Kant in Österreich: Alois Riehl und der Weg zum kritischen Realismus 9783110747379, 9783110747287

There is a very distinct Austrian form of Neo-Kantianism that can be described systematically as realistic critical phil

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German Pages 598 [600] Year 2021

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I: Kritischer Realismus
Alois Riehl – Leben, Werk und Wirkung
Objekt und Objektivität in Kant und Riehl
Alois Riehl’s Epistemological Argument for Realism about Things in Themselves
Riehls Auffassung der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
Alois Riehls transzendentaler Realismus
Alois Riehl und die Frage des psychophysischen Parallelismus
Freedom and Determinism in Alois Riehl’s The Philosophical Criticism
II: Wissenschaftlicher Realismus
Alois Riehl and Scientific Philosophy
Alois Riehl über Hermann von Helmholtz und die Bedeutung geometrischer Axiome
Alois Riehl and the Principle of the Conservation of Energy
Riehl’s ‘Objectivist’ Account of Perception
Kantian Externalism from Riehl to Putnam
III: Kontexte
Heterothesis, Antithesis und die Transzendentalphilosophie. Zur Auseinandersetzung zwischen Alois Riehl und Heinrich Rickert
Zum Einfluss von Alois Riehl auf Richard Hönigswald
‚Realistischer Kritizismus‘ und ‚Österreichischer Neukantianismus‘
Riehl als Neukantianer
Riehls Geschichtsbegriff: Analyse und Kritik
„Alle großen Dinge kommen aus der großen Leidenschaft her“: Zu Alois Riehls Bild von Friedrich Nietzsche
„Alle poetischen Ideen sind Bilder“: Alois Riehl und das Problem der Form in der Kunst
IV: Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte
Transzendentale Systeme im Wien des 20. Jahrhunderts
The Reception and Rejection of Alois Riehl’s Philosophy in Poland: Jan Stepa and Władysław Tatarkiewicz
Appendix
Alois Riehl (1824–1924): Selected Archive Sources on Life and Work
Personenregister
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Kant in Österreich: Alois Riehl und der Weg zum kritischen Realismus
 9783110747379, 9783110747287

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Kant in Österreich

Meinong Studies/ Meinong Studien

Herausgegeben für Alexius-Meinong-Institut – Forschungsstelle und Dokumentationszentrum für Österreichische Philosophie, Karl-Franzens-Universität Graz von Mauro Antonelli, Marian David Wissenschaftlicher Beirat Liliana Albertazzi, Ermanno Bencivenga, Johannes Brandl, Arkadiusz Chrudzimski, Evelyn Dölling, Kit Fine, Herbert Hochberg, Wolfgang Künne, Winfried Löffler, Johann Christian Marek, Kevin Mulligan, Roberto Poli, Matjaž Potrč, Venanzio Raspa, Maria E. Reicher-Marek, Robin Rollinger, Edmund Runggaldier, Seppo Sajama, Peter Simons, Barry Smith, Erwin Tegtmeier Redaktion Johannes Friedl, Ulf Höfer

Band 12

Kant in Österreich

Alois Riehl und der Weg zum kritischen Realismus Herausgegeben von Rudolf Meer und Giuseppe Motta

ISBN 978-3-11-074728-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-074737-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-074742-3 ISSN 2198-2309 Library of Congress Control Number: 2021947255 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Layout: Johannes Friedl, Ulf Höfer Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Alois Riehl ca. 1887, Portrait / CdV, C. Ruf, Freiburg i. B.

Vorwort In der Forschung zum Neukantianismus werden trotz unterschiedlicher Differenzierungen zumeist zwei Hauptlinien unterschieden: die Marburger Schule (rund um Hermann Cohen, Paul Natorp und Ernst Cassirer) und die Südwestdeutsche Schule (rund um Wilhelm Windelband, Heinrich Rickert und Emil Lask). Diese historische Vereinfachung der sehr heterogenen Strömungen deckt große Teile des Neukantianismus ab, auch wenn sie auf einer problematischen Verwendung des Begriffs „Schule“ beruht. Dieselbe Vereinfachung hat allerdings auch dazu geführt, dass andere Aktualisierungen von Kants Kritizismus in der philosophischen Debatte und in der historischen Forschung weniger Aufmerksamkeit erfahren haben. Insbesondere Alois Riehls Philosophischer Kritizismus hätte in dieser Hinsicht eine eingehendere Untersuchung verdient. Als die Herausgeber der Meinong-Studien das Angebot machten, einen Band über die Rezeption Kants in der österreichischen Philosophie herauszugeben, sagten wir gerne zu. Wir sahen darin eine gute Gelegenheit, eine vertiefende Untersuchung und größere Diskussion über die Philosophie Riehls anzuregen. Wird die in der Forschung übliche Verwendung geographischer Zuordnungen ausgeweitet, zeigt sich, dass Riehl Teil eines spezifisch „österreichischen“ Zugangs zu Kants Transzendentalphilosophie ist. Alois Riehl wurde 1844 in Bozen geboren. Er konzipierte und verfasste sein dreibändiges Hauptwerk in Graz – jener Stadt, in der die Meinong-Studien seit 2005 herausgegeben werden. Lediglich Band 2.2 erschien erst in seiner Freiburger Phase. Darüber hinaus lassen sich inhaltlich betrachtet zentrale Lehrstücke von Riehls realistischem Kritizismus auf seine philosophische Ausbildung in Österreich und sein Netzwerk zurückführen, das eng mit dieser Forschungslandschaft verbunden ist. Mit der Zentrierung seiner Philosophie auf den Begriff Empfindung steht Riehl in einer von Johann Friedrich Herbart geprägten philosophischen Tradition, die mit Franz Serafin Exner (1802–1853), Carl Sigmund Barach (1834–1885), Franz Karl Lott (1807–1874) und Robert Zimmermann (1824–1898) beginnt und auch Robert Reininger (1869– 1955), Richard Hönigswald (1875–1947) und Moritz Schlick (1882–1936) miteinschließt. Riehl leistet nicht nur wesentliche Beiträge für ein besseres Verständnis der Philosophie Kants, sondern auch der Quellen des Kritizismus bei John Locke und David Hume sowie bei Johann Heinrich Lambert und Johannes Nikolaus Tetens. Darüber hinaus führte er den Begriff der Wissenschaftsphilosophie ein bzw. trug maßgeblich zur Etablierung seiner systematischen Verwendung bei. Im Rahmen https://doi.org/10.1515/9783110747379-203

VIII | Vorwort

seines Philosophischen Kritizismus ergriff er zudem die Möglichkeit, sich an verschiedenen Debatten der Wissenschaften wie der Psychologie, der Physiologie, der Geometrie etc. zu beteiligen. Da Riehl in seiner Frühphase in Österreich die philosophischen Grundlagen geschaffen hat, die er im Rahmen seiner späteren Berufungen in Deutschland (Freiburg, Kiel, Halle und Berlin) weiter ausarbeitete, scheint uns trotz aller problematischer nationaler Konnotationen eine systematische Zuordnung zur österreichischen Philosophie möglich. Die Texte dieses Bandes haben zudem aufgewiesen, dass es sich dabei um eine durchaus produktive heuristische Einordnung handelt. Dieser Band der Meinong-Studien profitiert von den Beiträgen von zweiundzwanzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus acht Ländern (Österreich, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Russland, USA) und enthält Aufsätze in deutscher und englischer Sprache. Die Beiträge sind in vier Abschnitte gegliedert: I. II. III. IV.

Kritischer Realismus Wissenschaftlicher Realismus Kontexte Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte

Da jeder Beitrag mit einem englischen Abstract beginnt, werden die einzelnen Texte hier nicht gesondert zusammengefasst. Mit Blick auf die hohe Qualität aller Texte möchten die Herausgeber einen großen Dank an die Autorinnen und Autoren richten, die das Angebot einer Vertiefung von Riehls kritischem Realismus im Kontext der österreichischen Philosophie angenommen haben. Diese umfassende Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte Kants in Österreich rund um Riehls Kritizismus wurde erst durch das von Udo Thiel zwischen 2009 und 2019 geschaffene Umfeld am Institut für Philosophie der Universität Graz möglich. Seit 2020 ist der Grazer Riehl-Kreis am Zentrum für Wissenschaftsgeschichte angegliedert. Die tatkräftige Unterstützung durch dessen Leiter, Simone de Angelis, hat wesentlich zum Gelingen des Projekts beigetragen. Darüber hinaus gilt der Dank den Herausgebern (Mauro Antonelli, Marian David) und dem Redaktionsteam (Johannes Friedl, Ulf Höfer, Jutta Valent) der MeinongStudien. Wenn von der Kant-Rezeption in Österreich die Rede ist, werden meist in einem Atemzug die Arbeiten von Werner Sauer genannt. Auch bei diesem Projekt ist er, insbesondere im Rahmen der konzeptionellen Anfänge, mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Leider ist Andrzej J. Noras, dessen Artikel „Riehl als Neukantianer“ im dritten Teil des Buches zu finden ist, am 4. Dezember 2020 in Kattowitz gestorben.

Vorwort | IX

Wenige Monate zuvor veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Geschichte des Neukantianismus“, das in substantieller Weise auch Riehls Kritizismus berücksichtigt. Ruhe in Frieden! Graz, Jänner 2021

Rudolf Meer, Giuseppe Motta

Inhalt Vorwort |  XI

I: Kritischer Realismus Josef Hlade und Rudolf Meer Alois Riehl – Leben, Werk und Wirkung  |  3 Giuseppe Motta Objekt und Objektivität in Kant und Riehl  |  55 Francesca Biagioli Alois Riehl’s Epistemological Argument for Realism about Things in Themselves  |  73 Mario Caimi Riehls Auffassung der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe  | 97 Maja Soboleva Alois Riehls transzendentaler Realismus  |  127 Christian Bonnet Alois Riehl und die Frage des psychophysischen Parallelismus |  147 Fernando Moledo Freedom and Determinism in Alois Riehl’s The Philosophical Criticism  |  163

II: Wissenschaftlicher Realismus Massimo Ferrari Alois Riehl and Scientific Philosophy  | 179

XII | Inhalt

Simone De Angelis Alois Riehl über Hermann von Helmholtz und die Bedeutung geometrischer Axiome  |  201 Evan Clarke Alois Riehl and the Principle of the Conservation of Energy |  223 Matthias Neuber Riehl’s ‘Objectivist’ Account of Perception  | 239 Luca Oliva Kantian Externalism from Riehl to Putnam  |  251

III: Kontexte Faustino Fabbianelli Heterothesis, Antithesis und die Transzendentalphilosophie. Zur Auseinandersetzung zwischen Alois Riehl und Heinrich Rickert |  299 Reinhold Breil Zum Einfluss von Alois Riehl auf Richard Hönigswald  | 323 Kurt Walter Zeidler ‚Realistischer Kritizismus‘ und ‚Österreichischer Neukantianismus‘  |  347 Andrzej J. Noras (†) Riehl als Neukantianer |  371 Martin Hammer Riehls Geschichtsbegriff: Analyse und Kritik  | 391 Alexey Zhavoronkov „Alle großen Dinge kommen aus der großen Leidenschaft her“: Zu Alois Riehls Bild von Friedrich Nietzsche  |  437 Julia Regina Meer „Alle poetischen Ideen sind Bilder“: Alois Riehl und das Problem der Form in der Kunst  |  455

Inhalt | XIII

IV: Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte Hans-Dieter Klein Transzendentale Systeme im Wien des 20. Jahrhunderts |  479 Tomasz Kubalica The Reception and Rejection of Alois Riehl’s Philosophy in Poland: Jan Stepa and Władysław Tatarkiewicz  | 529

Appendix Josef Hlade Alois Riehl (1824–1924): Selected Archive Sources on Life and Work |  543

Personenregister |  577

| I: Kritischer Realismus

Josef Hlade und Rudolf Meer

Alois Riehl – Leben, Werk und Wirkung Abstract: Based on previously unpublished archival sources, such as Riehl’s correspondence with Heinrich Rickert, Friedrich Jodl, Bartholomäus von Carneri, Hugo Münsterberg, Wilhelm Wundt, Eduard Spranger, Ernst Mach, and Hans Vaihinger, as well as the files of the universities of Graz, Vienna, Freiburg, Halle, Kiel, and Berlin, the present study reconstructs Riehl’s life, work, and impact. This reveals two things: Firstly, with the first edition of the Philosophical Criticism, published in the 1870s and 1880s, Alois Riehl became the founder and most important representative of realistic criticism, and rose to one of the leading figures in Germanspeaking philosophy at the turn of the century. Secondly, Riehl proves to be a thinker who was deeply influenced by humanistic ideals and an enlightened spirit, even if these took on an ambivalent form during the years of the First World War.

Einleitung Alois Riehl war ein Denker, der Zeit seines Lebens realistische Positionen vertreten hat. Von diesen hat er im Zuge seiner philosophischen Entwicklung nur wenige aufgegeben, obwohl er beständig an den Grundfesten seines Realismus arbeitete. Sein akademischer Werdegang umfasst eine Spanne von mehr als 40 Jahren philosophischer Textproduktion, die sich ausgehend von seinen Wirkungsstätten in sechs Hauptphasen unterteilen lässt: Beginnend mit seiner Ausbildung, der frühen Grazer Phase, hin zu den Freiburger Jahren sowie der Kieler und Hallenser Zeit, bis zu den späten Jahren in Berlin. Die vielen Standortwechsel, der frühe Tod seiner ersten Frau und seiner Kinder sowie der 1914 beginnende Erste Weltkrieg haben viele der philosophischen Projekte Riehls verzögert und darin Spuren hinterlassen. Riehl zählte gegen Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu den führenden Denkern seiner Zeit. Aus diesem Grund haben bereits einige seiner Zeitgenossen in den 20er und 30er Jahren Riehls Werdegang und philosophisches

|| Josef Hlade, Karl-Franzens-Universität Graz [email protected] Rudolf Meer, Karl-Franzens-Universität Graz [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-001

4 | Josef Hlade und Rudolf Meer

Schaffen rekonstruiert. Diese Darstellungen zeichnen sich allerdings überwiegend durch den Versuch aus, Riehls Philosophie in einer bestimmten Weise zu kontextualisieren und ihn damit über die Gebühr als Empiristen bzw. Positivisten zu verstehen oder seine neukantische Prägung herauszustellen. Bis heute ist die Rezeptionsgeschichte von diesem Antagonismus geprägt, der allerdings den Blick auf den Philosophen und seine Errungenschaften eher verstellt, als zugänglich macht. Fast 100 Jahre nach seinem Tod, am 21. November 1924, ist es basierend auf der Auswertung bis dato unveröffentlichter historischer Quellen möglich, den Werdegang Riehls werkgeschichtlich und quellenbasiert neu aufzuarbeiten. Neben den veröffentlichten Schriften erlauben der Briefverkehr mit Heinrich Rickert, Friedrich Jodl, Bartholomäus von Carneri, Hugo Münsterberg, Wilhelm Wundt, Eduard Spranger, Ernst Mach und Hans Vaihinger sowie die Aktenmaterialien der Universitäten Graz, Wien, Freiburg, Halle, Kiel und Berlin ein tiefergehendes Verständnis der Zeit und der dadurch entstandenen Prägungen sowie Ausformungen von Riehls Denken.

1 Philosophische Ausbildung und erste eigene Schritte Alois Riehl wurde am 27. April 1844 in Bozen geboren. Als zweiter Sohn der Gastwirte und Grundbesitzer Josef Riehl und Maria (geb. Kehlauer) wuchs er unter begüterten Umständen auf. Sein nach dem Vater benannter älterer Bruder erlangte ebenfalls Bekanntheit: Josef Riehl war ein bedeutender Bauingenieur und Bauunternehmer, der maßgeblich an der Erschließung Tirols in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mitwirkte.1 Riehls lebenslange Verbundenheit mit Südtirol, das er immer wieder besuchte, zeigt sich unter anderem darin, dass sich Riehl bisweilen scherzhaft selbst als Tiroler Bauer2 bezeichnete. Riehl studierte an den Universitäten Wien, München, Innsbruck und Graz Philosophie und Geschichte. Die Zeit in München, wo er insgesamt 3 Semester studierte, dürfte ihn nachhaltig beeinflusst haben. Dort hörte er Vorlesungen bei Wilhelm von Giesebrecht, Moriz Carrière sowie Jakob Frohschammer und verkehrte im Haus von Wilhelm Heinrich Riehl.3 In Wien, wo er 1863 studiert, hörte er auch Vorlesungen der Medizin und insbesondere der Physiologie. Während seiner Studienzeit arbeitete er vorübergehend in einem physiologischen

|| 1 Baumgartner/König 1990. 2 Rickert 1924–25, S. 166. 3 Spranger 1924, S. 104.

Alois Riehl – Leben, Werk und Wirkung | 5

Laboratorium eines dort ansässigen Professors für Physiologie4 – wahrscheinlich bei Carl Ludwig oder Ernst Wilhelm Brücke. In Graz schloss Riehl 1866 das Lehramtsstudium ab und begann am Akademischen Gymnasium sein Probejahr, das er allerdings abbrechen musste, um sich von einer hartnäckigen Krankheit zu erholen. Er kehrte deshalb nach Tirol zurück, wo er am 4. Jänner 1868 in Innsbruck zum Doktor der Philosophie promovierte, um anschließend eine Stelle als Gymnasiallehrer in Klagenfurt anzunehmen.5 Aus diesen Jahren ist bereits ein Vortrag, der im Museum von Klagenfurt gehalten wurde, dokumentiert, in dem sich Riehl mit dem Thema der Willensfreiheit auseinandersetzt.6 In die kurze Zeit als Gymnasiallehrer fällt auch die Eheschließung mit Pauline („Paula“) Polster. Mit ihr hatte er drei Söhne und eine Tochter. Zwei der Söhne sind namentlich bekannt und hießen Sigmund und Alois. Seine Tochter hieß Helene.7 Die beiden älteren Söhne sterben noch im Kindesalter, sein jüngster Sohn und seine Tochter werden zum großen Leidwesen Riehls auch kein hohes Alter erreichen und beide noch Jahrzehnte vor Riehl aus dem Leben scheiden.8 Bereits 1870 gelang Riehl mit der Schrift [1] Realistische Grundzüge. Eine philosophische Abhandlung der allgemeinen und nothwendigen Erfahrungsbegriffe, Graz: Leuschner & Lubensky 1870, die noch im selben Jahr verlegt wurde, die Habilitation zum Privatdozenten an der Universität Graz. Mit Blick auf die akademische Ausbildung Riehls ist hervorzuheben, dass es in Österreich seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine staatlich gesteuerte Bildungspolitik an den Universitäten gab, die eine mit der Monarchie kompatible Staatsphilosophie ermöglichen sollte. In der Denkschrift Die Neugestaltung der österreichischen Universitäten von 1853 wurde das Ziel formuliert, dass die „Pflege der Wissenschaften im Einklang mit dem Geiste der Kirche und mit besonderer Beachtung des Staates“9 geschehen müsse. Gewarnt wurde dabei explizit vor der Ausartung, welche sich an den deutschen Universitäten als ein Resultat einer ausbleibenden Orientierung an der Offenbarung gezeigt habe:

|| 4 Siegel 1932, S. 12. 5 Goller 1991, S. 531–532. 6 Siegel 1932, S. 10. 7 Anonym (1873), o. T., in: Klagenfurter Zeitung, Mi, 1. Januar 1873, S. 8. 8 Rickert 1924, S. 167. 9 Neugestaltung 1853, S. 23.

6 | Josef Hlade und Rudolf Meer

An den protestantischen Universitäten Deutschlands artete die Wissenschaft in Monstrositäten aus, welche der schauderhafte Beweis sind, zu welchen Resultaten der Verstand gelangt, wenn er sich an den Thatsachen der Offenbarung nicht mehr orientiert.10

Unter dem Deckmantel dieser Aufgabe setzte sich insbesondere bei weltanschaulichen Fächern wie der Philosophie oder den Geschichtswissenschaften der jeweilige Unterrichtsminister regelmäßig über die im Zuge der Thun-Hohensteinschen Universitätsreform eingeführte Berufungskommissionen hinweg, sodass protegierte Kandidaten zum Zug kamen. Diese Praxis ist insbesondere schon bei Thun selbst nachgewiesen worden.11 Resultat dieser bildungspolitischen Maßnahmen war die zunehmende Etablierung der herbartschen Philosophie. Diese fiel im katholischen Österreich durch ihre scholastische und leibnizsche Prägung auf fruchtbaren Boden12 und hielt insbesondere durch Franz Serafin Exner (1802–1853), Franz Karl Lott (1807– 1874) und Robert Zimmermann (1824–1898) im Habsburgerreich Einzug.13 In Opposition dazu stand die kantische Philosophie, die allem voran als politische Philosophie verstanden wurde und unvereinbar mit dem absolutistischen Normencodex schien.14 Im Kreuzfeuer der Kritik an Kant war das Vernunftrecht, weil dieses der Offenbarung widerspreche, die von Gott gegebenen Grundlagen negiere und die staatliche Ordnung und das Recht zu einer Schöpfung des Menschen erkläre.15 Der wachsende Einfluss des Liberalismus in Österreich Mitte der 1860er bis Ende der 1870er Jahre sorgte dafür, dass Riehl nach seiner Ausbildung die ersten akademischen Schritte in der Ära des Hochschulliberalismus machen konnte. Dabei handelt es sich um eine Übergangsphase zwischen den Thun-Hohensteinschen Hochschulreformen, durch die es Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Erneuerung der Wissenschaften jedoch nicht zur erhofften Liberalisierung kam,16 und einer katholischen Renaissance, in der klerikale Kreise wiedererstarkten und ihren Einfluss in der Bildungspolitik ausübten. Das Wiedererstarken des katholischen Einflusses in den 1880er Jahren und die damit einhergehenden bildungspolitischen Einschränkungen scheinen schließlich auch Riehls Weggang aus Österreich zumindest befördert zu haben.

|| 10 Neugestaltung 1853, S. 20; siehe auch Schübl/Heppner 2011, S. 18; Ash 2017, S. 76–99. 11 Höflechner 2017, S. 41. 12 Siegel 1932, S. 26; Sauer 1982, S. 231–267. 13 Sauer 1982, S. 107–154; Zeidler 2015, S. 39–46; Feichtinger 2015, S. 267–269. 14 Wilfing 2015, S. 33. 15 Feichtinger 2012, S. 155–156; Sauer 1982, S. 264–322. 16 Höflechner 1988, S. 3.

Alois Riehl – Leben, Werk und Wirkung | 7

Riehls philosophische Frühphase ist ein Ergebnis dieser bildungspolitisch gelenkten Staatsphilosophie und der zunehmenden Liberalisierung, in der Elemente der kantischen Philosophie erneut aufgenommen werden konnten. In diesem Sinne betont bereits Riehls akademischer Lehrer Joseph Nahlovsky 1872, dass Riehl bei Kant „frühe in die Schule gegangen“17 sei, wie bereits seine Abschlussarbeit für die Erlangung seines Lehrdiploms (1866) belegt sowie die Habilitation, in deren Gutachten „eingehende Studien Kants und Herbarts“18 hervorgehoben werden. Nahlovsky, der Riehls Karriere wesentlich förderte und dessen Nachfolger Riehl schließlich wurde, war Herbartianer und erlangte vor allem durch seine Schrift Das Gefühlsleben, dargestellt aus praktischen Gesichtspunkten Bekanntheit, in der er eine psychologisch begründete Ästhetik entwickelt.19 Riehl soll Kants Kritik der reinen Vernunft im Alter von 12 Jahren durch die Vermittlung eines Freundes während eines Ausfluges in einen Bozener Weingarten zum ersten Mal gelesen haben: In einem Weingarten bei Bozen unter der Laube schlug er es auf, und sein Blick fiel auf die Stelle der transzendentalen Ästhetik, wo von der Beziehung zur Religion die Rede ist. Es war eine schöne feierliche Herbststimmung. Dieses Erlebnis hat ihn stark beeinflußt und dann zum Studium Kants hingeführt.20

Während seines Studiums in München 1863 soll ihn die Beschäftigung mit Schopenhauers System, das damals sehr populär war und das Denken Kants vermittelte,21 stark angeregt haben.22 Sein Biograf Carl Siegel sah darin insbesondere die Wurzel für sein späteres Interesse an Nietzsche.23 Tatsächlich war Riehl ein hervorragender Kenner Schopenhauers und setzte sich immer wieder mit dessen Philosophie auseinander. Dabei kommt es einerseits zu einer vehementen Kritik an dessen idealistischer Kant-Interpretation, andererseits hebt Riehl aber auch deutlich hervor, dass Schopenhauer einer der ersten war, der den Standpunkt des kritischen Monismus vorweggenommen habe, demzufolge sich die physiolo-

|| 17 Nahlovsky 1872, Bl. 37. 18 Nahlovsky 1872, Bl. 37. 19 Romand 2018, S. 17–36. 20 Jaensch 1925, S. XXI–XXII. 21 Morgenstern 2015, S. 25. 22 Spranger 1924, S. 104. 23 „Trotz vieler starker Gegensätze war es wohl neben der hohen Künstlerschaft Nietzsches, die seinen feinen ästhetischen Sinn ansprach, ein gewisser Parallelismus in der beiderseitigen Entwicklung: auf beide hatte in der Jugend der philosophische und musikalische Romantismus Schopenhauers und Wagners großen Eindruck gemacht und beide (Riehl freilich nach kürzerer Zeit) hatten sich davon befreit.“ (Siegel 1932, S. 49).

8 | Josef Hlade und Rudolf Meer

gische und die psychologische Forschung ergänzen und jeweils andere Aspekte des Dinges an sich erfassen.24 Anfang der 1870er Jahre beschäftigte sich Riehl zunehmend mit den führenden Vertretern des Neukantianismus in Deutschland und rezensiert u. a. Cohens Theorie der Erfahrung, [2] „Zur Aprioritätslehre“, Philosophische Monatshefte 8 (1872), S. 212–215, sowie Windelbands Über die Gewissheit der Erkenntnis, [3] „Zur Erkenntnistheorie“, Philosophische Monatshefte 9 (1874), S. 292–296. Die dadurch entstandene Distanzierung von Herbart und eine eigenständige Lektüre der Philosophie Kants lässt sich bereits in der Schrift, [4] Über Begriff und Form der Philosophie. Eine allgemeine Einleitung in das Studium der Philosophie, Berlin: Duncker 1872, festmachen. Riehl erteilt darin dem dogmatischen Realismus zunehmend eine Absage und formuliert die Notwendigkeit, Philosophie als eigenständige Wissenschaft zu etablieren, die „Bewusstseinslehre“25 ist. Über diese Beschäftigung mit der Wissenschaftstheorie hinausgehend ist auch Riehls Interesse an Kants praktischer Philosophie in diesen Jahren bestimmend. Deutlich wird dies durch die Schrift, [5] Moral und Dogma, Wien: Gerold 1872, dokumentiert. Riehl positioniert sich darin, insbesondere mit Sektion 5, im damaligen Kulturkampf.26 Dabei ist zu bemerken, dass Moral und Dogma27 ursprünglich als Prozessgutachten fungierte, das von Hippolyt Tauschinski, einem führenden Sozialdemokraten, beauftragt wurde, um zu klären, ob die Anklage gegen ihn berechtigt sei. Tauschinski hatte in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Der Volksbote ein Verzeichnis verworfener Lehren und Gebräuche veröffentlicht, in dem die meisten dogmatischen Glaubenssätze der katholischen Kirche gelistet wurden. Es kam zur Anklage, weil durch die Leugnung der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes das Fundament der sittlichen Ordnung bedroht worden sei. Riehl sprach Tauschinski in seinem Gutachten von jedem Vorwurf || 24 PK 2.2 1887, S. 204–205. 25 Riehl 1925, S. 114. 26 Hammer/Hlade 2020, S. 77–111. 27 In diesem Zusammenhang ist auch der Einfluss von Jakob Frohschammer auf Riehl von Bedeutung. Riehl hatte Frohschammer während seines Studienaufenthalts in München 1863/64 kennengelernt (Spranger 1924, S. 104).

Alois Riehl – Leben, Werk und Wirkung | 9

frei. Er argumentiert im Sinne eines Indifferentismus und stützt sich hierbei insbesondere auf die praktische Philosophie Kants: „Der Kirchenglaube zeigt sich von bloß subjektiver Geltung und in Sachen der Moral entbehrlich.“28 Laut Riehl könne sich eine Moral nicht auf der Grundlage religiöser Dogmen begründen, sondern beruhe auf der Selbstgesetzgebung des Menschen, dem Autonomieprinzip Kants. Riehl fordert, „das Gute aus Freiheit, um seiner selbst willen zu tun“29 und warnt vor einem ethischen Materialismus, einer „Moral der Furcht und Hoffnung“30, auf welchen eine durch Dogmen begründete Moral letztlich hinauslaufe. Tauschinski wurde schließlich aufgrund von Religionsstörung verurteilt.31

2 Die Konzeption des Kritizismus – die Grazer Jahre (1873–1882) Von 1873 an war Riehl zunächst außerordentlicher und ab 1878 ordentlicher Professor an der Grazer Universität. Die Abfassung des Philosophischen Kritizismus fällt damit in die Grazer Phase, dabei soll, wie Siegel bezugnehmend auf Gespräche mit Riehls Witwe schreibt, „ein Großteil seines Hauptwerkes auf dem Grazer Schloßberg entstanden“32 sein. Jaensch wusste ebenfalls darüber zu berichten: „Der ‚Philosophische Kritizismus‘ selbst ist, wie mir Riehl sagte, gewissermaßen auf dem Grazer Schloßberg entstanden, aus Notizen, die er sich auf den Spaziergängen daselbst machte.“33 In Graz pflegte Riehl die Freundschaft mit dem liberalen Politiker und Philosophen Bartholomäus von Carneri, außerdem war er Mitglied des Akademischen Lese-Vereines in Graz und 1877 Gründungsmitglied des Akademischen HistorikerClubs34, der später als akademischer Verein deutscher Historiker in Graz fortbestand und das Ziel der „Pflege des historischen Studiums und Förderung des regen Verkehrs unter den Klubmitgliedern“ hatte, dabei aber „jede religiöse, politische, nationale Tendenz“35 ausschloss. Zu seinen Freunden während der Grazer Zeit gehörte auch der berühmte Schriftsteller Peter Rosegger36, dem er noch zu

|| 28 Riehl 1872a, S. 84. 29 Riehl 1872a, S. 78. 30 Riehl 1872a, S. 78. 31 Hammer / Hlade 2020, S. 77–111. 32 Siegel 1932, S. 8. 33 Jaensch 1925, S. XXII. 34 Anonym (1877), o. T., in: Grazer Tagespost, Mo, 26. November 1877, S. 3. 35 Zit. nach Cerwinka 1977, S. 97. 36 Siegel 1932, S. 14.

10 | Josef Hlade und Rudolf Meer

dessen fünfzigstem Geburtstag „dankbaren Herzens für die reichen Gaben Ihres Geistes und Gemüthes“ einen „bescheidenen Gruss aus dem Schwarzwalde“37 zukommen lässt. In der von Rosegger herausgegebenen Monatsschrift Heimgarten erscheinen zudem immer wieder Rezensionen zu Riehls Werken.

Abb. 1: Riehls Wohnhaus in Graz, Heinrichstraße Ecke Glacis

In der Mitte der 1870er Jahre ist Riehls Distanzierung zur Philosophie Herbarts bereits deutlich ausgeprägt – so sieht er seine philosophische Position bereits 1874 in einem Näheverhältnis zum physiologischen Neukantianismus und bezeichnet sie in seiner Rezension, [6] „Zur Mechanik des Gehirnbaues. Von Prof. Theodor Meynert“, in: Wiener Abendpost, 29. Juli 1874, S. 1364, als kritischen Monismus38, den er allerdings erst mehr als ein Jahrzehnt später im abschließenden Band seines Kritizismus (1887) ausführlich bestimmen wird. Der erste Band des [7] Philosophischen Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, Band 1: Geschichte und Methode des philosophischen Kritizismus, Leipzig: Engelmann 1876 stellt bereits ein umfassendes Zeugnis seiner „Wende von Herbart zu Kant“39 dar. Er wird dem Verlag Duncker & Humblot Ende des Jahres 1875 als die „seit

|| 37 Anonym 1894, S. 85. 38 Riehl 1874b, S. 1364. 39 Röd 2001, S. 117.

Alois Riehl – Leben, Werk und Wirkung | 11

K. Fischer […] erste, umfassende Darstellung der Kantischen Philosophie“40 angeboten. Darin entwirft Riehl eine Geschichte des Kritizismus und positioniert seine eigenen philosophischen Arbeiten. Wichtigster Bezugspunkt ist dabei die erste Kritik Kants, deren empiristische Quellen und systematische Lehrstücke rekonstruiert werden: Im Gegensatz zu Cohen41 sieht Riehl die Quellen für Kants Philosophie nicht in Platon, Descartes und Leibniz, sondern erarbeitet die Zusammenhänge mit John Locke42 und David Hume43 sowie den direkten Einfluss von Johann Heinrich Lambert und Johannes Nikolaus Tetens44. Zentrale Impulse dazu kamen von Eugen Dühring, der bereits früher die These von John Locke45 und David Hume46 als Quellen der kantischen Philosophie47 entwickelte und dessen Buch Riehl in der zweiten Auflage rezensierte: [8] „Zur Geschichte der Philosophie. Kritische Geschichte der Philosophie“, Philosophische Monatshefte 11 (1875), S. 165–179. In exegetischer, aber auch kritischer Auseinandersetzung mit der Kritik der reinen Vernunft entwickelt Riehl eine realistische Interpretation der Annahme des Dings an sich, eine objektivistische Interpretation der Methode des Kritizismus und eine Psychologiekritik. Für Riehl ist der Philosophische Kritizismus, dessen ersten Band er im Alter von 32 Jahren veröffentlichte, „das Buch seiner Jugend“48. An den darin entwickelten Problemstellungen wird er von den 1870er Jahren an immer wieder arbeiten. Als Vorstudien zu Band 2.1 entstehen unmittelbar an die Veröffentlichung von Band 1 anschließend: [9] „Die englische Logik der Gegenwart“, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 1 (1877), S. 51–80. [10] „Kausalität und Identität“, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 1 (1877), S. 215–365.

|| 40 Alois Riehl an Duncker & Humblot, Graz, 11. Oktober 1875 (Privatbesitz). 41 Cohen 1871, S. 270. 42 PK 1 1924, S. 19–99. 43 PK 1 1924, S. 100–206. 44 PK 1 1924, S. 231–248. 45 Dühring 1873, S. 316–360. 46 Dühring 1873, S. 361–388. 47 Dühring 1873, S. 389–456. 48 Spranger/Heyse 1925, S. III.

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[11] „Der Raum als Gesichtsvorstellung“, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 1 (1877), S. 365–384. Mit diesen Arbeiten nimmt er bereits detailliert zentrale Kapitel von Band 2.1 des [12] Philosophischen Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, Band 2.1: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis, Leipzig: Engelmann 1879, vorweg. Es sind dies insbesondere die Ausführungen zum Prinzip der Identität49, zum Satz vom Grund50 sowie zu den Vorstellungen von Zeit und Raum51. In Band 2.1 entwirft Riehl kein System des Realismus, sondern eine problemorientierte Systematik, anhand der er verschiedene Formen des Realismus, wie einen Realismus raumzeitlicher Gegenstände, mathematischer Gegenstände52, einen moralischen53 und wissenschaftlichen Realismus, miteinander verbindet. Explizit abgelehnt wird ein Realismus theoretischer und abstrakter Entitäten (wie Universalien, mögliche Welten etc.) sowie mentaler Zustände54. Der Realismus raumzeitlicher Gegenstände wird dabei als ontologischer Realismus formuliert.55 Die wesentliche Erneuerung des Philosophischen Kritizismus gegenüber der Vernunftkritik Kants liegt im entwickelten Verhältnis aller Teilaspekte des Systems auf die Empfindung und der Zurückweisung empfindungsunabhängiger Formen. In diesem Sinne entwickelt Kant mit Blick auf die Grundsätze des Verstandes und die Anschauungsformen transzendentalformale Prinzipien, unter denen Gegenstände überhaupt erst möglich sind, und damit eine Philosophie der Möglichkeit; Riehl hingegen entwickelt mit der Betonung der Empfindung das Gegebene und damit eine Philosophie des Daseins. In einem Brief an Carneri, der aus dem Jahr 1884 stammt, formuliert Riehl wie folgt: Die Sonderung von Apriori und Aposteriori ist übrigens nur als eine methodische Abstraction zu verstehen. In Wahrheit ist alle Erfahrung Bestätigung des Bewusstseins am gegebenen Stoffe, aller Stoff Wirkung auf ein gegebenes Bewusstsein.56

|| 49 PK 2.1 1879, S. 219–235. 50 PK 2.1 1879, S. 236–270. 51 PK 2.1 1879, S. 78–186. 52 PK 2 1925, S. 267. 53 PK 3 1926, S. 132, 207–268. 54 PK 2 1925, S. 255. 55 Zur Abgrenzung zum epistemologischen bzw. semantischen Realismus siehe u. a. Devitt 1991, S. 21, und Willaschek 2015, S. 3–14. 56 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 21. August 1884, HIN-133674, Bl. 8.

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Gemeinsamer Nenner und von Riehls und Kants Projekten bleibt dabei aber die Betonung des Normativen gegenüber dem bloß faktisch Gegebenen. Die ersten beiden Bände des Kritizismus entstehen vollständig in Graz, der dritte Band dürfte ebenfalls noch in größeren Zügen in Graz konzipiert worden sein und wurde von Riehl zunächst für das Jahr 1884 angekündigt: Mein Buch wächst langsam aber sicher. […] Ich hoffe während der Osterferien in ein rascheres Tempo zu gerathen und mindestens die Hälfte des Buches fertig zu bringen. Die Musen seien mir gnädig57.

Es sind vor allem persönliche Schicksalsschläge, die Riehls Arbeit aber immer wieder verzögern. Dazu zählt eine Todgeburt seiner Frau, die wohl an den Folgen 1879 selbst verstirbt. Noch vor dem Weggang nach Freiburg ehelichte Riehl 1881 Sofie Reyer, die Tochter des bedeutenden Mediziners Alexander Reyer, der von 1850 bis 1860 als Leibarzt des ägyptischen Vizekönigs in Kairo dabei geholfen hatte, medizinische Schulen nach europäischem Vorbild einzurichten.58 Die Ehe stellte sich als sehr glücklich heraus und dauerte insgesamt 43 Jahre. Riehl spricht von einer „zweiten, leidenschaftlichen und naturwahren Liebe […]. Ich bin so selig, als zur Zeit meiner ersten Neigung“59. Er sei „zum zweiten Male glücklich, glückselig geworden“60. 1882 starb einer der Söhne Riehls, was ihn sehr schmerzlich traf: Wir haben ihn vorgestern begraben und viele Hoffnungen mit ihm. – Der Vaterschmerz hat sicher etwas instinktives, – sonst würde ich ihn weniger empfinden […]. Dass ich in den jüngsten Wochen sehr wenig im Stande war, an meinem Buche zu fördern, werden Sie begreiflich finden. Obwohl es mir öfter Trost und Bedürfniss war zu meiner Gedankenwelt zu flüchten, wurde ich doch immer wieder aus derselben abgerufen zur Teilnahme an der Pflege des kranken Knaben. Ich hoffe, bald wieder arbeitsfähig zu sein – und zu meinem Werke zurückkehren zu können.61

Diese Schicksalsschläge sowie der am Ende des Jahres vollzogene Umzug nach Freiburg und die dort wartenden neuen Aufgaben erlaubten erst 1887 die Veröffentlichung von Band 2.2 des Philosophischen Kritizismus. Hugo Spitzer (1854–1936), laut Siegel „unmittelbarer und zugleich wahrer Schüler Riehls“62, hielt anlässlich von dessen Weggang aus Graz eine Rede, || 57 Riehl an Carneri, Graz, 14. Februar 1882, HIN-133668, Bl. 2–3. 58 Chahrour 2018, S. 490. 59 Riehl an Carneri, Graz, 4. März 1881, HIN-133666, Bl. 1. 60 Riehl an Carneri, Bruneck, 27. August 1881, HIN-133666, Bl. 2. 61 Riehl an Carneri, Graz, 24. April 1882, HIN-133669, Bl. 1–2. 62 Siegel 1930, S. 35.

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welche im Rahmen eines von der Grazer Burschenschaft „Arminia“ veranstalteten Abschiedscommers stattfand. Riehl war seit 1872 „Ehrenbursch“ der anfangs progressistischen Burschenschaft. Als die Arminia sich in den 1880er Jahren deutsch-national ausrichtete, kehrten immer mehr liberal eingestellte Mitglieder der Burschenschaft den Rükken; darunter auch Spitzer, der 1885 austrat.63 In dieser Rede wird Riehls Wirken in Graz umfangreich gewürdigt, wobei Spitzer insbesondere seine ideologiekritische Position hervorhebt, die im Zentrum des gerade entstehenden dritten Bandes des Kritizismus steht: „Seine Werke zählen zu den besten jener Waffen, mit deren Hilfe der Menschengeist seine Emancipation von dem Drucke uralten spiritualistischen Aberglaubens vollzieht.“64 Gleichzeitig deutet er bereits an, dass der Rückgang des liberalen Einflusses, der auch auf die Universitäten zurückwirkte, maßgeblich für Riehls Entschluss war, Graz verlassen zu wollen: Der hauptsächliche Grund seines Scheidens ist den Anwesenden bekannt. […] Die akademischen Dinge bei uns gehen seit einiger Zeit nicht mehr den rechten Gang. Unsere höchsten Bildungsstätten erfreuen sich nicht mehr des gebührenden Einflusses, corporative Rechte werden, wenn auch nicht verletzt, so doch umgangen. Die Universitäten sind öffentliche Anstalten, und bei der Wechselwirkung, bei der alle öffentlichen Dinge stehen, müssen dieselben von der Lage der Dinge berührt werden.65

Riehl selbst schreibt an seinen Freund Bartholomäus von Carneri, der von 1861 bis 1883 Abgeordneter im steirischen Landtag war und zeitweilig auch dem Reichsrat angehörte, als Deutsch-Liberaler aber zusehends an Einfluss verlor: „Dass ich aus den gegenwärtigen Verhältnissen, die ich weniger hoffungsvoll zu betrachten vermag, als Sie, nicht ungerne heraustrete, gestehe ich Ihnen offen ein.“66 In nuce waren damit in der Grazer Phase bereits die zentralen philosophischen Standpunkte bezogen, die sich durch ein tiefergehendes Verständnis des kantischen Kritizismus, die Abkehr von der herbartschen Philosophie und damit auch von der österreichischen Staatsphilosophie auszeichnen. Riehls Engagement im Kulturkampf, insbesondere durch die Veröffentlichung von Moral und

|| 63 Anonym [Hugo Spitzer] (1882), o. T., in: Grazer Volksblatt, Do., 9. November 1882, S. 3. Siehe dazu: Cerwinka 2012, S. 10–15. Laut Goller vollzog Riehl in seinen späteren Jahren eine Wende zum Nationalliberalen (Goller 1991, S. 551; Röd 2001, S. 118); Tilitzki sieht ihn im Lager der Konservativen (Tilitzki 2002, S. 279). 64 Anonym [Hugo Spitzer] (1882), o. T., in: Grazer Volksblatt, Do., 9. November 1882, S. 3. 65 Anonym [Hugo Spitzer] (1882), o. T., in: Grazer Volksblatt, Do., 9. November 1882, S. 3. 66 Riehl an Carneri, Bruneck, 24. Juli 1882, HIN-133670, Bl. 3.

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Dogma, weisen den jungen Philosophen als aufgeklärten Geist mit humanistischem Weltbild aus. Den hohen Preis für dieses Engagement musste Riehl schon wenige Jahre später im Konflikt mit der Amtskirche in Freiburg bezahlen. In weiterer Folge machte dies auch seine Rückkehr nach Österreich unmöglich. Immerhin hatte sich die familiäre Situation nach den schweren Schicksalsschlägen Ende der 70er Jahre gefestigt – Sofie Riehl wird ihren Mann auf den folgenden akademischen Stationen begleiten und ihn um vier Jahre überleben.

3 Eppur si muove – die Freiburger Phase (1882–1896) 1882 wurde Riehl als Nachfolger von Wilhelm Windelband an die Universität nach Freiburg berufen. Für seine eigene Nachfolge in Graz brachte er Hans Vaihinger ins Spiel, sah für ihn allerdings keine allzu großen Chancen gegeben. Um die Möglichkeiten einer Berufung zu erhöhen, schlug er Vaihinger vor, sich an Wilhelm Zimmermann zu wenden, ohne ihn aber als Mittelsmann zu nennen: „Doch dürfen sie sich ihm gegenüber […] nicht allzu lebhaft auf meine Empfehlung berufen […], da Herr Hofrath als Herbartianer nicht allzu günstig von mir denkt.“67 Die Spannungen mit Zimmermann werden später im Berufungsverfahren zur Nachfolge Machs neuerlich bedeutsam. Anton von Leclair berichtet Vaihinger später, dass er „von der Grazer Facultät für Riehl’s Ordinariat, an erster Stelle mit großem Nachdruck‘ vorgeschlagen“68 worden sei. Dennoch wurde schließlich Alexius Meinong als Nachfolger bestimmt. Nachdem für Riehl in Graz die Frage nach dem Zusammenhang von Philosophie und Wissenschaft im Vordergrund stand,69 versucht er in Freiburg verstärkt, das Verhältnis von Wissenschaftstheorie bzw. Philosophie der Wissenschaften und anderen philosophischen Disziplinen zu entwickeln. Die Freiburger Antrittsrede, [13] Über wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Philosophie. Freiburger Antrittsrede, Freiburg: Mohr 1883, ist dabei programmatisch. Riehl stellt darin explizit die Frage nach dem Status von Werten – ein Problem, mit dem er bereits im Prozess von Tauschinski konfrontiert wurde und das von nun an virulent bleibt. So heißt es Mitte des Jahres 1886 in Bezug auf den nun endlich bevorstehenden Abschluss seines

|| 67 Riehl an Vaihinger, Bruneck, 9. August 1882, XXIII 4 a. 68 Leclair an Vaihinger, Prag, 24. Jänner 1883, XXII 6 a Nr 4 K. 69 Riehl 1925, S. 1–3; Riehl 1925, S. 119–132; PK 2.1 1879, S. 257–259.

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Hauptwerkes: „Mein dummes Buch macht mir ausserordentliche Mühe […]. Wenn ich diese Last von mir gewälzt haben werde, gehe ich an’s Ethische.“70 Ende der 1880er Jahre hatte ihn die Beschäftigung daran vollends in Anspruch genommen: Was ich treibe – wage ich kaum zu verraten, weil ich noch ganz unsicher bin was daraus sich gestalten wird. Nur so viel: auf meinem Tische stehen ausschliesslich Schriften zur Ethik. – Ein ‚System‘ wird es aber gewiss nicht, dafür kennen Sie mich zu gut – höchstens: eine Untersuchung vielleicht nur ‚ein Versuch‘.71

Dennoch bleibt im Philosophischen Kritizismus die wissenschaftliche Philosophie im Fokus.72 So endet bereits der letzte Band mit dem Hinweis, dass „die Darstellung der Prinzipien der geistigen Geschichte […] nicht mehr in den Bereich der Naturwissenschaft, noch überhaupt der theoretischen Philosophie“73 gehöre. Schon hier wird deutlich, dass Riehl wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Philosophie als durchaus vereinbar betrachtet und sich kein signifikanter Umschwung in Riehls Denken vollzog, wie er etwa von Heinrich Maier74 konstatiert wurde. Diesen Punkt hervorhebend deutete er 1888 gegenüber Carneri an, dass ein zentrales Kapitel des abschließenden Bandes des Philosophischen Kritizismus, gemeint ist Über das Verhältnis der psychischen Erscheinungen zu den materiellen Vorgängen, auch den Zweck verfolgt, der nicht-wissenschaftlichen Philosophie einen Rang neben dem wertfreien, naturwissenschaftlichen Denken zu eröffnen. Der Standpunkt der Ethik sei die Perspektive der ersten Person, dem der Standpunkt der exakten Naturwissenschaften als Perspektive der dritten Person gegenüberstehe: Auf nichts weiteres aber als die Berechtigung, ja Unentbehrlichkeit der „psychologischen Analyse“ neben der mechanischen Erklärung kam es mir […] an. […] Damit aber ist der „Dualismus“ als Methode unvermeintlich geworden: d. h. die psych. Erscheinungen als solche lassen sich für sich selbst betrachten und diese Betrachtung ist die ihnen gegenüber natürliche Auffassung.75

In der Antrittsrede hatte Riehl diesen Gedanken vorwegnehmend bereits wie folgt formuliert:

|| 70 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 9. Juni 1886, HIN-133678, Bl. 4. 71 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 12. August 1889, HIN-133682, Bl. 3. 72 Spranger/Heyse 1926, S. III. 73 PK 3 1926, S. 343. 74 Maier 1926, S. 577. 75 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 23. Mai 1888, HIN-133679, Bl. 2–4.

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Das menschliche Leben ist in der Tat einer doppelten Erfassung zugänglich. Nach einer objektiven, in die Sinne fallenden Seite, bildet es den Gegenstand der Naturwissenschaft, der Physiologie des Menschen. […] Aber das menschliche Leben ist außerdem für jeden von uns auch der unmittelbaren Selbsterfassung durch das Bewußtsein zugänglich. Von diesem Standpunkte unmittelbarer Erkenntnis aus werden die inneren Lebenstriebe in völlig anderer Beschaffenheit gefühlt, als sie von der objektiven Seite aus angeschaut werden.76

Die im abschließenden Band des Philosophischen Kritizismus umfassend ausgearbeitete ideologiekritische Analyse metaphysischer Systeme klingt hier bereits deutlich an. Die nicht-wissenschaftliche Philosophie spiele folglich eine Rolle, problematisch sei allerdings, wenn sie auch auf den Bereich des wertfreien, wissenschaftlichen Denkens Anspruch erhebe: Meine Absicht war es keineswegs, „Ethikern“ zu gestatten, was ich dem Philosophen im weiteren Sinne strikte untersage: in’s metaphysische auszuschweifen. Was ich allein behaupte ist die Unabhängigkeit des Ethischen als solchem von unserer Auffassung der ausserethischen Natur, von der Vorstellung, die wir uns über Naturgesetzlichkeit machen, oder nicht machen mögen. Das Ethische ist das rein menschliche, es hat nur im regnum hominis Sinn und Bedeutung. Diesen Gedanken, der schon Hobbes vorgeschwebt zu sein scheint, gedenke ich gelegentlich eingehend zu begründen. Die Ethik ist nach mir historisch-psychologisch (nicht naturwissenschaftlich im eigentlichen engeren Sinne dieses Begriffs) zu begründen – nur durch eine „Kunstlehre“, wenn Sie ihren idealen Teil so nennen wollen, zu vollenden.77

Jahre später in seiner Philosophie der Gegenwart wird diese Position umfangreicher entfaltet: Der Zweck, ohne Frage ein Prinzip des Wollens und Handelns selbstbewußter Wesen, ist kein Prinzip der Erklärung irgendeiner Naturerscheinung. […] Es gibt eine Wissenschaft von den Formen in der Natur, es kann aber keine Wissenschaft von Zwecken in der Natur geben; die Teleologie gehört nicht zur Erkenntnis der Natur.78

Metaphysische Systeme seien im Sinne einer Weltanschauungslehre als Äußerungen irrationaler Einstellungen zu begreifen, die durch eine psychologische Analyse als Illusion zu erweisen seien. Ähnlich wie die Ästhetik die Werke der Kunst zu einem Gegenstand der Betrachtung machen könne, daraus aber keine wissenschaftlichen Einsichten generiere, müsse man „eine derartige Tempera-

|| 76 Riehl 1925, S. 250. 77 Riehl an Carneri, Dietenheim bei Bruneck, 21. September 1883, I.N. 133. 673, Bl. 2–7. 78 Riehl 1903, S. 184f.

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ments- und Stimmungsphilosophie“79 zum Gegenstand einer kritischen Betrachtung machen, um deren subjektiven Ursprung nachzuweisen: „Weltanschauungen gehören [...] nicht in die Wissenschaft, sondern zum Glauben.“80 Riehl betrachtete folglich die in den 1880er Jahren einsetzende „idealistische Wende“81 vieler Neukantianer äußerst kritisch. So beklagte er in Bezug auf Wundts System der Philosophie: „Dass man wieder metaphysische Systeme macht, gehört m. E. auch zu den Zeichen der Zeit, deren Gepräge leider durchwegs reactionär ist.“82 Riehl rang offensichtlich noch in Freiburg lange mit der Fertigstellung des letzten Bandes des Philosophischen Kritizismus, dessen Veröffentlichung er immer wieder verschob. Gegenüber Carneri äußerte er, dass er diesen „so vollkommen zu machen versuche, als ich es vermag“83. An diesem oft verheissenen immer wieder zurückgehaltenen Buche arbeite ich jetzt endlich mit Erfolg. Es führt den Seperattitel: Erkenntisskritik und Probleme der Metaphysik und soll kurz gesagt eine ausführliche Antimetaphysik werden.84

Bis 1884 entwickelte Riehl den Band noch unter einem anderen Arbeitstitel. Das ganze Jahr 1885 arbeitete er unter „großer Mühe […] fast stetig daran“85. Mitte des Jahres 1886 war die Arbeit weitgehend abgeschlossen.86 Nach über vier Jahren Verzögerung konnte das Buch schließlich 1887 erscheinen: [14] Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, Band 2.2: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, Leipzig: Engelmann 1887. Neben den ideologiekritischen Analysen metaphysischer Systeme und dem psychophysischen Problem entwickelt Riehl darin noch einmal in aller Klarheit den Begriff der Erfahrung und bringt seine Theorie in die Diskussion um zentrale wissenschaftsphilosophische Problemstellungen der Zeit ein. Allem voran geht der Begriff Wissenschaftstheorie selbst sowie die Etablierung seiner bis heute relevanten Verwendung (als philosophy of science) auf ihn zurück. Dass die Arbeit am realistischen Kritizismus mit dem zweiten Halbband allerdings für Riehl nicht abgeschlossen war, zeigt sich darin, dass Riehl gegenüber || 79 PK 3 1926, S. 14. 80 Riehl 1925, S. 232. 81 Köhnke 1986, S. 404–433. 82 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 25. Juni 1889, HIN-133681, Bl. 4. 83 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 1. Jänner 1885, HIN-133675, Bl. 1. 84 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 21. August 1884, HIN-133674, Bl. 6. 85 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 1. Mai 1885, HIN-133677, Bl. 3. 86 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 14. Mai 1886. HIN-133679, Bl. 1.

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Carneri eine „neue, eigentlich neu geschriebene Auflage“87 der ersten beiden Bände des Kritizismus ankündigte: Die Arbeitslast, die mir damit auferlegt wird, ist überaus groß; aber die Gelegenheit, meine Ansichten zu verbessern und auszubilden [ist] zu günstig, um nicht vorerst alles dagegen zurückzustellen.88

Gleichzeitig entstanden in diesem Zeitraum zahlreiche Publikationen, die in einem direkten Zusammenhang mit Themen des Philosophischen Kritizismus zu sehen sind. Darunter sind zu erwähnen [15] „Über den Begriff der Wissenschaft bei Galilei“, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 17 (1891), S. 1–14. worin Riehl ein Thema aus den kosmologischen Problemen des Unendlichen89 weiterentwickelt, sowie der Aufsatz [16] „Beiträge zur Logik“, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 16 (1892), S. 1–19, 133–171. Ab 1892 wirkt Riehl, am Anfang noch unter dem Herausgeber Richard Avenarius, bei der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie mit. Dabei handelt es sich um eine Zeitschrift, in der Autorinnen und Autoren publizieren, die sich sowohl zum Positivismus als auch zum Neukantianismus zugehörig fühlen.90 Riehl geriet allerdings in Freiburg zunehmend mit der katholischen Amtskirche in Konflikt; wie er gegenüber seinem Freund Carneri berichtete, offensichtlich aufgrund einer Stellungnahme im damaligen Kulturkampf, insbesondere weil er sich zu sozialen Problemen geäußert hatte, auf die er 1895 „die gegenwärtige Reaction“91 zurückführte. Dennoch gab sich Riehl bis zuletzt kämpferisch und von seinen Idealen überzeugt: Doch will dies nicht heissen, dass ich nicht das gerechte und notwendige dieser Fragen empfände; im Gegenteil – ich hoffe sogar, dass die hier im Zustande der Spannung angelegten activen Kräfte schließlich die Reaction überwinden werden.92

|| 87 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 6. April 1892, HIN-133685, Bl. 3–4. 88 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 6. April 1892, HIN-133685, Bl. 3–4. 89 PK 2.2 1887, S. 281–316. 90 Köhnke 1986, S. 397; eine kritische Evaluierung der Inhalte der Zeitschrift findet sich bei Damböck 2017, S. 17. 91 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 29. Jänner 1895, HIN 133691. 92 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 29. Jänner 1895, HIN 133691.

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Diese Auseinandersetzung dürfte sich insbesondere mit dem späteren Freiburger Dogmatik-Professor Carl Braig zugetragen haben.93 Riehls liberales Engagement führte schließlich dazu, dass der Erzbischof – basierend auf den großzügigen Rechten, die der katholischen Kirche in Freiburg durch die Osterproklamation vom 9. April 1860 in Bezug auf den Unterricht eingeräumt wurden – den Theologie- und Lehramtsstudierenden offiziell den Besuch von Riehls Vorlesungen verbot. Dies schränkte Riehls Wirkungskreis stark ein und er bemühte sich sehr um seinen Weggang.94 Im Brief an Carneri heißt es über seine aussichtlose Lage und den Wunsch, Freiburg um jeden Preis zu verlassen: Mein besonderes Talent, durch persönlichen Verkehr in Vorträgen zu wirken, hatte mir schon längst eine andere Stelle als die hiesige, von den Ultramontanen umstrittene, überaus wünschenswert gemacht; die einzige Gelegenheiten dazu sind wohl für immer verschwunden und so bleibt mir nur übrig, die kommenden Jahre statt dem lebendigen Vortrag, der schriftlichen Abhandlung zu widmen. […] Aber, muss ich auch von der Reaction leiden, so werde ich doch, Ihr Beispiel vor Augen, mich vor der Reaction nicht beugen. Eppur si muove! Oder wie Hutte glaube ich sagte: Durch!95

Im Zuge der Los-von-Rom-Bewegung trat Riehl daraufhin aus der katholischen Kirche aus und zum Protestantismus über.96 Die Konvertierung erfolgte etwa zur Zeit seines Wegganges aus Freiburg und wurde nach Riehls eigenen Angaben nicht aus religiösen, sondern „nationalen Gründen“97 vollzogen.

4 Zwischen den Stühlen – die Kieler Phase (1896–1898) Nach einer gescheiterten Bewerbung für die Nachfolge von Robert Zimmerman in Wien – für die er schon aufgrund der Spannungen mit Zimmermann in der Grazer Phase nicht infrage kam und die schließlich Friedrich Jodl übernahm –, einer gescheiterten Bewerbung in Bonn – wo Benno Erdmann berufen wurde – und einer letztlich ebenso erfolglosen Bewerbung in Leipzig – für die er vergeblich auf die Unterstützung Wilhelm Wundts gehofft hatte98 – nahm Riehl eine Berufung nach

|| 93 Riehl an Rickert, Freiburg i. B., 27. April 1895, Hs. 2740 III A – 164, 6. 94 Siegel 1932, S. 11. 95 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 29. Jänner 1895, HIN 133691. 96 Röd 2001, S. 111–128; Beiser 2014, S. 532. 97 Riehl an Wundt, Freiburg i. B., 10. Jänner 1894, NA Wundt/III/1301-1400/1389/401-404. 98 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 29. Jänner 1895, HIN 133691.

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Kiel an. Dabei handelte es sich zwar um eine kleinere Universität, die ihm aber die Flucht aus dem ultramontanen Einflussbereich ermöglichte. Diese Universität ist der Gesamtziffer des Besuches nach zwar nur halb so frequentiert wie die hiesige; aber für den Philosophen liegen die Verhältnisse dennoch günstiger. […] Vielleicht darf ich noch hinzufügen, dass meine Berufung gerade nach Preussen bei meiner hinlänglich bekannten Richtung, die mich früher für München, und jetzt für Wien unmöglich machte, einen gewissen freiheitlichen Zug nach bei dem Minister Bosse einen nicht geringen Grad von Unbefangenheit beweist.99

In Kiel wirkte Riehl von 1896 bis 1898. Der preußische Kultusminister Robert Bosse stellte ihm, wie er im selben Brief unterstreicht, eine baldige Berufung an eine größere Universität in Aussicht. In Kiel setzte Riehl das raue Klima zunächst sehr zu, sodass sich Heimweh nach Freiburg einstellte, welches aber wieder verschwand, wenn er an die unangenehme Lage dachte, in der er sich dort befunden hatte: [K]urz und gut, es ist nicht gerade angenehm, aus einem Boden entwurzelt zu werden, in dem man mehr als 13 Jahre eingelebt war – Denke ich aber wiederum an die KarlsruherKammer-Verhandlungen und die „christliche“ Philosophie und den Collegen Breig; so finde ich das Heimische beinahe schlimmer als das Fremde.100

Beständig arbeitete Riehl in dieser Zeit seine kulturphilosophischen Überlegungen weiter aus. So entstanden die [17] „Bemerkungen zu dem Probleme der Form in der Dichtkunst“, Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 21 (1897), S. 283–306. in denen sich Riehl mit Hildebrands Buch Das Problem der Form in der bildenden Kunst (1893) befasst. Riehl versucht dabei, die auf den Raum ausgerichtete Konzeption für den Zeitbegriff und die damit verbundene Dichtkunst zu adaptierten. Der Aufsatz ist aus Seminaren, die Riehl noch in Freiburg abhielt, entstanden. Hildebrand und Riehl tauschten sich auch in Briefen inhaltlich über das Buch und Riehls Weiterentwicklungen aus. In diesem Zusammenhang schreibt Hildebrand an Riehl vermutlich 1893 wie folgt: Sehr geehrter Herr Professor, damit, daß Sie sehr geehrter Herr Professor mir Ihre interessante Rede zugesandt haben, haben Sie mir nicht nur eine große Freude gemacht, sondern

|| 99 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 27. September 1895, HIN 13369. 100 Riehl an Rickert, Freiburg i. B., 27. April 1895, Hs. 2740 III A – 164, 6.

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mir zugleich die Voraussetzung ausgedrückt, daß uns ein gemeinschaftliches Interesse verbindet.101

Aus einem Brief Hildebrands vom 19. Oktober 1894 an seine Frau geht außerdem hervor, dass beide Denker auch persönlichen Kontakt pflegten: Ein Prof. Riehl aus Freiburg hat mich besucht, er ist voll von meinem Buch, Kunstphilosoph und hält es für epochemachend und grundsteinlegend für alle Kunst etc. Das hat mich sehr für ihn eingenommen, denn das ist meine schwache Seite.102

Das Problem der Form von Hildebrand bildet einen weiteren zentralen, wenngleich in der Forschung bisher völlig unbeachteten Bezugspunkt für Riehls Revision von Kants Raum- und Zeitbegriff. Zur gleichen Zeit publizierte Riehl als einer der ersten Zeitgenossen103 ein Buch über [18] Friedrich Nietzsche. Der Künstler und der Denker. Ein Essay, Stuttgart: Frommann 1897. Riehl beschäftigte sich seit 1895 intensiv mit Nietzsche und war von seiner Philosophie stark angezogen: Ich glaube nicht, dass ich es bereuen soll, mich seit anderthalb Jahren mit diesem merkwürdig „dionysischen“ Philosophen beschäftigt zu haben. Auch konnte ich nicht anders – entweder muss man ihn überwinden, oder man wird von ihm überwunden – ein Ignorieren ist gar nicht möglich, falls man zu sich selbst ehrlich ist.104

Im Nietzsche-Buch distanziert sich Riehl explizit von allen populärwissenschaftlichen Annäherungen und Politisierungen der Philosophie Nietzsches. Das Buch erreichte allerdings selbst große Popularität und wurde bereits 1924 zum achten Mal neu aufgelegt. Riehl begreift Nietzsche, der ebenfalls 1844 geboren wurde, in erster Linie als Kulturphilosophen105 und versucht, Nietzsches Ideen, aber vor allem auch seine Widersprüche im Buch zu Wort kommen zu lassen.106 Er sieht ihn als einen „gärenden Geist in einer gärenden Zeit“, in der das „Ungenügen an blosser Wissenschaft, [das] Verlangen und Suchen nach einem neuen Besitz“107

|| 101 Hildebrand an Riehl, vermutlich 1893, in: Sattler 1962, S. 406. 102 Hildebrand an seine Frau, München, 19. Oktober 1894, in: Sattler 1962, S. 422. 103 Im selben Jahr erscheint Ferdinand Tönnies Buch Nietzsche-Kultus. 104 Riehl an Carneri, Kiel, 24. Dezember 1896, HIN-133697, Bl. 4. 105 Nolte 1990, S. 227. 106 Riehl 1897b, S. 201. 107 Riehl 1897, 41.

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virulent geworden ist. Die Beschäftigung Riehls mit Nietzsche reicht weit über das Buch hinaus und lässt sich bis zum Ende seines Lebens nachweisen.108 Darüber hinaus schlägt er mit Richard Oehler, Richard Heinze und Hans Vaihinger 1907 Elisabeth Förster-Nietzsche aufgrund ihrer Verdienste um Nietzsches Werk für den Nobelpreis für Literatur vor109, ohne allerdings die Kompilation Der Wille zur Macht in den Neuauflagen seines eigenen Werkes jemals zu erwähnen.

5 Der Wendepunkt – die Hallenser Phase (1898–1905) Riehl nahm 1898 einen Ruf nach Halle an – das Versprechen einer möglichen Berufung an eine größere Preußische Universität von Robert Bosse wurde also eingelöst. Dort hielt Riehl als Professor der Philosophie nicht nur psychologische Vorlesungen, sondern richtete mit der Hilfe Wilhelm Wundts auch eines der ersten psychologischen Laboratorien Deutschlands ein, als dessen Leiter er fungierte und das unter seinem Nachfolger am Lehrstuhl, dem Experimentalpsychologen Hermann Ebbinghaus, Berühmtheit erlangte.110 In Halle wird Riehl außerdem Mitglied im Spirituskreis, einer Gemeinschaft von geisteswissenschaftlichen Gelehrten an der Universität Halle, die 1890 auf Initiative des Althistorikers Eduard Meyer und Benno Erdmanns gegründet wurde und gemäß ihren humanistischen Idealen Einfluss auf das soziale und kulturelle Leben der Stadt nahm. Der Kreis hatte insbesondere innerhalb der Universität eine große Bedeutung, sodass bis 1933 bereits 20 Rektoren der Universität dem Kreis angehörten. Zu klären war für Mach, wie er bereits am 1. Juli 1901 schriftlich im Promemoria zur Regelung seiner Nachfolge festhielt, zunächst die Frage, „ob bei der Besetzung auf allgemeine Philosophie Rücksicht zu nehmen sei, oder ob die Absicht besteht, einen Philosophen von vorwiegend naturwissenschaftlicher Richtung zu gewinnen“111 und damit „der naturwissenschaftliche Charakter der fraglichen Lehrkanzel erhalten bleiben“112 sollte. Für den ersteren Fall empfahl Mach ausdrücklich „die hoch stehende Persönlichkeit“113 Alois Riehl. Zudem erkundigte sich Mach bei Riehl, wer als Nachfolger für seinen Lehrstuhl in Frage kommen

|| 108 Siehe u. a. PK 2 1925, 12, 149. 109 Peters 1983, 262. 110 Riehl an Wundt. Berlin, 26. Februar 1913, NA Wundt/III/1301-1400/1391/407-410; Fahrenberg/Stegie 2020, S. 101–128. 111 Mach 1901. 112 Mach 1901. 113 Mach 1901.

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würde, wenn der naturwissenschaftliche Charakter erhalten bleiben sollte. Riehl schlug daraufhin Oswald Külpe, Kurt Laßwitz, Edmund Husserl, Theodor Lipps und Johannes Volkelt vor.114

Abb. 2: Spirituskreis 1902. Stehend, von links nach rechts: Georg Wissowa, Eduard Meyer, Alois Riehl, Johannes Conrad, Carl Robert, Rudolf Stammler, Emil Kautzsch, Max Reischle. Sitzend, von links nach rechts: Erich Haupt, Edgar Loening, Friedrich Loofs, Wilhelm Dittenberger. Bilder an der Wand: Benno Erdmann, Richard Pischel. Bild am vorderenSitz: Hermann Schmidt.

Jodl, der neben Laurenz Müllner eine von zwei aktiven und ordentlichen Professuren innehatte, und Vorsitzender sowie Berichterstatter des Komitees war, fragte bei Riehl schriftlich an, ob er bereit sei, nach Wien zu kommen. Riehls Berufung war in internen Kreisen offensichtlich eine beschlossene Sache. Auf die Anfrage Jodls zeigte sich Riehl geschmeichelt und erklärte seine Absicht, einen möglichen Ruf anzunehmen. Er befürchtete allerdings, dass eine Berufung durch die österreichische Regierung abgelehnt werden könnte: Die Mitteilung, die Sie mir machen, gereichen mir zu ganz besonderer Freude und die Aussicht, der Nachfolger Machs werden zu können und mit Ihnen auf dem Boden so vielfach übereinstimmender Überzeugungen zu wirken, hat für mich große anziehende Kraft. […] Ich stelle den Vorschlag einer Commission und Fakultät immer im Werte in die erste Reihe, || 114 Riehl an Mach, Göggingen bei Augsburg, 26. Mai 1901, in: Thiele 1968, S. 292–293.

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mag eine Berufung durch die Regierung darauf erfolgen oder nicht. Dass ein Vorschlag nicht immer die Berufung nach sich bringt, wissen wir ja und habe ich selbst wiederholt erfahren.115

Um die Eignung von Riehl zu unterstreichen, empfahl Jodl dem Komitee Riehls „kritischen Positivismus“116 als eine Position, welche die Forschungsergebnisse der Einzelwissenschaften umfassend berücksichtige. Damit erfüllte er den für diese Stelle ausschlaggebenden Anspruch einer „Berührung naturwissenschaftlichen und philosophischen Denkens“117. Genauer heißt es: Die Untersuchungen der physiologischen Psychologie sind Riehl sowenig fremd, wie die Controversen über die absolute Geltung der Axiome der ebenen Geometrie u. die Möglichkeit einer Metageometrie, die Untersuchungen der modernen Physik über die Grundlagen der Begriffe Bewegung, Materie, Energie, Kraft, u. die Probleme, welche Biologie u. Physiologie bewegen.118

Riehl sei daher für die Stelle bestens geeignet und ein würdiger Nachfolger dieses naturwissenschaftlich orientierten Lehrstuhls: Alois Riehl bedeutet für die moderne Erkenntnistheorie von der Seite der Philosophie herkommend das Gleiche, wie Mach von Seiten der Physik herkommend. Hinter Mach an persönlicher Vertrautheit mit den Verfahrens- u. Denkweisen der exacten Naturwissenschaft zurückstehend, ersetzt Riehl diesen Mangel durch eine ungleich tiefere u. schärfere Erfassung der eigentlich philosophischen Probleme, durch eine überlegene Vertrautheit mit dem Gesamtgebiete der Philosophie.119

Nach einem ersten Besetzungsvorschlag, in dem die Terna Riehl, Külpe, Stöhr eingebracht wurde120, einigte sich das Komitee auf Riehl als Vorschlag unico loco, der bei der Abstimmung 37 Ja- gegen 7 Nein-Stimmen erhielt. Der Vorschlag des Berufungskomitees, dem auch die Fakultät zugestimmte, wurde allerdings am 14. Februar 1902 vom damaligen Unterrichtsminister Wilhelm von Hartel abgelehnt. Die von Hartel angeführten Gründe der Ablehnung Riehls, die in einer fehlenden naturwissenschaftlichen Qualifikation liegen sollten und der weitere Aufschub der Nachbesetzung sind inhaltlich nicht nachvollziehbar. Schon Mach gab daher in einem Brief an Theodor Gomperz zu bedenken: „Daß Riehl vom Ministerium nicht deshalb abgelehnt worden ist, weil er der Naturwissenschaft ferner

|| 115 Riehl an Jodl, Göggingen bei Augsburg, 14. Oktober 1901, HIN-133408. 116 Jodl 1901. 117 Jodl 1901. 118 Jodl 1901. 119 Jodl 1902. 120 Stadler 1988, S. 225f.

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steht, sondern aus Opportunitätsgründen, ist mir subjectiv gewiss.“121 Zudem berichteten zahlreiche Tageszeitungen,122 dass Riehl aufgrund seines Engagements im Kulturkampf für die führenden Kräfte der katholischen Renaissance in Österreich als inakzeptabler Kandidat galt. Diese beruflichen Rückschläge wurden zudem durch einen persönlichen Schicksalsschlag überschattet, der Riehl schwer zusetzte. Am 22. November 1898 stirbt sein Sohn, der Soldat war, durch eine selbstzugefügte Schussverletzung. Wahrscheinlich beging er Selbstmord, obwohl Riehl einen Unfall nicht ausschließen wollte – der Schuss könnte sich bei der Inspektion der Schusswaffe versehentlich gelöst haben.123 Kurz darauf verstarb auch die Mutter von Riehls Frau, was die beiden Eheleute zusätzlich traf. Sofie ging es so schlecht, dass sie sich bei Eduard Hitzig in Behandlung begeben musste: Unter der doppelten Erschütterung leidet meine Frau an den Nerven. Sie muss sich durch Prof. Hitzig, unserem berühmten Neuropathologen behandeln lassen – und meine Sorge um ihr Befinden ist groß und lastet schwer auf mir. Auch mein Schlaf ist noch nicht regulirt – und so hat auch mich das Übel der Zeit erfasst – „die Nerven“. Sie wissen was Goethe einmal dem Kanzler Müller gegenüber äusserte: „das Schicksal scheint zu glauben, dass wir Drähte haben, statt Nerven“.124

Seine Frau begab sich in weiterer Folge auf Kur, wo Riehl versuchte, sie durch ausgedehnte Wanderungen abzulenken, wie er Rickert berichtete.125 Trotz dieser Ereignisse fand Riehl Zeit und Kraft für seine philosophischen Projekte, wie die zahlreichen Publikationen zeigen, die in dieser Zeit entstanden. Ein auf einer Vortragsreihe in Hamburg beruhendes Buch sticht dabei besonders hervor: [19] Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Acht Vorträge, Leipzig: Teubner 1903.

|| 121 Zit. nach Stadler 1988, S. 225f. 122 Siehe dazu: Anonym (1903), „Machs Nachfolger“, in: Arbeiter-Zeitung, 29. Oktober 1903, S. 6; Anonym (1902), „Eine abgelehnte Berufung“, in: Linzer Volksbote, 30. März 1902, S. 5, Mitte; Anonym (1902), „Die Berufung des Philosophieprofessors Riehl abgelehnt“, in: Grazer Tagblatt, So., 30. März 1902, S. 4, Mitte; Anonym (1902), „Die Berufung des Philosophie-Professors Riehl abgelehnt“, in: Neue Freie Presse, 29. März 1902, 5, links; Anonym (1902), o. T., in: Znaimer Wochenblatt, 5. April 1902, S. 2, Mitte und rechts. 123 Riehl an Carneri, Halle, 22. Jänner 1899, HIN-133700, Bl. 1–3; Riehl an Rickert. Halle, 2. Dezember 1898, Hs. 2740 III A – 164, 50. 124 Riehl an Rickert, Halle, 28. März 1899, Hs. 2740 III A – 164, 21. 125 Riehl an Rickert, Halle, 28. März 1899, Hs. 2740 III A – 164, 21.

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Riehl versucht darin, komprimiert, gleichzeitig aber die Problemstellungen präzise benennend, seine Philosophie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die in Form von Vorträgen gegliederten Abschnitte erlauben es, in leicht verständlicher Weise die geschichtliche Dimension, aus der heraus der Kritizismus entstanden ist, zu begreifen. Das Buch wurde bis 1925 mehrmals neu aufgelegt. Diesen Erfolg hatten bereits die Vorträge in Hamburg vorweggenommen, was auf Riehl eine tröstende Wirkung in einer Zeit persönlicher Schicksalsschläge hatte: Im Oktober (vom 15. bis 23) habe ich in Hamburg vor einer zahlreichen und sehr teilnehmenden Zuhörerschaft über Einleitung in die Philosophie vorgetragen –, eine wahre Glückspause in meinem Leben.126

Einer dieser Vorträge ist dem tragischen Denker Nietzsche gewidmet – als Nachruf auf den 1900 verstorbenen Philosophen. Gleichzeitig ist Riehl mit der dritten Auflage des Nietzsche-Buches beschäftigt, welches umfangreiche Erweiterungen beinhaltet.127 Die Jahrhundertwerde markierte für Riehl auch eine erneute Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants, sodass nach der Wende zu Kant in den 70er Jahren von einer zweiten Wende zu Kant gesprochen werden kann. Diese führte zu einer „Stellungsänderung zum Kantianer“128, wie bereits sein Freund Friedrich Jodl – allerdings wenig erfreut – konstatierte: „Er ist in Halle gut aufgehoben, und je mehr er Kantianer wird, desto besser passt er dort hin.“129 Diese neuerliche Beschäftigung mit Kant geht wiederum mit dem Plan einher, endlich die Neuauflage des Kritizismus fertigstellen zu können: Nun ist es aber auch die höchste Zeit von diesem Dichterphilosophen Abschied zu nehmen und zu den Denker-philosophen zurückzukehren. Ich hoffe, Ihnen im Verlauf des Jahres […] den neuen Kritizismus übersenden zu können.130

Riehl veröffentlichte zuvor allerdings noch [20] Hermann von Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant, Berlin: Reuther & Reichard 1904,

|| 126 Riehl an Carneri, Halle, 18. November 1900, HIN-133708. Bl. 3. 127 Riehl an Carneri, Halle, 18. November 1900, HIN-133708. Bl. 4–5. 128 Jodl an Bolin, Wien, 20. Februar 1908, in: Gimpl 1990, S. 271. 129 Jodl an Bolin, Siegenfeld, 24. August 1904, in: Gimpl 1990, S. 241. 130 Riehl an Carneri, Halle, 1. Jänner 1901, HIN-133709, Bl. 4.

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[21] „Anfänge des Kritizismus. – Methodologisches aus Kant“, Kantstudien 9 (1904), S. 493–517. sowie die abermals als Rede konzipierte Schrift [22] Immanuel Kant. Rede zur Feier des Hundertjährigen Todestages Kants gehalten in der Aula der Universität Halle-Wittenberg, Halle: Niemeyer 1904. Mitte des Jahres 1905 begann Riehl noch in Halle damit, die ersten Bögen des Manuskriptes zur Neuauflage des Philosophischen Kritizismus an den Verlag zu senden;131 den Abschluss wird dieses Projekt jedoch erst drei Jahre später finden, vor allem aufgrund der kurz darauf erfolgten überraschenden Berufung nach Berlin. Viel Zeit beansprucht auch die Gedächtnisrede für seinen verstorbenen Kollegen Rudolf Haym: [23] Zu R. Hayms Gedächtnis, Halle 1902. Exemplarisch wird hier die akribische Arbeitsweise Riehls sichtbar. Wie er Rikkert berichtete, hatte er sich minutiös in Hayms Werk eingearbeitet, das ihm zunächst gar nicht näher vertraut war: Sie haben neulich die Haym-Rede erhalten? Die wenigen Seiten lassen Sie wohl kaum den Umfang der Vorbereitungsarbeit richtig schätzen, die erforderlich waren, von mir selbst dabei genug zu tun. Ich habe keine Haym’sche Schrift ungelesen gelassen und selbst Einblick in die Vorlesungshefte getan. Andere machen derartige Dinge allerdings bequemer, mein Lohn aber war, dass die Witwe Hayms mir ebenso wie Hayms ältester Freund […] die Treue des Bildes (auch des Charakterbildes) bestätigt haben.132

6 Späte Würdigung – die Berliner Phase (1905–1924) Riehl erhielt 1905 einen Ruf an die Universität Berlin als Nachfolger von Wilhelm Dilthey. Er hatte den Lehrstuhl in Berlin bis zu seiner Emeritierung 1921 inne.

6.1 Aufbruch in ein neues Jahrtausend Dilthey war recht überraschend im Juni 1905 von seinem Lehrstuhl zurückgetreten und hatte Riehl noch selbst als Nachfolger empfohlen. Die Berufungskommission, darunter insbesondere auch Carl Stumpf, sprach sich anschließend

|| 131 Riehl an Carneri, Halle, 8. Juni 1905, HIN-133724, Bl. 3. 132 Riehl an Rickert, Halle, 27. Jänner 1902, Hs. 2740 III A – 164, 26.

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einstimmig für ihn aus und Riehl wurde bereits am 13. Juli 1905 vom Ministerium offiziell als Nachfolger verkündet.133 Die Berliner philosophische Fakultät begründete Riehls Berufung zum Nachfolger Diltheys mit der besonderen Nähe von Riehls Philosophie zu Mach. Er sei in der Lage, „an unserer Universität Lücken auszufüllen, welche wir bisher schmerzlich empfanden […]. Dies wäre zunächst allgemeine Theorie der Naturwissenschaft und Geschichte der induktiven Wissenschaften“134. Ironischerweise begründete die Fakultät die Berufung Riehls demnach mit den gleichen Gründen, mit denen der österreichische Unterrichtsminister Riehls Berufung abgelehnt hatte. Anders als in Wien unterstützte das Ministerium die Wahl der Fakultät, sodass Sofie Riehl über den Empfang bei Friedrich Althoff zu berichten wusste: Mein Mann war bei Althoff und dieser war offenbar mit allem Eifer derselben Ansicht wie die Fakultät: mit Energie seine Berufung nach Berlin zu wollen. Von irgend einer Unterhaltung brauchte gar nicht die Rede zu sein. Althoff brachte entgegen, was mein Mann etwa wünschen könnte. Ihnen, dem hochverehrten nahen Freunde meines Mannes darf ich schon sagen, ohne dass Sie dies missverstehen, wie die Schlussworte waren, mit denen Althoff die definitive Anna[h]me der Berufung durch meinen Mann begrüsste. „Ich gratuliere Berlin“ – Es ist doch eine gute Sache, von Fakultät und Regierung so empfangen zu werden, wenn man auch über die Letztere sich so wenig Illusionen macht wie wir.135

Damit ist Riehl am Höhepunkt seiner akademischen Karriere angekommen: Das aeusserliche an dieser Berliner Berufung ist uns kaum mehr als Mittel zum Zweck. Mein Mann findet dort das ganz grosse, philosophisch vielfach vernachlässigte Feld, das er jetzt zu behauen hofft zu rechter geistiger Fruchtbarkeit. Ich bin für ihn sehr glücklich.136

Riehl selbst beschreibt seine Berufung mit der Aussicht „auf die grösste Wirksamkeit, die einem im deutschen Reich überhaupt eröffnet werden kann“137. Tatsächlich konnte Riehl in Berlin die größte Zahl an später bedeutenden Schülerinnen und Schülern um sich versammeln. 1906 beauftragten Sofie und Alois Riehl den zwanzigjährigen Mies van der Rohe mit der Umgestaltung ihres Wohnhauses in der Spitzweggasse PotsdamBabelsberg. Daraus entstand das von ihnen sogenannte Klösterli, das als „Ergebnis einer von Bauherren und Architekt geteilten Bauidee gesehen“138 werden || 133 Sofie Riehl an Carneri, Halle, 25. Juli 1905, HIN-133724, Bl. 4. 134 Zit. n. Goller 1991, S. 545. 135 Sofie Riehl an Carneri, Halle, 25. Juli 1905, HIN-133724, Bl. 4–5. 136 Sofie Riehl an Carneri, Halle, 25. Juli 1905, HIN-133724, Bl. 4–5. 137 Riehl an Carneri, Halle, 25. Juli 1905, HIN-133724, Bl. 6. 138 Naehring 2018, S. 23.

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kann. Der erste Eintrag im Gästebuch des Riehl-Hauses, in dem sich viele berühmte Gäste verewigten139, stammt von Mies van der Rohe und lautet wie folgt: „Der Miterbauer von Klösterli, 25. Oktober 09, Mies“140.

Abb. 3: Postkarte von Riehl, „Motiv ‚Klösterli‘“, Neubabelsberg, 7. Januar 1911.

Das Klösterli wurde zu einem Treffpunkt des Berliner Geisteslebens. Zu den Gästen zählen außer Gelehrten und Intellektuellen vor allem auch Kunstschaffende, deren Förderung Riehl aktiv betrieb. Aus seiner Vorliebe für den Bildhauer Adolf von Hildebrand entstand ein Naheverhältnis zu Vertretern der Münchner Bildhauerschule. Von den jungen Geisteswissenschaftlern, die im Haus regelmäßig verkehren und zu Riehl eine väterliche Freundschaft pflegten141, können etwa Eduard Spranger, der ihm besonders nahestand142, Ernst Bloch, Werner Jaeger, Ernst Jaensch, aber vor allem auch Max Weber hervorgehoben werden. Weber, der seit den 1890er Jahren mit Riehl ein freundschaftliches Verhältnis pflegte,

|| 139 Jaensch 1925, S. XXI. 140 Zit. nach Neumeyer 2016, S. 314. 141 Jaensch 1925, S. VII. 142 Jaensch 1925, S. VII.

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war stark von Riehl beeinflusst, sodass er nicht nur dessen ideologiekritische Position in seinem Vortrag Wissenschaft als Beruf (1917) wiederaufnahm, sondern vor allem auch seine Kant-Interpretation sehr hoch einschätzte: „Wenn Kant wiederkäme, dann würde er wohl Riehls Art zu philosophieren als die einzig adäquate anerkennen.“143 Über diese praktische Auseinandersetzung hinaus beschäftigte sich Riehl in seinen Vorlesungen zur Ästhetik auch theoretisch intensiver mit den Architekten Peter Behrens und Paul Schultze-Naumburg sowie mit August Schmarsows Wesen der architektonischen Schöpfung (1894). 1912 folgte er dem Aufruf von Max Dessoir,144 einen Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaften ins Leben zu rufen.145 Nachdem in der Ehe mit Sofie keines der Kinder das Jugendalter überlebte, verstarb auch die einzige aus erster Ehe verbliebene Tochter Helene. Diese war seit 1889 mit Riehls Schwager, dem an der Universität Wien lehrenden Geologen Eduard Reyer, verheiratet und übersiedelte gemeinsam mit ihm nach Wien, wo sie bis zuletzt gelebt hatte. Nach dem Tod der Tochter und einer wohl damit in Verbindung stehenden psychischen Erkrankung seines zu diesem Zeitpunkt bereits in den Ruhestand versetzten Schwiegersohns – Riehl bezeichnete ihn in einem Brief an Rickert als „schwer nervenleidend“146 – übersiedelten die Großtöchter nach Neubabelsberg. Lenore („Lore“) und Adelheid werden nun von den Eheleuten Riehl großzogen. Eduard Reyer übersiedelte nach Jena, wo er seine letzten beiden Lebensjahre in einem Privatsanatorium verbrachte und Mitte des Jahres 1914 verstarb.147 In Berlin konnte Riehl nun endlich die über Jahre beharrlich verfolgte, aber immer wieder verschobene Neuauflage des ersten Bandes des Kritizismus vollenden, die, wie er Carneri berichtete, aufgrund der Berufung ein letztes Mal einen größeren Aufschub erfuhr.148 Damit war schließlich auch die zweite Wende zu Kant vollendet. Das Werk erschien nun mit neuem Untertitel als [24] Der Philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Band 1: Geschichte des Philosophischen Kritizismus, Leipzig: Engelmann 1908.

|| 143 Zit. n. Goller 1991, S. 546. 144 Dessoir 1913, S. 94f. 145 Naehring 2018, S. 33. 146 Riehl an Rickert, Neubabelsberg, Berlin, 29. November 1912, Hs. 2740 III A – 164, 46. 147 Proßegger 2017, S. 86–94. 148 Riehl an Carneri, Halle, 11. Oktober 1905. HIN-133725. Bl. 2.

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Inhaltlich betrachtet wurden in der Neuauflage von Band 1 die Textabschnitte über John Locke und David Hume, der philosophische Entwicklungsgang Kants sowie die Erörterung des Begriffs der Kritik umgearbeitet. Zudem wird die Raumund Zeitlehre substanziell erweitert und zu einem eigenständigen Kapitel. Mit Blick auf die vorgenommenen Revidierungen heißt es daher: „Unverändert, unerschüttert ist nur der Standpunkt der früheren Schrift geblieben.“149 Der Autor kennzeichnet diese Überarbeitungen auch als „zweite, neu verfasste Auflage“150 bzw. „zweite veränderte Auflage“151. 1907 beteiligte sich Riehl an einer Anthologie mit dem Titel Systematische Philosophie, in welcher der Versuch unternommen wurde, die unterschiedlichen Teilbereiche der Philosophie sowie die Fortschritte der letzten Jahrzehnte darzustellen. Neben Wilhelm Dilthey, Wilhelm Wundt, Hermann Ebbinghaus, Rudolf Eucken, Bruno Bauch, Theodor Litt und Moritz Geiger verfasste Riehl den Beitrag: [25] „Logik und Erkenntnistheorie“, in: Systematische Philosophie. Die Kultur der Gegenwart, hrsg. v. Wilhelm Dilthey, Alois Riehl, Wilhelm Wundt [et al.], Leipzig: Teubner 1907, S. 68–97. Zunehmend von Bedeutung wurde für Riehl in dieser Zeit auch das viel diskutierte Verhältnis von Psychologie und Philosophie. In einem Brief an Rickert äußert sich Riehl schon 1905 kritisch gegenüber einer zu starken Zusammenführung. Was an mir ist, werde ich in meiner zukünftigen Stellung versuchen und mich einsetzen, um endlich die Trennung der Philosophie von der experimentellen und physiologischen Psychologie herbeizuführen. Wir denken hier übereinstimmend, dass die bisherige Zusammenlegung beider Disciplinen ein immer weiter umgreifender Schaden für beide ist.152

Riehl war 1913 gemeinsam mit Heinrich Rickert, Wilhelm Windelband, Paul Natorp, Edmund Husserl und Rudolf Eucken einer der Organisatoren der [26] „Erklärung gegen die Besetzung philosophischer Lehrstühle mit Vertretern der experimentellen Psychologie“, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur 4 (1913), S. 115–116.

|| 149 PK 1 1908, S. III. 150 PK 1 1908, S. III. 151 PK 2 1925, S. IV; PK 3 1926, S. III. 152 Riehl an Rickert, Halle, 23. Juli 1905, Hs. 2740 III A – 164, 33-34.

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Die Erklärung wurde insgesamt von 107 Dozenten der Philosophie unterschrieben, darunter befinden sich so prominente Philosophen wie Hermann Cohen, Bruno Bauch, Friedrich Jodl oder Benno Erdmann. Darin heißt es: Die unterzeichnenden Dozenten der Philosophie an den Hochschulen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sehen sich zu einer Erklärung veranlaßt, die sich gegen die Besetzung philosophischer Lehrstühle mit Vertretern der experimentellen Psychologie wendet. Das Arbeitsgebiet der experimentellen Psychologie hat sich mit dem höchst erfreulichen Aufschwung dieser Wissenschaft so erweitert, daß sie längst als eine selbständige Disziplin anerkannt wird, deren Betrieb die volle Kraft eines Gelehrten erfordert.153

In einem Brief an Wundt erklärt Riehl seine Motive, die Erklärung mitzuunterzeichnen. Ich habe in Halle, wo ich mit Ihrer sachkundigen Beihilfe ein psychologisches Laboratorium einrichten und zugleich Vorlesungen über Psychologie hielt, den Anfang und den Wert der psychologischen Forschung kennen gelernt, dass ich ihr wenigstens zu folgen vermochte. Eben deshalb und aus dieser Erfahrung heraus glaubte ich, die Erklärung unterzeichnen zu sollen, nachdem sie meiner Forderung entsprechend so redigiert wurde, dass in ihr das Interesse für Psychologie vorangestellt erscheint.154

Am 27. Jänner 1910 hält Riehl eine Kaiserrede über Fichte: [27] Fichtes Universitätsplan. Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs (Wilhelm II.) gehalten in der Aula der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 27. Januar 1910, Berlin 1910. Hier kommt neuerlich Riehls Interesse für nicht-wissenschaftliche Philosophie zum Ausdruck. Dabei war es Rickert, der Riehl auf Fichte aufmerksam gemacht hat. Schätzte Riehl Fichte anfangs gering, stieg seine Wertschätzung im Zuge einer intensiveren Beschäftigung – geblieben ist allerdings eine kritische Distanz, wie aus einem Brief an Rickert deutlich wird: Meine Fichte-Rede ist Ihnen wohl zugekommen. So sehr ich mich im Gegensatze weiss zu dem Wissenschaftslehrer so nahe stehe ich dem Religionsphilosophen. Eine starke Anziehung haben von je, Sie sollten dies eigentlich wissen, auf mich spinozistische d. h. neuplatonische Anschauungen ausgeübt. Anschauungen verwandter Art gehörten immer zu meinem „Privatsystem“.155

|| 153 Riehl [et al.] 1913, S. 115. 154 Riehl an Wundt, Berlin, 26. Februar 1913, NA Wundt/III/1301-1400/1391/407-410. Zur Entstehung der Erklärung siehe auch den Brief von Riehl an Rickert vom 30. Dezember 1912. 155 Riehl an Rickert, Berlin, 1. April 1910, Hs. 2740 III A – 164, 49.

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Vertieft werden Riehls Überlegungen zur nicht-wissenschaftlichen Philosophie auch in [28] „Von der Freiheit des Geisteslebens“, Zeitgeist (1910). Wiederabgedruckt in: Philosophische Studien aus vier Jahrzehnten, Leipzig: Quelle & Meyer 1925, S. 326–329. Eine Schrift, die auf einen Vortrag in Posen zurückging und von Riehl gegenüber Rickert folgendermaßen angekündigt wurde: Als Thema wähle ich die Erneuerung der Philosophie in der Natur- und Geisteswissenschaft der Gegenwart […]. Ich denke dabei den „Monismus“ zu bekämpfen, ebenso den „Pragmatismus“ und nachdrücklich auf Kant und Fichte hinzuweisen.156

Riehl ist es zu diesem Zeitpunkt ein Anliegen, seine realistische Position gegenüber den aktuell in Mode stehenden Positionen zu verteidigen. Außer dem Positivismus und dem Pragmatismus steht er auch der Lebensphilosophie kritisch gegenüber.157 Gerade die Strömung der Lebensphilosophie – die immer größere Popularität gewinnt und die Idee Nietzsches, dass eine Umwertung aller Werte möglich sei – bildet zunehmend eine kritische Herausforderung. Bereits 1897 hatte Riehl sein Nietzsche-Buch mit folgenden Worten abgeschlossen: Diese Werte aber, die das Handeln des Menschen leiten und seine Gesinnung beseelen, brauchen nicht erst erfunden, oder durch Umwertung neu geprägt zu werden; sie werden entdeckt und wie die Sterne am Himmel treten sie nach und nach mit dem Fortschritte der Kultur in den Geschichtskreis. Es sind nicht alte Werte, nicht neue Werte, es sind die Werte.158

Und noch Jahre später, in einer Zeit als sein ehemaliger Schüler Oswald Spengler den Untergang des Abendlandes bereits verkündet hat, formulierte Riehl ganz eindringlich an Rickert: [I]ch glaube an das Besondere des blossen Lebens, an die Werte, die der Zeit überlegen, nicht veralten können […]. Und statt an den „Untergang des Abendlandes“ zu glauben, halte ich an der Zuversicht fest, die nur augenblicklich in Nebel verhüllte Sonne der Werte werde wieder leuchten – Wie sollte man ohne diesen Glauben in dieser dunkelsten Zeit […] weiter leben können.159

|| 156 Riehl an Rickert, Berlin. 1. April 1910, Hs. 2740 III A – 164, 49. 157 PK 2, 21, S. 35–42. 158 Riehl 1898, S. 32. 159 Riehl an Rickert, Berlin, 18. Juli 1920, Hs. 2740 III A – 164, 54.

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In diesem Zusammenhang steht auch der durch seinen in Amerika lehrenden Freund Hugo Münsterberg vermittelte Forschungsaufenthalt in Princeton von 1913.160 Riehl wurde dort das Ehrendoktorat verliehen und er hält einen Vortrag mit dem Titel [29] „The Vocation of Philosophy at the Present Day”, in: Lectures Delivered in Connection with the Dedication of the Graduate College of Princeton University in October, 1913, hrsg. v. Émile Boutroux, Alois Riehl, A. D. Godley, Arthur Shipley. Princeton: University Press 1913, S. 45–63. Wiederabgedruckt in Deutsch als „Der Beruf der Philosophie in der Gegenwart“, in: Philosophische Studien aus vier Jahrzehnten, Leipzig: Quelle & Meyer 1925, S. 304–312. Darin thematisiert er die Spannung zwischen dem naturwissenschaftlichen, wertfreien Denken, wie es von Naturwissenschaftlern wie Henri Poincaré, Ernst Mach oder Ludwig Boltzmann vertreten werde, und der darauf reagierenden Lebensphilosophie. Laut Riehl hatte sich die Wissenschaft übernommen, „sie hatte über ihren rechtmäßigen Bereich hinaus den Anspruch auf Herrschaft ausgedehnt“161. Gleichzeitig sei aber auch die aus Nietzsches Denken entstandene Lebensphilosophie, die zurecht das immer stärker wahrgenommene Ungenügen „bloßer Wissenschaft“ konstatiert hat, „über das Ziel hinausgeschossen“162. Die Reise macht einen starken Eindruck auf Riehl, wie aus einem Brief an Rickert deutlich wird: Durch Münsterberg wissen Sie ohne Zweifel bereits von unserer Amerikafahrt – Schon dieser flüchtige Besuch war reich an mächtigen Eindrücken, es ist, als veränderten sich die Dimensionen des Sehens im eigentlichen wie im figürlichen Sinne. Es ist wirklich der Blick in eine neue Welt, und ich empfinde diese Reise und ihre Folgen als eine Epoche in meinem Leben.163

6.2 Irrungen und Wirrungen des Ersten Weltkriegs In den Tagen vor dem Ersten Weltkrieg feierte Riehl seinen 70. Geburtstag, der von seinen Freunden und Schülern mit einer Festschrift bedacht wurde. Darin finden sich Texte u. a. von Heinrich Scholz, Hans Lindau, Friedrich Kuntz, Heinrich Maier und Eduard Spranger. Im Zuge dieser Feierlichkeiten entstanden Pläne zur Umsetzung von Riehls lang gehegtem Wunsch eines Dozentenseminars, in dem || 160 Riehl an Münsterberg, New York, 11. November 1913, Ms. Acc. 2041-2090 Box 15. 161 Riehl 1925, S. 305. 162 Riehl 1925, S. 305. 163 Riehl an Rickert, Berlin, 13. Dezember 1913, Hs. 2740 III A – 164, 48.

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junge Gelehrte die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, sich ihren Forschungen zu widmen. Vorbilder dafür waren das seit 1893 bestehende Fondation Thiers in Paris sowie einige amerikanische Colleges. Riehls Reise nach Princeton von 1913 hatte u. a. den Grund, sich von letzteren ein genaueres Bild zu machen. Es wurde eine Riehl-Stiftung gegründet, durch die das Dozentenhaus finanziert werden hätte sollen. Dass der Bauplatz von der deutschen Regierung bereits in Aussicht gestellt wurde, zeugt davon, wie weit das Vorhaben schon entwickelt war. Riehl war es ein großes Anliegen, junge Menschen zu fördern. Er hatte offensichtlich ein gutes Verhältnis zu seinen Studierenden, sodass diese ebenfalls beschlossen, eine kleine Festschrift164 zum Anlass seines Geburtstages zu veröffentlichen. Zu den Autorinnen und Autoren gehörten der damals gerade an seiner Promotion arbeitende Psychologe Kurt Lewin165 sowie Ilse Schneider166, die 1921 promovierte. Im allgemeinen Dankschreiben, das Riehl Anfang Mai 1914 aufsetzt, heißt es, tief berührt: Ich habe zu danken für ein reiches Maß von Liebe, für eine Gesinnung, die der Arbeit meines Lebens innere Zustimmung gibt und meinem Streben neue lebendige Kraft. Mein Dank für dieses Wertvollste ist ernst und tief.167

Dieses Gefühl der Dankbarkeit und Anerkennung musste allerdings sehr bald den bevorstehenden Kriegsereignissen weichen. Wie viele Gelehrte der Zeit unterstützte auch Riehl den Kriegseintritt. Riehl und seine Frau zeigen sich von den Ereignissen tief bewegt: Mein Mann und ich sind in zweifacher Art von dem Gange der Ereignisse, den Entwicklungen, die dieser Krieg aufrollt, in unserem ganzen Denken und Empfinden in Anspruch genommen: als Deutsche und als Menschen; das Gefühl und das Urteil sind gleich intensiv beteiligt.168

Im August 1915 hält Riehl eine Rede, die zurecht als Kriegspropaganda bezeichnet wurde und in der es zu einer philosophischen Überhöhung des Krieges169 kommt: [30] „Die geistige Kultur und der Krieg“. Erstdruck in Philosophische Studien aus vier Jahrzehnten, Leipzig: Quelle & Meyer 1925, S. 313–326.

|| 164 Branca/Graykowski/Baumgardt u. a. 1914. 165 Lewin 1914, S. 45–66. 166 Schneider 1914, S. 91–130. 167 Riehl 1914. 168 Sofie Riehl an Wundt, Neubabelsberg b. Potsdam, 11. Oktober 1914, NA Wundt/III/Nachlass Wilhelm Wundt/Briefe/1301-1400. 169 Goller 1991, S. 530.

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Die Erneuerung der Kultur, die er noch in seinem Vortrag in Princeton mit Geistesführern wie Sokrates oder Goethe in Verbindung brachte,170 steht nun auch im Zusammenhang mit dem Krieg: Mitten unter uns sehen wir Tausende von Helden und Heldinnen entstehen, die sich selbst als solche bisher unbekannt geblieben waren. […] Endlich kann es noch Kriege geben, die nicht bloß durch ihre Folgen die Kultur fördern, sondern schon ihren Beweggründen nach Ausfluß des Volkes sind, das sie führt. Damit aber verschwindet jeder Gegensatz zwischen Krieg und Kultur; ein solcher Krieg ist selbst Kultur, die Kultur des Volkes, das ihn besteht, in Aktion versetzt, in Taten umgewandelt. Unser Krieg ist ein solcher Krieg.171 Wir vertrauen dem Gang der Geschicke, daß uns der Sieg werden wird – der innere Sieg ist uns gewiß. Dieser Krieg ist in Wahrheit ein Kulturkrieg. Wir kämpfen in ihm für die Erhaltung und Erhöhung unserer Kultur und wissen, daß wir damit für die Kultur der Menschheit kämpfen.172 Nur unseres Volkes Freiheit und Selbständigkeit ist angegriffen, darum ist auch allein unser Krieg nach Fichtes Bezeichnung ein „wahrhafter“ Krieg und gehört selbst zu unserer Kultur.173

Während des Krieges kam es zu einer intensiven Korrespondenz mit Wilhelm Wundt, in der dieser beständig thematisiert wurde. Wundt hatte sich anfänglich in einer ähnlichen Art und Weise für den Krieg begeistert. Wie Scheerer herausgestellt hat, ging es Wundt stellvertretend für eine Vielzahl von Gelehrten unter anderem um eine „Rechtfertigung des ‚Deutschen Krieges‘ als Selbstbehauptung des deutschen Geistes“, „eine ethische und psychologische Rechtfertigung des Krieges überhaupt“ und „die Diskussion ‚nationalpolitischer‘ Erziehungsziele“174. Kurz vor der Niederlage hieß es von Seiten Riehls gegenüber Wundt: Das Jahr, das in wenigen Tagen beginnt, wird uns den Frieden bringen – einen anderen Frieden als den noch vor Kurzem erwarteten – wohl auch keinen ‚Wilson‘frieden. Ein verstümmeltes Reich, ein verarmtes Volk – aber doch unser Volk, in dem der Geist nur verdunkelt, nicht getötet werden kann. Noch einmal wie zu Beginn des mutigen und doch für uns so rühmlichen Krieges denken wir an seinem Schluss an Fichtes Reden an die Deutschen. Wieder handelt es sich darum, durch geistige Erneuerung und Wiedergeburt

|| 170 Riehl 1925, S. 311–312. 171 Riehl 1925, S. 314–315. 172 Riehl 1925, S. 325. 173 Riehl 1925, S. 317. 174 Scheerer 1989, S. 12.

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auch die politische Wiederaufrichtung vorzubereiten. Hier liegen auch für uns noch Aufgaben – und ohne solche ist Leben nicht lebenswert175.

Riehl konstatiert also noch angesichts der Niederlage eine Renaissance des deutschen Wesens“: Unsere politische Macht haben wir, wer weiss? auf lange, wenn nicht gar für immer verloren – unseren Beruf in der geistigen Welt, für die geistige Welt kann uns keines der feindlichen Völker entreissen, oder um unser statt erfüllen.176

In den Philosophischen Studien aus vier Jahrzenten, in die Riehl die Rede von 1915 aufnehmen wird, formuliert er allerdings rückblickend äußerst abgeklärt: „Freilich das Bild, das darin nach den Erfahrungen der ersten Zeit des Krieges entworfen wird, ist nur noch geschichtliche Erinnerung, die zu der Gegenwart in schmerzlichstem Gegensatz steht.“177

6.3 Die 20er Jahre Als gegen Ende des Ersten Weltkrieges der Kriegsenthusiasmus verflogen war, hatte Riehl noch ein halbes Jahrzehnt zu leben. Diese Jahre sind trotz zunehmender körperlicher Beschwerden noch einmal als sehr produktiv zu bezeichnen. Riehl emeritierte 1921, hielt aber noch bis 1924 mit ausgewählten Studierenden Seminare in seinem eigenen Haus.178 Die dadurch gewonnene Zeit nutzte er, um sein Lebenswerk für die Nachwelt vorzubereiten. Riehl veröffentlicht in mehreren Auflagen die Schrift [31] Führende Denker und Forscher, Leipzig: Quelle & Meyer 1922 und gab 1925 den Sammelband [32] Philosophische Studien aus vier Jahrzehnten, Leipzig: Quelle & Meyer 1925 heraus, in dem er die wichtigsten, aber zum Teil schon vergriffenen Studien neu edierte. In der Vorrede heißt es: „Der Gang seiner Entwicklung führte den

|| 175 Riehl an Wundt. Berlin, 27. Dezember 1918. NA Wundt/III/1301-1400/1396/427-430. 176 Riehl an Wundt. Berlin, 06. Juli 1919. NA Wundt/III/Nachlass Wilhelm Wundt/Briefe/13011400. 177 Riehl 1925, S. VI. 178 Siegel 1931, S. 17.

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Verfasser von dem anfänglich dogmatischen – zum kritischen Realismus; dazwischen lag ein erneutes Studium Kants.“179 Ein weiteres Resultat der Beschäftigung der letzten Jahre ist die dritte Auflage von Band 1 von [33] Der Philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Band 1: Geschichte und Methode des philosophischen Kritizismus, Leipzig: Kröner 1924 sowie die zweite Auflage von Band 2 [34] Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Band 2: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis, mit einem Geleitwort von Eduard Spranger und Hans Heyse, Leipzig: Kröner 1925 und Band 3 [35] Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Band 3: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, hrsg. v. Hans Heyse und Eduard Spranger, Leipzig: Kröner 1926. Die dritte Auflage des ersten Bandes von 1924 folgt bis auf einige wenige Berichtigungen dem Wortlaut der zweiten Auflage. Etwas anders verhält sich die Entwicklungsgeschichte mit den beiden anderen Halbbänden. Diese werden von nun an als eigenständige Bände mit den Ordnungsziffern 2 und 3 bezeichnet. Insbesondere Band 2 wurde von Riehl in dessen letzten Lebensjahren noch einmal substanziell überarbeitet180 und noch vom Autor selbst für den Druck vorbereitet. Wesentliche Veränderungen bzw. neue Bestandteile der zweiten Auflage von Band 2 bilden die Lehre von Raum und Zeit sowie die damit zusammenhängenden Überlegungen zur (nichteuklidischen) Geometrie, die Auseinandersetzung mit Ernst Machs Elementenlehre und die Lehre der spezifischen Sinnesenergien von Johannes Müller. Band 3 erfährt nur marginale Änderungen und Erweiterungen, die vor allem Teilabschnitte über Spinoza, Fichte und Hegel betreffen, und wird bereits von Hans Heyse, der mit Adelheid, der Enkelin Riehls verheiratet ist, und seinem Schüler und Freund Eduard Spranger herausgegeben. Bis zuletzt beschäftigte sich Riehl auch mit seiner Philosophie der Werte. Nachdem er die Arbeit an der Neuauflage des Kritizismus größtenteils abgeschlossen hat, berichtete er Rickert über ein mögliches letztes Werk:

|| 179 Riehl 1925, S. V. 180 Spranger/Heyse 1925, S. III.

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Eine Ergänzung meines theoretischen Werkes könnte nur eine Kritik der allgemeinen geltenden Werte bilden, der ich bisher nur in Vorlesungen und der Andeutung der „Einführung“ gegeben habe. Ich weiss nicht, ob meine Kraft noch ausreicht, diese ‚Ideenlehre‘ auszugestalten.181

Dieser letzte Plan bleibt unausgeführt. Riehl verstarb am 21. November 1924 und wurde auf dem Alten Friedhof von Klein Glienicke beerdigt. Sofie Riehl hat Mies van der Rohe mit der Planung des Grabmals beauftragt. In einem Brief bittet sie „um energisches Betreiben und Anteil für die Einzelheiten“ und zeichnet mit „Deine alte Sofie Riehl“182.

7 Rezeptionsgeschichte 7.1 Auf den sich verlaufenden Spuren eines Denkers Während Carl Siegel in seiner Festschrift 1932 anmerkt, dass „Alois Riehl […] zweifellos zu den führenden Denkern der letzten 50 oder 60 Jahre“183 gehört, und auch Heinrich Rickert in seinem Rückblick auf eine philosophische Epoche Riehl gemeinsam mit Hermann Cohen und Wilhelm Windelband als die drei zentralen Vertreter des Neukantianismus benennt184, hat sich die Situation fast 100 Jahre später maßgeblich verändert. Riehl wurde im Gegensatz zu Cohen und Windelband nie zu einer Leitfigur einer eigenen neukantischen Schule und konnte daher auch keine vergleichbare Wirkung auf Schüler und Schülerinnen ausüben. Nichtsdestotrotz lässt sich eine Schule des realistischen Kritizismus ausmachen, die Riehl begründet hat und zu der u. a. Erich Becher, Oswald Külpe, aber auch – wenigstens in seinen Anfängen – Moritz Schlick zählen. Zudem wurde in der Forschung kaum beachtet, dass Riehls Realismus neben den philosophischen Konzepten von Richard Hönigswald und Robert Reininger einen Teil eines durchaus eigenständigen österreichischen Neukantianismus185 bildet. Gemeinsamer Nenner ist dabei ein auf dem Begriff des Erlebens (Hönigswald) bzw. Empfindens (Riehl bzw. Reininger) aufbauender Kritizismus.186

|| 181 Riehl an Rickert. Neubabelsberg, 8. Mai 1924, Hs. 2740 III A – 164, 56. 182 Zit. nach Naehring 2018, S. 33. 183 Siegel 1932, S. 5. 184 Rickert 1924, S. 164. 185 Zu den Kriterien der Austriazität siehe Gombocz 1986, S. 12. 186 Siehe dazu vor allem Zeidler 2004, S. 113–121, aber auch Bonnet 2015, S. 125–142.

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Zudem war, wie Heiner Rutte es ausdrückt, Riehls 12-jähriges Wirken in Graz „keineswegs folgenlos“187. Vielmehr entstand eine auf Riehl zurückgehende Tradition, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge des allgemeinen Rückgangs neukantischer Positionen188 an Bedeutung verlor. Vor allem Hugo Spitzer (geb. 1854 in Einöd, Steiermark), der ein Schüler Riehls war und sich 1882 noch unter Riehl habilitierte, hielt eine realistische Kant-Tradition in Graz aufrecht und verteidigte sie im Sinne eines Common-Sense-Standpunktes gegenüber idealistischen und subjektivistischen Kant-Interpretationen.189 1893 wurde Spitzer zum außerordentlichen Professor und 1905 zum ordentlichen Professor ernannt. Noch 1895 – das heißt mehr als 12 Jahre nach Riehls Weggang aus Graz – hatte sich dieser für Spitzer, seine Nachfolge in Freiburg betreffend, eingesetzt.190 Weitere auf die Grazer Phase zurückgehende Einflüsse lassen sich auf den aus Berlin stammenden und ab 1927 in Graz tätigen Philosophen Carl Siegel und dem Philosophen Konstantin Radaković (geb. 1884 in Graz, Steiermark) nachweisen.191 Auch an seinen anderen akademischen Stationen hatte Riehl Spuren hinterlassen: 1891 habilitierte sich in Freiburg Heinrich Rickert, mit dem Riehl seit 1893 in brieflichem Austausch steht192 und der, wie der Briefwechsel zeigt, maßgeblich durch die Unterstützung Riehls dessen Nachfolger in Freiburg wurde.193 1902 promovierten James Hayden Tufts (1862–1942), 1904 Richard Hönigswald (1875–1947) und 1908 auch Oswald Spengler (1889–1936) bei Riehl in Halle. In den mehr als 15 Berliner Universitätsjahren zählten u. a. Eduard Spranger (1882–1963), Heinrich Scholz (1884–1956) und Ilse Schneider (1891–1990) zu den später erfolgreichsten Schülerinnen und Schülern Riehls, wenn sie auch andere Schwerpunkte setzten. Spranger, der später auch die zweite Auflage von Band 2 und 3 des Philosophischen Kritizismus herausgab, wurde 1919 mit der Unterstützung Riehls zu dessen Nachfolger in Berlin ernannt.194 Riehl ist für Spranger ein väterlicher Freund und wird „Vater Riehl“195 genannt.

|| 187 Rutte 2001, S. 135. 188 Rutte 2001, S. 147. 189 Rutte 2001, S. 138f. 190 Riehl an Carneri, Freiburg i. B., 4. Jänner 1896. 191 Rutte 2001, S. 142–147. 192 Die fast 50 Briefe Riehls an Rickert befinden sich im Nachlass Rickert des Archivs der Univ. Heidelberg. 193 Riehl an Rickert, Kiel, 5. September 1896, Hs. 2740 III A – 164, 14. 194 Spranger an Becker, Patenkirchen, 18. August 1919, in: Bähr 1978, S. 101. 195 Spranger an Riehl. Leipzig, 15. Oktober 1918, in: Bähr 1978, S. 90.

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Schon zu Lebzeiten wurden Riehls Werke in verschiedene Sprachen übersetzt (u. a. ins Englische, Niederländische, Ungarische, Russische und Japanische). Insbesondere in Japan entfaltet Riehls Philosophie größere Bedeutung.196

7.2 Im Spannungsfeld von Positivismus und Neukantianismus Die Wirkungsgeschichte des Philosophischen Kritizismus und der Philosophie Riehls im Allgemeinen ist vor allem durch die spezifische Situation im Spannungsfeld zwischen Neukantianismus und entstehendem Neopositivismus gekennzeichnet. Mit den sehr heterogenen Strömungen des Neukantianismus197 teilt Riehl einen gegen den Materialismus, Empirismus und Positivismus gerichteten Anti-Psychologismus sowie eine gegen den deutschen Idealismus gerichtete Metaphysikfeindlichkeit. Er grenzt sich zudem explizit gegen Johann Friedrich Herbarts Realismus, die Willensmetaphysik Arthur Schopenhauers und die psychologische Kantforschung von Jakob Friedrich Fries und Friedrich Eduard Beneke ab. Wie Cohen und Windelband interpretiert Riehl Kants Philosophie als Epistemologie.198 Im Gegensatz zum Marburger und Südwestdeutschen Neukantianismus entwickelt er das Ding an sich allerdings als ontologisch unabhängige Basis und lässt es nicht als Grenzbegriff oder regulative Idee aufgehen. Die scheinbar größte Schwäche der kantischen Philosophie wird bei Riehl damit zur wichtigsten Stärke. Die besondere Betonung der Empfindung als Fundament der Epistemologie rückt Riehls Philosophischen Kritizismus außerdem in ein Naheverhältnis zum Empirismus. Neben den Einflüssen des sogenannten deutschen Positivismus199 ist Riehls Philosophie von besonderer Bedeutung für den entstehenden logischen Positivismus des Wiener Kreises.200 Die gemeinsamen Schnittstellen finden sich dabei in der dezidierten Metaphysikkritik, der Auffassung, dass gesichertes Wissen in den positiven Wissenschaften zu suchen ist und Kritik die Grundlage der positiven Philosophie bildet. Ein direkter Einfluss lässt sich zudem auf Moritz Schlicks realistische Positionierung in der Allgemeinen Erkenntnislehre (1918/25) nachweisen sowie auf die an Schlick anschließenden Arbeiten von Herbert Feigl.201 Aus diesen Gründen entsteht bereits früh die

|| 196 Gülberg 2003, S. 1–32. 197 Köhnke 1986, S. 213; Beiser 2014, S. 3; Flach/Holzhey 1979, S. 10–13. 198 PK 2 1925, S. 8; PK 3 1926, S. 5. 199 Damböck 2017, S. 1–50. 200 Heidelberger 2007, S. 19. 201 Rutte 2001, S. 137; Wendel/Engler 2009; Neuber 2016, S. 207–237.

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Auffassung, dass Riehl eher als Positivist, denn als Neukantianer richtig zu interpretieren sei202 – eine Position die verschiedentlich vertieft wurde.203 Riehl lehnt allerdings im Gegensatz zum Positivismus die Auffassung ab, dass die Philosophie durch die positiven Wissenschaften ersetzt werden könne. Sein Standpunkt unterscheidet sich maßgeblich durch die angenommene Normativität von Raum und Zeit sowie den logischen Prinzipien der wissenschaftlichen Erfahrung. Im entstehenden Neopositivismus gilt Riehls Philosophischer Kritizismus folglich als positiver Referenzpunkt, steht allerdings auch für die zu überwindende Transzendentalphilosophie Kants.

7.3 Die Riehl-Forschung seit den 30er Jahren – ein Überblick Aufzeichnungen zu Leben und Werk finden sich bei folgenden Zeitgenossen Riehls: Heinrich Maier204, Georg Graykowski205, Heinrich Rickert206, Erich Jaensch207, Paul Hofmann208, Richard Hönigswald209 und Eduard Spranger210. Ein Meilenstein in der Forschung zu Riehl war die von der Universität Graz herausgegebene und von Carl Siegel verfasste Festschrift mit dem Titel Alois Riehl. Ein Beitrag zur Geschichte des Neukantianismus (1932). In dieser wurden neben historischen Hintergründen die zentralen philosophischen Themenschwerpunkte überblicksartig dargestellt. Die zunehmende Marginalisierung der kritischen Philosophie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte dazu, dass der philosophische Diskurs über die Wissenschaften überwiegend im Rahmen des logischen Empirismus und später der analytischen Philosophie stattfand,211 in der Riehl aufgrund seines kantisch geprägten Aufbaus des Philosophischen Kritizismus nicht berücksichtigt wird. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es dabei nur sehr wenige Ausnahmen, in denen Riehls Philosophie historisch wie systematisch untersucht wurde:

|| 202 Maier 1926, S. 573; Köhnke, 1986, S. 42. 203 Heidelberger 2007; Neuber 2016, S. 207–237; 2017, S. 24–27; Ferrari 1997, S. 93–131. 204 Maier 1897/98, S. 389–418; 1926, S. 563–579. 205 Graykowski 1914, S. 8–10. 206 Rickert 1924–25, S. 162–185. 207 Jaensch 1925, S. 3–36. 208 Hofmann 1926, S. 330–343. 209 Hönigswald 1926, S. 38–47. 210 Spranger 1944, S. 129–130. 211 Ryckman 2012, S. 25; Ferrari 1997, S. 11–30.

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Wolfgang Ritzel212, Mathias Jung213, Gerd Gerhardt214, Josef Perger215, Paolo Grillenzoni216, Wolfgang Röd217; Klaus Christian Köhnke218, Heiner Rutte219, Peter Goller220, Ernst Orth221, Renato Pettoello222, Kurt Walter Zeidler223. Die Forschungslage hat sich in den letzten Jahren zunehmend verbessert. Zu erwähnen sind dabei die Studien von Michael Heidelberger224, Giacomo Maria Virone225, Frederick C. Beiser226, Francesca Biagioli227, Matthias Neuber228, Adi Efal229; Niels Gülberg230, Frank-Peter Hansen231, Martin Hammer/Josef Hlade232 und Niklas Naehring233. Nichtsdestotrotz fehlt bis heute eine systematische Aufarbeitung zentraler Theorieelemente von Riehls Philosophie.

8 Resümee Ausgehend von bisher unveröffentlichten Quellen zeigt sich im Zuge der Rekonstruktion von Riehls Leben, Werk und Wirkung, dass Riehl aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen am Ende des 19. Jahrhunderts zu den einflussreichsten und bestvernetzten Philosophen des deutschsprachigen Raums zählt. Im Besonderen wird auf der Basis der historischen Quellen und der werkgeschichtlichen Entwicklung ein Denker sichtbar, der zutiefst von humanistischen Idealen

|| 212 Ritzel 1952. 213 Jung 1973. 214 Gerhardt 1983. 215 Perger 1984. 216 Grillenzoni 1985. 217 Röd 1986, S. 132–140; 2001, S. 111–128; 2002, S. 25–37; 2009, S. 627–644. 218 Köhnke 1986, S. 372–376. 219 Rutte 2001, S. 129–141. 220 Goller 1991, S. 530–558. 221 Orth 1994; 2012, S. 283–293. 222 Pettoello 1998, S. 347–366. 223 Zeidler 2004, S. 113–139. 224 Heidelberger 2006, S. 227–247; 2007, S. 26–48; 2016, S. 263–294. 225 Virone 2007, S. 263–289. 226 Beiser 2014, S. 531–573. 227 Biagioli 2014, S. 83–105. 228 Neuber 2012, S. 207–236; 2018, S. 78–83. 229 Efal 2010, S. 1–22. 230 Gülberg 2003, S. 1–32. 231 Hansen 2016, S. 64–74. 232 Hammer/Hlade 2020, S. 76–111. 233 Naehring 2018, S. 22–47.

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und einem aufklärerischen Geist geprägt war. Auch wenn dies in den Jahren des Ersten Weltkriegs eine ambivalente Ausprägung erfuhr, war Riehl bereit, Fehler einzugestehen und Korrekturen vorzunehmen. Erst die zukünftige Forschung wird zeigen, welches Potential noch in den einzelnen Teilen seiner Philosophie steckt.

Abbildungen Abb. 1: Riehls Wohnhaus in Graz, „Das Haus Heinrichstraße Ecke Glacis“ um 1900; Quelle: Postkartensammlung GrazMuseum. Abb. 2: Spirituskreis 1902; Quelle: wiki commons. Abb. 3: Postkarte von Riehl, „Motiv Klösterli“, Neubabelsberg, 7. Januar 1911; Quelle: Nachlass Rickert, Hs. 2740 III A – 164, 44.

Literatur Unpublizierte historische Quellen Akademische Behörden, Personalstand und Ordnung der Vorlesungen an der k.k. Karl-Franzens-Universität zu Gratz, Verlag der akademischen Behörde: Jos. A. Kienreich, WS 1864/65. Archiv der Univ. Heidelberg, Nachlass Heinrich Rickert: Riehl an Rickert, Freiburg i. B., 27. April 1895, Hs. 2740 III A – 164, 6. Riehl an Rickert, Halle, 2. Dezember 1898, Hs. 2740 III A – 164, 50. Riehl an Rickert, Halle, 28. März 1899, Hs. 2740 III A – 164, 21. Riehl an Rickert, Halle, 27. Jänner 1902, Hs. 2740 III A – 164, 26. Riehl an Rickert, Halle, 23. Juli 1905, Hs. 2740 III A – 164, 33-34. Riehl an Rickert, Berlin, 1. April 1910, Hs. 2740 III A – 164, 49. Riehl an Rickert, Neubabelsberg, Berlin, 29. November 1912, Hs. 2740 III A – 164, 46. Riehl an Rickert, Berlin, 13. Dezember 1913, Hs. 2740 III A – 164, 48. Riehl an Rickert, Berlin, 18. Juli 1920, Hs. 2740 III A – 164, 54. Riehl an Rickert, Neubabelsberg, 8. Mai 1924, Hs. 2740 III A – 164, 56. Riehl an Rickert, Kiel, 5. September 1896, Hs. 2740 III A – 164, 14. Archiv der Univ. Wien, Wiederbesetzung der Philosophischen Lehrkanzel nach Prof. Ernst Mach, 01.07.1901—26. März 1903 (Akt). Archivbestände der Philosophischen Fakultät, PH 34.15, Schachtel 5, darin: Hartel, Wilhelm von, Wien am 14. Februar 1902. [Jodl, Friedrich], „Löbliches Professoren Collegium!“, Wien, 14. Dezember 1901. [Jodl, Friedrich], „Löbliches Professoren-Collegium!“, Wien, 8. Jänner 1902. [Jodl, Friedrich], „Löbliches Professoren-Collegium!“, Wien, 7. März 1903. K. K. Unterrichtsministerium, Wien, 9. Jänner 1902. [Mach, Ernst], „Promemoria von Ernst Mach zur Regelung seiner Nachfolge“, 1901.

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Giuseppe Motta

Objekt und Objektivität in Kant und Riehl Abstract: “The Neo-Kantian movement has always dealt with a great unknown. This unknown was none other than Kant himself” (“die Bewegung des Neukantianismus [rechnete] fortwährend mit einer großen Unbekannten und diese Unbekannte [war] niemand anders als Kant selbst”). This famous sentence by Julius Ebbinghaus does not apply to Alois Riehl (1844–1924), whose interpretation provides very important keys to understanding the meaning and the importance of the Kantian philosophy. Riehl reads the Critique of Pure Reason from the perspective of the concepts of modality: “possibility”, “reality”, “necessity”. Like Kant, he assumes the second “Postulate of empirical thinking” (about “reality”) in not only its epistemological, but also its fundamental ontological, meaning. In this paper I expose Kant’s and Riehl’s different, but at the same time strictly interrelated, theories of objectivity.

Einleitung In der Kritik der reinen Vernunft definiert Immanuel Kant das „Objekt“ als das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt oder synthetisiert wird (in A 106 und leicht unterschiedlich in B 137). Diese Definition fällt bekanntlich in den Kontext der Bestimmung des fundamentalen Begriffs einer „synthetischen“ (nicht analytischen) und „objektiven“ (nicht subjektiven) „Einheit der Apperzeption“: „Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird.“ (B 139). Dementsprechend werden die Gegenstände der Erfahrung von spezifischen Funktionen bzw. Urteilen bestimmt, welche, als „synthetische Urteile a priori“, die allgemeinen Formen dieser Vereinigung ausdrücken. Nur dadurch kann unsere Erkenntnis in ihrer objektiven Gültigkeit erfasst (und somit die Objektivität selbst im transzendentalen Diskurs definiert) werden. Seit 250 Jahren beschäftigen sich Philosophen und Philosophinnen mit dieser zugleich besonderen und wichtigen Definition der „Objektivität“. Kants Text

|| Giuseppe Motta, Universität Wien [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-002

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mag in verschiedener Weise dunkel geblieben sein. Sicherlich wird er noch heute als schwer zu entschlüsseln wahrgenommen. Einiges steht aber mittlerweile fest und manches – denke ich – sollte vor allem als Basis und als Bedingung einer korrekten Auseinandersetzung mit der (durchaus „Kantischen“) Theorie der Objektivität von Alois Riehl (1844–1924) dargelegt werden. Es geht im Grunde um drei nur anscheinend negative, de facto jedoch inhaltsreiche Behauptungen über die Kantische Philosophie, die man in einem einzigen Satz zusammenfassen kann: Weder (I) die Ausschließung der „Empfindung“, welche die Definition der „Objektivität“ auf den unterschiedlichen Ebenen des kritischen Diskurses zu prägen scheint (zum Beispiel am Anfang der „Transzendentalen Ästhetik“ und in der „Transzendentalen Analytik“), noch (II) eine spezifische (metaphysische oder psychologische) Auffassung der Bedeutung der „synthetischen Einheit der Apperzeption“, und auch nicht (III) die Entgegensetzung von „Erscheinungen“ und „Dingen an sich“, die Kant sehr unterschiedlich an mehreren Stellen des kritischen Systems thematisiert, konstituieren als solche essentielle oder unverzichtbare Momente in der Kantischen Definition des „Objekts“. In diesem Aufsatz wollen wir ein allgemeines Bild der Riehlschen Interpretation der Kantischen Theorie der Objektivität umreißen, wie sich diese in den zwei ersten Bänden seines Lebenswerks Der Philosophische Kritizismus (1876 und 1879) entfaltet hat. Bekanntlich hat Riehl beide Bücher in Graz konzipiert und verfasst. Zu diesem Zweck sollten wir zunächst – so meine Überzeugung – über ganz allgemeine Aspekte der Kantischen Auffassung des Objektiven reflektieren und sie als eine Art Einführung in Riehls Kantianismus darstellen. Um Riehl zu verstehen, wollen wir also zuerst bei Kant bleiben, was in der Literatur über die Systeme der Neo-Kantianer des 19. und 20. Jahrhunderts relativ unüblich ist. In diesem Kontext gilt nun aber Riehl zum Teil als eine Ausnahmefigur. Der bekannte Satz von Julius Ebbinghaus, der in einem Aufsatz aus dem Jahr 1924 (dem Todesjahr von Riehl) erklärte, dass die Bewegung des Neukantianismus „fortwährend mit einer großen Unbekannten rechnete, und daß diese Unbekannte niemand anders als Kant selbst sei“ (Ebbinghaus 1924, S. 82 / 1989, S. 5), gilt nicht für Alois Riehl, dank dessen Interpretation ganz zentrale Aspekte der Kantischen Philosophie besser verstanden werden können. Riehl liest die Kritik der reinen Vernunft aus der Perspektive der Kantischen Auffassung der Begriffe der Modalität: „Wirklichkeit“, „Möglichkeit“, „Notwendigkeit“ (aus den „Postulaten des empirischen Denkens überhaupt“), was ihm einen erstaunlich sicheren Umgang mit den dunkelsten Stellen und mit den schwierigsten Problemen des Werkes sichert. Seine radikale philosophische Neupositionierung (das damals übliche „mit Kant über Kant hinausgehen“) ändert nichts an der Qualität seiner

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Interpretation. Sie profitiert eher von der Nähe und vom tiefen Verständnis des Werkes Kants, das Riehl in seinen Werken zum Ausdruck bringt.

