Karl Griewank (1900–1953) – ein deutscher Historiker im „Zeitalter der Extreme“ 3515086536, 9783515086530

Der Historiker Karl Griewank, 1900 geboren und 1953 durch Suizid aus dem Leben geschieden, ist bekannt durch seine Studi

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INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1. EINLEITUNG
1.1. PROLOG: KARL GRIEWANKS TOD – EIN „MODERNES GELEHRTENSCHICKSAL“?
1.2. BIOGRAPHISCHER ZUGANG UND FRAGESTELLUNGEN DER ARBEIT
1.3. QUELLEN, LITERATUR UND AUFBAU DER ARBEIT ALS „OFFENE BIOGRAPHIE“
2. EIN DEMOKRAT AUS BÜTZOW – ERSTE WISSENSCHAFTLICHE UND JOURNALISTISCHE ARBEITEN
2.1. FAMILIE AUS DER MECKLENBURGISCHEN KLEINSTADT
2.2. GEBOREN IM JAHR 1900 – GENERATION, KINDHEIT UND JUGEND
2.3. STUDIUM UND BERUFSSUCHE – HOFFNUNGEN UND ERWARTUNGEN
2.4. DEMOKRATISCHES ENGAGEMENT IN CHARLOTTENBURG – KARL GRIEWANK ALS LOKALREPORTER
2.5. „IN SEINER ART WAR ER ZURÜCKHALTEND UND […] VERSCHWIEGEN“ – DER PRIVATMANN
3. ZWISCHEN WISSENSCHAFTSORGANISATION UND KARRIERE – DIE ZEIT ALS REFERENT IN DER FORSCHUNGSFÖRDERUNG
3.1. DIE GESCHICHTE DER „DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT“ ALS GEGENSTAND KONTROVERSER DEUTUNGEN – ZUM FORSCHUNGSSTAND
3.2. GRIEWANKS ROLLE IN DER FORSCHUNGSFÖRDERUNG
3.3. KARRIEREPLANUNG VOR 1945 - DISTANZ UND NÄHE ZUM NATIONALSOZIALISMUS
4. DER WISSENSCHAFTLER – POSITIONEN UND INTERESSEN
4.1. FRÜHE GESCHICHTSWISSENSCHAFTLICHE ARBEITEN
4.2. DER WIENER KONGREß UND DIE NEUORDNUNG EUROPAS
5. DER PROFESSOR IN JENA
5.1. DER WEG NACH JENA
5.2. ZUR JENAER UNIVERSITÄTSGESCHICHTE DER NACHKRIEGSZEIT
5.3. KARL GRIEWANK ALS HOCHSCHULLEHRER UND HOCHSCHULPOLITIKER
5.4. ZUSPITZUNG WELTANSCHAULICHER KONFLIKTE – DIE „TREITSCHKE-DISKUSSION"
5.5. KEIN ENDE DER KONFRONTATION – WEITERE KONFLIKTE
5.6. ZUCKERBROT UND PEITSCHE – ZUSAMMENFASSENDE BEMERKUNGEN ZUR HOCHSCHULPOLITIK DER SED UM 1950
6. DEMOKRATIE UND REVOLUTION – THEMEN DER GRIEWANKSCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG
6.1. NACHKRIEGSREFLEXIONEN ZU DEMOKRATIE UND REVOLUTION
6.2. EIN NEUES „ALTES“ THEMA – DIE REVOLUTION 1848
6.3. DER NEUZEITLICHE REVOLUTIONSBEGRIFF
6.4. DEUTSCHLAND, PREUßEN UND EUROPA – BEGINNENDE REFLEXIONEN
7. ZWISCHEN OST UND WEST – DER VERMITTLER
7.1. KARL GRIEWANK UND OSTDEUTSCHLAND
7.2. KARL GRIEWANK UND WESTDEUTSCHLAND
7.3. ZWISCHEN OST UND WEST
8. DER STREIT UM DAS ERBE
8.1. DIE NACHFOLGE GRIEWANKS
8.2. DIE GRIEWANK-SCHÜLER UND WAS AUS IHNEN WURDE
8.3. HISTORIOGRAPHISCHE TRADITIONSLINIE VON „SCHILLER BIS FRICKE“? BRUCH UND KONTINUITÄT NACH GRIEWANKS TOD
8.4. KARL GRIEWANK – EIN „WEGBEREITER DER DDR-GESCHICHTSWISSENSCHAFT“?
8.5. „MEIN LEHRER KARL GRIEWANK“ – EINE RENAISSANCE NACH 1990
9. RESÜMEE
9.1. HISTORIOGRAPHISCH-METHODISCHE EINORDNUNG
9.2. POLITISCHE EINORDNUNG
9.3. „SEIN LEBEN UND WIRKEN GALTEN DER WAHRHEIT UND WAHRHAFTIGKEIT“ – AUF DER SUCHE NACH DER HISTORISCHEN WAHRHEIT
9.4. „... ABGERISSEN UND UNVOLLENDET“ – EIN LEBEN IM „ZEITALTER DER EXTREME“
10. ANHANG
10.1. AUSGEWÄHLTE QUELLEN
10.2. LEHRVERANSTALTUNGSVERZEICHNIS KARL GRIEWANK31
10.3. QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS
10.4. NAMENSREGISTER
10.5. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
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Karl Griewank (1900–1953) – ein deutscher Historiker im „Zeitalter der Extreme“
 3515086536, 9783515086530

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Tobias Kaiser

Karl Griewank (1900–1953) – ein deutscher Historiker im „Zeitalter der Extreme“

Wissenschaftsgeschichte Franz Steiner Verlag

23

PAL L AS ATH E NE – 2 3

Tobias Kaiser Karl Griewank (1900–1953)

PALLAS ATHENE -----------------------Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Lorenz Beck Band 23

Tobias Kaiser

Karl Griewank (1900–1953) – ein deutscher Historiker im „Zeitalter der Extreme“

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2007

Umschlagabbildung: Karl Griewank zum Zeitpunkt seiner Dissertation (1922). Quelle: Privatbesitz Prof. Dr. Andreas Griewank (Berlin)

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der „Gesellschaft der Freunde und Förderer der FriedrichSchiller-Universität Jena e.V.“

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-08653-0

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigen Papier. © 2007 Franz Steiner Verlag Stuttgart. Druck: Printservice Decker & Bokor, München. Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ............................................................................................................................ 9 1. EINLEITUNG ........................................................................................................... 11 1.1. Prolog: Karl Griewanks Tod – ein „modernes Gelehrtenschicksal“? ..................... 13 1.2. Biographischer Zugang und Fragestellungen der Arbeit......................................... 27 1.3. Quellen, Literatur und Aufbau der Arbeit als „offene Biographie“ ........................ 36

2. EIN DEMOKRAT AUS BÜTZOW – ERSTE WISSENSCHAFTLICHE UND JOURNALISTISCHE ARBEITEN................................................................................ 45 2.1. Familie aus der mecklenburgischen Kleinstadt ....................................................... 45 2.2. Geboren im Jahr 1900 – Generation, Kindheit und Jugend..................................... 49 2.3. Studium und Berufssuche – Hoffnungen und Erwartungen .................................... 54 2.3.1. Student und junger Absolvent in der Krisenlage der 1920er Jahre ............. 54 2.3.2. Exkurs: Willy Andreas und die Ambivalenzen nationalliberaler Geschichtswissenschaft ......................................................................................... 58 2.3.3. Der Rostocker Schülerkreis und die Parteiengeschichtsforschung in der Zwischenkriegszeit .......................................................................................... 67 2.3.4. Karl Griewanks Dissertation – Modernität und politische Positionierung ........................................................................................................ 69 2.4. Demokratisches Engagement in Charlottenburg – Karl Griewank als Lokalreporter .................................................................................................................. 73 2.5. „In seiner Art war er zurückhaltend und im Grunde sehr verschwiegen“ – Der Privatmann ...................................................................................................................... 80 2.5.1. Ehefrau mit internationalem Familienhintergrund – Magdalene Griewank................................................................................................................ 81 2.5.2. Eine „tiefe Religiosität, die er sonst gern verbarg“ – Fragen von Kirche und Glauben ............................................................................................... 83 2.5.3. Krebserkrankung in den dreißiger Jahren.................................................... 86

3. ZWISCHEN WISSENSCHAFTSORGANISATION UND KARRIERE – DIE ZEIT ALS REFERENT IN DER FORSCHUNGSFÖRDERUNG................................ 88 3.1. Die Geschichte der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ als Gegenstand kontroverser Deutungen – Zum Forschungsstand .......................................................... 88 3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung ......................................................... 93 3.2.1. „Die kleine Exzellenz“ – Im Umfeld von Friedrich Schmidt-Ott ............... 93 3.2.2. Das Jahr 1933 – Das Versagen des Bürgertums, die „Denkschrift Griewank“ und der Weg in den Nationalsozialismus ............................................ 99 3.2.3. „Ich kann dabei zunächst nur abwarten und in meinem Rahmen weiter arbeiten.“ – Schmidt-Otts Ablösung und seine Nachfolger...................... 105 3.2.4. Als parteiloser Referent in einem parteiischen System – ein Funktionsträger der NS-Wissenschaftspolitik ..................................................... 112

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Inhaltsverzeichnis

3.3. Karriereplanung vor 1945 – Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus ............117 3.3.1. Über die „Bedeutung der geistigen Waffen“ – Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus und der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“......118 3.3.2. Habilitation und Berufungspläne ...............................................................126 3.3.3. Der „unbestritten beste Vortrag“? – Das Historikertreffen in Weimar 1942....................................................................................................130 3.3.4. „Er ist verschwiegen, taktvoll und kennt sich gut aus in Berlin bei den entscheidenden Stellen“ – Die Fürsprache Willy Andreas’ .................................134

4. DER WISSENSCHAFTLER – POSITIONEN UND INTERESSEN...................... 140 4.1. Frühe geschichtswissenschsftliche Arbeiten..........................................................140 4.1.1. Geschichte des Liberalismus – Eine nicht realisierte Idee .........................140 4.1.2. Geschichte der Wissenschaftspolitik – Innovative berufliche Auftragsarbeit.......................................................................................................141 4.1.3. Königin Luise – Versuch der Historisierung einer Legende......................145 4.1.4. Hardenberg – Ein großer Deutscher? .........................................................151 4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas ..............................................154 4.2.1. Das Interesse am Kongreß und die Aktualität des Themas im Zweiten Weltkrieg................................................................................................155 4.2.2. Restauration, Friedenssicherung und Gleichgewicht – Zu Ansatz, Inhalt und Methode ..............................................................................................159 4.2.3. „[…] in den vergangenen Jahren in mancher Hinsicht hinzugelernt“ – Vergleich der Auflagen von 1942 und 1954 und Bemerkungen zur Rezeption ..165

5. DER PROFESSOR IN JENA ................................................................................... 171 5.1. Der Weg nach Jena.................................................................................................171 5.1.1. Wiederaufnahme des Lehrbetriebs an der Universität Berlin ....................171 5.1.2. Die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit – Bewahren und Aufbauen..........................................................180 5.1.3. Die „Deutsche Literaturzeitung“ – Eine berufliche Möglichkeit............... 184 5.1.4. Neuanfang – Die Berufung nach Jena........................................................188 5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit...........................................190 5.2.1. „Sowjetisierung“? Bemerkungen zur allgemeinen Entwicklung nach 1945 und zum Forschungsstand...................................................................190 5.2.2. Bemerkungen zum Begriff des „bürgerlichen Historikers“ .......................198 5.2.3. Situation der Jenaer Geschichtswissenschaft 1946-1953...........................201 5.2.4.Geschichtsstudium nach 1945 – Suche nach Orientierung .........................214 5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker ................................221 5.3.1. Akrobat am Rednerpult – Die Lehrveranstaltungen .................................. 221 5.3.2. Dekan der traditionellen Fakultät...............................................................224 5.3.3. Akademische Kultur - Von Faschingsfeiern, Exkursionen, Diskussionen und dem „Heide-Kreis“ .................................................................228 5.3.4. Konflikte: Universitätskrise 1948 und „Leisegang-Affäre“.......................231 5.3.5. Protest gegen die Studentenauswahl ..........................................................238

Inhaltsverzeichnis

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5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – Die „Treitschke-Diskussion“............. 241 5.5. Kein Ende der Konfrontation – Weitere Konflikte................................................ 266 5.5.1. Machtposition des Rektors Otto Schwarz – Streit um die politische Ablehnung von Dissertationen............................................................................. 266 5.5.2. Umgang mit den ersten ideologischen Abschlußarbeiten.......................... 270 5.5.3. „Säuberung der Universität“ und „Kirchenkampf“ – Eine Exmatrikulation im unmittelbaren Umfeld Griewanks ....................................... 274 5.5.4. Verhaftungen im unmittelbaren Umfeld und der 17. Juni 1953 ................ 279 5.6. Zuckerbrot und Peitsche – zusammenfassende Bemerkungen zur Hochschulpolitik der SED um 1950 ............................................................................. 282 6. DEMOKRATIE UND REVOLUTION – THEMEN DER GRIEWANKSCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG ................................................ 286 6.1. Nachkriegsreflexionen zu Demokratie und Revolution......................................... 286 6.1.1. Reflexionen und Recherchen in der „Sicherheit des Schweigens“............ 286 6.1.2. Menschenrechte und Demokratie – Anknüpfen an die Weimarer Republik und demokratische Neuorientierung ................................... 290 6.1.3. Die Französische Revolution als Anregung und Belehrung...................... 296 6.1.4. Eine Vorlesung über Arbeiterbewegung und Sozialismus ........................ 302 6.2. Ein neues „altes“ Thema – die Revolution 1848 ................................................... 305 6.2.1. Das Revolutionsjubiläum 1948.................................................................. 306 6.2.2. Inhalt und Methode – Die „unverlierbare Erinnerung“ an die Revolution............................................................................................................ 310 6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff...................................................................... 316 6.3.1. „So mag es denn als ein wenn auch unvollkommener Griewank in die Welt gehen“ – Zur Edition............................................................................. 318 6.3.2. Was ist eine Revolution? ........................................................................... 320 6.3.3. „... sondern die Geschichte des Revolutionsverständnisses...“ – Zum Ansatz.......................................................................................................... 324 6.3.4. Die Argumentationslinie............................................................................ 327 6.3.5. Zu Forschungskontext und Rezeption ....................................................... 331 6.3.6. Auseinandersetzung mit marxistischen Positionen.................................... 335 6.4. Deutschland, Preussen und Europa – beginnende Reflexionen............................. 343 6.4.1. „Die Sonderentwicklung Deutschlands [...] stärker zu betonen, auch in ihren nachteiligen Folgen“ – Eine Revision des Geschichtsbildes? .................... 343 6.4.2. Bismarck – Ein „christlicher Staatsmann“ im Grundsatzstreit der 1950er Jahre......................................................................................................... 345 7. ZWISCHEN OST UND WEST – DER VERMITTLER ......................................... 354 7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland....................................................................... 355 7.1.1. Gegen die „Umgestaltung der Universität in eine Schul- und Drillanstalt“ – In der Studienplankommission..................................................... 359 7.1.2. Das „Museum für deutsche Geschichte“ und die Historikertagung der DDR 1952...................................................................................................... 364

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Inhaltsverzeichnis

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland.....................................................................370 7.2.1. Vertreter der „Ostzone“ – Im Ausschuß des Historikerverbandes............. 371 7.2.2. „eine würdige Stellung“ – In der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ........................................................378 7.3. Zwischen Ost und West..........................................................................................386 7.3.1. „Man will dort offenbar politisch konservative Leute“ – Keine Berufung in den Westen.......................................................................................386 7.3.2. „Immer aber noch hoffe ich, eine Tätigkeit im Westen finden zu können, bevor der Vorhang sich etwa für längere Zeit völlig schließt“ – Hilferufe ...............................................................................................................393 7.3.3. Der Turm von Babel – Zunehmendes Nichtverstehen ...............................398 8. DER STREIT UM DAS ERBE.................................................................................401 8.1. Die Nachfolge Griewanks ......................................................................................402 8.2. Die Griewank-Schüler und was aus ihnen wurde ..................................................404 8.3. Historiographische Traditionslinie von „Schiller bis Fricke“? Bruch und Kontinuität nach Griewanks Tod ..................................................................................413 8.4. Karl Griewank – ein „Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft“? .............. 417 8.5. „Mein Lehrer Karl Griewank“ – eine Renaissance nach 1990 ..............................419 9. RESÜMEE ................................................................................................................424 9.1. Historiographisch-methodische Einordnung..........................................................425 9.2. Politische Einordnung ............................................................................................429 9.3. „Sein Leben und Wirken galten der Wahrheit und Wahrhaftigkeit“ – auf der Suche nach der historischen Wahrheit ..........................................................................431 9.4. „[...] abgerissen und unvollendet“ – ein Leben im „Zeitalter der Extreme“ .......... 433 10. ANHANG................................................................................................................436 10.1. Ausgewählte Quellen ...........................................................................................436 10.2. Lehrveranstaltungsverzeichnis Karl Griewank ....................................................449 10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis........................................................................451 10.3.1. Schriftenverzeichnis Karl Griewank ........................................................451 10.3.2. Mündliche und schriftliche Auskünfte von Zeitzeugen ...........................456 10.3.3. Ungedruckte Quellen................................................................................457 10.3.4. Gedruckte Quellen und sonstige Literatur ...............................................461 10.4. Namensregister.....................................................................................................517 10.5. Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................527

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VORWORT Das vorliegende Buch ist die überarbeitete und leicht gekürzte Fassung meiner im Juli 2004 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena angenommenen Dissertation. Es ist schön, wenn eine Arbeit abgeschlossen ist und man „Danke“ sagen kann und darf. Mein erster und wichtigster Dank gilt meinem Doktorvater HansWerner Hahn. Er hat nicht nur durch seine Schwerpunkte zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und die ausgewogene und kritische Art, diese zu präsentieren, sondern auch durch seine freundliche und engagierte Haltung dafür gesorgt, daß ich mich schon als Student nach meinem Studienortwechsel von Marburg nach Jena im familiären Jenaer Seminarbetrieb der späten 1990er Jahre wohl gefühlt habe. Herr Hahn hat mich stets gefördert und mir seit 1999 die Möglichkeit gegeben, als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Historischen Instituts diese Dissertation voranzutreiben. Hier lernte ich einen in Forschung und Lehre ungemein produktiven Lehrstuhl kennen, konnte manche Einblicke hinter die Kulissen des Wissenschaftsbetriebes nehmen und viele anregende Gespräche mit Kollegen führen, von denen einige zu guten Freunden geworden sind. Dem Zweitgutachter der Arbeit, Lutz Niethammer, bin ich nicht nur für sein Gutachten dankbar, sondern auch für die Anregungen und Impulse, die seine Präsenz in Jena dem hiesigen Institut gegeben hat und noch gibt. Rüdiger vom Bruch (Berlin) sei für die Aufnahme in die Reihe „Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ gedankt, über die ich mich sehr freue. Für – fachliche und private – aufbauende Gespräche und kollegiale Unterstützung danke ich allen Freunden und Kollegen in Jena und außerhalb. Stellvertretend für die vielen, die hier genannt werden müßten, will ich nur einige erwähnen, die Teile des Manuskripts lasen oder Kernthesen mit mir diskutierten: Frank Becker, Thomas Bohn, Katja Deinhardt, Stefan Gerber, Werner Greiling, Stefan Haas, Wiebke von Häfen, Dirk van Laak, Oliver Lemuth, Karl-Heinz Noack, Michael Ploenus, Klaus Ries, Barbara Schliessing und Elisabeth Winkler. Vor allem jedoch möchte ich meinen Freund und Kollegen Falk Burkhardt mit besonders herzlichem Dank hervorheben, den ich in der heißen Phase zu jeder Tages- und Nachtzeit ansprechen konnte und der den gesamten Text kritisch gelesen hat. Ein besonderer Dank gilt auch Ulrike Alberti, die den ersten Entwurf der Druckfassung gelesen und mit konstruktiven Bemerkungen versehen hat. Für Unterstützung bei den Registerarbeiten danke ich Johanna Lutze und Daniela Neumann. Alle genannten Weggefährten waren für das Gelingen der Arbeit wichtig. Eine äußerst wichtige Rolle für das Gelingen der Arbeit spielten die Zeitzeugen, die im Anhang und den Fußnoten der Arbeit benannt wurden. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Ich möchte an dieser Stelle Irmgard Höß, Ruth Wehowsky, Irmtraut Schmid, Gerhard Schmid und Gebhard Falk besonders hervorheben, die mir nicht nur für ausführliche Gespräche zur Verfügung standen, sondern zudem wertvolle Hinweise für die Druckfassung gaben und Material zur Verfügung stellten. Erfreulich ist auch das Interesse an Karl Griewank in dessen Heimatstadt Bützow, besonders von Bärbel Kipar und Heinz Hornburg. Gerne erinnere ich mich an deren Einladung nach Mecklenburg, durch die ich auch Gelegenheit

Vorwort

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bekam, Karl Griewanks Neffen Heinz und Hartmut Glüer kennenzulernen, denen ich zudem für die Überlassung von Kopien aus dem Familiennachlaß herzlich danke. Dies gilt in besonderem Maße auch für Andreas Griewank, ebenfalls ein Neffe des Historikers. Er und seine Familie haben mich mit ihrer Gastfreundschaft in Großröhrsdorf besonders beeindruckt. Nicht zuletzt gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller besuchten Archive und Bibliotheken mein herzlicher Dank. In Jena arbeitet zur Zeit die von Hans-Werner Hahn geleitete „Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert“, deren wissenschaftlicher Mitarbeiter ich inzwischen geworden bin. In diesem Forschungskontext entstand parallel zur Drucklegung dieser Arbeit der Studienband „Hochschule im Sozialismus“ zur Geschichte der Universität Jena in der Zeit von 1945 bis 1990, der von Uwe Hoßfeld, Heinz Mestrup und mir herausgegeben wird und Beiträge von über 80 Autoren enthält.1 Diese neueren Forschungen sowie weitere mir bekannte Arbeiten in statu nascendi wurden für die Drucklegung dieser Arbeit bewußt nicht mehr aufgenommen. Das gleiche gilt in der Regel auch für Neuerscheinungen aus den Jahren 2005 und 2006, die jedoch in manchen Fällen noch eingearbeitet wurden. Die Finanzierung dieses Buches wurde durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß der „Gesellschaft der Freunde und Förderer der Friedrich-SchillerUniversität Jena“ unterstützt. Gewidmet ist dieses Buch meinen Eltern, Wilma und Helmut Kaiser, die mich immer und in allen Bereichen unterstützt haben und denen ich ohnehin nicht genug danken kann. Jena, im Dezember 2006 Tobias Kaiser

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Uwe HOßFELD/Tobias KAISER/Heinz MESTRUP (Hg.): Hochschule im Sozialismus. Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945-1990), Köln/Weimar/Wien 2007.

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1. EINLEITUNG „Und sie wollen nicht, daß man die Geschichte der Geschichtsforscher schreibt. Sie wollen zwar die Unendlichkeit des historischen Details ausschöpfen. Aber sie selber wollen in dieser Unendlichkeit des historischen Details nicht vorkommen. Sie wollen kein Glied der historischen Reihe sein. Sie gebärden sich wie die Ärzte, die nicht krank werden und nicht sterben wollen“2 – mit diesem Zitat eröffnet Pierre Bourdieu seinen „Homo academicus“. Ein ähnliches Motto stellt auch Sylvia Paletschek ihrer universitätsgeschichtlichen Untersuchung voran: „Über Euch selber schweigt ihr.“3 Was damit zum Ausdruck gebracht werden soll, ist die Kritik an einer gewissen Blindheit vor der Vergangenheit der eigenen „Zunft“, einer „Betriebsblindheit“ der Historiker. Mehr noch als in den beiden Beispielen, in denen es um die Universitäten im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik sowie um die französische Soziologie geht, galt dies lange Zeit für die Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Doch gilt diese kritische Einschätzung heute noch? Ist die folgende Arbeit nicht eine von vielen Historikerbiographien, die bereits erschienen sind und im Erscheinen begriffen sind? Die Antwort kann nur in einem „Ja, aber...“ liegen, denn in der Tat scheinen Historikerbiographien im Moment (wieder) en vogue zu sein. Die neueren Arbeiten stehen unter dem Eindruck aktueller Debatten um die deutsche Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhundert, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus, und der davon nicht zu trennenden Entwicklung der Nachkriegszeit. Winfried Schulze spricht von „einer bemerkenswert breiten Forschungsrichtung, deren Ergebnisse noch nicht abzuschätzen sind.“4 Verstärkt seit dem Frankfurter Historikertag 1998, aber nicht erst seit diesem, wird die eingangs zitierte „Betriebsblindheit“ offen angeprangert und diskutiert.5 Explizit und implizit wird an biographische Studien die Forderung herangetragen, die in der Diskussion aufgeworfenen neueren Thesen, Erkenntnisse und Entdeckungen (Enthüllungen?) zu überprüfen. Keineswegs ist alles gesagt; insbesondere sind die Grenzen des biographischen Zugangs noch nicht abgesteckt und seine Stärken noch nicht ausgereizt.6

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Das Zitat stammt von Charles Péguy (1873-1914), zit. nach Pierre BOURDIEU: Homo academicus, Frankfurt (M) 1992, S. 31. Sylvia PALETSCHEK: Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Stuttgart 2001. Winfried SCHULZE: Ich bin Conze, und auf diesen Rothfels will ich meine Kirche bauen. Vom Aufstieg und siegreichen Untergang der Sozialgeschichte nach 1945: Thomas Etzemüller lässt im Fall Werner Conzes Kontinuitäten vom Dritten Reich zur Bundesrepublik sichtbar werden, in: Süddeutsche Zeitung, 29.11.2001. Vgl. vor allem Winfried SCHULZE/Otto Gerhard OEXLE (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt (M) 1999. Detaillierter hierzu unten Kapitel 3.3.1 „Unverändert unbefriedigend“ sei die wissenschaftsgeschichtliche Anwendung der „Methodik einer modernen Biographik“, so Hans-Christian PETERSEN: „Ostforscher“Biographien. Ein Workshop der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Universität Kiel und der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Malente, in: ZfG 49 (2001), S. 827-829, hier S. 829.

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1. Einleitung

Historiographiegeschichte sollte immer auch kritische Selbstreflexion sein: Reflexion über das eigene Fach, die Methoden, das Verhältnis von Historiker und Fakten, die Frage von Objektivität und Wahrheit.7 Sie eröffnet Chancen und Vergleichsmöglichkeiten, fordert jedoch vor allem zu methodischem Nachdenken auf. Von den verschiedenen Arten der Historiographiegeschichte ist die biographische ohne Zweifel die traditionellste.8 Sie diente häufig mehr der Würdigung als der Reflexion, war enger verwandt mit den Genres Festschrift oder Nekrolog als mit einer historiographischen Analyse. Es waren gerade jene kritischen Historiker, die die Konfigurationen des Historismus rekonstruieren wollten, die eine neue Historikerbiographie forderten. So forderte Edward Hallett Carr: „Studiere den Historiker, ehe du anfängst, die Fakten zu studieren“.9 Man solle zunächst den Historiker in seiner gesellschaftlichen Position zu erkennen versuchen und den starren Glauben an die Objektivität der Fakten zugunsten eines dynamischen Wissenschaftsverständnisses durchbrechen.10 Es soll ein deutscher Historiker vorgestellt werden, der im „Zeitalter der Extreme“11 lebte. Die Metapher hat sich zur Bezeichnung des „kurzen“ 20. Jahrhunderts“ zwischen Erstem Weltkrieg und Ende des Kalten Krieges etabliert. Bekanntlich charakterisierte der britische Sozialhistoriker Eric Hobsbawm mit ihr aus globalhistorischer Sicht die zunehmende Spirale von Ideologie, Gewalt und Existenzbedrohung, zu deren Bausteine Faschismus, Stalinismus und Kalter Krieg wurden.12 Was Hobsbawm mit historisch-materialistischer Methodik weltgeschichtlich und immer wieder aus der Perspektive der Modernisierungsverlierer betrachtet, hat Hans-Ulrich Wehler nun in seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ explizit als „das deutsche ‚Zeitalter der Extreme’“ auf die politische und soziale Entwicklung der deutschen Geschichte angewandt. Damit wolle er auch „im Hinblick auf andere bewegte Epochen“ betonen, daß diese „Ära beispielloser Turbulenzen“ das außergewöhnlichste Zeitalter der deutschen Geschichte gewesen sei.13 Wehler überträgt den mittlerweile gängigen globalhistorischen

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Zur Selbstreflexion in der Historiographiegeschichte vgl. beispielgebend Jörn RÜSEN: Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik I: Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1983, S. 20f. Unter dem Gesichtspunkt der „Selbstvergewisserung“ der Universität als Institution vgl. Notker HAMMERSTEIN: Jubiläumsschrift und Alltagsarbeit. Tendenzen bildungsgeschichtlicher Literatur, in: HZ 236 (1983), S. 601-633. Vgl. die Systematik bei: Horst Walter BLANKE: Typen und Funktionen der Historiographiegeschichtsschreibung. Eine Bilanz und ein Forschungsprogramm, in: Wolfgang KÜTTLER/ Jörn RÜSEN/Ernst SCHULIN (Hg.): Geschichtsdiskurs, Bd.1: Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichte, Frankfurt (M) 1993, S. 191-211. Edward Hallett CARR: Was ist Geschichte? [1961], Stuttgart [u.a.] 61981, S. 23. Die Diskussion um Carrs Position hält im angelsächsischen Raum bis heute an. Vgl. Keith JENKINS: On ‚What is History?’. From Carr and Elton to Rorty and White, London/New York 1995, vor allem S. 42-63; Richard J. EVANS: Fakten und Fiktionen. Über die Grundlagen historischer Erkenntnis, Frankfurt (M)/New York 1999. Eric HOBSBAWM: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 1995. Vgl. zur Historiographiegeschichte Lutz RAPHAEL: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003. Hans-Ulrich WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949, München 2003, S. 985. Vgl. auch Eric Hobsbawm hat inzwischen selbst eine Biographie präsentiert, die er gelegentlich als die „B-Seite“ seines „Age of extremes“ bezeichnet hat, nämlich seine Autobiographie. Sie beschreibt in der Tat ein internationales, Extreme erleidendes und gestalten-

1.1. Prolog: Karl Griewanks Tod – ein „modernes Gelehrtenschicksal“?

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Begriff Hobsbawms so auf die Deutsche Gesellschafts- und politische Geschichte. In diesem von Wehler beschriebenen Sinne soll hier ein Lebenslauf aus der deutschen Geschichte dieser Zeit präsentiert werden. Karl Griewank, geboren im Jahr 1900 und bereits 1953 durch Suizid aus dem Leben geschieden, war weder „Gestalter“ dieses Jahrhunderts noch politisch ein „Extremer“; er lebte und wirkte als Historiker in diesem 20. Jahrhundert und befand sich gleichsam unfreiwillig nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich bald mitten in ihm und in der angespannten Lage des Kalten Krieges: als sogenannter „bürgerlicher“ – also nichtmarxistischer – Wissenschaftler in der DDR, in Jena. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß Karl Griewank allgemein bekannt ist; es gilt ihn zunächst einmal vorzustellen. Deshalb folgt nun – in Form eines darstellerischen Exkurses – ein narrativer Teil, der die Einleitung nicht beendet, sondern nur unterbricht. Dabei wird das Ende zum Beginn erzählt und Griewanks Suizid thematisiert. Kaum ein Gesprächspartner, wenn er denn meinen „Helden“ kannte, hat nicht nach einiger Zeit danach gefragt, ob denn Näheres über die Gründe des Freitods herauszufinden gewesen sei. Wie geht eine Biographie mit einem solchen Lebensende um und welche methodischen und darstellerischen Fragen hängen damit zusammen? Probleme, Grenzen und Möglichkeiten des biographischen Zugangs sollen im Anschluß entwickelt und Fragestellungen formuliert werden.

1.1. PROLOG: KARL GRIEWANKS TOD – EIN „MODERNES GELEHRTENSCHICKSAL“?14 Am 2. November 1953 traf sich in Jena eine große Trauergemeinde auf dem Jenaer Nordfriedhof. Karl Griewank, der nur 53-jährige Professor für Neuere und Mittlere Geschichte wurde zu Grabe getragen. Der Historiker war nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern hatte sich am 26. Oktober vor einen fahrenden Zug geworfen und so seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Die Familie sah nicht ohne Sorge der Trauerfeier entgegen. Der aus dem hessischen Röhrda angereiste Bruder Theodor Griewank, selbst promovierter Historiker und Pfarrer, berichtete in einem unmittelbar nach der Beerdigung geschriebenen Rundbrief an Freunde und Verwandte: „[A]ls sich beim Einzug der Angehörigen in die Friedhofskapelle alle Anwesenden erhoben und als ich den mächtigen Blumenaufbau mit zahllosen Kerzen erblickte, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl. Aber schon der erste Satz des Predigers ‚Liebe Leidtragende, als Universitätsprediger habe ich heute an diesem Sarge das Evangelium zu verkünden’ durchstieß den Schleier der akademischen und gesellschaftlichen Konvention.“15

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des, im ganzen schlicht imponierendes Leben. Vgl. Eric HOBSBAWM: Interesting Times. A Twentieth-Century Life, London 2002; jetzt auch DERS.: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, München 2003. Zur Buchpräsentation dieser deutschen Übersetzung erschien der 86-jährige Eric Hobsbawm (mit karierter Schiebermütze) zusammen mit HansUlrich Wehler (mit gestrickter Bommelmütze), vgl. dazu Jan-Hendrik WULF: Schräg zum Universum. Rebellen mit karierter Mütze und Bommel. Eine Lesung des Historikers Eric Hobsbawm, in: taz vom 21.11.2003, S. 28. Vgl. Willy ANDREAS: Karl Griewank †. Betrachtungen zu einem modernen Gelehrtenschicksal, in: GWU 5 (1954), S. 610-614. Theodor Griewank, Rundbrief an Freunde und Verwandte, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Für die Benutzung der privaten Unterlagen und für die freundliche Aufnahme danke ich Herrn Prof. Andreas Griewank (Großröhrsdorf) und seiner Familie sehr.

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1. Einleitung

Der Prediger von dem hier die Rede ist, war der Theologieprofessor Erich Hertzsch16, dessen Predigt von Zeitzeugen als eindrucksvoll geschildert wird: „Niemand von uns kann an diesem Sarg unbeteiligter Zuschauer, interessierter Beobachter oder konventioneller Mitläufer sein: [V]on dem, was geschehen ist, können wir uns nicht distanzieren. Die Gefahr, in der der Tote war, ist unsere Gefahr. Die Verführung, die ihn bedroht hat, bedroht auch mich und Dich, da wir alle sterbliche, hinfällige, von außen und innen gefährdete Menschen sind. [...] Ja, so sind wir: Wir starken, gesunden, angesehenen, wohlhabenden, [k]lugen, gelehrten, einflußreichen, vielleicht gar berühmten Menschen, die wir hier um diesen Sarg herumstehen.“17

Im Anschluß an die Predigt sang die Assistentin Ingeborg Horn Lieder von Johann Sebastian Bach. Es folgten gemeinsame Lieder und Gebete sowie eine Fülle von Ansprachen. Die Veranstaltung dauerte insgesamt über zwei Stunden. Es sprachen der Mediävist Friedrich Schneider als Dekan für die Fakultät18 und der Rektor Josef Hämel, ein Mediziner, der die Griewanks gut kannte, auch den Toten identifiziert und die Witwe informiert hatte. Hermann Heimpel19, aus Göttingen angereist, sprach für den „Verband der Historiker Deutschlands“ und die Münchner „Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften“.20 Beiden Organisationen gehörte Griewank in führenden Positionen an. Für die „Deutsche Akademie der Wissenschaften“ (Berlin) sprach der Altphilologe und ehemalige Jenaer Rektor Friedrich Zucker und für die Mitarbeiter des Historischen Seminars die Dozentin Irmgard Höß, an deren Beitrag sich der Bruder des Toten als die eindrucksvollste Rede erinnerte.21 KarlHeinz Hahn, ein Doktorand, ergriff für die Schüler das Wort. Auch Vertreter des „Staatssekretariats für Hochschulwesen“ und der FDJ legten Kränze nieder, ebenso die „Evangelische Studentengemeinde“, Vertreter der Leipziger Universität und andere. „Der Weg zum Grabe war ziemlich lang und ging bergauf auf dem schönen Friedhof Jena-Nord. Am Grabe sangen die Studenten ‚Wenn wir in höchsten Nöten sind und wissen weder aus noch ein’“, so wußte Theodor Griewank zu erzählen und sprach von der „lange[n] Reihe der Kondolenzen [...] wobei

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Erich Hertzsch gehörte als religiöser Sozialist dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus an und war aufgrund dieser Tradition zunächst das einzige Mitglied der SED im Personal der Theologischen Fakultät. Im Rahmen der sogenannten „Parteisäuberungen“ schied er „im Einvernehmen“ aus der SED aus, mit dessen stalinistischer Ausrichtung er sich nicht mehr identifizieren konnte. [Erich HERTZSCH:] Predigt über Röm. 8, 31-35, 37-39 gehalten am 2. November 1953 am Sarg von Prof. Dr. Karl Griewank (MS), in: PrA Griewank. Handschriftliches Manuskript der Trauerrede für Prof. Dr. Karl Griewank, in: UAJ, V, Abt. IV, NL Friedrich Schneider, Nr. 012. Zu Heimpel vgl. Pierre RACINE: Hermann Heimpel à Strasbourg, in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 142-156; Ernst SCHULIN: Hermann Heimpel und die deutsche Nationalgeschichtsschreibung, Heidelberg 1998; Klaus P. SOMMER: Eine Frage der Perspektive? Hermann Heimpel und der Nationalsozialismus, in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 199-223. Hermann Aubin dankte Heimpel, „daß Sie den Historikern des Westens den Dienst erwiesen haben, die Reise nach Jena auf sich zu nehmen und uns bei der Beerdigung Griewanks zu vertreten.“ Hermann Aubin an Hermann Heimpel, 9.11.1953, in: AVHD Göttingen, Ordner 6, Buchstabe H. [Irmgard HÖß]: Gedenkworte der Mitarbeiter des Historischen Seminars gesprochen bei der Bestattung Professor Dr. Karl Griewanks [1953], in: Prof. Dr. Karl Griewank und das moderne Demokratieverständnis. Zum Lebenswerk des gebürtigen Bützowers anläßlich seines 100. Geburtstages, Bützow 2000, S. 42f.

1.1. Prolog: Karl Griewanks Tod – ein „modernes Gelehrtenschicksal“?

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Unzählige in Tränen ausbrachen, Magda [die Ehefrau] aber bewundernswert gefaßt blieb.“22 Die Mutter schrieb: „Daß Karl sehr angesehen war unter seinen Fachgenossen und beliebt bei den Studenten, wußte ich. Doch ich ahnte nicht, daß er so viel Hochachtung und bewundernde Anerkennung bei Kollegen und Freunden und so viel Liebe und Verehrung bei seinen Schülern besaß. Aus ganz Deutschland kommen Briefe.“23 Die Frage nach den Gründen für den Suizid bewegte wohl alle. Griewank befand sich in keiner leichten Situation. Er gehörte zu jenen Historikern, die den Marxismus-Leninismus bzw. den Historischen Materialismus nicht als bindende Voraussetzung für sein Handeln anerkennen wollten. Dabei zog er sich jedoch nicht auf Nischengebiete zurück, sondern besetzte das (ideologisch so wichtige) Feld der Neueren Geschichte durchaus politisch und engagiert. Er thematisierte und diskutierte in seinen Veranstaltungen die Rolle des Sozialismus, er wandte sich zuletzt auch der Bedeutung und Theorie von Revolutionen in der Geschichte zu. Den Beteiligten sind die weltanschaulichen Kontroversen nicht verborgen geblieben, vor allem die sogenannte „Treitschke-Diskussion“24 im Winter 1950/51 hatte dies gezeigt, in deren Verlauf Studenten marxistischer und nichtmarxistischer Grundüberzeugung öffentlich gegeneinander Stellung bezogen. An der Idee der Deutschen Einheit und einer gesamtdeutschen Wissenschaft hielt er fest und übernahm mit dieser Einstellung organisatorische Aufgaben sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik. War er also daran zerbrochen, daß sich diese Vorstellung zunehmend als unrealistisch erwies, hatte der Freitod mithin politische Gründe? Diese Frage wurde natürlich sofort gestellt und auch der Theologe Hertzsch ging darauf in der Predigt ein: „Liebe Gemeinde! Es gibt keine äußeren Gründe, die das, was geschehen ist, erklärlich machen. Darum wehe dem, der törichtem und lieblosem Klatsch sein Ohr oder gar seinen Mund leiht! Selbst der erfahrene Arzt steht hier vor einem Rätsel, obwohl ihm das Krankheitsbild nicht unbekannt ist. Wir alle stehen vor einem Geheimnis!“25

Es ist also von einem bekannten Krankheitsbild die Rede. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Karl Griewank hatte sich am 21. Oktober 1953, eine Woche vor seinem Tod, zu einer freiwilligen Behandlung in die Psychiatrische Universitätsklinik begeben. Er litt zum wiederholten Male an langanhaltender Schlaflosigkeit – das war der akute Anlaß.26 Der Hintergrund waren schwere Depressionen, die ihm wiederholt zu schaffen machten: „es überwältigt mich dann alles, was man zu tun hat, ... das sind dann meine Vorhaben, die bedrücken, die befürchten lassen, daß man es nicht gut macht.“27 Werden Depressionen heute als lebensbedrohliche Krankheit und häufige Ursache für Suizide sehr ernst genommen, so waren sie in

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Theodor Griewank, Rundbrief an Freunde und Verwandte, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Christine Griewank an Verwandte und Freunde, 5.11.1953; in Abschrift verbreitet in einem Rundbrief Theodor Griewanks, 24.11.1953 (MS), in: PrA Griewank. Hervorhebung im Original. Dazu ausführlich unten Kapitel 5.4. Hertzsch, Predigt, in:PrA Griewank. In der Anamnese gibt er an: „... wenn ich mich am Tage aufgeregt habe, dann wache ich schreckhaft auf, ... ich versuche, das zu paralysieren ... die Schlafstörungen sind periodenweise“. Er habe schon verschiedenes dagegen versucht, habe Prof. Brednow deswegen konsultiert, auch „das autogene Training ... zuletzt hat das nicht genutzt“. Protokoll, 13.10.1953, in: Archiv der Klinik für Psychiatrie und Neurologie der FSU Jena, Krankenakte Nr. 51192 Griewank, Karl. Auslassungszeichen im Original. Ebd. Hervorhebung im Original durch den Arzt.

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1. Einleitung

den 1950er Jahren noch weitgehend tabuisiert.28 Eine gewisse Veranlagung zur Depression kann bei Griewank angenommen werden. Als Student, so gab er in der Anamnese selbst an, habe er bereits Suizid-Gedanken gehabt: Er sei „ins Wasser gegangen, aber gleich wieder hinaus.“29 Auch sein Cousin Arnold erinnert sich, „daß mein Vetter bereits als Student gelegentlich unter Depressionen litt.“30 Der konkrete Verlauf stellte – wie in der Predigt gesagt wurde – sich zunächst als ein Rätsel dar. Dem Patienten ging es nämlich wieder besser.31 In der letzten Nacht vor dem Tod hatte er sogar „auffallend gut geschlafen“. Rudolf Lemke, der behandelnde Arzt, notierte: „Bittet um die Erlaubnis, aus der Klinik entlassen zu werden, er fühle sich so gesund, daß er seine Vorlesungen wieder aufnehmen möchte. Es wird ihm entgegnet, daß die Entlassung noch verfrüht sei. Bei der Unterhaltung keine besondere Erregung.“32 Karl Griewank konnte nachmittags eine Stunde spazieren gehen. Dies hatte er schon in den letzten Tagen gemacht. Nun jedoch kehrte er von diesem Spaziergang nicht mehr in die Klinik zurück und ging statt dessen zu den Bahngleisen Richtung Weimar. In den Worten des Bruders: „Zeugen haben beobachtet, wie er nachmittags unruhig auf und ab lief, auch Kinder erregt fragte, ob kein Zug käme. Gegen 18 Uhr kam dann ein Zug von oben herabgebraust und der Lokomotivführer konnte nicht so schnell bremsen. Den Kopf, der immer so überwach war und das Herz nicht zur vollen Entfaltung kommen ließ, so sagte Magda uns, hat er auf die Schienen gelegt und selbst geopfert.“33 Diese brutale Selbstzerstörung setzt dem Leben eines Wissenschaftlers ein Ende, der – in den Worten der Ehefrau – „ohnehin aus der Konstitution heraus nervenschwach war und den allgemeinen Belastungen der Ostzone wie den besonderen seines Berufes nicht gewachsen war, auch infolge der Krankheit nicht mehr die Kraft besaß, sich daraus zu befreien.“34 Vielen blieb diese persönliche Seite verborgen. Es ist die andere Seite eines scheinbar starken Wissenschaftlers und Wissenschaftsorganisators, der in Publikationen, Vorlesungen und Seminaren stets durch seine nüchterne Art, den klaren Aufbau sowie die große Ausgewogenheit und faire Unabhängigkeit auffiel. Als Fachrichtungsleiter, Dekan, Sekretär der „Historischen Kommission der

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Die medizinische Forschung hat inzwischen große Fortschritte gemacht und den Konnex von Veranlagung, Umwelteinflüssen, Depressionen und Suizid gründlicher erforscht. Man rückt dabei von einer starren Systematik und der Unterscheidung reaktiver, endogener und organischer Depressionen ab, sondern geht eher von einer stets vorhandenen Kombination verschiedener Faktoren aus. 2003 wurde sogar ein Gen entschlüsselt, dessen Beschaffenheit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Depressionen signifikant verändert, also mit dafür verantwortlich ist, wie Menschen mit Schicksalsschlägen umgehen können. Vgl. Avshalom CASPI [u.a.]: Influence of Life Stress on Depression. Moderation by a Polymorphism in the 5HTT Gene, in: Science 301 (18 July 2003), S. 386-389. Archiv der Klinik für Psychiatrie und Neurologie der FSU Jena, Krankenakte Nr. 51192 Griewank, Karl. Arnold Fratzscher an Karl Pagel, 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Dies ist jedoch bei genauerer Betrachtung gar nicht so ungewöhnlich. Erst in der Phase der Entspannung nach einer psychischen Anstrengung schlägt die Belastung durch. Wenn Ruhe einkehrt, machen sich depressive Gedanken breit. Archiv der Klinik für Psychiatrie und Neurologie der FSU Jena, Krankenakte Nr. 51192 Griewank, Karl. Rundbrief Theodor Griewank, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Magdalene Griewank an Friedrich Schmidt-Ott, 30.6.1954, in: GStAPK, VI. HA, NL Friedrich Schmidt-Ott, Nr. 35, unpag.

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Bayerischen Akademie der Wissenschaften“, als Ausschußmitglied des Historikerverbandes und Mitglied im „Wissenschaftlichen Beirat der Fachrichtung Geschichte“ der DDR, hatte er sich engagiert, ebenso in staatlichen Lehrplankommissionen, als Berater des Ostberliner „Museums für Deutsche Geschichte“ oder Herausgeber des Rezensionsorgans „Deutsche Literaturzeitung“ der Berliner „Akademie der Wissenschaften“. Auf der anderen Seite steht der stets etwas nervöse, schon als Kind häufig von Krankheiten geplagte Mensch. Mit 18 Jahren hatte er den Tod des zu diesem Zeitpunkt erst 52 Jahre alten Vaters erleben müssen.35 Mit 35 Jahren unterzog Karl Griewank sich einer Hodenkrebsoperation, die mit Depression einherging. Irmgard Höß sah einen Grund für den Suizid darin, daß Griewanks Krebserkrankung wieder aufgetreten sei. Diese Vermutung teilte sie auch Gerhard Ritter mit.36 Es gibt jedoch keinerlei Bestätigung hierfür. Die Krebserkrankung trat definitiv nicht mehr auf. Was nun weiß man über die Gründe des Suizids? Karl Griewank hinterließ zwei kurze Abschiedsschreiben, die jedoch nicht erhalten sind und von denen nur indirekt berichtet wird. Der Bruder schrieb, es habe sich um zwei Zettel gehandelt „in dem sonst leeren Briefblock [...], auf die mit Bleistift in veränderter Schrift in Eile und starker Erregung einige Worte hingeworfen waren. Der Inhalt war etwa folgender: Liebes Magdel! Sei mir nicht böse. Ich fühle, dass jetzt wirklich das kommt, was in diese Anstalt gehört. Ich möchte Dir und den anderen das Zugehörige ersparen. Dank für alles, Dir und den anderen! Tröstet Euch, es wird auch für mich ein Platz in der Ewigkeit bleiben. Dein Karl[.] Auf einen anderen Zettel hatte er einige Überlegungen zur Berufsfrage skizziert, Magda meint, vielleicht für einen Brief an den Minister. Text etwa so: Lehramt nicht mehr imstande (in den Verhältnissen der Sowjetzone) – leichtere Arbeit unter einfacheren Verhältnissen, wo weniger Elastizität und Produktivität nötig? Pensionierung?“37

Die Mutter erwähnte ebenfalls diese Briefe, die die Witwe fünf Tage nach dem Tod gefunden habe, sprach aber nicht von den „Verhältnissen der Sowjetzone“ sondern von „obwaltenden Umständen“.38 Wieder sind es zwei Ebenen, die hervortreten: die persönliche, gesundheitliche Seite und der Aspekt der beruflichen Überlastung, des äußeren Drucks. In der Krankenakte findet sich keine objektive Bestätigung für die subjektive Angst vor einer schlimmeren psychischen Erkrankung. Inwieweit die Behandlung dort diese Gefühle bestärken konnte, bleibt offen. Seine Mutter deutete dies an: „Die Abgeschlossenheit in der Klinik lastete wohl schwer auf ihm.“ Eine in den Akten der Bonner „Bundesanstalt für Gesamtdeutsche Aufgaben“ zu findende Einschätzung, wonach die Psychiatrie in Jena sich in einem katastrophalen Zustand befand, sollte quellenkritisch in die Zeit des Kalten Krieges eingeordnet werden.39 Allerdings muß man doch deutlich und kritisch den in den 1950er Jahren nicht gerade modernen Stand der deutschen Psychiatrie benennen: Eine – auch in Jena

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Vgl. die hohen Krankheitszahlen in den überlieferten Zeugnissen Karl Griewanks. Irmgard Höß an Gerhard Ritter, 21.12.1953, in: AVHD Göttingen, Ordner 6, H. Rundbrief Theodor Griewank, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Christine Griewank an Verwandte und Freunde, 5.11.1953, in: PrA Griewank. Information über die Nervenklinik Jena, März 1953, in: BA Koblenz, B 285, Nr. 904, unpag. Hier wird berichtet daß die Klinik völlig veraltet sei, die Heizung defekt, die Betten ungefedert und ohne Bettwäsche „(zugeteilte Wäsche wurde für die ABF abgezweigt). SEDPropaganda wird sogar innerhalb der einzelnen Stationen rege betrieben. Friedensecken in den einzelnen Zimmern (Verfolgungswahnerscheinungen nehmen laufend zu). Kranke können nicht an die Luft, da kein Zaun vorhanden ist.“

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1. Einleitung

– habituell und personell vom Nationalsozialismus geprägte, im Anstaltswesen verhaftete Institution, die die ohnehin weitgehende Tabuisierung psychischer Krankheitsbilder verstärkte. Hierzu Griewanks Cousin: „Der Aufenthalt in der Klinik scheint wie ein Schock auf ihn gewirkt zu haben. Jedenfalls geht aus dem Abschiedsbrief an seine Frau eindeutig hervor, dass er befürchtete, geisteskrank zu werden. Am Mittag des Todestages war meine Kusine noch bei ihm; er war ruhig und äußerte nur den Wunsch, möglichst bald aus der Klinik zu kommen. Hinterher ist ihr bewußt geworden, daß er sie fragte, ob man ihm etwas ansähe; sie hat diese Frage zunächst ganz harmlos aufgenommen.“40

Gerhard Schmid erinnert sich, daß man damals im Schülerkreis über das Verhalten des behandelnden Arztes Rudolf Lemke41 diskutiert habe: „Von irgendwoher muß diese Interpretation gekommen sein: Der Lemke hat sich nicht sehr geschickt verhalten und Griewank den Mut genommen.“42 Die Vorstellung, seine Leistungsfähigkeit vielleicht zu verlieren und weiter unter einer psychischen Erkrankung leiden zu müssen, belasteten Griewank wohl in der Tat stark. Er, der so vieles in seinem Leben gemeistert hatte, fühlte sich dem hilflos ausgesetzt. Objektiv jedoch (ausweislich der Krankenakte) bestand die Gefahr, daß er seine Leistungsfähigkeit verlieren könnte, nicht. Ein weiterer Grund könnte die scheinbare Aussichtslosigkeit einer weiteren beruflichen Entwicklung gewesen sein. Karl Griewank hatte noch kurz vor seinem Tod berufliche Pläne geschmiedet, sowohl konkrete als auch langfristige, vor allem die Überarbeitung seines Buches über die neuzeitlichen Revolutionen. Und er hatte die Möglichkeit, hauptamtlich als Sekretär bei der „Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften“ in München zu arbeiten. Der Cousin Arnold Fratzscher wußte: „Mein Vetter hat seit langem sehr unter der Frage gelitten, ob er in Jena ausharren oder ganz nach München gehen solle. Er konnte sich nicht entschließen, seine Schüler, die sehr an ihm hingen, ohne zwingenden Grund im Stich zu lassen. Aber immer wieder hat er mit seiner Frau erwogen, ob er es verantworten könne, noch länger in Jena zu bleiben.“43 Könnte Griewank im Herbst den Schritt, in Jena zu bleiben, vielleicht bereut haben? Gab es Anzeichen, daß der Wechsel nach München nicht mehr möglich war? Aus den Beständen des Nachlasses blieben diese Fragen offen, im Privatarchiv des Neffen findet sich jedoch der entscheidende Brief Karl Griewanks an den in Göttingen lebenden Arnold Fratzscher, in dem es heißt, daß die Leitung der Münchner Kommission habe „in nobler Weise erklärt, man dürfe mich jetzt nicht zu einer Entscheidung nach einer Seite drängen“. Man halte die Stelle ein ganzes

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Arnold Fratzscher an Karl Pagel, 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Rudolf Lemke, Jahrgang 1906, 1936 Dozent, 1948 Professor für Psychiatrie und Neurologie in Jena. Zu Lemkes freiwilliger Tätigkeit als Beisitzer des nationalsozialistischen “Erbgesundheitsobergerichtes“ vgl. Susanne ZIMMERMANN: Die Medizinische Fakultät der Universität Jena während der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 2000, S. 144-146. Vgl. vor allem auch Ernst KLEE: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945, Frankfurt (M) 22001, S. 242f. Mdl. Information Gerhard Schmid, 18.10.2000. Arnold Fratzscher an Karl Pagel, 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag.

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Jahr für ihn offen. „So ist wieder für ein Jahr Zeit gewonnen, ohne daß ich die Brücken abzubrechen brauche hier oder drüben.“44

Abbildung 1: Karl, Andreas und Theodor Griewank am 24. September 1953 in Röhrda (Hessen)45

Karl Griewank war kurz vor seinem Tod in München, wo er diesen Brief am 2. Oktober zur Post brachte. Zuvor besuchte er in Bremen den Historikertag und machte bei seinem Bruder Theodor im hessischen Röhrda Station. Es ging ihm in dieser Zeit sehr gut, er fühlte sich „von allen Depressionen frei und er schlief auch gut.“46 Er genoß die Reise durch Westdeutschland. „Jedem, der ihn in dieser Zeit gesehen hat, fiel auf, wie heiter und ausgeglichen er war.“47 Aus diesem Grund vermutete der Bruder, die Rückkehr in die DDR habe ihm wohl einen Schock versetzt und führte aus: „Man kann Karl mit gutem Grund ein Opfer der Ostzone nennen, auch wenn kein akuter Konflikt vorlag. Der innere Zwiespalt zwischen der eigenen Überzeugung und der herrschenden ‚Weltanschauung‘ lastete zunehmend auf ihm und hat seine Nerven zerrüttet, das meinte auch der Systematiker Gloege48, der Karl hochschätzte“.49 Eine Meinung, die der Bruder in engen Familien- und Bekanntenkreis äußert, auch wenn der Weg nach Westen für den Jenaer Historiker durch das Angebot aus München immer noch offen blieb und keine unmittelbare Verschärfung der Auseinandersetzung zu erkennen war. Es gibt somit keine einfache Antwort auf die Frage nach den Gründen, keinen aktuellen Auslöser für den Suizid. Die zeitgeschichtlichen Umstände sind als externe Faktoren ebenso in Rechnung zu stellen wie die allgemeine berufliche

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Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 2.10.1953, in: PrA Griewank. Den Inhalt dieses Briefes bestätigt auch Arnold Fratzscher an Karl Pagel, 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. PrA Griewank. Rundbrief Theodor Griewank vom 6.11.1953. Arnold Fratzscher an Karl Pagel, 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Gerhard Gloege, seit 1946 Lehrstuhlleiter für systematische Theologie, kannte Griewank vom sogenannten „Heidekreis“, einem privaten Gesprächskreis von Gelehrten verschiedener Fakultäten, bei dessen Aufbau Gloege eine wichtige Rolle spielte. Siehe dazu unten Kapitel 5.3.3. Rundbrief Theodor Griewank vom 6.11.1953.

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1. Einleitung

Beanspruchung eines an Pflichterfüllung orientierten Kopfarbeiters. Letztlich bleibt die Handlung jedoch schwer nachvollziehbar, blieben Griewank objektiv gesehen noch andere Möglichkeiten offen. Nur aus einer inneren Not, aus subjektiv-psychischen Faktoren läßt sich seine Selbsttötung erklären, wobei externe und endogene Faktoren zusammenkommen. Die letzte Erklärung bleibt auch diese Arbeit schuldig. Im Grunde ist Hertzsch zuzustimmen, wenn er betont, daß keine äußeren Gründe das, was geschehen ist, erklärlich machen. Die skizzierte Motivlage der allgemeinen Belastung ohne aktuellen Anlaß war zu differenziert in der damaligen Zeit, so daß ein solcher konstruiert wurde. Das vom Gesamtdeutschen Ministerium in Bonn herausgegebene „SBZ-Archiv“ meldete kurz nach Griewanks Tod, dieser habe sich das Leben genommen, da man ihn in seinem letzten Vortrag zu lügen gezwungen habe.50 Griewank trug am 19. Oktober zum 140. Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig in der Aula der Universität vor. Hier habe er die „deutsch-russische Waffenbrüderschaft“ beschwören und die russische Rolle bei den Befreiungskriegen betonen sollen. Diese frei erfundene Geschichte stützte sich auf Informationen des „Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen“ (UFJ)51 und wurde von der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa)52 verbreitet und auch im „Bulletin der Bundesregierung“53 veröffentlicht. Die Nachricht wurde im Radio54 und in zahlreichen Tageszeitungen gebracht. „Christ und Welt“55, der Vorläufer des „Rheinischen Merkurs“, brachte eine längere Meldung. Schließlich fand die Nachricht vom zur Lüge gezwungenen Historiker, der sich deshalb das Leben nahm, sogar Eingang in das Herder-Lexikon von 1954.56 Selbst die „New York Times“ berief sich auf den UFJ, um in einer kurzen Mitteilung vom Suizid des „Anti-Red Professor“ Griewank zu berichten.57 Der „Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen“ war eine jener halbstaatlichen Stellen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, das in der DDR begangene Unrecht zu beobachten und Ansprechpartner für verfolgte Opfer der „Ostzone“ zu sein. Die Initiative ging dabei vom Gründer und langjährigen Vorsitzenden Horst Erdmann aus, der unter dem Alias-Namen „Dr. Theo Friedenau“ in Erscheinung trat. Es gelang dem UFJ, dessen Finanzierung vollständig aus Mitteln des Bundes sichergestellt wurde, durch geschickte Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, eine wichtige Stellung in der bundesdeutschen Politik zu erreichen, z.B. durch das

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Art. „Eine Todesanzeige“, in: SBZ-Archiv 4 (1953), H. 23 vom 5.12.1953. Vgl. Frank HAGEMANN: Der Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen 1949-1969, Frankfurt (M) [u.a.] 1994. dpa-Meldung, 12.12.1953, als Anlage zu: dpa an Willy Andreas, 23.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Bulletin der Bundesregierung vom 13.1.1954. Die Meldung wurde am 12.12.1953 im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt. Vgl. dazu Arnold Fratzscher an Karl Pagel, 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Harald von KOENIGSWALD: Tragödie eines Gelehrten. Ein Jenaer Professor suchte den Tod, in: Christ und Welt Jg. 7, Nr. 2 vom 14.1.1954. Art. „Griewank, Karl“, in: Der große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben, Bd. 4, Freiburg 51954, Sp. 369. Für den Hinweis auf diesen Artikel danke ich Peter Schumann (Göttingen). Art. „Anti-Red Professor a Suicide”, in: New York Times vom 13. Dezember 1953, S. 13. Es handelte sich um eine kurze Meldung, „that a noted German History professor had committed suicide by throwing himself in front of a train because of Communist pressure on his writings.” Den Hinweis auf diese Meldung verdanke ich Barbara Schliessing.

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Erstellen von „Personengutachten“ über DDR-Flüchtlinge, mit denen diese sich als Opfer des Kommunismus ausweisen konnten. Als sich jedoch 1958 herausstellte, daß Erdmann alias Friedenau nicht nur seinen Doktortitel erfunden, sondern auch seine Nazi-Vergangenheit als HJ-Führer geschönt hatte, ging die Regierung auf Distanz zu dem Verband, der ironischerweise ein besonderes Augenmerk auf die Aufdeckung der NS-Vergangenheit von DDR-Funktionären gelegt hatte.58 Beim UFJ beschwerte sich Theodor Griewank nun über die Falschmeldung. Man dürfe den Tod seines Bruders nicht „zu einer Kugel im kalten Krieg“59 werden lassen. Im internen Rundbrief hatte er zwar gleichfalls das Opfer-Bild betont, wenn auch wesentlich differenzierter. Auch Willy Andreas zeigte sich „empört über die herz- und gewissenslose Gerüchtemacherei und die unwahrhaftige und gemeine politische Ausbeutung, die das Ende Karl Griewanks in unserer Westzone gefunden hat“.60 Über einen Schüler nahm er Kontakt zur Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf und legte dieser eine neutrale Meldung nahe, die dann jedoch nicht veröffentlicht wurde. Die dpa antwortete, in solchen Fällen würden immer Nachforschungen angestellt und diese hätten zur Übernahme der Version des UFJ geführt. Demzufolge sei Griewank „seit laengerer zeit mit einer wissenschaftlichen arbeit ueber die voelkerschlacht bei leipzig beschaeftigt gewesen und von der sed in ultimativer form aufgefordert worden, eine reihe wesentlicher teile umzufaelschen“.61 Aus dem Vortrag wurde nun also eine frei erfundene längere Arbeit. Hinzu erdichtete man die ultimative Aufforderung zum Umfälschen. Die dpa-Meldung führte zur Publikation dieser Version in der westdeutschen Tagespresse.62 Zudem berichtete der Rundfunk ähnliches über den Tod, wobei man „die Mutter eines der mit Griewank bekannten Kinder“ als Quelle präsentierte.63 Zwischen Arnold Fratzscher, Theodor Griewank, Hermann Heimpel – diese drei waren auf der Beerdigung anwesend – und Willy Andreas entspann sich ein hektischer Kontakt. Sie vergewisserten sich gegenseitig, daß keiner von ihnen in Jena auch nur die Andeutung einer Bestätigung für diese Gerüchte erhalten hatte. Arnold Fratzscher schrieb einen langen Brief an Karl Pagel, einen Rostocker Schüler Willy Andreas’, der Griewank kannte und nun Regierungsdirektor im Bonner Ministerium für gesamtdeutsche Fragen geworden war. Er erklärte, daß sich für derlei Gerüchte keinerlei Bestätigung finde. Man habe mit der Witwe, der Mutter, den engsten Kollegen und dem Rektor Hämel „(nicht SED!)“ Kontakt

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Vgl. Ehemalige Nationalsozialisten in Pankows Diensten, hg. vom Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen, Berlin (W) 31960. HAGEMANN, Untersuchungsausschuß, S. 167-185. Hagemann weist darauf hin, daß der UFJ den Höhepunkt der Aktivität zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten hatte, S. 207. Die Auflösung erfolgte 1969 in Form einer Eingliederung in die „Bundesanstalt für gesamtdeutsche Fragen“. Theodor Griewank an UFJ, 15.12.1953, in: PrA Griewank. Willy Andreas an Theodor Griewank, 19.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811. Auch im Original im PrA Griewank. dpa-Meldung, 12.12.1953, als Anlage zu dpa Mainz an Willy Andreas, 23.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Der Tagesspiegel, 13.12.1953, S. 2; Art. „Freitod eines Jenaer Geschichtsprofessors. Die aufrechte Vertretung seines Faches unter den herrschenden Verhältnissen untergrub seine Nervenkraft“, in: Göttinger Tageblatt, 14.12.1953. Arnold Fratzscher an Karl Pagel (Regierungsdirektor im Ministerium für gesamtdeutsche Fragen), 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag.

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1. Einleitung

gehabt; diese hätten keinerlei – noch so intime – Details verschwiegen. Der letzte Vortrag Griewanks sei sehr gut und wissenschaftlich unabhängig gewesen. „Wie der Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen derartig unvorsichtig sein kann, unsichere Nachrichten herauszugeben, ohne sich vorher zu erkundigen, ob sie wirklich zutreffen, und ohne zu überlegen, wie sehr sie den Angehörigen in der Ostzone schaden können, ist mir unverständlich.“64 Fratzscher bat den Regierungsdirektor, beim UFJ anzurufen und eine Richtigstellung zu verlangen. „Wenn ein solches Ersuchen von Ihrer Seite kommt, hat es mehr Gewicht, als wenn Pfarrer Griewank oder ich schreiben.“ Auch Theodor Griewank, Willy Andreas und Hermann Heimpel bemühten sich, in Leserbriefen auf Richtigstellungen hinzuwirken. Es stellte sich jedoch heraus, daß diese Bemühungen nicht ganz so leicht zu realisieren waren. Einige Tageszeitungen, wie der Berliner Tagesspiegel und das Göttinger Tageblatt brachten Dementi.65 „Christ und Welt“ erklärte sich zu einer „kleinen Berichtigung“ bereit, da die „Deutung zum Teil unrichtig“ gewesen sei.66 Diese erschien am 11.2.1954 auf der vorletzten Seite unter den Leserbriefen versteckt.67 Der Autor des Artikels in „Christ und Welt“ schrieb persönlich an Theodor Griewank, erklärte diesem, daß er sich auf durchaus seriöse Quellen gestützt habe. Er bedauere zwar, wenn er die Geschehnisse um die letzte Rede falsch dargestellt habe. Aber ob Griewank in seiner letzten Rede zur Lüge gezwungen worden sei, dies wäre, so führt er unverhohlen weiter aus, „in diesem Fall garnicht so wesentlich – (so ärgerlich mir selbst auch eine unrichtige Darstellung ist) – der letzte Grund, zu der Zerrüttung Ihres Herrn Bruders dürfte doch zweifellos eben in diesen Verhältnissen in der Zone, in dem gnadenlosen Terror, der dort im Grossen wie im Kleinen herrscht, zu suchen sein.“68 Er bittet deshalb die Familie, von einer Richtigstellung abzusehen, weil somit „die Gleichgültigen, die vielleicht durch die Nachricht von dem erschütternden Tode Ihres Herrn Bruders etwas aufgerüttelt worden sind, befriedigt in ihre Sattheit zurückfallen mit dem Bemerken: da sähe man es ja, in Wirklichkeit sei es garnicht so schlimm mit dem geistigen Terror.“ Er betonte seine politische Absicht, anhand „eines solchen Beispiels die oft so beschämende und bedrückende Gleichgültigkeit des Westens gegenüber den geistigen Leiden in der Zone zu durchbrechen.“69 Der UFJ reagierte noch entschiedener und sprach dem Bruder ab, die Lage richtig einschätzen zu können: Die Formulierung von der „Kugel im kalten Krieg“ werde als „völlig unsachliche Unterstellung“ zurückgewiesen. „Das Ergebnis unserer Nachprüfungen kann uns in keiner Weise veranlassen, von unserer am 12.12. herausgegebenen Meldung abzurücken. Unsere Informanten bestehen nach wie vor auf der Richtigkeit ihrer Angaben, die sie noch durch

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Ebd. Karl Pagel reagierte allerdings zunächst gar nicht, was Fratzscher und Andreas sehr enttäuschte. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: ebd. Art. „Prof. Heimpel zum Tode Griewanks. Der Rektor der Universität Göttingen stellt ebenfalls Irrtümer richtig“, in: Göttinger Tageblatt, 14.12.1953; Hermann HEIMPEL: Gegendarstellung [zum Tod von Prof. Karl Griewank], in: Der Tagesspiegel von 16. Dezember 1953, S. 2. Wilhelm Westecker (Christ und Welt) an Theodor Griewank, 8.2.1954, in: PrA Griewank. Tragödie eines Gelehrten [Richtigstellung der Redaktion], in: Christ und Welt Jg. 7, Nr. 2, 11.2.1954. Mit dem Inhalt zeigt sich die Familie durchaus zufrieden; Arnold Fratzscher an Theodor Griewank, 16.2.1954, in: ebd. Harald von Koenigswald an Theodor Griewank, 8.2.1954, in: PrA Griewank. Ebd.

1.1. Prolog: Karl Griewanks Tod – ein „modernes Gelehrtenschicksal“?

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weitere Einzelheiten ergänzt haben.“70 Der Untersuchungsausschuß verwies darauf, daß „auch andere, mit uns in keiner Weise in Verbindung stehende Quellen den Tod Ihres Bruders anders als Sie beurteilen“ und nannte konkret das SBZ-Archiv und „Christ und Welt“. „Uns scheint da doch ein recht erheblicher Widerspruch zu Ihrer fast in Form einer Garantie abgegebenen Erklärung zu liegen, dass die wissenschaftliche Tätigkeit Ihres Bruders keinerlei Einflussnahme der SED unterlag.“ Die Tatsache, daß sich die genannten unabhängigen Quellen wiederum auf den UFJ bezogen, überging man – ein klassischer Zirkelschluß. Das Fazit des UFJ lautete: „Wir sehen uns jedoch ausserstande, lediglich auf Grund der vagen Angaben Ihres Dementis die Aussagen der uns seit Jahren bekannten Informanten für unwahr zu erklären. Merkwürdig genug erscheint uns auch die Tatsache, dass die sonst empfindlich reagierende SED in keinem Wort zu der ihr höchst unbequemen Meldung Stellung genommen hat. Wäre uns wirklich ein Versehen unterlaufen, die kommunistische Propaganda hätte sich mit Freuden auf die immerhin seltene Gelegenheit gestürzt, den ihr verhassten Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen öffentlich der Unwahrheit zu überführen.“71

Die Verwandten waren konsterniert. Insbesondere wollten sie nicht stehen lassen, daß Karl Griewank von seinem „unbestechlichen Wahrheitssinn und -mut“72 abgerückt sei und einen gefälschten Vortrag gehalten habe; hierin sahen sie eine Verunglimpfung des Toten. „Die Briefe des Untersuchungsausschusses, von Harald v. Koenigswald und von Christ und Welt sind ein erschütterndes Zeugnis für die Einstellung aller dieser Herren in politischen Fragen“73, so Arnold Fratzscher. Die Bemühungen der Familie gingen dahin, den Text des letzten Vortrags zu finden und ihn zum Beleg der eigenen Position zu veröffentlichen. Fratzscher nutzte einen erneuten Besuch in Jena, um den Gerüchten noch einmal detailliert nachzugehen. „Das ist alles barer Unsinn. Der Vortrag hat ihn gar nicht weiter beschäftigt; er hat ihn in zwei Tagen niedergeschrieben und dann gehalten. Die Gerüchte sind dadurch zustande gekommen, daß mein Vetter an jenem Abend schon abgespannt war und mehrere schlaflose Nächte hinter sich hatte und daß er überhaupt in sehr bedrückter Stimmung war. Daraus haben dann eifrige Kolportageträger die Gerüchte gebraut.“74

Wer diese Informanten denn eigentlich waren, blieb ungesagt.75 Die Akten des UFJ sind heute zugänglich und offenbaren, daß diese Organisation zwar Fälle von Unrecht in der DDR hat aufdecken können. Es wurden jedoch alle erhaltenen (auch unseriöse) Informationen von DDR-Flüchtlingen oder Dritten aufgenommen und archiviert. Unter dem Hinweis auf den Schutz der Informanten spielte der UFJ sein Informationsmonopol dann zunehmend politisch aus. Es zeichnete sich so das Bild einer Institution des Kalten Krieges mit antikommunistischem Sendungsbewußtsein.

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UFJ an Theodor Griewank, 8.2.1954, in: PrA Griewank. Ebd. Theodor Griewank an Willy Andreas, 22.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Arnold Fratzscher an Theodor Griewank, 15.2.1954, in: PrA Griewank. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Siehe Anhang 10.1., Dokument I. Gerne hätten die Verwandten erfahren, wer die Informanten waren. Auch ich hätte dies gerne in Erfahrung gebracht. Der Bestand des UFJ im Bundesarchiv ist jedoch leider gerade an dieser Stelle lückenhaft. Vgl. zur Unvollständigkeit des Bestandes HAGEMANN: Untersuchungsausschuß, S. 17.

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1. Einleitung

Der Vortragstext von Griewanks letzter Rede wurde schließlich im Nachlaß gefunden, von der Familie sofort verbreitet und schließlich publiziert – durch Fürsprache Willy Andreas’ auch in der Bundesrepublik.76 Er enthält keinerlei Anklänge an die zu dieser Zeit aufkommende (und ohnehin absurde) These von einer deutsch-russischen Waffenbrüderschaft.77 Statt dessen liefert Griewank eine nüchterne – vielleicht etwas wenig originelle – Analyse der Freiheitskriege. Die Diskussionen um seinen Tod bezeugen die politische Aufgeladenheit der Situation in dieser Zeit der Extreme. Sie verdeutlichen aber auch den Wunsch nach Erklärungen des Suizids. Diese konnten jedoch auch schier abenteuerlich ausfallen. Eugen Rosenstock-Huessy meinte etwa zu wissen, als er sich über die geistige Enge der gesamten Disziplin der Geschichtswissenschaft ausließ: „Das sich Herumschlagen des liebenswerten Historikers Karl Griewank in Jena mit den ‘Europäischen Revolutionen’ war ein typisches Beispiel. Er wurde mit ihnen nicht fertig. Dann schied er verzweifelt aus dem Leben.“78 Immerhin befindet sich Griewank in guter Gesellschaft, hat derselbe Autor – doch wohl mit einiger Überschätzung seines Gegenstandes – auch behauptet, „daß Hegel und Niebuhr an der Aufregung [über die Julirevolution 1830] gestorben sind.“79 Auch von Seiten der SED suchte man nach einer eigenen Lesart, die jedoch erst nach einer erkennbaren Schockphase gefunden werden konnte. Zunächst bemühte man sich vor Ort den Kontakt zu den nichtmarxistischen Historikern herzustellen, um defensiv Unterstützung gegen aufkommende Gerüchte zu erhalten. So „sprachen die Genossen Dr. [Felix Heinrich] Gentzen, [Günther] Schmerbach und [Wolfgang] Schumann [...] mit Herrn Dr. [Horst] Drechsler.80 [...] Herr Dr. Drechsler erklärte von sich aus, daß er bereit sei, falls irgendwelche Gerüchte eines politischen Selbstmordes auftauchen sollten, besonders in Westdeutschland, öffentlich gegen solche Lügen und Verleumdungen unserer SED Stellung zu nehmen.“81

Im Staatssekretariat für Hochschulwesen wies man im Januar 1954 die versammelten Fachhistoriker „auf die Verleumdungen der West-Presse über die Todesursachen hin“ und „klärte über den wahren Sachverhalt auf“.82 Was der Referent als „den wahren Sachverhalt“ darbot, ist nicht protokolliert. Erst 1958 fand die SED schließlich zu einer aggressiven Variante, die in der Verkehrung der politischen These bestand. Diese wurde von Ernst Engelberg vorgetragen, der im ZK der SED über die Selbstmorde von Karl Griewank,

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Karl GRIEWANK: Das Jahr 1813, in: WZJ, GSR 3 (1953/54), S. 391-397. Auch in: GWU 6 (1955), S. 556-567. Nun erst ließ sich Karl Pagel überzeugen. Vgl. dazu Fritz KOPP: Die Wendung zur ‚nationalen’ Geschichtsbetrachtung in der Sowjetzone, München 21955, S. 28-32. Ein früher Vertreter der Thesen von der Waffenbruderschaft war Fritz LANGE: Die Volkserhebung von 1813. Drei Aufsätze über die Notwendigkeit, aus der eigenen Geschichte zu lernen, Berlin (O) 1952. Eugen ROSENSTOCK-HUESSY: Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, Stuttgart 1961, S. XIV. Ebd., S. 6. „Dr. Drechsler“ ist der parteilose damalige Institutsassistent Horst Drechsler, der später Professor für Lateinamerikanische Geschichte in Rostock wurde. Informationsbericht der Leitung der Grundorganisation Historiker, 3.11.1953, in: ThStA Rudolstadt, BPA, SED Gera, GO SED FSU Jena, IV/7/143/511, unpag. Den Hinweis auf dieses Dokument, das sich nicht im Bestand „UPL Jena“ befindet, verdanke ich Udo Grashoff (Leipzig/Halle). Heinz Königer, 18.1.1954, in: Protokoll über die Fachbeiratssitzung Geschichte im SfH, BA Berlin, DR3/1.Schicht 4108, Bl. 65.

1.1. Prolog: Karl Griewanks Tod – ein „modernes Gelehrtenschicksal“?

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Martin Lintzel83 und Willy Flach84 ausführte: „Wir sollten in dieser Frage viel offensiver, als wir bisher getan haben, argumentieren. Bisher waren wir sozusagen froh, wenn man gesagt hat, die aus dem Leben geschiedenen waren wirklich nicht unter dem Druck der SED; nein, wir sollten stattdessen sagen, die waren unter dem Druck der westdeutschen Cliquen.“85 In der konkreten Umsetzung wurde daraus folgende Konstruktion: „Es ist nicht zufällig, daß Professor Griewank kurz nach dem Bremer Historikertag den Tod fand. Auf diesem Historikertag entwickelte Gerhard Ritter bekanntlich jene neue demagogische Konzeption über den Begriff, die Ursachen und die Geschichte des Militarismus, die eine direkte ideologische Hilfe für die – auch ausdrücklich gerühmte – Regierung Adenauer und ihre Politik der Remilitarisierung darstellte.“86 Um zu erkennen, wie abwegig diese These ist, muß man sicher noch nicht einmal die Stellungnahmen Griewanks zu dem erwähnten Historikertag kennen, in denen er vom „durchweg [...] hohen Niveau“ der Vorträge berichtete, die „hohen Ernst, große Sachkenntnis und vielfach verfeinerte Methoden der wissenschaftlichen Erkenntnis“ bewiesen und der DDR-Geschichtswissenschaft einige Anstrengung abverlangten, um mit den Leistungen mitzuhalten.87 Der Engelberg-Schüler Karl-Heinz Noack wiederholte 1989 in seiner Kurzbiographie Griewanks diese These dann auch nicht mehr.88 Wenn Günther Heydemann meint, daß Noacks Darstellung „exemplarisch“ zeige, „[w]ie wenig es der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in der DDR bis zum Ende ihrer Existenz gelang, zu einer angemessenen Würdigung der eigentlichen Ursachen für den Selbstmord Griewanks zu gelangen“89, so wird hier – in der Kritik nicht sachgerecht – wieder das Bild der eindeutig politischen Ursachen des Suizids gezeichnet. Noack zitierte die Textstelle eines Briefes der Witwe Magdalene

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Zu Lintzel siehe unten S. 136 mit Anm. 136. Vgl. auch Walter ZÖLLNER: Martin Lintzel (1901 bis 1955), in: Heinz HEITZER/Karl-Heinz NOACK/Walter SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft. Biographien, Berlin (O) 1989, S. 136-148. Zu Flach vgl. Hans PATZE: Willy Flach zum Gedächtnis, in: JGMO 8 (1959), S. 349-363; Volker WAHL: Willy Flach (1903-1958), in: Lebensbilder Thüringer Archivare. Festschrift zum 50. Thüringischen Archivtag 2001, Rudolstadt 2001, S. 72-87; Willy FLACH: Beiträge zum Archivwesen, zur thüringischen Landesgeschichte und zur Goetheforschung, hg. von Volker WAHL, Weimar 2003. Ernst Engelberg, 17.12.1958, zit. nach: Martin SABROW: Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949-1969, München 2001, S. 279, Anm. 115. Ernst ENGELBERG (Hg.): Trier – und wie weiter? Materialien, Betrachtungen und Schlußfolgerungen über die Ereignisse auf dem Trierer Historikertag am 25. 9.1958, Berlin (O) 1959, S. 59. Über Flach heißt es ebd., er sei „von westdeutscher Seite verleitet worden [...], die DDR zu verlassen.“ Karl Griewank, Bericht über den Besuch des Historikertages in Bremen, 3.10.1953, in: SAPMO-BA Berlin, DY 30/IV 2/9.04/151, Bl. 527-530. Siehe unten S. 376, Anm. 166. Karl-Heinz NOACK: Karl Griewank 1900 bis 1953, in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, S. 75-92. Noack zitierte freilich eine im selben Kontext entstandene abgeschwächte Version der Aussage Eneglbergs, in der die Rede ist vom „Zwiespalt zwischen der wachsenden Erkenntnis des Neuen und Zukunftsträchtigen und dem immer wieder von außen bestärkten Gefühl des Nichtloslassenkönnens und -dürfens von einer überlebten Denk- und Gefühlswelt andererseits“. Das Zitat (ebd., S. 84) wurde entnommen aus Ernst ENGELBERG: NATO-Politik und westdeutsche Historiographie über die Probleme des 19. Jahrhunderts, in: ZfG 7 (1959), S. 477-493, hier S. 479. Günther HEYDEMANN: Der radikale Umbruch. Die Entwicklung der Geschichtswissenschaften in der SBZ/DDR bis zum Ende der fünfziger Jahre, in: Heinz DUCHARDT/Gerhard MAY (Hg.): Geschichtswissenschaft um 1950, Mainz 2002, S. 101-112, hier S. 105, Anm. 6.

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1. Einleitung

Griewank an Friedrich Schmidt-Ott, in dem von den „allgemeinen Belastungen der Ostzone wie den besonderen seines Berufes“90 die Rede war, wobei bereits die Verwendung des in der DDR verpönten Wortes „Ostzone“ nicht selbstverständlich ist. Festzustellen bleibt, daß die politischen Implikationen des Suizids Karl Griewanks eine große Rolle spielten und weiterhin spielen. So betonten etwa HansUlrich Wehler und Lothar Gall in Vorträgen in Jena die politische Dimension des Freitods Griewanks.91 Bereits 1966 hatte Helmut Heiber ohne weitere Ausführungen vom „aus politischen Gründen aus dem Leben geschiedenen Historiker Karl Griewank“92 gesprochen. Auch Konrad Jarausch, Matthias Middell und Martin Sabrow rücken die Selbstmorde von Karl Griewank, Martin Lintzel und Willy Flach eindeutig in den Kontext politischer Repression.93 Michael Maurer nennt Karl Griewank explizit als Beispiel für diejenigen „bürgerlichen“ Historiker der frühen DDR, die „angesichts unvermeidlicher politischer Konflikte den Weg in den Freitod wählten“94, und auch Notker Hammerstein geht wie selbstverständlich von politischen Gründen aus.95 Für Hartmut Bookmann war Karl Griewank „ein Opfer der kommunistischen Hochschulpolitik“96. Dagegen betont Winfried Schulze sehr deutlich, daß „der Freitod Griewanks ohne jeden Zweifel persönliche Gründe“97 hatte. Dies hat jüngst Lothar Mertens wiederum kritisiert und damit erneut die politischen Implikationen betont: „Angesichts des jahrelangen Kampfes und der andauernden Diffamierungen seiner Person sah Karl Griewank wohl keinen Ausweg mehr.“98 Und sehr vorsichtig formulieren diejenigen, die mit Zeitzeugen gesprochen haben wie Peter Schäfer99 und Matthias Werner100. Immerhin verweisen die

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Der Brief wurde bei einem Besuch der hessischen Verwandten von der westdeutschen Post transportiert. Er wurde bereits oben zitiert S. 16, Anm. 34. Es handelt sich allerdings um in freier Rede vorgebrachte kurze Bemerkungen. Vortrag von Lothar Gall („Die verfehlte Moderne? Das deutsche Bürgertum und die Revolution von 1848“) am 26.7.1997 im Rahmen der Tagung „Die Revolution 1848/49 in Thüringen“; Vortrag von Hans-Ulrich Wehler („Deutsche Historiker im Nationalsozialismus“) am 12.5.1999 im Rahmen des Zeitgeschichtlichen Kolloquium des Historischen Instituts. Helmut HEIBER: Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966, S. 793. Konrad H. JARAUSCH/Matthias MIDDELL/Martin SABROW: Störfall DDR-Geschichtswissenschaft. Problemfelder einer kritischen Historisierung, in: Georg G. IGGERS/DIES. (Hg.): Die DDR-Geschichtswissenschaft als Forschungsproblem, München 1998, S. 1-50, hier S. 9. Michael MAURER: Neuzeitliche Geschichtsschreibung, in: DERS. (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 5: Mündliche Überlieferung und Geschichtsschreibung, Stuttgart 2003, S. 281-499, hier S. 470. Notker HAMMERSTEIN: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur 1920-1945, München 1999, S. 539. Er erwähnt Griewank im Zusammenhang mit Martin Lintzel. Hartmut BOOKMANN: Der Historiker Günter Mühlpfordt, in: Erich DONNERT (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter MÜHLPFORDT, Köln/Weimar/Wien 1999, Bd. 5, S. 771-775, hier S. 772. Winfried SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1993, S. 195. Vgl. Lothar MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker. Biographien und Bibliohraphien zu den Geschichtswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik, München 2006, S. 44. Peter SCHÄFER: Karl Griewank und die Jenaer Geschichtswissenschaft nach 1945, in: GWU 43 (1992), S. 199-208.

1.2. Biographischer Zugang und Fragestellungen der Arbeit

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Zeitzeugen alle – auch heute, wo man nicht mehr von politischen Rücksichten ausgehen kann, – darauf, daß man sich den politischen Druck als maßgeblichen Grund für den Suizid nicht denken könne.101 Gerhard Schmid erinnert sich mit Sicherheit, daß man damals im Schülerkreis die These „Er ist von der Partei in den Tod getrieben worden“ nicht geglaubt habe: „Das ist es nicht. Das kann’s nicht sein. Das ist nicht das, was ihn umwerfen konnte. Dazu kannten wir ihn zu gut.“102 Die hier ausgebreiteten Fakten erlauben Interpretationsmöglichkeiten. Der politische Druck ist durchaus nicht von der Hand zu weisen, er liefert jedoch letztlich keine hinreichende rationale Begründung für den Suizid, der sich nun einmal einer einfachen Begründung entzieht. Diejenigen, die diese Position vertreten, wie etwa Winfried Schulze, stützen sich auf die in der HZ und der GWU erschienenen Nachrufe Willy Andreas’ und die im Nachwort zum „Neuzeitlichen Revolutionsbegriff“ bekannt gemachte Einschätzung Hermann Heimpels. „Ein dunkles Rätsel für seine Angehörigen, für uns alle“, nennt Heimpel den Suizid Griewanks: „Niemand wird sich vermessen, an diesem Rätsel herumzuraten.“103 Deutlich schließt auch Willy Andreas seinen Nekrolog in der HZ: „Uns allen geziemt hier nur Schweigen.“104

1.2. BIOGRAPHISCHER ZUGANG UND FRAGESTELLUNGEN DER ARBEIT An dieser Stelle endet der „Prolog“. Eine deutliche Aufforderung zu pietätvollem Schweigen steht an seinem Schluß. In dem zurückliegenden Kapitel wurde dieser Aufforderung nicht nachgekommen, wurde nicht pietätvoll geschwiegen. Jedoch: Was geht uns Griewanks Tod überhaupt an? Wieso interessieren uns Faktoren, die wissenschaftlich nicht verallgemeinerbar zu sein scheinen, wie rein persönliche, gesundheitlich-private Aspekte? Gehört dies in eine wissenschaftliche Arbeit oder sind dies nicht Geschichten einer „Histoire scandaleuse“105? Winfried Schulze spricht von der „Dignität des Individuums“, die zur „Scheu vor seiner

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Matthias WERNER: Stationen Jenaer Geschichtswissenschaft, in: DERS. (Hg.): Identität und Geschichte, Weimar 1997, S. 9-26, hier S. 16. Lothar Mertens hält die von Matthias Werner gewählte Formulierung, von „Griewanks frühem Tod“ zu sprechen, für „lakonisch“. Lothar MERTENS: Von Priestern der Klio zu Sprachrohren der Partei. Die personelle Umstrukturierung der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945/46 bis 1958, in: DERS. (Hg.): Politischer Systemumbruch als irreversibler Faktor von Modernisierung in der Wissenschaft?, Berlin 2001, S. 101-165, hier S. 122, S. 122, Anm. 135. Hier kann auf alle im Quellenanhang aufgeführten mündlichen und schriftlichen Informanten hingewiesen werden, insbesondere jedoch auf das Gespräch mit Irmgard Höß, die als damalige Assistentin den engsten Kontakt zu Griewank hatte. Mdl. Information Gerhard Schmid, 18.10.2000. Hermann HEIMPEL: Nachwort [1955], in: Karl GRIEWANK: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, hg. von Ingeborg HORN-STAIGER, Frankfurt (M) 1969, S. 264-267, hier S. 267. Willy ANDREAS: Karl Griewank †, in: HZ 177 (1954), S. 665-667, hier S. 667. Dieser Begriff soll hier von Michael Maurer entliehen werden, der ihn in einer frühen Rezension der „neuen narrativen Historiographie“ (Carlo Ginzburg, Natalie Zemon Davis und Judith C. Brown) gebraucht hat. Vgl. Michael MAURER: Geschichte und Geschichten. Anmerkungen zum publizistischen und wissenschaftlichen Ort der neueren „Histoire scandaleuse“, in: GWU 42 (1991), S. 674-691.

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1. Einleitung

totalen Offenlegung“106 geführt habe. Für Alfred Vagst ist dies die typisch deutsche Eigenart.107 Es ist es jedoch keine nur ästhetische Frage, was man für geschmackvoll hält, sondern auch eine juristische Frage eines „postmortalen Schutzes des Persönlichkeitsrechts“.108 Wo liegt also das richtige Maß? In welcher Richtung kann man weiter gehen? Welche Fragestellungen ergeben sich hieraus? Man könnte Griewanks Suizid in Anknüpfung an Durkheim109 den Freitod als Ausdruck für den Zustand der Gesellschaft zu interpretieren. Dann müßte man weitere Suizide untersuchen, Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der Fälle und des gesellschaftlichen Umgangs mit ihnen betrachten, das wäre jedoch eine gänzlich andere Arbeit.110 Griewank hat kein Tagebuch hinterlassen, keine Autobiographie geschrieben, mithin auch kein Konstrukt des eigenen Lebens als planvollem Artefakt nahegelegt. Dennoch bleibt die Gefahr, eine Biographie als ein solches zu konstruieren, gerade wenn man die Lebensgeschichte vom Ende her sieht, so wie es in dieser Arbeit geschieht. Frühe Ereignisse werden vom Biographen in eine für ihn gültige Ordnung gebracht, eine rückwirkende Antizipation der Lebensgeschichte betrieben. Daher bedarf es an dieser Stelle einiger methodischer Überlegungen zur Biographik. Was gehört in eine Biographie? Kann es überhaupt noch eine wissenschaftliche Biographik geben? Was „bringt“ die Biographieforschung überhaupt, also: welchen wissenschaftlichen Stellenwert besitzt sie? Sollte man sich einer Person wie Griewank überhaupt biographisch näheren – wenn ja, mit welchen Fragestellungen?111 Margit Szöllösi-Janze spricht in der Einleitung ihrer Fritz-Haber-Biographie vom „Unbehangen an der wissenschaftlichen Biographie“112 und referiert noch

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Schulze bezieht sich auf Friedrich Meinecke. Winfried SCHULZE: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „EgoDokumente“, in: DERS. (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 11-30, hier S. 12. Er spricht von den „in der westdeutschen Republik bestehenden Anstandsgeboten“, die dafür gesorgt hätten, daß Hans-Ulrich Wehler in seinen Studien zu Eckart Kehr einige von Vagst übermittelte persönliche Details verschwiegen habe: „Waren offenbar zu krass.“ Alfred Vagst: Zu Wehler’s Herausgabe, undat., in: BA Koblenz, KLE 508, Bl. 1. Nach gängiger Rechtssprechung nimmt dieser Schutz mit zunehmender zeitlicher Entfernung des Todesdatums ab, ist jedoch auch von anderen Faktoren (Betroffenheit der Nachfahren) abhängig. Vgl. hierzu Andreas von ARNAULD: Rechtsfragen des Biographieschreibens. Teil 1: Recherche, in: Christian KLEIN (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, S. 219-240, hier S. 221. Emile DURKHEIM: Der Selbstmord [1897], Frankfurt (M) 71999. Zu dem bekanntesten Theoretiker einer Suizid-Soziologie vgl. etwa Georges MINOIS: Geschichte des Selbstmords, Düsseldorf/Zürich 1996, S. 463f. Vgl. hierzu die interdisziplinäre Dissertation von Udo GRASHOFF: „In einem Anfall von Depression...“ Selbsttötungen in der DDR (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin 2006, zu Griewank S. 194-202. Vgl. zu diesen Fragen Hedwig RÖCKELEIN: Der Beitrag der psychohistorischen Methode zur „neuen historischen Biographie“, in: DIES. (Hg.): Biographie als Geschichte, Tübingen 1993, S. 17-38, hier S. 28; Heinz BUDE: Rekonstruktion und Lebenskonstruktionen. Eine Antwort auf die Frage, was die Biographieforschung bringt, in: Martin KOHLI/Günther ROBERT (Hg.): Biographie und soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und Forschungsperspektiven, Stuttgart 1984, S. 7-28. Kritisch zur Phychohistorie Friedrich LENGER: Werner Sombart 1863-1941. Eine Biographie, München 1994, S. 15. Margit SZÖLLÖSI-JANZE: Fritz Haber 1868-1934. Eine Biographie, München 1998, S. 9-15.

1.2. Biographischer Zugang und Fragestellungen der Arbeit

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einmal ältere, ablehnende Thesen, wonach die Biographik „ein ebenso theorieabstinentes wie konservatives Genre“ sei, methodisch rückständig und „mit dem Odium unreflektierter Vorwissenschaftlichkeit behaftet“.113 Ihre Ergebnisse seien nicht systematisierbar, nicht verallgemeinerbar. Diese Messen sollten jedoch inzwischen als gesungen gelten.114 Die Kritik an der Biographie richtete sich vor allem gegen die berühmte „Männer-machen-Geschichte-Vorstellung“ des deutschen Historismus bzw. des 19. Jahrhunderts. Die Suche nach einer kritischen „Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus“115 in der bundesdeutschen Nachkriegshistorie stellte sozial- und strukturgeschichtliche Fragen deutlich in den Vordergrund und forderte eine theoriegeleitete Herangehensweise. In der Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre wurde vor diesem Hintergrund um die Biographik gerungen, wobei neben einfacher konservativer Verteidigung der Darstellungsform116 auch bemerkenswerte Beispiele der Aufnahme methodischer Innovationen und der Neuorientierung zu verzeichnen waren.117 Vor allem waren es jedoch die inzwischen vorgelegten Biographien, in denen die behandelten Personen kritisch und in ihrer Wechselwirkung zu den strukturell bedingten Zeitumständen betrachtet wurden.118 Der Umschwung zugunsten der biographischen Methode speiste sich auch aus einer Kritik an einer „menschenleeren“ Struktur- und Sozialgeschichte. In lauter Strukturen erkenne man das Subjekt nicht mehr. Und es waren die „kleinen Menschen“ mit ihrer Lebenserfahrung, die sogenannte Biographie von unten, die eine neue individuelle Perspektive in die historische Wissenschaft einbrachten.119 Nicht die „Männer, die Geschichte machen“, stehen im Vordergrund einer solchen Herangehensweise, sondern Handlungen, Erfahrungen und Wahrnehmungen von Frauen und Männern im Kontext ihrer Zeit. So eignet sich die biographische Methode eben auch zur milieubeschreibenden Sozialgeschichte.120 Sie nimmt Geschichte als lebensweltliches Erfahrungs- und Wahrnehmungspro-

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Ebd., S. 10. Vgl. auch Jan ECKEL: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005, hier S. 18-21. Vgl. zur Biographiedebatte der Bundesrepublik Olaf HÄHNER: Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Frankfurt (M) [u.a.] 1999, hier S. 4-8, 245-267. Wolfgang J. MOMMSEN: Die Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus, Düsseldorf 1971. Ein wenig konstruktiver und aggressiver Ausdruck der konservativen „Verdrossenheit an den aufgeblasenen, in schrecklichem Wissenschaftskauderwelsch einherstelzenden ‚relevanz’versessenen Hinterfragungsritualen so vieler Vergangenheitsbewältiger unter den Historikern“ etwa bei: Peter BERGLAR: Die Wiederkehr der Biographie. Vergangenheitsanschauung und geschichtliche Orientierung, in: Criticón. Konservative Zeitschrift 49 (1978), S. 231-233, Zitat S. 233. Vgl. Hans-Ulrich WEHLER: Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Psychoanalyse, in: DERS. (Hg.): Geschichte und Psychoanalyse, Köln 1971, S. 7-26, aber auch den lesenswerten Beitrag von Hagen SCHULZE: Die Biographie in der ‚Krise der Geschichtswissenschaft’, in: GWU 19 (1978), S. 508-518. Vgl. HÄHNER: Historische Biographik, S. 219-232, vor allem jedoch S. 266 mit Anm. 43. Als wichtiges Beispiel vgl. Lothar GALL: Bismarck. Der weiße Revolutionär [1980], Berlin 1997. Vgl. SCHULZE: Ego-Dokumente, sowie den Forschungsbericht von: Hans-Jörg von BERLEPSCH: Die Wiederentdeckung des ‚wirklichen Menschen’ in der Geschichte. Neue biographische Literatur, in: AfS 29 (1989), S. 488-510. Vgl. Andreas GESTRICH/Peter KONOCH/Helga MERKEL (Hg.): Biographie – sozialgeschichtlich, Göttingen 1988.

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1. Einleitung

blem auch methodisch-theoretisch ernst. Inzwischen ist deutlich geworden, daß es bei der biographischen Methode nicht um die bloße Würdigung einer Einzelperson gehen muß und soll, sondern daß es sich um eine Darstellungsform unter anderen handelt. „Die grobe Alternative ‚Individuum’ versus ‚Gesellschaft’ oder ‚Struktur’ exsistiert tatsächlich nicht, die Biographik hat ihren Platz als eine von mehreren möglichen Methoden auch im Rahmen einer strukturgeschichtlichen Betrachtungsweise.“121 Der „Phönix Biographie“122 ist also aus der Asche aufgestiegen und steht im Moment sogar recht hoch im Kurs. Man spricht von der Lust an der Biographie. Und die Geschichtsforschung123, vor allem aber die moderne Biographie- und Lebenslaufforschung124 widerlegen die These vom Theoriedefizit durch eine breite Reflexion über die Methodik der Biographie. Wiederum kommt Unbehagen auf: „Die wohlbegründeten, hohen theoretischen Anforderungen, die heute an die sozialhistorische Biographieforschung oder auch die Psychohistorie gestellt werden, sind bestens geeignet, Zweifel am Gelingen zu nähren.“125 In der Tat: Die innersten Beweggründe sollen sie erforschen, die sozialen Netzwerke beleuchten und die Tiefen von Erfahrung und Erinnerung dabei ausloten. Schnell wird deutlich, daß für solche Ziele – auch im Falle Griewanks – die Quellen oft nicht mitzuspielen. Die Grenzen müssen also klar gesehen werden. Dennoch kann die moderne Bearbeitung einer Lebensgeschichte als ein Arbeitsinstrument angesehen werden, mit dem man „am einzelnen im Durchgang durch wechselnde Strukturen“126 Fragen stellen kann, vor allem nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Ist eine Biographie somit ein Trick, „begrifflich nicht geklärte oder empirisch nicht zu sättigende Wirklichkeitsbezüge in anspielungsreiche Erzählungen dennoch hereinzuholen oder Biographien als eine Gattung zu benutzen, um anderweitig schwer organisierbare Materialien über einen gesellschaftlichen Wandel darzustellen“?127 Die Antwort offenbart zwei Seiten. Zum einen ist die Frage zu bejahen. Eine Biographie ist eine Reduktion schwieriger Prozesse. Jan Eckel verweist darauf, „daß der biographische Rahmen eine methodische Setzung ist, die Vorannahmen

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SCHULZE: Biographie, S. 513. Christian KLEIN: Einleitung. Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: DERS. (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart/Weimar 2002, S. 1-22, hier S. 1. Vgl. etwa Grete KLINGENSTEIN/Heinrich LUTZ/Gerald STOURZH (Hg.): Biographie und Geschichtswissenschaft, München 1979; Forschungs- und Darstellungsprobleme einer historischen Biographie. Dem Wirken Ernst ENGELBERGS gewidmet, Berlin (O) 1985; SCHULZE: Ego-Dokumente; HÄHNER: Historische Biograhik; KLEIN (Hg.): Grundlagen der Biographik. Besonders hinzuweisen ist auch auf die besondere, Disziplingrenzen überwindende Bedeutung der Zeitschrift BIOS. Vgl. etwa Martin KOHLI/Günther ROBERT (Hg.): Biographie und soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und Forschungsperspektiven, Stuttgart 1984; Wolfgang VOGES (Hg.): Methoden der Biographie- und Lebenslaufforschung, Opladen 1987; Peter ALHEIT/Wolfram FISCHERROSENTHAL/Erika M. HOERNING: Biographieforschung. Eine Zwischenbilanz in der deutschen Soziologie, Bremen 1990; Armin NASSEHI: Die Form der Biographie. Theoretische Überlegungen zur Biographieforschung in methodologischer Absicht, in: BIOS 7, 1994, S. 46-63. SZÖLLÖSI-JANZE: Haber, S. 11. Lutz NIETHAMMER: Kommentar zu Pierre Bourdieu: Die biographische Illusion, in: BIOS 3 (1990), S. 91-93, hier S. 92. Ebd., S. 93.

1.2. Biographischer Zugang und Fragestellungen der Arbeit

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über die Identität und die Faßbarkeit des Subjekts enthält.“128 Auf der anderen Seite stellt jedoch jede historische Darstellung eine Reduktion der Komplexität dar – durch Fragestellung, Auswahl der Fakten und Wortwahl. Diese theoretischen Überlegungen sind inzwischen zum Allgemeingut der Disziplin geworden. Ein historischer Moment kann stets als eine „komplexe Situation“ gesehen werden, um einen feststehenden Begriff der Denkpsychologie zu entleihen. Wenn eine Situation nur hinreichend komplex ist, entzieht sie sich der prognostischen Analyse. Ein Verdienst der Denkpsychologie ist es, den handelnden Menschen in ihre Theorie der Komplexität miteinbezogen zu haben: Hat ein Handelnder in einer Simulation die freie Entscheidungsmöglichkeit, eine Konstellation zu verändern, liegt trotz gutem Willens das Scheitern sehr nahe. Der Psychologe Dietrich Dörner spricht von der „Logik des Mißlingens“.129 Was diese Ansätze zeigen können, ist: Menschliches Handeln in der komplexen Situation verdient es, analysiert zu werden. Es ist ein Faktor, der Erklärungspotential für das Gelingen und Mißlingen enthält. Für die Biographie eines Wissenschaftlers, sei es aus dem Bereich der Geschichtswissenschaft oder einer anderen Disziplin, sollte im Prinzip dasselbe gelten wie für die Lebensbeschreibungen anderer Menschen. Allerdings sind die Struktur, die Lebenswelt, das Umfeld verschieden. Stellt doch gerade die Wissenschaft das Postulat auf, nach festen Leistungskriterien zu urteilen und Bewertungsmaßstäbe zu generieren, die entpersonalisiert gelten sollen. Gerade dies gilt jedoch nicht. Eine gute oder richtige Idee setzt sich eben nicht nur durch, weil sie gut oder richtig ist. Es kommt immer auch auf die „Position des Sprechers“ an und dessen Stellung im Diskurs.130 Der Streit um „Titel und Stelle“131 wird nicht unabhängig von persönlichen Faktoren, Netzwerken und sozialen Bedingungen ausgetragen. Generationsprobleme und -konflikte, Bekanntschaften oder Schülerverhältnisse sind Erklärungsfaktoren, wenn man sie in Verbindung zu den wissenschaftlichen Inhalten analysiert.132 Biographische Forschung ermöglicht im wissenschaftsgeschichtlichen Feld Zusammenhänge aufzudecken, die sich nur aus dem biographischen Hintergrund ergeben. Es macht sehr wohl Sinn, den handelnden Menschen zu betrachten, und es macht Sinn, von ihm zu erzählen. Es gilt dabei, „ernsthaft und systematisch die Verbindung von sozialen Faktoren und wissenschaftlicher Arbeit“133 zu untersuchen.

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ECKEL: Hans Rothfels, S. 18. Dietrich DÖRNER: Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen [1989], Reinbek 142001. Michel FOUCAULT: Archäologie des Wissens, Frankfurt (M) 51992, S. 75-82. Pierre BOURDIEU: Titel und Stelle. Über die Reproduktion sozialer Macht, Frankfurt (M) 1981. Deshalb ist eine Sozialgeschichte der Historikerzunft, wie sie Wolfgang Webers in seinen Werk „Priester der Klio“ vorangebracht hat, nach wie vor wichtig. Vgl. Wolfgang WEBER: Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800-1970, Frankfurt (M) [u.a.] 21987. Trotz berechtigter Kritik an Webers Arbeit, die sich vor allem auf konkrete Einzelergebnisse und schematische Zuweisungen bezieht, ist der Ansatz dennoch wichtig. George G. Iggers spricht von einer „eminent wichtige[n] Arbeit“ für die Historiographiegeschichte. Georg G. IGGERS: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 1997, S. V. Thomas ETZEMÜLLER: Sozialgeschichte als Politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München 2001, S. 16.

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1. Einleitung

Nun zeigt sich jedoch gerade im Fall der Zeitgeschichte des eigenen Fachs oder der eigenen Universität, daß der skizzierte Konsens, wonach die biographische Herangehensweise eine mögliche neben der strukturgeschichtlichen ist, auf die besonderen Schwierigkeiten der eigenen Involviertheit stoßen kann, die sich in akademischer Loyalität auf die jeweilige Schülergeneration zu verlagern scheint. Die eigentlich nivellierte Differenz zwischen Struktur und Person, scheint nun wieder auf: „Die Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit von Professoren wird – unter der Parole: Strukturen statt Personen – erfolgreich abgewürgt“134, mußte in Marburg der hochschulpolitisch aktive Philosoph Burkhart Tuschling 1995 feststellen. In diesem Falle ging es um eine lebende Person: den Theologen Dietrich von Oppeln und dessen offen rassistische Promotion, deren Inhalt er zu verschleiern suchte. Ähnlich gelagert war der aufsehnerregende Fall des Germanisten Schneider/Schwerte und seines Doppellebens, anhand dessen die „doppelte Zeitgeschichte“135 und damit gerade auch die Nachkriegszeit in den Blick rückte.136 Solche Kontinuitäten, Verwandlungen, gleichbleibende oder veränderte Denkmuster müssen biographisch untersucht werden. Eine Arbeit „Geschichtswissenschaft zur Zeit X“ wird durch inhaltliche oder politische Zäsuren zeitlich begrenzt. Die beteiligten Menschen tragen die Erfahrungen der Zeit X jedoch in die nächste Phase weiter. Wie sie dies tun, ist zu untersuchen. Dabei gewinnen Fragen nach Denkmustern, Mentalitäten, philosophischen, ethischen und moralischen Grundbegriffen und ihren Konnotationen an Relevanz und Brisanz. Es wäre jedoch ein Trugschluß anzunehmen, daß der biographische Zugriff per se zu einer kritischen Aufdeckung von Kontinuitäten führt. Wie Michael Stolleis zu berichten weiß, gibt es Biographien, in denen man wenig Kritisches erfährt, dafür aber, daß der Held „zur Hochzeit eine Gelenkleselampe und einen Obstkorb geschenkt, ja, diese Lampe vom Beleuchtungszentrum Hartmann geliefert und daß der Obstkorb von Frau Schnaith mit je einem Pfund Äpfel, Birnen und Pflaumen ‚gerichtet’ worden war (samt Quittungen und Universitätsarchiv).“137

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Burkhart Tuschling, 18.7.1995, zit. nach: Klaus AHLHEIM: Geschöntes Leben. Eine deutsche Wissenschaftskarriere, Hannover 2000, S. 56. Zum Begriff, der von Karl Dietrich Bracher geprägt wurde, und seiner Relevanz für die Historiographiegeschichte vgl. Mathias BEER: Der „Neuanfang“ der Zeitgeschichte nach 1945. Zum Verhältnis von nationalsozialistischer Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik und der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa, in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 274-301, hier S. 274f. Die Literatur zum Fall Schneider/Schwerte ist umfangreich; vgl. etwa Heidi KURTH (Hg.): Ein Germanist und seine Wissenschaft. Der Fall Schneider/Schwerte, Erlangen 1996; Helmut KÖNIG/Wolfgang KUHLMANN/Klaus SCHWABE (Hg.): Vertuschte Vergangenheit. Der Fall Schwerte und die NS-Vergangenheit der deutschen Hochschulen, München 1997; Ungeahntes Erbe. Der Fall Schneider/Schwerte: Persilschein für eine Lebenslüge. Eine Dokumentation, Aschaffenburg 1998; Bernd-A. RUSINEK: Von Schneider zu Schwerte. Anatomie einer Wandlung, in: Wilfried LOTH/DERS. (Hg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt (M)/New York 1998, S. 143-180: Claus LEGGEWIE: Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte, München 1998; Helmut KÖNIG (Hg.): Der Fall Schwerte im Kontext, Opladen 1998; Ludwig JÄGER: Seitenwechsel. Der Fall Schneider/Schwerte und die Diskretion der Germanistik, München 1998. Michael STOLLEIS: Rez. Angelo O. Rohlfs: Hermann von Magolt (1895-1953). Das Leben des Staatsrechtlers vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik, Berlin 1997, in: HZ 272

1.2. Biographischer Zugang und Fragestellungen der Arbeit

33

Der Tod Griewanks wurde bereits in großer Ausführlichkeit dargestellt – freilich als narrativer Exkurs –, auch um nun die Frage nach der Wichtigkeit der Details zu stellen. Durchaus sollen in der vorliegenden Biographie Einzelheiten der Biographie ausführlich erzählt werden. Der politische und historiographische Kontext steht jedoch ausdrücklich im Vordergrund. Eine politische Biographie kann leicht zur Apologie oder zur Anklage werden, wenn man von ihr eine Gesamtbewertung der Persönlichkeit erwartet. Dies soll hier vermieden werden und Griewank weder als Held, noch als Täter oder Opfer präsentiert werden. Die Fragestellung der Arbeit zielt vielmehr auf den Handlungsspielraum – ein durchaus erprobter Ansatz der modernen Biographik.138 Im Blick genommen wird das Verhältnis des Subjekts mit seinen Absichten, Plänen und Zielen zum In-derZeit-Möglichen.139 In dieser Analyse kann die Wechselwirkung zwischen Lebenszielen, Weltbildern und Bedingungen erhellt werden. Dabei sind stets zwei Aspekte zu betrachten. Zum einen die Rezeption gesellschaftlichen Seins und deren aktive Gestaltung. Da Menschen Erfahrungen machen, ist diese Erfahrung als historische Kategorie in der biographischen Methode immanent enthalten.140 Es geht also immer um die Wahrnehmung der Welt und die Konstruktion von Wissen.141 Zum anderen treten Menschen als aktiv Handelnde auf, hinterlassen Spuren und tragen Verantwortung. Diese beiden Seiten gilt es also zu beachten, denn sie stecken den Topos „Handlungsspielraum“ dialektisch ab. Es gilt hier der bekannte –häufig zitierte oder paraphrasierte – Satz von Karl Marx: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen die nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“142

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(2001), S. 533f., hier S. 533. Für Stolleis ist diese juristische Dissertation, die solche Details einer politischen Einordnung vorzieht und etwa von der „schwere[n] See des Dritten Reiches“ spricht, „nicht nur ein biographischer Versuch aus allzu großer Nähe zum Gegenstand, sondern auch ein Beispiel für den Denk- und Sprachstil an heutigen deutschen Universitäten – dreißig Jahre nach 1968.“ Stolleis, der es sich nicht nehmen läßt, eine Fülle von Beispielen zu zitieren, beendet die Rezension bitter: „Betreuer der Arbeit war der vormalige, vielleicht auch ein wenig überlastete Bundesminister der Justiz [Edzard Schmidt-Jorzig]. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages [Rita Süßmuth] hat die Veröffentlichung durch einen Druckkostenzuschuß unterstützt.“ Ebd., S. 534. Vgl. Rudolf VIERHAUS: Handlungsspielräume. Zur Rekonstruktion historischer Prozesse, in: HZ 237 (1983), S. 289-309. Methodisch eindrucksvoll analysiert und angewandt bei Joachim BERGER: Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807). Denk- und Handlungsräume einer „aufgeklärten“ Herzogin, Heidelberg 2003, zur Methodik vgl. vor allem S. 1833. Vgl. für die Historiographigeschichte die konsequente Analyse der „Bedingungsfaktoren der wissenschaftlichen Produktion“ bei ECKEL: Hans Rothfels. Vgl. GALL: Bismarck, S. 25. Vgl. Dorothee WIERLING: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie, Berlin 2002, zur Methode S. 7-23, hier S. 16. Vgl. ferner auch Lutz NIETHAMMER (Hg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“, Frankfurt (M) 1985. Methodisch sehr anregend der konzise Überblick bei Paul MÜNCH: Einleitung, in: DERS. (Hg.): „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, München 2001, S. 11-27. Vgl. auch ECKEL: Hans Rothfels, S. 16f. Auf die umfangreiche Diskussion um die Wissenssoziologie kann hier nicht tiefer eingegangen werden. Vgl. nach wie vor Peter L. BERGER/Thomas LUCKMANN: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit [1969], Frankfurt (M) 192003; vgl. ferner Claus ZITTEL (Hg.): Wissen und soziale Konstruktion, Berlin 2002. Karl MARX: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte [1869], in: DERS./Friedrich ENGELS: Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Berlin 25 1977, Bd. 1, S. 222-316, hier S. 226.

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1. Einleitung

Neben diesen allgemeinen Überlegungen steht die Biographie Karl Griewanks als Lebensgeschichte eines Historikers zudem in spezielleren Zusammenhängen. Da es um einen Geisteswissenschaftler, einen Historiker geht, bildet selbstredend die Geschichte der Geschichtswissenschaft den Rahmen. Die Inhalte Griewanks Arbeiten sollen nicht zu kurz kommen: Methodik, Themen und Kernthesen, Rezeption sowie die wissenschaftliche Kommunikation. Die Arbeit steht als Biographie über einen Professor zudem auch im Kontext der Forschungen über bildungsbürgerliche Eliten in Deutschland.143 Die soziale Geschlossenheit und die politische Haltung der Gelehrten im Kaiserreich und der Weimarer Republik ist vielfach Thema wichtiger Untersuchungen geworden.144 Die unangreifbar elitäre Meinungsführerschaft des „deutschen Professors“ im Kaiserreich, das als Blütezeit der deutschen Universität angesehen wurde, ist vor allem mit dem von Rüdiger vom Bruchs geprägten Begriff der „Gelehrtenpolitik“ als komplexes System auf gemeinsamer Wertvorstellung erkannt worden. Der deutsche Gelehrte fühlte sich nur der Wissenschaft verpflichtet, war staatstragend, sah sich aber als ‚unpolitisch’ an, was er freilich de facto nicht war. Die Geisteswissenschaftler fühlten sich als Vordenker und prägend zuständig für das Selbstverständnis und gesellschaftliche Leitbegriffe.145 Vor allem aus ideologiekritischem Ansatz heraus wurde die Elitenforschung als Analyse des antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik fortgesetzt und die „Ideologie des deutschen Weges“ weiterverfolgt.146 Auch Fritz Ringers Studie zum „Niedergang der deutschen Mandarine“ ist hier zu nennen, die in der Verbindung sozial-, geistes- und mentalitätsgeschichtlicher Analyseebenen allerdings neue Wege einschlug und eine immense Wirkungsmächtigkeit entwickelte.147 Eng verbunden sind solche Studien zur universitären Elite auch mit dem Begriff des Bildungsbürgertums, der einen Anschluß an die stark betriebene Bürgertumsforschung nahelegt.148 In der Tat sind die Bemühungen,

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Vgl. Klaus SCHWABE (Hg.): Deutsche Hochschullehrer als Elite, 1815-1945. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1983, Boppard am Rhein 1988. Vgl. Rüdiger VOM BRUCH: Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890-1914), Husum 1980, zum Begriff des Bildungsbürgertums S. 424-427. Zur deutschen Universität im Kaiserreich vgl. vor allem auch NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd.1, S. 590-601 und WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 1202-1224. Vgl. nun auch PALETSCHEK: Die permanente Erfindung einer Tradition. Dieter LANGEWIESCHE: Die Universität als Vordenker? Universität und Gesellschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Saeculum 45 (1994), S. 316-331. Bernd FAULENBACH: Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980; vgl. auch den Klassiker Kurt SONTHEIMER: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933 [1962], München 41994 und DERS.: Die deutschen Hochschullehrer in der Zeit der Weimarer Republik, in: SCHWABE, Hochschullehrer als Elite, S. 215-224. Fritz K. RINGER: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933, München 1987. Zu Ringers Bedeutung vgl. den Forschungsbericht Rüdiger VOM BRUCH: Bildungssystem, Universitäten, Wissenschaften, Gelehrte. Neuere Arbeiten und Ansätze zur deutschen Entwicklung vom 18. zum 20. Jahrhundert, in: AfS 29 (1989), S. 439-481, hier S. 446-449. Hierbei ist vor allem an die Projekte in Frankfurt und Bielefeld mit den Reihen „Stadt und Bürgertum“ und „Bürgertum“ zu denken. Vgl. zusammenfassend etwa Friedrich LENGER: Bürgertum, Stadt und Gemeinde zwischen Frühneuzeit und Moderne, in: NPL 40 (1995), S. 14-29; Thomas MERGEL: Die Bürgertumsforschung nach 15 Jahren, in: AfS 41 (2001), S.

1.2. Biographischer Zugang und Fragestellungen der Arbeit

35

Fragen nach Bürgerlichkeit und bürgerliche Wertvorstellungen auch für das 20. Jahrhundert und die Zeit nach 1945 nutzbar zu machen, inzwischen sehr weit gediehen.149 Dies gilt auch für die SBZ/DDR, in der die Frage nach der „Entbürgerlichung“ zugleich neue Fragestellungen aufwirft.150 Historiographisch ist der Begriff „bürgerlich“ jedoch für die SBZ/DDR und deren Geschichtsschreibung deshalb problematisch, da er als ausgrenzende Fremdzuschreibung im Gegensatz zu „fortschrittlich“ Verwendung fand und eine Ab- und Ausgrenzungsvokabel darstellte.151 Geschichtswissenschaft ist in dieser Phase als ein offenkundig politisches Feld zu erkennen. Griewank war in seiner Position als Historiker stets ein politisch denkender Mensch, ein homo politicus. Die Studie kann daher auch an aktuelle Forschungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik anknüpfen.152 Gerade die Tatsache, daß er als Wissenschaftsorganisator seit 1926 und während des Nationalsozialismus in der Wissenschaftsförderung tätig war, eröffnet die Möglichkeit, die am Paradigma der DFG zu verzeichnende Neubewertung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik in der Studie zu reflektieren.153 Diskutiert wird vorrangig die Frage, ob die von der DFG geförderte Wissenschaft völkische und politisch im Sinne des Nationalsozialismus einseitige Schwerpunkte entwickelte oder von Ausnahmen abgesehen im wesentlichen herkömmlich,

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515-538; vgl. auch die Einleitung von: Michael MAURER: Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (16801815), Göttingen 1996; vgl. ferner auch: Hans-Werner HAHN: Bürgertum in Thüringen im 19. Jahrhundert. Forschungsdesiderate und Forschungskonzepte, in: DERS./Werner GREILING/Klaus RIES (Hg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Jena/Rudolstadt 2001, S. 7-25. Vgl. Konrad H. JARAUSCH: Die unfreien Professionen. Überlegungen zu den Wandlungsprozessen im deutschen Bildungsbürgertum 1900-1955, in: Jürgen KOCKA (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, München 1988, Bd. 2, S. 124-146; Hannes SIEGRIST: Ende der Bürgerlichkeit? Die Kategorien „Bürgertum“ und „Bürgerlichkeit“ in der westdeutschen Gesellschaft und Geschichtswissenschaft der Nachkriegsperiode, in: GG 20 (1994), S. 549-583. Vgl. Christoph KLEßMANN: Relikte des Bildungsbürgertums in der DDR, in: Hartmut KAELBLE/Jürgen KOCKA/Hartmut ZWAHR (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 254-270; Sabine Anna ERNST: Von der bürgerlichen zur sozialistischen Profession? Ärzte in der DDR, 1945-1961, in: Richard BESSEL/Ralph JESSEN (Hg.): Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996, S. 25-48; Ralph JESSEN: Die „Entbürgerlichung“ der Hochschullehrer in der DDR – Elitewechsel mit Hindernissen, in: hochschule ost 5/6 1995, S. 61-72; Thomas GROßBÖLTING: SED-Diktatur und Gesellschaft. Bürgertum, Bürgerlichkeit und Entbürgerlichung in Magdeburg und Halle, Halle/Saale 2001; Arnd BAUERKÄMPER: Die Sozialgeschichte der DDR, München 2005, hier S. 39, 97 Siehe dazu unten Kapitel 5.2.2. Vgl. Mitchell G. ASH: Wissenschaftswandel in Zeiten politischer Umwälzungen. Entwicklungen, Verwicklungen, Abwicklungen, in: Internationale Zeitschrift für Geschichte der Ethik, Naturwissenschaften, Technik und Medizin 3 (1995), S. 1-21; DERS.: Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander, in: Rüdiger VOM BRUCH/Brigitte KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32-51, hier S. 48-50; vgl. auch als kürzerer Erstabdruck DERS.: Dass.Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander. Programmatische Überlegungen am Beispiel Deutschlands, in: Jürgen BÜSCHENFELD/Heike FRANZ/Frank-Michael KUHLEMANN (Hg.): Wissenschaftsgeschichte heute. Festschrift für Peter LUNDGREEN, Bielefeld 2001, S. 117-134. Vgl. Ulrich SIEG: Strukturwandel der Wissenschaft im Nationalsozialismus, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 24 (2001), S. 255-270, zur DFG insbes. S. 260-264. Siehe zu den kontroversen Deutungsmustern unten Kapitel 3.1.

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1. Einleitung

bürokratisch und damit „relativ normal“ und „neutral“, gewesen sei. In der Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik – biographisch nicht zu trennen von der Frage nach Verantwortung und moralischer Bewertung – kumulieren verschiedene Frageebenen.

1.3. QUELLEN, LITERATUR UND AUFBAU DER ARBEIT ALS „OFFENE BIOGRAPHIE“ „Jedes Leben will anders erzählt werden.“154 So literarisch, wie dies der ThomasMann-Biograph Hermann Kurzke ausdrückt, würde ein Historiker wohl eher nicht formulieren, aber der methodische Kern dieser Aussage ist evident. Die oben genannten skizzierten speziellen Frageinteressen, mit denen man an eine Historikerbiographie herangehen kann, bestimmen daher auch deren Aufbau. Schwerpunkte können sehr unterschiedlich gesetzt werden. Will man historiographische Fragestellungen wie methodische Innovation oder Schulgründung betonen,155 wird man anders herangehen, als wenn die politische Bedeutung oder die Lebenswelten von Wissenschaft und Politik im Vordergrund stehen sollen. Über Ludwig Quidde156 etwa wird man anders schreiben als über Karl Lamprecht157, Hans Rothfels oder Gerhard Ritter. Jan Eckel hat in seiner jetzt vorgelegten Biographie über Hans Rothfels auf die Bedeutung der Benennung des Untersuchungsziels hingewiesen.158 Nicht nur das Frageinteresse, sondern auch Quellengrundlage, gliedert die Darstellung. Selten hat man, wie im Falle Gerhard Ritters, ein breites Oeuvre vorliegen und dazu einen umfangreichen, aber geordneten Nachlaß mit vielen Korrespondenzpartnern, deren Nachlässe ebenso wiederum der Forschung zur Verfügung stehen.159 Ritter hatte zudem als eine zentrale Figur der Historiker-

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Hermann KURZKE: Zur Rolle des Biographen. Erfahrungen beim Schreiben einer Biographie, in: Christian KLEIN (Hg.): Grundlagen der Biographik, S. 173-178, hier S. 177. Vgl. etwa Stefan MEINEKE: Friedrich Meinecke. Persönlichkeit und politisches Denken bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Berlin 1995; Wolfgang J. MOMMSEN (Hg.): Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft, Stuttgart 1988; Luise SCHORN-SCHÜTTE: Karl Lamprecht. Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik, Göttingen 1984. Vgl. auch Thomas M. BOHN: Russische Geschichtswissenschaft von 1880 bis 1905. Pavel M. Miljukov und die Moskauer Schule, Köln/Weimar/Wien 1998. Vgl. WEHLER: Historische Sozialwissenschaften, S. 277-285; Reinhard RÜRUP: Ludwig Quidde, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 358-381. SCHORN-SCHÜTTE: Karl Lamprecht; Gerald DIESENER (Hg.): Karl Lamprecht weiterdenken. Universal- und Kulturgeschichte heute, Leipzig 1993; Stefan HAAS: Historische Kulturforschung in Deutschland 1880-1930. Geschichtswissenschaft zwischen Synthese und Pluralität, Köln/Weimar/Wien 1994, passim; DERS.: Transdisziplinarität in den historischen Kulturwissenschaften, in KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 265-297; Thomas BOHN: Kulturgeschichtsschreibung in Deutschland und Russland im Vergleich, in: ebd., S. 253-264. Ihm gehe es um die intellektuelle Entwicklung Rothfels’ in Beziehung zu dessen biographischer Erfahrung im 20. Jahrhundert. Er weiche deshalb in einigen Punkten bewußt „von konventionellen Wissenschaftlerbiographien ab“, so ECKEL: Hans Rothfels, S. 20. Zur penibel geordneten Korrespondenz Ritters ironisch Peter SCHUMANN: Gerhard Ritter und die deutsche Geschichtswissenschaft nach dem 2. Weltkrieg, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf VIERHAUS zum 60. Geburtstag, Göttingen 1982, S. 399-415, hier S. 415.

1.3. Quellen, Literatur und Aufbau der Arbeit als „offene Biographie“

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zunft der 1950er Jahre auch im politischen und geschichtspolitischen Diskurs seine Spuren hinterlassen. Im seinem Falle lag nun gerade in dieser Materialfülle die Schwierigkeit einer Gesamtbiographie, deren Machbarkeit nun jedoch Christoph Cornelißen – nach vergeblichen Versuchen anderer – eindrucksvoll nachgewiesen hat.160 Auch über Franz Schnabel, Ritters Gegenspieler der Geschichtswissenschaft der frühen Bundesrepublik, wurde biographisch gearbeitet. Allerdings steht in Thomas Hertfelders Arbeit über den Münchener Historiker die Werkanalyse im Vordergrund; die Gründe hierzu liegen in der unzureichenden Quellengrundlage persönlicher Überlieferung.161 Und wiederum eine andere Quellenlage liegt etwa für den Jenaer Mediävisten Alexander Cartellieri vor, dessen über Jahrzehnte geführtes Tagebuch eine Untersuchung zur Gelehrtenkultur lohnend machte und detaillierte, explizit am Lebensweg orientierte Milieubeschreibungen ermöglicht hat.162 Für eine Arbeit über Karl Griewank nun liegen die Rahmenbedingungen anders als in den genannten Beispielen. Er hat – schon allein durch seine späte Berufung und seinen frühen Tod – innerhalb der „Zunft“ nicht die Bedeutung annehmen können wie etwa Schnabel oder Ritter. Oeuvre und Nachlaß sind quantitativ überschaubar. Das Besondere an seiner Person liegt biographisch mehr in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seines Lebens und in den weltanschaulichen Auseinandersetzungen seiner Zeit. Hier gilt es nach den Handlungsmöglichkeiten innerhalb der zahlreichen Konfliktsituationen zu fragen, die Schwierigkeiten sowie die Chancen zu deren Lösung zu thematisieren. Den konkreten Rahmenbedingungen Griewanks im „Zeitalter der Extreme“ wird somit große Aufmerksamkeit zukommen. Auch enge Freunde Griewanks bezeichneten ihn als zurückhaltend und verschwiegen, persönliche Selbsteinschätzungen bleiben selten. Personal- und personenbezogene Akten ergänzen die wenigen Selbstauskünfte.163 Griewanks Nachlaß ist in Jena erhalten und wurde 1969 von der Witwe der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek übergeben.164 Er enthält schwerpunktmäßig Material zum Wissenschaftsorganisator Griewank und Manuskripte zur Lehre und zu Publikationen, sowie Materialsammlungen und annotierte Zeitungsausschnitte. Es befinden sich durchaus auch persönliche Briefe und Stellungnahmen im Bestand, insbesondere auch zur politischen Situation in der frühen DDR. Eher kurios ist ein Teilnachlaß, der ebenfalls unter dem Signum „Nachlaß Griewank“ firmiert und sich im Berlin-Dahlemer Geheimen Staatsarchiv befindet.165 Er

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Vgl. Christoph CORNELIßEN: Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2001. Vgl. hingegen Michael MATTHIESEN: Gerhard Ritter, Studien zu Leben und Werk bis 1933, 2 Bde., Egelsbach 1993. Matthiesen legt auf über 1300 eng bedruckten Seiten eine nur bis 1933 gehende Teilbiographie vor. Im Ergebnis jedoch entstand mit den aus dem Werk gezeichneten Rückschlüssen auf die Lebenswelt Schnabels eine methodisch wegweisende Studie. Vgl. Thomas HERTFELDER: Franz Schnabel und die deutsche Geschichtswissenschaft. Geschichtsschreibung zwischen Historismus und Kulturkritik (1910-1945), 2 Bde., Göttingen 1998. Vgl. Matthias STEINBACH: Des Königs Biograph. Alexander Cartellieri (1867-1955). Historiker zwischen Frankreich und Deutschland, Frankfurt (M) [u.a.] 2001. Vgl. UAJ, D 1467, PA Griewank; UA HU Berlin, G 383 PA Griewank; ABBAW Berlin, Best. AKL Personalia, Nr. 657 Wissenschaftliche Mitarbeiter. Schenkungsurkunde, 2.8.1969, in: ThULB Jena, HA, Aktenordner „Nachlässe, Akten G-M“, unpag. GStAPK, Brandenburgisch-Preußisches Hausarchiv, Rep. 192, Nachlaß Griewank.

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1. Einleitung

wurde 1966 von „unbekannten Verwandten“ Griewanks dem Geheimen Staatsarchiv zur Aufbewahrung übergeben.166 Hier handelt es sich um Notizen und Abschriften, die Griewank während der Archivbenutzung gemacht hat, um Materialsammlungen zu verschiedenen Publikationen in Form flüchtig angefertigter Notizen, einige wenige Briefe verstecken sich dennoch zwischen den Notizblättern. Weitere wichtige Informationen erhält man vor allem auch durch die in anderen Historikernachlässen erhaltenen Briefe Griewanks. Gerade den Kollegen im westlichen Teil Deutschlands versuchte er die Situation eines Nichtmarxisten an einer DDR-Universität zu verdeutlichen. Ein intensiver Kontakt bestand zu seinem Doktorvater Willy Andreas. In dessen Nachlaß, der in Karlsruhe aufgewahrt wird, findet sich auch wertvolles Material aus der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Mit Andreas tauschte er sich offen über Berufungschancen aus. Zudem lassen sich die fördernden Bemühungen Andreas’ nachvollziehen. In dieser Hinsicht weniger ergiebig ist der Nachlaß von Friedrich Schmidt-Ott, des ersten Präsidenten der „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“, dessen „rechte Hand“ Griewank von 1926 bis 1946 war und mit dem er sich freundschaftlich verbunden fühlte. Dieser Nachlaß, obwohl sehr umfangreich, enthält Lücken – vor allem, was die NS-Zeit angeht. Diese ergeben sich daraus, daß der ursprünglich vorhandene „Nachlaß Schmidt-Ott“ im Zweiten Weltkrieg in den Berliner Kellern des Archivs komplett verbrannte und durch ein Depositum aus Familienbesitz ersetzt wurde.167 Staatliche Überlieferungen und die Akten der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhellen Griewanks offizielle Tätigkeiten in der NS-Zeit dennoch einigermaßen. Und für die Zeit nach 1945 sind die Akten der Behörden der DDR und der SED einschlägig. Die Behörde der „Bundesbeauftragen für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR“ teilte mit, man habe keinerlei Material über Griewank oder seine Schüler, zum Historischen Seminar Jena oder zur Philosophischen Fakultät der FSU aus der Zeit bis 1953 ausfindig machen können.168 Als große Bereicherung stellten sich hingegen die Materialien heraus, die sich im Privatbesitz der Neffen Karl Griewanks befanden und die ich dankenswerterweise einsehen konnte. Dabei handelt es sich sowohl um Materialien aus Kindheit und Jugend als auch um innerfamiliäre Briefwechsel, Familienchroniken und Erinnerungen der Mutter. Zudem basiert diese Arbeit auch auf Gesprächen und Korrespondenzen mit Zeitzeugen, die Griewank in seiner Jenaer Zeit kennengelernt hatten. So konnte ich mit der damaligen Assistentin und Dozentin Irmgard Höß sprechen, sowie mit Studenten und Absolventen Griewanks. Die Befragungen zielten dabei weniger auf die Rekonstruktion lebensweltlicher Erinnerungen, sondern dienten vielmehr der gezielten Informationsergänzung und sind deshalb methodisch den herkömm-

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Laut Auskunft des GStAPK ist heute nicht mehr bekannt, von wem genau die Materialien übergeben wurden. Das Material wurde von „unbekannten Verwandten“ dem Direktor des Archivs abgegeben und nach dessen Ausscheiden aus dem Amt 1974 in dessen Dienstzimmer vorgefunden. Schr. Information Dr. Letkermann, GStAPK, 11.10.1999. Hans BRANIG/Winfried BLIß/Werner PETERMANN (Bearb.): Übersicht über die Bestände des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem, Teil II: Zentralbehörden, Andere Institutionen, Sammlungen, Köln/Berlin (W) 1967, S. 50. Keinerlei Hinweise auch in Gerhard KLUGE/Reinhard MEINEL: MfS und FSU. Das Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit an der Friedrich-Schiller-Universität, Erfurt 1997.

1.3. Quellen, Literatur und Aufbau der Arbeit als „offene Biographie“

39

lichen Zeitzeugengesprächen zuzuordnen. Es ging um die Erinnerung an einen Dritten, damit handelte es sich um ein „themenzentriertes“ und nicht um ein „lebensweltliches“ Interview. Insbesondere wurden hier natürlich Akademiker, noch dazu Historiker befragt, ein Personenkreis, der historische Fragestellungen kennt und noch dazu „in der Kunst öffentlicher Darstellung und vor allem Selbstdarstellung eine gewisse Erfahrung und Routine hatte“169, womit die Gespräche dem Typus „Experteninterview“170 zuzuordnen sind. Dennoch rückte die Lebenserfahrung der Befragten in den teilweise sehr langen Gesprächen manches Mal in den Mittelpunkt. Die Gesprächspartner hatten etwas zu erzählen. Dies war durchaus beabsichtigt, da es mir in den Gesprächen nicht nur um die Rekonstruktion der Biographie Griewanks ging, sondern eben auch um das Milieu der Zeit. Es wurde versucht, in eigenen Kapiteln zum Schülerkreis Griewanks auch diesem Erkenntnisinteresse nachzugehen. In der Literatur hat sich mittlerweile ein recht merkwürdiger Umgang mit mündlichen Quellen eingestellt, und die zum Teil um sich greifende Skepsis gegenüber Zeitzeugenbefragungen kann hier nur erstaunt zur Kenntnis genommen werden. „Er lügt wie ein Zeitzeuge“, gelte als ein beliebter Satz „um Systematik bemühter Wissenschaftler“, heißt es im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, was wohl als Gag angesehen werden muß.171 Wenn jedoch Sabine Besenfelder geradezu mit Stolz ausführt, „aufgrund der einzigartigen Überlieferungssituation“172 für ihr Thema „auch ohne Zeitzeugen“ eine detailgetreue Darstellung vorzulegen, so spricht aus diesen Worten neben einer Geringschätzung der Oral History vor allem eine historistische Aktengläubigkeit, die bereits Edward Hallet Carr als Fetisch der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts offengelegt hat.173 Es werden verschiedene Geschichten erzählt, das ist unbestritten. Die Position der 1952 aus politischen Gründen exmatrikulierten und dann 1953 (u.a. auf Bemühungen Griewanks) wiederzugelassenen Ruth Weiß unterscheidet sich von der des studentischen Aktivisten, späteren SED-Parteisekretärs, Geschichtsprofessors und DDR-Nationalpreisträgers Kurt Pätzold174 enorm. Diese unterschiedlichen Positionen sind daher auch ein Thema, das in der Arbeit aufgenommen werden soll. Indem die Wahrnehmung ernst genommen wird, soll „die vermeintliche Schwäche der Oral History, die subjektive Färbung der enthaltenen Aussagen“175, als Stärke genutzt werden.

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Lutz NIETHAMMER: Postskript. Über Forschungstrends unter Verwendung diachroner Interviews in der Bundesrepublik, in: DERS. (Hg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“, Frankfurt (M) 1985, S. 471-477, hier S. 471. Vgl. Alexander BOGNER/Beate LITTIG/Wolfgang MENS (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung, Opladen 2002. Hans-Peter KUNISCH: Sehnsucht nach Authentischem. Die Rolle der Zeithistoriker im Erinnerungsboom – eine Konferenz in Potsdam, in: Süddeutsche Zeitung vom 3.4.2001, S. 19. Sabine BESENFELDER: „Staatsnotwendige Wissenschaft“. Die Tübinger Volkskunde in den 1930er und 1940er Jahren, Tübingen 2002, S. 522. Vgl. auch die kritische Besprechung von Leonore SCHOLZE-IRRLITZ: Rez. Besenfelder: „Staatsnotwendige Wissenschaft“, in: H-Sozu-Kult, , 6.6.2002. CARR: Was ist Geschichte, S. 16. Pätzold erhielt 1988 den Nationalpreis III. Klasse; vgl. MERTENS: Lexikon der DDRHistoriker, S. 472f. NIETHAMMER: Postskript, S. 473.

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1. Einleitung

Es ist üblich und sinnvoll, zu Beginn einer Arbeit auf die Literaturlage zu verweisen. Es sollen jedoch nicht an dieser Stelle Forschungsberichte zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft, zur Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus und in der DDR oder zur Jenaer Universitätsgeschichte aneinandergereiht werden. Statt dessen wird an den entsprechenden Stellen im Text der Stand der Forschung referiert. Die Forschungslage zur Geschichtswissenschaft in Jena hingegen ist überschaubar. Matthias Steinbach konstatierte 2001 das Fehlen detaillierter Studien.176 In den Universitätsgeschichten von 1958 und 1983 findet die Geschichtswissenschaft knappe Erwähnung.177 Die Festansprache von Herbert Gottwald178 und der konzise Überblick von Matthias Werner179 steckten das Forschungsfeld ab, das inzwischen durch eine Reihe neuerer Arbeiten bearbeitet wurde und wird.180 Auch die Literatur zur Person Griewanks ist schnell aufgezählt. Die ersten Publikationen entstanden mit seinem Tod und damit in der Spannung des Kalten Krieges und unter dem Eindruck des Selbstmords. Die Nachrufe von Willy Andreas und Hermann Heimpel wurden bereits erwähnt. In der DDR erschien ein Nachruf in der neu gegründeten ZfG und in der Monatsschrift des Staatssekretariats für Hochschulwesen.181 Die nächste Veröffentlichung in der DDR stammt dann erst aus dem Jahr 1989 von Karl-Heinz Noack.182 Diese biographische Skizze erschien in dem Sammelband „Wegbereiter der DDRGeschichtswissenschaft“, ein bemerkenswertes Produkt der „Erbe- und Traditionsdiskussion“ in der DDR-Geschichtswissenschaft, auf das noch einzugehen sein wird.183 Noack erlag nicht der Versuchung, Griewank zum Fast-Marxisten zu machen und schaffte es durchaus, ohne Verzerrungen und Plattheiten die

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STEINBACH: Des Königs Biograph, S. 11. Vgl. hingegen Hartmut BOOCKMANN/Hermann WELLENREUTHER (Hg.): Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe, Göttingen 1987; Reimer HANSEN/Wolfgang RIBBE (Hg.): Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, Berlin 1992; Helmut NEUHAUS (Hg.): Geschichtswissenschaft in Erlangen, Erlangen/Jena 2000. Max STEINMETZ (Hg.): Geschichte der Universität Jena 1548/58-1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum, 2 Bde, Jena 1958/1962. Siegfried SCHMIDT [u.a.]: Alma mater Jenensis. Geschichte der Universität Jena, Weimar 1983. Herbert GOTTWALD: Ansprache anläßlich der Wiederbegründung des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena in der Aula der Universität [25.19.1990], in: Rainer ECKERT/Wolfgang KÜTTLER/Gustav SEEBER (Hg.): Krise – Umbruch – Neubeginn. Eine kritische und selbstkritische Dokumentation der DDR-Geschichtswissenschaft 1989/90, Stuttgart 1992, S. 246-255. WERNER: Stationen Jenaer Geschichtswissenschaft. Vgl. Matthias STEINBACH: „Ich bin wirklich ein Leidtragender des Krieges...“ Die Universität Jena und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenwelt 1914-1918 unter besonderer Berücksichtigung des Historikers Alexander Cartellieri, in: Herbert GOTTWALD/DERS. (Hg.): Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur Jenaer Universität im 20. Jahrhundert, Jena 2000, S. 25-46; DERS.: „Spätberufen“. Karrieremuster und wissenschaftliche Profile der Jenaer Historiker Hugo Preller (1886-1968) und Friedrich Schneider (1887-1962), in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 53-89; Jens P. ACKERMANN: Die Geburt des modernen Propagandakrieges im Ersten Weltkrieg. Dietrich Schäfer. Gelehrter und Politiker, Frankfurt (M) 2004. Zum Andenken an Karl Griewank, in: ZfG 1 (1953), S. 997-999. [HORN, Ingeborg:] „Karl Griewank“, in: Das Hochschulwesen. Monatsschrift des Staatssekretariats für Hochschulwesen 1 (1953/54), H. 4, S. 35. NOACK: Karl Griewank, S. 75-92. Siehe unten Kapitel 8.4.. Dort auch Näheres zur Erbe- und Traditionsdiskussion.

1.3. Quellen, Literatur und Aufbau der Arbeit als „offene Biographie“

41

Persönlichkeit Griewanks ansprechend zu charakterisieren. Dennoch werden die politischen Konflikte nicht im Klartext benannt. Dies war unter den Bedingungen auch der späten DDR schwerlich möglich, allein das Zitieren des Wortes „Ostzone“184 war gewagt. Auch wenn damit behutsam die politische Brisanz angedeutet wurde, ging es der DDR-Geschichtswissenschaft im Gesamtunternehmen „Wegbereiter“ freilich um eine vereinnahmende Homogenisierung ihrer Frühzeit. In der Bundesrepublik wurde Griewank vor allem durch die Neuauflagen einiger seiner Werke bekannt, insbesondere zur Französischen Revolution und zum Neuzeitlichen Revolutionsbegriff. Sein Aufsatz zu den „Ursachen und Folgen der Revolution von 1848/49“ stieß auf historiographisches Interesse und wurde von Ernst-Wolfgang Böckenförde185 und Dieter Langewiesche186 wiederabgedruckt. In den Nachschlagewerken der Bundesrepublik, der Wehlerschen Reihe „Deutsche Historiker“187 oder dem Historikerlexikon von Rüdiger vom Bruch und Rainer A. Müller fehlt Griewank jedoch.188 Wolfgang Weber bezieht ihn in seine „Priester der Klio“189 mit ein, allerdings sind die bereits von Matthias Steinbach genannten Lücken für die Universitäten der DDR zu berücksichtigen, welche sich aus der schwierigen Recherchesituation vor 1989 ergeben.190 In Lexika zur DDR findet sich gelegentlich ein relevanter Eintrag.191 Die erste umfangreiche Berücksichtigung nach dem Ende der DDR stammte von Peter Schäfer.192 Hier wurden die weltanschaulichen Konflikte, die bei Noack nur angedeutet wurden, zum ersten Mal unter Rückgriff auf Archivquellen offen benannt. Durch Schäfer erhielt Griewank auch einen Eintrag im internationalen Lexikon „Great Historians of the Modern Age“.193 Walter Schmidt, der selbst bei

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NOACK: Karl Griewank, S. 86. Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE (Hg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, Köln 1972. Dieter LANGEWIESCHE (Hg.): Die deutsche Revolution 1848/49, Darmstadt 1983. Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, 9 Bde., Göttingen 1971-1982. Rüdiger VOM BRUCH/Rainer A. MÜLLER (Hg.): Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, München 22002. Das Fehlen Griewanks und von anderen „anerkannten bürgerlichen bzw. nichtmarxistischen Historiker[n]“ der SBZ/DDR wurde von Werner Berthold nach der ersten Auflage schon angemahnt, jedoch in der Neuauflage nicht geändert. Werner BERTHOLD: Rez. Bruch/Müller (Hg.): Historikerlexikon, in: BzG 33 (1991), S. 711-713, hier S. 712. Wolfgang WEBER: Priester der Klio; DERS.: Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Frankfurt (M) [u.a.] 21987; S. 187. STEINBACH: Des Königs Biograph, S. 12 mit Anm. 58. Johannes ASEN: Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin, Bd.1: 1810-1945, Leipzig 1955, S. 63; Horst HAUN: Art. „Griewank, Karl“, in: Jochen CERNY (Hg.): Wer war wer – DDR. Ein biographisches Lexikon, Berlin 21992, S. 148; Art. „Griewank, Karl“, in: Bernd-Rainer BARTH/Christoph LINKS/Helmut MÜLLER-ENGERGS/Jan WIELGOHS (Hg.): Wer war Wer in der DDR. Ein biographisches Handbuch, Frankfurt (M) 31995, S. 241f.; Art. „Griewank, Karl“, in: Grete GREWOLLS: Wer war wer in Mecklenburg-Vorpommern, Bremen/Rostock 1995, S. 166; Gerlinde GRAHN: Art. „Griewank, Karl“, in: Gabriele BAUMGARTNER/Dieter HEBIG (Hg.): Biographisches Handbuch der SBZ/DDR 1945-1990, Bd.1, München [u.a.] 1996, S. 244; Ilko-Sascha KOWALCZUK: Art. „Griewank, Karl“, in: Helmut MÜLLER-ENBERGS/Jan WIELGOHS/Dieter HOFFMANN (Hg.): Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Lexikon, Bonn 2001, S. 275; MERTENS: Lexikon der DDRHistoriker, S. 246f. Peter SCHÄFER: Karl Griewank und die Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 199-208. DERS.: Art. „Griewank, Karl“, in: Lucian BOIA (Hg .): Great Historians of the Modern Age. An International Dictionary. New York/Westport/London 1991, S. 280.

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1. Einleitung

Griewank sein Examen abgelegt hatte und später ein bekannter Historiker der DDR wurde, widmete sich nach dem Ende der DDR der Person Griewanks in mehreren Aufsätzen.194 Im Rahmen der neu erschienenen kritischen Arbeiten zur NSGeschichtswissenschaft findet Griewank gelegentlich Erwähnung, bleibt jedoch eine Randfigur.195 Die Geschichtswissenschaft der DDR, inzwischen selbst zu einem breitdiskutierten Forschungsfeld geworden, wurde vor allem im Hinblick auf ihre politische und kulturelle Funktion bei der Entstehung eines spezifisch marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes betrachtet. Nicht zufällig tauchen deshalb – etwa in der einschlägigen Habilitation Martin Sabrows – die sogenannten „bürgerlichen“ viel weniger häufig auf als die marxistischen Historiker.196 Wo allerdings die Verdrängung der Nichtmarxisten explizit beschrieben wird, finden sich Schilderungen von Griewanks „Schicksals“.197 Zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2000 schließlich wurden Gedenkveranstaltungen in seiner Heimatstadt Bützow198 und am Historischen Institut der Universität Jena199 organisiert. Die vorliegende Darstellung könnte man methodisch als eine „offene Biographie“ bezeichnen. Diese variable Bezeichnung soll zweierlei betonen. Zum einen soll der biographische Zugang als Arbeitsmittel und nicht als Selbstzweck oder Kunstform angesehen werden.200 Wichtigstes Ziel dabei bleibt es, Fragen der Wissenschafts-, Universitäts- und Historiographiegeschichte zu beleuchten. Das Erzählen einer Biographie dient hier dem Zweck, diese Felder entlang einer Lebenslinie zu erhellen und wahrnehmungs- und erfahrungsgeschichtlich zu untermauern. An denjenigen Stellen, an denen der rote Faden der Biographie mit anderen Strängen verknotet ist, wird daher die biographische Methode zurückge-

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Walter SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848. Eine Dokumentation, in: DERS. (Hg.): Demokratie, Liberalismus und Konterrevolution. Studien zur deutschen Revolution 1848/49, Berlin 1998, S. 563-610; DERS.: Karl Griewank und die 1848er Revolutionsgeschichtsforschung, in: Hans-Werner HAHN/Werner GREILING (Hg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume, Handlungsebenen, Wirkungen, Rudolstadt/Jena 1998, S. 705-735; DERS.: Sozialismus und Arbeiterbewegung im Demokratieverständnis des Historikers Karl Griewank, in: Stefan JORDAN/Peter Thomas WALTHER (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft. Aspekte einer problematischen Beziehung. Festschrift für Wolfgang KÜTTLER zum 65. Geburtstag, Waltrop 2002, S. 95-116. Siehe dazu unten Kapitel 3.3.1. SABROW, Diktat des Konsenses. Griewank etwa wird hier nur dreimal erwähnt. „Schicksale“ nennt Zumschlinge ein entsprechendes Kapitel ihrer Arbeit; zu Griewank vgl. Marianne ZUMSCHLINGE: Geschichte der Historiographie der DDR. Das Einwirken von Partei und Staat auf die Universitäten von 1945 bis 1971, Pullach 1994, S. 314-321. Vgl. vor allem auch Ilko-Sascha KOWALCZUK: Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 1997. Vgl. Prof. Dr. Karl Griewank und das moderne Demokratieverständnis. Zum Lebenswerk des gebürtigen Bützowers anläßlich seines 100. Geburtstages, Bützow 2000; vgl. auch Dieter MENTER: Bützow durch Demokratie wieder Universitätsstadt? Heimatverein regte Kolloquium für den ehrenswerten Sohn der Stadt, Karl Griewank, anläßlich seines 100. Geburtstages (* 16.8.1900) an, in: Mecklenburg. Zeitschrift für Mecklenburg-Vorpommern 42 (2000), H. 10, S. 11. Vgl. Tobias KAISER/Steffen KAUDELKA/Matthias STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel. Studien zur Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und deutscher Zweistaatlichkeit, Berlin 2004. Vgl. Jaques LE GOFF: Writing Biography today, in: Current Sociology 43 (1995), H. 2/3, S. 11-18; BERGER: Anna Amalia, S. 18-20.

1.3. Quellen, Literatur und Aufbau der Arbeit als „offene Biographie“

43

stellt, und es werden Forschungsüberblicke und Exkurse eingestreut. Auch diese dienen keinem Selbstzweck, sondern sollen helfen, die Gesamtsituation Griewanks beurteilen, einschätzen und würdigen zu können. Zum anderen kann der Lebensweg Griewanks kaum als lineare abgeschlossene Geschichte erzählt werden. Es soll mit dem Signum der Offenheit nicht nur der Gefahr einer „biographischen Illusion“201 begegnet und den beschriebenen methodischen Überlegungen Rechnung getragen werden. Griewanks Lebensweg widerspricht einer Geschlossenheit der Darstellung, erscheint statt dessen als in mittleren Jahren abgebrochen, keineswegs abgerundet. Man hat es somit weniger mit erreichten Zielen und abgeschlossenen Forschungsprojekten zu tun. Bezeichnenderweise blieb sein Buch „Der neuzeitliche Revolutionsbegriff“ unvollendet und wurde aus dem Nachlaß herausgegeben. Auch aus inhaltlichen Gründen bietet sich das Muster der „offenen Biographie“ hier an. Es gilt zu fragen, inwiefern Griewank in Entscheidungssituationen Offenheit vorfand und ob es sich im „Zeitalter der Extreme“ nicht um eine scheinbare Offenheit der Entscheidung gehandelt hat. Der erstgenannte Aspekt, die methodische Offenheit, betrifft auch den Aufbau der Arbeit. Durchaus soll Karl Griewank „komplett“ in allen Phasen seines Lebens vorgestellt werden. Die Arbeit wird also den gesamten Lebenslauf Griewanks und sein Oeuvre zum Inhalt haben. Sie soll keinen der Pole Biographie und Historiographie ausblenden, mithin „Leben“ und „Werk“ betrachten. Sie wird jedoch darüber hinaus „offen“ nach verschiedenen Seiten hin angelegt sein. Es werden vor allem Rahmenbedingungen beleuchtet und dafür der biographische Erzählstrang verlassen. Zur Situation etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Universität Jena und ihres Historischen Seminars werden daher auch Informationen, Ereignis- und Milieuschilderungen präsentiert, die nicht im unmittelbar näheren Umfeld der Biographie liegen, auch Randpersonen und ereignisse werden so zur Schilderung von Milieu und Rahmenbedingungen herangezogen. Zwei Ideen sollen damit verbunden werden: zum einen die Vorstellung, den biographischen Rahmen als Arbeitsmittel für Wissenschafts- und Historiographiegeschichte zu sehen und zum anderen die Intention, den erfahrungsgeschichtlichen Aspekt innerhalb des gesteckten Rahmens hervorzuheben. Diese Arbeit wird, nachdem das tragische Lebensende der Zentralfigur bereits zum Auftakt geschildert wurde, im folgenden nahezu chronologisch aufgebaut. Die Werksanalysen wurden hingegen im wesentlichen in zwei Hauptkapiteln zusammengefaßt. Die eher politikgeschichtlichen Arbeiten zur Preußischen Geschichte und zum Wiener Kongreß werden im vierten Hauptteil vorgestellt; die zeitlich späteren Arbeiten zur Demokratie- und Revolutionsgeschichte bilden dann das sechste Kapitel. Vom Ansatz her werden die Werke jeweils in ihrem Inhalt, ihrer Methodik und ihrer Einordnung in die damalige Forschung sowie deren Rezeption bis heute vorgestellt. Durch die Bündelung in zwei Kapiteln läßt sich die Genese der Forschungsschwerpunkte nachvollziehen. Die Zweiteilung ergibt sich sowohl thematisch als auch aufgrund der Bezüge, die in den anderen Kapiteln zu den Werksanalysen aufgezeigt werden. Eine echte Gliederungsschwierigkeit stellt der „Privatmann“ dar, über den im Grunde ein eigenständiges Hauptkapitel entstehen sollte. Das Problem entsteht durch die dürftige Quellenlage in diesem Bereich: Es läßt sich wenig über den

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Pierre BOURDIEU: Die biographische Illusion, in: BIOS 3 (1990), S. 75-81.

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1. Einleitung

privaten Griewank sagen. Dennoch soll diese Thematik nicht weggelassen oder nivelliert werden. Privates erfährt man in den ersten beiden Kapiteln der Arbeit. Abweichend von der Chronologie werden dann zum Abschluß des zweiten Kapitels in einem Abschnitt „Privatmann“ relevante Aspekte aus dem weiteren Lebenslauf gebündelt präsentiert. Der siebte Abschnitt „Zwischen Ost und West“ beschreibt Griewank in verschiedenen Rollen,202 ist ein thematisch zugeschnittenes Kernstück der vorliegenden Arbeit. Nachdem die Nachkriegsentwicklung (Kapitel 5) und die wichtigsten Werke des Historikers aus dieser Zeit (Kapitel 6) präsentiert wurden, stellt es Griewank in seiner besonderen Mittlerrolle vor, der als Don Quichotte gegen die Windmühlen des Kalten Krieges kämpft. Diese Rolle unterscheidet ihn von anderen. Hier werden Fäden zusammengeführt und die skizzierten Kernfragen gestellt. Es folgt ein Kapitel über die Schüler Griewanks und deren zeitbedingte Schwierigkeiten, über die kontroversen Deutungen und problematischen Versuche der Vereinnahmung. Hier geht es um im Grunde um das Bild von der DDR, ihrer Geschichtswissenschaft und deren Selbstverständnis. Der Aufbau dieser Arbeit als eine tendenziell vollständige und zudem „offene“ Biographie, dies muß noch einmal betont werden, ergibt sich daraus, daß „jedes Leben anders erzählt werden will“ und Karl Griewanks relativ kurzes, aber konfliktreiches Leben mit einem überschaubaren, aber nicht uninteressantem Oeuvre in dieser Form – so die Hoffnung – „erzählt“ werden kann. Entscheidend bei der Betrachtung bleiben die Zeitumstände des „Zeitalters der Extreme“ als einer „Ära beispielloser Turbulenzen“.203

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Eine konsequente und methodisch durchdachte Anwendung der heuristischen Rollentrennung bei BERGER, Anna Amalia, zur Methodik S. 28-33. Vgl. auch Stefan REBENICH: Theodor Mommsen. Eine Biographie, München 2002. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 985.

2.1. Familie aus der Mecklenburgischen Kleinstadt

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2. EIN DEMOKRAT AUS BÜTZOW – ERSTE WISSENSCHAFTLICHE UND JOURNALISTISCHE ARBEITEN 2.1. FAMILIE AUS DER MECKLENBURGISCHEN KLEINSTADT Die Griewanks stammen aus Mecklenburg.1 Die Familie betrieb aus historischem Interesse Ahnenforschung, konnte jedoch die Spuren der Familie trotz einiger Bemühungen nur bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. Christoph Heinrich Griewank (1734-1782), ein Erbpachtfischer aus Losten bei Bad Kleinen, scheint der älteste nachweisbare Vorfahre dieses Namens zu sein, von dem sich allerdings keine Geburtsurkunde finden ließ. Karl Griewanks Mutter stieß „bei der Durchsicht alter Papiere und Briefschaften auf eine Aufzeichnung meines Schwiegervaters Dr. Gustav Griewank aus dem Jahre 1883, die uns alle in höchstes Erstaunen versetzte. Er berichtet da, daß sein ‚Eltervater’ eine Bauernstelle mit der Fischereigerechtigkeit im Lostener See zu eigen hatte, wo seine Voreltern wahrscheinlich schon seit langer Zeit gesessen hätten, fährt dann aber fort: ‚Er hieß eigentlich Krüger, wurde im siebenjährigen Krieg von den Preußen zum Soldaten erpreßt, desertierte und nahm, um den Verfolgungen leichter zu entgehen, den Namen Griewank an – dieser Name findet sich noch jetzt auch in Sachsen. [...]’“2

Ein wirklicher Beleg für die Namensänderung von „Krüger“ zu „Griewank“ fehlt. Die Herkunft aus dem Mecklenburgischen ist jedoch sicher. Bei dem Gehöft in Losten muß es sich durchaus um einen größeren Besitz gehandelt haben, jedenfalls konnte es sich Christoph Griewank-Krüger leisten, seinem Sohn eine solide Bildung und ein Studium zukommen zu lassen. Dieser (Joachim Heinrich Griewank, 1768-1845) studierte Theologie, wurde Lehrer und Konrektor der Großen Stadtschule und dann Pfarrer in Conow. Theologen sind häufig in der Familie Griewank anzutreffen. Auch Carl Kasper Friedrich (1795-1870), der Sohn des Conower Pfarrers, wurde Theologe und Pastor in Dassow. Zudem erwarb er sich mehr oder weniger bleibende Verdienste als „Regionalbotaniker“3 der Mecklenburgischen Flora. Er sei, so wird berichtet, eine „etwas zarte, stille und häufig kränkelnde Natur“4 gewesen, was er seinem Sohn Gustav wohl ebenso weitergab wie die Vorliebe für Botanik. Dieser promovierte nämlich 1856 mit einer seinem Vater gewidmeten Promotion „Kritische Studien zur Flora Mecklenburgs“5. Es handelt es sich dabei um eine medizinische Dissertation: Er wurde also Arzt, kein

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Vgl. Christine Griewank: Chronik der Familien Griewank, Heussi, Brum und Hoffmann [Bützow 1954]. Für Enkelkinder und Verwandte vervielfältigt von Christa GLÜER, Rostock 1974 (MS). Die folgenden Informationen zur Familie Griewank stammen, soweit nicht anders angegeben, aus dieser von Karl Griewanks Mutter 1954 angefertigten Chronik, von denen sich Kopien im Privatbesitz der Familie – bei den Neffen Prof. Andreas Griewank (Großröhrsdorf), Heinz Glüer (Kirchdorf/Poel) und Hartmut Glüer (Rostock) – befinden. Eine Kopie jetzt auch im NL Griewank. Ebd., S. 1. Carl-Louis KLEMM: Carl Griewank, Pastor in Dassow und Regionalbotaniker, in: Informationen des Heimatvereins Grevesmühlen 5 (1995), H. 2, S. 13-15. Ebd., S. 14. G[ustav] GRIEWANK: Kritische Studien zur Flora Mecklenburgs, Diss. med. Rostock 1856.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

Pfarrer.6 Er erhielt 1863 eine Berufung zum Arzt im „Gefangenenhaus“ in Bützow, ein Jahr nachdem er Gertrud Heussi, die Tante des späteren Jenaer Kirchenhistorikers Karl Heussi7, geheiratet hatte. Das junge Paar baute sich in Bützow eine Existenz auf. Bützow, zu dieser Zeit rund 5500 Einwohner groß, war seit Jahrhunderten geprägt von der Funktion des Gefängnisses, das vielen Einwohnern direkt oder indirekt eine Arbeitsstelle bot. Der Gefängnisarzt bekleidete deshalb eine wichtige Stellung. 1864 wurde Gustav Griewank zudem Kreisphysikus, außerdem betrieb er eine Privatpraxis, auf die er auch finanziell angewiesen war. Diese „stieg rasch, sodaß er bald der angesehenste Arzt der Stadt wurde.“8 Karls Vater Otto Griewank (1865-1918), muß, folgt man den Erzählungen seiner Ehefrau, eine starke Neigung zur zersetzenden Selbstkritik an den Tag gelegt haben. Er war körperlich gehandikapt9 und mußte keinen Frontdienst leisten. Im Winter 1917/18 erkrankte er jedoch schwer und starb noch vor Ende des Krieges. Otto hatte zunächst in Straßburg Mathematik und Naturwissenschaften studiert, später Medizin in Tübingen, Leipzig und Rostock.10 Vor dem Hintergrund seines naturwissenschaftlichen Studiums diskutierte er mit seinem Cousin Karl Heussi über den Darwinismus, ein Thema, das – wie er seiner Frau anvertraute – seinen Kinderglauben erschüttert hatte. Karl Heussi lehrte von 1924 bis 1954 in Jena. Als promovierter Historiker war Heussi Schüler Lamprechts mit einem Interesse an theoretischen Fragen, die sich etwa in seinen Arbeiten zum Historismus und zum Sinn der Geschichte zeigten.11 Er galt als rationaler Theologe mit Sinn zur didaktischen Zusammenfassung, die seine Vorlesungen beliebt und sein „Kompendium zur Kirchengeschichte“12 zum Verkaufsschlager machten. Für Karl Griewank spielte der Onkel Heussi immer eine große Rolle. Später in Jena sollte er als Dekan der Philosophischen Fakultät mit dem Großonkel Karl Heussi, dem Dekan der Theologischen Fakultät, zusammen im Senat sitzen. In der von Karls Mutter verfaßten Familienchronik ist häufig von „schwacher Konstitution“ und „gesundheitlicher Anfälligkeit“ der Vorfahren die Rede, ebenso wie die Pflichterfüllung und Überanspannung betont wird, so daß man beim Lesen Gefahr läuft, statt einer „biographischen Illusion“ einer „familienbiographischen“ zu erliegen. „Mangelndes Selbstbewußtsein war der ‚Griewanksche Erbfehler’ nach Aussage des Großvater Gustav.“13 Zudem weiß Christine Griewank zu berichten, daß ihr Mann sehr still und schüchtern gewesen sei. Hier scheint die Gefahr der nachträglichen biographi-

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Vgl. Gustav WILLGEROTH: Die Mecklenburgischen Aerzte [sic] von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Gesammelt und herausgegeben von Dr. med. A. Blanck 1874, fortgesetzt von OMed.-R. Dr. Axel Wilhelmi bis 1901. Durch genealogische Mitteilungen ergänzt und bis zur Gegenwart fortgeführt, Schwerin 1929, S. 25f., 424. Vgl. auch Axel WILHELMI: Die Mecklenburgischen Aerzte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Eine Neuausgabe, Vervollständigung und Fortsetzung des im Jahre 1874 unter gleichem Titel erschienenen Dr. med. A. Blanck’schen Sammelwerkes, Schwerin 1901, S. 142, Nr. 729; S. 237, Nr. 1215. Den Hinweis auf diese Publikationen verdanke ich Prof. Walter Schmidt. Karl Heussis Vater Paul (1846-1917) war der Bruder von Karl Griewanks Großmutter Gertrud Griewank, geb. Heussi (1839-1875). Vgl. UAJ, D 3205 (PA Heussi) und D 1467 (PA Griewank). Chronik der Familie, S. 5. Grund war wohl eine im Jugendalter nicht auskurierte Infektion. Auf Familienbildern erkennt man die gekrümmte Haltung des Familienvaters. Vgl. WILHELMI, Die Mecklenburgischen Aerzte, S. 237, Nr. 1215. Karl HEUSSI: Die Krisis des Historismus, Tübingen 1932. Vgl. dazu die Kritik von Annette WITTKAU: Historismus. Zur Geschichte des Begriffs und des Problems, Göttingen 21994, S. 185189. Karl HEUSSI: Kompendium der Kirchengeschichte [1909], Tübingen 181991. Chronik der Familie, S. 6.

2.1. Familie aus der Mecklenburgischen Kleinstadt

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schen Konstruktion jedoch groß zu sein. Hält man sich an die Fakten, so läßt sich der protestantisch-bildungsbürgerliche Hintergrund in dem spezifischen Milieu der mecklenburgischen Kleinstadt, in der der Arzt im „alten Doktorhaus“ eine örtliche Respektsperson darstellte, konstatieren. Theologen und Mediziner prägten Familie väterlicherseits. Es sind hier also im 19. und 20. Jahrhundert just jene zwei Berufe in der Familie Griewank bestimmend, die Christoph Kleßmann auf der Suche nach „Relikte[n] des Bildungsbürgertums in der DDR“14 in den Blick genommen hat. Karl Griewanks Mutter Christine, geb. Brum, Tochter eines alteingesessenen Seifensieders und Schwester eines Pfarrers, kam aus einer tiefreligiösen Familie, die aus dem Unterelsaß stammte.15 Sie war besonders geprägt von einem streng orthodoxen Lutheranertum, das im Elsaß – zumindest in der Familie Brum und einem aktiven Kreis der Gemeinde – gleichsam als Gegenstück zur französisch-katholischen Richtung gepflegt wurde. In ihren Erinnerungen spricht sie von einer glücklichen Kindheit, die von Religiosität und Bildungsstreben geprägt war. So erinnert sie sich an ihre Mutter, die „nach meiner Meinung – und wohl auch in Wirklichkeit – alle Frauen unserer ländlichen Bekanntschaft an Charakter und Bildung überragte.“16 Auch Christine sollte soviel Bildung wie möglich erlangen können: „Ich wurde dazu ausersehen, Lehrerin zu werden, was ja auch mein Trachten und Sinnen war, solange ich denken kann.“17 Sie ging mit elf Jahren nach Straßburg und absolvierte die streng pietistische „Höhere Mädchenschule Bon-Pasteur“.18 Nach ihrem Lehrerexamen wollte sie die Welt kennenlernen, auf jeden Fall auch Frankreich. Zunächst kam sie jedoch nach Bützow, weil die dortige Schulleiterin Kontakt zum „Bon-Pasteur“ hatte. Es etablierte sich, „französische Lehrerinnen“, wie sie in Bützow genannt wurden, an der „Hofmannschen Schule“ einzusetzen.19 In Bützow erlebte Christine Griewank nun einen weniger engen Umgang mit dem lutherischen Christentum: „Daß auch die frömmsten Menschen Theater, Tanz usw. für selbstverständliche Dinge hielten, berührte mich zuerst eigenartig. [...] Es lebten in mir zu viele Vorstellungen, die von Kräften einer gewissen altväterlichen, engen, pietistisch angehauchten Frömmigkeit genährt wurden“20, so die Selbsteinschätzung. „Im ganzen“, schreibt sie in ihren Erinnerungen weiter, „habe ich mich rasch und gut eingelebt in der norddeutschen Kleinstadt mit ihren gutherzig-gemütlichen Bewohnern, so eigenartig mich auch manches anmutete, z.B. der formelle Umgangston. Doch fand ich sie weniger verschlossen und zurückhaltend, als ich gedacht.“21 „Außer den Pastorenfamilien waren es fast nur Griewanks, die mir entschiedene Christen zu sein schienen“22, erinnert sich die Lehrerin. So lernte sie die Arztfamilie

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Christoph KLEßMANN: Relikte des Bildungsbürgertums in der DDR, in: Hartmut KAELBLE/Jürgen KOCKA/Hartmut ZWAHR (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 254-270. Vgl. zum folgenden vor allem die Lebenserinnerungen der Mutter: Christine Griewank: Jugenderinnerungen, Bützow 1956 (MS), in: PrA Griewank. Ebd., S. 3. Ebd., S. 16. Die Tante Louise in Straßburg hatte großen Einfluß auf ihre Erziehung und Bildung. Eine Mitschülerin war unter anderem Adèle Schweitzer, die Schwester von Albert Schweitzer. In der Schule waren die Calvinisten in der Mehrheit gegenüber den Lutheranern. Pflichtbewußtsein wurde betont, was Christine insbesondere merkte, als sie angab, sie wolle Lehrerin werden, weil es ihr Freude mache und dafür getadelt wurde. Zum christlich-pietistischen Charakter der Schule vgl. ebd., S. 21f. Ebd., S. 34ff. Ebd., S. 38. Ebd. Christine Griewank: Jugenderinnerungen, S. 38.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

Griewank, fest eingebunden ins bürgerliche Leben der Kleinstadt, kennen und den stillen Otto Griewank lieben. Sie heirateten 1899 und bekamen drei Kinder: Karl (* 1900), Christa (* 1904) und Theodor (* 1908). Christine Griewank blieb bis zu ihrem Tod 1961 in Bützow. Christa Griewank heiratete den Theologen Dieter Glüer, über den als aktives Mitglied der Bekennenden Kirche noch zu sprechen sein wird.23 Theodor Griewank wurde auf etwas verschlungenen Wegen ebenfalls Pfarrer. Zunächst hatte er nämlich wie sein älterer Bruder Karl in Geschichte promoviert24, dann eine Bibliothekarsausbildung absolviert, die ihm eine Anstellung an der renommierten „Murhardschen Bibliothek“ in Kassel einbrachte.25 Der Zweite Weltkrieg, an dem er als Soldat im Rußlandfeldzug teilnahm, erschütterte ihn so sehr, daß er beschloß, Pfarrer zu werden. Er studierte seit 1947 Theologie und erhielt anschließend eine Pfarrstelle im hessischen Röhrda, das für Karl eine feste Besuchsstation bei seinen Reisen in die Bundesrepublik werden sollte.

Abbildung 2: Familie Griewank vor 1918, hinten: Christa, Karl, Vater Otto, Theodor; vorne: Mutter Christine)26

Bei der Vorstellung derjenigen Personen aus der Familie, die für Karl Griewank wichtig waren, darf der Cousin Arnold Fratzscher, Sohn des Bützower Gärtnereibesitzers, auf keinen Fall fehlen.27 Er war das Patenkind Otto Griewanks und ebenso wie Karl im Jahr

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Zur Aktivität von Dieter Glüer und dessen Bruder Otto Glüer siehe unten Kapitel 2.5.2. Theodor GRIEWANK: Württemberg und die deutsche Politik in den Jahren 1859-1866, Stuttgart 1934. Vgl. Hans-Jürgen KAHLFUß (Hg.): 125 Jahre Murhardsche Stiftung der Stadt Kassel und ihrer Bibliothek 1863-1988, Kassel 1988, zu Theodor Griewank S. 75, 82, 123-125. PrA Griewank Es handelt sich hierbei nicht um den niedersächsischen CDU-Politiker gleichen Namens (* 1904), der zwar ebenfalls aus Mecklenburg stammt, sogar in Bützow sein Abitur abgelegt hat und genau wie sein Namensvetter nach dem Zweiten Weltkrieg in Niedersachsen lebte. In Zusammenarbeit mit Tatjana Maluck vom ACDP der Konrad-Adenauer-Stiftung konnte jedoch geklärt werden, daß es

2.2. Geboren im Jahr 1900 – Generation, Kindheit und Jugend

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1900 geboren. Die beiden gingen zusammen zur Schule und verbrachten viel Zeit miteinander. Später hatten sie beruflich immer noch viel miteinander zu tun: Arnold Fratzscher war im Verlagswesen tätig, zunächst bei „Köhler & Amelang“ in Leipzig und nach dem Zweiten Weltkrieg bei „Vandenhoeck & Ruprecht“ in Göttingen. Mit Arnold Fratzscher korrespondierte Karl auch über persönliche und politische Themen, wobei der Kontakt von der Jugendzeit bis zum Tod nicht abbrach. Die Fratzschers waren wie die Griewanks kirchlich aktiv und traten im Gemeinderat in der Nazi-Zeit für die Bekennende Kirche ein. Erst vor kurzem wurde in Bützow daran erinnert, daß im Hause Fratzscher Mitbürger jüdischen Glaubens versteckt wurden.28 Im Rückblick erinnert sich Arnold Fratzscher an die Heimatstadt Bützow und seinen Vetter Karl: „Ich liebte die Stadt, die klein und behaglich war. Mein Vetter Karl Griewank, der Beste in der Klasse in allen Fächern ungemein beschlagen, mag wohl kritisch über die Stadt gedacht haben und sie verachtet haben, jedenfalls in späteren Jahren.“29 Gerade im Vergleich zur Enge der Kleinstadt kann das Klima im Hause Griewank mit der frankophonen Mutter ohne Zweifel als weltoffen-bürgerlich bezeichnet werden, zugleich eng eingebunden in das gesellschaftliche Leben der Stadt. Aus Frankreich erreichten die Griewanks immer wieder Briefe des nach Bordeaux ausgewanderten Verwandten Wilhelm Griewank (1839-1908).30 Er war ein absoluter Freigeist, das Enfant terrible der Familie und provozierte die Bützower Verwandten durch scharfe antimonarchistische und antikirchliche Auffassungen. Wilhelm lebte in Bordeaux als Weinhändler, stand in regelmäßigem Briefkontakt zu den Bützower Griewanks und belieferte diese mit Wein.31 Zu Karls Geburt gratulierte er mit der provozierenden Bemerkung, er hoffe, es sei ein kleiner Demokrat geboren worden. Seiner Hoffnung gilt es näher nachzugehen. 2.2. GEBOREN IM JAHR 1900 – GENERATION, KINDHEIT UND JUGEND Karl Griewank kam im Jahr 1900 zur Welt. Allein diese Aussage reicht, um eine Reihe von Assoziationen zu wecken. Lassen sich doch an der Altersangabe der „1900er“ wie an einem Zentimetermaß die Ereignisse des 20. Jahrhunderts ablesen und nach dem konkreten persönlichen Verhalten, den biographischen Umständen wissenschaftlichen Arbeitens in diesem „Zeitalter der Extreme“ der unterschiedlichen „Wahrheiten“ fragen. Detlef Peukert hat die Besonderheit der – wie er sie nennt – „überflüssigen Generation von 1900“ ideenreich herausgestellt. So hätten „die Angehörigen des Jahrgangs 1900 allen Grund, das ‚Recht der jungen Generation’ gegen die Weimarer Gerontokratie einzuklagen“ und stießen „auf eine stagnierende Wirtschaft und einen entsprechend überfüllten Arbeitsmarkt“, die ein „Gefühl des Überflüssigseins“ provozierten.32 Heinrich Himmler (1900-1945) ist der Vertreter des Jahrgangs 1900, den Peukert exemplarisch herausstellt. Zu der Generation gehören – um Peukerts Beispiele zu

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sich um zwei verschiedene Personen handelte, die zwar entfernt verwandt waren, offensichtlich aber keinen engeren Kontakt hatten. Vgl. zum CDU-Politiker: ACDP, Bestand Arnold Fratzscher I-014. Vom Leben und Sterben der Bützower Juden von 1737 bis 1945. Möge ihre Seele eingehen in den Bund des Lebens, Bernitt 2000, S. 25f. Siehe dazu unten S. 85 mit Anm. 270. Arnold FRATZSCHER: Jugenderinnerungen, [Göttingen] 1974 (MS) S. 10, in: PrA Griewank. Die Briefe befinden sich im Privatbesitz, PrA Griewank. Einer der „französischen Griewanks“ wird übrigens ebenfalls Mediziner. Vgl. Pierre-Emile GRIEWANK: De l'adénite tuberculeuse sus-épitrochléenne. Thèse pour le doctorat en médecine présente et soutenue publiquement le 30 Juillet 1902, Bordeaux 1902. Detlef J.K. PEUKERT: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Darmstadt 1997, S. 25-31 und S. 94-100, Zitate S. 30.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

nennen – ebenso der KPD-Führer Heinz Neumann, der Philosoph Theodor Adorno (1903-1969) und der Schauspieler Heinz Rühmann (1902-1994).33 „Generationalität“ hat sich als Analysekategorie etabliert.34 Auch für die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik rückt die Generationenproblematik nun verstärkt in den Blick. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs, der Urkatastrophe des Jahrhunderts, war für diese Generation eine prägende Sozialisationserfahrung. Im allgemeinen unterscheidet man die „junge Frontgeneration“ der zwischen 1890 und 1900 geborenen, die „Kriegsjugendgeneration“ (Jahrgänge 1900-1910) und die „Nachkriegsgeneration“, die nach 1910 Geborenen. Diese Unterscheidung hat Ernst Schulin für die Historiographiegeschichte nutzbar gemacht und mit den Geschichtsbildern der Historiker in Verbindung gebracht.35 Von Jürgen Reulecke und Hartmut Titze wurde nun die Anwendung der Generationalität für die Wissenschaftsgeschichte propagiert.36 Unbestritten enthält die auf Karl Mannheim zurückgreifende Generationssoziologie für historische Forschungen Anregungen. Die in unserem Zusammenhang wirkmächtigste Anwendung ist der von Ulrich Herbert geprägte Begriff der „Generation der Sachlichkeit“37, mit der er die gemeinsame Erfahrung der deutschen völkischen Studentenbewegung der frühen 1920er Jahre als Generationsphänomen analysiert. Es war eine „politische Generation“, geprägt von einem bestimmten Lebensstil, der eine gewisse Verachtung des Liberalismus in Verbindung mit einer skeptischen, ja destruktiven Intellektualität verband und sich in sachlicher Professionalität äußerte. Karl Griewank war insofern politisch kein typischer Vertreter seiner Generation, da er konstruktiv die Vorteile der liberalen Demokratie betonte. Er ging somit einen völlig anderen Weg als etwa der gleichaltrige Erich Maschke38 oder der nahezu gleichaltrige

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Ebd. Bei den Historikern mag man an so unterschiedliche Personen denken wie Otto Brunner (18981991), Max Braubach (1899-1975), Erich Maschke (1900-1982), Hermann Heimpel (1901-1988), Leo Stern (1901-1975), Herbert Grundmann (1902-1970), Hajo Holborn (1902-1970), Eckart Kehr (1902-1933), Rudolf Stadelmann (1902-1949), Reinhard Wittram (1902-1973), Jürgen Kuczynski (1904-1997), Hans Rosenberg (1904-1997) oder auch Walter Frank (1905-1945). Vgl. VOM BRUCH/MÜLLER (Hg.): Historikerlexikon, S. 387. Vgl. Ute DANIEL: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt (M) 2001, S. 330-345. Ernst SCHULIN: Weltkriegserfahrung und Historikerreaktion, in: DERS./Wolfgang KÜTTLER/Jörn RÜSEN (Hg.): Geschichtsdiskurs, Bd. 4: Krisenbewußtsein, Katastrophenerfahrungen und Innovationen 1880-1945, Frankfurt (M) 1997, S. 165-188. Die Bezeichnungen haben Eingang in zahlreiche historiographische Arbeiten gefunden. Vgl. etwa jetzt David THIMME: Percy Ernst Schramm und das Mittelalter. Wandlungen eines Geschichtsbildes, Götttingen 2006, S. 21-23. Jürgen REULECKE: Generationalität und die West-/Ostforschung im „Dritten Reich“ – ein Interpretationsversuch, in: Rüdiger VOM BRUCH/Brigitte KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 354-360; Hartmut TITZE: Das Lernen der Generationen seit der Aufklärung, in: Jürgen BÜSCHENFELD/Heike FRANZ/Frank-Michael KUHLEMANN (Hg.): Wissenschaftsgeschichte heute. Festschrift für Peter LUNDGREEN, Bielefeld 2001, S. 328-351. Vgl. zuerst Ulrich HERBERT: „Generation der Sachlichkeit“. Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre in Deutschland, in: Frank BAJOHR/Werner JOHE/Uwe LOBALM (Hg.): Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne, Detlef PEUKERT zum Gedenken, Hamburg 1991, S. 115-144. Hierzu entsteht eine von Herbert Gottwald betreute Dissertation, vgl. Barbara SCHNEIDER: Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Das Wirken Erich Maschkes in Jena, in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 91114.

2.2. Geboren im Jahr 1900 – Generation, Kindheit und Jugend

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Werner Best39. Allerdings zeigt auch er die mit dem Begriff „Sachlichkeit“ verbundene Neigung zu nüchterner Analyse der Machbarkeiten. Als Kritik am Generationenansatz wurde jetzt ins Feld geführt, daß er zu stark verallgemeinere.40 Peter Schöttler hat zudem grundsätzlich davor gewarnt, Generationalität apologetisch zu verwenden.41 Diese Hinweise sind wichtig – sie ergänzen den Ansatz und sensibilisieren die Methodik. Sie sprechen jedoch nicht gegen die Betrachtung der Generationalität – ganz im Gegenteil: Karl Griewanks Weg durch das 20. Jahrhundert kann und soll hier nicht als ein individuell einzigartiger stehenbleiben, er wird immer im Vergleich zu den anderen 1900er zu sehen sein. Die Eltern konnten stolz auf den Sohn sein. In der Schule war er „der Beste in der Klasse [und] in allen Fächern ungemein beschlagen“.42 Bis auf Turnen und Schrift waren alle Zeugnisnoten gut und sehr gut, vor allem in Mathematik und Latein, obwohl er auffallend häufig wegen Krankheit gefehlt hat.43 Der jugendliche Karl war künstlerisch interessiert, schrieb Gedichte und Theaterstücke44, fertigte Zeichnungen an.45 Ein ganz entscheidendes Ereignis für den 14-jährigen Karl stellte seine Konfirmation dar. Er absolvierte den kirchlichen Unterricht nicht nur mit großem Engagement, sondern schrieb auch eine 49 Seiten starke „Christliche Bekenntnisschrift“ für „einen höchst persönlichen Zweck“.46 In der Familie wurde Hausmusik betrieben. Das Programm eines Überraschungskonzertes für den „allgeliebten Hausvater“ ist überliefert – Motto: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“.47 Auch ein Theaterstück wurde im Schul- oder im Familienumfeld organisiert: das Historiendrama „Heinrich und Heinrichs Geschlecht“ von Ernst vom Wildenbruch48, in dem unter anderem der Gang nach Canossa nachgespielt wurde. Die Hauptrollen spielten Karl Griewank als Heinrich IV. und Arnold Fratzscher als Gregor VII. (Abbildung 3).

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Ulrich HERBERT: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996. Jürgen PFEIFFER: Diskussionsbemerkung zu den Beiträgen zum Thema „Generationalität“, in: VOM BRUCH/KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik, S. 361. Peter SCHÖTTLER: Versäumte Fragen – aber welche? Die deutsche „Historikerzunft“ und ihre dunkle Vergangenheit, in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 125-147, hier S. 139-141. Arnold FRATZSCHER: Jugenderinnerungen, [Göttingen] 1974, S. 10 (MS), in: PrA Griewank. Vor allem die Zeugnisse der Jahre 1910 und 1911 verzeichnen viele Fehlstunden. Zeugnisse, in PrA Glüer. Karl GRIEWANK: „Koriolan“. Ein Drama in 3 Akten, in: PrA Glüer. Ebd., Heinz Glüer (Kirchdorf/Poel) der die Materialien (Gedichte, Bilder, Bekenntnisschrift) dem Museum in Bützow für eine Ausstellung zur Verfügung stellte. Eine Kopie befindet sich jetzt im NL Griewank. Ebd. Unter anderem wurden Lortzings Zarenlied aus der Oper „Zar und Zimmermann“, sowie lustige Lieder wie die „Schlittenfahrt in der Stube“ von Reinecke, „fröhlicher Landmann“ und Volkslieder aufgeführt. Ebd. Ernst von WILDENBRUCH: Heinrich und Heinrichs Geschlecht, Berlin 1895. Ernst von Wildenbruch (1845-1909), Jurist im preußischen Staatsdienst und Verfasser eines quantitativ nicht unbeachtlichen Oeuvres von Prosaerzählungen und historischen Dramen, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts recht beliebt. Um 1920 erschien gar eine umfangreiche Werkausgabe. Sein Hauptnachlaß liegt im GoetheSchiller-Archiv in Weimar, seinem Altersruhesitz. Vgl. die monumentale Biographie Berthold LITZMANN: Ernst von Wildenbruch, 2 Bde., Berlin 1913/16.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

Abbildung 3: Schlüsselszene des Theaterstücks: Karl Griewank als Heinrich IV. mit großer Geste kniend vor Arnold Fratzscher als Papst Gregor VII.49

Hermann Heimpel, der von Griewanks Sprachvermögen auf ein musisches Talent schloß, formulierte sehr ausdrucksvoll: „Seine Freunde wissen, daß er, der früh seinen Vater, einen Arzt im mecklenburgischen Bützow, verlor, danach für seine Geschwister hat sorgen müssen. Man mag sich denken, möchte ermessen, was ihm dabei verloren ging, und daß der Ernst des Lebens ihm manches Spiel, vielleicht manche künstlerische Neigung, die uns auch aus seiner geschliffenen Sprache entgegenklingt, versagt hat“.50

Damit weist Heimpel auf die Tatsache hin, daß die Lage für Griewank bald sehr beschwerlich wurde. Er, der seinen Großvater nicht mehr kennenlernen konnte, mußte am 13. Juli 1918 auch den Tod seines Vaters erleben. Im September 1918 legte er sein Abitur am Realgymnasium in Bützow ab. Militärdienst hatte er nicht mehr ableisten müssen. Er kam nicht mehr zum Einsatz, da ihm erst am 5. November 1918 der Berechtigungsschein für Einjährig-Freiwillige ausgestellt wurde.51 So erlebte er das Kriegsende und damit die revolutionäre Veränderung der politischen Rahmenbedingungen. Seine Kindheit verlebte Karl im Deutschen Kaiserreich, wichtige Jahre seiner Sozialisation im Krieg. Nicht selten ging in der Zeit des Kaiserreichs eine solche bildungsbürgerliche Herkunft gerade im kleinstädtischen Milieu mit nationalkonservativem Gedankengut einher.52 Auch Karl Griewanks Zeichnungen zeigen neben Landschaften durchaus die Portraits von Otto von Bismarck oder Richard Wagner. An der deutsch-nationalen, monarchischen Gesinnung der Familie Griewank besteht trotz ihrer relativen Weltoffenheit kein Zweifel. Vater Otto hatte den Studienort Straßburg

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PrA Griewank. HEIMPEL: Nachwort [1955], S. 265. Original im PrA Glüer. Als ein Beispiel vgl. CORNELIßEN: Ritter, hier S. 21-48.

2.2. Geboren im Jahr 1900 – Generation, Kindheit und Jugend

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1885 „in vaterländischer Begeisterung“53 gewählt, die Mutter dem Kaiser bei seinem Besuch im Elsaß 1890 zugejubelt.54

Abbildung 4: Jugendzeichnungen Karl Griewanks: Stadtansicht Bützow und Selbstbildnis55

Dennoch stammt vom Cousin Arnold Fratzscher eine Erinnerung an Karl Griewank, die hinsichtlich der frühen politischen Ausrichtung bemerkenswert erscheint. Auf die Frage von Willy Andreas, welche Informationen aus dem Familienhintergrund für einen Nachruf wichtig seien, schrieb Fratzscher: „Besonders hervorzuheben wäre, daß er [Karl Griewank] von seiner Schülerzeit her ein überzeugter Demokrat war und diese Überzeugung vollkommen konsequent durch alle Wandlungen im politischen Leben Deutschlands durchgehalten hat. Das ist sicher auch ein Erbe seiner Elsässischen Mutter.“56 Willy Andreas spricht daraufhin in seinem Nachruf etwas vorsichtiger von „seine[n] politischen Überzeugungen, die man wohl als demokratisch bezeichnen darf“57. Was hat es mit diesem „Erbe“ der Mutter nun auf sich? Es darf nicht vergessen werden, daß im Elsaß des 19. Jahrhunderts der „liberale Protestantismus“ eine große Rolle spielte, auf den „der französisch-bürgerliche Formalliberalismus nicht unwesent-

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Chronik der Familie, S. 7. Christine Griewank an ihre Eltern aus Straßburg, 26.4.1990, Abschrift, in: Jugenderinnerungen, S. 40, in: PrA Griewank. PrA Glüer. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 811, unpag. Siehe Anhang 10.5. ANDREAS: Griewank †. Gelehrtenschicksal, S. 611.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

lich [...] eingewirkt“ hatte.58 Die Lebenserinnerungen der Mutter belegen, daß sie bereits als Kind, als „ein heißer Streit um die Pfarrwahl“ ausbrach, mit dieser liberalen Richtung in Kontakt kam, wobei ihr Vater als Gemeinderatsmitglied allerdings „für den orthodoxen Bewerber ein[trat]“ und dabei „viele Gegner“ hatte.59 In jedem Fall zeigen sich hier bei der Mutter Reflexionen der politischen Dimension innerkirchlicher Demokratie. Auch wollte sie in ihrer Jugend stets Frankreich besuchen, sah im Nachbarn auch später keinen Erbfeind, sondern das Land, dessen Sprache sie unterrichtete. So läßt sich bei ihr eine gewisse politische Offenheit rekonstruieren; für den Nachweis des von Fratzscher konstatierten „demokratischen“ Denkens im Kaiserreich fehlen jedoch die Quellen. Karl Griewank blieb in seinen Aussagen und Veröffentlichungen stets nüchtern und frei von nationalem Pathos. Daran erinnerte Arnold Fratzscher, wenn er von einer kontinuierlichen demokratischen Grundhaltung spricht. Ob diese Kontinuitätslinie so gezogen werden kann, gilt es im folgenden zu betrachten. Die ersten politischen Äußerungen Griewanks sind aus der Zeit der Weimarer Republik überliefert. Und diese belegen, daß er seine politische Heimat eindeutig im linksliberalen demokratischen Spektrum gefunden hat.

2.3. STUDIUM UND BERUFSSUCHE – HOFFNUNGEN UND ERWARTUNGEN Damit zurück zur Chronologie und zum Jahr 1918: Die familiäre Situation war nach dem Tod des Vaters sehr schwierig. Die kleine Witwenrente der Mutter reichte kaum aus, in den folgenden Jahren fraß die Inflation das Vermögen auf, so daß die Mutter nicht nur als Lehrerin arbeiten, sondern mit Klavierstunden und als Pensionswirtin Geld hinzuverdienen mußte. Daß sie ihrem Sohn Karl trotz der finanziellen Schwierigkeiten ein Studium ermöglichte, war sicher nur denkbar in einer Familie, die bildungsbürgerliche Werte hochhielt, in der Studieren einen Wert und keine Besonderheit darstellte.60 Daß Karl zudem mit der Deutschen Philologie ein seinen Neigungen entsprechendes, nicht anwendungsorientiertes Studium aufnahm, verdeutlicht diese Grundhaltung. Aus der Studienzeit sind keine Briefe und persönlichen Aufzeichnungen erhalten, lediglich liegen die Abgangszeugnisse mit den eingetragenen besuchten Veranstaltungen vor.61

2.3.1. Student und junger Absolvent in der Krisenlage der 1920er Jahre Karl Griewanks Studienorte waren Göttingen, Leipzig, Rostock und Berlin.62 Er begann sein Studium „als Studierender der deutschen Philologie“ 63 im Sommersemester 1919 in Göttingen, wo bereits sein Großvater immatrikuliert gewesen war. Griewank, der bereits vor dem Abitur autodidaktisch Griechisch erlernt hatte, nutzte die Studienzeit

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Wilhelm KAPP: Das kirchlich-religiöse Elsaß und die deutsche Kulturnationalität im Spiegel der Geschichte, Berlin 1927, hier S. 17. Christine Griewank: Jugenderinnerungen, Bl. 2, in: PrA Griewank. Vgl. Fenja Britt MENS: Zur „Not der geistigen Arbeiter“. Die soziale und wirtschaftliche Lage von Studierenden in der Weimarer Republik am Beispiel Hamburg, Köln 2001, insbes. S. 19-22 (Die wirtschaftliche Lage der Mittelschicht in der Weimarer Republik) und S. 93-118 (Die finanzielle Situation der Studierenden). Originale im PrA Glüer. BA Berlin, R 21, Sign 10006, Karteiblatt der Hochschullehrerkartei. Abgangszeugnis der Georg August-Universität zu Göttingen vom 15.9.1919, in: ebd.

2.3. Studium und Berufssuche – Hoffnungen und Erwartungen

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vor allem für den Erwerb von Grundlagenkenntnissen und -fähigkeiten. So hörte er im ersten Semester bei Karl Brandi die „Entwicklung der Geschichtsschreibung als Einführung in die Quellenkunde“, besuchte ein historisches Proseminar zur mittelalterlichen Geschichte, in Germanistik eine „Einführung in die deutsche Philologie“ sowie eine Übung in Gotisch. Zudem gehörten Übungen zur Paläographie, eine Vorlesung zum „Wesen des evangelischen Christentums“ und Englischkurse zu seinem Programm. Als Professoren, die in Göttingen den größten Einfluß auf ihn ausübten, nannte er später Karl Brandi und Max Lehmann.64 Karl Brandi war, wie Wolfgang Petke klarstellt, zu dieser Zeit ein Anhänger der Dolchstoßlegende und legte ein „schwer erträgliches Pathos“ an den Tag, akzeptierte dann jedoch die neue Staatsform – gleichfalls pathetisch – und erklärte sie für „heilig“.65 Seine politische Heimat fand Brandi in der DVP, während Max Lehmann66 als einer der wenigen Linksliberalen unter den Historikern galt.67 Inwiefern Griewank das politische Klima an der Universität Göttingen, das er im Sommer 1919 in seinem ersten Semester vorfand, interessierte und dieses ihn beeinflußte, ist nicht bekannt. In jedem Fall ist dieses hier erwähnenswert, denn Göttingen galt als tendenziell liberal.68 In der Nachfolge der Revolution von 1918/19 hatte sich in Göttingen eine Stärkung der SPD und – vor allem auch im akademischen Milieu – der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) ergeben.69 Bei den Historikern war es vor allem Max Lehmann, der sich für die diese Partei einsetzte. Griewank blieb jedoch in Göttingen nur ein Semester und wechselte für zwei Semester nach Leipzig, wo die Familie Heussi wohnte. Wiederum trug er sich als Studierender der Germanistik ein und besuchte in seinem Hauptfach Veranstaltungen zur Literatur- und Theaterkritik, zu Goethe und zum Nibelungenlied, sowie Proseminare in Mittelhochdeutsch und neuerer Literatur. Fachfremd besuchte er Veranstaltungen in Logik und Philosophie, sowie erneut Englischkurse „für weniger Geübte“. In der Geschichtswissenschaft besuchte er zwei Semester lang die Sozial- und Verfassungsgeschichte von Gerhard Seeliger und gesondert ausgewiesene Veranstaltungen des von Lamprecht gegründeten „Instituts für Kultur- und Universalgeschichte“ bei Walter Goetz.70 Diesen sowie Erich Brandenburg nennt er später als für ihn einflußreich.71 Wohl wegen der familiären Lage – vielleicht auch aus finanziellen Gründen72 – wechselte er zum Wintersemester 1920/21 nach

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UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 6,. In seinem Abgangszeugnis ist jedoch keine Veranstaltung bei Lehmann ausgewiesen. Wolfgang PETKE: Karl Brandi und die Geschichtswissenschaft, in: BOOCKMANN/ WELLENREUTHER (Hg.): Geschichtswissenschaft in Göttingen, S. 287-320, hier S. 300. Zu Max Lehmann vgl. Helga GREBING: Zwischen Kaiserreich und Diktatur. Göttinger Historiker und ihr Beitrag zur Interpretation von Geschichte und Gesellschaft (M. Lehmann, A.O. Meyer, W. Mommsen, S.A. Kahler), in: ebd., S. 204-238. Auf diese Ambivalenz der „Vernunftrepublikaner“ wird im Zusammenhang mit Willy Andreas noch näher einzugehen sein. Den Hinweis auf die Göttinger Verhältnisse verdanke ich Klaus Sommer (Göttingen). Vgl. hierzu Hans-Joachim DAHMS/Frank HELLMANN: Die Universität Göttingen in der Revolution 1918/19, in: Hans-Georg SCHMELING (Red.): 1918. Die Revolution in Südhannover. Begleitheft zur Dokumentation des Museumsverbundes Südniedersachsen, Göttingen 1988, S. 59-82. Vgl. ebenda, S. 77: So erreichte die SPD bei den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung in Göttingen 37,0 %, die DDP 21,2 % der Stimmen. Abgangszeugnis, in: PrA Griewank. Lebenslauf 1942, in: UAJ, D 1467, PA Karl Griewank, Bl. 6. Die Kolleggelder und Gebühren der Universität Rostock waren im Vergleich zu anderen Universitäten relativ niedrig. Detailliert hierzu Peter KÖPPEN: Die Universität Rostock in den Jahren der revolutionären Nachkriegskrise (1919 bis 1923/24), Diss. phil. Rostock 1969 (MS), Bd. 1, S. 85-87.

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Rostock73, wo er sein Studium zügig abschloß und auch seinen eigentlichen akademischen Lehrer und Förderer Willy Andreas kennenlernte. Als Willy Andreas 1922 die Nachfolge Otto Hintzes in Berlin annahm, stand Griewanks Dissertation unmittelbar vor ihrem Abschluß. Er hätte nach Berlin wechseln und die Arbeit dort einreichen können. Ob er dies in Betracht zog, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich sprachen auch die niedrigeren Gebühren für einen Verbleib an der Rostocker Universität. So wählte er Andreas’ Nachfolger Wilhelm Schüssler als Gutachter, für den Griewank der erste zu prüfende Doktorand war.74 Mit seinem Prüfer, dem er für das Entgegenkommen dankbar war, hatte Griewank später allerdings keinen nachweisbaren Kontakt mehr.75 In der Woche nach der Prüfung trat der Frischpromovierte eine Hauslehrerstelle bei einem Forstmeister in Schuenhagen bei Velgast, Vorpommern, etwa 60 km östlich von Rostock, an. Er blieb jedoch immatrikuliert und konnte so die Rostocker Bibliothek „auch verhältnismäßig leicht benutzen“, um weiter wissenschaftlich zu arbeiten und „ab[zu]kommen, wenn sich wirklich eine befriedigende und auskömmliche Tätigkeit bietet. Die Aussichten dazu sind freilich wohl wieder sehr verschlechtert.“76 Mit seiner Hauslehrerstelle war er keineswegs glücklich, zwar nutzte er die Zeit, sich „in die Bücher der Rostocker Bibliothek zu vergraben“77, die er nach Vorpommern mitgenommen hatte, aber das Klima mißfiel ihm: „Daß hier die ‚Deutsche Zeitung’ gelesen und eifrig geglaubt wird,“ teilte er Arnold Fratzscher entsetzt mit. Offensichtlich waren sich die beiden Cousins in der Ablehnung dieses rechtskonservativen, deutschnationalen Blattes des Hugenberg-Konzerns einig. In dem Brief wird ein insgesamt negatives Bild

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Vgl. zur Geschichte der Universität Rostock und ihrer Geschichtswissenschaft dieser Zeit: ebd.; Günter HEIDORN [u.a.]: Geschichte der Universität Rostock 1419-1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-Jahr-Feier der Universität, Bd. 1: Die Universität von 1419-1945, Berlin (O) 1969; Helga SCHULTZ/Gerhard HEITZ/Karl-Friedrich OLECHNOWITZ: Die Entwicklung geschichtswissenschaftlicher Studien an der Universität Rostock seit dem Ende des 18.Jahrhunderts, in: WZR, GSR 19 (1970), S. 355-375; Otto WITTE: Die Geschichtswissenschaft in Forschung und Lehre an der Universität Rostock von 1918-1933, in: Helge BEI DER WIEDEN (Hg.): Aus tausend Jahren mecklenburgischer Geschichte. Festschrift für Georg TESSIN zum 80. Geburtstag,, Köln/Wien 1979, S. 173-196. Nach Griewanks Tod erinnert sich Schüssler: „Er [Griewank] war der erste Mensch, den ich zu prüfen hatte, in Rostock, nach Ihrem Weggang. Ich zitterte sicher viel mehr, als er.“, Wilhelm Schüssler an Willy Andreas, 17.11.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 870, unpag. Wilhelm Schüssler war Mitglied im Sachverständigenbeirat des nationalsozialistischen „Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands“ und machte im Dritten Reich eine beachtliche Karriere. Er gehörte zu den Unterstützern der „großdeutschen“ Position Heinrich von Srbiks. Er kam nach Stationen am Herder-Institut in Riga und in Würzburg, 1936 durch politische Protegierung auf den Lehrstuhl Meineckes in Berlin. In der Nachkriegszeit trat er eine Stelle an der Evangelischen Akademie in Hemer an. Als Belasteter wurde er erst 1959 ordnungsgemäß emeritiert. Der Mitbegründer der Ranke-Gesellschaft begegnet uns später noch einmal als „Bismarck-Theologe“ (siehe unten Kapitel 6.4.2.). Vgl. zu Schüssler: HEIBER: Walter Frank, S. 265, 701-704; Dieter HERTZEICHENRODE: Die „Neuere Geschichte“ an der Berliner Universität. Historiker und Geschichtsschreibung im 19./20. Jahrhundert, in: HANSEN/RIBBE (Hg.): Geschichtswissenschaft in Berlin, S. 261-322, hier S. 302-305 (Dieser Beitrag ist nicht frei von apologetischer Betonung der „christlichen Gesinnung“ Schüsslers, der im NS lediglich dem „Einfluß des Zeitgeistes“ unterlegen gewesen sei, S. 302.); SCHULTZ/HEITZ/OLECHNOWITZ: Entwicklung geschichtswissenschaftlicher Studien, S. 371f.; autobiographisch: Wilhelm SCHÜSSLER: Um das Geschichtsbild, Gladbeck 1953. Vgl. dort auch die selbst nach 1945 (!) vertretene expansionistisch-großdeutsche Position, S. 88. Karl Griewank an Willy Andreas, 22.10.1922, in: NL Griewank, Karton 15, Mappe „Eigene Kleinere Arbeiten aus der Jugendzeit, Korrespondenzen, Pläne, Angebote 1920-1925“. Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 13.11.1922, in: PrA Griewank. Die folgenden Zitate beziehen sich ebenfalls auf diesen Brief. Hervorhebungen im Original.

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der politischen und ökonomischen Situation gezeichnet; Griewank sprach von einer „dunkle[n] Gegenwart und Zukunft“ und war sich sicher: „Unerfreulich werden die nächsten Jahre ja für uns alle werden.“ Weiter führte er aus: „Man muß ja nachgerade die Menschen recht tief bemitleiden, deren ‚Stimmungsbarometer’ Valuta und Teuerung sind, und doch ist es so schwer zu vermeiden, besonders wenn wirklich persönliche Sorgen sich damit verknüpfen müssen. Ich meinerseits bin nur froh, für meine Person wenigstens eine Zeitlang nicht rechnen zu müssen.“ Er fühle sich jedoch in seiner „Waldeinsamkeit“ beschnitten, zumal „Post und Bahn sparsam verkehren, [so] daß dadurch auch Reisen nach Rostock erschwert sind und jeder Genuß von Konzert, Theater, Vortrag oder nur civilisierter Vergnügung fast unmöglich ist“. In der Gastfamilie begegne man „Fremden, einschließl[ich]. meiner Person[,] nur mit sehr reservierter Kühle“, aber es sei „eine ansehnliche Masse Bücher von jeder Art vorhanden. Warm werden werde ich wohl nicht so leicht; aber ich erledige eben meine Arbeit, man scheint mich nicht ungern zu sehen und läßt mich einigermaßen frei schalten, und ich habe Zeit und Ruhe, mich im Freien zu ergehen, Forst und Landwirtschaft zu studieren. Und vor allem blühte mir bisher eine Oase in der Wüste, eine 20jährige Nichte, die den Haushalt besorgt, ein recht annehmbares frisches und fixes Offizierstöchterchen aus Naumburg. Das neckische freundschaftliche Verhältnis, auf das wir sozusagen angewiesen waren, hat dafür gesorgt, daß die Ansätze meiner geselligen Anlagen nicht gleich wieder verrosteten. Zwar konnten wir noch nicht, unserem Plan gemäß, in den Dorfkrügen der Umgegend Aufsehen erregen, haben aber z.B. am gestrigen Sonntag anläßlich der Abwesenheit der Herrschaften schon recht gemütlichen ‚Betrieb’ im Hause gemacht, getanzt zu den herzzerreißenden Tönen eines verstaubten Musikapparates, gesungen, gespielt und geträllert soviel es ging. Gillchen, wie ein schöner Kosename lautet, hat mich nicht verschwärmt, geschweige denn verliebt gemacht. Sie ist reichlich „energisch“, aber lustig, tüchtig und treuherzig. Aber es tat mir wohl, daß sie nicht nur natürlich, gesellig und gewandt, sondern auch intelligent und geistig empfänglich ist.“

Der Brief strahlt trotz der generationstypischen Krisenerfahrung im persönlichen Bereich eine gewisse Lebensfreude aus. Mit der ironischen Bemerkung „Das sind so die Erlebnisse eines Waldschulmeisters“ schickt er den Brief seinem Cousin. Griewank schien wirklich, wie er betonte, eine Weile abzuwarten, welche Möglichkeiten sich ihm bieten könnten. Im Herbst 1923 gab er seine Stelle als Hauslehrer auf, um nach Berlin zu ziehen, obwohl die Inflation ein Leben dort nicht einfach machte und er keine konkrete Aussicht auf eine Beschäftigung hatte. Am 1. Januar 1924 erhielt er schließlich eine Anstellung als Lokalredakteur der DDP-nahen Tageszeitung „Neue Zeit“ in Charlottenburg.78 Karl Griewank bemühte sich weiterhin um eine Rückkehr in die Wissenschaft und blieb daher in Kontakt mit Willy Andreas. Auch schrieb er sich während seines Aufenthaltes in Berlin wieder an der Universität ein und hörte bei Friedrich Meinecke und Erich Marcks. Vergeblich versuchte er, im Ullstein-Verlag eine „Geschichte des Liberalismus“ zu publizieren.79 Damit sind wir aber bereits in der Zeit Mitte der 1920er Jahre angekommen, in der Griewank seinen Dienst bei der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ antrat. Es wurde einiges übersprungen, was erklärungsbedürftig ist; insbesondere die Dissertation und die Umstände ihrer Entstehung gilt es vorzustellen.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

Hierzu gehört es, die Person Willy Andreas’ näher zu präsentieren, zumal auch einige bisher in der Literatur noch nicht genannte Details zur Sprache kommen.80 Das Verhältnis zu Willy Andreas war für Karl Griewank sehr wichtig. „Griewank kenne ich als einen der treuesten und zuverlässigsten Menschen nun schon zwei Jahrzehnte lang. Er hat mir gegenüber nie menschlich versagt“81, betonte Andreas stets. 2.3.2. Exkurs: Willy Andreas und die Ambivalenzen nationalliberaler Geschichtswissenschaft „Niemand, der nach dem Ende des ersten Weltkrieges Hörsäle oder Seminare und Institute deutscher Universitäten gesehen hat, wird die seltsamen Bilder vergessen, die sich ihm damals darboten: [E]s waren gewissermaßen Versammlungen von Angehörigen aller Waffengattungen und Rangstufen der alten Armee, zum Teil noch in den Waffenröcken, in denen sie vom Krieg entlassen, zum Teil angetan mit leicht ins Zivile abgewandelten Jacken, die die soldatische Laufbahn ihrer Träger nicht verleugneten – zivile Kleider, männliche wie weibliche waren in der Minderzahl; groß waren die Altersunterschiede: da waren die Jungen, die in den letzten Kriegsjahren und -monaten von der Schulbank hinweg in die Schlachten gegangen waren, und neben ihnen saßen jene, die 1914 alte Semester gewesen waren. Eine solche Versammlung fand sich auch im historischen Seminar der Universität Rostock zusammen: einer der Anwesenden war der Professor Willy Andreas, bis vor wenigen Wochen Leutnant in einem badischen Artillerieregiment, fünfunddreißig Jahre alt und wenig älter als die ältesten seiner Studenten, Kamerad unter Kameraden – aber nichts destoweniger bald der von allen anerkannte ‚Meister’, der Führer auf dem Wege zurück zur Wissenschaft, den er für sich selber aus dem Kriegshandwerk ebenso finden mußte, wie seine Hörerschar. Kamerad unter Kameraden und Führer ist er immer geblieben, ist er auch heute als Sechziger, voll Anteilnahme und Freundschaft für alle, die das Glück haben, durch ihn in die Welt der Historie eingeführt zu werden, Vorbild von formprägender Kraft.“82

Der Schreiber dieser Zeilen, Karl Pagel, wurde bereits in seiner späteren Eigenschaft als Ministerialbeamter in der Bundesrepublik vorgestellt, ein Kritiker der DDR und „ExilMecklenburger“, der die Erinnerung an seine alte Heimat aufrechterhielt.83 Das diesem Abschnitt vorangestellte Zitat stammt jedoch aus einer anderen Zeit: 1944 lobte Pagel seinen „Meister“84 Willy Andreas als Führerpersönlichkeit mit militärischem Geist. Zugleich bietet Pagels Schilderung aber auch einen Eindruck vom universitären Nachkriegsmilieu der Rostocker Universität, das sich nicht allzusehr von dem unterschieden haben dürfte, das Karl Griewank im Wintersemester 1920/21 vorfand: eine vom Krieg geprägte Generation auf der Suche nach Orientierung. Militärischer

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Vgl. bisher Fritz FACIUS: Willy Andreas 30. Oktober 1884-10. Juli 1967, in: HZ 207 (1968), S 525528; René SCHILLER: Willy Andreas. Historiker vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik, in: Historikergalerie des Instituts für Geschichtswissenschaften, 18.11.1998, , 24.11.1999; autobiographisch Willy ANDREAS: Wege eines Historikers, in: Elga KERN (Hg.): Wegweiser in der Zeitwende. Selbstzeugnisse bedeutender Menschen, München/Basel 1955, S. 95-116. Willy Andreas an Walter Kienast, 21.4.1942, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750 unpag. Karl PAGEL: Kampf um Volk und Reich. Dem Historiker Willy Andreas zum 60. Geburtstag 1944, in: Deutsche allgemeine Zeitung. Tägliche Rundschau vom 28.4.1944. Auch in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 890. Siehe oben S. 18. Vgl. Karl PAGEL: Mecklenburg. Biographie eines deutschen Landes, Göttingen 1969. Die Schüler sprachen tatsächlich vom „Meister“, auch Griewank erinnerte 1953 daran, „daß unser Meister Andreas im nächsten Jahr ein Siebziger wird“, Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 7.10.1953, in: PrA Griewank.

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Korpsgeist und ökonomische Not schweißten die Studierenden zusammen und solidarisierten mit dem jungen Professor, der als „Vorbild von formprägender Kraft“ nationale und kulturelle Werte vermittelte. Da Willy Andreas nur von 1918 bis 1922 an der Ostsee lehrte, wird in der einschlägigen Literatur gelegentlich davon gesprochen, „seine Einwirkung auf die Geschichtsforschung und Lehre in Mecklenburg [sei] nicht nachhaltig“85 gewesen. Das kann allerdings bei einer näheren Betrachtung so nicht bestätigt werden. Im Gegenteil: Neben Arbeiten aus seinem engeren Themenspektrum, vor allem zur Reformationszeit, regte er eine Reihe von unterschiedlichen Projekten und Dissertationen an. Man muß sich zunächst die Relationen klar machen. Rostocks Universität gehörte immer zu den kleineren Hochschulen des Reiches. In der Rangliste der Studentenzahlen der deutschen Hochschulen „nahm Rostock im 19. und 20. Jahrhundert durchweg die letzte Stelle ein.“86 Im WS 1920/21, als Griewank nach Rostock kam, waren dort insgesamt nur 1145 Studierende immatrikuliert, die Zahl sank zum WS 1922/23 sogar auf 973.87 Nur ein kleiner Teil davon waren Geschichtsstudenten. Für das Wintersemester 1926/27 liegen erstmals fächerspezifische Angaben vor: Ganze 14 Immatrikulierte studierten Geschichte.88 „Rostocks Hochschule galt als Arbeitsuniversität. Die geringe Zahl der Teilnehmer an den Übungen in den historischen Seminaren zwang jeden einzelnen zur sorgfältigen Vorbereitung, ein Untertauchen in der anonymen Masse war nicht möglich. Der Professor kannte jeden Studenten persönlich und konnte sich ein genaues Bild von seinen geistigen Fähigkeiten und Leistungen machen.“89 Unter diesen Bedingungen wirkte Andreas aktivierend, zumal dieser, wie Golo Mann – allerdings aus den späteren Heidelberger Jahren – zu berichten wußte, „sich als Pädagoge mehr Mühe gab als die Mehrzahl seiner Kollegen.“90 Andreas beschrieb die Rostocker Studenten als „wohl schwerfälliger und nüchterner [...] als der bewegliche Studentenschlag mancher anderer Gegend, wortkarger und langsamer anschließend, aber kerngesund, beharrlich und, wenn sie einmal Vertrauen gefaßt hatten, anhänglich und treu“.91 Er regte auf zwei großen Gebieten Arbeiten an: Zum ersten Bereich „Mecklenburg und die deutsche Frage“ zählen die Dissertationen von Ewald Eiserwag, Alfred Rütz und dem schon genannten Karl Pagel, die zwar als Grundlagen für heutige Forschungen zum Deutschen Bund dienen, jedoch eher traditionell-national angelegt sind.92 Das zweite

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WITTE: Geschichtswissenschaft in Forschung und Lehre, S. 184. Die Angabe, Andreas sei von Rostock nach Heidelberg gegangen ist falsch. Er trat 1922 zunächst die Nachfolge Otto Hintzes in Berlin, ein Jahr später die Hermann Onckens in Heidelberg an. „Nur einige Semester Mitte der 1930er Jahre konnte sich die Universität vom letzten (23.) lösen und auf den 17. Rang vorschieben“, Hartmut TITZE: Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte; Bd. 1: Hochschulen; Teil 2: Wachstum und Differenzierung der deutschen Universitäten 1830-1945, Göttingen 1995, S. 491; vgl. ferner Peter KÖPPEN: Die Universität Rostock in den Jahren der revolutionären Nachkriegskrise (1919 bis 1923/24), Phil Diss. Rostock 1969 (MS), Bd. 2, S. 53f. TITZE: Wachstum und Differenzierung, S. 497; KÖPPEN, Universität Rostock, Bd. 2, S. 127. Die Zahl blieb in den 1920er Jahre unter 40 und erreichte ihr Maximum in der Weimarer Republik mit 75 im Sommersemester 1932; TITZE: Wachstum und Differenzierung, S. 506; HEIDORN, Geschichte der Universität Rostock, Bd. 2, S. 291f. WITTE: Geschichtswissenschaft in Forschung und Lehre, S. 182. Golo MANN: Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland, Frankfurt (M) 1986, S. 288. Willy ANDREAS, in: Unsere Leser und Mecklenburgs Freunde haben das Wort, in: Mecklenburgische Monatshefte 7 (1931), S. 312-318, hier S. 313. Ewald EISERWAG: Mecklenburg und die deutsche Frage während der Jahre 1848-1850, Diss. phil. Rostock 1922 (MS); Alfred RÜTZ: Mecklenburg und die deutsche Frage 1850/66, Diss. phil. Rostock 1922 (MS); Karl PAGEL: Mecklenburg und die deutsche Frage 1866-1870/71, Diss. phil. Rostock

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2. Ein Demokrat aus Bützow

Themenfeld war die „Geschichte des frühen Parlamentarismus“. Es erscheint aus heutiger Sicht weitaus interessanter. Parteienforschung galt in der Zwischenkriegszeit in der Regel als Teil der Ideengeschichte, Parteien wurden somit als institutionalisierter Ausdruck bestimmter Ideen gesehen. Elisabeth Fehrenbach hat jedoch deutlich machen können, daß es nicht nur eine breite Palette entsprechender Forschungen in der Weimarer Republik gab, sondern daß diese auch an historiographisch relevante Methodendiskussionen um die Möglichkeiten der frühen Parteiengeschichtsforschung geknüpft waren.93 Es entwickelte sich jetzt eine eigene Teildisziplin; es handelte sich dabei um ein wirkliches „Neuland der Forschung“.94 Wie bei Griewank selbst, so kann man bei Andreas zwar von einem Schülerkreis, nicht aber von einer Andreas-Schule95 sprechen. Seine Schriften gelten als „charakteristisch für eine ästhetisierende“ Geschichtsschreibung, die einem klassischen geistesund politikgeschichtlichen Muster folgte, meist in Form „literarisch ambitionierte[r] biograph[ischer] Portraits“.96 In der Kategorisierung Wolfgang Webers gehört er als Schüler und Schwiegersohn Erich Marcks zu den „Neorankeanern“, womit man ihm durchaus nicht unrecht tut.97 Obwohl sich diese Richtung aus einer gewissen „Frontstellung gegen die ‚politischen Historiker’ der Reichsgründungszeit“98 speiste und das Postulat von Objektivität und Unabhängigkeit zunächst einmal einen methodischen Eigenwert besitzt, so haben jedoch ideologiekritische Untersuchungen gezeigt, daß die Ranke-Epigonen durch die Forderung nach unparteiischer Objektivität keinesfalls zu einer kritisch-distanzierten Haltung gelangten. „Im Gegenteil, die Verteidigung Rankes war zugleich eine Verteidigung Bismarcks“, wie Elisabeth Fehrenbach pointiert und überzeugend darlegt.99 Willy Andreas war nicht gerade introvertiert, was sich zum Teil auch in seinen unverhohlen persönlichen und politischen Meinungsäußerungen zeigte. Christian Jansen hat sicher nicht unrecht, wenn er Andreas als einen „politischen Professor“ einstuft.100 Politisches Denken und Handeln gehörten zu seinem Amtsverständnis als Staatsdiener

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1922 (MS). Zur historiographischen Einordnung vgl. Frank BECKER: Die mecklenburgischen Großherzogtümer und die deutsche Militärverfassung 1815-1872. Phil. Diss. Jena 2003. Elisabeth FEHRENBACH: Die Anfänge der Parteiengeschichtsforschung in Deutschland, in: Herbert LUDAT/Rainer Christoph SCHWINGES (Hg.): Politik, Gesellschaft, Geschichtswissenschaft. Gießener Festgabe für František GRAUS zum 60. Geburtstag, Köln/Wien 1982, S. 403-426, Zitat S. 404. Vgl. auch DIES.: Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815-1871, München 1992, S. 85-104. Elisabeth FEHRENBACH: Ludwig Bergsträsser, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Bd. 7, Göttingen 1980, S. 101-117, hier S. 109. Zum engeren Begriff der wissenschaftlichen Schule siehe oben S. 329 mit Anm. 20-23. Bernd FAULENBACH: Art. „Andreas, Willy (1884-1967)“, in: VOM BRUCH/MÜLLER (Hg.): Historikerlexikon, S. 6f., dort auch die Zitate. Vgl. auch HAUCK: Verzeichnis der Schriften Willy Andreas. Die ausführlichste Inhaltsanalyse der Werke Andreas’ zur NS-Zeit, die allerdings in ihren apologetischen Wertungen nicht unproblematisch ist, stammt von: Ursula WOLF: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie, Stuttgart 1996, S. 341-367. Vgl. WEBER: Priester der Klio, S. 254. Die Neorankeaner waren schon verschiedentlich Gegenstand historiographischer Untersuchungen. Vgl. Hans-Heinz KRILL: Die Ranke-Renaissance. Max Lenz und Erich Marcks. Ein Beitrag zum historisch-politischen Denken in Deutschland 1880-1935, Berlin (W) 1962; Hans SCHLEIER: Die Ranke-Renaissance, in: Joachim STREISAND: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, Berlin (O) 1965, Bd. 2, S. 99-135; Elisabeth FEHRENBACH: Rankerenaissance und Imperialismus zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur, in: Bernd FAULENBACH (Hg.): Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 54-65. FEHRENBACH: Anfänge der Parteiengeschichtsforschung, S. 406. DIES.: Rankerenaissance, S. 54-65, hier S. 56. Vgl. Christian JANSEN: Professoren und Politik. Politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914-1935, Göttingen 1992, S. 24-27.

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und Ausbilder. Will man seine politische Heimat fixieren, so kommt man in Schwierigkeiten. In Hans Schleiers Monographie zur Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, einem in der DDR entstandenen, aber dennoch bis heute als grundlegend anerkannten Werk, wird ein klares und eindeutiges Bild gezeichnet: Willy Andreas hänge wie viele andere „gesinnungsmäßig“ einer restaurativ-konterrevolutionären Strömung an.101 Schleier bezieht sich dabei vor allem auf Andreas’ großdeutsche Vorstellungen102 und sein Verhalten in den 1940er Jahren. Auch für Fritz Ringer gehört er zu den „Alldeutschen“, die expansionistische Ziele verfolgten.103 Zieht man zudem in Betracht, daß Andreas 1933 als Heidelberger Rektor den Nationalsozialismus euphorisch als den Beginn einer neuen Zeit begrüßte, scheint sich dieses Bild zu bestätigen.104 Als der damals 35-Jährige Neuberufene 1918 als Kriegsheimkehrer nach Rostock kam, zeigte er sich als nationalistisch-monarchistischer Geist und ließ keinen Zweifel an seiner Enttäuschung über das Ende der Monarchie: „Als ich vor 3 Jahren die Ehre hatte, die Nachfolgerschaft von Arnold Oskar Meyers anzutreten, stand auch mein Fach im Lichte der Hoffnungen, die wir auf einen guten Ausgang des Krieges setzten. Heute ist das Amt des neueren Historikers das denkbar schmerzhafteste geworden, und aus dem Glanze wie dem Dunkel unserer Vergangenheit wollen nur Trauer und Bitterkeit emporquellen. Läßt man die ganze Ungeheuerlichkeit der Ereignisse auf sich wirken, so fällt es schwer, an einen vernünftigen Sinn des Weltgeschehens zu glauben und man ist versucht, zu fragen, ob denn auch Gott vom Throne gestossen sei.“105

„Deutsche Mandarine“ nennt Fritz Ringer jene „mehr oder weniger homogene Gruppe“106 der deutschen Akademiker, die das elitär-monarchische Denken gegen die angeblich seelenlos-demokratische Massengesellschaft zu verteidigen suchten. Willy Andreas erscheint uns also als ein Mandarin, der zum Nationalisten und schließlich zum Nationalsozialisten wurde. Ein klares Bild? Christian Jansen widerspricht und betont die Ambivalenzen. Willy Andreas sei „politisch schwer einzuordnen“, stellt er ebenso lapidar wie treffend fest.107 Seiner These nach haben sich Andreas und andere Angehörige der „liberalen Universität“ Heidelberg „auf dem Mittelweg nach rechts“108 befunden. In der Tat: In den frühen 1920er Jahren galt Willy Andreas als expliziter

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Hans SCHLEIER: Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Köln 1975, S. 27, 54, 507. Vgl. zu Schleier MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 532. Vgl. die Einschätzung der Arbeit Schleiers als „grundlegend“ bei VOM BRUCH: Bildungssystem, Universitäten, Wissenschaften, S. 473, Anm. 128. Vgl. Willy ANDREAS: Österreich und der Anschluß, Berlin 1927. Andreas distanziert sich hier deutlich von der völkischen Bewegung und knüpft stattdessen an großdeutsche Vorstellungen innerhalb der großen Parteien Österreichs (Christsoziale und Sozialdemokraten) an: „Die eigentlich großdeutsche Partei ist wohl zu unterscheiden von der ebenfalls anschlußfreundlichen völkischen Rechten“ (S. 11). RINGER: Die Gelehrten, S. 179. Vgl. Karen SCHÖNWÄLDER: „Lehrmeisterin der Völker und der Jugend“. Historiker als politische Kommentatoren, 1933 bis 1945, in: Peter SCHÖTTLER (Hg.): Geschichtswissenschaft als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt (M) 1997, S. 128-165, hier S. 130. Vgl. auch: JANSEN, Professoren und Politik, S. 285-287. Willy Andreas, Ansprache bei der Einführung ins Konzil, 23.7.1919, in: BGLA, NL Andreas, Nr. 742, unpag. RINGER: Die Gelehrten, S. 13. Der Begriff ist schon fast zum Allgemeingut der Forschung zum Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts geworden. Er geht zurück auf eine Analogie zu den Mandarinen im alten China, vgl. zur Typologie S. 12-22. Christian JANSEN: Auf dem Mittelweg nach rechts. Akademische Ideologie und Politik zwischen 1914 und 1933, in: Karin BUSELMEIER/Dietrich HARTH/Christian JANSEN (Hg.): Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg, Mannheim 1985, S. 163-194, hier S. 187. Ebd. und DERS.: Professoren und Politik, S. 229-298.

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Befürworter der Republik, unterzeichnete 1924 einen Wahlaufruf für die DDP109 und setzte sich für Gustav Mayer110 ein, den linksliberalen Außenseiter der Historikerzunft.111 Er trat öffentlich für den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert im skandalösen Gerichtsverfahren von 1925 ein.112 Andreas gehörte also in dieser Phase seines Lebens zu jenen von Bernd Faulenbach als gemäßigt bezeichneten Historikern, die die staatstragende Rolle der Mehrheitssozialdemokratie würdigten.113 In Vorträgen betonte Andreas die Bedeutung der Engels-Biographie von Gustav Mayer.114 Daß diesem 1917/18 aus politischen Gründen die Habilitation versagt worden war, brachte Andreas auf: „Die Fakultät, die diesen Forscher und Darsteller abgewiesen hat“, habe sich „bis auf die Knochen blamiert“ und zeige, „daß unsere Universitäten einmal gründlich ausgemistet gehören“115, so erregte er sich 1920 gegenüber Friedrich Meinecke.116 Diese Position Andreas’, der eine klare Ablehnung der „Alldeutschen“ um Eduard Meyer und Dietrich Schäfer zum Ausdruck brachte, war – Gottfried Niedhart betont dies – „keineswegs repräsentativ für die deutschen Historiker“.117 Die direkten Worte, die er in diesem Fall Friedrich Meinecke gegenüber wählte, waren für Willy Andreas nicht untypisch. Nur eine Woche nach diesem Brief an Meinecke gab er Walter Goetz Auskunft über seine politische Haltung. Walter Goetz war einer der wenigen Historiker mit eindeutig linksliberaler demokratischer Einstel-

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JANSEN: Mittelweg nach rechts, S. 184f, 187 und 191, Anm. 28. Vgl. autobiographisch Gustav MAYER: Erinnerungen. Vom Journalisten zum Historiker der deutschen Arbeiterbewegung, hg. von Gottfried NIEDHART, Hildesheim/Zürich/New York 1993; vgl. auch Hans-Ulrich WEHLER: Gustav Mayer, in: DERS: (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 228-240; Bernd FAULENBACH: Gustav Mayer. Zwischen Historiker-Zunft und Arbeiterbewegung, in: Marieluise CHRISTADLER (Hg.): Die geteilte Utopie. Sozialisten in Frankreich und Deutschland. Biographische Vergleiche zur politischen Kultur, Opladen 1985, S: 183-195; Jens PRELLWITZ: Jüdisches Erbe, sozialliberales Ethos, deutsche Nation. Gustav Mayer im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Mannheim 1998. Vgl. ferner: Hans SCHLEIER: Zu Gustav Mayers Wirken und Geschichtsauffassung. Klassenkampf, Sozialreform, Revolution, in: Horst BARTEL/Heinz HELMERT/Wolfgang KÜTTLER/Gustav SEEBER (Hg.): Evolution und Revolution in der Weltgeschichte. Ernst Engelberg zum 65. Geburtstag, Berlin (O) 1976, Bd. 1, S. 301-326; Kurt PÄTZOLD: Gustav Mayer (1871 bis 1948), in: Berliner Historiker. Die neuere deutsche Geschichte in Forschung und Lehre an der Berliner Universität, Berlin (O) 1985, S. 64-79. Vgl. WEHLER: Mayer, S. 124f. Vgl. auch FEHRENBACH: Rankerenaissance, S. 65. Vgl. das Kapitel „Kundgebungen für den Reichspräsidenten“ bei Karl BRAMMER: Der Prozeß des Reichspräsidenten, Berlin 1925, S. 197-203, zu Willy Andreas S. 201. Vgl. Bernd FAULENBACH: Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980, S. 106-113. Vgl. die biographische Skizze über Engels aus Andreas’ Feder in: Willy ANDREAS: Geist und Staat. Historische Porträts, München/Berlin 1922, S. 157-186, 194f. und Göttingen/Berlin/Frankfurt (M) 5 1960, S. 159-184. In der 3. Auflage (Leipzig 31940) fehlt der Beitrag über Engels ohne weitere Erklärungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er wieder eingefügt. Willy Andreas an Friedrich Meinecke, 28.1.1920, zit. nach NIEDHART: Mayer versus Meyer, S. 344. Eine national-konservative Fraktion um Eduard Meyer und Dietrich Schäfer stand den Befürwortern Friedrich Meinecke, Otto Hintze und Erich Marcks entgegen. Hierzu ausführlich: Gottfried NIEDHART: Mayer versus Meyer. Gustav Mayers gescheiterte Habilitation in Berlin 1917/18, in: Armin KOHNLE/Frank ENGEHAUSEN (Hg.): Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike WOLGAST zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 329-344. Vgl. auch, die politische Intention betonend: Wolfgang RIBBE: Berlin als Standort historischer Forschung, in: Reimer HANSEN/DERS. (Hg.): Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, Berlin 1992, S. 45-88, hier S. 73f. NIEDHART: Mayer versus Meyer, S. 344.

2.3. Studium und Berufssuche – Hoffnungen und Erwartungen

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lung.118 Er wurde 1933 zur Aufgabe der Lehrtätigkeit gedrängt.119 Goetz schien wohl überrascht, in Willy Andreas einen Befürworter der Demokraten anzutreffen. Andreas antwortet ihm mit einem langen politischen „Credo“, das in mehrerer Hinsicht „merkwürdig“ ist: „Ich wundere mich ein wenig, dass Ihnen meine früheren Aufsätze zur neuen badischen Verfassung Zweifel über meine wirkliche Haltung zurückliessen. Als Unterton ist darin gewiss ein leidenschaftlicher Groll gegen die Revolution, die ich als Soldat während des Rückmarsches in ihren albernsten und ehrentwürdigendsten Formen in Feindesland erlebt habe. Andererseits bemerkten Sie doch wohl, dass ich mich ehrlich auf den Boden des neuen parlamentarischen Verfassungsgedanken stellte und nur gegen die Ignoranz und Spiessbürgerei und den blöden Partikularismus gewisser Vorschläge ankämpfte. Ich habe damals für den badischen wie für den meckl[enburgischen] Landtag demokratisch gestimmt, obwohl die Partei als solche mir nie besonders imponiert hat, namentlich weil so vieles in ihr keine großen, freien Werte demokratischer Gesinnung zeigt, sondern ‚Ressentiment’Gefühle nach wie vor stark in ihr sind. Für die verfassungsgebende Nationalversammlung wählte ich allerdings konservativ, weil ich glaubte, man müsse für eine starke Opposition sorgen als Gegengewicht gegen den äussersten Radikalismus, auch wohl deshalb, weil ich das Schicksal der Monarchie nicht für endgültig besiegelt hielt und an die Möglichkeit eines Volkskaisertums, wenn auch nicht für den Augenblick glaubte. Das war ein Irrtum, da ich mit der Psyche Deutschlands nach drei Jahren nicht genügend mehr vertraut war. Wilhelm II hasste ich übrigens schon lange, als noch alle Welt, besonders die Professoren, vor ihm auf dem Bauch herumkrochen. Jetzt halte ich mit meinem Urteil über ihn wenigstens in der Öffentlichkeit zurück, weil es jetzt leicht ist, über ihn herzufallen. Im ganzen sagte mir Max Weber, der leider in der Partei nicht durchkommt, am meisten zu, wie er bedauere ich es aufs tiefste, dass nach dem Ausfall Bismarcks, nicht den bürgerlichen und proletarischen Kräften rechtzeitig stärkerer Anteil und Mitregierung gewährt wurde.“120

Willy Andreas paßt hier in jenes von Friedrich Meinecke geprägte Schema der „Vernunftrepublikaner“ hinein, die im Grunde jedoch „Herzensmonarchisten“ gewesen seien. Hans Schleier betont, daß die „äußerste Grenze des liberalen ‚Radikalismus’“ gerade in der von Andreas auch vertretenen „Auffassung vom sogenannten Volkskaisertum“ lag und daß erst „die makabre Rolle Kaiser Wilhelm II. vor und nach seiner Abdankung“ die Erkenntnis vom endgültigen Ende der Monarchie bewirkte.121 Gegen die Verwendung der Kategorie des Vernunftrepublikanismus wurde verschiedentlich Kritik eingewandt, um die grundsätzliche antidemokratische Haltung der so Titulierten zu betonen.122 Dagegen hat Harm Klueting am „Paradebeispiel“ Friedrich Meinecke gezeigt, daß die Position der „Vernunftrepublikaner“ durchaus aus eigenständiger Überzeugung heraus verstehbar und erklärbar ist und sie nicht bloß die Monarchie restituieren wollten.123 Wichtig ist es, den Begriff nicht apologetisch zu verwenden und nicht nur das republikanische Element zu betonen, sondern gerade die Dialektik zum „Herzensmonarchismus“, von Meinecke ja selbst so bezeichnet, zu betonen. Besonders hinzuweisen ist in diesem Kontext auf Willy Andreas’ Haltung zur Revolution, auch, weil diese Thematik später zu Griewanks Forschungsfeld gehören wird

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Vgl. zur politischen Einordnung: VOM BRUCH: Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung, S. 183, 380, 502. Goetz hörte auf zu lesen, kam jedoch glimpflich davon. Er wurde lediglich für ein Jahr als Gegner der neuen Ordnung vom Emeritus zum einfachen Ruheständler degradiert. Vgl. Walter GOETZ: Aus dem Leben eines deutschen Historikers, in: ebd., S. 1-87, hier S. 78. Willy Andreas an Walter Goetz, hdschr., 7.2.1920, in: BA Koblenz, N 1215 NL Goetz, Nr. 227, unpag. Hervorhebungen im Original. Vgl. SCHLEIER: Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, S. 47f. Vgl. vor allem Herbert DÖRING: Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim/Glan 1975. Harm KLUETING: „Vernunftrepublikanismus“ und „Vertrauensdiktatur“. Friedrich Meinecke in der Weimarer Republik, in: HZ 242 (1986), S. 69-98.

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und man implizieren könnte, welche Vorstellungen Griewank durch seinen Lehrer vermittelt bekam: Der oben zitierte „leidenschaftliche Groll gegen die Revolution“ wird im weiteren Fortgang des Briefes relativiert, wenn Andreas nun davon spricht, daß er der Novemberrevolution „nachdem sie einmal da war, werbende Weltkraft u[nd] Weltmission wie der französischen gewünscht hätte“.124 Eine tiefe Skepsis gegenüber dem parlamentarischen System wird allerdings deutlich, die auch seine spätere Anhängerschaft des Nationalsozialismus antizipiert. Er sei für eine „demokratisierte erste Kammer“ eingetreten, um „Politiker als Gegengewicht gegen die vorauszusehende Parteikorruption zu erhalten, und gesunde = aristokratische Kräfte, natürlich nicht im Sinn der Geburt, neben die Masse und die Parteibonzen treten zu lassen. Diese Ausschau berührte mich mit dem gesunden Kern, der auch im Rätegedanken liegt.“ Die Gemeinsamkeit liegt somit in der antiparlamentarischen Ausrichtung – ein sehr zweifelhafter „gesunder Kern“. Es fehlte Andreas nicht an klaren Worten und originellen Analogien, etwa wenn er die Konservativen mit den Bolschewisten vergleicht: „Die Vaterlandspartei hielt ich für eine dumme und ungeschickte Gründung, nach äusseren wie inneren Zielen für verfehlt. [...] In ihren Wirkungen kommt die konservative Partei heute, unter den obwaltenden Zeitverhältnissen, fast dem Bolschewismus gleich.“ Willy Andreas hing, darauf macht auch Ursula Wolf aufmerksam, „prinzipiell keiner bestimmten Staatsform“125 an und konnte sowohl einer Räterepublik, der Monarchie als auch dem Parlamentarismus etwas abgewinnen. Anders als bei Friedrich Meinecke oder Walter Goetz trat in Andreas’ Weltbild also eine große Variabilität – bzw. eine geradezu gefährliche Instabilität – der Staatsformen hervor. Inakzeptabel erschien ihm als Soldaten jedoch eine pazifistische Haltung, wie sie der engagierte Mathematiker Emil Gumbel an den Tag legte.126 Gumbel, der politisch und publizistisch aktivste Heidelberger Hochschullehrer fällt als ein linker Demokrat mit pazifistischer Grundhaltung aus dem Rahmen.127 Die heutige Universität Heidelberg hält diese außergewöhnliche Persönlichkeit ehrend im Gedächtnis.128 Zu seiner Heidelberger Wirkungszeit war dies jedoch anders. 1925 eröffnete die Philosophische Fakultät in Heidelberg ein langwieriges Disziplinarverfahren gegen ihn.129 1932 verlor Gumbel seine Lehrbefugnis. Willy Andreas trat dabei stets als vehementer Gegner Gumbels auf. Auch engagierte sich Willy Andreas bald nicht mehr für die DDP, sondern fand weiter rechts eine neue politische Heimat. Ein Schwerpunkt seiner Betätigung lag in der Arbeit des Verbandes für das Deutschtum im Ausland (VDA) und im Eintreten für einen Anschluß Österreichs an Deutschland. Als „antimonarchisch, national und preußenfreundlich“ charakterisiert Christian Jansen Andreas’ neue politische Grundhaltung: „Anstelle von Parlamentarismus und Demokratie plädierte er für eine nicht näherer definierte ‚Selbstverwaltung’.“130 Golo Mann erinnert sich kritisch an diesen Lebensabschnitt Willy Andreas’: „Als es seit dem Frühjahr 1930 mit der Republik

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Siehe oben S. 63 mit Anm. 120. WOLF: Litteris et patriae, S. 343. Bemerkungen, Zeitungsausschnitte und Briefe zum Fall Gumbel befinden sich in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 753. Vgl. JANSEN: Professoren und Politik, S. 24-27. Vgl. Emil Julius Gumbel, 1891-1966. Akademische Gedächtnisfeier anläßlich des 100. Geburtstages, Heidelberg 1993. Vgl. auch Christian JANSEN: Emil Julius Gumbel. Portrait eines Zivilisten, Heidelberg 1991; Eike WOLGAST: Emil Julius Gumbel. Republikaner und Pazifist, Heidelberg 1992. Vgl. JANSEN: Mittelweg nach rechts, S. 185; RINGER, Die Gelehrten, S. 199. JANSEN: Professoren und Politik, S. 205f.

2.3. Studium und Berufssuche – Hoffnungen und Erwartungen

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abwärts zu gehen begann, kehrte er seine Gesinnungen deutlicher heraus, insoweit er solche besaß; nationalen Liberalismus konnte man nuancieren, je nach der Lage.“131 Eine bittere, aber treffende Formulierung der Ambivalenz des Nationalliberalismus und Ausdruck einer kritischen Haltung, die Golo Mann, der sich damals in der Studentenzeitung für Gumbel einsetzte, nicht erst ex post einzunehmen brauchte. Und 1933? Andreas war seit Oktober 1932 zum Rektor der Heidelberger Universität aufgestiegen. Der Nationalsozialismus, so verkündete er, sei „Deutschlands Schicksal geworden“ und müsse „seine Sendung erfüllen. [...] Würde er versagen, so wäre Deutschland dem Untergang geweiht, aber auch der ganze Erdteil würde dann früher oder später dem Chaos verfallen.“132 Auf der anderen Seite weigerte er sich am 9. März 1933, die Hakenkreuzfahne an der Universität zu hissen; er müsse als „auf die Verfassung beeidigter Beamter gegen die Beflaggung Verwahrung einlegen.“133 Als das „gleichgeschaltete“ Land Baden eine strenge und auf nichtbeamtete Hochschullehrer ausgedehnte Anwendung des sogenannten „Berufsbeamtengesetzes“ anordnete, beharrte der Rektor Andreas auf einer abweichenden Auslegung und versuchte die Umsetzung an der Universität zu verzögern.134 Im September 1933 wurde er schließlich als Rektor abgesetzt, was in der nationalsozialistischen Presse als „Ende der liberalen Ära“ gefeiert wurde.135 Nach 1945 hat Willy Andreas dies sehr stark betont, während des Dritten Reiches hatte er diese Einschätzung und eine liberale Abweichung vom Regime zurückgewiesen. Die Ambivalenzen und die Perspektivität der Frage nach Andreas’ NSBelastung treten somit deutlich zu Tage. Er blieb in der NS-Zeit auch nach seiner Absetzung als Rektor eine wichtige Person innerhalb der Historikerzunft, wurde insbesondere verschiedene Male als Gutachter in Berufungsfragen herangezogen. Zweifellos machte er sich mit seiner Art nicht nur Freunde. Die von Andreas betreuten, scheinbar „unpolitischen“ Arbeiten waren nicht ideologiefrei. Eines dieser Projekte, das er von seinem Lehrer Erich Marcks „geerbt“ hatte, bestand in der Edition der Briefe des Weimarer (Groß-)Herzogs Carl August. Die Edition sollte von Ulrich Crämer, einem Schüler Willy Andreas’, besorgt und von Andreas herausgegeben werden. Daniel Wilson hat gezeigt, daß dabei nationalsozialistische Absolutismuskonzeptionen in der Auswahl der Briefe zum bewußten Verschweigen unliebsamer „Tabuzonen um Goethe und seinen Herzog“ geführt haben.136 So berechtigt die Kritik an Wilsons kritischem,

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MANN: Erinnerungen und Gedanken, S. 288. Zit. nach Karen SCHÖNWÄLDER: „Lehrmeisterin der Völker und der Jugend“. Historiker als politische Kommentatoren, 1933 bis 1945, in: Peter SCHÖTTLER (Hg.): Geschichtswissenschaft als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt (M) 1997, S. 128-165, hier S. 130. Zum Hintergrund muß angemerkt werden, daß das Land Baden zu den letzten Ländern gehörte, die „gleichgeschaltet“ wurden und die demokratische Landesregierung zu diesem Zeitpunkt noch im Amt war. Detailliert bei Helmut HEIBER: Universität unterm Hakenkreuz. Teil 2: Die Kapitulation der Hohen Schule. Das Jahr 1933 und seine Themen, Bd. 1, München [u.a.] 1992, S. 45f. Dort auch das Zitat. Arno WECKBECKER: „Gleichschaltung“ der Universität? Nationalsozialistische Verfolgung Heidelberger Hochschullehrer aus rassischen und politischen Gründen, in: Karin BUSELMEIER/Dietrich HARTH/Christian JANSEN (Hg.): Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg, Mannheim 1985, S. 273-292, hier S. 275f. Vgl. BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 890, wo sich eine Reihe von Ausschnitten aus der Tagespresse befindet. Besonders der Reichs-Studentenschafts-Führer Gustav Adolf Scheel, der bekannteste Student des Dritten Reiches, trat mit der Interpretation des Endes der liberalen Ära mehrfach hervor. Zu Scheel vgl. Michael GRÜTTNER: Studenten im Dritten Reich, Paderborn [u.a.] 1995, S. 94-97, 387f., 511f. und passim. Vgl. vor allem W. Daniel WILSON: Tabuzonen um Goethe und seinen Herzog. Heutige Folgen nationalsozialistischer Absolutismuskonzeptionen, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwis-

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aber ahistorischem Goethebild sein mag, das bis zum mediengerecht zugespitzten Topos des Spitzels „IM Goethe“ geht, seine grundlegende Kritik an der Schule um Willy Andreas und Hans Tümmler ist berechtigt.137 Bei Willy Andreas kann man zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur von Affinitäten zum Nationalsozialismus sprechen – er war nun ein zentraler und aktiver Träger des Systems geworden. Deshalb wurde er 1946 aus politischen Gründen entlassen, wogegen er sich entschieden wehrte und dabei aus seinem widersprüchlichen Lebenslauf heraus Gründe anführen konnte. Thomas Etzemüller, der in seiner Dissertation über Werner Conze die Kriterien der Wiederzulassung nach 1945 kritisch analysiert hat, stellt fest, daß weniger die heute offen zu Tage tretende Nähe der Geschichtswissenschaft zum Nationalsozialismus, sondern die Verletzung der inneren Diskursregeln der Zunft dazu führen konnte, daß einzelne Kollegen nach 1945 Schwierigkeiten bekamen.138 Willy Andreas hatte sich mit seinen ungeschminkten Worten nicht nur Freunde gemacht und war – was er freilich nun gerne ausblendete – Außenseitern gegenüber nicht gerade freundlich aufgetreten.139 In einem Brief an Theodor Heuss im Februar 1949 beschwerte er sich jedenfalls, daß er „als einziger ‚Nicht-Betroffener’ der im Fach tätigen Dozenten nicht lesen darf. – [Fritz] Ernst, [Walther Peter] Fuchs [...] lesen sämtlich, also Parteigenossen und SA Leute. Auch in der Fakultät bin ich der einzige ‚nichtbetroffene’ Ordinarius, der ausgeschieden wurde, während frühere Parteigenossen und SA Leute sowie NS Dozentenbundsmitglieder unangefochten oder wieder eingesetzt lesen!“140 Der Begriff „Nichtbetroffener“ bezieht sich auf die Nichtmitgliedschaft in der NSDAP. Er erlangte schließlich doch den zunächst abgelehnten Emeritus-Status, später sogar eine Lehrstuhlvertretung in Tübingen und eine Honorarprofessur in Stuttgart. Dennoch blieb er nun eher ein enttäuschter Außenseiter und zog sich in einen „Schmollwinkel“ zurück, der sich in diesem Fall in Litzelstetten am Bodensee lokalisieren läßt. Der hier ausführlich vorgestellte verschlungene Lebensweg des Willy Andreas wird im folgenden immer wieder einen Bezugspunkt zu Karl Griewank darstellen. Griewank war es, der zum 60. Geburtstag für Willy Andreas eine dreibändige Festschrift redaktionell vorbereitete und präsentierte, die allerdings „kriegsbedingt“ ungedruckt blieb.141 Auch zu Andreas’ 70. Geburtstag, den Griewank dann allerdings nicht mehr erleben sollte, wollte er auf Bitten von Fritz Facius142 als Herausgeber einer Festschrift in Erscheinung treten, obwohl der Stern des als NS-belastet eingestuften Willy Andreas inzwischen rapide gesunken war.143 Sein Cousin Arnold Fratzscher riet ihm ab und

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senschaft und Geistesgeschichte 70 (1996), S. 394-442; vgl. auch DERS.: Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar, München 21999, S. 7-44. Vgl. Werner GREILING: Goethe – unser Staatsminister. Sein politisches Wirken in Sachsen-WeimarEisenach, Rudolstadt/Jena 1999, S. 14-16. Zur Einordnung vgl. auch Markus VENTZKE: Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach 1775-1783, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 15f. mit Anm. 54. ETZEMÜLLER: Werner Conze, S. 219-221. Dies gilt etwa für Andreas’ Haltung gegenüber Franz Schnabel. Vgl. dazu Lothar GALL, in: Rüdiger HOHLS/Konrad H. JARAUSCH (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 303f. Willy Andreas an Theodor Heuss, 9.2.1949 (DS), in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 763, unpag. Staat und Geist im neueren Europa. Festgabe für Willy ANDREAS zum 60. Geburtstag, 30. Oktober 1944, 3 Bde., [Berlin 1944], in: BGLA Karlsruhe, Bibliothek, Ab 212 (1-3). Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis ist publiziert bei Dorothea HAUCK: Verzeichnis der Schriften von Prof. Dr. Willy ANDREAS 1905-1955, ZGO 106 (1957), S. 295-323. hier S. 320f. Vgl. auch BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 407 unpag. Postkarte Fritz Facius an Karl Griewank, 3.10.1953, in: NL Griewank, Karton 2, jetzt Aktenordner; Griewank an Fritz Facius, 9.10.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Facius, Nr. 39 Festschrift Willy Andreas 1953/54. Dort auch weitere Korrespondenz zu dem schließlich gescheiterten Projekt. Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 7.10.1953, Antwort am 20.10.1953, in: PrA Griewank.

