsnetz‘), die jeglichen Unterschied von empirisch und transzendental eingezogen hat, dass der ‚Stab‘ von der Philosophie an die (Fundamental-)Soziologie übergeben worden ist? Oder ist der ersteren eine eigene Aufgabe gegenwärtig noch gestellt? Eine solche Aufgabe der Philosophie möchte Scheier offenbar in seinem Buch Luhmanns Schatten. Zur Funktion der Philosophie in der medialen Moderne (2016) zum Vorschein bringen, wobei er hierfür Luhmanns Begriff der „Funktion“ selbst verwendet. 36 Luhmann (1995) gibt folgenden Ausblick, der vor allem die gegenwärtige Risikogesellschaft im Auge hat: „Die evolutionäre Einmalerfindung des Lebens hat sich zwar über mehrere Milliarden Jahre hinweg als erstaunlich stabil erwiesen, und dies unter sehr verschiedenen Umweltbedingungen. Ob dies auch für die evolutionäre Einmalerfindung sinnhafter Kommunikation gelten wird, läßt sich nicht ausmachen“ (S. 553.). 37 Luhmann (1987), S. 64, 69, 92, vgl. auch S. 127.
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arbeiten und konstituieren; er ist das Medium, in dem diese Systeme sich befinden und aus dem sie niemals herausfallen. Selbst eine Philosophie des Absurden, wie bei Camus, oder eine Erfahrung der Angst, die sich nach Heidegger angesichts des Nichts einstellt, weil uns das Seiende im Ganzen gewissermaßen entgleitet und in seinem Sinn entzieht38 – auch solche spezifisch modernen Erfahrungen können nur im Medium „Sinn“ artikuliert werden. Sinn ist eine „differenzlose Kategorie“,39 die nicht negiert werden kann, ohne in ihr zu operieren und sie damit vorauszusetzen. Es gibt keine Synthese oder ein System, welches uns „den“ Sinn in seiner Ganzheit zur Präsenz bringen könnte. Was immer als sinnhaft intendiert wird – ein Gegenstand, ein Thema, Worte der Sprache, die Luhmann als „Sinnsplitter“40 bezeichnet, solange sie nicht einen Text bilden bzw. in einem Kontext verständlich sind –, befindet sich in einem offenen und endlosen Netz von Verweisungen auf andere Möglichkeiten der Sinn-Konstitution, die jetzt (noch) nicht aktualisiert werden. Wir können niemals die Position eines transzendentalen Subjekts einnehmen, welches der Gesamtheit dessen, was „für es“ sinnhaft ist, das Grund gesetz oder den Rahmen vorschriebe und vorbildete;41 vielmehr hängen wir innerhalb des Sinn-Netzes, von dem wir nur winzige Teile überblicken, wenn wir z. B. „lokale Sinnstücke“42 konstituieren. Kants Lehre, dass das transzendentale Subjekt als praktische Vernunft eine moralische Selbst-Gesetzgebung vollzieht, deren „Du sollst“ alle endlichen Vernunftwesen kategorisch verpflichtet und die selbst für Gottes heiligen Willen sein inneres Prinzip ist, obgleich nicht in Gestalt eines Imperativs –, diese Lehre kann Luhmann ebenfalls nur als alteuropäische Überschwänglichkeit einstufen. Denn die „Moral“ ist für Luhmann eine Kommunikationsweise, die in der Gesamt gesellschaft zirkuliert und in Korrelation zu ihr historisch und soziokulturell variiert, ohne dass deswegen Luhmann, wie Nietzsche, den „Sinn“ der Moral in Frage stellen oder gar eine ‚Umwertung aller Werte‘ postulieren müsste.43 Luhmann handelt oft davon, dass die Systeme sich und ihre Umwelt beobachten; und beobachten heißt für ihn „eine Unterscheidung benutzen“. Hier gibt es einen fernen Vergleichspunkt mit Kant. Wie nämlich bei Kant all unserem Wissen zwei Grenzen gezogen sind – wir können nämlich weder das Ding an sich noch das Ich an sich jemals erkennen44 –, so spricht Luhmann von einem doppelten „unmarked state“ und einem doppelten blinden Fleck, den wir nicht vermeiden können.45 Der Beobachter kann sein eigenes Beobachten selber nicht beobachten, 38
Siehe die Angst-Analyse im § 45 von Sein und Zeit, Tübingen 1979, und den Artikel Nietzsches Wort ‚Gott ist tot‘, in: Holzwege, Frankfurt a. M. 1950, S. 205–263. 39 Luhmann (1987), S. 96. Siehe auch Luhmann (2002), S. 16 f. 40 Luhmann (2002), S. 20. 41 Zum Scheitern der neuzeitlichen Subjekt-Metaphysik, siehe Luhmann (1987), S. 145. 42 Siehe Luhmann (1987), S. 138. 43 Siehe zur ganzen Thematik Luhmann (2008). 44 Siehe Metz (1991), S. 97 und 191. 45 Siehe z. B. Luhmann (2002), S. 21, 27, 29.