1 Kants Lehre der Objektivität Hier also nochmals die drei erwähnten sehr allgemeinen Punkte, welche nur die Kantische Theorie der Objektivität betreffen. In dieser ersten, kürzeren Sektion des Aufsatzes wollen wir wie gesagt zwar Riehl im Blick behalten, seine Philosophie aber noch nicht thematisch behandeln. (I) Kants Definition des Objekts basiert nicht (und kann nicht) auf einer Ausschließung der Empfindung oder der Materie der Erfahrung (basieren). In der ersten Sektion der „Transzendentalen Ästhetik“ wird die Empfindung als „die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden“, definiert (A 20–21/B 34). Unmittelbar danach wird sie vom transzendentalen Diskurs ausgegrenzt. Es ist aber anzumerken, dass nicht die Materie der Erfahrung selbst, sondern nur spezifische Aspekte der Vorstellung eines Körpers in seiner Materialität (wie zum Beispiel „Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe usw.“, vgl. A 21–22/B 35) auf diesem Niveau der transzendentalen Untersuchung ausgeschlossen werden. Eine „Ausschließung“ der Materie schlechthin kann deswegen nicht stattfinden, weil Form und Materie hier einfach das Gleiche sind. Mit anderen Worten, im Fall der Anschauung lässt sich die „Möglichkeit“ nicht von der „Wirklichkeit“ (in jeder Empfindung) trennen und ein mathematisches (geometrisches oder arithmetisches) Konstrukt wird dementsprechend, wenn als formal möglich angenommen, zugleich in seiner Wirklichkeit bestätigt. Da das mathematisch Mögliche und das mathematisch Wirkliche das Gleiche sind, macht es also keinen Sinn, von einer „Ausschließung“ oder von einer „Beseitigung“ des Materialen in der „Transzendentalen Ästhetik“ zu sprechen. In der nachfolgenden Thematisierung der Gegenstände der Erfahrung in der „Transzendentalen Analytik“ definiert sich diese fundamentale Verbindung von Form und Materie in einer ganz anderen Weise. So lesen wir am Ende der „Postulate des empirischen Denkens überhaupt“, dass sich ohne Stoff (also ohne Wirklichkeit) überhaupt nichts denken lässt: Das Denken ist immer das Denken von etwas (wohl auch von „Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe usw.“) und die Form immer die Form von einer Materie. Der vorläufigen Exklusion des Wirklichen im ersten Postulat des empirischen Denkens („Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkomt, ist möglich“) und der entsprechenden Exklusion des Möglichen im zweiten Postulat

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(„Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich“) korrespondiert eine fundamentale Korrektur beider Postulate im dritten Grundsatz der Modalität: „Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimt ist, ist (existirt) nothwendig“ (A 218/B 265–266; vgl. dazu Motta 2012). Materie (der Empfindung) ohne Form ist mit anderen Worten nach Kant so wenig vorstellbar, wie die Form selbst (egal welche Form) ohne Materie. Diese Annahme gilt auf allen Ebenen der Kantischen Philosophie. (II) Kants Definition des Objekts hängt von keiner spezifischen Auffassung des Subjekts ab. Die Behauptung Kants, es sei unmöglich, die Apperzeption und somit das transzendentale Subjekt als Ding an sich zu erkennen (man beachte zum Beispiel B 156 im Anhang von § 24 der B-Deduktion oder B 404 im ersten Paralogismus der reinen Vernunft: „Durch dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denket…“), und die dazu gehörigen Erläuterungen („...indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgend etwas von ihm zu urteilen”, B 156) lassen sich unmittelbar mit der Kantischen Feststellung des Primats der sogenannten „objektiven“ über die sogenannte „subjektive“ Deduktion der Kategorien assoziieren. Die Deduktion, erklärt uns Kant in der Vorrede (A) der ersten Kritik von 1781, hat zwei Seiten: Die eine bezieht sich auf die Gegenstände des reinen Verstandes, und soll die objektive Gültigkeit seiner Begriffe a priori dartun und begreiflich machen; eben darum ist sie auch wesentlich zu meinen Zwecken gehörig. Die andere geht darauf aus, den reinen Verstand selbst, nach seiner Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht, mithin ihn in subjektiver Beziehung zu betrachten.

Und weiter: Da das letztere gleichsam eine Aufsuchung der Ursache zu einer gegebenen Wirkung ist, und insofern etwas einer Hypothese Ähnliches an sich hat, [...] so scheint es, als sei hier der Fall, da ich mir die Erlaubnis nehme, zu meinen, und dem Leser also auch freistehen müsse, anders zu meinen… (A XVI–XVII).

Die Notwendigkeit der reinen Verstandesbegriffe wird in der subjektiven Deduktion der Kategorien in eine „reale“ und „psychologische“ (mehr oder weniger treffende) Begründung eingebunden. Die objektive Deduktion bezieht sich dagegen nicht auf das Subjekt, sondern auf die objektive Gültigkeit der Begriffe des reinen Verstandes selbst. Die Notwendigkeit wird hier vor allem in keiner psycho-

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logischen Begründung bzw. in keiner Beschreibung des Subjekts, sondern in der objektiven Verknüpfung der Gegenstände selbst gesucht. Hinter dieser Teilung lässt sich innerhalb der transzendentalen Deduktion der Kategorien eine weitere Trennung von zwei noch fundamentaleren Beweismustern erkennen, welche den transzendentalen Diskurs durchaus prägen: dasjenige der relativen Notwendigkeit der reinen Begriffe des Verstandes, welche die Verbindung von Form und Materie ermöglicht (nach dem Muster: „Moglichkeit: die Uebereinstimmung (non repugnantia) mit einer Regel, Wirklichkeit: die position schlechthin, Nothwendigkeit: die position nach einer Regel“, Refl. 4298, AA 17, S. 499), und dasjenige der absoluten Setzung derselben durch die Apperzeption, welche als eine auf alles überhaupt bezogene Notwendigkeit einer Voraussetzung gilt. Relative und absolute Notwendigkeit werden in der Deduktion unterschiedlich kombiniert und assoziiert. Wenn wir also zum Beispiel lesen, dass „das notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln“ ist (A 108), dann können wir festhalten, dass es hier zunächst und vor allem nicht um eine gewisse, spezifische Auffassung des Subjekts geht. Ganz im Gegenteil: Kant will in einem einzigen Bewusstsein die Identität zweier verschiedener, aber fundamentaler Formen der objektiven Gültigkeit bestimmen: die Gültigkeit von gewissen Formen schlechthin (synthesis intellectualis) und die Gültigkeit von den gleichen Formen in Bezug auf die Materie der Erfahrung, was die relative Notwendigkeit derselben definiert (synthesis speciosa) (vgl. dazu Motta (im Erscheinen)). Interessanterweise darf das Subjekt in der spezifischen Bestimmung der Subjektivität weder aus der Perspektive seiner absoluten noch aus der Perspektive seiner relativen Notwendigkeit thematisiert werden. Das Objektive wird jedoch hier vollständig definiert. (III) Die Differenz von „Erscheinung“ und „Ding an sich“ gehört bei Kant nicht zur Definition des Objekts. Die Überzeugung, die sinnliche Erkenntnis sei eine nicht nur zuverlässige, sondern auch eine notwendige (weil apriorische) und könne daher Wissenschaft begründen, bleibt bei Kant mit der Annahme kompatibel, dass wir die Grundbeschaffenheit der Dinge nicht erkennen bzw. nicht erkennen können. Die damit verbundene Infragestellung der uns gegebenen Realität wird von Kant durch die Unterscheidung von „Erscheinung“ und „Ding an sich“ treffend ausgedrückt: Was wir äußere Gegenstände nennen, [sind] nichts anders als bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit, deren Form der Raum ist, deren wahres Correlatum aber, d. i. das Ding an sich selbst, dadurch gar nicht erkannt wird noch erkannt werden kann (A 30/B 45).

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Die Kombinierung anspruchsvoller Definitionen der Gesetzlichkeit der Objekte der Erfahrung mit einer allgemeinen, fundamentalen Zurückhaltung zum Thema „Objekt“ (in einer fast skeptischen Einstellung zum Wissen überhaupt) ist charakteristisch nicht nur für das Kantische, sondern für mehrere Systeme der Philosophie und der Wissenschaft der Aufklärung. Die Reichweite der Kantischen Unterscheidung von „Erscheinung“ und „Ding an sich“ ist jedoch bekanntlich eine ganz andere: Die Vernunft verlangt eine Bestimmung des Bedingten durch das Unbedingte; sie fällt aber in Antinomien, die sie nur dann vermeidet, wenn sie der fundamentalen Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich bewusst wird. Kant schreibt somit dem Übersinnlichen eine Reihe von neuen (ideellen) Rollen zu (vor allem regulative und praktische), welche die Bestimmung des Objektiven strukturell erweitern. Die am Anfang dieses Aufsatzes dargestellte Definition des „Objekts“ als das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt oder synthetisiert wird, gilt als Grundlage und kann weder im Sinne einer fundamentalen Problematisierung noch im Sinne einer strukturellen Erweiterung in Frage gestellt werden. Innerhalb der Kritik der reinen Vernunft thematisiert Kant jedoch das „Ding an sich“ auch und vor allem als „transzendentale[n] Gegenstand“ (A 191/B 236). Unter den vielen Bedeutungen, die der Ausdruck in sehr unterschiedlichen Kontexten bekommt, gilt dementsprechend diejenige als besonders wichtig, die (indirekt) aus der Aussage des zweiten Postulats des empirischen Denkens gewonnen wird: „Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.“ (A 219/B 266). Man kann und soll also (wenn auch in einer Abstraktion) die Dinge als die Materie der Empfindung bzw. als das, was in der Erfahrung gegeben ist, annehmen (unabhängig von den formalen Bedingungen ihrer Möglichkeit). Wäre diese Grundannahme eines Realen außer uns nicht möglich, dann könnte sich der „transzendentale Idealist“ nicht zugleich zu einem „empirischen Realisten“ erklären, wie Kant beispielsweise in der A-Fassung des 4. Paralogismus expliziert (in A 366–380). Im zweiten Postulat befindet sich dementsprechend die wichtigste (wenn auch nur zum Teil explizit vorgenommene) Definition des Begriffs „Ding an sich“ innerhalb der Kritik der reinen Vernunft.

2 Riehls Lehre der Objektivität Es ist nicht einfach, die Tradition des „philosophischen Kritizismus“, welche Alois Riehl im ersten (historischen) Band seines Hauptwerks in Rekonstruktionen ausgewählter Philosophien des 17. und 18. Jahrhunderts darstellt und dann in Band 2.1 und Band 2.2 systematisch entfaltet, in einem Konzept zu begreifen oder

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in wenigen Worten zusammenzufassen. Man kann aber sehen, dass diese Tradition in die Abschaffung sämtlicher Formen von Dualismen mündet. Dualistische Spekulationen, das lesen wir immer wieder bei Riehl, haben im Zeitalter der kritischen Philosophie jegliche Bedeutung verloren. Die Wirklichkeit solle nun alleine, also als solche, in Betracht genommen werden. Hierin liegt dann vielleicht doch eine gute, wenn auch negative Definition des „Kritizismus“: Die Philosophie unserer Wissenschaft [gestattet] uns nicht mehr, aus irgend welchen Rücksichten ausser der Wirklichkeit eine Überwirklichkeit, sei es auch problematisch, anzunehmen. Der Dualismus ist als wissenschaftlich überwunden zu betrachten. (PK 1 1876, S. 231)

„Monismus“ (das Gegenteil von jedem Dualismus) und „Realismus“ (das Gegenteil von allen Idealismen und Rationalismen) definieren somit am besten, wenn auch in einer sehr allgemeinen Weise, den „philosophischen Kritizismus“. „Monismus“ und „Realismus“ sind nach Riehl weniger das Resultat der Entwicklung der Wissenschaften in der modernen Zeit (wie aus dem obigen Zitat vielleicht zu entnehmen ist), sondern das Resultat einer tiefen und direkten Auseinandersetzung mit der Philosophie von Immanuel Kant. Kant sei nach Riehl vor allem deswegen als erstem die radikale Abschaffung von „Dualismen“ aller Art gelungen, weil er ausgerechnet das Vokabular der Subjektphilosophie (der Psychologie und des Idealismus) in dem der Subjektphilosophie entgegengesetzten Vorhaben, eine Theorie der Objektivität zu definieren, gebrauchte und systematisch entwickelte. Es ging also bei ihm von Anfang an nur um Formen des Objektiven, die er aber durch die Instrumente der Philosophie des Subjekts zu begreifen und darzulegen versuchte: Kant folgte einem äußerlichen Herkommen der Wolff’schen Schule, wenn er psychologische Classennamen zu Titeln und Gesichtspunkten der Eintheilung und Disposition des Vortrages behielt. [...] Man hätte bemerken können, dass Kant nicht die Sinnlichkeit als psychologisches Vermögen, sondern die Vorstellungen Raum und Zeit, nicht den Verstand als Seelenkraft, sondern die logischen Einheitsbegriffe in Urtheilen, nicht die Vernunft als Ausstattung des menschlichen Geistes, sondern die in der Erkenntnis und Wissenschaft ausgeprägten, gleichsam objektiv daliegenden Schlussformen prüft und kritisiert. (PK 1 1876, S. 8)

Nicht die Sinnlichkeit, nicht der Verstand, nicht die Vernunft – im ersten Band seines Philosophischen Kritizismus unterscheidet Riehl dementsprechend eine erste, von John Locke geprägte, noch „psychologische“ Phase des Kritizismus von der weiteren fundamentalen Entwicklung desselben durch Kant, in der sich die Philosophie von jeglicher Faszination des psychologischen Diskurses und dadurch von jedem (empirischen oder metaphysischen) Dualismus befreit. Riehls Aussagen in dieser Hinsicht sind unzählig und immer sehr deutlich:

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Nicht die Psychologie und deren Leitfaden der niederen und höheren Seelenvermögen, sondern die durch Ästhetik erweiterte Logik gab den Grundriss her zum systematischen Aufbau der Kritik der reinen Erkenntniss. (PK 1 1876, S. 15) Wer die Kritik der reinen Vernunft mit psychologischem Vorurtheile liest [...] muss auch der Meinung sein, dass Tetens [...] der eigentliche und wahre Vorgänger, ja zum Theile selbst Doppelgänger Kant’s auf deutschem Boden war. (PK 1 1876, S. 187) Kant ging auf die Umgestaltung der Methode der Metaphysik aus, der Wissenschaft der Dinge überhaupt aus blossen Begriffen, also einer objectiven Wissenschaft. Um diese Methode zu finden, untersuchte er nicht die Erkenntnissfähigkeiten, sondern die Erkenntnissarten, er wandte seinen Blick nicht, wie vor ihm Locke gethan, auf die innere Erfahrung, sondern hielt ihn gerichtet auf den gesamten Umkreis gegenständlicher Erkenntniss, auf die Erfahrung überhaupt. (PK 1 1876, S. 206) In diesem ganzen [kritischen] Verfahren ist Nichts von Psychologie, Nichts von einer Reflection auf das „Seelenvermögen“ des Verstandes oder der Vernunft zu bemerken. Die Methode ist unabhängig von irgend welcher Theorie über die intellektuelle Kraft, als einer subjektiven Fähigkeit. (PK 1 1876, S. 289)

Dementsprechend interpretiert Riehl den zentralen Kantischen Begriff der „Möglichkeit der Erfahrung“, welcher zugleich die Dimensionen der „Form“, des Begriffs der „Möglichkeit“, der Modalbegriffe („Möglichkeit“, „Wirklichkeit“, „Notwendigkeit“) und somit die Definition selbst der Objektivität umfasst, in einer explizit realistischen, also nicht subjektivistischen (weder psychologischen noch idealistischen) Weise: Die einseitig idealistische Auffassung und Fortbildung des Kantischen Systems hat es bewirkt, dass dieser Terminus [„Möglichkeit der Erfahrung“] ganz allgemein in subjectivem Sinne genommen wird. Man versteht darunter das Vermögen des Subjectes zur Erfahrung, die Fähigkeiten des Verstandes, durch welche Erfahrung erworben oder zu Stande gebracht wird. [...] Kant aber gebraucht jenen Terminus durchwegs objectiv. [...] Möglichkeit der Erfahrung bedeutet demnach für Kant das Wesen oder den Begriff der Erfahrung, und die Bedingungen einer möglichen Erfahrung dürfen nicht ohne weiteres den subjectiven Erkenntnissquellen, aus denen Erfahrung entspringt, gleichgesetzt werden. (PK 1 1876, S. 17–18)

Jeder, der sich schon intensiv mit den Schwierigkeiten der „Transzendentalen Ästhetik“ oder der Deduktion der Kategorien beschäftigt hat, kann diese (fundamentalen, aber nicht selbstverständlichen) Hinweise zu einer korrekten Interpretation der Texte Kants schätzen. Ganz im Allgemeinen besteht nach Riehl der größte Verdienst der Philosophie Kants darin, dass dieser die „Metaphysik“ selbst nicht mehr als „eine Wissenschaft übersinnlicher Dinge“, sondern als „das System der Erkenntnissprincipien der sinnlichen [Dinge]“ begriffen hat (PK 2.1 1879, S. 4). Band 2.1 des

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Philosophischen Kritizismus, welcher komplett auf Kants Kritik der reinen Vernunft ausgerichtet ist, trägt zwei sehr ähnliche Titel: „Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntniss“ (auf Seite I) und „Theorie der Erkenntniss“ (auf Seite 1). Es geht also im Grunde um die Entfaltung einer Theorie der Erkenntnis. Unter der Annahme realer, nicht blos eingebildeter Existenz wird die Erkenntniss zum Problem. Es entsteht die Aufgabe, nicht blos die Methoden des Erkennens vollständig zu beschreiben, sondern die Möglichkeit der Erkenntniss selbst zu erklären. Unter welchen Voraussetzungen hat die Erkenntniss reale Bedeutung? Die wissenschaftliche Untersuchung, die sich mit dieser Frage beschäftigt, heisst Erkenntnisstheorie. (PK 2.1 1879, S. 4)

Die Philosophie Kants sei in diesem Sinne weder die rationalistische Fortsetzung der alten Systeme des Rationalismus („während ... der dogmatische Rationalismus [Wolff] von der Möglichkeit der Dinge spricht, handelt der kritische von der Möglichkeit der Erfahrung“; PK 1 1876, S. 168–169) noch eine empiristische Theorie der Erkenntnis („die Erkenntnis des Empirischen überhaupt kann nicht als empirische Erkenntnis angesehen werden“; PK 1 1876, S. 296). Kants Erkenntnistheorie basiere (nach Riehl und de facto) auf einer neuen, wenngleich in altem Vokabular entwickelten Definition des Objekts durch das Normative: Objective Nothwendigkeit gehört zum Begriffe des Objectes. Es ist der Inbegriff derjenigen Elemente des Erkennens, ohne welche das Objekt, nicht etwa nicht existiren, sondern nicht vorgestellt werden würde. (PK 1 1876, S. 221) Jede Vorstellung ist ein Product der besonderen Erfahrung in die Gesetze der allgemeinen, welche letztere allein erkenntnisstheoretisch genommen apriori sind. (PK 2.1 1879, S. 8) Erkennen heisst: das Geschehen auf das Sein, auf beharrliche Elemente und unveränderliche Begriffe des Geschehens, die wir Gesetze der Natur nennen, zurückführen. (PK 2.1 1879, S. 16)

Es geht also in der ganzen kritischen Philosophie um die objektive Notwendigkeit und um die Definition des Objektiven durch Subsumptionen unterschiedlicher Natur. Notwendigkeit gilt als leitender Begriff in einer Philosophie, nach welcher das Objektive nicht mehr mit dem Substantialen (mit dem logisch „Möglichen“ nach der Tradition der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts) oder mit dem sinnlich Gegebenen (mit dem aposteriorischen „Wirklichen“ nach den vielen Varianten des Empirismus) zusammenfällt, sondern vielmehr die Gesetzlichkeit selbst (des Mannigfaltigen der Erfahrung) ausdrückt. Kant verbindet die Objektivität mit dem Normativen, deren sehr unterschiedliche Formen er innerhalb der Kritik der reinen Vernunft systematisch und sogar tabellarisch darzustellen pflegt.

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Erst aus diesen und ähnlichen Reflexionen zu Kants Philosophie, welche die (damals außerordentliche) Fähigkeit belegen, Kant in seinen Absichten und in Verbindung mit seinen tatsächlichen Quellen zu untersuchen, zieht Riehl (drastische) Konsequenzen auch für die Philosophie seiner Zeit. Der Kritizismus definiert sich als eine Philosophie, welche vor allem keine weitere Definition des Objektiven auf Basis des Verhältnisses Subjekt-Objekt duldet. Und darüber hinaus: keine Problematisierung des Sinnes selbst der Subjektivität, keine Spekulationen über Setzungen bzw. Selbstsetzungen des Objekts, keine Versuche, die Formen des Seins zu differenzieren, keine Perspektivierungen oder Reduktionen des Realen auf ein Prinzip oder auf eine Idee und letztendlich, in den Worten Riehls: gar keine „bestimmte Annahme über die Natur der Dinge“ (PK 2.1 1879, S. 4). Das wird von Riehl unter den allgemeinen Begriffen des „Monismus“ und des „Realismus“ zusammengefasst. Dass diese allgemeinen Aspekte der Philosophie Riehls mit den obigen Aussagen (I–III) über Kants Auffassung des Objekts kompatibel sind, lässt sich leicht erkennen. Wir wollen trotzdem diese drei allgemeinen Themen (Materie der Erfahrung / Apperzeption / Verhältnis Erscheinung – Ding an sich) aus der Perspektive des philosophischen Kritizismus weiter erörtern, um das Verhältnis zwischen Kants und Riehls Auffassungen von „Objektivität“ besser zu begreifen. Den drei Sektionen des ersten Abschnitts dieses Aufsatzes zu Kants Kritik der reinen Vernunft korrespondieren dementsprechend die drei folgenden zu Riehls Philosophie.

2.1 Riehls Definition der Empfindung Man könnte heute immer noch glauben, dass eine Philosophie, welche einen kompromisslosen Realismus vertritt oder vertreten will, diesen erst in Abgrenzung, wenn nicht sogar in offener Polemik gegen Kant definieren soll: ohne Kant oder gegen Kant. So werden in den letzten Jahren Bücher unter dem Titel Goodbye Kant! verfasst, welche zugleich als theoretische Basis eines neuen Realismus (des 21. Jahrhunderts) gelten wollen. Liest man aber mit Aufmerksamkeit (wenn nicht die Kritik der reinen Vernunft, dann wenigstens) Riehls „Erkenntnisstheoretische Bedeutung der Empfindung“ (nämlich Kapitel 1 des Abschnitts 1 in Band 2.1 des Philosophischen Kritizismus: PK 2.1 1879, S. 26–78), dann merkt man sofort, in welcher Weise man „Kant“ und „Realismus“ durchaus als kompatibel auffassen kann. Schon aus der merkwürdigen Struktur dieses fundamentalen Kapitels – in dem Riehl manche Sektionen (vor allem 1 und 3) über Kants Modalitätslehre und manche Sektionen (vor allem 2 und 4) über den Gegenstand der Physiologie

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abwechselnd entwickelt und sie dann in die Hauptformel seiner eigenen Philosophie (in 6) zusammenfasst: Sentio, ergo sum et est, und schließlich (in 7) eine Strategie für die Auseinandersetzung mit sämtlichen Kantischen „Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung“ skizziert – wird durchaus ersichtlich, dass er die realistische Basis seiner Auffassung der Objektivität keineswegs gegen Kant, sondern in sehr enger Auseinandersetzung mit ihm zu definieren beabsichtigt. Daher wollen wir uns an diese Struktur des Kapitels halten: Sektion 1. Die „Empfindung“ wird zunächst als Anfang und Ziel des ganzen Erkenntnisprozesses mit Hilfe einer schönen (geographischen und geometrischen) Metapher definiert: Das Erkennen beschreibt [...] eine Parabel, welche sich vom Boden der Erfahrung, den die Empfindungen bilden, erhebt und auf diesen Boden zurückführt. Was unser Wissen aus dieser Bahn gewinnt, ist nur der Ueberblick über den Zusammenhang der Empfindungen und ihre Unterordnung unter einheitliche logische Gesichtspunkte. (PK 2.1 1879, S. 26–27)

Erkenntnis kann nicht, als formale Untersuchung unter „logischen Gesichtspunkten“, aus der Erfahrung gewonnen werden. Sie kann aber auch nicht von dieser Erfahrung abstrahiert werden und bleibt in einer engen, weil unverzichtbaren und konstitutiven Verbindung mit der Materie der Erfahrung verbunden. Die Notwendigkeit der Empfindung ist mit anderen Worten nicht weniger zwingend als die Notwendigkeit der Grundsätze des Denkens. Diese zwei Formen des Verhältnisses bestimmen die Erkenntnis selbst (wie aus zwei unterschiedlichen Kraftpolen) in ihrer Entfaltung. Dementsprechend ist auch für Kant die Empfindung „keine Erkenntnissquelle“, wohl aber ein konstitutiver Bestandteil der Erfahrung in der Definition ihrer eigenen Objektivität (PK 2.1 1879, S. 31). Die Definition der „Wirklichkeit“ als notwendiger Zusammenhang mit den materiellen Bedingungen der Erfahrung (nach dem zweiten Postulat des empirischen Denkens in A 219/B 266) wird von Riehl als Basis und als Fokus in der Definition der Modalität überhaupt (des Möglichen und des Notwendigen) und somit der Objektivität der Gegenstände der Erfahrung aufgefasst. Riehl schreibt: Die Wirklichkeit der Erkenntniss der Modalität nach besteht allein in dem Zusammenhang der Erkenntniss mit Wahrnehmung und Empfindung. Ganz im Geiste der positiven Wissenschaft postulierte Kant die Verification durch Empfindung, wodurch mögliche Erkenntnisse oder Hypothesen in wirkliche oder Theorien verwandelt werden. Selbst die Mathematik wird vor dem Schicksale, als bloses „Hirngespinnste“ zu gelten, nur dadurch bewahrt, dass ihre Gegenstände: Raum und Zeit Formen der empirischen, empfundenen Wahrnehmung sind. (PK 2.1 1879, S. 28)

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Das ganze folgende (zweite) Kapitel in Band 2.1 des Philosophischen Kritizismus, welches sich wie ein Buch im Buch von S. 78 bis S. 187 entfaltet, ist der Annahme gewidmet, man solle die räumlichen und zeitlichen Bestimmungen der Empfindungen und die damit korrelierenden formalen Wissenschaften (Geometrie, Arithmetik, Algebra usw.) als mit den intensiven Qualitäten unserer sinnlichen Eindrücke verbunden betrachten. Form und Materie der Sinnlichkeit seien auf allen Niveaus der Erkenntnis aufs Engste verknüpft. Und wenn es doch notwendig ist, Kants Text nicht nur zu verstehen oder zu interpretieren, sondern ihn auch in wesentlichen Aussagen zu korrigieren und zu transformieren, dann scheut Riehl nicht davor zurück: Raum und Zeit [können] nicht so völlig unabhängig vom Wirklich-Empfindbaren, dem Empirischen, sein, wie Kant annimmt; sie können nicht rein formale Vorstellungen sein, welche bleiben würden, was sie sind, wenn auch die Empfindungen und ihre empirische Mannigfaltigkeit total geändert, ja sogar aufgehoben werden würden. (PK 2.1 1879, S. 101–102)

Sektion 2. In der zweiten Sektion wird die Annahme der Einfachheit und der Absolutheit unserer Empfindungen durch den Hinweis auf aktive Elemente in ihr (auf ein immer damit verbundenes Gefühl zum Beispiel oder auf die notwendige Lokalisierung der Empfindungen im Kontext anderer Empfindungen) in Frage gestellt. Die Empfindung, so Riehl, besteht „in der Wechselwirkung objectiver und subjectiver Elemente“ (PK 2.1 1879, S. 38). Sektion 3. In weiterer Auseinandersetzung mit der Kantischen Auffassung der Begriffe der Modalität definiert Riehl den Begriff der „reinen oder absoluten Position“ eines Dinges in der Wahrnehmung als einen „Grenzbegriff“, weil alle konkrete Empfindung immer relativ ist (PK 2.1 1879, S. 43). Urteile der Modalität haben – bei Kant wie bei Riehl – eine syn-kategorematische Funktion, indem sie nicht das Prädikat, sondern die Kopula eines Urteils bestimmen. Das gilt zunächst und vor allem für die assertorischen Urteile, welche das Dasein des Dinges vor jeder weiteren Bezeichnung ausdrücken: Jedes Urtheil enthält als seinen Grundbestandtheil die Behauptung: es ist. Diese Behauptung ist die Function des Urtheiles. (PK 2.1 1879, S. 43) Allen Urtheilen über Begriffe liegt das ursprüngliche Urtheil der Empfindung zu Grunde, und macht erst die Aussagen über Begriffsverhältnisse zu eigentlichen Urtheilen. (PK 2.1 1879, S. 43)

Die Überzeugung, man könne das Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat als eine reale (nicht bloß begriffliche) annehmen, nennt Riehl mit John Stuart Mill

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„ein Gefühl des Glaubens“ (PK 2.1 1879, S. 44). Er liest die „Postulate des empirischen Denkens überhaupt“ aus der Perspektive des zweiten Postulats bzw. des zweiten Grundprinzips der Modalität (der Wirklichkeit nach). Nicht die Form eines Urtheils, sondern sein Verhältnis zur Empfindung bestimmt seinen Modalitätswerth. (PK 2.1 1879, S. 46) Der nachgewiesene Zusammenhang des Begriffs der Existenz mit dem Empfindungsurtheil begründet die Nothwendigkeit, begriffliche Urtheile durch die Empfindung zu verificieren. (PK 2.1 1879, S. 46)

Sektion 4. Die tätigen Eigenschaften der Empfindung werden in der vierten Sektion mit Hilfe von Beispielen in Bezug auf andere Physiologen der Zeit (E. H. Weber, K. E. K. Hering, E. F. W. Pflüger) bestätigt. Wir wissen, dass sich das Auge schwächeren Reizen durch Erweiterung, stärkeren durch Verengerung der Pupille accomodirt... (PK 2.1 1879, S. 47) [...] im Verhältnisse, in welchem das Gefühl des Schmerzens das Bewusstsein beschäftigt, muss die Erfassung der Empfindung zurücktreten. (PK 2.1 1879, S. 48)

Sektion 5. Empfindungsqualitäten gelten nach Riehl nicht als „Bilder“, sondern als „Zeichen“ der äußeren Vorgänge. Diese Zeichen verweisen zugleich auf Zustände der Äußerlichkeit und unserer körperlichen Innerlichkeit. „Daraus“, so Riehl, „folgt aber ihre ausschliessliche Subjektivität keineswegs“ (PK 2.1 1879, S. 1). Die Empfindung wird somit in ihrer Herkunft als Produkt der Wechselwirkung des Subjektiven mit dem Objektiven und in ihrer fundamentalen Bedeutung als ein „natürliches“, kein „willkürliches Zeichen“ angenommen (PK 2.1 1879, S. 58–59). Sektion 6. Resultat der Kombinierung der engen Auseinandersetzung mit den Kantischen Modalbegriffen einerseits und der wissenschaftlichen Reflexion über die Natur der Empfindung andererseits ist der Grundsatz, der die Position und die ganze philosophische Einstellung Riehls am besten zusammenfasst: Sentio, ergo sum et est (PK 2.1 1879, S. 67). Dieser wird im Kontext einer systematischen Abschaffung des Unterschieds zwischen Subjekt und Objekt als Grundlage einer jeden korrekten Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants dargestellt: Vom Ich zu reden, ohne seinen Gegensatz: das Nicht-Ich in Gedanken zu haben, hat keinen Sinn, da das Ich nur durch diesen Gegensatz besteht. (PK 2.1 1879, S. 67)

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Sektion 7. Jede Art von konkreter Erkenntnis muss also nach Riehl in der Materie des Gegebenen individualisiert und bestimmt werden, „weil es sein Princip: die Empfindung ist“ (PK 2.1 1879, S. 71). Riehl argumentiert hier für die Unmöglichkeit, Formen als solche (ohne Materie) in Betracht zu nehmen. Das Resultat dieser fundamentalen Einstellung, welche zugleich als Bestimmung des Kritizismus schlechthin gilt, ist das Programm einer weiteren systematischen Auseinandersetzung mit den Inhalten der Kantischen Philosophie. Es lohnt sich daher einen ganzen Absatz der siebten Sektion in extenso zu lesen, welcher die Entwicklung des ganzen Bandes 2.1 sehr gut wiedergibt: Die Begriffe der Coexistenz und Succession, der Inhalt unserer Raum- und Zeitvorstellung, sind von realer Bedeutung; weil sie aus der bestimmten Mannigfaltigkeit der Empfindungen abstrahirt werden und nicht aus irgend einer „Form“ des Bewusstseins entspringen. Sie sind [...] als empirische Grenzbegriffe zu bezeichnen, deren Inhalt in gleichem Grade für das Bewusstsein, wie für die Wirklichkeit selber giltig ist. Eine Veränderung dieses Inhaltes durch bloses Denken oder mittelst irgend einer rein formalen Beschaffenheit des Bewusstseins ist uns völlig unbegreiflich. (PK 2.1 1879, S. 73)

Dementsprechend interpretiert Riehl auch die „Einheit des Bewusstseins“ als „Bedingung des Vorstellens selbst“ und als „Ausgangspunkt der Erfahrung“. Alle Erklärung besteht in der Reduction des Zusammengesetzten auf das Einfache; im gesammten Umfange unserer möglichen Vorstellungen kann es aber nichts einfacheres geben, als das Prinzip der Identität des Bewusstseins. (PK 2.1 1879, S. 77)

2.2 Riehls Definition der Apperzeption Unmittelbar nach dem obigen Zitat von Seite 77 des zweiten Bandes schreibt Riehl Folgendes: Die Identität des Bewusstseins ist das Maass aller Gleichheit ähnlicher und damit zugleich aller Verschiedenheit unähnlicher Vorstellungen, der Grund der Synthesis der Erfahrungsbegriffe, der Continuität und Stetigkeit der Erfahrungsbegriffe, somit die Quelle aller apriorischen Begriffe. (PK 2.1 1879, S. 77)

In Band 1 des Philosophischen Kritizismus hatte Riehl Kants Begriff der synthetischen Einheit des Bewusstseins als die Hauptform der intellektuellen Erscheinung des Gegenstandes überhaupt (wie Raum und Zeit die Formen seiner sinnlichen Erscheinung sind) definiert. Die empirische Regelmäßigkeit der Erscheinungen wird zwar erfahren, die „Erfahrung“ selbst aber, welche von der allgemeinen Gesetzlichkeit der Erscheinungen abhängt, kann nach Kant nicht bloß „erfahren“ werden. Sie stammt eher aus der Gesetzlichkeit des Bewusstseins,

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weil Erfahrung eine Erkenntnisart ist, die wie alle Erkenntnis unter allgemeinen Denkgesetzen steht. Es besteht also kein Gegensatz zwischen gewöhnlicher Erfahrung und Wissenschaft. Die Einheit des Bewusstseins sei diesbezüglich „der Grund der nothwendigen Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen in einer Erfahrung“ (PK 1 1876, S. 388). Schon der Begriff eines Gesetzes schließt diese Beziehung auf ein denkendes Bewusstsein in sich ein: „Gesetze existiren nur respektive auf einen Verstand.“ Die Form des Bewusstseins ist also die Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt (PK 1 1876, S. 389). Im systematischen Band 2.1 des Philosophischen Kritizismus behandelt Riehl die Einheit der Apperzeption vor allem im ersten Kapitel des zweiten Abschnittes. Hier wird die Ich-Vorstellung aufgrund einer Reflexion über das Prinzip der Identität als Einheit des logischen Bewusstseins auf allen Ebenen der Erkenntnis neu definiert. Die Anwendungen des Prinzips der Identität sind grundsätzlich zwei. In der Logik wird das Prinzip rein analytisch gebraucht. Eine synthetische Funktion bekommt es aber „bei der Hervorbringung von Begriffen und Begriffsverbindungen“ (PK 2.1 1879, S. 231) in allen Wissenschaften. Die Mathematik basiere grundsätzlich auf dem Prinzip der Identität: so die Arithmetik, denn „jeder Zahlensatz [...] ist ein synthetischer Identitätssatz“ (PK 2.1 1879, S. 232), und die Geometrie, denn „der Satz der Gleichförmigkeit des Raumes an allen Orten und nach allen Richtungen“ wird durch das Prinzip der Identität „bei der Gestaltung des Raumbegriffes“ erzeugt (PK 2.1 1879, S. 232). Darüber hinaus sind nach Riehl „alle Grundsätze, die in irgendeiner Wissenschaft vorkommen [...] Anwendungen dieses Prinzips“, wie beispielweise „das Doppelprinzip der Erhaltung derselben Summe von Substanz und Energie“ am deutlichsten belegt (PK 2.1 1879, S. 233). Die Einheit des Bewusstseins gilt diesbezüglich als Ausdruck der Verknüpfungsform irgendwelchen Inhaltes auf allen Ebenen des wissenschaftlichen Diskurses. Alle objektive Einheit ist zunächst und immer zugleich die Einheit der Anschauung und des Denkens des Objekts, alle objektive Verbindung die Synthese des Bewußtseins durch seine Identität. Mit Kant müssen wir daher diese synthetische Einheit des Bewußtseins für die oberste, formale Bedingung der Erfahrung erklären. (PK 2.1 1879, S. 234)

Der Vorstellung „Ich“ entspricht am besten die notwendigerweise einheitliche Vorstellung der Wirklichkeit in allen ihren Dimensionen. Sie wird somit zugleich von allen psychologischen oder metaphysischen (also nicht strikt erkenntnistheoretischen) Überlegungen über ihre Natur selbst befreit.

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2.3 Riehls Definition des Dinges an sich Wiederholt behauptet Riehl, dass das Problem des Kritizismus nicht das Dasein, sondern die Erkennbarkeit der Dinge betrifft. Dementsprechend gilt auch der Kantische nur denkbare Begriff eines „Dinges an sich“ (wohl nicht als ein „Grenzbegriff“ aus der Perspektive seines Daseins bzw. seines ontologischen Status, sondern) als „Grenzbegriff“ in Bezug auf die Auffassung desselben in der Erkenntnis. Angenommen, dass die Erkenntnis per Definition nur eine formale ist und sein kann, dann ist der Status einer „Materie“ oder eines „Dinges“ unabhängig von deren/dessen Form ein höchst problematischer. Riehl schreibt im ersten Band des Philosophischen Kritizismus: Das Ding an sich ist eine Grenze des Denkens, nicht in Bezug auf die Vorstellung seiner Existenz, sondern in Bezug auf die Beschaffenheit, die uns immer nur als Erscheinung in Raum und Zeit gegeben wird, und daher nur als Erscheinung durch Begriffe bestimmbar ist. (PK 1 1876, S. 314)

Trotz dieser allgemeinen und immer gültigen Einstellung problematisiert Riehl das Ding an sich doch aus einer eher ontologischen Perspektive, also bezüglich seiner realen Existenz und in seiner Konkretheit, abgetrennt vom Subjekt. Am deutlichsten äußert er sich zu diesem Punkt am Ende von Sektion 2 im dritten Kapitel des zweiten Abschnitts in Band 2.1. Die Empfindung, wodurch man allein die Wirklichkeit erkennt, so Riehl, verbindet Subjekt und Objekt. Sie hat einen totalisierenden Charakter und lässt die Trennung selbst des Subjektiven vom Objektiven keineswegs zu. Die Wissenschaften setzen sich mit diesem „Konstrukt“ auseinander und verlangen nichts mehr als das Resultat dieser Verbindung in der schwierigen Definition seiner Formen. Gleichzeitig, so Riehl, soll die Empfindung doch – wenn auch indirekt – das konkrete Dasein (die tatsächliche Existenz) von Subjekt und Objekt selbst belegen und erst damit jede weitere ontologische Spekulation (über mögliche weitere Formen des Seins) als ungültig erklären. Man lese den folgenden Absatz mit besonderer Aufmerksamkeit: Die Empfindung ist nicht das Bild der Beschaffenheit irgend eines Dinges, sie bezeugt dessen Dasein, aber spiegelt es nicht – und gerade dadurch ist sie befähigt, das Sein des objectiven wie des subjectiven Factors der Wahrnehmung zugleich zu erweisen, dass sie das ungemischte Wesen weder des einen, noch des anderen abbildet. Aber nach diesem Wesen wird in der sinnlichen Erfahrung niemals gefragt und auch der wissenschaftlichen genügt es, die Empfindungen als Zeichen für das Wirkliche zu verwenden. Die Undurchdringlichkeit oder der empfundene Widerstand ist der Ausdruck des tatsächlichen Verhaltens, dass dort, wo schon ein materiell Wirkliches ist nicht zugleich ein zweites körperlich Wirkliches sein kann. (PK 2.1 1879, S. 275)

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Das zweite Postulat des empirischen Denkens, woraus Riehl seine ganze Interpretation der Kritik der reinen Vernunft entwickelt, ist der einzige der drei Grundsätze der Modalität, der einen nicht eminent erkenntnistheoretischen, sondern einen eher ontologischen Wert hat. Denn er sagt etwas über die reale Basis aller unserer Erkenntnisse aus: „Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.“ (A 219/B 266). Es ist in dem Sinne kein Zufall, dass die „Widerlegung des Idealismus“, wodurch Kant den Rahmen des üblichen transzendentalen Diskurses verlässt, um Position gegenüber anderen Philosophien zu beziehen, unmittelbar nach der Darstellung dieses zweiten Prinzips der Modalität folgt. Oder besser: dass sie sogar zu diesem Postulat konstitutiv gehört.

3 Schluss Riehls Auseinandersetzung mit der Philosophie Immanuel Kants erweist sich vor allem dadurch als eine besonders wertvolle, da sie noch heute die Art zeigt, wie man die Kritik der reinen Vernunft lesen soll. Mehrere Schwierigkeiten, denen man in der Lektüre der Texte Kants begegnet, lassen sich mit Riehl und dank Riehl überwinden. Die Transposition der Kantischen Philosophie in den neuen Kontext der philosophischen Debatte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist natürlich durch mehrere wesentliche Änderungen, Streichungen und Ergänzungen unterschiedlicher Natur geprägt. Riehl blieb aber zunächst und vor allem ein guter „Kantianer“.

Literatur Ebbinghaus, Julius (1924), „Kantinterpretation und Kantkritik“, in: Deutsche Vierteljahrsschrift Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, II, 1924, H. 1, S. 80–115. Reprint in: Ebbinghaus, Gesammelte Schriften, hrsg. von Hariolf Oberer/Georg Geismann, Bd. 3: Interpretation und Kritik: Schriften zur theoretischen Philosophie und zur Philosophiegeschichte 1924–1972, Bonn: Bouvier 1989, S. 3–38. Ferraris, Maurizio (2004), Goodbye Kant! Cosa resta oggi della Critica della ragion pura, Mailand: Bompiani. Kant, Immanuel (1781/1787), Kritik der reinen Vernunft, Riga: Hartknoch 1781 (= A) / 1787 (= B). In: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der Akademie der Wissenschaften (vormals Preußische Akademie der Wissenschaften), Berlin: De Gruyter 1900ff. (= AA). Motta, Giuseppe (2012), Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt. Kritik der reinen Vernunft, A 218–235/B 265–287. Ein kritischer Kommentar (Kant-Studien Ergänzungshefte Nr. 170), Berlin/Boston: De Gruyter.

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Motta, Giuseppe (im Erscheinen), „David Hume und René Descartes. Über Form und Struktur der Deduktion der Kategorien“, in: Giuseppe Motta/Dennis Schulting/Udo Thiel (Hrsg.), Kant’s Transcendental Deduction and the Theory of Apperception. New Interpretations (Kant-Studien Ergänzungshefte), Berlin/Boston: De Gruyter. Riehl, Alois (1876), Der Philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, erster Band: Geschichte und Methode des philosophischen Kritizismus, Leipzig: Engelmann (= PK 1 1876). Riehl, Alois (1879), Der Philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, zweiter Band, erster Theil: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis, Leipzig: Engelmann (= PK 2.1 1879). Riehl, Alois (1887), Der Philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, zweiter Band, zweiter Theil: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, Leipzig: Engelmann.

Francesca Biagioli

Alois Riehl’s Epistemological Argument for Realism about Things in Themselves Abstract: Riehl was one of the leading figures in the neo-Kantian movement and the founder of critical realism. This view was characterised by a realist interpretation of Kant’s notion of a thing in itself based on a physiological account of sensation: although Riehl agreed with Kant that things in themselves are unknowable through reason alone, he maintained that such things do affect empirical intuitions and manifest themselves indirectly in empirical knowledge. This paper offers a discussion of Riehl’s argument by taking the example of his account of empirical factors in the representation of space. According to Riehl, Helmholtz’s empiricist approach to spatial intuition offered an argument for the accessibility of external reality. In order to clarify the position of the critical realist, I compare Riehl’s argument with Helmholtz’s own account of objectivity in terms of repeatability of measurement operations.

Introduction Alois Riehl was one of the leading figures in the neo-Kantian movement and the founder of a philosophical view that became known as “critical realism”. This view was motivated by the following problems: 1) the relation between Kant’s transcendental philosophy and the sciences; 2) the knowability of things inthemselves. Regarding the first problem, Riehl agreed with the Marburg School of neoKantianism that the goal of “critical” philosophy is to clarify the preconditions of scientific knowledge. Riehl and the leading figures of Marburg neo-Kantianism, Hermann Cohen, Paul Natorp, and Ernst Cassirer, agreed, furthermore, that Kant’s theory of space was in need of revision after the achievements of nineteenthcentury physiology of vision, on the one hand, and the deep transformation of the concept of space in nineteenth-/early twentieth-century mathematics and physics,

|| Note: This research has received funding from the “Rita Levi Montalcini” programme granted by the Italian Ministry of University and Research (MUR). || Francesca Biagioli, Università degli Studi di Torino [email protected]

https://doi.org/10.1515/9783110747379-003

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on the other.1 However, they adopted different strategies to account for the apriority of geometry. Whereas Cassirer – in line with the Marburg interpretation of Kant – advocated a historicised and relativised conception of a priori principles, Riehl relied on the transformation of the concept of space in the sciences to reformulate the distinction between the empirical and the formal factors of spatial perception.2 He believed that the Kantian understanding of a priori cognition as necessary and universal ought to be supplemented by Hermann von Helmholtz’s empiricist explanation of the formation of spatial intuitions. The second problem was to account for the possibility of objective knowledge. Kant’s original account was that knowledge of an object presupposes a possible intuition in space and time. The impossibility of knowledge outside the realm of appearances was the very counterpart of Kant’s argument, as there is no such intuition of the thing in itself. Riehl’s view was that at least in some respects (i.e., in the quantitative relations) the sciences provide us with true descriptions of the world. The knowability of things in themselves – which was anathema in Kant’s transcendental philosophy – followed from Riehl’s account of scientific knowledge in terms of an interaction between the mind and a mind-independent reality. I call this an epistemological argument for realism about things in themselves because such things for Riehl can be known via our knowledge of appearances. On account of the knowability thesis, the realist movement initiated by Riehl offered a clear alternative to the Marburg School of neo-Kantianism when it comes to the idea of a renewal of Kant’s transcendental philosophy. The proponents of the latter version of neo-Kantianism called themselves “logical” or “critical idealists”3 after Cohen’s view that experience as an object of the transcendental inquiry is only given in the “fact of science” and the transcendental inquiry consists in reconstructing the logical presuppositions implicit in it.4 Critical realism received comparatively less attention in the literature. However, it was influential at that time. Variants of Riehl’s argument are found in Wilhelm Wundt and Oswald Külpe, among others.5 Even Bertrand Russell and Moritz Schlick can be considered critical realists, at least with regard to some || 1 Following Neuber 2014, the attempt to reconcile the Kantian theory of space with non-Euclidean geometries and relativistic physics can be referred to as “transcendental revisionism”, and includes both idealist and realist views. Neuber considers the realist movement initiated by Riehl an autonomous – although less known – variant of transcendental revisionism. 2 On Cassirer’s strategy, see Ryckman 1991 and Friedman 2000, Chap. 7. 3 The label “Marburg School” first circulated in a pejorative sense (see Natorp 1912). 4 On Cohen’s approach, see Richardson 2006. 5 On the debate about critical realism, see Neuber 2014.

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phases in their thought.6 In particular, the debate on critical realism seems to have played an important role in Schlick’s way to define spatial notions based on the method of coincidences. As pointed out by Friedman (1997), Schlick’s appropriation of Helmholtz’s empiricist approach towards geometry was misleading, as Schlick’s own method was tied to the later works on the foundations of geometry by Hilbert and Poincaré, on the one hand, and to Einstein’s general relativity, on the other. Not only did Schlick presuppose a very different scientific context, but his reading of Helmholtz appears to be problematic for a philosophical reason. Schlick’s approach was motivated by the problem of correlating geometries as axiomatic structures – which for Schlick are arbitrary systems of signs – with a mind-independent reality. Friedman contrasts Schlick’s causal realism with Helmholtz’s original account of objectivity in terms of the lawfulness of appearances.7 I largely agree with Friedman’s criticisms of Schlick. However, it can be questioned whether causal realism suffices to account for Schlick’s motivations. More recent scholarship initiated by Heidelberger (2007) offered a more complex picture. Whereas the received view appears to be focused on the exact sciences, life sciences and psychology were no less relevant to the philosophical problems concerning space and measurement in the nineteenth century. Furthermore, Neuber (2012) suggests that the knowability thesis lent plausibility to Schlick’s idea of combining a non-naïve form of scientific realism (i.e., critical realism) with an empiricist epistemology. The purpose of this paper is to clarify the relation between the different aspects of Riehl’s view. The first part offers a reconstruction of the development of his argument from 1876 to 1887 and provides some basic information about the context of Riehl’s argument, which was motivated by some of the crucial debates || 6 See the following quote from Schlick’s student Herbert Feigl: “It is interesting to note that both Schlick (from 1910 to 1925) and Russell (by 1948, at any rate) were critical realists and thus had to come to grips with the problems of transcendence. And, while they differed sharply in their views on probability and induction, they argued essentially inductively for the existence of entities beyond the scope of the narrow domain of immediate experience. Both Schlick and Russell thus liberalized the radical empiricism of Hume, namely, by asserting the existence of a world of knowable things-in-themselves – be they such objects of common life as sticks or stones, rivers or mountains, or be they the fields and particles of modern physics. It was only under the impact of Carnap’s and Wittgenstein’s ideas and criticisms that Schlick withdrew to what he conceived of as a neutral, non-metaphysical position” (in Neuber 2012, p. 163). Although Schlick did not call himself a “critical realist”, Heidelberger (2007) and Neuber (2014) provided new evidence of Riehl’s influence on Schlick regarding the central claims of critical realism. 7 On the difference between Helmholtz and “Schlick’s Helmholtz”, see also Ryckman 2005 and Pulte 2006.

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in the psychology of his time. My focus is on the contrast between nativism and Helmholtz’s empiricism concerning human vision. The second part of the paper deals with Riehl’s approach to Helmholtz’s problem of space and provides a more systematic reconstruction of the argument based on Riehl’s account of the objectivity of metric relations. The concluding section offers a critical discussion of Riehl’s argument in comparison with Helmholtz’s own account of measurement.

1 Riehl’s Argument from 1876 to 1887 Riehl studied at the universities of Vienna, Munich, Innsbruck, and Graz, where he was appointed lecturer in 1873. At that time, in Austria, the philosophy of Johann Friedrich Herbart, was more popular than in Germany. Riehl’s acquaintance with Herbart’s work goes back to his studies in Vienna, where he attended classes taught by the Herbartian Robert Zimmermann. The influence of Herbart and the Herbartian tradition is apparent in Riehl’s work. Riehl defended Herbart’s view that the content of knowledge coincides with objectively – although merely formal – relationships between things. Herbart distinguished the content of knowledge (Gehalt) from its element (Stoff), which is sensation and does not show any resemblance with external reality (Herbart 1886, p. 317). Riehl interpreted Herbart’s distinction as follows: on the one hand, the fact that sensations are given in some particular way indicates that there are constraints imposed upon our mind by a mind-independent reality, and, on the other hand, the formal aspect of knowledge captures generally valid regularities found in the phenomena (Riehl 1879, p. 24). However, Riehl gradually distanced himself from Herbart’s realism in his major work, Critical Philosophy and Its Meaning for Positive Science, which appeared in three volumes in 1876, 1879, and 1887. After the second volume appeared, Riehl’s work was known and appreciated, especially by southwest German neoKantians. In 1882, when Wilhelm Windelband moved to Strasbourg, he recommended Riehl as his successor at the University of Freiburg. Afterwards, Riehl was a professor at the universities of Kiel and of Halle. In 1905, he was appointed professor at the University of Berlin as Wilhelm Dilthey’s successor.8 The first volume of Riehl’s work deals with Kant’s critical philosophy and its prehistory. Whereas Cohen indicated the origins of Kant’s critical philosophy in the idealistic tradition of Plato, Descartes, and Leibniz, Riehl emphasised the importance of Kant’s reception of empiricist arguments by Locke and Hume for the

|| 8 For biographical information about Riehl, see Ollig 1979, p. 21–27.

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development of his thought. Riehl’s main disagreement with Cohen though concerned doctrine of the thing in itself. Cohen excluded such a doctrine from his interpretation of critical philosophy by identifying the notion of a thing in itself as a limiting concept for the advancement of knowledge within the realm of appearances. For Riehl, the reference to one and the same reality is necessary for any description of nature to have a meaning. Therefore, in 1876, Riehl argued for a sharp distinction between thing in itself and noumenon in Kant’s work and laid the foundations for his own approach to the mind-body problem.9 In order to address this problem, Riehl believed that critical philosophy ought to profit from more recent developments in experimental psychology. In particular, Riehl referred to the work of Helmholtz to emphasise the physiological basis of sensation against Herbart’s project of a mathematical psychology, with sensations taken as simple elements. The methodological contrast between Herbart and Helmholtz offered the basis for the first premise of Riehl’s argument for the knowability of things in themselves. Riehl sided with Helmholtz in identifying qualities as complex and irreducible elements of knowledge. Therefore, Riehl maintained that the interpretation of sensations provides indirect access to the structure of reality. In other words, reality, in Riehl’s epistemology, is both a terminus a quo and a terminus ad quem: it first appears to us in sensation, and it can be pictured by our theories insofar as scientific hypotheses can be verified empirically. By contrast, reality, in Herbart’s project, is a limiting concept for the analysis of experience.10 Riehl’s second premise is his distinction between the sensible and the intellectual elements of knowledge. In 1876, Riehl introduced this distinction by emphasising the importance of Kant’s Inaugural Dissertation “On the Form and Principles of the Sensible and the Intelligible World” (originally published as De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, in 1770) for the development of the transcendental philosophy. Riehl recognised that it was only in the Critique of Pure Reason that Kant addressed the issue of proving that the concepts of the understanding necessarily apply to the manifold of intuition. Nevertheless, Riehl reconsidered Kant’s distinction between the form and the matter of appearance as formulated in 1770. After calling sensation “the matter of appearance”, Kant identified the form of appearance as the law of the mind according to which

|| 9 See Riehl 1876, p. 423–39. On Riehl’s disagreement with Cohen about the interpretation of Kant, see Köhnke 1986, p. 372–76; Pettoello 1998, p. 353–57. 10 Herbart’s view of reality is closer to Cohen’s. Therefore, Riehl distanced himself from Cohen’s interpretation of Kant as well. On Riehl’s transition from Herbart’s realism to realism about things in themselves, see Pettoello 1998, p. 347–53.

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the various things which affect the senses are coordinated. Unlike in KrV A 20/B 34, in De mundi, Kant added that both the matter and the form of appearance are evidence of some reference or relation in what is sensed: For objects do not strike the senses in virtue of their form or aspect. Accordingly, if the various factors in an object which affect the senses are to coalesce into some representational whole there is needed an internal principle in the mind, in virtue of which those various factors may be clothed with a certain aspect, in accordance with stable and innate laws. (Kant 1992[1770], p. 393)

According to Riehl, Kant’s remark suggests that the form of spatial intuition relates to empirical factors in the following way: Here Kant openly recognises the contribution of the empirical material of knowledge given to our consciousness for the formation of a particular spatial intuition. The particular relations between extended objects contain something real, given to our consciousness, namely, something given through the things themselves. Only the general form of space is subjective, and it expresses the law of our cognition. (Riehl 1876, p. 279)11

Riehl distanced himself more explicitly from Kant’s doctrine of pure intuitions in the second volume of Critical Philosophy, The Sensible and the Logical Foundations of Knowledge (1879). Although the reference to Kant is apparent in the title, Riehl’s goal was to reformulate the distinction between empirical and formal factors of spatial perception in order to correctly pose the question about the apriority of space. Therefore, Riehl’s book begins with a distinction between immediate acquaintance and conceptual or proper knowledge.12 Riehl used this distinction to account for the fact that knowledge has its origin in sensation, and any scientific hypothesis requires observation and experience for its verification. This claim particularly concerns geometrical hypotheses about space.13 || 11 All translations from Riehl’s texts are my own, unless otherwise indicated. 12 After introducing the same distinction in the General Theory of Knowledge, Schlick (1974, p. 83) refers to Riehl and to Russell’s distinction between “knowledge of things” and “knowledge of truths” (Russell 1912, p. 69). As pointed out by Neuber (2014), the substitution of Kant’s pure intuition with acquaintance as an epistemic starting point for the development of conceptual knowledge opened the doors to the knowability thesis. In the following, I suggest that it was for the same purpose that Riehl used Helmholtz’s empiricist arguments against Kant’s theory of pure intuitions. I address the question whether these arguments can receive a consistent interpretation in critical realism. 13 In the second edition of his work, Riehl (1925, p. 1) emphasised the relevance of the distinction between acquaintance and knowledge to the debate about geometrical axioms as follows: “All knowledge is mediate knowledge, which derives from proper acts of the mind, and which is accompanied by some reflection on its foundations. When we talk about immediate knowledge,

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My suggestion in the second part of the paper is that the problem of space was one of the main motivations for Riehl’s criticism of Kant regarding a possible knowledge of things in themselves. To conclude this section, Riehl’s most explicit formulation of the argument for the knowability of things in themselves is found in the third volume of Critical Philosophy, Introduction to the Theory of Science and Metaphysics (1887). The argument is as follows: It would not […] be correct to treat sensation as absolutely simple, because it is the material element of our knowledge. It is not only the consciousness of having a content, but, at the same time, the consciousness of being affected by a perceived content. Through the feeling by which it stimulates consciousness, the sensation reveals something which does not originate exclusively with ourselves. And not merely single sensations taken by themselves, but their definite relations of simultaneity and succession, exercise a power over consciousness which proves that sensations point to a reality outside ourselves, so that trough them and their relations we get a mediate knowledge of things themselves. Sense knowledge is the knowledge of the relations of things through the relations of the sensations of things. (Riehl 1894, p. 42)

The argument follows from the first of the foregoing premises, namely, from Riehl’s account of sensation: things in themselves provide what Riehl considered to be the foundation of sense impression. On account of the second premise (i.e., of the claim that conceptual knowledge presupposes acquaintance with external reality), Riehl distanced himself from Kant as follows: Kant, who occasionally pointed out this meaning of sensation and empirical intuition for knowledge, did not go into the matter any more fully because he was writing a critique of pure knowledge. So it is unreasonable to criticise him for not investigating more carefully synthetic judgments through experience. Kant cannot, however, be exonerated from the charge of having overestimated pure knowledge. It has always seemed to me that the proof that things in themselves cannot be known by pure intuition and pure thought, did not include the proof that they cannot be known by empirical intuition and empirical thought. It is impossible to infer the second directly from the impossibility of the former (metaphysical) knowledge, and the statement that things in themselves are unknowable, is true only with the limitation – through reason alone. (Riehl 1894, p. 42, note)

Riehl relied on Kant’s account of sensation in De mundi to articulate his own account of spatial perception. However, Riehl thought that Kant’s focus on a priori cognition in the KrV led him to overlook the possibility of acquiring knowledge about things in themselves by empirical intuition and empirical thought. || we mean knowledge that turned out to be evident and simple in its content. Only the meaning of such knowledge is immediate, not the knowledge of its meaning. Otherwise, there would be no controversy about axioms.”

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Exploring this possibility presupposes a closer connection to psychology than is the case in Kant’s original view. More specifically, Riehl was committed to Helmholtz’s empiricist approach to spatial intuition. In order to highlight this point, the next section provides a brief account of Riehl’s background in psychology.

2 Riehl’s Background in Psychology In the three volumes of Critical Philosophy, Riehl engaged in the main debates in the psychology of his time. To put it roughly, these debates concerned: 1) Herbart’s idea of a mathematical psychology; 2) Gustav Fechner’s and Wilhelm Wundt’s attempts to measure psychological processes; 3) nativism and empiricism about sense perception. We already mentioned that Riehl distanced himself from Herbart both for metaphysical and for methodological reasons. On the one hand, he disagreed with Herbart’s conception of reality as a limiting concept and defended an absolute notion of reality. On the other hand, he emphasised the advantage of nineteenth-century experimental psychology over Herbart’s method when it comes to accounting for the physiological nature of sensation. Fechner and others developed experimental procedures for measuring sensations in relation to the physical magnitudes of stimuli. Riehl borrowed from Fechner the idea of a psychophysical parallelism. However, Riehl excluded the measurability of sense qualities by relying on the Kantian distinction between intensive and extensive quantities.14 I turn back to the problem of measurability in the concluding section, as Riehl dealt with it in connection with the problem of space. In order to introduce this problem, the present section provides some basic information about Riehl’s stance on nativism and empiricism in their relation to the transcendental philosophy. Riehl’s starting point was Helmholtz’s theory of vision. This theory received special attention in German neo-Kantianism, as Helmholtz was the first scientist to make a plea for a return to Kant to bridge the gap between post-Kantian idealism and the sciences. In a public lecture from 1855 “On Human Vision”, delivered by Helmholtz at the University of Königsberg in aid of the Kant Memorial, Helmholtz maintained that, whereas the philosophy of nature of Schelling and Hegel was incompatible with empirical science, Kant’s view that there are subjective factors of perception was confirmed by Johannes Müller’s theory of specific nerve energies. The problem posed by Müller was that visual sensations do not

|| 14 On Riehl’s “hybrid” version of the psychophysical parallelism, see Heidelberger 2007, p. 34– 38.

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necessarily depend on light; optical nerves can be stimulated in different ways. On the one hand, the same sensations can be caused by an electric current or by a blow in the eye. On the other hand, light does not necessarily cause visual sensations. For example, ultraviolet rays cause only chemical reactions. Müller solved the problem by showing that that qualities depend not so much on the perceived object as on the constitution of our nerves. Therefore, Helmholtz maintained that perception entails some inference from subjective factors (i.e., nerve stimuli) to existing objects. In order to account for the consistency of such an inference, Helmholtz assumed the apriority of the principle of causality: We need this principle before we have some knowledge of the things in the external world; we already need it to obtain knowledge of objects in space around us and of their being in cause-effect relationships to one another. (Helmholtz 1903[1855], p. 116)

Helmholtz clarified this point in the third volume of his Handbuch der physiologischen Optik (1867). He introduced the psychological part of the physiology of vision by noticing that the perception of external objects presupposes a kind of psychic activity that could not be reduced to physical concepts yet. Therefore, physical explanations ought to be avoided: the localisation of some object is better understood as a kind of inference. Unlike inferences properly speaking, however, the corresponding associations are unconscious (Helmholtz 1867, p. 430). Helmholtz deemed sensations “signs” for their stimuli. He used the theory of unconscious inferences to account for the role of the understanding in the organisation of experience as a system of signs and in the interpretation of their meaning (Helmholtz 1867, p. 797). Helmholtz in 1867 maintained that the apriority of the principle of causality in Kant’s sense is a precondition for formulating empirical explanations of sense perception. However, he distanced himself from Kant’s conception of space and time as pure intuitions, whose form can be defined independently of any empirical content. Kant overlooked the empirical conditions for the formation of these concepts. And Kant’s theory of pure sensibility led his followers to assume that there are innate laws grounded in the form of spatial intuition (Helmholtz 1867, 456). Helmholtz’s criticism was specifically directed against the nativist solution of the following questions. The first concerned the two-dimensionality of vision. At the time Helmholtz was writing, the dominant view, endorsed by his former teacher Johannes Müller, among others, was that a two-dimensional, spatial representation is primitively given in vision. On this view, only the perceptions of depth and of distance (i.e., the kind of perception that presupposes three-dimensionality) have to be learned. The second question concerned the explanation of single vision. Helmholtz called nativists Müller, Ewald Hering, and all those who

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derived the singularity of vision from the supposition of an anatomical connection between the two retinas.15 Riehl described Helmholtz’s change of attitude towards Müller’s theory by saying that: The more Helmholtz tended to the opposite side and coherently took an empiricist direction, the more he believed, just for this, that he should distance himself from Kant. His relationship to Kant had a development that went hand in hand with his rejection of nativism. (Riehl 1904, p. 263)

Riehl’s conviction was that – contrary to Helmholtz’s own account of his relationship to Kant – empiricism was the natural complement to the transcendental proof of the possibility of knowledge. Riehl’s remark was that – as it emerges most clearly from Kant’s De mundi – the philosophical analysis of the form of space in general is perfectly compatible with an empirical explanation of the formation of particular spatial intuitions. Furthermore, Riehl in 1879 presented his distinction between acquaintance and knowledge in terms of the theory of unconscious inferences: whereas the first is the result of unconscious processes, the latter presupposes active thinking (Riehl 1879, p. 1).16 He defended the view that sensations are signs, not images of external processes: unlike images, signs indicate something fundamentally different from them. Therefore, sensations refer both to physical processes outside us and to the psychophysical conditions of the perceiving subject. For the same reason, Riehl rejected Müller’s view that sense qualities merely depend on

|| 15 Even before Helmholtz’s challenge, nativism had been called into question both by physiologists, such as August Classen, Albrecht Nagel, Johann Georg Steinbuch, and Wilhelm Wundt, and by philosophers such as Carl Sebastian Cornelius and Theodor Waitz, who followed Herbart in deriving all spatial representations from the association of nonspatial sensations. On Helmholtz’s position in these debates and on their relevance to the development of his relationship to Kant from the public lecture of 1855 to the geometrical papers from the 1870s, see Hatfield 1990, Chap. 5. 16 Schlick used the same distinction in his comparison between Helmholtz’s theory of signs and his own theory of knowledge. However, according to Helmholtz, conceptual thinking is required in order for sensations to have a meaning. Not only do inferences from sensations to their causes presuppose the a priori law of causality, but there is no place for cognition without concepts in Helmholtz’s theory. On Schlick’s misreading of Helmholtz on this point, see Friedman 1997. A similar objection might be made to Riehl’s reading. However, it must be noticed that Riehl was clear about his points of disagreement with Helmholtz, especially with regard to the theory of causality. It is revealing that, in the third volume of Critical Philosophy, Riehl (1887, p. 47) distanced himself from the theory of unconscious inferences and adopted an evolutionary explanation of sense perception in terms of adaptation to the environment and natural selection.

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specific nerve energies. Following Helmholtz, Riehl required an explanation for the interaction between inner and outer experience that apparently takes place even in the cases studied by Müller (Riehl 1879, p. 51). However, Riehl believed that a more fundamental level of explanation was needed to account for the objectivity of knowledge. It does not suffice to assume the apriority of the law of causality. The required assumption is that the unity of experience in Kant’s sense reflects the fact that different individuals perceive one and the same reality. In addition to this, Riehl interpreted Kant’s transcendental apperception as grounded in the principle of the identity of the Self. Even causality or the assumption that natural processes are generally governed by laws intelligible to the mind presupposes the application of the principle of identity to the Self. The philosophical importance of sensation lies in the fact that it precedes the distinction of the Self from external reality. The distinction depends on the contradiction of one’s own expectations in actual perception, which indicates the relativity of consciousness and of its structure. On Riehl’s account, this distinction presupposes reference to an absolute reality, the knowledge of which can only be indirect. Similarly, Dilthey contrasted Helmholtz’s scientific approach to the mindbody problem with Fichte’s and Schopenhauer’s idealistic assumption of an absolute mind. Helmholtz showed the impossibility of an immediate acquaintance with the allegedly absolute reality of the Self and argued for an indirect knowledge of a mind-independent reality through unconscious inferences from sensations to their causes. Dilthey (1890, p. 98) especially praised Riehl for having made it clear that the assumption of a mind-independent reality itself cannot be grounded in some merely intellectual reasoning, insofar as the concepts of cause and of effect already presuppose abstraction from the qualities of sensation. Riehl’s realist view depends on the experience of one’s own will when found to be in contradiction with something else. Finally, Riehl pointed out that being a priori does not necessarily imply being innate: a priori is not something that temporally precedes experience, but rather that which is logically implicit in the possibility of experience in general (Riehl 1879, p. 8).17 Riehl agreed with Helmholtz that a full answer to the questions concerning the principles of science deserves an empiricist argument. This concern in particular the questions:

|| 17 In Riehl 1887, p. 76, Riehl maintained that the theory of evolution does not exclude a transcendental perspective, unless one wants to reduce the laws of experience to their genesis.

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How much of the propositions of geometry has an objectively valid sense? And how much is on the contrary only definition or the consequence of definitions, or depends on the form of description? (Helmholtz 1977[1868], p. 39)

At the same time, Riehl believed that part of the answer to these questions was the proof that a priori concepts, despite their being subjective, determine objective features of the objects of experience (Riehl 1904, p. 267). He used the knowability thesis to account for the objectivity of the particular spatial relations that find expression as quantitative relations. We may now summarise the argument for realism about things in themselves as follows: the a priori form of spatial perception in general provides us with the preconditions of measurement; actual measurements provide us with knowledge of things in themselves. In order to illustrate the different levels in Riehl’s account of objectivity, the following sections deal with Helmholtz’s problem of space and with Riehl’s discussion of it in 1879.

3 Helmholtz’s Problem of Space Helmholtz’s answer to questions concerning the status of geometrical propositions is found in his article “On the Facts Underlying Geometry” (1868). This title clearly reminds of Bernhard Riemann’s inaugural lecture “On the Hypotheses Which Lie at the Foundation of Geometry” (1854), which was edited by Richard Dedekind in 1867. Riemann’s issue was to discover the simplest matters of fact from which the metric relations of space can be determined. He called geometrical axioms “hypotheses” because these matters of fact – like all matters of fact – are not necessary: their evidence is only empirical (Riemann 1996[1854], p. 652– 53). But Riemann also gave a more specific reason for the hypothetical character of the said relations. Relations of measure must be distinguished from relations of extension: the former can be varied only continuously; whereas the variation of extensive relations (e.g., of the number of dimensions of a manifold) is discrete. Whereas claims about extensive relations can be either true or false, claims about metric relations can only be more or less probable. For example, the unboundedness of space possesses a greater empirical certainty than any external experience. But its infinite extent, which is a hypothesis concerning metric relations, does not follow from this. On the contrary, claims about the infinitely great seem to lack empirical evidence. The formulation of geometrical hypotheses about the infinitely small is even more problematic as the empirical notions on which the metric determinations of

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space are based (i.e., the notions of a solid body and of a ray of light) do not have an empirical referent. The main problem is that we do not know from the outset whether space is a discrete or a continuous manifold. Whereas in a discrete manifold the ground of its metric relations is given in the notion of it, in a continuous manifold the ground must come from the outside. The goal of Riemann’s inquiry was to provide a survey of all possible hypotheses concerning the curvature of space, including the cases of variable curvature that would occur under the supposition that space is continuous. Riemann’s supposition was that space is a continuous, threefold-extended manifold, which admits infinitely many possible geometries. Helmholtz’s problem of space was to derive the Riemannian metric from a set of more fundamental conditions. This way of proceeding reflected Helmholtz’s view that geometry is grounded not so much in some hypotheses as in some facts to be induced by empirical measurements. He maintained that the most general condition of spatial measurement is the free mobility of rigid bodies, which he formulated as the assumption that the points of a system in motion remain fixedly linked with each other. He used free mobility, along with the monodromy of space, to characterise space as a threefold-extended manifold of constant curvature.18 In 1869, Eugenio Beltrami made Helmholtz aware that, if space is supposed to be such a manifold, a choice has to be made between Euclidean and non-Euclidean geometry. Therefore, in a public lecture from 1870, “The Origin and Meaning of Geometrical Axioms”, Helmholtz proposed a thought experiment to show that such a choice cannot be determined a priori. The hypothetical inhabitant of a convex mirror may describe metric relations in terms of Euclidean geometry. However, for every measurement in our world, there would be a corresponding measurement in the mirror, which would seem to us to follow non-Euclidean geometry. A thorough discussion of Helmholtz’s argument would require us to examine his and others’ solutions to the problem of space. Here, I will limit myself to make the following epistemological points. Not only did Helmholtz (1977[1870], p. 15) refer to his previous studies on human vision for the observed fact that the movement of rigid figures is possible in our space, with the degree of freedom that we know, but the possibility of considering a variety of hypo-

|| 18 Not only is the scope of Riemann’s inquiry wider than that of Helmholtz, but Helmholtz seems to overlook the distinction between the finite and the infinitesimal level. The first mathematically sound solution of the space problem is due to Sophus Lie (1893, p. 437–71), who deduced the Riemannian metric from a set of conditions at the infinitesimal level. For a thorough comparison between Helmholtz and Lie, see Torretti 1978, p. 158–71.

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theses concerning physical space suggested that the geometry of space is a matter for empirical investigation. To sum up, Helmholtz formulated two different arguments for geometrical empiricism, both of which contradicted the Kantian theory of the pure intuition of space. The first argument is that the general form of space as a threefold-extended manifold of constant curvature depends on the free mobility of rigid bodies. Helmholtz made it unnecessary to assume that there is a pure intuition of space and replaced it with the idealised transposition of observed facts into mathematical laws. Nevertheless, in Helmholtz 1977[1878], p. 162, Helmholtz considered the Kantian theory of the a priori given forms of intuition to be “a very fortunate and clear expression of the state of affairs”, provided that these forms prove to be general enough to include “any content whatsoever that can enter the relevant form of perception”. Helmholtz goes on to say that: the axioms of geometry limit the form of intuition of space in such a way that it can no longer absorb every thinkable content, if geometry is at all supposed to be applicable to the actual world. If we drop them, the doctrine of the transcendentality of the form of intuition of space is without any taint. (Helmholtz 1977[1878], p. 163)

The second argument is that geometrical hypotheses concerning physical space depend on experiment. Whereas for Kant the synthetic a priori judgements of (Euclidean) geometry grounded in a priori intuition are necessary, Helmholtz acknowledged the possibility of revising the principles of geometry for the purposes of measurement.19 Riehl specifically referred to the first of these arguments in support of critical realism. Regarding the second argument, he responded to Helmholtz by defending the apriority of homogenous space in the Kantian sense.

4 Riehl’s Arguments for the Homogeneity of Space Riehl relied on Helmholtz’s empiricist approach to spatial perception to argue against Kant’s definition of space as pure intuition as follows: Sight and touch are two languages, which grasp the same meaning in completely different words. Therefore, the capacity to translate one of them into the other must be learned with effort – regardless of the anatomical connection between the sense organs. This could not be the case, if spatial representation was “pure intuition” in Kant᾽s sense, and under different empirical circumstances it could be grasped in exactly the same way: experience

|| 19 On Helmholtz’s empiricist arguments against Kant, see DiSalle 2008, p. 72–79.

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teaches us that the nature of the material plays a fundamental role in the formation of this representation. (Riehl 1879, p. 139)

Following Helmholtz, Riehl emphasised the possibility of reproducing the effects of external motions by moving one’s own body. Voluntary movement is required to associate two-dimensional, visual sensations with tactile sensations, thereby obtaining the notions of distance and of a three-dimensional space. Owing to the empirical origin of three-dimensionality, the representation of space is not logically necessary. Nevertheless, for Riehl it does not suffice to claim that empirical facts provide us with hypothetical knowledge: the reliability of empirical knowledge depends on the effect of external entities on our sense organs. The fact that, in normal conditions, such an interaction takes place in a particular manner indicates that our knowledge about the form of space has some objective grounds, which distinguishe it from mere hypotheses (Riehl 1879, p. 172–73). Regarding the possibility of having different metrical relations even in the case that the extensive properties are the same – as in Helmholtz᾽s thought experiment – Riehl argued for a revised version of Kant’s argument that space is singular and the manifold in it rests merely on limitations (KrV A 24/B 39). Whereas singularity for Kant distinguished pure intuition from general concepts, Riehl maintained that the formal properties of space can be determined by specifying the corresponding properties of the concept of time. The continuity and the homogeneity of time depend, in turn, on the identity of our consciousness during any succession of impressions we experience. Once correctly identified the a priori properties of space by distinguishing them from empirical properties, Riehl’s argument entains a transcendental proof that some laws of cognition, despite their being subjective, generally apply to the objects of experience. Measuring some magnitudes presupposes that parts of space are congruent with each other according to the Euclidean definition of congruence. Magnitudes can be brought to congruent coincidence as a necessary consequence of the parts of space occupied by them being equal. Obviously, the equality of some given magnitudes must be ascertained by measurement; but their being equal can only approximately correspond to the equality of geometrical figures (Riehl 1879, p. 159–64). Riehl did not deny that geometrical definitions can be varied arbitrarily. However, he considered the notion of curvature derived from the notions of plane geometry. Even if infinitely many spaces are thinkable, the fundamental concepts of geometry, according to him, are Euclidean concepts, as is confirmed by the fact

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that the consistency of non-Euclidean geometry can be proved only relative to Euclidean geometry.20 A related argument for the homogeneity of space is derived from classical mechanics: the relativity of motions in classical mechanics presupposes the concept of a body absolutely at rest or immovable space. If material bodies in motion within physical space changed in shape and size, one could not regard space itself as the cause of such changes: motion already presupposes immovable space. One would rather hypothesise a physical cause (e.g., the temperature of matter). Riehl’s conclusion is that space, since immovable, is also unchangeable, and therefore homogeneous (Riehl 1879, p. 93). To sum up, in order to face the problems raised by Helmholtz, Riehl proposed to clearly distinguish between geometric and intuitive space. The empirical origin of the notion of distance shows that sensations play a fundamental role in the formation of the concept of space. Geometrical axioms capture only the most general features of spatial intuition. Therefore, in the second edition of his work, Riehl (1925, p. 189) called geometric concepts “invariants”21 for the intuitive representation of space. At the same time, the correlation between geometric and intuitive space entails that the geometry of physical space can be determined univocally.22 The empirical basis for the assumption of three-dimensionality does not diminish its certainty. The homogeneity of space, along with continuity, follows a priori from that of time.23 Since geometric space provides us with a || 20 The most detailed version of this argument is found in the second revised edition of Riehl’s work, arguably because Riehl relied on Hilbert’s axiomatic method to clarify the relations among different systems of geometry (Riehl 1925, p. 216–21). 21 This term is taken from Felix Klein’s definition of geometry as the theory of the relative invariants of a transformation group. This view goes back to 1872. However, it was only after Lie’s and others’ contributions to the theory of continuous transformations that Klein’s definition of geometry became common. Notably, Klein used the theory of transformation groups to give a more precise expression of Helmholtz’s thought experiment in Klein 1898. 22 Riehl’s approach to the problem of space seems to have been influential in logical positivism. On Riehl’s influence on Schlick, see Heidelberger 2007 and Neuber 2012. Carnap formulated a similar distinction between formal, intuitive, and physical space in his Dissertation, Der Raum (1922). Despite the fact that Carnap’s analysis of the concepts of space differs considerably from Riehl’s, it is likely that Carnap profited from Riehl’s distinction of the meanings attached to these concepts. It is apparent from Carnap’s references and endnotes that he was familiar with Riehl’s work. Also, consider that Carnap wrote his Dissertation under the supervision of the neo-Kantian Bruno Bauch. Bauch in 1907 wrote a paper about the relationship between geometry and experience that was clearly reminiscent of Riehl’s views. 23 Regarding infinity, Riehl adopted an argument which goes back to Eugen Dühring (1878, p. 191–93): infinite divisibility follows from the continuity of space and time. Since Dühring (and Riehl) considered incommensurability a distinctive characteristic of continuity, it is impossible

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fundamental concept for the study of the laws of motion, Riehl called mathematics “the a priori science for mechanics” (Riehl 1879, p. 88). The latter claim clearly shows that Riehl was not willing to follow Helmholtz in the inclusion of geometry in the realm of empirical sciences besides mechanics. Riehl’s arguments for the homogeneity of space enabled him to defend the apriority of Euclidean axioms in the Kantian sense of necessary presuppositions for the possibility of measurement. In doing so, Riehl adopted a completely different strategy when compared to Marburg neo-Kantians, who accounted for the possibility of revising geometrical hypotheses by considering a priori principle necessary only relative to physical theories.24 Riehl’s revision of Kant’s original argument specifically regarded the empirical elements of knowledge, which for Riehl provide us with knowledge about things in themselves. It was in this connection that Riehl relied on Helmholtz’s formulation of the fundamental hypotheses of geometry as observed facts about measurement operations: the interaction with a mind-independent reality lies at the origin of our particular spatial intuitions and determines the univocal results of measurements. But was this Helmholtz’s view? As pointed out by Friedman (1997), Helmholtz accounted for the objectivity of measurements in terms of the lawfulness of appearances. In the concluding section, I suggest that the difference between Helmholtz’s empiricism and Riehl’s critical realism – and Schlick’s, insofar as his reading of Helmholtz was influenced by Riehl – emerges when it comes to the question: What can be measured?

5 Riehl and Helmholtz on the Limits of Measurability Riehl distinguished between two different kinds of conditions of experience. The former, a priori conditions are subjective with regart to their origin, and yet objective in the sense of critical philosophy: namely, constitutive of a possible experience in general. Since a priori knowledge concerns the general form of the representation of space, Riehl also indicates a second kind of conditions for objective knowlede, nalmely, empirical conditions, such as the particular applic-

|| to infer the infinity of space and time from the unboundedness of their representations. Notice that unboundedness here differs from the extensive property of a manifold analysed by Riemann: whereas extensive properties for Riehl have empirical origin, the unboundedness of the form of space depends on a subjective perspective (see Riehl 1879, p. 182–85). 24 Similarly, Schlick (1921) criticised Cassirer’s and Reichenbach’s (1920) attempts to relativize the conception of the a priori by pointing out the necessity and universality of Kant’s principles as their defining characteristics qua a priori principles.

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ability of a given magnitude. Insofar as these conditions apply, he mainteined that cardinal numbers provide us with adequate representations of reality as for particular quantitative relations. But how do we know that empirical reality can be measured? Riehl’s answer to this question is as follows: The particular numerical values established by experiment provide us with the contents of positive and exact knowledge. These numbers represent a plurality of things, insofar as we are aware of them. In the case of particular values there is complete adequacy between our representations and the represented things themselves. And this is not contradicted by the fact that the standard of comparison is more or less conventional and the true units of nature remain unknown to us: the particular applicability of measures, the numbering of phenomena that are comparable but distinct from some point of view, the possibility of superposing the measuring instrument on a particular object, all this goes beyond any arbitrariness and stipulation. (Riehl 1879, p. 74)

In order to assign a determinate number to magnitudes, some measuring standard must be chosen and superposed a certain number of times on the object to be measured. Such a standard is itself a physical body, and the ratio that subsists between the given quantities is supposed to provide us with the objective ground of our measurement in that case. The choice of a unit of measure is conventional, but this does not affect the univocal meaning of the results of measurement. Riehl restricted the content of knowledge to the particular numerical value established by experiment, because he believed that the qualities of sensations cannot be reduced to mechanical models. Since measurement presupposes the homogeneity of the compared quantities, the concept of matter must be abstracted from the heterogeneous qualities of sensation. Riehl attributed to Helmholtz a similar account of measurements, as he praised Helmholtz for having posed the questions: How much of the propositions of geometry has an objectively valid sense? And how much is on the contrary only definition or the consequence of definitions, or depends on the form of description? (Helmholtz 1977[1868], p. 39)

Furthermore, Riehl agreed with Helmholtz that there is an objectively valid sense of the propositions of geometry when considered as empirical judgements. However, Riehl seems to have misunderstood Helmholtz’s notion of objectivity. This is also due to the fact that – as Riehl reported in the preface to the second volume of Critical Philosophy – he had not been able to take into account Helmholtz’s later article “The Facts in Perception” (1878) at the time he was writing. Helmholtz in this paper called “physically equivalent” those magnitudes in which under similar conditions and within equal periods of time similar physical processes take place. In order to prove two different magnitudes to be

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equivalent, one usually transfers solid bodies from one to another. But this does not suffice for measurement. If the results of measurements with ruler and compass are to provide knowledge, magnitudes that have been proved to be equal by a sufficiently exact comparison must manifest equivalence in any further cases. Helmholtz (1977[1878], p. 153) deemed physical equality “a completely determinate, unambiguous objective property of spatial magnitudes” because of the possibility of generalysing the results of measurements by representing the compositions of magnitudes as arithmetical sums. He called this way of proceeding “physical geometry” to distinguish it from the pure geometry that is supposed to be grounded in our spatial intuition. His objection to Kant was that physical geometry may not necessarily agree with pure geometry regarding the equality of the parts of space. If there should be any disagreement, constraints imposed by pure geometry will have to be abandoned, and spatial intuition will have to be deemed “an objectively false semblance” (Helmholtz (1977[1878], p. 153). At the same time, Helmholtz made it clear that the objectivity of measurement does not presuppose a realist view. All that is required for the assumption that spatial determinations have a real import is the possibility of treating the regularities we find in the phenomena according to general laws. Therefore, Helmholtz (1977[1887], p. 99) excluded that there is a difference in nature between incommensurable qualities and quantities: the same laws apply to completely different objects; potentially, these laws may be extended to all known physical processes. The physical interpretation of the mathematical structures under consideration depends again on the repeatablity of measuring procedures and ultimately on the demand of the regularity of nature. In Helmholtz’s writings from the 1880’s, the same demand tends to assume the role first attributed by him to the principle of causality: it enables him to overcome the opposition between idealism and causal realism by assuming that scientific laws make nature intelligible to the mind. To put it in Kantian terms, the regularity of nature depends on the constitutive role of the principles of knowledge for the objects of experience.25 However, Helmholtz emphasised against Kant that the domain of validity of scientific laws cannot be delimited a priori. || 25 According to Friedman (1997), even in Helmholtz (1867), “Helmholtz comes very close […] to the view that the lawlike relations among our sensations – arrived at by inductive inferences in accordance with the principle of causality or the lawlikeness of nature – are constitutive of their relationship to an external world” (Friedman 1997, p. 33). Friedman maintains that, in 1878, Helmholtz definitively and unambiguously rejected causal realism by identifying “the external world of objects in space” as a “construction, erected entirely on the basis of our acquired ability to localize objects therein” (ibid.).

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Helmholtz’s argument differed from Riehl’s because Helmholtz clearly distinguished numbers from external reality: numerical values per se do not possess a physical meaning independently of further theoretical, not simply conventional, assumptions about the use of numbers in modelling measurement situations. This consideration suggests that what counts as “empirical reality” depends not so much on singular facts as on their interpretation in the context of scientific theories. What distinguishes this view from Riehl’s is Helmholtz’s dynamical conception of reality. The history of science teaches us that this can change considerably, when one theory is replaced by another. For example, in general relativity, neither space nor spacetime can be conceived of as the background structure for the displacement of physical events. Owing to Einstein’s use of Riemann’s hypotheses – which had hitherto been considered a mathematical speculation – the equations of general relativity have both a geometrical and a physical meaning. When Helmholtz used the principle of the free mobility of rigid bodies to characterise space as a manifold of constant curvature, he could have hardly imagined the implementation of Riemann’s conjecture about spaces of variable curvature. Nevertheless, Helmholtz was one of the first scientists to take into account the possibility of a physical interpretation of non-Euclidean geometry. His solution to the problem of space was adequate to the theoretical framework under consideration, and it was open to revision.26 Riehl’s distinction between intuitive, geometric, and physical space enabled him to point out that Kant’s theory of the forms of intuition was not contradicted by later scientific developments such as non-Euclidean geometry or even general relativity. Intuitive space is not an object endowed with geometric properties, but rather the most general idea of spatial ordering which is required for the perception of extended objects. In order to define space as a geometric concept, properties that follow from empirical relations (e.g., three-dimensionality) must

|| 26 The first to emphasise the connection between Helmholtz’s views about geometry and Einstein’s use of Riemannian geometry was Schlick in his comments on the centenary edition of Helmholtz’s Epistemological Writings (1921). Schlick’s starting point was his own distinction between geometries as abstract structures and the physico-geometrical theory of space. The possibility of revising the geometrical foundations of physical theory followed from the hypothetical character of geometry as a theory of space. Einstein himself advocated a similar view of geometry in 1921, and maintained that such a view played a fundamental role in the development of general relativity (Einstein 1921, p. 7). For a contextualised reading of Helmholtz in contrast with Schlick’s, cf. Friedman 1997. Nevertheless, Friedman and others fundamentally agree with Schlick that Helmholtz took a decisive step towards the empirical determination of metrical geometry. See Friedman 2002; Ryckman 2005, p. 67–75; DiSalle 2008, p. 94–96.

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be combined with properties that follow logically from the unity of experience (e.g., continuity and homogeneity). Riehl’s argument about physical space, however, is strictly related to the role of the mathematical concept of space in classical mechanics: since measurement presupposes the homogeneity of space and the free mobility of rigid bodies, the hypothetical case of non-Euclidean displacements does not justify the assumption of a non-Euclidean form of space. Riehl’s suggestion, in such a case, is to look for a physical cause. His expectation that physicists would have hardly abandoned Euclidean geometry was about to be contradicted by Einstein. And, after Einstein’s general relativity, Riehl (1925, p. 104) still maintained that our intuitions about space and time are those presupposed by Newton’s mechanics, and should be distinguished from purely analytical speculations. But it is hard to see how Riehl can account for the application of Riemannian geometry in relativistic physics.

6 Concluding Remarks Riehl believed that Helmholtz’s empiricism offered an argument for a possible knowledge of things in themselves via empirical intuition and empirical thought. Given the particular object of empirical intuition, such knowledge is limited to the particular quantitative relations observed in measurement. I compared Riehl’s argument with Helmholtz’s own account of measurement because, Helmholtz, by contrast, especially in his later writings, emphasised that objectivity in measurement depends on general preconditions. Helmholtz and Riehl agreed on the view that empirical accessibility presupposes an interaction between subjective and objective factors; however, they disagreed on what Helmholtz and Riehl identified as objective and, more specifically, as measurable. I have pointed out that Riehl’s more restrictive conception prevented him from appreciating the significance of Helmholtz’s discussion about the applicability of non-Euclidean geometry. Nevertheless, Riehl was one of the first philosophers to explore the connection between Helmholtz’s psychology and the view that knowledge attains increasingly higher levels of generality. This was a guiding idea of Helmholtz’s empiricist philosophy of mathematics as well. The possibility of non-Euclidean measurements was one of Helmholtz’s examples for the view that mathematical structures provide us with defining conditions of a variety of physical (including spatial) magnitudes, insofar as the same conditions can be specified in different ways. In this sense, I think that Riehl’s core idea that the constitution of the Self proceeds in parallel with that of the world – even independently of things-inthemselves realism – did offer a philosophical account of objectivity across different sciences. The same idea enabled Riehl to relate the Kantian notion of a

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possible experience in general to a scientific understanding of experience as a source of knowledge.

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Mario Caimi

Riehls Auffassung der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe Abstract: When exposing and interpreting Kant’s transcendental Deduction (in Der philosophische Kritizismus, Geschichte und System, Volume 1), Riehl employs the same vocabulary used by Kant himself, but he attributes a realistic meaning to some of Kant’s technical expressions. Thus, in order to properly understand his view of the Deduction it is convenient to grasp Riehl’s realistic assumptions, especially his theory of sensation and his statement that pure concepts cannot be separated from their objects but by means of an operation of abstraction. Accordingly, in the present paper, I examine Riehl’s theory of sensation and his explanation of the mentioned operation of abstraction, before exposing, in the last chapter, his account of the Deductions A and B contained in the Critique of Pure Reason. Der vorliegende Aufsatz zielt darauf ab, Riehls Auffassung der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe zu untersuchen. Wir werden den Abschnitt von Kants Kritik der reinen Vernunft mit den Versionen der Deduktion vergleichen, die der neukantische Philosoph zufolge seiner eigenen Auffassung der Erkenntnis im Allgemeinen darlegt. Als Grundlage unserer Arbeit wird Riehls Spätwerk Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Leipzig, Kröner, 3. Aufl., 1924ff. (drei Bände) dienen. Dieses Buch ist die endgültige, größtenteils von Riehl selbst verbesserte Version seines frühen Werkes: Der philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft (1. Band: 1876; 2. Band: 1879).1 Diese dritte, endgültige Auflage wird fortan als PKG angeführt, um sie von der früheren Version zu unterscheiden, deren Titel das Wort „Geschichte“ nicht enthält.

|| 1 V. Kloeden 2003, S. 586f. Die Kommentatoren pflegen sich auf die frühere Version: Der philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, 1876–1879 zu beziehen. || Mario Caimi, Universidad de Buenos Aires [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-004

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Einleitung: Wie Riehl die Kategoriendeduktion insgesamt auffasst Riehls Auffassung der Deduktion weist einige Eigentümlichkeiten auf. Auch wenn es nahe läge, sie vollständig im 1. Band des Philosophischen Kritizismus, (wo Riehl einen Kommentar der entsprechenden Stellen der Kritik der reinen Vernunft bietet) zu verorten, so täuscht dieser Eindruck: Der Verfasser bedient sich, in diesem Teil seines Werkes,2 des kantischen Wortschatzes, er schiebt aber in die Kantischen Fachwörter seine eigenen, realistischen Voraussetzungen hinein. Diese Voraussetzungen werden erst im Band II und Band III des PKG erklärt. Hauptbegriffe der Kantischen Lehre erhalten dann einen neuen, eigenartigen Sinn, der im Riehlschen Text nicht angezeigt, sondern impliziert wird. Eine solche Bedeutungsverschiebung der Fachwörter wird erst offensichtlich, wenn man in Riehls Darlegung der Deduktion seine Erklärung der Empfindung miteinbezieht, die in den zwei folgenden Bänden des PKG vorgetragen wird. Wir können also nicht umhin, einen Abschnitt über Riehls Auffassung der Empfindung in den vorliegenden Aufsatz miteinzubeziehen. Die Voraussetzungen, auf denen Riehls Auffassung der Kategoriendeduktion basiert, sind in dieser Hinsicht: a) Die objektive Gültigkeit der Empfindung. Riehl setzt voraus, dass die Empfindung Wirklichkeit und Verfassung der existierenden Dingen genau entspricht.3 b)Die Unterscheidung zwischen einer formalen, subjektiven und einer materialen, objektiven Seite der Erkenntnis ist eine bloß methodische und abstrakte, die ihren Grund nicht in der objektiven Wirklichkeit, sondern in methodischen Bedürfnissen der Wissenschaft hat. Das gilt im Allgemeinen für die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, somit auch für die Unterscheidung zwischen den Kategorien und den Gegenständen, auf die sie sich beziehen. In der ursprünglichen Empfindung bilden Subjekt und Objekt eine unauflösbare Einheit. In den folgenden Abschnitten werden wir diese Voraussetzungen ausführlicher erklären, bevor wir Riehls Auffassung von Kants transzendentaler Deduktion darlegen. Denn nur wenn man Riehls Voraussetzungen in ihrer ganzen Tragweite vor Augen hat, lässt sich Riehls Erklärung von Kants Deduktion verstehen.

|| 2 PKG Bd. I, 4. Kapitel, Kröner Ausg. S. 491–523. 3 PKG Bd. I, S. 392: „alles, was in ihr [d. i. in der besonderen Anschauung MC] partikulär ist [...] gehört zufolge seiner Bestimmtheit zum Dinge selbst.“

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1 Die Empfindung In PKG Bd. II argumentiert Riehl, dass die Empfindung vor jeder Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich steht. In dieser sind Ich und Nicht-Ich vereinigt, welche eigentlich zwei Seiten (bzw. zwei Aspekte) eines einzigen Bewusstseins sind.4 Die Natur der Empfindung bringt es mit sich, dass in ihr die Form und der Inhalt unzertrennlich vereinigt sind. 5 Die Form ist subjektiv; sie drückt die Natur des Subjekts aus. Der Inhalt ist objektiv; er drückt die Natur des affizierenden Gegenstandes aus.

1.1 Die der Erkenntnis zugrundeliegende Tatsache Für Riehl ist die Empfindung keine nur psychische und keine nur organische Tatsache. Sie ist die ursprüngliche, grundlegende Tatsache der Erkenntnis: „es [gibt] in der Erfahrung nichts Ursprünglicheres als die Empfindung“6. Nach seiner Auffassung ist Empfindung eine unmittelbare und ursprüngliche Erkenntnis. Sie ist weit mehr als nur die subjektive Reaktion auf einen sinnlichen Reiz; sie enthält vielmehr auch einen objektiven Aspekt, durch den sie die Wirklichkeit der Außenwelt mit unbezweifelbarer Gewissheit darlegt.7 Die Empfindung bezieht sich von selbst auf die Dinge, ohne dass es nötig wäre, die Möglichkeit dieser Beziehung durch eine Deduktion zu begründen. Die Beziehung auf den Gegenstand ist für die Empfindung konstitutiv. Diese durch die Empfindung erreichte Erkenntnis des Dinges ist keine zusätzliche Eigenschaft, die der Empfindung mittels einer Deduktion hinzugesetzt wäre. Dagegen sind nach Kant die Empfindungen, für sich genommen, ganz subjektiv. Sie haben objektive Gültigkeit als Bestandteile der Erkenntnis nur, wenn sie nicht für sich isoliert, sondern durch die Kategorien verbunden werden. Riehl wiederum behauptet, dass man nur durch eine eigenmächtige Abstraktion die objektive Seite der Empfindung abscheiden und letztere als eine gänzlich subjektive Vorstellung betrachten könne. Die vollständige Empfindung, mit ihrer

|| 4 PKG Bd. II, S. 90: „die ganze Unterscheidung von Subjekt und Objekt der Vorstellung ist ursprünglich nur die Unterscheidung der beiden Seiten der Empfindung“. 5 PKG Bd. II, S. 90: „Subjekt und Objekt [sind] die beiden sich wechselseitig bedingenden Momente des Einen Bewusstseins.“ 6 PKG Bd. III, S. 41. 7 PKG Bd. III, S. 61: „Die Empfindung und Wahrnehmung hat [...] unmittelbar und an sich selbst reale Bedeutung.“

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objektiven und ihrer subjektiven Seite, ist der allererste, ursprüngliche Tatbestand der Erkenntnis. Sie lässt keine Trennung von Subjektivität und Objektivität zu. Der Erkenntniswert der Empfindung wird durch die Physiologie der Sinne bewiesen. Diese Wissenschaft zeigt, dass wir durch verschiedene, voneinander unabhängige Sinne denselben Gegenstand wahrnehmen. Die verschiedenen Sinne liefern einander ergänzende Teilwahrnehmungen von einem und demselben Gegenstande.8 Die gegenseitige Unabhängigkeit der Sinnesorgane kann als Beweis der Wirklichkeit einer äußeren Welt betrachtet werden, die den gemeinsamen Gegenstand aller Sinne ausmacht. Es bestehe, so Riehl, ein festes Kausalverhältnis zwischen den Eigenschaften der Dinge und den Qualitäten, die den Inhalt der entsprechenden Empfindung bilden. Es sei unvermeidlich, behauptet Riehl, anzunehmen, „dass die Dinge selbst Beschaffenheiten haben, denen die Qualitäten der Empfindung entsprechen.“ 9 Nur wenn man solche unmittelbar objektive Gültigkeit der Empfindung annimmt, kann man die Anpassung des lebendigen Organismus an seine Umgebung und somit die Evolution der Arten erklären.10 Die Anpassung der Arten an ihre Umgebung wird also durch die Empfindung angetrieben. Diese ist also keineswegs als blosse Subjektivität zu betrachten. So kann Riehl behaupten, dass „[z]wischen Reiz und Empfindung [...] eine notwendige Beziehung [besteht]; die Qualitäten der Empfindungen sind die weiter entwickelten Beschaffenheiten der äusseren Dinge“11. Eine zusätzliche Deduktion, welche die Anwendbarkeit der Empfindung auf Gegenstände beweisen sollte, erübrigt sich, denn „schon in dem Empfindungsvorgange selbst [ist] die Beziehung auf ein Objekt enthalten, braucht also nicht erst nachträglich mit der Empfindung verknüpft zu werden“12. Nicht nur die einzelne Empfindung, sondern mehrere solche und somit auch ihre Verhältnisse entsprechen unmittelbar der Wirklichkeit und sind von der Natur des Bewusstseins unabhängig. Die Sinne sind dazu fähig, mehrere Empfindungen miteinander zu vergleichen und Verhältnisse zwischen ihnen festzustellen. Der „Zwang, womit uns die Mannigfaltigkeit der Empfindungen bestimmt“13 || 8 PKG Bd. II S. 229: „es [sind] verschiedene Teile des Wirklichen [...], welche in die Wahrnehmung der verschiedenen Sinne eingehen.“ 9 PKG Bd. II S. 85f. Siehe auch PKG Bd. III, S. 41. 10 PKG Bd. III, S. 39. 11 PKG Band II, S. 79. 12 PKG Bd. II, S. 43. 13 PKG Bd. II, S. 94: der „Zwang, womit uns die Mannigfaltigkeit der Empfindungen bestimmt”.

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dient als Beweis dafür, dass sie selbst und die Verhältnisse von Koexistenz und Sukzession von mehreren Empfindungen (ihre Zeitverhältnisse also) von unserem Subjekt unabhängig sind.14 Über die Empfindung erreichen wir sogar empirische Erkenntnis der Dinge an sich und ihrer Verhältnissen.15 Riehl fasst die Dinge an sich nicht als solche, die dem menschlichen Gemüt ganz fremd und somit gar nicht erkenntlich sind. Nun ist die Empfindung das in der Erkenntnis Ursprüngliche. Sie geht dem Gegensatz von Subjekt und Objekt voran. Der Gegensatz von Subjekt und Objekt kann nicht vor der Empfindung, er kann vielmehr nur im Nachhinein (und zwar durch künstliche Abstraktion aus der Empfindung) gedacht werden. Die Empfindung bildet das Ding an sich getreu ab, in welchem auch kein solcher Gegensatz stattfindet. So stellt die Empfindung die Wirklichkeit an sich (d. i. das Ding an sich) vor.16 Die Wirklichkeit ist an sich weder objektiv noch subjektiv. In ihr hat dieser Gegensatz keinen Sinn. Das ist bei der Empfindung ebenso: „Das reine Bewusstsein der Empfindung, das sich noch nicht in ein Subjekt und ein Objekt differenzierte, und der Begriff der Wirklichkeit [...] entsprechen sich.“17 Auf dieser ursprünglichen Objektivität der Empfindung beruht der Beweis der objektiven Gültigkeit der reinen Begriffe, d. i. deren transzendentale Deduktion. Jedoch besitzt die Empfindung ihre objektive Gültigkeit nur innerhalb des individuellen Bewusstseins, in welchem sie statthat. Deswegen ist es nötig, die Gültigkeit der Empfindung tiefer zu erforschen. Als Inhalt eines individuellen Bewusstseins bezieht sich die Empfindung nur auf etwas Unbestimmtes. Sie gilt insofern nicht als Erkenntnis, indem sie sich auf etwas bezieht, was nicht erkannt, sondern nur gefühlt wird. Die individuelle Beziehung auf etwas Unbestimmtes ist die Wahrnehmung. Nur in der von der Wahrnehmung unterschiedenen Erfahrung wird das nur gefühlte Etwas zum bestimmten Gegenstand, der durch Begriffe aufgefasst wird.18

|| 14 PKG Bd. II, S. 94: „Zahl und Verbindung der Empfindungen“ lassen sich „aus der Natur und Beschaffenheit des vorstellenden Subjektes [...] allein nicht erklären“. 15 PKG Bd. III, S. 41 Anm.: „der Satz von der Unerkennbarkeit der Dinge an sich ist nur mit der Einschränkung gültig: durch blosse Vernunft.“ Siehe dagegen Kant, KrV, A 371f. Paulo Licht (2019, S. 11 und 20) bespricht diese Lehre Riehls. 16 PKG Bd. III, S. 41: „wir [erlangen] durch sie [d. h. durch die Empfindungen] und ihre Verhältnisse eine mittelbare Erkenntnis der Dinge selbst“. 17 PKG Bd. II, S. 92. 18 PKG Bd. III, S. 65: „Der unbestimmte gefühlte Gegenstand der unmittelbaren Wahrnehmungen, das Etwas, worauf sich die Empfindung bezieht, wird in der Erfahrung zu einem bestimmten begrifflichen Gegenstand.“

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So müssen wir von der Empfindung zum Begriff fortschreiten. Dieser Übergang – den Riehl in der Tat vorlegt – erinnert an die Unterscheidung von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen, die Kant besonders in den Prolegomena als einen Bestandteil der transzendentalen Deduktion der Kategorien darlegt. Wir werden zu dieser Erweiterung der Riehlschen Deduktion später zurückkommen. Zunächst wollen wir jedoch die genetische Deduktion der Kategorien untersuchen, die aus der unmittelbaren Gültigkeit der Empfindung erfolgt.

1.2 Begründung (Deduktion) der objektiven Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffen, gemäß der vorangehenden Auffassung der Empfindung Die Empfindungen sind, laut Riehl, ursprünglich; das heißt, sie haben Vorrang vor den Grundbegriffen der Erkenntnis und sind Bedingungen der Entstehung solcher Begriffe. Da die Empfindungen legitimerweise auf die Gegenstände der Erkenntnis angewandt werden können, so wird auch die Anwendung der aus den Empfindungen entwickelten Begriffe durch den Hinweis auf ihren Ursprung schon hinreichend begründet. Kann man die Entstehung von einzelnen reinen Verstandesbegriffen aus Empfindungen beweisen, so kann man die Anwendung solcher Begriffe auf Gegenstände für berechtigt erklären. In den Riehlschen Texten findet man in der Tat eine solch genetische Deduktion, die wir im Folgenden teilweise erörtern werden. Diese ist zwar noch keine vollständige Deduktion des reinen Begriffes, denn wir haben den Übergang von der Wahrnehmung zum Begriff noch nicht vollzogen. Sie zeigt aber zumindest, dass die betreffende Kategorie kein leerer Begriff (kein „Hirngespinst“19) ist. Um unsere Darlegung in Grenzen zu halten, werden wir nicht Riehls genetische Deduktion aller zwölf Kategorien, sondern nur die der reinen Begriffe von Substanz-Akzidenz und von Ursache und Wirkung, sowie die des Modalitätsbegriffs von Dasein (Wirklichkeit) vortragen.

1.3 Genetische Deduktion des Begriffes von Substanz und Akzidenzien (Inhärenz und Subsistenz) gemäß der Lehre von der Empfindung Die Kategorie von Substanz und Akzidenz entspricht der formallogischen Synthesis von Subjekt und Prädikat. Ihre logische Form ist die vom kategorischen Urteil. Riehl erklärt die Entstehung des kategorischen Urteils durch die Physio|| 19 KrV, B 123.

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logie der Empfindung. Die Wiederholung desselben Reizes bewirke bei der fortschreitenden Entwicklung der Sinnesorgane des Neugeborenen die Wiederkennung der wiederholten Empfindung. Dies geschieht lange bevor das Selbstbewusstsein eintritt.20 Sie besteht im Wesentlich in einer neuen, hinzukommenden Vorstellung, die als Kriterium benutzt wird, die mannigfachen Eindrücke als nochmals dieselben oder als verschiedene bzw. als günstige oder schmerzhaft zu sortieren.21 Durch solche Vorstellung der Wiedererkennung bewertet das Neugeborene die wohltuende Qualität bzw. die Schädlichkeit der Reize, die es empfängt. Das soll der Ursprung des kategorischen Urteils sein.22 Da es sich um Empfindungen handelt, besitzt auch diese hinzukommende Vorstellung der Wiedererkennung objektive Gültigkeit. Sie bezieht sich tatsächlich auf die äußere Wirklichkeit, d. h., sie drückt die wirkliche Verbindung vom äußeren Ding mit seinen schädlichen bzw. wohltuenden Eigenschaften aus. Das außer uns Wirkliche, die äußere Wirklichkeit, wird von Riehl als Materie und Kraft (Energie) aufgefasst. Diese machen das wirkliche Substratum der äußeren Wirklichkeit aus. Sie sind es, was dem Substanzbegriff in der objektiven Welt entspricht. Dieser Begriff ist also kein leeres Hirngespinst, sondern bezieht sich auf etwas Wirkliches. Das ist der erste Schritt einer Deduktion der Kategorie von Substanz und Akzidens. In einem zweiten Schritt muss noch das Verhältnis von Inhärenz und Subsistenz erklärt werden. Dieses ergibt sich, Riehl zufolge, durch den Unterschied zwischen den Empfindungen von verschiedenen Sinnen. Der Unterschied zwischen den Empfindungen des Tastsinns und jenen durch die übrigen Sinne begründet auch die Unterscheidung von Ding und Eigenschaft, das Verhältnis der Inhärenz.23

Was wir als Eigenschaft, als Akzidenz bzw. als Attribut einer Substanz bezeichnen, ist die Empfindung, insofern sie ein Bestandteil räumlicher Wahrnehmun-

|| 20 PKG Bd. II, S. 233: „lange bevor von einem deutlichen Selbstbewusstsein irgend die rede sein kann“. 21 PKG Bd. II, S. 234: „Sie wird zum Prädikate, durch welches die erneute Wahrnehmung beurteilt wird.“ 22 PKG Bd. II, S. 234: „Was wir soeben beschrieben haben, ist die Entstehung des kategorisch bejahenden Urteils.“ 23 PKG Bd. II, S. 237. An einer anderen Stelle (PKG Bd. II, S. 316.) verweigert Riehl diesem Verhältnis jede Wirklichkeit. Die Unterscheidung von Substanz und Akzidenzien bestehe nur in den Worten. Was eigentlich existiert, sei nur die Substanz. Was wir als Akzidenzien bzw. als Eigenschaften bezeichnen, seien nur Modi, wie die Substanz existiert.

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gen ist.24 Jede Empfindung wird als Attribut eines Gegenstandes aufgefasst. Somit ist bewiesen, dass die Kategorie der Substanz-Akzidenz sich auf Gegenstände notwendig bezieht; das ist es, was die Deduktion zu beweisen hatte.

1.4 Genetische Deduktion des reinen Begriffes der Kausalität nach Riehls Empfindungslehre Was wir Wirkung (einer Ursache) nennen, ist die Empfindung als Bestandteil zeitlicher Wahrnehmungen.25 Riehl zufolge ist die Zeit keine reine Anschauung, die der empirischen Erkenntnis vorhergeht. Sie ist keine rein apriorische Vorstellung, sondern enthält wirkliche, empirische Wahrnehmungen in sich.26 Daraus folgt, dass der Wechsel der Empfindungen ein wirkliches, objektives Geschehen ist.27 Er wird vom Bewusstsein als etwas Wirkliches wahrgenommen. Ordnung und Aufeinanderfolge der Empfindungen bezeugt also eine zeitliche Ordnung und Aufeinanderfolge, die in den Dingen wirklich ist.28 Die Folge der Empfindungen entspricht genau der notwendigen Aufeinanderfolge der Dinge. Der Begriff der Ursache hat also seine objektive Gültigkeit: Er ist der Begriff der notwendigen objektiven Folge, der legitimerweise bei der Erkenntnis der Dinge angewandt werden kann, denn die nämliche Folge findet in den Dingen selbst statt. Dieser Begriff ist schon deswegen gültig für die Erkenntnis, weil er seine Abstammung in der Empfindung aufweisen kann, welche die wirklichen Verhältnisse der Dinge widerspiegelt. Das ist die genetische Deduktion des Begriffes von Ursache und Wirkung.

|| 24 PKG Bd. II, S. 222: „Die Empfindung als Bestandteil einer räumlichen Wahrnehmung heisst Eigenschaft oder Attribut.“ 25 PKG Bd. II, S. 222: „Die Empfindung als Bestandteil einer zeitlichen Wahrnehmung wird Wirkung oder Effekt genannt und die räumliche Wahrnehmung, die der Wirkung vorhergeht, als Ursache aufgefasst.“ 26 Riehl 1904, S. 275: Die reine Anschauung „ist nicht ‚vor aller Erfahrung gegeben‘, sie wird in Verbindung mit Wahrnehmungen [...] erworben.“ Im selben Sinne PKG Bd. II, S. 162f.: „Die Vorstellung der Zeit ist [...] keine rein empirische Vorstellung. Aber sie ist auch keine rein apriorische.“ 27 PKG Bd. II, S. 162: „Uns erscheint [...] der Wechsel [...] als das ihm [d. i. dem Bewusstsein, MC] zunächst Äusserliche und durch die Erfahrung Aufgedrungene.“ 28 PKG Bd. III, S. 41: „nicht bloss die einzelnen Empfindungen für sich genommen, auch ihre bestimmten Verhälltnisse der Gleichzeitigkeit und Folge üben auf das Bewusstsein einen Zwang aus, welcher Beweist, dass sich die Empfindungen nach einer Realität ausser uns richten, so dass wir durch sie und ihre Verhältnisse eine mittelbare Erkenntnis der Dinge selbst erlangen.“

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1.5 Genetische Deduktion der modalen Kategorie der Wirklichkeit (Dasein–Nicht-sein) Der reine apriorische Begriff der Wirklichkeit wird für Riehl das empirische Ergebnis des Existenzurteils, das in der Empfindung impliziert ist. Die Empfindungen von Widerstand und von Abstoßung zeugen davon, dass die Vorstellung eines äußeren Körpers in der Tat etwas Wirkliches vorstellt. Solche Vorstellung hat also objektive Gültigkeit. Das Bewusstsein der Wirklichkeit von äußeren Körpern entsteht durch die Tastempfindung des Widerstandes. Diese Empfindung ermöglicht uns, der Existenz des eigenen Körpers und des Daseins von anderen, äußeren Körpern bewusst zu sein.29 Auf solche Empfindung beruht der Beweis der objektiven Gültigkeit der Kategorie von Dasein–Nicht-sein (Wirklichkeit). In Riehls Texten finden sich außerdem genetische Deduktionen der übrigen Kategorien. Wir werden sie der Kürze halber hier weglassen.

1.6 Einige Folgen des eben vorgetragenen Begriffes der Empfindung für Riehls Auffassung der Kantischen Deduktion Riehls Auffassung der Empfindung und der Erscheinung prägt seine Interpretation der Transzendentalphilosophie. Die Empfindung bekommt eine unbestreitbare Gewissheit. Ihr entspricht die ebenfalls unbestreitbare Wirklichkeit der äußeren Welt und der Verhältnisse der weltlichen Gegenstände. Diese Welt besteht für sich, sie ist von dem sie denkenden Bewusstsein unabhängig. Sie ist nicht der Kopernikanischen Wende unterzogen. Dementsprechend erweisen sich manche Themen der Kantischen Erkenntnistheorie bei Riehl als Scheinprobleme, die sich aus einer irrigen dualistischen Auffassung der Erfahrung herleiten.30 Wir möchten auf einige dieser Abweichungen Riehls von der Transzendentalphilosophie hinweisen, die seine Auffassung der transzendentalen Deduktion beeinflussen. 1) Im Allgemeinen erscheint eine Deduktion der Empfindungen als überflüssig. Eine zusätzliche Erklärung der Beziehung der Vorstellung auf ihren Gegenstand erübrigt sich, denn diese Beziehung ist schon ursprünglich in der Empfindung

|| 29 PKG Bd. II, S. 236f.: „Denn durch die Empfindung von Widerstand werden | wir zugleich mit dem Gefühle unserer eigenen körperlichen Existenz des Daseins anderer Körper inne.“ Virone (2007, S. 270) hält diesen Beweis für ungültig. 30 PKG Bd. III, S. 33.

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enthalten; somit ist das Problem der Deduktion gelöst.31 Es besteht also keine Notwendigkeit, der Empfindung eine Beziehung auf den Gegenstand durch eine besondere Deduktion zuzuschreiben. Höchstens ist es noch möglich, eine Deduktion der zum Behuf der Wissenschaft durch künstliche Abstraktion gewonnenen Verstandesbegriffe durchzuführen. Diese werden wir in unserem dritten Abschnitt vortragen. 2) An die Stelle des Dinges an sich tritt ihre sinnliche Erscheinung.32 Diese ist bloß ein Bündel von Empfindungen. „Ein Ding ist zunächst eine erfahrungsmäßig beharrliche und zusammenhängende, kurz eine konstante Gruppe von Empfindungen.“33 Die Erkenntnislehre schlägt somit einen neuen Weg ein: Die von Kant gezogene Grenze der empirischen Erkenntnis löst sich auf, wenn das Ding an sich nicht mehr unerreichbar, sondern durch Empfindung erkennbar wird. Die Dinge an sich sind nach Riehls Auffassung wirkliche Dinge und können empirisch erkannt werden. Die Erscheinung ist das Ding an sich, nur durch die Formen der menschlichen Sinnlichkeit vermittelt. Also erkennen wir das Ding an sich, wenn wir die Erscheinungen durch die Empfindungen erkennen. So kann Riehl die Kategorien auf die Dinge an sich ohne Bedenken anwenden.34 Die Dinge an sich stehen zueinander in Verhältnissen, die durch die Kategorien gedacht werden können,35 denn sie stehen zueinander in denselben Verhältnissen, in denen die Empfindungen zueinanderstehen, die solche Dinge darstellen.36 Die Erscheinung ist also eine Grundtatsache der Erkenntnis. Sie wird sowohl durch die Beschaffenheit des jeweiligen Sinnesapparats als auch durch die Natur der Reize bestimmt. In der Erscheinung sind Subjekt und Objekt unzertrennlich aufeinander bezogen. Nur durch Abstraktion können sie getrennt und dann wiederum aufeinander bezogen werden.

|| 31 PKG Bd. II S. 43: „Auch ist schon in dem Empfindungsvorgange selbst die Beziehung auf ein Objekt enthalten, braucht also nicht erst nachträglich mit der Empfindung verknüpft zu werden.“ 32 Über den Begriff von Ding an sich nach Riehl siehe insbesondere Pettoello 1998, S. 358f. 33 PKG Bd. II, S. 236. 34 PKG Bd. I, S. 401: „Wir denken die Dinge an sich durch die Begriffe des reinen Verstandes, wir erkennen sie durch empirische Anschauung, [...] nämlich durch Vermittlung ihrer Erscheinungen.“ 35 PKG Bd. I, S. 400: „Der Ausdruck ‚Dinge an sich‘ [...] bedeutet nicht Dinge, die ausser allen Verhältnissen zueinander stünden, dies wäre in der Tat ein Unbegriff.“ 36 PKG Bd. III, S. 41: „Die sinnliche Erkenntnis ist die Erkenntnis der Verhältnisse der Dinge durch die Verhältnisse der Empfindungen der Dinge.“

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3) Auch Kants Prinzip der Apperzeption erhält durch Riehls Bewertung der unmittelbaren Gewissheit der Empfindung eine neue Bedeutung; das Ich der Apperzeption kommt dem empirischen Ich näher.37 Wir werden in unserem dritten Abschnitt darauf zurückkommen. 4) Die Kopernikanische Wende bleibt von der Deduktion ausgeschlossen, indem es der selbständige Gegenstand ist, der die Synthesis zu einer notwendigen Zusammensetzung macht.38 Der Grundgedanke der Kopernikanischen Wende, d. i. der Gedanke eines neuen, transzendental-synthetischen Begriffs des Objektes scheint Riehl fremd zu sein. Dieser scheint vielmehr vorauszusetzen, dass der Gegenstand schon als solcher, als einheitlich zusammengesetzt und als selbständig gegeben ist.

2 Riehls Unterscheidung von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen nach dem Vorbild der Prolegomena In PKG Bd. II, S. 222ff. findet sich eine Darlegung des Begriffs der objektiven Gültigkeit, die im näheren Zusammenhang mit der Kategoriendeduktion steht. Sie beruht auf der Unterscheidung zwischen Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen.39 Riehls Darlegung erinnert an Kants Deduktion der Kategorien, wie er sie in den Prolegomena vorlegt, auch wenn bestritten wurde, dass Riehls Text eine Deduktion enthält.40 Wie wir sogleich sehen werden, reicht Riehls Übereinstimmung mit Kant in dieser Angelegenheit nicht sehr weit. Kant bedient sich der Unterscheidung der Urteilsarten, um die Funktion der Kategorien bei der Begründung der Objektivität darzulegen. Er liefert durch diese Unterscheidung eine || 37 Pettoello (1998, S. 361) weist darauf hin, dass Riehl zwischen dem Bewusstsein im allgemeinen, transzendentaler Apperzeption und empirischem Selbstbewusstsein nicht deutlich genug unterscheidet. 38 PKG Bd. I, S. 504: „Die Beziehung der Wahrnehmungen auf ein Objekt bringt in ihre Verbindung Notwendigkeit und Bestimmtheit hinein. Und zwar ist es der Gegenstand, welcher diese Vereinigung zu einer notwendigen macht.“ 39 Kant: Prolegomena, AA 4, S. 297; KrV, B 142. Riehl bespricht Kants Unterscheidung in PKG Bd. II, S. 43: „Ein Urteil, das sich lediglich auf Empfindungen stützte [...] , heisst nach Kant ein Wahrnehmungsurteil im Unterschiede von einem Erfahrungsurteile, für welches Begriffe a priori [...] vorauszusetzen sind.“ 40 Virone (2007, S. 281f.) meint, die Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile bietet in Riehls Erkenntnistheorie keinen zureichenden Grund für eine Deduktion der Kategorien. Ähnlich Pettoello 1998, S. 357.

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Deduktion der Kategorien.41 Die Kategorien sind nach Kant die Regeln der notwendigen Synthesis, durch die das Objekt eben zum Objekt wird. Also ist die Beziehung der Kategorien auf Gegenstände nicht nur rechtmäßig, sondern auch unumgänglich und notwendig. Bei Erfahrungsurteilen, die objektiv- und allgemeingültig sind, dient eine Kategorie als Regel der Synthesis von Subjekt und Prädikat. Solche Urteile unterscheiden sich dadurch von den Wahrnehmungsurteilen, die nicht objektiv gültig, sondern höchstens individuell gültig sind und deren Subjekt und Prädikat durch ein bloß zufälliges, personales Erlebnis verbunden sind. Für Riehl ist es dagegen die Mitteilbarkeit, die das Erfahrungsurteil kennzeichnet und es vom Wahrnehmungsurteil unterscheidet. Nur was mitteilbar ist, besitzt nach Riehl allgemeine und nicht bloß individuelle Gültigkeit. Wahrnehmungsurteile erklärt Riehl genetisch und biologisch.42 Wir haben die Entstehung dieser Urteile am Beispiel der genetischen Deduktion der Substanzkategorie in unserem ersten Abschnitt vorgetragen. In PKG Bd. II wird die Wahrnehmung definiert als „[e]ine räumlich und zeitlich begrenzte Mehrheit von Empfindungen“43. Die Empfindung bezieht sich auf etwas, was eigentlich nicht erkannt, sondern in der Intimität eines individuellen Bewusstseins gefühlt wird. Eine solche individuelle Beziehung auf etwas Unbestimmtes ist die Wahrnehmung. Nur infolge der Möglichkeit, Wahrnehmungen durch die Sprache mitzuteilen, wird klar, dass die mannigfachen Wahrnehmungen sich auf die einzige und selbe Wirklichkeit beziehen, in der alle Subjekte übereinkommen. Mitteilbarkeit ist also, was eine objektivgültige Vorstellung von einer bloß subjektiven und das Erfahrungsurteil von dem Wahrnehmungsurteil unterscheidet. Mitteilung setzt andere Subjekte voraus, die als Gesprächspartner dienen. Erfahrung erweist sich somit als ein soziales Ereignis.44 Erst das Leben in einer Gemeinschaft und das Streben nach biologischem Überleben verursachen die Entstehung des Bedürfnisses, Wahrnehmungen und Vorstellungen mitzuteilen.45

|| 41 Über diese Version der Kategoriendeduktion in Prolegomena siehe Licht 2019, S. 7–22. Siehe auch Pollok 2012, S. 109f. 42 Enskat (2020, S. 23, Anm. 39) bezieht sich auf Kants Beispiel in KrV, B 162 (Gefrieren des Wassers), um Riehls kausal-syntaktische Erklärung der Verwandlung dieses Wahrnehmungsurteils in ein Erfahrungsurteil hervorzuheben. 43 PKG Bd. II, S. 222: „Eine räumlich und zeitlich begrenzte Mehrheit von Empfindungen heisst Wahrnehmung.“ 44 PKG Bd. III, S. 64. 45 PKG Bd. III, S. 64: „Jenes Bedürfnis [nach Mitteilung] aber wird erst durch das Gemeinleben erweckt, es ist ein Ausfluss der sozialen, im Kampfe ums Dasein erlangten und befestigten Triebe.“

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Mitteilbarkeit setzt wiederum eine dem Menschengeschlecht gemeinsame Sinnesausstattung voraus. Nur dadurch, dass für uns Menschen der Gesichts- und der Tastsinn Vorrang haben, können wir die Mitteilung der Vorstellungen auf gewisse Verhältnisse basieren, die für uns allgemein gelten: die Verhältnisse nämlich der Simultaneität, der Zeitfolge, der räumlichen Lage und Gestalt, der Größe. „In diesen Verhältnissen haben wir [...] das rein Gegenständliche der äußeren Erfahrung anzuerkennen.“46 Die allgemeine Gültigkeit dieser Verhältnisse besteht nach Riehl darin, dass wir sie der ganzen menschlichen Gemeinschaft mitteilen können.47 Das ist wiederum deswegen möglich, weil wir dieselben biologischen Eigenschaften mit dem ganzen Menschengeschlecht gemein haben. Ein Wesen, das ebenso vorwiegend in Geruchsvorstellungen dächte, wie wir in Vorstellungen des Tastsinns und des Gesichts, würde die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten anders treffen als Locke sie getroffen hat.48

Es ist also nicht die kategoriale Synthesis, sondern die physiologische Sinnesausstattung des Subjektes, die den Erfahrungsurteilen als solchen zum Grunde liegt und ihnen objektive Gültigkeit (Beziehung auf einen Gegenstand) verleiht. Folglich kann Riehls Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen wohl als eine psychologische und soziale, nicht aber als eine transzendentale Deduktion der Kategorien gelten, wie es bei Kant der Fall ist. Mitteilbarkeit setzt begriffliche Form voraus. Einzelne Empfindungen sind zwar objektivgültig, aber sie sind nicht mitteilbar. Sie werden in der Intimität des einzelnen Subjektes empfunden. Damit sie mitteilbar werden, müssen die Empfindungen in Begriffe übersetzt werden. Dies ergibt sich folgendermaßen: Wirkliche Empfindungen sind nicht einfach sondern vielfältig. Ihr Inhalt besteht nicht aus einer einzelnen einfachen Qualität.49 Reine einfache Qualitäten finden sich nicht in der wirklichen konkreten Erfahrung isoliert.50 Damit sie mitteilbar werden, müssen die einfachen Qualitäten von der Menge der Empfindungen abgesondert werden, mit denen sie in der Natur vermengt sind. Alsdann können sie durch die entsprechenden Begriffe aufgefasst werden. Erst

|| 46 PKG Bd. III, S. 65. 47 PKG Bd. II, S. 43: „unter Voraussetzung ihrer gleichartigen sinnlichen Konstitution“. 48 PKG Bd. III, S. 34. 49 PKG Bd. II, S. 46: „Alles Einzelne im Bewusstsein steht mit anderem Einzelnen in ihm in Wechselwirkung, d. h. es gibt in Wahrheit nichts Einzelnes, nichts Unverbundenes im Bewusstsein.“ 50 Vgl. KrV, B 673f.

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dann werden sie allgemein mitteilbar und nicht bloß subjektiv empfunden. Die bloß individuelle Gültigkeit des Wahrnehmungsurteils wird durch die Anwendung solcher Begriffe zur allgemeinen Gültigkeit des Erfahrungsurteils. Die Beziehung der Erfahrungsurteile auf ihre Gegenstände beruht also nicht auf der kategorialen Synthesis, sondern auf der Mitteilbarkeit ihrer Bestandteile, was wiederum von der gemeinsamen sinnlichen Ausstattung der Menschen abhängt. Das Verfahren der Klassifizierung von Empfindungen und Qualitäten durch Begriffe zwecks der Mitteilbarkeit erklärt Riehl als die Erstellung von „Grenzbegriffen“. Wir werden Riehls Lehre von Grenzbegriffen in unserem nächsten Abschnitt darstellen.

3 Riehls Darlegung von Kants transzendentaler Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft Nachdem wir die Voraussetzungen dargelegt haben, die Riehls Auffassung der Transzendentalphilosophie bestimmen, können wir uns endlich dem Thema unserer Untersuchung zuwenden, nämlich Riehls Darlegung der transzendentalen Deduktion. In PKG Bd. I, 4. Kapitel, S. 491–523 der Kröner Ausgabe, legt Riehl die transzendentale Deduktion dar, die sich in beiden Auflagen der Kritik der reinen Vernunft befindet. Zunächst (S. 491–513) findet sich dort eine allgemeine Erklärung der Deduktion überhaupt; es folgt eine ausführliche Besprechung der Deduktion A. Von S. 513 bis S. 523 bespricht Riehl die Deduktion von 1787, wobei er jeden Paragraph sorgfältig durchgeht.51 Außerdem werden die Grundbegriffe der Deduktion in PKG Bd. II, S. 257f. einzeln vorgetragen. Riehl bedient sich des Kantischen Fachwortschatzes, aber sein Kommentar wird von seiner eigenen Auffassung der Erkenntnistheorie geprägt, sodass er den Kantischen Worten gelegentlich einen Sinn beilegt, der vom Original abweicht. So kommt es vor, dass er mit dem Vokabular des transzendentalen Idealismus eine realistische und naturalistische Deduktion durchführt. Dies ergibt sich durch subtile Bedeutungsverschiebungen.

|| 51 Riehl zieht die Deduktion von 1787 der von 1781 vor, denn er meint, in der sog. Deduktion A finden sich psychologische Elemente, die dort fehl am Platz sind.