2.3. Studium und Berufssuche – Hoffnungen und Erwartungen

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teilte ihm dazu mit, daß einerseits die Publikation von Festschriften finanziell schwierig sei und andererseits „Andreas nach dem Kriege von dem Schauplatz abgetreten ist und sich z.B. in Heidelberg grollend von jeglichem Verkehr zurückgezogen hat“.144

2.3.3. Der Rostocker Schülerkreis und die Parteiengeschichtsforschung in der Zwischenkriegszeit Hans Rothfels stellte 1930 in seinem Forschungsbericht die „Frage: inwieweit ist objektive Parteigeschichtsschreibung denkbar, oder besser gesagt, welche Sonderfarbe trägt das Problem der historischen Objektivität auf dem Spezialgebiet der Parteigeschichtsschreibung?“145 Parteiengeschichte muß nicht parteiliche Geschichte sein, und heute stellt sich dieser Untersuchungsgegenstand als ein breit gefächertes, methodisch vielseitiges Feld der Geschichts- und Politikwissenschaft dar. Zwar mag die Wahl der Themen mit dem politischen Interesse des Bearbeiters korrelieren, doch darin sieht man wohl kaum ein Objektivitätsproblem heutiger Geschichtsforschung – zumindest kein größeres als bei anderen Themen. Die Geschichte der Parteien gilt als unbestritten wichtig und ist heute Teil der politischen Bildung. Für die Zwischenkriegszeit war dies anders. Nicht nur, daß für Rothfels die „Geschichte der deutschen Parteien [...] ein verhältnismäßig noch junger Zweig am Baum unserer Historiographie“146 war, angesichts der gerade unter den Bildungsbürgern herrschenden Demokratie- und Parteienfeindlichkeit erschien es schwierig, sie „unparteiisch“ zu betreiben. Dennoch kommen die Impulse auch aus dem neorankeanischen Schülerkreis, dessen Potential – darauf hat Elisabeth Fehrenbach hingewiesen – nicht zu unterschätzen ist. Als Nestor der Parlamentarismusforschung kann mit Ludwig Bergsträsser147 ein Schüler von Erich Marcks gelten. Sein viel gelesenes und häufig wiederaufgelegtes Überblickswerk „Geschichte der politischen Parteien in Deutschland“148 wurde „bewußt als Beitrag zur politischen Pädagogik konzipiert“.149 Er verstand seine Forschung als Teil der Demokratiegeschichte und als eine politische Positionierung, die Rothfels 1930 als „von der Parteiatmosphäre gefärbt“ kritisierte.150 Bergsträsser war jedoch nicht der erste Historiker, der sich der Thematik widmete. Zwar führte die vorherrschende konservative Parteienkritik des Kaiserreichs dazu, daß

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„Hältst Du es wirklich für nötig, daß Andreas nochmals eine Festschrift gewidmet wird? [...] Ich muß ehrlich bekennen, daß ich es für überflüssig halte, nochmals für ihn die Feder in Bewegung setzen zu lassen, um ihm ein Buch überreichen zu können“, Arnold Fratzscher an Karl Griewank, 20.10.1953, in: PrA Griewank. Hans ROTHFELS: Ideengeschichte und Parteigeschichte. Ein Forschungsbericht, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 8 (1930), S. 753-786, hier S. 756. Ebd., S. 753. Bergsträsser war von 1924 bis 1928 Reichtagsabgeordneter für die DDP, trat 1930 der SPD bei. Er, der 1933 von den Nazis aus dem Archivdienst entlassen wurde, gehörte nach dem Ende der NSDiktatur zu den Politikern der ersten Stunde, war für die SPD Mitglied im Parlamentarischen Rat und in den ersten beiden Bundestagen. Methodisch hat er, wie Elisabeth Fehrenbach herausgearbeitet hat, die Tradition des Rankeaners bewahrt. „Aber es war nicht das stolze ‚Erbe von 1871’, das er beschwor, sondern die Tradition des älteren deutschen Parteienwesens, die er zum verpflichtenden Maßstab erhob.“ FEHRENBACH: Bergsträsser, S. 114. Ludwig BERGSTRÄSSER: Geschichte der politischen Parteien in Deutschland, Mannheim/Berlin/Leipzig 1921 – 41926 – 51928 – 61932 – München 71952 – 81955. FEHRENBACH: Anfänge der Parteiengeschichtsforschung, S. 406. ROTHFELS: Ideengeschichte und Parteigeschichte, S. 759.

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die Historiker sich diesem Bereich weniger zuwandten. Der Erzkonservative Adalbert Wahl trat allerdings bereits 1910 mit einer „Beiträge zur deutschen Parteiengeschichte im 19. Jahrhundert“151 überschriebenen Studie hervor, die primär dazu diente, den Liberalismus als dem deutschen Staatswesen artfremde, den „Ideen von 1789“ angehörige Denkart zu diffamieren. Zwischen dem Rankeaner Erich Brandenburg und dem Ideenhistoriker Friedrich Meinecke entwickelte sich schließlich bereits 1917/19 ein „berühmte[r] Methodenstreit“ (Fehrenbach) um die Parteiengeschichtsschreibung, auf den im Zusammenhang mit Griewanks Position hierzu noch eingegangen wird.152 Als dieser im Wintersemester 1920/21 nach Rostock kam, las Willy Andreas über „Anfänge des deutschen Sozialismus“ und bot „Übungen zur Geschichte des Frühsozialismus“ an.153 Helga Schultz vermutete hier ein „offenbar aus dem Erlebnis der Novemberrevolution und der Stärke der deutschen Arbeiterbewegung gewachsenes Bedürfnis, sich mit dem Marxismus und dem Sozialismus sachlich auseinanderzusetzen“.154 Andreas selbst sprach später davon, daß sich eine Gruppe von Studenten, die an Themen der Demokratie- und Parteiengeschichte interessiert gewesen sei, zusammengefunden habe, der es „um die Tiefen der Gesellschaft, insbesondere die Aufhellung der Geschichte des Sozialismus, zumal seiner von den Marxisten etwas vernachlässigten Frühzeit“155 gegangen sei. Es ist also deutlich eine thematisch an der Geschichte der Linken orientierte Ausrichtung der Parteiengeschichte, die Griewank in Rostock kennenlernte und in deren Kontext seine Dissertation „Friedrich Wilhelm Held und der vulgäre Liberalismus und Radikalismus in Leipzig und Berlin 1842-1849“ entstand. Im selben Zusammenhang fällt der Name August Wilhelm Fehling ins Auge, der später viele Jahre lang Griewanks Kollege bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft sein sollte und der über den „Handwerkerkommunisten“ Karl Schapper promovierte.156 Wilhelm Friedensburg widmete sich Stephan Born, und ebenfalls in dem Kontext entstand, wenn auch nicht biographisch angelegt, die Arbeit von Martin Stammer zum Mecklenburgischen Liberalismus.157 Es ist also – gerade angesichts der niedrigen Studentenzahlen – eine bemerkenswerte Aktivität, die Willy Andreas in den wenigen Jahren, die er in Rostock verbrachte, an

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Adalbert WAHL: Beiträge zur deutschen Parteiengeschichte im 19. Jahrhundert. Moritz Ritter zum 70. Geburtstag, in: HZ 104 (1910), S. 537-594. Kritisch hierzu ROTHFELS: Ideengeschichte und Parteigeschichte, S. 759f mit Anm. 2. FEHRENBACH: Anfänge der Parteiengeschichtsforschung, S. 410. Vgl. Friedrich MEINECKE: Zur Geschichte des älteren deutschen Parteienwesens, in: HZ 118 (1917), S. 46-62; Erich BRANDENBURG: Zum älteren deutschen Parteiwesen. Eine Erwiderung, in: HZ 119 (1919), S. 63-84. Vgl. SCHULTZ/HEITZ/OLECHNOWITZ: Entwicklung geschichtswissenschaftlicher Studien an der Universität Rostock, S. 369. Ebd. Der Aufsatz geht auf die Diplomarbeit von Helga Schultz zurück, weshalb ich ihre Autorenschaft hier hervorheben möchte. ANDREAS: Gelehrtenschicksal, S. 610. August Wilhelm FEHLING: Karl Schapper und die Anfänge der Arbeiterbewegung bis zur Revolution von 1848. Von der Burschenschaft zum Kommunismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Handwerkerkommunismus, Diss. phil. Rostock 1922 (MS). Wilhelm FRIEDENSBURG: Stephan Born und die Organisationsbestrebungen der Berliner Arbeiterschaft bis zum Berliner Arbeiterkongreß (1840-September 1848), Diss. phil Rostock 1921; DERS.: Stephan Born und die Organisationsbestrebungen der Berliner Arbeiterschaft bis zum Berliner Arbeiter-Kongress (1840-September 1848), Leipzig 1923 – Nachdruck: Glashütten im Taunus 1973. In der Betreuung dieser Arbeit kooperierten Willy Andreas und Gustav Mayer sehr eng (ebd., S. IIIf.). Martin STAMMER: Die Anfänge des Mecklenburgischen Liberalismus bis zum Aufmarsch der Parteien im verfassungsgebenden Landtag des Jahres 1848, Diss. phil. Rostock 1922 (MS).

2.3. Studium und Berufssuche – Hoffnungen und Erwartungen

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den Tag legte. Für liberal-demokratisch eingestellte Studenten bot er ein gutes Arbeitsklima. Die Zeit fällt zusammen mit dem im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Engagement Andreas’ für die DDP und die Weimarer Republik und seinen Kontakten zu Gustav Mayer, der 1922 in Berlin eine außerplanmäßige Professur für die „Geschichte der Demokratie, des Sozialismus und der politischen Parteien“158 erhielt. Dieses Klima und „diesen Willy Andreas“ lernte Griewank also in Rostock kennen und in diesem Milieu konnte er sein Erstlingswerk vorlegen, das an die Debatten anknüpfte. 2.3.4. Karl Griewanks Dissertation – Modernität und politische Positionierung159 Am 4. September 1922 reichte der gerade 22 Jahre alt gewordene Karl Griewank seine Dissertationsschrift zusammen mit seinem Prüfungsgesuch bei der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock ein.160 Am 21. Oktober war das Verfahren nach einer Prüfung im Hauptfach Geschichte und den Nebenfächern Deutsch und Philosophie abgeschlossen.161 Bereits am folgenden Tag übersandte er „in dankbarer Erinnerung an alle bisherige wissenschaftliche und persönliche Förderung“ ein Exemplar seiner Dissertation an Willy Andreas nach Berlin, um ihm stolz „von einem glücklich bestandenen Examen berichten“ zu können.162 Im begleitenden Brief gab sich der Frischpromovierte in bezug auf seine Arbeit recht bescheiden und räumte der Kritik vorauseilend Schwächen ein: „Vielleicht erschrecken Sie zunächst über die stilistische Form einiger Partien. Ich bin mir hier eines Mißstandes wohl bewußt. Diese Form ergab sich bei der zunächst recht schwierigen allmählichen Klärung des Problems und der ihm angemessenen Methode. Der allzu geballte, verknotete und dadurch undurchsichtige Bau mancher Abschnitte hätte sich nur bei durchgehender Umarbeitung in flüssigere Darstellung auflösen lassen.“163

Dem heutigen Leser fallen zwar in der Tat einige lange Schachtelsätze ins Auge, aber die 200 Textseiten starke Arbeit zeigt im ganzen ein erstaunliches Niveau, so daß man sich dem ausnehmend positiven Urteil des Gutachters Schüssler anschließen kann, der die Dissertationsschrift „eine vortreffliche wissenschaftliche Leistung nannte, die ganz beträchtlich über dem Durchschnitt steht und dem noch sehr jugendlichen Verfasser einen Namen machen kann“.164 Vor allem schließt die Arbeit, auch wenn sie keinen heute üblichen Forschungsabriß enthält, an allgemeine Fragestellungen an. Walter Schmidt hat 1998 die Dissertation Griewanks und den daraus hervorgegangenen Aufsatz „Vulgärer Radikalismus und demokratische Bewegung in Berlin 1842-1848“165 wiederentdeckt und ausführlich gewürdigt.166 Griewanks Arbeit sei „weit mehr als eine

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RIBBE: Berlin als Standort historischer Forschung, S. 73f. Alle in diesem Kapitel im Text in Klammern eingefügten Seitenzahlen beziehen sich auf: Karl GRIEWANK: Friedrich Wilhelm Held und der vulgäre Liberalismus und Radikalismus in Leipzig und Berlin 1842-1849, Diss. phil. Rostock 1922 (MS). UA Rostock, Philosophische Fakultät, 29. Missive 1922/23 betreffend Promotion des Herrn cand. phil. Karl Griewank, unpag. Ebd. Er erhält für die Prüfung das Prädikat magna cum laude. Karl Griewank an Willy Andreas, 22.10.1922, in: NL Griewank, Karton 15, Mappe „Eigene Kleinere Arbeiten aus der Jugendzeit, Korrespondenzen, Pläne, Angebote 1920-1925“, unpag. Ebd. Gutachten Schüssler, 6.9.1922, in: UA Rostock, Philosophische Fakultät, 29. Missive 1922/23 betreffend Promotion des Herrn cand. phil. Karl Griewank, unpag. In: FBPG 36 (1924), S. 14-38. SCHMIDT: Karl Griewank und die 1848er Revolutionsgeschichtsforschung, S. 705-735.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

der üblichen schmalspurig-engen biographischen Skizzen“.167 Hier ist Schmidt ebenso zuzustimmen wie seiner umfassenden Analyse der „Verdienste und Grenzen der frühen Forschungen Griewanks zur Geschichte der 1848er Revolution“168. Allerdings argumentiert er aus einer marxistischen Sicht: Schmidt betont diejenigen Stellen, an denen Griewank der Linken und den radikalen Demokraten eine positive Rolle zuerkannte.169 Er stellt heraus, daß Griewank der sozialen Frage einen umfangreichen Abschnitt widmete (139-151), und legt ein besonderes Augenmerk auf jene Stellen, an denen er die Arbeiterbewegung untersuchte. Schmidt stellt schließlich die These auf, der aus der Dissertation hervorgegangene Aufsatz sei vor allem deshalb ein Fortschritt, weil hier ein weitaus positiveres Bild der radikalen Demokratie gezeichnet würde als in der ungedruckten Dissertation. Diese Einschätzung Schmidts, die aus dessen eigenem Forschungsinteresse heraus erwachsen ist, kann hier durch eine etwas anders gerichtete Akzentuierung ergänzt werden. Griewanks Satz, wonach es „in Berlin wohl eines energischen staatlichen Widerstandes“ (187) gegen die Radikalen bedurft habe, stand in explizitem Zusammenhang zur Aussage: „Nur so blieb auch die Reichseinheit im Sinne der Frankfurter Mehrheitsparteien noch möglich“ (187), und sie stand im Kontext zu einer positiven Wertung der Paulskirche, des Parlamentarismus und der Parteiendemokratie. Deshalb kritisierte Griewank seine Hauptfigur Friedrich Wilhelm Held170 und den „vulgären Liberalismus und Radikalismus“ bzw. die „Straßendemokratie“, die im Laufe der Revolution gegen die gewählten Abgeordneten, gegen das liberale Märzministerium und für eine diffuse Fundamentalopposition auftrat. „In bezeichnender Unklarheit“ (38f.) rekurriere sie auf „das Volk“ und lebe von der „Unklarheit des Volksbegriffes“ (132). Griewank charakterisiert die theoretische Grundlage der 1848er Radikalen mehrfach als „prinzipienlos“. Friedrich Wilhelm Held „verwarf das feste Fraktionswesen“ (189), betone seinerseits stets: „Ich habe keine Partei“ (138). Damit, so Griewank, gab der Publizist „damals unbewußt die Schranke an, die ihm weitere aktive politische Wirksamkeit versperrte“ (138). In dem später erschienen Aufsatz trat Held als Person zurück, woraus sich die von Schmidt beschriebene positivere Gewichtung der radikalen Demokraten ergab, nämlich als eine sich bildende und organisierte Partei. Die parlamentarische Demokratie bildete für Griewank also das positiv besetzte Modell. Griewanks Analyse sollte daher nicht primär nach den Ansätzen seiner „Progressivität“ untersucht, sondern im Zusammenhang der Parteiengeschichtsschreibung gesehen werden. In diesen Kontext stellte er sie auch selbst; weite Teile der Arbeit thematisieren „Liberalismus“ und „Radikalismus“ als Forschungsprobleme (z.B. 2650). Mit dem Begriff „vulgärer Liberalismus und Radikalismus“ knüpfte er an Karl Lamprechts Begriff des „primitiven Liberalismus“ ebenso wie an Adalbert Wahls Typologie des „vulgären Liberalismus der Masse der Staatsbürger“ an, wobei er sich von Wahls herabsetzender Interpretation der „Ideen von 1789“ jedoch explizit distanziert (vgl. 1-6).

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Ebd., S. 706. Ebd., S. 710. Vgl. zum folgenden ebd., S. 710-713. Vgl. hierzu auch die Kritik Elisabeth Fehrenbachs in ihrem Kommentar zu Schmidts Tagungsbeitrag: Elisabeth FEHRENBACH: Kommentar [zum Abschnitt „Wirkungen der Revolution; Rezeptionsgeschichte“], in: HAHN/GREILING (Hg.): Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 737-741, hier S. 740f. Vgl. zur Person: Wilmont HAACKE: Art. „Held(t), Friedrich Wilhelm Franz“, in: NDB 8 (1969), S. 462 f. Laut Griewank fehlerhaft (8, Anm. 1) ist Emil KNESCHKE: Art. „Held, Friedrich Wilhelm Alexander“, in: ADB 11 (1880), S. 679f.

2.3. Studium und Berufssuche – Hoffnungen und Erwartungen

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In ihrer Analyse zu den Anfängen der Parteiengeschichtsforschung macht Elisabeth Fehrenbach auf ein bemerkenswertes Phänomen aufmerksam. Beim Streit zwischen Meinecke und Brandenburg, in dessen Zentrum die Frage stand, ob die Parteiengeschichte als Ideengeschichte (Meinecke) oder als allgemeine politische Geschichte (Brandenburg) zu sehen sei, fallen „heute einige neue Problemstellungen [auf], die mehr am Rande dieser Kontroverse auftauchen und die deshalb zumeist übersehen werden. Von Brandenburg dazu herausgefordert, entwickelte Meinecke die ersten Ansätze einer Sozialgeschichte der Ideen, die später von seinen Schülern, vor allem von Hans Rosenberg, aufgenommen und weitergeführt wurden.“171 Hier kommt Fehrenbach Griewanks Überlegungen nahe. Auch dieser griff die Kontroverse zwischen Meinecke und Brandenburg auf. Wolle man die „literarisch-politische Opposition im vormärzlichen Deutschland“, so Griewank, „über ihren realpolitischen Gehalt [...], nach einem einheitlichen System politischer Ziele“ beurteilen, so stoße man dabei auf Schwierigkeiten (26). Griewank stellte sich hier auf die Seite Meineckes. Zwar stelle auch die ideengeschichtliche Herangehensweise, die „zugrunde liegende Welt- und Staatsauffassung“ einer politischen Richtung „für die allmähliche auf reale Forderungen zielende Parteienverbindung nur eine, oft zufällige Voraussetzung“ dar; „für das Verständnis des vulgären vormärzlichen Liberalismus und seiner geistigen und sozialen Struktur ist der Versuch dazu dennoch unerläßlich“ (26). Deshalb antizipierte Griewank in einem Problemaufriß spätere Überlegungen Fehrenbachs: Es gehe ihm um die „geistige und soziale Struktur“ der Parteibildung, wie er im Anschluß an Meinecke und in Abgrenzung zu Brandenburg betonte. Wichtig sei die begriffliche und theoretische Durchdringung, um eine gewisse Typologisierung zu erreichen, wie er gegenüber seinem akademischen Lehrer betonte: „Aber hier war der Boden, der mit festen Begriffen durchfurcht werden sollte, recht schwer abzugrenzen und zu vereinheitlichen; ich denke, daß im Ergebnis die Hauptschwierigkeiten schließlich überwunden sind, aber das Gewächs trägt noch Narben von der Überwindung mancher Entwicklungshindernisse“.172 Die Fähigkeit, Klarheit in komplizierte Sachverhalte zu bringen – eine Eigenschaft, die Griewank auch später auszeichnete –, ist hier bereits erkennbar. Fehrenbachs Hinweis auf die bekannte und bis heute im Grunde noch immer uneingelöste Forderung nach einer „Sozialgeschichte der Ideen“173, also nach der Rückbindung der Begriffe und Ideen an das Bewußtsein der Zeitgenossen, ist auch deshalb interessant, weil Griewank in seiner Dissertation einen Ideenvermittler und -popularisierer in den Blick nimmt. Wenn Meinecke just in diesem Zusammenhang über die politischen Ideen ausführt: „[V]on den Wenigen sickert es zu den Vielen hinunter“174, so stand der Publizist Friedrich Wilhelm Held gerade zwischen den Wenigen und den Vielen. Griewank selbst greift die These auf, daß „die eigentlichen Revolutionäre der ‚Idee’, die nur als Schriftsteller und Publizisten wirkten,“ – da er sich auf Gustav Mayers Engelsbiographie bezieht, ist hier etwa an Marx und Engels zu denken – „zum großen Teil den wirklichen Volksbewegungen fast ganz fern geblieben“ waren, während die Populisten der Straßen, die er als „Abenteurer und Augenblickshel-

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FEHRENBACH: Anfänge der Parteiengeschichtsforschung, S. 410. Karl Griewank an Willy Andreas, 22.10.1922, in: NL Griewank, Karton 15, Mappe „Eigene Kleinere Arbeiten aus der Jugendzeit, Korrespondenzen, Pläne, Angebote 1920-1925“, unpag. In der klassischen Formulierung als theoretisch fundiertes Programm bei Thomas NIPPERDEY: Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft [1973], in: DERS.: Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976, S. 33-58, Begriff S. 47. MEINECKE: Geschichte des älteren deutschen Parteienwesens, S. 49.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

den“ bezeichnet, wiederum „selten von grösseren Zielen und Gedanken beherrschte Persönlichkeiten“ gewesen seien (107). Rüdiger Hachtmann spricht in seiner maßstabsetzenden Arbeit zum Berliner Revolutionsgeschehen 1848 vom „Phänomen Held“.175 Die Tätigkeit dieses – im ursprünglichen griechischen Sinne – „Demagogen“, bleibt auch für Hachtmann schwer zu erfassen.176 Seine Karriere als „Volksschriftsteller“ begann Held 1842 in Leipzig als Redakteur der populären „Locomotive“. Held, dessen Lebensweg Griewank über die Ausweisung aus Sachsen, die Tätigkeit in Halle, die Verhaftung und Verurteilung zur Festungshaft weiterverfolgte, wurde dann in Berlin zu einer populären und radikaldemokratischen Figur der Revolution. Seine bekannteste Agitationsform waren Plakate (177f.), die nicht nur wegen ihrer riesigen Größe wirksam waren, sondern den Nerv der Zeit trafen und eine besondere Wirkung erzeugten.177 Held kandidierte für die Revolutionsparlamente, wurde Wahlmann, dann jedoch nicht gewählt – daraufhin kritisierte er die Parlamente und die Gewählten (120-129). Im Anschluß daran lancierte er selbst seinen Namen als idealer Bürgerwehrkommandant (158), kam jedoch auch hier nicht zum Zuge – und wandte sich gegen die Institution der Bürgerwehr als „Vernichterin der Freiheit“ (162). Auch im Vereinswesen engagierte sich Held und wurde zum Idol der unterbürgerlichen Schichten. Der im Juli/August 1848 gegründete „Sozialverein“ war de facto nur um seine Person aufgebaut.178 Im Herbst 1848 plante er, der sich kurz zuvor für das Aufgehen Preußens in Deutschland ausgesprochen hatte (166), schließlich ein Bündnis mit dem konservativen Preußenverein gegen die Klubdemokratie und das Bürgertum, womit er sich selbst völlig ins Abseits begab (172-177). Der Sozialverein verlor daraufhin Mitglieder und Helds Schriften die Leser: „Seine Persönlichkeit war nur noch eine vereinzelte, immerhin bezeichnende Kuriosität in der kuriosen, durch die Geschlossenheit der klubistischen Partei gelockerten Straßendemokratie“ (163). Auch die politische Position Helds ist schwer zu fassen, hier gelang Griewank jedoch eine gewisse Typologisierung. Held verkörpere den „Typ einer bitteren vulgären Oppositionsjournalistik“, dem er für die Leipziger Zeit die „bedeutenderen politischen Wochenblätter[...], die Robert Blum, der schwungvolle Fürsprecher des sächsisch freiheitlich-nationalen Bürgertums, erneuert hatte“,179 gegenüberstellen konnte.180 Griewanks Wertmaßstab scheint hier wie an anderen Textstellen die Klarheit des politischen Programms zu sein. Bei der Anwendung eines solchen Kriteriums konnte Held nicht gut wegkommen. Während eine „aus zahlreichen Mitgliedern erwachsende und auf sie gestützte demokratische Führung [...] nun unter dem Einfluß der Nationalversammlung parteimäßige Schulung erlangen“ (137) konnte, so sei dies in Berlin durch den unklaren Volksbegriff, den Griewank als „naive[n] revolutionäre[n] Glauben“ (138) bezeichnete, verhindert worden. „Mit der naiven Erklärung: ‚Ich habe keine Partei’ gab Held damals unbewußt die Schranke an, die ihn weitere aktive politische Wirksamkeit

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Rüdiger HACHTMANN: Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997, hier S. 628-631, Kurzbiographie Helds S. 944f. Vgl. zu Held und zum auf ihn angewandten Demagogenbegriff Kurt KOSZYK: Das Bild des Demagogen im Berliner Tollen Jahr 1848. Friedrich Wilhelm Helds publizistische Tätigkeit während der Märzrevolution, in: Publizistik 5 (1960), S. 476-490. HACHTMANN: Berlin 1848, S. 45. Die Gründung erfolgte im Juli, die Namensgebung im August 1848. Ebd., S. 628-631. Beide Zitate aus Karl GRIEWANK: Friedrich Wilhelm Held und der vulgäre Liberalismus und Radikalismus in Leipzig und Berlin 1842-1849. Auszug aus der Rostocker Inaugural-Dissertation [3 S. gedruckt], Rostock 1922, S. 1. Zu Robert Blum vgl. die Biographie des Griewank-Schülers Siegfried SCHMIDT: Robert Blum. Vom Leipziger Liberalen zum Märtyrer der deutschen Demokratie, Weimar 1971, hier insbes. S. 63-76.

2.4. Demokratisches Engagement in Charlottenburg

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versperrte“ (138). In Griewanks Analyse stand Helds „maßlos aufreizende journalistische Demagogie nicht in Übereinstimmung mit der vernünftig parlamentarischen Zurückhaltung, die er zu betätigen suchte“ (138). Als das „klarste und positivste politische Ziel“ (45) des Publizisten könne er allenfalls die Forderung nach Meinungs- und Oppositionsfreiheit erkennen, die sich zu dem „Schlagwort ‚Öffentlichkeit’“ (46) verdichtete, so Griewank. Ein wichtiger weiterer Punkt in Helds Programmatik sei die soziale Frage, für die Held schnelle Lösungen anbot und diese dem marxistisch geschulten Stephan Born entgegenstellte. Das abschließende Urteil über Held mußte negativ sein: „Sein vulgärer Radikalismus hatte den Zeichen der Zeit nicht in ernster Entwicklung zu folgen vermocht“. (191) Dabei betonte Griewank noch einmal das Kriterium der Parteibildung: „Er hinterließ keine Bewegung, keinen Verehrer, keinen Nachfolger; nirgends geachtet, hatte er seine besseren Gaben seit 1848 vollends charakterlos verkommen lassen; die Zeit aber verlangte politische Organisation, Taktik, Handlung, und nicht die kleinliche Märtyrer- und Beglückungsgeste des Volksschriftstellers von 1843 und des Volksmannes von 1848.“(200)

Griewanks Dissertation berührte viele Bereiche zugleich. Daß Parteiengeschichte Anfang der 1920er Jahre als Teil der Ideengeschichte anzusehen war, wird auch an seiner Arbeit deutlich. Immer wieder spielte jedoch die soziale Rückbindung der Ideen eine zentrale Rolle, auch wenn er diesem Ansatz wegen des biographischen Rahmens methodisch nicht konsequent nachging. Das Auseinandergehen der liberalen und demokratischen Bewegung in Berlin darzustellen, bleibt als originäres Verdienst der Dissertation. Damit lieferten seine Arbeit und der aus ihr hervorgegangene Aufsatz einen wichtigen Beitrag zur stadtgeschichtlichen Berliner Revolutionsforschung. Demokratie und Revolution sollten später wieder zu wichtigen Themen der Griewankschen Geschichtsschreibung werden.181 Die Dissertation weist – bei allen Grenzen und einigen Schwächen – den 22jährigen als einen wissenschaftlichen Analytiker, aber auch als einen politischen Kopf aus. Sie kann als methodisch-innovativer Beitrag zur noch relativ neuen Richtung der Parlamentarismus- und Parteiengeschichte eingestuft werden, ebenso als eine Positionierung im Sinne der parlamentarischen Demokratie.

2.4. DEMOKRATISCHES ENGAGEMENT IN CHARLOTTENBURG – KARL GRIEWANK ALS LOKALREPORTER Im Herbst 1923, so die Erinnerung Christine Griewanks an ihren Sohn Karl, „war dann kein Halten mehr, er [Karl] mußte nach Berlin trotz der schweren Zeit – die Inflation auf ihrem Höhepunkt. Zum Weiterstudieren182 fehlte das Geld, so schlug er sich durch mit allerhand Büroarbeiten und dergleichen und ging am 1. Januar 24 als Lokalredakteur an die ‚Neue Zeit‘. In den ersten Monaten des Jahres 1926 wurde er von dieser Fron erlöst. Durch Empfehlung von Prof. W. Andreas kam er zur ‚Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft‘, wo er des Präsidenten Schmidt-Ott rechte Hand wurde, und in der er eine reiche Tätigkeit entfaltete.“183

Die „Fron“ der Tätigkeit als Lokalreporter war eine Zwischenstation, aber sie bedeutete immerhin die erste feste Anstellung und nach dem Ende der Inflation auch ein gesichertes Einkommen für Karl Griewank. Der Blick auf seine Tätigkeit schärft auch das Bild vom politischen Kopf Griewank, der sich nun zu tagespolitischen Ereignissen äußerte.

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Siehe unten Kapitel 6. Dennoch schrieb er sich – bereits promoviert – als Student an der Berliner Universität ein. Chronik der Familie, S. 11.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

Abbildung 5: Titelblatt der „Neuen Zeit“ am Wahlsonntag, dem 7. Dezember 1924184

Die „Neue Zeit“, eine Charlottenburger Tageszeitung, sprach vor allem ein bürgerliches Publikum an.185 Die Zeitung legte Wert darauf, mit einem besonders breit gefächerten Angebot an Beilagen dem differenzierten Unterhaltungs- und Informationsbedürfnis der Leser Rechnung zu tragen. Das Blatt verfügte „über nicht weniger als sechzehn Textbeilagen [...]. Ferner wurden eine Bilder- und eine bunte Humorbeilage hinzugenommen, so daß unsere Leser auch in dieser Beziehung ihre Befriedigung finden.“186 Während der Mantelteil der Zeitung mit nationaler und internationaler Politik und mit Wirtschaftsnachrichten aufmachte, konnte man in der sogenannten „1. Beilage“ Berliner

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Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 54. Jg., Nr. 303 vom 7.12.1924. Ein einziges Exemplar ist in der Berliner Staatsbibliothek archiviert (Ztg 724 b MR). Für den relevanten Zeitraum liegt nur von Januar bis März 1924 eine Lücke vor. Artikel „Zehn Jahre Großstadt-Zeitung“, in: Die Neue Zeit, 54. Jg., Nr. 268 vom 2. November 1924, 2. Beilage. Vgl. auch die Betonung der Beilagen in der Eigenwerbung: Zeitungskatalog der Annoncen-Expedition Rudolf MOSSE 52 (1926), S. 61 (Anzeigenteil).

2.4. Demokratisches Engagement in Charlottenburg

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Lokalnachrichten lesen. In diesem Teil des Blattes erschienen die Berichte von Karl Griewank.187 Er wurde im Impressum als verantwortlich für „Lokales, Sport und Beilagen“, später für „Lokales und Kommunales“ genannt.188 Zeitweise fiel auch die Volkswirtschaft in sein Aufgabenfeld.189 Eine politische Einordnung der Zeitung fällt nicht schwer: Die „Neue Zeit“ war nicht „überparteilich“190 sondern stand einer Partei – der DDP – ausdrücklich nahe. Sie stand klar auf Seiten der Republik: „Für die deutsche Demokratie“, lautete die Überschrift an einem Wahlsonntag, darunter eine Hand, die ihr Kreuz auf dem Stimmzettel bei der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei, setzte (Abbildung 5). Die DDP besaß selbst keine eigene Parteipresse, konnte jedoch auf eine Reihe von ihr nahe stehenden Zeitungen zurückgreifen. Berlin war eine ausgesprochene „Zeitungsstadt“ mit einem vielfältigen Angebot der Tagespresse.191 Zu den DDP-nahen Tagesblättern Berlins gehörten vor allem auch die bedeutenden Zeitungen der liberalen Großverlage „Ullstein & Co“ und „Rudolf Mosse KG“.192 Die „Neue Zeit“ fällt hier aus dem Rahmen, da sie im Eigenverlag unabhängig von diesen Großbetrieben erschien. Sie hatte ihre Wurzeln in der bis 1920 selbständigen Stadt Charlottenburg, und zu ihrem Profil gehörte ohne Zweifel die lokale Verbundenheit. Explizit warb sie damit, die einzige Tageszeitung Charlottenburgs zu sein.193 Im Juli 1924 erreichte die Neue Zeit eine Auflage von 8000 Exemplaren und setzte zu diesem Zeitpunkt auf eine weitere Expansion.194 In der Publizistik war lange Zeit „das Ansehen des Lokaljournalismus – im Grunde völlig zu Unrecht – sehr gering.“195 Gerade in diesem Bereich besteht der engste Kontakt zum Leser. Die Tageszeitung als ein lokales Kommunikationsmittel, das zu einer wettbewerbsrelevanten Identifikation zwischen Leser und Zeitung vorstoßen mußte, brauchte und braucht einen guten „Heimatteil“.196 Karl Griewanks Aufgabe bestand darin, diesen Bereich abzudecken – eine ohne Zweifel mühsame Tätigkeit. Er schrieb – um nur einige Beispiele zu nennen – über Infrastruktur- und Wohnungsbau-

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Den Anteil Griewanks an der Berichterstattung auszumachen ist schwierig, da nur wenige Artikel durch Namensnennung oder Kürzel wie „Dr. Gr“, „Dr. G.“ oder „Gr.“ eindeutig Karl Griewank zugewiesen werden können. Die meisten Artikel der Zeitung wurden jedoch ohne Verfasserhinweis abgedruckt. Griewanks Name findet sich im Impressum ab dem 18.6.1924. Die Zuständigkeiten, insbesondere für die verschiedenen Beilagen, wechseln. Für den Lokalteil bleibt er jedoch stets Hauptverantwortlicher. Im Herbst 1924 wird er als Redakteur für Volkswirtschaft genannt. Rudolf Stöber spricht von einer Entwicklung „von der Partei- zur Massenpresse“.Etwa die Hälfte der Zeitungen sei den Tendenzzeitungen zuzurechnen. Rudolf STÖBER: Deutsche Pressegeschichte. Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000, S. 202-211, insbes. Schema S. 210. Vgl. Eberhard KOLB: Die Weimarer Republik, München 41998, S. 102. Vgl. ebd., S. 103; Kurt KOSZYK: Geschichte der deutschen Presse, Bd. 3: Deutsche Presse 19141945, Berlin (W) 1972, S. 250-258, insbes. S. 251f. „Es gibt nur eine Charlottenburger Zeitung, die Neue Zeit“, so die Eigenwerbung in: Zeitungskatalog der Annoncen-Expedition Rudolf MOSSE, 58. Ausgabe, Berlin 1932, S. 513 (Anzeigenteil). Hervorhebung im Original. Artikel „Zehn Jahre Großstadt-Zeitung“, in: Die Neue Zeit, 54. Jg., Nr. 268 vom 2. November 1924, 2. Beilage, Sp. 2. Vgl. Emil DOVIFAT: Zeitungslehre, neubearbeitet von Jürgen WILKE, Berlin/New York 61976, Bd. 2, S. 59-70, hier S. 59. Vgl. den Abschnitt „Lokales und Sport“ bei STÖBER, Deutsche Pressegeschichte, S. 190-195.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

probleme197, über ein „Kirchenbauproblem“198, über die Schankkonzession im Freibad199, über aufsehenerregende Prozesse200 und in der Vorweihnachtszeit auch über Kinderspielzeug.201 Er berichtete dabei regelmäßig aus dem Roten Rathaus über die Berliner Stadtverordnetenversammlung. Die Stadt Charlottenburg war mit über 300000 Einwohnern die größte Gemeinde, die im Oktober 1920 im Rahmen der Bildung von „Groß-Berlin“ eingemeindet wurde.202 Charlottenburg gehörte zu den reicheren Teilen Berlins, mit besserer Wohnqualität und einem florierenden Mittelstand. Das Thema „Groß-Berlin“, das bei den ersten Kommunalwahlen 1920 und 1921 noch eine große Rolle in der städtischen Politik spielte, zumal das Votum für die Eingemeindungen sehr knapp ausgefallen war, besaß inzwischen keine Priorität mehr. Anläßlich der 1925 anstehenden Kommunalwahl wies Griewank darauf hin, daß sich selbst „die Deutschnationalen, die noch vor vier Jahren als Bannerträger des Gemeindepartikularismus von sich reden machten,“ nun „mit der Existenz der Einheitsgemeinde“ abgefunden „und stillschweigend vor den Befürwortern der Einheitsgemeinde der sogenannten Weimarer Koalition, das Feld geräumt“ hätten.203 Diese Weimarer Koalition wurde von der „Neuen Zeit“ allgemein und insbesondere von Karl Griewank explizit gestützt. Eine Regierungsbeteiligung der SPD galt ausdrücklich als erwünscht.204 Die Zeitung sprach sich 1924 gegen einen „Bürgerblock“ aus, bekämpft die Dolchstoßlegende und empörte sich über den Magdeburger Prozeß gegen Friedrich Ebert.205 Aber auch Stresemanns Außenpolitik erscheint in einem guten Licht und die von der DVP geschaltete Wahlwerbung zeigt, daß auch diese Partei unter den Lesern Anhänger zu finden suchte.206 Die Bewertung Friedrich Eberts und der Sozialdemokratie sind wichtige Beispiele für die Position der Zeitung innerhalb des liberalen Spektrums. Der Tod des Reichspräsidenten fiel in die Zeit der Tätigkeit

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Dr. G.: Die Wiederbelebung des Baumarktes. Starke Zunahme der Neubauten. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Vermehrter Wohnungsbau. Die Wohnungsämter verschwinden, der Mieterschutz bleibt, in: Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 55. Jg., Nr. 48 vom 17.2.1925, 1. Beilage; Gr.: Die Riesensporthalle für den Norden. Europas größtes Hallenschwimmbad. Eine neue Kunst-Eisbahn vom Oktober bis April, in: ebd., Nr. 315 vom 15.11.1925, 1. Beilage. Dr. G.: Ein modernes Kirchenbauproblem. Der Neubau der Gustav-Adolf-Kirche in Charlottenburg, in: ebd., Nr. 49 vom 18.2.1925, 1. Beilage. Dr. G.: Neue Aufwertungsdebatte im Rathaus. Neue Stadtratskämpfe. Die Schankkonzession im Freibad, in: ebd., Nr. 72 vom 13.3.1925, 1. Beilage. Vgl. beispielsweise: Art. „Die Mumie auf dem Dachboden. 3 ½ Jahr Gefängnis für Dr. Schreiber“, in: ebd., Nr. 290 vom 20.10.1925, 1. Beilage; Dr. G.: Hellseher als Kriminalisten. Aufklärung des Falles Schnapel? Folgen des Bernburger Prozesses, in: ebd., 55. Jg., Nr. 301 vom 1.11.1925, 1. Beilage. Dr. Karl Griewank: Altes und neues Spielzeug. Technik und Kunst, in: ebd., Nr. 93 vom 13.12.1925, 1. Beilage. Vgl. Henning KÖHLER: Berlin in der Weimarer Republik (1918-1932), in: Wolfgang RIBBE (Hg.): Geschichte Berlins, Bd. 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, München 1987, S. 795-923, hier S. 814-824. Dr. Gr.: Zur Stadtverordnetenwahl, in: Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 55. Jg., Nr. 295 vom 25.10.1925, 1. Beilage. Vgl. den Leitartikel „Die S.P.D. regierungsbereit“, in: ebd., 54. Jg., Nr. 310 vom 14.12.1924. Es kam freilich nicht zu einer Regierung unter Einbeziehung der SPD, sondern zur Bürgerblock-Regierung des Kabinetts Luther. Über den Prozeß wurde täglich mit deutlicher Parteinahme für Ebert berichtet. Als Beispiel, in dem auch auf die Meinung von Historikern wie Friedrich Meinecke und Willy Andreas verwiesen wird, vgl. Art. „Einheitsfront für Ebert“, in: ebd., 54. Jg., Nr. 325 vom 30. 12.1924, S. 2, Spalte 4. Trotz des deutlichen Aufforderung der Redaktion, die DDP zu wählen, wirbt die DVP mit großen Anzeigen, z.B. in: ebd., Nr. 105 vom 2.5.1924.

2.4. Demokratisches Engagement in Charlottenburg

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Griewanks und beherrschte einige Tage die Berichterstattung.207 Im Politik- und Lokalteil wurde detailliert über die Ursachen, die letzten Stunden und die Trauerkundgebungen berichtet und an Eberts politische Verdienste erinnert. Bald hatte auch Karl Griewank als Parlamentsbeobachter aus dem Roten Rathaus über die Würdigung des Verstorbenen zu berichten, als es um die Umbenennung von Straßen in eine „FriedrichEbert-Straße“ ging.208 Diese gegen die Stimmen der KPD und der DNVP vorgenommene Unbenennung kommentiert er mit deutlicher Kritik an Kommunisten und Deutschnationalen.209 Griewanks Tätigkeit als Lokalredakteur fällt in die Zeit der relativen Stabilität der Weimarer Republik bzw. der „trügerischen Stabilisierung“210 der Republik, und sie fällt damit auch in die Zeit des städtischen Baubooms, in der vieles machbar erschien. Auch Karl Griewank zeigte sich euphorisch, als er über die neue Bauordnung berichtete: „Wenn alles in Groß-Berlin vorhandene Bauland nach den Vorschriften dieser Bauordnung bebaut würde, so könnte die Bevölkerung Berlins noch um etwa 8 Millionen, also auf etwa 12 Millionen anwachsen.“211 Die Kommunalpolitik dieser Zeit war in der Hauptstadt geprägt von der „Ära Böß“.212 Berlin galt zwar traditionell als Hochburg der Arbeiterparteien. Als sich bei den Kommunalwahlen 1921 eine knappe Mehrheit der nichtsozialistischen Parteien ergeben hatte, konnte der aus Gießen stammende Demokrat Gustav Böß – mit dem Nimbus des Verwaltungsfachmanns – dennoch die die Republik tragenden Parteien einschließlich der SPD hinter sich vereinen. Er betrieb in der Folge eine durchaus erfolgreiche Politik, die sich auf die „Etatmehrheit“ von SPD, DDP, Zentrum und DVP stützte.213 Am 25. Oktober 1925 stand nun die reguläre Neuwahl der Stadtverordnetenversammlung an, und die Berliner wurden erneut nach den beiden Wahlen zum Reichstag des Vorjahres und der des Reichspräsidenten zur Wahlurne gerufen.214 Die jetzt

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Reichspräsident Ebert †, in: ebd., 55. Jg., Nr. 60 vom 1.3.1925. Es folgen jeden Tag großflächige mehrseitige Berichte: 3.3.1925 „Die Trauerfeierlichkeiten“, 4.3.1925 „Der Trauertag des deutschen Volkes“, 5.3.1925 „Friedrich Eberts letzte Fahrt“, 6.3.1925 „Die Beisetzung des Reichspräsidenten“. Dr. G: Beschluß über die Friedrich-Ebert-Straße: Budapester- und Sommerstraße, in: Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 55. Jg., Nr. 93 vom 3.4.1925, 1. Beilage. Die Deutschnationalen hielten Ebert einer Straßenbenennung für unwürdig. Die Kommunisten provozierten durch die Aussage, man solle am besten für eine Friedrich-Ebert-Straße solche Straßenzüge auswählen, an denen die Unruhen des Januar 1919 stattgefunden hatten, um an Eberts Verrat an der Revolution zu erinnern. Vgl. PEUKERT, Weimarer Republik, S. 191-242. Dr. Gr.: Berlin, die Zwölfmillionenstadt. Die neue Bauordnung, in: Die Neue Zeit, BerlinCharlottenburg, 55. Jg., Nr. 308 vom 8.11.1925, 1. Beilage. Vgl. auch Dr. G.: Die Wiederbelebung des Baumarktes. Starke Zunahme der Neubauten. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Vermehrter Wohnungsbau. Die Wohnungsämter verschwinden, der Mieterschutz bleibt, in: ebd., Nr. 48 vom 17.2.1925, 1. Beilage. Vgl. Christian ENGELI: Gustav Böß. Oberbürgermeister von Berlin 1921-1930, Stuttgart [u.a.] 1971. Vgl. auch das Hauptkapitel „Politik und Verwaltung: Die Ära Böß“ bei KÖHLER: Berlin in der Weimarer Republik, S. 825-875. Diese Bezeichnung hatte sich eingebürgert, weil auf kommunaler Ebene keine festen Koalitionen üblich waren und das Zusammenwirken der Parteien bei der Verabschiedung des Etats und „der Realisierung bestimmter Projekte“ von Bedeutung war. Vgl. ebd., S. 845-857, Zitat: S. 850. Die vergangenen Wahlen hatten zwar bestätigt, daß Berlin eine linke Hochburg war. Gerade die Reichspräsidentenwahl hatte jedoch auch gezeigt, daß Berlin vor allem ein Garant für die demokratische Koalitionsbildungen war. So vereinigte der rheinische Katholik Wilhelm Marx im protestantisch geprägten Berlin mit 52,6 % eine satte Mehrheit der Berliner hinter sich, die in den roten Hochburgen Neukölln (58,5 %), Prenzlauer Berg (58,0 %) und Friedrichshain (57,5 %) sogar noch

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2. Ein Demokrat aus Bützow

anstehende kommunale Abstimmung stand auch unter dem Eindruck der großen außenpolitischen Ereignisse, fand sie doch genau zwischen der Locarno-Konferenz und der Reichstagsdebatte über die dort beschlossenen Verträge statt.215 Am Wahltag wurde der Austritt der DNVP-Mitglieder aus der Reichsregierung bekannt gegeben. Karl Griewank wies in einem langen Artikel am Wahlsonntag darauf hin, daß es zwar berechtigt sei, „auch zur Stadtverordnetenwahl die Parteien nach ihrer Politik im Reiche und im preußischen Staate zu charakterisieren“, man sich aber klar machen müsse, „worum es bei dieser Wahl im eigentlichen Sinne geht“, weshalb er die wichtigsten kommunalpolitischen Themen kommentierte.216 Er lobte dabei die Arbeit der städtischen Monopolbetriebe für Verkehr und Elektrizität, bei der „privatwirtschaftliche Initiative und Umsicht mit gemeinwirtschaftlichen Weitblick und Gemeinsinn“ verbunden worden sei. Die „auf demokratischen Antrag“ erfolgte „Herabsetzung der Gewerbesteuerzuschläge“ wurde betont. Auch die Schulpolitik sprach Griewank an – ein echtes Problem für die Kommune, denn die Stelle des städtischen Schulrats war seit der umstrittenen Absetzung des engagierten Reformers Friedrich Paulsen unbesetzt geblieben.217 Griewank warnte die Wähler vor der „Gefahr eines reaktionär-kirchlichfortschrittsfeindlichen Schulregiments“, die „akut [werde], wenn es den rechts von den Demokraten stehenden Parteien gelingen sollte, eine Mehrheit zu erlangen.“ Der Artikel endet mit einem deutlichen Schlußappell: „Deutschnationale und Wirtschaftspartei haben sich stets besonders hervorgetan, wenn es galt, der Weiterentwicklung Berlins Steine in den Weg zu legen. Sie haben ihre angebliche Mittelstandsfreundlichkeit damit schlecht genug bewährt. Sie haben wiederholt den Bemühungen des Magistrats um die Hebung des Fremdenverkehrs ihre Zustimmung versagt. Deutschnationale und Volkspartei werden stets in Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik privater Willkür einen möglichst weiten Spielraum zulassen. Auf der anderen Seite könnte eine gemeinsame Mehrheit von Sozialdemokraten und Kommunisten, da die bisherigen kommunistischen Stimmführer218 fast ausnahmslos zugunsten gemäßigterer Elemente abgesägt worden sind, die Gefahr einer radikalen sozialistischkommunistischen Mehrheit nach sich ziehen. Nur eine starke demokratische Mitte wird eine gesunde und fortschrittliche Weiterentwicklung des Gemeinwesens Groß-Berlins zum Wohle der Bevölkerung und des deutschen Volkes gewährleisten können.“219

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deutlicher ausfiel. Der kommunistische Kandidat Thälmann erhielt in Berlin im ersten Wahlgang 13,9% und im zweiten Wahlgang 10,4% der Stimmen. Vgl. ebd., S. 847-849. Über Locarno wurde in der Neuen Zeit positiv berichtet. Am 20.10.1925 druckt die Zeitung den Vertragstext im Wortlaut ab und diskutiert über mehrere Seiten hinweg das Ergebnis. Vgl. vor allem den Kommentar des Herausgebers der Zeitung Friedrich Vetter: Deutschlands großer Erfolg. Die Bedeutsamkeit des Vertrags von Locarno, in: Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 55. Jg., Nr. 290 vom 20.10.1925, S. 5. Dr. Gr.: Zur Stadtverordnetenwahl, in: ebd., Nr. 295 vom 25.10.1925, 1. Beilage. Hier auch die folgenden Zitate. Der aus der USPD stammende Paulsen hatte „die Berliner Schulen in den zwanziger Jahren zum Experimentierfeld“ für Schulreformen entwickelt, was jedoch auf den vehementen Widerstand stieß. Er wurde unter dem Vorwand der Verkleinerung des Stadtrats aus Spargründen abgesetzt. Vgl. KÖHLER: Berlin in der Weimarer Republik, S. 846, Zitat: ebd. Vgl. auch ENGELI: Böß, S. 70-75. Bei den Kommunisten nahm man einen Taktikwechsel vor. Eine neue „Einheitsfronttaktik beherrschte bis etwa Mitte 1928 den politischen Kurs der KPD“ in Berlin. Diese wurde verbunden mit scharfen rhetorischen Angriffen der KPD gegen die SPD, der der Verrat der Arbeiterinteressen vorgeworfen wurde, wenn sie sich den Anträgen der Kommunisten entgegenstellten. Marie-Luise EHLS: Protest und Propaganda. Demonstrationen in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik, Berlin/New York 1997, S. 277. Dr. Gr.: Zur Stadtverordnetenwahl, in: Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 55. Jg., Nr. 295 vom 25.10.1925, 1. Beilage. Hervorhebung im Original durch Sperrung.

2.4. Demokratisches Engagement in Charlottenburg

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Bei der Wahl erhielten die Arbeiterparteien eine rechnerisch mögliche Mehrheit, letztlich blieb es jedoch bei der „Etatkoalition“ von SPD, DDP, Zentrum und DVP.220 Direkt nach der Wahl kommentierte Karl Griewank die Koalitionsfrage: „Es ist wohl anzunehmen, daß der jetzige Magistrat versuchen wird, sich wie bisher auf wechselnde Mehrheiten zu stützen. Die bürgerlichen Mittelparteien aber müssen es als ihre Aufgabe erkennen, eine dauerhafte Mehrheit durch Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten zu schaffen.“221 Der Artikel ist zudem gespickt mit interessanten Zuschreibungen, mit denen Griewank diejenigen Stadtverordneten charakterisiert, die wiedergewählt worden sind. Die sechs Abgeordneten der DDP seien „bewährt“, „geistvoll“, „ehrwürdig“, „besonnen“ und „erfahren“ oder „eine lebendige Verkörperung der besten Traditionen des Berliner Kommunalfreisinns“. Die DNVP-Parlamentarier wurden als „radaulustig“ und „Meister juristischer Spitzfindigkeiten und anmaßender Spötterei“ bezeichnet. Positiv beurteilt werden interessanterweise die Abgeordneten des Zentrums und der SPD, während Griewank über die neuen kommunistischen Abgeordneten wenig aussagen kann. Einen zeitungsinternen Höhepunkt hatte seine Tätigkeit im Juli 1925, als Griewank mit zwei umfangreichen Kommentaren zur Außen- und Wirtschaftpolitik auf der Titelseite des Mantelteils Platz fand. Wohlwollend beurteilte er eine außenpolitische Stellungnahme der deutschen Regierung, die während der Räumung des Ruhrgebiets auf eine weitergehende Verständigung setzte. Griewank betonte im einzelnen das diplomatische Geschick der Erklärung und stellte die Perspektive eines Eintritts Deutschlands in den Völkerbund als „wesentlichen Fortschritt“ besonders heraus.222 Weniger positiv kommentierte er die Zollpolitik der Regierung Luther, der er „Systemlosigkeit“ und Ignoranz gegenüber „ausgiebig angestellten wissenschaftlichen Untersuchungen“ vorwarf.223 Hier präsentiert sich Griewank als Liberaler, plädiert für die Abschaffung von Ausnahmeregelungen und Rücksichtnahmen – insbesondere auf die Landwirtschaft. Es ging ihm um die volkswirtschaftliche Gesamtlage. „Denn Wirtschaftspolitik soll die Volkswirtschaft als Ganzes fördern und den Einzelnen bestenfalls dazu erziehen, in ihrem Rahmen wertvoll zu werden; sie soll aber nicht sich an die Wünsche dieser Einzelnen anklammern und den Gesamtorganismus der Wirtschaft dabei aus dem Auge verlieren.“224 In seiner Tätigkeit bei der „Neuen Zeit“ sah sich Griewank auch Angriffen ausgesetzt. Die „Interessengemeinschaft der Besitzer von Vorkriegsgeld“ attackierte ihn scharf und drohte mit Anzeige.225 Griewank reagierte mit völliger Nichtbeachtung, hob sich jedoch den Briefwechsel auf. Im Nachlaß befindet sich auch eine undatierte und unadressierte Notiz, die offensichtlich als Entwurf für eine Bewerbung bei einer anderen Zeitung diente.226 Darin formulierte Griewank den „Wunsch [...], an einer größeren Z[ei]t[un]g“ zu arbeiten.

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KÖHLER: Berlin in der Weimarer Republik, S. 849. Dr. Gr.: Das neue Stadtparlament, in: Ebd., 55. Jg., Nr. 297 vom 27.10.1925, 1. Beilage. Hervorhebung im Original durch Sperrung. Dort auch die folgenden Zitate. Dr. Gr.: Die deutsche Antwortnote. Die Bedeutung der Note, in: ebd., Nr. 200 vom 22.7.1925, S. 1f. Karl GRIEWANK: Zolltarif und Zollkompromiß, in: Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 55. Jg., Nr. 202 vom 24.7.1925, S. 1f. Ebd., S. 2, Schlußsatz. Interessengemeinschaft der Besitzer von Vorkriegsgeld an Karl Griewank (Redaktion Neue Zeit), 28.2.1925, in: NL Griewank, Karton 27, Mappe 2. Der Brief bezieht sich auf den Artikel „Aufwertungsdemagogen an der Arbeit. Versprechen Geldeinlösung der ‚Vorkriegsnoten’ – Erst muß man Mitgliedsbeitrag zahlen. Eine Broschüre für eine Mark“, in: Die Neue Zeit, Berlin-Charlottenburg, 55. Jg., Nr. 57 vom 26.2.1925. NL Griewank, Karton 27, Mappe 1.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

„Entw[eder] Politik wobei insbes. Nachrichtenredaktion“ ihn interessiere, heißt es dort.227 Zu einer journalistischen Karriere kam es jedoch nicht. Auch gelang es Griewank zunächst nicht, die wissenschaftliche Laufbahn wiederaufzunehmen. Die journalistische Tätigkeit Karl Griewanks mag zwar nur als eine Zwischenetappe seines Lebens erscheinen, doch sie zeigt ihn als einen politisch denkenden jungen Mann. Auch wenn man berücksichtigen muß, daß er im vorgegebenen Deutungsmuster der Zeitung und für ein bürgerliches Leserpublikum schrieb, so setzte er doch eigene Akzente innerhalb dieses Spektrums, indem er für die Verständigung der Demokraten unter Einschluß der SPD eintrat und Distanz zu Deutschnationalen und Kommunisten klarstellte. Diese Position greift er in den 1950er Jahren wieder auf, insbesondere in seinem zeitgeschichtlichen Beitrag „Dr. Wirth und die Krisen der Weimarer Republik“228, in welchem er jene Krisen analysierte, die er selbst miterlebte. Während seiner Tätigkeit bei der Neuen Zeit mag ihm zudem die Bedeutung der Kommunalpolitik klar geworden sein, deren historische Erforschung er im Sinn hatte. So formulierte er nach 1945 Pläne229, die Geschichte der kommunalen Demokratie zu untersuchen, die 1946 zur Veröffentlichung zweier Artikel in der „Täglichen Rundschau“230 und zur Vergabe verschiedener Abschlußarbeiten führten.231 2.5. „IN SEINER ART WAR ER ZURÜCKHALTEND UND […] VERSCHWIEGEN“ – DER PRIVATMANN Rück- und Wechselwirkungen zwischen dem privaten und beruflichen Bereich bestimmen einen Lebensweg. Über den Privatmann Karl Griewank ist jedoch wenig bekannt. In diesem Kapitel wird das Wenige – auch aus verschiedenen Lebensabschnitten – zusammengetragen, auch wenn dabei die Chronologie verlassen wird. Griewank selbst hat sich nicht leicht geöffnet und sich etwa über private Probleme und deren Rückwirkungen auf seine Arbeit geäußert. Arnold Fratzscher, sein Cousin, schrieb dazu: „In seiner Art war er zurückhaltend und im Grunde sehr verschwiegen. Vater und Großvater Griewank besaßen diese Eigenschaft noch viel stärker. Im übrigens war er auch – das ist Ihnen ja bekannt – ein unermüdlicher Arbeiter. Meine Kusine hat oft darüber geklagt, daß er so wenig Zeit für sie hatte und in den Zeiten, da er in der Forschungsgemeinschaft war, sich immer sofort an den Schreibtisch setzte, sobald er nach Hause gekommen war.“232

Offensichtlich war Griewank nicht von besonderem Geltungsdrang befallen. Anders als sein Jenaer Vorgänger Alexander Cartellieri, der sein Tagebuch an die „unbestechliche Nachwelt“233 adressierte, legte er keinen Wert auf autobiographische Notizen und starb zudem zu früh, um im Alter noch einmal einen Rückblick auf sein Leben zu verfassen.

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Notiz, undat., in: NL Griewank, Karton 15, Mappe „Eigene Kleinere Arbeiten“. Siehe ausführlich unten Kapitel 6.1.1. Sowohl in der innerhalb der „Sektion Geschichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin“ als auch in der „Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften“ schlug er die Thematik Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert als Projektbereiche vor. Karl GRIEWANK: Land- und Kreistage in der geschichtlichen Entwicklung, in: Tägliche Rundschau, Nr. 233/430 vom 6.10.1946. Gemeinde, Reich und Selbstverwaltung in neuerer Zeit, in: ebd. Nr. 185/13 vom 11.8.1946, S. 3. Auch in NL Griewank, Karton 27. Eine der letzten Abschlußarbeiten (von Irmtraut Schmid, geb. Förster), die Griewank betreute behandelte ein Thema der Kommunalpolitik des 19. Jahrhunderts. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811. STEINBACH: Des Königs Biograph, S. 23-26, hier S. 25.

2.5. „In seiner Art war er zurückhaltend und […] verschwiegen“

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Hier kann deshalb aus Quellengründen lediglich auf einige wichtige Punkte abseits des Berufslebens hingewiesen werden. 2.5.1. Ehefrau mit internationalem Familienhintergrund – Magdalene Griewank Die Bedeutung des Partners für den Lebenslauf gilt es zu betonen. Die „gender roles“ und ihre Auswirkungen auf die habituelle Disposition des „Helden“, die Existenz und Handlungen des Partners oder die Partnerin beeinflussen direkt oder indirekt den Lebensweg.234 Über Magdalene Griewank kann man nur schwer etwas erfahren. Sie taucht lediglich hin und wieder als Helferin ihres Mannes auf. Die Edition der Briefe der Königin Luise „hoffe ich mit Hilfe meiner Frau einigermaßen nebenbei erledigen zu können“235, meinte ihr Mann 1942 und für seine Arbeiten bei der Akademie der Wissenschaften wurde Magdalene in der Nachkriegeszeit sogar offiziell als „wissenschaftliche Hilfsarbeiterin“ herangezogen.236

Abbildung 6: Magdalena und Karl Griewank237

Für Studierende war die Begegnung mit der Frau des Professors zwar ein eher seltenes Ereignis, weshalb auch die Gesprächspartner im Grunde wenig zur Persönlichkeit Magdalene Griewanks sagen konnten. Allerdings bildeten sich viele aus den wenigen Begegnungen eine Meinung, die in Erinnerung blieb. Das scheint daran zu liegen, daß das Paar eher ungewöhnlich wirkte. Magdalene Griewank war etwa fünf Jahre älter als ihr Mann. Auch wenn sie etwa gleichgroß waren, wirkte sie neben dem schmächtigen, nur 1,67 Meter238 großen Karl eher kräftig. Frau Griewank sei „ein vierschrötiger Typ“ 234

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Als Beispiel sei nur auf Fritz Habers Reaktion auf seine Scheidung verwiesen, die dieser wie eine Niederlage empfand. Vgl. SZÖLLÖSI-JANZE: Haber, S. 606-611. Griewank an Willy Andreas, 8.5.1942, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845. Aktennotiz 24.5.1946, in: ABBAW Best. AKL Personalia, Nr. 657 Wissenschaftliche Mitarbeiter. Foto undat.; PrA Griewank. Amtsärztliches Zeugnis, 8.1.1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 22.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

mit roten Wangen, Brille und streng zurückgekämmten Haaren gewesen, die eher eine gewisse Kühle ausstrahlte, erinnert sich Gertraud Sperka, geb. Krause, die als studentische Hilfskraft eingestellt war, bevor das Seminar eine Sekretärin hatte und deshalb Griewank auch an seinem heimischen Schreibtisch aufsuchen mußte. Er habe wohl eine Mutterperson gesucht, vermutet sie weiter.239 Marianne Hahn erinnert sich, daß Griewank „augenscheinlich in praktischen Dingen von seiner Frau bestimmt“240 gewesen sei. Magdalene Griewank wurde bereits zu Beginn dieser Arbeit als tapfere Hinterbliebene vorgestellt, die erstaunlich gefaßt auf den Suizid reagierte. Theodor Griewank kommentierte, daß seine Schwägerin „eine kühlere Natur ist und als Anthroposophin ihre furchtbare Lage bisher leidlich durchgestanden hat“, jedoch auch sie „schwer heimgesucht worden sei“ durch den Selbstmord ihres Mannes.241 Die am 1. September 1895 geborene Magdalene Pick stammte aus Berlin. Ihre Mutter Karoline Roemer wurde 1863 im französischen Poitiers geboren als Tochter eines aus Zweibrücken stammenden Lehrers. Da Griewanks Mutter eine Französischlehrerin aus dem Elsaß war, fällt diese erneute Verbindung zu Frankreich und zum deutschfranzösischen Grenzgebiet ins Auge. Insgesamt kann man jedoch von einer weltweit verzweigten Bürgerfamilie sprechen. Magdalenes Großmutter, Dorothea Emilie Hilgard (1834-1914), war zudem die Schwester des Hambach-Teilnehmers Theodor Hilgard, der den Pauperismus im Vormärz anprangerte und schließlich in die USA auswanderte.242 Dessen Neffe Heinrich Hilgard suchte gleichfalls sein Glück in den USA, fand es als Henry Villard im Eisenbahngeschäft und wurde Präsident der Northern Pacific Railroad.243 Magdalenes Vater war bereits verstorben, als sie Karl Griewank kennenlernte, sie lebte mit ihrer Mutter und der Schwester Margarete, einer Lehrerin, in BerlinFriedrichshagen. Wie Karl Griewank berichtete, hatte seine spätere Frau ebenfalls studiert, allerdings keinen Abschluß erworben. „Meine Frau ist mir von der Berliner Universität bekannt; sie hat einige Semester studiert und auch bei Marcks und Hartung Historie getrieben.“244 Die Verlobung wurde Anfang Juni 1926 bekanntgegeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte Griewank gerade seine Stellung als Referent der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ angetreten. Die Heirat fand am 2. Juli 1927 in Berlin-Friedrichshagen statt.245 Dorthin, an den Müggelsee im äußersten Osten Berlins, zog das junge Paar dann auch. Im Jahr 1939 suchten sie sich ein Haus mit Garten im gutbürgerlichen Lichterfelde-West.246 Mit der Eheschließung und der beruflichen Sicherheit trat für Karl Grie-

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Mdl. Information Gertraud Sperka, 20.9.1999. Schr. Information Marianne Hahn, März 1999. Theodor Griewank an Willy Andreas, 22.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Theodor HILGARD: Zwölf Paragraphen über Pauperismus und die Mittel, ihn zu steuern, Heidelberg 1847; Roland PAUL: Theodor Erasmus Hilgard. Ein „Hambacher“ und „Lateinischer Bauer“, in: DERS./Karl SCHERER (Hg.): Pfälzer in Amerika/Palatines in America, Kaiserslautern 1995, S. 191195. Vgl. die Autobiographie Henry VILLARD: Lebenserinnerungen von Heinrich Hilgard-Villard. Ein Bürger zweier Welten 1835-1900, Berlin 1906. Karl Griewank an Willy Andreas, 4.9.1927, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Die nachfolgenden Informationen aus: „Nachweis für die Abstammung der Ehefrau“ (zum Antrag Reichskulturkammer), 17.8.1938, in: BA Berlin, BDC, RKK-Akte Griewank, Karl, unpag. und „Anzeige über Verheiratung“ (zum Antrag Habilitation), 13.1.1942, UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 18. Die Adressen lauteten Berlin-Friedrichshagen, Yorckstr. 9 (bis 1934), Müggelseedamm 260 (19341939), Berlin-Lichterfelde-West, Kommandantenstr. 18 (1939-1947); Personalfragebogen Land Thüringen, 20.3.1950, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 45.

2.5. „In seiner Art war er zurückhaltend und […] verschwiegen“

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wank eine Konsolidierungsphase ein. Das junge Paar unternahm Reisen, unter anderem nach Frankreich, Österreich und Italien.247 Bereits zur Vermählung berichtete Karl Griewank: „Wir haben eine hübsche Hochzeitsreise gemacht und waren im Allgäu, am Bodensee und schließlich bei meinen Verwandten im Elsaß“.248 Während des Krieges arbeitete Magdalene Griewank als „Wissenschaftl. Hilfsarbeiterin beim Bevollmächtigten für Krebsforschung, Berlin“, nach dem 1. Mai 1945 als „Helferin beim Roten Kreuz“.249 Ansonsten gab Karl als Beruf seiner Frau stets „Ehefrau“ an, als erlernten Beruf nannte er mal: „Büro“250, dann: „keiner“.251 Die Ehe blieb kinderlos. „Nie habe ich den Blick vergessen mit dem der Kinderlose meinen noch recht unsicher an der Hand laufenden Erstgeborenen betrachtete, als wir uns einmal zufällig in der Nähe seiner Wohnung trafen. Ich las viel Wehmut in seinen Augen“252, erinnert sich Rudolf Ludloff. Das gemeinsame Leben des Paares war somit stark auf Karls Tätigkeit ausgerichtet, dessen Fixierung auf die Arbeit im Eingangszitat dieses Abschnitts ja bereits zum Ausdruck kam. Es entwickelten sich auch Freundschaften der Griewanks zu anderen Paaren, auch zu anderen Professorenehepaaren.253 Auch nach Karls Tod besuchte Magdalene Griewank diese Treffen und lud immer wieder Gäste ein. Magdalene Griewank lebte noch bis zu ihrem Tod am 8. Juli 1976 in Jena.254

2.5.2. Eine „tiefe Religiosität, die er sonst gern verbarg“ – Fragen von Kirche und Glauben Über seine christliche Grundüberzeugung sprach Griewank selten. In seinen Arbeiten betonte er zwar hin und wieder die Rolle von Kirche und Religion, jedoch machte eine persönliche Einstellung nicht zum Ausgangspunkt seiner historischen Lehr- und Forschungstätigkeit. Der Bruder Theodor Griewank, selbst Pfarrer, faßte seinen Eindruck nach der Beisetzung in Jena zusammen: „Dabei war er [Karl Griewank] einer der wenigen nichttheologischen Professoren, die sich offen zur Kirche bekannten. Mehrfach sprach er in der evangel. Akademie in Illsenburg, im Sommer noch auf der Lutherakadmie in Eisenach, auch in der Studentengemeinde. Am 18. Oktober besuchte er noch den Universitätsgottesdienst und empfing dort das hl. Abendmahl. Als der praktische Professor [d.h. Professor für Praktische Theologie] Hert[z]sch ihn auf dem Heimweg fragte, ob er nicht einmal Lektordienst übernehmen wolle, sagte er dies freudig zu für den 1. November ... obwohl Professoren dies nur ausnahmsweise tun. Professor Hert[z]sch berichtete dies selbst in seiner Traueransprache.“255

Hinzufügen kann man noch Griewanks aktive Beteiligung am Aufbau einer Evangelischen Akademie für Thüringen.256 Griewank arbeitete an ambitionierten konzeptionellen Plänen zusammen mit dem Pfarrer Hans Waldmann, den Philosophen Hans

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Ebd., Bl. 46v. Karl Griewank an Willy Andreas, 4.9.1927, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Personalfragebogen Stadt Berlin, 1945, in: NL Griewank, Karton 1, Mappe 1 „Persönliches“. Personalfragebogen Land Thüringen, 20.3.1950, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 45. Personalfragebogen, 11.6..1952, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 57. Schr. Information Rudolf Ludloff, 5.6.2000. Siehe unten Kapitel 5.3.3. Sterbeurkunde Standesamt Jena Nr. 860/1976, in: PrA Griewank. Rundbrief Theodor Griewank, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Auslassungszeichen im Original. Vgl. Martha FRIEDENTHAL-HAASE: Evangelische Akademien in der DDR. Einleitung zu diesem Heft, in: Bildung und Erziehung 56 (2003), S. 255-262; Susanne BÖHM: Person und Institution in einer kirchlichen Bildungsstätte, in: ebd., S. 307-328.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

Leisegang und Gottfried Martin und den Theologen Gerhard Gloege und Erich Hertzsch zusammen.257 Eine besondere Rolle spielte der christliche Glaube für Griewank in der Zeit des Nationalsozialismus. Bereits mit der Gründung 1934 schloß er sich der Bekennenden Kirche an. Er trat jedoch nie so aktiv hervor, als daß es für ihn persönlich oder beruflich deswegen zu Konflikten kam. Er wurde auch in der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ nicht in dieser Frage behelligt, es fiel allenfalls auf, daß er für Theologen ein offener Ansprechpartner war.258 Schwierigkeiten entstanden jedoch für Griewanks Familie, vor allem für seine Mutter in Bützow und seinen Schwager Dieter Glüer, der als Pfarrer in Ostpreußen tätig war. Dessen Bruder Otto Glüer259, ebenfalls Pfarrer, hatte an der ersten Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche in Barmen teilgenommen und dort „über Ostpreußen und seine kirchliche Not“ vorgetragen.260 Er war also an relativ prominenter Stelle innerhalb der Bekenntniskirche aktiv. 1935 verbrachte Otto Glüer acht Monate in politischer Gefängnishaft, wurde danach aus Ostpreußen ausgewiesen und zur Aufgabe der Pfarrstelle aufgefordert.261 Er weigerte sich zunächst, dieser Anordnung nachzukommen und konnte erst im Mai 1937 zur Ausreise gezwungen werden. Er stand von 1937 bis 1940 auf den Fürbittenlisten der Bekennenden Kirche, durch die diese auf ihre verfolgten Glaubensbrüder aufmerksam machte.262 Ottos Bruder Dieter Glüer wurde bei seiner Tätigkeit als Pfarrer im Zuge des Kirchenkampfes mit Repressalien belegt und 1937 für drei Wochen verhaftet. Bei der in den zahlreichen Fragebögen der Nachkriegszeit üblichen Frage: „Sind Sie oder Ihre nächsten Angehörigen wegen Ihrer politischen Einstellung verfolgt, gemaßregelt, bestraft worden?“, konnte Griewank auf seinen Schwager verweisen.263 Da die Besatzungsbehörden durchaus auf diese Frage achteten, war die Tatsache auch für Karl Griewank selbst wichtig. In Griewanks Heimatstadt Bützow spitzte sich die Situation ebenfalls zu, nachdem der dortige Pfarrer sich zu den nationalsozialistischen „Deutschen Christen“ bekannte und die Anhänger der „Bekennenden Kirche“ aus dem Gotteshaus ausschloß. Daraufhin traf sich eine bekenntnistreue Opposition in Griewanks Elternhaus, dem „Alten Doktorhaus“.264 Christine Griewanks Engagement ging also über bloße Teilnahme und Mitgliedschaft hinaus. Bei seinen Besuchen in Bützow nahm Karl Griewank an den Gottesdiensten und Versammlungen der Bützower Bekennenden Kirche teil, wie er auch seine Mutter vor allem im Umgang mit den Behörden unterstützte.265

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Hierzu konkret Susanne BÖHM: Die ersten zehn Jahre der Evangelischen Akademie Thüringen, in: Thomas A. SEIDEL (Hg.): Thüringer Gratwanderungen. Beiträge zur fünfundsiebzigjährigen Geschichte der evangelischen Landeskirche Thüringens, Leipzig 1998, S. 189-208, hier S. 192f. Siehe am Beispiel der Gleichschaltung des Archivs für Religionswissenschaften unten S. 115 mit Anm. 195. Otto Glüer, geb. 8.3.1904, war seit 1933 Pfarrer in Groß Schmückwalde, Osterode Kreis Ostpreußen; Gerhard NIEMÖLLER (Hg.): Die erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Barmen, Göttingen 1959, Bd. 2, S. 13, 18f. Ebd., Bd. 1, S. 79. Ebd., Bd. 2, S. 18f. Gertraud GRÜNZINGER/Felix WALTER (Hg:): Fürbitte. Die Listen der Bekennenden Kirche 19351944, Göttingen 1996, hier S. 53. Otto Glüer lebte nach seiner Ausweisung aus Ostpreußen in Naumburg an der Saale, von wo aus er nach Karl Griewanks Tod in das nahegelegene Jena reiste. Er hielt ebenso wie sein Bruder Dieter eine private Trauerandacht für Karl im Hause Griewank. Davon berichtet Theodor Griewank, Rundbrief an Freunde und Verwandte, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Personalfragebogen, 3.11.1949, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 52v. Vgl. CAMENZ: Karl Griewank, S. 9. Vgl. ebd. Aus dem „Familiengedächtnis“ die mdl. Information des Neffen Heinz Glüer, 7.10.2000 und PrA Griewank, Mappe Christine Griewank.

2.5. „In seiner Art war er zurückhaltend und […] verschwiegen“

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Dabei konnte er nicht verhindern, daß ihr die Rente gekürzt wurde – und zwar ausdrücklich aus politischen Gründen wegen ihrer über das normale Maß hinausgehenden Tätigkeit in der „Bekennenden Kirche“. Nach dem Krieg rekonstruierten Karl und sein Bruder Theodor Griewank den Vorgang. Theodor ging es darum, im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens der amerikanischen Zone „nicht unter die ‚Mitläufer’ zu kommen“266, sondern als entlastet eingestuft zu werden. Deshalb wandte er sich an seinen Bruder Karl in Jena: „Für eine Entlastung muss ich materiellen Schaden nachweisen, der durch Widerstand gegen den NS. entstand. Das kann ich nur, wenn ich die Sache mit der Streichung bzw. Dezimierung von Mutters Rente geltendmache, seit der ich sie laufend mit 300 Rm jährlich unterstützt habe. Dass die Streichung infolge Mutters BK-Tätigkeit erfolgte, hatten wir ja wohl nur durch den Min.Rat im Reichsjustizministerium erfahren. Kannst Du den Mann noch erreichen, um Dir die Sache bestätigen zu lassen? Wenn nicht, bitte ich die Sache wenigstens von Dir aus zu bezeugen, wenngleich ein Verwandtschaftszeugnis vor der Spruchkammer wenig oder gar nichts gilt.“267

Es gelang Karl in der Tat, den Ministerialbeamten ausfindig zu machen und zudem Belege über den politischen Charakter der Rentenkürzung beizubringen.268 Theodor Griewank wurde als „entlastet“ eingestuft.269 Auch der Cousin Arnold Fratzscher war mit seiner Familie am Engagement der Bützower Bekenntnisgemeinde beteiligt. In seinem Elternhaus versteckte Gertrud Gaedt, geborene Fratzscher, zudem eine jüdische Mutter und ein Kind.270 Karls Beitrag beschränkte sich im Grunde zwar auf bloße Mitgliedschaft und auf gelegentliche Teilnahme an Sitzungen und Beratung. Die interne Kenntnis der Tätigkeit der Bekennenden Kirche und die Beobachtung des Engagements der eigenen Mutter, des Schwagers und dessen Bruder sind jedoch nicht zu unterschätzen. Dies führte zu einer deutlichen inneren Distanzierung von der nationalsozialistischen Weltanschauung. Karl Griewank führte 1945/46 deshalb aus: „1933 und später beteiligte ich mich am Kampfe gegen die nationalsozialistische Partei auf dem Boden der noch vorhandenen Organisationen (insbesondere in der evangelischen Kirche, wo ich der gegen den Nationalsozialismus gerichteten Front von Anfang an als tätiges Mitglied angehörte).“271 Mit der Wortwahl, den Front- und Kampfvokabeln und der grundsätzlichen Einschätzung der Bekennenden Kirche als Widerstandsbewegung spiegelte Griewank genau das Muster der Selbsteinschätzung der Bekenntnischristen unmittelbar nach Kriegsende wider.272 Das Bild des Kirchenkampfes, das man ausmalte und das bereitwillig von den Alliierten akzeptiert wurde, bedeutete freilich auch eine apologetische Selbstberuhigung, die in der heutigen Forschung nicht mehr ohne weiteres akzeptiert werden kann. Neuere Analysen haben nicht nur den Widerstandsbegriff

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Theodor Griewank an Karl Griewank, 9.2.1947, in: NL Griewank, Karton 2. Ebd. Theodor Griewank an Karl Griewank, 31.3.47, in: ebd. Theodor dankte hier für die erfolgreichen Bemühungen und quittierte die Belege. Vgl. zur Entnazifizierung als „Farce einer Reinwaschanstalt“ WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 959 mit Bezug auf Lutz NIETHAMMER: Die Mitläuferfabrik Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns [1972], Bonn 1982. Vgl. Vom Leben und Sterben der Bützower Juden von 1737 bis 1945, Bernitt 2000, S. 25f. Lebenslauf, 11.2.1945 [richtig wohl 1946], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 80. Ebenso auch: Lebenslauf mit ergänzenden Bemerkungen zum Fragebogen, 19.11.1945, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. Vgl. Gerhard RINGSHAUSEN: Die Deutung des NS-Staates und des Widerstandes als Thema der Zeitgeschichte, in: Gerhard BESSIER (Hg.): Zwischen „nationaler Revolution“ und militärischer Aggression. Transformationen in Kirche und Gesellschaft während der konsolidierten NSGewaltherrschaft (1934-1939), München 2001, S. 1-41, hier S. 15f.

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2. Ein Demokrat aus Bützow

geschärft, sondern vor allem auch die geistige Nähe zum Nationalsozialismus, die die Mehrheit der evangelischen Christen an den Tag legte, offengelegt.273 Man spricht heute mit Kurt Nowak differenzierter von „Teil-Widerständen“ der Bekennenden Kirche, die es „trotz erheblicher Defizite im Widerstandshandeln von Kirchen und Christen“ im allgemeinen gegeben habe.274 Mit dem Engagement in der Bekenntniskirche war jedoch nicht per se eine vollständige Ablehnung des Nationalsozialismus verbunden, gab es doch auch ausgesprochen antidemokratische Protagonisten dieser Richtung. Deshalb wird der Widerstandscharakter der Bekenntniskirche in der neueren Forschung sehr ambivalent beurteilt. Dessen ungeachtet sollte die biographische Bedeutung dieser Konflikte nicht unterschätzt werden. Die Ereignisse verstärkten Karl Griewanks innere Bindung an die christliche Religion. Für ihn hätte eine stärkere Annäherung an den Nationalsozialismus nicht nur einen Bruch mit der Familie bedeutet. Der Nationalsozialismus war zugleich etwas Fremdes, eine der eigenen Weltsicht entgegenstehende Idee. Seine christliche Überzeugung hat Karl Griewank nie geleugnet, aber auch nicht offen zur Schau getragen. Für ihn als marxistischem Studenten, so erinnert sich Kurt Pätzold, sei es sehr in Erinnerung geblieben, daß Karl Griewank nach einer langen Diskussion im Anschluß an eine Seminarsitzung über das Testament Friedrichs II. an einem Punkt gesagt habe, er könne aufgrund seiner religiösen Einstellung nicht weiter diskutieren. Enge Vertraute kannten und sprachen von seiner „tiefe[n] Religiosität, die er sonst gern verbarg“.275

2.5.3. Krebserkrankung in den dreißiger Jahren Am 10. September 1935 teilte Griewank Willy Andreas mit: „Leider habe ich Ihren letzten freundlichen Brief lange unbeantwortet gelassen. Der Grund war, daß ich seit Ende Juli fünf Wochen im Krankenhaus lag, wo ich mich einer zweimaligen Operation unterziehen mußte und jetzt noch als Rekonvaleszent zu Hause bin. Es geht wieder aufwärts, und ich hoffe bald meine Kräfte ganz wiederzuerlangen.“276 Ansonsten machte er in Briefen keine detaillierten Angaben über seinen Gesundheitszustand. Es handelte sich um eine schwere Hodenkrebserkrankung. Der rechte Hoden und die rechte Leistendrüse mußten operativ entfernt werden.277 In einem Formblatt waren die Antragsteller darauf hingewiesen geworden, daß der Betrieb der DFG ab dem 27. Juli 1935 für vier Wochen geschlossen werde.278 Wegen dieser Betriebsferien mag das Fehlen des Referenten zunächst nicht allen aufgefallen sein. Allerdings blieben viele

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Vgl. zum Forschungsstand vgl. ebd.; Gerhard BESSIER: Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, München 2000, S. 80-100; vgl. auch ähnlich DERS.: Einleitung. „Die Kirchen und das Dritte Reich“ als Thema internationaler kirchlicher Zeitgeschichtsforschung, in: DERS. (Hg.): Zwischen „nationaler Revolution“ und militärischer Aggression, S. VI-XXV. Einen guten Einblick in den Forschungsstand bietet auch GRÜNZINGER, Einleitung. Kurt NOWAK: Kirche und Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1933-1945 in Deutschland, in: Carsten NICOLAISEN (Hg.): Nordische und deutsche Kirchen im 20. Jahrhundert, Göttingen 1982, S. 228-270, hier S. 232f. Ingeborg Horn an Willy Andreas, 18.3.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Karl Griewank an Willy Andreas, 10.9.1935, in: ebd., Nr. 845, unpag. Amtsärztliches Zeugnis, 8.1.1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 22. Einzelfallakte Wilhelm Treue, in: BA Koblenz, R73/15252.

2.5. „In seiner Art war er zurückhaltend und […] verschwiegen“

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Vorgänge unbearbeitet, so daß er nach Wiederaufnahme der Arbeit entschuldigend erklären mußte, er sei „[n]ach längerer Erkrankung in den Dienst zurückgekehrt“.279 Irmgard Höß, die erst viel später von der Erkrankung Griewanks erfuhr, über die er später kein Wort verlor, stellte hier einen Zusammenhang zu einer psychischen Belastung her, die bei einem solch schweren Eingriff auch naheliegend ist: „Griewank hat vor nahezu zwei Jahrzehnten eine schwere Krankheit (Krebs) durchgemacht und hat damals schon schwere depressive Zustände gehabt. Wir Jenenser – einschließlich Onkel Heussi – ahnten nichts davon; ich selbst erfuhr es zufällig im Sommer durch eine Studienkollegin Griewanks, die sich gerade im Hinblick auf diese Krankheit nach seinem Ergehen erkundigte.“280 Für Karl Griewank begann nach seiner Genesung eine Phase größerer und gezielter Aktivität. Er faßte offensichtlich erst nach seiner Erkrankung den Entschluß, eine Habilitation zur deutschen Geschichte des frühen 19. Jahrhunderts anzustreben. Die Schwierigkeiten einer universitären Karriere, bei der er gleichzeitig aus religiösen und politischen Gründen keine allzu großen politischen Konzessionen zu machen bereit war, wird im folgenden thematisiert werden.

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Karl Griewank an Karl Brandi, 25.10.1935, in: NSUB Göttingen, HA, Cod. MS. K. Brandi 62, Nr. 354. Irmgard Höß an Gerhard Ritter, 21.12.1953, in: AVHD Göttingen, Ordner 6, Buchstabe H. Das magelnde Wissen der Zeitzeugen über die näheren Umstände der Erkankung bestärkten später die Mythisierung des Suizids. Siehe oben S. 17, Anm. 36.

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3. ZWISCHEN WISSENSCHAFTSORGANISATION UND KARRIERE – DIE ZEIT ALS REFERENT IN DER FORSCHUNGSFÖRDERUNG

3.1. DIE GESCHICHTE DER „DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT“ ALS GEGENSTAND KONTROVERSER DEUTUNGEN – ZUM FORSCHUNGSSTAND Die Geschichte der 1920 gegründeten „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“, die sich bald „Deutsche Forschungsgemeinschaft“1 (DFG) nannte, ist ohne Zweifel ein aktuelles Thema gegenwärtiger zeithistorischer Forschung und kann sogar als ein Schlüsselthema der neueren deutschen Wissenschaftsgeschichte angesehen werden. Die Forschungsförderung ist ein zentraler Schnittpunkt finanzieller, personeller, institutioneller, kognitiver und rhetorischer Ressourcen, die von Seiten der Wissenschaft und der Politik „gegenseitig mobilisierbar“2 sind. Wissenschafter fordern und bieten Ressourcen an, indem sie Förderanträge formulieren, begründen und dabei rhetorisch tagespolitischaktuell gestalten. Die wissenschaftspolitische Seite fordert und bietet gleichfalls Ressourcen an, indem Relevanzdiskussionen geführt oder politische Loyalitäten eingefordert werden. Die Gründung3 der NG gehörte zu den „neuen Weichenstellungen im Jahre 1920“ (Rüdiger vom Bruch), zu denen auch die Gründungen des „Stifterverbandes der deutschen Wissenschaft“4 und der „Helmholtz-Gesellschaft“5 zählen.6 Die

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Bereits in den gedruckten Berichten der 1920er Jahre taucht der Name „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ als Namenszusatz in Klammern auf (in der Reihe „Deutsche Forschung“ ab Heft 2, 1928). Der 1929 gewählte Name „Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung“ setzte sich nicht durch. In der Satzung von 1929 wurde „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ bereits als offizielle Abkürzung dieses Namens eingeführt. Endgültig umgesetzt wurde die Namensänderung 1935 und damit in der Satzung von 1937, da es „im Dritten Reich angeblich keine Not mehr gab.“ Lothar MERTENS: „Nur politisch Würdige“. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937, Berlin 2004, S. 43; vgl. auch Kurt ZIEROLD: Forschungsförderung in drei Epochen. Deutsche Forschungsgemeinschaft. Geschichte, Arbeitsweise, Kommentar, Wiesbaden 1968, S. VI und 592. ASH, Wissenschaft und Politik als Ressourcen, S. 33. Zum Ressourcenmodell vgl. S. 32-36. Vgl. zur Gründung detailliert Ulrich MARSCH: Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Gründung und frühe Geschichte 1920-1925, Frankfurt (M) [u.a.] 1994. Vgl. auch: Aus dem Werden der Notgemeinschaft, in: Neunter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft) umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1929 bis zum 31. März 1930, Wittenberg 1930, S. 9-41. Vgl. ferner Wolfgang SCHLICKER: Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (NdW) 1920-1945, in: Dieter FRICKE [u.a.] (Hg.): Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbänden in Deutschland (1789-1945), Bd. 3, Leipzig 1985, S. 533-537. Vgl. jetzt auch Jürgen KIRCHHOFF: Wissenschaftsförderung und forschungspolitische Prioritäten der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft 1918-1932, Diss. phil München 2002 (MS). Vgl. Winfried SCHULZE: Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 1920-1995, Berlin 1995. Vgl. zum Verhältnis der NG zu Stifterverband und Helmholtz-Gesellschaft MARSCH, Notgemeinschaft, S. 84-96. Die „Helmholtz-Gesellschaft zur Förderung der physikalisch-technischen Forschung e.V.“ wurde am 27.10.1920 gegründet und hatte ihren Sitz in München. Vgl. HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 55 und SCHULZE: Stifterverband, S. 76-83.

3.1. Die Geschichte der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“

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NG stellte einen nicht zu unterschätzenden Innovationsfaktor dar. Karl Griewank hat in seiner Monographie „Staat und Wissenschaft im Deutschen Reich“ drei strukturelle Vorteile der Institution als Selbstverwaltungsorganisation mit Vereinsstatus7 hervorgehoben: „Ein verwaltungspolitischer, ein wirtschaftlicher und ein kultureller Gesichtspunkt.“8 1.) Verwaltungspolitisch stellte die Gründung einer reichsweit organisierten Forschungsförderung ein Novum in der deutschen Tradition dar, in der Schule und Wissenschaft Ländersache waren und sind.9 Da die NG „keine neben den Ländern stehende Behörde, sondern eine aus den wissenschaftlichen Anstalten der Länder unmittelbar erwachsene Organisation ist, kann auch der Gefahr, daß Reich und Länder als Geldgeber gegeneinander ausgespielt werden, begegnet werden“10, so Griewank. 2.) Der wirtschaftliche Gesichtspunkt wird schon mit dem Namen „Notgemeinschaft“ deutlich. Es geht darum, eine Krisensituation zu überwinden und knappe Gelder zu verwalten. Die Konzentration durch gewisse Forschungsschwerpunkte und Literatursammelgebiete galt damals wie heute als Aufgabe der NG bzw. DFG. 3.) Mit dem kulturellen Aspekt meinte Griewank vor allem die „Belebung der wissenschaftlichen Beziehungen zum Auslande“11. Es galt, die Isolation der deutschen Wissenschaft nach dem Ersten Weltkrieg zu überwinden. Dieser Aufgabenbereich gehörte in der Tat zu den wichtigsten Aktivposten der NG/DFG. Dazu gehörten die Rezeption internationaler Forschung, die Beschaffung ausländischer Literatur und die Organisation wissenschaftlicher Kontakte. Daß er in diesem Zusammenhang den Briefwechsel Schmidt-Otts mit sowjetischen Stellen zu koordinieren hatte,12 betonte Karl Griewank 1945/46 zur Zeit nach 1945 in seinen Lebensläufen gerne.13 Sieht man davon ab, daß Helmut Heiber en passant in seinem Opus zum NSHistoriker Walter Frank und dessen „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“14 eine detailreiche Geschichte der NG/DFG erzählt, kann als erste umfangreiche Darstellung des Themas die vom langjährigen DFG-Mitarbeiter Kurt Zierold 1968 vorgelegte – quasi aus der Binnensicht geschriebene – Studie „Forschungsförderung in

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Rüdiger VOM BRUCH: Langsamer Abschied von Humboldt? Etappen deutscher Universitätsgeschichte 1810-1945, in: Mitchell G. ASH (Hg.): Mythos Humboldt. Vergangenheit und Zukunft der deutschen Universitäten, Wien/Köln/Weimar 1999, S. 29-57, hier S. 45. Mitglieder der NG waren die Akademien der Wissenschaften in Berlin, die dem Verband der Deutschen Hochschulen angehörenden Universitäten und Hochschulen des Deutschen Reiches, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, der Deutsche Verband der Technisch-Wissenschaftlichen Vereine und die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Vgl. Satzungen der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft e.V., Berlin 1920, S. 2, §3. Auch in ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 543-547, hier S. 544. Karl GRIEWANK: Staat und Wissenschaft im Deutschen Reich. Zur Geschichte und Organisation der Wissenschaftspflege in Deutschland, Freiburg (Breisgau) 1927, zur NG S. 53-60, Zitat S. 56. Vgl. zum folgenden ebd., S. 56-58. Auf die Studie wird unter historiographischen Gesichtspunkten im Kapitel 4.1.2. noch näher eingegangen. Zum Verhältnis der NG zu Reich und Ländern vgl. MARSCH, Notgemeinschaft, S. 108-120. GRIEWANK, Staat und Wissenschaft, S. 57. Ebd. Vgl. ausführlich Friedrich SCHMIDT-OTT: Erlebtes und Erstrebtes 1860-1950, Wiesbaden 1952, S. 217-247. Schmidt-Ott war der Vorsitzende der „Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas“ und stand in regem Briefwechsel mit verschiedenen sowjetischen Einrichtungen. Etliche Schreiben enthalten Griewanks Kürzel „Gr.“, sind also von ihm bearbeitet worden: GStAPK, NL Schmidt-Ott, Nr. 44, Bl. 51-62. Z.B.Lebenslauf 19.11.1945, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. HEIBER: Walter Frank, S. 780-851 und passim.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

drei Epochen“15 angesehen werden. Zierolds Studie beschreibt die Geschichte der NG/DFG von ihrer Entstehung 1920 bis in seine Gegenwart, wobei er im historischen Teil vor allem auch die Interna, den Aufbau und die beteiligten Personen vorstellt, was dieses Buch zu einer wichtigen Grundlage in Detailfragen macht. Die Kernthese steckt bereits im Titel: Die Forschungsorganisation habe drei getrennt zu betrachtende „Epochen“ erlebt – zwei demokratische sowie die der NS-Zeit, die jedoch von den beiden anderen scharf zu trennen sei. Wenngleich die Studie eher den Charakter einer detailreichen Chronik trägt, als daß sie wissenschaftsgeschichtliche Thesen aufstellt, ist der apologetische Subtext einer rein gebliebenen, „echten Wissenschaft“, die im Kontrast zur nationalsozialistischen Deformation derselben gesehen wird, durchaus erkennbar. Diese wissenschaftsgeschichtlich bekannte Grundthese, die niemals unproblematisch war und heute unhaltbar erscheint, untermauert Zierold mit den massiven Veränderungen personeller und konstitutioneller Art, die die NG nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu tragen hatte. Zum 50-jährigen Jubiläum der DFG legten Thomas Nipperdey und Ludwig Schmugge 1970 einen historischen Abriß der DFG-Geschichte vor.16 Weniger umfangreich als Zierolds Studie und nicht auf eigenem Quellenstudium basierend, enthält er eine stärkere Orientierung auf Thesen und Wertungen. So fällt die deutliche und kritische Betonung der Demokratiedefizite der „alten“ NG unter Schmidt-Ott auf, dessen Leitungsstil dazu geführt habe, daß „Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit zweierlei Dinge waren“17. Die Darstellung der NS-Zeit ist nicht unkritisch, benennt die Schwerpunkte der NS-Forschung und die Ausrichtung auf Rüstung und Krieg. Perspektivisch wird die DFG dabei als passives Opfer – als „Beute interner Machtkämpfe“18 skizziert. Griewank kommt ausdrücklich eine spezifische Rolle zu. Es habe „neben aller Kriegsforschung Referenten [gegeben], Gutachter und Fachspartenleiter[, die] in aller Stille so manchen Wissenschaftler und so manches Forschungsvorhaben gefördert haben. Die Namen Griewank, Fehling, Köster und Gerlach [...] mögen hier für alle genannt sein.“19 Angesichts der seit den 1990er Jahren verstärkt betriebenen Forschungen um die NS-Vergangenheit von Unternehmen und Organisationen war klar, daß auch die DFG sich der dunklen Seiten ihrer Vergangenheit zuwenden mußte. Mit dem expliziten Ziel, an kritische unternehmens- und institutionengeschichtliche Forschungen anzuknüpfen, konnte der bekannte Frankfurter Universitätshistoriker Notker Hammerstein für diese Aufgabe gewonnen werden, der 1999 seine Studie vorlegte.20 Er betont die Kontinuitäten und legt Wert darauf festzustellen, daß die Wissenschaft im Nationalsozialismus oftmals an traditionellen Standards orientiert blieb. Die gewahrte personelle Kontinuität dient als Indiz für diese These. Wie schon Nipperdey und Schmugge nennt er Karl Griewank. Dieser und einige andere Referenten21 seien ja bereits in der Weimarer Republik tätig gewesen und stünden so „für eine kontinuierliche, verwaltungstechnisch einwandfreie Verfahrensweise“22 in der NS-Zeit. Nun sind allerdings „verwaltungstech-

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ZIEROLD: Forschungsförderung. Thomas NIPPERDEY/Ludwig SCHMUGGE: 50 Jahre Forschungsförderung in Deutschland. Ein Abriß der Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920-1970, Berlin (W) 1970. Ebd., S. 19. Ebd. Ebd., S. 67. HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft. Er nennt August Wilhelm Fehling und Friedrich August Fischer. HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 150.

3.1. Die Geschichte der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“

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nisch einwandfreie“ Abläufe angesichts des verwaltungstechnisch organisierten Massenmords im Nationalsozialismus noch keine positiven Kriterien. Mehrfach betont Hammerstein „den normalen Fortgang wissenschaftlicher Anstrengungen“.23 Viele der Forschungen seien zeitüblich gewesen, man erkenne die „nach wie vor vorwaltende Sachbezogenheit“.24 An dieser Stelle erweist es sich als ungünstig, daß der Autor – um „den Anmerkungsapparat nicht allzusehr aufzublähen“25 und die Lesbarkeit zu erhöhen – auf eine genauere Diskussion des Forschungsstandes verzichtet hat. Hammersteins Buch läßt Fragen offen und zeigt, daß weitere Anstrengungen nötig sind, um die strukturelle Bedeutung der Forschungsförderung im Nationalsozialismus zu erhellen. Die Kritik ließ nicht auf sich warten. Ingo Haar sieht in Hammersteins Buch „eine geeignete Überblicksdarstellung für ein größeres Publikum“26, weniger jedoch für die Forschung. Auch Peter Schöttler stellt fest, daß Hammersteins Buch „geschmeidig geschrieben“ sei, daß „sein Buch [jedoch] geradezu ein Modell jener Wissenschaftsgeschichte [darstelle], die eine jüngere Historikergeneration zu überwinden sucht.“27 Und Benno Müller-Hill, Professor am Institut für Genetik der Universität Köln, spricht noch deutlichere Worte: „Reine Weißwäsche“ sei das Buch von Hammerstein, da es der „DFG-Vergangenheit nicht ins häßliche Auge geblickt“ und insbesondere die „Beteiligung [der DFG] an Euthanasie und Genozid verschleiert“ habe.28 Von Ernst Klee kam ohne Zweifel die polemischste Kritik an Hammerstein. Er widmet der DFG in seiner Publikation zur Geschichte der Medizin ein eigenes Kapitel, das er „Deutsche Vertuschungsgemeinschaft“ betitelt.29 Dies ist jedoch nicht seine einzige sarkastische Bemerkung: So schlägt er vor, als neue Maßeinheit für Verharmlosung einen „Hammerstein“ einzuführen.30 Bereits die gewählten ironischen Formulierungen illustrieren, daß es Klee wichtig ist, die Schärfe der Thesen nicht für die „scientific community“ zu nivellieren. Seine Recherchearbeit dient der Aufdeckung individueller Verantwortlichkeiten, weniger jedoch der Einordnung in den Kontext. Man erfährt insgesamt wenig über den genauen Ablauf der wissenschaftspolitischen

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Ebd., S. 159 Ebd., S. 158. Ebd., S. 11. Ingo HAAR: Rez. Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 89-91, hier S. 90. Peter SCHÖTTLER: Einsatzkommando Wissenschaft. Neue Forschungen zum Verhalten deutscher Gelehrter im „Dritten Reich“, in: Die ZEIT, Nr.33 vom 12. August 1999, S. 39f., hier S. 40. Benno MÜLLER-HILL: „Die reine Weißwäsche“. Besprechung des Buches von Notker Hammerstein zur Geschichte der DFG [Rez. Hammerstein: Deutsche Forschungsgemeinschaft], in: Laborjournal 8/1999, S. 50. Müller-Hill kann seine harte Kritik auf langjährige eigene medizinhistorische Forschungen untermauern, . Er hat verbrecherische Menschenversuche, die vor allem durch in Konzentrationslagern tätige Mediziner, z.B. Josef Mengele in Auschwitz, durchgeführt wurden, untersucht. Vgl. DERS.: Tödliche Wissenschaft. Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933-1945, Reinbek 1984. KLEE: Deutsche Medizin im Dritten Reich, S. 175-197. Ebd., S. 191-193. Klee kritisiert vor allem, daß Hammerstein nur sieben eindeutig von der NSIdeologie getragene Medizinprojekte sehen will. Vgl. HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 191-193. Hier liegt in der Tat eine anzweifelbare Definition dessen, was „normal“ sei, zugrunde: Anträge zur Erb- und Rassenforschung hat Hammerstein als zeitgemäß „normal“ nicht mitgezählt – auch wenn sie von ausgesprochenen NS-Rassenfanatikern gestellt wurden, deren Beteiligung an der Ermordung von Menschen erwiesen ist. Die Diskussion um den Begriff „Rasse“ wurde – das ist unbestritten – international geführt und war nicht neu. Dennoch ist es gerade deshalb untersuchenswert, wie der Begriff in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik verwendet wurde und wie seine Erhebung zum staatlich legitimierten Leitbegriff sich niederschlug.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

Maßnahmen. Eine wissenschaftssoziologische Herangehensweise, die das Verhältnis von medizinischer Wissenschaft und Politik in den Blick nimmt, wird nicht ersetzt, zumal – wie am Beispiel Griewank noch gezeigt wird – die Enthüllungen nicht immer zutreffend sind.31 Der Strukturfrage nach der Wissenschaftskonzeption und den Wurzeln der Akzeptanz faschistischer Ideen kommt man weder mit Klees punktuellem Enthüllen, jedoch auch nicht mit dem von Hammerstein angeführten Hinweis auf ihre angebliche zeitgebundene „Normalität“ näher. Auf der von Rüdiger vom Bruch und Brigitte Kaderas organisierten und dokumentierten Tagung „Wissenschaften und Wissenschaftspolitik im 20. Jahrhundert“32 wurde diese Kritik im allgemeinen Kontext deutlich formuliert. Hammerstein stellte dort seine Ergebnisse zur Diskussion und betonte dabei, daß es im Grunde keine NS-Wissenschaftspolitik gegeben habe, da der Nationalsozialismus an sich wissenschaftsfremd gewesen sei.33 Diese Ausführungen erregten den Widerspruch von Lothar Mertens34, dessen archivgestützte Beiträge zur Geschichte der DFG in der frühen NS-Zeit wohl derzeit die systematischste neuere Synthese zum Thema darstellen.35 Mertens kritisiert Hammersteins Aussage, daß der Nationalsozialismus eigentlich nichts Wesentliches am Wissenschaftssystem geändert habe und führt deutlich vor Augen, wie sehr die wissenschaftliche Praxis und eben auch die Förderpraxis der DFG massiven Verwerfungen ausgesetzt waren, die zugleich jedoch nahezu selbstverständlich akzeptiert wurden. Seine Ergebnisse zeigen deutlich, daß es eine „Verdrängung wissenschaftlicher durch gesinnungspolitische Kriterien bei der Entscheidung über Anträge auf Forschungsförderung im Dritten Reich“36 gab. Er macht klar, wie früh und selbstverständlich die DFG nationalsozialistisch antizipierte Themen, insbesondere die Anthropologie und Rassenforschung förderte.37 Die Kontroverse zwischen Hammerstein und Mertens zeigt die prinzipielle Bedeutung der DFGGeschichte als Schlüssel zu einem Verständnis der Wissenschaftsgeschichte des

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Zu Klees Vorwürfen gegenüber Griewank siehe unten S. 109f. Rüdiger VOM BRUCH/Brigitte KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002. Notker HAMMERSTEIN: Wissenschaftssystem und Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus, in: ebd., S. 219-224. Lothar MERTENS: Einige Anmerkungen zur NS-Wissenschafts- und Forschungspolitik, in: ebd., S. 225-240. Die Ergebnisse seiner zahlreichen einschlägigen Aufsätze hat Mertens jetzt in eine Monographie gebündelt einfließen lassen. Vgl. DERS.: „Nur politisch Würdige“. Vgl. ferner DERS.: Forschungsförderung im Dritten Reich, in: ZfG 44 (1996), S. 119-217; DERS.: Der „neue Geist“ an deutschen Hochschulen. Gutachten und Stellungnahmen über Stipendiumsanwärter der DFG, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 6 (1997), S. 203-217; DERS.: Die Forschungsförderung der DFG im Dritten Reich 1933-1937, in: JbUG 2 (1999), S. 58-74; DERS.: Die „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft/Deutsche Forschungsgemeinschaft“ im Dritten Reich 1933-1936, in: Frank-Rutger HAUSMANN (Hg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 19331945, München 2002, S. 21-37; DERS.: NS-Wissenschaftspolitik am Beispiel der DFG 1933-1937, in: GG 29 (2003), S. 393-408. Lothar MERTENS: Das Führerprinzip in der Forschungsförderung. Der politische Einfluss auf die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft/Deutsche Forschungsgemeinschaft im Dritten Reich 1933-1937, in: DERS. (Hg.): Politischer Systemumbruch als irreversibler Faktor von Modernisierung in der Wissenschaft? (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 76), Berlin 2001, S. 33-72, hier S. 50. Als ein Schlüsselereignis hebt er dabei die am 13./14. Mai 1933 in Königsberg – noch von Friedrich Schmidt-Ott organisierte – „wissenschaftliche Kundgebung“ der DFG an der dortigen Universität hervor.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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Nationalsozialismus. Sie zeigt auch, daß es einer systematischeren Aufarbeitung des Themas bedarf. Zur Zeit wird deshalb die Geschichte der NG/DFG unter neuesten Fragestellungen durch eine Forschergruppe um Rüdiger vom Bruch und Ulrich Herbert neu bearbeitet.38 In der vorliegenden Arbeit wird mit der Person Griewank die Perspektive eines Sachbearbeiters untersucht. Griewanks Rolle als aktiv Handelnder ist in seiner Zeit bei der NG/DFG allerdings nur selten faßbar, er ist Rezipient, ist beteiligt und erfährt sehr viel – bei der Vorbereitung der Veranstaltungen, bei der Druckfassung der Berichte, als Wahlleiter und Redenschreiber. Aber er steht im Hintergrund. Im folgenden Kapitel muß deshalb aus Quellengründen in Kauf genommen, daß der biographische Pfad gelegentlich zugunsten der Umfeldbeschreibung verlassen wird.

3.2. GRIEWANKS ROLLE IN DER FORSCHUNGSFÖRDERUNG 3.2.1. „Die kleine Exzellenz“ – Im Umfeld von Friedrich Schmidt-Ott

Am 29.12.1925 bat Friedrich Schmidt-Ott, der Präsident der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ (NG), Willy Andreas um Unterstützung in einer Personalangelegenheit. Immerhin war bereits ein Andreas-Schüler als Mitarbeiter der NG tätig: August Wilhelm Fehling, dessen Rostocker Dissertation im gleichen Forschungskontext wie die Griewanks entstanden war. Den Historiker erreichte die Anfrage Schmidt-Otts in Rom, wo er die Nachricht per Telegramm erhielt, das freilich von der italienischen Post etwas entstellt wurde: „DOCTOR HOLBORNS HILFA IN NOTGEMEINSCHAFT WAERE MIR ERWUENSCCT FALLS LOSLOESUNG VON HEIDELBERG OHNE VERSTIMMUNG MOEGLICH – BCHMIDTOTT =“39

Wie Friedrich Schmidt-Ott auf Hajo Holborn40 aufmerksam wurde, ist nicht überliefert. Warum sich der monarchistisch-konservative NG-Präsident für den der SPD nahestehenden Nachwuchswissenschaftler interessierte, bleibt ebenfalls im Dunkeln. In jedem Fall gab diese Anfrage Andreas die Möglichkeit, auf einen anderen Kandidaten aufmerksam zu machen – vor allem auch, da er Holborn im Heidelberger Historischen Seminar halten wollte. Auf dem Telegramm notierte er handschriftlich: „Meine Antwort: [I]ch persönlich würde versuchen[,] diesen ausgezeichneten jungen Mann, zu dessen Gewinnung man ihm allerdings beglückwünschen könnte, für Heidelberg zu halten. Gelänge mir das, so werde er mir ebenso wenig grollen wie ich im umgekehrten Falle ihm. Für alle Fälle habe ich Schmidt einen andern Herrn, Dr. Griewank, empfohlen.“41

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Bisher erschienen sind: Isabel HEINEMANN/Patrick WAGNER (Hg.): Wissenschaft – Planung – Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006; Wolfgang U. ECKART (Hg.): Man, Medicine and the State. The Human Body as an Object of Government Sponsored Medical Research in the 20th Century, Stuttgart 2006. Telegramm Friedrich Schmidt-Ott an Willy Andreas, 29.12.1925, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 750, unpag. Vgl. zu Holborn Bernd FAULENBACH: Hajo Holborn, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Bd. 8, Göttingen 1982, S. 114-132. Handschriftliche Notiz Willy Andreas, ebd.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

Holborn, der „als ein äusserst karrierebewusstes historisches ‚Wunderkind’“42 galt, zeigte wenig Interesse an der Stelle bei der NG. Sie erschien ihm weniger verlockend als die durch den bevorstehenden Weggang Friedrich Baethgens freiwerdende Assistenz in Heidelberg. Dies gibt er Andreas klar zu erkennen mit der Bitte, sich für ihn an der Universität einzusetzen, was dieser auch erfolgreich tut.43 Karl Griewank hingegen nahm das Angebot der Notgemeinschaft gerne an. Er brauchte nun seinen Lebensunterhalt nicht mehr mühsam als Lokalredakteur zu verdienen. Am 1. März 1926 begann er seinen Dienst und wenig später konnte Schmidt-Ott vermelden: „Inzwischen ist Herr Dr. Griewank bei uns eingetreten und zeigt einstweilen keine Zeichen von besonderer Unzufriedenheit. Ich hoffe sehr, dass er sich weiter bei uns wohlfühlt und den Notgemeinschaftsinteressen wie bisher nützlich ist.“44 Diese Hoffnung sollte sich erfüllen. Griewank blieb während der gesamten Zeit der Weimarer Republik und der NS-Diktatur – im Grunde sogar darüber hinaus bis zu seinem Ruf nach Jena im Jahr 1946 – als Mitarbeiter in der Forschungsförderung tätig. Er wurde bald der persönliche Referent des Präsidenten Schmidt-Ott. Dieser lernte ebenso wie zuvor Willy Andreas die Loyalität und Zuverlässigkeit des Mecklenburgers kennen. Für Griewank setzte sich bald der Spitzname „kleine Exzellenz“ durch, der einerseits auf die Körpergröße (1,67 Meter45) und die „gewisse gesetzte Würde“46 hindeutete, vor allem jedoch auf sein enges Verhältnis zum Präsidenten. Schmidt-Ott, der stolz darauf war, vom Kaiser den Titel „Exzellenz“ verliehen bekommen zu haben, wurde in der Notgemeinschaft auch stets so angesprochen.47 Als Griewank seine Stelle bei der Notgemeinschaft antrat, waren Schwierigkeiten der Gründungszeit bereits überwunden und die Organisation bereits zu einer festen Größe in der deutschen Wissenschaftswelt geworden.48 Die alljährliche Mitgliederversammlung stand unmittelbar bevor; sie fand am 12. März in Stuttgart statt.49 Die Vorbereitung solcher Ereignisse gehörte zu den Aufgaben der Mitarbeiter, wobei es eine ganze Reihe ähnlicher Gelegenheiten gab. Neben den offiziellen Terminen (Mitgliedsversammlungen, Hauptausschuß, Präsidiums- oder Fachausschußsitzungen), lud die NG oder auch ihr Präsident Schmidt-Ott zu repräsentativen Vortragsveranstaltungen, „Bierabenden“ und parlamentarischen Abenden ein. Die Mitgliedsversammlung, das satzungsmäßige höchste Beschlußorgan der NG, gestaltete sich als „eine von Schmidt-Ott und seinen Mitarbeitern aufgezogene public-relations-Veranstaltung der Gemeinschaft, bei der es vor allem auf die Beteilung wichtiger und prominenter Gäste ankam.“50 Bei diesen Zusammenkünften erschienen regelmäßig über 100 Teilnehmer,

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WALTHER, Von Meinecke zu Beard?, S. 93. Hajo Holborn an Willy Andreas, 26.12.1925, Willy Andreas an Hajo Holborn, 30.12.1925, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 750, unpag. Friedrich Schmidt-Ott an Willy Andreas, 15.3.1926, in: ebd. Amtsärztliches Zeugnis, 8.1.1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 22. So ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 44. Vgl. auch Günter CAMENZ: Karl Griewank. Die kleine Exzellenz aus Bützow, in: Prof. Dr. Karl Griewank und das moderne Demokratieverständnis. Zum Lebenswerk des gebürtigen Bützowers anläßlich seines 100. Geburtstages, Bützow 2000, S. 7-13. Zu Schmidt-Ott vgl. Wolfgang TREUE: Friedrich Schmidt-Ott, in: DERS./Karlfried GRÜNDER (Hg.) Berlinische Lebensbilder, Bd. 3: Wissenschaftspolitik in Berlin. Minister, Beamte, Ratgeber, Berlin (W) 1987, S. 235-250. Griewank hat diese Akzeptanz anhand der Recherche von Landtagsprotokollen nachvollzogen. Vgl. GRIEWANK, Staat und Wissenschaft, S. 58-60. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 62f; SCHMIDT-OTT: Erlebtes, S. 185; BA Koblenz, R 73/178-184. NIPPERDEY/SCHMUGGE, 50 Jahre, S. 21. Vgl. auch S. 62f.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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neben Vertretern von Reich und Ländern vor allem die Rektoren und Direktoren der Hochschulen und wissenschaftlicher Einrichtungen, sowie die sogenannten „Vertrauensmänner“51, die vor Ort als Ansprechpartner der Notgemeinschaft fungierten.52 So erschienen von der Universität Jena neben dem jeweiligen Rektor in dieser Funktion regelmäßig der Mineraloge Gottlob Linck und seit 1929 auch der Historiker Alexander Cartellieri. Griewank gehörte wie die anderen Referenten zur Geschäftsstelle zu den „Beamten der Notgemeinschaft“, wie es in den Teilnehmerlisten der Mitarbeiterversammlungen hieß. In der Literatur zur DFG-Geschichte sucht man vergeblich nach einer systematischen Auflistung der Referenten und hauptamtlichen Beschäftigten der Geschäftstelle. Auch in der neuesten Veröffentlichung der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemienschaft“ findet sich nur die Aussage: „Unfortunately, not much is known about these important operatives of the DFG“.53 Gerade in der späteren Zeit wechselten die Mitarbeiter häufig.54 Für die Zeit der Weimarer Republik bestand der Mitarbeiterstab aus folgenden Personen: Neben Griewank fanden sich im engen Umfeld des Präsidenten Victor Schwoerer55, August Wilhelm Fehling, Friedrich August Fischer56, Max Horst57, Adolf Jürgens58, Karl Siegismund59, Karl Stuchtey60 und Eduard Wildhagen. Letzterer spielte in der Aufbauphase als Hauptgeschäftsführer eine wichtige Rolle, geriet aber später in massiven Konflikt mit Schmidt-Ott.61 Mit Ausnahme Wildhagens findet der Gründungspräsident in seinen 1952 veröffentlichten Lebenserinnerungen nur lobende Worte über sein Mitarbeiterteam, wobei er Fehling und Griewank „rühmend und dankbar hervorgehoben“ sehen mochte.62

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Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 63f. Die Vertrauensleute sind in den jährlichen Berichten der NG aufgeführt. Seit 1929 wurden pro Einrichtung zwei Vertrauensmänner ernannt. Karl Heinz ROTH: Flying bodies – enforcing states. German aviation medical research from 1925 to 1975 and the Deutsche Forschungsgemeinschaft, in: ECKART (Hg.): Man, Medicine and the State, S. 107-137, hier S. 131, Anm. 110. Die Geschäftstelle umfaßte im Jahr 1938 52, 1939 62 und 1941 69 Personen. Nach ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 40-46, 180, 215. Schwoerer war vor seiner Tätigkeit in der Badischen Kultusverwaltung tätig und seit 1928 Stellvertreter des Präsidenten Schmidt-Ott. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 43. Vgl. SCHMIDT-OTT: Erlebtes, S. 184. Fischer war vor allem für die Naturwissenschaften zuständig. Er blieb auch in der Zeit des Nationalsozialismus im Amt. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 44, 180, 215. Horst war für nichtdeutsche Philologie und bis 1938 auch für Medizin zuständig. Er wurde im Herbst 1939 als Soldat eingezogen. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 45, 180, 215. Jürgens war für das Bibliothekswesen zuständig. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 43; 94f. Vgl. zum Bibliotheksausschuß die von Rüdiger vom Bruch betreute Magisterarbeit von Christoph KRAMER: Der Bibliotheksausschuß der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (1920-1933), Magisterarbeit Berlin 2005 (MS). Siegismund war der „– nicht nominelle, aber tatsächliche – Leiter des Verlagsausschusses“. Er starb 1932. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 43, 149 (dort auch das Zitat). Vgl. auch Karl GRIEWANK: Karl Siegismund †, in: Berliner Börsen-Zeitung Nr. 364 vom 5. August 1932. Stuchtey war von 1923 bis 1934 für den Apparateausschuß zuständig. Er verließ die NG aus politischem Protest gegen die Nazis und war mit Griewank zusammen an den Neugründungsversuchen der NG nach 1945 beteiligt. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 43, 178. Siehe unten Kapitel 5.1.2. Vgl. zu Wildhagen HEIBER: Walter Frank, S. 787-792, 830-848; ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 42; HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 183-193. SCHMIDT-OTT: Erlebtes, S. 184.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

Das Präsidium der NG/DFG bestand aus dem Präsidenten Schmidt-Ott und seinen drei (später vier) Stellvertretern bzw. Vizepräsidenten.63 Es führte die Geschäfte und wurde satzungsgemäß von der Mitgliederversammlung gewählt, blieb jedoch im Grunde bis 1934 personell gleich besetzt.64 Ebenso von der Mitgliedersammlung bestimmt wurde der Hauptausschuß, der die Exekutive überwachen und der „Wahrung voller Unparteilichkeit“ dienen sollte. Er bestand zunächst aus elf Mitgliedern der unterschiedlichsten Fachgebiete, wurde 1929 durch Personen des politisch-öffentlichen Lebens ergänzt. Parallel zu dieser Struktur entstanden „Fachausschüsse“ für jedes Wissenschaftsgebiet, die als Gutachter fungierten bzw. das Gutachterwesen strukturierten. Die Fachausschußmitglieder waren für die Referenten jeweils Ansprechpartner bei der Bearbeitung der Förderanträge. Griewank oder seine Kollegen nahmen an den Treffen des Präsidiums, des Hauptausschusses, der Fachausschüsse und natürlich an der Mitgliederversammlung teil. Es galt diese vorzubereiten, jeweils den Schriftverkehr abzuwickeln, zu protokollieren und die beschlossenen Maßnahmen zu koordinieren. Es kam auch vor, daß die Referenten über einzelne Themen dem Hauptausschuß Bericht erstatteten. So trug Griewank gelegentlich über größere archäologische Forschungen vor.65 Einen internen Höhepunkt stellten ohne Zweifel die Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag Friedrich Schmidt-Otts am 5. Juni 1930 im Berliner Hotel Adlon dar, bei der Schwoerer die Grüße „im Namen der nächsten Mitarbeiter“ ausrichtete.66 Zu Griewanks engerem Aufgabenfeld scheint von Anfang an die Öffentlichkeitsarbeit gehört zu haben. Er organisierte den Versand von Informationsmaterial über die NG, beantwortete Anfragen, formulierte Aufrufe gegen Kürzungen der Etatmittel usw.67 Zudem hatte er die Vorbereitung der gedruckten jährlichen Berichte zu koordinieren und in großen Teilen wohl auch zu schreiben.68 Schon 1927 legte er seine bereits erwähnte Monographie „Staat und Wissenschaft“ vor, die nicht zu unterschätzender Recherchen bedurfte.69 Gehörten diese Dinge noch zum nachvollziehbaren Dienstgeschäft eines Mitarbeiters, kamen Aufgaben hinzu, die etwas merkwürdig erscheinen. So hatte Griewank offensichtlich Teile eines Briefes an „Sr. Majestät Kaiser u. König Wilhelm II“ vorformuliert, der diesem ins niederländische Exil gesandt wurde.70 Das

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Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 40-66; MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 42-49. Ihm gehörten Fritz Haber, der Mathematiker Walter von Dyck und Adolf von Harnack an. 1929 wurden der Katholik Heinrich Konen zusätzlich und der Mediziner Friedrich von Müller anstelle Harnacks gewählt. Zum Beispiel in: Protokoll der Hauptausschußsitzung vom 30.10.1930, in: GStAPK, VI, HA, NL Schmidt-Ott (M), C 68, Bl. 135-160, hier Bl. 155. Vgl. Gustav ABB (Hg.): Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft. Seiner Exzellenz Herrn Staatsminister D. Dr. Friedrich SCHMIDT-OTT zur Feier seines siebzigsten Geburtstages im Namen der deutschen Wissenschaft überreicht, Berlin [u.a.] 1930. BA Koblenz, R 73/25. Vgl. Karl Griewank an August Wilhelm Fehling, 18.9.1930, in: BA Koblenz, N 1106, NL Fehling, Nr. 3, unpag.; vgl. den 5. bis 12. Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Wittenberg 1926-1933. Siehe oben S. 89 mit Anm. 8 unten Kapitel 4.1.2. Wilhelm hatte neben anderem einen Zeitungsausschnitt an Schmidt-Ott gesandt, in dem vom Einsturz der Vatikanischen Bibliothek berichtet wurde. Griewank mußte dazu die Hintergründe recherchieren, konnte aber beruhigen, daß „der sachliche Schaden, wie wir auch durch unmittelbare Information wissen, nicht bedeutend“ sei. Schmidt-Ott an Wilhelm II, 25.1.192? (Durchschlag mit unvollständigem Datum), in: GStAPK, VI. HA, NL Schmidt-Ott (M), C 71, Bl. 366-368; handschriftlicher Entwurf Griewanks „Konzept, anschließend an die Zeilen Ew. Excellenz“, ebd., Bl. 371.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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persönliche Verhältnis Friedrich Schmidt-Otts zu Wilhelm II. erklärt sich daraus, daß er mit dem späteren Kaiser zusammen die Schule in Kassel besucht hatte.71 Dahinter steht jedoch eine zutiefst monarchisch-preußisch-konservative Grundeinstellung des ersten Präsidenten der Notgemeinschaft. Friedrich Schmidt-Ott – seit 1888 im Preußischen Kultusministerium tätig und dort vom „Hilfsarbeiter“ bis zum Minister aufgestiegen – war ein Vertreter der alten preußischen Wissenschaftspolitik und damit jener Zeit, die als Blütezeit der deutschen Universität galt und nach wie vor gilt.72 Seinem Lehrer und väterlichem Freund Friedrich Althoff73 blieb er stets verpflichtet und betonte, er wolle lediglich „der treue Hüter“ dieses Erbes sein.74 Das war sicherlich angesichts der völlig veränderten Wissenschaftslandschaft kein leichtes Ziel. Er erreichte es, indem er neue Wege ging und eben nicht nur den alten Zeiten nachtrauerte.75 Karl Griewank charakterisierte dies in seiner Rezension der Autobiographie Schmidt-Otts so: „Mit konservativer Grundhaltung verbindet sich offener Sinn für alles Neue und das Bestreben nach einer politischen Neutralisierung, die ebenso Vorzüge im Einzelnen wie Verzicht im Ganzen bringt, eine wichtige Zäsur bildet der Umschwung von 1918. Im Unterschied zu denen, die sich verbittert zurückziehen, entsteht für Männer wie Sch[midt-Ott] mit dem Zusammenbruch der alten Staatsordnung bald eine neue Wirksamkeit in der aus äußerer Schwäche und gesellschaftlichen Gegensätzen mühsam sich erhebenden parlamentarischen Republik.“76

Das Jahr 1929 gilt als das Krisenjahr der NG. Das Reichtagswahlergebnis vom Sommer 1928 hatte zu einer Verschiebung der politischen Gewichte geführt, eine große Koalition wurde gebildet. Im Kabinett Hermann Müllers übernahm nun ein Sozialdemokrat, Carl Severing, das für die Forschungsförderung zuständige Innenministerium. Die NG wurde Gegenstand öffentlicher Diskussionen, parteipolitischer Auseinandersetzungen und Reichstagsdebatten. Es wurde eine einseitige Förderpolitik kritisiert und eine personelle Erneuerung der Gremien ebenso gefordert wie die Erweiterung des Fächerkanons auf sozialwissenschaftliche Bereiche. Gleichzeitig standen die Bewilligungspraxis, die innere Organisation, das Fehlen eines nachvollziehbaren Rechenschaftsberichtes, das Festhalten an traditionellen Fächern77 und der autoritäre Stil des Präsidenten in der Kritik. Das Sagen habe die konservativ-traditionelle Gelehrtengeneration, eine demokratische Kultur fehle.78

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Vgl. SCHMIDT-OTT: Erlebtes, S. 10f. und ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 9. Vgl. zur deutschen Universität im Kaiserreich nach wie vor NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 18661918, Bd.1, S. 590-601 und WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 1202-1224. Vgl. Bernhard VOM BROCKE (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. „Das System Althoff” in historischer Perspektive, Hildesheim 1991; DERS.: Friedrich Althoff, in: Wolfgang TREUE/ Karlfried GRÜNDER (Hg.): Berlinische Lebensbilder, Bd. 3: Wissenschaftspolitik in Berlin. Minister, Beamte, Ratgeber, Berlin (W) 1987, S. 195-214. TREUE: Schmidt-Ott, S. 235. Vgl. Wolfgang TREUE: Neue Wege der Forschung. Friedrich Schmidt-Ott, in: BzW 12 (1989), S. 227-230. Karl GRIEWANK: Rez. Schmidt-Ott: Erlebtes, in: DLZ 73 (1952), Sp. 707-710, hier Sp. 709. So stellte Justus Moses im Reichstag eine in den 1920er Jahren häufiger anzutreffende SPDForderung nach der Abschaffung theologischer und philologischer Lehrstühle zugunsten neuer Fächer wie Arbeitsrecht oder Soziologie im Kontext der Förderpolitik der NG dar. Vgl. hierzu die „Dokumentation über des Krisenjahr 1929“ mit einem Bericht über die Reichstagssitzung vom 10.6.1929, in: BA Koblenz, R 73/17. Justus MOSES: Verknöcherte Wissenschaft. Zu den Reichstagsdebatten um die „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“, in: Sozialistische Bildung 1 (1929), H. 8, S. 225-231, hier S. 231. Positive Bewertung dieser kritischen Sicht bei NIPPERDEY/SCHMUGGE, 50 Jahre Forschungsförderung, S. 29, dagegen ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 108-137.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

Die öffentliche Diskussion veranlaßte die Geschäftsstelle der NG zu einiger Aktivität, an der Karl Griewank unmittelbar beteiligt war. Offensichtlich wertete er die Presse aus, sammelte einschlägige Zeitungsnotizen und legte sie Schmidt-Ott vor. Dies geht auch aus einem Brief des Hauptausschußmitgliedes Nägel hervor, der im Postsciptum eines Briefes anführte: „Darf ich fragen, ob Herr Dr. Griewank in der Beilage ‚Der Abend’ vom Mittwoch, dem 27. März 1929 den Artikel ‚Wirtschaft, Horatio...! Von einer Notgemeinschaft und dem Irrgarten deutscher Gelehrsamkeit’ gelesen hat? Ich habe mir die Frage vorgelegt, ob man nicht in sehr gemessener Form gegen eine derartige banausische Beurteilung der Wissenschaft und ganzen Forschung vorgehen sollte.“79

Es handelte sich um einen Wiederabdruck eines im „Vorwärts“ erschienenen Artikels des SPD-Politikers Julius Moses, der einen besonders ironischen Ton an den Tag legte und deshalb in der Literatur auch häufig zitiert wird.80 Aufgrund der rhetorischen Schärfe der Auseinandersetzung, und da er die Probleme seiner autoritären Leitung nicht einzusehen gewillt war, fiel es Friedrich Schmidt-Ott schwer, die Kritik zu akzeptieren. In seinen Lebenserinnerungen geht er darauf nicht ausführlich ein, weshalb der Rezensent Griewank meint: „Das neue Verhältnis zwischen Parlament, Politikern und Verwaltung in der Zeit nach 1918, in der der Verf. [Schmidt-Ott] aktiv hineingestellt war, wird nur gestreift und vertrüge noch genauere Beleuchtung“.81 Das kann man auf Griewank selbst auch anwenden. Konkret tritt dieser nämlich selbst nicht in Erscheinung; gerne hätte man gewußt, welche Position er in der Frage eingenommen hatte, was jedoch nicht zu eruieren ist. Griewank betonte zuvor in seiner Darstellung „Staat und Wissenschaft“ den demokratischen Charakter der NG, der auf Ausgleich und politischer Akzeptanz beruhe. Auch hatte er sich auffälligerweise auf den parteilosen Minister der SPD-Regierung Carl Heinrich Becker berufen, von dem das „Programm der Notgemeinschaft [...] bereits vorgezeichnet“ worden sei.82 Insofern hätte er mit der Kritik und der reformierten NG inhaltlich sicher gut leben können. Seine Loyalität zu Schmidt-Ott stand dem entgegen. Die Krise schlug sich nieder im internen Arbeitsklima der Organisation. Diese harten inneren Auseinandersetzungen wurden jetzt von Margit Szöllösi-Janze aus der Sicht Habers sehr deutlich aufgezeigt.83 Die NG hätte nun – mit größerer parlamentarischer Kontrolle und ministeriellem Rückhalt – reformiert und gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen können. Bald jedoch trat die Trägheit der nicht erneuerungswilligen Wissenschaft hervor; die Gremienwahlen führten meist zur Bestätigung alter Kräfte. Spätestens mit dem Übergang zu den Präsidialkabinetten und dem Ende der Tätigkeit Severings fehlte der politische Druck; 1932 verzichtete dann der deutschnationale Innenminister von Gayl sogar auf das 1929 eingeführte Recht, ein Drittel der Hauptausschußmitglieder zu ernennen.

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Adolf Nägel (TH Dresden) an NG, 9.4.1929, in: BA Koblenz, R 73/96; Hervorhebung im Original; zudem befinden sich zwei Ausrufezeichen am Rand. Vgl. etwa SZÖLLÖSI-JANZE: Haber, S. 628f. Moses ging explizit den Zentrumspolitiker Georg Schreiber an, der eine wichtige Stellung in der NG innehatte; deshalb seien „die Herren von der katholischen Fakultät in Münster“ dort besonders gutgestellt. GRIEWANK, Rez. Schmidt-Ott: Erlebtes, Sp. 709. DERS.: Staat und Wissenschaft, S. 54, Anm. 2. Er bezieht sich auf C[arl] H[einrich] BECKER: Kulturpolitische Aufgaben des Reiches, Leipzig 1919. SZÖLLÖSI-JANZE: Haber, S. 631-633.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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3.2.2. Das Jahr 1933 – Das Versagen des Bürgertums, die „Denkschrift Griewank“ und der Weg in den Nationalsozialismus Zwar gab es in der Notgemeinschaft vor 1933 keinen Anhänger – erst recht kein Mitglied – der NSDAP. In der wissenschaftlichen Welt herrschte weitgehend eine Skepsis vor dem populären Massencharakter des Nationalsozialismus, ein Aufbegehren gegen die undemokratischen und rassistischen Aktivitäten der braunen Bewegung hat es jedoch nicht gegeben. Geriet die Organisation 1929 noch in einen handfesten Konflikt mit der demokratischen Regierung, so läßt sich dies für die NS-Regierung 1933 nicht sagen. Vielmehr waren die Protagonisten mental durchaus auf die neue Zeit eingestellt. Über Friedrich Schmidt-Otts Einstellung wählte sein langjähriger Mitarbeiter Fehling eine gewundene und doch treffende Formulierung, wenn er vom „Nationalsozialismus, in dem nur Negatives zu sehen seiner Natur widerstrebte“84, spricht. Unwillkürlich muß man an die These vom „Versagen des deutschen Bürgertums“ denken85 oder auch an die „Sonderwegs“-Debatte, bei der die Schwäche des Bürgertums als ein zentrales Argument für „1933“ dargestellt wird.86 Für den Nationalsozialismus war „das Groß- und Bildungsbürgertum [...] die funktionale Stütze seines Funktionierens“.87 Zwar standen viele bürgerliche Kreise den durch Massenbeteiligung gekennzeichneten Organisationsformen der „Bewegung“, etwa der SA, kritisch gegenüber, unterstützten dann aber doch – in unterschiedlichem Maß – das System. Der Nationalsozialismus knüpfte durchaus, auch wenn er teilweise eine antibourgeoise Rhetorik an den Tag legte, an die „nationalen bürgerlichen Traditionen des 19. Jahrhunderts“ an, so daß die „beliebte Interpretation des Nationalsozialismus als Zerstörer des Bürgertums“ nicht trägt.88 Die Schlußfolgerung kann mit Hans Mommsen nur lauten, daß durch diese Teilidentifikationen der Nationalsozialismus aufrecht erhalten wurde und „daß die deutsche Elite weit stärker in die letztlich verbrecherische Politik des Regimes integriert gewesen ist, als zunächst angenommen wurde.“89 Die völkisch-nationalen Angehörigen der „Generation der Sachlichkeit“ fanden nun in der nationalsozialistischen Revolution die Erfüllung ihrer Generation. Griewank, im selben Jahrgang wie Himmler, entwickelte diese Euphorie und das Engagement der Gleichaltrigen allerdings nicht, sondern zeigte die im bürgerlich-christlichen Kreisen häufig anzutreffende Aversion gegenüber dem Massencharakter der NS-Organisationen.

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August Wilhelm FEHLING: Friedrich Schmidt-Ott 90 Jahre, in: DUZ 5 (1950), H. 10, S. 6. Vgl. differenziert als langfristigen Prozeß dargestellt: Hans MOMMSEN: Die Auflösung des Bürgertums seit dem 19. Jahrhundert, in: Jürgen KOCKA (Hg), Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 288-315. Auch (mit Bezug auf Theodor Mommsen) bei: Lothar GALL: Bürgertum in Deutschland, Berlin (W) 1989, S. 19. „1933“ sei hier als Metapher für die soziokulturellen Bedingungen dieses Jahres gemeint, vgl. in diesem Sinne: Thomas NIPPERDEY: 1933 und die Kontinuität der deutschen Geschichte [1978], in: DERS.: Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays, München 1986, S. 186-205. Zur Sonderwegsdebatte siehe unten Kapitel 6.4.1. Lutz NIETHAMMER: War die bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1945 am Ende oder am Anfang? [1990], in: DERS.: Deutschland danach. Postfaschistische Gesellschaft und nationales Gedächtnis, hg. von Ulrich HERBERT und Dirk van LAAK, Bonn 1999, S. 18-35, hier S. 23. MOMMSEN: Auflösung, S. 305. Vgl. auch Hannes SIEGRIST: Ende der Bürgerlichkeit? Die Kategorien „Bürgertum“ und „Bürgerlichkeit“ in der westdeutschen Gesellschaft und Geschichtswissenschaft der Nachkriegsperiode, in: GG 20 (1994), S. 549-583, hier S. 567. Hans MOMMSEN: Der faustische Pakt der Ostforschung mit dem NS-Regime. Anmerkungen zur Historikerdebatte, in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 265-273, hier S. 267. Willy Andreas wurde mit seiner Wendung vom Liberalen zum anfänglich begeisterten Anhänger der „Bewegung“ von 1933 bereits vorgestellt. Siehe oben Kapitel 2.3.2.

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Auch unterstützte er die in diesem Umfeld typische Vorstellung einer „Zähmung“90 oder Verbesserung des Nationalsozialismus: Es sei zu hoffen, so meinte er im Mai 1934, „daß in der heutigen Jugend die Kräfte nachwachsen, die aus nationalsozialistischem Geiste heraus manche Verzerrungen und Gewaltsamkeiten überwinden, die heute noch wuchern.“91 Die gespenstischen Berliner Umzüge der „braunen Bataillone“ der NSDAP und der SA des 30. Januar 1933 erlebte Griewank nicht unmittelbar mit: Er befand sich zum Zeitpunkt der Machtübertragung92 an Adolf Hitler im Urlaub. Am 26. Januar 1933 hatte er Willy Andreas mitgeteilt: „Ich fahre morgen mit meiner Frau für 14 Tage nach Tirol, nachdem ich im letzten Jahr nur ganz kurzen Urlaub hatte nehmen können, und hoffe dort die jetzt etwas nötige Erfrischung zu finden. Man darf gespannt ein, wie die Verhältnisse im Vaterlande sich bis dahin gestaltet haben werden. Die gegenwärtige Unklarheit droht wieder auf allem praktischen Schaffen schwer zu lasten.“93

Die politischen Verhältnisse klärten sich bekanntlich rasend schnell. Die Verhältnisse in der NG blieben jedoch für geraume Zeit noch unklar. Friedrich Schmidt-Ott war im Mai 1933 zum Rücktritt gedrängt worden, führte aber noch die Geschäfte. Unterdessen hatte Griewank eine sehr umfangreiche Aufgabe zu erledigen, die geradezu anachronistisch wirkt. Im Wintersemester 1932/33 standen die Urwahlen der Mitglieder der Fachausschüsse, also der Fachgutachter, an.94 Sie „fanden statt als wenn nichts gewesen wäre“95 und hatten in Karl Griewank einen engagierten und äußerst peniblen „Wahlkommissar“.96 Es beteiligten sich 4867 der 8226 wahlberechtigten Wissenschaftler. Zu unterscheiden galt es 21 Fächer und insgesamt 101 Wahlkreise – vom „Alten Testament“ bis zur „Tiermedizin“ –, in denen teils ein, teils mehrere Kandidaten zu wählen waren. Das aufwendige Verfahren machte es sogar nötig, daß in einem Bereich97 wegen Stimmengleichheit ein Losentscheid stattfinden mußte – unter Zeugen und durch drei Unterschriften bestätigt. Während Griewank mit dieser ausgesprochen demokratischen Aufgabe beschäftigt war, begann man in der Notgemeinschaft zu überlegen, wie die NG nach dem „Eintritt in das neue Reich [...] dem Gesamtplan sich einordnet und der Forderung der Zukunft

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Vgl. Gotthard JASPER: Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930-1934, Frankfurt (M) 1986. Karl Griewank an Willy Andreas, 8.5.1934, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 845, unpag. Ich folge hier der Terminologie Heinrich August Winklers, der sie statt des häufig verwendeten, aber apologetischen Begriffes „Machtergreifung“ verwendet. Vgl. Heinrich August WINKLER: Der lange Weg nach Westen. Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 548-551. Karl Griewank an Willy Andreas, 26.1.1933, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845 unpag. Obwohl die Urwahl nach der Wahlordnung von 1922 im Grunde alle zwei Jahre (seit 1928: vier Jahre) hätte geschehen müssen, fand sie relativ selten statt. Im Februar 1922 wurden die Wahlen erstmals durchgeführt: 3600 der 6747 wahlberechtigten Wissenschaftler beteiligten sich. Die Wahlen 1924, 1926 und 1928 entfielen durch Beschluß der Mitgliederversammlung auf Verlängerung der Amtszeiten für die bestehenden Gutachter. 1929 wurde dann doch – auf Grund der Reformdiskussionen – die Wahl organisiert: 4500 von 7300 Wahlberechtigten beteiligte sich. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 150. Karl Griewank: „Bericht des Wahlkommissars über die Durchführung der Fachausschußwahlen der Notgemeinschaft 1933“ (4 Seiten) und „Ergebnis der Fachausschußwahlen der Notgemeinschaft 1933“ (7 Seiten), 24.3.1933, in: BA Koblenz, R 73/136. Im Bereich „78 c. Reine Mathematik“; Protokoll vom 24.3.1933, in: ebd.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

101

zu entsprechen vermag.“98 Es folgte, wie Lothar Mertens treffend formuliert und detailliert analysiert hat, ein bemerkenswerter Versuch einer „Selbstgleichschaltung“.99 Als ein Schlüsselereignis hebt er dabei die am 13./14. Mai 1933 in Königsberg – noch von Friedrich Schmidt-Ott organisierte – „wissenschaftliche Kundgebung“ der DFG an der dortigen Universität hervor. Bei dieser Veranstaltung, mit deren Vorbereitung Griewank mit seinen Kollegen intensiv beschäftigt war, sollte die Organisation voll und ganz in den Dienst der neuen politischen Führung gestellt werden. Festredner war der Eugeniker Eugen Fischer, der in seinem Vortrag erbbiologische Forschungen im direkten Kontext politischer Anwendungen präsentierte. Aus diesem Grund schlußfolgert Mertens: „Hier forderte ein renommierter Wissenschaftler in einem öffentlichen DFG-Vortrag bereits im Mai 1933 die Euthanasie und die Shoa.“100 Die Wahl des Vortragenden war aus der Sicht von Schmidt-Ott geschickt, denn Fischers „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“101 in Dahlem konnte als Beweis gelten, daß die DFG eine „nützliche“ Rolle für das neue Regime spielen könnte. Der Referent betonte auch pflichtschuldig, daß er „letzten Sommer das Institut hätte schließen müssen, wenn nicht von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und von der Rockefeller Foundation in Amerika [!] Mittel angekommen wären, um die Forschungen weiterzuführen.“102 Die DFG hatte bereits geraume Zeit – seit Mitte der 1920er Jahre – „Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenforschung“ als einen aktuellen Tätigkeitsbereich gefördert. Im Dezember 1927 stellte Eugen Fischer den „Plan einer grosszügigen Erhebung der rassenkundlichen und erbbiologischen Merkmale unserer Bevölkerung“ vor, worauf ihm mitgeteilt wurde: „In einer der letzten Besprechungen mit Sr. Excellenz war auch die Rede darauf gekommen, ob und wie weit die von der Arbeitsgemeinschaft für anthropologische Untersuchungen zu machende Erhebungen gewissen Kreisen Anlass für eine politische Ausnutzung geben können. Es handelt sich hierbei im wesentlichen, wie Ihnen bekannt, um die Judenfrage.“103

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Friedrich SCHMIDT-OTT: Zur Einführung, in: Zwölfter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft) umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1932 bis zum 31. März 1933, Berlin 1933, S. 5-15, hier S. 5. MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 50-70 MERTENS: Einige Anmerkungen, S. 232. Damit widerspricht Mertens dezidiert und mit Recht HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 108. Zu Fischers Institut und dessen Weiterexistenz in der Nachkriegszeit vgl. Hans-Peter KRÖNER: Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege, Stuttgart [u.a.] 1998. Zur Geschichte der KaiserWilhelm-Gesellschaft vgl. Doris KAUFMANN (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung, 2 Bde., Göttingen 2000. Eugen FISCHER: Die Fortschritte der menschlichen Erblehre als Grundlage eugenischer Bevölkerungspolitik, in: Wissenschaftliche Kundgebung der Notgemeinschaft in Königsberg i. Pr. am 13. und 14. Mai 1933. Vorträge von Erwin Baur, Eugen Fischer, F[erdinand] Sauerbruch, A[dolf] Sandberger, Berlin [1933], S. 55-71, hier S. 60. Der Kassenbericht für das Jahr 1932 weist auf: „von der Rockefeller Foundation zur Durchführung anthropologischer Erhebungen der deutschen Bevölkerung“ 104400 Reichsmark. Zwölfter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft) umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1932 bis zum 31. März 1933, Berlin 1933, S. 102. Korrespondenz zur Besprechung vom 17.12.1927, in: BA Koblenz, R 73/169, Gemeinschaftsarbeiten zur Rassenforschung, unpag. Griewank war an dieser Besprechung noch nicht beteiligt, sein Kürzel „gel[esen] Gr[iewank]“ taucht jedoch in der Korrespondenz zur Rassenforschung seit 1932 gelegentlich auf.

3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

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Die NG/DFG gab aber 1933 die Rhetorik des Unpolitischen und der Parteiunabhängigkeit auf; man war nun gewillt, ein deutliches Zeichen zu setzen, für die „wissenschaftliche Nobilitierung des Antisemitismus“104, die nun folgen sollte. Darin zeigte sich eine neue Dimension, und dies wurde von manchen durchaus erkannt.105 Die „Selbstgleichschaltung“ ging im Anschluß an die Tagung weiter. Friedrich Schmidt-Ott erarbeite eine seiner vielen „Denkschriften“.106 Diese enthielt im Wesentlichen eine Rechtfertigung des bisherigen Systems und eine autoritäre Interpretation desselben. Das demokratische Wahlsystem sei ohnehin nur „auf Wunsch parlamentarischer Kreise“107 eingeführt worden. Die Grundaussage dieser Schrift arbeitete die Kompatibilität von Notgemeinschaft und Nationalsozialismus heraus. Die Überlegungen Schmidt-Otts, datiert auf August 1933, endeten mit der Bemerkung: „Eine auf meine Veranlassung angefertigte, aber vollkommen unabhängige Denkschrift des Herrn Dr. Griewank für die künftige Gestaltung des Forschungsdienstes, deren Vorschläge beachtenswerte Anregungen enthalten, erlaube ich mir anzuschließen.“108 Eine Kopie dieser „Denkschrift Griewank“ ist – mit Brandspuren – im Bestand des Koblenzer Bundesarchivs überliefert.109 Auf dieses Dokument gilt es nun näher einzugehen. Es beschrieb detailliert den inneren Aufbau einer nationalsozialistisch orientierten Forschungsgemeinschaft, war stellenweise im Stil einer Satzung aufgebaut und sicher als Grundlage für eine solche gedacht. Und wie bei einer solchen üblich, wurden zunächst die Ziele der Organisation formuliert: „Die Berufsstände stehen der Regierung zur Seite im politischen Kampf um die Schicksalsfragen der Nation, und die wissenschaftlichen Menschen werden zu ihrem Anteil daran berufen; die wissenschaftliche Forschung als solche aber hat auf den Voraussetzungen, die unserem Geschlecht gestellt sind, geistige Waffen zu schmieden und vorzubereiten, die ebenso diesem Kampf wie zukünftigem Leben dienen werden“ (5).

Dies bedeutet ein sehr klares Bekenntnis zur politischen, zur ‚kämpfenden’ Wissenschaft, die das „Ethos einer volks- und gemeinschaftsverbundenen Forschung tragen und vertreten“ (5) solle. „[N]eben der Arbeitsfront [werde] eine ‚Forschungsfront’ oder nach italienischem Namensvorbild ein ‚Forschungsrat’ gebildet […], deren Grundgedanken der Anlage nach in der Notgemeinschaft, wie gezeigt, enthalten waren und in dem Namen ‚Forschungsgemeinschaft’ bereits eine deutlichere Ausprägung gefunden hatten“ (5f). Der Präsident wurde in dem Plan zum „Führer des Forschungsdienstes“ mit seinem Stab (17f.). Das Präsidium hieß nun „Führerrat“. Was zuvor die Mitgliederversammlung war, sollte nun ein „Großer Rat“ werden, der Teil der „Front der Forschung als Vertrauensgrundlage“ (11) sei, in dem alle wissenschaftlichen Einrichtungen wie

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Walter JENS: Eine deutsche Universität. 500 Jahre Tübinger Gelehrtenrepublik [1977], München 1993, S. 342f. Der Mediziner Friedrich von Müller, Präsidiumsmitglied der NG, meinte nach der Königsberger Tagung: „Ich würde es am liebsten sehen, wenn die ganze Rassenhygiene als eigenes Lieblingsfach von der Regierung aufgestellt würde und wenn sie nicht die Notgemeinschaft belasten würde. Die Grundlage für die Rassenforschung ist ja doch die Volksbewegung des Antisemitismus und von diesem sollten wir uns möglichst ferne halten.“ Friedrich von Müller an Friedrich Schmidt-Ott, 1.8.33, in: GStAPK, VI.HA, NL Schmidt-Ott, Nr. 6. Friedrich Schmidt-Ott: Forschungsgemeinschaft und Forschungsdienst, August 1933 (MS), 18 Seiten, in: BA Koblenz, R 73/1. Ebd., S. 5. Ebd., S. 17f. Karl Griewank: Denkschrift 1933, masch., in: BA Koblenz, R 73/1. Die Denkschrift umfaßte 18 Seiten; es fehlen jedoch die ersten vier. Im folgenden werden die Seitenzahlen im Text in Klammern angeführt.

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3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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bisher vertreten sein sollten. Fast wie bisher sollte der Rat „normalerweise jährlich einmal vom Präsidenten“ (16) einberufen werden. Der Hauptausschuß wurde zum „Senat“, der viertel- oder halbjährlich tagt. Auch die Fachausschüsse existierten weiter, als Organe der wissenschaftlichen Beratung des Präsidenten (20). Deutlich formulierte Griewank die durchgehend antidemokratische Verfahrensweise. Der Forschungsrat könne nicht mehr nach einem liberalen Prinzip aufgebaut sein, alle Wahlvorgänge und Mitsprachemöglichkeiten sollen abgeschafft werden: „Selbstverständlich kann ein ‚Forschungsdienst’, eine ‚Forschungsfront’ oder ein ‚Forschungsrat’ nicht mehr eine private Organisation sein, die nach liberalem Prinzip theoretisch die Konkurrenz anderer Einrichtungen zuläßt“ (7). Die Führung gelte es zu stärken; sie müsse „von dem Geiste besten wissenschaftlichen Erkenntnis- und Schaffensdranges und von dem Willen und Wagemut beseelt sein, der dem Aufstieg des Staates Adolf Hittlers [sic] entspricht“ (22f.). Der Präsident solle nun vom Minister ernannt werden. Der Große Rat dürfe nur Stellungnahmen abgeben, wenn der Präsident ihn dazu auffordert, die dann „nur einstimmig (durch Zuruf) erfolgen“ könnten. „Abstimmungen finden nicht statt“ (17) – ein Kernsatz. Ob die Mitglieder des Großen Rates nicht auch vom Reichsminister des Innern bestellt werden sollten, wäre „zu erwägen“(16). Insgesamt beschrieb Griewank mit seinem Vorschlag eine Struktur, die sehr viele Analogien zum Bisherigen enthielt und im Grunde wenig veränderte, jedoch mit autoritär-antidemokratischer Zielsetzung und Entscheidungsfindung. Er nehme an, so ergänzte er, daß eine Vereinheitlichung der „für den Aussenstehenden kaum übersehbare[n] Vielheit“ (20) wissenschaftlicher Körperschaften geplant sei, die er durch die Forschungsgemeinschaft für erreichbar halte. Im NS-System entwickelte sich jedoch bald ein noch weitaus komplexeres Nebeneinander verschiedener Stellen, so daß von Vereinheitlichung keine Rede sein konnte. Ohnehin fanden die Satzungsvorschläge Schmidt-Otts und Griewanks keine Resonanz. Die Satzung der DFG blieb sogar – trotz massiver Veränderungen in der Verfassungswirklichkeit – zunächst bis 1937 unverändert. In der Bewertung der Denkschrift könnte man zum einen das Motiv der Anpassung, des Andienens an die neuen Machthaber sehen. Wenn man sie inhaltlich ernst nimmt, so könnte man auch die Vorstellung einer effizienteren Gestaltung der NG darin sehen. Damit würde er sich als Vertreter der „Generation der Sachlichkeit“ erweisen. Die Denkschrift Griewanks lag ohne Zweifel ganz auf der Linie SchmidtOtts, stellte eine Position dar, mit der die autoritäre Tradition der NG fortgeführt und in den nationalsozialistischen Staat eingebracht werden sollte. Zierold zufolge sei dies als „Bekenntnis zur Richtung Papen-Hugenberg“110 zu werten. Es war jedoch mehr, nämlich ein Anerkennen und Unterstützen dessen, was als nationalsozialistisch verstanden wurde. Ein genauerer Blick zeigt, daß im Grunde viele Elemente gleichblieben und nur mit neuen Namen wie „Führerrat“ und „Front der Forschung“ belegt wurden, von denen Griewank annahm, daß sie der „LTI“111 entsprachen. Das Hauptmotiv schien deshalb in der Anbiederung an das faschistische Regime zu liegen. Die Abkehr vom Prinzip der demokratischen Wahl geht allerdings darüber hinaus. Damit zeigt die Denkschrift Griewanks im Jahr 1933 eine Aufgabe seiner bisherigen Überzeugungen mit dem Ende der demokratischen Prinzipien. Am 6. April 1933 trat Karl Griewank, der nie Frontsoldat war, dann auch in den nationalkonservativen „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“ ein, was ihn 1945 in Erklärungsnot brachte. Er beteuerte, diesem Verband eigentlich stets ferngestanden zu

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ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 153. Victor KLEMPERER: LTI. Notizbuch eines Philologen, Berlin 1947.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

haben und ihm „lediglich in der Absicht, die damals noch außerhalb der Partei stehenden Kräfte zu verstärken und ein Gegengewicht zur SA zu ermöglichen“112, beigetreten zu sein. Der Stahlhelm war eine autoritär-antidemokratische Organisation, bekundete Anfang der 1930er Jahre Widerspruch zum Nationalsozialismus.113 Im Frühjahr 1933 kann zwar von einer solchen Opposition überhaupt nicht mehr gesprochen werden, aber die Organisation besaß doch den Nimbus, innerhalb des „nationalen Lagers“ die alten Kräfte zu stärken, die Erinnerung an Weltkrieg und Kaiserreich statt der neuen braunen Ideologie zu betonen.114 In der Tat traten in diesen Tagen viele in den Stahlhelm ein, gerade auch etliche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die sich genötigt sahen, einer „uniformtragenden Organisation“ beizutreten.115 Es kam zu Eintritten ehemaliger Mitglieder des SPD-nahen „Reichbanners Schwarz-Rot-Gold“ und sogar von RotFront-Kämpfern der KPD.116 Der Stahlhelm wurde dann aber bald „gleichgeschaltet“, sogar aufgelöst und seine Mitglieder in NS-Organisationen überführt. Auch Karl Griewank gab an, 1934 „zwangsweise“ in den „NS-Luftsportverband“ aufgenommen worden zu sein, der in SA-ähnlichen Uniformen Wehrübungen durchführte.117 1935, also bereits im Folgejahr, schied er jedoch wieder aus dem Verband aus. In Lebensläufen vor 1945 hieß es stets, er sei „aus Gesundheitsgründen ehrenvoll ausgeschieden“.118 Damit wird auf seine Krebserkrankung Bezug genommen.119 Nach 1945 erklärt er dann freilich: „Ich habe die nächste sich bietende Gelegenheit benutzt, um nach kurzer Zeit für immer auszuscheiden. Seit 1935 habe ich in keiner Form mehr einer entsprechenden Organisation angehört.“120 Die Akten bestätigen diesen Vorgang, wenn auch mit einigen Korrekturen im Detail. So wird er in der Sturmrolle der SA bereits seit 15.10.1933 als SA-Mitglied vom Dienstgrad Sturmmann geführt.121 Dort findet sich auch der Abgangsbeleg: „17.1.36 ehrenvoll entlassen. Grund: schwere Krankheit.“ 1936 trat er dann doch einer NS-Organisation bei, allerdings lediglich der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ – eine Mitgliedschaft, die weder vor noch nach 1945 besonders zur Kenntnis genommen wurde.122 Offensichtlich unternahm er nach dem Überwinden seiner Krankheit keinerlei Versuche, einer profilierteren NS-Organisation beizutreten. Auch eine Mitgliedschaft im NS-Dozentenbund, obwohl diese für eine akademische Karriere wichtig erschien,

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Lebenslauf vom 11. Februar 1945 [?, richtig wohl 1946], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 80. Vgl. Volker R. BERGHAHN: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-1945, Düsseldorf 1966, insbes. S. 245-274. Vgl. Falk BURKHARDT: National-konservative Kräfte und das Konzentrationslager Bad Sulza. Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten, in: Udo WOHLFELD/DERS.: Das Netz. Die Konzentrationslager in Thüringen 1933-1937. Eine Dokumentation zu den Lagern Nohra, Bad Sulza und Buchenwald, Weimar 2000, S. 241-297, hier S. 260-270. Vgl. ebd., S. 270 mit Anm. 94. In der DFG als einer quasi-staatlichen Organisation galten stets analoge Bedingungen zum öffentlichen Dienst. Vgl. BERGHAHN: Stahlhelm, S. 264f., 270 und Bernhard MAHLKE: Art. „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten (Stahlhelm) 1918-1935“, in: Dieter FRICKE [u.a.] (Hg.): Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbänden in Deutschland (1789-1945), Bd. 4, Leipzig 1986, S. 145-158, hier S. 155. Dies bedeutete de facto eine SA-Mitgliedschaft. Griewank selbst ging zunächst auch davon aus, Mitglied der SA gewesen zu sein und korrigiert dies erst nach eigenen Recherchen 1946. Fragebogen vom 17. August 1938, in: BA Berlin, ehem. BDC, RKK-Akte Griewank, Karl, unpag. Siehe dazu oben Kapitel 2.5.3. Lebenslauf vom 11. Februar 1945 [?, richtig wohl 1946], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 80. Dieses Datum wurde bei allen „Stahlhelmern“ als Eintrittsdatum notiert. Sturmrolle Sturm 30/15, in: BA Berlin, ZA VI 4841 A. 24, Bl. 10. Personalfragebogen, 13.1.1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 20.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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vermied er. Es ist bekannt, daß es nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine Eintrittswelle in die NSDAP (die sog. „Märzgefallenen“) und in die SA gab. Griewank hat zu diesem Zeitpunkt den Beitritt in den Stahlhelm gewählt, wohl nicht aus Zufall. Innerhalb des noch vorhandenen Spektrums „uniformierter Verbände“ vertrat der Stahlhelm das Gesellschaftsbild eines autoritären, aber nicht notwendig faschistischen Staates. Die von Griewank selbst gewählte Charakterisierung, einer Organisation beigetreten zu sein, die damals noch legal gewesen sei, aber in Distanz zum neuen Regime gestanden habe, ist durchaus plausibel und wurde von den Zeitgenossen auch verstanden und akzeptiert. Gleichwohl stellten die Denkschrift und der StahlhelmEintritt eindeutige Momente der Akzeptanz und Orientierung Griewanks im nationalsozialistischen System dar. Deutlich wird aber auch, daß die Annäherung dann einer schrittweisen Distanz wich. Dabei ist ohne Zweifel die Tatsache, daß er sich seit 1934 der Bekennenden Kirche zurechnete, von nicht zu unterschätzender subjektiver Bedeutung.123 Der Nationalsozialismus erschien als etwas Fremdes, auch wenn man in ihm wirkte und ihn trug. „Es scheint, als ob Deutschland noch schwere Prüfungen wird durchmachen müssen, um das vom Führer gewiesene Ziel wirklich zu erreichen. Nach allen geschichtlichen Erfahrungen führen sich Revolutionen nicht so einfach durch, wie das manchen am Anfange scheint, und wieviel mehr, wenn oft nicht deutlich ist, was Zweck, was Mittel, und was überhaupt noch taugliches Mittel sein kann.“124

Diese Bemerkungen vom 29. Oktober 1934 zeigen Nachdenklichkeit, Vorsicht und Distanz zum Regime – vor allem im Hinblick auf die angewandten Methoden –, sie zeigen aber bei weitem keine Ablehnung oder gar Widerstand. Griewank bleibt im Grunde bei dieser Haltung; andere Dinge, wie Krankheit und eigene historische Forschungen, treten in den Vordergrund. Im folgenden gilt es jedoch zunächst, sein berufliches Umfeld weiter zu beleuchten.

3.2.3. „Ich kann dabei zunächst nur abwarten und in meinem Rahmen weiter arbeiten.“ – Schmidt-Otts Ablösung und seine Nachfolger Wie gestaltete sich nun die weitere Entwicklung in der NG/DFG? In der Einladung zur Sitzung des Präsidiums am 25. März, die Griewank handschriftlich entworfen und Schmidt-Ott zur Genehmigung vorgelegt hatte, wurde die „Vorbereitung der Hauptausschuß-Sitzung“125 angekündigt. Zu dieser erschien auch der Reichsinnenminister Wilhelm Frick und verkündete in konsensualer Rhetorik die Bedeutung der NG für den neuen Staat.126 Am 1. April 1933 benannte Griewank offiziell dem Amtsgericht BerlinMitte die Präsidiumsmitglieder mit Fritz Haber als dem zweiten Vizepräsidenten.127 Am 9. Mai 1933 trat dieser dann aber von dem Posten zurück – mit dem Hinweis auf seine

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Dies gilt uneingeschränkt neuerer kritischer Erkenntnisse zum Widerstandspotential der Bekennenden Kirche. Dazu unten Kapitel 3.3.2. Karl Griewank an Willy Andreas, 29.10.1934, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 843, unpag. Mit dem Zusatz: „insbesondere Besprechung des Voranschlages für 1933/34 und der Ergebnisse zu den Fachausschüssen“; handschriftlicher Entwurf Griewanks mit der Notiz „Von Sr. Exz. genehmigt 15/3 Gr.“, in: BA Koblenz, R 73/237, unpag. Vgl. dazu SCHMIDT-OTT: Zur Einführung, in: Zwölfter Bericht, S. 5, 13-15. Notgemeinschaft (Griewank) an Amtsgericht Berlin-Mitte, 1.4.1933, in: BA Koblenz, R 73/14168, unpag.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

jüdischen Eltern und Großeltern und die rassistische Politik der Nazis.128 Haber, der die NG von Anfang an entscheidend prägte, starb kurze Zeit später, am 29. Januar 1934, während einer Schweizreise. Kurz nach diesem Rücktritt fand die schon als paradigmatisch vorgestellte Königsberger Kundgebung (13./14. Mai) statt und unmittelbar darauf folgte der Rücktritt Schmidt-Otts, des gesamten Präsidiums und des Hauptausschusses (17. Mai). Am 27. Mai 1933 wußte Griewank zu berichten, daß „leider der – von oben gewünschte – Rücktritt von Schmidt-Ott als endgültig zu betrachten sein wird“.129 Man wartete auf eine Klärung durch die für den 17. Juni angesetzte Mitgliederversammlung. Zwei Tage vor diesem Termin schrieb Griewank an Willy Andreas, der als Heidelberger Rektor daran teilgenommen hätte: „Es war in den letzten Tagen wiederholt meine Absicht, Ihnen über die Lage der Notgemeinschaft vorbereitend vertraulich zu berichten; leider aber kam ein festes Bild, das sich hätte mitteilen lassen, nicht zustande, und heute wurde Exz. Schmidt-Ott vom Reichsminister des Innern, zunächst ohne nähere Begründung, veranlaßt, die vereinbarte Mitgliederversammlung auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Welche Absicht dabei besteht – vermutlich in der Richtung einer Organisationsveränderung, die noch vorbereitet werden muß – ist uns noch nicht genau bekannt.“130

Die Mitgliederversammlung fiel aus. Beiden konnte nicht klar sein, daß eine solche in der NS-Diktatur nur noch ein einziges Mal stattfinden würde. Selbst die Neuwahl des Präsidenten sollte nun im schriftlichen Rundlauf stattfinden. Der Zustand der Ungewißheit blieb – und Schmidt-Ott blieb auch. Er führte die Geschäfte weiter: ein Interregnum, welches erst ein Jahr später endete bzw. in die nächste Phase übertrat. Am 1. Mai 1934 wurde das „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ (REM) eingerichtet.131 Griewank sah immer noch „die labilen Verhältnisse im dienstlichen Bereich [...]. In welcher Weise sich der Übergang der Notgemeinschaft an das neue Ministerium für Wissenschaft usw. vollziehen wird, ist noch nicht entschieden. Sachlich entspricht die Zusammenfassung der Wissenschaftsverwaltungen ja alten Wünschen, die auch von Ihnen [Willy Andreas] ausgesprochen wurden; man muß jetzt wünschen, daß die Ausführung in die Hände von Kräften kommt, die den großen Aufgaben und den Möglichkeiten, die auch auf der Seite der Wissenschaft noch liegen, gewachsen sind.“132

Aus diesen Worten spricht eine gewisse Skepsis. Der neue Minister Bernhard Rust tat dann auch, was Griewank befürchtete. Er entließ Friedrich Schmidt-Ott nun endgültig zum 23. Juni 1934 und setzte den Nobelpreisträger und alten Nationalsozialisten Johannes Stark, einen eigenwilligen Vertreter der „Deutschen Physik“, ein. Eine ordentliche Übergabe der Amtsgeschäfte fand nicht statt. Der alte Präsident mußte sich Hals über Kopf von seinen Mitarbeitern verabschieden.133 Griewank schrieb ihm einige Tage später:

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Fritz Haber an Friedrich Schmidt-Ott, 9.5.1933 (Abschrift), in: BA Koblenz, R 73/237, unpag. Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 52 und 151. Karl Griewank an Willy Andreas, 27.5.1933, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845 unpag. Karl Griewank an Willy Andreas, 15.6.1933, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845 unpag. Eine Monographie zum REM fehlt. Vgl. einstweilen HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 122-141; MERTENS: „Nur politisch Willige“, S. 29-35 und nach wie vor Hellmut SEIER: Der Rektor als Führer. Zur Hochschulpolitik des Reichserziehungsministeriums 1934-1945, in: VfZ 12 (1964), S. 105-146. Vgl. auch DERS.: Universität und Hochschulpolitik im nationalsozialistischen Staat, in: Klaus MALLETTKE (Hg.): Der Nationalsozialismus an der Macht. Aspekte nationalsozialistischer Politik und Herrschaft, Göttingen 1984, S. 143-165. Karl Griewank an Willy Andreas, 18.5.1934, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845 unpag. SCHMIDT-OTT: Erlebtes, S. 294. Ausführlich in einem handschriftlichen Bericht Schmidt-Otts in: BA Koblenz, R 73/2.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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„Erst allmählich kommt nach dem überraschend schnellen und plötzlichen Abschied des Sonnabends mir wie wohl jedem von uns zu vollem Bewußtsein, welche tief einschneidende Änderung das Ausscheiden Euer Excellenz gerade auch persönlich bedeutet. Dankbar blicke ich auf alles, was ich mit und für Euer Excellenz tun und lernen durfte, und es ist mein lebhafter Wunsch, daß mir fernerhin Gelegenheit gegeben werde, dies würdig zu bewahren. Daß Euer Excellenz wie bisher mir Ihre Freundschaft und Hilfsbereitschaft erhalten möchten, ist meine herzliche Bitte. Ich hoffe, daß Sie im Kreise der Ihren auch diese gewiß nicht leichten Tage in der von uns immer bewunderten Frische und geistigen Überlegenheit durchleben konnten.“134

Der neue Präsident hinterließ von Beginn an einen negativen Eindruck. Als erste Amtshandlung ließ er sich – Fehling zufolge – nach einer halben Stunde im Büro das erste Monatsgehalt auszahlen und fuhr für vier Wochen in Urlaub.135 Stark entschied eigenmächtig136, bevorzugte vor allem die Experimentalphysik und „sein Institut“, die Physikalisch-Technische Reichsanstalt, die er seit 1933 leitete. Den Hauptausschuß besetzte er neu, berief ihn aber nie ein.137 Als entscheidend wirkte sich jedoch aus, daß Stark in zunehmenden Streit zum REM geriet. Es ging um Kompentenz- und persönliche Fragen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.138 Den Mitarbeitern der DFG blieben jedoch die Dienstaufsichts-Maßnahmen des Ministeriums nicht verborgen, schließlich kamen die entsprechenden Schreiben des Ministeriums ins Haus und wurden zum Teil von Stark unbeantwortet gelassen. Innerhalb der Organisation wurden neue Zuständigkeiten festgelegt. Die treibende Kraft dabei war Eduard Wildhagen, der als Gegner Schmidt-Otts bereits erwähnt wurde. Helmut Heiber charakterisiert Wildhagen als einen „windigen Charakter“.139 Karl Griewank bezeichnete ihn später einmal als den „großen nationalsozialistischen Gleichschalter der Notgemeinschaft“140. Wildhagen wurde zum Stellvertreter des Präsidenten ernannt. Am 3. August 1934 konnte Griewank seinem Mentor Willy Andreas noch nichts abschließend über die „Umgestaltung des Aufgabenbereiches“ sagen: „Wieweit sie sich auswirkt, kann ich heute noch nicht sagen. Mir selbst sind noch Aufgaben zugewiesen worden, und ich werde froh sein, wenn ich der deutschen Wissenschaft nützlich sein kann. Ich habe aber das Gefühl, daß ich mich auf die Dauer nach einer anderen Tätigkeit umsehen sollte, unter den heutigen Verhältnissen gewiß nicht leicht. Ich würde mich freuen, mit Ihnen darüber einmal mündlich sprechen zu können.“141

Die Klage wiederholte sich über die Jahre. 1935 schrieb er: „Über der Zukunft der Notgemeinschaft schwebt ein merkwürdiges Dunkel. Daß sie aufgegeben werde, scheint vorerst nur ein von bestimmter Seite ausgehendes Zweckgerücht zu sein. Ich weiß nicht, ob man im Ministerium schon positiv klar ist in Bezug auf die künftige Wissenschaftsorganisation; da aber Organisationswille und Sachverstand wieder einmal keineswegs durchweg zusam-

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Karl Griewank an Friedrich Schmidt-Ott, 27.6.1934, GStAPK, VI. HA, NL Schmidt-Ott, Nr. 7. MERTENS: Führerprinzip, S. 43. Ein Beispiel, daß Stark eine Bewerberin trotz ausnahmslos positiver Gutachten ablehnte, da er der Meinung war, man solle doch lieber einen „jungen Mann“ fördern, ausführlich bei MERTENS: Forschungsförderung der DFG, 70-72. MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 95-100. Vgl. die Dokumentation in den Akten des Preußischen Kultusministeriums: GStAPK, I.HA, Rep. 76, Nr. 1354, insbes. Bl. 1-4 (Chronologie). HEIBER: Walter Frank, S. 787-792, 830-848; vgl. auch ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 42; HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 183-193; MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 99-103 und passim. Karl Griewank an Georg Becker, 21.1.1946, zit. nach HEIBER: Walter Frank, S. 793. Karl Griewank an Willy Andreas, 2.8.1934, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 843, unpag.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere menfallen dürften, ist es völlig unberechenbar, was geschieht. Ich kann dabei zunächst nur abwarten und in meinem Rahmen weiter arbeiten.“142

Immer wieder berichtete Griewank davon, daß die „laufende Büroarbeit [...] nicht gerade befriedigend“143 sei und er auf eine Möglichkeit hoffe, die Stellung bei der DFG verlassen zu können.144 Inzwischen war eine entscheidende Wendung in der Organisation eingetreten. Stark, der sich auf die politische Rückendeckung durch das Amt Rosenberg, seine langjährigen persönlichen Kontakte zu Adolf Hitler145 und die Symbolwirkung der „Deutschen Physik“ verlassen hatte, mußte im Konflikt mit dem REM beigeben und trat am 14. November 1936 zurück.146 Zum Nachfolger wurde der Chemiker Rudolf Mentzel ernannt, seit 1925 NSDAP-Mitglied, zudem war er vor der Machtübertragung „Führer des 1. Sturmbanns der 51. SS-Standarte“ in Göttingen gewesen.147 Mentzel wurde – wie Griewank – im Jahr 1900 geboren. Schon früh engagierte er sich in der national-völkischen Bewegung und galt vielen 1933 als junger Emporkömmling. Er spezialisierte sich in „angewandte[r] Chemie unter besonderer Berücksichtigung des Luftschutzes“, wurde Professor für „Wehrchemie“ an der TH Berlin und bald darauf Ministerialbeamter im REM. Dort stieg er später zum Ministerialdirektor und Leiter des „Amtes Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ auf. Dieses Amt behielt er auch als Präsident der DFG. Dies kommentierte Griewank 1940 diplomatisch: „Die Forschungsgemeinschaft ist in enge Verbindung mit dem zuständigen Reichsministerium gebracht“.148 Der SS-Mann Mentzel schraubte die finanzielle Unterstützung der DFG für Starks ehemaligen Gönner Alfred Rosenberg149 und dessen Amt zurück und stellte zunächst einmal komplett auf Himmler um. Ab jetzt flossen große Geldbeträge an dessen „SSAhnenerbe“ und die mit ihm kooperierenden Kräfte.150 Im Kassenbuch der „Handakten Griewank“, das für die Zeit von April 1942 bis Februar 1945 erhalten ist, fällt der sehr hohe Überweisungsbetrag von 360 000 RM ins Auge, der im Juli 1944 an die Ahnener-

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Karl Griewank an Willy Andreas, 3.2.1935, in: ebd. Karl Griewank an Willy Andreas, 21.12.1940, in: ebd. Karl Griewank an Willy Andreas, 20.10.1941, in: ebd. Diese gingen auf die Zeit der Festungshaft Hitlers zurück. Stark hatte Hitler im Gefängnis aufgesucht und nach seinen Wünschen „versorgt“. Vgl. MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 100-108. Mentzel war NSDAP-Mitglied Nr. 2937, Eintritt 9.3.1925. Für den 11.8.1925 wird wegen des zwischenzeitlichen Verbots der Partei der Austritt registriert, am 1.5.1928 der Wiedereintritt. BA Berlin, BDC, MFOK, NSDAP-Ortsgruppenkartei, 3200/O 0064, Bl. 0966; Biographische Notiz des „Völkischen Beobachters“, in: BA Berlin, R 4901/alt R 21, Nr. 11131, Bl. 123; vgl. auch HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 130-136. Karl GRIEWANK: Am 30. Oktober: 20 Jahre „Deutsche Forschungsgemeinschaft“. Vom Einsatz der deutschen Forschung. Wesen und Aufgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in: Deutscher Wissenschaftlicher Dienst, 1 (1940), Nr. 18, S. 6f., hier S. 6. Alfred Rosenberg, der „Beauftragte des Führers für die gesamte weltanschauliche Erziehung der NSDAP“ und Gegner des „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler, war von Stark zum „Ehrenpräsidenten“ der DFG ernannt worden; ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 182. Vgl. SIEG, Strukturwandel, S. 262. Zum Ahnenerbe vgl. KATER: Ahnenerbe, insbes. S. 95-98, 191226. Vgl. zur geisteswissenschaftlichen Aktivität des Ahnenerbe jetzt auch LERCHENMÜLLER/ SIMON: Maskenwechsel, insbes. S. 116-152. Dieses Buch zeichnet sich durch große Kenntnisse über die NS-Wissenschaft aus, aber auch durch ein allzu großes Verständnis für die NS-Wissenschaftler, insbesondere für Schneider/Schwerte. Dabei tritt störend eine Verwischung juristischer, moralischer und historischer Kategorien auf.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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be-Stiftung als Sachbeihilfe gezahlt wurde; es ist dort der höchste Betrag überhaupt.151 Dabei handelte sich dabei um die Überweisung für das Rechnungsjahr 1944/45. Im Rechnungsjahr 1943/44 waren es schon 300 000 RM gewesen.152 In diesen Kontext gehört auch ein Überweisungsformular, in dem am 20. März 1945 dem Ahnenerbe 90 000 RM überwiesen wurde – als Vorschuß für 1945/46.153 Dieses dient nun Ernst Klee zum Beweis, um Karl Griewank mit der verbrecherischen Medizinforschung in Verbindung zu bringen. Er unterstellt ihm eine Verbindung zu „Menschenversuche[n] von Natzweiler bis Auschwitz“, für die die DFG „Gelder bis zum Untergang der Nazi-Herrschaft“ verteilt habe.154 Das Formular vom 20.März 1945 enthält die Unterschrift Karl Griewanks, den Klee als „Privatdozent[en] und Historiker“ vorstellt, der „der Geschäftstelle der DFG von 1926 bis 1945“ angehörte und die Organisation nach dem Kriegsende weiterführte. „Einen personellen Neuanfang wird man dies kaum nennen können“155, so sein Kommentar. Griewank sei, wiederholte er in einem Vortrag in Jena „ein alter Funktionär des ‚Nazi-Regimes’“ gewesen.156 In Klees 2004 erschienenen Personenlexikon wird Griewank „als Referent für Geisteswissenschaften der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Aufgabe: Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ vorgestellt und der Kriegseinsatz als „ein Propagandaunternehmen, das die geistige Überlegenheit des NS-Staates demonstrieren sollte“, umschrieben.157 Wie sieht es also mit Griewanks Verbindungen zu Medizinverbrechen aus? Die fragliche Überweisung – ein von Griewank abgezeichneter Vordruck – ging an den Verein „SS-Ahnenerbe“. Es ist kein Antrag, kein Verwendungszweck und auch kein Vorgang festzustellen. Die Parallelüberlieferung in den Handakten Griewanks belegt, daß es sich um die regelmäßige Geldzuweisung an Himmlers SS-Ahnenerbe handelte, mit der SS-Forschung auf geisteswissenschaftlichem Gebiet finanziert wurde. Im Jahr 1945 wurden die Beträge „zeitbedingt“ im voraus überwiesen – dasselbe Formblatt findet auch bei anderen Transaktionen seine Anwendung. Griewank hat einen Teil dieser Formulare unterschrieben. Sein Zuständigkeitsbereich blieb jedoch nach wie vor die Geisteswissenschaft. Die von Klee beschriebenen Verbrechen wurden von der für die Medizin zuständigen sogenannten „Abt. Zweckforschung“158 des SS-Ahnenerbe ausgeführt. Deren Anträge hatte Griewank nicht bearbeitet. Dies gehörte statt dessen bis 1937 in den Zuständigkeitsbereich von Walter Greite, dem Referenten für Biologie und

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BA Koblenz, R 73/49, Juli 1944, Nr. 72. BA Koblenz, R 73/50. BA Berlin, NS 21/794, Mappe 108, unpag. (ungeordnete Sammelmappe); Durchschlag des Dokuments auch in den Handakten Griewank: BA Koblenz, R 73/53, unpag. Ernst KLEE: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt (M) 2001, S. 92f. KLEE: Auschwitz, S. 93. Ernst Klee anläßlich eines Vortrags am 21. Februar 2000 in Jena über die Beteiligung des Jenaer Mediziners Jussuf Ibrahim an Euthanasieverbrechen. Klee widmet seinen Eindrücken von der Vergangenheitsbewältigung in Jena ein Kapitel seines Buches, das er „Jena, die braune Universität“ überschreibt. Vgl. KLEE: Deutsche Medizin, S. 230-253. Vgl. zu Ibrahim ZIMMERMANN, Medizinische Fakultät, S. 165-172; Bericht der Kommission der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur Untersuchung der Beteiligung Prof. Dr. Jussuf Ibrahims an der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ während der NS-Zeit, Jena 2000. Ernst KLEE: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, Frankfurt (M) 2003, S. 200. Die Verbrechen wurden von der „Abteilung R“ („R“ für Sigmund Rascher, 1909-1945) dieses Instituts begangen. Vgl. hierzu Michael H. KATER: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München 21997, S. 227-264.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

Medizin.159 Laut Zierold war von 1938 bis 1945 der Referenten Sergius Breuer für die Medizin zuständig, über den in der gesamten Literatur zur DFG erstaunlich wenig zu lesen ist.160 In dem jetzt von Klee zusammengestellten Personenlexikon zum Dritten Reich wird Breuer als „Vertreter Sauerbruchs bei Bewilligung von Forschungsprojekten, auch Menschenversuchen und Ritters Zigeunerforschung“161, genannt. Daß Griewank dennoch zum Ende des Krieges auch medizinische Anträge zu bearbeiten hatte, belegen nun die Forschungen von Marion Hulverscheidt im Rahmen der neuen Arbeitsgruppe zur DFG-Geschichte. Griewanks Unterschrift befindet sich unter einer Bewilligung eines Gerätes („micro-manipulator“) für den Malariaforscher Claus Schilling, der nicht nur Direktor der Tropenabteilung des Robert-Koch-Instituts in Berlin war, sondern eine Malariastation im KZ Dauchau leitete.162 Die Menschenversuche Schillings, die dieser stets als medizinisch notwendig darzustellen pflegte, waren nicht Inhalt des Antrags und eine fachliche Diskussion ist der Inhalte ist auch nicht festzustellen.163 Unklar bleibt somit, was Griewank über den Medizinprofessor Schilling und dessen Experimente wußte. Auch wenn die von Klee nahegelegte persönliche Schuld und Mitwisserschaft Karl Griewanks nicht nachweisbar sind, muß die dahinterstehende Strukturfrage gestellt werden. Die DFG hatte ihren Charakter endgültig verändert, war zu einer Abrechungsstelle des REM geworden. Durch Ministererlaß vom 16. März 1937 wurde ein „Reichforschungsrat“ (RFR) gebildet, der in enger Kooperation zur DFG stand. Der RFR sollte sich im Kontext von Vierjahresplan und Aufrüstung um die naturwissenschaftlichtechnischen Fächer kümmern, während die DFG „insbesondere auf den Gebieten, denen sich der Reichforschungsrat nicht zuwendet, so der Auslandsdeutschen und Volksdeutschen Forschung, der Forschung auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften“164 wie bisher tätig blieb. Unter Mentzel wurde auch die Satzung165 der DFG verändert, freilich viel radikaler als in Griewanks Denkschrift angedacht: Präsidium, Hauptausschuß und Fachausschüsse wurden schlichtweg abgeschafft. Der Präsident sollte vom Reichsminister ernannt werden. Der Präsident ist der Vorstand im Sinne des Vereinsrechts. Das gesamte Gutachterwesen, für das in demokratischen Zeiten noch die gewählten Fachausschüsse, Sonderausschüsse und Sondergutachter gab, wurde auf einen Satz zusammengestutzt: „Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Vergabe von Forschungsmitteln stehen dem Präsidenten namhafte Wissenschaftler aus den einzelnen Fachgebieten als

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Greite war SS-Sturmbannführer und wechselte 1937 in das „Erbbiologische Amt“ des Reichgesundheitsministerium; vgl. KLEE: Personenlexikon, S. 199; MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 102, Anm. 218. Vgl. die kurze Erwähnung bei ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 215. Die Angaben sind widersprüchlich. Mertens referiert eine Aussage wonach ein „Dr. Breuer“ 1936 fristlos gekündigt worden sei; vgl. MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 102. Die einschlägige Akte „Personalangelegenheiten der DFG 1/1935-11/1944“ weist ihn 1937 nicht mehr als Referent aus, ist jedoch ebenfalls nicht eindeutig; Vgl. BA Berlin, R 4901/alt R 21, Nr. 11131. KLEE: Personenlexikon, S. 75. Marion HULVERSCHEIDT: German Malariology experiments with humans, supported by the DFG until 1945, in: ECKART (Hg.): Man, Medicine and the State, S. 221-235, hier S. 228 mit Anm. 31. Schillings Antrag vom Februar 1944 ist von Griewank am 15. Mai 1944 „without any further question“ beantwortet worden; ebd. Minister Rust, 21.9.1937, zit. nach ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 218. Auf den RFR, seine Zusammensetzung und Umgestaltung kann hier nicht eingegangen werden; Griewanks Aufgabenfeld betrafen sie nicht. Satzung der DFG, 30.10.1937, in: ebd., S. 548-550.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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Gutachter zur Seite.“166 Damit war das Führerprinzip, das ohnehin schon galt, nun auch schriftlich niedergelegt. Es bedeutete für die Mitarbeiter eine große Abhängigkeit vom Präsidenten, dem alle Entscheidungen vorzulegen waren. Deshalb ist eine Charakteristik der Person Mentzels wichtig. Zierold beschrieb ihn wohl auch auf Grundlage von Zeitzeugeninterviews, die er freilich erst nach 1945 geführt haben kann und deren beschönigender Charakter nicht zu vernachlässigen ist: „Mentzel war 36 Jahre alt, als er sein Amt antrat. Er war nicht halb so alt wie Schmidt-Ott und 26 Jahre jünger als Stark. Dementsprechend veränderte sich der Stil in der Geschäftsstelle grundlegend. Mentzel gab sich betont kameradschaftlich. Er begann mit einem Umtrunk – das Pokulieren liebte er überhaupt – und verzichtete auf äußere Distanz und Würde. Er verlangte weder Parteieintritt noch kontrollierte er, ob auch immer der Hitlergruß angewendet wurde. Er hatte ein gutes Verhältnis zu seiner ‚Gefolgschaft’ und nahm sich ihrer in sozialen Fragen an.“167

Der neue Vorgesetzte war also kein formaler Ideologe, und so entstand die Möglichkeit, daß Griewank parteilos blieb. Dieser machte sich sehr schnell selbst ein Bild von Mentzel, das er seinem Doktorvater im Dezember 1936 mitteilte: „Der Mann, nach dem Sie fragen, ist, soweit ich ihn kenne, ein[e] vorwiegend soldatische Natur, nüchtern und militant; man rechnet ihn zu den Vertretern des Gedankens der ‚totalen Mobilmachung’, die wohl im Ganzen jetzt das Ministerium beherrschen. Ich kenne ihn nicht näher, möchte aber annehmen, daß bei ihm wie bei anderen mit Wehrgedanken und 4 Jahres-Plan mehr auszurichten ist als mit kulturellen, selbst mit ‚weltanschaulichen’ Gesichtspunkten. Dabei Neigung für ‚zakkige’, klare und scharfe Form, Würdigung sachlicher Solidität. Er war übrigens früher in Rostock (Chemiker). Persönliches kann ich nicht sagen. Die Notgemeinschaft ist – das ist der Sinn des Wechsels – jetzt enger an das Ministerium herangezogen. Ihr Schwergewicht wird auf jener in der Linie der ‚totalen Mobilmachung’ liegenden Aufgaben verlegt werden.“168

Quellenkritisch muß angemerkt werden, daß zwar der Name „Mentzel“ nicht fällt und daß dieser nie in Rostock war, sondern sich in Greifswald habilitiert hatte. Er ist jedoch mit Sicherheit gemeint, da eine konkrete Taktik der Antragsformulierung nahegelegt wird und Vorlagen für den neuen Präsidenten genau so formuliert wurden: knapp, klar und sachlich solide. Hier wird ein typischer Vertreter der „Generation der Sachlichkeit“ beschrieben, der wie Werner Best dem Regime durch Effizienz zu Diensten sein will. Der Brief zeigt zudem, daß Griewank 1936 die kriegsvorbereitende Mobilmachung unverschleiert erkannte. Griewank machte sich Sorgen um die Kultur- und Geisteswissenschaften. Das Schreiben belegt die deutlich eingetretene Desillusioniertheit des Referenten. Nachdem die Anhänger Starks und Wildhagens entlassen wurden, kam es zu keinen offensichtlichen Konflikten innerhalb der Geschäftsstelle. Griewanks Arbeit wurde offensichtlich geschätzt. Eine „Überprüfung von Gefolgschaftsmitgliedern“ im Juni 1939 führte zum Ergebnis: „Griewank ist mir in jeder Beziehung als zuverlässig bekannt und als Geheimnisträger geeignet.“169 In diesem Kontext steht auch seine „UkStellung“ (unabkömmlich), also die Freistellung vom Kriegsdienst, die auf einen Antrag Mentzels zurückgeht.170 Griewank sei der einzige der vier übriggebliebenen Referenten,

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Ebd., S. 550, §7. Ebd., S. 214. Karl Griewank an Willy Andreas, 20.12.1936, in: BGLA 847. Der Text lautete für alle „Gefolgschaftsmitglieder“ so. BA Koblenz, R 73/66 (Geheimakten Bd. 4), Bl. 92. Antrag auf Freistellung vom Heeresdienst Griewank, 23.6.1941, in: BA Berlin, R 4901/alt R 21, Nr. 11131, Bl. 280-283. HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 365, hat den Antrag auszugsweise zitiert. Dort auch die folgenden Zitate.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

der sich um die Geisteswissenschaften kümmere, „besonders [um den] den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften, für den ein umfangreiches, der geistigen Kriegsführung und Propaganda dienendes Programm“ in Angriff genommen worden sei. „Dr. Griewank vertritt ausserdem alle wehrwichtigen Forschungsbelange auf den nichtnaturwissenschaftlichen Gebieten“, er halte die Kommunikation „mit dem neutralen Auslande“ aufrecht und bearbeite „ferner die Veröffentlichungen und Förderung wissenschaftlicher Druckwerke für den ganzen Bereich des Reichsforschungsrats und der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die kriegswissenschaftlichen Veröffentlichungen auf allen – auch den naturwissenschaftlichen und technischen Wissenschaftsgebieten. Seine fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen sind auf diesem Gebiete zur Zeit nicht zu ersetzen“. Die Akte enthält ähnliche Anträge auf Freistellung oder gar auf Zurückberufung von der Truppe auch für alle anderen Referenten.171 Sogar der Hausmeister und der Kassenangestellte seien „unabkömmlich“.172 Die Anträge wurden sämtlich vom Reichsminister Rust unterstützt, hatten dennoch nicht immer Erfolg: Anders als Griewank mußten August Wilhelm Fehling, Max Horst und Friedrich August Fischer an die Front.173 Der Grund kann jedoch nicht an der Formulierung der Anträge gelegen haben, die in ihrer Ausgestaltung zwar jeweils auf den Einzelfall zugeschnitten, aber doch gleich dringlich gemacht waren. Vielmehr wirkte sich entscheidend aus, daß Griewank ungedient war, zudem Mitte der 1930er Jahre erkrankt und 1937 aus der Wehrüberwachung entlassen worden war. Bei der Musterung im Jahr 1940 wurde er nur „av“ (arbeitsverwendungsfähig), erst bei der Nachuntersuchung am 21. Juni 1941 „kv“ (kriegsverwendungsfähig) gemustert.174 Fehling (Major d.R.), Fischer (Unteroffizier) und Horst waren jedoch Soldaten und damit aus Sicht der Wehrmacht für den Einsatz brauchbarer.

3.2.4. Als parteiloser Referent in einem parteiischen System – Ein Funktionsträger der NS-Wissenschaftspolitik Zu den Aufgaben der NG/DFG gehörte immer die Forschungsförderung. Diese bestand aus Einzelanträgen für Stipendien und Druckbeihilfen sowie von Anfang an in der Organisation großer „Gemeinschaftsaufgaben“, die in der Literatur nicht ohne Grund mit den heutigen „Sonderforschungsbereichen“ assoziiert werden. Für den Begriff „Gemeinschaft“ als einem gegen die Moderne gerichteten Mediävalismus hat Otto Gerhard Oexle noch einmal sensibilisiert.175 Der Begriff paßte wie „Ordnung“, „Ganzheit“, „Gefolgschaft“ und „Treue“ in den Nationalsozialismus und damit auch in die NS-Förderpolitik. Groß angelegte, gemeinsam organisierte Projekte hatten gute Aussicht auf erfolgreiche Förderung.

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Beispiele: ebd., Bl. 216 für Friedrich August Fischer (Naturwissenschaft und Technik); Bl. 286f. für Heinrich Krüger (Referent für Landwirtschaft), Bl. 293f. für August Wilhelm Fehling (inzwischen Haushalt und innere Verwaltung). Es wurden nach meiner Kenntnis für alle Referenten derartige ukAnträge gestellt. Ebd., Bl. 301 für Fritz Schön (Hausmeister), Bl. 307 Karl Fiedler (Kassenangestellter). Daraus erwuchsen weitere Aufgaben für Griewank, u.a. der Bereich „Verlagswesen“, als der Kontakt zu Verlagen und die Verhandlungen über Drucklegungen. Antrag auf Freistellung, 23.6.1941, in: BA Berlin, R 4901/alt R 21, Nr. 11131, Bl. 280-283. Otto Gerhard OEXLE: Die Fragen der Emigranten, in: Winfried SCHULZE/DERS. (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt (M) 1999, S. 51-62, hier S. 53-55.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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In der demokratischen Zeit hatten die Referenten durch eine gewisse Auswahl der Gutachter und durch gezielte Hinweise und Gespräche recht viele Möglichkeiten, subtil Einfluß auf die Förderung zu nehmen. So spielten August Wilhelm Fehling und auch Karl Griewank 1932 bei der Bewilligung eines Stipendiums an den nonkonformen, politisch links stehenden Historiker Eckart Kehr eine Rolle. Gerade bei diesem auf Widerstand stoßenden Akt waren viele Gespräche und Verhandlungen im Hintergrund nötig.176 Im Nationalsozialismus änderte sich der Handlungsspielraum der Mitarbeiter. Neu war, daß nun verschärft politische Erkundigungen über die Bewerber eingeholt wurden. Lothar Mertens hat als erster die Förderakten der DFG mit den in den USA archivierten Stellungnahmen der NS-Dozentenbundführer abgeglichen. „Die positive Einstellung zum ‚neuen Deutschland’“, so sein Ergebnis, wurde zur notwendigen Bedingung eines positiven Förderbescheides.177 Diese Haltung konnte 1934 noch durch eine bloße Parteimitgliedschaft nachgewiesen werden, wobei die Dozentenschaftsführer bald dazu übergingen, gegen „Konjunkturrittertum“ zu wettern und aktive politische Betätigung einzufordern: „Im Jahre 1936 wurden in den Stellungnahmen lediglich aktive Betätigungen und lokale Führungspositionen in den NS-Organisationen hervorgehoben, da die bloße Massenorganisiertheit allgemein vorausgesetzt und fehlende Mitgliedschaften nun negativ vermerkt wurden.“178 Eine groteske Situation: Der parteilose Referent Griewank hatte sich nun an die streng nach parteilichen Vorgaben geschriebenen Dozentenschaftsgutachten zu halten. Laut Mertens ist nur ein einziges Beispiel in den über 1400 Förderakten bekannt, wo ein Referent von der Vorgabe des Dozentenbundsführers abwich – und das war Griewank.179 Beim Antrag eines der Schüler des Althistorikers Wilhelm Weber zum Thema „Die Nordfront des Römischen Imperiums“ engagierte sich Griewank persönlich. Weber schrieb ihm: „Ich möchte Ihnen ganz persönlich dafür danken, dass Sie sich so entschieden dafür eingesetzt haben. Bei unserer letzten telefonischen Unterhaltung hatte ich den Eindruck, als wollten noch von einer Seite bestimmte Schwierigkeiten aufkommen. Ich rechne es Ihrer Energie zu, dass diese überwunden sind.“180 Die Formulierung, daß „von einer Seite bestimmte Schwierigkeiten“ aufkommen könnten, ist sehr typisch für die Kommunikation dieser Zeit, in der nur das für Sender und Empfänger Nötigste ausgedrückt wird. Durch Mertens’ Recherche in den USA ist bekannt, daß die „eine Seite“ die NS-Dozentenschaft war. Theodor Steche, ein NS-Germanenforscher, stellte seinen Antrag mit der Rückendeckung wichtiger Fürsprecher, unter anderem Heinrich Harmjanz181 und HermannWalter Frey vom REM. Griewank weist seinen Vorgesetzten in seiner Vorlage

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Der Vorgang ist ausführlich dokumentiert im Nachlaß Fehling: BA Koblenz, N 1106, NL Fehling, Nr. 57. Ausführlich rekonstruiert bei: Hans-Ulrich WEHLER: Einleitung zu: Eckart KEHR: Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Hans-Ulrich WEHLER, Berlin² 1970, S. 1-29, hier S. 18f mit Anm. 45.; DERS.: Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980, S. 227-248, hier S: 240f. und S. 384, Anm. 45f.; vgl. auch DERS.: Eckart Kehr, in: DERS. (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 100-113. MERTENS: Der „neue Geist“, S. 204. Ebd. MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 145f. Wilhelm Weber an Karl Griewank, 28.7.1936, in: BA Koblenz, R 73/10751. Heinrich Harmjanz, Ministerialbeamter im REM, dann Prof. für Volkskunde in Frankfurt (M), war einer der wichtigsten NS-Wissenschaftspolitiker. Vgl. HEIBER: Walter Frank, vor allem S. 648-652 u.ö.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

pflichtschuldig auf diese Konstellation hin: „Über die weitere Verlängerung dieses Stipendiums schweben noch Verhandlungen mit Professor Harmjanz und Ministerialrat Frey über seine etwaige Übernahme auf Ministerium oder Dozentenwerk. Die vorläufige Verlängerung ist notwendig, damit Dr. Steche leben und weiter arbeiten kann. Griewank“.182 Die DFG erreichte übrigens auch Kritik an den Arbeiten Steches. Der Vor- und Frühgeschichtler Hans Zeiß aus München betonte, es könne für die DFG „nicht gleichgültig sein, wie die Arbeiten eines von ihr unterstützten Bewerbers von der wissenschaftlichen Kritik beurteilt werden.“183 Auffällig an diesem Schreiben ist, daß es an Griewank persönlich gerichtet war, der dann auch mit privatem Briefkopf antwortete und erklärte, daß die DFG nur die Sammlung der Quellen finanziert habe: „Eine förmliche Unterrichtung der DFg. [sic] von einer wissenschaftlichen Kritik würde dieser wohl meistens ein noch unfreundlicheres Gesicht geben. Persönlich wird mich aber natürlich interessieren, was Sie zu sagen und zu veröffentlichen haben.“184 Der Referent Griewank wurde also direkt und persönlich angesprochen. Dies war kein Einzelfall. So schrieb ihm Fritz Hartung 1935: „Mit dienstlichen Angelegenheiten will ich Sie heute nicht belästigen. Nur den armen Treue, dem es finanziell wohl nicht besonders geht, möchte ich Ihnen ans Herz legen.“185 Wilhelm Treue, dessen Anträge zum „Aufbau und Tätigkeit der Abteilung für Handel und Gewerbe beim Generalgouvernement Belgien“ bisher, vor allem wegen der negativen Voten von Albert Brackmann und Karl Alexander von Müller, abgelehnt wurden, erhielt dann auch tatsächlich wenig später ein Stipendium für „Untersuchungen über die preußisch-deutsche Wirtschaftsgeschichte im 19. Jahrhundert“, das vom 1. November 1935 bis 30. März 1938 ausgezahlt wurde.186 Theodor Schieders Antrag auf Druckkostenzuschuß für „Das Deutschtum in Westpreußen bis 1772“187 galt als nationalpolitisch wichtig, wurde wissenschaftlich befürwortet und war deshalb für den Referenten Griewank nur eine Formsache.188 Ganz und gar keine Formsache, sondern einen ungewöhnlichen Vorgang stellte die Überweisung eines Honorars für den Meteorologen Fritz Loewe dar. Loewe befand sich nämlich zu diesem Zeitpunkt, im März 1937, im australischen Melbourne.189 Er war als Jude 1934 entlassen worden und emigriert. Daß dennoch ein Beitrag Loewes in einem 1936 erschienenen Sammelband erschien, veranlaßte Griewank, mit dem Exilanten Kontakt aufzunehmen, um ihm das Honorar zu überweisen. Eine durchaus symbolische Handlung, die zum Erfolg führte, da der „Referent Griewank die Angelegenheit aber hartnäckig weiterverfolgte“.190 Auf die Frage eines Journalisten, ob es denn innerhalb der DFG „keinen internen Widerstand“ gegeben habe, nannte Lothar Mertens aus seiner umfangreichen Quellenkenntnis genau diesen einen Fall und nur den Namen Grie-

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Aktennotiz Griewank „Dem Herrn Präsidenten vorzulegen“, 23.11.1937, in: BA Koblenz, R 73/14902. Hervorhebung om Original. Hans Zeiß an Karl Griewank persönlich, 2.2.1939, in: BA Koblenz, R 73/14901. Antwort, in: ebd. Fritz Hartung an Karl Griewank, 1.10.1935, in: GStAPK, BPH, Rep. 192, NL Griewank, Nr. 1, Mappe „Hardenbergs Innenpolitik“, unpag. BA Koblenz, R 73/15252. Im Gutachten von Müller, 22.7.1934, der Bewerber könne keinen Beweis für gute Qualität bieten, da seine Dissertation nur „rite“ sei, die Arbeit sei zwar „nützlich, aber kein unmittelbar dringendes wissensch. Bedürfnis.“ Brackmann schließt sich dem an. Der endgültige Titel lautete „Deutscher Geist und ständische Freiheit im Weichsellande bis 1793“. BA Koblenz, R 73/14283. Hierzu MERTENS: „Nur politisch Würdige“, S. 22f. Ebd., S. 22.

3.2. Griewanks Rolle in der Forschungsförderung

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wank.191 Das ist in zweierlei Hinsicht bezeichnend. Zum einen deshalb, weil es deutlich macht, daß man innerhalb der DFG nicht von interner Opposition – erst recht nicht von Widerstand – sprechen kann. Zum anderen hebt dies die vorsichtige Renitenz Griewanks als bemerkenswert hervor. Meist bekannte er jedoch, nicht helfen zu können. 1939 fand die „Gleichschaltung“ des „Archivs für Religionswissenschaften“ statt und zwar in radikaler Art: Die nationalsozialistischen Ideologen Heinrich Harmjanz192 und Walter Wüst193 übernahmen zum Entsetzen der Philologen und Theologen die Redaktion. Da die DFG diese Zeitschrift finanzierte, versuchte der Theologe Hans Lietzmann194 dort nähere Hintergründe zu erfahren; sein Ansprechpartner war „Dr. Griewank, mit dem ich alle Fragen offen besprechen kann [...]. Ich habe Herrn Griewank den mir aus Ihrer Korrespondenz bekannten Tatbestand geschildert, aber natürlich nur zu seiner persönlichen Unterrichtung. Ändern kann er an der Sache gar nichts, und Teubner als Schulbuchverlag empfindet sich selbst als willenloses Werkzeug. Der Fall ist erledigt. Die von der klassischen Philologie aus geführte Religionswissenschaft hat nun kein Organ mehr.“195

Vorgänge dieser Art, in denen von politisch-ideologischer Seite Entscheidungen vorgeben wurden, kamen immer öfter vor. Die häufige Notiz „Dringlichkeit SS“196 galt für die DFG unter dem SS-Mann Mentzel als Imperativ zur Auszahlung. Dabei gingen auch Anträge für jene Arbeiten über Griewanks Schreibtisch, die in der Literatur oft genannt werden und die einen eindeutig ideologischen Charakter trugen, wie etwa die Moorgoldsuche oder die Erfindung einer arischen Religionswissenschaft.197 Solche Forschungen waren jedoch keine Ironie, sondern Realität – auch für den Bearbeiter Griewank, der die geisteswissenschaftlichen Anträge des SS-Ahnenerbe zu bearbeiten hatte. Sie zeigten mehr als den zweifellos vorhandenen Verlust an Standards und Qualität. Sie standen für eine gänzlich neue Wissenschaftsvorstellung, die wie selbstverständlich etabliert wurde. In den Akten finden sich keine Kommentare oder Reflexionen Griewanks zur Wissenschaftlichkeit solcher Projekte. Zwar nimmt er kritische Bemerkungen zu solch kruden Ideen zur Kenntnis, etwa die NS-interne Kritik an den – dann doch geförderten – Projekten des „Arier-Forschers“ Hermann Wirth198

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Holger ELFES: „Forschungsgemeinschaft hat sich gleichgeschaltet“. Widerstand gegen das NaziRegime gab es auch aus der deutschen Wissenschaft kaum [Interview mit Lothar MERTENS], in: taz vom 28.10.2004. Siehe oben S.113, Anm. 181. Walter Wüst, Rektor und Professor für „Arische (Indo-Iranische) Kultur- und Sprachwissenschaft“ in München, war „Kurator“ der Stiftung SS-Ahnenerbe. Vgl. Kürschners Deutscher GelehrtenKalender 1940/41, Berlin 1941, Bd. 2, Sp. 1136. Zu Wüst vgl. KATER: Ahnenerbe, S. 43-46. Hammerstein meint diesem NS-Wissenschaftsfunktionär „eine Art wissenschaftlicher Unabhängigkeit“ attestieren zu können; HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 257-260, hier S. 258. Hans Lietzmann gehörte, in den Worten Rüdiger vom Bruchs, „zu jenen ‚unbestechlichen’ Geheimräten, über die der Nationalsozialist Walter Frank in seiner Abrechnung mit Hermann Onkken 1935 seinen ätzenden Spott ausgoß, die mit dem Ungeist der braunen Revolution nichts zu schaffen haben wollten und ihr doch den Weg mitbahnten“; VOM BRUCH, Bildungssystem, S. 480. Hans Lietzmann an Otto Weinreich, 10.5.1939, in: Kurt ALAND (Hg.): Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 50 Jahre deutscher Wissenschaftsgeschichte in Briefen an und von Hans Lietzmann (1892-1942), Berlin/New York 1979, S. 960f, Nr. 1094. Beispiel in: BA Berlin R 26/III, Nr. 10, fol 256. Vgl. treffend SIEG: Strukturwandel, S. 262. Ministerialdirektor Vahlen an DFG, 30.10.1935, in: BA Koblenz, R 73/15749. Wenig später wurde der Antrag doch bewilligt (Aktenvermerk Griewank, 8.11.1935). Der Privatgelehrte Hermann Wirth war eine zentrale Figur bei der Gründung des Ahnenerbe-Vereins, den er als Basis seiner nordischvolkskundlichen Arbeit ansah. Zu Wirth vgl. KATER: Ahnenerbe, S. 41-43.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

oder die erwähnten Monita an den Arbeiten des Kandidaten Steche. Dennoch blieb er stets im Ton bürokratisch verbindlich und bemüht und bezog sich stets auf die von „fachlicher“ Seite vorgenommene Beurteilung. Auffallend ist die Selbstverständlichkeit, mit der auch in den letzten Kriegsjahren der Wissenschaftsbetrieb unter scheinbar „normalen“ Bedingungen weiterging. Die letzte ins Kassenbuch der „Handakten Griewank“ eingetragene Überweisung ging an das „Deutsch-Ukrainische Wörterbuch“199. Zuvor war mitten im Krieg ein Streit unter den Herausgebern über die Editionskriterien ausgebrochen, bei dem Griewank als Schlichter tätig werden mußte.200. Das Wörterbuch, aufgrund der deutschen Ostexpansion als kriegswichtig erachtet, sollte in den Augen des „Ukrainischen Wissenschaftlichen Instituts“ den modernsten Bedürfnissen der ukrainischen Lexikologie entsprechen. Am 8. Februar 1945 teilt der Institutsdirektor Griewank schließlich mit, „daß beim Terrorangriff auf die Reichshauptstadt am 3. Februar ds. Jahres alle Räumlichkeiten des Ukrainischen Wissenschaftlichen Instituts durch zwei Volltreffer gänzlich zerstört wurden.“ Die Arbeit am Lexikon ging dennoch weiter, die Überweisung wurde ordnungsgemäß ausgeführt. Ohnehin gehörte die bürokratisch-korrekte Ausführung zu den Merkmalen der DFG. Das Interesse an manchen Inhalten der von ihm bearbeiteten Anträge führte auch dazu, daß Griewank sich organisatorisch engagierte. So wurde er korrespondierendes Mitglied des „Deutschen Archäologischen Instituts“ und Geschäftsführer der „Kommission zur Erforschung der Geschichte von Reformation und Gegenreformation“ – hier trat er in engeren Kontakt zu Gerhard Ritter.201 Dies sind sicherlich „traditionelle“ Organisationen der Geisteswissenschaft. „Traditionelle“ Anträge machten auch durchaus die Mehrheit aus. Routinemäßig wurden Druckbeihilfen für wissenschaftliche Zeitschriften und Projekte bewilligt, die sich nur durch die DFG aufrechterhielten und die auch zu anderen Zeiten so beantragt und auf gleiche Weise ausgeführt worden wären. Die Anpassung der Wissenschaft blieb hinter den Erwartungen der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik zurück. Dieser ältere Befund bleibt bestehen. Es ist aber die Frage, wie er einzuordnen ist.202 Dennoch war auch den Beteiligten in den zwölf Jahren NS-Diktatur eine signifikante Änderung der Rahmenbedingungen durchaus aufgefallen, auch wenn diese eben noch nicht auf alle Bereiche der Wissenschaft inhaltlich durchgeschlagen war. Griewank wußte zwar durchaus mit den veränderten Bedingungen umzugehen und seine doch vorhandenen Handlungsspielräume zu nutzen. Diese waren aber für einen Referenten gering, auch wenn Griewank durch langjährige Erfahrung die richtigen Fäden zu ziehen gelernt hatte. Es war ihm – wie erwähnt – bei der Übernahme Mentzels klar, daß nun die Männer der „totalen Mobilmachung“, des „Wehrgedankens“ und des Vierjahresplans die Regie übernommen hatten, die eine technokratisch-anwendungsorientierte, nicht auf Kultur bedachte Wissenschaftskonzeption vertraten.203 „Heute bedient der Staat sich der Einrichtung der ‚Deutschen Forschungsgemeinschaft’, um Zwecke zu erreichen, die durch die unmittel-

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Eintrag Nr. 159 vom 27.2.1945, Kassenbuch, in: BA Koblenz, R 73/49. Aktenvermerk über die Besprechung vom 16.12.1944 und diverse Schreiben in: BA Koblenz, R 73/15802. Lebenslauf [1942], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 8. Vgl. SIEG, Strukturwandel und Michael GRÜTTNER: Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz, in: John CONNELLY/Michael GRÜTTNER (Hg.): Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten und Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn [u.a.] 2003, S. 67-100, hier vor allem S. 97f. Karl Griewank an Willy Andreas, 20.12.1936, in: BGLA 847. Siehe oben S. 111 mit Anm. 168.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 117 bare Staatsverwaltung nicht oder noch nicht erfaßt werden“204, betonte Griewank 1940 in einem publizierten Aufsatz die exekutive Funktion der DFG. 1941 sprach er vertraulich von seiner Position als einem „auf die Dauer doch mehr sich subalternisierenden Posten in der DFG“.205 Es wurde lange Zeit behauptet, es habe keine NS-Wissenschaftspolitik gegeben, vor allem da das Interesse des Regimes an der Wissenschaft gering gewesen sei und es keine klaren (sondern viele konkurrierende) Wissenschaftsvorstellungen gegeben habe. Diese Auffassung wird angesichts der Erkenntnisse über die verschiedenen wissenschaftspolitischen Maßnahmen und Netzwerke des NS-Regimes zunehmend widerlegt.206 Gerade dadurch, daß es nicht zu einer vollständigen Verdrängung traditioneller Gelehrter kam, konnte an deren Weltbild, deren habituelle und kulturelle Dispositionen angeknüpft werden. Im Polykratischen des Systems ist deshalb nicht Schwäche, Konflikt und Reibungsverlust zu sehen, sondern eine Vielfalt, die Teilidentifikationen anbot. Dieses System war bürokratisch-effektiv und ist eben nicht nur mit einer Bemerkung über „die Prinzipien des Führerstaates und seine chaotische, unkoordinierte Wirklichkeit“207 abzutun. Das SS-Ahnenerbe entwickelte sich mit seiner Anbindung an die DFG zu einer der größten nichtstaatlichen Forschungseinrichtungen des Dritten Reichs, für die Hunderte von Wissenschaftlern aus geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Disziplinen arbeiteten. Es blieb dabei absichtlich stets als Verein organisiert, um bei der DFG antragsfähig zu sein. Hier wurden massiv materielle, finanzielle und personelle Ressourcen bewegt. Das System war effektiv, weil die Beteiligten – Hochschullehrer, Nachwuchswissenschaftler und Wissenschaftsmanager – sich einfügten. Karl Griewank, der linksliberale Demokrat der Weimarer Zeit, wurde so zu einem effektiven Funktionsträger der NS-Wissenschaftspolitik. Dessen ungeachtet hielt er eine gewisse Distanz, die er im privaten und persönlichen Erfahrungsraum lebte und durchaus auch in seinen Publikationen zum Ausdruck brachte und die in den folgenden Kapiteln noch stärker zu nachzuzeichnen sein wird. Er wurde in der DFG zum Ansprechpartner für die traditionellen Wissenschaftler, gestaltete zu bürgerlich-christlichen Kreisen ein offenes Verhältnis. Griewank war jedoch kein Widerstandskämpfer der Wissenschaft, kein Dissident oder Saboteur.

3.3. KARRIEREPLANUNG VOR 1945 - DISTANZ UND NÄHE ZUM NATIONALSOZIALISMUS Karl Griewank versuchte während seiner Zeit als Wissenschaftsorganisator stets, auch selbst wissenschaftlich tätig zu sein und den Kontakt zum eigenen Fach aufrechtzuerhalten. So legte er nicht nur eine ganze Reihe umfangreicher Editionen, sondern vor allem auch seine Habilitation „Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas“ vor. Griewank versuchte also, „Karriere zu machen“. Offensichtlich jedoch nicht um jeden Preis: Daß der Nationalsozialismus für einen Vertreter seiner Generation besondere Aufstiegsmöglichkeiten bot, wenn man sich nur auf ihn eingelassen hätte, war ihm

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GRIEWANK: Am 30. Oktober 20 Jahre, S. 6. Karl Griewank an Willy Andreas, 20.10.1941, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 843, unpag. Ich folge hier im wesentlichen SIEG: Strukturwandel und GRÜTTNER: Die deutschen Universitäten, insbes. S. 79-81. NIPPERDEY/SCHMUGGE: 50 Jahre Forschungsförderung, S. 49.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

bewußt. Eine Mitgliedschaft in der NSDAP und dem NS-Dozentenbund vermied er jedoch. Welche Bemühungen unternahm er dennoch auf dem Weg zu „Titel und Stelle“208?

3.3.1. Über die „Bedeutung der geistigen Waffen“ – Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus und der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“209 „Deutsche Historiker im Nationalsozialismus“ lautete der Titel einer viel beachteten Sektion des 42. Deutschen Historikertages 1998 in Frankfurt/Main, deren Debatten inzwischen sogar schon als „legendär“ bezeichnet werden.210 „Vor unseren Augen ist auch diese Kontroverse in kürzester Zeit ‚historisch’ geworden“211, bemerkt Peter Schöttler in einem kritischen Rückblick auf die Debatte. Freilich ist die Diskussion um das Verhalten der Historiker im Nationalsozialismus nicht neu, wurde von Karl Ferdinand Werner212 oder Helmut Heiber213 explizit thematisiert und in der Folgezeit vor allem von Außenseitern und Randpersonen der „Zunft“214 weiterverfolgt. Die Diskussion ist jedoch um Frankfurt 1998 herum intensiv und öffentlich geführt worden und hat weitere Forschungen angeregt.215 Ins Blickfeld gerieten insbesondere die „Ostforschung“ des Dritten Reiches und deren aktive Beteiligung an rassistischen, „bevölkerungspolitischen“ Maßnahmen, vor allem auch, da prominente „Ostforscher“ wie Werner Conze und Theodor Schieder später herausragende Stellungen in der

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BOURDIEU: Titel und Stelle. Vgl. Frank-Rutger HAUSMANN: „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940-1945), Dresden/München 1998; DERS.: Einführung, in: DERS. (Hg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933-1945, München 2002, S. VII-XXV; DERS.: Der „Kriegseinsatz“ der Deutschen Geisteswissenschaften im Zweiten Weltkrieg (1940-1945), in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 63-86. So Kai Arne LINNEMANN: Das Erbe der Ostforschung. Zur Rolle Göttingens in der Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit, Marburg 2002, S. 7; vgl. auch die Einleitung ebd., S. 9-16. Peter SCHÖTTLER: Versäumte Fragen – aber welche? Die deutsche Historikerzunft und ihre dunkle Vergangenheit, in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 125-147, hier S. 129. Vgl. Karl Ferdinand WERNER: Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stuttgart [u.a.] 1967; DERS.: Die deutsche Historiographie unter Hitler, in: Bernd FAULENBACH (Hg.): Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 86-96. Vgl. HEIBER: Walter Frank. Durchaus plausibel erscheint jedoch die von Schöttler vorgebrachte Kritik, daß durch Heibers monumentales Werk die Aufarbeitung der „NS-Historie [...] für lange Zeit unter Anekdoten und humorigen Sprüchen begraben“ wurde. Peter SCHÖTTLER: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945. Einleitende Bemerkungen, in: DERS. (Hg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt (M) 1997, S. 7-30, hier S. 13. Peter Schöttler spricht „von Historikerinnen und Historikern jenseits von ‚HZ’ und ‚GG’“, SCHÖTTLER: Versäumte Fragen, S. 131, Hervorhebung im Original. Vgl. neben der in diesem Kapitel zitierten Literatur vor allem die Sammelbände: Hartmut LEHMANN/James VAN HORN MELTON (Hg.): Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994; SCHÖTTLER (Hg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft; SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker; Rüdiger HOHLS/Konrad H. JARAUSCH (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000; Johannes FRIED: Eröffnungsrede zum 42. Deutschen Historikertag am 8. September 1998 in Frankfurt am Main, in: ZfG 46 (1998), S. 869-874; Bernd WEISBROD (Hg.): Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit, Göttingen 2002.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 119 bundesdeutschen Geschichtswissenschaft innehatten.216 Inzwischen wurde auch die „Westforschung“ intensiv in den Blick genommen.217 Im Ergebnis ist heute bekannt, daß sich die Historiker viel mehr als bisher angenommen mit dem Nationalsozialismus arrangiert und identifiziert und damit auch das Regime getragen haben. Die legitimatorische Funktion der Geschichtswissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus kann heute nicht mehr ernsthaft bestritten werden. Das Bild einer von der Politik unberührten und methodisch objektiven Geschichtswissenschaft, die durchaus herkömmliche Themen behandelt habe und insofern resistent gewesen sei gegenüber faschistischem Gedankengut, ist zu einfach gezeichnet und nicht länger haltbar. Es waren eben nicht nur „wildgewordene Studienräte oder Außenseiter“218, die sich mit dem NS eingelassen hätten, weshalb sich somit eine Beschäftigung mit der Historiographie dieser Zeit nicht lohne219, wie es Hans Rothfels und Werner Conze nach 1945 verbreitet hatten. Das Thema „Historiographie im Nationalsozialismus“ ist nicht von dem Komplex „Universitäten im Nationalsozialismus“ zu trennen und zeigt ähnliche Strukturelemente wie sie bereits für die Wissenschaftsförderung der DFG angesprochen wurden. Wie könnte nun nach den neuesten Forschungen so etwas wie eine „Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich“ aussehen? Ernst Nolte hat vor fast 40 Jahre bereits versucht, eine solche zu erstellen und dabei im übrigen auch schon formuliert, daß das „unveränderte Ethos der soliden deutschen Wissenschaft [...] nicht mehr oder nicht mehr ausschließlich ihren alten Zwecken“ diente.220 Versucht man heute eine solche Typologie, so wird die von Nolte damals noch so besonders betonte „Mittelgrup-

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Vgl. Angelika EBBINGHAUS/Karl Heinz ROTH: Vorläufer des »Generalplans Ost«. Eine Dokumentation über Theodor Schieders Polendenkschrift vom 7. Oktober 1939, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 7 (1992), S. 62-94; Götz ALY: Macht, Geist, Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens, Berlin 1997; DERS.: Theodor Schieder, Werner Conze oder Die Vorstufen der physischen Vernichtung, in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 163-182; HansErich VOLKMANN: Historiker im Banne der Vergangenheit. Volksgeschichte und Kulturbodenforschung zwischen Versailles und Kaltem Krieg. Versuch eines thematischen Aufrisses, in: ZfG 49 (2001), S. 5-12; DERS.: Historiker aus politischer Leidenschaft. Hermann Aubin als Volksgeschichts-, Kulturboden- und Ostforscher, in: ebd., S. 32-49; Ingo HAAR: „Revisionistische“ Historiker und Jugendbewegung. Das Königsberger Beispiel, in: SCHÖTTLER: Geschichtswissenschaft, S. 52-103; DERS.: Die Genesis der „Endlösung“ aus dem Geiste der Wissenschaften. Volksgeschichte und Bevölkerungsgeschichte im Nationalsozialismus, ZfG 49 (2001), S. 13-49; DERS.: „Kämpfende Wissenschaft“. Entstehung und Niedergang der völkischen Geschichtswissenschaft im Wechsel der Systeme, in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 215-240; DERS.: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten, Göttingen 22002; Eduard MÜHLE: Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung (= Schriften des Bundesarchivs; 65), Düsseldorf 2005. Vgl. Peter SCHÖTTLER: Von der rheinischen Landesgeschichte zur nazistischen Volksgeschichte oder Die „unhörbare Stimme des Blutes“, in: SCHULZE/OEXLE (Hg.): Deutsche Historiker, S. 89113; Burkhard DIETZ/Helmut GABEL/Ulrich TIEDAU (Hg.): Griff nach dem Westen. Die 'Westforschung' der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960). Münster 2003. Hans ROTHFELS, Die Geschichtswissenschaft in den dreißiger Jahren, in: Andreas FLITNER (Hg.): Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus. Eine Vortragsreihe der Universität Tübingen, Tübingen 1965, S. 90-107, hier S. 99. Ähnlich auch: Günther FRANZ: Das Geschichtsbild des Nationalsozialismus und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: DERS.: Geschichte und Geschichtsbewußtsein. 19 Vorträge, hg. von Oswald HAUSER, Göttingen 1981, S. 91-111. Werner CONZE, Der Weg zur Sozialgeschichte nach 1945, in: Christoph SCHNEIDER (Hg.): Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Beispiele, Kritik, Vorschläge, Weinheim/Deerfield Beach, Florida/Basel 1983, S. 73-81, hier S. 73. Ernst NOLTE: Zur Typologie des Verhaltens der Hochschullehrer im Dritten Reich, in: APuZ B 46 (1965), S. 3-14, hier S. 10f.

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pe der ‚reinen Wissenschaftler’“ mit ihrem Ethos sehr viel kritischer in den Blick zu nehmen sein. Deshalb kann auch eine Biographie Karl Griewanks die älteren Pauschalaussagen über dessen „antifaschistisch-demokratische Grundhaltung“ nicht einfach übernehmen.221 Seine Betätigung in der DFG wurde bereits betrachtet; es gilt nun, ihn innerhalb der Geschichtswissenschaft einzuordnen. Es hilft dabei nur sehr bedingt weiter, in den Schriften der Historiker nach rassistischen Thesen Ausschau zu halten und im Gegenzug Persilscheine auszustellen für diejenigen, die im „Prinzip dem Ethos des nach Erkenntnis strebenden Wissenschaftlers treu geblieben“ seien.222 Es läßt sich zeigen – das kann vorweg genommen werden –, daß Griewank wohl zu dieser Gruppe zuzuordnen wäre und daß seine Schriften keine völkischen oder antisemitischen Denkmuster an den Tag legen.223 Eine strukturelles Grundproblem, das darüber hinaus in der Diskussion über Historiker im Nationalsozialismus jedoch besteht, wurde von Hans Mommsen in seinen „Anmerkungen zur Historikerdebatte“ aufgegriffen: die Frage nach dem Wesen des Nationalsozialismus. Daß die Beteiligten immer guten Gewissens sagen konnten, mit dem System nicht hundertprozentig übereingestimmt zu haben, daß heutige Historiker selten eine totale Übereinstimmung mit nationalsozialistischer Ideologie finden können und daß die Existenz einer nationalsozialistischen „Wissenschaftstheorie“ nebulös bleibt, ist nicht verwunderlich, sondern symptomatisch: Es „ist nicht Ausfluß einer Affinität zum NS, sondern ist der wirkliche Nationalsozialismus“.224 Dieser Ansatz erklärt mehr als ein angenommener Dissens zwischen Wissenschaft und „wahrem Nationalsozialismus“, auch wenn ein solcher von den meisten Beteiligten ohne Zweifel selbst so wahrgenommen wurde. Daher ist nach der Eingebundenheit in fachliche und politische Gruppen zu suchen, die partielle Identifikationen anboten. Dabei muß auf jeden Fall zunächst „nach der aktiven Beteiligung etwa an rassistischen und anderen Terrormaßnahmen des Regimes und/oder deren Rechtfertigung in Wort und Schrift gefragt werden.“225 Man kann– schematisch und ohne klare Abgrenzung – organisatorisch fünf Gruppen von Historikern im Nationalsozialismus ausmachen. Klein ist die der Verweigerer und Widerständler. Als eine Gruppe existiert sie nur fiktiv, denn man müßte sehr unterschiedliche Personen zusammen nennen. Auf jeden Fall gehört zu diesen der gerade promovierte Walter Markov in Bonn, der wegen Widerstandstätigkeit ins Zuchthaus kam,226 sowie die von Schöttler genannten Hildegard Schaeder und Georg Sacke.227 Aber auch die etablierten Liberalen Walter Goetz und Franz Schnabel, die mit Lehr- und Publikationsbeschränkungen belegt wurden, sollten hier eingeordnet werden. Schließlich ist auch der konservative Widerstand mit all seinen Ambivalenzen, die

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So noch bei SCHÄFER: Karl Griewank und die Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 199f. So das apologetische Urteil Ursula Wolfs über Willy Andreas, die nach diesem Muster vorgeht: WOLF: Litteris et patriae, S. 367f. Methodisch ähnlich auch Ursula WIGGERSHAUS-MÜLLER: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft. Die Geschichte der Historischen Zeitschrift und des Historischen Jahrbuchs 1933-1945, Hamburg 1998. Beide Studien kommen zu dem Schluß, daß die meisten Historiker den traditionellen methodischen Standards treu geblieben seien. Siehe dazu unten vor allem über Hardenberg und den Wiener Kongreß Kapitel 4.1.4. und 4.2. MOMMSEN: Der faustische Pakt der Ostforschung, S. 271. SCHÖTTLER: Versäumte Fragen, S. 135. Vgl. Walter MARKOV: Zwiesprache mit dem Jahrhundert. Dokumentiert von Thomas GRIMM, Berlin/Weimar 1989, hier S. 44-113. Mit dem Kommentar: „Einen deutschen Marc Bloch hat es nicht gegeben“ bei SCHÖTTLER: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft, S. 11.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 121 Christoph Cornelißen jetzt in seiner Arbeit über Gerhard Ritter228 herausgearbeitet hat, ebenso zu nennen wie die „innere Emigrantin“ Richarda Huch.229 Auf der „anderen Seite des politischen Spektrums“ stand die ebenfalls kleine Gruppe um Walter Frank und sein „Reichsinstitut der Geschichte des neuen Deutschlands“, der lange Zeit als der Nazi-Historiker galt.230 Er war sicher nicht bedeutungslos. Seine Mitarbeiter beherrschten den Historikertag in Erfurt 1937.231 Neu in den Blickwinkel der Historiographiegeschichte geraten ist eine zweite ideologisch-nationalsozialistische Gruppe: die der Historiker des Sicherheitsdienstes.232 Die SD-Berichte enthalten nicht nur Beobachtungen über andere Wissenschaftler, es kann auch von einer konkreten Wissenschaftspolitik des SD gesprochen werden, die auf diesen Berichten aufbaute. Auch Karl Griewank wurde – wie noch zu sehen ist – beobachtet. Weiterhin könnte man noch zwei Gruppen unterscheiden, nämlich die Netzwerke der „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“233 (VFG) und die des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“234 (KdG) – und gerade hier liegen auch die neueren Forschungserkenntnisse, sind diese Aktivitäten doch bisher gerne in der „Mittelgruppe der reinen Wissenschaftler“ subsummiert worden.235 Die VFG arbeiteten im Bereich der Politikberatung und dienten zum großen Teil der direkten ideologischen Legitimation von „bevölkerungspolitischen Maßnahmen“. Die sogenannte West- und Ostforschung, deren politische Aktivität in den Forschungen der letzten Zeit stark kritisiert wurde, war hier institutionalisiert. Es wurden Bevölkerungsgruppen historisch-soziologisch abgegrenzt und rassistische Pläne wissenschaftlich legitimiert und in internen Vorbereitungen eine Verbindung zur politischen Praxis gebahnt. Eine „diskrete, ja geheime Expertenarbeit zugunsten der Umvolkungspolitik [stand] im Vordergrund“.236

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Vgl. CORNELIßEN: Ritter, S. 335-370. Hier folge ich der Einordnung von SCHÖTTLER: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft, S. 11. Vgl. auch kritisch zu Gerhard Ritter ebd., S. 24f., Anm. 23. Vgl. HEIBER: Walter Frank; Rudolf VIERHAUS: Walter Frank und die Geschichtswissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland, in: HZ 207, 1968, S. 617-627; Hagen SCHULZE: Walter Frank, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Bd. 7, Göttingen 1980, S. 69-81. Vgl. dazu HEIBER: Walter Frank, 708-725. Vgl. auch Peter SCHUMANN: Die deutschen Historikertage von 1893 bis 1937. Die Geschichte einer fachhistorischen Institution im Spiegel der Presse, Diss. phil. Marburg 1974. Vgl. Joachim LERCHENMÜLLER: Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Denkschrift „Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland“, Bonn 2001. Vgl. dazu kritisch Peter SCHÖTTLER: Historiker ohne Vergangenheit. Die Geschichtswissenschaft hat lange ihren Beitrag zum Nationalsozialismus verschwiegen oder verdrängt. Zwei neue Bücher enthüllen die Verstrickungen der Historiker und die Kontinuitäten des Denkens, allen voran beim umstrittenen Werner Conze [Rez. Lerchemüller: SD-Historiker und Etzemüller: Werner Conze], in: taz vom 11.12.2001, S. 14. Die Bedeutung der VFG herausgestellt zu haben, ist ohne Zweifel eine wichtige neue Erkenntnis der jüngeren Forschung. Vgl. vor allem Michael BURLEIGH: Germany turns Eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988; Michael FAHLBUSCH: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 19311945, Baden-Baden 1999; DERS.: Die „Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft“. Politische Beratung und NS-Volkstumspolitik, in: SCHULZE/OEXLE (Hg.): Deutsche Historiker, S. 241-264. Für die Geschichtswissenschaft zuerst thematisiert und fundiert erarbeitet bei Karen SCHÖNWÄLDER: Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt (M)/New York 1992. Vgl. den Vergleich dieser beiden Netzwerke bei SCHÖTTLER: Versäumte Fragen, S. 136-138. Ebd., S. 138.

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Der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ – nach seinem Begründer Paul Ritterbusch auch „Aktion Ritterbusch“ genannt – zielte hingegen weitaus weniger auf direkte Politikberatung und Aktion. Vielmehr „fällt auf, dass die propagandistische Dimension gegenüber der aktivistischen bei weitem überwog. Beim ‚Kriegseinsatz’ ging es in erster Linie um Publikationen und öffentliche Vorträge, und zwar von Lehrstuhlinhabern, die damit ihre Kriegswichtigkeit gegenüber dem Regime unter Beweis stellten“.237 Am „Kriegseinsatz“ nahm auch Karl Griewank teil, sein Buch zum Wiener Kongreß erschien in der von Walter Platzhoff und Theodor Mayer herausgegebenen Reihe dieses Netzwerks. Griewank selbst stellte in seiner Eigenschaft als DFGMitarbeiter die Institution „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ in dem von Walter Wüst herausgegebenen „Deutschen Wissenschaftlichen Dienst“238 vor. Leser dieser Publikation des SS-Ahnenerbe werden in der Regel überzeugte Nazis gewesen sein, die Griewanks Betonung der „Aufgaben im Sinne der Volks- und Staatsführung“ sicher gerne zur Kenntnis nahmen: „Der Krieg mit den gewaltigen neuen Perspektiven, die er für die Ordnung Europas und der Welt in deutschem Geiste eröffnet, hat die Bedeutung der geistigen Waffen, welche die Wissenschaft der Geschichte, der Geographie, der verschiedenen Auslandskunden, des Staats- und Völkerrechts usw. für den Daseinskampf und die künftige Stellung Deutschlands zu schmieden vermögen, in ein neues und, wie es stets in neuen Situationen ist, vielfach unerwartetes Licht gestellt. Im Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften sind wissenschaftliche Gemeinschaftsarbeiten in Angriff genommen worden, die ein neues, sehr wichtiges Glied in der Reihe organisatorischer Großaufgaben der deutschen Wissenschaften darstellen. Auch diese Aufgaben, zu denen der Reichswissenschaftsminister den Auftrag erteilt hat und denen er sein besonderes Interesse zuwendet, werden organisatorisch und finanziell durch die ‚Deutsche Forschungsgemeinschaft’ betreut.“ 239

In der Tat: Die DFG hat die Veranstaltungen und Publikationen des KdG finanziert und unterstützt – der zuständige Bearbeiter war Karl Griewank, der damit auch seine eigene Arbeit „betreut“ hat. Griewank hatte durch seine Arbeit die maßgeblichen Organisatoren des „Kriegseinsatzes“ kennengelernt, vor allem den Juristen und Kieler Rektor Paul Ritterbusch240 und den für die Neuere Geschichte zuständigen Frankfurter Rektor Walter Platzhoff241, der die historischen Aktivitäten koordinierte und seit 1936 als Vorsitzender des Historikerverbands fungierte. Durch geschickte Berufungs- und Bleibeverhandlungen war Platzhoff „einer der bestbezahlten Historiker im Reich“242 und eine wichtige Figur in der Hochschulpolitik geworden. Diesen wählte Griewank auch als Gutachter seiner Habilitation aus und reichte deshalb seine Habilitationsschrift zum Wiener Kongreß in Frankfurt am Main und nicht an seinem Heimatort Berlin ein. Mit Platzhoffs Hilfe konnte er das Verfahren „dort schnell und programmmäßig durchführen“243 – darauf wird im nächsten Kapitel einzugehen sein.