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er macht Unterscheidungen, aber sein Unterscheiden kann er nicht sehen und auf sich selbst anwenden, es sei denn in einer Beobachtung zweiter Ordnung. Des gleichen ist die Welt ein Horizont, der stets weiter hinausrückt, ein je umfänglicheres Netz aktualisierter und potentieller Sinn-Verweisungen gespannt wird. Der Horizont selbst kann niemals erreicht, nicht einmal angenähert oder gar zur Präsenz gebracht werden.46 Die vorgetragenen Überlegungen seien mit einer Frage abgeschlossen, die an Fichtes Kritik des Dings an sich erinnert. Fichte hat Kants Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung als widersprüchlich dargetan und so die oben angesprochene Grenze des Wissens durchlässig gemacht. Denn indem bzw. sobald wir das Ding an sich von der Erscheinung unterscheiden, ist das Ding an sich bereits für uns. Denn wir haben es gedacht, thematisiert, im Bewusstsein gesetzt, weshalb es aufhört, abstrakt und absolut dem Für-uns-Sein zu widersprechen. Auf einen analogen Sachverhalt könnten wir in Bezug auf Luhmann verweisen. Indem wir von der Unbeobachtbarkeit des Beobachtens und von dem unmarked state der Welt handeln, so hat die Wissenschaft beide thematisiert und in bestimmtem Sinn erkannt, was Luhmann auch selber für eine Beobachtung zweiter Ordnung einräumt. Auch das Sinn-Netz, von dem wir nur einen winzigen Teil überblicken, wurde gerade von uns in seiner Ganzheit gedacht, von der wir ja den ‚winzigen Teil‘ abgehoben haben. Gibt es, ausgehend von dieser erst nur formalen Über legung, vielleicht doch auch eine inhaltliche Aussicht, die moderne Gesellschaft und ihre Subsysteme in einer Intelligibilität zu begreifen, die nach Luhmann nur das alteuropäische Denken für erreichbar hielt? Könnte es insbesondere sein, dass sich die Vorzüge und der Fortschritt, den die moderne Gesellschaft gegenüber den älteren Gesellschaftsformationen darstellt, sehr wohl behaupten, auf einen Begriff bringen und begründen ließen?47 Zu fragen wäre, ob der Leitbegriff für eine Fortschrittsthese auch gegenwärtig derjenige der Freiheit sein muss, weil auch die Freiheit in einem bestimmten Sinn ein differenzloser Begriff ist; denn in jedem freien Denk- und Erkenntnisvollzug, in jeder selbst gewählten und somit authentischen Kommunikation wird eine gewährte Freiheit immer schon in Anspruch genommen und damit bejaht. Wäre über die Grenzen des Wissens und Nicht-Wissens auch gegenwärtig neu nachzudenken? Könnte sich am Ende herausstellen, dass sich im Vergleich zu ‚Alteuropa‘ doch das Licht des Wissens nicht abgeschwächt hat?
46 Hier berührt sich Luhmanns Denken mit der Kritik an der ‚Metaphysik der Präsenz‘, wie sie von Derrida (1974) vorgebracht worden ist. 47 Einer der bedeutendsten Vertreter der „Fortschritts“-These im 20. Jahrhundert dürfte Hans Blumenberg sein; siehe seine Bücher Die Legitimität der Neuzeit (1966) und Schriften zur Technik (2015). Was die klassische Philosophie der Neuzeit anlangt, so haben Kant, Fichte und Hegel aus je eigener Perspektive in der Weltgeschichte den Fortschritt erblickt und genau bestimmt.