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3.1 Formales und abstraktes Wesen der Kantischen Deduktion Kants Deduktion der reinen Verstandesbegriffe befasst sich, Riehl zufolge, mit dem Verhältnis der formalen Elemente der Erkenntnis zu den Gegenständen.52 In der Kantischen Deduktion erfolgt nach Riehl eine methodische Scheidung der inhaltlichen und formalen Aspekte der Erfahrung, sodass die Aufmerksamkeit ausschließlich der begrifflichen Form derselben gilt. Zweck der Deduktion sei es, Bedürfnisse des Bewusstseins bei der wissenschaftlichen Erkenntnis zu erfüllen. Nur deswegen, weil Subjekt und Objekt der Erkenntnis künstlich getrennt sind, beschäftigt sich die Deduktion mit der Erklärung der Möglichkeit der Beziehung der reinen Begriffe (welche zum Subjektteil gehören) auf Gegenstände. Die Wissenschaft muss eine solche Trennung bewirken und sodann auf die bloße Form der Erfahrung achten, um wissenschaftliche, das ist, allgemeine und mitteilbare Erfahrung zu gewinnen, denn sonst würde sie sich nur mit einzelnen individuellen Wahrnehmungen befassen müssen.53 Deswegen behandelt die Deduktion nur die eine Seite der Wirklichkeit, nämlich den Begriff: „das Sein erscheint nur, oder wird erfahren, einerseits insofern es empfindbar und andrerseits insofern es denkbar ist.“54 Eigentlich kann die Form nicht von der Materie (d. i. von dem sinnlichen Inhalt der Erkenntnis) wirklich getrennt werden. Nur durch eine methodische Abstraktion kann diese Trennung erfolgen. Diese ist aber unumgänglich, denn nur die Einheitsformen des Denkens ermöglichen die wissenschaftliche Erkenntnis von Gegenständen.55 Die reinen Verstandesbegriffe (die Kategorien) sind solche Einheitsformen; sie bilden also die intellektuelle Form der Erfahrung. Die Scheidung von Form und Inhalt und die ausschließliche Beschäftigung mit der Form ist, nach Riehl, eine Vorbedingung der transzendentalen Deduktion. Zweck der Kantischen Deduktion ist es also (nach Riehl) zu zeigen, dass die Kategorien Prinzipien der Möglichkeit der wissenschaftlichen Erfahrung sind, wenn er das auch nicht ausdrücklich betont, wenn er schreibt: „Die Deduktion hat demnach die Darlegung der ‚Kategorien‘ als Prinzipien einer möglichen Erfahrung zum

|| 52 PKG Bd. I, S. 496: „Im übrigen hält sich die Deduktion an die Beziehung der formalen Erkenntniselemente zu den Gegenständen des Erkennens.“ 53 PKG Bd. II, S. 93: „Alles rein tatsächliche, nicht begriffliche Wissen muss individuell und bestimmt sein, weil es sein Prinzip: die Empfindung ist.“ 54 PKG Bd. II, S. 257. 55 PKG Bd. I, S. 497: „Erkenntnis [ist] nur in den Einheitsformen des Denkens möglich“.

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Ziele.“56 Deswegen bemerkt Riehl, dass Kants transzendentale Deduktion nicht im psychologischen Sinne verstanden werden soll.57

3.2 Die Unterscheidung von Subjekt und Objekt ist Ergebnis einer Abstraktion Die in der Erkenntnistheorie geläufige Unterscheidung von Subjekt und Objekt ist nach Riehl, wie wir soeben gesehen haben, das Produkt einer künstlichen Abstraktion. Weder Subjekt noch Objekt haben selbständige Existenz. In der wirklichen Welt begegnet uns vielmehr eine einheitliche, unzertrennliche Realität. Subjekt und Objekt sind nur Momente eines einzigen Bewusstseins, die sich wechselseitig voraussetzen.58 Die Trennung von Subjekt und Objekt und die darauf folgende ausschließliche Betrachtung der Form des Denkens sind Anforderungen der wissenschaftlichen Erkenntnis, denn diese Erkenntnis soll mitteilbar und allgemeingültig sein. Nur durch Abstraktion können wir das Bewusstsein isolieren und uns seine Form, nämlich das Ich und dessen Kategorien, vorstellen.59 Es gibt also keine reine Subjektivität a priori, deren reinen Begriffe in Bezug auf ihre objektive Gültigkeit geprüft werden sollten. „[D]ie ganze Unterscheidung von Subjekt und Objekt der Vorstellung ist ursprünglich nur die Unterscheidung der beiden Seiten der Empfindung.“60 Die Deduktion der Kategorien beschäftigt sich somit nach Riehl nur mit der künstlich ausgesonderten Form der Erkenntnis. Sie hat deswegen die Bedeutung einer Theorie der Begriffe der Wissenschaft, sie ist also keine Lehre von der Beschaffenheit der Gegenstände als solche. Die Deduktion hat, nach Riehls Deutung der Kritik der reinen Vernunft, die Aufgabe, die Legitimität des abstrakten, bloß formalen Denkens zu beweisen, das einige Aspekte der Wirklichkeit durch seine Begriffe umfasst und wiedergibt.61

|| 56 PKG Bd. I, S. 497. 57 PKG Bd. I, S. 383. Siehe Petoello 1998, S. 353. 58 PKG Bd. II, S. 90: „Subjekt und Objekt [sind] die beiden sich wechselseitig bedingenden Momente des Einen Bewusstseins.“ 59 PKG Bd. II, S. 42. 60 PKG Bd. II, S. 89. 61 PKG Bd. II, S. 257: „Es kann also vernünftigerweise nicht die Frage sein: ob wir die Realität begreifen, sondern nur: inwieweit wir sie begreifen, welche Seiten oder Teile der sonstigen wirklichen Vorgänge der Naturvorgang des Denkens abzubilden vermag?“

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3.3 Nähere Bestimmung der Beziehung von Begriffen auf Gegenstände: nicht Konstitution, sondern Entsprechung Die allgemeinen Erkenntnisbegriffe (nämlich die Kategorien) haben eine rechtmäßige Anwendung bei der Erkenntnis nur, insofern sie im Inneren des Bewusstseins die Verhältnisse des Wirklichen, das außerhalb des Bewusstseins liegt, adäquat ausdrücken.62 Uns begegnet hier ein anderer Aspekt der Kantischen transzendentalen Deduktion nach Riehls Deutung: Abstrakte Verhältnisse, die nur im Denken existieren, gelten als objektiv gültig, wenn sie die Beschaffenheit der äußeren Wirklichkeit ausdrücken. Die äußere Wirklichkeit hat ihre eigene Struktur und ihre eigene Einheit, welche von der synthetischen spontanen Tätigkeit des Verstandes unabhängig ist.63 Das bedeutet, dass Denken und Wirklichkeit in Wechselbeziehung stehen. Solche Wechselbeziehung erklärt sich dadurch, dass sowohl die äußere Wirklichkeit als auch das Denken einer und derselben Natur angehören.64 Riehl erklärt z. B. die objektive Gültigkeit der Kategorie der Kausalität durch die Annahme einer faktischen Konkordanz – die an sich eine Naturbegebenheit ist – zwischen der Kategorie und der in der Natur gegebenen Struktur von Ursache und Wirkung. Nur die wissenschaftliche Erfahrung kann solche Konkordanz beweisen, und zwar empirisch.65 Solch faktisches Zusammentreffen von Denken und Wirklichkeit könnte als eine prästabilierte Harmonie (wie bei Leibniz) oder aber als ein Parallelismus von Denken und Ausdehnung (wie bei Spinoza) beschrieben werden. Virone bezeichnet es als einen „Isomorphismus“ der logischen Struktur des Denkens mit der Struktur der Dinge. Nach ihm stimmen die faktischen empirischen Tatsachen „fast nur zufällig“ („quasi per caso“) mit der Natur des Verstandes überein.66 Riehl erklärt dieselbe Übereinstimmung

|| 62 PKG Bd. II, S. 24: „Während sich in unseren Anschauungen die subjektive und die objektive Beschaffenheit, sowohl [...] der Empfindungen, wie der Verhältnisse der Empfindungen [...] vermischt [...] abbildet, sind die allgemeinen Erkenntnisbegriffe gerade vermöge ihres rein formalen Charakters dazu befähigt und bestimmt, die Verhältnisse des Wirklichen selbst in unserem Bewusstsein adäquat auszudrücken.“ 63 PKG Bd. II, S. 290: „Der Verstand, der Inbegriff der Denkvorgänge, ist das Gegenstück der Natur, des Inbegriffs der äusseren Vorgänge.“ 64 PKG Bd. II, S. 257: „das Denken ist selbst ein Naturvorgang, ein wirkliches Geschehen, in welches für uns mit subjektiver Notwendigkeit alle andere, uns zugängliche Wirklichkeit eingehen muss.“ 65 PKG Bd. II, S. 290: „Dieses faktische Zusammentreffen der objektiven Seite der Kausalität mit der Begriffsform von Grund und Folge kann aber nur durch Erfahrung bewiesen werden.“ 66 Virone 2007, S. 284.

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als ein Verhältnis der Analogie,67 das auf eine „gemeinsame Wurzel“ der Welt des Denkens und der Welt der äußeren Dingen hinweist.68 Es ist wohl möglich, dass Riehl mit dieser „gemeinsamen Wurzel“ auf die gemeinsame biologische Basis anspielt, die als Bedingung der Möglichkeit der begrifflichen und linguistischen Mitteilbarkeit wirkt.69 Es ist also nicht die synthetische Spontanität des Verstandes, die dem Gegenstand seine einheitliche und notwendige Struktur verleiht. Das Verhältnis der tätigen, spontanen Konstitution, das bei Kant die Kategorien mit dem Gegenstand verbindet, wird bei Riehl zu einem Verhältnis der Entsprechung: „Zwischen den konstanten Elementen der Erfahrung in Raum und Zeit und der Einheit und Identität des Bewusstseins besteht eine vollkommene Gegenseitigkeit.“70 Die Sachen besitzen nach Riehls Erkenntnistheorie immer schon eine dem Denken analoge Einheit. Die Konstitution des Gegenstandes ist nach Riehl also vom Verstande unabhängig: „Die Dinge selbst, sofern sie Gegenstände für uns sind, müssen notwendig in einer im allgemeinen begreiflichen Form gegeben sein; widrigenfalls wir nichts von ihnen wissen könnten.“71 Dagegen argumentiert Kant: Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objective Bedingung aller Erkenntniß, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Object zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Object zu werden, weil auf andere Art und ohne diese Synthesis das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde.72

Diese Auffassung des Gegenstandes werden wir im Unterabschnitt über Riehls Begriff vom Gegenstand weiter darlegen. Zunächst werden wir das Verfahren der Abstraktion näher betrachten.

3.4 Das Verfahren der Abstraktion. Grenzbegriffe Die durch das wissenschaftliche Denken vollbrachte Abstraktion erzeugt „Grenzbegriffe“. Diese sind einfache und vollständige Vorstellungen dessen, was in der

|| 67 PKG Bd. II, S. 270: „Analogien der besondern, sachlichen Erfahrung mit den allgemeinen Verknüpfungsformen und den Operationen des Denkens“. 68 PKG Bd. II S. 270: „Hinweis [...] auf die gemeinschaftliche Wurzel, aus welcher Innen- und Aussenwelt, objektives und subjektives Bewusstsein hervorgehen“. 69 PKG Bd. II, S. 43: „unter Voraussetzung ihrer gleichartigen sinnlichen Konstitution“. 70 PKG Bd. II, S. 268. 71 PKG Bd. I, S. 500. 72 KrV, B 138.

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Wirklichkeit nicht rein, sondern in Vermischung und nicht vollkommen, sondern nur annähernd oder mangelhaft gegeben ist. „Grenze“ bezeichnet in diesem Zusammenhang den äußersten Ort, an dem die Subjektivität bis an die außerhalb ihr liegende Wirklichkeit reicht.73 Die Kategorien (und überhaupt die reinen Begriffe) sind solche Grenzbegriffe. Auch die Einheit des denkenden Bewusstseins ist ein solcher.74 Indem sie Grenzbegriffe sind, bringen die reinen Verstandesbegriffe die Synthesis bis zu der Grenze, wo das Bewusstsein (das Subjektive und Formale der Erkenntnis) der äußeren Wirklichkeit begegnet. Diese reinen und einfachen Grenzbegriffe drücken das aus, was in der äußeren Wirklichkeit auf komplexe und vermischte Weise existiert.75 Insofern haben die Grenzbegriffe (somit insbesondere die Kategorien) objektive Gültigkeit, denn nach Riehls Auffassung besteht die objektive Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe darin: dass sie im Inneren des Bewusstseins das ausdrücken, was die Dinge außerhalb des Bewusstseins sind.

3.5 Riehls Auffassung des Objektsbegriffs In Zusammenhang mit seiner Besprechung der in der Kritik der reinen Vernunft vorgetragenen Lehre vom Gegenstand stellt Riehl seine eigene Auffassung vom Objekt dar. Der Gegenstand wird in der Wahrnehmung gegeben; er ist aber von der Wahrnehmung unabhängig.76 Richtet sich die Wahrnehmung nach den allgemeinen Gesetzen des Bewusstseins, so ist sie allgemeingültig und keine „private subjektive Erscheinung“77. Sie bleibt nicht in der Intimität eines individuellen Subjektes eingesperrt, sondern ist mitteilbar. Sie besitzt also objektive Gültigkeit, das ist, sie bezieht sich auf einen Gegenstand. Der gegebene Gegenstand kommt einer solchen objektiven Wahrnehmung entgegen. Sein Verhältnis zu den Gesetzen des Bewusstseins ist (wie wir schon gesehen haben) das einer Konkordanz. Das allgemeine Gesetz des || 73 So fasst es Petoello (1998, S. 350 und 357) auf. 74 PKG Bd. II S. 25: „die Begriffe a priori [sind] als Grenzbegriffe aufzufassen, zu oberst der Begriff der Einheit des denkenden Bewusstseins.“ Auch sind Grenzbegriffe die Ideen der Vernunft; PKG Bd. II S. 25: „denn alle Ideen sind Grenzbegriffe“. Diese Passage könnte eine Anspielung auf KrV, B 674, sein. 75 PKG Bd. II S. 24: „die allgemeinen Erkenntnisbegriffe [sind] gerade vermöge ihres rein formalen Charakters dazu befähigt und bestimmt, die Verhältnisse des Wirklichen selbst in unserem Bewusstsein adäquat auszudrücken.“ 76 PKG Bd. III, S. 63: „Was ich als Objekt der Erfahrung betrachte, von dem setze ich [...] voraus, dass es von meiner Wahrnehmung als solcher unabhängig ist.“ 77 Wir entnehmen aus Prauss 1971, S. 234 u. ö., den Ausdruck „subjektiv-private Erscheinung“.

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Bewusstseins (die synthetische Einheit des Denkens) muss schon in den Erscheinungen selbst liegen. Die gegebenen Gegenstände müssen diese Einheit an ihnen selbst, und zwar unabhängig von der Verstandessynthesis haben, wenn sie vom Bewusstsein erkannt werden sollen.78 Bei Kant ist der Gegenstand als solcher Produkt einer Synthesis, die gemäß allgemeinen Gesetzen des Bewusstseins vollzogen wird. Die strukturelle Notwendigkeit dieser Synthesis entstammt dem Prinzip der Apperzeption. Darin besteht die „Kopernikanische Wende“ im Denken über das Objekt.79 Bei Riehl ist es dagegen „der Gegenstand, welcher diese Vereinigung zu einer notwendigen macht“80. Die allgemeinen Gesetze des Bewusstseins, die das Objekt als solches bestimmen, haben bei Riehl ihren Ursprung in der biologischen Evolution des Menschen, in dessen Physiologie und in der sozialen Gemeinschaft. Der Begriff vom Objekt hat seinen Ursprung in dem Bedürfnis nach Mitteilung. Diese ist aber durch die Evolutionsgeschichte der Menschheit hindurch eine Bedingung des Weiterbestehens der menschlichen Gemeinschaft gewesen. Allem Anschein nach identifiziert Riehl den Gegenstand überhaupt mit irgendeiner in der Sinnlichkeit gegebenen Sache, anstatt ihn als eine transzendentale Struktur a priori aufzufassen. Riehls Behauptung einer ursprünglichen synthetischen Einheit des Gegebenen kommt der Behauptung einer unerklärlichen Spontaneität gleich, die sich an den Dingen betätigt und von der Spontaneität des Verstandes unabhängig ist. Riehl möchte dies als eine gewisse Spontaneität des Gegenstandes verstanden wissen: Wäre Kants eigentliche Meinung idealistisch zu erklären, so müsste es heissen: die Einheit, welche den Gegenstand notwendig macht, ist die formale Einheit des Bewusstseins. Es heisst aber: der Gegenstand macht die formale Einheit des Bewusstseins notwendig. Also ist der Gegenstand Grund der Bewusstseinsvereinigung.81

|| 78 PKG Bd. I, S. 522: „in dem Gegebenen selbst müssen die Bedingungen für die Möglichkeit dieser Verknüpfung [des Gegebenen zu einem einheitlichen Bewusstsein] liegen.“ 79 KrV, B XVI: „Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntniß richten“. 80 PKG Bd. I, S. 504. 81 PKG Bd. I, S. 505. Siehe dagegen KrV, A 105: „Es ist klar, dass die Einheit, welche der Gegenstand nothwendig macht, nichts anders sein könne, als die formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen.“ De Vleeschauwer (1934–1937, Bd. 2, S. 275) meint, Riehls Deutung dieser Stelle der KrV sei irrig. Licht (2009, S. 150) verteidigt Riehls Interpretation.

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Wieder einmal erscheint das Verhältnis von den Begriffen a priori zu den Gegenständen nicht als ein Verhältnis der transzendentalen Konstitution, sondern als ein Verhältnis des Parallelismus bzw. der prästabilierten Harmonie von Denken und empfundenem Gegenstand. Der Gegenstand besitzt also (nach Riehl) autonome Einheit. Diese ist keine bloß formale, sondern eine wirklich existierende Einheit, welche es möglich macht, dass die sonst bloß formale Einheit des Bewusstseins wirklich wird und zur Ausübung kommt: „Die formal mögliche Einheit des Bewusstseins wird zur wirklichen Einheit durch den Gegenstand selbst. [...] Was diese Form verwirklicht, ist der Gegenstand.”82 Licht dos Santos kommentiert diese Stelle folgendermaßen: Erst durch den Gegenstand wird die formale Einheit des Bewusstseins zu einer notwendigen Einheit; der Gegenstand wird hier als eine Sache verstanden, die mehr als blosse Vorstellung ist. Auf solche Sache bezieht sich die Synthesis der sinnlichen Vorstellungen.83

Das Objekt ist also, was da macht, dass die bloß formale und bloß mögliche Einheit des Bewusstseins zu einer realen Einheit wird. Das bedeutet aber die Umkehrung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt, das durch die Kopernikanische Wende aufgestellt wurde.

3.6 Apperzeption Die Betrachtung der transzendentalen Apperzeption ist nach Riehl nur durch eine künstliche Abstraktion möglich. Das wirkliche Bewusstsein (ohne Abstraktion) bestehe nicht nur aus einer Form (der Apperzeption), sondern auch aus seinem eigenen Inhalt. Deswegen umfasst es die Welt der Erfahrung und ihre Zeitlichkeit ebenfalls mit.84 Das Prinzip der Apperzeption tritt bei Riehl als eine Formel auf, welche die Erfahrung eher beschreibt als begründet. Es gilt nicht als eine Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung. Umgekehrt ist die Erfahrung die zum Grunde liegende Wirklichkeit, worauf das Apperzeptionsprinzip begründet ist. Solch höchster Vorrang der Erfahrung in der transzendentalen Subjektivität beruht auf Riehls

|| 82 PKG Bd. I, S. 505f. 83 Licht dos Santos 2009, S. 150. 84 PKG Bd. III, S. 43: „Dieses reine oder formale Bewusstsein, welches durch das alle unsere Vorstellungen regierende Wort: Ich ausgedrückt wird, umschliesst gleichsam allen Inhalt der Erfahrung.“

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Auffassung der Empfindung. Diese fungiert als letzter Grund der von Riehl durchgeführten transzendentalen Deduktion. Riehls Auffassung der Empfindung dient auch als Bestätigung von seiner Interpretation der transzendentalen Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft.85 In PKG Bd. II wird die Apperzeption als ein psychologischer Vorgang aufgefasst, 86 der sich von der assoziativen Synthesis unterscheidet, indem seine Tätigkeit sich in einer stetigen und homogenen Zeit entwickelt (wohingegen die assoziative Synthesis durch unvorhersehbare Sprünge verfährt); außerdem wird die Tätigkeit der Apperzeption durch Vorstellungen geleitet, die sie zu einem Ziel führen (wohingegen die Tätigkeit der assoziativen Synthesis sich in mehrere, für gleichwertig gehaltene Richtungen willkürlich verzweigt).87 Als psychologischer Vorgang hat die Apperzeption einen physiologischen Grund. 88 Vom Standpunkt der Physiologie ist die Apperzeption „der Einfluss der motorischen Provinzen der Grosshirnrinde zunächst auf die sensiblen und weiterhin auf die übrigen [...] Zentren des Nervensystems“89. So ist für Riehl die Apperzeption letzten Endes eine Erscheinung, anstatt wie bei Kant die Bedingung von jeder Erscheinung und „der Verstand selbst“ zu sein.90 Die eben vorgetragene psychologische Auffassung der Apperzeption scheint mit Riehls Zurückweisung der psychologischen Interpretationen der Kantischen Philosophie, die er Fries und Herbart zuschreibt, unvereinbar zu sein.91 Die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Vorstellungen „lässt sich durch keine Psychologie jemals entscheiden”92. Diese scheinbare Inkongruenz lässt sich lösen, wenn man bedenkt, dass sich in PKG Bd. I die nicht-psychologische Deduktion nur auf den formalen Aspekt der Erkenntnis bezieht, der durch die schon erwähnte künstliche Abstraktion isoliert wird und nur auf die Befriedigung der Bedürfnisse

|| 85 PKG Bd. I, S. 516: „Die Richtigkeit dieser Erwägung lässt sich schon an der Empfindung, dem Elemente der Erfahrung, nachweisen.“ 86 PKG Bd. II S. 151: „dass sie ein von der Assoziation verschiedener, ursprünglicher psychologischer Vorgang sei, der daher auch eine von dieser verschiedene physiologische Grundlage hat.“ 87 PKG Bd. II S. 152. 88 Röd (2001, S. 117) bemerkt, es sei für Riehls Philosophie kennzeichnend, das Philosophische mit dem Physiologischen zu vereinigen. 89 PKG Bd. II, S. 153. 90 KrV, B 134: „Und so ist die synthetische Einheit der Apperception der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und nach ihr die Transscendental-Philosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.“ 91 PKG Bd. I, S. 375ff. Zu Fries’ Interpretation der Transzendentalphilosophie siehe Bonnet 1997, S. 147–159. 92 PKG Bd. I, S. 383.

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der Wissenschaft abzielt. Zieht man jedoch die Texte von PKG Bd. II hinzu, so scheint es unleugbar, dass in Riehls Auffassung der transzendentalen Deduktion eine starke psychologische Voraussetzung waltet. Das gilt nicht nur für das Selbstbewusstsein, sondern auch für das ganze Prinzip der Apperzeption, worauf sich Kants Deduktion gründet.93 Bekanntlich lautet dieses Prinzip am Anfang der Deduktion B folgendermaßen: „Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können.”94 Riehl deutet „begleiten“ als „umfassen“. Das Ich denke wird dann zu einer konkreten psychischen Angelegenheit, denn sie ist die psychische Fähigkeit, mehrere Vorstellungen in einem einzigen Zeitpunkt zu umfassen.95 Die Einheit des Bewusstseins ist dann keine bloße Form, sie ist die Einheit solcher Vorstellungen,96 welche entsteht, wenn die genannten Vorstellungen in derselben Zeit zugleich bestehen.97 Die Einheit des Bewusstseins ist in diesem Zusammenhang keine Grundbedingung der Erkenntnis, sie ist vielmehr ein Ergebnis der Anhäufung von Empfindungen, die miteinander verbunden werden: „Indem wir sukzessiv Empfindungen mit Empfindungen verknüpfen, bringen wir zugleich die Einheit des Bewusstseins hervor.“98 Nur durch Abstraktion können wir die Form des Bewusstseins (die Einheit des Subjekts) getrennt fassen. In der wirklichen Empfindung bestehen Form und Inhalt als eine undifferenzierte Einheit.

3.7 Die Kopernikanische Wende und die Apperzeption Riehls psychologisch-realistische Auffassung der Apperzeption wird noch deutlicher, wenn er argumentiert, dass das Ich „nichts weiteres ist als die Form der Vereinigung gewisser mehr oder minder konstanter Gefühle und Empfindungen“99. Gefühle und Empfindungen sind schon in solcher vereinigten Form

|| 93 Caimi 2017, S. 378–400. 94 KrV, B 131. 95 PKG Bd. II, S. 165: „Das Bewusstsein [...] vermag eine Mehrheit von Eindrücken zugleich zu empfinden, also in einem Zeitpunkte nicht bloss eine einfache, sondern eine zusammengesetzte, meist aus den Empfindungen verschiedener Sinne zusammengesetzte Vorstellung zu erlangen, wenn es auch nicht vermag, jedem Teile dieser Mannigfaltigkeit in einem und demselben Augenblicke den gleichen Grad von Aufmerksamkeit zuzuwenden.“ 96 PKG Bd. II, S. 165: „Das Bewusstsein ist tatsächlich die Einheit einer Mannigfaltigkeit, keine abstrakte Einfachheit.“ 97 PKG Bd. II, S. 165: „Aus der Gleichzeitigkeit mehrerer, verschiedener Empfindungen entsteht die Vorstellung ihrer Koexistenz.“ 98 PKG Bd. II, S. 238. 99 PKG Bd. II, S. 226.

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gegeben, und zwar unabhängig von jeder synthetischen Tätigkeit des Verstandes. Ihre Konstanz und Vereinigung, ihre Verhältnisse von Beharrlichkeit bzw. kausaler Folge, kurz ihre kategorialen Verbindungen werden nicht mittels der synthetischen Tätigkeit des Verstandes erklärt. Sie können nicht a priori bestimmt werden.100 Die Einheit der Gegenstände liegt also schon in der Natur; nur unter dieser Bedingung kann die Anwendung der Verstandesbegriffe auf Gegenstände erfolgen. So schreibt Riehl: „Wäre nun nichts in den Verhältnissen der wirklichen Objekte, was mit der Form des Verstandes zusammentreffen würde, so wäre der Verstand nicht anwendbar auf die Natur.“ 101 Die Einheit der Gegenstände ist schon in der Natur gegeben; die Einheit des Bewusstseins dagegen hängt von den äußeren Wahrnehmungen und ihren Verhältnissen ab. Riehl drückt das so aus: „Das Selbstbewusstsein ist abhängig von der äusseren Wahrnehmung, es ist abhängig von der Wiederholung ähnlicher äusserer Wahrnehmungen.“102 Diese Auffassung des Selbstbewusstseins und die Annahme der selbständigen Einheit der Gegenstände lässt sich schwer mit dem Gedanken einer Kopernikanischen Wende der Denkungsart vereinigen. Nicht das Denken bestimmt den Gegenstand, sondern umgekehrt ist der Gegenstand das Bestimmende. Riehls Deduktion (seine Erklärung der Möglichkeit, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen) kann nicht mehr als Erklärung, sondern eher als Beschreibung dieser Beziehung verstanden werden. Die Anwendbarkeit der Kategorien auf Gegenstände hängt von einem Parallelismus von Denken und Ausdehnung bzw. von einer vorherbestimmten Harmonie ab, wie wir schon gesagt haben. 103 Dieser Parallelismus bleibt sowohl unumgänglich als unerklärlich, auch wenn man, um ihn begreiflich zu machen, auf die schon vorgetragene Lehre der abstrakten Unterscheidung von Objekt und Subjekt zurückgreift.104 Riehl führt nämlich das Problem der transzendentalen Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft auf eine Abstraktion zurück, die aus den Anforderungen des wissenschaftlichen Denkens zu erklären ist und Form und Inhalt der Erkenntnis künstlich

|| 100 PKG Bd. II, S. 270: „Dass nicht bloss die begriffliche Form, sondern auch der sachliche Inhalt der Erfahrung die Beharrung und den Fortbestand identischer Elemente des Seins und Geschehens erkennen lässt, muss [...] als eine durch kein Denken a priori zu erzeugende und zu verbürgende Wahrheit von tatsächlichem Ursprung anerkannt werden.“ 101 PKG Bd. II, S. 256. 102 PKG Bd. II, S. 226. 103 Riehl bezieht sich auf Spinoza und auf Leibniz in mehreren Stellen von PKG Bd. I. Siehe oben, Abschnitt 3.3. 104 Siehe oben, Abschnitt 3.1.

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trennt.105 Dann erst entstehe das Problem, die Formen des Denkens (die reinen Verstandesbegriffe) auf den Inhalt (d. i. auf die Gegenstände) zu beziehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Apperzeption als keine psychologische Tatsache dar; sie ist die ideelle Form des Begriffes vom Objekt, 106 die sich in den Kategorien entfaltet. Aber auch dann kann man, Riehl zufolge, die Form des Denkens (die Kategorien) auf die gegebene Materie (auf die Gegenstände) nur unter der Bedingung beziehen, dass die Gegenstände ihre eigene, von dem synthetisierenden Denken unabhängige reale Einheit besitzen. Nur unter der Annahme einer selbständigen Einheit des Gegenstandes wird die Einheit von Form und Inhalt wiederhergestellt, die die Abstraktion aufgehoben hatte. Nur dadurch werde das Ziel der Deduktion erreicht, denn nur dann könne man behaupten, dass die Kategorien sich auf Gegenstände a priori beziehen. Das aber setzt den erwähnten Parallelismus bzw. die erwähnte prästabilierte Harmonie voraus. Hätten die Gegenstände keine eigenständige Einheit, so gäbe es keine Erfahrung. Als Bestätigung der Voraussetzung einer den Gegenständen eigenen selbständigen Einheit dient die Wirklichkeit der Erfahrung: „Die Tatsache der Erfahrung, der Vorstellung von Objekten der Erscheinung, beweist das Stattfinden ihrer notwendigen Voraussetzung.“107 Auf diese Weise deutet Riehl Kants Gedanken der „Kopernikanischen Wende“ um. Nur in der Kenntnis der genannten Voraussetzung ist es möglich, die eigentliche Bedeutung von Riehls Formulierung der Kopernikanischen Wende zu fassen, wenn er schreibt: „[d]ie Erscheinungen stehen also in der Erfahrung notwendig unter Verhältnissen, die der Einheitsform des Bewusstseins gemäß sind.“108 Hätten wir Riehls realistische Voraussetzungen nicht beachtet, so würden wir den eben angeführten Satz für die schlichte Wiedergabe eines Kantischen Gedankens halten. Eine Auffassung der Materie der Erscheinung als eine, die ihre apriorische Form schon in sich enthält, führt in die Kantische Lehre eine bedeutende Veränderung ein; hier scheint sich die Behauptung von Rudolf Haller zu bestätigen, die besagt, dass die Österreichische Philosophie „Kants ‚Kopernikanische Wendung‘ nie mit- und nachvollzog“109.

|| 105 Siehe oben, Abschnitt 3.1. 106 PKG Bd. I, S. 504: „also ist die ideelle Form des Begriffs eines Gegenstandes die synthetische Einheit des Bewusstseins“. 107 PKG Bd. I, S. 506. 108 PKG Bd. I, S. 506. 109 Haller 1979, S. 8.

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4 Schlussbemerkung. Riehls Deutung der transzendentalen Deduktion Man könnte die Aufgabe der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe als eine Weiterführung von Parmenides’ Gedanken über das Verhältnis von Denken und Sein auffassen.110 So fasst sie auch Riehl auf, als er nach den Ausführungen in Bd. II des Philosophischen Kritizismus bezüglich der Erkenntnis und der Wissenschaft zu dem Ergebnis kommt, dass unser Denken in der Wissenschaft mit dem Sein bzw. mit der Natur zusammentrifft. Eine solche Begegnung sei dadurch möglich, dass eine faktische Übereinstimmung der Form des Denkens mit der „Form der von dem Vorstellen unabhängigen Wirklichkeit“111 besteht. Die Konkordanz ist ihrerseits möglich und notwendig, weil auch unser Denken eine Naturbegebenheit ist und den Gesetzen der Natur untersteht.112 Hier finden wir noch einmal die realistische bzw. naturalistische Voraussetzung, die in Riehls Lehre an Stelle von der Kantischen Kopernikanischen „Revolution der Denkart“ eintritt. Unter dieser Voraussetzung ist die Deduktion der Kategorien eigentlich unnötig. Es stellt sich daher die Frage, warum Riehl eine solche Deduktion dennoch vorlegt. Nach Riehls Deutung beschränkt sich Kants Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft darauf, die Gültigkeit der Kategorien für die wissenschaftliche Erkenntnis zu beweisen. Das aber bedeutet, dass die objektive Gültigkeit der Kategorien nur für die Form der Erkenntnis bewiesen ist. Die Deduktionsarbeit befasse sich mit dem logischen Aspekt der wissenschaftlichen Erfahrung. Alles Übrige gehöre in den Bereich der empirischen Forschung. Die Rolle der kategorialen Synthesis bei der Konstitution des Gegenstandes überhaupt bleibt hier unberücksichtigt. Nicht als Gegenstände, sondern nur „als Vorstellungen betrachtet“ ordnen sich die Erscheinungen den Gesetzen des Bewusstseins unter.113 Die Gegenstände selbst haben dagegen unabhängig von den Gesetzen des Bewusstseins ihre eigene Konstitution. Nach Riehls Ansicht ist die Interpretation der Kantischen Lehre fehlge-

|| 110 Caimi 2014, S. 1. 111 PKG Bd. II, S. 321: „Unsere Grundüberzeugung, [...] dass sich die Form des Denkens am Gegebenen durchgängig betätigen lassen müsse, wird also durch die Form der von dem Vorstellen unabhängigen Wirklichkeit bestätigt.“ 112 PKG Bd. II, S. 321: „dies muss behauptet werden, dass die Grundform, in der sich das Denken betätigt, mit der Form des Naturprozesses zusammentrifft, wie es sein muss, da das Denken, tiefer erfasst, selbst ein spezieller Fall des allgemeinen Prozesses der Natur ist.“ 113 PKG Bd. I, S. 512: „Was die Deduktion leistete, ist also die Begründung der allgemeinen Gesetzlichkeit der Erscheinungen, die, als Vorstellungen betrachtet, den Gesetzen des Bewusstseins untergeordnet sein müssen.“

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leitet, die besagt, Kant „habe dem Verstande einen ungeordneten, rohen Stoff gegenübergestellt“114. Vor jeder kategorialen Synthesis seien nach Riehl die Erscheinungen als selbständige Gegenstände schon in der Rezeptivität zusammengesetzt. Diese synthetische Beschaffenheit der Gegenstände ist von der synthetisierenden Tätigkeit des Verstandes unabhängig. Die Möglichkeit der Anwendung der Kategorien auf den Stoff der Erkenntnis (d. i. auf das Gegebene) gründet sich nach Riehl auf das faktische Zusammentreffen der vorhergehenden selbständigen Konstitution der Gegenstände mit den Erfordernissen des Denkens. Allerdings stellt sich das Bedürfnis einer Deduktion (d. i. das Bedürfnis, die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Kategorien bei der Erkenntnis zu erklären und zu beweisen), nur für die Wissenschaft, insofern diese sich mit allgemeinen und abstrakten Begriffen beschäftigt. Deswegen kann Riehl auf den „Formalismus der Kategorienlehre”115 hinweisen. Die Erfüllung der Anforderungen der Wissenschaft schließt auch die Beseitigung des metaphysischen und ideologischen Denkens ein, insofern dieses vermeintliche Wissen nicht durch Experimente bewiesen werden kann. Dies ist eine weitere Leistung der Deduktion.116 Unsere Prüfung von Riehls Interpretation der transzendentalen Deduktion Kants führt zu dem Ergebniss, dass es nicht ganz richtig ist, mit Virone Riehl als „zuverlässigen Ausleger des Kantianismus“ zu betrachten.117 Zwar hat er Kant aufmerksam gelesen118 und er folgt ihm in manchen zentralen Fragen,119 seine Philosophie aber ist in grundlegenden Themen mit der Kantischen Lehre unvereinbar.120 Im Grunde betrachtet Riehl den Kantianismus als „Ausgangspunkt

|| 114 PKG Bd. I, S. 511. Siehe dagegen Kant, KrV, B 130: „unter allen Vorstellungen die Verbindung die einzige ist, die nicht durch Objecte gegeben, sondern nur vom Subjecte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbstthätigkeit ist“. Vgl. auch FM AA XX 271: „der einzige Grundbegriff a priori“. 115 PKG Bd. I, S. 507. 116 Köhnke 1986, S. 348. Im selben Sinne erklärt Riehls Philosophie Sjoerd van Hoorn (o. J., S. 3 der elektronischen Version). Auch Heidelberger (2006, S. 6 der elektronischen Version) weist auf Riehls Zurückweisung der Metaphysik hin. 117 Virone 2007, S. 286: „fedele interprete del kantismo“. Bonnet (2014, S. 141) bemerkt, dass Riehls realistische Auslegung der Kantschen Philosophie zumindest „atypisch“ ist. 118 Bonnet 2014, S. 126. 119 Röd 2001, S. 118. 120 Pettoello (1998, S. 365) deutet darauf hin, Riehl kehre zu einem vorkritischen „dogmatischen Realismus“ zurück.

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seines Philosophierens“121, das sich in eine eigene Richtung entwickelt und durch den Zweck geleitet wird, Naturwissenschaft und Mathematik mit der Philosophie zu vereinen.

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|| 121 Röd 2001, S. 120: „In wichtigen Punkten wich er aber von Kant ab“. Riehl betrachte Kants Gedanken „nur als Ausgangspunkt seines Philosophierens“ (Röd, ebd.).

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Maja Soboleva

Alois Riehls transzendentaler Realismus Abstract: The paper focuses on Alois Riehl’s argument for a critical realism, and its defence against idealistic and naive realistic positions. The specific feature of Riehl’s approach, I argue, is the combination of positive sciences with the Kantian transcendental philosophy. Therefore, his methodology can be characterized as transcendental realism. The basic principle of this form of realism is the differentiation of the being of objects (das Sein der Objekte) from the being as object (Objektsein). The methodological primacy of this principle allows for its definition as RiehlAxiom. In my paper, I demonstrate how this axiom works in Riehl’s justification of realism through the separating of epistemological and ontological questioning.

Einleitung Realismus-Debatten sind Diskussionen, die von der Antike bis zur Gegenwart in der Philosophie beinah ununterbrochen geführt werden und die Geschichte und die Gestalt der Philosophie wesentlich prägen. Der Begriff „Realismus“ besitzt viele Bedeutungen, die sich durch grundsätzliche gemeinsame Auffassungen auszeichnen. Dies sind vor allem ontologische Überzeugungen, dass es eine von Menschen unabhängige Welt gibt. Zweitens sind das erkenntnistheoretische Überzeugungen, dass unser Wissen die Welt, wie sie an sich ist, erfasst. Und letztlich sind es semantische Überzeugungen, dass es nur eine einzige richtige Beschreibung der Welt geben kann. Diese Überzeugungen kamen in modifizierten Formen erneut zu Sprache als der sogenannte „neue Realismus“ im Jahr 2011 auf die Agenda gesetzt wurde. Mit diesem Titel möchte Maurizio Ferraris, dem dieser Terminus gehört, „eine gewisse Müdigkeit gegenüber dem Postmodernismus“ auf den Punkt bringen, der „aus der Überzeugung erwachsen war, dass alles Wesentliche oder überhaupt alles konstruiert sei – von der Sprache, von den Begriffsschemata, von den Medien“1. Dies sollte jedoch keine Rückkehr zu der Bewusstseinsunabhängigkeitsthese bedeuten, weil diese die Realität des erkennenden Menschen unterminieren würde. Angestrebt wurde eine konsensus-

|| 1 Ferraris 2015, S. 52. || Maja Soboleva, Philipps-Universität Marburg [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-005

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fähige realistische Konzeption der Wirklichkeit, die der Wirklichkeit des menschlichen Geistes Rechnung tragen würde. Diese Position wird heutzutage – nicht nur im Rahmen der eigentlichen Diskussion um den „neuen Realismus“ – mit verschiedenen Argumenten und unter Berufung auf diverse historische Konzeptionen verteidigt. Dabei macht sich eine gemeinsame Tendenz bemerkbar, nämlich, dass Kant und die Neukantianer infolge der von ihnen vertretenen Formlehre pauschal als Repräsentanten des Antirealismus, Idealismus oder Konstruktivismus eingeschätzt werden.2 Im folgenden Aufsatz soll eine Version des philosophischen Realismus erörtert werden, die Alois Riehl aufgrund seiner realistischen Kant-Lektüre entwickelt hat.3 Es handelt sich hierbei um einen Ansatz, der der oben formulierten Anforderung des modernen „neuen Realismus“ völlig entspricht.

1 Der Begriff des „kritischen Realismus“ Zunächst ist festzuhalten, dass Riehl selbst zwischen einem „unkritischen“ und einem „kritischen“ Realismus unterscheidet. Der erste „unterscheidet überhaupt nicht zwischen Wahrnehmung und Sache“, er „hält die Erscheinung einer äußeren Ursache, die Wirkung derselben auf Sinne und Verstand, für die äußere Ursache selbst“4. Diese Form kennt man heute als korrespondenztheoretischen oder metaphysischen Realismus. Im Gegensatz sieht ein kritischer Realismus eine Differenz zwischen den Existenzaussagen und Behauptungen über die Beschaffenheit der Dinge. Als Vertreter und Verteidiger dieser Variante des kritischen Realismus sieht Riehl keinen notwendigen Zusammenhang zwischen ontologischen und erkenntnistheoretischen Aussagen, so dass die Widerlegung der einen auch die Widerlegung der anderen nach sich ziehen müsste. Er beruft sich auf Kants „Prolegomena“ um zu konstatieren, „daß die Existenz der Körperwelt nicht aufgehoben wird, wenn man selbst findet, daß alle Eigenschaften, welche die Anschauung eines Körpers ausmachen, zur Erscheinung desselben gehören“5.

|| 2 Dazu exemplarisch McDowell 2012; Boghossian 2015. Anzumerken ist, dass Riehl mit seiner Kritik der Erkenntnis dem Neukantianismus am nächsten steht (vgl. Jung 1973). 3 Der Beweis dieser Behauptung würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen. Riehl selbst aber schreibt an einer Stelle, dass die Lehre Kants „was die Hauptsache betrifft, nämlich die Existenz der Objekte unabhängig vom Bewußtsein, dem sie erscheinen, unstreitig realistisch aufzufassen ist“ (Riehl 1926, S. 132). 4 Riehl 1926, S. 122. 5 Riehl 1926, S. 123.

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Aus dieser Variante der Unabhängigkeitsthese folgt: Es ist für die Philosophie möglich, zugleich realistisch und phänomenologisch zu sein. Dies ist methodologisch damit zu rechtfertigen, dass „Existenz“ und „Beschaffenheit“ für Riehl kategorial verschieden sind. Während die Beschaffenheit zum Inhalt der Vorstellung irgendeines Dinges gehört, gehört „Existenz“ zum Bereich der Empfindung und Wahrnehmung. Das heißt, sie wird nicht nur gedacht, sondern auch und vor allem erlebt und erfahren. „Sie drückt das Verhältnis des Dinges zu unserem Bewußtsein aus“, – führt Riehl aus, – „die Beziehung in der dasselbe mittels der Erregung unserer Sinne zu unserm Bewußtsein steht“.6 Er versteht also die Existenz nicht bloß als eine logische Denkkategorie zum Ausdruck der hypothetischen Realität der Dinge, sondern als eine reale Kategorie des Lebens zum Ausdruck der Wirkung der Dinge auf die Sinne. Es ist anzumerken, dass die so verstandene „Existenz“ kein „reales Prädikat“ im Sinne Kants darstellt, solange sie durch sinnliche Wahrnehmung nicht bestätigt ist. Riehl geht davon aus, dass man niemals die Realität der Außenwelt rein diskursiv oder begriffsintern beweisen kann. Er stützt sich in dieser Hinsicht auf Kant, der annimmt, dass „die Realität des äußeren Sinnes mit der des inneren zur Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt“7 gehört, was es ihm erlaubt einen naiven „empirischen Realismus“ mit seinem theoretischen „transzendentalen Idealismus“ in Einklang zu bringen. Umformuliert von Riehl heißt diese Kantische Strategie nun, die Frage nach dem „Sein der Objekte“ von der Frage nach ihrem „Objektsein“8 streng voneinander zu trennen.

2 Riehls Widerlegung der antirealistischen Argumente des Idealismus Nachdem der Ausgangspunkt des kritischen Realismus von Riehl geklärt ist, können seine einzelnen Argumente für dessen Verteidigung analysiert werden. Da sich die Sache des Realismus vor allem durch ontologische, logisch-psychologische und erkenntnistheoretische Probleme erschließt, bleibt es wichtig auf sie einzugehen. Dabei ist anzumerken, dass sich der Realismus immer als eine Reaktion auf eine antirealistische Haltung erweist. Auch in Riehls Philosophie spielt die Widerlegung des Idealismus eine große Rolle. Er differenziert zwei Klassen der idealistischen Voraussetzungen aus: Die erste kann psychologisch genannt

|| 6 Riehl 1926, S. 122. 7 KrV, B XLI. 8 Riehl 1926, S. 133; vgl. S. 142.

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werden, die zweite wird von ihm selbst „ontologisch“ genannt.9 Beide idealistische Traditionslinien teilen eine Fragestellung: Wie kann etwas wirklich für sich sein, wenn es als Gegenstand des Denkens aufgefasst wird? Bei der ersten Klasse idealistischer Positionen spezifiziert sich diese Frage als die nach dem phänomenalen Charakter der Dinge: Alles, was wir haben, sind Erscheinungen, die von Empfindung, von unserer Form der Anschauung und unseren Begriffsschemata vermittelt werden. Dies bedeutet, dass unsere Vorstellungen subjektiv sind. Wenn man alles Subjektive aus der Erscheinung entfernen möchte, vernichte man gleichsam das Bewusstseinsphänomen selbst. Das Einzige, was übrig bleibe, sei der leere Gedanke des Verhältnisses von etwas zu dem Bewusstsein. Diese Form des Versagens wird von Riehl als das Problem der Relationalität interpretiert. Jede Idee, die wir uns von den äußeren Dingen bilden, ist laut ihm eine „relative“ Idee. Die Funktion einer solchen Idee besteht darin, das Verhältnis der Sache zum Bewusstsein herzustellen. Dieses Verhältnis ist „so mannigfaltig und bestimmt, als es die Empfindungen und Gruppen der Empfindungen sind, die das Bewußtsein affizieren“10. Es bleibt also mehr als nur das Verhältnis des Bewusstseins zur Sache übrig. Zwar möge unsere Vorstellung von Dingen jederzeit relativ und subjektiv sein, aber „unser Wissen von ihrer Existenz ist absolut und unmittelbar“11. Die letzte Behauptung folgt aus der Überzeugung, es sei unmöglich, sich einzubilden, zu empfinden12. Empfindung ist demnach ein deutliches und unmittelbares Indiz dafür, dass etwas außerhalb des Bewusstseins existiert, was darauf wirkt. Für die Klasse der ontologischen Argumente des Idealismus ist charakteristisch, das Sein der Dinge von ihrem Gedachtwerden herzuleiten und die gesamte Wirklichkeit als geistabhängig vorzustellen. In diesem Fall wird dem Realismus, demnach es die vom Bewusstsein unabhängigen Dinge geben sollen, vorgeworfen, „ungedachte Dinge denken zu wollen“13. Dies mag auf den ersten Blick plausibel zu erscheinen, in Wirklichkeit aber begeht derjenige, wer dieser Argumentation plausible Beweiskraft zuschreibt, den Fehler, nichtrelationale Dinge und nichtrelationale Gedanken anzunehmen. Riehl formuliert diesen Einwand folgendermaßen: Weder sind die Dinge außerhalb des Bewusstseins, noch die Vorstellungen in demselben. Das Bewußtsein ist eine Funktion, die mit der Erscheinung der Dinge verbunden ist, kein

|| 9 Riehl 1926, S. 133. 10 Riehl 1926, S. 133. 11 Riehl 1926, S. 133. 12 Riehl 1926, S. 124. 13 Riehl 1926, S. 134.

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Raum, in welchem irgend etwas, es sei ein Ding oder die Vorstellung eines Dinges, Platz nehmen könnte.14

Damit sind wir im Bereich der Intentionalität des Bewusstseins. Für Riehl gibt es kein Denken, keine Idee, keine Vorstellung ohne eine Beziehung zu dem, was im jeweiligen Fokus der Aufmerksamkeit steht. Er gibt eine realistische Interpretation der Intentionalität: Bewusstsein besteht freilich „in der Beziehung auf etwas, was von ihm verschieden ist: das Objekt, und verschwindet sogleich, wenn diese Beziehung aufgehoben oder unterbrochen wird“15. Das bedeutet nicht, dass uns die Existenz der Dinge verstellt wäre, im Gegenteil: die Intentionalität des Bewusstseins erlaubt uns in der Welt zu bleiben. Die Positivität der Dinge zeigt sich auf einer einfachen Weise: Was nicht ist, kann auch nicht zu irgend etwas in ein Verhältnis treten. Und was in ein Verhältnis tritt, muß auch abgesehen von diesem Verhältnis existieren. Die relative Existenz der Dinge, als Objekte des Bewußtseins, setzt also die absolute Existenz (im Sinne der Unabhängigkeit von dieser Relation) voraus.16

Diese Polemik Riehls gegen die beiden idealistischen Richtungen kann als der Vorwurf des Logizismus zusammengefasst werden. Beide reduzieren Bewusstsein auf das Denken; alle anderen Funktionen wie Empfinden, Wollen, Einschätzen und Fühlen bleiben außerhalb des Sichtfeldes. Bewusstsein wird hier als ein mentaler Zustand nach dem traditionellen Muster eines reinen Bewusstseins eines abstrakten körperlosen Erkenntnissubjektes gedacht. Ein solcher Begriff des Bewusstseins ist bei der Beweisführung in Sachen des Realismus unbrauchbar. Die Alternative bildet eine Auffassung des Bewusstseins als ein verkörpertes und integriertes Ganzes verschiedener Fähigkeiten. Nach diesem Bild entspringt die Überzeugung von der Realität der Welt dank einer Einheit von Bewusstseinsakten. Das Sein oder die Existenz manifestiert sich dann vor allem im Bestehen einer (Um)welt, ohne dass dafür weitere Qualifikationen nötig wären.

3 Riehls Begriff des Bewusstseins Vom Denken auszugehen führt natürlich zu der Ansicht, dass es eine Kluft zwischen Vorstellung und Welt gibt. Das bedeutet aber nicht, dass dieser skeptische Beweis richtig ist: Das Urteil ist gültig, aber nicht schlüssig. Riehl räumt die Kraft || 14 Riehl 1926, S. 134. 15 Riehl 1926, S. 134. 16 Riehl 1926, S. 134.

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des idealistischen antirealistischen Arguments ein, wendet sich aber gegen die Voraussetzung – das reine Denken – desselben. Um seine eigene realistische Position zu formulieren, muss er einen neuen Begriff des Bewusstseins einführen. Er macht dies in zwei Schritten: Der erste wird in der Form der Kritik an dem cartesianischen Begriff des Bewusstseins entwickelt (1). Hier wird die immer noch von vielen geteilte These in Frage gestellt, dass wir eine direkte Beziehung zu unserem cogito und eine vermittelte zur Welt haben. Der nächste Schritt besteht in der Klärung eines transzendentallogischen und eines psychologischen Bewusstseinsbegriffs (2). Hier werden die Unterschiede und die Verbindung zwischen diesen beiden Begriffen behandelt. Zu 1) Riehls Kritik des cartesianischen Bewusstseinsbegriffs besteht in der Behauptung, dass der Satz cogito ergo sum, aus dem auf die reale Existenz des reinen denkenden Ich gefolgert wird, auf die These also, die die rationalistischidealistische Tradition bis dato begründet, nicht korrekt ist, weil sie auf der Vermengung eines Existenzialurteils mit einem erkenntnistheoretischen Urteil basiere. Existenzialurteil sagt, dass etwas ist; erkenntnistheoretisches Urteil sagt, wie etwas ist. Allein aus dem empirischen Urteil, dass Ich existiere, kann die Art der Existenz noch nicht erkannt werden; dazu sind weitere Reflexionen notwendig. Es gilt auch das Umgekehrte: Das reine Denken kann nur zu nicht-materiellen Dingen gelangen. Diese Sätze bilden den Kern der Riehls Argumentation. Das Denken, das die Existenz eines empirischen Ich behaupten könnte, kann daher nur „das Denken in jenem erweiterten Sinne des Wortes, nach welchem sogar das Wahrnehmen eine Art desselben bilden soll“17 darstellen. Es soll also kein logisch, sondern ein psychologisch verstandenes, faktisches Denken sein, das mit Gefühl, Erfahrung, Wahrnehmung und Willen verbunden ist. Das soll ein Denken sein, „das nicht bloß von seinen Vorstellungen weiß, sondern auch von seinen Trieben, seinen Bestrebungen und seinen Handlungen“18. Nur ein solches Denken ist fähig, die Existenz eines empirischen, geistig-leiblichen, Ich zu erkennen. „Das Bewusstsein seiner selbst ist Wahrnehmung“, – behauptet Riehl. – „Eben dasselbe ist auch das mit der Selbstwahrnehmung verbundene Bewußtsein eines äußeren Objektes“.19 Er betont zu Recht: „Nicht mein Selbstbewußtsein, mein Bewußtsein ist mir ursprünglich gegeben; die innere Erfahrung geht weder der Zeit noch dem Begriffe nach der äußeren voran.“20 Das bedeutet, dass ich bin keine einfache, sondern eine „doppelseitige Erfahrung“ ist: „die Gegen-

|| 17 Riehl 1926, S. 137. 18 Riehl 1926, S. 138. 19 Riehl 1926, S. 143. 20 Riehl 1926, S. 138.

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seitigkeit von Ich und Nicht-Ich, von Gefühl und Empfindung, von Trieb und Widerstand, Aktion und Reaktion, […]“21 und vor allem – wenn man diese Liste fortsetzt – die Gegenseitigkeit von geistigem und leiblichem Ich. Dies ist die Basis für Riehls Auffassung des Bewusstseins: Es ist eine Wechselwirkung zwischen innerer und äußerer Erfahrung und diese Gegenseitigkeit ist ursprünglich gegeben, so dass Unmittelbarkeit, Gewissheit und Wirklichkeit der äußeren Erfahrung der inneren Erfahrung nicht nachsteht. Mit anderen Worten erweist sich Bewusstsein in Riehls Konzeption als eine Korrelation von innerer und äußerer Erfahrung. Dabei ist Folgendes hervorzuheben: Das Bewusstsein hat nicht diese Funktion (als eine neben vielen anderen), vielmehr ist es die Funktion der Vermittlung zwischen Innen und Außen. Diese Korrelation ist nach Riehl die konstitutive Charakteristik des Bewusstseins: Es funktioniert nur als permanenter Vollzug dieser Wechselbeziehung. Hebt man dann den einen Bestandteil eines korrelativen Begriffes auf, wird damit der ganze Begriff aufgehoben. Daraus folgt ein der entscheidenden Argumente für den Realismus: „Entweder ist also mein eigenes Dasein eine Einbildung (ich weiß nicht wessen und wovon?) oder die Außenwelt existiert, so wahr ich bin!“22 Allerdings gilt dieses Argument nur unter der Voraussetzung, dass Bewusstsein nicht auf bloßes Denken und Vorstellen reduziert wird, sondern auch Empfinden, Wahrnehmen, Wollen und Fühlen einschließt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zwischen Denken und Empfinden „ein spezifischer, nicht bloß ein gradueller Unterschied besteht“23. Empfinden und Wahrnehmen sind also nicht eine Art des Denkens. Von diesen Prämissen ausgehend behauptet Riehl: „Das Bewusstsein seiner selbst ist Wahrnehmung. Eben dasselbe ist auch das mit der Selbstwahrnehmung verbundene Bewußtsein eines äußeren Objektes.“24 Von diesen Prämissen ausgehend kommt Riehl zum Schluss, dass die Wahrnehmung über die Grenzen des Mentalen hinausweist und das Mentale mit der ihm äußeren, von ihm unabhängigen Realität verbindet. Zu 2) Das oben Ausgeführte zeigt, dass Riehl zwischen logischen und psychologischen Begriffen des Denkens und Bewusstseins unterscheidet. Die Unterscheidung einer psychologischen Bestimmung von Bewusstsein von einer (transzendental)logischen hat zwei Aspekte.25 Erstens einen theoriegeschichtlichen:

|| 21 Riehl 1926, S. 139. 22 Riehl 1926, S. 139. 23 Riehl 1926, S. 162. 24 Riehl 1926, S. 143. 25 Die logische Struktur des Bewusstseins wird von Riehl als die transzendentale im Sinne Kants interpretiert.

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Die Beschäftigung mit dem Bewusstsein ist von Anbeginn mit der Analyse seiner epistemischen Relevanz verschränkt. Wird Philosophiegeschichte nicht nur als Selbstzweck verstanden, sondern in der Wiederholung bestimmter Annahmen und Argumente als ein Hinweis auf die immer noch bestehenden Probleme gesehen, muss sie mit einem Seitenblick auf erkenntnistheoretische Fragestellungen betrieben werden. Der zweite Aspekt hängt mit der Sache selbst zusammen: Wer etwas Gehaltvolles über die epistemische Valenz des Bewusstseins sagt, übt nicht nur Theoriekritik und Theoriegeschichte, sondern leistet auch einen Beitrag zur Problemlösung. Dies ist für Riehls realistischen Ansatz gerade typisch. Er bewegt sich im Bereich zwischen den positiven Wissenschaften seiner Zeit wie Evolutionstheorie und empirische Psychologie auf einer Seite und der Philosophie auf der anderen. Dabei sucht er seinen methodischen Anfang in einem psychologischen Begriff des Bewusstseins und begreift die evolutionäre Entwicklung von Lebewesen als Herausbildung von Voraussetzungen, die den Menschen als biologisches Lebewesen im Unterschied zum Tier zu systematischer Erkenntnis befähigen. Fragen, die im Rahmen eines solchen Forschungsprogrammes aufgeworfen werden, lauten etwa, ob dem Menschen ein evolutionärer Vorteil durch Bewusstsein entstanden sei, welche Zusammenhänge zwischen der genetischen Ausstattung des Menschen und seiner Erkenntnisfähigkeit bestehen, ob Strukturen im menschlichen Gehirn das Denken in Begriffen besonders begünstigten, ob der Mensch angeborene apriorische Strukturen besitze. Man kann Riehls Position in Bezug auf diese Fragen in wenigen wesentlichen Punkten zusammenfassen. Er konstatiert: „Wir kennen das Bewusstsein nur als Lebenserscheinung, an einem Organismus gebunden.“26 Das ist ein zureichender Grund für die evolutionstheoretische Annahme, dass „nicht das Leben um des Bewußtseins willen [ist], das Bewußtsein ist (ursprünglich wenigstens) um des Lebens willen da“27. Das bedeutet, dass Bewusstsein ursprünglich eine praktischpragmatische Bedeutung hat: Es ist eine Ausstattung der lebendigen Organismen für den Kampf ums Dasein und seine Funktion besteht in der Regulierung der Beziehung zu der veränderlichen Umgebung, Um- und Mitwelt. Diesem naturwissenschaftlichen Begriff des Bewusstseins setzt Riehl den transzendentalphilosophischen entgegen. Ihm geht es in erster Linie darum, eine Verwechselung des transzendentalen Bewusstseinsbegriffs mit dem psychologischen in der Erkenntnistheorie insgesamt und speziell bezüglich der Realismusproblematik zu vermeiden und zu verhindern. Transzendental nennt er

|| 26 Riehl 1926, S. 152. 27 Riehl 1926, S. 152.

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die Form der Einheit des Bewußtseins in Abstraktion von Ihrem Inhalte gedacht, sofern diese Form als die allgemeine, nicht bloß für mich gültige Bedingung erkannt wird, unter welches die Vorstellung jedes Objektes – seine Beschaffenheit sei, welche sie wolle – stehen muß.28

Dieses transzendentale Bewusstsein überhaupt, das sich durch Einheit und Kontinuität auszeichnet, wird in der Transzendentalphilosophie als die Bedingung der Möglichkeit der Vorstellung eines einheitlichen Objektes und, folglich, der Erfahrung verstanden. Riehl teilt diese These, warnt aber vor der idealistischen Gefahr, diesen Begriff des Bewusstseins überhaupt als ein Kriterium in Fragen der Bestimmung der Realität zu benutzen. Er vertritt die Ansicht, dass das transzendentale Bewusstsein getrennt vom psychologischen Bewusstsein nicht existieren kann: „Es existiert nicht vor oder neben dem letzteren, sondern nur als Gedanke in ihm.“29 Das transzendentale Bewusstsein ist zwar die notwendige Bedingung der objektiven Erkenntnis, aber dieses „intellektuelle Koordinatensystem“ ist nur in menschlichen Kopf gegeben, das heißt es ist eine Eigenschaft des realen menschlichen Bewusstseins. Riehl illustriert diese Zugehörigkeit mithilfe eines Beispiels: Das transzendentale Bewusstsein erkrankt nicht, nur die Organe des psychologischen können erkranken, und wenn ihre Erkrankung die Auflösung des Ichzusammenhanges zur Folge hat, so ist eben damit auch das transzendentale Bewusstsein, dass nur als Gedanke des psychologischen besteht, aufgehoben und zugleich die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis verschwunden.30

Es könnte der Eindruck entstehen, dass der Mensch in dieser Betrachtungsweise ein Tier mit besonders guten oder zusätzlichen Fähigkeiten und das transzendentale Bewusstsein als eine anthropologische Differenz demnach graduell zu denken ist. Allerdings vertritt Riehl dieses additive Modell nicht. Im Gegenteil erweist sich das transzendentale Bewusstsein bei ihm als die radikale „Änderung“ in der psychogenetischen Entwicklung der Arten.31 Es ist ein besonderer Modus der Realisierung einer Eigenschaft oder Fähigkeit, der nicht angeboren, sondern durch die Sozialisierung erworben ist. Es ist beiläufig anzumerken, dass das Problem, ob die Besonderheiten menschlichen Geistes als besondere Frage des Grades oder als Unterschied in der Art aufzufassen ist, in der modernen Debatte um den neuen Realismus häufig

|| 28 Riehl 1926, S. 154. 29 Riehl 1926, S. 155. 30 Riehl 1926, S. 155. 31 Riehl 1926, S. 81.

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diskutiert wird.32 Riehls Realismus nimmt eine gegenwärtig bedeutende Tendenz vorweg, indem er sich durch einen gewissen Antinaturalismus charakterisiert, der es verbietet, die Gesetze der organischen Entwicklung auf die Erklärung der geistigen zu übertragen und das Geistige aus dem bloß Materiellen herzuleiten oder darauf zurückzuführen. Er ist skeptisch gegenüber der Vorstellung, dass die höheren Fähigkeiten des menschlichen Geistes ein Produkt der natürlichen Evolution sind und glaubt vielmehr, dass der Aufstieg vom psychischen Leben der Tiere zum geistigen der Menschen dank dem sozialen Faktor erfolgte. Der Intersubjektivität sind solche Hervorbringungen wie „Begriffssprache, Erfindung, Erkenntnis, Gewissen, künstlerische Schöpfung, religiöser Glaube“33 usw. zu verdanken. Auch die Fähigkeit des Menschen die Wahrnehmungen, die er erlangt, den begrifflichen Schemata seines Denkens zuzuordnen, ist kein Produkt der kognitiven Evolution: „Diese Fähigkeit aber, welche Erkenntnis erzeugt, ist der Ausfluß seines Denkverkehrs mit den Mitmenschen, eine Wirkung des allgemeinen, sozialen Geistes auf den individuellen.“34 Demnach sind apriorische Formen des Erkennens und logische Gesetze keinesfalls mit den angeborenen durch Selektion und Anpassung bedingten Vorstellungen zu verwechseln. Sie sind kategorial verschieden. Riehl führt aus: A priori ist nicht eine Vorstellung, welche angeblich oder nachweislich angeboren ist, sondern ein Begriff, der in seinem Verhältnisse zu anderen Begriffen als Grund, nicht als Folge gebraucht werden muß.35

Apriorität bedeutet also ein logisches Verhältnis unter den Begriffen, kein genetisches; sie hat einen historisch-kulturellen, keinen rein biologischen Ursprung, weil sie nicht die „Naturgesetze des Denkens“, sondern „die Normalgesetzte desselben“ zum Ausdruck bringt.36 Riehl erkennt jedoch an, dass die transzendentalen Bedingungen der Erkenntnis in der besonderen Organisation menschlichen Bewusstseins wurzeln. So sind die Begriffe a priori „keineswegs die ersten oder früheste, die das Denken auf Anlaß der Erfahrung entwickelt. Ihrer Erwerbung geht vielmehr eine verhältnismäßig hohe Ausbildung der Fähigkeit zur Reflexion voran“37. Es wäre aber ihm zufolge falsch, für die Begriffe und Erkenntnisse a priori andere Anlagen im menschlichen Bewusstsein vorauszusetzen außer

|| 32 Siehe dazu exemplarisch Boyle 2017, Thompson 2017. 33 Riehl 1926, S. 73. 34 Riehl 1926, S. 74. 35 Riehl 1926, S. 76. 36 Riehl 1926, S. 78. 37 Riehl 1925, S. 9.

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seiner Fähigkeit zum diskursiven Denken. Sein Resümee, das besagt: „Apriorität bezeichnet nicht einen Umstand der Entstehung, sondern die inneren Merkmale der Bedeutung einer gewissen Art von Erkenntnissen“38, trennt deutlich den transzendentallogischen Begriff des Bewusstseins, das auf die Einheit der Apperzeption zurückzuführen ist, von dem entwicklungstheoretischen. Diese Trennung bildet das Fundament für Riehls Begründung seines realistischen Ansatzes.

4 Riehls Begriff der Intersubjektivität Wie oben bereits erwähnt wurde, bildet die Auffassung der Subjektivität als eine verkörperte einen Teil in Riehls Begründung der Realität der äußeren Welt. Körperlose, immaterielle, rationalistisch verstandene Subjektivität könnte zur Lösung der Realitätsproblematik nichts beitragen.39 Dementsprechend soll der Begriff des Bewusstseins als eine Funktion (ein Vollzug) der permanenten Verbindung der inneren und äußeren Erfahrung zweistellig sein. Ein weiteres Argument, das die Eingebundenheit denkender Akteure in die Wirklichkeit beweisen soll, schließt die Annahme der Intersubjektivität ein. Die Intersubjektivität erweist sich bei Riehl in einer doppelten Hinsicht von erkenntnistheoretischer Relevanz: Einerseits trägt sie zum Begriff der Kontinuität des Objektes bei, die eine notwendige Bedingung der Erfahrung und objektiver Erkenntnis darstellt. Das bedeutet, dass das kontinuierliche Bestehen der Dinge, sobald sie vom einzelnen Individuum nicht wahrgenommen werden, durch deren Wahrnehmung von anderen intelligenten Lebewesen bestätigt werden kann: „So ergänzen sich wirkliche und mögliche Wahrnehmungen zur Erfahrung derselben gemeinschaftlichen Welt.“40 Andererseits beeinflusst die soziale Umgebung die individuelle Wahrnehmung und das individuelle Denken. So behauptet Riehl: „Die Wahrnehmung der Außenwelt ist kein individuelles, sondern ein soziales Phänomen“41, und, umgekehrt: „Die objektive Welt ist die Welt unserer gemeinschaftlichen Wahrnehmung.“42 Nicht nur Vorstellungen über die Welt, sondern auch die sozialen Gefühle sind „im sozialen

|| 38 Riehl 1925, S. 11. 39 Diesbezüglich äußert Riehl sich sarkastisch: „Wer das Dasein der sinnlichen Dinge von seinem eigenen Dasein abhängig glaubt, darf auch vor der Konsequenz nicht zurückscheuen, daß eigentlich nicht er von seiner Mutter, sondern umgekehrt seine Mutter von ihm geboren worden ist.“ (Riehl 1926, S. 149). 40 Riehl 1926, S. 161. 41 Riehl 1926, S, 142. 42 Riehl 1926, S. 160.

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Leben entwickelt worden“43. Alle Produkte des menschlichen Geistes sollen also in normativen Begriffen gedacht werden. Diese Normativität der Intentionalität überhaupt ist von Bedeutung für den oben bereits erwähnten Antinaturalismus Riehls, der es verbietet, die Bewusstseinszustände auf physikalische Zustände zu reduzieren. Die Existenz der Mitmenschen kann Riehl zufolge methodologisch ausgehend aus dem einzelnen, isoliert gedachten Bewusstsein bewiesen werden. Dies erfolgt nicht dank dem Analogieschluss, wie es die rationalistische Beweisstrategie annimmt, sondern dank den „intersubjektiven“44 Gefühlen wie Liebe, Hass, Mitleid usw. Riehl behauptet: Die bloße Existenz dieser Gefühle also, die von keinem Idealisten bestritten werden kann, schließt die Mitexistenz anderer bewußter Wesen meinesgleichen unmittelbar in sich ein. Also existiere ich nicht allein.45

Dieser Sicht auf die Intentionalität der Gefühle wird von der kantischen Idee über die Rezeptivität der Sinnlichkeit unterstützt. Formuliert von Riehl klingt sie folgendermaßen: „Die Sinne sind tätig, aber nicht selbsttätig. Ihre Tätigkeit bedarf der Reize, durch die sie ausgelöst wird.“46 Wie jede andere Wahrnehmung schließt auch die Wahrnehmung eines menschlichen Körpers die Existenz dieses Körpers unmittelbar ein, weil sie kein rein mentaler, sondern ein intentionaler, das heißt in Riehls Diktion als ein über die Grenze des Mentalen hinaus führender, Zustand ist. Die Existenz der Mitmenschen wird demnach nicht gefolgert, sondern unmittelbar erfahren; gefolgert können weitere Erkenntnisse über den wahrgenommenen Menschen sein. Riehl betrachtet den Nachweis der Realität der Mitmenschen als einen wichtigen Schritt im Beweis der Realität der Außenwelt und nennt ihn, weil er „auf Grund der Existenz unserer Mitmenschen geführt wird“, den „sozialen Beweis“ derselben.47 Zusammen mit der Abhängigkeit des Bewusstseins von äußeren Wirkungen in der Empfindung und Wahrnehmung bildet das Dasein sozialer Gefühle eine der basalen „Tatsachen des Bewusstseins“48, die Riehls Strategie stützen.

|| 43 Riehl 1926, S. 160. 44 Riehl 1926, S. 159, vgl. S. 160. 45 Riehl 1926, S. 160. 46 Riehl 1926, S. 148. 47 Riehl 1926, S. 163. 48 Riehl 1926, S. 163.

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5 Riehls Begriff des Dinges Der Begriff „Ding“ steht in Riehls Theorie als Repräsentant für die „Außenwelt“, deshalb erlaubt er es, die ganze Beweisführung deren Realität zu rekonstruieren. Riehl geht systematisch vor und erprobt verschiedene Argumentationsstrategien – sie lassen sich als eine erkenntnistheoretische (1), eine psychologische (2), eine ontologische (3) und eine handlungstheoretische (4) bezeichnen – um das Ding von verschiedenen Seiten realistisch darzustellen. Zu 1) Erkenntnistheoretisch wird das Ding als Erscheinung definiert und zwar als „Erscheinung in dem einzig verständlichen Sinne des Wortes, wonach dasselbe die Beziehung auf das, was erscheint, in seiner Bedeutung einschließt“49. Das heißt, er vertritt die sogenannte „Zwei-Aspekten-Theorie“, der zufolge Erscheinung und erscheinendes Ding ontologisch identisch sind. Seiner realistischen Deutung nach sind Erscheinungen Dinge, wie sie sich Menschen in Abhängigkeit von unserem Wahrnehmungsapparat in der Erfahrung darstellen.50 Die Erscheinung eines Dings ist also das Ergebnis einer Interaktion zwischen Welt und Mensch. Die Außenwelt ist eine Erscheinungswelt, modifiziert durch unsere a priori Formen der Sinnlichkeit und Begriffsschemata. Die Unterscheidung zwischen Ding und Erscheinung hat Riehl zufolge methodologische Bedeutung für die Erkenntnistheorie: Sie ist präventiv gegen einen naiven Realismus, der annimmt, dass die Welt an sich so beschaffen sei, wie die Menschen sie wahrnehmen. Riehl geht im Gegenteil davon aus, dass auch andere Weltbilder möglich sind, die artspezifisch sind. Die Auffassung des Dings als Erscheinung impliziert folglich, dass unsere Erkenntnis relativ ist. Dies betrifft jedoch, hebt Riehl mehrfach hervor, nur den Inhalt des Wissens, nicht die Frage nach der Existenz der Welt selbst. Zu 2) Das für sich bestehende Ding erscheint in der Wahrnehmung. Riehl versteht die Wahrnehmung als die unmittelbare Gegebenheit des Dinges, die keines Schlusses bedarf. Man kann über eine gewisse Identität von Wahrnehmung und Wahrgenommenem sprechen, die durch die gegenseitige Beziehung des Bewusstseins und des Dinges konstituiert wird. Riehl konstatiert: Das Objekt ist folglich in der Wahrnehmung nicht minder enthalten, als es das Subjekt ist, unser Sein nicht inniger an die Empfindung geknüpft, als das Sein der Dinge der Erfahrung.51

|| 49 Riehl 1926, S. 144. 50 Riehl schreibt beispielsweise: „Ich erkenne Objekte nur in der Art, wie meine Sinne durch sie erregt werden.“ (Riehl 1926, S. 144). 51 Riehl 1925, S. 231.

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Der Begriff „Wahrnehmung“ soll demnach nicht allein auf das Subjekt bezogen werden (was für den Idealismus typisch ist), vielmehr soll die Wahrnehmung als „das Zusammenbestehen von Bewußtsein mit einer Welt“52 verstanden werden. Er ist dann ein zweistelliger Begriff, der in sich die Wahrnehmbarkeit als Eigenschaft an sich bestehender Dinge und die Wahrnehmungsfähigkeit als Eigenschaft der Sinne einschließt. Aus dieser psychologischen Perspektive betrachtet erweist sich das Ding zunächst als eine Summe der wahrgenommenen Eigenschaften – korrelativ zu „eine[r] konstante[n] Gruppe von Empfindungen“53 – aus der Perspektive eines Beobachters. Das sinnlich wahrnehmbare Ding wird laut Riehl aus drei Typen von Urteilen konstituiert: Das sind den einzelnen Sinnen entsprechende attributive „Eigenschaftsurteile“, die sich einem „substantivischen“ oder einem „Subsumtionsurteil“, das der Gesamtwahrnehmung entspricht, zuordnen lassen. Die Verbindung der attributiven mit den subsumierenden Urteilen erfolgt dank der „Koexistenzurteilen“. Begriffe der Einzeldinge werden dann verschiedenen „Klassenbegriffen“ oder „Gattungen“ zugeordnet.54 Zu 3) Dass wir bei dieser Darstellungsweise nicht Wahrnehmungen wahrnehmen, sondern reale, von uns unabhängig existierende Dinge, zeigt sich sowohl an Erfolgen und Misserfolgen unseres praktischen Agierens als auch an der Verlässlichkeit unserer Erkenntnisse. Um die Erfahrbarkeit der Welt zu postulieren, muss man annehmen, dass Dinge ihre eigene Natur haben, wechselseitig aufeinander wirken und sich in einem beständigen und gleichförmigen Zusammenhang befinden. Ohne diese Voraussetzung würde das Bewusstsein „ein zusammenloses Aggregat von Tatsachen bleiben“55. Anders formuliert haben die Vorstellungen nur dann vollständigen Zusammenhang unter sich, wenn sie zugleich mit äußeren Dingen zusammenhängen. Die Möglichkeit alles (korrigierbaren) Erkennens beruht folglich auf der Überzeugung, dass es eine an sich vorhandene Ordnung der Dinge – die „Gesetzlichkeit der Erscheinungen“ – gibt. Die Gesetzmäßigkeit der in der Wahrnehmung erscheinenden Welt bildet laut Riehl den realen Inhalt der Erfahrung, dasjenige, was wir mittels der Erscheinungen von den Dingen selbst erkennen. Aller Inhalt der Erkenntnis muss somit von Dingen selbst stammen; er darf nicht in bloße logische Formen aufgelöst werden. Für Riehl gehört der Realitätsbezug zum Erkenntnisphänomen so, dass der Erkenntnisbegriff ohne die Annahme der an sich bestehenden Dinge seine Be-

|| 52 Riehl 1926, S. 178. 53 Riehl 1925, S. 236. 54 Dazu Riehl 1925, S. 237–238. 55 Riehl 1926, S. 152.

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deutung verliert.56 Der Realismus erweist sich demnach als „das Fundament selbst der Logik“ und „die Grundlage der positiven Forschung und Wissenschaft“.57 Zu 4) Die ontologische Annahme, dass Dinge eine ihnen selbst eigene Natur besitzen, lässt sich Riehl zufolge handlungstheoretisch begründen. Die Gewissheit der Außenwelt ist zunächst – davon ist er überzeugt – praktischer Natur: „[S]ie wird ursprünglich nicht aus der Erkenntnis geschöpft, sondern durch das Handeln bezeugt, dessen Werkzeug die Erkenntnis ist.“58 Die Welt kommt ins Bewusstsein, das mit Wahrnehmung und Reflexion ausgestattet ist und als Mechanismus der Selbsterhaltung funktioniert, bereits bei der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. Die Realität ist als eine unmittelbare Tatsächlichkeit eben mittels Bedürfnisse, Gefühle, Wünsche, etc. gegeben: Wie Liebe und Sympathie das Dasein von Wesen unsersgleichen zur Voraussetzung haben, wie diese Affekte über das eigene Ich hinausweisen, so weisen auch der Hunger, das Atembedürfnis über unser eigenes Dasein hinaus zu Nahrung und Luft, und man könnte die Realität der Außenwelt aus dem Hunger beweisen, wie man die Existenz von Mitmenschen aus der Liebe beweisen kann.59

Daraus kann man schlussfolgern: Die eigene Existenz des Menschen verwirklicht alles im Sinne eines Bezugssystems, ein Element dessen der Mensch selbst ist. Die Welt als reale erscheint auch als das, was der Mensch kennen muss, wenn seine Handlungen von Erfolg sein sollen. In dieser Hinsicht zeigt sich die Objektivität der Welt durch einen Widerstand, der überwunden werden muss, um ein Ziel erreichen zu können. Sie zeigt sich darüber hinaus in der Notwendigkeit unsere Vorstellungen von ihr zu korrigieren. Riehl behauptet eine gewisse „Abhängigkeit“ des Bewusstseins von der es „fungierenden“ Wirklichkeit, was erklären kann, was

|| 56 Aus meiner Sicht ist Riehls Konzeption gegen den Vorwurf eines „schwachen Realismus“ gefeit, weil von der bewusstseinsunabhängigen Wirklichkeit mehr als ihre bloße Existenz angenommen wird. Die Wirklichkeit sei mannigfaltig korrelativ zu ihren mannigfaltigen Wirkungen auf den Wahrnehmenden. Riehl behauptet, dass in der Regel die gegenseitige Abhängigkeit der Qualität der Wahrnehmung von der Qualität der äußeren Einwirkung besteht und betont: „Die auf unsere eigene Existenz bezüglichen Erfahrungen lassen sich von den objektiven nicht trennen“ (Riehl 1926, S. 165). Dies kann man so verstehen, dass die relativen Aussagen etwas über die „wirkliche“ Beschaffenheit der Welt sagen. 57 Riehl 1926, S. 122. 58 Riehl 1926, S. 147. 59 Riehl 1926, S. 147.

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unsere Gedanken unterbricht, den Willen durchkreuzt und unsere Handlungen zwingt, sich Ihr anzupassen – und warum sie diese Wirkung nicht bloß auf mich, sondern in gleicher Weise auch auf andere bewußte Individuen ausübt.60

Das Besondere Riehls handlungstheoretischen Ansatzes ist, dass er die anthropozentrische Position verlässt, um auf die Realität und Identität eines Objektes zu schlussfolgern. So behauptet er: Die Wahrnehmungen selbst können beträchtlich voneinander abweichen, wie dies von gewissen tierischen Perzeptionen im Vergleich zu den menschlichen der Fall sein muß, und doch bleibt die wahrgenommene Sache dieselbe, was wir mit Sicherheit aus der Ähnlichkeit des praktischen Verhaltens gegenüber dem Gegenstande trotz aller Unähnlichkeit der Wahrnehmungen erschließen.61

Weiterhin liest man: Den Wahrnehmungen der Menschen (und Tiere) liege wirkliche Dinge zugrunde, die den Stoff zu denselben geben, das Material der Handlungen der bewußten Wesen bilden. Die Übereinstimmung der Wahrnehmungen und insbesondere die der Handlungen beweisen, dass eine Außenwelt existiert, gemeinschaftlich für alle mit Sinnen begabte Wesen und dem Dasein nach unabhängig von der Existenz und Wahrnehmung jedes einzelnen unter diesen Wesen.62

Zusammenfassend zu diesem Kapitel ist zu sagen, dass Riehls Nachweis der Realität der Dinge ein mehrseitiger Prozess ist, der nur erfolgreich sein kann, wenn alle Beziehungen, in die ein Ding eintreten kann, berücksichtigt werden. Das Ding erweist sich erkenntnistheoretisch als eine Reihe von wechselseitigen Beziehungen, durch die es umrissen wird.

6 Riehls transzendentaler Realismus Riehls dreibändiges opus magnum Der philosophische Kritizismus hat in der zweiten Auflage den Untertitel Geschichte und System, der das spezifische methodische Vorgehen des Autors hervorhebt. Riehl tritt in einen Dialog mit der Geschichte der Philosophie, um in einer kritischen Auseinandersetzung mit ihr seine eigene realistische Position zu entwickeln. Diese möchte ich transzendentalen Realismus nennen. Diese auf den ersten Blick eklektische Bezeichnung soll

|| 60 Riehl 1926, S. 142. 61 Riehl 1926, S. 161. 62 Riehl 1926, S. 162.

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zunächst darauf hinweisen, dass sich Riehls Ansatz aus zwei Quellen speist, nämlich aus der modernen empirisch orientierten Wissenschaft mit ihrer Betonung des historischen Charakters alles Bestehendes und der transzendentalen Philosophie Kants. Beide Richtungen sollen friedlich koexistieren und einander ergänzen. Mit Riehls eigenen Worten ausgedrückt: „[D]as unverständige Wort, Kant sei durch Darwin widerlegt, muß endlich verstummen.“63 Einen Konflikt zwischen positiver Wissenschaft und transzendentaler Philosophie hält Riehl für völlig ausgeschlossen. Diese Herangehensweise wirft die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit dieser Verbindung auf. Das ist keineswegs selbstverständlich. Eine zusätzliche Schwierigkeit entsteht dadurch, dass Riehl nicht die transzendentalen Formen entwicklungswissenschaftlich erklären möchte, vielmehr ist er der Ansicht, dass „Entwicklung kein Gesetz, sondern ein Resultat von Gesetzen ist, und daß man nicht aus der Entwicklung, sondern die Entwicklung zu erklären hat“64. Er deklariert somit die methodische Priorität der Transzendentalphilosophie. Die Ausführung seines Programms basiert auf einem grundliegenden Prinzip, das ich als das Riehl-Axiom bezeichnen möchte. Dieses Axiom besagt, dass man das Sein der Objekte von ihrem Objektsein unterscheiden soll.65 Daraus folgt, dass die Argumentation für die Realität der Außenwelt die sorgfältige Unterscheidung und Verschränkung der existenziellen und erkenntnistheoretischen, empirischen und logischen, evolutionstheoretischen und transzendentallogischen und, nicht zuletzt, der praktischen und theoretischen Urteile voraussetzt. Dabei wird die Frage nach dem Sein der Objekte den Wahrnehmungsaussagen überlassen, während die Frage nach dem Objektsein der Objekte für die transzendentalen Argumente reserviert bleibt. Dahinter steht die Überzeugung, dass der Glaube an das Dasein der Außenwelt unabhängig von eigenem Bewusstsein durch Vernunftgrunde nicht zu rechtfertigen ist: Da das Dasein der Außenwelt in der Tat nicht gefolgert ist, so kann es auch nicht bewiesen werden: denn nur für einen Folgesatz läßt sich ein Beweis im strengen Sinne des Wortes verlangen und führen.66

Existenzsätze und Beschreibungen sind also für Riehl kategorial verschieden: Die ersten basieren auf der Sinnlichkeit und drücken primäre, universale ontolo-

|| 63 Riehl 1925, S. 12. 64 Riehl 1926, S. 75. 65 Diese Formulierung ist in verschiedenen Modifikationen, Kontexten und Zusammenhängen in Riehls Werk zu finden. 66 Riehl 1926, S. 145.

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gische Gegebenheiten aus, während die zweiten von den Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten einer Lebensform abhängig und daher relativ sind. Um die spezifisch menschliche Erkenntnis zu charakterisieren, greift Riehl auf den transzendentallogischen Ansatz zurück. Das Kernstück seines transzendentalen Realismus kann darin gesehen werden, dass er das Kantische transzendentale Ich als die notwendige logische Bedingung der objekthaften Wahrnehmung der Welt beibehält. Dabei ist die transzendentale Einheit der Apperzeption – das logische ego – in jedem empirischen Ich enthalten. Folgendes Zitat belegt das Gesagte: Indem wir sukzessiv Empfindungen mit Empfindungen verknüpfen, bringen wir zugleich die Einheit des Bewußtseins hervor, und diese Form unserer Auffassung überträgt sich von selbst auf die aufgefassten Dinge, da diese Dinge ohne sie gar nicht Objekte unserer Wahrnehmung sein können. Die Einheit des Objektes ist sonach die Einheit des Subjektes in seiner Auffassung einer gegebenen Mehrheit von Empfindungen. Dinge sind konstante Gruppen von Empfindungen zur Einheit des Bewußtseins gebracht.67

Die sinnlichen Gegenstände werden also von Menschen als Objekte wahrgenommen im Verhältnis zur Einheit des Denkens. Die objektförmigen Erscheinungen bilden die Grundlage der Erfahrung und aller Erkenntnis, weil mit ihnen die Dinge selbst, soweit sie erscheinen, korrelieren. Mit anderen Worten muss das durch die absolute Einheit des logischen Ich konstituierte Bewusstsein das Gegebene kategorial als Objekt identifizieren, um an ihm weitere Differenzierungen vornehmen zu können. Erneut zu betonen ist, dass das transzendentallogische Ich das „Überempirische“68 im empirischen Bewusstsein ist, dass die Voraussetzung des empirischen Erkennens bildet. Riehls transzendentaler Realismus erweist sich denn als ein erkenntnistheoretischer Realismus, der die unmittelbare Gegebenheit des Realen in der Sinnlichkeit (in der Empfindung) mit der durch die Formen der Sinnlichkeit und das Denken vermittelten Vorstellung desselben kombiniert. In dieser Konzeption fungieren die Begriffe a priori als die „Grenzbegriffe zwischen den Erscheinungen und den Dingen selbst“69. Darin besteht ihre objektive Gültigkeit für den erkennenden und handelnden historischen Menschen. Dank der bifokalen Optik, die gleichzeitig die transzendentale und die empirische Ebene im Blick hat, ist es Riehl gelungen, einen ontologischen Realismus mit einem erkenntnistheore-

|| 67 Riehl 1925, S. 238. 68 Riehl 1925, S. 5. 69 Riehl 1925, S. 24.

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tischen Relativismus zu vereinigen und somit einen plausiblen, noch immer diskussionswürdigen Ansatz anzubieten.

Literatur Boghossian, Paul (2015), Angst vor der Wahrheit, Berlin: Suhrkamp. Boyle, Matthew (2017), „Wesentlich vernünftige Tiere“, in: J. Conant/A. Kern (Hrsg.), Selbstbewusstes Leben, Berlin: Suhrkamp, S. 78–119. Ferraris, Maurizio (2015), „Was ist der Neue Realismus?“, in: M. Gabriel (Hrsg.), Der Neue Realismus, Berlin: Suhrkamp, S. 52–75. Jung, Mathias (1973), Der neukantianische Realismus von Alois Riehl, Bonn, Univ.-Diss. Kant, Immanuel (1970), Kritik der reinen Vernunft, in: Kants Gesammelte Schriften, Akademie der Wissenschaften (vormals: Preußische Akademie der Wissenschaften), Berlin: De Gruyter. McDowell, John (2012), Geist und Welt, Berlin: Suhrkamp. Riehl, Alois (1925), Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, zweiter Band: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis, zweite Aufl., Leipzig: Kröner. Riehl, Alois (1926), Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, dritter Band: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, zweite Aufl., hrsg. von H. Heyse/E. Spranger, Leipzig: Kröner. Thompson, Michael (2017), „Formen der Natur: erste, zweite, lebendige, vernünftige und phronetische“, in: J. Conant/A. Kern (Hrsg.), Selbstbewusstes Leben, Berlin: Suhrkamp, S. 29–77.

Christian Bonnet

Alois Riehl und die Frage des psychophysischen Parallelismus Abstract: If Riehl’s solution of the psychophysical problem can be regarded as a form of psychophysical parallelism, this designation must be sharply qualified: Riehl seldom uses the term, and expresses serious reservations concerning its dualistic form which is incompatible with his theory of monism. Riehl’s approach is closely related to his interpretation of the Critique of Pure Reason, and especially that of the Paralogism of the first edition, whose real merit is precisely the refutation of dualism. In fact, one and the same thing which, however, we do not recognize in itself, is the “carrier” of the external appearances and of the appearances of consciousness. Thus, Riehl’s monism is a theory of identity: it allows us to conclude the identity of the real process underlying this double-sided appearance. However, Riehl admits the relevance of a methodological parallelism. In this sense, physiological research and psychological analysis are only opposite directions of research. They do not study different or rather separate objects. Der Gebrauch des Begriffs „Parallelismus“, um die Beziehung zwischen Leib und Seele auszudrücken, hat eine lange Geschichte. Leibniz hat als erster die psychischen und die physischen Vorgänge – die seiner Auffassung nach mit zwei gleichgehenden Uhren zu vergleichen sind1 – als „parallel“ bezeichnet.2 Aber diese Ausdrucksweise fehlt hingegen in der Literatur der Folgejahre. Die verschiedenen Lösungen, die von den Nachfolgern von Descartes entwickelt werden, um die Schwierigkeiten des kartesianischen Dualismus zu vermeiden und der Zirbeldrüse zu entkommen, werden als Okkasionalismus, oder prästabilierte Harmonie, aber niemals als „Parallelismus“ bezeichnet. Erst viel später, in der

|| 1 Leibniz 1696. 2 Vgl. Leibniz 1702, § XII, S. 533: „J’ai établi un parallélisme parfait entre ce qui se passe dans l’âme et entre ce qui arrive dans la matière, ayant montré que l’âme avec ses fonctions est quelque chose de distinct de la matière, mais que cependant elle est toujours accompagnée des organes de la matière, et qu’aussi les fonctions de l’âme sont toujours accompagnées des fonctions des organes, qui leur doivent répondre, et que cela est réciproque et le sera toujours.“ || Christian Bonnet, Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-006

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zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde in der deutschen philosophischen Literatur die Idee, dann – zum ersten Mal bei Wilhelm Wundt3 – der besondere Ausdruck eines „psychophysischen Parallelismus“ gebräuchlich. Neben der Verwendung des Parallelismus zur Bezeichnung bestimmter klassischer Doktrinen, einschließlich Spinoza, spielte in jenen Jahren die Debatte um den „psychophysischen Parallelismus“ eine bedeutende Rolle in der Geschichte der deutschsprachigen Philosophie.4 Selbstverständlich hat diese Debatte mit der Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie in dieser Zeit in Deutschland zu tun. Und es ist sicher kein Zufall, dass Wundt der Erfinder des Ausdrucks ist. Wundts psychophysischer Parallelismus ist ein bescheidener Parallelismus, nämlich ein bloß „empirisches Postulat“5, das Wundt dem metaphysischen Parallelismus, der „hier außer Betracht bleiben“6 soll, gegenüberstellt. Dieser Parallelismus ist „auf die Vorgänge […], für welche wirklich ein Parallelgehen physischer und psychischer Vorgänge nachweisbar ist“7, eingeschränkt. Mit anderen Worten, es handelt sich um einen Teilparallelismus: Wundt lehnt die Vorstellung ab, dass jedes physische Ereignis ein entsprechendes psychisches Ereignis hat, wie es unter anderen bei Fechner der Fall war.8 In diesem Kontext stößt Riehls Überlegung über das psychophysische Problem auf die Frage des psychophysischen Parallelismus. Seine eigene Auffassung weist damit gewisse Ähnlichkeiten auf, so dass Riehl selbst manchmal als Vertreter einer Form des psychophysischen Parallelismus angesehen wird. Dies muss jedoch deutlich angegeben und differenziert werden. Riehl selbst verwendet zwar manchmal den Ausdruck, aber eigentlich recht selten, und äußert ernsthafte Vorbehalte gegenüber einem Begriff, der „immer noch eine versteckte dualistische Vorstellung [enthält]“9 und vermutlich nicht imstande ist, seinen radikalen Monismus in angemessener Form zu bezeichnen. Bereits 1872 vertritt Riehl in Über Begriff und Form der Philosophie die These sozusagen eines Parallelismus zwischen dem Physischen und dem Psychischen. Dieser „Parallelismus“ – das Wort gebraucht er nicht – besteht darin, „daß die

|| 3 Wundt 1894. 4 Vgl. dazu u. a. Heidelberger 2000 und 2002. 5 Wundt 1894, S. 26. 6 Wundt 1894; nach Wundt hat dieser metaphysische Parallelismus „in der Philosophie Spinoza’s [seinen] klassischen Ausdruck gefunden“ (ebd., S. 26). 7 Wundt 1894, S. 42. 8 Fechner, dem wir die Erfindung des Begriffs „Psychophysik“ verdanken, dehnte schließlich seinen ursprünglich heuristischen oder methodologischen Parallelismus auf die gesamte Natur, einschließlich der anorganischen aus und verteidigte eine Form des Panpsychismus. 9 „Naturwissenschaftler und philosophischer Monismus“ (Riehl 1904, S. 174).

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Kausalität ein Gesetz des Bewußtseins und der Außenwelt zugleich ist, daß die Erhaltung von Stoff und Kraft in der Erhaltung des Inhaltes und der Vorgänge im Psychischen ihr Gegenstück hat“10. So sind das Physische und Psychische […] in entgegengesetztem Sinne zugänglich. Die offene Seite des einen ist die verschlossene des andern. Wir kennen das Physische nur vonseiten seiner Form, wir kennen das Psychische wesentlich vonseiten seines Gehaltes, seiner Bedeutung, als Vorstellung, Wille, Gefühl.11

Insofern das Psychische und das Physische sich wie Inhalt und Form verhalten, können sie also nicht voneinander abgeleitet werden.12 Die bloß qualitativen Erscheinungen des Bewusstseins sind keine psychischen Funktionen des Körpers, und die dualistische Annahme einer kausal-interaktionistischen psychophysischen Wechselwirkung à la Descartes ist völlig ausgeschlossen. Diese 1872 skizzierte Auffassung wird in den folgenden Jahren in Riehls Hauptwerk Der philosophische Kritizismus13 weiterentwickelt und erläutert. Nach Riehl besteht das psychophysische Problem grundlegend in einem Widerspruch, den er als „die physiologische Antinomie“14 bezeichnet. Diese Antinomie besteht darin, dass die empirische Beobachtung eine unbestreitbare Einheit von Körper und Seele aufweist, während „dieselbe Beobachtung aber auch eine Abhängigkeit der körperlichen Zustände von geistigen [lehrt]“15 – und umgekehrt. Diese wechselseitige Abhängigkeit sieht aber ganz und gar widersprüchlich aus. Grundsätzlich schließt das Prinzip der Erhaltung der mechanischen Kraft irgendwelche nicht mechanische Wirkung auf die mechanischen Vorgänge aus. „Die Verkettung der äußeren Vorgänge unter sich ist vollständig und ohne Lücke.“16 Anders ausgedrückt: „Empfindung und Wille können daher in diese Kette weder als Wirkung noch als Ursache eingreifen.“17 Dennoch kann die Erfahrung nach Riehls Ansicht nicht widersprüchlich sein. „Wenn sich also aus empirischen Grundsätzen abgeleitete Folgerungen widersprechen, so kann der Widerspruch doch nicht den tatsächlichen Inhalt

|| 10 Riehl 1872, S. 128. 11 Riehl 1872. 12 Riehl 1872, S. 130. 13 Zuerst erschienen 1876–1887. Im Folgenden wird die zwischen 1924 und 1926 erschienene Auflage zitiert. 14 Riehl 1926, S. 167. 15 Riehl 1926, S. 167. 16 Riehl 1926, S. 168. 17 Riehl 1926, S. 168.

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derselben treffen.“18 Da der Widerspruch im Inhalt der Erfahrung nicht liegen kann, kann er nur in einer gegebenen Voraussetzung seinen Ursprung haben, die selbst für eine Tatsache gehalten wird. „In der Tat tritt die physiologische Antinomie nur unter einer gewissen Voraussetzung ein und ist unter dieser sogar unvermeidlich und nicht zu lösen.“19 Diese Voraussetzung besteht in dem Glauben an die absolute Realität mechanischer Vorgänge in der Natur, wie sie den äußeren Sinnen erscheinen. Und der Widerspruch kann nur vermieden werden, wenn diese Voraussetzung überwunden wird. Das ermöglicht nur, so Riehl, die recht – d. h. realistisch – verstandene kritische Philosophie, nach der die mechanischen Vorgänge Erscheinungen einer Wirklichkeit sind, deren Beschaffenheit nicht direkt erkannt wird, sondern nur in ihren Wirkungen, insofern sie auf unsere Sinne wirken. In diesem Sinne „[ist] die physiologische Antinomie somit ein indirekter, aber vollkommen sicherer Beweis für die Wahrheit des kritischen Realismus“20. Eines ist klar: die von Riehl vorgeschlagene Lösung des psychophysischen Problems steht in engem Zusammenhang mit seiner Deutung des kantischen Kritizismus. Darin spielt eine entscheidende Rolle seine Auslegung der Paralogismen der reinen Vernunft, und zwar in der von der ersten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft gelieferten Fassung.21 Bekanntlich lehrt Kant, dass „der transzendentale Gegenstand […], sowohl in Ansehung der inneren als äußeren Anschauung, gleich unbekannt [ist]“22. Riehl weist aber darauf hin, dass dies keineswegs bedeutet, dass der Gegenstand nicht existiert, sondern wir erkennen ihn nicht, weil der Begriff seiner Existenz dazu nicht genügt. Hinzu kommt die Anschauung „welche bei uns sinnlich ist, mithin ihr (der Anschauung) Gegenstand Erscheinung“23. Daraus folgt, dass das transzendentale Objekt, welches den äußeren Erscheinungen, imgleichen das, was der innern Anschauung zum Grunde liegt, […] weder Materie, noch ein denkend Wesen an sich selbst [ist], sondern ein uns unbekannter Grund der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowohl als zweiten Art and die Hand geben.24

|| 18 Riehl 1926, S. 169. 19 Riehl 1926, S. 171–172. 20 Riehl 1926, S. 172. 21 Entgegen der weit verbreiteten Deutung, dass die erste Auflage der Kritik der reinen Vernunft „idealistischer“ sei als die zweite, findet Riehl im Gegenteil, und besonders in den Paralogismen, ein entschiedenes Bekenntnis Kants zu einem kritischen Realismus. 22 Kant, KrV, A 372. 23 Riehl 1924, S. 555. 24 Kant, KrV, A 379–380.

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Daher ist es möglich, dass ein und derselbe Gegenstand gleichzeitig der „Träger“ der äußeren Erscheinungen und der „Träger“ der Erscheinungen des Bewusstseins ist. Was Kant 1781, in seiner Kritik des zweiten Paralogismus, folgenderweise ausdrückt: Mithin kann ich [..] wohl annehmen […], daß also der Substanz, der in Anschauung unseres äußeren Sinnes Ausdehnung zukommt, an sich selbst Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit Bewußtsein vorgestellt werden können. Auf solche Weise würde eben dasselbe, was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer andern zugleich ein denkend Wesen sein, dessen Gedanke wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der Erscheinung, anschauen können. Dadurch würde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) denken; es würde vielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen denken, d. i. eben dasselbe was, als äußere Erscheinung, ausgedehnt ist, innerlich (an sich selbst) ein Subjekt sei, was nicht zusammengesetzt, sondern einfach ist und denkt.25

Die Paralogismen der Kritik der reinen Vernunft stellen, so Riehl, eine Widerlegung der dogmatischen Konzeption der Wirklichkeit der Erscheinungen der Außenwelt dar, die die Naturwissenschaften in hohem Maße beherrscht. Denn es war genau diese dogmatische Auffassung von den Erscheinungen der Außenwelt, die Kant insbesondere in den Paralogismen bekämpft hat. Wie können wir nun behaupten, dass es in den anderen Erscheinungen der Natur nichts Analoges zu mentalen Prozessen gibt, wenn es klar ist, dass diese Erscheinungen für uns nicht anderes als in Form von Vorstellungen, d. h. psychischen Prozessen, erkannt sein können? Und „die Unterscheidung des Physischen und Psychischen, des Äußeren und Inneren, läßt sich überhaupt nur durch Abstraktion vornehmen und in dieser allein festhalten“26. Was uns gegeben ist, sind psychophysische Vorgänge, von denen die eine Seite (die physische Seite) die von uns unabhängige äußere Realität anzeigt, während die andere Seite (die psychische) die Grundlage unserer Selbsterkenntnis ist. Weder die innere noch die äußere Erfahrung ist uns einfach gegeben. Uns ist nur unmittelbar ein Bewusstsein gegeben, das innere und äußere Erfahrungen umfasst, die beide in ständiger Wechselwirkung stehen. Schon Kant hatte darauf hingewiesen, daß alle Schwierigkeiten, die man bei diesen Fragen vorzufinden glaubt […] auf einem bloßen Blendwerke beruhen, nach welchem man das, was bloß in Gedanken existiert, hypo-

|| 25 Kant, KrV, A 359–360. 26 Riehl 1926, S. 171–172.

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stasiert und in eben derselben Qualität als einen wirklichen Gegenstand außerhalb dem denkenden Subjekte annimmt […].27

Aber die Materie, deren Gemeinschaft mit der Seele so großes Bedenken erregt, ist nichts anders als eine bloße Form oder eine gewisse Vorstellungsart eines unbekannten Gegenstandes durch diejenige Anschauung, welche man den äußeren Sinn nennt.28

Sobald wir aufhören, wie Kant uns dazu auffordert, unsere Vorstellungen zu hypostasieren und sie als unabhängige Dinge außerhalb von uns zu halten, und uns daran erinnern, „daß nicht die Bewegung der Materie in uns Vorstellungen wirke, sondern daß sie selbst (mithin auch die Materie, die sich dadurch kennbar macht) bloße Vorstellung sei“29, verschwindet die Schwierigkeit. Es bleibt zwar zu erklären, wie jene unserer Vorstellungen, die wir äußere Anschauungen nennen, nach empirischen Gesetzen als Gegenstände außer uns vorgestellt werden können; welche Frage nun ganz und gar nicht die vermeinte Schwierigkeit enthält, den Ursprung der Vorstellungen von außer uns befindlichen, ganz fremdartigen wirkenden Ursachen zu erklären, indem wir die Erscheinungen einer unbekannten Ursache vor die Ursache außer uns nehmen, welches nichts als Verwirrung veranlassen kann.30

Was gegen die Hypostasierung der äußeren Erscheinungen gilt, gilt auch für die Verdinglichung des Inneren. Die Behauptung der Existenz einer Substanz ist in beiden Fällen falsch.31 So – bemerkte Kant – haben weder [der Dualismus], noch der ihm entgegengesetzte Pneumatismus einerseits, oder der Materialismus andererseits nicht den mindesten Grund, indem man alsdenn die Bestimmung seiner Begriffe verfehlte und die Verschiedenheit der Vorstellungsart von Gegenständen, die uns nach dem, was sie an sich sind, unbekannt bleiben, vor eine Verschiedenheit dieser Dinge selbst hält.32

Nichts berechtigt uns, den Unterschied und die Unabhängigkeit des Substrats der psychischen Erscheinungen und des Substrats der physikalischen Erscheinungen zu behaupten.

|| 27 Kant, KrV, A 384. 28 Kant, KrV, A 385. 29 Kant, KrV, A 387. 30 Kant, KrV, A 387. 31 Riehl 1926, S. 175. 32 Kant, KrV, A 379.

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Das wesentliche Ergebnis der Paralogismen ist nach Riehls Ansicht, dass er uns unweigerlich zu einem monistischen Schluss führt: Ich, durch den innern Sinn in der Zeit vorgestellt, und Gegenstände im Raume außer mir sind zwar spezifisch ganz unterschiedene Erscheinungen, aber dadurch werden sie nicht als verschiedene Dinge gedacht.33

Riehl ist der Ansicht, dass Kant damit die Lösung für die Schwierigkeiten der psychophysischen Frage liefert. Wir verstehen, dass das Reale, das die Erscheinung der Materie hervorbringt, nicht das Raumobjekt ist. Und damit verschwindet jeder Grund für die Annahme einer dualistischen Hypothese. „Die Widerlegung des Dualismus bleibt der eigentliche Verdienst der Paralogismen.“34 Wir können Materie nicht definieren, ohne die Beziehung zum Bewusstsein, das die Dinge als materielle erlebt, in die Definition einzubeziehen. „Die allgemeinen Eigenschaften, die wir den Gegenständen der äußeren Wahrnehmung zuschreiben, sind zugleich Beschaffenheiten des Wahrnehmungsvorganges selbst.“35 Die einfache Tatsache, dass eine und dieselbe Sache, von verschiedenen Sinnen erfasst, auf verschiedene Weise erscheint und nicht vorgestellt werden kann, ohne mit irgendeinem Sinn in Verbindung gebracht zu werden, beweist, dass die Natur der Sache selbst nicht direkt erkannt werden kann. Aber wir können ebensowenig den Geist definieren, ohne Beziehung auf den Körper. Jede Beschreibung der Vorgänge in unserem psychischen Innern drückt immer zugleich etwas vom Gange der materiellen Begebenheiten aus, die jene Vorgänge begleiten.36

Also sind sowohl der dogmatische Materialismus (im Sinne eines naiven Realismus), der notwendigerweise zum Dualismus führt,37 als auch der Spiritualismus

|| 33 Kant, KrV, A 379 (meine Hervorhebung). 34 Riehl 1926, S. 176. 35 Riehl 1926, S. 179. 36 Riehl 1926, S. 179. 37 Riehl 1926, S. 178: „Materialismus und Monismus schließen daher einander aus. Wer mit Dühring in der Materie ‚das absolute Sein und in diesem alles übrige erkennen‘ will, hat statt des Begriffs der Materie den davon verschiedenen eines Dinges an sich im Sinne und denkt sich das letztere mit Eigenschaften ausgestattet, die erst aus der Wirkung eines Dinges auf die äußeren Sinne hervorgehen. Man kann die Materie nicht definieren, ohne in die Definition stillschweigend oder ausdrücklich die Beziehung auf das Bewußtsein, das die Dinge als materielle empfindet, einzuschließen.“ Vgl. auch ebd., S. 195: „Entweder Dualismus, mit allem was er für Vernunft und Erfahrung Widersprechendes mit sich führt, oder kritischen Monismus, eine dritte Ansicht gibt es nicht, denn der Materialismus fordert, wie wir gesehen haben, den Dualismus.“

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abzulehnen, weil der Geist nicht ohne den Körper definiert werden kann. Weder die äußere noch die innere Erfahrung ist jemals unmittelbar für sich gegeben. Darum ist aber nicht der Dualismus als Methode aufzugeben.38 Und Riehl räumt die Relevanz des in diesem methodologischen Sinne verstandenen Begriffs eines psychophysischen Parallelismus ein: Wenn zwei Vorgänge einander entsprechen und stets zugleich, also nicht in kausaler Folge eintreten, so können wir sagen: sie verlaufen parallel. Und so ist es üblich geworden, das Verhältnis des Psychischen zu seiner physischen Grundlage, d. i. zu bestimmten Nervenprozessen als psychophysischen Parallelismus zu bezeichnen. Dieser Ausdruck sollte immer nur als methodische Regel verstanden werden.39

Dieser nur methodologische Parallelismus erinnert in einem gewissen Maße an denjenigen von Wundt.40 Für Riehl sind physiologische Forschung und psychologische Analyse nur entgegengesetzte Forschungsrichtungen: sie studieren keine verschiedene, getrennte Gegenstände. Jede dieser Forschungsrichtungen kann sicherlich getrennt verfolgt werden. Für Riehl ist es keineswegs widersprüchlich, die Vorgänge der Natur aus mechanischen Gründen zu erklären und bestimmte Ereignisse durch psychische Ursachen zu erklären. Wenn aber eine Bewegung nicht durch den Willen, sondern nur durch mechanische Ursachen erklärt werden kann, so kann der Wille dennoch an ihr teilnehmen, obwohl sich das Ereignis den äußeren Sinnen als Bewegung darstellt, die sich in ihrer äußeren Erscheinung nicht von anderen unterscheidet. Widerspricht dies der Kontinuität des mechanischen Prozesses? Überhaupt nicht. „Ein solcher Widerspruch wäre es nur gegeben, wenn wir den Willen als ursachlos betrachten müßten.“41 Dies ist jedoch nicht der Fall. Ist

|| 38 Vgl. Riehl 1926, zweites Buch, zweites Kapitel, § 6, S. 181–183: „Der Dualismus als System und als Methode“. In einem Brief an Carneri vom 23. Mai 1888 (Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Wilhelm Börner, HIN-133679) verdeutlicht Riehl die Bedeutung dieses Gegensatzes wie folgt: „Zufolge dieses Principes [der Erhaltung der Energie] wissen wir mit derselben Sicherheit, mit der wir das Princip selbst annehmen, daß materielle Ursachen ausschließlich und jederzeit nur materielle Wirkungen und keinerlei psychische Nebenfolge oder ‚Begleiterscheinungen‘ nach sich ziehen. Damit aber ist der ‚Dualismus‘ als Methode unvermeidlich geworden: d. h. die psych. Erscheinungen als solche lassen sich für sich selbst betrachten und diese Betrachtung ist die ihnen gegenüber natürliche Auffassung. Ein Motiv und der Innervationsimpuls sind zwei ganz heterogene Erscheinungen – oder Vorstellungen. Um aber dem Dualismus als System zu entgehen, müssen wir den Begriff: materielle Vorgänge kritisch erfassen.“ Ich möchte mich bei Herrn Dr. Rudolf Meer herzlichst bedanken, dass er mir diesen Brief zur Kenntnis gebracht hat. 39 Riehl 1904, S. 170. 40 Siehe oben. 41 Riehl 1926, S. 184.

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der Wille selbst ein notwendiger Erfolg der qualitativen Wirksamkeit ebenderselben Prozesse, die wir äußerlich als mechanische anschauen, so fällt auch den Anlaß zu einem Widerspruche mit der mechanischen Naturbetrachtung fort.42

Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, so Riehl in diesem Zusammenhang, dass das Prinzip der Kontinuität des mechanischen Prozesses absolut nichts über die innere Natur der Ursache aussagt, von der wir nur die mechanische Seite erkennen. Wir haben also nur ein unvollkommenes Verständnis davon, wie ein Körper auf einen anderen wirkt. Das einzige, was wir wissen, sind die Gesetze, nach denen diese Wirkung regelmäßig abläuft. „Die mechanische Natur ist nicht die Natur an sich, sondern die Erscheinung der Natur für die äußeren Sinne.“43 Und die Behauptung einer qualitativen Wirksamkeit in der Natur, von dem wir in quantitativen Veränderungen nur Anzeichen sehen, ist nach Riehls Ansicht keine bloße Hypothese. Die Tatsache der Empfindung bezeugt dies: „Schon die bloße Existenz der Empfindung liefert für ihre Tatsächlichkeit einen hinlänglichen Beweis.“44 Kurzum, die Existenz der Empfindung bezeugt, dass natürliche Ursachen auch qualitative Auswirkungen haben können. Aber Empfindung ist auch nicht einfach Rezeptivität. Sie ist auch eine Reaktion auf den erhaltenen Reiz.45 Darin haben wir den Typus aller Wechselwirkung auch der in der nicht empfindenden Natur vor uns. Der Trieb der Selbsterhaltung, die Einheitsfunktion des Denkens, vermöge welcher die mannigfaltigen empfundenen Erregungen zu einer einzigen Vorstellung verbunden werden und das Bewußtsein, daß wir selbst handeln, sooft wir mit Willen handeln, sind Erscheinungen, die sich mit der Annahme einer rein mechanischen, übertragenen Wirksamkeit der Dinge nicht vereinigen lassen. Zu dem Mechanismus der äußeren Erscheinungen liefert die innere Erfahrung die Ergänzung; sie zeigt uns Vorgänge, die nicht bloß bewirkt, sondern auch selbst wirkend sind.46

Diese Wechselwirkung bedeutet aber keine Korrespondenz zwischen zwei verschiedenen Wirklichkeiten, sondern nur eine Identität des Prozesses, der die Grundlage der physischen und psychischen Erscheinungen ist. Die Frage, wie eine solche doppelte Erscheinung ein und desselben Dinges möglich ist, stellt sich tatsächlich nicht. Denn innere und äußere Erscheinungen treten niemals zur gleichen Zeit für dasselbe Subjekt auf.

|| 42 Riehl 1926, S. 184. 43 Riehl 1926, S. 184. 44 Riehl 1926, S. 182. 45 Riehl 1926, S. 184. 46 Riehl 1926, S. 184–185.

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Tritt die eine Seite des Geschehens in die Erscheinung, so tritt die andere in die Vorstellung zurück und umgekehrt: so oft die eine zur bloße Vorstellung wird, kommt die entgegengesetzte zur wirklichen Erscheinung.47

Nur mit dieser Einschränkung ist das Prinzip einer Korrespondenz des Psychischen und des Physischen wertvoll. Streng genommen kann also von einem Parallelismus zwischen psychischen und physischen Erscheinungen nur in einem ganz bestimmten und eingeschränkten Sinne die Rede sein und in keinem Fall von einer „Begleitung“ des einen durch das andere: „Zur ‚Begleitung‘ gehören zwei Dinge. Wo nur ein und derselbe Prozeß vorliegt, da kann auch nicht von einer ‚Begleitung‘ geredet werden. Mein eigenes Bewußtsein wird nicht von zerebralen Prozessen ‚begleitet‘“, und umgekehrt, „denn ich kenne das, was ich als meine eigenen Bewußtseinsvorgänge erfahre, nicht vom Standpunkt meines Selbstbewußtseins als zerebrale Prozesse, sondern vom Standpunkt des Objektbewußtseins.“48 Gerade in diesem Kontext gebraucht Riehl das Wort „Parallelismus“ in Anführungszeichen.49 Im engeren Sinn setzt Parallelismus zwei Gebilde voraus. Mit anderen Worten, „Parallelismus“ ist unzweideutig ein dualistischer Begriff. Und es ist genau dieser Dualismus, den Riehl ablehnt: „Diese Auffassung des Verhältnisses des Psychischen und des Physischen nenne ich den philosophischen Monismus.“50 Und dieser Monismus ist eine Identitätstheorie: „Wir schließen auf die Identität des realen Vorganges der dieser doppelseitigen Erscheinung zugrunde liegt.“51 Eine Theorie der Identität des Physischen und des Psychischen wurde von Spinoza und wiederum von Schopenhauer verteidigt, aber in einem allgemeinen Sinn. Bei Riehl gilt sie dagegen nur in einem begrenzten Sinn, nämlich nur für die Punkte, „an denen sich die objektive und die subjektive Welt wirklich berühren“52. Riehl kann sich im spinozistischen Panpsychismus nicht wiedererkennen: Gegen den Spinozaistischen Panpsychismus sprechen die Tatsachen der Diskontinuität des Bewußtseins und besonders die der Existenz einer Schwelle des Bewußtseins. Letzere, weil es kein unbewußtes Bewußtsein gibt.53

|| 47 Riehl 1926, S. 197. 48 Riehl 1926, S. 201. 49 Riehl 1926, zweites Buch, zweites Kapitel, § 15: „Genauer Sinn des Parallelismus der psychischen und physischen Erscheinungen“. 50 Riehl 1904, S. 175. 51 Riehl 1904, S. 175. 52 Riehl 1926, S. 186. 53 Riehl 1926, S. 186, Fußnote.

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Diese Vorstellung würde ein unbewusstes Bewusstsein implizieren, was ein Widerspruch ist. Der Panpsychismus, von dem Riehl anmerkt, dass er „seltsamer Weise noch Liebhaber unter uns findet, ist eine reine Spekulation, für welche die psychophysischen Tatsachen keine Handhabe bieten“54. Nichts in unserer Erfahrung mit unserem eigenen Körper bestätigt dies. Und wer diese Lehre verteidigt, behauptet mehr, als er wissen kann. Es gibt viele Vorgänge in unserem Körper sowie in unserem Nervensystem, die von keinem psychologischen Phänomen begleitet werden, von denen wir keine unmittelbare Wahrnehmung haben und die nur durch äußere Erfahrung zu unserer Kenntnis gelangen. In diesem Sinne ist unser bewusstes Leben „nur ein kleiner Ausschnitt unseres Lebens“55. Und der psychophysische Parallelismus, besser: die Korrespondenz des Psychischen und des Physischen ist ausschließlich auf jene Vorgänge in der Großhirnrinde zu beziehen, mit welchen, wenn sie gegeben sind, Bewußtseinsphänomene wie Gefühl, Vorstellung, Wille mitgegeben sind.56

Die physiologischen Prozesse, die ein psychologisches Phänomen wie eine Empfindung hervorrufen, sind zusammengesetzt und vielfältig. Und das Identitätsprinzip gilt nur für die letzten, abschließenden Elemente dieser Prozesse. Dies führt wiederum dazu, dass der Begriff des Parallelismus unwirksam wird. „Aus diesem Grunde kann auch von einem durchgängigen Sichentsprechen, einem Parallelismus des Physischen und Psychischen, nicht die Rede sein.“57 Mit anderen Worten: Dem, was psychisch einfach ist – diese und jene Empfindung – entsprechen komplexe physische oder physiologische Prozesse. Empfindung selbst, so Riehl, ist sowohl das Gefühl, von einem Reiz betroffen zu sein, die Reaktion auf diesen Reiz, als auch die Vorstellung der Art des Reizes (Wärme, Farbe, Geruch, usw.). „Daher enthält die Empfindung das ganze Bewußtsein im Keime.“58 Denn sie „vereinigt [...] in sich die Anfänge des intellektuellen Prozesses des Vorstellens, des emotionalen des Fühlens und des emotional-intellektuellen des Wollens“59. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass unser Nervensystem und unser psychisches Leben nicht dem gleichen Tempo folgen. So ist die Zeit, die die Empfindung braucht, um die Art und den Ort des Reizes zu identifizieren,

|| 54 Riehl 1904, S. 172. 55 Riehl 1904, S. 171. 56 Riehl 1904, S. 171. 57 Riehl 1926, S. 187. 58 Riehl 1926, S. 187. 59 Riehl 1926, S. 187.

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bevor sie reagiert, länger als die des Reflexes, und auch hier zeigt sich die diskontinuierliche Natur des psychischen Lebens (wenn auch nur am Beispiel des Schlafes), während die Nervenprozesse kontinuierlich sind. All dies weist uns darauf hin, dass unser psychisches Leben die Auswirkung von Nervenprozessen ist, die wir äußerlich als Ereignisse und Bewegungen im Gehirn und in den Nerven vorstellen. Unser empirisches Selbst ist der zusammengefasste Ausdruck der Einheit unseres individuellen Lebens und es ist dieselbe innerlich erfasste Einheit, die sich den äußeren Sinnen als ein Organismus darstellt, dessen verschiedene Teile und Funktionen miteinander interagieren. Diese Diskontinuität des psychischen Lebens ist also unvereinbar mit einem Parallelismus à la Spinoza: „von den beiden Attributen Spinozas ist nur das Attribut der körperlichen Natur ein in sich vollständiger Ausdruck der Natur“60. Es bleibt zu erklären, wie das Bewusstsein auf die Bewegung einwirken kann, ohne in eine Form des Dualismus oder Interaktionismus zurückzufallen. In der Tat, wenn wir Riehl folgen, ist es genauso richtig zu sagen, dass der Wille den Arm bewegt, wie zu sagen, dass die zentrale Innervation diese Bewegung auslöst. Es ist ebenso wahr, daß die Hand des Künstlers von der Idee seines Werkes geleitet wird, als es wahr ist, daß sie von den zerebralen Prozessen, welche die Erscheinung dieser Idee für einen außerstehenden Beobachter bilden würden, regiert wird.61

Hier kommt es auf die Betrachtungsweise an. Biologisch betrachtet ist das Bewusstsein, das zwischen der Wirkung eines äußeren Reizes und der daraus resultierenden Bewegung eingefügt wird, „[weder] ein immaterielles Wesen noch eine bloße Maschine, sondern ein psychophysischer Prozess“62. Aber nur eine Seite des Prozesses – die physische Seite oder die psychische Seite – äußert sich tatsächlich, während die andere eine einfache Vorstellung ist. Tatsächlich ist das Bewusstsein, erklärt Riehl, ein Mittel, um Anpassungsbewegungen durchzuführen, die nicht durch angeborene Mechanismen ausgelöst werden. Dies setzt voraus, dass die stimulierende Aktion und ihr Ergebnis zeitlich getrennt sind, dass eine Empfindung zwischen beiden eingefügt wird. Je deutlicher sie getrennt sind, desto mehr Spielraum bleibt für den psychophysischen Prozess und desto größer muss die Anpassungsfähigkeit des Organismus sein. „Die Verlängerung der Kette […] wird durch die Einschaltung von Zentralorganen bewirkt, die einander unter-, beziehungsweise übergeordnet

|| 60 Riehl 1904, S. 173–174. 61 Riehl 1926, S. 189. 62 Riehl 1926, S. 191.

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sind.“63 Und diesen Organen entsprechen die verschiedenen psychischen Funktionen, die sich in immer vielfältigeren Verbindungen präsentieren. Die Vorstellung geht von der Verbindung der Empfindungen – d. h. von der Wahrnehmung – aus, der Begriff von der Verbindung der Wahrnehmungen. Und die Willenshandlung entfernt sich immer weiter von der durch den Reiz ausgelösten Bewegung. Doch ist das ursprüngliche, einfache Schema der Wirkung des Bewußtseins selbst auf der höchsten Stufe seiner Entwicklung noch zu erkennen. Eine Empfindung tritt zwischen Reiz und Bewegung, die Bewegung wird der Empfindung des Reizes angepaßt.64

Die von Riehl vorgeschlagene Lösung des psychophysischen Problems geht von dem Gedanken aus, dass, wenn das Bewusstsein nicht transzendent und von den natürlichen Prozessen, mit denen es verbunden ist, getrennt ist, eine einseitig mechanistische Erklärung, wie sie der Materialismus vorschlägt, unweigerlich zu Widersprüchen führt. Allein der kritische Monismus ermöglicht es, diesen Widersprüchen zu entkommen. Letzteres ist jedoch „weder mit der metaphysischen Alleinheitslehre, noch mit irgendeiner Form des Panpsychismus zu verwechseln“65. Der Riehlsche Monismus gibt der Frage nach der Substanz der Dinge nicht das Gewicht, das die Metaphysik ihr zugesteht. Riehl erachtet nämlich, dass der Begriff der Substanz eine Form der Bestimmung des Realen an sich ist, die noch unbestimmter ist als die durch den Begriff der Materie. Denn letzterer „hat wenigstens die Beharrlichkeit einer im Raume wahrnehmbaren Größe zu seinem Inhalt“ und „drückt also ein wirkliches Verhältnis der Dinge zu unseren äußeren Sinnen aus, während der Begriff der Substanz […] ein bloß gedachtes Verhältnis der Dinge zum Verstande ausdrückt.“66 So kann die Riehlsche Lösung der psychophysischen Frage nur in sehr eingeschränktem Sinne als eine Form des psychophysischen Parallelismus bezeichnet werden. Wenn die Rede von einem Parallelismus des Physischen und des Psychischen ist, dürfen wir die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass, wenn eine dieser Erscheinungen zur wirklichen Erfahrung gehört, die andere zur möglichen Erfahrung gehört. Nur mit dieser Einschränkung kann also die Idee einer Korrespondenz oder eines Parallelismus von Psychischem und Physiologischem richtig sein.67

|| 63 Riehl 1926, S. 191. 64 Riehl 1926, S. 191. 65 Riehl 1926, S. 195. 66 Riehl 1926, S. 195–196. 67 Riehl 1926, S. 197.

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Die Annahme, dass dieser Parallelismus in ein und demselben Subjekt gegeben ist, würde bedeuten, in den Fehler zurückzufallen, physikalische Erscheinungen als solche als unabhängig von der äußeren Anschauung zu denken. Strenggenommen ist es ungenau zu sagen, dass jede Anregung unseres psychischen Inneren eine äußere Ursache voraussetzt. Diese Ursache ist nicht „außerhalb“, sondern stellt selbst ein Element der objektiven Erfahrung für ein anderes Bewusstsein dar. Dieses Prinzip der Korrespondenz von Psychischem und Physischem lässt sich jedoch nicht umkehren. Jedes physische Ereignis – als ein Element der objektiven Erfahrung – ist nicht notwendigerweise mit einem Selbstbewusstsein verbunden, das dieses äußere Ereignis für uns als ein inneres psychisches Ereignis erlebt. Und wir haben keinen Grund, das psychische Leben über die Grenzen der organischen und tierischen Natur hinaus auszudehnen.68 Riehls Theorie von der Identität des Psychischen und des Physischen hat eine entscheidende Rolle in den philosophischen Debatten des 20. Jahrhunderts um dieses Thema gespielt. Ein Echo davon finden wir unter anderen bei Moritz Schlick. In seiner Allgemeinen Erkenntnislehre erachtet Schlick, der sich selbst als Monist bezeichnet, dass der materialistische Monismus, obwohl ihm „eine gesunde Tendenz“ innewohnt, „eine naive, unzureichende, philosophisch verfehlte Formulierung“ war, „zumal ein völlig unkritischer Begriff der Materie zugrunde gelegt wurde“. Und er hält es für „ein hohes Verdienst der neukantischen Richtungen“, den Monismus wieder „auf die rechte Bahn“ gebracht zu haben.69 Der Neukantianer, den Schlick direkt an dieser Stelle erwähnt, ist nicht Riehl, sondern Friedrich Albert Lange, der Verfasser der Geschichte des Materialismus. Tatsächlich scheint Lange, obwohl er selbst keine explizite Theorie des psychophysischen Parallelismus entwickelt hat, dazu beigetragen zu haben, diesen zu einer zentralen Frage zu machen.70 Einige Stellen weisen deutlich in diese Richtung: „Der subjektive Zustand“ – schreibt Lange – „[ist] kein besonderes Glied in der Kette der organischen Vorgänge, sondern gleichsam nur die Betrachtung irgendeines dieser Vorgänge von einer andern Seite her.“71 Und der hier vorgeschlagene „Parallelismus“ – obwohl das Wort dort nicht vorkommt – ist in der Tat, wie bei Riehl, eine Theorie der „doppelseitigen Erscheinung“. || 68 Riehl 1926, S. 202. 69 Schlick 1925, S. 299–300. 70 Ein Kritiker des Parallelismus am Ende des 19. Jahrhunderts, wie Franz Erhardt, irrt nicht, wenn er schreibt: „Lange ist zwar kein Vertreter des eigentlichen Parallelismus; er kann jedoch nicht übergangen werden, da er durch seine entschiedene Bestreitung von Wirkungen der Seele auf den Körper zur Einführung des parallelistischen Standpunktes in erster Linie mit beigetragen haben dürfte.“ (Erhardt 1897, S. 14, Fußnote). 71 Lange 1974, Bd. 2, S. 816.

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Aber unter den Neokantianern, die den Monismus „auf den richtigen Weg“ gebracht haben, ist derjenige, dem Schlick wohl am nächsten steht, zweifellos Riehl. Schlick, der sich wiederholt auf Riehl bezieht und eine realistische Deutung von Kant hat, die der von Riehl nahekommt,72 entwickelt einen psychophysischen Parallelismus, der in mancher Hinsicht Riehls Identitätstheorie verwandt ist. Schlicks Parallelismus, den er als „erkenntnistheoretischen Parallelismus zwischen einem psychologischen Begriffssystem einerseits und einem physikalischen Begriffssystem andererseits“73 auffasst, ist sozusagen eine Theorie der doppelten Beschreibung oder der doppelten Sprache. Diesen „erkenntnistheoretischen Parallelismus“ verdankt zweifellos Schlick dem methodologischen Parallelismus von Riehl.74 Diese Überlegungen zum psychophysischen Problem werden im Zusammenhang mit der Debatte um das mind-body problem in den fünfziger Jahren eine gewisse Nachwirkung haben. Herbert Feigl, selbst Schüler von Schlick, hat dazu einen besonderen Beitrag geleistet. In einem Artikel, den er 1934 über das psychophysische Problem schrieb, stellt Feigl seine „identity theory“ – oder „double language view“ – als „eines der wichtigsten Ergebnisse des neuen logischen Positivismus (Wiener Schule)“ dar.75 Und 1958 erklärt er im Vorwort zu „The ‚Mental‘ and the ‚Physical‘“, dass „seine erste Berührung mit dem philosophischen Monismus auf die Lektüre von Riehls Werk zurückgeht“ und fügte hinzu, dass er „im wesentlichen dieselbe Position bei Moritz Schlick wiederfand“.76

Literatur Erhardt, Franz (1897), Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele. Eine Kritik der Theorie des psychophysischen Parallelismus, Leipzig: Reisland. Feigl, Herbert (1934), „Logical Analysis of the Psychophysical Problem. A Contribution of the New Positivism“, in: Philosophy of Science 1 (4), S. 420–445. Feigl, Herbert (1958) „The ‚Mental‘ and the ‚Physical‘“, in: Herbert Feigl/Michael Scriven/Grover Maxwell (eds.), Concepts, Theories, and the Mind-Body Problem (= Minnesota Studies in the Philosophy of Science, vol. 2), Minneapolis: University of Minnesota Press, S. 370–497.

|| 72 Vgl. z. B. Schlick 1925, S. 268, 237, 466. 73 Schlick 1925, S. 275. 74 Vgl. Heidelberger 2006 und 2007. 75 Feigl 1934, S. 421. 76 „My first acquaintance with philosophical monism goes back to reading the work of Alois Riehl; I found essentially the same position again in Moritz Schlick.“ (Feigl 1958, S. 483).