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Ebd. Vgl. HEIBER: Walter Frank, S. 725 mit Anm. 3. GRIEWANK: Am 30. Oktober 20 Jahre, S. 8. Vgl. zu Ritterbusch: HAUSMANN, Deutsche Geisteswissenschaft, S. 33-50. Vgl. zu Platzhoff: Notker HAMMMERSTEIN: Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule, Bd. 1: 1914 bis 1950, Neuwied/Frankfurt (M) 1989, S. 449-463; Carsten KRETSCHMANN: Der lange Schatten von Versailles. Die Frankfurter Historiker Walter Platzhoff und Paul Kirn im „Dritten Reich“, in: Dieter HEIN/Klaus HILDEBRAND/Andreas SCHULZ (Hrsg.): Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Festschrift für Lothar GALL zum 70. Geburtstag, München 2006, S. 480-498. Ebd., S. 483. Karl Griewank an Willy Andreas am 18.3.1942, in: BGLA, NL Willy Andreas, Nr. 845.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 123 Während Platzhoff244 der älteren Generation angehörte (Jahrgang 1881), war Paul Ritterbusch245 – NSDAP-Mitglied seit 1932 – ein weiterer Vertreter des Geburtsjahrgangs 1900, genauso alt zu Griewank und Mentzel. Ritterbusch hatte sich als Jurist einiges Ansehen erworben, war jedoch ein nationalsozialistischer Ideologe und überzeugter NS-Hochschulpolitiker, der die antisemitischen Ausschreitungen und Entlassungen mit gewalttätigem Vokabular rechtfertigte.246 Die Binnenlage der deutschen Historikerschaft – hier durch die Einteilung in fünf Gruppen skizziert – muß man vor Augen haben, möchte man Griewank als Historiker einzuordnen versuchen. Methodisch hat Hans-Ulrich Wehler eine weitere Einteilung vorgeschlagen, indem er eine Dreiteilung zwischen Politikgeschichte, Geistesgeschichte und Volksgeschichte247 vornimmt. Es hätten sich für Nachwuchshistoriker folgende Optionen eröffnet: „Sie konnten zum einen bei der erdrückenden Mehrheit der Geschichtsprofessoren an deutschen Universitäten eine ziemlich öde Diplomatie- oder konventionelle Nationalgeschichte kennenlernen. Bei Friedrich Meinecke konnten sie zum anderen eine vergleichsweise raffinierte Ideengeschichte betreiben (und diese Aussicht zog nicht wenige der besten Jüngeren [...] magisch an). Oder sie konnten auf die neue Karte der ‚Volksgeschichte’ setzen“.248

An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, ob wirklich nur diese „völkische“ Karte attraktiv gewesen ist und auch nicht darum, inwiefern in ihr eine Innovation zu sehen ist oder ein Vorläufer späterer sozialgeschichtlicher Ansätze steckte.249 Im folgenden soll die hier angesprochene „Volksgeschichte“ als methodische Richtung verstanden werden, in der soziologische, bevölkerungsgeographische und -statistische Methoden im Zusammenhang mit einer rassistisch fundierten Vorstellung von Volksgemeinschaft zur Unterscheidung von Menschengruppen verwendet wurden. Es geht dabei nicht um die Verwendung des Begriffs „völkisch“ oder „volksgeschichtlich“ an sich. Griewank ist dieser neuen Richtung der Volksgeschichte, die in seiner Generation einige Anhänger fand, mit Sicherheit nicht zuzuordnen. Sein Lehrer Andreas war als Marcks-Schüler von Hause aus Neorankeaner, der neben ästhetischer Biographik die „öde Diplomatieoder konventionelle Nationalgeschichte“ bevorzugte.250 Griewank gab zudem immer an, von Friedrich Meineckes geistesgeschichtlicher Herangehensweise stark beeinflußt gewesen zu sein – dies ist spätestens bei seiner Arbeit zum „neuzeitlichen Revolutionsgriff“ auch deutlich feststellbar. Willy Andreas hat dies in einem Gutachten über seinen Schüler so zusammengefaßt: „Griewank ist ein politischer Historiker, aber wie die

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Platzhoff war 1881 in Elberfeld geboren. Er wurde als NSDAP-Mitglied Nr. 470739 mit Beitrittsdateum 1. 5. 1937 geführt. BA Berlin, BDC, MFOK, 3200/R 0020. Ritterbusch war am 25.3.1900 in Werdau geboren, NSDAP-Mitglied seit 1.9.1932 mit Nr. 1318640; BA Berlin, BDC, 31XX/N 0018 und BDC, 3200/S 0032, Bl. 0278. Vgl. HAUSMANN: Deutsche Geisteswissenschaft, S. 37. Vgl. hierzu vor allem: Willi OBERKROME: Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918-1945, Göttingen 1993; DERS.: Historiker im „Dritten Reich“. Zum Stellenwert volkshistorischer Ansätze zwischen klassischer Politik- und neuerer Sozialgeschichte, in: GWU 50, 1999, S. 74-98. Hans-Ulrich WEHLER: Nationalsozialismus und Historiker, in: SCHULZE/OEXLE (Hg.): Deutsche Historiker, S. 306-339, hier S. 312. Auf die Kontroverse um den Innovationsgehalt der Volksgeschichte kann hier nicht eingegangen werden, zumal von Griewank keinerlei Vorstellungen aus dieser Richtung rezipiert werden. Vgl. hierzu: OBERKROME: Volksgeschichte und DERS.: Reformansätze in der deutschen Geschichtswissenschaft der Zwischenkriegszeit, in: Michael PRINZ/Rainer ZITELMANN (Hg.): Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991, S. 216-238; dagegen SCHÖTTLER: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft S. 18f. Siehe oben Kapitel 2.3.2.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

meisten Jüngeren durch die geistesgeschichtliche Betrachtung hindurchgegangen und stark von ihr befruchtet.“251 Diese Einordnung kann bestätigt werden und gilt ungeachtet der – auf jeden Fall bemerkenswerten und erklärenswürdigen – Tatsache, daß Griewanks Frankfurter Habilitationsvortrag den Titel „Reichs- und volksgeschichtliche Probleme der deutschen Revolution 1848“252 trug. Der Inhalt des Vortrags lehnte sich jedoch methodisch nicht an die „volksgeschichtliche“ Richtung von Ipsen, Freyer oder Rothfels an, die an der Frankfurter Fakultät ohnehin keine Anhänger hatten. Griewank analysierte ausschließlich die Debatte in der Paulskirche 1848/49, stellte die politischen Richtungen vor und untersuchte dann die Diskussionen über die Reichsgrenzen und die groß- oder kleindeutsche Lösung. Eindeutig hatte diese Thematik in einer NS-konformen Interpretation der Revolution 1848 Platz. Griewank gestaltete den Vortrag jedoch in einer quellennahen Ausführlichkeit und Ausgewogenheit mit Hang zum geographischen Detail, die – um die Formulierung Wehlers erneut zu strapazieren – methodisch in der Tat als „öde Diplomatie- oder konventionelle Nationalgeschichte“ eingeordnet werden kann. Im Literaturüberblick fällt auf, daß er Veit Valentin253, den linksliberalen jüdischen Außenseiter der Zunft nicht ausläßt: „Das vom republikanischen Deutschland offiziell unterstützte zweibändige Werk von Veit Valentin ‚Geschichte der deutschen Revolution 1848-1849’ hat kenntnisreich u. anschaulich, aber doch mit saloppem jüdischen Journalismus auch weitere, vorher ungenügende Strecken des Revolutionsgeschehens dargestellt und aus den Akten des Frankf. Reichsministeriums, deutschen und ausländischen Gesandtschaftsberichten viel Bemerkenswertes geschöpft“254, heißt es dort. Trotz einer abwertenden Rhetorik, werden also die wissenschaftlichen Stärken Valentins von Griewank 1942 gesehen und benannt. Durch seine Tätigkeit als Referent der DFG hatte Griewank zahlreiche Gelegenheiten, Kontakte zu den Netzwerken der West- oder Ostforschung zu knüpfen. So taucht er – mit dem Zusatz „(DFG)“ – auf Teilnehmerlisten einschlägiger Tagungen auf, etwa der Nord- und Ostdeutschen Deutschen Forschungsgemeinschaften.255 Durch eigene Beiträge aktiv in Erscheinung trat er dabei jedoch nicht. Auch sein Aufsatz zur Geschichte des Elsaß paßte nicht in die Linie dieser Netzwerke. So schrieb Griewank 1942 über das Elsaß des frühen 19. Jahrhunderts, daß die dortige deutschsprachige Bevölkerung durchaus enge Bindungen an den französischen Staat besaß und „stark im Bann des rationalistisch-individualistischen Staatsgedankens der französischen Revolution“ gestanden habe, so „daß aus dem Elsaß selbst damals den Verbündeten nicht jener laute und klare Wille zur Wiedervereinigung entgegenscholl, der sich etwa in Saarbrücken nach der Auslieferung an Frankreich hatte vernehmen lassen.“ Für das

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Gutachten Willy Andreas zur Berufung, 7.6.1944, in: UAJ, M 754. Dass. auch in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag., jeweils S. 6 des Gutachtens. Karl Griewank: Reichs- und volksgeschichtliche Probleme der deutschen Revolution 1848, hdschr. MS des Habilitationsvortrages 1942, in: NL Griewank, Karton 25, Mappe 1 „Notizen, Manuskripte u. Aufzeichnungen versch. Inhalts“. Vgl. Elisabeth FEHRENBACH: Veit Valentin, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 69-85. Habilitationsvortrag 1942, hdschr. MS, in: NL Griewank, Karton 25, Mappe 1, Bl. 1f. Vgl. zu den Tagungen am 30.3.1935 (Thema „Südosten“) und 24.10.1938 (Thema „Südtirol“) HAAR: Historiker im Nationalsozialismus, S. 266, 314f. mit Anm. 32.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 125 Elsaß des frühen 19. Jahrhunderts konstatierte Griewank deshalb: „Das deutsche Wesen [...] wurde als rein sprachlich-kulturelle Eigenart“ verstanden.256 Willy Andreas versuchte seinem Schüler karrierefördernde Schritte nahezulegen und riet ihm unter anderem zum Kontakt mit dem österreichischen Nationalsozialisten und „Volkshistoriker“ Harold Steinacker. Am 14. Oktober 1942 schrieb Griewank dann, er habe diesen nun getroffen und ihm sein Buch zum Wiener Kongreß übergeben.257 Im selben Brief berichtete Griewank zudem davon, das „seltene Glück“ gehabt zu haben, wegen Angelegenheiten der DFG Karl Alexander von Müller258 zu treffen, dem er gleichfalls sein Buch überreicht hatte. Dieser war nicht nur Herausgeber der HZ, sondern auch der Gönner Walter Franks. Griewank hatte somit durchaus Kontakt zu den verschiedensten Historikergruppen, was vor allem durch seine Position in der Wissenschaftsförderung möglich wurde. Daß Griewank jedoch „einer der wenigen noch jüngeren Historiker [sei], die den Übergang von der Staats- zur Volksgeschichte in vollem Ausmaß zu finden imstande ist“259, behauptete jedenfalls kein Vertreter der volksgeschichtlichen Richtung, sondern lediglich sein Lehrer Willy Andreas.260 Andreas hatte jedoch keinen engeren Kontakt zu soziologisch arbeitenden oder auch politisch-propagandistisch aktiven „VolksHistorikern“. 1942 kannte Andreas von Theodor Schieder „bisher nur eine wohlgeschriebene Rezension. Er scheint ziemlich mit der Wurst nach der Speckseite zu werfen. Persönlich ist er mir unbekannt.“261 Wenig später meinte er, er habe gehört, daß Schieders Lehrleistung „schwach“ sei: „Für begabt halte ich auch ihn, aber an meiner Seite möchte ich ihn doch nicht haben.“262 Im Februar 1946 war er sich sicher: „Schieder (Königsberg) kommt wohl aus politischen Gründen nicht in Betracht“.263 Überhaupt ist sein Urteil nach 1945 so eindeutig, als wäre er nie selbst mit dem Nationalsozialismus konform gegangen. Die Nazis waren die anderen, die Clique um Walter Frank und eben auch die „Volkshistoriker“.264 Über Werner Conze meinte er 1953:

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere „Von Conze habe ich keine lückenlose Vorstellung, da mir die Kenntnis seines litauischweißrussischen Buches fehlt. Doch bleibt in mir immer ein Rest von Mißtrauen gegen jüngere Leute, die im Dritten Reich etwas geworden sind, und zumal wenn sie an ganz [...] nazistischen Hochschulen wie Posen gewirkt haben. Irgendwelche größeren Konzessionen waren in solchen Fällen doch nicht zu umgehen. Daß der frühere Rektor Posens, Wittram, der mir und Anderen während einer Frontbesichtigungsreise durch seine nationalsozialistische Gläubigkeit auffiel, wenn auch keine mit aggressiver Note, in Göttingen aufgehen konnte, ist mir unverständlich. Und wie sehr können sich solche Leute nun, wozu natürlich der unvermeidliche Günther Franz gehört, bereits wieder in der Historischen Zeitschrift breit machen!“265

Insgesamt ist das Andreas-Umfeld organisatorisch, thematisch und persönlich nicht mit den Ostforschern und Volkshistorikern in Verbindung zu bringen. Auch Griewank knüpfte letztlich andere Kontakte, nämlich über den KdG. Gerade dessen Beiträge sind jedoch sehr unterschiedlich und keineswegs ideologisch eindeutig zuzuordnen. „Wer am ‚Kriegseinsatz’ teilnahm, mag zuweilen opportunistische, vielleicht sogar listigsubversive Gründe gehabt haben – das ist fallweise zu ermitteln“266, so Peter Schöttler. Dies gilt es nun für Griewank zu versuchen. Dabei ist zunächst einmal der eher ungewöhnliche Verlauf seiner Habilitation zu rekonstruieren. 3.3.2. Habilitation und Berufungspläne267 Griewanks Plan, eine Habilitation abzulegen, konkretisierte sich wohl Ende der 1930er Jahre, nach der Genesung von seiner Krebserkrankung. Bereits 1940 veröffentlichte er eine Vorstudie „Preußen und die Neuordnung Deutschlands 1813-1815“268 und berichtete Andreas von „Studien, die mich seit längerem beschäftigten, und die inzwischen in größerem Umfang und mit weiterer Themenstellung fortgesetzt worden sind. Die Schrift über die Fragen der Neuordnung zur Zeit des Wiener Kongresses, in der ich auch manches noch unausgewertete archivalische Material verwenden kann, beabsichtige ich im Rahmen einer Reihe über ‚Die Westmächte und die Europäische Ordnung’ herauszubringen, die unter der Leitung von Platzhoff erscheinen soll.“269 Damit war das Großprojekt „Das Reich und Europa“ gemeint, das als Gemeinschaftsarbeit des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“ von Platzhoff mit dem Mediävisten Theodor Meyer organisiert und in einer gemeinsamen Reihe dokumentiert wurde.270 Offensichtlich gab es konkrete Verabredungen Griewanks mit Platzhoff, die im Zusammenhang mit dem „Kriegseinsatz“ standen und dazu führten, daß er sich in Frankfurt habilitierte. Am 18. März 1942 schrieb er an Willy Andreas: „Daß ich die Habilitation in Frankfurt machte, ging ja noch auf eine ältere Verabredung mit Platzhoff zurück, mit der sich damals auch andere, inzwischen erledigte Kombinationen verbanden; ich

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Willy Andreas an Otto Becker, 24.8.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 837, unpag.; ausgelassen wurde nur ein Schreibfehler. Vgl. zu Wittram jetzt Hans-Erich VOLKMANN: Von Johannes Haller zu Reinhard Wittram. Deutschbaltische Historiker und der Nationalsozialismus, in: ZfG 45 (1997), S. 21-46. SCHÖTTLER: Versäumte Fragen, S. 138. Siehe auch das Kapitel 4.2. „Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas“, das die folgenden Informationen von der inhaltlichen Seite ergänzt. Karl GRIEWANK: Preußen und die Neuordnung Deutschlands 1813-1815, in: FBPG 52 (1940), S. 234-279. Karl Griewank an Willy Andreas, 21.12.1940, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag. Vgl. HAUSMANN: Deutsche Geisteswissenschaften, S. 109f mit Anm. 16-19. In den Anmerkungen sind alle Arbeiten des historischen Teils des KdG aufgeführt.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 127 habe sie jetzt dort schnell und programmgemäß durchführen wollen, um keine Zeit zu verlieren, und besonders im Hinblick auf eine immer noch mögliche baldige Einberufung.“271

In diesem Brief wurde also bereits der Vollzug der Habilitation verkündet: Am Abend des 4. März 1942 fand in Frankfurt vor der Philosophischen Fakultät Griewanks Kolloquium statt, und ihm wurde einstimmig der Titel „Dr. habil.“ verliehen. Auf den Vortrag Griewanks über „Reichs- und volksgeschichtliche Probleme der deutschen Revolution 1848“ wurde bereits eingegangen.272 Über die Aussprache ist nicht viel protokolliert, nur daß sich daran Walter Platzhoff, Paul Kirn, der Sprachwissenschaftler Hennig Brinkmann und der Kunsthistoriker Albert Erich Brinckmann beteiligten, während die anderen acht Fakultätsmitglieder schwiegen. Das gesamte Verfahren ist dem Protokollanten nur sechs Zeilen wert.273 Der Dekan berichtete später über das Verfahren: „Von diesem Thema ausgehend breitete sich die Aussprache über ein weites Gebiet der mittleren und neueren Geschichte aus. Auch kunst- und literargeschichtliche Probleme wurden berührt. Die Fakultät erhielt einen sehr guten Eindruck von dem vielseitigen Wissen Dr. Griewanks und ebenso von seiner Befähigung, sich gewandt und klar darüber auszusprechen. Alle Mitglieder stimmten bedenkenlos der Promotion zum Dr. habil. zu.“274

Der Kandidat war zwar ein „Externer“, aber durch seine Tätigkeit bei der DFG kein Unbekannter. Die Habilitationsschrift lag vor und war vom Führer-Rektor Walter Platzhoff mit Datum vom 22. Januar 1942 positiv bewertet worden – in einer sachlichen Begründung, als „gründlich fundiertes und reifes Werk [...], das von Darstellungskraft, Kritik und Urteilsvermögen zeugt.“275 Der Zweitgutachter Kirn beschränkte sich auf 15 Zeilen, um sich „der warmen Empfehlung, die im ersten Gutachten ausgesprochen ist, mit voller Überzeugung“ anzuschließen.276 Insgesamt zeigt dieses Verfahren, daß Platzhoffs Versprechen, das Verfahren in Frankfurt „schnell und programmmäßig durchführen“ zu können, sich bewahrheitete. Die Habilitationsschrift ging auch sofort in der Reihe des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“ in Druck – das Nachwort datiert vom Mai 1942. Auf das Buch selbst wird im Zusammenhang der Historiographie zum Wiener Kongreß ausführlich eingegangen werden. Die Reihe „Das Reich und Europa“ ist sehr ambivalent zu beurteilen. In der Ausführung sind die Bücher sehr unterschiedlich. Der Vergleich ist frappierend. Während Griewanks Wiener Kongreß heute noch lesbar ist, kann Alexander Scharffs Arbeit zur Revolution 1848 nur als ein Beispiel der Umdeutung der 1848er Revolution im NSSinne beurteilt werden. Die Revolution 1848 erschien hier als eine unvollendete

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Karl Griewank an Willy Andreas am 18.3.1942, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 845, unpag. Siehe oben S. 123 und Anm. 252. Protokoll der 460. Sitzung, 4.3.1942, in: UA Frankfurt (M), Protokollbuch der Philosophischen Fakultät III, S. 67f. Eine Habilitationsakte ist in Frankfurt nicht mehr vorhanden. Ich danke Michael Maaser un den Mitarbeitern des UA Frankfurt (Main) für die Bemühungen bei der Suche danach. Die Gutachten wurden nach Berlin weitergeschickt, als Griewank dort eine Dozentur beantragte. UA HU Berlin, G 383 PA Karl Griewank. Dekan Philosophische Fakultät, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt an die Philosophische Fakultät, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 6.5.1942, in: UA HU Berlin, G 383 PA Karl Griewank, Bl. 37. Walter Platzhoff, Gutachten über die Habilitationsschrift von Dr. Karl Griewank (Abschrift), 22.1.1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 24-26, hier Bl.. 26. Paul Kirn, Zweites Gutachten über die Habilitationsschrift von Dr. Karl Griewank (Abschrift), 22.1.1942, in: ebd., Bl. 27. Vgl. zu Kirn KRETSCHMANN: der lange Schatten von Versailles, S.492496

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

völkisch-nationale Volksbewegung.277 Karen Schönwälder bilanziert zu Scharffs Buch: Es „ist in seinem wissenschaftlichen Niveau mit der Arbeit Griewanks nicht zu vergleichen. Es argumentierte offener aktuell politisch und deutlicher profaschistisch.“278 Scharff charakterisierte die Revolution 1848 mit der Kampfvokabel: „Dieser Kampf war zugleich ein Kampf um die Neuordnung Europas, dessen Herzvolk das deutsche ist.“279 Auch vergaß Scharff nicht, in der Literaturliste die „Verfasser jüdischer Abstammung“ ebenso zu kennzeichnen wie im Text, etwa Benjamin Disraeli, dessen jüdische Abstammung sogar zum Teil der Argumentation wird.280 Walter Kienast, um nur noch ein weiteres Vergleichsbeispiel zu nehmen, markierte in seinem Buch zur deutsch-französischen Geschichte die jüdischen oder ausländischen Autoren hingegen nicht und betont: „Das Buch [...] ist in dem größten aller Kriege geschrieben, den das deutsche Volk jemals zu führen hatte. Trotzdem bekennt sich der Verfasser zu der Ehrenpflicht jeder wahrhaften Geschichtsschreibung, die nicht nur dem Tage dient: auch dem Gegner gerecht zu werden und ihn aus seinen eigenen Voraussetzungen zu begreifen. Nur auf dieser Grundlage ist ein wirkliches Verständnis beider Völker möglich.“281 Insgesamt zeigt sich, welche Unterschiede unter dem Dach der Reihe möglich waren. Griewanks Buch enthält z.B. keine Kennzeichnung jüdischer Autoren.282 Die Unterschiedlichkeit belegt, daß ein gewisses Maß von Nichtanpassung auch in den 1940er Jahren möglich war. Griewank konnte dies natürlich auch deshalb sehr gut einschätzen, weil er in der DFG die Reihe koordinierte. Die Habilitation wurde von seiten seines Arbeitgebers allerdings nur geduldet, nicht unterstützt. Von Mentzel habe er kein besonderes Entgegenkommen erfahren, „Sonderurlaub für Archivreisen und Habilitation [habe dieser] abgelehnt“, so daß Griewank „auf jeden Erholungsurlaub seit Anfang 1941 verzichten mußte“.283 So befand sich Griewank im August 1941 im besetzten Paris, wo er durch die deutsche Invasion die nicht selbstverständliche Möglichkeit zur unbeschränkten Aktenbenutzung bekam.284 Allerdings war die „Urlaubs“-Zeit sehr begrenzt und mußte die Recherche der umfangreichen Bestände zügig durchgeführt werden, weshalb sich offensichtlich Lesefehler eingeschlichen haben.285

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Vgl. hierzu Hans OTTO: Wandlung, Problemstellung und Urteilsbildung der deutschen Geschichtsschreibung über 1848, Diss. phil. Marburg 1953 (MS), S. 144-157. SCHÖNWÄLDER: Historiker und Politik, S. 233. Alexander SCHARFF: Die europäischen Großmächte und die deutsche Revolution. Deutsche Einheit und europäische Ordnung 1848-1851, Leipzig 1942, S. 6. Disraeli habe sich am schärfsten deutschfeindlich verhalten; ebd., S. 39, 302-306. Walther KIENAST: Deutschland und Frankreich in der Kaiserzeit (900 bis 1270), Leipzig 1943, S. 8. Kienasts Einleitung beginnt dann auch: „Deutschland und Frankreich, die feindlichen Brüder, stammen aus demselben Vaterhause, dem Fränkischen Reich“, S. 15. Informierte Zeitgenossen wußten, daß dieses Politikum zu umgehen war: „Vorgeschrieben ist sie [die Hervorhebung „(Jude)“] vom Kultusministerium für Dissertationen und schon da wird sie zumeist nicht befolgt“, wußte etwa Robert Holtzmann. Robert Holtzmann an Friedrich Schneider, 12.1.1941, in: ThULB Jena, HA, NL Schneider, Karton 1. Karl Griewank an Willy Andreas, 8.5.1942, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 843, unpag. Karl Griewank an Willy Andreas, 20.10.1941, in: ebd. Wenn sich Alexandra von Ilsemann darüber wundert, daß „bei Griewank, der in großem Umfang Original-Quellen herangezogen hat, die abgedruckten französischen Quellen (AAE) teilweise leichte Textabweichungen aufweisen“, liegt dies unzweifelhaft an der knappen Zeit in Paris und den Kriegsumständen. Griewank hatte später keine Möglichkeit mehr, die Quellen zu überprüfen; Alexandra von ILSEMANN: Die Politik Frankreichs auf dem Wiener Kongreß. Talleyrands außenpolitische Strategien zwischen Erster und Zweiter Restauration, Hamburg 1996, S. 28, Anm. 97.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 129 Die Reichshabilitationsordnung sah eine Trennung von Lehrbefähigung (Dr. habil.) und Lehrbefugnis vor.286 Da mit der Lehrbefugnis jedoch auch eine Ernennung zum „außerplanmäßigen Dozenten auf Widerruf“ (§17) verbunden war, wurde die „Teilnahme an einem Lehrgang des dem Stellvertreter des Führers unterstehenden Reichslagers für Beamte“ (§16) erwartet. Man konnte denken, daß die Beteiligung an einem „Dozentenlager“ die Mitgliedschaft im NS-Dozentenbund obligatorisch voraussetze, der die Lager organisierte und finanzierte. Griewank hatte man die Mitgliedschaft im NS-Dozentenbund „als Voraussetzung für akademisches Fortkommen, ja selbst für eine Dozentur aufnötigen“287 wollen. Dem Wortlaut der Verordnung nach galt das jedoch nicht, aber immerhin war eine positive Stellungnahme des örtlichen Dozentenbundführers Voraussetzung für die Dozentur.288 Er nahm dann auch an einem Lager teil, jedoch ohne dem Verband beizutreten. Ein Versehen war dies nicht, vielmehr war ihm durch seine Einblicke in die Wissenschaftsorganisation bekannt, daß kein formeller Zwang zur Mitgliedschaft bestand. Im Oktober 1942 fand in Augsburg ein „Dozentenlager für die Historiker“ statt.289 Die „Lager“ hatten zu dieser Zeit nicht mehr den Charakter der Anfangsjahre der NSZeit, als von einem antiintellektuellen Erziehungskonzept ausgehend paramilitärische Übungen abgehalten wurden.290 Vielmehr nahm die Veranstaltung nun eher die Form einer Tagung an, zu der zum Teil auch Kollegen von der Front zeitweise zurückgeholt werden konnten. Das Thema lautete „Volkwerdung bei den europäischen Völkern“. Die Leitung hatte der bereits erwähnte Volkshistoriker Harold Steinacker.291 Als Zielstellung formuliert wurde die Erarbeitung einer Nachkriegsordnung aufgrund einer theoretisch fundierten völkischen Geschichtsbetrachtung.292 Der genaue Ablauf ist nicht bekannt. Es waren zehn Vorträge zu verschiedenen „Völkern“ mit ausgewiesenen „Volkshistorikern“ als Referenten vorgesehen.293 Es ging um die Neuordnung Europas und damit um Griewanks Thema, das gleichsam von einer anderen Seite beleuchtet wurde. Von Griewank hören wir anschließend, das Lager, an dem er allerdings nur zwei Tage habe teilnehmen können, habe „einen ausgezeichneten und für alle Teilnehmer

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Franz SENGER (Hg.): Reichs-Habilitations-Ordnung. Amtliche Bestimmungen über den Erwerb des Dr. habil. und der Lehrbefugnis an den deutschen wissenschaftlichen Hochschulen, Berlin 1939. Lebenslauf vom 11. Februar 1945 [?, richtig wohl 1946], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 80. Zu beachten ist, daß mit der Dozentur das Beamtenrecht zur Anwendung kam – mit dem Treueeid auf den Führer und der Verpflichtung „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat“ einzutreten. Dies mußte durch den Dozentenbundsführer bestätig werden. Vgl. SENGER: ReichsHabilitations-Ordnung, hier S. 48, 50. Dozentenlager der Historiker, 7.-10.10.1942, in: BA Berlin, NS 15/326, alte Foliierung 9567595698, Anwesenheitsliste Bl. 95684. Ich danke Barbara Schneider für den Hinweis auf diese Akte. Vgl. Volker LOSEMANN: Zur Konzeption der NS-Dozentenlager in: Manfred HEINEMANN (Hg.): Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 2: Hochschule und Erwachsenenbildung, Stuttgart 1980, S. 87-109. Vgl. zu Steinacker OBERKROME: Volksgeschichte, insbes. S. 73-80. Auf die Zielstellung wird im Kapitel zur Neuordnung Europas noch inhaltlich eingegangen. Dort auch das Zitat der Zielstellung. Siehe unten S. 157, Anm. 90. NS-Dozentenbund an Erxleben, 11.9.1942, in: BA Berlin, NS 15/326, alte Foliierung Bl. 95694. Als Referenten werden genannt: Brunner (Wien): Deutschland, Wittram (Posen): Rußland, Steinacker (Innsbruck): „Südostvölker“, Wostry (Prag): Tschechien, Maschke (Leipzig): Polen, Wührer (Straßburg) Skandinavien, voraussichtlich Pfeffer (Berlin): England. Noch nicht fest standen die Redner für die Themen Italien, Frankreich und Holland. Vom Hauptamt Wissenschaft wird zur Ergänzung Hartung (Berlin), Botzenhardt (Göttingen) oder Röhrig (Berlin) vorgeschlagen, die zur preußischen Staatsentwicklung etwas betragen könnten. (ebd., alte Foliierung Bl. 95697f.) Es ist nicht bekannt, ob dies realisiert wurde oder die österreichische Meinungsführerschaft so blieb.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

sehr ergiebigen Verlauf“294 genommen. Über die Diskussionen in diesem Kreis erfährt man nichts. Konnte Griewank also die Teilnahme an einem obligatorischen Lager nachweisen, legte die Reichshabilitationsordnung zudem aber auch fest, daß für die Zulassung zur Dozentur noch eine Lehrprobe abgehalten werden sollte: bis zu drei Stunden zu einem Thema, das mit der Habilitation nicht in Verbindung stehe. Dies mußte an dem Ort geschehen, an dem der Kandidat später lehren wollte, in diesem Fall also in Berlin. Dort hatte man Bedarf an einer Lehrkraft, wie die Tatsache zeigt, daß Griewank sofort um die Übernahme eines Proseminars gebeten wurde, was er unentgeltlich für das WS 1942/43 übernahm.295 Im selben Semester, am 15. Januar 1943, hielt er seine „öffentliche Lehrprobe“ zum Thema „Das deutsch-französische Verhältnis im Zeitalter Karls V.“296 Den Vortrag hörten Hartung, A.O. Meyer, Rörig, Schüssler, Baethgen, E. Meyer und der Dozentenbundsführer Schering, der zuvor in einer kurzen Mitteilung signalisiert hatte, daß er keine Einwände gegen die Bewerbung habe.297 Auf einen zweiten oder dritten Termin zur Lehrprobe wurde verzichtet, und so erhielt Griewank mit Datum vom 15. Februar 1943 die Ernennungsurkunde zum Dozenten.298 Der im Alter von 22 Jahren Promovierte, konnte nun – mit 42 Jahren – die nächste Qualifikationshürde nehmen.

3.3.3. Der „unbestritten beste Vortrag“? – Das Historikertreffen in Weimar 1942 An dieser Stelle soll noch von einem Auftritt Griewanks berichtet werden, über den wir etwas besser informiert sind als über das Historiker-Lager. Er fand zwischen der Frankfurter Habilitation und der Berliner Lehrprobe statt. Vom 20. bis zum 23. Juli 1942 trafen sich in Weimar die Abteilungen „Neuere Geschichte“ und „Völkerrecht“ des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“ zu einer Tagung. Griewank hielt hier ein Referat über „Die europäische Neuordnung 1814/15“. Dies sei der „unbestritten beste Vortrag“299 der Konferenz gewesen, meinte der freilich nicht unparteiische Willy Andreas. Ein genauerer Blick macht deutlich, daß bei dieser Tagung nichts unbestritten zuging, vielmehr die Atmosphäre des Krieges und der Argwohn verschiedener Richtungen der Geschichtsschreibung im nationalsozialistischen Deutschland die Konferenz prägte. „Welchen Inhalt, welche Tendenz besaß der Vortrag von Griewank auf der Kriegseinsatztagung der deutschen Historiker im Jahre 1942?“300, fragt Herbert Gottwald kritisch im Hinblick auf die Beteiligung Griewanks am Nationalsozialismus. Ein SD-Bericht mit Beobachtungen von dieser Tagung ist im Bestand der von der Staatssicherheit der DDR übernommenen Akten erhalten.301 Würde man diesen wörtlich

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Karl Griewank an Willy Andreas, 14.10.1942, in: BGLA, NL Andreas, Nr. 750 unpag. UA HU Berlin, G 383 PA Karl Griewank, Bl. 4-7. Ebd., Bl. 47-61. Der Vortragstext ist nicht mehr erhalten. Griewank hatte, wie es üblich war, drei Themen vorgeschlagen: „Reformen und Staatsleistungen des aufgeklärten Absolutismus in seiner Spätzeit“ und „Die Revolution 1848 im Zusammenhange der deutschen Volksgeschichte“ und der oben genannte. Ebd., B. 47, 57. UA HU Berlin, G 383 PA Karl Griewank, Bl. 8. Willy Andreas an Martin Lintzel, 13.3.1943, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag. GOTTWALD: Kommentar, S. 116. Hans Schick: SD-mässige Beobachtung hinsichtlich der Arbeitstagung des Kriegseinsatzes der neueren Historiker und Völkerrechtler vom 20.-23.7.1942 in Weimar, in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 3340.; Vgl. HAAR: Historiker im Nationalsozialismus, S. 356f, der den Bericht jedoch nicht detailliert

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 131 nehmen, könnte der Bericht mühelos als ein Beweis für die Regimeferne Griewanks herangezogen werden. Die SD-Historiker wollten – wie auch die Gruppe um Walter Frank – eine „kämpfende Wissenschaft“, eine politische und ideologisch politisierende Geschichtsschreibung und wandten sich vor allem gegen die „objektiven“ Historiker. Rund 50 Wissenschaftler trafen sich im Hotel Elefant in Weimar und hörten insgesamt acht Vorträge: Carl Bilfinger302 (Europa und der Westfälische Friede), Walter Platzhoff (Der Friede von Utrecht und die englische Auffassung einer Ordnung Europas),Wilhelm Schüssler (Prinz Eugen und das Reich), Gerhard Ritter (Machtkampf und Friedensordnung in der Politik Friedrichs des Grossen)303, Karl Griewank, Alexander Scharff (Deutsche Einheit und europäische Ordnung in der deutschen Revolution 1848-1851), Otto Becker (Bismarck und die europäische Ordnung) und Hermann Jahrreiß304 (Der ‚Friede’ von Paris 1919 und Europa).305 Griewanks Vortrag faßte die Kernaussagen seiner Habilitation zusammen.306 Betont wird, daß der Neuordnungsgedanke des Wiener Kongresses auf den Prinzipien der klassischen aufgeklärten Diplomatie beruhte, „nur auf Staaten und nicht auf Völker anwendbar“307 gewesen sei und daß die Vorstellung der Nation in der Diplomatie – er verdeutlicht dies am Sprachgebrauch der „bayerischen“ oder „sächsischen Nation“ – eine andere war als die in den Befreiungskriegen geäußerte. Griewank charakterisiert den Wiener Kongreß als „ein wohlerwogenes Werk des Ausgleichs und der mittleren Linie zwischen den bestehenden und anerkannten Staaten, nicht die Schöpfung der damals gerade erst aufgebrochenen Volksbewegungen oder einzelner großer Gestalter.“308 Er betont den Vertragscharakter und die friedenserhaltende Funktion des Wiener Kongresses. Dieser Friede, so endete er, „mußte versagen gegenüber der Dynamik großer aufbrechender Völker; nachdem er noch bis in das 20. Jahrhundert hinein in abgewandelten Formen Anerkennung erheischt hat, ist mit der Entstehung des Großdeutschen Reiches, mit dem Anbruch einer neuen Stunde der Weltgeschichte seine Zeit endgültig abgelaufen.“309 Dieser Schlußsatz ist nicht die einzige politische Aussage des Vortrags. So führte er zum Forschungsstand einen Vergleich zum Versailler Vertrag aus: „Umgekehrt haben bei uns gerade die groben Mißgriffe der Pariser Vorortdiktate den Blick für die doch viel feinere und dauerhaftere Arbeit der Staatsmänner von 1815 geschärft.“310 Dieser Hinweis auf den Versailler Vertrag muß wohl die Diskussion nach Griewanks Vortrag beherrscht haben. Trotz der deutlichen Aktualisierungen gefielen dem SD-Beobachter Vortrag und Debatte überhaupt nicht: „Am zweiten Tage hielt der im Fahrwasser der ‚objektiven’ Historiker segelnde Dr. phil.habil. Griewank von der Forschungsgemeinschaft Berlin seinen Vortrag über die europäische Neuordnung

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auswerten konnte. Inzwischen wurde der Bericht jedoch von Joachim Lerchenmüller komplett ediert, ist somit nun allgemein zugänglich. Vgl. LERCHENMÜLLER: Geschichtswissenschaft, S. 262-269. Staatsrechtler aus Heidelberg, Jahrgang 1879; KÜRSCHNER 1935, Sp. 98. Vgl. CORNELIßEN: Ritter, S. 302f., S. 574 mit dem Hinweis auf die Anwesenheit Carl Schmitts in Weimar (S. 303, Anm. 34). Staats- und Völkerrechtler aus Köln; KÜRSCHNER 1935, Sp. 606. Tagesordnung in der Anlage des Berichts, in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 40. Ein Vortragsmanuskript ist nicht erhalten. Allerdings wurde der Vortrag auszugsweise in „Forschungen und Fortschritte“ und in Langfassung in der HZ veröffentlicht. Vgl. Karl GRIEWANK: Mitteleuropa in der europäischen Neuordnung 1814/15, in: FuF 19 (1943), S. 53f; DERS.: Die europäische Neuordnung 1814/15, in: HZ 168 (1943), S. 82-112. Ebd., S. 95. Ebd., S. 83. Ebd., S. 112. Ebd., S. 85.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere 1814/15. In der Aussprache verstieg sich der Völkerrechtler [Ulrich] Scheuner311 (Strassburg) sinngemäß zu folgender Äusserung: Der Wiener Kongress stelle eine durchaus gute Konstruktion einer europäischen Ordnung dar und auch im Versailler Vertrag seien doch recht positive Elemente vorhanden gewesen. Man müsse endlich einmal von der Methode abkommen, immer nur über das Schanddiktat von Versailles herzuziehen. Auch beim Völkerbund sei die Technik des Arbeitens doch ähnlich gewesen wie etwa im alten Reichstag zu Regensburg.“312

Der SD-Beobachter, der von Günther Franz313 habilitierte Freimaurerforscher und SSSturmbannführer Hans Schick314, war über solche Bemerkungen entsetzt. „Der Gesamteindruck der Arbeitssitzung, [...] muss für den Freund einer weltanschaulich ausgerichteten Wissenschaft recht niederdrückend sein“, so sein Urteil. Die Tagung, auf der „das Wort Nationalsozialismus kein einziges Mal und das Wort ‚der Führer’ höchstens ein- oder zweimal gefallen“ sei, habe schließlich zum Unmut der anwesenden überzeugten NS-Historiker geführt: „Bereits am Tage vorher waren sich alle diejenigen einig, die auf der Seite einer politischen Geschichtswissenschaft stehen, insbesondere die SD-Angehörigen [Günther] Franz, [Hermann] Löffler, [Gerhard von] Frankenberg, Dr. [Ernst] Birke und [Hans] Schick sowie der Vertreter des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, Dr. [Erich] Botzenhart, aber auch einige jüngere Historiker, von denen besonders [Kurt] v. Raumer und [Theodor] Schieder genannt werden sollen, dass in diesem Gremium einmal ein offenes Wort gesprochen werden müsse. Günther Franz fand als Wortführer hierzu die Gelegenheit [...] Er prangerte insbesondere die Glorifizierung des Wiener Kongresses und noch mehr die positive Wertung des Versailler Diktats gebührend an. Die Art des Vorstosses von Franz war allerdings in der Form etwas ungestüm und auch im Vergleich zu der glatten Art der bis dahin zu Worte gekommenen Haupt- und Diskussionsredner zu wenig geschickt. Aber gerade dadurch platzte sein Widerspruch wie eine Bombe in diese ‚objektiv’-gelehrte Gesellschaft. Ausserdem erklärte Franz ausdrücklich, dass er im Namen einer Reihe von anderen vor allem jüngeren Historikern spreche. Schon während Franz redete, ging ein lauter Widerspruch und eine grosse Bewegung durch die Reihen. Die Bestürzung steigerte sich, als dann noch aus der Ecke der Opponenten ganz unakademisch von [Erich] Botzenhart und [Hermann] Löffler315 durch Händeklatschen die Worte Franz’ begleitet wurden.“316

Weiter berichtete der SD-Informant über von Raumers und Schieders Bekenntnisse zu einer politischen Wissenschaft, während Platzhoff dagegengehalten habe. Es sei „unter dem Beifall seiner Gefolgschaft der Völkerrechtler [Ulrich] Scheuner317 (Strassburg)“ aufgetreten und habe eine „unpolitische und undeutsche Deutung des Wiener Kongresses und des Versailler Friedens“ gezeigt: „Er sagte z.B. wörtlich: ‚Bisher haben wir in diesem Kreise in der charmanten Art des ‚Wiener Kongresses’ getagt. Da plötzlich wird mit ungestümer Hand die Tür aufgerissen und herein stürzt das ‚Volk’, das Volk mit seiner ganzen Leidenschaftlichkeit ...’ Gegen diese erneute deplacierte Auffassung von ‚Volk’ im Sinne der unteren Schicht, der Masse, verwahrte sich nachher noch Schieder.“318 Der Bericht verdeutlicht die unterschiedlichen Gruppen der Historiker. Der „Wiener Kongreß“, das durch Griewank aufgebrachte Thema, wurde geradezu zum Paradigma

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Professor in Völkerrecht, Verfassungslehre und Verwaltungsrecht, Jahrgang 1903; KÜRSCHNER 1940/41, Bd.2, Sp. 583. SD-mässige Beobachtung [...], in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 34f. Vgl. zu Günther Franz Wolfgang BEHRINGER: Bauern-Franz und Rassen-Günther. Die politische Geschichte des Agrarhistorikers Günther Franz (1902-1992), in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 114-141. Vgl. zu Schick ebd., S. 123f. Zu Löffler vgl. LERCHENMÜLLER, Geschichtswissenschaft. SD-mässige Beobachtung [...], in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 35f. Völkerrechtler, Jahrgang 1903; KÜRSCHNER 1940/41, Bd.2, Sp. 583. SD-mässige Beobachtung [...], in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 36f.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 133 der nicht-kämpferischen Wissenschaftler. Die Volkshistoriker, die politischen Kämpfer, standen in dieser Darstellung den „objektiven“ und unpolitischen „Alten“ gegenüber. Der stürmische Auftritt der NS-Historiker macht auch deutlich, wie es zu dem Nachkriegsurteil kam, es seien hier ernsthafte Wissenschaftler bemüht gewesen seien, die Nationalsozialisten zu isolieren.319 Daß jedoch die gesamte Tagung dem „Kriegseinsatz“ galt und daß auch die große Mehrheit der „objektivistisch-unpolitischen“ Historiker sich 1942 klar zum nationalsozialistischen Deutschland bekannt hatte, konnte in der Erinnerung an die „wildgewordenen Studienräte“ verdrängt werden. Jedoch hatte auch Platzhoff, der ohne Zweifel ein überzeugter Nationalsozialist war, eine traditionelle, den habituellen und methodischen Standards der bisherigen Historiographie verpflichtete Geschichtswissenschaft vertreten – eben weil er sie als dem NS dienlicher ansah als die „kämpfende“ Wissenschaft der SD-Historiker und der Walter-FrankAnhänger. Auch „methodisch saubere“ Wissenschaft konnte dem Regime dienen, um an František Graus’ Worte zu erinnern.320 Ob die vom SD-Bericht beschriebene strikte Zweiteilung zwischen den objektiven und den kämpferischen Wissenschaftlern so Bestand hatte, kann quellenkritisch bezweifelt werden. Der SD-Beobachter Schick verzeichnete auch einen für ihn enttäuschenden Opportunismus einiger, die „es sich mit der Zunft gar nicht verderben wollen und sich deshalb sehr stark zurückhalten, sogar allzu großen Kontakt zu den SS-Angehörigen vermeiden. Das letztere gilt z.B. von den Herren Scharff (Kiel), Wagner (München), v. Raumer und Schieder.“321 Die „Zunft“ gab sich 1942 traditionell und nicht auf der Linie der SS-Historiker, so daß das Gesamturteil aus der Sicht des Sicherheitsdienstes niederschmetternd sein mußte: „Es hat sich gezeigt, dass die Atmosphäre selbst dieser Tagung, die sich an moderne Fragestellungen unter dem Druck der Kriegsnotwendigkeiten heranmachen will und die dem militärischen und politischen Ringen der Gegenwart von der wissenschaftlichen Seite her Rüstzeug zu schmieden sucht, durchaus keine vom nationalsozialistischen Geiste erfüllte war. Wortführend und tonangebend sind doch noch die mehr oder weniger reaktionären Elemente, die bei solchen Debatten und Referaten über ausgezeichnete Fachkenntnisse verfügen und in der Darbietungs- und Diskussionskunst am besten abschneiden. Demgegenüber sind die jüngeren Historiker zunächst sehr in der Minderheit, ausserdem fachlich und rednerisch sehr im Hintertreffen. [...] Ganz auf der Seite der Reaktion steht der Dr. phil.habil. Griewank (Berlin). Es wird noch geraume Zeit bedürfen, bis sich nationalsozialistische Historiker durch fachliche Leistung zur Anerkennung und Führung auf derartigen Arbeitstagungen durchgerungen haben.“322

Deshalb, so endet der Bericht, solle den SS-Angehörigen mehr Zeit und Möglichkeiten „zu konzentrierter Facharbeit“ geboten werden: „[...] denn wenn ein Mann wie Griewank jahrelang als Mitglied der Deutschen Forschungsgemeinschaft nur für derartige Arbeiten freigestellt wird, [...] dann ist es selbstverständlich, dass solche Leute den SS-Angehörigen, die mit anderweitigen dienstlichen Verpflichtungen überhäuft sind, fachlich den Rang ablaufen.“323 Abgesehen davon, daß Griewank für seine wissenschaftliche Tätigkeit gerade nicht freigestellt worden ist, wird hier eine strategische wissenschaftspolitische Forderung formuliert. Für Griewank bedeutete sein Auftreten in Weimar zugleich auch eine Festlegung innerhalb der Zunft: Er galt nun als

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Vgl. Gerhard RITTER: Die deutschen Historikertage, in: GWU 4 (1953), S. 513-521, hier S. 517. Vgl. auch CORNELIßEN: Ritter, S. 303. „Die Geschichtsschreibung kann auch bei Einhaltung aller ‚wissenschaftlichen Regeln’ versagen,“ František GRAUS: Geschichtsschreibung und Nationalsozialismus, in: VfZ 17 (1969), S. 87-95. SD-mässige Beobachtung [...], in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 38. Ebd., Bl. 38f. Ebd., Bl. 39.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

einer der „objektiven-unpolitischen“ und „reaktionären“ Historiker. Dies mußte der Karriere nicht unbedingt hinderlich sein, solange die SD-Historiker und die WalterFrank-Gruppe noch nicht die Oberhand erlangt hatten. Letztlich konnte er sich trotz seinen Alters Hoffnungen machen, vielleicht eine Professur zu erhalten. Darin bestärkt wurde er von Willy Andreas, der sich sehr für ihn einsetzte. Dessen Aussage, daß Griewank den unbestritten besten Vortrag in Weimar gehalten habe, findet sich allerdings so bei keinem anderen Teilnehmer.324 3.3.4. „Er ist verschwiegen, taktvoll und kennt sich gut aus in Berlin bei den entscheidenden Stellen“ – die Fürsprache Willy Andreas’ Von dem Moment an, als Griewank seine Habilitation erfolgreich absolviert hatte, startete Willy Andreas eine Werbeaktion nach der anderen für seinen Schützling. Er wurde offensichtlich gerne um Gutachten bei Berufungsverfahren gebeten, wohl auch weil er seine Stellungnahmen stets umfangreich gestaltete und aussagekräftig formulierte. Griewank selbst war übrigens gar nicht a priori auf eine Berufung aus und teilte seinem akademischen Lehrer mit, daß er sich mit einer einfachen Dozentur in Berlin begnügen wolle, wenn er nur nicht zum Kriegsdienst eingezogen werde: „Nur soviel ist klar, daß ich an Berlin gebunden bin, da ich für die Deutsche Forschungsgemeinschaft uk [unabkömmlich] gestellt wurde und ohne dieses wahrscheinlich schon im letzten Herbst eingezogen worden wäre.“325 Willy Andreas antwortete: „Ich verstehe Ihre Situation vollkommen, aber Sie müssen versuchen, so bald wie möglich von der Forschungsgemeinschaft zur vollakademischen und ausschließlichen Wirksamkeit zu gelangen, wenn Sie noch rechtzeitig in den Berufungsturnus hineinkommen wollen. Vergehen noch ein paar Jahre, dann werden die Zunftgenossen – herz- und gedankenlos wie sie sind – und namentlich die Jüngeren, die sich gegenseitig nichts gönnen, Sie mit dem Argument herausbeißen, Sie seien schon zu alt und betrieben die Sache ja ohnehin nur als Nebenstrang.“326

Bereits die erste Aussage ist entscheidend. Andreas behauptete, Griewank zu verstehen. Er verstand dessen Haltung im Grunde jedoch nicht. Willy Andreas hatte sich eindeutig mit dem Nationalsozialismus arrangiert und lebte zudem so sehr in der akademischen Welt, daß er die Sorge, eingezogen zu werden, nicht ernst nahm. Seine Ausführungen lassen nichts von der Besonderheit der Kriegszeit erkennen und assoziieren mit der Vokabel vom „Berufungsturnus“ Normalität der Verfahrensweise, von der im Jahr 1942 in allen Belangen des gesellschaftlichen Lebens nicht mehr die Rede sein konnte. Seinen Worten ließ Andreas ungefragt bald auch Taten folgen. Eigentlich hatte er zu diesem Zeitpunkt schon damit begonnen, den Namen Griewank massiv in Berufungsverfahren ins Spiel zu bringen. Dreimal versuchte er dies – in Graz, Halle und Jena. Für Graz hatte Andreas bereits im Januar 1942 ein siebenseitiges Gutachten abgegeben.327 Am 15. Mai schickte er an Ferdinand Bilger, um dessen Nachfolge es ging, einen ergänzenden Brief nach: „In meinem vor Wochen erstatteten Gutachten habe ich

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Fritz Hartung etwa nennt auf eine Anfrage der Universität Jena zur Neubesetzung des Lehrstuhls für Neuere Geschichte Griewank gar nicht, während Alexander Scharff – ausdrücklich mit Bezug auf die Weimarer Tagung – vorgeschlagen wird. Fritz Hartung zur Berufung Jena, 7.6.1944, in: SBPK Berlin, HA, NL Hartung, Karton 59, Mappe 31. Siehe auch unten S. 137 mit Anm. 349f. Karl Griewank an Willy Andreas, 18.3.1942, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845, unpag. Willy Andreas an Karl Griewank, 24.4.1942, in: ebd. Willy Andreas an Ferdinand Bilger, 31.1.1942, in: ebd.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 135 leider nicht Karl Griewanks gedacht, da ich damals noch nicht wußte, daß er sich mit dem Gedanken trägt, die akademische Laufbahn zu ergreifen.“328 Ein Lob in den höchsten Tönen folgt, eine „ungemein lebendige Persönlichkeit“ sei Griewank, deren „hohe menschliche Qualitäten und deren vornehme Sachlichkeit von allen Kennern der Forschungsgemeinschaft gerühmt werden“.329 Als Bilger andeutete, daß Walter Kienast Bedenken trage, da Griewank ohne Lehrerfahrung sei, hatte Andreas auch diesem bereits geschrieben und dabei vor allem auch die persönlichen Qualitäten Griewanks betont: „Nun noch eine einzigartige Chance. Ich weise sie auf meinen Schüler Karl Griewank hin [...]. Griewank kenne ich als einen der treuesten und zuverlässigsten Menschen nun schon zwei Jahrzehnte lang. Er hat mir gegenüber nie menschlich versagt. Schmidt-Ott schätzt ihn in jeder Hinsicht aufs höchste. Er ist eine vollkommen reine und lautere Persönlichkeit. Bisher hat die Notgemeinschaft ihn festgehalten. Er muß sich jetzt frei machen davon“.330

Im Postskriptum des Briefes legte Andreas noch einmal nach: „Wenn Sie für Griewank sich einsetzen, können Sie sicher sein, daß er Ihnen sein Leben lang dankbar und verbunden sein wird. Er ist verschwiegen, taktvoll und kennt sich gut aus in Berlin bei den entscheidenden Stellen.“ Er legte gleich eine Publikationsliste Griewanks bei, die er „zufällig“ zur Hand habe. Aus einer Listenplazierung wurde jedoch nichts. Kienast ließ Andreas sehr vage wissen, daß er den Vorschlag gemacht habe, Griewank „irgendwie im Anschluss an die Liste dem Ministerium zu empfehlen“, wofür sich „vielleicht noch ein Weg finden“331 könne. Seit diesem Moment berichtete Andreas darüber, daß Griewank bereits vor Erreichen der Dozentur in Graz im Proömium der Liste genannt worden sei, bald wurde daraus sogar eine Listenplazierung – es hatte jedoch nie eine Erwähnung in Graz gegeben.332 Die nächste Runde läutete ein Brief von Martin Lintzel aus Halle ein, in dem Andreas mitgeteilt wurde, daß sich die dortige Liste erschöpft habe und man nun „ziemlich Hals über Kopf“ eine neue Liste einzureichen habe: „[W]ir denken nun an folgende Namen: Wendorf – Leipzig, Hinrichs – Königsberg [...], Sandberger – Freiburg, Scharff – Kiel, Schieder – Königsberg, eventuell auch Rößler – Wien.“333 Scharff werde sehr empfohlen, wenn dieser auf einer Liste erscheine, so werde er wohl „alle anderen Kandidaten aus dem Felde“ schlagen, da er ein Protegé Ritterbuschs sei. Andreas muß seine Antwort unmittelbar nach Erhalt des Briefes aufgegeben haben: „Griewank ist mein alter Rostocker Schüler und hat mir in allen Wechselfällen der Politik und meiner akademischen Geschicke stets die Treue gehalten und als Mitarbeiter von Schmidt-Ott bei der Notgemeinschaft, der ihn aufs höchste schätzt und mit ihm wahrhaft befreundet ist, einen Überblick über die Forschungslage der letzten Jahrzehnte gewonnen wie kein Anderer in Deutschland. [...] Ich erlaube mir, Ihnen gegenüber ihn auch deshalb so stark zu befürworten, weil er ungefähr gleichaltrig mit Ihnen ist, und Sie dem lebenserfahrenen, reifen Manne ein ganz anderes Verständnis in allen politischen und persönlichen Lagen erwarten können als von den Jüngeren, die zumeist in einer unglaublichen Verwöhntheit und einem großen Egoismus ihren Weg verfolgen, dabei den Mantel

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Willy Andreas an Ferdinand Bilger, 15.5.1942, in: ebd. Ebd. Willy Andreas an Walter Kienast, 21.4.1942, in: ebd. Walter Kienast (Briefpapier HZ) an Willy Andreas, 29.5.1942, in: ebd. Kienast gibt zwar vor, er habe Griewank der Kommission vorgestellt und es sei „schade, daß Griewank nicht nominiert wird, aber gegen den Widerstand von Rektor und Dekan“ könne er nichts machen. Dieser Widerstand wird damit begründet, daß Griewank seine Venia legendi noch gar nicht erhalten habe. Ich danke dem Universitätsarchiv Graz für die Information, daß Griewank dort nicht auf einer Liste oder in einem Zusatz genannt wurde. Martin Lintzel an Willy Andreas, 11.3.1943, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere aber immer nach dem Winde hängen, während Griewank seine Linie ruhig und sachlich, ohne Parteigebundenheit nach irgendwelcher Seite von seiner Jugend an gehalten hat.“334

Diese Worte, die neben einer sehr persönlichen Charakteristik Griewanks zugleich politische Andeutungen enthalten, zielten auf Martin Lintzels persönliche Erfahrungen. Dieser hatte 1935 nach heftigen Kontroversen mit der NSDAP von einem Ruf nach Kiel zurücktreten müssen.335 Andreas deutete also an, daß Lintzel einen Fürsprecher und Partner in Griewank haben würde, der der „objektiv-unparteiischen“ Richtung angehöre und kein nationalsozialistischer Aktivist sei. Auf Lintzels Bemerkung zu Ritterbusch, wonach dieser Alexander Scharff bevorzuge, nahm Willy Andreas ebenfalls Bezug. Von Griewank selbst hatte Andreas zuvor bereits erfahren, daß sein Name „auch im Hinblick auf Halle von Prof. Ritterbusch, der mit dem Rektor in engerer Verbindung steht, genannt worden [sei]; es scheint dort alles offen zu sein.“336 Deshalb gab er an Lintzel weiter, daß Ritterbusch einer Kandidatur Griewanks nicht im Wege stehen würde. Auch aus der Berufung nach Halle wurde jedoch nichts. Andreas hatte die Lage wohl falsch eingeschätzt. Jedenfalls antwortete ihm Lintzel, daß Griewank nicht auf die Liste käme, weil man ohnehin „lebhaftes Interesse an anderen Kandidaten [hatte], vor allem Hinrichs und Wendorf, gegen die mir ernsthafte Bedenken auch nicht zu bestehen schienen.“337 Scharff sei schon länger im Gespräch und werde an dritter Stelle genannt. Berufen wurde schließlich Carl Hinrichs.338 Man habe im übrigen bereits gewußt, daß „Herr Gr. Kandidat von Herrn Ritterbusch ist“, dies sei jedoch nicht ausschlaggebend gewesen. „Ich möchte sie auch bitten, das Ganze nicht als eine Ungerechtigkeit und eine Zurückweisung für Herrn Gr. anzusehen. Jede Liste bedeutet schließlich eine Auswahl, die nach allen möglichen (vielleicht manchmal auch unmöglichen!) Gesichtspunkten getroffen wird, mit der man doch aber nicht sagen will, daß man die, die man nicht nennt für unbrauchbar hält oder sie damit irgendwie degradieren will.“ Am 2. Juni 1944 meldete sich die Philosophische Fakultät in Jena wegen der Nachfolge des gefallenen Hans-Haimar Jacobs. Wieder war es dringend: „Von den drei Inhabern der regulären Lehrstühle ist Jacobs gefallen, Otto vermisst, Bengtson eingezogen, also niemand mehr verfügbar“339, so der Germanist Carl Wesle340 in seiner Eigenschaft als Dekan, dem der ordentliche Professor und Institutsdirektor Johann von Leers, ein nationalsozialistischer Publizist und Pseudohistoriker, offenbar gar nicht der Erwähnung wert war. Erneut antwortete Andreas schnell, diesmal ging er taktisch geschickter vor als im Brief an Lintzel, in dem er sich fast nur über Griewank ausgelassen hatte und der übertrieben gewirkt haben mag. Willy Andreas empfahl Wendorf, der als Vertretung bereits in Jena war, und Stolberg-Wernigerode, kam dann jedoch

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Willy Andreas an Martin Lintzel, 13.3.1943, in: ebd. Der Brief wird im Anhang 10.1. B abgedruckt. Vgl. Walter ZÖLLNER: Karl oder Widukind? Martin Lintzel und die NS-“Geschichtsdeutung“ in den Anfangsjahren der faschistischen Diktatur, Halle 1975. Vgl. auch Henrik EBERLE: Die MartinLuther-Universität in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, Halle 2002, S. 156f., 381. Karl Griewank an Willy Andreas, 14.10.1942, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag. Martin Lintzel an Willy Andreas, 5.4.1943, in: ebd. Lintzel erwähnte ein Berliner Gutachten, das wohl von Fritz Hartung stammte, der Hinrichs stets hoch handelte. Siehe dazu unten Anm. 346. Zu Hinrichs vgl. MERTENS: Lexikon der DDRHistoriker, S. 292. Karl Wesle (Dekan) an Willy Andreas, 2.6.1944, in: ebd. Zu Karl Wesle, 1935-1950 Prof. in Jena, 1942-1947 Dekan der Philosophischen Fakultät, vgl. Jens HAUSTEIN: Art. „Wesle, Carl“, in: Christoph KÖNIG: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950 Berlin/New York 2003, Bd. 3, S. 2020f.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 137 ausführlich auf Griewank zu sprechen.341 Er glaube sich „damit keiner Schulbefangenheit schuldig zu machen“, wenn er diesen nenne. Er lobte Griewanks wissenschaftliche und organisatorische Fähigkeiten, seine über die Fachgrenzen hinausgehenden Interessen. Wieder sprach er davon, daß Griewank den besten Vortrag auf der Kriegseinsatztagung 1942 gehalten habe und behauptete nun, er sei „übrigens schon in Graz auf einer Liste erschien[en]“.342 Diesmal hatten die Bemühungen Andreas etwas mehr Erfolg. Im Grunde wurden seine Empfehlungen der Berufungsliste realisiert: eine Liste mit Heinrich Wendorf, Otto Graf Stolberg-Wernigerode und Karl Griewank. Die nur bruchstückhaft überlieferte Berufungsakte enthält jedoch nicht mehr alle Gutachten. Einer Randnotiz in den Fakultätsakten zufolge wurden „Auskünfte durch: Andreas – Heidelberg, v. Srbik – Wien, Hartung – Bln., Schüssler – Bln., Platzhoff – Frankft.“343 erbeten. Erhalten ist die Laudatio, von Dekan Wesle unterzeichnet – in sie sind manche Formulierungen Andreas’ eingegangen, u.a. auch die angebliche Listenplazierung Griewanks in Graz. Im Gutachten von Rudolf Stadelmann, das kurz gehalten ist und den vorgeschlagenen Wendorf bei einigen Bedenken empfiehlt, hieß es nur: „Griewank ist mir als wissenschaftliche Persönlichkeit noch nicht ganz durchsichtig. Ich halte ihn aber für eine ausgesprochen produktive Begabung.“344 Auf jeden Fall mußte auch ein Gutachten von Heinrich Ritter von Srbik existiert haben, das Griewank gegenüber sehr wohlwollend war.345 In Fritz Hartungs Gutachten allerdings wurde Griewank gar nicht genannt. Statt dessen nannte er vier Nationalsozialisten, Carl Hinrichs an erster Stelle.346 An zweiter Stelle folgte Erwin Hölzle347, „der freilich im Ostministerium beschäftigt ist und dort einstweilen festgehalten wird“, dann Ernst Birke348 und Alexander Scharff, auf dessen Beitrag bei der Weimarer Tagung Hartung gesondert hinwies.349 Gerade deshalb fällt die Nichtnennung Griewanks auf, der ja ebenfalls in Weimar vorgetragen hatte. Fritz Hartung teilte offensichtlich nicht Andreas’ hohe Meinung von diesem Vortrag. Hartung spielte später eine wichtige Rolle in der deutsch-deutschen

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Gutachten Willy Andreas zur Berufung Jena, 7.6.1944, in: UAJ, M 754, unpag. Dass. auch in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag. Aus diesem Gutachten stammt auch die bereits zitierte methodische Charakteristik Griewanks als einem politischen Historiker mit geistesgeschichtlichem Einschlag, der angeblich den Übergang zur volkgeschichtlichen Methode erreichen könne. Siehe dazu oben S. 123 mit Anm. 251 und S. 125 mit Anm. 259. UAJ, M 822, Schriftenverzeichnis Griewank undat., darunter handschriftliche Notiz. Gutachten Rudolf Stadelmann zur Berufung Jena, 22.6.1944, in: UAJ, M 754, unpag. Dies wußte Willy Andreas zu berichten. Mit Srbik hatte Andreas einen ausgesprochen guten Kontakt, da er Srbiks Konzeption einer „gesamtdeutschen Geschichtsschreibung“ beigeistert aufnahm. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch den edierten Briefwechsel der beiden. Vgl. Jürgen KÄMMERER (Hg.): Heinrich Ritter von Srbik. Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912-1945, Boppard 1988. Vgl. auch das Geleitwort von Walter BUßMANN, S. VII-IX, hier S. VIII. Hinrichs gilt als Schüler Hartungs und Meineckes. WEBER: Biographisches Lexikon, S. 239f. Vgl. zu Hölzle etwa HEIBER: Walter Frank, S. 157, 161. Erwin Hölzle war Griewank während der NS-Zeit als überzeugter Nationalsozialist unangenehm aufgefallen sein. Griewank empörte sich über dessen verharmlosende Relativierung der nationalsozialistischen Diktatur. Siehe dazu unten S. 289, Anm. 27-31. Vgl. auch ETZEMÜLLER: Werner Conze, S. 219-222. Ernst Birke war hervorgetreten durch Arbeiten zum Deutsch-slawischen Grenzraum sowie zum „gesamtdeutsche[n] Geschichtsbild als Grundlage und Forderung völkischer Geschichtsbetrachtung“; KÜRSCHNER 1940/41, Bd. 1, Sp. 135. Fritz Hartung zur Berufung Jena, 7.6.1944, in: SBPK Berlin, HA, NL Hartung, Karton 59, Mappe 31.

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3. Zwischen Wissenschaftsorganisation und Karriere

Historiographiegeschichte nach 1945 als zwar konservativer, aber doch in der SBZ lehrender Historiker, der dann formal korrekt emeritiert wurde. Die Nichtnennung Griewanks scheint kein Zufall zu sein, wie spätere Urteile über Griewank zeigen.350 Hartung, dessen verfassungsgeschichtlicher Ansatz alles in allem eher bieder war, fand an Griewank „nichts Überraschendes oder Geistreiches“.351 Er änderte seine Meinung übrigens auch nach 1945 nur unwesentlich.352 Im Januar 1945 motivierte Willy Andreas seinen Schüler jedoch, indem er nur von Srbiks positivem Eindruck berichtete. Allerdings führte er weiter aus, er habe über den Fortgang der Jenaer Berufung sonst „leider nichts mehr gehört. Günther Franz, der anscheinend als Volkssturmhäuptling in Straßburg eine ziemlich klägliche Rolle gespielt hat, weilt jetzt bei seinem Bruder in Thüringen. Ich fürchte, daß er nun bei seinem Freunde [Karl] Astel die Liste madig macht und Leute wie [Walther Peter] Fuchs in den Vordergrund zu schieben sucht, der nur einen Bruchteil Ihrer Leistungen aufzuweisen hat, aber dafür mit dem Kirchenaustritt aufwarten kann. Anhaltspunkte dafür habe ich bisher nicht. Aber dem elenden Burschen ist ja alles zuzutrauen.“353

Daß Andreas und Griewank den wohl manchmal cholerischen Franz negativ erlebt hatten, war seit der Weimarer Tagung 1942 klar. Warum Walther Peter Fuchs, der spätere Doktorvater des späteren Bundeskanzlers Helmut Kohl, hier assoziiert wird, bleibt unklar, jedenfalls bestanden keine konkreten Pläne für Fuchs in Jena. Fuchs hätte allerdings als Antisemit und SS-Historiker zu Astel gepaßt.354 In jedem Fall war Griewank noch im Januar 1945 in Jena und hatte auch ein Gespräch mit dem Rektor Astel355, das Griewank zufolge „immerhin so positiv verlaufen“ sei, daß nun „Schwierigkeiten und Zweifel“ ausgeräumt seien.356 Dies erwähnt er in einem Brief an Wesle vom März, in dem er sich nach den Bombenangriffen, die Jena schwer trafen, erkundigte. Er hoffe, daß nach der Unterredung mit Astel „die Sache in Fluß kommen“ könne. „Wie ich aber im Reichserziehungsministerium erfuhr, ist die Besetzungsliste dort immer noch nicht eingegangen. Es ist schade, daß die Sache sich so lange hinzieht; ich würde natürlich gern bald klarsehen, ob Jena für mich noch in Betracht kommt, und auch für die Universität eine nicht zu langwährende Klärung wünschen. Um so mehr, als jetzt immer Ereignisse eintreten können, durch die neue Berufungen einstweilen erschwert oder unmöglich werden. Ob Sie noch eine Möglichkeit haben, dieses offenbar etwas in die Flaute geratene Schiff wieder flottzumachen, entzieht sich natürlich meiner Beurteilung“.357

Griewank war also selbst initiativ geworden und hatte versucht, „Schwierigkeiten und Zweifel“ auszuräumen. Worin die Zweifel des NS-Rassenhygienikers Astel konkret bestanden, der das Berufungsverfahren offensichtlich lange Zeit auf seinem Schreib-

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Siehe unten Kapitel 7.3.1. Fritz Hartung an Herbert Grundmann, 18.1.1950, in: ebd., Karton 37, Mappe 1. Hartung bezieht sich bei diesem Urteil auf den Vortrag über „Ursachen und Folgen des Scheiterns der Revolution 1848/49“. Siehe unten S. 331 mit Anm. 281, S. 389 mit Anm. 242 und S. 389 mit Anm. 241-244. Genauso auch im Nachruf Fritz HARTUNG: Karl Griewank zum Gedächtnis, in: Wissenschaftliche Annalen 3 (1954), S. 185f.. Immerhin befand sich Griewank damit in guter Gesellschaft, hatte doch Hartung sich entschieden gegen Eckart Kehr gewandt, dessen innovatives und kritisches Potential heute unbestritten ist. Vgl. WEHLER: Eckart Kehr, in: DERS.: Historische Sozialwissenschaft, S. 240. Willy Andreas an Karl Griewank, 10.1.1945, in: NL Griewank, Karton 2. Vgl. zu Fuchs BEHRINGER: Bauern-Franz und Rassen-Günther, S. 115, 122f. Vgl. zu Karl Astel vor allem Rüdiger STUTZ: Wissenschaft als ‚Dienst an Volk und Vaterland’. Die Rektoren der Universität Jena und das ‚Dritte Reich’, in: GOTTWALD/STEINBACH (Hg.): Zwischen Wissenschaft und Politik, S. 123-154, hier S. 140-147. Karl Griewank an Wesle, 5.3.1945, in: UAJ, M 822, unpag. Ebd.

3.3. Karriereplanung vor 1945 - Distanz und Nähe zum Nationalsozialismus 139 tisch festgehalten hat, ist zwar nicht archiviert, daß der parteilose Christ Griewank in Astels ideologische Pläne einer SS-Universität Jena nicht gepaßt hatte, steht jedoch außer Frage.358 Die Zeit des Führer-Rektors und Rassefanatikers Karl Astel sollte jedoch bald vorbei sein und die Berufungsliste wieder hervorgeholt werden. Mit Wendorf und StolbergWernigerode, so stellte man nach dem Krieg fest, wurde sie von zwei Parteimitgliedern angeführt, an deren Berufung in der Sowjetischen Besatzungszone nicht zu denken war, während der drittplazierte Griewank jedoch in dieser Hinsicht unbelastet war. Erst jetzt kam Griewank zum Zuge.

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Die Akten des Berufungsverfahrens wurden von den Bomben getroffen und sind deshalb nie REM angekommen – wenn sie überhaupt von Astel weitergeleitet wurden.

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4. DER WISSENSCHAFTLER – POSITIONEN UND INTERESSEN 4.1. FRÜHE GESCHICHTSWISSENSCHAFTLICHE ARBEITEN 4.1.1. Geschichte des Liberalismus – Eine nicht realisierte Idee Von seinem Dissertationsthema zur demokratischen Bewegung 1848/49 motiviert, sah Karl Griewank in der Liberalismusforschung ein mögliches Betätigungsfeld und plante zunächst eine populäre „Geschichte des Liberalismus“ zu verfassen. Zu diesem Zweck schrieb er im September 1925 dem Ullstein-Verlag und bezog sich auf ein Vorgespräch aus dem Jahr 1924, in dem der Druck eines solchen Buchs in der Reihe „Wege zum Wissen“ in Aussicht gestellt worden ist.1 War er 1924 noch damit beschäftigt, seine Königin-Luise-Edition druckfertig zu machen, so hatte sich ein Jahr später die Linie des Verlages geändert. Der Schwerpunkt der Reihe liege nunmehr auf naturwissenschaftlichem Gebiet, teilte man ihm mit.2 Der Ullstein-Verlag als dezidiert liberaler Verlag wäre ohne Zweifel eine gute Adresse für ein solches Ansinnen gewesen. Die Idee blieb so unrealisiert. Dem Schreiben hatte Griewank jedoch ein kleines Exposé beigefügt, das seine Absichten verdeutlichte: „Eine Geschichte des deutschen Liberalismus. Eine überragende politische Persönlichkeit, die für den deutschen Liberalismus auch nur in bestimmten Zeitabschnitten allein charakteristisch oder bestimmend gewesen wäre, gibt es nicht. Andererseits fehlt es bisher an einer befriedigenden Gesamtdarstellung des deutschen Liberalismus und seiner Triebkräfte, Absichten, Wandlungen und Leistungen. Eine gemeinverständliche kurze Darstellung der großen Entwicklungslinien in seiner 100jährigen Geschichte würde daher sowohl für solche, die nur eine kurze historisch-politische Belehrung suchen, als auch für alle historisch und politisch Interessierten, die in die geschichtlichen Grundlagen des heutigen politischen Lebens tiefer eindringen möchten, von größtem Werte sein. Die Darstellung müßte sich natürlich jeder ausgesprochenen politischen Tendenz enthalten und allenfalls die Absicht erkennen lassen, durch die positiven Äußerungen und Leistungen des Liberalismus zu zeigen, daß er doch nicht so untätig gewesen ist, wie es moderne Gegner von ihm gern behaupten. Mit besonderer Sorgfalt würde ich zu zeigen versuchen, wie aus der Wechselwirkung der sozialen Entwicklung, der politischen Konstellationen und der weltanschaulichen Motive sich die jeweiligen Tendenzen der politischen Parteien und Persönlichkeiten, die als ‚liberal’ anzusprechen sind, ergeben haben. Dabei wird auch das gegenseitige Verhältnis von Bewegungen, die zeitweilig parallel laufen und sich dann wieder trennen, gekennzeichnet werden müssen, so die Geschichte der nach 1848 zunächst abgebrochenen ‚radikalen’ (demokratischen) Bewegung der vierziger Jahre, die Anfänge der Sozialdemokratie in den sechziger Jahren, die Einwirkung gewisser liberaler Gedanken auf die Konservativen nach 1870 und schließlich die grundsätzliche Wandlung, die sich seit 1866 und mehr noch seit 1878 durch die konservativere Einstellung der Nationalliberalen und die oppositionellere Haltung der Freisinnigen vollzog, wobei auch beim Zentrum staats- und wirtschaftspolitisch gewisse gelegentliche Anklänge an den Liberalismus festzustellen sind. Der Krieg und der Zusammenbruch von 1918 würde den Hauptteil des Werkes abzuschließen haben; den Schluß könnte dann ein kurzer Ausblick auf die ganz neue Parteiengestaltung nach 1918 bilden.“3

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Karl Griewank an Ullstein-Verlag, 22.9.1925, in: NL Griewank, Karton 15, Mappe „Eigene Kleinere Arbeiten aus der Jugendzeit, Korrespondenzen, Pläne, Angebote 1920-1925“. Ullstein-Verlag an Karl Griewank, 29.9.1925, in: ebd. Karl Griewank an Ullstein-Verlag, 22.9.1925, in: ebd.

4.1. Frühe geschichtswissenschaftliche Arbeiten

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Dabei erscheint von Bedeutung, daß die Darstellung sich zwar rankeanisch „jeder ausgesprochenen politischen Tendenz“ enthalten, aber doch dem Verständnis des Liberalismus dienen und modernen Kritikern entgegengestellt werden sollte. Das Exposé knüpfte nicht nur an die moderne Parteiengeschichtsschreibung der 1920er Jahre an, sondern war auch geprägt von einem positiven Verständnis der die Weimarer Republik tragenden Parteien, denn gerade die Konvergenzen zwischen Demokraten, Zentrum und Sozialdemokraten wurden betont. Die Vorstellungen des 25-jährigen Griewank von der liberalen Bewegung waren sehr umfassend, wenn er die Wechselwirkungen auf Konservative wie Sozialdemokraten betrachten wollte. Von der Thematik des Liberalismus, aber auch vom engeren Umfeld seiner Dissertation kam Griewank in der Folge ganz ab. Dies lag zunächst daran, daß er nach seiner ersten Königin-Luise-Edition mehrere Male zu neuen Editionsprojekten herangezogen wurde. Nach Antritt seiner Stelle bei der Notgemeinschaft klagte er, doch weniger Zeit zu haben, als er gedacht hätte und wurde zudem auf ein neues wissenschaftliches Betätigungsfeld gedrängt: das der Wissenschaftsgeschichte. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten war an eine Rückkehr zum Liberalismusthema – so wie sie Griewank vorschwebte – nicht mehr zu denken. 4.1.2. Geschichte der Wissenschaftspolitik – Innovative berufliche Auftragsarbeit4 Wissenschaftsgeschichte hat gegenwärtig Konjunktur.5 Um so interessanter ist, daß Karl Griewank durch einige frühe Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Wissenschaftsentwicklung hervortrat, insbesondere 1927 durch eine kleine Monographie zum Verhältnis von „Staat und Wissenschaft im Deutschen Reich“. Er kündigte dieses Buch seinem Doktorvater an: „Ich bringe jetzt gerade ein Büchlein über Fragen der Wissenschaftspflege heraus, das ich mir erlauben werde, Ihnen nach Erscheinen demnächst zuzusenden. Es bringt allerhand wenig bekannten Stoff, vor allem auch statistische Aufstellungen, ist allerdings stark unter praktischen Rücksichten entstanden und mehr publizistisch als wissenschaftlich gehalten. Es hat mich mehr, als ich gewünscht hätte, von historischen Arbeiten abgehalten.“6

Das Buch wird hier wie eine Art berufliche Auftragsarbeit beschrieben, die abseits von den eigentlichen historischen Interessen läge. Die entstandene Publikation wurde dann wie eine Werbeschrift der Notgemeinschaft behandelt und in großer Anzahl an Reichsund Landesbehörden, alle Universitäten und interessierte Einzelpersonen versandt.7 In den folgenden Jahren schmiedete Griewank dann doch Pläne, das beruflich naheliegen-

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Die im folgenden Kapitel in Klammern nachgewiesenen Zitate und Verweise stammen aus Karl GRIEWANK: Staat und Wissenschaft im Deutschen Reich. Zur Geschichte und Organisation der Wissenschaftspflege in Deutschland, Freiburg (Breisgau) 1927. Vgl. ferner DERS.: Aus den Anfängen gesamtdeutscher Wissenschaftspflege, in: Heinrich KONEN/Johann Peter STEFFES (Hg.): Volkstum und Kulturpolitik. Eine Sammlung von Aufsätzen, gewidmet Georg SCHREIBER zum fünfzigsten Geburtstage, Köln 1932, S. 208-236; DERS.: Wissenschaft und Kunst in der Politik Kaiser Wilhelms I. und Bismarcks, in: AKG 34 (1952), S. 288-307. Vgl. Jürgen BÜSCHENFELD/Heike FRANZ/Frank-Michael KUHLEMANN: Vorwort, in: DIESS. (Hg.): Wissenschaftsgeschichte heute. Festschrift für Peter LUNDGREEN, Bielefeld 2001, S. 7-9. Karl Griewank an Willy Andreas, 4.9.1927, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Einer Liste vom Dezember 1927 zufolge wurden weit über 200 Stück versandt; Notiz handschr., [22.12.1927], in: NL Griewank, Karton 15, Mappe „Besprechungen, Rezensionen, Danksagungen u. Schriftwechsel über Staat und Wissenschaft im Deutschen Reich 1927“.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

de Thema der Geschichte der Wissenschaftsorganisation weiterzuverfolgen. Den Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive Albert Brackmann bat er 1932 um Hilfe: „Ich beabsichtige die Arbeit mit Hilfe der sonst erreichbaren Akten noch auszubauen und dabei insbesondere der vielfach bahnbrechenden Tätigkeit der preußischen Verwaltung im Aufbau der Wissenschaftsorganisation des 19. Jahrhunderts stärker nachzugehen. Die im Geh. Staatsarchiv noch in Betracht kommenden Akten habe ich zum großen Teil schon durchgesehen. Es wird mir jetzt vor allem darauf ankommen, auch die Akten der preußischen Behörden, vor allem des Kultusministeriums benutzen zu können.“8

Selbstverständlich erwuchs das Interesse an der Thematik Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik aus Griewanks beruflicher Tätigkeit bei der Notgemeinschaft. Und aus dieser Perspektive ergibt sich auch, daß er ein Themenfeld behandelte, das gerade in der neueren Forschung wieder in den Blick rückte: die Frage der Ressourcenverteilung im Wechselspiel von Wissenschaft und Politik.9 Damit verbunden sind Fragen der Modernisierung, der Etablierung neuer Wissenschaftsdisziplinen, des Bedeutungsgewinns der Naturwissenschaft.10 Eine Expansion der Ausbildungs- und Forschungskapazitäten, die einherging mit einer Effizienzsteigerung und Professionalisierung der Wissenschaft, trat ein. Karl Griewank ging ausdrücklich auf diese Entwicklung ein, sprach von „Industrialisierung und Pragmatisierung“ (14) der Wissenschaft. Erst die wissenssoziologisch und strukturgeschichtlich untermauerten Forschungen der 1970er Jahre haben den Begriff der „Wissenschaftspolitik“ in seiner heutigen Bedeutung herausgearbeitet und zu einem Schlüsselbegriff der Bildungsforschung erhoben. Frank Pfetsch betonte 1974, daß just dieser Terminus von Karl Griewank stamme: „Der Begriff ‚Wissenschaftspolitik’ ist eine Bezeichnung erst dieses Jahrhunderts. Er ließ sich in der Literatur 1927 bei Karl Griewank nachweisen.“11 Pfetsch betont zudem, daß Griewank den Begriff nicht nur beiläufig eingeführt habe, sondern daß seine Studie „der erste Versuch [gewesen sei], eine Geschichte der deutschen Wissenschaftspolitik im Kaiserreich zu schreiben. Der Begriff wird inhaltlich als Instrument einer nationalen Kulturpolitik bestimmt.“ Auch wenn dies bei Griewank „im Zusammenhang mit einem Kompensationsdenken der Jahre nach dem verlorenen Weltkrieg“ stehe, so habe er „den tatsächlichen oder behaupteten Zusammenhang zwischen Wissenschaftsförderung und Nationalprestige auch für das Kaiserreich richtig beschrieben.“12 Inzwischen konnte die Verwendung des Begriffes bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt werden, als Adolf von Harnack gelegentlich von „Wissenschaftspolitik“ sprach.13 Griewank griff also einen vorhandenen, gleichwohl in seiner Zeit noch

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Karl Griewank an Albert Brackmann, 16.6.1932, in: GStAPK Berlin, VI. HA, NL Brackmann, Nr. 10, Bl. 105. Brackmann sagte seine Unterstützung zu. Albert Brackmann an Karl Griewank, 19.6.1932, in: ebd., Bl. 104. Vgl. ASH: Wissenschaft und Politik als Ressourcen. Vgl. Margit SZÖLLÖSI-JANZE: Die institutionelle Umgestaltung der Wissenschaftslandschaft im Übergang vom späten Kaiserreich zur Weimarer Republik, in: Rüdiger VOM BRUCH/Brigitte KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 60-74. Frank R. PFETSCH: Zur Entwicklung der Wissenschaftspolitik in Deutschland 1750-1914, Berlin (W) 1974, S. 29. Ebd. Neuere Spezialuntersuchungen bestätigen Pfetsch; vgl. etwa Ulrich MENZEL: Die Musealisierung des Technischen. Die Gründung des „Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ in München, Diss. phil. TU Braunschweig 2001, S. 7 mit Anm. 8. Vgl. zu den Modernisierungsprozessen ebd., S. 31-48, vor allem S. 37. Vgl. Rudolf STICHWEH: Wissenschaft, Universität, Profession. Soziologische Analysen, Frankfurt (M) 1994, S. 156.

4.1. Frühe geschichtswissenschaftliche Arbeiten

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wenig gebräuchlichen Begriff auf, verwendete ihn jedoch als erster im Sinne einer Analysekategorie. Deshalb verweist nicht nur Sylvia Paletschek auf „die ausgezeichnete Arbeit von Karl Griewank“.14 Hans-Peter Ullmann rückt sie sogar in den Mittelpunkt eines Beitrags zur Finanzgeschichte der deutschen Universitäten.15 Griewank hatte in seinem Buch betont, daß die Statistik der „staatlichen Aufwendungen für wissenschaftliche Anstalten und Arbeiten in Deutschland [...] wie kein anderes Material Grundlagen für die Erkenntnis der staatlichen Leistungen und der Wissenschaftspflege“ geben könne, allerdings die uneinheitliche und schwierig zu erhebende Quellengrundlage „nur bei vorsichtiger Betrachtung und sorgfältiger Wahrung des Grundsatzes ‚ponderare non numerare’ richtig zu verstehen“ sei (91). Diese skeptische Einschätzung eher interpretieren zu müssen als quantifizieren zu können, nimmt Hans-Peter Ullmann zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen, indem er sie zur Fragestellung erhebt und nach dem möglichen Beitrag der modernen Finanzgeschichte zur Beantwortung Ausschau hält. Nicht grundlos nimmt Ullmann Griewanks Entwurf zum Ausgangspunkt, denn diesen Weg beschrieb dieser 1927 bereits, jedoch ohne die methodischen Fragestellungen dieses umfangreichen Unterfangens anzugehen. Seine in einem knappen Jahr erstellte Arbeit blieb in dieser Hinsicht Skizze, jedoch vor allem im aufwendigen statistischen Teil eine sehr gründliche Arbeit. Die Finanzausgaben wurden jeweils nach Ländern und einzelnen Hochschulen aufgelistet. Die Universität unterhalb der Ordinarienebene fand dabei ebenfalls Berücksichtigung, was angesichts des damals vorherrschenden Blicks „von oben“ bemerkenswert ist. Mit seinem Bändchen zeigte Griewank so eine in der Tradition der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte ungewöhnliche Herangehensweise. Lange Zeit war diese von Fragestellungen zur Ideengeschichte der Universität geprägt. Der „Mythos Humboldt“16 wurde als spezifisch deutsche Tradition erfunden. In seinem ersten historischen Teil, der den Statistiken vorangestellt wurde, ging Griewank zunächst auch genau von einem solchen Bild aus, betonte gleich zu Beginn Humboldt und die Vorbildfunktion der preußischen Hochschulpolitik. Auch für ihn erstrahlte das Kaiserreich als Blütezeit der deutschen Wissenschaft, hier blieb auch er in den Wertungen traditionell.17 Er ergänzte diese Erfolgsgeschichte jedoch für die Zeit der Demokratie nach 1918. Griewank beschrieb den Neuaufbau der Wissenschaft in der Republik trotz ihrer großen Veränderungen als folgerichtige Weiterentwicklung, die nach finanziellen und gesamtgesellschaftlichen Schwierigkeiten inzwischen zu einer Stabilisierung der Wissenschaft geführt habe. Er nahm damit jenen in der neueren Forschung als besonders relevant herausgestellten Wandel der Wissenschaftslandschaft um 1900 in den Blick. Das 19. Jahrhundert, das oft als das „bürgerliche Jahrhundert“ bezeichnet wird, war eben auch das „Jahrhundert der deutschen Universität“18 mit dem

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PALETSCHEK: Permanente Erfindung einer Tradition, S. 452, Anm. 12. Der Beitrag ist mit einem Zitats Griewanks überschrieben, beginnt und endet mit Griewank. Vgl. Hans-Peter ULLMANN: „Ponderare non Numerare“? Überlegungen zu den Finanzen deutscher Universitäten im „langen“ 19. Jahrhundert, in: Armin KOHNLE/Frank ENGEHAUSEN (Hg.): Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike WOLGAST zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 159-172. Vgl. Mitchell G. ASH (Hg.): Mythos Humboldt. Vergangenheit und Zukunft der deutschen Universitäten, Wien/Köln/Weimar 1999; vgl. auch Ulrich HERRMANN: Bildung durch Wissenschaft? Mythos „Humboldt“, Ulm 1999. Insbesondere in GRIEWANK: Wissenschaft und Kunst in der Politik, betonte er die Rolle des monarchischen Staates und seiner führenden Personen für die Wissenschaftsentwicklung. LANGEWIESCHE: Universität als Vordenker?, S. 316.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

Kaiserreich als seiner Glanzzeit. Verbürgerlichungs- und Verwissenschaftlichungsprozesse gingen Hand in Hand. Die moderne deutsche Universität wurde zur Institution des nach Bildung strebenden Bürgertums, bildete „das überwölbende Dach, den ‚obersten Gerichtshof’, einer bildungsgeleiteten oder zumindest bildungsbezogenen bürgerlichen Gesellschaft in ihrer spezifisch deutschen Ausformung“19. Das Examen, besser noch der Doktortitel, ergänzte und ersetzte als leistungsbezogene Würde die geburtsständischen Statusbezeichnungen und Titel. Wurde auch diese Mentalität im 20. Jahrhundert weitergetragen, so nahm der Gedanke der Nutzbarkeit eine wichtigere Rolle ein, kamen technische und naturwissenschaftliche Institute auf und bezeugten den Beginn des naturwissenschaftlichen Zeitalters.20 Dabei gestaltete sich das Verhältnis zwischen Staat und Wissenschaft neu. Für Griewank galt es hier vor allem die Geschichte seines Arbeitgebers, der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ (53-60) zu schreiben, aber auch die der „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“ (60-65). Er beschrieb damit Schwerpunksetzungen, Disziplin- und Organisationsveränderungen, das Wesen des Stifungswesens und der Wissenschaftsfinanzierung, die in der neueren Forschung wieder behandelt werden.21 Mit seiner Verbindung von historischer und statistischer Darstellung betrat er zudem auch methodisch Neuland. In seinem 130 Seiten starken Buch konnte er freilich nicht das leisten, was Hartmut Titze mit seinem Datenhandbuch zur Bildungsgeschichte geschafft hat oder was Hans-Peter Ullmann für die Finanzgeschichte der Universitäten einforderte.

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VOM BRUCH: Bildungssystem, S. 439-481, hier S. 439f. Rüdiger vom Bruch baut hier auf früheren Forschungsberichten auf, vgl. DERS.: Universität, Staat, Gesellschaft. Neuere sozial-, disziplin- und personengeschichtliche Beiträge zum deutschen Hochschulwesen vorwiegend im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: AfS 21 (1980), S. 526-544; DERS.: Die deutsche Hochschule in der historischen Forschung, in: Dietrich GOLDSCHMIDT/Ulrich TEICHLER/Wolff-Dietrich WEBLER (Hg.); Forschungsgegenstand Hochschule. Überblick und Trendbericht, Frankfurt (M)/New York 1984, S. 127. Vgl. LANGEWIESCHE: Universität als Vordenker?, S. 328. Vgl. Rüdiger VOM BRUCH: Einführung [in die Sektion „Umbrüche und Neuorientierungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts“], in: DERS./Brigitte KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 25-31; DERS./Rainer A. MÜLLER (Hg.): Formen außerstaatlicher Wissenschaftsförderung im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Stuttgart 1990.

4.1. Frühe geschichtswissenschaftliche Arbeiten

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4.1.3. Königin Luise – Versuch der Historisierung einer Legende22 1922 erschien im Bibliographischen Institut in Leipzig eine zweibändige Edition der Briefe Moltkes, herausgegeben von Willy Andreas, der für diese Publikation seinen Absolventen Karl Griewank heranzog.23 Eine Annotation des Werkes im Rostocker Anzeiger ist dessen erste nachgewiesene gedruckte Veröffentlichung.24 Die Beziehungen zum Verlag führten schließlich dazu, daß dem jungen Wissenschaftler die Edition von Briefen der preußischen Königin Luise übertragen wurde. In den folgenden Jahrzehnten widmete er sich mehrere Male dieser Aufgabe. 1925, 1929 und 1943 entstanden so Editionen, die auch umfangreiche Einleitungen des Herausgebers enthielten. Im von Willy Andreas mitherausgegebenen Sammelband „Die großen Deutschen“ bündelt er seine Erkenntnisse 1935 zu einem Aufsatz. Das Thema sei eine „Jugendsünde“25, die ihn immer wieder einhole. „Es ist ein spröder Stoff, doch gibt es, wie ich hoffe, eine erträgliche Publikation“, kommentierte er 1928 die Vorarbeiten für die Edition des Briefwechsels der Königin mit ihrem Mann Friedrich Wilhelm III.26 Mit Luise, einer geborenen Prinzessin zu Mecklenburg-Strelitz, verband Griewank nicht nur der Bezug zur Mecklenburger Heimat. Das wissenschaftlich Reizvolle bestand für ihn darin, daß sich um die Königin ein schon zu ihren Lebzeiten beginnender Mythos rankte.27 Diese Mythenbildung ist ein Phänomen, dem bereits Griewank ausgesetzt war. Es gab zu seiner Zeit bereits eine unübersichtlich große Anzahl von Publikationen über Königin Luise, die meisten volkspädagogischer Art, in der Luise als „Vorbild weiblicher Tugenden“28, als Bürger-Königin der Jugend präsentiert wurde.29

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Im folgenden werden Zitate und Verweise aus Griewanks Einleitungen und Aufsätzen zur Königin Luise stets im Text in Klammern eingefügt und dabei die Jahreszahl und die Seitenzahl angegeben. 1925 bedeutet: Karl GRIEWANK (Hg.): Königin Luise. Briefe und Aufzeichnungen, Leipzig [1925] (Vorwort und Einleitung: ebd., S. 7-54). 1929 bedeutet: DERS. (Hg.): Briefwechsel der Königin Luise mit ihrem Gemahl Friedrich Wilhelm III. 1793-1810, Leipzig [1929] (Einleitung: ebd., S. 7-47). 1935 bedeutet: DERS.: Königin Luise 1776-1810, in: Willy ANDREAS/Wilhelm von SCHOLZ (Hg.): Die großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie. Bd. 2, Berlin 1935, S. 476-489. 1943 bedeutet: DERS.: (Hg.): Königin Luise. Ein Leben in Briefen. Leipzig 1943 (Einleitung: ebd., S. 5-21). Willy ANDREAS (Hg.): Moltkes Briefe, 2 Bde., Leipzig [1922]. Im Vorwort befindet sich der Dank an „cand.phil. Karl Griewank“, Bd. 1, S. 6*. Vgl. auch BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 372a, 372b. Ein während des Studiums gehaltenes Referat zu Moltke befindet sich im Nachlaß: NL Griewank, Karton 15, Mappe „Moltke, Briefe. Referat, Jugendarbeit, Materialien“. Karl GRIEWANK: Rez. Andreas (Hg.): Moltke, in: Rostocker Anzeiger Nr. 291 vom 13.12.1922. Auch in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 718. Griewank an Willy Andreas, 8.5.1942, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845. Karl Griewank an Willy Andreas, 7.7.1928, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 880, unpag. Ein ähnliches Urteil traf ihn in einer ansonsten wohlwollenden Besprechung dieses Buches durch Ludwig Dehios, der die Briefauswahl kritisierte. Vgl. Ludwig DEHIO: Rez. Griewank: Briefwechsel der Königin Luise mit ihrem Gemahl Friedrich Wilhelm III., in: DLZ 52 (1931), Sp. 127-129. Vgl. grundlegend Philipp DEMANDT: Luisenkult. Die Unsterblichkeit der Königin von Preußen, Köln/Weimar/Wien 2003. Carl von der BOECK: Luise, Königin von Preußen. Ein Vorbild weiblicher Tugenden. Historische Erzählung für die Jugend, Leipzig o.J. [um 1900]. Mir liegt die 17. Auflage vor. Eine Analyse hierzu bei Regina SCHULTE: Der Aufstieg der konstitutionellen Monarchie und das Gedächtnis der Königin, in: Historische Anthropologie 6 (1998), S. 76-103, hier S. 89f. Zum Mythos Luise vgl. ebd., S. 89-103; Wulf WÜLFING: Die heilige Luise von Preußen. Zur Mythisierung einer Figur der Geschichte in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, in: Jürgen

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

Bis heute erscheinen vor allem populäre Darstellungen unterschiedlicher Qualität, die ohne Nachweise auskommen.30 Das Phänomen „Königin Luise“ liegt im Schnittfeld verschiedener Diskurse: Es geht um politische Konstellationen (Monarchiediskurs), um bürgerliche Wertvorstellungen sowie Weiblichkeitsvorstellungen.31 Die Monarchie legitimierende, das Königshaus als Ideal stilisierende Diskursebene taucht bei Griewank nicht auf. Für ihn ist die Publikation eine Geschichtsdarstellung und nicht Mittel zur Diskussion der monarchischen Staatsform. Luise galt als die vorbildliche, bürgernahe Königin, kluge und liebevolle Ehefrau des Königs Friedrich Wilhelm III. – ein Bild, das vielfach auf nur ungenau weitergegebenen Details, Erzählungen und Anekdoten beruhte. Karl Griewank versuchte nun eine Edition vorzulegen, in der Quellenauszüge ohne stillschweigende Hinzufügungen wiedergegeben wurden. Genau dies war nämlich das Problem der meisten bisherigen Briefsammlungen, die zumeist keinen Wert auf Authentizität legten. Deshalb gilt Griewank als „der erste eigentliche ‚Herausgeber’, nicht mehr ‚Verfasser’“32 der LuiseBriefe. Malve Rothkirch, die moderne Herausgeberin der Luisebriefe konnte sich unmittelbar auf Griewanks Edition stützen und diese in ihrer Zuverlässigkeit bestätigen.33 Seine Editionen gelten heute noch als maßgebend. Im Jahr 2003 erschien im Rahmen des Reprintprogramms „Bewahrte Kultur“34 ein Nachdruck von Griewanks Edition.35 Griewanks Publikationen sind nicht voneinander unabhängig, also auch nicht etwa ergänzend angelegt. Viele Briefe und auch Formulierungen der Einleitung übernahm er in späteren Ausgaben. Bereits die erste Edition, die er im Dezember 1924 fertigstellte, erforderte umfangreiche Vorarbeiten, da Griewank bisherige Editionen überholte und die Zitate am Original überprüfte, sowie eine Reihe ungedruckter Materialien heranzog. Zurückgreifen konnte er, wie er selbst erwähnt, zwar auf einige Vorläuferprojekte36, am zuverlässigsten erschienen ihm die Arbeiten Paul Bailleus37, die in wissenschaftlichen

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LINK/DERS.: Bewegung und Stillstand in Metaphern und Mythen. Fallstudien zum Verhältnis von elementarem Wissen und Literatur im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984, S. 233-275; Patricia DREWES: Königin Luise von Preußen – Geschichte im Spiegel des Mythos, in: Peter BRANDT (Hg.): An der Schwelle zur Moderne. Deutschland um 1800, Bonn 1999 und Günter de BRUYN: Preußens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende, Berlin 2001; Edgar WOLFRUM: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen ²2002, S. 18. Vgl. etwa Harald HARDEN: Luise. Lebensbild einer Königin, Gütersloh 1957; Merete van TAACK: Königin Luise. Eine Biographie, Tübingen 31978 – Tübingen 41979 – Stuttgart 71985; Heinz OHFF: Ein Stern in Wetterwolken. Königin Luise von Preußen. Eine Biographie, München 1992; Johannes THIELE: Luise, Königin von Preußen. Das Buch ihres Lebens, München 2003. Vgl. mit einem diskursanalytischen Ansatz SCHULTE: Aufstieg, hier S. 89-103, insbes. S. 94f. Malve Gräfin ROTHKIRCH: Geschichte der Veröffentlichungen von Briefen der Königin Luise, in: DIES. (Hg.): Königin Luise von Preußen. Briefe und Aufzeichnungen 1786-1810, Berlin 1995, S. XVI-XXX, hier S. XVI. Ebd. Mit dem staatlich geförderten Programm „rettet“ der Olms-Verlag ausgewählte Bücher, die vom Papierzerfall bedroht sind und deren kulturgeschichtlicher Wert hoch eingeschätzt wurde. Vgl. Art. „Bewahrte Kultur. Reprintprogramm sichert seltene Bücher.“, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 170 (2003), H. 17, S. 27. Karl GRIEWANK (Hg.): Königin Luise. Ein Leben in Briefen [Nachdruck von 1943], Hildesheim 2003. Vgl. Julius W. BRAUN (Hg.): Luise, Königin von Preußen in ihren Briefen. Berlin 1888; Alwin LONKE: Königin Luise von Preußen. Ein Lebensbild nach den Quellen, Leipzig 1904; Ludwig WÜLKER (Hg.): 50 ausgewählte Briefe der Königin Luise von Preußen. Mit verbindendem geschichtlichem Texte, Hannover/Leipzig 1909. Diese Ausgaben entsprechen nicht den editorischen Standards – auch der damaligen Zeit –, sondern sind für eine breitere Leserschaft konzipiert. Vgl. Paul BAILLEU: Königin Luise, Berlin/Leipzig 1908.

4.1. Frühe geschichtswissenschaftliche Arbeiten

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Kreisen rezipiert wurden.38 Er besuchte Archive in Charlottenburg, Neustrelitz, und Regensburg, wählte die Briefe aus und übersetzte die fast ausnahmslos in französisch geschriebene Korrespondenz.39 Der Verlag war zufrieden; Griewank leistete damit mehr als von einem Neuling zu erwarten war. In der jüngsten Forschung ist der Umgang mit Luise als ein Beispiel für die Etablierung bürgerlicher Wert- und Weiblichkeitsvorstellungen überzeugend aufgedeckt worden. Der „verbürgerlichte“ Hof und die „nationale Berufung“ Preußens trafen sich im Luisenmythos. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Luise wie keine andere vergöttert, war „zur in Marmor gemeißelten Gestalt der reinen, idealen, sich selbst aufopfernden Weiblichkeit und Mutter geworden, ihr Bild ist durch keine Unzulänglichkeiten ihrer Wirklichkeit mehr irritiert.“40 Die Klischees des Bürgerlichkeits- und Weiblichkeitsdiskurses der Königin bediente auch Griewank, ohne die darin steckende Rhetorik näher untersuchen zu wollen. Er sprach von der „humane[n] Fürstin“ (1925: 51) als „Dienerin der sich unterordnenden Liebe“ (1925: 15), die aus „Pflicht gegenüber ihrem Gemahl“ (1935: 480) in „Jahren des frauenhaften, königlichen Reifens“ (1925: 19) dafür sorgen konnte, daß Friedrich Wilhelm „in der Enge eines bürgerlich-traulichen Heims befriedigt wurde“ (1925: 17). Es lägen „ihrem fraulichen Sinn Kenntnis und Wille“ (1935: 479) zur Parteinahme fern; „ohnehin urteilte sie frauenhaft gern unter dem Gesichtspunkte persönlicher und moralischer Affekte“ (1935: 480). Diese Zuschreibungen dienten Griewank zwar weniger einer volkspädagogischen Anwendung auf die Gegenwart oder gar einer verklärenden Sicht auf die Monarchie, sondern der Wesensbeschreibung und damit der Hermeneutik der klassischen Biographie. Seine Wertungen bleiben jedoch im Muster traditioneller Geschlechtervorstellungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, die er nicht hinterfragte. Größeres Gewicht, auch in der Auswahl der editierten Briefe, legte er auf die politische Bedeutung der Königin Luise. Diese war in den älteren Darstellungen stets besonders betrachtet und auch überschätzt worden.41 Der Grund für die besondere Betonung der Einflüsse Luises auf die Politik liegt sicherlich in der Person des Königs Friedrich Wilhelm III. begründet. Der „Melancholiker auf dem Thron“42 erschien mit seinem mangelnden Selbstvertrauen recht ungeeignet für einen personalen Regierungsstil und fand im häuslichen Bereich bei seiner Frau Luise Rückhalt und Unterstützung, was schon die Zeitgenossen beobachten konnten. Der Monarch fragte seine Frau durchaus um Rat, auch wenn er diesem nicht immer folgte (1925: 29; 1929: 32-43). Auch betonte Griewank bereits, daß sie nur „als gelegentliche persönliche Beraterin“ (1935: 481) aufgetreten sei. Luise wurde verschiedentlich auch selbst aktiv, etwa beim berühmten Treffen mit Napoleon in Tilsit, sie wahrte jedoch das Bild der „bescheidenen Zurückhaltung“, so daß, wie Regina Schulte in vergleichender Perspektive erarbeitet, ihr das Politisieren in der Öffentlichkeit nicht als Überschreitung der Geschlechterrollen angelastet wurde.

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Vgl. etwa Friedrich Thimme an Friedrich Meinecke, 20.1.1910, in: Anneliese THIMME (Hg.): Friedrich Thimme 1868-1938. Ein politischer Historiker, Publizist und Schriftsteller in seinen Briefen, Boppard am Rhein 1994, S. 113. Vgl. Vorwort, in: 1925, S. 7f. SCHULTE: Aufstieg, S. 99. Die Luise aus Marmor existiert bekanntlich wirklich und dient der Mythenbildung; vgl. hierzu DE BRUYN: Luise. So Silvia BACKS: Luise. Königin von Preußen, in: NDB 15 (1987), S. 500-502. Thomas STAMM-KUHLMANN: König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

Inhaltlich können zwei Punkte betont werden, die auch von Griewank thematisiert werden. Zum einen Luises Eintreten für die preußischen Reformer und zum anderen Luises Eintreten für die preußische „Kriegspartei“, also für eine Aufgabe der preußischen Neutralität in den Koalitionskriegen. Griewanks Bild der preußischen Reformer, das einem erstaunlichen Wandel zugunsten Hardenbergs unterworfen war, wird im folgenden Abschnitt gesondert behandelt.43 Luises Eintreten für eine aktive Rolle im Kampf gegen Napoleon führte dazu, daß sie schon von den Zeitgenossen etwas übertrieben als Sprecherin der Kriegspartei angesehen wurde.44 Sie hat in der Tat immer wieder gefordert, sich der Napoleonischen Politik militärisch entgegenzustellen und wehrte sich vehement gegen einen „Schandfrieden“. Napoleon war für sie eine geradezu dämonische Figur, auch wenn sich dieses Bild nach ihrer persönlichen Begegnung etwas relativierte. Zur Begründung für eine stärkere Aktivität griff Luise auf die Rhetorik des Nationalen zurück, wobei sie jedoch zumeist an die „preußische Nation“ dachte. Wenn man nun die Befreiungskriege, die erst nach Luises Tod folgten, oder auch die Reichseinigung und Kaiserkrönung Wilhelm I. 1871, des Sohns Luises, in langen Linien auf Luise und ihr „Vermächtnis“ zurückführt, so paßt sie in ein deutschnationales Interpretationsmuster. Hierzu bedarf es aber der selektiven Auswahl der Argumente, etwa der Mißachtung all derjenigen Faktoren, die Luise als eine Adlige des Alten Reichs ausweisen. Diese Auswahl trafen bereits die deutschen Patrioten des frühen 19. Jahrhunderts, namentlich Novalis und vor allem Theodor Körner.45 Treitschke nahm diesen Gedankengang auf und machte Luise zur „deutschen Frau“. Genau diese Interpretationslinie fand sich auch bei Griewank in dessen 1943 erschienenen Ausgabe wieder: „’Deutschland’, das für den König in der Art der rationalistischen Diplomaten nur eine Sammelbezeichnung für die Staaten mit deutschsprechender Bevölkerung war, bezeichnete für Luise die geistige und politische Verbundenheit der Deutschen gegenüber dem fremden Unterdrücker und wurde ihr zum hohen gemeinsamen Ziel politischen Kämpfens“ (1943: 17). Dabei meinte er zu wissen, daß die „Sorge der Königin um die Zukunft Preußens und Deutschland [...] dynastisch und doch volkhaft begründet“ (1943:19) gewesen sei. Schließlich heißt es sogar: „Ihre noch unbestimmten gesamtdeutschen Ideale arbeiteten der Zukunft Preußens und Deutschlands vor.“(1943: 21) Griewank endet pathetisch und ausgesprochen national: „Alle Zeit aber bleibt Königin Luise liebenswert und ehrwürdig durch ihr Wesen und durch ihre Wirkung in Lebensströmen der deutschen Geschichte: eine deutsche Frau und preußische Königin, die das Herz des Volkes und der Jugend zu erheben vermochte, das in deutschen Lebens- und Geistesregungen lebte und, ohne daß man im einzelnen schon scharf geprägte Gedanken von ihr empfangen hatte, die besten Wege deutscher Zukunft über ihren Tod hinaus anzeigte.“(1943: 21)

Mit diesem Schlußsatz bediente Griewank viele Muster des nationalistischen Luisenkults und trägt anachronistische Verzerrungen der populären Literatur fort. Malve Rothkirch sieht hier zu Recht eine politisch stilisierte Idealisierung.46 Zieht man jedoch die Ausgabe von 1924 heran, so zeigen sich auch hier dieselben Interpretationsmuster, die allerdings in den historischen Kontext der nationalen Bewegung eingeordnet werden. Griewank sah in der Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert eine nationale Erfolgsgeschichte und die preußische Königin als eine

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Siehe unten Kapitel 4.1.4. Vgl. Stefan GLÄSER: Königin Luise von Preußen, in: Jürgen BIALUCH (Hg.): Gestalten um Königin Luise. Biographische Skizzen, Reutlingen 1996, S. 6-41, hier S. 23. Vgl. WÜLFING: Heilige Luise, S, 260-265. ROTHKIRCH: Geschichte der Veröffentlichungen, S. XXVI. Ähnlich auch DEMANDT: Luisenkult, S. 417, auch wenn dieser versehentlich von Hans Griewank spricht.

4.1. Frühe geschichtswissenschaftliche Arbeiten

149

nationale Figur. „Sie lebte nicht nur in dem preußischen Volke, sondern bei den Deutschen, bei allen ‚Zeitgenossen’, die aus den Werten der Persönlichkeit die geistige und nationale Erhebung eines neuen Deutschlands wachsen sahen“ (1922: 53). Auch das Schlußwort dieser Ausgabe betonte den nationalen Diskurs und die historische Bedeutung Luises für eine deutsche Geschichte: „Königin Luise von Preußen ist durch ihr Schicksal und durch die Wirkungen ihres Menschentums eine Künderin des Zeitalters der deutschen Erhebung geworden. Ihr Leben zeigt uns dazu nur die Ansätze; aber es gibt uns den Weg an, auf dem der deutschen Geschichte eine moralische Kraft entstehen konnte“ (1924:54). Hier war von einer moralischen Kraft die Rede, womit Griewank an den Topos geschichtlich notwendiger Veränderung des deutschen Staatswesens anknüpfte, die unter dem Stichwort der „deutschen Berufung Preußens“ bereits zeitgenössisch geäußert wurde. Er führte aus: „So fielen auf die verherrlichte Königin die Hoffnungen derer, die an einen Wiederaufschwung des preußischen Staates aus den idealen Kräften der Zeit glaubten. Abgewandt den eigentlichen Lebensgesetzen der deutschen Höfe und Staaten, hatten die deutschen Dichter und Philosophen zuerst das Bewußtsein einer den westlichen Völkern ebenbürtigen, ja innerlich überlegenen deutschen Kulturnation erweckt. Im Drang zu vollmenschlicher Entfaltung und beim Anblick der Weltbegebnisse, vornehmlich dem verschärften, aber auch großartigeren französischen Nationalgefühl der Volkssouveränität gegenüber, wurde ihr und ihrer Jünger weltbürgerlicher Individualismus ganz allmählich zu deutschem Patriotismus, zu Forderung nach staatlicher Aktivität getrieben.“(1922: 24f.)

Die Position Luises für eine Aufgabe der preußischen Neutralität und für ein aktives Auftreten gegen Napoleon wurde somit in den Kontext der Ideen der frühnationalen Bewegung – die ja auch eine frühliberale Bewegung war – gestellt. Die Interpretation stand in ihrer nationalen Konnotation in der deutungsgeschichtlichen Linie von Körner bis Treitschke, für die man partikularistisches und dynastisches Denken Luises in der Wertung zurückstellte. Dieses wurde zwar erwähnt, aber als überkommenes Denken apostrophiert. Vom selbstgesteckten Ziel einer objektiven Darstellung war Griewank hier weit entfernt. Dieses nationale Muster war bei weitem keine neue oder innovative Sichtweise. Mit ihrer 1922 noch und 1943 erneut antizipierten Gegenwartsaktualität des Nationalen blieb Griewank vielmehr in den bestehenden Topoi der Luise als „Schutzgeist deutscher Sache“47 gefangen. Die Darstellung war zwar frei von monarchistischsentimentalen Verklärungen, jedoch nicht von der historiographischen „Ideologie des deutschen Weges“48. Gerade die 1943 erschienene Kriegsausgabe kam mit nationalem Pathos einer solchen näher als die vorhergehenden Ausgaben. Dennoch nimmt Hartmut Boockmann Griewank in Schutz, dessen Edition seiner Überzeugung nach „gewiß als Beispiel für das dienen könnte, was in nationalsozialistischer Zeit erscheinen konnte, ohne auch nur im entferntesten nationalsozialistisch zu sein.“49 Boockmann argumentiert freilich hier von jener älteren Position heraus, die nur nach der Ideologie des Nationalsozialismus sieht und nicht im Sinne Hans Mommsens nach Teilidentifikationen.50 In diesem Zusammenhang ist es interessant, die Einleitung des 1929 publizierten Briefwechsels heranzuziehen. Sie war in vielem klarer als die 1925 erschienene und noch nicht nationalistisch-verzerrt wie die aus dem Jahr 1943. Die Aussagen über Luise

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Oskar BRÜSSAU: Königin Luise – „der Schutzgeist deutscher Sache“, Hamburg 1913; genauso auch, zu Griewanks Zeiten sehr beliebt: Gertrude ARETZ: Königin Luise [Volksausgabe], Berlin [1928]. FAULENBACH: Ideologie. Hartmut BOOCKMANN: Die Briefe der Königin Luise, in: Malve Gräfin ROTHKIRCH (Hg.): Königin Luise von Preußen. Briefe und Aufzeichnungen 1786-1810, Berlin 21995, S. VII-XV, hier S. IX. Vgl. MOMMSEN: Der faustische Pakt der Ostforschung. Siehe oben S. 99 mit Anm. 89.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

als „eine seelische Stütze des unterdrückten Deutschtums“ (1929: 43) wurden nicht als Fakt oder als diffuse Zukunftsprognose eingebunden, sondern als Wahrnehmung einiger Zeitgenossen, etwa auch Napoleons, gekennzeichnet. Deutlich formulierte Griewank hier: „Königin Luise hat weder ihrem Glauben an die Nation, unter der sie meistens die preußische verstand, noch ihrem Deutschtum eine scharfe politische Prägung gegeben, und sie war weit entfernt, als deutsche Patriotin dem preußischen Staat Aufgaben zu stellen, die über sein eigenes Wohl hinauswiesen“ (1929: 41). Luise wurde hier deutlicher als „Kind ihrer Zeit“ (1929: 31) dargestellt. Hier erfährt der Leser auch etwas über die Eingebundenheit des Paares in die französischsprechenden Gepflogenheiten des höfischen Lebens: „Friedrich Wilhelm und Luise konnten sich in jüngeren Jahren der deutschen Sprache kaum ohne Fehler bedienen und nur ungefüge Sätze in ihr bilden. Mit den Unterschieden ‚mir’ und ‚mich’, ‚dem’ und ‚den’ standen sie zeitlebens auf Kriegsfuß“(1929: 46). Die Tatsache, daß Luise französisch schrieb und sprach – damit die Sprache des Gegners und Feindes bevorzugte – hatte den populären Deutern eines nationalen Luisenmythos immer Schwierigkeiten bereitet und zu grotesken Thesen geführt.51 Es ist bezeichnend, daß Griewank 1929 diese Hintergründe ausführt, während der Nazi-Zeit jedoch nicht weiter thematisiert. Ohnehin bleibt die 1929 entstandene fast 50-seitige Einleitung Griewanks lesbarste Zusammenfassung seiner Beschäftigung mit Luise. Sie entstand in einer Zeit, in der er finanziell abgesichert war, durch die erfolgreiche erste Edition und einige einschlägige Publikationen52 ausgewiesen und in der der Nationalsozialismus noch keine Rolle spielte. Auch der Rezensent der „American Historical Review“ bescheinigte ihm eine Abkehr vom chauvinistischen Ton anderer deutscher Bücher zur Periode der Befreiungskriege und ein nüchterneres Erkenntnisinteresse („a more sober interest“).53 Griewanks Grundziel blieb diese nüchterne, an gewissen handwerklichen Kriterien orientierte Edition der Briefe, auch um der grassierenden Mythenbildung entgegenzutreten.54 Es gelang ihm jedoch nur eine „Historisierung“ in Grenzen. Was an der Beschäftigung mit der preußischen Königin Luise auch deutlich wird, ist Griewanks nationale Einstellung. Es ist der Griewank, der als Kind den Bismarck zeichnete und für den Geschichte wie für die meisten deutschern Bildungsbürger vor allem Nationalgeschichte bedeutete.

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Hierzu konkret WÜLFING: Heilige Luise, S. 269. Karl GRIEWANK: Drei Potsdamer Briefe der Königin Luise. Zum 150. Geburtstage zum ersten Male veröffentlicht, in: Potsdamer Tageszeitung HS. 57 vom 9. März 1926; DERS.: Neue Briefe der Königin Luise aus den Jahren 1807-1810, hg. und erläutert von Karl GRIEWANK, in: Deutsche Rundschau 206 (1926), S. 191-201. Guy Stanton FORD: Rez. Griewank: Briefwechsel der Königin Luise mit ihrem Gemahl Friedrich Wilhelm III., in: AHR 36 (1931), S. 383-385, hier S. 384. Vgl. auch Karl GRIEWANK: Einige Richtigstellungen. Das Bild der Königin Luise von Preußen, in: Deutsches Adelsblatt 60 (1942), S. 190f.

4.1. Frühe geschichtswissenschaftliche Arbeiten

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4.1.4. Hardenberg – Ein großer Deutscher?55 Als er von Willy Andreas gebeten wurde, für das Projekt „Die großen Deutschen“56 einen Beitrag zur Königin Luise zu schreiben, sagte Karl Griewank gerne zu und überraschte zudem mit einem anderen Vorschlag: Er könne auch über den preußischen Minister Karl von Hardenberg einen Aufsatz liefern, dessen Biographie ihn zur Zeit sehr beschäftige. Seine Bemerkungen dazu waren vielsagend: „Freilich stellt Hardenberg vorzugsweise die Kräfte dar, die Deutschland heute überwinden, bestenfalls nur nutzen will. Umso reizvoller wäre eine neues Gesamtbild des Mannes, seiner aufbauenden und auch zerstörenden Nachwirkungen –, aber ich kann mir denken, dass das nicht eigentlich in Ihren Plan passt.“57 In der Tat paßte Hardenberg weniger in ein nationales Deutungsmuster der deutschen Geschichte als andere Personen seiner Zeit – und in ein nationalsozialistisches Deutungsmuster paßte er gar nicht.58 Er steht für die positive Rezeption des Reformpotentials der napoleonischen Zeit, für ein eher europäisches Denken. Er trat für die Umwandlung Preußens in einen Verfassungsstaat nach süddeutschem Muster genauso ein wie für die Judenemanzipation. In der heutigen Geschichtswissenschaft, die die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts als gesellschaftlichen Übergangsprozeß, als Wandel von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft sieht, ist Hardenberg eine wichtige Figur. Erst mit der Würdigung der Rheinbundreformen durch die neuere Forschung konnten auch die preußischen neu bewertet werden. Sie waren eine Antwort auf die französische Revolution und die napoleonische Herausforderung, wobei Hardenberg als eine Person, die die Prozesse offen analysierte, in das Zentrum der Forschung rückte. Die nationalstaatlich orientierte deutsche Geschichtsschreibung tat sich jedoch schwer mit dem Reformer. Lange dauerte es bis die preußischen Reformen nicht mehr nur als die Steinschen, sondern als die Stein-Hardenbergschen oder gar die Hardenbergschen Reformen angesehen werden.59 Freiherr vom Stein, Hardenbergs Vorgänger, schien eher kompatibel zu einem nationalen Denkmuster zu sein. Noch in den 1960er Jahren überwiegt bei Hans Haussherr, dem Biographen Hardenbergs, das Negativbild. Allerdings meint dieser schon, daß Hardenberg, obwohl er „eine umstrittene Persönlichkeit geblieben“ sei, „neben seinen großen Vorgänger gestellt zu werden verdient.“60 Umstritten war er vor allem auch wegen seiner „persönlichen Schwächen und allzumenschlichen Motive“, die Haussherr, wie Karl Griewank 1949 in einer Rezension

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Im folgenden Kapitel werden Zitate und Verweise stets im Text in Klammern eingefügt und dabei die Jahreszahl und die Seitenzahl angegeben: 1935 bedeutet: Karl GRIEWANK: Hardenberg und die preußische Politik 1804-1806, in: FBPG 47 (1935), S. 227-308. 1936 bedeutet: DERS.: Hardenberg 1750-1822, in: Willy ANDREAS/Wilhelm von SCHOLZ (Hg.): Die großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie, Bd. 3, Berlin 1936, S. 28-41. Willy ANDREAS/Wilhelm von SCHOLZ (Hg.): Die großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie, 5 Bde., Berlin 1935-1937. Karl Griewank an Willy Andreas, 29.10.1934, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 817, unpag. Vgl. hier Elisabeth FEHRENBACH: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongreß, München 42001, S. 238f. Wichtig auch für Hardenbergs Eintreten für einen Verfassungsstaat: Herbert OBENAUS: Anfänge des Parlamentarismus in Preußen, Düsseldorf 1984, S. 718-720 und passim. Vgl. Christof DIPPER: Hardenberg ein Reformpolitiker. Ein Kommentar, in: Thomas STAMMKUHLMANN (Hg.): „Freier Gebrauch der Kräfte“. Eine Bestandsaufnahme der HardenbergForschung, München 2001, S. 191-195. Hans HAUSSHERR/Walter BUSSMANN: Hardenberg, Carl August Fürst, im: NDB 7 (1966), S. 658663, hier S. 662.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

betonte, in der Gesamtcharakteristik zu sehr in den Vordergrund rücke „gegenüber der eigentümlichen Kraft seiner politischen Persönlichkeit, die sich anziehend und ausstrahlend auf alle, die in seinen Kreis traten, und gerade auch auf anders geartete Menschen auswirkte“.61 Dieser Ausstrahlung erlag offensichtlich auch Griewank mehr und mehr. Allerdings war sein Hardenberg-Bild einem deutlichen Wandel unterworfen. Hardenberg begegnete ihm als derjenige Minister, der von der Königin Luise außerordentlich geschätzt wurde. Während er 1925 noch unvermittelt von Stein als „der größten Persönlichkeit unter den preußischen Staatsmännern“ sprach, kam Hardenberg schlecht weg: „Der leichtlebige, männlich schöne Minister war unter seinen eleganten Formen von fast unbegrenzter Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit in bezug auf Mittel und Ziele der preußischen Politik. [...] Die Königin ließ sich leicht über die schillernde Oberfläche seines Wesens täuschen; gutgläubig las sie aus seinem Eingehen auf ethische und dynastische Motive höchsten Idealismus.“62

Meint man hier vom 24-jährigen Griewank geradezu ein gefährliches Chamäleon präsentiert zu bekommen, klingt das Hardenberg-Porträt späterer Publikationen ganz anders: Er sei in jüngeren Jahren „der liebenswürdige und bewegliche preußische Minister“ (1936: 28) gewesen, später der „welterfahrene, kluge Steuermann, der Preußens Kurs bestimmte. Er blieb in seiner eleganten und lebhaften Überlegenheit, seiner Aufgeschlossenheit für Menschen, Kunstwerke und nutzbare Wissenschaften eine der glänzenden, traditionsreichen Erscheinungen der Restaurationszeit“ (1936: 39f.). Griewank interessierte in der Hauptsache das „System Hardenberg“,63 die politische Leistung des „Minister[s] dreier Epochen“ (1936: 40). Er nutzte seine Aufsätze vor allem dazu, in der gebotenen Kürze die politischen Entwicklungen zu beschreiben. Zu Hardenbergs politischen Zielen gehörte außenpolitisch ein durch geschickte Diplomatie zu haltendes Gleichgewicht. Die Verbundenheit mit der Philosophie der Aufklärung und den ökonomischen Ideen des Liberalismus prägten seine Vorstellungswelt ebenso wie die Vorstellung einer Effizienz der Verwaltung, die ebenso wie die Betonung des Verfassungsdenkens eine Einschränkung königlicher Macht zur Folge gehabt hätte. Griewank benannte alle diese Punkte, stellte Hardenberg als „Vertreter des Kampfes für die alte europäische Ordnung“ (1936: 30) mit dem Ziel der „Herstellung des Gleichgewichts“ (1936: 32) dar. Hatte Treitschke bereits herausgestellt, daß im Vergleich zu anderen Politikern seiner Zeit „Hardenberg von den französischen Ideen ungleich stärker berührt worden“64 sei, so betonte dies Griewank 1936 ohne Treitschkes Negativkonnotation zu übernehmen. Ganz deutlich benannte er Hardenbergs weitreichende Verfassungspläne: „Hardenbergs aufgeklärt-bürokratisches Verwaltungssystem war an sich dem napoleonischen nahe verwandt; jetzt lehnte er sich bewußt an dieses an, wenn er wollte, daß Preußen sich durch ‚demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung’ wieder stärken sollte und zugleich die

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Karl GRIEWANK: Rez. Hans Haussherr: Die Stunde Hardenbergs, Hamburg 1943, in: HZ 169 (1949), S. 390-393, hier S. 392. In der älteren Literatur stand die moralische Rüge der Charaktermängel Hardenbergs sehr im Vordergrund. Vgl. hierzu die Zusammenstellung bei FEHRENBACH: Vom Ancien Régime, S. 238. Vgl. auch Thomas STAMM-KUHLMANN: Hardenberg, Mann des achtzehnten Jahrhunderts und Diplomat. Das Bild seiner Persönlichkeit in den Tagebüchern, in: DERS. (Hg.): „Freier Gebrauch der Kräfte“. Eine Bestandsaufnahme der Hardenberg-Forschung, München 2001, S. 231-253. GRIEWANK: Einleitung 1925, S. 37. DERS.: Einleitung 1929, S. 33; ebenso: DERS.: Einleitung 1943, S. 14. Heinrich von TREITSCHKE: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Erster Teil: Bis zum zweiten Pariser Frieden [1879], Leipzig 1927, S. 271.

4.1. Frühe geschichtswissenschaftliche Arbeiten

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bonapartistischen und rheinbündischen Staaten im Auge der öffentlichen Meinung übertreffen solle.“ (1936: 33)

Hardenbergs Verfassungspläne scheiterten bekanntlich.65 Viele Pläne zur Verwaltungsreform, etwa die Einrichtung des Staatskanzleramtes, blieben Episode. Nicht folgenlos waren seine liberalen Ideen in sozial- und wirtschaftgeschichtlicher Hinsicht. Griewank deutete dies an, indem er die Förderung des freien Handels unter Verweis auf Adam Smiths Ideen als Ziel Hardenbergs herausstellte (1936: 33) und darlegt, daß Preußen später „zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Zollgebiet und zum Ansatzgebiet für einen großräumigen Zollverein gemacht wurde“. (1936: 38) Aus seinem Briefwechsel mit Andreas wurde klar, daß sich Griewank der Brisanz eines Hardenberg-Aufsatzes im Nationalsozialismus bewußt war. Dies galt natürlich insbesondere für Hardenbergs Eintreten für die bürgerlichen Rechte jüdischer Einwohner. Hier läßt sich Griewank zu keinerlei antisemitischen Aussagen hinreißen und ordnet diese Bemühungen in die längerfristige Wirksamkeit Hardenbergs ein: „Ein entsprechendes Gesicht erhielten auf die Dauer auch andere Maßnahmen Hardenbergs, die sich damals noch mäßig auswirkten, wie die zunächst dem Ausgleich von Stadt und Land dienende Erklärung der Gewerbefreiheit und die Begünstigung der Juden, deren Einbürgerung Hardenberg herbeiführte und von deren Entwicklungs- und Verwendungsfähigkeit für den Staat er eine dem individualistischen Zeitgeist entsprechende hohe Vorstellung hatte“ (1936: 34f.).

Allenfalls das Wort „Verwendungsfähigkeit“ erscheint zeittypisch. Auch der Vergleich Hardenbergs mit Stein ist nicht ganz frei von Angeboten für eine nationalsozialistische Deutung: „Aber wenn Stein in genialer Schau den neuzeitlich-großräumigen Nationalstaat aus deutschem und germanischem Erbe, lediglich unter Benutzung einzelner Formen des revolutionierten Frankreich schaffen wollte, so begann Hardenberg diese Formen schematisch anzuwenden, wie sie im bonapartistischen Staatssystem konstruiert waren, ja mit unmittelbaren Nachahmungen Frankreichs und des Königreichs Westfalen“ (1936: 34).

Insgesamt überrascht der faktisch-sachliche Ton ebenso wie die wohlwollend positive Interpretation eines Liberalen des 19. Jahrhunderts. Der Hardenbergaufsatz aus dem Jahr 1936 kann als eine zeitgebunden gelungene Kurzbiographie eingestuft werden. Er bietet Anknüpfungspunkte, erst recht nachdem heute moderne Ansätze, etwa zum Königtum Westfalen, vorliegen.66 Im Kontext seiner Arbeiten zu den preußischen Reformen steht auch Griewanks Edition der Briefe Gneisenaus „Ein Leben in Briefen“ (1939), die er im Stil der LuiseBriefe organisierte. Diese Veröffentlichung ist jedoch auch in einem klaren politischen und beruflichen Zusammenhang zu sehen. Innerhalb der DFG liefen Vorgespräche zu einer größeren „Gemeinschaftsarbeit“ zum preußischen Militär. Der „ungediente“ Griewank, der sich vor einer Einberufung fürchtete, konnte bestätigen, daß Gneisenau vor allen Dingen Soldat war.67 Er habe mit Hardenberg sehr gut zusammengearbeitet, wie er in der Einleitung ebenso betont wie durch die Auswahl der Briefe.68

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Vgl. STAMM-KUHLMANN: König in Preußens großer Zeit, S. 416-476, insbes. S. 431-436, 470-476. Vgl. FEHRENBACH: Vom Ancien Régime, S. 238f. Zur Rheinbundforschung vgl. vor allem nach wie vor die Klassiker: Helmut BERDING: Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807-1813, Göttingen 1973; Elisabeth FEHRENBACH: Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten, Göttingen 3 1983. Karl GRIEWANK: Einleitung, in: DERS. (Hg.): Gneisenau. Ein Leben in Briefen, Leipzig 1939, S. 519, hier S. 17. Vgl. ebd., S. 12, 351.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

Seine Gneisenau-Edition führte dann auch zu einer Veröffentlichung in der Zeitschrift „SA-Führer“.69 Die Redaktion, die gerne kurze Aufsätze von Wissenschaftlern einstreute, ließ wissen: „Den Aufsatz von Griewank, der zu den besten Kennern des Zeitalters der deutschen Erhebung zählt, danken wir dem Verlag Koehler und Amelang, Leipzig. Er ist stark gekürzt der Einleitung der unter dem Titel ‚Gneisenau’ erschienenen Briefsammlung des Feldherrn entnommen, die Griewank herausgegeben hat.“70 Von Karl Griewank ist ein undatierter Protest erhalten: „Ohne mein Wissen veröffentlicht“71, notiert er auf einem Exemplar des Heftes. Es kann allerdings nicht angenommen werden, daß Griewank sich nach Bekanntwerden der Veröffentlichung öffentlich darüber beschwerte. Der Text selbst ist in der Tat aus der Einleitung der Briefe wörtlich entnommen und enthält keine tagespolitischen Aktualisierungen der Person Gneisenau. Da kein Verlagsarchiv erhalten ist, ist über die Umstände dieser Veröffentlichung nichts weiter bekannt. Die Beschäftigung mit der faszinierenden Person Hardenbergs war es auch, die Karl Griewank auf das Forschungsdefizit zum Wiener Kongreß aufmerksam machte: „War ich in meiner Auffassung dieses Zeitalters zunächst vor allem durch Meineckes geistesgeschichtlichen Forschungen angeregt worden, so leitete mich bei weiterer intensiver Beschäftigung der Wunsch, zugleich mit den grossen geschichtlichen Impulsen auch die Kontinuität des preussischen Staatswesens und seiner Bindungen an die gesamtdeutsche Geschichte zu erkennen. Dies führte mich zu der Politik des Ministers und Staatskanzlers von Hardenberg. Ich beabsichtigte zeitweilig, ihm eine Biographie zu widmen, musste aber feststellen, dass zunächst das schwankende und oft verschwommene Bild der Epochen, denen sein Wirken den Stempel aufdrückte, einer neuen, sehr genauen und aktenmässig begründeten Durcharbeitung im Einzelnen bedurfte.“72

So nahm Hardenberg in seiner Darstellung des Wiener Kongresses auch eine wichtige Rolle ein. Insbesondere dessen Vorstellung eines europäischen Gleichgewichts wurde gewürdigt. Den Lesern blieb das ausgesprochen positive Hardenbergbild nicht verborgen, was ihm von Rezensenten der Nazizeit auch vorgeworfen wurde.73 Damit ist jedoch schon das erste Hauptwerk Griewanks angesprochen, das nun einer näheren Analyse unterzogen werden soll. 4.2. DER WIENER KONGREß UND DIE NEUORDNUNG EUROPAS74 Karl Griewanks Buch „Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas“ (1942), das in der Neuauflage den geänderten Titel „Der Wiener Kongreß und die Europäische Restauration“ (1954) trägt, ist eines seiner Hauptwerke. Es gilt noch immer als

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Karl Griewank: Gneisenau, in: Der SA-Führer 5 (1940), H. 6, S. 2-9. Ebd., S. 38 (Impressum). PrA Glüer, Kopie im NL Griewank. Lebenslauf zur Habilitation 1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 6-12, hier Bl. 10. „In der Charakteristik der handelenden Figuren erscheint die Persönlichkeit Hardenbergs etwas zu ideal gesehen.“; von CAPRIVI: Rez. Griewank: Wiener Kongreß, in: Auswärtige Politik 10 (1943), S. 233. Zum ansonsten gezügelten Rezensionswesen der Kriegszeit siehe unten S. 159 mit Anm. 94. Im folgenden Kapitel werden in Klammern im Text zitiert: 1942 bedeutet: Karl GRIEWANK: Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas 1814/15, Leipzig 1942. 1954 bedeutet: DERS.: Der Wiener Kongreß und die Europäische Restauration 1814/15, Leipzig 1954.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

155

Standardwerk und beste deutschsprachige Gesamtdarstellung zum Wiener Kongreß, an der die nachfolgende Spezialforschung nicht vorbeikommt.75 Innerhalb der neueren Forschungen zur Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus ist Karen Schönwälder die einzige, die in ihrer Pionierstudie erkennbar eine Werksanalyse zu Griewanks Buch vorgenommen hat, allerdings nur in knappen Bemerkungen. Schönwälder betont Griewanks „anerkannte wissenschaftliche Leistung“, nicht ohne die Fixierung auf Mitteleuropa und die starke Betonung des Ordnungsgedankens kritisch in die NS-Zeit einzuordnen.76 Dies soll hier weiter untersucht werden. Es wird im folgenden dieser Stellenwert innerhalb der Forschung zum Wiener Kongreß zu klären sein. 4.2.1. Das Interesse am Kongreß und die Aktualität des Themas im Zweiten Weltkrieg Im vorangehenden Kapitel konnte gezeigt werden, daß die Beschäftigung mit Hardenberg eine wesentliche Vorstufe für die Arbeit zum Wiener Kongreß darstellte. Hier lag ohne Zweifel die innerwissenschaftliche Motivation Griewanks für die Vorstudien. Zudem waren ihm – auch darauf ist schon verwiesen worden – die Pläne Platzhofs bekannt, eine Reihe „Das Reich und Europa“ zu initiieren; das Fehlen einer Darstellung zum Wiener Kongreß mußte auch bei diesem Rahmenthema auffallen. Wenn man das Buch mit seiner Präsentation der handelnden Personen und der durch diplomatische Kunst zu lösenden Probleme liest, wird man schnell mitgerissen von der Dynamik der Zeit und auch von der Andersartigkeit der Umstände. Dieses Interesse an der Geschichte einer von der Gegenwart verschiedenen, noch „heilen“ Welt, die zwar auch ihre komplexen Probleme hatte, aber sie doch diplomatisch lösen konnte, ist nicht zu unterschätzen. Henry Kissinger hat in seiner Doppelrolle als Diplomat und Historiker für unsere moderne Zeit eine analoge Schlußfolgerung gezogen, wenn er meint, „daß eine von der atomaren Vernichtung bedrohte Generation sehnsüchtig an jene Zeiten zurückdenkt, in denen die Diplomatie weniger harte und drastische Folgerungen kannte, in denen Kriege begrenzt geführt wurden und eine weltweite Katastrophe nahezu undenkbar war.“77 Für den historisch interessierten Leser im Zweiten Weltkrieg bot das Buch eben auch eine spannende Lektüre.78 Nicht erst seit Hayden White hat die Historiographiegeschichte gelernt, solche ästhetischen Aspekte der Rezeption und Fragen des Geschichtsinteresses zu berücksichtigen. Griewank wollte auch erzählen. Hierin liegt auch ein großer Wert der Darstellung, indem die

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Vgl. jetzt Edgar WOLFRUM: Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 206; vgl. auch Heinz DUCHHARDT: Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß, Darmstadt 1976, S. 127-196, hier S. 162f.; Winfried BAUMGART: Die großen Friedensschlüsse der Neuzeit (1435-1945). Ein Forschungsüberblick, in: GWU (1978), S. 776-806, hier S. 794; Peter BURG: Der Wiener Kongreß. Der Deutsche Bund im europäischen Staatensystem, München 31993, S. 181; ILSEMANN, Politik Frankreichs, S. 28. Karen SCHÖNWÄLDER: Historiker und Politik, S. 232f. und 367f., Zitat S. 232. Henry KISSINGER: Großmacht Diplomatie. Von der Staatskunst Castlereaghs und Metternichs, Düsseldorf/Wien 1962, S. 7. Das Buch wurde zusätzlich auch als „Feldpost-Ausgabe“ vertrieben und erreichte damit einen größeren Leserkreis. Über den Absatz und die Leserschaft läßt sich nichts sagen. Die Auflage ist nicht angegeben, zudem ist ein Rest nach Griewanks Angaben verbrannt; der Hinweis auf die Existenz einer Feldpost-Ausgabe stammt von Ingeborg HORN-STAIGER: Schriften von Karl Griewank.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

komplexen Probleme des Kongreßgeschehens detailliert, aber doch in großen Linien zusammengefaßt werden. Die Akteure des Wiener Kongresses waren zudem nicht nur Fachleuten bekannt. Zwar wurde der Film „Der Kongreß tanzt“ seit September 1937 wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und der Verletzung des nationalsozialistischen Empfindens“ nicht mehr gezeigt.79 Auch kann dieser Film sicherlich nicht als historisch lehrreich oder authentisch gelten. Die Selbstverständlichkeit jedoch, mit der dort die verschiedenen Beteiligten des Kongresses vorgestellt werden konnten, ist auffällig. Auch die Häufung von beliebten Büchern zum Thema fällt ins Auge; fast zeitgleich zu Griewanks wissenschaftlichem Buch erschienen die populären, am „tanzenden Kongreß“ orientierten „Zeit- und Sittenbilder“80 Bourgoings und eine Volksausgabe des entsprechenden Kapitels von Treitschke.81 Griewank konnte auch an dieses episodische und antiquarische Interesse am Wiener Kongreß anknüpfen und erfüllte mit einer wissenschaftlich systematischen Ausarbeitung den Wunsch, nun einmal den Zusammenhang vom Fachmann genauer präsentiert zu bekommen. Damit konnte jedoch auch eine vergleichende und aktualisierende politische Deutung weitgehend ausgeklammert werden. Der Titel „Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas“ sprach mitten im Krieg selbstredend einen aktuellen Bezug an. Diese politischen Motive gab Griewank der Habilitationskommission gegenüber – neben der ausführlich dargestellten innerwissenschaftlichen Herleitung – auch an: „Der innere Aufbau Deutschlands und das Auftauchen immer neuer Fragen der politischen Ordnung Mittel- und Gesamteuropas regte mich in den letzten Jahren dazu an, meine Arbeit vorzugsweise solchen geschichtlichen Erscheinungen und Problemen der napoleonischen Zeit zu widmen, die eine Verbindung zu den Aufgaben der Gegenwart eröffneten. [...] Hierbei leitete mich besonders das Interesse am Volksdeutschtum und den Grenzproblemen, das durch die Abstammung von einer elsässischen Mutter und durch den häufigen Aufenthalt in den westdeutschen Grenzlanden seit jeher in mir lebendig gewesen war.“82

Vom Preußen- und Nationaldiskurs herkommend, griff er somit zunächst die Mitteleuropa- und dann die Europafrage auf. Zwar kann man aus einer Vogelperspektive leicht zu dem Schluß kommen, daß „Mitteleuropa in der nationalsozialistischen Wiederaufnahme der großdeutschen Geopolitik auf rassistischer Grundlage keinen eigenen Platz mehr“83 gehabt habe. Betrachtet man nur die Ideologie Hitlers, so blieb diese stets europafeindlich, mit den militärischen Erfolgen der 1940er Jahre geriet das Regime jedoch in einen regelrechten „Europarausch“: „Deutschland siegt an allen Fronten für Europa“ hieß es nun.84

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Vgl. Michael TÖTEBERG: Gekonnte Mache. Erik Charells „Der Kongreß tanzt“, in: Hans-Michael BOCK/DERS. (Hg.): Das Ufa-Buch. Die internationale Geschichte von Deutschlands größtem FilmKonzern. Kunst und Krisen, Stars und Regisseure, Wirtschaft und Politik, Frankfurt (M) 21994, S. 294-297. Jean Freiherr von BOURGOING: Vom Wiener Kongreß. Zeit- und Sittenbilder. Brünn/München/Wien 1943. Heinrich von TREITSCHKE: Der Wiener Kongreß, Berlin 1943. Lebenslauf zum Habilitationsverfahren 1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 6-12., hier Bl. 11. Jacques LE RIDER: Mitteleuropa. Auf den Spuren eines Begriffes, Wien 1994, S. 149. Differenzierter unter Einschluß der Positionen der Historiker Heinrich von Srbik, Wilhelm Schüssler und Harold Steinacker die Analyse von Henry Cord MEYER: Mitteleuropa in German thought and action 18151945, The Hague 1955, hier S. 315-325. Vgl. Hans Werner NEULEN: Europa und das 3. Reich. Einigungsbestrebungen im deutschen Machtbereich 1939-45. München 1987, S. 21-56.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

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Die neueren Forschungen zur nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik zeigen, daß Europakonzeptionen und -visionen85 gerade in den 1940er Jahren in den Planungseliten des NS, etwa dem „SS-Ahnenerbe“86, diskutiert und eine Großraumordnung für eine völkisch orientierte Vorstellung Europas kreiert wurden. Es waren gerade die Positionen Heinrich von Srbiks, Wilhelm Schüsslers und Harold Steinackers, die ausgehend von groß- oder sogenannten „gesamtdeutschen“ Konzeptionen Mitteleuropaideen entwickelten.87 Bereits erwähnt wurden die Tagungen des Kriegseinsatzes und des NS-Dozentenbundes, auf denen das Europathema gerade während des Krieges explizit aufgeworfen wurde. Das Deutsche Reich sei diejenige europäische Macht, die aus der Stärke der Mitte Europas heraus wegen seiner völkisch-rassischen Überlegenheit im Stande, ja sogar geschichtlich dazu berufen sei, andern Völkern eine Ordnung aufzuzwingen.88 Ein gutes Beispiel bietet jene Dozentenbundsveranstaltung im Oktober 1942 in Augsburg unter der Leitung Steinackers, an der auch Griewank teilnahm.89 Zur Zielstellung hieß es dort: „Die durch den Krieg gestellte Hauptaufgabe der deutschen Geschichtswissenschaft gilt der Vorbereitung eines lebensgerechten Friedens. Versailles war ein Versuch, die im Moment des Waffensieges gegebene Machtlinie in einer unveränderlichen Weltordnung zu verewigen. Der deutsche Friede soll Europa und der Welt eine neue Ordnung bringen, die nicht rein auf der Macht, sondern auf dem Sieg unserer Ideen beruht, die berufen sind, die geschichtliche Dynamik der Zukunft zu lenken. Ihren Kernpunkt bildet eine neue Idee vom Volk, die sich sowohl von der Romantik als vom Nationalitätenprinzip des 19. Jahrhunderts wesentlich unterscheidet. Sie bezieht das Moment der Rasse ein und verlangt eine neue Volksordnung, in der Nationalismus und Sozialismus ineinandergesetzt sind. Sie regelt das Verhältnis von Volk und Staat neu und stellt die Ordnung beider auf das Führerprinzip. Sie wirkt sich aus in dem Streben, die Anarchie der internationalen Politik und der kapitalistischen Weltwirtschaft zu ersetzen durch eine neue planungsmässige Völkerordnung.“90

Es wurde hier eine Wissenschaftsvorstellung propagiert, die Planbarkeit und Machbarkeit in Anwendung und in Einklang bringen wollte mit einer rassistischen und völkischen „natürlichen“ Ordnung. Als „Hauptaufgabe der deutschen Geschichtswissenschaft“ galt dabei die Vorbereitung einer Neuordnung Europas. Die diplomatischen Prinzipien des 18. und 19. Jahrhunderts ließen sich schwerlich als Vorbild hernehmen, sie mußten für überzeugte Nationalsozialisten als veraltet gelten. Die Diplomaten der alten Welt, die auf Konferenzen höflich und weit weg von ihren Völkern verhandelten und wie im Schachspiel um Stellungsvorteile kämpften, erschienen antiquarisch grotesk. Und in dieser Interpretation war eine Beschäftigung mit der Thematik möglich. Karl Griewank bot zum Schluß seines Buches diese Deutungsmöglichkeit einer längst überholten diplomatischen Welt für den (nationalsozialistischen) Leser an. Es ist die einzige Stelle des Buches, an der er seine sachliche Linie deutlich verläßt. Nach einem Lob des Wiener Kongresses als einem „Werk alterfahrener diplomatischer Technik, als fachmännische Handhabung der Staatenmechanik“ (1942: 301), durch die der „äußere Frieden [...] länger und besser bewahrt

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Vgl. Ute FREVERT: Eurovisionen. Ansichten guter Europäer im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt (M) 2003, hier S. 122-127, insbes. S. 123f. Vgl. LERCHENMÜLLER/SIMON: Maskenwechsel, S. 238-246. Vgl. Wilhelm SCHÜSSLER: Mitteleuropa. Ein geschichtlicher Überblick, Köln 31941; Harold STEINACKER: Die volksdeutsche Geschichtsauffassung und das neue deutsche Geschichtsbild, Berlin 1937; Heinrich Ritter von SRBIK: Mitteleuropa. Das Problem und die Versuche seiner Lösung in der deutschen Geschichte, Weimar 1937. Vgl. Karl Richard GANZER: Das Reich als europäische Ordnungsmacht, Hamburg 1942. Siehe dazu oben S. 129 mit Anm. 289-292. „Zum Thema des Lagers“, in: BA Berlin, NS 15/326, alte Foliierung 95675.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

[wurde] als unter irgendeiner Friedensordnung der beiden vorangehenden Jahrhunderte“ (1942: 301), konterkarierte er dieses Positivurteil: „Die Staatsmänner von 1814/15 hatten dem flüchtigen und vergänglichen Zeitgeist mehr entsprochen als man oft meinte, aber sie hatten die dauernden, tiefen und lebendigen Kräfte und Bedürfnisse der Völker verkannt.“ Der Wiener Kongreß wurde nun zu einem „Sieg über die Mitte Europas“ – einem Sieg der westlichen Ideen und Mächte. Griewank fuhr mit einem großen Bogen hin zum Versailler Vertrag fort: „Schließlich haben die Westnationen ihren durch Aushungerung und liberal-demokratische Zersetzung gewonnenen Sieg über die Mitte Europas benutzt, um voll Haß und Habgier das solange von ihnen vorteilhaft gehandhabte Gleichgewichtssystem in Versailles selbst zu zerstören und Deutschland einer Horde pseudodemokratischer Nachbarn als machtlose Beute auszuliefern. [...] Nachdem die deutschen Stämme nach Jahrhunderten endlich ganz zueinander gefunden und eine völkische Willenseinheit gebildet haben, ist eine neue weltgeschichtliche Stunde unseres Erdteils angebrochen, scharf gekennzeichnet durch den unfruchtbaren Widerstand der alten Mächte, die einst das in Wien aufgerichtete System solange weiterzuführen und in ihrem Dienste zu handhaben vermochten. Europa kann nicht mehr aufgebaut werden nach den Prinzipien der weltbürgerlichen Aufklärung, in deren Namen die Diplomaten von 1814/15 und ihre liberal-nationalen Fortsetzer im 19. Jahrhundert handelten; aus der Gestaltungskraft seiner führenden Völker muß sich ein um seine Mitte und ohne Mitbestimmung der seinen Räumen fremden Mächte sinnvoll gegliederter Weltteil erheben“ (1942: 301f.).

Einem nationalsozialistischen Aktivisten konnte es kaum genügen, daß Griewank es bei der einen Erwähnung des Versailler Vertrages beließ, alle rassistischen Interpretationen vermied oder etwa die naturgegebene Unterlegenheit der Russen, Engländer und Franzosen nicht ansatzweise vorkamen.91 Ein Rezensent stellte dann auch fest: „Von einer Neuordnung Europas in unserem Sinne, wie der Titel des Buches sie vermuten läßt, kann also kaum gesprochen werden.“92 Der Begriff „völkisch“ tauchte zwar immer wieder auf und fällt dem heutigen Leser ins Auge. Er wurde jedoch als Adjektiv zu Volk eingeführt und diente einer Argumentation, wonach der Wiener Kongreß den Interessen der Völker zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Adolf Hitler oder der Nationalsozialismus wurden nicht erwähnt, auch nicht in Vor- und Nachwort oder einem Ausblick. Das knappe zweiseitige Nachwort erklärte die fachwissenschaftliche Notwendigkeit einer Gesamtdarstellung des Wiener Kongresses, den gewählten Ansatz und die benutzten Archive. „Ein klareres und, wie ich hoffe, in vielem entscheidend richtigeres Bild von dem Gange der politischen Verhandlungen und den Problemen und Lösungen der Neuordnung zu gewinnen“ (1942: 324), sei das Ziel seiner Arbeit, so Griewank rankeanisch. Es blieb dann übereifrigen Rezensenten vorbehalten, den Faden im Sinne des Regimes aufzunehmen. „In diesen Tagen“ werde „wieder einmal und dieses Mal endgültig und abschließend, um die europäische Einheit gerungen“, heißt es etwa, wobei der Rezensent aus Griewanks Buch gelesen haben will, daß sich der Wiener Kongreß seinerzeit hingequält und zu einem mageren Ergebnis geführt habe.93 Den Wiener Kongreß als etwas Überkommenes, Fremdes, nun Überwundenes anzusehen – hierin

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Vgl. zur Ablehnung des Versailler Vertrages durch die Historiker Christoph CORNELIßEN: „Schuld am Weltfrieden“. Politische Kommentare und Deutungsversuche deutscher Historiker zum Versailler Vertrag 1919-1933, in: Gerd KRUMEICH (Hg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2000, S. 237-258. CAPRIVI: Rez. Griewank: Wiener Kongreß, in: Auswärtige Politik 10 (1943), S. 233. Wolff HEINRICHSDORFF: Rez. Griewank: Wiener Kongreß und SCHARFF: Die europäischen Großmächte, in: Europäischer Wissenschaftsdienst (EWD) 3 (1943), Nr. 8, S. 29. Der Rezensent erwähnt, daß Scharffs Buch eine klarere politisch nationalsozialistische Aussage habe.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

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besteht eine Lesart des Buches. Eine wirklich negative Rezension konnte nicht ausfindig gemacht werden. Veröffentlichungen des Kriegseinsatzes wurden in Deutschland während des Krieges jedoch grundsätzlich positiv besprochen, wie Hausmann herausgearbeitet hat.94 Kritik war im Krieg schlicht unerwünscht. Daß Griewanks Buch jedoch auch die kriegerische Gegenwart konterkarierende Elemente enthielt, indem es die friedenserhaltende Funktion des Kongresses, die internationale Rechtsordnung und die Berechtigung anderer Völker betonte, wurde im ohnehin nicht mehr lange existierenden NS-Staat nicht mehr thematisiert. Dies sind freilich die Punkte, die dem Buch zu einer langfristigen Wirkung verhalfen. Griewanks Veröffentlichungen zum Wiener Kongreß zeigen also insgesamt in ihrer rankeanischen Quellenorientierung und Faktenbezogenheit ebenso wie in ihrer zurückhaltenden, aber dezidiert nicht nationalsozialistischen Einordnung eine gewisse Unabhängigkeit.

4.2.2. Restauration, Friedenssicherung und Gleichgewicht – Zu Ansatz, Inhalt und Methode Das Kongreßgeschehen selbst gilt als gut erforscht.95 Dennoch schien eine Gesamtdarstellung nicht einfach zu schreiben, da der Wiener Kongreß und die an ihm beteiligten Personen von Beginn an umstritten waren und in der Geschichtsschreibung Gegenstand kontroverser Deutungen blieben. Griewanks Ziel war es dennoch, eine Gesamtdarstellung vorzulegen. Um dies zu erreichen, mußten vor allem die diplomatiegeschichtlichen Abläufe dargestellt werden. Griewank wendete eine Verbindung von Ideen- und politischer Geschichte an, um die komplizierten Handlungsstränge differenziert, aber doch klar darzustellen. Es zeigte sich, daß gerade in dieser Fähigkeit eine der großen darstellerischen Stärken Griewanks lag. Er zog vor allem und in großem Umfang Primärquellen aus den Archiven in Paris, Berlin und Wien und aus bestehenden Editionen heran. Auch ausländische Werke verschiedenster Sprachen, auch der Kriegsgegner, fanden Verwendung. Das zweite Kapitel „Gestalten und Probleme des Wiener Kongresses“ hat eine gewisse Zentralfunktion, da hier die wichtigsten Personen in prägnanten Kurzbiographien vorgestellt, die Organisation des Kongresses und die prinzipiellen Arbeitsbereiche umrissen wurden. Hier konnte der Autor Akzente setzen, indem er die Rolle Hardenbergs96 betonte, aber auch indem er vor allem Humboldts und Steins Verhältnis zum Liberalismus herausarbeitete (1954: 132-135). In der politischen Einordnung wie auch in der Bewertung der diplomatischen Fähigkeiten der Beteiligten lag sein Schwerpunkt, wobei er sich zu keiner plumpen Verurteilung hinreißen ließ. Griewanks ausgesprochenes Interesse an der Geographie sorgte zudem nicht nur dafür, daß seinen Publikationen

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HAUSMANN: Deutsche Geisteswissenschaft, S. 92. DUCHHARDT: Gleichgewicht, S. 127; BAUMGART: Die großen Friedensschlüsse, S. 791f.; Klaus MÜLLER: Einleitung, in: DERS. (Hg.): Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/1815, Darmstadt 1986, S. 1-27, hier S. 1. Daß die positive Betonung Hardenbergs, der ohne Zweifel eine glücklose Rolle auf dem Wiener Kongreß spielte, ungewöhnlich ist, zeigt auch die unangemessene Skizze Hardenbergs als eines schwerhörigen Dilettanten bei Hans-Dieter DYROFF: Vorwort, in: DERS. (Hg.): Der Wiener Kongreß 1814/15. Die Neuordnung Europas, München 1966, S. 7-23, 20f. Vgl. Kritik an Dyroff bei DUCHHARDT: Gleichgewicht, S. 198.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

ein ansprechender Kartenanhang beigefügt wurde,97 sondern daß er die Territorialpläne einer gründlichen Analyse unterzog.98 Bekanntlich wurde auf dem Kongreß versucht, mit statistischen Methoden die Einwohnerzahlen der napoleonischen Konkursmasse in ein Gleichgewicht zu bringen (1942: 195; 1954: 245).99 Der sächsisch-polnische Konflikt, der große Hauptstreitpunkt des Kongresses, an dem sich viele grundsätzliche Probleme zeigten, wurde ausführlich in einem gesonderten Kapitel behandelt, bevor die Ergebnisse des Kongresses genannt werden. Historiographisch bemerkenswert ist, daß hier zum ersten Mal eine zusammenfassende Darstellung der sächsisch-polnischen Frage vorgelegt wurde. Griewank betrat hier Neuland. Den Charakter des Wiener Kongresses macht es aber aus, daß er nicht als singuläres Ereignis beschreibbar ist. Napoleon und seine Zeit wurden deshalb ausführlich behandelt. Die Darstellung begann mit der Französischen Revolution und ihren Auswirkungen in Deutschland. Die sogenannten „Befreiungskriege“100 mit der Wiedereinsetzung der Bourbonen und dem Ersten Pariser Frieden wurden bereits im ersten Kapitel behandelt. Griff Griewank also zu Beginn zeitlich etwas zurück, so konnte das Ende der Darstellung nicht die Wiener Schlußakte sein. Mit dem Kapitel „Die Restauration im Endkampf um die deutsche Westgrenze“ wurden aber die Ereignisse und Verhandlungen um die Zweite Bourbonische Restauration und dem nach der Schlacht bei Waterloo auszuhandelnden Zweiten Pariser Frieden ebenso behandelt wie die Verfaßtheit der Heiligen Allianz und der für die weitere Entwicklung wichtigen Mächtekonstellation. Das „Europäische Konzert“, also das Kongreßsystem der Folgejahre, wurde nicht mehr in die Darstellung miteinbezogen – nur die zweite Auflage enthielt ein Ausblickskapitel, auf das im nächsten Abschnitt noch einzugehen ist. Bei seiner Arbeit konnte Griewank auf die kritischen Betrachter des 19. Jahrhunderts zurückschauen, die wie Gervinus aus liberaler oder wie Treitschke aus nationalistischer Sicht den Kongreß in einem schlechten Licht erscheinen ließen.101 Sie knüpften dabei an die Unzufriedenheit an, die sich bereits während und unmittelbar nach dem Ende des Kongresses ausbreitete und die von Griewank ausführlich referiert (1954: 305) und mit dem zeitgenössischen Begriff der „Restauration“ (1954: 301) belegt wurde, der sich als gängige Epochenbezeichnung für die Zeit nach 1815 eingebürgert hat. Grie-

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Vgl. auch die Karten in Karl GRIEWANK: Preußische Neuordnungspläne für Mitteleuropa aus dem Jahre 1814, in: Deutsches Archiv für Landes- u Volksforschung 6 (1942), S. 342-360. Die Karten wurden von der Abteilung für Landeskunde des Reichsamts für Landesaufnahme nach Entwürfen Griewanks angefertigt und offensichtlich von der DFG finanziert. Vgl. GRIEWANK: Preußische Neuordnungspläne, S. 348-360. Hier wurde Hardenbergs detaillierter Plan zur territorialen Neugestaltung Europas erstmals ediert, mit dem Klaus Müllers Quellenedition beginnt (MÜLLER: Quellen, S. 33-60). Zu den verschiedenen Neuordnungsplänen vgl. Ernst Rudolf HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1: Reform und Restauration 1789-1830, Stuttgart/Berlin/Köln 21990., S. 510-543. Vgl. DUCHHARDT: Gleichgewicht, S. 174f. Auf die terminologischen Unterschiede „Befreiungskriege“ versus „Freiheitskriege“ sei hier nur hingewiesen. Im folgenden wird der Begriff Befreiungskrieg als der von Griewank benutzte Verwendung finden. Vgl. Peter BRANDT: Die Befreiungskriege von 1813 bis 1815 in der deutschen Geschichte, in: DERS. (Hg.): An der Schwelle zur Moderne. Deutschland um 1800, Bonn 1999, S. 83-115; Helmut BERDING: Freiheitskriege, in: Claus Dieter KERNIG (Hg.): Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Freiburg 1968, Bd. 2, S. 681-693. Georg Gottfried GERVINUS: Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen, Bd. 1, Leipzig 1855; TREITSCHKE: Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 581-695. Vgl. historiographisch Gangolf HÜBINGER: Georg Gottfried Gervinus. Historisches Urteil und politische Kritik, Göttingen 1984.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

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wank thematisierte den restaurativen Charakter und die enttäuschten Hoffungen, betonte aber auch die friedenserhaltende, europäische Funktion des Kongresses. Diese Sichtweise wurde vor allem auch in anderen Analysen eingenommen, die für zukünftige oder gegenwärtige Friedensordnungen Lehren ziehen wollten. Die wichtige, von Griewank rezipierte Analyse Charles Websters erschien 1919 als Auftragsarbeit für die praktische Anwendung während der Versailler Verhandlungen.102 Griewank hierzu: „Freilich mußte der Verfasser später resigniert feststellen, daß das Geschilderte praktisch als Vorbild für die Versailler Gegenwart von 1919 kaum hatte verwendet werden können. Immerhin zeigen die wiederholten Neuauflagen des Buches, wieviel Interesse es auch in den folgenden Weltkrisen mindestens in der angelsächsischen Welt gefunden hat“ (1954: 5). Die Frage der Friedenssicherung war ein Zentralpunkt des Kongresses und auch der Griewankschen Darstellung – auch schon in der ersten Auflage 1942. Eine weitere wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer Gesamtdarstellung lag ohne Zweifel auch in der Rezeption der Metternich-Forschung103 und dem Vorhandensein der umfangreichen Metternichbiographie Heinrich Ritter von Srbiks.104 Dieser einflußreiche Vertreter der „gesamtdeutschen Geschichtswissenschaft“105 aus Wien, hatte in seiner Arbeit älteren moralischen Darstellungen vom durchtriebenen Strategen die Skizze eines „Systems Metternich“106 entgegenstellen können, das auf Ideen und Prinzipien beruhte und einen europäischen Charakter hatte.107 Griewank betonte, wie spätere Autoren auch, diesen „Europäer Metternich – Baron de balance“, der mit allen von ihm abgeschlossenen und beeinflußten Verträgen „das europäische Gleichgewicht als gemeinsames Ziel“ verfolgte. (1942: 76; 1954: 113) Damit ist ein dritter Kernpunkt genannt: das Gleichgewicht der Mächte.108 Abgesehen von Srbiks Metternich-Opus,109 konnte Griewank auf die Arbeiten zum britischen Gesandten Castlereagh von Webster110 zurückgreifen, der seine Zentralfigur

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Charles WEBSTER: The Congress of Vienna 1814-1815 [1919], London 61963. Vgl. Dieter LANGEWIESCHE: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849, München 3 1993, S. 118-120. Vgl. zu Srbiks Metternichbiographie DUCHHARDT: Gleichgewicht, S. 175-179. Vgl. zur Person Helmut REINALTER: Heinrich Ritter von Srbik, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Bd. 8, Göttingen 1982, S. 78-95 und Adam WANDRUSCHKA: Einführung, in: Jürgen KÄMMERER (Hg.): Heinrich Ritter von Srbik. Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912-1945, Boppard 1988, S. XI-XXI. Vgl. die allerdings geradezu hagiographische Dissertation: Josef Michael PATEINER: Die gesamtdeutsche Geschichtsauffassung Heinrich Ritter von Srbiks und ihr Beitrag zur Geschichtstheorie, Wien 1980. Heinrich Ritter von SRBIK: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, München 1924, Bd. 1, S. 317-414. Auf die Metternich-Kontroverse der Vorkriegszeit kann hier nicht eingegangen werden. Viktor Bibl, Srbiks Intimfeind, konnte sich letztlich mit seinem Bild vom „Dämon“ Metternich nicht durchsetzen. Diese seinerzeit durchaus beliebte Position ist völlig wirkungslos geblieben. Historiographisch ist Bibl mit seinen politischen Ausfällen, wonach „das Dollfuß-Schuschnigg-System, das eben das Metternich-System in Reinkultur war“, jedoch sicher untersuchenswert. Vgl. Viktor BIBL: Metternich. Der Dämon Österreichs, Leipzig/Wien 41941, Zitat aus dem Vorwort zur zweiten Auflage 1938, S. 14. Vgl., scharf gegen Bibl, Arnold Oskar MEYER: Der Streit um Metternich, in: HZ 157 (1938), S. 75-84; vgl. auch Griewank hat den System-Ansatz Srbiks bestätigen können, auch wenn er diesem nicht im Detail folgt. Srbik wiederum betont in seinem Forschungsbericht von 1954 die Leistung Griewanks. Vgl. Heinrich Ritte von SRBIK: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, Bd. 3: Quellenveröffentlichungen und Literatur. Eine Auswahlübersicht von 1925-1952, München 1954, S. 64f. Trotz der bis heute beeindruckenden Forschungsleistung muß auf die Defizite der Arbeit Srbiks hingewiesen werden, die neben einer selektiven Quellenauswahl in der großdeutsch-konservativen

4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

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allerdings zur wichtigsten Figur des Kongresses überzeichnete, auf die ebenfalls in ihrer nationalen Konnotation problematischen Arbeiten zu Stein, die diesen zum „Nationalrevolutionär“ gemacht haben111 und auf seine eigenen Vorarbeiten zu Hardenberg. Die drei genannten Eckpunkte: Restauration (monarchisch, antinational und antiliberal), Gleichgewicht (Kräftebalance gegen Hegemonialstreben) und Friedenssicherung (Diplomatisches Geschick der Beteiligten) bestimmen das Bild vom Kongreß und sie bestimmen auch Griewanks Darstellung. Restauration Restauration bedeutete nicht die Wiederherstellung des Alten, was schon die inkonsequente Behandlung des Legitimitätsgrundsatzes deutlich macht. Anstelle einer monarchisch-dynastischen Legitimität tritt die konsensuale Legitimation des Faktischen. Sowohl Napoleon selbst, als auch die Napoleonischen Veränderungen wurden partiell akzeptiert. Die einschneidendste und grundlegendste Veränderung lag dabei im Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, das zudem durch die Kaiserkrönung des Österreichischen Monarchen ein Ende der alten Kaiservorstellung mit sich brachte.112 Restauration als Epochenbegriff bedeutet das Ersetzen des revolutionären durch das monarchische Prinzip, das mit Friedrich von Gentz ein Teilnehmer des Wiener Kongresses theoretisch untermauert hat. Der „Grundsatz der konservativen Staatsrestauration“ (1942: 32; 1954: 57) wurde von Griewank in diesem inhaltlichen Sinne als Epochenbegriff betont. Er zeichnete hier mit unverkennbarer antimonarchischer Tendenz das Bild des bereits zeitgenössisch kritisierten Länderschachers: „Die Volkszugehörigkeit der Bewohner ließ sich zwar manchmal nicht übersehen, wie bei der Rückgewinnung der deutschen Lande am Niederrhein und selbst bei den polnischen Grenzziehungen; sie spielte aber gegenüber den Rücksichten der allgemeinen Staatenmechanik nur eine untergeordnete Rolle“, zwar habe sich „der überspannte Gedanke des legitimen, unverjährbaren Fürstenrechtes“ nicht voll durchgesetzt, aber „mit Ausnahme der Schweiz und der vier Freien Städte Deutschlands bildeten fortan Monarchien das restaurierte Europa“ (1954: 301; ähnlich: 1942: 245). Insbesondere wurde der Deutsche Bund als ein aus Sicht der liberalen und nationalen Denker enttäuschendes Ergebnis dargestellt. Hierzu diente Kapitel 5, in dem der Bedeutungszuwachs Preußens nach der Rückkehr Napoleons beschrieben wurde. Nun war Preußen als Militärmacht am Rhein wichtig geworden und „das Einheitsbewußtsein des deutschen Volkes, das bei der Abschüttelung der Fremdherrschaft in allen Gauen erwacht war“ (1942: 248; 1954: 307) wurde zum politischen Faktor. Griewank, der an dieser Stelle wieder Hardenberg in Schutz nahm und dessen Förderung einer öffentlichen Debatte betonte, beschrieb die sich anschließenden preußischen Bemühungen in spannender Prosa als „Bestreben für den preußischen Staat selbst bessere Grenzen zu gewinnen, [verbunden] mit dem Wunsche, die Gesamtordnung Deutschlands und Preußens führenden Platz darin nach außen und innen zu verbessern.“(1942: 254; 1954: 312) Die folgende Darstellung stellte in einer auf Preußen

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Stilisierung liegt. Vgl. DUCHHARDT, Gleichgewicht; S. 175-179 und – freilich ideologischverzerrend – Karl OBERMANN: Bemerkungen über die bürgerliche Metternich-Forschung, in: ZfG 6 (1958), S. 1327-1342. Charles Kingley WEBSTER: The Foreign Policy of Castlereagh, 2 Bde., London 1925/1931. Vgl. Gerhard RITTER: Stein. Eine politische Biographie, 2 Bde., Stuttgart/Berlin 1931. Vgl. zur Überzeichnung Steins DUCHHARDT: Gleichgewicht, S. 188-190 und CORNELIßEN: Ritter, S. 210-226. Vgl. HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 475-487.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

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zentrierten, Napoleons Herrschaft der Hundert Tage als Invasion („das vom Feinde besetzte Land“ (1942: 281; 1954: 345)) beschreibenden Darstellung die Restauration des Zweiten Pariser Friedens vor allem außenpolitisch dar. Mit dem Kongreß von Aachen 1818 als „Aufrechterhaltung der in Europa geschaffenen Ordnung der Dinge nach konservativen Prinzipien und Grundsätzen des Völkerrechts“ (1942: 291; 1954: 358) wurde die Darstellung abgerundet. „Die Restauration von 1814/15 ließ die Nationen nur als Wechselbegriff für die überkommenen Staaten gelten“(1942: 294), so lautete Griewanks Resümee, das die Restauration vor allem als antinationale Wiederherstellung des Mächtekonzerts und des europäischen Gleichgewichts erkennen läßt. Gleichgewicht113 Die Vorstellung vom guten Gleichgewicht der Kräfte war ein altes Prinzip der klassischen frühneuzeitlichen Diplomatie und hatte sich bereits beim Westfälischen Frieden als tragfähige Grundlage erwiesen (1954: 17). Der Dualismus von Gleichgewicht und Hegemonie bedeutete ohne Zweifel das strukturelle Grundproblem der Geschichte der internationalen Beziehungen in der Neuzeit.114 Gerade durch die napoleonischen Hegemonialbestrebungen sah man sich mit der Problematik verstärkt konfrontiert. Für die im alten Geist ausgebildeten Diplomaten des alten Europas wurde das Festhalten am Gleichgewicht zum wichtigen Grundpfeiler der Europadiskurse.115 Für Großbritannien hatte das Gleichgewicht auf dem Kontinent eine äußere Funktion, mit der Frankreich an einer expansiven Haltung gehindert werden sollte (1942: 13). Castlereagh, dessen diplomatische Erfahrung Griewank skeptisch beurteilte, habe als „Schiedsrichter des Kontinents aufzutreten“ (1954: 135) gelernt. Vor allem schrieb Griewank jedoch Metternich ein ausgeprägtes europäisches Gleichheitsdenken der alten diplomatischen Schule zu; seine Rolle als dominierende Figur des Kongresses stellte er in diesem Kontext klar heraus (1954: 54-57). Die in der späteren Forschung deutlicher gemachten Unterschiede zwischen den Positionen des Ideologen Metternich und des Pragmatikers Castleraegh sind in Griewanks Darstellung angelegt.116 Großen Wert legte er auf eine Skizze der verschiedenen Allianzen und Mächtekonstellationen. Mit der anfänglich zur Kontrolle Frankreichs installierten Quadruppelallianz gewannen das restaurierte Frankreich und sein Vertreter Talleyrand an Bedeutung. Dieser vor allem betonte den grundsätzlichen Charakter der Legitimitäts- und Gleichgewichtsdiskussionen. Die Mächtekonstellation zwischen Österreich, Großbritannien, Rußland, Preußen und Frankreich wurde von Griewank als im Zentrum der Hauptdiskussionen liegend stark betont. Ausgehend von seiner Beschäftigung mit Preußen geraten dabei die Mittel- und Kleinstaaten stellenweise ganz außer Acht.117 Er sprach

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Vgl. Hans FENSKE: Gleichgewicht, Balance, in: Otto BRUNNER/Werner CONZE/Reinhart KOSELLECK (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 959-996, hier 988f. Ludwig DEHIO: Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte [1948], neu hg. von Klaus HILDEBRAND, Zürich 1996. Vgl. hierzu Thomas BECKERS: Abkehr von Preußen. Ludwig Dehio und die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, Aichach 2001, S. 22-32. Vgl. Heinz GOLLWITZER: Europabild und Europagedanke. Beiträge zur deutschen Geistsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts [1951], München 21964, S. 128-138. Vgl. vor allem die vergleichende systematische Studie von KISSINGER: Großmacht Diplomatie. Von seiner Fragestellung her zu Recht kritisiert dies: Michael HUNDT: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß, Mainz 1996, S. 3.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

sogar von den „Liliputstaaten“ (1954: 271), was sicherlich angesichts der neueren Forschung zum Deutschen Bund und seinen „mindermächtigen“ Staaten heute nicht mehr angebracht erscheint. Sein Hauptaugenmerk richtete Griewank jedoch unter dem Gesichtspunkt der Gesamtdarstellung und wegen seiner „preußischen Prägung“ auf die europäische und großstaatliche Perspektive. Als „den wundesten Punkt des ganzen Wiener Stabilisierungswerkes“(1954: 297) benannte Griewank die Nichteinbeziehung der Türkei, ohne jedoch den Fragen des südosteuropäischen Raumes näher nachzugehen. Im Zentrum der Darstellung blieb Mitteleuropa und vor allem die deutsche Frage. „Staatskunst“ und Friedenserhaltung Die Frage, inwiefern die friedenserhaltende Leistung des Kongresses betont werden soll, ist ohne Zweifel der interpretationsabhängigste Punkt einer Bewertung des Wiener Kongresses. Sieht man, wie etwa der DDR-Historiker Karl Obermann, den Wiener Kongreß vor allem als einen Akt monarchischer Reaktion,118 so kann die friedenserhaltende Funktion nur eine untergeordnete Rolle spielen angesichts der Tatsache, daß hier die sozialen Konflikte des 19. Jahrhunderts forciert worden seien. Auch ohne eine marxistische Interpretationsgrundlage kann man in der Gleichgewichtspolitik eine künstliche, antiquierte und letztlich brüchige Konstruktion sehen, die sich nicht stabilisierend, sondern eher verhängnisvoll auf die zukünftige Entwicklung Europas auswirkte. Demgegenüber steht die schlichte Tatsache, daß sich nach den Jahren des Krieges eine langanhaltende Friedensperiode anschloß. Dies betonend wird in der neueren Publizistik die Kongreßordnung einem ungewissen und chaotischen Revolutionsdenken entgegengestellt und Metternich gelegentlich als Friedensmacher dargestellt.119 Laut Rainer Koch „hätte der Wunsch der Deutschen nach Freiheit und Einheit wie ein Sprengsatz in dieser Friedensordnung gewirkt. Metternichs rigide Unterdrückung der nationalen Bewegung fand daher ihre europa- und friedenspolitische Rechtfertigung. Deutsche Teilung [sic], deutsche Unfreiheit war der Preis des europäischen Friedens.“ 120

Griewank hatte, das wurde oben schon ausgeführt, den Kongreß 1942 zum Abschluß seines Buches als ein überkommenes Instrument alter Diplomatie charakterisiert. Dennoch betonte er im gleichen Atemzug die friedenserhaltende Position: „Als ein Werk alterfahrener diplomatischer Technik, als fachmännische Handhabung der Staatenmechanik macht die Neuordnung von 1814/15 ihren Vätern weit mehr Ehre, als das an den unausbleiblichen Einzelkorrekturen haftende Urteil der unmittelbaren Nachwelt es wahr haben wollte: der äußere Frieden wurde unter ihr länger und besser bewahrt als unter irgendeiner Friedensordnung der beiden vorangehenden Jahrhunderte“ (1942: 301).

Den Respekt vor der diplomatischen Leistung durchzog die vorsichtig ausgewogene Darstellung Griewanks ganz eindeutig. Er formulierte ein Plädoyer gegen das Hegemo-

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Karl OBERMANN: Der Wiener Kongreß 1814/15, in: ZfG 13 (1965), S. 474-492. Zu Obermann vgl. Mario KEßLER: Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 197-221 und MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 464f. Franz HERRE: Metternich. Staatsmann des Friedens, Köln 1983. Herre, ein Schüler Franz Schnabels, galt in der Nachkriegszeit als ein Vertreter einer katholisch-konfessionellen Geschichtsschreibung. Vgl. SCHULZE: Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 173f. mit Anm. 43, S. 211, 221. Rainer KOCH: Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas, in: Hans HECKER/Silke SPIELER (Hg.): Die historische Einheit Europas. Ideen, Konzepte, Selbstverständnis Bonn 1994, S. 101-115, hier S. 113. Der Aufsatz ist allerdings rein deskriptiv und unbefriedigend.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

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nialstreben und für eine gleichgewichtsorientierte Friedensordnung in seiner Darstellung, die ja während des deutschen Angriffskrieges entstand. Dies prägte seine Gesamtbewertung ebenso wie eine unbestreitbare Sympathie für eine durch Vernunft und Aufklärung geprägte Geisteshaltung der Beteiligten, die nicht von der Gegnerschaft und Feindschaft des anderen ausging. Den Aspekt, daß man es in Wien vermied, „eine Gruppierung in Sieger und Besiegte“ zu gestalten, betont auch Heinz Durchhardt in seinem wegweisenden Forschungsbericht.121 Auch er sieht deshalb die außerordentlich dauerhafte Friedensordnung als entscheidendes Merkmal des Wiener Kongresses an. Der Wiener Kongreß provozierte immer wieder zu aktuell-politischen Aktualisierungen. Der dadurch aufgemachte Widerspruch zwischen Revolution und Restauration – zwischen Friedenserhaltung und Konfliktverschärfung – erscheint für solche Überlegungen allerdings recht unfruchtbar zu sein. Die Leistungen der Französischen Revolution, des revolutionären Denkens und auch der napoleonischen Politik können heute genauso gewürdigt werden wie die friedenserhaltenden Gleichgewichtsideen. Eine moderne Politik kann nicht, wie Webster noch 1919 dachte, aus den damaligen Strukturproblemen direkte Lehren ziehen. Vielmehr ermöglicht die Kenntnis der Übergangszeit um 1800 die kulturelle Aneignung struktureller Komplexität, die mit dem Übergang in „die Moderne“, in „die bürgerliche Gesellschaft“ oder „das kapitalistische Zeitalter“ beschrieben wurden. Der Wiener Kongreß erscheint so als ein Ereignis des Übergangs. Er wird deshalb in der neueren Forschung unter dem Stichwort der „vermiedenen Kriege“ als friedenserhaltend stabilisierend angesehen, ohne daß diese Einschätzung ideologisch aufgeladen erscheint.122

4.2.3. „[…] in den vergangenen Jahren in mancher Hinsicht hinzugelernt“ – Vergleich der Auflagen von 1942 und 1954 und Bemerkungen zur Rezeption Die erste und die zweite Auflage seines Buches zum Wiener Kongreß erschienen in völlig unterschiedlichen politischen Systemen. Die Verschiedenartigkeit des Titels ist bereits augenfällig: Nicht mehr wie 1942 von der „Neuordnung Europas“, sondern von der „Europäischen Restauration“ war in der zweiten Auflage die Rede. Diese hatte Griewank kurz vor seinem Tod 1953 fertigstellen können, sie erschien 1954 posthum. Obwohl sie als „völlig neubearbeitete Auflage“ gekennzeichnet ist, berichtete Karl Griewanks Bruder von einem „fast unveränderten Neudruck“.123 Karl mußte dem Bruder diese Information übermittelt haben, nachdem er gemerkt hatte, daß er weite Teile des Buchs unverändert lassen konnte. Man kann davon ausgehen, daß es keinerlei äußere Eingriffe oder Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung der Neuauflage gegeben hat, nachdem Griewank zuvor bereits Erfahrungen mit der Ablehnung von Druckmanuskripten hatte machen müssen.124 Im Gegenteil: Im Gegensatz zur Erstauflage, die gleichzeitig eine Qualifizierungsschrift darstellte, war seine Position nun relativ gesichert und unabhängig. Ganz offensichtlich hatte man im Verlag den alten Drucksatz übernommen und Änderungen und neue Worte in ihn eingefügt, weshalb neue Fußnoten, wenn sie nicht zum Schluß eines Kapitels eingefügt wurden, mit etwas irritierenden zusätzlichen

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DUCHHARDT: Gleichgewicht, S. 194-196, Zitat S. 195. WOLFRUM: Krieg und Frieden in der Neuzeit, S. 73-79. Theodor Griewank an die Schriftleitung von „Christ und Welt“, 20.1.1954, in: PrA Griewank. Zu seinen Schwierigkeiten, Forschungsergebnisse zur Revolutionsgeschichte zu publizieren siehe unten Kapitel 6.2.1. Vgl. auch SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

Buchstaben eingeführt wurden.125 Gänzlich neu schrieb Griewank jedoch den Anfang und den Schluß des Buches. Wie sehen die Veränderungen zwischen diesen beiden Auflagen aus? Anhand einiger Beispiele soll dies verdeutlicht werden und dabei die Möglichkeit genutzt werden, auf spezielle Probleme aufmerksam zu machen. Insgesamt wird mit den Änderungen eine Akzentverlagerung deutlich, die der Änderung des Untertitels entspricht. Nicht mehr das Schicksal der Mitte Europas, dessen staatliche Nicht-Einheit unbefriedigendes Ergebnis des Wiener Kongresses blieb, stand im Vordergrund. Von den „völkisch erwachten Räumen Mittel- und Südeuropas“ (1942: 12) war in dieser Terminologie nicht mehr die Rede. Vielmehr wurde die monarchisch-restaurative Struktur des Kongresses stärker betont. Karen Schönwälder, die eine Akzentverschiebung ebenfalls feststellt, beklagt, daß Griewank diese jedoch „nicht selbstkritisch reflektiert“126 habe. Eine kurze Bemerkung befindet sich allerdings dazu im Vorwort der Neuauflage. Griewank betont: „Das Buch hat eine gründliche Überarbeitung erfahren, bei der nicht nur die neuen und die seinerzeit nicht zugänglichen Veröffentlichungen und Forschungsergebnisse verwertet wurden, sondern auch der Text sachlich an vielen Stellen erweitert und verbessert ist. Anlage und Charakter des Werkes im ganzen mußten freilich unverändert bleiben, wenn das Ergebnis der früheren Arbeit noch einmal voll dargeboten werden sollte. Aber der Verfasser bekennt sich freimütig dazu, in den vergangenen Jahren in mancher Hinsicht hinzugelernt zu haben, und hat sich bemüht, durch Erweiterung und Vertiefung von Problemstellungen, an vielen Stellen auch durch noch größere Deutlichkeit und Präzisierung des Ausdrucks und der Darstellungsweise das Buch für den wissenschaftlichen Benutzer ebenso wie für einen weiteren Kreis historisch-politisch interessierter Leser ergiebig zu gestalten“ (1954: 10).

Eine politische Reflexion ist dies nicht. Zwar sind die Veränderungen in der Tat treffend beschrieben, den Kontext des Kriegseinsatzes thematisiert er freilich nicht. Deutlicher als zuvor wird der Wiener Kongreß nun als ein Übergangsphänomen von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft dargestellt, in Griewanks Worten als „Übergang von den sozialen Bindungen der feudalen Gesellschaftsordnung, die im Staate des monarchischen Absolutismus schon eingeschränkt, aber in erstarrten Formen erhalten waren, zu individualistisch-kapitalistischen Verhältnissen des gesellschaftlichen Lebens mit entsprechenden politischen und kulturellen Tendenzen. Mit dem politischen Erwachen bisher passiver oder zurückgedrängter Volksschichten verband sich unlösbar das Bewußtwerden der nationalen Zusammengehörigkeit und Eigenart (1954: 12f.).

Die Verbindung des frühen Nationalismus mit dem Liberalismus, die schon in der ersten Auflage deutlich zum Ausdruck kam, wurde nun präziser gefaßt (1954: 372f.). Die Hinweise auf die „industrielle Revolution“127 (1954: 19, 366; 1942: 297) ordnete Griewank anders an und stellte sie nicht mehr in Verbindung mit „liberaler Ideologie und Demagogie“ (1942: 297). Diese Begrifflichkeit aus dem alten Schlußkapitel wurden nicht nur geändert, sondern zugunsten eines neuen Schlusses komplett gestrichen. Ganz neu gestaltete Griewank ein Kapitel zum Gleichgewichtssystem (1954: 108-117), wobei er ergänzend weitere Informationen über Metternichs Lehrer Christoph Wilhelm Schmidt einfügte, damit klarer herausstellte, daß der Charakter des Gleichgewichtssystems der klassischen Diplomatenschule entsprang. Deutlicher betont wurden die über

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Vgl. etwa die etwas umfangreicheren Einfügungen zum Restaurationsproblem S. 109f mit Anm. 121a und 121b. SCHÖNWÄLDER: Historiker und Politik, S. 368, Anm. 650. Diese stellt heraus Anselm DOERING-MANTEUFFEL: Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871, München 1993, S. 77.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

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den europäischen Rahmen hinausgehenden Probleme. Dies betraf insbesondere die maritime Hegemonie Großbritannien, die in das Muster nicht einbezogen wurde: „‚Europa’ und sein ‚Wohl’, die Wiederherstellung und Erhaltung des ‚sozialen Gebäudes’ und der stetig zueinander geordneten Staatengesellschaft auf dem alten Kontinent war das immer wieder ausgesprochene Leitmotiv des politischen Ringens unter den Besiegern Napoleons in den Jahren 1813 bis 1815 gewesen. Daß die Feststellung der mitteleuropäischen Raum- und Machtverteilung unter aufmerksamster Teilnahme aller Großmächte und unter besonders heftigen Gegnerschaften geschah, hatte seinen wesentlichen Grund in der Bedeutung, die von seiten der Regierenden diesen Fragen für die Gesamtordnung und die ‚Ruhe’ Europas im ganzen beigemessen wurde. [...] Gelegentliche russische Anregungen, die europäische Allianz von 1815 zu einer ‚Weltallianz’ zu erweitern und damit in die maritime Vorherrschaft Englands einzugreifen, blieben ohne Gehör“ (1954: 363f.).

Die hier zum Ausdruck kommende Reflexion über die Europazentriertheit des Kongresses begründete nicht nur die Konzentration der Darstellung auf die Europa- und Mitteleuropadiskurse neu, sondern stellte eine neue globalhistorische Perspektive dar, die Griewank jedoch nur andeutungsweise ausführt, indem er den 1828 erfolgten, „von England anerkannten Abfall der spanischen Kolonien in Südamerika und ihre Umwandlung in selbstständige Verfassungsstaaten mit liberalen und zugleich napoleonischen Formen“ (1954: 378) ebenso wie die Monroe-Dokrin von 1822 in sein Schlußkapitel neu aufnahm. „Die alte europäische Gleichgewichtsmechanik begann sinnlos zu werden, seitdem die wirtschaftliche und politische Aufteilung der außereuropäischen Welt ihre Grenzen erreichte“ (1954: 386). Mit diesem neuen Resümee setzt er einen deutlich neuen Akzent: Nicht eine den nationalen Interessen – bzw. der „völkischen Willenseinheit“(1942: 301) – widersprechende Natur des Kongresses, sondern die wirtschaftliche Globalentwicklung wurde als Grenze gesehen, wobei konkret das gewaltsame Festhalten an einer „schon in den Strudel geschichtlicher Neuentwicklung geratenen Gesellschafts- und Staatenordnung“ (1954: 386) sehr kritisch betrachtet wurde. Außenpolitisch benannte Griewank die Bildung Belgiens 1830 und die Unabhängigkeitsbewegung Griechenlands als Elemente, die das starre System des Wiener Kongresses zum Wanken brachten. Es zeigte sich insbesondere, daß Großbritannien nicht wie Österreich das Gleichgewicht durch eine Repressionspolitik128 zu halten gewillt war. Griewank wies hier auch auf die Bedeutung von Castlereaghs Nachfolger Canning hin, der unter dem Druck der öffentlichen Meinung liberale Positionen und Verfassungsdenken offen unterstützte (1954: 376f.). Der Deutsche Bund als eine „sehr schwache Entsprechung für das in den Befreiungskriegen neuerwachte deutsche Einheitsbewußtsein“ (1954: 370), kam dabei nach wie vor schlecht weg. Die Verbindung des Nationalismus zum Liberalismus wurde wie zuvor betont, aber nun deutlicher herausgearbeitet (1954: 372f.). Daß Griewank eben auch die Nation als Wert erachtete, zeigte sich nicht nur an dieser Stelle. So wie er in der SBZ/DDR für die deutsche Einheit eintrat, spielte die Nation auch vor 1945 und auch während des Krieges in seinem historischen Bewußtsein eine Rolle. So lobte er Hallers nationalistische Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen als großes patriotisches Werk129 und Willy Andreas’ Reformationsgeschichte als Geschichte einer deutschen Zeitenwende und „Bilder deutscher Lebens-

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Den „Anläufen gemeinsamer Repressionspolitik“ (1954: 375) widmet sich Griewank in diesem Kapitel ebenfalls. Karl GRIEWANK: Rez. Johannes Haller: Tausend Jahre deutsch-französischer Beziehungen, Stuttgart 3 1936, in: DLZ 58 (1937), Sp. 1963-1965.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

und Volksgeschichte“.130 Allerdings tat er dies wiederum mit einer gezielt eingestreuten lobenden Bemerkung über den „von Andreas oft herangezogenen Niederländer Huizinga“, obwohl dieser als Gegner des Nationalsozialismus bekannt war.131 Als wichtiges Beispiel soll abschließend die auf dem Wiener Kongreß diskutierte einheitliche Judenemanzipation thematisiert werden. Hardenberg und Humboldt setzten sich bekanntlich dafür ein, die fortschrittlichen Regelungen des preußischen Judenedikts zumindest auf Norddeutschland auszudehnen. Griewank behandelt das Thema in der zweiten Auflage nicht ohne „das Aufkommen eines neuen, vorwiegend kleinbürgerlichen Antisemitismus“ (1954: 284) in späterer Zeit zu erwähnen und mit den ambivalenten Ergebnissen des Kongresses in Beziehung zu setzen. Diese Formulierung fehlt in der ersten Auflage. Interessant ist jedoch, daß der Sachverhalt zwar durchaus sachlich und ohne antisemitische Formeln bereits in der ersten Auflage dargestellt wird, der Schlußsatz jedoch anders lautete: „Die Vermischung mit dem Judentum, die dem Eindringen aller westlichen Ideen in Deutschland so vielfältig Vorschub leistete, war zum Anliegen der europäischen Mächte erklärt und unmittelbar ihrer Einwirkung ausgesetzt worden“ (1942: 230). Ein Satz, der unterschiedlich gelesen werden kann: Da Griewank das Eindringen der westlichen Ideen bis dahin positiv bewertet hatte, lag womöglich sogar eine positive Beurteilung des Judentums zugrunde, die 1942 jedoch so ausgedrückt wurde, daß sie ein nationalsozialistischer Leser in seiner rassistischen Ablehnung gegenüber fremden Mächten und vorgeblichem „jüdischen Einfluß“ anders hat lesen können. Genau in diesem Sinne hat auch sein Gutachter Walter Platzhoff diese Stelle herausgegriffen.132 Gerade der von Griewank betonte Europa-Gedanke war es, der in den Rezensionen zur ersten Auflage aufgenommen und wie selbstverständlich negativ konnotiert wurde, etwa vom Rezensenten des Völkischen Beobachters.133 Es zeigt sich eine dialektische Formulierungsfähigkeit, die sich an manchen Stellen durch die erste Auflage zieht. Wenn etwa vom Liberalismus die Rede ist, so mag dies einem faschistisch denkenden Leser wie ein Schimpfwort vorkommen, de facto enthielt sich Griewank selbst jedoch auffallend einer solchen Wertung. Die politischen Implikationen treten also sehr wohl zu Tage, aber indirekt, so daß das Buch aus „unanfechtbar solider historischer Arbeit entstanden“ eben doch als „ein vorzügliches Beispiel gegenwartsnaher deutscher Wissenschaft“ gelesen werden konnte.134 Dies beruht jedoch auf der Interpretierbarkeit des Wiener Kongresses und der Europavorstellungen. Gerade im Vergleich zu anderen Machwerken der Zeit hält auch die erste Auflage des „Wiener Kongresses“ einer kritischen Analyse aus heutiger Perspektive überwiegend stand. Und die zweite Auflage erfüllte und erfüllt immer noch in seiner kompakten Form eine Lehrbuchfunktion, was nach nunmehr fünfzig Jahren als erstaunlich gelten kann. Anders als Heinrich von Srbiks oder Gerhard Ritters Arbeiten, die man zwar mit Gewinn lesen kann, wenn deren

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DERS.: Deutsche Zeitenwende. [Rez. Willy Andreas: Deutschland vor der Reformation. Eine Zeitenwende, Stuttgart/Berlin 21935], in: Deutsche Zukunft 3 (1935), Nr. 3 vom 20. Januar 1935, S. 18. Vgl. Christoph STRUPP: Johann Huizinga. Geschichtswissenschaft als Kulturgeschichte, Göttingen 2000, S. 39-42. Walter Platzhoff: Gutachten, 22.1.1942, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 24-26, hier Bl. 25. Wilhelm KOPPEN: Rez. Griewank: Wiener Kongreß, in: Völkischer Beobachter Nr. 35 vom 4.2.1943, S. 3. Ähnlich Kurt UTERMANN: Rez. Griewank: Wiener Kongreß und SCHARFF: Die europäischen Großmächte, in: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 7 (1943), S. 545-549, hier S. 546f. Wilhelm TREUE: Rez. Griewank: Wiener Kongreß, in: FBPG 54 (1942/43), S. 415f., hier S. 416.

4.2. Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas

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zeitgebundene Aussagen historiographisch eingeordnet werden, bleibt der Wert von Griewanks „Wiener Kongreß“ bestehen. Nachfolgende Forschungen hatten sich an Griewank zu orientieren bzw. abzusetzen. Heinz Duchhardt ordnete den Wiener Kongreß vergleichend in die Geschichte anderer frühneuzeitlicher Friedenskongresse ein.135 Damit wird überzeugend deutlich, daß hier in Stil und Form traditionelle Kabinettsdiplomatie des 18. Jahrhundert fortgesetzt wurde. Allerdings werden dadurch auch die Besonderheiten klar: Einen „von Rang und Namen der teilnehmenden Staatsspitzen her vergleichbare[n] europäische[n] Kongreß“ vermag Duchhardt in der Frühen Neuzeit nicht zu nennen, statt dessen kann er den Vergleich nur zur KSZE in Helsinki ziehen.136 Die von der angloamerikanischen Forschung ohnehin auch methodisch weiterentwickelten historischen Forschungen zum Themenbereich der Internationalen Beziehungen hat Henry Kissinger mit einer vergleichend-systematischen Analyse zu Castlereagh und Metternich vorangetrieben.137 Kissinger war in vielfacher Hinsicht prädestiniert für eine solche Aufgabe: zum einen durch seine Doppelqualifikation als Historiker und Diplomat, zum anderen jedoch auch durch seine Sprach- und Kulturkenntnisse als Emigrant, die ihn die „Staatskunst“ der österreichischen und britischen Gesandten Metternich und Castleraegh vergleichend betrachten ließen. Die Unterschiedlichkeit der Gleichgewichtsvorstellungen, von Griewank nur angedeutet, wurde durch diese und weitere Studien immer deutlicher. Während es Metternich um die auch innenpolitisch interpretierte Abwehr von Veränderungstendenzen ging, stand die britische Politik weitaus deutlicher unter pragmatischen Vorzeichen und sah das Gleichgewicht primär außenpolitisch, auf jeden Fall flexibel genug, um gewisse Verschiebungen in Kauf zu nehmen. Grundsätzlich wurde der Kongreß inzwischen vielfach eingeordnet unter modernisierungstheoretischen Fragestellungen, die bei Griewank bereits angedeutet wurden. Die Metternichsche Politik wurde so vor dem Hintergrund einer „blockierten Modernisierung“ interpretiert und der „partiellen Modernisierung“ Preußens“ entgegengestellt.138 Große Impulse erhielt die Forschung zum Deutschland des 19. Jahrhundert durch die Abkehr von den Fixpunkten Preußen und Österreich. Die Entdeckung der Rheinbundreformen, des Dritten Deutschlands und der mindermächtigen Staaten steht in diesem Zusammenhang. Während damit Wege beschritten wurden, die Griewank aus seiner doch stärker an den Großmächten orientierten Sicht heraus nicht im Blick hatte, liegt die daraus hervorgehende Neubewertung der preußischen Reformen in seiner Linie. Gerade Hardenberg wird heute positiver gesehen. Seine Rolle auf dem Wiener Kongreß ist jedoch über Griewank hinaus nicht beschrieben worden.139 Die Forschung zum Wiener Kongreß selbst ist vor allem durch Spezialuntersuchungen wie die Berdings zur Ächtung des Sklavenhandels140 oder Magers zu den landständischen Verfassungen141

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DURCHARDT: Gleichgewicht, S. 127-196. Ebd., S. 127. KISSINGER: Großmacht Diplomatie. Vgl. zum Forschungsstand LANGEWIESCHE: Europa, S. 118-130. Habsburg betonend und in den Kontext einordnend vgl. Heinrich LUTZ: Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815-1866 [1985], Berlin 1990. Vgl. zur „Unterschätzung Hardenbergs“ DUCHHARDT: Gleichgewicht, S. 190f.; FEHRENBACH: Vom Ancien Régime, S. 238, meint ohnehin, daß Hardenberg noch keinen Biographen gefunden hat. Eher unbefriedigend Karl Erich BORN: Hardenbergs Pläne und Versuche zur Neuordnung Europas und Deutschlands 1813/15, in: GWU 8 (1957), S. 550-564. Helmut BERDING: Die Ächtung des Sklavenhandels auf dem Wiener Kongreß 1814/15, in: HZ 219 (1974), S. 265-289.

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4. Der Wissenschaftler – Positionen und Interessen

vorangekommen. Wichtiger wurde jedoch die Neubewertung des Deutschen Bundes, dessen Reformpotential als föderatives System heute weitaus höher eingeschätzt wird.142 Griewanks engeres Thema, die Diplomatie des Kongresses, wurde nach dem Ende des Kommunismus und den damit verbundenen Territorialveränderungen geradezu wieder entdeckt.143 Nach dem weltpolitischen Veränderungen der Jahre 1989/90 erschien ein neues Nachdenken über die Außenpolitik und ihre Mühen und Bemühungen – damit auch über die Kongresse und Friedensverhandlungen – wieder auf der Tagesordnung zu stehen.

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Wolfgang MAGER: Das Problem der landständischen Verfassungen auf dem Wiener Kongreß 1814/15, in: HZ 217 (1973), S. 296-346. Als neuesten Forschungsüberblick zum Deutschen Bund vgl. Eckhardt TREICHEL: Einleitung, in: Lothar GALL (Hg.): Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Abt. 1: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813-1830, Bd. 1: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815, München 2000, S. XI-CXXXVII. Die Forschungen wurden vor allen Dingen durch Peter Burg, Helmut Rumpler und Wolf Dieter Gruner vorangetrieben. Vgl. etwa BURG: Wiener Kongreß; Helmut RUMPLER (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815-1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation, Wien 1990; Wolf Dieter GRUNER: Deutschland mitten in Europa. Aspekte und Perspektiven der deutschen Frage in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1992. Desmond SEWARD: Metternich – der erste Europäer. Eine Biographie, Zürich 1993; Klaus HILDEBRAND: Rez. Seward: Metternich, in: HZ 261 (1995), S. 245f.

5.1. Der Weg nach Jena

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5. DER PROFESSOR IN JENA 5.1. DER WEG NACH JENA 5.1.1. Wiederaufnahme des Lehrbetriebs an der Universität Berlin Vier Tage lang – vom 22. bis 25. April 1945 – wurde Karl Griewank (ohne freiwillige Meldung, wie er betont) im „Volkssturm“ eingesetzt, um Berlin zu „verteidigen“.1 Es waren die einzigen vier Tage Militärdienst seines Lebens; sie endeten an dem Tag, als Berlin vollkommen von russischen Truppen eingekesselt war. Sein Vorgesetzter Mentzel war zu diesem Zeitpunkt zusammen mit dem Reichserziehungsminister Rust aus Berlin nach Eutin geflohen.2 Fünf Tage später wehte die Rote Fahne auf dem Reichstag – der Krieg war vorbei, am 8. Mai dann auch offiziell. Es sollte für Griewank ein Lebensabschnitt folgen, der ihm neue persönliche und berufliche Möglichkeiten eröffnete. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus erschien manches in anderem Licht. Griewanks Zurückhaltung zur NS-Ideologie, die Betätigung in der Bekennenden Kirche und der hier und da hinterlassene Eindruck von Aufrichtigkeit und politisch reflektierender Haltung kulminierte im Bild eines NSGegners. Daran jedenfalls bestand bei den Zeitgenossen von Anfang an kein Zweifel. Griewank hatte keinerlei Probleme, die verschiedenen politischen Fragebögen auszufüllen: Er war kein Parteimitglied, kein Antisemit und auch sonst nicht profaschistisch in Erscheinung getreten. In den Personalakten Griewanks finden sich etliche Lebensläufe, Erklärungen und Antworten auf Befragungen, der Vorgang einer Entnazifizierung selbst ist jedoch nicht mehr nachweisbar.3 Es gab kein stringentes Entnazifizierungskonzept der sowjetischen Besatzungsmacht im allgemeinen und erst recht nicht für die „Reinigung“ der Hochschulen.4 Die sowjetischen Behörden hatten in Berlin jedoch bereits am

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UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 46. Vgl. auch Fragebogen in NL Griewank, Karton 1, Mappe 1 „Persönliches“. Dies erfuhr Eduard Spranger am 24.4.1945. Vgl. Eduard SPRANGER: Die Universität Berlin nach Kriegsende, in: DERS.: Hochschule und Gesellschaft, hg. von Walter SACHS, Heidelberg 1973, S. 273-321, hier S. 274. Information Dr. Lichterhandt, Landesarchiv Berlin, 4.4.2002. Zu den Quellenschwierigkeiten der Aufarbeitung der Entnazifizierung an der Berliner Universität vgl. Michael HUBENSTORF/Peter Th. WALTHER: Politische Bedingungen und allgemeine Veränderungen des Berliner Wissenschaftsbetriebes 1920 bis 1950, in: Wolfram FISCHER [u.a.] (Hg.): Exodus von Wissenschaften aus Berlin. Fragestellungen, Ergebnisse, Desiderate. Entwicklungen vor und nach 1933, Berlin/New York 1994, S. 5-100, hier S. 65f. Vgl. auch Hubert LAITKO: Wissenschaftler im Berlin der frühen Nachkriegszeit. Bausteine und Fragestellungen zu einem Soziogramm, in: Rüdiger VOM BRUCH/Brigitte KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 373-392; vgl. zur Entnazifizierung von Wissenschaftlern allgemein: Mitchell G. ASH: Verordnete Umbrüche – Konstruierte Kontinuitäten. Zur Entnazifizierung von Wissenschaftlern und Wissenschaften nach 1945, in: ZfG 43 (1995), S. 903-923; Sylvia PALETSCHEK: Entnazifizierung und Universitätsentwicklung in der Nachkriegszeit am Beispiel der Universität Tübingen, in: VOM BRUCH/KADERAS (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik, S. 393-408. Vgl. allgemein Norman N. NAIMARK: Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1997, hier S. 31; Jan FOITZIK: Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Struktur und Funktion, Berlin 1999, hier S. 140-144; zur Hochschulpolitik

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5. Der Professor in Jena

10. Mai bei der Vergabe der Lebensmittelkarten den Hochschullehrern Schwerstarbeiterkarten zugeteilt, wobei dies auch eine Gelegenheit war, in den zugehörigen Meldebögen deren NSDAP-Mitgliedschaft festzustellen.5 Am 12. Juli 1945 teilte Karl Griewank dem neuen Dekan der Philosophischen Fakultät mit: „Dem von mir eingereichten politischen Fragebogen hatte ich [...] keine weiteren Bemerkungen hinzugefügt in der Annahme, daß meine Sache klar genug liege, da ich durch mein Verhalten und meine Worte Kritik und Ablehnung des Nationalsozialismus immer deutlich genug zum Ausdruck gebracht zu haben glaubte.“6 Wenig später führte er aus: „Ich glaube [...] sagen zu können, daß ich mich äußerlich wie innerlich von einer Bindung an die NSDAP vollkommen freigehalten habe und daß meine ablehnende Haltung gegen sie jederzeit so erkennbar geworden ist, als es mit einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst und an der Universität überhaupt vereinbar war. Dies gilt auch für meine Vorlesungen und Übungen, wofür ich das Zeugnis meiner Hörer anrufen kann, die oftmals meine kritischen Andeutungen verstanden und mit Wohlgefallen aufgenommen haben.“7

Inzwischen waren schon entscheidende Maßnahmen getroffen worden, um den universitären Betrieb wieder aufzunehmen.8 Eduard Spranger wurde zum kommissarischen Rektor der Berliner Universität ernannt. Dieser war nicht nur ein Philosoph und Pädagoge von internationalem Ruf, sondern auch ein dezidiert konservativer, antimarxistischer, weil der idealistischen Philosophie verpflichteter Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik. 1933 hatte er gegen diktatorische Maßnahmen der Nationalsozialisten protestiert, deren Antisemitismus er ebensowenig wie deren antiintellektuelle Tendenz akzeptierte. Wegen seines Kontaktes zum Hitlerattentäter Stauffenberg wurde er 1944 sogar inhaftiert.9 Die bald auftretenden Spannungen zur sowjetischen Besatzungsmacht sind aus der Konstellation heraus zu verstehen. Bezeichnend für die Ambivalenz der unmittelbaren Nachkriegszeit ist jedoch, daß er von den Sowjets eine zeitlang als entscheidender Partner geachtet, von der amerikanischen Besatzungsmacht jedoch sogar verhaftet und eine Woche inhaftiert wurde.

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in der SBZ vgl. Daniel BOHSE/Henrik EBERLE: Entnazifizierung und Elitenaustausch an der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg 1945-1948, in: Hermann-Josef RUPIEPER (Hg.): Beiträge zur Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1502-2002, Halle 2002, S. 498-528; Henrik EBERLE: Umbrüche. Personalpolitik an der Universität Halle 1933 bis 1958, in: Werner BUCHHOLZ (Hg.): Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2004. S. 337-379, hier S. 347f.; Alexandr HARITONOW: Sowjetische Hochschulpolitik in Sachsen 1945–1949, Weimar/Köln/Wien 1995. Vgl. SPRANGER: Universität Berlin, S. 270 und James F. TENT: Freie Universität Berlin 1948-1988. Eine deutsche Hochschule im Zeitgeschehen, Berlin (W) 1988, S. 20. Karl Griewank an Ludwig Deubner (Dekan der Philosophischen Fakultät), 12.7.1945, in: UA HU Berlin, G 383 PA Griewank, Bl. 16. Lebenslauf mit ergänzenden Bemerkungen zum Fragebogen, 19.11.1945, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. Vgl. SPRANGER: Universität Berlin; TENT: Freie Universität und Siegward LÖNNENDONKER: Freie Universität Berlin. Gründung einer politischen Universität, Diss. phil. Berlin (W) 1987, S. 43-110. Die Arbeiten von Tent und Lönnendonker zur FU Berlin enthalten trotz der einschränkenden Titel jeweils umfangreiche Kapitel zur Vorgeschichte der FU seit Kriegsende. Hingegen findet sich sehr wenig zur Frühzeit bei Carlo JORDAN: Kaderschmiede Humboldt-Universität zu Berlin. Aufbegehren, Säuberungen und Militarisierung 1945-1989, Berlin 2001. Der Name Spranger taucht dort gar nicht auf. Seine Einstellung zum Nationalsozialismus ist inzwischen Gegenstand von Forschungen und Kontroversen geworden, auf die hier nicht näher eingegangen zu werden braucht. Vgl. Gerhard MEYER-WILLNER: Eduard Spranger und die Lehrerbildung. Die notwendige Revision eines Mythos, Bad Heilbronn 1986; Uwe HENNING/Achim LESCHNINSKY (Hg.): Enttäuschung und Widerspruch. Die konservative Position Eduard Sprangers im Nationalsozialismus. Analysen, Texte, Dokumente, Weinheim 1991.

5.1. Der Weg nach Jena

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Die erste von Spranger initiierte „Besprechung zur Widereröffnung der Universität“10 fand am 26. Mai 1945 statt.11 An den Diskussionen dieser Spontangruppe um Spranger war Griewank von Anfang an beteiligt. Sie fanden bis zum 4. Juli 1945 insgesamt sechsmal statt.12 Karl Griewank fungierte dabei viermal als Protokollführer. Sprangers Ziel war von Beginn an die Wiedereinrichtung der deutschen Universität alten Stils, „Humboldtscher“ Prägung, Griewanks Ziel eine Lehrtätigkeit an dieser Universität. Nachdem sich zwischenzeitlich im Vorort Nicolaisee eine zweite Gruppe gebildet hatte, die sich im Hause des ehemaligen Generalsekretärs der Kaiser-WilhelmGesellschaft Friedrich Glum traf und sich „Ausschuß zur Erneuerung der Deutschen Hochschule“ nannte, wurden die Bemühungen Sprangers Anfang Juni mit der Anerkennung als kommissarischer Rektor akzeptiert und legitimiert. Am 2. Juni 1945 institutionalisierte man die spontanen Bemühungen durch die offizielle Einrichtung eines „leitenden Ausschusses“ zur Vorbereitung der Wiedereröffnung der Universität. Diesem „Fünfer-Ausschuß“ saß Spranger zunächst vor und hatte in dem KPD-freundlichen Mediziner Theodor Brugsch13 seinen Gegenspieler. Griewank gehörte diesem kleinen Exekutivgremium jedoch mehr an, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird. Inzwischen waren jedoch auch schon eine Reihe organisatorischer Arbeiten geleistet worden, wozu auch die Feststellung über den Verbleib der Universitätsangehörigen zählte und die Zustellung von Fragebögen, mit denen diese nach ihrer politischen Vergangenheit befragt wurden. Diese Befragung sollte eine Grundlage für die Wiedereinstellung bieten. Durch Sprangers Initiative funktionierten bald die Fakultäten wieder. Zur ersten Fakultätsratssitzung der Philosophischen Fakultät, die am 25. Juli 1945 im Gemeindehaus der Evangelischen Gemeinde Berlin-Dahlem stattfand, war Karl Griewank als einziger Teilnehmer ohne Professorentitel eingeladen.14 Er wurde wenig später offiziell zum Vertreter der Nicht-Ordinarien gewählt.15 Am 11. Oktober meldete er sich bei seinem alten Kollegen August Wilhelm Fehling wieder, den er seit Januar 1945 aus dem Auge verloren hatte und nun in Kiel ausfindig machen konnte: „Ich habe mit meiner Frau alles hier in Berlin durchgelebt, und wir sind bisher durch Verteidigung, Eroberung, Mangel und Beschlagnahme-Gefahren ganz gut – ich kann sogar sagen: mit gutem Glück – hindurchgekommen. Wann und wie man jetzt noch im Universitätswesen weiterkommt, ist natür-

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Niederschrift über die Besprechung zur Wiedereröffnung der Universität am 26. Mai 1945, in: BA Koblenz, N 1182 NL Spranger, Nr. 30, Bl. 1-3. In der Literatur (TENT: Freie Universität, S. 21; LÖNNENDONKER: Freie Universität, S. 63) wird immer wieder der Termin 20. Mai 1945 genannt, was auf SPRANGER: Universität Berlin, S. 279 zurückgeht. Es muß sich jedoch um einen schlichten Übertragungsfehler handeln, da bereits auf der kommenden Seite bei Spranger von sechs Sitzungen die Rede ist, von denen die erste am 26. Mai stattfand. Das Protokoll der ersten Sitzung ist jedenfalls auf den 26. Mai datiert. Die Treffen fanden am 26. Mai, 30. Mai, 6. Juni, 13. Juni, 20.Juni und 4. Juli statt. Die Protokolle sind erhalten in: NL Griewank, Karton 1 und BA Koblenz, N 1182 NL Spranger, Nr. 30, Bl. 1-4, 1012, 19-21, 26f, 31f. Theodor BRUGSCH: Arzt seit fünf Jahrzehnten. Autobiographie [1957], Berlin (O) 1986, S. 288f; vgl. auch Jürgen KONERT: Theodor Brugsch. Internist und Politiker, Leipzig 1988, S. 130-133. Vgl. zu Brugsch in: MÜLLER-ENBERGS/WIELGOHS/HOFFMANN (Hg.): Wer war wer, S. 115f.; Andreas MALYCHA: „Produktivkraft Wissenschaft“. Eine dokumentarische Geschichte des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik in der SBZ/DDR 1945-1990, in: Clemens BURRICHTER/Gerald DIESENER (Hg.): Auf dem Weg zur „Produktivkraft Wissenschaft“, Leipzig 2002, S. 39-105, hier S. 57f. mit Anm. 56. UA HU Berlin, Bestand Philosophische Fakultät ab 1945, Nr. 1, Bl. 3-5. Ebd., Bl. 16f.

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5. Der Professor in Jena lich in mancher Hinsicht ungewiß; einstweilen mache ich mit beim Aufbau der Universität Berlin, der sich unter manchen Schwierigkeiten und Verzögerungen unter Sprangers Rektorat vollzieht.“16

Dieser Bericht war bald überholt. Griewank hatte in der entsprechenden Fakultätsratssitzung am 10. Oktober gefehlt, als Spranger vehement gegen die sowjetische Besatzungsmacht auftrat.17 Bald wurde er als kommissarischer Rektor abgesetzt und durch Johannes Stroux ersetzt.18 Spranger sah im Wirken des Magistrats die Arbeit „an der Organisation eines anderen Universitätstypus [...] als wir ihn bisher in Deutschland gekannt haben.“19 Hierin konnten ihm zu diesem Zeitpunkt nicht alle Mitglieder der Fakultät folgen. Vor allem erschien es beruhigend, daß mit dem Altphilologen Stroux wiederum ein Mann „der alten Schule“ ausgewählt wurde, der des Amtes würdig erschien. Stroux war zu diesem Zeitpunkt bereits Präsident der Akademie der Wissenschaften, wo er die schwierige Aufbauarbeit leitete. Er meinte, sich selbst treu zu bleiben und gerade auch die nichtmarxistischen Gelehrten zu repräsentieren. Durch sein hohes Ansehen und Prestige diente er jedoch auch zu einer Art „Nobilitierung“ der einsetzenden marxistisch-leninistischen Wissenschaftspolitik.20 „Wie in etlichen ähnlich gelagerten Fällen während dieser Umbruchzeit schwankt die Einschätzung zwischen ‚nützlicher Idiot’ und ‚geschickter Ressourcen-Instrumentalisierung’“21, resümiert Rüdiger vom Bruch pointiert. Karl Griewank unterhielt offensichtlich gute Verbindungen sowohl zu Spranger als auch zu Stroux. Er gab beide gleichermaßen als Leumund in einem Fragebogen aus dem Winter 1945/46 an.22 Stroux war in der Funktion als Leiter der Akademie inzwischen zum „Vorgesetzten“ des Historikers geworden, der seit Februar 1946 als Herausgeber der „Deutschen Literaturzeitung“ fungierte.23 Innerhalb der Akademie war Stroux stets ein Ansprechpartner und Fürsprecher für ihn. Der im Elsaß geborene Stroux wohnte wie Griewank in Lichterfelde-West, nur eine Straße weiter.24 Er kannte Griewank als DFGMitarbeiter schon seit vielen Jahren und schätzte ihn offensichtlich sehr.25 Als in der Presse der westlichen Sektoren Berlins harte politische Kritik an der Person Stroux’ geäußert wurde, empörte dies Griewank. Er schrieb im November 1946 in einem

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Karl Griewank an August Wilhelm Fehling, 11.10.1945, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. UA HU Berlin, Bestand: Philosophische Fakultät nach 1945, Nr. 1 „Fakultätsratsprotokolle der Fakultät 1.3.1945-26.11.1947“; vgl. dort für das Folgende die Fakultätsratsprotokolle vom 10.10.1945 (Bl. 18f.), 13.10.1945 (Bl. 20), vom 16.10.1945 (Bl. 21) und vom 24. 10.1945 (Bl. 25). Zu Johannes Stroux vgl. Friedrich ZUCKER: Nachruf auf Johannes Stroux, in: Jahrbuch der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin 1954, Berlin (O) 1956, S. 388-392; Altertumsforscher – Wissenschaftsorganisator – Humanist. Zum 100. Geburtstag von Johannes Stroux, Berlin (O) 1985. Zit. nach MASKULAT: Beginn der demokratischen Hochschulreform, 138. Spranger im November 1945 über Stroux: „Der neue Herr, der an beiden Stellen regiert, hat bisher nur Rückenschläge erlebt, z.T. ohne es zu merken.“ Eduard Spranger an Friedrich Meinecke, 11.11.1945, in: Friedrich MEINECKE: Ausgewählter Briefwechsel, hg. von Ludwig DEHIO/Peter CLASSEN, Stuttgart 1962, S. 577. Rüdiger VOM BRUCH: Zwischen Traditionsbezug und Erneuerung. Wissenschaftspolitische Denkmodelle und Weichenstellungen unter alliierter Besatzung 1945-1949, in: Jürgen KOCKA (Hg.): Die Berliner Akademie der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945-1990, Berlin 2002, S. 323, hier S. S. 8. Fragebogen, 19.11.1945 [von Griewank eingeklammert und mit 13.4.1946 ergänzt], in: NL Griewank, Karton 1, Mappe 1 „Persönliches“. Siehe dazu unten Kapitel 5.1.3. Griewank wohnte in der Kommandantenstr. 18, Stroux in der Baseler Str. 43. Bis Kriegende erhielt die Akademie dafür recht hohe Geldbeträge, Karl Griewank (DFG) an Johannes Stroux (AdW), 27.4.1944, in: BA Berlin, BDC, Research Wi, A 0535 Stroux, Johannes.

5.1. Der Weg nach Jena

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Leserbrief an den Berliner Tagesspiegel: Es „kann im Ernst nicht gefolgt werden, die Universität sei eine Parteiuniversität geworden und von der deutschen Kultur abzuschreiben.“ Vielmehr sei Stroux jemand, „der unter schwierigsten Bedingungen, mit vieler Geschicklichkeit und – wie jeder weiss, der ihn kennt – in reinem Interesse für die Wissenschaft und die hohe Aufgabe der Universität den Wiederaufbau derselben zäh verteidigt hat. Professor Stroux ist kein politischer Parteimann“, war sich Griewank sicher.26 Der Leserbrief wurde wohl nicht veröffentlicht. Statt dessen erhielt Griewank eine Antwort des Tagesspiegels, in der der „Vorwurf gegen einen grossen Teil der deutschen Professorenschaft [geäußert wurde], dass sie heute wieder genau das tut, was 1933 geschehen ist. [...] Es ist auffallend, das die Professoren sich in fast allen Fällen gegen die Publizisten wenden, die ihre Pflicht tun.“27 Um den Hintergrund für die Ernennung des politisch aufgeschlossenen, humanistischen Gelehrten und – nach eigenem Verständnis – „unpolitischen“ Philologen Stroux zum Rektor zu verstehen, muß man sich die Hochschulpolitik der Besatzungsmächte in der unmittelbaren Nachkriegszeit vor Augen halten. Bei den Sowjets dominierte die Spannung zwischen einer hohen Achtung vor geistiger Leistung und der deutschen Universität und Kultur einerseits und der Skepsis, die daraus erwuchs, daß die deutschen Intellektuellen am Aufstieg des Nationalsozialismus einen großen Anteil hatten, andererseits. Diese mißtrauische Einstellung legten – biographisch verständlich – vor allem auch deutsche Kommunisten und diejenigen deutschen Wissenschaftler an den Tag, die in der NS-Zeit haben leiden müssen. Dies gilt etwa für den aus Köln stammenden Mathematiker Josef Naas, KPD-Mitglied seit 1932, der als Widerstandskämpfer 1942 politischer KZ-Häftling gewesen war.28 Dieser trat besonders engagiert als kommunistischer Bildungspolitiker hervor, so daß er laut Spranger „als reiner Exponent des Kommunismus im Volksbildungsamt gelten mußte.“29 Von 1946 bis 1959 wurde er als Direktor der Verwaltungschef der Akademie der Wissenschaften. Es wurde früh deutlich, daß die Kommunisten der Wissenschaft eine wichtige Rolle im Gesellschaftssystem zuwiesen. Eine „soziale Privilegierung der Intelligenz“ ist in der SBZ und der Frühzeit der DDR nicht zu übersehen.30 Wissenschaftler wurden gut versorgt, Professorenhäuser nicht beschlagnahmt und der Beginn eines systematischen Aufbaus der relevanten Institutionen organisiert. „Die Professoren haben es ja bekanntlich in der russischen Zone verhältnismässig gut. Namentlich die Sonderverpflegung soll ungewöhnlich günstig sein“31, wußte im März 1948 Otto Becker in Kiel zu berichten.

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Karl Griewank an den Tagesspiegel, 17.11.1946, in: NL Griewank, Karton 1, Mappe 1 „Persönliches“. Tagesspiegel an Karl Griewank, 7.12.1946, in: ebd. Zu Josef Naas (1906-1993) vgl. Gabriele GAST: Bio-bibliographische Angaben, in: Petra BODEN/Rainer ROSENBERG (Hg.): Deutsche Literaturwissenschaft 1945-1965. Fallstudien zu Institutionen, Diskursen, Personen, Berlin 1997, S. 407 und vor allem MALYCHA: „Produktivkraft Wissenschaft“, S. 53 mit Anm. 36. SPRANGER: Universität Berlin, S. 314. Zu den Spitzenverdienern gehörte auch Johannes Stroux. Vgl. Ilko-Sascha KOWALCZUK: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003, S. 348-380, zu Stroux S. 359. Otto Becker an Martin Göhring, 23.3.1948, in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 37, unpag. Becker beriet Göhring in der Frage, ob er einen Ruf nach Greifswald annehmen solle. Bereits zwei Monate später riet Becker seinem Schüler definitiv ab, wegen ungünstiger „Nachrichten, die ich jetzt aus der russischen Zone erhalten habe“. Ein nach Kiel berufener Professor war die Mitnahme des Eigentums verweigert worden. Otto Becker an Martin Göhring, 10.5.1948, in: ebd., Nr. 38, unpag.

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5. Der Professor in Jena

Bei den westlichen Alliierten war diese klare Position anfangs nicht festzustellen, wie etwa die Verhaftung Sprangers durch die Amerikaner illustriert, die obendrein auch sein Haus besetzten und ihm nur die Benutzung eines Kellerraums gestatteten. James Tent resümiert deshalb: „Die Sowjets und ihre deutschen Verbündeten von der KPD und späteren SED starteten mit wohlvorbereiteten Plänen, energischen und kühnen Kadern und, wie man zugeben muß, einem Programm, das ihnen anfangs viele talentierte Anhänger zubrachte, in die Besatzungszeit.“32 Die Strategie war dabei zunächst sehr flexibel. So wie auch bei der Errichtung des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“33 explizit das Bündnis mit bürgerlichen, ja nationalen und konservativen Denkern gesucht wurde, stießen diejenigen Universitätsmitglieder, die zur Kooperation in hochschulpolitischen Fragen bereit waren, auf Entgegenkommen. Wer sogar wie Theodor Brugsch oder mit Abstrichen auch Johannes Stroux mehr oder weniger zur Anhängerschaft der sozialistischen Politik „konvertierte“, wurde besonders hofiert. Im Falle Peter Adolf Thiessens galten sogar nationalsozialistische Verbrechen als „verziehen“.34 Wenige Jahre später stellte dann auch die Integration ehemaliger Nationalsozialisten kein prinzipielles Problem mehr dar.35 Der Geschichtswissenschaft galt in besonderem Maße das Interesse der SBZBehörden. Die Bemühungen um eine Neugestaltung des Geschichtsstudiums und des Geschichtsunterrichts begannen in der SBZ, darauf hat Winfried Schulze hingewiesen, deutlich früher als in den Westzonen.36 Karl Griewank, mit der Erfahrung des Wissenschaftsorganisators, hielt sich bis auf die beschriebene persönliche Parteinahme für Stroux in diesen Grundsatzfragen wohl eher zurück und schien nach allen Seiten ein gutes Einvernehmen gepflegt zu haben. Er bot Naas seine Mitarbeit für öffentliche Vorträge in der Stadt Berlin an.37 Bereits seit ihrer Eröffnung im September 1945 hielt Griewank Vorträge an der Volkshochschule.38 Jeden Dienstag von 20 bis 21.30 Uhr trug er in einer Schule, die sich ganz in der Nähe seiner Wohnung befand, über „Friedensschlüsse und Friedenskongresse in der neueren Geschichte“ vor.39 Diese

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TENT: Freie Universität Berlin, S. 100. Vgl. Magdalena HEIDER: Politik – Kultur – Kulturbund. Zur Gründungs- und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945-1954 in der SBZ/DDR, Köln 1993; vgl. auch Werner MITTENZWEI: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland von 1945 bis 2000, Leipzig 2001, S. 22-37. Auf die Kontroverse um Mittenzweis Buch braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, da sich diese weniger an Aussagen zur Frühzeit der DDR, sondern an der problematischen Binnensicht späterer Zeiten entzündet. Vgl. neben HAMMERSTEIN: Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 125-130 auch Olaf KAPPELT: Braunbuch DDR. Nazis in der DDR, Berlin (W) 1981, S. 386. Kappelt promovierte 1997 zu diesem Thema. Vgl. auch die Verteidigung des DDR-Antifaschismus und Kritik an Kappelt durch Detlef JOSEPH: Nazis in der DDR. Die deutschen Staatsdiener nach 1945 – woher kamen sie?, Berlin 2002. Den Fall Thiessen erwähnt Joseph allerdings erst gar nicht. Vgl. Ralph JESSEN: Akademische Elite und kommunistische Diktatur. Die ostdeutsche Hochschullehrerschaft in der Ulbricht-Ära, Göttingen 1999, S. 301-309. Winfried SCHULZE: Berliner Geschichtswissenschaft in den Nachkriegsjahren, in: Wolfram FISCHER [u.a.] (Hg:): Exodus von Wissenschaften aus Berlin. Fragestellungen, Ergebnisse, Desiderate. Entwicklungen vor und nach 1933, Berlin/New York 1994, S. 184-197., hier S. 189. Vgl. SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 565f. Die feierliche Wiedereröffnung der Volkshochschule des Bezirks Steglitz fand am 15.9.1945 statt Griewank hatte seine Bereitschaft zur Mitarbeit auf eine gezielte Anfrage hin im Juli 1945 erklärt. Alles in: NL Griewank, Karton 18, Mappe „Friedensschlüsse u. Friedenskongresse in der neueren Zeit mit Notizen“. Die Vortragsreihe fand in der Lilienthalschule, Ringstr. 3 in Lichterfelde statt. Erster Termin war der 18.9.1945. Ebd.

5.1. Der Weg nach Jena

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Themenwahl sagt etwas aus über die Haltung Griewanks zum Kriegsende: Für ihn stand der wiedergewonnene Frieden im Vordergrund, den es nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur zu finden galt. Dazu wollte er seinen Beitrag leisten. Griewank konnte hier auf seine Forschungen und Reflexionen, die er im Rahmen seiner Arbeit am Wiener Kongreß betrieben hat, zurückgreifen. Am 29.1.1946 wurde – mit aus Jena ausgeliehenen Talaren – die Universität Berlin feierlich wiedereröffnet, der Lehrbetrieb im Fach Geschichte jedoch zunächst noch nicht erlaubt.40 Wegen der damals noch klaren Direktive, kein NSDAP-Mitglied zuzulassen, bestand ein sichtbarer Bedarf an Lehrenden. Karl Griewank stand zur Verfügung und wurde zunächst als Dozent bestätigt.41 In Berlin, dies hat jetzt IlkoSascha Kowalczuk in vergleichender Perspektive noch einmal herausgestrichen, verlief die „Neukonstituierung der Universität [...] radikaler als an anderen Universitäten, weil de facto alle Anstellungsverhältnisse erloschen und die Universität eine nachgeordnete Behörde darstellte.“42 Damit ist die Unterstellung der Hochschule unter die neugegründete „Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung“43 (DVV) gemeint.44 Für Griewank als nicht fest angestellten Dozenten bedeuteten die strengen Maßnahmen keine Einschränkung, im Gegenteil: Er konnte nun auf eine Dauerlösung drängen. Er wolle jetzt „eine volle, sichtbar anerkannte und auch finanzielle Eingliederung bei der Universität“ erreichen, die ihm auch schon sicher in Aussicht gestellt sei: „Wie der Rektor, Professor Dr. Stroux, mir persönlich mitteilte, hätte er bei den Vorschlägen für die Zusammensetzung des neuen Lehrkörpers der Universität eine Professur für mich eingesetzt, und Prof. Brugsch in der Zentralverwaltung hatte ihm darauf die Erteilung einer Professur ‚mit vollem Lehrauftrag’ an mich zugesagt.“ Es ginge nicht an, daß er „weiterhin in der wissenschaftlichen Laufbahn zurückbleibe, nach dem mir in den vergangenen Jahren manche Aussichten nicht zuletzt dadurch zerschlagen wurden, dass ich dem Nationalsozialismus und seinen Organisationen fernblieb, und es ablehnte, meinen Weg durch politische Protektion zu machen.“ 45

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Vgl. die Tabelle „Die Wiedereröffnung deutscher Universitäten 1945 bis 1947/48“, in: Jürgen JOHN/Volker WAHL/Leni ARNOLD (Hg.): Die Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1945. Dokumente und Festschrift, Rudolstadt/Jena 1998, S. 449-452. Vgl. zum Zulassungsverfahren insgesamt UA HU Berlin, Bestand: Philosophische Fakultät nach 1945, Nr. 8 „Schriftwechsel mit dem Rektorrat 1945/46“, Bl. 25-68. An der Bestätigung Griewanks bestand nie Zweifel. KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 110f. Die DVV wurde zwar schon im Juli 1945 gegründet, der Zentralisierungsprozeß zog sich jedoch bis 1948 hin; vgl. John CONNELLY: The Administration of Higher Education in East Germany, 19451948. Centralization of Confused Competences and Lapse of Denazification into Political Repression, in: Manfred HEINEMANN (Hg.): Zwischen Restauration und Innovation. Bildungsreformen in Ost und West nach 1945, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 13-197. Zur DVV vgl. Helga A. WELSH: Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV), in: BROSZAT/WEBER (Hg.): SBZ-Handbuch, S. 229-238. Auch in der Sowjetischen Besatzungszone standen die Universitäten zu dieser Zeit, als die Länder noch existierten, in der Zuständigkeit der jeweiligen Landesbehörden, die die Entnazifizierung auch sehr unterschiedlich handhabten. In Berlin hätte dies die Unterstellung unter die gemeinsame Verwaltung der vier Siegermächte bedeutet, was von Seiten der sowjetischen Besatzungsbehörden verhindert werden sollte. Deshalb wurde die Wiedereröffnung der Berliner Universität juristisch als Neugründung im sowjetisch besetzten Teil der Stadt organisiert. Mit der Unterstellung unter die DVV und damit unter eine Zentralbehörde der sowjetischen Zone schaffte man gegen vielfachen Widerspruch schnell Fakten. Karl Griewank an Fritz Hartung, 9.4.1946, in: UA HU Berlin, G 383, PA Griewank, Bl. 18. Durchschlag in: NL Griewank, Karton 1, Mappe 1 „Persönliches“.

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5. Der Professor in Jena

Am 16. Mai 1946 wurde Griewank dann zum „Professor mit vollem Lehrauftrag“, also zum außerordentlichen Professor, ernannt.46 Seine feste Mitgliedschaft im Lehrkörper war damit gesichert. Knapp zwei Monate später wußte man in Berlin: Es „besteht die Gefahr, dass Herr Griewank trotz seiner Ernennung zum Professor mit vollem Lehrauftrag die Universität Berlin verlassen wird. Ich mache darauf aufmerksam, dass sein Weggang in den Lehrbetrieb in der Neueren Geschichte eine solche Lücke reissen würde, dass wir unverzüglich an die Neubesetzung der durch den Tod des Prof. Dr. A.O. Meyer erledigten Professur herantreten müssen. Die Ernennung von Herrn Griewank zum ordentlichen Professor in Berlin kommt aber vorerst nicht in Frage.“47

Fritz Hartung, der dies als kommissarischer Dekan der Universitätsleitung mitteilte, hatte zuvor schon auf eine Anfrage aus Marburg wissen lassen, daß Griewank seiner Meinung nach die Professur erhalten habe „nicht eigentlich wegen seiner wissenschaftlichen Verdienste oder gar seiner Lehrtätigkeit, die im Proseminar nach dem Urteil der Studenten recht ledern gewesen ist, sondern weil er eine Berufung nach Jena hat u. wir ihn aus anderen Gründen gern hier behalten möchten.“48 Zu den „anderen Gründen“ zählte wohl vor allem seine Herausgeberschaft bei der Deutschen Literaturzeitung. Es war wohl erneut Hartungs Bild von Griewanks fachlichen Leistungen, die unter anderem einer Ernennung zum ordentlichen Professor in Berlin im Wege stand und nicht nur die Tatsache, daß es sich um eine nach deutscher universitärer Tradition unübliche „Hausberufung“ gehandelt hätte. Als im Wintersemester 1946/47 der Lehrbetrieb auch für das Fach Geschichte wiederzugelassen wurde, war Griewanks Wechsel nach Jena allerdings bereits sicher. Das Berufungsverfahren hatte sich jedoch – darauf wird noch einzugehen sein – bis ins Semester hinein verzögert, weshalb Griewank im Wintersemester 1946/47 noch ein Semester in Berlin lehrte.49 Neben Griewank unterrichteten dort Fritz Rörig, Friedrich Baethgen, Fritz Hartung, Eugen Meyer und sogar der eigentlich längst emeritierte Friedrich Meinecke. Einziger marxistischer Historiker war der Remigrant Alfred Meusel, der auch bald das Dekanat übernahm.50 Er wurde jedoch im Anfangssemester als Professor „für politische und soziale Probleme der Gegenwart“ geführt.51 Griewank bot ein Seminar und gleich zwei

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Ernennung zum „Professor mit vollem Lehrauftrag“ vom 16.5.1946, in: UA HU Berlin, G 383, PA Griewank, Bl. 22. Vgl. SCHLEIER: Berliner Geschichtswissenschaft, S. 215. Fritz Hartung als kommissarischer Dekan an Rektor, 12.7.1946, in: UA HU Berlin, G 383, PA Griewank, Bl. 25. Der bisherige Dekan Ludwig Deubner war am 25.3.1946 verstorben. Fritz Hartung an Edmund Stengel (?), 14.7.1946, in: SBPK Berlin, HA, NL Hartung, Karton 59, Mappe 31. Zur Berliner Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit vgl. LAITKO: Wissenschaftler in Berlin; SPRANGER: Universität Berlin; TENT: Freie Universität; LÖNNENDONKER: Freie Universität Berlin; JORDAN: Kaderschmiede Humboldt-Universität. Aus der DDR-Zeit materialreich Henny MASKOLAT: Der Beginn der demokratischen Hochschulreform an der Berliner Universität in der Periode ihrer Wiedereröffnung 1945/46, Diss. phil. Berlin (O) 1967 (MS); Walter MOHRMANN: Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin von 1945 bis zur Gegenwart. Ein Überblick, Berlin (O) 1980. Aus neuerer Zeit, mit streitbaren Thesen, aber totalitarismustheoretisch überfrachtet: Bernd RABEHL/Mechthild GÜNTHER: Wissenschaft und Universität als Ideologie. Zur Umwandlung und Funktionsweise der Humboldt-Universität als sozialistische Hochschule, in: Klaus SCHROEDER (Hg.): Geschichte und Transformation des SED-Staates. Beiträge und Analysen, Berlin 1994, S. 180210, dort auch weitere Literatur S. 190, Anm. 14. Zu Meusel vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 425f. Vgl. SCHULZE: Berliner Geschichtswissenschaft, S. 193. Vgl. zu Meusel jetzt KEßLER: Exilerfahrung, S. 50-90; Vgl. ferner Horst HAUN: Alfred Meusel, in: HEITZNER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter, S. 149-168; Sabine HERING/Hans-Georg LÜTZENKIRCHEN: „Anders werden“. Die Anfänge der politischen Erwachsenenbildung in der DDR. Gespräche, Berlin 1995, S. 273-275.

5.1. Der Weg nach Jena

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Vorlesungen an.52 Neben der dreistündigen Hauptvorlesung „Allgemeine Geschichte im Zeitalter der Entdeckungen und der Reformation“, die zugleich Pflichtvorlesung für die Studierenden der Pädagogischen Fakultät war, bot er die einzige „publice“-Vorlesung des Fachs an: „Demokratische Ideen und Bewegungen bis zur französischen Revolution“53, auf deren Inhalt an anderer Stelle eingegangen wird.54 Diese Vorlesung hatte er bereits am 4. April 1946 dem Rektor Friedrich Zucker in Jena für den Fall seiner Berufung angekündigt.55 In einem Meldebogen der sowjetischen Behörden gibt er an, das Thema „Der demokratische Gedanke im 16. bis 19. Jahrhundert“ auf „Anregung der deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone“56 zu behandeln. Den Hintergrund stellten Gespräche mit Naas dar, der ihn in der Thematik bestärkte. Weitere Pläne liegen im Bereich seiner bisherigen Forschungsfelder. Er wolle über „Koalitionen und Friedensschlüsse unter den europäischen Staaten seit Beginn der Neuzeit“ und über „Volksbewegungen und staatliche Restauration in Europa 1848-1850“ arbeiten.57 Hierzu erklärte er: „Seit längerem beschäftige ich mich damit, die Darstellung der grossen politischen Bewegungen in Europa und ihrer aussenpolitischen Zusammenhänge auch sozialgeschichtlich tiefer zu begründen. In Fortführung dieser sozialgeschichtlichen wie der allgemeinhistorischen Arbeitsweise bereite ich z.Zt. eine Gesamtdarstellung der europäischen Revolutionen von 1848/50 vor, die in dieser Form in unserer historischen Literatur bisher fehlt.“58

Diese Hinwendung Griewanks zu seinen frühen Themenfeldern der Weimarer Zeit gehört ohne Zweifel zur spannendsten Phase seiner intellektuellen Biographie, die zusammenhängend mit seinen Forschungen zum Revolutionsbegriff behandelt werden soll. An dieser Stelle ist jedoch als bemerkenswert festzuhalten, daß Griewank eine sozialgeschichtliche Öffnung der Geschichtswissenschaft propagierte und diese Entwicklung für konsens- und zukunftsfähig einstufte. Damit lag er jedoch falsch bzw. war seiner Zeit voraus. Innovationen in eine sozialgeschichtliche Richtung erreichten im Westen vor allem Werner Conze und Theodor Schieder, jedoch nicht ohne Hindernisse.59 Maßgeblich blieb hier die traditionelle politische Geschichte in Form eines „politisch-moralisch gezähmten Historismus“60. Im Osten jedoch blieb eine originelle soziologische Methodik rar und dominierte bald eine dogmatische Lesart des Historischen Materialismus. Damit ist jedoch die Trennung der Geschichtswissenschaft in Ost und West vorweggenommen, die 1946 noch fernlag.

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Universität Berlin. Personal- und Vorlesungsverzeichnis. Wintersemester 1946/47, Berlin 1946, S. 36. Vgl. Werner BERTHOLD: Marxistisches Geschichtsbild. Volksfront und antifaschistische Revolution. Zur Vorgeschichte der Geschichtswissenschaft der DDR und zur Konzeption der Geschichte des deutschen Volkes, Berlin (O) 1970, S. 251f., dort auch die Auflistung der anderen Vorlesungen. Griewank hält diese Vorlesung im Sommersemester 1947 noch einmal in Jena. Das Vorlesungsmanuskript trägt den Titel „Entstehung der demokratischen Idee“, NL Griewank, Karton 9. Siehe Kapitel 6.1.3. Dekan Wesle an Thüringer Landesamt für Volksbildung, 20.5.1946, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, BL. 92. UA HU Berlin, Bestand Rektorat nach 1945, Nr. 1 „Wiedereröffnung der Berliner Universität 1946, darin ausschließlich Forschungsarbeiten 1946 (Pläne)“, Bl. 92f. Ebd. Lebenslauf vom 11.2.1945 [recte: 1946], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, BL. 81. Vgl. vor allem ETZEMÜLLER: Werner Conze; ferner auch Jin-Sung CHUN: Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit. Die westdeutsche „Strukturgeschichte“ im Spannungsfeld wissenschaftlicher Innovation 1948-1962, München 2000. Ernst SCHULIN: Zur Restauration und langsamen Weiterentwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, in: DERS.: Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch. Studien zur Entwicklung von Geschichtswissenschaft und historischem Denken, Göttingen 1979, S. 133-143.

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5. Der Professor in Jena

5.1.2. Die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit – Bewahren und Aufbauen Am 2. Dezember 1946 erreichte die Berliner Universität die Anfrage eines Studienrates aus Bad Godesberg, ob die „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ noch existiere.61 Man teilte ihm daraufhin mit, „daß sich die ‚Deutsche Forschungsgemeinschaft’ in Bln-Lichterfelde-W., Kommandantenstr. 18, befindet. Die Leitung hat Herr Prof. Dr. G r i e w a n k .“62 „Griewank ist die DFG“ – so könnte man diese Auskunft auch lesen, denn bei der angegebenen Anschrift handelte es sich um seine Privatadresse. Dort befand sich in der Tat bis zu seiner Berufung nach Jena die „Geschäftsstelle“ der Forschungsgemeinschaft. Das „Haus der Forschung“ in Berlin-Steglitz war unversehrt geblieben und von den Amerikanern deshalb besetzt worden.63 Bereits am 18. Juni 1945 formulierte Griewank einige Gedanken über die Zukunft der Notgemeinschaft.64 Am 1. Juli 1945 wurde er als „vorläufiger Leiter der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften (Deutsche Forschungsgemeinschaft)“ durch die Abteilung Volksbildung des Berliner Magistrats bestätigt.65 In einem frühen Lebenslauf erklärte Griewank in einem gewundenen Schachtelsatz: „Nachdem kurz vor dem Sturz des Hitlerregimes die bisherige Leitung der deutschen Forschungsgemeinschaft die Flucht ergriffen hatte, habe ich eine unabweisbare Aufgabe darin gesehen, als persönlich unbelasteter, zuletzt in den Hintergrund getretener Mitarbeiter der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft die noch vorhandene Substanz an Werten, Material und guten, politisch einwandfreien Arbeitskräften zusammenzuhalten und auf Grund der Sach- und Personalkenntnisse, die ich mir im Laufe der Jahre auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaftsverwaltung erworben habe, unter Heranziehung bewährter alter Mitarbeiter die aus früherer Zeit rühmlich bekannte Institution der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft für den Neuaufbau des wissenschaftlichen Lebens zu erhalten und wieder einsatzfähig zu machen.“66

In der Literatur zur bundesdeutschen DFG macht man es sich recht leicht mit den Berliner Nachkriegsbemühungen, die meist mit wenigen Sätzen abgetan werden oder den vielfachen regionalen Forschungsförderungsprogrammen zugeordnet werden, ehe man auf die 1949 erfolgte Gründung der westdeutschen „Notgemeinschaft“ zu sprechen kommt, aus der die heutige „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ entstand.67 Man folgte einem Diktum Zierolds: „Es lohnt nicht, die Einzelheiten der Berliner Maßnahmen

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Anfrage von Studienrat Dr. E. Hildebrandt (Bad Godesberg), 2.12.1946, in: UA HU Berlin, G 383 PA Griewank, Bl. 28. Alfred Meusel (Dekan) an Studienrat Hildebrandt, 17.12.1946, in: ebd., Bl. 29. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 275. Karl Griewank an Eduard Spranger, 18.6.1945, in: UA HU Berlin, Bestand Rektorat nach 1945, Nr. 54, Bl. 37. Personalfragebogen, 12.4.1946, in: ABBAW Best. AKL Personalia Nr. 657 Wissenschaftliche Mitarbeiter. Lebenslauf mit ergänzenden Bemerkungen zum Fragebogen, 19.11.1945, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. Durchstreichung im Original. Die Gründung erfolgte zunächst unter dem Namen „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften“ im April 1949, die jedoch noch in Konkurrenz zu anderen partikularen Organisationen stand. Im August 1951 erhielt die Organisation den Namen „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ und seine im Grunde noch heute existierende Struktur Vgl. ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 275-306; Thomas STAMM: Zwischen Staat und Selbstverwaltung. Die deutsche Forschung im Wiederaufbau 19451965, Köln 1981, S. 41-140.

5.1. Der Weg nach Jena

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darzustellen und das Hin und Her zu schildern zwischen dem Berliner Magistrat, den Berliner Hochschulen, der Akademie der Wissenschaften, dem Berliner Registerrichter (der verschiedene Notvorstände bestellte), den Besatzungsbehörden und den jeweiligen Vertretern der Forschungsgemeinschaft“68 So hieß es auch bei Thomas Stamm, es sei „in Berlin keine feste Gruppe entschlossener Wissenschaftler aufzuweisen, die in der Lage war, die Kontinuität der Organisation über die deutsche Kapitulation hinüberzuretten und den Kristallisationskern für einen Neuaufbau zu bilden.“69 Hinüberretten und Neuaufbau – diese Ziele galt es nach Griewanks Ansicht zu erreichen. An der Entschlossenheit der Wissenschaftler fehlte es jedoch nicht, denn innerhalb Berlins konnte Griewank die Unterstützung aller wissenschaftlichen Einrichtungen gewinnen.70 Zu seinem Stab gehörte neben einigen Hilfskräften vor allem auch der 1934 aus politischen Gründen aus der DFG verdrängte Karl Stuchtey, der Reputation und Sachkenntnis einbrachte. Im Wiederaufbau der DFG sah Griewank seine Hauptaufgabe in der Nachkriegeszeit noch vor seiner Dozententätigkeit an der Universität. Seinem alten DFG-Kollegen August Wilhelm Fehling informierte er: „Meine – weniger angenehme – Hauptaufgabe besteht aber jetzt darin, aus den Trümmern der Notgemeinschaft das Verbleibende zu leiten und zu retten und daraus wieder eine Organisation zu machen, die beim wissenschaftlichen Aufbau – um dieses immer beliebte Wort zu verwenden – nützlich mitwirken kann.“71 Griewank berichtete von einem gewissen Entgegenkommen der Behörden, aber auch von großen praktischen Schwierigkeiten. Er ging davon aus, daß die Bemühungen von Berlin aus intensiviert werden müssen: „Es kommt ja schließlich alles darauf an, daß wir die Verbindung über die Besatzungsgrenzen hinaus haben und behalten und daß die Notgemeinschaft als gesamtdeutsche Einrichtung sich wieder aufbaut und in dieser Eigenschaft das sonst noch fehlende Band ersetzt. Ohne Zweifel sind die Aussichten für die Arbeit der Universitäten im alten Sinne einstweilen drüben noch besser; aber hier in Berlin laufen doch nach wie vor die Fäden zusammen, und hier wird immer der Platz auch der Notgemeinschaft sein müssen, wenn sie noch etwas zu leisten hat.“72

Fehling wurde zur Vertrauensperson Griewanks in der britischen und amerikanischen Zone. Griewank und Stuchtey nahmen bald auch Kontakt zum hochbetagten Friedrich Schmidt-Ott auf, erklärten ihm, „dass wir weiter eine gesamtdeutsche Gemeinschaft der wissenschaftlichen Körperschaften und nicht nur Verwaltungsstelle einer lokal begrenzten Behörde sein wollen.“73 Aber da Schmidt-Otts Berliner Privathaus von den Amerikanern besetzt war und er 1946/47 für ein Jahr bei Verwandten in der Schweiz blieb, konnte er sie vor Ort nicht beraten.74 Von ihm erhielten sie genausowenig Unterstützung wie von Georg Schreiber, dem Unterstützer der alten Notgemeinschaft aus dem Bereich des politischen Katholizismus. Schreiber engagierte sich in den Westzonen schon bald für eine separate Neugründung der Forschungsgemeinschaft.75

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ZIEROLD: Forschungsförderung, S. 275. STAMM: Zwischen Staat und Selbstverwaltung, S. 109. Besprechung über die Notgemeinschaft mit Vertretern aller Berliner Universitäten und der Akademie, 15.11.1945, in: UA HU Berlin, Bestand Rektorat nach 1945, Nr. 54, Bl. 15. Karl Griewank an August Wilhelm Fehling, 11.10.1945, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. Ebd. Karl Griewank an Friedrich Schmidt-Ott, 10.12.1945, in: GStAPK Berlin, VI. HA, NL Schmidt-Ott, Nr. 35, unpag. SCHMIDT-OTT: Erlebtes, S. 318f. Schmidt-Otts Ehefrau stammte aus Zürich. Vgl. STAMM: Zwischen Staat und Selbstverwaltung, S. 110. Vgl. ferner auch Johannes SPÖRL: Zwischen Wissenschaft und Politik. Festschrift für Georg SCHREIBER, München 1953.

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5. Der Professor in Jena

Die Arbeiten an der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften gestalteten sich insgesamt schwieriger als Griewank es sich vorgestellt hatte. Bereits im Juli 1945 sprach er von einer „Auseinandersetzung mit den Amerikanern über die Deutsche Forschungsgemeinschaft“.76 Es ging darum, daß die Konten gesperrt und die im „Haus der Forschung“ lagernden Materialien als Eigentum des NS-Staates beschlagnahmt wurden. Einen Antrag auf Aufhebung der Beschlagnahmeverfügung stellte Griewank bereits am 16. Juli 1945, die Verhandlungen darüber verliefen aber außerordentlich zäh.77 Die offizielle Anerkennung des Magistrats und damit der sowjetischen Besatzungsmacht wirkte dabei kontraproduktiv. Griewank berichtet deshalb Fehling, er habe sich zunächst nur an „die in der russischen Besatzungszone liegenden Hochschulen“ wenden können, wolle jedoch so schnell wie möglich auch in den anderen Zonen sein Anliegen vorbringen.78 In einem Schreiben an die Rektoren berichtete Griewank, daß die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften „unter der geschäftsführenden Leitung des Unterzeichnenden vorerst mit Unterstützung der im rechtselbischen Deutschland zuständigen Behörden ihre Arbeit aufgenommen [habe]. Selbstverständlich aber wurde hierbei von vornherein das Ziel verfolgt, wieder die wissenschaftliche Arbeit aller deutschen Hochschulen und Institute fördernd zu umfassen, sobald und soweit die Verhältnisse es gestatten, und dabei den Interessen aller Besatzungszonen Deutschlands gleichmäßig gerecht zu werden, wozu Berlin mit seiner interalliierten Besatzung und hier befindlichen interalliierten Behörden gewisse vorzugsweise Handhaben bietet.“79

Daß Berlin ein besonders günstiger Standort für interzonale Beziehungen sei, stellte sich freilich bald als Fehleinschätzung heraus. Erste Maßnahmen wurden jedoch ergriffen, vor allem „die Herstellung eines ‚wer ist wo?’ der Wissenschaft“ und der praktische Aufbau der Organisation. Man wolle jedoch möglichst bald wieder die Forschungs- und Nachwuchsförderung aufnehmen.80 Im April 1946 erhielt die Forschungsgemeinschaft Unterstützung von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, die an alle deutschen Wissenschaftsinstitutionen ein Rundschreiben versandte, daß über die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften und die Einsetzung eines provisorischen Präsidialausschusses informierte.81 Bald jedoch erfuhr man von den Verhandlungen der westdeutschen Rektorenkonferenzen, auf denen die DFG zwar thematisiert, eine gesamtdeutsche Lösung jedoch nicht ins Auge gefaßt wurde, später auch von konkurrierenden Neugründungen.82 Stückweise wurde den Beteiligten klar, „daß man die [Berliner] Notgemeinschaft in Westdeutschland schon 1945 verlorengegeben hatte.“83

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Karl Griewank an Oberstudiendirektor Landsberg, 30.7.45, in: NL Griewank, Karton 18, Mappe „Friedensschlüsse und Friedenskongresse“. „Antrag auf Aufhebung einer Beschlagnahmeverfügung und auf Freigabe eines Teiles des beweglichen Eigentums (chattels) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft)“ an den „Master of quarter beim Military Government”, 16.7.1945, in: BA Koblenz, R 73/2. Karl Griewank an August Wilhelm Fehling, 11.10.1945, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. Karl Griewank an die Rektoren der Universitäten der SBZ, 15.11.1945, in: NL Griewank, Karton 14, Mappe 2 „DFG 1945-1953“; auch in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. Vgl. ebd. Karl Griewank an Friedrich Schmidt-Ott, 11.2.1946, in: GStAPK Berlin, VI. HA, NL Schmidt-Ott, Nr. 35, unpag. Rundschreiben AdW (Stroux), 15.4.1946, in: UA HU Berlin, Bestand Rektorat nach 1945, Nr. 54, Bl. 1f. Der vorläufige Präsidialausschuß bestand aus Hans Stille (Vorsitzender, Geologie), Johannes Stroux (Altphilologie), Robert Rössle (Medizin), Karl Ramsauer (Physik), Erich Siebel (Metallkunde) und Karl Griewank (Geschäftsführer). Zur „Leibniz-Stiftung für Kunst und Wissenschaft“ in Hannover: Karl Griewank an August Wilhelm Fehling, 8.5.1946, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. STAMM: Zwischen Staat und Selbstverwaltung, S. 110.

5.1. Der Weg nach Jena

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Griewank mußte bitter feststellen, daß dennoch „Anfragen wegen alter Verpflichtungen und Zahlungen durchaus ungescheut an uns gerichtet werden“; da jedoch „die alten Bank-. und Postscheckkonten hier gesperrt sind“, wäre eine Lösung nur durch die treuhänderische Verwaltung des DFG-Vermögens, das in den westlichen Zonen nicht abgerufen wurde, möglich.84 Griewank wollte diese Idee bei einem Besuch in den Westzonen voranbringen, stellte jedoch einstweilen in einer „persönlichen Bemerkung“ an Fehling fest: „Vorerst empfinden wir mit einem gewissen Bedauern, wie man im Westen offenbar vielfach geneigt ist, jetzt über den Osten Deutschlands mit seinen anders gearteten Bedingungen hinwegzugehen. Man wird auch dort zweifellos früher oder später erkennen müssen, daß es verfehlt ist, aus dem großen Zusammenbruch Vorteile durch überbetonte partikularistische Haltung zu gewinnen. Hier in Berlin, wo man von vornherein viel unerbittlicher als drüben sich auf den Schutt materieller und politischer Ruinen gestellt sah, wird man doch mehr und mehr überzeugt, daß die Zukunft dieser Stadt mit ihrem Behauptungswillen und ihrer umsichtigen Betriebsamkeit sich nicht umbringen läßt und daß auch West- und Norddeutschland die Unentbehrlichkeit des Ostens und der hier festgehaltenen Einheitsbestrebungen anerkennen werden.“85

Es waren also diese Bedingungen der Besatzungszeit und die mangelnde Akzeptanz der Bemühungen außerhalb Berlins, die einen Aufbau unmöglich machten. Für Griewank endete die Sisyphosarbeit „Neuaufbau der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften“ mit seiner Berufung nach Jena.86 Karl Stuchtey führte nach Griewanks Weggang die Geschäfte weiter, die Geschäftstelle zog nach Dahlem um, befand sich also weiterhin im Westteil der Stadt. An eine besondere Rolle Berlins beim Neuaufbau der Forschungsförderung, wie sie Griewank vorschwebte, war während der Zuspitzung des Kalten Krieges und der Berlin-Blockade, nicht mehr zu denken. Nicht zuletzt konnte nach der Währungsreform mit ihrer Trennung von West- und Ostwährung die Forschungsfinanzierung schwerlich aus einer Kasse erfolgen. Als Stuchtey 1949 dann „die vollendete Gründung einer neuen Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften“87 zur Kenntnis nahm, traf er sich bereitwillig mit deren neuem Geschäftsführer Kurt Zierold und übergab ihm das Berliner Alt-Material. Damit waren die Berliner Bemühungen um eine Wiedereröffnung der DFG beendet. Seit 1951 erhielt die westdeutsche Notgemeinschaft den Namen „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ und legte in ihrer Satzung die Mitgliedschaft der bundesdeutschen Universitäten und der Freien Universität Berlin fest.88 Eine gesamtdeutsche Forschungsförderung war illusorisch geworden, eine auf das Selbstverwaltungsprinzip aufbauende staatlich unabhängige Forschungsförderung in der DDR undenkbar. Die Bemühungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit zeigen jedoch, daß schon lange vor der Währungsreform und deutscher Zweistaatlichkeit das Ziel einer gesamtdeutschen Forschungsförderung aus den Augen verloren wurde.

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Karl Griewank an August Wilhelm Fehling, 31.1.1946, in: BA Koblenz, B 227/3, unpag. Ebd. „Wenn ich fortgehe, wird Professor Stuchtey unsere gemeinsame Angelegenheit hier weiterführen“, Karl Griewank an August Wilhelm Fehling, 7.8.1946, in: ebd. Karl Stuchtey an August Wilhelm Fehling, 23.3.1949, in: ebd. Satzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 15.8.1951, in: BA Koblenz, B 227/2. Vgl. Wolfgang TREUE: Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, in: Rüdiger VOM BRUCH/Rainer A. MÜLLER (Hg.): Formen außerstaatlicher Wissenschaftsförderung im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Stuttgart 1990, S. 139-152. Treue wurde gleichsam „Griewanks eigentlicher Nachfolger“, nämlich Referent für Geisteswissenschaften.

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5. Der Professor in Jena

5.1.3. Die „Deutsche Literaturzeitung“ – Eine berufliche Möglichkeit Ein weiteres Arbeitsfeld nahm Griewank in der Nachkriegszeit sehr stark in Anspruch: Seit Februar 1946 war er Herausgeber der „Deutschen Literaturzeitung“, eines seit 1879 bestehenden Rezensionsorgans, das gemeinsam von den Akademien der Wissenschaften aus Berlin, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, München, seit 1952 auch wieder der aus Wien herausgegeben wurde. Die DLZ erschien in der Regel monatlich und brachte jeweils ca. 10 bis 20 längere Rezensionen, fast ausschließlich aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich. Mit dem Untertitel „Organ für Kritik der internationalen Wissenschaft“ versehen, wurden ausdrücklich auch internationale Bücher rezensiert. Es gelang unter Griewanks Herausgeberschaft, 1947 die DLZ wieder erscheinen zu lassen und zwar erneut als Organ der verschiedenen deutschsprachigen Akademien. Die Zeitschrift übernahm hier zunächst eine Brückenfunktion; später allerdings wurde die DLZ zu einem ausschließlichen „Organ der Akademie der Wissenschaften der DDR“.89 Die Herausgebertätigkeit, die im Nachhinein wie ein zusätzliches fakultatives Betätigungsfeld erscheinen mag, bedeutete für Griewank 1946 vor allem auch eine ganz konkrete Möglichkeit zukünftiger hauptamtlicher Beschäftigung. Denn üblicherweise war mit der Tätigkeit eine voll dotierte Akademieanstellung verbunden, zudem meist mit einer Professur kombiniert. Der letzte Herausgeber im Nationalsozialismus, der Germanist Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert – seit 1935 Herausgeber der DLZ – fungierte als „Wissenschaftlicher Beamter und Professor bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften“.90 Bereits 1941 hatte Griewank davon gehört, daß er für die Leitung der Deutschen Literaturzeitung bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Gespräch sei: „Verschiedene Akademiker würden mich gerne haben, aber die Sache ist noch zu sehr im Anfangsstadium, um zu erkennen, ob sich auch Widerstände und wo zeigen.“91 Es kam bekanntlich nicht dazu. Bemerkenswert ist auch hier eine gewisse Kontinuität über den Systembruch hinweg und mithin nicht ganz verwunderlich, daß Griewanks Name bereits 1945 wieder im Gespräch war. Am 7. Mai 1944 war das Erscheinen der DLZ eingestellt worden.92 Der Neuanfang der Zeitung begann mit einem Bericht der verbliebenen Mitarbeiter vom 1. August 1945 an die Leitung der Akademie: Die Kriegsverluste hielten sich in Grenzen, ein fertiges Heft existiere bereits und sei bei der bisherigen Druckerei.93 Dieses zu drucken kam jedoch genausowenig in Frage wie das Redaktionskollegium beizubehalten. Deshalb lud Johannes Stroux für den 23. Oktober 1945 eine „Kommission für die DeutscheLiteratur-Zeitung“94 ein. Bereits in dieser ersten Sitzung nannte er „als geeigneten Nachfolger des bisherigen Schriftleiters den Dozenten an der Universität Dr. Karl Griewank, der eine sehr gute allgemein wissenschaftliche Bildung und auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit in der Deutschen Forschungsgemeinschaft auch eine umfassende Personalkunde besitze.“ Bedenken, Griewank habe zu wenig Autorität, wurden

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Vgl. Werner HARTKE/Conrad GRAU/Einhard EICKHOFF: Die DLZ im 100. Jahrgang. Zu ihrer Gründung und Geschichte, in: DLZ 100 (1979), Sp. 601-609, hier Sp. 609. KÜRSCHNER 1940/41, Bd. 2, Sp. 1072f. Karl Griewank an Willy Andreas, 20.10.1941, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 843, unpag. Verlage und Herausgeberschaft der DLZ, masch. Übersicht, undat., in: ABBAW Berlin, Bestand AKL, Nr. 211, [Bl. 1-5]. Bericht über die Deutsche Literaturzeitung, 1.8.1945, in: ebd. Anwesend Stroux (Vorsitzender), Diels, R. Hartmann, Schirmer, Vasmer, Stille, N. Hartmann, Baethgen, Schadewaldt, Scheel. Protokoll, 23.10.1945, in: ebd.