Literatur Primärquellen Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Reinhard Lauth und Hans Jacob (Hrsg.), Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff. (zitiert als GA). Fichte, Johann Gottlieb: Fichtes Werke, Immanuel Hermann Fichte (Hrsg.), Berlin 1971 (zitiert als SW). Frege, Gottlob: Dialog mit Pünjer über Existenz, in: Nachgelassene Schriften und Wissenschaftlicher Briefwechsel, Bd. 1., Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach (Hrsg.), Hamburg 1983, S. 60–75. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Gesammelte Werke, Hartmut Buchner und Otto Pöggeler u. a. (Hrsg.), Hamburg 1968 ff. (zitiert als GW). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke in zwanzig Bänden. Theorie Werkausgabe. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1969 ff. (zitiert als TW bzw. TWA). Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Tübingen 1927. Heidegger, Martin: Nietzsches Wort ‚Gott ist tot‘, in: Holzwege, Frankfurt a. M. 1950, S. 205–263. Heidegger, Martin: Logik. Die Frage nach der Wahrheit, in: Gesamtausgabe, Abt. II, Bd. 21, Walter Biemel (Hrsg.), Frankfurt a. M. 1976. Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke, Friedrich Beissner (Hrsg.), Stuttgart 1943 ff. (zitiert als StA). Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen (später Deutschen) Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. (zitiert als AA, gefolgt von der Angabe des Bandes und der Seitenzahl; die Kritik der reinen Vernunft wird als A (= erste Auflage, Riga 1781) bzw. B (= zweite Auflage, Riga 1787) zitiert). Kant, Immanuel: Briefwechsel, Otto Schöndorfer (Hrsg.), Hamburg 1972. Lichtenberg, Georg Christoph: Aphorismen, Alfred Leitzmann (Hrsg.), Berlin 1906 ff. Locke, John: Über den menschlichen Verstand, (Übers.) C. Winckler (zuerst 1913), Neuausg. Berlin 1962. Nachdruck: Hamburg 1968, orig. ders.: An Essay Concerning Human Understanding, in 2 vol.; (Ed.) J. W. Yolton. London 1967 f. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1987. Luhmann, Niklas: Beobachtungen der Moderne, Wiesbaden 1992. Luhmann, Niklas: Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1995.
Literatur
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Autorinnen und Autoren Gaetano Basileo: Promotion an den Universitäten Köln und Rom „Tor Vergata“ (Kotutelle). Forschungsinteressen: Das Verhältnis zwischen Leben, Sein und Subjektivität im Deutschen Idealismus. Letzte Veröffentlichung: Principio, metodo e sistema nella filosofia classica tedesca, hrsg. mit G. Di Tommaso, Roma 2019. Nicolas Bickmann studierte Geschichte und Philosophie an den Universitäten Köln, Paris-Sorbonne IV und Bonn. 2018–2019 absolvierte er einen Forschungsaufenthalt an der University of Chicago. Gegenwärtig arbeitet er an der Univer sität Bonn an einer Dissertation zum Verhältnis von theoretischen und praktischen Vernunftvermögen bei Johann Gottlieb Fichte. Prof. (em.) Dr. Klaus Düsing, geb. 1940, Promotion 1967, Habilitation 1975, Professor an den Universitäten Bochum (1976–1980), Siegen (1980-1983), Köln (1983–2005), danach dort tätig in Forschung und Lehre bis 2017, seither regel mäßig in der Forschung. Forschungsgebiete: Klassische deutsche Philosophie, klassische antike Philosophie, Phänomenologie des 20. Jahrhunderts, Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ethik, Ästhetik. Elena Ficara ist Juniorprofessorin an der Universität Paderborn. Ihre Ar beitsschwerpunkte liegen im Bereich der Theoretischen Philosophie (Ontologie, Metaphysik, Transzendentalphilosophie, Logik) und der Geschichte der Philo sophie (Kant, Hegel, Heidegger). Sie veröffentlichte u. a. Die Ontologie in der K ritik der reinen Vernunft, Würzburg 2006; Heidegger e il problema della metafisica, Roma 2010; The Form of Truth. Hegel’s Philosophical Logic, Berlin / New York 2020; als Herausgeberin: Contradictions. Logic, History, Actuality, Berlin- New York 2014. Markus Gabriel, geb. 1980, seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart, zugleich seit 2012 Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie / NRW und seit 2017 Direktor des Center for Science and Thought an der Universität Bonn. Ausgewählte Veröffent lichungen: Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie, Berlin 2016; Fiktionen, Berlin 2020. Lars Heckenroth studierte Philosophie, Anglistik und Erziehungswissenschaft an der Universität zu Köln und promovierte 2020 an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn mit einer Studie zur teleologischen Entwicklung der Dialektik in Hegels Logik. Er arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonner Lehrstuhl für Philosophie, insbesondere des Mittelalters.