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Heidelberger, Michael (2000), „Der psychophysische Parallelismus: Von Fechner und Mach zu Davidson und wieder zurück“, in: Friedrich Stadler (Hrsg.), Elemente moderner Wissenschaftstheorie. Zur Interaktion von Philosophie, Geschichte und Theorie der Wissenschaften (= Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis Bd. 8), Wien/New York: Springer, S. 91–104. Heidelberger, Michael (2002), „Wie das Leib-Seele Problem in den logischen Emprismus kam“, in: Michael Pauen/Achim Stephan (Hrsg.), Phänomenales Bewusstsein – Rückkehr der Identitätstheorie?, Paderborn: Mentis, S. 40–72. Heidelberger, Michael (2006), „Kantianism and Realism: Alois Riehl (and Moritz Schlick)“, in: Michael Friedman/Alfred Nordman (eds.), The Kantian Legacy in Nineteenth-Century Science, Cambridge, Mass.: The MIT Press, S. 227–247. Heidelberger, Michael (2007), „From Neo-Kantianism to Critical Realism: Space and the MindBody Problem in Riehl and Schlick“, in: Perspectives on Science 15 (1), S. 26–48. Kant, Immanuel (KrV), Kritik der reinen Vernunft, Riga: Hartknoch 1781 (= A) / 1787 (= B). In: Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der Akademie der Wissenschaften (vormals Preußische Akademie der Wissenschaften), Berlin: De Gruyter 1900ff. Lange, Friedrich Albert (1974), Geschichte des Materialismus, 2 Bde., Frankfurt a. M.: Suhrkamp (Erstveröffentlichung 1866–1875). Leibniz, Gottfried Wilhelm (1696), „Postscriptum eines Briefes an Basnage de Beauval“, in: Philosophische Schriften, Bd. IV, hrsg. von C. I. Gerhardt, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1880, S. 498–499. Leibniz, Gottfried Wilhelm (1702), „Considérations sur la doctrine d’un esprit universel“, in: Philosophische Schriften, Bd. VI, hrsg. von C. I. Gerhardt, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1885, S. 529–538. Riehl, Alois (1872), Über Begriff und Form der Philosophie, wiederabgedruckt in: Philosophische Studien aus vier Jahrzehnten, Leipzig: Quelle & Meyer 1925, S. 91–174. Riehl, Alois (1904), Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart, zweite Aufl., Leipzig: Teubner. Riehl, Alois (1924), Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Bd. 1: Geschichte und Methode des philosophischen Kritizismus, dritte Aufl., Leipzig: Kröner. Riehl, Alois (1926), Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, Bd. 3: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, zweite Aufl., hrsg. v. Hans Heyse und Eduard Spranger mit einem Sachregister von H. W. Thiemer. Schlick, Moritz (1925), Allgemeine Erkenntnislehre, zweite Aufl., Berlin: Springer. Wundt, Wilhelm (1894), „Über psychische Causalität und das Princip des psychophysischen Parallelismus“, in: Philosophische Studien 10, S. 1–124.

Fernando Moledo

Freedom and Determinism in Alois Riehl’s The Philosophical Criticism Abstract: Most studies on Riehl focus on his arguments about the problem of human knowledge. Far less attention has been afforded to his discussion of morals, even though morality undoubtedly plays a fundamental role within Riehl’s philosophical concerns. One of the central axes around which Riehl’s considerations of morality revolve is the fundamental philosophical problem concerning the relation between the freedom of the will and determinism. In his major work, The Philosophical Criticism, Riehl rejects the metaphysical conception of the freedom of the will and advocates absolute determinism. The originality of his view, however, lies in the fact that Riehl elaborates a non-metaphysical concept of freedom that he calls practical freedom, which he intends to be not only compatible with, but directly based on, determinism. The aim of this article is to retrace this original approach to the problem of determinism and freedom by analyzing Riehl’s argumentation regarding metaphysical freedom of the will, determinism, and practical freedom as it is developed in the chapter entitled “The Determinism of Will and Practical Freedom” of the last volume of his main work, The Philosophical Criticism.

Introduction Alois Riehl takes his main philosophical project, philosophical criticism, to be a theory,1 or a science, of knowledge.2 In accordance with this interpretation, most studies on Riehl focus on his arguments about the problem of human knowledge. Far less attention has been afforded to his discussion of morals, even though morality undoubtedly plays a fundamental role within Riehl’s philosophical concerns. In this regard, he already states in Moral und Dogma (1872), one of his earliest writings, that “morality is the main concern of mankind” and that “its

|| 1 PK/GS II, p. 9. 2 PK/GS III, p. 16. || Fernando Moledo, FernUniversität in Hagen [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-007

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expansion and realization” is “the goal of history”. “Science itself and all works of human industry”, Riehl continues, “should be at its service.”3 One of the central axes around which Riehl’s considerations of morality revolve is the fundamental philosophical problem concerning the relation between the freedom of the will and determinism. In his Critique of Pure Reason, Kant – one of Riehl’s closest interlocutors – deals with this problem in the chapter on the Antinomy of Pure Reason, and offers one of its most complex elaborations. Yet in his major work, The Philosophical Criticism, Riehl still adds some interesting thoughts to this traditional problem. He rejects the metaphysical conception of the freedom of the will and advocates absolute determinism. The originality of his view, however, lies in the fact that Riehl elaborates a non-metaphysical concept of freedom that he calls practical freedom, which he intends to be not only compatible with, but directly based on, determinism.4 The aim of this article is to retrace this original approach to the problem of determinism and freedom by analyzing Riehl’s argumentation regarding metaphysical freedom of the will, determinism, and practical freedom as it is developed in the chapter entitled “The Determinism of Will and Practical Freedom” of the last volume of his main work, The Philosophical Criticism. In order to do so, I will briefly present determinism as a necessary consequence of Riehl’s philosophical program, criticism, in the first section. In the second and third sections, I will analyze Riehl's particular rejection of the arguments made in favor of the metaphysical understanding of the freedom of the will. In the fourth section, I will roughly comment on Riehl’s distinction between determinism and fatalism. Finally, in the fifth section, I will present Riehl’s understanding of practical freedom as a non-metaphysical conception of freedom grounded in determinism.

1 Criticism, Realism, and Determinism In Riehl’s understanding, criticism as a philosophical program starts with Locke and extends far beyond Kant.5 It is a theory of knowledge, the subject of which is an investigation into the conditions of the possibility of knowledge and its

|| 3 MuD, p. 21. 4 Maier (1926, p. 572), for example, points out that “in the debate around the freedom of the will Riehl decides on determinism”, but he does not add that Riehl also develops a concept of nonmetaphysical freedom compatible with determinism. 5 In this sense, Maier (1926, p. 567) also points out that Riehl’s Philosophical Criticism should not be understood as a neo-Kantian work in the strict sense, and that Riehl should only be considered a true Kantian under certain restrictions.

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objective validity. It also involves the criticism of knowledge in its positive form, i.e. the positive sciences as developed according to the experimental method. One of the most distinctive features of Riehl’s conception of criticism is that of realism.6 According to realism, our representations refer to real things, which exist independently of the subject who knows them.7 Riehl refers to realism as a “fundamental view”8 or “assumption”9 that cannot be proven, since, as a matter of fact, we can only be immediately certain of the reality of our representations.10 Nevertheless, Riehl claims that criticism presupposes realism, since the very problem of criticism, i.e. the question about the conditions of the possibility of the objective validity of knowledge, would lack all meaning if there were nothing real to which the representations could refer.11 At the same time, realism is confirmed by an analysis of sensation that, in Riehl’s view, essentially pertains to the task of criticism. Riehl himself undertakes such analysis in the second volume of The Philosophical Criticism, and concludes that the passive nature of sensation implies the existence of something different from it, to which sensation can be referred, and from which it originates.12 Now, criticism not only confirms realism but at the same time corrects it. The study of sensation demonstrates that known objects are not known in themselves through the senses, but as phenomena determined by subjective conditions of knowledge. Of the things in themselves, we only know that they exist and that they are the basis of all determinations in their appearance to the senses (the phenomena) and that they do not depend on their relation to the subject. Riehl calls

|| 6 Hofmann (1926, p. 333) observes relatively early that realism is the fundamental idea that determines Riehl’s entire philosophical conception. 7 Riehl defines realism as “the assumption that our external ideas correspond to real external things” (PK/GS II, p. 23). 8 PK/GS II, p. 19. It is interesting to note that in the first edition of this volume of the Philosophical Criticism, Riehl uses the term “hypothesis" to refer to realism (cf. PK/BPW II.1, p. 18). 9 PK/GS II, p. 23. 10 PK/GS II, p. 3. 11 PK/GS II, p. 3. 12 PK/GS I, p. 552–553. Regarding Riehl’s conception of sensation cf. Caimi’s article on Riehl’s Transcendental Deduction which is contained in this volume, Riehl also argues that the theoretical doubts that we might entertain about the reality of the phenomenal world are immediately suspended once we act (cf. PK/GS II, p. 3). It is interesting to note in this regard that in his first work, Realistische Grundzüge (1870), Riehl already states that realism is, in addition to being a theoretical principle, “a principle of moral action” (RG, p. 67) because only by assuming the reality of the world can we consider our actions and their effects to be real and evaluate them accordingly (RG, p. 67).

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this position “critical realism”13 since, as he writes, it is opposed to a naive form of realism which does not take into account the difference between phenomena and things in themselves. A central aspect of Riehl’s critical realism is its implication of a metaphysical monism.14 Since phenomena are the sensible appearance of the things in themselves – so Riehl argues – phenomena and things in themselves cannot really be understood as two ontologically different things, but rather as one and the same thing considered respectively in relation to the subject (as phenomenon), or independently of that relation (as a thing itself). In Riehl’s view, the phenomenon is the thing in itself and therefore just as real as the latter.15 In this way, criticism opposes those dualistic conceptions which, according to Riehl, have their origin in Plato’s philosophy and do not consider phenomena as real but only as mere appearance. Instead, such conceptions situate real things in a supersensible world which is ontologically different from the sensible world. This world, in Riehl’s view, is now the theme of metaphysics as a science of supersensible objects,16 which is therefore based on mere speculation.17 Because of its monistic character, criticism not only denies the possibility of knowing supersensible objects but questions the very existence of a supersensible realm where these objects are supposed to be found: “Criticism”, Riehl claims, “is the destruction of the transcendent”.18 In this sense, criticism || 13 PK/GS III, p. 163. 14 Riehl calls monism which is associated with critical realism “critical monism” (PK/GS III, p. 195) because it claims the existence of only one kind of thing (considering the psychic, i.e. internal, and physical, i.e. external, phenomena as parallel manifestations of one and the same reality) while refusing to infer anything about the essence of existing things. “Critical Realism” and “Critical Monism” are, according to Heidelberger (2006, p. 235), the two characteristic features of Riehl's criticism. It is worth noting that in his first outline of the main ideas of criticism contained in Realistische Grundzüge, Riehl already refers to “the reality and oneness [Einzigkeit] of the world” as a “conclusion of thought” (RG, p. 67). 15 PK/BPS I, p. 10; PK/GS I, p. 388–390; PK/GS I, p. 552–554. 16 It is important to note that Riehl expressly distinguishes between two senses in which he understands metaphysics. Metaphysics can be understood as the “science of the essence of supersensible things”, but also as a science of “the principles of the knowledge of the sensible things” (PK/GS II, p. 5). While, in Riehl’s view, criticism is at odds with metaphysics understood according to the first meaning, it does coincide with metaphysics understood according to the second one. 17 Riehl indeed refers to dualism and its implication for metaphysics as “Platonism in philosophy” (PK/GS III, p. 18). 18 PK/BPW I, p. iii. Riehl even takes up the anti-metaphysical character of criticism in the definition he provides of it in the first lines of the second edition of the first volume of The Philosophical Criticism, and which he later repeats in the third edition of the text: “By this name [criticism]

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becomes radically anti-metaphysical: It “fights metaphysics, and not just the obvious, which is spread across entire systems, but also the latent, which is mixed in the work of science and cannot be eliminated without a critique of the concepts”19. However, the “anti-metaphysical tendency”20 of criticism, based on critical realism and its consequence, monism, addresses not only the positive sciences in order to purify them from any possible hidden metaphysical content. Rather, criticism also addresses morality, insofar as the latter traditionally falls back on super-sensible entities like, for example, the metaphysical conception of the freedom of the will. Since the law of causality is, according to Riehl, the form of all laws of nature,21 the freedom of the will, understood as a being’s faculty to initiate a course of action without any prior causal determination, i.e. spontaneously,22 must be understood as a non-natural or supernatural faculty.23 Determinism is, hence, a necessary conclusion of Riehl’s criticism: “Everything that happens”, Riehl states, “from the greatest to the smallest, happens with the same necessity. It cannot happen otherwise than it actually happens. Past and present actions are determined, future ones are predetermined.”24

|| we designate a philosophical direction that knows itself in opposition to metaphysics.” (PK/GS I, p. 1). 19 PK/GS III, p. 16. 20 PK/BPW I, p. 1. 21 PK/GS II, p. 288. 22 As Siegel (1932, p. 127) already pointed out, it is certainly debatable as to whether this is indeed what is unequivocally thought of as the idea of the freedom of the will, as Riehl seems to understand it, and moreover, that it coincides with what Kant understands by transcendental freedom, something which Riehl also argues. However, we will not enter into this discussion here. On the different interpretations of the concept of freedom as spontaneity and its metaphysical implications in the context of modern philosophy cf. Hoffmann (2018) 23 In fact, one of the central themes that characterizes Riehl’s approach to Kantian criticism is the thesis that Transcendental Aesthetics and Transcendental Analytics in the Critique of Pure Reason imply a monistic anti-metaphysical realism – one that Kant later abandons in the same work when he reintroduces dualism in order to develop a practical metaphysics that should in turn ground rational faith. This takes place, according to Riehl, by means of the concept of the noumenon that Kant discusses at the end of the Transcendental Analytics. In Riehl’s view, Kant distinguishes the noumenon from the thing in itself by defining the former as the object of a nonsensible intuition. According to Riehl’s interpretation, the noumenon would hence be a supersensible object which is ontologically different from the phenomenon. (Cf. PK/BPW I, p. iv; PK/BPW I, p. 6; PK/BPW I, p. 10–11; PK/GS I, p. 391–392; PK/GS I, p. 552–553; PK/GS I, p. 562– 563; PK/GS III, p. 28–30; EPG, p. 203–204). This is also pointed out by Maier (1926, p. 568), Beiser (2014, p. 567), and Pettoello (1998, p. 359). 24 PK/GS III, p. 230.

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2 Refutation of the Arguments in Favor of the Metaphysical Freedom of the Will As we have seen, Riehl’s determinism necessarily follows from his conception of criticism. Nevertheless, he discusses some particular arguments that could still be used in favor of the metaphysical conception of the freedom of the will. The first argument is what could be described as a common sense argument, being based on an alleged internal experience that we might have of our free will. It goes without saying that from Riehl’s point of view, it is impossible to demonstrate the freedom of the will by means of any kind of experience: freedom of the will implies an exception regarding natural causality, and therefore is only conceivable as the causality of a super-sensible being whose existence would be incompatible with criticism. Therefore, it is by no means possible to know freedom through experience. However, Riehl suggests that we do have the internal experience of being able to decide the course of our actions, and it seems tempting to ascribe such feeling to the actual existence of a free will. We can, for example, decide to continue reading the novel we are reading at a given moment or to get up and take care of something else that we have to do. We decide what to do by evaluating different reasons for doing one thing or another. Since we don’t feel any constraint while evaluating, we might conclude the existence of the freedom of the will. Given that such a conclusion contradicts the results of criticism, however, this experience must be further clarified. There is no doubt, according to Riehl, that we can reflect upon what we want to do at any given time. We can evaluate if it is convenient to continue sitting and reading, because we like the novel we are reading, or if it is time to put the book down and get up to deal with the pending daily tasks. The determination of the will is, in Riehl’s view, based on self-conscious motives in both cases. According to our example, those motives are the enjoyment of the novel (to continue reading) and whatever binds us to the pending tasks (to go back to work). The point is, according to Riehl, that we do not know why we prioritize some reasons over others; why, for example, we preferred the enjoyment of reading after having fulfilled our tasks. This preference is a psychic phenomenon, i.e. an internal one, and therefore, Riehl argues, it is causally determined just as all phenomena are. We are not only unaware of all the causes that determine our will but cannot be aware of them at all, since much of them lie deep within our individual, particular

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nature and are therefore beyond the limits of our consciousness.25 It is thus true that we might not experience constraint when making our decision. However, this lack of a feeling of constraint does not imply that our decision takes place spontaneously, i.e. without causal determination. Riehl adds to the discussion of the latter argument that external experience seems to further confirm determinism, for it teaches that human actions take place in a stable and regular manner, i.e. that similar circumstances result in mostly similar actions. One could object here that the latter is certainly not always the case and that unexpected exceptions do often take place. However, Riehl claims, this would only reinforce the idea of determinism since these exceptions are always explained by further investigating the unrecognized reasons that explain the unexpected result in any given case. Thus, neither internal nor external experience speaks in favor of the freedom of the will: “The hypothesis of free will cannot be confirmed through experience.”26 Apart from the problem posed by the impossibility of its knowledge, Riehl continues, it would simply be inconsistent to postulate the freedom of the will in order to explain human actions. If human actions were indeed considered to be the effects of a free will, they would be something for which no reason could be given, since the freedom of the will is a cause that produces effects without being determined by anything, i.e. without reason: The hypothesis of free will [...] can also not be used to explain human actions. Freedom is not a reason by means of which an action can be explained, but the absence of a reason, the ability to act without a sufficient reason; to postulate it from the human will means to refrain from explaining the human will.27

The conclusion is clear: the idea of the freedom of the will is “a hypothesis which is inherently indemonstrable and cannot contribute to an explanation of the phenomena”28. Hence, Riehl concludes, the idea of the freedom of the will “is to be rejected according to all rules of scientific demonstration”29, it “is a metaphysical imagination without scientific ground and without value for practical life”30.

|| 25 Siegel (1932, p. 126) points out that, according to Riehl, “Motives are in reality never the complete cause of our will but only that part of that cause that reaches self-consciousness”. 26 PK/GS III, p. 222. 27 PK/GS III, p. 222–223. 28 PK/GS III, p. 223. 29 PK/GS III, p. 223. 30 PK/GS III, p. 209–210.

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3 The Incomprehensible Nature of the Freedom of the Will and How it Makes Morality Impossible Although, in Riehl’s view, the freedom of the will can neither be cognized, nor play any part in explaining human action, it is still possible to ask whether one could argue, as Kant had done in the chapter of the Critique of Pure Reason concerning the Antinomy of Pure Reason, that causality by freedom can at least be thought together with natural causality without contradiction. According to Riehl, however, this is – even by Kant’s own standards – an unwarranted conclusion: “the principle of contradiction stands in the way of this assumption”31. Assuming that phenomena are effects of freedom, i.e. of a supersensible causality, would mean considering freedom as a part of the whole causality that determines the will by prevailing over natural causality. That would imply, in turn, treating freedom as having a greater magnitude than natural causality by its determination of the will. But to attribute a magnitude to the causality of freedom, Riehl argues, would be contradictory to Kant’s concept of freedom as a supersensible causality, since according to the Transcendental Analytics of the Critique of Pure Reason, magnitude can only be attributed to sensible objects.32 The problem with the metaphysical concept of freedom, Riehl observes, is in fact even more profound: The very idea of the freedom of the will actually refers to something that is in itself incomprehensible, since it is absolutely without foundation: The incomprehensibility lies in the idea of freedom. To understand is to cognize from reasons [Begreifen heißt aus Gründen erkennen]. The absolutely groundless, the metaphysically free, is therefore incomprehensible.33

Despite all of these objections, one might still ask whether it would make at least some sense to postulate the freedom of the will for the sole purpose of making morality possible, since freedom of the will is considered a condition for the possibility of morality. But that is not at all the case. Instead, Riehl argues that – contrary to the common point of view – freedom of the will does not make morality possible but rather, completely impossible. A free will understood as absolute spontaneity is absolutely indeterminable. According to this, any practical rule intended to prescribe something to the will would be rendered ineffectual: “An indifferent will would be an ungovernable will, which would inevitably thwart any || 31 PK/GS III, p. 225. 32 Cf. PK/GS III, p. 22–23. 33 PK/GS III, p. 226.

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influence from outside.”34 For the same reason, the freedom of the will would also make the attribution of actions following from it impossible, since the subject to which these actions are attributed would not actually have any influence on the will: Free beings, whose actions take place without compelling reasons, cannot be responsible. Under the condition of free will, the subject of responsibility is absent. Who should be held responsible under this condition?35

4 Determinism and Fatalism According to Riehl, there are no reasons at all that can be put forward in favor of the freedom of the will. Determinism is therefore an incontrovertible fact. At this point, Riehl adds to his analysis that determinism should by no means be confused with fatalism, for they are completely different things. From the point of view of fatalism, the will is thought to be an absolutely ineffectual cause that is not part of the natural order and cannot have any effect on it. Viewed from the perspective of fatalism, natural order is different from the will and is imposed upon it. Using similar arguments as he developed regarding the problem of agency and free will, Riehl maintains that fatalism is an inherently dualistic position that separates the subject from the world and renders it meaningless from a practical point of view. From the point of view of determinism, on the other hand, the subject does understand itself to be a part of the real world and can therefore – according to Riehl’s argument – think of itself as a cause that takes part in the whole process which produces the world and contributes to its development. Riehl exposes his position on this matter in a passage that clearly articulates the spirit of his conception of determinism. Despite its length, it is worth transcribing it completely: The fatalist separates the will from nature; he believes that the order in the sequence of events would take place exactly as it does with his will, even without his will. He believes that this order in itself is external to him and his will, as if he himself did not belong to this order with his will. In a word, he believes that the will has no effect, it is irrelevant whether

|| 34 PK/GS III, p. 222. 35 PK/GS III, p. 240. Riehl tries to explain how it is possible to speak of moral responsibility based on determinism. In this sense, he points out that it is not freedom that makes a subject morally responsible but the mere awareness of one´s own responsibility. The latter is acquired by the subject through social interactions by being judged for the consequence of its actions (Cf. PK/GS III, p. 240–241).

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he wills something or not in a particular case because, in his opinion, this must happen without the will of his will. The indeterminist, on the other hand, holds that the will has no causes. He considers the will for a causa sui and believes in the absolute, not a mere relative spontaneity of the actions. Determinism opposes both opinions with the doctrine that the will has causes as well as effects, that it forms a part and an essential one of the general causal connection of things. The way the fatalist thinks is as dualist as the indeterminist. In this way, he separates his will from the order of things; the difference now is that he resignedly submits his will to this order, while the indeterminist wants to exempt him from it.36

However, the determinism that follows from the rejection of the metaphysical freedom of the will is not simply different from fatalism. Riehl argues that it also allows us to think about a non-metaphysical concept of freedom that is compatible with criticism: practical freedom. I will discuss Riehl’s conception of the latter in the next and last section of this article.

5 Practical Freedom Practical freedom is a concept with a Kantian origin. Kant introduces this notion in the chapter of the Critique of Pure Reason which is dedicated to the Antinomy of Pure Reason. Having there established the possibility of thinking about natural causality consistently together with freedom, he claims that freedom “in a practical sense is the independence of the will with respect to the coercion of the impulses of sensitivity”37. This independence of sensible determination implies a pure determination of the will. According to Kant, this pure determination takes place by means of practical principles,38 i.e. through the consciousness of duty and presupposes “transcendental” or “cosmological” freedom as its foundation: a supersensible “faculty of beginning a state from itself”39. Now from the perspective of Riehl’s criticism, Kant’s understanding of practical freedom is problematic mainly for two reasons.40 On the one hand, as we have seen, Riehl excludes the possibility of thinking a supersensible and spontaneous form of causality like transcendental freedom. On the other hand, even if transcendental freedom was somehow accepted, it would – according to Riehl’s

|| 36 PK/GS III, p. 236–237. 37 KrV, A 534/B 562. 38 KrV, A 685/B 713. 39 KrV, A 533/B 561. 40 It should be noted that when referring to practical freedom, Riehl seems to concentrate all of his analysis on the Critique of Pure Reason and to leave aside Kant’s discussion of this concept in the Groundwork for the Metaphysics of Morals (GMS 4, p. 447–448).

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argumentation – make practical freedom impossible: practical freedom presupposes the possibility of opposing some determination of the will to sensible impulses and inclinations. Transcendental freedom, however, excludes all possible determination of the will from our side in favour of being an absolutely spontaneous, i.e. ungovernable, causality. In spite of what Riehl takes to be the problematic nature of Kant’s conception of practical freedom, he likewise defines the latter as the independence of the will from sensible impulses and inclinations: “Practical freedom is to be understood negatively as the independence of the will from necessity through direct sensual drives.”41 This independence rests on the possibility of determining the will by opposing another causal determination to that of sensible inclinations. “Positively” understood, practical freedom is the “dependence [of the will] on abstract self-conscious motives”42 which Riehl – again in line with Kant – takes to be the representation of duty: “duty is the condition of practical freedom […] Where duty does not precede, there is no freedom, no liberation of individual will from the immediate sensual impulses.”43 However, Riehl understands duty, along with the reason why it makes our will independent from sensible impulses and inclinations, in a completely different way than Kant. According to Kant, acting from duty means acting independently from sensible inclinations, because acting from duty implies a pure determination of the will: it means excluding all sensible content from the determination of our will and taking only the mere form of the law expressed in duty as the motive for acting. In Riehl’s view, on the other hand, the representation of duty originates from empirical social interaction and has as its content a “universal interest of the will, a universal human good”44. Accordingly, duty makes

|| 41 PK/GS III, p. 247. 42 PK/GS III, p. 247–248. 43 PK/GS III, p. 256. Although Riehl here states that duty is the condition of the possibility of practical freedom, note that immediately after introducing the quoted definition of practical freedom, Riehl adds that when the motives by which the will is determined are those that correspond to the concept of duty, practical freedom becomes “ethical freedom” (PK/GS III, p. 248). This statement could suggest that the determination of the will by duty is only a special case of a broader practical freedom. In so doing, this statement seems to clash with Riehl’s claim previously discussed about duty being the condition of the possibility of practical freedom as a whole. 44 PK/GS III, p. 255. Riehl does not explain what the universal human good to which he refers exactly is. He only vaguely states that it is about what serves “the conservation and increase of human spiritual life” (PK/GS III, p. 255–256.). Nor does Riehl clarify the reason as to why duty obliges. However, Riehl only points out that man is bound to his fellow man by the “natural bonds of sympathy and love” and that man therefore feels “pity and respect” for human society (PK/GS III, p. 255). One could hence think that precisely because of these feelings, man would

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practical freedom, i.e. independence from sensible inclinations, possible, since determining ourselves by means of duty implies determining the will by means of a universal human interest which – being universal – cannot be attributed to any particular sensible inclination. Practical freedom, Riehl concludes, is not innate but progressively acquired through social interactions, i.e. thanks to the knowledge of the universal human good and to the education about this good that allows us to turn it into the motive of our actions.45 Since this determination of the will by means of the representation of duty would not be possible if the will was metaphysically free, i.e. under the hypothesis of the indeterminism or spontaneity of the will, determinism is therefore to be understood as the foundation and condition of the possibility of practical freedom. Consequently, Riehl claims that “determinism is the true foundation of practical freedom, the only presupposition under which this freedom is possible”46.

6 Final Remarks As we have seen, the distinctive characteristics of criticism, realism, and monism, from which the decidedly anti-metaphysical character of criticism follows, necessarily lead to determinism, i.e. to the absolute rejection of metaphysical freedom. However, Riehl’s answer to the problem of the relationship between determinism and freedom does not stop at the mere rejection of metaphysical freedom and the affirmation of determinism. Rather, he tries to complement his findings by the development of a non-metaphysical concept of freedom.

References Riehl’s Work RG: Realistische Grundzüge. Eine philosophische Abhandlung der allgemeinen und notwendigen Erfahrungsbegriffe, Graz: Leuschner & Lubensky 1870. MuD: Moral und Dogma, Wien: Carl Gerold’s Sohn 1871.

|| somehow feel himself compelled by the representation of what constitutes a general human good, and thus that he expresses the general interest of human society. 45 Cf. PK/GS III, p. 251. 46 PK/GS III, p. 247.

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BFP: Über Begriff und Form der Philosophie. Eine allgemeine Einleitung in das Studium der Philosophie, Berlin: Carl Dunckers Verlag 1872. PK/BPW I: Der Philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, erster Band: Geschichte und Methode des philosophischen Kriticismus, Leipzig: Engelmann 1876. PK/BPW II.1: Der Philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, zweiter Band, erster Theil: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis, Leipzig: Engelmann 1879. PK/GS I: Der Philosophische Kritizismus. Geschichte und System, erster Band: Geschichte des philosophischen Kritizismus, Leipzig: Kröner 1924. PK/GS II: Der Philosophische Kritizismus. Geschichte und System, zweiter Band: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis, Leipzig: Kröner 1925. PK/GS III: Der Philosophische Kritizismus. Geschichte und System, dritter Band: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, Leipzig: Kröner 1926. EPG: Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Acht Vorträge, dritte, durchgesehene und verbesserte Aufl., Leipzig: Teubner 1908.

Other Sources Beiser, Frederick C. (2014), The Genesis of Neo-Kantianism 1796–1880, Oxford: Oxford University Press. Heidelberger, Michael (2006), “Kantianism and Realism: Alois Riehl (and Moritz Schlick)”, in: The Kantian Legacy in Nineteenth-Century Science, ed. by Michael Friedman/Alfred Nordmann, Cambridge: The MIT Press, p. 227–247. Hoffmann, Thomas Sören (2018), “Kants theoretischer Freiheitsbegriff und die Tradition der ‘libertas spontaneitatis’”, in: Christian Krijnen (ed.), Metaphysics of Freedom? Kant’s Concept of Cosmological Freedom in Historical and Systematic Perspective, Leiden: Brill, p. 47–67. Hofmann, Paul (1926), “Riehls Kritizismus und die Probleme der Gegenwart”, in: Kant-Studien 31, p. 330–343. Kant, Immanuel (1781/1787), Kritik der reinen Vernunft, in: Kants Gesammelte Schriften, Akademie der Wissenschaften (vormals Preußische Akademie der Wissenschaften), Berlin: De Gruyter 1900ff.; cited as: KrV. Kant, Immanuel (1785), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Kants Gesammelte Schriften, Akademie der Wissenschaften (vormals Preußische Akademie der Wissenschaften), Berlin: De Gruyter 1900ff.; cited as: GMS. Maier, Heinrich (1926), “Alois Riehl”, in: Kant-Studien 31, p. 563–579. Siegel, Carl (1932), Alois Riehl. Ein Beitrag zur Geschichte des Neukantianismus, Graz: Leuschner & Lubensky. Pettoello, Renato (1998), “De Herbart à Kant. Quelques considérations sur le réalisme de Alois Riehl”, in: Revue de Métaphysique et de Morale 102, p. 347–366.

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Massimo Ferrari

Alois Riehl and Scientific Philosophy Abstract: Alois Riehl was a major figure in German Neo-Kantianism at the end of the 19th century. Though his contribution to the Neo-Kantian movement has been long underestimated, Riehl’s historical and systematic reconstruction of Kant’s “criticism” has in a fruitful way paved the way to “scientific philosophy” as well. As Riehl affirmed in 1883 on the occasion of an academic lecture, he was convinced that the scientific philosophy arising both from the history of modern science and the reshaping of Kantian epistemology could represent the new horizon of contemporary philosophy. This paper focuses on Riehl’s outlines of scientific philosophy, investigating at once the role played therein by the history of science from Galileo to Helmholtz. Finally, Riehl’s correlated concept of “not-scientific” philosophy is explored in order to give an account of his philosophy of culture in comparison with current philosophy of values in Germany at the beginning of the 20th century.

1 Riehl’s Idea of Scientific Philosophy Alois Riehl’s inaugural address delivered in Freiburg in 1883 was devoted to “scientific philosophy” as opposed to “not-scientific philosophy”. The title of this famous speech (Über wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Philosophie) is both an example of Riehl’s very idea of philosophy and a summary of his contribution to the rebirth of Kantian philosophy in the late 19th century in Germany. Riehl’s main conviction was indeed that the veritable task of critical philosophy could only consist in developing a peculiar kind of science, that is “the science of knowledge”1. It is not difficult to explain the meaning of such an expression. To be sure, the spectacular development of natural sciences since Galilei and Descartes has progressively put into question the pretensions of traditional metaphysics, that had been finally vanquished by Kant. Kant’s fight against metaphysics, Riehl maintained, was successful because he refused it from the point of view of method that ought to be employed in highlighting the intrinsic dialectics

|| 1 Riehl 1883, p. 38. || Massimo Ferrari, Università degli Studi di Torino [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-008

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of pure reason.2 Thus, after the defeat of dogmatic metaphysics only the way of scientific philosophy is still open, and Riehl very clearly affirms that only “knowledge, [and] science itself are the object of philosophy”3. In Riehl’s own words, “the proper scientific task of philosophy” has to be identified with the “science of knowledge”.4 The programmatic term “scientific philosophy” was not coined for the first time by Riehl. To go back to its origins would be a promising field of inquiry, but it will suffice for now to recall only one circumstance directly regarding Riehl.5 In 1877 Richard Avenarius had founded the review Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, whose principal goal was the renewing of philosophy by transforming it into a scientific philosophy or, more precisely, into a philosophical science.6 According to Avenarius, who can be considered a positivist in broader sense, philosophy too is a special science, though its role consists rather in offering a more general framework for the single sciences. “Special sciences”, Avenarius argues, “gain the proper status of science only through the philosophical component”7. Hence, this assumption leads Avenarius to pose the question in a genuine Kantian sense: how is science possible? But the other side of this question is still more crucial: how is scientific philosophy possible as such? To spell out the right answer we have again to consider that science is possible only through philosophy.8 In Avenarius’s own words: “philosophy promotes the former plurality of sciences to the present attained unity of science in general.”9 Is not difficult to realize that Riehl, who was initially a contributor and then one of the editors of the Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, has been very sensitive to, and influenced by, Avenarius’s stance. Nevertheless, Riehl’s understanding of scientific philosophy was intimately connected with his Kantian or Neo-Kantian orientation, that modified in some essential features Avenarius’ view. At the time of his inaugural address in 1883 Riehl had been indeed engaged for many years in reshaping Kant’s critical philosophy

|| 2 Riehl 1883, p. 31–32. 3 Riehl 1883, p. 36. Riehl warns, however, that such an idea of scientific philosophy is not compatible with Materialism, that is, with a kind of “latent metaphysics in natural sciences” (ibid). 4 Riehl 1883, p. 52. 5 On the history of scientific philosophy, I allow myself to refer to Ferrari 2021 (forthcoming). See also Benis Sinaceur 2018. 6 Avenarius 1877, p. 7. On the review founded by Avenarius see Köhnke 1986, p. 391–397. 7 Avenarius 1877, p. 13. 8 Avenarius 1877, p. 14. 9 Avenarius 1877, p. 14.

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following the main streams of emerging Neo-Kantianism. Wilhelm Windelband’s motto, “understanding Kant means to go beyond him”10 was shared by all the major exponents of the philosophical movement originally inspired by Kuno Fischer, Eduard Zeller, Otto Liebmann, and Friedrich Albert Lange; and later developed by Hermann Cohen, Paul Natorp, and Heinrich Rickert.11 Although Riehl was substantially in agreement with the purpose of renewing Kant’s philosophy after the decline both of German idealism and scientific materialism, he occupies an autonomous place within the so-called “back to Kant” movement.12 The early commitment to Herbart’s realism represents, at least at the beginning of the 1870s, the first step of Riehl’s career.13 To be sure, Herbart’s influence on Riehl goes beyond his juvenile work, although he has thereafter revised the metaphysical realism representing the core of Herbart’s thought. However, Riehl will not give up Herbart’s philosophy in its more general significance for the German landscape in the later 19th century, and, in particular, in what concerns the scientific status of philosophy as radical opposition to the speculative era inaugurated by German Idealism from Fichte onwards.14 Moreover, the wide reception of Herbartianism in Austria can adequately explain why Riehl was so much indebted to Herbart, not to say that Riehl had listened, at the time of his apprenticeship in Vienna, to the lessons of Robert Zimmermann, a leading figure of the Herbartian school in Austria.15 Therefore, both Herbart’s legacy and Austrian Herbartianism can be considered as the wider framework within which Riehl’s early work has to be located. And a similar framework was characterized by three main features: first, the commitment to the tradition of British Empiricism, especially from Locke to Hume; second, the central role attributed to the sciences, in particular to psychology; and lastly, the widespread opposition both to Kant and German Idealism. Riehl was doubtless in agreement with the first two points, yet

|| 10 Windelband 1919, vol. 1, p. IV. 11 For the history of Neo-Kantianism, see Köhnke 1986, Ferrari 1997, and Beiser 2014. 12 In the preface to the first edition of Der philosophische Kritizismus, it is significant that Riehl wrote: “My intention is oriented […] toward critique as well as further development of Kant’s philosophy.” (Riehl 1876, p. IV). And in the same page he affirmed: “under the term philosophical criticism I do not mean exclusively the philosophy of Kant.” 13 See especially Riehl 1870. 14 Röd 1986 offers a clear account of Riehl’s relationship with Herbart. Still insightful is Siegel 1932, p. 27–32. 15 See Röd 1986, p. 136 and Pettoello 1998, p. 347–348. On Austrian Herbartism I refer to the classical work of Johnston 1983, p. 281–289. A more general and suggestive overview is offered by Coen 2007.

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his peculiarity consists in his final “conversion to Kant” in the middle of the 1870’s.16 Contrary to Otto Neurath’s famous diagnosis, according to which Austrian philosophy in the 19th century had escaped the “Kantian interlude”,17 Riehl became an influential exponent of Neo-Kantianism in German speaking philosophy. Riehl’s way from Herbart to Kant and Neo-Kantianism was strictly due, in effect, to his increasing conviction that Kant could not be considered only as an object of historical scholarship, but rather as the major reference for a deeper understanding of the recent development both in natural sciences and philosophy.18 Therefore, a century after his philosophical revolution Kant still remained the protagonist of the “era, we are now living”, as Riehl emphasizes, advocating a sort of philosophical program.19

2 Kant, Neo-Kantianism, and the Sciences The aim of Riehl’s scientific philosophy is articulated in two main aspects, which are mutually connected in nourishing the systematical project – roughly speaking – of an epistemological Neo-Kantianism. On the one hand, Kant is interpreted as the philosopher of experience, as the last German thinker who had established a deep connection with the science of his age, in particular with the Newtonian paradigm.20 On the other hand, both history and development of science represent for Riehl the unavoidable reference in order to reconsider Kant’s legacy, not in the sense of a closed system, but as a still fruitful point of view. The link between these two complementary issues characterizes Riehl’s own reading of Kant, as it is documented at large in the first volume of his magnum opus: Der philosophische Kritizismus, whose first volume was published in 1876. According to Riehl, Kant is “the philosopher of experience”21, the last great German thinker who – with the exception of Helmholtz – had dealt competently with the universe of science, in particular with Newtonian physics, that urged for

|| 16 Beiser 2014, p. 548. According to Jaensch 1925, p. XVIII, Hermann Lotze too would have inspired Riehl in his progressive approach both to Kant and Neo-Kantianism. This suggestion is quite plausible but would require careful examination. 17 Neurath 1935, p. 12–17. 18 Riehl 1876, p. IV. 19 Riehl 1924b, p. 80–81. See also Riehl 1904, p. 284. 20 See for instance Riehl 1924a, p. 272–273, 329. 21 Riehl 1924a, p. 575.

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its part the Kantian reform of philosophy.22 Since Kant belongs just for this reason to his own time, we have today, Riehl suggests, to accomplish a new task, although strictly bound to Kant’s original project. The very character of Kant’s critical philosophy becomes evident when we consider the question of method. Kant’s method rests upon a grounding assumption, to say that the core issue of critical philosophy is not the psychological origin of knowledge, but rather its epistemological “validity”.23 This stance is quite similar to Cohen’s one, whose book on Kants Theorie der Erfahrung Riehl had reviewed, largely agreeing with him.24 The major point is that for Riehl, like Cohen, psychology deals with the laws governing the concept formation, whereas the critique of knowledge (Erkenntniskritik) has to do only with the conditions of their truth or objective validity.25

Hence the critical philosophy “does not know any sort of psychology”26; its peculiar merit consists rather in having circumscribed the limits of validity of pure concepts independently from their psychological genesis. Moreover, and this point is in explicit contrast with the Marburg School of Neo-Kantianism, Riehl believes that the specific feature of the Kantian method is not a regressive-analytical procedure (as Kant seems to apply it in the Prolegomena), but a constructive-synthetic one. Put in other words, this means that Kant does not move from the already ascertained validity both of mathematics and physics (the given “fact of science” in Cohen’s terminology) in order to highlight their a priori conditions, but he aims rather at answering the question: how can the a priori conditions of possibility, that at first glance are only functions of thought, refer to objects? There is thus no “objectified fact”, for Kant intends rather to found mathematics upon the pure form of intuition, focusing thereby on the synthetic character of pure knowledge. Mathematics is, per se, not certain and already valid as objective knowledge, but acquires such status only through the pure synthesis of sensibility and intellect.27 A second key point for Riehl’s reading of Kant is the vindication of his realism. In doing so, Riehl is surely influenced by his former commitment to Herbart,

|| 22 Riehl 1924a, p. 284, 288. 23 Riehl 1924a, p. 570. See also p. 389: “the method of Kant’s works is objective, not subjectivepsychologic.” 24 Riehl 1872, especially p. 212–213. On Cohen and Riehl is useful Gerhardt 1983. 25 Riehl 1924a, p. 379. 26 Riehl 1924a, p. 10. 27 Riehl 1924a, p. 441–443. Siegel 1932, p. 39–40 offers a useful illustration of this point.

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though he clearly dismisses Herbart’s metaphysics of realia. In Riehl’s opinion, in particular, the thing in itself cannot be interpreted as the “cause” of phenomena, but rather as their “foundation” (Grund),28 according to the non-metaphysical perspective on which Kant’s empirical (viz. critical) realism rests. Thus, we have no longer to do with the so-called Kantian idealism, because the proper status of Kant’s epistemology can be rather regarded as a peculiar kind of phenomenalism. Accordingly, phenomena play the role, properly speaking, of mediating between real object and consciousness: as Riehl suggests, only through this mediation the content of consciousness can be formed, arising from a kind of existence different and independent from that of the subject.29 Riehl has labelled his own realism as “critical realism”, which is unambiguously distinguished from the metaphysical realism he had early found in Herbart. The main tenet has been formulated by Riehl in a very concise form: “Without real things no representation is possible.”30 Put in other words, critical realism means: on the one hand, to conceive realism as a consequence of the critical theory of knowledge, but in no way as its presupposition;31 on the other hand, to assume the existence of the external world as the indispensable condition in order to perceive it.32 Critical realism can therefore be defined as an epistemological realism, resting on existence as a condition of making scientific knowledge possible, inasmuch as it belongs to knowledge itself the capacity of delimiting what is knowable.33 It is worth remembering that Riehl’s realistic stance implies at once the opposition to Lange’s and Cohen’s interpretation of the thing in itself as a mere concept of limit (Grenzbegriff). Early in his work, reviewing Cohen’s Kants Theorie der Erfahrung, Riehl had stressed indeed how this reading contradicts both the letter and the spirit of Kant’s work, for it overlooks that Kant patently uses this concept in a positive way: not only in the framework of his practical philosophy (namely assuming the positive meaning of noumenon for the theory of moral freedom), but also within the theory of knowledge.34 It seems thus an

|| 28 Riehl 1924a, p. 562. 29 Riehl 1924a, p. 561. 30 Riehl 1924b, p. 571. 31 Riehl 1926, p. 162. 32 Riehl 1926, p. 162. 33 For this reason, Moritz Schlick was likewise influenced by Riehl in professing a similar kind of critical, viz. epistemological, realism. Heidelberger 2006 has extensively investigated this topic. 34 Riehl 1872, p. 215. Riehl has steadily underlined, and with good arguments, the difference between noumenon and thing in itself: see for instance Riehl 1876, p. IV, Riehl 1924a, p. 564, and Riehl 1926, p. 29–20. Beiser (2014, p. 567) rightly points out that this is “an important distinction”.

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essential task, for Riehl, to come to terms with this core issue of Kant’s criticism, namely with the positive meaning of the thing in itself. Riehl strongly stressed that the thing in itself has to be interpreted as the “opposite side” of the thing appearing to us.35 Accordingly, Riehl maintains, the thing in itself lies beyond the domain of intuition, it is by no means representable (vorstellbar) but can only be considered as “the ground of appearances posed necessarily by thought”36. Last but not least, Riehl’s history of Criticism represents a great part of Riehl’s interpretation of Kant. It is not an accident that the sub-title of Der Philosophische Kritisimus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft (volume 1, first published in 1876) is “History and Method of the Philosophical Criticism”, and is mainly devoted to highlighting the long way from Locke to Kant, through Hume’s “critical Positivism”.37 Riehl’s core thesis consists in attributing to Locke, in particular, the decisive role of a forerunner of the Critique of Pure Reason, since Locke’s Essay represents, Riehl argues, both “the English Critique of pure reason” and the most valuable introduction to Kant’s thought.38 Interestingly enough, Riehl’s account of the history of criticism differs largely from that of the Marburg School, who had privileged another “lineage”, that is, the tradition of “critical Idealism” stretching from Plato to Kant, through Descartes and Leibniz. Agreeing with the Marburg School that the era after Kant had led to the philosophical catastrophe of speculative Idealism, Riehl, by contrast, made it clear that the very preparation of Kant’s critical philosophy had to be located within the development of British Empiricism, from Locke to Hume.39 And this is the reason why Riehl stressed, at least in the first edition of his magnum opus, that the renewal of critical philosophy was strictly bound to its “significance for the positive science”. Yet the relationship between Positivism and critical philosophy was a classical question not only for Riehl, but for Neo-Kantianism in the age of its development.40

|| 35 Riehl 1924a, p. 553. 36 Riehl 1924a, p. 563. 37 Riehl 1924a, p. 17–245. Note that in the first edition Riehl speaks, quite differently, of Hume’s “skeptical Criticism” (Riehl 1876, p. 6). Furthermore, note that the title of the second and third edition will be modified: instead of “und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft” Riehl opts for “Geschichte und System”. 38 Riehl 1924a, p. 98–99. 39 See for instance Riehl 1924a, p. 164–165, where Riehl maintains that Kant did not reject Hume’s empiricism regarding the problem of causality, but rather developed it, although Kant started obviously from a new perspective. 40 We refer especially to Köhnke 1986, p. 388–404.

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3 Scientific Philosophy and its History Within the more general framework of Riehl’s reading of Kant that we have only briefly sketched above, we should now locate his historical account of scientific thought. Actually, Riehl’s genealogy and his view of further development of critical philosophy is intimately interwoven with a gallery of heroes that have initiated, and then nourished, the long adventure of scientific philosophy. The first important actor of this story is doubtless Galilei, whom Riehl considered properly as the “founder of modern scientific philosophy”41. At issue here, first of all, is the scientific concept of experience, where science is the result of the mutual collaboration between experience and thought; but scientific experience is only possible, Riehl states, through the action of thought, which permeates the experiment and regards it as the basis of scientific laws.42 Riehl does not hesitate in showing that mathematics, in particular geometry, rather than experience as such, is the tool through which the modern science is built by Galilei.43 Nonetheless, in this essay of 1893 Riehl is still committed to Ernst Mach’s point of view. According to Mach, Galilei had renewed the whole concept of science overcoming the traditional question about the “cause” of physical events (for instance, concerning the fall of heavy bodies). Thus, the question “why” the heavy bodies fall is transformed into the question “how” do they fall? For his part, Riehl agrees with Mach, that is to say, with the “principle of economy” endorsed by the latter, and stresses that the divide between two ages of science (and philosophy) lies exactly in the passage from “why” to “how”.44 In a later essay on Galilei, however, Riehl seems to withdraw his previous commitment to Mach’s insight. On the one hand, the modern mathematical science of nature inaugurated by Galilei is, for Riehl, strictly related to Plato’s theory of ideas, being the scientific law akin to a timeless mathematical Idea in a Platonic (and Pythagorean) sense. For this reason Riehl affirms that “to reduce phenomena to their laws means to eliminate any reference to time”45. Since the publication in 1882 of Paul Natorp’s essay on “Galilei as a Philosopher”46, the interpretation of mathematical Platonism as characterizing the birth of modern

|| 41 Riehl 1893, p. 1. 42 Riehl 1893, p. 1, 8. 43 Riehl 1893, p. 4. 44 Riehl, p. 9. Note that Riehl considers Galilei’s concept of science as “fully” coinciding with that of Gustav Kirchhoff: science does not explain, but rather describes natural phenomena (Riehl 1893, p. 11). 45 Riehl 1924b, p. 178. 46 See Natorp 1882.

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science had become a standard reading in Neo-Kantian history, both of science and philosophy.47 Riehl alignment to Natorp is now connected, on the other hand, with the criticism of Mach, in particular of the “economy of thought” representing for Mach the epistemological assumption on which modern science since Galilei rests.48 We can also remark that in the second edition of volume 2 of Der Philosophische Kritizismus, Riehl added some pages devoted to refuting Mach’s phenomenalism, being convinced that with mere sensations it would be impossible to do science, that is an autonomous product of spontaneous activity of thought (obviously in a Kantian sense).49 Both Riehl’s endorsement of Natorp’s “platonic” interpretation, and his distancing from Mach, signal his peculiar way to combine history and philosophy of science within the more general framework of scientific philosophy. The task is, roughly speaking, to scrutinize crucial turning points in the history of science by applying a very philosophical insight; otherwise history would be only the “antiquary history” Nietzsche will speak of. Hence, one could say that Riehl was engaged in exploring both the origins and further developments of modern science through the lens of his own NeoKantianism, or, in other words, of his view of scientific philosophy. To be sure, Riehl has not left to posterity such a monumental works as, for instance, Cassirer’s inquiry into the history and systematic development of the problem of knowledge from Cusano to Kant. Yet Riehl has made it very clear how the leading concepts both of modern science and philosophy arise thanks to the works of forerunners and heroes such as Galilei or Newton. Moreover, Riehl was also especially interested in thermodynamics, and Robert Mayer’s work has been, in particular, the subject of an extensive essay published in 1900. What is striking here is Riehl’s aim of investigating the question of method, stressing thereby that Mayer’s method in natural science is the same that Galilei and Newton had applied in shaping the new physics. As a consequence, Mayer too regards experience not as a primary source of science, being rather the assumption of some pure mathematical principles such as movement or force the veritable ground of scientific inquiry.50 The validity of a law of nature depends on a set of principles from which the scientist can in no way deduce the natural world, but can use them, by contrast, as a “guide” (Leitfaden) in order to discover the empirical laws of

|| 47 See for instance Cassirer 1910–1911, vol. 1, p. 324–325, 356–358. 48 Riehl 1924b, p. 178. 49 Riehl 1925, p. 35–42. Riehl recognizes that Mach has pointed out the role of thought in inventing, as is well known, “thought experiments”; but Riehl deems this only a “happy inconsistence” (p. 42). 50 Riehl 1924b, p. 202.

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nature.51 And something like this could be sustained concerning the principle of causality, conceived by Mayer in a genuine Kantian sense, as well as in opposition, Riehl believes, to Hume.52 No doubt can remain, however, that in Riehl’s account of the history of science Hermann von Helmholtz represents the major figure, one could say the spokesman, of what we call, from Riehl onwards, scientific philosophy.53 Riehl’s tribute to the universal genius of Helmholtz is indeed extremely enthusiastic. It is thanks to Helmholtz that the “era of scientific philosophy” has been inaugurated at the middle of 19th century, for, since Helmholtz, science and philosophy have been finally reestablished as a fruitful cooperation which had been totally lost in the post-Kantian philosophy.54 In particular, Helmholtz’s lecture delivered in Königsberg in 1855 with the title Über das Sehen des Menschen represents the starting point of this new age, being in Helmholtz’s mind perfectly clear that after the “hegemony” of sciences as such, and the defeat of metaphysical Naturphilosophie, both the legitimacy and the importance of philosophy for the scientific inquiry could be again reestablished.55 The major aspect that Helmholtz considered as a turning point, after the widespread influence of Materialism on scientists little inclined to philosophical insights, is the still fruitful legacy of Kant, although Kantianism had to be renewed on the basis of recent achievements in physiology and psychology. Hence, Helmholtz must be credited for having given new reason for going back to Kant, reinstating, at the same time, a philosophical dimension to the sciences.56 Yet the most important contribution Riehl has given in order to address the much disputed question of Helmholtz’s relationship to Kant, is surely the very insightful essay he devoted to Helmholtz in 1904.57 Riehl focuses here, in particular, on the differences between Helmholtz and Kant, first of all with regard to the problem of geometrical space. On the one hand, Riehl deems that Helmholtz

|| 51 Riehl 1924b, p. 211. The best example of a similar procedure is, in Riehl’s reading of Mayer, the principle of the conservation of energy. 52 Riehl 1924b, p. 209. 53 Friedman 2000, p. 5, considers Helmholtz as “one of the primary intellectual models” of scientific philosophy. 54 Riehl 1924a, p. 284; Riehl 1924b, p. 224. 55 Riehl 1924b, p. 239. Helmholtz’s lecture in available in Helmholtz 1903, vol. 1, p. 85–117. 56 Riehl 1904, p. 261. 57 On Helmholtz’s reading of Kant, I refer especially to DiSalle 2006. Biagioli 2016 has recently taken into account Helmholtz’s relationship to Neo-Kantianism, as well as the Neo-Kantian response to the challenge posed by non-Euclidean geometries (with special regard to Riehl and Cassirer).

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has misunderstood the Kantian conception of a priori, assuming it to be something produced by, and founded on, the subject, independently of experience. By contrast, the authentic significance of a priori in the Kantian sense, namely as a necessary and universal condition, does not lie “on a relation to experience in temporal order , but only on a conceptual relation to it”.58 On the other hand, Riehl does not hesitate to denounce what is wrong in Helmholtz’s appraisal of the a priori: “According to Helmholtz’s conception, the concepts of a priori as well as of what belongs to the subject and the transcendental domain overflow each other.”59 Hence, the proper task of transcendental method is overlooked by Helmholtz, being mistakenly referred merely to the physio-psychological field. But this point deserves, Riehl tells us, a deeper consideration, for Helmholtz has modified his early commitment to Kant under the influence of Hume and Mill. Nevertheless, a similar shift concerning, first of all, the crucial question of causality, constitutes in no way a definitive dismissal of Kant, as Riehl repeatedly insists. This aspect has two faces. On the one hand, Helmholtz shares the critical conception of causality which has to be intended as the a priori presupposition of the lawfulness of nature in general, but is in no way to be downplayed as an outcome of experience.60 In his early writings, and in particular in the introductory remarks to Die Erhaltung der Kraft, Helmholtz was faithful to this principle and thus was quite close to Kant, as Riehl states.61 On the other hand, the very concept of causality according to Kant’s view is a principle valid for experience in general, whereas Helmholtz, in his late work, seems to be influenced by Hume and Mill, conceiving rather this principle merely as a hypothesis, as Riehl documents, quoting some pages of Helmholtz’s Nachlass.62 However, and quite differently from the interpretation sustained later by the logical empiricists (especially by Schlick), Riehl has no doubt in recognizing, even in Helmholtz’s final reassessment of the concept of causality, some persisting traces of his former unorthodox Neo-Kantianism.63 Riehl proposes a similar reading of Helmholtz, also concerning the question of geometrical space. Despite the objections Helmholtz articulates against Kant, the critical conception of space is not really dismissed. Riehl’s argument represents a valuable point of view, still worthy of detailed scrutiny elsewhere. The

|| 58 Riehl 1904, p. 267. 59 Riehl 1904, p. 268. See also Riehl 1924b, p. 227. 60 Riehl 1904, p. 281–282; Riehl 1924b, p. 236. 61 Riehl 1904, p. 266. 62 Riehl 1904, p. 266, 283. 63 Riehl 1904, p. 281. For a similar assessment see Riehl 1924b, p. 230.

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fact that geometrical axioms, Riehl says, do not represent “necessities of thought” is a thesis perfectly compatible with Kant’s own idea of a priori space, because Kant himself has first brought to light that mathematical judgements must be distinguished from mere conceptual statements. By constructing nonEuclidean geometries, Riehl contends, we have to do only with logical possibilities that in no way deny the pure form of space as grounding Euclidean geometry.64 Since Helmholtz cannot renounce Euclidean geometry as the geometry of empirical space, the alleged refusal of Kant is indeed only apparent. We can see that by posing the problem of space in this way, Riehl has elaborated a strategy of immunization, allowing us to preserve both Kant’s original idea and Helmholtz’s attempt to reinvent Kant’s concept of spatial a priori. It seems worthwhile to remember, therefore, that a similar strategy characterizes the interpretation of Einstein’s theory of relativity promoted by Ewald Sellien and Ilse Schneider, both students of Riehl in Berlin. While Riehl refers only occasionally to Einstein, Sellien wrote a book whose main thesis was the following: “relativized” space and time in the theory of relativity are, in effect, metrical determinations depending on empirical data, but space and time in the Kantian sense do not lose their proper meaning of conditions of possibility of experience in general.65 The compatibility between empirical spacetime (Einstein) and a priori space and time (Kant) is thus, Sellien suggests, still possible. In a quite similar way, Ilse Schneider also agrees with this solution, stressing yet another side of the question. Following Riehl, she focuses on the authentic meaning of a priori: at stake is not a physiological-psychological ground, as Helmholtz erroneously believed, but the logical status of a priori as a formal condition of experience.66 That said, Ilse Schneider draws attention to pure a priori space and time both as conceptual schemes and as the “law of arrangement and order”67. According to this perspective, she tells us that space and time have no substantial meaning: they are not “things”, but presuppositions or, better, formal principles and, as such, the formal conditions on which physical experience rests. As a consequence, Minkowski’s famous statement – that in the theory of relativity space and time have become nothing but “shadows” – is perfectly compatible with Kant.68

|| 64 Riehl 1904, p. 277. 65 Sellien 1919, p. 40. See also p. 18–19: “Einstein does not speak of ‘the’ time, but of times and their relativity; and ‘times’ are possible and conceivable only once we thought a pure time as form underlying them.” 66 Schneider 1921, p. 43–44. 67 Schneider 1921, p. 64. 68 Schneider 1921, p. 47.

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In other words, we can immunize Kant from the virus of post-Kantian mathematics and physics. It seems easy to detect the influence of Riehl both in Sellien’s and Schneider’s interpretation of Einstein’s theory of relativity, and more precisely of some arguments he had already elaborated in the reading of Helmholtz, through the Kantian lens, that he had carried out in his paper of 1904. But there is something more. In one of the few passages where Riehl refers to Einstein, namely in his late essay on Helmholtz that appeared in 1921, he patently agrees with Sellien and Schneider. As Riehl claims, the theory of relativity had only brought into question the way we measure empirical space and time; space and time in the genuine Kantian sense remain untouched by the new theory of Einstein. As the case of Helmholtz clearly shows, to modify the metric properties of space is not sufficient to destroy Kant’s transcendental aesthetics.69 This is a further reason for maintaining that Helmholtz plays, together with Galileo, a paradigmatic role in Riehl’s narrative of scientific philosophy. From his undoubtedly very selective account of the history of science in its connection with philosophy, Riehl has drawn, nonetheless, a sort of epistemological maxim, as follows: “We too pursue the goal of a mutual and fruitful connection between philosophy and positive science, critique and research.”70 Contemporary scientists such as Robert Mayer, Hermann von Helmholtz, and Heinrich Hertz are not only – according to Riehl – the authentic successors of the previous Naturphilosophen, but also “our true philosophers”.71 This statement can still be regarded as inspiration for today’s scholars of history and philosophy of science: namely, to connect history of science and philosophy of science, once it is acknowledged that the philosophy of the physicist is no less important than that of professional philosophers.72

4 Science and Values At the beginning of the famous debate in Davos with Ernst Cassirer, Martin Heidegger stated that Riehl was in his eyes a perfect example of what Neo-Kantianism means, that is, the reduction of Kant’s transcendental philosophy to a pure theory of (scientific) knowledge.73 For his part, in a draft only recently published, || 69 Riehl 1924b, p. 228. 70 Riehl 1904, p. 284; Riehl 1924b, p. 240. 71 Riehl 1921, p. 208. 72 About this topic see the illuminating book of Scheibe 2007. 73 Heidegger 1997, p. 193.

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Ernst Cassirer wrote that the Neo-Kantian Riehl represented an “extreme” position because he merely identified philosophy with scientific philosophy. According to this narrow concept of philosophy, Cassirer complained, any other field both of philosophy and human culture is simply consigned to the reign of “feeling”74. Surprisingly enough, Heidegger and Cassirer were in agreement in devaluing Riehl’s own idea of the task of philosophy. But they were not alone in doing so. Some years earlier, Heinrich Rickert had similarly claimed that Riehl belonged to an historical context long since over.75 Whereas Riehl’s reading of Kant within an epistemological framework had been surely apt to satisfy the need of a scientific approach to philosophical problems in the late 19th century, his later attempts to take account both of values and contemporary culture failed. According to Rickert, this failure depends on Riehl’s pretension to consider “not-scientific” the philosophy dealing with values or, more generally, with what is not reducible to science. By contrast, Rickert objected, philosophy is properly the philosophy of values (Wertphilosophie) or, put in other words, its own scientific task consists in elaborating a “system of values” as well.76 Yet we have to ask whether a similar account of Riehl’s philosophy advocated by Heidegger, Cassirer, and Rickert is suitable. To address this question, we can first of all refer to the talk Riehl held in Princeton on October 20, 1913. By summarizing his point of view concerning the task of contemporary philosophy (Der Beruf der Philosophie in der Gegenwart), Riehl stressed that philosophy has to be understood as the guide of spiritual life in general. More precisely, the different directions of cultural life need a mutual harmonization within what Riehl calls “a system of values”. “System” is meant here only as a “tendency”, and its own goal consists just in transforming philosophy in the “guide of spirit” (Geistesführung)77. According to Riehl, “our time requires a new spiritual form of life, a renewal of inner culture” which should be oriented by philosophy as “philosophy of spiritual values”.78 Scientific philosophy alone was therefore not able to offer an answer to such a request. But since the time of the address in Freiburg thirty years earlier, what happened in Riehl’s philosophical development? To be sure, Riehl had been very sensitive to the changed philosophical and cultural atmosphere in Germany at the end of the 19th century. Once he had accomplished his main work Der philoso-

|| 74 Cassirer 2014, p. 96. 75 Rickert 1924/25, p. 166. 76 Rickert 1924/25, p. 184. 77 Riehl 1925b, p. 312. 78 Riehl 1925b, p. 311.

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phische Kritizismus, and announced the final triumph of scientific philosophy, Riehl was involved in the transformation of Neo-Kantianism into that more general philosophy of culture, representing a typical feature of the major Neo-Kantian schools at the beginning of the new century. Moreover, the German cultural landscape appeared at that time plunged into an ongoing process of change. Nietzsche, who had just died in 1900, is perhaps the more eloquent symbol of the new era. His fortune (and misfortune) among the wider public of enthusiastic readers or pitiless critics can be considered as a crucial episode in Wilhelmine Germany.79 No wonder, also, that Riehl published in 1897, at the very beginning of Nietzsche’s vogue, one of the first monographs by academic philosophy devoted to the author of Zarathustra. This book had a great success and was reprinted six times until 1920. Rickert himself deemed it not only a very instructive work, but also a valuable interpretation still worthy of appreciation by “scientific people”80. Rickert was perfectly right. Actually, Riehl was a “scientific man” who regarded – in particular – Nietzsche as a “philosopher of culture”, namely as the philosopher both of art and morality, aiming at promoting a “reform” of life as well as a new aristocracy of spirit.81 Nietzsche embodied therefore for Riehl the thinker apt to express the essence of the “modern soul”82, who had acquired for this reason a central role in contemporary culture to the point of becoming an unexpected “fashionable philosopher”83. Once he had acknowledged Nietzsche as a veritable “philosopher of culture”, devoted to the sharp critique of moral values,84 Riehl nonetheless expressed criticism toward Nietzsche’s deep commitment both to biology and Darwinian evolution, upon which his theory of knowledge rested.85 In general terms, Nietzsche represented in Riehl’s mind a kind of new Protagora, a typical representative of that relativism whose more recent version was the Pragmatism just arrived from the United States. In the end, Nietzsche emerged from

|| 79 As Georg Simmel remarked in 1907, Nietzsche’s own contribution to the diagnosis and healing of modernity consisted in shaping a view of life, focused on the “infinite task” (in the Kantian sense) of outlining the future type of man, the “overman” (Übermensch). This new man is properly, in Simmel’s eyes, the challenge Nietzsche has posed to our modern culture (Simmel 1907/1995, p. 169, 399). The wider context of Nietzsche’s reception in Germany has been carefully examined by Aschheim 1994. 80 Rickert 1924/25, p. 174. 81 Riehl 1920, p. 55, 162. 82 Riehl 1920, p. 160. 83 Riehl 1920, p. 8. 84 Riehl 1921, p. 196. 85 Riehl 1920, p. 131–132.

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Riehl’s book as the supporter of a “knowledge-nihilism” which seemed to him to be only the new version of a speculative mistake long overcome by modern thought.86 Despite his clear distancing from Nietzsche, Riehl signaled with his extensive book a new field of interest beyond the classical issues of the epistemological Neo-Kantianism. A few years after the publication of his monograph, Riehl gave to the press another book in which he collected some lectures delivered in Hamburg in the autumn of 1902. The title was not accidentally Introduction to contemporary philosophy (Einführung in die Philosophie der Gegenwart). Note that the first name we encounter when reading this text is precisely that of Nietzsche, whose role in awakening “the essential questions concerning life” Riehl emphasizes, stressing at once that these questions lie precisely at the core of contemporary philosophy.87 Accordingly, Riehl insists that philosophy is not only scientific philosophy, but deals with the all-encompassing domain of values.88 He calls such a domain the “world of values” and claims therefore that philosophy, according to Kant’s famous distinction, ought to be not only “school philosophy”, but first and foremost “cosmical philosophy”.89 It is thus worthwhile to notice that Riehl seems to completely abandon his previous idea of philosophy as scientific philosophy. This shifting of paradigms rests nevertheless on a decisive assumption Riehl makes in order to redefine his place within the German philosophical landscape at the beginning of the 20th century. Both the urgent questions posed by the philosophy of life, and the reaction against the “cold” scientific intellect (emphatically embodied, among others, by Nietzsche), constituted a formidable challenge for a Neo-Kantian such as Riehl and, broadly speaking, for the Neo-Kantian movement as a whole. At stake was, in other words, the fate of philosophy itself, although Riehl remained convinced that philosophy cannot renounce its own scientific ‘soul’. Riehl’s solution to this puzzle was – in essential terms – to consider science itself as value. He wrote: “Science is itself one of the values from which culture arises and to which culture is closer.”90 Admitting now that philosophy ought always to face the crucial problems concerning the “view of life (Lebensanschauung)”, Riehl could finally point out that the “spiritual values” represent the wide framework within which

|| 86 Riehl 1920, p. 29, 132. 87 Riehl 1921, p. 4. 88 Riehl 1921, p. 8. 89 Riehl 1921, p. 20–21. 90 Riehl 1921, p. 151.

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science too has to be considered.91 Hence, it is not difficult to understand why Riehl expressed his point of view in the form of an autobiographic confession: “we too are aware that pure science may be insufficient to satisfy our life.”92 In this sense, life and science are two complementary domains of philosophical inquiry. On the one hand, the proper philosophical dimension of science ought to be regarded as a pivotal point: “The future of scientific philosophy is the elevation of science to philosophy.”93 But, on the other hand, philosophy is also – according to the motto Riehl employs repeatedly – the “guide of spirit”94. At the very end of his lectures in Hamburg we find therefore a clearer formulation of the task that philosophy must accomplish. Riehl’s language is no longer the language of a pure Erkenntnistheoretiker, but that of a philosopher of culture, now firmly convinced that “our time calls all the spiritual energies to gain a new, inner content of life”. Philosophy, Riehl added, is in no way a simple affair of schools of thought, but addresses, and must address, all the problems both of knowledge and life (or Weltanschauung).95 In the second edition of Der Philosophische Kritizismus, Volume 3, (appearing in 1926, after Riehl’s death), Riehl devoted the first chapter to “Philosophy as Problem”96. Philosophy itself constitutes also a problem. And the problem consists in the increasing process of separation of science from philosophy. What remains of philosophy after this crucial change, occurring in, or at least started in, the mid 19th century? Riehl was now clear on this point: philosophy can still be a peculiar kind of science, namely “science and critique of knowledge”97. None-

|| 91 Riehl 1921, p. 150. Note that Riehl seems quite close to Rickert as he states that values are not “invented” by man, but “discovered” (Riehl 1921, p. 153). 92 Riehl 1921, p. 167. 93 Riehl 1921, p. 219. See also Riehl 1926, p. 119. Notice that Moritz Schlick, the major exponent of the Vienna Circle, will express his total agreement with Riehl’s position by quoting him almost literally: “The goal of sciences is their elevation (Erhebung) to philosophy. This is a very right idea [of Riehl]” (Schlick 1962, p. 33). 94 Riehl 1921, p. 224. 95 Riehl 1921, p. 230. 96 Riehl 1926, p. 1–22. 97 Riehl 1926, p. 14. This point will be stressed by Heidegger too, but from the opposite point of view: “if I should name names, then I say: Cohen, Windelband, Rickert, Erdmann, Riehl. We can only understand what is common to Neo-Kantianism on the basis of its origin. The genesis [of Neo-Kantianism] lies in the predicament of philosophy concerning the question of what properly remains of it in the whole of knowledge. Since about 1850 it has been the case that both the human and the natural sciences have taken possession of the totality of what is knowable, so that the question arises: what still remains of Philosophy if the totality of beings has been divided up under the sciences? It remains just knowledge of science, not of beings. And it is from this

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theless, his other point was now that philosophy, though it cannot be considered as a “worldview” (Weltanschauung), is a “practical doctrine of wisdom” (praktische Weisheitslehre).98 And Riehl added, almost as if he was writing his spiritual will, that in the end the noble word “philosophy” means a “peculiar sort of production (Hervorbringung) of human spirit” offering surely to mankind a deeper understanding of nature, but permitting at any rate also the building of culture (science, art, ethics, and religion).99

5 Concluding Remarks In 1905 Riehl was appointed at the University of Berlin, where he concluded his academic career. Interestingly enough, the main supporter of Riehl in Berlin was Wilhelm Dilthey, who preferred him to Benno Erdmann and Wilhelm Windelband. As Dilthey wrote in a letter to Friedrich Althoff (the powerful head of Prussian Culture and Education Ministry) Riehl was “simply the right man here”100. How can we explain that Dilthey felt himself so near to Riehl, the apostle of scientific philosophy? Admittedly, Dilthey was fully aware that Riehl had long since dismissed some essential features of his original philosophical perspective. He was no longer the author of the address delivered in Freiburg, but the “right man” who could be credited for having enlarged the narrow concept of philosophy as a purely scientific enterprise, transforming it thereby into a philosophy of values and cultural life.101 Dilthey was so convinced of the importance of Riehl’s philosophical turn (assuming that it is correct to speak of it in these terms) that he preferred him to Windelband, whose main work in that time consisted in elevating the Neo-Kantian philosophy to an encompassing Kulturphilosophie. Beyond Dilthey’s assessment of Riehl’s later philosophy, the question is whether the fate of scientific philosophy in Riehl’s sense depends on, and necessarily lead to, the identification of other domains of culture with “non-scientific philosophy” or with something called “feeling” (Gefühl). In the above quoted manuscript, Cassirer gives a straight answer to this question. “Today”, he main-

|| perspective that the retrogression to Kant is then determined. Consequently, Kant was seen as a theoretician of the mathematical-physical theory of knowledge. Theory of knowledge is the aspect according to which Kant came to be seen.” (Heidegger 1997, p. 193). 98 Riehl 1926, p. 22. 99 Riehl 1926, p. 22. 100 Gerhardt/Mehring/Rindert 1999, p. 186. 101 Likewise, Dilthey appreciated Riehl as the author of nuanced “kulturphilosophische” essays on Lessing and Rudolf Haym as well (Riehl 1924b, p. 119–149, 150–170).

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tains, “a similar point of view [scilicet: that of Riehl] is defended for instance both by Schlick and the ’Vienna school’, that are very close to ‘Positivism’.”102 It could be said that Cassirer’s claim is at last plausible in the case of the ‘Positivism’ of the Vienna school, although many good motivations should be invoked against the picture Cassirer very succinctly offers of logical empiricism. By contrast, Riehl seems to escape Cassirer’s radical criticism. Riehl had spent many years, after the publication of his Philosophische Kritizismus, in outlining a new concept of philosophy based on the “science of knowledge”, but also able to take up the challenge posed by contemporary new trends of philosophy, as in the falls both of Nietzsche and philosophy of life. But this orientation cannot be interpreted as a sudden turn characterizing Riehl’s late philosophy. It is no accident that already in his address in Freiburg Riehl had pointed out that scientific philosophy did not mean the loss of the “cosmic” concept of philosophy.103 Philosophy, by contrast, is an autonomous mode of mental activity, which offers both a “guide” and a “teleology” to human life, in closer connection with science, art, and faith.104

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|| 102 Cassirer 2014, p. 96. 103 Riehl 1883, p. 45. 104 Riehl 1883, p. 51.

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Simone De Angelis

Alois Riehl über Hermann von Helmholtz und die Bedeutung geometrischer Axiome Abstract: The present contribution concerns Riehl’s arguments against Helmholtz concerning the epistemic status of geometric axioms in and beyond Kant. It is important to note that Riehl’s position towards Kant and the contemporary natural sciences ought not only be assessed in comparison to Hermann Cohen’s Marburg Neo-Kantianism or from the viewpoint of Vienna Circle advocate Moritz Schlick. The debate about non-Euclidean geometry – which Helmholtz leads in keeping with Bernhard Riemann and to which also Riehl refers – shows that contextualising Riehl within the history of science deserves increasing attention. The present contribution hence argues that while Riehl’s notion of geometric axioms’ a priori derives from Kant, it is adapted to the new systematics of geometry(/ies) as, e. g., applied in the group concept of mathematician Felix Klein. Such a perspective not only makes it easier to understand why Riehl adheres to Euclidean geometry for epistemological reasons but also clarifies why he denies the plausibility of geometry’s dependence on physical space. Riehl, nonetheless, contributed to broadening critical philosophy’s perspective on modern physics and especially on Einstein’s theory of relativity.

Einleitung In seinem Aufsatz über Hermann von Helmholtz (1821–1894) beurteilt Alois Riehl (1844–1924) die Meriten des bedeutenden Physiologen und mathematischen Physikers wie folgt: Obwohl Helmholtz’ physiologische Sicht auf Kants transzendentale Methode nicht angemessen sei, habe er dennoch „überhaupt auf Kant aufmerksam gemacht“ und damit die Verbindung zwischen Philosophie und Wissenschaft, wie sie Kant selbst auch verfolgte und durch die spekulativen Systeme Schellings und Hegels unterbrochen wurde, wiederhergestellt.1 Helmholtz habe ferner durch seine Autorität als Forscher und Denker „auf die Berechtigung

|| 1 Riehl 1904, S. 4. || Simone De Angelis, Zentrum für Wissenschaftsgeschichte, Karl-Franzens-Universität Graz [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-009

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der Philosophie und ihre Bedeutung auch für die naturwissenschaftliche Forschung“ nachdrücklich hingewiesen, als in den 1860er und 1870er Jahren eine „Tyrannis der Naturwissenschaften“ herrschte.2 Helmholtz habe zudem nachdrücklich betont, dass Kants Philosophie keine spekulativen Absichten verfolgte, sondern eine epistemologische Funktion erfüllte, nämlich nach den „Quellen unseres Wissens und den Grad seiner Berechtigung“ zu fragen.3 Riehl tritt in seinem bemerkenswerten Aufsatz der Autorität Helmholtz jedoch auch kritisch gegenüber: Riehl problematisiert nämlich Helmholtz’ Aussagen über Kant und dessen Auffassung der geometrischen Axiome. Bereits in einem Entwurf zu der Abhandlung Über die Erhaltung der Kraft (erste Auflage 1847, 1862–63) habe Helmholtz „Bedenken gegen die Notwendigkeit der geometrischen Axiome“ geäußert.4 Die Axiome der Geometrie würden gemäß Helmholtz die Anschauungsformen des Raumes beschränken, so dass diese nicht jeden frei denkbaren Inhalt aufnehmen könnten. Zumal Helmholtz die Axiome der Geometrie bei Kant für ebenso „transzendental“ hält wie die Anschauungsformen des Raumes. Diese Einschätzungen Helmholtz’ über Kants Raumauffassung konnte Riehl so nicht stehen lassen. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit Riehls Argumenten gegen Helmholtz, die sich auf den epistemischen Status der geometrischen Axiome bei Kant und nicht nur bei Kant beziehen. Denn um Riehls Erörterung der Bedeutung geometrischer Axiome zu verstehen, ist es unerlässlich, seine Äußerungen nicht nur auf die neukantianischen Diskussionen der Theorie des Apriori oder die Argumente zur Homogenität des Raumes zu beziehen.5 Noch ist Riehls neukantianische Position allein aus der Sicht des späteren Wiener Kreises, etwa aus derjenigen Moritz Schlicks (1882–1936), zu beurteilen.6 Ergänzend dazu bedarf es einer weiteren wissenschaftshistorischen Kontextualisierung, die sich aus der Debatte über die geometrischen Axiome und die nicht-euklidische Geometrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergibt, zu der Riehl ebenfalls Stellung bezieht. Wie mir scheint, ist dieser Aspekt in der Riehl-Literatur bislang kaum oder nur marginal behandelt worden. Aus Riehls Argumentation gegenüber Helmholtz resultiert nämlich nicht nur eine differenzierte Erörterung der Ansichten Kants über Raum und Zeit und die geometrischen Axiome. Darüber hinaus ergibt sich aus Riehls Argumentation ein Netz von Beziehungen zu weiteren Fragen,

|| 2 Riehl 1904, S. 47. 3 Riehl 1904, S. 7. 4 Riehl 1904, S. 12. 5 Biagioli 2014, Biagioli 2016, S. 66–73. 6 Heidelberger 2006, 2007.

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Autoren und Kontexten, die in diesem Beitrag ansatzweise erörtert werden. So führt Riehls Helmholtz-Kritik zur Frage nach dem Einfluss von Herbarts Psychologie auf Riemanns Raumbegriff. Anknüpfend an den Mathematiker Bernhard Riemann (1826–1866) diskutiert Riehl zudem den Begriff der Mannigfaltigkeit und im Anschluss an Helmholtz den sogenannten „pseudo-sphärischen Raum“. In der Debatte um die nicht-euklidische Geometrie und die „Krise der Anschauung“ (E. Cassirer), die daraus resultiert, positioniert sich Riehl ferner auf der Linie des bedeutenden Mathematikers Felix Klein (1849–1925), für den die Systeme der Geometrie prinzipiell äquivalent sind und die Wahl der Euklidischen Geometrie, die dem Anschauungskriterium genügt, gerechtfertigt erscheint. Im zweiten Band des Philosophischen Kritizismus (1879) setzt sich Riehl schließlich auch mit Riemanns Konzeption der Geometrien als Hypothesen kritisch auseinander und formuliert eine Prognose über die Verwendung nicht-euklidischer Räume in der Physik, bleibt jedoch skeptisch, ob Physiker sich für diese Option jemals entscheiden werden. Albert Einstein entschied sich in der Relativitätstheorie gerade für diese Option.

1 Riehls Argumente gegen Helmholtz In seiner Schrift über Helmholtz’ Verhältnis zu Kant versucht Riehl, die Konzepte „a priori“ und „transzendental“, die ihm zufolge Helmholtz miteinander vermenge, in ihrer systematischen Bedeutung bei Kant wiederherzustellen. Dabei entwickelt und formuliert er ein zentrales Argument gegen Helmholtz: Die von Helmholtz in Über das Sehen des Menschen (1855) aufgestellte Parallele zwischen den Denkgesetzen Kants auf der Ebene der Vorstellungen und den „spezifischen Energien der Sinne“ des Physiologen Johannes Müllers (1801–1858) auf der Ebene der Sinneswahrnehmungen musste für Riehl „alles Gewicht auf den subjektiven Ursprung der Erkenntnisse a priori“ legen; Kants Vorhaben jedoch, so Riehl, „ist der Beweis der objektiven Gültigkeit dieser Erkenntnisse, obgleich sie a priori sind“7. Erkenntnisse a priori seien nicht deshalb a priori, weil sie vom Subjekt stammen, sondern weil sie „ein begriffliches Verhältnis zur Erfahrung“ haben.8 Daraus resultiert die „‚transscendentale‘ Methode“, nämlich „die Gültigkeit von Erkenntnissen a priori auch über den blossen Bereich der Beziehungen || 7 Riehl 1904, S. 14. Riehl zitiert ebd., S. 14f. diesbezüglich einen Brief Kants an Reinhold: „Es ist in der Kritik die Aufgabe zu zeigen, welche Gesetze die objektiv gültigen sind und wodurch man berechtigt ist, sie, als von der Natur der Dinge geltend, anzunehmen, d.i. wie sie synthetisch und doch a priori sind.“ Siehe auch Helmholtz [1855] 2010, S. 365–396, bes. S. 396. 8 Riehl 1904, S. 15.

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der Begriffe hinaus zu beweisen und die Grenzen dieses ihres objektiv-giltigen Gebrauches festzustellen“9. Auch bei der anschließenden Diskussion des Raumkonzepts legt Riehl die Unterscheidung zugrunde, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft zwischen „a priori“ und „transzendental“ gegeben hatte: [W]eder der Raum, noch irgend eine geometrische Bestimmung desselben a priori ist eine transscendentale Vorstellung, sondern nur die Erkenntnis, dass diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs seien und die Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl a priori auf Gegenstände beziehen können, kann transscendental heissen (Kr. d. r. V. B. 81).10

Riehls Kritik an Helmholtz’ Kant-Interpretation lässt sich somit vor dem Hintergrund von KrV B 81 begreifen, wie die folgende Argumentation über die geometrischen Axiome zeigt. Riehl konzediert, dass Helmholtz Kants Lehre „von den a priori gegebenen Formen der Anschauung“ zwar als glücklichen Sachverhalt betrachte – diese müssten „inhaltsleer und frei genug sein, um jeden Inhalt, der überhaupt Form der Anschauung eintreten kann, aufzunehmen“; jedoch würden die Axiome der Geometrie gemäß Helmholtz „die Anschauungsformen des Raumes [beschränken], so dass nicht jeder denkbare Inhalt darin aufgenommen werden kann“11. Helmholtz behaupte, so Riehl, dass Kant nicht nur die Anschauungsform des Raumes, sondern dass er „auch die Axiome für transscendental gehalten [habe]; er [sc. Kant] habe sie [...] als a priori vor aller Erfahrung gegebene Sätze angesehen, gegeben durch ‚transscendentale‘ Anschauung“12. Dem widerspricht Riehl, indem er klarstellt, dass Kant „reine Anschauung“ ausschließlich auf die „reine Mathematik“ bezieht, „und in dieser nur auf die Grundbegriffe, nicht auf das Verfahren des Beweises“13. Letzteres sei nach Kant „Konstruktion der Begriffe: Begriffe konstruieren aber heisst nach ihm, sie auf solche Objekte (Größen, Lagen, Verhältnisse) beziehen, die in Anschauung möglich sind“, also Gegenstand der

|| 9 Riehl 1904, S. 15 10 Riehl 1904, S. 18f. Bei Kant lautet die Stelle in der KrV B 81/A 56, 57: „Daher ist weder der Raum, noch irgend eine geometrische Bestimmung desselben a priori eine transzendentale Vorstellung, sondern nur die Erkenntnis, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs sein, und die Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl a priori auf Gegenstände der Erfahrung beziehen könne, kann transzendental heißen.“ 11 Riehl 1904, S. 28. Siehe auch Helmholtz [1878] 1998, S. 159f. u. S. 195. 12 Riehl 1904, S. 28. Siehe auch Helmholtz [1877] 2010, S. 186: „er [sc. Kant] erklärte deshalb, dass die Axiome der Geometrie, die er a priori vor aller Erfahrung gegebene Sätze ansah, für gegeben durch transcendentale Anschauung, oder als die angeborene Form aller äusseren Anschauung.“ 13 Riehl 1904, S. 28.

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Erfahrung sind.14 Somit antizipiert Riehl ziemlich genau das, was Cassirer später über Helmholtz’ Raumlehre sagen wird: Die Apriorität des Raumes im Kant’schen Sinn, lehnte er [sc. Helmholtz] keineswegs ab, er wollte dieser aber eine Gestalt geben, die mit seinen sinnesphysiologischen Grundanschauungen vereinbar sein konnte.15 Riehl betont gegenüber Helmholtz, dass es Kant weder um Physiologie noch Psychologie ging, welche die Bedingungen eruieren, wie räumliche Anschauungen zustande kommen und wie Sinneseindrücke durch die Tätigkeit der Sinnesorgane „an empirisch gegebene Dinge und Verhältnisse“ angepasst werden; Kant hingegen „sucht die tiefer liegenden Voraussetzungen zu zeigen, unter denen Verhältnisse zu empirischen werden“16. Den empirischen Charakter der Geometrie – ebenso der Grundbegriffe der reinen Anschauung wie den Raum – habe dennoch auch Kant betont: Die Zeit – erklärt Kant, und entsprechendes gilt auch vom Raume – geht zwar als formale Bedingung der Veränderungen vor diesen objektiv (dem Begriffe nach) vorher, aber subjektiv und in der Wirklichkeit des Bewusstseins ist diese Vorstellung, sowie jede andere, durch Veranlassung der Wahrnehmung gegeben.17

Damit wolle Kant sagen, dass die Begriffe der Geometrie und der reinen Mathematik, in der Ordnung der Methode den besonderen räumlichen Wahrnehmungen voran [gehen], ein zeitliches Vorangehen auch der Entwicklung der geometrischen Kenntnisse soll daraus nicht gefolgert werden.18

Relevant ist hier die Unterscheidung zwischen dem begrifflichen und dem zeitlichen Vorangehen geometrischer Erkenntnisse. Kant führe nämlich „die erste Kenntnis des Unterschieds in den Grundrichtungen im Raume […] auf Beobachtungen an empirisch gegebenen Objekten zurück“19. Riehl diskutiert die geometrischen Begriffe „als idealisirte Erfahrungsbegriffe“, die er als „die logische Gestaltung der sinnlichen Eindrücke“ versteht, auch im relevanten Kapitel des Philosophischen Kritizismus über die Vorstellungen von Raum und Zeit: Dass wir || 14 Riehl 1904, S. 28f. 15 Cassirer [1957] 1973, S. 49 sowie 49f.: „Die Axiome der Geometrie sind nicht notwendige Folgen aus einer solchen a priori gegebenen transzendentalen Form, sondern in ihnen müssen wir den Ausdruck bestimmter Grunderfahrungen sehen, die von so allgemeiner Art sind, daß wir ihren empirischen Charakter zu vergessen pflegen.“ 16 Riehl 1904, S. 29f. 17 Riehl 1904, S. 31. 18 Riehl 1904, S. 31f. 19 Riehl 1904, S. 32.

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„die wahrgenommene Gleichheit der Raumausdehnung“ zu einer „völlig genauen“, „die anschauliche Einfachheit der Beziehung zwischen Puncten des Raumes“, „die Ueberdeckung kleiner Teile des Gesichtsfeldes durch dazwischen liegende Puncte“ usw. „zur absolut identischen Beziehung“ machen würden, liegt daran, dass „der Begriff der Identität das Gesetz allen Denkens, auch der denkenden Verbindung der idealen Gebilde sinnlicher Bilder ist“20. Und niemand habe „die Unabhängigkeit der idealen Begriffe der Geometrie von ihrer körperlichen Darstellung in der Wirklichkeit und die Abhängigkeit der Erkenntnis und Beurteilung der letzteren von den ersteren klarer ausgesprochen als Helmholtz“, wenn er sage, dass wir darüber ob ein Körper fest, ob seine Flächen eben, seine Kanten gerade sind, erst mittels derselben (geometrischen) Sätze entscheiden, deren thatsächliche (empirische) Richtigkeit durch die Prüfung zu erweisen wäre.21

Und damit sei, so Riehl abschließend, „[a]lles eingeräumt, was Kant mit der Apriorität der Geometrie wirklich behauptet hat“22. Ausgehend von diesen Prämissen macht sich Riehl im Folgenden daran, Kant gegenüber der Kritik Helmholtz’ zu verteidigen. Nachdem Riehl geklärt hat, dass die geometrischen Axiome bei Kant „keine ‚Denknotwendigkeiten‘ sind“, da dieser „die mathematischen Urteile von rein begrifflichen Sätzen unterschied“, folgt daraus, dass für Kant „‚andere Systeme der Raummessung‘, als das durch die Axiome unserer Geometrie charakterisierte, ‚logisch denkbar seien‘“ bzw. diesen nicht widersprochen hätte.23 Sowohl in seiner Erstlingsschrift Von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1746), wo ihn „der Gedanke einer ‚höchsten Geometrie von allen möglichen Raumesarten‘“ beschäftigte, als auch in der Kritik der reinen Vernunft habe Kant „die Möglichkeit anderer Formen der äusseren Anschauung als die in unserer sinnlichen Vorstellungsart begründete, ausdrücklich zugestanden“24. Denn auch nach Kant „ist die Geometrie auf Grundthatsachen aufgebaut, wie sie die selbst thatsächliche Form unserer äusseren Anschauung vorschreibt“25. Insofern besteht Riehl zufolge kein Gegensatz zwischen Kants Lehre und Helmholtz’ Thatsachen, die der Geometrie zu Grunde liegen (1868).26

|| 20 Riehl 1879, S. 177. 21 Riehl 1879, S. 177; Riehl 1904, 32; Helmholtz [1868] 1998, S. 59. 22 Riehl 1904, S. 32. 23 Riehl 1904, 32f. Siehe auch Helmholtz [1870] 1998, S. 16. 24 Riehl 1904, 33. 25 Riehl 1904, 33. 26 Helmholtz [1868] 1998, S. 59–78.

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2 Riemann und Herbart In der Grundlagenschrift zur Geometrie Thatsachen, die der Geometrie zu Grunde liegen beschäftigt sich Helmholtz unter anderem mit Riemanns Raumbegriff bzw. mit dem Begriff der ausgedehnten Mannigfaltigkeit. In seinem Habilitationsvortrag Ueber die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen (1854) definiert Bernhard Riemann (1826–1866) den Raum als dreidimensionale ausgedehnte Mannigfaltigkeit, also als stetiges Fortlaufen von Punkten in n-Dimensionen.27 Die Raumvorstellung ergibt sich durch eine Konstruktion, bei der man sich vorstellt, dass „eine einfache ausgedehnte Mannigfaltigkeit, deren wesentliches Kennzeichen ist, dass von einem Punkte nur nach zwei Seiten, vorwärts oder rückwärts, ein stetiger Fortgang möglich ist“, in eine andere, verschiedene Mannigfaltigkeit übergeht, und zwar so, „dass jeder Punkt in einen Punkt der anderen übergeht“, so dass eine zweifach ausgedehnte Mannigfaltigkeit entsteht.28 Die dreidimensionale Mannigfaltigkeit ergibt sich, indem man sich vorstellt, wie die zweifache auf eine andere, verschiedene Mannigfaltigkeit übergeht usw. Riemanns Konzept der Mannigfaltigkeit erinnert somit an das Konzept der „Reihe“ oder „Reihenfolge“ in der Psychologie Johann Friedrich Herbarts (1776–1841).29 In diesem Konzept der Reihe verschmelzen Vorstellungen oder Wahrnehmungen mit anderen Vorstellungen oder Wahrnehmungen, die nach einem bestimmten „Reproductionsgesetz“ reproduziert werden; es entsteht eine „kontinuierliche Folge von Reproductionen“ bzw. ein „ganzes Systeme von Vorstellungen“; aus diesem „Reproductionsgesetz“ resultiert „ein räumliches Vorstellen, zum wenigsten mit einem Fortschritt von jedem Punkte nach zweyen entgegengesetzten Seiten“30. Auch Urteile wie „diese Frucht ist grün, jene gelb, eine dritte gelb-grün“ etc. „ordnen sich von selbst in eine Reihe“ und verschmelzen, „wie es die Ordnung der Farben, grün, gelblich-grün und gelb mit sich bringt“; daraus entstehen die „dunkel gedachten Reihenformen, wie die Tonlinie und die Farbenfläche“31. In ähnlicher Weise spricht Riemann davon, dass „die Farben wohl die einzigen einfachen Begriffe sind, deren Bestimmungsweisen eine mehrfach ausgedehnte Mannigfaltigkeit bilden”32. Dieser ausschließlich empirischen Behandlung der

|| 27 Riemann [1854] 2013, S. 30–33. 28 Riemann [1854] 2013, S. 32. 29 Poggi 1977, S. 245. 30 Herbart 1834, S. 133f. Siehe zu Herbarts Lehrbuch zur Psychologie (1816, zweite Aufl. 1834) auch Beiser 2014, S. 134–141. 31 Herbart 1834, S. 149f. 32 Riemann [1854] 2013, S. 31. Riemann weist ebd. S. 30 explizit auf J. F. Herbart als philosophische Quelle hin.

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Psyche bzw. Raumvorstellung bei Herbart und Riemann wird Riehl im Philosophischen Kritizismus (1879) kritisch begegnen, wie weiter unten genauer ausgeführt wird.

3 Das Konzept der Mannigfaltigkeit und der „pseudo-sphärische“ Raum In seiner Helmholtz-Schrift kommentiert Riehl den Begriff der Mannigfaltigkeit wie folgt: Die analytische Betrachtung der algebraischen möglichen Formen einer „Mannigfaltigkeit“, der möglichen Systeme der Gruppenbildung gleichzeitig gegebener Elemente, lässt sogar das spezifische Wesen des Raumes und den Ursprung seiner Axiome aus der Anschauung auf das deutlichste hervortreten; sie gestattet überdies die Tragweite jedes einzelnen Axiomes für sich zu bestimmen. Helmholtz, und vor ihm Riemann, leitete aus ihr auch noch die Möglichkeit eines Krümmungsmasses des „Raumes“ ab, das von dem Werte Null verschieden sein kann.33

Riehls Überlegungen werden nur vor dem Hintergrund der Veränderung der Raumkonzeption durch Riemann sowie der von Helmholtz und anderen Mathematikern geführten Diskussion über die Klassifikation der Raumformen bzw. Geometrien verständlich, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: (i) eine wesentliche Eigenschaft der Mannigfaltigkeit, welche die innere Geometrie der Mannigfaltigkeit charakterisiert, ist deren Krümmung; (ii) die Krümmung ist eine Invariante der Geometrie der Mannigfaltigkeit, die eine Gruppenbildung ermöglicht; (iii) die wichtigste Gruppe der Mannigfaltigkeit hat ein konstantes Krümmungsmaß; (iv) das Krümmungsmaß = 0 ist als Sonderfall dieser Gruppe zu betrachten; (v) die Mannigfaltigkeiten mit konstantem Krümmungsmaß haben zwei Eigenschaften; 1. starre Körper und Figuren lassen sich in ihnen frei, d. h. ohne Dehnung bewegen; 2. der von konstanten Mannigfaltigkeiten eingenommene Raum ist homogen, d.h. gleichartig; (vi) in diesen homogenen Räumen, die eine Gruppenstruktur des Raumes definieren, bleiben die Eigenschaften der Mannigfaltigkeit, z. B. die Krümmungskonstante, unverändert; (vii) für Riemann hat das Konzept der Mannigfaltigkeit nicht nur eine mathematische, sondern auch eine physikalische Bedeutung.34

|| 33 Riehl 1904, S. 33f. 34 Boi 1994, S. 10–12.

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Wie Helmholtz in seiner Schrift Über den Ursprung und Bedeutung der geometrischen Axiome (1870) nimmt auch Riehl auf das Gauß’sche Maß der Flächenkrümmung Bezug, „dargestellt durch den reciproken Wert der beiden Krümmungsradien“35, der über die ganze Ausdehnung der Fläche die gleiche Größe hat. Der Mathematiker und Lehrer Riemanns, Karl Friedrich Gauß (1777–1855), hatte diese wichtige geometrische Eigenschaft einer Fläche als Bedingung dafür angegeben, dass Figuren, die in ihr liegen, sich ohne Veränderung der entlang der Fläche gemessenen Linien und Winkel frei verschieben lassen. Helmholtz hat nun das Gauß’sche Maß der Krümmung als Kriterium genommen, um verschiedene Arten gekrümmter Flächen – die Ebene, die Kugel und die pseudosphärische oder sattelförmige Fläche (nach dem italienischen Mathematiker Eugenio Beltrami, 1835–1900) – zu klassifizieren: Dabei würde das Maß der Krümmung, das für die Kugel positiv und für die Ebene gleich Null ist, [...] für die pseudosphärischen Flächen einen konstanten, negativen Wert haben, weil die beiden Hauptkrümmungen einer sattelförmigen Fläche ihre Konkavität nach entgegengesetzten Seiten kehren.36

Riehl beurteilt nun seinerseits das Krümmungsmaß nach dem Kriterium der Anschaulichkeit, wobei ihm zufolge das Krümmungsmaß nur im Falle der Fläche anschaulich bleibt: Als Ausdruck für die Krümmung des Raumes dagegen verliert es jeden anschaulichen Sinn und wird zu einer analytischen Bezeichnung eines gleichfalls nur analytischen Verhältnisses innerhalb einer „Mannigfaltigkeit“. Aus rein Analytischem aber kann nur wieder Analytisches, es darf daraus nichts spezifisch Geometrisches gefolgert werden.37

Diese Ansicht über das Krümmungsmaß teilt Riehl mit Helmholtz: ich [will] hier nur noch hervorheben, daß dieses sogenannte Krümmungsmaß des Raumes eine auf rein analytischem Wege gefundene Rechnungsgröße ist, und daß seine Einführung keineswegs auf einer Unterschiebung von Verhältnissen, die nur in der sinnlichen Anschauung Sinn hätten, beruht.38

Riehl weicht dennoch entschieden von Helmholtz’ empirischen Interpretation der „Axiome unserer Geometrie“ ab, also der Euklidischen Geometrie, die Helmholtz gegen Kant richtet: Diese Axiome wären nicht „in der gegebenen Form unseres Anschauungsvermögen begründet“, sondern „gelten ihm für Anschauungs|| 35 Riehl 1904, S. 34, Helmholtz [1870] 1998, S. 22. 36 Helmholtz [1870] 1998, S. 23. 37 Riehl 1904, S. 34. 38 Helmholtz [1870] 1998, S. 27.

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gewohnheiten, die aus der Erfahrung stammen und möglicherweise durch anderweitige Erfahrungen widerlegt und überwunden werden können”39. Riehl bezieht sich hier auf Helmholtz’ Gedankenexperimente zum Sehen in einen pseudosphärischen Raum: „Wir können uns den Anblick einer pseudosphärischen Welt ebenso gut nach allen Richtungen hin ausmalen, wie wir ihren Begriff entwickeln können.”40 Daraus schließt Riehl: Der Raum, den die Geometrie zum Grunde legt, wäre demnach nicht die notwendige Form unserer äußeren Anschauung, weil sie nicht die einzige wäre; außer ihr gäbe es noch einen Raum an sich und von diesem eine „physische“ Geometrie, die mit der reinen nicht übereinzustimmen brauchte, da wir sie ja als von dieser verschieden vorstellen können. – Können wir das wirklich?41

Riehl ist nämlich der Auffassung, dass das Hineinschauen in einen imaginierten pseudosphärischen, also gekrümmten Raum, den „ebenen Raum“ voraussetzt (wie etwa die Visierlinien, denen entlang wir in einen pseudosphärischen Raum hineinblicken könnten und die aber gerade sein müssten).42 Von einem solchen gekrümmten Raum könnten wir uns also „genau so viel, nicht mehr, anschaulich vorstellen, als sich von ihm in dem ‚euklidischen‘ Raum abbilden, oder populär zu reden, in ihn hineinstrecken würde”43. Riehl schließt diesen Teil seiner Argumentation, indem er auf das ursprüngliche Missverständnis Helmholtz’ gegenüber Kants Auffassung der geometrischen Axiome – dieser habe nämlich die Axiome wie die Anschauungsformen des Raumes für transzendental gehalten – zurückkehrt: Selbst die Beschäftigung mit einer nicht-euklidischen Geometrie wie dem pseudosphärischen Raum zeige, dass „der Raum unserer Geometrie die unumgängliche Form unserer äußeren Anschauung“ ausdrückt und dass Helmholtz’ Argument Kants Lehre nicht widerlegt, sondern bestätigt.44

4 Riehl und Felix Klein Wie den Aussagen Riehls zu entnehmen ist, war man durch die Formulierung nicht-euklidischer Geometrien in der Mathematik des 19. Jahrhunderts „zu einer

|| 39 Riehl 1904, S. 35f. 40 Helmholtz [1870] 1998, S. 36. 41 Riehl 1904, S. 36. 42 Riehl 1904, S. 36f. 43 Riehl 1904, S. 37. 44 Riehl 1904, S. 37.

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Krise der Anschauung gekommen”45. So hatte etwa der Mathematiker Felix Klein (1849–1925) gezeigt, dass sich das ganze System der Geometrien – der sog. parabolischen, hyperbolischen oder elliptischen Geometrie, die respektive den Euklidischen, den Gauß’schen und den Riemann’schen Raum, also den Raum konstanter positiver Krümmung, bezeichnen – letztlich „die projective Geometrie“ zur Grundlage haben oder mit dieser zusammenfallen.46 Das heißt, dass sich das ganze System der Geometrie „auf das der Euclidischen Geometrie abbilden läßt“ und dass diese Abbildung „jeden Wertvorzug der einen Form vor der anderen illusorisch [macht].“47 In seinem Aufsatz von 1890 macht Klein klar, dass es prinzipiell zwei Möglichkeiten gibt, eine „Raumwissenschaft“ aufzubauen, indem man entweder mechanische oder optische Eigenschaften des Raumes bevorzugt; Helmholtz etwa ziehe mechanische Eigenschaften wie die freie Beweglichkeit starrer Körper vor, er selber ziehe optische Eigenschaften vor, wie die „Gruppierung der den Raum durchziehenden geraden Linien (der Lichtstrahlen, oder der vom Auge ausgehenden Visierlinien)“48, von denen auch Riehl spricht. Gerade wenn man die Kongruenz starrer Körper betrachte, biete die „projektive Methode bessere Übersicht“, die wiederum mit der Anschauung zu tun hat: Die Raumformen – elliptisch, sphärisch etc. – „ergeben sich bei der Zugrundelegung der projektiven Anschauung wie von selbst“49. In seinen Überlegungen zum „Wesen der geometrischen Axiome“ teilt Klein ferner die Ansicht nicht, dass „die Axiome die ‚Tatsachen‘ der räumlichen Anschauung formulieren“, so dass es „bei geometrischen Betrachtungen unnötig sein soll, auf die Anschauung als solche zu rekurrieren“ und „es vielmehr genügt, sich auf die Axiome zu berufen“50. Wie auch Riehl in seiner Helmholtz-Schrift formuliert, beinhaltet für Klein die „eigentliche Geometrie“ immer auch eine Anschauung und ist von der analytischen Geometrie zu unterscheiden: „Eine geometrische Betrachtung rein logisch zu führen, ohne mir die Figur, auf welche dieselbe Bezug nimmt, fortgesetzt vor Augen zu halten, ist jedenfalls mir unmöglich.“51 Nur insofern als Klein „die räumliche Anschauung als etwas wesentlich Ungenaues“ ansieht, etwa bei einer konkreten empirischen Beobachtung, dient ihm das Axiom als „Forderung, vermöge deren

|| 45 Cassirer [1957] 1973, S. 32. 46 Klein [1890] 1921, S. 363, 380, Klein [1871] 1873, S. 123f. 47 Cassirer [1957] 1973, S. 33. 48 Klein [1890] 1921, S. 380. 49 Klein [1890] 1921, S. 380. 50 Klein [1890] 1921, S. 381. 51 Klein [1890] 1921, S. 381.

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ich in die ungenaue Anschauung genaue Aussagen hineinlege”52. Bei der geometrischen Betrachtung bleibt die Figur, um die es geht, somit stets vor Augen, während man sich „auf die Axiome als festes logisches Substrat“ der Beweisführung zurückbezieht.53 Damit berührt Klein einen zentralen Punkt in der Diskussion um die geometrischen Axiome: Auch Klein räumt nämlich ein, dass der „Inhalt der Axiome“ nicht von vornherein fixiert ist, sondern dass dieser „so weit willkürlich ist, als mit der Ungenauigkeit unserer Raumanschauung verträglich ist”54. Denn ausschließlich in dieser Hinsicht, „ruht für mich die Berechtigung der Nicht-Euklidischen Geometrie“ als reale Disziplin und nicht bloß als abstrakte mathematische Betrachtung.55 Daraus schließt Klein, dass es aus dieser Perspektive selbstverständlich ist, daß wir unter gleichberechtigten Systemen von Axiomen jeweils das einfachste bevorzugen und eben darum zumeist mit der Euklidischen Geometrie operieren, welche für die gewöhnlichen Fragestellungen die einfacheren Aussagen liefert.56

Die Debatte um die geometrischen Axiome ergibt, dass diese im Vergleich zu früheren Zeiten keinen Absolutheitscharakter mehr aufweisen, dass sie hinsichtlich ihres Inhalts möglichst offen gefasst werden sollen und dass sie grundsätzlich einen empirischen Ursprung haben. Die prinzipielle Äquivalenz der Axiomensysteme der Geometrie hebt die Wahrheitsfrage auf. Insofern ist die „moderne Auffassung“ eines Axiomensystems „keine Feststellung eines Tatsachenbestandes“, sondern Axiome sind lediglich „Modelle in dem Sinne, daß sie nicht ein Gegebenes beschreiben, sondern daß sie Entwürfe und Vollzugspläne sind“57. Denn auch das „Erfahrungswissen“ wird beweglicher, je mehr es „der Spontaneität des Denkens Raum gibt, statt sie von vornherein beschränken und auf das empirisch-Gegebene und Bekannte einschränken zu wollen“58. Dennoch wird das Kriterium der Anschauung nicht komplett aufgegeben, sondern das Euklidische System kann gerade deswegen explizit gewählt werden. Auf der Argumentationslinie von Klein bewegt sich im Wesentlichen auch Riehl.

|| 52 Klein [1890] 1921, S. 381. 53 Klein [1890] 1921, S. 381. 54 Klein [1890] 1921, S. 381. 55 Klein [1890] 1921, S. 382. 56 Klein [1890] 1921, S. 382. 57 Cassirer [1957] 1973, S. 53. 58 Cassirer [1957] 1973, S. 54.

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5 Geometrie und physikalischer Raum Es kommt zudem ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: In Riehls Argumentation wird der Raum der Geometrie vom physikalischen Raum getrennt betrachtet: Wer im eigentlichen Sinne des Wortes von Eigenschaften des Raumes redet, muss dem Raum eine Existenz an sich zuschreiben, also den absoluten Raum Newtons für vorhanden auch ausser unserer Vorstellung und abgesehen von derselben annehmen. Und wer überdies diesem Newtonschen Raume andere Eigenschaften zuschreibt, als diejenigen, des „euklidischen“, kann ihm nur physikalische Eigenschaften zuschreiben. Er muss den Raum als widerstehendes Mittel denken, oder Kräfte von ihm ausgehen lassen, denn nur so wäre es begreiflich, dass das Galileische Beharrungsprinzip sich in ihm nicht verwirklichen könnte, der bewegte Punkt vielmehr gezwungen wäre, statt der Geraden „geradeste“ Bahnen einzuschlagen. Dann aber würde er nicht länger vom „Raume“ reden, sondern von der Realität, die ihn erfüllt; und um diese Realität vorstellen zu können, braucht er wieder den euklidischen Raum. Kurz er kann über diesen Raum nicht hinaus, er muss immer wieder, so lange er anschaulich vorstellt, auf ihn zurückgreifen.59

Die Diskussion um den Status der nicht-euklidischen Geometrien verdeutlicht, dass der Raumbegriff eine mehrfache Bedeutung aufweist: 1. als Ordnungsbegriff (z. B. Kleins System der Geometrien oder Raumformen);60 2. als geometrischer Raumbegriff (z. B. der Euklidische Raum); 3. als physikalischer Raumbegriff oder Maßbegriff (z. B. Helmholtz’ Beweglichkeit fester Körper im Raum), und 4. als geometrische Anschauungsform im Kant’schen Sinn (Riehl). Riehl veranschaulicht seine Position wiederum in Absetzung von Helmholtz’ Ansatz: Zwar lasse Helmholtz den euklidischen Raum in der Erfahrung gelten, dennoch bestreite er, dass dieser gelten müsse und berufe sich auf Messungen der Winkel geradliniger Dreiecke, die „(bisher, wie wir hinzufügen müssen) den Wert des Krümmungsmasses des Raumes gleich Null, d. h. die Winkelsumme gleich zwei Rechten ergeben“61. Diese Messungen jedoch sind keine Messungen des Raumes, sondern solche von Abständen von Dingen im Raume. Auch wird in der Geometrie die Winkelsumme nicht gemessen, sondern demonstriert. Die Geometrie ist die Wissenschaft nicht der Raummessung, sondern der Gesetze der Messung räumlicher Dinge.62

|| 59 Riehl 1904, S. 38. 60 Cassirer [1957] 1973, S. 59. 61 Riehl 1904, S. 39. 62 Riehl 1904, S. 39.

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Mit anderen Worten wäre ohne die geometrische Anschauungsform die geometrische Messung im physikalischen Raum gar nicht möglich und „die Geometrie bliebe in der egyptischen Finsternis ‚des Herumtappens‘ in der Erfahrung eingeschlossen“63. Denn: Kants kritische Lehre, nach welcher der Raum überhaupt: der absolute Raum Newtons und der Geometrie, die Form unserer äußeren Anschauung ist, sichert die objektive Gültigkeit der Geometrie und macht sie zugleich begreiflich.64

Riehl setzte sich auch in seinem philosophischen Hauptwerk mit Riemann kritisch auseinander, wie im Folgenden gezeigt wird.

6 Riehl und Riemann Riehls Trennung von geometrischer und physikalischer Raumbetrachtung wurde im Wesentlichen bereits im Zeit-und-Raum-Kapitel des Philosophischen Kritizismus (1879) vorweggenommen. Dort hatte sich Riehl mit Riemanns Raumbegriff auseinandergesetzt: Riemanns Begriff „einer n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit [ist] logisch wie mathematisch unanfechtbar“65. Riemann habe auch zu Recht gelehrt, dass sich „die Sätze der Geometrie nicht aus allgemeinen Grössenbegriffen ableiten lassen, sondern dass die charakteristischen Eigenschaften des Raumes nur der Erfahrung entnommen werden können“66. Das Problem liegt für Riehl jedoch darin, dass Riemann die Grundeigenschaften des Raumes als Hypothesen betrachtet: „Diese Thatsachen, erklärt er [sc. Riemann], sind wie alle Thatsachen nicht nothwendig, sondern nur (!) von empirischer Gewissheit, sie sind Hypothesen.“67 Riehl betrachtet Riemann als Mathematiker, der einseitig dazu verleitet werde, „die Gewissheit seiner rein formalen Wissenschaft für die einzige Art und Quelle der Gewissheit auszugeben“68. Riehl besteht hingegen auf der Unterscheidung von Tatsachen und Hypothesen. Die Tatsachen seien den Hypothesen „entgegengesetzt“ und hätten einen „höheren Grad der Gewissheit verglichen mit widerspruchsfreien, also innerlich gewissen Gebilden des mathematischen Denkens“69. Gleichermaßen insistiert Riehl auf der Unterscheidung || 63 Riehl 1904, S. 39. 64 Riehl 1904, S. 39. 65 Riehl 1879, S. 167. 66 Riehl 1879, S. 168. 67 Riehl 1879, S. 169. 68 Riehl 1879, S. 169. 69 Riehl 1879, S. 169f.

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von „analytisch“ und „thatsächlich“: In analytischer Hinsicht könnten „beliebige Kraftgesetze“ aufgestellt werden, „thatsächlich existiert nur ein einziges Kraftgesetz, es sei das Newton’sche oder das Weber’sche oder irgend ein zur Zeit noch nicht nicht bekanntes“; ebenso könnten „beliebig viele“ Raumdimensionen und deren Maße „analytisch behandelt werden, aber nur ein Ausdehnungsgebiet existiert thatsächlich, ist also nicht hypothetisch, [...] der Raum von drei Dimensionen“70. Die Raumvorstellungen Riehls und Riemanns könnten daher unterschiedlicher nicht sein: Wo Riemann der Raumvorstellung „empirische Gewissheit, also Abhängigkeit von der Erfahrung hinsichtlich ihrer objectiven Gültigkeit, zuschreibt“, greift Riehl auf seine Raumvorstellung als relatives Apriori zurück, nämlich „als Auffassungsform, sie besitzt relative Apriorität“71. Diese Auffassungsform ist also von der äußeren Erfahrung unabhängig, in jeder einzelnen Erfahrung notwendig als Grundlage enthalten und jede einzelne Erfahrung vollzieht sich nach ihrem Schema.72 Und dennoch interpretiert Riehl seine Raumvorstellung nicht ganz a priori: Obwohl diese Vorstellung ihrer Entstehung nach von der äußeren Erfahrung unabhängig ist, so ist sie es doch nicht von aller Erfahrung; vielmehr hängt sie (was Kant übersehen hat) von der Erfahrung bestimmter Empfindungsvorgänge ab und tritt eben dadurch in Zusammenhang mit den Dingen selbst, ist folglich mehr als reine Anschauung.73

Diese Interpretation ist als Kritik am Abstraktionsmodell von Raum und Zeit bei Kant aufzufassen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb für Riehl „[d]er Satz, dass der Raum drei Dimensionen hat“ ein elementarer Satz der Erfahrung ist, der „in Nichts der Gewissheit irgend welcher Sätze der reinen Vernunft nachsteht; da alle Gewissheit schliesslich thatsächlicher Natur ist.“74 Und damit muss Riehl Riemanns Hypothesen widersprechen, die eben nicht, wie die Tatsachen, empirischen Ursprungs sind und dadurch empirische Gewissheit beanspruchen können. Entsprechend werden zentrale Konzepte der Riemann’schen Geometrie – der Begriff des Krümmungsmaßes, die Verallgemeinerung des Gauss’schen Begriffs des Flächenkrümmungsmaßes und dessen Übertragung auf den Raum – von Riehl als analytische, rein rechnerische Größen angesehen, die darüber hinaus auch ohne Anschauung sind.75 Inwiefern hier Riehl übersieht,

|| 70 Riehl 1879, S. 170. 71 Riehl 1879, S. 172. 72 Riehl 1879, S. 172. 73 Riehl 1879, S. 172. 74 Riehl 1879, S. 173. 75 Riehl 1879, S. 173f.

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dass Riemann durch den Begriff der Hypothese die Geometrie bzw. die Mannigfaltigkeit auch im Blick auf deren physikalische Bedeutung möglichst offen halten will, wird noch zu sehen sein. Wenn Erkenntnisse über die Grundeigenschaften des Raumes weder mathematisch noch empirisch begründet werden können, so ist dies für Riehl ein Zeichen, „dass sie logischen Ursprungs sind“76. So habe er gezeigt, dass die Homogenität des Raumes, die geometrische Kongruenz gleicher Figuren (z. B. Dreiecke) im Raum sowie das Axiom, dass die Gerade die einfachste Beziehung zwischen zwei Punkten ist, „logische Merkmale des Raumes sind – und wie dieselben in die Raumvorstellung hineinkommen“77. Riehl ist überzeugt, dass zwischen den logischen Merkmalen des Raumes und der Wahrnehmung von Gleichförmigkeit, Kongruenz, Geraden etc. (auch durch künstliche Instrumente) „eine Kluft ist, die durch sinnliche Erfahrungen niemals ausgefüllt werden kann“78. So ist aufgrund der atomistischen Vorstellung der Natur der Körper „keine Kante eines Kristalls gerade im geometrischen Sinne des Begriffs und nach der Aethervibrationstheorie des Lichts gilt dieser Begriff auch nicht vom Lichtstrahle“79. Wie Riehl (mit Kant) auch gegenüber Helmholtz argumentiert, sind geometrische Begriffe als idealisierte Erfahrungsbegriffe zu verstehen.80 Damit wendet er sich auch gegen Riemann, der die Raumvorstellung – beeinflusst durch die Psychologie Herbarts – ausschließlich empirisch begründet hatte. Die Diskussion über den physikalischen Raum, also den bewusstseinsunabhängigen, realen mit Materie gefüllten Raum, zeigt schließlich, dass Riehl im Grunde die Annahmen teilt, die in den 1870er Jahren und bis um 1900 gemeinhin vertreten wurden. Grundsätzlich ist der Raum etwas, das als homogen und mit konstantem Krümmungsmaß zu denken ist und der der Materie prinzipiell zugrunde liegt. Selbst wenn wir die Hypothese eines inhomogenen Raumes annehmen, bei dem also die Grade der Raumerfüllung in allen Puncten verschieden sein sollen, mit einem in allen Puncten verschiedenen Krümmungsmass [...], [bliebe] der Raum selbst, den wir in Gedanken dieser Materie zu Grunde legen müssen, [...] nichts desto weniger durchaus homogen.81

Der Raum, in den wir in Gedanken Materie hineinlegen, ist also eine Art Prokrustesbett oder festes Gehäuse, in das sich die Materie anbequemen muss. Also ist

|| 76 Riehl 1879, S. 175. 77 Riehl 1879, S. 175. 78 Riehl 1879, S. 176. 79 Riehl 1879, S. 176f. 80 Siehe oben, Abschnitt 1. 81 Riehl 1879, S. 178.

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der Raum aus einem logischen Grund, der den Unterschied zum inhomogenen Raum erst begreiflich macht, homogen zu denken und folglich „[sind] Mannigfaltigkeiten, deren Krümmungsmaass nicht in allen Puncten constant ist, [...] keine Räume“82. Entsprechend müssen „die begrifflichen Constructionen ‚höherer‘ Räume“ auf den „Nullwerth des Krümmungsmasses, die Ebenheit des Raumes“ zurückkommen, weil der ebene oder euklidische Raum mit unserem logischen Denken („die in uns wurzelnde logische Auffassungsform“) übereinstimmt.83 Eigentlich ist eine solche Auffassung der Dinge, wie sie Riehl hier ausspricht, nicht wirklich überraschend, gerade wenn man die sich zeitlich parallel abspielenden Entwicklungen auf dem Feld der Mathematik, etwa bei Felix Klein oder Henri Poincaré, betrachtet. So hatte auch Poincaré in La Science et l’Hypothèse (1902) eingeräumt, dass, falls wir die Erfahrung einer negativen Krümmung machen würden (z. B. der Parallaxe in der Astronomie), sich eine Wahl zwischen zwei Optionen ergäbe: Entweder müssten wir auf die euklidische Geometrie verzichten oder die Gesetze der Optik ändern und zugeben, dass sich das Licht nicht rigoros geradlinig fortpflanzt; auf der anderen Seite behauptete er, dass „die euklidische Geometrie von neuen Erfahrungen nichts zu befürchten hat“84. Die weitere Entwicklung der Physik hat ihm nicht recht gegeben und gezeigt, dass Physiker auch auf eine nicht-euklidische Geometrie zurückgreifen können.85

7 Riehls Prognose über die Verwendung nicht-euklidischer Räume in der Physik Gegen Ende des Raum-und-Zeit-Kapitels macht auch Riehl eine interessante Prognose, die sich genau auf die Verwendung nicht-euklidischer Geometrien im physikalischen Raum bezieht: so ist es ganz unwahrscheinlich, dass jemals ausserhalb der reinen Mathematik von jenen Hypothesen nichteuklidischer Räume Gebrauch gemacht werden wird. Wir werden also fortfahren, so oft wir beobachten oder durch Rechnung feststellen, dass bewegte Körper von der Bewegung in der Geraden abweichen, dies dem Einfluss äusserer Kräfte zuzu-

|| 82 Riehl 1879, S. 178. Riemann hatte mit seiner nicht-euklidischen Geometrie etwa gerade diesen Punkt noch offengelassen. 83 Riehl 1879, S. 178 u. S. 180. 84 Poincaré 1902, Chap. V: L’Expérience et la Géometrie, S. 93: „La géométrie euclidienne n’a donc rien à craindre d’expériences nouvelles.“ 85 Siehe auch Cassirer [1957] 1973, S. 52f.

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schreiben und nicht einer Eigenschaft des Raumes selbst, die das Bewegliche zwingen würde, gekrümmte Bahnen einzuhalten. Kein Physiker wird geneigt sein, den Raum zur Ursache von krummlinigen Bewegungen zu machen, keiner auch sich mit der Thatsache solcher Bewegungen zufrieden geben und nicht vielmehr versuchen, sie aus der Zusammenwirkung geradlinig wirkender Kräfte zu erklären.86

Wir wissen heute, dass sich diese Prognose nicht bewahrheitet hat. Interessant ist dennoch an Riehls Aussage, dass er sich eine Alternative zu Newtons Theorie der Zentralkräfte, die auf einer nicht-euklidischen Theorie des Raumes basiert, zumindest vorstellen kann, auch wenn er diese Alternative für unwahrscheinlich hält. Und dabei kann er sich auch eine Form der Verbindung von Geometrie und Physik vorstellen, bei der ein dynamischer Raum die Bewegung von Körpern verursacht. In der Relativitätstheorie Einsteins ist es denn auch der gekrümmte Raum, der die Körper (z. B. Planeten) „zwingt“, sich auf Bahnen zu bewegen. Das Universum hat nach dieser Theorie eine vierdimensionale gekrümmte RaumzeitStruktur und die Gravitation ist ein Effekt der Raumzeit, also eine Eigenschaft dieser Raumzeit-Struktur. Die Rolle der Philosophie, Mathematik und Physik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist, wie die Aussage Riehls belegt, für die Entwicklung der Raumvorstellungen um 1900 nicht zu unterschätzen. So hebt Einstein in Relativität und Raumproblem (1954) etwa die Raumvorstellungen Ernst Machs und die Philosophie David Humes besonders hervor, weil diese einen wichtigen Beitrag geleistet hätten, „die Grundbegriffe naturwissenschaftlichen Denkens aus den platonischen olympischen Gefilden herunter zuholen [...]“ sowie versucht hätten, „diese Begriffe von dem ihnen haftenden Tabu zu befreien, und damit größere Freiheit in der Begriffsbildung zu erlangen.“87 Ganz ähnlich argumentiert auch Riemann, der am Ende seines Habilitationsvortrags betont, dass solche Untersuchungen, welche, wie die hier geführte, von allgemeinen Begriffen ausgehen, können nur dazu dienen, dass diese Arbeit nicht durch die Beschränktheit der Begriffe gehindert und der Fortschritt im Erkennen des Zusammenhangs der Dinge nicht durch überlieferte Vorurtheile gehemmt wird.88

Eine wichtige Darstellung der physikalischen Bedeutung der Riemann’schen Raumlehre hat der Mathematiker und Theoretische Physiker Hermann Weyl (1885–1955) in seinem Stellenkommentar zu Riemanns Habilitationsvortrag (1919) gegeben. Die entscheidende Frage liegt darin, ob der Raum bzw. die

|| 86 Riehl 1879, S. 180. 87 Einstein 1954, 90f. Siehe hierzu ausführlicher De Angelis 2016. 88 Riemann [1854] 2013, 43.

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Geometrie unabhängig oder abhängig von physikalischen Prozessen bzw. von Materie gedacht wird: Das volle Verständnis für die Schlußbemerkungen RIEMANNS über den innern Grund der Maßverhältnisse des Raumes ist uns erst durch EINSTEINS allgemeine Relativitätstheorie erschlossen worden. Sehen wir von der ersten Möglichkeit ab, es könnte „das dem Raum zugrunde liegende Wirkliche eine diskrete Mannigfaltigkeit bilden“ (obschon in ihr vielleicht einmal die endgültige Antwort auf das Raumproblem enthalten sein wird), so stellt sich RIEMANN hier im Gegensatz zu der bis dahin von allen Mathematikern und Philosophen vertretenen Meinung, daß die Metrik des Raumes unabhängig von den in ihm sich abspielenden physikalischen Vorgängen festgelegt sei und das Reale in diesen metrischen Raum wie in eine fertige Mietskaserne einziehe; er behauptet vielmehr, daß der Raum an sich nur eine formlose dreidimensionale Mannigfaltigkeit in Sinne von Teil I des Vortrages ist und erst der den Raum erfüllende materielle Gehalt ihn gestaltet und seine Maßverhältnisse bestimmt. Das „metrische Feld“ ist prinzipiell von der gleichen Natur wie etwa das elektromagnetische Feld.89

Weyls Formulierungen erinnern z. T. an Riehls Vorstellung über den Raum, den „wir der Materie zugrunde liegend denken“ und der eine Unabhängigkeit von Raum und Materie impliziert. Die Riemann’sche Geometrie ist jedoch keine Bühne mehr, auf der sich physikalische Prozesse abspielen, sondern sie formt selbst physikalische Effekte. Ferner dekonstruiert Weyl die u. a. von Helmholtz und dem norwegischen Mathematiker Sophus Lie (1842–1899) vertretene Auffassung, dass „eine Riemannsche Mannigfaltigkeit von ganz spezieller Art, nämlich von konstanter Krümmung sein müsse“, da „nur in einem solchen Raum ein Körper ohne Änderung seiner Maßverhältnisse diejenige Beweglichkeit besitzt, die aus der Gleichberechtigung aller Orte und Richtungen folgt.“90 Wie das Konzept der Gruppenbildung gezeigt hat, setzt die konstante Krümmung einen homogenen Raum voraus, damit sich Körper und Figuren in ihm frei und ohne Dehnung bewegen können. Aber auch eine solche Erklärung der Bewegung, die einen homogenen Raum voraussetzt, sagt Weyl, muss nicht sein: Aber diese Folgerung fällt dahin, sobald die Maßbestimmung abhängig gedacht wird von der Verteilung der Materie. Denn die Möglichkeit der Ortsversetzung eines Körpers ohne Maßänderungen in einer beliebigen Riemannschen Mannigfaltigkeit ist zurückgewonnen, wenn der Körper das von ihm erzeugte metrische Feld bei der Bewegung mitnimmt; genau so wie eine Masse, die unter dem Einfluß eines von ihr selbst erzeugten Kraftfeldes eine Gleichgewichtsgestalt angenommen hat, sich deformieren müßte, wenn man das Kraftfeld

|| 89 Hermann Weyl in Riemann [1854] 2013, 71f. 90 Hermann Weyl in Riemann [1854] 2013, 72.

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festhalten und die Masse an eine andere Stelle desselben schieben könnte, in Wahrheit aber ihre Gestalt behält, da sie das von ihr selbst erzeugte Kraftfeld mitnimmt.91

Zentral ist hier der Begriff des metrischen Feldes, das mit dem Raumbegriff intrinsisch verbunden ist, ähnlich wie beim Experimentalphysiker Michael Faraday (1791–1867) das elektromagnetische Feld, das von Kraftlinien durchzogen ist, ein Zustand des Raumes beschreibt. Eine Idee Descartes’ aufnehmend, erklärt Einstein: „[E]s gibt keinen ‚feldleeren‘ Raum.“92 Das metrische Feld ist dementsprechend eine physikalische Entität, aufgrund von der sich, wie Weyl erläutert, der Übergang von Euklid zu Riemann [vollzog]: die Welt ist ein vierdimensionales Kontinuum, in welcher ein von Zustand, Vertheilung und Bewegung der Materie abhängiges metrisches Feld herrscht [...]. Aus diesem metrischen Feld entspringen insbesondere die Erscheinungen der Gravitation.93

Die Raumzeit existiert also nicht per se, sondern ist lediglich eine strukturelle Eigenschaft des metrischen Feldes. In diesem Sinn hat also Einstein Riemanns Raumkonzept für die Physik umgesetzt.

8 Schluss Gerade Riehls Auseinandersetzung mit Riemann zeigt, dass er als Anhänger Kants und Newtons die Eigenschaften des physikalischen Raumes noch nach der klassischen Physik und die nicht-euklidische Geometrie vor allem mathematisch und nicht physikalisch deutete. Das war von einem naturwissenschaftlich und mathematisch gut informierten neukantianischen Philosophen, der Riehl war, zwischen 1870 und 1900 auch nicht anders zu erwarten. Im Vergleich dazu stellte etwa der Physiker Max Planck (1858–1947) noch 1909 die Frage nach dem Gesetz der „Umwandlung der Energiearten ineinander“ und erwähnt – neben dem 2. Satz der mechanischen Wärmetheorie – das zuerst von Albert Einstein ausgesprochene „Prinzip der Relativität, dessen Allgemeingültigkeit indessen heute noch nicht sicher feststeht“94. Doch wie die Auseinandersetzung mit Helmholtz gezeigt hat, ging es Riehl nicht primär nur um konkrete physikalische oder mathematische Sätze und Inhalte. Es ging ihm darum, die epistemologische Frage zu klären, wie Kant das Apriori der geometrischen Axiome verstand sowie darum

|| 91 Hermann Weyl in Riemann [1854] 2013, 72f. 92 Einstein 2009, S. 107. 93 Hermann Weyl in Riemann [1854] 2013, 73. 94 Planck 1908, S. 146 u. Anm. 1.

Alois Riehl über Hermann von Helmholtz und die Bedeutung geometrischer Axiome | 221

zu erklären, inwiefern für Kant andere Systeme der Geometrie, die nicht das Euklidische sind, begrifflich denkbar sind oder inwiefern er diesen zumindest nicht widersprochen hätte. Diese epistemologische Dimension des Nachdenkens über Geometrie attestiert Riehl auch Moritz Schlick in einem seiner Texte zu Einsteins Relativitätstheorie.95 Auf diesem Wege trug Riehl letztlich auch in relevanter Weise dazu bei, die Perspektive der kritischen Philosophie auf die moderne Physik, insbesondere auf die Einstein’sche Relativitätstheorie, zu öffnen.96

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|| 95 Schlick 2019, S. 128f. 96 Schlick 2019, S. 125–143 (über die Ansätze von E. Cassirer, M. Born und H. Reichenbach), hierzu bes. S. 130: „Jeder Versuch, Einstein mit Kant zu versöhnen, muß in der Relativitätslehre synthetisch-apriorische Prinzipien aufdecken; sonst ist er von vorherein als gescheitert zu betrachten, weil er nicht einmal zu der richtigen Problemstellung vorgedrungen ist.“ Siehe ferner auch Bitbol/Kerszberg/Petitot 2009.