5.1. Der Weg nach Jena

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diskutiert, man einigte sich jedoch darauf, Griewank die Aufgabe anzutragen und ihm nach Ablauf einer Probezeit eine Dauerstellung als denkbar in Aussicht zu stellen. In der folgenden Sitzung der Kommission am 8. Februar 1946 war Griewank dann anwesend und „erklärte sich bereit, das Amt zu übernehmen, wünscht jedoch, falls er nicht an der Universität eine hauptamtliche Stelle erhält, daß die Akademie ihn in einer früheren Schriftleitern gleichartige Stelle übernimmt, damit er die genügende Autorität besitzt.“95 Griewank begann sofort mit der Arbeit. Auf der kommenden „Gesamtsitzung“ der Akademie eine Woche später berichtete Fritz Hartung über die Tätigkeitsübernahme durch Griewank. Im Protokoll wurde notiert „Es soll für ihn, wenn möglich eine Stelle als wissenschaftlicher Beamter und Professor freigehalten werden.“96 Die Frage blieb also noch offen. Ursprünglich sollte Griewank auch die Zeitschrift „Forschungen und Fortschritte“ wieder aktivieren. Im April 1946 legte er einen zehnseitigen „Bericht über die Zeitschriften ‚Deutsche Literaturzeitung’ (DLZ) und ‚Forschungen und Fortschritte’ (FF)“ vor. Er referierte darin die außergewöhnliche Situation, die dadurch entstanden sei, daß die Publikationen der letzten Jahre, insbesondere auch die ausländischen, zunächst einmal bekannt gemacht werden müßten. Weiterhin berichtete er, daß rund 100 Besprechungen vorlägen, von denen nur „ein Teil (etwa ein Drittel) ohne wesentliche Änderungen und ohne sachliche und persönliche Bedenken noch verwandt werden könnte“, einige weitere seien durch „gewisse Umarbeitung“ noch „aufnahmefähig“ zu machen, der Fundus reiche jedoch nicht aus. Griewanks Entwurf umfaßte von der grundsätzlichen inhaltlichen Linie97 bis zu technischen Fragen der Drucklegung alles Wesentliche. Die Kommission sah deshalb die Aufgabe in guten Händen. Die „Forschungen und Fortschritte“ wurden bald als eigenständiges Projekt geführt98 und für die DLZ klare Strukturen geschaffen: Es wurde ein Redaktionskollegium ins Leben gerufen und als Akademiemitglied verantwortlich zeichnete Johannes Stroux, der damit Griewanks direkter Vorgesetzter wurde.99 Die Tätigkeit selbst begann zunächst mit einem umfangreichen und mühsamen Briefwechsel mit Verlagen und möglichen Rezensenten. Im Oktober 1947 war es dann endlich soweit, und das erste Heft konnte erscheinen.100 Griewank befand sich freilich zu diesem Zeitpunkt schon in Jena. Die Herausgeberschaft der DLZ behielt er dennoch bis zu seinem Tod und von Jena aus reiste er auch regelmäßig nach Berlin, um die Geschäfte zu erledigen. Allerdings konnte er diese nicht alleine führen, weshalb vom ersten Heft an zwei Herausgeber benannt wurden: Griewanks Partner war zunächst der Bibliotheksdirektor Joris Vorstius, später dann der

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Protokoll über die Sitzung der Kommission für die DLZ, 8.2.1946, in: ebd. Auszug aus dem Protokoll der Gesamtsitzung vom 14.2.1946, in: ebd. Er plädierte für eher referierende Besprechungen statt „dem persönlichen Streitbedürfnis oder Geltungsdrang“ nachzugeben; es ginge nun vor allem darum, weitgehend unzugängliche Literatur bekannt zu machen. Hier waren zuvor vor allen Dingen die rechtlichen Voraussetzungen zu klären, da der verstorbene Herausgeber Karl Kerkhof die Zeitschrift als Privatangelegenheit betrachtete und testamentarisch vererbte. Griewank war an diesem Klärungsprozeß beteiligt, stellte unter anderem aus den Akten der DFG die Rechtslage dar, ehe er die Verantwortung abgeben konnte, vgl. Stellungnahmen Griewanks, 9.10.1945, 15.11.1946, in: ABBAW Berlin, Bestand AKL, Nr. 182. Vgl. Jahrbuch der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin 1946/49, Berlin (O) 1950, S. 39; DASS. 1950-1951, Berlin (O) 1951, S. 41f; DASS. 1952-1953, Berlin (O) 1955, S. 190. Es handelte sich um ein Doppelheft „66. bis 68. Jahrg. 1945/47, H. 1/2, Oktober/November 1947. Rezensenten des ersten Heftes waren z.B. Martin Dibelius, Friedrich Baethgen, Max Vasmer oder Walter Goetz.

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5. Der Professor in Jena

Theologe Kurt Aland.101 Durch die Berufung nach Jena wurde die Herausgebertätigkeit jedoch zur nebenamtlichen Beschäftigung. Gleichwohl widmete er sich der Herausgeberschaft dieser wichtigen Rezensionszeitschrift durchaus sehr engagiert. Die eingegangenen Rezensionen bearbeitete er penibel.102 Beispielsweise erhielt er – ausgerechnet von seinem Doktorvater Willy Andreas – ein Manuskript über Werner Kaegis Burckhardt-Biographie, das neben weiteren erbbiologischen Ausführungen das Wort „Bluterbe“, ein „doch sehr problematischer Begriff“, wie Griewank meinte, enthielt. „Gedanken haben mir zunächst, offen gestanden noch die erbbiologischen Andeutungen auf Seite 5 gemacht. Man ist in allen Dingen, die Rasse und Erbbiologie betreffen, hierzulande besonders empfindlich, und in der Tat wird ja auch nur zu leicht mit diesen Dingen ein Mißbrauch getrieben, der wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen ist. Ich habe, wie ich es in solchen Fällen zu tun pflege, das Manuskript einige Tage liegen lassen und wieder vorgenommen und festgestellt, daß Ihre Ausführungen zu ernsthaften Bedenken keinen Anlaß geben.“103

Der Bluterbe-Begriff stammte nämlich von Kaegi und ließ sich durch Anführungsstriche als Zitat kenntlich machen. Freundlich, aber bestimmt, forderte er Andreas zudem zu einer Bearbeitung im Sinne weiterer erklärender Relativierungen auf. Könne er eine solche einfügen, „so würde ich das zur Vermeidung von Mißverständnissen begrüßen.“104 Die DLZ spielte durch ihre verbindende Funktion zwischen den beteiligten Akademien in der Nachkriegszeit eine besondere Rolle, die sich auch im Profil der Zeitung niederschlug. Die weitaus meisten besprochenen Bücher und auch die Rezensenten stammten aus Westdeutschland oder dem Ausland. Angesichts der – zur Zeit auch intensiv erforschten – sukzessiven Veränderung der Akademie hin zu einer sozialistischen Forschungsanstalt105 mußte dies zu Konflikten führen. So beschwerte sich im Mai 1951 die SED-Betriebsgruppe des Akademie-Verlages.106 Man habe aus Verantwortung dafür, was im Verlag gedruckt werde, die Besprechungen der DLZ ausgewertet. Es folgte eine detaillierte Auflistung der Herkunft von besprochenen Büchern und Autoren. Im Ergebnis stellte man fest, daß fast nur Nichtmarxisten in der DLZ publizierten, die meisten davon aus der Bundesrepublik. Dies sei ein Alarmsignal und man müsse dagegen etwas tun. Allerdings zeigte diese Beschwerde keine erkennbare Wirkung.

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Zu Aland vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 101f. Beispiele in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 3 „DLZ“. Karl Griewank an Willy Andreas, 5.7.1949, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Ebd. Andreas kam Griewank entgegen. Vgl. Willy ANDREAS: Rez. Werner Kaegi: Jacob Burckhardt, in: DLZ 70 (1949), Sp. 463-474, hier Sp. 466. Vgl. vor allem Jürgen KOCKA (Hg.): Die Akademien der Wissenschaften zu Berlin im geteilten Deutschland 1945-1990, Berlin 2002; Ralph JESSEN: Akademie, Universitäten und „Wissenschaft als Beruf“, in: ebd., S. 95-113; Peter NÖTZOLDT: Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Gesellschaft und Politik. Gelehrtengesellschaft und Großorganisation außeruniversitärer Forschung 1946-1972, in: ebd., S. 39-80; DERS.: Der Weg zur „sozialistischen Forschungsakademie“. Der Wandel des Akademiegedankens zwischen 1945 und 1968 in: Dieter HOFFMANN/Kristie MACRAKIS (Hg.): Naturwissenschaft und Technik in der DDR, Berlin 1997, S. 125-146; DERS.: Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin – Innovation oder Mogelpackung?, in: BURRICHTER/DIESENER (Hg.): Auf dem Weg zur „Produktivkraft Wissenschaft“, S. 141-163, dort S. 145 auch eine kurze Erwähnung der DLZ als einer „angesehene[n] Zeitschrift“, die „gute Publikationsmöglichkeiten“ böte. Welche und für wen wird nicht angegeben. Vgl. ferner auch aus der Binnensicht Werner SCHELER: Von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zur Akademie der Wissenschaften der DDR. Abriss der Genese und Transformation der Akademie, Berlin 2000. SED-Betriebsgruppe des Akademie-Verlages an SED-Betriebsgruppe der AdW, 10.5.1951, in: ABBAW Berlin, Bestand AKL, Nr. 211.

5.1. Der Weg nach Jena

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Schließlich wurde die DLZ von Johannes Stroux, dem Vizepräsidenten der Akademie, gestützt und zudem ließ sich die DLZ gegen Devisen verkaufen. Erst 1953 wurde die Lage ernster. Am 11. März erschien Griewanks Kollege, der Mitherausgeber Kurt Aland nicht mehr zum Dienst.107 Keiner wußte, ob Aland noch einmal wiederkommen würde. Angesichts des zunehmenden Drucks und der schlechteren Rahmenbedingungen innerhalb der Akademie war es kein Wunder, daß die Mitarbeiterin Cordula Lichtwer, eine Absolventin aus Jena, am 4. Mai die DDR verließ.108 Aland blieb ziemlich genau zwei Monate in Haft, das Mittel der kurzfristigen Inhaftierung diente bekanntlich als Druckmittel stalinistischer Politik, um Unsicherheit und Angst zu schüren.109 Aland, der ohnehin schon im Dritten Reich Erfahrungen mit der Gestapo machen mußte, geriet 1958 später noch einmal in Halle in „Säuberungsaktionen“ im Zusammenhang mit der Zerschlagung des „Spiritus-Kreises“ und verließ erst daraufhin dann endgültig die DDR.110 Während der Zeit der Verhaftung Alands 1953 kamen auf Griewank natürlich verstärkt Aufgaben zu. Zugleich wurde „das verhältnismäßig geringfügige Honorar, das ich für meine Tätigkeit als Herausgeber der Deutschen Literaturzeitung bezogen habe, schon seit dem 1. Januar stillschweigend nicht mehr gezahlt“.111 Griewank machte geltend, daß er ja durchaus Unkosten habe und „die entsprechenden Mittel im Etat der Literaturzeitung bereitgestellt waren“. Er schlußfolgerte deshalb: „so muß ich angesichts meiner fortdauernden und verstärkten Tätigkeit mit dem Amte des Herausgebers einen ausdrücklichen Mißtrauensbeweis darin sehen“.112 Nur mühsam konnte diese Angelegenheit geklärt werden. Inzwischen hatte Johannes Irmscher, der Referent für Geisteswissenschaften, eine interne Diskussion über die DLZ losgetreten, die sich zwar nicht gegen Griewank als Person richtete, diesen aber unter verstärkte Kontrolle stellen sollte.113 Irmschers Beschwerde war in der Zeit der Abwesenheit Alands formuliert und ging davon aus, daß dieser nicht mehr wiederkäme und durch einen Marxisten ersetzt werden könne. Konkret forderte Irmscher, die DLZ müsse, wenn sie wirklich ein „Organ für Kritik der internationalen Wissenschaft“ sein wolle, einen „fortschrittlichen“ Wissenschaftsbegriff anwenden und eine „solche, den wissenschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragende Umgestaltung“ erfahren. Unter anderem sollten SED-Mitglieder zum Schreiben der Rezensionen herangezogen werden, die diese Tätigkeit als Parteiauftrag zu verstehen hätten. Irmscher wurde später immerhin einer der bekanntesten Altertumswissenschafter

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Er sei „wegen Verdachts auf Rauschgiftgenuß in polizeilichen Gewahrsam genommen worden“. Bereits am nächsten Tag erfolgte die Weisung, „daß sämtliche Bezüge des Obengenannten bis auf weiteres gesperrt werden.“ ABBAW, VA-PA Prof. Dr. Aland, K, Bl. 28f. Lichtwer war Historikerin, eine Absolventin aus Jena, die beim Mediävisten Friedrich Schneider ihre Abschlußarbeit geschrieben hatte; Aktennotiz 4.5.1953, in: ABBAW, VA-PA Dr. Lichtwer, C. Aktennotiz 12.5.53, daß Aland seine Tätigkeit wieder aufgenommen hat; ebd. Bl. 30. Das Muster ähnelt der Verhaftung von Otfried Horn. Siehe dazu unten Kapitel 5.5.4. Vgl. GROßBÖLTING, SED-Diktatur und Gesellschaft, S. 452. Karl Griewank an Direktor der AdW, 18.6.1953, in: ABBAW, Bestand AKL Personalia, Nr. 657 PA Griewank. Ebd. Johannes Irmscher (Referent für Gesellschaftswissenschaft) an Josef Naas (Direktor), 26.3.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand AKL, Gesellschaftswissenschaftliche Einrichtungen, Nr. 211/1, unpag. Vgl. auch MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 310f.

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5. Der Professor in Jena

der DDR und gilt fälschlich vielfach als ein „Bürgerlicher“; seine umfangreiche Tätigkeit als Stasi-Spitzel wurde erst in letzter Zeit bekannt.114 Die Angriffe, denen Griewank in seiner Tätigkeit an der Akademie ausgesetzt war, sind nur ein Element jener Attacken gegen „bürgerliche“ und „gesamtdeutsche“, „objektivistische“ Wissenschaftler, die im Laufe dieser Arbeit als Konflikte zu beschreiben sind.115 Griewank hatte auf allen Ebenen mit Repressalien zu kämpfen. 1953 hatten sich die politisch-klimatischen Rahmenbedingungen für die Arbeit an der „Deutschen Literaturzeitung“ also massiv verschlechtert. Begonnen hatte Griewank 1945/46 seine Tätigkeit jedoch mit der Perspektive, daß sich für ihn dadurch eine berufliche Chance eröffnen könnte, bestand doch die Aussicht, eine renommierte und auch international rezipierte Zeitschrift herausgeben zu können. 5.1.4. Neuanfang – Die Berufung nach Jena Im Laufe des Jahres 1946, noch vor der Wiederzulassung des Fachs Geschichte, erreichten Karl Griewank Schreiben aus Rostock, Greifswald und Jena, in denen ihm jeweils Berufungen auf Lehrstühle in Aussicht gestellt wurden.116 In Rostock und Greifswald stand die Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg auf schwachem Fundament. Sie konnte in Rostock dann auch gar nicht wieder eingerichtet werden und wurde in Greifswald nur durch Adolf Hofmeister als einzigem Historiker in kleinem Umfang gewährleistet.117 Zur Greifswalder Berufung war im übrigen offensichtlich Willy Andreas um Rat gefragt worden, was als geradezu kurios gelten muß.118 Da Andreas inzwischen als politisch belastet unter massiven Druck geraten war, blieb der einst beliebte Gutachter nun meist ungefragt – was ihn natürlich nicht hinderte, sich inoffiziell einzumischen. Im Februar 1946 jedenfalls gibt Andreas ein Gutachten ab, indem er in gewohnter Manier Karl Griewank in den höchsten Tönen lobte und dabei als die zur Zeit am einfachsten zu realisierende Lösung vorschlug. Ein entscheidender Unterschied zu den Gutachten der NS-Zeit lag in dem Satz: „Griewank ist Demokrat und hat als solcher bei mir begonnen“119. Zwar schien Griewank vor allem die Rostokker Offerte nicht ganz ausschlagen zu wollen und schrieb mit Hinweis auf seine Mecklenburgische Heimat durchaus wohlwollend zurück, die Präferenz für Jena wurde jedoch bald deutlich. Das Angebot aus Jena stellte im Grunde kein Neuanfang, sondern ein direktes Anknüpfen an die Liste von 1944 dar. Man erklärte dem Thüringischen Volksbildungsministerium in Weimar: „Griewank stand schon auf unserer ersten Vorschlagsliste. Leider sind die Berufungsakten mit zahlreichen Gutachten namhafter Historiker bei den Bombenangriffen im Februar-März 45 vernich-

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Isolde STARK: Die inoffizielle Tätigkeit von Johannes Irmscher für die Staatssicherheit der DDR, in: Hermann-Josef RUPIEPER (Hg.): Hallische Beiträge zur Zeitgeschichte, H. 5, Halle 1998, S. 46-71. Siehe unten Kapitel 5.4. und 5.5. Anfrage Greifswald: Dekan Gunther Jacobs an Karl Griewank, 6.6.1946, Antwort (Absage), 22.6.1946, in: NL Griewank, Karton 1, Mappe 1. Vgl. auch Griewanks Briefwechsel mit Adolf Hofmeister: Griewank an Hofmeister: 18.10.1946, 1.11.1946; Hofmeister an Griewank, 26.9.1946, 22.10.1946, alles ebd. Jedenfalls kann es sich bei einer Stellungnahme Andreas zur Nachfolge Pauls vom 14.2.1946 nur um ein Gutachten für die durch Johannes Paul freigewordene Greifswalder Stelle handeln. Gutachten Willy Andreas zur Berufung Greifswald, 14.2.1946, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag. Gutachten Willy Andreas, 14.2.1946, in: ebd., Nr. 750, unpag. Vgl. auch oben S. 125, Anm. 263.

5.1. Der Weg nach Jena

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tet worden. Aus den Gutachten ging hervor, daß Dr. Griewank als eine hervorragende wissenschaftliche Kraft zu betrachten ist. Neben zahlreichen anderen Schriften hat er 1942 ein Buch ‚Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas 1814/15’ veröffentlicht, das als eine der besten historischen Leistungen der letzten Jahre bewertet wird. Griewank verbindet strengste wissenschaftliche Methode, die mit Vorliebe unmittelbar aus den Akten und Urkunden der Archive schöpft, mit dem weiten Blick für das Ganze der historischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhänge und beschränkt sich dabei nicht auf Deutsche Geschichte, sondern sieht sie stets als ein Teil gesamteuropäischer Vorgänge. Daraus geht nicht zuletzt hervor, daß er sich zur Zeit mit Vorarbeiten zu einer Gesamtdarstellung der europäischen Revolutionen von 1848/50 beschäftigt. Als akademischer Lehrer wird Griewank sehr gerühmt. Fachkollegen, die Gelegenheit hatten bei Kongressen und anderen Veranstaltungen Vorträge von ihm zu hören, sprechen sich darüber mit der größten Anerkennung aus. Ferner besitzt Griewank ungewöhnliche organisatorische Fähigkeiten, die er in seiner langjährigen Tätigkeit für die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft entfalten konnte. Der NSDAP hat Griewank nicht angehört, was ihm starke berufliche Schwierigkeiten bereitet hatte. Trotz allseitiger Anerkennung seiner Leistungen gelang es ihm erst 1943, im Alter von 43 Jahren, endlich eine Dozentur zu erhalten. In der gegenwärtigen Lage, die so viele Neubesetzungen erfordert, werden sich um einen so ausgezeichneten Gelehrten, der zugleich politisch völlig unbelastet ist, bald auch andere Universitäten bemühen. Ich bitte daher zu berücksichtigen, daß nur bei rascher Behandlung der Angelegenheit begründete Aussicht besteht, Griewank für die Friedrich-Schiller-Universität zu gewinnen.“120

Gleichzeitig informierte der alte und nunmehr wieder neue Dekan Carl Wesle den Vorgeschlagenen über diese Bemühungen in Jena.121 Griewank versicherte ihm: „Obwohl ich z.Zt. neben der Universitätsdozentur noch die vorläufige Leitung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft habe übernehmen müssen, werde ich natürlich nach wie vor der Berufung in eine ordentliche Professur unbedingt den Vorzug geben. Ein Ruf nach Jena wäre immer noch von besonderem Reiz für mich. [...] Hoffen wir nun, dass die Angelegenheit diesmal besser läuft als zur Zeit Astels, der wohl nicht zuletzt deswegen Hemmungen hatte, weil ich weder der Partei noch dem NS-Dozentenbund angehörte.“122

Am 12. Oktober 1946 erfolgte durch den Befehl der SMATh offiziell die Berufung Griewanks nach Jena.123 Allerdings bedurfte es nicht nur verschiedener Erinnerungen124 in Weimar, Überprüfungen und Rückfragen. Auch Griewank wollte erst einmal einige Punkte geklärt wissen, forderte in den Berufungsverhandlungen eine günstige Gehaltsfestsetzung, die Beschaffung einer Wohnung, die „in besonderem Maße auf langdauernde Schreibtischarbeit und einen ausgiebigen wissenschaftlichen Buchapparat“ eingerichtet sein müsse und die Übernahme der Umzugskosten.125 Als ihm der Kurator Bluhm am 11. Oktober mitteilen konnte, daß alle Forderungen erfüllt werden können, so kam diese Nachricht freilich zu spät für das unmittelbar bevorstehende Semester. Ohnehin zeigten die noch folgenden Verhandlungen, daß sich alles schwieriger gestaltete als geplant. Briefe, Anträge und Vermerke über die Wohnungssuche, die Kraftstoffzuteilung für den Umzugswagen, den Einbau eines Ofens, das Fehlen eines Ofenrohrs und einer Badewanne bis hin zur Gewährung einer Zusatzration Kartoffeln

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Karl Wesle (Dekan) an Landesamt für Volksbildung, Weimar, 26.1.1946, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV, Nr. 3414, Bl. 335 (Kopie auch in: UAJ, M 822). Karl Wesle an Karl Griewank, 27.1.1946 UAJ, M 822. Karl Griewank an Karl Wesle, 11.2.1946, in: ebd. Bestätigung der SMATh, 12.10.1946, in: UAJ, M 636. Dekan Wesle an Thüringisches Landesamt für Volksbildung, 20.5.1946, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 92. Griewank wollte, daß seine Dienstjahre bei der DFG zumindest teilweise angerechnet werden. Zudem verlangte er eine Kolleggeldgarantie von 2000,- RM. Karl Griewank an Kurator Max Bense, 21.7.1946, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 93.

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5. Der Professor in Jena

als Ersatz für den aufgegebenen Berliner Nutzgarten – das alles füllt die Seiten der Personalakte und bietet ein Stück Zeitkolorit.126 Erst am 10. Juli 1947 (!) konnte Griewank mitteilen, daß „nunmehr meine Uebersiedlung von Berlin nach Jena unter vielen zeitbedingten Schwierigkeiten und Verzögerungen vollzogen ist [...] Der Umzug hat meiner Frau und mir infolge der anormalen gegenwärtigen Verhältnisse viel Mühe und Arbeit verursacht und auch einen Verlust an wissenschaftlicher Arbeitszeit mit sich gebracht“.127 Auch wenn die Schwierigkeiten des Ortswechsels sicher nicht unbedeutend waren und auch in der Folgezeit immer wieder Versorgungsschwierigkeiten und Alltagsprobleme Zeit und Nerven kosteten, so muß jedoch klar gesagt werden, daß Griewank ausgesprochen gute Bedingungen ausgehandelt hatte.128 Man einigte sich, daß der Neuberufene bereits während des laufenden Wintersemesters einige Gastvorträge zum Thema „Der demokratische Gedanke vom Beginn der Neuzeit bis zur Französischen Revolution“ in Jena hielt.129 Ein Student erinnert sich daran: „Diese [Vorlesung] war in einem Saal des Volkshauses während der Hauptvorlesungszeit angesetzt, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Ein riesiger Saal mit leeren Stuhlreihen, kaum ein Dutzend Hörer, Griewank am Rednerpult auf der Bühne. Die Situation war uns allen peinlich: Wir saßen in gebannter Haltung, er versprach sich fortwährend. Die Lockerheit, einfach zu uns herunterzukommen, hatte er, hatte man damals bei offiziellen Angelegenheiten nicht. Aber für mich war es die erste akzeptable historische Vorlesung überhaupt: klares Thema (es könnte ‚demokratische Bewegungen im Spätmittelalter’ gelautet haben), klarer Aufbau, Anfang und Ende.“130

Griewanks eigentliche Antrittsvorlesung fand besser angekündigt dann am 26. Juli 1947 in der Aula zum Thema „Ursprung und Wandlungen der Heiligen Allianz“ statt.131 Zu diesem Zeitpunkt hatte er den vollen Lehrbetrieb aufgenommen.

5.2. ZUR JENAER UNIVERSITÄTSGESCHICHTE DER NACHKRIEGSZEIT

5.2.1. „Sowjetisierung“? Bemerkungen zur allgemeinen Entwicklung nach 1945 und zum Forschungsstand Karl Griewanks Erfahrungen in der SBZ und frühen DDR gilt es im folgenden zu untersuchen. Man kann diese nicht, ohne sich zu verdeutlichen, welch großen Umwandlungsprozessen die Universitäten des östlichen Teil Deutschlands in dieser Zeit ausgesetzt waren. Diese zogen sich im Grunde bis zum Ende der 1960er Jahre hin.132

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UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 93-147. Ebd., Bl. 147. Ihm wurden ein jährliches Grundgehalt von 9600,- RM und ein Wohnungsgeld von 2016,- RM zugebilligt, sowie 35,- RM für die Pflicht- und 17,50 für die Ergänzungsvorlesung bewilligt, womit er zu den Spitzenverdienern der Philosophischen Fakultät gehörte. Die Vorträge fanden vom 22. bis 24.1.1947 statt, UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 116. Schr. Information Diethelm Böttcher, 22.7.1999. UAJ, BB 92, Bl. 39-42. Vgl. SCHÄFER: Karl Griewank und die Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 200. Vgl. Tobias KAISER: „Sowjetisierung“, „Reform“ und Konflikt. Zur Geschichte der Universität Jena von der Wiedereröffnung 1945 bis zur sogenannten „Dritten Hochschulreform“ 1968, in: ZVTG 58 (2004), S. 161-186. Als einen gewissen Abschluß kann man die sogenannte „Dritte Hochschulreform“ 1968 fixieren, durch die eine Struktur geschaffen wurde, die bis zu seinem Ende das DDRHochschulwesen strukturell prägte, wobei die Abschaffung der Fakultäten und die Einrichtung von Sektionen letztlich nur das äußere Merkmal der Veränderung waren. Vgl. hierzu DERS./Rüdiger

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Auch sozialgeschichtlich hat ein Eliten- und auch Generationenwandel an den Hochschulen der DDR stattgefunden.133 Es ist wichtig festzustellen, daß der Prozeß keineswegs kontrolliert und konfliktfrei ablief, wie man es in offiziellen Verlautbarungen lesen kann. Zwar finden sich die hochschulpolitischen Parolen von der „planmäßigen ideologischen Umgestaltung der Universitäten“, der „Brechung des bürgerlichen Bildungsmonopols“, der Schaffung einer neuen Intelligenz und einer neuen – sozialistischen – Universität in politischen Weisungen, Reden und Verordnungen erkennen.134 Der nicht unproblematische Terminus der „Sowjetisierung der Hochschulen“ wird in diesem Zusammenhang häufig verwendet.135 Damit kann an mehrere Forschungslinien angeknüpft werden. Zum einen ist der Begriff ein bis zur Stabilisierung der DDR häufig verwendeter Topos der westdeutschen politischen Publizistik, mithin ein Kind des Kalten Krieges. Mit „Sowjetisierung“, „Bolschewisierung“ und „Stalinisierung“ wollte man warnend auf den diktatorischen Charakter des anderen Teiles Deutschland hinweisen.136 Zum anderen hat der Terminus auch einen apologetischen Charakter angenommen. Wenn eine Institution wie die Universität Opfer der totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts war, dann braucht man nicht nach Verantwortlichkeiten und Strukturen innerhalb der Institutionen zu schauen, da diese ohnehin von außerhalb bestimmt wurden. Dennoch gewinnt der Begriff „Sowjetisierung“ in neuester Zeit als wissenschaftliche Analysekategorie an Gewicht, nachdem die Forschung zum deutsch-deutschen Gesellschaftsvergleich lange Zeit von ihm abgerückt war. Man stellte fest, daß – gerade im Vergleich zum differenzierter angewandten Parallelbegriff der „Amerikanisierung“ – „das Konzept der ‚Sowjetisierung’ in der westdeutschen Historiographie wenig elaboriert und in der Forschung noch weniger fruchtbar gemacht worden [ist] als in der Literatur über ostmittel- und südosteuropäische Länder.“137 Konrad Jarausch und Hannes Siegerist, die dieses Fazit ziehen, plädieren dann auch für eine Verwendung des Begriffs „nicht zu polemischen, sondern zu analytischen Zwecken und in heuristischer Absicht“138, um die komplexen kultur- und gesellschaftspolitischen Wandlungsprozesse der SBZ/DDR zu untersuchen.

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STUTZ/Uwe HOßFELD: Modell- oder Sündenfall? Die Universität Jena und die „Dritte Hochschulreform“, in: JbUG 8 (2005), S. 45-69. Vgl. grundlegend JESSEN: Akademische Elite. Vgl. zum Forschungsstand Jürgen KOCKA: Wissenschaft und Politik in der DDR, in: DERS./Renate MAYNITZ (Hg.): Wissenschaft und Wiedervereinigung. Disziplinen im Umbruch (BerlinBrandenburgische Akademie der Wissenschaften, Forschungsberichte; 6), Berlin 1998, S. 435-459; Andreas MALYCHA: Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in der SBZ/DDR von 1945 bis 1961, in: APuZ B30-31 (2001), S. 14-21; DERS.: Neue Forschungen zur DDRWissenschaftsgeschichte. Aspekte des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik, in: AfS 41 (2001), S. 663-676. Vgl. den „Klassiker“ Marianne MÜLLER/Egon Erwin MÜLLER: „... stürmt die Festung Wissenschaft!“. Die Sowjetisierung der mitteldeutschen Universitäten seit 1945, Berlin-Dahlem 1953. Vgl. jetzt auch Martin HANDSCHUCK: Auf dem Weg zur sozialistischen Hochschule. Die Universität Rostock in den Jahren 1945 bis 1955, Bremen 2004. Vgl. Konrad H. JARAUSCH/Hannes SIEGERIST: Amerikanisierung und Sowjetisierung. Eine vergleichende Fragestellung zur deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte, in: DIES. (Hg.): Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945-1970, Frankfurt (M)/New York 1997, S. 11-46, hier S. 17f. Vgl. auch Lutz NIETHAMMER: Amerikanisierung und Sowjetisierung. Zur Verflechtung zeitgeschichtlicher Vergleiche, in: Jörg NAGLER (Hg.), Nationale und internationale Perspektiven amerikanischer Geschichte. Festschrift für Peter Schäfer zum 70. Geburtstag (= Jenaer Beiträge zur Geschichte; 5), Frankfurt (Main) u.a. 2002, S. 157-178. JARAUSCH/SIEGERIST: Amerikanisierung, S. 19. Ebd.

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5. Der Professor in Jena

Der Begriff Sowjetisierung erweist sich somit nicht als sinnvoll, wenn man darunter nur den Einfluß der Sowjetunion selbst versteht. Akzeptabel ist er jedoch als ein Begriff, mit dem man das Hineinwachsen der Institution in die Blockkonfrontation des Kalten Krieges als Prozeß beschrieben und vergleichbar gemacht werden kann. Es ist vor allem John Connellys vergleichende Studie zum Hochschulwesen in Polen, der Tschechoslowakei und der DDR, die in diesem Sinne wichtige Erkenntnisse vorlegt.139 In allen drei Staaten wurden die Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgebaut, sowjetische Modelle diskutiert bzw. übernommen. Die Universitäten entwickelten sich jedoch völlig unterschiedlich: Während in Polen etwa die Studentenund Hochschullehrerschaft nicht ausgetauscht wurde und die Zahl der KP-Mitglieder unter 10% blieb, konstatiert Connelly für die SBZ/DDR den weitestgehenden Elitenaustausch. Er spricht von einer „stalinistischen Vielfalt“.140 Sein Ansatz „von oben“ ist ideen- und politikgeschichtlich. Durch den komparatistischen und datenuntersetzten Ansatz eröffnet er neue und wichtige Vergleichsperspektiven, zieht jedoch meist normative Quellen heran, deren Realgestalt er vor Ort nicht überprüfen konnte.141 Eine andere Perspektive nehmen Waldemar Krönig und Klaus-Dieter Müller ein, indem sie vor allem die studentische Erfahrung einzufangen suchen.142 Die angewandte Methode, von den Autoren als „letter history“ oder „questionnaire history“ bezeichnet, erschließt mittels Befragungen gruppenbiographisch die Erinnerungen der Studierenden der Nachkriegszeit. Sie bietet so eine beachtlich dichte Milieuschilderung der Zeit, die wegen ihres erfahrungsgeschichtlichen Ansatzes für die vorliegende Arbeit von großem Wert war, auch wenn die Ebene der Professoren und Hochschullehrer nur indirekt beleuchtet wird und die Auswertung primär um die Fragen von studentischer Verfolgung, Repression und Flucht kreist. Die bei weitem wichtigste Arbeit zum Thema stammt von Ralph Jessen.143 Diesem geht es um eine Sozialgeschichte der Hochschullehrerschaft der Ulbricht-Ära, zugleich aber auch um eine soziologisch untermauerte Geschichte des Wandels der Universitäten, der ein Abriß über die historischen Voraussetzungen vorangeht und die ansprechende Details benennt. Die Hochschulpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht wurde in letzter Zeit vor allem durch Manfred Heinemann untersucht, der mit zahlreichen Aufsätzen zum Jenaer Beispiel in Erscheinung getreten ist.144 Er bemühte sich insbesondere um den Kontakt

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John CONNELLY: Captive University. The Sovietization of East German, Czech, and Polish Higher education, 1945-1956, Chapel Hill/London 2000. Vgl. auch: DERS.: East German Higher Education Policies and Student Resistance, 1945-1948, in: Central European History 28 (1995), S. 259-298; DERS.: Stalinismus und Hochschulpolitik in Ostmitteleuropa nach 1945, in: GG 24 (1998), S. 5-24. DERS.: Stalinistische Vielfalt. Hochschulpolitik im östlichen Mitteleuropa 1945-1955, in: Dieter HOFFMANN/Kristie MACRAKIS (Hg.): Naturwissenschaft und Technik in der DDR, Berlin 1997, S. 89-104. Vgl. auch Konrad H. JARAUSCH: Rez. Connelly: Captive University, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 6 [15.06.2002], , 23.7.2002. Die Autoren hatten in den 1980er Jahren eine Fragebogenaktion in Westdeutschland unternommen und entwarfen unmittelbar nach der friedlichen Revolution 1989/90 mit gleicher Methodik ein Projekt, um die Erfahrungen an ostdeutschen Universitäten zu untersuchen, dessen Ergebnisse sie 1994 vorlegten. Waldemar KRÖNIG/Klaus-Dieter MÜLLER: Nachkriegs-Semester. Studium in Kriegs- und Nachkriegszeit, Stuttgart 1990; DIES.: Anpassung, Verfolgung, Widerstand. Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, St. Augustin 1994. JESSEN: Akademische Elite. Vgl. Manfred HEINEMANN: Hochschulerneuerung und Sowjetische Besatzungsmacht. Oder: Es muß alles neu geschrieben werden, in: Karl STROBEL (Hg.): Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rah-

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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zu sowjetischen Zeitzeugen. Hieraus entstand eine Megakonferenz mit über 100 Teilnehmern, darunter viele Zeitzeugen, die in einem weitgehend aus dem Diskussionsprotokoll bestehenden Tagungsband dokumentiert ist.145 Heinemann kommt zu dem Schluß: „Eine positiv formulierte Hochschulpolitik der Besatzungsmacht ist (wie auch in den anderen Zonen) auf Grund des bisherigen Materials nicht erkennbar.“146 Primär der staatlichen Seite, also der Hochschulpolitik in der SBZ/DDR widmet sich Ilko-Sascha Kowalczuk in seiner Dissertation.147 Seine Studie stützt sich auf Quellen der staatlichen und Parteiarchive in Berlin. Kowalczuks Grundthese und Begründung für den Berliner Blick, wonach „im zentralistischen SED-Staat die entscheidende Macht vom ZK-Apparat ausging“148, steht im Widerspruch zu der immer wieder eingenommenen vergleichenden Perspektive, für die freilich kaum Primärquellen der ostdeutschen Universitätsarchive herangezogen werden. Die Arbeit läßt somit noch Platz für weitere Arbeiten zu den Geschehnissen vor Ort. Damit zurück nach Jena: Die Forschungslage zur Universität Jena charakterisierte Jürgen John 1991/92 so: „Trotz formal starkem Ausbau der zeitgeschichtlichen Forschung und entsprechend aufgeblähten DDR-Kapiteln in den Universitätsgeschichten stehen wir infolge früherer Tabuisierung, Verdrängung, einseitiger Darstellung und Verzerrung weitgehend am Anfang einer problembewußten und auch sozialgeschichtlich fundierten Aufarbeitung Jenaer Universitätsgeschichte nach 1945.“149 Inzwischen ist die Jenaer Universitätsgeschichte durchaus vorangekommen. Es kann auf einen eingehenden Forschungsbericht verzichtet und auf die – im Vorwort dieser Arbeit angekündigten – laufenden Forschungen verwiesen werden.150

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menbedingungen, Vierow 1994, S. 164-169; DERS.: Die Wiedereröffnung der Friedrich-SchillerUniversität Jena im Jahre 1945, in: Dieter VOIGT/Lothar MERTENS (Hg.): DDR-Wissenschaft im Zwiespalt zwischen Forschung und Staatssicherheit, Berlin 1995, S. 11-44; DERS.: Auf dem Weg zur Volksuniversität. Die Friedrich-Schiller-Universität Jena 1948, in: Lothar MERTENS (Hg.): Politischer Systemumbruch als irreversibler Faktor von Modernisierung in der Wissenschaft?, Berlin 2001, S. 201-231. Manfred HEINEMANN (Hg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Deutschland 1945-1949. Die Sowjetische Besatzungszone, Berlin 2000. Durch vorherige vergleichbare Projekte Heinemanns ist mittlerweile die Basis für einen Inter-Zonen-Vergleich möglich geworden. Vgl. DERS. (Hg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945-1952. Teil 1: Die Britische Zone, Hildesheim 1990: DERS. (Hg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945-1952. Teil 2: Die US-Zone, Hildesheim 1990; DERS. (Hg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945-1952. Teil 3: Die Französische Zone, Hildesheim 1991. Manfred HEINEMANN: Wer stürmte die Festung Wissenschaft? Die sowjetische Besatzungspolitik und die SED im Bereich von Hochschule und Wissenschaft, in: Revue d’Allemagne 32 (2000), S. 103–116, hier S. 110. KOWALCZUK: Geist im Dienste. Dies sei eine „Erkenntnis“, wie Kowalczuk bereits zu Beginn seiner Arbeit zur DDRGeschichtswissenschaft feststellt. KOWALCZUK: Legitimation, S. 17. Jürgen JOHN: Wissenschaft und Politik – die Jenaer Universität im 20. Jahrhundert, in: Herbert GOTTWALD (Hg.): Universität im Aufbruch. Die Alma mater Jenensis als Mittler zwischen Ost und West, Jena/Erlangen 1992, S. 239-261, hier S. 252f. Zur Zeit ist im Rahmen der „Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert“ ein Studienband zur Universität Jena in der Zeit der SBZ/DDR in Vorbereitung. Vgl. auch Vergangenheitsklärung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Beiträge zur Tagung „Unrecht und Aufarbeitung“ am 19. und 20.6.1992, hg. vom Rektor der Friedrich-SchillerUniversität, bearb. und erg. von Hans Richard BÖTTCHER, Leipzig 1994.; GOTTWALD (Hg.): Universität im Aufbruch; GOTTWALD/STEINBACH (Hg.): Zwischen Wissenschaft und Politik; Rüdiger STUTZ (Hg.): Macht und Milieu. Jena zwischen Kriegende und Mauerbau, Rudolstadt/Jena 2000; Manfred WEIßBECKER [u.a.]: Universität im Zwiespalt von Geist und Macht. Zu Ergebnissen und Erfahrungen der hochschulpolitischen Umbrüche in Deutschland von 1945 und 1989/90, Jena 1996;

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5. Der Professor in Jena

Die Anfangszeit der Jenaer Nachkriegsuniversität wurde maßgeblich durch den Rektor Friedrich Zucker geprägt.151 Der Altphilologe war ein „Gelehrter alten Stils“ und bereits 64 Jahre alt, als er 1945 von der Korporation Universität zum Rektor bestimmt wurde. Er vertrat die Idee einer Rückkehr zur demokratischen Verfassung der Universität. Im Grunde wie Spranger in Berlin plädierte er für eine Rückbesinnung auf das Geistige und die klassischen Traditionen.152 In seiner Amtsführung war er jedoch ungleich geschickter bzw. kompromißbereiter als Spranger in Berlin. Zucker hatte eine erkennbar deutliche Distanz zum Nationalsozialismus gehalten und erschien deshalb für einen Neuaufbau geeignet. Allerdings speiste sich diese Distanz aus einer konservativen politischen Grundhaltung. Er war Mitglied des Stahlhelms seit 1921 und legte „als Mitglied der DVP nur eine begrenzt positive Haltung zur Weimarer Republik“153 an den Tag.154 Seine persönliche Integrität und pragmatische Amtsführungen zeichneten ihn jedoch aus. Als er 1948 ohnehin sein Amt weitergeben wollte, wurde ihm – nachdem der Nachfolger Friedrich Hund bereits gewählt war – durch einen autoritären Akt in Form eines Befehls der SMATh das Amt entzogen, was man nur als symbolisches Manifest der Mißbilligung interpretieren kann.155 Was folgt, ist eine schwere Krise – die Universitätskrise 1948, die noch näher betrachtet werden wird, da Griewank sie als Dekan und Senatsmitglied hautnah miterlebte.156 In der Folge wurde nach der kurzen Amtzeit Hunds mit dem Biologen Otto Schwarz der erste „sozialistische Rektor“ eingesetzt. Dies geschah durch massive politische Eingriffe in die Spielregeln der universitären Selbstverwaltung, ohne daß das Statut formell angetastet wurde. In der gesamten SBZ kam es am 13. Mai 1949 dann zu wesentlichen Änderungen der Universitätsverfassung, die bis 1952 an allen Hochschulen der DDR in Kraft blieben und mit dem euphemistischen Begriff „Vorläufige Arbeitsordnung“ verbunden wurden.157 Es wurden vor allem Verwaltungsänderungen durchgeführt, z.B. das Kuratorenamt abgeschafft, statt dessen ein Verwaltungsdirektor und ein „Studiendekan“ eingeführt. Diese Maßnahmen klingen wenig spektakulär, können jedoch im Nachhinein nur als Schritt zur Sowjetisierung gesehen werden.158 Die neuen Positionen wurden nämlich politisch besetzt und insbesondere die Stelle des – nicht gewählten, sondern vom Minister ernannten und von der DVV bestätigten – Studiendekans diente de facto

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DERS. (Hg.): Gewalten, Gestalten, Erinnerungen. Beiträge zur Geschichte der FSU Jena in den ersten Jahren nach 1945. Protokoll einer Tagung des Thüringer Forums für Bildung und Wissenschaft am 26./27. Oktober 2001 in Jena, Jena 2002. Vgl. Helmut G. WALTHER (Hg.): Erinnerungen an einen Rektor. Friedrich Zucker (1881-1973), Rudolstadt/Jena 2001. Vgl. hierzu seine Denkschrift „Über die derzeitige Lage und die Aufgaben der Erziehung in Deutschland“, in: JOHN/WAHL/ARNOLD (Hg.): Wiedereröffnung, S. 145-151. WALTHER, Friedrich Zucker, S. 15. Angriffe auf den „Stahlhelm-Professor“, der zudem keine Verwaltungserfahrung besitze, blieben nicht aus, führten jedoch nicht zum Erfolg; Vgl. ebd., S. 22f. Zum Stahlhelm in Jena und seiner Verfolgung vgl. BURKHARDT: National-konservative Kräfte, S. 241-297, zu Zucker vor allem S. 267-271. Manfred SIMON: Friedrich Zuckers Demission, in: Helmut G. WALTHER (Hg.): Erinnerungen an einen Rektor. Friedrich Zucker (1881-1973), Rudolstadt/Jena 2001, S. 31-42. Siehe unten Kapiel 5.3.4. Text in Siegfried BASKE/Martha ENGELBERT (Hg.): Zwei Jahrzehnte Bildungspolitik in der Sowjetzone Deutschlands. Dokumente, Bd. 1: 1945 bis 1958, Heidelberg 1966, S. 115-122. Vgl. KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 130-135; MÜLLER/MÜLLER: „... stürmt die Festung“, S. 141-145. HEINEMANN, Auf dem Weg zur Volksuniversität, hier S. 219-224. Vgl. auch die Diskussion in DERS., Hochschuloffiziere, S. 335-341.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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dazu, „dem Rektor einen parteilichen Hochschullehrer zur Seite zu stellen“159. Die Universität Jena, an der in diese Funktion der Anglist Anselm Schlösser eingesetzt wurde, besaß freilich mit Otto Schwarz bereits einen parteilichen Rektor. Die „vorläufige Verordnung“ veränderte auch die Zusammensetzung der für Berufungsfragen zuständigen Gremien: War dies bisher in erster Linie die sogenannte „engere Fakultät“ – also die Versammlung der Lehrstuhlinhaber – gewesen, so wurde nun „ein Einfallstor für die SED-Leute in den unteren Rängen geöffnet“160, was sich auch bei den Konflikten zeigen wird, die Griewank erleben mußte. Strategien der Einflußnahme, ein Kampf um „Titel und Stelle“161 und den Bedingungen zum Erwerb derselben spielten zumeist ebenso eine Rolle wie die inhaltlich politische Fragen. Eine besondere Rolle kam dabei den Parteiorganisationen vor Ort zu, den SED-Betriebsgruppen, die später zur mächtigen Universitätsparteileitung (UPL) wurden, am Anfang jedoch ihren Einfluß auf informellen Wegen zu sichern versuchten.162 Dabei – auch dies traf Griewank – stellte die SED-Betriebsgruppe ein Zentrum der Kommunikation dar, zu dem immerhin der Rektor Otto Schwarz gehörte, über dessen Schreibtisch alle universitären Vorgänge liefen.163 Das Rektorat Schwarz endete im November 1951, nachdem die Maßnahmen der später als „Zweite Hochschulreform“ bezeichneten massiven Veränderungen des Hochschullebens vollständig vorbereitet und insbesondere die vier staatlich ernannten Prorektoren ernannt wurden. Über seinen Nachfolger wurde nicht gestritten. Scheinbar turnusgemäß stellten die Mediziner den parteilosen Josef Hämel auf. Innerhalb der SED war freilich dieser Schritt strategisch geplant. Die Universitätsparteileitung der SED erreichte bereits im Sommer 1951 ein Vorschlag des ZK der SED bei den am Ende des Sommersemesters stattfindenden Rektoratswahlen einen „bürgerlichen“ Professor zum Rektor zu wählen. Die SED-Genossen der Jenaer Universität meldeten daraufhin nach Berlin: „Als bürgerl[icher] Rektor kommt an der Univ[ersität] Jena nach eingehender Auswahl, nur der derzeitige kommissarische Dekan und Prodekan der med[izinischen] Fakultät, Prof. Hämel, infrage [sic]. Alle anderen bürgerl[ichen]. Professoren, die ihrer fachl[ichen] Qualifikation nach und ihrem Ansehen unter der Professorenschaft in die engere Wahl fielen, geben nicht die Gewähr dafür, daß an unserer Univ[ersität] die Politik unserer Regierung und die Anweisungen unseres Staatssekretariats befolgt und verwirklicht werden.“164

Hämel, der das Amt des Rektors dann auch bis zu seiner spektakulären Flucht in die Bundesrepublik 1958 bekleidete, wurde also von Seiten der SED zunächst explizit als willfährige Schachfigur angesehen.

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KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 132. JESSEN: Akademische Elite, S. 78. BOURDIEU: Titel und Stelle. Vgl. Ulrich RICHTER: Ulrich: Die Entwicklung und Tätigkeit der Universitätsparteiorganisation der SED im Prozeß der Festigung der antifaschistisch-demokratischen Errungenschaften und der beginnenden sozialistischen Umgestaltung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1949-1955), Diss. Jena 1982; Christoph STELZNER: Die Bildung der SED-Betriebsgruppe an der Friedrich-SchillerUniversität im Jahr 1946 und ihr Entwicklung zur Universitätsparteileitung im Jahr 1951, Staatsexamensarbeit Jena 2003 (MS). Vgl. Kurt PÄTZOLD: Studienjahre in Jena, geschrieben für meine Kinder und Enkelkinder, Berlin 1998; DERS.: Sekretär im „Klosterhof“, geschrieben für meine Kinder und Enkelkinder, Berlin 1999. Aktennotiz „Betr.: Rektoratswahl“, 20.6.1951, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 1975, Bl. 67. Vgl. KAISER: „Sowjetisierung“, „Reform“ und Konflikt, S. 173.

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5. Der Professor in Jena

Hämel mußte dann auch die durch die „Zweite Hochschulreform“ vorgeschriebenen Veränderungen 1951/52 umsetzen.165 Insbesondere für die Lehre waren die Auswirkungen enorm: Es wurde ein 10-Monats-Studienjahr eingeführt, das die bisherige Semesterstruktur ersetzte, das Ein-Fach-Studium, das obligatorische „gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium“ – also die ideologische Schulung im Marxismus-Leninismus –, die Pflichtfächer Sport, Russisch und zunächst auch Deutsch, aber auch die sogenannte „Berufslenkung“. Diese Veränderungen in der Lehre wurden von Griewank als besonders besorgniserregend wahrgenommen. Er monierte vor allem die Gängelung der Studierenden durch hohe Stundenzahl und Prüfungsdichte, die ein Ende des freien Studiums darstellten.166 Auch in die Struktur der Universität wurde massiv eingegriffen, vor allem durch die Einrichtung von vier Prorektorenstellen, die nicht gewählt, sondern vom Staatssekretariat für Hochschulwesen ernannt wurden.167 Insbesondere der Prorektor für Studienangelegenheiten Karl Arnold, der auch für Exmatrikulationen zuständig war, spielte eine wichtige Rolle und war an den Verhaftungen von Studenten beteiligt. Das Prorektorat, das im Gebäude der ehemaligen Gaststätte „Klosterhof“ untergebracht war, galt manchen als „Menschenfalle“.168 Der Rektor Josef Hämel gab dazu 1956 auf einer Rektorenkonferenz (die Rektorenkonferenzen waren freilich ohne Einfluß) zu Protokoll, das sogar gedruckt wurde: „Ich erlaube mir noch einen Hinweis zur Frage des Prorektors für Studentenangelegenheiten. Der Herr Staatssekretär hat vollkommen Recht, daß die Einrichtung eines Prorektorats für Studentenangelegenheiten nicht das gehalten hat, was wir uns von ihr versprochen haben. Der Prorektor für Studentenangelegenheiten steht etwas in dem Ruf einer ‚höheren Persönlichkeit’. Zu mir kamen die

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„Die nächsten Aufgaben in den Universitäten und Hochschulen. Entschließung der 4. Tagung des ZK der SED, in: Dokumente der SED, Bd. 3, Berlin (O) 1952, S. 353-362. Vgl. zu die Auflistung der verschiedenen Maßnahmen bei: Hanna BAUM: 20 Jahre Hochschulwesen in der Deutschen Demokratischen Republik 1949-1969. Auswahlbibliographie, Berlin (O) 1969, hier S. 24f. Die ideologische Stoßrichtung der Reform betonen aus DDR-Sicht: Roland KÖHLER/Aribert KRAUS/Werner METHFESSEL: Geschichte des Hochschulwesens der Deutschen Demokratischen Republik (1945-1961), Berlin (O) 1976, S. 43-58. Aus bundesdeutscher Sicht hierzu Fritz BAUMGART: Das Hochschulsystem der Sowjetischen Besatzungszone, Bonn 1953; hier vor allem eine Analyse der Zugriffsrechte des Staates. Vgl. auch kenntnisreich und analytisch Peter MENKEGLÜCKERT: Aspekte von Hochschulverfassung und Hochschulwirklichkeit in der DDR, in: Peter Christian LUDZ (Hg.): Studien und Materialien zur Soziologie der DDR, Köln/Opladen 1964, S. 208240. Siehe unten Kapitel 5.5.3. und 7.1.1. In Jena waren dies im Studienjahr 1951/52: Als „Prorektor für das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium, den obligatorischen Unterricht in russischer und deutscher Sprache und Literatur und zugleich Vertreter des Rektors“ Clemens Hochkeppler, als „Prorektor für die Forschungsangelegenheiten der Universität und die Fragen des Fernstudium und des Abendstudiums“ Günther Drefahl, als „Prorektor für die wissenschaftliche Aspirantur“ Georg Klaus und als „Prorektor für die Studienangelegenheiten, die Studienordnung und die Berufspraktika“ Karl Arnold. Von diesen war nur Drefahl parteilos, galt jedoch als loyal. Er wurde später Rektor (1962-1968) und übernahm 1968 als Präsident des Friedensrates der DDR eine wichtige repräsentative Funktion. Dieser Ausdruck findet sich in einem „Bericht Diplom-Philosoph, geb. 1928“, „Zone verlassen am: 17.2.1955“, in: BA Koblenz, B 285, Nr. 209. Der Bericht ist an vielen Stellen reißerisch überzogen, jedoch zum Teil auch sachkundig detailliert. Solche Berichte sind vor allem auch wahrnehmungsgeschichtlich interessant, etwa wenn der „Diplom-Philosoph“ davon berichtet, daß man von der Überwachung aller Telefongespräche gehört habe. Alle Telefonleitungen der Universität Jena seien so gelegt, daß sie durch einen Raum im „Klosterhof, einem früheren Hotel“ führten. Beim „Klosterhof“ handelt es sich um das Gebäude, in dem in der DDR später auch die Universitätsparteileitung untergeracht war. Heute befindet sich das Historischen Instituts in diesem Gebäude im Fürstengraben 13. Zu diesem Bericht siehe unten S. 212, Anm. 283 und S. 214, Anm. 168.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Studenten mit allen möglichen Fragen. Ich sagte zu ihnen immer: ‚Kinder geht doch zum Prorektor’. Er war aber leider nicht immer der Helfer, sondern er war zuweilen ein gefürchteter Mann.“169

Mit der Studienreform ging in Jena eine harte Diskussion um das Statut der Universität einher, speziell um die Frage, ob der Aufbau des Sozialismus als Ziel der Universität festgeschrieben werden solle, die sich bis 1955 hinzog. Karl Griewank protestierte dagegen ebenso wie gegen andere Maßnahmen der mit der Reform einhergehenden Verschulung. Insgesamt können die hier beschriebenen Maßnahmen als „ideologische Offensive“ gesehen werden, die im Zusammenhang mit dem seit 1948 „von der SED offen proklamierten Führungsanspruch“ standen.170 Diese Offensive betraf vor allem die Geisteswissenschaften. So wurde im ZK der SED expressis verbis betont, daß Mediziner und Naturwissenschaftler nachsichtiger zu behandeln seien als die Geisteswissenschaftler.171 An der Universität Jena setzte sich zudem in der DDR-Zeit eine längerfristige Schwerpunktverlagerung hin zur Naturwissenschaft fort, die seit der Jahrhundertwende durch den Aufbau der forschungsintensiven Zeiss-Werke und der Jenaer GlasProduktion, seit 1945 auch von Jenapharm zu einer engeren Kooperation von Stadt, Wirtschaft und Universität führten.172 Medizin und Naturwissenschaft spielten an der Alma Mater Jenensis während der DDR immer eine große Rolle, was etwa an der Studentenzahlen und den verwendeten finanziellen Ressourcen abzulesen ist. Das bedeutete natürlich auch gewisse Rücksichtnahmen auf die traditionell-bürgerlichen Mediziner und Naturwissenschaftler. So blieb der gemäßigte und parteilose Josef Hämel von 1950 bis zu seiner Flucht kurz vor dem Universitätsjubiläum 1958 Rektor. Was sollte diesen aber daran hindern, ein gutes Verhältnis zu den „bürgerlichen“ Geisteswissenschaftlern zu erhalten und diese vor Konflikten zu bewahren? Die informellen Netzwerke, etwa der sogenannte „Heidekreis“, die Gesprächskultur zwischen den Fakultäten, ließen sich nicht einfach aufbrechen. All dies wird in den folgenden Kapiteln zu sehen sein.173 Die Situation gestaltete sich insgesamt noch komplex, ein Nebeneinander von Kooperation, Kollaboration, Überzeugung und Anpassung machte die Umsetzung der

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Josef HÄMEL, in: Die Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik vor neuen Aufgaben. Protokoll der Zentralen Rektorenkonferenz über die Aufgaben der 3. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 18. April 1956, Berlin (O) 1956, S. 45. Andreas MALYCHA: Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in der SBZ/DDR von 1945 bis 1961, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 30-31 (2001), S. 14-21, hier S. 17f. Vgl. KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 170f. Vgl. Uwe HOßFELD/Jürgen JOHN/Rüdiger STUTZ: Weaving Networks. The University of Jena in the Weimar Republic, the Third Reich, and the postwar East German state, in: Mark WALKER (Hg.): Science and Ideology. A comparative history, London/New York 2003, S. 186-226; Rüdiger STUTZ/ Uwe HOßFELD: Jenaer Profilwandel. Von der philosophischen zur rassisch und naturwissenschaftlich „ausgerichteten“ Universität in der NS-Zeit, in: Werner BUCHHOLZ (Hg.): Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 217-269. Deshalb ist eine erfahrungsgeschichtliche und wissenssoziologische Perspektive nötig, um universitären Milieus nahe zu kommen. Totalitarismuskonzepte, die in letzter Zeit wieder in Mode sind, und die doch primär einen politikwissenschaftlich-kategorisierenden Zugriff haben, stellen die Ideologie in den Vordergrund. Das ist für differenziertere Betrachtungen der Veränderungen und Konflikte an den ostdeutschen Universitäten, für die Frage nach Wissenschaft und Universität wenig brauchbar. Im Grunde wird hier genauso die Planmäßigkeit der Veränderung postuliert wie unter umgekehrten Vorzeichen in der dogmatisch-marxistischen Sichtweise. Auch Jürgen Kocka betonte 1999, daß der von ihm selbst geprägte Begriff der „durchherrschten Gesellschaft“ für die Anwendung auf den Wissenschaftsbereich weniger brauchbar sei. Jürgen KOCKA: Einleitung, in: DERS. [u.a.] (Hg.): Wissenschaft und Wiedervereinigung, Berlin 1998, S. 7-19.

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5. Der Professor in Jena

ideologisch-normativen Vorgaben von oben zu einem langwierigen Prozeß, der im Grunde einen Generationswandel brauchte. Zur Zeit Griewanks erschien diese Entwicklung jedoch keineswegs determiniert zu sein. Viele Beteiligte glaubten, gerade angesichts des offiziell verkündeten Wunsches auf deutsche Einheit, an den vorübergehenden Charakter der neuen Maßnahmen. Erst der Mauerbau 1961 erscheint – insbesondere auch psychologisch – wie ein Wendepunkt.174 Keineswegs wurden die „bürgerlichen“ Geisteswissenschaftler konsequent und systematisch verdrängt. Man war auf sie angewiesen, um den Bedarf zu decken, weshalb verschiedene Maßnahmen inkonsequent und unsystematisch erscheinen müssen. Ralph Jessen hat dies mit den marktwirtschaftlichen Begriffen von Angebot und Nachfrage deutlich gemacht.175 Ilko-Sascha Kowalczuk spricht von „Zuckerbrot und Peitsche“176, wobei das Zuckerbrot in der deutlichen Privilegierung der Intelligenz zu sehen ist, die sich nicht nur in hohen Gehältern, sondern auch bei Vorteilen in der Verpflegung und ärztlichen Versorgung auswirken konnten. „Linientreue, unauffällige ‚Könner’ hätten es auch im Westen nicht besser haben können“,177 resümiert Manfred Heinemann. Diese konnten an die „Realisierung wissenschaftlicher Eigeninteressen“178 gehen und gewannen aus ihrer Expertensituation heraus Möglichkeiten der Einflußnahme. Wenn allerdings, wie im Falle Griewanks der „Könner“ weder linientreu noch unauffällig blieb, so wurden die Konflikte179 unvermeidbar und die Sowjetisierung und Stalinisierung in ihren Auswirkungen deutlich.

5.2.2. Bemerkungen zum Begriff des „bürgerlichen Historikers“ Die Bezeichnung „bürgerlich“ fällt als eine zentrale Abgrenzungsvokabel der Hochschulpolitik der SBZ/DDR auf. Wie selbstverständlich erscheint uns nun Karl Griewank als „bürgerlicher Historiker“.180 In welcher Weise ist dieser Begriff überhaupt geeignet und was wird damit konnotiert? Aus marxistisch-leninistischer Sicht bezeichnete er durchweg pejorativ die vor- oder nichtmarxistische Wissenschaft und ihre Vertreter. Die späten 1940er und die 1950er Jahre wurden dabei in der DDR-Historiographiegeschichte als Konstituierungsphase einer marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft, als Phase des Kampfs um eine „wissenschaftliche“ Geschichtsauffassung dargestellt.181 Anzustreben sei eine auf dem Boden des Historischen Materialismus 174

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Vgl. Gerhard A. RITTER: Traditionen und Brüche. Die DDR in den fünfziger Jahren, in: Dierk HOFFMANN/Michael SCHWARTZ/Hermann WENTKER (Hg.): Vor dem Mauerbau. Politik und Gesellschaft in der DDR der fünfziger Jahre, München 2003, S. 21-37, zu den Hochschulen S. 29. JESSEN: Akademische Elite, S. 42-49. KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 247. HEINEMANN: Wer stürmte die Festung, S. 106. Andreas MALYCHA: Neue Forschungen zur DDR-Wissenschaftsgeschichte. Aspekte des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 663-676, hier S. 664. Vgl. zum Konfliktbegriff erstmals systematisch: Günther HEYDEMANN/Heidi ROTH: Systembedingte Konfliktpotentiale in der DDR der fünfziger Jahre. Die Leipziger Universität in den Jahren 1953, 1956 und 1961, in: Dierk HOFFMANN/Michael SCHWARTZ/Hermann WENTKER (Hg.): Vor dem Mauerbau. Politik und Gesellschaft in der DDR der fünfziger Jahre, München 2003, S. 205-234, hier S. 205f. Vgl. hierzu KAISER, „Sowjetisierung“, „Reform“ und Konflikt, S. 166. Vgl. Tobias KAISER: Karl Griewank – ein bürgerlicher Historiker?, in: DERS./KAUDELKA/ STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 13-51. Aus dieser Sicht Walter SCHMIDT: Zur Konstituierung der DDR-Geschichtswissenschaft in den fünfziger Jahren, Berlin (O) 1984 (MS); Horst HAUN: Zur Entwicklung der marxistisch-

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit beruhende Geschichtsschreibung. Der politische Eingriff in die Universitätsautonomie wurde dabei als notwendiges Mittel betont: „Ohne energisches und kraftvolles Eingreifen der politischen Machtinstrumente der nun herrschenden Arbeiterklasse war jedoch die Vormachtstellung der bürgerlichen Geschichtswissenschaft an den Universitäten und Hochschulen nicht zu brechen.“182 Die Fremdzuschreibung „bürgerlicher Historiker“ wurde zumeist – das gilt auch für Griewank – von den Betroffenen nicht akzeptiert. Ist er deshalb abzulehnen, da er ab- und ausgrenzend als Fremdzuschreibung verwendet wurde, um jene Wissenschaftler zu kennzeichnen, die dem MarxismusLeninismus fernstanden? Oder sollte man diese Tatsache bewußt umdeuten und IlkoSascha Kowalczuk folgen, der mit diesem Begriff diejenigen auszeichnen will, „die sich entweder dem Machtanspruch der Kommunisten weitgehend entzogen haben oder den Traditionen wissenschaftlichen Arbeitens und Denkens verbunden blieben“183? Beschreibt der Begriff „bürgerlich“ nicht eigentlich eine soziale Herkunft, erklärt deshalb womöglich Weltbilder und damit historiographische Ansätze? Bieten sich hier vielleicht sogar Anknüpfungspunkte an die intensiv betriebene moderne Bürgertumsforschung?184 Wenn eine Biographie des 20. Jahrhunderts mit der Kategorie „Bürgerlichkeit“ in Verbindung gebracht wird, so steht die „weit verbreitete Ansicht mindestens von der Krise, meist aber vom Auslaufen, Ende oder Verfall des Bürgertums im 20. Jahrhundert“185 im Raum. Bereits im vorhergehenden „bürgerlichen Jahrhundert“ erscheint die „prekäre Einheit des Bürgertums“186 sozial- und kulturgeschichtlich höchst differenziert, was erst recht für das 20. gilt. Deswegen wird zumeist sowohl von der „Auflösung des Bürgertums“187 als auch vom „Ende der Bürgerlichkeit“188 gesprochen. Deshalb erscheint das Etikett „bürgerlich“ häufig negativ besetzt. Die Forschung hat in der letzten Zeit dafür plädiert, die sozio-kulturelle Kategorie „Bürgerlichkeit“ auch zur Analyse der Gesellschaft nach 1945 heranzuziehen. Hannes Siegrists „Plädoyer dafür, die Geschichte der Nachkriegszeit nicht von der langen Geschichte des Bürgertums und der Bürgerlichkeit abzukoppeln“189, erscheint durchaus plausibel. Will man der Frage nachgehen, ob „das Bürgertum in der DDR – bis auf

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leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR von der 2. Parteikonferenz bis zum IV. Parteitag der SED (Juli 1952 bis März 1954), 2 Bde., Diss. phil. Berlin (O) 1979 (MS); Helmut HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR vom III. Parteitag bis zur 2. Parteikonferenz der SED (Juli 1950 bis Juli 1952), Diss. phil. Berlin (O) 1977 (MS). Walter SCHMIDT: Die DDR-Geschichtswissenschaft in den fünfziger Jahren. Ihre Konstitituierung als sozialistische deutsche Geschichtswissenschaft, in: Alfred ANDERLE (Hg.): Entwicklungsproblem der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in der UdSSR und in der DDR, Halle 1983, S. 32-72, hier S. 34. KOWALCZUK: Legitimation, S. 19f. Hierbei ist vor allem an die Projekte in Frankfurt und Bielefeld mit den Reihen „Stadt und Bürgertum“ und „Bürgertum“ zu denken. Siehe die Angaben oben S. 34, Anm. 148. Klaus TENFELDE: Stadt und Bürgertum im 20. Jahrhundert, in: DERS./Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Wege zur Geschichte des Bürgertums. Vierzehn Beträge, Göttingen 1994, S. 317-353. Vgl. den so betitelten Abschnitt bei: Jürgen KOCKA: Das europäische Muster und der deutsche Fall, in: DERS. (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Eine Auswahl, Bd. 1: Einheit und Vielfalt Europas, Göttingen 1995, S. 9-75, hier S. 9-22. Differenziert als langfristiger Prozeß dargestellt bei: Hans MOMMSEN: Die Auflösung des Bürgertums seit dem 19. Jahrhundert, in: Jürgen KOCKA (Hg), Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 288-315. Vgl. zusammenfassend Hannes SIEGRIST: Ende der Bürgerlichkeit? Die Kategorien „Bürgertum“ und „Bürgerlichkeit“ in der westdeutschen Gesellschaft und Geschichtswissenschaft der Nachkriegsperiode, in: GG 20 (1994), S. 549-583. SIEGRIST: Ende der Bürgerlichkeit?, S. 582.

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schwache bildungsbürgerliche Reste – tatsächlich zerstört wurde“190, wie es Jürgen Kocka postuliert hat, so muß man an die neueren Forschungen zur „Entbürgerlichung“ in der DDR anknüpfen. Bürgerlichkeit und Entbürgerlichung werden hier als „Ansatzund Fluchtpunkte“ für eine Analyse von Gesellschaft der SBZ/DDR gewählt, wie etwa die Arbeit Thomas Großböltings zeigt.191 Das Problem und der Begriff „bürgerlich“ beinhalten verschiedene Analyseebenen. Da ist zum einen die sozialgeschichtliche bzw. soziologische Ebene des Begriffs zu nennen: Inwiefern beschreibt „bürgerlich“ tatsächlich eine bestimmte soziale Schichtzugehörigkeit? Damit verbunden ist eine kulturgeschichtliche Ebene, die Frage nach der „bürgerlichen Kultur“, insbesondere der Gelehrtenkultur. Der Begriff hat darüber hinaus natürlich auch eine politische Komponente: Die DDR-Rhetorik des Begriffs „bürgerlicher Wissenschaftler“ impliziert vor allem diesen letzten Punkt. In dieser politischen Wortbedeutung liegt die Wurzel jenes dichotomen Denkmusters, welches den Begriff des „bürgerlichen Wissenschaftlers“ prägte. Letztlich wurde damit jenes Negativbild des Bürgertums fortgetragen, das historisch von Gustav Mayer mit dem Auseinandergehen von proletarischer und bürgerlicher Demokratie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts analysiert wurde.192 Diesen politischen Charakter besaß die in der SBZ/DDR verwendete Fremdzuschreibung „bürgerlicher Wissenschaftler“. „Bürgerlich“ galt als Gegenteil von „fortschrittlich“, von marxistisch-leninistisch. Deshalb verlor der Begriff auch seine soziokulturelle Funktion: Es ging nicht um die soziale Herkunft. Alfred Meusel, Eduard Winter oder etwa Leo Stern, die durchaus aus dem Bürgertum kamen, konnten sich durch parteiliches Engagement zusammen mit einer klaren marxistisch-leninistischen Geschichtsphilosophie als „fortschrittlich“ qualifizieren.193 Allerdings beinhaltete die Dichotomie von „bürgerlich“ und „marxistisch“ durchaus auch einen klaren soziologischen Auftrag: den der sozialen Neugestaltung der Universitäten, der „Brechung des bürgerlichen Bildungsmonopols“. Dies zeigte sich vor allem in der Auswahl der Studierenden. Die soziale Herkunft wurde entscheidend, Arbeiter- und Bauernkinder sollten gegenüber „bürgerlichen“ bevorzugt werden. Ein Elitentausch wurde propagiert und in Gang gesetzt. Die sozialgeschichtliche Analyse rechtfertigt also den Blick auf das Bürgertum. Ist jedoch die Verwendung des Begriffs „bürgerlicher Historiker“ für die Historiographiegeschichte sinnvoll? Sollte man Karl Griewank, der den Begriff selbst immer abgelehnt hat, als Vertreter der „bürgerlichen“ Geschichtswissenschaft in der DDR bezeichnen? Man könnte die Fremdzuschreibung in bewußter Umkehrung positiv neu deuten, wie es etwa Karlheinz Blaschke für sich in Anspruch nimmt. Er betont, er habe sich „niemals anders denn als einen bürgerlichen Historiker verstehen können, der mit seinem bürgerlichen Selbstverständnis keinerlei Schwierigkeiten hatte und hat, weil damit eine klare Gegenposition ausgedrückt werden konnte.“194 In diesem Sinne benutzt 190 191 192

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KOCKA: Das europäische Muster, S. 39. GROßBÖLTING: SED-Diktatur, zur Konzeption: S. 20-35. Gustav MAYER: Die Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie in Deutschland (1863-1870), Leipzig 1911. Vgl. dazu auch Hans-Werner HAHN: Symbol der Einheit – Symbol der Trennung. Eisenach und die deutsche Demokratiegeschichte 1848/49-1869, in: ZVTG 55 (2001), S. 205-227. Vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 425f. (zu Meusel), S. 581f. (zu Stern), S. 643f. (zu Winter). Karlheinz BLASCHKE: Neubeginn in der Geschichtswissenschaft. Erfahrungen eines „bürgerlichen“ Historikers, in: Alexander FISCHER (Hg.): Studien zur Geschichte der SBZ/DDR, Berlin 1993, S. 221-243, hier S. 221; vgl. auch: DERS.: Als bürgerlicher Historiker am Rande der DDR. Erlebnisse,

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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auch Ilko-Sascha Kowalczuk den Begriff „bürgerlich“.195 Dennoch erscheint diese Kategorie in der Anwendung auf alle nichtmarxistischen Historiker der SBZ/DDR historiographisch zu uneinheitlich. Karl Griewank sah sich deshalb nicht als „bürgerlichen Wissenschaftler“, weil diese Kategorie die Existenz einer „bürgerlichen Wissenschaft“ und damit verschiedener Wissenschaftsvorstellungen voraussetzte. Zum Ende der DDR war deren Historiographiegeschichte im übrigen dabei, sich vom Begriff „bürgerlicher Historiker“ zu verabschieden und diesen durch den auch in dieser Arbeit bevorzugten Ausdruck „nichtmarxistischer Historiker“ zu ersetzen. In dem bereits gedruckten, aber nicht mehr zur Auslieferung gekommenen Sammelband zur internationalen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert sei, so Georg Iggers, der eines der wenigen Vorabexemplare besitzt, nun – im Jahr 1990 – nicht mehr von „bürgerlichen“, sondern von „nichtmarxistischen“ Historikern die Rede.196

5.2.3. Situation der Jenaer Geschichtswissenschaft 1946-1953 Für den Referenten Herwig Förder197 im Staatssekretariat für Hochschulwesen war die Sache im Februar 1953 klar: „An der Universität Jena ist zwar der Lehrkörper in formaler Hinsicht relativ gut besetzt, entspricht aber in ideologischer Hinsicht in keiner Weise den zu stellenden Anforderungen. Die Ausbildung von Historiker-Studenten an der Universität Jena kann nicht mehr verantwortet werden.“198 Förder bezog sich dabei auf die Tatsache, daß nur der mit einer Dozentur beauftragte Felix-Heinrich Gentzen199 und der Assistent Karl-Heinz Leidigkeit200 der SED angehörten, während die zwei Lehrstuhlleiter Karl Griewank und Friedrich Schneider, die Dozentin Irmgard Höß und die weiteren drei Assistenten keine marxistischleninistische Grundhaltung an den Tag legten. Man müsse deshalb, so der Vorschlag Förders, die Geschichtswissenschaft in Jena auflösen, auch wenn diese Entscheidung wegen der Tradition der Geschichtswissenschaft in Jena („Schiller!“) wahrscheinlich

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Beobachtungen und Überlegungen eines Nonkonformisten, in: Karl Heinrich POHL (Hg.): Historiker in der DDR, Göttingen 1997, S. 45-93. KOWALCZUK: Legitimation, S. 19f. Wilma IGGERS/Georg IGGERS: Zwei Seiten der Geschichte. Lebensbericht aus unruhigen Zeiten, Göttingen 2002, S. 265f. Eine Version des Sammelbandes erschien ohne die Beiträge Hans Schleiers acht Jahre später, wobei im Vorwort des Herausgebers auf die Entstehungsgeschichte eingegangen wird. Vgl. Gerhard LOZEK (Hg.): Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert. Neuzeithistoriographie und Geschichtsdenken im westlichen Europa und in den USA [1990], Berlin 1998. Herwig Förder (1913-1974), in einer wohlhabenden Familie in Berlin aufgewachsen, trat 1933 in die KPD ein und wurde 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, jedoch aus der Todeszelle befreit. Förder studierte nach dem Ende des Krieges Geschichte, wurde im März 1951 ins SfH berufen, arbeitete später am Museum für deutsche Geschichte und promovierte 1957 bei Alfred Meusel. Er galt als theoretischer Kopf, sein Spezialgebiet war die Geschichte der Arbeiterbewegung. Vgl. Helmut BLEIBER: Herwig Förder (1913 bis 1974), in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, S. 51-64; Veit DIDCZUNEIT: Geschichtswissenschaft an der Universität Leipzig. Zur Entwicklung des Faches Geschichte von der Hochschulreform 1951 bis zur „sozialistischen Umgestaltung“ 1959, Diss. phil. Leipzig 1993, Bd. 2, S. 21f, Anm. 18; MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 216f. Herwig Förder: Schwerpunktbildung Fachrichtung Geschichte, 12. 2. [1953], 15 Seiten, hier S. 4, in: BA Berlin, DR3/1.Schicht/4050, unpag. Konkrete Pläne einer Schließung zum 1.91.1953 vgl. „Entwurf zur Vorlage über die Reorganisation des Hochschulwesens“, undat., in: SAPMO BA Berlin, DY 30/IV 2/9.04/103, Bl. 43-45. Zu Gentzen vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 231f. Zu Leidigkeit vgl. ebd., S. 389f.

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5. Der Professor in Jena

auf großen Widerstand stoßen werde. Von solchen Plänen wurde dann bekanntlich doch Abstand genommen; die Geschichtswissenschaft in Jena blieb bis heute erhalten.201 Wie kam es zu der von offizieller Seite so beklagten nichtmarxistischen Dominanz in Jena? Aus der Zeit des Nationalsozialismus galt gerade die Geschichte in Jena als sehr belastet. Ohnehin war der Seminarbetrieb, zumindest auf der Ebene der nicht mehr besetzten Lehrstühle, zum Erliegen gekommen.202 Es war kein Professor im Amt. Die 1943 hier promovierte Assistentin Renate Riemeck203, die „das goldenen HJ-Abzeichen noch in der Schublade, aber schon scharfe antifaschistische Gedanken im Herzen“204 hatte (womit ihre Kontakte zu kommunistischen Widerstandsgruppen der Zeiss-Arbeiter angedeutet werden), verließ mit den Amerikanern Jena, die ja von April bis Juli die Besatzungsmacht in Thüringen stellten. Nachfolgerin von Riemeck auf der Assistentenstelle wurde Irmgard Höß, die unter geradezu abenteuerlichen Bedingungen ihre Dissertation Anfang 1945 hatte fertigstellen können.205 Sie wurde im Juli 1945 als Wissenschaftliche Hilfskraft – und damit einzige Mitarbeiterin des Instituts – eingestellt und im Dezember 1946 rückwirkend zum 1. Oktober zur Assistentin ernannt. Da sie vor ihrem Studium eine Verlagsausbildung hinter sich hatte, war sie schon als Studentin zur Betreuung der Bibliothek herangezogen worden und hatte zusammen mit Renate Riemeck und Ingeborg Meinhof die Bücher des Historischen Seminars vor den Bombenangriffen auf Jena in Sicherheit gebracht. In einer ähnlichen Tätigkeit bestand nun auch wieder ihre erste Aufgabe, waren doch die Bücher in ihrem Ausweichquartier durch einen Wasserschaden erneut gefährdet.206

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Martin Sabrow nimmt den Entwurf für Realität und spricht von der Schließung der „historischen Fakultäten [!] in Rostock, Jena [!] und Greifswald“ und der Konzentration der „Ausbildung im Fach Geschichte auf die drei Schwerpunktuniversitäten Berlin, Leipzig und Halle“ 1951/52. Das kann nur als Fauxpas durch den auf Berlin zentrierten Ansatz Sabrows angesehen werden. SABROW, Diktat als Konsens, S. 40. Vgl. WERNER: Stationen Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 14f. Vgl. ferner Werner MÄGDEFRAU: Zum Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in: WZJ GSR 15 (1966), H. 1, S. 63-77, hier, S. 63f. und Ludwig BUCHMANN: Die Entwicklung des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1945 bis 1959, Abschlußarbeit Lehramt an der sozialistischen Schule (EOS) Jena 1960, S. 16f. Belegexemplar UAJ, F I 2720. Renate Riemeck (1920-2003) war – angeregt durch Karl Heussi – Historikerin spätmittelalterlicher Ketzerbewegungen. Bekannter wurde sie jedoch als Pflegemutter von Ulrike Meinhof, die sie als kleines Mädchen in Jena kennenlernte. Als Professorin an der Evangelischen Pädagogischen Akademie in Wuppertal wurde ihr 1960 die Lehrbefugnis entzogen, worauf sie aus dem Staatsdienst ausschied. Bekannt wurde sie auch durch ihre politische Tätigkeit für die Deutsche Friedens-Union und links-pazifistische Organisationen. Rolf Hochhuth bezeichnete sie 1980 als „politisch verfolgt“. Vgl. die Lebenserinnerungen Renate RIEMECK: Ich bin ein Mensch für mich. Aus einem unbequemen Leben, Stuttgart 21994, zu Jena 64-85, 89-93. Vgl. auch Bernd MANSEL: Ihre politische Karriere war eher kurz. Nachruf zum Tod von Renate Riemeck, in: Freitag Nr. 22 vom 23.05.2003. Klaus Rainer RÖHL: Fünf Finger sind noch keine Faust, Köln 1974, S. 120. Vgl. auch Stefan AUST: Der Baader-Meinhof-Komplex. Erweiterte und aktualisierte Ausgabe, München 1998, S. 31-34. Vgl. Irmgard HÖß: Studien und Berufsaussichten in turbulenter Zeit, in: Hartmut LEHMANN/Otto Gerhard OEXLE (Hg.): Erinnerungsstücke. Wege in die Vergangenheit. Rudolf VIERHAUS zum 75. Geburtstag gewidmet, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 101-113; Irmgard Höß zu Ehren. Feier zur 50. Wiederkehr des Tages ihrer Doktorpromotion am 13. Dezember 1996 im Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 1997;. Vgl. auch die spannenden Schilderungen von Hellmuth G. Walther und Matthias Werner aus Anlaß des Doktorjubiläums, in: ebd. Auf die Zusammenarbeit von Höß mit Karl Griewank und den auf beiden lastenden politischen Druck weist ebd. HansWerner Hahn hin. Vgl. HÖß: Studien und Berufsaussichten, S. 112.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Irmgard Höß wurde wegen der engen Zusammenarbeit mit Griewank verschiedentlich als dessen Schülerin bezeichnet, was eigentlich nicht stimmt. Ihre Dissertation wurde von Willy Flach betreut, der als Weimarer Archivar in Jena bis 1945 eine Honorarprofessur innehatte. Jedoch wurde dieser nun „als PG von den Amerikanern zum Kohleschippen eingesetzt“207 und von den Sowjets wegen seiner NSDAPMitgliedschaft aus dem Lehrbetrieb entfernt.208 Als „nur nominelles Mitglied“ eingestuft erhielt er auf Antrag Griewanks dann im Oktober 1950 wieder einen Lehrauftrag209, schließlich übernahm er 1953 eine hilfswissenschaftliche Professur an der HU Berlin.210 Irmgard Höß habilitierte 1951 mit einer Studie über Spalatin, bei der Griewank Erstgutachter war. Sie galt den DDR-Behörden als eine der „politisch suspekten Habilitanden“, bei welchen – in den Worten von Max Steinmetz – „keinerlei Verständnis für den demokratischen Aufbau vorhanden“211 gewesen sei. Dennoch wurde im März 1952 zur Dozentin und schließlich sogar zur Professorin mit vollem Lehrauftrag ernannt und hielt trotz stärker werdenden politischen Drucks bis 1958 an einer undogmatischen nichtmarxistischen Geschichtsdeutung fest. Ihre Ernennung zur Dozentin wurde vom SfH nur unterstützt, um die „Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Griewank, der eine abwegige Entscheidung als gegen sich gerichtet auslegen würde“, nicht zu gefährden.212 Dennoch ließ es sich der mit der Begutachtung beauftragte Lothar Berthold213 nicht nehmen auszuführen: „Frl. Dr. Höß verfügt über ein ausgedehntes Faktenwissen [...] Sie versteht es noch nicht, in ihrer Vorlesung (Geschichte des deutschen Volkes bis 1789) die wirklich entscheidenden Ereignisse herauszustellen. Als Schülerin von Prof. Dr. Griewank steht sie dem Marxismus-Leninismus mit grossen Vorbehalten gegenüber.“ Die aus dieser Position heraus entstehenden Konflikte verschärften sich in Form und Inhalt.214 Zu Griewank bestand gegenseitig ein enges Verhältnis wissenschaftlicher und persönlicher Wertschätzung. Irmgard Höß bezeichnete Griewank als ihren Freund und Berater.215 Sie war als erstes Mitglied des Lehrkörpers im Amt und konnte nun als Assistentin den Aufbau der Geschichtswissenschaft nach 1945 und die dafür anstehenden Berufungsverhandlungen für die nun zu besetzenden Professuren hautnah verfolgen. Zwei Lehrstühle, beide mit der Denomination „Mittlere und Neuere Geschichte“ sollten eingerichtet werden, die eine jedoch mit einem Neuzeitler, die andere mit einem

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Matthias WERNER, in: Irmgard Höß zu Ehren, [S. 1 der Laudatio]. Entlassungsschreiben Flach, 15.12.1945, in: UAJ, BA 2158, Bl. 111. Fakultätsratsprotokoll, 10.10.1950, in: UAJ, M 718/1, Bl. 350-52. Vgl. Hans PATZE: Willy Flach zum Gedächtnis, in: JGMO 8 (1959), S. 349-363, hier S. 359. Zit. nach Ralph JESSEN: Vom Ordinarius zum sozialistischen Professor. Die Neukonstruktion des Hochschullehrerberufs in der SBZ/DDR 1945-1969, in: Richard BESSEL/Ralph JESSEN (Hg.): Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996, S. 67-107, hier: S. 85. Fachliche Stellungnahme zu Irmgard Höß, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1598, Bl. 252. Vgl. zu Lothar Berthod MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 131f. Im Februar 1958 wurde Frau Höß schließlich von Max Steinmetz in einer tribunalartigen öffentlichen Veranstaltung als „Gegnerin des Marxismus“ gebrandmarkt, worauf sie am 14. Mai 1958 die DDR verließ. Sie wurde später Professorin an der Universität Erlangen-Nürnberg. In der Folge des Trierer Historikertages im September 1958 kam es dann auch zur endgültigen Trennung der bis dahin noch gesamtdeutschen Historikerorganisation, als deren ostdeutsche Schatzmeisterin Irmgard Höß nach Griewanks Tod fungiert hatte. Irmgard Höß verfaßte vor diesem Hintergrund auch den programmatischen Kommentar der Ereignisse. Vgl. Irmgard HÖß: Trier – und wie weiter?, in: GWU 10 (1959), S. 725-734. Vgl. auch die Kurzbiographie in: LEHMANN/OEXLE (Hg.): Erinnerungsstücke, S. 280f. Irmgard HÖß: Georg Spalatin 1484-1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation, Weimar 1955, S, XVI. Irmgard Höß hielt für die Mitarbeiter des Instituts die Rede am Grab.

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5. Der Professor in Jena

Mediävisten besetzt. Nur bei Griewank gelang eine Berufung von außerhalb. Als er seine Stelle in Jena antrat, ging er noch davon aus, daß die mediävistische Professur noch zu besetzen sei.216 Es zeichnete sich jedoch bereits eine interne Lösung ab. Der fast 60-jährige Greizer Archivar Friedrich Schneider, bereits seit 1924 außerordentlicher Professor, stand zur Verfügung und vertrat das Fach im Anfangssemester WS 1946/47.217 Griewank, vertraulich befragt, ob er mit Schneiders Berufung einverstanden sei, antwortete: „Persönlich hätte ich gegen die Ernennung von Prof. Schneider durchaus nichts einzuwenden, wenn es natürlich auch erwünscht sein würde, eine wissenschaftlich noch bedeutendere Persönlichkeit zu gewinnen.“218 Schneider war seit April 1920 Leiter des Archivs im „Oberen Schloß“ in Greiz, wo sich seitdem auch seine Privatwohnung befand. Er stammte aus der Schule Alexander Cartellieris, der seine Dissertation 1912 ebenso wie seine Habilitation 1921 betreute. Schneider war also bereits habilitiert, als Griewank noch studierte. Mit ihm wurde mithin auf einen Vertreter der älteren Generation zurückgegriffen. Es ist ein bereits von Wolfgang Weber beschriebenes Phänomen, daß die für den Neuaufbau der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR herangezogenen „bürgerlichen“ Historiker „ganz überwiegend Repräsentanten der traditionell vorherrschenden Richtungen [waren]. Mehr noch: sie kommen teilweise aus genau denjenigen Schulen, die von der marxistischen Wissenschaftsgeschichtsschreibung als besonders reaktionär und politisch rechtsstehend verurteilt wurden.“219 Wie Matthias Steinbachs Cartellieri-Biographie jedoch gezeigt hat, verband sich bei Schneiders Lehrer konservativ-monarchistische Grundhaltung und rankeanische Methodik mit einer weltbürgerlichen Offenheit, die ihn über den deutschen Tellerrand hinausblicken ließ.220 Etwas davon übertrug sich auf seinen Schüler Schneider, auch wenn dessen Spezialgebiet nicht wie bei Cartellieri Frankreich, sondern Italien wurde, genauer gesagt Dante Alighieri, der auch im Zentrum seiner Habilitationsschrift stand. Für den „Dante-Schneider“ wurde dieses Thema gleichsam zum Lebensinhalt. Ein mit diesem Thema zum Ausdruck kommendes „Unbehagen an der Moderne“221 ist sicher ganz typisch für seine Generation. Es war eine Flucht in die Welt der „Divina Comedia“, die auch eine Flucht in ein Nischenthema der Geschichtswissenschaft bedeutete.222 So weisen die Jenaer Vorlesungsverzeichnisse sowohl vor als auch nach 1945 Schneiders Veranstaltungen zu Dante aus. Seine Haltung zum Nationalsozialismus ist zwiespältig zu beurteilen. Die von seinem Schüler Werner Mägdefrau223 betonten Kontakte zum Widerstandskämpfer Ulrich von Hassel und seine massiven Konflikte mit

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Karl Griewank an Adolf Hofmeister, 1.11.1946, in: NL Griewank, Karton 1, Mappe 1 „Persönliches“. Zu Schneider vgl. MÄDGEFRAU: Friedrich Schneider; Matthias STEINBACH: „Spätberufen“. Karrieremuster und wissenschaftliche Profile der Jenaer Historiker Hugo Preller (1886-1968) und Friedrich Schneider (1887-1962), in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 53-89; MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 542; Tina NAUMANN: Der Jenaer Historiker Friedrich Schneider (1887-1962) – Leben und Werk, Magisterarbeit Jena 2002. Karl Griewank an Dekan Wesle, 28.10.1946, in: UAJ, M 822. WEBER: Priester der Klio, S. 314. Die biographischen Angaben Webers sind jedoch zum Teil fehlerhaft, z.B. Prellers Habilitation. STEINBACH: Des Königs Biograph. Otto Gerhard OEXLE: Das Mittelalter und das Unbehagen an der Moderne. Mittelalterbeschwörung in der Weimarer Republik und danach, in: DERS. (Hg.): Geschichtswissenschaft im Zeitalter des Historismus. Studien zur Problemgeschichte der Moderne, Göttingen 1996. Hier folge ich ausdrücklich Tina Naumanns Schlußfolgerungen. NAUMANN: Friedrich Schneider, insbes. S. 57-60. Zu Mägdefrau vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 406.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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dem NS-Historiker Johann von Leers stehen auf der einen Seite.224 Auf der anderen Seite steht sein aus einer militärisch-nationalistischen Grundhaltung heraus erwachsenes Wohlwollen dem Faschismus gegenüber und seiner aus der Italien-Affinität herkommenden Mussolini-Verehrung.225 Schneider erreichte in jedem Fall in der NS-Zeit nicht das ersehnte Ordinariat, obwohl er sich rhetorisch immer wieder andiente, sondern fiel beim Regime in Ungnade. Er galt in den Augen der „kämpfenden Wissenschaftler“ als überkommener Wilhelminer, als „alter Deutschnationaler“.226 War Schneider stets ein unbesoldeter außerplanmäßiger Professor im „Nebenberuf“, erhielt er – nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft – erst in der SBZ/DDR eine feste Professur, für die er seine hauptberufliche Archivarstätigkeit aufgab.227 Anfang 1947 ernannte ihn das Weimarer Ministerium für Volksbildung zum „Professor mit Lehrauftrag“ und am 28. Mai 1947 schließlich zum „Professor mit Lehrstuhl“.228 Im Ministerium war man anfangs recht angetan von Schneiders Willen, sich auf die neuen politischen Verhältnisse einzulassen. So wurde er seit Oktober 1946 liberaldemokratischer Abgeordneter des Thüringer Landtags229 und bot sich explizit als „persönliche Verbindungsstelle zwischen der Universität und der Hochschulabteilung des Volksbildungsministeriums“230 an. Es stellte sich bald jedoch, um Hermann Heimpel zu zitieren, als „bittere Ironie der deutschen Geschichte [heraus, ...] daß der durch und durch ‚bürgerliche’, im Grunde in der Tradition der monarchistischen Zeit fühlende Mann im Jahre 1947 in Jena Ordinarius geworden war. In den letzten Jahren bekamen sein Lächeln und seine Anekdoten einen scharfen Zug.“231 Zweierlei wird hier angesprochen: seine nichtmarxistische Haltung und Methodik, sowie sein ohne Zweifel sehr starker Hang zum Anekdotischen und zur Inszenierung, der freilich nicht jedem gefiel.232 Die Methoden der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft und den Historischen Materialismus lehnte Schneider in der Tat recht deutlich ab. In einer Stellungnahme des SfH-Referenten Max Steinmetz hieß es: „Steht der modernen gesellschaftlichen Entwicklung völlig ohne Verständnis gegenüber.“233 Auch Studenten gegenüber machte er aus dieser Abneigung keinen Hehl.234 Nach Griewanks Tod geriet auch Schneider, der zuvor sich eher aus hochschulpolitischen Konflikten herauszuhalten schien, durch sein Pochen auf die Autonomie der Universität mehrfach in ernste politische Konflikte,

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MÄGDEFRAU: Friedrich Schneider, S. 266-269. Diese teilte wohl auch von Hassel. Vgl. zu Schneiders Haltung zum Nationalsozialismus STEINBACH: Spätberufen, S. 71-82; ausführlich NAUMANN: Friedrich Schneider, S. 63-93. Vgl. STEINBACH: Spätberufen, S. 72-74. Vgl. zu Schneiders Tätigkeit als Archivar: Hagen RÜSTER: Friedrich Schneider (1887-1962), in: Lebensbilder Thüringer Archivare. Festschrift zum 50. Thüringischen Archivtag 2001, Rudolstadt 2001, S. 237-241, hier S. 241. Rektor an MfV, 13.5.1947, in: UAJ, C 466. Schneider war LDP-Abgeordneter der ersten Legislaturperiode (20.10.1946 bis 15.11.1950) und Vorsitzender des Kulturausschusses.; vgl. Herbert GOTTWALD: Der Thüringer Landtag 1946-1952. Ein politischer Abriß, Jena 1994, S. 97. Friedrich Schneider an Kurator, 1.10.1947, in: UAJ, D 3195, PA Schneider, Bl. 23. Hermann HEIMPEL: Nachruf Friedrich Schneider, in: HZ 196 (1963), S. 249. Einige Zeitzeugen brachten in Gesprächen dies sehr deutlich zum Ausdruck. Max Steinmetz, 27.5.1950, in: BA Berlin, DR2/1899, Bl. 39. Vgl. Wenzel RENNER: Friedrich Engels ist mitnichten Geschichtswissenschaftler, in: Helga RIEGE (Leitung des Arbeitskollektivs): Studienbeginn s.t. Heiteres und Ernstes aus der neuen Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 1975, S. 85-88 oder STEINBACH: Spätberufen, S. 87, Anm. 128.

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5. Der Professor in Jena

vor allem während seiner Amtszeit als Dekan (1953-1955).235 Dennoch ließ man ihn im Grunde gewähren, „eine gewisse Schrulligkeit schützte ihn“236, wie Hermann Heimpel meinte. Schneiders Aktivität als Hochschullehrer ist jedoch nicht zu unterschätzen, insbesondere trat er als Anreger und Betreuer zahlreicher Abschluß- und Promotionsarbeiten in Erscheinung und zwar nicht nur zur mittelalterlichen Geschichte, sondern darüber hinaus auch zu Themen der Historiographiegeschichte und zur Thüringischen Landesgeschichte.237 Standen Schneider und Griewank im Grunde in einer ähnlichen Situation, so wäre die Vorstellung einer einheitlichen Linie der beiden ein Trugschluß. Sicherlich funktionierte die Zusammenarbeit: Beide teilten sich die Büroräume,238 beide traten als gemeinsame Prüfer und gegenseitige Zweitgutachter in Erscheinung und informierten sich über die wichtigsten Fakultätsangelegenheiten. Dennoch berichten Zeitzeugen von den fachlichen und menschlichen Unterschieden. Schneider habe durch Exkurse und Weitläufigkeit die Studenten in seinen Bann ziehen wollen, während man bei Griewank eher die gründliche Tiefenanalyse geschätzt habe. Griewanks Vorlesungen ersetzten die damals noch wenig vorhandenen Lehrbücher und referierten die Forschung, während Schneider mit rhetorischem Geschick und Pathos ins Fach einführte und zur Lektüre (vor allem Dantes) anregte. „Schneider kann vielleicht zur Qual werden, wenn ich mich nicht noch an ihn gewöhne; 100 Anekdötchen, mit ungeheurem Ernst vorgetragen, unmögliche Anknüpfungen und Beziehungen. Sein Seminar schenk ich mir“,239 schrieb Gebhard Falk, der aus Halle nach Jena gewechselt war und mit Martin Lintzel einen anderen Typ Mediävisten gekannt hatte, damals an seine Mutter. Schneider sei gerade im freien Vortrag „zu leicht der Versuchung [erlegen], seine Lesefrüchte auszustreuen oder von Dante zu schwärmen“240, erinnert sich Diethelm Böttcher. Die enge GriewankSchülerin Ingeborn Horn sprach nach Griewanks Tod von einer deutlichen „Disharmonie“ zwischen Schneider und Griewank, die diesen sehr belastet habe: „Es waren eben doch zwei zu verschiedene Charaktere, die hier nebeneinander wirkten und durch die Situation zusammenzugehen gezwungen waren.“241 Neben Schneider und Griewank wurde entgegen der ursprünglichen Pläne eine dritte Geschichtsprofessur eingerichtet, die in gewisser Weise ein Novum darstellte, da sie ausdrücklich der Zeitgeschichte gewidmet wurde. Ihre Gründung geht zurück auf eine Initiative der FDJ-Gruppe an der Philosophischen Fakultät zur Einrichtung eines „Instituts für Neueste Geschichte“: „Wir betrachten es als eine der vornehmsten und vordringlichsten Aufgaben der phil. Fakultät, Fachschaft Geschichte[,] sich mit den

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Es handelte sich vor allem um interne Auseinandersetzungen der Fakultät mit staatlichen Stellen, in denen Schneider sich couragiert für die Autonomie der Fakultät einsetzte. Einen Höhepunkt erreichte der Konflikt im Vorfeld der „von oben gewollten“ Ehrenpromotion für Thomas Mann 1955, die durch die Fakultät fast abgelehnt worden wäre und im Zusammenhang mit der abgelehnten Habilitation Felix-Heinrich Gentzens. HEIMPEL: Nachruf Schneider, S. 249. Eine Zusammenstellung der „Doktoranden ab 1.1.1950“, die am 22.3.1957 gefertigt wurde, umfaßt allein 34 von Schneider betreute Promotionen; UAJ, S V 47. Hinzu kommen die von 1946-1949 betreuten Arbeiten. Da Schneider in Greiz wohnte und dort auch arbeitete, nutzte er diese nur zu abgesprochenen Zeiten. Gebhard Falk an seine Mutter, 24.4.1950, in: PrA Falk. Schriftliche Auskunft von Diethelm Böttcher, 22.7.1999. Ingeborg Horn an Willy Andreas, 17.4.1952 [sic!, richtig 1954, wie der Poststempel vom 19.4.54 belegt], in: BGLA Karlsruhe, Nl Willy Andreas, Nr. 811.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Problemen der neuesten Geschichte auseinanderzusetzen und somit einen wesentlichen Beitrag zur Festigung der demokratischen Ordnung in unserer Republik zu leisten.“242 Griewank als Dekan der Philosophischen Fakultät erfuhr von diesem Vorgang nicht nur durch die Zusendung eines Durchschlags „zur Kenntnisnahme und weiteren Veranlassung“, sondern auch durch das Ministerium für Volksbildung in Weimar, das sich ebenfalls für die Einrichtung einsetzte.243 Die Philosophische Fakultät beriet darüber am 14. und 29. Juli 1950.244 Griewank teilte schließlich dem Ministerium mit, daß es „durchaus zu wünschen [sei], daß die Studierenden unserer Fakultät ebenso wie die der benachbarten Fakultäten alle Möglichkeiten zum Studium auch der neuesten Geschichte erhalten, die ihnen geboten werden können, und daß die Lehr- und Forschungsmöglichkeiten in dieser Richtung nach Möglichkeit erweitert werden.“245 Gerade darin läge aber das Problem, die „Erweiterung der wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zur neuesten Geschichte“ hänge „in erster Linie von der Beschaffung ausreichenden Materials“ ab und sei somit nicht zum Nulltarif zu haben. Im Moment seien die „Voraussetzungen nicht gegeben“. Insgesamt legte Griewank (und mit ihm die Philosophische Fakultät) darauf Wert, für die Neueste Geschichte kein eigenes Institut ins Leben zu rufen, sondern sie in den Bereich Geschichte zu integrieren. Die Fakultät und auch Griewank selbst zeigten sich auch deshalb von dem Vorschlag deutlich irritiert, weil dieser von Anfang an mit der Nennung eines Namens verbunden wurde, mithin die Studenten der FDJ einen Berufungsvorschlag gleich mitlieferten: Hugo Preller solle die Leitung der Zeitgeschichte übernehmen. Der Pfarrerssohn Hugo Preller246, Absolvent des humanistischen Gymnasiums Schulpforta, war wie Schneider ein „Spätberufener“, sogar noch ein Jahr älter als dieser. Preller kam aus dem Schuldienst, galt als „guter, ein beweglicher und origineller Lehrer“.247 Als solcher wurde er Anfang der 1920er Jahre ein Anhänger der linken Schulpolitik der Thüringer Regierung und publizierte hierzu nicht nur schulpolitische Aufsätze, sondern propagierte dezidiert eine neue Ausrichtung des Geschichtsunterrichtes und der universitären Geschichtswissenschaft: Er plädierte für die Bedeutung und Betonung der Zeitgeschichte.248 Preller wurde bei Fritz Kern249 in Bonn mit einer Arbeit zur „Weltpolitik im 19. Jahrhundert“ 1923 promoviert. Eine später in Jena geplante Habilitation scheiterte nach seinen eigenen Angaben „in Folge des hartnäckigen Widerstandes des Herrn Prof. Cartellieri“250, vielleicht jedoch auch wegen des fehlen-

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FDJ-Hochschulgruppe Abt. Studiengruppen an den Fakultätsrat der FDJ, 10.5.1950, in: UAJ, M 874. Weiterleitung mit der Zustimmung des Fakultätsrats der FDJ an Dekan Griewank „zur Kenntnisnahme und weiteren Veranlassung“, 22.5.1950, in: ebd. Protokolle der Fakultätsratssitzungen, in: UAJ; M 718/1, Bl. 343-349. Karl Griewank an MfV Weimar, 7.8.1950, in: UAJ, M 874. Dort auch die folgenden Zitate. Zu Hugo Preller vgl. STEINBACH: Spätberufen; Manfred WEIßBECKER: Hugo Preller – ein Zeithistoriker in den Konflikten der Zeit, in: DERS. (Hg.): Gewalten, Gestalten, Erinnerungen. Beiträge zur Geschichte der FSU Jena in den ersten Jahren nach 1945. Protokoll einer Tagung des Thüringer Forums für Bildung und Wissenschaft am 26./27. Oktober 2001 in Jena, Jena 2002, S. 198-210; MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 490f. STEINBACH: Spätberufen, S. 58. In diesem Zusammenhang lesenswert: Hugo PRELLER: Die Thüringer Schulgesetzgebung und der Geschichtsunterricht, in: Vergangenheit und Gegenwart 13 (1923), S. 129-140. Vgl. auch die konzise Darstellung von Prellers geschichtsdidaktischen und schulpolitischen Vorstellungen bei STEINBACH: Spätberufen, S. 63-66. Fritz Kern war bekanntlich auch Walter Markovs Doktorvater. Vgl. Oliver SCHILLINGS: Vom Bourgeois zum Citoyen. Fritz Kern zwischen den Lebenswelten Politik und Wissenschaft, Münster 2001. Lebenslauf vom 19.12.1946 [hier S. 2], in: UAJ, D 3502, PA Preller.

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den wissenschaftlichen Ausweises. Er blieb unhabilitiert, erhielt aber einen Lehrauftrag für „Internationale Beziehungen und Auslandskunde“, den er von 1927 bis 1939 wahrnahm.251 Im Nationalsozialismus wurde Preller denunziert und inhaftiert. Ein internationalistischer, antifaschistischer linker Historiker mit expliziten methodischen Vorstellungen für eine zeitgeschichtliche Ausbildung – mit dieser Vita bot er sich 1945 für den universitären Neuaufbau an.252 Ihm wurde zur Auflage gemacht, binnen 48 Stunden Aufsätze zu zwei zeitgeschichtlichen Themen abzuliefern.253 Offenbar bestand er diese Prüfung, denn 1946 erhielt er einen Lehrauftrag, dann eine Honorarprofessur an der Philosophischen Fakultät.254 Preller wurde schließlich am 17. Juli 1948 zum Ordinarius („Professor mit Lehrstuhl“) für „Auslandskunde“ berufen, allerdings an der neugegründeten Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät (Gewifa) und nicht an der Philosophischen Fakultät.255 Er war der einzige (!) Professor dieser Fakultät, der nicht Mitglied der SED war. Seine Lehrveranstaltungen wurden stets für beide Fakultäten aufgeführt und anerkannt. Dieser Professor der „roten Gewifa“ Hugo Preller sollte nun also Institutsleiter eines neuen „Instituts für Zeitgeschichte“ werden. Das stieß auf Widerstand beim Dekan und Historiker Karl Griewank. Prellers auf Lenin und Stalin rekurrierende Rhetorik und sein explizit geäußertes Ziel, den marxistischen Studenten ein Betätigungsfeld bieten zu wollen, erregten dessen Mißtrauen. In einer Abkoppelung der Zeitgeschichte sah er zudem die Einheit des Faches gefährdet. Die augenscheinlich opportunistische Anbiederung Prellers an FDJ und Ministerium zeigte allerdings inhaltlich, wie jetzt Matthias Steinbach deutlich machen konnte, Kontinuitäten zu Prellers Vorkriegsdenken, denn die Etablierung der Zeitgeschichte und eines linkes Geschichtsbildes entsprachen durchaus Prellers langjährigen Positionen. Er habe – dies betont er verschiedentlich – „ohne Auftrag“ gehandelt.256 Bereits am 20. August 1947 hatte er in der von der Zentralverwaltung organisierten Beratung der Historiker der SBZ die „Entwicklung von Lehrstühlen für neueste Geschichte gefordert.“257 Wie einst Cartellieri wurde nun Griewank für Preller zum Gegner: „Die von mir betriebene Gründung eines besonderen Seminars für Neueste Geschichte [...] konnte nur nach langem, hartnäckigem Ringen mit der von Herrn Prof. Dr. Griewank als Dekan geleiteten, aufs Äußerste widerstrebenden Philosophischen Fakultät durchgesetzt werden. Mein (!) Ziel war ein völlig selbständiges Institut zur Erforschung der neuesten Geschichte im Zeitumfange des Zeitalters des Imperialismus, wie es Lenin abgegrenzt hat, und Errichtung einer gesicherten Arbeitsstätte für unsere marxistischen Studenten.“258

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Unrichtig die Angabe bei Wolfgang Weber, wo Preller mit Habilitation in Jena 1927 erwähnt wird. WEBER: Priester der Klio, S. 315, DERS.: Biographisches Lexikon, S. 451. Hugo Preller an Rektor, 24.10.1945 und 21.12.1945, in: UAJ, M 636. Die Themen waren „Die Revolution 1918 in Thüringen“ und „Nationalsozialistische Bewegung in Thüringen“ Hierzu STEINBACH: Spätberufen, S. 83. Lehrauftrag (23.1.46) und Ernennung Honorarprofessur (11.9.1946), in: UAJ, M 636. Preller Erinnerungen, in: UAJ, V Abt. XIII NL Preller, Nr. 2. Ebd. BA Berlin, DR 2/1492, Bl. 4. Hugo Preller an SfH, 2.7.1951, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1598, Bl. 277. Im wesentlichen textgleich mit „Entstehungsgeschichte des Seminars für Neueste Geschichte und seine ersten Jahre (1950-1952) von Prof. Dr. Hugo Preller“, 29.7.1952, in: UAJ, S V 15, Bl. 12a.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Tatsächlich wurde eine Abteilung für Neueste Geschichte, die im Dezember 1950 mit eigenem Etat ausgestattet wurde, aufgebaut.259 Es kam jedoch nicht zur von Preller und der FDJ gewünschten Gründung eines eigenständigen Instituts; die Abteilung blieb dem von Schneider und Griewank geleiteten Seminar unterstellt. Dies entsprach der von allen Professoren unterschriebenen Stellungnahme der Philosophischen Fakultät.260 Auch wenn das Fach Geschichte in der Philosophischen Fakultät gelehrt wurde, blieb Preller weiterhin als „Professor mit Lehrstuhl“ an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät261 – ein „Sieg des Herrn Griewank auf der ganzen Linie“262, meinte Preller. Mit der Auflösung der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, die im Rahmen der sogenannten „Zweiten Hochschulreform“ zum Studienjahr 1951/52 in Kraft trat, erfüllte sich Prellers Wunsch und er wurde endlich als „Professor mit Lehrstuhl“, also Ordinarius, an der Philosophischen Fakultät (für „Historische Staatenkunde und Neueste Geschichte“) geführt. Diese Gleichberechtigung neben Griewank und Schneider war ihm offensichtlich wichtig. „Er wollte mit allen Mitteln Dritter im Bunde neben Griewank und Friedrich Schneider werden“263, formuliert Manfred Weißbecker hierzu treffend. Für die Studenten blieb vieles beim Alten, da seine Lehrveranstaltungen ohnehin zum Angebot des Fachs gehört hatten. Der DDR-Historiker Werner Mägdefrau schrieb 1966 über Preller: „Seine Lehrveranstaltungen zeigten, daß sich Hugo Preller mit Werken und Klassikern des MarxismusLeninismus gründlich beschäftigte und wichtige marxistische Lehren weitervermittelte. Er war zeitweilig die progressivste Persönlichkeit im Lehrkörper des Historischen Seminars.“264 Diese Einschätzung ist treffend und auch wiederum nicht (geradezu dialektisch). In der Tat hatte Preller keinerlei Berührungsängste zum Historischen Materialismus. Er bot Lehrveranstaltungen zu Lenins Imperialismusbegriff, zum „Kommunistischen Manifest“, zum „Jahr 1917“ und sogar ein Hauptseminar zur Vorgeschichte und Gründung der DDR seit 1945 an.265 Er vertrat jedoch, wie er in einer Selbsteinschätzung dem Ministerium in Weimar mitteilte, die leisen Töne, die es in einem Orchester auch geben müsse, und die dazu dienen könnten, die noch Unentschlossenen an neue Ideen heranzuführen.266 Er betrachte sich selbst zwar „nicht als ‚Marxist’ im revolutionären Sinne des Wortes“, sei aber „als Historiker ein überzeugter Anhänger des historischen Materialismus in dem von Stalin entwickelten Sinne“.267 Diese eher irritierende Selbstdarstellung kann man wohl am ehesten mit Indifferenz,

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Vgl. Heinz HEITZER: „Zeitgeschichte“ 1945 bis 1958. Ihre Grundlegung als Spezialdisziplin der Geschichtswissenschaft der DDR, in: ZfG 35 (1987), S. 99-115, hier S. 105. Philosophische Fakultät an MfV, 7.8.1950, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV, Nr. 3416, Bl. 14. Das Ministerium schließt sich am 26.8.1950 der Meinung der Fakultät an; ebd., Bl. 10-12. Vgl. auch den Schriftwechsel mit der Abteilung für Neueste Geschichte, in: UAJ, S V, 11. Auch hier änderte sich nichts, denn Prellers Veranstaltungen wurden schon vorher für die Studierenden der Geschichte ausgewiesen. Notiz Prellers, 19.12.1950, zit. nach WEIßBECKER, Hugo Preller, S. 202. Ebd., S. 200. MÄGDEFRAU: Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft, S. 67. Proseminar „Lenin, der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ (SoSe 1948), Proseminar „Marx’ Kommunistisches Manifest“ (WS 1947/48), Proseminar „Das Jahr 1917“ (WS 1950/51), Seminar „Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945-1950“ (SoSe 1950). Vgl. auch HEITZER, Zeitgeschichte, S. 105, der die Teilnahme von Walter Schmidt bei letztgenanntem Seminar besonders betont. STEINBACH: Spätberufen, S. 85f. Hugo Preller an SfH, 2.7.1951, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1598, Bl. 278.

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bestenfalls mit einem undogmatischen Marxismusverständnis beschreiben. Nach Opportunismus klingt sie allemal. Gerade durch sein Kokettieren mit dem Marxismus zog sich Preller den Unmut der SED-Anhänger zu. In einer Parteiaktivsitzung berichtete der Geschichtsstudent Kurt Pätzold über Preller unter dem Aspekt der „Reinhaltung der marxistisch-leninistischen Wissenschaft“: Bei ihm beginne „sich der Marxismus-Leninismus als Modeerscheinung breit zu machen, indem er seine Vorlesung mit einigen Zitaten von Lenin und Stalin garniert, z.B. meinte Prof. Preller kürzlich: ‚Meine Damen und Herren, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, habe ich Ihnen als Marxist gesagt’! Wir müssen uns in Zukunft eine derartige Anmaßung unserer Wissenschaft verbieten.“268 Prellers Vorlesung zu „politischen und sozialen Fragen der Gegenwart“ wurde von Mitgliedern und Organisationsgruppen der SED argwöhnisch beobachtet: „Prof. Preller hat ein noch vollkommen bürgerliches Bewußtsein und kann, troztdem [sic] er über einzelne marxistische Kenntnisse verfügt, die jetzigen neuen Gesetze der Regierung der DDR und überhaupt unsere ganze Entwicklung nicht richtig verstehen.“269 Preller galt somit als Pseudomarxist und inhaltlich schwach. Es kam deshalb zu folgenschweren Konfrontationen, die Preller zur tragischen Figur werden ließen. Als studentische Hilfsassistenten stellte Preller marxistisch-leninistisch orientierte Studierende ein, Mitglieder der SED und zum Teil „jugendlich radikal“, um eine Formulierung Prellers zu verwenden. Mit diesen entzündete sich der Konflikt, der im Grunde auf die Ausgangskonstellation zurückzuführen war, nämlich auf die Tatsache, daß es eine Abteilung für Neueste Geschichte ohne die studentische FDJ-Initiative nicht gegeben hätte. Die Hilfsassistenten wollten jetzt nicht nur ausführen, sondern mitreden. Sie warfen Preller vor, sich „diktatorische Vollmachten als Leiter anzueignen.“ Sie kritisierten ihn scharf. Dieser sei, so heißt es in einer Stellungnahme Lothar Bertholds, Kurt Pätzolds und Wolfgang Schumanns, „mit allen Nachteilen der bürgerlichen Professoren behaftet“: „Er weicht einer eindeutigen wissenschaftlichen Stellungnahme aus. In Diskussionen über Fragen des Marxismus überlässt er unseren Genossen die Leitung der Sitzung. Sporadisch treten bei ihm Versuche auf, Genossen, die konsequent die Linie des Marxismus-Leninismus in ihrer wissenschaftlichen Arbeit vertreten, Unwissenschaftlichkeit nachzuweisen.“270 Insbesondere entzündete sich der Streit an der Auswahl der Bücher für die Bibliothek. Nicht für die von Preller angekauften Lexika, sondern für SED-nahe Publikationen sollte das Geld eingesetzt werden. Die Methoden wurden rüde. Preller fand morgens auf seinem Schreibtisch „einen grossen Teller vollgehäuft mit einem wüsten Gemisch von Zigarettenasche, Zigarettenstummeln und Streichhölzern“ vor. Von ihm gekaufte Bücher wurden nicht in die Bibliothek eingestellt, sondern „ohne Nachweis des Grundes wortlos“ in seiner Abwesenheit auf den Schreibtisch gelegt, usw. Seine Hilfsassistenten würden es ablehnen von ihm zu lernen, so Prellers Resümee, „sie zeigen umgekehrt die Tendenz, den 65jährigen Ordinarius belehren zu wollen. So geht das nicht.“271 Der politische

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Protokoll Parteiaktivsitzung, 28.1.1951, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 784, Bl. 3. SED-Fakultätsgruppe Biologie-Landwirtschaft an SED-Betriebsgruppenleitung der Universität, 6.12.1950, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 2396, Bl. 47. Aktennotiz Lothar Berthold, Kurt Pätzold, Wolfgang Schumann, undat., in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 2122, Bl. 31a. Textgleich mit dem Tippfehler „Schuhmann“, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1598, Bl. 288. Hugo Preller, 2.7.1951, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1598, Bl. 280.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Charakter der Auseinandersetzung war den Beteiligten völlig klar.272 Preller ging es um die „Kernfrage [...]: Soll ein historisches Seminar als Institution einer Universität wissenschaftlichen Charakter haben oder augenblicklichen und mit den wechselnden Bedürfnissen des Tages wechselnden politisch-agitatorischen Zwecken im Sinne der politischen Tagespresse dienen.“273 Auch die Verwaltungsdirektorin Hanna Henniger stellte dazu fest: „Nach Ansicht von Herrn Prof. Preller haben die Differenzen reine Verwaltungsfragen zur Ursache. Aussprachen mit den Studenten und Herrn Prof. Preller bewiesen deutlich, dass die wahre Schuld ideologische Differenzen sind. Herr Prof. Preller bezeichnet sich selbst als historischen Materialisten und nicht als Marxist, während die Studenten Interesse an marxistischen Studien haben und ihm in dieser Hinsicht überlegen sind. Es ist selbstverständlich, dass das Institut für neueste Geschichte nur den dialektischen Materialismus als wissenschaftliche Grundlage haben kann.“274

Die Verwaltungsdirektorin Hanna Henniger hatte eine wichtige Rolle beim Zustandekommen der Abteilung für neueste Geschichte gespielt. Sie geriet wenig später in die Mühlen der stalinistischen Säuberungen.275 Kurt Pätzold erinnert sich, daß Lothar Berthold, Wolfgang Schumann und Günther Schmerbach und er „für die Anschaffung einer Bibliothek dank unserer guten Beziehungen zur Verwaltungsdirektorin Hanna Henniger [Finanzmittel] herausgeschlagen hatten.“276 Daraus speiste sich der auslösende Streit um die Buchbestellung. Die jungen Heißsporne sahen die Gelder als ihren „Etat“ an und informierten Henniger über die ihrer Meinung nach falsche Verwendung. Preller erregte sich: „Ob es zu den Kompetenzen der Frau (!) Verwaltungsdirektor gehört, sich in die inneren Angelegenheiten eines Seminars zu mischen, soweit diese ausserhalb des rein Wirtschaftlich-Geschäftlichen liegen, weiss ich nicht. Sie ist von den oder einem Hilfsassistenten darum angegangen worden, nicht von mir.“277 Die Konsequenz war, daß Preller bereits 1952 pünktlich emeritiert wurde, was nicht üblich war und was Karl Griewank seitens der Fakultät sichtbar irritierte und überraschte, denn ein Nachfolger schien überhaupt nicht in Sicht zu sein. Den Vorschlag, Preller fristgerecht zu emeritieren, formulierte hinter dessen Rücken sein eigener Assistent Karl-Heinz Leidigkeit mit der jovialen Bemerkung, Preller könne ja die „Genehmigung

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Zwar wurde jetzt von Manfred Weißbecker nahegelegt, diese Differenzen vor allem unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzstreitigkeiten einzuordnen. Ganz kann er die politische Dimension jedoch nicht von der Hand weisen und verweist auf die „vielleicht gut gemeinten, aber dennoch völlig verkehrten und ernsthaft nicht zu vertretenden Standpunkte, bürgerliche Hochschullehrer seien unwissenschaftlich, weil idealistisch denkend.“ WEIßBECKER, Hugo Preller, S. 203. Hugo Preller, 2.7.1951, in: BA Berlin, DR3/1. Schicht/1598, Bl. 280. Hanna Henniger an SfH, 18.6.1951, in: BA Berlin, DR3/1. Schicht/1598, Bl. 285. Hanna Henniger war im Widerstand gegen den Faschismus als Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands-Opposition (KPO), also jener Gruppe, die sich von der Hauptlinie der KPD abgespalten hatte und gegen Thälmann agierte, aktiv gewesen und von den Nazis inhaftiert. Zur Verfolgung der KPO-Mitglieder innerhalb der SED vgl. Thomas KLEIN: „Für Einheit und Reinheit der Partei“. Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 5256, 124-129. Vgl. zu Henniger jetzt Tobias KAISER: Stalinistische Säuberung – Anmerkungen zum Schicksal der ersten Verwaltungsdirektorin Hanna Henniger, in: Uwe HOßFELD/Tobias KAISER/Heinz MESTRUP (Hg.): Hochschule im Sozialismus. Studien zur Geschichte der FriedrichSchiller-Universität Jena (1945-1990), Köln/Weimar/Wien 2007, im Druck. PÄTZOLD: Studienjahre, S. 127. Auch Pätzold wurde in der Folge der „Säuberungen“ mit einer Parteistrafe belegt, wobei ihm Günther Schmerbach in den Rücken fiel. Hugo Preller, 2.7.1951, in: BA Berlin, DR3/1. Schicht/1598, Bl. 278. Das Ausrufezeichen hinter „Frau“ bezieht sich wohl darauf, daß im Schreiben des SfH an Preller versehentlich von einem „Herrn Verwaltungsdirektor“ gesprochen wurde; SfH (Herwig Förder) an Hugo Preller, 28.6.1951, in: ebd., Bl. 284.

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5. Der Professor in Jena

erhalten, die Alte Geschichte zu lesen (Orient, Griechenland, Rom).“278 Leidigkeit führte insbesondere ins Feld, daß im kommenden Herbst fünf Absolventen, von denen „wenigstens 3 der Hochschule belassen“ werden sollten, fertig würden. Preller sei es aber zuzutrauen, bei der Beurteilung der Examensarbeiten die gewünschte Protegierung zu mißachten. Es sei schon vorgekommen, daß „P. eine Arbeit mit 3 [bewertete], die Dr. Gentzen mindestens als sehr gut bezeichnet.“ Auffallend die taktisch-politische Überlegung, marxistisch-leninistischen Nachwuchs zu fördern. Zudem wurde hier der Name des Dozenten Felix-Heinrich Gentzen279 genannt, der anschließend unhabilitiert mit der Wahrnehmung der Prellerschen Stelle beauftragt und volles Prüfungsrecht erhalten sollte. Zunächst zeigte sich jedoch die Fakultät so konsterniert, daß man die Entlassungsurkunde an Preller nicht aushändigte und um eine Revision der Entscheidung bat. Nun erfuhr Preller doch noch die Solidarität Griewanks, der die Verdienste des Kollegen besonders betonte.280 Den Personalvorschlag lehnte Griewank mit der geschmeidigen Begründung ab, daß das „auf eine unzweckmäßige persönliche Belastung von Dr. Gentzen hinauslaufen“281 würde. Der Protest half nichts: Gentzen übernahm die Leitung und durch die Betreuung der ersten ideologischen Arbeiten der Jenaer Geschichtswissenschaft auch eine „Brückenkopffunktion“ für ein parteiliches Geschichtsverständnis. Aus Sicht der DDRHochschulpolitik galt die Gründung der Kaderschmiede „Abteilung für Neueste Geschichte“ mit dem marxistischen Leiter Gentzen als „ein Erfolg der marxistischen Kräfte am Historischen Seminar und darüberhinaus an der ganzen Universität und im Staatsapparat.“282 Das „bürgerliche Dreigestirn“ Griewank, Schneider, Preller hatte seinen linken Stern, der wohl am schwächsten leuchtete, verloren. Felix-Heinrich Gentzen (1914-1969) gilt als ein ideologischer Hardliner, sowohl die Akten als auch die Zeitzeugen bestätigen dies. Gentzen war im Zweiten Weltkrieg als Wehrmachtsoffizier in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten und bekannte sich während der Gefangenschaft zur marxistisch-leninistisch-stalinistischen Weltanschauung. Es wurde schnell kolportiert, daß er früher ein „scharfer Hitler-Anhänger [gewesen sei], jetzt genau so fanatisch kommunistisch.“283 Gentzens nationalsozialistisches Engagement erklärt sich vor einem dramatischen Familienhintergrund. Sein Vater Dr.Ing. Felix Gentzen war glühender Anhänger der NSDAP, seit 1929 Mitglied. Das Weltbild von Gentzen senior wurde jedoch erschüttert, als er bei seinen „wiederholten Bemühungen, im Ariernachweis auch in der letzten Spalte über das letzte einwandfreie Datum von 1801 hinaus vorzustoßen [...] schließlich auf einen getauften Juden mit vollständiger Namensänderung“284 stieß. Pflichtgemäß und völlig erschüttert meldete er dies selbst der Partei. Er stellte „auf dem Gnadenwege“ einen Antrag, seine NSDAP-

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Aktennotiz Preller [Bericht über den Besuch Leidigkeits im SfH Berlin], 16.8.1952, in: BA Berlin, DR 3/1.Schicht/1598, Bl. 270. Dort auch die folgenden Zitate. Zu Felix-Heinrich Gentzen (1914-1969) vgl. MERTENS: Von Priestern der Klio, S. 142. Griewank an SfH, 2.12.1952, in: BA Berlin, DR 3/1.Schicht/1602, Bl. 196. Ebd., Bl. 195. Das SfH hatte mit der gleichermaßen höflichen Form Griewanks Einfluß beschränken wollen, da dieser ja „weitestgehendst [sic] mit Arbeit überlastet“ sei und man ihm deshalb die Leitung der Abteilung nicht zusätzlich übertragen könne; 14.10.1952, ebd., Bl. 196. BUCHMANN: Entwicklung des Historischen Instituts, S. 39. Bericht Diplom-Philosoph, geb. 1928, „Zone verlassen am: 17.2.1955“, in: BA Koblenz, B 285, Nr. 209. Der Bericht ist offenkundig an vielen Stellen reißerisch-überzogen und deshalb quellenkritisch mit Vorsicht zu sehen. Siehe dazu oben S. 212, Anm. 283 und unten S. 377, Anm. 168. Felix Gentzen, 27.1.1938, in: BA Berlin, BDC, PK 03347 Gentzen, Felix.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Mitgliedschaft behalten zu dürfen.285 Durch Hitler persönlich wurde diesem am 22. Juli 1939 stattgegeben, was Gentzen senior mit dem Versprechen noch strengerer Pflichterfüllung quittierte. In diesem familiären Klima – militärisch, faschistisch, fanatisch, antikirchlich286 – wuchs Gentzen somit auf. Für Felix-Heinrich Gentzen bedeutet der Bruch mit dem Faschismus zugleich auch ein Bruch mit der Familiengeschichte. Er verschrieb sich nun dem Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft und insbesondere der Pflege der Beziehungen zur Sowjetunion. Die osteuropäische, insbesondere die polnische Geschichte wurde sein Spezialgebiet. Eines seiner Vorhaben bestand darin, die Oder-Neiße-Grenze historisch nachzuweisen. Ein anderes Betätigungsfeld lag im Aufdecken der Vergangenheit westdeutscher Ostforscher.287 Deshalb taucht sein Name jetzt in den Fußnoten neuerer historiographischer Forschungen auf, in denen es um Aubins oder Schieders NS-Vergangenheit geht. Ansonsten hat Gentzen wissenschaftlich keine Spuren hinterlassen. Studiert hatte er bei Eduard Winter, dem in die DDR übergesiedelten Österreicher, der als die Kapazität der Osteuropäischen Geschichte in Ostdeutschland galt.288 Winters Gutachten für Gentzens Aspirantur fiel freilich eher verhalten aus (auch wenn er die stärkste Einschränkung in der Urschrift gestrichen hatte und wohl nicht weiterleitete): „Seine Seminarvorträge zeigen selbstständiges wissenschaftliches Urteil. F. H. Gentzen wird wohl nie ein genialer Historiker mit grossem Schwung und weitem Blick werden, aber sicher ein fleissiger unbedingt marxistischer Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber werden, der durch seinen Fleiss vieles schaffen wird.“289 Gentzen versuchte 1954 vergeblich in Jena zu habilitieren.290 Hier zeigte die Philosophische Fakultät unter dem Dekan Friedrich Schneider ihren Unwillen, sich einem politischen Druck zu beugen. Man ließ sich insbesondere die Arbeit von Günter Mühlpfordt291 aus Halle kommen und argumentierte mit deren besserer Qualität. Vor allem war es jedoch die Nichteinhaltung der akademischen Gepflogenheiten und der Habilitationsordnung, die

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„Meine Mutter, sowie deren Eltern und Großeltern sind bezw. waren sämtlich hellblond. Bilder der aufsteigenden Linie bis zur Tochter des Juden (Halbjüdin, geb. 1801) lege ich bei. Ebenso ist die Ahnentafel beigefügt, aus der hervorgeht, dass 94% meiner Ahnen arisch sind.“ ebd. Vgl. zum Vater auch BDC RKK 2400, Box 0091, File 24. Dort wurde der Kirchenaustritt mit Beginn der NS-Begeisterung registriert. Vgl. Felix-Heinrich GENTZEN/Eberhard WOLFGRAMM: „Ostforscher“ – „Ostforschung“ (Taschenbuch Geschichte; 7), Berlin (O) 1960. Eduard Winter (1896-1982) war als ehemaliger Mitarbeiter der Richard-Heydrich-Stiftung in Prag nicht unumstritten, wurde jedoch bald bereits Rektor in Halle. Vgl. ROTH: Heydrichs Professor, S. 335f.; KEßLER: Exilerfahrung, S. 268f.; Konrad GRAU: Eduard Winter (1896 bis 1982), in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, S. 358-375; Eduard WINTER: Erinnerungen (1945-1976), hg, von Gerhard OBERKOFLER, Frankfurt (M) 1994. Eduard Winter: Gutachten über Felix-Heinrich Gentzen, 24.11.1948, in: ABBAW Berlin, NL Eduard Winter, Nr. 397. Durchstreichung im Original. Vgl. Joachim BAUER: Jubelschrift und Selbstvergewisserung. Traditionssuche an der FriedrichSchiller-Universität nach 1945, in: Werner GREILING/Hans-Werner HAHN (Hg.): Tradition und Umbruch. Geschichte zwischen Wissenschaft, Kultur und Politik [Festschrift für Herbert GOTTWALD zum 65. Geburtstag], Rudolstadt/Jena 2002, S. 235-250. Die politischen Maßnahmen gegen Mühlpfordt fielen erst in das Jahr 1958. Noch galt er als fachlich vorbildlicher Historiker mit SED-Parteibuch. Er war jedoch im Gegensatz zum Ideologen Gentzen durch und durch ein Sozialdemokrat. Vgl. Margarete WEIN: Der „Fall Mühlpfordt“ 1947-1989 und Ulbrichts Verfolgungskampagne an der Universität Halle. Mit Exkurs: Lehren der Geschichte – Zur Lage nach den Wahlen 1998, in: Erich DONNERT (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter MÜHLPFORDT, Köln/Weimar/Wien 1999, Bd. 5, S. 777-819; vgl. ferner: Ulrich NEUHÄUSSER-WESPY: Günther Mühlpfordt und die Gleichschaltung der DDRGeschichtswissenschaft in den fünfziger Jahren, in: ebd., S. 721-744.

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man Gentzen zur Last legte.292 Er ließ seine Habilitationsschrift an die von ihm gewünschten polnischen Gutachter von einem Mitarbeiter des SfH ohne Wissen der Fakultät zusenden. Diese Verletzung der Habilitationsordnung führte zur Ablehnung durch die Fakultät. In einer prominent besetzten Aussprache, zu welcher Staatssekretär Harig aus Berlin anreiste, wurde das Verfahren suspendiert.293 Gentzen habilitierte dann später in Leipzig.294 Er geriet 1957 in Leipzig selbst im Rahmen eines Parteiverfahrens unter Beschuß, da er eine kirchlich gebundene Frau geheiratet hatte, und erhielt eine „schwere Rüge“.295 Im Juli 1952 war er in Jena noch vehement gegen die Aktivität der evangelischen Studentengemeinde vorgegangen und sein scharfer Text „Gegen versteckte Kriegspropaganda unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe“ war im SED-Schaukasten vor der Mensa zu sehen gewesen, womit er nicht nur die ESG, sondern auch den kirchlich gebundenen Griewank und seine Schüler traf.296 Auch schreckte Gentzen nicht davor zurück, in offener Rede seiner Kollegin Irmgard Höß Unwissenschaftlichkeit vorzuwerfen. Karl Griewank protestierte dagegen vehement.297 Es war nur einer von vielen weltanschaulichen Konflikten im Umfeld Karl Griewanks, von denen zu berichten ist.

5.2.4.Geschichtsstudium nach 1945 – Suche nach Orientierung Die Geschichte der Studierenden der SBZ/DDR ist noch nicht geschrieben.298 Es gibt für die DDR keine an die Pionierstudien von Konrad Jarausch und Michael Grüttner anknüpfende Untersuchung.299 Es fehlt eine Analyse der sozialen und regionalen

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Dieser hatte etwa 14 Tage vor dem Einreichen seiner Habilitationsschrift Irmgard Höß befragt, ob es nicht eine Möglichkeit gebe, seine Gutachter selbst auszuwählen, offenbar in der Annahme, daß dies bei Höß’ Habilitation so gewesen sei: „Herr Gentzen berichtete mir, dass er vier Gutachter für seine Arbeit haben wolle und nannte mir als die von ihm erwünschten Gutachter schon die Herren Schilfert und Markov und die beiden polnischen Gelehrten. Ich riet ihm, keine diesbezüglichen Wünsche zu äussern und drückte mein Erstaunen darüber aus, dass ihm an so vielen Gutachtern gelegen sei. Ich fragte dann noch, warum er sich denn nicht in Berlin bei Herrn Winter habilitieren wolle, der doch der beste Kenner der osteuropäischen Geschichte sei; für Berlin spreche doch auch, dass sein Betreuer, Herr Schilfert, Mitglied der Berliner Philosophischen Fakultät sei. Hierauf antwortete mir Herr Dr. Gentzen – ich gebe seine Antwort sinngemäss wieder; an den genauen Wortlaut seiner Formulierung kann ich mich nicht mehr mit Sicherheit erinnern -, Herr Winter verstehe ihm zuviel von der von ihm behandelten Materie.“ Stellungnahme Doz. Dr. phil Irmgard Höß, 24.5.54, in: UAJ, M 656. Hervorhebung im Original. Höß gibt an, die Stellungnahme auf Bitten Friedrich Schneiders aktenkundig gemacht zu haben. Protokoll einer Besprechung im Rektorat, 6.5.1954, in: ebd. Anwesend waren Staatssekretär Harig. Rektor Hämel, Dekan Schneider, Prodekan Besseler, der „Senior“ Zucker und der Exdekan von Jan. Vgl. BAUER:Jubelschrift, S. 248. Vgl. KOWALCZUK: Legitimation, S. 294. DIDCZUNEIT: Geschichtswissenschaft an der Universität Leipzig, Bd. 1, S. 172. Felix-Heinrich Gentzen, 1.7.1952, in: UAJ, BC 540, unpag. Siehe auch unten Kapitel 5.5.3. Vgl. BAUER: Jubelschrift, S. 248. Hierzu zur Bestandsaufnahme und Möglichkeiten vgl. Oskar ANWEILER: Hochschulpolitik in Ostmitteleuropa und in der SBZ/DDR – alte Themen, neue Fragen, in: GG 24 (1998), S. 81-87. Vgl. Konrad H. JARAUSCH: Deutsche Studenten 1800-1970, Frankfurt (M) 1984; GRÜTTNER: Studenten im Dritten Reich. Vgl. für Jena detailliert Otto GEBHARDT: Die Entwicklung des studentischen Lebens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von der Zerschlagung des Hitlerfaschismus bis zur Einführung der Hochschulreform, Diss. phil. Jena 1958. Vgl. aus westdeutscher Sicht, sehr

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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Herkunft, der Fächerverteilung, der Parteizugehörigkeit oder der Geschlechterverteilung. Dies kann hier auch nicht geleistet werden, versucht wird jedoch eine qualitative Beschreibung des universitären Milieus im unmittelbaren Umfeld Griewanks. Die Jenaer Studierenden des Fachs Geschichte stellten eine überschaubare Gruppe dar.300 Zwar gab es mit Wiederbeginn des Studienbetriebs im WS 1946/47 ca. 120 Studierende der Geschichte, die meisten jedoch im Nebenfachstudium. Die Anzahl der Hauptfachstudierenden war mit 16 (WS 1946/47) bzw. 51 (SoSe 1947) und 73 (SoSe 1948) recht gering.301 Studienplätze waren in allen Besatzungszonen heiß begehrt.302 Die Aktion „Arbeiter- und Bauernkinder an die Universität“ hatte in der Sowjetischen Zone dafür gesorgt, daß der Prozentsatz der sogenannten „Arbeiterstudenten“ in Jena („Bauernstudenten“ gab es hier so gut wie nicht) von 5 auf 30% gestiegen war.303 Auch im Fach Geschichte waren von Anfang an Kinder aus proletarischen Elternhäusern immatrikuliert.304 Ansonsten half bei der Zulassung zum Nachweis der antifaschistischen Gesinnung auch die formale Mitgliedschaft in einer der zugelassenen Parteien. Im Sommersemester 1948 waren von 73 Hauptfachstudenten 30 (41,1%) Mitglied der SED, 10 Studierende (13,7%) Mitglied der LDPD, 6 (8,2%) der CDU und 27 (37,0%) parteilos.305 Die soziale Lage der Studierenden war – dies gilt für alle Besatzungszonen – in der unmittelbaren Nachkriegszeit denkbar schlecht.306 Sie erhielten zunächst die schlechtesten Lebensmittelkarten307, mußten Studiengebühren und Vorlesungsgebühren entrichten bzw. sich um ein Stipendium bemühen. Viele der damaligen Studenten erinnern sich daran, daß sie gehungert und im Winter auch gefroren haben. Dennoch war die Studentenschaft der frühen Nachkriegszeit in allen Besatzungszonen zu einem sehr hohen Maße engagiert und leistungsorientiert.308 Sie war zudem, vor allem in der sowjetischen Zone und in Berlin, politisch engagiert, wie ein Blick auf die Diskussionen in den Gremien der verfaßten Studentenschaft zeigt. Für die Geschichtsstudenten kam hinzu, daß politisches Denken und Handeln in ihrem Fach eine direkte Rolle spielten. Für die damaligen Studierenden der Geschichte, dies wurde bei den Gesprächen mit den Zeitzeugen sehr deutlich, bedeutete ihr Studium eine „Suche nach Orientierung und Vorbildern“309. Immer wieder tauchte das Motiv auf, daß das Studium

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informativ, aber mit zeitgemäß eingeschränktem Quellenzugang Gabriele HUSNER: Studenten und Studium in der DDR, Köln 1985. Die folgenden Angaben nach MÄGDEFRAU: Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft, S. 66. Ebd. Jedoch schwenkten viele Studenten der Germanistik in den Folgejahren auf Geschichte um, da die Germanistik in Jena zunächst personell schwach besetzt war. Zum „hartnäckig, oft verzweifelt geführten Kampf um Studienzulassung“ in den westlichen Zonen vgl. Waldemar KRÖNIG/Klaus-Dieter MÜLLER: Nachkriegs-Semester. Studium in Kriegs- und Nachkriegszeit. Wiesbaden 1990, Zitat S. 277. STEINMETZ: Geschichte der Universität, Bd.1, S. 698. 9 der 16 Hauptfachstudenten des WS 1946/47 zählten zu dieser Kategorie, MÄGDEFRAU: Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft, S. 66. UAJ, BB 210. Die Quote der Parteilosen ist bei den Frauen auffallend höher: Von den insgesamt nur 24 weiblichen Studierenden (33,3%) waren 11 (45,8%) parteilos. Das ist zweifellos Ausdruck einer traditionellen Rollenvorstellung, wonach Politik angeblich „Männersache“ sei. Vgl. zur Versorgungslage GEBHARDT: Entwicklung des studentischen Lebens, S. 95-102. In der Sowjetischen Besatzungszone galt dies bis zum 1.9.1947. Vgl. ebd., S. 100. Vgl. KRÖNIG/MÜLLER: Nachkriegs-Semester. Vgl. auch am Göttinger Beispiel Herbert OBENAUS: Geschichtsstudium und Universität nach der Katastrophe von 1945. Das Beispiel Göttingen, in: Karsten RUDOLPH/Christl WICKERT (Hg.): Geschichte als Möglichkeit. Über die Chancen der Demokratie. Festschrift für Helga GREBING, Essen 1995, S. 307-337. Dies ist ein allgemeines Ergebnis der gruppenbiographischen Untersuchung von Krönig und Müller; ebd., S. 67-80.

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der Geschichte aus der Erfahrung des NS und des Krieges heraus mit der Frage nach dem „Warum?“ verbunden wurde. Ein damaliger Student hat es im Gespräch so formuliert: „Also, ich hatte gar keine Vorstellung, was ich damals mit dem Geschichtsstudium mal anfangen könnte. [...] Aber darüber habe ich gar nicht nachdacht. Ich wollte wirklich Geschichte studieren, um dahinter zu kommen, was sich da abgespielt hat.“310 Um sich dieser Frage nähern zu können, gibt es prinzipiell verschiedene Möglichkeiten. Sehr selten wurde die Schuldfrage direkt thematisiert und somit „Zeitgeschichte“ betrieben. Prellers Vorstöße und die Gründung einer Abteilung für Neueste Geschichte müssen als Ausnahme angesehen werden. Freilich gab es die Pflichtveranstaltungen in Gegenwartskunde, die unter dem Titel „Politische und soziale Fragen der Gegenwart“ firmierten, die sich allerdings an alle Studierenden wandten und nicht zum Kanon des historischen Fachstudiums gehörten. Karl Griewanks Arbeitsschwerpunkt lag auf der Geschichte des 19. und früherer Jahrhunderte, auch wenn er sich in seinen Veranstaltungen bis ins 20. Jahrhundert vorwagte. Er konnte dennoch Orientierung bieten. Für ihn galt es, das selbständige historische Denken zu schulen. Seine Studenten wurden so zu kritischen und politisch reflektierenden Analysen angehalten. Griewank suchte mit seinen Studenten nach den demokratischen Wurzeln der Gesellschaft, nach Beispielen, an denen man das Denken über Zusammenhänge schärfen konnte. Die Geschichte der demokratischen Ideen, der politischen Bewegung, der Revolutionen, aber auch der Reformationszeit waren für ihn Themen, die zur genauen Analyse anregen sollten. Hier lernte man, so wurde mir immer wieder erzählt, die Wertschätzung eines demokratischen Humanismus, ohne daß dieser dogmatisch oktroyiert wurde. Magda Wyrwol, eine Absolventin und spätere Assistentin Griewanks formulierte: „Kritik und Urteilsvermögen sind die wichtigsten Voraussetzungen für den Historiker. [...] Diese Fähigkeit zu historischem Urteil und Verständnis zu wecken und zu fördern, ist die Aufgabe des Geschichtsstudiums.“311 Die Kompetenz und Integrität der Lehrerfigur zog eine Reihe von Schülern in ihren Bann. Über die Arbeiten der Schüler und Doktoranden und deren Lebenswege wird noch zu sprechen sein.312 Bemerkenswert ist hier jedoch der Zusammenhalt der „Griewankianer“, die sich schon während ihres Studiums trafen, um sich über das Fach und gemeinsame Interessen auszutauschen. Eine Gruppe von Griewank-Schülern, die viel zusammen unternahm, nannte sich die „Historische Familie“ und war eine temporäre, freie Gruppe.313 Zu ihr gehörten unter anderem etwa Friedrich Beck, Nora Beninde, Hans-Stephan Brather, Horst Drechsler, Manfred Fritsche, Irmtraut Förster (spätere Schmid), Gerhard Henninger, Gertraud Krause (spätere Sperka), Hans Heinrich Möller, Rudi Müller, Gerhard Schmid, Gertraud Schulz, Gertraut Tolksdorf (spätere Böttcher), Alexander Tuschke und Ursula Weinert. Die Freunde tauschten sich vor allem über kulturelle und politische Angelegenheiten aus, unternahmen gemeinsame Ausflüge in die nähere Umgebung, gelegentlich auch mal eine Bahnfahrt (Abbildung 7). Es fanden sich bei den Kommilitonen Gleichgesinnte, die historisch Interessierten trafen sich auch privat. Aus dem Schülerkreis Griewanks heirateten zum Beispiel Diethelm

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Mdl. Information Gerhard Schmid, 18.10.2000. Das Zitat stammt aus der Treitschke-Diskussion, die im Kapitel 5.4. ausführlich behandelt wird. Magda Wyrwol, in: Methodische Fragen der Geschichtsschreibung. Wissenschaftliche Diskussion in den Räumen des Historischen Seminars der Friedrich-Schiller-Universität in Jena am 16. Janu[a]r 1951, in: UZJ 3 (1951), Nr. 2/3, S. 5-14, hier S. 8. Siehe unten Kapitel 8.2. Mdl. Information, Gerhard und Irmtraut Schmid, 18.10.2000.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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und Gertraut Böttcher, Gerhard und Irmtraut Schmid, Karl-Heinz und Marianne Hahn oder Otfried und Ingeborg Horn. Wenn Griewank von Studierenden aufgesucht wurde, die Studienprobleme hatten oder von grundsätzlichen Sinnfragen geplagt wurden, erwies er sich als ernsthafter Ratgeber. So erinnert sich Ruth Weiß, geb. Wehowsky, daran, daß sie Griewank einmal mit ganz grundsätzlichen Zweifeln am Sinn der Geschichte aufgesucht hatte. Er habe sich lange und ernsthaft mit ihr unterhalten und ihr einige Literatur genannt, von der ihr Heussis „Vom Sinn der Geschichte“314 noch in Erinnerung war.315

Abbildung 7: Ausflug der "Historischen Familie"316 (v.l.n.r. hinten: Gerhard Schmid, Rudi Müller, Mitte: Nora Beninde, Ernst Müller; vorne: HansStephan Brather, Irmtraut Förster, Manfred Fritsche, Gerhard Henninger)

Für die Suche nach Orientierung spielte die Tatsache, daß zu dieser Zeit in Jena – im Unterschied zu einigen anderen Universitäten der SBZ/DDR – kein marxistischer Professor lehrte, natürliche eine erhebliche Rolle. Die neue Heilslehre des MarxismusLeninismus-Stalinismus317 bot für eine ganze Reihe von Studierenden die Antwort auf die Warum-Frage. Den Kapitalismus mit seiner marktwirtschaftlichen, „ausbeuterischen“ Funktion galt es für diese zu überwinden. Fritz Klein und Joachim Petzold beschreiben in ihren Erinnerungen an die Studienzeit diese Faszination der marxistischen Weltdeutung, die in Berlin verstärkt wurde durch beeindruckende Lehrer mit ungewöhnlichen couragierten Lebenswegen.318 Das entspricht dem allgemeinen

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Karl HEUSSI: Vom Sinn der Geschichte. Augustinus und die Moderne, Jena 1930. Mdl. Information Ruth Weiß, 11.1.2000. PrA Schmid. Wolfgang Küttler hat zu Recht daraufhingewiesen, daß „der ‚Marxismus-Leninismus’ im engeren Sinne [...] direkt auf Stalins dogmatische Leninismus-Interpretation zurückging“; Wolfgang KÜTTLER: Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft und das Systemdenken im OstWest-Konflikt, in: DERS./Jörn RÜSEN/Ernst SCHULIN (Hg.): Geschichtsdiskurs, Bd. 5: Globale Konflikte, Erinnerungsarbeit und Neuorientierungen seit 1945, Frankfurt (M) 1999, S. 75-105, hier S. 78. Klein wurde so zum Schüler des Remigranten Alfred Meusel, der ihn besonders beeindruckte, Petzold wurde Schüler des Altkommunisten Albert Schreiner, den er als „eine beeindruckende und

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5. Der Professor in Jena

Wunsch nach Orientierung und Vorbildern, den Krönig und Müller für die Studierenden aller Besatzungszonen ausmachen konnten.319 Und auch wenn keine marxistischen Geschichtsprofessoren in Jena vorhanden waren, gab es doch marxistisch-leninistisch orientierte Studierende, die sich als Erneuerer bzw. Verbesserer des Fachs sahen. Werner Mägdefrau hat es 1966 in einem Aufsatz über die Jenaer Geschichtswissenschaft in parteilicher Formulierung folgendermaßen ausgedrückt: „So ist es eine bedeutsame neue Erscheinung festzustellen, daß die Weltanschauung des Proletariats, der Marxismus-Leninismus, zuerst unter den Studenten Fuß faßte und sich ein Kern marxistisch gesinnter Kräfte herausbildete. Diese marxistischen Geschichtsstudenten hatten es sehr schwer, sich das theoretische Rüstzeug anzueignen, das ein marxistischer Historiker braucht.“320 In der Zeit, als Griewank in Jena lehrte, gehörten zu dieser Gruppe der marxistischleninistischen Geschichtsstudenten, die deutlich in der Minderheit waren, etwa Kurt Pätzold, Walter Schmidt, Lothar Berthold, Wolfgang Schumann, Karlheinz Leidigkeit, Günther Schmerbach, Rudolf Ludloff oder Erich Tennigkeit, also später – universitätsintern und zum Teil weit darüber hinaus – bekannte Personen.321 Diese Studierenden waren außerordentlich engagiert in der Parteiarbeit, aber auch im Studium. Bereits vor Eintritt in das Studium erhielten SED-Mitglieder einen Brief ihrer Partei: „Werter Genosse [...] Damit Du als Mitglied unserer Partei und als Arbeiterkind den bürgerlichen Studenten mit Deiner marxistischen Weltanschauung klar und überzeugend entgegentreten kannst, führen wir vom 3.-31. August in Luisenthal bei Gotha einen Sonderlehrgang für ‚Studiumsbewerber’ durch, an dem Du teilnehmen sollst.“322 Hier wird eine soziale und ideologische Gruppe geformt, die das Studium bereits mit einem Parteiauftrag und entsprechendem Sendungsbewußtsein begann. Es wurde bereits erwähnt, daß die Abteilung für Neueste Geschichte auch räumlich von den anderen Büros und Seminarräumen getrennt war und eine eigene Bibliothek besaß. Dort traf man die Gruppe der Marxisten-Leninisten häufiger, zumal einige dort auch als Hilfsassistenten tätig waren oder die Bibliothek beaufsichtigten. Auf der anderen Seite fühlten sich in den Räumen des „eigentlichen“ Historischen Seminars die „bürgerlichen“ Studenten heimisch. In den Lehrveranstaltungen traf man natürlich aufeinander – und manchmal auch bei den Institutsfeiern. Darüber hinaus gab es eher wenig Kontakte. Die Umgangsformen waren zu dieser Zeit andere als heute. Studierende blieben auch untereinander beim „Sie“, wenn sie nicht befreundet waren. Die Genossen freilich duzten sich auch über Rangunterschiede hinweg. Noch heute liest man in den Erinnerungen Kurt Pätzolds über die Hilfskräfte Griewanks und Schneiders, daß unter diesen „ausgesprochen hochnäsige Typen“ gewesen seien und „niemand, der von parteinehmender Sympathie für die Hochschulreform angekränkelt gewesen wäre. Ob klein- oder großbürgerlicher Herkunft, diese Damen und Herren, wenig älter als wir, bekundeten während sie gewichtig die Bibliotheksaufsicht oder andere Dienste versahen, daß sie mit

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mich einschüchternde Persönlichkeit“ bezeichnete. Fritz KLEIN: Drinnen und Draußen. Ein Historiker in der DDR. Erinnerungen, Frankfurt (M) 2000, S. 125-130; Joachim PETZOLD: Parteinahme wofür? DDR-Historiker im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft. Unter Mitarbeit von Waltraud PETZOLD hg. von Martin SABROW, Potsdam 2000, S. 79-115, Zitat S. 81. Zu Meusel siehe oben S. 178 mit Anm. 51. Zu Schreiner vgl. PETZOLD: Schreiner und KEßLER: Exilerfahrung, S. 164-196. Siehe oben Anm. 309. MÄGDEFRAU: Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft, S. 66. Vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 572f. (zu Pätzold), S. 538-540 (zu Walter Schmidt), S. 131f. (zu Lothar Berthold), S. 560f. (zu Schumann), S. 389f. (zu Leidigkeit) und S. 403 (zu Ludloff). Brief zur Aufnahme im Wintersemester 1947/48, in: UAJ, M 841, unpag. Vgl. zu dem Lehrgang PÄTZOLD: Studienjahre in Jena, S. 10-13.

5.2. Zur Jenaer Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit

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uns linken Arbeiterstudenten möglichst auch nicht durch eine Frage in Berührung geraten wollten. Wäre es mir nicht schon vorab bewußt geworden, spätestens diese Fatzkes hätten mich darauf gebracht, daß diese Universität stärker noch durch das Vergangene als durch die sich verändernde Gesellschaft geprägt wurde.“323

Man habe durchaus, so erinnert sich eine damalige Studentin, die zu den „Bürgerlichen“ gehörte, manchmal über die Arbeiterstudenten gelacht, wenn diese im Seminar Probleme mit der Aussprache fremdsprachiger Wörter oder dem Verständnis schwieriger Texte gehabt hätten. Das sei sicher falsch gewesen und Griewank habe eine solche Haltung nicht sehen wollen. Er sei stets auf Verständnisprobleme eingegangen, bei mangelndem Leistungswillen jedoch ungehalten geworden. 324 Die Arbeiterstudenten hatten sicher einen schweren Stand. Sie mußten nachholen, was ihnen von zu Hause aus unbekannt war und sahen sich manchen Anfeindungen ausgesetzt. Dies wurde in der DDR in Selbstdarstellungen auch immer wieder erinnert und im Sinne eines Kampfes um die Durchsetzung der neuen Lehre stilisiert.325 Daß diese fortschrittlichen Studenten, die „Eindringlinge“326 zur Durchbrechung des „bürgerlichen Bildungsmonopols“ die Staats- und Parteimacht im Rücken hatten und ihrerseits vielfach ebenso auftraten, sogar Druck auf ihre Professoren ausüben konnten, mithin: daß der Sozialismus nicht auf Überzeugung, sondern auf stalinistischer Pression aufgebaut wurde, galt als Begleitumstand einer gesetzmäßigen Entwicklung. Nicht zu vergessen ist dabei der Druck, der innerhalb der SED im Rahmen der Überprüfungen und Parteisäuberungen auf die eigenen Mitglieder ausgeübt wurde und der für Studierende immer auch zum Verlust des Studienplatzes führen konnte. Gerhard Schmid, der als Hilfsassistent und späterer Doktorand Griewanks zu den „Bürgerlichen“ zählte, erinnert sich: „Leute wie Pätzold sind uns gegenüber immer – also damals – sehr entschieden und aggressiv aufgetreten“.327 Es seien zwei feste Lager von Studenten gewesen mit wenig Kontakten.328 Unter einigen der nichtmarxistischen Geschichtsstudenten entwickelte sich ein engerer Zusammenhalt, wobei dieser allerdings weniger organisiert ablief. Viele wählten Kirchengeschichte bei Karl Heussi oder Rechtsgeschichte bei Gerhard Buchda329 als Nebenfächer oder als freiwillige Ergänzung, so daß man sich auch dort in den Veranstaltungen traf. Einige Studierende engagierten sich in der Evangelischen Studentengemeinde (ESG), die eine besondere Rolle als Reflexions- und Kommunikationsort spielte und auf die im Zusammenhang mit der Exmatrikulation Ruth Wehowskys detailliert eingegangen wird.330

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Ebd., S. 47. Mdl. Information Gertraud Sperka, 20.9.1999. So betonte der Germanist Hans Kaufmann den Mut, „um mit einem noch bescheidenen Wissen opponierend in einem Seminar aufzutreten, wo man dem überlegenen Fachwissen des Professors und auch einer Mehrheit von Mitstudenten gegenüberstand, die mit uns durchaus nicht einverstanden waren“, zit. nach Lutz KANTEL: Zur Grundlegung marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaften in der DDR. Wege und Formen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945-1951), Diss. B. Jena 1988, S. 123. Kurt PÄTZOLD: Eindringlinge. Zur Frühphase der Durchbrechung des Bildungsmonopols, in: Manfred WEIßBECKER (Hg.): Gewalten, Gestalten, Erinnerungen. Beiträge zur Geschichte der FSU Jena in den ersten Jahren nach 1945, Jena 2002, S. 225-239. Mdl. Information Gerhard Schmid, 18.10.2000. Lediglich Walter Schmidt habe sich als umgänglich erwiesen und sich anfangs manchmal den „Bürgerlichen“ angeschlossen. Vgl. Lothar KRAHNER/Gerhard LINGELBACH: Gedächtnisschrift für Gerhard Buchda (1901-1977), Jena 1997. Siehe unten Kapitel 5.5.3.

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5. Der Professor in Jena

Die SED-Parteigruppe traf sich häufig, zum Erfahrungsaustausch, zur ideologischen Schulung und auch zur Hilfe im Studium. Ihr „Rüstzeug“ holten sie sich zwar auch im Seminar, vor allem jedoch in den SED-internen Parteilehrgängen und -arbeitsgruppen, sowie in den neuen Fächern der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, die über das obligatorische Grundstudium hinaus fakultativ oder als Nebenfächer (z.B. Politische Ökonomie) vertieft werden konnten. „Für die damals noch kleine Gruppe marxistischer Geschichtsstudenten wurde das Selbststudium und die Diskussion im Kreise der Genossen [...] zum wichtigsten Weg der Aneignung des Marxismus-Leninismus.“331 Als die ersten dieser parteilich engagierten Studenten ihre Abschlußarbeiten schrieben, wurden diese von Hugo Preller betreut, der auf die Interessen der Absolventen einging und etwa 1952 ein Thema vergab: „Die Abhängigkeit sozialdemokratischer Parteiprogramme von den jeweiligen Zeitverhältnissen“332. Ebenfalls 1952, also nahezu gleichzeitig erschien eine von Friedrich Schneider betreute Abschlußarbeit „Bismarcks Entlassung in der neueren historischen Literatur“ durch Martin Hüttner, deren Vorwort mit der Widmung endet: „Ein Wunsch begleitet meine Arbeit: Die Geschichtswissenschaft möge bei der Beurteilung Bismarcks im Sinne unseres deutschen Altmeisters Leopold v. Ranke immer nur der Wahrheit dienen. Rankes Streben möge alle erfüllen: Last uns milde und gerecht sein!“333 Angesichts der Unterschiedlichkeit der Ansätze könnte man von einem pluralistisch gleichberechtigten Nebeneinander verschiedener Geschichtsauffassungen ausgehen, aber das wäre sicher ein Trugschluß. Denn diese Arbeit von Hüttner wurde zwar von den Historikern akzeptiert, aber dem Kandidaten wurde noch während des Verfahrens und nachdem er die Arbeit eingereicht hat, mitgeteilt, daß er sich „als exmatrikuliert zu betrachten habe, da ich zum Lehrerberuf nicht geeignet sei.“334 Der solcherart unter Druck gesetzte Hüttner verließ die DDR.335 Das hier geschilderte Beispiel ist kein Ausnahmefall. Es wird später noch auf die Konflikte einzugehen sein, die im näheren Umfeld Griewanks ausbrachen: auf die Exmatrikulation von Ruth Wehowsky aus religiösen Gründen, auf die Inhaftierung des Germanisten und Historikers Otfried Horn, dem Ehemann von Ingeborg Horn-Staiger von der Straße weg nach einer Aufforderung zum Besuch beim Prorektor Arnold im

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MÄGDEFRAU: Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft, S. 67. Erich TENNIGKEIT: Die Abhängigkeit sozialdemokratischer Parteiprogramme von den jeweiligen Zeitverhältnissen, Staatsexamensarbeit Jena 1952. Belegexemplar UAJ, F II, Nr. 76. Martin HÜTTNER: Bismarcks Entlassung in der neueren historischen Literatur. Hausarbeit zur Abschlußprüfung an der deutschen demokratischen Schule (Oberschule) 1952. Belegexemplar UAJ, F I 2328. Vgl. auch DERS.: Bismarcks Sturz an den Iden des März 1890 in historischer Literatur, Frankfurt (M) 1997. UAJ, M 846. Im Hintergrund dieser Exmatrikulation lief ein etwas merkwürdiges Verfahren ab, das jedoch etwas über die Zeitbedingungen aussagt. Am 30. Oktober 1952 teilte Friedrich Schneider seinem Absolventen nämlich mit, daß „nach Rücksprache mit Herrn Prorektor Dr. Arnold“ der Vollendung des Examens „nichts mehr im Wege steht“, wenn Hüttner nur Schneider gegenüber das Versprechen ablegen könnte, „nach Ablegung ihres Examens und nach der Aushändigung des Zeugnisses das Gebiet der DDR nicht [zu] verlassen. Sollte es Ihnen nicht möglich sein, mir dieses Versprechen zu geben, daß ich dem Protektorat weitergebe, so würde ich bitten, es mir offen zu sagen und dann auf das Examen zu verzichten. Ein späterer Bruch Ihres Versprechens würde mich in große persönliche Verlegenheit versetzen, weil ich mich für Sie auf das äußerste eingesetzt habe. Vor allem würde es anderen Kommilitonen den Lebensweg erschweren, denn man würde aus einem gebrochenen Versprechen weitgehende Schlüsse zu ungunsten anderer Studierender schließen müssen.“ Friedrich Schneider an Martin Hüttner (mit Durchschlag an Prorektor Arnold), 30.10.1952, in: UAJ, S V 39, unpag. Hüttner entschloß sich, das Versprechen nicht abzugeben. Martin Hüttner an Rektor Hämel, 27.1.1953, in: UAJ, BC 540.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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„Klosterhof“ oder auf den Druck auf Heinz Schneider, der auf Geheiß der SED, seiner Partei, eine fertige, bereits gut bewertete Dissertation zurückziehen mußte.336 Es bestand also objektiv keine Gleichheit der Kräfte zwischen den beiden studentischen Lagern. Subjektiv in der damaligen Situation wurde diese als offen angesehen bzw. vorübergehend bewertet. Natürlich sah man mehr und mehr die Änderung der Rahmenbedingungen, sowohl allgemeinpolitisch, als auch im Institut. Mit der Prüfungsberechtigung für Gentzen wurden im Mai 1953 erstmals offen ideologische Themen vergeben.337 Der generationelle Elitenwandel schritt voran. Eine Perspektive des Ausgleichs erwies sich als Illusion. Die Zeit Griewanks wurde zu einer Übergangszeit, in der er völlig unterschiedliche Lager von Studierenden vor sich hatte. Immer wieder versuchte Griewank durch genaue Kenntnis der organisatorischen Veränderungen den Spielraum auszunutzen, der sich ihm bot. Als etwa die Einrichtung von FDJ-Studiengruppen angeordnet wurde, ergriff er für seinen Bereich die Initiative und sprach zwei seiner Schüler, Hans-Stephan Brather und Gerhard Schmid, persönlich an, die dann diese Gruppen als fachliche Tutorien gestalteten, was etwa ein Jahr gut ging, bevor parteinahe Kreise die Organisation übernahmen.338

5.3. KARL GRIEWANK ALS HOCHSCHULLEHRER UND HOCHSCHULPOLITIKER 5.3.1. Akrobat am Rednerpult – Die Lehrveranstaltungen Im Gegensatz zu Hugo Preller, der seine Veranstaltungen um 7 Uhr morgens anfangen ließ, begann Griewank mit Vorliebe um 11 Uhr seine Vorlesung. In der Regel fand die Hauptvorlesung an vier verschiedenen Werktagen von 11-12 Uhr statt, war also eine insgesamt vierstündige Veranstaltung. Erst mit Einführung der ungeliebten Studienpläne im Rahmen der „Zweiten Hochschulreform“ ab Herbst 1951 wurde die Vorlesung zu zweistündigen Blöcken 10-12 Uhr zusammengefaßt. Zu seiner Arbeitsweise berichtet sein Schüler und Assistent Gebhard Falk: „G[riewank] arbeitete sehr rational, saß wohl bis weit nach Mitternacht am Schreibtisch und begann seine Vorlesungen entsprechend viermal die Woche erst um 11 Uhr. Sie waren gut gegliedert, nüchtern und sehr sachlich, wie meine Nachschriften zeigen. Ab 12 erledigte er Verwaltungsarbeiten als Institutsdirektor oder (Pro)Dekan mit der Institutssekretärin.“339 Nach dem Mittagessen in der Mensa und einiger Zeit im Seminar ging er dann zur Arbeit an seinen heimischen Schreibtisch. Kurt Pätzold wußte sich zudem zu erinnern, daß in Griewanks Büro eine „Reproduktion des berühmten Bildes von Delacroix“ hing, „der Dame, die freibrüstig den Revolutionären die Fahne der Freiheit voranträgt. Doch in diesem Interieur sah ich ihn nur bei gelegentlichen Besuchen“.340 Griewanks Vorlesungen behandelten die allgemeine europäische Geschichte der Neuzeit von der Reformation bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, freilich nicht in

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Siehe dazu jeweils unten Kapitel 5.5. Dazu unten 5.5.4. Mdl. Information Hans-Stephan Brather und Gerhard Schmid, 18.10.2000. Schr. Information, Gebhard Falk, 18.8.1999. PÄTZOLD: Studienjahre, S. 44. Mdl. Information, Kurt Pätzold, 1.11.1999.

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5. Der Professor in Jena

einem Semester, sondern in einem wohl auf sechs Semester angelegten Zyklus.341 Unterbrochen wurde dieser durch den bemerkenswerten Versuch, mit einer Vorlesung zur „Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung“, auf die inhaltlich noch gesondert einzugehen ist, der marxistisch-leninistischen Interpretation dieses Themas entgegenzutreten.342 Wie auch bei seinen Veröffentlichungen, die er bis in die Korrekturfahnen hinein zu verbessern suchte, arbeitete er intensiv an Formulierungen und Pointierung seiner Vorlesungen. Diese Bemühungen lassen sich ebenso wie der allgemeine Aufbau anhand der Materialien im Nachlaß sehr anschaulich nachvollziehen.343 Die Vorlesungen hatten Lehrbuchcharakter, sie waren klar gegliedert und boten einen Überblick über den neuesten Forschungsstand. Besonders auffällig war die europäische Perspektive, aber auch – verstärkt für die späteren zeitlichen Epochen – die durchgehende Berücksichtigung wirtschafts- und gesellschaftsgeschichtlicher Fragen. Besonderen Wert legte Griewank offenbar auf die Klärung der Begriffe und Voraussetzungen, betonte dabei deren historische Bedingtheit und die Perspektivität historischer Wissenschaft. Zum Begriff des Imperialismus verwies er unter anderem auf Werner Sombart, dessen Entwicklung von der Nähe über die Ablehnung bis zur Bekämpfung des Marxismus er kurz vorstellte und dessen frühere Werke er zur Lektüre empfahl, nicht ohne auch auf Jürgen Kucyinski und die marxistische Imperialismustheorie hinzuweisen.344 Ohnehin konnte die umfangreiche Nennung der Literatur sehr gut zu weiterführenden Studien anregen. So empfahl er in derselben Vorlesung Hans Rosenberg, George W. Hallgarten und als bestes Werk zu Bismarck Erich Eyck345, aber auch Fritz Hartung, während er Adalbert Wahls Werke als zwar gut erzählt, aber das Kaiserreich glorifizierend kritisierte und bei Hermann Oncken „seine Bemühungen im Kampf gegen Kriegsschuld“ dezidiert als negativ vermerkte, obwohl er ihn sonst empfehlen könne.346 Ohnehin schien er Kritik vornehmlich vorsichtig ausdrücken. Durch seinen Anspruch, einen kritischen Überblick über Forschung und Fakten zu liefern, ersetzte Griewank bei den Teilnehmern den Kauf von ohnehin meist gar nicht vorhandenen oder zu teuren neueren Lehrbüchern. „Grundrisse [...] könnte ich auf Grund meiner Vorlesungsmanuskripte jetzt schon manche herausbringen; meine Studenten drängen oft danach; doch möchte ich meine Kraft, sobald ich nach der Ausarbeitung der Hauptvorlesungen wieder etwas freiere Hand habe, in erster Linie größerer Forschungsarbeit widmen“.347 Schließlich kamen die Studenten selbst darauf,

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Siehe hier die im Anhang abgedruckte Lehrveranstaltungsliste. Im ersten Jenaer Semester begann Griewank den „Zyklus“ nicht mit dem Beginn der Neuzeit, sondern mit der Französischen Revolution. Im Sommersemester 1948 setzte er dann neu ein mit dem „Zeitalter der Entdeckungen und der Reformation“ und erreichte bis zum Sommersemester 1951 das frühe 20. Jahrhundert. Die Vorlesungsmanuskripte sind im Nachlaß enthalten; NL Griewank, Karton8-12; offizielle Kurzzusammenfassungen und sogenannte „Vorlesungsentwürfe“ befinden sich in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3246 und UAJ, S V, 33. Siehe unten Kapitel 6.1.4. NL Griewank, Karton 8-12. NL Griewank, Karton 12, Mappe „Allgemeine Geschichte in der Zeit von 1871-1918 (SS 1951)“ und Vorlesungsmitschriften von Gebhard Falk, dem ich für die Einsicht danke. Siehe unten Kapitel 6.4.2. Zit. nach dem Vorlesungsmitschriften von Gebhard Falk, dem ich für die Erlaubnis zur Einsichtnahme danke. Karl Griewank an Willy Andreas, 19.2.1949, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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die Vorlesungsmitschrift hektographiert in Umlauf zu bringen.348 Diese Skripte wurden dann zum Schluß des Semesters verkauft. Die Mühe lohnte sich auch deshalb, weil Griewanks Vorlesung außerordentlich gut besucht waren. „Dabei war Prof. Griewank sicherlich kein großer Rhetor, doch überzeugte er durch Kompetenz und Engagement. [...] Selbst am Katheder stand er nie ganz still, was wohl einer nervösen Unruhe geschuldet“ war, so erinnert sich Ruth Weiß, geb. Wehowsky, an Griewanks „schnelle, lebhafte Bewegungen.“349 Griewanks Vorlesungsstil war unfreiwillig eigenwillig, viele Zeitzeugen berichten mir, daß er wie ein „Akrobat am Rednerpult“ geturnt habe und sein Engagement für die Sache auch durch körperliche Aktivität zum Ausdruck gebracht hat. In einer Parodie zum Seminarfest forderten Studenten dann auch die Anschaffung „eines neuen, wohlfundamentierten Spezialpultes für gymnastiktreibende Redner“.350 Gut vorbereitet, aber ohne größere didaktische Verzierungen, liefen die Seminare Griewanks ab. Es wurden ganz traditionell Texte besprochen und Referate gehalten. Zum Teil wurden auch fremdsprachige Texte Satz für Satz reihum übersetzt. Ein so organisiertes Seminar war selbstverständlich von der Aktivität der Teilnehmer abhängig, wobei sich einige noch heute daran erinnerten, daß Griewank selbst der Diskussion manchmal im Weg gestanden habe. Unmittelbar nach dem Referat faßte er aus seiner Sicht einige Punkte der Kritik zusammen. Erst danach habe er gefragt, ob es noch etwas zu ergänzen gäbe. Dadurch blieb manchmal nicht mehr viel zu sagen. Dennoch kam es einige Male zu grundsätzlichen Diskussionen, die im Gedächtnis hängen blieben. Besonders in Erinnerung blieben auch die Diskussionen um Friedrich II. Griewank vertrat hier die Position, daß man von „Friedrich dem Großen“ sprechen könne.351 Dem widersprach nicht nur die linke Auffassung, wonach Friedrich nur als Symbol der feudalen Ausbeutung gelten, mithin niemals „groß“ genannt werden konnte. Unabhängig davon wurden die „Misere-Theorie“ und Konzeptionen der Kontinuität von obrigkeitsstaatlichem Denken von Luther über Friedrich bis Hitler diskutiert, so daß sich an diesem Punkt Debatten entzündeten. Die Notizen in Griewanks Nachlaß belegen,352 daß er sich auf solche Seminarsitzungen selbst intensiv vorbereitet und insbesondere die Position George P. Goochs zu Rate gezogen hat.353 Griewank hat es gefallen, wenn ausgehend von solchen zentralen Fragestellungen allgemein diskutiert wurde. Ihm habe Griewank geraten, „etwas besonnener an die Sache heranzugehen“, erinnert sich Paul Mitzenheim, der ein Referat genau zu diesem Thema zu halten hatte.354 Es war ein Reizthema gerade für die marxistisch-leninistisch orientierten

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Dies geschah, ohne daran zu denken, ob damit vielleicht Urheberrechte Griewanks verletzt werden könnten. Darauf aufmerksam gemacht, wandte man sich an Griewank, der gegen die Weiterverbreitung keine Einwände hatte, so daß nun mit dem Zusatz „mit freundlicher Zustimmung des Herrn Prof. Griewank vom Büro für wiss. Schreibarbeiten H. Schmidt, Jena herausgegeben“ Vorlesungsskripte vom Wintersemester 1948/49 bis zum Sommersemester 1950 existieren. Mdl. Information Hans-Stephan Brather, 7.10.2000 in Bützow. Schriftliche Auskunft von Ruth Weiß, geb. Wehowsky, 29.10.1999. Jux-Zeitung „Kommuniqué für die verspätete Ausfahrt des Dampfers ‚Historia’“, undat., zugesandt von Gertraud Sperka, 5.8.1999. Vgl. auch PÄTZOLD: Studienjahre, S. 44-46. „Vertritt nach wie vor die These von ‚Friedrich dem Grossen’ und lehnt die demokratische Entwicklung ab.“, heißt es in einer Beurteilung des SfH über Griewank; Bericht, 17.5.1950, in: BA Berlin, DR2, 1899, Bl. 37. Notizen zu Friedrich dem Großen, in: NL Griewank, Karton 25. Von Griewank benutzte Version: George Peabody GOOCH: Frederick The Great, The Ruler, The Writer, The Man, London/New York 1947. Exzerpte in: NL Griewank, Karton 25. Mdl. Information Paul Mitzenheim, 16.11.1999.

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5. Der Professor in Jena

Studierenden. Deshalb habe man, so erinnert sich Kurt Pätzold, im kleinen Kreis mit Griewank bis in die Nacht hinein diskutiert. Man habe sich mit Griewank sogar außerhalb des regulären Seminarbetriebes sich abends zu solchen Diskussionen getroffen und prinzipiell über die Grundlagen des Fachs diskutiert. „Es zeugte von Format, daß ein Mann wie Griewank sich manchen von uns entfachten Diskussionen stellte, in denen wir geistig anmaßend auftraten“355, gibt Pätzold heute unumwunden zu. Die Bereitschaft zur offenen Diskussion und zum Meinungsaustausch wird erinnert und gerade im Rückblick unter der Kenntnis der weltanschaulichen Konflikte als besonders bemerkenswert angesehen.

5.3.2. Dekan der traditionellen Fakultät „Seit bald zwei Jahren bekleide ich durch das Vertrauen der Fakultät auch das Dekanat und habe dadurch immerhin die Möglichkeit, noch manches für die Aufrechterhaltung meines und unseres Wirkens zu tun – was vielleicht drüben in der irrigen Meinung, Dekane wären hier in allen Fällen Vertrauensleute der Regierung und der SED, nicht immer voll verstanden wird. Aber es kann nicht ausbleiben, daß man gerade in dieser Tätigkeit zunehmend mit den maßgebenden Stellen zusammenstößt, wie es mir auch schon ergangen ist.“356

Die Vorstellung, daß die Philosophische Fakultät SED-dominiert oder der Dekan SEDhörig sei, wäre in der Tat während Griewanks Amtszeit und auch danach noch für die Jenaer Fakultät irreführend. Die Philosophische Fakultät war zu diesem Zeitpunkt noch eine Fakultät traditionellen Zuschnitts und Habitus’. Als Trojanisches Pferd des Marxismus-Leninismus und der SED sollte deshalb die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät fungieren und „fortschrittlichen Kräften“ Zutritt zur Universität verschaffen. Auf die doch relativ kurzlebige (Sozial-)Pädagogische Fakultät, deren Gründungsdekan Peter Petersen zuvor Mitglied der Philosophischen Fakultät war, braucht nicht näher eingegangen zu werden. Sie geschah eher aus fachlichem und strategischem Impetus heraus. Der Pädagogischen folgte am 1. September 1947 jedoch die „Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät“357 (Gewifa), an deren Konzeption und Personal explizit politische Erwartungen gestellt wurden. Die Gründung der neuen Fakultät stand unter dem Schutz der Sowjetischen Besatzungsmacht und wurde durch zentrale Finanzmittel ermöglicht, so daß die Mitsprache der traditionellen Universitätsgremien eingeschränkt wurde.358 Hinzu kam schließlich 1949 der Ausbau der Vorstudienanstalt zur Arbeiterund Bauern-Fakultät359 (ABF). Die Studenten der neuen Fakultäten, die von Studienge-

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PÄTZOLD: Studienjahre in Jena, S. 159. Mdl. Information Kurt Pätzold, 1.11.1999. Karl Griewank an Gerhard Ritter, 14.1.1950, in: BA Koblenz, N 1166 NL Ritter, Nr. 335, unpag. Ganz ähnlich auch an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: ebd., N 1182, NL Spranger, Nr. 179, unpag. Befehl Nr. 333 der SMAD über die Gründung von Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten an den Universitäten Leipzig, Jena und Rostock, 2.12.1946, Gottfried HANDEL/Roland KÖHLER (Hg.): Dokumente der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zum Hoch- und Fachschulwesen 1945-1949, Berlin (O) 1975, S. 56-61; Vgl. KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 166-170; UAJ, BB 70. HANDEL/KÖHLER: Dokumente, S. 61. Zur ABF Jena vgl. Jana WOYWODT: Der Lehrkörper der Arbeiter- und Bauernfakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena 1949 bis 1963, Magisterarbeit Jena 2000. Vgl. auch Michael C. SCHNEIDER: Chancengleichheit oder Kaderauslese? Zu Intentionen, Traditionen und Wandel der Vorstudienanstalten und Arbeiter- und Bauern-Fakultäten in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1952, in: Zeitschrift für Pädagogik 41 (1995), S. 959-983; DERS.: Bildung für neue Eliten. Die Gründung der Arbeiter- und Bauern-Fakultäten, Dresden 1998; DERS.: Grenzen des Elitentausches.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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bühren befreit waren, sollten – so hoffte man – eine besondere Loyalität zum neu entstehenden Staat entwickeln. Es wurde hier durchaus echte Bildungschancen eröffnet für Bevölkerungsschichten, die unter anderen Bedingungen schwerer ein Universitätsstudium erreichen konnten, auch etwa für die Gruppe der mittellosen Vertriebenen. Vielfach gelang so die Schaffung von Loyalitäten. Eine Veränderung der Universitätsstruktur gelang jedoch nur ansatzweise. Auch nach der Auflösung der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und der darauffolgenden Eingliederung deren Mitglieder in die bestehenden Fakultäten traten dort nur langsam Veränderungen ein. Der „Sturm auf die Festung Wissenschaft“360 wurde eher zu einem beständigen Wehen, dessen Auswirkungen erst in den 1960er Jahren mit dem Generationswechsel zu einer Änderung der politischen und weltanschaulichen Zusammensetzung führte. Die Philosophische Fakultät wählte Karl Griewank im April 1948 mit acht von zwölf Stimmen zum Dekan, bei der Wiederwahl im Februar 1950 erhielt er 13 von 14 Stimmen.361 Durch seine ruhige und souveräne Sitzungsleitung und seine Erfahrungen in der Wissenschaftspolitik konnte er Vertrauen erlangen und die Fakultät verließ sich in vielerlei Hinsicht auf ihn und die von ihm formulierten Stellungnahmen, etwa zur Zulassungspolitik. Als er am 13. Oktober 1951 sein Amt an den Romanisten Eduard von Jan weitergab, notiert das Protokoll: „Griewank lehnt Kandidatur ab“.362 Ohne Zweifel wollte man ihn nochmals zur Wiederwahl überreden, letztlich übernahm er das Amt des Prodekans. Die Zeit des Dekanats Griewank war jedoch eine außerordentlich ereignis- und konfliktreiche Phase der Jenaer Universitätsgeschichte. In viele der im Laufe dieser Arbeit beschriebenen Konflikte wurde Griewank in seiner Position als Dekan verwickelt oder nahm wegen dieses Amts eine besondere Rolle ein.363 Das Dekanat sorgte so dafür, daß er sich nicht auf sein engeres Fachgebiet beschränkte, daß er nicht die „Nische“ suchte. Zu Beginn seiner Amtszeit als Dekan amtierte der Altphilologe Friedrich Zucker364 noch als Rektor, war zudem auch „Senior“ der Fakultät. In dieser Zeit und der kurzen Amtzeit des Rektors Friedrich Hund fungierte Griewank verschiedentlich als Stellvertreter für Verhandlungen in Berlin.365 Von Anfang an betonte er, „das Dekanat [habe er] übernehmen [müssen] – sehr ungern, doch ohne mich dem Rufe versagen zu können.“366 Seine Amtsführung als Dekan war von politischer Seite dabei keineswegs unumstritten. Max Steinmetz fällte als Referent des Staatssekretariats für Hochschulwesen ein hartes Urteil: „Vertritt bewußt reaktionäre Berufungspolitik und durchkreuzt alle fortschrittlichen Ansätze und Bemühungen. Müsste als Dekan entfernt werden. Februar 1950 erneut für 2 Jahre gewählt worden. Vielleicht kann die Bestätigung unter Bezug auf §1 der Hochschulordnung zurückgezogen werden.“367 Der Paragraph 1 der „Vorläufigen Arbeitsordnung“ beschrieb als Aufgabe der Universität „die Erziehung im Geiste der Demokratie, des sozialen

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Zur Organisations- und Sozialgeschichte der Vorstudienanstalten und frühen Arbeiter-und-BauernFakultäten in der SBZ/DDR, in: JbUG 1 (1998), S. 134-176. MÜLLER/MÜLLER: „... stürmt die Festung“. Wahl 20.4.1948: von 12 Stimmen entfielen 8 auf Griewank, 1 Zucker, 1 Barwick, 2 Enthaltungen; Wiederwahl am 9.2.1950 mit 13 von 14 Stimmen (1 Enthaltung); UAJ, M 718/1, Bl. 307, 336f. Fakultätsratssitzung, 13.10.1951, in: UAJ, M 718/1, Bl. 274f. Siehe unten Kapitel 5.5. Zucker selbst hatte Griewank in der Sitzung für die Wahl vorgeschlagen. Telegramm an Rektor Hund „Einladung zur Tagung über Fragen des akademischen Lehrbetriebes“, 3.8.1948 mit der handschriftlichen Bemerkung des Rektors „Ich bitte Herrn Kollegen Griewank mich zu vertreten“, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, BL. 164. Karl Griewank an Willy Andreas, 22.9.1948, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845. Max Steinmetz: Bericht über den Besuch der Universität Jena vom 15. bis 17. Mai 1950, in: BA Berlin, DR2, 1899, Bl. 37-49, hier Bl. 37.

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5. Der Professor in Jena

Friedens und der Völkerverständigung“.368 Steinmetz’ Einschätzung, daß Griewank gegen solche allgemeinen Prinzipien verstoßen habe, war ein weitgehender und persönlich diffamierender Vorwurf, der jedoch nicht überall geteilt wurde, wobei es typischerweise aus den Akten unklar bleibt, auf welche Weise welche Entscheidungen wie im Staatssekretariat getroffen oder nicht getroffen wurden. Es hätte in jedem Fall einen hochschulpolitischen Kraftakt wie bei der erzwungenen Rektorwahl von Otto Schwarz bedurft, um die einstimmige Wiederwahl Griewanks rückgängig zu machen. Hierzu kam es jedoch nicht. Das Fächerspektrum der Philosophischen Fakultät umfaßte neben Geschichte auch Philosophie, Klassische Philologie, Germanistik, Anglistik, Romanistik und Slawistik. Wieder aufgebaut wurden auch Musikwissenschaft, Orientalistik und Kunstgeschichte. Durch Lektoren konnte zeitweise ein breites Sprachangebot bereitgestellt werden, zu dem etwa auch Arabisch, Chinesisch und Kisuaheli zählten. Die neuen weltanschaulichen Fächer Kultursoziologie, Politische Ökonomie oder marxistisch-leninistische Philosophie wurden nicht über die Philosophische Fakultät eingeführt.369 In der Zeit von Griewanks Dekanat existierte die „Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät“, von wo aus der Aufbau solcher Studienfächer und die Einrichtung des „Gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums“ organisiert wurden. Die Philosophische Fakultät stand skeptisch gegenüber solchen politischen Neuerungen und gegenüber der neuen Fakultät. Proteste und gelegentliche kritische Äußerungen der Philosophischen Fakultät und ihres Dekans Griewank über die wissenschaftliche Eignung der Vertreter der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät blieben nicht aus. Am 6. September 1947 sah sich die Philosophische Fakultät bereits mit dem Wunsch des Ministeriums konfrontiert, Georg Schneider einen Lehrauftrag für die „Geschichte der Sowjetunion“ zu erteilen. Der überzeugte Kommunist Georg Schneider war von Hause aus Biologe und Vertreter des umstrittenen Lyssenkoismus.370 Seine Kenntnisse über die Geschichte der Sowjetunion hatte er sich im sowjetischen Exil angeeignet, ohne jedoch wissenschaftlich darüber gearbeitet zu haben. In der Sitzung der Fakultät referierte Griewank, der als Historiker zuständig war, über den Fall und stellte fest, daß Schneider keinerlei wissenschaftliche Leistungen aus dem Bereich der Fächer der Philosophischen Fakultät aufzuweisen habe. Ein weiteres Beispiel: Am 2. Mai 1949 wandte sich Griewank als Dekan dagegen, daß der der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät angehörende Philosoph Georg Klaus mit einer Vorlesung über Dialektischen Materialismus im Verzeichnis der Philosophischen Fakultät aufgeführt wurde.371 Zum Zeitpunkt, als Griewank zum Dekan gewählt wurde, gehörten der Fakultät zwölf Ordinarien an, von denen vier bereits vor 1930 berufen worden sind: die Klassischen Philologen Friedrich Zucker (1.10.1918) und Karl Barwick (1.4.1925), der Germanist Carl Wesle (2.4.1929) und der Romanist Eduard von Jan (6.5.1929).372

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Zit. nach BASKE/ENGELBERT: Zwei Jahrzehnte, S. 116. Für die hier genannten Informationen sei verwiesen auf die Personal- und Vorlesungsverzeichnisse. Der Lysenkoismus kann wohl als ideologische Sackgasse stalinistischer Naturwissenschaft eingestuft werden. Es kann hier nicht weiter auf Lysenko, seine Thesen und seine Schule eingegangen werden. Zu Georg Schneider (1909-1970) vgl. Uwe HOßFELD/Lennart OLSSON: From the Modern Synthesis to Lysenkoism, and Back?, in: Science 297 (5 July 2002), S. 55f. Vgl. Helmut METZLER: Vorbereitung und Einführung des Fachstudiums Philosophie, in: WEIßBECKER (Hg.): Gewalten, Gestalten, Erinnerungen, S. 135-154, hier S. 149, Anm. 8. Friedrich-Schiller-Universität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis. Wintersemester 1947/48, Jena 1947, S. 12.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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Dieses Quartett repräsentierte nicht nur aufgrund ihres Dienstalters, sondern auch in Habitus und Wissenschaftsauffassung die klassische geisteswissenschaftliche Fakultät. Wesle mußte bald aus Gesundheitsgründen seine Lehrtätigkeit vernachlässigen, wodurch das Germanistik-Angebot zeitweise einen Schwachpunkt der Fakultät bildete.373 Eduard von Jan, Katholik und Mitglied der CDU, blieb unangefochten, erst recht nachdem er einen Ruf an die Freie Universität Berlin abgelehnt hatte.374 Die Philosophen Hans Leisegang, Paul Linke und Hermann Johannsen lehrten – so unterschiedlich sie auch waren375 – das, was wenig später von politischer Seite reichlich pauschal als „idealistische Philosophie“ gegeißelt wurde. Paul Linke, einer der wenigen alten Sozialdemokraten unter Jenas Akademikern, sah seine Hoffnungen auf einen demokratischen Sozialismus bald enttäuscht. Als SPD-Mitglied mittels Zwangsvereinigung zur SED gekommen, feierte er an dem Tag, als er im Rahmen der Parteisäuberung aus der SED ausgeschlossen wurde, mit seinen Assistenten. Dies sei die erste Prüfung seines Lebens, durch die er gerne durchgefallen sei, meinte er zwar seinen Mitarbeitern gegenüber und konnte seine bittere Enttäuschung über den Verlust der sozialdemokratischen Traditionslinie in der SED dabei doch nicht verbergen.376 Die Anglisten Anselm Schlösser377 und Gustav Kirchner378 galten innerhalb der Philosophischen Fakultät als Sympathisanten des neuen Staates, beide waren Mitglieder der SED. Sie rückten jedoch erst langsam in die engere Fakultät auf, der zunächst kein Anglist angehörte. Insgesamt war jedoch bei den anstehenden Berufungen das Angebot kleiner als der Bedarf, vor allem weil man schon vor der doppelten Staatsgründung westdeutsche Wissenschaftler selten zum Wechsel in den Ostteil Deutschlands bewegen konnte. Von seiten der SED wurde vor diesem Hintergrund die Berufung Ferdinand Hestermanns auf den Lehrstuhl für „Allgemeine Sprach- und Kulturwissenschaften“ stark forciert. Hestermann stammte aus einer Arbeiterfamilie und war als Aktivist der Volkskongreßbewegung in den Westzonen hervorgetreten. Sein Institut geriet jedoch wegen organisatorischer Mängel nun zunehmend unter Druck.379

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„Kaum ein anderes germanistisches Institut hatte so gravierende Personalprobleme wie das der Jenaer Universität, nachdem diese im Dezember 1945 wiedereröffnet worden war.“ Dieser Einschätzung Petra Bodens ist zuzustimmen, und sie behielt ihre Berechtigung auch über die unmittelbarre Nachkriegszeit hinaus. Vgl. Petra BODEN: Lesen aus Leidenschaft, in: Günter SCHMIDT/Ulrich KAUFMANN (Hg.): Ritt über den Bodensee. studien und Dokumente zum Werk des Jenaer Germanisten Joachim Müller (1906-1986) (= manuskript. Archiv zur Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte; 2), Jena 2006, S. 13-37, Zitat S. 13. Fakultätsratssitzung, 27.4.1949, in: UAJ, M 718/1, Bl. 327f. Zu bedenken ist, daß von Jan seit langer Zeit in Jena wohnte. Zudem galt die Freie Universität in ihrer Gründungsphase als zu schlecht ausgerüstet. Deshalb hatte im Gegensatz zu Friedrich Meinecke auch der konservative Historiker Fritz Hartung Bedenken gegen die FU Berlin, die dieser zudem als sozialdemokratische Gründung beargwöhnte. Leisegang und Johannsen waren sich geradezu feindlich gesonnen. Vgl. Eckardt MESCH: Hans Leisegang. Leben und Werk, Erlangen/Jena 1999, S. 146. Vgl. Eckardt MESCH: Nicht mitzuhassen sind wir da, Bremen 1990, S: 285f. Zu Schlösser, der Gesprächsleiter der „Treitschke-Diskussion“ war, siehe unten S. 252 mit Anm. 530. Kirchner, der schon als Lehrer in den 1920er Jahren zur KPD tendierte, hatte bereits im Juli 1945 an den Gesprächen über die Wiedereröffnung der Universität Jena – den sogenannten „ÖlmühlenTreffen“ teilgenommen. Er trat nach der Leisegangaffäre aus der SED aus. Vgl. JOHN: Wiedereröffnung, S. 62, Anm. 200; MESCH: Leisegang, S. 205. Vgl. KANTEL: Grundlegung marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaften, S. 188 und UAJ, D 1062, PA Ferdinand Hestermann.

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5. Der Professor in Jena

Neben den sozialistischen Nachwuchskräften rückten jedoch genauso auch dezidierte nichtmarxistische Wissenschaftler nach, sowohl durch die Habilitationen, etwa von Irmgard Höß in Geschichte und Lottlisa Behling380 in Kunstgeschichte, als auch durch Berufungen wie die des Musikwissenschaftlers Heinrich Besseler. Dieser, Jahrgang 1900, wurde aus dem Westen berufen, hatte jedoch seine 1928 erworbene Professur in Heidelberg wegen seiner Belastung als NSDAP-Mitglied verloren.381 Mit seiner Berufung im Juli 1949 wurde er trotz seiner braunen Vergangenheit in der DDR „integriert“, erhielt später den National-Preis der DDR und wurde wegen seiner fachlichen Kompetenz zum Aushängeschild dieses „Orchideenfachs“. Die Berufung Besselers zeigte jedoch nicht nur die Änderung der vormals im Hinblick auf die NSVergangenheit starren Kritik, sondern zeigt auch, daß es gelang, erfahrene Lehrkräfte nach Jena zu holen, die fachlich ausgewiesen und in der Lage waren, die notwenige Aufbauarbeit zu leisten. Hierzu gehörte ohne Zweifel auch der Slawist Reinhold Trautmann, der 1948 bereits 65jährig nach Jena berufen wurde und als Wissenschaftler „von überragendem internationalen Rang“382 galt. Von einer „Gleichschaltung“ konnte zur Zeit Griewanks allerdings noch nicht die Rede sein, dennoch war die Fakultät Zentrum verschiedener Konflikte, auf die noch einzugehen sein wird.

5.3.3. Akademische Kultur - Von Faschingsfeiern, Exkursionen, Diskussionen und dem „Heide-Kreis“ Erstaunlich, aber auch sehr verständlich ist es, daß gemeinsames Feiern den damaligen Studentinnen und Studenten unisono in besonderer Erinnerung geblieben ist. Verständlich ist dies, weil sich die Institutsfeier als besonderer Höhepunkt im harten Nachkriegsalltag war, der ja sonst von ökonomischer Not, Hunger und Kälte bestimmt war, einprägte.383 Wenn man die Essensmarken zusammenlegte, um zu feiern, den Ofen im Seminarraum dafür heizte und mit originellen Ideen ein Abendprogramm gestaltete, prägte sich dies als außergewöhnlich ein. Daß die Institutsfeier als besonderes Ereignis in Erinnerung blieb, lag auch daran, daß man seinen Professor einmal ganz anders erleben konnte. Zur Feier am 4. Februar 1949 etwa hatten sich die Studierenden etwas Besonderes ausgedacht und luden mit einer durch Karikaturen verzierten Einladung im Namen Dante Alighieris ein, dessen Leben und Werk als Motto für Verkleidungen dienen sollte. Ein Abendprogramm wurde vorbereitet mit Parodien auf das Seminarleben und eine kleine „Jux-Zeitung“ herausgegeben.384 Damit wurden Maßstäbe gesetzt, die die folgenden Semester aufrecht zu halten suchten. So fanden im Februar jeden

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Zu Lottlisa Behling vgl. Friedrich MÖBIUS: Wirklichkeit – Kunst – Leben. Erinnerungen eines Kunsthistorikers, Jena/Quedlinburg 2001, S. 307f. Vgl. dazu KAPPELT: Braunbuch DDR, S. 151; Anselm GERHARD: Musikwissenschaft, in: FrankRutger HAUSMANN (Hg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933-1945, München 2002, S. 165-192, hier S. 168-172. Michael WEGNER: Reinhold Trautmann und die Neuanfänge der Slawistik in Jena, in: WEIßBECKER (Hg.): Gewalten, Gestalten, Erinnerungen, Jena 2002, S. 187-197, hier S. 189. In der Slawistik gab es laut Wegner nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland „eigentlich nur zwei Gelehrte von überragendem internationalen Rang“: Max Vasmer (später FU Berlin) und Reinhold Trautmann. Not, Hunger und Kälte der damaligen Studenten dürfen nicht vergessen werden und werden in der allgemeinen Literatur herausgestellt. Vgl. das Kapitel „Hunger und Kälte“ bei KRÖNIG/MÜLLER: Anpassung, Widerstand, Verfolgung, S. 95-103. Schr. Information Gertraud Sperka, geb. Krause, 5.8.1999. Frau Sperka hat mir dankenswerterweise auch Kopien der damaligen Jux-Zeitung zugesandt, siehe oben S. 223, Anm. 350.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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Jahres solche Faschingsfeste statt. Griewank war gerne anwesend, wie sich damalige Studierende erinnern. Einmal sei er wie ein Diwan gekleidet, von Frauen umringt gewesen und „ein sonst nie an ihm zu entdeckendes Wohlgefühl und eine Entspanntheit sonst nie zu beobachtender Art“385 sei zu entdecken gewesen. „Sogar Griewank als spanischer Torero focht bis um 5“386, kommentierte Gebhard Falk im Februar 1952 das gelungene Seminarfest. Genauso in Erinnerung blieben die von Griewank unternommenen Exkursionen. Das betrifft sowohl die kleineren Ausflüge, die Griewank mit seinem Seminar gerne unternahm, z.B. auf die nahe gelegene Leuchtenburg bei Kahla oder nach Naumburg. Die damaligen Studierenden erinnern sich auch, daß Griewank dabei nicht nur die Fahrkarten bezahlte, sondern auch Kaffee, Kuchen und Abendessen spendierte. Angesichts des Hungers der damaligen Zeit prägte sich dies besonders ein. Bei der Exkursion in die ehemalige Freie Reichsstadt Mühlhausen sah man sich nicht nur die Wirkstätte Thomas Müntzers an, die historische Stadtbefestigung und die Kirchen des Deutschen Ordens. Man besuchte auch das dortige Archiv und besichtigte interessanterweise eine Gerberei, womit Griewanks Interesse an der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte deutlich wurde. Begeisterung für die Kultur versuchte er während einer Exkursion nach Berlin zu wecken, als er alle Teilnehmer zur Oper einlud. In der Pause überraschte er die Teilnehmer mit einem Glas Sekt. Die Exkursionen dienten Griewank verschiedenen Zwecken. Zum einen sollte das Wissen didaktisch gefestigt werden, zudem wurden Ausstellungen, Museen und Archive besucht, mithin zukünftige Arbeitsfelder des Historikers vorgestellt. Explizit dienten die Fahrten auch dem Zusammengehörigkeitsgefühl. Eine Fahrt in das Saaletal, so begründete er, solle „sowohl der Betrachtung der Geschichte der Saaleburgen wie der kameradschaftlichen Verbundenheit dienen“.387 Neben diesen kleinen Ausflügen fanden auch größere Reisen statt, etwa mit 100 Personen zur „Thüringischen Ausstellung für die Revolution von 1848“388 im Angermuseum in Erfurt oder mit 50 Personen zur Karl-Marx-Ausstellung in Berlin.389 Wenn im Rahmen des Seminars gefahren wurde, mußten sich die Teilnehmer verpflichten, Referate an Ort und Stelle zu halten.390 Hier zeigt sich auch deutlich, wie ein solches freies Verständnis von Wissenschaft mit restriktiven Studienplänen in Widerspruch kommen mußte. Griewank wollte dazu anregen, das eigene Fach nicht nur singulär zu sehen, sondern über den Tellerrand zu blicken. Genau diesem Zweck diente der Gesprächskreis von Professoren verschiedener Fachrichtungen, dem Griewank von Anfang an angehörte. Dieser Gesprächskreis, nach dem Mineralogen Friedrich Heide auch „Heide-Kreis“ benannt, wurde 1992 vom damaligen Rektor Ernst Schmutzer in seiner Begrüßung zur Tagung „Unrecht und Aufarbeitung“ gesondert hervorgehoben und dessen Bedeutung für die Aufrechterhaltung der wissenschaftlichen Diskussion und die Abwehr von Parteiaufträgen betont.391 Der Kreis traf sich in unregelmäßigen Abständen in den Privatwohnungen der Beteiligten; man hörte einen Vortrag oder Reisebericht eines der Beteiligten und diskutierte

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Schr. Information Hans-Günter Marcieniec, 30.5.2000. Gebhard Falk an seine Mutter, 25.2.1952, in: PrA Falk. Karl Griewank an Verwaltungsdirektorin Hanna Henniger, 28.6.1950, in: UAJ, S V 29. Exkursion am 26.5.1948 mit Ausstellungsbesuch, Tagestour mit Stadtbesichtigung, ebd. Exkursion nach Berlin, 17.4.-19.4.1953. Programm unter anderem: Museum für deutsche Geschichte, Karl-Marx-Ausstellung, Stalinallee, Orientmuseum, Potsdam. Ebd. Etwa Mühlhausen 17.10.1950, Meißen/Dresden 3.-4.10.1952; ebd. Ernst SCHMUTZER: Begrüßung der Teilnehmer, in: Vergangenheitsklärung, S. 13-17, hier S. 16f.

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5. Der Professor in Jena

darüber.392 Da Professoren ganz unterschiedlicher Fachrichtungen mit ihren Frauen daran teilnahmen, ergaben sich interdisziplinäre Gespräche und Austauschmöglichkeiten. Nicht zu unterschätzen sind die sozialen Kontakte und die Gelegenheit, sich über Entwicklungen an der Universität auszutauschen. Dem Kreis, der bald zu einer festen Institution und zu einer Art Refugium Gleichgesinnter wurde, gehörte Griewank, soweit sich dies noch rekonstruieren läßt, seit der Gründung an. Am 24. Oktober 1947 wird er in den Dienstkalendern des Theologen Gerhard Gloege erstmals als „Kreis“ bezeichnet.393 Mit Griewank stand Gloege zu diesem Zeitpunkt offensichtlich im Rahmen der Gründung einer Evangelischen Akademie in Thüringen im Kontakt. Ein Kalendereintrag vom 18. September 1947 lautet „bei Leisegang mit Martin und Griewank, Ev. Akad.“394 Gerade der Theologe Gerhard Gloege scheint für das Zustandekommen der Treffen wichtig gewesen zu sein. Sein Sohn erinnert sich an ihn als einen Mann, der immer Menschen um sich versammelte.395 Im Laufe des Wintersemesters 1947/48 wurden die anfangs losen Treffen zu einem regelmäßig Austausch. Sie fanden während des Semesterbetriebs jeweils am Freitag abend statt. Dadurch, daß die Treffen in den privaten Wohnzimmern stattfanden, war der Teilnehmerkreis von vornherein beschränkt. Zu den frühen Teilnehmern gehörten der Mineraloge Fritz Heide, der Jurist Arwed Blomeyer, der Theologe Gerhard Gloege, der Philosoph Max Bense, die Kunsthistorikerin Lottlisa Behling, der Physiker Friedrich Hund, der Romanist Eduard von Jan, der Mediziner Walther Fischer, der Archäologe Gotthard Neumann der Theologe Waldemar Machholz, der Mediziner Josef Hämel, der Mathematiker Wilhelm Maier und der Jurist Fritz Steffen. Von diesen Namen tauchen viele als Rektoren oder Dekane in den Diskussionsprotokollen des Senats wieder auf, mithin ist es von Belang, daß man sich über die Fachgrenzen hinweg kannte und austauschte. Es ist unwahrscheinlich, daß man nicht über Angelegenheiten der Universität auf diesen Abenden sprach. Griewank war mehrere Male Gastgeber396 des Professorenkreises und trug auch selbst vor. Am 18. März 1949 hielt er einen Vortrag zum „christlichen Staatsmann seit Luther“, am 10. März 1950 zu „Friedrich dem Großen“, am 27. Oktober 1950 zum Thema „Revolution“, am 1. Februar 1952 über „Imperialismus“, am 10. März 1952 zum „christlichen Staatsmann im Protestantismus“ und am 20. Februar 1953 zu einem nicht überlieferten Thema. Griewank stellte also die Inhalte vor, an denen er arbeitete oder die zu allgemeinen Reflexionen Anlaß bieten konnten, wie das Thema des „Imperialismus“, das zu einem Schlagwort des Kalten Krieges geworden war. Zu betonen ist vor allem auch die thematische Breite der Vortragstätigkeit dieses Kreises. So diskutierte

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Die überlieferten Quellen sind, insbesondere für die frühe Zeit, sehr dürftig. 1957 begann man ein Protokollbuch (UAJ, Z 206) anzulegen, in dem der Ort der Zusammenkunft, das Thema des Vortrags und der Sprecher notiert sind. Die Anwesenden haben jeweils unterschrieben, wodurch die gelegentliche Teilnahme von Magda Griewank belegt ist. Inzwischen hat Katrin Blaufuß in einer von Herbert Gottwald angeregten Examensarbeit durch geradezu detektivische Arbeit neue Quellen, u.a. aus dem privaten Nachlaß Fritz Heides und dem Nachlaß Gerhard Gloeges im Evangelischen Zentralarchiv Berlin erschlossen, so daß zusammen mit Befragungen eine Gesamtdarstellung dieses Gesprächskreises vorliegt. Katrin BLAUFUß: Der „Heide-Kreis“ – ein oppositioneller Kreis Jenaer Professoren (1948-1977), Staatsexamensarbeit Jena 2001. Amtskalender 1947 von Gerhard Gloeges, in: EZA Berlin, Bestand 683, NL Gloege, Nr. 683/24. Ebd. BLAUFUß, S. 21. Er wird neun Mal als Gastgeber genannt, am 3.5.1948, 30.12.1948, 18.3.1949, 28.6.1949, 27.10.1950, 2.12.1950, 1.5.1951, 11.1.1951, 1.2.1952, 10.3.1952. Vgl. Protokollbuch, in: UAJ, Z 206 und die Übersicht über alle Treffen bei BLAUFUß, S. 51-65.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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man, um nur Beispiele zu nennen, über „Atomenergie“ (23. April 1948, Fritz Heide), über Thomas Manns Dr. Faustus (27. Juni 1948, Arwed Blomeyer), über die aktuelle Entwicklung in Palästina (3. Dezember 1948, Waldemar Machholz), den „Engel in der mittelalterlichen Kunst“ (28. Juni 1949, Lottlisa Behling) oder über „Symmetrie in der Naturwissenschaften“ (12. Mai 1950, Friedrich Hund). Gerhard Gloege referierte über Neuthomismus, Entmythologisierung, Evangelische Anthropologie oder Sören Kierkegaard, berichtete aber auch über eine Reise nach Schweden. Der Austausch über religiöse Fragen scheint ein gemeinsames Band zwischen den Beteiligten darzustellen. Es war ein Treffen innerhalb der sogenannten „bürgerlichen“ Professoren und im Rahmen einer dem Wesen nach bildungsbürgerlichen Institution des „Vortragskreises“, des „Professorenkränzchens“. Er stand in der gleichen bürgerlichen Gesprächs- und Vortragstradition akademischer Geselligkeitskreise wie die Mittwochsgesellschaft in Berlin oder der Spirituskreis in Halle, die beide in der Zeit des Dritten Reiches als Orte bürgerlich-oppositioneller Nonkonformität galten.397 In der Tat ähnelten sich die Kommunikationsformen vom Jenaer Heide-Kreis und dem Hallischen Spirituskreis sehr, dessen Tätigkeit in der SBZ/DDR bis zur Zerschlagung 1958 vor allem auch anhand der Akten des MfS von Thomas Großbölting ausführlich dargelegt wurde.398 Auch dort traf man sich zu allgemeinen Vorträgen im kleinen Kreis, hier wie dort war die Zusammensetzung auf fachlich ausgewiesene, „bürgerliche“ Professoren beschränkt, die zum Teil in wichtigen Positionen an der Universität tätig waren. Kurt Aland, eine der tragenden Persönlichkeiten des Spirituskreises in Halle, wurde als Kollege Griewanks in der Redaktion der DLZ bereits genannt.399 Freilich kann daraus keine Verbindung der beiden Gesprächskreise gefolgert werden, vielmehr sind sie als ein Ausfluß der gemeinsamen akademischen Kultur und Tradition zu sehen, als „Relikte des Bildungsbürgertums in der DDR“.400

5.3.4. Konflikte: Universitätskrise 1948 und „Leisegang-Affäre“ Das Jahr 1948, in dem durch Währungsreform und Berlin-Krise der Kalte Krieg „heiß“ zu werden drohte, war das Krisenjahr der Universitätsgeschichte der Nachkriegszeit.401

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Vgl. Klaus SCHOLDER (Hg.): Die Mittwochs-Gesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932 bis 1944, Berlin (W) 1982; Günter MÜHLPFORDT/Günter SCHENK: Der Spirituskreis (18901958). Eine Gelehrtengesellschaft in neuhumanistischer Tradition. Vom Kaiserreich bis zum Verbot durch Walter Ulbricht im Rahmen der Verfolgungen an der Universität Halle 1957 und 1958, Bd. 1: 1890-1945, Halle 2001 – Bd. 2: 1945-1958, Halle 2004. GROßBÖLTING: SED-Diktatur, S. 227-249. Die Tatsache, daß in Halle offensichtlich die Stasi frühzeitig die ihr verdächtige „staatsfeindliche Gruppierung bürgerlicher Professoren“ beobachtete, kann hier nur konstatiert werden. Der „Heide-Kreis“ blieb (auch in den späteren Jahren der DDR) offenbar unbehelligt. Siehe oben Kapitel 5.1.3. KLEßMANN: Relikte des Bildungsbürgertums in der DDR. Vgl. Peter SCHÄFER: Die Jenaer Universitätskrise 1948, in: GOTTWALD (Hg.): Universität im Aufbruch, S. 325-331; Susanne BLECHSCHMIDT: „Nehmt die Festung Wissenschaft“! Der Sowjetisierungsprozeß an der Alma mater Jenensis, in: STUTZ (Hg.): Macht und Milieu, S. 181-202¸ HEINEMANN: Auf dem Weg zur Volksuniversität; KAISER: „Sowjetisierung“, „Reform“ und Konflikt, S. 167-171.

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5. Der Professor in Jena

Drei Ereignisse kamen zusammen: Zum einen wurde gegen den Widerstand der Fakultät die Amtsenthebung des Philosophieprofessors Hans Leisegang durchgesetzt.402 Zum anderen führten die Wahlen zum Studentenrat 1948 zu harten Konflikten und offenen Tumulten, bei denen letztlich durch die Begrenzung der Zahl der Kandidaten die Mehrheit für die SED sichergestellt wurde.403 Gerade innerhalb der Studentenschaft bildeten sich in der Besatzungszeit politisch verfeindete Gruppen. Die Debatten des frei gewählten Studentenrats, der in Jena vor allem durch eine aktive LDP-Fraktion404 in Erscheinung trat, wurde immer kontroverser. Bei der Neuwahl 1948 kam es schließlich zu massiven Auseinandersetzungen, die ein Ende der studentischen Selbstbestimmung bedeuten sollten.405 Schließlich war 1948 ein „Drei-Rektoren-Jahr“, in dem zuerst Friedrich Zucker und dann Friedrich Hund das Amt verlassen mußten und mit dem Biologen Otto Schwarz der erste „sozialistische Rektor“ eingesetzt wurde. Die Amtsaufgabe Hunds406 stand dabei in unmittelbarem Zusammenhang zur staatlichen Studentenzulassungspolitik, die erkennen ließ, daß über die Auswahl der Studenten Eingriffe in die Universitätsautonomie erfolgten.407 Die Rektorwahl erlebte Griewank als Dekan der Philosophischen Fakultät und Mitglied des Senats mit und war sogar als einer der Alternativkandidaten gegen den SED-Kandidaten Schwarz im Gespräch.408 Auch in der Leisegang-Affäre habe Griewank, dies betont sein Schüler Diethelm Böttcher aus erster Hand, „keineswegs neutral beiseite gestanden“409, sondern habe seinen Studenten mit Rat zur Seite gestanden. Hans Leisegang sei niemals von der SMATh als Hochschullehrer eingesetzt worden, glaubt der russische Historiker und Archivar Andrej P. Nikitin als Grund für eine

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Vgl. vor allem MESCH: Leisegang; Thomas AMMER: Die zweite Vertreibung Hans Leisegangs von der Universität Jena, in: Zeitzeugen berichten. Wie die DDR die Universitäten unterdrückte, Bonn 1999, S. 9-29. Vgl. auch bereits MÜLLER/MÜLLER: „... stürmt die Festung“, S. 70-72. Vgl. Robert GRAMSCH: Der Studentenrat im Umbruchsjahr 1948, in: Vergangenheitsklärung, S. 5259; GRAMSCH, Zwischen zwei Diktaturen. Vgl. Hermann MARX: Liberale Studenten im Widerstand in der SBZ/DDR. Vergebliches Stemmen gegen die Herrschaftsansprüche der SED, in: Volker ERHARD/Ulrich JOSTEN/Peter JULING/Wolfgang MÖHRING (Hg.): Einsatz für Freiheit und Demokratie. Beiträge zur Geschichte des Liberalen Studentenbundes Deutschland (LSD), Jena/Quedlinburg 2001, S. 21-33, zur Jenaer Universitätskrise 1948: S. 26-28. Vgl. Robert GRAMSCH: Der Jenaer Studentenausschuß und die Wiedereröffnung der FriedrichSchiller-Universität, in: JOHN/WAHL/ARNOLD (Hg.): Wiedereröffnung, S. 103-114; DERS.: Zwischen zwei Diktaturen. Die Jenaer Studentenschaft 1945-1949, in: STUTZ (Hg.): Macht und Milieu, S. 5380. Vgl. auch die ältere Darstellung bei Otto GEBHARDT: Die Entwicklung des studentischen Lebens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von der Zerschlagung des Hitlerfaschismus bis zur Einführung der Hochschulreform, Diss. phil. Jena 1958; DERS.: Die Entwicklung des studentischen Lebens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von der Zerschlagung des Hitlerfaschismus bis zur Einführung der Hochschulreform 1945-1951, in: WZJ, GSR 15 (1966), S. 335-348. Vgl. Helmut G. WALTHER: Friedrich Hund. Die Jenaer Zeit als Professor und Universitätsrektor, 1946-1951, in: Stephan FREUND/Klaus KRÜGER/Matthias WERNER (Hg .): Von der Veränderbarkeit der Welt. Ausgewählte Aufsätze von Helmut G. WALTHER zum 60. Geburtstag, Frankfurt (M) [u.a.] 2004, S. 425-435. Die Nichtachtung eines sowjetischen Gastes durch den Rektor wurde zunächst zwar als Grund der Demission genannt, bald jedoch wurde auf den wahren Grund hingewiesen. Protokoll Sitzung des kleinen Senats, 4.11.1948, in: UAJ, BB 36, Bl. 266f. Vgl. WALTHER: Friedrich Hund, S. 429f. SCHÄFER: Jenaer Universitätskrise 1948, S. 325-331, hier S. 329. Schriftliche Auskunft von Diethelm Böttcher, 22.7.1999.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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spätere Konfliktsituation zu sehen.410 Selbst wenn dies richtig wäre411, so liegt hierin nur die halbe Wahrheit. Denn Hans Leisegang war auf eine Zulassung der SMA im Grunde nicht angewiesen; er wurde nicht neu eingesetzt, sondern auf Grundlage einer Alliierten Kontrollratsproklamation rehabilitiert, wonach politisch motivierte Gerichtsurteile der NS-Justiz und deshalb ausgesprochene Entlassungen zu revidieren seien.412 Er war 1934 auf der Grundlage eines politischen Urteils verhaftet und von seinem Amt als Philosophieprofessor an der Universität Jena entlassen worden und somit einer der wenigen politisch inhaftierten Wissenschaftlern in Jena.413 Das Urteil wurde nach dem Ende des Nationalsozialismus aufgehoben, mithin war er nun zu rehabilitieren und als Hochschullehrer wieder zuzulassen. 414 Über die Person Leisegangs existieren unterschiedliche Einschätzungen politischer und fachlicher Art, die daher rühren, dass er in der Zeit bis zum Nationalsozialismus keineswegs Demokrat und im Dritten Reich ein konservativer NS-Gegner war.415 Ganz gleich wie man seine Philosophie und seine politische Position bewerten möchte, er wurde für die nichtmarxistischen Studierenden eine zentrale Symbolfigur. In seinen Lehrveranstaltungen fesselte er sie durch den breiten persönlichen und fachlichen Erfahrungsschatz. Er spickte seine Vorlesungen mit scharfen Analysen und Spitzen gegen das marxistisch-leninistische Weltbild und trat vor allem kompromißlos für die Wissenschaftsfreiheit ein.416 Poltisch betätigte sich im Kulturbund und in der LDP. Leisegang wurde, dies ist bereits an verschiedenen Stellen publiziert worden, öffentlich hart attackiert. Viele Studenten empörten sich über Form und Inhalt dieses Angriffes. Zu diesen gehörten mit Diethelm Böttcher und Karl-Heinz Hahn auch zwei Historiker aus dem engsten Umfeld Karl Griewanks. Böttcher erinnert sich: „Wir hatten einen Ausschuß gebildet, um eine Resolution für die Fakultätsversammlung vorzubereiten. Das geschah ziemlich basisdemokratisch: wer wollte, kam, und so traf sich im Germanistischen Seminar ein gutes Dutzend. [...] Mein Entwurf wurde als der nüchternste angenommen und in Teilen umgeformt [...]. Danach kam ich persönlich auf den Gedanken, Griewank um Begutachtung zu bitten. Daß ich ihm dabei Unannehmlichkeiten bereiten könnte, fiel mir nicht ein. Er gehörte einfach zu uns. Griewank las den Text aufmerksam, ohne unnötige Worte zu verlieren, und beanstandete den Punkt 2, der auf eine gesinnungsmäßige Festlegung der Abstimmenden hinauslaufe: ‚Da machen Sie’s wie die andern.’ Mir war das eine Lehre. Ich ließ dann diesen Punkt in der Reinschrift einfach weg. Das war natürlich formwidrig, hätte aber vermutlich niemanden von uns gestört, und vor allem

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HEINEMANN: Hochschuloffiziere, S. 313. Der Historiker und Archivar Andrej P. Niktin (1952-1996) war Sohn des für die Hochschulen zuständigen sowjetischen Offiziers Pjotr I. Niktin (1912-2000). Von Seiten der Universität wurde der Betätigungsantrag für Leisegang an die SMA am 31.1.1946 gestellt, in: UAJ, BB 1, Bl. 446. Leisegang bezog sich auf die Alliierte Kontrollratsproklamation Nr. 3. Vgl. UAJ, D 3201 PA Leisegang. Urteil und Begründung, 30.9.1934, in: UA FU Berlin, NL Leisegang, Karton 1, Nr. 6. Leisegang wurde auf Grundlage des §3 der Verordnung zur „Abwehr heimtückischer Angriffe auf die Regierung der nationalen Erhebung vom 21.3.1933“ zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt, hat diese Strafe zum Teil bis zum 23. März 1935 verbüßt; für den Rest ist die Strafe zur Bewährung mit Bewährungsfrist bis zum 31. März 1938 ausgesetzt worden. Zum Hintergrund vgl. MESCH: Leisegang, S. 94-116. Meldung Stadt Jena (Dienststelle für politische Opfer des Naziregimes), 29.9.45, UAJ, BB 7, Bl. 1. Ein positives Bild bei MESCH: Leisegang; sehr kritisch dagegen: Hans-Joachim DAHMS: Jenaer Philosophen in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Folgezeit bis 1950, in: Uwe HOßFELD/Jürgen JOHN/Oliver LEMUTH/Rüdiger STUTZ (Hg.): „Kämpferische Wissenschaft”. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 723-771, hier S. 745-757; aus fachlicher Sicht poitiv Klaus-Michael KODALLE (Hg.): Philosophie eines Unangepaßten. Hans Leisegang, Würzburg 2003. Vgl. auch Herbert GOTTWALD: Geleitwort, in: MESCH: Leisegang, S. I-VI.

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5. Der Professor in Jena hat es von unserem idealistischen Unternehmen üblen Schaden ferngehalten. Karlheinz Hahn hat die Resolution in der Aula verlesen.“417

Die Resolution wurde in der Folge „berühmt“.418 Nicht nur die Studierendenversammlung der Philosophischen Fakultät am 10. Mai 1948, sondern auch die der Gesamtuniversität am 26. Mai nahm sie an. Leisegang selbst hielt eine offene Rede bei studentischen Vollversammlung, in der er betonte, er habe keine Angst vor Verfolgung, so wie er vor den Nazis keine Angst gehabt habe.419 Diethelm Böttcher erinnert sich an die „Abstimmung im Hammelsprung. Zuerst flogen die rückwärtigen Türen auf, durch welche die Hammel entflohen, die nicht springen wollten. Dann wälzte sich der Hauptstrom, nur wenig unterbrochen, zur Tür der Zustimmung. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Professorenschaft zahlreich vertreten gewesen wäre (doch müßte ich mich hier korrigieren lassen), aber ich sehe noch Griewank und Karl Heussi nebeneinander in der ersten Reihe sitzen, in den Gesichtern unverhohlene Freude.“420 Die Resolution wurde mit 1097 zu 282 Stimmen bei 113 Enthaltungen angenommen. Die an anderer Stelle überlieferte und publizierte Erklärung421 war vor allem ein Plädoyer für Meinungsfreiheit, für die Freiheit der Wissenschaft und das Recht auf Kritik. Die Studenten wehrten sich gegen Drohungen und sprachen sich für einen in Form und Inhalt wissenschaftlichen Meinungsstreit aus. Die Teilnahme der Dekane Heussi und Griewank verdeutlicht die Bedeutung auch für den Lehrkörper. Thomas Ammer spricht von der Anwesenheit „zahlreiche[r] Hochschullehrer“422, genauere Aussagen über die Teilnahme von Lehrenden sind nicht zu treffen. Für die SED stellte die Angelegenheit eine fatale Niederlage dar. Sie zeigt den damals noch möglichen Meinungsstreit auf und verdeutlicht die Mehrheit einer liberalen studentischen Position an der Universität. Die Annahme dieser Resolution von Fakultäts- und Gesamtstudentenversammlung sollte jedoch nicht den letzten Akt des Dramas sein. In der SED-Betriebsgruppe war man sich der Niederlage bewußt, sah die Schuld bei den „parteilosen Studenten, unter der Führung reaktionärer Studenten, die vor allen der LDP angehörten“ und betonte intern, daß man „nach wie vor der Meinung [sei], daß ein Professor, wie Herr Leisegang, an einer Universität der Ostzone unmöglich ist.“423 Gleiches dachte wohl auch die Ministerin Genossin Torhorst, die es auf eine weitere Eskalation ankommen ließ, denn inzwischen hatte das Ministerium die Listen der bestellten Prüfer für das Lehramt veröffentlicht, auf denen der Name Leisegang fehlte.424 Zunächst einmal reagierten die Fakultät und ihr Dekan Karl Griewank. Versuche, die Prüferbestellung Leisegangs noch nachträglich zu erreichen, scheiterten. Am 11.

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Schr. Information Diethelm Böttcher, 4.1.2000. Vgl. AMMER: Die zweite Vertreibung, S. 20. Mitschrift der SED, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 2394, Bl. 44-49. Schr. Information Diethelm Böttcher, 4.1.2000. Vgl. auch die Erinnerung von MESCH: Nicht mitzuhassen, S. 262-264. Die Erklärung ist mehrfach textgleich überliefert, u.a. im Nachlaß und der Personalakte Leisegangs: UA FU Berlin, NL Leisegang, Karton 1, Nr. 2/5; UAJ, D 3201 PA Leisegang. Sie wurde veröffentlicht in der Thüringischen Landeszeitung vom 24.5.1948; editiert auch bei AMMER: Die zweite Vertreibung, S. 20f. Ebd., S. 21. Stellungnahme des Vorstandes der Betriebsgruppe Universität Jena zum Fall Prof. Leisegang, undat., in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 2394, Bl. 32, 43. Ursprünglich fehlte auch der Philosoph Hermann Johannsen auf der Liste der zugelassenen Prüfer, dessen nachträgliche Aufnahme Griewank jedoch am 11.10.1948 bekannt geben konnte. Leisegang blieb jedoch als Prüfer ausgeschlossen. Fakultätsratssitzung, 11.10.1948, in: UAJ, M 718/1, Bl. 315.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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Oktober berichtete Dekan Griewank von diesen bisher mißlungenen Vorstößen und der Verzögerungstaktik des Ministeriums.425 Als Konsequenz beschloß die Fakultät, daß alle Professoren ihre Mitarbeit bei Prüfungen einstellten. Zur Begründung dieses Professorenstreiks gab man in einer von allen Professoren unterschriebenen Erklärung an, daß die Fakultät „in der Ausschaltung eines planmäßigen Fachvertreters aus der Prüfungskommission eine schwere Behinderung in dem ihm aufgetragenen Lehramt“ sehe und diese „nicht von der Entscheidung eines dem Universitätswesen in vieler Hinsicht fremden Verwaltungsbeamten abhängig gemacht werden darf, dessen Vollmacht dadurch, daß das Ministerium sich auf die Betätigung seiner Beschlüsse beschränkt, eine nahezu diktatorische wird, wie es in der Nazizeit nach dem Führerprinzip gehandhabt worden ist“.426 Auch mindestens acht Mitglieder der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät protestierten in scharfer Form und legten ihre Prüfungstätigkeit nieder.427 Am 25. Oktober berichtete Griewank von einem ergebnislos verlaufenen Gespräch des Rektors und der Dekane mit der Ministerin Torhorst und dem zuständigen Ministerialbeamten.428 Nachdem nunmehr insgesamt der Prüfungsbetrieb der gesamten Fakultät und von Teilen der Mathematisch-NaturwissenschaftlichenFakultät lahmlag, kam es am 27. Oktober 1948 schließlich zu einem Vier-AugenGespräch zwischen der Ministerin Torhorst und Leisegang, über das von beiden Beteiligten unterschiedliche Berichte vorliegen.429 In der Folge wurde Leisegang fristlos entlassen. Leisegang erkundigte sich zunächst einmal beim Dekan Griewank nach dem Inhalt des Befehls 36 der SMATh, aufgrund dessen dies geschehen sollte.430 Dieser am 5. März 1948 erlassene Befehl rechtfertigte die Eingriffe unter dem gefährlich indifferenten Titel „Beseitigung erheblicher Mängel, welche die Demokratisierung der Universität Jena behindern“, wie Griewank recherchierte.431 Von seiten der Fakultät wurde dieser massive Eingriff in die Universitätsautonomie mit Bestürzung aufgenommen, und man blieb weiterhin bei der Protesthaltung: Die Angehörigen der Philosophischen Fakultät nahmen nicht mehr an Prüfungen teil. Am 30. November teilte Leisegang der Fakultät dann mit, daß er einen Ruf an die neugegründete Freie Universität Berlin angenommen habe. Er dankte „der Jenaer Fakultät für alle Unterstützung und Hilfe“ und meinte: „Der Weg, den ich zu gehen hatte, war mir von vornherein durch meine Vergangenheit und mein Fach, das ich zu vertreten hatte, vorgeschrieben“.432 Erst jetzt erklärten die Mitglieder der Fakultät sich wieder bereit, an

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Von Seiten des Ministeriums wurde erklärt, daß man sich auf die Entscheidung des zuständigen Ministerialbeamten, der dem Prüfungsamt vorsitze, verlasse. Stellungnahme Philosophische Fakultät, 11.10.1948, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3249, Bl. 234. Bei der Stellungnahme wurde der Briefkopf „Der Dekan der Philosophischen Fakultät“ durch Griewank handschriftlich in „Der Dekan und die Mitglieder der Philosophischen Fakultät“ erweitert. Unterschrieben haben Griewank, Barwick, von Jan, Kirchner, Leisegang, Linke, Schneider, Stolte, Trautmann, Wesle und Zucker. Erklärung, undat., in: ebd., Bl. 235. Es handelt sich um Friedrich Hund (Physik), Franz Hein (Chemie), Martin Kersten (Physik), Jürgen Harms (Biologie), Karl Maruhn (Mathematik), Eberhard Buchwald (Physik), Ernst Kordes (Chemie). Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich weitere Professoren beteiligten. Fakultätsratssitzung, 25.10.1948, in: UAJ, M 718/1, Bl. 317. Stellungnahme Leisegang, 30.10.1948, in: UAJ, M 827; Marie TORHORST: Pfarrerstochter, Pädagogin, Kommunistin. Aus dem Leben der Schwestern Adelheid und Marie Torhorst, hg. von Karl-Heinz GÜNTHER, Berlin (O) 1986, S. 107. Hans Leisegang an Karl Griewank, 28.11.1948, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 2. Undatierte Notiz zum Befehls Nr. 36 der SMATh, in: ebd. Hans Leisegang an Philosophische Fakultät, 30.11.1948, in: UAJ, M 827.

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5. Der Professor in Jena

Prüfungen teilzunehmen.433 Griewanks persönliches Verhältnis zu Leisegang blieb auch nach dessen Weggang kollegial, ohne besonders eng zu werden. Er schrieb später über Leisegang, daß er sich mit ihm „– trotz seines manchmal allzu schroffen Wesens – gut verstand und auch jetzt noch in freundschaftlicher Verbundenheit stehe.“ 434 Eine besondere Dynamik erhielten die Vorgänge durch die Gleichzeitigkeit mit der Rektorwahl des Biologen Otto Schwarz. Sie kumulierten vor allem in den Monaten Oktober und November 1948. Der gerade erst gewählte Friedrich Hund trat am 29. Oktober 1948 in einer Sitzung des „großen Senats“, also einer Vollversammlung aller Professoren, in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Eggerath und der Volksbildungsministerin Torhorst, zurück. In seiner Erklärung gab er als Ursache die Mißachtung eines sowjetischen Vortragenden an, die eine Amtsverfehlung darstelle und das Vertrauen zu den staatlichen Organen erschüttert habe.435 Wenig später wurden von der Ministerin Torhorst jedoch der eigentliche Grund und die politische Dimension klargestellt, die in Streitigkeiten um die Zulassung der Erstsemester lagen.436 Der Ministerpräsident des Landes Thüringen wurde von Seiten der Sowjets hierüber eindeutig mitgeteilt: „Der eigentliche und einzige Grund zur Verabschiedung war die Nichtübereinstimmung des Rektors Professor Doktor Hund mit der vom Ministerium für Volksbildung verfolgten Politik der Aufnahme neuer Studenten aus der Zahl der Arbeiter- und Bauernkinder.“437 In der Sitzung am 4. November präsentierte das Ministerium als Wunschnachfolger den bisher hochschulpolitisch wenig hervorgetretenen Botaniker Otto Schwarz. Diese Personalentscheidung solle die Krise der Universität beenden und das Vertrauen zum Ministerium wiederherstellen. Otto Schwarz war vielen Kollegen weitestgehend unbekannt. Als Kandidaten hatte der kleine Senat seinerseits Karl Griewank, den Mediziner Walther Fischer, den Juristen Fritz Steffen, den Physiker Eberhard Buchwald und den Historiker Friedrich Schneider in Betracht gezogen.438 Bereits in der unmittelbaren Antwort lehnte Torhorst jedoch jeden anderen Kandidaten als Schwarz ab. Der Senat traf sich am Folgetag um 16.30 Uhr erneut und ließ sich von dem Ministeriumsvertreter versichern, daß nur Schwarz die Bestätigung des Ministeriums erhalten würde und es sich um eine Ausnahmesituation handele, die „wegen der besonderen Schwere der entstandenen Krisis diktiert sei. In Zukunft werde die freie Entscheidung des Senats in der Wahl seines Kandidaten gemäss den Universitätsstatuten nicht beschränkt sein.“439 Der Senat vertagte sich erneut, zeigte sich jedoch „geneigt [...], sich dem Kandidatenvorschlag der Frau Minister zu eigen zu machen.“440 Karl Griewank hatte an diesen beiden Senatssitzungen nicht teilgenommen, sondern sich

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Fakultätsratssitzung, 15.12.1948, in: UAJ, M 718/1, Bl. 322f. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, NL Spranger, Nr. 179, unpag. UAJ, BB 36, Bl. 262. Siehe unten S. 239 mit Anm. 457. Protokoll Sitzung des kleinen Senats, 4.11.1948, in: UAJ, BB 36, Bl. 266f. Verwaltung der SMATh an Ministerpräsident Eggerath, 1.11.1948, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3249, Bl. 221r. In einem Schreiben an die DVV in Berlin nannte das Ministerium zudem den Philosophen Paul Ferdinand Linke. MfV Weimar an DVV, 18.11.1948, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3255, Bl. 19r. Protokoll der Sitzung des kleinen Senats, 5.11.1948, in: UAJ, BB 36, Bl. 268r. Ebd., Bl. 268v.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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durch den Prodekan von Jan vertreten lassen.441 Am Abend desselben Tages fand um 20 Uhr eine Sitzung des Fakultätsrats der Philosophischen Fakultät in den Räumen des Historischen Seminars statt.442 Auch bei dieser Fakultätssitzung war der Leiter der Hochschulabteilung der SMATh Bogatyrev anwesend. Er appellierte „an die Mitglieder der Fakultät, durch Abgabe der Stimme bei der Wahl dem demokratischen Ministerium das Vertrauen auszudrücken.“ Griewank dankte zunächst einmal diplomatisch „der SMA für die bisherige Förderung der Wissenschaft und des Aufbaus der Universität“, auch sei es sein Wunsch, „mit dem Ministerium übereinzukommen“. Dennoch merkte er kritisch an: „Es handele sich nur um Zustimmung zu einem Wunsch des Ministeriums, nicht um eine eigentliche Wahl. [...] Er trage Bedenken gegen die Wahl von Schwarz wegen fehlender akademischer Erfahrung.“ Im Verlauf der Diskussion sprachen sich ausweislich des Protokolls Heinz Stolte, Friedrich Zucker, Friedrich Schneider, Paul Linke, Reinhold Trautmann und Karl Barwick für die Zustimmung zur Wahl Schwarz’ aus. Das Protokoll endete nun: „Fakultät beschließt mit 8:1 Stimmen, daß der Dekan im kleinen Senat die Zustimmung zur Kandidatur Schwarz vertreten soll. Fakultät erklärt auf Befragen des Dekans [Griewank], daß dieser weiter das völlige Vertrauen der Fakultät genießt.“ Über den Verlauf ist weiter nichts bekannt. Warum jedoch stellte zum Schluß der Dekan Griewank, von dem als einzigem kritische Bemerkungen zu Otto Schwarz protokolliert sind, die Vertrauensfrage? Die Schlußfolgerung liegt hier wohl nahe, daß die Neinstimme von Karl Griewank stammte.443 Bestätigt wird dies von keinem Geringeren als dem Chef der SMATh, Gardegeneralmajor Kolesniþenko. In einem Bericht für die SMAD, der nach Moskau geschickt wurde und jetzt aus den sowjetischen Akten zugänglich gemacht wurde, heißt es: „Die Philosophische Fakultät sprach sich mit Ausnahme des Dekans der Fakultät, Professor Griewank, einstimmig für den Vorschlag der Ministerin aus. Die Medizinische und die Pädagogische Fakultät unterstützten vollständig die Empfehlung der Ministerin. Lediglich die Juristische Fakultät beantwortete die Information ihres Dekan über die Wahl des neuen Rektors mit vollkommenem Schweigen.“444 Griewank hatte also klar erkennbar Position bezogen, und dies war der Besatzungsmacht nicht verborgen geblieben. Am Folgetag, Samstag, dem 6. November, fand dann die dritte Senatssitzung innerhalb von drei Tagen statt. Diesmal verzeichnet das Protokoll als Gäste „General Kolesnitschenko und fünf weitere Offiziere der sowjetischen Armee, Professor Bogatyrjow, Frau Minister Dr. Torhorst, Oberregierungsrat Senff“445 – ein sehr

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Der Grund für die Nichtteilnahme des Dekans Griewank ist nicht archiviert. Zum Zeitpunkt der ersten Sitzung am Donnerstag, den 4. 11., 11 Uhr, lag seine Vorlesung. Vermutlich war er auch deshalb nicht anwesend, da sein Name als Vorschlag genannt werden sollte. Fakultätsratssitzung 5.11.1948, 20-22.10 Uhr (!) im Historischen Seminar, in: UAJ, M 718/1, Bl. 319f. Diese Vermutung verstärkt sich durch die Tatsache, daß nur von Jan und Kirchner im Protokoll nicht mit einer Meinungsäußerung genannt wurden. Von Jan hatte im kleinen Senat keinen Widerspruch eingelegt, Kirchner war bekannt als kommunistischer Sympathisant. Kolesniþenko an SMAD, „Betr.: Wahlen des neuen Rektors der Jenaer Universität“, 25.11.1948, in: BArch, Z47 F 80138, R-7317, op.55, d.6, Bl. 198-205. Es handelt sich um eine Akte der SMAD, die im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) liegenwirken. Durch eine Kooperation russischer und deutscher Archive ist ein Teil der Akten zur Kulturpolitik der SMAD in Deutschland, worunter auch die Hochschulpolitik fällt, kopiert und auf Mikrofilmen dem Bundesarchiv in BerlinLichterfelde zur Verfügung gestellt worden. Ich danke Sebastian Schlegel für die Entdeckung und Übersetzung dieser russischsprachigen Akte und für den Hinweis auf die Erwähnung Griewank. Protokoll der Sitzung des kleinen Senats, 6.11.1948, in: UAJ, BB 36, Bl. 271f.

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5. Der Professor in Jena

ungewöhnliches Aufgebot für eine Senatssitzung. Auch Griewank war nun dabei und vernahm Kolesniþenkos Rede, die die Universität neben einem Plädoyer zur Gemeinsamkeit aufforderte, sie müsse „sich in den Zweijahresplan einschalten und der Industrie und Volkswirtschaft helfen.“ Der kleine Senat erklärte sich nun einverstanden mit der Wahl Schwarz’. Für die Wahl des Rektors war freilich eine Sitzung des „großen Senats“, der Vollversammlung, notwendig. Als Termin wurde der 8. November festgelegt. Bei der geheimen Wahl erhielt Otto Schwarz 53 von 76 abgegebenen Stimmen und war damit gewählt.446 Die Rektorwahl mit dem dafür notwendigen Sitzungsmarathon und der auffallenden Anwesenheit der sowjetischen Offiziere stellte ein außergewöhnliches Ereignis an den Universitäten der SBZ dar. Die zu diesem Zeitpunkt noch relativ kleine SEDBetriebsgruppe konnte ihre strategische Position nun deutlich verstärken. Ihr Kandidat, der Bogatyrev zufolge auch den Sowjets zuvor unbekannt gewesen war, wurde mit der tatkräftigen Unterstützung der Besatzungsmacht an die Spitze der Universität gebracht. Die Position des Rektors erklärte sich aus seiner aktiven Rolle in der SEDBetriebsgruppe. Er war, wie Kurt Pätzold in seinen Erinnerungen ausführt, einer der „Aktivposten der Partei [...] und nahm das Rektorat ernst und als eine von der Partei gestellte Aufgabe.“447 Unter dem Rektor Otto Schwarz verstärkten sich die Konfliktlinien.

5.3.5. Protest gegen die Studentenauswahl In der Nachkriegszeit garantierte ein Abitur keinen Studienplatz. Auch im Bereich Geschichte standen stets weniger Plätze zur Verfügung als es Bewerber gab. Es wurden Kommissionen für einzelne Fächer eingerichtet, die jedoch nur Vorschläge machen konnten. Das Ministerium entschied über die Zulassung der Bewerber und durfte auch weitere Namen nennen. Die Immatrikulationspolitik wurde so zu dem entscheidenden Hebel, um von staatlicher Seite in die Sozialstruktur der Studentenschaft einzugreifen.448 Die Zulassungspolitik der Jahre 1945 und 1946, die dezentral organisiert war und in den Händen der Universitäten und Landesbehörden lag,449 galt noch als weitgehend sachlich und fair, auch unterschied sie sich nicht wesentlich von der in den Westzonen üblichen Verfahrensweise, wo die Studienplätze ebenfalls begrenzt wurden.450 Grundsätzlich entschied das Leistungsprinzip. Bevorzugt wurden jedoch auch diejenigen, die in der Zeit des Nationalsozialismus Benachteilungen zu erdulden hatten. Bereits für das Wintersemester 1946/47 war die Zulassungspolitik an manchen Orten jedoch geprägt vom parteipolitischen Streit.451 Im Wesentlichen lag sie aber nach wie vor in den Händen der Fachwissenschaftler vor Ort, die die eingegangenen Bewerbungen zu

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Griewank war mit den Mathematiker Maruhn als Wahlhelfer tätig. Zwei Stimmzettel waren mit „Prof. Hund“ gekennzeichnet, 21 ungültig. Protokoll der Sitzung des großen Senats, 8.11.1948, in: ebd., Bl. 275f. PÄTZOLD: Studienjahre in Jena, S. 65. Vgl. Herbert STALLMANN: Hochschulzugang in der SBZ/DDR 1945-1959, Sankt Augustin 1980. Eine zentrale Verordnung vom 30.9.1945 (zit. ebd., S. 429-431) hatte wenig Bedeutung, wie KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 261, herausgefunden hat. Vgl. auch HANDSCHUCK: Auf dem Weg, S. 146f. MÜLLER/MÜLLER: „... stürmt die Festung“, S. 75-78. In Berlin wurde die Zulassungspolitik in einem gemeinsamen Protest der Berliner CDU, LDP und SPD vom 8.10.1946 als einseitig gebrandmarkt, so KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 264.

5.3. Karl Griewank als Hochschullehrer und Hochschulpolitiker

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sichten hatten. Auf Seiten der deutschen und sowjetischen offiziellen Stellen war man jedoch mit der Auswahl zunehmend unzufrieden. Im März 1947 verständigte sich die Konferenz der Volksbildungsminister der SBZ auf eine verstärkte Berücksichtigung der „Arbeiter- und Bauernstudenten“.452 Im Jahr 1948 – dem Jenaer Krisenjahr – eskalierte die daraus entstehende Spannung. Den Kommissionen der Philosophischen Fakultät in Jena wurde als wichtigstes Kriterium die Auswahl von „Bewerber[n] mit hervorragender Allgemeinbildung, die durch entsprechende Zeugnisse nachgewiesen ist“, ans Herz gelegt. Danach erst galt, „Bewerber aus Arbeiter- und Bauernkreisen [und] Absolventen der Vorstudienanstalten“ zu berücksichtigen.453 Diese Reihenfolge dieser beiden Kriterien wurde jedoch im Ministerium nicht nur umgedreht. Es wurden auch Kandidaten gestrichen und ganz andere Namen benannt, so daß der Rektor Friedrich Hund am 7. Oktober 1948 in einem universitätsinternen Rundschreiben Alarm schlug. Es seien in diesem Jahr von 680 Vorschlägen der Universität nur 485 angenommen worden, „und dabei vor allem fachlich gut Geeignete weggelassen“.454. Für das Fach Geschichte mußte Griewank als Dekan Gleiches feststellen: „Im Fach Geschichte sind sämtliche erstklassige Bewerber gestrichen“.455 Hund unterrichtete auch die Abgeordneten im Kulturausschuß des Landtags, wobei er sich nicht scheute, „die Auswahl des Ministeriums als fortschrittshemmend zu bezeichnen“.456 Friedrich Hund erachtete die Lage als sehr ernst und bemühte sich um ein Treffen bei der DVV und der SMAD in Berlin-Karlshorst. Von der Zentrale aus erhielt er Rückendeckung und die Genehmigung zur Immatrikulation einer von ihm mitgebrachten Liste von Bewerbern. Kurz darauf wurde dieses Ergebnis durch einen gegenteiligen Beschluß des für Thüringen zuständigen Generalmajors Kolesniþenko wieder aufgehoben.457 Dem voraus ging am 4. Oktober eine Sitzung des Zulassungsausschusses, an der der Rektor, die Dekane, der sowjetische Offizier Nicolai M. Bogatyrev (Leiter der Abteilung Volksbildung der SMATh) und der Weimarer Oberregierungsrat Senff teilnahmen. Letzterer hielt eine lange Rede, in der er die Zulassungspolitik des Ministeriums verteidigte und die Gefahr der „faschistischen Unterwanderung“ der Universität beschwor.458 Nach dem Ende dieser Rede, deren Abschrift neun (!) eng beschriebene Typusskriptseiten füllt, bat Griewank, den man offensichtlich zum Sitzungsleiter ernannt hatte, „dass man schnell fertig wird“. Er hielt dieses Treffen für eine Farce und machte daraus und aus seiner Unzufriedenheit keinen Hehl, wenn er meinte, daß bei der Erstellung der Zulassungslisten in diesem Jahr „eine grosse Anzahl von Professoren

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Vgl. HANDSCHUCK: Auf dem Weg, S. 151. Bestimmungen im Land Thüringen für das Jahr 1948, in: UAJ, M 841, unpag. Auch in Mecklenburg-Vorpommern kam es 1948 zur Konfrontation. Vgl. Markus SEILS: „Auftrag: Die planmäßige Umgestaltung der Universitäten.“ Staatliche Hochschulpolitik im Lande Mecklenburg-Vorpommern 1945-1950, Schwerin 1996, S. 96-106; HANDSCHUCK: Auf dem Weg, S. 153-165. Friedrich Hund, 7.10.1948, in: ebd. Karl Griewank, Aktennotiz 2.10.1948, in: ebd. Friedrich Hund an den Kulturausschuß des Landtags, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3249, Bl. 228f, hier Bl. 229. Vgl. zu den Ereignissen und den hier offen zu Tage tretenden Kontroversen innerhalb der sowjetischen Besatzungsmacht Pjotr I. NIKITIN: Zwischen Dogma und gesundem Menschenverstand. Wie ich die Universitäten der deutschen Besatzungszone „sowjetisierte“. Erinnerungen des Sektorleiters Hochschulen und Wissenschaft in der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, hg. und eingeleitet von Manfred HEINEMANN, Berlin 1997, S. 108-110. Protokoll der Sitzung des Zulassungs-Ausschusses der Universität Jena, 4.10.1948, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3249, Bl. 318-331.

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5. Der Professor in Jena

lange Tage beschäftigt wird mit einer Arbeit, die letzten Ende sich als nutzlos herausgestellt hat.“459 Es ist nicht erstaunlich, daß die Immatrikulation von Zeitzeugen unterschiedlich erinnert wird. In jedem Fall mußte dem Antrag auf Immatrikulation ein Fragebogen beigelegt werden, in dem u.a. nach Familienstand, Schulbildung, Berufstätigkeit vor der Studienaufnahme, Auslandsaufenthalten, Parteizugehörigkeit, Auszeichnungen und antifaschistischer Betätigung gefragt wurde, ebenso wie nach Beruf und Schulbildung der Eltern und Geschwister. Zudem war es üblich, den Studien- und Berufswunsch in einem handschriftlichen Aufsatz zu begründen. Einige, die sich oftmals und bei verschiedenen Stellen beworben hatten, erzählen noch heute von ihrer Freude, als sie von der Zusage erfuhren, auch von Zufällen, die eine Rolle spielten. So konnte die Bekanntschaft der Volksbildungsministerin oder des Kurators eine Zulassung befördern. Anders sind die Erinnerungen der Studierenden aus Arbeiter- und Bauernfamilien, bei denen die Immatrikulation problemloser lief und erst recht bei SED-Mitgliedern: Hier konnte die Partei zum Teil sogar die Aufnahme versprechen, das Abholen der Bescheinigung war eine Formalität. Es scheint so zu sein, daß sich nach den Konflikten 1948 eine gewisse Beruhigung auch in der Frage der Immatrikulation einstellte. Zu Konflikten wie 1948 kam es nach Lage der Akten jedenfalls nicht mehr. Am 14. Juni 1952 schrieb der Assistent Gebhard Falk an seine Mutter etwas erstaunt: „Am Sonnabend nahm ich an der Zulassungssitzung für Historiker teil. Außer dem Sachbearbeiter, dem Prorektor [für Studienangelegenheiten] und dem Fachrichtungsleiter [Karl Griewank] nahm niemand weiter daran teil, während es in den vergangenen Jahren an sonstigen einflußreichen und ausschlaggebenden Vertretern wimmelte. Da das Soll nicht erfüllt war, wurden alle binnen fünf Minuten im Kollektiv angenommen. Dabei waren die Zensuren mit ganz wenigen Ausnahmen mäßig“.460

Im folgenden Jahr war die Bewerberzahl dann wieder zu groß. Griewank wählte daraufhin die Kandidaten aus mit den Noten „sehr gut“ in Mathematik und Latein. „Von mir nach der Sitzung über den Grund befragt, antwortete er, diese Bewerber könnten wenigstens logisch denken. Von der Schulnote in Geschichte hielte er nichts“461, erinnert sich Falk. Daß die Zulassungspolitik wieder in den Händen des Fachs lag, war neben der allgemeinen Entwicklung auch einer gewissen Zähigkeit Griewanks geschuldet. Immer wieder hatte er protestiert und dabei geschickt das Prorektorat in Jena und die Berliner Stellen kontaktiert, so daß man ihn wohl gewähren ließ. Diese Geschicklichkeit wurde im Jahr 1953 dann erneut notwendig, als vom SfH mitgeteilt wurde, daß keine Studienplätze für das Fach Geschichte mehr vorgesehen waren, was offensichtlich eine Folge der Pläne war, die Geschichtswissenschaft in Jena zu eliminieren.462 Griewank und Schneider wehrten sich erfolgreich dagegen. Der eine protestierte beim Staatssekretariat in Berlin und konnte konkret nachweisen, „daß beim hiesigen Prorektorat für Studienangelegenheiten z.Z. 36 Anträge auf Zulassung für Geschichte vorliegen, von denen etwa 24 durch gute Leistungen für die Aufnahme qualifiziert sind. Es handelt sich um Antragsteller, die Gründe haben gerade ihre Immatrikulation in Jena zu wünschen.“463 Der andere stachelte den Prorektor für Studentische Angelegenheiten an, „mit allem

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Ebd., Bl. 327. Gebhard Falk an seine Mutter, 24.6.1952, in: PrA Falk. Schriftliche Auskunft von Gebhard Falk, 30.7. 2000. Siehe oben S. 201 mit Anm. 197. Griewank an SfH, 15.3.1953, in: UAJ, S V 39, allgemeiner Teil, unpag.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

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Nachdruck dafür besorgt zu sein, daß der Universität Jena ein entsprechendes Kontingent für das Fach Geschichte zugewiesen wird.“464 Die Hochschulleitung wußte man in diesem Fall hinter sich, so daß die Streichung verhindert werden konnte. Die Universität Jena erhielt ein kleines Kontingent von 16 Oberstufenlehrern und acht Fachhistorikern (Nichtlehrern), also insgesamt 24 Neuaufnahmen, für das Studienjahr 1953/54.465 So gestaltete sich die Immatrikulationspolitik als Politikum. Dabei war jedoch noch keine lineare Verschärfung, sondern eine zyklisch wiederkehrende, aber dadurch konstant drohende, Gefahr der politischen Ideologisierung zu verzeichnen. Zudem stellte die Universität keine Insel dar und gerade die Immatrikulationspolitik muß im Zusammenhang zur Entwicklung des Schulwesens, das die Studienanfänger für die Universität vorbereitete, gesehen werden. Die Funktionsbestimmung der Oberschule änderte sich, so daß die Studienbewerber mehr und mehr in einem politischen Umfeld sozialisiert worden waren und die politischen Vorgaben schon vor der Immatrikulation erfüllten.