Autorinnen und Autoren
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Reinhard Hiltscher ist außerplanmäßiger Professor an der TU Dresden. Promotion 1986, Würzburg – Habilitation 1997, Dresden. Ausgewählte Bücher: Der ontologische Gottesbeweis als kryptognoseologischer Traktat, Hildesheim 2005; Gottesbeweise 2Darmstadt 2010; Einführung in die Philosophie des deutschen Idealismus, Darmstadt 2015. Klaus Erich Kaehler, Prof. em. an der Universität zu Köln; Forschungsschwerpunkte: die Philosophie der Neuzeit und Moderne, Subjekttheorie, Phänomenologie und Ästhetik. Monographien zu Leibniz und Hegel, außerdem: Das Prinzip Subjekt und seine Krisen. Selbstvollendung und Dezentrierung, Freiburg 2010. Wilhelm Metz, Dissertation 1989 (Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes). Habilitation 1997 (Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin). APL-Professor ab 2004. Die leitende Frage seiner Forschung und Lehre: Die Bestimmung des Menschen in Geschichte und Gegenwart. Rainer Schäfer promoviert 2000 in Köln über Hegels Dialektik in der Logik, habilitiert 2006 in Heidelberg über Selbstbewusstsein bei Fichte und Descartes; 2013 Ruf als „Distinguished Chair Professor for Foreign Philosophy“ an die P eking University / Beijing China, seit 2016 Ruf an die Universität Bonn, Professur für klassische deutsche Philosophie.
Personenregister Adorno, Theodor W. 18, 111 Allison, Henry Edward 17, 65 Apel, Karl-Otto 17 f. Aristoteles 7, 33, 40, 100, 104, 107 f., 149 Basileo, Gaetano 7, 12, 87–99 Baum, Manfred 8, 17, 25, 27 Baumanns, Peter 74 Benoist, Jocelyn 104 Bickmann, Claudia 29 Bickmann, Nicolas 6 f., 10, 70–86 Birrer, Matthias 51 Blumenberg, Hans 151 Boeder, Heribert 146 Brandom, Robert 106 Brandt, Reinhard 31 Brune, Jens Peter 17 Bubner, Rüdiger 17 Bunte, Martin 145 ff. Camus, Albert 150 Carl, Wolfgang 8, 31 Cassirer, Ernst 146 Chalmers, David John 110 Chiodi, Pietro 17, 21, 28 Descartes, René 37 Condillac, Étienne Bonnot de 89 Cramer, Konrad, S. 52 54, 66 D’Agostini, Franca 18 De Vleeschauwer, Herman Jan 17 Derrida, Jacques 151 Descartes, René 128 f., 146 f. Di Tommaso, Giannino 88 Dörflinger, Bernd 140 Doyé, Sabine 31, 36 Düsing, Klaus 6 f., 10, 13, 22 f., 28, 29–43, 88 f., 92, 98, 121 Dyck, Corey 36 f. Engelhard, Kristina 17, 36