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Evan Clarke

Alois Riehl and the Principle of the Conservation of Energy Abstract: This paper concerns the role that the principle of the conservation of energy plays in the thought of Alois Riehl. After a few words of historical background, I consider the basic philosophical significance that Riehl attributes to this principle. I show that for Riehl, the principle of the conservation of energy represents a condition of possibility for objective experience. I go on to explore the antinomy that Riehl elicits between the principle of the conservation of energy and the idea of natural selection. I explain how Riehl’s doctrine of psycho-physical parallelism, according to which the psychic and the physical are mutually irreducible perspectives on a single underlying reality, arises from his efforts to resolve this antinomy. Finally, I consider Riehl’s assessment of the work of the physicist and physician Julius Robert Mayer, one of the co-discoverers of the principle of the conservation of energy. I show that for Riehl, Mayer is uniquely significant in having grasped the meaning of the principle of the conservation of energy. This emerges from Riehl’s discussion of Mayer’s methodology, his overarching objectives, his understanding of causality, and his notion of Auslösung.

Introduction In his 1913 address at Princeton University, Alois Riehl remarks on the “rapprochement” between philosophy and science that took place in the last third of the nineteenth century, following the collapse of the “speculative construction of nature”. This rapprochement was facilitated, on the one hand, by a “renewed and a deepened study of Kant”, and a consequent reorientation of philosophical efforts toward understanding the sources and limits of knowledge; and, on the other hand, by a series of philosophically significant scientific discoveries. Riehl singles out two scientific discoveries as particularly noteworthy in this regard: the principle of the conservation of energy, meaning the principle according to which the total quantity of energy in a physical system remains constant amidst

|| Evan Clarke, Northeastern University, Toronto [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-010

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the various transformations to which energy is subject; and the “idea of development”, meaning Darwin’s theory of evolution.1 This second discovery has a profound impact on Riehl’s own thought. As we will see below, Riehl thinks that a number of faculties, up to and including consciousness itself, can be explained in terms of their utility relative to survival. In what follows, I argue that the first discovery that Riehl highlights, the principle of the conservation of energy, plays an equally fundamental role in his thought. First, this principle is a condition of possibility of scientific knowledge, in the sense that it allows for an objective representation of the external world. Second, the principle of the conservation of energy provides a crucial motivation for Riehl’s doctrine of psycho-physical parallelism, according to which the physical and psychical aspects of reality are mutually irreducible. Finally, the principle of the conservation of energy marks an important limit for Riehl, a point beyond which it is necessary to appeal to a different but complementary set of principles. Riehl’s discussion of the principle of conservation of energy is frequently bound up with discussion of the physicist and physician Julius Robert Mayer (1814–1878). Given that Mayer was arguably the first to publicly articulate this principle, in a paper of 1842, Riehl’s emphasis on his work is understandable. On the other hand, as Thomas Kuhn observes in a well-known essay, no fewer than twelve people grasped the essential aspects of energy and its conservation in the two decades before 1850, including Mayer, Hermann von Helmholtz, James Joule, and Peter Tait.2 What therefore explains Riehl’s singular focus on Mayer? Below, I argue that for Riehl, Mayer’s work is a signpost toward the philosophical meaning of the principle of the conservation of energy. At the same time, Mayer clarifies the limits of the principle of the conservation of energy, helping to identify the questions that cannot be answered within the framework that it provides. In the first part of this paper, I provide a few brief words of background on the principle of the conservation of energy. In the second part, I explore the basic philosophical significance that Riehl attributes to the principle of the conservation of energy, including its relationship to objective experience. In the third part of the paper, I explore the antinomy that Riehl elicits between the principle of the conservation of energy and the idea of development. I explain how Riehl resolves this antinomy by showing that neither scientific principle describes reality as such. Finally, I consider Riehl’s assessment of Mayer’s work, including his perspective on Mayer’s methodology, his overarching scientific objectives, his understanding of causality, and his notion of Auslösung.

|| 1 Riehl 1913, p. 46. 2 Kuhn 1959, p. 321.

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1 Background As noted above, the years between 1830 and 1850 saw a flurry of activity in connection with the ideas that would ultimately crystallize as the principle of the conservation of energy. For our purposes, it is worth highlighting a number of key moments from this process of crystallization. An important initial step, taken by Sadi Carnot and Mayer, among others, came with the assertion of the quantitative equivalence of heat and mechanical work. Inspired in Carnot’s case by the example of the steam engine, and in Mayer’s case by physiological observations that he made while working as physician in Java, the essence of this idea is that heat is not lost in mechanical processes, but is instead converted into an equivalent magnitude of work.3 Coming closer to the idea as we now understand it, other writers from this period extend the idea of convertibility beyond heat and work. According to William Grove, Michael Faraday, Justus Liebig, and others, the entire “world of phenomena” can be understood in terms of the manifestations of a single force, “one which could appear in electric thermal, dynamical, and many other forms, but which could never, in all its transformations, be created or destroyed”.4 As early as 1851, this universal force was conceptualized as “energy”, understood as the characteristic that all physical phenomena have in common.5 Finally, it is worth noting that physiological phenomena were included within this network of convertible forces. This follows from a broader campaign, spearheaded by Hermann von Helmholtz among others, to unify the organic and inorganic domains – to show that living things are governed by the same laws that govern non-living things, and that the idea of vital force, or Lebenskraft, has no explanatory role to play.6

2 Objective Experience Riehl’s attention to the principle of the conservation of energy reflects his conception of the relationship between philosophy and science. According to Riehl, “true philosophy follows science”7. The role of the philosopher is not to supersede scientific discoveries on the basis of would-be metaphysical insights, but to || 3 Harman 1982, p. 45. 4 Kuhn 1959, p. 321. 5 Harman 1982, p. 51, 58–59. 6 Lenoir 1982, p. 209. 7 Riehl 1894, p. 17.

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clarify what scientific discoveries mean within a broader conceptual framework. With respect to the principle of the conservation of energy, Riehl does this by drawing a connection with experience. The principle of the conservation of energy, he argues, has its basis in the “constitution of the human spirit”8, specifically, in the requirements of objective experience. According to Riehl, objective experience requires that we grasp perceptual changes not simply as changes, but as law-governed sequences of events. In order to recognize the content of my external experience as valid beyond the boundaries of my own consciousness, I need to regard that content as subject to universal laws.9 This requires in turn that I relate perceptual changes to a persistent substratum, in other words, that I grasp perceptual changes as the changes of state of something external to my consciousness.10 As long as I do this, then I grasp the content of my experience as valid for others. If I grasp events just at the level of perceptual content, as a shifting series of distinct sensory complexes, then I have no such expectation of universality. Crucially, the substratum that is presupposed by experience must also be understood as “quantitatively unchangeable”11. This means that human beings assume a certain economy in external experience. We presuppose that any apparent increase in the “quantity” of the given will be counterbalanced by an expenditure, meaning that for any change that takes place, there is a corresponding cause, one that is sufficient in magnitude to bring about the effect in question. We exclude the possibility of events that simply happen, devoid of causal antecedents.12 In summary, Riehl’s claim is that human beings necessarily frame their external experiences in terms of the transformations of a persistent, quantitatively invariable substance. Only in this way does our experience come to be objective,

|| 8 Riehl 1913, p. 52. 9 Riehl 1894, p. 72. 10 Riehl 1894, p. 290. 11 Riehl 1894, p. 290. 12 For Riehl, this assertion of quantitative unchangeability of the given has the status of a synthetic proposition (Riehl 1894, p. 289–90), meaning that it juxtaposes concepts that are not implicitly identical. The proposition would be merely tautological, or analytic, Riehl thinks, if the given were infinite in extent. In that case, the fact that the given was unchangeable would be trivially true, since an infinite quantity is by definition incapable of increase or decrease (Riehl 1894, p. 289). But since the given is finite in nature – meaning that phenomenal experience is essentially determinate – it is meaningful to observe that the given can neither increase nor decrease in extent (Riehl 1894, p. 285). Rather than simply a foregone conclusion, this represents a material fact about our experience of causality.

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in the sense of being universally valid. The principle of the conservation of energy represents an elaboration of this basic act of conceptualization. Just as science in general represents the “completion of experience”13, the principle of the conservation of energy represents a completion of the unification that is undertaken at the level of pre-scientific thought. Where human beings unify disparate perceptual phenomena by relating them to unified substratum, the principle of the conservation of energy unifies disparate phenomena by showing that they are interchangeable forms of a single force – namely, energy.

3 Mind and Matter In lectures delivered in Hamburg in 1900, Riehl remarks on a challenging consequence of the principle of conservation of energy. In short, this principle appears to preclude the involvement of the psychic in the external world. It makes it difficult to understand how psychic experience could be the result of material processes, for example, brain processes; and it makes it similarly difficult to understand how consciousness can exert an influence on material processes, for example, how an act of will can produce a change in the material world. The reason for this is the requirement of quantitative unchangeability noted above. Because the total energy in a physical system must remain constant, it follows that energy cannot leave the system in the form of psychic activity or enter the system on the basis of psychic activity. One response to this challenge would be to insist that psychic activity itself is a form of energy, one that is rightly included within the network of equivalencies described by nineteenth century physics. This would mean that psychic activity could generate an equivalent amount of chemical, or dynamical energy; and that these forms of energy could in turn generate an equivalent amount of psychic activity. Riehl’s reply is that there is no empirical basis for this solution. We simply do not see chemical processes passing over into psychic activities or vice versa.14 From the perspective of the principle of the conservation of energy, therefore, psychic activity, or consciousness in general, has an indeterminate status. It cannot simply be denied outright; but it is similarly impossible to situate consciousness within a broader framework of laws and entities. According to Riehl, this dilemma becomes conspicuous in the context of physiology, a form of inquiry

|| 13 Riehl 1894, p. 70. 14 Riehl 103, p. 138.

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into living things that is guided by strictly physical assumptions. For the physiologist, Riehl explains, psychic functions have the status of causally unrelated “accompaniments” of nervous processes. They exert no influence on those processes, nor do they depend on them.15 For the purposes of this theoretical standpoint, consciousness might just as well be entirely absent. Individuals might interact with the world just as they do now without being in any sense aware of this interaction.16 In short, all of us might just as well be zombies. Albeit counter-intuitive, this solution does succeed in a narrow sense. By making consciousness a purely ornamental feature of life, we preserve the idea of nature as a causally closed system of interacting forces. Where this solution becomes untenable, for Riehl, is where it comes into contact with the other scientific discovery that he identifies in his lecture at Princeton. From the perspective of evolutionary biology, Riehl explains, there simply cannot be a purely ornamental feature of life. According to the principle of natural selection, biological traits exist only insofar as they have proven useful to the organisms that have those traits.17 With respect to consciousness, this means that it must matter in some real way that certain species enjoy subjective awareness. This endowment must have played some role in fostering the survival and endurance of those species. Riehl could resolve this dilemma, of course, by simply rejecting either physiology or evolutionary biology, along with its perspective on consciousness. This option, however, is not available. Despite the fact that they reach incompatible conclusions with respect to the causal significance of consciousness, Riehl accepts the legitimacy of both standpoints. Both, he thinks, are solidly rooted in experience.18 Physiology appeals strictly to physical, empirically accessible facts; and evolutionary biology is likewise based on “universal facts accessible to observation”19. Instead, Riehl uses the very intractability of the conflict between physiology and evolutionary biology as a key to resolving it. Precisely because we cannot decide in favour of physiology or evolutionary biology, he argues, it follows that the inquiry into the nature of consciousness must be reframed. Instead of asking which perspective on consciousness is correct – the physiological perspective, according to which consciousness is a causally inert byproduct of brain process, || 15 Riehl 1894, p. 169. 16 Riehl 1894, p. 188. 17 Riehl 1894, p. 169. Riehl assumes here a strongly adaptationist picture of evolutionary biology, according to which the evolutionary biologist seeks a utility for "every characteristic of a living being" (Riehl 1894, p. 32, my emphasis). 18 Riehl 1894, p. 171. 19 Riehl 1894, p. 321.

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or the evolutionary perspective, which stresses its real material impact—we should recognize both precisely as perspectives. In other words, we should recognize that neither physiology nor evolutionary biology represent consciousness as it exists in itself, meaning that neither exclude the possibility of other perspectives on the same object. Physiology, for its part, surveys reality from an external vantage point, in terms of lawfully interrelated, continuous, quantitatively determined physical processes. The principle of the conservation of energy provides the overarching structure for this perspective, meaning that it pictures reality as a closed system of causes and effects. Evolutionary biology, meanwhile, is not as firmly rooted to a particular vantage point. The evolutionary biologist can survey nature from the standpoint of objective physical laws, for instance, when she considers the efficiency of a particular physical trait. In the case of consciousness, however, she assumes the perspective of immediate subjective experience. Looking at psychic functions such as deliberation, or memory, the evolutionary biologist asks in what way those functions might have promoted the survival of the human species. The subjective perspective differs from the objective in a number of significant respects. For one thing, it is qualitatively, rather than quantitatively determined.20 While we cannot measure an experience of will, or joy, in any meaningful sense, it is possible to indicate what these experiences are like. Relatedly, this perspective presents a discontinuous picture of the world. This is because psychic experience is essentially intermittent;21 and because there cannot be a continuous transition from one quality to another.22 In summary, what Riehl concludes from the “antinomy” between physiology and evolutionary biology is that two basic perspectives on reality are possible— an objective, third person perspective, and a subjective, first person perspective. These perspectives do not disclose entirely different worlds: they are perspectives on a single underlying reality. What’s more, they can be coordinated. According to Riehl, the correct approach to studying consciousness is to attend to its subjective and objective aspects simultaneously, charting the correlations between

|| 20 Riehl 1894, p. 200. 21 Riehl 1894, p. 153. 22 Riehl 1894, p. 194. Edmund Husserl and Edith Stein put this point well in a jointly written essay of 1917, commenting on the discreteness of the essences belonging to the psychic domain. “It is unthinkable”, they remark, “that through some continual transformation the perception of a thing would change into the perception of a sensory datum, a feeling of rage, or a predicative judgment” (Husserl/Stein 2018, p. 456).

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psychic and neurological activity.23 Riehl calls this approach to the study of the relation of mind and matter “psycho-physical parallelism”. Before concluding, it is worth considering another attempt to resolve the antinomy in question. According to Australian philosopher Frank Jackson, the tension between physiology and evolutionary biology can be defused relatively easily, without abandoning or qualifying the physiological perspective. What’s necessary is simply to clarify that it is the brain processes underlying consciousness, rather than consciousness per se, that exerts a causal influence in the world. Thus, the evolutionary biologist is right to insist that consciousness must have some utility relative to survival; but she is wrong to assume that this utility resides in the specifically subjective aspect of consciousness. According to Jackson, the actual objects of selection in this case are neurological processes. Self-conscious psychic activity, or “epiphenomenal qualia”, are “totally irrelevant to survival”.24 Jackson’s solution has the merit of simplicity relative to Riehl’s. It also involves a less rigid notion of natural selection, allowing that some traits might simply lack functional value. Why can’t Riehl adopt this solution? What Riehl would say, I think, is that Jackson’s solution involves a fatal dogmatic element. For the sake of protecting the universality of the principle of the conservation of energy, Jackson asserts that brain processes – or physical being in general – is really real, while subjective experience is only slightly real. Beyond mere theoretical convenience, however, there is no basis for devaluing subjective experience in this way. The content of our immediate psychic experience is manifestly just as real as the content of our external, objective experience. With respect to the processes under consideration, it is arguably even more real, since it is only on the basis of our experience of conscious functions such as deliberation that we are able to understand the functions we should be looking for at the level of neural processes. By placing subjective experience and brain processes on an equal theoretical footing – as partial expressions of a reality that exceeds and transcends both – Riehl attempts to respect their more original equality.

4 Julius Robert Mayer Above, I noted that Riehl’s fixation on Mayer’s work can seem somewhat arbitrary, since Mayer was one of a large group of scientists, philosophers, and engineers who contributed to the discovery of the principle of the conservation of

|| 23 Riehl 1903, p. 138, 140. 24 Jackson 1982, p. 135.

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energy. In fact, Riehl’s preoccupation with Mayer can even seem somewhat perverse, in light of the latter’s reputation among his contemporaries. As Peter Harman notes, Tait and Joule both denied Mayer’s importance in the discovery of the conservation of energy, on the grounds that his work was not sufficiently mathematical or experimental in nature;25 and Helmholtz makes fun of what he regards as the metaphysical elements in Mayer’s initial proof of the equivalence of heat and work.26 Nor has Mayer’s reputation improved significantly since his own day. In his study of the discovery of the conservation of energy, Kuhn expands on Helmholtz’s assessment, suggesting that Mayer’s research was motivated by an unexamined metaphysical assumption, one inherited from the tradition of Naturphilosophie – a belief in an “underlying imperishable metaphysical force [...] at the root of all natural phenomena”. According to Kuhn, it is only on the strength of this metaphysical assumption that Mayer is able to make the jump from isolated physiological observations to the principle of the conservation of energy.27 Riehl, I suspect, would concede at least some of this. His case for Mayer does not rest heavily on the latter’s impact on the science of his day, or his success in formulating a comprehensive and mathematically rigorous notion of energy. For Riehl, rather, Mayer’s importance resides primarily in his philosophical contribution—in having clarified how we should understand the principle of the conservation of energy in the most general sense. Riehl’s perspective on this emerges from discussions of Mayer’s methodology, scientific objectives, and his notion of causality. These discussions are concentrated in Mayer’s Hamburg lectures, and in an important essay, “Robert Mayers Entdeckung und Beweis des Energiepricipes”.

4.1 Methodology As regards methodology, Riehl’s basic claim is that Mayer proceeds from “above” and “below” simultaneously.28 Contra Helmholtz, Mayer does not attempt to generate conclusions on the basis of thought alone; nor does he appeal strictly to

|| 25 Harman 1982, p. 63. 26 Riehl 1900, p. 161. 27 Kuhn 1959, p. 336–337. Noting that it has strongly shaped the contemporary reception of Mayer, Kenneth Caneva disputes Kuhn’s assessment on a number of grounds. On the one hand, he argues, Mayer was not actually significantly influenced by the tradition of Naturphilosophie. More importantly, Mayer does not make the kind of ambitious inference that Kuhn attributes to him. His physiological observations are the basis of a conclusion regarding the equivalence of heat and motion, rather than the “unity of force” (Caneva 2015, p. 278). 28 Riehl 1900, p. 171.

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observation. Instead, Mayer seeks “harmony” between thought and the objective world.29 He postulates general principles in advance and uses these as guides to empirical investigation.30 The most important of these general principles for Mayer is the quantitative equivalence of heat and work, according to which these magnitudes are “transformable one into the other” according to an “invariable fixed proportion”.31 Suggested originally to Mayer by analogy with Lavoisier’s principle of the conservation of matter, according to which matter is conserved across chemical reactions,32 Mayer assumes this principle hypothetically, then seeks the posited value experimentally. Reporting his results in an important paper of 1851, he asserts that the energy required to heat a given quantity of water by one degree corresponds to the force required to raise an equivalent weight to a height of 1200 feet.33

4.2 Scientific Objectives Mayer’s presentation of this result helps to bring his basic scientific objectives into focus. According to Riehl, Mayer’s goal is not to uncover what heat and work are in a deep, intrinsic sense. His intention is rather to capture the relation between them.34 As Mayer himself remarks, in a passage highlighted by Riehl and later by Cassirer: “As soon as a fact is once known in all its relations, it is therein explained, and the problem of science is at an end.”35 Mayer’s use of mathematics can be understood in light of this overarching objective. For Mayer, Riehl explains, we get to know a fact by establishing its quantitative equivalence with other facts.36 Thus, we get to know the essence of heat by showing that a certain expenditure of heat is equivalent to a certain expenditure of work; and we get to

|| 29 Mayer 1886, p. 328. 30 Riehl 1900, p. 176. 31 Mayer 1886, p. 323. 32 Riehl 1900, p. 166; Riehl 1903, p. 24. Despite calling Riehl’s essay on Mayer “one of the most perceptive analyses of Mayer’s work to date”, Kenneth Caneva raises an objection to this claim concerning the genesis of Mayer’s insight into the conservation of energy. According to Caneva, Mayer was not in a position to draw an analogy to the principle of the conservation of matter, because the literature of his day contained “no explicit statements of the conservation of matter”. He arrives at his insights into the nature of force independently of thinking about matter (Caneva 2015, 194–95). 33 Mayer 1886, p. 323. 34 Riehl 1900, p. 181; Riehl 1903, p. 122, 210. 35 Mayer 1886, p. 317. 36 Riehl 1903, p. 210.

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know heat further by establishing additional equivalencies, for instance, with electrical or chemical energy. Riehl provides a Kantian gloss on Mayer’s project by suggesting that it is concerned essentially with appearances, rather than the “Urgrund der Dinge”.37 As such, Riehl suggests, it embodies the spirit of contemporary natural science.38

4.3 Causality In his 1904 essay on Helmholtz, Riehl remarks on the latter’s understanding of the law of causality, the law which states that for every effect there is a corresponding cause. For the early Helmholtz, Riehl says, this principle licenses an inference from perception to an underlying, non-experienced cause of perception.39 From the sensation of blue, we can infer the existence of a blue thing.40 In keeping with the critical tenor of his essay, Riehl points out some problems with this image of causality. Among other things, he notes that it is suspect even on Helmholtz’s own terms. Physiologically speaking, a sensation of blue only indicates an excitation of the nerves; it is not evidence of the existence of a blue thing.41 For our purposes, what is more salient is the contrast between Helmholtz’s theory of causality and Mayer’s, which Riehl regards as the latter’s “grösstes Verdienst” for science.42 For Mayer, Riehl explains, causality is not a relation between essentially different domains, or indeed a relation between different things. Rather, cause and effect represent different forms of appearance of one and the same object: energy.43 To see what this means, consider a standard philosophical example of causality: the collision of two billiard balls. Intuitively, we think of this in terms of an interaction between two different objects. From Mayer’s perspective, however, there is only one object involved: the motive force which appears in the first billiard ball and then reappears as the motive force of the second and as the heat generated by their collision. Another example, closer to Mayer’s frame of reference, would be the process by means of which the animal body generates heat, a process which involves the transformation of chemical

|| 37 Riehl 1900, p. 181. 38 Riehl 2903, p. 123. 39 Riehl 1904, p. 22-3. 40 Riehl 1904, p. 23. 41 Riehl 1904, p. 23. 42 Riehl 1900, p. 172–73. 43 Riehl 1900, p. 173; Riehl 1903, p. 119.

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energy into thermal energy. In both cases, according to Mayer, we see the persistence of the same magnitude throughout the causal process. The energy realized by the effect does not simply agree in quantity with the energy embodied by the cause. It is the energy embodied by the cause.44 Importantly, the idea that energy is conserved across causal processes is not an empirical claim. To follow energy through all of its transformations, Riehl remarks, would be like following a drop of water in the ocean, meaning that we can never be in a position to confirm that energy is conserved across a given causal transaction.45 What emerges from Mayer’s work, instead, is that the idea of energy conservation is a transcendental claim. Objective experience requires that we understand physical interactions in terms of the transformation of invariant magnitudes.46 Consider the situation of the colliding billiard balls again. Perceived on its surface, this is simply a case of successive perceptions, “verschiedene und trennbare Fakta”47. We see one billiard ball in motion, followed by another billiard ball in motion. Once we see this sequence of events in terms of the transformation of an underlying magnitude, however, it takes the form of a genuine casual interaction. The motion of the first ball is now related in a meaningful way with the motion of the second. Hume, famously, arrives at a very different conclusion regarding causality. For Hume, we do not actually experience causal interaction in any instance; hence, we have no real assurance that any apparent casual relationship will persist. The “constant conjunctions” that we perceive in nature are all, at base, contingent. According to Riehl, Mayer effectively solves Hume’s problem.48 Without establishing that any particular type of event will invariably cause another type of event, Mayer provides for an element of real necessity in causal interactions. He establishes that effects are necessarily quantitatively identical with their causes. As noted, this cannot be an empirical claim, since we cannot verify the identity of cause and effect in every instance (and even if we could, we would still have no reason to expect this identity to persist across every future causal interaction, as Hume points out). According to Riehl, rather, the element of necessity flows from the understanding. We experience “ground” and “consequence” as quantitatively identical because our experience is framed in terms of precisely

|| 44 Riehl 1900, p. 173. 45 Riehl 1900, p. 176. 46 Riehl 1900, p. 173; Riehl 1904, p. 125. 47 Riehl 1900, p. 179. 48 Riehl 1900, p. 174; Riehl 1904, p. 125.

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this expectation.49 Before concluding, I want to indicate another way in which Mayer is important for Riehl, namely, in having clearly indicated the limits of the principle of conservation of energy.

4.4 Auslösung For Mayer, as we just saw, causation is a matter of the transfer and transformation of energy. In the course of a causal interaction, energy migrates from cause to effect. In an essay of 1876, Mayer points out that this is not all that causality entails. In addition to the cause, meaning the source of the energy that is realized in the effect, we also have what Mayer calls the Auslösung (or “unloosing”), meaning the occasion for the effect. Thus, in addition to the motive force of the first billiard ball, we also have the act of putting the first ball into motion. In addition to the combustion of gunpowder that sets the cannonball into motion, we also have the act of lighting the fuse. Formally speaking, the Auslösung is distinguished from the cause by virtue of its relation to the effect. Whereas the cause stands in a relationship of strict quantitative equivalence to the effect, the Auslösung bears no quantitative relationship to the effect whatsoever.50 There is no standard of measurement that unites the act of lighting a fuse and the combustion of gunpowder. Relatedly, there is no sense in which the Auslösung in a given causal exchange is conserved.51 We know that the explosion of gunpowder must have been brought about by a cause equivalent in energy; but the explosion tells us nothing about the act that occasioned the explosion, let alone the specific details of how that act unfolded. In short, the effect does not bear the imprint of the initiating act. The upshot of this, for Riehl, is that the principle of the conservation of energy is not exhaustive. While it applies fully to the forces that are involved in causal processes, it does not apply to the contingent events that initiate causal processes. While it captures the form of causal processes, in other words, it does not capture their content. We cannot look to the principle of the conservation of energy to understand why particular events, and not others, actually happen. This insight connects with Riehl’s notion of psycho-physical parallelism in an interesting way. For Riehl, recall, psychic activity does not belong to the physical world in an immediate sense, meaning that it does not participate in the

|| 49 Riehl 1903, p. 125. 50 Caneva 2015, p. 274. 51 Caneva 2015, p. 273.

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interchange of energy that characterizes the physical world. According to Riehl, however, consciousness can indeed affect the physical world. While it cannot influence the quantity of the given, the will can bring about actions that produce real effects on the order of things and events.52 This appears contradictory at first blush. In light of the partition that he erects between psychic and physical being, we may hear Riehl as saying that the physical world is entirely self-enclosed. But this reflects a failure to reckon fully with the meaning of psycho-physical parallelism. For Riehl, psycho-physical parallelism entails that certain physical events proceed in parallel with psychic events – and that part of what it means to be such an event is to embody a complementary psychic aspect.53 Hence, while consciousness cannot affect the physical world directly, it can do so as a necessary part of a process that involves both physical and psychic aspects. Riehl’s take on the idea of Auslösung reflects this theoretical background. From Riehl’s perspective, it is necessary to reckon with the role that psychic activity plays in bringing about real, material changes in the world – because to fail to reckon with it would be to overlook a real aspect of the causal process. Since we cannot say anything meaningful about psychic activity within the framework of energy conservation, however, it is necessary to call upon an essentially different system of explanation. This framework, according to Riehl, is history. In contrast to natural science, which grasps the world in terms of the law-governed interaction of matter and force, history concerns itself specifically with “spiritual behaviour”54. It offers insight into the purposes that motivate actions.55 And not merely retroactive insight: Riehl suggests that the study of Auslösungen may make it possible to formulate genuine “laws” of history, meaning laws that are informative with respect to the “general direction” of events.56

5 Conclusion As we’ve seen, the principle of the conservation of energy touches Riehl’s thinking in a number of important ways. In light of the various connections that have been drawn here, it is possible at this point to summarize what the principle means from Riehl’s perspective. For Riehl, ultimately, the principle of the conservation of energy should be understood as an expression of the form of experience. || 52 Riehl 1894, p. 183; Riehl 1903, p. 144. 53 Riehl 1903, p. 144. 54 Riehl 1913, p. 60. 55 Riehl 1894, p. 344. 56 Riehl 1894, p. 184.

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This means that while it is empirically verifiable, and has its significance strictly within the empirical domain, it does not originate with experience. Instead, it originates with thought, and should be understood in terms of our cognitive interest in achieving an objective, systematic representation of the world. As Riehl shows, it proves extremely successful in this regard. Not only does the principle of the conservation of energy succeed in unifying apparently disparate phenomena; it also provides for the necessity of causal experience, establishing a through line from past to future experience. However, it does not capture reality in its totality. According to Riehl, it cannot tell us anything with respect to the dynamics of consciousness, in the sense of immediate subjective experience. We discovered this first in connection with physiology. Because physiology regards the body in terms of the interplay of different forms of energy, it cannot accommodate what is ultimately a “non-energetic event in nature”57. We encountered this limitation again in the context of causality. Adapting Mayer’s concept of Auslösung, Riehl suggests that psychic processes can exercise a genuine causal influence with respect to the natural world, but that this influence cannot be expressed in terms of the transformation of energy. As we’ve just learned, this does not suggest a dualism of any kind. According to Riehl, the principle of the conservation of energy does not mark out a distinct region of being, standing in opposition to the region of being that is disclosed to immediate subjective experience. Instead, these are two sides of a single coin. They are parallel perspectives on a reality that does not coincide perfectly with either.

References Caneva, Kenneth L. (2015), Robert Mayer and the Conservation of Energy, Princeton: Princeton University Press. Harman, Peter M. (1982), Energy, Force and Matter: The Conceptual Development of NineteenthCentury Physics, Cambridge: Cambridge University Press. Husserl, Edmund/Stein, Edith (2018), “Critique of Theodor Elsenhans and August Messer”, in: Sources of the Ideas, ed. by Andrea Staiti/Evan Clarke, trans. Evan Clarke, Berlin: De Gruyter, p. 449–468. Jackson, Frank (1982), “Epiphenomenal Qualia”, in: The Philosophical Quarterly 32, p. 127–136. Kuhn, Thomas S. (1959), “Energy Conservation as an Example of Simultaneous Discovery”, in: Critical Problems in the History of Science, ed. by Marshall Clagett, Madison: University of Wisconsin Press.

|| 57 Riehl 1903, p. 139.

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Lenoir, Timothy (1982), The Strategy of Life: Teleology and Mechanics in Nineteenth Century German Biology, Chicago: University of Chicago Press. Mayer, Julius Robert (1876), “Ueber Auslösung”, in: Staatsanzeiger für Württemberg, 22nd March, Besondere Beilage Nr. 7, p. 104–107. Mayer, Julius Robert (1886), “The Mechanical Equivalent of Heat”, in: The Correlation and Conservation of Forces, ed. by Edward L. Youmans, New York: D. Appleton and Company. Riehl, Alois (1894), Introduction to the Theory of Science and Metaphysics, transl. by Arthur Fairbanks, London: Kegan Paul, Trench, and Trübner. Riehl, Alois (1900), “Robert Mayers Entdeckung und Beweis des Energieprincipes”, in: Philosophische Abhandlungen. Christoph Sigwart zu seinem siebzigsten Geburstage, ed. by Benno Erdmann et al., Tübingen/Freiburg i. B./Leipzig: J. C. B. Mohr, p. 159–184. Riehl, Alois (1903), Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart, Leipzig: Teubner. Riehl, Alois (1904), Hermann von Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant, Berlin: Reuter & Reichard. Riehl, Alois (1913), „The Vocation of Philosophy at the Present Day”, in: Lectures Delivered in Connection with the Dedication of the Graduate College of Princeton University in October, 1913, ed. by Émile Boutroux/Alois Riehl/A. D. Godley/Arthur Shipley, Princeton: Princeton University Press, p. 45–63.

Matthias Neuber

Riehl’s ‘Objectivist’ Account of Perception Abstract: Riehl’s account of perception will be investigated, the central thesis being that Riehl was an ‘objectivist’ regarding perceptual knowledge. More precisely, Riehl argued from a – Kantian inspired – ‘critical realist’ point of view and thereby demarcated his own stance from any form of idealism. On the whole, it will turn out that Riehl’s particular account anticipated current approaches toward the complex interrelation between perception, realism, and objectivity.

Introduction Alois Riehl is commonly known as a defender of a ‘realist’ reading of Immanuel Kant’s conception of theoretical knowledge. Specifically in the area of perceptual knowledge, Riehl advocated a thoroughly anti-idealist point of view. Apart from questions of Kant exegesis, Riehl, in systematic terms, argued for what Tyler Burge (2009) has recently dubbed ‘perceptual objectivity’. In what follows it will be shown what exactly is implied by such a perspective. To be more concrete, I shall, in section 2, briefly delineate Riehl’s affiliation to the late nineteenth- and early twentieth-century critical realist movement, then, in sections 3 and 4, discuss his theory of perception and perceptual objectivity and finally, in section 5, draw some conclusions regarding the impact of his particular account of perceptual knowledge.

1 Riehl and Critical Realism Among the diverse neo-Kantian currents and ‘schools’, critical realism is the least well-known. As a matter of fact, Alois Riehl was one of its founders and most vehement promoters. To put it generally, critical realism attempted a combination of Kantian criticism and an epistemologically affirmative interpretation of ‘things-in-themselves’. The theory of perception was the pivotal case in point: besides Riehl, critical realists, such as Wilhelm Wundt, Oswald Külpe, or Erich

|| Matthias Neuber, Johannes Gutenberg-Universität Mainz [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-011

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Becher, argued that what is perceived are things and not merely percepts or sensedata. This, in turn, implied that perceptual knowledge be judged under the aspect of its objectivity. However, the critical realists’ brand of realism was not naïve. In contrast to our everyday realist attitude they felt indebted to the Kantian-criticist business of reflecting on the ‘transcendental’ preconditions of perceptual and other forms of knowledge. Thus Riehl, in volume 3 of his seminal Der philosophische Kritizismus (first ed. 1887, second ed. 1926), made it clear that, in point of fact, the critical task has to be settled in advance of the postulation of the realist stance and not the other way round.1 In this sense, the critical realists rejected metaphysics in favor of a science-related form of epistemology. We will see later that, specifically for Riehl, insights from sensory physiology and evolutionary biology proved to be instructive in this regard. Furthermore, in contrast both to idealism and positivism, the critical realists held that perception is presupposed by the very existence of the outer world. More concretely speaking, they assumed that things are perceived through percepts, thereby implying that percepts as such are not the endpoint of the perceptual process. As it will be outlined in the following sections, Riehl developed his objectivist account along these lines. In a nutshell, he assumed that perception is our principal cue to reality and thus the actual origin of objectivity.2

2 Perception and Reality As already indicated, Riehl, in promoting the critical realist stance concerning perception, drew on results both from sensory physiology and evolutionary biology. Being naturalistically motivated in this regard, he at the same time saw a principled borderline between these scientific approaches, on the one hand, and the issue of epistemology, on the other. As he stressed at the very beginning of volume 2 of Der philosophische Kritizismus (first ed. 1879, second ed. 1925), evolutionary biology, in particular, deals with the quid facti-dimension of perception, whereas epistemology is concerned with the quid juris-dimension. Accordingly, both dimensions complement each other without standing in conflict. While the epistemological – Kantian – perspective pertains to questions of validity (Geltung), the biological – Darwinian – perspective has to do with questions of

|| 1 See Riehl 1926, p. 163. 2 For a more extended discussion of Riehl’s account of critical realism, see Röd 2001 and Heidelberger 2007. For critical realism in general, see Neuber 2014.

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genesis (Entstehung).3 On the whole, Riehl’s account of perception combines genuinely scientific with genuinely philosophical hypotheses and arguments.4 Now the crucial starting point of Riehl’s analysis of perception is the assumption of a variety of sense modalities. In his view, the qualitatively distinct and ‘incomparable’ diverse modes of sensory input (sight, touch, taste, etc.) call for a realistic view.5 When, for example, I perceive an apple, this apple might look green, feel more or less hard and taste sweet. As a matter of fact, it is one and the same thing, namely the apple, to which these various sense impressions (Empfindungen) are related. Moreover, Riehl assumes that object perception is not inferential, but rather immediate.6 In volume 3 of Der philosophische Kritizismus, he elaborates on this idea by suggesting that our self-perception is based on direct affections from outside, so that both the self and the outer world are given at one and the same instance and are thus inseparable in the perceptual situation.7 With these considerations on the table, we are in a position to specify what, for Riehl, the perceptual process amounts to. As he sees it, things become perceptually known to us as constant groups of impressions.8 In this regard, he explicitly agrees with David Hume.9 However, unlike Hume, Riehl restricts this decisively empiricist assumption by two constraints: (a) there is a privileged mode of sensory input, namely the impression of touch; and (b) perception is conceptually loaded from the very start. As for (a), Riehl argues that our allegedly primary sensual contact with reality, namely vision, essentially depends on muscular movements of the eye and thus on certain, albeit hypothetical, constellations of getting into touch with things.10 He even goes as far as to assert that the eye itself be conceived as a “Tastwerkzeug”11. At any rate, physiological research into the spatial perception of blind-born persons suggests that Riehl’s assumption of the

|| 3 Or, as Riehl puts it himself: “Keine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung indes reicht an das Problem der Erkenntnistheorie heran; dieses liegt nicht auf ihrem Boden; ein Widerspruch, ein Konflikt zwischen Entwicklungslehre und Erkenntnistheorie erscheint daher völlig ausgeschlossen, und, noch einmal sei es gesagt: das unverständige Wort, Kant sei durch Darwin widerlegt, muß endlich verstummen. Es ist etwas anderes, aus dem Begriff der Erfahrung die Prinzipien der empirischen Erkenntnis ableiten, und die individuelle oder die generische Entstehung der Erfahrung mit Hilfe biologischer Hypothesen untersuchen.” (1925, p. 12). 4 See, in this connection, also Riehl 1883. 5 See Riehl 1925, p. 229. 6 See 1925, p. 231. 7 See Riehl 1926, p. 60. 8 See Riehl 1925, p. 236. 9 See, in this connection, especially Riehl 1908, Ch. 2. 10 See Riehl 1925, p. 236–37. 11 Riehl 1926, p. 58. For a similar point of view, see Katz 1925.

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priority of haptic impressions is empirically adequate.12 As for (b), Riehl claims – and here the Kantian element comes into play – that the assumption of a ‘pure’, or better, brute perception is illusory. On his account, perceptual knowledge is perceptual knowledge because it is informed by interpretative concepts.13 This, in turn, implies that any form of ‘direct’ realism is doomed to fail. According to Riehl, the objects of perception are functions of the conscious unit (“Einheit des Bewußtseins”)14. To be sure, Riehl does not intend to submit that the objects of perception are literally created by the perceiving organism. However, as he sees it, perceptual objects result from the interplay of sensory data, which guide us in perception, and their conceptual interpretation. The things-in-themselves remain unaltered by this process, since the respective perceptual objects are functions of the conscious unit. Roy Wood Sellars, another (though American) critical realist made exactly the same point by stating that “[b]eing known, that is being an object, happens to entities and does not affect them, for it is a function of the knower”15. Accordingly, a distinction must be drawn between objects and things. While things are that to which the perceiving organism is immediately directed, objects are the product of the conceptually informed perceptual process. In this sense, it is us who – again in Sellars’s terms – “make things objects”16. Riehl himself draws in this connection on the Kantian dichotomy of things-in-themselves and appearances.17 However, in contrast to Kant, he takes it that appearances assist us in deciphering the corresponding things-in-themselves.18 Hence his plea for realism. On the other hand, Riehl rejects naïve or direct realism, according to which perceptual objects, which are equated (resp. confused) with things-inthemselves, literally enter our consciousness.19 For Riehl, perceptual objects, though known non-inferentially, are conceptually interpreted from the very beginning. Therefore, realism in his opinion must be critical, i.e., reflective as to the

|| 12 See, for example, Nelson et al. 2018. 13 Thus he claims: “Der entwickelte Mensch hat gar keine reine, sondern stets eine begrifflich gebildete Wahrnehmung.” (1925, p. 248) 14 Riehl 1925, p. 238. 15 Sellars 1922, p. 23 (emphasis in original). 16 Sellars 1927, p. 507. 17 See Riehl 1926, p. 164–65. 18 In his own words: “[I]n der Beständigkeit und Gleichförmigkeit der Bedingungen, unter denen bestimmte Empfindungen gegeben werden, gibt sich die Wirksamkeit dessen, was außer uns real ist, zu erkennen. Diese von unserer Vorstellung unabhängige Gesetzlichkeit der Erscheinungen bildet den realen Inhalt der Erfahrung, dasjenige, was wir mittels der Erscheinungen von den Dingen selbst erkennen.” (1926, p. 165; emphasis added) 19 See Riehl 1925, p. 3.

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‘logical’ preconditions of the perceptual process. Moreover, the phenomenon of language enables human animals to intersubjectively communicate their perceptual experiences.20 Accordingly, perceptual objectivity apparently depends on the use of linguistically fixed concepts (“sprachlich fixierte Begriffe”)21. Yet how, it might be asked, can objectivity be postulated at the level of conceptually interpreted perception without buying in conceptual relativism and its anti-realist implications? It is this question that will be addressed in the remainder of this paper.

3 Perceptual Objectivity In his article “Perceptual Objectivity” from 2009, Tyler Burge defines ‘perceptual objectivity’ as “the veridical representation of a mind-independent reality”22. This might sound simplistic but, in point of fact, it really helps to better understand the critical realist approach defended by Riehl. For, according to Riehl, the origins of objectivity have to be located already at the level of mere sense impressions.23 To be sure, according to him, sense impressions need to be distinguished from perceptual experiences.24 However, both sense impressions and experiences form part of one and the same perceptual process. The main difference is that experiences, in contrast to sense impressions, are for Riehl an evolutionary product of social interaction.25 This is where Riehl and Burge deviate from each other. While Burge associates perceptual objectivity with certain psycho-perceptual constancies26 and thus locates it in the pre-conceptual and pre-social domain,27 Riehl opines that objectivity is, as it were, prepared by sense impressions but actually becomes relevant not earlier than at the level of reflective, conceptual and

|| 20 See Riehl 1926, p. 248–49. 21 Riehl 1925, p. 249. 22 Burge 2009, p. 285. 23 He points out: “Statt von einer anfänglichen reinen Subjektivität der Empfindungen auszugehen, welche nicht besteht, und nach einer Erklärung zu suchen, wie sie objektive Bedeutung erlangt haben könne, hat man umgekehrt mit der Objektivität, welche die Empfindung für das sinnliche Erkennen besitzt, zu beginnen und zu zeigen, wie sie dagegen für das reflektierende Erkennen die Bedeutung einer Wirkung des Objektes annehmen kann, also die unmittelbare Objektivität mit einer mittelbaren vertauscht.” (1926, p. 55). 24 See Riehl 1926, p. 61–63. 25 See Riehl 1926, p. 64. 26 See Burge 2009, p. 318. 27 See Burge 2009, p. 291: “Philosophy can make objective representation intelligible without requiring it to be associated with linguistic or generalized conceptual abilities. Objective representation is fully present in perception.”

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therefore social understanding. According to Burge, Riehl’s account (which he obviously doesn’t know) would be “high-handed and hyperintellectualized”28. In his view, [m]any neo-Kantians hold that animals have only sensitive reactions to the physical world that function for their own good. Animals are held to lack perception of, and as of, specific physical entities because they lack required conceptual capacities.29

As for the “neo-Kantian” Riehl, the issue is more complex than suggested here by Burge. To be sure, animals do not possess an understanding of objectivity but, according to Riehl, their actual perceptual behavior can be reconstructed along ‘objectivist’ lines.30 Thus Burges’s “veridical representation of a mind-independent reality” holds also true for animals in Riehl’s conception. But at the same time Riehl distinguishes between objective perception, on the one hand, and perceptual objectivity, on the other. Whereas objective perception is fulfilled whenever a (human or non-human) perceiving organism gets things right (or accurately represents them), perceptual objectivity is, according to Riehl, a socio-cultural achievement. Burge draws this distinction as well.31 But in contrast to Riehl, he takes perceptual objectivity to be ascertainable independently of language and conceptual infiltration.32 Now apart from the differences between Riehl’s objectivist account of perception and the one defended by Burge, we should draw our attention to Riehl’s accentuation of the social aspect of perceptual objectivity. As already outlined, for Riehl sense impressions are an essential presupposition of attaining a veridical representation of a mind-independent reality. This is so because already at the level of sense impression the perceiving subject gets in immediate contact with the outer world. However, concepts are needed to become aware of the fact that the object of perception and thus the appearance is not private but needs to be related to the mind-independent existing thing. Since concepts are the product

|| 28 Burge 2009, p. 298. 29 Burge, 2009, p. 296. 30 See esp. Riehl 1926, p. 54–55 and 60–61. 31 Thus Burge explicitly states: “It is important to distinguish the project of explaining minimal constitutive conditions of objective representation of the physical environment from the project of explaining constitutive conditions necessary for our conception of mind-independent entities as mind-independent. The second project is that of explaining conditions for our conception of objectivity.” (2009, p. 296; emphases in original). 32 See in this context especially his detailed critique of the (“neo-Kantian”) positions defended by Strawson and Evans in Burge 2010, Ch. 6 as well as his critique of Quine and Davidson in Burge 2010, Ch. 7.

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of the conscious unit and the conscious unit itself develops out of the intercourse of thinking with others (“Denkverkehr mit anderen”), it may be claimed that Riehl is postulating a ‘social a priori’ here. This means that the conscious unit has transcendental status.33 To sum it up so far, perception consists for Riehl in the interplay of sense impressions and concepts, and concepts are in his view that which is actively contributed by the conscious unit. Going one step further, experience might be said to have perception as its essential component. Or, to put it the other way round: perception culminates in experience and thereby gets ‘objectivized’. To be more precise, according to Riehl, the contact with reality becomes established by the perceptual process, while the objective validity of perceptual knowledge (or experience) is achieved by cooperative acts of conceptual interpretation (and integration).34 Scientific research is for Riehl the natural continuation of this fundamental quest for perceptual objectivity.35 However, at this point we must come back to Burge once again. In view of the latter’s account there is no danger of conceptual relativism, since perceptual objectivity according to him is free from conceptual infiltration. But how, if at all, does Riehl (who strongly focuses on concepts) circumvent the relativistic threat? As a first approximation, it is instructive to take a look at Riehl’s critical discussion of idealism. In this very context, he anticipates the confrontation with a form of thought that was later dubbed “the ego-centric predicament” by the American neorealist Ralph Barton Perry.36 Riehl begins his discussion with the idealists’ observation that it would be contradictory to think of unthought things.37 Thus, the idealist assumes that all the things we actually perceive are dependent on our thinking and therefore have the status of ideas (Vorstellungen). Riehl rejects this assumption and argues that ideas get constrained by sense

|| 33 Or, as Riehl himself puts it: “Die Bedingungen also, unter denen mein Denkverkehr mit anderen steht und ein daraus hervorgehendes allgemeines Bewußtsein allein möglich ist, sind zugleich die Bedingungen, unter denen die Gegenstände der Erfahrung stehen müssen, weil der Begriff eines solchen Gegenstandes erst aus der Beziehung der Wahrnehmung, die für sich genommen jederzeit individuell ist, auf jenes allgemeine Bewußtsein entspringt.” (1926, p. 67). 34 He writes: “Die Erfahrung steht unter dem Gesetz der Einheit des Denkens, als ihrem obersten Grundsatze. Wahrnehmung und Begriff wirken in ihr zusammen, – und zwar erhält die Erfahrung durch das, was in ihr zur Empfindung und Wahrnehmung gehört: Realität, durch das Begriffliche in ihr, die Beziehung der Wahrnehmungen auf ein allgemeines Bewußtsein: Objektivität.” (1926, p. 68–69; emphases in original). 35 See Riehl 1926, p. 69. 36 See Perry 1910. 37 See Riehl 1926, p. 134.

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impressions.38 It is this very form of constraint which, according to Riehl, immediately suggests the conception of a mind-independent reality. What is more, for Riehl, the Cartesian cogito ergo sum needs to be supplanted by the more accurate slogan cogito ergo sum et est.39 That is, Riehl opines that consciousness (Bewußtsein) precedes, both logically and psychologically, self-consciousness (Selbstbewußtsein). In other words: Without ‘outer’ perception there can be no ‘inner’ perception. Riehl’s principal case in point in this regard is the development of perception in infancy.40 The rejection of idealism finds some support by Riehl’s anticipation of the currently fashionable notion of an embodied mind.41 Idealism, he maintains, is based on the fiction of a bodyless transcendental ego.42 The assumption of an outer world is supplanted by the transcendental ego’s world of ideas. However, in Riehl’s view, John Locke was entirely on the right track when he assumed that the reality of the outer world is as certain as our pleasure and pain, our happiness and misery.43 Passions, interests, and intentions pertaining to our bodily condition unavoidably determine us in our perceptual access to the world. This, in turn, implies for Riehl that perception as such is driven by the organism’s need of adaptation in an environment.44 Though being guided by interpretative concepts, the perceptual process depends essentially on sensorimotor capacities of the embodied mind. Accordingly, concepts, if they shall fulfill their guiding function, must accord with the perceiving organism’s situatedness in the surrounding world. Otherwise, the quest for objectivity would run into nothing. As it appears, conceptual relativism is effectively ruled out by this maneuver: empirical concepts serve not as (culturally variable) instruments of ‘world-making’, but rather as worldly-based means of effecting perceptual invariances in an environment.

|| 38 Riehl writes: “Gedanken erregen nicht die Sinne. Ich darf also eigentlich nicht sagen, daß ich das Sein denke. Denn das Sein ist kein Bestandteil irgendeiner Vorstellung: es wird empfunden, gefühlt, erlebt, nicht vorgestellt oder erdacht. Und so finden wir uns in der Frage der Existenz der Dinge auf die sinnliche Erfahrung zurückgewiesen, welche, wie gezeigt worden ist, keine wahren Anknüpfungspunkte für die idealistische Hypothese darbietet.” (Riehl 1926, p. 135; emphasis in original). 39 See Riehl 1926, p. 138; emphases in original. 40 See Riehl 1926, p. 139. 41 See, most paradigmatically, Chemero 2009. Note, however, that Chemero, in contrast to Riehl, defends an entirely nonrepresentational approach. 42 See Riehl 1926, p. 149 43 See Riehl 1926, p. 147. For Locke’s claim, see Locke 1690, Book IV, Ch. xi, § 6. 44 See Riehl 1926, p. 152–53.

Riehl’s ‘Objectivist’ Account of Perception | 247

However, the actually decisive point for Riehl is what he explicitly calls the social proof of the reality of the outer world (“Der soziale Beweis der Realität der Außenwelt”)45. As he sees it, perception of the outer world is not an individual, but a social phenomenon.46 More precisely, Riehl assumes that not only idealism but also conceptual relativism can be refuted by reference to altruistic feelings in human animals. What exactly does this mean? First and foremost, it is important to note that, according to Riehl, the existence of other human bodies is not inferred, but (like the existence of inorganic bodies) immediately perceived.47 On this very basis, the empathy with other psychic creatures (“Mitempfindung eines anderen psychischen Lebens”)48 rises and develops. Accordingly, for Riehl, the very existence of altruistic feelings ‘in’ us proves the existence of human fellows ‘outside’ us.49 What is more, the reflection on the psychic states of others inherently forms part of the transcendental conscious unit.50 As we have already seen, the transcendental conscious unit lies at the bottom of Riehl’s idea of objectivity. By enriching it with altruistic feelings the latter become part of the whole argument. Altruism thus is a fundamental presupposition of attaining objectivity.51 It is obvious that Riehl’s “social proof” is all but “hyperintellectualized”. In point of fact, it is rather down-to-earth. In contrast particularly to Kant, Riehl attempts a refutation of idealism by relying on socio-psychological factors. There can be no doubt that this indeed is very far away from Kant’s original doctrine. Especially the mixing-up of transcendental and empirical aspects would have provoked Kant’s opposition. But be that as it may, there remains the question of how the “social proof” helps to prevent the relativistic threat. Borrowing a phrase from Donald Davidson,52 one might say that Riehl is arguing in terms of a triangulation: according to him, there obtains a three-fold interdependence between knowledge of oneself, knowledge of others, and knowledge of the external world. || 45 Riehl 1926, p. 156; emphasis in original. 46 In his own words: “Die Wahrnehmung der Außenwelt ist kein individuelles, sondern ein soziales Phänomen.” (Riehl 1926, p. 142). 47 See Riehl 1926, p. 159. 48 Riehl 1926, p. 159. 49 In his own words: “die bloße Existenz altruistischer Gefühle in uns beweist die Existenz der Mitmenschen außer uns.” (Riehl 1926, p. 160; emphasis in original). 50 See Riehl 1926, p. 155. 51 Again in Riehl’s own words: “Durch die intersubjektiven, oder wie sie auch heißen: altruistischen Gefühle, ist von vornherein eine gegenseitige Verbindung zwischen dem eigenen Bewußtsein und dem unseres Nächsten hergestellt. […] Von den äußeren Zeichen der Gemütsbewegungen, die wir wahrnehmen, gehen wir sofort zu dem, was sie bezeichnen, über. […] Die objektive Welt ist die Welt unserer gemeinschaftlichen Wahrnehmung.” (Riehl 1926, 159–60). 52 See Davidson 1991.

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In the case of perception, the triangulation prevents a conceptual relativization from the very beginning because concepts here are needed to establish a reliable means of joint attention and an effective strategy of environmental adaptation. Since our knowledge of others, according to Riehl, is grounded on altruistic feelings and these altruistic feelings at the same time form part of the transcendental conscious unit, our individual perceptual access to the world becomes objectified not merely by the perceiver’s veridical representation of the perceived thing but by the more complex interrelation of the perceiver’s veridical representation of the perceived thing and his or her connectedness to the community of possible other perceivers.53 Consequently, perceptual objectivity paradigmatically illustrates the idea of a triangulation.

4 Concluding Remarks In the present paper I have reconstructed Riehl’s account of perception against the background of his idea of objectivity. I focused on the problem of conceptual relativism and discussed Riehl’s two major arguments in this connection: the argument from embodiment and the argument from altruism. Both arguments have relevance for current discussions in epistemology as well as in philosophy of mind. However, the argument from altruism needs some final comments. It appears plausible to see in Riehl a precursor of current social epistemology in the vein of Alvin Goldman.54 Yet the idea of a ‘social self’, as it appears in the context of the Riehlian “social proof”, is also very in step with contemporary pragmatism, especially as it manifests itself in Charles Sanders Peirce (and later in George Herbert Mead).55 It is therefore all the more astonishing that Riehl explicitly and vehemently rejects pragmatism.56 One might ask: why? My conjecture is that Riehl actually did not know the work of Peirce. At any rate, his critical discussion of pragmatism pertains exclusively to the variant defended by William James.57 A

|| 53 Thus Riehl points out: “Von eben demselben Dinge, von welchem mein Bewußtsein in der Wahrnehmung sich abhängig findet, denke ich jedes andere wahrnehmende Bewußtsein in gleicher Weise abhängig, wodurch meine Wahrnehmung, die schon für sich genommen Realität einschließt, überdies objektive Bedeutung erlangt.” (Riehl 1926, p. 154–55). 54 See Goldman 1999. 55 According to Cheryl Misak, “the idea of the social self is at the heart of Peirce’s view of reasoning” (Misak 2013, p. 130–31). 56 See Riehl 1919, p. 212–19. 57 Like so many other German-speaking critics, Riehl reduced the pragmatist idea to James’s ‘cash value-account’ of truth. In the fifth edition of his introduction to contemporary philosophy,

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comparison of Riehl and Peirce, though, would be worthwhile, but cannot be pursued here.

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|| he complains: “Der Pragmatismus ist keine neue Philosophie und keine neue philosophische Methode. Er ist eine neue Methode, die Philosophie abzudanken, abzuschaffen.” (Riehl 1919, p. 217). And he polemically adds: “Versuche, ihn [pragmatism] auch bei uns zu importieren, hatten nur geringen Erfolg, eher hätten wir selbst auch von diesem Artikel exportieren können, und dazu noch in besserer Qualität (‘made in Germany’).” (Riehl 1919, p. 218) Note that World War I had ended just the year before.

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Röd, Wolfgang (2001), „Alois Riehl. Kritischer Realismus zwischen Transzendentalismus und Empirismus“, in: Bausteine zu einer Geschichte der Philosophie an der Universität Graz, ed. by Thomas Binder et al., Amsterdam/New York: Rodopi, p. 117–134. Sellars, Roy Wood (1922), Evolutionary Naturalism, Chicago: Open Court. Sellars, Roy Wood (1927), “Current Realism in Great Britain and United States”, in: The Monist 37, p. 503–520.

Luca Oliva

Kantian Externalism from Riehl to Putnam Abstract: In the first Critique, the object of cognition bears a double meaning, namely, appearance or something in itself. Kant limits our cognition to appearances only, leaving the thing in itself as something actual for itself but unknowable for us (B XX). I aim to understand these claims by analyzing Kant’s references to the mind-independent reality, such as things-in-themselves, noumena, and transcendental objects, through Lehrer’s definition of externalism. These references, I argue, have (a) a cognitive and/or (b) an ontological meaning, which the phenomenalist (e.g., Allison, Feder-Garve, Guyer, Van Cleve) and the non-phenomenalist (e.g., Strawson, Langton, Allais) readings, including Riehl’s, fail to recognize. The (a)’s point of view implies one object and two aspects of it (e.g., phenomenon-noumenon), whose relation lies in the internal correspondence. The (b)’s point of view assumes two distinct objects (e.g., internal and external objects) and their causal relationship. Riehl corrects the assumption that the relations of sensations are not themselves sensed and thus argues (together with Kemp Smith) for an unrestricted version of Kantian externalism. He also proposes his version of realism, defending the existence and the knowability of things-in-themselves. Central to his proposal are the notions of (a) monad (Leibniz), which Riehl identifies with Kant’s particulars, and (b) sensation, which allows for indirect knowledge of extramental things. Finally, I face the challenges of Putnam’s internalism, which compares Kant’s cognitive philosophy with the hypothesis of brains-in-a-vat. There, external correspondence or proper causation don’t apply. Although the Kantian notion of truth departs from the classic correspondence and evolves into a coherentist account, Kant retains extramental input data (e.g., external references). Hence, I argue for indirect correspondence that could save a minimalist but irreducible version of Kantian externalism.

The Question The question of Kantian externalism prima facie  looks pointless. On the one hand, externalism lacks a clear definition. Instead, it labels a cluster of various

|| Luca Oliva, University of Houston [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-012

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theories that prioritize external elements for epistemic justification. On the other hand, Kant’s scholars disagree on what externalism means (if anything) in his philosophy. For many of them, the first Critique’s idealist framework can hardly yield realism at the empirical level. Their shared belief is quite the opposite. Abela perfectly describes the impasse. “Kantian appearances are mind-dependent in a way that effectively excludes empirical realism from being accepted as a genuine form of realism.” (Abela 2000, p. 1). This belief is well-grounded for a variety of reasons. Two of them seem especially compelling. First, Kant strictly limits our cognition to appearances. “The word “appearance” (Erscheinung) itself is usually enough to scare off even the most well-intentioned realist. Add to this the idea that space and time are mere forms of intuition, and the (apparently) constructivist character of Kant’s account of synthesis, and the door seems firmly closed to any realism worthy of the designation.” (Abela 2002: 1). Second, Kant1 develops an account of truth based on internal coherence. He describes reason as a perfect unity (A XIII) that autonomously yields the principles of our cognition. [The] pure speculative reason is, in respect of principles of cognition, a unity entirely separate and subsisting for itself, in which, as in an organized body, every part exists for the sake of all the others as all the others exist for its sake, and no principle can be taken with certainty in one relation unless it has at the same time been investigated in its thoroughgoing relation to the entire use of pure reason. (B XXIII)

Hence, the justification of cognition is an internal affair of our understanding. Kant clarifies that even sensibility has no external validity of any kind, including its forms of space and time (A 27/B 43). The bounds of sense are strictly normative. Sensibility is no condition of things, but only of their appearances. The sensible forms of our cognition (i.e., the spatiotemporal intuitions) have external ideality and only internal reality. The textual evidence is overwhelming (A 26–30/B 42–45; A 32–49/B 49–72). If anyone can still doubt that Kant left no room for externalism, his conception of space and time will quickly resolve any dispute. Space and time are axiomatic sources for geometry and arithmetic (A 24/B 40–1; A 161/B 201–2). Kant’s defense of internal coherentism cannot afford to exclude them. Roughly put, mathematics represents the reference model for apodictic and synthetic cognitions (e.g., the a priori knowledge), which Kant claims to be his final aim (B 19).

|| 1 Immanuel Kant, Critique of Pure Reason (Cambridge 1998). The A-edition appears in 1781, and the B-edition follows in 1787. The publisher of both the editions is Johann Friedrich Hartknoch (Riga).

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Kant’s solution is brilliant but antirealistic. He denies any absolute (and thus external) reality to space and time. In this way, space and time are neither self-subsisting entities (as Newton thought) nor entities inhering to things in themselves (e.g., relations among things, as Leibniz thought). On the contrary, Kant reduces them to internal forms of our sensible intuitions, which are entirely consistent with his internal coherentism (A 39–40/B 56–7). Accordingly, space comprehends all things that may appear to us externally, but nothing in itself (ibid.). Space is real (and thus has objective validity) about everything that can come before us externally as an object, but concerning things when they are considered in themselves (i.e., dismissing our sensibility) space is only ideal (A 27–8/B 44). The same holds for time. If it’s abstracted from our peculiar way of representing objects and turned to things in general, time is no longer objective (A34–5/B 51). Kant restricts the objective validity of time to appearances alone (e.g., the objects of our senses). The empirical reality of space and time strictly pertains to appearances and not things as they are in themselves, which consequentially remain unknown and their properties unknowable. Is it already the end of the story? Perhaps, but Kant talks about external objects in a variety of ways. Most notable is his rejection of classic idealism in the Aesthetic. As Kant regards its general notion, idealism denies any strict proof of (a) the reality of outer objects, which are reduced to illusion. It exclusively grants (b) reality to the object of our inner sense (myself and my state) as immediately clear through consciousness. Kant counterargues that both (a) and (b) belong to appearance alone, which always has two sides, the object in itself and the object for us (A 38/B 55). His reasoning betrays a minimalist version of externalism, according to which every appearance performs a specific function from things in themselves to our mind. In a personal note added to the A-edition (1781), Kant claims, “The necessity of the relation of our propositions to something external is a proof of the real connection in which we stand with external things; against idealism.” (A 24/B 38b = AK 23: 20). Another personal annotation clarifies, “Pure idealism concerns the existence of things outside us. Critical idealism leaves that undecided, and asserts only that the form of their intuition is merely in us.” (A 29/B 44f. = AK 23: 23) These notes, together with the changes in the B-edition, especially the B-Deduction (B 129-69) and the Refutation of Idealism (B 274–9), reveal Kant’s ongoing distancing from any idealism after the criticism of the first readers, such as Garve (1782). Reduced to its essential, the Refutation argues that we must assume something persisting in all the changes of the same object. This thing is a theoretical entity that my mind postulates as an external reality to ascribe all alterations of

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an object to that object. Otherwise, the different mental states of a single object would look like different objects, and the alteration itself would remain incomprehensible. The argument is perhaps weak and ultimately unconvincing but it nonetheless shows Kant’s commitment to externalism, namely the existence of a thing in itself as the true correlate of appearance (A 30/B 45). Some neo-Kantian readers (Fries, Beneke, Lange, Helmholtz, Herbart, Riehl, among others) proposed an empiricist, although heterogeneous, reading of the first Critique, which primarily relied on the B-edition. Recent scholars (Strawson, Langton, Allais, Abela) have similarly developed a realist-empiricist reading. They have adopted different strategies to defend an externalist account of Kant. All of them have tried to defend it, but none has attempted to emend it. Unlike them, Riehl believes that a defense of Kantian externalism must first disambiguate the notion of sensation, which Kant restricts to the content-matter of the object of our cognition. Riehl instead argues for an unrestricted version of affection that includes the specific content-form of the cognitive object. The relations of sensations, their determined coexistence and sequence, impress consciousness, just as do the sensations. … In these respects, there is no difference between the matter and the form of appearance. (Riehl 1879, p. 78)

Roughly put, Riehl argues that sensations deriving from things-in-themselves introduce irreducible particulars into our mind as the correlate of intuitions. These individualities afterward go through mental conceptualization that results in our cognition. However, Riehl objects that a bunch of scattered particulars provides no knowledge unless an individual intuition also grasps their unifying relationship. Nevertheless, the first Critique’s B-edition doesn’t solve but rather opens the dispute over Kantian externalism. In the B-Preface, Kant states the question with these claims, “the object [of cognition] should be taken in a twofold meaning, namely as appearance or as thing in itself” (B XXVII). Moreover, our “cognition reaches appearances only, leaving the thing in itself as something actual for itself but uncognized by us.” (B XX) As Kemp Smith comments, “If the a priori concepts have a mental origin, they can have no validity for the independently real.” (Kemp Smith 2003, p. 19). The supersensible remains uncognizable. However, it must be somehow admitted as something actual, “otherwise there would follow the absurd proposition that there is an appearance without anything that appears” (B XXVI). Things-in-themselves must at least be thinkable.2 || 2 For some readers, such as Riehl and Kemp Smith (among others), the reason for this ambiguity lies within Kant’s moral motivations. To save religious faith, he postulated a noumenal realm

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In what follows, I aim to understand these claims. First, I clarify the expression “externalism” and explain why the Kantian version falls within Lehrer’s definition (I). Second, I analyze Kant’s references to the mind-independent reality (i.e., things-in-themselves, noumena, and transcendental objects), which he employs throughout his transcendental idealism (II). These references have a (a) cognitive and/or (b) an ontological meaning, which the phenomenalist (e.g., Allison, Feder-Garve, Guyer, Van Cleve) and the non-phenomenalist (e.g., Strawson, Langton, Allais) readings, including Riehl’s, fail to recognize. The (a)’s point of view implies one object and two aspects of it (e.g., phenomenon-noumenon), whose relation lies in the internal correspondence. The (b)’s point of view assumes two distinct objects (e.g., internal and external objects) and their causal relationship (III). Then, I turn to Riehl’s criticism, which corrects the assumption that the relations of sensations are not themselves sensed and thus argues (together with Kemp Smith) for an unrestricted version of Kantian externalism (IV). Riehl also proposes his version of realism, defending the existence and the knowability of the things-in-themselves. Central to his proposal are the notions of monad (Leibniz) and sensation (Kant). Riehl identifies monads with Kant’s particulars (i.e., individual empirical intuitions) and analyzes their sensations to derive knowledge of extramental things (V). Finally, I face the challenges of Putnam’s internalism, which compares Kant’s cognitive philosophy with the hypothesis of brains-in-a-vat. There, external correspondence or proper causation don’t apply (VI). Although the Kantian notion of truth departs from the classic correspondence and evolves into a coherentist account, Kant retains extramental input data (i.e., external references). Hence, I argue for indirect correspondence that could save a minimalist but irreducible version of Kantian externalism (VII). Before I start, two brief premises are necessary. First, with the expression Kantian externalism, I don’t mean that Kant’s first Critique represents an instance of epistemic externalism. That would be a mistake. Quite the contrary, Kant’s coherentism offers perhaps the first valid alternative to the theory of truth as correspondence since Aristotle (Putnam 1981, p. 56). Nevertheless, his internalism harbors, so I argue, a minimalist version of externalism. This latter alone is at issue here. Coherentism and correspondence might not be at odds in Kant. After all, even a brain-in-a-vat has inputs. Second, externalism exclusively pertains to empirical cognition. Since parts of the first Critique are about mathematical know-

|| completely distinct from phenomena. Although this reading is consistent with Kant’s arguments, I believe it’s ultimately misleading. Kant’s most reliable motivations are cognitive. Sharing them doesn’t necessarily imply religious views.

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ledge, which is strictly constructivist and thus internalist, externalism doesn’t entirely concern the Kantian notion of cognition.

1 Two Shades of Externalism Throughout this paper, I restrict externalism and internalism to justification alone. Hence, I exclude other relevant contexts, such as moral motivation, reasons, mental content, and semantics. Further, I assume knowledge as justified true belief and suspend Gettier-like cases. As one restricts the question to justification alone, the knowledge of x implies that one is justified to believe the propositional content of that knowledge (i.e., x). However, what does justify my (true) belief? My belief relies on some justification (justified thing). All of the justified things form my knowledge base. The epistemic status of my beliefs depends on it. How do I form such a knowledge base? Epistemologists answer this question by placing all the justifying elements into two groups: the internal and external sources of justification. We can, therefore, analyze the concept of epistemic justification internally or externally. The externalist argues that somehow all reliable sources of knowledge are external. The internalist counterargues that all of them are rather internal. “The internalist,” explains Chisholm, “assumes that merely reflecting upon his own conscious state, he can formulate a set of epistemic principles that will enable him to find out, with respect to any possible belief he has, whether he is justified in having that belief.” (Chisholm 1989, p. 76)

The externalist might well accept the internalist perspective, but she would further it. For example, although it can very well be the case that P is true, a fortuneteller who exclusively relies on tarots,3 has, strictly speaking, no knowledge of P.

|| 3 A fortune-teller believes the tarot cards because they always predicted future events successfully. However, is she justified in believing that these events are also the case? Externalists would contend so. Internalists would disagree. The foreteller fails to have access to the reasons that justify her belief. Why are the tarots reliable? She has no evidence (justification) for it. The act of justifying (accessing the reasons) is missing. A belief is justified through a justifying act, which is unavailable to the tarot-reader. Imagine that the tarots say, “Franz is a murder” (P). Our foreteller has (a) the propositional justification for believing P, i.e., the cards are her reason. Nevertheless, she lacks (b) the doxastic justification for P, namely relevant reasons for a proper justification.

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(a) If you have any reason(s) to believe P, you are propositionally justified in believing P. Therefore, you have a justified belief. (b) If you have relevant reason(s) to believe P, you are doxastically justified in believing P. Therefore, you have a justifiable belief. The (a) case includes the (b) case since, among all reasons, are the relevant or intrinsic ones. P is, therefore, propositionally justified for both (a) and (b). But it’s doxastically justified (well-founded) only for (b). Internalists accept only doxastic justification, according to which the believing itself is coherently (i.e., intrinsically) justified, whereas externalists have no such restriction. Some externalists accept a justification only if it prevents beliefs from being accidentally true. For them, justification is truth-conducive. The access to your (internal) knowledge base doesn’t prevent a belief justified on that base from being accidentally true. Two definitions of externalism follow. Here is Chisholm’s version of them. S is externally justified in believing p (A) if the process by means of which S was led to believe p is reliable (Reliability Definition) (B) if S believes p; and p’s being true is the cause of S’s believing p (Causation Definition)4 Objections to (A) and (B), including their replies, are not my current purpose.5 Reliability and causation, in the broader sense of Chisholm, are, on the contrary, central to the notion of Kantian externalism that I examine here. As Lehrer remarks, externalism represents a very plausible sort of account of perceptual knowledge. The history of my belief could certainly be “a matter of external causation, rather than coherence with some internal system, that yields knowledge” (Lehrer 2000, p. 177). Throughout the paper, I hold that Kantian externalism (whatever it means) fits within Lehrer’s definition of externalism, as stated below.

|| 4 Chisholm further identifies two kinds of causation. “The locution, ‘A causes B,’ may be taken in two quite different ways – (1) as telling us that A is the cause of B or (2) as telling us that A contributes causally to B (that A is one of the causal factors that lead to B).” (Chisholm 1989, p. 82). 5 See Goldman 1967, Putnam 1982, Chisholm 1989; Cruz/Pollock 1999, Williamson 2000, Lehrer 2000.

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The central tenet of externalism is that some relationship to the external world accounting for the truth of our belief suffices to convert true belief to knowledge without our having any idea of that relationship. It is not our conception of how we are related to a fact that yields knowledge but simply our being so related to it. (Lehrer 2000, p. 177)

There are two shades of externalism. The paler shade contends that at least one element of justification is external. The brighter shade maintains that the external element(s) is(are) the most relevant. Disagreements about Kant concern precisely the relevance of externalist elements in his cognitive philosophy, which Riehl has furthered beyond Kant’s restrictions. The paler shade of externalism characterizes Kant’s cognitive perspective, recognizing one object of cognition and two aspects of it. The brighter shade suits better his metaphysical perspective, which assumes two kinds of things, namely the mind-dependent and the mind-independent reality.

2 Kantian Externalism We have a human reading of reality, which we like to take for reality itself. Other readings are certainly possible, but not available to us. Kant even suggests that whoever looks like us mirrors our reading, precisely as we reflect hers. Our reading represents our reality. We publicly believe and share it. We can also justify our beliefs, which we often doubt and correct according to a better theory or a fairer morality. What’s so troublesome about this story? Our reading is obviously ours. It represents reality for us, not for itself. Nevertheless, this conclusion puzzles readers because Kant defends it in the A-edition of the first Critique (1781). Roughly put, his defense argues that (a) during the experience, something affects our senses and thus appears in our sensation; (b) the objects of our experience are, accordingly, appearances; (c) beyond the boundaries of our sensible experience we suppose unknowable things in themselves; (d) we can, therefore, cognize mind-dependent objects alone, namely objects for us; (e) however, we can think of things as they are in themselves in terms of noumena. Further, space and time are a priori forms of our sensible intuitions,6 which impose spatiotemporal (i.e., structural) properties on the objects of

|| 6 Notice that space and time are not only forms of sensible intuitions, but also representations of an infinite magnitude (see A 25/B 40 and A 32/B 48).

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our cognition. These claims support Kant’s cognitive view, also known as “transcendental idealism” (hereafter, TI). Here is an accurate definition of it.7 I understand by the transcendental idealism of all appearances the doctrine that they are all together to be regarded as mere representations and not as things in themselves, and accordingly that space and time are only sensible forms of our intuition, but not determinations given for themselves or conditions of objects as things in themselves. (A 369)

The question of Kantian externalism pertains to the distinction and relationship between appearances (Erscheinungen) and things in themselves (Dinge an sich selbst), which characterizes TI. How should we understand this latter then? First, TI opposes to transcendental realism, which “regards space and time as something given in themselves (independent of our sensibility)” (A 369). This latter represents outer appearances as things in themselves. It mistakenly concedes reality (i.e., existence) to mind-independent things. Second, TI also differs from empirical idealism (hereafter, EI), which assumes the internal reality of space and time but rejects (see Berkeley’s dogmatic EI) or, at least, doubts (see Descartes’s problematic EI) the existence of mind-independent objects. EI holds that we can immediately (i.e., non-inferentially) derive the real existence of objects in themselves from their temporal appearances in us (A 491/B 519). However, as Stang warns us, “Since the inference from a known effect to an unknown cause is always uncertain, the empirical idealist concludes we cannot know that objects exist outside us in space.” (Stang 2018). TI and EI are close views, especially Berkeley’s version of it (see Harper 1992). Kant misreads Berkley’s idealism and never clearly distinguishes his TI from it (see Prolegomena, AK 4: 289). TI and EI entail a non-inferential and certain knowledge of objects in us. However, unlike Descartes’s EI, Kant’s TI also grants external (i.e., mind-independent) objects existence, and only denies their knowledge. TI, therefore, endorses a dualist account of existence. However, why is Kant so reluctant to mention externality explicitly? He acknowledges the notion, but he might be thinking of an unprecedented variation of it, for which he struggles to find words. With the expression “external objects”, Kant means internal representations of objects that our mind starts building from outer sense data (i.e., inputs). The data our mind perceives are already

|| 7 A similar definition also occurs later in the Critique. “We have sufficiently proved in the Transcendental Aesthetic that everything intuited in space or in time, hence all objects of an experience possible for us, are nothing but appearances, i.e., mere representations, which, as they are represented, as extended beings or series of alterations, have outside our thoughts no existence grounded in itself. This doctrine I call transcendental idealism.” (A 491/B 519).

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internal; namely, they are sensations. Strictly speaking, there are no external objects. The sensation internalizes mind-independent things (i.e., things in themselves) as the matter of the object of our cognition; however, this matter is only a species of representations (intuition), which are called external, not as if they related to objects that are external in themselves but because they relate perceptions to space, where all things are external to one another, but that space itself is in us. (A 370)

As Kant clarifies, external objects (bodies) are merely appearances, hence also nothing other than a species of my representations, whose objects are something only through these representations, but are nothing separated from them. (A 370)

Therefore, the same inference that captures “the reality of external objects” also grasps “the reality of the objects of my inner sense (my thoughts)” (A371). Why? Because it ultimately refers to one and the same reality, “for in both cases they [i.e., the two kinds of objects] are nothing but representations, the immediate perception (consciousness) of which is at the same time a sufficient proof of their reality.” (A 371). Hence, TI differs from EI. As far as TI acknowledges the reality of things in themselves, it resembles empirical realism. Unlike this latter, though, EI cannot establish what kind of reality is here at issue. It is, for instance, not the case that things in themselves have empirical existence. … even with our best consciousness of our representation of these things, it is obviously far from certain that if the representation exists, then the object corresponding to it would also exist; but in our system, on the contrary, these external things – namely, matter in all its forms and alterations – are nothing but mere representations, i.e., representations in us, of whose reality we are immediately conscious. (A 371–72)

This passage also makes clear that no correspondence holds between appearances and things in themselves. A correspondence could justify an inference from effect to cause. From appearances that were effected in us by their outer objects, we could wrongly derive things in themselves outside of us as legitimate causes. However, the relation cause-effect requires similarity, which is missing here. For Kant, causation (i.e., the second category of relation, causality and dependency; see A80/B106) works internally but not externally, namely among appearances

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alone. Hence, things in themselves cannot, strictly speaking, be the cause of appearances.8 Now one can indeed admit that something that may be outside us in the transcendental sense is the cause of our outer intuitions, but this is not the object we understand by the representation of matter and corporeal things; for these are merely appearances, i.e., mere modes of representation, which are always found only in us, and their reality, just as much as that of my own thoughts, rests on immediate consciousness. (A 372)

If we understand things in themselves as a transcendental object (see A 191/B 236), we must admit that the latter is as unknown as the former. However, like a thing in itself, a transcendental object is at least conceivable. Kant warns us to avoid mischaracterizing it as external, namely as an object found first in space and then in time. Space and time are, so to speak, only in us. Nevertheless, “the expression outside us carries with it an unavoidable ambiguity” (A 373). It can mean “something that, as a thing in itself, exists distinct from us” and “something that belongs to outer appearance” (Ibid). TI denies the existence of the former (i.e., empirically external objects), but allows the latter (i.e., external objects in the transcendental sense). How should we correctly understand a transcendental object (hereafter, TO)? The notion of TO appears amidst two versions of the internalist-externalist dualism that characterizes TI. We can look at this cognitive dualism from two perspectives. For our sensibility, appearances (i.e., things in/for me) contrapose things in themselves. For our understanding, phenomena imply noumena. The sensible perspective also carries metaphysical connotations and better answers the question of externalism. The notion of TO lies in between the notions of thing in itself and noumenon, but all three notions represent perspective variations on the same subject, namely externality. Appearances, to the extent that as objects they are thought in accordance with the unity of the categories, are called phaenomena. If, however, I suppose there to be things that are merely objects of the understanding and that, nevertheless, can be given to an intuition, although not to sensible intuition (as coram intuiti intellectuali), then such things would be called noumena (intelligibilia). (A 249)

|| 8 This view represents a pre-critical argument. In Dissertation (1770), Kant holds that things-inthemselves have a causal relation to our senses. This causality belongs in their (not our) nature and thus qualifies their form as intelligible or cognizable (AK 2, p. 398; AK 2, p. 406–10). We can cognize intelligible beings through their causal relationship with our senses.

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For Kant, appearance means “something that appears”. That which appears is knowable only as a thing in/for us but not in itself. Unknowable “things in themselves” is, at least, a conceivable notion. Kant calls this notion noumenon and contraposes it to the phenomenon. For if the senses merely represent something to us as it appears, then this something must also be in itself a thing, and an object of a non-sensible intuition, i.e., of the understanding, i.e., a cognition must be possible in which no sensibility is encountered, and which alone has absolutely objective reality, through which, namely, objects are represented to us as they are, in contrast to the empirical use of our understanding, in which things are only cognized as they appear. (A 249–250)

A non-sensible intuition (i.e., an intuition in general) guarantees no cognition. According to TI, a noumenon is, therefore, only thinkable. Nevertheless, the notion of it has objective reality since it refers a priori to something that affects our senses. Kant holds that everything that pertains to the possible construction of an object of cognition has objective reality, noumena included. Hence, noumena characterize the negative aspect of the object of cognition, whereas phenomena represent the positive aspect. The object of cognition invariably presents these two aspects. For our understanding, the noumenon is a TO (see A 358). A transcendent object is an object without intuition; we can perhaps think of it, but any cognition of it would be a misconception (i.e., a dialectical illusion). Whereas a TO is an object whose intuition is empty, our thought of it lacks cognition but entails no misconception (see A 257/B 304).9 Here is a definition of TO.10 All our representations are in fact related to some object through the understanding, and, since appearances are nothing but representations, the understanding thus relates them to a something, as the object of sensible intuition: but this something is to that extent only the transcendental object. This signifies, however a something = X, of which we know nothing at all nor can know anything in general (in accordance with the current constitution of our understanding), but is rather something that can serve only as a correlate of the unity of apperception for the unity of the manifold in sensible intuition, by means of which the understanding unifies that in the concept of an object. (A 250–51)

|| 9 As Kant states, “Thinking is the action of relating given intuitions to an object. If the manner of this intuition is not given in any way, then the object is merely transcendental, and the concept of the understanding has none other than a transcendental use, namely the unity of thought of a manifold in general.” (A 257/B 304) 10 In the B-edition, Kant replaces A 249–53 with B 306–09. My next two paragraphs refer to the A-edition only.

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The TO is “no object of cognition in itself, but only the representation of appearances under the concept of an object in general, which is determinable through the manifold of those appearances” (A 251). Hence, Kant defines TO as “the concept of something in general” (Ibid). The TO is, therefore, the mental representation of an external object (in a non-Kantian sense) before this object is given to us through sensations (and thought by us through concepts). As I said earlier, in order to think of things in themselves as noumena, we must first think of them as TO. “Now from this [TO] arises the concept of a noumenon, which, however, is not at all positive and does not signify a determinate cognition of any sort of thing, but rather only the thinking of something in general” (A 252). Kant here implies that the TO is precisely the object thought in the noumenon. In TI, the notion of TO thus covers the formal materiality of our sensations. Roughly put, in the Aesthetic, Kant attributes the matter (given a posteriori) of sensation to the external object and its form (available in us a priori) to the subject (A 20/B 34). In the Appendix of Phenomena and Noumena, he wants to consider the notion of matter itself. The TO “might be the ground of this appearance that we call matter” (A 277/B 333), which Kant defines as substantia phaenomenon (i.e., phenomenal substance), and thus be “the cause of appearance (thus not itself appearance)” (A 288/B 344). This notion of internal materiality is another reference to externality. With it, we have exhausted the description of the elements of Kantian externalism. Through the analysis of TI, we have established that the question of Kantian externalism pertains to (a) the relationship of appearances and things in themselves. Between the two lies (b) no correspondence or (c) proper causal relation. Further, Kant refers to a thing in itself as (d) TO (i.e., non-empirical external objects) or (e) noumena (i.e., the unknowable correlate of phenomena).

3 External and Internal Objects If we identify appearances with things in themselves, we cannot distinguish between phenomena and noumena (as Kant, on the contrary, does). Nevertheless, if we separate appearances from things in themselves, we cannot have empirical cognitions (but Kant claims we do). The relationship between external and internal objects seems to be an extraordinarily difficult task for Kant’s cognitive philosophy. A straightforward question might capture the entire issue: How many things are there, one or two? The answer depends on whether one assumes the knowledge first or the metaphysics first perspective. There is one and the same thing for our cognition, but two aspects of it (one knowable and another

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unknowable). This cognitive dualism takes various forms (see the table below). The same object of cognition can be conceived as it is for me or supposed as it is in itself. Every phenomenon corresponds to a noumenon. All appearance and TO correlate. Whereas if we ontologically classify what is there, we can identify two kinds of things. One is whatever modifies my senses as the cause of my affection, i.e., the external object; the other is my perception of this affection, i.e., the internal object of experience. Otherwise, how could the passive sensation of something also be its active cause?

THE COGNITIVE POINT OF VIEW

THE METAPHYSICAL POINT OF VIEW

(1A)

(1)

Empirical-Material-A Posteriori Side

Mind-Independent Reality

of Cognition

External Object

(Unknowable) Thing in Itself

The Supersensible

Transcendental Object

Whatever Modifies my Senses (Cause of

Noumenon

my Affection)



________________________________________

(1) The Object of Knowledge

Affection or Sensation  Conscious Perception

(One and the Same Internal Thing)  Phenomenon Appearance (Knowable) Thing in/for Me Pure-Formal-A Priori Side of Cognition (1B) INTERNAL CORRESPONDENCE BETWEEN

The Sensible Data Internal Object Mind-Dependent Reality (2) EXTERNAL CAUSATION BETWEEN (1) AND (2) THE QUESTION OF EXISTENCE

(1A) AND (1B) THE QUESTION OF TRUTH

  For Kant, the cognitive perspective justifies the metaphysical point of view, which follows consequentially. Nevertheless, the latter describes how things originally stand. This metaphysical view is internal to the cognitive perspective. The overlook of this interconnection leads to mistakes. I believe Allison (2004) holds a similar view. He says, “the claim is not that things transcending the conditions of human cognition cannot exist (this would make these conditions onto-

Kantian Externalism from Riehl to Putnam | 265

logical rather than epistemic) but merely that such things cannot count as objects for us” (p. 12). Our cognitive conditions establish only the boundaries of objectivity but implicitly assume ontological commitments. Imagine someone throwing something into the calm lake water. The impact generates waves. For Kant, our sensibility behaves like water. It’s one (spatiotemporal) dimension sensitive to internal modifications (i.e., the waves), namely affections. Affections bring (spatiotemporal) data, namely sensations. Our awareness of data results in a corresponding perception, which our understanding further elaborates into a cognition. As Kant seems to suggest (A 249–250), we can move backward from our final cognition to the original state of affairs about the reality that has produced it, and thus legitimately think beyond the bounds of our sense (see B 166n.). Phenomenalist readings of Kant’s first Critique favor the cognitive perspective and undermine the metaphysical. They all accept that TI’s arguments represent Kant’s account accurately. Some of them (e.g., Feder-Garve 1782, Guyer 1987, Van Cleve 1999, and others), though, use this conclusion to repudiate Kant, partially or entirely. Guyer, for example, finds only the Analogies of Experience and the Refutation of Idealism worth preserving in the first Critique. Others reject any separability thesis and believe that, for better or worse, Kant’s main claims and TI stand or fall together (Allison 2004). On the contrary, non-phenomenalist readings (e.g., Langton 1998, Abela 2002, Allais 2015, among others) sort out these claims to save Kant from his mistakes. They follow the influential criticism of Strawson (1966) and prioritize the elements of “empirical realism” (hereafter, ER), which surface throughout the first Critique. Strawson detaches “the analytical argument” (i.e., Kant’s internalist or scientific metaphysics), and thus saves “the principle of significance” (i.e., the meaningful relation of concepts to the experiential conditions of their application) from the psychological workings of our cognitive capacities (i.e., the mind-made nature and its unknowability). Hence, the non-phenomenalist perspective is primarily metaphysical. This “two-world view”, as Allison calls it, assumes the supersensible as corresponding to the sensible. Reduced to its essential, the dispute pertains to two postulates of Kant’s TI, namely (a) the existence of things in themselves and their appearances in us, entailing a (likely causal) relationship between the two, and (b) the unknowable reality of things as they are in themselves, which also restricts our knowledge to appearances alone. These postulates qualify TI as phenomenalism, which has always been highly unpopular even among Kant’s most sympathetic readers. TI’s claims of knowledge seem utterly inconsistent with its cognitive weakness (see

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Prichard 1909, p. 71–100), and even incoherent with one another (see Guyer 1987, p. 334–36; Allais 2015, p. 37). Much of this discussion depends on what phenomenalism means. Allais exclusively considers Berkeley’s version of it, which she dissociates from Kant’s TI. (a) Kantian appearances imply the existence of the thing that appears, whereas Berkeley’s ideas don’t. As he argues, “because I can’t possibly see or feel a thing without having an actual sensation of it, I also can’t possibly conceive of a perceptible thing distinct from the sensation or perception of it.” (Berkeley 1710, Section 5). From this primary reason, Allais derives the others, such as (b) the distinction between primary and secondary qualities, (c) the publicity of empirical objects, (d) the postulate of abstract entities for the sake of empirical explanations, and (e) Analogies’s claims about the unperceived existence and causal relationship of empirical objects. Less compelling are the last two of them: (f) the uncognizability of mental states as they are in themselves, and (g) Kant’s selfdistancing from Berkeley (see Allais 2015, p. 37–56) However, not all phenomenalists look at Berkeley. Allais deems contradictory textual evidence as “simply inconsistent” (p. 37). As I see this issue, inconsistencies among parts of the first Critique are primarily due to perspective shifts, rather than contradictions. Allison’s “two-aspects view” and “two-objects view” could perhaps be complementary. Despite irreconcilable differences between the Aesthetic and other parts of the first Critique, the notion of TO (as described above) is consistent with Kant's initial definition of appearance. According to the latter, before anything appears, an appearance in general is “the undetermined object of an empirical intuition” (A 20/B 34). Non-phenomenalists, on the contrary, use this and other similar passages to dismiss TI and replace it with an alternative reading centered on ER. If I am correct, though, we could read the undeniable instances of empirical realism as internal and not alternative to TI. Consider, for instance, the empirical and the transcendental sense of “outer”. In the first case, “outer” refers to something outside us and describes this thing as a mind-independent object, which is therefore external. In the second case, “outer” refers to our sign of something outside of us and describes it as a mind-dependent object, which is therefore internal. The two senses of “outer” are consistent, and so are TI and ER.11 As Putnam argues below,

|| 11 It is indeed not the case that appearances and mental representations float in our mind as separate entities. Everything in our mind is a mental representation. However, we can classify mental representations according to multiple criteria. A category without an empirical intuition or an intuition without sensation is, for instance, a mental representation of a certain kind, namely pure and a priori. How do they differ from the mental representation of something

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the very possibility of being a brain-in-a-vat requires a point of view outside the vat; namely, someone from outside who can tell me that I’m trapped inside the vat. The internal cognition of my situation would thus commit to external reality. However, what if nobody is out there? My internal cognitive perspective would then presuppose an externality that, nevertheless, it cannot properly know. Kant’s reply to Eberhard’s criticism in Discovery (1790), for instance, could derive from a metaphysical perspective, which doesn’t necessarily conflict with other passages, such as those in the first Critique (especially the A-edition, 1781), that assume the cognitive point of view. “Who (what) gives sensibility its matter, namely sensations?” … Now that, of course, is the constant contention of the Critique; save that it posits this ground of the matter of sensory representations not once again in things, as objects of the senses, but in something supersensible, which grounds the latter, and of which we can have no cognition. It says that the objects as things-in-themselves give the matter to empirical intuitions …, but they are not the matter thereof. (Kant, Discovery, AK 8: 215)

After the A-Edition of the first Critique, nevertheless, Kant’s view shifts towards the metaphysical dualism that characterizes his ER (see Prolegomena, 1783). The same shift motivates the changes he introduces in the B-edition (1787). There are things given to us as objects of our senses existing outside us, yet we know nothing of them as they may be in themselves, but are acquainted only with their appearances, i.e., with the representations that they produce in us because they affect our senses. Accordingly, I by all means avow that there are bodies outside us, i.e., things which, though completely unknown to us as to what they may be in themselves, we know through the representations which their influence on our sensibility provides for us, and to which we give the name of a body – which word therefore merely signifies the appearance of this object that is unknown to us but is nonetheless real. (Prolegomena, AK 4: 289)

Langton’s deflationary proposal of TI relies on this metaphysical change of perspective. She builds on Strawson’s suggestion that cognitive humility comes from receptivity. Our cognition depends on being affected by the objects cognized.

|| empirical, such as glass? Is a glass a kind of object? To some extent, a “glass” is not a “kind of object” because “kind of objects” and “glass” have no metaphysical correspondence or similarity. This is the case if we take the first as an abstract concept and the second as a concrete object. To some other extent, “a glass,” though, is a “kind of object” because “kind of object” is the designate classifier for anything like “glass.” Why this ambiguity then? One uncharitable answer could be that Kant carelessly switches perspective. However, a charitable answer could be that he doesn’t find it essential to remind us of the different perspectives in every single argument of the first Critique.

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However, she also recognizes an anti-Leibnizian instance of Kant. The relational properties of substances (i.e., things in themselves), which we grasp in their phenomena, don’t supervene on (i.e., are not reducible to) the intrinsic properties of substances. They instead remain independent and thus uncognizable for us. The causal powers things have on our sense bar our access to their intrinsic knowledge. If Langton is correct, though, Kant implicitly equals things in themselves to Leibniz’s monads and their intrinsic properties, which isn’t too humble as a view (as Allison remarks, 2004, p. 10), but a fascinating one. Whatever things in themselves are, sensations relate to them. Our received data depend on their existence. Kant repeatedly claims that our representations alone do not ground the existence of their objects. As he puts it, “representation in itself does not produce its objects in so far as existence is concerned” (A 92/B 125). In a 1792 letter to J. S. Beck, Kant dismisses the Feder-Garve interpretation with one line, “I speak of ideality in respect of the form of representation, while they construe it as ideality in respect of the matter, i.e., ideality of the object and its existence.” (AK 11: 395). [Therefore,] this postulation [i.e., the existence of external things] is deemed necessary to explain how the mind acquires its representations, or at least the materials for them (their form being “imposed” by the mind itself). The basic assumption is simply that the mind can acquire these materials only as a result of being “affected” by things in themselves. Thus, such things must be assumed to exist, even though the theory denies that we have the right to say anything about them, including the claims that they exist and affect us. (Allison 2004, p. 5) 

This cognitive relationship between mind-dependent and mind-independent things implies some internal presence of external things. Their presence reveals itself in our affections, the material part of the object of our cognition. This mental content seems a suitable place where we can lay the foundations of Kantian externalism. Whatever belongs in the material content refers to external objects (i.e., things in themselves). Strawson’s principle of significance shows that Kant commits to a certain kind of mental-content externalism, “and therefore to the realist view that the objects involved in experience and empirical knowledge are mind-independent particulars.” (Mueller 2011, p. 449). The bounds of sense constrain us to experiencing only spatiotemporally structured entities. Nevertheless, within these bounds, each modification results from the affections of extra-mental things, which impose their reality upon us through these affections. Hence, our sensible receptivity grants us cognitive access to extra-mental reality, which Kant understands in terms of particulars (i.e., individualities immediately given in intuition).

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The identification of sense impressions with concrete particulars is a precise instance of realism (see Sellars 1968, p. 172). Only the cognitive reference to extramental particulars can allow us to order our mental contents according to the difference and sameness that characterize their relations. A sort of indirect correspondence, therefore, connects the internal and the external object. Differences in cognitive content, according to Kant, can be retraced to possible differences in the subject matter of judgment, and differences in subject matter require ultimately differences in intuition-based or referential relations established by demonstrative or other indexical means that involve sensations. The latter, in turn, only occur as a consequence of contacts between cognizers and extra-mental environs, so that differences in subject matter ultimately require cognitive contact via sensations to extra-mental particulars. (Mueller 2011, p. 453)

All differences in the cognitive content of our judgments ultimately depend on the differences in referential relations that our mental representations entertain with extra-mental particulars12 (see Rowlands/Lau/Deutsch 2020). It follows that (a) these particulars must not only exist but also be mind-independent; (b) appearances are composite entities consisting of mental and extra-mental elements. Kantian externalism relies on these two consequences. In conclusion, the Kantian references to externality have (a) a cognitive and/or (b) an ontological meaning. This twofold perspective smooths the inconsistencies between parts of the first Critique, as discussed by phenomenalist (Allison, Feder-Garve, Guyer, Mueller, Van Cleve) and realist (Strawson, Sellars, Langton, Abela, Allais) readings. The (a)’s point of view implies one object and two aspects of it (e.g., phenomenon-noumenon or appearance-TO), whose relationship lies in the internal correspondence. The (b)’s point of view assumes two distinct objects (e.g., internal and external objects, mind-dependent and mindindependent realities) and their causal relationship.

4 Riehl’s Criticism Riehl criticizes the incompleteness of Kantian externalism and offers a more realistic solution. Several parts of his main work, Philosophical Criticism and Its Meaning for the Positive Science, address the question of the external reference for Kantian representations. The work has two editions. Each edition contains

|| 12 See Rolf (1981) and Westphal (2006) on Kant’s sensationism.

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three volumes corresponding to book one13 on History and Method of Philosophical Criticism (1876a/1908b) and book two, which is further separated in part one14 on The Sensible and Logical Foundations of Knowledge (1879a/1925b) and part two15 on Philosophy of Science and Metaphysics (1887a/1926b). Riehl focuses on the notions of space and time, through which mental representations have a matching reference (i.e., meaning). In his view, the Kantian framework of spacetime contains the sum of all possible relations among things. In this sense, this framework anticipates all actual relations among things. Nevertheless, it actualizes none of these relations. On the contrary, the anticipation remains at the level of possibility. It thus gains universality and generality at the expense of individuality and particularity. The concepts of coexistence and succession, which we abstract from the multitude of sensations by disregarding their quality, degree, and number, differ from the determinate representations of spatial coexistence and temporal succession. (Riehl 1879, p. 78)

The arrangement of individual things that coexist in space and succeed in time is a particular representation. Individualities belong in spacetime but differ from the general representation of the latter because they form a particular spatiotemporal arrangement, which can be anticipated but not a priori identified. Consider two examples of Riehl’s argument. (a) The Euclidean space allows for three kinds of triangular shape (isosceles, equilateral, scalene) alone. Nevertheless, it contains an infinite number of possible triangles, each characterized by a specific area and perimeter. In this sense, the Euclidean space anticipates (because it contains) all possible triangles, but it identifies none of them without further specification. (b) Let A be a subset of N+ (positive integers), and let A contain the series 3, 4, 7, such that A  N+ and A = {3, 4, 7}. Clearly, since N+ = {1, 2, 3, 4, …, n}, N+ already contains A. Notwithstanding, the identification of {3, 4, 7} within {1, 2, 3, 4, …, n} requires a selection, i.e., a choice. We already know that xA  xN+ because N+ = {x: 1 ≤ x ≤ n}, but we don’t know the value of x yet. In both (a) and (b), the sum of all possibilities is necessary but insufficient for actuality. || 13 Alois Riehl, Der Philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, book one: Geschichte des Philosophischen Kritizismus, Leipzig: Engelmann 1876a and 1908b. 14 Alois Riehl, Der Philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, book two, part one: Die Sinnlichen und Logischen Grundlagen der Erkenntnis, Leipzig: Engelmann 1879a and 1925b. 15 Alois Riehl, Der Philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, book two, part two: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, Leipzig: Engelmann 1887a and 1926b.

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The same holds for sensations and complexes of sensations. We cannot order them without a specific experience of their spatial form. Therefore, the characterization of a particular group of sensations requires (a) that they are spatially representable a priori, and (b) that they are spatially represented a posteriori. Similarly, Riehl distinguishes (a) the abstracted relations (Verhältnisse) of succession from (b) the concrete representation of a sequence (Folge) within a uniform and continuous time. Kantian sensations satisfy (a) but not (b). Through sensations, external things are internalized and become appearances. As Kant notoriously argues, all our cognition begins with experience, but not all derive from experience. Part of it derives from our mind. Therefore, “our experiential cognition is a composite” (B 1). Objects affect our mind by modifying our senses. This affection introduces a sensation into the mind; this sensation is initially received as a blind impression. Affections take place through intuition. Sensibility is “the way in which we are affected by objects” (A 19/B 33) through intuition. Objects are therefore given to us through our sensibility but are solely thought through our understanding. Both sensibility and understanding ultimately relate to intuitions (directly and indirectly, respectively), and thus represent the sources of all our cognition. The former is passive and provides “the conditions under which objects are given to us” (A 15/B 30). The latter is thereafter activated “to compare” objective sensations, “to connect or separate them, and thus to work up the raw material of sensible impressions into a cognition of objects that is called experience” (B 1). Sensibility and understanding thus rely on sensible intuitions, the former directly and the latter indirectly. “That intuition which is related to the object through sensation is called empirical.” (A 20/B 34). The same intuition without any sensation is pure. “The undetermined object of an empirical intuition is called appearance.” (Ibid.). Hence, Kant characterizes the internalization of external objects as follows. I call that in the appearance which corresponds to sensation its matter, but that which allows the manifold of appearance to be intuited as ordered in certain relations I call the form of appearance. Since that within which the sensations can alone be ordered and placed in a certain form cannot itself be in turn sensation, the matter of all appearance is only given to us a posteriori, but its form must all lie ready for it in the mind a priori, and can therefore be considered separately from all sensation. (A 20/B 34)

Kant draws a consequential conclusion. “Accordingly, the pure form of sensible intuitions in general is to be encountered in the mind a priori, wherein all of the manifold of appearances is intuited in certain relations.” (Ibid.). The form of our cognitive experience seems undeniably mind-dependent. How should we understand our cognitive relation to the thing (Ding) then? If we follow Kant, we must understand it as dependent on the subjective form of

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our sensibility, namely as a mind-dependent relation. However, this mental dependency prevents us from knowing the form of the external object as such. For example, “consider a sequence whose space is only [reducible to] the form of our sensible intuition of the thing, but has no determination attached to itself” (Riehl 1879, p. 82). How can we locate it in space and time? Consider, for instance, a temporal process that involves succession. We must, though, admit that the pure change of sensations and [corresponding] thoughts builds the content of the temporal representation, but cannot justify its unity and continuity, [which are] determinations of its form. (Riehl 1879, p. 79)

An amended theory of knowledge should, therefore, recognize the independence of this particular form. In contrast, Kant insists on mental dependency. About the pure apriority of the spatiotemporal representation, Kant knew, however, another argument on which he seemed to give importance since it is repeated in his writings. Space and time build the form of appearances, whereas sensation corresponds to its matter. Now, “Since that within which the sensations can alone be ordered and placed in a certain form cannot itself be in turn sensation, the matter of all appearance is only given to us a posteriori, but its form must all lie ready for it in the mind a priori, and can, therefore, be considered separately from all sensation.” [Kant’s first Critique, A 20/B 34] Were the remark correct that the relations of sensations are not themselves sensed, the inference to the pure apriority of the form of our perception would be inevitable. For sensation is the sole form of interaction between consciousness and reality. Further, were the form of perception not the form of reality, the form of reality could not be perceived. However, that remark is false. The relations of sensations, their determined coexistence and sequence, make an impression upon consciousness, just as do the sensations themselves. We feel this impression in the compulsion that the empirical manifolds’ determinateness lays upon the perceiving consciousness. The mere affection of consciousness [produced] by these relations doesn’t suffice alone for their apprehension, but neither does the affection suffice for the apprehension of the sensation itself. In these respects, there is no difference between the matter and the form of appearance. Under the influence of the Aristotelian dualism of these two concepts, separable only through arbitrary abstraction, it seems that Kant thought form to be a creative eidos that remains independent and opposite to matter. (Riehl 1879, p. 104)

Riehl corrects Kant’s erroneous assumption that the relations of sensations are not themselves sensed. Our mind interacts with the world (i.e., external reality) through sensation alone. We must, therefore, be able to perceive both the matter and form of extramental reality. If the relations of sensations (i.e., their form) would not affect our sensibility, just as the matter of these sensations does, we could never know any determinate coexistence and sequence of things. External objects would thus remain unknowable. Hence, concludes Riehl, “In these respects, there is no difference between the matter and the form of appearance.” (Ibid.). We perceive both.

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Kemp-Smith holds a similar view. Unlike Riehl, he believes that Kant’s externalism needs no emendation but interpretation (obviously, Kemp-Smith’s). Kant claims, “The effect of an object on the capacity for representation, insofar as we are affected by it, is sensation.” (A 20/B 34). Further, “The undetermined object of an empirical intuition is called appearance” (Ibid.). Kemp-Smith warns us against the subjectivist reading of these claims that prevents an externalist account of cognition. Sensations are appearances, namely internal objects, but how do we form sensations in the first place? “The given sensations as such constitute a manifold; as objects in space they are already ordered.” (Kemp Smith 2003, p. 84, my italics). Kemp Smith thus proposes that the manifold of appearance determines its unity together with the spatiotemporal relations that we accordingly assign to it. Therefore, the relations (form) of our sensations (matter) are also sensuous, as Riehl suggests. “The manifold of appearance (das Mannichfaltige der Erscheinung)”, argues Kemp-Smith, does not mean … the chaotic or disordered. The emphasis is on manifoldness or plurality, as calling for reduction to unity and system. The unity has to be found in it, not introduced into it forcibly from the outside. (Kemp Smith 2003, p. 84) Though, for instance, the manifold as given is not in space and time, the specific space and time relations assigned by us are determined for us by the inherent nature of the manifold itself. (Kemp Smith 2003, p. 85)

As I tried to make sense of Riehl’s criticism above, I see that the possibility of all actual relations among things never actualizes any of these relations. In Kemp Smith’s words, “The manifold has to be interpreted, even though the principles of interpretation may originate independently of it.” (2003, p. 84). Unfortunately for Kemp-Smith, little evidence appears in the first Critique for his reading. Kant hints at it in the Aesthetic. “For neither absolute nor relative determinations can be intuited prior to the existence of the things to which they pertain, thus be intuited a priori.” (A 26/B 42) Further, Kant compares space with colors and sounds (A 28/B 44). Although they don’t exist outside my mind either, they nonetheless represent passive affections that are ultimately due to the objects themselves. This comparison might have betrayed doubts about the mental unity of sensations. Kant might have at least pondered a Riehl-like solution for external objects. These issues ultimately pertain to the unity of the sensible manifold. Where does the unity of sensations come from? Wherever it does, for Kant, it’s ultimately a mind-dependent a priori form. It, therefore, belongs in our mind (in Riehl’s terms, consciousness). (a) More likely, the logical category unifies our

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sensations; (b) less likely, the intuition itself already gathers the manifold of sensations together. The (a) solution represents Kant’s view after the Aesthetic. All intuitions, as sensible, rest on affections, concepts … on functions. By a function … I understand the unity of the action of ordering different representations under a common one. (A 68/B 93)

Hereafter, the unity of the manifold of sensations pertains to logical functions alone (especially, categories and apperception). See both the editions of the transcendental deduction, A 64–83 and B 89–116. The (b) solution echoes the early view of the Dissertation (1770), where the spatiotemporal form unifies and orders the manifold of appearances without involving the understanding. In the Aesthetic (first Critique), the form of all appearances similarly lies in our mind prior to all actual perceptions and contains principles of the relations of appearances prior to all experience (see A 26/B 43). The same argument recurs later, “everything in our cognition that belongs to intuition” contains “relations of places in one intuition (extension), alteration of places (motion), and laws” ruling over such alteration (B 66–7).16 Although Kant fully endorses (a) only after the Aesthetic and thus leaves room for speculations (as he always does), both (a) and (b) are internalist solutions. In contrast, Riehl’s solution is a full-fledged externalist one. The unity of sensations comes from the things-in-themselves that, through sensation, impose not only the matter but also the form of the external object upon our mind. Only Riehl’s view supports a complete cognition of the external world, which Kant’s (a) and (b) can justify only partially. The incompleteness of Kantian externalism seems thus to be overcome.

5 Developments from Riehl Riehl’s criticism of Kantian externalism develops into a realist philosophy of its own. Riehl changes his account through time, but central to it is the defense of the existence and knowability of things-in-themselves. Here I survey some of Riehl’s claims on these matters.

|| 16 Kant notoriously presents conflicting arguments even about his most basic assumptions. Later, in the first Critique, he feels compelled to emend the (b) view. “In the Aesthetic I ascribed this unity merely to sensibility, only in order to note that it precedes all concepts, though to be sure it presupposes a synthesis, which does not belong to the senses but through which all concepts of space and time first become possible.” (B 160–61, note).

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In Realistische Grundzüge (1870), Riehl believes that we can reach Kant’s supersensible through “accurate inferences from the order of our sensations to the order of things-in-themselves” (Beiser 2014, p. 541). For this purpose, he combines Kant’s transcendental idealism with Leibniz’s monadology and Herbart’s nominalism and naturalism. Things-in-themselves stand for the real (das Reale), whose knowledge is achievable “through its sensible appearance and disguise” (Riehl 1870, p. 6). Nevertheless, Riehl aims to provide a positive account of things-in-themselves, and he thus glances at the reality beyond the bounds of sense. As Herbart taught Riehl, Kant sharply divides the forms of possible experience and the given content of sensation. The forms are idealist since they derive from the self-conscious subject, but the sensory content represents a realist instance in Kant’s critical philosophy. This content entails particularities and determinate relations between sensations that are given to us. The particularities and their relations are independent of our conscious activity. Riehl understands these particularities as Leibniz’s “monads” or Herbart’s “reals”, namely, the world's most fundamental entities. Hence, he anticipates Langton’s view (see above). Since things-in-themselves ground a multitude of different appearances in us, Riehl derives the existence of a variety of simple basic entities outside us. He describes them as “being” (Sein), i.e., the simplest notion we can apply to reality in itself. For Riehl, “being in itself” means something absolute and simple,17 namely an independent reality that he assumes as an indivisible unity. Hence, Riehl fully endorses Leibniz’s monadology, but he rejects the physicalist reading of the monads. On the contrary, he contends that these atoms are

|| 17 As Beiser notices (see 2014, p. 533), Heidegger’s reading of Kant closely recalls Riehl’s. In Freiburg, Heidegger wrote his doctoral dissertation (Die Lehre vom Urteil im Psychologismus, 1914) directed by Arthur Schneider and habilitation thesis (Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, 1916) directed by Riehl’s scholar Heinrich Rickert. Like Riehl, Heidegger argues that our (finite) “intuition depends upon the intuitable as a being which exists in its own right.” (Heidegger 1990, p. 18). This “intuition of the being cannot give the object from out of itself”; on the contrary, it “must allow the object to be given.” (Ibid.). In Heidegger’s words, because our Dasein exists “in the midst of beings that already are, beings to which it has been delivered over – therefore it must necessarily take this already-existing being in stride,” and thus “it must offer it the possibility of announcing itself.” (1990, p. 19). This possibility (or the lack of it) characterizes Heidegger’s notion of phenomenon, which is central to his Being and Time (Heidegger 2008, p. 51–54). Nevertheless, Heidegger retains Riehl’s view, the “being “in the appearance” is the same being as the being in itself, and this alone.” (1990, p. 22). The Kantian expression “appearance” has a twofold meaning. In a wider sense, appearances are a kind of objects (i.e., phenomena or the being itself); in a narrower sense, they mean that which is the exclusive correlate of the affection (i.e., the content of empirical intuition).

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non-physical and non-spatial beings. Riehl accordingly rethinks the Kantian notion of space. Although space retains a subjective rather than an objective character, it ultimately mirrors the interrelations among things-in-themselves. Without the existence of these things, we would have no cognition of any space. Herbart’s notion of “intelligible space” (Herbart 1806, p. 198–99) sets the example for Riehl. We do not perceive this intelligible space directly, but we know it through pure thinking, by inferring it from the correspondence between the order of things in our sensible space and their causes. (Beiser 2014, p. 539)

Riehl struggles with the normative restrictions of Kant’s first Critique, which prohibit us from venturing into the supersensible. As Kant before him, he postulates particular entities to explain the objective component of sensation, which always remains mind-independent. Although we cannot directly know this being, we can still know it indirectly. We access it through its appearances, from which we can infer knowledge of it. However, this negative approach dissatisfies Riehl. He recognizes that sensations depending on our sense organs are qualitatively different from their stimuli, but he also realizes that the particular relations between our sensations depend on things-in-themselves. “Beginning from the assumption”, that these things “are the causes of the content of experience, we can begin to develop an entire theory about them” (Beiser 2014, p. 17). If “sensations correspond to their stimuli in a law-like manner”, then “from the constant determinate relations between particular sensations, we can infer constant determinate relations between things themselves.” (Ibid.). In theory, we could apply Kant’s categories beyond appearances and thus learn much about things in themselves. As Biagioli clarifies, for Riehl “it should be possible to correctly individuate a priori concepts and prove that these concepts, despite their being subjective, determine objective features of the things we experience” (Biagoli 2016, p. 68). Riehl, accordingly, suggests comparing the relation of things-in-themselves to appearances with the relation of simple things to their composite products. As Beiser notices, Riehl’s suggestion sounds Leibnizian. Although what exists are masses of independent substances, what we perceive is joined together by the senses to form a single appearance. This analogy brought Riehl’s theory very close to Leibniz’s, who understood appearances as confused representations of thingsin-themselves. (Beiser 2014, p. 540)

Nevertheless, Riehl’s realism remains primarily Kantian. It represents the realist reply to Jacobi, who famously says, “without the presupposition of the [thing in itself] I cannot enter the [critical] system, and with that presupposition, I cannot

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remain in it.” (1812, p. 304). Nevertheless, Riehl carefully describes the critical philosophy as “an idealism of appearances on a realistic foundation” (1876, p. 10). Therefore, he expects to reach things-in-themselves through Kant’s system. In Der philosophische Kritizismus (I, 1876a), Riehl dismiss non-realist readings of Kant. The psychological interpretation, for instance, is misleading because it reduces knowledge to mental faculties alone. The idealist interpretation conflates Kant’s idealism with Berkeley’s and thus neglects the relevance of mind-independent reality, which Kant never denies. Consistently, Riehl finds the origins of Kant’s cognitive philosophy in the empiricist tradition of Locke and Hume. Kant derives from them the notion of the content of cognition, but entirely rethinks the form of cognition. Strawson (1966) holds a similar view. According to this latter, Kant tries to solve the central problem of classic empiricism, namely how we can supply a rational justification of our ordinary picture of the world from the separate and fleeting sense-impressions that experience offers us. Like Riehl, Strawson believes that Kant retains this “minimal empiricist conception of experience” (p. 19) and makes sense of it within a broader formal framework (i.e., his internal metaphysics). In Der philosophische Kritizismus (II/1, 1879a; II/2, 1887a), Riehl resumes most of the realist arguments presented in 1870, especially the question of sensation. He is now aware of the thin line that separates realistic dogmatism (which assumes that things are in themselves just as they appear to us) and extreme idealism (which reduces appearances to mental representations). The world exists independently of us, but it remains to establish how much we can know about it. Hence, “Under what presuppositions”, asks Riehl, “does knowledge have real significance?” (1879a, p. 4). As Beiser clarifies, The “real significance” (reale Bedeutung) of knowledge means that it is true not only of our representations about the world but of the world itself, that is, the world as it exists independent from these representations. (Beiser 2014, p. 552)

With this question, Riehl anticipates Strawson’s principle of significance (described above). The answer he proposes comes from an accurate analysis of the interface between things-in-themselves and appearances, namely our sensation (see II/1, 1 and 3; II/2, 2). We reach things in themselves through immediate sensations, which ultimately ground all our knowledge. Although we know only the appearances of things, these appearances tell us how real things exist relative to us. Appearances, therefore, present relative properties of real existing things-in-themselves.

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However, their presentation must conform to our cognitive faculties. Hence, all the appearances of things exist only relative to our consciousness. Riehl’s version of realism resembles a qualified idealism. From the ontological point of view, Riehl insists on the real existence of things independent of our consciousness; he believes that “there must be something real independently of the way we describe it.” (Biagioli 2016, p. 67). From the cognitive point of view, he maintains that these things are “unobservable bearers of properties that are accessible to us” (Biagoli 2016, p. 66); especially their spatiotemporal relations present us the objective properties of mind-independent realities through our sensations. The knowledge of things-in-themselves is, therefore, achievable from Kantian premises.18

6 Putnam and the Internalist Challenge A deep affinity connects Kant and Putnam, beyond apparent differences. Putnam's internal realism (internalism) has prima facie similarities with the Kantian notion of transcendental idealism, whereas his view of external realism (externalism or metaphysical realism) resembles the Kantian notion of transcendental realism. Putnam himself draws the comparison (1981b, p. 49–74). But is he right? Is Kant an internalist? Are Riehl’s externalist and Putnam’s internalist view of Kant at odds with each other? Much depends on Putnam’s account of internalism (and externalism), which he changed over time. I focus here on his famous hypothesis of being “brains in a vat” (hereafter, BIV), which supposedly defends a Kant-like perspective (1981a, p. 1–21). I discuss an abridged version of BIV. Imagine all human beings had the brain “removed from the body and placed in a vat of nutrients which keeps the brain alive” (1981, p. 5–6), and all the memories erased. The nerve endings are connected to a computer that causes the brain to have the illusion that everything is perfectly normal; but all you are experiencing is “the result of electronic impulses travelling from the computer to the nerve endings” (p. 6). From the externalist point of view, if we were BIV, we could not say or think that we were; and the reason for this is that the correspondence to the world, on which the externalist view relies, is successfully illusory. The externalist believes in a sort of magical reference to reality, one where “some representations (in particular, names) have a necessary connection with their bearers” (p. 3). From the internalist point of

|| 18 Kant defends the same conclusion in his Dissertation (1770, see AK 2: 398; AK 2: 406–10).

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view, mental representations have no such connection. Names, in particular, only have a conventional connection with their bearers. Under these internalist constraints, the BIV hypothesis makes no sense.  Suppose, for instance, human beings, although otherwise like us, have never seen trees. One day, a tree-like picture, casually resulted from spilled paints, accidentally falls on their planet from a spaceship. Their mental representation of a tree would look exactly like mine, but it couldn’t represent any tree since these humans have never experienced one. This case suggests to Putnam that all the business of mental representations is about internal referring rather than the external corresponding. The same thing is true of words, which do not intrinsically represent what they are about. In this (internalist) sense, the hypothesis of being BIV cannot possibly be correct. Being BIV is thus a self-refuting statement, namely one whose truth implies its falsity. Another statement of the same kind is Descartes’s cogito ergo sum, which relies on the modus tollens (the cogito argument cannot possibly be false because if I’m not, I cannot possibly think). Similarly, the BIV argument cannot possibly be true.19 It has the semantic form of a conditional proof (CP) that informally says, “I’m a brain-in-a-vat; therefore, I’m not a brain-a-vat”. Definition

“A brain-in-a-vat” has no real reference

Assumption for CP

If I say, I’m “a brain-in-a-vat”

Conditional Statement Then what I say (i.e., being “a brain-in-a-vat”) has no real reference Conclusion

Therefore, I’m not “a brain-in-a-vat”

If I were a brain-in-a-vat, my mental contents (representations or words) would have neither appropriate causal connection to nor memory of the external world, which would remain a mere fiction, i.e., an input of a supercomputer, but nothing real. Therefore, being a brain-in-a-vat implies that there is no such thing as a real vat that contains a real brain. However, I could never realize that I’m a brain-in-a-vat from an externalist perspective. In this case, all of my mental representations would correspond to external objects, and external correspondence (or the lack of it) would establish the truth and falsity of my sentences. If I were a brain-in-a-vat, I could not

|| 19  However, the BIV and the cogito argument differ from other self-refuting statements, such as Russell’s “I’m lying”. If it’s true that I’m lying, then the statement is false (because I’m not lying); and if it’s false that I’m lying, then the statement is true (because I’m lying). The statement “I’m lying” is self-contradictory for both its truth-values. 

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convincingly argue for that. How could I ever prove it? The BIV hypothesis assumes that all my mental representations have no external correspondence (hereafter, EC), including the representation of the BIV hypothesis itself. I am thus supposed to have “the mental representation” (i.e., the sentence P) that “all of my mental representations have no EC”, and to establish the positive truth-value of P. Nevertheless, if P is true, then P is false because P is true if and only if P implies and thus affirms EC, which falsifies P. I cannot, therefore, affirm P without denying P, and thus contradict myself. The way out of the vat, so to speak, is internalism. Let p stand for the object BIV, q for a representation of any object whatsoever, and r for any referent of reality. The internalist could then argue, “if I represent BIV, then I have no real referent; therefore, I don’t really represent anything, including BIV”. I can prove the validity of it as follows.20 1 2 3 4 5 6

(q  r) • (p  ~r) p qr p  ~r ~r ~q

/ ~q 1, Simp 1, Simp 2, 4, MP 3, 5, MT

Hence, the BIV hypothesis challenges externalism, and thus all our beliefs about the external world, which very well could all be false. If I were a brain-in-a-vat, I could not prove it. The internalist can, on the contrary, consistently falsify the BIV hypothesis.21 If I were a brain-in-a-vat, I could prove that it’s not the case that I really am a brain-in-a-vat. Brueckner correctly remarks that Putnam doesn’t show the proposition “I’m a brain-in-a-vat” is necessarily false (see McKinsey 2018). If I am a brain-in-a-vat, nevertheless, the externalist correspondence

|| 20 We can also say that under p, q is not related to r. The function p: qr has no matches. 21 Putnam reduces the differences between externalism (E) and internalism (I) to three antinomies. The externalist believes that (E-1) “the world consists of some fixed totality of mind-independent objects”; (E-2) “there is exactly one true and complete description of ‘the way the world is’”; and (E-3) “truth involves some sort of correspondence relation between words or thoughtsigns and external things and sets of things.” (Putnam 1981b, p. 49). On the contrary, for the internalist (I-1) “what objects does the world consists of? is a question that it only makes sense to ask within a theory of description”; (I-2) “there is more than one ‘true’ theory or description of the world”; and truth “is some sort of (idealized) rational acceptability – some sort of ideal coherence of our beliefs with each other and with our experiences as those experiences are themselves represented in our belief system – and not correspondence with mind-independent or discourse-independent ‘states of affairs’.” (Putnam 1981b, p. 49–50).

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cannot logically prove my statement, “I’m a brain-in-a-vat”. In contrast, the internalist perspective moves from an entirely different approach to truth22 (see Van Cleve 1999, p. 217). Putnam’s BIV hypothesis shares three prima facie Kantian assumptions (see Van Cleve, 1999: 214-16), which Riehl has emphasized in his criticism. (a) Truth is mind-dependent and thus doesn’t rely on correspondence. BIV’s story cannot be told from the point of view of any of the sentient creatures in the world. If an observer were present, then not all of the sentient beings would be brains-in-a-vat. So, the BIV hypothesis “presupposes from the outset a God’s Eye view of truth, or, more accurately, a No Eye view of truth” (Putnam 1981b, p. 50) since here truth remains independent of observers altogether. The BIV argument questions the correspondence. So, “the very relation of correspondence on which truth and reference depend (on his [externalist] view) cannot logically be available to him if he is a Brain in a Vat” (Ibid.). Therefore, “if we are Brains in a Vat, we cannot think that we are, except in the bracketed sense [we are Brains in a Vat]; and this bracketed thought does not have reference conditions that would make it true.” (Putnam 1981b, p. 50–51). (b) It follows that, for an externalist, truth consists “in its corresponding to the world as it is in itself”, rather than “in its fitting the world as the world presents itself to some observer or observers” (Putnam 1981b, p. 50). In short, correspondence to, and not the relationship with, things in themselves defines the nature of externalist truth. On the contrary, Putnam’s internal realism assumes that “the mind has no access to external things or properties apart from that provided by the senses” (Putnam 1981a, p. 16). (c) A causal constraint characterizes internalization. In fact, “one cannot refer to certain kinds of things, e.g., trees, if one has no causal interaction at all with them” (1981: 16). Nevertheless, even causation doesn’t guarantee correspondence. “The objects which are the dominant cause of my beliefs containing a certain sign may not be the referents of that sign.” (Putnam 1981b, p. 51). For example, although the dominant cause of one’s beliefs about electrons is probably textbooks, one doesn’t refer the word “electron” to textbooks. The same impasse occurs with words such as “extraterrestrial”, where no experience can cause one’s belief. How does the causal constraint work then? For Putnam, it instead

|| 22 Brueckner’s reading differs from mine. His view develops a compelling counterpossible argument. “Let us say that if Q is a logically possible proposition that is incompatible with P and P is a logically possible proposition, then Q is a counterpossibility to P. Let us also state a counterpossibility principle: (CP) If I know that P and that Q is a counterpossibility to P, then I know that Q is not the case.” (Brueckner 1986, p. 148).

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has a semantic connotation. Our talk of trees, for instance, is intimately connected with our non-verbal transactions with trees. “Language entry rules” take us from experiences of trees to the utterances “I see trees”, and “language exit rules” take us from decisions expressed in linguistic form, such as “I’ll look for shelter under some trees”, to actions other than speaking (see Putnam 1981a, p. 11). Now, (b) and (c) are genuine Kantian assumptions. About (b), it’s enough to recall that appearances (i.e., mind-dependent objects) differ from things-inthemselves (i.e., mind-independent objects, such as external objects). For Kant, our cognitive capacities legitimately apply to the former, but not to the latter. Senses and understanding provide the formal properties of knowable objects, meaning that we structure appearances. In (c), Putnam touches on the Kantian question of affection. Roughly put, Kant “distinguishes the form of experience, which is determined by the subject’s mind, from the matter of experience, which is determined by how the subject is causally affected by objects” (Stang 2015, p. 1).23 However, the inference from a known effect allows for no positive characterization of the unknown cause (A 371–72). Appearances don’t directly correspond to things in themselves or share similarities with them. Nevertheless, we envision this inference as causal, and consistently attribute causal powers to things in themselves. Why? Because these things are, notwithstanding our ignorance of them, the input data source of our cognition. But what about (a)? Does Kant honestly give up on correspondence? The answer depends on Putnam’s and Kant’s notions of ‘concept’, which closely mirror each other. In any case, Putnam’s view seems closer to Riehl’s than Kant’s. External things, or properties of these things, are internalized (introspected) through mental representations. Like Kant, Putnam identifies two kinds of mental representations, namely images (i.e., sensations or sensible intuitions) and

|| 23 Here Stang defends the hypothesis of double affection. According to this latter, “the subject is affected by empirical objects and by things in themselves” (Stang 2015, p. 2). Hence, a double affection results from “the conjunction of the ‘empirical affection’ and the ‘noumenal affection’ views” (Ibid.). This hypothesis emphasizes the underrated relationship between things-in-themselves and noumena. Although they mean the same thing, they are not the same. Things in themselves positively account for the sensory matter. Noumena represent the formal structure of the sensory matter before any affection occurs, thus negatively referring to that matter. Roughly put, noumena are the form of things in themselves, a sort of formal materiality. For any affection to take place, a sense-modification needs to happen. Noumena cannot provide it without an actual thing in itself. There is, I believe, no double affection, but rather two aspects of the same affection, viewed as possible (i.e., a noumenon) or actual (i.e., a thing in itself).

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concepts (i.e., categories). Images “do not necessarily refer” (Putnam 1981a, p. 17). Kant similarly says, “intuitions without concepts are blind” (A 51/B 75). What do they mean? For human beings who have never experienced a tree in their life, the picture of a tree coming from a paint-splash, which “gave rise to sense data qualitatively similar to our ‘visual images of trees’” (Putnam 1981a, p. 17), refers to nothing real. The mental image of a tree is just a presentation. It doesn’t necessarily refer to anything as far as it remains unaccompanied by any concept (i.e., representation) of a tree. Suppose I have a sensation E. Suppose I describe E; say, by asserting “E is a sensation of red.” If “red” just means like this, then the whole assertion just means “E is like this” (attending to E), i.e., E is like E – and no judgment has really been made. … On the other hand, if “red” is a true classifier, if I am claiming that this sensation E belongs in the same class as sensations I call “red” at other times, then my judgment goes beyond what is immediately given, beyond the “bare thatness”, and involves an implicit reference to other sensations, which I am not having at the present instant, and to time (which, according to Kant, is not something noumenal but rather a form in which we arrange the “things-for-us”). (Putnam 1981b, p. 62)

Kant’s view is remarkably similar. As long as sensations are responsible for the matter of our judgments, they per se have no cognitive relevance. To recognize a sensation as a partial (or, in the case of single concepts, a complete) representation of an object, the concept of this object is previously required. In this way alone, we can become aware of our sensations and thus have perceptions. Hence, the cognitive relevance of our mental representations begins with concepts, not sensations. Further, the matter of a sensation doesn’t even provide the entire content to the terms (concepts) of our judgments. Rather, it accounts for the contentmatter alone, whereas the matching content-form derives from our spatiotemporal intuitions. In the appearance (i.e., the undetermined object of an empirical intuition), the matter corresponds to sensation, but only the form allows the sensible manifold to be (intuited as) ordered in certain relations (see A 20/B 34). Consequentially, “the matter of all appearance is only given to us a posteriori, but its form must all lie ready for it in the mind a priori” (Ibid.) and thus remains separate from all sensation. However, this initial formalization doesn’t suffice for a cognition. This latter requires that logical categories further synthesize the spatiotemporally formed individualities (i.e., sensible particulars) under the unity of a concept (see the B-Deduction, §15-§21). A conceptualization would also be necessary from Riehl’s point of view, according to which, the general form within (and by) which the sensations can be ordered and placed in a particular form stands for the extramental relationship of particulars with one another.

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For Putnam, concepts (and not images) are the mental representations that refer to “external things”, and they do so with necessity. “Concepts are signs used in a certain way”, but “signs do not themselves intrinsically refer” (Putnam 1981a, p. 18). Signs “actually employed in a particular way by a particular community of users can correspond to particular objects within the conceptual scheme of those users” (p. 52). Objects, therefore, don’t exist independently of these conceptual schemes. “We cut up the world into objects when we introduce one or another scheme of description.” (Ibid.). Hence, the world doesn’t impose on us objects of the same kind (in themselves), i.e., self-identifying objects. Rather, it’s our categorical system that sorts them (i.e., their properties) into kinds. “In some ways, after all, anything is ‘of the same kind’ as anything else.” (1981, p. 53). This conclusion undermines the very possibility of external correspondence. It nevertheless leaves room for an internal version of correspondence.24 Putnam recognizes it. “Since the objects and the signs are alike internal to the scheme of description, it is possible to say what matches what.” (Ibid.). “Indeed, it is trivial to say what any word refers to within the language the word belongs to, by using the word itself. What does ‘rabbit’ refer to? Why, to rabbits, of course!” (Ibid.). In similar fashion, Kant talks about the theory of truth as connecting mental representations (terms of judgments) but not external and internal objects. However, this isn’t all of the story. For Putnam, Kant’s cognitive philosophy qualifies as an internalist case of BIV, in which neither external correspondence nor proper causation applies. The Kantian notion of truth departs from the classic correspondence and evolves into a coherentist account. Nevertheless, most of the internalists (including Putnam) acknowledge the existence of extramental input data. Similarly, Kantian internalism maintains references to externality, which I’m going to reconsider according to Putnam’s constraints.

7 The Last Defense of Externalism It’s unclear why Kant is suspicious of correspondence. He accepts it only with reservation.

|| 24 Van Cleve (1999) correctly defends internal correspondence. Although the BIV argument could successfully dismiss external correspondence, Putnam could hardly reject Kant’s internal correspondence between sensations and judgments. His internal realism has, in this regard, no affinity with Kant’s transcendental idealism. However, Putnam himself proposes an internal version of correspondence. His only target is the externalization of this correspondence.