5.4. ZUSPITZUNG WELTANSCHAULICHER KONFLIKTE – DIE „TREITSCHKEDISKUSSION“

Auf die sogenannte „Treitschke-Diskussion“, die ausgelöst wurde durch eine Erwähnung Treitschkes in Griewanks Vorlesung, soll nun genauer eingegangen werden. Die Diskussion, die am 16. Januar 1951 von 19.30 Uhr bis 0.30 Uhr466 (!) stattfand und an der Studenten mit marxistischer und solche mit nichtmarxistischer Grundhaltung teilnahmen, gewann schnell einen grundsätzlichen Charakter, in dem geschichtstheoretische und -philosophische Positionen ausgetauscht wurden. Es ging um zwei Ebenen: einmal um die inhaltliche Auseinandersetzung über methodische Fragen der Geschichtswissenschaft, zum anderen um strategische und hochschulpolitische Positionen, mithin um Fragen der Macht. Die „Treitschke-Diskussion“ bedeutete in dieser Hinsicht eine Zuspitzung des weltanschaulichen Konfliktes innerhalb der Jenaer Geschichtswissenschaft. Sie wird von Zeitzeugen erinnert als „die Diskussion, die anberaumt war, um den Historiker Professor Karl Griewank fertigzumachen.“467 Gesprächspartner berichten von der unangenehmen, gespannten Stimmung, die sich ins Gedächtnis eingebrannt hat.468 Im Rahmen der parteioffiziellen marxistisch-leninistischen Jenaer DDRUniversitätsgeschichtsschreibung wurde die „Treitschke-Diskussion“ als „der allgemein bekannte Höhepunkt“ im Rahmen der „vom III. Parteitag der SED geforderte[n] ‘wissenschaftliche[n] Auseinandersetzung mit unwissenschaftlichen Auffassungen’“469 gesehen, womit zum einen nichtmarxistische Positionen zu unwissenschaftlichen erklärt

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Friedrich Schneider an PR für Studentische Angelegenheiten, 24.6.1953, in: ebd. Köhler (SfH) an PR für Studentenangelegenheiten, 23.7.53, in: ebd. Auswertung der Diskussion mit Herrn Prof. Dr. Griewank, 25.1.1951, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 921, Bl. 7-9, hier Bl. 7. Otfried HORN: Die geistige und politische Situation der Studentenschaft in den ersten Nachkriegsjahren, in: Vergangenheitsklärung, S. 46-48, hier S. 47. Mdl. Information, Gerhard und Irmtraut Schmid, 18.10.2000; schr. Information, Ruth Weiß, 11.1.2000. KANTEL: Grundlegung marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaften, S. 138.

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5. Der Professor in Jena

und zum anderen die Planmäßigkeit der Aktion betont wurde. Letztlich sei sie vom SED-Parteitag ausgegangen. In der neueren DDR-kritischen Literatur ist ebenfalls von einer planmäßigen Aktion die Rede, nun allerdings mit umgekehrter Wertung als eine „Kampagne gegen Griewank, an der maßgeblich Lothar Berthold, Fred Oelßner und Kurt Pätzold beteiligt waren“470. Hier werden von Ilko-Sascha Kowalczuk in alphabetischer Reihenfolge drei sehr verschiedene Personen genannt, die zwar alle im Laufe ihres Lebens an prominenter Stelle an der DDR-Geschichtspolitik arbeiteten, die sich jedoch zum Zeitpunkt der Diskussion in sehr unterschiedlichen beruflichen und gesellschaftlichen Stellungen befanden. Fred Oelßner, Jahrgang 1903, seit jungen Jahren überzeugter Kommunist, von 1926 bis 1932 Student am „Institut der Roten Professur“ in Moskau, 1933 innerhalb der KPD für eine Kommission zur Geschichte der Partei vorgesehen, dann jedoch in den politischen Widerstand getrieben, wurde 1946 Mitglied des ZK der SED, 1950 des Politbüros.471 Oelßner war also zum Zeitpunkt der „Treitschke-Diskussion“ bereits eine prominente Figur der kommunistischen Agitation. Lothar Berthold hingegen stand als junger Absolvent und Lehrbeauftragter an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät noch am Anfang seiner Karriere. Er wurde von Hugo Preller zum Assistenten gemacht, schied Ende 1951 aus, da er „eine Funktion in Berlin zu übernehmen hatte“472, arbeitete dort beim Staatssekretariat für Hochschulwesen, sowie als Dozent an der SEDParteihochschule. Gleichzeitig aber übernahm er Lehraufträge für Geschichte der Arbeiterbewegung in Jena.473 Kurt Pätzold schließlich war zum Zeitpunkt der „Treitschke-Diskussion“ noch Student, allerdings bereits sehr engagiert in der Betriebsparteiorganisation der Universität, die später „Universitätsparteileitung“ (UPL) hieß und der er dann hauptamtlich vorstehen sollte. Somit nennt Kowalczuk sehr unterschiedliche Initiatoren in einem Atemzug. Er geht dabei von den Berliner Akten aus, in denen in verkürzter Weise über die Ereignisse berichtet wurde. Wie von diesen drei Personen gemeinsam eine gezielte Diffamierungsaktion ausgehen könnte, bedarf der Klärung. Insgesamt lohnt sich an dieser Stelle eine detaillierte Rekonstruktion: Wie kam es überhaupt zu dieser Zuspitzung? Welche Ziele und Vorstellungen hatten die Beteiligten? Welches Wissenschaftsverständnis wurde an den Tag gelegt? Was waren Inhalte der Debatte? Wie wurde sie reflektiert? Handelte es sich um eine geplante Aktion? Eine Koinzidenz mehrerer Entwicklungen führte dazu. Griewank erwähnte Treitschke in einem Literaturüberblick zum 19. Jahrhundert. Für die SED-Mitglieder unter den Geschichtsstudenten war Treitschkes Position durch die Arbeit des jungen Absolventen Lothar Berthold präsent, der gerade in der Universitäts-Zeitung Jena einen Aufsatz zum „Klassencharakter bei Treitschke“ veröffentlicht hatte: „Immer wieder wird Heinrich von Treitschke in Geschichtsseminaren unserer Universität als ein großer Historiker hingestellt. Dieses Faktum birgt in sich nicht nur eine unwissenschaftliche Darstellung, sondern deckt zugleich eine rückschrittliche ideologische Haltung auf. Ein großer Teil der Mitglieder dieser Seminare fühlt das genau“474, hieß es dort im Vor-

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KOWALCZUK: Legitimation, S. 206. Vgl. In memoriam Fred Oelßner. 27.2.1903-7.11.1977, Berlin (O) 1979; darin vor allem Ernst DIEHL: Zur Rolle Fred Oelßners bei der Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in der DDR, in: ebd. S. 17-21, zur Treitschke-Diskussion S. 19 ohne Nennung Griewanks. WEIßBECKER: Hugo Preller, S. 202. MERTENS: Von Priestern der Klio, S. 140. Lothar BERTHOLD: Heinrich von Treitschke und das Sozialistengesetz. Eine Studie über den Klassencharakter seiner Geschichtsschreibug, in: UZJ 2 (1950), H. 10, S. 6f.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

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spann. Dieser Aufsatz und seine Diskussion unter den Marxisten, so die spätere Rekonstruktion Lutz Kantels „bildeten den Ausgangspunkt für eine weltanschaulichphilosophische Offensive der fortschrittlichen Studenten am Historischen Seminar, die in die sogenannte „Treitschke-Diskussion“ einmündete.“475 Wichtig erscheint zudem die zeitliche Nähe der Griewankschen Vorlesung zu einem Vortrag des Politbüro-Mitglieds Fred Oelßner. Dieser sprach am 5. Oktober 1950 in der Arbeiter- und Bauernfakultät und griff dabei unter dem Motto „Ein Erbe, das wir ablehnen“ das Negativbeispiel Treitschke auf: „Was würden Sie zu einem Menschen sagen, der heute die Ansicht vertreten würde, man müsse Hitlers ‚Mein Kampf’ und Rosenbergs ‚Mythos des 20. Jahrhunderts’ studieren, um über den Nazismus urteilen zu können? Halten Sie dieses Beispiel nicht für grotesk, denn dieser Objektivist würde sich wenig von dem Professor unterscheiden, der unserer Jugend Treitschke zum Studium empfiehlt. Denn Treitschke war ein Vorläufer der nazistischen Irrlehren, der den Boden für die Saat bereitet hat, die dann von Hitler und Rosenberg gesät und nach 1933 geerntet wurden“476

Zum einen weist Oelßner hier mit der Zuschreibung „Objektivist“ auf jene GrundlagenDebatte hin, über die noch zu sprechen sein wird. Mit dem Begriff des Objektivismus wurde der Vorwurf einer rückständigen, reaktionären Haltung umschrieben. Zum anderen wirft er die Frage der Reife der Studenten und damit mittelbar der Reife der Gesellschaft auf. Wenn Oelßner es für abwegig hält, den Faschismus anhand der Schriften Hitlers und Rosenbergs zu analysieren, so assoziiert er, daß von diesen Primärquellen eine Gefahr für Geschichtsstudenten ausgehen könne. Dies gelte auch für Treitschke. Oelßner betont, „daß es nicht nur Objektivismus ist, unseren Studenten Treitschke zu empfehlen, sondern ein schlecht verhüllter Versuch, den verderblichen Nazigeist wieder in unsere Jugend zu pflanzen.“ Er selbst, das zeigt die Rede, hatte Treitschke sehr wohl intensiv gelesen. Der Vortrag enthielt eine große Anzahl einschlägiger, eindrucksvoll zusammengestellter Zitate, in denen Treitschkes militaristisches, nationalistisches und rassistisches Weltbild vorgeführt wurde. „Einem Negerstamme muß man zur Strafe seine Dörfer anzünden“, habe Treitschke gesagt, was Oelßner zu der Frage brachte: „Klingt dies nicht geradezu wie eine Rechtfertigung der amerikanischen Verbrechen in Korea?“477 Treitschke sei, so hieß es dann auch tatsächlich in einer parteiinternen Analyse „das Ideal der USA-Imperialisten[,] der ihre Greueltaten in Korea rechtfertigt.“478 Was hat diese Rede Oelßners nun mit Griewank zu tun? In einer nachträglich erschienenen Version der Oelßner-Rede, ein halbes Jahr später in der Zeitschrift „Geschichte in der Schule“ abgedruckt, wurde dem Redner der Satz in den Mund gelegt: „Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort zum Geschichtsstudium. Es gibt einen Professor an Ihrer Universität, der heute noch behauptet, daß Heinrich von Treitschke der große Kulturhistoriker gewesen sei.“479 Dieses angebliche Zitat war jedoch eine nachträgliche Konstruktion, die Behauptung, Oelßner selbst habe Griewank angegriffen. Es ist aber ziemlich sicher, daß Oelßner dies nicht gesagt hatte, nicht

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KANTEL: Grundlegung marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaften, S. 126. Art. „Ein Erbe, das wir ablehnen!“, in: UZJ 2 (1950), H. 13, S. 5. Der ausführliche Redetext ist leider nicht mehr vorhanden. Die im Nachlaß Oelßner befindliche „Rede in Jena zur Namensgebung der ABF“ wurde erst ein gutes Jahr später gehalten und enthält keinen Bezug auf die Problematik. Vgl. SAPMO BA Berlin, NY 4215 (Nachlaß Fred Oelßner), Nr. 45, Bl. 227-238. Alle Zitate: Art. „Ein Erbe, das wir ablehnen!“, in: UZJ 2 (1950), H. 13, S. 5. Analyse einiger Artikel aus der Zeitschrift „Geschichte in der Schule, in: SAPMO BA Berlin, DY 30, IV/2/9.04/92, Bl. 6. Fred OELßNER: Welches Erbe wir ablehnen, in: Geschichte in der Schule 4 (1951), S. 49-52, hier S. 49.

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5. Der Professor in Jena

gesagt haben konnte. Griewank kam nämlich erst ins Spiel, als dieser am 6. Oktober 1950, also einen Tag nach der Oeßlner-Rede, Treitschke im Rahmen seiner Vorlesung erwähnte. Er war offensichtlich in Unkenntnis über Oelßners Ausführungen vom Vortag. Irmgard Höß erinnert sich, daß er sie später fragte, warum sie ihn nicht über Oelßners Rede informiert habe. Er hätte dann darauf eingehen können, zumal Treitschke in der Vorlesung nun wirklich nicht zentrales Thema gewesen sei.480 Aber weder Frau Höß noch einem seiner Schüler waren die Oelßner-Worte bekannt gewesen. Es fand auch in den nächsten Wochen keinerlei Diskussion darüber statt – dies alles belegt, daß Griewanks Name noch nicht im Spiel war: Für ihn bedeutete dies die Ruhe vor dem Sturm. Am 15. November, also über einen Monat später, erschien im Heft 13 der „Universitäts-Zeitung Jena“ (UZJ) mit der Überschrift „Ein Erbe, das wir ablehnen“ ein Artikel, in dem eine direkte Verbindung zwischen der Oelßner-Rede und der GriewankVorlesung hergestellt und Griewank im wahrsten Sinne des Wortes angeprangert wurde: „Hätten wir den Pranger noch, wir würden Treitschke mitsamt seinen Jüngern bloßstellen“481, so wurde Oelßner zitiert. Dem Bericht über Oelßners Rede stellte die Redaktion einen fettgedruckten Text voran, in dem gesagt wird, daß „die Studenten und Professoren der Geschichtswissenschaft zu dem hier aufgeworfenen Fragenkomplex noch nicht eindeutig Stellung bezogen haben. Ganz im Gegenteil empfiehlt Prof. Dr. Griewank in seiner Vorlesung am 6. Oktober 1950 Heinrich von Treitschke im Rahmen einer Literaturangabe zu der von ihm behandelten Geschichtsepoche unseren Studenten.“482

Der Text der Redaktion war nicht namentlich gekennzeichnet, jedoch gespickt mit Zitaten aus der Vorlesung Griewanks. Er kam also aus dem Kreis der Hörer. Die Akten der Universitäts-Parteiorganisation der SED geben Aufschluß, was zwischenzeitlich geschah.483 Am 30. Oktober, also vor Abdruck des Angriffs auf Griewank, war die Arbeit der UZJ Thema einer Sitzung der SED-Betriebsparteileitung.484 Es wurde die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Redaktion, Parteileitung und FDJ beklagt und diverse Vorschläge diskutiert. Auf dieser Sitzung forderte der Geschichtsstudent Kurt Pätzold programmatisch: „ferner soll sich die UZJ nur mit wissenschaftlichen Auseinandersetzungen beschäftigen, soweit diese im Rahmen unserer Universität auszutragen sind. Er denkt da besonders an die Vorlesungen der bürgerlichen Professoren.“485 Wenig später verzeichnet das Protokoll: „Gen. Pätzold: Die Betriebsgruppe muss sich mehr den Vorlesungen unserer Proffessoren [sic] widmen und in zweifelhaften Fällen Fakultäten den Auftrag erteilen, Genossen zum Mitschreiben verantwortlich zu

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Mdl. Information Irmgard Höß, 22.9.1999. Art. „Ein Erbe, das wir ablehnen!“, S. 5. Ebd. ThStA Rudolstadt, BPA Gera, UPL Jena, 912, Bl. 2-22. Obwohl die UZJ von der Pressestelle der Universität herausgegeben wurde und damit in gewisser Weise die offizielle Universitätszeitung war, so stand sie in sehr engem Zusammenhang zur SED. Es handelt sich um den Nachfolger des Nachrichtenblattes der SED-Betriebsgruppe, dessen Redaktion in der UZJ weiterarbeitete. Die „Parteizeitung [öffnete] ihre Spalten für die gesamte Studentenschaft und bat Dozenten und Angestellte um ihre Mitarbeit am Werke einer überparteilichen Verständigung.“, so heißt es in der entsprechenden redaktionellen Mitteilung der ersten Ausgabe: [ohne Titel], in: UZJ 1 (1949), H. 1, S. 1. ThStA Rudolstadt, BPA Gera, UPL Jena, Nr. 1796, Bl. 30-39. Beteiligt waren Horst Voigt, Alwin Berg, Alfred Antkowiak, Kurt Pätzold, Hanna Henniger, Otto Schwarz, Gertrud Pätsch, Genosse Lüdtke, Karl-Gerd Köhler, Gerhard Müller phys., Genosse Bichtler, Genosse Sauerteig AuB, Genosse Henne, Dozent der ABF. Ebd., Bl. 30.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

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machen.“486 Von der unteren Organisationseinheit wurde somit gefordert, was zum unseligen Alltag des Stalinismus in den Farben der DDR gehörte: die Bespitzelung verdächtiger Personen. Kurt Pätzold, der Initiator, hatte als SED-Aktivist natürlich die Rede Oelßners in der ABF gehört. Als Geschichtsstudent saß er dann am nächsten Tag sicherlich in der Vorlesung Griewanks. Die Erwähnung des Namens Treitschke muß ihn und andere Gleichgesinnte elektrisiert und zu dem Vorschlag der Veröffentlichung in der UZJ gebracht haben. In diesem Zusammenhang heißt es dann auch tatsächlich im Protokoll: „Gen. Pätzold: Er verlas Auszüge aus seinem Artikel zum Referat des Gen. Oelsner [sic] und dessen Stellungnahme im Fall ‘Treitschke’ und bat um Stellungnahme dazu. Diese wurde allseitigt [sic!] gebilligt.“487 Der Artikel zum Referat des Genossen Oelßner, der hier gebilligt wurde, war eben jener Artikel „Ein Erbe, das wir ablehnen“, in dem von der Rede Oelßners in der ABF berichtet wurde. Durch die Formulierung des Protokolls, wonach Pätzold „aus seinem Artikel“ vorlas, wird seine Urheberschaft des anonym veröffentlichten Vorspanns klar. Er konnte als Hörer der Griewankschen Vorlesung durch Zitate aus dieser Vorlesung die Verbindung zwischen Oelßner-Rede und Griewank-Vorlesung herstellen. Die Betriebsparteiorganisation unterstützte ihn auf ihrer Sitzung aktiv, in dem sie den Aufsatz billigte. Griewank in seiner Vorlesung gesagt, sei das „Werk eines Patrioten, das von Liebe und Haß durchzogen [...], ein Werk des Kampfes“. Es könne „heute nur mit großer Zurückhaltung und Kritik herangezogen werden“, sei aber durchaus „ein wissenschaftliches“ Werk, das „nirgends [...] eine bewußte oder absichtliche Entstellung“ enthalte.488 Mit der Veröffentlichung dieser aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate war Griewank absolut nicht einverstanden. Diese könne er „nur als irreführend und der Universitätsarbeit schädlich bezeichnen“, teilte er in einem Brief an den Rektor mit und stellte darin fest: „Es ist unrichtig, daß ich in meiner Vorlesung Treitschkes Deutsche Geschichte ‚unseren Studenten empfohlen’ habe. Richtig ist vielmehr, daß ich im Rahmen eines historiographischen Überblicks über die älteren Werke zur Geschichte des 19. Jahrhunderts dieses Werk wie andere Werke charakterisierend und kritisch besprochen habe, wobei natürlich gerade vor Historikern auch die Frage, was es als Leistung für die Geschichtsforschung bedeutet, behandelt werden mußte.“489

Im übrigen sei er interessiert zu erfahren, „wie Sie als Rektor und Leiter des Redaktionskollegiums über das Vorgehen der Universitätszeitung denken“. Wie Schwarz darüber dachte, erfuhr Griewank sehr bald und vor ihm noch der Altrektor Zucker. Schwarz berichtete über dessen Besuch: „Er [Zucker] kam im Auftrag als Senior der [Philosophischen] Fak[ultät] zu mir, um Beschwerde zu führen über den Artikel Treitschke. Er sagte, es gefährde die Stellung der Professoren, wenn Studenten gegen sie Stellung nehmen. Die Ausführungen von Griewank seien entstellt. Ich zeigte auf, daß wir mit gänzlich anderen Perspektiven an die Arbeit gehen und nicht mehr schweigen zu reaktionären Auffassungen, und daß dieser Artikel eine sachliche Auseinandersetzung sei. Entscheidend sei, daß ein Lehrer an der Universität, sagte ich, heute nicht erkannt hat, wer Treitschke wäre.“490

486 487 488

489 490

Ebd., Bl. 31. Hervorhebung im Original. Ebd. Alle Zitate nach dem Vorwort der Redaktion zu: Art. „Ein Erbe, das wir ablehnen!“, in: UZJ 2 (1950), H. 13, S. 5. UAJ, BB 92, Bl. 65. Abschrift in ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 2396, Bl. 46. Protokoll der Sekretariatssitzung am 24.11.1950, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 1796, 60v.

246

5. Der Professor in Jena

Diesen Bericht gab Schwarz auf einer Sekretariatssitzung der SED-Betriebsgruppe. Das „wir“ im Zitat bezog sich also auf die Partei. Erst drei Tage nach dieser Sitzung formulierte er eine Antwort an Griewank und stellte sich voll und ganz hinter die Redaktion: „Ich kann mich der Meinung nicht anschließen, daß der Artikel in der Universitätszeitung auch nur im geringsten Sie verunglimpft und Ihre Autorität als Angehörigen des Lehrkörpers gefährdet.“ Es gehe „nicht um die Auseinandersetzung zwischen Studenten und Ihrer Person, sondern es geht mit diesem Artikel um die prinzipielle geistige Auseinandersetzung unserer Zeit, um die Frage, für wen treiben wir Wissenschaft und Wie [sic]“491. Der Auszug aus dem Manuskript der Vorlesung, den Griewank beigelegt hatte, bedeute nach Ansicht Schwarz’ keine Entlastung, im Gegenteil: Er sah darin „die Feststellung des betreffenden Artikels prinzipiell bestätigt.“ Griewank hatte in der Tat Treitschke einigen Raum in seiner Vorlesung eingeräumt, der Manuskriptauszug umfasst zweieinhalb maschinenschriftliche Seiten. Die Hauptaussage ist eindeutig: Wir sind über Treitschke hinausgekommen, sein Urteil ist nicht maßgeblich, die Lektüre dem geübten Historiker für vertiefende Fragen interessant.492 Griewank fordert auf, Treitschkes Werk „aus seiner Zeit“ heraus zu verstehen und damit als Quelle zu betrachten: „Und wenn man ihn aus seiner Zeit versteht, dann ist die Subjektivität seiner Urteile in den historischen Werken garnicht einmal so gewaltig und erstaunlich, wie sie aus dem Abstand erscheint.“493 Griewank erwies sich als ein Vertreter einer abwägenden, Treitschke historisierenden und damit in Teilen anerkennenden Position. Die „Tendenz, Treitschke zu historisieren“494 sieht Georg G. Iggers in den frühen 1970er Jahren. Sie hat in einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft ihre Berechtigung und ist in diesem Sinne auch von Griewank eingeführt worden. Unverkennbar wird jedoch auch deutlich, daß dieser Treitschke selbst mit Gewinn gelesen hatte. 1936 hatte er eine historiographische Arbeit über Treitschke rezensiert, in der dieser „als ein Kind seines Jahrhunderts und ein unerbittlicher Kämpfer gegen Trägheit und Ausartung des Zeitgeistes“495 bezeichnet wurde. Wie in der damaligen Rezension, wird auch noch in seiner Vorlesung das Bild des großen Kämpfers gezeichnet.496 Griewank betonte nicht nur wie fast alle Treitschke-Interpreten die gediegene Sprache des Borussen, sondern wußte die Stärken der Forschungen des Borussen zu würdigen: „Sie ist forschungsmäßig die bestfundierteste politische Gesamt-Geschichte des deutschen Bundes in dieser Zeit.“ Für die Geschichte des Deutschen Bundes, die ja bis in die heutige Zeit erhebliche Lücken aufweist und der deshalb auch besondere Forschungsanstrengungen gelten, ist Treitschke in der Tat – und das wird bis heute betont – eine Fundgrube. Es ist in diesem Zusammenhang auch unverkennbar, daß dieser aus den Quellen arbeitete und dabei neue Akzente setzte, so daß seine Deutsche Geschichte in

491 492 493 494

495

496

Rektor Otto Schwarz an Karl Griewank, 27.11.1950, in: UAJ, BB 92, Bl. 68. UAJ, BB 92, Bl. 66-67. Schwarz Lektüre läßt sich anhand seiner Randbemerkungen nachvollziehen. Ebd, Bl. 66v. Georg G. IGGERS: Heinrich von Treitschke, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 174-188, hier S. 186. Karl GRIEWANK: Rezension zu: Ernst Leipprand: Heinrich von Treitschke im deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1935, in: DLZ 45 (1936), Sp. 1927-1929, hier Sp. 1928. UAJ, BB 92, Bl. 66v. In der Vorlesung heißt es zu Treitschkes „Geschichte des 19. Jahrhunderts“: „Es ist ein Werk des Kampfes“.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

247

modernen Darstellungen in der Regel kritisch kommentiert, aber doch als „noch immer lesbar“ und „materialreich“ herangezogen wird.497 In der Theoriediskussion der 1970er Jahre wurde von George G. Iggers die Frage gestellt, ob Treitschke „überhaupt als Geschichtswissenschaftler zu betrachten“ sei oder nicht vielmehr „an Journalismus“ erinnere.498 Iggers’ methodologisches Problem lag in der von Treitschke vorgenommenen bewußten Ablehnung eines Objektivitätsmaßstabes.499 Die Konfliktlinie von 1950 war eine andere: Nicht die prinzipielle Parteilichkeit Treitschkes negiere seine Wissenschaftlichkeit. „Mit welchem Ziel?“500, sei die Frage, mithin die Richtung der Parteilichkeit. An Griewanks Bemerkung, Treitschkes Buch enthalte keine bewußte Verzerrung – eine im übrigen in der Tat zweifelhafte Behauptung –, schloß sich Schwarz’ Randnotiz an: „Ob bewußt oder unbewußt – das ist egal für Treitschkes Wirkung“. Man könne nicht, so die Hauptkritik des Rektors, zwischen dem Politiker und dem Historiker trennen; an Griewanks Manuskript notierte er: „Aha! Warum diese Trennung?“. Ganz entsprechend seinem Amtverständnis als parteilicher Rektor gab Schwarz das Schreiben Griewanks zur Diskussion an die Betriebsparteileitung und an das Redaktionskollegium weiter. „Lage an der Phil[osophischen] Fakultät“501 lautete der erste Tagesordnungspunkt der bereits erwähnten Sekretariatssitzung der SED-Betriebsgruppe vom 24. November 1950, auf der Otto Schwarz vom Besuch Friedrich Zuckers berichtete. Er gab dort seinen Eindruck wieder: „Aus der Art, wie Zucker sich benahm, sah ich, daß sie [die „bürgerlichen“ Professoren? Die Fakultät?] sehr ängstlich sind und sich schwach fühlen und wissen, daß sie woanders nicht ankommen. Sie fühlen sich in ihrer Position zweifellos schwach und ich bin der Meinung, [...] wir sollten energische Forderungen machen.“ Daraufhin kamen klare Worte von der Verwaltungsdirektorin Hanna Henniger, die sich dafür aussprach, „daß wir bei Griewank die Sache ausnützen“ sollten: „Ich habe das Gefühl, sie tun jetzt alles und versuchen, sich anzupassen. Wir müssen uns folgende Frage stellen: Wie weit brauchen wir sie noch? Was ist mit DanteSchneider, und was kann man mit Griewank noch anfangen. Wen wollen wir gleich abschieben.“502 Der Rektor Schwarz wies auf die Gefahr hin, „die auftaucht, daß diese Diskussion sich auswirkt, daß unter Umständen die wichtigsten Leute aus der Mat. Nat. Fakultät sich solidarisch erklären. Wir müssen uns überlegen, wenn wir gleichzeitig einen Zug machen, der den Leuten der Mat.Nat. einen Aufschwung gibt. Hier schlagen wir zu, den anderen gehen wir um den Bart.“ Hanna Henniger drehte nun bei: „Gen. Schwarz hat recht, wir müssen schwer aufpassen, daß nicht Solidaritätserscheinungen der Professoren in Erscheinung treten. Wir sind nicht stark genug, um mit den [sic] ganzen Haufen

497

498 499

500 501

502

„Trotz nationalistisch kleindeutscher Perspektive noch immer lesbar und gerade für die Zollfragen sehr materialreich“, so Hans-Werner HAHN: Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 204. IGGERS: Treitschke, S. 174. Wolfgang J. MOMMSEN: Objektivität und Parteilichkeit im historiographischen Werk Sybels und Treitschkes, in: Reinhart KOSELLECK/Wolfgang J. MOMMSEN/Jörn RÜSEN (Hg.): Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft, München 1977, S. 134-158, zur Standortgebundenheit Treitschkes S. 148f. Randbemerkung Schwarz’, in: UAJ, BB 92, Bl. 66. Protokoll der Sekretariatssitzung am 24.11.1950, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 1796, Bl. 60-65. Teilnehmer: Gertrud Pätsch, Hanna Henniger, Otto Schwarz, Sonntag, Alwin Berg, Georg Lindenlaub, Hein, „der Gen. Cihar vom Landesvorstand, und die Gen. Scheffel und [Gerhard] Fricke von der Phil. Fak.“ Ebd., Bl. 60v.

248

5. Der Professor in Jena

anfangen zu können.“503 Ein neues Ziel wurde formuliert: „In erster Linie geht es für uns darum, die Gen. Pätsch hineinzusetzen. Das ist eine organisatorische Frage, was wir von Griewank verlangen müssen, weil er auf der einen Seite angeschlagen ist.“ Die Verbindung dieses Ziels mit dem Druck auf Griewank solle jedoch nicht so offensichtlich sein, daß „man sagen kann, guckt an, was die für Politik machen. Wir müssen ganz sachlich mit Griewank verhandeln. Die Gen. Pätsch wird Institutsleiterin.“504 Gertrud Pätsch, eine aus Westdeutschland stammende promovierte Sprachwissenschaftlerin, seit 1945 Funktionärin der KPD und des Kulturbundes in Münster, war – wie auch ihr akademischer Lehrer Ferdinand Hestermann – in die Sowjetische Zone bzw. die DDR übergesiedet und wurde dort eine Aktivposten der SED.505 Die Philosophische Fakultät hatte es abgelehnt, ihr unhabilitiert einen Lehrauftrag zu erteilen.506 Daraufhin wurde sie an der Gesellschaftlichen Fakultät für „Kulturpolitik“ eingesetzt und vertrat seit Juli 1950 diese Fakultät auch im Senat.507 Innerparteilich hatte sie sich offensichtlich eine starke Stellung erarbeitet, zudem hatte ihr Fach durch den bekannten Beitrag Stalins zur Sprachwissenschaft an Bedeutung gewonnen.508 In der Sitzung war sie selbst anwesend und äußerte Zweifel, ob man sie wirklich in der Philosophischen Fakultät installieren könne. Schwarz jedoch setzte auf die Uneinigkeit der Fakultät: „Gleich einen von beiden gehen lassen, Griewank oder Schneider, ich weiß nicht recht. Wir sind noch nicht so weit. Wir können Schneider ausnützen und auch gegen Griewank ausspielen. Schneider ist unter Umständen bereit, seine Seele zu verkaufen, wenn er merkt, es geht ihm dadurch besser. Ich kenne ihn, er ist charakterlich ein großer Lump. Ich lade Griewank und Schneider zu mir, und wenn wir Schneider für die Politik bekommen, dann bekommen wir unter Umständen die Frage Pätsch auf diese Weise durch. v[on] Jan rückt heute schon ganz offensichtlich ab. Zucker ist gestern sehr nachdenklich nach Hause gegangen, als er sah, daß eine ganz entschiedene Offenheit vorliegt. Es muß eine Diskussion über grundsätzliche Fragen der Philosophie eröffnet werden. Sie werden bereit sein, zu paktieren, wenn sie merken, daß ihr eigenes Leben nicht verletzt wird.“509

Die Treitschke-Debatte wurde also aus der Perspektive der SED-Aktivisten als eine Aktion im Rahmen des ideologischen, aber auch strategischen Kampfes um „Titel und Stelle“510 (Bourdieu) angesehen. Wichtig festzuhalten sind die Ebenen der Aktivität. Denn nach dieser Generaldebatte auf der zentralen gesamtuniversitären Ebene wurde die Position nach oben und unten weitergegeben. Der Vertreter der SED-Kreisleitung stellte fest, daß der „ideologische Kampf [...] von uns an der Universität gekämpft werden“ müsse. Es handele sich jedoch im Grunde um „eine Gegenüberstellung von Griewank und Oelsner [sic!]. Wir haben die Pflicht, den Gen. Oelsner [sic!] zu informieren.“ Dies geschah dann auch. Nach unten hin wurden die „Genossen Historiker“ informiert, also diejenigen Geschichtsstudenten, die eine SED-Mitgliedschaft besaßen, zu diesem Zeitpunkt noch eine

503 504

505

506 507 508 509 510

Ebd., Bl. 61r. Ebd. Gemeint ist die Nachfolge Ferdinand Hestermanns in „Allgemeiner Sprach- und Kulturwissenschaften“. Ferdinand Hestermann. Vgl. zu Hestermann, dessen Berufung von der SED stark unterstützt wurde, oben S. 227 mit Anm. 379. Sie war Vertreterin Westdeutschlands in der Volkskongreßbewegung. Vgl. Harry SPITZBARDT: Getrud Pätsch in honorem, in: ders. (Hg.): Sprache und Gesellschaft (= Wissenschaftliche Beiträge der Friedrich-Schiller-Universität Jena), Jena 1970, S. 7-10. KANTEL: Grundlegung marxistischleninistischer Gesellschaftswissenschaften, S. 93. Fakultätsratssitzung, 10.3.1949, in: UAJ, M 718/1, Bl. 324f. UAJ, BB 36, Bl. 363. Vgl. Josef STALIN: Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft [1950], Stuttgart 1951. ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 1796, Bl. 61r. BOURDIEU: Titel und Stelle.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

249

Minderheit. In der Sekretariatssitzung vom 8. Dezember 1950 lag das Programm dann vor und wurde von Lothar Berthold vorgetragen: „Gegenstand der Diskussion soll der Brief und der Auszug aus der Vorlesung des Prof. Griewank sein, die er an Gen. Schwarz geschickt hat. Als Diskussionsleiter wird der Gen. [Anselm] Schlösser vorgeschlagen. [...] Zur Diskussion werden sprechen: Der Gen. [Kurt] Pätzold über Objektivismus, der Gen. Hans Richard Schmidt über methodische Fragen des heutigen Unterrichts an den Schulen, ferner die Genossen [Wolfgang] Schumann, [Günther] Schmerbach [und Lothar] Berthold. Ergebnis der Diskussion soll sein: Prof. Griewank wird entweder auf seinem Standpunkt beharren, den er in der Vorlesung vertreten hat, dann wird das Min[isterium] in der Lage sein, ihn von der Universität zu entfernen. Falls er von seinem Standpunkt abrücken sollte, muss man seine künftigen Vorlesungen genau kontrollieren. Er wird nach kurzer Zeit wieder in seine alte, idealistische Geschichtsbetrachtung verfallen und dann ist ebenfalls Handhabe gegeben, ihn zu entfernen.“ 511

Diese Position – ungleich radikaler als der Plan, Frau Pätsch in der Fakultät unterzubringen –, wurde unwidersprochen protokolliert und blieb der letzte Stand der SEDinternen Besprechungen vor der Diskussion. Die „Entfernung“ Griewank wurde zum Ziel erhoben. Nun erst erhielt dieser einen Brief der UZJ „bezugnehmend auf Ihr Antwortschreiben an Seine Magnifizenz“.512 Es solle zur „Bereinigung und Richtigstellung aller schwebenden Fragen [...] eine allgemeine Aussprache“ stattfinden unter dem Titel „Methodische Fragen der Geschichtsdarstellung auf Grund des Treitschke-Artikels der U-Z-J“. Die Modalitäten schienen schon geklärt: Diskussionsleitung (Studiendekan Schlösser), Ort und Zeit wurden mit einer Liste von 26 Namen, die auf seiten der Redaktion teilnehmen sollten, an Griewank weitergegeben. Griewank stünde es allerdings nun „selbstverständlich frei, im Falle Ihres generellen Einverständnisses die Themenstellung nach Ihrem Ermessen zu modifizieren. Wir möchten Sie weiterhin bitten, auch von Ihrer Seite einen Kreis interessierter Damen und Herren einzuladen.“ Tabelle 1: Von der UZJ benannte Teilnehmer der „Treitschke-Diskussion“

1.

Berthold, Lothar

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Burkert, Wolfgang Fricke, Gerhard Gebhard, Otto Hauschke, Max Korch, Helmut Langsdorf, Kurt Leber, Wolfgang Lindenlaub, Georg513 Lorenz, Horst Luck, Herbert Lüdke, Heinrich Pätzold, Kurt Reissland, Manfred Rothe, Ursula Scheffel, Werner

511 512

513

Hauptfach Geschichte

Nebenfach Deutsch

Deutsch Geschichte Geschichte Geschichte Gewifa Gewifa Geschichte

Geschichte Kultursoziologie, Politökonomie Geographie Deutsch Kulturpolitik Wirtschaftspolitik Deutsch nicht immatrikuliert Englisch Wirtschaftspolitik Deutsch Deutsch Deutsch Deutsch Französisch, Russisch

Deutsch Gewifa Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte Englisch

Semester Staatsexamen 3. 1. 5. 5. 7. 9. 1. 5. 7. 4. 5. 3. 7. 5.

Partei SED SED SED SED SED SED SED SED SED SED SED SED SED SED SED

Sekretariatssitzung vom 8.12.1950, in: ebd., Bl. 21r. UZJ an Karl Griewank, 12.12.1950, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe „Schriftwechsel mit der Universitätszeitung“. Die UZJ nannte in ihrem Anschreiben den Namen „Gerhard Lindenbaum“, dies wurde in der später angefertigten detaillierten Liste handschriftlich geändert.

5. Der Professor in Jena

250 17.

Schmerbach, Günter

Geschichte

18. 19. 20.

Schmidt, Hans-Richard Schmidt, Walter Schumann, Wolfgang

Geschichte Geschichte Geschichte

21. 22. 23. 24. 25. 26.

Schütz, Wolfgang Seeghers, Karin Söder, Günter Steiger, Günter Weise, Gerhardt Ziegengeist

Deutsch Geschichte Gewifa Geschichte Deutsch Russisch

27. 28.

Antkowiak, Alfred514 Ludloff, Rudolf515

Romanistik Geschichte

Kunstgeschichte, Wirtschaftsgeschichte Deutsch Russisch Kunstgeschichte, Wirtschaftsgeschichte Geschichte Deutsch, Philosophie Kulturpolitik Deutsch, Kunstgeschichte Kultursoziologie, Philosophie Kultursoziologie Gesellschaftswissenschaften

3.

SED

7. 3. 2.

SED SED SED

5. 8. 4. 7. 7. 9.

SED SED SED SED SED SED

?

SED SED

Der Termin war außerordentlich knapp gewählt. Lediglich eine Woche lag zwischen dem Schreiben der UZJ und dem vorgeschlagenen Datum. Darauf ließ sich Griewank jedoch nicht ein.516 Zunächst einmal ließ er sich Informationen über die von der Redaktion aufgeführten Diskutanten zukommen. Im Nachlaß befindet sich folgende undatierte getippte Liste mit handschriftlichen Notizen Griewanks. Die Informationen zum Hauptfach und zur Parteizugehörigkeit waren im Anschreiben der UZJ nicht enthalten. Diese hat Griewank recherchiert bzw. recherchieren lassen:517 Die Aussagen über die Parteizugehörigkeit sprechen eine deutliche Sprache. Auch ist die starke Präsenz der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät augenfällig. Zum Teil waren die Vorgeschlagenen nicht in Geschichte eingeschrieben. Der Universitätszeitung gegenüber übermittelte Griewank eine prinzipiell positive Antwort, allerdings müsse das Thema „allgemein gefasst werden [als] ‘Methodische Fragen der Geschichtsdarstellung’ und darauf abzielen, diese Fragen in einer sachkundigen Weise auf Grund sachlicher Kenntnis, wie sie vor allem bei Geschichtsstudierenden vorausgesetzt werden müssen, zu erörtern.“ Um diese zu gewährleisten sei der Kreis der Teilnehmer klein zu halten und auf Historiker zu beschränken. Schließlich betonte er: „Eine Veröffentlichung über das Ergebnis der Diskussion dürfte nicht ohne meine Mitwirkung und Zustimmung erfolgen. Auf diesen Punkt muß ich besonderen und entschiedenen Wert legen.“518 Vor allem um diesen dritten Punkt wurde in der Folge sehr gerungen. Nach einer Reihe unverbindlicher Formulierungen drängte Griewank auf eine feste Zusage, daß eine Veröffentlichung nicht ohne sein Plazet geschehen könne.519 Parallel erarbeitete Griewank eine erste Liste eigener Fürsprecher.

514 515 516

517 518 519

Siehe ausführlich unten S. 253-254 mit Anm. 532-542. Zu Ludloff vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 403. Er machte die „Menge der bis zum Beginn der Weihnachtsferien zu leistenden Arbeiten“ und seinen Gesundheitszustand geltend. Karl Griewank an UZJ, 14.12.1950, in: ebd. Zusammengestellt aus den Listen in: ebd. Karl Griewank an UZJ, 14.12.1950, in: ebd., Mappe „Schriftwechsel mit der Universitätszeitung“. Karl Griewank an UZJ, 9.1.1951, in: ebd.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

251

Tabelle 2: Von Griewank benannte Teilnehmer der „Treitschke-Diskussion“520

1. 2. 3.

Bender, Klaus Beninde, Nora Böttcher, Diethelm

Hauptfach Geschichte Geschichte Geschichte

4. 5. 6.

Brather, Hans-Stephan Enders, Gertraude Falk, Gebhard

Geschichte Geschichte Geschichte

7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Förster, Irmtraut (spätere Schmid) Gerber, Georg Greiner, Günther Otto Henninger, Gerhard Hinz, Erwin Horn, Ingeborg (geb. Staiger) Horn, Otfried Möller, Helmut Müller, Rudi Ruprecht, Brunhild Schmid, Gerhard Selka, Werner Tolksdorf, Gertraut (spätere Böttcher) Wehowsky, Ruth (spätere Weiß) Wyrwol, Magda

Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte Deutsch Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte Geschichte

20. 21.

Geschichte Geschichte

Nebenfach (sofern bekannt)521

Kirchengeschichte, Deutsch und Philosophie Kirchengeschichte, Kunstgeschichte Germanistik, Vorgeschichte und Pädagogik Deutsch, Kirchengeschichte Philosophie, Latein und Pädagogik

Deutsch, Kunstgeschichte, Philosophie Geschichte Geographie, Pädagogik Deutsch, Pädagogik Kirchengeschichte, Deutsch

Deutsch, (Kirchengeschichte) Deutsch

Inzwischen war jedoch am 21. Dezember ein neues Heft der UZJ erschienen, in dem Stalins Geburtstag durch etliche Beiträge gefeiert und dessen Wichtigkeit für die verschiedensten Wissenschaftsbereiche propagiert wurde. Lothar Berthold trat hier mit einem Aufsatz „Was lehrt uns der Historiker Stalin“522 hervor. Darin wurde von Berthold die Schlußfolgerung gezogen, daß „Geschichtsforschung heute den Charakter einer Wissenschaft“ nur dann tragen könne, „wenn sie die Theorie und Methode des historischen Materialismus zur Grundlage ihrer Forschung“ mache. Griewank nahm auf diese Auffassung Bezug und stellte die geplante Diskussion in Frage: „[F]alls die Redaktion sich diese über den größten Teil der bisherigen Geschichtswissenschaft hinweggehende und für alle nichtmarxistischen Hochschullehrer diskriminierende Auffassung zu eigen macht, so entfällt damit der Boden für das beabsichtigte Gespräch, das nach ihrem ersten Schreiben ‚im Geiste gegenseitiger Achtung’ erfolgen sollte. Nur wenn die Bereitschaft vorliegt, auch andere Standpunkte als den eigenen als wissenschaftlich anzuerkennen und auf Grund dessen eine Verständigung über gewisse Begriffe und Methoden zu suchen, kann mir und nichtmarxistischen Studierenden die Teilnahme an einer solchen Diskussion zugemutet werden.“523

Damit ist der bereits angedeutete Kernpunkt der Diskussion angesprochen worden. Es ging um die Definition der Wissenschaftlichkeit. Hier stand die pluralistisch-offene Position Griewanks der dogmatisch-ausgrenzenden Lothar Bertholds diametral

520

521 522 523

Aufgrund einer handschriftlichen undatierten Liste Griewanks zusammengestellt, um die Vornamen ergänzt. Vgl. NL Griewank, Karton 7, Mappe 2 „Univ. Jena, Schriftwechsel bis 1950“. Die Angaben wurden zumeist aus den Lebensläufen der Dissertationen entnommen. Vgl. Lothar BERTHOLD: Was lehrt uns der Historiker Stalin, in: UZJ 2 (1950) Nr. 15, S. 10. Karl Griewank an UZJ vom 9.1.1951, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 2 „Univ. Jena, Schriftwechsel bis 1950“.

252

5. Der Professor in Jena

entgegen. Wie der Verlauf der Diskussion zeigen sollte, waren Griewanks Befürchtungen, daß die gegenseitige Achtung nicht gewahrt bleiben könnte, letzten Endes gerechtfertigt. Zunächst entwickelte sich jedoch im Briefwechsel ein zähes Ringen um die Gestaltungsmacht. Die Redaktion gab sich erstaunt und versicherte, man stehe „keineswegs auf dem Standpunkt, dass alle bisherige Geschichtswissenschaft wertlos gewesen sei.“524 Wiederum kontert Griewank und drängt auf Klärung: „Ihr Schreiben vom 13. 1. ist auf meinen Brief vom 9. Jan. insofern nicht eingegangen, als ich die ganz bestimmte und begründete Frage aufgeworfen hatte, ob etwa der in einem Artikel in Nr. 15 vertretene Standpunkt, daß nur auf dem Boden der marxistischen Theorie und Methode arbeitende Historiker als wissenschaftliche Historiker angesehen werden sollen, der Diskussion zugrundegelegt werden soll. Dies ist keine von mir erfundene Konstruktion, sondern eine nach Sachlage sehr naheliegende Frage. Wenn sie nicht verneint werden könnte, wäre die Diskussion zwecklos und die Teilnahme daran mir und nichtmarxistischen Studierenden nicht zuzumuten.“525

Der Brief nahm jedoch Bezug auf inzwischen stattgefundene Gespräche mit dem Diskussionsleiter Anselm Schlösser, der offensichtlich vermittelnd eingegriffen hat, so daß die Diskussion schließlich doch zustande kam. Die Griewank-Schüler hatten von den Vorbereitungen zunächst wenig mitbekommen. Gerhard Schmid erinnert sich: „Ich weiß also nur, daß wir dann sehr a) überrascht und b) empört waren, was dann als Vorwurf konstruiert wurde. Bei der Vorlesung selber, das war ja auch absolut nicht so wie es dann herausgefischt wurde. Das hatte ja einen Zusammenhang, der eigentlich ganz selbstverständlich war, es sei denn es war ein Verbrechen, den Namen Treitschke überhaupt zu erwähnen. [...] Was sich da bei den marxistischen Studenten abspielte, haben wir mit Sicherheit nicht wahrgenommen. Das war also eigentlich schon in dieser Zeit so, daß da kaum Kontakte waren. Das waren festgelegte Lager.“526

Er könne sich auch an ein Vorbereitungstreffen erinnern, zu dem Griewank nach Hause einlud mit dem Ziel der groben Absprache, wer welches Thema ansprechen könne. Nach wirklich zähem Ringen um die Voraussetzungen trafen sich also am 16. Januar 1951 die Kontrahenten zur Diskussion. „Von den personae dramatis blieben Schlösser und Antkowiak haften“527, so Diethelm Böttcher. Diskussionsleiter war der Anglist Anselm Schlösser, der in seiner Begrüßung mit den Worten auftrat: „Ich übernehme die Leitung, aber ich bin nicht unparteiisch.“528 Er gehörte zu den wenigen SED-Mitgliedern in der Philosophischen Fakultät, was den Studenten wegen seines Habitus wohl nicht unbedingt bekannt war. „Schlösser, der als Dozent sachbezogen und umgänglich, ganz ‚bürgerlich’ wirkte, überraschte durch sein Bekenntnis zur Parteilichkeit. Das gewollte Absehen von der Wahrhaftigkeit war mir eine neue Erfahrung“529, erinnert sich Böttcher. 1910 als Sohn eines Professors geboren, ging Schlösser 1930 zum Studium nach England und wurde später Verlagslektor für Englisch. Während des Nationalsozialismus war er im „Werbeund Beratungssamt für das Deutsche Schrifttum“ beschäftigt und behauptete später hierzu, er habe „die Einfuhr englisch-amerikanischer Bücher kontrollieren“ müssen, was seine „Kenntnis der antifaschistischen Literatur beträchtlich“ erweitert und ihm den

524

525 526 527 528

529

UZJ an Karl Griewank, 13.1.1951, in: ebd. Die Unterstreichung stammt offensichtlich von Griewank. Karl Griewanks an UZJ, 15.1.1951, in: ebd. Mdl. Information Gerhard Schmid, 18.10.2000. Schr. Information Diethelm Böttcher, 16.9.1999. Anselm SCHLÖßER: Begrüßung, in: Methodische Fragen, S. 5. Manuskript in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 912, Bl. 17. Schr. Information Diethelm Böttcher, 16.9.1999.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

253

Marxismus näher gebrachte hätte.530 Im Dezember 1945 trat der konfessionslos gewordene Anglist der KPD bei, wurde als Lektor an der Jenaer Universität angestellt und 1949 zum Prorektor für Studienangelegenheiten ernannt. 1951 erfolgte zudem die Ernennung zur „Wahrnehmung einer Professur mit vollem Lehrauftrag für Anglistik an der Philosophischen Fakultät“, die ihm eine Stimme im Fakultätsrat einbrachte. Wichtig zu wissen ist, daß Griewank ihm ein durchaus positives Gutachten ausstellte, da er den jungen Kollegen als hoffnungsvollen Nachwuchs einstufte, der „von wirklichem wissenschaftlichem Geist durchdrungen ist und so etwas wie opportunistische Einstellung nicht kennt.“531 Der andere eingangs erwähnte Protagonist, der 25-jährige Alfred Antkowiak532, eigentlich Absolvent der Romanistik, trat als Vorsitzender des Redaktionskollegiums auf und hatte buchstäblich das letzte Wort, in dem ihm das Schlußwort zukam. Auch während der Diskussion mischte er sich mehrfach mit scharfen Wortmeldungen ein. „Sein Reden von humanistischer, helfender Diskussion wirkte wie das Vorzeigen der Instrumente. Ein widerlicher Mensch“533, urteilt Böttcher. Antkowiak war erfolgreich dabei, sich als Essayist und Literaturkritiker einen Namen zu machen. Er galt in seiner Jenaer Zeit (1950-1954) als „Kulturpapst von Thüringen“534, war Mitglied der SEDLandesleitung Thüringens, Vorsitzender des Thüringer Schriftstellerverbandes, engagierte sich in der „Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren Thüringens“ und als Herausgeber von „Volkslesebüchern“.535 Antkowiak trat in dieser Zeit vor allem als scharfer Zensor im Namen einer rigiden Parteilinie auf. So widmete er beispielsweise auch Victor Klemperer „eine völlig feindselige Kritik“, die dieser als kränkend empfand und die ihn mehrere Tage sehr beschäftigte: „Sie verekelt mein inneres Gefühl der SED gegenüber.“536

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Zitate und alle genannten Informationen: UAJ, D 3419, PA Anselm Schlösser. Vgl. auch STEINMETZ: Geschichte der Universität, Bd.1, S. 696, 723 und KANTEL: Grundlegung marxistischleninistischer Gesellschaftswissenschaften, S. 179. Schlösser wurde später Lehrstuhlinhaber an der Humboldt-Universität Berlin (1952 „mit vollem Lehrauftrag“, 1957 „mit Lehrstuhl“), vgl. KÜRSCHNER 1961, Bd. 2, S. 1794. Charakteristik durch den Dekan Griewank, 1.6.1949, in: UAJ, D 3419, PA Anselm Schlösser, unpag., Alfred Antkowiak (1925-1976) wurde 1943 zur Wehrmacht eingezogen und studierte nach dem Krieg Romanistik und Gesellschaftswissenschaften in Jena. Vgl. Schriftsteller der Deutschen Demokratischen Republik und ihre Werke. Biographisch-bibliographischer Nachweis, Leipzig 1955; Vgl. auch Margrit LANG: Art. „Antkowiak, Alfred“, in: Heinz RUPP/Carl Ludwig LANG (Hg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, begründet von Wilhelm KOSCH, Ergänzungsband 1, Bern 31994, Sp. 227f. Schr. Information Diethelm Böttcher, 16.9.1999. Joachim WALTHER: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1996, S. 71. Vgl. ebd., S. 71f. Von den zahlreichen Essays und Editionen sei auf eine Sammlung seiner Literaturkritiken hingewiesen, in der er „die Sowjetliteratur in ihrer erzieherischen Potenz für unsere Nation“ herausstellt und den „sozialistischen Realismus“ als „politische Haltung des Schriftstellers, der mit der Arbeiterklasse und dem fortschrittlichen Lager des Volkes vereint ist“ propagiert; Alfred ANTKOWIAK: Begegnungen mit Literatur. Beiträge zur neuen deutschen Literaturkritik, Weimar 1953, Zitate S. 5, 308. „Man behauptet, [...] ich sei kein Mann des Fortschritts. Der Schreiber hat offenbar ein paar halbverdaute Clichéworte der Parteiaestetik mit vollkommener Sachunkenntnis gemischt“, Victor KLEMPERER: So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1950-1959, hg. von Walter NOWOJSKI, Berlin 21999, Bd. 2, S. 112f.

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5. Der Professor in Jena

Alfred Antkowiak wurde im Sommer 1953 Abteilungsleiter im Aufbau-Verlag und lernte dort Walter Janka kennen und schätzen, der bekanntlich 1957 in Ungnade fiel.537 Im Zuge dieser Prozesse wurde auch Antkowiak wegen „schwerer staatsgefährdender Propaganda und Hetze“ verhaftet.538 Seine „feindliche Einstellung gegen die Partei, gegen Genossen Walter Ulbricht, gegen die bestehende Gesellschaftsordnung in der DDR und gegen die Sowjetunion“539 galt als erwiesen, was zu einer Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus führte. Antkowiak kam in die Strafvollzugsanstalt Bützow (!), wurde dort von einem Leutnant der Staatssicherheit aufgesucht, in der richtigen Annahme, daß er zur Mitarbeit als IM bereit sei. Bereits im ersten Gespräch erklärt sich Antkowiak zur Zusammenarbeit bereit. Joachim Walther spricht hier von einem Akt des „verbalen Übereifers, sich dem MfS anzudienen“.540 Antkowiak wurde wenig später Lektor im Verlag „Volk und Welt“, versuchte durch eine umfangreiche Tätigkeit als Stasi-Spitzel „wieder ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden“541 und starb 1976 in Ost-Berlin im Alter von 51 Jahren.542 Mit einer gewissen bitteren Konsequenz läßt sich somit bei Antkowiak jene übereifrige, quasireligiöse Verbundenheit und Macht-Hörigkeit der DDR und der SED gegenüber, die er in der Agitation gegen Griewank zeigte, auch in seinem späteren Leben weiterverfolgen. Zur Diskussion selbst:543 Rudolf Ludloff referierte aus der Sicht der Redaktion die Vorgeschichte der Diskussion und stellte die These auf, Griewank habe Treitschke nicht eindeutig gekennzeichnet, deshalb sei „mancher Student mit einem falschen Bild über Treitschke aus dem betreffenden Kolleg“544 gegangen: „Wir wissen darüber hinaus, daß Treitschke einer der geistigen Wegbereiter des deutschen Faschismus und seiner Verbrechen war, die unser Volk in die nationale Katastrophe führten. Besonders angesichts dieser Lage ist es verderblich, Treitschke oder ähnliche Gedankengänge auf unsere Studenten wirken zu lassen.“545 Griewank formulierte an dieser Stelle ein weitaus positiveres Bild von der geistigen Fähigkeit der Studierenden: Treitschkes nationale Positionen, seine „manchmal etwas krampfhaften und bewußt übersteigerten Ausdrücke aus seinen politischen Vorlesungen [...] können für unsere Geschichtsstudierenden keine politische Versuchung mehr darstellen. Nachdem man in der Nazizeit versucht hat, Treitschke als Vorläufer dieses Regimes zu zeigen, birgt

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Janka wurde in einem aufsehenerregenden Schauprozeß im Juni 1957 in Ost-Berlin verurteilt, da er Georg Lukács, der nach den Ereignissen in Ungarn als Konterrevolutionär galt, unterstützt habe. Vgl. Walter JANKA: Spuren eines Lebens, Reinbek 1992; DERS.: ...bis zur Verhaftung. Erinnerungen eines deutschen Verlegers, Berlin 1993; vgl. auch, stärker ein Essay über die Chancen des DDRSozialismus, Judith MARSCHALL: Aufrechter Gang im DDR-Sozialismus. Walter Janka und der Aufbau-Verlag, Münster 1994. Zit. nach WALTHER: Sicherungsbereich Literatur, S. 498. Zit nach ebd., S. 72. Ebd., S. 500. Zit. nach ebd., S. 502. Falk Burkhardt ist an dieser Stelle, wie an vielen ungenannten anderen Stellen, für Hinweise und gezielte Nachfragen zu danken, die dazu geführt haben, daß der Person Alfred Antkowiaks etwas mehr nachgegangen werden konnte. Eine weitere Beschäftigung mit dieser schillernden Person erscheint weiterhin lohnend. Sie ist in der gedruckten Fassung gut nachzuvollziehen, zudem ist ein längeres Protokoll in den Akten der SED überliefert. Vgl. Methodische Fragen der Geschichtsschreibung. Wissenschaftliche Diskussion in den Räumen des Historischen Seminars der Friedrich-Schiller-Universität in Jena am 16. Janu[a]r 1951, in: UZJ 3 (1951), Nr. 2/3, S. 5-14; ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 912, Bl. 2-22. Rudolf LUDLOFF, in: Methodische Fragen,. S. 6. Ebd.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

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heute diese Art von Nationalismus für uns keine aktuellen Probleme, und jedenfalls besteht bei unseren Geschichtsstudierenden, die sich Kritik und Urteilsvermögen erworben haben, nach meiner Überzeugung keine Gefahr, daß einer sich politisch angesprochen fühlt und auf falsche Wege geführt wird.“546

Die von Ludloff als Wissen dargestellte These, Treitschke sei ein Vorläufer des Nationalsozialismus gewesen, wurde von Griewank also nicht nur nicht akzeptiert, sondern hier geschickt umgekehrt als eine NS-These. Vor allem betonte dieser hier jedoch die Bedeutung des kritischen Denkens, das die Studierenden in die Lage versetze, mit älterer Literatur umzugehen. Weiter führte Griewank aus, er gehe davon aus, daß es „in der allgemeineren Form“ noch weiter um die Frage gehe: „Wie können wir und müssen wir Werke wissenschaftlicher Forschung aus vergangener Grundeinstellung für uns nutzbar machen?“ Aber im Grunde ging es im folgenden überhaupt nicht um einen konkreten wissenschaftlichen Austausch über Methodik, und auch die Treitschke-Thematik wurde erstaunlich schnell verlassen. Lediglich die Griewank-Schüler Magda Wyrwol und Diethelm Böttcher gingen noch einmal näher darauf ein, ob man Treitschkes Werke noch verwenden könne. Wyrwol bestätigte, daß ein Student, „der sein Studium ernsthaft betrieben hat, und wir werden in unseren Seminaren dazu angeleitet, [...] ohne weiteres in der Lage sein [werde,] mit einem solchem Werk zu arbeiten“. Es sei wichtig „Kritik und Urteilsvermögen“ zu schärfen, dann könne man auch bei Treitschke „historisch[e] Tatsachen, die sonst nirgends anders stehen“, verwenden und „auch in seinem Urteil dann werten und befestigen.“547 Programmatisch führte sie aus: „Diese Fähigkeit zu historischem Urteil und Verständnis zu wecken und zu fördern, ist die Aufgabe des Geschichtsstudiums.“548 Nachdem Karl Griewank nach seinem Eingangsstatement sich eine Weile aus der Diskussion zurückgezogen hatte, stellte er fest: „Der Gegenstand der Diskussion hat im Verlauf des Abends sich sehr verbreitert. Es ist mir sehr interessant gewesen zu hören, was unsere Studenten bewegt. Sonst ist es doch nicht immer so klar herausgekommen, wie hier in diesem Kreise“.549 In der Tat ging es sehr schnell ins Grundsätzliche. Günther Schmerbach550 brachte die „Frage der Parteilichkeit“ auf und nannte damit ein wichtiges Stichwort für die weitergehende Diskussion. Er führte weiter aus, „daß wir ganz klar und unzweideutig Stellung zu beziehen haben. Daß wir Partei ergreifen, Partei für die Kräfte des Lebens, der Zukunft, für die Kräfte des Friedens. Daß wir allen Menschen unmißverständlich sagen: Hier, auf dieser Seite stehen wir. Wir ergreifen Partei. Streng und unnachgiebig gegenüber allem, was die Kräfte des Rückschritts, die Kräfte des Krieges, die Kräfte der Zerstörung der Kultur fördert. Dies ist die schönste und höchste Aufgabe der Wissenschaft. Es ist die schönste Aufgabe des Lehrers, die Jugend zu dieser Parteilichkeit zu erziehen. Der Wissenschaftler aber, der die Kräfte des Rückschritts fördert, der dem Krieg, dem Tod dient, hat aufgehört ein Wissenschaftler zu sein.“551

Schmerbachs Beitrag, erinnerte auch durch den Duktus der Sprache die nichtmarxistischen Zuhörer an manche politische Reden dieser Zeit. Es zeigte sich bald, daß diese mit dem Begriff der „Parteilichkeit“ wenig anfangen konnten oder wollten. Das dichotome Weltbild zwischen „den Kräften des Friedens“ und den „Kriegshetzern[, die]

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Karl GRIEWANK, in: Methodische Fragen, S. 7. ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 1796, Bl. 4. Magda WYRWOL, in: Methodische Fragen, S. 8. Karl GRIEWANK, in: Methodische Fragen, S. 12. Zu Schmerbachs Examensarbeit siehe unten Kapitel 5.5.2. Günther SCHMERBACH, in: Methodische Fragen, S. 7.

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5. Der Professor in Jena

einen dritten Weltkrieg vorbereiten“552 durchzog die Reden der SED-Anhänger. Kurt Pätzold habe, so wurde in der Druckfassung betont, nach „zahlreichen Zwischenfragen über Objektivität und Parteilichkeit in der Wissenschaft [...] zu diesem Fragenkomplex klärend Stellung genommen.“553 Hierzu erinnert sich Diethelm Böttcher: „Hinter den ‘zahlreichen Zwischenfragen’ wird nämlich eine heftige Diskussion über die Gesetzmäßigkeit historischer Prozesse versteckt, in der wir Kritik am Historischen Materialismus übten und nicht einfach für Tolerierung unseres Standpunktes warben.“554 Das archivierte ungedruckte Protokollmanuskript offenbart nur einen Teil dieser Diskussion. Auf eine Wortmeldung von Alfred Antkowiak, in der dieser die Begriffe Objektivität, Objektivismus und Parteilichkeit in verwirrender Häufigkeit verwendete, bezog sich Magda Wyrwol: „Ich habe an Herrn Antko[w]iak die Frage, was er unter Objektivität versteht, weil er gleich im nächsten Satz von Parteilichkeit spricht.“ Antkowiaks Antwort wurde so protokolliert: „Es ist Objektivismus, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, nicht parteilich zu sein. Objektivität ist identisch mit Parteilichkeit“555 An dieser Stelle intervenierte Diethelm Böttcher mehrfach, führte unter anderem aus: „Herr Antko[w]iak hat Tatsachen behauptet, die er nicht beweisen kann, er vergisst, dass hier auch Nicht-Marxisten sitzen.“ und zur Sache: „Wenn Herr Antko[w]iak sagt, auf Parteilichkeit oder Nicht-Parteilichkeit baut sich die Objektivität auf, so müssen wir sagen, dass wir das nicht verstehen, sondern vor die Parteilichkeit die Objektivität setzen.“556 An dieser Stelle sind begriffliche Klärungen nötig. Wenn Alfred Antkowiak ausführte, „daß bei vielen nichtmarxistischen Diskussionsteilnehmern die elementaren Voraussetzungen der modernen Gesellschaftswissenschaft ungenügend vorhanden waren“557, so stimmte dies aus seiner Position heraus durchaus. Die Kombattanten redeten in unterschiedlichen Sprachcodes. Der Marxismus-Leninismus bot ein geschlossenes Denksystem an.558 Die Aussagen Schmerbachs, die auf der Grundlage des Historischen Materialismus propagiert wurden, nahm nun aber Böttcher auf: „Ich berufe mich auf Herrn Schmerbach, der sagte: ‚Wenn wir Geschichte darstellen, ergreifen wir Partei.’ Ich möchte statt ‚Partei ergreifen’ ‚werten’ sagen. Ich entnehme dann aus der Äußerung, daß Herr Schmerbach verschiedene Wertungen für möglich hält und damit den Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften anerkennt, in welchen letzteren das nicht möglich ist.“559 Dem schloß sich Georg Gerber an. Das war von Schmerbach allerdings nicht so gemeint. Nach dem oben skizzierten Weltbild des Historischen Materialismus wird gerade dieser Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften von den Marxisten nicht akzeptiert. Entsprechend kristallisierte sich der nächste Streitpunkt klar heraus: die Frage nach den Gesetzmäßigkeiten in der Geschichtswissenschaft. Die Griewank-Schülerin Ruth Wehowsky dazu: „Ich kann eine Gesetzmäßigkeit nicht aus einer bestimmten Geschichtsepoche abstrahieren und sie ohne weiteres auf die ganze Geschichte übertragen. Dabei muß es notwendig zu einer Pressung der

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Kurt PÄTZOLD, in: Methodische Fragen, S, 8. Ebd. Schr. Information Diethelm Böttcher, 16.9.1999. ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 912, Bl. 19. Ebd. Alfred ANTKOWIAK: Schlußwort, in: Methodische Fragen, S. 14. Vgl. Grundlagen des historischen Materialismus, hg. vom Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Berlin ²1977, vor allem S. 27-33: „Die Einheit von dialektischem und historischem Materialismus“. Diethelm BÖTTCHER, in: Methodische Fragen, S. 7.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

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Tatsachen kommen, denn die Mannigfaltigkeit des geschichtlichen Lebens läßt uns nicht zu so einfachen und unumstößlichen Gesetzen gelangen, wie das in der Naturwissenschaft möglich ist“560

Damit ist genau der Schwachpunkt einer dogmatisch verstandenen marxistischleninistischen Geschichtswissenschaft benannt. Das Muster, nur deduktiv aus vorgegebenen Gesetzen Schlußfolgerungen zu ziehen, zementierte in der Tat für Jahrzehnte die marxistisch-leninistische Geschichtsidee der DDR zur Erstarrung. Unmittelbar verbunden damit war das Problem der „Parteilichkeit“. Da nach marxistischleninistischer Auffassung Gesetzmäßigkeiten erkannt worden seien, könne die Gesellschaftsanalyse auf die Gegenwart angewandt werden. Ja, da das „parteiliche, kämpferische, revolutionäre Selbstbewußtsein“561 unabdingbarer Grundsatz des politischen Handeln und wissenschaftlichen Denkens sei, müsse die Gesellschaftsanalyse einen Gegenwartsbezug haben, um wissenschaftlich zu sein. Nicht nur, wie die bisherigen Philosophen die Welt zu beschreiben, sondern sie zu verändern, diese Maxime562 hatte Marx ja ausgegeben und sie impliziert die spezifische Verbindung von Theorie und Praxis aus, die aber auch einer kritischen nichtmarxistischen Geschichtswissenschaft nicht fremd ist.563 So wird auch in nichtmarxistischen Theorieüberlegungen zur Geschichtswissenschaft bekanntlich die Kategorie Objektivität prinzipiell als Problem diskutiert.564 Sie kann nicht in der Weise zur Norm gemacht werden, als könne der wissenschaftliche Gegenstand (die Geschichte) wie ein Objekt von außen betrachtet werden und so eine absolute Objektivität erreicht werden. In der „Treitschke-Diskussion“ wurde diese Frage von der Griewank-Schülerin Ruth Wehowsky in die Diskussion eingebracht: „Es liegt in unserer menschlichen Konstitution, daß wir uns nicht selbst objektivieren können, das heißt wir können keinen Standpunkt außerhalb der Welt annehmen, von dem wir die Dinge betrachten, sondern wir sind an Raum und Zeit gebunden und werden nie ganz frei von subjektiven Empfindungen sein. Diese Gegebenheiten müssen bei jedem Urteil, das wir fällen, mit in Rechnung gestellt werden.“565

Dennoch, so Ruth Wehowsky weiter, solle man Objektivität nicht durch Parteilichkeit ersetzen, sondern „stets vom Objekt ausgehen“. Objektivität in diesem nichtmarxistischen Sinne ist also eine Annährung an die Norm. In Verbindung mit der skizzierten Vorstellung von der Gesetzmäßigkeit der Geschichte wurde in der marxistischen Theoriediskussion nun das Objektivitätsproblem als prinzipielle Kritik „gegen den bürgerlichen Scheinbegriff der ‚Objektivität’“566 herangezogen. Objektivität sei eine Illusion; statt dieser anzuhängen, müsse man sich bewußt für den Fortschritt positionieren. Damit wird der Begriff der „Parteilichkeit“ zur positiv besetzten Handlungsmaxime. Als Jürgen Kuczynski in den späten 1950er Jahren

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Ruth WEHOWSKY, in: Methodische Fragen, S. 10. Grundlagen des historischen Materialismus, S. 66-83, hier S. 67. Die elfte These über Feuerbach lautet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“ Karl MARX: Thesen über Feuerbach [1845], in: DERS./Friedrich ENGELS: Werke, Bd.3, Berlin (O) 1981, S. 5-7, hier S. 7. Hierauf verweist Jürgen KOCKA: Parteilichkeit in der DDR-marxistischen Geschichtswissenschaft. Einige Thesen, in: Reinhard KOSELLECK/Wolfgang J. MOMMSEN/Jörn RÜSEN (Hg.): Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft, München 1977, S. 263-269, hier S. 263. Vgl. auch RÜSEN: Historische Vernunft. Vgl. Jörn RÜSEN (Hg.): Historische Objektivität. Aufsätze zur Geschichtstheorie, Göttingen 1975. Ruth Wehowsky, in: Methodische Fragen, S. 10. Jürgen KUCZYNSKI: Parteilichkeit und Objektivität in Geschichte und Geschichtsschreibung, in: Fritz KLEIN/Joachim STREISAND (Hg.): Beiträge zum neuen Geschichtsbild. Zum 60. Geburtstag von Alfred MEUSEL, Berlin (O) 1956, S. 9-26, hier S. 9.

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5. Der Professor in Jena

mit seinem Theorieentwurf hervortrat, wonach die marxistische Parteilichkeit sich wiederum an der „Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und deren historischer Veränderung“ zu messen habe und damit einen Objektivitätsmaßstab wieder einführen wollte, mußte er freilich bald die Grenzen der Diskursfähigkeit der Diktatur erkennen.567 Kuczynski wollte 1956 „zeigen, daß Parteilichkeit [...] nicht ‚auf Beschluß der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands’ oder ‚im Interesse einer einheitlichen Ideologie der Arbeiterklasse’ gefordert wurde, sondern daß Parteilichkeit von der Wirklichkeit her, von dem materiellen Prozeß der gesellschaftlichen Entwicklung, daß heißt im Interesse der Objektivität, der Realität der Wissenschaft verlangt wird.“568 Wegen solcher Aussagen wurde er bekanntlich als Revisionist gebrandmarkt und ausgegrenzt.569 Die Haltung, Parteilichkeit im Befolgen von Parteibeschlüssen und Lehrbuchvorgaben zu sehen, traf auch auf die scharfen Positionen der „Treitschke-Diskussion“, insbesondere auf diejenige Alfred Antkowiaks zu.570 Heinrich Rumpler sieht zu Recht in Kuczynskis „Toleranz gegenüber den Leistungen bürgerlicher Wissenschaft für einen kämpferischen Marxisten schon etwas Ungewöhnliches.“571 Solche Toleranz forderten Griewank und seine Schüler in der „Treitschke-Diskussion“ ein, fanden sie jedoch nicht. Zum Kampfbegriff wurde „Objektivismus“. Damit formulierte man den Vorwurf, die Nichtmarxisten hielten an der letztlich widerlegten bürgerlichen Scheinideologie der Objektivität und am Mythos der Überparteilichkeit fest. Gegen die Verwendung dieses Begriffs nahm Otfried Horn deutlich Stellung: „Objektivismus ist Sprachgebrauch der SED, bezeichnet eine Abweichung von der ideologischen Grundlage dieser Partei.“572 Für diejenigen, die nicht der SED angehörten, sei dies aber keine zwingende Folgerung, weshalb er sich durch den Objektivismus-Vorwurf angegriffen fühle: „Bedeutet es dann ein Tarnmittel der Reaktion zu fördern, wenn ein Wissenschaftler als Nicht-Marxist noch eine andere Methode als die des historischen Materialismus anwendet?“ 573 An dieser Stelle setzte ein „Streitgespräch in freier Rede über den Historischen Materialismus“ 574 ein, das Diethelm Böttcher damals als Höhepunkt der Diskussion empfand und das aber nicht in der UZJ zum Abdruck kam. Er wollte wissen: „Wo hat der Hist[orische] Materialismus in früheren Zeiten die früheren Zusammenhänge von seinen Prinzipien her erklärt?“575 Zur Antwort bekam er von Kurt Pätzold: „Wir messen nicht an dem Grad der Seiten. Wir wissen alle, wie umfangreich Hitlers ‚Mein Kampf’ ist, und was ist der Inhalt. Unsere Wissenschaft ist eine kämpferische und aggressive Wissenschaft“.576 Böttcher ließ dennoch nicht nach: „Welches gültige Werk vom

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Vgl. Helmut RUMPLER: Parteilichkeit und Objektivität als Theorie-Problem der DDR-Historie, in: KOSELLECK/MOMMSEN/RÜSEN (Hg.): Objektivität und Parteilichkeit, S. 228-262, hier S. 231-233. KUCZYNSKI: Parteilichkeit und Objektivität, S. 23f. Vgl. Horst HAUN: Kommunist und „Revisionist“. Die SED-Kampagne gegen Jürgen Kuczynski (1956-1959), Dresden 1999. Gaerade ein Vergleich mit Positionen späterer Jahrzehnte (z.B. Wolfgang Küttlers Theorieansätzen) macht deutlich, wie sehr der Treitschke-Diskussion von marxistisch-leninistischer Seite 1950 noch das Fundament fehlte. Vgl. hierzu Andreas DORPALEN: German History in Marxist Perspective. The East German Approach, London 1986, S. 34-45. RUMPLER: Parteilichkeit und Objektivität, S. 232. Otfried Horn, in: ThStA Rudolstadt, BPA Gera, UPL Jena, Nr. 912, Bl. 7. Otfried HORN, in: Methodische Fragen, S. 11. Schr. Information Diethelm Böttcher, 16.9.1999. Diethelm Böttcher, in: ThStA Rudolstadt, BPA Gera, UPL Jena, Nr. 912, Bl. 8. Kurt Pätzold, in: ebd.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

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Historischen Materialismus gibt es z.B. über die Antike?“ Lothar Berthold verwies darauf, daß die Vertreter des Historischen Materialismus „in Deutschland durch die vergangenen 12 Jahre die Zeit verloren hatten, sich wissenschaftlich zu betätigen“, im übrigen müsse man um „gute, gültige Darlegungen der Geschichte [zu] studieren“, nun einmal Russisch lernen.577 Anselm Schlösser bemühte den Vergleich: „Als Kopernikus seine Entdeckung gemacht hat, war das Volumen der Ergebnisse noch nicht so groß wie heute.“578 All dies überzeugte Böttcher inhaltlich nicht. Er beklage es zwar auch, daß den Vertreter des Historischen Materialismus in der Zeit des NS die Arbeitsmöglichkeiten genommen worden seien. „Aber die Thesen des Hist. Materialismus haben für mich noch nicht die Überzeugungskraft, solange nicht der Beweis durch gültige Darstellungen geführt ist. Ich möchte gern überzeugt sein.“579 Nun ergriff Karl Griewank das Wort, nachdem er für längere Zeit offensichtlich nur zugehört hatte und nannte als den Kernpunkt der gesamten Auseinandersetzung: „Die Auffassungen gehen nun vor allem über eines auseinander: ob die praktische Nutzanwendung der Geschichte – um die alle Zeiten sich in ihrer Weise bemüht haben – heute in wissenschaftlich zwingender Weise aus Gesetzen abgeleitet werden kann, die auf den Lauf der Geschichte angewendet werden, und ob diese Gesetze auf einer gleichen Stufe mit den allgemein anerkannten Gesetzen der Naturwissenschaft stehen, so daß das, was für die politische Anwendung notwendig ist, mit wissenschaftlicher Sicherheit herauskristallisiert werden kann.“

Damit sprach er zugleich die Fragen der Gegenwartsbezogenheit, der Parteilichkeit (den Begriff griff Griewank nicht auf), der Unterscheidung der Natur- und Geisteswissenschaften und der Gesetzmäßigkeit der Geschichte an. Im folgenden ging er auf das Problem der Gesetze ein und versuchte dabei, diese Frage zunächst nicht als philosophischen Streitpunkt zu betrachten, also nicht als Scheidelinie zwischen idealistischer und materialistischer Herangehensweise. Auch unter Ausklammerung des Leib-SeeleProblems, ergäbe sich in der Historie eine methodische Schwierigkeit, da der Mensch „einerseits die Gesetze beobachtet und anzuwenden sucht, andererseits aber selbst in der Geschichte steht und wirkt.“ Es ginge deshalb nicht darum, eine „grundsätzliche Trennung von Natur und Geist anzunehmen“, sondern stellte sich die Frage: „Kann man [...] die Gesetzmäßigkeit [der Geschichte] so klar herausarbeiten, daß die Anwendung auf die Gegenwart sich mit Sicherheit ergibt? Das ist die Auffassung des historischen Materialismus.“ Die Auffassung, daß nur die Anwendung des historischen Materialismus für die Gegenwart weiterhelfen könne, lehnte er hingegen ab und lenkte nun die Diskussion auf die grundsätzliche weltanschaulich-philosophische Differenz: „Nun, der historische Materialismus ist auch in seiner Anwendung nicht nur eine Methode, sondern eine philosophische Lehre, die auf eine Grundansicht der Welt zurückgeht. Sie geht zurück auf den dialektischen Materialismus, und wer auf den Boden dieser Weltanschauung nicht treten kann, für den ist diese Methode als wissenschaftlich zwingende Methode nicht anwendbar. Ob man nun auf diesem Boden steht, das ist für den einzelnen nicht eine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern das ist eine Wahrheitsfrage, die jeder einzelne sehr ernst zu nehmen hat und nur nach seiner Überzeugung entscheiden kann. Sie werden von mir und den anderen nichtmarxistischen Anwesenden nicht erwarten können, daß sie Ihre Weltanschauung zugrunde legen. Wenn Sie meinen, daß sei klassenbedingt, klassenbegründet, dann könnte man dem entgegenhalten: den einzelnen „Bürgerlichen“ hindert ja nichts, auf die andere Seite zu treten. Sie finden ja zu allen Zeiten Menschen, die das getan haben, und es würde für manche sicher leichter sein, wenn sie es täten, sie hätten ein leichteres Wirken. Ich

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Lothar Berthold, in: ebd. Anselm Schlösser, in: ebd. Diethelm Böttcher, in: ebd..

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5. Der Professor in Jena möchte Sie bitten, denjenigen, die aus Wahrheitsgründen nicht auf dem Boden des historischen Materialismus treten können, zuzubilligen, daß sie aus echter Überzeugung so handeln.

Damit lenkte er die Diskussion auf den weltanschaulichen Hintergrund. Mit der Deutlichkeit, mit der er darauf verwies, daß er sich das Leben auch leichter machen könne, indem er „auf die andere Seite“ trete, dies aber „aus echter Überzeugung“ nicht tun könne und damit an die Meinungsfreiheit, im Grunde an die Menschenrechte appellierte, skizzierte er anschließend auch die Begründung seiner Position: Es würde zu weit führen, das im einzelnen zu begründen; es würde eine große Diskussion ergeben, die weit über den Rahmen des Abends hinausgeht. Ich würde von mir aus u.a. sagen, daß für mich die Grundthesen des historischen Materialismus nicht überzeugend sind, daß der erkenntniskritische Realismus nicht für die Struktur der Welt Entscheidendes aussagen kann, ich müsste eingehen auf das Problem der Freiheit u.a. mehr. Das würde hier zu weit führen.“

Tatsache sei jedoch, daß hier unterschiedliche Überzeugungen möglich seien und vertreten würden. Damit sei „die Frage [zu] erörtern, wie von dieser Tatsache aus eine wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiete der Geschichte geleistet und gelehrt werden kann.“ Was nun folgt, ist ein bemerkenswertes Plädoyer für wissenschaftlichen und weltanschaulichen Pluralismus. Griewank ging nicht nur davon aus, daß die Kenntnis der anderen Position wichtig sei, sondern er zeigt die Vorteile des Historischen Materialismus für seine Arbeit auf: „Ich habe immer den historischen Materialismus als eine Anschauungsweise580 angesehen, die ungeheuer klärend und reinigend wirken kann, die reinigend wirkt gegen alle Versuche, vorschnell etwas ideologisch zu konstruieren. Ich erkenne dem historischen Materialismus damit den Wert eines heuristischen Prinzips zu, eines Leitfadens für die Auffindung des Richtigen. Ich finde in ihm viele Hinweise für die richtige Erkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge. Allerdings zu einer zwingenden Methode kann der historische Materialismus nur werden mit einer zugrunde liegenden philosophischen Auffassung.“

Damit hänge die Frage der Gesetze zusammen. Diese sei für eine Nichtmarxisten nicht so einfach zu beantworten: „Wir befinden uns insofern in einer schwierigeren Situation als Sie, meine Herren.“ Er warnte vor einem statischen Verständnis der Historiographie. „Die russische Geschichtswissenschaft hat selbst seit 1917 Wandlungen durchgemacht. Die erste materialistische Schule, diejenige Pokrowskijs, ist später völlig abgelehnt worden, und wenn wir heute erleben, daß in der Sprachwissenschaft Theorien, welche lange Zeit als richtige Anwendung des historischen Materialismus gelten, abgetan werden, so ist das zumindest der Beweis, daß diese Anwendung nicht so leicht und eindeutig sein kann.“ Mit dem Hinweis auf die Sprachwissenschaft spielte er auf Stalins vieldiskutierten Beitrag „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“ an, in dem der Diktator kraft seiner Autorität festlegte, daß die „Sprache“ weder zur „Basis“ noch zum „Überbau“ gehöre und damit die Geschlossenheit des Systems der marxistischleninistischen Erkenntnistheorie aufbrach.581 Griewank nahm dieses Beispiel, das gerade aktuell diskutiert wurde, um für die Offenheit von Denkmustern und gegen Dogmatismus zu plädieren. Die heuristische Funktion, die er dem Historischen Materialismus zumaß, bezog er explizit auf das „Studium der politischen Ökonomie“, wobei er dieses Beispiel heranzieht, um die Problematik der Gesetzmäßigkeit noch einmal zu schärfen: „Es hat bedeutende Historiker gegeben, die nicht dem historischen Materialismus angehörten , die sich doch sehr ernst bemüht haben um den wahren Charakter und die historische Anwendbarkeit der

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Im Original der Tippfehler „Abschauungsweise“. STALIN: Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

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ökonomischen Gesetze, auch wenn sie nicht mehr – was heute keiner mehr tun wird – in der Weise wie Smith und Ricardo arbeiteten. Max Weber stellte an Stelle der festen Gesetze Typen auf, die für bestimmte historische Situationen geltend sind, Idealtypen, die mit den naturwissenschaftlichen Gesetzen nicht auf eine Stufe gestellt werden können, die aber einen doch an Gesetzmäßigkeiten erinnernden Zusammenhang in bezug auf bestimmte Zeitlagen anstellen und wiedergeben. Wie gesagt, wir sind nicht in der Lage, die Gesetze so einfach aufzustellen und anzuwenden. Wir sind ja nun einmal Historiker, die nicht mit den Gesetzen anfangen, sondern die erst mit dem Stoff beginnen. Wir kommen im Laufe der Arbeit dazu, die Wirksamkeit von Erscheinungen, Entwicklungen und Zusammenhängen zu erkennen, die jeweils einmalig sind, in denen wir das Gleichartige generalisieren und Typisches herausstellen, ohne alles restlos auf eines zurückführen zu können.“

Hier zeigte Griewank zwar zunächst eine empiristisch-positivistische Position und möchte „mit dem Stoff beginnen“, um zu vorsichtigen Verallgemeinerungen vorzustoßen. Er stand mit dieser Formulierung in der Tradition Rankes. Allerdings ging er über den rankeanischen Horizont dadurch weit hinaus, daß er explizit Max Webers soziologische Kategorisierung und die Möglichkeit der Generalisierung betonte. Webers Idealtypen, die aus einer modernen Geschichtswissenschaft nicht mehr wegzudenken sind, wurden von der DDR-marxistischen Geschichtswissenschaft vehement abgelehnt582 und erst in den 1980er Jahre von Wolfgang Küttler583 in den Diskurs der DDR eingebracht.584 1950 bestand Griewanks Idee darin, an Webers Idealtypen anknüpfen zu können, um eine gemeinsame Grundlage des Gesprächs von Marxisten und Nichtmarxisten zu finden. Damit formulierte Griewank das Angebot zur Zusammenarbeit, die aus seinem Verständnis von wissenschaftlichem Pluralismus und Toleranz heraus erwuchs. Der Redebeitrag Griewanks endete mit einer nochmaligen deutlichen Positionierung als „Wissenschaftler, der das Fortschrittsgesetz nicht immer mit gleicher Sicherheit aus der Geschichte herauszulesen vermag“, und mit einer Bitte um Akzeptanz: „Ich bitte Sie, zu würdigen, daß ein Stück Wahrhaftigkeit darin steckt, wenn wir langsam vorgehen, bis wir für jede Epoche der Geschichte zu der Würdigung kommen, die wir als objektiv gültig anerkennen können.“ Unverkennbar knüpfte Griewank hier an Ranke an, dessen Idee von Epochen, die jeweils unmittelbar zu Gott seien, und an dessen Methodik, die Quellenkritik. Namentlich erwähnt hatte er im Verlauf der Diskussion neben Max Weber vor allem Gustav Mayer, an dessen linksliberale Position mit seiner Vorstellung einer Synthese von Ranke und Marx vieles erinnert, wenn man sich Griewanks Stellungnahme in der „Treitschke-Diskussion“ ansieht, wobei Griewank doch noch deutlicher Ranke zu betonen schien. Insgesamt erscheint dessen Auseinandersetzung mit dem Historischen Materialismus durchaus bemerkenswert. Von keinem anderen nichtmarxistischen Historiker der DDR ist meines Wissens eine ähnliche Reflexion überliefert, und die Historiker in der Bundesrepublik kamen ohnehin in den frühen 1950er Jahren selten in die Verlegenheit, sich dazu äußern zu müssen oder zu sollen. Die Diskussion antizipiert eine systematische Auseinandersetzung mit den Ideen des Historischen Materialismus und des Marxismus, die innerhalb der bundesdeutschen nichtmarxistischen Geschichtswissenschaft erst viel später stattfand und für die etwa Jürgen Kocka oder Heinrich August

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Vgl. hierzu KANTEL: Grundlegung marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaften, S. 47. Zu Küttler vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 374f. Vgl. Georg G. IGGERS: Vom Nutzen und Mißbrauch der Geschichte. Allgemeines und Persönliches zur Rolle des Historikers im Systemkonflikt, in: Stefan JORDAN/Peter Thomas WALTHER (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft. Aspekte einer problematischen Beziehung. Festschrift für Wolfgang KÜTTLER zum 65. Geburtstag, Waltrop 2002, S. 207-215, hier S. 207.

262

5. Der Professor in Jena

Winkler in den 1970er und 1980er Jahren standen.585 Auch die Würdigung der ökonomischen Herangehensweise mit der besonderen Betonung Max Webers würde in die Zeit späterer Jahre passen.586 Für Griewank blieb die theoretische Auseinandersetzung Programm, die Beschäftigung mit Fragen der Theorie hat er jedoch in seinen noch verbleibenden drei Lebensjahren nicht mehr verstärkt. Zu einem Dialog mit der Position des Historischen Materialismus, zu dem er seine Bereitschaft ja deutlich erklärt hatte, kam es in der Folge nicht. Die „Treitschke-Diskussion“ blieb in dieser Hinsicht ein einmaliges Ereignis. Die Hoffnung, daß die Gegensätze in der praktischen Arbeit überwindbar sein könnten, wurde von Gerhard Schmid noch einmal betont, der von einer „sehr lange[n] Strecke [sprach], die Marxisten und Nichtmarxisten in der Geschichtswissenschaft zusammengehen können.“587 Griewanks Position mußte jedoch von orthodoxen Marxisten-Leninisten als unzureichend, vielmehr als Provokation empfunden werden. Den Historischen Materialismus als heuristisches Prinzip zu bezeichnen, war nach der inneren Logik des Marxismus in der leninistisch-stalinistischen Form nicht ausreichend und die dogmatische Festlegung auf die marxistisch-leninistische Methode zwingend. Daß sie es mit einer dogmatischen Lesart der marxistischen Weltanschauung zu tun hatten, wurde den Griewank-Schülern spätestens in dem Moment klar, als Alfred Antkowiak im Schlußwort zusammenfassend deutlich machte, „daß es keine gleichberechtigten Wissenschaftsrichtungen gibt, sondern daß wir zwei Anschauungen in der Wissenschaft zu unterscheiden haben: die fortschrittliche und die reaktionäre. [...] Wenn daher also von nichtmarxistischer Seite gesagt wurde, daß es verschiedene Richtungen als gleichberechtigtes Prinzip der Wahrheitssuche gibt, da ist das Objektivismus, der Standpunkt der gewollten, in Wirklichkeit irrealen, weil nicht existierenden ‚Überparteilichkeit’. Man sollte sich darüber im klaren sein, daß der amerikanische Imperialismus seine verschiedenen Ismen proklamiert, um desto ungestörter zum Kriege treiben zu können. In Wirklichkeit sind alle diese Ismen Erscheinungsarten des Kosmopolitismus. Deshalb lesen wir an der Universität auch keinen Existentialismus, denn das wäre Kriegshetze.“588

Antkowiak hatte als Chefredakteur der UZJ das letzte Wort. Er verband seine Rede auch mit der Bemerkung, man müsse noch stärker auf die Ausbildung des MarxismusLeninismus Wert legen. Er repräsentierte das, was jüngst mit dem Bonmot „Marxismus Betonicus“589 bezeichnet wurde. Gebhard Falk schrieb damals an seine Mutter: „Wir sind die Alchemisten, die noch am ptolemäischen Weltbild kleben – ein Vergleich. Wir befinden uns im Umbruch zu einem neuen Weltbild. [...] Einstweilen werden wir bescheiden die ‚Kärrnerarbeit der Chronisten’ weiterleisten, die man uns mit bedauerndem Lächeln als armen Verblendeten zugesteht, so lange wir den guten Willen zum Frieden kundtun.“590

Gerhard und Irmtraut Schmid erinnerten sich an ein gewisses Gefühl der Erleichterung „nach dem Motto: Das haben wir hinter uns.“591 Griewank hatte sich „geschickt und

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Vgl. Jürgen KOCKA: Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914-1918, Göttingen 1973; Heinrich-August WINKLER: Revolution, Staat, Faschismus. Zur Revision des Historischen Materialismus, Göttingen 1978; Jürgen KOCKA (Hg.): Max Weber, der Historiker, Göttingen 1986. Gerhard SCHMID, in: ebd., S. 13. Alfred ANTKOWIAK: Schlußwort, in: ebd., S. 14. Paul NOLTE: Marxismus Betonicus. Wider den unkritischen Historischen Materialismus. Antwort auf Georg Fülberth, in: Die Zeit, Nr. 34 vom 19.8.1999, S. 37. Nolte bezieht sich auf Georg FÜLBERTH: Marxismus Emeritus. Die Vertreter des Historischen Materialismus an den deutschen Universitäten gehen in Rente, in: Die Zeit, Nr. 30 vom 22.7.1999, S. 37. Vgl. dazu auch RAPHAEL: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme, S. 117-137. Gebhard Falk an seine Mutter, 31.1.1951, in: PrA Falk. Mdl. Information Gerhard und Irmtraut Schmid, 18.10.2000.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

263

nicht aggressiv verhalten.“ Es hätte ja auch sein können, daß Griewank die Konfrontation verstärkt hätte in der Gewißheit, bald in den Westen zu gehen. Aber so, wie er sich verhalten hatte, präsentierte er sich nicht resigniert, bot aber auch keine Angriffsfläche. Diethelm Böttcher erinnert sich an ambivalentere Eindrücke: „Zurück blieben das Gefühl, nicht klein beigegeben zu haben, und tiefe Niedergeschlagenheit.“592 Ruth Weiß, damalige Wehowsky, schließlich schrieb: „Wenn ich die Beiträge im Abstand von nunmehr fast 50 Jahren noch einmal lese, regen sie mich genau so auf, wie uns die ganze Diskussion damals erregt hat. Vielleicht mit dem Unterschied, daß ich heute klarer sehe als damals, daß wir eigentlich ‚auf verlorenem Posten’ waren.“593 Eine Auswertung der „Treitschke-Diskussion“ durch Griewank oder innerhalb seines Schülerkreises fand nicht statt. Im Gegensatz dazu befindet sich in den Akten der SED ein von Lothar Berthold, Kurt Pätzold und Wolfgang Schumann unterschriebener Bericht. Hier wurde festgestellt, daß „Prof. Griewank mit Nachdruck von Studenten unterstützt wurde, die der evangelischen Studentengemeinde angehören oder ihr nahestehen. [...] Eine Diskussion mit diesem Kreis von Studenten ist wenig erfolgversprechend, da diese Studenten aus ihrer Klassenlage und ihrer religiösen Einstellung heraus Gegner der philosophischen Grundlage unserer Geschichtsauffassung sind.“594

Vielmehr müsse es darum gehen, die indifferenten Studierenden zu agitieren, insbesondere müsse erreicht werden, „dass alle illegal bestehenden Studiengruppen (z.B. die Studiengruppe zur Durcharbeitung der Vorlesung des Herrn Prof. Griewank) liquidiert werden.“595 Überprüfung und Kontrolle der Lerngruppen wurde vorgeschlagen, das pluralistische Wissenschaftsverständnis Griewanks deutlich abgelehnt und warnend bemerkt, „daß es Prof. Griewank besser versteht, seiner Arbeit den Anstrich von Wissenschaftlichkeit [!] zu geben als Prof. Preller und Prof. Schneider.“596 In den folgenden Sitzungen der Parteigremien bestärkte Pätzold, es müsse nun darum gehen, die „Frage [zu stellen], warum ist der Marxismus-Leninismus die fortgeschrittenste Wissenschaft. Bisher sind die Studenten der Ansicht, hier kommt eine Partei, die bringt ihr Programm vor, hat die Wissenschaft gepachtet. [...] Man kann feststellen, die bürgerlichen Professoren sind nicht bereit, von ihrem Standpunkt abzugehen. Worauf kommt es an: Sie zu isolieren.“597

Welche Reaktionen erfolgten auf der Berliner Ebene? Im Zentralkomitee der SED referierte Fred Oelßner im Januar 1951 über die „Treitschke-Diskussion“ als sei er selbst dabei gewesen, was den späteren Eindruck bestärkte, die Sache sei von ihm persönlich ausgegangen. Er behauptete nun: „Professor Griewank selbst erklärte eilig, dass er selbstverständlich mit uns der Meinung ist, dass Treitzschke [sic!] ein Vorläufer des Faschismus ist, aber man müsse zwischen dem Publizisten und Autoren Treitzschke unterscheiden. Auf dieser Rückzugslinie versuchte er dann sich zu verteidigen.“598 Bekanntlich hatte Griewank im Gegenteil gesagt, daß Treitschke nicht zum Vorläufer des Faschismus gemacht werden könne. Zudem hatte er sich nicht auf eine Rückzugsli-

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Schr. Information Diethelm Böttcher, 16.9.1999. Schr. Information Ruth Weiß, geb. Wehowsky, 29.10.1999. Auswertung der Diskussion mit Herrn Prof. Dr. Griewank im hist. Sem., 25.1.1951, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 921, Bl. 7-9, hier Bl. 7. Hervorhebung im Original durch Sperrung. Ebd., Bl. 8. Ebd. Protokoll Vorstandssitzung der UPL der SED, 27.1.1951, in: ebd., Bl. 10-13, hier Bl. 13v. Fred Oelßner, 4. Tagung des ZK der SED, 17-19.1.1951, in: SAPMO BA Berlin, DY/30/IV 2/1/91, Bl. 183f.

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5. Der Professor in Jena

nie zurückgezogen. Oelßner betonte jedoch weiter den Erfolg der „TreitschkeDiskussion“ und führte diesen in der ZK-Sitzung noch länger aus. Man habe „durch diese öffentliche Kritik an Griewank, wobei er gar nicht benannt war, erreicht [...], daß die Professoren der Philosophischen Fakultät in Jena sich gespalten haben, daß die einen eine sehr verschwommene Haltung einnehmen, wie Griewank, daß aber andererseits gerade bürgerliche Professoren offen gegen ihn auftreten, d. h. daß wir auf diese Weise eine Bresche in diese ideologische Kampffront geschlagen haben, und wenn auch die Professoren nicht so hundertprozentig auf unserer Seite stehen, so glauben wir doch, dass sie uns helfen werden, ideologisch eine Änderung herbeizuführen.“ 599

Bei dieser Einschätzung diente Otto Schwarz als Informationsquelle. Es bleibt im ganzen unklar, wer oder was damit gemeint sein könnte. Eine konkrete Folge sei nun, daß es gelungen sei, „junge Genossen in bestimmte Funktionen der Universität zu bringen, die Genossin Dr. Betsch [recte: Gertrud Pätsch] zum Kommissarischen Direktor des Hestermann-Seminars für allgemeine Sprachwissenschaften zu beantragen, und [...] auf ein freies Ordinariat den Genossen Prof. Dr. Claus [Georg Klaus] zu berufen. Mit anderen Worten: eine solche ideologische Diskussion an den Universitäten hilft uns auch und erleichtert es uns, bestimmte organisatorische Maßnahmen an den Universitäten durchzuführen, was bisher nicht der Fall war, und sie mit dem Einverständnis der an der Universität wirkenden Professoren durchzuführen. Ich möchte ausdrücklich betonen, Genossen, dass es notwendig ist, diese Diskussion einzuleiten und sie in einem möglichst kameradschaftlichen Ton mit den Professoren zu führen, so dass sie nicht Angst haben: wenn sie ein Wort sagen, fliegen sie aus der Universität heraus. Nein, sie sollen ruhig ihre Meinung sagen, und wir werden uns dann ideologisch mit ihnen auseinandersetzen.“600

Gertrud Pätsch wurde im Vorlesungsverzeichnis des Sommersemesters 1951 in der Tat als kommissarische Leiterin des verwaisten Seminars für allgemeine Sprachwissenschaften genannt, das jedoch in der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät etatisiert bleiben sollte.601 Tatsächlich ergab sich jedoch eine andere Lösung. Pätsch habilitierte sich 1951 an der Humboldt-Universität Berlin und wurde dort zur Dozentin für Kaukasiologie ernannt. Erst im Jahr 1960 kam die Genossin dann doch noch nach Jena und übernahm einen „Lehrstuhl für Allgemeine Sprachwissenschaft unter besonderer Berücksichtung kaukasischer Sprachen und kulturhistorischer Spezialprobleme“. In den 1950er Jahren blieb die Jenaer Philosophische Fakultät eindeutig traditionell orientiert und mehrheitlich nichtmarxistisch besetzt. Die organisatorischen Folgen der „ideologischen Auseinandersetzung“ in der „Treitschke-Diskussion“ sollte man somit nicht zu hoch veranschlagen. Griewank selbst ging die Diskussion allerdings wohl sehr nahe, auch wenn er sich dies in Jena nicht anmerken ließ. Während der Vorbereitung der Diskussion sah er sich „mehr und mehr gefährdet“, wie er seinem Vetter Arnold Fratzscher mitteilte, „nachdem schon in der offiziellen Universitätszeitung ein Angriff gegen mich losgelassen ist, sehe ich das Ende allmählich deutlicher nahen. Was dann? – ist noch dunkel“.602 Nach der „Treitschke-Diskussion“ versuchte Griewank in der Tat dann eine Übersiedlung in den Westen zu organisieren. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Briefen, die nur als Hilferufe gedeutet werden können.603 Ohne Zweifel sah er seine Wirksamkeit in der

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Fred Oelßner, 4. Tagung des ZK der SED, 17-19.1.1951, in: SAPMO BA Berlin, DY/30/IV 2/1/91, Bl. 183f. Ebd. Bl. 188f. Friedrich-Schiller-Universität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis. Sommersemester 1951, Jena 1951, S. 12f., 36. Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 3.12.1950, in: PrA Griewank. Siehe unten Kapitel 7.3.2. und Dokumente im Anhang.

5.4. Zuspitzung weltanschaulicher Konflikte – die „Treitschke-Diskussion“

265

DDR durch die Konflikte gefährdet. Allerdings trat in der Folge durchaus eine gewisse Beruhigung der Situation ein. Da er eine klare Position bezogen und sich zur Mitarbeit bereit erklärt hatte, ließ man von ihm ab. Dies bedeutete allerdings kein Ende der Konflikte in seinem Umfeld. War die „Treitschke-Diskussion“ eine gezielte Aktion auf Parteibeschluß von oben, eine geplanter und systematischer Schritt zur Veränderung der Universität oder zur Diskreditierung Griewanks? Die Analyse ergibt, daß in der Tat die SED eine wichtige Rolle spielte und nach außen hin als ein monolithischer Block erschien und erscheinen wollte. Intern herrschten jedoch die unterschiedlichsten Vorstellungen und Ziele, zudem auf unterschiedlichen Ebenen. Die Initiative ging dabei nicht von „oben“, also von Fred Oelßner und dem ZK der SED, aus. Dessen Rede bot nur die Anregung zur Beschäftigung mit der Person Treitschkes. Als wichtigste Ebene fungierte die UniversitätsParteiorganisation, wo die Kommunikation zusammenlief. Die Idee, Karl Griewanks Vorlesung herauszugreifen und öffentlich zu thematisieren, stammte wohl von Kurt Pätzold, dessen Rolle man freilich nicht isoliert betrachten sollte, sondern im Kontext der Diskussionen der örtlichen SED-Hochschulpolitik sehen muß, die, von der Überzeugung der Richtigkeit ihrer taktischen und inhaltlichen Vorstellungen verblendet, als Einheit auftrat. Kurt Pätzold selbst hat nun zur damaligen Situation Stellung bezogen: „Es existieren Dokumente, die davon zeugen, daß sich mancher von uns – hier spreche ich aber in erster Linie von mir – in Debatten, vor allem in der vielzitierten Auseinandersetzung um Heinrich von Treitschke, Griewank mit der Anmaßung und in der Unbeirrbarkeit der Neubekehrten entgegenstellten, als Verfechter der einzig richtigen Geschichtsauffassung. Das damals Gesagte und Umstrittene ist überliefert und sachlicher Abwägung fähig. Wer, statt gängigen Klischees zu folgen, die Substanz der Auseinandersetzung bloßzulegen versteht, wird erkennen können, daß es um Meinungsverschiedenheiten über die Triebkräfte geschichtlichen Geschehens ging, die unterschiedlich bewertet wurden. Es war nicht, um das Wesentliche zu sagen, um die Verfolgung von Wissenschaftlern, nicht um die Herabsetzung oder ihre Vertreibung von ihrem Arbeitsplatz zu tun. Wir suchten ein intellektuelles Kräftemessen am konkreten Gegenstand, und das besaß freilich einen politischen Hintergrund. Wir, Angehörige einer studierenden Minderheit, waren der Meinung, Geschichtswissenschaft müsse dem Aufbau einer neuen Gesellschaft nutzen und also wären die geistigen Hindernisse zu beseitigen, die dem im Wege stünden.“604

Zunächst einmal ist diesen Aussagen in der Sache in wesentlichen Punkten zuzustimmen. Auch die Selbsteinschätzung „der Anmaßung und in der Unbeirrbarkeit der Neubekehrten“, zu denen er sich selbst rechnete und die Feststellung des „politischen Hintergrund[es]“ der Vorstellung „Geschichtswissenschaft müsse dem Aufbau einer neuen Gesellschaft nutzen“, erscheinen reflektiert. Pätzold trifft auch durchaus den inhaltlichen Kern, wenn er von „Meinungsverschiedenheiten über die Triebkräfte geschichtlichen Geschehens“ spricht, „die unterschiedlich bewertet wurden“. Damit nimmt er 2001 genau die Perspektive ein, die Griewank 1950 an den Tag legte. Griewank ging es damals wirklich darum, die Meinungsverschiedenheiten zu diskutieren und nach Wegen der gemeinsamen oder sich ergänzenden Arbeit zu suchen. Dieses Pluralismusbild wird jetzt von Pätzold betont, der an anderer Stelle ausführt, „dass diese Anfangsjahre, da sich sozialistische Studenten und bürgerliche Professoren in einem Arbeitsverhältnis gegenübertraten und zusammenwirkten, erinnerns- und bedenkenswert sind. Es waren Jahre eines Pluralismus der Anschauungen, von dem

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Kurt PÄTZOLD: Leben, Studium und gemeinsame Anfänge wissenschaftlicher Forschungen in Jena (1950-1961), in: Geschichtsschreibung in der DDR zum Zweiten Weltkrieg. Biographische und historiographische Beobachtungen. Beiträge einer Veranstaltung [...] zur Erinnerung an Wolfgang SCHUMANN aus Anlaß seines 10. Todestages am 10. März 2001, Jena 2001, S. 19-32, hier S. 27. Siehe zu Pätzold und der „Griewank-Renaissance“ nach 1990 unten Kapitel 8.5.

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5. Der Professor in Jena

heute kaum die Rede sein kann.“605 Aus den Akten geht allerdings klar hervor, daß der Student Kurt Pätzold 1950 diese Vorstellung von Pluralismus noch nicht vertreten hatte. Die Herabsetzung und Vertreibung vom Arbeitsplatz wurden – wie die Protokolle zeigen – nämlich durchaus diskutiert. Vor allem geht es um die allgemeine Frage des Wissenschaftsverständnisses. Griewanks pluralistische Position wurde in der DDR-Deutung nicht geteilt. Die „TreitschkeDiskussion“ ordnete Lutz Kantel noch 1988 als „wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unwissenschaftlichen Auffassungen“ ein.606 Eberhard Schulz, selbst ehemaliger DDR-Hochschullehrer, stellte nach der Wende in einer kritischen und nachdenklichen Reflexion treffend fest: „Eine echte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit bürgerlichen Theorien, die auch den Marxismus selbst hätte bereichern können, fand nicht statt. Auch die Bereitschaft bürgerlicher Professoren zum Mittun wurde häufig ignoriert.“607 Es hat kein Suchen nach einem besseren Weg, nach einer gemeinsamen Basis stattgefunden. Wie Pätzold von einem „Arbeitsverhältnis“ der sozialistischen Studenten mit den bürgerlichen Professoren zu sprechen, bedeutet über diese strukturellen Defizite der DDR hinwegzugehen.608 Griewank allerdings hatte sich ein solches Arbeitsverhältnis durchaus gewünscht. Die pluralistische Auffassung, die Pätzold heute formuliert, entspricht Griewanks damaliger Vorstellung, er rekonstruiert jedoch nicht die damalige Situation. Den Strukturen des verbohrten Leninismus-Stalinismus der DDR-Hochschulpolitik kommt der Rückblick von Ruth Weiß, geb. Wehowsky, weitaus näher: „Im Grunde ging es ja gar nicht um eine wissenschaftliche Diskussion über ‚methodische Fragen der Geschichtsdarstellung’; die Frage war ja eigentlich schon entschieden: die andere Seite glaubte sich im Besitz der Wahrheit, und sie besaß zudem die Macht, diese ‘Wahrheit’ auch durchzusetzen. Es macht mich – auch heute noch – wütend und traurig zugleich, mit welcher Anmaßung in verschiedenen Beiträgen Urteile über die Arbeit von Professor Griewank und die Fachschaft Geschichte gefällt wurden. Im Grunde war ja nach der Diskussion klar, daß für einen nicht-marxistischen Historiker kein Platz in der DDR war, jedenfalls nicht an Schule und Universität. Doch dies habe ich mir damals noch nicht eingestehen wollen.“609

Den Marxismus nicht wissenschaftlich argumentativ, sondern dogmatisch administrativ zu etablieren, führte zum Ende einer möglichen Grundlagendiskussion und ihrer Chancen.

5.5. KEIN ENDE DER KONFRONTATION – WEITERE KONFLIKTE 5.5.1. Machtposition des Rektors Otto Schwarz – Streit um die politische Ablehnung von Dissertationen Vom 1. März 1951 datiert ein kurzer Brief des Doktoranden Heinz Schneider an den Dekan Griewank, der zugleich der Betreuer der Arbeit war. „Ich sehe mich aus persönlichen Gründen bewogen, meine Dr.-Arbeit über ‚Die Kritik an Friedrich II. und

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PÄTZOLD: Eindringlinge, S. 237. KANTEL: Grundlegung marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaften, S. 138. Eberhard SCHULZ: Die bürgerlichen Professoren und die Eingriffe der SED ins Leben der FriedrichSchiller-Universität Jena 1948 bis 1950, in: Manfred WEIßBECKER [u.a.]: Universität im Zwiespalt von Geist und Macht. Zu Ergebnissen und Erfahrungen der hochschulpolitischen Umbrüche in Deutschland von 1945 und 1989/90, Jena 1996, S. 42-51, hier S. 50. PÄTZOLD: Eindringlinge, S. 237. Siehe oben Anm. 605. Schr. Information Ruth Weiß, geb. Wehowsky, 29.10.1999.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

267

seinem Staatswesen im Zeitalter der Klassik’ zurückzuziehen. Ich bitte daher, das Promotionsverfahren einzustellen. Der Fakultät danke ich aufrichtig für alle ihre bereitwillige Unterstützung“.610 Gleichzeitig gab der Kandidat eine Erklärung für diesen ungewöhnlichen Schritt in einem an Griewank privat gerichteten Brief: „Leider sehe ich mich veranlaßt, nachdem die Fakultät meine Arbeit bereits angenommen hat, diese zurückzuziehen. Zu diesem Schritt hat mich Magnifizenz nach vorheriger Rücksprache mit Vertretern der Betriebsgruppe der SED aufgefordert, unter der Begründung, daß die Arbeit auf dem Boden der bürgerlichen Geschichtsschreibung und nicht auf dem des dialektischen und historischen Materialismus geschrieben worden sei. Falls diese Zurückziehung nicht erfolgt, würde die Arbeit zurückgewiesen werden müssen.“611

Heinz Schneider hatte nach seinem Kriegsdienst als Waldarbeiter gearbeitet und wurde als „Arbeiter“ im Wintersemester 1946/47 zum Studium zugelassen, so daß er sein 1940 begonnenes, im selben Jahr wegen der Einberufung jedoch abgebrochenes Studium zu Ende führen konnte. Er hatte bereits im Mai 1950 eine ganz offensichtlich als Vorarbeit der Dissertation konzipierte Examensarbeit vorgelegt, die mit rund 350 Seiten (!) außergewöhnlich umfangreich war.612 Es war ihm deshalb möglich, bereits im März 1951 eine umgearbeitete Fassung (nunmehr fast 600 Seiten) als Dissertation einzureichen. Die Arbeit wurde von Friedrich Schneider mit sehr gut und von Griewank mit gut bewertet. Es gab also keine fachlichen Beanstandungen, das Verfahren war schon weit fortgeschritten bis zur Beurteilung, als die überraschende Nachricht des Kandidaten eintraf. Griewank wandte sich sofort an den Rektor Otto Schwarz, der ihm mitteilte, „daß im Falle der Promotion mit dieser Arbeit Schn[eider] große Schwierigkeiten mit seiner Partei haben werde; die Rücksicht auf den Bewerber habe ihn zum Eingreifen veranlaßt.“613 Schneider war offensichtlich in die SED eingetreten, ohne darin eine Festlegung auf eine geschichtswissenschaftliche Methode zu sehen und geriet nun in die parteiinternen „Säuberungen“, in denen vor allem auch ehemalige Sozialdemokraten verfolgt wurden. Bald stellt sich heraus, daß Schneider nicht der einzige Kandidat war, in dessen Promotionsverfahren eingegriffen wurde. Während Schneider einer „Beanstandung“ der Dissertation durch freiwillig-unfreiwilligen Rückzug zuvor kam, hatte es in der Tat eine ganze Reihe Dissertationen aus verschiedenen Fakultäten gegeben, die Schwarz als Rektor nicht akzeptierte. So mußte sich „Genosse Theis“ als Vater eines Kandidaten vom Rektor sagen lassen, daß eine Promotion „einen wesentlichen Fortschritt auf dem Gebiete, das sie behandelt, zu erbringen habe“614 und dies in der philosophischen Promotion von Theis deshalb nicht der Fall sei, da diese „auf der Philosophie der Positivisten, also prinzipieller Idealisten“ aufbaue, obwohl doch Lenin in seinem Werk „Materialismus und Empiriokritizismus“ diese Auffassung bereits 1908 „grundsätzlich widerlegt“ habe: „Daß rein bürgerliche Professoren wie Linke, Buchwald und Seeliger sich zustimmend zu der Arbeit äußern, ist dabei bedeutungslos, da sie den Klassenstandpunkt der

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Heinz Schneider an Dekan Griewank, 1.3.1951, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“. Heinz Schneider an Karl Griewank (privat), 1.3.1951, in: ebd. Heinz SCHNEIDER: Das Bild Friedrichs des Großen in der Aufklärung, Klassik und Romantik dargestellt am Urteil einiger wesentlicher Vertreter dieser Zeit, Staatsexamensarbeit Jena 1950, 3 Bde., VII+348 Seiten (!).Belegexemplar: UAJ, F II, Nr. 11. Handschriftliche Notiz Griewanks, 8.3.1951, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“. Otto Schwarz (Rektor) an den „Genossen Theis“, 23.6.1951, in: UAJ, BB 156. Dort auch die folgenden Zitate.

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5. Der Professor in Jena

bürgerlichen Philosophie vertreten, also das, was eine fortschrittliche Wissenschaft heute voraussetzt, überhaupt nicht erkennen.“ Schwarz kündigte dem offensichtlich erregten Vater dann noch an, er habe „für die kommende Woche eine Aussprache zwischen den Professoren Buchwald, Linke, Ihrem Sohn und dem Vertreter des dialektischen Materialismus, Professor Klaus, bei mir verabredet in der Absicht, Ihrem Sohn das grundsätzlich Verfehlte seiner geistigen Orientierung klarzumachen“. Der Biologe Schwarz, der sich hier aus parteilicher Überheblichkeit über die Kollegen der anderen Fächer stellte, nutzte mit solchem drastischem Eingriffen in die üblichen Abläufe der Universität und das Promotionsrecht der Fakultäten seine Machtstellung in einer Weise aus, die zur erneuten Verschärfung der Konfliktsituation an der Universität führte.615 Dabei meinte er sich auf die „Vorläufige Bestimmung über das Promotionsverfahren“616 vom 15. Juli 1950 berufen zu können, in der unter Punkt 6 ausgeführt wurde: „Der Rektor, dem die Dissertation nebst dem Gutachten des Dekans vorzulegen ist, hat das Recht, ihre Annahme als Promotion zu beanstanden.“ Griewank führte eine Aussprache in der Fakultät herbei617 und stellte zur Auslegung der Promotionsbestimmung eine Schwarz entgegengesetzte Position vor: „Diese Anordnung hat in der Praxis eine Anwendung gefunden, die man in solcher Ausdehnung nach dem Wortlaut der Bestimmungen nicht erwarten konnte. In der Beratung des Senats der Friedrich-Schiller-Universität Jena über die Promotionsfragen wurde festgestellt, daß dem Rektor an sich nicht zugemutet werden kann, die fachwissenschaftliche Verantwortung den Fakultäten abzunehmen, und daß seine Aufgabe im wesentlichen sein müßte, sich von der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zu überzeugen, Unstimmigkeiten, Ungleichheiten und offensichtliche Unzuträglichkeiten zu verhindern. Einzelne Mängel, die dem Rektor offensichtlich werden, könnten dabei durch Rücksprache mit den Fakultäten bzw. den Fachgutachtern leicht ausgemerzt werden. Während die vorläufigen Bestimmungen dem Dekan ausdrücklich das Recht einräumen, gutachterliche Äußerungen namhafter Fachgelehrter auch außerhalb der Fakultät einzuholen, und ihm bzw. der Fakultät damit die Verantwortung für die wissenschaftliche Qualität der Arbeit zuschieben [sic], haben sie etwas Entsprechendes für den Rektor nicht vorgesehen. Offenbar soll damit seine Verantwortlichkeit in dem angedeuteten Sinn begrenzt werden. Der Rektor hat nunmehr Doktorarbeiten nicht nur beanstandet, sondern ihre Annahme abgelehnt, nachdem sie von den Fachreferenten wissenschaftlich positiv beurteilt und von der Fakultät angenommen sind.“618

Dabei ging er auch auf das Beispiel der zurückgezogenen Arbeit Heinz Schneiders ein: „In einem anderen Falle (H. Schneider) hat der Rektor die von der Fakultät genehmigte Arbeit einem Gremium der SED-Parteigruppe vorgelegt, das nach kurzer Einsichtnahme sich befugt glaubte, die fachlich als ‚gut’ bezw. ‚sehr gut’ beurteilte Arbeit zu [ver]werfen, weil sie nach ‚bürgerlicher’, nicht nach dialektisch-historischer Methode gearbeitet sei. Der Rektor hat dem Bewerber darauf erklärt, daß er die Annahme der Arbeit als Dissert[ation] ablehnen müsse, u[nd] ihn als Mitglied der SED zur Zurücknahme seines Gesuchs veranlaßt. Die satzungsgemäße Vorlage beim Rektor hat also in diesem Falle dazu geführt, daß ein Parteigremium mit einem Parteirücksichten austragenden Votum in das Verfahren eingeführt wurde u[nd] die Promotion zu Fall brachte. Ein solches Verfahren findet zweifellos in den Allgemeinen Bestimmungen keine Begründung u[nd] stellt alle Mitglieder der

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Vgl. zur Machtstellung des Rektors MENKE-GLÜCKERT: Aspekte von Hochschulverfassung und Hochschulwirklichkeit in der DDR, S. 223f. Vorläufige Bestimmung über das Promotionsverfahren an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik vom 15.7.1950, hg. vom SfH, Berlin [1950]. Ein Exemplar befindet sich in UAJ, BB 9, unpag. Fakultätsratssitzung, 21.5.1951, in: UAJ, M 718/1, Bl. 364f. Im Protokoll wird die Arbeit von Theiß ausdrücklich erwähnt. Die beanstandeten Promotionen werden allen Fakultätsratsmitgliedern gezeigt. Briefentwurf, undat., hier in der durch Bleistift-Einfügungen korrigierten Version zitiert, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 2 „Univ. Jena, Schriftwechsel bis 1950“, loser Zettel.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

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Fakultät vor die Frage, wieweit künftig noch Promotionen nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchführbar sein werden.“619

Die Kernfrage nach Wissenschaft oder Politik stellte sicht. Ebenso stellte sich die Frage, wie hier die politische Macht mit der geistigen Arbeit und dem kritischen Potential junger Wissenschaftler umging und dabei gerade jene traf, die mit der Idee des Sozialismus sympathisierten. Es stellte sich nämlich bald heraus, daß an die Mitglieder der SED ideologisch verengende Anforderungen gestellt wurden und sie deshalb unter einem Gesinnungsdruck gehalten wurden. Da Dissertationen der verschiedensten Fakultäten betroffen waren, wurde das Thema bald im Senat behandelt.620 Vehemente Widersprüche gegen das Verhalten des Rektors wurden von den Dekanen Heide (Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät), Hämel (Medizinische Fakultät) und Griewank (Philosophische Fakultät) geäußert. Letzterer betonte die engere Auslegung der Rechte des Rektors und bemängelte, daß es „manchmal schwer auseinanderzuhalten“ sei, wo Schwarz bei seiner Ablehnung einer Dissertation in seiner Eigenschaft als Rektor oder als Parteiangehöriger agiere. Grundsätzlich könne nicht von allen Dissertationen ein Bekenntnis zum historischen Materialismus verlangt werden, „da dann allen Hochschullehrern, die nicht auf diesem Boden stehen, jede Arbeit unmöglich gemacht würde.“ Griewank erhielt daraufhin die Antwort, daß alle Mitglieder der SED aufgrund des Parteistatuts verpflichtet seien sich zum Marxismus-Leninismus zu bekennen. Deshalb sei es, so die verblüffende Argumentation, für Parteimitglieder selbstverständlich, die Dissertation von einer Parteikommission auf die ideologischen Grundlagen hin überprüfen zu lassen. Er fühle sich als „Rektor und gleichzeitiges Mitglied der SED [...] verpflichtet, Genossen, die eine Dissertation abgegeben haben, auf diese Notwendigkeit hinzuweisen.“ Damit verteidigte Schwarz eine unterschiedliche Behandlung der eingereichten Dissertationen unter parteipolitischen Gesichtspunkten. Von einer satzungsgemäßen Handhabung seiner Befugnisse wandte er sich offen ab. Daß ein solches parteilichideologischen Wissenschaftsverständnis nichts mit dem von Karl Griewank propagierten Pluralismus zu tun hatte, mußte ihm und den „Bürgerlichen“ immer klarer werden, die offensichtlich nur noch als Auslaufmodell den immer weniger werdenden parteilosen Studierenden „ihre“ Wissenschaft weitergeben durften. Die Auseinandersetzung erfolgte nicht argumentativ, sondern durch administrative Eingriffe. Es wurde offensichtlich, daß die SED meinte, nur so die Disziplin innerhalb der Partei herstellen zu können, womit allerdings der Weiterentwicklung marxistischer Wissenschaft letztlich kein Dienst erwiesen wurde. Einen Monat nach dieser denkwürdigen Senatssitzung, in der auch die Maßnahmen der „Zweiten Hochschulreform“ eingeläutet und die Besetzung der Prorektorenämter621 angesprochen wurden, endete Griewanks Amtszeit als Dekan.622 Er gab es jedoch nicht auf, sich einzumischen. Heinz Schneider drückte er sein Bedauern über die Rücknahme der Dissertation aus und schickte ihm sein Manuskript zurück, nicht ohne ihm eigentlich schon erfolgte positive Beurteilung der Arbeit zu übermitteln.623 Am 11. November 1951 verkündete Rektor Schwarz, nachdem die Maßnahmen der Hochschulreform vollständig vorbereitet waren: „Die schwierigsten Zeiten liegen nun

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Ebd., Bleistiftnotizen auf der Rückseite. Protokoll der Senatssitzung, 12.9.1951, in: UAJ, BC 38. Dort auch die folgenden Zitate. Eine Wahl der vier Prorektoren im Senat war nicht vorgesehen. Sie wurden vom SfH ernannt. Siehe oben Kapitel 5.3.2. Karl Griewank an Heinz Schneider, 3.5.1951, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“.

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5. Der Professor in Jena

hinter uns“624, weshalb die Wahl des neuen Rektors in keiner Weise eine Frage der Parteipolitik sein solle. Bei diesem offensichtlichen Taktikwechsel verlagerte man die Initiative und auch die Kritik stärker auf die vier staatlich ernannten Prodekane. Als neuer Rektor wurde der umgängliche, parteilose Mediziner Josef Hämel, der Vertrauen in allen Fakultäten und bei den Studierenden genoß, gewählt. Auch dies geschah nicht ohne eine explizite Absprache mit dem ZK der SED – was den parteilosen Beteiligten und dem neuen Rektor jedoch verborgen blieb.625 Offensichtlich wollte man von Seiten der SED den Bogen nicht weiter überspannen und schloß sich einer in der DDR allgemein anzutreffenden Tendenz an, keine starke kommunistische Person an der Spitze der Universität zu plazieren, sondern sich auf die Parteiarbeit im Verwaltungsapparat zu konzentrieren.626 Durch den Aufbau der Verwaltung nach den neuen Strukturen der „Zweiten Hochschulreform“, durch die Schaffung hauptamtlicher SEDParteisekretär-Stellen, durch den Beginn einer systematischen politisch orientierten Nachwuchsförderung konzentrierten sich die Maßnahmen auf andere Bereiche. Als Rektor schien eine (womöglich schwache) Integrationsfigur möglich. Mit Datum vom 21. Dezember 1951 reichte Heinz Schneider seine Dissertation erneut ein. Der neue Rektor mischte sich nicht mehr in irgendein Promotionsverfahren ein. Mit den alten Gutachten von Griewank und Schneider wurde der Kandidat zum Dr. phil. promoviert.

5.5.2. Umgang mit den ersten ideologischen Abschlußarbeiten Mit der Prüfungsberechtigung für Gentzen wurden im Mai 1953 erstmals offen ideologische Themen bei den Abschlußarbeiten vergeben. Wolfgang Schumann schrieb über „Die Politik der Sowjetunion zur Verhinderung der Remilitarisierung Westdeutschlands und für den Aufbau nationaler Streitkräfte eines einheitlichen, friedliebenden und demokratischen Deutschlands“.627 Günther Schmerbachs Thema lautete: „Die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland als Verwirklichung der Lehren der Klassiker des Marxismus-Leninismus“.628. Beide Kandidaten standen bereits auf einer „Liste der Studierenden[,] die die wissenschaftliche Laufbahn erstreben“,629 als sie noch im zweiten (!) Semester waren. Dieser in den Akten des Staatssekretariats zu findende Plan stützte sich jedoch nicht auf die fachliche Beurteilung durch betreuende Hochschullehrer der Geschichtswissenschaft, sondern war einzig und allein darauf zurückzuführen, daß beide in der SED politisch stark engagiert waren. Diese Förderung war Teil des Versuches, einen geplanten Elitewandel herbeizuführen. Bereits als Studenten erhielten Schumann und Schmerbach Lehraufträge für „historisch-

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Protokoll Senatssitzung, 11.11.1951, in: UAJ, BC 38. Aktennotiz „Betr.: Rektoratswahl“, 20.6.1951, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, 1975, Bl. 67. Siehe oben S. 195 mit Anm. 164. In Halle wurde zu dieser Zeit das Rektorat Victor Klemperers verhindert. In Berlin wurde statt des eigenständigen Marxisten Jürgen Kuczynski, der sich für das Amt ausdrücklich angeboten hatte, mit Werner Neye ein ehemaliges NSDAP-Mitglied Rektor der Humboldt-Universität. Vgl. KLEMPERER: So sitze ich denn zwischen alles Stühlen, Bd. 2, S. 123; Carlo JORDAN: Der Aufbau des Sozialismus an der Humboldt-Universität mit nationalsozialistisch geprägten Rektoren, in: Horch und Guck 11 (2002), H. 4, S. 1-6; DERS.: Kaderschmiede Humboldt-Universität, S. 50-64. UAJ, F II, Nr. 112, eingereicht am 23.5.1953. UAJ, F II, Nr. 114, eingereicht am 29.5.1953. BA Berlin, DR2, Nr. 1899, Bl. 54.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

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materialistische Analyse von Gesellschaftsformationen“.630 Sie engagierten sich auch in der Anleitung jüngerer Semester als Leiter sogenannter „wissenschaftlicher Studentenzirkel“ der SED.631 Das Vorhandensein solcher Nachwuchskräfte wurde auch als Argument für die Ablösung Prellers ins Feld geführt, da man sich auf dessen positive Bewertung nicht verlassen könne. Prellers Nachfolger Gentzen bewertete beide Arbeiten mit „sehr gut“. Zu Schmerbachs Arbeit, die die Gründung der SED als eine Verwirklichungen der Klassiker des ML darstellen wollte, führte er aus: „Begründet auf sehr gute Kenntnisse des Marxismus-Leninismus, hat der Verfasser an Hand umfangreichen und vielfach unbekannten Quellenmaterials durch fesselnde Darstellung entscheidender Episoden ein sehr gutes Bild des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um ihre einheitliche Partei geschildert. Besonders ist ihm gelungen, den Drang nach der Einheit von unten bei ständiger Sabotage der rechten SPD-Führer, die im Grundsatz richtige Politik der KPD unter Führung Ernst Thälmanns und die ständige Hilfe der Sowjetunion unter Führung Stalins aufzuzeigen. Die Arbeit hat besonders in Bezug auf die heutige Aufgabenstellung in Westdeutschland einen außerordentlichen aktuellen Wert.“632

Es habe, so heißt es später in den Darstellungen der DDR, für diese beiden „ersten Examens-Arbeiten zur Zeitgeschichte“ sich in Jena angeblich kein Zweitgutachter gefunden, so daß diese „nach Leipzig bzw. Berlin zur Begutachtung eingesandt werden“ mußten.633 In Wirklichkeit hatte Griewank die Arbeiten zur Zweitbegutachtung erhalten. Seine Gutachten waren jedoch zu kritisch und wurden deshalb später einfach ignoriert. Sie stellen gleichsam eine frühe Analyse der marxistisch-leninistischen Phraseologie dar. Griewank lehnte das Thema dabei nicht pauschal ab, sondern versuchte zunächst sogar, Schmerbachs Ausführungen über die Gründung der SED auf ihre innere Konsistenz zu überprüfen. Er kam aber zu einem vernichtenden Urteil: „Man kann jedoch nicht sagen, daß das Thema scharf und konsequent im Auge behalten worden ist. Die Gründung der SED wird im letzten Abschnitt behandelt, nicht so sehr als Anwendung einer vorher dargelegten Lehre, wie es dem Thema entspräche, sondern als Konsequenz der politischen Entwicklung seit 1929 und der Rolle der Arbeiterparteien darin. Die Arbeit zeigt, daß der Verf. sich von den Mitteln der akademischen Geschichtswissenschaft wenig angeeignet hat. Eigene historische Methodik und Kritik wird, soweit ich sehe, in der Arbeit kaum versucht.“634

Griewank kritisierte die „Charakterisierung der Ereignisse und Personen [...] in durchweg übernommener und sehr grober Weise. Begriffe wie ‚Imperialisten’, ‚Bourgeoisie’, ‚Faschismus’ werden in größter Eintönigkeit angewandt ohne Kennzeichnung, was jeweils darunter zu verstehen ist.“ Gerade die Verwendung propagandistischer Phrasen bei einer „allzu gleichförmigen und wiederkehrenden Anwendung beschimpfender Charakterisierungen, wie ‚Mordbande’, ‚Verräterkliquen’ usw.“ werden vom Gutachter kritisiert. So sei „auch die Formel vom ‚reaktionärsten Teil usw. des deutschen Finanzkapitals’ [...] oft angewandt [worden], ohne jemals diesen Teil im Verhältnis zu den anderen näher zu bezeichnen oder überhaupt die Faktoren des ‚Imperialismus’, die verschiedenen Industriegruppen, die Militärs und die NSParteimänner voneinander zu unterscheiden.“

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BUCHMANN: Entwicklung des Historischen Instituts, S. 103, Anm. 54. Protokoll zur Diskussion der Parteiversammlung Historiker, 20.5.1954, in: SAPMO BA Berlin, DY 30/IV 2/9.04/95, Bl. 353-359, zur Bildung der Zirkel Bl. 353. Gutachten Gentzen über Schmerbach, 5.6.1953, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“. BUCHMANN: Entwicklung des Historischen Instituts, S. 43. Gutachten Griewank über Schmerbach, 8.9.1953, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“.

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5. Der Professor in Jena

Es wurde bereits im Hinblick auf die (von Griewank durchaus positiv bewerteten) Abschlußarbeiten von Kurt Pätzold und Walter Schmidt betont, daß Griewank es akzeptierte, wenn auf anderer weltanschaulicher Grundlage argumentiert wurde oder der Kandidat zu anderen Schlußfolgerungen kam. Er legte jedoch Wert auf eine genaue Festlegung der Begriffe, innere Schlüssigkeit der Argumentation und sorgfältige Verwendung der Quellen. Gerade das letztere legte Schmerbach nicht an den Tag, sondern griff nur diejenigen Punkte heraus, die der politischen Aussage dienten. Daß Schmerbach das Nein der SPD zum Ermächtigungsgesetz und die denkwürdige Rede Otto Wels’ hier im Stile der Sozialfaschismus-Theorie der KPD abkanzelt, war reine Propaganda. Schaut man sich die Arbeit an, so bestätigt sich dieser Eindruck. Ein paar wenige Textbeispiele seien hier nur angeführt. So führt Schmerbach aus: „Ausgerüstet mit der Theorie des Marxismus-Leninismus und eng verbunden mit dem ganzen werktätigen Volk ist die Partei durch nichts in die Knie zu zwingen. Darin liegt ihre Kraft, darin liegt ihre Unbesiegbarkeit. Kein Terror, keine Unterdrückungsmassnahmen, keine Verfolgungen – und seien sie auch noch so blutig –, können die Kommunistische Partei vernichten. Das haben die Herren Bismarck und Hitler erfahren müssen. Das wird auch Herr Adenauer erfahren müssen. Die Kommunistische Partei ist nicht zu verbieten und zu unterdrücken, sie ist nicht zu besiegen, weil sie die Partei der Zukunft ist. Sie ist unbesiegbar, weil die Vergangenheit niemals die Zukunft besiegen kann.“635

Ein weiteres Beispiel dieser puren Propaganda des Kalten Krieges: „In den Kerkern der Gestapo erkannte Genosse Buchwitz, warum gewisse Funktionäre der Emigrationsleitung der SPD in Dänemark den antifaschistischen Kampf mit allen Mitteln sabotieren, weil sie im Dienste der Gestapo, weil sie im Dienste Hitlers und Görings, weil sie im Dienste Krupps, Ilgners, Zangens und Röchlings standen! Es waren die gleichen Kräfte in der SPD, die heute im Westen unserer Heimat mit den gleichen Mitteln, mit den gleichen Methoden und aus den gleichen Gründen wie damals die Einheitsfront der Arbeiter gegen Faschismus und Krieg zu verhindern suchen. Nur ihre Auftraggeber müssen sie jetzt nicht mehr mit ‚Herr’ anreden, sondern mit ‚Mister’ und sie müssen beim Befehlsempfang nicht mehr mit ‚jawolll’[sic] antworten, sondern mit ‚yes’. Eines übersehen aber diese Kulis der Bourgeoisie. Sie übersehen, dass die Arbeiterklasse in den vergangenen zwanzig Jahren sehr viel gelernt hat. Noch einmal werden sich die deutschen Arbeiter nicht hinters Licht führen lassen, die einheitliche Kampffront der westdeutschen Arbeiter wird diese Lakaien samt ihren deutsch und englisch sprechenden Auftraggebern hinwegfegen.“636

Die Tatsache, daß solche Beschimpfungen und ideologischen Zumutungen von dem Prüfungsberechtigten Gentzen mit „Sehr gut“ bewertet worden sind, macht deutlich, wie die Versuche zur Veränderung der Universitätslandschaft in Jena fortgeschritten waren. Nun ging es um die Grundlage eines wissenschaftlichen Diskurses, die hier in Gefahr stand. Griewank reagierte mit einer sachlichen Analyse, die seine Position deutlich machte. Selbst bei Schmerbachs Auslassungen rang sich Griewank noch dazu durch, Positives zu sehen: „Die Arbeit ist eine große und fleißige Materialsammlung und als solche anzuerkennen. Aber sie zeigt weder klare Gedankenführung noch die Fähigkeit, die historischen Erscheinungen methodisch sicher und selbständig zu erkennen und darzustellen. [...] Ich kann die Arbeit nur mit genügend (4) bewerten.“637 Die Hausarbeit von Wolfgang Schumann zur Remilitarisierung Westdeutschlands hätte Griewank am liebsten gar nicht angenommen. Er könne diese Arbeit „nicht als wissenschaftliche Leistung“ anerkennen, aber „als Prüfungsarbeit“ mit „gut“ bewerten,

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Günther SCHMERBACH: Die Gründung der Sozialistische Einheitspartei Deutschland als Verwirklichung der Lehren der Klassiker des Marxismus-Leninismus, Hausarbeit zur wissenschaftlichen Abschlußprüfung im Fach Geschichte, Jena 1953, S. 157f. Belegexemplar UAJ, F II, Nr. 114. Ebd., S. 149. Gutachten Griewank über Schmerbach, 8.9.1953, in: ebd.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

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so Griewanks überraschendes Urteil.638 Es ergibt sich daraus, daß Griewank hier in ziemlich deutlicher Form die Themenstellung durch Gentzen kritisierte, die parteipolitische Wertungen enthalte und deshalb mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft im Grunde überhaupt nicht zu bearbeiten sei. Innerhalb dieser ungünstigen Vorgaben, sei die Arbeit als tagespolitische Stellungnahme zu werten, der er inhaltlich nicht folgen könne, die aber als Meinungsäußerung schlüssig sei. Mit solchen Bewertungen bei grundsätzlicher und im Detail nachgewiesener Kritik an den Arbeiten kam Griewank den beiden Kandidaten aus seiner Position heraus noch sehr entgegen. Doch für die SED-Kaderpolitik war eine solche Bewertung zu wenig, weshalb die Gutachten Griewank – wie schon angedeutet – nicht berücksichtig wurden. Bezeichnend dabei ist, daß die Arbeit Schmerbachs offensichtlich bereits vor der Begutachtung durch Griewank dem SED-Mitglied Ernst Engelberg639 in Leipzig vorgelegt worden war wurde, dessen Gutachten jedoch ebenfalls nicht in das von Gentzen vorgegebene Bild paßte: „Der Kandidat hat die für den Historiker so notwendige Parteilichkeit ganz falsch verstanden. Er hat übersehen, dass die Parteilichkeit des Historikers aus der konkreten Beweisführung gleichsam herauswachsen muss. Der Kandidat scheint kein Gefühl dafür zu haben, dass Schimpfen und Verwünschen keine Beweise ersetzen können. Auch der gelegentlich beim Verfasser hervorbrechende primitive Hurra-Optimismus beweist nichts über die Zukunftsperspektiven und die allgemeinen Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung. Mit der falschen Auffassung von der Parteilichkeit des Historikers hängen auch der schlechte Stil und die schlechte Form der Arbeit zusammen. Der Verfasser vergisst auch, dass Lebendigkeit im Ausdruck keineswegs gleichbedeutend ist mit vulgärem Strassendeutsch, jedenfalls nicht in einer wissenschaftlichen Arbeit. Die ermüdende Darstellung ist oft von quälender Breite. Die Arbeit ist an sich ungenügend. Jedoch wäre es falsch, wenn der Verfasser gezwungen würde, jetzt eine andere Arbeit in Angriff zu nehmen. In diese Arbeit hat er viel Zeit und Kraft hineingesteckt, die im Interesse der Sache und im Interesse des Kandidaten nicht vertan sein sollen. Nach gründlicher Klärung der Ursachen des Versagens des Kandidaten soll er sich von neuem in diese Arbeit vertiefen. Wegen des Fleisses des Verfassers möchte ich die Arbeit noch passieren lassen mit: mangelhaft (4).“640

In vielem war das Gutachten Engelbergs dem Griewanks ähnlich, stellenweise sogar noch schärfer. Auch Engelberg kritisierte den Aufbau der Arbeit, die „vielen Phrasen in der Arbeit und die dauernden Wiederholungen“, die Verwendung von „vulgärem Straßendeutsch“. Damit tritt deutlich zu Tage, daß die hier beschriebenen ersten marxistisch-leninistischen Abschlußarbeiten eben nicht den Standard der damaligen marxistischen DDR-Geschichtswissenschaft repräsentierten, sondern studentische Entwürfe von Heißspornen waren. Es geht deshalb hier auch nicht darum, deren Inhalt zu kritisieren. Vielmehr ist die Tatsache bezeichnend, daß der in Jena prüfungsberechtigte Dozent Gentzen diese Arbeiten wegen ihrer „hervorragenden Kenntnisse des Marxismus-Leninismus“ als „sehr gut“ einstufte. Es ging ihm weniger um Qualität, als um ein politisches Bekenntnis. In Jena trat die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft somit mit einem deutlich geringeren Qualitätsniveau auf als Engelbergs Aussage es markierte. Es gab in Jena keinen marxistischen Historiker, der auf die Weiterentwicklung der marxistischen Methode statt auf Propaganda geachtet hätte. Es lehrte keine durch ihre Lebenserfahrung im Exil oder im Widerstand charismatisch wirkende Persönlichkeit wie Walter Markov, Leo Stern, Alfred Meusel oder eben Ernst Engelberg. In diesem

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Gutachten Griewank über Schumann, 8.9.1953, in: NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“. Hier auch die folgenden Ausführungen. Vgl. zu Engelberg MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 200f. Gutachten Engelberg über Schmerbach, 7.8.1953, in: BA Berlin, DR3/1. Schicht/1599, Bl. 360f.

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5. Der Professor in Jena

Zusammenhang steht auch die Tatsache, daß in der Folge talentierte marxistische Absolventen wie Walter Schmidt oder Kurt Pätzold nun Griewank als Gutachter wählten. Es bleibt die Tatsache, daß hier eine völlig andere Studentengeneration heranwuchs, die durch Ideologen wie Gentzen ein anderes Politik- und Wissenschaftsverständnis vermittelt bekam.

5.5.3. „Säuberung der Universität“ und „Kirchenkampf“ – Eine Exmatrikulation im unmittelbaren Umfeld Griewanks Noch niederschmetternder und zermürbender als die Probleme der Immatrikulation oder das Begutachten ideologischer Arbeiten waren Erfahrungen, die Griewank mit der Exmatrikulation von Studenten aus seinem Umfeld machte. Dies soll am Fall von Ruth Wehowsky, einer Studentin, die Karl Griewank fachlich sehr schätzte, dargelegt werden. Diese begann ihr Studium im Wintersemester 1949/50 und wurde als Kind eines Arbeiters und als Mitglied der CDU problemlos zum Studium zugelassen. Während des Studiums betätigte sie sich in der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) und wurde dort „Vertrauensstudentin“. Damit geriet sie in den „Kirchenkampf“, der um die Jugendarbeit der evangelischen Kirche entbrannte und der zwischen der zweiten Parteikonferenz im Juli 1952 und dem Juni 1953 seinen Höhepunkt erreichte.641 Kernpunkte des Streites waren die außerhalb der ortsgebundenen Gemeindearbeit angesiedelten „Junge Gemeinden“ und die ESG, die man dauerhaft ausschalten wollte. Gerade die neuere Forschung hat für die Phase der offenen Repression 1952/53 mehrere Motive von Staat und Partei offengelegt.642 Dazu gehörte die Isolierung pazifistischer Grundhaltungen, die nach der II. Parteikonferenz und den dortigen Militarisierungsbeschlüssen nicht mehr erwünscht waren. Zudem wurde die Ausschaltung alternativer Jugenderziehungskonzepte mit den Mitteln diktaturstaatlicher Macht betrieben. Zeitlich parallel rollte eine große Exmatrikulationswelle an der Universität an, die am 12. September 1952 unter dem Tagesordnungspunkt „Säuberung der Universität“ dem Senat verkündet wurde – allerdings nach ihrem Vollzug.643 Die Exmatrikulationen bezogen sich nur teilweise auf kirchliche Aktivitäten, sind allerdings nicht unabhängig vom „Kirchenkampf“ zu sehen, vielmehr war beides Ausdruck verschärfter Ideologisierung. Im Fall von Ruth Wehowsky kamen universitäre „Säuberung“ und antikirchliche Aktivität zusammen. Sie wurde im August 1952 ins Prorektorat für Studienangelegenheiten gerufen, wo Prorektor Karl Arnold sie fragte, ob sie ihren Studentenausweis

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Vgl. vor allem jetzt Ellen UEBERSCHÄR: Junge Gemeinde im Konflikt. Evangelische Jugendarbeit in SBZ und DDR 1945-1961, Stuttgart 2003, insbes. S. 170-202; Hermann WENTKER: „Kirchenkampf“ in der DDR. Der Konflikt um die Junge Gemeinde 1950-53, in: VfZ 42 (1994), S. 95-127. Zu Jena vgl. Thomas A. SEIDEL: Deutsch-christliche Hypothek und Neuordnungskompromisse. Die evangelische Kirchgemeinde Jena nach 1945, in: STUTZ (Hg.): Macht und Milieu, S. 103-133, hier S. 126131; Tobias NETZBANDT: Gemeinschaft Gleichgesinnter. Zur Geschichte der ESG Jena in den Jahren von 1946 bis 1952, in: Glaube und Heimat, Nr. 1 vom 4.1.2003, S. 9f.; vgl. allgemein Dietrich STARITZ: Geschichte der DDR 1949-1990, Frankfurt (M) 1996, S. 105-107. Vgl. zum Forschungsstand UEBERSCHÄR: Junge Gemeinde, S. 171-173. Protokoll Senatssitzung 12.9.1952, in: UAJ, BC 38. Der Senat diskutierte kontrovers und protestierte gegen die Maßnahmen. Der Jurist Fritz Steffen verweist vehement darauf, daß den Studenten ein Recht auf Anhörung und präzise Mitteilung der Gründe zustehe. Das Vorgehen widerspreche diesen verbrieften Rechtsgrundsätzen und den gültigen Verwaltungsvorschriften für die DDRUniversitäten.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

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dabei habe.644 Daraufhin zeigte sie ihren Studentenausweis vor, den Arnold entgegennahm und mit den Worten: „Sie sind hiermit exmatrikuliert“ einzog. „Auf meine Frage nach den Gründen erhielt ich die lapidare Auskunft, daß ‚in meiner Person nicht die Voraussetzungen gegeben seien, um später an führender Stelle in der DDR zu arbeiten. Nähere Erläuterungen dazu wurden mir nicht gegeben, auch einen entsprechenden schriftlichen Bescheid erhielt ich nicht. Es war für mich damals ein unglaublicher Schock, obwohl ich es nach manchem, was vorausgegangen war – u.a. die sogen. Treitschke-Debatte – hätte ahnen können. [...] Mein erster Weg nach dieser formlosen Exmatrikulation führte mich zu Prof. Griewank, der – soweit ich mich erinnere – erst durch mich davon erfuhr und ebenso betroffen war.“645

Griewank schaltete sich sofort ein. Am 2. September 1952 schrieb er an den Rektor, den Dekan von Jan und den Prorektor Arnold. Er bezeichnet es als „bedauerlich und ungerecht, wenn Frl. Wehowsk[y] der Abschluß des begonnenen Studiums plötzlich unmöglich gemacht werden soll, ohne daß ihr konkrete Verschuldungen nachgewiesen werden können. Ganz besonders würde ich es – auch im Hinblick auf die weiteren geistigen Auswirkungen an der Universität – bedauern, wenn ihre offene Stellungnahme in theoretischen Fragen in Seminaren und im Kommilitonenkreis der Grund für die Haltung der am Ausschlußverfahren Mitwirkenden gewesen sein sollte. [...] Wir sind m.E. nicht so reich an wissenschaftlichen Begabungen, um sie ohne Not von der Universität zu verscheuchen.“ 646

Die bereits erwähnte „Säuberung der Universität“ war Griewank natürlich nicht verborgen geblieben. Prorektor Arnold zufolge richtete sich diese nach drei Kriterien: „1. den fachlichen Leistungen, 2. dem moralischen Verhalten, 3. der politischen Einstellung“.647 Alle drei Punkte sprach Griewank in seinem Einspruch an. Er halte Ruth Wehowsky für eine der fachlich besten Studierenden, zur moralischen Integrität und der politischen Einstellung führte er aus: „Frl. Wehowsk[y] ist von einer sehr ernsten Lebensauffassung beherrscht und steht auf entschieden christlichem Standpunkt. Hieraus haben sich bei ihr allerdings Vorbehalte gegenüber der Theorie des Historischen Materialismus ergeben, die sie in Diskussionen und Seminaren, auch bei Prüfungen sehr offen zum Ausdruck gebracht hat. Es ist mir bekannt geworden, daß sie bei solchen Gelegenheiten in Gegnerschaft zu marxistischen Studierenden gekommen ist, und es mag sein, daß sie sich manchmal in eine allzu einseitige Defensive hat drängen lassen und in jugendlichem Eifer in der Verbreitung ihres Standpunktes zu weit gegangen ist.“648

In der Tat ist es die politische Position, die zur Exmatrikulation geführt hatte, weil sie angeblich „als führendes Mitglied der Evangelischen Studentengemeinde eine antidemokratische Haltung zeigte.“649 Jedoch wurden im Kontext der antikirchlichen Aktionen nicht flächendeckend alle Mitglieder der Gemeinden ausgeschaltet. Die Auswahlkriterien scheinen letztlich im Einzelnen nicht aufklärbar zu sein. Psychologisch bedeuteten diese isolierten Aktionen eine Erhöhung von Unsicherheit und Terror. Es waren gezielte, aber ohne erkennbare Systematik vorgenommene Eingriffe, die der

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Die folgenden Informationen beruhen auf Gesprächen und Briefen von Ruth Weiß, geb. Wehowsky, der ich für den interessanten Briefwechsel und für die Möglichkeit zur Einsichtnahme in ihre Studentenakte zu großem Dank verpflichtet bin. Schr. Information, Ruth Weiß, 29.10.1999. Karl Griewank an Prorektor für Studienangelegenheiten Karl Arnold, in: UAJ, Studentenakte, Nr. 23098. Briefentwurf gegen die ungerechtfertigte Entlassung von Ruth Wehowski, in: NL Griewank, Karton 2, Mappe 1. Karl Arnold, in: Protokoll Senatssitzung 12.9.1952, in: UAJ, BC 38. Karl Griewank, 2.9.1952, in: UAJ, Studentenakte, Nr. 23098. Briefentwurf in: NL Griewank, Karton 2, Mappe 1. Karl Arnold an SfH, in: UAJ, Studentenakte, Nr. 23098.

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5. Der Professor in Jena

couragierte Studentenpfarrer Walter Pabst650 zu verzeichnen hatte. Es traf Ruth Wehowsky wohl auch deshalb, da sie als Arbeiterkind „die eigene Klasse verraten“ habe. Pabst setzte sich wie Griewank für die Wiederzulassung der Exmatrikulierten ein. Am 25. August 1952 teilte er Rektor Hämel mit, daß „heute die zu erwartende Exmatrikulationswelle angelaufen“ sei und bisher zwei Gemeindemitglieder erfaßt habe: „Auf die Frage der Studenten nach dem Grund der Entziehung der Studienerlaubnis äußerte Herr Dr. Arnold, daß er keine Veranlassung habe, mit ihnen in Diskussionen einzutreten. Rechtsmittel gegen diese Entscheidung seien nicht gegeben. – Offenbar ist dies erst der Anfang. [...] Ich weiß nicht, ob Sie die bedrohten Studenten schützen können, aber ich halte es für meine Pflicht, Sie zu informieren.“651 Der Umgangston zwischen Pfarrer und Rektor ist bezeichnend, beide sehen sich auf einer Seite. Nur vier Tage später erfuhr Pabst auch von der Exmatrikulation Ruth Wehowskys: „Leider hat die Exmatrikulationswelle schon wieder ein Glied unserer Studentengemeinde erfaßt [...] Fräulein Wehowsky gehört zu meinem engsten Bekanntenkreis; ich kann mich dafür verbürgen, daß sie sich nichts Strafbares hat zuschulden kommen lassen. Ihre einzige ‚Sünde’ besteht darin, daß sie als Historikerin eine nicht-marxistische Haltung nicht nur hat, sondern auch vertritt, Fräulein Wehowsky, die aus einer einfachen Arbeiterfamilie stammt, gehört zu den begabtesten Studierenden ihrer Fachschaft und zu dem engsten Mitarbeiterkreis von Prof. Griewank. – Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie – ebenso wie bei den von mir Ihnen bereits gemeldeten Studierenden Georg Gebhardt und Eva Hoffmann – dazu helfen könnten, daß das Unrecht der unbegründeten Exmatrikulation wieder gut gemacht wird.“652

Der Rektor konnte jedoch aufgrund des Dienstverhältnisses zu „seinem“ Prorektor wenig machen: Die Prorektoren wurden ja nicht mehr gewählt, sondern vom Staatssekretariat benannt. Griewank wandte sich deshalb auch direkt an den Prorektor, schickte diesem am 4. November 1952 und am 29. Januar 1953 erneut Briefe und führte mehrere Gespräche mit ihm. „Sie meinten seinerzeit, daß zu diesem Semester gewiß die Immatrikulation sich wieder würde ermöglichen lassen und stimmten mir zu, daß man auf so gutqualifizierte und nicht durch ausgesprochene Verfehlungen belastete Kräfte wie die Genannte nicht verzichten soll.“653 Inzwischen war das Semester jedoch schon angelaufen und Ruth Wehowsky hatte eine Arbeit bei der Frommanschen Buchhandlung angenommen. Davon ließ sich Griewank jedoch nicht beirren. Er wußte aus seiner Verwaltungstätigkeit, daß auch für einen solchen Fall eine Lösung möglich war: „Um klare Verhältnisse zu schaffen, würde ich bitten, Fräulein Wehowsk[y] sogleich wieder zu immatrikulieren und ihr für dieses Semester Urlaub zum Studium für praktische Arbeit im Buchwesen zu erteilen.“654 Arnolds Versprechungen waren jedoch falsch. Er war nicht gewillt, Ruth Wehowsky wieder zuzulassen. Griewank teilte er mit, daß er die Wiederzulassung wohl aussprechen wolle, dies aber ohne Genehmigung aus Berlin nicht tun könne, gleichzeitig wandte sich Arnold an das Staatssekretariat, teilte dort mit, daß „Herr Professor Dr. Griewank als Fachrichtungsleiter für Geschichte [...] sich besonders intensiv für die Wiederzulassung [Ruth Wehowskys] zum Studium“ einsetze, man aber „aufgrund der letzten Entwicklung“ eine solche nicht aussprechen solle. Er bat Berlin deshalb um

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Zu Walter Pabst vgl. NETZBANDT: Gemeinschaft Gleichgesinnter; KRÖNIG/MÜLLER: Anpassung, Widerstand, Verfolgung, S. 375-378 und STUTZ: Macht und Milieu, S. 378f. Walter Pabst (Briefkopf „Der evangelische Studentenpfarrer“) an Rektor Hämel, 25.8.1952, in: UAJ, BC 540, unpag. Walter Pabst an Rektor Hämel, 29.8.1952, in: ebd. Karl Griewank an Prorektor Karl Arnold, 29.1.1953, in: UAJ, Studentenakte, Nr. 23098. Karl Griewank an Prorektor Karl Arnold, 4.11.1952, in: ebd.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

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Unterstützung und forderte beim Staatssekretariat explizit einen Negativbescheid an, der auch am 5. Februar ausgestellt wurde: Die Exmatrikulation blieb bestehen.655 Das Ergebnis teilte Arnold in schroffem Ton und ohne Höflichkeitsformeln Griewank und Wehowsky mit.656 Der Prorektor erwies sich so als ein linientreuer Hardliner stalinistischer Maßnahmen, die sich gegen die kirchliche Jugendarbeit richteten. Mit der angesprochenen „letzten Entwicklung“ kann nur die Verschärfung des „Kirchenkampfes“ gemeint sein. Die Kirchen spielten eine wichtige politische und soziale Rolle im Nachkriegsdeutschland.657 Gerade die Studentengemeinden, das zeigen die Untersuchungen von Straube, Krönig und Müller, boten vielen Studierenden in besonderem Maße eine Hilfe zur Orientierung und eine geistige Heimat.658 Sie waren auch in Jena eine „Gemeinschaft Gleichgesinnter“.659 Der Studentenpfarrer Walter Pabst erinnerte sich später, daß die Gemeinde wuchs und „weitere Kreise der Studentenschaft erfaßt hatte, während es der FDJ weiterhin nicht gelang, im akademischen Bereich Fuß zu fassen.“660 Griewank hatte als kirchlich engagierter Professor und Mitbegründer der Evangelischen Akademie Thüringens661, engen Kontakt zur Studentengemeinde und hielt dort mehrere Vorträge. Es erschienen meist viele Zuhörer, über den engeren Kreis der Studentengemeinde hinaus auch Sympathisanten.662 Auch wegen dieser – aus staatlicher Sicht unkontrollierbaren – Attraktivität sah sich die ESG bald einer besonderen Verfolgung ausgesetzt. Mit der nach der „2. Parteikonferenz“ der SED ausgehenden Verfolgung wuchs der Druck auch auf die Studierenden. Daß sich die Mitglieder der Studentengemeinde während dieser Auseinandersetzung dennoch so weit wie möglich zur Wehr setzten, zeigt ein Protestbrief des cand. phil. Detlef Lotze663, der sich gegen einen Zeitungsartikel im Januar 1953 wendete und dabei unter anderem der dort geäußerten Behauptung, an der ESG würden „scheinwissenschaftliche Vorträge“ gehalten, widersprach. Er schloß das Schreiben mit der Bemerkung ab: „In diesem Zusammenhang erscheint die Bezeichnung ‚scheinwissenschaftlich’ als dem Arsenal des Marxismus entnommen, der natürlich Christentum und Theologie als wissenschaftsfeindlich ansieht.“664 Im April 1953 protestierte der Jenaer Theologe Erich Hertzsch bei

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SfH an Prorektor Karl Arnold, 5.2.1953, in: ebd. Prorektor Arnold, 25./26.2.1953, in: ebd. Vgl. Christoph KLEßMANN: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Bonn 5 1991, S. 59-63. KRÖNIG/MÜLLER, Nachkriegs-Semester, S. 272-276; DIESS.: Anpassung, Widerstand, Verfolgung, S. 356-393, zu Jena 375-378. Vgl. auch Friedemann STENGEL: Die Theologischen Fakultäten in der DDR als Problem der Kirchen- und Hochschulpolitik des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71, Leipzig 1998. NETZBANDT: Gemeinschaft Gleichgesinnter, S. 9f. Walter PABST: Harter Kurs. Erinnerungen, in: Glaube und Heimat. Evangelisches Sonntagsblatt für Thüringen, Nr. 34 vom 20.8.1995, S. 7. Vgl. BÖHM: Die ersten zehn Jahre, S. 189-208, hier S. 192f. KRÖNIG/MÜLLER: Anpassung, Widerstand, Verfolgung, S. 361f. Detlef Lotze wurde später als international anerkannter Spezialist für die griechische Antike Dozent an der FSU Jena und nach der Wende Lehrstuhlleiter für Alte Geschichte und Dekan der Philosophischen Fakultät. Zu Lotze vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 401. Vgl. auch Detlef LOTZE: Lebendige Jahre 1950-1954, in: Tobias NETZBANDT (Hg.): Zwischen Kreuz und Hahn. Einblicke in die Geschichte der ESG Jena (1946-2003), Jena 2003, S. 12f. und DERS.: Persönliche Erinnerungen an Friedrich Zucker, in: Helmut G. WALTHER (Hg.): Erinnerungen an einen Rektor. Friedrich Zucker (1881-1973), Rudolstadt/Jena 2001, S. 43-52. Abschrift in ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 921, Bl. 48v.

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5. Der Professor in Jena

Otto Grotewohl.665 Am 29. April 1953 fand in der Friedenskirche Jena eine von ca. 600 (!) Teilnehmern besuchte Veranstaltung statt, in der der Landesbischof Moritz Mitzenheim666 unter Bezug auf die Bekennende Kirche der NS-Zeit für die Existenz der Jungen Gemeinde eintrat und die Zuspitzung der Lage kritisierte.667 Man riskierte offensiv die Auseinandersetzung. Ohne Zweifel waren die SED-Jugendfunktionäre in Berlin und Jena gewillt, die harte Linie durchzuhalten. Man dürfe nicht „die Rolle der Studentengemeinde als imperialistische Agentur verniedlichen“.668 Nun allerdings schaltete sich die nach dem Tod Stalins gebildete neue sowjetische Regierung in den Konflikt ein. Sie kritisierte am 2. Juni 1953 vehement die Maßnahmen der „2. Parteikonferenz“ der SED, auf der ja unter dem Signum „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus“ de facto Maßnahmen der Militarisierung und Diktatursicherung beschlossen wurden. In der Kritik aus Moskau enthalten war auch ein Abschnitt zu den Studentengemeinden, die die Einstellung der Verfolgung verlangte. „Diese Forderungen müssen auf die am 2. Juni nach Moskau einbestellte Delegation des ZK der SED wie ein Schock gewirkt haben.“669 Der kirchenpolitische Kurs mußte nun verändert werden. Man beschloß, mit der Evangelischen Kirche zu verhandeln und verlangte, um einen Gesichtsverlust zu verhindern, die Feststellung, „daß es sich bei der Jungen Gemeinde und bei der evangelischen Studentengemeinde nicht um Organisationen handelt, sondern um eine Lebensäußerung der Kirche im Raum der Kirche und ihrer Gemeinde“.670 Mit dieser in einem förmlichen Vertrag manifestierten Konstellation lebte die Evangelische Studentengemeinde fortan und schuf sich einen Freiraum zwischen Kooperation und Konfrontation. Nicht ohne Belang war natürlich, daß die Ereignisse des 17. Juni 1953, die ja ebenfalls eine unmittelbare Folge der Maßnahmen der „2. Parteikonferenz“ gewesen waren, gezeigt hatten, daß sich der Druck nicht stetig steigern ließ. Griewank wußte sehr genau um die neuen Möglichkeiten. Ruth Wehowsky, die inzwischen den Theologen HansFriedrich Weiß geheiratet hatte, erhielt zur Hochzeit ein Glückwunschschreiben Griewanks. Er sehe eine Möglichkeit, daß sie das Studium wiederaufnehmen könne. „Ich habe – gemeinsam mit meinem Mann – nur kurz überlegt, dann war ich entschlossen, das Studium auf jeden Fall zu beenden“671, so Frau Weiß. Griewanks Schreiben an den Prorektor ist kurz und knapp: „Gemäß dem Sinne der Ministerratsverordnung vom 11. Juni dieses Jahres bitte ich, Frau Weiß wieder in das Studium aufzunehmen. Sie wünscht mit Beginn des neuen Studienjahres ihr Studium unverändert fortzuführen und hat sich über ihre Absichten in der Anlage ausgesprochen.“672 Es muß für ihn eine innere Genugtuung dargestellt haben, gegen diese politische Exmatrikulation in seinem Umfeld erfolgreich gekämpft zu haben. Ruth Weiß entschloß sich nach Rücksprache mit Griewank jedoch kurz darauf, keinen Lehramtsabschluß, sondern die „Fakultätsprüfung“ anzustreben. Als erforderliches zweites Nebenfach wählte sie Kirchengeschichte bei Karl Heussi. Ohne Zweifel hatte Griewank sie als Nachwuchswissenschaftlerin im Auge. Sein Tod traf sie deshalb

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KOWALCZUK: Legitimation, S. 111 mit Anm. 182. Vgl. zu Moritz Mitzenheim das Biogramm bei STUTZ: Macht und Milieu, S. 378. Die Veranstaltung wurde im „Auftrage der Universitätsparteileitung“ beobachtet. ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 921, Bl. 64-69. Ebd., Bl. 49. WENTKER: „Kirchenkampf“, S. 122. Dort auch die genannten Daten. Zit. nach ebd., S. 124. Schriftliche Auskunft von Ruth Weiß, 29.10.1999. Karl Griewank an Prorektor Arnold, 13.7.1953, in: UAJ, Studentenakte, Nr. 23098.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

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nicht nur menschlich sehr. Sie schloß ihre Arbeit bei Griewanks Vertreter, dem Hallenser Hans Haussherr ab und bewarb sich nach dem Examen bei der Universitätsbibliothek. „Die mir zunächst zugesagte Stelle wurde dann ganz kurzfristig – einen Tag vor meinem Arbeitsbeginn – abgesagt, mit der Begründung, daß eine ausgebildete Bibliothekskraft für diese Stelle zur Verfügung stünde.“673 Nach der Geburt ihres Sohnes begann Ruth Weiß dann eine Promotion zum Thema „Die Herkunft der hessischen Täufer“ bei Irmgard Höß. Als Frau Höß nach Westdeutschland gehen mußte, zerschlugen sich auch diese Pläne. Die Ergebnisse der Arbeit wurden jedoch in zwei größeren Aufsätzen im „Archiv für Reformationsgeschichte“674 veröffentlicht. „Diese Aufsätze, die 1959 und 1961 erschienen, waren mein definitiver Abschied von der Geschichtswissenschaft, auch wenn ich das damals zunächst nicht so gesehen hatte. Aber die politischen Verhältnisse ließen mir kaum eine Chance. Alles, was ich später beruflich getan habe, war mehr auf mein zweites Fach, die Germanistik bezogen. Auch hat wohl meine Exmatrikulation insofern traumatisch nachgewirkt, als ich nie versucht habe, ‚an verantwortlicher Stelle in der DDR’ (s.o.!) zu arbeiten, sondern mir immer irgendwelche ‚Nischen’ gesucht habe, die vor allem der Raum der Kirche, eventuell auch ein Verlag, bot.“675

5.5.4. Verhaftungen im unmittelbaren Umfeld und der 17. Juni 1953 Festnahmen, Verhöre, Inhaftierungen, Verschleppungen, unmenschliche Haftbedingungen mit psychischem Druck, undurchschaubare Verfahren mit teilweise drastischen Strafen – das alles gehörte bekanntlich zu den stalinistischen Terrormaßnahmen, die ein Klima der Unsicherheit und Bedrohung schufen, auf dessen Boden die Durchsetzung der Machtansprüche der herrschenden Partei gedeihen konnte. Dabei sind die scharfen Maßnahmen im politischen Bereich, der Kampf gegen Trotzkisten und Abweichler im Rahmen der Parteisäuberung nur die Spitze des Eisbergs. Die Universitäten und Hochschulen standen in dieser Hinsicht unter besonderer Kontrolle. Mitchell Ash mußte 1995 konstatieren: „Die Zahl der Wissenschaftler, die von NKWD entweder in die GULAGs der Sowjetunion deportiert oder in Lagern der SBZ interniert wurden, ist noch nicht bekannt.“676 Das Todesurteil gegen den Rostocker Studenten Arno Esch ist sicherlich das in diesem Zusammenhang erschütterndste Beispiel.677 Die vorhandenen Namenslisten, die bereits seit den 1950er Jahren im Westen gesammelt wurden, zeigen jedoch, daß vor allem kurzfristige Verhaftungen von mehreren Monaten gezielt eingesetzt wurden. Die Maßnahmen dienten im Endeffekt effektiv zur Verunsicherung und Vertreibung der Betroffenen und der Personen ihres Umfelds, waren Teil einer „Ökonomie der Gewalt“. In der direkten Nähe Karl Griewanks kam es ebenfalls zu solchen Inhaftierungen. Es wurde bereits über das Schicksal Kurt Alands gesprochen, dem Mitherausgeber der

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Schriftliche Auskunft von Ruth Weiß, 29.10.1999. Vgl. Ruth WEISS: Die Herkunft der osthessischen Täufer, in: ARG 50 (1959), S. 1-15, 182-199; DIES.: Herkunft und Sozialanschauungen der Täufergemeinden im westlichen Hessen, in: ARG 52 (1961), S. 162-187. Schriftliche Auskunft von Ruth Weiß, 29.10.1999. ASH: Verordnete Umbrüche, S. 914. Vgl. Namen und Schicksale der von 1945 bis 1962 in der SBZ/DDR verhafteten und verschleppten Professoren und Studenten [zuerst 1955; hier Reprint der 5. Auflage 1962], Rostock 1994. Vgl. Horst KÖPKE/Friedrich-Franz WIESE: Mein Vaterland ist die Freiheit. Das Schicksal des Studenten Arno Esch, Rostock ²1997.

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5. Der Professor in Jena

DLZ bei der Berliner Akademie der Wissenschaften.678 Aland war vom 11. März bis 12. Mai 1953 in Haft. Zu derselben Zeit wurde in Jena in Griewanks Schülerkreis Otfried Horn, ein Teilnehmer der Treitschke-Diskussion, von der Straße weg verhaftet. Ihm wurde die Unterstützung eines „Agenten“ des RIAS Berlin vorgeworfen. Er wurde vom 6. März bis zum 3. Juni 1953 festgehalten.679 Otfried Horn war der Ehemann von Griewanks Assistentin Ingeborg Horn-Staiger. Beide hatten zu diesem Zeitpunkt einen eineinhalbjährigen Sohn, dessen Patenschaft Karl Griewank übernommen hatte. Otfried war mit der Fertigstellung seiner germanistischen Dissertation beschäftigt, als ihn am 4. März 1953 eine Postkarte680 des Prorektors für Studienangelegenheiten erreichte, er solle am nächsten Tag um 10 Uhr im „Klosterhof“681, dem Gebäude des Prorektorats erscheinen. Er konnte diesen Termin selbst nicht einhalten, statt seiner erschien seine Frau und „fand verlegene Gesichter vor, Herrn Funk und Herrn Sessinghaus, die behaupteten, sie hätten sich mit meinem Mann über Berufsfragen unterhalten wollen.“682 Offensichtlich lag jedoch nichts an, was die Eile rechtfertigte. Im Verlauf des Gesprächs erwähnte Frau Horn, daß ihr Mann einen Kurs bei der Volkshochschule halte. Auf den Weg dorthin wurde er bereits am nächsten Tag abgefangen und in einem Auto weggeschafft. Nur der Tatsache, daß dieses Geschehen von einem Nachbarn beobachtet wurde, verdankte es Ingeborg Horn, daß sie überhaupt eine Information über den Verbleib ihres Mannes erhielt, denn eine offizielle Nachricht wurde ihr nicht gegeben. Das zeitliche Zusammentreffen mit dem Tod Stalins am Tag vor der Verhaftung ist offensichtlich Zufall, die Beteiligung der Universitätsverwaltung jedoch nicht. Aus dem Bericht, den Ingeborn Horn unmittelbar nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik abgefaßt hat, lassen sich die umfangreichen und nervenaufreibenden Bemühungen rekonstruieren, die Ingeborg Horn unternahm, um über den Verbleib ihres Mannes etwas zu erfahren.683 Nachdem sie in Jena im Personalamt der Universität, bei der Kreisstaatsanwaltschaft und der Stasi keinen Bescheid bekam, fuhr sie in die Bezirkshauptstadt Gera. „Auch das war vergeblich, obgleich ich dort manchen interessanten Einblick in das Getriebe dieser fürchterlichen, undurchsichtigen Staatsmaschinerie nehmen konnte.“684 Die dortigen Staatsanwälte ließen sie lange im Unklaren über den Verbleib ihres Mannes, bis erkennbar wurde, daß der Fall in Gera nicht anhängig war. Nach fünf Wochen wandte sie sich an den Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser in Berlin. „Die Antwort wartete ich nicht ab, sondern fuhr nach knapp einer Woche nach Lichtenberg, sagte dort ich sei gemeldet und wurde tatsächlich empfangen“. Im Verlauf dieses Gespräches, in dem sie beteuerte, daß es sich um eine Verwechslung ihres Mannes handeln müsse, wurde ihr nun endlich Auskunft gegeben, daß ihr Mann sich in Potsdam befinde und das Verfahren dort verhandelt werde. Auch dort war die Kommunikation schwierig, lange Zeit ließ man Frau Horn im Unklaren über das Motiv der Festnahme ihres Mannes. Für den Prozeß am 1. Juni sammelte Ingeborg Horn

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Siehe oben Kapitel 5.1.2. Die Informationen stammen aus den Zeitzeugenberichten: HORN: Die geistige und politische Situation der Studentenschaft; Ingeborg Horn: Erlebnisbericht [7 Seiten], 25.2.1955, in: NL HornStaiger. Mit falschem Datum MÜLLER/MÜLLER: „... stürmt die Festung“, S. 369. Diese als Original abgebildet in: Vergangenheitsklärung, S. 302. Zum „Klosterhof“ siehe oben S. 196, Anm. 168. Ingeborg Horn: Erlebnisbericht, S. 5, in: NL Horn-Staiger. Ebd. Ebd., S. 2.

5.5. Kein Ende der Konfrontation – weitere Konflikte

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Leumundzeugnisse für ihren Mann, unter anderem auch von Griewank.685 Über den Pflichtverteidiger ihres Mannes wurden diese in den Prozeß eingebracht. Dieser berichtete auch, daß sich der Kronzeuge zum Glück in Widersprüche verwickelt habe. Das Verfahren endete mit einem Freispruch „wegen erwiesener Unschuld“. Dennoch ließ man sich noch einige Tage Zeit bis zur Freilassung. An eine Wiedergutmachung war nicht zu denken, sogar die Anwaltskosten wurden nicht erstattet, Otfried Horn erlangte nach Abschluß seiner Dissertation keine qualifizierte Anstellung. Ein weiterer Fall ereignete sich fast gleichzeitig im näheren Umfeld Griewanks. Der Student Werner Selka, als Hilfsassistent am Historischen Seminar beschäftigt, wurde am 19. März 1953 zum Prorektorat für Studienangelegenheiten in den „Klosterhof“ bestellt und dort verhaftet.686 Während Horn ohne Strafe davon kam, hatte Selka schlechtere Karten. Ein Bekannter hatte seine Pläne, in den Westen zu gehen, Selka gegenüber geäußert. Beide wurden angezeigt und verurteilt, der Bekannte zu fünf, Selka zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus.687 Daß diese Verhaftungen im unmittelbaren Umfeld für Karl Griewank eine enorme Belastung darstellen mußten, kann auch ohne schriftlichen Beleg als gesichert gelten. Seine Assistentin war für drei Monate in großer Sorge um ihren Mann und in dieser Sache häufig unterwegs. Dies alles geschah, während Griewank über einen Wechsel nach München zur Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften verhandelte.688 Es war vor allem die offensichtliche Verletzung der selbst aufgestellten Regelungen, wie der Prozeßordnung der DDR, dem Recht auf Gehör und Information der Angehörigen, die durch das unmittelbare Erleben den aggressivdiktatorischen Charakter des Systems deutlich machte. Wenn Ingeborg Horn ausführte: „Wie paradox, daß ich in jener Zeit in Seminarübungen ausgerechnet die HabeasCorpus-Act, die Petition of Rights, die Erklärung der Menschenrechte u. dergl. durchzunehmen hatte“689, so galt dies wohl auch für ihren Lehrer Karl Griewank, dem die Schwierigkeit seiner Position immer deutlicher werden mußte. Allerdings darf man die Hoffnungen auf eine gesamtgesellschaftliche Verbesserung nach Stalins Tod nicht vergessen, die die Ehepaare Horn und Griewank bis zum 17. Juni 1953 hegten.690 An diesem Tag kamen mindestens 20000 Teilnehmer ins Stadtzentrum Jenas zu einer Massendemonstration. Die Gebäude der Gesellschaft für DeutschSowjetische Freundschaft, der Stasi, des Rates des Kreises, der SED-Kreisleitung und das Untersuchungsgefängnis wurden besetzt und verwüstet. Am Nachmittag rückten sowjetische Panzer ein, es kam zu willkürlichen Verhaftungen und am Folgetag zur Hinrichtung des Demonstranten Alfred Diener als angeblichem Rädelsführer.691 Karl Griewank war an diesem Tag selbst nicht in Jena, sondern verfolgte die Ereignisse in Leipzig. Er kommentierte am selben Tag, dies sei „für den Historiker der Revolutionen

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Ebd., S. 3f. MÜLLER/MÜLLER: „... stürmt die Festung“, S. 376. Namen und Schicksale, S. 123. Vgl. Horn, Erlebnisbericht, S. 5, in: NL Horn-Staiger. Siehe unten Kapitel 7.2.2. Vgl. Horn, Erlebnisbericht, S. 5, in: NL Horn-Staiger. Vgl. zu diesen Hoffnungen ebd., S. 5 mit dem abschließenden Kommentar: „Es war vergeblich“. Vgl. Andreas KAMRODT: Der 17. Juni 1953 in Jena, in: STUTZ (Hg.): Macht und Milieu, S. 231-256; Frank DÖBERT: Vom Tauwetter ist keine Spur. Der 17. Juni 1953 in Jena, in: Gerbergasse 18. Forum für Geschichte und Kultur 8 (2003), Nr. 29, S. 40-50; Volker KOOP: Der 17. Juni 1953. Legende und Wirklichkeit, Berlin 2003, S. 257-265; Steffen RAßLOFF: Der 17. Juni 1953 in Thüringen. Ereignisse, Forschungen, Perspektiven, in: ZVTG 58 (2004), S. 187-202.

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5. Der Professor in Jena

und Gegenrevolutionen alles sehr wichtiger Anschauungsunterricht!“692 Eine Analyse des 17. Juni ist von Griewank nicht überliefert. Sein Bruder bezeugte: „und es hat ihn ungeheuer erregt, als er am 17. Juni revolutionäre Ereignisse in Halle, Berlin und Jena studieren konnte als Augenzeuge.“693 Die Universitäten der DDR traten am 17. Juni bekanntlich nicht als Zentren kritischen Geistes oder gar als Kernorte der Unruhen auf.694 Wohl nahmen einzelne Lehrende und viele Studierende an den Protesten teil, jedoch gingen diese eindeutig von den Arbeitern der Betriebe aus und richteten sich auch gegen die Privilegierung der Intelligenz.695 Die Universität Jena wurde so sogar zum Zielobjekt der Proteste: die Arbeiter- und Bauernfakultät galt als ein Symbol des neuen Staates und wurde gestürmt.696

5.6. ZUCKERBROT UND PEITSCHE – ZUSAMMENFASSENDE BEMERKUNGEN ZUR HOCHSCHULPOLITIK DER SED UM 1950 Fast wellenartig schienen die politischen Eingriffe mal stärker und mal schwächer zu werden. Eine Phase großen Drucks, die 1948 mit der Universitätskrise und der Leisegang-Affäre begann und vor allem durch das Rektorat Otto Schwarz aufrechterhalten wurde, gipfelte für Griewank in der Treitschke-Diskussion 1951, deren Verlauf ihm aber auch in gewisser Weise eine Atempause verschaffte. Er hatte sich nicht so ungeschickt verhalten, daß ihm daraus ein Vorwurf erwachsen konnte, jedoch seine Position unmißverständlich formuliert, so daß man Versuche, ihn ideologisch umzustimmen, als aussichtslos ansehen mußte. Zu den wenigen Handlungen des Rektors Schwarz, von denen Griewank profitierte, gehörte Schwarz’ erfolgreiches Bemühen, den Abschluß einer großen Zahl von sogenannten Einzelverträgen an der Universität Jena zu erreichen. Mit diesen versuchte man in dieser Zeit besonders wichtige Wissenschaftler in der DDR zu halten. Als Griewank 1951 ein solcher angeboten wurde, zeigte er sich als Hochschulpolitiker der Fakultät. Er sei „an dem Abschluss eines Einzelvertrages interessiert, wies jedoch darauf hin, dass ausser ihm möglichst noch andere Professoren Berücksichtigung finden müssten.“697 Mit der Wirkung vom 1. Januar 1952 wurde ihm ein Einzelvertrag ausgestellt, der insbesondere die Beschränkung von Reisen nach Westdeutschland

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Zit. nach Ingeborg HORN-STAIGER: Vorwort zur zweiten Auflage, in: GRIEWANK: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, S. 12-15, hier S. 12, Anm. 1. Rundbrief Theodor Griewank, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Vgl. Ilko-Sascha KOWALCZUK: Von der Volkserhebung zum Mauerbau. Reaktionen von Hochschulangehörigen auf die Ereignisse in der DDR in den Jahren 1953, 1956 und 1961, in: APuZ B 3031/2001, S. 22-30, hier S. 23f. Vgl. auch DERS.: Volkserhebung ohne „Geistesarbeiter“? Die Intelligenz in der DDR, in: DERS./Armin MITTLER/Stefan WOLLE (Hg.): Der Tag X – 17. Juni 1953. Die „Innere Staatsgründung“ der DDR als Ergebnis der Krise 1952/54, Berlin 21996, S. 129-169; DERS.: Die Historiker der DDR und der 17. Juni 1953, in: GWU 44 (1993), S. 705-724. DERS.: Die Universitäten und der 17. Juni 1953, in: Horch und Guck 12 (1993), S. 33-42; Anke HUSCHNER: Der 17. Juni 1953 an den Universitäten und Hochschulen der DDR, in: BzG 33 (1991), H. 5, S. 681-692. Vgl. KOWALCZUK: Von der Volkserhebung, S. 23; zu Jena vgl. Heinz VOIGT: Jena. Die ZeissArbeiter proben den Aufstand, in: Ulrich MÄHLERT (Hg.): Der 17. Juni 1953. Ein Aufstand für Einheit, Recht und Freiheit, Bonn 2003, S. 109-131. Vgl. WOYWODT: Lehrkörper der Arbeiter- und Bauernfakultät, S. 53-59. Aktennotiz Gemerski (SfH), 12.10.1951, in: BA Berlin, DR3/1.Schicht/1598, Bl. 244.

5.6. Zuckerbrot und Peitsche

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beenden sollte. Auch die Berufung in den „Wissenschaftlichen Beirat der Fachrichtung Geschichte“ der DDR gehört in diese Phase der relativen Ruhe. Im Jahr 1953 konnte er schließlich mehrfach in den Westen reisen und die Sitzungen der Historischen Kommission in München, den Historikertag in Bremen und einen Vortrag in Würzburg wahrnehmen. Auch nutzte er die Reisen zum Besuch von Freunden und Verwandten. Trotz dieser Erleichterungen hörten die Schwierigkeiten nicht auf, es sei nur an die Exmatrikulationen und Verhaftungen erinnert. Insgesamt blieb die Lage angespannt. Betrachtet man am biographischen Beispiel Griewanks die Hochschulpolitik in der SBZ/DDR, so bestätigt sich die These von „Zuckerbrot und Peitsche“698. Einen von oben gesteuerten, gleichmäßig durchgezogenen Plan zu unterstellen, wäre für die Zeit bis Mitte der 1950er Jahre wohl fehl am Platz. Die Handlungen auf verschiedenen Ebenen der universitären und politischen Bürokratie erscheinen eher inkonsequent und wechselhaft. Besonders augenfällig wird dies, wenn man die über Griewank angefertigten politischen Beurteilungen vergleicht. „Heute ringt er mit den Problemen der Demokratie und der sozialen Bewegung. Für eine konsequente Bejahung der Grundsätze und Aufgaben, wie wir sie vertreten, hat er sich noch nicht entschieden. Doch ist er zur Mitarbeit bereit“699, hieß es im März 1948 im Weimarer Ministerium in einem aus der Sicht der Kommunisten im Grunde zutreffenden Bild. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Griewank – auch nach eigener Einschätzung – auf dem Höhepunkt seiner Produktivität und man schätzte offenbar seine Mitarbeit. Bemerkenswert ist dabei die Formulierung von den Grundsätzen und Aufgaben, „wie wir sie vertreten“, impliziert eine solche Formulierung doch die Möglichkeit, daß auch andere Auffassungen vertreten werden könnten. Dies wird später nivelliert: „Für eine konsequente Bejahung der Grundsätze und Aufgaben hat er sich noch nicht entschieden. Ob er jemals zu einer eindeutigen Haltung in dieser Richtung gelangen wird, muß z.Zt. zweifelhaft erscheinen. Er erklärt sich jedoch zur Mitarbeit bereit. Die Zukunft wird erweisen, ob diese Bereitschaft echten Wollens entspringt oder nur aus Zweckmäßigkeitsgründen gezeigt wird.“700 Im Staatssekretariat für Hochschulwesen saß mit Max Steinmetz ein Historiker und Schüler Gerhard Ritters. Dieser gab ein vernichtendes Urteil über Griewank ab: „Professor Dr. Griewank, offen reaktionäre Haltung. Vertritt nach wie vor die These von ‚Friedrich dem Grossen’ und lehnt die demokratische Entwicklung ab. Dabei äusserst geschickt in der Bewahrung der Spielregeln, gefährlich durch seine guten Beziehungen zu wissenschaftlichen Kreisen als ehemaliger Sekretär der ‚Deutschen Forschungsgemeinschaft’.“701 Kurz vor dem Ende seines Rektorats war sich Otto Schwarz sicher, daß „an der Universität Jena keine Lücke entstehen würde“, wenn Griewank in den Westen ginge.702 Als Schlußfolgerung wurde sogar vorgeschlagen, „dass man Herrn Prof. Dr. Griewank keine Schwierigkeiten machen“ solle, „wenn dies den Tatsachen entspricht“. Daraus ergibt sich die paradoxe Situation, daß Griewank ein Wechsel in den Westen unter dem

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So das Hauptkapitel bei KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 347-556. Beurteilung des Ministeriums für Volksbildung Thüringen (Kürzel Senff), März 1948, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 240. Notiz am oberen Rand „Zur Übersetzung ans Dolmetscherbüro gegeben. Rei, 8.4.48“. Charakteristik über den Dekan der Philosophischen Fakultät Prof. Karl Griewank vom MfV Weimar, 7.11.1949, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 70. Max Steinmetz: Bericht über den Besuch der Universität Jena vom 15. bis 17. Mai 1950, in: BA Berlin, DR2, 1899, Bl. 37-49, hier Bl. 37. Siehe auch unten 5.3.2. Fischer (Personalleiter der FSU Jena) an das SfH, 10.8.1951. in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 73.

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5. Der Professor in Jena

Rektor Schwarz wohl leichter gelungen wäre als in der späteren Zeit, in der ihm größere Achtung entgegengebracht wurde. Und gerade zu dieser Zeit hatte er durch seine Bittbriefe den Weg nach Westen massiv beschritten. Sein Eindruck der zunehmenden Ideologisierung wird durch diese Einschätzung bestätigt. In Berlin hieß es dennoch: „Es ist fraglich, ob es auf Dauer Zweck hat, Prof. Griewank halten zu wollen, da er ideologisch und politisch in keinem wirklich positiven Verhältnis zur DDR steht. Zurzeit besteht jedoch noch Interesse an seinem Verbleiben an der Universität Jena.“703 Inzwischen traten jedoch massive Änderungen innerhalb der SED ein, die man nur als stalinistische Säuberungen einordnen kann. Nicht nur die Verwaltungsdirektorin Hanna Henniger wurde in einem Verfahren entlassen, das an sowjetische Schauprozesse erinnert.704 Auch die Personalleiterin Ilse Hense verlor ihr Amt. Beide waren vor 1945 Mitglieder sozialistischer Splittergruppen gewesen.705 Exekutiert wurden diese Maßnahmen vom Ersten Sekretär der Universitätsparteilung der SED Manfred Wagenhaus, der mit Eifer Abweichler von Stalins Kurs ausfindig zu machen versuchen.706 Als ein Grund für die schlechte Arbeit der Personalabteilung gab er in diesem Zusammenhang eine falsche Beurteilung über Griewank an: „Kürzlich m[u]sste die Personalabt. der Universität eine Beurteilung über den bekannten Prof. Griewank für eine staatl. Behörde anfertigen. Diese Beurteilung wurde unseres Wissens von H[anna Henniger] und I[lse] Hense gemeinsam angefertigt. Diese Beurteilung war sachlich nicht richtig und war dazu angetan[,] dass diese Behörde (Ministerium für Staatssicherheit) falsche, die Partei schädigende Massnahmen hätte einleiten können. Es war dem Personalleiter und auch der H[enniger] nicht bekannt, dass dieser bedeutende Wissenschaftler z.B. Mitglied des Wissenschaftlichen Rates des Museums f. deutsche Geschichte in Berlin ist. Wie sieht dann die Personalarbeit an der Universität aus?“707

Das MfS ist in der Folge dann auch wohl nicht in Erscheinung getreten. Die Beurteilungen über Griewank änderten sich nun zu seinen Gunsten. Es wurde nicht nur gelobt, daß Griewank „ein geschickter und guter Pädagoge [sei], der anregend und vielseitig vorträgt, [… und] bei den Studenten sehr beliebt“ sei, sondern es hieß jetzt unvermittelt: „Seine Einstellung gegenüber der DDR kann man als fortschrittlich bezeichnen.“708 Später konstatierte man dann in Jena zudem „eine grössere Aufgeschlossenheit [Griewanks] gegenüber dem nationalen Befreiungskampf des deutschen Volkes in unserer heutigen Zeit“.709 Auch Griewanks fachliche Leistungen wurden im Laufe der Jahre ausgesprochen widersprüchlich eingeschätzt: 1948 hieß es noch in Weimar: „Prof. Griewank, der fachlich sehr Gutes leistet, hat eine erfolgversprechende Laufbahn als Hochschullehrer vor sich.“710 Steinmetz sah das wenig später ganz anders und meinte zu wissen, daß

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Aktennotiz Gemerski (SfH), 12.10.1951, in: BA Berlin, DR3/1.Schicht/1598, Bl. 244. Siehe oben S. 211, Anm. 275. Henniger war in der KPO, Hense in der SAP aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewesen. UPL an Landesparteikontrollkommission Erfurt, 30.3.1952, in: ThStA Rudolstadt, BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 1971, Bl. 77. Wagenhaus selbst wurde ein Jahr später – nach Stalins Tod – von allen Ämtern entfernt und aus der SED ausgeschlossen. Vgl. PÄTZOLD: Sekretär im Klosterhof, S. 8-12. UPL an Landesparteikontrollkommission Erfurt, 30.3.1952, in: BPA SED Gera, UPL Jena, Nr. 1971, Bl. 78. Beurteilung Neugebauer (Personalamt der FSU), 17.6.1952, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 206. Beurteilung Neugebauer (Personalamt der FSU), 3.2.1953, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 240. Beurteilung des MfV Thüringen (Kürzel Senff), März 1948, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 240.

5.6. Zuckerbrot und Peitsche

285

Griewank „wissenschaftlich unbefriedigend, selbst vom bürgerlichen Standpunkt“711 sei. Ein Jahr später hieß es, er sei „kein bedeutender, aber doch sehr kenntnisreicher und in der bürgerlichen Welt angesehener Fachhistoriker“.712 Und schließlich gab das Personalamt der FSU im Juni 1952 eine Laudatio ab: „Herr Prof. Dr. Griewank wird von den namhaftesten Historikern aller Richtungen ausserordentlich geschätzt.“713 Man könnte vielleicht eine wachsende Wertschätzung erkennen. Insgesamt bleibt jedoch ein derart widersprüchliches Bild zurück, das zur unklaren Linie der Hochschulpolitik, zum Auf und Ab, zu Zuckerbrot und Peitsche paßt.

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Max Steinmetz, 15.-17.5.1950, in: BA Berlin, DR2, 1899, Bl. 37. Aktennotiz Gemerski (SfH), 12.10.1951, in: BA Berlin, DR3/1.Schicht/1598, Bl. 244. Beurteilung Neugebauer (Personalamt der FSU), 17.6.1952, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 206.

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6. DEMOKRATIE UND REVOLUTION – THEMEN DER GRIEWANKSCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG 6.1. NACHKRIEGSREFLEXIONEN ZU DEMOKRATIE UND REVOLUTION Die produktivste Schaffensphase in Griewanks intellektueller Entwicklung stellen die Jahre unmittelbar nach dem Ende des Krieges dar. Für ihn war der sogenannte „Zusammenbruch“, die „deutsche Katastrophe“ (Friedrich Meinecke), eine Befreiung. Er wirkte nicht nur als Wissenschaftler, sondern als ein Multiplikator der politischen Bildung. Gerade aus dieser Vortragstätigkeit entstanden prägnante Aufsätze, auf die im folgenden einzugehen ist. Ganz anders als in der Nazi-Zeit konnte er nun sein politisches Plädoyer präsentieren. Dieses Plädoyer zielte auf ein gemeinsames Verständnis von sozialistischen bzw. sozialdemokratischen und „bürgerlich“-demokratischen Positionen. Im Grunde nahm er die offiziell verkündete antifaschistisch-demokratische Gemeinsamkeit ernst. Dabei besaß die Geschichtswissenschaft für ihn den Zweck der Reflexion über gesellschaftliche Entwicklung und der Analyse des Möglichen. Die Entwicklung der demokratischen Ideen, der sozialen Bewegungen und vor allem der Revolutionen rückten so in seinen Blickwinkel. Er durfte annehmen, daß solche Themen wichtige Diskussionsanstöße bieten könnten, wenn die Rhetorik des „antifaschistischdemokratischen Neuanfangs“ denn ernst zu nehmen sei. Die historische Analyse der bürgerlichen Gesellschaft und politischen Parteien, einschließlich der Arbeiterbewegung bedeutet für ihn ein Anknüpfen an die Weimarer Republik. In der Tat waren die neuen Themen zugleich alte Themen für ihn, der als Student bereits eine Vorlesung zur Geschichte der Arbeiterbewegung gehört und der zur Revolution 1848 promoviert hatte. Das Jahr 1948 mit den Feierlichkeiten zum Zentenarium der Revolution 1848 bezeichnete er einmal als „Höhepunkt meiner Wirksamkeit“,1 das gleichzeitig aber auch einen Wendepunkt markierte zu einer Zeit größerer Spannungen. Griewank mußte feststellen, daß die Themen Demokratie und Revolution gar nicht unbedingt politisch erwünscht waren, sondern daß seine linksliberale Position in einer marxistisch-leninistischstalinistischen Deutung störte. Dennoch blieb er bei der Thematik und konzipierte bis zum Schluß an seinem Buch zum Neuzeitlichen Revolutionsbegriff. 6.1.1. Reflexionen und Recherchen in der „Sicherheit des Schweigens“2 Im Zusammenhang mit der Debatte um das Verhalten der Historiker im Nationalsozialismus wurde der Blick von Forschung und interessierter Öffentlichkeit schnell auf die Nachkriegszeit und die Kontinuitäts- und Generationsfrage gelenkt. Dabei erschien es wie ein erstaunliches Phänomen, daß diejenigen, die sich beruflich mit der Geschichte befaßten, ihre eigene Vergangenheit und die ihrer Universitäten nicht aufgriffen. Verstärkt wird heute gefragt und methodisch-vergleichend diskutiert, inwiefern

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Karl Griewank an Arnold Fratzscher am 3.12.1950, in: PrA Griewank. Dirk VAN LAAK: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Gesellschaftsgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993.

6.1. Nachkriegsreflexionen zu Demokratie und Revolution

287

Historiker ihren eigenen biographisch-intellektuellen Hintergrund darlegen und reflektieren können und sollen,3 weshalb die Autobiographien und Selbstauskünfte der Historiker mit neuem kritischen Blick gesehen werden.4 Thomas Etzemüller spricht von einem „heute bizarr anmutenden Verhalten deutscher Historiker zur ‚Stunde Null’“.5 Dem heutigen Betrachter geht es häufig so wie Walter Jens: „Unter all den grandiosen und schauderlichen, den bewegenden und den Angst erregenden Dokumenten des Tübinger Universitätsarchivs sind die Protokolle aus der Ära nach 1945 die gespenstischsten: Als ob nichts geschehen sei! Kein Stalingrad und kein Auschwitz, keine eugenische Sterilisation und keine wissenschaftliche Nobilitierung des Antisemitismus!“6 Daß nun ausgerechnet Walter Jens selbst sich nicht mehr an seine eigene NSVergangenheit erinnern mag und seinerseits in die Kritik geraten ist, unterstreicht die Vielschichtigkeit des Phänomens.7 Eine Aussage des Kieler Ordinarius Otto Becker ist in diesem Zusammenhang ganz typisch: „Ich empfinde den spezifischen Nationalsozialismus als eine durchaus undeutsche Erscheinung. Das Undeutsche zu verschleiern, war doch wohl das Hauptziel der verlogenen nationalsozialistischen Propaganda.“8 Auf diese Weise wurde die „Entlastung des deutschen Schuldkontos“9 intensiv betrieben. Dies geschah vor allem durch die Kultur der „Persilscheine“, mit denen man sich reinzuwaschen glaubte. Für seinen akademischen Lehrer Willy Andreas stellte auch Karl Griewank politische Unbedenklichkeitsbescheinigungen aus, in denen er dessen menschliche Integrität und seine Gegnerschaft zum ‚eigentlichen’ Nationalsozialismus betonte.10 Die Unterschiede zwischen west- und ostdeutscher Perspektive sind in der heutigen Analyse von besonderem Interesse.11 Im Westen erhärtete sich das Bild einer Restauration des Alten, in der nur selten bisher Zurückgedrängte wie Ludwig Dehio oder Emigranten wie Hans Rothfels integriert wurden.12 Im Osten stand eine durch charismatische Remigranten13 personell veränderte Geschichtswissenschaft für eine andere

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Vgl. zur neueren Ansätzen Pierre NORA: L’ego-histoire est-elle possible?, in: Historein 3 (2001). S. 19-26; Lutz NIETHAMMER: Ego-Historie? und andere Erinnerungsversuche, Wien/Köln/Weimar 2002, insbes. S. 103-109. Vgl. Nicolas BERG: Zwischen individuellem und historiographischem Gedächtnis. Der Nationalsozialismus in Autobiographien deutscher Historiker nach 1945, in: BIOS 13 (2000), S. 181-207. ETZEMÜLLER: Werner Conze, S. 213. Walter JENS: Eine deutsche Universität. 500 Jahre Tübinger Gelehrtenrepublik, München 61993, S. 342f. Vgl. Hubert SPIEGEL: Sprachlos. Germanisten als Hitlers Parteigenossen, in: FAZ Nr. 274 vom 25.11.2003, S. 35; Walter JENS: Ich war lange Jahre angepasst. Walter Jens über seine völkische Jugend, „entartete Literatur“ und die Frage seiner NSDAP-Mitgliedschaft [Interview von Willi WINKLER], in: Süddeutsche Zeitung Nr. 282 vom 8.12.2003, S. 13; Götz ALY: Was wusste Walter Jens? Wahrscheinlich geschah seine Aufnahme in die NSDAP ohne eigene Kenntnis. Rekonstruktion einer akademischen Jugend, in: Die ZEIT Nr. 4 vom 15.01.2004. Otto Becker an Gerhard Ritter, 5.10.1948, in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 39. Im Original mit Hervorhebungen. SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 107. NL Griewank, Karton 1. Die Bescheinigung an seinen Bruder wurde bereits erwähnt, siehe oben S. 85, Anm. 268. Vgl. vor allem Martin SABROW: Gegensätzliche Geschichtsbilder – gegnerische Geschichtsbilder? Die deutsch-deutsche Historikerkonkurrenz als Wahrnehmungsgeschichte, in: Christoph KLEßMANN/Hans MISSELWITZ/Günter WICHERT (Hg.): Deutsche Vergangenheiten. Eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit der deutschen Nachkriegsgeschichte, Berlin 1999, S. 139-160. Vgl. BECKERS: Abkehr von Preußen und ECKEL: Hans Rothfels. Vgl. KEßLER: Exilerfahrung.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Reflexion der Vergangenheit. Der zunächst mit demokratischen Hoffnungen ausgestattete Neuanfang im Osten führte bald bei nichtdogmatischen Denkern zu großen EntTäuschungen (im wahrsten Sinne des Wortes) eines mit Vehemenz und Schrecken sich verbreitenden Stalinismus. Zu Beginn, zur Zeit der Diskussion um die Revision des Geschichtsbildes, stand die Teilung Deutschlands jedoch noch nicht fest. Für die SBZ ist dazu auf die „MisereTheorie“ und Alexander Abuschs „Irrweg einer Nation“ zu verweisen.14 Die Gang der deutschen Geschichte wird dabei als eine Fehlentwicklung beschrieben, die im Nationalsozialismus endete. Von dieser pessimistischen Geschichtsauffassung, die sich „wie eine Art Selbstblockade“15 auswirkte, rückte die marxistisch-leninistische Geschichtspolitik in der SBZ/DDR früh ab.16 Statt dessen wurden die positiven Elemente der deutschen Geschichte betont, wobei dies nicht nur eine Konzentration auf „progressive“ politische Bewegungen, sondern unter dem Eindruck des Stalinschen Patriotismus auch eine Hinwendung zum Nationalen bedeutete.17 Man kann davon ausgehen, daß Karl Griewank die Revisions-Diskussion in Ost und West mit großem Interesse zur Kenntnis genommen hat.18 Schon allein für seine Tätigkeit als Herausgeber des Rezensionsorgans DLZ mußte er einen Überblick über die Neuerscheinungen bewahren, dies belegen seine Notizen und Briefe. Sehr intensiv verfolgte er vor allem die Berichterstattung über den Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß und über Einzelheiten der Nazi-Greuel. Er las mehrere Zeitungen demokratischer, christlicher und sozialdemokratischer Couleur.19 Eine offene Aussprache über den Nationalsozialismus hat er in seinem Umfeld jedoch nicht forciert. Irmgard Höß konnte sich an kein Gespräch über persönliche Erfahrungen dieser Zeit erinnern.20 Die NS-Zeit war kein Thema, über das man sich mit anderen austauschte. In der jüngsten Diskussion wurde aus dem Schweigen der Zeitzeugen auch Fragen an die Nachfolgenden gerichtet, denen nun sogar „Mitleid mit den Doktorvätern“ und Nicht-fragen-wollen unterstellt wird. Claus Leggewie erzählt über die Verschlossenheit der Beteiligten am Beispiel Theodor Schieders.21 Auch Wolfgang Schieder bestätigt dies und erklärt dem verblüfften Leser, daß die Nachfolgegeneration sehr wohl Fragen gestellt, aber keine Antworten erhalten habe.22 Wolfgang

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Alexander ABUSCH: Der Irrweg einer Nation, Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin 1946. Vgl. hierzu WOLFRUM: Geschichte als Waffe, S. 66-69. Alexander FISCHER/Günter HEYDEMANN: Weg und Wandel der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsverständnisses in der SBZ/DDR seit 1945, in: DIESS. (Hg.): Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd.1: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik, Berlin (W) 1988, S. 3-30, hier S. 8. Vgl. Leo STERN: Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung, Berlin (O) 1952. Eine Analyse der Sternschen Position bei Günther HEYDEMANN: Geschichtswissenschaft im geteilten Deutschland. Entwicklungsgeschichte, Organisationsstruktur, Funktionen, Theorie- und Methodenprobleme in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR, Frankfurt (M)/Bern/Cirencester 1980, S. 147-151. KOPP: Wendung zur „nationalen“ Geschichtsbetrachtung. Zu seinen eigenen Ideen siehe unten Kapitel 6.1. Im Nachlaß befinden sich Zeitungsausschnitte der „Täglichen Rundschau“ (Organ der SMA), „Neues Deutschland“ (SED), „Neue Zeit“ (CDU), „Der Morgen“ (LDPD) und „Berliner Tagesspiegel“ (Westberlin) NL Griewank, Karton 29. Mdl. Information, Irmgard Höß, 22.9.1999. Claus LEGGEWIE: Mitleid mit den Doktorvätern oder: Wissenschaftsgeschichte in Biographien, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 53 (1999), S. 433-444. Wolfgang SCHIEDER: Keine Fragen, keine Antworten?, in: SCHULZE/OEXLE: Deutsche Historiker, S. 302-305.

6.1. Nachkriegsreflexionen zu Demokratie und Revolution

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Schieder scheint als Sohn Theodors und ehemaliger Assistent Werner Conzes besonders betroffen zu sein. Er wehrt sich aber gegen den Vorwurf, Forschung behindert zu haben und verweist auf das sehr liberale Klima, das Schieder und Conze in der Bundesrepublik ihren Schülern bereitet hätten. Diese liberale Offenheit sei „wohl als eine Form aktiver Verantwortlichkeit“23 zu sehen. Ähnliches weiß Hans-Ulrich Wehler zu berichten, der auf einen „politisch-reflexiven Lernprozeß“24 Schieders nach 1945 schließt. Dieser zeige sich im Bemühen um theoretisch-methodische Reflexion. Im milden Urteil Wehlers sei dies „ein schmerzhafter, aber doch überzeugender Lernprozeß [gewesen] und [habe] eine Wirkung auf die Geschichtswissenschaft und das historische Bewußtsein“ gehabt, die er „nur positiv nennen“ könne.25 Auch wenn man der Einschätzung als „Lernprozeß“ folgen will, so stellt sich doch die Frage, inwiefern man hier von Schmerzhaftigkeit reden kann – angesichts der problemlosen Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft und der Tatsache, daß sich dieser Lernprozeß – um Dirk van Laaks Begriff noch einmal zu verwenden – „in der Sicherheit des Schweigens“ abspielte.26 Als in der Deutschen Universitätszeitung Erwin Hölzle eine verharmlosende Relativierung der nationalsozialistischen Diktatur veröffentlichte, indem er „das Recht eines freien Mannes, seine Ansichten zu ändern“27 für sich in Anspruch nahm, tauschen sich Karl Griewank und sein Cousin Arnold Fratzscher über diesen Aufsatz aus. Hölzles Zitat bezog sich auf Bismarck und diente dazu, die faschistische Zeit apologetisch mit früheren Zeiten gleichzusetzen: „Irrungen und Wirrungen gab es und gibt es sogar in ruhigeren Zeiten. Wieviel eher dann, wenn der Sturm und die Gewalt einer totalitären Zeit auch die hintersten und innersten Winkel des geistigen Seins durchwehen und zu unterwerfen trachten.“28 Griewank empörte sich darüber, da er Hölzle, ehemaliger Regierungsrat bei der landesgeschichtlichen Abteilung des Landesamtes Stuttgart und Mitarbeiter des NS-Projekts „Forschungsstelle für Nachkriegsgeschichte“, als überzeugten und rücksichtslosen Nationalsozialisten kannte.29 „Ich kenne den Verfasser aber doch zu gut, um nicht einige Fragezeichen und Ergänzungen seinen Worten sogleich hinzusetzen zu müssen. Ich habe deswegen bald darauf die beiliegenden Bemerkungen zu Papier gebracht, die ich Dir übersende, mit der Bitte, die evtl. ohne Nennung meines Namens weiterzuverwenden.“30 Ob Fratzscher sie an die DUZ weiterleitete, ist nicht bekannt. Zu einer Veröffentlichung kam es jedenfalls nicht. Griewanks Ausführungen waren grundsätzlicher Natur: „Wer den totalitären Staat des Nationalsozialismus aktiv mitgetragen hat, vertrat nicht nur seine Meinung, sondern stellte sich hinter ein System und eine Weltanschauung, die alles Andersartige rücksichtslos zu vernichten gewillt waren [...]. Und wer die schauerlichen Konsequenzen nicht sah

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WEHLER: Nationalsozialismus und Historiker, S. 306-339, hier S. 305. Ebd., S. 333. Ebd., S. 333, 336. Auch Lothar Gall betont „die grundlegende Neuorientierung“ und „Abkehr und Neuanfang“ bei Schieder. Vgl. Lothar GALL: Elitenkontinuität in Wirtschaft und Wissenschaft. Hindernis oder Bedinung für den Neuanfang nach 1945? Hermann Josef Abs und Theodor Schieder, in: HZ 279 (2004), S. 659-676, hier insbesondere S. 672f. Dirk VAN LAAK: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Gesellschaftsgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993. Vgl. Gustav SEIBT: Kritisches Goldrähmchen. Hans-Ulrich Wehlers erstaunlich sanfte Worte über Theodor Schieders Karriere im Dritten Reich, in: Berliner Zeitung, 12.12.1998. Erwin HÖLZLE: Das Recht seine Meinung zu ändern, in: DUZ 5 (1950), H. 19, S. 3f. Ebd., S. 4. Vgl. HEIBER: Walter Frank, S. 157, 161. Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 3.12.1950, in: PrA Griewank.

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6. Demokratie und Revolution – Themen oder sehen wollte, beging zumindest eine Gedankenlosigkeit, die nicht einfach als „freie Meinung“ abgetan werden kann, eine politische Gedankenlosigkeit, die das böse Komplement zu dem im deutschen Volk so tief verwurzelten Doktrinarismus und doktrinärem Machtglauben ist. Nicht blosse Meinungsänderung kann hier helfen, sondern Reifung des politischen Urteils, Einsicht und Belehrung über die Notwendigkeiten eines unse[rer] geistigen Entwicklung entsprechenden politischen Handelns müssen die politische Verblendung und Urteilslosigkeit überwinden. Nur unter solchen Voraussetzungen wird unsrem Volke klar zu machen sein, dass politische Parteien nicht Ordensgemeinschaften sein sollen, dass Starrsinn nicht gleich Treue und Belehrbarkeit nicht einfach Verrat ist“.31

Diese Aussagen Griewanks bedeuteten immerhin eine Stellungnahme zum Lernprozeß der Historiker nach 1945, auch wenn sie recht allgemein blieben und die Vokabel der „Gedankenlosigkeit“ zu schwach erscheinen mag. Der Text blieb allerdings anonym und ungedruckt. Wohl weil er in seinen Bemerkungen deutlich von „durch Massenparteien herrschenden totalitären Diktaturen“ sprach und davon, daß die freie Meinungsäußerung „in einem weiten Teile der Welt nicht bestehen“ würde, wollte Griewank seinen Namen nicht genannt wissen. Damit blieb auch er „in der Sicherheit des Schweigens“32 (Dirk van Laak). Es wird im Zusammenhang seiner wissenschaftlichen Arbeiten zur Problematik von Demokratie und Revolution darauf einzugehen sein, wie er zur hier propagierten „Reifung des politischen Urteils“ beizutragen versuchte. 6.1.2. Menschenrechte und Demokratie – Anknüpfen an die Weimarer Republik und demokratische Neuorientierung „Durch die Katastrophe, in die es sich hat führen lassen, ist das deutsche Volk heute aufgefordert, sich um ein ernstes und gemeinsames Verständnis der Menschenrechte, ihres überzeitlichen Sinnes ebenso wie ihrer konkreten Anwendbarkeit zu bemühen. Es ist auf einen Stand der sozialen Gleichheit, der Machtlosigkeit und Armut gelangt, von dem aus Recht und Würde der Persönlichkeit ebenso wie die Forderung der sozialen Gemeinschaft neu gesehen werden müssen. Grundrechte der Deutschen werden in jeder deutschen Verfassung stehen, die diesen Namen verdient; doch sie werden ihre Ergänzung finden müssen in den gemeinsamen Ordnungen des deutschen Volkes. Aber auch umgekehrt: Volksordnung und Demokratie werden, um dauerhaft bei uns begründet zu werden, immer eine Lösung des Problems der Persönlichkeit und ihres Menschenrechtes voraussetzen, die den geistigen Möglichkeiten und der sozialen Wirklichkeit Deutschlands entspricht.“33

Diese Überlegungen des Jenaer Ordinarius Griewank gehören zum Revisions- und Reflexionsgenre der Nachkriegszeit und sie sind in diesem Rahmen bemerkenswert. Sie erschienen als Aufsatz im „Forum“, der Hochschulzeitung der SBZ, die mit einem Geleitwort von Johannes Stroux eröffnete und vom Zentralrat der FDJ herausgegeben wurde.34 Der Aufsatz war ein Plädoyer für die freiheitliche Demokratie und die Bedeutung der Menschenrechte in ihrer universellen, neuzeitlichen Geltung. Dabei stellte die Erklärung der Menschenrechte vom 26. August 1789 für Griewank den

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„Zum Einleitungsaufsatz in Nr. 19 der Deutschen Universitätszeitung, 5. Jahrg.“, in der Anlage zu ebd. Zu Hölzles Rechtfertigungsversuchen, die in der „Zunft“ nicht akzeptiert wurden, vgl. auch ETZEMÜLLER: Werner Conze, S. 219-222. Zu Hölzle siehe auch oben S. 137, Anm. 347. VAN LAAK, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Karl GRIEWANK: Aus der Entwicklung der Menschenrechte, in: Forum 2 (1948), S. 37-39 [= H. 2, S. 3-5], hier S. 39. Vgl. Ulrike SCHUSTER: Wissen ist Macht. FDJ, Studenten und die Zeitschrift FORUM in der SBZ/DDR. Eine Dokumentation, Berlin 1997.

6.1. Nachkriegsreflexionen zu Demokratie und Revolution

291

Ausgangs- und Bezugspunkt dar.35 Diese Erklärung habe „eine Vorgeschichte, die tief in der geistigen und sozialen Entwicklung Europas begründet ist.“36 Er ordnete die Gedanken ein in theoretische Überlegungen der Antike, den Schöpfungsgedanken des Mittelalters und juristische Diskurse der Frühen Neuzeit. Der Aufsatz präsentierte eine auf die Menschenrechtsproblematik konzentrierte und argumentativ dichte Kurzfassung seiner im WS 1946/47 in Berlin und im SoSe 1947 gehaltenen Vorlesung zur Geschichte der „Demokratischen Ideen und Bewegungen bis zur Französischen Revolution“37. Die Französische Revolution mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wurde in Lehrveranstaltung und Aufsatz als ein „Triumph des demokratischen Gedankens in Europa“38 dargestellt. In der Vorlesung und einer bereits im März 1946 geplanten Edition zur Demokratiethematik39, von der er sich erhoffte, daß sie „in der heutigen Lage Beachtung verdienen und geistig richtunggebend“ sein könne, stellte er „die weltanschauliche Fundamentierung der Demokratie als einer zu menschlichen Zielen gerichteten Gemeinschaftsbewegung“ dar.40 Es ging ihm nicht um die formale rechtliche Entwicklung, sondern um „das Grundsätzliche des demokratischen Gedankens“, die Humanität, zu der die Menschenrechte unabdingbar gehörten. Es lohnt sich, die Position Griewanks etwa mit der Gerhard Ritters zu vergleichen, der laut Geoffrey Barraclough zur selben Zeit die Idee der Menschenrechte „als historische Quelle des modernen ‚Totalitarismus’ nachzuweisen“41 versuchte. Ritters britischer Kritiker bezog sich dabei auf einen Aufsatz zu „Ursprung und Wesen der Menschenrechte“, der explizit ein Negativbild von der Französischen Revolution zeichnete.42 Das französische Modell der Menschen- und Bürgerrechte sei eine „künstlich gleichmachende, völlig geschichtsfremde“ Erscheinung, die die Basis für „den demokratischen Cäsarismus“ liefere.43 Daß Ritter „in diesem Zusammenhang auf Ideen zurück[griff], die er verschiedentlich schon vor 1945 formuliert hatte“44, wie Christoph Cornelißen belegen kann, überrascht kaum. Die Grundvorstellung, wonach der Nationalsozialismus in seinem Massencharakter letztlich eine Folgeerscheinung der Französischen Revolution sei, bestätigte Barracloughs kritisches Urteil und belegte Ritters Ablehnung der „Ideen von 1789“.45

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Griewanks Zusammenfassung für den Leser: „Alle Menschen sind von Geburt frei und gleich an Rechten, genießen Freiheit und Sicherheit der Person, des Eigentums, der Meinungen; sie haben das Recht zum Widerstand gegen Unterdrückung; sie unterwerfen sich dem Gesetze, wenn sie ihm selbst oder durch ihre Vertreter zugestimmt haben; ohne ausdrückliche gesetzliche Übertragung durch das Volk darf niemand eine Autorität haben.“ GRIEWANK: Entwicklung der Menschenrechte, S. 37. Ebd. Siehe Verzeichnis der Lehrveranstaltungen im Anhang dieser Arbeit. Griewanks Vorlesungsmanuskript mit weiteren Materialien, in: NL Griewank, Karton 9, Mappe „Entstehung der demokratischen Idee“. Das Vorlesungsprogramm wurde von Walter Schmidt ediert. Vgl. SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 583-585. Zit. nach ebd., S. 584. Exposé „Dokumentenpublikation zur Geschichte des demokratischen Gedanken“, März 1946, in: NL Griewank, Karton 9, Mappe „Vorlesung Entstehung der demokratischen Idee“. Ebd. CORNELIßEN: Ritter, S. 465. Gerhard RITTER: Ursprung und Wesen der Menschenrechte, in: HZ 169 (1949), S. 231-263. Der Aufsatz wird von CORNELIßEN: Ritter, S. 465-468, umfassend kontextualisiert und analysiert. RITTER: Ursprung und Wesen der Menschenrechte, S. 254. CORNELIßEN: Ritter, S. 465. Vgl. das Kapitel „Die Französische Revolution – ein ‚Prüfstein der Geister’“ bei Steffen KAUDELKA: Rezeption im Zeitalter der Konfrontation. Französische Geschichtswissenschaft und Geschichte in Deutschland 1920-1940, Göttingen 2003, S. 260-282.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Griewank hingegen betonte sowohl die Wurzel dieser Ideen vor 1789 als auch deren Vorbildfunktion bis zur Gegenwart. Dabei skizzierte er eine Entwicklung, in der Freiheit und Gleichheit in unterschiedlicher Gewichtung stehen. Die Englische Revolution des 17. Jahrhunderts habe „die Unantastbarkeit des Eigentums als Menschenrecht“ – mithin „Freiheit, Leben und Eigentum“ – betont.46 Die allgemeinen Prinzipien (Leben, Freiheit, Streben nach Glück) der Amerikanischen Revolution und der Unabhängigkeitserklärung stellte er heraus, aber unterstrich wieder die Frage der Gleichheit. Es habe in den USA „noch Ungleichheiten genug zwischen arm und reich, Mann und Frau, freien Bürgern und unfreien Plantagearbeitern“ gegeben, und auch die französische Menschenrechtserklärung von 1789 habe zunächst „noch mehr liberale als demokratische Funktion“ gehabt.47 Griewank wollte auf die im Eingangszitat gestellte Frage der sozialen Gleichheit und ihrer Wechselwirkung zu den Menschenrechten hinaus. Sein Plädoyer zielte auf die Vereinbarkeit von Freiheit und Gleichheit und die Notwendigkeit, innerhalb einer Demokratie, eine solche zu erreichen. Deshalb ordnete er auch die Arbeiterbewegung als eine auf die Menschenrechtserklärung von 1789 aufbauende Bewegung ein: „Unter der Parole des Menschenrechtes begann der Kampf des klassenbewußten Proletariats um eine neue Gesellschaft, und gerade vom Menschenrecht der Arbeitenden aus konnte nun durch den Sozialismus die Berechtigung des Privateigentums an den großen Produktionsmitteln wirksam in Zweifel gezogen werden.“48 Der Brückenschlag zwischen bürgerlicher Freiheits- und sozialistischer Gleichheitsidee, der eine Berechtigung der Einschränkung von Eigentumsrechten mitbeinhaltete, aber keine Abschaffung des Eigentums forderte, war der Kern des Demokratieverständnisses Karl Griewanks. Er entsprach einer sozialstaatlichdemokratischen Ordnung. Griewanks Plädoyer für ein gemeinsames Verständnis von sozialistischen (vielmehr sozialdemokratischen) und „bürgerlich“-demokratischen Ideen setzte für ihn eine historische Analyse der bürgerlichen Gesellschaft und politischen Parteien, einschließlich der Arbeiterbewegung voraus. Eine Reflexion über die bürgerliche Gesellschaft stellte er in einem Urania-Aufsatz von 1947 über die „Entstehung des modernen Klassenbegriffs“ an. Er skizzierte das frühe 19. Jahrhundert als eine Zeit, in der „die Auflösung der alten, standesgebundenen, feudalen Gesellschaft durch den ehemaligen dritten Stand etwas geschichtlich Neuartiges darstellte. Eine Klasse der Gesellschaft wandelte diese zur einheitlichen bürgerlichen Gesellschaft (société civile) um, indem sie derartig beherrschend wurde, daß man sagen konnte, sie sei das Land selbst.“49 Griewank beschreibt im folgenden den Prozeß, der von der modernen Sozialgeschichte als Entstehung der Klassengesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet wird. Der Begriff „Klasse“, um dessen Geschichte es Griewank hier geht, wird als eine ökonomisch-sozialgeschichtliche Kategorie vorgestellt und die Marxsche Lesart, die nicht zu verallgemeinern ist. „Die deutsche Geschichtsschreibung“, so Griewank kritisch, „meinte durch einen großen Teil des 19. Jahrhunderts noch, daß im guten Staat die bürgerliche Gesellschaft ohne eigentliche Klassenprobleme gedeihen könne. Doch ließ sich diese harmonisierende Auffassung auch hier nicht dauernd

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GRIEWANK: Entwicklung der Menschenrechte, S. 38. Ebd. Ebd., S. 39. Karl GRIEWANK: Die Entstehung des modernen Klassenbegriffs, in: Urania. Monatsschrift über Natur und Gesellschaft 10 (1947), S. 121-124, hier S. 122. Im Original zum Teil als Quellenzitat von F.P.G. Guizot.

6.1. Nachkriegsreflexionen zu Demokratie und Revolution

293

aufrechterhalten.“50 Griewank plädierte damit für die systematische Gesellschaftsanalyse. In einem Lebenslauf gab er zu dieser Zeit an, er wolle sich sozialgeschichtlichen Studien widmen.51 Die vom ihm anerkannte Bedeutung soziologischer Kategorien schlug sich jedoch nicht in weiterführenden eigenen Studien Griewanks nieder, lediglich in Rezensionen mahnte er an, wenn „der soziologische Hintergrund“52 zu kurz kam oder sich das rezensierte Buch „in den Grenzen einer – trotz aller Generalurteile – individualistisch-politischen Geschichtsschreibung“53 blieb. Die spezielle Problematik von „Kirche und Arbeiterschaft“54 bot Griewank Gelegenheit, eine grundsätzliche Kritik der protestantischen Kirche des 19. Jahrhunderts zu formulieren. Die Kirche habe wegen der starken Bindung an konservativmonarchistische Kreise die sozialen Probleme nicht erkannt. Dadurch habe „die Emanzipation des Arbeiters“, so Griewank, „als einer Klasse selbstbewußter, zu freiem Handeln befähigter Menschen, die das politische Gemeinwesen und alle Dinge des gemeinsamen und öffentlichen Lebens mitbestimmen, sich weitgehend gegen den monarchistischen Staat und vor allem gegen die evangelische Kirche“ vollzogen.55 Hierin sieht er einen Grund dafür, daß nach 1918 ein freieres Verhältnis von Kirche und Arbeiterschaft nicht entstand. Auch dieser Aufsatz endete mit einem politischen Appell. „Seit 1945 erscheinen nun Christentum und Demokratie, die sich vorher nie recht haben finden wollen, aufeinander angewiesen im Aufbau eines neuen Lebens“.56 Die Kirche solle dabei eine Zufluchtstätte nicht nur für Bürgerliche, sondern für jeden sein, so Griewanks Plädoyer. Am deutlichsten wurde die Anknüpfung Griewanks an die Weimarer Republik in dem Vortrag „Dr. Wirth und die Krisen der Weimarer Republik“, den er am 5. März 1952 als Veranstaltung des „Friedenskomitees“57 in der Aula der Universität hielt.58 Er wurde unverzüglich in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der FSU gedruckt.59 Hier betrieb Griewank Zeitgeschichte, die Geschichte des Mitlebenden. Er thematisierte dies zu Beginn, in dem er auf die Schwierigkeiten eines abgewogenen Urteils rekurriert.

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Ebd., S. 124. Lebenslauf vom 11.2.1945 [recte: 1946], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, BL. 81. Karl GRIEWANK: Rez. Fritz Valjavec: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815. München 1951, in: DLZ 73 (1952), Sp. 235-239, hier S. 238. DERS.: Rez. Wilhelm Mommsen: Größe und Versagen des deutschen Bürgertums. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1848-1849, Stuttgart 1949, in: DLZ 71 (1950), Sp. 375-378, hier Sp. 376. DERS.: Kirche und Arbeiterschaft. Ein Vortrag in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, in: DUZ 10 (1955), H. 15/16, S. 6-10. Eine Analyse dieses Aufsatzes auch bei Walter SCHMIDT: Sozialismus und Arbeiterbewegung im Demokratieverständnis des Historikers Karl Griewank, in: Stefan JORDAN/Peter Thomas WALTHER (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft. Aspekte einer problematischen Beziehung. Festschrift für Wolfgang KÜTTLER zum 65. Geburtstag, Waltrop 2002, S. 95-116, hier S. 108-110. GRIEWANK: Kirche und Arbeiterschaft, S. 9. Ebd., S. 10. Zum Friedenskomitee, der von 1949 bis 1990 existenten, staatlich organisierten offiziellen Friedensbewegung der DDR, vgl. HERBST/RANKE/WINKLER: So funktionierte die DDR, Bd. 1, S. 321f. Vgl. Ankündigung an „Sondervorlesung“, 22.2.1952, in: UAJ, BB 19, Bl. 49. Griewanks Assistent Gebhard Falk sprach von einem „ganz großartigen Vortrag“ und kommentierte dann ironisch: „und nicht weniger meisterhaft waren die Schlußworte des Vorsitzenden, der die Rosinen aus dem Kuchen klaubte und mit dialektischer Soße servierte.“ Gebhard Falk an seine Mutter, 9.3..1952, in: PrA Falk. Karl GRIEWANK: Dr. Wirth und die Krisen der Weimarer Republik, in: WZJ, GSR 1 (1951/52), H. 2, S. 1-10.

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Auch habe er „von einer persönlichen Verbindung mit Dr. Wirth bewußt Abstand genommen, unter Verzicht auf die dadurch möglichen Erkenntnisquellen, um auch den Schatten einer apologetischen Einstellung zu vermeiden.“60 Allerdings hatte er durchaus Zeitzeugen befragt.61 Die Abwehr des Apologievorwurfs war vielmehr Teil einer geschickt inszenierten Distanz, die seine Parteinahme für Wirth am Ende der Ausführungen glaubwürdiger machen sollten. So betonte Griewank zunächst, daß er (als Norddeutscher) einen Süddeutschen vorstelle und (als Protestant) einen Katholiken. Vortrag und Aufsatz über Joseph Wirth dienten Griewank dazu, eine problembezogene Geschichte der Weimarer Republik vorzustellen. Dabei fiel die Wahl des biographischen Beispiels auf einen überzeugten Demokraten und Vertreter des linken Flügels der Zentrumspartei.62 Das Beispiel war geschickt gewählt. Zum einen konnte Griewank eine Analyse der „bürgerlichen“ Demokratie vorstellen. Zum andern setzte sich Joseph Wirth selbst nach 1945, obwohl prinzipieller Gegner des Kommunismus, mit spektakulären Auftritten in der DDR für eine Verständigung mit der Sowjetunion ein, für die er ja mit dem Vertrag von Rapallo schon in der Weimarer Zeit stand.63 Vor diesem Hintergrund war Wirths Biographie geeignet, um als „bürgerlicher“ Professor in der DDR für die Weimarer Republik, für die Verständigung der Weimarer Koalition und damit die Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und bürgerlicher Mitte zu werben. Ziel war es, zu sensibilisieren für eine differenzierte Betrachtung des nichtsozialistischen Parteienspektrums. Insgesamt ordnete Griewank Wirths Position konsequent in die Demokratiethematik ein. Wirth habe die Republik ehrlich begrüßt, er wäre, Griewank zufolge „vielleicht nach 1918 Sozialdemokrat geworden. Der demokratische Volksstaat, der durch gesetzlichen Schutz der Arbeitskraft sozialer Volksstaat würde, war sein Ziel.“64 Griewank nannte Wirths berühmten Ausspruch: „Der Feind steht rechts“, mit dem er nach der Ermordung Rathenaus im Reichstag Position bezog.65 Programmatisch zitierte Griewank jedoch auch den vorhergehenden Passus der Rede Wirths: „In jeder Stunde Demokratie! Aber nicht Demokratie, die auf den Tisch schlägt und sagt: Wir sind an der Macht – nein, sondern Demokratie, die geduldig in jeder Lage für das eigene unglückliche Vaterland eine Förderung der Freiheit sucht!“66 Die Freiheitsrechte der Demokratie und ihre Bedrohung durch die rechtsradikale Bewegung stellten den ausführlich beschriebenen Kontext in Griewanks Ausführungen. In Bezug auf den Rapallo-Vertrag nahm Griewank dieselbe Position ein wie später die westdeutsche Forschung der 1950er und 1960er Jahre, in dem er deutlich machte, daß „von deutscher Seite durchaus nicht als das beabsichtigt [gewesen sei], als was er vielfach aufgefaßt wurde: als eine politische Option gegen den Westen und für den Osten“.67 Griewank charakterisierte den Rapallo-Vertrag recht positiv als „Gegentrumpf

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Ebd., S. 1. Ebd., S. 10, Anm. 5. Vgl. zu Wirth die neueren Biographien: Heinrich KÜPPERS: Joseph Wirth. Parlamentarier, Minister und Kanzler der Weimarer Republik, Stuttgart 1997; Ulrike HÖRSTER-PHILIPPS: Joseph Wirth 18791956. Eine politische Biographie, Paderborn [u.a.] 1998. Vgl. abwertend KÜPPERS: Wirth, S. 315-328; ausgewogener HÖRSTER-PHILIPPS: Wirth, S. 854-859; Georg HERBSTRITT: Ein Weg der Verständigung? Die umstrittene Deutschland- und Ostpolitik des Reichskanzlers a. D. Dr. Joseph Wirth in der Zeit des Kalten Krieges (1945/51-1955), Frankfurt (M) 1993. Siehe auch unten S. 296 mit Anm. 77. GRIEWANK: Dr. Wirth, S. 2. Ebd., S. 7; vgl. ausführlich WINKLER: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 426. Joseph Wirth, zit. nach GRIEWANK: Dr. Wirth, S. 7. Ebd., S. 6. Die bundesdeutsche Forschung der fünfziger und sechziger Jahre stand unter dem Motto „Widerlegung der Rapallo-Legende“. Hermann Graml fachte 1970 die Diskussion erneut an, indem

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gegen die Ausschließungspolitik der Alliierten“, mit dem jedoch letztlich kein Erfolg erzielt wurde.68 Ohnehin kommen die deutschen Bemühungen durch die eingenommene biographische Perspektive positiv zur Geltung, während es die „politischen Führer der Ententemächte“ Griewank zufolge „damals nicht [begriffen], daß die frische Pflanze der Demokratie gepflegt und begünstigt werden mußte, um zu gedeihen; sie haben ihr die Arbeit äußerst schwer gemacht.“69 Als Griewank dann die Gefahr eines möglichen Bürgerblocks 1924 skizzierte und als „Regierung des Besitzes“ kritisierte, knüpfte er direkt an seine eigenen Aussagen als Berliner Lokalredakteur an. Er zitiert Wirth: „Der Begriff Bürgerblock paßt nicht in mein politisches Wörterbuch“.70 Für die nun folgende Zeit nach der aktiven Tätigkeit Wirths als Reichskanzler konstatierte Griewank vor allem das Fehlen einer politischen Kultur. So betonte er etwa, daß beim letzten Kabinett der großen Koalition unter Müller „die ehemalige Gesinnungsgemeinschaft aus den Tagen der Begründung der Republik“71 nicht mehr zu erkennen gewesen sei. In diesem Sinne deutete er den „30. Januar 1933, an dem die braune Flut hereingelassen wurde“, wie er die Machtübertragung an Adolf Hitler umschrieb, als „im einzelnen wohl nicht unvermeidbar, aber doch im ganzen mit innerer Logik“ und zog insgesamt für die Republik und die Person Wirths eine tragische Bilanz: „Seine Art von Demokratie, die Demokratie eines persönlich anspruchslosen bürgerlichen, um nicht zu sagen: kleinbürgerlichen Herzensrepublikaners wurde wenig verstanden in einer Welt, die überall nach greifbarem Effekt und Profit, auch in parteipolitischer Beziehung, jagte, wo die Parteitaktik die politische Gesamtkonzeption zurückdrängte.“72

Bemerkenswert ist, daß Griewank zwar die Gefahr von rechts sehr deutlich betonte, die Rolle der Kommunisten aber nicht ausklammerte. Ein Fehler sei es gewesen, daß die „anwachsende Kommunistische Partei nicht rechtzeitig die veränderte Lage“ erkannt und deshalb „die Bekämpfung der bürgerlich-autoritären Regierung und der Sozialdemokratie einer gemeinsamen Front gegen den hochkommenden Faschismus“ vorgezogen habe.73 Dabei konnte sich Griewank geschickt auf eine Selbstkritik Wilhelm Piecks aus dem Jahr 1935 berufen.74 Eine republikanische Politik sei auch durch dieses Verhalten unmöglich geworden. Zum Schluß erlaubte sich Griewank noch einige kontrafaktische Überlegungen zur Räterepublik und der verstärkten Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Beides sei, da „jene Zeit [nicht] aus der Perspektive späterer Jahre betrachtet werden“ dürfe, nicht denkbar gewesen. Die Räterepublik sei „eine Entscheidung aus einer bestimmten Überzeugung, die von vornherein nur von einem kleinen Teile des deutschen Volkes geteilt wurde“; sie sei damit für Politiker wie Wirth undenkbar. Für diesen „waren Bolschewisten und ihre deutschen Freunde noch politische Träumer und Kinder“.75 Griewank plädierte hier für Verständnis und verwies darauf, daß die Sowjetunion noch jung und unter den Folgen des Bürgerkrieges leidend gewesen sei.

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er der deutschen Position einen aggressiven expansionistischen Charakter zuwies. Neuere Ansätze relativieren die strategische Bedeutung von Rapallo. Vgl. KOLB: Weimarer Republik, S. 219-223. GRIEWANK: Dr. Wirth, S. 6. Ebd., S. 3. Ebd., S. 8. Ebd., S. 8. Ebd., S. 9, 8. Ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 10, Anm. 27. Ebd., S. 9.

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Griewank wich also den Kernfragen der Weimarer Republik, die sich speziell unter den Bedingungen der frühen DDR-Zeit stellten, nicht aus. Die anfangs des antifaschistisch-demokratischen Gedankenn verpflichtete publizistische Tätigkeit blieb so dem Appell der Verständigung, der Anknüpfung an die Weimarer Republik treu. Wirths Position, so wie sie Griewank verstand, ist in vielerlei Hinsicht seine eigene, die einer sozialen und ‚herzensrepublikanischen’ Demokratie. Mit seinem Bild von Joseph Wirth konnte sich Griewank im Westen wenig Freunde machen, falls dort überhaupt die Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Jena gelesen wurde.76 Wirth hatte sich, nachdem seine Kandidatur für die CDU bei der Bundestagstagswahl 1949 am Widerstand Adenauers gescheitert war, sich Anfang der 1950er Jahre in Opposition zur Bundesregierung begeben und war Anfang 1952, also unmittelbar vor Griewanks Vortrag, durch aufsehnerregende Auftritte in Ostberlin aufgefallen, in denen er für Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Zukunft Deutschlands eintrat. Heinrich Küppers hat diese Haltung durch Geltungssucht und politische Blindheit erklärt.77 Dagegen und gegen die Auffassung, daß der ehemalige Reichskanzler „in der Hand der Kommunisten“ gewesen sei, hat jetzt Ulrike HörsterPhilipps in ihrer Habilitationsschrift überzeugend Wirths Haltung aus seiner demokratischen und patriotischen Grundeinstellung hergeleitet.78 Sein Motiv, auf der Grundlage des demokratischen Denkens der Weimarer Republik nach Wegen zur deutschen Einheit zu suchen, ähnelt in vielem Griewanks historiographischen Motiven bei dem Vortrag. Auch wenn der Wille zur deutschen Einheit letztlich ein vergeblicher Patriotismus war, ist er zunächst einmal ein ernst zu nehmendes Motiv. 6.1.3. Die Französische Revolution als Anregung und Belehrung79 Karl Griewank hat aus den bereits skizzierten Gedanken zur Bedeutung der Menschenrechte eine kleine Monographie zur Französischen Revolution herausgebracht, die 1948 kurz vor der Währungsreform in einem kleinen Verlag im französischen Sektor Berlins herauskam. Sie wurde als „Versuch einer kurzen und gemeinverständlichen Gesamtdarstellung“ angekündigt, die „auf Grund verlegerischer Anregung gefaßt [worden sei], weil es an einer derartigen deutschen Darstellung, welche die Ergebnisse der neueren französischen Revolutionsgeschichtsforschung voll berücksichtigt, noch fehlt“.80 Die Bedeutung des schmalen Buches, in dem er auf rund hundert Seiten den gesamten Revolutionsprozeß abhandelte, könnte leicht unterschätzt werden. Es ist in Essayform geschrieben, dabei ohne Anmerkungsapparat, aber mit einem knapp kommentierten Literaturverzeichnis ausgestattet. Zudem wurde das Büchlein mit seinem kompilatorischen Charakter nicht durch weitere Forschungen Griewanks angereichert.

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So war z.B. Gerhard Ritter schon in der Weimarer Zeit ein Gegner Wirths gewesen, während der damalige Außenseiter Franz Schnabel mit Wirth zusammenarbeitete. Vgl. CORNELIßEN: Ritter, S. 210, 221-223. KÜPPERS: Wirth, S. 323-325. HÖRSTER-PHILIPPS: Wirth, S. 854-859. Vgl. auch die ausführliche Kritik an Küppers’ Ansatz in ebd., S. 28-32. Alle in diesem Abschnitt in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf Karl GRIEWANK: Die Französische Revolution 1789-1799, Köln/Wien 81984. Sofern sich eine Aussage auf andere Auflagen bezieht, wird eine Fußnote gesetzt. Die in der Überschrift gebrauchte Formulierung bezieht sich auf eine Textstelle, in der Griewank „mannigfache Anregungen und Belehrungen“ (114) der Französischen Revolution erwähnt. Karl GRIEWANK: Die Französische Revolution 1789-1799, Berlin 1948, S. 111.

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Auf dem begrenzten Raum blieb dem Autor wenig Platz für theoretische oder prinzipielle Erwägungen. Es handelt sich vor allem um einen kurzen Überblick und ein in der Prägnanz gelungenes Buch, in dem Griewanks Fähigkeit, verwickelte Zusammenhänge (im wahrsten Sinne des Wortes) zu ent-wickeln durch seine präzise, aber auch ästhetisch anspruchsvolle Sprache hervortraten. Dabei ist es zugleich auch ein durchaus politisches Buch, da die Französische Revolution ein Thema ist, das von Beginn an als Musterbeispiel der Standortgebundenheit historischer Forschung galt und dieses Thema nicht unpolitisch-neutral abzuhandeln ist: An der Französischen Revolution schieden sich stets die Geister. Obwohl er in der ersten Auflage rankeanisch betonte, nur ein Kompendium vorzulegen, mit dem er „einen möglichst unvoreingenommenen Standpunkt“81 einnehmen wolle, so bezog Griewank mit diesem Buch Stellung, indem er im Jahr 1948 bei den Bemühungen um einen gesellschaftlichen Neuaufbau Deutschlands an die Französische Revolution erinnerte. Er legte einen Schwerpunkt auf die Nachwirkungen der Revolution für die politische Kultur, die Art, wie „der heiße revolutionäre Atem des damaligen französischen Geschehens immer erneut auf die kommenden Generationen gewirkt“ (114) habe, und betonte die „klassische[n] und vorbildhafte[n] Verkörperungen“ (114) der Französischen Revolution: „Jede Bewegung, die auf eine planmäßige Umwandlung von Staat und Gesellschaft zielt, wird aus der französischen Revolution mannigfache Anregungen und Belehrungen ziehen können. Denn was man ihr auch immer an Fehlern und Verkehrtheiten nachweisen mag: Es ging in ihr, neben allem Zeitbedingten, um prinzipielle Auseinandersetzungen, die nicht nur für den bürgerlichen Klassenstaat, sondern für jedes neuzeitliche Gemeinwesen ihre Bedeutung haben. Es ging darum, eine Gemeinschafts- und Gesellschaftsordnung nicht unbesehen aus der Vergangenheit zu übernehmen, sondern bewußt und planmäßig zu erneuern und zu schaffen und sie dabei wahrhaft, d.h. der jeweils bestehenden sozialen Wirklichkeit und Möglichkeit gemäß, auf Freiheit und Gleichheit zu begründen“ (114).

Diese programmatischen Worte, denen ein Bekenntnis „ethischer Triebkräfte und Zielsetzungen“ folgt, gehören zu den Schlußbemerkungen des Buches. Die Andeutung über die „Bewegung, die auf eine planmäßige Umwandlung von Staat und Gesellschaft zielt“ machte auch für Leser in der SBZ deutlich, daß in der Geschichtswissenschaft sowohl bürgerlich-demokratische als auch marxistisch-leninistische Neuerungsvorstellungen zum Aufbau von Staat und Gesellschaft diskutiert wurden. In diesem Sinne ist es ein Plädoyer für die Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft und der bürgerlichen Revolution. Griewank rezipierte dabei die französische Forschung82, vor allem die seit den 1920er Jahren in Frankreich stark vertretene undogmatisch sozialistische Richtung, also Jean Jaurès, Albert Mathiez und Georges Lefebrvre.83 Von Mathiez stamme die „beste

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Ebd. Karl GRIEWANK: Rez. Pierre Caron (Hg.): Manuel pratique pour l’étude de la Révolution Française. Nouvelle édition, Paris 1947, in: HZ 171 (1951), S. 348-350. Bei dieser undankbaren Aufgabe der Besprechung eines bibliographischen Hilfsmittel erwähnte Griewank zwar die „Gegensätze der Schulen“ der französischen Historiographie, nahm jedoch keine Position ein oder Wertung der Richtungen vor. Vgl. FEHRENBACH: Vom Ancien Régime, S. 163-168; Walter GRAB: Einleitung. Die französische Revolution im Spiegel der historischen Forschung, in: DERS. (Hg.): Die Debatte um Französische Revolution, München 1975, S. 9-28, hier S. 18-21; Eberhart SCHMITT: Einführung in die Geschichte der Französischen Revolution, München 21980, S. 22-26: DERS.: Vorwort, in: DERS. (Hg.): Die Französische Revolution. Anlässe und langfristige Ursachen, Darmstadt 1973, S. VII-XI, Hier S. IX; Axel KUHN: Die Französische Revolution, Stuttgart 1999, S. 166-171.

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Gesamtdarstellung der zwei ersten Revolutionsperioden“ (117), Jaurès lobte er für die wirtschaftsgeschichtliche Analyse, und Lefebvres Werk wird als „[g]rundlegende moderne Gesamtdarstellung mit guten und reichhaltigen Literaturangaben“ (117) vorgestellt. Diese innovativen Historiker wurden im Deutschland der Zwischenkriegszeit allenfalls von der Außenseiterin Hedwig Hintze84 ausführlich rezipiert, die laut Werner Grab den „solideste[n] Beitrag deutscher Gelehrter zur Revolutionsforschung während der Weimarer Republik“85 geliefert hatte. Die Berücksichtigung der französischen Forschung und die damit verbundene stärkere Rezeption wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Themen durch Karl Griewank wurden jetzt von Matthias Middell und Lutz Raphael hervorgehoben.86 Raphael spricht dabei „von einigen wenigen Stimmen“, die „die Impulse und Ideen der ‚Annales’Richtung“ aufnahmen.87 Seine Ausarbeitung zur Französischen Revolution baute Griewank anders auf als als die zum Wiener Kongreß, indem er nun nicht die politischen Akteure in biographischen Porträts88 vorstellte und ihre Aktivitäten nachzeichnete, sondern in einem chronologisch an den Ereignissen orientierten Durchgang immer wieder die sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe betonend Schlußfolgerungen auf die mentale Verfaßtheit zog (z.B. 22f.). Er stellte die Arbeiten zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in seiner kommentierten Bibliographie ausführlich dar (122f.). Mit Middell und Raphael kann man den Einfluß der Annales und der sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Richtung ausmachen, auch wenn das Buch schon allein wegen der Kürze vor allem bei der Ereignisgeschichte bleibt. Eine konservative, auf Burke zurückgehende Interpretation der Französischen Revolution wurde von Griewank kritisiert. Die sechsbändige Darstellung von Hippolyte Taine89 lehnte er als „ungerecht gegen die eigentümlichen Kräfte und Leistungen der Revolution“ (116) ab. Die Darstellung von Pierre Gaxotte bezeichnete Griewank als einseitig royalistisch (118).90 Gerade dieses, Griewanks Position entgegenstehende, Buch, in dem die Revolution als Verfallserscheinung beschrieben wurde,

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Vgl. zu Hedwig Hintze vor allem KAUDELKA: Rezeption, S. 261-408; DERS.: Französische Geschichtswissenschaft und Geschichte in demokratischer Perspektive. Das Frankreich-Werk Hedwig Hintzes in der Weimarer Republik, in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken, S. 227-252; DERS./Peter Th. WALTHER: Neues und neue Archivfunde über Hedwig Hintze (1884-1942), in: JbUG 2 (1999), S. 203-218; vgl. ferner Robert JÜTTE: Hedwig Hintze (1884-1942). Die Herausforderung der traditionellen Geschichtsschreibung durch eine linksliberale jüdische Historikerin, in: Walter GRAB (Hg.): Juden in der deutschen Wissenschaft. Internationales Symposium April 1985, Tel Aviv 1986, S. 249-279; Bernd FAULENBACH: Hedwig Hintze-Guggenheimer (1884-1942). Historikerin der Französischen Revolution und republikanische Publizistin, in: Barbara HAHN (Hg.): Frauen in den Kulturwissenschaften, München 1994, S. 136-151. GRAB: Einleitung, S. 20. Vgl. Matthias MIDDELL: Die unendliche Geschichte, in: DERS./Steffen SAMMLER (Hg.): Alles Gewordene hat Geschichte. Die Schule der Annales in ihren Texten 1929-1992, Leipzig 1994, S. 739, zu Griewank S. 21; Lutz RAPHAEL: Trotzige Ablehnung, produktive Missverständnisse und verborgene Affinitäten. Westdeutsche Antworten auf die Herausforderungen der ‚Annales’Historiographie (1945-1960), in: Heinz DUCHARDT/Gerhard MAY (Hg.): Geschichtswissenschaft um 1950, Mainz 2002, S. 65-80, zu Griewank S. 71. Ebd., S. 71. Freilich wurden wichtige Personen wie Ludwig XVI. und Marie Antoinette (25) oder Robespierre (59) mit einigen charakterisierenden Zeilen vorgestellt. Die handelenden Personen traten jedoch im Vergleich zum Buch über den Wiener Kongreß zurück. Zu Taine vgl. FEHRENBACH: Vom Ancien Régime, S. 162. Dabei bezog er sich 1948 auf das französischsprachige Original; GRIEWANK: Französische Revolution (1948), S. 105.