Erdmann, Bruno 17 Evans, Gareth 109 Ferrari, Massimo 17, 28 Ficara, Elena 5, 12, 17–28 Fichte, Johann Gottlieb 6 f., 10 f., 19, 32, 39, 70–86, 88 f., 93, 149, 151 Flach, Werner 43, 52 Fodor, Jerry 106 Forster, Michael 14 Frank, Manfred 120 Frege, Gottlob 100, 105 Fulda, Hans Friedrich 95 Gabriel, Gottfried 17, 19 Gabriel, Markus 6, 12 f., 100–111 Gadamer, Hans-Georg 19, 23 Gardner, Sebastian 23 Giladi, Paul 17 Gloy, Karen 34 Graubner, Hans 46 Grist, Matthew 23 Gründer, Karlfried 17, 19 Grundmann, Thomas 17 Haag, Johannes 50 Halfwassen, Jens 104 Heckenroth, Lars 6, 12 f., 112–126 Heckmann, Reinhard 140 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 5 ff., 11 ff., 17 ff., 22 ff., 28, 33, 39 f., 87–99, 100–111, 112–126, 127–139, 147, 149, 151 Heidegger, Martin 8, 18, 37, 105, 111, 150 Heidemann, Dietmar 17, 31, 37 Heimsoeth, Heinz 31 Heinz, Marion 31, 36 Henrich, Dieter 7 f., 17, 34, 64 f., 118 Hiltscher, Reinhard 6 f., 21, 43–69 Hinske, Norbert 19 Hogrebe, Wolfram 17 f.
Personenregister Hölderlin, Friedrich 11, 79 Horstmann, Rolf-Peter 23 Houlgate, Stephen 23 Hüning, Dieter 31, 44, 46 Husserl, Edmund 39
Platner, Ernst 89 Platon 33, 40, 100, 104 Plotin 105 Pöggeler, Otto 95 f. Prauss, Gerold 8, 48, 52, 54 Prien, Bernd 58 f. 62
Janke, Wolfgang 71 Quine, Willard Van Orman 106 Kaehler, Klaus Erich 6, 12, 97, 127–139 Kant, Immanuel 5–13, 17–28, 29–42, 43–69, 70 f., 76, 89, 102 f., 107 f., 111, 127–139, 140–151 Klingner, Stefan 44, 46 Koch, Anton Friedrich 103, 106 Königshausen, Johann Heinrich 46, 57 ff. Krijnen, Christian 49, 51, 53 Kugelstadt, Manfred 140 Labarrière, Pierre-Jean 93 Leibniz, Gottfried Wilhelm 36, 127 ff., 131 Lepore, Ernest 106 Locke, John 30 Longuenesse, Béatrice 109 Lugarini, Leo 93 Luhmann, Niklas 5, 140–151 Maddy, Penelope 18 McDowell, John 109 f. Metz, Wilhelm 5, 8, 85, 140–151 Michel, Karin 31 Nagel, Thomas 110 Natorp, Paul 34 Natterer, Paul 50, 140 Neuplatoniker 104 Nietzsche, Friedrich 150
Rameil, Udo 31, 36 Reich, Klaus 32, 47 Reinhold, Carl Leonhard 5, 32 Riemann, Georg Friedrich Bernhard 39 Ritter, Joachim 17, 19 Rödl, Sebastian 111 Schäfer, Rainer 5–14, 22, 39, 76, 121 Scheier, Claus-Artur 149 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 5 ff. 11 f., 32, 88 f., 124, 149 Schopenhauer, Arthur 8 Seel, Gerhard 8 Sinclair, Isaac von 11 Spinoza, Baruch de 128 Stapelford, Scott 17, 28 Stekkeler-Weithofer, Pirmin 23 Stern, Robert 17, 27 Stolzenberg, Jürgen 88 Strawson, Peter Frederick 109 Thales 101 Thomas, Andrea 31 Tuschling, Burkhard 8 Vos, Ludovicus De 98
Oberer, Hariolf 8 Olk, Carsten 44, 46 Ottmann, Horst 98
Wagner, Hans 8 Werner, Micha H. 17 Westerhoff, Jan 101 Wolff, Michael 31, 47, 63
Pissis, Jannis 146 Pippin, Robert 23, 109 Puder, Martin 20, 22, 25, 28
Zeidler, Kurt-Walter 49, 51, 53 Zocher, Rudolf 52, 54 Zwilling, Jakob 11
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