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What is truth? The nominal definition of truth, namely that it is the agreement of cognition with its object, is here granted and presupposed; but one demands to know what is the general and certain criterion of the truth of any cognition. (A 58/B 82)

For Kant, this classic definition has formal (i.e., semantic) but not real validity. The object agreed upon should indeed be distinguishable from others, but the generality required by the definition of truth prevents it. He thinks the same about the logical principle of non-contradiction, which he deems a merely negative condition of truth. “For although a cognition may be in complete accord with logical form, i.e., not contradict itself, yet it can still always contradict the object.” (A 59/B 84). General criteria of truth, such as correspondence or non-contradiction, must be valid of all cognitions. They therefore abstract from all content of cognition and thus have no relation to their object. However, “truth concerns precisely this content” (A 59/B 83; see also A 264–65/B 320–21. For Kant, truth has logical but also metaphysical meaning. This latter pertains to the content alone. The content of our cognition combines extramental references to things in themselves and mental formalization, i.e., the spatiotemporal form that characterizes our intuitions. Judgment has, therefore, metaphysical constraints since its terms have reference to extra-logical elements. Consider the argument, “If Paris doesn’t exist, I’ll visit Paris on holiday / Paris doesn’t exist // therefore, I’ll visit Paris on holiday.” The reasoning has logical validity, but no metaphysical meaning. Two readings are possible. (a) Kant looks for a metaphysical coherence that ultimately involves, although indirectly, things in themselves (from A 58–59/B 82–84). (b) Kant dismisses extramental correspondence as metaphysically irrelevant (from A 371–72), though, if (b) were correct, Kantian externalism would be meaningless. What kind of correspondence could remain for Kantian externalism? Putnam accepts (b) but rules out only direct correspondence. He holds that Kant’s objects of inner sense are not transcendentally real things-in-themselves (noumenal) but ideal things-for-us. In this way, internal objects are “no more and no less directly knowable than so-called ‘external’ objects” (Putnam 1981, p. 62–63). Here is Putnam’s explanation for that: The sensations I call “red” can no more be directly compared with noumenal objects to see if they have the same noumenal property than the objects I call “pieces of gold” can be directly compared with noumenal objects to see if they have the same noumenal property. (Putnam 1981, p. 63).

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Direct correspondence is impossible because external and internal objects share no common properties. For Kant, all properties are secondary25 and belong in our sensibility alone. Like Riehl and Langton, Putnam points to Leibniz, who “first assumed things (monads) and an internal power of representation in them” (A 267/B 323) Thus, because he [i.e., Leibniz] represented them as noumena, taking away in thought everything that might signify outer relation, thus even composition, Leibniz made out of all substances, even the constituents of matter, simple subjects gifted with powers of representation, in a word, monads. (A 266/B 321–22)

Kant dismisses the notion of “monad”, including its consequences for the nature of space and time, which Leibniz reduces to relations of substances. Nevertheless, Kant maintains some of its features, especially the causal power. As he clarifies, the “understanding, namely, demands first that something be given (at least in the concept) in order to be able to determine it in a certain way” (A 267/B 323). In this way, “matter precedes form” (Ibid.). However, the noumenal object's causal power has no consequences for Kant’s denial of direct correspondence. For Putnam, it isn’t the case of “one noumenal object corresponding to each thing-for-us”, or “a one-to-one correspondence between things-for-us and things in themselves” (1981b, p. 63). Hence,

|| 25 If all properties are secondary, everything we can say about an object is about how it affects us in a specific way (see Putnam 1983, p. 205–06. “Nothing at all we say about any object describes the object as it is ‘in itself’, independently of its effect on us” (Putnam 1981b, p. 61). “It also follows that we cannot assume any similarity”, continues Putnam, “between our idea of an object and whatever mind-independent reality may be ultimately responsible for our experience of that object. Our ideas of objects are not copies of mind-independent things.” (Ibid.). Putnam refers to the Prolegomena, where Kant dismisses Locke’s notion of primary qualities. The same argument appears in the A-edition (A 28–29) but not in the B-edition. Without denying the actual existence of outer things, their predicates (e.g., heat, color, taste, among others) belong not to things in themselves, “but only to their appearances and have no existence of their own outside our representation.” (AK 4: 289). Kant also admits “the remaining qualities of bodies, which are called primarias: extension, place, and more generally space along with everything that depends on it (impenetrability or materiality, shape, etc.)” (Ibid.). Nevertheless, as much as colors are “properties that attach not to the object in itself, but only to the sense of vision as modifications”, argues Kant, “all of the properties that make up the intuition of a body belong merely to its appearance” (Ibid.). The “existence of the thing that appears is not thereby nullified, as with real idealism, but it is only shown that through the senses we cannot cognize it at all as it is in itself” (Ibid.). Hence, “even the notion of a noumenal world”, concludes Putnam, “is a kind of limit of thought (Grenz-Begriff) rather than a clear concept” (Putnam 1981b, p. 61).

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you must not think that because there are chairs and horses and sensations in our representation, that there are correspondingly noumenal chairs and noumenal horses and noumenal sensations. (Putnam 1981b, p. 63)

On the contrary, the causal powers of things in themselves give us data, namely information that our sense organs construct according to our nature. Riehl warns us of the negative consequences of limiting the amount of these data, as Kant mistakenly did. Along with any notion of similitude between our ideas and the things in themselves, Kant gives up any notion of abstract isomorphism. Hence, Putnam concludes that “there is no correspondence theory of truth in his philosophy” (1981b, p. 64) “But what is truth if it is not correspondence to the way things are in themselves?” (Ibid.). [The] only answer that one can extract from Kant’s writing is this: a piece of knowledge (i.e., a “true statement”) is a statement that a rational being would accept on sufficient experience of the kind that it is actually possible for beings with our nature to have. “Truth” in any other sense is inaccessible to us and inconceivable by us. Truth is ultimate goodness of fit. (Putnam 1981b, p. 64)

Some readers contest Putnam’s conclusion and search for different solutions. Van Cleve (1999, p. 216), for instance, emphasizes the metaphysical agreement that the reading (a) entails. The internal correspondence is a necessary but insufficient condition of truth (Kant never denies it). Hence, the agreement between judgments and mental representations (i.e., appearances) doesn’t exclude any possible reference to other truth-bearers. Kant doesn’t explicitly mention coherence as the ultimate criterion of truth, as we should expect from his alleged rejection of any kind of correspondence. Therefore, Van Cleve abandons the reading from Putnam’s internal realism and instead associates Kant’s TI to Dummett’s antirealism.26 Externalism, therefore, could still have the last word. In fact, Putnam’s internalism seems consistent with Riehl’s version of Kantian externalism.

|| 26 Dummett opposes realism to antirealism. The realist holds “the belief that statements in the disputed class possess an objective truth-value, independently of our means of knowing it: they are true or false in virtue of a reality existing independently of us.” (1978, p. 164). On the contrary, the anti-realist insists “that the meanings of these statements are tied directly to what we count as evidence for them, in such a way that a statement of the disputed class, if true at all, can be true only in virtue of something of which we could know and which we should count as evidence for its truth.” (Ibid.). Disputed classes contain statements of mathematics or similar kinds. For the realist, the meanings of statements of that class aren’t directly tied to the evidence for them that we can have, “but consist in the manner of their determination as true or false by states of affairs whose existence is not dependent on our possession of evidence for them.” (Ibid.). Hence, Van Cleve identifies Kant with Dummett’s description of the antirealist.

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Like Kant, Putnam doesn’t deny the import data of external elements, i.e., the experiential inputs to knowledge – “knowledge is not a story with no constraints except internal coherence” (Putnam 1981b, p. 54). Nevertheless, like Kant, Putnam denies that there are any inputs which are not themselves to some extent shaped by our concepts, by the vocabulary we use to report and describe them, or any inputs which admit of only one description, independent of all conceptual choices. (Putnam 1981b, p. 54)

Even our description of our sensations (i.e., the starting point for knowledge) is profoundly affected (as are the sensations themselves) by a host of conceptual choices. Kant reasons similarly. The object of the senses must conform to the constitution of our cognitive capacities (intuitions and concepts). For these intuitions to become cognitions, I also “must refer them as representations to something as their object and determine this object through them” (B XVII). Further, “the concepts through which I bring about this determination” don’t conform to the objects; on the contrary, the objects and “the experience in which alone they can be cognized (as given objects)” (Ibid.) must conform to those concepts. Therefore, “experience itself is a kind of cognition requiring the understanding, whose rule[s] I have to presuppose in myself before any object is given to me, hence a priori,” and these rules find their expression “in concepts a priori, to which all objects of experience must therefore necessarily conform, and with which they must agree.” (B XVII–XVIII). What if we rewrite the ending of the story? We could perhaps accept a minimalist version of externalism that doesn’t let things-in-themselves shape our cognitions. We do need, after all, to justify our empirical knowledge, especially the non-trivial fact that we do learn from experience. Putnam seems to share my concern. From Kant’s premise, “sense data and physical [external] objects are interdependent constructions” is false to derive that “all we know is sense data” (Putnam 1988, p. 210). It means we do have cognition of external objects. It is perhaps trivial to add that we have an internal cognition of them, namely a human (i.e., filtered or mental) cognition. On the one hand, Putnam invokes the coherence of theoretical (less experiential) beliefs with one another and with more experiential beliefs. On the other hand, he also recognizes that our conceptions of coherence and acceptability are conceptions of something real. “They define a kind of objectivity, objectivity for us, even if it is not the metaphysical objectivity of the God’s Eye view.” (Putnam 1981b, p. 55). Although internal objectivity and human rationality are all that we have, “they are better than nothing” (Ibid.).

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However, I don’t see how one can defend empirical cognitions by ignoring a minimalist sort of externalism and thus dismissing any correspondence. Either we abandon the notion of the outer world and all the cognitions that come with it, or we try to rescue it through a meaningful relationship. A possible defense of Kantian externalism might rely on (a) a theory of indirect correspondence that might also support (b) a non-objective similarity. An argument could be the following. (a) As Putnam insists on Kant’s giving up on correspondence, he perhaps undermines the nature of sensations. What differentiates the perception of an “apple” from the perception of “green”? These perceptions acknowledge different sensations that do correspond to different sense modifications, which are ultimately due to different things-in-themselves. Now, imagine I say, “the apple is green”. The judgment combines two terms, S-term (apple) and P-term (green). No direct correspondence lies between internal (my judgment) and external (thingsin-themselves) states of affairs. Nevertheless, an indirect correspondence holds between the two. My judgment must correspond to my sensations, which are passively received via affection from things-in-themselves. This final agreement resists the radical reduction to internal coherence (that holds only for mathematical propositions), which nevertheless operates independently of any affections. Riehl’s criticism is instrumental for this purpose. As we passively receive sense modifications, we internalize the matter and the form of external things (whatever they are) as sensations. Before I can see (i.e., perceive) a “green apple” and after that say, “the apple is green”, for instance, our concepts have turned all of the sensations involved into the internal objects, “apple” and “green”, and their relation, “green apple”. My final statement, “the apple is green”, is a question of internal correspondence alone. After I perceive a “green apple”, my claim (i) “the apple is green” is true, and (ii) “the apple is not green” is false because (i) corresponds to my perception, whereas (ii) doesn’t. Nevertheless, my perception derives from the initial sense modifications passively received by external things (whatever they are). My claims, therefore, indirectly correspond to these things. (b) This indirect correspondence needs no objective similarity. As Putnam notices, a similitude theory of reference holds that “the relation between the representations in our minds and the external objects that they refer to is literally a similarity” (Putnam 1981, p. 57). A reference model for a non-literal similarity could be Wittgenstein’s picture theory of meaning. In the Tractatus (1961), the relation between words and things implies the conditions of “sense” (provided by the syntax) and “symbolic reference” (i.e., the meaning). “In order that a certain sentence should assert a certain fact there must”, says Russell, “be something in common between the structure of the

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sentence and the structure of the fact” (Russell 1961, p. X–XI). This thesis significantly differs from the Aristotelian likeness () that reduces truth to a relational property (adaequatio or conformitas). In contrast, Wittgenstein conceives a fact-based version of correspondence, which establishes that a belief is true when there is a corresponding fact and is false when there is no corresponding fact. However, a fact is not an object, but a state of affairs (i.e., a collection of objects). For any language to represent reality, its sentences must stand for states of affairs. Wittgenstein argues that sentences picture states of affairs. The two have a structural similarity since the order of logical signs in a sentence (i.e., the sequences of names standing for things) must mirror the order of objects (i.e., things) in the fact. If language didn’t mirror reality in some way, it would be impossible for sentences to mean anything. Nevertheless, this structural similarity between fact and sentence is an instance of indirect correspondence, where the two orders must correspond, but not their dissimilar individual elements. Their final agreement lies between the relation of things among themselves and our logical syntax of their description.

Conclusions In the Preface to the B-edition of his first Critique (1787), Kant notoriously claims that the object of cognition has a twofold meaning. It means appearance or thing in itself (B XXVII). He further clarifies that we cognize appearances only. The thing in itself is something actual for itself but unknowable for us (B XX). After that and throughout the first Critique, Kant refers to mind-independent reality in a variety of ways. Things-in-themselves, noumena, and transcendental objects show his commitment to externalism, which I identify with Lehrer’s definition. However, how should we make sense of all this? Readers disagree about Kantian externalism. Two opposing views compete since the review of Feder-Garve (1782), the year after the A-edition of the first Critique (1781). Both of them recognize in Kant instances of phenomenalism and non-phenomenalism (also called empiricism or realism). Among its tenets, phenomenalism holds that appearances and things-in-themselves are one and the same object. All of its properties pertain to appearances alone (Prolegomena 1783, AK 4: 289). If this were the correct reading, then Kant would say that we are like trapped inside our mind without any access to the real. Nobody finds this conclusion charming, including Kant, who indeed tries to distance himself from it by changing the A-edition (see B 129–69 and B 274–79). Non-phenomenalist readings promote a realist agenda. Strawson (1966) leads the tendency to give up on

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some parts of the first Critique and save its valuable contribution to Locke’s and Hume’s empiricism. Many readers follow his steps (Guyer, Langton, Abela, Allais, among others). Others don’t, including Van Cleve (1999), Kemp Smith (2003), and Allison (2004). Instead, they strive for a comprehensive account and read inconsistent passages as internal tensions of Kant’s thought that are, nevertheless, worth preserving. My defense of Kantian externalism derives from Allison and Van Cleve but relies in large part on Riehl (1879) and Putnam (1981a, 1981b). As Stang (2018) suggests, phenomenalists reduce appearances and things in themselves to two aspects of one and the same object. In contrast, non-phenomenalists see two objects. However, I argue, the positions don’t need to be inconsistent. The cognitive perspective (two aspects and one object) is compatible with the ontological perspective (two objects). Kant switches the points of view. (a) From the cognitive point of view, the object of knowledge presents two sides: noumenon and phenomenon, appearance and transcendental object, knowable thing for me and unknowable thing in itself, pure-formal a priori and empirical-material a posteriori. Internal correspondence lies between them. (b) From the ontological point of view, internal and external objects stand in a causal relationship. This dualism assumes various forms: cause of affection and sensation, the sensible data and the supersensible, mind-dependent and extramental reality. For instance, Kant might well share the cognitive principles of Berkeley’s idealism (as Van Cleve and Putnam believe), but certainly not its correlate ontology. Berkeley’s notion of the body significantly differs from Kant’s notion of the thing-in-itself. Similarly, Kant might derive his notion of particulars from Leibniz’s monads (as Riehl and Langton claim), but he doesn’t need to accept the cognitive consequences of monadology. Nevertheless, Riehl warns us about possible shortcomings. Any effective defense of Kantian externalism must overcome its incompleteness. For Riehl, the a priori form of space (i.e., our pure intuition) lacks any specification. If things-inthemselves provided only the matter of the object of cognition, we could never locate an object in space and thus have an empirical intuition of it. What could teach us how to relate one perception to another if their relationship couldn’t also be perceived? Hence, Riehl argues for an unrestricted version of Kantian externalism, which he further develops in a realist account of his own. Central to this latter is the notion of sensation. Since relational properties supervene intrinsic properties (which Kant denies), accurate analysis of the structure of our sensation reveals a causal relationship among the two kinds of objective properties. Riehl, therefore, emphasizes the indirect knowability of things-in-themselves to bestow real significance on our knowledge. His realism thus attempts the non-

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sensible employment of the categories and bypasses the normative bounds of sense. In this way, Riehl moves Kant’s cognitive philosophy closer to logical positivism (see Heidelberger 2006). Putnam reminds us that besides the ongoing relevance of his claims, Kant is also correct. As Lehrer defines its central tenet, externalism holds that “some relationship to the external world accounting for the truth of our belief suffices to convert true belief to knowledge” (2000, p. 177). Until Kant, this cognitive relationship has been described as correspondence between mental states and external objects. However, Kant breaks with this tradition and provides an internalist (i.e., coherentist) account of truth. Like Putnam (1981b, p. 56), Strawson recognizes that “the character of our experience, the way things appear to us, is partially determined by our human constitution, by the nature of our sense organs and nervous system” (2001, p. 15). However, he rules this out as a misleading analogy because these matters pertain to empirical, or scientific, not philosophical investigation. It’s unclear why, however. The question of Kantian externalism may not be settled by a neuroscientific examination of our perceptions, but neither can it contrast with this latter. Aristotelian realism maintains that a proposition is true if and only if it agrees with reality. Therefore, mental representations must correspond to external objects. But correspondence to what exactly? What is real? How do you define real? If you’re talking about what you can feel, what you can smell, what you can taste and see, then real is simply electrical signals interpreted by your brain. (The Matrix)27

The highly unrealistic hypothesis of BIV is nonetheless physically possible.28 It consistently portrays the case of Kant’s cognitive mind. Our brains could very well be living in a vat and never leave it. Nevertheless, even if we were BIV, our input data would certainly be something real, and their referent would exist independently of our will. To this extent, inputs are mind-independent. “The very inputs”, says Putnam, “upon which our knowledge is based are conceptually contaminated; but contaminated inputs are better than none” (Putnam 1981b, p. 54).

|| 27 Directed by Lana and Lilly Wachowski, Warner Bros. Pictures & Village Roadshow Pictures, 1999, 40:15–40:28. 28 For a more sophisticated account of visual perception see Daniel Kolak, William Hirstein, Peter Mandik, Jonathan Waskan, Cognitive Science. An Introduction to Mind and Brain (Routledge 2006: 91-116).

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Nevertheless, I disagree with Putnam’s conclusion that Kant gave up on correspondence. Externalism requires it, as Lehrer’s definition says. Not only do Kant’s cognitive claims retain an internal agreement between perceptions and judgments (i.e., the nominal definition, which also Putnam recognizes), but they also presuppose indirect correspondence. My perceptions acknowledge different sensations corresponding to various sense modifications, which are ultimately due to things-in-themselves. According to the nominal definition, my judgment must correspond to these perceptions and agree with the material part of my sensations that refers to the extramental reality. This final agreement prevents empirical cognition from any reduction to internal coherence. Therefore, Kant’s cognitive philosophy maintains a minimalist version of externalism.

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| III: Kontexte

Faustino Fabbianelli

Heterothesis, Antithesis und die Transzendentalphilosophie. Zur Auseinandersetzung zwischen Alois Riehl und Heinrich Rickert Abstract: The paper aims to explain the difference between the philosophical position of Alois Riehl and that of Heinrich Rickert by using the opposition between the antithetical principle and the heterothetical principle of philosophy. The main reason for their confrontation in solving the problem of philosophy is not only to consider realistic knowledge or idealistic cognition as the right approach, and it is likewise not only exhausted in replacing being by value. Rather, the dispute between Riehl and Rickert concerns a more thorough understanding of the logic of philosophy, which can be explained by the opposition of heterothetical and antithetical thinking. Riehl’s realistic way to transcendental philosophy departs from Rickert’s path basically because he is still committed to an antithetical or deterministic thinking pattern, which is able to reach only the level of the epistemological and not the purely logical object.

1 Der allgemeine Rahmen In seiner Abhandlung über Negation und Andersheit verpflichtet sich Werner Flach einer Untersuchung, die „das Verhältnis des Reflexionsabschlusses zu ihrem Gegenstand“ hat.1 Er geht dabei vom heterothetischen Prinzip aus, das Heinrich Rickert als das fundamentale Denkprinzip der Philosophie aufgestellt hatte, um „diejenigen strukturellen Momente herauszuarbeiten, die […] jede Logik der Philosophie zu ihrem unabdingbaren Ansatzpunkte nehmen muß“2. Flach ist der Auffassung, dass nur ein heterothetisches Denken im Stande ist, das Prinzip der Dialektik, das die philosophische Reflexion insbesondere seit Hegel kennzeichnet, zu widerlegen. Er unternimmt deshalb eine Untersuchung, die darauf ab-

|| 1 Flach 1959, Vorwort. 2 Flach 1959, S. 8. || Faustino Fabbianelli, Dipartimento di Discipline Umanistiche, Sociali e delle Imprese Culturali, Università di Parma [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-013

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zielt, das Moment der logischen Bestimmung, welches das bestimmende Denken berücksichtigt, um etwas Gegenständliches zu affirmieren bzw. zu negieren, vom Moment des rein Logischen zu unterscheiden, das dem ersteren zugrunde liegt und mit ihm nicht vermengt werden darf. Müssen wir einerseits einräumen, „daß all unser Erkennen bestimmendes Denken ist“, dürfen wir andererseits nicht außer Acht lassen, dass das Denken des rein Logischen „noch kein bestimmendes Denken“ darstellt. Verlangt die Bestimmung des rein logischen Minimums ein Denken, das in der Abgrenzung des Einen vom Anderen durch Negation gründet, benötigt ein bloßes Denken der Gegenständlichkeit noch keine determinierende bzw. antithetische Prädikation des Ja oder Nein. Während die Heterothesis schon Bedingung für den bloßen Subjekts- bzw. Prädikatsansatz ist, d. h. während sie also vorausgesetzt ist schon für die Bestimmtheit von Subjekt und Prädikat an ihnen selbst, eignet der Negation bloße Bestimmungsfunktion.

Flach stellt demzufolge fest, dass der rein logische bzw. theoretische Gegenstand, für den nur ein heterothetisches Denken gelten kann, einer Logik des Ursprungs angehört, die das gegenständliche Etwas in seiner Originalität betrifft. Es bietet sich die Möglichkeit, die Denkstruktur in ihrem Ansatz festzuhalten, die sich als solche noch nicht als die urteilshafte Denkstruktur definieren lässt. Die „reine Heterogeneität“, in der der Gedanke vom Prinzip enthalten ist, darf nicht mit der „Heterogeneität“ vermengt werden, die innerhalb der homogenen Reihe der bestimmbaren Momente aufzufinden und anhand des erkenntnistheoretischen Denkens zu determinieren ist. Erst das heterothetische Denken konstituiert somit „die gnoseologische Erkenntnisrelation, das Verhältnis des erkennenden Subjekts zu dem zu erkennenden Seienden“3. Flachs Beitrag zum heterothetischen Denken als Alternative zur antithetischen Logik der philosophischen Reflexion dient als Ausgangspunkt der vorliegenden Ausführungen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die Auseinandersetzung zwischen Alois Riehls erkenntnistheoretischem Realismus und Heinrich Rickerts transzendentalem Idealismus mit Hinsicht auf die Opposition des theoretischen und des erkenntnistheoretischen Gegenstandes aufzuklären. Es soll gezeigt werden, dass die Distanz zwischen den zwei Philosophen letztendlich auf die unterschiedliche Logik des Denkens reduziert werden kann: Der Hauptgrund ihrer Kontroverse über die Lösung des Problems der Philosophie liegt nicht bloß darin, realistisches Kennen oder idealistisches Erkennen als den richtigen Denkansatz zu betrachten,4 er erschöpft sich prinzipiell ebenso nicht || 3 Flach 1959, S. 34–35, 45, 47–48. 4 Dies hat Meerbote 1995, S. 357, 360, hervorgehoben.

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nur darin, das Sein durch den Wert zu ersetzen. Die Auseinandersetzung zwischen Riehl und Rickert betrifft vielmehr eine grundsätzlichere Auffassung der Logik der Philosophie, die anhand der Opposition von heterothetischem und antithetischem Denken erläutert werden kann. Riehls realistischer Weg zur Transzendentalphilosophie entfernt sich von Rickerts Pfad grundsätzlich deshalb, weil er noch einem antithetischen bzw. determinierenden Denkmuster verpflichtet ist, das nur bis zur Ebene des erkenntnistheoretischen und nicht des rein logischen Gegenstandes vorzudringen vermag.

2 Wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Philosophie Im Vorwort zum zweiten Teil des zweiten Bandes des Philosophischen Kriticismus weist Riehl darauf hin, dass der wesentliche Inhalt des einleitenden Kapitels bereits früher in seiner Freiburger Antrittsrede Über wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Philosophie veröffentlicht wurde. Er erinnert jedoch daran, dass „die neue Darstellung nicht einfach eine Wiederholung der in jener Schrift vertretenen Anschauung von dem Doppelbegriffe der Philosophie, ihrer theoretischen Aufgabe und ihrem praktischen Berufe“ darstellt.5 Im erwähnten Kapitel – betitelt „Die Philosophie als Problem“ – schildert Riehl die Hauptmerkmale der wissenschaftlichen Philosophie im Gegensatz zu einer bloß unwissenschaftlichen Weltanschauungslehre. Philosophie ist Kritik der Erkenntnis, sie richtet sich auf das Wesen des Erkennens und bestimmt die Bedeutung dessen, was man Erfahrung und Wissenschaft nennt. „Die wahre Philosophie folgt auf die Wissenschaft nach; sie vermittelt im stetigen Zusammenhang mit der Wissenschaft immer genauer und vollständiger das Verständniss derselben.“6 Es handelt sich um eine kritische Erkenntniswissenschaft, die weder mit der formalen Logik noch mit der praktischen Auffassung der Dinge vermengt werden darf. Riehl lehnt sich dabei unter anderem an Kants Unterscheidung zwischen dem Weltbegriff und dem Schulbegriff der Philosophie an: Soll dem ersteren Begriff zufolge unter Philosophie „die Beziehung aller Erkenntnisse auf die wesentlichen Zwecke der Vernunft“ verstanden werden, stellt die Philosophie nach dem zweiten „eine bestimmte einzelne Erkenntnisart“ dar, die mit der „Vernunftwissenschaft aus reinen Begriffen“ übereinstimmt. Nur die letztere kann als ein wissenschaftliches Unternehmen angesehen werden, das insofern wesensgemäß von einer bloß praktischen Weisheitslehre unterschieden

|| 5 Riehl 1887, S. IV. 6 Riehl 1887, S. 15–16.

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werden muss.7 In seiner Antrittsrede hatte Riehl bereits hervorgehoben, dass Weltanschauungen „keine Sache blos des Verstandes“ sind: Indem sie sich dem ganzen Menschen zuwenden und das Gemüt, nicht der Verstand, „ihr eigentlicher Urheber“ ist, sind sie „zu ihrem überwiegenden Teile subjectiv und keine Aufgabe der Wissenschaft.“8 Er hatte auch unterstrichen, dass eine Philosophie insofern wissenschaftlich ist, als sie „das Verständniss der Wissenschaft selbst“ ermöglicht; nach wie vor lag der Akzent auf dem Merkmal des Erkennens.9 Es ist nun von Bedeutung, dass Rickert Riehls Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Philosophie ablehnt: Sie spalte das Gebiet der philosophischen Reflexion, mit Konsequenzen, die „auf die Dauer unerträglich“ sind; Riehl habe nur diejenige Aufgabe der Philosophie berücksichtigt, die „eine Theorie des wissenschaftlichen Erkennens zu geben“ hat, er sei deshalb letztendlich nicht im Stande gewesen, die Bedeutung des Wertbegriffs im Rahmen einer wissenschaftlichen Philosophie zu erkennen.10 Rickert räumt zwar in seinem Nachruf ein, Riehl habe in seiner letzten Phase die Funktion der Werte neu entdeckt. Gleichzeitig spricht er ihm jedoch ab, die Möglichkeit einer Wertphilosophie betrachtet zu haben, die als solche „nicht mehr zur nichtwissenschaftlichen Philosophie“ gerechnet werden darf.11 Rickert verbindet diesen Punkt mit einem anderen Einwand gegen den erkenntnistheoretischen Realismus Riehls: Es handelt sich um die Annahme, „es gäbe eine absolute, bewußtseinsjenseitige, transzendente Realität, im Vergleich zu der die empirische Wirklichkeit lediglich als Erscheinung gelten kann.“ Diese Frage nach dem Ansich der Welt – argumentiert Rickert weiter – kann erst dann in Angriff genommen und „ihrer wissenschaftlichen Lösung wenigstens näher“ gebracht werden, wenn man über eine Theorie des wissenschaftlichen Erkennens verfügt, die die Wahrheit als „ein Glied in dem System der Werte“ ansieht. Damit aber kommen wir vollends auf Wege, auf denen wir sowohl den kritischen Realismus als auch die Lehre von der Doppelaufgabe der Philosophie entweder ganz aufgeben oder zum mindesten stark modifizieren müssen.12

Sucht man nun nach den Gründen dieses Schlusses Rickerts, der die Probleme des erkenntnistheoretischen Realismus und der Wissenschaftlichkeit der Philo-

|| 7 Riehl 1887, S. 19, 21. 8 Riehl 1883, S. 12. 9 Riehl 1883, S. 38. 10 Rickert 1924/25, S. 183–184. 11 Rickert 1924/25, S. 184. 12 Rickert 1924/25, S. 181–182, 185.

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sophie mit Bezug auf die Relevanz einer Theorie der Werte miteinander verbindet, kann man sich zuerst den Seiten des Gegenstandes der Erkenntnis zuwenden, auf denen die Position Riehls dargestellt und kritisiert wird. Die Suche erweist sich aber nur bedingt als erfolgreich: Rickert beschränkt sich hier darauf, zu bestreiten, dass das Transzendenzproblem anhand derjenigen Gegenüberstellung vom Sein der Objekte und Objektsein zu lösen ist, auf die man sich im Einklang mit Riehl berufen könnte. Er konzediert zwar, dass beide Momente nicht identisch sind, hebt jedoch hervor, dass die genannte Opposition „nur als eine präzise und glückliche Formulierung“ des Transzendenzproblems, auf keinen Fall aber „als eine Lösung oder gar als seine Beseitigung“ ausgegeben werden kann. Die eigentliche Frage ist nämlich gerade die, „ob das Sein der Objekte noch etwas anderes als ihr Objektsein, d. h. ihr immanentes Objektsein bedeutet“. Man müsste zuerst beweisen, „daß das reale Sein der Objekte mehr ist als ihr immanentes reales Objektsein, und daß daher die Welt in zwei Arten von Wirklichkeiten zerfällt“. Und dies könnte nur dann geschehen, „wenn wir von dem realen Sein des Dinges noch eine andere Kenntnis besäßen“ als die Kenntnis, über die wir aufgrund der uns unmittelbar gewissen Eigenschaften des Dinges verfügen. Nur dann behielten wir „das Sein als ein Sein übrig, nachdem wir alles andere von ihm als ‚subjektiv‘ abgezogen hätten“. Indem man aber das reale Sein eines Dinges immer als ein Sein kennt, das in Verbindung mit seinen „immanenten Bestandteilen“, d. h. mit dem Bewusstsein aufgefasst wird, erweist sich Riehls transzendentes Sein der Objekte bloß als eine zweifelhafte Voraussetzung der Erkenntnistheorie.13 Rickert vertritt im Gegenstand der Erkenntnis die These, dass der Standpunkt der Immanenz, auf dem man annimmt, es gäbe keinen zwingenden Grund, um vom Gegenstand der Erkenntnis als einer bewusstseinsjenseitigen Wirklichkeit zu sprechen, nur dann überwunden werden kann, wenn man vom Transzendenten nicht im Sinne des Seins, sondern des sich subjektiv als Sollen ankündigenden Wertes spricht. Eine derartige Gegenüberstellung von Sein und Wert erklärt nun wohl negativ, dass der erkenntnistheoretische Realismus Riehls deshalb unstatthaft ist, weil er nicht voraussetzungsfrei ist. Sie macht aber nicht positiv deutlich, auf welche Weise man sich dem Vorwurf des dogmatischen Voraussetzens entziehen kann. Zu behaupten, das transzendente Ansich stelle kein Sein, sondern einen Wert dar, liefert noch keinen prinzipiellen Grund für die Annahme, dass die neue Transzendenz keine bloße Voraussetzung ist. Zu diesem Zweck wird es nötig, das bloß erkenntnistheoretische Denken zu verabschieden und diejenige ihm zugrundeliegende Logik der philosophischen Reflexion ins Spiel zu bringen, || 13 Rickert 1928, S. 27–28.

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welche erst im Stande ist, klar zu machen, dass der Wert deswegen ein erkenntnistheoretischer Gegenstand ist, weil er eine Art des rein logischen Gegenstandes darstellt. Es wird demzufolge verlangt, das Niveau der Argumentation zu wechseln, um auf den Standpunkt zu kommen, von dem Werner Flach spricht. Es geht anders gesagt darum, den rein logischen bzw. theoretischen Gegenstand als „das heterothetische Denkprinzip“ zu betrachten, das das fundamentale und universale Denkprinzip ausmacht.14

3 Das heterothetische Denken Will die Philosophie ihren eigentlichen Gegenstand kennen, muss sie sich laut Rickert von den Spezialwissenschaften unterscheiden, die ihre Aufgabe nur darin sehen, Teile der ganzen Realität zu untersuchen. Sie soll „das Ganze als Ganzes“, d. h. das „Weltall“ im Auge behalten und ihm eine systematische Form geben. Die Philosophie hat, anders formuliert, „die Welt so zu denken, daß aus dem Chaos der Erkenntnisse ein nach Prinzipien geordneter und gegliederter Kosmos entsteht“15. Es handelt sich um einen Gegenstand, der in seiner Ursprünglichkeit und Allgemeinheit nur dank einer Logik des Denkens aufgefasst werden kann, die im Stande ist, jede Determination des Gegenständlichen zu vermeiden, die in sich etwas Anschauliches enthält. Die Philosophie muss sich mit der Aufgabe befassen, das Ganze der Welt vor seinen inhaltlich unterschiedlichen Bestimmungen zu verstehen, sie muss es als dasjenige gegenständliche Minimum, „das Letzte oder Unauflösbare“ betrachten, das noch nicht inhaltlich determiniert ist.16 Und diese Aufgabe kann erst dann erfüllt werden, wenn der Gegenstand der Philosophie als ein theoretischer bzw. logischer Gegenstand angesehen wird, der als geformter Inhalt überhaupt, d. h. als „Inhalt in einer Form des Denkens“ definiert wird. Lässt sich an jedem Etwas Form und Inhalt unterscheiden, zeichnet sich das theoretische oder logische Etwas dadurch aus, über einen Inhalt zu verfügen, der „als Gegenstand notwendig die Form des Einen“ hat.17 Rickert hebt hervor, dass die rein logische Sphäre des theoretischen Gegenstandes bereits dann verlassen wird, wenn wir vom „Inhalt überhaupt“ zu dem „inhaltlich bestimmten Inhalt“ übergehen, oder wenn wir im Gegenstand nicht nur den formalen Faktor der Inhaltlichkeit, sondern den „Inhalt des Inhalts“ mit

|| 14 Flach 1959, S. 35. 15 Rickert 1921, S. 16–18, 50. 16 Rickert 1924, S. 11. 17 Rickert 1921, S. 53; Rickert 1924, S. 11.

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in Betracht ziehen, der nicht mehr gedacht, sondern bloß determinierend angeschaut wird.18 Für unsere Überlegung von Bedeutung ist, dass Rickert das Minimum des theoretischen Gegenstandes anhand der ursprünglichen Duplizität der Momente charakterisiert, die ihn kennzeichnen. Es lässt sich kein Gegenstand denken, der nicht Form und Inhalt bereits in sich enthält; wollte man die Form selbst als Gegenstand denken, müsste man sie selbst als einen Inhalt in der Form des Einen denken. Der theoretische Gegenstand erweist sich somit als ein Identisches, das in sich bereits eine Verschiedenheit fordert. Zum rein logischen oder theoretischen Gegenstand überhaupt gehört […] außer dem Einen, Identischen notwendig noch das Andere, oder: es darf nicht „das Eine“ für sich, das es als „Gegenstand“ nicht gibt, sondern nur das Eine und das Andere als Minimum der rein logischen Gegenständlichkeit oder als theoretischer Gegenstand überhaupt bezeichnet werden.19

Dies zeigt laut Rickert, dass jedes tautologische Denken unfähig ist, das ursprüngliche Etwas zu denken; man benötigt eine heterologische Logik des Denkens, welche die den theoretischen Gegenstand konstituierende Andersheit nicht als eine Negation der Identität, „d. h. bloße Nicht-Identität oder Privation der Identität“ versteht. Das Andere stimmt nämlich nicht mit dem Negativen überein, es stellt vielmehr eine Positivität gegenüber dem bloßen Nicht-Einen dar, die nicht anhand eines bestimmenden Denkens eingefangen werden kann. Dies bringt mit sich, dass der Negation nur die limitierende Funktion der Determination zugesprochen werden kann; als solche kann sie aus dem Etwas nur ein Nicht-Etwas oder Nichts hervorbringen, sie kann aber keine Andersheit oder Verschiedenheit entstehen lassen. Rickert fasst die Priorität des heterologischen Prinzips des Denkens gegenüber dem bloß antithetischen aufgrund des logischen Vorrangs der Andersheit gegenüber der Negation auf. „Logisch noch Ursprünglicheres als die Andersheit, die neben der Identität zum Modell des theoretischen Gegenstandes gehört, kann gar nicht gedacht werden.“20 Mit den Worten von Werner Flach: „Die Andersheit ist nicht ein ‚Mehr‘, sondern ein ‚Weniger‘ als die Negation, ja sie gehört zum Minimum des theoretisch Denkbaren.“ Das ursprüngliche Denken „bewegt sich nicht in Thesis und Antithesis, sondern in Thesis und Heterothesis“21.

|| 18 Rickert 1924, S. 13. 19 Rickert 1921, S. 57. 20 Rickert 1921, S. 57–58. 21 Flach 1959, S. 36, 38. Zu Rickerts heterothetischem Prinzip der Philosophie vgl. Krijnen 2001, S. 227–297.

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Rickerts Beitrag zum heterologischen Denken der Philosophie ermöglicht nun, zwei logische Funktionen des Denkens scharf voneinander zu trennen. Ist das heterologische Denken dazu bestimmt, das originäre Setzen des Gegenstandes zu erklären, muss das bestimmende Denken durch die Funktion des Identischen und des Negativen das erkennen, was als heterologische Gegenständlichkeit bereits gesetzt wurde. Bestimmen aufgrund eines Urteils ist nicht Setzen, es kann nur ein logisch sekundäres Moment darstellen, das das ursprünglich Primäre determiniert. Zum heterologischen Denken als Setzen der Gegenständlichkeit fügt sich somit ein identisch-antithetisches Denken hinzu, das das Gesetzte bestimmt. Dies geschieht im erkenntnistheoretischen Denken, dessen gnoseologische Aufgabe darin besteht, den bereits logisch gesetzten Gegenstand anhand der Prädikate des Identischen und Nicht-Identischen geltend zu machen. Das Denken überhaupt wird somit zum wahren Denken.22 Die logischen Konsequenzen des heterothetischen Denkens sind für unsere Ausführungen zumindest drei: 1) Es gibt keinen formalen Gegenstand, der nicht als heterologisch gedacht werden kann. Dies will nun heißen, dass die absolute Positionalität der Gegenständlichkeit einen geltungslogischen Akt verlangt, der noch bestimmungsfrei ist. 2) Die logische Funktion des Erkennens stellt ein sekundäres geltungslogisches Moment dar, das als solches über unterschiedliche Begriffe und Prädikate verfügt, durch welche die Gegenständlichkeit bloß in ihrem Bestimmtsein und nicht in ihrem Gesetztsein berücksichtigt wird. Das Prinzip des Widerspruchs sowie der Begriff des Identischen und Nicht-Identischen gelten nur innerhalb einer Denkbewegung, die nicht heterologisch-setzend, sondern vielmehr identisch-determinierend verläuft; nur hier üben die Affirmation und die Negation ihre logische Funktion aus. 3) Das heterothetische Prinzip erweist sich als die eigentliche logische Konstitutionsbedingung jeder gnoseologischen Erkenntnisrelation; dies bringt mit sich, dass jede Art von Transzendenz des Objekts gegenüber dem Subjekt erst dann stattfinden kann, wenn das Denken sich nach einer heterologischen Logik bewegt. Gerade darin, daß das Erkenntnisverhältnis als eine Selbstauslegung des Denkens begriffen wird, etabliert sich allererst geltungslogische Transzendenz, welche die bedingende Voraussetzung gnoseologischer Transzendenz ist.23

Rickert erklärt diesbezüglich, dass der eigentliche Gegenstand der Erkenntnis, der kein Sein, sondern ein Wert ist, die ursprüngliche heterothetische Opposition, die den logischen Gegenstand konstituiert, durch eine neue Heterothesis || 22 Zu diesem Unterschied vgl. Rickert 1909, S. 170. 23 Flach 1959, S. 48.

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ersetzt. Anstelle der Andersheit von Form und Inhalt lässt sich nun eine andere Art des Andersseins festhalten, die die ideale Transzendenz eines geltungslogischen Ansichseins für das erkennende Subjekt begründet. Es gibt demzufolge eine Transzendenz des Wertes, die sich dem Subjekt durch ein Sollen ankündigt und die als heterothetisches Moment vom urteilenden Subjekt prinzipiell nicht eingeholt werden kann. Es handelt sich um eine „Urteilsjenseitigkeit“, die insofern „jeder Leugnung wie jedem Zweifel entzogen“ ist, als sie „zu den unbezweifelbaren Grundlagen alles Erkennens“ gerechnet werden muss. Aufgrund ihres konstitutiven Charakters für das erkenntnistheoretische Denken erhält die Transzendenz des objektiven Wertes bzw. des subjektiven Sollens „die denkbar höchste theoretische Dignität“.24

4 Die Zirkelhaftigkeit der Erkenntnistheorie Der abgeleitete Charakter der Erkenntnisfunktion gegenüber der Setzungsfunktion des originären Denkens lässt sich anhand der Tatsache feststellen, dass die das Erkennen konstituierende Opposition von Subjekt und Objekt selbst ein Derivat des heterologischen Denkens ist. Ja, das Wort „Erkennen“ würde seinen Sinn verlieren, wenn es nicht das Erkennen von etwas bezeichnete, das ihm als Maßstab entgegensteht, und ebenso ist nicht einzusehen, was der „Gegenstand“ bedeuten soll, wenn er nicht einem Subjekt entgegengestellt wird, für das er Gegenstand ist.25

Rickert hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Zusammengehörigkeit von Subjekt und Objekt der Erkenntnis nicht die begriffliche Trennung ausschließt, dass sie vielmehr auf die letztere verweist. „Die Synthesis von Thesis und Heterothesis hat zur Voraussetzung, daß es das Eine und das Andere, also in diesem Falle Subjekt und Objekt gibt.“26 Die Fundierung des erkenntnistheoretischen Denkens im heterologischen Prinzip der Philosophie ermöglicht nun, das zuvor eingeführte Problem eines nicht voraussetzungsfreien Gedankengangs erneut zu bedenken. Es handelt sich hier um die Frage, ob die Erkenntnislehre als solche sich einer „petitio principii“ schuldig macht. Die zwei von Rickert unterschiedenen Wege, die eine Erkenntnistheorie einschlagen kann, um das Problem der Transzendenz zu beantworten,

|| 24 Rickert 1928, S. 240, 245. 25 Rickert 1928, S. 3. 26 Rickert 1928, S. 3.

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erweisen sich als aufschlussreich hinsichtlich der Frage nach dem zirkelhaften Charakter der philosophischen Reflexion. Geht der transzendentalpsychologische Weg von der Analyse des wirklichen Erkenntnisaktes als eines psychischen Vorganges aus, „um von hier aus allmählich zum transscendenten Gegenstande vorzudringen“, gelangt der transzendentallogische Weg „so schnell wie möglich in die Sphäre des transscendenten Gegenstandes […] ohne Rücksicht auf den psychischen Akt des Erkennens“.27 Zeigt sich auf dem ersten Weg, dass der transzendente Gegenstand der Erkenntnis für das erkennende Subjekt die Form des Sollens annimmt – das Subjekt soll durch sein wahres Urteil eine transzendente Forderung anerkennen, die sich subjektiv mit einem Evidenzgefühl verbindet –, wird es nach dem zweiten Weg möglich, ihn als einen Wert aufzufassen. Von Relevanz für unsere Ausführungen ist nun, dass beiden Wegen der Erkenntnistheorie eine Zirkularität des Denkens eigentümlich ist. Die petitio principii des transzendentalpsychologischen Weges besteht darin, im bloß subjektiven Evidenzgefühl einen objektiven Sinn zu postulieren, der „über das blosse Gefühl“ hinausweist. Die Denkakte können nur als wahr betrachtet werden, „wenn ein bestimmter Begriff der Wahrheit vorausgesetzt ist“. Dieser erste Weg ist letztendlich deshalb ungenügend, weil der transzendente Gegenstand der Erkenntnis von vornherein vorausgesetzt wurde und aus dem psychischen Akt des Erkennens „sich nichts Transscendentes herausklauben liess“.28 Ist der transzendentallogische Weg im Stande, den Begriff des Wertes zu etablieren, der den eigentlichen transzendenten Gegenstand der Erkenntnis darstellt und aufgrund dessen der objektive Sinn erklärt werden kann, der jedem Erkenntnisakte eigentümlich ist; hat er gegenüber dem ersten Weg den Vorzug, den angenommenen Gegenstand begründet zu haben, der im transzendentalpsychologischen Weg nur als eine „stillschweigende und unbewiesene Voraussetzung“ gilt,29 lässt er noch die Frage unbeantwortet, wie dieser Gegenstand zu einem Gegenstand der Erkenntnis werden kann. Rickert unterstreicht, dass beide Momente nicht „nur vorläufig von einander trennbar“ sind. „Ich kann nicht wissen, was der Gegenstand der Erkenntnis ist, wenn ich nicht auch weiss, wie ich diesen Gegenstand erkenne.“ Diese wechselseitige Beziehung zeigt, dass die Gegenständlichkeit der Erkenntnis wohl einen transzendenten Charakter hat, der aber nicht vom Akt der Erkenntnis abgekoppelt werden darf. „Das Transzendente wird erst zum ‚Gegenstande‘, wenn es ein Gegenstand für das Erkennen ist, wenn es dem Denken so

|| 27 Rickert 1909, S. 174. Rickert zufolge ist der objektive Weg bereits im System der Philosophie gezeigt worden: vgl. Rickert 1928, S. 4. 28 Rickert 1909, S. 190–191, 193. 29 Rickert 1909, S. 209.

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entgegensteht, dass dieses sich nach ihm richten kann.“30 Kein Noema ohne eine Noesis. Dies will heißen, dass der vorläufig abgewiesene erste Weg der Erkenntnistheorie doch als „zweiter“ Weg auch notwendig ist. Mannigfaltig sowie vielartig sind die Voraussetzungen, die die philosophische Reflexion kennzeichnen: Für beide Wege der Erkenntnistheorie gilt, dass es „irgend einen transscendenten Gegenstand giebt“31. „Dass es das Objekt giebt, das sie untersuchen will, muss auch die Erkenntnistheorie von vornherein annehmen.“32 Es handelt sich um unterschiedliche Formen der „petitio principii“, die innerhalb der Erkenntnistheorie nicht überwunden werden können. Und sie können nicht überwunden werden, weil die Erkenntnistheorie selbst eine Folge der heterothetischen Bewegung des Denkens als Denken darstellt. Indem die gnoseologische Relation als solche durch das heterothetische Prinzip der Philosophie konstituiert wird, kommt die Erkenntnistheorie um diejenige Zirkelhaftigkeit nicht herum, die den heterologischen Ansatz selbst veranschaulicht. Nur indem das Denken sich in seine ursprüngliche geltungslogische Dimension zurückzieht, kann es im Stande sein, die Transzendenz der Erkenntnis als eine abgeleitete Form des heterothetischen Prinzips des Denkens zu erklären.

5 Die analytische Überwindung der „petitio principii“ Riehl versteht die Erkenntnistheorie als diejenige Reflexion, die „die Quellen unseres Wissens“ prüft und „den Grad seiner Berechtigung“ feststellt. Er unterscheidet dabei eine psychologische Frage „nach der Entstehung und Entwicklung unserer Vorstellungen“ von einer erkenntnistheoretischen Frage, die hingegen „die objektiven Voraussetzungen des Wissens“ ermittelt: „was Erfahrung als solche enthalte, Erkenntnis ihrem Begriffe nach bedeute und unter welchen Bedingungen Erfahrung Erkenntnis ist“.33 Es handelt sich so wie bei Rickert um zwei unterschiedliche Wege: Stellt der erstgenannte einen psychologisch-genetischen Weg dar, der der Frage nach dem Ursprung verpflichtet ist, untersucht der zweite Weg „den Gehalt der Erfahrung“. Befasst sich der eine mit der „Entwicklungsgeschichte der Erfahrung“, d. h. mit dem Thema, wie die Erfahrung entsteht, setzt sich der andere mit der Frage auseinander, „woraus die Erfahrung besteht“. Riehl unterstreicht, dass beide Untersuchungen einander ergänzen und

|| 30 Rickert 1909, S. 217. 31 Rickert 1909, S. 219. 32 Rickert, 1909, S. 170. 33 Riehl 1907, S. 88–89.

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sich aufeinander berufen; der erkenntnistheoretische Weg z. B. „sucht die Bedingungen der objektiven Gültigkeit der Begriffe zu ermitteln, und schließt erst daraus auf die Abstammung der Begriffe zurück“34. Es wäre nun unstatthaft, daraus eine theoretische Nähe zu Rickerts Position abzuleiten. Riehls Unterscheidung zweier Wege der Erkenntnistheorie zielt wohl darauf ab, Kants Differenz der quaestio facti von der quaestio iuris zu übernehmen; als eigentliche geltungslogische Frage erweist sich jedoch nur die letztere. Geht es bei Rickert darum, das Problem der Möglichkeitsbedingung einerseits transzendental-psychologisch, andererseits transzendental-logisch anzugehen, verweist Riehl darauf, dass nur der transzendentale, und nicht der psychologisch-genetische Weg die Frage nach dem „Erkenntniswert der Erfahrung“ beantworten kann. Damit man die Entstehung der Erfahrung erklären kann, muss man nämlich schon wissen, „was Erfahrung“ ist.35 Die Distanz zwischen Rickert und Riehl lässt sich erst dann gut ermessen, wenn man die Aufmerksamkeit auf das Thema der Zirkelhaftigkeit des erkenntnistheoretischen Denkens zurücklenkt. Wir haben gesehen, dass nach Rickert die Erkenntnistheorie als solche mit unterschiedlichen Formen der „petitio principii“ behaftet ist. Auch Riehl ist der Meinung, dass der Begriff der Erkenntnis nicht nur innere Bedingungen hat – „Inhalte oder Elemente des Wissens“ –, die „Voraussetzungen für die Möglichkeit der Erkenntnis“ sind, sondern auch „von den Annahmen über die Wirklichkeit von Dingen außer uns abhängig“ ist. Er negiert dabei, dass die äußeren Dinge auf bloße Vorstellungen des Subjekts reduziert werden können – wie ein sich falsch verstehender Idealismus es hingegen tut –, er bekräftigt gleichzeitig die Notwendigkeit, „von der Annahme des Realismus“ auszugehen. Die Annahme, daß unseren äußeren Vorstellungen wirkliche äußere Dinge entsprechen, von denen ihre gegebenen Bestandteile abhängig sind, gibt den Problemen der Erkenntnistheorie […] erst ihre Tiefe und ihre wahre Bedeutung.36

Riehl räumt ein, dass man somit „in einen Zirkel“ zu geraten scheint, weil die Aufgabe der Erkenntnistheorie nicht vollständig bestimmt werden kann, „ohne die Wirklichkeit von Dingen vorauszusetzen, worauf das Erkennen sich bezieht“. Andererseits bildet die Rechtfertigung dieser Voraussetzung „eines ihrer wesentlichen Ergebnisse“37. Riehl erklärt diesbezüglich, dass die Existenz der Dinge, die

|| 34 Riehl 1903, S. 87–88. 35 Riehl 1903, S. 87. 36 Riehl 1925, S. 2–3, 23. 37 Riehl 1925, S. 3.

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dem Bewusstsein und seinen Erscheinungen zugrunde liegen, „die notwendige Voraussetzung“ von Kants kritischem Idealismus darstellt. Idealismus geht laut ihm wohl mit der Auffassung einher, dass, was im Subjekt vorhanden ist, auch in den Dingen liegt; Kants Kritik lehrt, demselben Objekt zwei unterschiedliche Bedeutungen zuzusprechen. „Dasselbe Ding wird in der Anschauung Erscheinung, welches der Anschauung als existierend zugrunde liegt.“ Die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding darf insofern nicht als eine „Trennung in verschiedene Dinge“ verstanden werden, als sie eine andere „Auffassung eines und des nämlichen Dinges nach zwei Seiten“ darstellt. Riehl ist der Meinung, dass das Ding an sich nur hinsichtlich der Vorstellung seiner Beschaffenheit, und nicht mit Bezug „auf die Vorstellung seiner Existenz“ eine „Grenze der Erkenntnis“ ist. Dies will heißen, dass das Ding an sich nicht mit dem Noumenon im positiven Sinn vermengt werden darf: Stellt dieses den Gegenstand einer dem endlichen Vernunftwesen nur denkbaren intellektuellen Anschauung dar, muss jenes als der Grund „der Besonderung der Vorstellungsformen“ angesehen werden, der als solcher genau so wirklich ist wie die Besonderung selbst.38 Der scheinbare Zirkel der Erkenntnistheorie wird nun überwunden, indem man erklärt, dass die Voraussetzung der Existenz der Dinge insofern als eine gerechtfertigte Setzung angesehen werden kann, als das Dasein der Dinge selbst Teil einer analytischen Relation ist. Riehl behauptet in diesem Zusammenhang, dass es ein „Widerspruch wäre, von Erscheinungen zu reden, ohne Etwas, was da ist“. Dies will heißen, dass die Korrespondenz zwischen äußeren Anschauungen und wirklichen „Gegenstände[n] äußerer Dinge“ sich als eine „Notwendigkeit aus dem Begriff der Erscheinung“ selbst ergibt. Kant hat gezeigt, dass Idealismus darin besteht, Raum und Zeit als Auffassungsformen zu betrachten, die nicht als spontane Denkfunktionen anzunehmen sind: „mithin müssen Dinge sein, so wahr es eine Raumvorstellung gibt“39. Rickerts Einwand gegen Riehl, er habe von einem transzendenten Sein der Objekte gesprochen, das bloß als eine zweifelhafte Voraussetzung der Erkenntnistheorie angesehen werden könne, ist einerseits als nicht ganz korrekt zu bewerten, weil Riehl tatsächlich darauf abzielt, die Annahme der Existenz der Dinge nur als vorläufige Voraussetzung zu betrachten, die aber innerhalb der transzendentalen Denkbewegung gerechtfertigt werden muss. Andererseits lässt sich zusammen mit Rickert die These bekräftigen, Riehls Argument münde in eine Erklärung, derzufolge die Transzendenz eine analytische Bedingung der Immanenz darstellt.

|| 38 Riehl 1924, S. 390–393. 39 Riehl 1924, S. 390–391.

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Das Sein der Objekte darf wohl nicht mit dem Objektsein vermengt werden, denn beides sind unterschiedliche Momente einer Relation, die unter dem Prinzip des Widerspruchs steht. Das heterothetische Prinzip der Philosophie, das das Andere nicht tautologisch erklärt, wird durch ein Argument ersetzt, das die Identität des Anderen mit dem Einen hervorhebt. Stellt Rickert fest, dass man „mit der Tautologie […] nicht einmal im rein Logischen oder beim Denken eines Theoretischen überhaupt“ auskommt,40 bringt Riehl ein geltungslogisches Prinzip der Philosophie ins Spiel, das von der Analytizität der erkenntnistheoretischen Relation von Vorstellung und Ding an sich ausgeht.

6 Die Kraft des Negativen Eine heterologisch gegründete Philosophie geht vom Unterschied zwischen Andersheit und Nicht-Identität aus, sie unterstreicht, dass die erstere sich weder in der Negation noch in der Privation der Identität erschöpft. Ihr zufolge „wäre [es] ein Irrtum, zu glauben, es genüge das ‚nicht‘ als bloße Negation oder als im eigentlichen Sinn vernichtendes Nein, um das Andere aus dem Einen entstehen zu lassen oder abzuleiten.“ Sie hält deshalb fest, dass eine solche „Zauberkraft“ der Negation „als bloßer Verneinung oder Vernichtung“ nie gegeben ist.41 Sie differenziert demgemäß die bereits eingeführte reine Heterogeneität, die den Primat des Negativen und des tautologischen Denkens abweist, von einer ebenso schon erwähnten bloßen Heterogeneität, die hingegen wohl mit der erkenntnistheoretischen und determinierenden Denkbewegung einhergeht, die als solche dem Prinzip des Widerspruchs und dem damit verbundenen Prinzip der Negation verpflichtet ist. Man sieht schon, dass die Kraft des Negativen nicht unbedingt im Sinne der Dialektik Hegels zur Anwendung kommen muss; sie kann auch innerhalb einer Reflexion zum Ausdruck kommen, die darauf abzielt, die Identität und Nicht-Identität aufgrund deren logischer Widersprüchlichkeit aufzubewahren. Riehls philosophischer Kritizismus weist nun Merkmale auf, die gerade in dieses Gedankenmuster hineinpassen; um dies zu veranschaulichen, möchte ich im Folgenden zwei Momente seiner Reflexion hervorheben. Eines davon ist die Lektüre, die Riehl von Kants Widerlegung des Idealismus anbietet. Es geht hier um den Beweis, dass das Bewusstsein meines eigenen Daseins nicht möglich wäre, ohne das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir einzuräumen;42 dies

|| 40 Rickert 1924, S. 19. 41 Rickert 1924, S. 20. 42 Kant 1787, B 275.

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will heißen, dass meine Existenz in der Zeit ein Beharrliches in der Wahrnehmung verlangt, das nicht in mir, sondern außer mir, d. h. im Raum vorhanden sein muss. Riehl erhebt den Anspruch, für das „Außer uns sein“ „eine doppelte Bedeutung“ ausfindig zu machen: „Es bedeutet die von uns unabhängige und unterschiedene Existenz der Dinge an sich selbst und dasjenige, was zur äußern Erscheinung der Dinge gehört: ihre Vorstellung im Raume.“43 Er erläutert folglich Kants Lehre mit dem Hinweis auf Stellen aus Kants Losen Blättern: die Bestimmung unseres Daseins in der Zeit vermittelst der Raumvorstellung widerspricht sich selbst, wenn man diese Vorstellung nicht als das Bewußtsein eines ganz anderen Verhältnisses als desjenigen der Vorstellungen in uns zum Subjekte betrachtet, nämlich als die Wahrnehmung des Verhältnisses unseres Subjektes zu anderen Dingen und den Raum als die bloße Form ihrer Anschauung.44

Riehl ist der Meinung, dass sowohl hier als auch in der Widerlegung des Idealismus „unstreitig von der Wirklichkeit der Dinge an sich die Rede“ ist. Der Begriff der Dinge an sich ist nötig, um auszudrücken, „daß die unmittelbaren Objekte der sinnlichen Anschauung Erscheinungen der Dinge sind“45. Somit bringt Riehl die Widerlegung des Idealismus, deren Beweisziel „die Notwendigkeit äußerer Erfahrung“ im Gegensatz zu jeder Auslegung derselben als bloß scheinhafte Erfahrung ist – es handelt sich, anders formuliert, um die Opposition zwischen Realität und Illusion der Erfahrung unserer Gegenstände im Raum – und deren Beweisgrund in der „Notwendigkeit äußerer Erfahrung“ hinsichtlich der als unzweifelhaft erscheinenden inneren Erfahrung liegt, mit dem über den theoretischen Rahmen der Widerlegung des Idealismus selbst hinausgehenden Thema der Dinge an sich in Zusammenhang. Die Opposition von „Vorstellung in mir/Ding außer mir“ wird durch die Gegenüberstellung „Erscheinung/Ding an sich“ ersetzt, mit der Folge, dass „die Unmöglichkeit einer bloß scheinbaren Körperwelt“ zum Beleg wird „für die Wirklichkeit oder auch nur Möglichkeit von nicht-phänomenalen Gegenständen“.46 Für unsere Überlegungen sind nun zwei Momente von Bedeutung: Riehl untermauert seine eigene Interpretation von Kant mit dem Argument der Widersprüchlichkeit, die der Raumvorstellung anhaften würde, wenn man mit ihr nicht das Verhältnis des Subjekts zu den Dingen an sich verbinden würde. Er rechtfertigt außerdem den Begriff der Dinge an sich anhand einer ‘subtraktiven’ Be-

|| 43 Riehl 1924, S. 556. 44 Riehl 1924, S. 400. 45 Riehl 1924, S. 400. 46 Vgl. dazu Zöller 1984, S. 73–75.

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gründung, derzufolge die Dinge an sich „vorsinnliche Dinge, die Dinge vor und außer ihrer Erscheinung für ein Sinnenwesen“ sind.47 Der Ausdruck „Dinge an sich“ – erklärt Riehl – bedeutet nicht Dinge, „die außer allen Verhältnissen zueinander stünden, dies wäre in der Tat ein Unbegriff; er bedeutet die Dinge, abgesehen von ihrem Verhältnisse zu der Anschauungsart des Subjektes“48. In beiden Fällen hat man es mit einer Denkbewegung zu tun, die von der Einzigartigkeit des Seins ausgeht, die sich auf zwei unterschiedliche Weisen – für uns/an sich – manifestiert. Die Determination der jeweilig geltenden Form des Seins vollzieht sich aufgrund einer Negation, die darauf abzielt, das Verhältnis zum Subjekt an- bzw. abzuerkennen. Es handelt sich – mit den Worten Hegels – um „eine Verwandlung der Zeichen, des minus in plus“, die denselben Geldbeutel als solchen unverändert lässt: [S]o wie ein leerer Geldbeutel ein Beutel ist, in Beziehung auf welchen das Geld allerdings schon, aber mit dem Zeichen minus gesetzt ist, und das Geld aus demselben unmittelbar deducirt werden kann, weil es in seinem Mangel unmittelbar gesetzt ist,49

ebenso sind die Erscheinungen mit dem positiven Zeichen gesetzt, mit Bezug auf welche die Dinge an sich mit dem Zeichen minus bereits angenommen werden. Riehls realistische Denkbewegung zur Transzendentalphilosophie stellt offensichtlich ein antithetisches Denken dar, denn sie beschränkt sich darauf, die unterschiedlichen Bestimmungen innerhalb derselben Gattung des Seins festzuhalten. Der Begriff des Seins bleibt dabei unangetastet, mit der Konsequenz, dass die Frage nach der Transzendenz nicht heterologisch, sondern nur antithetisch beantwortet werden kann. Die Heterogeneität der Dinge an sich gegenüber den Erscheinungen schließt die „Homogeneität“ des Seins, an dem beide beteiligt sind, nicht aus, sie verweist vielmehr auf sie. Das Denken erweist sich demgemäß nicht als absolutes Setzen von Etwas, sondern nur als ein Bestimmen des bereits Gesetzten, das unter den geltungslogischen Prinzipien der Identität und des Widerspruchs steht. Wird in der Heterologie „der rein heterogene Anfang des Denkens gedacht“, formuliert das Identitätsprinzip „hingegen den Übergang aus dieser ‚reinen Heterogeneität‘ in die Homogeneität der Denkbewegung“.50 Dies lässt sich auch mit Bezug auf das Prinzip des Widerspruchs festhalten:

|| 47 Riehl 1903, S. 111. 48 Riehl 1924, S. 400. 49 Hegel 1968, S. 391–392. 50 Flach 1959, S. 51.

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Für den Widerspruch ist Raum allein innerhalb der durch „Homogeneität“ ausgezeichneten Urteilssphäre, er ist verknüpft mit der Prädikation (insofern diese Bestimmtheit gegen anderes ist); in der „reinen Heterogeneität“ der heterothetischen Ursprungsdimension ist er bedingungslos ausgeschlossen.51

Wendet man sich nun Riehls Auffassung von Kants transzendentaler Deduktion zu – und das ist das zweite Moment seiner Reflexion, das ich hervorheben möchte –, ist festzuhalten, dass das philosophische Argument genau wie in der Widerlegung des Idealismus von einem antithetischen bzw. bloß determinierend-erkenntnistheoretischen Denken gesteuert wird. Riehl hebt hervor, dass das Problem der objektiven Gültigkeit, um das sich die Deduktion der Kategorien dreht, nur anhand der Opposition von Form und Inhalt der Vorstellungen gelöst werden kann. Er konzediert zwar, dass die allgemeine Form des Objekts „aus der Beziehung seiner Erscheinung oder Vorstellung zu einem Ich-Bewußtsein a priori zu erkennen“ ist, und dass demzufolge „die Verknüpfung des Gegebenen zu einem einheitlichen Bewußtsein […] durch das Denken vollzogen“ wird. Will man aber nicht wie bei Fichte den Inhalt hervorzaubern, wird es nötig, einzuräumen, dass „in dem Gegebenen selbst […] die Bedingungen für die Möglichkeit dieser Verknüpfung liegen.“ Das ist die realistische Auffassung von Kants tranzendentaler Deduktion, die Riehl für sich in Anspruch nimmt. Sie besagt, „daß es der wirkliche, vom Bewußtsein unabhängige, ihm gegebene Gegenstand ist, welcher die Einheit des Bewußtseins in seiner Erkenntnis allgemein gültig und notwendig macht“.52 Sie wird vom Wesen der Erscheinung selbst gerechtfertigt, die ein doppeltes Verhältnis in sich birgt, „ein Verhältnis zu dem Dinge, das erscheint, und zu dem Bewußtsein, dem es erscheint“53. Die im Wesen der Erscheinung begründete Opposition von Form und Inhalt ermöglicht es, die grundlegende Antithesis von Subjekt und Ding an sich zu ermitteln, die Riehls Gedankengang kennzeichnet. Das Ding an sich wird hier als der Grund der Erscheinung angesehen, der als solcher nicht mit der Ursache vermengt werden darf.54 Das Ding an sich stellt anders formuliert dasjenige

|| 51 Flach 1959, S. 54. 52 Riehl 1924, S. 521–522. 53 Riehl 1924, S. 512. 54 Riehl macht sich jedoch manchmal dieses kategorialen Fehlers schuldig, aufgrund dessen der vorkategoriale Grund mit der Kategorie der Ursache verwechselt wird: siehe z. B. Riehl 1924, S. 470: „Sobald nämlich gezeigt ist, daß a priori nichts als die allgemeine Form der Wahrnehmung erkannt wird, diese allein also aus dem Subjekte abzuleiten ist, ist auch schon erwiesen, daß alles, was diese Form empirisch bestimmt, durch etwas gegeben, durch etwas verursacht wird, das ebenso wirklich ist, wie das wahrnehmende Subjekt selber.“ (Hervorhebung von mir). Zu Riehls Begriff des Grundes vgl. Lehmann 1913, S. 48.

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Moment dar, das „diesseits der Anschauung“ liegt und deshalb „nicht anschaulich“ vorstellbar, jedoch unentbehrlich weil denknotwendig ist.55 Dies reicht nun laut Riehl aus, um eine Analogie zwischen der Reihe der Erscheinungen und der Reihe der Dinge an sich einzuräumen. Liegen nämlich die Dinge an sich den Erscheinungen zugrunde, muss man ihnen analogisch zuschreiben, was den Erscheinungen selbst zugeschrieben wird. Kant hat laut Riehl gelehrt, dass nicht die Kausalität der Dinge an sich, „sondern die Analogie von ihr in der Zeitfolge der Erscheinungen bestimmt erkennbar sei“56. Dies bringt mit sich, dass das Begriffsverhältnis von Grund und Folge nur insofern eine objektive Gültigkeit aufweist, als es in einer „vollkommenen Analogie“ zum „Wesen der ursächlichen Verbindung“ steht.57 Eine derartige analogische Determination geht offensichtlich von einem antithetischen Prinzip der Philosophie aus – dem von Form und Inhalt bzw. von Subjekt und Dingen an sich –, dessen Beweisziel wohl die Korrespondenz bzw. die Entsprechung der Dinge mit den Begriffen ist. Die Frage nach der objektiven Notwendigkeit der Begriffe für die Erfahrung, welche den eigentlichen Sinn der transzendentalen Deduktion der Kategorien in sich birgt, wird innerhalb einer determinierenden Denkbewegung beantwortet, die darauf abzielt, „die Kongruenz der kategorialen Formen der Erscheinungen mit den einfachen Verhältnissen der Dinge selbst“ zu beweisen.58 „Nicht bloß der Begriff der Erscheinung, diese selbst ist korrelativ zu dem erscheinenden Gegenstande, dem Dinge selbst“ – so erklärt Riehl an einer anderen Stelle seines Philosophischen Kritizismus.59 Das Prinzip der Analogie bringt zum Ausdruck, dass die Determination des Denkens sich nur innerhalb eines Bereichs vollziehen kann, in dem es keine reine Heterogeneität gibt, sondern nur unterschiedliche, durch die logischen Grundsätze der Identität und des Widerspruchs bestimmbare Arten des Homogenen. Der Begriff des Grundes, den Riehl, wie bereits angeführt, mit Bezug auf die Dinge an sich benutzt, erweist sich als ein Grund in der Antithesis zum Begründeten; er stellt keinen absoluten Grund dar, der laut Rickert hingegen in seiner ursprünglichen Beschaffenheit nur heterothetisch eingefangen werden kann.60

|| 55 Riehl 1924, S. 563. 56 Riehl 1924, S. 561. 57 Riehl 1925, S. 300. 58 Riehl 1925, S. 26. 59 Riehl 1924, S. 471. 60 Vgl. dazu Flach 1959, S. 77.

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7 Zum Schluss: Fichte als Kronzeuge Riehl und Rickert haben sich als Wortführer zweier unterschiedlicher Auffassungen der Transzendentalphilosophie erwiesen: Geht es beiden darum, ein kritisches Denken zu vertreten, trennen sich ihre Wege hinsichtlich des geltungslogischen Prinzips, des antithetischen oder heterothetischen, das der philosophischen Reflexion zugrunde liegt. Diese Opposition findet ihren Grund in der unterschiedlichen Ebene – bei Riehl nur erkenntnistheoretisch-determinierend, bei Rickert auch transzendentallogisch-vordeterminierend –, auf der ihre Reflexionen stattfinden. Zum Schluss der vorliegenden Ausführungen soll diese grundsätzliche Distanz anhand der Bewertung erläutert werden, die die beiden Denker Fichtes Philosophieren zukommen lassen. Man wird feststellen können, dass Fichte als Kronzeuge des antithetischen oder des heterothetischen Denkens interpretiert werden kann.61 Der Ansatzpunkt zu diesem theoretischen sowie historiographischen Schritt liegt in der Möglichkeit, bei Fichte den Begriff einer reinen Heterogeneität ausfindig zu machen. Geht man von Riehl aus, lässt sich festhalten, dass die Wissenschaftslehre insofern ein unstatthaftes idealistisches System der Philosophie darstellt, als sie die Opposition von Form und Inhalt der Erscheinung nicht gebührend berücksichtigt hat. Fichte erst hielt es für möglich, auch den ganzen Gehalt der Erfahrung aus einer im Grunde nicht einmal wirklichen, sondern bloß sein sollenden, sich selbst erst setzenden „Tathandlung“ hervorzuzaubern, aus einer aus nichts und mit nichts schaffenden reinen Form.62

Riehl deutet Fichtes Philosophieren als den Versuch, nicht nur wie bei Kant die formale Einheit der Erfahrung „aus der Einheitsfunktion des Bewußtseins“ abzuleiten, sondern „die gesamte Erfahrung auch ihrem Inhalte nach, also die Welt und sich selbst aus dem Ich“ zu deduzieren.63 Der Idealismus der Wissenschaftslehre wird demgemäß innerhalb desselben Denkansatzes ausgelegt, der auch für Berkeley gelten soll: Leugnete der irische Philosoph die Wirklichkeit der Körper, bedurfte er „zur Durchführung seiner Theorie der Existenz geistiger Wesen“, sah sich Fichte genötigt, „für seinen Idealismus von dem empirischen Selbst auf ein absolutes Ich zu rekurrieren, das alles das produziere, was das empirische Ich empfange und reproduziere, einschließlich dieses Ich selbst“. Riehl versteht das

|| 61 Ich habe neuerdings versucht, Fichtes späte Transzendentalphilosophie als Heterologie im Sinne Rickerts zu deuten; vgl. Fabbianelli 2018. 62 Riehl 1924, S. 406. 63 Riehl 1924, S. 440.

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Prinzip von Fichtes Philosophie ausdrücklich als ein theoretisches Unternehmen, das antithetisch fundiert ist. Und dies in einem doppelten Sinn: Der Begriff des Ich ist erstens „wesentlich relativ, genauer korrelativ zu dem Begriffe eines Nicht-Ich“, und wenn im praktischen Teil der Wissenschaftslehre von einem „Anstoß“ die Rede ist, handelt es sich um eine „Ausflucht“, die Fichte ersonnen hat, „um die Selbstproduktionen seines schöpferischen Ich überhaupt in Gang zu bringen“. Riehl ist der Auffassung, dass Fichte „eine Vielheit verschieden gerichteter und ungleich beschaffener ‚Anstöße‘ bedurft“ hätte, die der Vielheit und Mannigfaltigkeit der Erfahrungsobjekte entsprechen: „denn aus einem einzigen und überdies unbestimmten Anstoß läßt sich die Zahl und Bestimmtheit der Dinge nicht erklären“. Fichte ist nun zweitens wie Kant von der Autonomie der praktischen Vernunft ausgegangen, er hat aber, im Gegensatz zu Kant, nicht die Erkenntnis der übersinnlichen Welt, sondern das Dasein der sinnlichen Welt zu einem Postulat der der theoretischen Vernunft entgegengesetzten praktischen Vernunft gemacht. Riehl verweist in diesem Zusammenhang auf eine Stelle aus Fichtes Appellation an das Publicum, in der vom moralischen Zwang die Rede ist, „mit welchem der Glaube an die Realität der Welt sich aufdrängt“. Er kommentiert diese Stellungnahme Fichtes mit den Worten: Streichen wir das Moralische des Zwanges und schränken wir den Satz auf ein vernünftiges Maß ein, so mag es damit wohl seine Richtigkeit haben. Daß eine Außenwelt existiere, ist eine Willenserfahrung. Die Dinge der Außenwelt geben uns ihre eigene Realität als Grenzen unseres Willens kund, und zwar vor allem dadurch, daß sie sich unserem Willen widersetzen.64

Auf diese Weise wird Fichtes praktisches Moment des Glaubens auf ein Denkmittel reduziert, das als solches nicht hinsichtlich der Frage nach der Realität der Welt angewendet werden kann. Für Riehl ergibt sich die Notwendigkeit, „eine Wirklichkeit unabhängig von ihrem Bewußtwerden anzunehmen“, vielmehr „schon aus der Unmöglichkeit, das Bewußtsein und seine Vorstellungen absolut zu setzen; der Nachweis relativer Existenz ist aber zugleich der Nachweis einer nicht relativen Existenz“. Aus diesem theoretisch-determinierend angelegten Schluss leitet Riehl die Abhängigkeit der Erscheinungen von den mit ihnen korrespondierenden Ursachen bzw. Gründen ab: „Nicht alles was für ein Bewußtsein da ist, braucht deshalb auch durch das Bewußtsein da zu sein.“65 Das Bild von Fichte als Vertreter des antithetischen Denkens wird nun bei Rickert durch eine Auffassung ersetzt, nach der der Verfasser der Wissenschafts-

|| 64 Riehl 1925, S. 20–21. 65 Riehl 1925, S. 19.

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lehre vielmehr als Kronzeuge des heterothetischen Prinzips angesehen werden muss. Rickert setzt sich mit dem Aufsatz „Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung“ auseinander, den Fichte im Rahmen des Atheismusstreits geschrieben hatte, zu dem auch der von Riehl zitierte Text gehört. Rikkert hebt so wie Riehl hervor, dass bei Fichte „der Wille die Grundlage auch für unser Wissen ist“66, er weist aber im Gegensatz zu Riehl darauf hin, dass das praktische Moment mit dem theoretischen, der Kopf mit dem Herz, nicht bloß koordiniert, sondern vielmehr wesenhaft verbunden ist. Nur wenn „der Intellekt nicht neben dem Willen steht, sondern überall selbst auf Willen und Glauben beruht“, wird es möglich, „die Geltung und Anerkennung eines absoluten Sollens“ anzuerkennen, die als „die Grundlage auch des reinen theoretischen Wissens“ betrachtet werden kann.67 Fichte hat laut Rickert eingesehen, dass das logische Denken nicht dem Willen entgegengesetzt ist, dass es der theoretischen Denkbewegung gar nicht „feindlich“ ist, er hat verstanden, „dass ein Wollen und Werten das innerste Wesen auch des nach wissenschaftlicher Überzeugung strebenden Denkens bildet“.68 Fichtes Begriff von Gott als moralischer Weltordnung bezeugt eine Auffassung, nach der das Übersinnliche kein Sein, sondern vielmehr ein Sollen ist.69 Fichte wird demzufolge von Rickert zum Vertreter einer Philosophie der Werte ante litteram ernannt, in der die alte Zweiweltentheorie, die von Kant in der theoretischen Form der Opposition eines Seins an sich (der Dinge an sich) und eines Seins für uns (der Erscheinungen) übernommen wurde, als unstatthaft deklariert wird. Fichte zeigt, dass es wohl ein Drittes gibt, das weder mit dem sinnlichen noch mit dem übersinnlichen Sein übereinstimmt. Gott als moralische Weltordnung stellt diesbezüglich denjenigen Gegenstand dar, der der Erkenntnis im Glauben ihre Objektivität verleiht; die Realität wird durch die Ordnung ersetzt – „ein Begriff, der mit dem der Regel auch das gemeinsam hat, dass er aus der Kategorie des Seins in die des Sollens führt“70. Der Gegenstand der Erkenntnis „hört also auf, eine absolute Realität zu sein“, er wird „zu einer ‚Regel‘ der Vorstellungsverknüpfung, und diese Regel genügt vollkommen, um dem Erkennen die Objektivität zu geben, die früher von Dingen an sich abhängig gemacht wurde“.71 Rickert unterstreicht somit Fichtes Begriff der Transzendenz, die für die Immanenz der Erkenntnisvorstellungen den eigentlichen Maßstab ausmacht. Die

|| 66 Rickert 1900, S. 147. 67 Rickert 1900, S. 151. 68 Rickert 1900, S. 153. 69 Vgl. Rickert 1900, S. 155. 70 Rickert 1900, S. 159. 71 Rickert 1900, S. 159.

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neue Form des Transzendenten erweist sich nicht bloß als eine Heterogeneität innerhalb des Homogenen – wie hingegen Riehl meinte, als er Fichtes Opposition von Ich und Nicht-Ich als unzureichend deutete, um die unüberbrückbare Differenz von Form und Inhalt der Erkenntnis zu rechtfertigen –, sie stellt vielmehr eine reine Heterogeneität im Sinne des heterologischen Denkens dar.

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Riehl, Alois (1903), Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Acht Vorträge, Leipzig: Teubner. Riehl, Alois (1907), „Logik und Erkenntnistheorie“, in: Systematische Philosophie, Berlin und Leipzig: Teubner, S. 73–102. Riehl, Alois (1924), Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, erster Band: Geschichte des philosophischen Kritizismus, dritte Aufl., Leipzig: Kröner. Riehl, Alois (1925), Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System, zweiter Band: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis, mit einem Geleitwort von Eduard Spranger und Hans Heyse, zweite, veränderte Aufl., Leipzig: Kröner. Zöller, Günter (1984), Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant. Zur systematischen Bedeutung der Termini „objektive Realität“ und „objektive Gültigkeit“ in der „Kritik der reinen Vernunft“, Berlin/New York: De Gruyter.

Reinhold Breil

Zum Einfluss von Alois Riehl auf Richard Hönigswald Abstract: Hönigswald shares Riehl’s critique of Marburg Neo-Kantianism, his program of philosophical criticism, and his criticism of metaphysics. Like Riehl, Hönigswald takes the position that philosophy is the fundamental theory of the positive sciences. Based on Riehl’s interpretation of Kant’s “Thing in itself”, for which Hönigswald chooses the concept of “Gegenständlichkeit”, the differences between Riehl’s and Hönigswald’s philosophical criticism are analysed. The “problem of psychology”, however, divides the two philosophers and eventually leads Hönigswald towards a critical psychology of thought as well as to a general methodology and systematics of science. Der Neukantianismus als historische philosophische Erscheinung wird auch heute noch vielfach auf seine beiden Hauptrichtungen – den Marburger und den Südwestdeutschen Neukantianismus – festgelegt. Daran haben auch die Versuche wenig geändert, die weitere Richtungen auszuweisen versuchten und etwa auf Fries bis Leonard Nelson verwiesen oder die Philosophie Richard Hönigswalds. So unterschied man auch zwischen einem „älteren“ und „jüngeren“ Neukantianismus, indem man Hönigswald etwa dem letzteren oder Cohen und Windelband dem älteren Neukantianismus zurechnete. So ist auch der kritizistische Realismus Alois Riehls als Beispiel für eine weitere neukantianische Richtung in Anspruch genommen worden. Die Wirkung Riehls auf Zeitgenossen etwa und nachfolgende Denker ist bereits ausführlich untersucht worden. Hierzu nur so viel: Riehl steht nicht nur zwischen Kant und seinen idealistischen Nachfolgern, sondern weist auch den Weg über den historischen Neukantianismus hinaus zu Hönigswald und zu realistischen Positionen wie die Ontologie Nicolai Hartmanns.1 Mögen auch solche Zuordnungen philosophiehistorisch von einigem

|| 1 Zeidler etwa hat den Versuch unternommen, Riehl mit Liebmann als Repräsentanten eines spezifisch kritischen Positivismus bzw. Realismus als eine weitere Richtung des Neukantianismus zu etablieren. Vgl. Zeidler 1995, S. 67. Zu Riehls Wirkung auf Nicolai Hartmann vgl. die Hinweise in Ollig 1995, S. 742–744. || Reinhold Breil, Philosophisches Institut, RWTH Aachen University [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-014

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Interesse sein, so bleiben sie für die philosophische Arbeit folgenlos, wenn nicht die sachlichen Beiträge neukantianischer Philosophen im Hinblick auf die zu bearbeitenden Probleme einer prüfenden Sichtung unterzogen werden. Riehls kritische Philosophie ist dafür ein gutes Beispiel, das zeigt, dass Schulzuordnungen wenig besagen und sogar dem Geist des philosophischen Arbeitens zuwiderlaufen. Um zu beurteilen, in welchem Verhältnis Riehls Arbeit zum klassischen Neukantianismus oder zu Ansätzen wie demjenigen Hönigswalds steht, genügt ein Blick in zwei Nachrufe zum Tode Riehls aus dem Jahre 1924, verfasst von Rickert und Hönigswald. Beide sind nicht nur voller Respekt und Anerkennung des philosophischen Lebenswerks, sondern auch geprägt von persönlicher Wertschätzung des philosophischen Weggenossen und Lehrers. Rickert schreibt in seinem Nachruf, mit Riehl sei der letzte der Neukantianer dahingegangen. Mit ihm vollende sich gleichsam eine Epoche, denn Riehl sei auch einer der ersten gewesen, die man dem Neukantianismus zurechnen müsse. Zugleich sei er derjenige gewesen, der die naturwissenschaftlich geprägte, realistische Richtung maßgeblich bestimmt habe.2 Auf die Schlüssigkeit dieser systematischen Zuordnung wird an anderer Stelle einzugehen sein. Folgt man diesem Urteil Rickerts, sei mit dem Tode Riehls zugleich die Epoche des Neukantianismus zu Ende gegangen, die Riehl maßgeblich mitgeprägt habe. Sie habe sich, wie auch sein Werk von den siebziger Jahren bis zu seinem Tod 1924 erstreckt. Das aber ist nicht ausschließlich philosophiehistorisch gemeint. Denn in Rickerts Sicht habe der Neukantianismus seine Aufgabe erfüllt, nämlich die „Grundbegriffe der Kantischen Schriften“ aus ihrem historischen Kontext zu lösen und ihnen eine aktuelle Fassung zu geben, „in der jeder sie zu verstehen vermag, der überhaupt zu philosophischem Denken fähig ist“.3 Neue Neukantianer brauche man jetzt nicht mehr; die Arbeit sei bereits getan, eben von Riehl, Cohen, Windelband und von allen anderen, zu denen sicher auch Rickert sich selbst rechnet. Noch einmal wiederholt Rickert hier die alle Schulrichtungen durchziehende Grundüberzeugung, dass man nicht Kantianer bleiben könne, wenn man sich bloß historisch auf das kritische Werk Kants bezieht. Man habe erst dann Kants Gedanken erfasst, wenn man notwendig „vorwärts“ über Kant hinausgegangen sei. Denn so und nicht anders sei das Verfahren der wissenschaftlichen Methode, und so werde in ihrem Befolgen auch die Philosophie zur „wissenschaftlichen Philosohie“. Neukantianer seien diejenigen Kantianer, die auf der Grundlage der

|| 2 Rickert 1924/25, S. 163f. 3 Rickert 1924/25, S. 164.

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Philosophie Kants etwas Neues schaffen und denken, und zu jenen, denen das gelungen sei, zähle eben auch Alois Riehl.4 Eine weitere Einschätzung Rickerts ist hier interessant. Rickert sieht richtig, dass für Riehls Kritizismus nicht nur Kant wesentlich war, sondern auch die empiristischen Philosophen, darunter auch der von Kant selbst geschätzte Hume und John Locke. Das führt zu einer neukantianischen Variante, die sich zunehmend von den idealistischen Systemen, insbesondere des Marburger Neukantianismus, entfernt hat.5 Geradezu akribisch zeichnet Rickert die philosophische Entwicklung Riehls nach, die er allerdings als eine zunehmende Annäherung an die eigene Wertphilosophie des Südwestdeutschen Neukantianismus begreift.6 Doch was man von Riehl heute lernen könne und worin sein Beitrag zur Lösung gegenwärtiger Probleme liege, erfährt man bei Rickert nicht. Viel spricht dafür, dass Rickert seine These über das systematische Ende des Neukantianismus einerseits zu optimistisch formulierte, andererseits aber sich darin täuschte, der Neukantianismus habe die wissenschaftlichen Probleme der Zeit nicht nur aufgegriffen, sondern darüber hinaus den Begriff dieser Wissenschaften maßgeblich bestimmt oder wenigstens die Richtung angegeben, in der eine solche Begriffsbestimmung möglich sei. Aufschluss dazu gibt ein weiterer Nachruf, der von dem vielleicht wichtigsten „Schüler“ Riehls verfasst wurde, von Richard Hönigswald. Dieser studierte nach seinem Medizinstudium in Wien ab 1902 Philosophie bei Alois Riehl in Halle, promovierte dort bei Riehl mit der Schrift Über die Lehre Hume’s von der Realität der Aussendinge.7 Dass Hönigswald Riehls Philosophie geschätzt hat, ist sicher, zumal Hönigswald immer wieder Riehl nicht nur erwähnt, sondern sich an wichtigen Stellen auf ihn sachlich bezieht. Solche direkten namentlichen Bezüge sind in Hönigswalds Schriften eher unüblich, auch wird Riehl immer mit ausdrücklicher Zustimmung zitiert.8 Weiterhin äußert sich Hönigswald zu drei Gelegenheiten ausführlicher: 1914 zu Riehl 70. Geburtstag, 1925 in seinem Nachruf und noch einmal 1926 anlässlich des Erscheinens der dritten, umgearbeiteten Auflage des Kritizismus.9 Hönigswalds Nachruf auf Riehl

|| 4 „Die Wissenschaft braucht heute die kantischen Gedanken nicht erst neu zum Leben zu erwecken. Sie sind durch den Neukantianismus bereits lebendig gemacht, und wer wissenschaftlich etwas leisten will, hat auf ihrer Grundlage weiterzubauen.“ (Rickert 1924/25, S. 165). 5 Rickert 1924/25, S. 165f. 6 Rickert 1924/25, S. 179 u. 183f. 7 Hönigswald 1904. Vgl. zum Lebenslauf Hönigswalds Schmied-Kowarzik 1997, S. 463–473. 8 Besonders Hönigswald 1925a, S. 172 u. 185; Hönigswald 1970, S. 73, 94 u. ö.; Hönigswald 1976, S. 41ff. u. 192; Hönigswald 1977, S. 601 u. 635. Zum Einfluss Riehls auf die Entwicklung von Hönigswalds Denkpsychologie vgl. Zeidler 1997, S. 43–59. 9 Hönigswald 1926, S. 38–47.

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fällt daher sachlich eher in die Zukunft blickend als historisch zurückblickend aus. Für ihn ist Riehl wesentlicher Wegbereiter um das Bemühen um eine „wissenschaftliche Philosophie“ und ein um ein adäquates, sachlich orientiertes Kantverständnis. In seinem Bemühen um einen kritisch geklärten „einheitlichen“ Begriff der Philosophie weiß sich Hönigswald einig mit Riehl, und gerade die oft kritisierte Entgegensetzung von wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Philosophie schaffe erst einen Begriff der Philosophie, der „wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Wahrheit, Wahrheit der Erkenntnis und Wahrheiten des Glaubens, der Kunst, methodisch, d. h. ohne Gefährdung ihrer Selbständigkeit verknüpft“. Wie sehr Hönigswald seinen ehemaligen Lehrer auch persönlich schätzte, zeigen seine Schlussbemerkungen, die die pointiert sachliche Kühle seines sonst üblichen wissenschaftlichen Schreibstils weit hinter sich lassen: Eine getragene, aber von der Wärme einer tiefen Begeisterung für die Sache verklärte Ruhe liegt über Riehls philosophischem Schaffen und seiner glänzenden, Schärfe mit Schönheit, Klarheit mit feinstem künstlerischen Geschmack harmonisch vereinigenden Art der Darstellung [...] Kein Schlagwort vermag Riehls Bedeutung zu erschöpfen und kein Wandel der philosophischen Fragestellung kann, wenn sie nur wissenschaftlich ist, die Spuren seines Schaffens tilgen.10

Diese Wertschätzung hat nicht nur persönliche, sondern vor allem sachliche Gründe. Sie sind in Riehls Behandlung des kantischen Begriffs vom „Ding an sich“ zu finden, die Riehl von allen anderen Neukantianern abhebt. Es ist hier nicht der Ort, auf Riehls philosophische Bedeutung insgesamt einzugehen. Beschränken möchte ich mich auf den Begriff der wissenschaftlichen Philosophie und das für den Neukantianismus unübliche Kantverständnis, das gegenüber dem kritizistischen Mainstream an der systematischen Bedeutung des Ding-ansich-Begriffs festhält. Denn interessant sind in diesem Zusammenhang nicht die kritizistischen Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede, die Riehl von den bekannteren neukantianischen Schulen abheben. Auch Riehl schätzte, wie etwa auch Cohen, Kant als den Begründer einer kritischen Philosophie, als den Entdecker der transzendentalen Methode und ihrer Bedeutung für die moderne Grundlegung der Wissenschaft. Auch Riehl war deshalb der Meinung, man könne nicht bei Kant stehenbleiben und müsse über diesen hinausgehen. Gegenüber dem Idealismus und allen anderen „nichtwissenschaftlichen“ Formen der Philosophie teilt er mit anderen die Ablehnung jeder Art von Metaphysik, verbunden mit dem Anspruch, mit Hilfe der kritischen Philosophie Kants die Mittel zu

|| 10 Hönigswald 1925b.

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besitzen, die systematische Entwicklung der Philosophie weiter vorantreiben zu können. Riehl aber hat außerdem entdeckt – so sieht es zumindest Hönigswald –, dass Kants Begriff vom Ding an sich kein bloß ontologisch-metaphysischer Rest im sonst reinen kritischen System der Philosophie darstellt, sondern eine wesentliche systematische Bedeutung besitzt. Besonders eindringlich hat etwa Natorp diese vermeintlich dogmatischen Reste, wie sie etwa der Ding-an-sich-Begriff darstelle, bekämpft. Für ihn bleibt vom Ding an sich nur der Aspekt übrig, er bezeichne den Gegenstand der Erkenntnis, sofern dieser das zu bestimmende „X“ in der Gleichung der Erkenntnis sei. Dieses „X“ gelte es zu erkennen, und zwar in einem unabschließbaren Erkenntnisprozess, der eben die immer weiter schreitende wissenschaftliche Forschung beschreibe: da keine Forschung jemals an ihr Ende komme, so sei auch Erkenntnis insgesamt ein „Fieri“, eine unendliche Annäherung an das Gegebene.11 Doch während Natorp Kant und den Neukantianismus in den Kontext des Idealismus, Rationalismus und der deutschen Schulphilosophie des 17. Jahrhunderts und die Entwicklung der neuzeitlichen Mathematik und Naturwissenschaft stellt,12 sieht Riehl eher die empiristischen Wurzeln des kantischen Kritizismus bei Locke und Hume.13 In dieser Perspektive machen Kants Ausführungen zum Ding an sich Sinn: Riehl sieht in dieser von Cohen und Natorp vorgenommenen Reduktion des „Ding an sich“ nach üblicher neukantianischer Lesart auf das, was Kant ein „Noumenon im negativen Verstande“ nennt, nur eine von verschiedenen bei Kant zu findenden Bedeutungen. Ein solches Noumenon ist ersichtlich der korrelierende Begriff zum Phänomenon, zur Erscheinung.14 In diesem Sinne fungiert das Ding an sich als Grenzbegriff der Erkenntnis und der Erkennbarkeit von Erfahrungsgegenständen, und das ist die einzige Bedeutung, die der (Marburger) Neukantianismus zu sehen vermag. Doch für Riehl hat Kant nicht das Dasein der Dinge bestritten, sofern sie unabhängig vom Bewusstsein als dessen Korrelationsbegriff gedacht werden. Der äußere Sinn bei Kant ergreife wirkliche Dinge, und Erscheinungen seien Vorstellungen von zwar unbekannten, aber wirklichen Gegenständen, und daher sei die Erkenntniskritik

|| 11 Siehe etwa Natorp 1912, S. 201ff. u. 211ff. 12 Natorp 1912, S. 195. 13 Etwa Riehl 1908, S. 92ff. 14 Kant, KrV B 306f. In KrV A 255 heißt es: „Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Gränzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche. Er [...] hängt mit der Einschränkung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives außer dem Umfange derselben setzen zu können.“ Rudolf Zocher beispielsweise hat gleich sieben verschiedene Bedeutungen des Begriffs „Ding an sich“ unterschieden, die bei Kant zu finden seien. Vgl. Zocher 1959, S. 28ff.

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Kants auf einer „Wirklichkeitslehre“ aufgebaut.15 Dinge an sich, das ist die Einsicht Riehls, müssen notwendig gedacht werden, sollen Erscheinungen nicht bloß subjektive Vorstellungen bleiben. Daher ist ein Ding an sich niemals absolut unbezogen, sondern es ist dasjenige Moment an der Erscheinung, die diese als unabhängig von einem erkennenden Subjekt denkt, aber gerade in dieser zugedachten Unabhängigkeit auf dieses Subjekt bezogen bleibt. Insofern ist das Ding an sich nicht bloß (gedachter) Grund und Ursprung der Rezeptivität, sondern, wie Kant ausgeführt hat, „transzendentales Objekt“ als zu bestimmender Grund der Erscheinungen.16 Riehl verwendet immer wieder verhältnismäßig viel Mühe darauf zu zeigen, dass Erfahrung als beurteilte und verstandene Wahrnehmung ein Produkt des Denkens sei.17 Es sei dieser Aspekt, der Kant wesentlich über den englischen Empirismus, insbesondere über Hume hinausgeführt habe. Daher seien Raum und Zeit als Formen der Anschauung zugleich Formen der Dinge selbst, „sofern diese zur Anschauung gelangen“, und dazu habe ihn Newtons Unterscheidungen zwischen absoluten und relativen Räumen und Zeiten bei Newton geführt.18 Man sieht hier, wie neben empiristischen Auffassungen von Wahrnehmung und Erfahrung auch wissenschaftstheoretische Aspekte wirksam werden. Als einer der ersten bemerkt hat diese grundlegende systematische Differenz zwischen Riehl und dem idealistisch geprägten Neukantianismus wohl der philosophische Hönigswald-Gefährte Siegfried Marck, indem er in Riehls „geschliffener Formulierung“, „Die Kritik der reinen Vernunft bejaht das Metaphysische, sie verneint die Metaphysik“ mehr sah als nur eine Hinwendung zu einer realistischen Variante des Neukantianismus.19 Ein weiterer Aspekt wird hier wichtig. Einer intellektuellen Anschauung, die es nach Kant nicht geben kann, wären Dinge an sich positiv bestimmte (metaphysische) Gegenstände, Noumena im positiven Verstande, deren Begriffe für uns notwendig leer bleiben. Unterschieden werden müsse, so Riehl, zwischen Ding an sich und Noumenon. Diese Unterscheidung zielt in systematischer Hinsicht bereits auf die Möglichkeit der praktischen Philosophie. Im mundus intelligibilis lägen zwar nicht die Gründe, wohl aber die „Ziele des sittlichen Lebens“. Und so || 15 „Die Kritik lehrt dasselbe Objekt in zweierlei Bedeutung zu nehmen, als Erscheinung und als Ding an sich. [...] Im Begriffe der Erscheinung liegt schon der Begriff des Dinges selbst.“ (Riehl 1924, S. 533). 16 Riehl 1924, S. 555 u. 562f.; Kant, KrV A 250. 17 Etwa Riehl 1908, S. 112. 18 Riehl 1908, S. 115f. „Raum und Zeit sind Formen der Erscheinung der Dinge; weil sie Formen unserer Anschauung der Dinge sind.“ (Riehl 1908, S. 117). 19 Vgl. Riehl 1924, S. 575; Marck 1987, S. 20f.

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hat Riehl gesehen, dass über die Affektion der Sinne hinaus das „Ding an sich“ noch mindestens eine weitere Bedeutung besitzt, die für die Frage nach dem Übergang zur praktischen Philosophie wesentlich ist.20 Zunächst werden die Kategorien durch diesen Begriff innerhalb der Erfahrungskonstitution auf mögliche Erfahrungserkenntnis eingeschränkt, denn das Denken ist die Handlung, „gegebene Anschauung auf einen Gegenstand zu beziehen“21. Ohne Anschauung aber ist der Gegenstand nur transzendental, d. h., es wird kein Objekt bestimmt, sondern nur die mögliche Denkbarkeit von Objekten überhaupt begründet. Kant benötigt das „Ding an sich“, über alle ontologischen Vorurteile hinaus, sachlich wegen der positiven Bestimmung der zulässigen Reichweite des Kategoriengebrauchs. Das „Ding an sich“ bezeichnet einerseits den „transzendentalen Gegenstand“, auf den die Erscheinungen bezogen bleiben. Es ist der „gänzlich unbestimmte Gedanke von Etwas überhaupt“22, den die unschematisierte Kategorie erschließt, so dass der gedachte Gegenstand zwar grundsätzlich konstituierbar, aber unterbestimmt ist. Die Unmöglichkeit der Konstitution bestimmter Gegenstände, die sich nicht mehr durch Kategorien erkennen lassen, bedeutet eben nicht grundsätzlich die Unmöglichkeit nicht-kategorialer, z. B. praktischer Konstitution. Der Übergang von der theoretischen zur praktischen Geltungssphäre bestimmt die mögliche zweifache Verwendung des Begriffs Noumenon, den Kant nicht ohne Grund eben als einen Grenzbegriff bestimmt hat. So zeigt der Schlüsselbegriff der Freiheit in seinem negativ einschränkenden Gebrauch seine Unabhängigkeit von der theoretischen Sphäre als Unabhängigkeit von aller Naturkausalität. In positiver Bedeutung bezeichnet er aber nichts anderes als das allein gesetzgebende Prinzip des Willens, das die Konstitution des Praktischen ermöglicht. Eine umgekehrt vorgehende Abgrenzung erscheint unmöglich, so dass aufgrund der Begründung der Denkbarkeit aller Gegenstände überhaupt eine systematische Vorrangstellung der theoretischen Sphäre begründet wird, obgleich theoretische und praktische Konstitution von gleichwertigem Letztbegründungsrang sind. Die vollständige Systemkonstitution muss den von Kant vorgezeichneten Weg der Stufung der Konstitutionssphären und ihrer Abwandlungen gehen, die Letztbegründungsprinzipien der verschiedenen Geltungssphären des Systems selbst aber sind absolut unbedingt und gleichrangig. Das systematische Verhältnis von Hönigswald zu Riehl scheint nun durch zwei wesentliche Aspekte bestimmt. In seiner eigenen Kantinterpretation folgt Hönigswald Riehl weiter als kaum ein anderer Zeitgenosse; zugleich aber zwingt

|| 20 Riehl 1924, S. 564ff. 21 Vgl. KrV B 304. 22 Vgl. KrV A 253.

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die Weiterentwicklung der eigenen Philosophie Hönigswald bei aller Wertschätzung zu kritischer Distanz. Beide Aspekte sind näher auszuführen. Beginnen möchte ich mit Hönigswalds Kantverständnis, das wohl nirgendwo sonst so klar entwickelt wird wie in Hönigswalds berühmtem Kant-Vortrag von 1924, das Jahr, in das der Tod Riehls und die akademischen Feiern zu Kants 200. Geburtstag fielen. Wie viel Hönigswalds eigenes Kantverständnis Riehl verdankt, zeigt sich gerade hier, wo Riehl mit keinem Wort erwähnt wird. Das „Problem der Gegebenheit“, so heißt es bei Hönigswald, durchziehe Problemstellung und Lösungsansätze der Kritik der reinen Vernunft ebenso wie das gesamte kritische Spätwerk und die nachfolgende Philosophie. Gegebenes als solches, führt Hönigswald aus, „ist schlechthin oder es ist überhaupt nicht“, und das bedeutet, Gegebenes ist nicht nur und ausschließlich das, was sich als Erkenntnis-, Glaubens-, oder Wolleninhalt darstellt. Gegebenes ist auf Erkenntnis, Glauben und Wollen bezogen, aber gerade in dieser Beziehung, sofern sie kritisch verstanden und durchdrungen worden ist, zeige sich die „Unbedingtheit“ des Gegebenen.23 Dinge an sich, so darf man diesen Gedanken Hönigswalds weiterführen, sind nicht einfach nur die Grenzbestimmungen jeder Erfahrungserkenntnis, wie die Neukantianer meinten, sondern sie sind derjenige Faktor an jeder Bestimmtheit, die ein Etwas als Etwas in einen Ordnungs- und Bestimmungskontext setzt. Daher sei Kant kein Vertreter des Rationalismus, wie man oft gemeint habe, sondern der Vollender einer neuen wissenschaftsbegründenden Logik, die einen ihrer bedeutendsten Vorläufer in Leibniz findet. Für Leibniz sei die Logik „Wissenschaft von den Bedingungen der Bestimmtheit von Dingen überhaupt“, sie sei Wissenschaft von dem Begreifen der Dinge „aus den Bedingungen ihrer Bestimmtheit“. Kant sei es gewesen, der nicht nur danach gefragt habe, wie dieses oder jenes bestimmt und möglich ist, sondern wie Bestimmtheit selbst möglich, wie Erkenntnis selbst möglich ist. Daher müsse nach Kant Philosophie Theorie der Gegenständlichkeit sein, um einen Lieblingsterminus Hönigswalds aufzugreifen. Dazu bedarf es aber des Gegenstandes, des Begriffs des Gegebenen. Dieses Gegebene ist nicht nur dadurch gegeben, indem es durch Erkenntnis als Erkenntnisobjekt konstituiert wird, sondern indem es geradezu umgekehrt den notwendigen Gegenpart der Erkenntnis darstellt als das, was eben nach Maßgabe seiner ihm angemessenen Prinzipien zu bestimmen ist.24 Denn Tatsachen oder Gegebenheiten sind es, auf die die Wissenschaften allenthalben stoßen. Es sind ihre Methoden, die sie in ein Ordnungs- und Bestimmungsgefüge einbinden, und es ist die Aufgabe der kritischen Philosophie, die Bedingungen, unter denen ihnen dies möglich ist, aufzu-

|| 23 Hönigswald 1924, S. 43. 24 Hönigswald 1924, S. 9ff.

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finden und zu begründen. Tatsachen sind eine eigene Art, in denen uns Gegenständliches begegnet: „Wir stellen sie fest; unsere Sinne liefern die ersten entscheidenden Anlässe, sie zu suchen.“25 Die Bestimmung der Grenzen der Erfahrung selbst, wie Riehl schrieb, sei bereits selbst eine positive Erkenntnis, denn gerade die Kenntnis dieser Grenzen sei es, die Erkenntnis von Dingen möglich mache. Die Kritik bejahe das Metaphysische, die Metaphysik lehne sie ab - dieses Wort Riehls erfährt bei Hönigswald eine erneute Bestätigung: Metaphysik sei keine apriorische Wissenschaft von Dingen jenseits aller möglichen Erfahrung, sondern „die Umgrenzung des Gebietes, für das apriorische Urteile ihr Recht erweisen können“. Daher sei sie apriorische Theorie der Bedingungen des Begriffs der Erfahrung und zugleich Kritik, also Theorie von der „Unmöglichkeit des Begriffs der alten Metaphysik“. Wie Riehl hält daher auch Hönigswald im Unterschied zu allen anderen Neukantianern an Kants Bestimmung des Erfahrungsbegriffs durch Anschauung und Begriff fest.26 In einer weiteren Hinsicht folgt Hönigswald Riehl. Der Kritizismus als Grundlage jeder möglichen Wissenschaft ist zugleich wissenschaftliche Philosophie. Wenn Philosophie Wissenschaft von der Methode ist, dann ist sie auch Wissenschaft von der Gegenständlichkeit überhaupt. Sie hat sich selbst zu rechtfertigen und ist daher „kritisch“. Als kritische Philosophie, als Transzendentalphilosophie, ist sie zugleich Wissenschaft von den Methoden der Wissenschaften, also von den Bedingungen, unter denen Wissenschaften ihre Gegenstände je nach ihrer spezifischen Methodik begreifen und bestimmen.27 Über die Wahl dieser Methoden aber entscheide letztlich nicht eine Wissenschaft, sondern ihr Gegenstand. In der Analyse und kritischen Rechtfertigung der Bedingungen, unter denen den Wissenschaften dieses möglich ist, werde schließlich die Autonomie der positiven Wissenschaften durch die Philosophie begründet und gesichert.28 Das ist das Programm des philosophischen Kritizismus seines philosophischen

|| 25 Hönigswald 1924, S. 11. 26 Etwa Riehl 1924, S. 574; Riehl 1879, S. 26ff.; Hönigswald 1924, S. 21f.; Hönigswald 1969, S. 213f. Hönigswald hat an diesen Bestimmungen immer festgehalten. 27 Das ist auch die Auffassung Riehls, für den die Entwicklung der kritischen Philosophie „wesentlich eine Entwicklung ihrer Methoden“ ist. Vgl. Riehl 1924, S. 8. 28 „So steht kritische Philosophie sich selbst begründend gleichsam hinter der Front der Wissenschaft. Nicht als deren Wächter: dazu fehlen ihr Mandat, Anlaß und Kräfte. Ihr Feld ist vielmehr das System von Aufgaben, die mit der Tatsache der Wissenschaft gegeben sind; ihr Mittel strenge begriffliche Analyse; ihr Ziel die Rechtfertigung des Begriffs der Wissenschaft, die Ergründung der Bedingungen, kraft deren sie selbst, die Wissenschaft, „möglich”, d. h. gültig ist. Es sind zugleich die Bedingungen der wissenschaftlichen Philosophie.“ (Hönigswald 1924, S. 7f.).

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Lehrers, dem Hönigswald hier grundsätzlich folgt, aber mit eigenen systematischen Mitteln verfolgt. Ablehnung dogmatischer Metaphysik, Analyse der geltungstheoretischen Grundlagen der Erkenntnis, besonders der Erfahrungserkenntnis, und die kritische Prüfung der Grundlagen jeder Wissenschaft als Wissenschaft, das ist das Programm, das Riehl verkündete und dem auch Hönigswald mindestens formal folgt.29 Worin Hönigswald Riehl nicht folgt, ist die Loslösung der Kantischen Problemstellung von den Bedingungen der erkennenden, wollenden, fühlenden, kurz, der „vollziehenden“ Subjektivität. Für Riehl handelt es sich dabei um „Psychologie“ im Sinne eines abzulehnenden Psychologismus, um eine Verwechslung psychologischer und erkenntnistheoretischer Methoden. Riehl glaubt, man könne die Erkenntnisbedingungen gewissermaßen „für sich“, also objektivistisch, untersuchen, denn auch Kant „kenne keine Psychologie“. Kant habe ein Verfahren gefunden und angewendet, „welches gestattet, unabhängig von jeder näheren Annahme über die Entstehung der reinen Erkenntnis, die Bedingungen und Grenzen ihres gültigen Gebrauchs zu zeigen“30. Damit komme ich zu den Gründen, die Hönigswalds Distanz – die vielleicht als eine systematische Weiterentwicklung Riehlscher Positionen gelesen werden könnte – bestimmen. Hönigswald transformiert die von Riehl freigelegten Aspekte des Begriffs vom Ding an sich in die eigene Philosophie; sie kehren dort als Momente des Begriffs „Gegenständlichkeit“ wieder. Hönigswald selbst verweist darauf, wenn er schreibt, in der Philosophie gehe es nicht, wie in den Wissenschaften, um die Bestimmung von Gegenständen, sondern um die Bedingungen, unter denen Gegenstände gegeben werden. „Gegenständlichkeit“ nennt Hönigswald den Gegenstand der Philosophie – beides fällt so für ihn zusammen.31 Wenn das Ding an sich das Korrelat jeder bestimmenden Subjektivität ist, so erwächst in der Frage nach der besonderen Bestimmung konkret gegebener Gegenstände ein neues Problem. Ein jeder Gegenstand bedarf seiner eigenen angemessenen Bestimmung, die Gegenstände der Physik erfordern andere Methoden als die Gegenstände von Psychologie oder Biologie. Es sind diese Abwandlungen des Bestimmungsverhältnisses, die Hönigswald interessieren, und es ist genau dieses Problem, das er von Riehl übernommen hat. Hönigswald schreibt, Riehls Bestimmungen zum Ding an sich seien zwar im einzelnen anfechtbar, aber in einer bestimmten Hinsicht wegweisend. Sie bezeichnen nämlich einen methodisch ausgezeichneten systematischen Faktor der Erkenntnis, der die Möglichkeiten der Gliederung der Mannigfaltigkeit des

|| 29 Etwa Riehl 1908, S. 263. 30 Riehl 1924, S. 10. 31 Hönigswald 1926, S. 39.

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Gegebenen offenhalte.32 Riehl selbst habe diese Gliederung und Binnendifferenzierung der Wissenschaften nicht hinreichend leisten können. Daher sind gerade hier die hauptsächlichen Aspekte zu finden, die Hönigswald dazu geführt haben, nicht nur über Kant, sondern zuletzt auch über Riehl hinauszugehen. Dies geschieht im Hinblick auf die Bestimmungen des Erlebens und den Vollzug jeder Gegenstandsbestimmung. So führt die Analyse dieser Vollzüge zum Problem der Psychologie und darüber hinaus auf das Gliederungsproblem der Wissenschaften insgesamt. Wir wissen, wie Hönigswalds eigener Lösungsansatz aussieht. Auf sein Verhältnis zu Kant und auch Riehl gewendet, hat Hönigswald dazu eine treffende Formulierung gefunden: die Geschichte der Philosophie sei nur möglich als Geschichte der philosophischen Probleme, also zuletzt als System. So versteht er auch Riehls Kritizismus, nämlich als eine philosophische Unternehmung, die auf das „Problem des Gegenstandes überhaupt“ gerichtet sei.33 Es fällt schon an Hönigswalds frühen Texten auf, wie sehr er bezüglich der Analyse der Grundlagen der Erfahrung und der Naturwissenschaften am Begriff von unabhängig vom Denken gegebenen Gegenständen festhält, also an Dingen an sich. In seiner Dissertation etwa, die verständlicherweise noch sehr unter dem Einfluss Riehls steht, folgt er Riehls These, in den Erscheinungen werde Wirkliches bestimmt.34 In seiner Habilitationsschrift folgt Hönigswald Riehl noch insoweit, als er an Kants Begriff vom Ding an sich festhält, da dieses bedinge, ob und wie etwas in der Erfahrung gegeben sei.35 Auch später, wenn nach seiner Habilitationsschrift eine zunehmende Unabhängigkeit im Denken zu beobachten ist, setzt Hönigswald nicht, wie beispielsweise Cohen oder Natorp, die Konstitution naturwissenschaftlicher Erkenntnis mit den Bedingungen allgemeiner Erfahrung gleich. Denn bezüglich der Grundlagen der Naturwissenschaft sind zwei Schritte zu unternehmen. In einem ersten Schritt sind die allgemeinen, transzendentalen Bedingungen möglicher Erfahrung überhaupt zu bestimmen. Erfahrung ist kategorial strukturiert und zugleich durch reine Anschauung bestimmt. Die Gegenstände der Erfahrung sind daher aufgrund des reinen Anschauungsbezugs der

|| 32 „Das Problem der Mannigfaltigkeit zu Ende denken, bedeutet nicht weniger als dies, den Begriff des Dinges an sich im Sinne der Forderungen einzuführen und zu rechtfertigen, die der Begriff des Gegenstandes, wie er sich in dem Bezug zwischen Erleben und Geltung darstellt, erhebt. Hier liegt der eigentliche sachliche Ursprung des Riehlschen Realismus, der tiefere Sinn seiner unablässigen Sorge um die Ausgestaltung der philosophischen Forschung nach Maßgabe der positiven Wissenschaften.“ (Hönigswald 1926, S. 46). 33 Hönigswald 1926, S. 47. 34 Vgl. dazu die Passagen zu Kant und Hume in Hönigswald 1904, S. 39–56. 35 Hönigswald 1906, S. 115ff.

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Mathematik auf die anschauungsbezogenen Ordnungsstrukturen von Raum und Zeit bezogen. Zugleich weist Hönigswald, die transzendentalen Bedingungen der Erfahrung als Prinzipienbestände der Subjektivität, der monás, aus. So sind Raum und Zeit auf eine letztdefinierte monadische Instanz, das Prinzip der Präsenz, verwiesen. Alles Gegebene ist zwar als Tatsache in der Zeit, immer aber prinzipienhaft „auf einmal“ gegeben.36 Ein weiteres monadisches Prinzip der Anschauung ist die Empfindung. Die Empfindung besitzt aufgrund ihrer monadischen Struktur beides: den Subjektbezug der Erfahrungstatsache und die Anerkennung der Unabhängigkeit des Gegebenen in der Erfahrung. Empfindung stellt sich als Reiz dar, der immer an den Organismus eines Einzelsubjekts gebunden ist. Deshalb ist die Erfahrungstatsache gegeben, da sie erlebbar ist, und das heißt, dass sie für „jeden“ erlebbar ist. Ein auf diese Weise Gegebenes unterliegt objektiven Geltungsbestimmtheiten und in der Verständigung auch den Bedingungen der Intersubjektivität. Als Prinzip sind Empfindungen darüber hinaus regelbestimmt. Eine Empfindung ist zugleich in ein mögliches System beliebig vieler Empfindungen eingeordnet, die nach Regeln geordnet und verknüpft sind. Diese Verknüpfungen unterliegen den Regeln der Präsenz, d. h., sie erhalten über die bloße Zeitdauer ihres Erlebens hinaus einen überzeitlichen, geltungsrelevanten Charakter. Empfindung ist in dieser Hinsicht ein Merkmal des Gegenstandes, indem „ich“ diesen durch diese wahrnehme. Jede Empfindung ist zugleich mögliches Erlebnis eines Subjekts. Mit dessen regelhafter Verknüpfung aller Erlebnisse zu kontinuierlichem Zusammenhang ist gleiches für die Empfindung gegeben. Die Methodenlehre bindet also die Erfahrungskonstitution an die monadologische Grundlehre. In einem zweiten Schritt weist Hönigswald außerdem naturwissenschaftliche Erkenntnis als einen besonderen Typus methodenbestimmter Erfahrungserkenntnis aus. Aufgrund der systematischen Stellung seiner Monadologie ist diese durch den Wechselbezug von methodenbestimmter Anschauung, z. B. als „Beobachtung“, und wissenschaftlicher Theorie bestimmt, durch monadische Begriffe also, die sich zugleich auf Gegenstand und Subjekt beziehen. Erfahrung ist daher als eine notwendige Korrelation von Theorie und Anschauung aufzufassen. Schlüsselbegriffe der Grundlegung der Naturwissenschaft wie Experiment und Beobachtung leisten zunächst die jeder wissenschaftlichen Bestimmung

|| 36 Vgl. Hönigswald 1965, S. 121. Präsenz meint „Wissen um einzeitig-überschauend Erlebtes“ (Hönigswald 1976, S. 271). Präsenz bedeutet die gestaltete Zeit eines Subjekts, eines konkreten Ichs, das von sich selbst sagen kann: Ich weiß, ich erlebe. Insofern kann Hönigswald schreiben: „Das Gedächtnis ist geradezu die Tatsache des ,Ich‘ [...]; sie ist Tatsache nur als Prinzip aller Tatsächlichkeit überhaupt.“ (Hönigswald 1925a, S. 325).

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vorhergehende Anbindung des Erfahrungsgegenstandes an das Subjekt. Sinnlich Gegebenes unterliegt in dieser Hinsicht den Bedingungen des Organismus, indem es dem Subjekt immer nur als Reiz gegeben ist. Umgekehrt bestimmen sie die Richtungsbezogenheit des kategorialen Ordnungsgefüges auf den Erfahrungsgegenstand. So sind physikalische Gegenstände extensiv-größenbestimmt und darum auch geometrisch-mathematisch bestimmbar. „Gegenständlichkeit überhaupt“ differenziert sich daher in den Naturwissenschaften zu spezifisch mathematischer Bestimmtheit.37 Weiterhin repräsentieren physikalische Prinzipien den wechselseitigen Bezug von Theorie und Anschauung. Hönigswald sieht dies in den physikalischen Grundbegriffen und -verfahren „Experiment“, „Messung“ und „Beobachtung“ gegeben. Messung, Beobachtung und Experiment sind in ihrer Geltung für Naturgegenstände zwar in ihrem tatsächlichen Vollzug subjektsabhängig, sind aber nicht Leistungen einer reinen, allgemeinen Subjektivität. Denn es geht immer um individuellen Vollzug, es geht um „jemandes“ Messung, Beobachtung und Experiment, deren Bedingungen aber intersubjektiv bestimmbar sind. Immer wieder erläutert Hönigswald diesen Zusammenhang an einem bekannten physikalischen Beispiel, an Galileis Experiment zur Analyse des freien Falls.38 Entscheidend sind dabei folgende Aspekte: Das Verhältnis von empirischer Einzeltatsache und Naturgesetz muss einerseits als eine vom experimentierenden Beobachter unabhängige Beziehung gedacht werden, die sich an einer Einzeltatsache nachweisen lässt und auf Tatsachen bezogen bleibt. Naturgesetze können deshalb nie unabhängig von empirischen Befunden entdeckt werden, sondern bedürfen der Erfahrung. Erfahrung ist aber andererseits nur dann eine physikalisch relevante Instanz, wenn sie methodenbestimmt als Experiment oder Beobachtung auftritt. Wenn man z. B. die Erscheinung des freien Falls an einem herabfallenden Stein experimentell untersucht, erschließt sich methodisch eine komplexe Struktur. Es geht nämlich nicht um eine bloße Verallgemeinerung von Einzelfällen, sondern um ein theoriebestimmtes Beziehungsgefüge, in das mindestens zwei mathematisch formulierte Annahmen eingehen. Hier beginnt die Funktion des naturwissenschaftlichen Experiments. Setzt man nun mit Galilei als erste Annahme, dass Geschwindigkeit und Zeit einander umgekehrt proportional sind (wenn die Ge-

|| 37 Vgl. Hönigswald 1969, S. 197. 38 Vgl. z. B. Hönigswald 1906, S. 1–13; Hönigswald 1965, S. 186ff.; Hönigswald 1969, S. 205–213 und öfter. Riehl hat das gleiche Beispiel verwendet. Die Methode Galileis sei die experimentelle Methode, „welche Induktion und Deduktion, Erfahrung und Denken vereinigt. [...] Statt zu fragen: warum fallen Körper [...] fragt Galilei: wie fallen sie, in welcher Form, nach welchem Gesetze?“ (Riehl 1908, S. 37). Hönigswald folgt hier Riehl.

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schwindigkeit eines Körpers erhöht wird, verringert sich die dafür benötigte Zeit im gleichen Verhältnis), dann gilt auch eine zweite, daraus mathematisch abgeleitete Beziehung: s ≈ t2 (z. B. in doppelten Fallzeiten vervierfacht sich der Fallweg). Ob nun diese mathematischen Beziehungen der Erscheinung des freien Falls gerecht werden, lässt sich nur experimentell entscheiden. Bestätigt das Experiment die zweite Annahme, so gilt – wegen des theoretisch hergestellten mathematischen Zusammenhangs – auch die erste und umgekehrt. Die Anzahl der ausgeführten Experimente ist, wie die Anzahl der beobachteten Fallbewegungen, von untergeordneter Bedeutung. Ein gültig ausgeführtes Experiment genügt, weil kein weiteres Experiment die erkenntnistheoretische Sicherheit des gefundenen Naturgesetzes erhöhen kann. Macht man dagegen, wie die Neopositivsten, die allgemeine Gültigkeit des Naturgesetzes von der Zahl der beobachteten Fälle abhängig, so gilt die induktiv gewonnene Beziehung eben nur für die bisher untersuchten Einzelfälle, nicht aber notwendig auch für die Gesamtheit der Erscheinung, z. B. für den freien Fall selbst. Aber dieses empiristische Verfahren setzt den zugrundeliegenden Erfahrungsbegriff metaphysisch voraus, da das empirisch Gegebene nicht auf seine konstituierenden Bedingungen untersucht wird, sondern als bloßes Faktum hingenommen wird. Hönigswald hebt gegenüber solchen Interpretationen hervor, dass das Experiment als Instrument der naturwissenschaftlichen Forschung immer schon das Produkt der naturwissenschaftlichen Methode ist und nur unter den Gesichtspunkten der Theorie, über deren Richtigkeit es entscheiden soll, seine Funktion ausüben kann. In gleicher Weise bestimmt Hönigswald die methodische Funktion von Messung und Beobachtung im Experiment. Auch hier geht es nicht um technische Probleme von Messung und Beobachtung, die natürlich den durch Quantentheorie und Relativitätstheorie bestimmten Bedingungen unterliegen, sondern um das zugrundeliegende Problem der Sinnlichkeit im System der Erfahrungserkenntnis. Dabei verkörpert auch das physikalische Prinzip der Messung den Wechselbezug von Theorie und Anschauung im Erfahrungsbegriff. An ihm bestimmt sich die extensive, raum-zeitliche Größenbestimmtheit der Erscheinungen und damit auch die mögliche Anwendbarkeit der Mathematik auf Naturgegenstände. Die Messung bedarf ebenso theoriegeleiteter Überlegungen in ihrer Anwendung auf zu messende Naturgegenstände, wie sie umgekehrt die naturwissenschaftliche Theoriebildung notwendig in ihrer Anwendung auf Naturgegenstände nachprüft und leitet. Beobachtung und Messung sind deshalb Grundfunktionen des Experiments.39

|| 39 Vgl. Hönigswald 1965, S. 32ff.

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Verfolgen wir diesen Begründungszusammenhang weiter, so wird Riehl noch in mindestens einer weiteren Hinsicht für Hönigswald wesentlich. Wissenschaftliche Philosophie bedeutet nicht nur, dass die Philosophie wissenschaftlich werden müsse, sondern dass sie zugleich Philosophie der Wissenschaften sein muss. Riehl war ein Gegner jeder Form von „Einheitswissenschaft“ und weit davon entfernt, die Methoden der Physik als Paradigma jeder Wissenschaft zu setzen, auch wenn seine Aufmerksamkeit vor allem der Physik und darüber hinaus auch der Physiologie galt. Insbesondere das Problem der Psychologie, das hat schon Riehl gesehen, widersetzt sich einer objektivistisch-physikalistischen Lösung. Erfordert werden also Prinzipien, die Abwandlungen wissenschaftlicher Methoden begründen. Doch wirklich durchgeführt ist dieses Programm bei Riehl nicht, zu sehr bleibt sein Wissenschaftsverständnis noch dem Exaktheitsideal der Physik verpflichtet. Zudem wird die Philosophie auf den Begriff der „Erkenntniswissenschaft“ eingeschränkt, wobei das erkennende Bewusstsein als ein solches gedacht wird, das durch „Empfindung“ als vermittelnde Funktion die Beziehungen zur Wirklichkeit bestimmt. Von den Dingen, wie sie an sich sind, ist Erkenntnis möglich, weil begriffliche Erkenntnis sich bereits durch Empfindung auf diese Wirklichkeit zu beziehen vermag.40 Damit bleibt die kritische Philosophie doch zuletzt nur eine Theorie der (wissenschaftlichen) Erfahrung. Sie konvergiert hiermit den von Riehl bekämpften idealistischen Erkenntnisvorstellungen des Marburger Neukantianismus. Aus der Sicht Hönigswalds bearbeitet damit Riehl nur eines von verschiedenen Grundlagenproblemen der Wissenschaft. Sie berücksichtigt nämlich Wissenschaft nur als bloße Erfahrungswissenschaft. Das aber gilt beispielsweise nicht und vor allem nicht für die Psychologie. So ist es kein Zufall, dass die Wissenschaftsystematik Hönigswalds in ihren Gliederungsprinzipien weit über Riehl hinaus geht, obgleich Hönigswald von Riehl den Gedanken übernimmt, dass diese Systematik ihren Grund in der

|| 40 „Die Philosophie in ihrer neuen, kritischen Bedeutung ist die Lehre von der Wissenschaft, der Erkenntniss selbst. Sie ist die Erkenntnisswissenschaft. Sie forscht nach den Quellen des Erkennens, ermittelt seine Bedingungen und bestimmt seine Grenzen. So aufgefasst nimmt sie wirklich die centrale Stelle unter den Wissenschaften ein, welche sich die alte Philosophie über denselben angemasst hatte. Während die übrigen Wissenschaften das Verständniss je einer besondern Gruppe von Erscheinungen vermitteln, vermittelt die Philosophie das Verständniss der Wissenschaft selbst. Sie hat und erfüllt den Beruf, den einzelnen positiven Disciplinen gegenüber die allgemein-wissenschaftliche Bildung zu vertreten. Es gibt eine Tatsache, welche die gewisseste, die unmittelbarste aller Tatsachen ist und nur deshalb so leicht von uns übersehen wird, weil sie zu nahe liegt. Diese Tatsache ist das Bewusstsein der Empfindung. In unsere Empfindung kleidet sich alles, was von der Wirklichkeit zu unserer Erfahrung gelangt und je gelangen kann.“ (Riehl 1883, S. 38).

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Struktur des Gegenstandes haben müsse. Doch dieser „Gegenstand“ – Gegenständlichkeit, wie Hönigswald sagt –, ist kein ontologisch für sich gegebener Inbegriff, sondern bereits Konstitutionsleistung der Subjektivität. Die von Hönigswald „monadisch“ genannten Prinzipien folgen aus dem spezifisch Riehl verpflichteten Kantverständnis. Für Hönigswald gibt es nicht die eine wissenschaftliche Methode, die ihren Grund in einer reinen Logik hätte. Wie es eine Vielzahl von Subjekten gibt, so auch eine Vielzahl aller von Menschen geschaffenen Kulturleistungen, zu denen auch die Wissenschaften gehören. Ihre Theorien und Verfahren sind zwar auch durch allgemeine Methoden wie das Prinzip der logischen Widerspruchsfreiheit bestimmt. Logische Prinzipien allein lassen aber nicht die Unterschiede zwischen ihnen verständlich werden, sonst wären alle Wissenschaften nur Varianten derselben Wissenschaft. Ebenso kann es keine Einheitssprache geben, sondern Sprache „ist“ nur als Vielzahl tatsächlicher Sprachen. Das Prinzip lässt sich auf sämtliche Kulturleistungen übertragen: nicht die Kunst, sondern viele Künste, nicht das Rechtssystem, sondern viele, nicht die eine Religion, sondern viele. Für eine hinreichende Bestimmung der Psychologie ist daher die Frage nach Begriff und Methode der Wissenschaften wesentlich. Im Sinne Kants versteht Hönigswald unter einer Methode ein geordnetes „Verfahren nach Grundsätzen“, also „die einem bestimmten Forschungsgebiet angemessene Art, Fragen zu stellen“.41 Forschungsgebiete sind keine Gegenstandsgebiete. Im Gegenteil, dasselbe Phänomen kann ein jeweils verschiedener „Gegenstand“ einer je anderen Wissenschaft sein. Ein Knochen beispielsweise bedeutet für Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin etwas jeweils anderes, deshalb unterscheiden sich die Wissenschaften nicht durch ihre ontologischen Gegenstände, sondern durch ihre Methoden. Dazu bildet jede dieser Disziplinen ihre eigene Nomenklatur aus, die nicht immer unmittelbar einsichtig ist. Doch trotz ihrer Verschiedenheit, die am besten durch einen wissenschaftstheoretischen Methodenpluralismus beschrieben werden kann, stehen die Wissenschaften in einem inneren Zusammenhang, ähnlich den Mitgliedern einer Familie. Dies führt Hönigswald dazu, von einer „Wissenschaftsreihe“ zu sprechen, die von Logik, Mathematik, über Naturwissenschaften, Medizin und Psychologie bis hin zu den Kulturwissenschaften reicht. Innerhalb dieser Reihe lassen sich drei scharfe prinzipientheoretische Einschnitte nachweisen. Der erste Einschnitt betrifft das Verhältnis formaler „axiotischer“ Wissenschaften wie der Logik und Mathematik zu den „exakten“ Erfahrungswissenschaften Physik und Chemie. Den Grund der Differenzierung wird mit Kant und gegen den Neukantianismus in der Anschauung gesehen, die an die Seite der Logik tritt. Nach Kant ist || 41 KrV B 883; Hönigswald 1927, S. 205.