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kam 1949 in deutscher Übersetzung und erlangte sogar eine gewisse Popularität.91 Von den deutschen Historikern stand vor allem Adalbert Wahl für die konservative und revolutionsfeindliche Position und wurde deshalb von Griewank mit Kritik bedacht, da er „eine gerechte Würdigung [...] vermissen“ (118) lasse. Mit dieser Meinung stieß Griewank auf das Wohlwollen des Kieler Ordinarius Otto Becker92, dem er ein Exemplar seines Revolutionsbuches zusandte. Dieser lobte „die großzügige und doch zugleich tiefdringende Art, in der Sie den Gegenstand anpacken. Besonders begrüsse ich Ihre ablehnende Haltung gegenüber Adalbert Wahl. […] Ich teile hier durchaus Ihre Auffassung.“93 Solche Aussagen, zumal mit der Betonung, Becker werde das Buch den Studenten empfehlen, ließen Griewank in dem Glauben, es werde auch jenseits der Elbe gut aufgenommen. Dem war jedoch nicht so. Martin Göhring, der eine knappe neutrale bis wohlwollende Rezension94 verfaßte, schrieb intern an eben jenen Otto Becker, er habe „G[riewank] nicht weh tun wollen, aber auch noch lobend mich auslassen, kann ich nicht. [...] Aber das Büchlein ist keine besondere Leistung.“95 Göhring, der parallel an seiner umfangreichen quellengesättigten, aber ohne Anmerkungsapparat versehenen Darstellung der „großen Revolution“96 arbeitete, kritisierte vor allem die Tatsache, daß Griewank sein Buch bis 1799 weiterführte und nicht mit der Zeit vom Thermidor 1794 ende, weshalb wenig Platz für die „eigentliche Revolution“ bleibe.97 Mit seiner Lesart legte sich Griewank auf die Position der „Blockthese“ von der Unteilbarkeit der Revolution fest.98 In der Tat sieht Griewank sowohl in der Entstehung und den Ursachen der Revolution und auch in den Folgen untersuchenswerte Themen, wie auch die Tatsache zeigt, daß er im Sommersemester 1950 zwei Seminare zur „Vorgeschichte der französischen Revolution“ und „Übungen für Fortgeschrittene über die Wirkung der französischen Revolution in Deutschland“ anbot. Auf diese Fragen hinzuweisen und deshalb das Buch über die „eigentliche Revolution“ hinaus fortzuführen, waren für Griewanks Schlußthese wichtig, wonach die Revolution „auf die kommenden Generationen gewirkt“ (114) habe und von bleibender Wichtigkeit gewesen sei, mithin die politische Kultur beeinflußte. Hier setzten dann auch seine weiter unten behandelten wirkungsgeschichtlichen Untersuchungen zum Revolutionsbegriff an. Eine Gretchenfrage der Revolutionshistoriographie stellt die Bewertung der Jakobiner dar. Die These, wonach die Jakobinerherrschaft 1793/94 die Revolution gerettet habe oder gar ihren Höhepunkt darstellte,99 findet sich in dieser Form nicht bei Griewank. Allerdings argumentierte er in diese Richtung: „Und zweifellos liegt in der innen- und außenpolitischen Krise von 1792/93, äußerlich betrachtet, die besondere

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Pierre GAXOTTE: Die Französische Revolution, München 1949. Zu Becker siehe unten Kapitel 7.3.2. Otto Becker an Karl Griewank, 13.11.1948, in: BA Koblenz, N 1078 NL Becker, Nr. 39, unpag. Martin GÖHRING: Rez. Griewank: Französische Revolution, in: DLZ 72 (1951), Sp. 36f. Martin Göhring an Otto Becker, 30.5.1950, in: BA Koblenz, N 1078 NL Becker, Nr. 39, unpag. Im Brief werden keine weiteren inhaltlichen Gründe genannt, außer der zu starken Verkürzung. Fast scheint es so, als hätten sich Göhring und Becker darüber schon ausgetauscht. Vgl. Martin GÖHRING: Geschichte der Großen Revolution, 2 Bde., Tübingen 1950/51. Das Buch endet 1794. Zu diesem Werk positiv GRAB: Einleitung, S. 22. Vgl. GÖHRING: Rez. Griewank: Französische Revolution, Sp. 37. Vgl. zu der auf George Clémenceau zurückgehenden These eher kritisch FEHRENBACH: Vom Ancien Régime, S. 163; befürwortend KUHN, Französische Revolution, S. 167. Vgl. auch GRAB: Einleitung, S. 11f. Vgl. KUHN: Französische Revolution, S. 169.

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Ursache und Rechtfertigung [!] der jakobinischen Gemeinschaftsdiktatur. Ohne diese wäre damals Chaos, Fremdherrschaft und blutige Reaktion eingetreten“ (90). Aus „der logischen Unerbittlichkeit Robespierres“ (74) wollte er jedenfalls keine vordergründige moralische Verurteilung herleiten: „Die Anwendung des Terrors als Regierungsmittel lag im Zuge der erregten Zeit“ (81). Mehr noch, die „Zahl der Todesopfer [sei] oft gewaltig übertreiben worden“; mit 20000 Opfer seien „weniger, als später in mancher napoleonischen Schlacht gefallen sind“, dem Terror zum Opfer gefallen (82). Gerade diese statistische Begründung griff Hans Herzfeld heraus, um Griewank für seine jakobinerfreundliche Haltung zu kritisieren.100 Griewanks Argumentation war freilich differenzierter. Er maß Robespierre und seine Anhänger an ihren eigenen Auffassungen, wonach der „Terror wie die ganze Revolutionsregierung als Übergangsmaßnahme und Mittel zur Herbeiführung einer vollkommenen republikanischen Gesellschaft“ (82) dienen sollte. Genau diese Ziele seien jedoch verloren gegangen: „Aber für manche Agitatoren und Politiker wurden Terror, Verdächtigung, Krieg und Beschlagnahmen zum Lebensinhalt ohne endgültige politische Ziele“ (83). Hier setzte Griewanks Kritik an der Terreur an. Ein weiterer Kritikpunkt lag in der schlecht durchdachten Wirtschaftspolitik, die er als „kleinbürgerlich-proletarisches Ideal“, als „eine halbsozialistische Klassenpolitik unter voller Beibehaltung der planwirtschaftlichen Produktionsweise“ schlichtweg für „illusorisch“ hielt (86). Er betrachtete die Zeit der Jakobiner also weder als Entgleisung101 noch als Höhepunkt102 der Revolution. Sie sei „in sich ein höchst bemerkenswerter Versuch, aus den revolutionären Prinzipien letzte Konsequenzen zu ziehen und die bürgerliche Gesellschaft zu einer Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit, aber ohne planmäßigen Sozialismus fortzubilden. Dieser Versuch mußte scheitern, weil er unzureichend in theoretischem Fanatismus und bloßen antikapitalistischen Empfindungen, nicht in politischen und wirtschaftlichen Einsichten begründet war.“ (90) In dieser Argumentation zeigte sich die Verarbeitung der französischen sozialistischen Forschungspositionen. Sie stellte in dieser Form in Deutschland Neuland dar. Die Abkehr von älteren moralisierenden Positionen, wurde – unter anderem auch von Martin Göhring – bald jedoch auch in der deutschen Forschung Usus.103 Karl Griewanks Buch zur Französischen Revolution erschien noch vor der größeren archivgestützten Arbeit von Martin Göhring oder den Übersetzungen Mathiez’ und Lefebvres, also zu einem Zeitpunkt, in dem Wissen und Vorstellungen von der Revolution noch einseitig durch deutsch-nationale Töne beschränkt war. Es diente bei seinem Entstehen 1948 als erstes knappes Lehrbuch, da es für Studenten erschwinglich war und es die Ergebnisse auch der schwerer zugänglichen französischen Forschung aufbereitete. Es enthält jedoch keine originären Forschungsergebnisse und nichts, was nicht in anderen Darstellungen später gründlicher aufgearbeitet worden wäre. Um so überraschender ist es, daß dieses Büchlein als einziges Werk Griewanks acht Auflagen erlebte und bis ins 21. Jahrhundert hinein lieferbar blieb. Dafür sorgte die von Siegfried Schmidt bearbeitete Neuauflage als „Studien-Buch“, die erstmals 1958 bei „Böhlau Graz/Köln“ erschien. So, wie auch Bücher eine Geschichte haben, hat diese Neuauflage zugleich auch ihre deutsch-deutsche Geschichte.

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Hans HERZFELD: Rez. Gaxotte: Französische Revolution; Griewank; Französische Revolution; Göhring: Geschichte der Großen Revolution, in: HZ 171 (1951), S. 596-600. hier S. 598. Position von François FURET/Daniel RICHET: Die Französische Revolution, Frankfurt (M) 1968. So die orthodox-marxistisch-leninistische Position (die von der französischen sozialistischen Richtung zu trennen ist); vgl. SCHMITT: Einführung, S. 26-36. Vgl. GRAB: Einleitung, S. 22.

6.1. Nachkriegsreflexionen zu Demokratie und Revolution

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Griewank selbst hatte beim Erscheinen der ersten Auflage zwar noch betont: „[M]eine kurze Geschichte der französischen Revolution [...] ist aber keineswegs das, worauf ich am meisten Wert lege“.104 Dennoch ärgerte er sich, daß der kleine Berliner Verlag seinen Vertriebspflichten nicht nachkam und plante eine aktualisierte Neuauflage. In seinem allerletzten Brief an Willy Andreas, betonte er, nachdem er von der gelungenen Neuauflage des Buches über den Wiener Kongreß berichtet hatte: „Die ‚französische Revolution’ hoffe ich auch noch neu herauszubringen.“105 Vielleicht auch deshalb erschien eine Neuauflage den Schülern wie eine Verpflichtung zu sein. Schließlich wurde es von Siegfried Schmidt vorbereitet, der den Text unverändert ließ und nur die von Griewank in seinem Arbeitsexemplar eingetragenen Aktualisierungen übernahm, sowie die Bibliographie an einigen Stellen erweiterte. Dem Text stellte er einen Ausschnitt aus einem ungedruckt gebliebenen Beitrag voraus, den Griewank vor 1945 für die Propyläen-Weltgeschichte106 geschrieben hatte: „Die Anfänge Ludwig XVI.“ (9-13). Am 19. Juli 1957 reichte der Verlag Hermann Böhlau Nachfolger schließlich den Antrag auf Druckgenehmigung bei der zuständigen Abteilung Verlagswesen beim Ministerium für Kultur der DDR, also bei der Zensurbehörde, vor.107 Dem Antrag lag ein offensichtlich nachträglich beigebrachtes Gutachten vom Direktor des Historischen Instituts Max Steinmetz bei, der mit einigen Bedenken die Idee einer Neuausgabe befürwortete. „Als bürgerlicher Wissenschaftler hat Griewank damals um eine weitgehend positive Haltung vor allem zu ihrer jakobinischen, kleinbürgerlichdemokratischen Phase gerungen“108, so Steinmetz, auch wenn er den „neuerdings aufgeworfenen Fragenkreis um die Linksströmungen in der Revolution, vor allem um die Sansculottenbewegung [...] nicht gesehen, geschweige denn behandelt“ habe.109 Wenn Steinmetz dann für eine Neuauflage sprach, da das Buch „in seiner positiven Gesamtauffassung über Erscheinungen des westdeutschen Büchermarktes, wie etwa die übersetzte Arbeit des französischen Royalisten Gaxotte, weit hinausgeht“, dann zielt er wohl vor allem auf die im Antrag vorgesehenen 30% Exportanteil. Dennoch erhielt der Antrag den Zensurvermerk: „lt. Rücksprache mit Verlag am 11.11.57 Druck abgelehnt[;] Begründung mündlich gegeben“.110 Dieser Ablehnung ging bereits ein gescheiterter Versuch, das Buch in der DDR neu herauszugeben, voraus. Ingeborg Horn hatte von Göttingen aus 1955 Kontakt zum Verlag Koehler & Amelang in Leipzig aufgenommen, in dessen Programm bereits die Neuauflage des Buches zum Wiener Kongreß erschienen war.111 Die Schwierigkeiten begannen hier schon auf der Ebene des Verlages, der eine Veränderung des Originaltextes verlangte. Der „Ausblick“ benannte Schlußabschnitt sei sicherlich in der ersten Auflage zu kurz gekommen. „Ein ‚Ausblick’, der an der Tatsache der Revolution des 20. Jahrhunderts vorbeigehen wollte, müsste recht kurzsichtig genannt werden[; ...] die

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Karl Griewank an Willy Andreas, 22.9.1948, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Karl Griewank an Willy Andreas, 26.10.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 845, unpag. Griewank hatte ein Manuskript „Europa in der Spätzeit der Aufklärung und des Absolutismus“ 1944/45 fertiggestellt. Es wurde jedoch nie gedruckt und befindet sich im NL Griewank, Karton 23. Antrag Böhlau-Verlag, 19.7.1957, in: BA Berlin, DR 1/3524 Druckgenehmigungen Hermann Böhlau Nachfolger, Bl. 57-61. Max Steinmetz an Böhlau-Verlag, 2.11.1957, in: ebd., Bl. 60f. Hier irrte Steinmetz. Griewank (60f.) hatte die Sansculotten als politische Richtung vorgestellt, freilich nicht in der Breite thematisiert wie die später (!) erschienenen Arbeiten von Walter Markov und Albert Soboul, die Steinmetz in seinem Brief an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt. BA Berlin, DR 1/3524, Bl. 57. Der Briefwechsel ist archiviert: NL Horn-Staiger, Ordner 3, Mappe „Schriftwechsel und Gutachten Französische Revolution“.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

historische Tatsache der Oktober-Revolution muss erwähnt werden, ihr Fehlen in der ersten Ausgabe hat tendenziösen Charakter; dieses Beispiel können wir nicht nachahmen.“112 Zudem sei zu vermuten, daß der Verlag für die erste Auflage, die ja im französischen Sektor Berlins herauskam, das Verschweigen der Oktoberrevolution veranlaßt hätte. Ingeborg Horn antworte deutlich: „Ihre Vermutung, der Verfasser sei wohl seinerzeit vom Koetschau-Verlag eine ‚Begrenzung’ in dieser Hinsicht nahegelegt worden, geht [...] fehl. Auch war es 1948 selbst in der sowjetischen Besatzungszone noch nicht üblich, allenthalben und in jedem erdenklichen Zusammenhang auf die bolschewistische Revolution (mit oder ohne Heroisierung Stalins) hinzuweisen. Nicht im Fehlen, sondern gerade im nachträglichen Auftreten einer solchen Verbeugung wäre der tendenziöse Charakter einer Neuausgabe zu erblicken, wofür ich jede Verantwortung ablehne. Es wäre geradezu eine Unterstellung zu behaupten, Karl Griewank, der – wie allgemein bekannt ist – niemals Marxist war oder je geworden wäre, habe sich jemals in seiner wissenschaftlichen Arbeit – von welcher Seite auch immer – zu irgendwelchen Tendenzen nötigen lassen.“113

Frau Horn zog mit diesem Brief die Konsequenz, daß keine Gewähr für eine sachgerechte Ausgabe bestehe: „Ich halte es für besser, wenn diese Neuausgabe garnicht erscheint, als daß sie gegenüber dem Original verfälschend verführe. Aus diesem Grunde sehe ich mich leider gezwungen, meine Mitarbeit an diesem Werk abzulehnen.“114 Vor diesem Hintergrund sind die späteren Bemühungen Siegfried Schmidts und des Weimarer Böhlau-Verlages besonders zu betonen. Selbst nach der Ablehnung des fertigen Manuskripts fand man eine Lösung, indem der Weimarer Verlag die Veröffentlichung an Böhlau Wien weitergab. Es kam dann tatsächlich beim österreichischwestdeutschen Böhlau-Verlag heraus, offensichtlich zog Steinmetz’ Argument, daß das Buch im Westen eine positive Wirkung haben könne. Man stelle sich die skurrile Situation vor: Das Buch, das ein nichtmarxistischer Historiker in der SBZ geschrieben hat, wird von einem Historiker in der DDR um ein Kapitel ergänzt, das bereits in der NS-Zeit fertiggestellt wurde und kommt nach negativem Zensurbescheid in der DDR nun in Österreich und der Bundesrepublik auf den Markt. 6.1.4. Eine Vorlesung über Arbeiterbewegung und Sozialismus115 Eine Besonderheit an einer deutschen Universität stellte Griewanks Vorlesung des Wintersemesters 1948/49 dar. Er kündigte das Thema „Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung“ an, womit er dem immer wieder verkündeten Wunsch nach solchen Themen entgegenkam noch bevor der Bereich „Geschichte der Arbeiterbewegung“ kanonisch zum Stundenplan des DDR-Geschichtsstudiums gehörte. Daß nun jedoch ein nichtmarxistischer Professor das Thema aufgriff, war etwas, was „den Marxisten [...] nicht sonderlich gefiel, aber für sie zu einer ernsten Herausforderung

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Verlag Koehler & Amelang (Dr. Desczyk) an Ingeborg Horn, 20.4.1956, in: ebd. Ingeborg Horn an Verlag Koehler & Amelang, 13.5.1956, in: ebd. Ebd. Der Verlag bestand in seiner Antwort auf die Erwähnung der Oktoberrevolution und lehnte deshalb eine weitere Zusammenarbeit ebenfalls ab. Verlag Koehler & Amelang (Dr. Desczyk) an Ingeborg Horn, 28.5..1956, in: ebd. Die inhaltlichen Informationen stammen aus der hektographierten maschinenschriftlichen Nachschrift der Vorlesung. Ein Exemplar wurde mir von Gebhard Falk dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Die Kopie wird im NL Griewank hinterlegt. Alle Angaben in Klammern in diesem Teilabschnitt beziehen sich auf dieses Manuskript. Vgl speziell zum Thema SCHMIDT: Sozialismus und Arbeiterbewegung.

6.1. Nachkriegsreflexionen zu Demokratie und Revolution

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wurde“116, wie es im Rückblick auch Walter Schmidt einschätzt, der nicht nur Student bei Griewank war, sondern einer der führenden marxistischen Historiker der DDR wurde. Beim Blick auf den Aufbau der Vorlesung wird klar, warum diese einem orthodoxen Marxisten nicht gefallen konnte. Die Geschichte der Arbeiterbewegung galt ihnen als ein von der SED planmäßig protegiertes Forschungsfeld, das der Schärfung des Klassenbewußtseins dienen sollte.117 Griewank jedoch zog das Thema ideengeschichtlich auf, reflektierte dabei kommunistische Ideen im Christentum oder bei vormarxistischen Denkern, ebenso wie er zum Beispiel Engels‘ Vorstellungen der Urgesellschaft als überholt kritisierte. Die Themenwahl bedeutete für Griewank eben keine Konzession an eine marxistisch-leninistische Geschichtsdeutung, sondern wiederum ein Anknüpfen an die Weimarer Republik und zwar in direktem Sinne. Er selbst hatte im Wintersemester 1920/21 in Rostock Willy Andreas’ Vorlesung über „Anfänge des deutschen Sozialismus“ gehört und dessen Seminar zur „Geschichte des Frühsozialismus“ besucht.118 Er berichtete deshalb seinem alten akademischen Lehrer: „Gegenwärtig bereite ich meine Hauptvorlesung für das kommende Semester vor: Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Viele Erinnerungen an Ihre Geschichte des deutschen Frühsozialismus werden wach; die Leistungen Ihres Rostocker Seminars (Fehling, Friedensburg) werte ich gründlich aus, und selbst das Kollegheft von damals tut mir noch einige gute Dienste.“119 Griewank konnte am Schluß des Semesters jedoch vermelden, daß ihm die Vorlesung „selbst Freude gemacht“ habe und auch „ziemlich ohne Anstösse geglückt“120 sei. Er hatte also mit Widerständen gerechnet. Die Vorlesung selbst begann mit einer Klärung der Begriffe Sozialismus, Kommunismus und Arbeiterbewegung. Griewank definierte „Sozialismus“ als „Opposition zum Individualismus heraus aus einer neuen Gemeinschaftsordnung“ (1). Obwohl Griewank die Arbeiterbewegung als „eine spezielle Erscheinung des 19. Jahrhunderts“ (1) vorstellte, wurden gleichfalls Ideen und Personen seit der Antike vorgestellt, in denen der Gedanke einer Gemeinschaftsordnung zu erkennen sei. Besondere Betonung fand die „sozialgeschichtliche Bedeutung der Anfänge des Christentums“ mit der Geringschätzung des Besitzes und dem Gedanken menschlicher Gleichheit (5). Die Veranstaltung war für die Hörer aller Semester angekündigt und hatte erkennbar auch einführenden Charakter. Wichtige Personen und Ideen werden vorgestellt, Begriffe erklärt. Die Vorlesung bot einen Wechsel zwischen Ideengeschichte und Wirtschaftsgeschichte. Die Gleichheitsvorstellungen des Mittelalters werden genauso vorgestellt wie die ökonomische Entwicklung. Bereits in dieser Vorlesung widmete er den revolutionären Bewegungen besondere Aufmerksamkeit, um zu den sozialen Motiven der Reformationszeit, insbesondere zum Bauernkrieg und den „täuferischen Soziallehren“ (9) überzuleiten. Den utopischen und frühsozialistischen Ideen widmete er einige Vorlesungsstunden, um dann Frühkapitalismus und „Industrielle Revolution“ wirtschaftsgeschichtlich zu beschreiben. „Der deutsche Frühsozialismus und die

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SCHMIDT: Karl Griewank und die 1848er Revolutionsgeschichtsforschung, S. 725. Vgl. auch das Vorlesungsprogramm, abgedruckt bei: SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 585-588. Vgl. hierzu insgesamt Siegfried LOKATIS: Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht, Köln/Weimar/Wien 2003. Vgl. SCHULTZ/HEITZ/OLECHNOWITZ: Entwicklung geschichtswissenschaftlicher Studien an der Universität Rostock, S. 369. Siehe oben S. 68 mit Anm. 153. Karl Griewank an Willy Andreas, 22.9.1948, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Karl Griewank an Willy Andreas, 19.2.1949, in: ebd.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Anfänge des Marxismus“ (20) standen für Griewank in Zusammenhang; hier scheint sein besonderes Interesse gelegen zu haben: die Frage der Wurzeln der politischen Parteien und Ideen im Vormärz.121 Marx und Engels wurden ausführlich behandelt, biographisch und mit ihren wichtigsten Werken vorgestellt. Schließlich lieferte Griewank einen Überblick über das Parteienwesen, vor allem natürlich eine Geschichte der Sozialdemokratie, aber auch ein kurzer Blick auf die sozialreformerischen Flügel der anderen politischen Richtungen. Mit seiner Vorlesung drang Griewank bis zur Zeitgeschichte vor, weshalb auch skizzenhafte Einschätzungen zum Faschismus überliefert sind. „Als Reaktion auf den Sozialismus kommen die nationalen Spielarten des Faschismus Italien, Deutschland und Japan auf: vorbeugende Gegenrevolution gegen Kommunismus, übernehmen Massenbewegung und Einparteienstaat bei entgegengesetzten Zielen. Die sozialistische Arbeiterbewegung wird unterdrückt, aber sozialistische Forderungen in das eigene Programm übernommen, um den Arbeiterparteien den Nährboden zu entziehen. Der zweite Weltkrieg, entfesselt zur Vernichtung der bürgerlichen Demokratie und des Kommunismus, führt zum Sieg der Gegner, aber auch zu deren Spaltung.“ (32)

An diesen Aussagen ist die Charakterisierung des Faschismus als Reaktion auf den Kommunismus und deren Bezeichnung als „vorbeugende Gegenrevolution“ bemerkenswert. Was hier fast an spätere Aussagen Ernst Noltes im Historikerstreit122 der 1980er Jahre erinnert, stand 1948 zunächst im Gegensatz zur marxistisch-leninistischen Faschismusinterpretation. Den Vorwurf der Rechtfertigung und Verharmlosung des Nationalsozialismus hätte man auch damals daraus herleiten können. Anders aber als Nolte mit seinem Konstrukt der „asiatischen Tat“ verfolgte Griewank diese Ziele erkennbar nicht, denn er analysierte lediglich die Übernahme der Methoden, Strukturen und Programmpunkten bei „entgegengesetzten Zielen“, setzte sich also von Totalitarismuskonzepten ab. Deutlich wird dies auch mit der Verwendung des Begriffs der „Gegenrevolution“; hierauf wird im Zusammenhang mit Griewanks revolutionstheoretischen Vorstellungen noch einzugehen sein. Offensichtlich plante Griewank, sich auch in der Forschung stärker mit der Parteiengeschichte und speziell der frühen Arbeiterbewegung zu beschäftigen.123 Sein Interesse brachte er nicht nur durch die Betonung dieser Schwerpunkte in dem warmherzigen Nekrolog auf Hermann Oncken und Erich Brandenburg zum Ausdruck.124 Beide würdigte er vor allem wegen ihrer Bemühungen um die Parteiengeschichtsschreibung, wobei er vor allem Onckens Bereitschaft hervorhob, sich der Geschichte der Arbeiterbewegung zu widmen. Auch sein Beitrag zu Johann Philipp Becker in der NDB stammt aus diesem Kontext.125 In dieser „vergleichsweise ausführliche[n] Würdi121 122

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Vgl. SCHMIDT: Sozialismus und Arbeiterbewegung, S. 112. Auf den Inhalt des Historikerstreites kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Vgl. „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistsichen Judenvernichtung, Müchen/Zürich 91995. Die These der „asiatischen Tat“ Ernst Nolte: Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschriebn, aber nicht gehalten werden konnte, in: ebd., S. 39-47. Über Griewanks These von der „vorweggenommenen Gegenrevolution“ in den Zusammenhängen Revolutionsbegriff und Sonderwegsthese siehe unten S. 342 mit Anm. 356 und S. 343 mit Anm. 369. Karl Griewank an Willy Andreas, 22.9.1948, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Karl GRIEWANK: [Nekrolog] Hermann Oncken und Erich Brandenburg †, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte; Germanistische Abteilung 65 (1947), S. 484-487. Karl GRIEWANK: Johann Philipp Becker, in: NDB 1 (1953), S. 717f. Zu Johann Philipp Becker erschien eine Jenenser Habilitation; siehe unten S. 413 mit Anm. 80. Weiterhin hat zu ihm vor allem der DDR-Historiker Rolf Dlubek geforscht, während die bundesdeutsche Geschichtsschreibung Becker lange Zeit vernachlässigte. Den neusten Forschungsstand faßt ein von Hans-Werner Hahn

6.2. Ein neues „altes“ Thema – die Revolution 1848

305

gung“126 der faszinierenden Figur Beckers betonte Griewank vor allem dessen Position als Radikaldemokrat und die Verbindung der Demokratie- zur frühen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts. Griewank habe an Becker „mehr der radikale Demokrat [...] als der spätere führende Kopf der I. Internationale in der Schweiz“127 interessiert, meint Walter Schmidt. Man kann dies allerdings auch so sehen, daß spätere Forschungen in der DDR wohl zu sehr den Arbeiterführer im Blick hatten. Warum jedoch wandte sich Griewank dem Thema Frühsozialismus und Arbeiterbewegung in seiner Forschung nicht weiter zu? Hierzu äußerte er sich Willy Andreas gegenüber, der ihn offensichtlich gerade dazu ermuntern wollte: „Gern würde ich Ihrer Anregung folgen und das von Ihnen s[eine]r Z[ei]t nicht weitergeführte Thema des deutschen Frühsozialismus aufgreifen. Aber die Materialschwierigkeiten sind z.Zt. für mich nicht überwindlich, die Bibliotheken gänzlich unzureichend (es fehlt ja die ganze zeitgenössische Literatur der Berliner Bibliotheken, die ganzen publizistischen Quellen), und die wichtigsten Akten nicht benutzbar. Daß ein solches Werk, wenn es nicht orthodox marxistisch ist, in unserer Zone kaum würde gedruckt werden könnte, will ich noch gar nicht anrechnen, solange unserer Trennung wenigstens postalisch keine vollkommende ist. Ich denke daran, meine Forschungsarbeit doch mehr in das 17. o. 18. Jahrdt. zu verlagern“.128

Dieses in mehrerer Hinsicht pessimistische Bild entbehrte nicht der Grundlage. Daß er seine Forschungen nicht werde in der SBZ drucken können, war dabei eine durchaus reale Einschätzung, die Erfahrungen beim Druck der Beiträge zur Revolution 1848 nur bestärkten. Die „Materialschwierigkeiten“ schienen jedoch ein größeres, ja unüberwindliches Problem darzustellen. Die Einführung der D-Mark in den Westzonen hatte inzwischen dafür gesorgt, daß der Bücherkauf von dort zunächst nahezu zum Erliegen kam. Wichtiger erschienen jedoch vor allem die Quellenprobleme zu sein. Bei der Betrachtung der Themenschwerpunkte eines Historikers geraten solche zeitbedingten Schwierigkeiten gerne außer Acht. In diesem Falle wäre vielleicht Griewank auf den Spuren Hermann Onckens und Gustav Mayers als nichtmarxistischer Historiker der Arbeiterbewegung in Erscheinung getreten.

6.2. EIN NEUES „ALTES“ THEMA – DIE REVOLUTION 1848 Griewanks Beschäftigung mit der Revolution von 1848/49 stand im Schatten des Jubiläums 1948, dieses wiederum unter dem Eindruck der sich abzeichnenden deutschen Zweistaatlichkeit. Der „Streit um das Erbe“129 von 1848, der die Geschichtswissenschaften der Bundesrepublik und der DDR in den folgenden Jahrzehnten beherrschen sollte, zeichnete sich bereits ab. Noch gab es beide Staaten nicht und noch war von einer einheitlichen Geschichtswissenschaft in der DDR keine Rede. Der „Spal-

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herausgegebener Sammelband (auch mit Beiträgen Dlubeks) zusammen, der insgesamt die Dynamik des Themas „Internationalität der Arbeiterbewegung“ am Bespiel Beckers zu illustrieren vermag und auch historiographische Beiträge enthält. Vgl. Hans-Werner HAHN (Hg.): Johann Philipp Becker. Radikaldemokrat – Revolutionsgeneral – Pionier der Arbeiterbewegung, Stuttgart 1999. Hans-Werner HAHN: Johann Philipp Becker (1809-1886). Leben und Bedeutung eines deutschen Demokraten. Eine Einführung des Herausgebers, in: ebd., S. 9-23, Zitat S. 12. SCHMIDT: Sozialismus und Arbeiterbewegung, S. 95. Karl Griewank an Willy Andreas, 22.9.1948, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Vgl. Günter WOLLSTEIN: 1848 – Streit um das Erbe, in: NPL 20 (1975), S. 491-507, zu dem Revolutionsfeiern 1948 S. 491f. Vgl. auch Dieter LANGEWIESCHE: Die deutsche Revolution 1848/49 und die vorrevolutionäre Gesellschaft. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. [Teil 1], in: AfS 21 (1981), S. 458-498, hier S. 458f., 471-478; DERS.: Einleitung, in: DERS. (Hg.): Die deutsche Revolution von 1848/49, Darmstadt 1983, S. 1-18, hier S. 4-11.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

tungsprozeß des historischen Bewußtseins“130 war jedoch bereits im Gange. „’Rückgriff auf 1848’ hieß nun [1948], der Öffentlichkeit politische Orientierungsangebote vorzulegen“.131 Es wird im folgenden zu fragen sein, welche Angebote Griewank unterbreitete, wobei zunächst der Rahmen des Revolutionsjubiläums vorgestellt, dann die Forschungsergebnisse und Thesen Griewanks präsentiert werden. 6.2.1. Das Revolutionsjubiläum 1948132 Als die Friedrich-Schiller-Universität und die Stadt Jena eine gemeinsame Veranstaltung zum Gedenken an die Revolution 1848/49 vorbereiteten, lag es nahe, Karl Griewank um koordinierende Mitarbeit zu bitten. Nicht nur als zuständiger Ordinarius für Neuere Geschichte war er für das Thema prädestiniert, sondern auch aufgrund der Tatsache, daß er mit einer Promotion zur Revolution 1848 seinen akademischen Werdegang begonnen hatte. „Das Gedenken an 1848 brachte Griewank als dem zuständigen Hochschullehrer für neuere Geschichte 1948 zunächst einmal eine Menge zusätzlicher Arbeit ein“133, konstatiert Walter Schmidt hierzu treffend. Griewank wurde im Januar 1948 vom Senat zum Vorsitzenden der „Kommission für Vorbereitung des Jahres 1948“ berufen und leitete in dieser Eigenschaft am 22. Januar eine Sitzung eines koordinierenden Gremiums, das die Aktivitäten von Parteien, Stadt und Universität umfaßte.134 An ihr nahmen Vertreter von Kulturamt, Volkshochschule, Stadtarchiv und Stadtmuseum teil, der Parteien (SED, LDP, CDU), der gesellschaftlichen Massenorganisationen (Kulturbund, FDGB, DFD, FDJ, „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion“), der Presse (Thüringer Volk, Thüringer Landeszeitung, Abendpost) und dem Betriebsrat der Firma Schott teil. Es ging um Koordination und Konsens, vornehmlich auf einer rein organisatorischen Ebene. Zunächst stellte man fest, daß die einzelnen Organisationen eine Fülle von Aktivitäten geplant oder ins Auge gefaßt hatten. Es wurden ein Vorstand und Arbeitsausschüsse gebildet, wobei Griewank zusammen mit dem liberaldemokratischen Oberbürgermeister Johannes Herdegen135 und dem Schulrat Wagner den Vorstand bildete.136 Geplant war eine große Ausstellung, die am 18. März eröffnet werden sollte und um deren Realisierung sich städtisches Museum und Stadtarchiv unter dem Vorsitz vom Nestor der Jenaer Stadtgeschichte, Herbert Koch, kümmerten. Koch war als Vertreter der LDP im Ausschuß vertreten.137

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Helmut HARTWIG/Karl RIHA: Politische Ästhetik und Öffentlichkeit. 1848 im Spaltungsprozeß des historischen Bewußtseins, Fernwald 1974, zum Jubiläum 1948 S. 7-50. LANGEWIESCHE: Einleitung, S. 6. Für dieses Kapitel sei besonders auf die Beiträge von Walter Schmidt hingewiesen; vgl. SCHMIDT: Karl Griewank und die 1848er Revolutionsgeschichtsforschung; DERS.: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848. In diesem Beitrag werden eine ganze Reihe einschlägiger Dokumente aus dem Nachlaß Griewanks ediert. Walter SCHMIDT: Karl Griewank und die 1848er Revolutionsgeschichtsforschung, in: HAHN/GREILING: Die Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 705-735, hier S. 717. Protokoll 22.1.1948, in: UAJ, BB 37, Bl. 278f. Herdegen (1903-1980), Verwaltungsjurist, in den zwanziger Jahren Mitglied der DDP, war als Mitglied der LDP vom 22.11.1947 bis 4.9.1952 Oberbürgermeister in Jena; vgl. STUTZ: Macht und Milieu, S. 375. UAJ, BB 37, Bl. 279. Vgl. zu Herbert Koch und seiner kommunalpolitischen Aktivität in der Nachkriegszeit vgl. Jürgen JOHN: Nachwort, in: Herbert KOCH: Geschichte der Stadt Jena [1966], Jena 1996, S. 395-412.

6.2. Ein neues „altes“ Thema – die Revolution 1848

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Abbildung 8: Karl Griewank in der Aula der Universität Jena als Redner der Festveranstaltung zum Revolutionsjubiläum am 22. Mai 1948138

Ansonsten feierten die Parteien und Organisationen jeweils einzeln, es gelang jedoch, sich terminlich abzustimmen, obwohl die Redner und Themen der Großveranstaltungen im Februar 1948 zumeist noch nicht feststanden.139 Nur die Universität war mit ihrer Vorbereitung bereits weiter fortgeschritten, so daß der Rektor Friedrich Zucker am 3. Februar 1948 der SMATh einen beachtlichen Zwischenbericht geben konnte.140 Dieses Schreiben zeugt von dem Kompromißcharakter der Vorbereitungen, die verschiedene Deutungsmuster nebeneinander stehen lassen wollte. Die Revolution wurde so zum einen in der sogenannten „bürgerlich-demokratischen“ Funktion erinnert, zum anderen in marxistischer Deutung als Ursprung der politischen Arbeiterbewegung. Zucker verwies vor allem auf die Hauptveranstaltung am 22. Mai 1948 mit Karl Griewank und seinem Vortrag „Ursachen und Folgen des Scheitern der deutschen Revolution von 1848“ als Hauptredner (Abbildung 8). Gleichermaßen nannte er auch die Veranstaltungen des „Instituts für Dialektischen Materialismus“ zum hundertjährigen Jubiläum des Kommunistischen Manifests und zum 130. Geburtstag von Karl Marx.141 Das Nebeneinander verschiedener Ansätze ließ sich dabei in Jena – anders als etwa im politisch angespannten Berlin142 – noch ohne offene Provokationen abhandeln, wobei insbesondere Griewank in der gemeinsamen Kommission der Stadt Jena zum Ausgleich beitrug.143 Die Protokolle der im Grunde heterogen zusammengesetzten Kommission vermitteln durchaus den Eindruck konstruktiver Arbeit. Die Bemühungen des Ausschusses stießen wohl auch durchaus auf ein gewisses öffentliches Interesse, jedenfalls erreichten ihn etliche Wünsche nach Vorträgen. So weit diese an Griewank

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PrA Griewank. Festveranstaltungen fanden statt von: SED (20.4.), des FDGB (18.5.), der LDP mit Herbert Koch als Redner (14.6.), der FDJ (5.9.), DFD (5.10.), der CDU (2.11.); Protokoll 12.2.1948, in: UAJ, BB 37, Bl. 312. Rektor Friedrich Zucker an SMATh über MfV Weimar, in: UAJ, C 145, Bl. 89. Walter Wolf sprach am 10. Februar über das Kommunistische Manifest, Anna Lindemann am 5. Mai über Karl Marx; UAJ, BB 37, Bl. 302. Vgl. HARTWIG/RIHA: Politische Ästhetik, S. 46-50. Erkennbar in den Protokollen in UAJ, BB 37, vor allem Bl. 279.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

selbst herangetragen wurden, nahm er sie zumeist wahr.144 So sprach Griewank am 3. Februar vor der Evangelischen Studentengemeinde,145 referierte am 23. Februar in einer kleinen Veranstaltung für Lehrer zur „Verwendung im Unterricht“146 und trug auch vor dem Kulturbund und in der Volkshochschule vor.147 Einen weiteren Programmpunkt machten die sogenannten „Preisaufgaben“ zum Jubiläum aus, zu deren Bearbeitung auf der universitären Hauptveranstaltung am 22. Mai 1948 aufgerufen wurde. Griewanks Aufgabe bestand in der Bewertung der in der Regel unter Pseudonym eingegangenen Beiträge. Neben anderen Preisen wurden vom Rat der Stadt Jena immerhin 5000,- Mark ausgesetzt, so daß die Bewertung gewissenhaft durchzuführen und zu dokumentieren war.148 Griewanks Tätigkeit zum Revolutionsjubiläum beschränkte sich jedoch nicht nur auf organisatorische Fragen, vielmehr legte er auch drei eigene wissenschaftliche Studien vor: den aus der Festrede vom 22. Mai hervorgegangenen Beitrag zu „Ursachen und Folgen der deutschen Revolution von 1848“, eine Spezialuntersuchung „Deutsche Studenten und Universitäten in der Revolution von 1848“ und eine Edition „Reden aus der Paulskirche“. Keine dieser Publikationen konnte 1948 erscheinen, obwohl Griewank rechtzeitig alles in die Wege geleitet hatte. Im Februar hatte er das Manuskript der studentengeschichtlichen Arbeit fertig, wie der Rektor bestätigte.149 Das Vorwort datiert auf Mai 1948, und immerhin konnte dieses Buch dann 1949 mit einiger Verspätung erscheinen.150 Dieser auf die Bemühungen des Weimarer Böhlau-Verlages und seiner umsichtigen Leiterin Leiva Petersen151 zurückgehende Erfolg trat bei dem Editionsprojekt nicht ein. Griewank selbst und sein Doktorand Diethelm Böttcher hatten in dieses Unternehmen bereits einige Mühe investiert.152 Unter dem Titel „Reden über den deutschen Volksstaat“ wurden Beiträge von 16 Rednern ausgewählt.153 Griewank hatte offensichtlich unterschätzt, wie wenig ein Erinnern an die demokratischparlamentarische Tradition von 1848, das durch die Edition von Parlamentsreden erfolgt wäre, erwünscht war.154 An dieser Stelle mußte Griewank den „Streit um das Erbe“ in

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Dazu SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 571, S. 607, Anm. 46. UAJ, BB 37, Bl. 302. Ebd., Bl. 312v. Ebd., Bl. 276, 286, 306. Auch in der Tagespresse schrieb er zum Thema; vgl. Karl GRIEWANK: Die Märzrevolution von 1848, in: Abendpost. Das Blatt für Politik, Kultur und Wirtschaft für Mitteldeutschland (Weimar), Nr. 55/A vom11. März 1948, S. 1f. NL Griewank, Karton 7,. Mappe 3. Ediert bei SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 599-603. Rektor Friedrich Zucker an SMATh über MfV Weimar, in: UAJ, C 145, Bl. 89. Karl GRIEWANK: Deutsche Studenten und Universitäten in der Revolution von 1848, Weimar 1949, S. 7. Vgl. Gedenken an Leiva Petersen 1912-1992, Köln/Weimar/Wien 1993. Das Manuskript ist im Nachlaß erhalten; die Einleitung des Herausgebers war jedoch offensichtlich noch nicht geschrieben; NL Griewank, Karton 21, Mappe „Manuskript Paulskirchenreden“. Eine studentische Hilfskraft (Gertraud Krause) wurde eigens für Schreibarbeiten angestellt; schr. Information Gertraud Sperka, geb. Krause, 5.8.1999. In der vorgesehenen Reihenfolge handelte es sich um: Heinrich von Gagern, Robert Blum, Ernst Moritz Arndt, Jacob Grimm, Moritz Mohl, Arnold Ruge, Christoph Friedrich Dahlmann, Wilhelm Jordan, Karl Vogt, Friedrich Ludwig Jahn, Friedrich Wilhelm Schlöffel, Karl Giskra, Ludwig Uhland, Karl Theodor Welcker, Gabriel Riesser und Ludwig Simon; NL Griewank, Karton 21, Mappe „Manuskript Paulskirchenreden“. Charakteristisch hierzu auch die Bemerkungen Helmut Bleibers über Griewanks 1848erForschungen im ZfG-Forschungsbericht 1960, dieser käme trotz „zweifellos fruchtbaren Fragestellungen [...] in allen wesentlichen Fragen über die Schranken der bürgerlichen Historiographie nicht hinaus. Charakteristisch hierfür, daß er die Hauptschuld für das Scheitern der Revolution nicht der

6.2. Ein neues „altes“ Thema – die Revolution 1848

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der Form von verweigerten oder verzögerten Druckgenehmigungen erfahren. Walter Schmidt, der den Vorgang ausführlich nachzeichnet, spricht zu Recht von „engstirnige[r] politische[r] Zensur“, zumal leicht zu erkennen ist, „daß etwa die Hälfte der abgedruckten Redner aus dem Lager der Linken kam.“155 Für Griewanks Erklärungen, etwa, „daß auch nationalistische Ideen von 1848 nicht gleichgesetzt werden dürfen mit dem imperialistischen und faschistischen Nationalismus des XX. Jahrhunderts“, war jedoch die zuständige Zensurbehörde nicht empfänglich. Mit dem Hinweis auf die beständig akute Papierknappheit fuhr der „Kulturelle Beirat des Verlagswesens“ eine harte Linie. Man signalisierte zunächst in einem Zwischenbescheid, daß man eine Erweiterung auf Reden außerhalb der Paulskirche „nahelegen“ und eine Streichung der vorgesehenen Rede Arndts „empfehlen“ möchte.156 Hinter den euphemistischen Vokabeln verbarg sich natürlich eine Aufforderung. Dieser wollte Griewank jedoch nicht nachkommen.157 Er sei wohl bereit, mißverständliche Aussagen oder Reden zu redigieren, nicht aber die Gesamtkonzeption zu ändern. Marx und Engels hätten nun einmal 1848 „bekanntlich in der Hauptsache in gedruckten Aufsätzen, nicht in überlieferten Reden“ ihre Ideen verbreitet, deren Edition hier nicht hineinpasse. Im Dezember 1948 kam dann der erwartete Negativbescheid der Zensurbehörde.158 Auch Griewanks Beitrag „Ursachen und Folgen des Scheiterns der Revolution 1848“, den er mit Unterstützung des Rektors in der Reihe „Jenaer Reden und Schriften“ beim Gustav Fischer Verlag in Jena herausbringen wollte und bereits im Mai 1948 druckfertig gemacht hatte, fiel der Zensur zum Opfer.159 Die Begründung war in diesem Fall mit Hinweis auf die Papierknappheit ausweichend und nicht mit „Empfehlungen“ verbunden.160 Offensichtlich war man sich über die Wirkung des Beitrags im Ganzen unsicher und verzögerte das Prüfverfahren bis zu einem „Zwischenbescheid“ im März 1949 (!).161 Bekanntlich ergab sich für Karl Griewank diesmal eine andere Lösung. Durch den Tod Rudolf Stadelmanns mußte dessen bereits angekündigter Beitrag zum ersten Historikertag der Nachkriegszeit im September 1949 in München ausfallen und man war froh, daß Griewank einspringen konnte. Sein Beitrag zu „Ursachen und Folgen“ wurde nicht nur in München vorgetragen, sondern erschien bald in der wiedergegründeten Historischen Zeitschrift, deren Redaktion das Manuskript gerne entgegennahm: „Dehio sprach sich nach der Lektüre noch einmal sehr begeistert darüber aus.“162 Auf den Inhalt ist noch einzugehen.

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Bourgeoisie zuspricht, sondern im Gegenteil den Versuch einer Ehrenrettung der Paulskirche unternimmt.“ Helmut BLEIBER: Literatur zur Geschichte der Revolution von 1848/49, in: Dieter FRICKE [u.a.] (Red.): ZfG-Sonderheft: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte. Zum XI. Internationalen Historikerkongreß in Stockholm August 1960, Berlin (O) 1960, S. 212-228, hier S. 223. SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 568-570, Zitate S. 568, 570. Kultureller Beirat für das Verlagswesen an Böhlau Verlag, 4.5.1948, in: NL Griewank, Karton 5, Mappe „Schriftwechsel mit Verlagen 1947-49“. Stellungnahme Karl Griewanks, 22.5.1948., in: NL Griewank, Karton 21; ediert bei SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 596-598. Kultureller Beirat für das Verlagswesen an Böhlau Verlag, 19.12.1948, in: NL Griewank, Karton 5, Mappe „Schriftwechsel mit Verlagen 1947-49“. Rektor an Fischer Verlag, 26.5.1948, in: UAJ, BB 37, Bl. 374. Fischer-Verlag an Karl Griewank, 1.6.1948, in: NL Griewank, Karton 27, Mappe „Zeitungsausschnitte und Schreiben zu eigenen Beiträgen“. Das Prüfverfahren wurde zunächst eingestellt und nach Protest des Verlages wieder aufgenommen; Fischer-Verlag an Karl Griewank, 29.7.1948, 15.9.1948, in: ebd. Fischer-Verlag an Karl Griewank, 21.3.1949, in: ebd. Karl Griewank an Willy Andreas, 29.4.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

So erfuhr Griewank in seiner Lebenswelt, daß der Konsens eines antifaschistischdemokratischen Neuanfangs im Jahr 1948 zunehmend zerbrach. Bezeichnend etwa war, daß auf dem studentischen Treffen auf der Wartburg, das wesentlich von dem mittlerweile SED-dominierten Jenaer Studentenrat mitorganisiert wurde, nicht Karl Griewank, sondern der Marxist Alfred Meusel aus Berlin den Festvortrag hielt, der im übrigen problemlos und schnell gedruckt werden konnte.163 Die Jenaer universitäre Festveranstaltung, auf der sein Vortrag zu „Ursachen und Folgen“ positiv aufgenommen wurde, unterschied sich zwar von den Veranstaltungen, die vor allem im agitatorischen Zusammenhang der Volkskongreßbewegung standen. Jedoch ging Griewanks Bereitschaft auch hier so weit, diese Bewegung in ihrem Ziel der deutschen Einheit zu unterstützen. So warnte er in einer Publikation der Volkskongreßbewegung vor einer drohenden Separatstaatsgründung: „Daß nun in neuester Zeit Frankfurt daneben nicht nur die Stellung einer Teilhauptstadt erhalten hat, sondern daß gerade zur Hundertjahrfeier der Revolution von 1848 eine Teilung Deutschlands unter Frankfurt und Berlin droht, ist ein für das deutsche Volk tiefschmerzliches Erlebnis, dessen Ueberwindung es mit allen ihm noch verbleibenden Kräften wünschen und erstreben muß.“164 Obwohl er kein sozialistisches Gesellschaftsideal auf den Westen übertragen wollte, wie die Initiatoren der Volkskongreßbewegung, sah Griewank die Revolution von 1848 mit ihren zusammengehörenden Ideen von Demokratie, Freiheit und Einheit durch die 1948 drohende Teilung gefährdet, die ein Jahr später manifestiert wurde. 6.2.2. Inhalt und Methode – Die „unverlierbare Erinnerung“ an die Revolution165 War die Revolution von 1848 gescheitert? Bereits der Titel des HZ-Aufsatzes von Karl Griewank spricht davon. Er gehe davon aus, daß man „von einem Scheitern der deutschen Revolution von 1848, von ihrem Fehlschlagen im ganzen sprechen“ (61) könne. Der Plot in Griewanks Argumentation lag dann jedoch darin, daß er eben nicht nur beim Negativum stehen blieb, sondern als „Folgen des Fehlschlages von 1848“ (84) eben auch ihre langfristigen Wirkungen auf die politische Kultur, die „unverlierbare Erinnerung“ (60) an die Revolution betonte. Er zeichnete damit vorsichtig jenes Bild vor, was in der späteren Forschung zu einem entscheidenden Moment werden sollte. Man hat das Scheitern der Revolution als ein komplexes Modernisierungsproblem erkannt, das auch in anderen Staaten auftrat und mithin mit den Entwicklungsproblemen des 19. Jahrhunderts verwoben war.166 Und

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Vgl. Alfred MEUSEL: Die deutsche Revolution von 1848. Mit einem Beitrag von Felix ALBIN: Marx und Engels und die Revolution von 1848, Berlin (O) 1948. Karl GRIEWANK: Frankfurt 1848-1948, in: Sonder-Illustrierte 1848-1849. 100 Jahre Kampf um Deutschlands Einheit, hg. vom Ministerium für Volksbildung des Landes Thüringen, Weimar 1948, S. 20f., hier S. 21. Den Hinweis auf diese Publikation verdanke ich Jürgen John. Alle in diesem Abschnitt in Klammern angegeben Seitenzahlen beziehen sich auf den mehrfach nachgedruckten Aufsatz von 1950, hier zitiert in der Version Karl GRIEWANK: Ursachen und Folgen des Scheiterns der deutschen Revolution von 1848 [1950], in: Dieter LANGEWIESCHE (Hg.): Die deutsche Revolution von 1848/49, Darmstadt 1983, S. 59-90. Vgl. Wolfram SIEMANN: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt (M) 1985, S. 223-228; Dieter LANGEWIESCHE: Die deutsche Revolution 1848/49 und die vorrevolutionäre Gesellschaft. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. Teil II, in: AfS 31 (1991), S. 331-453, hier S. 340f.; vgl. auch DERS.: Europa zwischen Restauration und Revolution, S. 167-175; Dieter HEIN: Die Revolution 1848/49, München 1998, S. 135-139.

6.2. Ein neues „altes“ Thema – die Revolution 1848

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als solches steht das Scheitern im Zusammenhang mit langfristigen Wirkungen. In den Worten Thomas Nipperdeys: „Das Ergebnis der Revolution ist nicht nur das Scheitern. Die Revolution hat über alle Eliten hinweg eine nationale Öffentlichkeit geschaffen, eine national-demokratische Nation. [...] Trotz des Scheiterns – die Zeit seither ist bürgerlicher geworden. [...] Nichts war nach der Revolution mehr so, wie es vorher war.“167 Einem solchen Gedanken folgte auch bereits Griewank, in dem er das Rechtsstaatsdenken („Durchsetzung der liberalen Rechtsstaatsideologie“), die „staatsbürgerliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ und die Verfassungsdiskussion und Rechtsverbesserung als positive Wirkungen benannte (89). Hans-Ulrich Wehler geht freilich noch weiter, wenn er sich gegen „die krasse Einseitigkeit der allzu glatten Formel von ihrem Scheitern“ ausspricht und ihr „mittelbar imponierende Erfolge“ attestiert.168 Er charakterisiert Griewanks Aufsatz deshalb zwar nicht ablehnend, ordnet ihn aber als „unbefriedigend“ ein.169 Es spricht jedoch einiges dafür, daß Griewank die positiven Folgen auf die politische Kultur nicht stärker in den Blick nehmen konnte bzw. wollte. So stellte er sich die Frage, „ob nicht gerade das Scheitern der Bewegung auch positive Folgen gehabt habe“, ob nicht „neue, weniger schwierige und gefährdete und der Lage Mitteleuropas angemessene Lösungen der deutschen Fragen“ erst später erreichbar gewesen seien (89). Diese Argumentation, die tendenziell auf die Interpretation als Modernisierungsproblem hindeutete, verbot sich Griewank dann selbst. Sie hätte ja in der Konsequenz bedeutet, die deutsche Entwicklung positiv zu sehen. Das konnte er jedoch angesichts der Erfahrung des Nationalsozialismus nicht: „Ein solches Urteil würde freilich, wenn es sich nicht allzuweit in unreale Konjekturen stürzen will, kaum Bestand haben können bei Betrachtung des ganzen, heute für uns überschaubaren Verlaufs der Geschichte Deutschlands und der Welt“ (89). Die gesamte Debatte des Jubiläumsjahres 1948 bewegte sich noch unmittelbar unter dem Eindruck der sogenannten „Misere-Theorie“ und der gerade im publizistischen Bereich verbreiteten Kontinuitätsthese von Luther zu Hitler.170 Die Debatte um 1848 wurde von Hans Rothfels, Friedrich Meinecke und anderen genutzt, um Orientierungsdarstellungen zu präsentieren, ja sie konnte gar nicht anders gestaltet werden.171 Friedrich Meinecke brachte 1948 das Motiv der „seit Jahrhunderten gezüchteten Gehorsamsgewöhnung“ (74) ins Spiel, das Griewank auch rezipierte, jedoch im Unterschied zu Meinecke etwas relativierte. Dennoch konnte Griewank unter dem Eindruck der „deutschen Katastrophe“ Thesen einer positiven politischen Kultur nicht deutlicher in Worte fassen und trat mit „noch recht vorsichtig formulierten Differenzierungen der These von der ‚gescheiterten Revolution’“172 hervor, die dennoch

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Thomas NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1994, S. 669f. Hans-Ulrich WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815-1845/48, München 31996, S. 779. Ebd., S. 890f., Anm. 1. SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 46-50. Zur „Misere-Theorie“ siehe S. 288f. mit Anm. 14-16. Vgl. Friedrich MEINECKE: 1848. Eine Säkularbetrachtung [1948], in: Dieter LANGEWIESCHE (Hg.): Die deutsche Revolution von 1848/49, Darmstadt 1983, S. 21-38; Hans ROTHFELS: 1848 – Betrachtungen im Abstand von hundert Jahren [engl. 1948], Darmstadt 1972. Vgl. insgesamt die Kapitel „The Centennial“ und „The Scholarly Debate“ in: Kurt SCHWERIN: The Revolution of 1848 and the German Historians, Ph. D. Diss., Columbia University 1955, S. 425-464. Hans-Werner HAHN: Einführung [zum Abschnitt „Wirkungen der Revolution, Rezeptionsgeschichte“], in: DERS./GREILING (Hg.): Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 601-605, S. 601.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

historiographisch anregend und als vorwärtsweisender Beitrag zu betonen sind. Erst die neuere Forschung hat diese langfristigen Folgen der Revolution, die auch zur Konstruktion einer demokratischen Identität wurden, stärker betont und bestätigt.173 Einige Anknüpfungen an die Revolutionsforschungen seiner Dissertation und des dort behandelten Berliner Beispiels lassen sich feststellen. Die verschiedenen Ebenen der Revolution, die er in den 1920er Jahren am Beispiel herauszuarbeiten versucht hatte, wurden wiederum deutlich. Dabei stellte er auffällig die Frage nach der sozialen Fundierung der Revolution. Dies liegt in der Natur der Themenstellung. „Nach den Ursachen des Scheiterns der Revolution von 1848 zu fragen, heißt nicht zuletzt, nach der Politik der revolutionären Trägergruppen zu fragen“174, so Dieter Langewiesche. Träger der Revolution sei zunächst das Volk gewesen, so Griewanks These. Es gebe eine „durch alle Schichten gehende ‚Volkspartei’: sie wollte das allgemeine Staatsbürgertum, die bürgerliche Gesellschaft mit persönlicher Rechtsgleichheit und Meinungsfreiheit, mit freier Bahn für jedes Erwerbs- und Erfolgsstreben gegenüber dem fürstlichen Obrigkeitsstaat und erblichen Standesprivilegien“ (62f.). Dieses Konstrukt „Volkspartei“ war eine rhetorisch geschickte Zuspitzung Griewanks, um zunächst den universalen Charakter der bürgerlichen Ideen deutlich zu machen, deren englische und amerikanische Vorbilder er betonte (63), dann die verschiedenen Ebenen der Revolution zu beschreiben und schließlich das Auseinanderbrechen der „Volkspartei“ zu betonen (66). Dieses Auseinanderbrechen nur auf den Gegensatz von konstitutionellen und demokratischen Vorstellungen zu beschränken, lehnte Griewank als zu einfach ab. Hinter den Gegensätzen stecke einerseits „mehr als der Streit um politische Formen“, anderseits seien die Parteiunterschiede „nicht so tiefgreifend, die gemeinsame ideologische Grundlage [...] nicht so schwach, daß sich immer feste Fronten gegenübergestanden hätten: wechselnde Situationen und Probleme haben bekanntlich immer neue Gruppierungen hervorgebracht“ (67). Vielmehr sei es, so Griewanks These, vor allem „die – oft unhörbare – Gewalt eines andere Motivs: des sozialen“ (68) gewesen, die er stärker betonen wolle. Zum einen meinte er damit unmittelbar die aus dem Pauperismus hervorgehende soziale Frage, zum anderen auch mittelbar die Rückwirkung durch die „Furcht vor dem sozialen Umsturz“ (68), die Furcht vor Revolution und Sozialismus. Deren Wirkung schätzte er hoch ein, da sie die „Kluft unter den revolutionären Richtungen wesentlich vertieft“ habe und „damit eine der Ursachen für das Scheitern der Revolution gewesen“ (68) sei. Deshalb behandelte er relativ ausführlich das „Gespenst des Sozialismus und Kommunismus“ (70) und die Arbeiterfrage. Der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte sprach Griewank ein hohes Erklärungspotential zu und regte weitere Forschungen an: „Der Versuch eines sozialgeschichtlichen Aufrisses kann nur unvollkommen sein, solange wir nicht eine Gesamtdarstellung der wirtschaftlich-sozialen Lage Deutschlands in den 40er Jahren haben“ (68, Anm. 10). So skizzierte Griewank nur kurz die „beginnende Industrialisierung und Kapitalisierung der Wirtschaft“, den „wachsenden Bevölkerungsüberschuß“ und die sich verschärfende „Lage der handarbeitenden Bevölkerung“ und der Landwirtschaft in toto als „eine Umschichtung [...], die wesentlich zu Lasten ihrer [der Bevölkerung] unteren und ärmeren Teile ging“ (68). Dabei betonte Griewank die Ansätze von Rudolf Stadel-

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Für das bisher vernachlässigte Thüringische Revolutionsgeschehen hat dies Hans-Werner Hahn durchexerziert. Hans-Werner HAHN: Die Revolution von 1848/49 – eine „gescheiterte Revolution“? Bemerkungen aus thüringischer Sicht, in: ebd., S. 651-668, zu Griewank S. 664. LANGEWIESCHE: Europa zwischen Restauration und Revolution, S. 167.

6.2. Ein neues „altes“ Thema – die Revolution 1848

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mann175, dessen Monographie aus dem Jahr 1948 er als die „gelungenste“ (61) Darstellung des Jubiläumsjahres ansah.176 Wilhelm Mommsens Arbeit setzt er dagegen ab, da hier „eine soziologische Interpretation des Geschehens“ fehle und das Buch „in den Grenzen einer – trotz aller Generalurteile – individualistisch-politischen Geschichtsschreibung“ verharre.177 In der „materialreichen, allerdings einseitigen“ (68, Anm. 10) Publikationen Jürgen Kuczynskis sah er bestenfalls Hinweise.178 Insgesamt gestaltete Griewank die sozialgeschichtliche Komponente nicht konsequent aus. Die soziale Frage sah er stärker aus der Sicht politischer Positionsbildung („Sozialistenfurcht“) und die internationale Komponente im Zusammenhang des Transfers von Ideen (63). In starkem Maße standen nationale Elemente im Vordergrund, wobei Griewank die 1848 noch vorhandene Verbindung von „Humanität und Nation“ (79) herausstellte. Griewank legte in dem Aufsatz, der mit Überlegungen zur Möglichkeit einer „zweiten Revolution“ und Überlegungen zur Chance einer Republik (72), sowie mit Bemerkungen zum Vereinswesen (74) noch weitere innovative Hinweise enthält, eine Fülle von Anregungen offen und antizipierte spätere Forschung. Die Formulierung der Revolution als Überlagerung verschiedener Modernisierungsprobleme im internationalen Kontext blieb jedoch dieser späteren Forschung, die sich auf eine bessere sozialgeschichtliche Fundierung aufbauen konnte, überlassen.179 Der Idee einer „deutschen Doppelrevolution“ (Wehler) von industrieller und politischer Revolution widerspricht Griewanks Entwurf jedoch nicht, der somit als historiographische Neuorientierung zu betonen bleibt.180 Kurt Schwerin kam in seiner amerikanischen Dissertation aus dem Jahr 1955, bei der er im Vorwort die Unterstützung Karl Griewanks in nicht näher benannten „specific questions“181 erwähnt, zu dem Fazit, daß die Revolutionsforschung zu 1848 mit der Neuorientierung der deutschen Geschichtswissenschaft in Verbindung stand: Er spricht

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Vgl. Rudolf STADELMANN: Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848, München 1948. Griewank betonte, daß seine Darlegungen unabhängig vom Buch Stadelmanns entstanden waren (61, Anm. 5), wohl auch deshalb, weil sein Aufsatz letztlich erst 1950 gedruckt wurde und dem Leser nicht klar sein konnte, daß das Manuskript bereits im Mai 1948 fertiggestellt war. Karl GRIEWANK: Rez. Wilhelm Mommsen: Größe und Versagen des deutschen Bürgertums. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1848-1849, Stuttgart 1949 [und] Rudolf Stadelmann, Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848, München 1948, in: DLZ 71 (1950), Sp. 375-378. hier Sp. 376. Ebd., Sp. 376. Vgl. auch DERS.: Rez. Jürgen Kuczynski: Die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen der Revolution von 1848/1849, Berlin (O) 1948, in: DLZ 70 (1949), Sp. 27-29. Vgl. LANGEWIESCHE: Die deutsche Revolution Forschungsstand Teil II (1991), S. 340f.; DERS.: Europa zwischen Restauration und Revolution, S. 167-175. Wie dargestellt wurde, möchte ich vor allem die konzeptionell vorgetragene Bedeutung der Sozialgeschichte und die Ideen zur politischen Kultur betonen. Walter Schmidt betont hingegen Karl Griewank als wichtigsten nichtmarxistischen Historiker der Revolution 1848 in der DDR, nennt jedoch als wichtigste „spätere Erkenntnisse antizipierende Einsichten“ in Griewanks Forschung „Berechtigung einer neuen Revolutionswelle, deutliche Kritik an den Liberalen, Hervorhebung des Arbeiteranteils an der Revolution“. Damit wird jedoch der Einfluß auf spätere Forschungen auf die DDR-Forschung beschränkt und weiterführende ebenso wichtige Aspekte bleiben ungenannt. Vgl. Walter SCHMIDT: Forschungen zur Revolution von 1848/49 in der DDR. Versuch eines historischen Überblicks und einer kritischen Bilanz, in: DERS. (Hg.): Demokratie, Liberalismus und Konterrevolution. Studien zur deutschen Revolution 1848/49, Berlin 1998, S. 11-80, hier S. 17f. Kurt Schwerin dankt vor allem seinen ehemaligen Lehrern an der Universität Breslau, Hermann Aubin und Siegfried A. Kaehler. Daneben hebt er jedoch den verstorbene Karl Griewank besonders hervor, da dieser „helpful in answering specific questions“ gewesen sei. SCHWERIN: The Revolution of 1848 and the German Historians, S. V.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

von „the debate which links the evaluation of 1848 to the total evaluation of German history and to a reorientation of German historiography“.182 In dieser Debatte wurde Griewanks Beitrag gerade durch den Vortrag auf dem Historikertag wahrgenommen. Sein Beitrag galt bald schon in Forschungsberichten sowohl aus der Bundesrepublik als auch aus der DDR als der wichtigste nichtmarxistische Beitrag aus dem östlichen Teil Deutschlands.183 Zu beachten ist jedoch, daß er durch die Probleme bei der Drucklegung und die nach der Währungsreform immer schwieriger werdende Literaturversorgung gerade von der allgemeinen Debatte zunehmend abgeschlossen wurde. Bei seiner Spezialuntersuchung zur Geschichte der Studenten und Universitäten in der Revolution 1848 hatte Griewank durch den Standort Jena dann jedoch einen Vorteil. Die Studie stand im Forschungszusammenhang zur Geschichte der in Jena gegründeten Urburschenschaft und der Freiheitsbewegung, der von Jena aus naheliegend und gut zu bearbeiten war. Griewank legte in seinem Aufsatz über die „politische Bedeutung der Burschenschaft in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens“184 genauso wie in seinem Buch zur Studentengeschichte 1848 vor allem Wert auf eine Entmythologisierung und eine Herauslösung aus der traditionellen Burschenschaftsgeschichte, die vor allem durch die Korporierten selbst verfaßt und von einem romantisierenden Bild des studentischen Lebens geprägt wurde.185 „In allen diesen Deutungen wurde doch gegenwärtigen Idealen zuliebe nicht scharf genug gesehen, was die burschenschaftliche Bewegung der ersten Jahrzehnte wirklich gewesen ist“186, konstatiert Griewank deshalb rankeanisch in Abkehr von der älteren Forschung in seinem Aufsatz. Auch sein Buch zur Studentengeschichte von 1848 begann er in diesem Sinne mit einem nüchternen Abriß der Burschenschaftsgeschichte seit 1815, um dann die Beteiligung von Studenten in der Revolution in den Mittelpunkt zu stellen. Das Wartburgtreffen der Studenten Pfingsten 1848 stellte dabei auch für die Jenaer Universitätsgeschichte den Höhepunkt politischer Aktivität dar. Es wurde in Erinnerung an das Wartburgtreffen 1817 abgehalten und bestand vor allem „in Verhandlungen, die in parlamentarischer Form“187 stattfanden. Im zweiten Teil seiner insgesamt 90 Seiten umfassenden Abhandlung ging es dann um die Seite der Professoren. Auch hier gab es eine überregional wichtige lokale Besonderheit, fand doch in Jena ein Hochschullehrerkongreß statt, auf dem die lange überfällige Reform der Universität diskutiert wurde. Anders als in Frankreich, wo 1789-1795 im Rahmen der Revolution ein völlig neues Universitätssystem eingeführt wurde, existierten in Deutschland bekanntlich alte und wenige neue Elemente unvermittelt nebeneinander.188 Die universitären Reformbemühungen von 1848 hatten keine direkten Erfolge zu verbuchen. Griewank resümiert dennoch:

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Ebd., S. 464. Vgl. zu Griewanks Aufsatz vor allem ebd., S. 457f. So BLEIBER: Literatur zur Geschichte der Revolution von 1848/49, S. 223f. und OTTO: Wandlung, Problemstellung und Urteilsbildung, S. 176. Karl GRIEWANK: Die politische Bedeutung der Burschenschaft in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens, in: WZJ, GSR 2 (1952/53), H. 4, S. 27-35. Dieses Genre der apologetischen Selbstbeschreibung existiert freilich immer noch. Vgl. Matthias STICKLER: Neuerscheinungen zur Studentengeschichte seit 1994. Ein Forschungsbericht über ein bisweilen unterschätztes Arbeitsfeld der Universitätsgeschichte, in: JbUG 4 (2001), S. 262-270, hier S. 262, 267. GRIEWANK: Politische Bedeutung der Burschenschaft, S. 40. GRIEWANK: Deutsche Studenten und Universitäten, S. 32. Vgl. Siegfried SCHMIDT: Revolution und Universitätsreform. Reformbestrebungen der Hochschullehrer in der deutschen bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49, in: Forschungen zur Jenaer Universitätsgeschichte, Jena 1985, S. 26-39, hier S. 28f.

6.2. Ein neues „altes“ Thema – die Revolution 1848

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„Der hohe Schwung aber und der Wille zu gesamtdeutscher staatsbürgerlicher Reform, der damals die Mehrheit der Studenten und schließlich auch der Hochschullehrer durchdrang, gehört zu den denkwürdigen Erscheinungen der ersten deutschen Revolution. Die Erinnerung daran darf, unabhängig von aller Kritik, die an politischen Halbheiten, Unklarheiten und Zwistigkeiten gerade in der akademischen Politik jener Tage geübt werden kann, noch heute ehrend festgehalten werden.“189

Aus diesen Worten kam ein gewisser Erinnerungs- und Festschriftcharakter zum Ausdruck, der sich freilich von burschenschaftlichen Selbsterinnerungen unterschied und die frühliberalen Ideen von Einheit und Freiheit zum Maßstab nahm. Den angedeuteten langfristigen Wirkungen der Revolutionserfahrung der Beteiligten ging Griewank allerdings nicht nach. Eine Einordnung in revolutions- oder universitätsgeschichtliche Modernisierungsproblematik nahm er in seinem Bändchen nicht vor. Sein Buch wird von Dieter Langewiesche als „immer noch lesenswert“190, von Rüdiger vom Bruch als „grundlegend“191 bezeichnet. Griewank betrat mit dieser Publikation, die an vielen Stellen aus den Quellen gearbeitet war, Neuland der Forschung und breitete detailliert neue Erkenntnisse aus. Die Einordnung in einen modernisierungstheoretischen Kontext nahmen jedoch erst spätere Studien vor mit Annährungen sowohl von universitätsgeschichtlicher192 wie revolutionsgeschichtlicher193 Richtung. Konrad Jarausch, der in seinem Längsschnitt zur Studentengeschichte das gesellschaftliche Potential der studentischen Jugend aus ihrer spezifischen Situation heraus analysiert, ist besonders zu erwähnen.194 Sieht man sich die studenten-, universitäts- und revolutionsgeschichtlichen Teile der Gesamtdarstellungen zur deutschen Geschichte an, so kommt dort, wie in den meisten universitätsgeschichtlichen Überblicken die Revolution 1848/49 nicht vor.195 Monographisch wurde von Heide Thielbeer, vom Eindruck aktueller „Politisierung der Hochschule und Mitbestimmungsforderungen der Studenten“196 angeregt, 1983 das Thema in vergleichender Methode untersucht. Thielbeer standen die in der DDR liegenden Jenaer Akten jedoch nicht zur Verfügung. Einen den neuesten Forschungsstand überblickenden Aufsatz legte 50 Jahre nach Griewank Frank Wogawa vor, der nun auch die „langfristigen Einflüsse auf die Entwicklung der Universitäten“ thematisierte und auf den Faktor „Revolutionserfahrung“ aufmerksam machte.197 Für Griewank war die universitäts- und studentengeschichtliche Darstellung der Universität in der Revolution jedoch nur ein Teil seiner Aktivitäten zum Revolutionsju-

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GRIEWANK: Deutsche Studenten und Universitäten, S. 80. Dieter LANGEWIESCHE: Studenten in den europäischen Revolutionen von 1848, in: JbUG 2 (1999), S. 38-57, hier S. 44, Anm. 18. Rüdiger VOM BRUCH: Die Universitäten in der Revolution 1848/49. Revolution ohne Universität – Universität ohne Revolution?, in: Wolfgang HARDTWIG (Hg.): Revolution in Deutschland und Europa 1848/49, Göttingen 1998, S. 133-160, hier S. 156, Anm. 5. Vgl. zusammenfassend ebd.; vgl. auch Rainer A. MÜLLER: Dir deutsche Universität als Freiheitstraum – Verfassungen und Parteiprogramme 1848 bis 1949, in: Bernd RILL (Hg.): Freiheitliche Tendenzen in der deutsche Geschichte, Regenburg 1989, S. 62-84. Vgl. auch LANGEWIESCHE: Die deutsche Revolution Forschungsstand (1981), S. 419; DERS.: Studenten in den europäischen Revolutionen. Konrad H. JARAUSCH: Deutsche Studenten 1800-1970, Frankfurt (M) 1984, S. 47. Diese hat Rüdiger von Bruch untersucht und den Befund nachgewiesen; vgl. mit Nachweisen VOM BRUCH: Universitäten in der Revolution 1848/49, S. 136. Heide THIELBEER: Universität und Politik in der Deutschen Revolution von 1848, Bonn 1983, S. 7. Frank WOGAWA: Universität und Revolution. Jena und die „hochschulpolitischen“ Reformbestrebungen 1948, in: HAHN/GREILING (Hg.): Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 445-474, hier S. 469. Vgl. auch Falk BURKHARDT: Chronik und Bibliographie zur Revolution von 1848/49 in Thüringen, Erfurt 1998, S. 217-219.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

biläum. Vielmehr ging es ihm zunehmend um das Typische dessen, was unter Revolution verstanden wurde. Dabei regte ihn vor allem die Lektüre von Stadelmanns Buch über 1848 an, der seine Analyse im Vorwort an längerfristige vergleichende Überlegungen knüpfte.198 Er habe sich schon länger in Seminaren und Vorlesungen über die europäischen Revolutionen um eine Typologie derselben bemüht, so Stadelmann dort.199 Als Stadelmann sein 1848er-Buch schrieb, war er ein etablierter Ordinarius in Tübingen. Winfried Schulze hat darauf verwiesen, daß Stadelmanns Interesse an der Revolution aus der nationalsozialistischen Zeit und der vom ihm als Revolution empfundenen faschistischen Bewegung herrührten.200 Stadelmann hatte 1933 mit Begeisterung den Nationalsozialismus begrüßt und war in die NSDAP eingetreten.201 Nach 1945 konnte er die auf langjährigen Forschungen aufbauenden Erkenntnisse demokratisch „aktualisiert“ präsentieren. Griewank kam aus einer anderen Generation und hatte einen anderen Zugang zum Thema, auch ist kein persönlicher Kontakt zum Tübinger Kollegen nachzuweisen. Nach Stadelmanns Tod im August 1949 und nachdem Griewank statt Stadelmann den Vortrag zur Revolution 1848 auf dem ersten deutschen Historikertag im September 1949 gehalten hatte, wurden in Jena Pläne zu einer vergleichenden Revolutionsforschung geschmiedet, die an Stadelmanns unvollendete Ideen anknüpften: Er plane „eine Untersuchung der großen Revolutionen der Neuzeit in ihrem Zusammenhang und ihrer Eigenart, in ihren sozialen, ideologischen und politischen Voraussetzungen, ihrem Verlauf und Ergebnis – also etwa das, was Stadelmann in dem Vorwort zu seinem Buch über 1848 als ‘Typologie der Revolution’ bezeichnet“202, so Griewank im März 1950. Bald wurde ihm jedoch klar, daß für eine solche Typologie nach sozialen, ideologischen und politischen Bedingungen zunächst einmal die Spezifik dessen zu klären ist, was unter dem Begriff „Revolution“ überhaupt verstanden werden konnte. Für diesen Zweck erschienen ihm primär Begriffs- und Definitionsfragen der Auseinandersetzung wert, die im folgenden zu betrachten sind.203 6.3. DER NEUZEITLICHE REVOLUTIONSBEGRIFF204 „Von den Großphänomenen des Geschichtsverlaufs ist die R[evolution] ohne Zweifel das meistuntersuchteste Problem.“205 Als Theodor Schieder dies 1972 in einem

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STADELMANN: Soziale und politische Geschichte, Vorwort. Vgl. auch Eduard SPRANGER: Gedenkrede, in: Rudolf Stadelmann zum Gedächtnis. Akademische Trauerfeier am 21. Januar 1950 im Festsaal der Universität Tübingen, Tübingen 1950, S. 14-35, hier S. 22-27. SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 115, zu Stadelmanns Antiliberalismus ebd., S. 40. Vgl. FAULENBACH: Die deutsche Geschichtsschreibung nach der Diktatur Hitlers, S. 37-63. Karl Griewank an Verlag F. Bruckmann, 30.3.1950, in: NL Griewank, Karton 5, Mappe „Schriftwechsel mit Verlagen 1947-1949“. Danach, dies hatte Griewank Schieder gegenüber besprochen, wolle er sich weiter mit der vergleichenden Revolutionsforschung beschäftigen. Vgl. Theodor SCHIEDER: Rez. Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, in: VSWG 43 (1956), S. 280. Alle in diesem Abschnitt in Klammern angegeben Seitenzahlen beziehen sich auf Karl GRIEWANK: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, Frankfurt (M) 21969 – textgleich auch: Frankfurt (M) 31992. Theodor SCHIEDER: Revolution. Die Theorie der Revolution, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. 5, Freiburg/Basel/Wien 1972, Sp. 692-721, hier

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

317

Lexikonartikel konstatierte, konnte er auf jahrzehntelange eigene Beschäftigung mit dem Thema zurückblicken. Spätestens seit dem Februar 1951 wußte Schieder auch bereits davon, daß in Jena Karl Griewank parallel an der Revolutionsthematik arbeitete. Der Münchener Verlag F. Bruckmann hatte Schieder wissen lassen, es gäbe „eine Gewissensfrage“ zu klären, bevor man ein mit ihm ins Auge gefaßtes Publikationsprojekt voranbringen könne, denn – wie es in dem Schreiben weiter heißt: „Wir hatten vor Jahren mit Herrn Professor Griewank über ein ähnliches Thema korrespondiert; die Formulierung lautet: Revolutionen der Neuzeit.“206 Es kam zur Absprache zwischen beiden, zumal auch Griewank Schieders Beiträge207 zum Thema zur Kenntnis genommen und eine „gewisse Berührung [...] auf dem Gebiet der Geschichte des Revolutionsproblems“208 bemerkt hatte. Beide waren sich jedoch sicher, „dass wir uns dabei nicht in die Quere kommen werden“209. In diesem Briefwechsel vom März 1952 berichtete Griewank Schieder von einem weitgehend fertigen Manuskript, das er zur Zeit redigiere. Diese Überarbeitung konnte er nicht mehr zu Ende führen. Sein Buch über die Revolution blieb bis zu seinem Tode unveröffentlicht und konnte erst aus dem Nachlaß herausgegeben werden. Karl Griewank wagte sich auf ein Feld, in dem die marxistisch-leninistisch-stalinistische Geschichtsschreibung die Deutungshoheit zu erobern trachtete. Fritz Hartung gab ihm dann auch den Ratschlag, dieses „heiße Eisen“ besser nicht anzupacken und meinte, „dass das Thema zur Zeit in der DDR überhaupt nicht befriedigend bearbeitet werden kann.“210 Griewank stellte sich dem Thema jedoch trotzdem und diskutierte seine Position mit den (marxistischen und nichtmarxistischen) Historikern der DDR. Diese zeitgeschichtlichen Schwierigkeiten gilt es ebenso wie die Besonderheiten der Edition vorzustellen. Welcher Ansatz war es, den Griewank verfolgte? Wie ist er in den Forschungskontext einzuordnen, was unterschied ihn also etwa von der Position Schieders oder der von Eugen Rosenstock-Huessy211, der die bis dato einzige umfangreichste Darstellung zur Revolutionsproblematik vorgelegt hatte?

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Sp. 693. Textgleich auch als Separatdruck in: DERS. (Hg.): Revolution und Gesellschaft. Theorie und Praxis der Systemveränderung, Freiburg 1973, S. 13-45, hier S. 14. Verlag F. Bruckmann an Theodor Schieder, 20.2.1951, in: BA Koblenz, NL Schieder, N 1188, Nr. 203 unpag. Den Hinweis auf diese Akte verdanke ich Elke Zimmermann (TU Dresden). Briefwechsel Griewanks mit dem Verlag: NL Griewank, Karton 5, Mappe „Schriftwechsel mit Verlagen“. Vgl. Theodor SCHIEDER: Das Problem der Revolution im 19. Jahrhundert, in: HZ 170 (1950), S. 233-271. Karl Griewank an Theodor Schieder, 2.3.1952, in: BA Koblenz, N 1188, NL Schieder, Nr. 378, unpag. Theodor Schieder an Karl Griewank, 9.8.1952, in: NL Griewank, Karton 2. Fitz Hartung an Karl Griewank, 29.5.1951, in: NL Horn-Staiger, Ordner 1. Eugen ROSENSTOCK: Die europäischen Revolutionen. Volkscharaktere und Staatenbildung, Jena 1931. Vgl. auch die spätere, veränderte Neuauflage: Eugen ROSENSTOCK-HUESSY: Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, Stuttgart 1961. Eugen Rosenstock nannte sich erst im amerikanischen Exil (nach Schweizer Tradition den Namen der Ehefrau aufnehmend) „RosenstockHuessy“. Im folgenden wird zumeist der Doppelname verwendet, auch wenn sich die Aussage auf frühere Zeiten bezieht. Vgl. zur Biographie allgemein: Klaus-Gunther WESSELING: Art. „Rosenstock-Huessy, Eugen“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 8 (1994), Sp. 688-695 und Bernd FAULENBACH: Eugen Rosenstock-Huessy, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Bd. 9, Göttingen 1982, S. 102-126.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

6.3.1. „So mag es denn als ein wenn auch unvollkommener Griewank in die Welt gehen“ – Zur Edition Zunächst erschien das Buch „Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung“ 1955 im Weimarer Böhlau-Verlag. Die 1969 in der Bundesrepublik erschienene zweite Auflage, die dann 1973 (peinlicherweise mit falschem Untertitel212, aber ansonsten textgleich) als Suhrkamp-Taschenbuch herauskam, sorgte wesentlich dafür, daß Griewank auch in den folgenden Jahrzehnten noch wahrgenommen wurde. Griewank hatte mehrere Manuskriptteile, eine Reihe von Vortrags- und Aufsatztexten und umfangreiche bibliographische Notizen hinterlassen. Unklar blieb neben der Anordnung auch der endgültige Titel des geplanten Werkes. Ein vorläufiges Inhaltsverzeichnis überschrieb er: „Die Idee der Revolution in der abendländischen Geschichte“, eine andere Übersicht: „Der moderne Revolutionsbegriff in seiner Distanz zum mittelalterlichen Denken“.213 Schieder gegenüber sprach er von einer „Abhandlung über die Geschichte der Revolutionsauffassungen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts“, dann wieder von „einer Geschichte des Revolutionsbegriffs“.214 Der Böhlau-Verlag bevorzugte: „Die Idee der Revolution in der Geschichte“, da die von Griewank selbst dem Verlag gegenüber zuletzt genannte Variante „Staatsumwälzungen und Revolutionen in den Wandlungen der Revolutionsauffassung vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ als „etwas schwerfällig“ eingestuft wurde, obwohl dieser Titel „dem Inhalt genau“ entspreche.215 Es handelte sich also keineswegs um ein fertiges Manuskript, sondern um eine in Konzeption, Ausführung und Ausrichtung noch im Prozeß befindliche Arbeit. Die Textteile stammten zudem aus verschiedenen Jahren zwischen 1949 und 1952.216 Die Hauptbestandteile bilden zwei große Textteile, von denen der ältere (von der Herausgeberin Ingeborg Horn „Manuskript A“ genannt) den zweiten Teil des Buches bildet. Der jüngere („Manuskript B“) behandelt in weiten Teilen die Distanz des neuzeitlichen zum mittelalterlichen Denken und muß auf jeden Fall nach Juni 1952 entstanden sein.217 Die Mauskripte überschneiden sich. Es ist also davon auszugehen, daß Griewank das ältere Manuskript A sukzessive überarbeiten wollte. Die Witwe entschloß sich bald, das Buchprojekt als nachgelassene Schrift zu realisieren: „So mag es denn als ein wenn auch unvollkommener Griewank in die Welt gehen. Sorge bereiten mir die letzten etwa 6 Kapitel, die er schon 1952 geschrieben

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Der Untertitel lautete irrtümlich „Entstehung und Geschichte“ statt „Entstehung und Entwicklung“, was durch Einlegezettel als Erratum gekennzeichnet wurde. Die Taschenbuchausgabe erschien als „suhrkamp taschenbuch wissenschaft; 52“ 1973. Undatierte DIN A5 Zettel, in: NL Horn-Staiger, Ordner 3. Auf einer Karteikarte (ebd.) notierte Frau Horn als weitere Varianten „Die Entstehung des modernen Revolutionsbegriffes“, „Die Entwicklung des modernen Revolutionsbegriffes“ und „Vorschlag Heussi: Der Wandel des Revolutionsbegriffes vom 16. bis 19. Jht.“ Karl Griewank an Theodor Schieder, 2.3.1952 und undat. [1952], in: BA Koblenz, N 1188, NL Schieder, Nr. 378, unpag. Leiva Petersen (Böhlau-Verlag, Weimar) an Willy Andreas, 12.11.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 811, unpag. Vgl. hierzu detailliert: Ingeborg HORN: Vorwort zur ersten Auflage, in: Karl Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, Frankfurt (M) 21969 – textgleich auch: Frankfurt (M) 31992, S. 5-11; in der Erstauflage 1955 auf S. VII-XV. Es wurden darin einige Anregungen aufgenommen, die in der Diskussion des Vortrags Griewanks im Juni 1952 gegeben wurden. Insbesondere die Bemerkungen Heinrich Sproembergs fanden Berücksichtigung. Vgl. Diskussionsbeitrag Sproemberg, in: ABBAW Berlin, Bestand HistorikerGesellschaft, Nr. 183, Bl. 189-192, in der uneinheitlichen Originalzählung 2. Tag 50-52/70.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

319

hatte und die er selbst gewiß noch sehr umgearbeitet hätte. Er gehörte zu denjenigen, die nie zufrieden waren, immer wieder änderten, noch zuletzt in der Korrekturfahne.“218 Nach Rücksprachen mit Karls Bruder Theodor, dem Cousin Arnold Fratzscher, Irmgard Höß219 und Willy Andreas entschied sich Magdalene Griewank sehr bald, diese Aufgabe an Ingeborg Horn heranzutragen,220 die darin eine Herzensaufgabe sah: „Es ist für mich persönlichstes Anliegen, denn ich habe in Herrn Professor Griewank den besten und treuesten Freund und Helfer in allen Nöten gefunden, den nur ein Mensch im Leben finden kann. Sein Tod hat auch in meinem Leben eine nicht wieder zu schließende Lücke gerissen, und dankbar bin ich für jeden kleinen Dienst, den ich ihm und seinem Andenken wenigstens auf diese Weise leisten kann.“221

Ingeborg Horn war ohne Zweifel die ideale Herausgeberin des Buches, nicht nur weil ihre Promotion222 im ganz unmittelbaren Forschungszusammenhang stand, sondern weil sie als Hilfskraft und dann als Assistentin mit Griewank im Austausch über die Revolutionsthematik stand; er hatte ihr „vielfach Teile zum Lesen gegeben, und manche Kapitel nach dem Manuskript zum Abschreiben.“223 Hilfe suchte und erhielt sie von dem über Griewanks Tod geschockten akademischen Lehrer Willy Andreas, dem sie sich einige Tage nach der Beerdigung brieflich als Schülerin Griewanks vorstellte und ihr Anliegen vortrug.224 Andreas begleitete die Edition; er wäre auch zu einem den Verstorbenen würdigenden Nachwort bereit gewesen, wie Horn-Staiger es sich vorstellte. Da er bereits zwei Nekrologe225 geschrieben hatte und das Nachwort zu einer Kompilation derselben geraten wäre, trat man an Hermann Heimpel heran, der zu Griewanks Beerdigung für den Historikerverband anwesend war. Arnold Fratzscher war jedoch sehr skeptisch: „Du fragst mich weiterhin nach jemand aus dem Westen, der einen Nachruf auf das Revolutionsbuch schreiben könnte. Ich wüßte in der Tat niemanden, der es machen könnte, was an sich sehr bedauerlich ist, wenn man bedenkt, wieviel Karl für die Wissenschaft getan hat. Heimpel ist, nachdem er nun auch noch Vizepräsident der Forschungsgemeinschaft wurde, mehr als besetzt. Er muß jede Woche nach Godesberg fahren und hält außerdem zwei neue Vorlesungen, darunter eine sehr beachtete publice-Vorlesung über deutsche Geschichte, die er gestern begonnen hat.“226

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Magda Griewank an Willy Andreas, 17.3.54, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Irmgard Höß hatte die Manuskriptteile am 19.12.1953 „fertig gesichtet“, am 9.1.1954 mit einem Gutachten über die Zusammenfassung der Teile versehen und an den Verlag weitergegeben. Magdalene Griewank stellte aber bereits am 6.1.1954 Willy Andreas gegenüber klar, daß Höß darüber hinaus keine editorische Arbeit leisten könne. Dennoch schlug Andreas am 21.1. nochmals Höß als Herausgeberin vor, war jedoch auch mit der Herausgabe durch Frau Horn einverstanden. Vgl. Irmgard Höß an Willy Andreas, 19.12.1953 und 6.1.1954; Magdalene Griewank an Willy Andreas, 9.1.1954 und Willy Andreas an Magdalene Griewank, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 811, unpag. Diese Arbeit läßt sich anhand der Textteile und des Schriftwechsels nachvollziehen. Allein der Anmerkungsapparat, in dem die Titel meist nur in Kurzform genannt wurden, erforderte umfangreiche Nachrecherchen. Vgl. NL Griewank Karton 16-18; NL Horn-Staiger, Ordner 3 und BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 811, unpag. Ingeborg Horn an Willy Andreas am 11.11.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 811. Ingeborg HORN (geb. STAIGER): Die Darstellung und Auffassung der neuzeitlichen Revolutionen bei Ranke, Diss. phil. Jena 1952. Ingeborg Horn an Willy Andreas, 11.11.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 811, unpag. Ebd. Das erste Schreiben an Andreas datiert vom 11. 11.1953, neun Tage nach der Beerdigung. Willy ANDREAS: Karl Griewank †, in: HZ 177 (1954), S. 665-667; DERS.: Karl Griewank †. Betrachtungen zu einem modernen Gelehrtenschicksal, in: GWU 5 (1954), S. 610-614. Arnold Fratzscher an Theodor Griewank, 11.11.1954, in: Privatarchiv Familie Griewank.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Heimpel nahm sich dennoch die Zeit für ein Nachwort, das er als eine sehr persönliche und warmherzige Würdigung für den fast gleichaltrigen Kollegen gestaltete. Die Tatsache, daß eine zweite Auflage 1969 in Westdeutschland erschien, ist wieder auf die Initiative von Ingeborg Horn-Staiger (wie sie sich nach der Trennung von ihrem Mann Otfried Horn nannte) zurückzuführen. Sie war inzwischen nach Westdeutschland übergesiedelt. „Es wird Ihnen gewiß klar sein, daß Sie jetzt darüber entscheiden, ob das Buch der Vergessenheit anheimfällt oder der Fachhistorie wirklich ins Blickfeld gerückt wird“227, schrieb sie an Magdalene Griewank, nachdem die Neuauflage wegen Rechts- und Kompetenzfragen zu einem deutsch-deutschen Streitfall zu werden drohte und die Witwe deshalb zögerte. Der Vertrag mit Böhlau bezog sich 1955 ausdrücklich nur auf eine Auflage. Insofern mußte über eine neue Auflage neu verhandelt werden. Der Verlag Hermann Böhlau Nachfolger (Weimar) wollte der Witwe eine Neuausgabe in der DDR schmackhaft machen. Die Witwe gab schließlich jedoch die Vollmacht zur Neuausgabe an Horn-Staiger und damit in den Westen. HornStaigers Engagement kam zur rechten Zeit, konstatierten doch nach 1968 fast alle Rezensenten eine starke Aktualität des Themas. Es waren die Studentenbewegung 1968 und die mit dem Ende der Kolonialzeit verbundenen weltweiten Befreiungs- und Revolutionsbewegungen, die diese Aktualität suggerierten. Gesellschaftliche Probleme und der Weg zur Überwindung wurden diskutiert, „Revolution“ war nun in aller Munde.

6.3.2. Was ist eine Revolution? Die Unschärfe des Revolutionsbegriffs wurde in der Literatur häufig konstatiert.228 Von der Definition des Phänomens Revolution hängt ohne Zweifel vieles ab. Im folgenden sollen mögliche Definitionen und Herangehensweisen von der Griewanks abgegrenzt werden. Dabei ist es zum einen möglich, eine moderne Definition auf vergangene Epochen anzuwenden. Der Revolutionsbegriff dient dann als eine moderne Analysekategorie. Eine solche Definition muß jedoch ihre Plausibilität wiederum induktiv aus der Phänomenologie der zu beschreibenden Ereignisse herleiten, will sie nicht willkürlich sein. Mithin ist sie nicht ohne eine Reflexion des heutigen Verständnisses von Revolution denkbar. Möglich ist es, typische Konstellationen der Trägerschichten von Revolutionen ausfindig zu machen.229 Häufig setzt Revolution als moderne Analysekategorie jedoch beim Ergebnis des Prozesses aus, indem man die eingetretene Veränderung als revolutionär und daraus den Prozeß als Revolution ansah. Am deutlichsten wird dies bei

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Ingeborg Horn-Staiger an Magdalene Griewank (hdschr., DS), 20. 12. 1967, in: NL Horn-Staiger, Ordner 3. Vgl. etwa Jens FLEMMING: Artikel „Revolution“, in: Manfred ASENDORF/Jens FLEMMING/Achatz von MÜLLER/Volker ULLRICH (Hg.): Geschichte. Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe, Reinbek 1994, S. 549-555, hier S. 549, zu Griewank S. 550. Vgl. Charles TILLY: Die europäischen Revolutionen, München 1993. Tilly betrachtet die Revolutionen von 1492 bis 1992. Seine Definition von „Revolution als einen mit Gewalt herbeigeführten Machtwechsel innerhalb eines Staates, in dessen Verlauf wenigsten zwei bestimmte Gruppen miteinander unvereinbare Ansprüche auf die Macht im Staat stellen“ (S. 29f.) ist jedoch nicht so innovativ und präzise, um sich wirklich als allererste „systematische, historische begründete Analyse revolutionärer Vorgänge“ (S. 24) zu bewähren, wie es versprochen wird. Das Buch trägt doch eher einen kompilatorischen Charakter. Das gilt noch viel stärker für Peter WENDE (Hg.): Große Revolutionen der Geschichte. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 2000.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

321

der Diskussion um die „Industrielle Revolution“, ein Begriff, der zeitgenössisch so nicht existierte und gewisse Vorstellungen über den Industrialisierungsverlauf implizit zusammenbringt.230 Insbesondere enthält die Anwendung der Kategorie Revolution einen wertenden Charakter, der von der eigenen Interpretation abhängt. Deutlich wird dies am marxistischen Verständnis, das der Revolution einen positiv-emanzipatorischen Charakter zuweist. Revolutionen waren demzufolge die „Lokomotiven der Geschichte“. Sie bringen die Gesellschaft in diesem Verständnis jeweils eine Stufe weiter, in dem sich in ihnen bestehende ökonomische Klassengegensätze im Klassenkampf entladen. Hier wird also dem Phänomen eine Funktion innerhalb eines geschichtsphilosophischen Systems zugeordnet. Entgegen dieser Herangehensweisen hat Karl Griewank versucht, den Begriff nicht aus Gegenwartssicht als Analysekategorie und nicht deduktiv aus einer Geschichtsphilosophie herzuleiten. Vielmehr versuchte er aus dem Bewußtsein der Beteiligten heraus Schlußfolgerungen zu ziehen, wodurch die Verwendung des Begriffs und die Vorstellung vom Phänomen Revolution in den Vordergrund rückten. Auch er mußte feststellen, daß „die Bestimmung des Begriffs selbst bis in die neuste Zeit veränderlich [ist] und auch im Grundsätzlichen nichts weniger als einheitlich und eindeutig. Als allgemeinstes Kennzeichen darf angesprochen werden, daß ‘Revolution’ ein Neuanfang unter entschiedenem Bruch mit der Vergangenheit ist: Bruch mit ihren politischen und rechtlichen Satzungen als politische Revolution, Bruch mit ihrem Gesellschaftsaufbau als soziale Revolution, Bruch mit geistigen Gehalten und Wertesystemen als geistige und kulturelle Revolution, Revolution des Weltbildes, der Wissenschaft oder anderer Kulturbereiche“ (20).

Griewank nahm sehr weite Definitionsvorschläge zur Kenntnis, nicht nur die „industrielle Revolution“, die „Kulturrevolution der Aufklärung“ oder den Historismus als „eine der größten geistigen Revolutionen, die das abendländische Denken erlebt hat“ (Friedrich Meinecke) (vgl. 21). Es fehlte zudem nicht an „unbestimmten, oft mehr Grauen als Klarheit bringenden, vor allem psychologischen Umschreibungen und Dämonisierungen der Erscheinung ‘Revolution’“ (21).231 Es gehe ihm jedoch nicht darum, durch empirische Untersuchung eine Definition oder eine soziologische Theorie der Revolution zu entwerfen, sondern vielmehr um die Genese des modernen Revolutionsbewußtseins. Zu deren Analyse benötige er eine Arbeitsthese, und suchte deshalb „nach einer brauchbaren Definition dessen, was in der Geschichte nach heutigem Wortverständnis eindeutig als ‘Revolution’ zu bezeichnen ist“ (21). Hierfür sei eine weite Ausdehnung des Begriffs auf jahrhundertelange Neuerungen nicht geeignet.232 „Ganz eindeutig ist der Name der Revolution bisher nur geworden für bestimmte geschichtliche Gesamtphänomene, in denen sich dreierlei verbindet: Der stoßweise und gewaltsame233 Vorgang (Durchbruch, Umbruch) insbesondere in bezug auf diesen Umwälzung von Staats- und Rechtsverhältnissen; weiter ein sozialer Inhalt, der in Gruppen- und Massenbewegungen, meistens auch in offenen Widerstandshaltungen derselben in Erscheinung tritt, und schließlich die ideelle Form der

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Zur Diskussion um den Begriff vgl. Hans-Werner HAHN: Die industrielle Revolution in Deutschland, München 1998, S. 51-59 und die dort angegebene Literatur. Hier erfolgt bei Griewank (21) ein pauschaler Verweis auf die Beispiele in: Carl BRINKMANN: Soziologische Theorien der Revolution, Göttingen 1948. Hans-Georg Wolf behauptet, daß Griewanks Definition „zunächst ein Hindernis bei der historischen Beweisführung in der nationalen Konzeption der SED“ bedeutet habe. Das hieße jedoch, daß er für die SED-nahe Geschichtswissenschaftler der DDR normsetzend gewirkt habe, was bezweifelt werden muß. Hans-Georg WOLF: Die Geschichtswissenschaft in der DDR im Rahmen der Gesellschaftswissenschaften. Eine Bestandsaufnahme in Selbstzeugnissen, in: FISCHER/HEYDEMANN, Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd. 1, S. 179-253, hier S. 198. Die Notwendigkeit des Elementes der Gewaltsamkeit wird allerdings ausdrücklich eingeschränkt (22, Anm. 9).

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6. Demokratie und Revolution – Themen programmatischen Idee oder Ideologie, die positive Ziele im Sinne einer Erneuerung, einer Weiterentwicklung oder eines Menschheitsfortschritts aufstellt. Mag das eine oder andere dieser Elemente für spezielle Begriffsbestimmungen entbehrlich sein, so bilden sie zusammen doch erst die ‘Revolution’ im Vollsinne, die sich deutlich von der Fülle ständiger und schwer voneinander zu trennender Wandlungserscheinungen in der Geschichte abheben läßt.“ (21f.)

Das methodische Problem, daß eine moderne Analysekategorie immer nur vom heutigen Revolutionsverständnis denkbar ist, machte Griewank somit zum Thema, indem er dieses moderne Verständnis phänomenologisch beschrieb. Er fragt danach, was als „Revolution im Vollsinne“ angesehen wird – und zwar zu Beginn seiner Abhandlung. Diese eher vorläufige, phänomenologische Definition diente ihm dann für die Analyse als Arbeitshypothese. Sie enthielt jedoch bereits einige wichtige Thesen, weil sie den Umbruchscharakter, die Veränderung der Verhältnisse, die Bedeutung der Trägerschichten und Bewegungen, das Auftreten von Programmatik und Ideologie und die revolutionären „positive[n] Ziele im Sinne einer Erneuerung“ als flexible Bestandteile des Phänomens „Revolution“ konstatiert. Für den anglomarxistischen Revolutionshistoriker Eric Hobsbawm, den man ohne Zweifel als einen der wichtigsten Revolutionsforscher bezeichnen kann, galt Griewanks Definition als „most useful“234 und zwar gerade deshalb, weil sie von der Phänomenologie ausgehe. Man müsse zunächst analysieren, „what the term ‘revolution’ has actually come to mean“235, wodurch man Revolution als einen positiv besetzten Begriff, der eine optimistische Vorstellung von Neuerungsbewegungen enthält, erkenne. Nur auf diesem Wege könne man die Elemente der Massenmobilisation und des Fortschrittsdenkens als solche erkennen. Griewank ging es darum zu zeigen, wie genau dieses Verständnis historisch gewachsen ist. 236 Griewank nahm also einen gegenwartsbezogenen, neuzeitlichen Blickwinkel ein. Revolution braucht nicht a priori als neuzeitliches Phänomen betrachtet zu werden, auch hier kommt es auf die Definition an: „Ob die Antike Revolutionen gekannt habe, ist eine Definitionsfrage“237, stellt nicht nur Christian Meier fest. Bereits Theodor Mommsen prägte den Begriff der „Revolutionsperiode“ für die Bürgerkämpfe in der Römischen Republik – für Griewank eine „temperamentvoll[e]“ (215) Übertragung späterer Phänomene auf frühere Zeiten.238 Diese, vor allem auch durch Ronald Syme weitergeführte These der „Römischen Revolution“239 geht von einer modernen Analysekategorie „Revolution“ aus und wird als solche innerhalb der Alten Geschichte verwendet. Gerade an solchen Beispielen der sogenannten „Vormoderne“ arbeitet sich Griewank ab. Gegen Griewanks neuzeitlichen Blick wandte Ferdinand Seibt ein, er lege eine „einseitig modernistische These“ an den Tag, indem er „eine Revolution aus dem

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Eric J. HOBSBAWM: Revolution [1986], in: Roy PORTER/Mikuláš TEICH (Hg.): Revolution in History, Cambridge/New York/Melbourne 1993, S. 5-46, hier S. 9. Ebd. Vgl. hierzu Georg P. MEYER: Revolutionstheorien heute. Ein kritischer Überblick in historischer Absicht, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): 200 Jahre amerikanische Revolution und moderne Revolutionsforschung (GG; Sonderheft; 2), Göttingen 1976, S. 122-176, hier S. 168-172, insbesondere auch zu Griewank und Hobsbawm S. 172, Anm. 187. Christian MEIER: Art. „‘Revolution« in der Antike“, in: Otto BRUNNER/Werner CONZE/Reinhart KOSELLECK (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 656-670, hier S. 656. Vgl. hierzu: Elisabeth TORNOW: Der Revolutionsbegriff und die späte römische Republik. Eine Studie zur deutschen Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt (M) [u.a.] 1978. Vgl. Ronald SYME: Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom [1939], Darmstadt 2003.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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Bewußtseinstand der Revolutionäre herzuleiten“240 versuche: „Der Jenaer Historiker hatte 1955 in einem vielbeachteten Buch seine Definition vom zeitgenössischen Revolutionsverständnis abhängig gemacht und sie demnach erst nach der französischen Revolution, etwa um 1800, in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung etabliert.“241 Seibt möchte – wie zuvor schon Eugen Rosenstock-Huessy – das Phänomen europäischer Revolutionen im Spätmittelalter beginnen lassen. Er nimmt Griewanks Impulse insofern auf, als er verstärkt nach dem Revolutionsbewußtsein fragt. Dieses habe es in der Frühen Neuzeit bereits gegeben, so seine Generalthese. Was ihn methodisch von Griewank unterscheidet, ist das von diesem gewählte Instrumentarium der ideengeschichtlichen Begriffsanalyse. Seibt geht es weniger um den Revolutionsbegriff, dessen Verwendung für Griewank ein Echolot ist, mit dem man die Tiefen des Revolutionsbewußtseins erforschen kann, sondern er legt im Grunde moderne Analysekategorien an. Peter Blickle, um ein weiteres Beispiel zu nennen, spricht vom Bauernkrieg als einer „Revolution des gemeinen Mannes“.242 Der Revolutionsbegriff wird hier expressis verbis als moderner Analysebegriff eingeführt und bewußt mit einem Quellenbegriff („gemeiner Mann“) kombiniert. Auch für Karl Griewank spielt der Bauernkrieg eine zentrale Rolle in seiner Argumentation. Er kommt jedoch aus methodischen Gründen zu anderen Ergebnissen als Blickle.243 Er schaut nach der Verwendung des Begriffs „Revolution“ durch die Zeitgenossen, gerade um die Konvergenz des Quellenbegriffs mit dem Analysebegriff herauszustellen – als den Moment, in dem das Revolutionsbewußtsein die Verwendung des Begriffs im heutigen Sinne hervorbringt. Diese Konvergenz tritt – so Griewanks These – um 1800 ein. Von der semantischen Analyse wird die Neuzeitlichkeit bestärkt: „Der Revolutionsbegriff ist neuzeitlich.“244 So beginnt Reinhart Kosellecks seinen Aufsatz „Revolution“ in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ programmatisch. Mehr noch, und auch hier deckt sich Griewanks Kernthese mit dem, was Koselleck später ausarbeiten wird: Der Revolutionsbegriff habe mit der Französischen Revolutionen einen explizit dynamischen Charakter erhalten, der für das spezifisch neuzeitliche Revolutionsverständnis konstitutiv ist, es sei „ein neuer Erwartungshorizont eröffnet [worden]. Die Revolution führt seitdem offensichtlich nicht mehr zurück in vorgegebene Zustände oder Möglichkeiten, sie führt seit 1789 in eine so unbekannte Zukunft, daß sie zu erkennen und zu meistern eine ständige Aufgabe der Politik geworden ist.“245 Griewank führte zu diesem neuzeitlichen Charakter aus: „Wie immer man aber einen heute allgemeinverbindlichen Begriff der Revolution auch fixieren mag, in jedem Falle ist er mitsamt den angedeuteten vielseitigen Verwendungen erst möglich geworden auf Grund eines spezifisch modernen Weltverständnisses. Er setzt eine Einsicht in die Veränderlichkeit der Welt nicht nur, sondern auch eine Wertschätzung des Neuen und Umwälzenden voraus, die frühere Zeitalter als solche nicht kannten; er beruht auf dem dynamisch-geschichtlichen Lebensge-

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Ferdinand SEIBT: Revolution in Europa. Ursprung und Wege innerer Gewalt. Strukturen, Elemente, Exempel, München 1984, S. 347. Ebd., S. 116. Peter BLICKLE: Die Revolution von 1525, München/Wien ²1981, zusammenfassend: S. 282-287. Griewanks Abschnitt „Reformation und Revolution in Deutschland (1435 bis 1535), die Krise des Reformationsbegriffs“ (70-101) ist ein durchaus zentrales Kapitel. Leider hat Blickle seinen Vorgänger in seiner Darstellung ignoriert, Griewank taucht im Literaturverzeichnis nicht auf. Reinhart KOSELLECK: Art. „Revolution“, in: Otto BRUNNER/Werner CONZE/DERS. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 653-788, hier S. 653. DERS.: Historische Kriterien des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs [1969], in: DERS.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt (M) 42000, S. 67-86, hier S. 76.

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6. Demokratie und Revolution – Themen fühl der von Europa und speziell vom Abendlande ausgegangenen modernen Kultur und auf der Einsicht in die wechselseitige Bedingtheit aller menschlichen Verhältnisse, die erst auf der Grundlage der modernen Naturwissenschaften und der europäischen Aufklärung – wenn auch keineswegs nur aus ihr – erwachsen ist“ (22).

Griewank ging es nun darum, herauszufinden, seit wann Revolution mit einem Entwicklungsgedanken untermauert wird, mit dem man „den Sinn dieses Geschehens aus dem Statischen herauszuheben, die Revolution als eine Kraft zu deuten“ (195) imstande war. Bereits der definitorische Teil in Griewanks Arbeit trägt also den neuzeitlichen Charakter und damit eine zentrale These der Arbeit in sich, und zwar auch als Ausgangspunkt für die Fragestellung: Wie entwickelten sich die Vorstellungen über „revolutionäre“ Umbrüche, bis sie zu diesem spezifischen Revolutionsbegriff geworden ist?

6.3.3. „... sondern die Geschichte des Revolutionsverständnisses...“ – Zum Ansatz Griewank versuchte somit die moderne Revolutionsauffassung in ihrer Entstehung zurückzuverfolgen. Seinen methodischen Ansatz verortete er selbst folgendermaßen: „Nicht eine Geschichte der Revolution oder ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung für die Geschichte der Neuzeit, auch nicht Geschichte der revolutionären Ideen. Schon gar nicht kann ich als Historiker mich zuständig fühlen für die Begriffsbestimmung der Revolution als eines soziologischen Ereignisses, sondern die Geschichte des Revolutionsverständnisses seit dem Beginn der sogenannten Neuzeit, die Entwicklung eines spezifisch modernen Revolutionsbegriffes möchte ich versuchen an einigen entscheidenden Punkten klarzustellen.“246

Es ist also festzustellen: 1. Das Buch sollte keine Ereignisgeschichte der Revolution werden. 2. Griewank wollte keine abstrakte oder soziologische247 Definition von Revolution erarbeiten oder anwenden. 3. Es sollte keine (reine) Begriffsgeschichte des Wortes Revolution entstehen. 4. Er wollte auch keine ideengeschichtliche Arbeit schreiben, obwohl er dem de facto und aufgrund der Quellengrundlage sehr nahe kommt. Ersteres hätte nach seiner Darstellung zur Französischen Revolution und seinen Arbeiten zur Revolution von 1848 durchaus nahegelegen. Es wäre auch keineswegs die erste Darstellung dieser Art gewesen, auch nicht die erste eines Jenaer Historikers. Alexander Cartellieri hatte bereits 1921 eine „Geschichte der neueren Revolutionen. Vom englischen Puritanismus bis zur Pariser Kommune (1642-1871)“248 vorgelegt, ein „schlichtes und vergleichsweise nüchternes Tatsachenkompendium“249, das bei Griewank merkwürdigerweise keinerlei Berücksichtigung fand – merkwürdig deshalb, weil Griewank Cartellieri als alten Emeritus noch kennengelernt hatte und die beiden die Revolutionsproblematik verband. Matthias Steinbach weist darauf hin, daß Griewank zu Gast zu Cartellieris 80. und 85. Geburtstag anwesend war und dessen Bibliothek benutzt hat. „Überdies darf vermutet werden, daß es zwischen beiden vornehmlich zur Frage des Revolutionsbegriffes, dem Griewank in seinen letzten

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Karl Griewank, undat., zit. nach: Ingeborg HORN: Vorwort zur ersten Auflage, in: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, Weimar 1955, S. VIII. Vgl., von Griewank hierzu herangezogen: Carl BRINKMANN: Soziologische Theorien der Revolution, Göttingen 1948. Alexander CARTELLIERI: Geschichte der neueren Revolutionen. Vom englischen Puritanismus bis zur Pariser Kommune (1642-1871), Leipzig 1921. STEINBACH: Des Königs Biograph, S. 181, ähnlich schon Cartellieri selbst im Vorwort.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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Lebensjahren besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat, anregende Gespräche gab.“250 Dies kann nicht belegt werden, wäre jedoch nachvollziehbar. Dennoch unterschied sich Griewanks Ansatz von dem Cartellieris, der empirische Erkenntnisse aus der fremdsprachigen Literatur „unparteiisch“ zusammenzutragen und dabei „die leitenden Persönlichkeiten an ihren Platz zu stellen“251 versuchte. Es ging Griewank um Deutungs- und Wahrnehmungsgeschichte von Revolution. Es kam ihm, wie Theodor Schieder als Rezensent treffend zusammenfaßte, „nicht darauf an festzuhalten, was nach heutiger – soziologischer, phänomenologischer – Einsicht in das Wesen von Revolution in der älteren europäischen Geschichte unter diesen Begriff fallen würde, sondern auf die schrittweise Ermöglichung des Verständnisses für das, was heute Revolution heißt.“252 Griewank gab sich nicht damit zufrieden, „in unserem Sinne mehr oder weniger ‘revolutionäre’ geschichtliche Bestrebungen“ (38) zu erkennen, auch ging er – in Abgrenzung zu Rosenstock-Huessy – nicht davon aus, „daß also das Wort ‘revolutio’ als politischer Begriff gleichzeitig mit dem Bewußtsein für das, was wir heute sachlich als ‘Revolution’ verstehen, erwacht wäre“ (104). Griewank ging von der konstituierenden Bedingung aus, daß „allen Revolutionen eine Bewußtseinsschärfung oder -veränderung hinsichtlich beklagter Mißstände im Staate voraus [gehe], die im allgemeinen durch Intellektuelle auf verschiedenen Wegen vorbereitet und verbreitet werden.“253 Hier rückte zwar die Französische Revolution ins Zentrum der These vom dynamischen Revolutionsverständnis, im Mittelpunkt der Griewankschen Arbeit stand jedoch der Weg dorthin: Das Buch reicht deshalb zeitlich weit zurück. Es beginnt im Mittelalter, thematisiert über weite Strecken frühneuzeitliche Geschichte und erreicht erst mit dem neunten der elf Kapitel die Französische Revolution.254 Ein Rezensent sprach deshalb spitz von einem zeitlichen Rahmen „von den Staufern bis Stalin“255. Diesen Aufbau hielt Griewank jedoch für wichtig, um die Besonderheit der neuzeitlichen Revolutionswahrnehmung klarzustellen. Dabei ging es nicht um eine Begriffsgeschichte des Wortes Revolution – auch wenn der letztlich gewählte Titel dies nahelegt. Im Unterschied zu einer parallel entstandenen Münchener Dissertation, die der Jenaer Professor nicht mehr zur Kenntnis nehmen konnte, ging es nicht um die sprachgeschichtliche Ebene des Problems.256 Er notierte dazu: „Es ist nicht die Absicht, die Bedeutung des Wortes Revolution zu verfolgen – hierfür Rosenstock“ (6). Dennoch bietet sein „neuzeitlicher Revolutionsbegriff“ für

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Auch die Benutzung der Bibliothek läßt sich schwer nachweisen. Matthias STEINBACH: Die Jenaer Geschichtswissenschaft und die Revolution von 1848/49, in: HAHN/GREILING (Hg.): Revolution von 1848/49 in Thüringen, S. 683-704, hier S. 692. CARTELLIERI: Vorwort. Ähnlich S. 208. SCHIEDER: Rez. Griewank: Revolutionsbegriff, S. 280. Hannelore HORN: Zum Wandel des Revolutionsbegriffs (1848-1998), in: Heiner TIMMERMANN (Hg.): 1848 – Revolution in Europa. Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen, Berlin 1999, S. 39-67, hier S. 48. Vgl. Karl GRIEWANK: Der neue Revolutionsbegriff der Französischen Revolution, in: Kurt HOLZAPFEL/Matthias MIDDELL (Hg.): Die Französische Revolution 1789 – Geschichte und Wirkung, Berlin 1989, S. 115-120. Es handelt sich um einen Separatdruck dieses neunten Kapitels. Alfred DEGEN: Rez. Griewank: Der Neuzeitliche Revolutionsbegriff, in: Hessische Blätter für Volksbildung 1971, H. 1, S. 58f. Hans Wilhelm SEIDLER: Die Geschichte des Wortes Revolution. Ein Beitrag zur Revolutionsforschung, Diss. phil. München 1955 (MS). Seidlers Arbeit ist eine sprachwissenschaftliche Analyse, die freilich nicht ohne fachhistorische Bezüge auskommt. So dankt er Heinz Gollwitzer und Franz Schnabel im Vorwort für den Hinweis „auf mir unbekannte einschlägige Literatur“ (5).

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6. Demokratie und Revolution – Themen

begriffsgeschichtliche Fragestellungen eine gute Grundlage und wird deshalb häufig gerade in dieser Hinsicht als Referenz angeführt.257 Griewanks Studie läßt sich ohne Zweifel im Meineckeschen Sinne – also in Abgrenzung zur „positivistischen“ politischen Geschichtsschreibung – als ideengeschichtlich bezeichnen. Sein Verfahren entspricht dem von Friedrich Meinecke in dessen „Idee der Staatsräson“.258 Der Vorwurf, damit „sozusagen eine Höhenwanderung durch die Geistesgeschichte gemacht“ zu haben „und zwar eine Höhenwanderung in der Domäne der Ideen bestimmter Persönlichkeiten“259, wurde durchaus laut, etwa von den marxistischen Historikern Leo Stern oder Gerhard Schilfert.260. Da Leo Stern sein Monitum mit einem großen Lob verband, antwortete Griewank: „Dass meine ideengeschichtliche Wanderung, die schmeichelhafterweise als eine Höhenwanderung bezeichnet worden ist, durch eine Talwanderung zu ergänzen ist, die ich viel[l]eicht auch als eine Wanderung durch die Wegfundamente bezeichnen möchte, das ist ganz sicherlich eine sehr wichtige Anregung, die aber im Rahmen einer Einzelarbeit leicht dazu führt, den Rahmen dessen, was man zu bewältigen hat, etwas sehr weit auszudehnen.“261

Diese Äußerung belegte, daß Griewank die sozialgeschichtliche Untermauerung als wichtig erachtete, auch wenn er sie aus pragmatischen Gründen zurückstellte. In der Folge versuchte er, die Anregung aufzunehmen, zumal er ja bereits bei seiner Bewerbung in Jena die Absicht betont hatte, es gelte „die Darstellung der grossen politischen Bewegungen in Europa [...] auch sozialgeschichtlich tiefer zu begründen“.262 Ein Vergleich der später geschriebenen Teile mit den älteren Passagen zeige, so Gerhard Oestreich, „daß G[riewank] bei seiner Umarbeitung die Bahnen einer die ökonomischsoziale Umwelt wesentlich würdigeren Darstellung eingeschlagen hat, während er vorher der Methode einer abstrahierenden Geistesgeschichte folgte.“263 Das große Programm einer Wahrnehmungsgeschichte des Phänomens Revolution bezog idealiter auch die soziale Fundierung der Ideen ein. Es blieb in dieser weiten Form Programm.264 Das Quellenproblem ist evident: „Gewiß ist unser Erkenntnisstoff dadurch begrenzt, daß wir das Bewußtsein und Verständnis der revolutionären Vorgänge vor allem bei

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KOSELLECK: Historische Kriterien, S. 76; MEYER: Revolutionstheorien S. 172, Anm. 187; Helmut BERDING: Revolution als Prozeß, in: Karl-Georg FABER/Christian MEIER (Hg.): Historische Prozesse, München 1978, S. 266-289, hier S. 276; Kurt LENK: Theorien der Revolution, München 1973, S. 12f. Friedrich MEINECKE: Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München 31963, zur Methode vor allem S. 19-23. Diese Arbeit wurde von Griewank herangezogen (147), ohne daß er auf die methodische Parallele hinweist. Diese wird jedoch von Theodor Schieder explizit betont. Vgl. SCHIEDER: Rez. Griewank: Revolutionsbegriff, S. 280f. Leo Stern, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 229 (Originalzählung 2. Tag, 107). Gerhard SCHILFERT: Die wissenschaftlichen Publikationen auf dem Gebiet der allgemeinen Geschichte der Neuzeit in der DDR, in: Dieter FRICKE [u.a.] (Red.): ZfG-Sonderheft: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte. Zum XI. Internationalen Historikerkongreß in Stockholm August 1960, Berlin (O) 1960, S. 532-543, hier S. 537. Vgl. zu Schilfert MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 530f. Karl Griewank, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 241 (Originalzählung 2. Tag, 119). Lebenslauf vom 11. Februar 1945 [recte 1946], in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 81. Gerhard OESTREICH: Rez. Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, in: DLZ 79 (1958), Sp. 655-658, hier Sp. 658. Auch hier ist die bekannte und noch immer uneingelöste Forderung nach einer „Sozialgeschichte der Ideen“, zu nennen. Vgl NIPPERDEY: Anthropologische Dimension, S. 47.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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denen suchen müssen, die ihm verständlichen Ausdruck geben konnten, bei den schreibkundigen und gebildeten Betrachtern und Pragmatikern“ (31). Theodor Schieder betonte, Griewanks Herangehensweise „als ‘geistesgeschichtliche’ Methode zu bezeichnen, würde Gr[iewank] nicht ganz gerecht, da er ein starkes Organ für Hintergründe’ hat.“265 Auch Peter Schäfer distanziert sich von der Kritik seines akademischen Lehrers Schilfert. Diese erscheine ihm als „nicht gerechtfertigt“.266 Trotz dieser Griewank gegenüber wohlmeinenden Interventionen bleibt festzuhalten, daß der sich ganz klassisch in erster Linie doch an den Ideen ‚großer Persönlichkeiten’ orientierte. Er verfolgte damit einen Ansatz, der von Sozialhistorikern als traditionelle Politikgeschichte, konservativ und wenig innovativ eingestuft wurde, weil er mit der sozialen Realität nichts zu tun habe.267 Inzwischen jedoch, nachdem selbst das Flagschiff der deutschen Sozialgeschichte, die Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ ein Themenheft „Neue Ideengeschichte“268 herausgebracht hat, kann man damit gelassener umgehen. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen man sich für einen ideengeschichtlichen Ansatz entschuldigen zu müssen glaubte.269 Die Geistes- und Ideengeschichte270, so Keith Michael Baker (nicht ohne eine verschmitzte Adaption marxistischer Termini), befinde sich „in einer ironischen Lage. Ihre Historiker, einst dazu verurteilt, sich mit einem Überbau ohne akademischen Belang zu beschäftigen, mußten nun mit ansehen, wie die Unterscheidung von Basis und Überbau im modernen sozialtheoretischen Denken fast vollständig aufgegeben wurde. Vormals bedroht durch den Imperialismus der unter Historikern favorisierten sozialwissenschaftlichen Verhaltenslehre wurden sie nun Zeugen einer Umorientierung der Sozialwissenschaften hin zu allgemeinen Problemen von Bedeutungen.“271 Der Griewanksche Ansatz ist in weiten Teilen sicher „nur“ ideengeschichtlich, aber antizipiert doch in der Erweiterung auf begriffs- und wahrnehmungsgeschichtliche Fragestellungen historiographische Entwicklungen, die mit modernen diskursanalytischen Ansätzen nicht unkompatibel sind und deshalb bemerkenswert bleiben.

6.3.4. Die Argumentationslinie Zunächst ging Griewank auf das lateinische Wort „revolutio“ ein, dessen Verbform „revolvere“ bereits in der Spätantike auftauche „für Bewegungen des Herumwälzens und des in sich zurückkehrenden kreisförmigen Umlaufes, für den Umlauf des Mondes

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SCHIEDER: Rez. Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, S. 280f. SCHÄFER: Karl Griewank und die Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 204 unter Bezug auf SCHILFERT: Die wissenschaftlichen Publikationen, S. 537. Vgl. IGGERS: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 26. Themenheft „Neue Ideengeschichte“, in: GG 27 (2001), H. 1. So noch im Vorwort von Hartwig BRANDT (Hg.): Restauration und Frühliberalismus. 1814-1840, Darmstadt 1979. Auf eine genauere Differenzierung zwischen Geistesgeschichte und Ideengeschichte soll hier verzichtet werden. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß man Geistesgeschichte (vor allem in der Ausformung der ‘intellectual history’) als weitergefaßten Begriff betrachtet, der die Ideengeschichte (‘history of ideas’) beinhaltet. Vgl. hierzu etwa Christian SIMON: Historiographie. Eine Einführung, Stuttgart 1996, S. 248-257. Keith Michael BAKER: Zum Problem der ideologischen Ursprünge der Französischen Revolution [1982], in: Christoph CONRAD/Martina KESSEL (Hg.): Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994, S. 251-282, hier S. 251.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

und schließlich im übertragenen Sinne (bei Augustin) für den Gedanken der Wiederverkörperung oder der Wiederkehr der Zeiten“ (17). Begrifflich nicht erfaßt und auch nicht denkbar sei ein Übergang zu etwas gänzlich Neuem gewesen. Dieses alte Verständnis der Revolution als Wiederkehr des Alten wurde von Griewank nicht nur konstatiert, sondern recht detailliert geprüft. Er schien große Mühe darauf zu verwenden, den „moderne[n] Revolutionsbegriff in seiner Distanz zum mittelalterlichen Denken“272 herauszustellen, was jedoch vor allem deshalb so erscheinen mag, da dieser Teil des Buches bereits abschließend und in gründlich überarbeiteter Form vorlag.273 Auch der Frage nach der Revolutionsvorstellung für die Zeit des Mittelalters ging Griewank detailliert nach, um zu erkennen, ob es hier primär um die Wiederherstellung des Alten ging oder ob es bereits eine Vorstellung davon gab, daß Revolution zu etwas gänzlich Neuem führen könnte. Griewank blieb im Resultat bei seinem Gesamturteil: „Das revolutionäre Bewußtsein ist bei den politisch Denkenden und Handelnden noch nicht geboren“ (52f.). Nach wie vor gehe es um die bestehende, dauerhafte Ordnung, die höchstens gestört sein könne und deshalb renoviert werden müsse – ganz im alten Sinn von „revolvere“. Allerdings sprach er insbesondere dem Joachimismus etwas „epochemachend Neues“ (42) zu. Neu an der Lehre Joachims von Fiore (um 1200) sei die Vorstellung von einem durch einen Umbruch der Ordnung erreichbares irdisches Paradies. Griewank kam hier zu dem Schluß, daß bei Joachim durchaus „eine volle ‘Ideologie’ dieses Wandels vorhanden war. Nur die aktive revolutionäre Bewegung fehlt, die wir zu einer modernen Revolution als zugehörig betrachten“ (44). Dieser Chiliasmus , also die Denkmöglichkeit einer Verbesserung der weltlichen Zustände in Erweiterung eines geheiligten Zustandes, blieb dem Autor nähere Betrachtung wert, zumal er zwei Jahrhunderte später durch das radikale Taboritentum und „die unselbständig von Wyclif übernommene Theologie des Johann Hus“ (62) erneut hier eine „chiliastische Endzeiterwartung“ (63) erkannte, die jedoch nun „den aktuellen Charakter einer politischen Massenaktion“ angenommen“ (63) habe. Hier sprach der Jenaer Historiker von einer Revolution: der böhmisch-hussitischen Revolution, die er als orgiastisch-chiliastisch charakterisiert. „Der mittelalterliche Traditionalismus ist hier in der praktischen Zielsetzung völlig gesprengt, aber die erwartete Erneuerung bleibt als ewig“ (65). Damit erarbeitete Griewank auch hier eine gewisse Unterscheidung zum modernen Revolutionsverständnis, das eine stets folgende neue Revolution nicht ausschloß. Dennoch, die hussitische Revolution wird von Griewank durchaus in ihrer Neuartigkeit eingeordnet, noch vor den späteren einschlägigen Studien tschechischer Historiker oder Ferdinand Seibts.274 Dem Begriff und der Einordnung der „Reformation“ widmete Griewank ebenso seine Aufmerksamkeit. Spielte die Vorstellung der „reformatio“ im Mittelalter bereits eine Rolle, so wurde diese im 15. Jahrhundert durch die Druckschrift „Reformatio Siegismundi“ popularisiert. Hier sei schon „vil ander Ordnung“ neben der Wiederherstellung des Bestehenden propagiert worden. Für Griewank bildete sie die Überleitung zu dem Kapitel, in dem die Zeit von 1435-1535 als „Reformation und Revolution in Deutschland“, aber auch als „Krise des [mittelalterlichen] Reformationsbegriffes“ vorgestellt wurde (70-101). Auffallend ist hier die Ausarbeitung der Position Thomas Müntzers, der „eine volle neue Theologie der chiliastischen Revolution entwickelt

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Notiz Griewanks, undat., in: NL Horn-Staiger, Ordner 3. Es handelt sich hier um das bereits erwähnte sogenannte „Manuskript B“. Vgl. Ernst WERNER: Die hussitische Revolution. Revolutionsbegriff und Revolutionsergebnis im Spiegel marxistischer, insonderheit tschechoslowakischer Forschungen, Berlin (O) 1989; SEIBT: Revolutionen in Europa, S. 203-229; DERS.: Hussitica. Zur Struktur einer Revolution, Köln 1990.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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[habe], die ihn zu einem ebenbürtigen politischen Antipoden Luthers gemacht“ (88) habe. Im Bauernkrieg, der – laut Griewank – „eindrucksvollsten Massenbewegung der deutschen Geschichte, ist das orgiastisch-chiliastische Revolutionsbewußtsein eine neue Verbindung eingegangen mit praktischen Zielen, die großenteils durchaus konkret begrenzt und gemäßigt-reformerisch waren“ (85). Die Bedeutung, die Müntzer beigemessen wird, ist bemerkenswert. Griewank habe sich in diesem Kapitel, wie Max Steinmetz 1960 anmerkt, „als bislang einziger bürgerlicher Historiker mit Smirin auseinandergesetzt, um schließlich doch an der ‚chiliastischen Struktur des Müntzerschen Revolutionswillens’ festzuhalten.“275 In der Tat bedeutete der Chiliasmus, somit die Verbesserung der weltlichen Zustände, das entscheidende Suchkriterium für Griewanks Fragestellung. Einen Klassenkampfcharakter zu apostrophieren, lag ihm fern. Aus der Sicht Steinmetz’ ging Griewank deshalb hier nicht weit genug. In marxistischer Lesart muß der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus und der damit verbundene revolutionäre Charakter des Bauernkriegs betont werden. Steinmetz arbeitete später die Theorie der „frühbürgerlichen Revolution“ aus, eine wirkungsmächtige und international diskutierte These, die immer noch als eines der fruchtbarsten Ergebnisse der DDR-Geschichtswissenschaft gehandelt wird.276 Für Griewank bleiben die revolutionären Elemente jedoch nicht epochemachend. Er betonte im Gegenteil den nach wie vor singulären Charakter eines auf Veränderung zielenden Revolutionsbewußtseins gegenüber der vorherrschenden mittelalterlichen Vorstellung (101). Für das 17. und 18. Jahrhundert erkannte Griewank schließlich den Revolutionsbegriff als in der politischen Publizistik häufig verwendeten Begriff, als ein Modewort, wobei die Autoren „es mit der begrifflichen Fixierung ihres Gegenstandes nicht allzu genau genommen“ (159) hätten. Insgesamt stehe Revolution, wie Griewank herausfilterte, meist für „streng effektive Umwälzungen“ (158), wurde demnach nach dem Erfolg gemessen. Ein qualitativer Sprung sei im Revolutionsbewußtsein eingetreten, als Kopernikus und Kepler die Bewegung der Planeten revolutio nannten (143ff.). Dies habe den „Anstoß zur Neueinführung dieses Begriffes in die Sprache der Politik“ (144) gegeben. Fest etablierte sich der Begriff in seiner politischen Bedeutung dann schließlich durch die „Glorious Revolution“, für Griewank „ein neuer Ausgangspunkt“ (149) in der Geschichte der Bedeutung des Begriffs. Nun schäle sich ein Aspekt heraus, der für den neuzeitlichen Revolutionsbegriff konstitutiv sei: Er werde nicht mehr neutral, sondern je nach politischem Standpunkt des Autors interpretiert. Nun gab es zwei Richtungen: auf der einen Seite die „konservativ[e], Ruhe und Dauer suchend[e] und demgemäß restaurativ[e] Anwendung des aus der Astronomie geläufigen Begriffs der Revolution“ (147), also eine Anwendung im alten Sinne von ‘revolvere’, etwa bei Clarendon und Hobbes. Auf der anderen Seite stehe die positive Konnotation bei der Verwendung des Begriffs „Glorious Revolution“ als „Gegenschlag gegen den restaurativen Revolutionsbegriff“ (149f.).

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Max STEINMETZ: Reformation und Bauernkrieg in der Historiographie der DDR, in: Dieter Fricke [u.a.] (Red.): Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte. Zum XI. Internationalen Historikerkongreß in Stockholm August 1960 (ZfG Sonderheft), Berlin (O) 1960, S. 142-162, hier S. 157. Vgl. Laurenz MÜLLER: Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des „Dritten Reiches“ und der DDR, Stuttgart 2004, S. 182-320; zur Wirkmächtigkeit vgl. auch Jürgen KOCKA: Die Auswirkungen der deutschen Einheit auf die Geschichts- und Sozialwissenschaften. Vortrag vor dem Gesprächskreis Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 29. Januar 1992, Bonn 1992, S. 17.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Die europäische Aufklärung rezipiere den wertenden Revolutionsbegriff sehr stark, mithin käme nunmehr also Bewegung in die Diskussion. In den Kapiteln zur französischen und englischen Aufklärung (159-175) und zur deutschen Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts (175-187) wurden die Belege dichter. Herders Plädoyer aus dem Jahr 1793 für „fortgehende, natürliche, vernünftige Evolution der Dinge; keine Revolution“ (186) nutzte Griewank zur Überleitung zum Thema der Französischen Revolution. Dieses Motto sei nur denkbar, wenn Revolution nicht mehr nur effektive Umwälzung war, nicht mehr nur die Wiederherstellung von etwas Gewesenem, sondern als etwas Unabsehbares erscheine. Dies sei der neue, dynamische Revolutionsbegriff der Französischen Revolution, der zu etwas neuem, noch nicht bekanntem, weltlichen Ergebnis führen könne: „Revolutionen werden gemacht“, sie enthalten ein aktives Element.277 Dabei beinhalte der Begriff eine positive Evaluation der Volksaktion. Ihm ist eine Bewertung, eine Richtung, der „Wertunterschied zwischen guten und schädlichen“ (196) Revolutionen inne. Damit wurde die Griewanksche Argumentationslinie abgerundet, indem er die Bedeutung der Wahrnehmung gerade der Französischen Revolution herausarbeitete. Die weiteren Ausführungen festigten nur noch den Befund und zeigten – wie etwa im Falle Hegels –, daß dieser „das neue dynamische Revolutionsverständnis übernimmt und schon als Gemeingut voraussetzt“ (210f.). Hegel stehe nun am Anfang eines „neuen, systematischen Revolutionsverständnisses“, von dem „die bedeutendsten Versuche zur Einordnung der Revolution in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang ihren gedanklichen Ausgang genommen“ (210) hätten. Nun beginne also die theoretische Reflexion eines neuen dynamischen Revolutionskonzepts. Diese Passagen zu Hegel stellten in ihrer kompakten Zuspitzung ohne Zweifel eine Stärke des Buches dar und fanden in der Forschung deshalb auch verschiedentlich besondere Aufmerksamkeit.278 Moshe Zuckermann interessiert der „theoretical starting point“ der Reflexion über Revolution besonders.279 Griewanks Buch, dessen Titel er bemerkenswerterweise mit: „The Concept of Revolution in Modern Times“ übersetzte, bot ihm den Ausgangs- und Referenzpunkt seiner Überlegungen. Griewanks Betrachtungen zum 19. Jahrhundert fallen insgesamt recht kurz aus, hier kann nur vermutet werden, daß eine Überarbeitung auch eine Erweiterung gebracht hätte, zumal etwa die Ergebnisse der Dissertation von Ingeborn Horn zum Revolutionsverständnis bei Ranke noch nicht eingearbeitet wurden (216). Auf die Passagen zu Marx, Lenin und Stalin wird unten noch einzugehen sein. Der Stil der Darstellung bleibt gleichermaßen sachlich, ob nun Machiavelli oder Marx besprochen werden. Es geht stets um den Beleg dessen, daß und wie sich ein neuzeitliches Verständnis von Revolution entwickelt. Wie dies im Kontext der Forschung einzubetten ist, soll nun beleuchtet werden.

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Vgl. BERDING: Revolution als Prozeß. Vgl. auch zur „Überzeugung, daß Geschichte machbar, Wirklichkeit nach Ideen veränderbar sei“, Helmut RUMPLER: Revolutionäre oder Revolutionen? Revolutionstheorie zwischen ‘Akteurs-Voluntarismus’ und ‘System-Determinismus’ in: KLINGENSTEIN/ LUTZ/STOURZH (Hg.): Biographie und Geschichtswissenschaft, S. 142-150, hier S. 144. Vgl. Moshe ZUCKERMANN: „Vormärz“ – Concepts of Revolution, in: Dan DINER (Hg.): Historiographie im Umbruch, Gerlingen 1996, S. 55-64, insbes. S. 55-57. Vgl. ferner auch: Michael NEUMÜLLER: Liberalismus und Revolution. Das Problem der Revolution in der deutschen liberalen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, Düsseldorf 1973, S. 127f. ZUCKERMANN: „Vormärz“, S. 55.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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6.3.5. Zu Forschungskontext und Rezeption Die erste – recht niederschmetternde – Reaktion auf seine Forschungen erhielt Griewank Mitte 1951, als er sein Manuskript „Staatsumwälzungen und Revolutionen in der Auffassung des 16. bis 19. Jahrhunderts“280 Fritz Hartung zur Begutachtung für die Schriftenreihe der Berliner Akademie der Wissenschaften zusandte. Hartung teilte ihm mit, daß er den Text „nicht für geeignet halte zur Aufnahme in die Abhandlungen der Akademie“, weil die „Ergebnisse Ihrer Untersuchung nicht genügend originell sind, um die Aufnahme in die Akademieschriften zu rechtfertigen.“ Auch an eine Veröffentlichung in Westdeutschland sei nicht zu denken. Insbesondere die Abschnitte zum 18. Jahrhundert und zur Französischen Revolution, so Hartung, „führen nicht wesentlich weiter als die von Ihnen genannte Abhandlung von Rosenstock. Und die Behandlung des Revolutionsproblems im 19. Jahrh. [...] ist viel zu kurz gehalten, als dass man sagen könnte, das Thema sei in wissenschaftlich einigermassen erschöpfender Weise behandelt“, nötig sei zudem eine „wesentlich gründlichere Behandlung unter Heranziehung auch der soziologischen Literatur“. 281 Hartungs Kritik zielte auf die methodische Herangehensweise ebenso wie auch auf die Kernthese zur Französischen Revolution – dies überrascht.282 Angesichts der bereits erwähnten häufigen Negativurteile des wohl als trockenen Verfassungshistoriker alter Schule einzustufenden Fritz Hartung, überrascht das Verdikt jedoch nicht mehr. Griewank ließ die Kritik nur in Hinblick auf die Lücken in der Ausarbeitung zum 19. Jahrhundert gelten und wies zurück, daß die anderen Abschnitte „nicht über die Behandlung von Rosenstock hinausführen. Gerade die Einsicht, daß diese zwar eine Menge interessanter Belege und anregender Gedanken, aber vielfach unbefriedigende Interpretationen enthält und einiges nur unvermittelt aneinanderreiht, hat mich veranlaßt, dem Gegenstand weiter nachzugehen und ein, wie ich glaube, im großen und ganzen richtigeres und eindringlicheres Bild zu zeichnen.“283 Eine innerwissenschaftliche Motivation seiner Studien lag für Griewank somit in der Auseinandersetzung mit Eugen Rosenstock-Huessy. In ihm hatte er einen wichtigen Vorgänger. Mit einem häufig zitieren Aufsatz zum Revolutionsbegriff284 und seiner über 500 Druckseiten starken Ausarbeitung „Die europäischen Revolutionen. Volkscharaktere und Staatenbildung“285 hatte er das Themenfeld abgesteckt. „Ich verdanke dieser in mancher Beziehung bahnbrechenden Untersuchung reiche Anregung und knüpfe an manche der dort gebotenen Belege an, komme aber nach eigener Quellenuntersuchung

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Es handelte sich um eine Vorstufe des „Manuskript A“, das von Horn-Staiger im Buch verwendet wurde (vgl. Vorwort S. 7) und das zu den Kapiteln 6-10 des Buches wurde (143, Anm. 1). Fritz Hartung an Karl Griewank, 29. 5. 1951, in: NL Horn-Staiger, Ordner 1. Zwar hat Griewank in der Folge für Vorträge und Veröffentlichungen die Ausarbeitungen noch bearbeitet, jedoch kann man anhand seiner Aufzeichnungen klar erkennen, daß die wesentlichen Elemente Hartung vorgelegen haben müssen. Karl Griewank an Fritz Hartung, hdschr. Entwurf (undat.) einer Antwort auf den Brief vom 29. 5. 1951, in: NL Horn-Staiger, Ordner 1. Eugen ROSENSTOCK: Revolution als politischer Begriff in der Neuzeit, in: Festgabe der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Breslau für Paul Heilborn zum 70. Geburtstag, Breslau 1931, S. 83-124. Jena 1931.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

zu vielfach anderer Interpretation und zu einem anderen Gesamtbild.“286 RosenstockHuessys Arbeit, die unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges und der Russischen Oktoberrevolution geschrieben wurde, wird nicht ohne Grund als „ebenso faszinierende wie irritierende Arbeit“287 bezeichnet. Für Eugen Rosenstock-Huessy blieb Geschichte primär die Geschichte der menschlichen Seele, die sich damit dem Objektivierungsanspruch akademischer Historik entzog.288 Von Hause aus Rechtshistoriker, legte er ein „nur schwer überschaubares labyrinthisch anmutendes Oeuvre [vor, welches ...] die Grenzen der Geschichtswissenschaft bei weitem“289 überstieg. In seinen Arbeiten geht es ihm um die universalhistorische Relevanz der Revolution, die er definitorisch weit faßt und stark systematisiert. Dabei geht Rosenstock-Huessy davon aus, daß jede Nation in einer Revolution ihre „Prägestunde“ gefunden habe und stellt einen „eigenwillig angenommenen ‘Stammbaum’ der großen europäischen R[evolution]en“290 mit problematischen Deutungen vor. Deutlich besser als Hartung erkannte Schieder die Unterschiede zwischen Rosenstock-Huessy und Griewank, indem er konstatierte, daß der Jenaer Historiker „viel bedächtiger und auch empirischer vor[gehe]“291. Auch andere Rezensenten erkannten die Differenzen; Rosenstock werde „an vielen Stellen dadurch ergänzt und auch verbessert, daß er [Griewank] tiefer einzudringen und durch seine weltweite Bildung umfassender zu durchleuchten vermag.“292 Dies erscheint zwar übertrieben, dennoch zeigt ein Vergleich, daß Griewank ältere Vorstellungen Rosenstock-Huessys, etwa wenn dieser in den Stadtrepubliken des 14. Jahrhunderts bereits Revolutionen neueren Typs sieht (106), plausibel korrigieren und die Thematik insgesamt mit stringenter Fragestellung voranbringen kann. Rosenstock-Huessys Bedeutung für die Revolutionsforschung blieb deshalb nahezu marginal, weil dieser „mit seinem eigenwilligen Stil, der Apodiktik seiner Rede und seines Schreibens“293 seine Außenseiterrolle selbst bestärkte.294 Das Erscheinen des Griewankschen Buches begrüße er just aus diesem Grund sehr, meinte auch Carl Schmitt. Denn man sei nun nicht mehr gezwungen, sich durch Rosenstock-Huessy zu quälen.295 Rosenstock-Huessy beklagte auf der anderen Seite die Entwicklung der akademischen Wissenschaften und die Kleinmütigkeit disziplinären Denkens. Dafür waren ihm auch Karl Griewanks Arbeiten ein Beispiel. 1961 kommentierte RosenstockHuessy: Es „dichten eherne Mauern die akademischen Fächer ab. Ihre Lehrstühle für chinesische Geistesgeschichte, deutsche politische Geschichte, mittelalterliche Kunstgeschichte trennen, genau wie der

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Karl GRIEWANK: Staatsumwälzung und Revolution in der Auffassung der Renaissance und Barockzeit. Herrn Prof. Friedrich Zucker anläßlich seines 70. Geburtstages gewidmet, in: WZJ, GSR 1 (1952/53), H. 1, S. 11-23, hier S. 12, Anm. 5. MEYER: Revolutionstheorien, S. 131, Anm. 26. Vgl. WESSELING: Rosenstock-Huessy, Sp. 688-695. FAULENBACH: Rosenstock-Huessy, S. 102-126, hier S. 102. SCHIEDER: Die Theorie der Revolution, Sp. 708. DERS., Rez. Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, S. 280. E. J. DORNBERG: Rez. Griewank: Der Neuzeitliche Revolutionsbegriff, in: DUZ 12 (1957), H. 5/6, S. 30f. FAULENBACH: Rosenstock-Huessy, S. 123. Bezeichnend ist eine Bemerkung von Georg P. Meyer, der von Rosenstock-Huessys Revolutionsgeschichte als einer Arbeit spricht, die eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdiene als ihr zukäme, die jedoch „auch hier nur am Rande auftaucht, obwohl sie eine ausführlichere Würdigung verdient hätte.“, MEYER: Revolutionstheorien, S. 131, Anm. 26. Carl SCHMITT: Rez. Griewank: Neuzeitlicher Revolutionsbegriff, in: HPB 4 (1956), S. 110.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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Kapitalismus, was zusammengehört. Sie ziehen kraftlose Linien, die ein Überspringen des Geistes von Thema zu Thema verschleiern. Das sich Herumschlagen des liebenswerten Historikers Karl Griewank in Jena mit den ‘Europäischen Revolutionen’ war ein typisches Beispiel. Er wurde mit ihnen nicht fertig. Dann schied er aus dem Leben.“296

Eine anderer „philosophischer Kopf“ nahm die Ideen Griewanks weitaus positiver auf. Hannah Arendt, die ein eigenes wirkmächtiges Revolutionsbild prägte, griff explizit auf „die bahnbrechenden Arbeiten von Karl Griewank“ zurück, „welche alle früheren Analysen und Darstellungen der Geschichte der Revolutionen berücksichtigt und kritisch überholt haben“ und denen sie „oft bis ins Detail“ gefolgt sei.297 Hannah Arendts Entwurf war wie der Rosenstock-Huessys grundsätzlicher, philosophischer Art. Wie dieser geht sie von einem Zeitalter der Revolution aus, ihre Interpretation, das gewaltsame Prozesse eher in Revolutionen denn in Kriegen zum Ausbruch kommen werden, traf den Zeitgeist der Nachkriegsordnung. Wirkmächtig wurde auch ihre Betonung der Französischen (und der Amerikanischen) Revolution als Muster moderner emanzipatorischer Umbrüche. Der neuzeitliche Charakter des Revolutionsbegriffs und die Bedeutung der Französischen Revolution können heute – besonders durch die Arbeiten von Koselleck und Schieder – als opinio communis der Geschichtswissenschaft betrachtet werden.298 In Fachlexika wird „Revolution“ heute wie selbstverständlich in seinem neuzeitlichen Charakter beschrieben, als „Bewegungsbegriff [...], der die Erwartungen der Menschen nicht mehr in deren Erfahrung begrenzt sieht.“299 Insbesondere als begriffsgeschichtliche Arbeit wird auf Griewank verwiesen: „Entstehung und Entwicklung des Begriffs ‘Revolution’ sind eindeutig seit der Arbeit Karl Griewanks über den ‘Neuzeitlichen Revolutionsbegriff’ grundlegend geklärt“300. Allerdings läßt sich trotz Griewanks Analyse, die auch international als „most extensive discussion of the historical origin of the concept“301 bezeichnet wurde, der Ursprung des Wortes Revolution „offenbar nicht eindeutig ermitteln.“302 Dies war freilich auch gar nicht Griewanks Intention. Wie bereits im Zusammenhang mit der Edition erwähnt, kam die Neuauflage 1969 zu einem Zeitpunkt, als die Revolutionsthematik sehr aktuell erschien. Es waren allgemeine Fragen der Legitimität von Gewalt und Herrschaft, der Verbesserung des Gesellschaftssystems, die die Revolutionsproblematik aufgriff. Die 1960er bis 1980er Jahre waren zudem die Zeit der Revolutionstheorien. Neben rein soziologischen

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ROSENSTOCK-HUESSY: Revolutionen [1961], S. XIV. Gerne (etwas falsch) zitiert von SEIBT: Revolution in Europa, S. 45, der Rosenstock-Huessy als Kronzeugen für eine Ausdehnung des Revolutionsbegriffs auf frühere Epochen aktivieren möchte. Hannah ARENDT: Über die Revolution [1963], München 41994., S. 367, Anm. 27. Vgl auch: Dietrich HARTH: Revolution und Mythos. Sieben Thesen zur Genesis und Geltung zweier Grundbegriffe historischen Denkens, in: DERS./Jan ASSMANN (Hg.): Revolution und Mythos, Frankfurt (M) 1992, S. 9-35. Dieter LANGEWIESCHE: Art. „Revolution“, in: Richard von DÜLMEN (Hg.): Das Fischer-Lexikon Geschichte, Frankfurt (M) 1990, S. 250-270, hier S. 250, vgl. zu Griewank S. 251. Vgl. genauso auch die Lexikonartikel von SCHIEDER: Theorie; FLEMMING: Revolution; KOSELLECK: Revolution. Frithjof SCHMIDT: Die Metamorphosen der Revolution. Der Wandel des Revolutionsbegriffs von Blanqui bis zum Eurokommunismus, Frankfurt (M)/New York 1988. John DUNN: Modern revolutions. An introduction to the analysis of a political phenomenon, Cambridge 21989, S. 259, Anm. 517. Ekkart ZIMMERMANN: Krisen, Staatsstreiche und Revolutionen. Theorien, Daten und neuere Forschungsansätze, Opladen 1981, S. 138. Er bezieht sich hier auch auf Griewanks Definition.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Untersuchungen, die ganz auf historische Erkenntnisse verzichteten303, gingen nun die Historiker und Sozialwissenschaftler das Thema vor allem unter vergleichender Perspektive an. Trotz dieser Bemühungen blieb die Theorie der Revolution, wie Georg P. Meyer 1976 als ernüchterndes Ergebnis bilanziert, „ein noch immer unbewältigtes Problem“304, was an ideologischen und methodischen Voraussetzungen lag, aber auch an immer weiter um sich greifende begriffliche Unschärfe. Nicht nur Ralf Dahrendorf forderte deshalb „eine gewisse begriffliche Klärung“ als „Vorbedingung der Theorie der Revolution“305. Aus denselben Beweggründen initiierte Helmut Reinalter 1980 einen Sammelband „Revolution und Gesellschaft. Zur Entwicklung des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs“306, der mit Beiträgen von Reinhart Koselleck, Eberhard Schmitt, Walter Schmitt, Manfred Kossok und Wolfgang Küttler ein buntes und systemüberschreitendes Panorama bietet. Zur Motivation führte Reinalter aus: „Der Begriff ‘Revolution’ ist so aufgebläht, daß er wissenschaftlich systematisiert und empirisch wie theoretisch fundierter aufgearbeitet werden muß, zumal seit Karl Griewank keine neuere, zusammenfassende historisch-systematische Untersuchung über die Entwicklung des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs erschienen ist.“307 Es müsse „gerade im Hinblick auf die Definitionsproblematik und Begriffsabgrenzung noch eine neuere, über Griewank hinausführende Arbeit zur Entwicklung des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs geschrieben werden.“308 Die Forderung überrascht nicht, wohl aber der Rekurs auf Griewank, dessen unvollendetes Werk ja nun wirklich noch genügend Lücken bot. Doch in der Tat blieb eine Konzentration auf Revolutionsbegriff, -verständnis und bewußtsein ein Desiderat. Inzwischen sind insbesondere die Studien Reinhart Kosellecks309 zu nennen, die dieses auszufüllen vermochten, vor allem das Begriffsgeschichte paradigmatisch etablierende Lexikonprojekt „Geschichtliche Grundbegriffe“. 1992 ließ sich eine weitere Neuauflage des Griewank-Buches leicht motivieren.310 Wiederum war es Ingeborg Horn-Staiger, die die Initiative ergriff. Griewanks Wunsch nach dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit war nun endlich erfüllt und Jenas erster „Nachwenderektor“ Ernst Schmutzer wies zur Begrüßung der Tagung „Unrecht und Aufarbeitung“ auf das Neuerscheinen des Buches hin.311 Weniger theoretisches Interesse als das Miterleben der revolutionären Umbrüche 1989/90 lockte nun zum Wiederentdecken Griewanks. Innerfachlich steht die Revolutionsproblematik in ihren fortschrittsgläubigen Varianten um die Jahrtausendwende 2000 nicht mehr so hoch im

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Am deutlichsten bei: Chalmers JOHNSON: Revolutionstheorie, Köln/Berlin (W) 1971. Vgl zu dem Phänomen und zu JOHNSON auch Helmut REINALTER: Einleitung, in: DERS. (Hg.): Revolution und Gesellschaft. Zur Entwicklung des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs, Innsbruck 1980, S. 9-19. MEYER: Revolutionstheorien, S. 122. Dies hat sich nicht grundsätzlich geändert: Inzwischen „gibt es mindestens genauso viel wenn nicht mehr Theorien der Revolution wie es Revolutionen gibt“, Peter WENDE: Einleitung, in: DERS. (Hg.): Große Revolutionen der Geschichte. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 2000, S. 9-17, hier S. 9. Rolf Dahrendorf [1961], zit. nach MEYER, Revolutionstheorien, S. 126. Erschienen als Band 1 der Reihe „Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit“, Innsbruck 1980. REINALTER: Einleitung, in: ebd., S. 9. Ebd., S. 13. Vgl. etwa auch Reinhart KOSELLECK/Rolf REICHARDT (Hg.): Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins. Vorlagen und Diskussionen der internationalen Arbeitstagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, München 1988. Ingeborg HORN-STAIGER: Nachwort zur dritten Auflage, in: Karl Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung. Aus dem Nachlaß hg. von Ingeborg HORNSTAIGER. Mit einem Nachwort von Hermann HEIMPEL, Frankfurt (M) 1992, S. 268. SCHMUTZER: Begrüßung der Teilnehmer, S. 13-17, hier S. 17.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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Kurs wie noch vor Jahrzehnten. Dies mag an der abgenommenen Attraktivität des „Marxismus als Revolutionsmythos“312 liegen, auch daran, daß Revolution „ein zur Parteinahme drängender Begriff ist“ und deshalb „um Neutralität bemühte Sozialwissenschaftler eher von Modernisierung [...] oder von Entwicklung“313 sprechen. Rudolf Speth spricht hier vom „Erkalten des Revolutionsmythos“.314 Beklagt wurde, daß „die Begrifflichkeit von ‘Revolution’ verblaßt ist und an Trennschärfe verloren hat“, somit die „emphatische Idee der Revolution [...] sich erschöpft und ihren Sinn verloren“ habe.315 Wenn jedoch eine „Begriffsdiffusion“316 konstatiert wird, so ist diese Klage nicht neu. Wie oben gezeigt wurde, zieht sich die Unklarheit der Revolutionsdefinition durch die Geschichte desselben. Auf der anderen Seite ist Revolution nach wie vor kein Begriff, der aus dem aktiven Wortschatz verdrängt wird: Wie viele Phrasen des Alltags, z.B. Werbebotschaften, versprechen eine Revolution – positiv konnotiert als ein zu etwas gänzlich Neuem, Fortschrittlichem, führender Schritt. Das ist der neuzeitliche Revolutionsbegriff, wie ihn Griewank untersucht hat. Es hat kein eigentlicher Wandel des Verständnisses vom Begriff Revolution stattgefunden gegenüber dem, was Griewank als neuzeitlich erarbeitet hatte. Wenn zu den Griewankschen Definitionskriterien nun ausgeführt wurde, daß „die Faktoren Gewalt, Massenbeteiligung sowie der Zeitfaktor Modifikationen“317 erfuhren, so wird nicht nur die Variabilität in Griewanks Systematik unterschätzt, sondern auch dessen Fragerichtung mißachtet, bei der es um die Genese des Revolutionsbewußtseins ging. Diese Ansätze wahrnehmungsgeschichtlicher Perspektive, die Griewank vor über 50 Jahren gezeigt hat, sollten angesichts heutiger Bemühungen um Erinnerung, Wahrnehmung und der Dekonstruktion kollektiver Identität hervorgehoben werden.

6.3.6. Auseinandersetzung mit marxistischen Positionen Die Auseinandersetzung mit der marxistischen Revolutionsvorstellung prägte die Revolutionsforschung des 20. Jahrhunderts. In ihr kommen die biographische, historiographische, werksanalytische und rezeptionsgeschichtliche Ebene in besonderer Form zusammen. Im folgenden geht es deshalb um die Gelegenheiten, in denen Griewank seine Positionen zur Diskussionen stellen konnte, insbesondere eine im größeren Stil durchgeführte Tagung im Juni 1952, auf der er einen mehrstündigen Vortrag zum Revolutionsbegriff hielt, der im Wortlaut vollständig protokolliert ist. Er entspricht weitestgehend dem zweiten Teil des Buchtextes, was dieses Protokoll auch zu einer wichtigen rezeptionsgeschichtlichen Quelle macht. 318

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Rudolf SPETH: Marxismus als Revolutionsmythos, in: Berliner Debatte INITIAL 9 (1998), H. 5, S. 45-58. Ebd., S. 56. Ebd., S. 54. Harald BLUHM: Revolution – eine begriffs- und ideengeschichtliche Skizze, in: Berliner Debatte INITIAL 9 (1998), H. 5, S. 3-13. BLUHM: Revolution, S. 45f. HORN: Zum Wandel des Revolutionsbegriffs, S. 63. Hannelore Horn bezieht sich dabei explizit auf die Griewanksche Definition. Der Vortrag wurde im Wortlaut protokolliert. ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183. Durchschläge auch in: Ebd., Nachlaß Alfred Meusel, Nr. 25, Bl. 1-122; BA Berlin, DR 3/1.Schicht, Nr. 4057. Das Protokoll weicht vom Buchmanuskript in den Passagen über Marx, Lenin und Stalin etwas ab, wohl weil Griewank den ohnehin über zwei Stunden dauernden Vortrag abkür-

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Bereits im Januar 1950 stellte Griewank seine Thesen im Rahmen einer Veranstaltung des Kulturbundes in Berlin vor. Er habe diesen Auftritt als einen „Versuch [angesehen], wieweit auf diesem Podium noch ein freies Wort möglich“319 sei. Die „B.Z. am Abend“ lobte Griewanks Vortrag und wußte von der Veranstaltung zu berichteten: „In der Diskussion versuchte Prof. Meusel (Humboldt-Universität) eine schärfere Profilierung des Begriffs der Revolution“.320 Dies hatte Griewank freilich ganz anders in Erinnerung. Er sei „von Prof. Meusel, dem jetzigen Platzhalter der ‚neuen Geschichte’ an der alten Berliner Universität, in der Diskussion recht heftig attackiert [worden]: Ich sei zu ‚ideologisch’ – d.h. nicht marxistisch-doktrinär – und ‚zu objektiv’ gewesen; letzteres war mir besonders bemerkenswert und wichtig und rief in mir alte und wohlbekannte Töne in Erinnerung.“321 Damit spielte er auf die Erfahrungen des Weimarer Historikertreffens von 1942 an, auf dem er von den SD-Historikern als Objektivist bezeichnet wurde.322 Für Griewank konnten die Monita Meusels in dieser Form nicht als wissenschaftlicher Beitrag, sondern nur als ein Ausdruck totalitärer Weltanschauung gesehen werden. Als Griewank zweieinhalb Jahre später – nach der Treitschke-Diskussion und vielen Konflikten – erneut einen Vortrag zum neuzeitlichen Revolutionsbegriff hielt, war er deshalb schon auf einiges vorbereitet. Der Rahmen war nun ungleich größer. Er sprach als einer der zwei Hauptredner (als der „bürgerliche“ Hauptredner) am 7. und 8. Juni 1952 auf einer Festveranstaltung aus Anlaß der Gründung des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Unter den rund 250 Teilnehmern befanden sich die bekanntesten marxistischen und nichtmarxistischen Historiker der DDR. 323 Die staatlichen und parteinahen Stellen beobachteten die Diskussion genau. Herwig Förder vom Staatssekretariat für Hochschulwesen, der den Eröffnungsvortrag von Meusel wegen der fehlenden Klarheit kritisierte, führt geradezu überrascht aus: „Der Vortrag von Professor Griewank ‚Der Begriff der Revolution und seine Wandlung vom 16.-19. Jahrhundert’ war eine rein ideologisch geschichtliche Darstellung, enthielt aber im ganzen keine direkten Angriffe auf den historischen Materialismus.“ 324 Weiter meinte Förder beobachtet zu haben, daß „in keinem Falle die äussere Form verletzt und die Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Wissenschaftlern in positiver Weise aufrecht erhalten“325 wurde. Gerade dies – die Nicht-Verletzung der äußeren Form – kann wohl bezweifelt werden. Walter Schmidt spricht nach genauer Analyse des Protokolls von einer „teilweise übertriebenen kritische[n] Diskussion von Griewanks Vortrag“.326 Eine Szene wird

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zen wollte. Auf eine nachträgliche Umarbeitung deutet an dieser Stelle nichts hin. Offensichtlich kam Griewank nicht mehr zu einer Überarbeitung des Textes, der Teil des Manuskripts B ist. Ich werde im folgenden wegen der besseren Nachvollziehbarkeit den Text aus dem Buch heranziehen, wenn dieser nicht allzusehr vom Vortragstext abweicht. Von Walter Schmidt wurde die Rede Griewanks bereits herangezogen und ausführlich analysiert; SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 563-610. Karl Griewank an Willy Andreas, 29.1.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Art. „’Lokomotiven der Geschichte’. Der Jenaer Historiker Prof. Griewanck [sic] sprach im Kulturbund, in: BZ am Abend vom 18.1.1950. Karl Griewank an Willy Andreas, 29.1.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Siehe Anhang 10.1.1. Es sind 450 Einladungen versandt worden, ca. 250 kamen laut Bericht, in: BA Berlin, DR 3/1.Schicht, Nr. 4057, Bl. 4. Zu der Tagung und ihrem Kontext siehe unten Kapitel 7.1.2. Bericht Herwig Förder (SfH), 14. 6. 1952, in: BA Berlin, DR 3/1.Schicht, 4057, Bl. 6. Ebd. SCHMIDT: Griewank und das Zentenarium, S. 578.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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dabei in der Literatur häufig ausgebreitet:327 Der Meusel-Schüler Heinz Kamnitzer328 trug nicht gerade für eine faire Verständigung zwischen Marxisten und Nichtmarxisten bei, als er ausführte: „Und nach dem Überblick, den uns Kollege Griewank gegeben hat, kann man sagen, dass die anderen Begriffe ausser dem des Marxismus in den Mülleimer der Geschichtsschreibung gehen, dass sie wissenschaftlich uns keine Hilfe leisten, dass einzig und allein die Begriffsbestimmung Revolution durch den Marxismus-Leninismus zulänglich wissenschaftlich verwertbar ist.“329

Diese Aussage, die Griewank in seiner Antwort völlig ignorierte, konnte natürlich als persönlicher Angriff auf Griewank gewertet werden und wurde auch so gesehen. Heinz Herz fühlte sich deshalb genötigt, Griewank besonders zu danken, um dann auf Kamnitzer einzugehen: „Gewiss sind diese Ausführungen im einzelnen für die politische Situation, in der wir stehen, nicht allenthalben aktuell. Aber ich glaube doch, dass man nicht so weit gehen kann wie Kollege Kamnitzer und diese Ausführungen dazu verurteilt, auf den Mülleimer geworfen zu werden (Heiterkeit). Ich habe vor einiger Zeit in einer Arbeiterversammlung gesprochen vor Arbeitern der Städtischen Müllabfuhr (Heiterkeit). Bei dem anschliessenden zwanglosen Beisammensein zeigten mir diese Zuhörer eine ganze Reihe wertvoller Gebrauchsgegenstände, die sie in ihrer langjährigen Tätigkeit aus diesen Mülleimern herausgefischt hatten, und seit diesem Erlebnis bin ich doch auch etwas vorsichtiger in bezug auf sogenannte wissenschaftliche Mülleimer, weil ich der Meinung bin, dass man dazu auch etwas Nützliches aus dieser Gegenwart herausfischen kann. (Beifall)“330

Kamnitzer bemühte sich daraufhin zu betonen, daß er „in bezug auf wissenschaftliche Verwendbarkeit und Unverwendbarkeit anderer als der marxistischen Revolutionsbestimmung gesprochen [habe] und selbstredend nicht über das Referat Prof. Griewanks.“331 Die Nichtakzeptanz nicht-marxistischer Deutungen bedeutete aber eben gerade eine ausgrenzende Dogmatik, gegen die Griewank sich wandte und die ihn zum Ausgegrenzten machte. Er vertrat ja nun gerade keine marxistische Revolutionstheorie und insofern traf ihn der „Mülleimer-Vergleich“ doch. Griewank selbst war freilich auf solche Verbalattacken eingerichtet, überging die Bemerkung mit Nichtachtung, während er konstruktive Punkte aufgriff. Aber beginnen wir zunächst einmal mit dem, was Karl Griewank selbst über die marxistische Position ausgeführt hatte. Griewank betonte zum einen, daß Marx für „das systematische Revolutionsverständnis [...] Entscheidendes und Neues geleistet“ (217) habe. Er wolle jedoch „nicht die Haltbarkeit der Marxschen Theorie in der Anwendung

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Vgl. Albrecht TIMM: Das Fach Geschichte in Forschung und Lehre in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands seit 1945, Bonn/Berlin 41966, S. 33; Helmut HEINZ: Die erste zentrale Tagung der Historiker der DDR 1952, in: ZfG 26 (1978), S. 387-399, hier S. 395-397; Günther HEYDEMANN: Zwischen Diskussion und Konfrontation. Der Neubeginn deutscher Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945-1950, in: Christoph COBET (Hg.): Einführung in die Fragen der Geschichtswissenschaft in Deutschland nach Hitler 1945-1950, Frankfurt (M) 1986, S. 19; SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 189; KOWALCZUK: Legitimation eines neuen Staates, S. 201f.; SCHMIDT: Zentenarium, S. 578. Zu Kamnitzer vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 330. Heinz Kamnitzer, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 208 (Originalzählung: 2. Tag, 86). Vgl. zu Kamnitzer SABROW: Diktat des Konsenses, S. 256-260 und sehr kritisch KEßLER: Exilerfahrung, S. 76-78. Kamnitzer, ein Schüler Meusels, der seinen akademischen Lehrer bereits in Londoner Exil kennengelernt hatte, geriet 1954 wegen eines Plagiats stark in die Kritik und schied 1955 aus der Wissenschaft aus; vgl. hierzu ebd., S. 67 und S. 318, Anm. 6. Siehe hierzu unten S. 403 mit Anm. 12. Heinz Herz, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 220f. (Originalzählung: 2. Tag, 98). Ebd., Bl. 225 (Originalzählung: 2. Tag, 103).

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6. Demokratie und Revolution – Themen

auf die Geschichtserkenntnis zu erörtern“ oder „die Frage nach dem solcher Auffassung zugrundeliegenden Menschenbild und dem Maße seiner Gültigkeit […] beantworten. [...] Unbestritten aber dürfte heute der bedeutende Erkenntniswert Marxscher Hinweise gerade für die Durchleuchtung weittragender Umwandlungsprozesse sein, wenn sie nicht mechanisch und doktrinär, sondern unter Einbeziehung der menschlichen Aktivität und der Wechselwirkung geschichtlicher Faktoren aufgefaßt werden“ (220). Marx habe Revolutionen nicht nur analysiert, sondern den Begriff „historisch konkretisiert als Fortschritt in den Gesellschaftsformen“ (218). Die Anwendung dieser Vorstellung auf frühere Epochen führe zu der Wertung: Die Revolution ist maßstabsetzend. Marx` Geschichtsbetrachtung führe so „zu einer universalen Revolutionstheorie“ (218). Lenins Revolutionsvorstellung sei nun „freilich nicht durch die wissenschaftlichen Bemühungen um ihre [der Marxschen Theorie] Anwendbarkeit“ (221) entstanden, sondern aus der Praxis. Er habe „den Marxismus praktisch anzuwenden [versucht] auf die Verhältnisse Rußlands“ (221). Griewank betonte Lenins schroffen Bruch mit „mehr oder weniger sozialreformerischen Auslegungen des Marxismus“ (221), das Ziel des „Zerbrechen des von den alten Klassen beherrschten Staates [...], Diktatur des die klassenlose Gesellschaft erstrebenden Proletariats“ ebenso wie die schonungslose Verurteilung aller „Gegner seiner revolutionären Theorien, Opportunisten, Reformisten und Versöhnler“. Während Griewank zu Lenin nach dieser Aufzählung keine weiteren Kommentare anschloß, ließ er es sich bei Stalin nicht nehmen, zu betonen, daß „sich freilich für den Historiker mannigfache Fragen in bezug auf den tatsächlichen Verlauf ergeben müssen“ (223), wenn man dessen fünfstufigen Ablauf (Urgemeinschaft, Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus) akzeptieren wolle. „Das Heranwachsen der neuen Kräfte, der Übergang von einer zur anderen höheren Form, die damit verbundenen revolutionären Bewegungen und Sprünge, – das ist es, was vorzugsweise den politisch ‘parteilichen’ Historiker interessieren muß und ihn über die Ungeklärtheit vieler anderer Fragen zunächst erhebt“ (223). Dies klingt geradezu wie eine nüchterne Beschreibung dessen, was Griewank mit dogmatischen Ansätzen selbst erlebte. Es ist aber methodisch nicht anders erarbeitet, als die Passagen zu anderen Autoren auch, nämlich aus der Textanalyse der relevanten Stalinschen Aussagen. Letztlich gehört die marxistisch-leninistisch-stalinistische Revolutionstheorie für Griewank jedoch in den Bereich der Politik: „Die Revolutionslehren von Marx, und mehr noch die von Lenin und seinen Nachfolgern, sind mehr als Versuche des Geschichtsverständnisses und verlangen nach anderen Maßstäben als denen des rein historischen Erkenntniswertes gemessen zu werden; sie sind Ansätze und Aufforderungen zur Tat, zur gewollten und geplanten Revolution, durch welche die von dem dialektisch materialistischen Naturverständnis vorgezeichnete gesellschaftliche Aufwärtsentwicklung zielbewußt vorangetrieben werden soll.“ (224)

Diese Trennung konnte von marxistisch-leninistischer Seite prinzipiell nicht akzeptiert werden: Politik und Wissenschaft, Wort und Tat gingen notwendig zusammen in der „kämpferischen Wissenschaft“332. Die in diesem Sinne verstandene wissenschaftliche Auffassung konnte nur die marxistisch-leninistisch-stalinistische sein, die sich im Besitz der „wissenschaftlichen Wahrheit“ sah, ein gängiger Begriff, der von Kamnitzer auch ins Spiel gebracht wurde in der Hinleitung zu seiner „Mülleimer-Aussage“: Die Begriffsbestimmung „muss zu einem gesteigerten Verständnis der Geschichte führen.

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Vgl. Leo STERN: Für eine kämpferische Geschichtswissenschaft, Berlin (O) 1954.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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Sie muss, wenn Sie das utilitaristisch mit mir denken wollen, ergiebig sein, sie muss sich auswerten lassen für die wissenschaftliche Wahrheit.“333 In der Diskussion zeigten sich prinzipielle Unterschiede in der Argumentation der Marxisten, die sich idealtypisch zugespitzt in zwei Typen fassen lassen: die soziologische und die dogmatische Herangehensweise. Zur ersten Gruppe zählten Hinweise darauf, daß man die Ideen auf ihre soziale Trägerschicht hin untersuchen sollte.334 Mithilfe des Historischen Materialismus werde es gelingen, die Revolutionen im marxistischen Sinne zu erkennen, so die optimistische Einstellung, die auf ein Überzeugen der Nichtmarxisten ausgerichtet war. Zur zweiten Gruppe zählten pauschale Setzungen, indem von festgelegten Überzeugungen Fragen und Aussagen entwickelt wurden. „Es hätte gefragt werden müssen: Wie ist denn Marx zu dieser unerhörten, überragenden wissenschaftlichen Leistung gekommen?“335, meinte Erich Paterna.336 Und zur Revolution 1848 bestimmte Kamnitzer: „Es handelt sich um eine bürgerliche Revolution, deren Hauptaufgabe es ist, einen einheitlichen Nationalstaat zu schaffen. Darauf wies Stalin 1921 hin: dass die nationale Frage stets eine Teilfrage der historischen Entwicklung ist, eine ausserordentlich wichtige Teilfrage.“337 Friedrich Wilhelm IV., Max von Baden und Friedrich Ebert wurden von Meusel zusammenfassend als diejenigen bezeichnet, die „den Begriff der Revolution auszuradieren, die Revolution sozusagen als nicht geschehen zu betrachten“338 suchten. Soziologische und ideologische Argumente gingen ineinander über, auch innerhalb der einzelnen Redebeiträge. In der Tendenz war jedoch ein Unterschied zwischen der älteren und der jüngeren Generation festzustellen. Bei dem aus der Emigration zurückgekehrten Leo Stern (und mit Einschränkung auch bei Alfred Meusel) überwog die Auffassung, eine Ergänzung des Griewankschen Beitrag aus marxistischer Sicht zu leisten. Bei den jüngeren (und dem älteren Parteihistoriker Paterna) stand die Gewißheit, den „richtigen“ Revolutionsbegriff gefunden zu haben. So mangelte es nicht an apodiktischen Aussagen, der marxistische Revolutionsbegriff sei nun einmal der „Leitbegriff“339, der einzig „wissenschaftliche“ Begriff.340

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Heinz Kamnitzer, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 207 (Originalzählung: 2. Tag, 865). So von Leo Stern vorgebracht, etwa auch mit dem konkreten Beispiel, „dass die Ketzerbewegung eine eminent sozialgeschichtliche Bedeutung“ habe „namentlich für die Klassenkämpfe des Hochund Spätmittelalters“, vgl. Leo Stern, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 231 (Originalzählung: 2. Tag, 109). Erich Paterna, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 225 (Originalzählung: 2. Tag, 103). Zu Paterna vgl. Kurt PÄTZOLD: Erich Paterna (1897 bis 1982), in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, S. 182-202. zu Paterna vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 475f. Heinz Kamnitzer, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand HistorikerGesellschaft, Nr. 183, Bl. 219 (Originalzählung: 2. Tag, 97). Alfred Meusel, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 233 (Originalzählung: 2. Tag, 111). Weidhauer, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 193 (Originalzählung: 2. Tag, 71). „Mit dem Auftreten der Arbeiterklasse entsteht zum ersten Mal der wissenschaftliche Revolutionsbegriff. Hier liegt eine sehr wichtige Wendung in der Geschichte, eine richtige Wendung des Revolutionsbegriffes vor.“ Joachim Streisand, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 217 (Originalzählung: 2. Tag, 95). Zu Streisand vgl. Die Geschichtswissenschaft an der Humboldt-Universität Traditionen, Leistungen, Wege. Joachim Streisand zum Gedenken, Beiträge zur Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin; 6, Teil I), Berlin (O) 1982; Hans SCHLEIER: Joachim Streisand (1920 bis 1980), in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDRGeschichtswissenschaft, S. 341-357.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Fast erwartungsgemäß setzte Griewank sich der Kritik aus, als er die Leninsche Revolutionstheorie referierte und kritisch betonte, daß dieser versucht habe „die von Marx erst angedeutete proletarische Klassendiktatur konkret umzugestalten zur taktisch wohlberechneten Diktatur der ‚Partei’ des Proletariats.“341 Im Ton geradezu höflich gab Erich Paterna zu bedenken, daß von einer „Diktatur der Partei“ nicht gesprochen werden könne, dies sei wohl als „kleine Unrichtigkeit [...] bei der Gedrängtheit des letzten Teils unterlaufen“.342 Griewanks Antwort hierzu: „Was ich über die Diktatur sagte und die Rolle der Partei, ist vielleicht missverständlich gewesen. Es ist mir wohl bekannt, dass die Diktatur nicht durch die Partei, dass es sich nicht um eine Diktatur der Partei, sondern des Proletariats handeln soll und dass der Partei hier eine führende Rolle zugesprochen wird.“343 Diese führende Rolle der Partei erscheine ihm jedoch ein wesentlich neuer Punkt und maßgeblich in der Leninschen Auffassung. Der Diskussionsleiter Meusel unterbrach ihn: „Prof. Meusel: Darf ich fragen: auf wen stützt sich denn die Partei? Stützt sie sich auf die Klasse? Dann ist sie eine Organisation der Klasse. Prof. Griewank: Sie stützt sich auf die Partei [sic] und ihre Ideologie, die sie als die richtige Ideologie angibt. Prof. Meusel: Dann ist sie Organ der Klasse.“344

Bei diesem kurzen Wortwechsel schien die Unvereinbarkeit der „idealistischen“, also die Ideologie betrachtenden Geschichtsauffassung Griewanks mit der „materialistischen“, den Wunsch einer „Klasse“ postulierender und angeblich bereits erkennender Geschichtsauffassung Meusels noch einmal deutlich auf. Griewank wechselte an dieser Stelle das Thema, so wie er apodiktische und rein ideologische Bemerkungen oder inquisitorische Fragen stur überging. Gerade in der Auswahl der Themen, auf die er antwortete, agierte er diplomatisch, aber nicht nachgiebig. Es wurden jedoch auch konkrete Fragen gestellt, etwa zum Begriff der Konterrevolution. „Der Nationalsozialismus war keine Revolution, sondern eine revolutionär drapierte Konterrevolution“345, legte Alfred Meusel fest, der den Begriff „Konterrevolution“ grundsätzlich durchzudeklinieren versuchte. Die Diskussion um den Revolutionscharakter der deutschen Ereignisse im Januar 1933 hatte Griewank in der Tagung und in seinem Buch nicht geführt.346 Das theoretisch-methodische Problem dieser Frage liegt in der bereits skizzierten Gerichtetheit des neuzeitlichen Revolutionsbegriffes.347 Griewank hatte in seiner Definition formuliert, daß „positive Ziele im Sinne einer Erneuerung“ (21) für ihn zum Selbstverständnis einer Revolution gehörten. Er hatte dies nicht analytisch für unabdingbar oder etwa für gut befunden, sondern aus der bisherigen Verwendung des Revolutionsbegriffes konstatiert.

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Karl Griewank, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 187 (Originalzählung: 2. Tag, 47). In diesem Fall wird ausnahmsweise aus dem Protokoll zitiert, da es an dieser wichtigen Stelle einen Unterschied zur gedruckten Buchfassung gibt. Im Buch heißt es: „die von Marx erst angedeutete proletarische Klassendiktatur konkret auszugestalten mit der taktisch wohlberechneten Leitung der ‘Partei« des Proletariats“ (221). Hervorhebung T.K. Erich Paterna, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 230 (Originalzählung: 2. Tag, 106). Karl Griewank, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 240 (Originalzählung: 2. Tag, 118). Ebd. Ebd., Bl. 234 (Originalzählung: 2. Tag, 112). Die Herausgeberin weist auf die Diskussion hin. Vgl. Ingeborg HORN-STAIGER: Vorwort zur zweiten Auflage, S. 14 und DIES.: Nachwort zur dritten Auflage, S. 278. Siehe oben S. 330.

6.3. Der neuzeitliche Revolutionsbegriff

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Eine Erhebung zur Revolution würde in diesem Sinne eine Aussage über die positiven Ziele einer Umwälzung bedeuten. Die Nationalsozialisten sahen sich in diesem Verständnis auch als Revolutionäre. Vor diesem Hintergrund wurde von der Forschung bewußt eingewandt: „Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und die Maßnahmen, mit der die NSDAP in der Folgezeit ihre Macht ausbaute und sicherte, eine ‚Revolution’ zu nennen, erscheint unangebracht, wenn man die großen Revolutionen der Moderne, die amerikanische, die französische und die russische, als Muster und Maßstab nimmt.“348 Dahinter steckt nun ein bewußtes Festhalten am normsetzenden Charakter der Revolution. Ein solches Festhalten erfordert freilich, daß man Phänomene gleichen Zuschnitts, deren Ziele man nicht als positiv gerichtet anerkennen kann, als Konterrevolution oder reaktionäre Bewegung kennzeichnen muß. Im marxistisch-leninistischen Verständnis ist dies eine problemlose und geradezu zwingende Folgerung. Jedoch kann gerade das Beispiel der sogenannten „Machtergreifung“ die in diesem Zusammenhang auftretenden revolutionstheoretischen Schwierigkeiten verdeutlichen. Wenn Horst Möller etwa ausführt: „Die NS-Machtergreifung war eine Revolution“349, so plädiert er für eine Abkehr von der normsetzenden Gerichtetheit des Revolutionsbegriffes, betont gleichzeitig mit dem Begriff Machtergreifung den gewaltsamen Akt dieses Ereignisses. Demgegenüber verwendet Heinrich August Winkler den Begriff der „Machtübertragung“350. Hans-Ulrich Wehler hat nun – streitbar wie immer – in seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ die Diskussion durch den Begriff der „totalitären Revolution 1933“351 angeregt. Die Scheu, den Revolutionsbegriff auf „die Durchsetzung charismatischer Herrschaft Hitlers in Staat und Gesellschaft“352 anzuwenden, komme daher, so Wehler, daß dieser für das 19. Jahrhundert positive Ereignisse zugesprochen werde. Demgegenüber müsse für das 20. Jahrhundert „wegen des Folgenreichtums dieser tiefen Zäsur von einer Revolution neuen Typs“353 gesprochen werden, eben einer totalitären. Inwieweit sich diese Begrifflichkeit durchsetzen kann, muß noch offen gelassen werden, zumal Wehler zusätzlich den Begriff der „Gegenrevolution“ auf die Endphase der Weimarer Republik“ anwendet und hier von der „Machtübergabe“ spricht, so daß die Gesamtkonzeption recht komplex erscheint.354 Deutlich wird jedoch, daß eine genaue Auseinandersetzung mit dem Revolutionsbegriff nach wie vor nötig bleibt. Man braucht eine sprachliche Abgrenzung von der nationalsozialistischen Revolutionsrhetorik entweder durch eine Negativzuschreibung („totalitär“) oder bewußte Nichtanwendung des Revolutionsbegriffes. Griewank äußerte sich zu einem revolutionären Charakter des Nationalsozialismus weder in seinem Buch noch in der Diskussion mit Meusel. Er erkannte an dieser Stelle wohl ein methodisches Problem, denn er deutete nur vage an, der Begriff der Gegenrevolution sei „zweifellos auch einer sehr genauen Analyse“355 wert. In seiner Vorlesung zur Geschichte der

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Klaus VONDUNG: Revolution als Ritual. Der Mythos vom Nationalsozialismus, in: Dietrich HARTH/Jan ASSMANN (Hg.): Revolution und Mythos, Frankfurt (M) 1992, S. 206-218, hier S. 206. Zu beachten ist hier die Vermeidung des Begriffs „Machtergreifung“! Horst MÖLLER: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Konterrevolution oder Revolution, in: VfZ 31 (1983), S. 25-51, hier S. 47. WINKLER: Der lange Weg nach Westen. Bd. 1, S. 548-551. Siehe oben S. 100, Anm. 92. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 600-603. Ebd., S. 601. Ebd., S. 602. Ebd., S. 580-599. Karl Griewank, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 242 (Originalzählung: 2. Tag, 120).

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Arbeiterbewegung hatte er, ähnlich in verschiedenen Briefen, jedoch von einer wie auch immer gearteten „vorbeugende[n] Gegenrevolution gegen [den] Kommunismus“356 gesprochen. Auch die Einordnung der Oktoberrevolution beschäftigte Griewank sehr.357 Die von marxistischer Seite kanonisch vorgestellte Interpretation der Oktoberrevolution war er jedoch nicht bereit zu akzeptieren. „Eine Frage, die sich mir aufdrängt bei der Betrachtung der Revolution als solcher, und die der weiteren Ergänzung wert ist: Ist denn der Übergang von einer gesellschaftlichen Konstellation zur anderen, oder sagen wir: von der Herrschaft einer Klasse zu der Herrschaft einer anderen Klasse überall nur durch die Revolution möglich, oder ist es vielmehr nicht so, dass Revolutionen als gewaltsame Erscheinungen und Durchbrüche in einzelnen Punkten erfolgen, wo die historische Konstellation diese gewaltsamen Durchbrüche ganz besonders erzwingt, wie es ja in klassischer Weise einmal in Frankreich 1789, auf der anderen Seite in Russland 1917 der Fall gewesen ist? Dass aber auch wiederum an vielen anderen Stellen der Übergang zu diesen Formationen in durchaus nicht gewaltsamer Weise erfolgt, wie man ja dem Übergang zur bürgerlichen Demokratie in zahlreichen Ländern demonstrieren kann.“358

Hier verbirgt sich ein Kern der Auseinandersetzung Griewanks mit marxistischleninistischen Positionen: die Ablehnung der Gesetzmäßigkeit einer Abfolge von Revolutionen. Die Diskussion, die mit diesem Schlußwort des Jenaer Historikers endete, war im Ganzen geprägt von einem durchaus auf Argumentations- und Informationsaustausch ausgerichteten Klima, wobei die ideologisch gefestigten Marxisten bestenfalls Informationen aufnehmen und Argumente als Überzeugungen und Überzeugungsversuche abgeben wollten. Griewanks Beitrag ist in diesem Kontext als ein unübersehbarer Schritt zu einer diskursiven Verständigung zu sehen. Allein die Themenwahl, aber auch die Abfolge, die mit den Ideen Marx’, Lenins und Stalins endete, ermöglichte es für alle Teilnehmer, die Thematik in ihrem Sinne aufzugreifen. Dies wurde auch von den Diskussionsteilnehmern durchweg betont.359 Den Marxisten bot sich die Gelegenheit der Selbstvergewisserung. Der Beobachter des Staatssekretariats war denn auch zufrieden: „Die Diskussion hatte ein wesentlich besseres Niveau als am Vortage. Es wurde klarer und im Grossen und Ganzen auf dem Boden des Marxismus-Leninismus diskutiert.“360 Wie schon in der Treitschke-Diskussion zum Historischen Materialismus fand Griewank wieder eine klare Formulierung zur Marxistischen Revolutionstheorie. Er habe „selbst einen Ausblick auf die marxistische Definition gewonnen. Ich habe hierzu meinen Standpunkt dargestellt, dass er mir doch entscheidend zu helfen scheint. Dass er die alleinige und endgültige Definition bieten kann, das habe ich von mir aus nicht behaupten wollen. Darüber möchte ich hier auch kein endgültiges Urteil abgeben. Entscheidend erscheinen mir da gewisse grundsätzliche Erklärungen über manche Grundbegriffe zu sein, insbesondere über das, was als progressiv zu betrachten ist; in welchem Sinne man das Progressive, den Inhalt der Geschichte, zu bezeichnen hat,

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Hektographiertes Skript der Vorlesung, S. 32. Siehe oben S. 304. Auch in Karl Griewank an Gerhard Ritter, 19.10.1948, in: BA Koblenz, N 1166 NL Ritter, Nr. 333, unpag. Zu dieser These im Kontext der Vorlesung siehe oben S. 304 und zur Sonderwegsvorstellung siehe unten S. 343 mit Anm. 369. Vgl. auch Karl Griewank: Weltpolitische Wirkungen der russischen Revolution von 1917, in: FuF 21/23 (1947), S. 225-228. Karl Griewank, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 241 (Originalzählung: 2. Tag, 119). „Alle Diskussionsredner sind wohl mit Prof. Griewank darin einig, dass die Geschichte des Revolutionsbegriffes ein ausserordentlich wichtiges Thema darstellt“, Joachim Streisand, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ebd., Bl. 216 (Originalzählung: 2. Tag, 94). Bericht Herwig Förder (SfH), 14. 6. 1952, in: BA Berlin, DR 3/1.Schicht, 4057, Bl. 6.

6.4. Deutschland, Preußen und Europa – beginnende Reflexionen

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aber auch, was man hält von der Fähigkeit des Menschen überhaupt, sich zu vervollkommnen, und wo die Vervollkommnung stattfinden kann. Das sind die Probleme, die weit über das hinausführen, was wir Historiker schon exakt lösen und als Aufgabe einer Historikertagung hier zur Lösung bringen können.“361

Für Alexander Fischer stellt Griewanks „in der Begegnung mit dem Marxismus gewonnener ‘neuzeitlicher Revolutionsbegriff’ [...] einen nicht wieder erreichten Höhepunkt in der Diskussion zwischen idealistischer und materialistischer Geschichtsauffassung dar.“362 Eine Bewertung, die man aus heutiger Sicht bestätigen kann, die jedoch die damalige konservative Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik nicht erkennen konnte oder wollte. Theodor Schieder immerhin betonte 1956: „Beachtenswert ist die Unabhängigkeit, mit der der in Jena lehrende Verfasser an das Thema der marxistisch-leninistischen Revolutionsidee herangetreten ist.“363 6.4. DEUTSCHLAND, PREUßEN UND EUROPA – BEGINNENDE REFLEXIONEN Nach dem Zweiten Weltkrieg stand für viele die Frage im Raum, wie es zu diesen schweren Verbrechen kommen konnte, die von Deutschland ausgingen. Bezeichnend ist jedoch, daß diese im Grunde explizit historische Frage meist von den Historikern nicht offen gestellt wurde. Es ist ein bekanntes Phänomen, daß sich Konflikte an thematischen Substituten erhitzten, die sich dann zum Teil zu „Schlüsseldebatten“ der Geschichtspolitik gestalteten.364 Diese Debatten stehen im Zusammenhang mit dem, was später „Sonderwegsdebatte“ bezeichnet wurde. Griewanks Vorstellungen hierzu sind weitaus weniger ausgereift als seine Revolutionsforschung. Griewank hatte sich jedoch fest vorgenommen nach seinen Revolutionsstudien als nächstes das Thema Preußen genau unter diesem Gesichtspunkt wieder anzugehen: „Größere Studien über die Revolutionen in der neueren Geschichte und das Verhältnis von Bürgertum und Preußentum in Deutschland werden hoffentlich bald geeignete literarische Form finden.“365. Erste Reflexionen der Schlüsseldebatten sollen hier präsentiert werden, wobei zunächst auf allgemeine Pläne und Diskussionen, dann auch das „BismarckProblem“ eingegangen wird. 6.4.1. „Die Sonderentwicklung Deutschlands [...] stärker zu betonen, auch in ihren nachteiligen Folgen“ – Eine Revision des Geschichtsbildes? Auf dem Gebiet der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts, speziell der preußischen Geschichte, war Griewank zu Hause. Aus diesem Grund legte er besonderes Interesse auf die Lektüre der grundsätzlichen Literatur zur Preußenproblematik, also zur

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Karl Griewank, Diskussionsbeitrag 8.6.1953, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, Bl. 216 (Originalzählung: 2. Tag, 94). Alexander FISCHER: Der Weg zur Gleichschaltung der sowjetzonalen Geschichtswissenschaft 19451949, in: DERS./HEYDEMANN, Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd.1, S. 45-75, hier S. 58. Theodor SCHIEDER: Rez. Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, in: VSWG 43 (1956), S. 280f, hier S: 281. Zur Wahrheitsliebe Griewanks siehe unten Kapitel 9.3. Edgar WOLFRUM: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg der bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999. Zum Begriff der Schlüsseldebatte vgl. S. 222238. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, NL Spranger, Nr. 179, unpag. Siehe Anhang 10.3.1.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Frage, ob das Preußentum den deutschen Untertanengeist besonders schärfte und damit die preußischen Tugenden quasi nationalsozialistische Sekundärtugenden darstellten. Oder ob im Gegenteil das Preußentum und seine Tradition gegen den nationalsozialistischen „Ungeist“ ins Feld geführt werden konnten wie etwa die deutsche Klassik auch. Letztere Position vertrat mit der Autorität eines Widerstandskämpfers der konservative Gerhard Ritter in seinem Buch „Europa und die deutsche Frage“, in dem ein umfangreiches Kapitel sich dem Preußenbild zuwandte.366 Preußen galt für Ritter als positive Bezugsgröße. Er betonte, daß Preußen in vergangenen Jahrhunderten schließlich „das Zentrum westeuropäischer Aufklärung in Deutschland“367 gewesen sei. Wenn „das Bewußtsein sittlicher Selbstverantwortung“ wach gehalten werde, könne ein Rekurs auf die preußischen Tugenden der Neubesinnung dienen, so Ritter. „Schließlich hat altpreußische Zucht im deutschen Leben nicht ausschließlich Verdummung und Entwürdigung bedeutet.“368 Griewank nahm Ritters Position kritisch zur Kenntnis, was er dem „großen“ westdeutschen Kollegen auch mitteilte: „Mit großem Interesse las ich soeben Ihr neues Buch ‚Europa und die deutsche Frage’, dessen besonderes Verdienst mir darin zu bestehen scheint, daß die ganz umstrittenen Punkte deutscher Vergangenheit in die europäische Gesamtentwicklung hineingestellt werden, was ich auch in Meineckes „Katastrophen“-Buch etwas vermißte. Hinweise wie der auf die Wurzeln der modernen totalitären Diktaturen im totalen Volksstaat der französischen Revolution sind heute umso nötiger, als davon kaum jemand eine Vorstellung hat; man müßte allerdings noch das wichtige Zwischenglied des Leninischen Bolschewismus, überhaupt des Marxismus, dazu betrachten, ohne den doch die faschistische Gegenrevolution weder in ihrem Kommen, noch in ihren Methoden denkbar gewesen wäre. Die Sonderentwicklung Deutschlands im 19. Jahrhunder[t] würde ich doch immer geneigt sein, stärker zu betonen, auch in ihren nachteiligen Folgen: die selbstzufriedene Ablehnung des westlichen Rationalismus, die Erstickung jedes Ansatzes zu eigener demokratischer Tradition, die Romantisierung des Überkommenen wegen seiner vermeintlichen deutschen Eigenart – Dinge, deren Entstehung und wandelnde Erscheinung gewiß nicht mit einigen oberflächlichen Bemerkungen von außen abgetan ist, aber doch von uns selbst mit Ernst erkannt und verfolgt werden muß. Hinweise dazu finden sich in ihrem Buche nicht wenige; es ist auch für uns jüngere Fachgenossen ein wesentlicher Markstein auf dem Wege zu neuer historischer Selbsterkenntnis.“ 369

Der höfliche, abwägende und wohlwollende Ton ist fraglos für Griewank typisch; zudem muß man beachten, daß Griewank den Brief mit einem Anliegen verband. Er bat Ritter darum, ein Exemplar des Buches für die Jenaer Seminarbibliothek zu einem günstigeren Preis zur Verfügung zu stellen. Auch Griewank selbst hatte es nur in Berlin ausleihen können und besaß kein eigenes Exemplar. Dieses Beispiel macht die besonderen Schwierigkeiten deutlich, die sich nach der Währungsreform in der SBZ ergaben. In Griewanks Brief taucht wieder die Idee auf, den Nationalsozialismus als vorweggenommene Gegenrevolution zum Marxismus zu sehen.370 In dieser Hinsicht konnte er die Anregungen Ritters aufnehmen. Beide verband die Ablehnung des Massencharakters der NS-Bewegung, die Ritter wie Griewank jeweils aus dem gleichen bildungsbürgerlichen Milieuhintergrund als abstoßend empfanden. Ein Nachdenken über den Massencharakter von politischen Bewegungen führte auf der einen Seite Ritter zur Analogie von Französischer Revolution und Nationalsozialismus und auf der anderen

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Gerhard RITTER: Europa und die deutsche Frage. Betrachtungen über die geschichtliche Eigenart des deutschen Staatsdenkens, München 1948; vgl. hierzu CORNELIßEN: Ritter, S. 490-496. RITTER: Europa und die deutsche Frage, S. 29. Ebd., S. 40. Karl Griewank an Gerhard Ritter, 19.10.1948, in: BA Koblenz, N 1166 NL Ritter, Nr. 333, unpag. Siehe oben S. 304 (Kontext der Vorlesung) und S. 342 (Revolutionsvorstellung) mit Anm. 356.

6.4. Deutschland, Preußen und Europa – beginnende Reflexionen

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Seite Griewank zur These von der Strukturgleichheit des Nationalsozialismus und des Leninismus „in ihrem Kommen“ und „in ihren Methoden“. Konnte man hier also noch Analogien zur Ritterschen Herangehensweise finden, so wurden in anderen Punkten Unterschiede deutlich. Bemerkenswert ist Griewanks Ausdruck von der „Erstickung jedes Ansatzes zu eigener demokratischer Tradition“ innerhalb der deutschen Geschichte, vor allem des 19. Jahrhunderts. Diese Fragestellung – der Blick auf die Demokratisierungsprozesse – unterschied ihn politisch und wissenschaftlich von seinem Korrespondenzpartner Ritter. Aus diesem Blickwinkel heraus erklärt sich auch der Kernsatz, wonach er die „Sonderentwicklung Deutschlands [...] stärker zu betonen [geneigt sei], auch in ihren nachteiligen Folgen“. Hier liegt die Antizipation der kritischen Sonderwegsdebatte, die zwar inzwischen innerwissenschaftlich mit guten Gründen371 relativiert wird, die jedoch nicht nur die Debatten um das deutsche Geschichtsbild über Jahrzehnte wirksam beeinflußt, sondern sicherlich auch einen wichtigen emanzipatorischen Beitrag zur politischen Kultur lieferte.372 Darauf wird im folgenden noch näher einzugehen sein, denn auch die Beschäftigung mit Bismarck stand unter dem Eindruck der „Sonderwegs-Diskussion“. 6.4.2. Bismarck – Ein „christlicher Staatsmann“ im Grundsatzstreit der 1950er Jahre373 In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts stritten die Historiker um die nationale politische Kultur, wenn sie in eine Kontroverse um die Rolle Bismarcks eintraten.374 Das „alte“ nationalsozialistische Sonderwegsverständnis, wonach die besondere machtstaatliche Rolle und Vorsehung Deutschlands sich im Regime Hitlers verwirklichte, sah für Bismarck geradezu naturgegeben eine herausgehobene Rolle vor: die des Reichsgründers und Machtpolitikers, der preußisch-nationale Werte vermittelte. Man konnte die bestehenden Bilder und „Gedächtnisorte“ aktivieren und an die weit ins Alltagsleben gedrungene Bismarckverehrung und -mystifizierung des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert anknüpfen, um Deutungen zu besetzen. Sebastian Conrad hat dies jetzt in seiner Arbeit in den Kontext der „Suche nach dem Ort der Nation“375 eingeordnet und deutlich herausgestellt. Jetzt, nach dem Ende des Dritten Reiches, das in der Konsequenz auch das Ende des Bismarckschen Deutschen Reiches bedeutete, stand diese Interpretation in einem fatalem Kontext: Ermöglichten nicht erst Machtsstaatsdenken und Obrigkeitstreue den Nationalsozialismus? Und stand der Reichsgründer Bismarck nicht am Anfang dieser unheilsvollen Entwicklung? Galt es nicht eine Linie von Bismarck zu Hitler zu ziehen?

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Vor allem gilt dies im Hinblick auf einen internationalen Vergleich, bei dem man problemlos etliche „Sonderwege“ erkennen könnte. Vgl. Winfried SCHULZE: Vom „Sonderweg“ bis zur „Ankunft im Westen“. Deutschlands Stellung in Europa, in: GWU 53 (2002), 4, S. 226-240. Alle in diesem Abschnitt in Klammern angegeben Seitenzahlen beziehen sich auf Karl GRIEWANK: Das Problem des christlichen Staatsmannes bei Bismarck, Berlin (O) 1953. Vgl. die Edition der wichtigsten Texte bei: Lothar GALL (Hg.): Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung nach 1945, Köln/Berlin (W) 1971 und bei Hans HALLMANN (Hg.): Revision des Bismarckbildes. Die Diskussion der deutschen Fachhistoriker 1945-1955, Darmstadt 1972. „Die Bismarck-Kontroverse als Suche nach dem Ort der Nation“, so die Bezeichnung bei Sebastian CONRAD: Auf der Suche nach der verlorenen Nation. Geschichtsschreibung in Westdeutschland und Japan 1945-1960, Göttingen 1999, S. 62-88. Vgl. auch grundlegend das Kapitel „Das Problem der ‚Revision’ des deutschen Geschichtsbildes“ bei SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 209-227, zur Bismarckdebatte S. 219-226.

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6. Demokratie und Revolution – Themen

Die Forderung nach Neubesinnung, Neuorientierung und Revision des Geschichtsbildes wurde nun gerade auch in der Person Bismarcks erhoben. Vor allem die im Exil geschriebene Bismarckbiographie des Liberalen Erich Eyck376, eines von den Nationalsozialisten in die Schweiz vertriebenen Juristen und Historikers377, hat diese Diskussion in Gang gebracht. Eycks Bismarckbild erscheint als abgerundete und in sich schlüssige Darstellung und galt als erste umfassende Biographie des Reichskanzlers. Sie nimmt einen klaren Standpunkt dadurch ein, daß der Autor sich häufig den Positionen der zeitgenössischen liberalen Bismarckkritiker anschloß. Durch die Konzentration auf eine schlüssige Thesenbildung war sie trotz der unheimlich breiten Quellengrundlage im Detail angreifbar, weshalb auch ihre Befürworter, zu denen vor allem auch Franz Schnabel gehörte, sie nicht als abschließend ansehen mochten.378 Die Grundaussage lautet, daß sich ohne das Wirken Bismarcks eine bessere Entwicklung Deutschlands eingestellt hätte. Für die Anhänger Bismarcks war diese Thesenbildung prinzipiell nicht akzeptabel; sie war jedoch wegen ihrer Fundierung weitaus ernster zu nehmen als publizistische oder journalistische Entwürfe, in denen eine Linie von Bismarck zu Hitler gezogen wurde. Als Gegenpol diente die parallel, also ebenfalls schon vor 1945, völlig unabhängig entstandene Bismarckbiographie des erzkonservativen Historikers Arnold Oskar Meyer, die Hans Rothfels 1949 durch eine Neuausgabe wieder zugänglich machte.379 Dieses „Werk eines glühenden Bismarckverehrers, der sein Leben lang immer neue Studien dem großen Thema gewidmet hatte“380, stellt sich dar als „eine einzige Glorifizierung des ‚nationaldeutschen’ Staatsmannes“381 und fungierte nach 1945 als ein wichtiger Baustein zur Restauration eines konservativen Bismarckbildes. Bismarck galt in dieser Deutung als Symbolfigur einer vergangenen, ‚noch guten’ Zeit und damit als Gegenstück zu Hitler. Wie rezipierte Karl Griewank das Thema? Im Jahr 1947 hatte er die Eycksche Bismarckbiographie noch nicht einsehen können. Als Herausgeber der Deutschen Literaturzeitung lag ihm jedoch daran, daß dieses Werk besprochen werden sollte; allerdings konnte die Redaktion es sich nicht leisten, das Buch zu beschaffen. „Wir werden vielfach auf Beiträge angewiesen sein, die von den Mitarbeitern der anderen Zonen zur Verfügung gestellt werden, auch ohne daß wir ihnen das Rezensionsexemplar zusenden, wenn die Mitarbeiter auf andere Weise leichter in den Besitz und zur Kenntnis der geeigneten Bücher gelangen“, schrieb er deshalb an Gerhard Ritter in Freiburg mit der offenen Bitte „besonders auch um Ihre Mitarbeit“. Für Ritter seien doch „Veröffentlichungen aus der Schweiz und Frankreich, die hier noch gar nicht vorliegen, leichter zugänglich“, hieß es in diesem Brief weiter: „Wie steht es etwa mit dem Bismarck-Buch

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Erich EYCK: Bismarck. Leben und Werk, 3 Bde., Erlenbach/Zürich 1941-1944. Vgl. DERS.: Bismarck nach fünfzig Jahren [1948], in: GALL (Hg.): Bismarck-Problem, S. 34-50. Zu Eyck vgl. Klaus HILDEBRAND: Erich Eyck, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 206-227. Zur historischen Ausbildung Eycks, der gerade von Gerhard Ritter häufig als Laie hingestellt wurde, vgl. jetzt CORNELIßEN: Ritter, S. 510, Anm. 108. Vgl. Franz SCHNABEL: Das Problem Bismarck, in: GALL (Hg.): Das Bismarck-Problem, S. 97-118, hier vor allem S. 99-101. Arnold Oskar MEYER: Bismarck. Der Mensch und Staatsmann. Mit einem Geleitwort von Hans ROTHFELS, Stuttgart ²1949. Vgl. zu A.O. Meyer: GREBING: Zwischen Kaiserreich und Diktatur, S. 204-238, hier S. 207f. und S. 218-223. Gerhard RITTER: Das Bismarckproblem [1950], in: GALL (Hg.): Das Bismarck-Problem, S. 119137, hier S. 120. Lothar GALL: Einleitung, in: DERS. (Hg.): Das Bismarck-Problem, S. 9-24, hier S. 12.

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von Erich Eyck [...]?“382 Ritter ließ ihn in der Antwort wissen: „Das Buch von Eyck ist hier auf der Bibliothek vorhanden, die nach und nach überhaupt einige Literatur aus der Schweiz bezieht.“383 Im übrigen wolle er seine „außerordentlich ausgedehnte Rezensionstätigkeit“ nun einschränken, „wo ich mit meiner Zeit sehr haushalten muß“ und lehnte die Rezension ab, zumal: „wenn die DLZ nicht einmal in der Lage ist, einem Autor das Rezensionsexemplare zu beschaffen, dann erscheint die Arbeit recht wenig verlockend.“384 Ritter hatte Eycks Buch bis zu diesem Zeitpunkt der Anfrage Griewanks ganz offenbar noch nicht zur Kenntnis genommen, sonst hätte er sich zum Inhalt geäußert und vielleicht die Gelegenheit der Rezension genutzt. Denn als er das Buch im Laufe des Jahres 1947 las, schaltete er sich im konservativen Fahrwasser massiv in die Diskussion ein. Christoph Cornelißen hat diese Kontroverse zwischen Ritter und Eyck detailliert nachgezeichnet: Es ging ins Grundsätzliche.385 Ritter trat als der Vertreter einer nationalen Deutung des Problems auf, sprach öffentlich von Eycks Buch als einem „eleganten, aber in seiner schulmeisterlichen Grundhaltung doch verfehlten Buch“386, an anderer Stelle gar von einer „verlorenen Schlacht für die deutsche Geschichtsschreibung“.387 Griewank vertrat in dieser Frage eine ganz andere Meinung. In seiner Vorlesung im Sommersemester 1951 empfahl er Eycks Biographie den Studenten als „das beste Werk“ zur Person Bismarcks.388 Publizistisch beteiligte sich Karl Griewank, der die Grundsatzdiskussion intensiv verfolgte,389 mit einer wenig beachteten kleinen Monographie direkt an ihr: „Bismarck als christlicher Staatsmann“. Es war die letzte Veröffentlichung, die Griewank zu Lebzeiten vorlegen und „mit persönlicher Freude [...] seinen Kollegen“390 überreichen konnte. Mit diesem Thema scheint Griewank doch ein reichlich spezielles Problem herausgegriffen zu haben – ja ein in der Debatte zweitrangiges und aus heutiger Sicht hoffnungslos überholtes Feld zu bearbeiten. Lucien Hölscher hat jedoch jetzt auf die historiographische Bedeutung der Frage nach Bismarcks Religiosität hingewiesen: „War Bismarck ein frommer Mann? Das Problem erscheint uns heute von relativ geringem Interesse“, so Hölscher, es sei jedoch ein verblüffendes Beispiel dafür, „daß eine vormals als eminent wichtig erschienene Fragestellung heute als unwichtig und historisch bedeutungslos erscheint.“391 Den älteren Historiographen erschien es wichtig, mit der Untersuchung der religiösen Grundhaltung des Reichsgründers die liberalen und sozialdemokratischen Vorstellungen 382 383 384 385 386

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Karl Griewank an Gerhard Ritter, 15.1.1947, in: BA Koblenz, N 1166, NL Ritter, Nr. 328, unpag. Gerhard Ritter an Karl Griewank, 27.1.1947 (DS), in: ebd. Ebd. Vgl. CORNELIßEN: Ritter, S. 507-521. Gerhard RITTER: Deutsche Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, in: GWU 1 (1950), S. 81-96, 129-137, hier S. 86f. Gerhard Ritter an Hans Rothfels, 23.10.1947, zit. nach: CORNELIßEN: Ritter, S. 509. NL Griewank, Karton 12, Mappe „Allgemeine Geschichte in der Zeit von 1871-1918 (SS 1951)“ und Gebhard Falk, Vorlesungsmitschriften. Siehe oben S. 222, Anm. 346. Vgl. NL Griewank, Karton 25, Mappe „Notizen, Manuskripte u. Aufzeichnungen versch. Inhalts“ Hier finden sich eine Fülle einschlägiger bibliographischer Notizen. So recherchierte und besorgte er sich etwa die im Juli 1947 in „The Review of Politics“ erschienene Eyck-Rezension von Hans Rothfels; übersetzt veröffentlicht in: HALLMANN (Hg.): Revision des Bismarckbildes, S. 45-72. Friedrich Schneider: Handschriftliches Manuskript der Trauerrede für Prof. Dr. Karl Griewank, in: UAJ, V, Abt. IV, NL Friedrich Schneider, Nr. 012, unpag. Lucian HÖLSCHER: „Die Legende vom frommen Reichsgründer Bismarck“. Neue Überlegungen zu Bismarcks Religiosität, in: Gerd KRUMEICH/Hartmut LEHMANN (Hg.): „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 173-192, hier S. 173.

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zu überprüfen, wonach Bismarck eine prinzipienlose Politik betrieben habe. Wenn man diese als letztlich religiös motiviert darstellen konnte, dann war sie innerhalb individualistischer Kategorien deutlich positiv zu bewerten. Es ist die Tradition des Neorankeaners Erich Marcks, dessen Schwiegersohn Willy Andreas in der Nachkriegszeit ebenfalls in die Diskussion eintrat, in dem er seine unvollendete Bismarckbiographie herausgab.392 Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus galt es den Reichsgründer durch eine Würdigung seiner Persönlichkeit von diesem abzusetzen. Für Leonhard von Muralt galt 1953 „Bismarcks Glaube“ als der „Schlüssel zum Verständnis des Politikers“.393 Dieser Topos vom „frommen Reichsgründer“ war, wie Hölscher betont, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis weit in die 1950er Jahre sehr verbreitet. Er setze ein mit der Edition der privaten Briefe Bismarcks, in denen eine verblüffende Religiosität im Privaten zu Tage trat.394 Der als skrupelloser Pragmatiker verrufene Machtmensch Bismarck folgte also doch moralischen Maßstäben, so lautete die Schlußfolgerung derjenigen, die dies zu betonen suchten. Von Muralt, ein Schweizer, der aus seiner an A.O. Meyer orientierten Position im grundsätzlichen Streit keinen Hehl machte,395 veröffentlichte 1953 einen umfangreichen Aufsatz zum Thema in der Historischen Zeitschrift.396 Neben ihm war es Wilhelm Schüssler, der sich der Problematik nach 1945 intensiv zuwandte.397 Schüssler, der als Andreas-Nachfolger das Promotionsverfahren Griewanks zu Ende gebracht hatte, jedoch inzwischen keinen Kontakt mehr mit ihm pflegte, war als einer der wenigen Historiker mit NS-Belastung nach 1945 nicht mehr an eine Universität zurückkehrt.398 Er wurde Leiter der Evangelischen Akademie im westfälischen Hemer, die Tagungen zu den Themen „War Bismarck Christ?“399 und „Bismarcks Verantwortlichkeit als Christ“400 veranstaltete, an denen u.a. von Muralt oder der Pastor Franz Pahlmann teilnahmen, der 1956 einen als Forschungsbericht konzipierten Aufsatz in GWU zum Thema veröffentlichte.401 Diese Gruppe kannte sich und war sich einig in einer Grundposition,402 die nach den inneren Beweggründen Bismarcks fragte, diesen im Sinne A.O. Meyers verteidigte und die Eyck als jemanden ausschloß, der „von seiner ethischen Position aus der spezifisch christlich-lutherischen Glaubensproblematik bei

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Vgl. die monumentale Studie Erich MARCKS: Bismarcks Jugend 1815-1848, Stuttgart 1909; Vgl. auch DERS.: Bismarck. Eine Biographie 1815-1851. Um den nachgelassenen Band „Bismarck und die deutsche Revolution 1848-1851“ erweiterte Auflage, hg. von Willy ANDREAS, Stuttgart 1951. Leonard von MURALT: Über Bismarcks Glauben, in: HZ 176 (1953), S. 45-91, etwa S. 75 und passim. Vgl. hierzu HÖLSCHER: Legende, S. 173-180. So lobt er „Arnold Oskar Meyers schöne Bismarckbiographie“; ihm verdanke er viel. Eyck wirft er hingegen vor, Bismarck vielfach „einen Gedanken unterzuschieben, der nur in Eycks Phantasie vorhanden ist.“ Leonard von MURALT: Bismarcks Verantwortlichkeit, Berlin/Frankfurt (M) 1955, S. 102 und S. 222. Leonard von MURALT: Über Bismarcks Glauben, in: HZ 176 (1953), S. 45-91. Vgl. SCHÜSSLER: Geschichtsbild, S. 99-143, vor allem die „Kritische Betrachtung zu dem BismarckWerk von Erich Eyck“, S: 142f. Zu Schüssler siehe oben S. 56 mit Anm. 75. Tagung am 16.9.1952. Vgl. hierzu MURALT: Bismarcks Verantwortlichkeit, S. 11. Tagung am 14./15. 4.1953. Vgl. ebd. Franz PAHLMANN: Der Stand des Gesprächs über Bismarcks Glauben, in: GWU 7 (1956), S. 207222. Zu den gegenseitigen Einladungen und Treffen vgl. MURALT, Bismarcks Verantwortlichkeit, S. 11f., der u.a. ausführt, er „ durfte zu seiner Freude erkennen, daß sich seine [...] Überlegungen mit der Auffassung des Referenten, Herrn Pastor Franz Pahlmann, im wesentlichen deckten“, ebd., S. 11.

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Bismarck nicht gerecht zu werden vermag.“403 In einem Schreiben an Willy Andreas sprach Schüssler mit militärischem Vokabular vom Kampf um die Deutungsmacht: „Was speziell das Problem Bismarck anbetrifft, so stehen wir, nachdem die liberale Offensive, ebenso wie die theologische (Eyck und Karl Barth) abgeschlagen sind, vor der ernsteren, nämlich der katholischen. Mein ganzer Bismarckaufsatz zielt im Kern auf die Niederlage dieser Gegner (Schnabel, v. Martin, Buchheim). Hoffentlich ist es mir gelungen.“404 Und Karl Griewank? Er stand außerhalb dieses Netzwerkes, wurde auch zu den Treffen nicht eingeladen. Sein Buch taucht im Forschungsbericht von Pahlmann gar nicht auf und wird bei von Muralt 1955 nur mit der knappen Notiz versehen: „eine nützliche Übersicht, sieht aber die Frage gleichsam nur von außen“405. Doch Griewank bildete seine Position aus den spezifischen Erfahrungen des christlichen Milieus in der DDR aus. Seine Veröffentlichung geht auf eine Reihe von Vorträgen und Diskussionen zurück: im Heidekreis406, in der Evangelischen Studentengemeinde Jena407 und bei der Evangelischen Forschungsakademie Ilsenburg.408 Griewank war als Christ interessiert an einer Neuorientierung in der alten Frage, dem „Bismarck-Problem“ – seine Schrift spiegelt somit Standortfindung und Besinnungsarbeit wider. Karl Griewank, der lange Jahre in der preußischen Hauptstadt Berlin gelebt und unter einem preußischen Staatsminister a.D. gearbeitet hatte, war zur Kritik des „preußischen Wesens“ durchaus bereit, setzte dieser aber auch Grenzen. In seiner Rezension des 1952 erstmals erschienenen Werkes „Das andere Preußen“409 von Hans Joachim Schoeps, welcher die Zeit Friedrich Wilhelm IV. gegenüber der späteren preußischen Entwicklung stark machte, wurde dies deutlich: „Und historisch unstatthaft ist es, Bismarckianismus mit Bonapartismus und diesen wiederum mit dem späteren faschistischen Führerstaat, der auf eine durchgebildete Parteiorganisation und -ideologie aufgebaut ist, mit allen weiter daraus zu ziehenden Konsequenzen gleichzusetzen“410, so Griewank. Er plädierte für eine „[u]nbefangene Einsicht [...] der historischen Bedingtheit und Begrenztheit“411 der Bismarckschen Realpolitik, mithin für ihre Historisierung. Hervorzuheben ist an dieser Stelle seine Abgrenzung zur auf Marx und Engels zurückgehenden, an der Herrschaftsform Napoleons III. entwickelten Bonapartismustheorie412. Dennoch führte Griewank ohne nähere Erläuterung aus: „Das Vorbild der cäsaristischen

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PAHLMANN: Stand des Gesprächs, S. 207, Anm. 1. „Auch auf die Diskussion der religiösen Problematik bei Bismarck von katholischer Sicht aus kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden“, so fährt Pahlmann fort, wohl mit Bezug auf Franz Schnabel. Wilhelm Schüssler an Willy Andreas, 17.11.1953. in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 870. Ebd., S. 111., Anm. 3. In der zweiten Auflage wird diese Fußnote übernommen. Vgl. dass., Göttingen ²1970, S. 133, Anm. 3. Am 18.3.1949 hielt er einen Vortrag zum Thema „Christlicher Staatsmann seit Luther“, UAJ, Z 206. Zum Heidekreis vgl. Abschnitt 5.3.3. Am 10.3.1952 hielt Griewank einen Vortrag in der Evangelischen Studentengemeinde mit dem Titel „Der christliche Staatsmann im Protestantismus“, vgl. Gebhard Falk an seine Mutter, 9.3.1952, den dieser mir mit Schreiben vom 10.7.2000 freundlicherweise in Auszügen zur Kenntnis gab. Vgl. auch mdl. Information, Ruth Weiß, 11.1.2000; Archiv der ESG Jena; ich danke Tobias Netzbandt (Jena) für Informationen. Die Publikation geht auf diesen Vortrag zurück und erschien in der Reihe „Erkenntnis und Glaube“ der Akademie als Band 11. Hans Joachim SCHOEPS: Das andere Preußen, Stuttgart 1952. Karl GRIEWANK: Rezension zu: Schoeps, Das andere Preußen, in: DLZ 74 (1953), Sp. 155-158, hier Sp. 157. Ebd., Sp. 158. Vgl. Wolfgang WIPPERMANN: Die Bonapartismustheorie bei Marx und Engels, Stuttgart 1983.

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Wohlfahrtspolitik Napoleons III. (Arbeitsbeschaffung und freiwillige Staatsversicherungen), auch der demokratische Staatssozialismus Lassalles wirkten dabei auf Bismarck“ (42) und mahnt deshalb eine über die ältere Literatur hinausgehende genauere Bearbeitung an (vgl. ebd., Anm. 51). Im Zitat wurde hier also die gleichfalls vieldiskutierte Cäsarismus-Zuschreibung aufgegriffen – in deutlicher Verbindung zu Napoleon III. und ohne den Begriff zu präzisieren. Die Nennung des Begriffs kann somit nur mit Hans-Ulrich Wehler den gelegentlich nach 1945 auftauchenden Verwendungen des Begriffs zugeordnet werden, die jedoch im Kontext der Bonapartismusdebatte blieben und als alternierende Begrifflichkeit anzusehen ist.413 Die Bonapartismustheorie wurde bekanntlich für „die orthodoxe marxistische Historiographie [...] zum dogmatischen Schema – besonders penetrant in der DDR“414, aber auch in flexiblerer Form fruchtbar eingesetzt – mithin ist die von Griewank geforderte nähere Untersuchung später erfolgt.415 Bereits in seiner Rezension zu Schoeps erwähnte Griewank den Themenbereich, der ihn umtrieb: Bismarck habe „christlich-sittliche Prinzipien auf bestimmte politische und soziale Verhältnisse des 19. Jahrh[undert]s bezogen und sich nicht einfach, wie Sch[oeps] mit Eyck und anderen meint, auf eine gegenstandslose Religiosität des ‚stillen Kämmerleins’ zurückgezogen. Die Problematik der konservativen, monarchistisch-aristokratischen Politik unter dem Zeichen des Christentums ist demgemäß auch auf Bismarck, der sie ohne Doktrinarismus und mit starken Zugeständnissen an das kapitalistische Bürgertum ausübte, auszudehnen.“416

Griewank sprach hier zwei Ebenen an: Zum einen geht es um ein „biographischhistorisches Problem: Kann der Gründer und Ausgestalter des Deutschen Reiches von 1870, der beherrschende, seinen Schatten weit in die Zukunft werfende Staatsmann der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als christlicher Staatsmann verstanden werden und in welchem Sinne?“ (5). Mit dieser Fragestellung bewegt sich Griewank im traditionellen Fahrwasser der Bismarckbiographik. Der hier zitierte „Schatten“ fällt jedoch viel weiter: „Dahinter steht aber das weitere Problem des christlichen Staatsmannes überhaupt, das im Protestantismus seine neue und immer wieder zweifelhafte Gestalt gewonnen hat [...] ob und in welcher Weise es in dieser Welt christliche Staatsmänner auf protestantischem Boden geben kann: diese Frage wird [...] immer im Hintergrund stehen müssen“ (5). Die Ausführungen zum ersten Komplex, dem Biographischen, knüpften an Forschungen zu Gladstone an, also zu jenem liberalen Gegenspieler Bismarcks, den nicht nur Erich Eyck idealtypisch herausstellte,417 sondern der auch von Rudolf Craemer als „christlicher Staatsmann“ eingeordnet wurde.418 Als Gladstone, „der große und sichtbare Antipode des Eisernen Kanzlers“ (52), wenige Wochen vor Bismarck starb, wurde er „von Freunden und Feinden und von dem Führer der gegnerischen Partei Lord Salisbury als das große Beispiel eines christlichen Staatsmannes

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Es soll deshalb hier Hans-Ulrich Wehler gefolgt werden, der sich gegen eine Differenzierung von Cäsarismus und Bonapartismus ausspricht und dabei neben vielen anderen auch Bezug auf die Textstelle bei Griewank nimmt. Vgl. WEHLER: Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 1374, Anm. 42. Ebd., S. 1372, Anm. 41. Vgl. ebd., S. 363-368; Lothar GALL: Bismarck und der Bonapartismus, in: HZ 223 (1976), S. 618632; WINKLER: Revolution, Staat, Faschismus, S. 16-18 und vor allem auch Elisabeth FEHRENBACH: Bonapartismus und Konservatismus in Bismarcks Politik, in: Karl HAMMER/Peter Claus HARTMANN (Hg.): Der Bonapartismus. Historisches Phänomen und politischer Mythos, Zürich/München 1977, S. 39-55. GRIEWANK: Rez. Schoeps: Das andere Preußen, Sp. 157. Erich EYCK: Gladstone, Erlenbach/Zürich 1938. Vgl. Rudolf CRAEMER: Gladstone als christlicher Staatsmann, Berlin/Leipzig 1930.

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gefeiert“ (53). Gladstone vertrat stets eine Politik, die an Grundsätze gebunden war und die „der britischen Politik moralische Aufgaben“ (52) setzte. Gerade dies schien bei Bismarck nicht der Fall zu sein. Griewank sah die Unterschiede zwischen beiden „tief und durchgehend. [...] Bei Gladstone war das Christentum immer Grund und Ziel seines Wirkens in der Welt, bei Bismarck war es wesentliche metaphysische Grenzziehung eines ungewöhnlichen Macht- und Herrenmenschen, der tief von der Dämonie der Welt und der eigenen Natur überzeugt war und durch die persönlich ergriffene Religion das Maß gefunden hatte, um seine Kräfte an ein gemessenes großes Werk zu setzen“ (52f.).

Die Kritik Erich Eycks, wonach Bismarck der Sinn für Recht und Gerechtigkeit gänzlich fehle, lehnte Griewank jedoch ab. Bismarcks Religiosität zeige sich nicht in modernen Normen (der Gerechtigkeit), sie bleibe „fest eingebunden in das patriarchalische Verhältnis der Obrigkeiten und Untertanen“ (26). Sein „politisches Denken und Handeln blieb inhaltlich bestimmt durch sozialen und politischen Konservatismus, das heißt durch die Anerkennung einer bestimmten politisch-sozialen Lebensordnung, die ihm in besonderem Maße als gottgegebene gilt“ (26).419 Er sah in Bismarcks Religiosität keine modernen Werte, sondern ein Weltbild, eine Weltordnung in drei „konzentrischen Kreisen“: „Die Familie, das Land, der König – das sind die drei Kreise, die nun zur christlichen Lebensordnung gehören, alle drei miteinander verzahnt im Leben des christlichen Gutsherrn, Politikers und späteren Staatsmannes“ (13). Es war ein Weltbild, in dem Bismarck in einer an Luthers Zwei-Reiche-Lehre anknüpfenden Weise persönlichen Glauben und Machtstaatsdenken nebeneinander verantworten bzw. vereinbaren konnte: „Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären achtzigtausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Witwen trauerten nicht. – Das habe ich indessen mit Gott abgemacht“ (34) – Der Lutherschen Lehre nach hatte Bismarck die Pflicht des Amtes ernst zu nehmen und als Staatsmann weltlich zu handeln. Für Griewank liegt hierin „der Ursprung der Problematik des christlichen Staatsmannes im lutherischen Protestantismus“ (54) – eine Problematik, die sich zuspitzt durch die Auflösung der ständisch-feudalen Gesellschaft und dadurch, daß „die Weltlichkeit des Staates nun gesteigert wurde durch die säkularen Realitäten des Macht- und Nationalstaates und der Staaten- und Klassenrivalitäten, wie sie im 19. Jahrhundert sich herausgebildet hatten“ (54). Wenn nun der „Staat dann immer noch als Gottesordnung bejaht, andererseits die Anwendung des Christentum durch den christlichen Staatsmann bezogen wurde auf die Erhaltung bestimmter, zeitlich begrenzter politischer und sozialer Ordnungen, wie es theoretisch durch Stahl, praktisch durch Bismarck geschah – dann führte die Anwendung des von Luther hergeleiteten Grundprinzips doch zu Unausgeglichenheiten, deren ungünstige Wirkungen in der späteren unglücklichen Entwicklung Deutschlands nur zu sehr spürbar geworden sind“ (55f.).

Griewank konstatierte zum einen, daß Bismarck sich auf Stahl berufen konnte und berufen hat. Damit zieht er eine Verbindung zu dessen Prinzipien der Legitimität, des monarchischen Prinzips und des christlichen Staates. Diese Positionen kennzeichnete Griewank als außerordentlich problematisch und sah hierin das Problem: nicht, daß Bismarck seinen Glauben als „eine gegenstandslose Religiosität des ‘Kämmerleins’“420 betrieben habe, sondern daß er sie auf Prinzipien Stahls aufbauen konnte, die explizit antimodern waren. Versuche, die Gewissenlosigkeit Bismarcks herauszustellen und dessen Religiosität als bloße Fassade abzutun, griffen somit zu kurz. In der altprotestantischen Haltung Bismarcks galt es statt dessen Typisches zu erkennen und allgemeine gesellschaftliche Probleme zu sehen, die Griewank grundsätzlich beschäftigten.

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Hervorhebung im Original. GRIEWANK: Rez. Schoeps: Das andere Preußen, Sp. 157.

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Ein solches etwa ist die Situation der Kirche und ihre Entfremdung zur Arbeiterbewegung, die sich „als eine Klasse selbstbewußter, zu freiem Handeln befähigter und berechtigter Menschen [...] weitgehend gegen den monarchistischen Staat und vor allem gegen die evangelische Kirche“ positionierte „in einer Atmosphäre religiösen Unglaubens, zu dem die Haltung der herrschenden und besitzenden Klassen selbst nur allzuviel Anreiz bot.“421 Hier galt ihm Bismarck als typisch für diese, von ihm als verhängnisvoll betrachtete Entwicklung. Bismarcks Sozialpolitik, die dieser selbst als moderne christliche Staatsidee, als „christlich-sittliche Staatspflicht“ (44) gesehen wissen wollte, wurde von Griewank kritisch als eine Anschauung analysiert, die „obrigkeitlich, fürsorgerisch, im Grunde patriarchalisch, im Bereiche der ‚monarchistischen, landesväterlichen Regierung’ des achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhunderts [war und blieb]. Bismarck erkannte wohl das Anwachsen und die materielle Not der neuen Industriearbeiterschaft, aber nicht die schärfere Ausbeutung und Abnutzung, der der Arbeiter hier ausgesetzt war. Der politische Emanzipationskampf der massenhaften und klassenbewußten städtischen Arbeiterschaft, ihr Bedürfnis nach Gleichberechtigung, Selbsttätigkeit und Mitbestimmung ist ihm Grunde fremd geblieben“ (45).

Oder an anderer Stelle noch klarer: „Bismarck kannte nicht die Seele des Arbeiters, wie sie in den Industrieländern geworden war.“422 Das Auseinanderfallen der Gesellschaft in soziokulturelle Milieus – ein Begriff, den Griewank freilich nicht kennen konnte – stand im Zusammenhang mit einer spezifischen Einengung der christlich-protestantischen Position. Diese methodische Verbindung des Themas „christlicher Staatsmann“ mit sozial- (Wachsen der Arbeiterschaft) und mentalitätsgeschichtlichen („Seele der Arbeiter“) Fragen, unterschied Griewanks Position deutlich von der psychologisch-historistischen Herangehensweise des „Bismarck-Theologen“423 Leonard von Muralts – kein Wunder also, daß dieser meint, Griewank sehe „die Frage gleichsam nur von außen“424. Unsere Analyse legt also eine Nähe zum gesellschaftsgeschichtlichen Paradigma, zur These vom „deutschen Sonderweg“ nahe, die tatsächlich – ohne daß Griewank diesen Begriff so verwenden würde – von ihm auch aufgezeigt wird. Mit der bereits zitierten, irritierend zurückhaltenden Formulierung von den „Unausgeglichenheiten, deren ungünstige Wirkungen in der späteren unglücklichen Entwicklung Deutschlands nur zu sehr spürbar geworden sind“ wird die Sonderwegsthese schon zum Ausdruck gebracht. Weiter heißt es zum Abschluß der Monographie nach einem Rekurs auf Luther und Stahl: “Und wenn die Erkenntnis des Unwertes der menschlichen Persönlichkeit, bei Luther theoretischseelsorgerisch gedacht, bei dem einst freigeistigen Staatsmann des 19. Jahrhunderts zu einer Geringschätzung der Menschen und der persönlichen Selbstbestimmung wurde, die in den Menschen wesentlich Mittel sachlicher politischer Zwecke sah, so war auch damit eine Entwicklung angebahnt, die mindestens Anstoß und Vorbild wurde für Entartungserscheinungen, die wir schaudernd erlebt haben: zur Verherrlichung der nationalen Macht um ihrer selbst willen und zur Verkümmerung des Sinnes für menschliche Würde, Freiheit und Selbstverantwortung. Wie eine christlichprotestantische Ethik, ohne der Skylla der Werkheiligkeit zu verfallen, der Charybdis der politischen Skrupellosigkeit und der Abwertung der Menschenwürde entgehen kann – darin dürfte die Seite der

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Karl GRIEWANK: Kirche und Arbeiterschaft. Ein Vortrag in der Evangelischen Akademie SachsenAnhalt, in: DUZ 10 (1955), H. 15/16, S. 6-10, hier S. 9. Ebd., S. 7. Gerhard Ritter an Hans Rothfels, 16.6.1955, in: Klaus SCHWABE (Hg.): Gerhard Ritter. Ein politischer Historiker in seinen Briefen, Boppard am Rhein 1984, Nr. 199, S. 512,. Vgl. auch SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 224. MURALT: Bismarcks Verantwortlichkeit., S. 111., Anm. 3. Siehe oben S. 348 mit Anm. 405.

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Problematik des christlichen Staatsmannes sein, die durch die Betrachtung unseres meistgerühmten Staatsmannes für unsere Tage vor allem aufgerollt wird.“425

Also: eine Linie von Luther über Bismarck zu Hitler? Für Griewank eine Linie in der Interpretation der politischen Kultur, die durchaus aus einer protestantisch-christlichen Staatsauffassung verstanden werden könne. Ein Ansatz, der weit davon entfernt ist, „den weitgehend entthronten Bismarck-Mythos durch eine religiöse Kanonisierung in neuer Weise wiederherzustellen“ (7), der aber auch keine Dämonisierung der Person Bismarcks bedeutet. Griewanks Beitrag zur Bismarck-Frage der 1950er Jahre war ein Beitrag zur kritischen Revision nicht nur des Bismarckbildes, sondern auch der deutschen Gesellschaftsgeschichte – hierfür freilich nur mit einem sehr kleinen Beitrag zu einem peripheren Gegenstand. Die Monographie wurde in einem Ostberliner Kirchenverlag veröffentlicht. Dies deutet an, was kommen mußte: Die Bismarckforschung nahm den Beitrag im Grunde nicht wahr. Die im engeren Sinne mit Bismarcks Glauben beschäftigten Netzwerke verfolgten mit psychologisch-theologischen Fragestellungen andere Interessen. Sie kamen auch zu anderen Ergebnissen, zum „Mythos vom frommen Bismarck“, den Lucian Hölscher nun als historiographisches Phänomen entdeckt. In den 1960er Jahren erschien dieser historische Ansatz obsolet zu sein und mit ihm ein Beitrag zum „christlichen Staatsmann bei Bismarck“. Die von Griewank vorsichtig angedeuteten allgemeineren Fragen nach dem politischen Herrschaftssystem Bismarcks wurden nun allerdings gestellt. Hans-Ulrich Wehler, der die These des deutschen Sonderwegs stark machte und auch jetzt bei seinem Plädoyer bleibt, die „‘Sonderweg’-Interpretation als schlüssigste Erklärung des Irrwegs, der zum Nationalsozialismus geführt hat“, im „Grundkonsens [der Bundesrepublik] zu bewahren“426, zitiert in seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ Hans Rothfels – ein ausgesprochen „bismarckfreundlicher Historiker“427 und damit guter Kronzeuge – mit den Worten: „Wie lange und verschlungen auch der Weg von Bismarck zu Hitler gewesen ist [...] der Reichsgründer erscheint als der Verantwortliche für eine Wendung, mindestens aber für die Legitimierung einer Wendung, deren fatale Steigerung bis zum Gipfel in unseren Tagen nur allzu augenscheinlich ist.“428 Daß die Griewankschen Reflexionen genau in den Kontext dieses Zitates passen, wird von Wehler auch so eingeordnet. Er hat Griewanks kleine Schrift zur Kenntnis genommen und unterlegt die Rothfels-Stelle mit einem Verweis auf die oben zitierte Schlußpassage des Griewank-Textes.429 Der Jenaer Historiker kam also bereits Anfang der 1950er Jahre zu ähnlichen Ergebnissen wie sie die Forschung erst weitaus später und auf Grundlage einer breiten theoretischen Diskussion entwickelte. Griewanks Thesen entstanden hingegen autonom und eher losgelöst von wissenschaftlichen Debatten. Selbst die Diskussion um Bismarcks Religiosität im engeren Sinne, ein damals noch breit diskutiertes Thema, ging an Griewank vorbei. Im Grund zeigt dies für ihn Typisches. Er nahm eine aktuelle Diskussion kritisch auf, thematisierte ihren grundsätzlichen Kern und antizipierte spätere Erkenntnisse.

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GRIEWANK: Bismarck, S. 54f. Hans-Ulrich WEHLER: Das Ende des deutschen „Sonderwegs“, in: DERS.: Umbruch und Kontinuität. Essays zum 20. Jahrhundert, München 2000, S. 84-89. DERS.: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der »deutschen Doppelrevolution« bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 1995, S. 854. ROTHFELS: Probleme, S. 170. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 1444, Anm. 2. Auch bei GALL: Bismarck, S. 905, findet Griewank Erwähnung.

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7. ZWISCHEN OST UND WEST – DER VERMITTLER Karl Griewank nahm innerhalb der noch gemeinsamen deutschen Geschichtswissenschaft die Rolle eines Vermittlers zwischen den im östlichen und westlichen Teil lebenden Historikern ein. Peter Schäfer spricht von einer „Mittlerrolle“, die er „wie wenige andere seiner Zeitgenossen“ eingenommen habe.1 Im Grunde kann man sogar sagen, daß kein anderer Historiker eine solche Aktivität im „Brückenbau“ an den Tag legte wie Griewank. Keiner der Historiker in der DDR war durch seine Ämter in der sich noch gesamtdeutsch verstehenden „Geschichtszunft“ und damit in der Bundesrepublik als nichtmarxistische Stimme der „Ostzone“ zu hören. Aber auch in den Gremien der DDR-Geschichtswissenschaft engagierte sich Griewank gleichzeitig und brachte dabei seine abweichende Meinung bis zum Schluß entschieden vor. Allenfalls der Leipziger Mediävist Heinrich Sproemberg2 wäre zu nennen, dessen Rolle in der DDR zwar in der Bundesrepublik auf gewisse Skepsis stieß,3 der jedoch durch seine Tätigkeit im gesamtdeutschen Hansischen Geschichtsverein und vor allem durch seine Kontakte und Mitgliedschaften in Frankreich, Luxemburg, Belgien und den Niederlanden eine Brücke zum Westen schlug.4 Auch Fritz Hartung wurde anfangs als Ansprechpartner aus der „Ostzone“ angesehen, da er sich als Mitglied der Akademie der Wissenschaften besonders für deren Erhalt als allgemein akzeptierte Wissenschaftsorganisation stark machte. Hartung, ein Vertreter der älteren Generation, der bereits in der NS-Zeit in führender Position5 tätig gewesen war, lehrte nach seiner Entnazifizierung an der Humboldt-Universität, ließ sich jedoch 1949 auf eigenen Wunsch emeritieren. Im Mai 1946 hielt er noch den wissenschaftlichen Hauptvortrag beim ersten Treffen der Historiker der SBZ, der ein Gegengewicht zu Anton Ackermanns programmatischen Ausführungen darstellte.6 Er trat bis in die 1960er Jahre hinein einer Politisierung der Akademieinstitute entgegen.7 Als Emeritus lehrte Hartung Verfassungsgeschichte in Potsdam im Rahmen der Archivarsausbildung.8 Weil Hartung auch für die Historiker im

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SCHÄFER: Karl Griewank und die Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 201. Vgl. zu Sproemberg Gerhard HEITZ/Manfred UNGER: Heinrich Sproemberg (1889 bis 1966), in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, S. 300-317; Veit DIDCZUNEIT: Heinrich Sproemberg – ein nichtmarxistischer Historiker in der DDR, in: GWU 45 (1994), S. 573-578; DERS./Manfred UNGER/Matthias MIDDELL (Hg.): Geschichtswissenschaft in Leipzig: Heinrich Sproemberg, Leipzig 1994; MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 575. Vgl. SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 194. Insbesondere kann Sproemberg als Intimfeind von Hermann Aubin angesehen werden, dessen Wahl zum Vorsitzenden des Historikerverbandes 1953 er heftig kritisierte hatte; vgl. DIDCZUNEIT: Sproemberg, S. 83, Anm. 225. Ebd., S. 88-90. Hartung war nicht nur Institutsdirektor, sondern auch Mitglied im Beirat des „Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands“. Vgl. Peter Th. WALTHER: Fritz Hartung und die Umgestaltung der historischen Forschung an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in: Martin SABROW/DERS.: Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995, S. 59-73, hier S. 60. Vgl. ausführlich KOWALCZUK: Legitimation, S. 155-160; vgl. auch SCHULZE: Berliner Geschichtswissenschaft in den Nachkriegsjahren; Anke HUSCHNER: Deutsche Historiker 1946. Aus dem Protokoll der ersten Historiker-Tagung in der deutschen Nachkriegsgeschichte vom 21. bis 23. Mai 1946, in: ZfG 41 (1993), S. 884-918. Vgl. WALTHER: Fritz Hartung. Mdl. Information Irmtraut und Gerhard Schmid, 18.10.2000.

7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland

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Westen Deutschlands ein wichtiger Ansprechpartner blieb, hatte er in der Tat ebenfalls eine gewisse Mittlerrolle inne. Da er jedoch während der ganzen Zeit im Westteil Berlins lebte, kann er wohl – zumal nach seiner Emeritierung – kaum als ein in der DDR lebender Historiker bezeichnet werden. Auch nach Griewanks Tod, als Martin Lintzel, Willy Flach und Irmgard Höß Funktionen im Historikerverband wahrnahmen, erreichte keiner von ihnen die Funktion, die Griewank noch innehaben konnte. Karl Griewanks „unerschütterliche[r] Glaube an eine gemeinsame deutsche Geschichtswissenschaft“9, wie es Karl-Heinz Noack treffend formulierte, wurde durch die Tatsache gestützt, daß er als Professor in der sowjetischen Zone zum Mitglied der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berufen wurde. Später stieg er dann sogar zum Sekretär, also sozusagen zum „Vizepräsidenten“, auf. Bereits auf dem ersten Nachkriegshistorikertag 1949 hielt er nicht nur einen Vortrag zu „Ursachen und Folgen des Scheitern der Revolution 1848/49“, sondern wurde dort auch in den Ausschuß – also den erweiterten Vorstand – des neugegründeten deutschen Historikerverbandes gewählt. Bei der Einrichtung des „Instituts für Zeitgeschichte“ in München war er für die Rolle des Generalsekretärs im Gespräch, freilich als einer von vielen und ohne expliziten Ausweis in der Zeitgeschichte.10 Für Griewank gehörten die regelmäßigen Reisen in die Westzonen bzw. die Bundesrepublik zu den festen Plänen für die vorlesungsfreie Zeit im Sommer, wobei ihm allerdings die Genehmigung des notwendigen „Interzonenpasses“ nicht immer gewährt wurde. Auch in den Gremien der DDR, engagierte er sich, insbesondere lag ihm die Mitgestaltung der Studienpläne am Herzen. Ein besonders wichtiges Beispiel ist das Museum für deutsche Geschichte, da hier ein offizielles, für die DDR repräsentatives Geschichtsbild umgesetzt werden sollte. Dem Beirat des Museums gehörten anfangs auch nichtmarxistische Historiker an, die jedoch immer stärker die politisch-agitatorische Funktion des Vorhabens realisieren mußten. Als im März 1952 fast alle „bürgerlichen“ Historiker aus dem Beirat des Museums für deutsche Geschichte ausschieden, sprach sich Karl Griewank trotz massiver Kritik am Ausstellungskonzept, für seine weitere Mitarbeit in diesem Gremium aus. Im folgenden soll also diese Mittlerfunktion anhand seiner Mitgliedschaften näher beleuchtet werden. 7.1. KARL GRIEWANK UND OSTDEUTSCHLAND11 Die Situation der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR in der Zeit Griewanks ist geprägt von den allgemeinen Änderungen der Wissenschaftslandschaft, die unter dem Schlagwort „Sowjetisierung“ bereits thematisiert wurden. Man kann im Rückblick auch von einer Übergangsperiode sprechen, in der marxistische und nichtmarxistische Positionen nebeneinander existierten. Diese wurde je nach Standpunkt als Konstituierungsphase der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft12 oder als „Gleich-

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NOACK: Griewank, S. 84. Vgl. SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 237; MÖLLER: Institut für Zeitgeschichte, S. 23. Um die in der Hauptüberschrift verwendete Metapher „zwischen Ost und West“ nicht aus den Augen zu verlieren, wird hier der Begriff Ostdeutschland verwendet, womit die SBZ/DDR verstanden werden soll, nicht etwa die ehemaligen deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße. Vgl. Walter SCHMIDT: Die DDR-Geschichtswissenschaft in den fünfziger Jahren, in: Werner BERTHOLD (Hg.): Zur Geschichte der marxistischen Geschichtswissenschaft. Lehrmaterial, Bd. 2, Potsdam 1986, S. 550-615. DERS.: Die DDR-Geschichtswissenschaft in den fünfziger Jahren. Ihre

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

schaltung“13 und Ausschaltung der bestehenden Wissenschaft angesehen. Der Charakter der Geschichtswissenschaft in der DDR ist bis heute ein kontrovers diskutiertes Thema.14 Nach der „Vereinigungskrise“15 der frühen 1990er Jahre mit ihren harten hochschulpolitischen Auseinandersetzungen um Erhalt oder „Abwicklung“ der bestehenden historischen Lehr- und Forschungsstätten,16 zeichnen sich bei den ersten empirischen Arbeiten im vereinigten Deutschland noch immer unterschiedliche Grundpositionen ab. Zum einen werden die diktatorischen Bedingungen und die legitimatorische Funktion der Geschichtswissenschaft in der DDR vor allem durch IlkoSascha Kowalczuk stark betont.17 Nicht ganz zu Unrecht mußte sich Kowalczuk, der selbst in der DDR vom Studium ausgeschlossen war, attestieren lassen, daß seine Studie „stärker von einem moralischen Freund-Feind-Denken gekennzeichnet [sei], als daß sie sich um Historisierung der ‚sich wandelnden Deutungsmuster’ der Geschichtsschreibung bemühte.“18 Dagegen betont Martin Sabrow die Normalität der Abläufe innerhalb der DDR-Historikerschaft, spricht von einer „beherrschten Normalwissenschaft“19 in

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Konstituierung als sozialistische deutsche Geschichtswissenschaft, in: Alfred ANDERLE (Hg.): Entwicklungsproblem der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in der UdSSR und in der DDR, Halle 1983, S. 32-72 DERS.: Zur Konstituierung; MÄGDEFRAU: Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft. Vgl. Alexander FISCHER: Der Weg zur Gleichschaltung der sowjetzonalen Geschichtswissenschaft 1945-1949, in: VfZ 10 (1962), S. 149-177; Neudruck in: DERS./HEYDEMANN (Hg.): Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd.1, S. 45-75. Vgl. auch TIMM: Das Fach Geschichte und Jürgen von HEHN: Die Sowjetisierung des Geschichtsbildes in Mitteldeutschland, in: Europa-Archiv 9 (1954), S. 69296938. Vgl. MERTENS: Von Priestern der Klio; Georg G. IGGERS/Konrad H. JARAUSCH/Matthias MIDDELL/ Martin SABROW (Hg.): Die DDR-Geschichtswissenschaft als Forschungsproblem, München 1998; Lothar STEINBACH: DDR-Historie zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik. Anmerkungen zu unterschiedlichen Forschungsansätzen und kontroversen Bewertungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 45/98, S. 31-44; DERS.; Wer und was blieb; Jürgen JOHN: DDR-Geschichtswissenschaft als prominenter Forschungsgegenstand, in: UTOPIE kreativ 143 (September 2002), S. 837-844. Jürgen KOCKA: Die Geschichtswissenschaft in der Vereinigungskrise, in: Berliner Debatte INITIAL 2 (1991), H. 2, S. 132-136. Vgl. zusammenfassend Mitchell G. ASH: Geschichtswissenschaft, Geschichtskultur und der ostdeutsche Historikerstreit, in: GG 24 (1998), S. 283-304. Vgl. vor allem Rainer ECKERT/Wolfgang KÜTTLER/Gustav SEEBER (Hg.): Krise – Umbruch – Neubeginn. Eine kritische und selbstkritische Dokumentation der DDR-Geschichtswissenschaft 1989/90, Stuttgart 1992; Rainer ECKERT/IlkoSascha KOWALCZUK/Isolde STARK (Hg.): Hure oder Muse? Klio in der DDR. Dokumente und Materialien des Unabhängigen Historiker-Verbandes, Berlin 1994; Rainer ECKERT/Ilko-Sascha KOWALCZUK/Ulrike POPPE (Hg.): Wer schreibt die DDR-Geschichte? Ein Historikerstreit um Stellen, Strukturen, Finanzen und Deutungskompetenz. Tagung vom 18.-20.3.94 in Berlin-Wannsee, Berlin 1995. Die Gegenposition in: Ingrid MATSCHENZ/Kurt PÄTZOLD/Erika SCHWARZ/Sonja STRIEGNITZ (Hg.): Dokumente gegen Legenden. Chronik und Geschichte der Abwicklung der MitarbeiterInnen des Instituts für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1996. KOWALCZUK: Legitimation; DERS.: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“. Zur Entwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft bis in die späten fünfziger Jahre, in: ZfG 42 (1994), S. 302-318; DERS.: Die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus in der Geschichtswissenschaft der DDR (1945-1961), in: Martin SABROW/Peter Th. WALTHER (Hg.): Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995,.S. 31-58. STEINBACH: Wer und was blieb, S. 676. Vgl. ebenso das Urteil von Heike Christina MÄTZING: Geschichte im Zeichen des historischen Materialismus. Untersuchungen zu Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht in der DDR, Hannover 1999, S. 493-495. Martin SABROW: „Beherrschte Normalwissenschaft“. Überlegungen zum Charakter der DDRHistoriographie, in: GG 24 (1998), S. 412-445; dagegen Ralf POSSEKEL: Kuriositätenkabinett oder Wissenschaftsgeschichte? Zur Historisierung der DDR-Geschichtswissenschaft, in: GG 24 (1998), S. 446-462.