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Erfahrung durch diese nicht aufeinander rückführbaren Momente (Sinnlichkeit und Kategorialität) möglich. Die diesem Erfahrungsbegriff korrespondierenden Wissenschaften heißen Tatsachenwissenschaften. Die zweite wichtige Differenzierung erfolgt noch innerhalb der Naturwissenschaften, und zwar mit der Einführung derjenigen Prinzipien, die die Grundlegung von Biologie oder Physiologie ausmachen. Hier wird der Organismusbegriff als prinzipientheoretische methodologische Grundlage ausgewiesen. Da Subjektivität an den Begriff des Organismus gebunden wird, sind Wissenschaften von diesem Typus „monadische“ Wissenschaften, in denen der Gegenstand sowohl Faktum als auch Prinzip ist. Von ähnlicher methodischer Beschaffenheit sind alle Geisteswissenschaften. Eine dritte Gruppe bilden schließlich die Prinzipienwissenschaften Psychologie und Philosophie. In dieser Konzeption hat die Philosophie die Aufgabe, die Prinzipien jeder Wissenschaft zu begründen, ihre Gegenstände sind folglich Prinzipien. Die Pointe ist nun, dass auch die Psychologie nur als eine solche Wissenschaft zu verstehen ist. Jede experimentelle Erforschung von Denkphänomenen setzt bereits das „denkende Verhalten des Versuchsobjektes“ selbst voraus, und dieses denkende Verhalten stelle „die oberste und letzte theoretische Voraussetzung jedes Denkexperiments“ dar.42 Wir erkennen hier, wie Hönigswald auch Riehl hinter sich lässt. Hauptgrund ist das bei Riehl ungelöste Problem der Psychologie. Findet er in Riehl noch einen Mitstreiter gegen jede Form des Psychologismus, so hat Riehl keine Analyse der Psychologie und ihr Verhältnis zur Philosophie und zur Physiologie mehr gegeben. Riehl glaubt vielmehr, die Problemstellung der Psychologie lasse sich gewissermaßen erkenntnisobjektivistisch bewältigen.43 Erschwert wird hier die Analyse der Theoriestücke Hönigswalds durch eine Schwierigkeit, die bereits Wolandt, Brelage und Meder bemerkt haben und die vor allem Zeidler in das Zentrum seiner kritischen Auseinandersetzung mit Hönigswald stellt. Beklagt wird ein wissenschaftstheoretischer Positivismus, den Hönigswald mit Riehl und anderen Neukantianern teile, indem Hönigswald das Faktum der Wissenschaft mitsamt ihrer Prinzipienstruktur als gegeben anzunehmen und gewissermaßen ihre „Rechtfertigung“ erst im Nachhinein zu unternehmen scheint. Vor allem Wolandt hielt eine solche Analyse der Systematik

|| 42 Hönigswald 1913, S. 214. 43 „Ich gehe in den folgenden Untersuchungen von der realistischen Hypothese aus. Ich nehme an, dass Etwas vom Bewusstsein Verschiedenes und Unabhängiges existire, unter welcher Annahme, wie gezeigt worden ist, das ganze Problem der Erkenntnisstheorie erst seine eigentliche Bedeutung und Tragweite erhält. Ich nehme also an, dass das Bewusstsein selbst eine Erscheinung sei und zugleich der Träger aus ihm abgeleiteter Erscheinungen.“ (Riehl 1879, S. 18).

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Hönigswalds nur auf der Grundlage einer Subjektivitätstheorie für möglich, die aber für Zeidler ungeklärte ontologische Voraussetzungen zementiert. Die zentralen Probleme seien dagegen eher nach dem Bild einer Ellipse zu fassen, die um die systematischen Brennpunkte des Problems des Gegebenen und das Problem einer allgemeinen Methodenlehre kreisen. Zeidler glaubt damit der Subjektivitätsdiskussion, die von den früheren Hönigswald-Interpreten als Zentrum der Hönigswaldschen Philosophie angenommen wurde, entkommen und auflösen zu können. Dazu weist er auf die transzendentalen Erkenntnis- und geltungstheoretischen Prinzipienbestände hin, die es vor aller subjektstheoretischen Analyse aufzudecken und zu legitimieren gelte. Gerade in diesem Bemühen sieht Zeidler das Hönigswaldsche Denken in der Tradition Riehls. Dessen realistischer Ansatz verbinde sich bei Hönigswald mit einer Methodenlehre zu einer „Wechselbezüglichkeit von Faktizität und Prinzipialität“. Diese Beziehungsverhältnisse herausgestellt zu haben, ist zweifellos vor allem das Verdienst Zeidlers, der in Hönigswalds systematischem Ansatz eine Weiterführung des realistischen Kritizismus Riehls sieht, die durch eine Auseinandersetzung mit dem Geltungsobjektivismus der Marburger und Südwestdeutschen Schule erreicht wurde.44 Doch die Frage nach der Begründung und den Grundlagen der Psychologie gerät hier aus dem Blick. Ihre Verfolgung führt zu etwas, was ich entgegen Zeidlers Hönigswald-Interpretation die Notwendigkeit eine „Theorie der Subjektivität“ nennen möchte und deren Ausbildung von Moritz Löwi und Wolfgang Cramer weitergeführt wurde. Denn die aus meiner Sicht entscheidende Frage, wie geltungstheoretische Konstitutionsleistungen ihrerseits möglich sind, kann nicht an späterer Stelle der transzendentalphilosophischen Systematik ausgeführt werden, da sie schon subjektstheoretischen Bedingungen unterliegen. Damit meine ich keine „Ontologisierung von Subjektivtätseigenschaften“, sondern den Aufweis, dass sich in jeder transzendentalen Analyse von Erkenntnis- und Geltungsbedingungen diese sich als solche von Subjekten erweisen. Die Frage wäre also, wie Leistungen von Subjekten zugleich als objektivierte Erkenntnisleistungen wie auch als Ausdruck von Subjekten möglich sind, die auch anderes als Erkenntnis zu produzieren imstande sind. Mit anderen Worten: Die Beschränkung auf geltungstheoretische Konstruktionen allein führt zwar zur Aufdeckung

|| 44 „Diese beiden Grundprobleme (das Problem des ‚Gegebenen‘ und das Problem einer ‚Allgemeinen Methodenlehre‘) erwachsen nämlich ihrerseits aus der Problematisierung der beiden Eckpfeiler (des realistischen und des wissenschaftstheoretischen) auf denen der philosophische Kritizismus Alois Riehls ruht; aus einer Problematisierung, die sich einfach daraus ergibt, daß Hönigswald das schlichte Nebeneinander beider Ansätze in eine strenge Wechselbezüglichkeit transformiert.“ (Zeidler 1995, S. 100f.; Zeidler 2004).

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notwendiger, aber nicht hinreichender Prinzipienbestände wissenschaftlicher Erkenntnis. Notwendig wird etwas Vernunftfremdes, das Riehl im Anschluss an Kant „Empfindung“ genannt hat. Es ist dieser Aspekt, den Hönigswald von Riehl übernimmt und der ihn in einer weiterführenden Ausweitung auf Prinzipienbestände führt, die er monadisch nennt: Wie kann ein Prinzip etwas sein, das zugleich gegeben ist? Ersichtlich ist diese Frage gleichbedeutend mit der anderen Frage, wie ein gültig erkennendes, urteilendes, wollendes – kurz: erlebendes – Subjekt zugleich als ein Gegebenes gültig und widerspruchsfrei gedacht werden kann. Das bedeutet nicht, irgendwelche ontologischen Sachbestände unausgewiesen anzunehmen, sondern zu analysieren, ob und wie eine erlebende Subjektivität zugleich als Bedingung von Erkenntnis, Wissenschaft, Ethik, Recht oder Kunst bestimmt werden kann. Hönigswald bindet daher das Problem der Gegenständlichkeit, in das er Riehls Diskussion von Kants Begriff „Ding an sich“ transformiert hat, an das Problem der Psychologie.45 Denn Hönigswald stellt an den Anfang die „Psychologie des Denkens“46, und zwar mit zweifacher Zielrichtung. Einerseits geht es um eine Klärung des Begriffs der Psychologie als Wissenschaft, andererseits um die Bedingungen, unter denen Erkenntnis und alle anderen Leistungen der Subjektivität möglich werden. So wird, Denkpsychologie erstens verstanden als diejenige wissenschaftliche Form, in der psychologische Fragen überhaupt methodisch hinreichend bearbeitet werden können. Diese Auffassung richtet sich auf eine Wertschätzung denkpsychologischer und gestalttheoretischer Richtungen der Psychologie, insbesondere der Külpes.47 Sie ist ausdrücklich gegen den Elementarismus und die Assoziationspsychologie Wundts gerichtet. Hönigswald macht einfach gegenüber allen Formen von Wahrnehmungspsychologie nur geltend, dass auch das „Unanschauliche“, nicht bloß das auf Wahrnehmung beruhende assoziative Verknüpfen Gegenstand der Psychologie sein könne: „der Gedanke als solcher wurde jetzt zum psychologischen Problem“, das gewusst werden könne, was niemals assoziiert werden könne. Aus der psychologischen Forschung erwächst so notwendig die Forderung nach einer Analyse des Begriffs „Wissen“, die unabhängig von

|| 45 „Zwar erörtern es auch die Marburger. Doch verwischt sich ihnen die besondere Dimensionsbestimmtheit des Psychischen. [...] Es ist nun Riehls, vielleicht nicht nach allen Seiten bewußtes Verdienst, diese Entwicklung durch seinen Begriff des Dings an sich [...] den Zugang zu einer erschöpfenden Bestimmung des Begriffs einer gegebenen Mannigfaltigkeit offengehalten zu haben. Das Mannigfaltige, als Mannigfaltiges des Erlebens, ist immer auch grundsätzlich gegenstandsbezogen. So kennzeichnet das Problem der Psychologie den bedeutsamen [...] gedanklichen Gehalt des Motivs vom Ding an sich.“ (Hönigswald 1966, S. 188). 46 Hönigswald 1913, S. 210ff. 47 Hönigswald beruft sich auf Külpe 1912. Vgl. Hönigswald 1913, S. 225.

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Anschauung oder Assoziation zu begründen sei. Hönigswald fordert also eine grundlagentheoretische Analyse, die zwar aus der Psychologie erwächst, aber nicht mit psychologischen Methoden und Begriffen geleistet werden könne. Knapp fasst Hönigswald die Leistungen der Denkpsychologie Külpes dahingehend zusammen: sie liegen in der Analyse aller den Begriff des Wissens betreffenden Phänomene und Prozesse, aber auch Glauben, Meinen, Vermuten, Annehmen lassen sich denkpsychologisch untersuchen. Selbst das Erkennen, das sich in den Urteils- und Schlussformen zeige, sei grundsätzlich diesem Zugriff nicht entzogen. Folglich richtet sich zweitens eine solche Grundlagenerforschung der Psychologie gegen alle Formen des Psychologismus und Bewusstseinsphilosophien, aber auch gegen die reinen Geltungstheorien des Neukantianismus. In Auseinandersetzung mit Natorp, Cassirer, Husserl und Meinong entwickelt Hönigswald erstmals skizzenhaft eine neue Art kritischen Philosophierens, das sich nicht nur an den historischen Wissenschaften, wie der Südwestdeutsche Neukantianismus, oder an den mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen – wie der Marburger Neukantianismus – orientiert, sondern die Psychologie als Wissenschaft ernsthaft berücksichtigt. Gefordert werden müsse daher, statt allein auf die Konstitutionsleistungen reiner Subjektivität abzustellen, dass die experimentelle Erforschung des Denkphänomens eben das denkende Verhalten des Versuchsobjektes selbst voraussetzt; [...] dass dieses denkende Verhalten die oberste und letzte theoretische Voraussetzung jedes Denkexperiments darstellt.48

Gefordert wird hier nichts anderes als eine Theorie der konkreten Subjektivität.49 Denn diese „Form des Psychischen“ beruhe auf einer begrifflichen Relation, in der die reinen Geltungswerte sich mit Seinsbestimmtheit verbinden. Nach welchen Gesetzen psychische Prozesse ablaufen, und wie genau ein Psychisches als Faktum beschaffen ist – wann also diese Seinsbestimmtheit zeitlich eintritt –, sind Fragen der experimentell-psychologischen Forschung, also der experimentellen Denkpsychologie.50 Wie die Beziehung selbst aber die Grundstruktur des Psychischen ausmachen kann, ist Thema kritischer Philosophie. In konkreten psychologischen Sachverhalten also aufzuzeigen, wie ein Faktum zugleich

|| 48 Hönigswald 1913, S. 211. 49 Hönigswald kann hier der Phänomenologie Husserls bei aller Kritik durchaus positive Aspekte abgewinnen, da Husserl diese theoretische Analyse zum Programm erhoben hat. Kritisch diskutiert werden auch Cassirers und besonders Natorps Begriffsbestimmung der Psychologie. Hönigswald 1913, S. 219ff. 50 Dieser Begriff fällt tatsächlich. Hönigswald 1913, S. 214.

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Prinzip ist, ist die Aufgabe. In diesem Zusammenhang ist eines entscheidend: Die Denkpsychologie kann nicht nur Gegenstand einer Wissenschaft sein, deren Analyse ihrer Grundlagen aus einer bloß wissenschaftstheoretischen Perspektive erfolgen und von psychologischen Faktoren gänzlich unbetroffen sein könnte. Sie ist nicht „von außen“ – in der Perspektive der 3. Person, wie man heute zu sagen pflegt – möglich, einfach deshalb, weil das konkrete Subjekt immer auch Gegenstand (Tatsache) wie Träger (Prinzip) der Analyse ist. Die Denkpsychologie kann deshalb nie in einem gegenständlichen Sinn die Frage klären, was das Denken sei, denn der kritisch geklärte Begriff des Denkens ist die methodische Grundlage, auf der die psychologische Fragestellung beruht. Die Denkpsychologie muss deshalb beides gleichzeitig leisten: mit der psychologischen Analyse die kritische Reflexion ihres eigenen Begriffs durchzuführen. Diese Analyse ist damit gewissermaßen „kritische“ Denkpsychologie bzw. denkpsychologische Prinzipienlehre, also Transzendentalphilosophie.51 So muss zuletzt alle Erkenntnistheorie und Philosophie in einer Theorie der Subjektivität gründen, zu der hin später Hönigswald mit seiner Schrift Philosophie und Sprache entscheidende Beiträge geleistet hat.52 Der „Doppelung“ von reiner Erkenntnis und der durch einzelwissenschaftliche Methoden bestimmten empirischen Erkenntnisse entspricht im Neukantianismus die Unterscheidung zwischen reinem und empirischen bzw. „psychologischem“ Subjekt. Diese Unterscheidung wird aufgehoben. Stattdessen wird danach gefragt, wie konkrete Einzelsubjekte und konkrete Gemeinschaften von Subjekten zu Leistungen unbedingter Geltung fähig sind. Denn es sind die Individuen, die diese Leistungen tatsächlich herstellen müssen oder sie „vollziehen“, wie Hönigswald sagt. In diesem Versuch gründet die Unterscheidung zwischen Prinzip und Faktum, die im konkreten Subjekt zusammenfallen. Eben das Denken als „Vollzug“, als Erleben, als Inbegriff tatsächlich vollzogener psychischer Akte, ist Thema der Psychologie und begründet die enge prinzipientheoretische Nähe zur Philosophie. Diese Korrekturen am neukantianischen Programm eröffnen neue Dimensionen philosophischer Untersuchungen, indem sie das rationalistische Geltungskonzept erweitern und auch empirisch gewonnene Gliederungsmomente berücksichtigen. Erkenntnis und Wissenschaft beruhen nicht nur auf Prinzipien, sondern auch auf || 51 Die Denkpsychologie ist „nicht nur ein Objekt, sondern auch ein Vehikel der kritischen Untersuchung. Sie vertieft den Begriff der Psychologie überhaupt und sie erweitert den Begriff der Wissenschaftslehre. Sie schafft der Erkenntnis ein neues Gebiet der Rechtfertigung ihres eigenen Bestandes. In neuer und kritischer Form rechtfertigt sie damit die Unvergänglichkeit der Problemstellung Kants.“ (Hönigswald 1913, S. 245). 52 Ebenso wie Hönigswalds Schüler Löwi hat vor allem Wolfgang Cramer die Notwendigkeit einer solchen Weiterentwicklung des Kritizismus vorangetrieben. Vgl. dazu Breil 2020; Breil 1991.

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Faktizität. Wie wäre eine Biologie möglich, wenn es keine Lebewesen mit einem konkreten Sosein gäbe? Das Faktische ist kontingent, es könnte auch anders sein. Eben darum kann es in seinen Grundlagen nicht vollständig apriorisch abgeleitet werden. Vor allem sind es die sich neu etablierenden Wissenschaften Psychologie und Pädagogik, die auf eine Weise berücksichtigt und begründet werden, die weit über die neukantianischen Versuche hinausgehen und zuletzt auch ein tieferes Verständnis der Grundlagen der Medizin, insbesondere der Psychiatrie, ermöglichen. In jeder ihrer Disziplinen betrifft die Philosophie den Menschen. Hönigswald sieht die monás durch zwei Prinzipien bestimmt, die er Prinzip und Faktum nennt. In biologischen Wesen mit Selbstbewusstsein fallen sie zusammen. Einerseits ist die monás Faktum. Sie ist als Organismus in der Natur gegeben und insofern naturwissenschaftlich – als Lebewesen – bestimmbar. Zugleich ist sie Grund dieser Bestimmbarkeit. In den komplexeren, insbesondere kognitiven Formen des Erlebens, begegnen Organismen, die nicht nur erleben, sondern um sich und ihr Erleben wissen. Insofern ist eine monás immer ein individuelles Ich, ist immer Subjekt. Dieses Subjekt ist zugleich der Grund der Möglichkeit, Wissen über sich selbst und seinesgleichen zu erwerben. Subjekte stehen in Gemeinschaft und verhalten sich zueinander nach Regeln der Verständigung und Sprache. Ihre Verbundenheit und wechselseitiger Austausch gehen über eine bloß räumlich-physische Verbundenheit hinaus. Für Gemeinschaften erlebender Subjekte sind verschiedene Formen von Verständigung möglich, sie bestimmen Kunst, Kultur oder Wissenschaft. Es sind wirklich lebende und erlebende Menschen – Monaden im Sinne Hönigswalds –, die Wissenschaft treiben und dabei Physisches und Psychisches zu verstehen suchen. Und so begleitet Hönigswalds Rückblick auf die wissenschaftliche Leistung Alois Riehls ein gewisses Bedauern darüber, dass Riehl den denkpsychologischen Weg nicht mitgehen konnte. In seinem Nachruf heißt es, Riehl habe zu Leibniz kein positives Verhältnis gewinnen können, weil er dessen Philosophie für bloß positive Metaphysik und daher für unwissenschaftlich gehalten habe: Sicher ist nur, daß er in der Monadenlehre nicht den reinsten Ausdruck des Strebens nach einer auch die Probleme der Psychologie mit umspannenden Theorie der Erkenntnis erblickte [...] Noch prägte sich eben Riehl im Begriff der Ordnung nicht die umfassende Gesetzlichkeit auch der Erfahrung aus; noch hielt er Psychologie viel zu selbstverständlich für Naturwissenschaft, als daß er ihrem Begriff einen bestimmenden Einfluß auf die Theorie der Erfahrung hätte einräumen können.53

|| 53 Hönigswald 1925b.

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Kurt Walter Zeidler

‚Realistischer Kritizismus‘ und ‚Österreichischer Neukantianismus‘ Abstract: Alois Riehl’s philosophy cannot be adequately grasped by the usual focus on ‘the two schools’ of Marburg and Southwest German neo-Kantianism, nor by the explicit anti-Kantianism of a historiography struggling to define “Austrian philosophy”. This has led to Riehl’s posthumous relegation to an outsider position. In this article, I try to correct this picture by assigning Riehl to a third main direction of neo-Kantianism, the ‘realistic criticism’. In doing so, the article outlines Riehl’s philosophy based on the concept of ‘Erleben’ and contextualizes it with reference to Richard Hönigswald’s and Robert Reininger’s approach.

Einleitung Der Einladung zu einem Beitrag für den vorliegenden Sammelband bin ich umso lieber gefolgt, als ich bereits vor über zwei Jahrzehnten von einem „Österreichischen Neukantianismus“ sprach,1 der eine spezifische Ausprägung des realistischen Kritizismus2 sei. Die Hinweise auf die ‚realistische‘ Richtung des Neukantianismus, sowie auf einen ‚österreichischen‘ Neukantianismus bedeuteten eine doppelte Frontstellung: zum einen gegenüber der etablierten Neukantianismusforschung, die sich nahezu ausschließlich auf die ‚beiden Schulen‘ des Neukantianismus (die Marburger und die Südwestdeutschen) beschränkte, zum anderen gegenüber einer Geschichtsschreibung, die in ihrem Bemühen um eine Begriffsbestimmung der „Österreichischen Philosophie“, den Kantianismus nicht nur ausklammerte, sondern zu einer Verirrung stilisierte, von der die „Österreichische Philosophie“ glücklicherweise verschont geblieben sei. Die beiden Hinweise haben sehr unterschiedliches systematisches Gewicht: während der Begriff eines „Österreichischen Neukantianismus“ als provokativer Hinweis auf den blinden Fleck eines philosophiegeschichtlichen Narrativs und unter systematischem Aspekt nur als Spezifizierung des || 1 Vgl. Zeidler 1997 und 1998. 2 Zeidler 1995, S. 65ff. || Kurt Walter Zeidler, Universität Wien [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-015

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realistischen Kritizismus zu verstehen ist, gewinnt der Begriff des „realistischen Kritizismus“ in Abhebung vom wissenschaftslogischen Idealismus der Marburger und von der Wertphilosophie der Südwestdeutschen insofern eminente systematische Bedeutung, als diese drei Richtungen des Neukantianismus drei alternative Ansätze verfolgen, die Kant seit der Mitte der 80er Jahre in (vorläufiger) Umgehung seiner prinzipientheoretischen Deduktionsabsichten in Anschlag bringt: die Betonung der wissenschaftlichen Faktizität des Apriori in der zweiten Auflage der Vernunftkritik [Marburger], die ZweiWelten-Theorie der zweiten Kritik [Südwestdeutsche] und die Rehabilitierung des ontotheologischen Ordo-Gedankens in der Kritik der Urteilskraft [realistischer Kritizismus].3

Die Feststellung formuliert eine deutliche Kritik an Kant, vor allem aber am Neukantianismus, dessen Hauptrichtungen gerade den Ansätzen gefolgt sind, die Kant „in (vorläufiger) Umgehung seiner prinzipientheoretischen Deduktionsabsichten“ entwickelte. Verständlich ist diese Kritik und damit auch die Feststellung freilich nur unter einer Voraussetzung, die für das zeitgenössische Philosophieverständnis alles andere als selbstverständlich ist: sie sind nur verständlich, wenn man annimmt, dass Kants ‚prinzipientheoretische Deduktionsabsichten‘, insbesondere seine ‚metaphysischen Deduktionen‘ der Kategorien und Ideen, nach wie vor systematisch relevant und einlösbar sind. Sie sind allerdings – und damit eröffnet sich eine dritte Frontstellung gegen jeden orthodoxen Kantianismus – nur einzulösen, wenn man zu einer Revision zentraler und meist für unverzichtbar gehaltener Lehrstücke der Kantischen Philosophie bereit ist. Da sich meine systematische Arbeit im Zuge dieser Revision4 auf die Erneuerung des Idealismus und insbesondere die Vereinbarung von antikem und neuerem Idealismus konzentrierte,5 rückte in der Auseinandersetzung mit dem Neukantianismus zunehmend die Marburger Schule in den Vordergrund.6 Der vorliegende Beitrag greift daher weitgehend auf eine Untersuchung zur Transzendentalphilosophie in Österreich zurück,7 welche die Ergebnisse früherer Arbeiten zum realistischen Kritizismus und Österreichischen Neukantianismus zusammenfasst und damit vorweg dem Generalthema „Kant in Österreich“ entspricht.

|| 3 Zeidler 1995, S. 73, Anm. 28. 4 Vgl. Zeidler 1992, 2016a. 5 Zeidler 2016b. 6 Zeidler 2018. 7 Zeidler 2004.

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1 Kant in Österreich Die österreichische Kulturpolitik hat im 19. Jahrhundert bewusst die Verdrängung der Kantischen Philosophie betrieben. Die nicht zuletzt von ihrem eifrigsten Herold, dem aus Wien nach Weimar geflüchteten ehemaligen Barnabitenmönch Carl Leonhard Reinhold, beschworene Affinität zwischen dem Kritizismus Kants und einem aufgeklärten Protestantismus, sowie den Ideen der Französischen Revolution,8 war für die restaurativen Mächte in Staat und Kirche Anlass genug, alle Regungen des Kantianismus in der Habsburgermonarchie im Keim zu ersticken.9 Dieser Gegenaufklärung war nachhaltiger Erfolg beschieden. Sie bewirkte, dass sich – neben dem traditionellen katholischen Lehrbetrieb – im Vormärz nur die populärphilosophische ‚Glaubensphilosophie‘ Jacobis und ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nur der Herbartsche ‚Realismus‘ an Österreichs Hochschulen etablieren konnten,10 wobei sich die Philosophie Herbarts nicht etwa deshalb empfahl, weil sie von Kant und Fichte ausgeht, sondern weil sie sich in ihren Methoden und Resultaten der vor-kantischen Schulmetaphysik nähert und sich zudem – man denke an Herbarts unrühmliche Rolle im Fall der ‚Göttinger Sieben‘ – durch ihre politische Abstinenz empfahl. Insofern passt der Herbartianismus in ein anti-idealistisches Bild der österreichischen Geistesgeschichte, demzufolge unter der „Österreichischen Philosophie“ ein gegenstandstheoretisch, sprachkritisch und wissenschaftsanalytisch orientierter Traditionszusammenhang zu verstehen sei, der sich seit seinen Anfängen (bei Bolzano und Brentano) in ausdrücklichem Gegensatz zur Kantischen Philosophie und allen spekulativ-idealistischen Systembildungen bewegt, sich im Neopositivismus des Wiener Kreises formiert und sodann als Analytische Philosophie seinen Siegeszug über die ganze Welt angetreten hat.11 Dieses ideologisch und wissenschaftspolitisch motivierte Narrativ von der „Österreichischen Philosophie“ hält allerdings einer genaueren Analyse ebenso wenig stand, wie andere ‚nationale‘ Etikettierungen philosophischer Richtungen: sowenig die ‚Deutsche Philosophie‘ durchgängig idealistisch oder die ‚Englische Philosophie‘ insgesamt empiristisch geprägt ist, sowenig gibt es eine – die Identität der „Österreichischen Philosophie“ stiftende – Kontinuität zwischen dem klerikalen Anti-Kantianismus des 19. und dem neo-positivistischen und (sprach-)analytischen Anti-Idealismus des 20. Jahrhunderts. Dass der

|| 8 Vgl. Reinhold 1923, S. 26f., 129, 188, 614f. 9 Der Frühkantianismus in der Donaumonarchie und die Geschichte seiner Unterdrückung sind ausführlich dokumentiert in Sauer 1982. 10 Sauer 1982, S. 310. Vgl. Zeidler 2015a. 11 Vgl. Haller 1979, S. 5–22, 163–187.

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Anti-Kantianismus weniger die „Österreichische Philosophie“ als vielmehr die um ihre Begriffsbestimmung bemühten Autoren charakterisiert, wird vollends deutlich, wenn man sich die Beiträge vergegenwärtigt, die österreichische Philosophen zur Transzendentalphilosophie, zum Neukantianismus und der Kantbewegung leisteten. Diese Leistungen umfassend würdigen zu wollen, würde den vorgegebenen Rahmen dieser Darstellung sprengen. Sie konzentriert sich darum auf die österreichische Variante des Neukantianismus, die, vertreten durch Alois Riehl, Richard Hönigswald und Robert Reininger, Charakteristika aufweist, die sie von anderen Richtungen des Neukantianismus unterscheidet.12

2 Neukantianismus Neben dem bereits genannten Anti-Kantianismus der österreichischen Philosophiegeschichtsschreibung, haben mehrere andere Faktoren dazu beigetragen, dass die österreichische Variante des Neukantianismus bislang nicht zur Kenntnis genommen wurde. Zu diesen Faktoren zählt vor allem der Umstand, dass man den Terminus Neukantianismus gemeinhin für die beiden Schulen des Marburger (Cohen, Natorp, Cassirer) und des Südwestdeutschen Neukantianismus (Windelband, Rickert, Lask) reserviert, obwohl der Neukantianismus ein sehr viel breiteres Spektrum an Lehrmeinungen umfasst. Will man dieses breitere Spektrum nach einem österreichischen Neukantianismus durchforschen, so braucht man nur in der letzten Auflage des ‚Überweg’ nachzuschlagen und findet dort immerhin „sieben Richtungen“ des Neukritizismus verzeichnet.13 Folgt man den von der Internationalen Bibliographie zur Österreichischen Philosophie aufgestellten Kriterien der „Austriazität“,14 dann wären von den hier genannten Vertretern des „Neukantianismus und Neokritizismus“ Johannes Volkelt (geb. 1848 in Lipnik, Galizien), Alois Riehl (geb. 1844 in Bozen) und dessen Schüler Richard Hönigswald (geb. 1875 in Ungarisch-Altenburg), sowie der Windelband- und RickertSchüler Emil Lask (geb. 1875 in Wadowice, Galizien) und – nimmt man die auf S. 477ff. genannten „von Kant beeinflußte[n] Denker“ hinzu – auch Oscar Ewald (geb. 1881 in Bus St. Georgen, Ungarn), Robert Reininger (geb. 1869 in Linz) und Otto Weininger (geb. 1880 in Wien) als ‚österreichische Neukantianer‘ zu be|| 12 Die vorliegende Untersuchung muss sich weitestgehend auf die Herausarbeitung systematischer Beziehungen und Gemeinsamkeiten zwischen den genannten Denkern und Richtungen beschränken. Eine eingehendere Darstellung der Denkwege und Positionen Hönigswalds und Reiningers findet sich in Zeidler 1995, S. 75–138, 245–290. 13 Oesterreich 1923, S. 417. 14 Gombocz 1988, S. 12.

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zeichnen. Wie die Ausdrücke „Neukantianismus und Neokritizismus“ und „Weitere von Kant beeinflusste Denker“ verraten, trägt diese Aufzählung15 allerdings wenig zur Charakteristik und sachlichen Bestimmung des Begriffs ‚Neukantianismus‘ bei, ließe sich doch angesichts der Vielfalt der hier genannten Philosophen mit gleichem Recht auch Edmund Husserl (geb. 1859 in Proßnitz, Mähren) zum ‚österreichischen Neukantianismus‘ rechnen, zumal er nicht nur bereits gelegentlich zu den Neukantianern gezählt wurde,16 sondern letztlich eine Vermittlung zwischen der Brentano-Schule und dem Kantianismus anstrebt, durch die sich auch das Denken Alois Riehls, Richard Hönigswalds und Emil Lasks charakterisieren ließe. Da sich in den 20er und 30er Jahren die Mehrzahl der deutschsprachigen Philosophen im ‚phänomenologischen‘ Spannungsfeld von ontologisch-gegenstandstheoretischem und kritizistischem Ansatz bewegt, trägt jedoch auch diese Charakterisierung nichts zu einer Begriffsbestimmung des ‚österreichischen Neukantianismus‘ bei, womit sich unabweislich das Problem einer Definition des Begriffs ‚Neukantianismus‘ stellt.

3 Der realistische Kritizismus In Anknüpfung an die „Grundgedanken des neukantianischen Kritizismus“, die Werner Flach und Helmut Holzhey mit Blick auf die Marburger und die Südwestdeutsche Schule herausgearbeitet haben,17 kann die Frage, worin denn eigentlich das ‚Neue‘ besteht, das uns erlaubt, von einem Neu-Kantianismus zu sprechen, der sich in charakteristischer Weise von anderen Kantianismen unterscheidet, dahingehend entschieden werden, dass der Neukantianismus die ‚kritizistische‘ Geltungsfrage mit einem (gegen den zeitgenössischen Materialismus, Empirismus und Positivismus gerichteten) Anti-Psychologismus und einer (vor allem gegen den Deutschen Idealismus gerichteten) Metaphysikfeindlichkeit verbindet. Indem sich der Neukantianismus als eine Gegenposition sowohl gegenüber allem positivistischem Materialismus und empiristischem Psychologismus, wie auch gegenüber aller ‚unwissenschaftlichen‘ Metaphysik und Spekulation versteht,

|| 15 Die Aufzählung ist zu ergänzen durch Hinweise auf Max Adler (1873–1937), den Theoretiker des „Austromarxismus“, der Kant und Marx im Sinne eines ethischen Sozialismus verbindet, auf Rudolf Eisler (1873–1926), der sich vor allem durch sein Wörterbuch der philosophischen Begriffe (Berlin 41927–30) und sein Kant-Lexikon (Berlin 1930) verdient gemacht hat, sowie auf Hans Kelsen (1881–1973), dessen Reine Rechtslehre Bezüge zum Marburger Neukantianismus aufweist. 16 Wust 1920, S. 13. 17 Flach/Holzhey 1979, S. 10ff.

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unterscheidet er sich von der ‚Spekulation‘ des Deutschen Idealismus ebenso, wie vom Herbartschen ‚Realismus‘ oder der Willensmetaphysik Schopenhauers, und von der psychologischen Kant-Nachfolge (Fries, Beneke) ebenso, wie vom historischen Kant. Aus der Konfrontation mit den beiden systematisch bedeutsamsten Positionen, der Kantischen und der spekulativ-idealistischen, wird auch erkennbar, wie diese Konstellation zwangsläufig in einen Geltungsobjektivismus mündet, der sich letztlich nur durch die Betonung der Geltungsfrage (der Kantischen Frage ‚quid iuris‘) vom Neo-Positivismus unterscheidet: denn einerseits eliminiert der Neukantianismus alle vermögenspsychologischen Bausteine der Kantischen Architektonik, andererseits versucht er aber im Unterschied zum Deutschen Idealismus nicht, diese Bausteine durch eine spekulative Genetisierung des Apriori zu ersetzen. Folglich bricht der Kantische Systembau, der im Wesentlichen auf der traditionellen vermögenspsychologischen Parallelisierung logischer und psychologischer Strukturen beruht, in sich zusammen. Genauer gesagt, er schrumpft auf das vielberufene ‚Bewusstsein überhaupt‘,18 wobei nun der Geltungsobjektivismus diesen Systemverlust – zumindest vordergründig – durch die Identifikation des ‚Bewusstseins überhaupt‘ mit einem sogenannten Normalbewusstsein (W. Windelband) oder Kulturbewusstsein (H. Cohen) kompensiert, insofern diese Identifikation gestattet, die Transzendentalphilosophie als Theorie der Wissenschaften und der Kultur zu verstehen, d. i. als Theoretisierung der ‚Facta‘, in denen das Kultur- oder Normalbewusstsein sich objektiviert. Mit Blick auf die Neukantianer entpuppt sich der immer wieder beschworene „Mentalismus“ oder „Subjektivismus“ der Transzendentalphilosophie somit weit eher als Objektivismus. Als ein Objektivismus, der sich allerdings seinem Selbstverständnis zufolge durch die Betonung der Geltungsfrage grundsätzlich vom (Neo-)Positivismus und von aller analytischen und/oder ontologischen „Gegenstandstheorie“ unterscheidet. Der geltungstheoretische Anspruch ist das neukantianische Surrogat für Kants Transzendentale Deduktion: nachdem die vermögenspsychologischen Verstrebungen der Kantischen Vernunftarchitektonik entfernt wurden und in den quasi-psychologischen Inbegriff einer transzendentallogischen Gesetzlichkeit, in das ‚Bewusstsein überhaupt‘, zusammenschmolzen, reduziert sich die Transzendentale Deduktion zwangsläufig auf einen (wertoder geltungstheoretischen) Inbegriff transzendentaler Rechtfertigung. Der geltungstheoretische Anspruch ist folglich, neben dem ‚Bewusstsein überhaupt‘, das wichtigste Motiv, das den Neukantianismus mit der Kantischen Transzendentalphilosophie verbindet. Er ist daher auch das Motiv, das es erlaubt, die || 18 Dazu Amrhein 1909.

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systematisch relevanten Unterschiede zwischen den Hauptrichtungen des Neukantianismus zu rekonstruieren, wenn man sich überlegt, auf welche Weise der Geltungsanspruch unter den geltungsobjektivistischen Voraussetzungen festgehalten und womöglich auch eingelöst werden könnte. Der im Lichte der Kantischen Erkenntniskritik naheliegendste und systematisch zweifellos fruchtbringendste Weg besteht in der konsequenten Orientierung am „‚Faktum‘ der Wissenschaft“, indem man in der Kantexegese die ‚synthetischen Grundsätze‘ zum „Hebel der Kritik“ (Cohen) erklärt und in systematischer Weiterführung dieser Kantinterpretation die ‚reine Erkenntnis‘ mit der Erkenntnis der Wissenschaft identifiziert. Diesen Weg einer wissenschaftstheoretischen Objektivierung des Apriori, der sich vor allem an den Prolegomena und der zweiten Auflage der Vernunftkritik orientiert, ist die Marburger Schule (Cohen, Natorp, Cassirer) gegangen. Anstelle einer Objektivierung des Apriori, die sich an jeweiligen Fakta der Wissenschaft und Kultur orientiert, kann man aber auch den Geltungsanspruch objektivieren, indem man die Geltung oder die überzeitlich geltenden Werte vom Sein und der Wirklichkeit scheidet und solcherart eine transzendente Welt der Ideen und Werte konstruiert. Dieser platonistische Lösungsansatz, der sich vor allem auf die in Kants praktischer Philosophie forcierte Zwei-Welten-Theorie berufen kann, wird von der Südwestdeutschen Schule (Windelband, Rickert, Lask) verfolgt. Drittens besteht aber auch noch die Möglichkeit, die Geltung insgesamt zu objektivieren. Demnach wäre die Objektivität des Apriori nicht nur in den Leistungen des Kulturschaffens oder in einem transzendenten Reich der Werte, sondern in der Wirklichkeit selbst zu suchen. Dieser realistische Kritizismus findet seine bündigste Formulierung in Otto Liebmanns Gedanken einer objektiven Weltlogik: einer Logik der Thatsachen [...], vermöge welcher der objective Zusammenhang der Dinge und Gang der Ereignisse mit der subjectiven Logik des concreten menschlichen Denkens durchgängig harmonieren muß.19

Mit dieser Voraussetzung einer gleichsam kosmischen „Intelligenz, in welcher nach gleichen Intellektualgesetzen das gleiche Bild der Welt entsteht wie in mir“20, operiert neben Bruno Bauch, Alois Riehl21 und Richard Hönigswald auch

|| 19 Liebmann, 1904, S. 214f. 20 Liebmann 1911, S. 269. 21 „Es ist dieselbe Wirklichkeit, aus der unsere Sinne stammen und die Dinge, die auf unsere Sinne wirken. Die nämliche schaffende Macht, die schon in den einfachsten Dingen am Werke ist, setzt ihr Werk in uns, durch uns fort. Sie ist die gemeinsame Quelle von Natur und Verstand. Sie hat den Dingen ihre begreifliche Form gegeben und uns das Vermögen zu begreifen. So

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Robert Reininger, wenn er in seiner Philosophie des Erkennens (1911) die Lösung des Affinitätsproblems in der Entsprechung zwischen einer objektiven ‚Logik der Thatsachen‘ (Liebmann) und den subjektiven Verstandesgesetzen sucht.22 Neben dieser Auflösung des Affinitätsproblems – der Frage nach der Möglichkeit des Zusammenstimmens von Form und Inhalt der Erkenntnis – sind es selbstverständlich die realistischen Momente der Kantischen Lehre selbst, die dem realistischen Kritizismus sein Profil und eigentümliches Gepräge geben. Diese realistischen Momente sind mit den Schlüsselbegriffen Affektion, Affinität und Naturzweck angesprochen, durch die das Affinitätsproblem eine dreifache Spezifikation erfährt: erstens in Richtung auf das empirische Subjekt des Erkennens (Affektion), zweitens hinsichtlich der allgemein-logischen und kategorialen Bestimmtheit der natura formaliter spectata (Affinität), drittens hinsichtlich der gesetzmäßigen Bestimmbarkeit der besonderen Naturerscheinungen (Naturzweck). Es ist also die realistische Dimension des Grundproblems der theoretischen Philosophie Kants: es ist der, von seiner vermögenspsychologischen Exposition, über die Doppelung von subjektiver und objektiver Deduktion, bis in die Dialektik von Teleologie und Mechanismus sich spannende Problemzusammenhang der Transzendentalen Deduktion, aus dem der Kritizismus Liebmanns, Riehls, Reiningers, Hönigswalds und Bauchs erwächst. Damit unterscheidet sich der realistische Kritizismus in markanter Weise von den beiden bekannteren Richtungen des Neukantianismus, die das Affinitätsproblem von vornherein kulturphilosophisch und wissenschaftstheoretisch – im Sinne des Cohenschen Wissenschaftsidealismus oder der Windelbandschen Kulturphilosophie – auflösen und sich daher diesem Problem erst wieder an dem Punkt nähern, den man gemeinhin als den Beginn der ‚Selbstauflösung‘ des Neukantianismus ansieht. Auf diesen Punkt oder vielmehr auf das – im Sinne des Geltungsobjektivismus zunächst ausgeklammerte bzw. durch den kulturidealistischen Vorgriff auf ein Normalbewusstsein (Windelband) oder Kulturbewusstsein (Cohen) verdeckte – Problem der (transzendentalen) Subjektivität wurde der Neukantianismus vor allem durch Husserl gestoßen, dessen ‚Prolegomena zur reinen Logik‘ von Seiten des Neukantianismus als Kritik an der kultur- und wissenschaftsphilosophischen Identifikation von ‚reinem Bewusstsein‘ und ‚Normalbewusstsein‘ und somit als Hinweis auf das – im geltungsobjektivistischen Vorgriff auf diese Identität – übergangene Problem einer metaphysischen und transzendentalen Deduktion

|| stiftete sie zwischen den Natur- und Denkgesetzen jene Harmonie, welche im einzelnen zu vernehmen, Ziel und Lohn aller Forschung ist.“ (Riehl 1919, S. 146). Vgl. Riehl 1876, S. 444; 1879, S. 23. 22 Reininger 1911, S. 395.

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der Kategorien verstanden werden mussten.23 Die Problematik dieser ‚Deduktionen‘ (Begründungen und Rechtfertigungen der kategorialen Systematik), hat die Transzendentalphilosophie im Laufe ihrer Entwicklung immer wieder in mehr empiristische oder mehr rationalistische und in mehr oder minder ‚realistische‘ oder ‚idealistische‘ und ‚subjektivistische‘ oder ‚objektivistische‘ Positionen auseinandergetrieben, was sich daraus erklärt, dass Kant bei seinem Versuch einer Grundlegung einer ‚jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können‘ einerseits auf die zeitgenössische Logik und Psychologie rekurriert, dabei aber andererseits auf nichts Geringeres als auf die ‚kritische‘ Überwindung all dieser Gegensatzpositionen zielt, die gemeinhin an dem Gegensatz von (normativer) Logik und (empirischer) Psychologie festgemacht werden. Im Lichte dieses Anspruchs wird verständlich, warum die Husserlsche Kritik an einer bloß kultur- und wissenschaftstheoretisch verbürgten „normativen Idealität“24 den Neukantianismus und die Phänomenologie in eine Diskussion verstrickten, in der das Selbstverständnis und die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Philosophie insgesamt zur Debatte stehen. Diese Debatte wurde Mitte der 30er Jahre unter dem Druck der politischen Verhältnisse abgewürgt und wurde auch nach 1945 nicht erneuert, weil die (neukantianische) Erkenntnistheorie mittlerweile durch eine Wissenschaftslogik abgelöst worden war, die alle psychologischen und metaphysischen Fragen strikt auszuklammern versucht und dadurch das erkenntniskritische Fadenkreuz von Wissenschaftstheorie und Metaphysik und von Logik und Psychologie auflöst, innerhalb dessen sich sowohl die ‚Deduktionen‘ Kants, wie auch die neukantianisch-phänomenologische Grundsatzdiskussion bewegen bzw. hätte bewegen sollen. Man hat darum im Zeichen des neuen wissenschaftslogischen und (sprach-)analytischen Paradigmas diese Grundsatzdiskussion als schlichte Konfrontation zwischen der Husserlschen Psychologie-Kritik und einem mittlerweile überholten ‚mentalistischen‘ oder ‚bewusstseinsphilosophischen‘ Paradigma verstanden und sie somit gar nicht mehr als Diskussion zur Kenntnis genommen. Dass sich diese Grundsatzdiskussion nicht als schlichte Konfrontation zwischen der Husserlschen Psychologiekritik und dem ‚Subjektivismus der Kantbewegung‘ beschreiben lässt, geht aber nicht nur aus Husserls eigener Entwicklung hervor, in der das Problem der (deskriptiven) Psychologie ständig präsent bleibt und die transzendentalphilosophischen Bezüge zunehmend überhand nehmen, sondern zeigt sich auch an der Diskussion, die Husserls Kritik im Rahmen des Neukantianismus auslöste.

|| 23 Siehe Zeidler 1995, S. 35. 24 Husserl 1900, S. 219.

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4 Der ‚Österreichische Neukantianismus‘ An dieser Diskussion hat der ‚Österreichische Neukantianismus‘ maßgeblichen Anteil, wobei unter diesem Terminus die um den Begriff des ‚Erlebens’ zentrierte Spielart des realistischen Kritizismus verstanden werden soll, die Alois Riehl, Richard Hönigswald und Robert Reininger repräsentieren. Mit dieser Sprachregelung sollen weder die neukantianischen Bezüge im Denken Johannes Volkelts, Oscar Ewalds und Otto Weiningers, noch die „Austriazität“ Emil Lasks (der in der Habsburger-Monarchie geboren wurde und in ihren Diensten 1915 an der Karpatenfront gefallen ist) in Zweifel gezogen werden. Soll der Begriff ‚Österreichischer Neukantianismus‘ einen systematisch haltbaren Sinn gewinnen, wird man jedoch nicht umstandslos jeden ‚Österreicher‘25 und ‚Neukantianer‘ darunter subsumieren dürfen, zumal wir uns eben erst um die systematische Klärung des so vielfach verschwommenen Terminus ‚Neukantianismus‘ bemüht haben. Im Anschluss an diesen Klärung ist die ‚österreichische‘ Spielart des realistischen Kritizismus näherhin dadurch zu charakterisieren, dass sie die Einheit von Wirklichkeit und Bewusstsein nicht primär im Sinne einer „Logik der Thatsachen“ (Otto Liebmann) oder im Sinne einer onto-theologischen Fundierung des Apriori (Bruno Bauch)26 postuliert, sondern in der „Empfindung“ (Alois Riehl) bzw. dem „Erlebnis“ (Richard Hönigswald, Robert Reininger) den Ort der Einheit von Wirklichkeit und Bewusstsein ansetzt. Das „Sentio ergo sum et est“27 darf darum als oberster Grundsatz des ‚Österreichischen Neukantianismus‘ gelten. Der Gedanke, dass Bewusstsein und Sein, Subjekt und Objekt, Ich und Nicht-Ich in der „Empfindung“ gründen und in ursprünglicher Einheit zusammenfallen, wird von Alois Riehl bereits in den Realistischen Grundzügen (Graz 1870) formuliert,28

|| 25 Was die „Austriazität“ Riehls und Hönigswalds betrifft, so ist einerseits festzuhalten, dass Riehl seinen realistischen Kritizismus bereits formuliert und sein Hauptwerk Der philosophische Kriticismus (Leipzig 1876, 1879, 1887) bereits großteils publiziert hatte, bevor er 1882 als Nachfolger Windelbands nach Freiburg berufen wurde. Andererseits ist Riehl im Zuge der Los-vonRom-Bewegung zum Protestantismus übergetreten und „mit ganzem Herzen Reichsdeutscher“ geworden (Siegel 1932, S. 8), was ihn mit seinem Schüler Hönigswald verbindet, der im Jahre seiner Promotion bei Riehl (1904) evangelisch getauft wird und 1906 mit seinen Eltern nach Breslau übersiedelt. Die Philosophie Hönigswalds kann darum nur insoweit Thema der vorliegenden Untersuchung sein, als sich Bezüge zu Riehl und Reininger aufweisen lassen. 26 Zeidler 1995, S. 173–207. 27 Riehl 1879, S. 67. 28 „Die Empfindung ist [...] der erste Anlass, den Begriff Sein auszubilden. Ihre gänzliche Relativität verwehrt aber, bei ihr stehen zu bleiben. Denn die Empfindung ist von der Form und Einrichtung des Sinnesorganes, der specifischen Energie des Sinnesnerven und dessen Beziehung zu einem psychischen Träger, und von der Form des äusseren Impulses selbst abhängig. Sie wird

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in denen er sich ausdrücklich dazu bekennt, „dass die Gesichtspunkte seiner Schrift durch Studien an Herbart, Kant und Leibniz gewonnen sind“ (Riehl 1870, S. II). Mit Bezug auf den ersten Grundgedanken und mit Bezug auf Leibniz und Herbart lassen sich zwei weitere Grundgedanken formulieren, die insbesondere das Denken Hönigswalds und Reiningers charakterisieren: ihr monistisch-monadologischer (Leibniz) und ihr sprach-kritischer (Herbart) Ansatz. Beide Ansätze ergeben sich – auch unabhängig vom latenten Leibnizianismus der Herbartschen Philosophie und vom Herbartianismus der ‚Österreichischen Philosophie‘ des 19. Jahrhunderts – aus dem grundlegenden Gedanken einer realen Koinzidenz von Bewusstsein und Sein in der Empfindung, ist doch mit diesem Gedanken unter kritizistischen Vorzeichen implizit die Forderung nach einer ‚monistischen‘ oder ‚monadologischen‘ Grundlegung der Philosophie angesprochen. Ist im Sinne dieses bewusstseinstheoretischen Monismus die Subjekt-Objekt-Differenz als „der abstrakte Ausdruck eines Verhältnisses“ bestimmt,29 dann ist damit aber implizit die (im weitesten Sinne) sprach-kritische Analyse dieser Abstraktion gefordert, sobald – wie dies dann vor allem bei Hönigswald und Reininger der Fall ist – die Frage nach der methodischen Bestimmbarkeit des ‚Verhältnisses‘ von Subjekt und Objekt gestellt wird. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Riehl, Hönigswald und Reininger, die sie von anderen Vertretern des Neukantianismus unterscheidet, besteht zudem darin, dass sie (ihrem empfindungstheoretischen Ansatz entsprechend) Locke und Hume als Wegbereiter Kantens begreifen und daher mit umfangreichen Untersuchungen zum Englischen Empirismus hervorgetreten sind.30 Eine fünfte Gemeinsamkeit besteht darin, dass Riehl und Reininger in ihren ethischen Schriften – offenbar in Reaktion auf den österreichischen Klerikalismus – die Autonomie der sittlichen Persönlichkeit stark betonen und sich in dem Zusammenhang – mit Blick auf seine Individualethik – um die Rezeption Nietzsches verdient machten.31 Die durch diese fünf Grundgedanken und Aspekte umrissene eigenständige Kontur eines Österreichischen Neukantianismus wurde bislang nicht wahrgenommen, weil die bisherigen Interpreten der Hönigswaldschen und der Reiningerschen Philosophie ihren Erlebnisidealismus jeweils mit dem vertrauten – durch || in gleichem Masse durch Einwirkung von Aussen und Gegenwirkung von subjektiver Seite her bestimmt, und bildet gleichsam die Gränze des Objektiven und des Subjektiven, durch deren Zusammentreffen sie zu Stande kommt.“ (Riehl 1870, S. 8f.). Vgl. Riehl 1879, S. 65; 1925, S. 88. 29 Riehl 1870, S. 26. 30 Vgl. Riehl 1908, S. 6; S. 19–207; Hönigswald 1904; Reininger 1911, S. 137–290; Reininger 1922b. 31 Vgl. Riehl 1871, 1897; Reininger 1922a, 1939.

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die Marburger und die Südwestdeutsche Schule repräsentierten – Bilde des ‚Neukantianismus‘ konfrontierten. Daraus erklärt sich warum verschiedene Interpreten (offensichtlich unabhängig voneinander) zwar die bemerkenswerten Parallelen zwischen dem Denken Reiningers und dem des späten Husserl32 oder J.-P. Sartres33 diskutieren, aber mit keinem Wort die systematischen Entsprechungen bei Alois Riehl und Richard Hönigswald erwähnen. Ähnliches gilt von den ersten Interpreten der Hönigswaldschen Philosophie, die Richard Hönigswald als Denker der „konkreten Subjektivität“ in eine Linie mit Nicolai Hartmann und Martin Heidegger stellen,34 obwohl sie bedauernd feststellen müssen, dass Hönigswalds Ablehnung dieser ontologischen Philosopheme „offensichtlich stärker [ist] als die Abgrenzung gegenüber dem Vergangenen“ und er deshalb „ungescheut [!] die Verbundenheit seines Denkens mit der kantianischen Tradition [bekennt]“.35

5 Alois Riehl und Richard Hönigswald Wenn Richard Hönigswald in seinem Nachruf auf Alois Riehl schreibt, dass „die Position Riehls von schweren Gefahren bedroht [...] erschien“, insofern „weder der Begriff des ,Dinges an sich‘, noch der Anteil des ,Subjekts‘ an der Erkenntnis [...] zu Ende gedacht [...] schienen“ und somit „Psychologismus und naiver Realismus [...] nicht das den Ansätzen der Riehlschen Fragestellung entsprechende Maß der Ablehnung erfahren zu haben [...] schienen“,36 wird man in solch indirekter Kritik nicht bloß die Pietät des Schülers gegenüber seinem Lehrer, sondern auch die Ansatzpunkte seiner eigenen Fragestellung erkennen müssen. Aber nicht nur dem Ansatz, sondern auch der Durchführung dieses Ansatzes nach, ist die „Übereinstimmung Hönigswalds mit dem Realismus Riehls“ keineswegs so „äußerlich“,37 wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn Riehl die ‚idealistische‘ Erdichtung eines „menschliche[n] Gattungsbewußtsein[s], das noch außer und über dem Bewußtsein der einzelnen Menschen bestehen soll“ kritisiert,38 wenn er in dem „Prinzip der Identität [...] das Formalprinzip des Erkennens und das Realprinzip des Erkennens“ erblickt,39 wenn er den „Nachweis

|| 32 Vgl. Rogler 1970, S. 29f., 108; Christensen 1981. 33 Vgl. Rogler 1970, S. 263f.; Aschenberg 1982, S. 419f. 34 Vgl. Brelage 1965, S. 77, 129; Wolandt 1964, S. 21. 35 Wolandt 1964, S. 23. 36 Hönigswald 1926, S. 43. 37 Wolandt 1973, S. 59. 38 Riehl 1887, S. 162. 39 Riehl 1925, S. 100.

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der Realität der Außenwelt“ einerseits auf die, der Differenz von Selbst- und Objektbewusstsein noch vorausliegende, „Empfindung“40 und andererseits auf die Existenz einer „Mehrheit von Menschen [...], deren Wahrnehmungen übereinstimmen, deren Gefühle sich ergänzen, deren Handlungen zusammenwirken“ gründet41 und er daher die funktionelle Unabtrennbarkeit von „Wort und Bedeutung“ betont,42 so sind damit bereits wesentliche Momente des ‚denkpsychologischen‘ und ‚monadologischen‘ Ansatzes vorweggenommen, den Hönigswald in eindringlichen Untersuchungen zur Prinzipientheorie der Erkenntnislehre,43 Kulturphilosophie, Pädagogik44 und Sprachphilosophie45 entwickeln wird. Ungeachtet seiner prinzipientheoretischen Ausrichtung gestaltet sich jedoch Hönigswalds Denken (ebenso wie dasjenige Riehls) nicht zu einem ‚System‘, sondern zu einer problemorientierten ‚Systematik‘: zu einer – wie Hönigswald selbst im Titel eines Nachlasswerkes bekundet – aus „individueller Problemgestaltung entwickelt[en] Systematik der Philosophie“. Die Grundstruktur dieser Systematik lässt sich am ehesten am Bild einer Ellipse verdeutlichen, insofern das Denken Hönigswalds gleichsam um zwei ‚Brennpunkte‘ zentriert ist: um das Problem des ‚Gegebenen‘ und um das Problem einer ‚Allgemeinen Methodenlehre‘46, die letztlich auf alle Objektivationen des Geistigen ausgreift. Diese Systematik ist also nicht etwa auf das eine „Problem der Einheit von empirischem und transzendentalem Subjekt“ fixiert, in dem die meisten Hönigswald-Interpreten „das zentrale Problem der Hönigswaldschen Philosophie“ erblicken,47 sondern sie erwächst

|| 40 Vgl. Riehl 1879, S. 65; 1925, S. 88. 41 Riehl 1887, S. 170. 42 Riehl 1892, S. 2. 43 Die wichtigsten Schriften Richard Hönigswalds zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie sind: Beiträge zur Erkenntnistheorie und Methodenlehre, Leipzig 1906; „Zur Wissenschaftstheorie und -systematik“, in: Kant-Studien 17 (1912); „Prinzipienfragen der Denkpsychologie“, in: KantStudien 18 (1913); Die Skepsis in Philosophie und Wissenschaft, Göttingen 1914; Die Grundlagen der Denkpsychologie, zweite, umgearbeitete Aufl., Leipzig/Berlin 1925; „Vom Problem der Idee“, in: Logos XV (1926); Grundfragen der Erkenntnistheorie, Tübingen 1931; Die Grundlagen der allgemeinen Methodenlehre I/II, Bonn 1969/1970; Die Systematik der Philosophie aus individueller Problemgestaltung entwickelt I/II, Bonn 1976/1977. 44 Richard Hönigswald, Studien zur Theorie pädagogischer Grundbegriffe. Eine kritische Untersuchung, München 1913; Über die Grundlagen der Pädagogik, zweite, umgearbeitete Aufl., München 1927. Vgl. Hufnagel 1979, 1990; Schmied-Kowarzik 1995. 45 Richard Hönigswald, Philosophie und Sprache. Problemkritik und System, Basel 1937. 46 Das Problem einer allgemeinen – Natur- und Geisteswissenschaften umfassenden – Methodenlehre, formuliert Hönigswald bereits in seiner ersten Publikation: Zum Problem der ,exacten Naturwissenschaft‘, Ungarisch-Altenburg 1899, Leipzig 21900, S. 4. 47 Meder 1975, S. 157; vgl. Brelage 1965, S. 129, 156; Wolandt 1964, S. 17.

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aus dem Versuch einer korrelativistischen Bewältigung des Affinitätsproblems bzw. aus der Korrelativsetzung zweier Grundprobleme, anhand derer sich zudem präzise Abstand und Nähe Hönigswalds zu seinem Lehrer Alois Riehl bestimmen lassen. Diese beiden Grundprobleme (das Problem des ‚Gegebenen’ und das Problem einer ‚Allgemeinen Methodenlehre’) erwachsen nämlich ihrerseits aus der Problematisierung der beiden Eckpfeiler (des realistischen und des wissenschaftstheoretischen) auf denen der philosophische Kritizismus Alois Riehls ruht, wobei sich die Problematisierung einfach daraus ergibt, dass Hönigswald das schlichte Nebeneinander beider Ansätze in eine strenge Wechselbezüglichkeit transformiert. Hönigswald führt damit den realistischen Kritizismus seines Lehrers Riehl weiter, schärft und vertieft ihn damit jedoch zugleich in Auseinandersetzung mit dem Geltungsobjektivismus der Marburger und der Südwestdeutschen Schule.

6 Richard Hönigswald und Robert Reininger Die von verschiedenen Autoren betonten Parallelen zwischen der Philosophie Hönigswalds oder Reiningers auf der einen und der Philosophie Edmund Husserls, Martin Heideggers, Nicolai Hartmanns oder Jean-Paul Sartres auf der anderen Seite, erklären sich aus dem Umstand, dass die genannten Philosopheme samt und sonders im Zeichen der Subjektivitätsproblematik stehen, die in der Diskussion zwischen Neukantianismus und Phänomenologie verhandelt wurde. Im Rahmen dieser Diskussion bewegt sich der Erlebnisidealismus Richard Hönigswalds und Robert Reiningers zwischen dem spekulativ-idealistischen Ansatz einer Genetisierung des Apriori auf der einen und dem geltungsobjektivistischen Ansatz des Neukantianismus auf der anderen Seite: denn während einerseits der spekulative Ansatz durch die erlebnisidealistische Fundierung der Subjekt-Objekt-Differenz im ‚Erleben‘ gefordert ist, wird er doch andererseits durch den realistisch-kritizistischen Ansatz durchkreuzt, sodass es bei Hönigswald und Reininger in unterschiedlicher Akzentuierung zu einer eigentümlichen Verschränkung beider Ansätze kommt. Seinen wissenschaftstheoretischen Interessen und seiner Ausbildung bei Alois Riehl entsprechend, steht dabei für Richard Hönigswald das realistisch-kritizistische Motiv einer „korrelativen“ Verknüpfung von ‚Gegebenem‘ und ‚Allgemeiner Methodenlehre‘ im Vordergrund, wobei diese geltungsobjektivistische Korrelativsetzung von Objekt und Methode bei Hönigswald (im Anschluss an die denk- und gestaltpsychologischen Forschungen der ‚Würzburger Schule‘ um Oswald Külpe) insofern eine ‚denkpsychologische‘ Begründung erfährt, als er ein „schlechthin irrepräsentables Denkerlebnis“ zugunsten der Voraussetzung einer

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durchgängigen „Korrelation [...] zwischen den Momenten der ‚Bedeutung‘ und des ‚Bedeutungserlebnisses‘“ abweist.48 Hönigswald lässt darum letztlich mit Rücksicht auf die strenge Wechselbezüglichkeit von Ich- und Ist-Bezug, von ‚Prinzip und Tatsache‘, in einer angeblich gleicherweise methodischen wie gegenständlichen ‚Bestimmtheit’ zusammenfallen. In solchem Zusammenfall und Wechselspiel „erscheint“ für Hönigswald jeweils eine Korrelation, die [...] den Rechtsgrund ihres Bestandes in sich selbst hegt, so gewiß keiner der Relationsterme außerhalb seiner Beziehung zum anderen bestimmbar wird; – eine letztdefinierte Korrelation, als Ausdruck des Gedankens der Gegenständlichkeit.49

Weil der Aufweis „der Beziehung von ‚Methode‘ und ‚Gegenstand‘“ somit nur in der „Berufung“ auf eben diesen „Bedingungszusammenhang“ von Methode und Gegenstand bestehen kann, muss er sich aber auch „jeden Versuch einer ‚Zurückführung‘ der Methode auf eine ‚hinter‘ ihr gelegene methodologische Instanz versagen“.50 Während Hönigswald ein „schlechthin irrepräsentables Denkerlebnis“ zugunsten der Voraussetzung einer durchgängigen „Korrelation [...] zwischen den Momenten der ‚Bedeutung‘ und des ‚Bedeutungserlebnisses‘“ abweist, vertritt Reininger im Rahmen des Erlebnisidealismus mit der Unterscheidung zwischen der urerlebten „Wirklichkeit“ und dem „Reich des Intentionalen“ (des Bedeutungshaften) die diametral entgegengesetzte Position,51 sieht sich aber eben deshalb im Gegensatz zu Hönigswald zu dem Versuch einer kategoriallogischen Vermittlung zwischen der unaussagbaren Erlebniswirklichkeit und dem Bedeutungshaften gezwungen: Daher bedarf die reinen Logik nicht nur zu ihrem Unterbau der Vorarbeit einer Denkpsychologie, die jene Vorgänge beschreibt, die das Denken seiner konkreten Wirklichkeit nach ausmachen, sondern auch einer Philosophie der Logik, die das Denken auch seinen wertenden Gesichtspunkten nach in zentraler Einstellung aus dem Ganzen des Erlebniszusammenhanges heraus zu begreifen sucht. Ihr Thema ist im Unterschiede von der Denkpsychologie nicht bloß die Wirklichkeit des Denkens, sondern die Wirklichkeitsgrundlage der logischen Gesamtzusammenhänge, der Logos als solcher oder kurz: die Wahrheit selbst ihrer Wirklichkeit nach.52

|| 48 Hönigswald 1913, S. 217. 49 Hönigswald 1977, S. 445. 50 Hönigswald 1970, S. 188f. 51 Reininger 1947, S. 143. 52 Reininger 1947, S. 148.

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Welche Wichtigkeit Reininger dieser Abgrenzung von der Denkpsychologie beimisst, zeigt sich allein schon daran, dass er sich ansonsten nur höchst selten in kritisch-polemischer Weise mit zeitgenössischen Positionen auseinandersetzt. Die Wichtigkeit dieser Abgrenzung wird aber auch in systematischer Hinsicht – und nicht zuletzt auch im Hinblick auf das systematische Selbstverständnis Reiningers – deutlich, wenn man berücksichtigt, dass Reininger sie sogleich mit dem Bekenntnis zu dem Grundsatz der Einheit von Wirklichkeit und Wahrheit, d. i. dem Grundsatz des realistischen Kritizismus verbindet, in dessen Horizont sich, wenngleich in gegensätzlicher Akzentuierung, das Denken Hönigswalds und Reiningers entfaltet.

7 Robert Reininger Während Hönigswald den realistischen Kritizismus zu einer gleichermaßen prinzipien- wie problemorientierten Systematik ausbaut, konzentrieren sich Reiningers Überlegungen zunehmend auf eine Metaphysik der Wirklichkeit und auf das als ursprüngliche Subjekt-Objekt-Einheit gedachte Urerlebnis. Diesen Begriff übernimmt Reininger offenbar von Paul Natorp, der mit dem Terminus „Urerlebnis“ das „ursprüngliche Ich“, als den „in sich grenzenlos[en] und beharrend[en] Grund des Erscheinens“ bezeichnet, und mit der Annahme einer „Koinzidenz“ von konkret-subjektivem „Urerlebnis“ und abstrakt-objektiver Gesetzeseinheit53 oder auch einer „geradezu grenzenlosen Verschiebbarkeit des Gegenverhältnisses des Subjektiven und Objektiven“54 die – durch Brentano, Husserl (Aktpsychologie) und Bergson (Lebensphilosophie) aktualisierte – Problematik der Verhältnisbestimmung von Psychologie und Transzendentalphilosophie aufgreift. Mit der zeitlosen Gegenwart des „Urerlebnisses“ kommt zudem bei Reininger wiederum ein Grundgedanke Schopenhauers zum Durchbruch, den er bereits in Aufzeichnungen aus den Jahren 1893/94 vielfach variiert hatte.55 Aber auch im Vergleich mit den früheren – vom realistischen Kritizismus geprägten – erkenntnistheoretischen Publikationen, kann nicht von einer radikalen Wende im Denken Reiningers, sondern nur von einem Wechsel des Standpunktes gesprochen werden. Reiningers ‚neue‘ Auffassung bedeutet nur einen Wechsel des Standpunktes auf der „Stufenleiter“ des empirischen Erkennens, die er zuvor zwischen dem

|| 53 Natorp 1912, S. 38f. 54 Natorp 1912, S. 122. Diese Stelle ist zustimmend zitiert in Reininger 1916, S. 301, Anm. 43. 55 Vgl. Reininger 1974, S. 64, 66, 77ff.

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„unmittelbaren Erlebnis und dem Erfahrungsurteil“56 errichtet hatte: hatte er seinen Standpunkt früher auf der obersten Stufe genommen und die Stufenleiter unseres Erkennens in objektivierendem Rückblick betrachtet, so nimmt er seinen Standpunkt nunmehr auf der untersten Stufe, dem ‚unmittelbaren Erlebnis‘, das dadurch in den Mittelpunkt der gesamten Erkenntnisordnung rückt und zum ‚zentralen Ich-Erlebnis‘ bzw. ‚Urerlebnis‘ wird. Wenn Reininger im Urerlebnis den archimedischen Punkt gefunden glaubt, in dessen zeitloser Gegenwart „Erleben und Erlebtes noch eins“ sind, in dem die Scheidung zwischen Subjekt und Objekt des Erlebens noch nicht vollzogen ist,57 so gemahnt dieser Ansatz an das absolute Ich des ersten Grundsatzes der Fichteschen Wissenschaftslehre58 und an das absolute Subjekt-Objekt der Schellingschen Identitätsphilosophie. Diese spekulativen Idealismen, welche die transzendentale Systematik als eine ‚pragmatische‘ (Fichte) bzw. ‚transcendentale Geschichte des Ichs‘ (Schelling) von Einem Prinzip her rekonstruieren wollen, stehen vor dem Problem, das die im identischen Satz (Ich = Ich) ausgedrückte Unbezweifelbarkeit dieses Prinzips methodisch steril bleibt, sofern der ‚Grundsatz‘ sich nicht zugleich als systemgenerierende ‚Setzung‘ seiner selbst zu bestätigen vermag. Aufgrund der Einsicht, daß der identische Satz (Ich = Ich) das erste und auch einzige Wort der Philosophie bleibt, solange man das systemfundierende Grundprinzip nicht zugleich als systemgenerierendes Ursprungsprinzip ansetzt, hatten daher Fichte und Schelling versucht, den Grundsatz zugleich als Handlung (den identischen Satz zugleich als synthetischen Satz) zu deuten. Diesen entscheidenden Schritt, mit dem Fichte den Kritizismus über die scholastischen Halbheiten der Reinholdschen Elementar-Philosophie hinausführt, wird jedoch von Reininger nicht nachvollzogen: sein „Satz des Bewußtseins“, das esse est percipi des George Berkeley, bleibt ein „identischer Satz“.59 In diesem Satze findet die „zentrale Denkeinstellung“, das kontemplative Denken Reiningers, das „alles Vorkommende um das Ich als Mittelpunkt gruppiert“,60 seinen bündigen Ausdruck. Da er nämlich den Terminus ‚bewusst‘, im Sinne eines „passiv-erkenntnistheoretischen“ Bewusstseinsbegriffs, als die „Eigenschaft eines Vorkommenden“ verstanden wissen will, drückt das esse est percipi für ihn die selbstverständliche Wahrheit aus, dass „die Begriffe Sein und

|| 56 Reininger 1911, S. 355. Vgl. ebd., S. 357, 372. 57 Reininger 1947, S. 43. 58 Reininger 1947, S. 56f. 59 Reininger 1916, S. 19. 60 Reininger 1947, S. 11.

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Bewußtsein ihrem Umfange nach zusammenfallen“.61 Unter dieser Voraussetzung bringt der „Satz des Bewußtseins“ das Ichmoment und die im Urerlebnis angestrebte Voraussetzungslosigkeit und Wirklichkeitsnähe zur Deckung: Der Satz des Bewußtseins bringt so die zentrale Einstellung [...] der Philosophie [...] zu entscheidender Geltung, weil er die beständige Mitberücksichtigung des Ichmomentes in sich schließt. Das Zweite aber ist, daß seiner Allgemeingeltung zufolge alle jene polaren Gegensätzlichkeiten, mit denen es die Philosophie zu tun hat, wie Ich und Nichtich, Subjekt und Objekt, Außen und Innen, Seele und Welt, Natur und Geist, aber auch Physisches und Psychisches innerhalb des Gesamtbereiches des Bewußten liegen und auch innerhalb seiner ihre Auflösung finden müssen, soweit eine solche möglich ist. Zu ‚bewußt’ gibt es keinen polaren Gegensatz mehr, es sei denn rein begrifflich, da ja auch die Annahme eines NichtBewußten als Denksetzung wieder in das Ganze des Bewußtseins zurückfällt. Drittens aber wird der Ausgang vom Bewußtsein der Forderung größtmöglicher Voraussetzungslosigkeit und größtmöglicher Wirklichkeitsnähe am meisten gerecht, weil er keine Deutung der Wirklichkeit vorwegnimmt und auch keine ausschließt, sondern sie nur ihrer uns allein unmittelbar bekannten Seinsweise nach charakterisiert. Der Satz des Bewußtseins [...] erfüllt daher in vollem Maße die Forderung, den Ausgangspunkt und die nicht mehr bezweifelbare Grundlage alles Philosophierens zu bieten.62

Wenn eingangs dieses längeren Zitates darauf hingewiesen wurde, dass der „Satz des Bewußtseins“ das Ichmoment und die im Urerlebnis angestrebte Voraussetzungslosigkeit und Wirklichkeitsnähe nur unter Voraussetzung eines „passiv-erkenntnistheoretischen“ Bewusstseinsbegriffs zur Deckung bringt, so ist damit die grundsätzliche Problematik eines grenzbegrifflichen Denkens angesprochen, das die Einheit von Transzendentalität und Faktizität zwar immerfort intendiert, sie aber gleichermaßen negiert, weil es sich diese Einheit von seinen methodischen Voraussetzungen her nur als die Einheit eines festzuhaltenden Gegensatzes denken kann. Bedeutet das „erkenntnistheoretische ‚Bewußtsein‘ [...] den allgemeinen Gattungsbegriff des Seienden selbst: dasjenige, was allem irgendwie Vorgefundenen gemeinsam ist“63 und unterscheidet man von diesem passiven einen aktiven, „biologischen“ oder „biologisch-funktionellen Bewußtseinsbegriff“, der als eine „Lebensäußerung hochdifferenzierter Organismen“64 gewissermaßen nur einen Spezialfall innerhalb des ‚Vorgefundenen‘ darstellt, dann sind die leidigen Gegensätze von „Ich und Nichtich, Subjekt und Objekt, Außen und Innen, Seele und Welt, Natur und Geist“ zwar rein definitorisch durch den erkenntnistheoretischen Bewusstseinsbegriff überbrückt, doch sind die „polaren || 61 Reininger 1947, S. 23. Vgl. Reininger 1916, S. 19f.; 1931, S. 10. 62 Reininger 1947, S. 28. 63 Reininger 1916, S. 19. Vgl. 1947, S. 22. 64 Reininger 1947, S. 22. Vgl. 1916, S. 26ff.

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Gegensätzlichkeiten, mit denen es die Philosophie zu tun hat“, dadurch keineswegs der Sache nach aufgeklärt oder gar beseitigt. Diese Gegensätzlichkeiten erneuern sich vielmehr in dem polaren Gegensatz (aktiv-passiv) der beiden Bewusstseinsbegriffe, die ihre Bestimmtheit allein ihrer wechselseitigen Ausgrenzung verdanken. Die „Antithetik zwischen formaler Vollendung und Wirklichkeitsnähe“65 bzw. zwischen sprachlicher „Intention“ und „Urerlebnis“66 bleibt solcherart unaufhebbar und durchkreuzt Reiningers Versuch, das Affinitätsproblem im Sinne einer „Transformation“ des Urerlebnisses zu klären.67 Die Metaphysik der Wirklichkeit ist darum letztlich „negative Metaphysik“.68 Sie ist Kritik der „Alltagsauffassung des unphilosophischen Bewusstseins wie de[s] Naturalismus der Wissenschaft und alle[r] metaphysischen Weltbilder, die im Sinne des realistischen Vorurteils entworfen wurden“; ist Kritik eines realistischen Vorurteils, das uns immer wieder verlockt, das Absolute als eine dingliche Realität zu verstehen und diese „außer uns“ – also im Raume oder doch in einer nach Analogie des Räumlichen gedachten Distanzierung –, also im Transzendenten, zu suchen und das uns überreden will, daß es dort eine solche „unabhängige“ Realität geben müsse und daß nur ihre nähere Bestimmung fraglich sei.69

Die eigentliche Aufgabe der Metaphysik ist daher – wie Reininger im Anschluss an Herbart in der zweiten Auflage seiner Metaphysik der Wirklichkeit wiederholte Male betont – die „Berichtigung der Begriffe“70. Ihre Leistung als Wissenschaft besteht in der Aufzeigung der Irrwege, in die das Denken unvermeidlich sich verliert, wenn es sich kritiklos der Führung durch die Sprache unterstellt. Die daraus sich ergebende Berichtigung der Begriffe und Befreiung von Vorurteilen gestattet es ihr auch, die im engeren Sinne metaphysischen Probleme ihrem wahren Sinn nach zu verstehen und ihre Lösung bis an die Grenzen rationalen Erkennens vorzutreiben. Zu überschreiten vermag sie diese Grenzen aber nicht; nicht nur nicht nach außen hin in der Richtung auf ein Jenseits des Bewußtseins, sondern auch nicht nach innen zu in der Richtung auf das Urerlebnis.

Denn es ist ja gerade die

|| 65 Reininger 1947, S. 266. 66 Vgl. Reininger 1947, S. 39f., S. 88. 67 Zeidler 1995, S. 267–283; 275f. 68 Vgl. Reininger 1931, S. 396; 1948, S. 179. 69 Reininger 1948, S. 182f. 70 Reininger 1947, S. 59; 1948, S. 184.

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Wirklichkeit selbst, die sich einer rationalen Durchdringung für immer entzieht. Wirklichkeit läßt sich nur erleben, aber nicht in Aussagen überführen, ohne aufzuhören Wirklichkeit zu sein. Nur in uneigentlicher Weise läßt sich von ihr reden, da alle Aussagen über sie doch immer nur in realistischer Sprechweise erfolgen können. Es ist das große Rätsel des Jetzt, das jeder Aufhellung durch das Denken eine unüberschreitbare Grenze setzt.71

An diesem großen „Rätsel des Jetzt“ hat Reininger zweifellos jenen Indifferenzpunkt von Realität und Idealität, der sich (via negationis) selbst noch in realistischer Sprechweise andeuten lässt, und der darum auch zu allen Zeiten in aller dichterischen und mystischen Spekulation wiederkehrt. Indem er diesen Indifferenzpunkt zum irrationalen Ausgangs-, Ziel- und Mittelpunkt seines monistischen Idealismus erklärt, gerinnt ihm die darin vermittelt geglaubte Differenz jedoch zwangsläufig zu einem Nebeneinander von Reflexion und Erlebnis. Wenn Reininger dem vierten und letzten Teil seines Hauptwerkes den Titel „Metaphysik als Wissenschaft und als Erlebnis“ gibt,72 so verleiht er diesem Nebeneinander von Wissenschaft und Erlebnis seine abschließende Bestätigung: er nimmt die Frage nach dem „und“ zwischen Wissenschaft und Erlebnis einerseits in die fraglose Unmittelbarkeit des Urerlebnisses zurück, indem er den Gedanken, wonach das Wissen um das Urerlebnis selbst zu einem gefühlsbetonten Erlebnis eigener Art wird, an das Ende seiner theoretischen Untersuchungen stellt (Metaphysik als Erlebnis), er hält diese Frage aber zugleich offen, indem er ihre Beantwortung an eine unendliche Stufenreihe von einander kritisch überhöhenden Denkstandpunkten delegiert (Metaphysik als Wissenschaft). Reininger versucht solcherart eine kritische Tugend aus der Not des grenzbegrifflichen Denkens zu machen: er hält die Balance zwischen den positivistischen und den historistischen Umkippungen des aufgeklärten Bewusstseins, indem er die Wirklichkeit als die äußere Grenze der Reflexion und die Perspektivik jeweiliger Standpunkte als deren innere Begrenztheit neben einander stellt, er weigert sich aber diese Balance durch ein Netz begrifflicher Vermittlungen abzusichern, indem er dem spekulativ-idealistischen Anspruch einer (dialektischen) Vermittlung von äußerer Grenze und innerer Begrenztheit den Hinweis auf die prinzipielle Beschränktheit aller „Denkstandpunkte“ entgegenhält.

|| 71 Reininger 1948, S. 210f. 72 Reininger 1948, S. 141ff.

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Andrzej J. Noras (†)

Riehl als Neukantianer Abstract: Based on an examination of Alois Riehl’s Philosophical Criticism as well as his smaller writings, the text strives to work out the complexity of neo-Kantianism. Riehl’s philosophy forms a central interface in this school of thought, as will be demonstrated by concrete historical events. Particular emphasis is placed on the effectiveness of Riehl’s concept of sensibility, his interpretation of criticism, his critique of metaphysics, his distinction between scientific and non-scientific philosophy, and the role of epistemology. Consequently, the text forms a plea for understanding Riehl as a neo-Kantian, but under the premise that this is a very heterogeneous philosophical tradition which is not only of historical interest. Als 1946 Ernst Cassirer einen dem Neukantianismus gewidmeten Artikel für Encyclopedia Britannica schrieb, zählte er die wichtigsten Vertreter dieser Richtung auf, zu denen er auch Alois Riehl rechnete.1 Cassirer ist davon überzeugt, dass Riehl trotz aller Unterschiede stark unter dem Einfluss Cohens, Cassirers Lehrer, steht. Auch Kurt Walter Zeidler stellt den breiteren Hintergrund von Riehls Philosophie dar und sieht dabei eine Verbindung zwischen Liebmann und Riehl: Obwohl er [Liebmann – AJN] aufgrund seiner Beschäftigung mit psychologischen und naturphilosophischen Fragen dem frühen physiologischen Neukantianismus (H. Helmholtz, F. A. Lange) sicherlich näher steht als den Südwestdeutschen oder den Marburgern, ist Otto Liebmann als Repräsentant einer eigenständigen Richtung des Neukantianismus aufzufassen, der auch Alois Riehl zuzurechnen ist.2

Wolfgang Röd hat keinen Zweifel daran, dass Riehl ein Neukantianer ist, obwohl er mehr die Verbindungen zwischen der Philosophie Riehls und den Ansichten Herbarts betont. Ein recht eigenständiger Vertreter des Neukantianismus war Alois Riehl […], der im Gegensatz zu den Marburgern an der kritisch-realistischen Deutung der Kantischen Erkenntnislehre festhielt. Obwohl man ihn deshalb gelegentlich in die Nähe des Positivismus rückte,

|| 1 Cassirer 1946, S. 215–216. 2 Zeidler 1995, S. 67; Zeidler 1994, S. 219. || Andrzej J. Noras (†) https://doi.org/10.1515/9783110747379-016

372 | Andrzej J. Noras

ist die realistische Komponente seines Denkens nicht auf diesen, sondern auf den Einfluß des Herbertianismus zurückzuführen, der in Österreich bis etwa 1870 in Philosophie und Pädagogik eine wichtige Rolle spielte und auch den jungen Riehl beeinflußte.3

Dieses Motiv von Riehls Denken wird auch von Carl Siegel bestätigt, der über die Abkehr von Herbarts Philosophie zugunsten von Kants Doktrin schreibt, wenn er bemerkt: In dieser Atmosphäre herbartscher Philosophie erwuchs Riehl. Er ist der einzige, der fast zu gleicher Zeit, wie die Vorkämpfer der Kantbelebung in Deutschland, auch in Österreich die durchschlagende Bedeutung Kants erkannte und sich selbst von Herbart zu Kant zurückfand.4

Gleichzeitig bestätigt Siegel Riehls Neukantianismus, da diese Philosophie im Allgemeinen als Rückkehr zu Kant definiert werden kann. Das Kantjahr 1924 kann man in der Geschichte der Kantforschung und Kantdeutung als ein Epochenjahr bezeichnen. Es brachte aus der Feder Max Wundts das Buch Kant als Metaphysiker und aus der von Heinz Heimsoeth den großen Kantstudienbeitrag Metaphysische Motive in der Ausbildung des kritischen Idealismus.5

Wagners Überlegungen stimmen mit der Überzeugung von Heinrich Rickert überein, der Riehl in der Strömung des Neukantianismus sieht. Im strengen Sinne sollte man nur die als Neukantianer, d. h. als Kantianer, die etwas Neues gebracht haben, bezeichnen, die, wie Riehl sagt, durch ein erneutes und vertieftes Studium Kants die Philosophie über sich selbst zu besinnen suchten und dadurch zugleich wirklich über ihren schon vorher erreichten Stand hinausführten. Dann sind dazu O. Liebmann, F. A. Lange, besonders aber H. Cohen, W. Windelband und P. Natorp zu rechnen. […] Zugleich muß man hinzufügen: Riehl war der letzte dieser Gruppe.6

Rickert verweist auf Riehls erste Worte, die er in Princeton am 20. Oktober 1913 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde ausgesprochen hatte. Seinen Vortrag hat Riehl in folgender Weise begonnen: „Die philosophische Bewegung der Gegenwart nimmt ihren Anfang im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts mit einem erneuten und vertieften Studium Kants.“7 Die Anerkennung von Rickert ist sicherlich von großer Bedeutung, aber es lohnt sich, die Motive von

|| 3 Röd 1996, S. 365. 4 Siegel 1932, S. 27. 5 Wagner 1961/1962, S. 246. 6 Rickert 1924/1925, S. 163–164. 7 Riehl 1913, S. 304.

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Riehls Philosophie näher zu betrachten, sowohl diejenigen, die für seinen Neukantianismus sprechen, als auch diejenigen, die auf andere Quellen verweisen. Dies wird von Riehl selbst bestätigt, der im ersten Satz der Vorrede zu seinem Lebenswerk betont, dass er sich nicht auf Kants Philosophie beschränkt und schreibt: „Unter philosophischem Kriticismus verstehe ich nicht ausschliesslich die Philosophie Kant’s.“8 Das Problem der Einbeziehung Riehls in den Neukantianismus ist sehr kompliziert, weil er – wie zum Beispiel Glockner meint9 – im Licht des Positivismus gesehen wird, obwohl Carl Siegel keinen Zweifel daran hat, wenn er über seine Philosophie schreibt: Nicht historisch, sondern sachlich-naturwissenschaftlich orientiert war Riehls Erneuerung der kantischen Lehre. Nicht um ein „zurück zu Kant“, sondern um ein: „vorwärts von Kant aus“ handelte es sich für ihn.10

Dies ist auch interessant, weil Kurt Walter Zeidler auf die Tatsache hinweist, dass Riehl (und auch Liebmann) für Lewis White Beck die „Hauptvertreter eines ‚Metaphysical Neo-kantianism‘“ sind, obwohl sie von Glockner als Vertreter des „kritischen Positivismus“ bezeichnet werden.11 Daraus folgt die Notwendigkeit, Riehls Philosophie in ihren Ursprüngen zu betrachten, obwohl in erster Linie seine Orthodoxie in Bezug auf Kants Denken berücksichtigt werden muss. Im Jahre 1882 erhielt Riehl einen Ruf an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wo er Nachfolger von Wilhelm Windelband wurde, und 1883 hielt er dort seine Antrittsrede unter dem Titel Über wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Philosophie.12 Diese Rede hat eine außerordentlich große Bedeutung, da sie vom Autor zweier Bände des Werkes Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft gehalten wird, und die Hauptfrage das überaus wichtige Problem der Philosophie als Wissenschaft ist. Ergänzend ist hervorzuheben, dass dieses Motiv im letzten Band des Philosophischen Kritizismus wieder auftaucht, erschienen 1887, also fünf Jahren später. Riehl thematisiert das Problem der unwissenschaftlichen Philosophie, was in seiner Lehre als neukantianisches Motiv interpretiert werden kann. Riehl weist || 8 Riehl 1876, S. III. 9 „Der 1. Band enthielt die Geschichte des kritischen Denkens und führte Kant zunächst so völlig auf die englische Erfahrungsphilosophie zurück, daß die ‚Kritik der reinen Vernunft‘ schon weitgehend in den Werken Lockes und Humes enthalten zu sein scheint. […] Doch blieb Riehl immer kritischer Realist; ja Positivist; Forscher wie Galilei, Robert Mayer und Helmholtz in das System des Kritizismus einzugliedern, ist ihm vorzüglich gelungen.“ (Glockner 1958, S. 987). 10 Siegel 1932, S. 10. 11 Zeidler 1995, S. 219. 12 Riehl 1883, S. 227–253.

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auf die Motive hin, die seiner Meinung nach die unwissenschaftliche Philosophie kennzeichnen und verweist auf das philosophische System als System der Wissenschaften a priori. Indem er dabei auch seiner kritischen Haltung zum deutschen Idealismus Ausdruck verleiht, hält Riehl dabei fest: „Das wahre System der Erkenntnisse […] ist die Gesamtheit der Wissenschaften selbst.“13 So tritt Riehl hier als Sprecher der antisystemhaften Philosophie auf und betont gleichzeitig zwei Elemente, die seiner Meinung nach die Unwissenschaftlichkeit der Philosophie bezeugen. „Die Philosophie als System und als Weltanschauungslehre ist daher keine Wissenschaft.“14 Carl Siegel weist darauf hin, dass das charakteristische Merkmal von Riehls Neukantianismus die erkenntnistheoretische Ausrichtung ist. Erkenntnistheorie als Wissenschaftslehre hat für Jahrzehnte seines Wirkens Riehl so sehr erfüllt, daß er in ihr die Philosophie sah, d. h. die Philosophie, sofern sie auf Wissenschaft Anspruch machen könnte.15

Dies hängt mit Eduard Zeller zusammen, der einen Antrittsvortrag unter dem Titel Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnistheorie in Heidelberg am 22. Oktober 1862 gehalten hat und auch in diesem Jahr veröffentlichte.16 Es ist daher davon auszugehen, dass Zeller und Riehl gleichzeitig die Bedeutung der Erkenntnistheorie betonen, einer philosophischen Disziplin, die im Neukantianismus eine Schlüsselrolle spielt. Man kann sogar sagen, dass der eigentliche Neukantianismus mit der Berücksichtigung der besonderen Rolle der Erkenntnistheorie beginnt und endet, wenn der Ort der Erkenntnistheorie von der Ontologie eingenommen wird, eine Entwicklung, die ich anderswo als Postneukantianismus bezeichnet habe. Riehl selbst weist auf dieses Motiv hin und schreibt: Die Philosophie in ihrer neuen, kritischen Bedeutung ist die Lehre von der Wissenschaft, der Erkenntnis selbst. Sie ist die Erkenntniswissenschaft. Sie forscht nach den Quellen des Erkennens, ermittelt seine Bedingungen und bestimmt seine Grenzen.17

Siegel zählt in Riehls Verständnis und seinen Schriften drei Motive auf, die die unwissenschaftliche Philosophie charakterisieren und schreibt:

|| 13 Riehl 1883, S. 230. 14 Riehl 1883, S. 233. 15 Siegel 1932, S. 117. 16 Zeller 1862. 17 Riehl 1883, S. 246.

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1. Der Anspruch der Philosophen, ein geschlossenes System des Wissens über die Welt zu geben; 2. die Geringschätzung der Erfahrung und Entwertung der sinnlichen Welt, gegenüber der es ein Übersinnliches zu ermitteln gelte: Philosophie als Metaphysik und Zug zur Transzendenz. Endlich 3. die Einmengung praktischer Bedürfnisse, einer durch Gefühlsund Willenstendenzen allein bestimmten Lebensanschauung in die theoretische Weltbetrachtung.18

Dies ist nicht nur Gegenstand der Freiburger Antrittsrede, sondern auch des zweiten Teils des zweiten Bandes des Buches Der philosophische Kritizismus, der unter dem Titel Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik veröffentlicht wurde. In Anbetracht des Problems der Wissenschaftlichkeit der Philosophie ist die wichtigste Frage für Riehl die Frage nach der Metaphysik. Und der Autor selbst schreibt darüber zu Beginn des der Wissenschaftstheorie und der Metaphysik gewidmeten Bandes, in dem er darauf hinweist: Mit der Bestreitung des wissenschaftlichen Charakters der Metaphysik ist daher die Philosophie selbst zum Problem geworden, ihre Berechtigung als Wissenschaft fortzubestehen in Frage gestellt.19

Diese Bestreitung wird von Riehl als ein Vorgang empfunden, in dem Kants Philosophie ein Stadium darstellt, aber eben auch nicht mehr als das. Kant ist für Riehl nicht der Höhepunkt der gegenwärtigen Philosophie, eine Ansicht, die gerechtfertigt ist durch Riehls Überzeugung von der evolutionären Natur der Philosophie. Riehls grundlegende These in Bezug auf moderne Philosophen lautet wie folgt: Man darf daher die Philosophie nicht als die Vorstufe der Wissenschaft betrachten, wie es Comte getan. Denn die moderne Wissenschaft hat sich unabhängig und im Gegensatze zur Philosophie, d. i. eben zur griechischen Gestalt der Wissenschaft, entwickelt. Sie hat die Tradition der Philosophie schlechthin und mit vollem Bewußtsein abgebrochen.20

Unter Berücksichtigung der modernen Philosophie schreibt Riehl über „Ersatz der griechischen Form der Wissenschaft“21. Schließlich bestätigt Riehl die Evolution des Denkens, die zu einem anderen Verständnis der Beziehung zwischen Philosophie und Wissenschaft geführt hat.

|| 18 Siegel 1932, S. 117. 19 Riehl 1887, S. 1. 20 Riehl 1883, S. 235–236. 21 Riehl 1887, S. V.

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Die Philosophie ist die Wissenschaft der Griechen, sie ist die Wissenschaft des griechischen Zeitalters, während die neueren Wissenschaften in ihrer Gesammtheit betrachtet die Philosophie der neueren Völker und Zeiten bildet.22

Die Philosophie entwickelt sich zur Wissenschaft, und dies kann nur eines bedeuten, nämlich das Vorhandensein eines positivistischen Elements in Riehls Denken. Hier tauchte der für den Positivismus charakteristische Gedanke der stufenartigen Entwicklung auf. Diese Idee der Entwicklung wird von Riehl in der Einleitung zur zweiten Auflage von Der philosophische Kritizismus bestätigt, wenn er schreibt: Die Entwicklung der kritischen Philosophie vollzog sich in drei Stufen. Sie begann mit einer psychologischen Reflexion über den Ursprung und einer Analyse des Inhalts der Begriffe; es ist die von Locke erreichte Stufe. In Humes Positivismus, ihrer zweiten Stufe, prüfte sie den Begriff der Erfahrung, gelangte aber unter Festhaltung des rein empirischen Ursprungs aller Erkenntnis zu skeptischen Ergebnissen, nicht nur in Hinsicht auf die Vernunft, sondern auch in Hinsicht auf die Erfahrung selbst. Auf ihrer dritten Stufe, in Kants Philosophie endlich, nahm sie diese Prüfung von neuem auf und erbrachte den Beweis, dass Erfahrung Erkenntnis, – aber auch, dass Erkenntnis nur in der Erfahrung sei. So führt von Locke über Hume zu Kant ein stetiger Fortgang in der Erfassung und Vertiefung der Probleme.23

Das Problem der Philosophie wird für moderne Philosophen zu einem Problem der Wissenschaft, und die Metaphysik spielt hier eine wichtige Rolle. Riehl sieht diese Verwechslung von Philosophie und Wissenschaft in allen bedeutenden Figuren der Moderne; in Bezug auf Leibniz heißt es: „Aber als Metaphysiker, als Philosoph denkt Leibniz so dogmatisch und unmodern, wie alle andern Systemphilosophen, denkt er so griechisch und unwissenschaftlich, wie diese.“24 Riehl fragt jedoch nach Wissenschaft, genauer gesagt nach Philosophie als Wissenschaft und nicht nach der modernen Wissenschaft, die neben der griechischen Philosophie erscheint. Er weist deutlich auf die Trennung hin, die in der Antike stattgefunden hat und schreibt: „Im Altherthume hatte die Philosophie einen doppelten Beruf zu erfüllen. Sie vertrat die Stelle der heutigen Wissenschaft und war überdies eine Lehre und Uebung praktischer Lebensweisheit.“25 Spuren des kritischen Denkens sind in der Antike zu finden, aber erst in der Neuzeit tritt es in aller Deutlichkeit hervor. Riehl verweist auf die einzigartige Rolle der kritischen Philosophie und schreibt:

|| 22 Riehl 1887, S. 3. 23 Riehl 1908, S. 6. 24 Riehl 1883, S. 240. 25 Riehl 1887, S. 2.

Riehl als Neukantianer | 377

Doch ist die Schöpfung einer kritischen und wissenschaftlichen Philosophie der Hauptsache nach ein Werk erst der neueren Zeit. Sie wurde durch den Kontrast hervorgerufen, den man zwischen der sich fortschreitenden, modernen Wissenschaft und der aus dem Altertume überlieferten Systemphilosophie, die sich beständig im Kreise ihrer leeren Abstraktionen drehte, bemerken mußte.26

Die Einzigartigkeit von Riehls Standpunkt zeigt sich noch einmal, wenn er die kritische Philosophie charakterisiert. Riehl betont den evolutionären Charakter der modernen Philosophie, der sich unter anderem darin äußert, dass Hume an Locke anknüpft und Kant wiederum an Hume, allerdings jeweils die davor erzielten Ergebnisse problematisiert werden. So hatte eigentlich bereits die Humesche Kritik zur Krisis aller reinen Begriffsphilosophie geführt, als Kant, durch Hume angeregt, sich anschickte, das Werk der Auflösung einer angeblichen Erkenntnis aus reiner Vernunft auf seine Weise zu vollenden.27

Riehl betont die Bedeutung von Kants Philosophie, insbesondere seine Kritik an der Metaphysik. Kants Kritizismus ist jedoch für Riehl unbestreitbarer als der von Hume. Riehl betont, dass Kants direkte Nachfolger seine Kritik missbrauchen und sich der Systemphilosophie verschrieben haben, und schreibt: Mit der kritischen Philosophie ist die Ära der philosophischen Systeme abgeschlossen. Was immer für Versuche dieser Art noch in der Zukunft von phantasievollen Köpfen ausgehen mögen, – das Urteil über ihren wissenschaftlichen Unwert steht von vornherein fest.28

Und weiterführend heißt es: Und so wären wir am Schlusse? Die Philosophie hätte die Philosophie aufgehoben; die wissenschaftliche die unwissenschaftliche beseitigt? Der Entwicklungsverlauf der Geschichte der Philosophie wäre damit abgeschlossen, daß er rückgängig gemacht wurde?29

Die Idee des Endes der Systemphilosophie ist sicherlich wichtig und kommt in modernen Konzepten sehr oft vor, und einer der Denker, die diese Idee verwenden, ist Nicolai Hartmann. Der grundlegende Gegensatz, der in Hartmanns Philosophie besteht, ist der, dass Hartmann zwischen Systemdenken und systematischem Denken unterscheidet. Hartmann schreibt unter Berücksichtigung der

|| 26 Riehl 1883, S. 241. 27 Riehl 1883, S. 242. 28 Riehl 1883, S. 244. 29 Riehl 1883, S. 244.

378 | Andrzej J. Noras

deutschen Idealisten: „Das konstruktive Denken hat ausgespielt“,30 und im Geiste von Riehl ergänzt: „Die Zeit der philosophischen Systeme ist vorbei.“31 Die Idee des Endes der Systemphilosophie kommt nicht von ungefähr, sondern ist eine Konsequenz von Kants Kritizismus und stellt gleichzeitig die Gegenposition zum deutschen Idealismus dar. Diesen Übergang von Kants Kritizismus zum dogmatisch orientierten deutschen Idealismus zeigt am besten Richard Kroner, der die Philosophie von Karl Leonhard Reinhold charakterisiert und schreibt: „In seinem Denken ist keine lebendige Schöpferkraft; er versucht, den Kritizismus in einer bestimmten einseitigen Richtung zu dogmatisieren.“32 Diese Dogmatisierung zeigt Kroner im Abschnitt mit dem Titel „Von der Vernunftkritik zur Wissenschaftslehre“33. Die Frage ist eine Frage des Verstehens der Kritik der reinen Vernunft, aber auch des Verstehens von Kants Kritizismus. Riehls Wertschätzung der Kr. r. V. beruht darauf, daß dieses Werk eine Begründung der Erfahrung leistet; wofern dieses sein in Riehls Augen wichtigstes Ergebnis die historische Betrachtung erst veranlaßt, wofern es also im voraus feststeht, bedarf es auch keiner besonderen Sicherung durch den historischen Gedankengang mehr.34

Riehls These zeigt die ganze Komplexität des Neukantianismus, der sich auf unterschiedliche Weise auf Kants Philosophie bezieht. Hermann Cohen, Begründer der Marburger Schule, beginnt seine Reflexion über Kants Philosophie mit dem Hinweis auf den Begriff der Erfahrung, und doch lässt sich nicht ohne weiters behaupten, dass er dasselbe sagt wie Riehl. Cohen schreibt: Kant hat einen neuen Begriff der Erfahrung entdeckt. Die Kritik der reinen Vernunft ist Kritik der Erfahrung. Von der genauen Bestimmtheit dieses Begriffs der Erfahrung hängt es ab, ob Kant durch seine Kritik die natürlichen Ansprüche sowohl des Skepticismus der Empirie, als auch des Dogmatismus der reinen Vernunft, befriedigt, und damit den Streit derselben geschlichtet hat.35

So stellt sich zwar heraus, dass der Erfahrungsbegriff Riehl mit Cohen verbindet, aber wie dieser Begriff verstanden wird, trennt sie. Wolfgang Ritzel schreibt zu Recht über Riehl:

|| 30 Hartmann 1933, S. 2. 31 Hartmann 1933, S. 2. 32 Kroner 1921, S. 316. 33 Kroner 1921, S. XIV. 34 Ritzel 1952, S. 13. 35 Cohen 1871, S. 3–4.

Riehl als Neukantianer | 379

Locke, Hume und Kant sind die Vertreter des philosophischen Kritizismus; Kant ist der bedeutendste der drei – die beiden anderen werden nur darum gewürdigt, weil ihre Lehren die geschichtlichen Voraussetzungen der seinigen bilden.36

Auf der anderen Seite ist es Cohens Überzeugung, gefolgt von der gesamten Marburger Schule, dass der Kritizismus seinen Ursprung in der Kritik der reinen Vernunft hat; aufgrund dessen anerkennt Cohen nicht die Bedeutung vorkantischer Philosophen. Die Frage nach dem Neukantianismus ist vor allem die Frage, wo der Schwerpunkt von Kants Philosophie liegt, ob dieser in der Kritik der reinen Vernunft oder in der Kritik der praktischen Vernunft zu sehen ist. Bei der Beantwortung dieser Frage zeigt sich der Unterschied zwischen der Marburger und der badischen Schule. Die erste antwortete, der Schwerpunkt sei die Kritik der reinen Vernunft, die zweite sah ihn in der Kritik der praktischen Vernunft. Natürlich ist diese Antwort keine Lösung für dieses Problem, denn die Antwort auf die Frage, wie man die Kritik der reinen Vernunft versteht, bleibt offen. Die Komplexität dieses Problems zeigt sich bereits in diesem Moment, weil sowohl Cohen als auch Riehl die Kritik der reinen Vernunft im Lichte der Erfahrung wahrnehmen und trotzdem unterscheiden sich ihre Auffassungen des Kritizismus. Die als Erfahrungstheorie verstandene Kritik der reinen Vernunft muss nicht in gleicher Weise verstanden werden, denn wir dürfen nicht vergessen, dass dieses Verständnis im historischen Kontext verstrickt ist. Darauf weist Ernst von Aster hin, der seine Überlegungen zum Neukantianismus wie folgt beginnt: Das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts ist fast überall in Europa, vor allen Dingen aber in Deutschland, eine Zeit des Niederganges der philosophischen Interessen, der Achtung vor der Philosophie und den Philosophen und des Einflusses der Philosophie. An die Stelle des Ideals eines philosophischen Gesamtverständnisses der Welt ist das Ideal der „exakten Tatsachenwissenschaft“, der Wissenschaft der Laboratorien und Archive getreten.37

Wir sollen keinesfalls vergessen, dass der Neukantianismus auf vielfältige Weise und gleichzeitig sehr breit verstanden werden kann. Ernst Wolfgang Orth weist auf eine der wichtigen Möglichkeiten seines Verständnisses hin und schreibt: Der Neukantianismus, das Neukantische, ist diejenige Philosophie, welche durchaus unterschiedliche Denk-Motive im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert in sich vereint, auch wenn sie nicht im einzelnen speziell Kantischer Provenienz sind. Der Neukantianismus hat

|| 36 Ritzel 1952, S. 14. 37 Aster 1935, S. 4.

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die Funktion eines Umschlagplatzes für unterschiedliche philosophische Interessen der Epoche.38

So sollten zwei Fragen besonders beachtet werden. Erstens die Frage des Verständnisses der Entwicklung kritischer Philosophie und zweitens die Frage ihrer Auffassung. Zur ersten Frage schreibt Riehl gleich am Anfang seines Hauptwerkes: Von Locke begonnen, durch Hume fortgeführt, von Kant zu einem gewissen Abschluss gebracht, zeigt die kritische Philosophie in ihrer Ausbildung eine Folgerichtigkeit, Methode und Continuität, durch welche sie sich von den meisten, unstetigen Systemsversuchen unterscheidet.39

Die folgenden Worte belegen jedoch, dass Riehl den Kritizismus in sehr weitem Sinn versteht: „Spuren und Ansätze des Kriticismus fehlen auch im Altherthume nicht, aber seine eigentliche Geschichte beginnt erst mit Locke.“40 Und diesen Aspekt seiner Philosophie unterstreicht Norbert Hinske, der in Riehls Bemühungen den evolutionären Ansatz der Kritizismus sieht.41 Zweitens, Riehl unterstreicht die Bedeutung und die besondere Aufgabe der wissenschaftlichen Philosophie und schreibt: Die wissenschaftliche Philosophie ist jedoch bei bloßer Kritik nicht stehengeblieben. Sie konnte ihre nächste Aufgabe: die Möglichkeit einer metaphysischen, über die Erfahrung hinaustragenden Erkenntnis zu prüfen, auch gar nicht in Angriff nehmen, ohne zugleich die Möglichkeit und die Bedingungen des Erfahrungswissens zu untersuchen. Ihre besondere Aufgabe hat sich ihr so unter der Hand in eine allgemeine verwandelt, welche die Wissenschaft überhaupt und als solche umfaßt. Die Erkenntnis, die Wissenschaft selber, bildet das Objekt der Philosophie.42

Alois Riehl ist überzeugt, dass Philosophie eine Wissenschaft ist, und diese These macht ein wichtiges Element seines Neukantianismus aus. Er notiert: Die Philosophie in ihrer neuen, kritischen Bedeutung ist die Lehre von der Wissenschaft, der Erkenntnis selbst. Sie ist die Erkenntniswissenschaft. Sie forscht nach den Quellen des Erkennens, ermittelt seine Bedingungen und bestimmt seine Grenze.43

|| 38 Orth 1994, S. 15–16. 39 Riehl 1876, S. 1. 40 Riehl 1876, S. 3. 41 Hinske 1994, S. 40. 42 Riehl 1883, S. 245. 43 Riehl 1883, S. 246.

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Riehl als Neukantianer interessiert sich nicht für die Entstehung der Erkenntnis, er interessiert sich nicht für die Genesis der Erkenntnis, sondern für die Grundlage ihrer Geltung. Die Frage lautet, was die Kritik ist, und Riehl antwortet: „Ihre Aufgabe ist nicht zu zeigen: wie Erfahrung entstehe, sondern was in ihr liegt.“44 Und viele Jahre später schreibt er in der zweiten Auflage des Buches zusammenfassend: Die Frage der Vernunftkritik ist eine Frage nach der Erkenntnis, nicht nach der Existenz. Sie ist eine Frage nach der Gültigkeit der Erkenntnis, nicht nach ihrem Ursprunge. Sie ist endlich die Frage nach der Gültigkeit eines Teiles der Erkenntnis, nämlich der Erkenntnis a priori.45

Nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Princeton im Jahr 1913 hielt er bei dieser Gelegenheit eine Rede, in der er sagt: „Wieder begann man ohne Wissenschaft und gegen Wissenschaft zu philosophieren.“46 Diese These mag strittig erscheinen, bezieht sich aber dennoch auf den zeitgenössischen Streit um die Wissenschaftlichkeit der Philosophie, dessen Quelle im Positivismus liegt. Daher stellt sich die Frage nach dem Positivismus und seinem Verständnis im Kontext von Kants Kritik. Friedrich Jodl (1849–1914), der sich selbst als Positivist versteht, beantwortet diese Frage sehr treffend, wenn er schreibt: Erst in Alois Riehls großem Werke: „Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft“ hat der Kritizismus Kants die Form gefunden, welche ihn für heutige Denkbedürfnisse brauchbar macht und zu den verschiedensten Problemen der Wissenschaft in Beziehung setzt. Mit der größten Entschiedenheit tritt hier der Kritizismus als Positivismus auf, indem er alles wirkliche Erkennen durchaus den einzelnen Disziplinen zuweist, jegliche Systemdichtung, jeglichen Glauben an die Möglichkeit einer anderen als der streng wissenschaftlichen Erkenntnisart als Täuschung abweist und die Aufgabe der Philosophie lediglich als die Wissenschaft und Kritik der Erkenntnis bestimmt.47

Und Riehl selbst unterscheidet zwischen erkenntnistheoretischem Positivismus und erkenntnistheoretischem Kritizismus. In Bezug auf den Positivismus hebt Riehl hervor: Der moderne Positivismus, die Philosophie der reinen Erfahrung, betrachtet und behandelt die allgemeine Aufgabe des Erkennens als Minimumaufgabe, als das „Denken der Welt

|| 44 Riehl 1876, S. 7. 45 Riehl 1908, S. 579. 46 Riehl 1913, S. 305. 47 Jodl 1895, S. 374.

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gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes“: eine Analogie mit dem Prinzip der Mechanik wird zur Norm des wissenschaftlichen Denkens gemacht.48

Und fährt fort: „Die Wissenschaft soll nur dazu bestimmt und geschaffen sein, Erfahrungen zu ersetzen, Erfahrungen zu ersparen: die sei ihre ökonomische Funktion, und diese ihr wahrer und einziger Zweck.“49 Man kann sich an den Autor des antipositivistischen Durchbruchs erinnern, der den Unterschied zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften in Bezug auf Aristoteles betont und schreibt: Während die Einzelwissenschaften, z. B. die Mathematik, einzelne Gebiete des Seienden zu ihrem Gegenstand haben, hat diese erste Philosophie das ganze Seiende oder das Seiende als Seiendes, d. h. die gemeinsamen Bestimmungen des Seienden zu ihrem Gegenstand.50

Im Jahre 1904 beging die philosophische Welt den hundertsten Todestag Kants, und bei dieser Gelegenheit hielt Riehl in Halle eine Helmholtz gewidmete Rede (publiziert in den Kant-Studien und als Separatdruck). In diesem Text verweist der Autor auf die Bedeutung der Bemühungen von Hermann von Helmholtz, Kants Philosophie die richtige Geltung zu geben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Rede von Helmholtz aus dem Jahre 1855 als einer der wichtigen Impulse für die Entstehung des Neukantianismus angesehen wird. Im Kontext des Verständnisses der Philosophie selbst ist dies eine wichtige Leistung von Helmholtz, auf die Riehl hinweist, wenn er schreibt: Allein, nicht in dieser, durch Helmholtz begründeten physiologischen Auffassung Kants, welche, wie wir heute erkennen, den Gesichtspunkten der transscendentalen Methode unangemessen ist, liegt für uns das eigentliche Verdienst des grossen Naturforschers; wir erblicken es vielmehr darin, dass Helmholtz überhaupt auf Kant aufmerksam gemacht und so die durch die spekulativen Systeme von Schelling und Hegel unterbrochene Verbindung zwischen Philosophie und Wissenschaft wieder angeknüpft hat.51

Die bisherigen Überlegungen zeigen alle Schwierigkeiten, die mit dem Interpretationsproblem auftreten.52 Riehl interpretiert Kants Denken und liest so die Kritik der reinen Vernunft unter einem bestimmten Gesichtspunkt, auch bedingt durch den historischen Kontext. Aus diesem Kontext geht hervor, dass zwei Probleme zum Schlüssel werden, nämlich Wissenschaft und Metaphysik. Das Problem der || 48 Riehl 1921, S. 87–88. 49 Riehl 1921, S. 88. 50 Dilthey 1883, S. 161. 51 Riehl 1904a, S. 3–4. 52 Siehe Noras 2016.

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Wissenschaft führt zu dem, was man als Positivismus Riehls bezeichnen kann, und beeinflusst gleichzeitig, wie er Kritizismus versteht. Riehl interpretiert den Kritizismus als den radikal antimetaphysischen Standpunkt und schreibt: „Die kritische Philosophie hatte sogleich eine antimetaphysische Tendenz verrathen und folglich die Richtung auf strenge, positive Wissenschaft eingehalten.“53 Auf diese Weise ist das wichtigste Problem der Wissenschaft, das, was Wolfgang Ritzel konstatiert: Das beherrschende Anliegen des letzteren [d. i. des Werkes Der philosophische Kritizismus; AJN] und damit das des Autors ist […] den kritischen Gedanken in seiner Bedeutung für die positive Wissenschaft weiterzubilden.54

Und Heinrich Rickert fügt hinzu: „Es hat dazu verleitet, daß man Riehl zu den ‚Positivisten‘ zählte.“55 Und gerade wegen des Positivismus, der Riehls Philosophie kennzeichnet, sollte man, wie Rickert betont, nach dem Neukantianismus selbst fragen. Der Versuch, Neukantianismus zu definieren, geht nicht nur über den Umfang dieser Studie hinaus. Es genügt jedoch, sich an zwei Merkmale zu erinnern, um zu verdeutlichen, dass die Autoren, die an den Neukantianismus dachten, auch Riehl selbst meinten. Heinrich Rickert bemerkt: Bei diesen Sätzen hat Riehl selbstverständlich die philosophische Bewegung im Auge, die man als Neukantianismus bezeichnet, und die für ihn die „wissenschaftliche“ Philosophie seiner Zeit, also der Gegenwart war. Zugleich hebt er in ihr jenen Faktor hervor, für dessen Ausbildung er selbst von größter Bedeutung geworden ist: die einerseits naturwissenschaftlich orientierte, andererseits „realistisch“ gerichtete Fortbildung der Kantischen Gedankenwelt.56

Dies spiegelt sich unter anderem in der Darstellung der Bedeutung von Helmholtz sowie in der Kritik der Metaphysik wider. Riehl schreibt: Dass die Philosophie Kant’s Elemente des wissenschaftlichen Kriticismus überhaupt enthalte, geht besonders aus der nachdrücklichen Betonung, mit der von Seiten der Naturwissenschaft, namentlich der Physiologie auf diese Philosophie hingewiesen wird, hervor. Die Physiologie fasst ihr Verhältniss zu Kant wesentlich als übereinstimmendes und ergänzendes auf.57

|| 53 Riehl 1876, S. 1. 54 Ritzel 1952, S. 13. 55 Rickert 1924/1925, S. 168. 56 Rickert 1924/1925, S. 163. 57 Riehl 1876, S. 5.

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Während auf einer anderen Stelle fügt er hinzu: „Die latente Metaphysik der Naturwissenschaft ist der Materialismus.“58 Eine weitere Erklärung für den Neukantianismus liefert Rudolf Malter, der schreibt: Die Erörterung des Themas stößt auf eine Ihnen bekannte Schwierigkeit: welche Philosophen sind Neukantianer, welche Kantauslegungen sind typisch neukantianisch? Die Antwort, Neukantianer seien die Denker, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewußt an Kant sich orientieren und ihn zum Ausgangspunkt ihres eigenen Denkens nehmen, ist zwar sehr unspezifisch, wird aber etwas konturierter, wenn man Namen nennt, die traditionell zum Neukantianismus gezählt werden, und wenn man an ihrem Werk diejenigen Momente ausfindig macht, die – hinsichtlich des Verständnisses von Kant – gewisse einheitliche Linien konstituieren.59

Malters Position kann nicht als eigenartig bezeichnet werden, im Gegenteil, sie sollte als angemessene Einschätzung der Situation angesehen werden. Dies liegt daran, dass Malter die ganze Komplexität dieser philosophischen Bewegung bestätigt, die wir als Neukantianismus kennen. In Bezug auf Riehl betont Manfred Pascher diese Tatsache, wenn er notiert: „Wie die Philosophen des Neukantianismus im allgemeinen bedeutete auch für Riehl die Anknüpfung an Kant zugleich ein Hinausgehen über die ursprüngliche Position der kritischen Philosophie.“60 Dies bestätigt Riehl selbst, der zu Beginn seiner Arbeit schreibt: „Die principiellen Fortschritte der Naturwissenschaft verbieten das Stehenbleiben auf dem Standpunkte Kant’s“61, oder: „Meine Absicht ist daher auf Kritik und Fortbildung der Philosophie Kant’s gerichtet“62, und weiter: „[…] die Philosophie Kant’s selber einer Berichtigung und Verschärfung in wesentlichen Punkten bedarf.“63 Christian Krijnen wiederum berücksichtigt Riehl überhaupt nicht, beschränkt den Neukantianismus auf die badische Schule und die Marburger Schule und nennt letzteren den „eigentlichen“ Neukantianismus.64 Von Beginn seines philosophischen Weges an, seit seiner Habilitationsschrift, hat Riehl die Notwendigkeit anerkannt, den historischen Kontext in seinen Analysen zu berücksichtigen und die Philosophie Kants in diesen Kontext

|| 58 Riehl 1883, S. 244. 59 Malter 1994, S. 45. 60 Pascher 1997, S. 67. 61 Riehl 1876, S. IV. 62 Riehl 1876, S. IV. 63 Riehl 1876, S. 6. 64 Krijnen 1998, S. 18.

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einzubetten. Er verweist auf große Denker wie Herbart und Leibniz, die seine Philosophie ebenfalls beeinflussen. Philosophische Theorien sind keine Dichtungen, und hängen nicht wie diese vom Genie ihres Schöpfers allein ab! Der Vorwurf synkretistisch verfahren zu sein, gilt sonach dem Verfasser als keiner. Er will vielmehr gerne selbst darauf hinweisen; dass die Gesichtspunkte seiner Schrift durch Studien an Herbart, Kant und Leibniz gewonnen sind.65

Zugleich betont er die realistische Einstellung der Philosophie und schreibt: „Das Wissen um das Reale ist die Absicht der Forschung überhaupt, und auch die Philosophie sucht im Realismus ihren Abschluss zu gewinnen.“66 An einer anderen Stelle fügt er hinzu: „Kant’s Lehre ist ein Idealismus der Erscheinungen auf realistischem Grunde.“67 Aber auch gibt er zu: Dennoch bestehen Schwierigkeiten in der Auffassung des realistischen Grundes der Kantischen Philosophie, die zum grössten Theile aus einem gewissen Mangel an Einhelligkeit ihres Gedankenkreises zu erklären und daher nicht so fast zu lösen, als in ihrem Motive zu heben sein werden.68

Riehls Philosophie ist eine Folge seines Verständnisses von Kants Philosophie, und daher geht es darum, wie Kants Denken gelesen wird. Gleichzeitig betont Riehl, dass die Philosophie über sich selbst nachdenken muss, was die gesamte Situation weiter verkompliziert. In Bezug auf die nachkantischen Philosophen stellt er fest: „Von dieser Grundlage aus suchte sie sich erst wieder über sich selbst zu besinnen.“69 Das wirft ein Licht auf Kants Philosophie, und Riehl betont: Da uns die Philosophie Kant’s zunächst als eine Phase der philosophischen Vergangenheit erscheint, so befinden wir uns ihr gegenüber von vorneher auf dem Standpunkt der Prüfung, die von keiner Absicht gelenkt werden soll.70

Aus dieser Einstellung folgt der Neukantianismus Riehls. In dem Jahre 1904, dem Jahr, in dem der 100-jährige Todestag Kants begangen wurde, veröffentlicht Riehl neben der bereits genannten Arbeit einen zweiten Text in den Kant-Studien, der später in die zweite Auflage des Philosophische Kritizismus aufgenommen wird;

|| 65 Riehl 1870, S. IV. 66 Riehl 1870, S. 6. 67 Riehl 1876, S. 10. 68 Riehl 1876, S. 10. 69 Riehl 1913, S. 304. 70 Riehl 1876, S. 11.

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hier lenkt er die Aufmerksamkeit auf die erfolgte Änderung der Funktion der Philosophie. „Mit der Schöpfung der modernen Wissenschaft hatte der Prozess der Auflösung der alten Philosophie begonnen.“71 Unabhängig davon akzentuiert er die Bedeutung der englischen Philosophie und schreibt: „Wir verfolgen die stufenweise Ausbildung des Kriticismus in der englischen Philosophie, um den neuen Weg Kant’s sichtbar zu machen.“72 In einem Buch aus dem Jahr 1872, in dem er das Problem der Philosophie betrachtet, bezieht sich Riehl auf das Buch Johann Karl Friedrich Zöllners (1834–1882), in dem sich ein Kapitel mit dem Titel „Immanuel Kant und seine Verdienste um die Naturwissenschaft“ findet. Riehl erinnert sich an Zöllners folgende Worte: Conceptionen, auf denen exakte Forscher der Gegenwart das stolze Gebäude ihres wissenschaftlichen Ruhmes erbaut haben, finden wir in bewundernswürdiger Uebereinstimmung bis in die kleinsten Details bei Kant wieder.73

In dieser Hinsicht gelten sowohl Zöllner als auch der sich auf ihn beziehende Riehl als Neukantianer. Das Problem ist jedoch, dass Riehl Philosophie nicht als Wissenschaft anerkennt.74 Er bezieht alle Wissenschaften auf ihre griechischen Namen und schreibt: Alle diese Namen bezeichnen den Gegenstand der bezüglichen Wissenschaft. Nur der Name Philosophie macht davon eine Ausnahme, insofern er keinen Gegenstand, sondern eine Gesinnung bedeutet.75

Die Richtung von Riehls Reflexion wird durch die Philosophie Kants bestimmt, die als Subjektivität verstanden wird76 und im Denken Fichtes zur Philosophie des Bewusstseins wird. Im Bezug zu letzterem stellt Riehl fest:

|| 71 Riehl 1904b, S. 493. 72 Riehl 1876, S. 11. 73 Zöllner 1872, S. 428; Riehl 1872, S. VIII. 74 „Die Aufgabe der Philosophie könnte ja wirklich, wie behauptet wird, keine streng wissenschaftliche sein, weil sie gar nicht im Gebiete des Erforschbaren liegt, als Aufgabe eines vorwissenschaftlichen, des Umfangs seiner Kraft noch unbewussten Denkens. Oder vielleicht ist die Philosophie, die man von gewisser Seite noch immer suchen zu sollen glaubt, schon gefunden, und in den Wissenschaften unserer Zeit, der Naturwissenschaft und Geschichte, enthalten?“ (Riehl 1872, S. 1). 75 Riehl 1872, S. 3. 76 „War die Philosophie Kants wesentlich die tief besonnene Selbsterfassung des Subjektes nach der theoretischen und praktischen Seite seiner Natur, so ist die Philosophie nach ihm,

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Philosophie ist Bewusstseinslehre. Es ist leicht, zu zeigen, dass dies das gesuchte, die philosophischen Wissenschaften von den übrigen unterscheidende und unter sich verknüpfende Merkmal sei. Die Naturwissenschaft eliminiert das Bewusstsein als solches.77

Trotzdem betont Riehl den allgemeinen und notwendigen Charakter der Erkenntnis in der Philosophie Kants. Dies geschieht auch in der Buchbesprechung von Windelbands Ueber die Gewissheit der Erkenntniss, wenn er die Bedeutung der Wahrnehmung betont.78 Rudolf Malter bemerkt: Wenn wir sagen, Riehl trage weitgehend seinen realistischen Standpunkt an Kant heran und in ihn hinein, dann muß das „weitgehend“ beachtet werden, denn: (a) in Riehls Selbstverständnis ist Kant ein Realist und (b) auch für den, der nicht Riehlianer ist, ist offenkundig, daß der Interpret eine Reihe von Stellen bei Kant vorweisen kann, die – wie schon im Frühkantianismus häufiger geschehen – für eine realistische Komponente bei Kant sprechen. Man kann sagen: Riehl setzt gewisse Momente bei Kant absolut und macht Teile zum Ganzen.79

Und in diesem Sinn – was schon betont wurde – hebt Heinrich Rickert hervor, dass bei Riehl „[…] die einerseits naturwissenschaftlich orientierte, andererseits ‚realistisch‘ gerichtete Fortbildung der Kantischen Gedankenwelt“80 stattfinde. Es ist symptomatisch, dass der Tod Riehls für den herausragenden Neukantianer Rickert mit dem Ende des Neukantianismus verbunden ist, wenn er bemerkt: „Neue Neukantianer brauchen wir jetzt nicht mehr.“81 Riehls Philosophie sollte im Kontext des Kampfes mit der unwissenschaftlichen Metaphysik im Kampf um die wissenschaftliche Philosophie gesehen werden. Wie oben schon dargelegt,82 listet Carl Siegel drei Momente auf, die nach Ansicht von Riehl zu einer unwissenschaftlichen Philosophie führen. Dies wiederum veranlasst Richard Falckenberg, Riehls Zugehörigkeit zur Strömung der positivistischen Philosophie zu betonen:

|| wenn wir Herbart ausnehmen, als die Substantiierung des Subjektes zu bezeichnen“. (Riehl 1872, S. 24). 77 Riehl 1872, S. 27. 78 Riehl 1874, S. 294–296. 79 Malter 1994, S. 48. Diese Idee ist nicht neu, denn bereits 1937 bezeichnet Janina KiersnowskaSuchorzewska in einem auf Polnisch veröffentlichten Text, der dem Neukantianismus gewidmet ist, das pars pro toto als dasjenige Prinzip, das eine solche Vielfalt von Richtungen verursacht hat. Siehe Kiersnowska-Suchorzewska 1937, S. 367. 80 Rickert 1924/1925, S. 163. 81 Rickert 1924/1925, S. 165. 82 Siehe Anm. 18.

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Alois Riehl stellt die (von dem Grundfaktum der Empfindung ausgehende) Erkenntnistheorie als wissenschaftliche der Metaphysik als der unwissenschaftlichen Philosophie gegenüber und verweist die Lehre von den praktischen Idealen aus dem Bereich der Wissenschaft in die Nachbarschaft der Religion und Kunst.83

Infolge dessen kommt Riehl zu einer These, die als Leitmotiv seiner Philosophie angesehen werden kann, wenn er schreibt: „Die Kritik der reinen Vernunft bejaht das Metaphysische, sie verneint die Metaphysik.“84

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|| 83 Falckenberg 1902, S. 532. 84 Riehl 1908, S. 584.

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Martin Hammer

Riehls Geschichtsbegriff: Analyse und Kritik Abstract: This paper has two aims: to reconstruct Riehl’s concept of history and to establish conditions of a reflected concept of history in order to critically assess Riehl’s understanding of history. The result may be somewhat surprising given that scholars have not really looked into how the concept of history played a significant role in Riehl’s work, or how remarkably close Riehl was to Hegel.

1 Irritation Kritik habe keinen „Erkenntnisvorsprung“ (259) vor affirmativer Theorie, sei bloße „Verunsicherung“ (249) zur Eröffnung von Möglichkeitsräumen. Michael Städtler1 Eine Irritation leitet diese Rekonstruktion. Meine Behandlung des Geschichtsbegriffs Riehls nimmt besonderes Interesse an einer Polemik Benjamins, die geeignet war, mich angesichts der Stärken der Philosophie Riehls zu verunsichern. Benjamin, der sein Studium der Kritik der reinen Vernunft2 durch die gleichzeitige Lektüre des Philosophischen Kritizismus Riehls als Kommentar ergänzt hatte, zitierte gegenüber seinem Freund Scholem zwischen 1916 und 1917 „das Witzwort, das über die beiden Ordinarien Stumpf und Riehl umging: ‚In Berlin ist die Philosophie mit Stumpf und Riehl ausgerottet worden.‘“3 Während die Abneigung gegen Stumpf seinem Psychologismus geschuldet sein könnte, so opponierte diesem Riehl vehement. Es lässt sich mutmaßen: Sollte die Abneigung ein fundamentum in re, einen Grund in der Philosophie Riehls, haben, so könnte dies mit ihrem positiven Charakter zusammenhängen: Riehl ist bekennender Positivist. Die Erfahrung erhält das Hauptgewicht, Erfahrbarkeit in Raum und Zeit überhaupt bilden die Grenze, hinter der das Nebelreich der Metaphysik und Spekulation beginne. Riehls theoretische Philosophie trans-

|| 1 Städtler 2019a, S. 19, Anm. 27; mit Bezug auf Landwehr 2016. 2 Vgl. Benjamin 1978, S. 81 (23. Brief vom 30.07.1913 an Herbert Belmore). 3 Scholem 1975, S. 32. || Martin Hammer, Universität Trier [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-017

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formiert zur Wissenschaftstheorie. Doch ist dies ein hinreichender Grund, um das vernichtende Witzwort, das unter den Studierenden umging, zu erklären? Meine These lautet, dass die Rekonstruktion von Riehls Geschichtsbegriff in der Lage dazu ist, Benjamins kritische Einstellung gegenüber Riehl als begründet zu erweisen. Dazu ist Riehls Geschichtsbegriff zu rekonstruieren. Das ist schwierig, weil dieser Begriff nirgends explizit thematisch wird, sondern dessen Facetten über Riehls Werk verstreut in einzelnen Sätzen aufscheinen. Im Folgenden werde ich zunächst die Funktion des Geschichtsbegriffs als historische Selbstvergewisserung (2) bestimmen, indem ich anhand des Aufbaus des ersten Bandes des Philosophischen Kritizismus die konstitutive Funktion der Geschichte für Riehls philosophische Position darstelle. So zeige ich anhand seines Hauptwerks immanent, dass der Geschichtsbegriff bei Riehl eine fundamentale Bedeutung erhält. Dabei wird die Vorgeschichte als bedeutungsvoll für Riehls eigenes Selbstverständnis (2.1) erwiesen sowie deutlich werden, dass Riehl nicht einfach von einer bloßen Fortschrittsgeschichte ausgeht (2.2), sondern durchaus Hemmungen des Fortschritts sowie partiale Rückschritte in der Geschichte anerkennt. Da Riehl die Hauptaufgabe der Philosophie seiner Zeit in der Bestimmung der Aufgaben der Philosophie (3) zu erkennen meint, werde ich die theoretischen (3.1) sowie die praktischen Aufgaben (3.2) derselben erörtern, um anschließend Riehls Verständnis vom Vorrang der künstlerisch-praktischen Philosophie über die wissenschaftlich-theoretische Philosophie zu bestimmen (3.3). Überraschend ist, dass sich im Geschichtsdenken Riehls bis dahin schon eine deutliche Nähe zu Hegel gezeigt haben wird. Diese Spur hegelianischer Motive verfolge ich anhand des Verhältnisses von Teleologie und Autonomie (4) weiter und werde abschließend die anfängliche Irritation (1) reflektieren (5), um einige Gründe zu verdeutlichen, die Riehls Geschichtsdenken für ein Gefühl des Unbehagens bereithält.