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einer „Diktatur des Konsenses“20. Er meint ein „Diskursgefängnis“ der sozialistischen Diktatur ausfindig machen zu können, das er mittels kulturgeschichtlicher Diskursanalyse wie ein ethnographischer Beobachter rekonstruieren möchte.21 Gelegentlich wird die marxistisch-leninistische Theorie und Methodik analysiert, die unter den Bedingungen der DDR zu einem Dogma erstarrte.22 Für einen verstärkt biographietheoretischen Zugang plädiert Lothar Steinbach23, wichtige Lebenserinnerungen sind bereits erschienen.24 Insgesamt präsentiert sich die Geschichtswissenschaft der SBZ und entstehenden DDR als eine Institution im Wandel, in der nicht nur die alten „Bürgerlichen“ der „neuen Intelligenz“25 gegenüber standen, sondern auch innerhalb der marxistischleninistischen Historikerschaft unterschiedliche Vorstellungen und Richtungen erkennbar werden, auf deren Binnendifferenzierung26 hier nur grob eingegangen werden braucht. Der „Konflikt zwischen Pateidoktrinären und Geschichtswissenschaftlern“27 tangierte jedoch Griewank, der wie andere nichtmarxistische Wissenschaftler auf einen modus vivendi angewiesen war, wie ihn Walter Markov 1947 noch für selbstverständlich hielt: „Niemand wird den Wunsch haben, den historischen Materialismus für seine Unterdrückung in anderen Teilen Deutschlands durch ein Monopol in der Ostzone zu entschädigen; es sei denn, daß er ihn vorsätzlich durch Inzucht ruinieren möchte. Zu fordern ist für alle deutschen Universitäten der freie Wettstreit beider Theorien, die Verpflichtung, sich mit ihnen bekannt zu machen.“28

Im Endeffekt blieb der freie Wettstreit Wunschdenken, und die Gefahr der politischideologischen Inzucht wurde Realität. Zur Lebenszeit Griewanks war dies jedoch noch nicht abzusehen. Insgesamt blieb die universitäre Historikerausbildung zunächst auf die Mitarbeit der Nichtmarxisten angewiesen. Stärker als in Jena wurden jedoch an anderen Universitätsstandorten marxistische Positionen vor allem durch Remigranten vertreten.29 Von diesen waren jedoch nur Jürgen Kuczynski und Ernst Engelberg vor ihrer Emigration promovierte Historiker, während Alfred Meusel von Hause aus Soziologe

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SABROW: Diktatur des Konsenses; vgl. auch DERS. (Hg.): Verwaltete Vergangenheit. Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR,. Leipzig 1997; DERS. (Hg.): Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000. DERS.: Einleitung. Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft, in: DERS. (Hg.): Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 936, insbes. S. 10-24, Zitat S. 17. Ralf POSSEKEL: Strategien im Umgang mit dem Dogma. Die geschichtstheoretische Diskussion in der DDR, in: Berliner Debatte INITIAL 2 (1991), H. 2, S. 170-178; vgl. vor allem auch Wolfgang KÜTTLER: Marxistische Geschichtswissenschaft – was bleibt? Das Beispiel DDR, in: Konrad H. JARAUSCH (Hg.): Geschichtswissenschaft vor 2000. Perspektiven der Historiographiegeschichte, Geschichtstheorie, Sozial- und Kulturgeschichte. Festschrift für Georg G. IGGERS zum 65. Geburtstag, Hagen 1991, S. 82-99. STEINBACH: Wer und was blieb; DERS.: DDR-Historie zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik. Vor allem: KLEIN: Drinnen und Draußen; PETZOLD: Parteinahme wofür?. Zu diesem Begriff ausführlich KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 25-97. Vgl. MERTENS: Von Priestern der Klio, S. 102f. Joachim PETZOLD: Die Auseinandersetzung zwischen den Lampes und den Hampes. Zum Konflikt zwischen Pateidoktrinären und Geschichtswissenschaftlern in der NS-Zeit, in der SBZ und in der frühen DDR, in: ZfG 42 (1994), S. 101-117. Walter MARKOV: Historia docet?, in: Forum 1 (1947), S. 128f., hier S. 129. Vgl. KEßLER: Exilerfahrung, der in seiner wichtigen Studie die doch sehr unterschiedlichen Erfahrungen, Hoffnungen und Vorstellungen der zurückkehrenden Exilanten Alfred Meusel, Jürgen Kuczynski, Hans Mottek, Albert Schreiner, Karl Obermann, Ernst Engelberg, Leo Stern, Arnold Reisberg und Wolfgang Ruge vorstellt.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

war und Leo Stern Staatswissenschaftler und Jurist. Die Emigranten und der Widerstandskämpfer Walter Markov in Leipzig besaßen auf der Grundlage ihrer Biographie eine andere Autorität als die SED-Historiker späterer Generationen und übten Ausstrahlung auf junge Studierende ihrer Hochschulen aus.30 Außerhalb der Universitäten, insbesondere an der von Hanna Wolf31 geleiteten Parteihochschule „Karl Marx“ in Berlin und an der „Hochschule des FDGB ‚Thomas Müntzer’“ in Bernau, wurde der Geschichte von vorneherein eine publizistische, propagandistische Funktion zugewiesen. Insbesondere Hanna Wolf, in den Worten Joachim Petzolds „die personifizierte Verkörperung der Funktionärsmechanismen einer stalinistischen Partei neuen Typs“32, verstand ihren Auftrag als Agitatorin der Partei, „getreu der Devise: ‚Alle Fragen werden von Lenin und Stalin beantwortet.“33 Sie griff 1951 auch die Jenenser Historiker Griewank und Schneider an, die sich erlaubten, über die Revolution 1848 vorzutragen, ohne Marx und Engels zu erwähnen34 oder die „semesterlang bei Florenz“ blieben, womit Schneiders Dante-Forschung gemeint waren.35 Mario Keßler sieht hier Symptomatisches: „Es war kein Zufall, daß Hanna Wolfs Philippika zu einer Zeit erschien, als Walter Markov aus der SED ausgeschlossen wurde. Beides verweist in extremer Weise auf die in der marxistischen DDRGeschichtswissenschaft immer vorhandenen, letztlich miteinander unvereinbaren zwei Tendenzen. Die von Hanna Wolf repräsentierten Kräfte setzten sich politisch – wie es schien – für immer durch. Sie wähnten die von ihnen lauthals verkündeten ‚Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung’ auf ihrer Seite. Ganz gegen ihren Willen legten sie jedoch damit den Grundstein für ihre politische Niederlage.“36

Keßlers Negativbild dieser telelogisch verengten Geschichtsdeutung trifft ins Schwarze. Wenn schon die verschiedenen Tendenzen innerhalb der marxistischen Geschichtswissenschaft letztlich unvereinbar blieben, so blieb der von Markov propagierte „freie Wettstreit“ zwischen marxistischen und nichtmarxistischen Theorien erst recht fern der Realität. Das Jahr 1951 meint auch Werner Bramke als „erste und tiefe Zäsur in der Entwicklung der Geschichtswissenschaft der DDR“37 hin zur Parteilichkeit ausmachen zu können. Allerdings müssen die Leitlinien der Partei wahrnehmungsgeschichtlich gar nicht „angekommen“ sein. Griewank hatte eine solche Zäsur jedenfalls nicht ausmachen können, sah sich vielmehr im ständigen Auf und Ab politischer Druckphasen. Innerhalb der Geschichtswissenschaft sind es die Gremien und Organisationen in der DDR, in denen die beschriebene Entwicklung erfahrungsgeschichtlich faßbar wurde, zumal für Karl Griewank, der sich dort engagierte und mit wissenschaftspolitischem Geschick einbrachte.

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Vgl. KLEIN: Drinnen und Draußen, S. 129-131. Vgl. zu Hanna Wolf MÜLLER-ENBERGS [u.a.], Wer war wer in der DDR, S. 933; KEßLER: Exilerfahrung, S. 44-46; MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 649f. und am ausführlichsten Karen HARTEWIG: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 125-131 PETZOLD: Parteinahme wofür?, S. 351. HARTEWIG: Zurückgekehrt, S. 130. Eine Aussage, die auf Griewank bezogen war und nicht stimmte, denn dieser erwähnte Marx und Engels – aber eben wie andere Beteiligte der Revolution und nicht als letzte Instanz für alle Urteile. Hanna WOLF: Zu Fragen der Geschichtsschreibung, in: Geschichte in der Schule 4 (1951), S. 356361, hier S. 358. KEßLER: Exilerfahrung, S. 45f. Werner BRAMKE: Freiräume und Grenzen eines Historikers im DDR-System. Reflexionen sechs Jahre danach, in: Karl Heinrich POHL (Hg.): Historiker in der DDR, Göttingen 1997, S. 28-44, hier S. 33.

7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland

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7.1.1. Gegen die „Umgestaltung der Universität in eine Schul- und Drillanstalt“ – In der Studienplankommission Bei der Sitzung des „Wissenschaftlichen Beirats der Fachrichtung Geschichte“ im Mai 1953 standen „Vorschläge zur Pflichtliteratur der Studenten“ auf der Tagesordnung. Die Diskussion lief sichtbar nicht so, wie vom Staatssekretariat geplant: „Zu 1.) stellte sich heraus, daß mit Ausnahme von Professor Griewank niemand auf das Thema vorbereitet war, obwohl in der Einladung besonders darauf hingewiesen wurde. Dadurch wurde die Diskussion sofort auf die westliche Literatur gelenkt, mit der sich der Beirat im wesentlichen dann auch befaßte.“38

Diese Protokollnotiz ist typisch für das Dienstverständnis Griewanks und sein ständiges Bemühen, seine Position innerhalb der enger werdenden Grenzen des DDRWissenschaftsbetriebes vorzubringen. Er opponierte gegen einschränkende Studienpläne und gegen eine Festlegung auf marxistische Methoden und Inhalte, brachte seine Meinung stets vor. Er wußte dabei, daß Protest nicht ausreichte, sondern bewies durch Informiertheit und taktisches Geschick seine Fähigkeiten als Wissenschaftsmanager. Mit dem „Wissenschaftlichen Beirat der Fachrichtung Geschichte“ ist eines der DDRGremien genannt, an denen Griewank sich beteiligte.39 Der Beirat besprach Studienund Vorlesungspläne und die Erfahrungen der Hochschulreform. Er war die Fortsetzung der bisherigen „Studienplankommission“, der Griewank auch angehört hatte.40 Bereits seit 1946 wurde von Seiten der Besatzungsmacht das Einreichen von Vorlesungsplänen gefordert, was auch weitgehend von den Beteiligten akzeptiert wurde. Die in Weimar archivierten Konzepte enthielten eine knappe Skizze von Ziel und Inhalt der Veranstaltung, sowie deren geplanten Aufbau.41 Im Gegensatz zu Eduard Spranger, der im Anfertigen solcher Pläne den Versuch erkannte, „Totengräberarbeit am echten akademischen Geist zu organisieren, anders gesagt, die deutsche Universität hinter den Stand des 18. Jahrhunderts zurückzuschrauben“42, sahen die meisten darin eine Möglichkeit, die Nutzbarkeit der eigenen Veranstaltung für den Neuaufbau der Universität zu betonen. Im Jahr 1947 sollten nun erstmals Studienpläne zentral für das Hochschulstudium im Fach Geschichte in der SBZ entworfen werden. Zu dem Zweck trafen sich die Historiker aller betroffenen Universitäten am 20. August 1947 in Berlin, bei der auch Theodor Brugsch von der DVV und Vertreter der SMAD teilnahmen.43 Griewanks Mitarbeit wurde offensichtlich gern gesehen. Marianne Zumschlinge fiel auf: „Grie-

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Protokoll, 19.05.1953, in: SAPMO-BA Berlin, DY 30/IV 2/9.04/103, Bl. 49. Die Mitglieder waren neben Griewank: Leo Stern (Vorsitzender), Alfred Meusel (Berlin), Wilhelm Hartke (Rostock), Heinrich Sproemberg (Leipzig), Adolf Hofmeister (Greifswald), Ernst Engelberg (Leipzig), Heinz Kamnitzer (Berlin), Gerhard Schilfert (Berlin), Karl Obermann (Potsdam). Aufstellung, undat., in: ebd., Bl. 47f. Eduard Winter wurde in dieser Aufstellung ohne Angabe von Gründen gestrichen. Berufung Griewanks in die Studienplankommission, 15.5.1951, in: BA Berlin, DR 3/4039, Bl. 18. Als Beispiel Griewank „Allgemeine Geschichte im Zeitalter der französischen Revolution und Napoleons“, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen, MfV 3246, Bl. 122-124. SPRANGER: Universität Berlin, S. 311. Teilnehmer waren: Fritz Hartung, Alfred Meusel, Fritz Rörig (alle Berlin), Adolf Hofmeister (Greifswald), Hans Haussherr (Halle), Karl Griewank, Hugo Preller (beide Jena), Otto Theodor Schulz (Leipzig) und Ernst Hohl (Rostock), Theodor Brugsch, Herbert Steininger (beide DVV). BA Berlin, DR 2/1485, Bl. 24; DR 2/1492, Bl. 4-9. Vgl. auch ZUMSCHLINGE, Geschichte der Historiographie der DDR, S. 236f.

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wank [...] genoß – scheinbar – viel Ansehen bei der Wissenschaftsverwaltung: Er wurde offenbar fast immer dann zur Mitarbeit herangezogen, wenn es um Reformen für das Hochschulwesen ging.“44 So entwarf Griewank für die Sitzung 1947 Studien- und Prüfungspläne und versuchte, sich im Vorfeld mit möglichst vielen Kollegen abzusprechen. Griewanks erklärtes Ziel war es, daß für den Plan „auf Einverständnis der Fachgenossen gerechnet werden“ könne und daß dieser „auch mit einer kleineren Anzahl von Lehrkräften ausführbar“ sei.45 Der Studienplan ist pragmatisch angelegt, nennt nur zu absolvierende Bereiche des Fachs, ohne Inhalte vorzugeben.46 Griewanks Entwurf für die Prüfungsanforderungen im Fach Geschichte aus dem Jahr 1947 sprach ganz allgemein „von dem Gang der Weltgeschichte und insbesondere von der Geschichte des deutschen Volkes in grossen Zügen und in den entscheidenden Epochen“, wobei auch die Vertrautheit „mit den Grundbegriffen der Geschichtsauffassung, der Verfassungsgeschichte, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und der Geistesgeschichte“ und Kenntnis der „Hauptrichtungen der neueren Geschichtsschreibung“47 Ziel des Geschichtsstudiums sein sollten. Der Verlauf der Beratungen zeigte, daß man sich im wesentlichen an die Vorgaben Griewanks hielt. Allerdings wurde von seiten der sowjetischen Teilnehmer die Bedeutung der allgemeinen Vorlesung „Politische und soziale Probleme der Gegenwart“ betont und ihre Teilnahme obligatorisch gemacht. Diese Veranstaltung kann im Rückblick ohne Zweifel als erster Schritt hin zu einem marxistisch-leninistischen Grundstudium gelten und wurde auch durch die Auswahl der Dozenten gezielt so aufgebaut.48 Freilich war dies damals noch nicht abzusehen, so daß eine solche „politikwissenschaftliche“ Veranstaltung wie eine ideale Ergänzung des Geschichtsstudiums wirken mußte. In Jena konnte dieser Bereich bis zu dessen Ausscheiden von Hugo Preller abgeprüft werden, der in der Regel tagespolitisches Wissen abfragte. In Berlin jedoch wurde mit der frühzeitigen Berufung Meusels dem Bereich von Anfang an ein größeres ideologisches Gewicht zugemessen. Mit dem Marxisten Meusel versuchte sich Griewank auch hinsichtlich der Studienpläne abzusprechen. Es bleibt zu konstatieren, daß es 1947 noch zu keinen ideologischen Auseinandersetzungen kam. Der beschlossene revidierte Entwurf übernahm in vielen Punkten Griewanks Einteilung und Formulierungen.49 Ernsthaft gestrittenen wurde nur über die Sprachanforderungen in den alten Sprachen. Dieser Streit um das Latein sollte sich auch in den folgenden Jahren immer wiederholen. Griewank maß dem

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ZUMSCHLINGE: Geschichte der Historiographie der DDR, S. 127. Karl Griewank an Herr Geheimrat [wohl Friedrich Meinecke], Berlin, 17.7.1947, in: BA Berlin, DR 2/1485, Bl. 55. Genannt werden allgemeine Bereiche wie „Einführung in das Studium“, „Geschichte der neueren Geschichtsschreibung und -auffassung“, „Hilfswissenschaften“, die Epochen („Antike“, „Mittelalter“, „Neuzeit“). Prüfungsanforderungen für Geschichte (Vorschlag Griewank), undat. [zum 20.8.1947 vorbereitet], in: BA Berlin, DR 2/1485, Bl. 3-7. Vgl. Gottfried HANDEL u.a.: Überblick zur Geschichte des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1981, vor allem S. 17-19. BA Berlin, DR 2/1485, Bl. 23. Es gab eine „Fleißprüfung“ nach zwei Semestern. Bis zu diesem Zeitpunkt mußte ein Proseminar oder eine hilfswissenschaftliche Übung absolviert werden. Nach vier Semestern fand eine Zwischenprüfung statt, bei der die Kenntnis „wenigstens eines bedeutenden Geschichtswerkes“ und die Themen zweier Vorlesungen geprüft wurden. Hier fand auch die Prüfung der „politischen und sozialen Probleme der Gegenwart“ statt.

7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland

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Latein- und Griechischkenntnissen hohes Gewicht bei und war eher bereit, die Anforderungen im Fach gegenüber den Sprachkenntnissen herunterzufahren.50 Die Lateinfrage beschäftigte Griewank und die Philosophische Fakultät noch einmal 1949 sehr intensiv. Insbesondere protestierte man gegen die Zurückdrängung des altsprachlichen Unterrichts an den Thüringer Schulen, der eine erste Gefahr für die Studierfähigkeit der Schüler darstelle. Hierauf erhielt man eine rüde Rüge der Volksbildungsministerin Torhorst, die der Fakultät vorwarf, „in verantwortungslosester Weise unwahre Behauptungen aufgestellt und weiter verbreitet“51 zu haben. Griewank protestierte in einem Schreiben an die Ministerin scharf gegen solche „Vorwürfe von schwerwiegender und in der Form zweifellos beleidigender Art“.52 Die Philosophische Fakultät hatte sich im Vorfeld um die Solidarität der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät bemüht53 und auch „den übrigen Philosophischen Fakultäten der Ostzone“ geschrieben, „weil wir damals Anlass hatten zu der Vermutung, daß ähnliche Bestrebungen in verschiedenen Teilen der Ostzone im Gange wären“, wie Griewank der Ministerin im Antwortschreiben mitteilte. Ein regelmäßiger Informationsaustausch sei ja doch auch staatlicherseits stets erwünscht, bemerkte er zudem spitz.54 Diese Öffentlichmachung wurde hier als Druckmittel eingesetzt, was zwar zur Mißstimmung im Ministerium beitrug, letztlich aber der Sache zum Erfolg verhalf. Mit einer Erklärung vom 26. Oktober bedauerte Griewank seitens der Fakultät „Missverständnisse und Differenzen, die in dieser Angelegenheit durch Unachtsamkeit und das Zusammentreffen unglücklicher Zufälle entstanden“55 seien und erhielt im Gegenzug die Zusage, daß der altsprachliche Unterricht nicht zurückgedrängt werden solle und die bereits eingetretenen Kürzungen wettgemacht würden. Das Problem blieb jedoch weiterhin bestehen. Bald wurde klar, daß gerade im Schulwesen erhebliche Veränderungen eingetreten waren.56 Und spätestens mit der sogenannten „Zweiten Hochschulreform“ 1951 war dann auch der konkrete Studienablauf an der Universität massiven Veränderungen unterworfen. Die „Grundlagen des Marxismus-Leninismus“ und „Politische Ökonomie“ wurde für die Studierenden in Rahmen des „Gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums“ mit ideologischen Gesinnungsprüfungen Pflicht. Ebenfalls als Pflichtfächer wurden Russisch, Sport und Deutsch eingeführt. Vor allem wurde das Wesen des freien Studiums angegriffen, indem die Stundenzahlen erhöht und ständige begleitende Wissensprüfungen eingeführt wurden. Die Einführung der „Seminargruppen“ als festen Klassenverbänden, an denen die FDJ nun massiv Fuß fassen konnte, tat ihr Übriges.

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Protokoll der Sitzung, 20.8.1947, in: ebd., Bl. 28. Schließlich machte Meusel den Kompromißvorschlag, die Lateinkenntnisse im Proseminar abzuprüfen und Hans Haussherr regte Förderkurse in Latein und Französisch an. Ministerin Torhorst an Griewank, 5.7.1949, mit Bezug auf die „Entschließung der Philosophischen Fakultät für den altsprachlichen Schulunterricht“ vom 16.3.1949, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3249, Bl. 211. Karl Griewank an Ministerin Torhort persönlich, 29.8.1949, in: ebd., MfV 3416, Bl. 96. Dekan Philosophische Fakultät, 16.3.49, in: UAJ, N 82, unpag. Bericht der Philosophischen Fakultät, 20.7.1949, in: ebd., Bl. 210; auch in; UAJ, BB 84, unpag. Besprechung im Fakultätsrat, UAJ, M 718/1, Bl. 331f. Entschließung der Philosophischen Fakultät vom 26. Oktober 1949, in: ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3416, Bl. 98. Bereits zwei Jahre später protestiert die Fakultät erneut gegen weitere Einschränkungen des altsprachlichen Unterrichts an Schulen; Protokoll der Sitzung vom 11.4.51, in: UAJ, M 718/1, Bl. 361-363.

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Daß sich nun der Studienablauf in der DDR schon äußerlich durch die Einführung des 10-Monate-Studienjahrs von dem in der Bundesrepublik unterschied, machte auch im Universitätswesen eine Einheit immer unwahrscheinlicher, Griewank schrieb dazu 1951 an Willy Andreas: „Wir stehen z.Zt. in den kurzen Ferien zwischen Winter- und Sommersemester, das dann schon am 30. Juni enden soll, um Raum zu geben für eine am 1. September beginnende neue Jahreseinteilung, die mit einer Studienreform, d.h. der Umgestaltung der Universität in eine Schul- und Drillanstalt, eingeführt werden soll.“57

Vehement wehrte er sich auf allen Ebenen gegen die Neuerungen. Da nun die alten Studienpläne obsolet geworden waren, mußte sich der „Wissenschaftliche Beirat der Fachrichtung Geschichte“ als zuständige Kommission mit der Neufassung befassen, wobei man sich vor Ort für eine Beibehaltung des Bestehenden aussprach, was freilich nicht gewünscht war. Griewank faßte seine Position in einer Stellungnahme zusammen, in der er vor allem auf die Prüfungsbelastung einging: „In der nunmehr erlassenen Ordnung für die Zwischenprüfungen ist gegen den einhelligen Rat der Fachrichtungsleiter für den Abschluss des ersten, zweiten und dritten Studienjahres ein Prüfungsprogramm für eine Vielzahl von Vorlesungsgebieten mit mehreren Klausuren angeordnet. Der große Umfang der Zwischenprüfungen ist für Studenten und Dozenten eine Belastung, welche die wissenschaftliche Arbeit und Ausbildung an der Universität weit mehr [zu] beeinträchtigen droht als fördert. Die Studenten werden dadurch angehalten, ihre ganze, neben dem schon überlasteten Vorlesungsprogramm verbleibende Kraft auf Memorierung von Vorlesungsstoff mit dem Ziel einer guten Zwischenprüfung zu verwenden, umsomehr als von der Zensur der Zwischenprüfungen die Bemessung und teilweise die Bewilligung ihrer Stipendien abhängt. Dagegen verbleibt ihnen viel zu wenig Zeit für selbständiges Eindringen in wissenschaftliche Bücher oder für Referate in Seminaren. Es wäre zu wünschen gewesen, das Programm der Zwischenprüfungen wesentlich einfacher zu gestalten. Wird an der erlassenen Ordnung festgehalten, so muss mindestens eine gewisse Beweglichkeit in ihrer Handhabung zugelassen werden, indem z.B. Seminarleistungen auf mündliche Prüfung und Seminarreferate als Ersatz für Klausuren angerechnet werden können. Damit würde auch denen, die sich vor anderen im Studium hervorgetan haben, eine gewisse Ermutigung und Belohnung zuteil, und es würde allen Studierenden vor Augen geführt werden, dass aktive Mitarbeit für eine wissenschaftliche Ausbildung noch wichtiger ist als das ständige Hereinnehmen von vorgetragenem Einzelstoff, der erfahrungsgemäss doch nicht immer im Gedächtnis haften kann.“58

Die von Griewank gewünschte Flexibilität wurde nicht allgemein eingeführt, aber doch im konkreten Fall geduldet. Ohnehin vollzog sich der Systemwechsel stellenweise chaotisch. Für die Studenten bedeutete die Einführung der neuen Verhältnisse zunächst einmal eine große Umstellung. Die Studierenden des Lehramts sollten nach sowjetischem Muster ab sofort nur ein Fach studieren. In einer Übergangsbestimmung wurde jedoch den Studierenden des 3. Studienjahres, die ein Nebenfach beibehalten wollen, erlaubt, Ausnahmeanträge beim zuständigen Fachrichtungsleiter59 zu stellen. Griewank machte seine Studenten darauf aufmerksam und befürwortete sämtliche solcher Anträge, ebenso wie auch alle gewünschten Fachrichtungswechsel.60 Andernfalls hätten die Studierenden das zweite Fach völlig umsonst studiert. Als schließlich die für alle

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Karl Griewank an Willy Andreas, 13.3.1951, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Denkschrift Griewanks vom 4.2.52, in: BA Berlin, DR3/1. Schicht/4042, Bl. 46. Fachrichtungsleiter waren so etwas wie Institutsdirektoren. Die Tätigkeit wurde gesondert entlohnt. Im Fach Geschichte in Jena wurden Griewank und Schneider gleichermaßen als Fachrichtungsleiter geführt. Griewank an PR für Studentenangelegenheiten, 21.12.51, in: UAJ, S V 39, unpag.

7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland

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Studierenden obligatorischen „Weltanschauungsprüfungen“ zum ersten Mal anstanden, trat das Befürchtete ein. Gebhard Falk berichtete damals nach Hause: „Inzwischen schwitzen alle 2. und 4. Semester sämtlicher Fakultäten über 2 Klausuren in mater[ialistischer] Theorie und Politökonomie. Wer die 3000 Arbeiten liest, möchte ich wissen... Natürlich war in der Uni jetzt deswegen alles in Aufregung und die Vorlesungen so gut wie leer. Griewank mußte gestern wieder nach Hause gehen, weil niemand da war.“61

Als die Fakultäten nach Abschluß des ersten „10-Monate-Studienjahres“ zu ihren Erfahrungen befragt wurden, stellte die vom Dekan Eduard von Jan herausgegebene Erklärung zum großen Teil eine Paraphrase bzw. ein Zitat einer Stellungnahme Griewanks dar, die dieser zuvor dem Dekan zugesandt hatte: „Schon jetzt ist erkennbar, daß die starre Durchführung des Planes in völlig voneinander getrennte Jahrgänge erhebliche Nachteile hat“, hieß es dort. Die Fakultät fordere „eine größere Beweglichkeit“, wobei die Studierenden ausdrücklich in Schutz genommen wurden: „Die Studierenden haben fast durchweg großen Fleiß an den Tag gelegt und bei den Zwischenprüfungen unter Beweis gestellt. Es konnte jedoch nicht ausbleiben, daß ihr Wissen weitgehend ein gelerntes blieb, da starre Bindung des Studiums für selbständige Vertiefung durch Lektüre und Eigenstudium keine ausreichende Zeit ließ. Teilweise sind auch in den unteren Studienjahren gute Seminararbeiten durchgeführt worden. [...] In der letzten Woche des Vorlesungsbetriebes setzten zudem schon die Gesellschaftswissenschaftlichen Zwischenprüfungen ein und veranlaßten eine Verschlechterung des Vorlesungsbesuches.“ 62

Der Konflikt um die Verschulung des Studiums zog sich noch weiter hin. Griewank ging dazu über, sich mit dem Leipziger Mediävisten Heinrich Sproemberg abzusprechen, der eine ähnliche Position in der Studienplankommission vertrat. Als dieser plante, wegen der Ergebnislosigkeit der Arbeit aus der Kommission auszutreten, wollte er Griewanks Meinung dazu hören.63 Daraufhin redete ihm der Jenaer Freund ins Gewissen: „Was die Studienplankommission betrifft, so interessiert sie mich weniger wegen der Vorlesungen, die ich selbst halte, als wegen der Verantwortung, die für die Erhaltung des Vorlesungsbetriebes überhaupt, und speziell für die jüngeren Mitarbeiter entsteht. Es muß m.E. unbedingt erreicht werden, daß die Programme [...] nicht verbindlich gemacht, ja daß sie möglichst überhaupt zurückgestellt werden. Wir sind das auch den Kollegen schuldig, die hier in einen Gewissensdruck gestellt zu werden drohen.“64

Genau dies war zu befürchten. Griewank forderte immer wieder eine „Lockerung der Bindung an den Stundenplan“65 und mußte, nachdem konkrete Pläne im Spätsommer 1953 vorlagen, erkennen, daß diese „voller Thesen und Wertungen sind, die keineswegs als dem Stand der Forschungen entsprechen“.66 Er teilte deshalb dem Staatssekretariat mit, daß er an „der für den 27. Oktober angesetzten Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates für die Fachrichtung Geschichte beabsichtige“ teilzunehmen und dort zum Tagesordnungspunkt „Vorlesungsprogramme“ seine „grundsätzlichen Bedenken, die für

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Gebhard Falk an seine Mutter, 14.6.1951, in: PrA Falk. Eduard von Jan (Dekan) an den Rektor, 30.6.1952, in: UAJ, M 787. Karl Griewank an Dekan von Jan, 25.5.1952: „Bericht für die Fachschaft Geschichte über die Erfahrungen des Studienjahres 1951/52“, in: ebd. Heinrich Sproemberg an Karl Griewank, 16.7.1953, in: ABBAW Berlin, NL Sproemberg, Nr. 156, Bl. 170. Karl Griewank an Heinrich Sproemberg. 20.8.1953, in: ebd., Bl. 157. Protokoll der Sitzung vom 19.5.1953, in: SAPMO-BA Berlin, DY 30/IV 2/9.04/103, Bl. 49-53, hier Bl. 49; auch in: BA Berlin, DR3/1. Schicht/4108, Bl. 73-77, hier Bl. 53 bzw. 77. Karl Griewank an Heinrich Sproemberg, 14.8.1953, in: ABBAW Berlin, NL Sproemberg, Nr. 156, Bl. 160.

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alle Teile der Programme gelten“, deutlich machen werde: „Mir würde es auch im Hinblick auf die Möglichkeiten gesamtdeutscher Verständigung ratsamer erscheinen, wenn überhaupt Programme als unentbehrlich angesehen werden, sich auf kürzere und mit dem Urteil in Einzelfragen mehr zurückhaltende Fassungen zu beschränken.“67 Der Tod Griewanks sorgte dafür, daß er den Kampf gegen die Windmühlen des Studienplans nicht mehr weiterführen konnte. Die Beiräte behielten auch im folgenden nur eine rein beratende Funktion; im Zweifelsfall entschieden immer die Staatsinstanzen, die sich in den folgenden Jahren zudem immer weniger Widerstand und Hartnäkkigkeit aus dem Kreis der Wissenschaftler ausgesetzt sehen mußten.68 7.1.2. Das „Museum für deutsche Geschichte“ und die Historikertagung der DDR 1952 Eine besondere Bedeutung in der Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR sollte das „Museum für Deutsche Geschichte“ in Berlin erlangen. Seine Einrichtung gilt als ein Paradebeispiel der politischen Instrumentalisierung innerhalb der DDR-Vergangenheitspolitik.69 Das „Unter den Linden“ eingerichtete Museum war eine politische Schöpfung, die durch Beschluß der Staats- und Parteiführung Anfang der 1950er Jahre ins Leben gerufen wurde.70 Nach dem Abschied von der „Misere-Theorie“71 sollte eine Konzentration auf die positiven Errungenschaften der Nation einer „Entwicklung des sozialistischen Patriotismus“72 dienen. Diesem Ziel sollte die Konzeption des Museums dienen, wobei das Politbüro und insbesondere Walter Ulbricht, der sich als „Historiker im Nebenberuf“73 ansah, nicht nur alle Personalentscheidungen absegneten, sondern auch in Streitfragen das letzte Wort hatten.74 In der bisherigen Literatur wurden diese planmäßigen Eingriffe in ihrer ideologischen Dimension als „Geschichtsfälschung“ dargestellt.75 Das Bild des Hineinregierens der Politik in den Bereich der Wissenschaft ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Fritz Klein, der damals als junger Mann Mitarbeiter des Museums war, bestätigt zwar ganz ausdrücklich, daß „die Arbeit unter der intensiven ‚Beratung’ durch Funktionäre der

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Karl Griewank an SfH, 16.10.1953, in: ebd., Bl. 152. Griewank teilte hier mit, daß sein Standpunkt „auch demjenigen von Herrn Professor Sproemberg entspricht“. Vgl. Hans-Martin QUELL: Die „sozialistische“ Hochschule. Aspekte zum Hochschulwesen der SBZ, Berlin-Dahlem o.J. [ca. 1960], S. 25f. Vgl. jetzt Stefan EBENFELD: Geschichte nach Plan? Die Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft in der DDR am Beispiel des Museums für Deutsche Geschichte in Berlin (1950 bis 1955), Marburg 2001. Vgl. aus der DDR-Position: Eduard ULLMANN/Hans-Joachim BERNHARD: Das Museum für deutsche Geschichte – das zentrale historische Museum der DDR in: Dieter FRICKE [u.a.] (Red.): ZfGSonderheft: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte, Berlin (O) 1960, S. 600609; sehr ausführlich auch HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 155-221. Siehe oben Kapitel 6.1.1. Zur „Misere-Theorie“ siehe S. 288f. mit Anm. 14-16. HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 164. Vgl. Dieter FRICKE: Sein „dritter Beruf“. Walter Ulbricht als Historiker, in: Sozialismus und Universität. Walter ULBRICHT zum 75. Geburtstag gewidmet, hg. vom Rektor und der SEDParteileitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 1968, S. 71-86. EBENFELD: Geschichte nach Plan, S. 124f. Ähnlich war dies später auch bei der achtbändigen „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“; vgl. LOKATIS: Der rote Faden. KOWALCZUK: Legitimation, S. 177; vgl. zum Museum S. 175-178.

7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland

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Partei“76 stand, jedoch macht er deutlich, daß eine prinzipielle Übereinstimmung geherrscht hatte, man nicht von einem Gegeneinander der Politiker und der Mitarbeiter reden konnte. Dieses „nicht unbeträchtliche Maß an Übereinstimmung“77 rührte daher, daß hier gezielt etwa 85 Stellen für begeisterungsfähige politisch aktive Nachwuchshistoriker geschaffen worden waren.78 Es ging um Ressourcen, die von der Politik zur Verfügung gestellt wurden.79 Das Museum diente so „auch – zur Umgehung der damals noch von ‚Bürgerlichen’ dominierten Universitäten – als eine Art Graduiertenkolleg für den marxistischen Nachwuchs“80 oder – in zeitgenössischer marxistisch-leninistischer Terminologie „als organisierendes Zentrum aller fortschrittlichen Historiker der DDR“.81 Alle diese Ziele waren zu Beginn, als die Idee eines neuen Museums verkündet wurde, den nicht unmittelbar Beteiligten unbekannt. Auch Karl Griewank hatte den ideologischen Charakter anfangs nicht gesehen, sonst hätte er seine Doktorandin Magda Wyrwol, eine nichtmarxistische Katholikin, wohl kaum zu einer Bewerbung beim neuen Museum ermuntert.82 Eine solche Institution erschien ihn zunächst begrüßenswert. Dazu trugen auch die ersten Impulse zur Gründung eines „wissenschaftlichen Beirats“ bei. Nicht nur, daß dieser eine wissenschaftliche Begleitung des museumsdidaktischen Prozesses vermuten ließ, er sollte zudem „paritätisch“ mit Marxisten und Nichtmarxisten besetzt werden.83 Ihm sollten insgesamt 32 Mitglieder angehören, darunter auch der Minister für Volksbildung Paul Wandel, der „Nationalpreisträger“ Fred Oelßner sowie Personen aus dem Museums- und Bibliothekswesen, Hanna Wolf als Direktorin der Parteihochschule „Karl Marx“ der SED und eine Reihe von mehrheitlich „bürgerlichen“ Historikern.84 Am 19. Januar 1952 fand die feierliche Berufung der Mitglieder des „Wissenschaftlichen Rates des Museums für Deutsche Geschichte“ durch den Ministerpräsidenten Otto Grotewohl in Berlin statt.85 Die Eröffnung des Museums sollte zeitgleich mit einer groß angelegten zweitägigen Tagung der Historiker der DDR stattfinden, die ebenfalls paritätisch ausgestaltet werden sollte, weshalb einer der beiden Hauptvorträge von einem Nichtmarxisten gehalten werden sollte. Hierfür war Karl Griewank vorgesehen. Auf den schließlich von ihm gehaltenen Vortrag zum Revolutionsbegriff wurde bereits ausführlich inhaltlich Bezug

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KLEIN: Drinnen und Draußen, S. 162. Ebd. Helmut HEINZ: Die Konzeption der ersten Ausstellung im Museum für deutsche Geschichte 1952, in: ZfG 20 (1979), S. 340-356, S. 341. Es lohnt sich auch bei diesem Beispiel die Museumsgründung als Ressourcenaustausch in den Blick zu nehmen. Mitchell Ashs Ressourcenmodell wurde ja bereits mehrfach herangezogen. ASH: Wissenschaft und Politik als Ressourcen. Karen PFUNDT: Die Gründung des Museums für Deutsche Geschichte, in: Martin SABROW/Peter Th. WALTHER: Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995,. S. 94-109, hier S. 96. HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 165. Magda Wyrwol bewarb sich tatsächlich; BA Berlin, DR3/1. Schicht/4039, Bl. 57, Nr. 24. Die Mitgliederliste ist abgedruckt bei: Helmut HEINZ: Die Gründung des Museums für deutsche Geschichte (1952), in: Jahrbuch für Geschichte 20 (1979), S. 143-163, hier S. 162f. Man kann jedoch m.E. nicht wie Karin Pfundt sagen, daß „fast alle in der DDR lehrenden nichtmarxistischen Historiker vertreten“ gewesen seien. So fehlten aus Jena Friedrich Schneider und Hugo Preller. Vgl. Karen PFUNDT: Die Gründung des Museums für Deutsche Geschichte in der DDR, in: APuZ B 23/1994, S. 23-38, hier S. 25. HEINZ: Gründung des Museum, S. 158.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

genommen.86 Die programmatischen Beiträge des ersten Tages stammten von Alfred Meusel und Leo Stern.87 Meusel steckte den ideologischen Rahmen des ‚Post-MisereNationalismus’ der DDR ab. Es gelte, „das überkommene Geschichtsbild [...] einer gründlichen Revision zu unterziehen“88, dabei müsse „den Versuchen der angloamerikanischen Imperialisten, die nationale Würde des deutschen Volkes zu zerstören und es mit antinationalen und kosmopolitischen Ideen zu vergiften, ein entscheidender Schlag“89 versetzt werden. Diese Position sollte im Museum umgesetzt werden: Daß das Zustandekommen der Pläne angesichts der anfangs beschriebenen Politisierung jedoch nicht in einem harmonischen Einverständnis marxistisch-leninistischer und „bürgerlicher“ Wissenschaft realisiert wurde, zeigte sich jedoch bald. Denn der Beirat diente nicht der fachlichen Unterstützung des Museums. Er „erlangte nie wirklichen Einfluß. Er blieb Dekoration.“90 Bereits im Vorfeld konnte kein nichtmarxistischer Historiker zum Vorsitzenden des Beirats gewählt werden, sondern Alfred Meusel, obwohl dieser bereits als Direktor des Museums fungierte. Schon vor dem ersten Treffen des Beirats kam es zum Eklat. Man hatte den Beteiligten sogenannte „Thesen“91 zugesandt, die im Grunde eine Standortbestimmung der marxistisch-leninistischen Geschichtsdeutung nach der Abkehr von der sogenannten „Misere-Theorie“ darstellten. Die deutsche Geschichte wurde als eine Abfolge von Klassenkämpfen und Revolutionen dargestellt, wobei der Begriff der „frühbürgerlichen Revolution“ (wohl erstmals) Verwendung fand.92 Im ganzen trugen die „Thesen“ einen vereinfachenden, vielfach propagandistischen Charakter und waren zudem sprachlich umständlich formuliert. Aus der Kenntnis späterer „Meistererzählungen“93 der DDR-Geschichtswissenschaft lassen sich die Grundideen der „Thesen“ historiographisch einordnen, für den damaligen Historiker mit nichtmarxistischer Überzeugung waren sie schwer verdaulich. So wurde etwa die Zeit des Vormärz charakterisiert: „Deutschland steht im Vorabend einer bürgerlichen Revolution; Zersplitterung und Adelsherrschaft hemmen die gesellschaftliche Entwicklung“; die Revolution 1848/49 bestand im Grunde nur aus den Ideen Marx’ und Engels’, ihr folgte dann eine „Konterrevolution“, bei der dann die Verfolgung der Kommunisten intensiv behandelt werden konnte.94 Solche Aussagen führten dazu, daß nahezu alle nichtmarxistischen Beiratsmitglieder von ihrer Funktion zurücktraten und zum Teil gar nicht zur ersten Sitzung des

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Siehe oben Kapitel 6.3.6. Vgl. HEINZ: Erste zentrale Tagung, dort auch die Liste der Teilnehmer, S. 389f. Protokoll in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183. Griewank war an diesem Tag noch nicht anwesend, sondern reiste erst am zweiten Tag zu seinem Vortrag an. Alfred Meusel, in: ABBAW Berlin, Bestand Historiker-Gesellschaft, Nr. 183, S. 3. Ebd., S. 32. Ein „Schlag“ gegen die deutsche Nation sei in der Einrichtung des „Instituts für europäische Geschichte“ in Mainz zu sehen. Mit diesem Argument hatte kein geringerer als Ministerpräsident Otto Grotewohl den Initiatoren des Museums ins Stammbuch geschrieben, die nationalistische Karte gegen die einer „Europa-Idee“ auszuspielen. Hierzu und zur Bedeutung dieses Nationalismus für die deutsche Identität vgl. H. Glenn PENNY III.: The Museum für Deutsche Geschichte and the German National Identity, in: Central European History 28 (1995), S. 343-372, hier S. 350. KLEIN: Drinnen und Draußen, S, 159. „Thesen der Abteilungen des MfDG zur ersten Tagung des Wissenschaftlichen Beirates“, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2 „Museum für Deutsche Geschichte“. Vgl. HEINZ: Konzeption der ersten Ausstellung, S. 345; MÜLLER: Diktatur und Revolution, S. 187. Vgl. Martin SABROW: Planprojekt Meistererzählung. Die Entstehungsgeschichte des „Lehrbuchs für deutsche Geschichte“, in: DERS. (Hg.): Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 227-286. Thesen, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2 „Museum für Deutsche Geschichte“.

7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland

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Beirats am 1. März 1952 erschienen.95 Sie sahen den wissenschaftlichen Charakter des Vorhabens gefährdet. Die „Thesen“ lehne er „nicht wegen vieler Fehler im Einzelnen, sondern wegen ihrer Gesamthaltung“96 ab, so Fritz Hartung. Dieser nahm in der Frage eine besonders entschiedene Rolle ein. Er unterrichtete nicht nur die westdeutschen Kollegen, etwa Hans Rothfels und Gerhard Ritter, sondern sprach mit etlichen Beiratsmitgliedern.97 Hartung war nach dem Empfang der Thesen der Auffassung, daß ein Wissenschaftler, der seinen Ruf verteidigen wolle, an einem solchen Museum nicht mitarbeiten könne. Auch Karl Griewank unterrichtete er von seinem Rücktritt.98 Karl Griewank blieb jedoch mit Heinrich Sproemberg dennoch im Beirat. Dabei bedauerte er, „daß mehrere Mitglieder des Beirates unter Hinweis auf ihre Ablehnung der Thesen ausgeschieden sind“99 und vertrat in dieser Frage explizit eine andere Auffassung als Hartung. Denn anders als dieser, dem die Fehler im einzelnen nicht der Erwähnung Wert waren, erarbeitete Griewank ein vierseitiges Memorandum zu den Thesen.100 Während der Sitzung ergriff er dann auch als erster das Wort in der Diskussion: „Professor Griewank eröffnete die Diskussion zu den Thesen: Das Hauptproblem sei, historische Ereignisse und Prozesse anschaulich darzustellen. Das gelte auch für die Thesen, die einen apodiktischen Charakter trügen. Im einzelnen wäre an den Thesen viel zu kritisieren, aber vor diesem grossen Forum wolle er nur Bemerkungen zu grundsätzlichen Fragen machen. Wenn die Thesen so verstanden seien, daß sie vom Beirat zu billigen und zu unterschreiben seien, so könne er dies nicht tun. Er vermute aber, daß es sich weniger um Thesen als um eine Arbeitsgrundlage handele. Bei der musealen Darstellung ergäbe sich zwar die Notwendigkeit der Vereinfachung, aber man dürfe durch solche Thesen nicht den Anspruch erheben, komplizierte Zusammenhänge in so vereinfachter Form wirklich zu erfassen. [...] Auf jeden Fall könnten die Thesen nicht als abschliessendes Urteil gelten und dürften nicht als Motto über dem Museum stehen, da sonst viele Besucher abgeschreckt würden.“101

Griewank baute in der Diskussion also eine für ihn gangbare Brücke, indem er die Thesen als Vereinfachung ansah, die allerdings von der musealen Umsetzung noch weit entfernt sei.102 Sein Ziel war es, klar zu machen, daß mit apodiktischer Darstellung und einer verurteilenden Ablehnung der Vergangenheit niemandem gedient sei. „Sachliche Darstellung mit einer gewissen immanenten Kritik schiene mir wirkungsvoller als eine schroffe Verurteilung, die von vornherein als ‚kommunistisch’ gekennzeichnet werden könnte.“103 Wolle das Museum eine überzeugende Außenwirkung haben, so müsse auch

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Vgl. zu den Rücktritten von Hartung, Unverzagt, Rörig, Frings, Hamann, Lintzel, Jahns vgl. HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 305. Fritz Hartung, zit. nach PFUNDT: Gründung des Museums (1995), S. 102. Ebd. und HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 217, 305. Fritz Hartung an Karl Griewank, 10.3.1952, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2. Karl Griewank an Alfred Meusel, 20.3.1952, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2. Bemerkungen zu den Thesen des Ministeriums [sic] für Deutsche Geschichte, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2. BA Berlin, DR 3/1. Schicht/4039, Bl. 19. Vgl. HEINZ: Konzeption der ersten Ausstellung Der Aufsatz von Helmut Heinz aus dem Jahr 1979 stellt im ganzen eine Analyse der Thesen und ihrer Diskussion im Beirat dar. Dabei referiert er die abweichende Position Karl Griewanks ausführlich und durchaus zutreffend; ebd., S. 355. Vgl. auch DERS.: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 185218. „Bemerkungen zu den Thesen des Ministeriums [sic] für Deutsche Geschichte“, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2.

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die marxistisch-leninistische Seite im Sinne ihrer Ziele sachlicher vorgehen und den neuesten Forschungsstand benutzen. Griewank ging im einzelnen darauf ein, „daß bei der Reformation von den drei Lagern gesprochen würde (These von Engels)“, während neuere Forschungsergebnisse unberücksichtigt blieben. „Ferner könne man den preussischen Absolutismus z.B. Friedrich II. nicht nur als reaktionäre Erscheinung werten. Die preussische Reform sei in den Thesen zu kurz gekommen.“104 Zudem wies er darauf hin, daß man sich Gedanken machen müsse, wie man etwa die soziale Schichtung, die wirtschaftliche Entwicklung und die kulturellen Verhältnisse Deutschlands im 19. Jahrhundert darstellen könne.105 Gerade mit diesen letzten Monita sprach er explizit Punkte an, deren Verwirklichung eigentlich im Sinne der Marxisten liegen müsste. Er kritisiert damit, daß die Konzeption ihr Anliegen nicht fachwissenschaftlich, sondern nur ideologisch begründete. Die Geschichtswissenschaft der DDR stellte später geradezu erstaunt die Konsensbereitschaft Griewanks fest: Dieser, so Helmut Heinz 1979 „lieferte zu allen ihm wesentlich erscheinenden Teilfragen der Ausstellung sein[e] kritischen Bemerkungen. Diese brachten nicht etwa nur seinen grundsätzlich abweichenden Standpunkt zum Ausdruck, sondern waren von dem Bemühen getragen, die museale Gestaltung im Konkreten zu qualifizieren“.106 Griewanks Haltung brachte ihm innerhalb der marxistisch-leninistischen Universitätshistoriker Respekt ein. Sein damaliger Assistent Gebhard Falk beobachtete wohl ganz richtig, daß er „augenblicklich als größter bürgerlicher Historiker der DDR“107 angesehen wurde. Insbesondere Alfred Meusel nahm zur Kenntnis: „Sie haben sich mit der bisher von uns geleisteten Arbeit auseinandergesetzt und damit eine wirkliche Grundlage für eine freimütige Aussprache und für kritische Überprüfung des bisher Geleisteten geschaffen.“108 Zu einer wirklichen Mitarbeit oder einer „kritischen Überprüfung“ in der von Griewank eingeschlagenen Linie kam es jedoch nicht. Statt dessen wurde die Eröffnung des Museums auf politische Intervention hin mehrfach verschoben. Am 13. Juni 1952 besuchte dann das gesamte Politbüro die immer noch nicht eröffnete Ausstellung und sperrte kurzerhand den Ausstellungsteil der Zeit ab 1848, da es an einer „positiven Herausbildung des marxistisch-leninistischen Standpunktes“109 fehle. Meusel selbst geriet in die Kritik. Es traten Differenzen zwischen den beteiligten marxistisch-leninistischen Historikern zu tage, insbesondere zwischen Meusel und Hanna Wolf, Albert Schreiner110 oder Leo Stern auf.111 Meusel mußte nun feststellen, daß „sehr wohlwollende bürgerliche Gelehrte, die bereit waren, mit uns zusammenzuar-

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BA Berlin, DR 3/1. Schicht/4039, Bl. 19. Vgl. HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 218. Ebd., S. 217. Gebhard Falk an seine Mutter, 14.6.1952, in: PrA Falk. Alfred Meusel an Karl Griewank, 1.4.1952, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2. Zit. nach PFUNDT: Gründung des Museums (1995), S. 102. Albert Schreiner (1892-1979) kämpfe als Offizier der republikanischen Seite im Spanischen Bürgerkrieg und wurde 1941 auf dem Weg nach Mexiko in den USA festgehalten. 1947 wurde er unpromoviert zum Professor an die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig berufen, 1953 holte er mit einer Arbeit zur deutschen Außenpolitik seine Promotion nach; vgl. Joachim PETZOLD: Albert Schreiner (1892 bis 1979), in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, S. 79-95; KEßLER: Exilerfahrung, S. 164-196; MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 548f. Vgl. PFUNDT: Gründung des Museums (1995), S. 104f.

7.1. Karl Griewank und Ostdeutschland

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beiten, brüskiert und verletzt“112 worden seien, womit im August 1953 wohl nur Griewank und Sproemberg gemeint sein konnten. Es zeigte sich bald, daß von der geschichtspolitischen Seite die Mitarbeit der Nichtmarxisten inhaltlich nicht gewünscht wurde, sondern nur aus repräsentativen und taktischen „bündnispolitische[n] Überlegungen“113 heraus geduldet blieb. Hier wurde der von Mario Keßler aufgemachte unüberbrückbare Widerspruch zwischen propagandistisch-politischen und wissenschaftlichen Funktionen der DDR-Geschichtsschreibung einmal mehr deutlich.114 Mit seiner Kritik an der musealen Umgestaltung traf Griewank jedoch ins Schwarze. Die Ausstellung, die auf politisches Geheiß sogar noch stärker mit „KlassikerZitaten“ Marx’, Engels’, Lenins und Stalins ausgestattet wurde als in der ursprünglichen Fassung, geriet museal wenig überzeugend.115 Der Direktor Meusel selbst sprach von „an die Wand geklebten Büchern“.116 Dennoch war das Museum gut besucht, vor allem durch großzügige staatlich alimentierte Gruppenreisen. Auch Karl Griewank nutzte diese Gelegenheit für die Jenenser Studierenden, indem er im April 1953 eine große Exkursion nach Berlin organisierte, bei der unter anderem auch das Museum für deutsche Geschichte besucht wurde.117 Die Korrespondenz mit Heinrich Sproemberg, der ursprünglich sogar in der musealen Umsetzung als sogenannter Abteilungsleiter für das Mittelalter vorgesehen war, zeigt, daß Griewank noch einige einzelne Versuche machte, die Ausstellung zu kritisieren und Verbesserungen anzuregen, sich jedoch bald über die Machtlosigkeit des Beirats im Klaren war. Dennoch drängten Griewank und Sproemberg auch nach der Eröffnung der Ausstellung auf Änderungen. So monierte Griewank, „daß die Gestalt Luthers in ihren Wirkungen für die deutsche und für die allgemeine Geschichte noch positiver in Erscheinung treten müßte.“118 Allerdings kam es nur in wenigen Fällen zu konkreten Veränderungen einiger Ausstellungstafeln.119 Im Juli 1953 stellte Griewank nur noch lakonisch fest, „daß die Geschichte des deutschen Volkes, insbesondere die neueste Zeit, schon außerhalb der Akademie im Ministerium [sic!] für Deutsche Geschichte eine eingehende Betreuung gefunden hat.“120 Die Verwendung des Begriffs „Ministerium“ statt „Museum“ ist dabei wohl kein Schreibfehler, sondern eine Ironisierung der staatlichen Einflußnahme auf das Museum. Jedenfalls verwendete Griewank diese Wendung nicht nur einmal, was auch schon verschiedenen Autoren bereits auffiel.121

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Alfred Meusel an Max Steinmetz, 10.8.1953, zit. nach ebd., S. 108. HEINZ: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, S. 253. Siehe oben S. 358 mit Anm. 36. Vgl. PFUNDT: Gründung des Museums (1994), S. 29f.; EBENFELD, Geschichte nach Plan, S. 117. Zit. nach PFUNDT: Gründung des Museums (1994), S. 30. Teilnehmerliste für die Exkursion nach Berlin, 17.4.-19.4.1953, in: UAJ, S V 29, unpag. Karl Griewank an Alfred Meusel, in: NL Griewank, Karton 4, Mappe 2; auch in: ABBAW Berlin, NL Sproemberg, Nr. 155, Bl. 107. Erfolg hatten Sproemberg und Griewank, wenn sie marxistische Unterstützung bekamen. So berichtete Sproemberg, daß ein Vorschlag von „Sproemberg-Griewank“ durch Jürgen Kuczynski wie „vorher mit ihm besprochen“, aber überraschenderweise auch von Kurt Hager unterstützt wurde, weshalb man einige Modifikationen habe erreichen können; Heinrich Sproemberg an Karl Griewank, 8.10.1952, in: ebd., Bl. 106. Karl Griewank an Heinrich Sproemberg, 23.7.1953, in: ABBAW Berlin, NL Sproemberg, Nr. 156, Bl.168. DIDCZUNEIT: Sproemberg, S. 56; MERTENS: Von Priestern der Klio, S. 127; PFUNDT, Gründung des Museums (1995), S. 104, geht von einem Irrtum aus. Siehe oben Anm. 100.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

Das „Museum für deutsche Geschichte“ war eben nicht in erster Linie ein Museum, sondern diente als Kaderschmiede der marxistisch-leninistischen Geschichtspolitik und politischen Bildung. Solange „die Akademie der Wissenschaften nicht zur zentralen Leitung der geschichtswissenschaftlichen Forschung in der Lage“ sei, diene „das Museum für Deutsche Geschichte zu dem ideologisch-organisatorischen Zentrum auf dem Gebiet der Lehre und Forschung der deutschen Geschichte der DDR.“122 Mit der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ entstand nur wenig später das zentrale Publikationsorgan der Historiker der DDR gerade aus dem Kreis der Mitarbeiter des Museums.123 Die konkrete Konstellation des Museums zeigte dabei eine gewisse Ambivalenz im Umgang mit den nichtmarxistischen Historikern. Die groß angelegte Historikertagung, für die 450 Einladungen versandt wurden und zu der rund 250 Teilnehmer kamen, richtete sich ja sowohl an die marxistischen als auch an die nichtmarxistischen in der DDR lebenden Historiker.124 Repräsentativität und der Bündnisgedanke spielten zunächst eine wichtige Rolle, gerade die nationale Ausrichtung sollte zum Konsens auffordern. Meusel als Direktor des Museums wollte die Mitarbeit der nichtmarxistischen Historiker nicht so zurückstoßen, wie es letztlich geschehen ist. Allerdings sollte verhindert werden, den Nichtmarxisten einen institutionellen Zugriff auf den marxistischen „Thinktank“ zu gewähren, etwa ihren Schülern eine Betätigungsmöglichkeit zu bieten. So blieb die Mitarbeit Griewanks, der das tat, was man von einem Beiratsmitglied hätte erwarten können, nämlich konzeptionelle Gedanken vorzubringen, zwar erfolglos. Sie war aber aus seiner sich konsequent, stets bis zum Schluß denkbare Handlungsspielräume auslotend. Weil er sich zudem als der „bürgerliche“ Hauptredner der Historikertagung ein besonderes Ansehen erarbeitet hatte, konnte er hoffen, daß sich diese Handlungsspielräume erweiterten. 7.2. KARL GRIEWANK UND WESTDEUTSCHLAND Die Geschichtswissenschaft in Westdeutschland bewegte sich, nachdem sich die Bedingungen und der Reflexions- und Revisionsbedarf anfangs nicht von derjenigen der SBZ unterschieden, mit zunehmender Konsolidierung in Richtung eines „politischmoralisch gezähmten Historismus“, um einen gern zitierten Begriff Schulins aufzunehmen.125 Politisch-moralisch gezähmt war dieser, da die Nation als Leitfigur historischen Denkens in Mißkredit geraten und der Bezug auf sie zwar nicht aufgegeben, aber modifiziert formuliert wurde. Schulin spricht von einer „Restauration und langsamen

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HEINZ: Gründung des Museums, S. 152. Fritz KLEIN: Dokumente aus den Anfangsjahren der ZfG (1953-1957), in: ZfG 42 (1994), S. 39-55, hier S. 40. Es sind 450 Einladungen versandt worden, ca. 250 kamen laut Bericht, in: BA Berlin, DR 3/1.Schicht, Nr. 4057, Bl. 4. Ernst SCHULIN: Zur Restauration und langsamen Weiterentwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, in: DERS.: Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch. Studien zur Entwicklung von Geschichtswissenschaft und historischem Denken, Göttingen 1979, S. 133-143, hier S. 140; vgl. Winfried SCHULZE: Der Neubeginn der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945: Einsichten und Absichtserklärungen der Historiker nach der Katastrophe, in: Ernst SCHULIN (Hg.): Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1965), München 1989, S. 1-37, hier S. 3; vgl. auch Martin SABROW: Gegensätzliche Geschichtsbilder – gegnerische Geschichtsbilder? Die deutsch-deutsche Historikerkonkurrenz als Wahrnehmungsgeschichte, in: KLEßMANN/MISSELWITZ/ WICHERT (Hg.): Deutsche Vergangenheiten, S. 139-160, hier S. 141.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

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Weiterentwicklung“. Im Gegensatz zum Ostteil Deutschlands bestand eher ein Überangebot an Historikern, vor allem auch durch die schrittweise Übernahme ehemaliger Nationalsozialisten. Über die Bedingungen in der DDR machte man sich falsche oder keine Gedanken, die dort lehrenden Historiker rückten in den Hintergrund, gerade auch, nachdem sich andere Gruppen organisierten und ihre Interessen zu Gehör brachten, etwa die in der Bundesrepublik „gelandeten“ Professoren aus den Universitäten jenseits von Oder und Neiße oder die „Amtverdrängten“, die im Rahmen der Entnazifizierung ausgeschieden waren. 7.2.1. Vertreter der „Ostzone“ – Im Ausschuß des Historikerverbandes Im Oktober 1948 erschien der Aufruf zur Gründung eines „Verbandes Deutscher Historiker“. Gerhard Ritter, die wohl einflußreichste Persönlichkeit der bundesdeutschen Historie der unmittelbaren Nachkriegszeit war dabei der maßgebliche Initiator und wurde auch fast aus einer inneren Logik heraus zum ersten Vorsitzenden des Verbandes gewählt. Die Vorgeschichte des Aufrufs und der Verbandsgründung wurden bereits mehrfach beschrieben.126 Das Problem der „Ostzone“ spielte dabei von vorneherein eine wichtige Rolle.127 Der Verband sollte explizit zur Vertretung aller deutschen Historiker werden. Noch im April 1949 war sich Ritter sicher: „Die Ablehnung des Verbandes durch die östliche Besatzungsmacht steht sowieso fest“.128 Deshalb bezeichnete es Ritter als den größten Erfolg des ersten Historikertages 1949 in München, „daß die Arbeitsgemeinschaft mit dem Osten wieder hergestellt“129 sei. Der Historikerverband verstand sich als „rein wissenschaftliche Organisation“, überparteilich und unpolitisch. Das war er allerdings de facto nicht. Der Beitritt marxistischer Kollegen aus der SBZ/DDR beispielsweise wurde stets als Gefahr gesehen. Die Diskussion um die Mitgliedschaft Walter Markovs zeigt, daß man hier keine differenzierte Abwägung vornehmen konnte oder besser wollte.130 Verbindung mit dem Osten bedeutete somit für den Verband Verbindung mit den nichtmarxistischen Historikern. Ansprechpartner Ritters in der „Ostzone“ war zunächst Fritz Hartung, der auch den Aufruf zur Gründung des Verbandes mit unterschrieb. Hartung ließ sich jedoch bekanntlich 1949 bereits emeritieren, da er in der Entwicklung der Akademie und der Humboldt-Universität eine „planmässige Sowjetisierung ganz deutlich“ sehe,

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SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 159-182, insbes. S. 159-161; CORNELIS. 438-441. Kritisch-ironisch hierzu SCHUMANN: Gerhard Ritter. Vgl. hierzu das Kapitel „Der Verband der Historiker Deutschlands und die Historiker der DDR“, in: SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 183-200 und Franz WORSCHECH: Der Weg der deutschen Geschichtswissenschaft in die institutionelle Spaltung (1945-1965), Diss. phil. Erlangen-Nürnberg 1990. Gerhard Ritter an Herbert Grundmann, 28.4.1949, in: AVHD Göttingen, Ordner 1a, Buchstabe G. Gerhard Ritter, 21.4.1949, zit. nach CORNELIßEN: Ritter, S, 439, Anm. 85. Vgl. zu den Vorgängen KOWALCZUK: Legitimation, S. 195. Markov vertrat in der Frage der Auseinandersetzung zwischen Marxisten und Nichtmarxisten anfangs die Auffassung vom „freien Wettbewerb beider Theorien“, geriet nach seinem Ausschluß aus der SED selbst unter massiven Druck in der DDR, blieb jedoch sowohl politisch als auch wissenschaftlich Marxist. Vgl. SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 183; WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 49-54 und Matthias MIDDELL: Gelesen, aber ehrlich gesagt nicht für marxistisch gehalten, in: Manfred NEUHAUS/Helmut SEIDEL (Hg.): „Wenn jemand seinen Kopf bewußt hinhielt ...“ Beiträge zu Werk und Wirken von Walter Markov, Leipzig 1998, S. 113-126. ßEN: Ritter,

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

was er Gerhard Ritter bereits im Dezember 1948 mitteilte.131 Im demselben Brief schlug Hartung deshalb auch vor, einen „anderen Vertreter der Historiker der Ostuniversitäten zu wählen“, Nach einigen Abwägungen132 zog er den Schluß: „In der Zone kommen [...] nur [Johannes] Kühn133 oder Griewank in Frage. Von ihnen ist Kühn zweifellos der feinere Kopf, aber Griewank geschäftlich wohl brauchbarer.“ Diese nicht gerade euphorische Empfehlung paßt in das bereits angedeutete Bild, das Hartung von Griewank hatte.134 Im Historikerverband kam es zur Nominierung Griewanks. Auf dem Historikertag in München 1949 wurde er zunächst für die Verfassungskommission gewählt, die an Ort und Stelle eine Satzung und Geschäftsordnung für die Abstimmung vorbereitete. Bei der abschließenden Wahl, durch die auch Gerhard Ritter Vorsitzender wurde, rückte Griewank in den „Ausschuß“ des Verbandes. Der Ausschuß stand laut Satzung an der Spitze des Verbandes und bestand aus dem Vorsitzenden und elf weiteren Mitgliedern.135 Er traf sich zu regelmäßigen Sitzungen, die turnusmäßig im Spätsommer oder Herbst stattfanden und an denen Griewank zumeist auch teilnahm.136 Das Wichtigste darüber hinausgehende Kommunikationsmittel des Ausschusses waren die vom Vorsitzenden versandten „Rundschreiben“, mit denen über die regelmäßigen Neuigkeiten informiert wurde und auch Abstimmungen in brieflicher Form möglich waren.137 Daß dabei im Januar 1952 der von Griewank weitergeleitete Brief „ca. 14 Tage amtlich geöffnet und zurückgehalten!“138 wurde, war sicher ein Grund dafür, daß Griewank die Post nun meist via Berlin erhielt, sie also nach Westberlin geschickt und dann entweder

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Fritz Hartung an Gerhard Ritter, 14.12.1948, in: SBPK Berlin, NL Hartung, Karton 46, Mappe 8. Fritz Rörig sei „durch seine Aufgeregtheit u. sein Geltungsbedürfnis ein schwieriger Partner in allen Gremien“, Eugen Meyer gehe bald in den Westen, Rudolf Kötzschke sei zu alt und „an Meusel, der im Besitz der materialistischen Dialektik vom Nationalökonomen jetzt zum Historiker sich umstellt, werden sie nicht denken.“ Ebd. Heinrich Sproemberg, Martin Lintzel, Hans Haussherr oder Friedrich Schneider werden gar nicht erwähnt! Johannes Kühn (1887-1973), Prof. für Neuere Geschichte, 1928-1947 TH Dresden, 1947-1949 Univ. Leipzig, 1949-1956 Univ. Heidelberg. Vgl. KOWALCZUK: Legitimation, S. 150-154; MERTENS: Von Priestern der Klio, S. 146. Kühns Anbiederung an die Nazi-Ideologie hatte Victor Klemperers „blutrünstige Empörung“ über die Intelektuellen und insbesondere die Professoren ausgelöst. Er wollte sie alle „alle aufhängen, und die Professoren einen Meter höher als die anderen.“ Vgl. Bernd WEISBROD: Dem wandelbaren Geist. Akademisches Ideal und wissenschaftliche Transformation in der Nachkriegszeit, in: DERS. (Hg.): Akademische Vergangenheitspolitik, S. 11-35, Zitate S. 11; Victor KLEMPERER: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1941, Bd. 1, Berlin 1995, S. 296. Siehe oben S. 137 und S. 331, siehe vor allem unten S. 389. Vgl. Satzungen des Verbands der Historiker Deutschland (e.V.), München 1949, § 2. Ein Exemplar befindet sich z.B. im AVHD Göttingen, Ordner 1a, Korr. 1949. Ausschußmitglieder waren Hermann Aubin (Hamburg), Max Braubach (Bonn), Karl Griewank (Jena), Herbert Grundmann (Münster), Fritz Hartung (Berlin), Hermann Heimpel (Göttingen), Walter Kienast (Frankfurt), Franz Schnabel (München) und Josef Vogt (Tübingen). 1951 wurde den ostdeutschen Interessenten die Teilnahme am Historikertag (und damit auch der Ausschuß- und Mitgliederversammlung) von den Behörden der DDR verweigert, Vgl. dazu unten S. 375, Anm. 157. Rundschreiben 31.5.1950, 26.6.1950, 13.8.1950, 24.10.1950, 25.10.1950, 26.10.1950, 9.11.1950, 28.3.1951, 7.5.1951, 20.12.1951, 15.1.1952, 1.4.1952, 28.9.1952, in: ebd., Ordner 3, Buchstabe R; Rundschreiben 7.5.1951, 5.11.1951, 20.12.1951, 22.12.1951, 15.1.1952, 15.3.1952, 28.3.1951, 1.4.1952, in: ebd., Ordner 5. Im folgenden wird als Nachweis unter Verweis auf diese Fußnote nur noch das Rundschreiben mit entsprechendem Datum genannt. Es wurde eine Information der „Westdeutschen Bibliothek“ Marburg im Umlauf versandt, 22.12.1951, in: ebd.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

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von Griewank selbst oder von Fritz Hartung in den Ostteil der Stadt zur Akademie der Wissenschaften gebracht wurde. Vor allem inhaltlich bestanden Gründe für solche Vorsichtsmaßnahmen. Schließlich wurde in diesem Medium recht offen über das Verhältnis des Verbandes zur DDR gesprochen, aus der Sicht Gerhard Ritters bedeutete dies, die Taktik des Verbandes gegen die DDR zu besprechen. Ritter betrieb in dieser Hinsicht, darauf hat Christoph Cornelißen jetzt noch einmal hingewiesen, eine „eine bewußte hardliner-Politik“ und „war bestimmt von einer konsequent antikommunistischen Haltung“.139 Eine Einladung zu einer Archivartagung in Weimar im Mai 1952 lehnte Ritter nach einigen Überlegungen und Rücksprachen mit dem Gesamtdeutschen Ministerium in Bonn ab.140 Darüber schrieb er ausführlich im Rundschreiben vom 1. April 1952.141 Über den Plan eines Historikertags in Berlin, den der Bonner Minister für Gesamtdeutsche Angelegenheiten Jakob Kaiser auf Ritters Anfrage hin „geradezu begeistert“ als „die beste Propaganda für die westliche Welt, die es überhaupt geben könne“, bezeichnete, wurde in diesem Rundschreiben berichtet.142 Auch die Idee der Gründung einer „Ostuniversität“, an der die „vertriebenen“ Lehrkräfte der Universitäten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten tätig sein sollten, wurde in einem Rundbrief angesprochen.143 Griewank wurde also über vieles vertraulich informiert; ihm kam somit die Rolle zu, die Position der ostdeutschen Historiker zu erklären und zu vermitteln und – soweit es ging – damit die Stellung der nichtmarxistischen Historiker in der DDR zu stärken. Dabei nahm er eine ausgleichende Haltung ein und wies von Anfang an immer wieder auf die Situation der Historiker in der DDR hin. Vertrauliche Gespräche spielten in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, oftmals wird auf solche verwiesen, ohne daß sich deren Inhalt oder die Position Griewanks rekonstruieren ließe.144 Deshalb sind nur manche Positionen überliefert. Die Idee eines Historikertages in Ost- und Westberlin befürwortete er prinzipiell, da die ständige Abhaltung des Historikertages in der Bundesrepublik seiner Meinung nach langfristig die Konsequenz nach sich ziehe, „daß nämlich in der Deutschen Demokratischen Republik wohnende Historiker auf die Dauer kaum mehr Mitglieder des Verbandes sein können.“145 Diese Idee scheiterte letztlich daran, daß von Seiten des Verbandes und der Ostberliner Behörden völlig unterschiedliche Vorstellungen über den Charakter der Tagung und die Auswahl des organisierenden „Ortsausschusses“ bestand.146

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CORNELIßEN: Ritter, S. 452. „Er blieb auch auf dem Feld der Verbandspolitik ein ‚Frontkämpfer’“, ebd., S. 457. Vgl. auch CORNELIßEN: „Ausländische Historie“ und „deutsche Geschichtswissenschaft“. Gerhard Ritter und die „Verwestlichung“ der deutschen Historiografie seit 1945, in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (Hg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 149170. KOWALCZUK: Legitimation, S. 196f. Vgl. Anm. 137 auf S. 372. Ein Exemplar befindet sich auch im NL Griewank, Karton 4, Mappe 1. Vgl. WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 44-46. Gegen solche Pläne wandte sich vor allem Hermann Aubin, der für eine Integration der „Ostforschung“ in die allgemeine Geschichte plädierte. Rundbrief 20.12.1951; Vgl. Anm. 137 auf S. 372. Vgl. zu der Diskussion um die „Ostuniversitäten“ jetzt Markus MÖßLANG: Auf der Suche nach der „akademischen Heimat“. Flüchtlingsprofessoren in Westdeutschland, in: JUG 8 (2005), S. 143-156. Zum Beispiel kann nicht explizit ausgemacht werden, wie er zu der Einladung an Ritter in der DDR stand. In vielen Briefen werden die Möglichkeiten zum Treffen und mündlichen Austausch besprochen. So besuchte er Ritter im Sommer 1952 in dessen Feriendomizil am Schwarzwald „Natürlich können Sie bei uns übernachten“, Gerhard Ritter an Karl Griewank, 31.7.1952, in: AVHD Göttingen, Ordner 5, Buchstabe G. Protokoll der Ausschußsitzung (Protokollant Hermann Heimpel), 24.9.1952, in: ebd., Ordner 6. Fritz Hartung an Gerhard Ritter, 31.8.1952, in: ebd., Ordner 5, Buchstabe H.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler Den Plänen einer „Ostuniversität“ bat Griewank entgegenzutreten. „Jede Gründung mit ausgesprochen antirussischer und antisowjetischer Tendenz vertieft die Kluft zwischen dem westdeutschen Geistesleben und den in der sowjetischen Zone tätigen Menschen, erschwert das Zusammenkommen und Zusammenleben. [...] Dagegen sollte das Interesse für die Probleme nicht nur der Gebiete jenseits von Oder und Neiße, sondern auch für die deutsch verbliebenen Gebiete der Deutschen Demokratischen Republik bevorzugt gepflegt werden.“147

Entgegen der Absicht, den Historikertag 1951 in Bonn abzuhalten – Gerhard Ritter plante ihn mit Besuch des Bundestages und Empfang des Bundespräsidenten – sprach sich Griewank für Marburg als Veranstaltungsort aus.148 Griewanks Tätigkeit als „OstAnsprechpartner“ im Ausschuß umfaßte auch ganz praktische Angelegenheiten wie das Versenden von Nachrichten an die in der DDR lebenden Mitglieder, die Annahme von Mitgliedsanträgen und vor allem auch das Einsammeln der Beiträge, die in „Mark der DDR“ bezahlt und auf einem von Griewank privat eröffneten Konto gesammelt und verwaltet wurden.149 Eine Mitgliedschaft im VHD galt für die Behörden der DDR als private Angelegenheit der beteiligten Historiker, die von staatlicher Seite weder gefördert noch behindert werden solle – dies war von Griewank in einem Gespräch im SfH explizit ausgehandelt worden.150 Eine besondere Bedeutung nahmen für den Verband naturgemäß die Historikertage ein, von denen drei in die Zeit der Ausschußtätigkeit Griewanks fielen. Jeder potentielle Besucher aus Ostdeutschland war bei solchen Ereignissen sehr auf staatliches Entgegenkommen angewiesen, denn die Reise in den anderen Teil Deutschlands konnte nur durch die Ausstellung sogenannter „Interzonenpässe“ ermöglicht werden. Hier zeigte sich eine sehr wechselhafte Reaktion auf die Aktivitäten des Verbandes von seiten der DDR.151 1949 waren neun Historiker aus der DDR in München anwesend, von denen bekanntlich Karl Griewank einen Vortrag hielt. 1951 war Martin Lintzel als Referent vorgesehen, es wurden jedoch die Reisegenehmigungen für die Teilnehmer der DDR durchweg verweigert.152 Dagegen nahm 1953 nicht nur eine große Anzahl von 63 Teilnehmern aus der DDR teil. Diese wurden auch durch ein großes staatliches Entgegenkommen in praktischen Fragen, vor allem beim Geldumtausch, unterstützt.153 Die Verhandlungen in Ostberlin führte 1951 und 1953 in solchen Fragen für den Verband das Ausschußmitglied Karl Griewank. 1951 war er dabei, wie angedeutet, wenig erfolgreich. Es ist verwunderlich, wenn Martin Sabrow hierzu ausführt: „Der Aktenlage zufolge hatten weder Partei- noch staatliche Stellen sich mit der Frage einer Teilnahme von DDR-Historikern überhaupt

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Karl Griewank an Gerhard Ritter, 26.12.1951, in: ebd., Ordner 4, Buchstabe G. Rundschreiben 26.6.1950; Karl Griewank an Gerhard Ritter, 28.10.1950, in: ebd., Ordner 3, Buchstabe G. Gerhard Ritter hatte zu bedenken gegeben, daß „dieses ganze Ostkonto eine riskante Sache“ sei, da das Geld wohl beschlagnahmt werde, wenn der Kontoinhaber „eines Tages aus der Ostzone verschwinden“ würde. Zit. nach KOWALCZUK: Legitimation, S. 194. Karl Griewank an Gerhard Ritter, 8.9.1951, in: ebd., Ordner 4, Buchstabe G. Vgl. WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 57-86. Eine Ausnahme bildete neben dem in Westberlin wohnenden Hartung nur der Leipziger Archivar Hellmut Kretzschmar; vgl. KOWALCZUK: Legitimation, S. 196. Kretzschmar hielt selbst einen Vortrag auf dem parallel stattfindenden Archivtag. Offensichtlich ist sein Antrag deshalb als Vortragsreise eines Archivars behandelt worden. Vgl. zu Kretzschmar MERTENS: Lexikon der DDRHistoriker, S. 562f. Vgl. „Bremer Historikertag. Protokolle der geschäftlichen Verhandlungen“, [S. 1], in: AVHD Göttingen, Ordner 6.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

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befaßt“.154 Sabrow meint wohl, daß es von Seiten der marxistisch-leninistischen Historiker keine strategischen Pläne zum Umgang mit dem Historikertag gab, wie sie für spätere Veranstaltungen festzustellen sind. Jedoch haben sich die entsprechenden Stellen sehr wohl mit der Teilnahme von Historikern aus der DDR beschäftigt: „Wegen der Teilnahme an dem großen Historikertag in Marburg im September dieses Jahres werden wahrscheinlich noch verschiedene Anträge einlaufen“155, meinte der Referent Förder im Juni 1951. Man wolle zunächst abwarten, bis grundsätzlich über die Sache entschieden werde. Die Entscheidung wurde dann erst recht kurzfristig deutlich. Karl Griewank berichtete dem Verbandsvorsitzenden Ritter am 8. September 1951 über die Verweigerung der Interzonenpässe und die Nichtteilnahme ostdeutscher Historiker am Historikertag 1951. Die Gründe dafür lagen durchaus in einer inhaltlichen Kritik der Ausrichtung des Historikertags durch die offiziellen Stellen der DDR: „Einzelnen Themen, besonders des auf der gleichen Einladung stehenden Archivtages156, wurde eine ganz unzutreffende politische Bedeutung untergelegt; es wurde davon gesprochen, die Beteiligung einer ‚Delegation’ an dem Kongreß könne nicht in Frage kommen, – obwohl doch davon gar nicht die Rede war – und anderes mehr. Aber alle Versuche, die Bedenken auszuräumen sind fehlgeschlagen; ich habe selbst alles in meiner Macht stehende versucht, um eine ungezwungenere Haltung zu erreichen, mußte aber gegen den zu spürenden Widerstand kapitulieren.“157

Die von Franz Worschech nahegelegten Gründe, daß die Maßnahmen der „Zweiten Hochschulreform“ die Kräfte des Staatssekretariats in Anspruch nahmen und man „zu sehr mit sich selbst beschäftigt“158 gewesen sei, sind nicht belegt und wurden auch Griewank gegenüber nicht vorgebracht. Überlastung, technische Probleme und organisatorische Schwierigkeiten dienten häufig zur Begründung für die Verweigerung von Interzonenpässen. Hier ging es um grundsätzliche Bedenken. Griewank sah in dieser Entwicklung wohl eine echte Krise und bedauerte, nicht mehr erreicht haben zu können. Er versicherte, daß sich das Verhältnis zum Verband dadurch jedoch nicht geändert habe und er gerne seine Tätigkeit fortsetzen würde. Für die Mitglieder in der DDR führte er allerdings aus: „Eine aktive Beteiligung derselben am Verbande und zumal an weiteren Kongressen in Westdeutschland würde aber – wie die Dinge jetzt stehen – wohl nur erreichbar sein, wenn ein der SED genügend angesehener Fachgenosse an der Leitung des Verbandes beteiligt wäre und seine Sache bei den Ostberliner Stellen vertreten könnte. Ob eine solche Lösung z. Zt. überhaupt möglich und erstrebenswert ist, ist freilich eine schwierige Frage.“159

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SABROW: Diktat des Konsenses, S. 256. Etwas anders, nämlich mit der Aussage, daß sich die „zuständige Abteilung Kultur des ZK der SED“ sich mit der Teilnahme nicht beschäftigt hatte, in DERS.: Die Ökumene als Bedrohung. Die Haltung der DDR-Historiographie gegenüber den deutschen Historikertagen von 1949-1962, in: Comparativ 6 (1996), H. 5/6, S. 179-203, hier S. 179. Förder hausintern, 27.6.51, wegen des Antrags auf Interzonenpaß von Hans Haussherr, BA Berlin, DR 3/1.Schicht/1598, Bl. 194. Auf dem 30. Deutschen Archivtag standen Themen zur Erfassung von Quellen des Nationalsozialismus und ein Referat „Archivgutschutz im Kriegsfall“ auf dem Programm. Auch wurde der Aufbau des bundesdeutschen Archivwesens besprochen. Karl Griewank an Gerhard Ritter, 8.9.1951, in: AVHD Göttingen, Ordner 4, Buchstabe G. Die Bemühungen Griewanks um einen Interzonenpaß sind auch anhand der Materialien im Nachlaß nachvollziehbar. „Erklärung zu dem Antrag auf Interzonenpaß für 9.-27. Sept. 1951“, undat., in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3; Briefentwurfs an SfH, undat., mit der Bleistiftnotiz „mündlich behandelt in Berlin 27/7. Gr“, in: ebd.; Karl Griewank an Julius Paetsch, Hauptabteilungsleiter im SfH, 25.8.1951, in: ebd. WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 68. Karl Griewank an Gerhard Ritter, 8.9.1951, in: AVHD Göttingen, Ordner 4, Buchstabe G.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

Aus Sicht des Historikerverbandes war eine solche Lösung nicht erstrebenswert und angesichts der politischen Abneigung ihrer Leitung gegenüber dem Kommunismus wurde sie auch nicht ernsthaft diskutiert. Für den Bremer Historikertag 1953 plante man keine Referenten aus der DDR mehr ein, offiziell wegen der Gefahr kurzfristiger Absagen wie in Marburg.160 Zu solchen kam es jedoch nicht. Statt dessen konnten 63 Teilnehmer aus der DDR anreisen, darunter auch viele jüngere Historiker. Unter ihnen waren erstmals auch marxistisch-leninistische Historiker und Nachwuchskader wie Gentzen aus Jena.161 Diese Teilnehmer waren zum größten Teil keine Mitglieder des Verbandes, besuchten jedoch die Vorträge und meldeten sich auch zu Wort, um die aus ihrer Sicht überlegene marxistisch-leninistische Geschichtsdeutung zu propagieren.162 Bezeichnend ist die Wahrnehmung dieser Entwicklung. „Das sind doch keine Wissenschaftler, sondern nur politische Agitatoren“163, habe Werner Conze geäußert, erinnert sich Fritz Klein. Gerhard Ritter berichtete, daß im Auditorium Beschwerden über die „kommunistischen Diskussionsredner“ laut geworden seien: „Wir sind doch nicht hergekommen, um solches Zeug anzuhören, sondern eine echte wissenschaftliche Diskussion!“164, habe man dort gesagt. Das Auftreten der Propagandisten führte so nicht zu einer Verständigung, sondern bei den westdeutschen Historikern in der Regel zu einer Verschärfung der Vorbehalte gegenüber der DDR, bestenfalls zu verstärktem Mitleid mit den nichtmarxistischen Kollegen in der „Sowjetzone“, die solche Diskussionen häufiger erleiden müßten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit – intelligenten oder weniger intelligenten – marxistischen Positionen wurde auf diese Weise in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft nicht geführt und eher behindert. Die nichtmarxistischen Teilnehmer aus dem Osten Deutschlands betonten hingegen 1953, wie wichtig und notwendig der Austausch für sie und ihre Schüler gewesen sei. Heinrich Sproemberg berichtete, daß „die jungen Historiker der DDR [sich] ‚tief bewegt über ihre erste Begegnung mit den großen Historikern Westdeutschlands’“ gezeigt hätten.165 Auch Karl Griewank betonte den Ostberliner Stellen gegenüber, daß „dieses Zusammentreffen der gesamtdeutschen Wissenschaft wie auch der Arbeit der Historiker der DDR eine große Hilfe gewesen“166 sei. Unverhohlen unterstrich Griewank, daß die Teilnehmer aus der DDR einige Anstrengen zu unternehmen hätten, um das hohe Niveau der Vorträge des Historikertages zu erreichen: „In Diskussionen kamen auch einige Redner aus der DDR zu Wort, die es freilich nicht immer mit den Vortragsrednern an Sachkenntnis und methodischer Sicherheit aufnehmen konnten.“167

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Vgl. Bericht über die 22. Versammlung deutscher Historiker in Bremen. 17.-19. September 1953, Stuttgart 1954. Mappe „Historikertag 1953“, in: AVHD Göttingen. In Jena wurde kolportiert, daß sich Gentzen auf dem Historikertag blamiert habe. Siehe unten S. 377, Anm. 168. Innerhalb der SED wurde die Teilnahme mit einer neuen Offensive begründet, mit der man für die Idee der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft im Westen werben wollte. Dazu gehörten auch der Versand von marxistischer Literatur oder die Idee einer Delegation von Studenten und Nachwuchswissenschaftler an westdeutsche Universitäten. Diese Pläne, die vom unerschütterlichen Glauben an die Überlegenheit der eigenen Idee zeugen, scheiterten letztlich und machten einem Klima der Isolation und Konfrontation Platz. Vgl. ZUMSCHLINGE: Geschichte der Historiographie der DDR, S. 167f. Zit. nach KLEIN: Drinnen und Draußen, S. 172. Gerhard Ritter an Hermann Aubin, 26.4.1954, in: AVHD, Ordner 6, QR. Zit. nach WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 76. Bericht Karl Griewank, 3.10.1953, in: SAPMO BA Berlin, DY 30/IV 2/9.04/151, Bl. 527-530. Ebd.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

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In Jena wurde zudem kolportiert, Gentzen habe sich auf dem Historikertag blamiert.168 Diese Urteile konterkarierten vollends den Anspruch einer sich als überlegen ansehenden marxistisch-leninistischen Historie. Deren Vertreter nahmen wiederum eine völlig andere Perspektive ein. Fritz Klein erinnert sich an „das tiefsitzende Ressentiment der traditionellen deutschen Geschichtswissenschaft gegen marxistische Geschichtsbetrachtung, die man ernsthaft nicht zur Kenntnis nehmen wollte.“169 Darüber habe er sich als junger Mensch maßlos geärgert. Auch für die offiziellen Stellen mußte die Position der Nichtmarxisten, vor allem auch der „bürgerlichen“ Historiker aus der DDR ein Alarmsignal darstellen. Als Reaktion wurde in der neu entstandenen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft unter Beteiligung Kleins eine ungewöhnlich scharfe Kritik am Bremer Historikertag veröffentlicht.170 Kamnitzers Beitrag enthielt dabei durch eine Kollage verschiedener Zitate Theodor Schieders aus der NS-Zeit persönliche Vorwürfe, die die Generalthese stützten, daß die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen habe und sich in einer gefährlichen Kontinuität zum Faschismus befinde. Einen besonderen Affront sah man auch in der Wahl Hermann Aubins zum neuen Präsidenten und Nachfolger Ritters, der als expliziter Vertreter der nationalsozialistischen „Ostforschung“ eingestuft wurde. Zu Griewank habe er jedoch, betonte Aubin nach dessen Suizid, „schon seit 25 Jahren ein sehr enges Arbeitsverhältnis gehabt […], das sich im Laufe der Jahre immer mehr zu einer sehr schönen persönlichen Beziehung ausgestaltete.“171 Die Vorhaltungen gegenüber Schieder, Ritter und Aubin kamen für den Verband völlig überraschend, war man doch über den Verlauf der Bremer Versammlung und den Besuch aus der DDR sehr zufrieden gewesen. Die Reaktion, die Ausarbeitung der sogenannten „Heppenheimer Erklärung“, mit der man im April 1954 gegen die ZfG protestieren wollte, fällt schon in die Zeit nach Griewanks Tod.172 Bemerkenswert und bezeichnend für Griewanks Bemühungen um Vermittlung ist jedoch, als sich Max Braubach gegen eine DDR-kritische Resolution mit den Worten aussprach: „Würde die Resolution auch gefasst werden, wenn Griewank noch lebte [...]?“173 Die „Heppenheimer Erklärung“ wurde dann auch mehrheitlich abgelehnt. In der Beziehung des Verbandes zur DDR traten keine wesentlichen Veränderungen ein. 1953 wurden Martin Lintzel (Halle), dann auf dem Historikertag 1956, der wie der Bremer durch einen guten Besuch aus der DDR geprägt war, Willy Flach (Weimar/Berlin) und Irmgard Höß (Jena) in den Ausschuß des Verbandes gewählt. Erst auf dem Historikertag 1958 kam es

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Bericht Diplom-Philosoph, geb. 1928, „Zone verlassen am: 17.2.1955“, in: BA Koblenz, B 285, Nr. 209. Siehe zu diesem Bericht quellenkritisch oben S. 212, Anm. 283 und S. 196, Anm. 168. KLEIN: Drinnen und Draußen, S. 172. Fritz KLEIN: Der 22. Deutsche Historikertag, in: ZfG 1 (1953), S. 905-908; Heinz KAMNITZER: Zum Vortrag von Th. Schieder „Das Verhältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung und die Krise des bürgerlichen Liberalismus“, in: ZfG 1, 1953, S. 909-912; Alfred MEUSEL: Zum Vortrag von G. Ritter „Das Problem des ‚Militarismus‘ in Deutschland“, in: ebd., S. 923-939. Vgl. zum Kontext WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 79-87; SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 189f. und SABROW: Gegensätzliche Geschichtsbilder, S. 143f. Hermann Aubin an Hermann Heimpel, 9.11.1953, in: AVHD Göttingen, Ordner 6, Buchstabe H. Siehe dazu WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 79-87; SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 190f; CORNELIßEN: Ritter, S. 451f. Max Braubach an Hermann Aubin, 19.4.1954, in: AVHD, Ordner 6.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

zur institutionellen Spaltung des Historikerverbandes, die bereits mehrfach beschrieben wurde.174 7.2.2. „eine würdige Stellung“ – In der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Es sei kein Wunder, daß der erste Historikertag nach dem Krieg in München stattgefunden hatte, so Winfried Schulze, denn von München gingen sehr früh bereits Impulse einer Neuorientierung und Neuorganisation der deutschen Geschichtswissenschaft aus.175 Dazu gehört die schon 1946 vollzogene Wiedergründung der „Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften“ und der „Zentraldirektion der Monumenta Germania Historica“. Für beide Institutionen wurde Walter Goetz „zum interimistischen Leiter und Retter“.176 In der Tat kann es wohl als Glücksfall bezeichnet werden, daß mit dem 1933 aus politischen Gründen zwangsemeritierten Goetz eine anerkannte und integere Persönlichkeit vom Bayerischen Kultusministerium mit dem Neuaufbau betraut wurde. An der Spitze der Historischen Kommission hatten mit dem Wiener Heinrich Ritter von Srbik als Präsidenten und Karl Alexander von Müller als Sekretär zwei ausgewiesene Anhänger des Nationalsozialismus gestanden, die Goetz nun zum Rücktritt aufforderte und damit einen Neuanfang ermöglichte.177 Dieser deutliche Wechsel wird auch heute als Zäsur angesehen: Es bestand allenfalls „eine sehr gebrochene Kontinuität“178, wie es Lothar Gall etwas vorsichtiger ausdrückt. Die Selbstdarstellung Theodor Schieders aus dem Jahr 1984, wonach Heinrich von Srbiks „wissenschaftliche und persönliche Integrität nicht in Zweifel gezogen werden kann“ und „die Kommission auch im moralischen Sinne relativ unbeschädigt über diese Zeit [des Nationalsozialismus] hinweggekommen ist“, erscheint als Apologie eines Betroffenen heute in einem anderen Licht.179 Um so deutlicher treten Goetz’ Bemühungen um einen Neuaufbau hervor. Auf seine Einladung trafen sich am 28. September 1946 dann auch nur sieben übrig gebliebene und als unbelastet geltende Mitglieder der Kommission.180 Auf dieser Sitzung wurden nicht nur Walter Goetz zum Präsidenten und Max Spindler zum Sekretär gewählt, sondern es mußte auch die nach der Satzung festgesetzte Zahl von zwanzig Mitgliedern durch Nachwahlen erreicht werden.181 Im Rahmen dieser Zuwahl kamen elf Neue zum 174

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Vgl. HÖß: Trier; WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 193-237; SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 196-200. Ebd., S. 159. Ebd., S. 145. Zu Walter Goetz siehe oben S. 63, Anm. 118-120. Walter GOETZ: Aus dem Leben eines deutschen Historikers, in: DERS.: Historiker in meiner Zeit. Gesammelte Aufsätze, Köln/Graz 1957, S. 1-87, hier S. 82. Zur Reaktion des verdrängten Sekretärs, der sich als Retter der Existenz der Akademie ungerecht behandelt fühlte, vgl. KINNER: Karl Alexander von Müller, S. 251-268. Lothar GALL, in: HOHLS/JARAUSCH: Versäumte Fragen, S. 307. Theodor SCHIEDER: Organisation und Organisationen der Geschichtswissenschaft. 125 Jahre Historische Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858-1983, München 1984, S. 22-44, hier S. 38. Zu Schieder vgl. ALY: Schieder, Conze und SCHÖTTLER: Versäumte Fragen. Die Teilnehmer waren Walter Goetz (München), Hermann Heimpel (Göttingen), Hermann Aubin (Hamburg), Heinrich Günther (München), Otto Basler (München. a.o. Mitgl.), Franz Thierfelder (München, a.o. Mitgl.) und Peter Rassow (Köln). Ein Exemplar des Protokolls ist zugänglich in: BA Koblenz, N 1228 NL Rassow, Nr. 23. Vgl. GOETZ: Aus dem Leben, S. 82.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

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Zuge, die als ordentliche Mitglieder gewählt wurden, unter ihnen – sieht man von den Berlinern ab – mit Johannes Kühn182 und Karl Griewank183 zwei Vertreter aus der sowjetischen Zone.184 Diese Wahl fand statt, bevor Griewanks Publikationen zur Französischen Revolution oder zur Revolution 1848/49 erschienen waren. Griewank war den Anwesenden vor allem durch seine Tätigkeit in der DFG bekannt. Die Wahl stützte sich also auf seine älteren wissenschaftlichen Leistungen, insbesondere zum Wiener Kongreß, auf seine organisatorischen Fähigkeiten und seine menschliche Integrität. Eine wichtige Funktion, die sicher auch eine Rolle gespielt hat, spricht Griewank in seinem Antwortbrief an, nämlich „daß mir die Tätigkeit in Jena vielleicht besondere Gelegenheit geben wird, die Verbindungen mit dem Westen zu pflegen, und daß ich dann auch in dieser Hinsicht der Kommission nützlich sein kann.“185 Die Historische Kommission in München legte und legt stets großen Wert darauf, keine regionale Einrichtung zu sein und Mitglieder aus dem gesamten deutschsprachigen Raum aufzunehmen. Griewank war bald der einzige Vertreter aus der SBZ in der Kommission und im übrigen nach Droysen der zweite Historiker aus Jena. Offensichtlich war der Einfluß seines akademischen Lehrers und Förderers Willy Andreas bei Griewanks Wahl nicht oder nur indirekt wirksam gewesen. Andreas war zu dieser Sitzung nicht anwesend, da er wegen seiner Position im Nationalsozialismus noch um Rehabilitierung kämpfen mußte. Dennoch gehörte er der Historischen Kommission nach wie vor an und nahm später auch an den Sitzungen teil. Ohnehin war der Kreis mit 18 Teilnehmenden186 auf der Herbstsitzung 1947 wieder ungleich größer als im Jahr zuvor, wobei Griewank „der Benjamin der sich verjüngenden Gemeinschaft“187 war. Er jedoch konnte an dieser Sitzung nicht teilnehmen, da ihm der Interzonenpaß verweigert, bzw. erst zu spät ausgestellt wurde. Es waren die ersten langen Semesterferien, seit er im Land Thüringen wohnte und mithin sein erster Antrag auf Reisegenehmigung an das Volksbildungsministerium in Weimar. Daß er einen ganzen Monat lang in die Westzonen fahren wollte, wurde von den Thüringer Behörden als unüblich lang angesehen, weshalb man den Antrag nicht ohne lange Diskussionen zu bearbeiten imstande war.188 Die Schwierigkeiten bei der Paßausstellung blieben ein nervenaufreibendes Moment. Ansonsten wurde der regelmäßige Besuch in München bald zur Routine. Die Kommission traf sich in der Regel zweimal jährlich Anfang April und Anfang September. In der Zwischenzeit wurden die Geschäfte durch den Präsidenten und den Sekretär ausgeübt. Der Präsident kam dabei stets von außerhalb – erster

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Zu Kühn siehe oben S. 372, Anm. 133. Walter Goetz an Karl Griewank, 27.10.1946, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. 1946 wurden insgesamt zugewählt: Friedrich Baethgen (Berlin), Ludwig Dehio (Marburg), Martin Grabmann (Eichstätt), Karl Griewank (Jena), Herbert Grundmann (Münster), Fritz Hartung (Berlin), Walther Holtzmann (Bonn), Johannes Kühn (Dresden), Peter Rassow (Köln), Rudolf Stadelmann (Tübingen), Max Spindler (München). Vgl. Die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858-1958, Göttingen 1958, S. 210f.; Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858-1983, München 1984, S. 75f. Karl Griewank an Walter Goetz, 27.11.1946, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. Protokoll der Sitzung, 1./2.9.1947; anwesend: Andreas, Aubin, Baethgen, Dehio, Goetz, Grabmann, Grundmann, Günter, Hartung, Heimpel, Holtzmann, Kühn, Rassow, Ritter, Spindler, Stadelmann, Basler, Thierfelder, Ohnsorge; entschuldigt: Meinecke, Brackmann, Dopsch, Nabholz, Griewank in: BA Koblenz, N 1228, NL Rassow, Nr. 23. Willy Andreas an Karl Griewank, 28.5.1947, in: NL Griewank, Karton 2, Mappe 1. Der Antrag wurde der SMATh vorgelegt und dort abgelehnt, dann nochmals für 14 Tage gestellt und angenommen. Allerdings hatte die Sitzung in München nun bereits stattgefunden; ThHStA Weimar, Land Thüringen MfV 3287, Bl. 61-67.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

Präsident war Ranke gewesen –, der Sekretär aus München. So war es auch beim ersten Nachkriegsgespann Goetz-Spindler. Der Sekretär hatte die Geschäftsführung inne, weshalb seine Anwesenheit vor Ort bei dieser Regelung von Vorteil war. Als Goetz und Spindler im September 1950 ankündigten, daß sie ihre Ämter abzugeben beabsichtigen, bahnte sich eine völlig neue Konstruktion an. Franz Schnabel war für das Amt des Präsidenten im Gespräch. Schnabel selbst wurde erst 1947 zum Mitglied der Kommission gewählt; beide waren also erst nach Griewank Mitglied geworden.189 Mit der dann tatsächlich auch erfolgten Wahl Schnabels setzte die Kommission erneut Zeichen einer Neuorientierung. Schnabel war ein ausgewiesener Gegner des Nationalsozialismus gewesen, 1936 „zwangsentpflichtet“ und später unter Zensur gestellt worden. Er stand mit seinem innovativen, Sozial- und Kulturgeschichte verbindenden Ansatz auch methodisch für eine neue Ausrichtung.190 Ohne Zweifel schuf die Wahl Schnabels zum Präsidenten ein gewisses Gegengewicht zu dem von Ritter geführten Historikerverband. Mit Dieter Hein, der die Kontinuität der konservativen Kräfte innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft kritisch analysiert, kann man in der Sprecherrolle Schnabels die „unübersehbaren Gewichtsverschiebungen [...] innerhalb des Faches“ erkennen.191 Von Schnabel selbst weiß man, daß er mit einem anderen Blick auf seine Kollegen blickte, so hegte er etwa eine große Skepsis gegenüber Willy Andreas wegen dessen Rolle im Dritten Reich.192 Obwohl Griewank ein Schüler Andreas’ war, bezog sich diese Skepsis jedoch nicht auf ihn. Der Jenaer war sogar bald für den Posten des Sekretärs im Gespräch.193 Hatte man mit der Kandidatur Schnabels bereits vor, das bisherige Muster zu durchbrechen und einen Münchener Professor an der Spitze der Kommission zu stellen, so wollte man nun einen Auswärtigen an die Stelle des Sekretärs setzen.194 Ohne Zweifel war Griewank gerade für diese Stelle, die wissenschaftsorganisatorisches Geschick erforderte, sehr geeignet. Diese Konstellation wurde

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Schnabel wurde zudem mit zehn Ja- bei vier Neinstimmen gewählt, erhielt somit nur knapp die satzungsgemäß für jede Wahl eines Mitglieds erforderliche Zweidrittelmehrheit. Baethgen und Heimpel sprachen sich für Schnabel aus. Vgl. Protokoll der Sitzung vom 1./2.9.1947, S. 7, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3 und in BA Koblenz, N 1228 NL Rassow, Nr. 23. Vgl. vor allem HERTFELDER: Schnabel¸ Karl-Egon LÖNNE: Franz Schnabel, in: Hans-Ulrich WEHLER (Hg.): Deutsche Historiker, Bd. 9, Göttingen 1982, S. 81-101; Patrick BAHNERS: Kritik und Erneuerung. Der Historismus bei Franz Schnabel, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 25 (1996), S. 117-153. Dieter HEIN: Geschichtswissenschaft in den Westzonen und der Bundesrepublik 1945-1950, in: Christoph COBET (Hg.): Einführung in die Fragen der Geschichtswissenschaft in Deutschland nach Hitler 1945-1950, Frankfurt (M) 1986, S. 30-40, hier S. 31. Darüber Lothar Gall als Schüler Schnabels, in: HOHLS/JARAUSCH: Versäumte Fragen, S. 303f. Am 6.1.1951 hatte eine Sitzung einer „Reformkommission“ stattgefunden, an der Walter Goetz, Max Spindler, Hermann Aubin (Hamburg), Friedrich Baethgen (München), Hermann Heimpel (Göttingen), Peter Rassow (Köln), Franz Schnabel (München) und als Gäste Fritz Hartung (Berlin) und Gerhard Ritter (Freiburg) teilnahmen. Zunächst wurden die Namen Karl Griewank, Friedrich Maenner, Götz Freiherr von Pölnitz, Johannes Spörl und Otto Graf zu Stolberg-Werningerode als mögliche Sekretäre genannt. Relativ bald konzentrierte sich die Diskussion jedoch auf Griewank. Protokoll in NL Griewank, Karton 6, Mappe 2 und in BA Koblenz, N 1228, NL Rassow, Nr. 23. Zudem war vorgesehen, daß der Sekretär ein Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu sein hatte, was bei Griewank nicht der Fall war. Eine Mitgliedschaft in der Historischen Kommission ist nicht gleichbedeutend mit der Akademiemitgliedschaft. Auf der Sitzung der Reformkommission vom 6.1.1951 wurde deshalb eine Satzungsänderung vorbereitet und mit der Nennung Griewanks verbunden. „In Ausnahmefällen kann von dieser Mitgliedschaft abgesehen werden, sofern sich bei der Abstimmung in der Plenarversammlung eine 2/3 Mehrheit dafür ergibt“, Protokoll in NL Griewank, Karton 6, Mappe 2 und in BA Koblenz, N 1228, NL Rassow, Nr. 23.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

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tatsächlich realisiert.195 Im April 1951 wählte die Historische Kommission einstimmig das Gespann Schnabel-Griewank. Das Protokoll vermerkt jedoch, Griewank habe „die endgültige Annahme an verschiedene Voraussetzungen [ge]knüpft.“196 Dahinter stand die Einsicht, daß eine Stellung als Sekretär nicht leicht von Jena aus auszufüllen war, eine Erkenntnis, die auch innerhalb der Historischen Kommission von Anfang an virulent war. Deshalb plante man ein weiteres Abweichen vom Üblichen und wollte die Stellung als Sekretär zu einer hauptamtlichen Stelle ausgestalten. Pläne, die Finanzierung durch eine Aufstockung der Finanzmittel des Landes Bayern zu lösen, scheiterten jedoch. Die Plenarsitzung der Kommission sprach sich deshalb im Herbst 1951 dafür aus, wegen der überregionalen Bedeutung der Kommission Bundesmittel zu beantragen.197 Man berief sich dem Innenministerium in Bonn gegenüber darauf, daß die Historische Kommission in München die „einzige Institution im Bundesgebiet ist, der die Forschungsarbeit an der gesamtdeutschen Geschichte obliegt, und daß sie daher die Unterstützung durch die Bundesregierung benötigt und verdient“ und erörterte die Pläne einer hauptamtlichen Sekretärsstelle: „Die Kommission glaubt einen solchen Gelehrten gefunden zu haben in dem derzeitigen ordentlichen Professor der Geschichte an der Universität Jena, Dr. Karl Griewank, der als Mitglied der Historischen Kommission, als Forscher und akademischer Lehrer bewährt ist und durch seine ehemalige langjährige Tätigkeit bei der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften den Beweis erbracht hat, daß er eine Verwaltung führen kann und die Gabe der Organisation besitzt. Professor Dr. Karl Griewank wurde einstimmig zum Sekretär der Kommission gewählt und vom bayerischen Unterrichtsministerium bestätigt. Das Gehalt für den neuen Sekretär muß dem eines Ordinarius wenigstens angenähert werden, umsomehr, wenn es zur Zeit nicht möglich ist, ihm die Sicherheiten einer Beamtenstelle zu bieten. Die Frage, ob und wie über die finanziellen Zusicherungen hinaus eine Beamtenstelle für ihn geschaffen werden kann, wird in Zusammenarbeit des Bundesministeriums und des Bayerischen Unterrichtsministeriums weiter erwogen werden müssen, auch wenn sie nicht sogleich gelöst werden kann.“198

Zur Jahreswende 1951/52 erhielt Griewank von Max Spindler die Nachricht, daß das Bundesinnenministerium die beantragte Summe in voller Höhe gewährt habe; „ein ganz persönlicher Erfolg des Herrn Präsidenten, zu dessen Vollkommenheit nur die Mitteilung fehlt, daß der Zuschuß jährlich gegeben wird. Damit werden die Aspekte freundlicher und wird sich sehr bald eine positive Lösung aller unserer Vorhaben finden lassen.“199 Es kam nur eine dauerhafte Lösung in Frage. Das war allen Beteiligten klar, nachdem Griewanks Versuche, durch einen vorübergehenden längeren Aufenthalt in München die Dinge in Gang zu bringen, sich als organisatorisch schwer machbar erwiesen. Für den Beginn des großen neuen Projekts der Kommission, der „Neuen Deutschen Biographie“, beantragte er die Beurlaubung von seiner Jenaer Professur um ein Semester: „Ich würde die mir angetragene Arbeit für diese Kommission, die seit Jahrzehnten angesehenste Forscher der deutschen Geschichtswissenschaft vereinigt hat, gern in der Weise übernehmen, daß ich für einige Monate in meiner Stellung als Professor in Jena beurlaubt werde. Die Tätigkeit würde mir Gelegenheit geben, meine eigene wissenschaftliche Arbeit mit den in München vorhandenen Hilfs-

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Vgl. Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie, S. 205f. Protokoll Sitzung 4./5.4.1951, S. 6, in: BA Koblenz, N 1228, NL Rassow, Nr. 23. Protokoll Sitzung des Ortsausschusses und der Abteilungsleiter der Historischen Kommission, 26.9. 1951, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. Franz Schnabel an Bundesministerium des Innern (Bonn), 9.10.1951, in: ebd. Spindler schickte Griewank am 24.10.1951 einen Durchschlag dieses Schreibens mit dem Kommentar: „Ich bin überzeugt, daß die Eingabe, die mir als sehr gut erscheint, in Bonn Erfolg haben wird.“, ebd. Max Spindler an Karl Griewank, 22.12.51, in: ebd. Griewank quittierte mit dem Vermerk „erh. 5/1 Gr. dankb. beantw. 7/1“.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler mitteln (Archiven und Bibliotheken) wesentlich zu vertiefen und zu fördern, und ich würde auch meine Aufgabe darin sehen, für eine Berücksichtigung aller von mir für notwendig gehaltenen modernen Gesichtspunkte bei den neuen Unternehmungen Sorge zu tragen.“200

Ohne Zweifel wäre gerade die angesprochene Benutzung der Münchener Archive und Bibliotheken für seine zu diesem Zeitpunkt angelaufenen Arbeiten zum neuzeitlichen Revolutionsbegriff von großem Reiz für Griewank gewesen. Für das Staatssekretariat lag hierin eher eine Gefahr denn ein Nutzen. Nachdem er sein Anliegen am 27. Juli 1951 in Berlin vorgebracht hatte, schrieb er am Folgetag nach München, daß „eine Beurlaubung zur Zeit, gerade im Moment der Einführung der bekannten Studienreform, nicht erreichbar“ sei und berichtete von hinhaltenden Aussagen der Behörden: „Mir wurde gesagt, daß eine solche Beurlaubung für wissenschaftl. Arbeiten in Westdeutschland durchaus einmal möglich sein würde, daß sie aber gerade jetzt nicht ausgesprochen werden könne.“201 Der Gedanke, daß sich ein in der DDR lehrender Professor für eine Tätigkeit in der Bundesrepublik beurlauben ließ, erscheint angesichts der späteren Entwicklung der beiden deutschen Staaten geradezu weltfremd naiv, in der Situation der frühen 1950er Jahre war sie jedoch noch nicht völlig undenkbar. Fest steht, daß Griewank unter Hinweis auf die gesamtdeutsche Bedeutung der altehrwürdigen Münchener Historischen Kommission an die Möglichkeit einer solchen Beurlaubung glaubte, um damit seine Tätigkeit als Sekretär in München fundieren und die NDB organisatorisch voranbringen zu können. Diese Lösung blieb jedoch auch nach der Einführung der Studienreform ausgeschlossen. In der Folge bemühte sich die Kommission und namentlich Schnabel um die Dauerhaftigkeit der Bezahlung. Er sprach mehrfach persönlich in Bonn vor und holte sich bei der Bayerischen Staatsregierung Unterstützung ein: „Wenn ich im gegenwärtigen Augenblick diese Angelegenheit als besonders dringlich vorzutragen mir erlaube, so ist es, weil der neue hauptamtliche Sekretär der Kommission Herr Prof. Griewank in Jena, seine dortige ordentliche Professur nicht aufgeben kann, ohne dass seine Bezüge bei uns gesichert sind, und daher seine hiesige Stellung immer noch nicht hat antreten können. Herr Prof. Griewank muß sich aber seiner jetzigen Behörde gegenüber demnächst endgültig entscheiden. Auch ist es dringend nötig, das er seine Tätigkeit in München aufnimmt, damit die Arbeiten der Historischen Kommission nicht ins Stocken geraten.“202

Am 4. März 1953 waren alle Schwierigkeiten geklärt und Franz Schnabel übermittelte in einem feierlich gehaltenen Schreiben die Information, daß die Stelle nunmehr als hauptamtlich eingerichtet sei und die Kommission Griewank „als dem hierfür geeignetsten ihrer Mitglieder diese Stelle anträgt“.203 Griewank erhielt zudem eine kurze Bescheinigung des Bayerischen Staatsministerium für den Unterricht und den Kultus, wonach er „zum hauptamtlichen Sekretär gewählt“ worden sei und es zur Ausübung

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Er stelle es dem Staatssekretariat in Berlin frei, „ob eine Beurlaubung für die Dauer eines Semesters vom 1. September 1951 oder vom 1. Januar 1952 an gewährt werden kann oder noch auf spätere Zeit verschoben“ werden solle; Briefentwurf an das SfH, undat., mit der Bleistiftnotiz „mündlich behandelt in Berlin 27/7. Gr“, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. Karl Griewank an Historische Kommission München (Briefentwurf mit dem Vermerk „z.T. leicht verändert“), 28.7.51, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. Franz Schnabel an Bundesinnenministerium, 26.4.52, in: ebd. Schnabel selbst übersandte Griewank den Durchschlag dieses Schreibens zusammen mit einem herzlich gehaltenen Brief: Schnabel an Griewank, 7.5.52, in: ebd. Franz Schnabel an Karl Griewank, 4.3.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. Der Brief ist im Anhang abgedruckt, siehe Anhang 10.4.1.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

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seiner Tätigkeit nötig sei, „daß er nach München umzieht.“204 Eine solche Bestätigung, die gereicht hätte, um an einer bundesrepublikanischen Universität die notwendigen Formalia zu erledigen, war freilich für die DDR wenig wert. Griewank war dennoch zu diesem Zeitpunkt fest entschlossen, die Position in München anzunehmen. Es ging ihm jedoch darum, seinen Umzug so zu organisieren, daß er seine Bücher und Arbeitsmaterialien mitnehmen konnte. Er wollte auf jeden Fall legal die DDR verlassen. In einem Gespräch mit Gerhard Harig205 am 17. März und Paul Wandel206 am 6. Mai 1953 unterrichtete er beide von dem Angebot aus München: „Ich darf hiernach sagen, daß sich mir in München eine Tätigkeit eröffnen würde, die eines deutschen Gelehrten in der gegenwärtigen Situation wohl würdig wäre, wenn sie mit ehrlicher gesamtdeutscher Zielsetzung und in guter Zusammenarbeit mit den Gelehrten und Behörden der DDR ausgeübt wird. Voraussetzung hierzu wäre freilich auch, daß die Übersiedlung unter den Bedingungen einer einigermaßen normalen akademischen Freizügigkeit unter Mitnahme des unentbehrlichen Hausrats und Arbeitsmaterials (Manuskripte und Bücher) erfolgen könnte.“207

Genau dies wurde ihm jedoch nicht gewährt. Wandel machte ihm unmißverständlich klar, daß er keinen Paß bekommen werde und somit ein gutes Einvernehmen nicht möglich sei.208 Harig hatte ihm im März 1953 noch durchaus Hoffnungen gemacht und betont, daß er seine Unterstützung für einen reibungslosen Umzug „unter Vorbehalt zusagen konnte“ und „die Umsiedlung mit beschränkter Habe nicht für ausgeschlossen“ halte.209 Daraufhin hatte Griewank an Schnabel geschrieben, er habe „gewisse Hoffnungen auf eine zuträgliche Lösung“, nachdem er mit „der wichtigsten der zuständigen Stellen schon wegen der Angelegenheit in Verbindung getreten“ sei.210 Bald mußte er jedoch sehen, daß er sich auf die unverbindliche Zusage des Staatssekretärs nicht verlassen konnte. In Berlin hinterließ Griewank zu diesem Zeitpunkt den „Eindruck, daß er sich schon für diese Funktion entschieden habe“ und man agitierte ihn, „daß dieser Schritt von der Öffentlichkeit als politischer Schritt gewertet werden würde“.211 Es muß bei der Beurteilung dieser Verhandlungen Griewanks stets berücksichtigt werden, daß sich zu diesem Zeitpunkt sowohl sein Schüler Otfried Horn als auch sein DLZ-Mitherausgeber Kurt Aland in Haft befanden, eine Tatsache, die Griewank einerseits die Rechtlosigkeit des System erkennen und ein Verbleiben in der DDR nicht attraktiv erschienen ließ. Andererseits ist die Sorge um die beiden Inhaftierten, auch wenn sie in dem Zusammenhang nicht überliefert wurde, zu beachten. Würde er die

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Bestätigung des Bayerischen Staatsministerium für den Unterricht und den Kultus, ausgestellt 24.1.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. Gedächtnisprotokoll „Besprechung mit Staatssekr. Prof. Harig am 17. III. 1953“ (hdschr.), in: NL Griewank, Karton 6, Bayerische Akademie, Mappe 3 „letzte Notizen“. Das Dokument ist im Anhang abgedruckt, siehe unten 10.4.2. Zu Gerhard Harig vgl. MÜLLER-ENBERGS [u.a.] (Hg.): Wer war wer, S. 314. Gedächtnisprotokoll „Gespräch mit Herrn Minister Wandel am 6.V. 1953“ (hdschr.), in: NL Griewank, Karton 6, Bayerische Akademie, Mappe 3 „letzte Notizen“. Das Dokument ist im Anhang abgedruckt, siehe unten 10.4.3. Paul Wandel war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Minister für Volksbildung, sondern Leiter der Koordinierungsstelle für Kultur und Volkbildung. Vgl. HERBST/RANKE/WINKLER: So funktionierte die DDR, Bd. 3, S. 35-44. Karl Griewank an Paul Wandel, 29.5.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. In diesem Brief faßte er noch einmal seine Beweggründe zusammen. Das Dokument ist im Anhang abgedruckt, siehe unten 10.4.4. Gedächtnisprotokoll, Gespräch mit Paul Wandel, 6.5.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. Siehe Anhang 10.4.3. Gedächtnisprotokoll, Gespräch mit Gerhard Harig, 17.3.1953, in: ebd. Siehe Anhang 10.4.2. Karl Griewank an Franz Schnabel, 21.3.1953, in: ebd. Vertrauliche Aktennotiz Königer, 22.4.1953, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1599, Bl. 99.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

DDR „illegal“ verlassen, wäre sein Leumundszeugnis wertlos und könnte sich dies gegen die Verhafteten wenden. Tatsache bleibt, daß Griewank auch nach der Freilassung Alands am 12. Mai und Horns am 3. Juni an dem Verbleib in Jena festhielt.212 Es ist bezeichnend für die Wechselhaftigkeit und Undurchschaubarkeit der Hochschulpolitik in der DDR auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft, daß – obwohl Griewank ja bereits als unzuverlässig eingestuft wurde, in Jena bereits vom „Loswerden“, von „Eingrenzen“ gesprochen wurde und obwohl man ihm zunächst Entgegenkommen signalisierte – die Entscheidung letztlich gegen eine reibungslose Übersiedlung fiel. Auch für Karl Griewank erschien es nach all den Konflikten durchaus naheliegend, daß sein Weggang vielleicht sogar im Interesse der DDR-Offiziellen liegen könnte. Im Gespräch mit Harig sprach er die „Änderungen durch Schwerpunktbildung usw.“ an und fragte: „Vielleicht würden unsere Absichten sich bei diesen Anlässen entgegenkommen?“ Harig betonte ebenso wie später Wandel, daß man großen Wert auf ihn lege. „Auf meine Frage, ob man mich als einen Historiker mit gewissen feststehenden nichtmarxistischen Überzeugungen dauernd werde brauchen können, da doch auf verstärkte Durchsetzung der marxistischen Gedanken gerade in der Geschichte bestanden werde, stellte er für sich und seine Seite entschieden in Abrede, daß die Verwendung von Professoren nur auf Zeit gedacht sei“.213

Griewank muß sich als ‚bürgerliches Auslaufmodell’ empfunden haben und sah sich nun in der Situation, daß diese Lagebeurteilung offiziell nicht zugegeben wurde. Offensichtlich war man nun, da Griewank ein Angebot aus dem Westen erhalten hatte, daran interessiert, ihn zu halten. Griewanks Versicherungen, er werde die DDR auch nach seiner Übersiedlung in den Westen positiv beurteilen – „Ich betonte, daß ich in jedem Falle mit der DDR gut Freund sein wolle und nicht beabsichtige, meine Überzeugungen preiszugeben“214 – nutzten nichts. Wandel behauptete, daß die Schwierigkeiten, die er mit den Stellen vor Ort und den marxistisch-leninistischen Studierenden habe, nicht im Sinne der SED seien. „Wenn vielleicht an der Universität mein Stand schwierig werden könnte, so werde durchaus die Möglichkeit bestehen, das Schwergewicht meiner Arbeit auf die Akademie zu verlegen.“215 Auch wurden ihm von Harig und Wandel konkrete Verbesserungen seiner Lage versprochen. Griewank entschied sich daraufhin, zunächst in Jena zu bleiben. Er verlangte jedoch Zugeständnisse. An den Formulierungen des Briefes, mit dem er seine Entscheidung bekanntgab und der auf den 29. Mai 1953 datiert ist, hat er, wie seine Notizen im Nachlaß belegen, sehr gerungen. Es war ihm wichtig, noch einmal festzustellen, was für die Übernahme der Stelle in München gesprochen hätte. Unter anderem führte er aus, daß „die Arbeit an einer Universität der DDR auf dem Gebiete der neueren Geschichte für einen nicht grundsätzlich marxistisch eingestellten Historiker trotz des dankenswerten Verständnisses, das den Professoren amtlicherseits bewiesen wird, zunehmend Missverständnissen und Schwierigkeiten ausgesetzt sein wird, und ich meinerseits weder Neigung noch Interesse daran habe, solche Schwierigkeiten zu vermehren.“216

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Siehe die Kapitel 5.1.3. und 5.5.4. Gedächtnisprotokoll, Gespräch mit Paul Wandel, 6.5.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. Siehe Anhang 10.4.3. Gedächtnisprotokoll, Gespräch mit Gerhard Harig, 17.3.1953, in: ebd. Siehe Anhang 10.4.2. Gedächtnisprotokoll, Gespräch mit Paul Wandel, 6.5.1953, in: ebd. Siehe Anhang 10.4.3. Karl Griewank an Paul Wandel, 29.5.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. Siehe Anhang 10.4.4.

7.2. Karl Griewank und Westdeutschland

385

Zudem betonte er, daß die „wissenschaftliche Verbindung mit der Außenwelt, insbesondere der Welt außerhalb der Sowjetunion und der Volksdemokratien und zumal mit der z.T. bedeutenden Arbeit unserer zahlreichen Kollegen in Westdeutschland [...] leider zunehmenden Behinderungen ausgesetzt zu sein scheint, solange das Schwergewicht meiner Arbeit an der hiesigen Universität liegt.“ Er konkretisierte seine Wünsche in drei Forderungen: „1. Erweiterte Forschungsmöglichkeiten und eine ausgedehntere Bücherbeschaffung, für die eine engere Verbindung zur Akademie der Wissenschaften nützlich wäre. 2. Erleichterung der wissenschaftlichen Beziehungen ausserhalb der DDR und Ermöglichung der notwendigen Reisen nach Westdeutschland und ins Ausland, zu wissenschaftlichen Arbeitsaufenthalten und Kongressbesuchen. 3. Unterstützung beim Druck meiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen und bei der Überwindung der Hindernisse, durch die leider schon manchen Gelehrten die Publikation ihrer Arbeiten erschwert worden ist.“

In allen Punkten signalisierte man ihm Entgegenkommen. Es wurde bereits im Zusammenhang mit dem Freitod der Gedankengang weiterverfolgt, ob Griewank hier eine Chance vertan haben könnte und in der weiteren Entwicklung des Jahres, auch nach dem 17. Juni, darüber haderte. Das war definitiv nicht der Fall. Kurz vor seinem Tod besuchte er die Sitzung der Historischen Kommission, auf der vor allem Schnabel und Spindler sich noch einmal für ihn aussprachen und ihm die hauptamtliche Stelle in München noch ein weiteres Jahr offen halten wollten.217 Griewank schien trotz der ungünstigen Kommunikationsbedingungen und der relativ kurzen Zeit, die er bei seinen Reisen jeweils in München zubringen konnte, seine Aufgaben als Sekretär zur allgemeinen Zufriedenheit ausgeführt zu haben, konnte allerdings seine Vorstellungen einer gesamtdeutschen Kooperation im Klima des Kalten Krieges nicht umsetzen. So scheiterten etwa seine Vermittlungsbemühungen im Streit zwischen der Thüringischen218 mit der Bayerischen Historischen Kommission um die Fortsetzung des in der NS-Zeit begonnenen Editionsprojekts „Politischer Briefwechsel des Herzogs und Großherzogs Carl August von Weimar“219, der namentlich zwischen dem Weimarer Archivleiter Willy Flach und dem Herausgeber Willy Andreas ausbrach.220 Auch gelang es nicht, das Projekt der Reichstagsakten unter Einbeziehung der ostdeutschen Archive zu organisieren. Die dafür vorgesehene Bearbeiterin Irmgard Höß

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Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 2.10.1953, in: PrA Griewank. Den Inhalt dieses Briefes bestätigt auch Arnold Fratzscher an Karl Pagel, 14.12.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811, unpag. Siehe dazu oben S. 19, Anm. 44. Siehe mit einem längeren Zitat auch unten S. 397 mit Anm. 300. Die Historische Kommission für Thüringen existierte de facto nach der Auflösung der Länder in der DDR nicht mehr. In dem Streit ging es um die Rechtsnachfolge. Willy ANDREAS (Hg.): Politischer Briefwechsel des Herzogs und Großherzogs Carl August von Weimar, Bd.1: Von den Anfängen der Regierung bis zum Ende des Fürstenbundes 1778-1790 bearbeitet von Hans TÜMMLER, Stuttgart 1954. Im Vorwort (S. XV) wird Karl Griewank gedacht: „Durch Karl Griewanks allzufrühen Tod hat auch unsere Edition einen schweren Verlust erlitten und einen sachkundigen, fördernden Freund verloren.“ Es würde zu weit führen, diesen Konflikt, der auch die Berliner Akademie beschäftigte, hier näher auszuführen. Im Ergebnis kam es zu der Veröffentlichung im Westen unter der Regie der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Es wurde jetzt von W. Daniel Wilson herausgearbeitet, daß so nationalsozialistische Absolutismuskonzepte und „Tabuzonen um Goethe und seinen Herzog“ tradiert werden konnten. Vgl. WILSON: Tabuzonen. Siehe oben S. 65, Anm. 136.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

aus Jena konnte den Auftrag nicht annehmen, da ihr die nötigen Reisen in Ostberlin nicht gestattet wurden. Zur Begründung hieß es, daß „in unserer Republik auch auf dem Gebiet der mittelalterlichen Geschichte andere Aufgaben zu lösen sind.“221 So wurde für Griewank immer deutlicher, daß die Idee einer gesamtdeutschen Wissenschaft zunehmend unrealistischer und die Propaganda der DDR, die ja immer noch die deutsche Einheit als ihr staatliches Ziel betrachtete, immer unglaubwürdiger wurde. Dennoch bekam die Tätigkeit bei der Münchener Historischen Kommission für Griewank selbst als regelmäßige Austauschmöglichkeit mit den bundesdeutschen Kollegen eine wichtige Funktion. Der Weg nach München stand ihm offen. Auch wenn die Sekretärstelle, die er „eines deutschen Gelehrten in der gegenwärtigen Situation wohl würdig“222 bezeichnete, eine im Vergleich zu einem Ordinariat ungewisse Position war, so hätten sich ihm von der Stelle als Sekretär in München aus in der expandierenden bundesdeutschen Wissenschaftslandschaft bald weitere Chancen eröffnet, die er freilich noch nicht antizipieren konnte. Seine Lehrtätigkeit und vor allem die Betreuung seiner Schüler wollte er jedoch nicht aufgeben. 7.3. ZWISCHEN OST UND WEST 7.3.1. „Man will dort offenbar politisch konservative Leute“ – Keine Berufung in den Westen In der Literatur über Griewank ist verschiedentlich davon die Rede, er habe mehrfach das Angebot abgelehnt, eine Berufung in den Westen anzunehmen.223 Dieses Bild läßt sich bei genauerer Untersuchung nicht bestätigen, oftmals ist wohl das Angebot der Historischen Kommission in München gemeint.224 Wie sah es nun mit den realen Aussichten Griewanks auf eine Berufung aus? Zunächst gilt es festzustellen, daß an Griewank bei den einschlägigen Berufungsverfahren selten gedacht wurde. Wenn über ihn als möglichen Kandidaten diskutiert wurde, so verwies man auf seine geringe Produktivität und wußte nichts über seine Lehrtätigkeit zu sagen. Zudem hatte Griewank mit Willy Andreas den „falschen“ Mentor, denn Andreas’ Stern war gesunken. Seine Befürwortung rückte Griewank, wie am Beispiel der Kieler Berufung 1953 (Nachfolge Otto Becker) deutlich gemacht werden kann, sogar in ein restaurativ-konservatives Licht. Nur einmal wurde Griewank – und zudem auf dem ersten Platz – auf einer Berufungsliste genannt und zwar 1949 für die neuzeitliche Geschichtsprofessur an der TU Berlin. Griewank schrieb verschiedentlich von der „Professur an der (West-)Berliner Technischen Universität, für die ich an erster Stelle vorgeschlagen war, infolge der

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Aktennotiz zum Antrag Irmgard Höß, 23.10.1952, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1598, Bl. 250. Vgl. zu dem gesamten Vorgang ebd., Bl. 247-250 und Max Spindler an Karl Griewank, 12.2.1952, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. Karl Griewank an Paul Wandel, 29.5.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. ZUMSCHLINGE: Geschichte der Historiographie der DDR, S. 318. Sie bezieht sich auf NOACK: Griewank, S. 85, der freilich nur davon spricht, daß Griewank „Fühlung“ nach München aufgenommen habe. In den Akten des SfH werden die Münchener Pläne wie eine Berufung angesehen: „Wegen seiner Pläne nach Westdeutschland zu gehen befragt, erklärte Prof. Griewank, dass er einen Ruf (nach München) noch nicht erhalten habe“, Aktennotiz Gemerski (SfH), 12.10.1951, in: BA Berlin, DR3/1.Schicht/1598, Bl. 244.

7.3. Zwischen Ost und West

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politischen Vetternwirtschaft im West-Berliner Magistrat aber nicht berufen wurde.“225 Willy Andreas gegenüber erwähnt er, daß daran „politische Verbindungen des Westberliner Magistrats zu dem Journalisten Hermann“226 Schuld gewesen seien. Alfred Hermann (1879-1960), für die DDP 1919 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, wurde in der Tat 1949 mit dem Lehrstuhl für „Neuere Geschichte und Politik“ betraut.227 Dieses Berufungsverfahren, das nach der Berlin-Blockade in dem Moment der Umstellung der Zuständigkeiten und der Einrichtung West-Berliner Behörden stattfand, bleibt in seinen Hintergründen rätselhaft. Es existieren hierzu keinerlei Unterlagen mehr.228 Nicht nur die Argumentationen für oder gegen Griewank, sondern der Kontext eines solchen Verfahrens in dieser spannungsreichen Zeit des Kalten Krieges wären sehr von Interesse. Abgesehen von diesem dubiosen Verfahren tauchte Griewank nicht mehr auf Berufungslisten auf, auch nicht bei der Nachfolge des 1949 verstorbenen Rudolf Stadelmann in Tübingen. Das Gerücht, daß er dort zum Zuge kommen könnte, hielt sich allerdings zäh. Dies ist auch deshalb nicht abwegig, da Griewank auf dem Münchener Historikertag für den verstorbenen Stadelmann kurzfristig das Referat über die Revolution 1848 gehalten hatte, mithin Stadelmanns Themen fortführte. Zum anderen lehrte der Emeritus Willy Andreas als Vakanzvertretung in Tübingen, der sich dann auch für Griewank eingesetzt hatte. Sein akademischer Lehrer, der sich mit dieser Vertretungsprofessur rehabilitiert fühlen mußte, versicherte Griewank, „daß ich ihre Interessen im Auge behalte, und, wo ich kann, für Sie wirken werde. In Tübingen es getan zu haben, wenn auch mit negativem Erfolg, hat mich im Wintersemester viel Zeit und Kraft gekostet.“229 Andreas hatte sich also in Tübingen für seinen Schüler stark gemacht. Welche Gründe sprachen nun aber gegen Griewank? Der Wert seines Buches zum Wiener Kongreß wurde offensichtlich nicht sonderlich hoch veranschlagt. Aus einem Brief Griewanks an Andreas ist zu erkennen, daß dabei wohl eine Besprechung des Konservativen Adalbert Wahl zitiert wurde, die zwar freundlich war, aber das Buch als eher gewöhnliche Leistung darstellte.230 Ähnlich sprach man über Griewanks Vortrag auf dem Historikertag über die Revolution 1848. Er habe hier nichts Neues gebracht, sei nicht sonderlich gedankenreich und originell. Diesen Bericht leitete Andreas an Griewank weiter, der sich enttäuscht zeigte und betonte, daß Friedrich Meinecke „mit seinem anerkannt strengen und unbestechlichen Urteil“ sein Buch zum Wiener Kongreß als „eines der grundlegendsten Werke für das Verständnis der Probleme des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet habe und daß die HZ die gedruckte Fassung seines Münchener Vortrages publizieren wolle.231

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Karl Griewank an Otto Becker, 13.12.1947, in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 37, unpag. Karl Griewank an Willy Andreas, 30.10.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. WEBER: Biographisches Lexikon, S. 232f. „Nach alter Vereinbarung“ gingen und gehen, wie mir Gerhard von Knobelsdorff vom Hochschularchiv der TU Berlin mitteilte, Personal- und Berufungsakten der TU Berlin an das Landesarchiv Berlin; Information Hochschularchiv TU Berlin, 18.10.2002. Im Landesarchiv Berlin ist eine Akte Hermann jedoch nicht mehr vorhanden, weder eine von TU überlieferte, noch in der Parallelüberlieferung des Magistrats. Ich danke Herrn Klaus-Dieter Pett vom Landesarchiv Berlin, der mir trotz seiner intensiven Bemühungen mitteilen mußte „dass die Berufungsakte Griewank/Herrmann entweder verschollen in einem Aktenkeller liegt oder vernichtet ist.“ Information Landesarchiv Berlin, 3.12.2003. Willy Andreas an Karl Griewank, 17.8.1950, in: NL Griewank, Karton 4, unpag. Adalbert WAHL: Rez. Griewank: Wiener Kongreß, in: DLZ 65 (1944), Sp. 237-240. Karl Griewank an Willy Andreas, 29.4.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

Es ist bezeichnend, wenn das Lob vom unabhängigen Altvater Meinecke oder vom HZ-Herausgeber Ludwig Dehio232 kam. Dehio war einer der wenigen Historiker, die nach 1945 neu in die konservative Zunft hineinstießen, und trat für eine kritische Neubesinnung der deutschen Geschichtswissenschaft ein. Griewanks Ringen um das Wesen der Revolution und die Bedeutung der politischen Kultur wurden nicht überall wahrgenommen. Seine Vermutung war offenbar, daß in Tübingen Forschungspläne einer neuen Reflexion des Revolutionsphänomens auf besonderes Interesse stoßen konnten. Nicht nur weil der „in erschütternder Plötzlichkeit verstorbene Stadelmann [...] in dieser Richtung ja auch wertvolle Impulse gegeben“233 habe und er somit diese Tradition fortsetzen könnte, sondern weil er gerade durch seine Erfahrungen mit der marxistisch-leninistischen Geschichtsdeutung einen geschärften Blick auf die Revolutionsproblematik erarbeitet hatte: „Ein Historiker, der in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem leninistischen Marxismus um die geistige wie die soziale Seite der Geschichte bemüht ist – ohne deswegen Philosoph oder Soziologe werden zu wollen – hätte doch wohl auch an einer westdeutschen Universität gerade jetzt seine Aufgaben zu finden.“234

Das war eine Fehleinschätzung der westdeutschen Geschichtswissenschaft. Eine Auseinandersetzung mit marxistischen Positionen fand dort so gut wie nicht statt, sie galten vielfach „von vornherein als indiskutabel“, wie Franz Worschech konstatiert.235 Jedenfalls konnten weder der von Griewank selbst agitierte Spranger noch einer der befragten Gutachter in den Erfahrungen Griewank mit dem Marxismus einen Wert erkennen. Peter Rassow nannte Griewank immerhin als einen von sechs Kandidaten der „mittleren Generation“, nach der er gefragt wurde.236 Sein Urteil fällt jedoch fachlich nicht sonderlich positiv aus: „Griewank, den ich seit langen Jahren aus seiner verdienstvollen Tätigkeit bei der Notgemeinschaft her kenne, ist ein sehr sympathischer Charakter (geb. 1900). Er ist ein Mecklenburger. Sein wissenschaftliches Werk, das gedruckt vorliegt, ist nicht sehr vielfältig [mit handschriftlichen Einschub am Rand: „auch nicht ergiebig“], und ich zweifele, ob er sich noch sehr breit auslegen wird. Sehr für ihn spricht die aufrechte Haltung, die er in den extrem schwierigen Verhältnissen in Jena einnimmt.“237

Rassows Absicht wird im folgenden völlig deutlich. Er protegierte den von ihm selbst habilitierten Karl-Dietrich Erdmann, dem er nicht nur „eine wirklich grosse wissenschaftliche Leistung“ und eine glänzende Dozententätigkeit attestierte, sondern „als Nazi-Gegner“ besonders hervorhob. So sei dieser aus dem Schulamt entfernt worden. Als Soldat habe er es zwar „zum Oberstleutnant und Regimentskommandeur [!] gebracht“, sei jedoch „noch zuletzt als unzuverlässig im politischen Sinne gemaßregelt

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Ludwig Dehio (1888-1963) wurde im Nationalsozialismus als sogenannter „Vierteljude“ diskriminiert und hatte Publikationsverbot. Er war zwar von Hause aus Archivar, erlebte nach 1945 dennoch eine erstaunliche Karriere und wurde u.a. Herausgeber der HZ. Obwohl methodisch der traditionellen Polithistorie verpflichtet, blieb er innerhalb der Deutschen Geschichtswissenschaft aufgrund seiner kritischen Grundeinstellung zur Geschichte der deutschen Außenpolitik ein Außenseiter. Vgl. BECKERS: Abkehr von Preußen, insbes. S. 42-51. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, NL Spranger, Nr. 179, unpag. Siehe Anhang 10.3.1. Ebd. WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft, S. 19. Vgl. auch ebd., S. 62-65. Peter Rassow an Josef Vogt, 29.9.1949, in: BA Koblenz, N 1228, NL Rassow, Nr. 115, unpag. Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Elke Zimmermann (Dresden). Ebd.

7.3. Zwischen Ost und West

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worden“238 – Erdmanns Bild als Gegner des NS ist ja erst vor kurzer Zeit nachhaltig erschüttert worden.239 Gar keine Überlegungen über Griewank stellte der ebenfalls als Gutachter befragte Fritz Hartung an, der den Jenenser überhaupt nicht mehr erwähnt und zudem noch betont, er wolle diejenigen gar nicht nennen, die er nicht empfehlen könne. Hartung nannte an erster Stelle Carl Hinrichs, der in Halle „als Pg. nicht wieder zum Lehramt zugelassen“ worden sei und den er als Spezialist für Außenpolitik, Heerwesen, preußisches Finanzwesen und Pietismus empfahl. Hinrichs wurde schon in der NaziZeit von diesem stets hoch gehandelt und in Halle und Jena bereits Griewank vorgezogen. An zweiter Stelle nannte Hartung Fritz Valjavec, „vermutlich Pg., zur Zeit ohne Amt“, an dritter Stelle Hans Herzfeld, den nach „1933 sein jüdisches Blut [!] aus[geschlossen]“ habe.240 Ferner nennt er nur noch Hans Haussherr (Halle) und Wilhelm Treue (Göttingen), zwei seiner eigenen Schüler. Fritz Hartung ist nun schon verschiedentlich mit negativen Äußerungen über Griewank genannt worden.241 Man kann konstatieren, daß Griewank von Hartung zu keinem Zeitpunkt eine Förderung erhielt. Dabei geriet der fast 20 Jahre ältere Hartung immer wieder in die Situation, Griewank gutachterlich zu beurteilen. Und auch wenn Hartung Griewank für eine Tätigkeit vorschlug, wie etwa zum Ausschuß des Historikerverbandes, so geschah dies stets mit der negativ konnotierten Bemerkungen. So erwähnte er den Jenaer Kollegen als möglichen Bearbeiter für die Neuausgabe des GebhardtHandbuches, nicht ohne Herbert Grundmann gegenüber einzuschränken, man könne von Griewank „nichts Überraschendes oder Geistreiches [erwarten], aber alles solide, klar, zuverlässig“.242 Griewank übernahm dann auch die Aufgabe, das frühe 19. Jahrhundert im Gebhardt-Handbuch zu schreiben, mußte aber seinerseits die undankbare Handbucharbeit wegen Arbeitsüberlastung abgeben. Das negative Bild Hartungs von seinem jüngeren Kollegen zog sich durch bis hin zu dem Nekrolog, den er auf Griewank verfaßte und in dem er formulierte: „Alle seine Arbeiten sind Abbildungen seines Wesens. Sie halten sich frei von allem Blendendem und Geistreichelndem, sie wirken durch sichere Beherrschung des Stoffes, durch gewissenhafte und methodisch strenge Durchführung und Klarheit seines Aufbaus.“243 Das klingt zwar positiv, bleibt aber ambivalent (Was heißt „geistreichelnd“?) und blaß angesichts der warmherzigen Würdigung durch Hermann Heimpel.244 Hartungs Haltung hatte keine erkennbaren persönlichen oder prinzipiellen Gründe. Er kannte Griewank als subalternen Mitarbeiter der DFG, hatte seinen Habilitationsvortrag gehört und sich so wohl früh eine wissenschaftliche Meinung von dem jungen Kollegen gebildet. Ganz offensichtlich lagen dem politisch und wissenschaftlich konservativen Verfassungshistoriker Hartung Griewanks Ansätze und Positionen nicht.

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Ebd. Vgl. Martin KRÖGER/Roland THIMME: Die Geschichtsbilder des Historikers Karl Dietrich Erdmann. Vom Dritten Reich zur Bundesrepublik, München 1996; Martin KRÖGER: Der Historiker als Mitläufer: Karl Dietrich Erdmann im Dritten Reich, in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte 41 (1997), S. 95-110; DERS./Roland THIMME: Karl Dietrich Erdmann: Utopien und Realitäten. Die Kontroverse, in: ZfG 46 (1998), S. 603-621. Fritz Hartung an Eduard Spranger, 28.10.1949, SBPK, HA, NL Hartung, Karton 59, Mappe 31. Zu Hartungs Griewank-Bild siehe oben S. 137 und 331. Fritz Hartung an Herbert Grundmann, 18.1.1950, in: SBPK Berlin, NL Hartung, Karton 37, Mappe 1. Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Jan Eckel (Freiburg). Fritz HARTUNG: Karl Griewank zum Gedächtnis, in: Wissenschaftliche Annalen 3 (1954), S. 185f. HEIMPEL: Nachwort.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

Daß er nun bei der Tübinger Berufung wieder auf Carl Hinrichs verfiel, den er bereits vor 1945 stets empfohlen hatte und eine insgesamt konservative Liste abgab – mit dem Vorschlag NSDAP-Mitglieder wieder zu „integrieren“ – war kein Zufall und kein Einzelfall. Vielmehr kann man in den Berufungsverfahren von einer Phase der verstärkten Integration „dienstentlassener“ Nationalsozialisten in Westdeutschland ebenso sprechen wie von einer konservativen Restauration der bundesrepublikanischen Geschichtslandschaft insgesamt. Karl Griewank selbst sah diesen Punkt ganz klar, indem er das, was er aus Tübingen gehört hatte, mit dem in der Überschrift zitierten Kommentar bedachte: „Man will dort offenbar politisch konservative Leute und dazu möglichst viele ehem[alige] Nazis wieder hineinbringen. Eine merkwürdige Situation, wo hier gleichzeitig der Begriff des ‚Reaktionären’ immer weiter nach links ausgedehnt wird!“245 Carl Hinrichs wurde nicht nach Tübingen berufen, sondern 1951 an die Freie Universität Berlin auf einen Lehrstuhl, der heute wegen seiner spezialisierten Dennomination als der erste Lehrstuhl für „Frühe Neuzeit“ gilt.246 Es wurde damit eine persönlich auf ihn zugeschnittene Lösung gefunden. In Tübingen fand man bekanntlich eine ganz andere Lösung. Obwohl anfangs explizit nach Kandidaten im mittleren Alter gesucht wurde, ermöglichte man dann mit der Berufung des älteren Hans Rothfels einem Emigranten die Rückkehr nach Deutschland, der für die Weiterentwicklung der bundesdeutschen Geschichtsschreibung eine wichtige Rollen spielen sollte.247 Rothfels hatte durch sein Auftreten in der Nachkriegszeit signalisiert, daß er keineswegs den nationalen Grundkonsens der Zunft stören und auch keine unangenehmen Fragen nach der NS-Zeit stellen würde. Als ein anderer Emigrant an führender Stelle für eine Berufung genannt wurde, war man sich dessen nicht so sicher. Beim Berufungsverfahren in Kiel zur Nachfolge Otto Beckers wurde Golo Mann248 als Kandidat stark befürwortet und von der Fakultät (vor Erdmann und Conze) auf den ersten Listenplatz gesetzt.249 Damit stieß man auf vehemente Kritik des angehenden Emeritus Otto Becker. Zwar könnte man aus heutiger Sicht meinen, daß Golo Mann mit seiner grundsätzlich konservativen Haltung, die er in seiner Gentz-Biographie250 auch zeigte, dem politisch ebenso eingestellten Historiker nicht mißfallen könnte. Zunächst einmal war Mann jedoch ein Emigrant, der unangenehme Fragen stellen konnte. Sein „Gentz“ war zudem für manchen nicht konservativ genug dargestellt, vor allem nicht deutsch genug. Als promovierter Philosoph ohnehin

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Karl Griewank an Willy Andreas, 29.4.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Vgl. Michael MAURER: Frühe Neuzeit (16.-18. Jahrhundert), in: DERS. (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 1: Epochen, Stuttgart 2005, S. 200-310, hier S. 211. Zu Hans Rothfels vgl. jetzt ECKEL: Hans Rothfels, zur Berufung vor allem S. 234-236. Vgl. FUHRMANN, Horst: Golo Mann, der „historisierende Schriftsteller“, in: DERS.: Biographische Begegnungen, zusammengestellt und eingerichtet von Markus WENDE, München 1996, S. 124-131; Jeoren KOCH: Golo Mann und die deutsche Geschichte. Eine intellektuelle Biographie, Paderborn [u.a.] 1998; Urs BITTERLI: Golo Mann. Instanz und Außenseiter. Eine Biographie, Berlin 2004. Begründet wurde dieser Vorschlag, der vor allem von verschiedenen Philologen und dem Althistoriker Alfred Heuß unterstützt wurde, mit der Fähigkeit Manns „nicht nur rezeptiv, sondern denkend mit der Geschichte“ umzugehen und in der „Souveränität und Haltung wie in der Intensität des Fragen und Überlegens.“ Zudem versuche man in der Berufung Manns einen Historiker zu gewinnen, der sich in den internationalen Debatten auskenne und „mit den amerikanischen Verhältnissen in Vergangenheit und Gegenwart“ vertraut sei. Man stützte sich auch auf einen Besuch Golo Manns, bei dem die Fakultät sich von Reife und „Ausgeglichenheit seiner Persönlichkeit“ habe überzeugen können. Vgl. Abschrift der Laudatio in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 67. Golo MANN: Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes, Zürich/Wien 1947.

7.3. Zwischen Ost und West

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nicht mit genügend „Stallgeruch“ der „Historikerzunft“ ausgestattet, war der Außenseiter Golo Mann nun der nationalistisch begründeten Ablehnung eines Emigranten ausgesetzt. Aufhänger wurde die europäische Perspektive der Gentz-Biographie. Otto Becker empörte sich Willy Andreas gegenüber: „Er sagt, Heine und Gentz hätten das Unglück gehabt, zur deutschen Nation zu gehören. Ist es mit unserer Würde vereinbar, einen Mann von Californien nach Kiel zu berufen, der es als Unglück em[pf]indet, Deutscher zu sein?“251 Otto Becker schaltete nun den Emeritus Otto Scheel ein, der sogleich zustimmte, ohne bisher etwas von Golo Mann gelesen zu haben!252 Aber, so Scheel, sein Schüler Alexander Scharff wolle ihn bald mit Material versorgen, so daß er ein Sondervotum gleich an das Ministerium schicken könne. Willy Andreas, Scheel und Becker versandten nun gegenseitig regelrechte Mängellisten zum Gentz-Buch. In der Fakultät hatten sie mit Alexander Scharff ihren Fürsprecher, der sich mit seinem Buch aus dem „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ in der NS-Zeit an seiner Heimatuniversität Kiel habilitiert hatte und dort auch trotz seiner zuvor deutlich profaschistischen Schriften nach 1945 bleiben konnte.253 In diesem Zusammenhang wurden jetzt jeweils die eigenen Schüler ins Spiel gebracht. Otto Becker protegierte Martin Göhring und Willy Andreas nannte nun den Namen Karl Griewank. Martin Göhring hatte nach seiner Kieler Habilitation 1939 mit Hilfe von Alfred Rosenbergs Amt eine Dozentur in Halle254 erhalten, war als Frankreichhistoriker 1942 zum Professor in Straßburg ernannt worden und stand nun auf der „Unterbringungsliste der Bundesausgleichstelle“, auf der die Professoren der nicht mehr deutschen Universitäten sowie die als NS-belasteten Hochschullehrer geführt wurden, für deren bevorzugte Berufung sich die westdeutsche Rektorenkonferenz255 aussprach. Göhring wurde später Gründungsdirektor des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, zum Zeitpunkt der Kieler Berufung stand er jedoch ohne Anstellung dar.256 Wie Göhring von Becker wurde nun von Andreas also auch Griewank im Kontext der nationalistisch-konservativen Aktivität gegen Golo Mann ins Spiel gebracht. Ungeniert behauptete Andreas, Griewank sei „in Tübingen [...] nur deshalb nicht auf die Liste [gekommen], weil befragte Jenaer Kollegen die Fakultät baten, ihnen um Gotteswillen diesen Mann nicht wegzuberufen.“257 Er lobte umfangreich und ausführlich – in bekannter Manier258 – Griewanks wissenschaftliche Leistungen und dessen „Zivilcourage“ in der „Ostzone“. Auch Griewanks altem DFG-Kollegen August Wilhelm Fehling gegenüber, der inzwischen Beamter im Kieler Kultusministerium geworden war, drängte er auf eine Nennung Griewanks.259 Der Versuch, Griewank gegen Golo Mann auszuspielen, scheiterte jedoch. Willy Andreas wetterte: „Die Ausschaltung Griewanks halte ich für eine bittere und in der Rückwirkung auf Kiel geradezu unsinnige Ungerechtigkeit. [...] Wenn Ihre Universität sich mit Golo Mann blamieren und den trau-

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Otto Becker an Willy Andreas, 20.8.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 837; Durchschlag auch in BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 67. Otto Scheel an Otto Becker, 13.8.1953, in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 67. Zu Scharff siehe oben S. 128 mit Anm. 279 und S. 134 mit Anm. 324. Vgl. hierzu EBERLE: Martin-Luther-Universität, S. 127, 164. Punkt 10 der Rektorenkonferenz vom 3.-5.1.1953. Vgl. die Angaben Otto Beckers in seinem Sondervotum, in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 67, unpag. Willy Andreas an Otto Becker [S. 10], 18.3.1953, in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 67, unpag. Siehe oben Kapitel 3.3.4. und Anhang 10.2. Willy Andreas an August Wilhelm Fehling, 18.8.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 843.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler rigen Eindruck der Servilität der Deutschen gegenüber der amerikanischen Besatzungsmacht verstärken will, dann ist diesem genus professorum eben nicht zu helfen. Ob er überhaupt habilitiert ist, weiß ich nicht; aber so schwaches Zeug wie das Gentz-Buch, dem so ausgezeichnete Forschungen wie die der Gebrüder Wittichen gegenüberstehen usw., sollte man nicht einmal einem Journalisten durchgehen lassen.“260

Aber auch Otto Becker, nachdem er Willy Andreas gegenüber sich noch für Griewank aussprach, erwähnt diesen in seinem Sondervotum dann doch nicht. Bezeichnend ist die Notiz einer „Unterredung mit Scharff“, von der Becker berichtete: „Griewank: Furcht, Griewank könnte gar nicht herauskommen.“261 Sondervoten wurden von Alexander Scharff, Otto Heuser und Otto Becker eingereicht. Dozent Dr. Heuser meinte sich dabei auf „das Urteil so namhafter Autoritäten unseres Fachgebietes wie Kähler-Göttingen, Schieder-Köln, von Raumer-Münster und Rothfels-Tübingen“ stützen zu können.262 Alle Voten zogen die wissenschaftliche Qualität Golo Manns massiv in Zweifel und alle nannten Martin Göhring als den angeblich zweifelsohne besten Kandidaten. Obwohl das Klima der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft in diesen Sondervoten sehr eindrücklich illustriert werden könnte, kann hier nur skizzenhaft darauf eingegangen werden. Es ging um das Verständnis von deutscher Nation, Nationalismus und Nationalsozialismus. Becker spitzte dies in seinem Sondervotum zu: „Nach Ansicht Golo Manns stand der Nationalsozialismus nicht im Gegensatz zur preußischen oder deutschen Geschichte, sondern seine Geschichte begann schon 1813 mit Preußens Erhebung und der Entstehung des deutschen ‚Nationalismus’.“263 Eine Reihe preußenkritischer Bemerkungen Golo Manns führte Becker zum Beleg an. So fehle es dem Bewerber an der „Ehrfurcht vor der Größe“ bei dessen Bemerkungen über Friedrich den Großen.264 Für Otto Becker, dessen These vom „Undeutschen“ des Nationalsozialismus schon erwähnt wurde,265 galt es durch ein Anknüpfen an preußisch-nationalkonservative Traditionen den NS zur Episode herunterzuspielen. Golo Mann hatte sein Buch im Exil und unter den Eindrücken der Verfolgung geschrieben, was er im Vorwort der deutschen Übersetzung auch explizit erwähnte mit der Anmerkung, daß er unter anderen Umständen manches anders hätte schreiben können. Dies war jedoch für Becker nur tadelnswert, da dies ein Abweichen von der Rankeschen Objektivität sei. Statt an das Schicksal der vom Nationalsozialismus Verfolgten zu denken, ging es ihm um „die jungen Talente“ in Deutschland; es sei „taktlos [...] die wenigen Ordinariate den lange wartenden, sehr geeigneten Kollegen vorzuenthalten zu Gunsten von amerikanischen Staatsbürgern, die in den U.S.A. in sicherer Stellung sind.“266 Diese nationalistische Attacke, die den Exilanten als Ausländer ausgrenzt, traf mit Golo Mann nun wahrlich niemanden, der von einer linken oder gar aggressiven Position die deutsche Nation angriff. Nicolas Berg hat in einer glänzenden Formulierung von der „Melancholie des verlorenen Patriotismus“267 bei Golo Mann gesprochen, der in späteren Jahren zu einem wichtigen liberal-konservativen Historiker der Bundesrepublik werden sollte.

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Willy Andreas an Otto Becker, 15.5.1953, in: BA Koblenz, N 1078 NL Becker, Nr. 67. Unterredung mit Scharff, hdschr., undat., in: ebd. Ebd. Sondervotum Otto Becker [S. 3], in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 67, unpag. Ebd. Siehe oben S. 287 mit Anm. 8. Sondervotum Otto Becker [S. 7], in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 67, unpag. Nikolas BERG: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003, S. 397-405.

7.3. Zwischen Ost und West

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Die „Ostzone“ rückte immer mehr aus dem Blick. Für Griewank war die Situation reichlich ungünstig. Die Gutachter waren immer mehr auf subjektive Einschätzungen angewiesen, da „die Männer zwischen 35 und 45 infolge von Kriegs- und Nachkriegshindernissen fast nichts publiziert haben. Es wird immer schwieriger, die Begründungen in der Liste durch Hinweis auf Publikationen nachprüfbar zu machen. [...] Es bleibt nichts Anderes übrig als der Hinweis auf ungedruckte Schriften und auf den persönlichen Eindruck, den erfahrenere Kollegen von den jüngeren nach bestem Vermögen formulieren.“268 In den Gutachterverfahren, bei denen man damals noch keine Schriften bei den Kandidaten anforderte, sondern davon ausging, daß den Befragten die Werke aller zur Auswahl stehenden Bewerber bekannt waren, konnten Griewanks ungedruckte oder lokal publizierten Beiträge leicht mißachtet werden. Einen positiven Eindruck von der Lehr- und Forschungstätigkeit zu hinterlassen, fiel von der DDR aus schwerer, selbst für den häufig in den Westen reisenden Griewank. Im Kieler Verfahren hatte er keinen relevanten Fürsprecher, da Willy Andreas und Otto Becker, die ihn ins Spiel bringen wollten, von der Berufungskommission eigentlich gar nicht gefragt worden waren, auch wenn sie sich selbst in nationalistischem Eifer zu Wort meldeten. Entscheidend blieb hier, daß seine neueren Arbeiten zur Revolution in den angefertigten Publikationslisten der möglichen Kandidaten gar nicht aufgeführt waren, sowohl die in Jena in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Universität erschienenen, als auch der in der HZ veröffentlichte Aufsatz zu 1848. Er rückte einfach aus dem Blickfeld. Willy Andreas, auf dessen Fürsprache zunehmend nicht mehr gehört wurde, war sich nach Griewanks Tod sicher, daß die „Enttäuschung einer ihm entgangenen Berufung nach auswärts“269 bei ihm stark nachgewirkt habe. Verschiedentlich hatte er immer wieder versucht, auf seine Lage aufmerksam zu machen, unter anderen auch Otto Becker angeschrieben. Vor allem in der schweren Zeit unter dem Rektor Schwarz 1948-1951 häuften sich solche „Hilferufe“, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird. 7.3.2. „Immer aber noch hoffe ich, eine Tätigkeit im Westen finden zu können, bevor der Vorhang sich etwa für längere Zeit völlig schließt“ – Hilferufe270 Zu Beginn seiner Tätigkeit in Jena fühlte sich Griewank in der Saalestadt sehr wohl und teilte dies auch seinen westdeutschen Kollegen mit. Otto Becker gegenüber betonte er: „Wie Sie wissen, habe ich jetzt den neuzeitlichen Lehrstuhl in Jena. Ich finde die Tätigkeit hier vielseitiger und auch fruchtbarer, als man wohl manchmal im Westen Deutschlands meint. Schade, daß man noch so schwer zueinander kommt.“271 In diesem Satz kommt die Erwartung einer baldigen Überwindung von Schwierigkeiten und Verbesserung der Kommunikation zum Ausdruck, die sich bekanntlich so nicht erfüllte.

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Peter Rassow an Josef Vogt, 29.9.1949, in: BA Koblenz, N 1228, NL Rassow, Nr. 115, unpag. Willy Andreas an Arnold Fratzscher, 14.11.1953, in: PrA Griewank. „Ich habe das Bedürfnis mit Ihnen zu sprechen, auch über die möglicherweise im Unterbewußtsein bei Griewank nicht ganz unwirksame Enttäuschung einer ihm entgangenen Berufung nach auswärts. Wovon Sie allerdings nach keiner Seite hin eine Andeutung machen dürfen. Und überhaupt: Wem kam ich so von ihm sprechen als zu Ihnen.“ Vieler der in diesem Abschnitt zitierten Briefe sind im Anhang (10.3.) zu finden. Karl Griewank an Otto Becker, 13.12.1947, in: BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr. 37, unpag.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

Das Jenaer Lehramt scheine Griewank „noch mehr zu beflügeln als zu hemmen“272, bemerkte Gerhard Ritter richtig. Seine Lehrtätigkeit verlief erfolgreich, sein Schülerkreis wuchs durch „recht viele aufgeschlossene und eifrige Leutchen“273 an, er erfuhr bei der Organisation der Feierlichkeiten zur 100-Jahr-Feier der Revolution von 1848 Respekt und auch Universitätskrise und Leisegangaffäre schienen sein persönliches Wohlempfinden nicht grundsätzlich zu trüben. Soweit etwa die Entwicklung bis 1948. Bereits zwei Jahre später sah er seine Situation gänzlich anders und von der positiven Beflügelung war nichts mehr geblieben. So reflektierte er in einem Brief an seinen Vetter Arnold Fratzscher die Zeit zwischen 1948 und 1950 mit den Worten: „Jetzt sind schon zwei Jahre vergangen, seitdem Du uns hier besuchtest. Jahre erheblichen und raschen Geschehens, das unser aller Lage nicht erleichtert hat. Damals stand ich hier auf dem Höhepunkt meiner Wirksamkeit, jetzt ist dieselbe mehr und mehr gefährdet und reduziert, und nachdem schon in der offiziellen Universitätszeitung ein Angriff gegen mich losgelassen ist, sehe ich das Ende allmählich deutlicher nahen. Was dann? – ist noch dunkel, denn die im Herbst besprochenen Aussichten sind noch durchaus nebelhaft.“274

Damit sprach er wohl die Möglichkeit der hauptamtlichen Tätigkeit in München an. Bei diesem düster gewordenen Bild spielte die Häufung der Konflikte vor Ort ebenso eine große Rolle wie die Verschärfung des Kalten Krieges. So kommentierte er im Februar 1949 die sich anbahnende doppelte Staatsgründung: „Ändert sich die Gesamtlage nicht grundlegend, so wird es doch wohl unausweichlich sein, für die nächsten Jahre an eine Veränderung zu denken. Der Optimismus, mit dem ich der Frage der Zonen und der deutschen Einheit noch vor zwei Jahren gegenüberstand. als ich nach Jena ging, hat sich leider in diesem Punkte nicht bewährt!“275 Im Laufe des Jahres 1949 wurde bekanntlich unter dem Schlagwort des „nationalen Notstandes“ die Blockpolitik der SED verstärkt. Nicht nur die Umwandlung der SED in einer „Partei neuen Typs“ stand nun an, diese Veränderung griff auch auf die ehemals selbstständigen anderen Parteien über.276 Da gerade in Jena sich viele Studierende und auch „bürgerliche“ Lehrende wie Hans Leisegang und Friedrich Schneider in der LDP(D)277 engagiert hatten, beobachtete Griewank die dabei eingesetzten Druckmittel sehr genau. Aus seiner Sicht hatten im Januar 1950 „die Ereignisse in der Ostzone ein besorgniserregendes Tempo angenommen: ein öffentliches Trommelfeuer auf die noch selbständigen Persönlichkeiten der nicht kommunistischen Parteien, dem die geschwächten und korrumpierten Führungen dieser Parteien willig Folge geben, dazu Angriffe und Denunziationen gegen einzelne Professoren in Versammlungen und Presse – alles deutet darauf hin, daß man hier nun rasch der sogen. ‚Volksdemokratie’, d.h. dem ausschließlich kommunistisch geleiteten totalitären Polizeistaat zusteuert, und daß für nichtmarxistische Geschichtsprofessoren in Bälde kein Platz mehr sein wird. Man hat sich an mich immer noch nicht offen herangemacht; ich höre nur das Grollen unter der Decke und erwarte mit ziemlicher Bestimmtheit früher oder später den Ausbruch.“278

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Er ergänzt: „Ich selbst muss sagen, dass mir die Lehrtätigkeit inmitten von tausend Verpflichtungen oft sehr schwer wird und eine Fessel bedeutet, die ich nicht ohne Stöhnen trage.“, Gerhard Ritter an Karl Griewank, 10.1.1950, in: NL Griewank, Karton 2, jetzt Aktenordner. Karl Griewank an Willy Andreas, 27.4.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 3.12.1950, in: PrA Griewank. Karl Griewank an Willy Andreas, 25.2.1949, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Vgl. Günter HEYDEMANN: Die Innenpolitik der DDR, München 2003, S. 77. Die LDP nannte sich im Oktober 1951 in LDPD um, womit die gesamtdeutsche Politik zum Ausdruck gebracht werden sollte; vgl. ebd. Karl Griewank an Willy Andreas, 29.1.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag.

7.3. Zwischen Ost und West

395

Die ein Jahr später stattfindende Treitschke-Diskussion antizipierte er hier schon als Grollen unter der Decke.279 Der Verlust der demokratischen Meinungsfreiheit und damit das Ende der antifaschistisch-demokratischen Idee, für die er einstand, wurden ihm immer deutlicher. Wenn Griewank den ostdeutschen Behörden gegenüber betonte, bei seinen Westreisen das „Zusammensein mit Fachgenossen“ genutzt zu haben, um „meiner Kritik an der Politik der gegenwärtigen westdeutschen Regierung und ihren verhängnisvollen Folgen offen Ausdruck“ zu geben, um damit „für die deutsche Einheit und für die Opposition gegen eine schädliche Politik“280 zu wirken, so schrieb er damit formelhaft, was von ihm erwartet wurde, um sich beim nächsten Reiseantrag eine Zusage nicht zu verbauen. Er lehnte ohne Zweifel Westbindung und Wiederbewaffnung ab, weil er darin politische Schritte sah, die eine deutsche Einheit verhinderten. Dennoch war ihm klar, daß die Bundesrepublik ein Land mit „verhältnismäßig freier Meinungsbildung und -äußerung“ war, während er in der DDR „die Verhältnisse eines Polizeistaates“ erwachsen sah.281 Er zeichnete insgesamt ein ausgesprochen pessimistisches Bild hinsichtlich der in weite Ferne gerückten Einheit der Nation. Da sein anfänglicher Optimismus auf Einheit immer mehr schwand, entschloß sich Griewank eine Reihe von Briefen an ihm bekannte Professoren in Westdeutschland zu schicken, die nur als Hilferufe angesehen werden können. So schrieb er im Januar 1950 an Eduard Spranger, Gerhard Ritter und Willy Andreas und im Sommer des Jahres an Otto Becker und erneut an Willy Andreas.282 Mit Otto Becker, der als Kieler Ordinarius schon vorgestellt wurde, war Griewank aus der Zeit der DFG bekannt. Beckers Studie „Ostasien im Ringen der Mächte“ war 1944 – als einziges historisches Buch im „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ – der Zensur zum Opfer gefallen. Es handelte sich um den einzigen Fall eines solchen Eingriffs, der Frank-Rutger Hausmann bekannt geworden ist.283 Griewank hatte daraufhin beim Propagandaministerium für Becker verhandelt, offensichtlich vergeblich.284 An dieses Vertrauensverhältnis hatte er nach 1945 mit gelegentlichen Briefen anknüpfen wollen. Den Adressanten der „Hilferufe“ gegenüber betonte Griewank zum einen, wie sehr sich die Lage zunehmend verschärfte: „unsachlich-politische Studentenauswahl, Publikationszensur, allmähliche Verkümmerung des Lehrkörpers und – zur Zeit fast das Schlimmste – die zunehmende Abschneidung von der neueren Literatur des Westens und des Auslands. Man kann immer schwerer Arbeiten so abschließen wie sie sein müßten.“285 Er betonte, daß das Bild vom anderen Teil Deutschlands offenbar immer unklarer wurde, da die „wirkliche Lage durch zensurfeste Briefe und ein streng beschnittenes Publikationswesen nach außen immer mehr verdunkelt wird.“286 Zum anderen betonte er, wie die nichtmarxistischen Historiker versuchten, sich gegen die Tendenzen zu wehren, wobei ihm wichtig war festzustellen, daß er als Dekan nicht

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Siehe oben Kapitel 5.4. Karl Griewank: Bericht über meine Reise nach Süddeutschland vom 30. Juli bis 9. August 1952, 11.8. 1952, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, Nr. 179, unpag. Vgl. Karl Griewank an 19.1.1950 an Willy Andreas, 13.8.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. HAUSMANN: Deutsche Geisteswissenschaften, S. 109, Anm. 16. Karl Griewank (DFG) an Otto Becker, Az. Ge 8/40/4, in: BA Koblenz, N 1078, Nr 32, unpag. Dort auch die Erwähnung des Titels, der Hausmann nicht bekannt war. Die Tatsache, daß die Verhandlung Griewanks vergeblich waren, ergibt sich aus einem Aktenvermerk vom 7.7.1944, wonach das Buch ungedruckt geblieben sei, in: BA Koblenz, R 73/53, unpag. Karl Griewank an Gerhard Ritter, 14.1.1950, in: BA Koblenz, N 1166, Nr. 335, unpag. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, Nr. 179, unpag.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

Vertrauensperson der SED sei, dies jedoch ein häufiges Mißverständnis im Westen wäre. Als Resultat dieser Zustandsbeschreibung folgte die Bitte um Mithilfe, für ihn eine geeignete Position im Westen zu finden. Bei den im Januar geschriebenen Briefen äußerte sich Griewank trotz der Dringlichkeit seines Anliegens noch zurückhaltend: „Ich muß nach alledem nun doch bedacht darauf sein, meine Zelte hier in absehbarer Zeit abzubrechen – wenn es irgend sein kann, nicht als politischer Flüchtling, sondern in legitimer Weise, wenn eine lohnende Wirksamkeit im freieren Westen sich auftut.“287 Er betonte dabei, daß er es nach wie vor nicht bedauere, „daß ich hier die Wirksamkeit auf dem Lehrstuhl für neuere Geschichte übernommen habe in einer Zeit, in der viel Aufgeschlossenheit und geistiges Ringen zu finden war und vielen jungen und auch älteren Menschen damit geholfen werden konnte“.288 Bei den im Sommer versandten Briefen wurden die Hilferufe lauter und drastischer. In ihnen wird betont, daß „ich meine eigene hiesige, mit schönem Erfolg begonnene Tätigkeit als Ordinarius doch nach den Verhältnissen gegenstandslos werden sehe.“289 Nun habe „die Beengung jeder freien Äußerung einen Grad erreicht, von dem wir hier vorher noch weit entfernt waren. Ich bedauere unter diesen Umständen, nicht früher und energischer den Weg nach Westen betrieben zu haben.“290 Während er im Frühjahr 1950 noch auf einen Ruf aus dem Westen gehofft hatte (und dabei – zumal beim Schreiben an den Tübinger Spranger – die Vakanz in Tübingen im Auge hatte), macht er sich nun keinerlei Illusionen mehr: „Ich kann da natürlich nicht auf eine Professur warten, wenn sie sich nicht gerade bietet, sondern würde zunächst auch mit einem bescheidenen Lehrauftrag oder Extraordinariat zufrieden sein, um eine vorläufige Existenzgrundlage zu gewinnen. Ohne eine solche ist eine Übersiedlung freilich schwer durchzuführen. Wenn Sie mir in dieser Richtung behilflich sein können, so würden Sie für die Erhaltung meiner wissenschaftlichen Kraft ein entscheidendes tun.“291

Es sei ihm klar, daß das „Risiko, die ‚Karriere’ und damit die wissenschaftliche Zukunft überhaupt preiszugeben, [...] beim Übergang in eine andere Stellung nicht gering [sei]; es ist aber bei einem zu langen Verbleiben im Osten wahrscheinlich ziemlich sicher gegeben.“292 Das waren deutliche Worte und klare Hilferufe, die betonten, daß sich Griewank in seiner intellektuellen Entfaltungsmöglichkeit bedroht fühlte, er als Historiker in der DDR nicht länger mehr produktiv sein konnte und die Situation insgesamt schlicht nervenaufreibend für ihn war. Zu diesem Zeitpunkt war er ohne Zweifel bereit, jeden Strohhalm zu ergreifen – es gab 1950 aber keinen. Otto Becker reagierte auf Griewanks „erschütternden Brief“293 zwar mit großer Anteilnahme, aber ohne helfen zu können oder zu wollen. „Sehr gerne will ich Ihr Anliegen im Auge behalten und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Sie aufmerksam machen. Hier in Kiel besteht allerdings nicht die Aussicht auf ein Extraordinariat, da Schleswig-Holstein das ärmste Land der Bundesrepublik ist, und wir auch um jede Diätenprofessur kämpfen müssen.“294 Auch sein akademischer Lehrer Andreas 287 288 289 290 291 292 293

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Karl Griewank an Gerhard Ritter, 14.1.1950, in: BAK, N 1166, Nr. 335, unpag. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, Nr. 179, unpag. Karl Griewank an Otto Becker, 16.7.1950 BA Koblenz, N 1078, Nr 42, unpag. Ebd. Ebd. Unterstreichungen im Original. Karl Griewank an Willy Andreas, 13.8.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. „Von Griewank erhielt ich einen erschütternden Brief. Trotz seiner Geschicklichkeit fühlt er sich bedroht und unternimmt Versuche, in der Westzone Fuß zu fassen“, Otto Becker an Martin Göhring, 24.8.1950, in: BA Koblenz, N 1078, Nr. 42, unpag. Otto Becker an Karl Griewank, 24.8.1950, in: NL Griewank, Karton 4.

7.3. Zwischen Ost und West

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versicherte seine Unterstützung, jedoch tue ihm „die von Ihnen geschilderte Situation für Sie besonders leid, denn ich sehe im Augenblick keine Ausweichmöglichkeit.“295 Griewank versicherte seinem Lehrer daraufhin: „Ihr Schüler wird seinen Auftrag nicht preisgeben, solange er noch sinnvoll ist und erträgliche Aussichten bietet.“296 Wichtig bleibt anzumerken, daß Griewank bei seinen Hilferufen stets betonte, daß für ihn nur ein legaler Wechsel in den Westen in Frage komme. „Ich habe nun zwar nicht die Absicht, deswegen überstürzt, ‚über Nacht’, hier alles im Stich zu lassen und im Westen den verfolgten Flüchtling zu spielen.“297 Er wollte „in legitimer Weise“298 wechseln. Auch in den späteren, drastischeren Briefen, als er sich bereit zeigte, auch ins zweite Glied hinter einen Ordinarius zurückzurücken, betonte er: „notwendig wäre eigentlich auch eine irgendwie geartete ‚Berufung’ – und sei es nur auf einen Forschungsauftrag oder dgl. –, um sie vorzeigen und mich daraufhin ‚legal’, d.h. ohne Zurücklassung meiner ganzen Habe, Bibliothek usw. lösen zu können.“299 Genau eine „Berufung“ dieser Art bekam er ja schließlich im Frühjahr 1953 mit dem Angebot der Historischen Kommission aus München, und er ließ sich auch eine Bescheinigung ausstellen, „um sie vorzuzeigen“. Daß dennoch der Wechsel nicht auf legale Art möglich war, muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß Griewank stets davon überzeugt war, daß ein regulärer beruflich bedingter Wechsel genehmigt werde. Er hatte mehrfach betont, wie sehr die Bedingungen an seiner Leistungskraft zehrten. Im Herbst 1952 kämpft er bereits gegen Depressionen und Schlaflosigkeit. Eine illegale Flucht zu organisieren, bedeutete einen erneuten Kraftakt, dessen Ausgang ungewiß war und die dafür nötige psychische und physische Stabilität Griewank kaum mehr aufbringen konnte. Deshalb war er kurz vor seinem Tod so froh, daß Franz Schnabel und Max Spindler ihn unterstützten und er noch einmal Zeit gewann. „Was meine persönliche Sache betrifft, so ist sie für mich ganz befriedigend geregelt. Schnabel u[nd] Spindler haben selbst in nobler Weise erklärt, man dürfe mich jetzt nicht zur Entscheidung nach einer Seite drängen, und haben vorgeschlagen, daß ich als Sekretär fungieren soll, soweit ich kann, mit einem jetzt einzurichtenden festeren Büro in München und mehreren Aufenthalten im Jahr. Entgegengesetzte Stimmungen bei anderen Mitgliedern konnte ich in den der Sitzung vorangehenden Tagen zurückdrängen und da ich die Sitzung dieses Mal gründlich vorbereitete und einigermaßen glatt lenken konnte, ging alles nach Wunsch. So ist wieder für ein Jahr Zeit gewonnen, ohne daß ich die Brücken abzubrechen brauche hier oder drüben. Ich hoffe im Februar oder März wieder für 10-14 Tage herzukommen, u[nd] dann wieder im Sommer. Allerdings sieht es jetzt nicht so aus, als ob die Gesamtlage in einem Jahr besser sein würde; wenn es mir nur gelingt, die Verbindung aufrechtzuerhalten, so ist für mich das Wesentliche erreicht.“300

Diese Worte machen seinen Wunsch deutlich, zwischen den verschiedenen Teilen Deutschlands zu vermitteln. Damit hatte er sich eine Aufgabe gestellt, die jedoch immer schwieriger wurde.

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Willy Andreas an Karl Griewank, 17.8.1950, in: ebd. Karl Griewank an Willy Andreas, 30.10.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, Nr. 179, unpag. Ebd. Karl Griewank an Willy Andreas, 13.8.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 2.10.1953, in: PrA Griewank. Siehe auch oben S. 19 mit Anm. 44.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler 7.3.3. Der Turm von Babel – Zunehmendes Nichtverstehen

„Wir haben hier so wenig konkrete Vorstellungen über den Zustand der ostdeutschen Universitäten, - was ja eigentlich erschreckend ist“301, schrieb Gerhard Ritter im November 1948 an Karl Griewank. In den folgenden Jahren änderte sich nicht wirklich etwas an diesem Nichtwissen. Die Verständigung zwischen Ost und West wurde immer schwieriger. Franz Worschech und Martin Sabrow haben herausgestellt, wie wenig man im Westen bereit war, die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft im Osten Deutschlands ernsthaft zu rezipieren oder sich überhaupt mit den Veränderungen in der Geschichtskultur der DDR zu beschäftigen.302 Die in Ostdeutschland wohnenden nichtmarxistischen Historiker erschienen in diesem Streit wie Spielbälle, bestenfalls als Märtyrer „mit ihrem Bemühen, den Geist echter Wissenschaft weiter zu pflegen unter dem roten Terror“.303 Oft verstand man ihre Bemühungen nicht und sah sie als mehr oder minder blauäugig an, manche, wie die Mediävisten Heinrich Sproemberg und Fritz Rörig, galten gar als undurchsichtige mögliche Kollaborateure.304 Rörig etwa hatte wie Griewank immer auch die anregenden Wirkungen der Auseinandersetzung mit dem Marxismus betont. Verantwortlich dafür, daß das Bild vom Anderen immer verzerrter wurde, waren auch die Berichte der in den Westen Übergesiedelten. Sabrow weist darauf hin, daß die ersten Darstellungen zur DDR-Geschichtswissenschaften „Enthüllungsschriften“305 gewesen sind, die den Niedergang der Wissenschaft im Ostteil Deutschlands beschrieben. Schaut man sich zudem Berichte an, die in den Flüchtlings-Auffanglagern erstellt und vom Gesamtdeutschen Ministerium gesammelt wurden, so wird das methodische Informationsproblem klar. Man war im Westteil Deutschlands darauf angewiesen, die Strukturen des Ostteils dargelegt und die handelnden Personen eingeordnet zu bekommen. Neben sachlichen Berichten über den Aufbau von Behörden und Universitäten, können zu denselben Themen auch ausgesprochen reißerische Berichte ausgemacht werden, in denen die Personenbeschreibungen höchstens zwischen „gefährlich und „sehr gefährlich“ variieren.306 Victor Klemperer, der sich deutlich zur SED bekannt hatte, da er in ihr den Antifaschismus am deutlichsten verwirklicht sah, fand sich „zwischen allen Stühlen“ wieder, was treffend auch als Titel der Tagebuchveröffentlichungen gewählt wurde. So notierte er von einer Reise nach München in sein Tagbuch: „Ein Lektor wollte mir offenbar Freundliches sagen: ich hätte so nett gesprochen. Ob ihn das wundere? ‚Ja, nach ihrer LTI’ ... Denn so spreche u. denke man ja bei uns ... Woher er das wisse? ‚Es kommen doch so viele Leute zu uns, die davon erzählen’, es gehe bei uns zu wie zur Hitlerzeit!“307 Gerade im Sinn einer kritischen Geschichte der Bundesrepublik und einer Reflexion der deutsch-deutschen Erfahrungsgeschichte, erscheint es sehr wichtig, darauf hinzuweisen, wie wenig diskursfähig die frühe bundesrepublikanische Gesellschaft war. Darunter mußte auch Griewank leiden, denn gerade seine Versuche, in der Auseinan-

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Gerhard Ritter an Karl Griewank, 29.11.1948, in: NL Griewank, Karton 2, jetzt Aktenordner. WORSCHECH: Weg der deutschen Geschichtswissenschaft; SABROW: Gegensätzliche Geschichtsbilder. Gerhard Ritter an Bundesinnenminister, 8.6.1951, in: AVHD Göttingen, Ordner 4. SABROW: Gegensätzliche Geschichtsbilder, S. 145f. Ebd., S 146. Vgl. TIMM: Das Fach Geschichte. Entsprechende Berichte finden sich im Bestand B 285 des BA Koblenz. KLEMPERER: So sitze ich denn zwischen alles Stühlen, Bd. 2, S. 489.

7.3. Zwischen Ost und West

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dersetzung mit dem Marxismus der Revolutionsthematik näher zu kommen, stießen auf zunehmendes Nicht-Verstehen. Allerdings muß ebenso deutlich gesehen werden, daß solchen Versuchen der Auseinandersetzung in der DDR noch deutlichere Grenzen gesetzt waren, hier erst recht kein freier Diskurs möglich war, sondern die Bedingungen der Diktatur herrschten. Deshalb sollten die Hilferufe der „Bürgerlichen“ und Nichtkonformen wahrnehmungsgeschichtlich ernst genommen werden.308 Angeregt durch ein spätes pessimistisches Gedicht Johannes R. Bechers überschrieb der marxistische Literaturhistoriker Hans Mayer seine Erinnerungen bezeichnend mit „Turm von Babel“.309 In Mayers Argumentation erhält dieses Nicht-Verstehen einen spezifischen Kontext, er bezieht es auf die Entfremdung der Kommunisten von ihren eigenen Ideen. Im „Turm von Babel“ erinnert sich Hans Mayer an ein ähnliches universitäres Milieu der Diskursunfähigkeit, wie es auch Griewank kennen gelernt hatte und das sehr auf ihm lastete. Mayer wurde – wie Griewank zehn Jahre zuvor – in der Leipziger Universitätszeitung öffentlich attackiert und floh – obwohl Marxist – Mitte der 1960er Jahre in den Westen.310 Das Wissenschaftssystem der SBZ/DDR verlor so nach und nach diejenigen, die zum Dialog bereit waren. Sie saßen im „Turm von Babel“ des zunehmenden Nicht-Verstehens. Dieses Nicht-Verstehen und diese „Entfremdung“311 zeigten sich als ein komplexes System, waren gleichsam mulidimensional. Mayers Ausgangspunkt stellte die Entfremdung des Kommunismus von seiner Idee dar.312 Für Griewank hingegen führten der Kalte Krieg und das Nicht-Verstehen zwischen DDR und Bundesrepublik zur Entfremdungserfahrung, die sich wiederum in sich komplex gestaltete. Im engeren fachwissenschaftlichen Bereich bedeutete es den Aufbau unterschiedlicher „Sprachen“ zwischen marxistisch-leninistischer und nichtmarxistischer Wissenschaft.313 Die marxistischleninistische Geschichtswissenschaft in der DDR, zum Teil dogmatisch stalinistisch, und die westdeutsche Geschichtswissenschaft, zum Teil restaurativ-konservativ, standen sich unversöhnlich gegenüber. Das Nicht-Verstehen zeigte sich auf beiden Seiten durch eine restriktive Festlegung des Wissenschaftsbegriffs. Martin Sabrow spricht von „Entfremdung durch Verleugnung“314. Die marxistisch-leninistischen Historiker der

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Martin Sabrow geht nicht näher auf den Inhalt solcher Hilferufe ein, die ihn nur als Teil der Meinungsfindung im Westen interessieren. Vgl. mit Bezug auf Hans Haussherr SABROW: Gegensätzliche Geschichtsbilder, S. 143. Anders dagegen SCHULZE: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 186, für den aufgrund desselben Briefes von Haussherr „kein Zweifel über die Verhältnisse an den Hochschulen der DDR“ bestand, der mithin diese Hilferufe ernst nimmt. Hans MAYER: Der Turm von Babel. Erinnerungen an eine Deutsche Demokratische Republik, Frankfurt (M) 1993. Hans Mayer war von 1948-1963 Professor für Literaturgeschichte in Leipzig. 1965 erhielt er nach seiner Flucht in die Bundesrepublik einen Ruf an die TU Hannover, war als Emeritus noch Honorarprofessor in Tübingen. Vgl. GAST: Bio-bibliographische Angaben, S. 400f. Der Entfremdungsbegriff ist eine Entlehnung aus der marxistischen Ökonomie, wo er ebenfalls in komplexer Form als Entfremdung von der Arbeit Verwendung findet. Man kann diese Mayersche Ebene auch personifiziert festmachen an der Reflexion Klemperers oder an dem Unterschied zwischen den Emigranten oder Widerständlern auf der einen Seite und den „Nur-Funktionären“. Beide Seiten beförderten durch ihre „Denkstilgebundenheit“ den Aufbau eines Babylonischen Turms, vgl. zum Begriff des Denkstils und der „Denkstilgebundenheit“ den wissenssoziologischen „Klassiker“ Ludwik FLECK: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv [1935], Frankfurt (M) 41999, hier S. 109-111. Flecks Bedeutung wurde von Thomas Etzemüller „wiederentdeckt“ und für die Historiographiegeschichte nutzbar gemacht. Vgl. ETZEMÜLLER: Werner Conze. SABROW: Gegensätzliche Geschichtsbilder, S. 141.

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7. Zwischen Ost und West – der Vermittler

DDR wurden in der westdeutschen Historikerzunft nicht als Historiker, sondern als politische Agitatoren angesehen.315 Eine Beschäftigung mit dem Historischen Materialismus fand in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts dort nicht statt. Einer Ausgrenzung durch Eingrenzung des Wissenschaftsbegriffs mußten auf der anderen Seite aber auch die nichtmarxistischen Historiker in der DDR zunehmend erdulden. Der „Kampf“ gegen angeblich „unwissenschaftliche“ Auffassungen wurde von dogmatischen Marxisten-Leninisten durch häufig primitiv-propagandistische Stigmatisierungen der Kollegen geführt. Auf beiden Seiten wurde der Wissenschaftsbegriff anders definiert. Das Verständnis der westdeutschen Historiker blieb – vor den Theoriedebatten der 1970er Jahre – von einem Grundverständnis der vorgeblich politikfreien Wissenschaft geprägt, die der marxistisch-leninistischen Historiker der DDR von einem Grundverständnis der notwendig zur Wissenschaftlichkeit gehörenden Parteilichkeit und einer axiomatisch festgelegten Definition des Historischen Materialismus als gültiger Wissenschaftsgrundlage. Wenn jemand wie Karl Griewank nun in Auseinandersetzung mit dem Historischen Materialismus diesem eine heuristische Funktion zugestand, ihn aber nicht als verbindlich akzeptierte, legte er ein erweitertes Wissenschaftsverständnis an den Tag, daß nicht dem konsensualen Denken der Zeit entsprach. Er litt deshalb in besonderer Weise unter dem Nicht-Verstehen. An dieser Stelle müßte man nun das Ausgangskapitel zum Suizid von Karl Griewank erneut lesen. Man könnte dann unter dem Eindruck der verstärkten Konfliktsituation und der Verweigerung eines legalen Umzugs vielleicht den politischen Druck als Grund für den Suizid wieder höher bewerten. Allerdings war Griewanks Situation durch das nach wie vor bestehende Angebot aus München und die zugesagten Verbesserungen in Jena im Grunde beruhigender als noch wenige Jahre zuvor, als 1950 noch alle Versuche, in den Westen überzusiedeln scheiterten und er zudem als Dekan unter dem Rektor Schwarz den Prozeß der Sowjetisierung der Jenaer Universität in voller Härte zu erfahren hatte.

315

Vgl. KLEIN: Drinnen und Draußen, S. 172.

7.3. Zwischen Ost und West

401

8. DER STREIT UM DAS ERBE Als „Streit um das Erbe“ bezeichnet die historiographische Forschung die Konkurrenz zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Ringen um das Geschichtsbild über die Revolution 1848/49 und die demokratischen Freiheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts.1 Mit dem Aufruf, der DDR dieses Erbe nicht zu überlassen und die Wurzeln der parlamentarischen Demokratie zu erforschen und zu präsentieren, forderte Bundespräsident Gustav Heinemann Historiker und Publizisten zu einer Stellungnahme auf und mobilisierte damit auch materielle und immaterielle Ressourcen. Wie am Beispiel der Revolutionsfeiern von 1948 gezeigt wurde, lagen die Wurzeln des Streits um das Erbe bereits vor der doppelten Staatsgründung offen zu Tage. Die Metapher „Streit um das Erbe“ wird hier aufgegriffen, um abschließend auf ein Phänomen einzugehen, das sich bereits Ende der 1980er Jahre im Zuge der „Erbe und Traditionsdiskussion“ der DDRGeschichtswissenschaft anbahnte und nach dem Umbruch 1989/90 nicht abbrach: Karl Griewank wurde wiederentdeckt und seine Bedeutung für jene Generation von nunmehr alt gewordenen DDR-Historikern betont, die bei ihm studiert hatten. Dabei vergrößerte sich bis heute die Zahl der „Griewank-Schüler“ um ein Vielfaches, und es erinnerten sich nun auch jene, die in den Jahrzehnten der DDR diese Schülerschaft nicht betonten, ja sogar auf der Gegenseite standen. Griewank wurde 1989 im Sammelband „Wegbereiter der DDRGeschichtswissenschaft“ aufgenommen. Nach dem Ende der DDR lobte vor allem Kurt Pätzold den Pluralismus Griewanks. Damit gewann der „Streit um das Erbe“ eine neue Facette, denn Pätzold selbst war während seiner Tätigkeit als Hochschullehrer gerade nicht für Pluralismus bekannt, sondern an politischen Relegationen beteiligt. Seine Studenten kannten Pätzold „[z]um einen als guten Lehrer, dem sie fachlich viel verdanken, zum anderen als provozierend sturen Überzeugungstäter, dem man seine nun mehrfach formulierten Entschuldigungen einfach nicht abnehmen mag“.2 Bei diesem Streit um das Erbe geht es mithin nicht um Griewank, sondern zum einen um die Bewertung der DDR-Geschichtswissenschaft, zum andern um die Lebenserfahrung der Beteiligten. Er soll deshalb hier skizziert werden, wobei der Streit um die Deutungshoheit bereits mit Griewanks Tod begann.

1

2

Vgl. Günter WOLLSTEIN: 1848 – Streit um das Erbe, in: NPL 20 (1975), S. 491-507 und 21 (1976), S. 89-106. Mechthild KÜPPER: Die Zeit der reinen Appelle ist vorbei. Geschichtswissenschaft an der HumboldtUniversität ein Jahr nach der Wende: Alles unverändert [13.11.1990], in: ECKERT/KOWALCZUK/STARK (Hg.): Hure oder Muse?, S. 330-332, hier S. 331. Vgl. auch Götz ALY: „Als Mensch bist du einfach draußen“. Die Historiker der Berliner Humboldt-Universität versuchten im zweiten Ablauf, sich ihrer Vergangenheit zu stellen“, in: ebd., S. 332-335.

402

8. Der Streit um das Erbe 8.1. DIE NACHFOLGE GRIEWANKS

„Schon einen Tag nach seinem Tode begannen die Intrigen der SED, und es gibt nur noch einen einzigen Ordinarius für neuere Geschichte in der ganzen DDR!“3 Etwas knapp und unklar teilte Theodor Griewank mit, was er in Jena über die mögliche Nachfolge seines Bruders gehört hatte. Natürlich gab es mehr als einen Lehrstuhlleiter für Neuere Geschichte, in den Augen Theodor Griewanks galten allerdings wohl nur die nichtmarxistischen Historiker und damit der einzig noch verbliebene Hans Haussherr in Halle. Dieser übernahm nach Griewanks Tod zusätzlich zu seiner Position in Halle die Vertretung in Jena für das Studienjahr 1953/54, wobei er in der Zeit seiner Vertretung auch die 1954 fertiggestellte Promotion des Griewank-Schülers Siegfried Schmidt begutachtete. Welche „Intrigen der SED“ Theodor Griewank meinte und benennen konnte, läßt sich zwar nicht konkret sagen, auffällig ist jedoch, daß bereits am 20. November, also noch nicht einmal drei Wochen nach der Beerdigung Griewanks, das Staatssekretariat sich in einem paternalistisch-fürsorglich klingenden Brief an die Jenaer Philosophische Fakultät wandte, „um, wie es unsere Aufgabe ist, der Fakultät bei der Lösung der schwierigen Aufgaben zu helfen.“4 Die „Hilfe“ bestand darin, den Referenten des SfH „Herrn Dr. Steinmetz zur Berufung vorzuschlagen [...]. Herr Dr. Steinmetz gilt als einer der qualifiziertesten Historiker auf dem Gebiet des späten Mittelalters, vor allem in der Allgemeinen Geschichte.“ Er habe bei Gerhard Ritter promoviert, habe zwar seitdem wegen seiner Verwaltungsarbeit lediglich einen Aufsatz veröffentlichen können, scheide nun aber zum 1. Januar 1954 „endgültig aus dem Staatssekretariat für Hochschulwesen aus, um sich gänzlich der wissenschaftlichen Arbeit zu widmen und im Laufe des Jahre 1954 zu habilitieren.“5 So die reichlich optimistische Mitteilung des Staatssekretariats, das damit in Jena jedoch nicht überzeugen konnte.6 Die Antwort der Fakultät war deutlich. Dem Vorschlag, Steinmetz „mit einer Dozentur und der Wahrnehmung einer Professur mit Lehrauftrag zu beauftragen, vermag die Philosophische Fakultät nicht beizutreten.“7 Er sei nicht habilitiert und habe seit seiner Dissertation lediglich einen Aufsatz veröffentlicht. „Jeder Doktorand mit einer umfangreichen und tüchtigen Dissertation, wie sie in unserer Fakultät häufig sind, hat damit etwa die gleiche wissenschaftliche Leistung wie Herr Dr. Steinmetz aufzuweisen. Wir bedauern daher, im Interesse des wissenschaftlichen Ansehens unserer Fakultät, die in diesem Falle ganz besonders der wissenschaftlichen und öffentlichen Kritik ausgesetzt ist, dem Vorschlag des Staatssekretariats nicht beitreten zu können.“8

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8

Rundbrief Theodor Griewank, 6.11.1953, in: PrA Griewank. „Vorschlag zur personellen Verstärkung der Fachrichtung Geschichte“, Köninger (SfH) an Friedrich Schneider (Philosophische Fakultät), 20.11.1953, in: BA Berlin, DR 3/1. Schicht/1602, Bl. 186. Ebd. Auf die Person Max Steinmetz und den Jenaer Berufungsvorgang geht der früh und überraschend verstorbene Laurenz Müller in seiner von Peter Blickle (Bern) betreuten Dissertation ein. Vgl. MÜLLER: Diktatur und Revolution, S. 195-204. Vgl. zu Steinmetz auch MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 579-581. Friedrich Schneider (Dekan) an Regierung der DDR, 18.2.1954, in: ebd., Bl. 187. Hervorhebung im Original. Schneider handelte hier auf der Grundlage eines tags zuvor gefaßten Fakultätsratsbeschlusses; vgl. Protokoll Fakultätsrat, 17.2.1954, in: UAJ, M 773, Bl. 59. Friedrich Schneider (Dekan) an Regierung der DDR, 18.2.1954, in: ebd., Bl. 187.

8.1. Die Nachfolge Griewanks

403

Man versuchte zunächst, den derzeitigen Vertreter Hans Haussherr zu halten.9 Ein Wunsch der Fakultät bestand auch darin, die Berufung eines bewährten Forschers aus dem Westen zu realisieren. Inzwischen war jedoch in der HZ eine vernichtende Kritik von Günther Franz über ein von Alfred Meusel und Heinz Kamnitzer herausgegebenes Buch erschienen, in dem ein Plagiatvorwurf plausibel nachgewiesen werden konnte.10 Friedrich Schneider, von Göttinger Kollegen auf diesen Skandal angesprochen, war sich nun sicher, daß angesichts dieses Vorfalls „(wohl im Augenblick) kein Historiker aus der Bundesrepublik zur Annahme eines Rufes in die DDR bereit“11 sei.12 An dieser Stelle kam jedoch wieder Max Steinmetz ins Spiel. Der hatte noch vor Günther Franz das Buch von Meusel und Kamnitzer kritisiert und den Vorwurf untermauert, ungeachtet der Tatsache, daß er damit zwei renommierte Lehrstuhlleiter der DDR angriff.13 Steinmetz wurde nun sogar von Franz in der HZ-Besprechung lobend erwähnt. Er schien – so wirkte es nun in Jena – wohl doch ein Historiker zu sein schien, der die wissenschaftlichen Standards wahren könnte. Angesichts der fehlenden Alternativen sprachen sich nun Friedrich Schneider und mit ihm die Fakultät für seine Berufung aus, wobei er nur mit der Wahrnehmung einer Dozentur betraut werden sollte, bis seine Habilitation abgeschlossen sei.14 Max Steinmetz’ fachlicher Ausweis bestand also in einer Dissertation bei Ritter, einem Aufsatz, einer kritischen Rezension und dem Versprechen, sich schnell zu habilitieren. Er war, wie seine mehrfach zitierten Beurteilungen als Mitarbeiter des SfH zeigen, zudem ein politisch „zuverlässiger“ SED-Anhänger, auch wenn er als Ritter-Schüler vormals „bürgerliche Geschichtsschreibung“ betrieben hatte. Steinmetz nahm seine Lehrtätigkeit in Jena bereits zum Studienjahr 1954/55 auf.15 Seine Berufung galt in der DDR-offiziellen Sicht als Zeichen für eine „neue Etappe in der Entwicklung der Geschichtswissenschaft“ und als entscheidender Schritt für die Durchsetzung der marxistisch-leninistischen Geschichtsbetrachtung: „Mit seiner Berufung waren die personellen Voraussetzungen für die führende Rolle der Partei gegeben.“16 In der Tat

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Protokoll Fakultätsrat, 17.2.1954, in: UAJ, M, 773, Bl. 59. Im Juni 1954 kam aus Berlin jedoch der Bescheid, daß Haussherr seinen Lehrstuhl in Halle behalten werde. Sitzung, 22.6.1954, in: ebd., Bl. 81. Vgl. Alfred MEUSEL: Thomas Müntzer und seine Zeit. Mit einer Auswahl von Dokumenten des Großen Deutschen Bauernkrieges, hg. von Heinz KAMNITZER, Berlin (O) 1952; Günther FRANZ: Rez. Meusel: Thomas Müntzer, in: HZ 177 (1954), S. 543-545. Kamnitzer, der für dieses Buch die Quellendokumente auswählte, hatte diese aus älteren Editionen (die meisten von Günther Franz) ohne Nachweis entnommen, dabei jedoch auch die jeweils aktualisierte Schreibweise beibehalten. Vgl. dazu KEßLER: Exilerfahrung, S. 76f. Über Kamnitzers massive Kritik an Griewank siehe oben S. 337f. Aktennotiz Friedrich Schneider, Juli 1954, in: UAJ, M 656/2. Auf dieses versteckte Dokument wurde ich von Joachim Bauer aufmerksam gemacht. Das Plagiat wirkte in der Tat für das Ansehen der DDR-Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik fatal und zog für Kamnitzer letztlich die Konsequenz nach sich, daß er 1955 die Wissenschaft ganz verließ. Die Einschätzung Friedrich Schneiders entbehrte also durchaus nicht der Grundlage. Vgl. KEßLER: Exilerfahrung, S. 76-78 und S. 318, Anm. 6. Siehe oben S. 337, Anm. 329. Vgl. Max STEINMETZ: Rez. Meusel: Thomas Müntzer und seine Zeit, in: ZfG 1 (1953),S. 968-978. Friedrich Schneider an Staatssekretär Harig, 7.7.1954, UAJ, M, 656/2. Auch auf dieses Schreiben machte mich Joachim Bauer aufmerksam. Am 1.9.1954 wurde Steinmetz zum Dozenten ernannt und mit der Wahrnehmung einer Professur beauftragt. Am 1.7.1955 wurde er unhabilitiert zum Direktor der Abteilung Neuzeit des Historischen Instituts ernannt. Vgl. BUCHMANN: Entwicklung des Historischen Instituts, S. 55. MÄGDEFRAU: Kampf um eine neue Geschichtswissenschaft, S. 73.

404

8. Der Streit um das Erbe

endete damit die inzwischen schon außergewöhnliche Situation, daß in Jena kein marxistischer Geschichtsprofessor lehrte. Friedrich Schneider und vor allen Dingen Irmgard Höß hielten noch für einige Jahre den Studierenden die Möglichkeit offen, auch nichtmarxistische Positionen kennenzulernen. Max Steinmetz entwickelte sich mit seinen Arbeiten zur Universitätsgeschichte und zum Bauernkrieg wie auch der These der „frühbürgerlichen Revolution“ zu einem innovativen und über die DDR hinaus beachteten Historiker. Dennoch brach in Jena auf dem Gebiet der Neueren Geschichte mit Griewanks Tod nicht nur die nichtmarxistische Vorherrschaft, sondern vor allem auch die pluralistische Wissenschaftsauffassung ab. Nachfolgende Studierende lernten die Neuere Geschichte ausschließlich in der verordneten Lesart kennen und erwarben ihre historischen Fähigkeiten nunmehr ausschließlich im „Diskursgefängnis“ der „Konsensdiktatur“ DDRGeschichtswissenschaft.17 8.2. DIE GRIEWANK-SCHÜLER UND WAS AUS IHNEN WURDE Eine „Griewank-Schule“ hat sich nicht etabliert, eine besondere Griewanksche Methode kann man ebenfalls nicht ausmachen. Ohne Zweifel hat es jedoch Schüler gegeben und vielleicht kann man auch von einer ‚wissenschaftlichen Schule in statu nascendi’ sprechen. Es ist hauptsächlich der kurzen Zeit seiner Lehrtätigkeit und der Konfrontation des Kalten Krieges zuzuschreiben, daß eine ‚Schule’ als solche nicht entstehen konnte. Griewanks methodisch-innovative Gedanken, wie sie in seinen Revolutionsforschungen zum Ausdruck kamen, also das Konzept einer Wahrnehmungsgeschichte von revolutionären Ereignissen und der Gedanke der „unverlierbaren Erinnerung“ an solche Ereignisse in der politischen Kultur, blieben unvollendet. Hier kommt es auf eine Klärung des Begriffs der wissenschaftlichen Schule an.18 Zunächst fällt der etwas überraschende Befund auf, daß zwar in der Wissenschaftstheorie die Schulentwicklung und der Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Richtungen oder Paradigmen eine große Bedeutung hat, der Begriff der wissenschaftlichen Schule aber zunächst weitgehend stillschweigend vorausgesetzt wurde. So entwickelt Thomas S. Kuhn seine mit der Bekanntmachung des Paradigmenbegriffs eng verbundene Studie „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“19 ohne den darin zentralen Begriff der „scientific community“ näher zu definieren.20 Das auf Kuhns Arbeiten aufbauende Muster der „disziplinären Matrix“ ist in der deutschen Historiographiegeschichte durch Jörn Rüsen und seine Schüler zur Beschreibung von wissenschaftlichen Schulen und Richtungen üblich geworden und wird in diversen historiographischen Arbeiten

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SABROW: Diktatur des Konsenses, S. 35. Vgl. Hubert LAITKO: Der Begriff der wissenschaftlichen Schule. Theoretische und praktische Konsequenzen seiner Bestimmung, in: Semen R. MIKULINSKIJ/Michail G. JAROŠEVKIJ/ Günter KRÖBER/Helmut STEINER (Hg.): Wissenschaftliche Schulen, Berlin (O) 1977, Bd. 1, S. 257-290. In Anknüpfung an Edward Tiryakian und Hubert Laitko vgl. vor allem auch BOHN: Russische Geschichtswissenschaft, S. 10. Thomas S. KUHN: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen [1973], Frankfurt (M) 131996. Thomas Bohn weist darauf hin, „daß Kuhn seine Begrifflichkeiten erst präzisierte, nachdem er wegen ihrer Unschärfe in die Kritik geraten war“, den Begriff des Paradigmas zunächst einschränkte und das Konzept der „disziplinären Matrix“ einführte, einige Jahre später „wegen der inflationären Ausmaße, die der Paradigmenbegriff im wissenschaftstheoretischen Diskurs angenommen hat,“ ganz zum Verzicht dieses Begriffes aufrief. Thomas M. BOHN: Historische Soziologie im vorrevolutionären Rußland, in: HZ 265 (1997), S. 343-372, hier S. 348.

8.2. Die Griewank-Schüler und was aus ihnen wurde

405

rezipiert.21 Historisches Denken und Forschen wird so jeweils nach dem Kreislauf von Ideen, Methoden, Formen der Darstellung, Funktionen der Daseinsorientierung und Interessen systematisch untersucht. Geradezu kanonisch geworden ist dabei die Beschreibung durch Wissenschaftsparadigmen wie Aufklärungshistorie, Historismus und Historische Sozialwissenschaft.22 Der Begriff der wissenschaftlichen Schule wurde in der wissenschaftstheoretischen Forschung in diesem Zusammenhang ebenfalls präzisiert. So kann man diese an Kriterien wie der intellektuellen charismatischen Persönlichkeit (Schulgründer), der institutionellen Anbindung (Universität), der Publikation eigener Zeitschriften und Reihen (Medien) und professioneller Proklamation (Programm) festmachen.23 Karl Griewank konnte in der angespannten politischen Situation seine Schriften nicht ungehindert publizieren, hatte als Nichtmarxist in der DDR kein eigenes Programm entwerfen können, auch wenn er mit seinen Studien zur Demokratie- und Revolutionsgeschichte programmatische Themen methodisch innovativ aufgriffen und Thesen formulierten. Das Vorhandensein einer prägnanten Lehrerpersönlichkeit kann jedoch bestätigt werden. Auch wenn man also von einer „Griewank-Schule“ nicht sprechen kann, so doch von einem Lehrer-Schüler-Verhältnis. Griewank wurde in Jena zur intellektuell prägenden Person für diejenigen, die sich intensiver mit der Neueren Geschichte auseinanderzusetzen gewillt und befähigt waren. Die enge Verbundenheit der „historischen Familie“24 zeigte hier Früchte. Griewank holte täglich „die anwesenden Assistenten zum Mittagessen in der Professorenmensa ab, was von den Professorenkollegen nicht gern gesehen wurde, aber seinen nicht von Standesdünkel geprägten Ansichten entsprach. Die Zeit wurde für organisatorische und fachliche Gespräche genutzt.“25 Auch Irmgard Höß berichtete über seine Fähigkeit zu motivieren: „Noch nie ist mir ein Mensch begegnet, der im Dienst stets ausgeglichen und völlig launenfrei war wie Griewank. Wir alle kannten ihn als heiteren Menschen, waren sein helles Lachen gewöhnt. Wie oft hat er mir in schwierigen Situationen durch ein aufmunterndes Wort und seine zupackend-mutige Art und Einsatzbereitschaft geholfen.“26 Zur Beschreibung des Schülerkreises und der Schulbildung eines Gelehrten gehört eine Übersicht der betreuten Dissertationen. In der Tat lassen sich daraus einige Schlußfolgerungen über erfolgte und geplante Schwerpunkte der Lehrtätigkeit ziehen.

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RÜSEN: Historische Vernunft, Schema S. 31; DERS.: Der Strukturwandel der Geschichtswissenschaft und die Aufgabe der Historik, in: DERS. (Hg.): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen und die Geschichte der Wissenschaften. Symposium der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte anläßlich ihres zehenjährigen Bestehens, Meisenheim am Glan 1977, S. 110-119; Horst Walter BLANKE: Historiographiegeschichte als Historik, Stuttgart 1991, Schema S. 38. Über die Bedeutung weiterer Richtungen wie der Historischen Anthropologie, der Kulturgeschichte, der Geschlechtergeschichte oder anderen besteht bekanntlich noch kein Konsens. Vgl. hierzu BOHN: Russische Geschichtswissenschaft, S. 10; DERS.: Historische Soziologie, S. 349, Anm. 20. Vgl. vor allem Hubert LAITKO: Der Begriff der wissenschaftlichen Schule. Theoretische und praktische Konsequenzen seiner Bestimmung, in: Semen R. MIKULINSKIJ/Michail G. JAROŠEVKIJ/ Günter KRÖBER/Helmut STEINER (Hg.): Wissenschaftliche Schulen, Berlin (O) 1977, Bd. 1, S. 257-290. Zur sogenannten „Historischen Familie“ siehe oben S. 216 mit Anm. 313. Schr. Information, Gebhard Falk, 18.8.1999. Irmgard Höß an Gerhard Ritter, 21.12.1953, in: AVHD Göttingen, Ordner 6, H. Ähnlich auch dies., mdl. Information, 22.9.1999.

8. Der Streit um das Erbe

406

Tabelle 3: Von Karl Griewank betreute Dissertationen27 Datum

Name

5.11.1949

Margarete Staniek28

29.12.1950

Karl-Heinz Hahn29

30.3.1951

Diethelm Böttcher30

24.10.1951

Helmut Möller31

21.12.1951

Heinz Schneider32

7.1.1952

Gerhard Schmid33

26.3.1952

Ingeborg Horn, geb. Staiger34

29.4.1952

Rudi Müller35

27

28

29

30

31

32

33

34

35

Titel Der Deutsche Bund im Urteil Goethes, Humboldts, Steins und der Menschen ihres Umkreises Ministertätigkeit im aufgeklärten Absolutismus. Jakob Friedrich von Fritsch. Weimars leitender Minister der Goethezeit im politischen und geistigen Leben seiner Zeit Die schwedische Propaganda im protestantischen Deutschland 1628-1630 Handwerk und Industrie im Fürstentum SachsenWeimar und in der Jenaischen Landesportion während des 18. Jahrhunderts Die Kritik an Friedrich II. und seinem Staatswesen im Zeitalter der Klassik Bestrebungen und Fortschritte in der Frage der konfessionellen Gleichberechtigung auf dem Westfälischen Friedenskongreß Die Darstellung und Auffassung der neuzeitlichen Revolutionen bei Ranke Die Stellung der liberalen Parteien im Deutschen Reichstag zu den Fragen der Arbeiterversicherung und des Arbeiterschutzes bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts

Gutachter Griewank, Schneider Griewank, Schneider Griewank, Schneider Griewank, Schneider Griewank, Schneider Griewank, Schneider Griewank, Schneider Griewank, Schneider

Die Tabelle wurde gegenüber der von Ingeborg Horn-Staiger 1955 erstellten Liste geringfügig ergänzt; vgl. Horn-Staigers Zusammenstellung im Anhang zu GRIEWANK: Neuzeitlicher Revolutionsbegriff, S. 262f. Die persönlichen Angaben in den Fußnoten sind jeweils den der Dissertationen beigefügten Lebensläufen entnommen. 1923 in Friedeck-Altstadt (C.S.R.) geboren, Abitur 1942 in Mährisch-Ostrau, WS 1942/43 Studium an der Deutschen Karls-Universität zu Prag, Mai 1945 Ausweisung, SoSe 1948 Fortsetzung des Studiums in Jena, Staatsexamen in Geschichte, Deutsch und Tschechisch. 1921 in Erfurt geboren, Sohn eines Schneidermeisters, Abitur 1940, Militärdienst 1940-1944, ab WS 1943/44 bis Kriegsende Studium Germanistik, Geschichte und Philosophie in Marburg, seit WS 1947/48 Wiederaufnahme des Studiums in Jena in Geschichte, Germanistik und Kirchengeschichte, Februar 1950 Fakultätsprüfung. Seit April 1950 wissenschaftlicher Referendar im Archivdienst. 1923 in Gera geboren, Abitur 1942, Soldat bis 1945, SoSe 1946-WS 1949/50 Studium Geschichte, Kirchengeschichte, Deutsch und Philosophie in Jena. 1918 in Karwesee (Osthavelland) geboren, Sohn eines Lehrers, seit 1929 in Jena, Abitur 1937 in Jena, 1945-1951 Studium Philosophische Fakultät (Geschichte, Geographie, Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Französisch) in Jena. 1920 in Schmiedefeld geboren, Sohn eines Postangestellten, Abitur 1939 in Illmenau, JanuarOktober 1940 Studium in Jena, Oktober 1940-1945 Kriegsdienst, Waldarbeiter im Thüringer Wald, seit WS 1946/47 Wiederaufnahme des Studiums in Jena, SoSe 1950 Fakultätsprüfung in Geschichte, Deutsch und Vorgeschichte. 1928 in Greiz geboren, Sohn eines Pfarrers, 1946 Abitur, ab WS 1947/48 Studium Geschichte, Kirchengeschichte und Deutsch in Jena. 1928 in Königsberg (Ostpreußen) geboren, Tochter eines Schiffsbauingenieurs, bis Herbst 1944 Besuch der Oberschule für Mädchen, Flucht nach Chemnitz, dort „Reifevermerk“, Kriegseinsatz in einer Fabrik, 1946 Reifeprüfung Jena, ab WS 1946/47 Studium Geschichte, Deutsch, Kunstgeschichte, Philosophie, Musikwissenschaft, Pädagogik, Englisch. 1926 in Sonneberg (Thüringen) geboren, Sohn eines kaufmännischen Angestellten, 1933-1943 Schulbesuch Sonneberg, 1943-1945 Kriegsdienst, 1946 Reifeprüfung im Rahmen eines Lehrgangs für Kriegsteilnehmer, seit 1947/48 Studium Geschichte, Deutsch, Pädagogik.

8.2. Die Griewank-Schüler und was aus ihnen wurde 27.6.1952

Magda Wyrwol36

11.9.1952

Georg Trübner37

24.10.1952

Hans-Stephan Brather38

28.3.1953

Georg Gerber39

10.8.1953

Horst Mastmann40

25.1.1954

Siegfried Schmidt41

11.5.1955

Gebhard Falk42

Die parteipolitische Entwicklung der thüringischen Kleinstaaten in den Jahren der Reichsgründung 18591871 Die Stellung von Karl Marx und Friedrich Engels zu den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Problemen Polens Die Ernestinischen Landesteilungen des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des Territorialstaates in Mitteldeutschland Die Neu-Atlantis des Francis Bacon. Ein sozial- und kulturgeschichtlicher Beitrag Die demokratisch-republikanische Bewegung in Thüringen 1848 Die Entwick1ung der politischen Opposition im Königreich Sachsen zwischen 1830 und 1848 Der Jenaer Weinbau. Untersuchungen zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte einer thüringischen Weinbauernstadt mit besonderer Berücksichtigung des 15. bis 17. Jahrhunderts

407 Griewank, Schneider Griewank, Schneider Schneider, Griewank Griewank, Johannsen Herzfeld, Hinrichs Haussherr, Kretzschmar Schneider, Koerner

Auffällig ist die Breite der vergebenen Dissertationsthemen. Griewank ging in der Vorbesprechung der Examensarbeiten und Dissertationen immer auf die Interessen und das Vorwissen der Kandidaten ein. Heinz Schneider etwa brachte seinen Wunsch nach einer Arbeit vor, die eine Verbindung zwischen Germanistik und Geschichte herstelle, und wurde von Griewank darin bestärkt.43 Seine Arbeit untersuchte literarische Texte

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1924 in Gleiwitz (Oberschlesien) geboren, Tochter eines Eisenbahners, Abitur 1943, Arbeitsdienst als Hilfslehrerin 1944/45, Vertreibung 1945, Zulassung zum Studium SoSe 1947 in Jena, Staatsexamen Geschichte, Deutsch. 1922 in Camburg/Saale geboren, Sohn eines Reichsbahninspektors, Abitur 1940, Militärdienst 19411946, 1946-47 Lehrerfachschule, seit WS 1947/48 Studium Geschichte und Slawistik in Jena, während der Studienzeit nebenamtlich als Lehrer tätig, Staatsexamen in Geschichte, Russisch, Englisch und Pädagogik 1951 in Jena. 1928 in Erfurt geboren, Sohn eines verstorbenen Oberstudiendirektors, 1934-1937 Volksschule, 1937-1943 Oberschule in Bad Frankenhausen, Heimatflak, 1846 Lehrgang für Kriegsteilnehmer, Reifeprüfung, seit SoSe 1947 Studium Geschichte, Kirchengeschichte, Kunstgeschichte in Jena. 1919 in Jena geboren, Sohn eines Magazinarbeiters, 1926-1934 Volksschule, 1934-1938 Lehre als Maschinenbauer bei Carl Zeiss Jena, 1939-1945 Soldat, danach wieder als Maschinenbauer bei Zeiss, nebenberuflich Vorbereitung auf die Reifeprüfung, 1947 Reifeprüfung an der Vorstudienanstalt der FSU Jena, 1947-1952 Studium Geschichte, Latein, Philosophie und Pädagogik, hielt im Hauptseminar des WS 1949/50 bei Karl Griewank (Staatstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts) ein Referat zu „Bacon Neu-Atlantis und die Utopia des Morus“, woraus sein Dissertationsthema erwuchs. 1927 in Oschersleben geboren, Sohn eines Bäckermeisters, seit 1929 in Eisenach, 1944 Reifevermerk, 1946 Sonderlehrgang zur Erlangung der Reife Eisenach, SoSe 1946-SoSe 1950 Studium Geschichte, Deutsch, Pädagogik in Jena, 1950 kurzfristige Tätigkeit in der LDP-Zeitung „Thüringer Landeszeitung“, 30.12.1950 Flucht aus der DDR, Anerkennung als politischer Flüchtling, kaufmännische Tätigkeit in Berlin (W), Promotion an der FU Berlin. 1930 in Dresden geboren, Sohn eines Reichsbahnangestellten, 1948 Abitur in Dresden, WS 1948/49 Studium der Theologie in Jena, seit WS 1949/50 der Geschichte, Germanistik, Kirchengeschichte, Pädagogik in Jena. 1928 in Plauen geboren, Sohn eines Studienrates, Stadtarchivars und Museumsdirektors, Abitur 1946, Hilfsarbeiter im Kreismuseum Plauen, WS 1947/48-WS 1949/50 Studium in Halle, SoSe 1950 bis SoSe 1951 in Jena in den Fächern Geschichte, Germanistik, Vorgeschichte und Pädagogik, seit Januar 1952 wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar. SCHNEIDER: Kritik an Friedrich II., Lebenslauf im Anhang (unpag.).

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8. Der Streit um das Erbe

als Quellen. Helmut Möller, aus einer Handwerkerfamilie stammend, bearbeitete ein Thema zur Handwerksgeschichte. Zumeist aber entstand die Themenwahl, wie auch bei Georg Gerber, Diethelm Böttcher, Heinz Schneider, Karl-Heinz Hahn und Gerhard Schmid, aus dem Kontext der Seminare heraus. Die gewählten Themen stehen deshalb in Verbindung zu Griewankschen Arbeitsfeldern: 1.) Revolution, 2.) Suche nach den demokratischen Wurzeln im 19. Jahrhundert, 3.) Parteiengeschichte oder 4.) Konfessionsfragen der Frühen Neuzeit. Auch die Arbeit von Gerber über Bacon paßt in ein explizit geplantes Projekt: 5.) „Kultur- und geistesgeschichtliche Untersuchungen zu den Sozialutopien und Sozialromanen des 16. und 17. Jahrhunderts“.44 Die geplante Arbeit von Gertraude Enders „Das Verhältnis der Utopia des Morus zur mittelalterlichen Gedankenwelt“ gehört ebenfalls zu diesem Themenbereich.45. Ins Auge fallen auch die Ansätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte bei den Arbeiten von Falk oder Möller. Hier wurden Zugänge gewählt, die regionale Wirtschaftsentwicklung zu betrachten, die dann 40 Jahre lang nicht weiter entwickelt wurden. Griewank plante eine Konzentration auf „Sozial- und kulturgeschichtliche Studien in mitteldeutschen Städten“.46 Dieses Projekt wurde zusammen mit Friedrich Schneider angekündigt. In dem Kontext entstand ohne Zweifel die von Schneider betreute wichtige Studie Friedrich Becks zu Wirtschaftsgeschichte der Stadt Greiz.47 Geplant war auch eine von Griewank betreute Studie zur Sozialgeschichte der Stadt Gera.48 Ohne Zweifel hätte die in Jena angeregte Stadtgeschichtsforschung innovative Impulse aussenden können, die parallel zu den Arbeiten von Werner Conze, Wolfgang Köllmann oder auch Erich Maschke auf das Interesse der Forschung gestoßen wären. Hier liegen einige angedeutete methodische Ansätze der Schulbildung. An dieser Stelle kann der Bruch nicht stark genug betont werden. Thüringens Städtelandschaft blieb nach Griewank lange Zeit von der Forschung stiefmütterlich behandelt. Das Fehlen sozial- und wirtschaftgeschichtlicher Ansätze zu Thüringen wird bis heute beklagt.49 Zu den Schwierigkeiten der Schulbildung gehörten praktische Probleme. Viele Arbeiten mußten ungedruckt bleiben und kamen nur in geringer Anzahl in den Bibliotheksaustausch. Somit waren die Leistungen seiner Schüler nur schwer publik zu machen. Einzig die Arbeit von Karl-Heinz Hahn wurde als Monographie gedruckt, was wegen ihrer Qualität berechtigt erscheint, wohl aber durch das „Goethe-Thema“, das gut im Weimarer Umfeld des Böhlau-Verlages paßte, begünstigt wurde. Hahns Arbeit gilt

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Forschungspläne vom 13.4.53, in: UAJ, S V 47. Gertraude Enders: „Das Verhältnis der Utopia des Morus zur mittelalterlichen Gedankenwelt“, Meldung Dekanat, 31.12.52, in: UAJ, M 851, unpag. Die Studie wurde nicht zum Abschluß gebracht. Ebd. Vgl. Friedrich BECK: Die wirtschaftliche Entwicklung in der Stadt Greiz während des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Industrialisierung in Deutschland, Weimar 1955. Eberhard Graeber: „Soziale Verhältnisse und Bewegungen in Gera im 19. und 20. Jahrhundert“, Meldung Dekanat, 31.7.52, in: UAJ, M 851, unpag. Die Studie wurde nicht zum Abschluß gebracht. Vgl. zum Fehlen von wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Arbeiten zu Thüringen Karl Heinrich KAUFHOLD: Gewerbelandschaften in der frühen Neuzeit (1650-1800), in: Hans POHL (Hg.): Gewerbe- und Industrielandschaften vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Stuttgart 1986, S. 112202, hier S. 131. Jürgen John beklagt 1994 ebenfalls das Defizit; der von ihm vorgestellte Sammelband zu „Kleinstaaten und Kultur“ vermag dem jedoch nicht Abhilfe zu verschaffen; Jürgen JOHN: Kleinstaaten und Kultur oder: der thüringische Weg in die Moderne, in: DERS. (Hg.): Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Weimar/Köln/Wien 1994, S. XIII-LXI, hier S. XVIII.

8.2. Die Griewank-Schüler und was aus ihnen wurde

409

heute angesichts des neuen kulturgeschichtlichen Interesses an der frühneuzeitlichen Hofkultur als „die einzige tiefgründigere Untersuchung der ‚Ministersphäre’“50 des Weimarer Hofes. Gerhard Schmid und Diethelm Böttcher veröffentlichten Aufsätze aus ihren Arbeiten im renommierten „Archiv für Reformationsgeschichte“, ebenso später Ruth Wehowsky.51 Griewank konnte seine Schüler unter den Bedingungen der DDR nur mit Mühen im Wissenschaftsbetrieb halten. Als der Plan einer „Neuen Deutschen Biographie“ geschmiedet wurde, versuchte Griewank für Böttcher eine Stelle zu bekommen: „Meinerseits hätte ich gern einen hiesigen Schüler dabei berücksichtigt, der als mein bester Doktorand soeben mit einer Arbeit über die schwedische Propaganda in Deutschland im 30jährigen Krieg mit Auszeichnung promoviert hat und für eine Tätigkeit, wie sie die NDB verlangt, sehr gute Voraussetzungen mitbringen würde. (Dr. Diethelm Böttcher)“52

Doch Böttcher versuchte nach seiner Dissertation mit Auszeichnung vergeblich, in den Bibliotheksdienst oder den Archivdienst aufgenommen zu werden, auch eine Stelle bei der Deutschen Literaturzeitung wurde nicht genehmigt. Er ging deshalb 1951 über die grüne Grenze in den Westen. Dort erreichte ihn dann noch einmal ein Brief Griewanks, den dieser von München aus losgeschickt hatte mit der Bitte, ihn aufzusuchen, offensichtlich in der Absicht, ihn in München bekannt zu machen. „Ich bin nicht hingefahren, weil ich damals von Gelegenheitsarbeiten lebte und einfach nicht das Geld dazu hatte. Ein Jahr später kam dann die Todesanzeige und noch ein kurzes Schreiben seiner Witwe.“53 Neben Böttcher gehörte Karl-Heinz Hahn54 zu den älteren Studenten, ersten Schülern und engen Mitarbeitern Griewanks. Beide waren in der Leisegang-Affäre aktiv für die Wissenschaftsfreiheit eingetreten.55 Sie gehörten zum engeren Kreis um Griewank, der für sie unter normalen Umständen eine wissenschaftliche Laufbahn vorgeschlagen hätte. Griewank freute sich deshalb, Hahn als Mitarbeiter des Weimarer Staatsarchivs mit einem Lehrauftrag an der Universität Jena zur „Mitwirkung in unserem Lehrbetrieb“ gewinnen zu können.56 Die Verbindung zum Archivwesen wurde für Griewank bald immer wichtiger, um seinen Schülern eine Entwicklungsmöglichkeit zu bieten. Im Gegensatz zum Bibliotheksbereich waren die ideologischen Eingriffe im Archivwesen in der damaligen Zeit geringer.57 Vor allem lag dies an dem akuten Bedarf an Nachwuchskräften, der durch den Aderlaß gen Westen eintrat. Für Archivtätigkeiten konnte man im sorgfältigen 50 51

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VENTZKE: Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, S. 17, Am 59. Gerhard SCHMID: Konfessionspolitik und Staatsräson bei den Verhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses über die Gravamina Ecclesiastica, in: Archiv für Reformationsgeschichte 44 (1953), S. 203-223; Diethelm BÖTTCHER: Propaganda und öffentliche Meinung im protestantischen Deutschland 1628-1636, in: Archiv für Reformationsgeschichte 44 (1953), S. 181-203 und 45 (1954), S. 83-99. Zu Wehowsky siehe oben S. 279, Anm. 674. Karl Griewank an Max Spindler, 18.5.1951, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. Schr. Information Diethelm Böttcher, 22.7.1999. Vgl. Günter ARNOLD: Karl-Heinz Hahn (1921-1990), in: Lebensbilder Thüringer Archivare. Festschrift zum 50. Thüringischen Archivtag 2001, Rudolstadt 2001, S. 96-103; Red. unter Mithilfe von Reinhard HAHN: Art. „Hahn, Karl-Heinz“, in: Christoph KÖNIG (Hg.): Internationales Germanistenlexikon 1800-1950, Berlin/New York 2003, Bd. 2, S. 651-653. Siehe oben Kapitel 5.3.4. Karl Griewank an Karl-Heinz Hahn, 17.10.1953, in: PrA Hahn (Weimar). Ruth Wehowsky hatte ja nach ihrer Nichtzulassung zum Schuldienst vergeblich auf eine bereits fest zugesagte Stelle bei der Universitätsbibliothek gehofft und dabei die ideologischen Maßstäbe im Bibliothekswesen dieser Zeit zu spüren bekommen. Siehe oben S. 279 mit Anm. 673. Vgl. auch Karl KUJATH: Konflikte in Verwaltung und Bibliothek, in: Vergangenheitsklärung, S. 48-52.

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8. Der Streit um das Erbe

Umgang mit Quellen gut ausgebildete „Bürgerliche“ gebrauchen. Hier gelang es Griewank, Schritt für Schritt Kontakte zu bahnen, so daß er seinen Studenten schon frühzeitig Kontaktpersonen nennen konnte, durch die der Einstieg in die Archivlaufbahn ermöglicht werden konnte. So kommt es, daß viele der Absolventen von Friedrich Schneider, Karl Griewank oder Irmgard Höß den Archivarsberuf ergriffen: Friedrich Beck58, Hans-Stephan Brather, Gerhard Enders, Gebhard Falk, Karl-Heinz Hahn, Peter Langhoff, Klaus Mlynek, Gregor Richter, Gerhard Schmid, Irmtraut Schmid oder Hermann Schreyer wären hier etwa zu nennen. Auf die Leistungen dieser Archivare in ihrem Arbeitsbereich kann hier nicht eingegangen werden.59 Die Archivlaufbahn erwies sich in jedem Fall als eine Möglichkeit auch mit „bürgerlicher“ Ausbildung in der DDR im historischen Arbeitsfeld tätig zu sein. Auf Studenten, die nicht zum engeren Schülerkreis gehörten, wirkte Griewank stets sachlich, etwas distanziert, so wie man es von Professoren gewohnt war. Im privaten Bereich ergaben sich mit den studentischen Mitgliedern der SED kaum Gelegenheiten zum Austausch. Jedoch bleibt bemerkenswert, daß er sich auch diesen Kommilitonen gegenüber stets fair gezeigt hat. Während er Wolfgang Schumanns und Günther Schmerbachs eindeutig ideologische Arbeiten sehr kritisch beurteilte60, nahm er etwa Kurt Pätzold, obwohl sich dieser zuvor sehr scharf gegen Griewank gewandt hatte61, ohne große Diskussion als Examenskandidaten auf, nachdem dieser sich mit Preller überworfen hatte. Griewank wählte für Pätzold als Thema der Abschlußarbeit „Heinrich Ludens politisch-publizistische Tätigkeit als Ausfluß seiner Geschichtsauffassung“, womit er den Kandidaten verblüffte: „Kein Frage, Griewank wußte aus Diskussionen im Seminar, daß mich der Zusammenhang zwischen Philosophie, Geschichtswissenschaft und Politik besonders interessierte.“62 Als Betreuer lebte Griewank den von ihm propagierten Pluralismus. Daß die Arbeit und die Klausur Pätzolds von einer anderen geschichtsphilosophischen Grundlage aus geschrieben wurde, akzeptierte er ausdrücklich. Allerdings mußte sich Pätzold gefallen lassen, daß ihm die mangelnde Verwendung nichtmarxistischer Literatur attestiert wurde. Das Weglassen relevanter Literatur monierte Griewank grundsätzlich. Der Kandidat bekam deshalb auf die Arbeit ein „gut“ und in der Gesamtnote (Arbeit, Klausur, mündliche Prüfung) sogar ein „sehr gut“.63 Kurt Pätzold wurde von Griewank dann auch als Doktorand akzeptiert. In den Listen der Abteilung „Wissenschaftliche Aspirantur und Dozentenweiterbildung“ des SFH taucht Pätzold noch mit dem Betreuer Griewank auf, freilich schon mit dem Zusatz „verstorben“.64

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Zu Friedrich Beck vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 120f. Vgl. Gerhard SCHMID: Prolegomena zur Archivgeschichte der DDR. Eine Wortmeldung zur Eiheit im deutschen Archivwesen, in: Der Archivar 43 (1990); S. 502-515; vgl. ferner auch Lebensbilder Thüringer Archivare. Festschrift zum 50. Thüringischen Archivtag 2001, Rudolstadt 2001. Siehe dazu oben Kapitel 5.5.2. Von Pätzold Urheberschaft in der Treitschke-Diskussion konnte Griewank freilich nichts wissen. PÄTZOLD: Studienjahre in Jena, S. 129f. Mdl. Information Kurt Pätzold, 1.11.1999. Vgl. Kurt PÄTZOLD: Ludens politisch-publizistische Tätigkeit als Ausfluß seiner Geschichtsauffassung, Fakultätsprüfung Jena 1953. Belegexemplar UAJ, F II 90. Zu Heinrich Luden vgl. jetzt: Klaus RIES: Zwischen Wissenschaft, Staat und Gesellschaft. Heinrich Luden als politischer Professor der Universität Jena, in: Hans-Werner HAHN/Werner GREILING/Klaus RIES (Hg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Rudolstadt/Jena 2001, S. 27-51. NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“; vgl. auch PÄTZOLD: Studienjahre, S. 137-141. Mdl. Information Kurt Pätzold, 1.11.1999. Liste Aspiranten der Fachrichtung Geschichte, 20.11.53 in: DR 3/4052, Bl. 24-37, hier Bl. 35: „79. Kurt Pätzold, außerplanm. Aspirantur ab 1.9.53“

8.2. Die Griewank-Schüler und was aus ihnen wurde

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Jedoch stellten die überzeugten Anhänger des Marxismus-Leninismus zu dieser Zeit noch immer die Minderheit der Studierenden dar. Der Griewanksche Schülerkreis im engeren Sinne umfaßte deshalb Studentinnen und Studenten, die sich nicht auf die marxistische Lehre festlegen ließen. Darunter waren jedoch durchaus auch Studierende, die aus Arbeiterfamilien stammten, etwa die schon ausführlich portraitierte Ruth Wehowsky oder der Doktorand Georg Gerber, der als Maschinenbauer bei Carl Zeiss Jena gearbeitet und sein Abitur nebenberuflich an der Vorstudienanstalt nachgeholt hatte. In Griewanks Umfeld trat damit das ein, was SED-intern als „Verbürgerlichung der Arbeiter- und Bauernstudenten“65 bezeichnet und mit besonderem Eifer bekämpft hatte. Es wurde moniert, daß man „wohl die falschen“ Arbeiter und Bauern an die Universität geschickt habe. In der Tat wollten viele Arbeiterstudenten der Anfangszeit Geschichte studieren und nicht Ideologie treiben. Karl Griewank trat diesen gegenüber offen und sachlich entgegen, schuf mit den Lehrveranstaltungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung und der demokratischen Entwicklung Identifikationsangebote, die mittelfristig dazu dienen konnten, die Unterschiede zwischen „bürgerlichen“ und Arbeiterstudenten aufzuheben. Das blieb freilich Illusion. Erkennbar ist jedoch, daß diejenigen, die bei Griewank zur kritischen Analyse gesellschaftlicher Prozesse angeregt wurden, diese zunehmend auch auf die entstehende DDR anzuwenden begannen. Die Zahl derjenigen, die in den Westen übersiedelten, war groß. Georg Gerber jedoch blieb in der DDR und konnte sogar mit seinem Thema Francis Bacon wissenschaftlich tätig bleiben. Er arbeitete später als Übersetzer und gelegentlicher Kommentator Bacons am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin.66 Griewank sprach – wenn eine entsprechende Vertrauensbasis vorhanden war – durchaus auch ganz offen über die Möglichkeit für die Absolventen, in den Westen zu gehen. Er nannte etwa seinem Doktoranden Helmut Möller gegenüber bereits im April 1947 Hermann Heimpel als Ansprechpartner, falls er sich zur Flucht entschließen müsse. Möller blieb noch nach Griewanks Tod in der DDR, wechselte als promovierter Historiker zu den Erziehungswissenschaften und wurde Assistent von Peter Petersen und Johann Mieskes.67 Mit seiner Doppelqualifikation wurde er im Vorlesungsverzeichnis des Studienjahrs 1953/54 sowohl als Oberassistent an der Pädagogischen Fakultät als auch als Mitarbeiter und Lehrbeauftragter des Historischen Seminars geführt; er hielt Lehrveranstaltungen zur Wirtschaftsgeschichte.68 Auch er mußte dann jedoch in den Westen fliehen und wurde später Professor für Erziehungswissenschaften in Gießen.69 Horst Mastmann, ein weiterer Griewank-Schüler, übte kurze Zeit eine Position als Redakteur des LDP-Organs „Thüringer Landeszeitung“ aus und geriet 1950 zunehmend unter den Druck der Blockparteien-Gleichschaltung. Er mußte – nach eigenen Angaben

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KOWALCZUK: Geist im Dienste, S. 153f. Vgl. u.a. Francis BACON: Neu-Atlantis. Ins Deutsche übertragen von Georg GERBER, Berlin (O) 1959; Georg GERBER: Francis Bacon und das Atlantisrätsel. Ein Beitrag zur Deutungsgeschichte, in: FuF 36 (1962), H. 6, S. 174-176. Möller hatte 1947 eine „akademische Preisarbeit“ zum Thema „Grundfragen der demokratischen Erziehung“ mit Anerkennung abgeschlossen, auf deren Grundlage er nach Abschluß seines Studiums 1949 bei Peter Petersen promovieren wollte. Dieser stellte ihn als Assistenten und akzeptierte dazu jedoch auch eine Promotion in Möllers Hauptfach Geschichte bei Griewank. Schr. Information Helmut Möller, 3.2.2000. Friedrich-Schiller-Universität Jena. Personal- und Vorlesungsverzeichnis. Studienjahr 1953/54. Herbstsemester, hg. vom Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR, S. 26, 30, 48. Schr. Information Helmut Möller, 3.2.2000.

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8. Der Streit um das Erbe

– fliehen, um sich einem erneuten Verhör des KGB zu entziehen, nachdem er seine Dissertation bereits eingereicht hatte. Griewank bot sich daraufhin an, sogar als Gutachter der Arbeit an der FU Berlin aufzutreten, was ein Politikum dargestellt hätte.70 In den Akten der FU Berlin wurde das Griewanksche Gutachten dann auch archiviert, er mußte jedoch im Verfahren nicht offiziell in Erscheinung treten, da die Arbeit von Hans Herzfeld angenommen wurde.71 Auch Magda Wyrwol verließ die DDR. Nachdem sie sich vergeblich beim „Museum für deutsche Geschichte“ in Berlin vorgestellt hatte,72 stellte Griewank die überzeugte Katholikin als Assistentin ein. Für ihre Flucht gab sie im Mai 1953 zur Begründung an, „dass ich der Forderung, den Marxismus-Leninismus als einzig mögliche Methode der Wissenschaft anzuerkennen und die geschichtliche Lehrtätigkeit im Sinne politischer Erziehung für die Aufgaben der Gegenwart, den Aufbau des Sozialismus, auszurichten, nach meiner Gewissensüberzeugung nicht nachkommen konnte und daher mein Fortkommen im Wissenschaftsbetrieb der DDR für unmöglich hielt“.73

In seiner der Universitätsleitung gegenüber abgegebenen Erklärung betonte Griewank daraufhin zwar, daß er das Verlassen des Lehrbetriebs mitten im Semester nicht billigen könne. Die in der Erklärung angesprochenen weltanschaulichen Forderungen hielt er jedoch nicht für unmöglich und wollte genaueres wissen: „Dass Forderungen von der hierin angedeuteten Art an Frl. Dr. Wyrwol gestellt worden seien, war mir bisher nicht bekannt geworden. Sollte hierüber etwas mitgeteilt werden können, so würde mich das selbstverständlich sehr interessieren, und ich würde Ihnen für eine entsprechende Aufklärung dankbar sein.“74 Eine konkrete Antwort ist nicht überliefert. Nach Griewanks Tod hielten auch die Assistentin Ingeborg Horn und schließlich die inzwischen zur Professorin aufgestiegene Irmgard Höß den zunehmenden ideologischen Druck nicht mehr aus und verließen die DDR. Gerade Ingeborg und Otfried Horn hatten mit dem Tod Griewanks einen väterlichen Freund verloren. Sie verbanden gemeinsame kulturelle Interessen wie Musik und Theater. Griewank war Trauzeuge der beiden und Patenonkel ihres Sohnes.75 Nicht nur deshalb mußte Griewank die Verhaftung Otfried Horns als Angriff auf sein unmittelbares Umfeld und damit auf sich ansehen.76 Beide Eheleute Horn, die sich später im Westen scheiden ließen, fanden Tätigkeiten in der Erwachsenenbildung.77 Georg Trübner wurde von Ingeborg Horn nicht in der Liste der Schüler Griewanks aufgeführt, offensichtlich weil der während des Studiums als Lehrer tätige Trübner nicht zum engeren Umfeld des Lehrstuhls gehörte. Sein Dissertationsthema zur „Stellung von Karl Marx und Friedrich Engels zu den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Problemen Polens“ war von dem Kandidaten, der Slawistik und Geschichte studiert hatte, selbst gewählt worden. Die Arbeit wurde von Griewank als Erstgutachter mit „befriedigend“ bewertet.78 Trübners Hauptschwerpunkt lag wohl auf der Tätigkeit als Lehrer und der seit Januar 1952 wahrgenommenen Tätigkeit als Dozent der 70 71 72 73 74 75 76 77

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Schr. Information Hans-Stephan Brather, 5.10.1999. UA FU Berlin, Phil. Fak., Prom. II, Ma-Me, Fakultätsnummer 125, Mastmann. Siehe oben S. 365 mit Anm. 82. Magda Wyrwol, undat., in: BA Berlin, DR 3/1.Schicht/1599, Bl. 430. Karl Griewank an Prorektor für wissenschaftliche Aspirantur, 4.5.1953, in: ebd., Bl. 429. Schr. Information Otfried Horn, 26.11.1999. Siehe oben Kapitel 5.5.4. Ingeborg Horn-Staiger wurde Leiterin der Volkshochschule Darmstadt, Otfried Horn Leiter der Volkshochschule Braunschweig. NL Griewank, Karton 7, Mappe 3 „Gutachten über studentische Arbeiten“.

8.3. Historiographische Traditionslinie von „Schiller bis Fricke“?

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„Arbeiter- und Bauernfakultät“.79 Er habilitierte 1957, inzwischen Lektor an der TH Dresden, mit einer Arbeit zum Radikaldemokraten und Arbeiterführer „Johann Philipp Becker“80, die von dem mittlerweile 70-jährigen Friedrich Schneider begutachtet wurde. Dieses Thema war ohne Zweifel von Griewank inspiriert, der bereits 1953 einen Beitrag in der NDB über Becker geschrieben hatte.81 Von den Doktoranden Griewanks erhielten Gerhard Schmid in Archivwissenschaften und Helmut Möller in Erziehungswissenschaften Professuren. Der einzige Doktorand, der in Griewanks Feld der Neueren Geschichte Professor wurde, war Siegfried Schmidt. Er schaffte es am ehesten, unter den veränderten Bedingungen der DDR Impulse seines Lehrers Karl Griewank aufzunehmen und weiterzugeben. Seine Dissertation, die nun 50 Jahre später gedruckt wurde, war noch ganz im Stile seines nichtmarxistischen Lehrers abgefaßt.82 Später bekannte er sich eindeutig zum Historischen Materialismus und der marxistischen Methode und wirkte als marxistischleninistischer Historiker.83 Ein Dogmatiker oder Hardliner war er jedoch sicher nie. Ob und wie Siegfried Schmidt das „bürgerliche Erbe“84 weitertragen konnte, soll nun näher betrachtet werden, wenn nach den historiographischen Kontinuitäten gefragt wird. 8.3. HISTORIOGRAPHISCHE TRADITIONSLINIE VON „SCHILLER BIS FRICKE“? BRUCH UND KONTINUITÄT NACH GRIEWANKS TOD Fragt man nach Kontinuität und Bruch der durch Griewank angeregten Forschungsthemen, so ist zunächst und vor allem der Bruch zu betonen. Die Verhältnisse der DDR provozierten einen Verlust an intellektueller Kraft und Pluralität durch ideologische Verengung. Die Westwanderung eines Teils der Griewank-Schüler zeigt dies deutlich. Die von Griewank angeregten parteiengeschichtlichen Arbeiten von Magda Wyrwol, Horst Mastmann und Rudi Müller fanden keine Fortführung. Pläne zur sozialgeschichtlichen Stadtforschung oder zur Ideengeschichte sozialutopischer Romane wurden nicht

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Mit Diensteintrittsdatum 1.1.1952 im Personalteil der Vorlesungsverzeichnisse 1951/52-1955/56 verzeichnet als Dozent für Geschichte an der ABF. Georg TRÜBNER: Johann Philipp Becker. Ein Leben für die Freiheit (1809-1886). Unter Berücksichtigung aller von Becker verfaßten Schriften und Zeitungen, seines Nachlasses in Amsterdam und anderen unveröffentlichten Quellenmaterials, besonders aus Schweizer Archiven, Habilitation Jena 1957. Vgl. zu Trübners Arbeit Walter SCHMIDT: Johann Philipp Becker in der Geschichtsschreibung und Geschichtskultur der DDR, in: HAHN (Hg.): Johann Philipp Becker, S. 161-174, hier S. 163 und Rolf DLUBEK: Johann Philipp Becker im Vormärz. Sein Wirken in der Schweiz 1838-1847, in: ebd., S. 61-90, hier S. 61. Siehe dazu oben S. 304 mit Anm. 125f. Die Arbeit wurde aus Anlaß des 75. Geburtstags Siegfried Schmidts jetzt in Druck gebracht Vgl. Siegfried SCHMIDT: Die Entwick1ung der politischen Opposition im Königreich Sachsen zwischen 1830 und 1848, hg . von Werner GREILING, Dresden 2005. Vgl. Werner GREILING: Nachwort, in: ebd., S. 125-140; Vgl. auch Zum Gedenken an Siegfried Schmidt und Günter Steiger, Jena 1987;. Vgl. zu Siegfried Schmidt aus historiographiegeschichtlicher Sicht die österreichische Dissertation von Helmut ALEXANDER: Geschichte, Partei und Wissenschaft. Liberale und demokratische Bewegungen in der Zeit der Restauration und im Vormärz aus der Sicht der DDR-Geschichtswissenschaft, Frankfurt (M) [u.a.] 1988; vgl. auch MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 537f. Vgl. Johannes SCHRADI: Die DDR-Geschichtswissenschaft und das bürgerliche Erbe. Das deutsche Bürgertum und die Revolution von 1848 im sozialistischen Geschichtsverständnis, Frankfurt (M) [u.a.] 1984.

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8. Der Streit um das Erbe

weitergeführt.85 So gehören Helmut Möllers und Karl-Heinz Hahns Arbeiten wie auch die zeitgleiche Arbeit des Schneider-Schülers Hans Eberhardt86 weiterhin nach wie vor zur Grundlagenliteratur im Rahmen aktueller Forschungen um die „Doppelstadt Weimar-Jena“.87 Allein die Tatsache, daß sein nach eigener Aussage „bester Schüler“ Diethelm Böttcher keine Anstellung bekam und im Westen durch Gelegenheitsarbeiten von einer wissenschaftlichen Karriere abgehalten wurde, zeigt die zeittypischen Schwierigkeiten und erklärt insbesondere, daß eine Griewank-Schule nicht entstehen konnte. Vor allem ist die Unmöglichkeit einer nichtmarxistischen Schulbildung in der frühen DDR zu betonen. Hier wurde die Schulbildung in statu nascendi abgewürgt. Dennoch fallen auch Bereiche ins Auge, an denen Griewanks Anstöße scheinbar in der späteren DDR weiterentwickelt wurden. Dies soll im folgenden überprüft werden, indem die für Griewank zentralen Forschungsfelder der Revolutionsforschung und der Parteiengeschichtsschreibung einer Analyse unterzogen werden. Die Revolutionsforschung gilt international als ein Bereich, der den marxistischen Perspektiven ohne Zweifel wichtige Impulse verdankt.88 In der DDR war es vor allem die Leipziger Schule um Walter Markov und Manfred Kossok89, die sich in vergleichender Perspektive dem Thema zuwandte. Die Revolutionsforschung galt deshalb, so Helmut Rumpler 1980, als ein „Forschungsbereich der DDR-Historiographie [...], in dem sich noch am ehesten das vollzieht, was in westlicher Terminologie als wissenschaftlicher Diskurs“90 bezeichnet würde. Unverkennbar treten jedoch die Schwierigkeiten eines solchen Diskurses im Rahmen der SED-Diktatur hervor, wenn man sich vor Augen hält, daß der marxistische Revolutionshistoriker Walter Markov gerade zu dem Zeitpunkt, als Griewank 1952 den Vortrag zum Neuzeitlichen Revolutionsbegriff auf der Tagung des Museums für deutsche Geschichte hielt, durch Parteiausschluß und Repressionen in seinem beruflichen Fortkommen bedroht war.91 Man kann zwar im Hinblick auf die vergleichende Perspektive von ähnlichen Fragestellungen sprechen, die die Leipziger Forscher und Griewank in seinem Buch zum „neuzeitlichen Revolutionsbegriff“ beschäftigten. Allerdings ging es den Leipzigern weniger um die Wahrnehmungsgeschichte des Phänomens Revolution als um deren Träger und deren revolutionäres Potential, gleichsam: nicht um Ideen-, sondern Realgeschichte der Revolution.92

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Bekanntlich gehörten in der DDR Ansätze zur Sozialgeschichte, die etwa von Helga Schultz oder Hartmut Zwahr repräsentiert wurden, zu den Ausnahmeerscheinungen. Vgl. Georg G. IGGERS (Hg.): Ein anderer historischer Blick. Beispiele ostdeutscher Sozialgeschichte, Frankfurt (M) 1991. Vgl. Hans EBERHARDT: Goethes Umwelt. Forschungen zur gesellschaftlichen Struktur Thüringens, Weimar 1951. Erst durch den Sonderforschungsbereich 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ werden hier neue Impulse gesetzt. Zu denken wäre etwa an Albert Soboul oder Eric Hobsbawm. Vgl. Eric John HOBSBAWM: Europäische Revolutionen, Zürich 1962. Manfred KOSSOK: Studien über die Revolution, Berlin (O) 1969; DERS.: Studien zur vergleichenden Revolutionsgeschichte 1500-1917, Berlin (O) 1974. Helmut RUMPLER: Revolutionsgeschichtsforschung in der DDR, in: GWU 31 (1980), S. 178-187, hier S. 185. Vgl. die Beiträge in Manfred NEUHAUS/Helmut SEIDEL (Hg.): „Wenn jemand seinen Kopf bewußt hinhielt ...“ Beiträge zu Werk und Wirken von Walter Markov, Leipzig 1998; vgl. insbesondere Manfred KOSSOK: Walter Markov, in: ebd., S. 23-31. Markov trat bis zu seinem Tod nicht mehr in die SED ein; vgl. hierzu Veit DIDCZUNEIT: Walter Markov und die SED-Bezirksleitung Leipzig im Dezember 1956, in: ebd., S. 45-47. Gleichwohl wird ein Textausschnitt Griewanks in dem 1989 in der DDR herausgegebenen Band der „Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft“ aufgenommen. Vgl. Karl GRIEWANK: Der neue

8.3. Historiographische Traditionslinie von „Schiller bis Fricke“?

415

Markov näherte sich der vergleichenden Revolutionsforschung zudem von einem durch Hans Freyer geprägten universalhistorischen Hintergrund.93 Die späteren Forschungen in der DDR, insbesondere in Jena, wurden verschiedentlich per Assoziation auf den Vorgänger Griewank zurückgeführt.94 Matthias Steinbach sprach sogar von einer von Alexander Cartellieri begründeten „Tradition, die über Karl Griewank, Siegfried Schmidt und Werner Greiling bis zu Hans-Werner Hahn führt.“95 Auch wenn der Standort Jena für gewisse Studien – etwa zur Universitätsgeschichte des Jahres 1848 oder der Bedeutung Napoleons – anregen mag, sollte man solche Linien nicht als glatte Kontinuitäten sehen. Elisabeth Fehrenbach hat nicht ganz zu Unrecht die Jenenser davor gewarnt, daß „speziell für Jena eine historiographische Revolutionstradition (‚von Schiller bis Fricke’) ‚erfunden’ wird.“96 Sie kritisiert damit das Bild einer „fast bruchlose[n], kontinuierlich weiterentwickelt[n] Revolutionsforschung, die mit Friedrich Schiller, ‚dem Ahnherren moderner Jenaer Geschichtswissenschaft’ beginnt, von den ‚politischen Professoren’ des 19. Jahrhunderts fortgesetzt wird und bis zu den marxistischen Historikern Siegfried Schmidt und Dieter Fricke97 führt.“98 Es gilt in der Tat vor allem zunächst die Brüche zu betonen, die weltanschaulichen Komplikationen und historiographischen Unterschiede, die sich auftun. Insbesondere unterschied sich Griewank von dem konservativen Gelehrten und Vorgänger Alexander Cartellieri. Eine direkte Verbindung läßt sich nicht belegen, zumal Griewank das Revolutionsthema bereits vor seiner Jenaer Zeit behandelte. Eine Verbindung zu seinem Schüler Siegfried Schmidt besteht allerdings zweifellos. Dessen Dissertation, die nicht marxistisch-leninistisch angelegt ist, hat Griewank angeregt und bis zu seinem Tod betreut. Von ihm wurde Schmidt auch intellektuell geprägt. Siegfried Schmidt wurde auf Bitten von Magdalene Griewank mit der Neuausgabe des Buches über die „Französische Revolution“ betraut.99 Seine Forschungsschwerpunkte lagen unmittelbar in dem von Griewank bereits seit dessen Dissertation behandelten Themenspektrum. Siegfried Schmidts Habilitation zum „Achtundvierziger“ Robert Blum behandelte eine Person, die Griewank bereits in seiner Dissertation zum Publizisten Held als zentrale Figur der Revolution benannt hatte.100 Schmidt brauchte nicht erst durch den vielzitierten „Geschichtsbeschluß der SED“101 zum Studium der Revolutionen und der demokratischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts aufgefordert werden. Freilich unterschieden sich spätere Arbeiten Siegfried Schmidts, die auf marxistischer Grundlage abgefaßt wurden, von denen Griewanks und auch von seiner eigenen in der Dissertation

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Revolutionsbegriff der Französischen Revolution, in: Kurt HOLZAPFEL/Matthias MIDDELL (Hg.): Die Französische Revolution 1789 – Geschichte und Wirkung, Berlin (O) 1989, S. 115-120. Auf die Verbindung der politisch sich so fernstehenden Markov und Freyer macht aufmerksam: Matthias MIDDELL: Anmerkungen zur Herausbildung der vergleichenden Revolutionsforschung in der Historiographie der DDR, in: Stefan JORDAN/Peter Thomas WALTHER (Hg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft. Aspekte einer problematischen Beziehung. Festschrift für Wolfgang KÜTTLER zum 65. Geburtstag, Waltrop 2002, S. 400-420, hier S. 404-408. Vgl. SCHMIDT: Karl Griewank und die 1848er Revolutionsgeschichtsforschung, S. 719 und vor allem STEINBACH: Die Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 692. STEINBACH: Des Königs Biograph, S. 6, Anm. 22. FEHRENBACH: Kommentar, S. 741. Vgl. zu Dieter Fricke MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 221-223. Ebd. Siehe oben S. 72. Vgl. GRIEWANK: Held; SCHMIDT: Robert Blum. Vgl. Horst HAUN: Der Geschichtsbeschluß der SED 1955. Programmdokument für die „volle Durchsetzung des Marxismus-Leninismus“ in der Geschichtswissenschaft, Dresden 1996.

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8. Der Streit um das Erbe

vertretenen weltanschaulichen Position. Der „Blum“ von Schmidt gilt dennoch als eine der bleibenden Einzelleistungen der Jenaer Geschichtswissenschaft.102 Als Siegfried Schmidts „Robert Blum“ 1971 gedruckt wurde, existierte schon seit fast zehn Jahren die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte der bürgerlichen Parteien in Deutschland“103 unter der Leitung von Dieter Fricke. Die Parteiengeschichte fand mit ihr in Jena einen Standort, an dem sie sehr intensiv für lange Jahre betrieben wurde. Es wäre allerdings verfehlt, hier eine Kontinuität zu den von Griewank angestoßenen Forschungen (Wyrwol, Mastmann) zu sehen. Griewank knüpfte an die Tradition der parlamentarischen Demokratie an. Seine Initiativen entsprangen damit dem gleichen Impetus, aus dem 1951 die westdeutsche „Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien“ gegründet wurde. Die Jenaer Arbeitsgruppe zur Geschichte der bürgerlichen Parteien verstand sich nun gerade als eine Gegenreaktion darauf.104 Eine historiographische Untersuchung des Großprojektes „Lexikon der Parteiengeschichte“ steht noch aus.105 Es gilt heute allgemein als eine der bleibenden Leistungen der DDR-Geschichtswissenschaft.106 Die „Historiker im Westen [betrachteten] die unter Frickes Namen veröffentlichten Kompendien als die professionellsten, die zukunftsversprechendsten Produkte der Geschichtswissenschaft der DDR“, als „Werke, die sich sehen lassen konnten und im Ergebnis eine vorbildliche Gemeinschaftsleistung erscheinen“107, urteilte Lutz Niethammer. Allerdings sind die besonderen Bedingungen zwischen Abschottung und Öffnung der DDR-Geschichtswissenschaft bei diesem Projekt ebenso wenig untersucht worden wie die forschungsorganisatorischen Rahmenbedingungen eines solchen Großprojekts. Auch eine inhaltliche Rezeption und Diskussion mit der westdeutschen Forschung über allgemeines Lob hinaus ist kaum feststellbar.108 Für den Bereich 1789 bis 1917 des Projektes zeichnete nun Siegfried Schmidt verantwortlich. Man könnte hier – vor allem auch wegen der direkten Schülerbeziehung

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So Matthias WERNER: Geschichte des Historischen Instituts, in: Dirk VAN LAAK [u.a.]: Geschichte studieren in Jena. Das Historische Institut stellt sich vor, Jena 1996, S. 5-8, hier S. 7. Der Name variierte im Laufe der Jahre; im Grunde blieb die Arbeitsgemeinschaft jedoch bis zum Ende der DDR existent. Zur Gründung vgl. SCHRADI: DDR-Geschichtswissenschaft und das bürgerliche Erbe, 130-135; ALEXANDER: Geschichte, Partei, Wissenschaft, S. 25-27. Vgl. Manfred WEIßBECKER: Parteiengeschichtsforschung in Jena – Erfahrungen und Einsichten, in: DERS. (Hg.): Geschichtsschreibung in der DDR, S. 167-178, hier S. 169. Vgl. jetzt Hans-Werner HAHN/Tobias KAISER: Die Arbeitsgruppe zur Geschichte der bürgerlichen Parteien 1962-1990. Ein geisteswissenschaftliches Großprojekt, in: Uwe HOßFELD/Tobias KAISER/Heinz MESTRUP (Hg.): Hochschule im Sozialismus. Studien zur Geschichte der FriedrichSchiller-Universität Jena (1945-1990), Köln/Wien/Weimar 2007, im Druck. Vgl. etwa WERNER: Stationen Jenaer Geschichtswissenschaft, S. 18f. Lutz NIETHAMMER: Mann des Übergangs: Herbert Gottwald. Ein Brief anlässlich seiner Emeritierung, in: DERS.: Ego-Histoire?, S. 208-215, hier S. 210. Nur Michael Schneider hat sich vor der „Wende“ intensiv mit dem „Parteienlexikon“ beschäftigt. Er sieht eher Traditionalität und Solidität als methodische Innovationskraft und setzt sich insbesondere auch mit den geschichtstheoretischen Objektivitäts- und Beurteilungsmaßstäben auseinander; Michael SCHNEIDER: Das „Lexikon zur Parteiengeschichte“ – oder: Das „objektiv“ Bürgerliche in seiner „Widersprüchlichkeit“ [Rez. Lexikon der Parteiengeschichte], in: AfS 28 (1988), S. 460-468. Eine Einordnung als Forschungsleistung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft deutet Heike Christina Mätzing allenfalls an. Vgl. MÄTZING: Geschichte im Zeichen des historischen Materialismus, S. 212-215. Im Rückblick betonte Dieter Fricke die Gefahr der Theorie-Ferne des Projekts: Dieter FRICKE: Erste Versuche einer nicht nur auf die Forschung bezogenen Bilanz, in: Vom Trümmerhaufen zum Aussichtsplattform. Historische, aktuelle und perspektivische Vermessungen einer gründlich veränderten Situation. Festschrift für Frank DEPPE zum 50. Geburtstag, Marburg 1991, S. 201-213. Vgl. auch WEIßBECKER, Parteiengeschichtsforschung.

8.4. Karl Griewank – ein „Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft“?

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– von Forschungen Siegfried Schmidts sprechen, die unter den veränderten Bedingungen der DDR Impulse seines Lehrers Karl Griewank aufnahmen. Eine nicht überall übliche Offenheit des internen Diskurses innerhalb seiner Arbeitsgruppe verstärkte den positiven Gesamteindruck, der über den früh verstorbenen Hochschullehrer Siegfried Schmidt vermittelt wird. Siegfried Schmidt wurde somit in der Tat zum historiographiegeschichtlich wichtigsten Schüler Griewanks. Dennoch sollte man auch diese Kontinuität nicht überbetonen. Vor allem lag sie in der durch Siegfried Schmidt fortgesetzten Themenwahl. In seinen Beiträgen, etwa programmatischen Aufsätzen in der ZfG, betonte er stets den Klassenkampfcharakter der Parteibildung und den Ideologiecharakter des Liberalismus.109 Auch kann keinesfalls von einer systematischen Rezeption der Griewankschen Forschungsanregungen durch die DDR-Geschichtswissenschaft gesprochen werden. Auch Walter Schmidt, der die Folgen der Griewankschen Impulse für die Revolutionsforschung der DDRHistoriographie untersucht und diese zu betonen versucht, muß eingestehen, daß die von Griewank „vermittelten Anstöße zunächst kaum aufgenommen und weiterverfolgt“ worden seien und „erst seit den sechziger Jahren“ ähnliche Fragestellungen „allerdings auf historisch-materialistischer Grundlage und ohne sich direkt auf Griewank [...] zu beziehen“ aufkamen.110 Von einer bruchlosen Linie von Griewank zur DDR-Forschung kann keine Rede sein. 8.4. KARL GRIEWANK – EIN „WEGBEREITER DER DDRGESCHICHTSWISSENSCHAFT“? War dennoch Griewank ein „Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft“? Unter diesem Titel erschien in der noch existierenden DDR des Jahres 1989 ein Sammelband zur Historiographiegeschichte der Nachkriegszeit. Enthalten waren nicht nur die „Vorkämpfer“ der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft, sondern auch sogenannte „bürgerliche“ Historiker wie Otto Hoetzsch, Hellmut Kretzschmar, Martin Lintzel, Fritz Rörig, Friedrich Schneider, Heinrich Sproemberg und eben auch Karl Griewank. Der Band stellte vielfach die Wiederentdeckung von „Unpersonen“ dar, von Historikern, die in der DDR-Historiographie bislang bestenfalls als Randfiguren des Aufbaus einer sozialistischen Disziplin angesehen wurden. Die Schwierigkeit, einen Nicht-Marxisten als Wegbereiter einer marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft vorzustellen, ging Karl-Heinz Noack mit den Anfangsbemerkungen direkt an: „Karl Griewank gehört gewiß nicht zu jenen, die der historisch-materialistischen Sicht in der Geschichtswissenschaft Geltung verschaffen halfen; er stand im Gegenteil dem Marxismus zeitlebens eher kritisch gegenüber. Und dennoch wirkte er wie zahlreiche andere bürgerliche Historiker – gewollt oder ungewollt – als Wegbereiter der sich in den fünfziger Jahren konstituierenden DDRGeschichtswissenschaft.“111

Noack vermied mit diesen Formulierungen wie im folgenden Text eine propagandistische Verdrehung der Griewankschen Position, indem er betonte, daß Griewank dem Marxismus kritisch gegenüberstand. Karl-Heinz Noack, ein Mitarbeiter Ernst Engelbergs, kannte Griewank nicht. Daß nicht der Mitherausgeber Walter Schmidt, der bei

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Siegfried SCHMIDT: Zur Frühgeschichte der bürgerlichen Parteien in Deutschland, in: ZfG 13 (1965), S. 973-991; DERS.: Politik und Ideologie des bürgerlichen Liberalismus im Revolutionszyklus zwischen 1789 und 1917, in: ZfG 31 (1983), S. 24-37. SCHMIDT: Karl Griewank und das Zentenarium von 1848, S. 579. NOACK: Karl Griewank, S. 75.

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8. Der Streit um das Erbe

Griewank sein Examen abgelegt hatte, den Aufsatz schrieb, fällt ins Auge. Unbestritten ist jedoch, daß Noack von Schmidt Informationen zu den Jenenser Verhältnissen erhielt.112 Um die Hintergründe der Entstehung des „Wegbereiter“-Bandes einzuordnen, muß man verschiedene Entwicklungslinien sehen. Zum einen hatte sich die Historiographiegeschichte der DDR als Teildisziplin etabliert und in ihren Aussagen kanonisiert. Die Besatzungszeit und frühe DDR galten als Übergangs- und Aufbauphase einer marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft. In diesem Interpretationsmuster blieb der „Wegbereiter“-Band verhaftet; von möglichen alternativen Wegen war nicht die Rede. Mit der Gelassenheit des zeitlichen Abstandes konnten allerdings für die Frühphase auch Personen des Übergangs aufgenommen werden. Zum anderen hatte die ErbeTraditions-Debatte in der DDR das Geschichtsbild verändert.113 Die DDR und ihre Geschichtswissenschaft waren bereit, das „bürgerliche Erbe“ anzunehmen, auch wenn es nicht zur eigenen konstruierten kommunistischen „Tradition“ paßte. Mit Walter Schmidt gehörte ein Vertreter dieser Linie zum Herausgeberkreis des „Wegbereiter“Bandes. Auch Karl-Heinz Noack war ausgewiesen in der preußischen Geschichte und als enger Mitarbeiter Ernst Engelbergs vor allem an dessen Bismarckforschungen beteiligt. Es kamen verschiedene Motive und Ziele, zumal bei den unterschiedlichen Beteiligten, für den Band zusammen. Das Gesamtkonzept blieb von politischer Seite und aus der Sicht des parteiamtlichen Dietz-Verlages ohne Zweifel dem Konzept der Vereinnahmung verpflichtet, der Homogenisierung des Bildes von der DDRGeschichtswissenschaft und Indienstnahme ihrer „bürgerlichen“ Opponenten, die jeweils den „Klassencharakter“ ihres Themas wegen ihrer „Klassengebundenheit“ (noch) nicht hätten erkennen können.114 Innerhalb des so begrenzten Rahmens offenbart der Beitrag von Noack zu Griewank nicht nur eine größere Tiefenschärfe als manch anderer Aufsatz, sondern auch deutliche Sympathie für die beschriebene Person. Das Lektorat des Dietz-Verlages zeigte dem jedoch Grenzen auf. Karl-Heinz Noack bestätigte im Gespräch, daß er die weltanschaulichen Konflikte, insbesondere die „Treitschke-Diskussion“ nicht habe objektiv darstellen können.115 Auf Ingeborg Horn-Staiger wirkte die biographische Skizze in den „Wegbereitern der DDR-Geschichtswissenschaft“ als eine „verdiente – zugleich auch vereinnahmende 112 113

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Mdl. Information Karl-Heinz Noack, 20.3.2000. Vgl. ausführlich Jan Herman BRINKS: Die DDR-Geschichtswissenschaft auf dem Weg zur deutschen Einheit: Luther, Friedrich II und Bismarck als Paradigmen politischen Wandels, Frankfurt (M)/New York 1992. Vgl. auch SCHRADI: DDR-Geschichtswissenschaft und das bürgerliche Erbe; Andrea RÖGNER-FRANCKE: Die SED und die deutsche Geschichte. Erbeaneignung und Traditionspflege in der DDR, Melle 1987; Helmut MEIER/Walter SCHMIDT (Hg.): Erbe und Tradition in der DDR. Die Diskussion der Historiker, Berlin (O) 1988; Walter SCHMIDT: Aspekte der Erbe- und Traditionsdebatte in der Geschichtswissenschaft, Berlin (O) 1988. Vgl. bilanzierend: Helmut MEIER: Anliegen und Ergebnisse der Erbe- und Traditionsdebatte in der Geschichtswissenschaft der DDR, in: Eberhard FROMM/Hans-Jürgen MENDE (Hg.): Vom Beitritt zur Vereinigung. Schwierigkeiten beim Umgang mit deutsch-deutscher Geschichte, Berlin [1994], S. 123-129; Walter SCHMIDT: Zu Leistungen, Grenzen und Defiziten der Erbedebatte der DDR-Historiker, in: ebd., S. 106-116; DERS.: Die Erbetradition in der DDR-Historiographie. Versuch einer kritischen Bilanz, Berlin 1995. Vgl. Ilko Sascha KOWALCZUK: Die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus in der Geschichtswissenschaft der DDR (1945-1961), in: Martin SABROW/Peter Th. WALTHER (Hg.): Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995, S. 31-58, hier vor allem S. 37f. Schr. Information Karl-Heinz Noack, 20.4.1999; mdl. Information Karl-Heinz Noack, 20.3.2000.

8.5. „Mein Lehrer Karl Griewank“ – eine Renaissance nach 1990

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– Würdigung“.116 Die Vereinnahmung ergab sich aus der Konzeption unter dem Stichwort „Wegbereiter“. Ein solcher sei Griewank, so die These, „gewollt oder ungewollt“ für die marxistisch-leninistische DDR-Historie geworden, da „namhafte DDR-Historiker wie Kurt Pätzold, Siegfried Schmidt, Walter Schmidt und Wolfgang Schumann [...] bei ihm Vorlesungen hörten, Seminare absolvierten und ihre Examina absolvierten, [eine] gründliche und solide Ausbildung im Handwerk des Historikers“117 erhielten. Das ist unbestritten richtig, dennoch ist diese Feststellung sicher nicht hinreichend, um Griewank als einen „Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft“ zu sehen. Insbesondere sollte berücksichtigt werden, daß dies dem Selbstbild Griewanks widersprach. Für Griewank hat es keine „DDR-Geschichtswissenschaft“ gegeben, er hielt stets an der Einheit der deutschen Geschichtswissenschaft fest und ihn verband mehr mit den Historikern der Bundesrepublik als ihn vermeintlich trennte. Durch einige seiner Studenten und Absolventen und deren „Ausbildung im Handwerk des Historikers“ wirkte er dennoch sehr wohl auf die Historie in der DDR; am Beispiel der Archivare wurde dies schon angedeutet. Andere Schüler wurden jedoch an einer Laufbahn innerhalb der Geschichtswissenschaft der DDR gehindert. Im vorhergehenden Abschnitt wurden diese historiographischen Folgewirkungen aufgezeigt, insbesondere auch die Schülerschaft Siegfried Schmidts betont. Dennoch, auch das wurde deutlich gemacht: Es gab mehr Brüche als Kontinuitäten, vor allem auch personell. Methodisch und inhaltlich antizipierte Griewank Themen und Forschungsfelder der späteren Bundesrepublik, gehörten dort die Bücher zum Wiener Kongreß, zum „Neuzeitlichen Revolutionsbegriff“, seine Beiträge zur Revolution 1848/49 und zum Teil auch das Bändchen zur Französischen Revolution zu den Standardwerken, während diese in der DDR nicht oder bestenfalls als eingeschränkt brauchbar zur Kenntnis genommen wurden. 8.5. „MEIN LEHRER KARL GRIEWANK“ – EINE RENAISSANCE NACH 1990 Er habe zwar nie verschwiegen, daß er von Karl Griewank während seines Studiums am meisten beeinflußt worden sei und viel von ihm gelernt habe, aber man habe das in der DDR auch nie besonders betont, gab Walter Schmidt im Gespräch unumwunden zu.118 Vom Lehrer Karl Griewank sprach man in der DDR in der Tat weniger. Walter Schmidt, der letzte Direktor des „Zentralinstituts für Geschichte“ an der „Akademie der Wissenschaften der DDR“, hatte der „Treitschke-Diskussion“ noch als stummer Teilnehmer beigewohnt und 1953 seine Staatsexamensarbeit bei Griewank geschrieben.119 Zu Schmidts Spezialgebieten gehörte vor allem die Revolution 1848/49, aber auch die Geschichte der DDR-Geschichtswissenschaft.120 Als Mitherausgeber des „Wegbereiter“-Bandes, lag es für ihn persönlich nicht fern, sich mit der Biographie Griewanks zu beschäftigen. Nach dem Ende der DDR, das für Schmidt das unfreiwilli-

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HORN-STAIGER: Nachwort zur dritten Auflage, S. 272. NOACK: Karl Griewank, S. 75. Mdl. Information Walter Schmidt, 22.3.2000. Walter SCHMIDT: Marx und Engels und die „Neue Rheinische Zeitung“ und die revolutionären Bewegungen in Polen 1848/49, Staatsexamensarbeit Jena 1953. Vgl. MERTENS: Lexikon der DDR-Historiker, S. 538-540; Bibliographie der wissenschaftlichen Arbeiten von Walter Schmidt, in: Wolfgang KÜTTLER/ Helmut MEIER (Hg.): Gibt es erledigte Fragen an die Geschichte? Beiträge eines wissenschaftlichen Kolloquiums aus Anlaß des 65. Geburtstages von Walter SCHMIDT am 1. Juli 1995 in Berlin, Berlin 1996, S. 144-168.

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8. Der Streit um das Erbe

ge Ausscheiden aus dem offiziellen Geschichtsbetrieb bedeutete, widmete er sich der Person Griewanks in mehreren Aufsätzen.121 Diese Texte würden nun wiederum zeigen, „daß und wie Marxisten ihrer bürgerlichen Lehrer gedachten“, behauptete prompt Kurt Pätzold im Jahr 2000 in der sozialistischen Tageszeitung „junge welt“ und impliziert durch diese zeitlich nicht festgelegte Aussage, man habe sich der „bürgerlichen“ Lehrer kontinuierlich auch während der Zeit der DDR erinnert.122 An anderer Stelle führt Pätzold sogar aus, „dass diese Anfangsjahre, da sich sozialistische Studenten und bürgerliche Professoren in einem Arbeitsverhältnis gegenübertraten und zusammenwirkten, erinnerns- und bedenkenswert sind. Es waren Jahre eines Pluralismus der Anschauungen, von dem heute kaum die Rede sein kann.“123 Auf diese Pluralismus-Interpretation, die im Zusammenhang mit der Deutung der „Treitschke-Diskussion“ erfolgte, wurde an der entsprechenden Stelle schon kritisch Bezug genommen.124 Die Äußerungen Pätzolds machen auf ein Phänomen aufmerksam, das in der Überschrift „Renaissance nach 1990“ genannt wurde. Stefan Berger, der die Aktivitäten der entlassenen, abgewickelten und frühverrenteten DDR-Historiker untersucht hat, stellt über Pätzold und Vertreter seiner Generation fest, daß diese „gern in ihren ‚bürgerlichen Lehrmeistern’ diejenigen [sehen], die ihnen ‚einen ernsten Begriff von Wissenschaftlichkeit’ beigebracht haben“.125 Berger beurteilt dies ausgesprochen positiv als ein Festhalten am Wissenschaftsstandard, betont zudem die große Bereitschaft zur Selbstreflexion und Selbstkritik in PDS-nahen Geschichts- und Bildungsvereinen oder der im Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung aktiven und produktiven Historikergruppe. Berger meint „eine alternative historische Kultur im Osten Deutschlands“ ausmachen zu können und spricht von der „wunderlichen Auferstehung“ der „Leiche DDRGeschichtswissenschaft“.126 Man kann die Aktivitäten der hier nur skizzierten „zweiten deutschen Wissenschaftskultur“127 sicherlich als Bereicherung des Geschichtsdiskurses begrüßen, wenn Berger jedoch ganz pauschal für ungenannte „zahlreiche DDR-Historiker“ von einer „bereits lange vor 1989 einsetzende[n] kritische[n] Haltung gegenüber verschiedenen Bereichen der DDR“128 spricht, so sind Fragezeichen angebracht. Die Beschäftigung mit Griewank fordert beispielhaft dazu auf. Die Griewank-Schüler im engeren Sinne – etwa die Gruppe derjenigen, die für ihn bei der „Treitschke-Diskussion“ auftraten – hatten es allesamt nicht leicht in der DDR, viele verließen den ostdeutschen Staat. Mit einer marxismuskritischen Haltung waren sie auf die Toleranz angewiesen, die Griewank forderte. Diese wurde ihnen aber seitens der DDR bzw. ihrer Vertreter nicht entgegen gebracht. Aus deren lebensweltlicher Wahrnehmung erscheint das Loblied Pätzolds auf Griewanks Toleranz geradezu grotesk. Er wünsche sich, daß heutige

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Siehe oben S. Anm. S. 41, Anm. 194. Kurt PÄTZOLD: In memoriam Karl Griewank, in: junge Welt vom 14./15. Oktober 2000, S. 7. PÄTZOLD: Eindringlinge, S. 237. Siehe oben Kapitel 5.4. Stefan BERGER: Was bleibt von der Geschichtswissenschaft in der DDR? Blick auf eine alternative historische Kultur im Osten Deutschlands, ZfG 50 (2002), S. 1016-1034, hier S. 1021. Ebd. S. 1017. Vgl. auch DERS.: The Search for Normality. National Identity and Historical Consciousness in Germany since 1800, Providence/Oxford 1997, S. 149-175. Walter SCHMIDT: Bedingungen und Resultate der Geschichtsforschung vor und nach 1989. Das Beispiel 1848/49, in: Manfred WEIßBECKER (Hg.): Geschichtsschreibung in der DDR. Rück-Sichten auf Forschungen zum 19. Jahrhundert und zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Jena 2000, S. 2370, hier S. 51. BERGER: Was bleibt, S. 1023.

8.5. „Mein Lehrer Karl Griewank“ – eine Renaissance nach 1990

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Studenten in einer toleranten Atmosphäre studieren könnten, dazu allerdings „müßten Hochschullehrer mitwirken, die gegenüber ihrem studentischen Widerpart so verständnisvoll und nachsichtig sich verhielten, wie das Karl Griewank seinerzeit getan hat.“129 Bereits aus Anlaß des Todes von Wolfgang Schumann 1991 erinnerte Pätzold an Griewank, da dieser Schumann in Jena am meisten beeinflußt habe.130 Schumanns von Gentzen betreute Abschlußarbeit131 gehörte bekanntlich zu jenen ideologischen Arbeiten, die Griewank wegen ihres Themas nicht anzunehmen vermochte. Von Pätzold 1991 nahegelegt wird jedoch ein enges Schülerverhältnis, das auf keinen Fall existierte.132 Sachliche und persönliche Ebene sind hier nicht zu trennen und gerade um die Frage des persönlichen Respekts jenseits der Konflikte scheint es zu gehen, wenn Pätzold stellvertretend für die Gruppe der „Eindringlinge“ in das bürgerliche Bildungsmonopol, der „Neubekehrten“133 des Marxismus-Leninismus ausführt: „Wovon die wenigen Dokumente zugespitzter Konfliktsituationen nicht sprechen und wovon manche, die sonst die Methoden der oral history für unverzichtbar halten nicht Kenntnis nehmen wollen, das ist die Achtung, die wir Friedrich Schneider und Karl Griewank im Leben entgegenbrachten und ihnen über den Tod hinaus bewahrten.“134

Mit dem Hinweis auf die Oral History135 verweist Pätzold auf die lebensweltlichbiographische Erklärung, auf die biographische Erfahrungsebene. Pätzold macht im Gespräch auf seine Herkunft als Vertriebener aufmerksam, der nach den Erfahrungen des Faschismus die ihm gebotenen außerordentlichen Bildungschancen in der DDR nutzte.136 Die Hochschule wird als eine fremde Welt erinnert, der man sich durch unbedingten Leistungswillen stellte und so die Professoren von der persönlichen Fähigkeit überzeugen wollte. Kurt Pätzolds Lebensweg und Verhalten wurden in der Literatur bereits mehrfach thematisiert: Er fiel während der heißen Diskussion an der Berliner Universität 1989/90 aus dem Rahmen. Gehörte er doch zu denjenigen Professoren, die offensichtlich an politischen Exmatrikulationen beteiligt gewesen waren, versuchte aber nicht seine Personalakte zu schönen oder durch Vorruhestand lautlos aus dem Dienst zu scheiden.

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PÄTZOLD: Eindringlinge, S. 237. Ähnlich vgl. PÄTZOLD: Studienjahre in Jena, S. 160. DERS.: Geschichtsforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Aus der Rede anläßlich der Beisetzung von Wolfgang Schumann am 19. März 1991, in: ZfG 39 (1991), S. 11071111. Der Titel lautete: „Die Politik der Sowjetunion zur Verhinderung der Remilitarisierung Westdeutschlands und für den Aufbau nationaler Streitkräfte eines einheitlichen, friedliebenden und demokratischen Deutschlands“. Siehe oben S. 270 mit Anm. 627. Gerade Schumann trat auch nach seinem Examen in scharfen Attacken gegen die „bürgerlichen“ Historiker, namentlich gegen Irmgard Höß auf, deren universitätsgeschichtliches Konzept er aggressiv als unwissenschaftlichen Mythos attackierte. Vgl. Irmgard HÖß: Die Universität Jena und ihr nationales Erbe, in: WZJ GSR 2 (1952/53), H. 2, S. 1-16; Wolfgang SCHUMANN: Zu zwei Fragen der Geschichte der Universität, in: WZJ GSR 2 (1952/53), H. 3, S. 85-91. Vgl. auch die Analyse bei BAUER: Jubelschrift, S. 243-247. PÄTZOLD: Leben, Studium und gemeinsame Anfänge, S. 27; DERS., Eindringlinge. DERS.: Leben, Studium und gemeinsame Anfänge, S. 27. Die Bemerkung mag sich gegen Ilko-Sascha Kowalczuk gerichtet haben, der als scharfer Kritiker Pätzolds in Erscheinung getreten ist, zugleich aber auch im Rahmen einer Ringvorlesung an der Humboldt-Universität der Oral History durch die Einladung Lutz Niethammers Bedeutung zugemessen hat. Vgl. Lutz NIETHAMMER: Oral History, in: Ilko-Sascha KOWALCZUK (Hg.): Paradigmen deutscher Geschichtswissenschaft. Ringvorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1994, S. 189-210. Mdl. Information Kurt Pätzold, 1.11.1999. Vgl. auch PÄTZOLD: Studienjahre in Jena.

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8. Der Streit um das Erbe

Er entschuldigte sich und erklärte, aus Überzeugung gehandelt zu haben. Die Entschuldigung wurde indes nicht angenommen – so kann man die Ereignisse kurz zusammenfassen, die mittlerweile auch dokumentiert und vielfach diskutiert wurden.137 Lothar Steinbach plädiert nun dafür, die nach 1989 entstandene neue „Sichtweise auf die eigene Geschichtserfahrung, die aus dem erlebten Bruch in der eigenen Biographie als eine neue Qualität der Geschichtsaneignung entstanden ist“138, anzuerkennen. Er plädiert mithin für eine erfahrungsgeschichtliche Perspektive in der Betrachtung der DDR-Historiographie. Er kritisiert deshalb vor allem die Studie von Ilko-Sascha Kowalczuk, dem er vorwirft, von seinen Erfahrungen der späteren DDR rückwirkend auf die frühe Zeit zu schlußfolgern. Deshalb beschreibe Kowalczuk Kurt Pätzold unzulässigerweise so, als sei diesem als Student bereits „das Kainszeichen des SED-Einpeitschers eingebrannt gewesen […], als er sich 1950/51 in Jena als ‚SEDStudent’ an der [...] Kampagne gegen Karl Griewank beteiligte.“139 Die Frage nach der Lehrer-Schüler-Beziehung ist unverkennbar nur Teil einer größeren Diskussion. Es geht um das Bild von der DDR und ihrer Wissenschaft. Lothar Steinbach ist zuzustimmen, wenn er unter Rückgriff auf Mitchell G. Ash betont: „In der Tat könnte biographisierte Reflexivität einen Ausweg aus dem derzeitigen Dilemma eines Auf- und Abrechnungskurses bei der Debatte um die DDR-Historie als affirmative Ideologisierungsinstanz bieten und darüber hinaus auch einen innovatorischen Impetus für die Erforschung von DDR-Geschichte geben.“140 Die Erfahrungsgeschichte der Diktatur rückt dann in den Vordergrund. Daß Pätzold und die Gruppe der marxistischen Studenten Griewank und ihre bürgerlichen Lehrer verehrt und von ihnen viel gelernt haben, ist von dieser Sichtweise her überhaupt nicht in Abrede zu stellen. Gerade Kurt Pätzold wurde offenbar von Griewank fachlich geschätzt und, trotzdem er öffentlich gegen den Professor aufgetreten war, als Doktorand im Rahmen der außerplanmäßigen Aspirantur von ihm akzeptiert.141 Eine solche biographische Erfahrungen miteinbeziehende Aufarbeitung kann jedoch erstens nicht nur bei den Erfahrungen dieser Gruppe der später erfolgreichen DDRHistoriker stehen bleiben. Die lebensweltliche Erfahrung von Ruth Wehowsky, Irmgard Höß oder Otfried Horn war eine andere und ihr Bild von der Zeit der DDR damit ebenso. Für sie waren die frühen Jahre keine des Pluralismus und eines „Arbeitsverhältnisses“ zwischen Marxisten und Nichtmarxisten, sondern des zunehmenden politischen Drucks, unter dem gerade der beschworene Pluralismus verlorenging und Verständigungschancen verbaut wurden. Zudem konnte zweitens die nachfolgende Generation

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Die Diskussion (auch die in der Tagespresse) wird zeitnah dokumentiert und in den Anmerkungen nachgewiesen bei Konrad H. JARAUSCH: Vom Zusammenbruch zur Erneuerung. Überlegungen zur Krise der ostdeutschen Geschichtswissenschaft, in: DERS. (Hg.): Zwischen Parteilichkeit und Professionalität. Bilanz der Geschichtswissenschaft der DDR, Berlin 1991, S. 13-32; Dokumentation bei: (Hg.): Hure oder Muse?, S. 322-337; dagegen: ECKERT/KOWALCZUK/STARK MATSCHENZ/PÄTZOLD/SCHWARZ/STRIEGNITZ (Hg.): Dokumente gegen Legenden; Diskussion bei ASH: Geschichtswissenschaft; STEINBACH: DDR-Historie, S. 33f. mit Anm. 19; DERS.: Wer und was blieb, S. 676-679. STEINBACH: DDR-Historie, S. 34. Gerade Hans-Ulrich Wehler, der im Hinblick auf seinen Lehrer Theodor Schieder das Thema der „reflexiven Lernfähigkeit“ von Historikern ins Feld geführt hatte, plädiert bei der DDR-Geschichtswissenschaft gegen eine solche Betrachtungsweise, vgl. BERGER: Was bleibt, S. 1016f. mit Anm. 4. STEINBACH: DDR-Historie, S. 33. DERS.: Wer und was blieb, S. 677. Siehe oben S. 410 und Anm. 64.

8.5. „Mein Lehrer Karl Griewank“ – eine Renaissance nach 1990

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eben nicht mehr die Erfahrung des „ernsten Begriff[s] von Wissenschaftlichkeit“142 von nichtmarxistischen Lehrern lernen. Auch diese biographische Erfahrung gilt es zu beachten. Am 7. Oktober 2000 trafen sich in Bützow aus Anlaß des 100. Geburtstags von Karl Griewank ehemalige Studenten und Mitstreiter des aus dieser Stadt stammenden Historikers.143 Es bot sich hier durchaus ein Bild des Pluralismus. Schüler aus Ost- und Westdeutschland waren gekommen, mit über 85 Jahren auch Irmgard Höß. Unter diesen Schülern und Studenten waren Kurt Pätzold und Walter Schmidt. Das persönliche Erinnern und Gedenken derjenigen, die Griewank gekannt haben, auch aus ganz unterschiedlicher Perspektive begegnet sind, wurde und wird akzeptiert und wurde nicht in Zweifel gezogen. Das Beispiel Griewanks eignet sich jedoch nicht zur Vereinnahmung, um einen Pluralismus in der Anfangszeit der DDR, der Stalinzeit, glättend zu betonen oder um die DDR-Geschichtswissenschaft zu legitimieren.144

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BERGER: Was bleibt, S. 1021. Siehe oben Anm. 125. Das Heft 11/2000 der vom „Förderkreis heimattreuer Mecklenburger“ herausgegebenen Zeitschrift „Mecklenburg“ zeigt auf dem Titelbild vor dem Bützower Rathaus: Kurt Pätzold, Walter Schmidt, Gertraud Sperka, Gebhard Falk, Ruth Weiß, Irmgard Höß, Irmtraut Schmid und Gerhard Schmid. Vgl. ebenfalls mit vielen Fotos versehen, den dazugehörigen Artikel Dieter MENTER: Hochkarätig professionelle Runde in Bützow für ein modernes Demokratieverständnis, in: Mecklenburg. Zeitschrift für Mecklenburg-Vorpommern 42 (2000), Nr. 11, S. 2-4. Kurt Pätzold hat in seinem Bericht über die Bützower Veranstaltung in der „jungen welt“ in diesem Sinne erneut die Frage aufgeworfen, ob Griewank, den er sachgerecht als „bekennenden Nichtmarxisten“ vorstellt, nicht doch als Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft gesehen werden könne. Neben dem Argument der später in der DDR tätigen Schüler spräche dafür, so Pätzold, daß sich Griewank „unter dem Eindruck des Erlebten als ein Lernender [erwiesen habe], der mit geschärftem Blick die deutsche und allgemeine Geschichte neu durchmusterte“. Dies prädestinierte ihn für die DDR? Damit reklamiert Pätzold eine potentiell progressive Ausrichtung der Geschichtswissenschaft ausschließlich für die DDR; PÄTZOLD: Im memoriam Karl Griewank, S. 7.

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9. Resümee

9. RESÜMEE Es gehört zu den Topoi der älteren Biographik, ein Leben in sich geschlossen und vernünftig darstellen zu können. Über Moritz Seebeck, Kurator der Universität Jena im 19. Jahrhundert, hieß es in diesem Sinne: „Ein Leben liegt beschlossen vor uns, voll und ganz in sich, gesegnet und ein Segen für viele.“1 So musterhaft wie in diesem Nekrolog, den Stefan Gerber jetzt entdeckt und kontextualisiert hat, findet sich die idealisierende Gesamtbeurteilung einer „Biographie des Bürgers“2 zwar nicht häufig formuliert, aber sie ist doch typisch für die biographische und autobiographische Literatur der Frühen Neuzeit und des „bürgerlichen“ 19. Jahrhunderts. Die „abgerundete“ Biographie mit dem „schönen Tod“ ist bereits für das 19. Jahrhundert ein Konstrukt, ein selbstgewähltes Bild des Zeitgeistes.3 Im „Zeitalter der Extreme“ bricht dieses Konstrukt ab. Zu viele Tode erschienen sinnlos, als daß nach Auschwitz die Vorstellung vom „schönen Sterben“ nach einem „abgerundeten sinnvollen Leben“ noch zu einer allgemeinen stilisierenden Darstellung gelangen könnte.4 Nun werden Lebensläufe mit Brüchen, mit Tragik und unerfüllten Plänen erzählt. Karl Griewanks Lebenslauf gehört in diese Kategorie. Er erscheint uns eben nicht abgeschlossen, sondern in verschiedener Hinsicht gebrochen und unvollendet; „sein Lebenswerk bleibt ein Fragment“5, sein nicht natürlicher Tod geradezu sinnfällig für Unvollendetheit und Scheitern. Karl Griewank wird als introvertiert und ruhig beschrieben, jedoch erscheint das Bild von Claudio Cesa, dessen Kommentar der italienischen Übersetzung des „Neuzeitlichen Revolutionsbegriffs“ hinzugefügt wurde, von der Unkenntnis bzw. der verkennenden Fehleinschätzung der zeitgeschichtlichen Umstände geprägt, wenn er allen Ernstes von einem „stillen Gelehrtenleben“ spricht und sich wundert, daß ein ruhiger Mensch wie Griewank sich mit so etwas Unruhigem wie Revolutionen beschäftigt habe.6 Es war Griewank in den extremen Umständen des 20. Jahrhunderts eben kein stilles Gelehrtenleben möglich und es sind genau diese Umstände, die das Thema „Revolution“ zu einem Forschungsfeld Griewanks machten, die somit sein Geschichtsdenken und -forschen beeinflußten. Das reziproke Verhältnis von Leben, Werk und Zeitumständen erscheint auch bei Griewank durchaus als Einheit, jedoch überwiegt der lebensweltliche Bruch, liegt sein Leben eben alles andere als „beschlossen vor uns, voll und ganz in sich, gesegnet und ein Segen für viele.“7 Diese Offenheit und Unabge-

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Johannes Seebeck 1885 in einem Nachruf auf Moritz Seebeck, zit. nach Stefan GERBER: Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und Universitätskurator Moritz Seebeck, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 23. MAURER: Biographie des Bürgers. Vgl. GERBER: Universitätsverwaltung, S. 3-21. Adornos Überlegungen, ob man nach Auschwitz noch leben, schreiben und arbeiten könne wie zuvor setzen sich auf die Todes- und Biographievorstellungen fort; vgl. Theodor W. ADORNO: „Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse“. Ein philosophisches Lesebuch, hg. von Rolf TIEDEMANN, Frankfurt (M) 1997. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 31.10.1953, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 843. Claudio CESA: Presentazione, in: Karl GRIEWANK: Il concetto di rivoluzione nell’età moderna. Origini e sviluppo. Presentazione di Claudio CESA, traduzione di Gian ANTONIO (Biblioteca di Storia; 26), Firenze 1979, S. VII-XXV. GERBER: Universitätsverwaltung, S. 23.

9.1. Historiographisch-methodische Einordnung

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schlossenheit der Biographie Griewanks muß betont werden, wenn im folgenden, wie bei einem Resümee üblich, doch Sinnvolles gebündelt dargestellt wird. In vier Schritten soll nun Typisches zusammengefaßt werden, zunächst eine historiographischmethodische und dann eine politische Einordnung seines Wirkens vorgenommen werden. Abschließend folgen einige grundsätzlich resümierende Bemerkungen zur Biographie im Kontext seiner Zeit, die einmal an den Begriffen „Wahrheit und Wahrhaftigkeit“, dann am Bild vom „Zeitalter der Extreme“ sich orientieren. 9.1. HISTORIOGRAPHISCH-METHODISCHE EINORDNUNG Innerhalb der Großparadigmen der deutschen Geschichtswissenschaft ist Karl Griewank generationell ein Kind der politikgeschichtlichen, Ranke und dem Historismus verpflichteten Geschichte, die sich ihrer nationalen Deutungsmacht bis 1914 bewußt war und diese nach wie vor zu pflegen versuchte. Allerdings bricht bereits in der Zeit der Weimarer Republik dieser Konsens etwas auf. Insbesondere auch die Richtung der „Parteiengeschichte in republikanischer Absicht“, wie sie etwa Gustav Mayer und Ludwig Bergsträsser vertraten, fand ihren Bezugspunkt nicht mehr im Kaiserreich, sondern in der parlamentarischen Demokratie, blieb jedoch methodisch dem Neorankeanismus verpflichtet. In der Rezeption solcher Ansätze lagen Griewanks wissenschaftliche Wurzeln, in dieser Interessen- und Denkrichtung wurde er sozialisiert. Daß Willy Andreas nach der Revolution von 1918 sich einige Jahre durch ausgewählte Themen mit den Wurzeln der Demokratie beschäftigte, sprach den jungen Doktoranden an, der diesen Fragestellungen treu blieb. Mit seiner konzeptionell entwickelten Ideengeschichte wurde Friedrich Meinecke zu einer der prägenden Figuren für die Historiker seiner Generation, und er beeinflußte auch Karl Griewank. Bereits promoviert ließ es sich der Andreas-Schüler nicht nehmen, in Berlin Veranstaltungen beim Ideenhistoriker Friedrich Meinecke und beim Neorankeaner Erich Marcks zu hören. Marcks war der akademische Lehrer und Schwiegervater seines Doktorvaters Willy Andreas. Dieser meinte in einem seiner Berufungsgutachten über Griewank: „Griewank ist ein politischer Historiker, aber wie die meisten Jüngeren durch die geistesgeschichtliche Betrachtung hindurchgegangen und stark von ihr befruchtet.“8 Im Laufe der Zeit entwickelte sich diese methodische Position fort. Nach einem Vortrag zum „Neuzeitlichen Revolutionsbegriff“ wurde er 1950 von der Ostberliner „B.Z. am Abend“ nach seinen wissenschaftlichen Prägungen gefragt. „Auf die Frage, welche Namen mit seiner wissenschaftliche Entwicklung verknüpft seien, antwortete er: ‚Ich könnte Ihnen z.B. Marcks und Meinecke nennen, doch ihre Methode zur Klarstellung bestimmter geschichtlicher Vorgänge ist schon lange nicht mehr die meine.’“9 Wie die eigene Methode aussah, wenn denn die Ideengeschichte und die neorankeanische Methodik „schon lange nicht mehr die“ seine seien, führte er hier nicht näher aus. Vielleicht interessierte es die Zeitung nicht näher, vielleicht wäre es auch nicht leicht zu beschreiben gewesen. Die Weiterentwicklung seiner Methodik erwuchs aus der Beschäftigung mit dem Phänomen Revolution und befand sich bis zu seinem Tod im

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Gutachten Willy Andreas zur Berufung in Jena, 7.6.1944, in: UAJ, M 754; auch in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 750, unpag. [jeweils S. 6 des Gutachtens]. Willy Andreas thematisiert in diesem Gutachten auch die „Volksgeschichte“. Siehe dazu die Analyse oben S. 125 mit Anm. 259f. Art. „’Lokomotiven der Geschichte’. Der Jenaer Historiker Prof. Griewanck [sic] sprach im Kulturbund“, in: BZ am Abend vom 18.1.1950.

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9. Resümee

Entstehungsprozeß, in einer allmählichen eigenen Positionierung, die ihn von der Ideenund Begriffsgeschichte hin zu einer wahrnehmungsgeschichtlichen Perspektive brachte, bei der er die Bedeutung einer Sozialgeschichte zunehmend betonte. Insgesamt ging es ihm mehr und mehr um die politische Kultur der Gesellschaft. Dabei brachte die Auseinandersetzung mit marxistischen Positionen, insbesondere die Beschäftigung mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und deren Selbstverständnis eine Bereicherung und Erweiterung, gerade auch im Hinblick auf die Revolutionsproblematik. Allerdings bedeuteten viele Diskussionen mit Marxisten leninistischer und stalinistischer Prägung eher eine Zumutung als eine methodische Bereicherung. Dennoch: Prinzipiell ging es Griewank darum, die marxistische Methode, die er für sich nicht annahm, dennoch ernstzunehmen; insbesondere war für ihn in der Diskussion und Konfrontation mit Marxistischen Positionen stets unbestritten, daß die ökonomische Interpretation der Geschichte befördert werden solle. In seinen Rezensionen brachte er dies gelegentlich zum Ausdruck, etwa wenn er zu Wilhelm Mommsens Buch über 1848 die „Grenzen einer – trotz aller Generalurteile – individualistisch-politischen Geschichtsschreibung“ betonte und „eine soziologische Interpretation des Geschehens“ anmahnte.10 Die Bedeutung der Sozialgeschichte hat Griewank zwar explizit postuliert, aber nie methodisch ausgefeilt oder angewandt. Freilich war die „Sozialgeschichte der Väter“ zu dieser Zeit noch nicht etabliert und elaboriert und auch ihre späteren Vertreter arbeiteten noch an einem einheitlichen Bild.11 Thomas Etzemüller weist in diesem Zusammenhang auf die schrittweise Etablierung des Signums „Sozialgeschichte“ im Falle Conzes hin. „Klarer als in seinen wenigen theoretischen Texten“ habe dieser mittels seiner Rezensionen „ein Feuerwerk sozialhistorischer Vorstellungen“ zu zünden versucht, die freilich „damals nur als kleine Splitter [erschienen], über die Hefte und die Zeit verteilt, eingebettet in eine Übermacht anderer Themen, Autoren und Ansätze, kleine Leuchtspuren, die das Dunkel vereinzelt erhellten.“12 Griewank brannte ein solches methodologisches Feuerwerk nicht ab, die „Leuchtspuren“ sind weitaus vorsichtiger gesetzt. Er war noch auf der Suche nach einer adäquaten Methodik. Seine Pyrotechnik befand sich noch in Vorbereitung, sollte mit dem neuzeitlichen Revolutionsbegriff beginnen. Arnold Fratzscher war sich sicher: „Gerade in den nächsten Jahren wären wahrscheinlich mehrere größere Werke von ihm zu erwarten gewesen“13. Griewank schwebten Arbeiten zu „Bürgertum und Preußen“, zur Sozial- und Kulturgeschichte der Städte, zur Geschichte des Frühsozialismus und der Parteienentwicklung und natürlich zur Revolutionsforschung vor. Wenn er methodisch weitergegangen wäre – hin zu einer

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GRIEWANK: Rez. Mommsen: Größe und Versagen des deutschen Bürgertums, Sp. 376. Vgl. Thomas WELSKOPP: Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft, in: GG 24 (1998), S. 173-198; DERS.: Westbindung auf dem „Sonderweg“. Die deutsche Sozialgeschichte vom Appendix der Wirtschaftsgeschichte zur Historischen Sozialwissenschaft, in: Wolfgang KÜTTLER/Jörn RÜSEN/Ernst SCHULIN (Hg.): Geschichtsdiskurs, Bd. 5: Globale Konflikte, Erinnerungsarbeit und Neuorientierungen seit 1945, Frankfurt (M) 1999, S. 191-237; ETZEMÜLLER: Werner Conze; DERS.: Sozialgeschichte als politische Geschichte. Die Etablierung der Sozialgeschichte in der westdeutschen Geschichtswissenschaft, in: Comparativ 12 (2002), S. 12-33; DERS.: Geschichte als Tat. Objektive Forschung als „kämpfende Wissenschaft“. Deutsche Neuzeithistoriker vor und nach 1945, in: KAISER/KAUDELKA/STEINBACH (HG.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel, S. 171-198; Otto Gerhard OEXLE: Von der völkischen Geschichte zur modernen Sozialgeschichte, in: Heinz DUCHARDT/Gerhard MAY (Hg.): Geschichtswissenschaft um 1950, Mainz 2002, S. 1-36. ETZEMÜLLER: Werner Conze, S. 105f. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811.

9.1. Historiographisch-methodische Einordnung

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„Synthese von Ranke und Marx“ (Gustav Mayer) –, so hätte dies ein direktes Anknüpfen an liberale Positionen der Weimarer Republik bedeutet. Es bleibt jedoch Spekulation, wie fruchtbar diese gewesen wären; Fakt ist, daß es ihm unter den Bedingungen des Kalten Krieges (vor allem durch Zensur und Restriktionen im ostdeutschen Publikationswesen) nicht möglich war, eine methodische Position wirkmächtig auszubilden. Er konnte keine Synthese von Ranke und Marx vorantreiben, sein Ziel in Forschung, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit mußte bleiben, so viel von Ranke zu retten, daß Marx ohne Stalin gelesen werden konnte. Mit anderen Worten: den kritischen Umgang mit wissenschaftlichen Positionen zu schulen und zu erhalten. Vor diesem Hintergrund ging es ihm um das Geschichtsbild, um die „Funktion der Daseinsorientierung“14 in der Lebenspraxis. Eine Reflexion über die „gesellschaftlichen Voraussetzungen für die wichtigsten weltpolitischen Probleme der Gegenwart, die Entwicklung der Parteien, der demokratischen Ideen und der modernen Arbeiterbewegung“15, sah er als das zu vermittelnde curikularare Minimum an. Griewank bezog Position in schwierigem Umfeld, er zog sich dabei nicht auf unverdächtige Nischengebiete zurück und steckte „nicht in Vogel-Strauß-Manier den Kopf in den Sand“.16 Methodisch-historiographisch blieb Griewanks Werk in vieler Hinsicht „abgerissen und unvollendet“17 und entzieht sich im Grunde einer gerechten Beurteilung. Dennoch: Vieles, was er vorgelegt hat, blieb bis heute relevant. Diese Langlebigkeit überrascht, sie fällt in der vorliegenden Arbeit bei der Betrachtung der Rezeptionsgeschichte immer wieder ins Auge. Seine eher beiläufig im Rahmen seiner Dienstverpflichtungen bei der NG/DFG entstandenen Forschungen zur Geschichte der Wissenschaftspolitik werden wegen ihres den Begriff „Wissenschaftspolitik“ reflektierenden Ansatzes speziell zur Hochschulfinanzierung in jüngster Zeit rezipiert. Selbst nachdem die Wissenschaftssoziologie seit Jahrzehnten genau den mit dem Begriff der „Wissenschaftspolitik“ verbundenen Kontext systematisch und historisch nachgeht, entdeckt man nun, daß die von Griewank 1927 aufgestellte Fragestellung und Methodik wegweisend und seine Fragen noch unbeantwortet sind.18 Auch seine frühen Briefeditionen zur Königin Luise, für Griewank damals eher Broterwerb, da die von ihm geplante „Geschichte des Liberalismus“ keine Verlagsunterstützung fand, haben an ihrer Bedeutung nichts verloren. Dies gilt ungeachtet der (vielleicht sogar irrigen) Vorstellung, daß die Briefe einer Königin keinen aktuellen Forschungsbereich mehr darstellen. Zwar interessiert die Wissenschaft an der Königin Luise heute primär der Mythos, also der Rezeptionsaspekt oder geschlechtergeschichtliche Fragestellungen. Ungebrochen ist dennoch das Interesse an Luise als Person. Und in diesem Kontext werden Griewanks Briefausgaben bis in die jüngste Zeit als die besten Editionen gelobt, gelten nach wie vor als zitierfähige Grundlage und wurden jetzt sogar in das Reprintprogramm „Bewahrte Kultur“19 aufgenommen. Die neueste Neuauflage eines Griewank-Buches ist also eine Ausgabe seiner Luise-Brief-Edition.

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RÜSEN: Historische Vernunft, S. 29f. Prüfungsanforderungen für Geschichte (Vorschlag Griewank), undat. [zum 20.8.1947 vorbereitet], in: BA Berlin, DR 2/1485, Bl. 33. NOACK: Karl Griewank, S. 84. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811. Siehe oben Kapitel 4.1.2. Mit diesem Programm werden Bücher, die seinerzeit auf säurehaltigem Papier gedruckt wurden, durch Reprint bewahrt. Zunächst wurden 52 Bücher ausgewählt, zu denen auch Griewanks „Königin Luise. Ein Leben in Briefen“ aus dem Jahr 1942 gehört. Siehe oben Kapitel 4.1.3.

9. Resümee

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Eine Neuauflage verdient hätte ohne Zweifel auch Karl Griewanks Buch zum Wiener Kongreß. Es ist noch immer, 60 Jahre nach seinem Erscheinen in der ersten Auflage, ein Standardwerk und gilt als einzige deutschsprachige Gesamtdarstellung zum Kongreßgeschehen, das dieses zudem in einer internationalen Perspektive erörtert.20 In der vorliegenden Arbeit konnte Griewanks Interesse an dieser Thematik vor allem als Ergebnis seiner Beschäftigung mit Hardenberg deutlich gemacht werden. Griewanks Bild von Hardenberg wandelte sich, wurde zunehmend positiver. Griewank wich hier durch eigenständige Recherchearbeit erkennbar von der gängigen Interpretation seiner Zeit ab, die sich auf Stein konzentrierte und Hardenberg vor allem auch mit moralischen Begründungen ablehnte. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur konnte und wollte Griewank sich wieder den Themen zuwenden, die ihn zu Beginn seiner wissenschaftlichen Sozialisation beschäftigten: den Fragen von Demokratie und Revolution. Sein 1948 vorgelegtes knappes Studienbuch zur Französischen Revolution diente der Einführung in das Thema. Griewanks Beschäftigung mit der Französischen Revolution erwies sich als zentral für dessen historiographisch-biographische Einordnung. Er betonte die Universalität der Menschenrechte, stellte die Errungenschaften der Französischen Revolution und die Werte der durch sie entstandenen modernen bürgerlichen Gesellschaft heraus. Explizit plädierte er für ein Zusammengehen von Menschenrechten und sozialer Verantwortung, von Freiheit und Gleichheit. Beschäftigung mit der Französischen Revolution bedeutete so politische Positionierung. Er stellte sich gegen die gerade von Gerhard Ritter vertretene elitäre, antidemokratische Negativinterpretation von „1789“. Er argumentierte jedoch auch gegen eine dogmatisch marxistische Interpretation, die der Französischen Revolution bloß als eine Station im Revolutionszyklus ansah.21 Griewanks Arbeiten zur Revolution 1848/49 standen im Zusammenhang mit dem 1948 anstehenden Revolutionsjubiläum. Sie sind deshalb nicht ohne politische Implikationen zu sehen und standen zu Beginn des „Streites um das Erbe“ zwischen Bundesrepublik und DDR. Griewank, der innerhalb der Universität und in der Stadt Jena noch weitgehend unbehelligt eine ausgesprochen pluralistische Gedenkkultur erlebte und führend mitgestaltete, mußte bei der Drucklegung seiner geplanten Publikationen zu 1848 die Politisierung erleben. Seinen wegweisenden Aufsatz zu „Ursachen und Folgen des Scheiterns der Revolution 1848“ konnte er 1950 in der HZ publizieren. Er enthält, noch etwas vorsichtig formuliert, Thesen zur Veränderung der politischen Kultur durch die Revolution, also Fragestellungen, die Jahrzehnte später als wichtig für eine Geschichte der deutschen Gesellschaftsentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts erkannt wurden. Aus den Studien zur Revolution heraus entstand schließlich Griewanks „Neuzeitlicher Revolutionsbegriff“, der unvollendet gebliebenen ist und aus dem Nachlaß herausgegeben wurde. Er ist zum Zitierklassiker der Revolutionsforschung geworden und macht doch gerade das Unabgeschlossene, Abgebrochene in Griewanks Arbeiten deutlich. Der methodische Ansatz ist innovativ: Griewank fragt nach der Wahrnehmung von Revolution. Wann wurde ein Phänomen nicht nur als Revolution bezeichnet, sondern auch im neuzeitlichen Sinne wahrgenommen? Griewank befand sich jedoch noch inmitten der Bearbeitungsphase, so daß er diesen Ansatz nicht mehr in schärferer Abgrenzung zur Ideengeschichte als eigenen Weg schulbildend herausarbeiten konnte.

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Siehe oben Kapitel 4.2. Siehe oben Kapitel 6.1.3.

9.2. Politische Einordnung

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Karl Griewank legte stets ein methodisch offenes und pluralistisches Wissenschaftsverständnis an den Tag, blieb selbst vorsichtig und stets quellenorientiert. Es gehört zur Tragik seiner Person, das er deshalb in den beiden deutschen Diktaturen des „Zeitalters der Extreme“ mehrfach als „reaktionär“ und „fortschrittsfeindlich“ gekennzeichnet wurde.22 Aufgrund der hier vorgenommen historiographisch-methodischen Einordnung kann dem nur widersprochen werden. 9.2. POLITISCHE EINORDNUNG Zu Beginn der Arbeit wurde Arnold Fratzscher zitiert, der über seinen Cousin Karl Griewank wußte, „daß er von seiner Schülerzeit her ein überzeugter Demokrat war und diese Überzeugung vollkommen konsequent durch alle Wandlungen im politischen Leben Deutschlands durchgehalten hat.“23 Fratzschers Bemerkung bleibt der einzige Beleg dafür, daß Karl Griewank wirklich schon als Schüler – also noch im Kaiserreich – ein Anhänger der demokratischen Regierungsform gewesen sei. Überprüft werden konnte dies nicht, ebenso wenig wie Fratzschers Erklärung, das sei „sicher auch ein Erbe seiner Elsässischen Mutter“24 überzeugen kann. Es erscheint zwar nicht ausgeschlossen, daß sich Karl Griewank mit den Prinzipien der Demokratie beschäftigt hat, etwa während seiner autodidaktischen Griechischstudien, und diese rational zu würdigen wußte. Alle nachweisbaren Hinweise deuten jedoch auf einen typischen bildungsbürgerlichen Hintergrund, vor dem die Werte Nation und Religion hochgehalten wurden. Trotz einer gewissen Weltoffenheit im Heimathaus und vielfältiger Beziehungen nach Frankreich, stellte die Nation einen wichtigen Wert für die Familie und für Griewank dar. Es zeugt von einer gewissen politischen Konstanz, daß Karl Griewank als Jugendlicher Bismarck zeichnete und dessen Rolle dann vor seinem Tod mit einer Monographie „Bismarck als christlicher Staatsmann“ historisch untersuchte. Die politische Position Griewank blieb freilich mit den politischen Umbrüchen nicht unverändert, aber die generationstypische Achtung der Nation hielt sich doch. Dennoch schloß eine nationale und christliche Einstellung das Eintreten für demokratischrepublikanische Staatsform nicht aus. In der Tat ist mit einer christlich-liberalen Position Griewanks Haltung gut beschrieben, die in der Weimarer Republik dann auch nachweislich zu einem Eintreten für die Demokratie führte. Seine Dissertation und ihr Entstehungszusammenhang weist bereits darauf hin. Die Themenwahl und mehr noch die Art der Bearbeitung des Themas zur Revolution 1848/49 können als eine politische Positionierung gesehen werden und wurden hier auch in diesem Sinne vorgestellt. Mit seiner Tätigkeit als Lokalreporter trat er dann in den Dienst einer DDP-nahen Zeitung, die eindeutig die Republik unterstützte. Innerhalb dieses liberalen Spektrums vertrat Karl Griewank in seinen Beiträgen explizit eine Position der Verständigung zwischen Sozialdemokraten und Liberalen, sprach sich ausdrücklich gegen „Bürgerblock“- und Rechtskoalitionen und für die „Weimarer Koalition“ aus SPD, Zentrum und DDP aus. Diesem linksliberalen Konsensgedanken der Weimarer Republik blieb er im Grunde treu und postulierte ihn als Ideal nach 1945 erneut. Das von Fratzscher beschriebene Bild einer konsequent demokratischen Haltung „durch alle Wandlungen im politischen

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Siehe dazu im Anhang 10.1.1. und 10.1.5. die politischen und fachlichen Beurteilungen von Hans Schick aus dem Jahr 1942 und Max Steinmetz aus dem Jahr 1950. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Willy Andreas, Nr. 811, unpag. Siehe Anhang 10.5. Ebd.

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9. Resümee

Leben Deutschlands hindurch“ muß jedoch für die Zeit des Nationalsozialismus mit einigen deutlichen Fragezeichen versehen werden. So rückte Griewank 1933 erkennbar von demokratischen Gedanken ab, als er in seiner Denkschrift eine autoritäre Neuordnung der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften“ propagierte. Mag dies noch als ein taktisches Verhalten und Andienen an die neuen Machthaber gelten, so zeigt ein Blick auf Aussagen in der Korrespondenz dieser Zeit, daß er sich von der parlamentarischen Demokratie abwandte. Diese Enttäuschung über die Parteiendemokratie, die bei den politischen Problemen angeblich versagt zu haben schien, führte in der Situation des Jahres 1933 zu einer Befürwortung einer autoritären Ordnung. Daraus folgte der Eintritt in den Stahlhelm, aber eben nicht der Eintritt in die NSDAP, den er nie anstrebte. Griewank gab seine demokratische Haltung somit durch Akzeptanz einer autoritären, antidemokratischen Position auf. Dem Nationalsozialismus gegenüber legte er eine gewisse Skepsis an den Tag, die sich jedoch gegen dessen „Rohheit“ und Massencharakter wandte und weniger aus prinzipiellen Überlegungen heraus erwuchs. Auch äußerte er die Hoffnung, das neue Regime würde wohl bald gemäßigtere Züge annehmen. All dies ist typisch für eine bildungsbürgerliche Haltung, die mit dem wertenden Begriff „Versagen des Bürgertums“ belegt wurde, da genau diese Haltung letztlich zur Stabilisierung des NS beitrug. Griewank ist von diesem „Versagen“ nicht freizusprechen. Er exekutierte als Parteiloser zunehmend parteiische Maßnahmen und trug zum Funktionieren des Systems bei. Anders als viele seiner Generation schlug sein Verhalten jedoch nie in Begeisterung um. Im Gegenteil, sehr bald erscheint er als deutlich ernüchtert und distanziert zum NS. Eine NSDAP-Mitgliedschaft strebte er nicht an, sogar dem NS-Dozentenbund trat er nicht bei. Er wurde Mitglied der evangelischen Bekenntniskirche. Erste Konflikte hatten seine Mutter und sein Schwager wegen ihrer christlichen Überzeugung auszustehen. Karl Griewank unterstützte diesen Widerstand, verhielt sich jedoch zurückhaltend und übte seine Tätigkeit in der nun nationalsozialistisch gleichgeschalteten DFG weiterhin aus. Ein Widerstandskämpfer wurde er nie. Auch konnte er durchaus 1942 habilitieren, wobei er den zu dieser Gelegenheit fast obligatorischen Beitritt zum NS-Dozentenbund allerdings geschickt vermeiden konnte. Er faßte nach seiner Habilitation – erfolglos – eine wissenschaftliche Laufbahn ins Auge, wobei er sich durchaus auf durch die Tätigkeit bei der DFG entstandene Kontakte zu den führenden NSWissenschaftspolitikern Paul Ritterbusch und Walter Platzhoff stützte. Von einem Rückzug ins Private kann man also nicht sprechen. Das Ende des Nationalsozialismus eröffnete Griewank beruflich und persönlich neue Möglichkeiten. Er war für ihn eine Befreiung, und mit der Berufung nach Jena ging eine unverkennbare Aufbruchstimmung einher. Auch politisch setzte er sich für einen Neuanfang ein, er plädierte deutlich für die Errungenschaften der Französischen Revolution, für Demokratie und Menschenrechte und knüpfte damit an seine Vorstellungen aus der Weimarer Republik an. Die Einteilung Deutschlands in Zonen hielt er für ein vorübergehendes Phänomen. Es ist bekanntlich umstritten, wie offen die deutsche Frage vor und auch noch nach der doppelten Staatsgründung gewesen ist und ob Moskau die DDR vielleicht gar nicht „wollte“.25 Solche Fragen liegen auf einer anderen Analyseebene. Von den Beteiligten wurde die Situation ohne Zweifel subjektiv als offen wahrgenommen. Griewank schwante zwar zu Beginn der 1950er Jahre sehr wohl, daß er die Vorläufigkeit der deutschen Teilung wohl zu optimistisch eingeschätzt

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Vgl. Wilfried LOTH: Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, München 1996; darin im Nachwort eine Replik Loths auf die heftige Kritik an seiner These.

9.3. „Sein Leben und Wirken galten der Wahrheit und Wahrhaftigkeit“

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hatte, er versuchte jedoch unentwegt weiterhin, die Spielräume, die sich ihm boten, auszunutzen. Seine Vorstellungen einer gesamtdeutschen, auf den Grundlagen von Demokratie und Menschenrechten aufgebauten Wissenschaft führten schließlich auch zu den hochschulpolitischen und weltanschaulichen Konflikten, deren Darstellung einen großen Teil der vorliegenden Arbeit bestimmte. In dieser produktivsten und wichtigsten Phase seines Lebens galt wieder, was der Cousin gesagt hatte, zeigte sich Griewank als ein überzeugter Demokrat, der seine „Überzeugung vollkommen konsequent“ an den Tag legte und gegen stalinistische Demokratieinterpretationen verteidigte. 9.3. „SEIN LEBEN UND WIRKEN GALTEN DER WAHRHEIT UND WAHRHAFTIGKEIT“ – AUF DER SUCHE NACH DER HISTORISCHEN WAHRHEIT „Außer dem Vertreter des Staatssekretariats für Hochschulwesen und dem der FDJ hoben alle Redner am Sarge Karls großen Mut zur Wahrheit, seine Wahrhaftigkeit hervor.“26 Dies berichtete Theodor Griewank, der Bruder Karls, in seinem Brief an Freunde und Verwandte, nachdem er von der Trauerfeier im Oktober 1953 aus Jena wieder nach Hessen zurückgekehrt war. Die Begriffe „Wahrheit“ und „Wahrhaftigkeit“ fallen bei der Beschäftigung mit Karl Griewanks Biographie immer wieder auf, sie wurden ihm häufig zugeschrieben. So heißt es im Nachruf des Rektors Josef Hämel „Sein Leben und Wirken galten der Wahrheit und Wahrhaftigkeit“.27 Damit wird, wohl von Hämel auch theologisch konnotiert, dem Leben und Sterben doch wieder ein Sinn zugewiesen.28 Nicht nur in den Nekrologen wurden Wahrheit und Wahrhaftigkeit thematisiert. Theodor Schieder zog eine Verbindung zwischen Griewanks Leben und seinem Buch über den „Neuzeitlichen Revolutionsbegriff“, in dem er ausführte: „Unbestechlicher Wahrheitssinne ist überhaupt eine der anziehendsten Seiten des Verfassers und seines letzten Buches“29 Zum Nachdenken regen auch Griewanks eigene Aussagen am Ende der „Treitschke-Diskussion“ an, es sei „für den einzelnen nicht eine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern das ist eine Wahrheitsfrage“, ob man sich auf den Boden des Historischen Materialismus stellen könne sowie sein Schlußplädoyer: „Ich möchte Sie bitten, denjenigen, die aus Wahrheitsgründen nicht auf dem Boden des historischen Materialismus treten können, zuzubilligen, daß sie aus echter Überzeugung so handeln.“30 Dieser Appell erreichte mit seiner Begründung auf die „Wahrheit“ im Grunde den Adressaten nicht. Der Bruder betonte ja in seinem zu Beginn zitierten Bericht, daß der Vertreter des DDR-Staatssekretariats und der der FDJ als die einzigen nicht von der „Wahrheit“ und der „Wahrheitsliebe“ gesprochen hätten. Diese wollten damit dem nichtmarxistischen Geschichtsprofessor sicher nicht am Grabe Unwahrheit unterstellen.

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Rundbrief Theodor Griewanks an Freunde und Verwandte, 6.11.1953, in: PrA Griewank. Ähnlich auch an Willy Andreas, 22.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811. Josef Hämel: Nachruf der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in: UAJ, S V, 64. Auch für die Mutter war es ein Trost zu hören, daß Karl vor seinem Tode (am Glauben) zweifelte, denn, so ihre feste Überzeugung, die Zweifelnden und Suchenden werden von Gott erlöst. Christine Griewank an Verwandte und Freunde, 5.11.1953, in: PrA Griewank. Theodor SCHIEDER: Rez. Griewank: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, in: VSWG 43 (1956), S. 280f, hier S. 281. GRIEWANK, in: Methodische Fragen, S. 12f.

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9. Resümee

Ihnen ging es um andere Kategorien. Die Beobachtung des Bruders zeigt die zunehmende Polarisierung der Ideologien, sie zeigt, daß die Kategorie „Wahrheit“ in der Mitte des Jahrhunderts längst nicht mehr eindeutig gewesen ist. Für die marxistischleninistisch(-stalinistische) Weltanschauung existierten andere Wahrheits- und Objektivitätskriterien, sie beanspruchte die alleinige Deutungskompetenz und sah sich im Besitz einer „Wahrheit“, wie sie Griewank freilich nicht akzeptierte. Wahrheit erscheint heute zwar geradezu als ein antiquierter Analysebegriff, spielt jedoch in der Theoriediskussion durchweg eine wichtige Rolle.31 Der schillernde Begriff der „Wahrheit“ kann durchaus als Prisma zur kritischen Reflexion der Geschichte der Geschichtswissenschaft und der Wissenschaftsentwicklung aus heutiger Sicht dienen. „Wahrheit“ ist eine Kategorie, die im 20. Jahrhundert zunehmend uneindeutig geworden ist. Während bis zum 19. Jahrhundert die Existenz einer absoluten Wahrheit unstrittig blieb – unabhängig von der menschlichen Fähigkeit, diese zu erkennen –, offenbart die heutige Diskussion eine kontroverse Situation. Daß diese Diskussion um Wahrheit, Objektivität und Erkenntnismöglichkeiten im 20. Jahrhundert entbrannte, verwundert nicht, wurde es doch zu Recht das „Zeitalter der Extreme“ genannt, in dem Lebenswelt und Erfahrungen der Zeitgenossen wesentlich von der Existenz von Diktaturen und Ideologien geprägt waren. „Freiheit bedeutet die Freiheit zu sagen, daß zwei und zwei vier ist.“32 Georg Orwells Held in „1984“, von dem dieser Satz bekanntlich formuliert wurde, mußte bitter erkennen, daß „zwei und zwei“ auch „fünf“ sein kann, wenn die Partei es will. Der Verlust der Wahrheitskriterien wird bei Orwell nicht nur literarisch-bitter reflektiert, der Wahrheitsbegriff selbst bricht auf, gerade zur Mitte des 20. Jahrhunderts.33 George Orwell, drei Jahre nach Griewank geboren und drei Jahre vor ihm gestorben, ist ein unmittelbarer Zeitgenosse des Historikers. Die Veränderung der Wahrheitskriterien beschäftigten beide nachhaltig.34 Die wissenssoziologische und philosophische Diskussion über die gesellschaftliche Konstruiertheit unseres Wissens, die diese Entwicklung analysiert, begann zu jener Zeit.

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34

Zur philosophischen Diskussion sei hier nur exemplarisch verwiesen auf: Peter JANICH: Was ist Wahrheit? Eine philosophische Einführung, München 1996. Dort findet man auch weiterführende Literaturhinweise. Vgl. zur Geschichtstheorie zusammenfassend Rainer Maria KIESOW/Dieter SIMON (Hg.): Auf der Suche nach der verlorenen Wahrheit. Zum Grundlagenstreit in der Geschichtswissenschaft, Frankfurt (M)/New York 2000; vgl. insbesondere Jörn RÜSEN: Geschichte und Norm – Wahrheitskriterien der historischen Erkenntnis, in: Willi OELMÜLLER (Hg.): Normen und Geschichte, Paderborn [u.a.] 1979, S. 110-139, Diskussion dazu S. 148-285; DERS.: Historische Vernunft, S. 76-84; EVANS, Fakten und Fiktionen; Chris LORENZ: Can histories [!] be true? Narrativism, positivism and the „metaphorical turn“, in: History and Theory 37 (1998), S. 309-329; DERS.: You got your history. I got mine. Some reflections on truth and objectivity in history, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 10 (1999), S. 563-584; Martin SABROW: Das Wahrheitsproblem in der DDR-Geschichtswissenschaft, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 25 (1996), S. 233-259. George ORWELL: 1984. Roman [1949], Berlin 1999, S. 101. Die Debatte um die „Postmoderne“ und das „Endes der Geschichte“ liegt hier nahe und hat mit dem Aufbrechen der Wahrheitskriterien unmittelbar zu tun. Es würde vor allem ein Ausblick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeuten, der hier unterbleiben muß, da sich ein weites Feld eröffnen würde. Orwells 1984 galt in der DDR als „staatsgefährdende Schrift“; vgl. Baldur HAASE: Briefe, die ins Zuchthaus führten. Orwells 1984 und die Stasi. DDR-Erinnerungen 1948-1961, Berlin 2003.

9.4. „... abgerissen und unvollendet“ – ein Leben im „Zeitalter der Extreme“ 433 Jörn Rüsen hat die Diskussion um die „Konstruktion der Wirklichkeit“35 und die Gültigkeit der Wahrheitskriterien in diesem Zusammenhang mit dem Satz veranschaulicht: „Geschichten sind wahr, wenn diejenigen sie glauben, an die sie adressiert sind.“36 Wahrheit existiert also nicht unabhängig vom Bezugssystem und von Adressaten, die Grundkonstruktion muß somit übereinstimmen. So gilt etwa auch in der Mathematik die Richtigkeit der Gleichung 2+2=4 nicht in jedem Fall.37 Es kommt auch hier auf das kommunikative Bezugssystem an, in dem man sich verständigt. Plausibilität gilt es deshalb durch Nachweise und Belege zu schaffen. Griewank erkannte und wandte sich gegen die Veränderung des Bezugssystems in seinem Umfeld, gegen die Änderung der historischen Wahrheitskriterien. Er beklagte „Propaganda gegen ‚Objektivismus’ und ‚Kosmopolitismus’, d.h. gegen die uns geläufigen Vorstellungen von Wahrheit und Menschlichkeit, auch in der Wissenschaft“.38 Zu den Konstrukten des Marxismus-Leninismus gehörte, daß „objektiv“ nur das sei, was den Gesetzen des Historischen Materialismus gemäß gelte, während der Glaube an davon abweichende Maßstäbe „objektivistisch“ sei.39 In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff der „wissenschaftlichen Wahrheit“40 eingeführt, um ihn der „naiven“ und „objektivistischen“ Wahrheitsvorstellung entgegenzustellen. „Wissenschaftlich wahr“ war in dieser Hinsicht nur der dogmatisch verstandene MarxismusLeninismus respektive die gerade gültige Lesart im Zick-Zack-Kurs der Partei. Insofern ist die „Wahrheitsliebe“ Karl Griewanks, die die Zeitgenossen bestätigen, mehr als eine antiquierte Tugend, sondern sie ist eine bewußte Haltung aus einer bestimmten lebensweltlichen Erfahrung heraus, eine Haltung, mit der er dem „Zeitalter der Extreme“ zu trotzen versuchte. Für ihn blieben „zwei und zwei vier“ und diese Position verteidige er bewußt. 9.4. „... ABGERISSEN UND UNVOLLENDET“ – EIN LEBEN IM „ZEITALTER DER EXTREME“ Es wurde die Biographie eines Historikers vorgestellt, der im 20. Jahrhundert lebte. So wie sein Werk „abgerissen und unvollendet“41 genannt wurde, kann man diese Bezeichnung auch auf die Gesamtbiographie Karl Griewanks anwenden. Am Anfang der Arbeit wurde der gängige Begriff des „Zeitalters der Extreme“ in seiner von Hobsbawm geprägten welthistorischen und seiner von Wehler auf die „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ zur Anwendung gebrachten Bedeutung vorgestellt. Dieses Zeitalter mit dem Arbeitsmittel der Biographie zu ertasten, bedeutet nach Entscheidungssituationen, Wahrnehmungen, Möglichkeiten, Handlungsspielräumen und Grenzen des Protagonisten zu suchen. Diese sollen abschließend noch einmal biographisch rekapituliert werden. 35

36 37

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41

BERGER/LUCKMANN: Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Den hier zugrundeliegenden Diskussionen um die Wissenssoziologie und den Konstruktivismus kann in unserem Kontext hier nicht näher nachgegangen werden. RÜSEN: Historische Vernunft, S. 77. Es kommt auf die Konstruktion des mathematischen Raumes (sog. „Ring“ oder „Körper“) an. In sogenannten Restklassenringen oder -körpern kann durchaus 2+2=0 oder 2+2=1 gelten. Karl Griewank an Willy Andreas, 13.8.1950, in, BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr.. 847, unpag. Siehe oben Kapitel 5.4. Er wurde etwa von Heinz Kamnitzer in der Diskussion nach Griewanks Vortrag zum Revolutionsbegriff verwendet, siehe oben S. 339 mit Anm. 333. Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811.

434

9. Resümee

Durch den familiären Hintergrund boten sich Karl Griewank zunächst Möglichkeiten: Er konnte seine Interessen entfalten, etwa künstlerisch tätig werden. Diese Entfaltungschancen kann man mit dem Begriff Bildung fassen. Damit ist ein Kernbegriff der bürgerlichen Wertvorstellungen – des „bürgerlichen Wertehimmels“42 – genannt. Karl Griewank verbrachte Kindheit und Jugend in einem bildungsbürgerlichen Milieu, das seiner individuellen Entwicklung Möglichkeiten eröffnete. Aus diesem Hintergrund heraus konnte Karl Griewank trotz materieller Schwierigkeiten der Familie sein Studium aufnehmen. Hier nutzte er Chancen und Handlungsmöglichkeiten, indem er einen weiteren bürgerlichen Wert, nämlich Leistung, realisierte. Sein Leben begann also in den Ausläufern des „bürgerlichen Zeitalters“, wie man das „lange“ 19. Jahrhundert bis 1914/18 gerne bezeichnet hat, und mit den Werten des Bildungsbürgertums. Die ökonomischen und politischen Schwierigkeiten der Zwischenkriegszeit gehörten dann in das weltgeschichtlich schon eingeläutete „Zeitalter der Extreme“. Karl Griewank kommentierte 1922: „Man muß ja nachgerade die Menschen recht tief bemitleiden, deren ‚Stimmungsbarometer’ Valuta und Teuerung sind, und doch ist es so schwer zu vermeiden, besonders wenn wirklich persönliche Sorgen sich damit verknüpfen müssen.“ 43 Auch für ihn war die Zeit der Weimarer Republik nicht frei von Sorgen, doch im ganzen gestaltete er sie als eine Zeit der Chancen und Möglichkeiten. Vor allem mit der Beschäftigung bei der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften“ und der Gründung einer Familie erreichte er Stabilität und Sicherheit. In wissenschaftlicher Hinsicht freilich überwogen die Grenzen. Mit seiner Tätigkeit in der Wissenschaftsförderung hatte er die Verwaltungslaufbahn eingeschlagen, dennoch behielt er eine akademische Karriere im Auge. Der Nationalsozialismus bedeutete eine Zäsur in der Biographie trotz der augenscheinlichen Kontinuität. Anders als Gleichaltrige suchte er nicht vordergründig nach Entfaltungsmöglichkeiten und entwickelte Strategien, nicht Bekenntnis ablegen zu müssen. Eine schwere Erkrankung zeigte ihm Grenzen auf. Nach ihrer Überwindung schien er verstärkt nach einer neuen Tätigkeit Ausschau zu halten und strebte eine Habilitation an. In dieser Zeit als Referent der Deutschen Forschungsgemeinschaft entwickelte Karl Griewank ohne Zweifel jenes diplomatische Verhandlungsgeschick im Bereich der Wissenschaftspolitik, das er später als Dekan in Jena einsetzte und das Franz Schnabel als „die Gabe der Organisation“44 bezeichnete. Daß Griewank mit seiner Monographie zum Wiener Kongreß einen Friedenskongreß behandelte, in dem er dem diplomatischen Geschick der Beteiligten eine große Rolle zukommen läßt, paßt dazu. Die Zeit nach der Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutete für Karl Griewank eine Wendung zum Besseren, bot ihm Möglichkeiten. Sein Beispiel illustriert die antifaschistisch-demokratische Aufbruchstimmung, die für diese frühe Phase der Universitätsgeschichte der SBZ/DDR symptomatisch war. 1947 begann er in Jena zu lehren, bereits 1948 entwickelte er eine erstaunliche Produktivität und Aktivität, die sich nicht nur in wissenschaftlichen Forschungen niederschlug, sondern auch erneut im wissenschaftsorganisatorischen Bereich – als Dekan und als Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Gremien beiderseits der Elbe. Er lotete die Handlungsspielräume aus und stieß bald an Grenzen, geriet in weltanschauliche Konflikte mit den Vertretern der

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43 44

Vgl. Manfred HETTLING/Stefan-Ludwig HOFFMANN: Der bürgerliche Wertehimmel. Zum Problem individueller Lebensführung im 19. Jahrhundert, in: GG 23 (1997), S. 333-359. Karl Griewank an Arnold Fratzscher, 13.11.1922, in: PrA Griewank. Siehe oben S. 56 mit Anm. 77. Franz Schnabel an Bundesministerium des Innern (Bonn), 9.10.1951, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 2. Siehe oben S. 381 mit Anm. 198

9.4. „... abgerissen und unvollendet“ – ein Leben im „Zeitalter der Extreme“ 435 dogmatisch marxistisch-leninistischen Weltanschauung. Dabei bezog er eindeutig Position, machte aus seiner grundsätzlich abweichenden Haltung kein Geheimnis und begründete diese. Er plädierte für ein pluralistisches Nebeneinander verschiedener weltanschaulicher Positionen, geriet in eine Mittlerrolle zwischen Ost und West – und realisierte die zunehmende Verschärfung des Kalten Krieges und des vielfachen NichtVerstehens. Er mußte erkennen, daß die Position des Dolmetschers im „Turm von Babel“ an unüberwindbare Grenzen stieß – die Grenzen des „Zeitalters der Extreme“.

436

10. Anhang

10. ANHANG 10.1. AUSGEWÄHLTE QUELLEN 1. Politische Beurteilungen 1942-1953 Hans Schick: Beobachtung der Arbeitstagung in Weimar, 20.-23. Juli 19421 „Am zweiten Tage hielt der im Fahrwasser der ‚objektiven’ Historiker segelnde Dr. phil. habil. Griewank von der Forschungsgemeinschaft Berlin seinen Vortrag über die europäische Neuordnung 1814/15. [...] Ganz auf der Seite der Reaktion steht der Dr. phil. habil. Griewank (Berlin). Es wird noch geraume Zeit bedürfen, bis sich nationalsozialistische Historiker durch fachliche Leistung zur Anerkennung und Führung auf derartigen Arbeitstagungen durchgerungen haben. Darum sollte man auch diesen Männern, vor allem den aus der SS hervorgetretenen Historikern, Gelegenheit zu konzentrierter Facharbeit bieten oder lassen, denn wenn ein Mann wie Griewank jahrelang als Mitglied der Deutschen Forschungsgemeinschaft nur für derartige Arbeiten freigestellt2 wird, [...] dann ist es selbstverständlich, dass solche Leute den SS-Angehörigen, die mit anderweitigen dienstlichen Verpflichtungen überhäuft sind, fachlich den Rang ablaufen.“3 Beurteilung, Kuratel-Verwaltung Universität Jena, 22. Februar 19484 „Nach seinen eigenen Angaben und einem Gutachten des Prof. Zucker trat Griewank 1933 dem Stahlhelm bei, wurde dann zwangsweise in die NSFK, überführt, aus der er 35 austrat. Weil er weder Mitglied n[o]ch Anwärter der NSDAP. oder deren Organisationen wurde, konnte er erst 1942 den Grad eines Dr. habil. erwerben und 1943 eine Dozentur an der Universität erlangen. Griewank ist gewerkschaftlich organisiert, gehört keiner Partei an und wird als politisch unsicher bezeichnet. (Neigt dazu, sich der Mehrheit anzuschliessen.) Soll erst kürzlich einen Artikel in der Urania geschrieben haben, was seine Berliner Freunde erstaunli[c]h fanden, da er in Berlin selbst nicht als fortschrittlich demokratisch angesehen wurde.“ Ministeriums für Volksbildung Thüringen, Beurteilung, März 19485 „Nach seinen eigenen Angaben und einem Gutachten von Prof. Zucker trat Griewank 1933 dem Stahlhelm bei, wurde dann zwangsweise in das NSFK überführt, aus dem er 35 austrat. Weil er weder Mitglied der NSDAP. oder deren Organisationen wurde, konnte er erst 1942 den Grad eines Dr. habil. erwerben und 1943 eine Dozentur an der Universität erlangen. Griewank ist gewerkschaftlich organisiert. Einer Partei gehört er nicht an. Heute ringt er mit den Problemen der Demokratie und der sozialen Bewegung. Für eine konsequente Bejahung der Grundsätze und Aufgaben, wie wir sie vertreten, hat er sich noch nicht entschieden. Doch ist er zur Mitarbeit bereit. Er hielt einen ausgezeichneten Vortrag anläßlich der 30-Jahrfeier der russischen November-Revolution und wurde Mitarbeiter der Zeitschrift ‚Urania’. Prof. Griewank, der fachlich sehr Gutes leistet, hat eine erfolgversprechende Laufbahn als Hochschullehrer vor sich.“

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Hans Schick: SD-mässige Beobachtung hinsichtlich der Arbeitstagung des Kriegseinsatzes der neueren Historiker und Völkerrechtler vom 20.-23.7.1942 in Weimar, in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 3340. Diese Aussage ist unrichtig. Griewank wurde nicht für wissenschaftliche Arbeiten freigestellt. SD-mässige Beobachtung [...], in: BA Berlin, ZR 9, Bl. 34f. und 39. Beurteilung, Kuratel-Verwaltung Universität Jena, 22. Februar 1948, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 44. Politische und fachliche Berurteilung, März 1948, in: ebd., Bl. 240. Kürzel „Senff“, Notiz am oberen Rand „Zur Übersetzung ans Dolmetscherbüro gegeben. Rei, 8.4.48“.

10.1. Ausgewählte Quellen

437

Ministerium für Volksbildung Thüringen, Charakteristik über den Dekan der Philosophischen Fakultät Karl Griewank, 7. November 19496 „Prof. Griewank ist gewerkschaftlich organisiert, gehört dem Kulturbund und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft an. Mitglied einer demokratischen Partei ist er bis heute nicht. Er ringt mit den Problemen der Demokratie und der sozialen Bewegung. Für eine konsequente Bejahung der Grundsätze und Aufgaben hat er sich noch nicht entschieden. Ob er jemals zu einer eindeutigen Haltung in dieser Richtung gelangen wird, muß z.Zt. zweifelhaft erscheinen. Er erklärt sich jedoch zur Mitarbeit bereit. Die Zukunft wird erweisen, on diese Bereitschaft echten Wollens entspringt oder nur aus Zweckmäßigkeitsgründen gezeigt wird.“ Max Steinmetz (Staatssekretariat für Hochschulwesen), Bericht über den Besuch der Universität Jena, 15.-17. Mai 19507 „Professor Dr. Griewank, offen reaktionäre Haltung. Vertritt nach wie vor die These von ‚Friedrich dem Grossen’ und lehnt die demokratische Entwicklung ab. Dabei äusserst geschickt in der Bewahrung der Spielregeln, gefährlich durch seine guten Beziehungen zu wissenschaftlichen Kreisen als ehemaliger Sekretär der ‚Deutschen Forschungsgemeinschaft’. Objektivistische Haltung, wissenschaftlich unbefriedigend, selbst vom bürgerlichen Standpunkt. Vertritt bewußt reaktionäre Berufungspolitik und durchkreuzt alle fortschrittlichen Ansätze und Bemühungen. Müsste als Dekan entfernt werden. Februar 1950 erneut für 2 Jahre gewählt worden. Vielleicht kann die Bestätigung unter Bezug auf §1 der Hochschulordnung8 zurückgezogen werden.“ Ilse Fischer (Personalamt der Universität Jena), 10. August 19519 „Uns liegt ein Antrag vor betr. Erteilung eines Interzonenpasses für Herrn Prof. Dr. Griewank für die Zeit vom 9. bis 27.9.51. Da die angeführte Zeit gerade in den Beginn des Sommersemesters fällt und in dem Kollegenkreis des Herrn Prof. G. davon gesprochen wird, dass er eine Professur in München anstrebt, bitten wir um Bescheid, ob die von ihm in seinem Antrag erwähnte Zusage seitens der Hauptabteilungsleiters des Staatssekretariats vorliegt. Inwieweit das Gerücht zutrifft[,] können wir nicht überprüfen. Eine Rücksprache mit dem Rektor [Otto Schwarz] ergab, dass man Herrn Prof. Dr. Griewank keine Schwierigkeiten machen wolle, da, wenn dies den Tatsachen entspricht, an der Universität Jena keine Lücke entstehen würde.“ Gemerski (Staatssekretariat für Hochschulwesen), Aktennotiz, 12. Oktober 195110 „Bei der Rücksprache in Jena mit Prof. Griewank zeigte sich dieser an dem Abschluss eines Einzelvertrages interessiert, wies jedoch darauf hin, dass ausser ihm möglichst noch andere Professoren Berücksichtigung finden müssten. Prof. Griewank ist Fachrichtungsleiter und war Mitglied der Fachkommission zur Ausarbeitung der Studienpläne. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften11 und gibt in deren Auftrag die ‚Deutsche Literatur-Zeitung’ heraus. Er ist zwar kein bedeutender, aber doch sehr kenntnisreicher und in der bürgerlichen Welt angesehener Fachhistoriker. Wegen seiner Pläne nach Westdeutschland zu gehen befragt, erklärte Prof. Griewank, dass er einen Ruf (nach München) noch nicht erhalten habe. Sollte ein solcher an ihn ergehen (was möglich sei)

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Charakteristik über den Dekan der Philosophischen Fakultät Prof. Karl Griewank vom Ministerium für Volksbildung Thüringen, 7. November 1949, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 70. Max Steinmetz: Bericht über den Besuch der Universität Jena vom 15. bis 17. Mai 1950, in: BA Berlin, DR2, 1899, fol. 37-49, hier fol. 37. Der § 1 der Vorläufigen Arbeitsordnung beschreibt als Aufgabe der Universität „die Erziehung im Geiste der Demokratie, des sozialen Friedens und der Völkerverständigung“, zit. nach BASKE/ENGELBERT: Zwei Jahrzehnte, S. 116. Ilse Fischer (Personalbüro der Universität Jena) an SfH Berlin, 10.8.1951, in: UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 73. Aktennotiz Gemerski (SfH), 12.10. 1951, in: BA Berlin, DR3/1.Schicht/1598, fol. 244. Diese Aussage ist unrichtig. Griewank war Mitarbeiter, aber nicht Mitglied der AdW.

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10. Anhang und ihm zusagen, so werde er das Staatssekretariat rechtzeitig in Kenntnis setzen und um eine fristgerechte Lösung des Verhältnisses zur Universität Jena bemüht sein. Es ist fraglich, ob es auf Dauer Zweck hat, Prof. Griewank halten zu wollen, da er ideologisch und politisch in keinem wirklich positiven Verhältnis zur DDR steht. Zurzeit besteht jedoch noch Interesse an seinem Verbleiben an der Universität Jena.“

Ludwig Neubauer (Personalamt der Universität Jena), Beurteilung, 17. Juni 195212 „Herr Prof. Dr. Griewank wird von den namhaftesten Historikern aller Richtungen ausserordentlich geschätzt. Da er ein geschickter und guter Pädagoge ist, der anregend und vielseitig vorträgt, ist er bei den Studenten sehr beliebt. Seine Einstellung gegenüber der DDR kann man als fortschrittlich bezeichnen.“ Ludwig Neubauer (Personalamt der Universität Jena), Beurteilung, 3. Februar 195313 „Herr Prof. Dr. Karl Griewank, Fachrichtungsleiter für Geschichte der Philosophischen Fakultät der Universität Jena, zeigte im vergangenen Jahr eine grössere Aufgeschlossenheit gegenüber dem nationalen Befreiungskampf des deutschen Volkes in unserer heutigen Zeit. Er hielt am Sonntag, dem 1.2.1953, auf der Delegiertenkonferenz der FDJ Hochschulgruppe einen positiven Diskussionsbeitrag. Sonst verhält er sich sehr abwartend. – Auch bei der Einstellung von wiss. Assistenten zieht er immer wieder Mitarbeiter heran, die unseren heutigen Problemen nicht immer positiv gegenüberstehen.“

2. Willy Andreas (Heidelberg) an Martin Lintzel (Halle), 13. März 194314 „Lieber Herr Lintzel! [...] Nun zu ihren Berufungssorgen: Die neue Situation gibt Ihnen eine einzigartige Chance; denn es besteht nunmehr die Möglichkeit für Sie, neben dem einen oder anderen der früheren Kandidaten für ein Extraordinariat, von denen keiner über ein gewisses gutes Mittemaß hinausragt und die wissenschaftlich in den allerersten Anfängen stehen, pädagogisch oft kaum in ihrem Wert erkennbar sind und zum teil reich an konjunkturellen Beisätzen, eine wissenschaftlich hervorragende Kraft zu gewinnen, für deren charakterliche Lauterkeit und reibungsloses Zusammenarbeiten mit Ihnen ich mich voll verbürgen könnte. Es ist Dozent Dr. phil. habil. Karl Griewank in Berlin, den ich früher nicht genannt habe, weil er sich erst vor einem halben Jahr in Berlin habilitiert hat, wo er übrigens bereits einen beträchtlichen Lehrerfolg erzielt hat und viel Vertrauen in den dortigen Fachkreisen genießt. Griewank ist mein alter Rostocker Schüler und hat mir in allen Wechselfällen der Politik und meiner akademischen Geschicke stets die Treue gehalten und als Mitarbeiter von Schmidt-Ott bei der Notgemeinschaft, der ihn aufs höchste schätzt und mit ihm wahrhaft befreundet ist, einen Überblick über die Forschungslage der letzten Jahrzehnte gewonnen wie kein Anderer in Deutschland, Ich war neulich mit ihm zusammen und staunte über seine Orientiertheit und Bildungsweite. Dazu kommt eine sehr stattliche literarische Leistung, die er sich in den Mußestunden seiner sehr anstrengenden Verwaltungstätigkeit abgerungen hat. Sein Buch über den ‚Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas’ (1942) ist m.E. eine der besten forscherlichen Leistungen, die viel Neuland erschlossen hat, überall aus den Quellen herausgearbeitet ist und darstellerisch einen bedeutenden Wurf darstellt. Er ist ein politischer Historiker, wie Sie ihn brauchen, dabei ausgestattet mit feinstem Gefühl für die Persönlichkeit, wie seine Editionen über Friedrich Wilhelm III. und Luise usw. und der Briefband über ‚Gneisenau’ beweisen. Da er mit dem Schwergewicht seiner bisherigen Arbeiten durchaus in der preußischen Geschichte wurzelt, aber großdeutscher Gesinnung ist, würde er ausgezeichnet nach Halle passen. Er ist eine ungemein liebenswürdige Persönlichkeit, hilfsbereit, weit in seinen Auffassungen und von einem reich instrumentierten Geschichtsbild, nebenbei gesagt auch ein besonderer Kenner und

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UAJ, D 1467, PA Griewank, Bl. 206. Ebd., Bl. 240. Willy Andreas an Martin Lintzel (Halle), 13.3.1943, in: BGLA, NL Andreas, Nr. 750, unpag.

10.1. Ausgewählte Quellen

439

Freund geographischer Probleme. Er würde eine verbindende Kraft unter den verschiedensten Fächern Ihrer Fakultät werden. Vor allem könnten Sie sich bei einem Berufungsvorschlag darauf stützen, daß Griewank den unbestritten besten Vortrag auf der Weimarer Historikerzusammenkunft gehalten hat, sodaß auch an anderen Universitäten Interesse für ihn erwacht ist. So hat man in Graz, obwohl damals sein großes Buch noch nicht gedruckt vorlag, ihn wenigstens im Proömium zu dem dortigen Berufungsvorschlag genannt. Sollte in Köln die Ziekursch’sche Professur in alter Form wiederbesetzt werden, scheint auch dort Interesse für ihn zu bestehen. Vor allem aber kann ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß ich vor einiger Zeit hörte, Ritterbusch interessiere sich für ihn und zwar im Hinblick auf Ihre eigene Universität. Aber sowohl Gr. wie ich haben sich daraufhin zurückgehalten, weil ja der andere Berufungsvorschlag lief, und gerade ich als sein Lehrer nicht den Eindruck irgendwelcher Schulvoreingenommenheit [!] erwecken wollte. Sonst hätte ich Ihnen geschrieben. Ich ziehe aber doch daraus den Schluß, daß Griewank von Ritterbusch im Ernstfall nicht bekämpft, sondern eher von ihm gestützt würde, und Men[t]zel, der ihn aufs schärfste ausnützt und ihn ungern ziehen ließe, könnte doch auf eine Nennung an erster Stelle keinesfalls mehr Schwierigkeiten machen, ihn freizugeben. Ich empfehle Ihnen so zu verfahren, daß Sie, wenn Sie in der Fakultät Freunde für diese Nennung gewinnen, eine offizielle Anfrage an mich in bezug auf ihn richten und gleichzeitig auch Srbik befragen der mir versprochen hat, auf Griewank, den er wissenschaftlich schätzt, aber nicht näher kennt, zu achten und gegebenenfalls für ihn einzutreten. Auch Hartung empfehle ich direkt zu befragen.15 Ich erlaube mir, Ihnen gegenüber ihn auch deshalb so stark zu befürworten, weil er ungefähr gleichaltrig mit Ihnen ist, und Sie dem lebenserfahrenen, reifen Manne ein ganz anderes Verständnis in allen politischen und persönlichen Lagen erwarten können als von den Jüngeren, die zumeist in einer unglaublichen Verwöhntheit und einem großen Egoismus ihren Weg verfolgen, dabei den Mantel aber immer nach dem Winde hängen, während Griewank seine Linie ruhig und sachlich, ohne Parteigebundenheit nach irgendwelcher Seite von seiner Jugend an gehalten hat. Mir ist kein Zweifel, daß die früher Genannten auch nach der sachlichen Leistung hinter ihm zurückstehen. Alle sind tüchtig, aber die Grenzen sind doch auch bald sichtbar. Das gilt leider auch für Wendorf, der ja als älterer Dozent natürlich nicht eine so starke Stoßkraft mehr bei einer Nennung besitzt. Auch unser Dozent Fuchs kann sich an Leistung, Geist und Bildungsweite nicht messen, tritt aber sehr viel selbstbewußter, bisweilen bis zur Plumpheit auf als der bescheidene und anspruchslosere Griewank. Von Schieder’s Seminaren in Innsbruck habe ich durch zuverlässige Studierende nichts besonders Günstiges gehört. Offenbar legt er das Schwergewicht mehr auf die literarische Tätigkeit. Für begabt halte ich auch ihn, aber an meine Seite möchte ich ihn doch nicht haben. Übrigens scheint er ja für Königsberg vorgesehen zu sein, wohin ihn auch seiner früheren Arbeitsgebiete weisen. Daß Sie in schwierigen Situationen einen Bundesgenossen an ihm haben würden, möchte ich nach dem allgemeinen Eindruck seiner Schriften bezweifeln. Über Scharff kann ich nicht genügend urteilen; sein Buch über Achtundvierzig macht keinen ungünstigen Eindruck, aber es wäre eine große Ungerechtigkeit, den jungen Menschen einem älteren und auf weiteren Arbeitsgebieten ausgewiesenen Gelehrten wie Griewank vorzuziehen. Vor Rößler, der einen wunderbaren, einzigartigen Stoff zwar erschlossen, aber doch in einer literarisch unerträglichen Manier monoton ausgewalzt hat, möchte ich fast warnen. Sie würden keine Freunde an einem solchen Gefährten haben. Hinrichs scheint mir auch nicht der richtige Mann zu sein trotz seiner von mir sehr hochgeschätzten Arbeiten. Aber wie kann man allein über die Jugendzeit Friedrich Wilhelm I. einen solchen Wälzer schreiben, wo doch alle Welt nach der Gesamtbiographie verlangt? Das beweist doch einen gewissen Mangel an Augenmaß, und mit solchem Spezialistentum ist uns ja auch nicht auf einer Lehrkanzel gedient. Das wären so ungefähr meine ersten Gedanken, die ich Ihnen rein persönlich mit der Bitte um sorgfältige Wahrung der Vertraulichkeit vortrage. Zu einer amtlichen Äußerung bin ich gegebenenfalls bereits. Vorderhand lege ich nur eine Liste von Griewank’s Werken, die ich besitze bei und wünsche für den Fortgang der Angelegenheit von Herzen alles Gute.

15

Damit liegt Andreas falsch. Hartungs Aussagen zu Griewank sind bekanntlich eher negativ gewesen. Siehe oben S. 331 mit Anm. 281, S. 389 mit Anm. 242 und S. 389 mit Anm. 241-244.

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10. Anhang Mit herzlichsten Grüßen16 stets Ihr [Willy Andreas]“

3. Karl Griewank an Eduard Spranger (Tübingen) im Januar 195017 „Hochverehrter Herr Professor Spranger! Der Besuch einer unserer Studentinnen, die jetzt in Tübingen ist und sich auch bei Ihnen – hoffentlich nicht schlecht – eingeführt hat, rief mir das freundliche Vertrauensverhältnis in Erinnerungen, das sie mir in früheren Situationen vergönnten, und ich bitte daraus das Recht nehmen zu dürfen, daß ich mit dem Ausdruck meiner unverminderten Verehrung Ihnen Einiges über die hiesigen Arbeitsverhältnisse sage, was Sie sowohl in allgemeiner Hinsicht wie für spezielle Beratungen interessieren könnte. Es ist ja immer schwer, sich in einem Lande mit verhältnismäßig freier Meinungsbildung und -äußerung ein klares Bild von dem geistigen Zustande der Gebiete zu machen, deren wirkliche Lage durch zensurfeste Briefe und ein streng beschnittenes Publikationswesen nach außen immer mehr verdunkelt wird. Die gespannte politische Situation bringt es wohl mit sich, daß man hier und da glaubt, nur noch offene ‚Märtyrer’ aus dem Osten ernstnehmen zu sollen. Andererseits habe ich, als ich September [1949] zum Historikertag in Süddeutschland war, doch auch viel Verständnis für die Aufgaben gefunden, welche die Aufrechterhaltung eines wissenschaftlichen Lebens in dieser Zone meinerseits in den ersten Jahren noch bot. Ich bedauere persönlich auch heute noch nicht, daß ich hier die Wirksamkeit auf dem Lehrstuhl für neuere Geschichte übernommen habe in einer Zeit, in der viel Aufgeschlossenheit und geistiges Ringen zu finden war und vielen jungen und auch älteren Menschen damit geholfen werden konnte, zumal solange Leisegang noch hier war, mit dem ich mich – trotz seines manchmal allzu schroffen Wesens – gut verstand und auch jetzt noch in freundschaftlicher Verbundenheit stehe. Ich habe unter Kollegen und Freunden und auch im Umgang mit den jungen Menschen hier manches empfangen und weitergeben, teilweise auch in wissenschaftliche Produktion umsetzen können und daher eine Stellung bezogen, die – wie alle aufmerksamen Zeugen bestätigen können – klar genug untragbare Zugeständnisse ablehnte, indem ich bemüht war und bin, eine Stätte unbestechlicher geschichtlicher Wahrheitssuche mit freier Aufgeschlossenheit für alle durch die Zeit aufgeworfenen Probleme aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig konnte ich die Deutsche Literaturzeitung in Berlin noch in einer Weise weiterführen, die im In- und Ausland erfreuliche Anerkennung gefunden hat. Jetzt freilich ist, wie die Dinge sich entwickeln, doch abzusehen, daß die Arbeit für einen Historiker, der über seine nichtmarxistische Haltung niemals einen Zweifel gelassen hat, mehr und mehr unfruchtbar werden wird. Man ist mir zwar persönlich noch nicht zu nahe getreten, und ich hoffe dies auch einige Zeit noch vermeiden zu können. Daß ich durch das Vertrauen der Fakultät auch das Dekanat schon bald zwei Jahre bekleidet, gibt mir immerhin die Möglichkeit, manche Voraussetzungen meines und unseres Wirkens noch zu erhalten und zu sichern – was vielleicht auch drüben nicht immer ohne weiteres voll verstanden wird. Aber es kann nicht ausbleiben, daß man gerade in dieser Tätigkeit zunehmend mit den maßgebenden Stellen zusammenstößt. Vermeidet man unmögliche Kompromisse, so wird die Kraft durch ständige aktuelle Aufmerksamkeit und Abwehr übermäßig in Anspruch genommen, während gleichzeitig der geistige Wirkungsraum nach allen Seiten sich verengt: unsachlich-politische Studentenwahl, Publikationszensur, Abschneidung von neuer Literatur, allmähliche Verkümmerung des Lehrkörpers – trotz oder wegen ständiger neuer Aufbaupläne – wirken mit anderem in dieser Richtung zusammen. So geht es mir wie manchen anderen Kollegen. Aber natürlich ist ein Fach wie die neuere Geschichte besonderen Gefahren ausgesetzt. Ich habe nun zwar nicht die Absicht, deswegen überstürzt, ‚über Nacht’, hier alles im Stich zu lassen und im Westen den verfolgten Flüchtling zu spielen, und darf wohl auf Verständnis hierfür rechnen. Aber in legitimer Weise hier in absehbarer Zeit die Zelte abzubrechen, wenn eine lohnende Wirksamkeit im freieren Westen sich auftut, muß allerdings das Ziel sein, und ohne solche Aussichten droht schon die jetzige Arbeit manchmal unerträglich zu werden. Ich habe hier neben dem notwendigen Aufbau einer vollen Lehrtätigkeit noch manches produzieren können, wovon freilich nur Gelegenheitsveröffentlichungen bisher zum Druck kamen; die Schwie-

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Hier ist zu beachten, daß kein „deutscher Gruß“ den Brief abschließt. Karl Griewank an Eduard Spranger, 12.1.1950, in: BA Koblenz, N 1182, NL Spranger, Nr. 179, unpag.

10.1. Ausgewählte Quellen

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rigkeit, an die neue Literatur heranzukommen, wirkt zum Teil hemmend auf die Fertigstellung. Größere Studien über die Revolutionen in der neueren Geschichte und das Verhältnis von Bürgertum und Preußentum in Deutschland werden hoffentlich bald geeignete literarische Form finden. Ein Historiker, der in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem leninistischen Marxismus um die geistige wie die soziale Seite der Geschichte bemüht ist – ohne deswegen Philosoph oder Soziologe werden zu wollen – hätte doch wohl auch an einer westdeutschen Universität gerade jetzt seine Aufgaben zu finden. Der in erschütternder Plötzlichkeit verstorbene Stadelmann hat in dieser Richtung ja auch wertvolle Impulse gegeben. Wenn Sie Interesse an genaueren Unterlagen über meine bisherige wissenschaftliche Arbeit haben, so werde ich sie Ihnen gern zusenden, Briefe nach Jena oder Berlin-Ost müssen freilich vorsichtig und nicht zu deutlich abgefaßt werden; wie es die Verhältnisse eines Polizeistaates erfordern; Sendungen nach dem Westen von Berlin erreichen mich unter der Anschrift: Buchhandlung R. Möller, Berlin-Lichterfelde-West, Kadettenweg. [...]“

4. Karl Griewank an Gerhard Ritter (Freiburg) im Januar 195018 „Hochverehrter Herr Ritter! Die freundlichen Zeilen, mit der Sie auf meine relativ bescheidene Zuwendung19 antworteten, waren mir besonders wertvoll. Ich danke Ihnen für die freundlich anerkennenden Worte über meine literarische Produktion; ich muß dazu sagen, daß dieselbe wohl wesentlich vollere Ergebnisse schon bringen könnte, wenn die in den heutigen Verhältnissen liegenden Schwierigkeiten geringer wären. Nicht die Lehrtätigkeit als solche empfinde ich eigentlich als hemmend, zumal ich jetzt den Aufbau der Hauptvorlesungen in der Hauptsache bewältigt habe; die Arbeit mit und an den jungen Menschen ist mir beglückend, solange man aufgeschlossene und einigermaßen tätige Leute vor sich hat. Dagegen droht die ständig erforderliche Aufmerksamkeit auf Gefahren von allen Seiten, wie sie in einem totalitären und weltanschaulich fundierten Polizeistaat notwendig ist, die Kräfte übermäßig in Anspruch zu nehmen, und dazu kommt auf der anderen Seite die immer zunehmende Einengung des geistigen Wirkungsraumes: unsachlich-politische Studentenauswahl, Publikationszensur, allmähliche Verkümmerung des Lehrkörpers und – zur Zeit fast das Schlimmste – die zunehmende Abschneidung von der neueren Literatur des Westens und des Auslands. Man kann immer schwerer Arbeiten so abschließen wie sie sein müßten. Ich kann einiges fast Fertige deswegen nicht publikationsreif machen, möchte aber doch auch die Ergebnisse größerer Studien – so eine vergleichende Betrachtung der Revolutionen in der neueren Geschichte, und Untersuchungen über Demokratie und Preußentum im 19. Jahrhundert – in nicht zu ferner Zeit zu einem Ende bringen. Daß die Lage für den wissenschaftlichen Nachwuchs – trotz äußerer Förderungsmaßnahmen, an denen Ihr früherer Schüler St[einmetz] in anerkennenswerter Weise beteiligt ist – immer schwieriger wird, liegt in den geistig politischen Verhältnissen begründet, und ich zweifele, ob es mir möglich sein wird, den einen oder anderen, den ich für begabt und geeignet halten würde, in dieser Hinsicht voranzubringen. Meine persönliche Situation ist hier zwar noch unangefochten, aber es ist abzusehen, daß die Lage für einen nichtmarxistischen Professor der neueren Geschichte mehr und mehr unfruchtbar werden wird. Seit bald zwei Jahren bekleide ich durch das Vertrauen der Fakultät auch das Dekanat und habe dadurch immerhin die Möglichkeit, noch Manches für die Aufrechterhaltung meines und unseres Wirkens zu tun – was vielleicht drüben in der irrigen Meinung, Dekane wären hier in allen Fällen Vertrauensleute der Regierung und der SED, nicht immer voll verstanden wird. Aber es kann nicht ausbleiben, daß man gerade in dieser Tätigkeit zunehmend mit den maßgebenden Stellen zusammenstößt, wie es mir auch schon ergangen ist. Ich muß nach alledem nun doch bedacht darauf sein, meine Zelte hier in absehbarer Zeit abzubrechen – wenn es irgend sein kann, nicht als politischer Flüchtling, sondern in legitimer Weise, wenn eine lohnende Wirksamkeit im freieren Westen sich auftut. Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie diese Sachlage bei allen an Sie herangetragenen Berufungsfragen und -erwägungen ins Auge fassen würden, und ich würde es immer als besonders ehrenvoll empfinden, durch Ihr Interesse in der angedeuteten Richtung gefördert zu werden.

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Karl Griewank an Gerhard Ritter, 14.1.1950, in: BA Koblenz, N 1166, Nr. 335, unpag. Griewank hatte ihm Sonderdrucke seiner Publikationen zum Goethejahr 1949 zugesandt.

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10. Anhang Möchte Ihnen selbst auch im neuen Jahr gutes Gelingen in Forschung, Lehre und den mannigfachen Impulsen, die Sie geben können, und mit allem eine segensreiche Wirkung für Wissenschaft, Volk und Jugend beschieden sein! In alter Verehrung und mit herzlichen Grüßen Ihr stets ergebener Karl Griewank Briefe nach West-Berlin erreichen mich unter der Adresse: Buchhandlung R. Möller, BerlinLichterfelde West, Kadettenweg 62. Solche nach Jena müssen natürlich mit gebotener Vorsicht abgehalten sein.“

5. Karl Griewank an Otto Becker (Kiel) im Juli 195020 „Sehr verehrter Herr Becker! Meiner geschäftlichen Antwort auf Ihre letzten freundlichen Zeilen möchte ich noch einige Mitteilungen hinzufügen. Es wird Sie nicht wundern, daß sie die hiesigen schwierigen Verhältnisse betreffen. Sie werden aus unsern bisherigen Schriftwechsel entnommen haben, daß ich hier zunächst schöne Semester gehabt habe, sie auch meiner wissenschaftlichen Produktivität zugutegekommen sind. Aber jetzt hat die Entwicklung der Dinge allerdings einen Punkt erreicht, an dem ein fruchtbares Wirken im hiesigen Bereich für einen Historiker unserer Schulung und Überzeugung mehr und mehr unmöglich wird. Seit dem letzten Herbst hat die Radikalisierung und Uniformierung des gesamten öffentlichen Lebens, die politische Kontrolle und Auswahl der Studentenschaft, die Beengung jeder freien Äußerung einen Grad erreicht, vom dem wir hier vorher noch weit entfernt waren. Ich bedauere unter diesen Umständen, nicht früher und energischer den Weg nach Westen betrieben zu haben; leider haben sich einige Gelegenheiten zerschlagen, so eine Professur an der (West)Berliner Technischen Universität, für die ich an erster Stelle vorgeschlagen war, infolge der politischen Vetternwirtschaft im West-Berliner Magistrat aber nicht berufen wurde. Immer aber noch hoffe ich, eine Tätigkeit im Westen finden zu können, bevor der Vorhang sich etwa für längere Zeit völlig schließt. Ich kann da natürlich nicht auf eine Professur warten, wenn sie sich nicht gerade bietet, sondern würde zunächst auch mit einem bescheidenen Lehrauftrag oder Extraordinariat zufrieden sein, um eine vorläufige Existenzgrundlage zu gewinnen. Ohne eine solche ist eine Übersiedlung freilich schwer durchzuführen. Wenn Sie mir in dieser Richtung behilflich sein können, so würden Sie für die Erhaltung meiner wissenschaftlichen Kraft ein entscheidendes tun. Daß ich politisch nicht nur bis 1945 unbelastet blieb, sondern auch unter den schwierigen hiesigen Verhältnissen das Mögliche getan habe, um als Professor und Dekan eine würdige Haltung zu bewahren, wird Ihnen jeder Kundige bestätigen. Ich würde für ein Spezialgebiet wie Geschichte der politischen Bewegungen und Parteien oder auch Geschichte Frankreichs mich gern einstweilen in den Schatten eines Ordinarius stellen, da ich meine eigene hiesige, mit schönem Erfolg begonnene Tätigkeit als Ordinarius doch nach den Verhältnissen gegenstandslos werden sehe. Mit meinem alten Freund und Kollegen Fehling habe ich in der gleichen Frage auch schon Fühlung aufgenommen. Ich möchte nur hoffen, daß die welthistorischen Ereignisse21 nicht schon bald sich so stark auf unsere Heimat ziehen, daß Betrachtungen wie die vorstehenden überflüssig werden. Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie sich überlegen und mir mitteilen würden, was in der angedeuteten Richtung geschehen kann. Zuschriften erreichen mich in Berlin-Steglitz unter der Adresse bei Dr. Oestreich22, Rotheburgstrasse 3; harmlose auch hier in Jena, Zenkerweg 8 (event[uell] auf Umschlag mit Decknamen verfaßte). Ich hoffe, daß Sie und Ihre Familie wohlauf sind, und bleibe mit den besten Grüßen.“

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Karl Griewank an Otto Becker, 16.7.1950 BA Koblenz, N 1078, NL Becker, Nr 42, unpag. Damit deutet Griewank auf den in Juni 1950 begonnen Koreakrieg hin. Dies ist die auch im Kürschner 1950 angegebene Adresse des Historikers Gerhard Oestreich, der später Professor in Hamburg und Marburg wurde.

10.1. Ausgewählte Quellen

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6. Karl Griewank an Willy Andreas im August 1950

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„Hochverehrter, lieber Herr Professor! Wenn unser Briefwechsel in den letzten Monaten schwächer geworden ist, so hoffe ich, daß es nicht infolge Verlustes von aufgegebenen Briefen geschah; bei den Zusendungen aus dem Osten und auch in ihn hinein kann man dessen freilich nie sicher sein. Ich antworte zuletzt auf Ihren Brief vom April. Inzwischen haben sich die Verhältnisse bei uns ständig verschärft: zunehmende Radikalisierung und Uniformierung des öffentlichen Lebens, Terrorisierung der Studenten mit Hilfe fanatischer und selbstbewußter Jugendführer, wachsende Propaganda gegen ‚Objektivismus’ und ‚Kosmopolitismus’, d.h. gegen die uns geläufige Vorstellung von Wahrheit und Menschlichkeit, auch in der Wissenschaft: durch alles das wird die Wirkungsmöglichkeit mehr und mehr eingeengt, auch wenn die ‚Lehrfreiheit’ von oben nicht förmlich angetastet wird. Ich muß damit rechnen, daß die Anfeindungen gegen mich von einer kleinen Gruppe aus im Winter energischer vorangetrieben und vielleicht schon in die breite Öffentlichkeit getragen werden, was dann die Erhaltung der für eine erträgliche Tätigkeit notwendigen Unabhängigkeit und Würde sehr erschwert. Meine bis in das Frühjahr hinein zufriedenstellende Arbeitstätigkeit hat unter diesen Verhältnissen nun doch merklich zu leiden begonnen, umsomehr als ich durch das sehr schwierig gewordene Dekansamt, das loszuwerden mir durchaus nicht gelingen will, dauernd in unerquickliche und vielfach höchst läppische Angelegenheiten verstrickt werde. Es wird dringend Zeit für mich, mich zu lösen, was ich freilich nicht tun kann ohne eine, wenigstens eine bescheidene, materielle Existenzbasis in Westdeutschland oder Westberlin; notwendig wäre eigentlich auch eine irgendwie geartete ‚Berufung’ – und sei es nur auf einen Forschungsauftrag oder dgl. –, um sie vorzeigen und mich daraufhin ‚legal’, d.h. ohne Zurücklassung meiner ganzen Habe, Bibliothek usw. lösen zu können. Daß man nicht auf eine ordentliche Professur durchaus warten kann, scheint nach den bisherigen Erfahrungen erwiesen zu sein. Das Risiko, die ‚Karriere’ und damit die wissenschaftliche Zukunft überhaupt preiszugeben, ist freilich beim Übergang in eine andere Stellung nicht gering; es ist aber bei einem zu langen Verbleiben im Osten wahrscheinlich ziemlich sicher gegeben. So etwa ist mein gegenwärtiger Standpunkt, den ich auch einigen andern mit Vorsicht mitgeteilt oder angedeutet habe; ich möchte ihn Ihnen aber in voller Deutlichkeit aussprechen. Ich hoffe noch, im September zur Kommissionssitzung nach München kommen zu können, wo man manches klarer machen könnte. Bis Anfang September werde ich in Ostseebad Ahrenskoop [...] zu erreichen sein, für ganz vertrauliche Zusendungen in Berlin-Steglitz, Rotheburgstr. 3, bei Dr. Oestreich. Ich hoffe sehr, daß es Ihnen und den Ihrigen gut geht, und daß dieser Herbst für uns alle ohne kriegerische Verwicklungen in Deutschland mit ihren unabsehbaren Folgen vorübergeht. Recht herzliche Grüße, und hoffentlich auf Wiedersehen! Ihr K. Griewank“

7. Ernennung zum hauptamtlichen Sekretär der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Franz Schnabel an Karl Griewank, 4. März 195324 „München, den 4. März 1953 Sehr geehrter Herr Kollege! Erlauben Sie mir bitte, daß ich Ihnen Folgendes vortrage und um Ihre Entscheidung bitte. Wie Ihnen aus den Plenarversammlungen der beiden letzten Jahre bekannt ist, hat die ‚Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften’, die seit nahezu hundert Jahren viele Historiker aus ganz Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern im Interesse der Erforschung der deutschen Geschichte vereinigt und auch Sie seit 1946 zu ihren Mitgliedern zählen darf, mehrfach den Beschluss gefasst, die Edition der deutschen Geschichtsquellen künftig rascher und intensiver zu betreiben, als dies in den letzten beiden Jahrzehnten möglich gewesen ist. Als ein Hindernis zu diesem Ziele hat sich aber erwiesen, daß unsere Kommission vor hundert Jahren aufgebaut worden ist nach dem Muster der Akademien der Wissenschaften und dem entsprechend neben dem ehrenamtlichen Präsidenten einen Sekretär besitzt, der gleichfalls nur nebenamtlich tätig ist. Die

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Karl Griewank an Willy Andreas, 13.8.1950, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 847, unpag. Franz Schnabel an Karl Griewank, 4.3.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3.

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10. Anhang Plenarversammlung legt allerdings nach wie vor größten Wert darauf, daß der überlieferte akademische Aufbau ihr erhalten bleibt, wonach der Präsident nur die letzten Entscheidungen trifft, die Geschäftsleitung aber Sache der Klassensekretäre ist – in unserem Falle also des Sekretärs der Historischen Kommission, der in München als dem Sitze der Kommission alle vorkommenden Geschäfte durchführt und die Forschungsarbeiten vorbereitet. Aber angesichts der wachsenden Aufgaben, die der Geschichtsforschung heute nun einmal zufallen, hat die Plenarversammlung einstimmig beschlossen, künftig den Sekretär so zu stellen, daß er seine ganze Zeit und Kraft der Historischen Kommission widmen kann. Zweck dieses Briefes ist, Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, mitzuteilen, daß die Historische Kommission Ihnen als dem hierfür geeignetsten ihrer Mitglieder diese Stelle anträgt. Im Einvernehmen mit allen Mitgliedern der Kommission erlaube ich mir daher an Sie die Anfrage zu richten, ob Sie geneigt sind, diese Stellung in München zu übernehmen. Sie wird Ihnen eine ausgebreitete Wirksamkeit in dem Ausbau der begonnen großen Arbeiten und neuer wissenschaftlicher Aufgaben sowie in eigener wissenschaftlicher Tätigkeit bieten, und die Kommission glaubt erwarten zu dürfen, daß Sie durch Ihre Mitarbeit und Ihre Erfahrungen die große Tradition unserer Kommission erfolgreich weiter führen und insbesondere in der Lage sind, durch Ihre Vertrautheit mit allen auf dem Gebiete der deutschen Geschichtsforschung tätigen Kollegen den inneren Zusammenhang der ganzen deutschen Geschichtswissenschaft zu fördern. Da Ihnen Bedingungen zugesichert werden können, die, wie wir glauben, den von Ihnen berechtigterweise zu stellenden Ansprüchen gerecht werden, geben wir uns der Hoffnung hin, daß Sie sich entschließen können, dem Ruf der Kommission in eine so angesehene Stellung, die in der Vergangenheit von vielen der hervorragendsten Gelehrten unseres Faches bekleidet worden ist, zu folgen. Die Kommission wird dies als besonderen Beitrag zur Pflege der wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen Deutschlands begrüßen. Da unser neues Geschäftsjahr am 1. April beginnt, wäre von unserem Standpunkte aus zweckmäßig, wenn Sie Ihre Tätigkeit in München bald nach diesem Termin aufnehmen könnten. Ihrer geneigten, hoffentlich zusagenden Antwort entgegen sehend verbleibe ich mit den besten Empfehlungen und Grüßen Ihr sehr ergebener [Unterschrift Schnabel] Präsident der Historischen Kommission"

8. Gedächtnisprotokoll der Besprechung mit Staatssekretär Harig am 17. März 195325 „Besprechung mit Staatssekr. Prof. Harig am 17. III. 1953 Ich gab Kenntnis von der Berufung durch den Präsidenten der Münchener Histor. Kommission und sagte dazu: Ein Eingehen auf den Termin des April komme für mich nicht in Betracht, da ich die Arbeit hier nicht plötzlich zu verlassen u. nicht vertragsbrüchig zu werden beabsichtige. Aber für die Zukunft habe das Angebot einer in der ganzen dtsch. Geschichtswissenschaft sehr ehrenvollen Stellung viel Verlockendes für mich, umso mehr als hierzulande Änderungen durch Schwerpunktbildung usw. auch in unserem Fach hervorzutreten scheinen. Vielleicht würden unsere Absichten sich bei diesen Anlässen entgegenkommen? Er: Man lege großen Wert auf mich als einen Mann, der seine Kenntnisse u. Erfahrungen für die notwendige Ausbildung der Studierenden zur Verfügung stelle. Wenn – wie ich andeutete – die jungen Studenten sich auch hin und wieder überheblich gegenüber dem, was die ‚bürgerlichen’ Professoren ihnen böten, ausliessen, so werde das weiter bekämpft werden. Auf meine Frage, ob man mich als einen Historiker mit gewissen feststehenden nichtmarxistischen Überzeugungen dauernd werde brauchen können, da doch auf verstärkte Durchsetzung der marxistischen Gedanken gerade in der Geschichte bestanden werde, stellte er für sich und seine Seite ent-

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Handschriftliches Gedächtnisprotokoll, DIN A5-Papier, 1 Bl, 2 Seiten, in: NL Griewank, Karton 6, Bayerische Akademie, Mappe 3 „... letzte Notizen“.

10.1. Ausgewählte Quellen

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schieden in Abrede, daß die Verwendung von Professoren nur auf Zeit gedacht sei, und verwies auf Beiforde und Tarlé in der Sowjet-Union, auf die ich aber nicht weiter einging.26 Prof. Harig gab mir zu Bedenken, daß die Wissenschaft in der DDR im Aufschwung sei, während sie im Westen zum Absinken verurteilt sei, und daß gegenwärtige Vorteile, die ich drüben vielleicht finden könnte, nicht dauerhaft sein würden. Er deutete ferner an, daß man in Westdeutschland immer mehr in Gefahr komme, amerikanischen Einflüssen zu unterliegen und damit zu einem politischen Emigranten zu werden, wobei er aber die Münchener Akademie als solche keineswegs des Amerikanismus beschuldigen wolle. Ich betonte, daß ich in jedem Falle mit der DDR gut Freund sein wolle und nicht beabsichtige, meine Überzeugungen preiszugeben. Zum Schluß erklärte ich mich bereit, meine Entschließung noch vorzubehalten und zu bedenken. Auf meine ausdrückliche Frage bestätigte Prof. Harig, daß er mich nicht hindern werde, wenn meine Entschließung für München ausfalle und ich hier ausscheiden wolle. Ich bat ihn, in diesem Falle auch bei der Übersiedlung seinen Einfluß förderlich geltend zu machen, was er mir unter Vorbehalt zusagen konnte, da er darauf nicht den entscheidenden Einfluß habe; doch hielt er die Umsiedlung mit beschränkter Habe nicht für ausgeschlossen! Gr.“

9. Gedächtnisprotokoll der Besprechung mit Paul Wandel am 6. Mai 195327 „Ich berichtete dann über meinen Ruf nach München, meine Besprechung mit Staatssekr. Prof. Harig und die Gründe, die bei mir für die Annahme des Rufes sprechen: lohnende Wirksamkeit für die gesamtdeutsche geschichtswissenschaftliche Forschung, begründete Zweifel ob meine Mitwirkung hier im Geschichtsbetrieb der Universitäten noch dauernd möglich sei angesichts der Durchsetzung des Marxismus. Min. Wandel betonte sehr stark den Wert, den man auf meine Mitwirkung hier an der Universität und in der Forschung lege, da ich mich immer aufgeschlossen für Neues gezeigt habe. Ich würde immer die Möglichkeiten der freien wissenschaftlichen Auseinandersetzung haben und nie gegen meine gewissenhafte Überzeugung zu handeln brauchen. Wenn vielleicht an der Universität mein Stand schwierig werden könnte, so werde durchaus die Möglichkeit bestehen, das Schwergewicht meiner Arbeit auf die Akademie zu verlegen. Hier werden Neuwahlen kommen und geschichtliche Forschungsinstitute entstehen (für Geschichte des deutschen Volkes). Mein Name sei ohnehin – mit anderen (Sproemberg, Stern! – auch Lintzel) schon genannt worden u. werde von ihm unterstützt werden. Als ich darauf hinwies, daß ich ohne aktive behördliche Unterstützung gar nicht umziehen könne u. nicht einmal einen Pass erhalten werde, erklärte Min. Wandel: Er könne dazu sich höchstens eine Befürwortung aussprechen und das werde er in meinem Falle nicht tun, da er mich nicht gehen lassen wolle. Auf meinen Hinweis darauf, daß hierdurch eine unerwünschte Zwangslage entstehe und diese Beeinträchtigung der Entschlußfreiheit auch gegen jeden Übertritt in die DDR abschrekkend wirken müsse, entgegnete er, daß das leider die Folge der schlechten politischen Beziehungen mit Westdeutschland sei; ‚wir wollen die Einheit, auch unter Zurückstellung von Punkten unseres Programms’ usw. Ein Zurückkommen auf diesen Punkt führte zu keinem anderen Ergebnis. Zum Schluß bat ich um Unterstützung bei der Drucklegung meiner beabsichtigten Bücher, über die ich kurz berichtete. Min. Wandel sagte diese Unterstützung zu, abgesehen davon, daß vielleicht Änderungswünsche bestehen würden, wo meine Ausführungen geradezu in Gegensatz zu politischen Forderungen der Gegenwart ständen; er zweifele nicht, daß hierüber leicht eine Einigung mit mir zustandekommen würde.

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Griewank kannte insbesondere Evgenij V. Tarlé (1874-1955) durch dessen Talleyrand-Biographie. In der Tat diente Tarlé als Beispiel eines unabhängigen Denkers. Es war Griewank jedoch sicherlich nicht verborgen geblieben, das Tarlé im Rahmen der stalinistischen Säuberungen 1930 nach Alma Ata abgeschoben worden war, ehe er im Zuge der Wendung zur Stalinschen „patriotischen Geschichtsschreibung“ als „Treitschke des Stalinismus“ wieder zu einer unverhofften neuen Karriere kam. Vgl. E.W TARLÉ: Talleyrand [1950], Leipzig 21972; Edgar HÖSCH: Art. Tarlé, Evgenij Viktorovič (1874-1955), in: vom BRUCH/MÜLLER (Hg.): Historikerlexikon, S. 328f. NL Griewank, Karton 6, Mappe 3.

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10. Anhang Im Laufe des Gesprächs brachte ich auch zur Sprache, daß vielfach in den Studentengruppen ein Druck ausgeübt werde in der Richtung darauf, daß ‚bürgerliche’ Bücher nicht gelesen werden sollten u. dgl. Min. Wandel versicherte, daß das nicht im Sinne der Partei liege u. abgestellt werden müsse. Er betonte auch, daß seine Versicherungen an mich nicht auf seine Person beschränkt seien, sondern von ‚uns’, d.h. seiner[durchgestrichen der] Partei geteilt würden. Gr.“

10. Bedingungen Griewanks für ein Verbleib in der DDR, Mai 195328 „Sehr geehrter Herr Minister! Wie ich Herrn Staatssekretär Prof. Dr. Harig schon vor einer Reihe von Wochen und Ihnen persönlich Ende April mitteilen konnte, habe ich einen Ruf auf die Stellung eines hauptamtlichen Sekretärs der ‚Münchener Historischen Kommission’ (Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) erhalten. Ich habe damals auf das Schreiben des Präsidenten der Kommission sogleich erwidert, daß ich dem Wunsch, schon bald nach dem 1. April nach München zu kommen, nicht entsprechen könne, da ich meine hiesige Arbeit keinesfalls während des Studienjahres abbrechen könne oder wolle. Nach sorgfältiger Überlegung konnte ich nicht verkennen, daß sehr triftige Gründe für den ehrenvollen Ruf auf den in der deutschen Geschichtswissenschaft seit jeher besonders angesehenen Posten bei der für gesamtdeutsche wissenschaftliche Aufgaben geschaffenen Münchener Kommission sprechen. Ich darf sie hier noch einmal kurz zusammenfassen. 1. Es handelt sich um eine einmalige Gelegenheit, einer der geschichtswissenschaftlichen Forschung gewidmete Tätigkeit mit allen Gelehrten aus allen Teilen Deutschlands zu übernehmen, in einer Weise, nur vergleichbar mit der ebenfalls in München befindlichen Zentralstelle der Monumenta Germaniae Historica, die das Entsprechende auf dem Gebiete der mittelalterlichen Geschichte leistet. 2. Eine solche Tätigkeit zu ergreifen, läge für mich umso näher, als die Arbeit an einer Universität der DDR auf dem Gebiete der neueren Geschichte für einen nicht grundsätzlich marxistisch eingestellten Historiker trotz des dankenswerten Verständnisses, das den Professoren amtlicherseits bewiesen wird, zunehmend Missverständnissen und Schwierigkeiten ausgesetzt sein wird, und ich meinerseits weder Neigung noch Interesse daran habe, solche Schwierigkeiten zu vermehren. 3. Die wissenschaftliche Verbindung mit der Außenwelt, insbesondere der Welt außerhalb der Sowjetunion und der Volksdemokratien und zumal mit der z.T. bedeutenden Arbeit unserer zahlreichen Kollegen in Westdeutschland, die für eine fruchtbare Arbeit auf unserem Gebiete unentbehrlich ist, würde mir in der angebotenen Tätigkeit wesentlich erleichtert, während sie leider zunehmenden Behinderungen ausgesetzt zu sein scheint, solange das Schwergewicht meiner Arbeit an der hiesigen Universität liegt. Ich darf hiernach sagen, daß sich mir in München eine Tätigkeit eröffnen würde, die eines deutschen Gelehrten in der gegenwärtigen Situation wohl würdig wäre, wenn sie mit ehrlicher gesamtdeutscher Zielsetzung und in guter Zusammenarbeit mit den Gelehrten und Behörden der DDR ausgeübt wird. Voraussetzung hierzu wäre freilich auch, daß die Übersiedlung unter den Bedingungen einer einigermaßen normalen akademischen Freizügigkeit unter Mitnahme des unentbehrlichen Hausrats und Arbeitsmaterials (Manuskripte und Bücher) erfolgen könnte. In der Unterredung, die Sie mir gewährten, ist nun ebenso wie schon von Herrn Staatssekretär Harig in sehr freundlicher Weise meine hiesige Arbeit anerkannt und von der Möglichkeit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesprochen worden. Ausdrücklich wurde mir versichert, daß mir die freie wissenschaftliche Auseinandersetzung immer möglich sein werde und ich niemals genötigt werden könne, meine gewissenhafte Überzeugung zu verleugnen. Andererseits hat sich gezeigt, daß die Verhältnisse eine normale Übersiedlung zur Zeit nicht gestatten scheinen und daß keine von den zuständigen Persönlichkeiten sich in der Lage sieht, mir dieselbe zu ermöglichen. Wenn ich unter diesen Umständen davon absehe, auf das Angebot aus München gegenwärtig einzugehen, und mit allem mir möglichen Verständnis und guten Willen meine Arbeit im Rahmen des Wissenschaftsbetriebes der DDR fortzusetzen suche, so wird das weiter mit der Gewissenhaftigkeit geschehen, die ein deutscher Gelehrter der von ihm erkannten wissenschaftlichen Wahrheit und seinem gesamtdeutschen Vaterlande schuldig ist. Um jedoch zu erfolgreicher Arbeit auf dieser

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Karl Griewank an Paul Wandel, 29.5.1953, in: NL Griewank, Karton 6, Mappe 3.

10.1. Ausgewählte Quellen

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Grundlage zu gelangen, wäre es dringend zu wünschen, daß sich Verbesserungen für meine wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen erreichen lassen in folgender Richtung: 1. Erweiterte Forschungsmöglichkeiten und eine ausgedehntere Bücherbeschaffung, für die eine engere Verbindung zur Akademie der Wissenschaften nützlich wäre. 2. Erleichterung der wissenschaftlichen Beziehungen ausserhalb der DDR und Ermöglichung der notwendigen Reisen nach Westdeutschland und ins Ausland, zu wissenschaftlichen Arbeitsaufenthalten und Kongressbesuchen. 3. Unterstützung beim Druck meiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen und bei der Überwindung der Hindernisse, durch die leider schon manchen Gelehrten die Publikation ihrer Arbeiten erschwert worden ist. Obwohl es mir fernliegt, Zusicherungen zu erbitten, die über das Maß Ihrer zuständigen Einwirkungsmöglichkeiten hinausgehen, weiß ich doch, von wie wesentlicher Bedeutung schon das grundsätzliche Einverständnis und die Befürwortung und Unterstützung in den angedeuteten Richtungen ist. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie mir gemäß Ihren mündlichen Mitteilungen bestätigen könnten, daß Sie diesen Wünschen grundsätzlich zustimmen und sie zu unterstützen gewillt sind, damit möglichst vor dem Übergang in das neue Studienjahr nach allen Seiten hin Klarheit über meine weitere Wirksamkeit geschaffen werden kann.“

11. Brief des Cousins Arnold Fratzscher (Göttingen) an Willy Andreas29 „Lieber Herr Professor Andreas! Den Brief an meinen Vetter Theodor Griewank, Röhrda, Post Herleshausen/Werra, habe ich sofort weitergeleitet. Er wird Ihnen ebenso wie ich außerordentlich dankbar sein, daß Sie so mutig gegen die dummen und falschen Meldungen, die über meinen Jenaer Vetter in der Westpresse geschrieben wurden, Stellung nehmen. Am 2. Januar war ich in Jena. Meine Kusine wußte schon über die Rundfunk- und Presseberichte Bescheid und hatte in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr auch bereits Besuch von einem Vertreter der Ostberliner Regierung in dieser Angelegenheit gehabt. Es ist sehr gut, daß sofort die Dementis meines Vetters und Prof. Heimpels erschienen waren, so brauchte sie nur darauf hinzuweisen und wurde nicht weiter belästigt. Aber was hätte der Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen anrichten können, wenn nicht gleich jemand eingesprungen wäre. Daß aber ‚Christ und Welt’ trotz dieser Erklärungen den unverschämten Artikel bringt, in dem die Zeitschrift meinem Vetter unterstellt, er habe sich in seinem Vortrag doch den Wünschen der herrschenden Mächte gebeugt – sie sagen es nicht [un]mittelbar30, aber umso mittelbarer – ist unglaublich und paßt genau in das Bild, das ich mir immer von dieser Zeitschrift gemacht habe. Meine Kusine hat mir ausdrücklich erklärt, daß der Vortrag ohne jede Bücklinge vor ostzonalen oder sowjetischen Herren war und daß weder vorher noch hinterher etwas erfolgte, also kein Eingreifen irgendwelcher Behörden, auch kein Wunsch, den Vortrag drucken zu lassen usw. Es stimmt auch nicht, daß mein Vetter vor dem Vortrag versucht hat, durch Aufnahme in die Nervenklinik sich diesem Auftrag zu entziehen. Das ist alles barer Unsinn. Der Vortrag hat ihn gar nicht weiter beschäftigt; er hat ihn in zwei Tagen niedergeschrieben und dann gehalten. Die Gerüchte sind dadurch zustande gekommen, daß mein Vetter an jenem Abend schon abgespannt war und mehrere schlaflose Nächte hinter sich hatte und daß er überhaupt in sehr bedrückter Stimmung war. Daraus haben dann eifrige Kolportageträger die Gerüchte gebraut. [...] Der Vater von Griewank ist Mecklenburger, er stammt ebenfalls, wie Vetter Karl und ich, aus Bützow. Unser gemeinsamer Großvater war dort Arzt (Obermedizinalrat Griewank). Unser Großvater war auch Kreisphysikus und übrigens ein leidenschaftlicher Sammler und hervorragender Kenner der mecklenburgischen Flora. Er besaß eine vollständige Sammlung von gepreßten Pflanzen, die nach seinem Tode an das Lübecker Museum verschenkt oder verkauft wurde. Griewanks Mutter, die noch in Bützow lebt, ist Elsässerin, sie stammt aus Lützelstein im Unterelsaß. Da Sie meinen Vetter

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Arnold Fratzscher an Willy Andreas, 21.1.1954, in: BGLA Karlsruhe, NL Andreas, Nr. 811. Arnold Fratzscher reagierte auf die Gerüchte über politische Hintergründe Des Suizids von Karl Griewank und antwortete auf die Bitte von Willy Andreas, ihm für den zu schreibenden Nachruf Typisches über Karl Griewank mitzuteilen. Das Wort „mittelbar“ ist offensichtlich ein Schreibfehler.

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10. Anhang so genau kennen, wüßte ich kaum, was ich Ihnen noch ergänzend sagen sollte. Besonders hervorzuheben wäre, daß er von seiner Schülerzeit her ein überzeugter Demokrat war und diese Überzeugung vollkommen konsequent durch alle Wandlungen im politischen Leben Deutschlands durchgehalten hat. Das ist sicher auch ein Erbe seiner elsässischen Mutter. In seiner Art war er zurückhaltend und im Grunde sehr verschwiegen. Vater und Großvater Griewank besaßen diese Eigenschaft noch viel stärker. Im übrigen war er auch – das ist Ihnen ja bekannt – ein unermüdlicher Arbeiter. Meine Kusine hat oft darüber geklagt, daß er so wenig Zeit für sie hatte und in den Zeiten, da er in der Forschungsgemeinschaft war, sich immer sofort an den Schreibtisch setzte, sobald er nach Hause gekommen war. Auch insofern kann ich es noch immer gar nicht fassen, daß das Werk des Unermüdlichen nun mir einem Male abgerissen und unvollendet geblieben ist. Gerade in den nächsten Jahren wären wahrscheinlich mehrere größere Werke von ihm zu erwarten gewesen, Es ist doch ein großer Jammer, über den wie alle gar nicht hinwegkommen. Mit herzlichen Grüßen Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin Ihr [Unterschrift Arnold Fratzscher]“

10.2. Lehrveranstaltungsverzeichnis Karl Griewank

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10.2. LEHRVERANSTALTUNGSVERZEICHNIS KARL GRIEWANK31 WS 1942/43 (2.11.1942-27.2.1943) Berlin SE „Proseminar zur Neueren Geschichte“.32 SoSe 1943 (29.4.1943-31.7.1943) Berlin SE „Neuzeitliches Proseminar“, Mi 16-18. WS 1943/44 (1.11.1943-29.2.1944) Berlin VL „Geschichte der napoleonischen Zeit von 1803 bis 1815“, So 9-11. PS „Proseminar zur neueren Geschichte“, Mi 16-18. SoSe 1944 (17.4.1944-12.8.1944) Berlin VL „Europäische Geschichte im Zeitalter der Restauration und der Revolutionen 1815-1850“, So 9-11. (angekündigt, entfällt jedoch33) SE „Proseminar zur neueren Geschichte“, Do 18-20. WS 1944/45 (1.11.1944-28.2.1945) Berlin VL „Europäische Geschichte im Zeitalter der Restauration und der Revolutionen 1815-1850“, Di 16-18 (Historisches Seminar, Kronprinzenpalais). SE „Übungen zur Geschichte der Zeit von 1815 bis 1859“, Fr 14.30-16. SoSe 1945 bis SoSe 1946 keine Lehrveranstaltung im Fach Geschichte in der SBZ WS 1946/47 (1.10.1946- ?) Berlin VL „Allgemeine Geschichte im Zeitalter der Entdeckungen und der Reformation“, Di 9-11, Fr. 10-11, Hörsaal 72. [zugleich Pflichtvorlesung für die Studierenden der Pädagogischen Fakultät mit dem Titel „Allgemeine Geschichte der Neuzeit, I. Teil“]. VL „Demokratische Ideen und Bewegungen bis zur französischen Revolution“, Do 16-17. SE „Übungen zur Geschichte des 16. Jahrhunderts“, Do 17-19. SoSe 1947 (15.4.1947-10.8.1947) VL „Europäische Geschichte im Zeitalter der französischen Revolution und Napoleon“, Mo, Di, Do, Fr 11-12. VL „Demokratische Ideen und Bewegungen bis zur französischen Revolution“, Fr 10-11. SE „Übungen zur Geschichte des 18. Jahrhunderts“, Di 16-18. WS 1947/48 (1.10.1947-15.2.1948) VL „Geschichte des 19. Jahrhunderts (seit dem Wiener Kongreß)“, Mo, Di, Do, Fr 11-12. SE „Übungen zur Geschichte der demokratischen Bewegungen in Deutschland bis 1850“, Do 16-18. SoSe 1948 (6.4.1948-31.7.1948) VL „Allgemeine Geschichte im Zeitalter der Entdeckungen und der Reformation“, Mo, Di, Do, Fr, 11-12. VL „Die Revolution 1848 und ihre Bedeutung für die politische und soziale Entwicklung Deutschlands“, für Hörer aller Fakultäten, Fr 17-18. PS „Bibliographischer Einführungskurs für Anfänger“, 1std. n.V. durch einen Assistenten. SE „Uebungen zur Geschichte der Reichsverfassung 1848/49“, Fr 18-20. SE „Uebungen für Fortgeschrittene über Fragen der deutschen Geschichte (mit beschränktem Teilnehmerkreis)“, 2std. n.V. WS 1948/49 (4.10.1948-12.2.1949) VL „Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung“, Mo, Di, Do 11-12. SE „Uebungen zur Geschichte der Reformationszeit“, Fr 11-13. SE „Uebungen für Fortgeschrittene zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges“, Do 17-19. SoSe 1949 (1.4.1949-31.7.1949) VL „Allgemeine Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555-1660)“, Mo, Di, Do 11-12. SE „Übungen zur Geschichte des Westfälischen Friedens“, Do 18-20. SE „Bibliographischer Einführungskurs für Anfänger“, Do 15-16.

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Sofern nicht anders angegeben, sind die Informationen den gedruckten Vorlesungsverzeichnissen entnommen. Das Proseminar ist nicht im Vorlesungsverzeichnis angekündigt, sondern wurde per Aushang bekanntgegeben. Korrespondenz hierzu in: UA HU Berlin, G 383 PA Griewank, Bl. 4-8. Karl Griewank an Dekan, 13.4.1944, in: UA HU Berlin, G 383 PA Griewank, Bl. 13.

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10. Anhang

WS 1949/50 (1.10.1949-11.2.1950) VL „Allgemeine Geschichte im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung (1660-1789)“, Mo, Di, Do, Fr 11-12. PS „Historisches Proseminar: Einführung in die Geschichtswissenschaft“, Fr 15-17. SE „Übungen über Staatsauffassungen des 16. und 17. Jahrhunderts“, Do 16-18. SoSe 1950 (12.4.1950-8.8.1950) VL „Europäische Geschichte im Zeitalter der französischen Revolution und Napoleons“, Mo, Di, Do, Fr 11-12. PS „Bibliographischer Einführungskurs zur Geschichte“, Do 17-18, mit Frau Höß. SE „Übungen zur Vorgeschichte der französischen Revolution“, Fr 16-18. SE „Übungen für Fortgeschrittene über die Wirkung der französischen Revolution in Deutschland“, Do 18-20. WS 1950/51 (5.10.1950-20.2.1951) VL „Geschichte des 19. Jahrhunderts (seit dem Wiener Kongreß)“, Mo, Di, Do, Fr 11-12. SE „Die preußischen Reformen“, Fr 17-19. SE „Die Anfänge der parlamentarischen Parteien in Deutschland (für Fortgeschrittene)“, Do 18-20. SoSe 1951 (2.4.1951-30.6.1951) VL „Allgemeine Geschichte in der Zeit von 1871 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts“, Mo, Di, Do 11-12. VL „Geschichte Frankreichs im 19. Jahrhundert“, Fr 12-13. PS „Bibliographischer Einführungskurs zur Geschichte“, Do 15-16, mit Frau Höß. SE „Seminar für Fortgeschrittene zur deutschen Innenpolitik nach 1870“, Do 18-20. Studienjahr 1951/52, Herbstsemester (1.9.1951-22.12.1951) VL „Die Zeit der Entdeckungen und der Renaissance, I. Teil“, Di 10-12, HS 14. VL „Allgemeine Geschichte der Neuzeit 1642-1789“, Mo 10-12, HS 9. SE „Seminar über die Zeit der Entdeckungen und der Renaissance“, Di 18-20, Hist. Sem. SE „Allgemeine Geschichte der Neuzeit“, Do 11-12. Hist. Sem. Studienjahr 1951/52, Frühjahrssemester (14.1.1952-5.7.1952) VL „Allgemeine Geschichte des Mittelalters III, 1. und 2. Teil (Allgemeine Geschichte im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation)“, Do 10-12, HS 14. VL „Allgemeine Geschichte der Neuzeit (1789-1871), 1. Teil“, Mo 10-12, Fr 10-11. Ü „Einführung in das Studium der Geschichte der Neuzeit“, Mo 17-19, Hist. Sem., mit Frau Höß SE „Allgemeine Geschichte der Neuzeit II (1789-1871), 1. Teil“, Fr 11-12, HS 10. SE „Der Staatsroman des 16. Jahrhunderts“, Do 19-21, Hist. Sem. Studienjahr 1952/53, Herbstsemester (8.9.1952-18.12.1952) VL 2./3. Stj. „Allgemeine Geschichte der Neuzeit (1789-1871) 2. Teil“, Mo 10-12, HS 9. VL 2./3. Stj. „Geschichte des deutschen Volkes (1789-1871) 2. Teil“, Fr 10-12, Audimax. SE 2./3. Stj. „Geschichte des deutschen Volkes (1789-1871)“, Mo 12-13, Hist. Sem. SE 3./4. Stj. „Spezialseminar zur Geschichte der Neuzeit“, Fr 17-19, Hist. Sem. VL 4.Sj. „Allgemeine Geschichte des Mittelalters III (1555-1642)“, Do 10-12. HS 13. Studienjahr 1952/53, Frühjahrssemester (19.1.1953-16.5.1953) VL 1. Stj. „Allgemeine Geschichte der Neuzeit II (1789-1871)“, Mo 10-12 HS 9, Fr 10-11 HS 10. Ü 1. Stj. „Übung: Allgemeine Geschichte der Neuzeit II (1789-1871)“, Do 12-13, Hist. Sem. VL 2. Stj. „Allgemeine Geschichte der Neuzeit einschl. Geschichte des deutschen Volkes III (1871-1917)“, Mo 16-17 HS 7, Do 10-12 HS 5. Ü 2. Stj. Übung „Allgemeine Geschichte der Neuzeit einschl. Geschichte des deutschen Volkes III (1871-1917)“, Fr 11-12, Hist.Sem. SE 3./4. Stj. „Spezialseminar zur Geschichte des deutschen Volkes“, Fr 16-18, Hist. Sem. Studienjahr 1953/54, Herbstsemester (7.9.1953-19.12.1953) VL 4. Stj. „Allgemeine Geschichte der Neuzeit III“, Do 10-12 HS 5, Fr 11-12 HS 9. SE 4. Stj „Seminar: Allgemeine Geschichte der Neuzeit III“, Fr 12-13, Hist.Sem. VL 2.-4. Stj. „Demokratische Staatsideen und Bewegungen der Neuzeit bis 1800“, Mo 10-12. SE 3,/4. Stj. „Spezialseminar zur Geschichte des deutschen Volkes“, Fr 16-18.

10.3. Quellen und Literaturverzeichnis

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10.3. QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS 10.3.1. Schriftenverzeichnis Karl Griewank Ein Schriftenverzeichnis von Karl Griewanks Werken wurde von Ingeborg Horn-Staiger 1955 angefertigt und im Anhang der Erstausgabe des „Neuzeitlichen Revolutionsbegriffes“ abgedruckt. Es wurde in der zweiten Auflage ergänzt. Das hier vorliegende Verzeichnis ist etwas anders geordnet, um einige Titel und alle erschienen Auflagen der Publikationen ergänzt. Zur besseren Orientierung wird kursiv in eckiger Klammer mit dem Zusatz „HS“ die Numerierung des Verzeichnisses von Horn-Staiger angegeben und zwar die Version der Neuauflage. Zeitungsartikel aus Griewanks journalistischer Tätigkeit als Lokalredakteur wurden nicht aufgenommen, hingegen wurden in Tageszeitung veröffentlichte wissenschaftliche Rezensionen und Essays berücksichtigt. 1922 Friedrich Wilhelm Held und der vulgäre Liberalismus und Radikalismus in Leipzig und Berlin 18421849, Diss. phil. Rostock 1922 (MS) [HS 1]. Friedrich Wilhelm Held und der vulgäre Liberalismus und Radikalismus in Leipzig und Berlin 18421849. Auszug aus der Rostocker Inaugural-Dissertation [3 Seiten gedruckt], Rostock 1922 [HS 2]. [Rez.] Willy Andreas (Hg.): Moltkes Briefe, 2 Bde., Leipzig [1922], in: Rostocker Anzeiger, Nr. 291 vom 13. Dezember 1922. 1924 Vulgärer Radikalismus und demokratische Bewegung in Berlin 1842-1848, in: FBPG 36 (1924), S. 14-38 [HS 24]. 1925 (Hg.): Königin Luise. Briefe und Aufzeichnungen, hg. und erläutert von Karl Griewank, Leipzig [1925]34 [HS 44]. Einleitung des Herausgebers, in: ebd., S. 9-54. 1926 Neue Briefe der Königin Luise aus den Jahren 1807-1810, hg. und erläutert von Karl GRIEWANK, in: Deutsche Rundschau 206 (1926), S. 191-201 [HS 45]. 1927 Staat und Wissenschaft im Deutschen Reich. Zur Geschichte und Organisation der Wissenschaftspflege in Deutschland (= Schriften zur deutschen Politik;17/18), Freiburg (Breisgau) 1927 [HS 3]. 1929 (Hg.): Briefwechsel der Königin Luise mit ihrem Gemahl Friedrich Wilhelm III. 1793-1810, Leipzig [1929] [HS 48]. (Hg.): Briefwechsel der Königin Luise mit ihrem Gemahl Friedrich Wilhelm III. 1793-1810, 2. Aufl. Leipzig o. J. [HS 48]. 1932 Aus den Anfängen gesamtdeutscher Wissenschaftspflege, in: Heinrich KONEN/Johann Peter STEFFES (Hg.): Volkstum und Kulturpolitik. Eine Sammlung von Aufsätzen, gewidmet Georg SCHREIBER zum fünfzigsten Geburtstage, Köln 1932, S. 208-236 [HS 10]. Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft bei der Arbeit, in: Die Umschau 36 (1932), S. 288-290 [HS 22]. Aus den Anfängen gesamtdeutscher Wissenschaftspflege [Separatdruck mit eigener Seitenzählung], Köln 1932. Karl Siegismund †, in: Berliner Börsen-Zeitung Nr. 364 vom 5. August 1932.

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Das Vorwort ist auf Dezember 1924 datiert. Nach eigenen Angaben 1925 erschienen, nicht 1924, wie gelegentlich angegeben.

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10. Anhang

1933 Forschungen zur Geschichte der Reformation und Gegenreformation, in: FuF 9 (1933) S. 29-31 [HS 23]. [Rez.] Helmut Tiedemann: Der deutsche Kaisergedanke vor und nach dem Wiener Kongreß, Breslau 1932, in: DLZ 54 (1933), Sp. 1179-1181 [HS 50]. 1935 Königin Luise 1776-1810, in: Willy ANDREAS/Wilhelm von SCHOLZ (Hg.): Die großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie. Bd. 2, Berlin 1935, S. 476-489 [HS 11]. Hardenberg und die preußische Politik 1804-1806, in: FBPG 47 (1935), S. 227-308 [HS 25]. Deutsche Zeitenwende. [Rez.] Willy Andreas: Deutschland vor der Reformation. Eine Zeitenwende, Stuttgart/Berlin 21935, in: Deutsche Zukunft 3 (1935), Nr. 3 vom 20. Januar 1935, S. 18. [Rez.] Willy Andreas: Kämpfe um Volk und Reich, Aufsätze und Reden zur Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart/Berlin 1934, in: Deutsche Zukunft 3 (1935), Nr. 26 vom 30. Juni 1935, S. 18. [Rez.] Albert von Hofmann: Das deutsche Land und die deutsche Geschichte. Neue, kurzgefaßte Ausgabe, Stuttgart/Berlin 1935, in: Deutsche Zukunft 3 (1935), Nr. 45 vom 10. November 1935, S. 18. [Rez.] Johann Gustav Droysen: Politische Schriften, hg. von Felix Cilbert, in: DLZ 56 (1935), Sp. 301304 [HS 51]. 1936 Hardenberg 1750-1822, in: Willy ANDREAS/Wilhelm von SCHOLZ (Hg.): Die großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie. Bd. 3, Berlin 1936, S. 28-41 [HS 12]. [Rez.] Ernst Leipprand: Heinrich von Treitschke im deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1935, in: DLZ 57 (1936), Sp. 1927-1929 [HS 52]. [Rez.] Karl Pagel: Die Feme des deutschen Mittelalters (= Meyers buntes Bändchen), Leipzig 1935, in: Deutsche Zukunft 4 (1936), Nr. 3 vom 19. Januar 1935, S. 18. 1937 [Rez.] Johannes Haller: Tausend Jahre deutsch-französischer Beziehungen, Stuttgart 31936, in: DLZ 58 (1937), Sp. 1963-1965 [HS 54]. [Rez.] Joseph Hansen (Hg.): Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780 bis 1801, 2 Bde., Bonn 1933/1935, in: DLZ 58 (1937), Sp. 415-420 [HS 53]. 1938 [Rez.] Kurt Borries: Preußen, Osterreich und Deutschland in den letzten hundert Jahren (1815-1918), Tübingen 1937, in: DLZ 59 (1938), Sp. 818-819 [HS 55]. 1939 (Hg.): Gneisenau. Ein Leben in Briefen, Leipzig 1939 [HS 48]. Einleitung, in: ebd., S. 5-19 [HS 48]. Sophie Charlotte, Königin von Preußen, in: Ina SEIDEL (Hg.): Deutsche Frauen. Bildnisse und Lebensbeschreibungen, Berlin 1939, S. 53-57 [HS 13]. Deutsche Biographie der Reformationszeit, in: FuF 15 (1939), S. 111 [HS 26]. 1940 Preußen und die Neuordnung Deutschlands 1813-1815, in: FBPG 52 (1940), S.234-279 [HS 28]. Gneisenau, in: Der SA-Führer 5 (1940), H. 6, S. 2-9.35 German Biography of the Time of the Reformation, in: Research and Progress 6 (1940), S. 229f. [HS 26]. Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Am 30. Oktober: 20 Jahre „Deutsche Forschungsgemeinschaft“. Vom Einsatz der deutschen Forschung. Wesen und Aufgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in: Deutscher Wissenschaftlicher Dienst 1 (1940), Nr. 18, S. 6f. [HS 27]. 1941 (Hg.): Gneisenau. Ein Leben in Briefen, Leipzig 2o.J. [1941] [HS 48]. [Rez.] Kurt Jagow (Hg.): Königin Luise. Briefe der Freundschaft, Leipzig 1940, in: HZ 164 (1941), S. 432f. [HS 57]. [Rez.] Ursula Seyffarth: Zur Außenpolitik des Staatskanzlers Freiherrn von Hardenberg von 1810-1812. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Befreiungskrieges, Würzburg 1939, in: DLZ 62 (1941), Sp. 128130 [HS 56].

35

Es handelt sich um einen Auszug aus der Einleitung seiner Gneisenau-Briefedition, die laut Griewank ohne sein Wissen publiziert wurde; Notiz, undat., in: PrA Glüer.

10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

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1942 Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas 1814/15 (= Das Reich und Europa; [3]), Leipzig 1942 [HS 4]. Der Versuch einer europäischen Neuordnung durch den Wiener Kongress, (= Das Reich und Europa. Feldpost-Ausgaben), Leipzig o J. [HS 5]. Das Elsaß und seine Nachbarländer in den Friedensschlüssen von 1814 und 1815. Mit einer unveröffentlichten Denkschrift Gneisenaus, in: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 20 (1942), S. 272-289 [HS 31]. Einige Richtigstellungen. Das Bild der Königin Luise von Preußen, in: Deutsches Adelsblatt 60 (1942), S.190f. [HS 30]. Preußische Neuordnungspläne für Mitteleuropa aus dem Jahre 1814, in: Deutsches Archiv für Landes- u Volksforschung 6 (1942), S. 342-360 [HS 29]. 1943 (Hg.): Gneisenau. Ein Leben in Briefen, Leipzig 3o.J. [1943] [HS 48]. (Hg.): Königin Luise. Ein Leben in Briefen. Leipzig 1943 [HS 43]. Die europäische Neuordnung 1814/15, in: HZ 168 (1943), S.82-112 [HS 33]. Mitteleuropa in der europäischen Neuordnung 1814/15, in: FuF 19 (1943), S. 53f. [HS 32]. 1946 Gemeinderecht und Selbstverwaltung in neuerer Zeit, in: Tägliche Rundschau vom 11. August 1946, S. 3. Land- und Kreistage in der geschichtlichen Entwicklung, in: Tägliche Rundschau vom 6. Oktober 1946. 1947 [Nekrolog] Hermann Oncken und Erich Brandenburg †, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte; Germanistische Abteilung 65 (1947), S. 484-487. [Rez.] Martin Göhring: Weg und Sieg der modernen Staatsidee in Frankreich (vom Mittelalter zu 1789), Tübingen 1946, in: DLZ 66/68 (1947), Sp. 85-89 [HS 58]. Die Entstehung des modernen Klassenbegriffs, in: Urania. Monatsschrift über Natur und Gesellschaft 10 (1947), S.121-124 [HS 34]. Weltpolitische Wirkungen der russischen Revolution von 1917, in: FuF 21/23 (1947), S. 225-228 [HS 35]. 1948 Die Französische Revolution 1789-1799, Berlin 1948 [HS 6]. Aus der Entwicklung der Menschenrechte, in: Forum 2 (1948), S. 37-39 [= H. 2, S. 3-5]. [HS 36]. Frankfurt 1848-1948, in: Sonder-Illustrierte 1848-1849. 100 Jahre Kampf um Deutschlands Einheit, hg. vom Ministerium für Volksbildung des Landes Thüringen, Weimar 1948, S. 20f. Die Märzrevolution von 1848, in: Abendpost. Das Blatt für Politik, Kultur und Wirtschaft für Mitteldeutschland (Weimar), Nr. 55/A vom 11. März 1948, S. 1f. 1949 Deutsche Studenten und Universitäten in der Revolution von 1848. Weimar 1949 [HS 7]. Goethe, die Französische Revolution und Napoleon, in: Herbert PREISKER [u.a.]: Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm. Beiträge zum Goethe-Bild, Festschrift hg. vom Rat der Universitätsstadt Jena und von der Friedrich-Schiller-Universität unter Mitwirkung von Heinz STOLTE und Benno von HAGEN, Jena 1949, S. 142-156, 197 [HS 15]. Goethes Unterredung mit Napoleon. Eine quellenkritische Untersuchung, in: ebd., S. 157-165, 198 [HS 16]. [Rez.] Ernst Kaeber: Berlin 1948. Zur Jahrhundertfeier der Märzrevolution im Auftrage des Magistrats von Groß-Berlin dargestellt, Berlin 1948; Jürgen Kuczynski, Die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen der Revolution von 1848/1849, Berlin 1948, in: DLZ 70 (1949), Sp. 27-29 [HS 59]. [Rez.] Hans Haussherr: Die Stunde Hardenbergs, Hamburg 1943, in: HZ 169 (1949), S. 390-393 [HS 60]. 1950 Ursachen und Folgen des Scheiterns der deutschen Revolution von 1848, in: HZ 170 (1950), S. 495-523 [HS 37]. [Rez.] Wilhelm Mommsen: Größe und Versagen des deutschen Bürgertums. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1848-1849. Stuttgart 1949; Rudolf Stadelmann, Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848,. München 1948, in: DLZ 71 (1950), Sp. 375-378 [HS 62]. [Rez.] Ernst Hövet (Hg.): Pax Optima Rerum. Beiträge zur Geschichte des Westfälischen Friedens 1648, Münster 1948; Ludwig Bäte (Hg.): Der Friede in Osnabrück 1648. Beiträge zu seiner Geschichte, Oldenburg 1948; Max Braubach, Der Westfälische Friede, Münster 1948, in DLZ 71 (1950), Sp. 3740 [HS 61]. Albert Leitzmann zum Gedächtnis. Ansprachen gehalten zu seiner Bestattungsfeier auf dem Nordfriedhof zu Jena am 20. April 1950, Jena 1950, S. 5-7.

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10. Anhang

1951 Dr. Wirth und die Krisen der Weimarer Republik, in: WZJ, GSR 1 (1951/52), H. 2, S. 1-10 [HS 38]. [Rez.] Pierre Caron (Hg.): Manuel pratique pour l’étude de la Révolution Française. Nouvelle édition, Paris 1947, in: HZ 171 (1951), S. 348-350 [HS 64]. [Rez.] Willy Andreas (Hg.): Politischer Briefwechsel des Herzogs und Großherzogs Carl August, Bd. 1. Unter Benutzung von Vorarbeiten Ulrich Crämers bearbeitet von Hans Tümmler, Leipzig 1945, in: HZ 171 (1951), S. 133-138. [HS 63]. 1952 Wissenschaft und Kunst in der Politik Kaiser Wilhelms I. und Bismarcks, in: AKG 34 (1952), S. 288-307 [HS 39]. Die politische Bedeutung der Burschenschaft in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens, in: WZJ, GSR 2 (1952/53), H. 4, S. 27-35 [HS 40]. Staatsumwälzung und Revolution in der Auffassung der Renaissance und Barockzeit. Herrn Prof. Friedrich Zucker anläßlich seines 70. Geburtstages gewidmet, in: WZJ, GSR 2 (1952/53), H. 1, S. 11-23 [HS 41]. [Rez.] Friedrich Schmidt-Ott: Erlebtes und Erstrebtes 1860-1950, Wiesbaden 1951, in: DLZ 73 (1952), Sp. 707-710 [HS 68]. [Rez.] Fritz Valjavec: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815. München 1951, in: DLZ 73 (1952), Sp. 235-239 [HS 67]. [Rez.] Helmut Krausnick: Holsteins Geheimpolitik in der Ära Bismarck 1886-1890, Hamburg 1942, in: HZ 174 (1952), S. 145-148 [HS 65]. [Rez.] Richard Nürnberger (Hg.): Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag, Tübingen 1950, in: DLZ 73 (1952), Sp. 165-170 [HS 66]. 1953 Das Problem des christlichen Staatsmannes bei Bismarck (= Erkenntnis und Glaube. Schriften der Evangelischen Forschungsakademie Ilsenburg; 11), Berlin 1953 [HS 8]. Das Jahr 1813, in: WZJ, GSR 3 (1953/54), H. 4/5, S. 391-397 [HS 42]. Johann Philipp Becker, in: NDB 1 (1953), S. 717f. [HS 21]. [Rez.] Carl Hinrichs: Luther und Müntzer. Ihre Auseinandersetzung über Obrigkeit und Widerstandsrecht, Berlin 1952, in: DLZ 74 (1953), Sp. 26-28 [HS 69]. [Rez.] Hans Joachim Schoeps: Das andere Preußen, Stuttgart 1952, in: DLZ 74 (1953), Sp. 155-158 [HS 71]. [Rez.] Wilhelm Mommsen: Geschichte des Abendlandes von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart 1789-1945, München 1951, in: HZ 176 (1953), S. 132-136 [HS 70]. 1954 Der Wiener Kongreß und die europäische Restauration 1814/15 [2. völlig neubearbeitete Auflage], Leipzig 21954 [HS 4]. [Rez.] Peter Rassow (Hg.): Deutsche Geschichte im Überblick. Dargestellt in Zeitabschnitten unter Mitwirkung. zahlreicher Fachge1ehrter. Ein Handbuch. Stuttgart 1953, in: DLZ 75 (1954), Sp. 29f. [HS 72]. [Rez.] Helmuth Rößler/Günther Franz (Hg.): Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, in: DLZ 75 (1954), Sp. 286-289 [HS 73]. [Rez.] Yaakov Leib Talmon: The Origins of Totalitarian Democracy, London 1952, in: HZ 178 (1954), S. 92-95 [HS 75]. [Rez.] Werner Ziegenfuß: Jean Jacques Rousseau. Eine soziologische Studie, Erlangen 1952, in: HZ 177 (1954), S. 111f [HS 74]. 1955 Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, aus dem Nachlaß hg. von Ingeborg HORN, Weimar 1955 [HS 9]. Kirche und Arbeiterschaft. Ein Vortrag in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, in: DUZ 10 (1955), H. 15/16, S. 6-10 [HS 43]. Das Jahr 1813, in: GWU 6 (1955), S. 556-567 [HS 42]. 1958 Die Französische Revolution 1789-1799 (= Böhlau Studien-Bücher), hg. von Siegfried SCHMIDT [durchgesehene Neuauflage], Graz/Köln 21958 [HS 6]. 1963 Der Wiener Kongreß und die europäische Restauration 1814/15 [Nachdruck der 2. Auflage], Leipzig 3 1963 [HS 4].

10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

455

1967 Die Französische Revolution 1789-1799 (= Böhlau Studien-Bücher), Graz/Köln 31967 [HS 6]. 1969 Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung (= Kritische Studien zur Politikwissenschaft), [2. erweiterte Auflage] Frankfurt (Main) 21969 [HS 9]. 1972 Die Französische Revolution 1789-1799 (= Böhlau Studien-Bücher), Köln/Wien 41972 [HS 6]. Ursachen und Folgen des Scheiterns der deutschen Revolution von 1848, in: Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE (Hg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek; 51), Köln 1972, S. 40-62 [HS 37].36 1973 Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung [irrtümlich „Entstehung und Geschichte“] (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft; 52), Taschenbuchausgabe der 2. Auflage, Frankfurt (Main) 1973 [HS 9]. Die Französische Revolution 1789-1799 (= Böhlau Studien-Bücher), Köln/Wien 51973 1975 Die Französische Revolution 1789-1799 (= Böhlau Studien-Bücher), Köln/Wien 61975 [HS 6]. 1979 Il concetto di rivoluzione nell’età moderna. Origini e sviluppo. Presentazione di Claudio CESA, traduzione di Gian ANTONIO (= Biblioteca di Storia; 26), Firenze 1979. 1980 Die Französische Revolution 1789-1799 (= Böhlau Studien-Bücher), Köln/Wien 71980 [HS 6]. 1983 Ursachen und Folgen des Scheiterns der deutschen Revolution von 1848, in: Dieter LANGEWIESCHE (Hg.): Die deutsche Revolution von 1848/49 (= Wege der Forschung; 164), Darmstadt 1983, S. 5990. [HS 37]. 1984 Die Französische Revolution 1789-1799 (Böhlau Studien-Bücher), Köln/Wien 81984 [HS 6]. 1989 Der neue Revolutionsbegriff der Französischen Revolution, in: Kurt HOLZAPFEL/Matthias MIDDELL (Hg.): Die Französische Revolution 1789 – Geschichte und Wirkung (= Studienbibliothek DDRGeschichtswissenschaft; 10), Berlin 1989, S. 115-120. 1992 Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung (= Kritische Studien zur Politikwissenschaft), [3. erweiterte Auflage] Frankfurt (Main) 31992. 2003 (Hg.): Königin Luise. Ein Leben in Briefen [Nachdruck 1943] (= Bewahrte Kultur), Hildesheim 2003.

36

Dieser Nachdruck enthält einen sinnentstellenden Druckfehler. Statt Prager „Sklavenkongreß“ (S. 50f.) muß es „Slawenkongreß“ heißen.

456

10. Anhang 10.3.2. Mündliche und schriftliche Auskünfte von Zeitzeugen Mündliche und schriftliche Auskünfte gewährten mir Prof. Dr. Friedrich Beck, Dr. Diethelm Böttcher, Dr. Hans-Stephan Brather, Prof. Dr. Horst Drechsler, Dr. Gebhard Falk, Marianne Hahn, Prof. Dr. Irmgard Höß, Dr. Otfried Horn, Prof. Dr. Detlef Lotze, Prof. Dr. Rudolf Ludloff, Prof. Dr. Werner Mägdefrau, Hans-Günter Marcieniec, Prof. Dr. Paul Mitzenheim, Dr. Wolfgang Möhring, Prof. Dr. Helmut Möller, Dr. Karl-Heinz Noack, Prof. Dr. Kurt Pätzold, Prof. Dr. Gerhard Schmid, Dr. Irmtraut Schmid (geb. Förster), Prof. Dr. Walter Schmidt, Prof. Dr. Eva Seeber, Gertraud Sperka (geb. Krause), Prof. Dr. Michael Straube und Ruth Weiß (geb. Wehowsky). Allen Gesprächs- und Korrespondenzpartnern danke ich herzlich für ihre Auskunfts- und Gesprächsbereitschaft.

10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

457

10.3.3. Ungedruckte Quellen Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Abt. Handschriften und Sondersammlungen - Bestand: Nachlaß Karl Griewank (NL Griewank) Karton 1 Persönliches I Karton 2 Persönliches II Karton 3 Notizen Karton 4 Wissenschaftsorganisation Karton 5 Schriftwechsel Karton 6 Münchener Historische Kommission Karton 7 Schriftwechsel Univ. Jena Karton 8-12 Vorlesungen Karton 13 Materialien aus der Zeit der DFG Karton 14 DFG Karton 15 Kleine Jugendarbeiten, Korrespondenzen, Pläne, Angebote 1920-25 Karton 16 Manuskripte zum Revolutionsbegriff (I) Karton 17 Manuskripte zum Revolutionsbegriff (II) Karton 18 betr. Revolutionsbegriff Karton 19 kleinere Arbeiten I Karton 20 kleinere Arbeiten II Karton 21 Reden aus der Paulskirche (Manuskript, unveröffentlicht) Karton 22 Wiener Kongreß Karton 23 Manuskripte, Materialsammlungen Karton 24 Materialien zum Wiener Kongreß und zur preußischen Geschichte Karton 25 verschiedene Materialien Karton 26 Beiträge zur Geschichte der Universität Jena (1958)37 Karton 27 Neue Zeit, Rezensionen, Zeitungsausschnitte Karton 28 Zeitungsausschnitte vor 1945 Karton 29 Zeitungsausschnitte nach 1945 - Bestand Nachlaß Friedrich Schneider (NL Schneider): Karton 1 - Bibliotheksarchiv: Aktenordner „Nachlässe, Akten G-M“ Universitätsarchiv Jena (UAJ) - Bestand „Studentenakten“: Nr. 23098. - Bestand BA „Rektor und Senat 1834-1945“: Nr. 2158. - Bestand BB „Rektor und Senat 1945-1952“: Nr. 1, 7, 9, 14, 19, 36, 37, 70, 84, 92, 156, 210. - Bestand C „Kuratel 1896-1952“: Nr. 145, 466. - Bestand D „Personalakten“: Nr. 1062, 1467, 3195, 3201, 3205, 3419, 3502. - Bestand F I „Abschlußarbeiten“: Nr. 1842, 2328, 2720. - Bestand F II „Abschlußarbeiten“: Nr. 11, 76, 90, 112, 114. - Bestand M „Philosophische Fakultät 1597-1970“: Nr. 636, 656, 718/1, 787, 825, 826, 827, 841, 846, 851, 852, 874. - Bestand N „Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät 1925-1970“: Nr. 82. - Bestand S V „Historisches Institut“: Nr. 11, 15, 29, 33, 39, 47, 64. - Bestand V, Abt. IV „Nachlaß Friedrich Schneider“: Nr. 12. - Bestand V, Abt. XIII „Nachlaß Hugo Preller“: Nr. 9. - Bestand Z Sonstiges: Nr. 206. Archiv der Klinik für Psychiatrie und Neurologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena - Bestand Krankenakten: Krankenakte Nr. 51192 Griewank, Karl.

37

Die Materialien dieses Kartons stammen ohne Zweifel nicht von Karl Griewank. Es handelt sich um Manuskripte für die 1958 erschienene Universitätsgeschichte (u.a. von Werner Mägdefrau).

458

10. Anhang

Bundesarchiv Berlin (BA Berlin) - Bestand BDC (ehemaliges Berlin Document Center): BDC, RKK (Reichskulturkammer), Akte Griewank, Karl, PK 03347 Gentzen, Felix, Research Wi, A 0535 Stroux, Johannes, 31XX/N 0018, MFOK, NSDAP-Ortsgruppenkartei, 3200/O 0064, MFOK, NSDAP-Ortsgruppenkartei, 3200/R 0020, MFOK, NSDAP-Ortsgruppenkartei, 3200/S 0032. - Bestand DR 1 „Ministerium für Kultur“: Nr. 3524.zuh - Bestand DR 2 „Ministerium für Volksbildung“: Nr. 1899, 1482, 1485, 1492 - Bestand DR 3 „Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen“: 1. Schicht: Nr. 1598, 1599, 1602, 4039, 4042, 4050, 4052, 4057, 4108. - Bestand NS 15 „Amt Rosenberg“: Nr. 326. - Bestand NS 21 „SS-Ahnenerbe“: Nr. 794. - Bestand R 21 „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“: Sign 10006, Karteiblatt der Hochschullehrerkartei Griewank. - Bestand R 26/III „Reichsforschungsrat“: Nr. 10. - Bestand R 153 „Publikationsstelle Berlin-Dahlem“: Nr. 876. - Bestand R 4901/alt R 21 „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“: Nr. 11131. - Bestand Außenlager Hoppegarten: ZA VI 4841A, ZR 9 - Bestand Z 47 Russische Akten der SMAD Z47 F 80138, R-7317, op.55, d.638 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (SAPMOBA Berlin) - Bestand DY 30/IV 2/9.04 „Amt Wissenschaft beim ZK der SED“: Nr. 91, 92, 95, 103, 151. - Bestand NY 4215 „Nachlaß Fred Oelßner“: Nr. 45. Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz) - Bestand B 227 „Deutsche Forschungsgemeinschaft nach 1945“: Nr. 2, 3. - Bestand B 285 „Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben. Bestand der Zentralstelle für Gesamtdeutsche Hochschulfragen“: Nr. 285, 209, 904. - Bestand R 73 „Deutsche Forschungsgemeinschaft“: Nr. 1, 2, 17, 18, 25, 49, 50, 53, 66, 72, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 136, 169, 237, 10751, 14168, 14283, 14901, 14902, 14943, 15252, 15749, 15802. - Bestand N 1166 „Nachlaß Gerhard Ritter“: Nr. 328, 333, 335. - Bestand N 1182 „Nachlaß Eduard Spranger“: Nr. 30, 179. - Bestand N 1188 „Nachlaß Theodor Schieder“: Nr. 203, 378. - Bestand N 1215 „Nachlaß Walter Goetz“: Nr. 227. - Bestand N 1228 „Nachlaß Peter Rassow“: Nr. 23, 115. - Bestand N 1106 „Nachlaß August Wilhelm Fehling“: Nr. 2, 3, 57. - Bestand N 1078 „Nachlaß Otto Becker“: Nr. 32, 36, 37, 38, 39, 42, 67, 68. - Bestand KLE „Kleine Erwerbungen“: Nr. 508. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStA Weimar) - Bestand „Land Thüringen – Ministerium für Volksbildung“: Nr. 2279, 3246, 3249, 3255, 3287, 3414, 3416, 3417. Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt (ThStA Rudolstadt) - Bestand „Bezirksparteiarchiv der SED Gera, Bestand Universitätsparteileitung der FriedrichSchiller-Universität Jena (1948-1989)“ (BPA SED Gera, UPL Jena): Nr. 511, 784, 912, 921, 1796, 1971, 2122, 2394, 2396. - Bestand „Bezirksparteiarchiv der SED Gera, Grundorganisation (GO) FSU Jena“: IV/7/143/511. Badisches Generallandesarchiv, Karlsruhe (BGLA Karlsruhe) - Bestand „Nachlaß Willy Andreas“: Nr. 74, 372a, 372b, 407, 718, 750, 753, 760, 811, 817, 818, 837, 843, 845, 847, 870, 880, 890. - Bestand „Nachlaß Fritz Facius“: Nr. 39 Festschrift Willy Andreas 1953/54.

38

Die Entdeckung und Übersetzung dieser russichsprachigen Akte verdanke ich Sebastian Schlegel.

10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

459

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK Berlin) - Brandenburgisch-Preußisches Hausarchiv, Rep. 192, Nachlaß Griewank (BPH, Rep. 192, NL Griewank): Nr. 1, 2, 3, 4, 5. - I. HA, Rep. 76 „Bestand Preußisches Kultusministerium“: Nr. 1354. - VI. HA, Bestand „Nachlaß A. Brackmann“: Nr. 10. - VI. HA, Bestand „Nachlaß Friedrich Schmidt-Ott“: Nr. 6, 7, 35, 44, (M) C 68, (M) C 71. Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW Berlin) - Bestand Akademieleitung (AKL) Personalia: Nr. 657 (PA Griewank). - Bestand Akademieleitung (AKL): Nr. 182, 211, 211/1. - Bestand Verwaltungsarchiv –Personalakten (VA-PA): VA-PA Prof. Dr. Aland, K, VA-PA Dr. Lichtwer, C. - Bestand Historiker-Gesellschaft der DDR: Nr. 183. - Bestand „Nachlaß Alfred Meusel“: Nr. 25. - Bestand „Nachlaß Heinrich Sproemberg“: Nr. 155, 156. - Bestand Nachlaß Eduard Winter: Nr. 397. Universitätsarchiv Rostock (UA Rostock) - Bestand Philosophische Fakultät: „29. Missive pro 1922/23 betreffend Promotion des Herrn cand. phil. Karl Griewank“. Universitätsarchiv Humboldt-Universität Berlin (UA HU Berlin) - Bestand Personalakten: G 383 (Karl Griewank). - Bestand: Philosophische Fakultät nach 1945: Nr. 1, 8, 45. - Bestand Rektorat nach 1945: Nr. 1, 29, 54. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin (SBPK Berlin) - Bestand: Nachlaß Fritz Hartung: Karton 37/Mappe 1, Karton 46/Mappe 8, Karton 59/Mappe 31. - Zeitungsabteilung Westhafen: Ztg 724 b MR Die Neue Zeit, Berlin Charlottenburg, 1924-1926.39 Evangelisches Zentralarchiv in Berlin (EZA) - Bestand 36 „Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland“: Nr. 36/74 Semesterbericht - Bestand 683 „Nachlaß Gerhard Gloege (Prof. Theologie)“: Nr- 683/24, EZA 683/25, EZA 683/30. - Bestand 729 „Nachlaß Walter Pabst (Studentenpfarrer)“: EZA 729/15. Archiv des Verbands der Historiker Deutschlands, Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen (AVHD Göttingen) - Ordner 1, 1a, 2, 3, 4, 5, 6 (Korrespondenz 1949-1954), Ordner „Historikertag 1953“. Archiv der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (UA Frankfurt) - Protokollbuch der Philosophischen Fakultät III Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin (UA FU Berlin) - Bestand Philosophische Fakultät: „Phil. Fak., Prom. II, Ma-Me, Fakultätsnummer 125, Mastmann.“ - Bestand „Nachlaß Hans Leisegang“: Nr. 1/2, 1/6, 14. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung (NSUB Göttingen, HA) - Bestand Cod. MS. K. Brandi (Nachlaß Karl Brandi): Nr. 62, Nr. 354

39

Da es sich um ein Unikat handelt, wird diese gedruckte Quelle hier wie eine Archivalie aufgeführt.

460

10. Anhang

Privatarchiv Familie Griewank (PrA Griewank)40 - Christine GRIEWANK: Chronik der Familien Griewank, Heussi, Brum und Hoffmann [Bützow 1954]. Für Enkelkinder und Verwandte vervielfältigt von Christa Glüer, Rostock 1974 (MS). - Christine GRIEWANK: Jugenderinnerungen, Bützow 1956 (MS). - [Erich HERTZSCH:] Predigt über Röm. 8, 31-35, 37-39 gehalten am 2. November 1953 am Sarg von Prof. Dr. Karl Griewank (MS). - Arnold FRATZSCHER: Jugenderinnerungen, [Göttingen] 1974 (MS). - Briefe von Wilhelm Griewank aus Bordeaux. - Briefe an und von Theodor Griewank. - Briefe an und von Arnold Fratzscher. - Mappe „Christine Griewank“. Privatarchiv Heinz Gluer (PrA Glüer)41 - Zeugnisse - „Koriolan“. Ein Drama in 3 Akten, Theaterstück von Karl Griewank 1916. - Karl Griewank: „Christliche Bekenntnisschrift“, 1914. - Jugendzeichnungen Karl Griewanks Nachlaß Ingeborg Horn-Staiger (NL Horn-Staiger)42 - Ordner 1 bis 5 (vorläufige Numerierung) Sonstige Materialien aus Privatbesitz - Gebhard Falk: Briefe an seine Mutter (April 1950 bis Oktober 1953) - Gebhard Falk: Nachschriften der Vorlesungen - Briefe und Unterlagen von Marianne und Karl-Heinz Hahn (Kopie von Herrn Prof. Reinhard Hahn)

40

41

42

Privatbesitz Familie Prof. Dr. Andreas Griewank (Großröhrsdorf). Für die Benutzung der privaten Unterlagen und für die freundliche Aufnahme danke ich Andreas Griewank und seiner Familie sehr. Privatbesitz der Familie Heinz Glüer in Kirchdorf/Poel. Heinz Glüer, Neffe Karl Griewanks, stellte das Material für eine Ausstellung des Museums/Stadtbibliothek in Bützow („Krummes Haus“) zur Verfügung gestellt. Für die Bereitstellung von Kopien danke ich Frau Bärbel Kipar vom „Krummen Haus“. Ich danke Heinz und Hartmut Glüer für ihre Unterstützung. Der Nachlaß Ingeborg Horn-Staigers wurde dankenswerterweise von Herrn Dr. Otfried Horn zur Übergabe an das Universitätsarchiv Jena überlassen. Vor der Abgabe an das Archiv konnte ich Dank der Hilfe von Dr. Wolfgang Möhring und Prof. Dr. Herbert Gottwald Einsicht in den Nachlaß nehmen.

10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

461

10.3.4. Gedruckte Quellen und sonstige Literatur ABB, Gustav (Hg.): Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft. Seiner Exzellenz Herrn Staatsminister D. Dr. Friedrich SCHMIDT-OTT zur Feier seines siebzigsten Geburtstages im Namen der deutschen Wissenschaft überreicht von Walther von DYCK, Adolf von HARNACK, Friedrich von MÜLLER, Fritz TILLMANN, Berlin [u.a.] 1930. ABENDROTH, Frank: Das Ende der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in der DDR, Diss. phil. FU Berlin 1993. ABENDROTH, Wolfgang [u.a.]: Nationalsozialismus und die deutsche Universität (= Universitätstage 1966. Veröffentlichung der Freien Universität Berlin), Berlin (West) 1966. Achter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1928 bis zum 31. März 1929, Wittenberg 1929. ACKERMANN, Jens P.: Die Geburt des modernen Propagandakrieges im Ersten Weltkrieg. Dietrich Schäfer. Gelehrter und Politiker (= EH3G; 987), Frankfurt (Main) [u.a.] 2004. ADORNO, Theodor W.: „Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse“. Ein philosophisches Lesebuch, hg. von Rolf TIEDEMANN, Frankfurt (Main) 1997. AHLHEIM, Klaus: Geschöntes Leben. Eine deutsche Wissenschaftskarriere, Hannover 2000. ALAND, Kurt (Hg.): Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 50 Jahre deutscher Wissenschaftsgeschichte in Briefen an und von Hans Lietzmann (1892-1942), Berlin (West)/New York 1979. ALEXANDER, Helmut: Geschichte, Partei und Wissenschaft. Liberale und demokratische Bewegungen in der Zeit der Restauration und im Vormärz aus der Sicht der DDR-Geschichtswissenschaft (= EH3G; 380), Frankfurt (Main) [u.a.] 1988. ALHEIT, Peter/Wolfram FISCHER-ROSENTHAL/Erika M. HOERNING (Hg.): Biographieforschung. Eine Zwischenbilanz in der deutschen Soziologie (= Werkstattberichte des Forschungsschwerpunkts Arbeit und Bildung; 13), Bremen 1990. Altertumsforscher – Wissenschaftsorganisator – Humanist. Zum 100. Geburtstag von Johannes STROUX (= Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften, 1987/5 G), Berlin (Ost) 1985. ALY, Götz: Macht, Geist, Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens, Frankfurt (Main)/Wien 1997. DERS.: Theodor Schieder, Werner Conze oder Die Vorstufen der physischen Vernichtung, in: Winfried SCHULZE/Otto Gerhard OEXLE (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt (Main) 1999, S. 163-182. DERS.: Was wusste Walter Jens? Wahrscheinlich geschah seine Aufnahme in die NSDAP ohne eigene Kenntnis. Rekonstruktion einer akademischen Jugend, in: Die ZEIT Nr. 4 vom 15.01.2004. AMMER, Thomas: Die zweite Vertreibung Hans Leisegangs von der Universität Jena, in: Zeitzeugen berichten. Wie die DDR die Universitäten unterdrückte (= Deutscher Hochschul-Verband, Forum; 67), Bonn 1999, S. 9-29. ANDREAS, Willy (Hg.): Moltkes Briefe, 2 Bde., Leipzig [1922]. DERS., in: Unsere Leser und Mecklenburgs Freunde haben das Wort. Von A bis Z. Aus allen deutschen Gauen, in: Mecklenburgische Monatshefte 7 (1931), S. 312-318. DERS./Wilhelm von SCHOLZ (Hg.): Die großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie, 5 Bde., Berlin 1935-1937. DERS.: Rez. Werner Kaegi: Jacob Burckhardt. Eine Biographie, Bd. 1: Frühe Jugend und baslerisches Erbe, Basel 1947, in: DLZ 70 (1949), Sp. 463-474. DERS.: Karl Griewank †. Betrachtungen zu einem modernen Gelehrtenschicksal, in: GWU 5 (1954), S. 610-614. DERS.: Karl Griewank †, in: HZ 177 (1954), S. 665-667. DERS. (Hg.): Politischer Briefwechsel des Herzogs und Großherzogs Carl August von Weimar, Bd.1: Von den Anfängen der Regierung bis zum Ende des Fürstenbundes 1778-1790 bearbeitet von Hans TÜMMLER (= Quellen zur Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts; 37), Stuttgart 1954.

462

10. Anhang

DERS.: Wege eines Historikers, in: Elga KERN (Hg.): Wegweiser in der Zeitwende. Selbstzeugnisse bedeutender Menschen, München/Basel 1955, S. 95-116. DERS.: Geist und Staat. Historische Porträts, München/Berlin 1922 – Leipzig 31940 – Göttingen/Berlin (West)/Frankfurt (Main) 51960. ANTKOWIAK, Alfred: Begegnungen mit Literatur. Beiträge zur neuen deutschen Literaturkritik, Weimar 1953. ANWEILER, Oskar: Hochschulpolitik in Ostmitteleuropa und in der SBZ/DDR – alte Themen, neue Fragen, in: GG 24 (1998), S. 81-87. ARENDT, Hannah: Über die Revolution [1963], München 41994. ARETZ, Gertrude, Königin Luise [Volksausgabe], Berlin [1928]. ARNAULD, Andreas von: Rechtsfragen des Biographieschreibens. Teil 1: Recherche, in Christian KLEIN (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, S. 219-240. ARNOLD, Günter: Karl-Heinz Hahn (1921-1990), in: Lebensbilder Thüringer Archivare. Festschrift zum 50. Thüringischen Archivtag 2001, Rudolstadt 2001, S. 96-103. Art. „’Lokomotiven der Geschichte’. Der Jenaer Historiker Prof. Griewanck [sic] sprach im Kulturbund“, in: BZ am Abend vom 18.1.1950. Art. „Anti-Red Professor a Suicide“, in: New York Times vom 13. Dezember 1953, S. 13. Art. „Ein Erbe, das wir ablehnen!“, in: UZJ 2, 1950, Nr. 13, S. 5. Art. „Eine Todesanzeige“, in: SBZ-Archiv 4 (1953), H. 23 vom 5. Dezember 1953. Art. „Freitod eines Jenaer Geschichtsprofessors. Die aufrechte Vertretung seines Faches unter den herrschenden Verhältnissen untergrub seine Nervenkraft“, in: Göttinger Tageblatt, 14.12.1953. Art. „Griewank, Karl“, in: Der große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben, Bd. 4, Freiburg 5 1954, Sp. 369. Art. „Griewank, Karl“, in: Grete GREWOLLS (Hg.): Wer war wer in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Personenlexikon, Bremen 1995, S. 166. Art. „Griewank, Karl“, in: Bernd-Rainer BARTH/Christoph LINKS/Helmut MÜLLER-ENGERGS/Jan WIELGOHS (Hg.): Wer war Wer in der DDR. Ein biographisches Handbuch, Frankfurt (Main) [u.a.] 3 1995, S. 241f. Art. „Materialismus, dialektische und historischer“, in: Georg KLAUS/Manfred BUHR (Hg.): Philosophisches Wörterbuch, Westberlin 141987, Bd. 2, S. 752-765. Art. „OLMS Bewahrte Kultur. Reprintprogramm sichert seltene Bücher“, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 170 (2003), H. 17, S. 27. Art. „Peinlicher Irrtum. Keine politischen Hintergründe von Griewanks Freitod“, in: Rhein-NeckarZeitung vom 16.12.1953 . Art. „Prof. Heimpel zum Tode Griewanks. Der Rektor der Universität Göttingen stellt ebenfalls Irrtümer richtig, in: Göttinger Tageblatt, 14.12.1953. Art. „Tragödie eines Gelehrten“ [Richtigstellung der Redaktion], in: Christ und Welt Jg. 7, Nr. 2 vom 11.2.1954. Art. „Was Amerika für die Wissenschaft ausgibt“ [Rez. Griewank, Staat und Wissenschaft], in: Das Neue Ufer. Kulturelle Beilage der Germania, Nr. 44 vom 19. Nov. 1927. ASEN, Johannes: Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin, Bd.1: 1810-1945. Die Friedrich-Wilhelms-Universität. Die Tierärztliche Hochschule. Die Landwirtschaftliche Hochschule. Die Forstliche Hochschule, Leipzig 1955. ASH, Mitchell G.: Verordnete Umbrüche – Konstruierte Kontinuitäten. Zur Entnazifizierung von Wissenschaftlern und Wissenschaften nach 1945, in: ZfG 43 (1995), S. 903-923. DERS.: Wissenschaftswandel in Zeiten politischer Umwälzungen. Entwicklungen, Verwicklungen, Abwicklungen, in: Internationale Zeitschrift für Geschichte der Ethik, Naturwissenschaften, Technik und Medizin 3 (1995), S. 1-21. DERS. (Hg.): Mythos Humboldt. Vergangenheit und Zukunft der deutschen Universitäten, Wien/Köln/Weimar 1999.

10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

463

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475

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480

10. Anhang

HEINEMANN, Manfred (Hg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945–1952. Teil 1: Die Britische Zone, Hildesheim 1990 – Teil 2: Die US-Zone (= Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B), Hildesheim 1990. DERS. (Hg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945– 1952. Teil 3: Die Französische Zone (= Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B; 3). Hildesheim 1991. DERS.: Hochschulerneuerung und Sowjetische Besatzungsmacht. Oder: Es muß alles neu geschrieben werden, in: Karl STROBEL (Hg.): Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rahmenbedingungen (= Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen; 5 [zugleich auch:] Veröffentlichungen des Historischen Corpsmuseums München; 1), Vierow 1994, S. 164-169. DERS. (Hg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Deutschland 1945–1949. Die Sowjetische Besatzungszone (= Edition Bildung und Wissenschaft; 4), Berlin 2000. DERS.: Wer stürmte die Festung Wissenschaft? Die sowjetische Besatzungspolitik und die SED im Bereich von Hochschule und Wissenschaft, in: Revue d’Allemagne 32 (2000), S. 103–116. DERS.: Auf dem Weg zur Volksuniversität. Die Friedrich-Schiller-Universität Jena 1948, in: Lothar Mertens (Hg.): Politischer Systemumbruch als irreversibler Faktor von Modernisierung in der Wissenschaft? (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung; 76) Berlin 2001, S. 201-231. HEINRICHSDORFF, Wolff: Rez. Griewank, Wiener Kongreß und Scharff, Die europäischen Großmächte, in: Europäischer Wissenschaftsdienst (EWD) 3 (1943), Nr. 8, S. 29. HEINZ, Helmut: Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR vom III. Parteitag bis zur 2. Parteikonferenz der SED (Juli 1950 bis Juli 1952), Diss. phil. Berlin (Ost) 1977. DERS.: Die erste zentrale Tagung der Historiker der DDR 1952, in: ZfG 26 (1978), S. 387-399. DERS.: Die Gründung des Museums für deutsche Geschichte (1952), in: Jahrbuch für Geschichte 20 (1979), S. 143-163. DERS.: Die Konzeption der ersten Ausstellung im Museum für deutsche Geschichte 1952, in: ZfG 28 (1980), S. 340-356. HEITZ, Gerhard/Manfred UNGER: Heinrich Sproemberg (1889 bis 1966), in: HEITZER/NOACK/SCHMIDT (Hg.), Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, S. 300-317. HEITZER, Heinz: „Zeitgeschichte“ 1945 bis 1958. Ihre Grundlegung als Spezialdisziplin der Geschichtswissenschaft der DDR, in: ZfG 35 (1987), S. 99-115. DERS./Karl-Heinz NOACK/Walter SCHMIDT (Hg.): Wegbereiter der DDR-Geschichtswissen-schaft. Biographien, Berlin (Ost) 1989. HENNING, Uwe/Achim LESCHNINSKY (Hg.): Enttäuschung und Widerspruch. Die konservative Position Eduard Sprangers im Nationalsozialismus. Analysen, Texte, Dokumente, Weinheim 1991. HERBERT, Ulrich: „Generation der Sachlichkeit“. Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre in Deutschland, in: Frank BAJOHR/Werner JOHE/Uwe LOBALM (Hg.): Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Detlef PEUKERT zum Gedenken (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte; 27), Hamburg 1991, S. 115-144. DERS.: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 1903-1989, Bonn 1996. HERBST, Andreas/Winfried RANKE/Jürgen WINKLER: So funktionierte die DDR, 3 Bde., Reinbek 1994. HERBSTRITT, Georg: Ein Weg der Verständigung? Die umstrittene Deutschland- und Ostpolitik des Reichskanzlers a. D. Dr. Joseph Wirth in der Zeit des Kalten Krieges (1945/51-1955) (=EH3G; 569), Frankfurt (Main) [u.a.] 1993. HERING, Sabine/Hans-Georg LÜTZENKIRCHEN: „Anders werden“. Die Anfänge der politischen Erwachsenenbildung in der DDR. Gespräche, Berlin 1995. HERRE, Franz: Metternich. Staatsmann des Friedens, Köln 1983. HERRMANN, Ulrich: Bildung durch Wissenschaft? Mythos „Humboldt“ (= Reden und Aufsätze der Universität Ulm; 1), Ulm 1999.

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10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

511

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512

10. Anhang

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10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

513

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514

10. Anhang

DERS. (Hg.): Gewalten, Gestalten, Erinnerungen. Beiträge zur Geschichte der FSU Jena in den ersten Jahren nach 1945. Protokoll einer Tagung des Thüringer Forums für Bildung und Wissenschaft am 26./27. Oktober 2001 in Jena, Jena 2002. DERS.: Hugo Preller. Ein Zeithistoriker in den Konflikten seiner Zeit, in:ebd., S. 198-210. WELSH, Helga A.: Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV), in Martin BROSZAT/Hermann WEBER (Hg.): SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1949, München ²1993, S. 229-238. WELSKOPP, Thomas: Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft, in: GG 24 (1998), S. 173-198. DERS.: Westbindung auf dem „Sonderweg“. Die deutsche Sozialgeschichte vom Appendix der Wirtschaftsgeschichte zur Historischen Sozialwissenschaft, in: Wolfgang KÜTTLER/Jörn RÜSEN/Ernst SCHULIN (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 5: Globale Konflikte, Erinnerungsarbeit und Neuorientierungen seit 1945, Frankfurt (Main) 1999, S. 191-237. WENDE, Peter (Hg.): Große Revolutionen der Geschichte. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 2000. DERS.: Einleitung, in: ebd., S. 9-17. WENTKER, Hermann: „Kirchenkampf“ in der DDR. Der Konflikt um die Junge Gemeinde 1950-53, in: VfZ 42 (1994), S. 95-127. WERNER, Ernst: Die hussitische Revolution. Revolutionsbegriff und Revolutionsergebnis im Spiegel marxistischer, insonderheit tschechoslowakischer Forschungen (= Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse; 129,1), Berlin (Ost) 1989. WERNER, Karl Ferdinand: Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stuttgart [u.a.] 1967. DERS. Die deutsche Historiographie unter Hitler, in: Bernd FAULENBACH (Hg.): Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 86-96. WERNER, Matthias: Geschichte des Historischen Instituts, in: Dirk van LAAK [u.a.]: Geschichte studieren in Jena. Das Historische Institut stellt sich vor, Jena 1996, S. 5-8. DERS.: Stationen Jenaer Geschichtswissenschaft, in: DERS. (Hg.): Identität und Geschichte (= Jenaer Beiträge zur Geschichte; 1), Weimar 1997, S. 9-26. WESSELING, Klaus-Gunther: Art. „Rosenstock-Huessy, Eugen“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 8 (1994), Sp. 688-695. WIERLING, Dorothee: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin 2002. WIGGERSHAUS-MÜLLER, Ursula: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft. Die Geschichte der Historischen Zeitschrift und des Historischen Jahrbuchs 1933-1945 (= Schriftenreihe Studien zur Zeitgeschichte; 17), Hamburg 1998. WILDENBRUCH, Ernst von: Heinrich und Heinrichs Geschlecht, Berlin 1895. WILHELM, Jürgen: Die Stammeskultur der Ordinarienuniversität, in: Martin BAETHGE/Wolfgang EßBACH (Hg.): Soziologie. Entdeckungen im Alltäglichen. Festschrift für Hans Paul BAHRDT zum 65. Geburtstag, Frankfurt (Main) 1983, S. 477-495. WILHELMI, Axel: Die Mecklenburgischen Aerzte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Eine Neuausgabe, Vervollständigung und Fortsetzung des im Jahre 1874 unter gleichem Titel erschienenen Dr. med. A. Blanck’schen Sammelwerkes, Schwerin 1901. WILLGEROTH, Gustav: Die Mecklenburgischen Aerzte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Gesammelt und herausgegeben von Dr. med. A. BLANCK 1874, fortgesetzt von OMed.-R. Dr. Axel WILHELMI bis 1901. Durch genealogische Mitteilungen ergänzt und bis zur Gegenwart fortgeführt, Schwerin 1929.

10.3. Quellen- und Literaturverzeichnis

515

WILSON, W. Daniel: Tabuzonen um Goethe und seinen Herzog. Heutige Folgen nationalsozialistischer Absolutismuskonzeptionen, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 70 (1996), S. 394-442. WINKLER, Heinrich-August: Revolution, Staat, Faschismus. Zur Revision des Historischen Materialismus, Göttingen 1978. DERS.: Der lange Weg nach Westen. Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000. WINTER, Eduard: Erinnerungen (1945-1976), hg. von Gerhard OBERKOFLER, Frankfurt (Main) 1994. WIPPERMANN, Wolfgang: Friedrich Meineckes „Die deutsche Katastrophe“. Ein Versuch zur deutschen Vergangenheitsbewältigung, in: Michael ERBE (Hg.): Friedrich Meinecke heute. Bericht über ein Gedenk-Colloquium zu seinem 25. Todestag am 5. und 6. April 1979 (=Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin; 31), Berlin (West) 1981, S. 101-121. DERS.: Die Bonapartismustheorie bei Marx und Engels (= Geschichte und Theorie der Politik; 6), Stuttgart 1983. Wissenschaftliche Kundgebung der Notgemeinschaft in Königsberg i. Pr. am 13. und 14. Mai 1933. Vorträge von Erwin BAUR, Eugen FISCHER, F[erdinand] SAUERBRUCH, A[dolf] SANDBERGER (= Deutsche Forschung; 20/2), Berlin [1933]. WITTE, Otto: Die Geschichtswissenschaft in Forschung und Lehre an der Universität Rostock von 19181933, in: Helge bei der WIEDEN (Hg.): Aus tausend Jahren mecklenburgischer Geschichte. Festschrift für Georg TESSIN zur Vollendung seines 80. Lebensjahres zugeeignet von der Stiftung Mecklenburg (= Schriften zur mecklenburgischen Geschichte, Kultur und Landeskunde; 4), Köln/Wien 1979, S. 173-196. WITTKAU, Annette: Historismus. Zur Geschichte des Begriffs und des Problems, Göttingen 21994. WOGAWA, Frank: Universität und Revolution. Jena und die „hochschulpolitischen“ Reformbestrebungen 1948, in: Hans-Werner HAHN/Werner GREILING (Hg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume, Handlungsebenen, Wirkungen, Rudolstadt/Jena 1998, S. 445-474. WOLF, Hanna: Zu Fragen der Geschichtsschreibung, in: Geschichte in der Schule 4 (1951), S. 356-361. WOLF, Hans-Georg: Die Geschichtswissenschaft in der DDR im Rahmen der Gesellschaftswissenschaften Eine Bestandsaufnahme in Selbstzeugnissen, in: Alexander FISCHER/Günther HEYDEMANN (Hrsg.) Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd.1: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung; 25/I), Berlin (West) 1988, S. 179-253. WOLFRUM, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg der bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999. DERS.: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen ²2002. DERS.: Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2003. WOLGAST, Eike: Emil Julius Gumbel. Republikaner und Pazifist (= Universität Heidelberg/Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät: Diskussionsschriften; 171), Heidelberg 1992. WOLLSTEIN, Günter: 1848 – Streit um das Erbe, in: NPL 20 (1975), S. 491-507 und 21 (1976), S. 89-106. WORSCHECH, Franz: Der Weg der deutschen Geschichtswissenschaft in die institutionelle Spaltung (1945-1965), Diss. Erlangen-Nürnberg 1990. WOYWODT, Jana: Der Lehrkörper der Arbeiter- und Bauernfakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1949 bis 1963, Magisterarbeit Jena 2000 (MS). WULF, Jan-Hendrik: Schräg zum Universum. Rebellen mit karierter Mütze und Bommel. Eine Lesung des Historikers Eric Hobsbawm, in: taz vom 21.11.2003, S. 28. WÜLFING, Wulf: Die heilige Luise von Preußen. Zur Mythisierung einer Figur der Geschichte in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, in: Jürgen LINK/DERS.: Bewegung und Stillstand in Metaphern und Mythen. Fallstudien zum Verhältnis von elementarem Wissen und Literatur im 19. Jahrhundert (= Sprache und Geschichte; 9), Stuttgart 1984, S. 233-275. WÜLKER, Ludwig (Hg.): 50 ausgewählte Briefe der Königin Luise von Preußen. Mit verbindendem geschichtlichem Texte, Hannover/Leipzig 1909.

516

10. Anhang

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10.4. Namensregister

517

10.4. NAMENSREGISTER Aufgenommen wurden alle Namen, die im Text erwähnt werden, ausgenommen der Name „Karl Griewank“. Zudem wurden Namen aus den Anmerkungen aufgeführt, wenn dort eine erklärende Information zu finden ist. Nicht berücksichtigt wurden bibliographische Angaben und Archivnachweise in den Fußnoten.

Abusch, Alexander 288 Ackermann, Anton 254 Adenauer, Konrad 25, 272, 296 Adorno, Theodor 50, 424 Aland, Kurt 186f., 231, 279f., 383f. Althoff, Friedrich 97 Ammer, Thomas 234 Andreas, Willy 21f., 24, 27, 38, 40, 53, 55-69, 73, 76, 86, 93f., 99f., 106f., 120, 123, 125f., 130, 134-138, 145, 151, 153, 167f., 186, 188, 287, 301, 303, 305, 319, 348f., 362, 379f., 385-387, 391-393, 395f., 425, 438440, 443, 447 Antkowiak, Alfred 244, 250, 252-254, 256, 258, 262 Arendt, Hannah 333 Arndt, Ernst Moritz 308f. Arnold, Karl 196, 220, 274-277 Ash, Mitchell 279, 365, 422 Astel, Karl 138f., 189 Aubin, Hermann 14, 213, 313, 354, 372f., 377380 Augustius, Aurelius 328 Bach, Johann Sebastian 14 Bacon, Francis 407f., 411 Baden, Max von 339 Baethgen, Friedrich 130, 178, 184f., 379f. Bailleus, Paul 146 Baker, Keith Michael 327 Bandi, Karl 55 Barraclough, Geoffrey 291 Barth, Karl 349 Barwick, Karl 225f., 235, 237 Basler, Otto 378f. Becher, Johannes R. 399 Beck, Friedrich (Fritz) 216, 408, 410, 456 Becker, Carl Heinrich 98 Becker, Johann Philipp 304f., 413 Becker, Otto 131, 175, 287, 299, 386, 390-393, 395f., 442 Behling, Lottlisa 228, 230f.

Bender, Klaus 251 Bengtson, Hermann 136 Beninde, Nora 216f., 251 Bense, Max 230 Berding, Helmut 165 Berg, Alwin 244, 247 Berg, Nicolas 392 Berger, Joachim 33, 44 Berger, Stefan 420 Bergsträsser, Ludwig 67, 425 Berthold, Lothar 203, 210f., 218, 242, 249, 251, 259, 263 Berthold, Werner 41 Besenfelder, Sabine 39 Besseler, Heinrich 214, 228 Best, Werner 51, 111 Bibl, Viktor 161 Bichtler 244 Bilfinger, Carl 131 Bilger, Ferdinand 134f. Birke, Ernst 132, 137 Bismarck, Otto von 52, 56, 60, 63, 131, 150, 220, 227, 289, 343, 345-353, 418, 429 Blaschke, Karlheinz 196 Blaufuß, Katrin 226 Bleiber, Helmut 308 Blickle, Peter 323, 402 Blomeyer, Arwed 230f. Blum, Robert 72, 308, 415f. Böckenförde, Ernst-Wolfgang 41 Bogatyrev, Nicolai M. 237-239 Bookmann, Hartmut 26 Born, Stephan 68, 73 Böß, Gustav 77 Böttcher, Diethelm 206, 216, 232-234, 251253, 255f., 258f., 263, 308, 406, 408f., 414, 456 Böttcher, Gertraut (geb. Tolksdorf) 216f., 251 Botzenhardt, Erich 129, 132 Bourdieu, Pierre 11, 248

518

10. Anhang

Bourgoing, Jean de 156 Bracher, Karl Dietrich 32 Brackmann, Albert 114, 142, 379 Bramke, Werner 358 Brandenburg, Erich 55, 68, 71, 304 Brather, Hans-Stephan 216f., 221, 251, 407, 410, 456 Braubach, Max 50, 372, 377 Brednow, Walter 15 Breuer, Sergius 110 Brinckmann, Albert Erich 127 Brinkmann, Henning 127 Bruch, Rüdiger vom 9, 34, 41, 88, 92f., 95, 115, 144, 174, 315 Brugsch, Theodor 173, 176f., 359 Brum, Christine Æ Griewank, Christine Brunner, Otto 50, 129 Buchda, Gerhard 219 Buchheim, Karl 349 Buchwald, Eberhard 235f., 267f. Buchwitz, Otto 272 Burg, Peter 170 Burkert, Wolfgang 249 Burkhardt, Falk 9, 254 Canning, George 167 Carl August, (Groß-)Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 65, 385 Carr, Edward Hallett 12, 39 Cartellieri, Alexander 37, 80, 95, 204, 207f., 324f., 415 Castlereagh, Lord Henry Robert 161, 163, 167, 169 Cesa, Claudio 424 Clarendon, Sir Edward Hyde Earl of 329 Clémenceau, George 299 Connelly, John 192 Conrad, Sebastian 345 Conze, Werner 66, 118f., 125f., 289, 376, 390, 408, 426 Cornelißen, Christoph 37, 121, 291, 347, 373 Craemer, Rudolf 350 Crämer, Ulrich 65 Dahlmann, Christoph Friedrich 308 Dahrendorf, Ralf 334 Dante Alighieri 204, 206, 228, 247, 358 Dehio, Ludwig 145, 287, 309, 379, 388 Delacroix, Eugène 221 Dibelius, Martin 185 Diels, Ludwig 184 Diener, Alfred 281 Disraeli, Benjamin 128

Dlubek, Rolf 304f. Dollfuß, Engelbert 161 Dopsch, Heinz 379 Dörner, Dietrich 31 Drechsler, Horst 24, 216, 456 Drefahl, Günther 196 Droysen, Johann Gustav 379 Durchhardt, Heinz 169 Dyck, Walter von 96 Eberhardt, Hans 414 Ebert, Friedrich 62, 76f., 339 Eckel, Jan 30, 36, 389 Eggerath, Werner 236 Eiserwag, Ewald 59 Enders, Gerhard 410 Enders, Gertraude 251, 408 Engelberg, Ernst 24f., 273, 357, 359, 417f. Engels, Friedrich 62, 71, 205, 303f., 309, 349, 358, 366, 368f., 407f. Erdmann, Horst (alias Friedenau, Theo) 20f. Erdmann, Karl-Dietrich 388, 389, 390 Ernst, Fritz 66 Esch, Arno 279 Etzemüller, Thomas 66, 287, 399, 426 Eugen, Prinz von Savoyen 131 Eyck, Erich 222, 346-351 Facius, Fritz 66 Falk, Gebhard 9, 206, 221f., 229, 240, 251, 262, 293, 302, 368, 410, 423, 456 Faulenbach, Bernd 62 Fehling, August Wilhelm 68, 90, 93, 95, 99, 107, 112f., 173, 181-183, 303, 391, 442 Fehrenbach, Elisabeth 60, 67f., 70f., 415 Fiore, Joachim von 328 Fischer, Alexander 343 Fischer, Eugen 101 Fischer, Friedrich August 90, 95, 112 Fischer, Ilse 283, 437 Fischer, Walther 230, 236 Flach, Willy 25f., 203, 355, 377, 385 Fleck, Ludwik 399 Förder, Herwig 201, 211, 336, 375 Förster, Irmtraut Æ Schmid, Irmtraut Frank, Walter 50, 89, 115, 121, 125, 131, 133f. Frankenberg, Gerhard von 132 Franz, Günther 126, 132, 138, 403 Fratzscher, Arnold 18, 21-23, 48f., 51-54, 56, 66, 80, 85, 264, 289, 319, 394, 426, 429, 447f. Frey, Hermann-Walter 113f.

10.4. Namensregister Freyer, Hans 124, 415 Frick, Wilhelm 105 Fricke, Dieter 415f Fricke, Gerhard 247, 249 Friedenau, Theo Æ Erdmann, Horst Friedensburg, Wilhelm 68, 303 Friedrich II., „der Große“, König von Preußen 131, 223, 230, 266, 283, 368, 392, 406 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 439 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 145-147, 150, 438 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 339, 349 Frings, Theodor 367 Fritsche, Manfred 216f. Fuchs, Walther Peter 66, 138, 439 Funk, Albin 280 Gaedt, Gertrud (geb. Fratscher) 86 Gagern, Heinrich von 308 Gall, Lothar 26, 289, 378, 380 Gaxotte, Pierre 298, 301 Gayl, Wilhelm Freiherr von 98 Gebhard, Otto 249 Gebhardt, Georg 276 Gentz, Friedrich von 162, 390-392 Gentzen, Felix 212f. Gentzen, Felix-Heinrich 24, 201, 212-214, 221, 270-274, 376f., 421 Gerber, Georg 251, 256, 407f., 411 Gerber, Stefan 9, 424 Gerlach, Walther 90 Gervinus, Georg Gottfried 160 Giskra, Karl 308 Gladstone, William Ewart 350f. Gloege, Gerhard 19, 84, 230f. Glüer, Christa (geb. Griewank) 48 Glüer, Dieter 48, 84 Glüer, Hartmut 9, 45, 460 Glüer, Heinz 9, 45, 51, 460 Glüer, Otto 48, 84 Glum, Friedrich 173 Gneisenau, Graf August Neidhardt von 153f., 438 Goethe, Johann Wolfgang 55, 65f., 385, 406, 408, 441 Goetz, Walter 55, 62-64, 120, 185, 378-380 Göhring, Martin 175, 299f., 391f. Gollwitzer, Heinz 325 Gooch, Georg Peabody 223 Göring, Hermann 272 Gottwald, Herbert 40, 50, 125, 130, 230, 460

519

Grab, Werner 298 Grabmann, Martin 379 Graml, Hermann 294 Grashoff, Udo 24, 28 Graus, František 133 Greiling, Werner 9, 415 Greiner, Günther Otto 251 Greite, Walter 109f. Griewank, Andreas 10, 13, 19, 45, 460 Griewank, Carl Kasper Friedrich 45 Griewank, Christa Æ Glüer, Christa Griewank, Christine (geb. Brum) 46-48, 73, 84, 431, 460 Griewank, Christoph Heinrich 45 Griewank, Gertrud (geb. Heussi) 46 Griewank, Gustav 45f. Griewank, Joachim Heinrich 45 Griewank, Magdalene (geb. Pick) 15-17, 25, 81-83, 230, 319f., 415 Griewank, Otto 46, 48, 52 Griewank, Theodor 13f., 19, 21f., 48, 82-85, 319, 402, 431, 447 Griewank, Wilhelm 49 Griewank-Krüger, Christoph 45 Grimm, Jacob 308 Großbölting, Thomas 200, 231 Grotewohl, Otto 278, 365f. Grundmann, Herbert 50, 372, 379, 389 Gruner, Wolf Dieter 170 Grüttner, Michael 214 Gumbel, Emil Julius 64f. Günther, Heinrich 378 Haar, Ingo 91 Haber, Fritz 28, 81, 96, 98, 105f. Hachtmann, Rüdiger 72 Hagemann, Frank 21 Hager, Kurt 370 Hahn, Hans-Werner 9f., 202, 304, 312, 415 Hahn, Karl-Heinz 14, 217, 233, 294, 406, 408410, 414 Hahn, Marianne 82, 217, 456 Haller, Johannes 167 Hallgarten, Georg Wolfgang Felix 222 Hamann, Richard 367 Hämel, Josef 14, 21, 195-197, 214, 230, 269f., 276, 431 Hammerstein, Notker 90-92, 115 Hardenberg, Karl August von 120, 148, 151155, 159-162, 168f., 428 Harig, Gerhard 214, 338f., 444-446 Harmjanz, Heinrich 113-115

520

10. Anhang

Harms, Jürgen 235 Harnack, Adolf von 96, 142 Hartke, Wilhelm 359 Hartmann, Nicolai 184 Hartmann, Richard 184 Hartung, Fritz 82, 114, 129f., 134, 136-138, 178, 185, 222, 227, 317, 331f., 354, 359, 367, 371-374, 379f., 389, 439 Hassel, Ulrich von 204f. Hauschke, Max 249 Hausmann, Frank-Rutger 159, 395 Haussherr, Hans 151, 279, 359, 361, 372, 389, 399, 402f., 407 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 24, 330 Heiber, Helmut 26, 89, 107, 118 Heide, Friedrich (Fritz) 19, 197, 228-231, 269, 349 Heimpel, Hermann 14, 21f., 27, 40, 50, 52, 205f., 319f., 372, 378-380, 389, 411, 447 Hein, Dieter 380 Hein, Franz 235 Heine, Heinrich 391 Heinemann, Gustav 401 Heinemann, Manfred 192f., 198 Heinz, Helmut 367f. Held, Friedrich Wilhelm 68, 70-73, 415 Henniger, Hanna 211, 244, 247, 284 Henninger, Gerhard 216f., 251 Hense, Ilse 284 Herbert, Ullrich 50, 93 Herdegen, Johannes 306 Herder, Johann Gottfried 330 Hermann, Alfred 387 Hertfelder, Thomas 37 Hertzsch, Erich 14f., 20, 83f., 277 Herz, Heinz 337 Herzfeld, Hans 300, 389, 407, 412 Hestermann, Ferdinand 227, 248, 264 Heuser, Otto 392 Heuß, Alfred 390 Heuss, Theodor 66 Heussi, Gertrud Æ Griewank, Gertud Heussi, Karl 46, 87, 202, 217, 219, 234, 278, 318 Heussi, Paul 46 Heydemann, Günther 25 Hilgard, Dorothea Emilie 82 Hilgard, Heinrich 82 Hilgard, Theodor Erasmus 82 Himmler, Heinrich 49, 99, 108f. Hinrichs, Carl 135-137, 389f., 407, 439

Hintze, Hedwig 298 Hintze, Otto 56, 59, 62 Hinz, Erwin 251 Hitler, Adolf 346, 353, 380, 398 Hobbes, Thomas 329 Hobsbawm, Eric 12f., 322, 414, 433 Hochhuth, Rolf 202 Hochkeppler, Clemens 196 Hoetzsch, Otto 417 Hoffmann, Eva 276 Hofmeister, Adolf 188, 359 Hohl, Ernst 359 Holborn, Hajo 50, 93f. Hölscher, Lucien 347f., 353 Holtzmann, Robert 128 Holtzmann, Walter 379 Hölzle, Erwin 137, 289f. Horn, Hannelore 335 Horn, Otfried 187, 220, 258, 280, 281, 320, 383, 384, 412, 422, 456 Hornburg, Heinz 9 Horn-Staiger, Ingeborg 14, 206, 217, 220, 251, 280f., 301f., 318-320, 330f., 334, 384, 406, 412, 418, 451 Horst, Max 95, 112 Hörster-Philipps, Ulrike 296 Höß, Irmgard 9, 14, 17, 27, 38, 87, 201-203, 214, 228, 244, 279, 288, 319, 355, 377, 385, 404f., 410, 412, 421-423, 456 Huch, Richarda 121 Huizinga, Johan 168 Hulverscheidt, Marion 110 Humboldt, Wilhelm von 143, 159, 168, 173, 406 Hund, Friedrich 194, 225, 230-232, 235f., 238f. Hus, Johann 328 Hüttner, Martin 220 Ibrahim, Jussuf 109 Iggers, George G. 31, 201, 246f. Ilgner, Max 272 Ilsemann, Alexandra von 128 Ipsen, Gunther 124 Irmscher, Johannes 187 Jacobs, Hans-Heimar 136 Jahn, Friedrich Ludwig 308 Jahrreiß, Hermann 131 Jan, Eduard von 214, 225-227, 230, 235, 237, 275, 363 Janka, Walter 254 Jansen, Christian 60f., 64 Jarausch, Konrad 26, 191, 214, 315

10.4. Namensregister Jaurès, Jean 297f. Jens, Walter 287 Jessen, Ralph 192, 198 Johannsen, Hermann 227, 234, 407 John, Jürgen 193, 310, 408 Jordan, Wilhelm 308 Jürgens, Adolf 95 Kaderas, Brigitte 92 Kaegi, Werner 186 Kaehler, Siegfried 313 Kaiser, Jakob 373 Kamnitzer, Heinz 337-339, 359, 377, 403, 433 Kantel, Lutz 234, 266 Karl V., Kaiser 130 Kaufmann, Hans 219 Kehr, Eckart 28, 50, 113, 138 Kepler, Johannes 239 Kerkhof, Karl 185 Kern, Fritz 207 Kersten, Martin 235 Keßler, Mario 358, 369 Kienast, Walter 128, 135, 372 Kipar, Bärbel 9, 460 Kirchner, Gustav 227, 235, 237 Kirn, Paul 127 Kissinger, Henry 155, 169 Klaus, Georg 196, 226, 264, 268 Klee, Ernst 91f., 109f. Klein, Fritz 217, 364, 376f. Klemperer, Victor 253, 270, 372, 398f. Kleßmann, Christoph 47 Klueting, Harm 63 Koch, Herbert 306f. Koch, Rainer 164 Kocka, Jürgen 197, 200, 261 Koenigswald, Harald von 23 Kohl, Helmut 138 Köhler, Karl-Gerd 244 Kolesničenko, Ivan S. 237-239 Köllmann, Wolfgang 408 Konen, Heinrich 96 Kopernikus, Nicolaus 259, 329 Korch, Helmut 249 Kordes, Ernst 235 Körner, Theodor 148f. Koselleck, Reinhart 323, 333f. Kossok, Manfred 334, 414 Köster, Werner 90 Kötzschke, Rudolf 372

521

Kowalczuk, Ilko-Sascha 177, 193, 198f., 201, 242, 356, 421f. Krause, Gertraud Æ Sperka, Gertraud Kretzschmar, Hellmut 374, 407, 417 Krönig, Waldemar 192, 215, 218, 277 Krupp, Alfred 264 Kuczynski, Jürgen 50, 257f., 270, 313, 357, 369 Kühn, Johannes 372, 379 Kuhn, Thomas S. 404 Küppers, Heinrich 296 Kurzke, Hermann 36 Küttler, Wolfgang 217, 258, 261, 334 Laak, Dirk van 9, 289f. Laitko, Hubert 405 Lamprecht, Karl 36, 46, 55, 70 Langewiesche, Dieter 41, 312, 315 Langhoff, Peter 410 Langsdorf, Kurt 249 Leber, Wolfgang 249 Leers, Johann von 136, 205 Lefebrvre, Georges 297 Leggewie, Claus 288 Lehmann, Max 55 Leidigkeit, Karl-Heinz 201, 211, 212, 218 Leisegang, Hans 84, 227, 231-236, 282, 294, 409, 440 Lemke, Rudolf 16, 18 Lenin (Vladímir Iljítsch Uljánov) 208-210, 267, 330, 335, 338, 340, 342, 358, 369 Lerchenmüller, Joachim 131 Lichtwer, Cordula 187 Lietzmann, Hans 115 Linck, Gottlob 95 Lindemann, Anna 307 Lindenlaub, Georg 247, 294 Linke, Paul 227, 235-237, 267f. Lintzel, Martin 26, 135f., 206, 355, 372, 374, 377, 417, 438, 445 Loewe, Fritz 114 Löffler, Hermann 121, 132 Lönnendonker, Siegwart 172 Lorenz, Horst 49 Lortzing, Albert 51 Lotze, Detlef 277, 456 Luck, Herbert 249 Luden, Heinrich 410 Ludloff, Rudolf 83, 218, 250, 254, 255, 456 Lüdtke, Heinrich 244 Ludwig XVI., König von Frankreich 298, 301

522

10. Anhang

Luise, Königin von Preußen 81, 140f., 145-153, 427, 438 Luther, Martin 329, 351-353, 369 Maaser, Michael 127 Machholz, Waldemar 230f. Machiavelli, Niccolo 330 Maenner, Friedrich 380 Mägdefrau, Werner 204, 209, 218, 456 Mager, Wolfgang 169 Maier, Wilhelm 230 Maluck, Tatjana 48 Mann, Golo 59, 64, 65, 390-392 Mann, Thomas 36, 206, 231 Mannheim, Karl 50 Marcieniec, Hans-Günter 229, 456 Marcks, Erich 57, 60, 62, 65, 67, 82, 123, 348, 425 Marie Antoinette, Königin von Frankreich 298 Markov, Walter 114, 200, 206, 266 Martin, Gottfried 84 Maruhn, Karl 235, 238 Marx, Karl 33, 71, 229, 257, 261, 304, 307, 309, 330, 335, 337f., 338, 340, 342, 349, 358, 365f., 369, 407, 412, 427 Marx, Wilhelm 77 Maschke, Erich 50, 129, 408 Mastmann, Horst 407, 411, 413, 416 Mathiez, Albert 297, 300 Matthiesen, Michael 37 Mätzing, Heike Christina 416 Maurer, Michael 26, 28 Mayer, Gustav 62, 68f., 71, 200, 261, 305, 425, 427 Mayer, Hans 399 Mayer, Theodor 122 Meier, Christian 322 Meinecke, Friedrich 56f., 62-64, 68, 71, 76, 123, 137, 154, 178, 227, 286, 311, 321, 326, 344, 379, 387f., 425 Meinhof, Ingeborg 202 Meinhof, Ulrike 202 Mengele, Josef 91 Mentzel, Rudolf 108, 110, 111, 115f., 123, 128, 171 Mertens, Lothar 26f., 92, 101, 110, 113 Metternich, Clemens Wenzel Lothar Fürst von 161, 163, 164, 166, 169 Meusel, Alfred 178, 200f., 217, 273, 310, 336f., 339-341, 357, 359-361, 366, 368-370, 372, 403 Meyer, Arnold Oskar 61, 130, 178, 346, 348 Meyer, Eduard 62

Meyer, Eugen 130, 178, 372 Meyer, Georg P. 332, 334 Meyer, Theodor 126 Middell, Matthias 26, 298 Mieskes, Johann 411 Mitzenheim, Paul 223, 278, 456 Mlynek, Klaus 410 Mohl, Moritz 308 Möhring, Wolfgang 456, 460 Möller, Hans Heinrich 216 Möller, Helmut 251, 406, 408, 411, 413, 414, 456 Möller, Horst 341 Moltke, Helmuth von 145 Mommsen, Hans 99, 120, 149 Mommsen, Theodor 322 Mommsen, Wilhelm 313, 426 Moses, Justus 97f. Mottek, Hans 357 Mühlpfordt, Günter 213 Müller, Ernst 217 Müller, Friedrich von 96, 102 Müller, Gerhard 244 Müller, Hermann 97, 295 Müller, Karl Alexander von 114, 125, 378 Müller, Klaus 160 Müller, Klaus-Dieter 192, 215, 218, 277 Müller, Laurenz 402 Müller, Rainer A. 41 Müller, Rudi 216, 217, 251, 406, 413 Müller-Hill, Benno 91 Münch, Paul 33 Müntzer, Thomas 229, 328f., 358 Muralt, Leonhard von 348f., 352 Naas, Josef 175f., 179 Nabholz, Hans 379 Napoleon I., Kaiser der Franzosen 147-151, 160, 162f., 167, 415 Napoleon III., Kaiser der Franzosen 349f. Neumann, Gotthard 230 Neumann, Heinz 50 Niebuhr, Barthold Georg 24 Niedhart, Gottfried 62 Niethammer, Lutz 9, 416, 421 Niktin, Andrej P. 233 Niktin, Pjotr I. 233 Nipperdey, Thomas 90, 311 Noack, Karl-Heinz 9, 25, 40, 41, 355, 417, 418, 456 Nolte, Ernst 119, 262, 304

10.4. Namensregister Nowak, Kurt 86 Obermann, Karl 164, 357, 359 Oelßner, Fred 242-245, 263-265 Oestreich, Gerhard 326, 442f. Oexle, Otto Gerhard 112 Ohnsorge, Werner 379 Oncken, Hermann 59, 222, 304f. Oppeln, Dietrich von 32 Orwell, Georg 432 Pabst, Walter 276f. Pagel, Karl 21, 22, 24, 58, 59, 385 Pahlmann, Franz 348f. Paletschek, Sylvia 11, 143 Paterna, Erich 339f. Pätsch, Gertrud 244, 247-249, 264 Pätzold, Kurt 39, 86, 210f., 218f., 221, 224, 238, 242, 244f., 249, 256, 258, 263, 265f., 272, 274, 401, 410, 419-423, 456 Paul, Johannes 188 Paulsen, Friedrich 78 Péguy, Charles 11 Petersen, Leiva 308 Petersen, Peter 224, 411 Petke, Wolfgang 55 Pett, Klaus-Dieter 387 Petzold, Joachim 217, 358 Peukert, Detlef 49 Pfeffer, Karl-Heinz 192 Pfetsch, Frank 142 Pfundt, Karin 365 Pieck, Wilhelm 295 Platzhoff, Walter 122f., 126f., 131-133, 137, 168, 430 Pokrowskij, Michail N. 160 Pölnitz, Götz Freiherr von 380 Preller, Hugo 204, 207-212, 216, 220f., 242, 263, 271, 359f., 365, 410 Quidde, Ludwig 36 Ramsauer, Karl 182 Ranke, Leopold von 60, 220, 261, 330, 380, 392, 406, 425, 427 Raphael, Lutz 298 Rassow, Peter 379f., 388 Raumer, Kurt von 132f., 392 Reinecke, Carl 51 Reisberg, Arnold 357 Reissland, Manfred 249 Reulecke, Jürgen 50 Ricardo, David 260 Richter, Georg 410 Riemeck, Renate 202

523

Riesser, Gabriel 308 Ringer, Fritz 34, 61 Ritter, Gerhard 17, 25, 36f., 68, 110, 116, 121, 131, 168, 283, 291, 296, 344-347, 367, 371377, 379f., 394f., 398, 402, 403, 428, 441 Ritterbusch, Paul 122f., 135f., 430, 439 Robespierre, Maximilien 298, 300 Röchling, Hermann 272 Roemer, Karoline 82 Rörig, Fritz 130, 178, 359, 367, 372, 398, 417 Rosenberg, Alfred 108, 243, 391 Rosenberg, Hans 50, 71, 222 Rosenstock-Huessy, Eugen 24, 317, 323, 325, 331-333 Rössle, Robert 182 Rößler, Hellmuth 135, 439 Rothe, Ursula 294 Rothfels, Hans 36, 67, 119, 124f., 287, 311, 346f., 353, 367, 390, 392 Rothkirch, Malve Gräfin zu 146, 148 Ruge, Arnold 308 Ruge, Wolfgang 357 Rühmann, Heinz 50 Rumpler, Helmut 170, 258, 414 Ruprecht, Brunhild 251 Rüsen, Jörn 404, 433 Rust, Bernhard 106, 112, 171 Rütz, Alfred 59 Sabrow, Martin 26, 42, 202, 356, 374f., 398f. Sacke, Georg 120 Salisbury, Lord Robert Cecil 350 Sandberger, Dietrich 135 Sauerbruch, Ferdinand 110 Sauerteig 244 Schadewaldt, Wolfgang 184 Schaeder, Hildegard 120 Schäfer, Dietrich 40, 62 Schäfer, Peter 26, 41, 327, 354 Schapper, Karl 68 Scharff, Alexander 127f., 131, 133-137, 158, 391f., 439 Scheel, Gustav Adolf 65 Scheel, Otto 184, 391 Scheffel, Werner 247, 249 Schering, Walter 130 Scheuner, Ulrich 132 Schick, Hans 130, 132, 133, 429, 436 Schieder, Theodor 114, 118, 125, 132f., 135, 179, 213, 288f., 316-318, 325-327, 332f., 343, 377f., 392, 422, 431, 439 Schieder, Wolfgang 288f.

524

10. Anhang

Schilfert, Gerhard 214, 326, 327, 359 Schiller, Friedrich 201, 413, 415 Schilling, Claus 110 Schirmer; Walter 184 Schlegel, Sebastian 237 Schleier, Hans 13, 61, 63, 201 Schliessing, Barbara 9, 20 Schlöffel, Friedrich Wilhelm 308 Schlösser, Anselm 195, 277, 249, 252f., 259 Schmerbach, Günther 24, 211, 218, 249f., 255, 256, 270-273, 410 Schmid, Gerhard 9, 18, 27, 216f., 219, 221, 251f., 262, 408-410, 413, 423, 456 Schmid, Irmtraut (geb. Förster) 9, 80, 216f., 251, 410, 423, 456 Schmidt, Christoph Wilhelm 166 Schmidt, Hans-Richard 249f. Schmidt, Siegfried 300-302, 402, 413, 415-417, 419 Schmidt, Walter 41, 46, 69f., 209, 218f., 250, 272, 274, 291, 303, 305f., 309, 313, 336, 417-419, 423, 456 Schmidt-Jorzig, Edzard 33 Schmidt-Ott, Friedrich 26, 38, 73, 89f., 92-103, 105-107, 111, 135, 181 Schmitt, Carl 332 Schmitt, Eberhard 334 Schmitt, Walter 334 Schmugge, Ludwig 90 Schmutzer, Ernst 229, 334 Schnabel, Franz 37, 66, 120, 296, 325, 346, 349, 372, 380-383, 385, 397, 434, 443f. Schneider, Barbara 129 Schneider, Friedrich 14, 187, 201, 204-207, 209, 212-214, 218, 220, 235-237, 240, 247f., 263, 267, 358, 362, 365, 371, 394, 402-404, 406-408, 410, 413f., 417, 421 Schneider, Georg 226 Schneider, Hans Ernst (alias Hans Schwerte) 32, 108 Schneider, Heinz 221, 265, 267-270, 408 Schneider, Michael 416 Schoeps, Hans Joachim 349f. Schönwälder, Karen 128, 155, 166 Schöttler, Peter 51, 91, 118, 120,. 126 Schreiber, Georg 98, 181 Schreiner, Albert 217, 357, 368 Schreyer, Hermann 410 Schulin, Ernst 50, 370 Schulte, Regina 147 Schultz, Helga 68, 414 Schulz, Eberhart 266

Schulz, Gertraut 216 Schulz, Otto Theodor 359 Schulze, Winfried 11, 26-28, 176, 316, 378 Schumann, Wolfgang 20, 24, 210f., 218, 249f., 263, 270, 272, 410, 419, 421 Schuschnigg, Kurt von 161 Schüssler, Wilhelm 56, 69, 130f., 137, 156f., 348f. Schütz, Wolfgang 250 Schwarz, Otto 194f., 226, 232, 236-238, 244249, 264, 266-269, 282-284, 393, 400, 437 Schweitzer, Adèle 47 Schweitzer, Albert 47 Schwerin, Kurt 313 Schwerte, Hans Æ Schneider, Hans Ernst Schwoerer, Victor 95f. Seebeck, Johannes 424 Seebeck, Moritz 424 Seeber Eva 456 Seeghers, Karin 250 Seeliger, Gerhard 55 Seibt, Ferdinand 322f., 328 Seidler, Hans Wilhelm 325 Selka, Werner 251, 281 Senff, Wilhelm 237, 239, 283436 Sessinghaus, Karl-Heinz 280 Severing, Carl 97f. Siebel, Erich 182 Siegismund, Karl 95, 328 Siegrist, Hannes 199 Simon, Ludwig 308 Smirin, Moisej M. 329 Smith, Adam 153, 261 Soboul, Albert 301, 414 Söder, Günter 250 Sombart, Werner 222 Sommer, Klaus 55 Sperka, Gertraud (geb. Krause) 82, 216, 228, 308, 423, 456 Speth, Rudolf 335 Spindler, Max 378, 380f., 385, 397 Spörl, Johannes 380 Spranger, Eduard 172-176, 194, 359, 388, 395f., 440 Sproemberg, Heinrich 318, 354, 363f., 367, 369, 372, 376, 398, 417, 445 Srbik, Heinrich von 56, 137f., 156f., 161, 168, 178, 439 Stadelmann, Rudolf 50, 137, 309, 313, 316, 379, 387f., 441 Stahl, Friedrich Julius 351f.

10.4. Namensregister Stalin, Josef 208-210, 217, 248, 251, 260, 271, 278, 280f., 284, 302, 325, 330, 335, 338f., 342, 358, 369, 427 Stamm, Thomas 181 Stammer, Martin 68 Staniek, Margarete 406 Stark, Johannes 106-108, 111 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 172 Steche, Theodor 113f., 116 Steffen, Fritz 230, 236, 274 Steiger, Günter 250 Stein, Karl Freiherr vom und zum 151-153, 159, 162, 406, 428 Steinacker, Harold 125, 129, 156f. Steinbach, Lothar 357, 422 Steinbach, Matthias 40f., 204, 208, 415 Steininger, Herbert 359 Steinmetz, Max 203, 205, 225f., 283f., 301f., 329, 402f., 404, 437, 441 Stern, Leo 273, 326, 339, 357-359, 366, 368, 445 Stille, Hans 90, 182 Stöber, Rudolf 75 Stolberg-Wernigerode, Otto 136f., 139, 380 Stolleis, Michael 32f. Stolte, Heinz 235, 237 Straube, Michael 456 Stresemann, Gustav 76 Stroux, Johannes 174-177, 184f., 187, 290 Stuchtey, Karl 95, 181, 183 Süßmuth, Rita 33 Syme, Ronald 322 Szöllösi-Janze, Margit 28, 98 Taine, Hippolyte 298 Talleyrand, Charles-Maurice de 163, 445 Tarlé, Evgenij V. 445 Tennigkeit, Erich 218 Tent, James 172, 176 Thälmann, Ernst 78, 211, 271 Thielbeer, Heide 315 Thierfelder, Franz 378f. Thiessens, Peter Adolf 176 Tiryakian, Edward 405 Titze, Hartmut 50, 144 Tolksdorf, Gertraut Æ Böttcher, Gertraut Torhorst, Marie 234-237, 361 Trautmann, Reinhold 228, 235, 237 Treitschke, Heinrich von 15, 148f., 152, 156, 160, 216, 227, 241-249, 251f., 254f., 257f., 261-266, 275, 280, 282, 336, 342, 395, 410, 418-420, 431, 445 Treue, Wilhelm 114, 389

525

Treue, Wolfgang 183 Trübner, Georg 407, 412 Tümmler, Hans 66 Tuschke, Alexander 217 Tuschling, Burkhart 32 Uhland, Ludwig 308 Ulbricht, Walter 254, 364 Ullmann, Hans-Peter 143f. Unverzagt, Wilhelm 367 Vagst, Alfred 28 Vahlen, Theodor 115 Valentin, Veit 124 Vasmer, Max 184f., 228 Villard, Henry Æ Hilgard, Heinrich Vogt, Josef 372 Vogt, Karl 308 Voigt, Horst 244 Vorstius, Joris 185 Wagenhaus, Manfred 284 Wagner, Richard 53, 133, 306 Wahl, Adalbert 68, 70, 222, 299, 387 Waldmann, Hans 83 Walther, Helmut G. 202 Walther, Joachim 254 Wandel, Paul 365, 383f., 445f. Weber, Max 63, 261f. Weber, Wilhelm 113 Weber, Wolfgang 31, 41, 60, 204, 208 Webster, Charles 161, 165 Wehler, Hans-Ulrich 12f., 26, 28, 41, 123f., 289, 311, 313, 341, 350, 353, 422, 433 Wehowsky, Ruth Æ Weiß, Ruth Weinert, Ursula 216 Weise, Gerhardt 250 Weiß, Friedrich 278 Weiß, Ruth (geb. Wehowsky) 9, 39, 217, 219f., 223, 251, 256f., 263, 266, 274-279, 409, 411, 422f., 456 Weißbecker, Manfred 209, 211 Welcker, Karl Theodor 308 Wels, Otto 272 Wendorf, Heinrich 135-137, 139, 439 Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm 184 Werner, Karl Ferdinand 118 Werner, Matthias 26f., 40, 202 Wesle, Carl 136-138, 189, 226f., 235 White, Hayden 155 Wildenbruch, Ernst vom 51 Wildhagen, Eduard 95, 107, 111 Wilhelm I., Deutscher Kaiser 148 Wilhelm II., Deutscher Kaiser 63

526 Wilson, Daniel 65, 385 Winkler, Heinrich August 100, 261f., 341 Winter, Eduard 200, 213-215, 359 Wirth, Hermann 115 Wirth, Joseph 80, 293-296 Wittram, Reinhard 50, 126, 129 Wogawa, Frank 315 Wolf, Hanna 358, 365, 368 Wolf, Hans-Georg 321 Wolf, Ursula 64, 120 Wolf, Walter 307 Worschech, Franz 375, 388, 398 Wostry, Wilhelm 129 Wührer, Karl 129 Wüst, Walter 115, 122

10. Anhang Wyclif, John 328 Wyrwol, Magda 216, 251, 255f., 365, 407, 412f., 416 Zaisser, Wilhelm 280 Zeiß, Hans 114 Ziegengeist 250 Zierold, Kurt 89f., 103, 110f., 180, 183 Zucker, Friedrich 14, 179, 194, 214, 225f., 232, 235, 237, 245, 247f., 307, 436 Zuckermann, Moshe 330 Zumschlinge, Marianne 42, 359 Zwahr, Hartmut 414

10.5. Abkürzungsverzeichnis

527

10.5. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ABBAW ABF ACDP ADB AHR AKG APuZ Art. AVHD BA BGLA BIOS BzG BzW CDU DA DDP DDR DFG DLZ dpa DS DUZ DVP DVV DWD EDG EH3G ESG FAZ FBPG FDJ FSU FUB FuF GDS Gewifa GG GSR GStAPK GWU H HA hdschr HPB HS HUB HZ JbUG JGMO KdG KPD KWI mdl. MfS MfV

Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Arbeiter- und Bauernfakultät. Archiv für Christlich-Demokratische Politik. Allgemeine deutsche Biographie. American Historical Review. Archiv für Kulturgeschichte. Aus Politik und Zeitgeschichte. Artikel. Archiv des Verbandes der Historiker Deutschlands. Bundesarchiv Badisches Generallandesarchiv. BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Christlich-Demokratische Union. Deutschland Archiv Deutsche Demokratische Partei. Deutsche Demokratische Republik. Deutsche Forschungsgemeinschaft. Deutsche Literaturzeitung. Deutsche Presse-Agentur. Durchschlag. Deutsche Universitäts-Zeitung. Deutsche Volkspartei. Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung. Deutscher Wissenschaftlicher Dienst. Enzyklopädie deutscher Geschichte. Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Evangelische Studentengemeinde. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Freie Deutsche Jugend. Friedrich-Schiller-Universität. Freie Universität Berlin. Forschungen und Fortschritte. Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte. Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät. Geschichte und Gesellschaft. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Heft. Abteilung für Handschriften und Sondersammlungen (bzw. Handschriftenabteilung). handschriftlich. Historisch-Politisches Buch. Horn-Staiger Humboldt-Universität Berlin. Historische Zeitschrift. Jahrbuch für Universitätsgeschichte. Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften. Kommunistische Partei Deutschlands. Kaiser-Wilhelm-Institut mündlich(e). Ministerium für Staatssicherheit. Ministerium für Volksbildung.

528

10. Anhang

MPI Max-Planck-Institut. MS Manuskript/maschinenschriftlich. NDB Neue deutsche Biographie. NF Neue Folge. NG Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. NL Nachlaß. NPL Neue Politische Literatur. NS Nationalsozialismus, nationalsozialistisch. NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. NS-Dozentenbund Nationalsozialitischer Deutscher Dozentenbund. PA Personalakte. PrA Privatarchiv. PS Proseminar. REM Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Rez. Rezension zu: RFR Reichsforschungsrat. RIAS Berlin Rundfunk im amerikanischen Sektor Berlin SA Sturmabteilung. SBPK Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. SBZ Sowjetische Besatzungszone. SE Seminar. schr. schriftlich(e). SD Sicherheitsdienst. SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. SfH Staatssekretariat für Hochschulwesen. SMA(D) Sowjetische Militäradministration (in Deutschland). SMATh Sowjetische Militäradministration in Thüringen. SoSe Sommersemester. SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands. SS Schutzstaffel. Stj Studienjahr. taz die tageszeitung. ThULB Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek. Ü Übung. UA Universitätsarchiv. UAJ Universitätsarchiv Jena UFJ Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen. uk unabkömmlich (Freistellung vom Kriegsdienst). undat. undatiert. UPL Universitätsparteileitung. USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands. VDA Verband für das Deutschtum im Ausland. VFG Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften. VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. VHD Verband der Historiker Deutschlands. VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VL Vorlesung. WS Wintersemester. WZH Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg. WZJ Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena. WZL Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig. WZR Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. ZVTG Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte (und Altertumskunde).

Der Historiker Karl Griewank, 1900 gebo­ ren und 1953 durch Suizid aus dem Leben geschieden, ist bekannt durch seine Studien zu Königin Luise, zum Wiener Kongreß und zur Geschichte der neuzeitlichen Revolutio­ nen. Die Arbeit stellt Griewank als Vertreter der Generation um 1900 vor, beschreibt den liberalen Demokraten der Weimarer Repu­ blik, der als langjähriger Referent der Deut­ schen Forschungsgemeinschaft eine Anstel­ lung findet – und analysiert seine vergeb­ lichen Bemühungen, auch nach 1933 eine

PAL L AS ATHENE – 23

wissenschaftliche Karriere zu ergreifen, ohne NSDAP­Mitglied zu werden. Es folgt die pro­ duktive, aber konfliktreiche Zeit in Jena, wo er seit 1947 als sogenannter „bürgerlicher“ – d.h. nichtmarxistischer – Historiker lehrte. Abschließend behandelt der Band auch Wir­ kung und Rezeption von Griewanks Werk. An seinem Beispiel veranschaulicht der Autor hier zentrale Aspekte der Biographiefor­ schung und der Universitäts­ und Wissen­ schaftsgeschichte.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-08653-0