2 Historische Selbstvergewisserung Neben der Philosophie studierte Riehl Geographie und Geschichte. Der Untertitel Geschichte und System seines Hauptwerks Der Philosophische Kritizismus spielt bereits darauf an, dass Riehl der Geschichte der Philosophie eine konstitutive Funktion zuschreibt, was auch der Aufbau des ersten Buchs des ersten Bandes zeigt. Nach einer Einleitung, die die Epochen des Kritizismus zum Thema hat, widmet sich Riehl im Ersten Buch den geschichtlichen Voraussetzungen der kritischen Philosophie Kants. Hierbei rekonstruiert er die philosophische Position sowohl Kants als auch seines eigenen Kritizismus anhand einer Entwicklungslinie in drei

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Schritten: „von Locke über Hume zu Kant“ fand ein „stetiger Fortgang in der Erfassung und Vertiefung der Probleme“4 statt. Dieser Dreischritt ist Riehls historisch-systematische Grundlegung des Kritizismus. Das erste Kapitel zu Locke erstreckt sich über 80 Seiten und rekonstruiert wesentliche Aspekte der Erkenntnistheorie Lockes adäquat. Locke und seine Philosophie sieht Riehl in doppelter Hinsicht als die Grundlage des Kritizismus an: Lockes Erkenntnistheorie liefere den theoretischen Ausgangspunkt des Realismus und seine Person verkörpere die Idee eines Aufklärers. Das zweite Kapitel zu Hume ist inhaltlich weit weniger breit aufgestellt und widmet sich über 100 Seiten lang der kritischen Rekonstruktion der Kausalitätstheorie Humes. Auch bezüglich Hume spielt die Feststellung einer Identität von Persönlichkeit und Theorie eine Rolle: Hume mache „das Leben zur Richtschnur auch des Erkennens“5. Sein historischer Wert sei es, durch „seine kritische Analyse der reinen Erfahrung“ Kants „tiefergehende Frage“, „inwiefern die individuelle Wirklichkeit zugleich die gemeinsame Wirklichkeit für jedes sinnliche Bewusstsein sein könne“,6 vorbereitet zu haben. Doch die Objektivität der Erkenntnis und damit die Wirklichkeit der Wissenschaft, ließe sich von der subjektiven Voraussetzung der Philosophie Humes her unmöglich erklären. Unbeantwortet bleibe, inwiefern die individuelle Wirklichkeit zugleich die gemeinsame Wirklichkeit für jedes sinnliche Bewusstsein sein könne.7 Durch diese Kritik erklärt Riehl Humes Philosophie zum Ausgangspunkt der Frage nach der Transzendentalen Einheit der Apperzeption.8 Obschon sich im dritten Kapitel eine kurze Auseinandersetzung mit Wolff (13 Seiten) sowie Lambert9 und Tetens findet, seien deren Positionen keine Schritte in der Entwicklung des Kritizismus. Zwar untersucht Riehl Wolffs Begriff der

|| 4 Riehl 1924, S. 6. 5 Riehl 1924, S. 3. 6 Riehl 1924, S. 203. 7 Vgl. Riehl 1924, S. 203. 8 Vgl. Riehl 1924, S. 201. 9 Es gehört zu Riehls Leistungen, Lambert in die Ahnenreihe seiner Philosophie – und damit in die der Kritischen Philosophie Kants – aufgenommen zu haben. Ihm kam das Verdienst zu, auf eine Kategorienlehre abzuzielen, wenn er es unternahm „[d]ie Methode, das Einfache in der Erkenntnis zu bestimmen“ (Riehl 1924, S. 226). Riehls Bemerkungen zu Lambert – im Jahre 1876 – zählen zu dessen frühesten Würdigungen und haben wohl nicht wenig zu der Diskussion um Lambert als Vorgänger (Zimmermann 1879, Lepsius 1881, Koenig 1884, Griffing 1893, Baensch 1902) beigetragen, sah Riehl es doch als bewiesen an, „daß Lambert in der kritischen Philosophie der unmittelbare Vorgänger Kants ist“ (Riehl 1924, S. 229), obschon es sich dabei „vielmehr [um] eine Parallelerscheinung zur vorkritischen Philosophie Kants“ (Riehl 1924, S. 231) handle (siehe zu Lamberts Einfluss auf Kant: Hammer 2021).

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Möglichkeit und den damit zusammenhängenden Satz vom Grund, da Kants Philosophie auf diesem aufbaue,10 doch bereits bei der Thematisierung Humes bemerkte Riehl, dass der Satz vom zureichenden Grund nichts anderes sei, als der in ein Denkgesetz transformierte Satz der Kausalität.11 Die Geschichte der Transformation des notwendigen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung hin zu einem Denkgesetz des Satzes vom zureichenden Grund zeichnet Riehl von Spinoza über Leibniz zu Wolff – also anhand von Vertretern des Rationalismus – nach.12 So integriert Riehl en passant Leibniz und Spinoza in die Geschichte des Kritizismus, ohne ihnen eine Leistung zusprechen zu müssen. Systematisch ist der Rationalismus für Riehl nötig, um den Subjektivismus von Hume zu überwinden: Möglichkeit ist der Inbegriff des Denkbaren am Objekt, nicht die Kraft des Denkens im Subjekt; das Mögliche bedeutet das, was in den Dingen unserem Denken entspricht, nicht dieses unser Denkvermögen selbst, es betrifft die logische Beschaffenheit der Dinge, nicht die logische Fähigkeit des Menschen. Kurz, Möglichkeit ist nicht psychologisch und subjektiv, sondern logisch und daher objektiv zu fassen.13

Der Antipsychologismus Riehls wird erst über den Umweg des Rationalismus begründet. Letzterer dient zur Sicherung des Objektivitätsanspruchs und zur Überwindung jeglicher Subjektivierung und Psychologisierung. Die Identifizierung von Möglichkeit und Objektivität als eine Art Logik der Dinge ist die problematische Grundthese des Realismus Riehls, die er kurzerhand auch Kant zuschreibt: „Möglichkeit der Erfahrung bedeutet also für Kant so viel als Begreiflichkeit der Erfahrung.“14 Die Entwicklungslinie, die Riehl als Voraussetzung der Kritischen Philosophie darstellt, verläuft von Locke über Hume, die beide dem Empirismus zugeordnet werden können, fast nahtlos zu der Position Kants. Riehls Geringschätzung des Rationalismus sowie der (wolffianischen und auch anti-wolffianischen) Philosophie in Deutschland zu Kants Zeit ist bemerkenswert. Descartes Meditationen werden in ihrem Einfluss nivelliert. Leibniz wird kaum genannt. Bedeutende Zeitgenossen Kants wie Crusius, Darjes, Garve, Reimarus, Baumgarten, Meier oder Feder kommen gar nicht vor. Diese Lücken sind dem geschichtsphilosophischen Prinzip der Auswahl geschuldet. Riehls Prinzip der Auswahl folgt

|| 10 Vgl. Riehl 1924, S. 211. 11 Vgl. Riehl 1924, S. 119. 12 Vgl. Riehl 1924, S. 119–120. 13 Riehl 1924, S. 210–211. 14 Riehl 1924, S. 212.

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einem bestimmten Kriterium: Einer Philosophie kommt nur dann ein Ort in dieser Geschichte zu, wenn sie eine systematische Voraussetzung der kritischen Philosophie Kants im spezifischen Sinne des Kritischen Realismus Riehls darstellt. Die Aufgabe solch historischer Selbstversicherung ist die Entdeckung von Vorstufen der Wahrheit in den Elementen ihrer Vergangenheit.15 Das Problem der Auswahl ist ein Hauptproblem der Geschichtsphilosophie. Das Nichtgenannte geht unter und fällt dem Vergessen anheim. Gleichwohl kann selbstverständlich nicht alles genannt werden – und es muss auch nicht alles genannt werden, insofern der Zweck der historischen Quellenerkundung den Maßstab der Auswahl bildet. Es gilt: Das Prinzip der Auswahl ist grundsätzlich parteiisch und wertend. Für die Erzeugung des historischen Gegenstandes ist das Moment der Auswahl konstitutiv. Das Rekonstruierte ist „ein Gedankending, das nach dem fundamentalen Unterschied von Wesentlich und Unwesentlich stilisiert ist“16. Es ist nicht der Gegenstand des Gewesenen, der sich rein in der Gegenwart durch dessen Rekonstruktion ausdrückt, sondern vielmehr im Gegenteil, gerade aufgrund der Differenz von Wesentlichem und Unwesentlichem artikuliert „sich legitimerweise das gegenwärtige Bewußtsein, das sich Vergangenes aneignet“17. In Riehls spezifischer Auswahl des Materials aus der Geschichte der Philosophie, das er zur geschichtsbewussten Grundlegung seiner eigenen philosophischen Position, der Philosophie seiner Gegenwart, heranzieht, ist zu erkennen, dass er ein klares Bewusstsein von der Legitimität der Auswahl als Ausdruck eines gegenwärtigen Bewusstseins hatte. Riehls Denken versichert sich in der zeitlichen Entwicklung der Philosophie seiner eigenen Vergangenheit.18 Diese Selbstversicherung ist der Grund dafür, dass Riehl es überhaupt für nötig erachtet, sein Hauptwerk systematisch mit einer Geschichte der Voraussetzungen des Kritizismus einzuleiten. Riehls philosophische Position ist eine bestimmte Spielart des Neukantianismus, die weder der Südwestdeutschen Schule noch dem Marburger Neukantianismus zugerechnet werden kann und die sich über den Fortschritt in der erkenntniskritischen Fragestellung von Locke über Hume zu Kant hin legitimiert. Dass die „Wurzeln der kritischen Philosophie in Locke und Hume“19 liegen sollen, das ist der Ausgangspunkt des Programms von Riehl, mit

|| 15 Vgl. Riehl 1924, S. 250. 16 Mensching 2019, S. 40. 17 Mensching 2019, S. 40. Siehe ausführlich zur Notwendigkeit von Interpretation und Transformation als philosophiegeschichtliche Kategorien Asmuth 2006, S. 314–318 und S. 332–334. 18 Siehe Asmuth 2006, S. 297 und Mensching 2019, S. 40–41. 19 Jodl 1901.

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dem er, der „ganzen Tradition ins Gesicht schlagend“20, Kant zu einem Realisten umdeutete. Riehls spezifische neukantianische Position sei die adäquate philosophische Position seiner Gegenwart, der er sich historisch versichert und zwar in dem sichersten Umfeld, in einer Zeit, die als Epoche des Neukantianismus gilt.21 Ihm ist seine „Gegenwart […] Kriterium der Darstellung der Vergangenheit“22. Die Skizze des Inhalts des ersten Buches des ersten Bandes des Kritizismus erweist, dass Riehl bestimmte Positionen aus der Geschichte der Philosophie auswählt und in einen Zusammenhang bringt, womit er seine Zwecke in der Gegenwart verfolgt, für die diese Vergangenheit als konstitutiv ausgegeben wird. So erhält die Geschichte eine Doppelfunktion: Zum einen ist die Geschichte die genealogische Herleitung der philosophischen Position Kants aus der kritischen Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern und damit einhergehend die Darstellung eines historisch im Werk Kants kristallisierten Lern- und Erkenntnisprozesses; ein Prozess, der in der Darstellung der wahren philosophischen Position, der Philosophie Kants, mündet. Dieser Prozess verdankt sich Kants bestimmter Kritik an seinen Vorgängern und postuliert damit einen diskursiven, rationalen Zusammenhang der Geschichte, eingedenk der Einheit der Vernunft. Zum anderen ist die Geschichte die genealogische Herleitung der Position des Philosophischen Kritizismus, denn der kritisch-realistisch-korrigierte Standpunkt Kants ist für Riehl der wahre Standpunkt der Philosophie seiner Gegenwart; einer Gegenwart, in der der Neukantianismus als bedeutende Strömung bereits (an-)erkannt war, sodass der historische Fortschritt im Bewusstsein der Menschheit mit dem Motto „Zurück zu Kant!“ öffentlichen Ausdruck erhielt.

2.1 Reflexive Geschichtsauffassung: Riehls Selbstbewusstsein Riehl begreift die Geschichte als konstitutiv für die Philosophie jeder Gegenwart. In den populärphilosophischen Vorträgen zur Philosophie der Gegenwart (1. Auflage 1903) entfaltet er seinen philosophischen Geschichtsbegriff. Bereits im Vorwort zur ersten Auflage wird festgestellt, dass der Weg zum Verständnis der Philo-

|| 20 Jodl 1990, S. 274. 21 Aufgrund seiner drastischen realistischen Umdeutungen der Philosophie Kants scheint Riehl aber damit eher Opportunist als Kantianer zu sein: Positivismus im neu-kantischen Gewand. 22 Städtler 2019a, S. 21.

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sophie durch ihre Geschichte führe.23 Der Begriff der Geschichte der Philosophie, den Riehl hier zugrunde legt, ist reflexiv und hegelianisch: „Die Geschichte der Philosophie ist die Geschichte der Entwicklung und der Verwandlung des Begriffs der Philosophie.“24 Dieses Selbstverständnis Riehls entspricht der Grundthese Hegels: „Die Geschichte der Philosophie ist selbst Philosophie.“25 Sie ist es deshalb, weil HistorikerInnen der Philosophie sich notwendigerweise auf die konkreten Positionen der Geschichte der Philosophie bei ihrer Rekonstruktion einlassen müssen. Solch inhaltliche Auseinandersetzung ist die große Stärke Riehls. Für Riehl ist nicht nur die Geschichte der Philosophie konstitutiv für die Philosophie der Gegenwart, sondern er erkennt den Philosophen der Gegenwart als Erzeuger der Philosophie, als jemanden, der die Geschichte der Philosophie transformiert, indem er sie sich in bestimmter Weise, durch Auswahl und Interpretation, aneignet. Es muss bedacht werden, dass der Gegenstand historischer Forschung „streng genommen nicht ist“26. Der Gegenstand der Geschichtsforschung muss, um zu einem erneuten Dasein zu gelangen, rekonstruiert werden. Material der Vergangenheit „wird durch die Deutung vom Nichtsein zum Sein gebracht, das aber dennoch nur im Gedanken ist, durch den das gegenwärtige Bewusstsein, das Vergangene in Kontinuität zu sich selbst setzt“27. Eine wesentliche Funktion der historischen Forschung ist damit die Vermittlung des Vergangenen mit der Gegenwart. Dieses Verständnis verrät bereits der Titel Philosophie der Gegenwart. Aufgrund der bloß auf interpretativem Wege zu bewältigenden Erzeugung des historischen Materials durch die Arbeit in der Gegenwart ist die Reflexivität ein Kriterium für ein adäquates Selbstbewusstsein der Geschichtswissenschaft treibenden Subjekte.28 Riehls Selbstverständnis, seine Position des Kritizismus durch die Reflexion auf dessen eigentümliche Geschichte zu etablieren und damit eine Kontinuität mit der Vergangenheit herzustellen, erfüllt dieses Kriterium selbstbewusster Aneignung des Materials. Riehls Auswahl des historischen Materials ist nicht zufällig, sondern folgt einem Leit- bzw. Zweckbegriff und ist daher teleologisch bestimmt (siehe 4). Leitend ist nicht ein Schicksal, sondern Riehls

|| 23 Vgl. Riehl 1913, S. III. 24 Riehl 1913, S. 5. 25 Mensching 2019, S. 41. „Systematisches Philosophieren und Philosophiegeschichte sind nicht nur voneinander unabtrennbar, vielmehr ist systematisches Philosophieren nur geschichtlich, Philosophiegeschichte nur systematisch möglich.“ (Asmuth 2006, S. 287). 26 Mensching 2019, S. 38. 27 Mensching 2019, S. 39–40. 28 Vgl. Mensching 2019, S. 41.

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selbstbewusste Konstitution eines spezifischen Sinnzusammenhangs des Vergangenen mit seiner Gegenwart. Die Zeit ruft alle ihre geistigen Kräfte auf, um einen neuen inneren Gehalt des Lebens zu erringen. In diesem Kampfe um einen neuen Lebensinhalt muß sie sich mit den großen Geistesführern der Vergangenheit verbünden. Und ihre Lebensanschauungen zu erneuern, ihre Gesinnung lebendig zu erhalten, ihr Werk fortzuführen, ist der nächste und wesentlichste Beruf der Philosophie als Geistesführung, – ist die Gegenwart dieser Philosophie.29

Riehl vertritt einen selbstbewussten Standpunkt des Geschichtsverständnisses, der es ihm ermöglicht, als „ein über sich selbst aufgeklärtes Bewusstsein die Stufen seiner eigenen Entwicklung [zu] begreifen“30. Genau dies ist auch der Sinn davon, dass Riehl sein Hauptwerk mit einer speziellen Geschichte der Philosophie beginnt. Hierin offenbart Riehl ein Bewusstsein philosophiegeschichtlicher Reflexivität, denn er rekonstruiert das Vergangene bewusst von seinem eigenen Standpunkt aus, „welcher das bisherige Resultat der Geschichte ist“31. Diese Selbstbezüglichkeit, die Einsicht, dass der eigene Standpunkt ein Resultat ist und seiner Vorgeschichte bedarf, liegt Riehls Geschichtsbegriff zugrunde. Für Riehls Geschichtsbegriff gilt: Die Geschichte der Philosophie ist selbst Philosophie – denn sie begreift ihren Gegenstand, erzählt nicht bloß ein Narrativ, sondern ist in „eigentümlicher Weise“32 mit ihrem Gegenstand eins.33 Riehl verbindet Philosophie und Geschichte, weil er – darin Hegel folgend – erkennt, „dass die Gegenstände der Philosophie selbst wesentlich historische Gegenstände sind, dass ihr systematischer Gehalt als solcher historisch konstituiert“34 ist. So erklärt sich der Untertitel des Philosophischen Kritizismus: Geschichte und System. Riehls Geschichtsbegriff ist historisch bedingt, denn er hat die Einsicht, dass alle Gegenstände der Philosophie immer zugleich Momente in der reflexiven Beziehung sind, die das menschliche Denken zu sich selbst hat, einer Beziehung, die in der geschichtlichen Entwicklung zum Bewusstsein gekommen ist. Philosophie ist der „Spiegel eines Zeitgeistes“, Philosophie der Gegenwart: Dies bedeutet, dass „das Denken in allen Gegenständen am Ende nur sein eigenes Ebenbild erfaßt“35. Dieses historische Selbstbewusstsein verdankt Riehl Hegel:

|| 29 Riehl 1913, S. 252. 30 Mensching 2019, S. 42. 31 Mensching 2019, S. 42. 32 Mensching 2019, S. 42. 33 Siehe Städtler 2019a, S. 10. 34 Städtler 2019b, S. 82–83. 35 Mensching 2019, S. 44, vgl. Städtler 2019b, S. 86.

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„Eine Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken erfaßt“, die Geschichte der Philosophie der Prozeß, worin der gedankliche Gehalt des menschlichen Kulturlebens zum Ausdruck gelangt, zum deutenden Worte, – ein Satz, wie dieser wird unvergessen bleiben.36

Riehl, der seine Philosophie als die historisch vermittelte Philosophie einer bestimmten Gegenwart begreift, folgt Hegels Einsicht, dass die „Geschichte systematisch in die Philosophie einbezogen“37 werden muss. Die geschichtsphilosophische Ausrichtung seiner Behandlung der Vorgeschichte der Kritischen Philosophie ist zugleich die Aufrichtung des Philosophischen Kritizismus. Riehls Kritizismus ist es darum zu tun, den „ursprünglichen Sinn [der Philosophie Kants; M. H.] auf historischem Wege wieder erst herzustellen“38. Diese Deduktion des Kritizismus aus dem Ursprung, dieser Ursprungsnachweis, ist konstitutiv für die Erzeugung eines bestimmten Sinns, den Riehl für seine Gegenwart gewinnen will: Zurück zu Kant! bedeutet die Wiederanknüpfung der Verbindung zwischen Wissenschaft und Philosophie, die, zum Nachteil beider, längere Zeit hindurch abgebrochen war.39

2.2 Gehemmter Fortschritt Riehls Insistieren auf einem „Fortschritt“ durch das „Losungswort: Zurück zu Kant“40, ist Ausdruck seines historischen Selbstbewusstseins. Diesem Losungswort liegt eine Auffassung von Philosophiegeschichte zugrunde, die nicht allein nach dem Modell des Fortschritts konstituiert sein kann – denn sonst wäre ein Zurück in der Tat ein Rückschritt. Die Wahrheit des Losungsworts bestehe darin, dass nur durch eine Besinnung auf Kant [d]ie Fäden […] wieder angeknüpft [werden], welche Wissenschaft und Philosophie zu wechselseitigem Nutzen verbinden und nur zeitweilig von der Naturphilosophie durchschnitten worden waren.41

Hinter der Forderung „Zurück zu Kant“ steht nicht nur die Geschichte von Locke über Hume zu Kant, die die Vorgeschichte der kantischen Philosophie ausmachen soll und die ihrerseits gar nicht bloß als Fortschritt, sondern vielmehr als || 36 Riehl 1913, S. 235–236. 37 Mensching 2019, S. 42; vgl. Asmuth 2006, S. 298–300. 38 Riehl 1924, S. 14. 39 Riehl 1913, S. 233; vgl. Riehl 1924, S. 8. 40 Riehl 1924, S. 8. 41 Riehl 1913, S. 233; vgl. Riehl 1924, S. 8.

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kritischer Zusammenhang aufzufassen ist,42 sondern vor allem die Nachgeschichte Kants, der Deutsche Idealismus. Dieser sei – zumindest was die Philosophie als Wissenschaft (nicht als Lebensführung) betrifft – vom wahren Weg der Philosophie abgekommen und „nur eine Periode philosophischer Spekulation“43, ein anachronistischer Rückschritt: In der Moderne, die mit Kant ein Selbstbewusstsein der eigentlichen Aufgabe der theoretischen Philosophie bereits erreicht hatte, werde im Deutschen Idealismus nach griechischem Vorbild (siehe 3) eine Einheit von Philosophie als Wissenschaft, genauer, als Naturphilosophie, konstituiert, die sich in Konkurrenz zur Wissenschaft verstehe. Dies sei anachronistisch, weil Riehl zufolge Kant bereits die Einsicht der völlig anderen Aufgabe der theoretischen Philosophie als erkenntniskritische Reflexion bestimmt hatte, womit das Konkurrenzverhältnis zur Wissenschaft aufgelöst wäre (siehe 3.1).44 Was sich zwischen diese [mit Locke einsetzende; M.H.] endgültige Epoche der Philosophie und ihre Wiedererneuerung in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eingeschoben hat, bedeutet, von rein wissenschaftlichem Standpunkt aus beurteilt, keinen Fortschritt, sondern viel eher eine Hemmung der Entwicklung. Der deutsche, sogenannte ‚Idealismus‘ setzte die Spekulation wieder an die Stelle von Forschung und Kritik und meinte, die Wissenschaft nicht etwa bloß meistern zu können, sondern sie ersetzen zu müssen.45

Für die theoretische Philosophie bedeutete die Naturphilosophie von Fichte über Schelling bis Hegel „die Verleitung zu Irrtum und Phantasterei“, die zu Unver|| 42 Hume ist in dieser Geschichte für Riehl nicht einfach eine Fortentwicklung Lockes. Humes Problematisierung der Erfahrung führte zur Frage nach der objektiven Geltung der Wirklichkeit, die die Überwindung der bloß subjektiven Geltung mit sich bringt. „– Allein, diese weiter –, diese tiefergehenden Fragen, wären ohne Humes Vorarbeit, ohne seine kritische Analyse der reinen Erfahrung, wohl niemals gestellt worden.“ (Riehl 1924, S. 203). 43 Riehl 1924, S. 219. 44 Auch heute noch wird das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften von vielen Autoren nach dem Modell der Konkurrenz und nicht nach dem von Riehl vorgeschlagenen Modell der Kooperation aufgefasst. Das scheint selbst bei Wissenschaftsphilosophen der Fall zu sein, die Kants Philosophie zugeneigt sind, denn Kants Vorrang der praktischen Vernunft und der damit einhergehende Endzweck wissenschaftlicher Forschung, die ihrerseits dem Weltbegriff dienen soll, wird – auch aufgrund der Vagheit, in der Kant diese Aufgabe formuliert – als übergriffig aufgefasst, wobei die Seite der Kooperation aus dem Blick zu geraten droht (siehe Sturm 2010, S. 79). Riehls Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Philosophie geht dadurch, dass er der Absicht folgt, der Philosophie eigentümliche Aufgabenbereiche zuzuschreiben, hier einen versöhnlicheren Weg (siehe 3), der die Debatte um das Verhältnis von Wissenschaft und Philosophie auch heute noch bereichern könnte. 45 Riehl 1913, S. 37, Herv. M. H.

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ständnis auf beiden Seiten führte: „Schelling fand die Naturwissenschaft Newtons ‚ideenlos‘; die Wissenschaft fand dafür Schellings ideenreiche Naturphilosophie ‚sinnlos‘.“46 Gegenseitige Abwertung, gegenseitiges Unverständnis, Sprachlosigkeit, Unmöglichkeit diskursiver Verständigung und Verhinderung der gemeinsamen Arbeit am Begriff der Wahrheit und des Wissens waren die Folge. Die Epoche des Deutschen Idealismus war für Riehl deshalb die theoretische Philosophie betreffend „ein einziges großes Mißverständnis“47, weil die spekulative Philosophie „nach ‚Ideen‘, das heißt Wertbegriffen dort suchte, wo sie nicht hingehören“, nämlich in der Wissenschaft und Naturerkenntnis, während die Naturwissenschaft „nur zu gern geneigt [war; M. H.], den Wert der Ideen überhaupt zu verneinen.“48 Der Deutsche Idealismus war aus theoretischer Sicht ein Irrweg und so sei es auch „nicht Kant“ gewesen, der diesen Denkraum eröffnete, „sondern Spinoza, wie die Geschichte bezeugt, [war; M. H.] der Vater der deutschen idealistischen Spekulation“.49 Ungeachtet seiner Hemmung des Fortschritts der theoretischen Philosophie habe der Deutsche Idealismus dadurch für die praktische Philosophie eine historische Leistung vollbracht, dass er die Bedeutung der Philosophie als Führerin des geistigen Lebens aufrechterhielt (siehe 3.2). Dies komme besonders deutlich in Fichtes Philosophie, „eine[m] der großen Erzieher unseres Volkes“50, zum Ausdruck – aber auch in Hegels bleibenden Verdiensten für die Kulturwissenschaften (siehe 4). Auch die Zeit nach dem Deutschen Idealismus sei aufgrund der schroffen Ablehnung der Philosophie eine Phase der Hemmung. Durch das anti-metaphysische Selbstverständnis, das die Zeit zwischen 1850 und 1900 präge, sei noch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden. Dagegen gilt: „man solle über der Zurückweisung der unberechtigten Ansprüche der Philosophie nicht auch ihre berechtigten verkennen“51. Aus den Fortschritten der Einzelwissenschaften ergeben sich philosophische Fragestellungen wie von selbst.52 Wird diesen aber ohne das Wissen um die Philosophie begegnet, so werden platte, unreflektierte Philosopheme in den jeweiligen Einzelwissenschaften etabliert, „schlechtere Metaphysik als irgendeine von der philosophischen Spekulation zu einem Systeme

|| 46 Riehl 1913, S. 37. 47 Riehl 1913, S. 38. 48 Riehl 1913, S. 37. 49 Riehl 1913, S. 50. 50 Riehl 1913, S. 38. 51 Riehl 1913, S. 2. 52 Vgl. Riehl 1913, S. 3.

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ausgesponnene.“53 Die Proklamation des Siegeszugs der positiven Wissenschaften und das sich dadurch in strenger Opposition zur Philosophie vermeinende Denken einer Zeit, in der die Metaphysik als Schimpfwort galt, redete einer gänzlichen Absage an die Philosophie das Wort. Eine wesentliche Eigentümlichkeit fortschreitender wissenschaftlicher Erkenntnis blieb damit unbeachtet: „Je mehr die wissenschaftliche Erkenntnis, gleichviel von welchem Gebiete aus, ihrem Ziele sich nähert, in eben dem Maße wird sie philosophisch.“54 Für Riehl war es Helmholtz, der durch seine Erkenntnis, „daß die Spaltung, welche Philosophie und Naturwissenschaften zu seiner Zeit trennte, zu Kants Zeit nicht bestanden habe“55, den Weg für den Neukantianismus, die Wiederentdekkung des richtigen Weges der Philosophie, gewann. Das geschichtsphilosophische Verdienst von Helmholtz sei es, die konfligierende Entgegensetzung von Naturwissenschaften und Philosophie aufgehoben zu haben. Die Wiederentdeckung Kants ist keine bloße Reproduktion, sondern Innovation; nicht Kantianismus, sondern Neu-Kantianismus. Auch hierbei findet eine wertende, eine inhaltliche, eine prinzipiengeleitete Auswahl und Selektion statt: „Wir haben gelernt, das geschichtlich Bedingte und Bedingende seiner Lehre von dem, was in ihr bleibenden Wert hat, zu unterscheiden.“56 Kant neu zu entdekken, das bedeute auch Kant kritisch zu überprüfen und für eine spätere Zeit, die jeweilige Gegenwart, zu aktualisieren, in ihrem Kontext neu zu schreiben, den Autor also besser, oder besser gesagt andersartig, zu verstehen, als dieser sich selbst verstanden hatte: im Lichte einer anderen Gegenwart. Riehls Leitmotiv für die Philosophie seiner Zeit war die Versöhnung der theoretischen Philosophie mit den Einzelwissenschaften, durch eine klare Bewusstmachung der Arbeitsteilung zwischen Philosophie und Wissenschaft.

3 Aufgaben der Philosophie Die dringendste Frage der Zeit Riehls sei die Frage nach der Philosophie selbst: „Das erste philosophische Problem ist heute die Philosophie selbst als Problem. Was will und soll, – was ist sie?“57 Riehl beantwortet die Frage nach den Aufgaben der Philosophie durch die Bestimmung ihres Wesens, das er „durch eine im wesentlichen geschichtliche || 53 Riehl 1913, S. 2. 54 Riehl 1913, S. 3. 55 Riehl 1913, S. 79. 56 Riehl 1924, S. 8. 57 Riehl 1913, S. 5.

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Betrachtung“58, durch eine Herleitung aus dem Ursprung der Philosophie, der die griechische Philosophie sei, gewinnt. Er kommt zu einer Einteilung in die theoretische und die praktische Philosophie, die sich jeweils mit unterschiedlichen Gegenstandsbereichen beschäftigen und deren Arbeit einen ganz unterschiedlichen Charakter aufweist. Die theoretische Philosophie wird als Wissenschaft, die praktische Philosophie hingegen als Kunst bestimmt. Der theoretischen Philosophie geht es um Wissen und die Erkenntnis der äußeren, physikalischen Welt. Der Begriff der Erfahrung bildet ihr Zentrum, sie erhebt den Anspruch auf Erkenntniskritik und arbeitet an der regulativen Idee des Systems des Wissens. Der praktischen Philosophie geht es um Ideen und die Werte der innerlichen, geistigen Welt. Geistige Führung ist ihre Aufgabe, lebensbejahendes Handeln bereitet ihr den Weg und letztlich ist eine Erhöhung der Kultur ihr Ziel. Erstere ist Wissenschaftstheorie und Erkenntniskritik, letztere Lebensführung. Im doppelten Sinne, für den theoretischen sowie den praktischen Bereiche der Philosophie, schätzte Riehl seine Zeit als „den philosophischen Bestrebungen von allen Seiten günstigen Augenblicke, [...] eine[] Zeit, nach philosophischer Aufklärung suchend und fragend wie keine“59. Für die theoretische Philosophie war bereits Forschern wie Hertz, Mayer oder Helmholtz die Bedeutung der Philosophie für ihre Arbeit, der synthetische Charakter der Naturforschung, die Notwendigkeit der philosophischen Grundlegung und erkenntniskritischen Reflexion, „die Frage nach ihren Voraussetzungen und Grenzen“60, deutlich ins Bewusstsein getreten. Riehl erkennt sich in einem Zeitalter der Philosophie: „nie hat es ein philosophischeres Zeitalter in der Wissenschaft gegeben als das gegenwärtige.“61 Diese Diagnose hat ihren Grund im Prozess der Wissenschaft selbst, der philosophische Fragen und philosophische, alles verbindende und bestimmende Theoreme hervorbrachte, was die Wiedervereinigung von Wissenschaft und Philosophie bewirkte: Ein Zeitalter der Wissenschaft, das mit dem Prinzip der Unzerstörlichkeit der Energie ein sämtliche Vorgänge in der äußeren Natur beherrschendes und verbindendes Gesetz entdeckt […] ein solches Zeitalter der Synthese ist […] ein philosophisches Zeitalter.62

|| 58 Riehl 1913, S. 6. 59 Riehl 1913, S. 4. 60 Riehl 1913, S. 21. 61 Riehl 1913, S. 241. 62 Riehl 1913, S. 3.

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Auch für die praktische Philosophie lag die Zeit günstig: Aus der großen Zeit des Krieges, der uns die Einheit des Vaterlandes brachte, ist ein Geschlecht hervorgegangen, gärend wie es die Art der Jugend ist und nach Neuem verlangend.63

Sehnsüchtig wurde von einer solchen Zeit, in der der Krieg vorüber war und eine scheinbar günstige Neuerung, die Einheit des Vaterlandes, auf den Weg gebracht war, die Umwertung der Werte, die Irritation durch Nietzsche, aufgenommen. Für Riehl ist Nietzsche(s Erfolg) Ausdruck der „Sehnsucht der Zeit nach Kulturerneuerung“64 und diese sei das praktische Bedürfnis seiner Zeit. Während die Früchte des Fortschritts von Wissenschaft und Technik im Leben seiner Zeit für Riehl offensichtlich waren, hatte doch das „materielle Leben“65 die tiefgreifendsten Umgestaltungen erfahren, trat die Öde des geistigen Lebens erst recht hervor. Die kulturelle Wüste seiner Zeit zur Blüte zu bringen proklamierte er als die praktische Aufgabe des Philosophen. Dieser habe „wahre Kultur zu schaffen und den Menschen seiner ganzen Bestimmung näher zu führen“66. Günstig erschien Riehl seine Zeit für die Erneuerung der Kultur, insofern er sie als „nach Neuem verlangend[e]“ „Jugend“67 charakterisierte.68 In der Schrift über den Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben69 bestimmt Nietzsche drei Haltungen, die Menschen gegenüber der Geschichte einnehmen können: die monumentalistische (tätige), die antiquarische (verehrende) und die kritische – welche letztlich das Neue bewirken könne und der Jugend entspreche. Das rege Betreiben der Geschichte, das antiquarische Verhältnis zu ihr, ist für Riehl (mit Nietzsche) ein Index des Abfalls von der eigentlichen, der produktiven, lebensgestaltenden Aufgabe der Philosophie. „Eine Zeit, die auf irgend einem Gebiete die Fähigkeit verloren hat, Geschichte zu machen, wird desto geneigter sein,

|| 63 Riehl 1913, S. 4. 64 Riehl 1913, S. 4. 65 Riehl 1913, S. 4. 66 Riehl 1913, S. 4. 67 Riehl 1913, S. 4. 68 „Wir sind heute geneigt, auf die Stimme der führenden Geister aus der Vergangenheit zu hören, denn wir haben die Empfindung, an einem Wendepunkte der Zeit zu stehen, und sehen nach dem Wege aus, der zur Erneuerung des geistigen Lebens führt.“ (Riehl 1913, S. 189). 69 „Nietzsche hat die Geschichtsschreibung als Erster ganz offensiv mit manipulativen Interessen in Verbindung gebracht: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben.“ (Städtler 2019a, S. 24, Anm. 37).

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Geschichte zu studieren.“70 Komplementär dazu attestiert Riehl der Aufklärung, einer äußerst produktiven Zeit der Philosophie, einen „Mangel an historischem Sinn“: Sie kannte zwar Geschichte, aber „wollte die Geschichte durch Vernunft ersetzen, die Geschichte ‚neu anfangen‘“.71 Entsprechend beklagt Riehl an seiner Zeit „das starke Hervortreten der philosophie-geschichtlichen Untersuchungen vor den systematischen, die an der Fortbildung der Philosophie selbst arbeiten wollen.“72 In der Zeitdiagnose Nietzsches, „dass die Deutschen bis jetzt keine Cultur haben“73, sieht Riehl das Problem seiner Zeit und wie Nietzsche setzt er die Hoffnung auf die Jugend,74 als die er, ebenfalls wie dieser, seine Zeit charakterisiert. Riehls praktische Position will die Sehnsucht befriedigen, von der Nietzsches Erfolg seiner Ansicht nach zehrte, indem der Philosoph als Führer der Werte und Erzieher der Menschheit aufzutreten habe. Lebensbejahend sollte die neue Zeit kulturell auf eine Höhe bzw. zum Gleichschritt mit der Technik erhoben werden. Dabei folgte Riehl jedoch nicht den Leitmotiven Nietzsches (Natur, Stärke, Größe, Adel), sondern wertete die Umwertung der Werte Nietzsches abermals kantisch um. Das Motto der praktischen Philosophie laute also ebenfalls: Zurück zu Kant! Nietzsche verkannte, dass „die wahre Herrenmoral des autonomen Willens schon gefunden war, als er sie noch suchte“75. In der praktischen Philosophie

|| 70 Riehl 1924, S. 219. Gleichwohl lobt Riehl die historischen Bestrebungen in der Philosophie, denn diese hielten die Bedingung der Möglichkeit zu Kant zurückzukehren aufrecht: „Ihnen verdanken wir auch, daß das philosophische Denken trotz des Nachlassens des philosophischen Schaffens nicht unterbrochen wurde. Sie [die Geschichtsphilosophen; M. H.] haben an dem Faden weiter gesponnen, der zeitweilig abgerissen schien.“ (Riehl 1913, S. 232). 71 Riehl 1913, S. 70. 72 Riehl 1924, S. 231. 73 Nietzsche 2009, S. 325. 74 Die Jugend ist Nietzsche zufolge am ehesten kritisch, unhistorisch und dadurch prädestiniert Neues zu erschaffen. Die von Nietzsche charakterisierte kritische Haltung ist aporetisch: der paradoxe Versuch einen Standpunkt außerhalb der eigenen Geschichte einzunehmen, der jedoch unmöglich einzunehmen ist. „Denn da wir nun einmal die Resultate früherer Geschlechter sind, sind wir auch die Resultate ihrer Verirrungen, Leidenschaften und Irrthümer, ja Verbrechen; es ist nicht möglich sich ganz von dieser Kette zu lösen.“ (Nietzsche 2009, S. 270). Die kritische Haltung ist ein in Frage stellen der Kultur, hat ein reflexives Moment gegen das eigene Herkommen, die dieses jedoch nicht absolut überwinden kann. Sie ist aktiv im Setzen einer neuen zweiten Natur, die durch eine monumentale Haltung langfristig wirksam werden kann. Die schwierige Aufgabe der Jugend ist die Auflösung des Bestehenden qua Freiheit, die Nietzsche mit dem Leben in Verbindung bringt; denn es sei „das Leben allein, jene dunkle, treibende, unersättlich sich selbst begehrende Macht“, die gegen die Vergangenheit vors Gericht zieht und diese verurteilt. (Nietzsche 2009, S. 269). 75 Riehl 1913, S. 221, vgl. Riehl 1913, S. 9.

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sind wir „Strebende nach ihrem Ziele […], in welchem wir befähigt sind, in der eigenen Person die Selbstgesetzgebung der Vernunft zu verwirklichen und uns zu Herren zu machen über uns und unser Geschick“76. Mit dem Begriff des Geschicks ist hier ein gesellschaftlicher Anspruch involviert: Es geht nicht bloß um individuelle Autonomie, sondern zugleich um gesellschaftliche Autonomie. In Riehls Umwertung der Umwertung der Werte, in dem Ziel, das er dem praktischen Philosophen – letztlich auch der Philosophie nach dem Weltbegriff – zuschreibt, lässt sich ein Bekenntnis zu Hegel ablesen: Der Fortschritt der Philosophie ist auch für Riehl wesentlich Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit (siehe 4).77

3.1 Die wissenschaftliche Philosophie Bezüglich der theoretischen Philosophie entwickelt Riehl einen historischen Dreischritt philosophischer Entwicklung, der als Rückkehr in den Grund, als Ausfaltung der Idee des Begriffs der Philosophie, recht hegelianisch anmutet.78 Zunächst lag in der griechischen Antike die Einheit von Wissenschaft und Philosophie vor. Die Entdeckung der Methoden exakter Naturforschung transformierte diese Einheit in der Moderne in ein oppositionelles Verhältnis von Wissenschaft und Philosophie. Die Aufhebung des Gegensatzes von Wissenschaft und Philosophie und die somit wiederhergestellte Einheit (auf höherer Stufe) leistete schließlich die Wissenschaft (und Philosophie) seines Zeitalters. Ausgangspunkt der theoretischen Philosophie und das Ziel derselben seien wesentlich identisch: Philosophie [...] war im Altertume eines und dasselbe wie Wissenschaft. [...] Die Philosophie ist der gemeinschaftliche Urgrund und Mutterschoß, woraus im Laufe der Zeit alle Einzelwissenschaften hervorgegangen sind; und vielleicht ist sie auch das höchste Ziel, worauf diese hinweisen, zu dem sie alle bei ihrer Vollendung wieder zurückführen; vielleicht ist sie das antizipierte System der Wissenschaften.79

Für Riehl ist die „antike Philosophie, soweit sie rein theoretische Zwecke verfolgte, […] die antike Wissenschaft; sie ist die Wissenschaft selbst in ihrem

|| 76 Riehl 1913, S. 24. 77 Vgl. Städtler 2019a, S. 22, Mensching 2019, S. 45. 78 Hegel formulierte „eine logische Voraussetzung philosophischer Geschichtsschreibung“, die „Durchführung des Begriffs […] als Rückgang in seine Exposition […], insofern der vorausgesetzte Anfang erst im Resultat in seiner Stellung verständlich wird.“ (Städtler 2019a, S. 33, Anm. 64). 79 Riehl 1913, S. 6.

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griechischen Zeitalter“80 und die Identität von Philosophie und Wissenschaft sei auch „für unsere Zeit gültig geblieben“81. Eine weniger entwickelte ältere Form hätte sich „in eine jüngere, reicher entwickelte verwandelt“82. Der Reichtum der wiederhergestellten Einheit von Wissenschaft und Philosophie liegt in der spezifischen Differenz des griechischen und des modernen Wissenschaftsverständnisses begründet: Man kann kühn behaupten, wie weit das Denken für sich allein in der Erkenntnis der Dinge reicht, so weit hat das Denken der Griechen tatsächlich gereicht, und was das Denken ohne Hilfe des Experiments zu ergreifen, was es aus sich selbst zu entwickeln vermag, das haben schon die Griechen ergriffen und aus ihm entwickelt, nämlich die Form für alle Erfahrung, wenn sie es auch nicht unter diesem Namen kannten, wenn sie es auch in seiner wahren Bedeutung verkannten.83

Epochemachend war Galileis experimentelle Methode, die „Induktion und Deduktion, Erfahrung und Denken vereinigt“84. Diese Einschätzung entspricht derjenigen Kants.85 Erst durch die Methode des Experiments und, damit einhergehend, durch die Vernunft, die dazu diene „Fragen, Entwürfe und Prinzipien zu formulieren, mittels derer ein aktives Experimentieren statt eines bloßen Sammelns und Ordnens von Beobachtungen möglich wird“86, konnte der Mensch sich aus der Abhängigkeit von der Natur herausarbeiten. So ließen sich die Beschränkung der griechischen Naturphilosophie transzendieren, die nur dasjenige, was Denken „aus sich selbst zu entwickeln vermag“87 in der Natur erkennen konnte.88 || 80 Riehl 1913, S. 7. Riehls Ansicht deckt sich mit Städtler: „Die Philosophie war seit Aristoteles die Wissenschaft von den Wissenschaften, in der die systematischen Grundfragen geklärt wurden, die in den Einzelwissenschaften vorausgesetzt, aber nicht untersucht wurden. Damit verbunden war die theoretische Form der Reflexivität, mittels derer das Denken sich selbst zum Gegenstand macht. Philosophie war deshalb in allen ihren konkreten Sachfragen immer zugleich Selbstbewusstsein des theoretischen Denkens im Verhältnis zur Natur-, Kultur- und Zivilisationserkenntnis.“ (Städtler 2019b, S. 83). 81 Riehl 1913, S. 7. 82 Riehl 1913, S. 7. 83 Riehl 1913, S. 15–16. 84 Riehl 1913, S. 34. 85 Vgl. Kant, KrV B xiii, B viii–xiv; Prol 4, S. 279–297; siehe auch Sturm 2010, S. 64–65. 86 Sturm 2010, S. 64. 87 Riehl 1913, S. 16. 88 Neben der auch von Kant genannten Revolution der Naturwissenschaften durch die Methode des Experiments erkennt Riehl auch noch eine weitere wichtige Revolution der Methode in Descartes Methode der Modelle und Hypothesen an: „Während Galilei nach den mathematischen Gesetzen der Naturvorgänge forschte, entwirft Descartes Bilder oder Modelle, welche die Vorgänge anschaulich machen sollen. […] Schuf Galilei die Physik der Gesetze, so gab Descartes

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Durch die Kenntnis der Gesetze der Ursachen beherrschen wir die Wirkungen und machen uns theoretisch wie praktisch zu Herren über die Kräfte der Natur.89

Die Emanzipation des Menschen aus seinem Naturzusammenhang, die er der experimentellen Methode verdankte, ermöglichte die Autonomie, der Natur die Gesetze zu geben,90 d. i. Herrschaft über die Natur. Sie war darüber hinaus eine Emanzipation aus dem bloß geistigen Zusammenhang, aus den Schranken des „Denken[s] für sich allein“.91 Der wissenschaftliche Fortschritt wird von Riehl somit als ein wesentlicher Schritt der Selbstbefreiung der Menschheit begriffen; daher dient ihm die Wissenschaftsgeschichte als Modell des Fortschritts (siehe 4). Die Einheit von Philosophie und Wissenschaft ist jedoch zugleich durch die Emanzipation der Naturwissenschaften, durch die Entdeckung der Methode exakter Forschung, zerbrochen und die Wissenschaft hatte sich in einen feindlichen Gegensatz zur Philosophie versetzt: Beide bearbeiteten – auf unterschiedliche Weise – dieselben Felder. Somit waren Eigentumsstreitigkeiten unvermeidlich.92 Im Selbstverständnis der neuen Wissenschaft war diese die rechtmäßige Fortsetzung, „Ersatz der alten Philosophie“93. Die Wissenschaft sah sich als Erfüllung der griechischen Philosophie und diese galt ihr als ihre Vorstufe. „Die Naturphilosophie der Alten ist wirklich, wer könnte dies bestreiten, von der Naturwissenschaft der Neueren, ihrer Physik, Chemie, Biologie abgelöst worden.“94 Im Zeitalter der Naturwissenschaft gilt der Maßstab der Wissenschaftlichkeit als Maßstab der wissenschaftlichen Philosophie. Solle diese einen Fortbestand als Wissenschaft haben, so sei von ihr dieselbe Exaktheit zu erwarten und der strenge Maßstab wissenschaftlicher Erkenntnis auch an sie anzulegen.95 Die exakten Naturwissenschaften, die bereits „in den sicheren Gang einer Wissenschaft

|| das erste moderne Beispiel einer Physik der Hypothesen.“ (Riehl 1913, S. 45). In der heutigen Wissenschaftstheorie werden beide Methoden in dem Terminus der „Methoden des hypothesengeleiteten Experimentierens“ vereint. (Sturm 2010, S. 75). Wie Kant so ordnet auch Riehl die Modell- und Hypothesenbildung der Vernunft (ratio) zu, aber historisch, indem er sie Descartes und damit dem Rationalismus zuschreibt. 89 Riehl 1913, S. 35. 90 Vgl. Kant, KrV B xiii. 91 Riehl 1913, S. 15. 92 Vgl. Riehl 1913, S. 215. 93 Riehl 1913, S. 18. 94 Riehl 1913, S. 19. 95 Vgl. Riehl 1913, S. 19–20.

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gebracht worden“96 sind, gelten Riehl wie schon Kant als Vorbild, um auch eine wissenschaftliche Philosophie zu gewinnen. Der Sieg der positiven Wissenschaften geht einher mit „der Auflösung der alten Philosophie“97. Diese mußte ein Gebiet ihrer Spekulation nach dem anderen der Methode der exakten Forschung abtreten und ihr völliges Aufgehen in eine Reihe von Einzelwissenschaften, deren Zahl mit den Fortschritten des Erkennens sich beständig vermehrte, schien nur eine Frage der Zeit zu sein.98

Aus Sicht der Wissenschaften, die sich in Konkurrenz zur Philosophie befanden, aber auch angesichts des historisch erreichten Fortschritts, lag das Recht bei dieser Gebietsstreitigkeit auf Seiten der Wissenschaft. Was Gegenstand der alten Philosophie war, ist zum Gegenstand der modernen Wissenschaft geworden; was jene erstrebte: die Erkenntnis der Außenwelt, die Erkenntnis des Geistes, hat diese erreicht, oder sie befindet sich doch auf dem Wege, es zu erreichen.99

Dieses geschichtsphilosophische Urteil der Wissenschaft über die Philosophie, die Ablösung der Philosophie durch die Wissenschaft, das sukzessive Abtreten der ihr vormals eigentümlichen Bereiche an die exakten Einzelwissenschaften, dieses Urteil hat Riehl bereits 1871 in Moral und Dogma gefällt, allerdings mit der gewichtigen Verschiebung, dass hier noch die Dogmen der Religion sukzessive ihrer Bedeutung durch den Fortschritt der Einzelwissenschaften entzogen wurden.100 Riehl versteht jedoch diese Auflösung der alten (Natur-)Philosophie nicht als absolute Negation, sondern sieht vielmehr „die Philosophie Demokrits, Platos, Aristoteles’ [...] heute in unsere Physik- und Chemiepaläste eingezogen und [...] hier in moderner Gestalt [herrschend]“101. Aufhebung wird von Riehl also historisch als Fortleben in veränderter Gestalt – und damit durchaus hegelianisch – begriffen. Das ist auch ein Unterschied zu seiner früheren Position gegenüber den Dogmen, die ganz verschwinden sollten, die kein konkretes Fortleben im wissen-

|| 96 Kant, KrV B vii; vgl. B xii und B xxiii. 97 Riehl 1913, S. 1, vgl. Riehl 1913, S. 19. 98 Riehl 1913, S. 1. 99 Riehl 1913, S. 19. 100 Siehe Hammer/Hlade 2020, S. 99. Vgl. Riehl 1871, S. 63–64. Noch in der Philosophie der Gegenwart lebt – mit Bezug auf Nietzsche – der Gedanke fort, dass „der Positivismus der Wissenschaften“ Gott getötet hat. (Riehl 1913, S. 223). 101 Riehl 1913, S. 19.

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schaftlich-philosophischen Wissen, das sie ersetzt, im Falle der Dogmen also im Sittengesetz, erfahren. Aus der Tatsache, dass die Philosophie von der Wissenschaft abgelöst werden konnte, folgert Riehl, dass diese ihre eigentliche Bestimmung, die Aufgabe der Philosophie, noch nicht erkannt hatte. Erst der Kritizismus Lockes sollte das Selbstbewusstsein dieser Aufgabe erreichen. Mit der Selbstbesinnung auf die eigentliche Aufgabe der theoretischen Philosophie als Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie habe die Philosophie ein eigenständiges Gebiet im Bereich der Wissenschaft gewonnen und könne gleichwohl ihren ursprünglichen Anspruch als Universalwissenschaft, als Wissenschaft der Wissenschaften, bewahren. Als Erkenntniskritik sei die Philosophie für jede Wissenschaft relevant und doch auf keinem Gebiet irgendeiner Einzelwissenschaft tätig, sodass das alte Verhältnis der Konkurrenz durch das neue Verhältnis der Kooperation ersetzt werde. Diese Kooperation geht noch über die Grundlagenreflexion und die Erkenntniskritik hinaus. Das Interesse der Vernunft liegt nicht nur für Kant, sondern ebenso für Riehl, in der regulativen Idee, der unendlichen Annäherung an ein System des Wissens.102 Die Herstellung eines solchen Systems kann nicht in den Gegenstandsbereich irgendeiner Einzelwissenschaft fallen: „die Gesamtheit oder das System der positiven Wissenschaften [ist] Philosophie […], […] wirklich ist dies ihr Begriff in seinem weitesten Sinne verstanden“103. Riehl affirmiert also Kants in der Transzendentalen Dialektik als regulative Idee verortete Idee eines Systems des Wissens und zwar in der bereits eingangs (3.1) bemerkten hegelianisierenden Manier: Die Zukunft der wissenschaftlichen Philosophie ist die Erhebung der Wissenschaft zur Philosophie. Wie die Wissenschaften aus der Philosophie, ihrer anfänglichen Einheit, durch Auseinanderlegung derselben hervorgegangen ist, so sehen wir sie auch in der

|| 102 Die drei kantischen Thesen über die Beziehung zwischen den Wissenschaften und der Philosophie, die Thomas Sturm (2010) formuliert, finden sich alle bei Riehl wieder. These 1 besagt, dass für Kant die exakten Naturwissenschaften eine Vorbildfunktion für eine wissenschaftliche Philosophie haben. These 2 besagt, dass die exakten Wissenschaften selbst Voraussetzungen haben, die zur Metaphysik zählen. These 3 besagt, dass die „Wissenschaften den Zielen der Philosophie nach ihrem ‚Weltbegriff‘ dienen sollen“ (Sturm 2010, S. 61). Diese dritte These sei in der Kantforschung bisher kaum beachtet worden; vgl. Sturm 2010, S. 62, Anm. 3. Obschon Sturm hauptsächlich die zweite These dem Neukantianismus zuschreibt, finden sich alle Thesen in Riehls Beschreibung des Verhältnisses von Wissenschaften und Philosophie wieder. Riehls differenzierte Bestimmung dieses Verhältnisses sind geeignet, eine – hier nicht zu leistende – Rekonstruktion dieses Verhältnisses bei Kant zu beflügeln und decken sich weitgehend mit den Ergebnissen Sturms. 103 Riehl 1913, S. 20.

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Spirale alles geschichtlichen Werdens auf einer höheren Stufe ihrer Entwicklung zur Einheit zurücklenken. Sind sie doch nur die verschiedenen Ströme des Wissens und also bestimmt, in die Eine Wissenschaft, in das System der menschlichen Erkenntnis zurückzufließen.104

Die Negation der Negation, die Wiederherstellung der Einheit, wurde in der Hauptsache nicht von der Philosophie, sondern von den Wissenschaften selbst vorangetrieben, sodass für Riehl „die wahren Nachfolger der Naturphilosophen“105 die Einzelwissenschaftler sind, die mit der Verallgemeinerung ihrer Probleme, Fragestellungen und der von Ihnen in der Naturforschung erkannten Zusammenhänge von selbst die feindliche Entgegensetzung von Philosophie und Wissenschaft aufgehoben hätten.106 Wenn von einem Sieg der Wissenschaft über die Spekulation gesprochen werden kann, so zeigt sich Riehls Geschichtsphilosophie hier als Siegergeschichte. Ebenfalls an Hegel erinnert die Bestimmung, dass die Auflösung der Opposition von Wissenschaft und Philosophie ihrer Trennung bereits eingeschrieben gewesen sei. Denn die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Einzelwissenschaften könne nur dann sinnvoll gestellt werden, wenn die Philosophie bereits in einen Gegensatz zur Wissenschaft geraten war, etwas Anderes, die exakten Wissenschaften, sich gegenüber sah.107 So war die Trennung produktiv und sorgte für die Zurückgewinnung der ursprünglichen Einheit von Wissenschaft und theoretischer Philosophie auf erhöhter Stufenleiter. Das Ziel der Wissenschaften ist keine aggregathafte Akkumulation von Partikularerkenntnissen,108 sondern das System des Wissens, dessen Architektonik Aufgabe der Philosophie ist, während die Wissenschaft das Material für dieses Gebäudes beibringe: Das Formen und Herbeischaffen der Ziegel halten wir für die Herstellung eines Baues gleich wesentlich, wie das Werk des Architekten, der den Plan entwirft und die Ausführung des Baues leitet.109

So proklamiert Riehl eine Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Philosophie nach dem Modell der Kooperation. Entsprechend begreift er sein Zeitalter als das „Zeitalter der immer weiter fortschreitenden wissenschaftlichen Arbeitsver-

|| 104 Riehl 1913, S. 242. 105 Riehl 1913, S. 236. 106 Vgl. Riehl 1913, S. 233, S. 242. 107 Vgl. Riehl 1913, S. 18. 108 Vgl. Riehl 1913, S. 241. 109 Riehl 1913, S. 241. Vgl. mit Bezug auf Kant Sturm 2010, S. 67.

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einigung, des wahren Endzweckes und der Rechtfertigung der vorausgegangenen unentbehrlichen Arbeitsteilung“110. Die unendliche Annäherung in der „Richtung auf dieses Eine und höchste Ziel“111 leitet Riehl zufolge die theoretische Arbeit der Philosophie – sie ist unendlich, ergo glaube er nicht, dass „jene eine Gesamtwissenschaft […] an einem bestimmten Tage vollendet sein [werde]“112.

3.2 Die praktische Philosophie Neben der theoretischen Philosophie sei die Philosophie bereits in ihrem Ursprung, in der griechischen Antike, zugleich stets mehr, oder genauer, etwas anderes als Wissenschaft gewesen. Ihr platonischer Begriff als „Philosophie der geistigen Dinge“ behandelt „das Innere des Geistes“, die Werte.113 Werte seien ein der Wissenschaft gänzlich unbekannter, ein nicht-theoretischer Begriff. Entsprechend argumentiert Riehl für die strenge Wertfreiheit der Einzelwissenschaften:114 Kein Wertbegriff, keine Zweckvorstellung darf in das Werk der wissenschaftlichen Forschung eingemengt werden, deren Maxime vielmehr die Gleichwertigkeit der Erscheinungen ist. Der Zweck, ohne Frage das Prinzip des Wollens und Handelns selbstbewußter Wesen, ist kein Prinzip der Erklärung irgendeiner Naturerscheinung.115

Durch eine Anwendung der ontologischen Form des unendlichen Urteils, des Andersseins, entwickelt Riehl die praktische Philosophie in ihrer Abgrenzung zur theoretischen: die Philosophie, die von den Werten ausgeht, [ist] nicht reine Wissenschaft; sie ist, wenn wir ein Urteil aussprechen wollen, mehr als Wissenschaft sein kann; oder, um es ohne Urteil

|| 110 Riehl 1913, S. 241. 111 Riehl 1913, S. 243. 112 Riehl 1913, S. 243. 113 Riehl 1913, S. 8. 114 Ein Theorem, das sich durchaus mit einigem Recht kritisieren lässt. Auch die Erkenntnisse von Naturwissenschaft und ihre Umsetzung in Technik können kaum mehr als wertfrei bezeichnet werden. Auch die Möglichkeit der Kernspaltung verdankt sich ebenso wie die Atombombe naturwissenschaftlicher Kenntnis und beides ist ebenso wenig wertfrei oder kulturunabhängig, wie die regenerativen Energien. 115 Riehl 1913, S. 170.

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zu sagen, etwas anderes als Wissenschaft: – die Kunst der Geistesführung [...] eine „Form des Lebens“ [...].116

Die Persönlichkeit ist deshalb für Riehl von praktischer Relevanz, denn „[z]ur Geistesführung gehören führende Geister, die den Weg vorangehen, den sie weisen“117. Damit ist eine Einheit von Lehre und Person proklamiert und so erklärt sich, weshalb die Darstellung der Persönlichkeit – z. B. von Locke als eine Art Ideal der Haltung der Aufklärung, eines Selbstdenkers par excellence118 – für Riehls Geschichtsphilosophie so entscheidend ist. Mit der Betonung der praktischen Bedeutung der Persönlichkeit wendet sich Riehl gegen Hegels Einsicht, dass es in der Philosophie nicht um Meinungen geht. Riehl transformiert praktische Philosophie in Politik, da in der Politik das Individuum und sein Charakter in unmittelbarer Verbindung stehen mit dem, was es tut und vollbringt. In der Philosophie kommt es dagegen auf das Individuelle nicht an, sondern auf die Argumente.119

Werte sind das allumfassendste Gebiet menschlichen Lebens, Grundlagen der zweiten Natur. Werte schaffen Kultur; aus Werten ist das Reich des Menschen mit allen seinen Institutionen aufgebaut auf dem Boden der Natur. Sie sind die Prinzipien, die innere gestaltende Form dessen, was wir als Lebensanschauung bezeichnen und von der wissenschaftlichen Weltbetrachtung unterschieden.120

Die Werte werden von der Kunst und ebenso von der Ethik, also der praktischen Philosophie, geschaffen.121 So wie für die theoretische Philosophie die WissenschaftlerInnen, sind für die praktische Philosophie die DichterInnen diejenigen Personen, durch deren Aktivität die Disziplin lebendig bleibt: Lebensweisheit suchen wir nicht bloß bei den eigentlichen Philosophen, in ihren Lehren, ihrem Vorbilde; wir finden sie auch bei den großen Dichtern, bei jedem Erzieher der

|| 116 Riehl 1913, S. 8–9, Herv. M. H. 117 Riehl 1913, S. 9. 118 „Locke, der erste kritische Philosoph, stellt in seiner Person auf das schlichteste und, wie wir sagen können, als etwas Selbstverständliches den Geist der Aufklärung dar.“ (Riehl 1913, S. 70). 119 Asmuth 2006, S. 290. 120 Riehl 1913, S. 170. 121 Vgl. Riehl 1913, S. 170.

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Menschheit. Auch sie zählen zu den Philosophen, wenn wir auch nicht gewohnt sind, sie Philosophen zu nennen. Ein solcher Philosoph und Erzieher der Menschheit ist Goethe.122

Zwar ist Nietzsche für Riehl derjenige gewesen, der die Form der Werte durch dessen Umwertung der Werte überhaupt begriffen hat, indem er den historischen Charakter der Werte, ihre Perspektivität und Relativität, zu Bewusstsein brachte, doch ist es Goethe, der als Idol der Lebensanschauung immer wieder positiv zitiert wird: Wer handelt, darf nicht zweifeln, er muß vom Glauben an seine Zwecke, seine Ideale erfüllt und getrieben sein. Glaube ist unentbehrlich für die Zeiten wahrer Kultur; Glaube schafft selber Kultur. Diese Überzeugung Goethes ist auch die Lehre unserer Geschichtsphilosophie und jeder tiefere Blick in die Kulturgeschichte sieht sie überall bestätigt.123

Während es in der theoretischen Philosophie also um Wissen geht, so geht es in der praktischen um Glauben. Werte sollen zwar geschaffen werden, an Werte soll geglaubt werden, damit sie historisch wirksam sind, aber keineswegs denkt Riehl, dass dies ahistorisch möglich sei. Werte selbst haben einen historischen Gehalt, eine bestimmte Bindung an die Objektivität, sie sind nicht einfach neu zu schöpfen.124 Entsprechend ist der Kern von Riehls Nietzsche-Kritik, dass dieser Werte ahistorisch aufgefasst habe.125 Werte schaffen heißt nicht Werte erfinden, oder beliebig ersinnen. Werte werden nicht anders geschaffen, als wissenschaftliche Erkenntnisse geschaffen werden; man erfindet sie nicht, sie werden entdeckt.126

Dies nicht gesehen, den Vorrang der Objektivität nicht anerkannt zu haben, das ist Riehls Kritik an Nietzsche: „An die Gebundenheit alles menschlichen Lebens zu denken, scheint der Philosoph [Nietzsche, der den Gang der Dinge vom Willen

|| 122 Riehl 1913, S. 250. 123 Riehl 1913, S. 251. Nicht Wissen, sondern Glauben leite die geistige Geschichte: „In der geistigen Geschichte der Menschheit ist der Zweck unmittelbar real. Die Geschichte wird von Ideen beherrscht, d. i. von Gefühlsrichtungen und Glaubensformen, wobei unter: Glaube nicht der religiöse Glaube allein, sondern auch der politische, der soziale, der ethische zu verstehen ist. Diese den Gang der historischen Ereignisse bestimmenden Ideen muß man kennen, will man die Ereignisse selbst verstehen.“ (Riehl 1926, S. 341). 124 Der Konformismus der praktischen Philosophie Riehls verdankt sich dem Vorrang der Objektivität. Vgl. Riehl 1926, S. 255, 267–268. 125 Es kann bezweifelt werden, dass Riehl damit Nietzsche gerecht wird (siehe Anm. 74). 126 Riehl 1913, S. 173.

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allein abhängig wissen will; M. H.] vergessen zu haben.“127 Diese Kritik geht einher mit einer Affirmation Goethes: Nietzsche meinte, man könne Kultur absichtlich schaffen, Kultur gleichsam improvisieren; man könne die Geschichte neu machen, überhaupt Geschichte machen. Daß das Produktive mit dem Historischen verbunden werden müsse, um wirklich produktiv zu sein, wie Goethe es forderte, beachtete er nicht. Neue Lebensanschauungen gehen hervor aus alten Lebensanschauungen, und sie beseitigen diese niemals vollständig, sie entwickeln sie nur.128

Die Einsicht, dass das Neue immer bereits auf einer Vergangenheit aufbauen muss, dieser Vergangenheit in irgendeiner Weise Tribut zollen, sie implementieren und anerkennen muss, dass also das Gute in der Vergangenheit schon verborgen liegt, zeigt den durchaus konservativen Charakter des Geschichtsbegriffs Riehls: „Das alte Gute, faß es an!“129 Dieser konservativen Denkungsart ist eine theoretische und eine praktische geschichtsphilosophische Implikation zu entnehmen: Theoretisch ist das Neue nur auf der Basis des Alten möglich. Das Alte, insofern es erkannte Wahrheit ist, ist konstitutiv für das Neue. Einmal entdeckte Wahrheit besteht auf ewig fort: Die aufeinander folgenden Bilder der Welt, welche von der Wissenschaft entworfen werden, folgen auch auseinander. Kein Schritt in der Erkenntnis der Welt braucht wieder zurückgetan werden. Keiner! Was die Wissenschaft einmal ermittelt hat, hat sie für immer ermittelt; es ist zu einem unveränderlichen Bestandteil der Wahrheit geworden, welche selbst unveränderlich ist.130

Praktische Ewigkeit verleiht die Persönlichkeit, die durch ihr jeweiliges Leben ein Idol des Würdigen und Guten verkörpere – vorausgesetzt die Erinnerung an sie wird tradiert: Sokrates lebt mit seiner Gesinnung fort; auch wir bemühen uns noch, die Tat seines Sterbens zu begreifen und ihrer Größe würdig zu werden. Der Platonismus, der Spinozismus sind nicht vergangen, sie gehören dem Leben an, das wir leben.131

Ewig ist für Riehl also nicht bloß die Lehre eines Philosophen, sondern dessen Lebensführung, die Fortführung des Charakters und der Person selbst. Die Geschichte lässt für Riehl buchstäblich die praktischen Philosophen auferstehen:

|| 127 Riehl 1913, S. 227. 128 Riehl 1913, S. 248. 129 Riehl 1913, S. 249. 130 Riehl 1913, S. 243. 131 Riehl 1913, S. 249.

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Die Lebenden erwecken die Toten. „In jeder Philosophie dagegen, die noch etwas anderes als Wissenschaft ist, lebt ihr Schöpfer in gewisser Weise fort.“132 Beide Implikationen, die auf die Ewigkeit des einmal Erkannten bestehen, sind Ausdruck der früher „einmal unhinterfragt zum Selbstverständnis theoretischen Denkens“133 gehörenden Auffassung, dass die Geschichte konstitutiv für den systematischen Gehalt des theoretischen Denkens sei. Sie sind kompatibel mit der „oft variierten Metapher von den Zwergen, die auf den Schultern von Riesen sitzen“134 und gerade deshalb mehr und Entfernteres als diese sehen konnten. „Wir müssen alle empfangen und lernen, sowohl von denen, die vor uns waren, als von denen, die mit uns sind.“135 Der Gedanke des akkumulativen Fortschritts, der konstitutiven Funktion des Alten für das Neue, der sich in dem Sinnbild der Zwerge auf den Schultern von Riesen ausdrückt und der in der Wissenschaftsgeschichte sein Modell hat (siehe 4), ist hegelianisch, denn ausdrücklich durch Arbeit vermittelt. Auf die Schultern von Riesen der Vergangenheit gelangen die Zwerge der Gegenwart nicht einfach so, der Zeitgeist inkarniert nicht qua Geburt, vielmehr müssen die Erkenntnisse der Vergangenheit für jede Gegenwart erneut vermittelt, durch Arbeit am Begriff gewonnen, werden: „Erst durch uns selbst geprüfte Erkenntnis ist lebendige Erkenntnis, sie erst kann mit unserem ganzen Wesen eins werden; auch geistiges Erbe müssen wir erwerben, um es zu besitzen.“136 Philosophen der Werte, EthikerInnen, sind für Riehl „Führer und Helden des Geistes“137. Helden,138 denn sie stürzen das Alte um, wenn dessen Verfallsdatum bereits abgelaufen und die Zeit für das Neue reif geworden ist. Die großen Ethiken kommen von tragischen Figuren, denn diese befinden sich aufgrund ihrer Einsicht in einem Zwiespalt, sie leben in einem jeweils herrschenden Wertesystem und zugleich agitieren sie mit ihrer Einsicht gegen dasselbe. Neben ihrer Aufgabe zur Führung haben EthikerInnen zugleich einen Erziehungsauftrag an die Menschheit. „Die Philosophen der Lebensanschauung sind […] zugleich die

|| 132 Riehl 1913, S. 9. 133 Städtler 2019b, S. 78. 134 Städtler 2019b, S. 78. 135 Riehl 1913, S. 251. 136 Riehl 1913, S. 69. 137 Riehl 1913, S. 173. 138 Neben Führern und Helden ist das Motiv des Märtyrers präsent: Nicht nur Sokrates ging „in den Tod in voller Glorie“ Riehl 1913, S. 184 – sondern auch Giordano Bruno. „So hat Bruno die neue Lehre erfaßt; so wurde Bruno von ihr erfaßt. Dieser Märtyrer der neuen Weltanschauung steht am Eingang der neueren Philosophie als Prophet der modernen Wissenschaft.“ (Riehl 1913, S. 27–28). Solch tragische Figuren sind die Urbilder der Helden Riehls.

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Philosophen der Geistesführung und der Erziehung der Menschheit.“139 Als Erzieher lobt Riehl nicht nur Sokrates und Goethe, sondern auch Fichte.140 Die praktische Philosophie ist weniger akademisch, sondern vielmehr politisch angelegt – auch das meint Kunst bei Riehl.141 Der Prozess der Kultur- bzw. Werteentwicklung wird von Riehl im Verhältnis von Ethik und Moral beschrieben und verläuft ebenfalls nicht bloß progressiv in Richtung Fortschritt, wie die Diagnose der Kultur seiner Zeit nahelegte: Die Ethik gibt der Moral die Ziele, die Moral ist ein Weg zu diesen Zielen. Und vielleicht ist der Weg einer bestimmten Moral ein Irrweg, oder die Entwicklung des geistigen Lebens bringt eine Erhöhung der Ziele mit sich, – und die alte Moral hört auf, ethisch zu sein. Sie wird zu einem Hemmnis des ethischen Fortschrittes, zu einer Schranke, die überwunden werden muß.142

Der geschichtliche Prozess des geistigen Lebens ist ausdrücklich teleologisch: Ethischer Fortschritt und dessen Hemmung sind nur in dem Zusammenhang mit einem Ziel – der Ethik – sinnvolle Begriffe. Dabei kann sich auch die Ethik verändern, eine „Erhöhung der Ziele“, also der Ethik, verwandelt bisher Richtiges in sodann Falsches. Eine Moral selbst kann ein Irrweg sein und gar nicht zu dem beabsichtigten Ziel tauglich – mit diesem knappen Denkmodell erklärt Riehl Fortschritt, Hemmung und Rückschritt (Irrweg) in der Geschichte der Kultur. Die Relativität von Moral und Ethik verdankt sich dem Einfluss Nietzsches.143

3.3 Riehls Version des Vorrangs der praktischen Philosophie Bei Riehl wird aus dem von Kant mit dem Vorrang des Weltbegriffs systematisch formulierten Anspruch auf die Einheit der menschlichen Vernunft und damit der Philosophie eine Einheit der Weltanschauung, die beide Seiten des Menschen, die theoretische sowie die praktische, befriedigen soll: Die Philosophie insgesamt hat den doppelte[n] und dennoch einheitlich verbundene[n] Beruf […] dem Menschen eine lebensvolle Weltanschauung zu geben, die sich an alle Seiten seiner Natur wendet. […] Sie

|| 139 Riehl 1913, S. 174. 140 Vgl. Riehl 1913, S. 38. 141 Vgl. Riehl 1913, S. 174–175. 142 Riehl 1913, S. 172. 143 Bleibend an Nietzsche sei die Erkenntnis der Relativität von Kultur und Moral und die damit einhergehende Einsicht in Irrwege und Abwege der Sittlichkeit: „Dafür hat er auch Probleme aufgeworfen, aufgegraben, wie die von Evolution und Entartung, welche die Philosophie der Kultur und Moral noch lange beschäftigen werden.“ (Riehl 1913, S. 230).

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entdeckt dem Menschen seine wahren Ziele und weist ihn an, den Willen nach ihnen zu steuern und zu richten.144

Damit ist Riehls Version des Vorrangs der praktischen Philosophie ausgesprochen. Sowohl theoretische als auch praktische Philosophie zielen eigentlich auf Weltanschauungen. „Wohl aber ordnet sich die Wissenschaft als Ganzes dem Gesichtspunkt des Wertes unter.“145 Es gibt eine wissenschaftliche Weltanschauung, doch „[d]er Verstand erschöpft nicht das Wesen des Geistes, und die Bestimmung des Menschen geht nicht im Erkennen auf“146, zumal auch die Wissenschaft selbst ein Wert ist, der zur Kultur, zur Sphäre des Geistes, gehört.147 Die theoretische Philosophie ist der praktischen subsumiert und verfolgt letztlich deren Ziele – Ziele, die den „wesentlichen Zwecke[n] der menschlichen Vernunft“148, der „Moral“149 gemäß sein sollen. Diese wesentlichen Zwecke werden von Riehl wie von Kant mit Autonomie identifiziert. Allerdings verstehen beide darunter nicht dasselbe. Im Gegensatz zu Kant hypostasiert Riehl die Persönlichkeit und bestimmt die praktische Philosophie als Kunst. Der praktische Philosoph wird als Vernunftkünstler, als Pragmatiker und Erzeuger von Kultur, als Führer der Menschheit etabliert. Dieser soll zwar auf vernünftige Gesetzgebung bzw. Bestimmung von Kultur abzielen, aber es scheint für Riehl mit Nietzsche eher um die Autonomie als Triebunterdrückung und rationale Herrschaft über den Willen zu gehen,150 als um eine am Sittengesetz orientierte Moral oder um die Verwirklichung der Ansprüche der menschlichen Vernunft an das (gesellschaftliche) Leben. Kants strenger Begriff der Selbstgesetzgebung wird von Riehl stark reduziert und modifiziert. Unter praktischer Freiheit versteht Riehl „die Bestimmbarkeit des Willens durch abstrakte Motive“151. Der engere Begriff ethischer Freiheit verlangt von den abstrakten Motiven dann lediglich noch, dass es sich um

|| 144 Riehl 1913, S. 22. 145 Riehl 1913, S. 170. 146 Riehl 1913, S. 168. 147 Vgl. Riehl 1913, S. 170–171. 148 Kant, KrV A 838/B 866. 149 Kant, KrV A 840/B 868. 150 Freiheit ist für Riehl wesentlich rationale (durch abstrakte Motive geleitete) Willensbestimmung und damit einhergehend Triebunterdrückung: „Die praktische Freiheit […] ist eine erworbene Fähigkeit […], denn sie geht aus der Befreiung unseres Willens von der Macht der unmittelbaren Motive, der Affekte und Leidenschaften, und der Unterwerfung desselben unter die Macht der mittelbaren hervor.“ (Riehl 1926, S. 251). Die Ersetzung der unmittelbaren (natürlichen) durch mittelbare (künstliche) Motive nennt Riehl also praktische Freiheit. 151 Riehl 1926, S. 248.

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„allgemeingültige Motive“ bzw. „allgemeine[] Willensinteressen“152 handle. Die Moral selbst ist Riehl, vermittelt durch Nietzsche, relativ, zeit- und kulturabhängig und perspektivisch geworden. „Geschichte und Entwicklung, Werden und Schaffen machen jede feste und endgültige Wertbestimmung des Lebens […] unmöglich.“153 Dementsprechend verliert für Riehl das Sittengesetz seine fundamentale Bedeutung154 und wird durch das Verhältnis des Einzelnen zur jeweiligen Kultur (Zeitgeist) – der sich der einzelne Wille, so er denn sittlich handelt, unterwirft – ersetzt. Demnach ist eine Handlung „formal sittlich“, wenn die Person ihr „Handeln allgemeingültigen Gesetzen unterwirft“ und „material sittlich, aber nur für seine Zeit und aus der sittlichen Überzeugung seiner Umgebung heraus“, wenn die Person „zugleich ein Interesse des allgemeinen Willens zum Interesse seines individuellen Willens macht“.155 Riehl versteht ethische Freiheit somit als Konformismus. Der Philosoph als Führer der Kultur steht im Gegensatz dazu. Den Vorrang der praktischen Philosophie als Vorrang des Weltbegriffs der Philosophie gibt Riehl der Lehre Kants scheinbar getreu wieder: Über den Schulbegriff hinaus, aber im Anschluß an ihn, erhebt sich der „Weltbegriff“ der Philosophie. In dieser Absicht ist Philosophie die Beziehung aller Erkenntnis [d. i. des Schulbegriffs bzw. des Systems des Wissens; M. H.] auf die wesentlichen Zwecke der Vernunft und ein Philosoph in diesem Sinne „der Gesetzgeber der Vernunft und ein Lehrer im Ideal“.156

Kant formuliert jedoch vorsichtiger, identifiziert den Philosophen mit dem Urbild nur im Konjunktiv, unterscheidet Gesetzgeber und Lehrer und bestimmt die Idee der Gesetzgebung als regulatives Leitmotiv,157 das sich in jeder menschlichen Vernunft findet, während der Lehrer nirgends ist. Dagegen identifiziert Riehl den Philosophen mit dem Gesetzgeber der Vernunft bzw. dem Lehrer im Ideal direkt.

|| 152 Riehl 1926, S. 248. 153 Riehl 1913, S. 196. 154 Vgl. Riehl 1926, S. 252 und S. 264–268. 155 Riehl 1926, S. 256. Bereits 1871 bahnt sich Riehls extrem realistische (Um-)Deutung des Sittengesetzes an. Instruktiv ist hier Riehls Beispiel für eine moralische Handlung aus Pflicht: die freiwillige Aufopferung eines Soldaten ist umso weniger moralisch motiviert, je mehr hierbei auf eine Belohnung im Jenseits gehofft wird; sie ist umso moralischer, je stärker sie hingegen aus bloßer Pflicht, also Identifizierung des individuellen Willens mit dem allgemeinen Willen, der Krieg will, erfolgt. Das Beispiel wirkt heute einigermaßen absurd, ist jedoch vor dem Hintergrund von Riehls Verständnis der materialen Sittlichkeit nachvollziehbar. Vgl. Riehl 1871, S. 89. 156 Riehl 1913, S. 23, Herv. M. H. 157 Vgl. Kant, KrV A 839–840/B 867–868.

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Kants Zurückhaltung macht er sich nicht zu eigen. Die Bestimmungen des Philosophen als Gesetzgeber der Vernunft und Lehrer im Ideal kommen in Riehls Darstellung außerhalb dieses Zitats nicht mehr vor, bezeichnen aber schon die von Kant als Hypostase ausgewiesenen Personifizierungen der regulativen Idee.158 Aus der anmaßenden Identifikation mit dem Gesetzgeber und Lehrer wird bei Riehl zunächst eingedenk dieser Anmaßung ein Kenner der Philosophie und ein Streber nach ihrem Ziel. Im weiteren Verlauf der Bestimmung der praktischen Philosophie in der Philosophie der Gegenwart wird der Lehrer durch den Erzieher und der Gesetzgeber durch den Herrscher bzw. Führer ersetzt. Dieser Ersetzung entspricht eine Wendung, die Riehl der Zurückhaltung Kants gibt: Aber die Größe dieser Aufgabe fordert zugleich zur Bescheidenheit auf. ‚Es wäre sehr ruhmredig, meinen wir mit Kant, sich selbst einen Philosophen in solcher Bedeutung zu nennen und sich anzumaßen, dem Urbilde, das nur in der Idee liegt, gleichgekommen zu sein.‘ Sondern, Kenner der Philosophie wollen wir uns nennen, Strebende nach ihrem Ziele sein; und wir werden es in dem Maße zu sein vermögen, in welchen wir befähigt sind, in der eigenen Person die Selbstgesetzgebung der Vernunft zu verwirklichen und zu Herren zu machen über uns und unser Geschick.159

Die Haltung der Demut, die sich bei Kant bezüglich der regulativen Ideen durch die Einsicht in ihre Nicht-Erreichbarkeit findet, wird von Riehl zur Umwandlung des Begriffs des Philosophen genutzt, dessen Werk und Persönlichkeit in einen wesentlich engeren Zusammenhang als bei Kant gestellt werden, wobei die für Kant wesentliche Orientierung am Sittengesetz preisgegeben wird. Kants offen gelassene Spannung – hier das unerreichbare Ideal des Philosophen, dort der jeweilige Philosoph, der dieses Ideal nur in der Idee der Gesetzgebung der Vernunft kennt und anstrebt – wird von Riehl durch eine klare Benennung gesprengt: Der Begriff der Person des Philosophen wird eingedenk der Erkenntnis in die NichtErreichbarkeit verwandelt in einen Kenner und Suchenden, schließlich in einen Macher, einen wirklichkeitserzeugenden Versuchsleiter der Kultur (Kultur als praktisches Experiment), einen Führer der Werte. Dies zu erreichen sei dadurch möglich, dass wir uns zu Herren „in der eigenen Person“ machen, indem wir die „Selbstgesetzgebung der Vernunft“ verwirklichen.

|| 158 Es mag daran erinnert werden, dass das Transzendentale Ideal bei Kant, wenn es personifiziert wird, Gott entspricht und diese Hypostasierung des Ideals von Kant kritisiert wird. Die Hypostasierung der Idee der Gesetzgebung zur Person, zum Philosophen/Gesetzgeber/Lehrer wird dementsprechend kritisch von Kant behandelt, während Riehl diese Personifizierung – zunächst in abgemilderter Form (als Kenner/Suchender), später in autoritärer Form (als Erzieher/Führer) – affirmiert. 159 Riehl 1913, 23–24, Herv. M. H.

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Letztlich verwandelt sich Riehls praktischer Philosoph, gerade dadurch, dass er eine andere Konsequenz aus der Nichterreichbarkeit des Ideals zieht, die der Demut Kants zugrunde lag, in das gerade Gegenteil einer demütigen Haltung: Der Anspruch auf Führung, Erziehung und Herrschaft ist autoritär.

4 Teleologie und Autonomie Die Geschichte als Wissenschaft wird für Riehl immer als wertend sowie von Zweckbegriffen geleitet verstanden. Entsprechend unterscheidet er eine bloße Geschichtskunde von der Geschichte als Wissenschaft: Eine Geschichte, die sich auf die bloße Wiedergabe der Ereignisse beschränkte, wäre nicht Wissenschaft, sondern Geschichtskunde.160

Für die Geschichte als Wissenschaft ist die Herstellung eines Zusammenhangs unabdingbar, denn „[e]s gibt keine ‚idiographische‘, das einzelne als solches bloß beschreibende Wissenschaft“161. Ein Zusammenhang des Einzelnen mit anderem Einzelnen ist allererst herzustellen. Zu einem reflektierten Geschichtsbegriff gehört die Einsicht, dass nur ein Begriff die Organisation des Materials zu einem sinnvollen Ganzen ermöglicht: Sollen Menschen sich bei ihrer Vergangenheit überhaupt etwas denken können, muss die Individualität der Erscheinungen mit einer allgemeinen Idee vermittelt werden.162

Diese Ideen, die den Zusammenhang des Geschehenen konstituieren, nennt Riehl Werte, wenn sie „Objekte der Beurteilung durch Gefühl und Willen“ sind und Zwecke, „sobald sich unser Schaffen und Handeln auf sie richtet“163. Die Teleologie ist für das Geschichtsdenken notwendig, weil so allererst ein Sinnzusammenhang erzeugt wird. Auf dem Gebiete der praktischen Vernunft und auf diesem Gebiete allein hat der Zweck seine rechte Stelle. Hier ist er nicht länger nur ein Beurteilungsprinzip der Form eines Gegenstandes, er ist das Prinzip der Erzeugung der Gegenstände selbst.164

|| 160 Riehl 1913, S. 168. 161 Riehl 1913, S. 168. 162 Städtler 2019a, S. 12–13. 163 Riehl 1913, S. 168. 164 Riehl 1926, S. 339.

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Mit Hegel verlangt Riehl die Rationalität und Begreiflichkeit der Welt als Sinnzusammenhang und lobt dessen Insistieren auf einem Begriff von Objektivität und Wahrheit für die Sphäre des Geistes: Hegel erstrebte dieselbe Objektivität dem historischen Stoffe gegenüber, welche der Positivismus den Tatsachen in der Natur gegenüber bewährt: er will die Geschichte begreifen, nicht sie meistern, und hierin liegt ein Punkt der Berührung zwischen seiner Spekulation und der wissenschaftlichen Forschung.165

Aufgrund dieses Objektivitätsanspruchs konstatiert Riehl eine „innere Verwandtschaft der modernen Geschichtswissenschaft mit dem Geiste, mit welchem Hegel die Geschichte erfaßte“166. Zwar sei Hegels Naturphilosophie gescheitert, doch bleibend sei die Einsicht, dass „die historischen Erscheinungen als Entwicklung des absoluten Geistes“167 zu verstehen sind. Das Verhältnis der Philosophie Hegels zur Kulturwissenschaft sei analog zu dem Verhältnis der Philosophie Kants zur Naturwissenschaft: Die Naturphilosophie Hegels ist als Irrweg erkannt und niemand wird diesen Weg je wieder betreten; seine Geschichtsphilosophie dagegen […] ist auch für unsere Zeit noch von anregender Bedeutung. Zwischen dieser Philosophie und unserer Kulturwissenschaft besteht sogar ein analoges Verhältnis, wie es zwischen Kant und unserer Naturwissenschaft besteht; und eigentlich hat erst die Hegelsche Auffassung der Geschichte die Möglichkeit einer Kulturwissenschaft im Unterschiede von der Naturwissenschaft ersichtlich gemacht.168

Mit dieser Analogie will Riehl vermutlich das Prinzip teleologischer Erklärung für den Bereich des Geistes reklamieren: „Der mathematisch-mechanischen Analyse auf der einen Seite entspricht auf der anderen die teleologische Erklärung. Wo der Zweck schöpferisch ist, wie im Reiche des Menschen und seiner Kultur, da ist er auch das Prinzip der Erklärung.“169 So wie Kants Philosophie als Erkenntniskritik die Grundbegriffe der Naturwissenschaften untersucht, die Grenzen ihrer Erkenntnis bestimmt und durch die regulative Idee des Systems des Wissens das systematische Verhältnis der Einzelwissenschaften untereinander bestimmbar macht, so kommt anscheinend auch Hegels Philosophie eine grundlegende Funktion für die Kulturwissenschaften zu. Im Sinne der zitierten Analogie müsste sie die Kategorien aller Geistes-/Kulturwissenschaften vorbereiten, ihre Kritik || 165 Riehl 1913, S. 235. Vgl. Asmuth 2006, S. 297 sowie zu den drei Bedeutungen dieser Objektivität S. 302. 166 Riehl 1913, S. 234. 167 Riehl 1913, S. 234. 168 Riehl 1913, S. 235. 169 Riehl 1926, S. 342.

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und Begrenzung ermöglichen sowie die Idee des systematischen Zusammenhangs der Kultur(-wissenschaften) liefern. Diese Idee müsste die Idee des Fortschritts im Bewusstsein der Freiheit, bzw. einfach ausgedrückt, Autonomie sein.170 Riehl unterlässt es jedoch, Details zu erklären, sondern begnügt sich mit der Feststellung, dass „die moderne Geschichtswissenschaft […] Geist von seinem [Hegels; M. H.] Geiste“171 sei. Dass die Geschichte insgesamt der Idee der Freiheit verpflichtet ist, einer Freiheit, die geschichtlich verstanden wird und erworben, erarbeitet werden muss, erscheint mir eindeutig: Auch die Freiheit […] ist in diesem Sinne eine Idee; und statt mit Kant zu sagen: ein Wesen, das unter der Idee der Freiheit handelt, ist frei, müssen wir vielmehr sagen: es wird frei, es macht sich frei, und zwar genau so weit, als es wirklich nach der Idee handelt. Der Wille geht nicht von der Freiheit, als einem ursprünglichen Besitze, aus, er führt zur Freiheit hin, er befindet sich zu ihr, mathematisch geredet, in asymptotischer Annäherung. Ideen sind Aufgaben, die ins Unendliche weisen, und eben dadurch machen sie das Leben des Geistes aus.172

Riehl vertritt einen teleologischen Fortschrittsbegriff, der nach dem Vorbild der unendlichen Annäherung konzipiert ist und der sich für den Menschen als unendliche Aufgabe darstellt. Das entspricht dem Geist seiner Zeit. Prominent kommt dieses Motiv etwa bei Cohens Prinzip der Infinitesimal-Methode und seine Geschichte (1883) vor. Anfänge dieses Motivs, das aus der kantischen Auffassung der regulativen Ideen entsprungen ist, finden sich bereits in der Frühromantik.173 Riehls Geschichtsbegriff folgt dem Gedanken des geschichtlichen Fortschritts sowohl in theoretischer, als auch in praktischer Hinsicht: Stetig muß die Menschheit fortschreiten in der Selbsterkenntnis der Vernunft und der Erkenntnis der Welt, im Streben nach einer auf dieser doppelten Erkenntnis beruhenden Weisheit: fortschreiten in philosophischer Wissenschaft und philosophischer Gesinnung.174

Mit diesen progressiven Worten endet Riehls Philosophie der Gegenwart, die sich, wie bereits erwähnt, an eine Zeit der Jugend und der Kulturerneuerung richtete. Das Telos der Geschichte ist die unendliche Annäherung an die Idee. Riehl

|| 170 Vgl. Riehl 1913, S. 9, 24 und 221. 171 Riehl 1913, S. 235. 172 Riehl 1913, S. 190. 173 Siehe Frank 1997. 174 Riehl 1913, S. 252.

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unterscheidet zwischen deren regulativer und konstitutiver Funktion. Ideen haben in der wissenschaftlichen Philosophie, [d]ort wo die Erforschung von Objekten, die in der Erfahrung gegeben sind, unser Zweck ist, […] nur eine „regulative“ [Funktion; M. H.] […], sofern sie die Bedingungen oder Regeln angeben, unter denen die Einheit oder systematische Vollständigkeit des Wissens zu erzielen ist. Für die praktische Vernunft dagegen sind sie „konstitutiv“; sie selbst konstituieren die praktische Vernunft, sie selbst sind die Vernunft, die zugleich Wille ist.175

Durch die konstitutive Funktionsbestimmung der praktischen Vernunft, die Kultur schafft, wird Moral und Sittlichkeit, und letztlich auch die Transzendentale Einheit der Apperzeption in ihrer „Tätigkeitsform des Selbstbewußtseins, das Selbstbewußtsein als Wille“176 in einen Prozess des geschichtlichen Werdens, der Selbstbildung bzw. Selbstbestimmung des Menschen, eingeschrieben; auch diese geschichtliche Dynamisierung des Selbstbewusstseins erinnert an Hegel. Für Riehl schaffen praktische Ideen Realitäten, die noch nicht sind.177 Die Kunst der Lebensweisheit soll „dem Willen neue Ziele entdeck[en]“ und „Möglichkeiten, die erst zu schaffen […] sind“ aufzeigen.178 Für Riehl sind „Zweifel an der Wirklichkeit eines Fortschrittes in einem gegebenen Fall […] berechtigt, sofern jeder Fortschritt immer nur relativ sein kann, und nützlich, denn sie treiben zum Weiterstreben und Handeln an“179. So gesehen ist die Kritik an der Selbstzufriedenheit einer Zeit, „daß gerade wir es ‚so herrlich weit gebracht‘“180 hätten, ein Motor des Fortschritts auf dessen unendlichem Wege. Das „Gesetz fortschreitender Entwicklung in der Geschichte, [ist] ein Postulat der Philosophie Hegels“181; ein Postulat, das Riehl mit dem Verweis auf die Unmöglichkeit der Erfahrung eines solchen Gesetzes sowie die Relativität des Fortschritts und die bereits angesprochene Möglichkeit von Hemmung und Rückschritt in der Geschichte im Sinne seines Realismus um Hegels Idealismus reduziert. Riehls Geschichtsphilosophie ist insofern teleologisch, als sie vergangenes Wissen auf gegenwärtiges bezieht, läuft aber nicht zwingend auf die idealistische Auffassung von Philosophiegeschichte hinaus,

|| 175 Riehl 1913, S. 190. 176 Riehl 1913, S. 194. 177 Vgl. Riehl 1913, S. 190. 178 Riehl 1913, S. 189. 179 Riehl 1913, S. 197. 180 Riehl 1913, S. 197. 181 Riehl 1913, S. 197.

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derzufolge der Begriff sich zielstrebig zur absoluten Idee entwickele und alles Disharmonische dialektisch aufhebe.182

Werte sind im Fluss der Geschichte, stets – wie der Fortschritt selbst – sind sie relativ. Bereits die Möglichkeit eines (künftigen) Fortschritts bestätigt die Unmöglichkeit absoluter Werte, Moral und Kultur. Offensichtlich wirklich ist der (theoretische und technisch-praktische) Fortschritt aufgrund fortschreitender Naturbeherrschung durch Wissenschaft und Technik.183 So ist der Fortschritt für Riehl vor allem in der Entwicklung der Wissenschaften greifbar: „Durch die Kenntnis der Gesetze der Ursachen beherrschen wir die Wirkungen und machen uns theoretisch wie praktisch zu Herren über die Kräfte der Natur.“184 Herrschaft und Emanzipation sind aufs engste miteinander verknüpft: Paradigmatisch für geschichtlichen Fortschritt ist es, dass die Menschen ihr Spezifikum, die Vernunft, entwickeln, indem sie sich aus unmittelbaren Naturzusammenhängen herausarbeiten und in den Formen von Zivilisation und Kultur die Distanz zur ersten Natur kontinuierlich vergrößern und damit nicht zuletzt die objektiven Bedingungen subjektiver Freiheit produzieren.185

Nur diejenigen Aspekte der Natur, die von uns begrifflich fassbar sind, sind keine Zauberei. Daher bedeutet jede wissenschaftliche Entdeckung zugleich einen Fortschritt der rationalen Durchdringung und Entzauberung der Natur: In der Erkenntnis befriedigt sich zugleich der Einheitstrieb des Denkens. Daher bedeutet uns ein Naturgesetz immer noch mehr als eine Ableitungsformel für beliebig viele Erfahrungen, welche wirklich anzustellen wir uns dank dem Gesetz erlassen können. Es bedeutet uns einen weiteren Schritt zur geistigen Durchdringung und Aneignung der Tatsachen. Das Reelle scheint uns wieder um einen Grad rationeller geworden zu sein.186

Auch geht dem theoretischen Fortschritt nichts verloren: „Was die Wissenschaft einmal ermittelt hat, hat sie für immer ermittelt.“187 Dabei ist selbstbewusste Kritik das Movens des Fortschritts. Bereits Hegel erkannte, dass „neue philosophische Theorien immer in der kritischen Auseinandersetzung mit vorhandenen philosophischen Theorien entstehen“188. Eben dieses Verständnis entspricht

|| 182 Städtler 2019b, S. 85. 183 Vgl. Riehl 1913, S. 3–4. 184 Riehl 1913, S. 35. 185 Städtler 2019a, S. 22. 186 Riehl 1913, S. 171. 187 Riehl 1913, S. 243. 188 Städtler 2019b, S. 86.

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Riehls Insistieren auf dem Selbstdenken, wie seiner Auffassung der Geschichte der Philosophie: „Das künftige System des Wissens erwächst aus Kritik und Forschung zugleich.“189 Die Wissenschaft ermöglicht Herrschaft über die Natur, jede ihrer Erkenntnisse ist ein Fortschritt, „Durchdringung und Aneignung der Tatsachen“, der bleibend und der erneuten Kritik bedürftig ist. Nimmt man diese Zitate zusammen, so ergibt sich ein Bild des akkumulativen Fortschritts der wissenschaftlichen Erkenntnis. Für den fortschreitenden Erfolg intersubjektiver, vernünftig strukturierter Kooperation bildet die Wissenschaftsgeschichte das rationale Modell: [Das] Modell geschichtlichen Fortschritts, der vernünftig strukturiert aber nicht determiniert ist, ist […] die Wissenschaftsgeschichte. In ihr beziehen sich handelnde Subjekte im Rahmen einer transgenerationellen, diachronen Arbeitsteilung aufeinander. Die Späteren entwickeln durch Kritik an Mängeln und Fehlern der Früheren das systematische Wissen einer Disziplin im Medium der Zeit.190

Der systematische Grund der Möglichkeit des wissenschaftlichen Fortschritts liegt dabei in der wissenschaftlichen Sache selbst: Wissen ist der Sache nach systematisch verfasst, dieses System kann aber nur durch empirisches Handeln – Denken – dargestellt werden. Dies hat die klassische deutsche Philosophie nach Kant dazu veranlasst, die geschichtliche Entwicklung von Freiheit und von Wissen als miteinander verbundene Momente der geschichtlichen Selbstentfaltung der Vernunft zu denken.191

Dieser Verbindung von Freiheit und Wissen lässt sich in Riehls Geschichtsdenken erneut begegnen. Auch das ist ein Grund dafür, dass Riehl Hegels Geschichtsdenken affirmiert. Um den absoluten Idealismus entschärft sei die Einsicht in die fortschreitende Akkumulation des Wissens das wahre Prinzip der Geschichte. Riehl erkennt die „Einheit der Kontinuität im Fortschritt menschlichen Wissens“192 als Inbegriff seines Geschichtsdenkens an, da diese „doch in den exakten Wissenschaften in systematischer Form vorliegt“193, also in denjenigen Wissenschaften, denen er sein Werk verschrieben hat und aus deren Geschichte er

|| 189 Riehl 1913, S. 244. 190 Städtler 2019a, S. 16. 191 Städtler 2019a, S. 18–19. 192 Städtler 2019a, S. 21. 193 Städtler 2019a, S. 21.

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zahlreiche Zusammenhänge aufeinander aufbauender und systematisch verbundener wissenschaftlicher Erkenntnisse anführt. Der teleologische Fortschritt der Menschheit strebt für Riehl nach Autonomie. Wie ich bereits (in 3.3) angemerkt habe, versteht Riehl unter Freiheit die Bestimmung von Handlungen durch den Willen nach abstrakten (begrifflichen, rationalen) Motiven. Entsprechen diese Motive allgemeinen, d. h. gesellschaftlichen Interessen, so sind sie sittlich. Die derart verstandene Autonomie macht für Riehl die Würde des Menschen aus. Unter Willensautonomie ist negativ die Unabhängigkeit des Wollens von dem Objekte des Begehrens zu verstehen […]. Autonomie des Willens bedeutet positiv – und dies ist ihr lebensvoller Begriff – Selbstgesetzgebung. Darauf allein beruht die Würde oder der innere Wert eines vernünftigen Wesens, daß es keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es sich zugleich selbst gibt.194

Die Selbstgesetzgebung ist maßgeblich und kam der Menschheit historisch in der Epoche der Aufklärung zu Bewusstsein, die nicht nur als Epoche einmalig ist, sondern in jedem Menschenleben aufkommen soll: Die Aufklärung ist Moment in der Erziehung des Menschengeschlechtes, und ebendarum auch in der Erziehung des einzelnen Menschen. Einmal im Leben muß jeder eine Zeit der Aufklärung erfahren, einmal im Leben die überkommenen Anschauungen in Frage stellen. Er wird sonst nicht wahrhaft zum Vernunftwesen, sondern bleibt ein Automat der Erziehung und der ihn in Bewegung setzenden autoritativen Meinung anderer.195

Die Würde des Menschen, seine Selbstgesetzgebung, beruht für Riehl auf diesem Durchgangspunkt der Aufklärung, auf dieser kritischen Grundhaltung des Selbstdenkens, also darauf, Autoritäten in Frage zu stellen, sich Vergangenes selbständig, durch eine eigene Auseinandersetzung, anzueignen. Das ist weit weg von Kants Würdebegriff – nach Riehls Verständnis hätten alle Unmündigen (noch) keine Würde. Die Bestimmung erinnert gar nicht so sehr an eine Bestimmung aus der praktischen Philosophie Kants, sondern vielmehr an die theoretische Philosophie Kants, mit ihrer Abwertung der historischen Erkenntnis und ihrem Appell an den Gebrauch der eigenen Vernunft: Eine Erkenntnis mag ursprünglich gegeben sein, woher sie wolle, so ist sie doch bei dem, der sie besitzt, historisch, wenn er nur in dem Grade und so viel erkennt, als ihm anderwärts gegeben worden, es mag dieses ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder Erzählung, auch Belehrung (allgemeiner Erkenntnisse) gegeben sein. […] Er bildet sich nach fremder

|| 194 Riehl 1913, S. 192, vgl. Riehl 1926, S. 248. 195 Riehl 1913, S. 70.

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Vernunft, aber das nachbildende Vermögen ist nicht das erzeugende, d. i. das Erkenntnis entsprang bei ihm nicht aus Vernunft […]. Er hat gut gefaßt und behalten, d. i. gelernt, und ist ein Gipsabdruck von einem lebenden Menschen.196

Selbstgesetzgebung bedeutet für Riehl, dass man sein eigener Herr, Herrscher über sich selbst, ist. Die Autonomie wird dabei eng an den Begriff der Persönlichkeit gebunden und dies erklärt die bereits bemerkte Bedeutung der Persönlichkeit für die praktische Philosophie – der von Riehl geforderten Harmonie zwischen Autor/Person/Leben und Werk/Position/Philosophie: Ethische Freiheit heißt nicht bloß Macht haben, Macht vor allem über sich selbst. […] Autonomie ist nicht gleichbedeutend mit „Willen zur Macht“, den unser modernster Ethiker zum Prinzipe der Umschaffung des Menschen machen wollte. Autonomie oder ethische Freiheit ist, ich erläutere dies aus Kants eigenen Worten: Persönlichkeit, Wille zur Persönlichkeit […], d. i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der Natur.197

Riehls Wille zur Autonomie ist entfesselt, unabhängig von der strengen Bestimmung des Sittengesetzes, von der strengen Moralität Kants. Der von der Wissenschaft ermöglichten Herrschaft über die Natur entspricht die von der praktischen Philosophie zu befördernde Herrschaft über sich selbst. Die so verstandene Autonomie ist nicht mehr, wie sie es noch bei Kant war, mit dem „moralischen Gesetz, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit“ verbunden und „auf die Einstimmung mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt“198.

5 Reflexionen Sowohl für die theoretische als auch für die praktische Philosophie heißt es für Riehl: Zurück zu Kant. Riehls Geschichtsdenken enthält wichtige Elemente eines kritischen Geschichtsbegriffs. Dazu gehört die Einsicht, dass sich immer ein gegenwärtiges Bewusstsein das Vergangene aneignet und Spezifisches auswählt und einen Zusammenhang im Lichte dieser Gegenwart herstellt (2). Riehl begreift Geschichte als die bewusste Vermittlung des Vergangenen mit der Gegenwart im Sinne des hegelianischen Begriffs des Zeitgeistes (2.1). Der Modus der Aneignung des Vergangenen ist für Riehl Arbeit am Begriff: Das Erbe muss erworben, das Vergangene für die jeweilige Gegenwart gewonnen werden (3.2). Weil Fortschritt

|| 196 Kant, KrV A 836/B 864. 197 Riehl 1913, S. 193. 198 Kant, KpV 5, S. 87.

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durch Kritik an den Mängeln und Fehlern erreicht wird, kommt dem Negativen eine produktive Funktion zu. Aber dies wird von Riehl nur immanent entwickelt, in der Art und Weise seiner Darstellung historischer Erkenntnisentwicklungen, nicht ausdrücklich als Movens der Geschichte benannt. Ausdrücklich ist für ihn Fortschritt immer nur relativ, aber auch jeder Rückschritt hat im Grunde für Riehl eine positive Bedeutung (2.2). So ist der eigentlich kritisierte vornehmlich historische, weniger systematisch-produktive Geist seiner Zeit, eine antiquarische Geschichtsauffassung, die Bedingung dafür, überhaupt zurück zu Kant gehen zu können, weil die historischen Bestrebungen die Fäden aufrechterhalten haben. Die Anti-Metaphysik, die den Geist verleugnete, sorgte durch die strenge Opposition zur Philosophie für die dringende Frage nach den Aufgaben der Philosophie. Auch der Deutsche Idealismus, der in seiner theoretischen Philosophie ein Irrweg sei, halte die Fäden zur Wahrheit dadurch aufrecht, dass in ihm der praktische Geist der Philosophie weiter fortbestehen konnte und der Rationalismus erhielt zumindest den Objektivitätsanspruch und das Systemdenken aufrecht. Für Riehl ist jeder partielle Rückschritt der Philosophiegeschichte zugleich positiv, nützlich für ihren Fortschritt. Es gilt Riehl hauptsächlich der Philosophie eigenständige Gebiete zu sichern, in denen sie nicht in Konkurrenz, sondern in Kooperation zu den Einzelwissenschaften steht (3.1), sei es, weil sie Grundlagen und Ziele der Einzelwissenschaften insgesamt behandelt, wie in der theoretischen Philosophie, sei es, weil sie einen Bereich für sich entdeckt, auf den die Einzelwissenschaften gar keinen Anspruch erhebt, aufgrund der Wertfreiheit der Wissenschaften sowie ihrer Abneigung gegen Spekulation und Werte, der Bereich des Praktischen (3.2), der dennoch im Sinne des Weltbegriffs auch für die Wissenschaften leitend ist und den Vorrang erhält, weil auch die wissenschaftliche Weltanschauung ein Wert ist (3.3). Für beides – Freiheit und Kooperation – bietet die Wissenschaftsgeschichte das Modell, an dem sich die Wirklichkeit geschichtlichen Fortschritts erweist (4). Das Insistieren auf eigenständigem Denken ist eine Affirmation des Geistes der Aufklärung; eine Epoche, mit der Riehl seine Zeit als Zeit der Jugend kurzschließt. Hinter der Forderung nach Selbstbestimmung steht ein emanzipatorischer Anspruch, der sich in der Autonomie als Telos der Philosophie bewähren soll. Diese Autonomie geht aber nicht so weit, dass sie als Neuschöpfung verstanden werden könnte, vielmehr kommt der Objektivität der Vorrang zu (3.2). Das zeigt sich auch an Riehls Beschreibung von Neuem – so sei die Philosophie von Aristoteles in moderner Gestalt in die heutige Physik eingezogen,199 sie sei aufgehoben und nicht einfach überwunden. Auch habe einmal erkannte Wahrheit eine || 199 Vgl. Riehl 1913, S. 19.

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konstitutive Funktion für Neues, denn „[w]as die Wissenschaft einmal ermittelt hat, hat sie für immer ermittelt“200. Das Herausarbeiten aus der Abhängigkeit von der Natur ist durch die Wissenschaften ermöglicht worden. Die Distanz zwischen Kultur und Natur, die sich durch wissenschaftlichen Fortschritt kontinuierlich vergrößert, schafft „objektive[] Bedingungen subjektiver Freiheit“.201 Unabhängigkeit von und Herrschaft über Natur sind Bedingungen von Autonomie. Jedoch hat Riehl die Autonomie ihres moralischen Gehalts beraubt (siehe 3.3 und 4). Seine praktische Philosophie, zu der die Geschichtsphilosophie gehört und die den Vorrang genießt, ist eine der Welt- und Lebensanschauung. PhilosophInnen und KünstlerInnen kommt die Aufgabe der Führung durch Bestimmung von Zielen und Werten zu sowie die Erziehung der Menschheit. Ethiker sind Führer, denn sie entdecken die Werte, bilden die Kultur und geben den Menschen damit Orientierung: Ohne Werte wäre unsere Lebensfahrt ohne Kompaß und auch die Sterne fehlten, um danach zu steuern. Es ist dem Menschen notwendig, daß all sein Handeln und Streben ein Bild seines Handelns, ein Ideal seines Strebens vorangeht; nur indem er emporblickt und vorausschaut, vermag der Mensch im geistigen Sinne des Wortes aufrecht zu gehen und fortzuschreiten.202

Insbesondere die großen Gestalten der Geschichte sind als Helden stilisiert. Während sich der Einzelne Mensch, um moralisch zu handeln, der Sitte seiner Zeit zu unterwerfen habe, hat der praktische Philosoph die exklusive Aufgabe, sich gegen diese Sitte in einen Zwiespalt zu setzen und dieselbe progressiv zu verändern. Die Geschichtsphilosophie ist so gesehen eine Heldengeschichte und der jeweilige Held eine tragische Figur. Desto tragischer der Philosoph ist, umso progressiver ist sein Eingriff in die Kultur. Fast messianisch mutet sein Warten auf einen solchen Helden an: „die Zukunft der Philosophie als Geistesführung ist der große Philosoph, – und auf sein Kommen müssen wir warten“203. Riehls Geschichtsphilosophie ist vornehmlich eine der großen Denker und Namen: „Alle großen Philosophien bisher, und das sind die Philosophien der großen Denker, haben an den Idealen der Menschheit mitgeschaffen.“204

|| 200 Riehl 1913, S. 243. 201 Städtler 2019a, S. 22. 202 Riehl 1913, S. 174. 203 Riehl 1913, S. 245. 204 Riehl 1913, S. 23.

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Was Riehl in seinem Denken der Geschichte nicht leistet ist, dass er die „Grenzen ästhetischer Darstellbarkeit in der Darstellung selbst als notwendige Brüche reflektiert“205. Das Andere der Geschichte kommt bei ihm gar nicht vor. Zwar sind „Sprünge und Widersprüche […] vom Begriff aus als dessen Anderes bestimmbar“206. Die Ausnahmen ließen sich also durch die Regel erkennen. Riehl zieht es jedoch vor, das Andere der Geschichte, das Unvernünftige, schlichtweg auszuklammern. Eine Reflexion aus der Perspektive des Anderen, der Verlierenden, fehlt in Riehls Denken: Die Toten sind und bleiben erschlagen, die Großen hingegen leben fort. Riehls Geschichtsdenken ist auf halbem Wege stehen geblieben. Es ist auf einem Auge blind. Das Kontingente gerät ihm nicht in den Sinn. Weder kommen Schrecken, noch Trümmer, noch Gewalt zu Bewusstsein. Die Unvernunft in der Geschichte fällt der Verdrängung anheim. Das hat sich schon darin gezeigt, dass für Riehl alles, was er als Rückschritt auffasst, zugleich einen positiven Effekt haben muss, um es wert zu sein, als Geschichte begriffen zu werden. Aus der Blindheit gegen den Bruch folgt auch das Übersehen der Unmöglichkeit, „die Opfer als Gestehungskosten aufzurechnen“207. Solches Aufrechnen kommt bei Riehl nur deshalb nicht vor, weil die Opfer der Kontingenz zuzuschreiben sind, die keinen Ort in seiner Geschichtsphilosophie hat. Das Würdige seiner Geschichtsphilosophie, das Riehl dem Denken Hegels entlehnt, ist damit zugleich ihr Elend: Um das Selbstbewusstsein trotz historischer Rückschläge aufrechterhalten zu können, ist es nötig, den Fortschritt als teleologisch determinierten Prozess zu denken: als Versöhnung.208 „Teleologie als geschichtsphilosophisches Prinzip“ hat die Funktion „den unerträglichen Erfahrungsbestand begrifflich zu entschärfen“209 – so sichert sie die Einheit des denkenden Selbstbewusstseins. Der Mangel seines Geschichtsdenkens ist, dass Riehl den Bruch nicht reflektiert und daher der Diskontinuität gegenüber der Kontinuität keine Selbständigkeit verleiht. Das Verhältnis der beiden für sich abstrakten Momente Kontingenz und Begriff müsste einem kritischen Geschichtsverständnis zwar thematisch werden, wird es bei Riehl jedoch nirgends. So gerät der Blick für die Realität dem Realisten abhanden, der das misslingende Leben (Kontingenz, das Einzelne) zugunsten der Durchsetzung des Fortschritts (Begriff, das Allgemeine) nicht reflektiert. Verstellt wurde sein Blick durch seine Affirmation der regulativen Idee in der Geschichte, deren Modell er in der Wissenschaftsgeschichte als wirklich

|| 205 Städtler 2019a, S. 10. 206 Städtler 2019a, S. 21. 207 Städtler 2019a, S. 15. 208 Vgl. Städtler 2019a, S. 22. 209 Städtler 2019a, S. 32.

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erkannte, die dem Menschen Freiheit im Sinne der Unabhängigkeit von und Herrschaft über die Natur ermöglicht. Die Theorie von der unendlichen, asymptotischen Annäherung an die Realisierung der Idee der Freiheit in der Geschichte lässt alles in der Geschichte als Momente auf diesem Weg erscheinen. Dass die Geschichte sich notfalls auch gegen die Individuen, die Träger von Vernunft, richtet, ist für Riehl kein Gegenstand der Reflexion. Zumindest hält Riehl den Maßstab einer möglichen Kritik durch den Anspruch auf eine vernünftige Konstitution der Geschichte aufrecht, obschon er deren moralischen Gehalt nivelliert. Es gibt und gab immer eine reale Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit, dem konkreten Dasein und seinen Bedingungen, und der Idee, der humanen Bestimmung der Menschen in ihrer Geschichte. Der Einsicht in die Grauen der Geschichte, die Moses Mendelssohn mit Unwillen betrachtete, begegnete Kant noch mit der Pflicht und uneigennützigen Hoffnung auf die menschliche Natur. Obwohl sich „Laster ohne Zahl (wenn gleich mit dazwischen eintretenden Tugenden) in der Wirklichkeit […] übereinander thürmen“ muss dieses Trauerspiel der „Moralität eines weisen Welturhebers“210 widerstreiten. Kant hält die Hoffnung auf gesellschaftlichen Fortschritt für vernünftig und pflichtgemäß, des „traurigen Anblick[s] nicht sowohl der Übel, die das menschliche Geschlecht aus Naturursachen drücken, als vielmehr derjenigen, welche die Menschen sich unter einander selbst anthun“211 zum Trotz. Riehl bleibt mit seinem Geschichtsdenken dem Fortschrittsoptimismus Kants treu. Er verzichtet ganz darauf, dem Trauerspiel der Geschichte seinen Blick zuzuwenden. Wo Benjamins Angelus Novus die Trümmer der Geschichte sich auftürmen sah, während er sich vom Paradies fortgetrieben fand, da sieht Riehl (mit Nietzsche) Monumente, die der Jugend Mut und Glauben machen können. Das ist die praktische Konsequenz aus der einseitigen Affirmation des Modells des wissenschaftlich-technischen Fortschritts bzw. der Theorie unendvlicher Annäherung. Riehls Absage an das Sittengesetz geht einher mit der Forderung nach Autonomie – das ist Selbstbestimmung ohne Vernunft. Seine Lehre verlangt ein Ja-Sagen im Praktischen. Dem theoretischen Positivismus stellt er einen pragmatischen Aktivismus mit einem Führer-Kult zur Seite. Die Jugend seiner Zeit, ihre Sehnsucht nach Kulturerneuerung, hatte Riehl erkannt. Es war ein Krieg gewesen, der die gefeierte Einheit des Landes bewirkte. Es kam nach seinen Schriften nicht zu einer Kulturerneuerung, sondern es kam erneut zum Krieg, dem ersten Weltkrieg. Auch wenn es nicht Kultur war, sondern Krieg, in den die Geschichte mündete, hielt Riehl seiner Geschichtsphilosophie weiterhin die Treue. Die Auflagen des Kritizismus und der Philosophie der

|| 210 Kant, Gemeinspruch 8, S. 308. 211 Kant, Gemeinspruch 8, S. 309.

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Gegenwart nach dem ersten Weltkrieg enthielten keine wesentlichen Änderungen. Riehl plädierte nach wie vor für Autonomie und Selbstbestimmung, für die politisch-kulturelle Wirksamkeit der Philosophen. Darin ist er Platoniker. Der Philosoph war ihm Führer der Kultur, Erzieher zur Vernunft. Dieses Pathos kann angesichts der realen Entwicklung – obschon Riehl den zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebte – erschrecken. Was Riehl forderte, Kulturführung durch den Philosophen, das verkörperte (in pervertierter Weise) Heidegger, der den Versuch unternahm, den Führer zu führen. All dies mag Unbehagen verursachen. Riehl versteht die Geschichte von Ende her, von seiner Gegenwart. Das humane Interesse, die Ansprüche der Moral, rechnet Riehl aus seinem Geschichtsdenken heraus. Es ist trivial, Riehl behauptet es selbst, wenn er die Geschichte Werten und Zwecken unterstellt wissen will: „jede nachträgliche Konstruktion des Vergangenen [bedient] unweigerlich ein Interesse; die unreflektierte zumeist das der Herrschenden“212. Riehls Geschichtsbegriff fehlt die Kritik des geschichtlichen Prinzips. Die „Affirmation der Universalgeschichte, so stellt Adorno durch eine Korrektur an Benjamin heraus, führt zur Geschichtsschreibung vom Standpunkt des Siegers“213. „Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? […] Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier? Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? […] Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer siegte außer ihm? Jede Seite ein Sieg. Wer kocht den Siegesschmaus. Alle zehn Jahre ein großer Mann.“ Bertolt Brecht214

|| 212 Städtler 2019a, S. 24. 213 Städtler 2019a, S. 31. 214 Brecht 1967, S. 656–657.

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Alexey Zhavoronkov

„Alle großen Dinge kommen aus der großen Leidenschaft her“: Zu Alois Riehls Bild von Friedrich Nietzsche Abstract: This paper focuses on Alois Riehl’s interpretation of Nietzsche’s philosophy and specifically on the question of its Neo-Kantian backgrounds and elements. In the first part, I present a brief overview of the relation between Nietzsche’s thought and Neo-Kantianism. The second part provides a critical overview of the method and structure of Riehl’s book on Nietzsche and also of the context of its publication and reception. Here, I show that Riehl’s interpretation, in contrast to many important interpretations of the same period, pays special attention to stylistic aspects of Nietzsche’s presentation of his ideas. In the last part, I examine the parallels between Riehl’s account of Nietzsche’s thought and Hans Vaihinger’s Neo-Kantian interpretation, while also taking into account the overlaps with Riehl’s earlier works and with his general philosophical interests. My main point is that Riehl values Nietzsche as a cultural philosopher, although his image, considering Riehl’s scepticism toward the epistemological perspective of Nietzsche’s thought and particularly toward his critique of science, could hardly be described as Neo-Kantian.

Einleitung Neben Alois Riehls Kritizismus-Schriften gibt es eine weitere, aus historisch-philosophischer Hinsicht nicht weniger bedeutsame Seite seiner philosophischen Forschungen, die Riehls Tätigkeiten seit Ende der 1890er-Jahre und bis zu seinem Tode im Wesentlichen prägte: Die Beschäftigungen mit der Philosophie Friedrich Nietzsches. Die Gründe, warum diese Dimension von Riehls Denken bisher sehr wenig Aufmerksamkeit erhalten hat, sind zweifach. Spezialisten, die über Riehls Philosophie schreiben, interessieren sich größtenteils für ganz andere Themen, auch weil sie – nicht völlig unberechtigt – nur eine marginale Verbindung zwi-

|| Alexey Zhavoronkov, Senior Research Fellow am Institut für Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften (Gontscharnaja Ul. 12/1, 109240 Moskau, Russland) [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-018

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schen Riehls Nietzsche-Deutung und anderen Aspekten seines Denkens erkennen. Für Nietzsche-Forscher bleibt Riehls Buch leider nach wie vor im Schatten anderer zeitgenössischer Studien, besonders prominent der Nietzschestudie von Hans Vaihinger. Indem es nicht mein Ziel ist zu argumentieren, dass Riehls Studien während der ersten Welle der Nietzsche-Rezeption eine leitende Rolle spielten, möchte ich sie dennoch als historisch bedeutsame Quelle zu Nietzsches Philosophie rehabilitieren und in den Kontext anderer, nicht zuletzt neukantianischer Deutungen stellen.

1 Nietzsche und die Tradition des Neukantianismus Als einer der schärfsten und entschiedensten Kritiker des deutschen Idealismus hat sich Nietzsche stilistisch, thematisch und methodologisch insbesondere gegen Kant gewendet. Seine Fragestellungen gehen bewusst gegen die Richtung der durch Kant und Hegel geprägten Diskussionen während die für solche Diskussionen zentralen Begriffe wie Geist, Urteil oder Autonomie bei ihm gründlich umgedeutet und nicht selten auf den Kopf gestellt werden. In Nietzsches kritisches Blickfeld fallen u. a. das Kantische Problem der Kausalität, die Frage nach den Grundlagen der Erkenntnis, der Begriff von Ding an sich und die Idee der Vernunft. Nicht zuletzt im expliziten Gegensatz zu Kant beschäftigt sich Nietzsche, insbesondere in Zur Genealogie der Moral, mit der Frage nach dem Ursprung der moralischen Begriffe ‚gut‘ und ‚böse‘, indem er zu diesem Zweck die für Kant fremde genealogische Methode anwendet. In vielen Instanzen greift Nietzsche seinen Gegner auch ad personam an, zum Beispiel wenn er in Jenseits von Gut und Böse dem „großen Chinesen von Königsberg“ das Recht verweigert, ein richtiger Philosoph und nicht bloß ein Kritiker zu sein (Jenseits von Gut und Böse 210: KSA 5, S. 144). Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass Nietzsche durch Kant und Neukantianismus gar nicht beeinflusst wurde oder sich von der neukantianischen Tradition völlig distanzieren konnte. Implizit werden bei Nietzsche wichtige Konzepte Kants, wie etwa diejenige der Kausalität, übernommen oder weiterentwickelt (s. etwa Emden 2014, S. 101–124). Unter den neukantianischen Quellen, auf die sich Nietzsche ganz oft bezog, waren Hermann von Helmholtzs Über die Erhaltung der Kraft (1847) und Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus (1866), Otto Liebmanns Zur Analysis der Wirklichkeit (1880) und Afrikan Spirs Denken und Wirklichkeit (1877). Thematische Einflüsse neukantianischer Autoren auf Nietzsche betreffen insbesondere seine Epistemologie, Philosophie der Wissenschaften und Anthropologie, und zwar die Entwicklung seiner Idee des Naturalismus und der Organisation des organischen Lebens, seine

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genealogische Methode und seine skeptische Haltung gegenüber dem wissenschaftlichen Materialismus sowie seine Kritik an den Kantischen Noumena und am Ding an sich.1 Nietzsches Einfluss auf den Neukantianismus während der ersten Phase der Rezeption seiner Philosophie, also zwischen den 1880er Jahren und dem Anfang des Ersten Weltkriegs, der eine breite Politisierung von Nietzsches Ideen in der Presse und in der populären Literatur mit sich brachte, war vielseitig, wenn auch vorwiegend fragmentarisch. Eine Reihe der Vertreter der Badischen Schule, unter diesen besonders prominent Heinrich Rickert und Wilhelm Windelband, kritisierten Nietzsches Biologismus sowie seine relativistische Deutung des Wertbegriffs,2 der damals im Zentrum der neukantianischen Diskussion stand. Andere, wie etwa Robert Reininger und Bruno Bauch, sahen in Nietzsche einen wichtigen positiven Bezugspunkt für eigene Ideen, sei es in der Ethik oder in der sozialen und politischen Philosophie. In Italien machte Francesco Orestano in Le idee fondamentali di Federico Nietzsche nel loro progressivo svoglimento. Esposizione e critica (1903) einen kühnen, aber letztendlich nicht überzeugenden Versuch, Nietzsches Philosophie als systematische Weiterentwicklung derjenigen Kants darzustellen.3 Das evidenteste und im Kontext des vorliegenden Artikels auch relevanteste Beispiel einer neukantianischen Rezeption Nietzsches vor dem Ersten Weltkrieg bietet Hans Vaihingers Nietzsche als Philosoph (1902), das die Ursachen der breiten und tiefen Wirkung von Nietzsches Philosophie mithilfe der Analyse der kritischen Grundtendenzen von Nietzsches Philosophie zu erklären sucht. Laut Vaihinger ist Nietzsches Denken antipessimistisch, antichristlich, antidemokratisch, antisozialistisch, antifeministisch, antiintellektualistisch und antimoralistisch. Ihr Kern besteht in Schopenhauers Willenslehre, die aber bei Nietzsche mit „positivem Vorzeichen“ versehen wird – „unter dem Einfluß des Darwinismus und seiner Lehre vom Kampf ums Dasein“ (Vaihinger 1902, S. 54–55). In seiner späteren, höchsten populären Schrift Philosophie des Als Ob (1. Aufl. 1911) argumentiert Vaihinger, dass „Kant und Nietzsche gerade in der

|| 1 Mehr zu diesem Thema siehe ebenfalls Emden 2014. 2 Vgl. etwa Rickert 1911/12 und 1920 sowie Windelband 1957, S. 577–581, wo Nietzsche übrigens nicht als Philosoph, sondern nur als „Dichter“ bezeichnet wird (S. 577). Allerdings ist Rickerts Kritik nicht so scharf wie diejenige Windelbands: Obwohl Rickert gleich Windelband Nietzsche nicht für einen wirklichen Philosophen, sondern vielmehr für einen Dichter hält und seinen Immoralismus entscheidend ablehnt, würdigt er seine Intention, der Kunst den ursprünglichen Charakter des Lebens zu verleihen. Für mehr zu Rickerts Nietzschebild siehe Möckel 2010. 3 Mehr zum italienischen Nietzscheanismus siehe Diethe 2014, S. 46ff.

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Als-Ob-Lehre sich berühren“ (Vaihinger 1922, S. 722), insofern sich Nietzsche mit der Problematik des Scheins „in allen Gebieten der Wissenschaft und des Lebens“ befasst (S. 772). Im Ganzen sollte Nietzsche aus Vaihingers Sicht „viel mehr von Kant“ übernommen haben, „als man gemeinhin glaubt“ (Vaihinger 1922, S. 778). Dabei beruht ein wichtiger Teil von Vaihingers Argumentation, die ich unten, im Lichte derjenigen Riehls, etwas detaillierter beschreiben werde, auf dem Vergleich zwischen Nietzsches eigenen Argumenten und denjenigen in seinen neukantianischen Quellen, insbesondere bei Friedrich Albert Lange, durch den Vaihinger selbst stark beeinflusst wurde.

2 Der Künstler und der Denker: Riehl als Nietzscheleser In seiner Nietzsche-Studie bezieht sich Vaihinger neben einigen anderen Sekundärquellen auf die 1897 veröffentlichte „geistvolle Monografie“ von Alois Riehl Friedrich Nietzsche: Der Künstler und der Denker, die laut ihm „dasjenige Werk“ über Nietzsche ist, „welches vom philosophischen Standpunkte aus bis jetzt allein befriedigt“ (Vaihinger 1902, S. 75). Genau wie zu Vaihingers Zeit gilt Riehls Werk auch heute, völlig zu Recht, als eine der frühesten akademischen Deutungen von Nietzsches Philosophie. Wie Vaihinger kam Riehl in philosophischen Kreisen vor allem durch seine Interpretation und Weiterentwicklung von Kants Ideen zu Berühmtheit, insbesondere mit seinem programmatischen dreibändigen Werk Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft (1876/87), und wendete sich Nietzsche erst in der späten Phase seiner akademischen Karriere zu. Seine Nietzschedeutung lässt sich von den anderen bekannteren, ebenfalls akademisch (primär philosophisch) orientierten Deutungen der ersten Periode der Nietzsche-Rezeption deutlich unterscheiden. Vaihingers Nietzsche als Philosoph bietet dem Publikum ein deutlich neukantianisches Bild von Nietzsches Philosophie, das eine Affinität zum Darwinismus herausstellt. Georg Simmel, der soziale Implikationen von Nietzsches zentralen Ideen erforscht, verteidigt Nietzsche gegen Vorwürfe des Immoralismus und präsentiert in seinen Artikeln und im Vorlesungszyklus Schopenhauer und Nietzsche (1907), neben einer wichtigen Abhandlung über Nietzsches „Vornehmheitsideal“, eine bis heute höchst einflussreiche Kritik an der Idee der ewigen Wiederkunft. Max Schelers Interesse für Nietzsche betrifft in der frühen Phase vor allem seine Darstellung von Emotionen wie Mitleid oder Ressentiment (vgl. Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, 1915) und geht später, in den 1920er Jahren, in Richtung seiner Anthropologie,

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die bei Riehl nur vorübergehend thematisiert wird.4 Riehl konzentriert sich hingegen auf die charakteristischen Eigenschaften von Nietzsches Stil sowie auf die kulturphilosophische Problematik seines Denkens.5 Riehls Friedrich Nietzsche: Der Künstler und der Denker (1897) erscheint in demselben Jahr wie das populäre kritische Buch Der Nietzsche-Kultus des Soziologen Ferdinand Tönnies. Wie sein Untertitel andeutet, besteht das Buch aus zwei Hauptteilen: Nach der biographisch-systematisierenden Einleitung folgt der Teil über Nietzsche als Künstler und danach der wesentlich umfangreichere Teil über Nietzsche als Denker. In den späteren Ausgaben wurde der letztere Teil, bestimmt in Kenntnis der damaligen Diskussionen (aber leider ohne direkten Bezug auf diese), durch Paragraphen über Nietzsches Erkenntnistheorie, seine Idee der ewigen Wiederkunft und seinen Begriff des Übermenschen6 wie auch durch ein Fazit über die Hauptpunkte von Nietzsches Denken erweitert. Riehls akademisch-kritischer Ansatz steht in starkem Kontrast zur damals – wenigstens in der breiten Rezeption – dominierenden Tendenz der NietzscheVerehrung, gegen die sich Tönnies scharf wendet, indem er allerdings in seinem polemischen Pathos die mittlere und spätere Periode von Nietzsches Denken deutlich unterschätzt.7 Ungleich Tönnies wird diese Tendenz bei Riehl vielmehr ignoriert als diskutiert oder kritisiert: Riehl beschränkt sich auf allgemeine Anmerkungen en passant, etwa wenn er zu Recht feststellt, dass der wachsende Einfluss der nietzscheschen Philosophie, nicht zuletzt auf die Jugend, in Nietzsches „Redezauber […] eine seiner hauptsächlichsten Quellen“ hat (Riehl 1905, S. 22)8. Eine solche Haltung hat ihre Nachteile, insofern Riehl, im Gegensatz zu Vaihinger, der Frage nach den Ursachen der Popularität von Nietzsches Philosophie nur

|| 4 Es ist auch zu erwähnen, dass Scheler auf die Analyse der Idee der ewigen Wiederkunft explizit verzichtet und diese Idee zu den wichtigsten Hindernissen für eine Weiterentwicklung von Nietzsches Anthropologie zählt. 5 Die von dem Verlag verfasste Buchbeschreibung, die zur Werbung benutzt wurde, betonte vor allem die Tiefe, Klarheit und Objektivität von Riehls Analyse, dank denen sein Buch unter zahlreichen akademischen Schriften über Nietzsche „den ersten Rang einnehmen“ sollte. 6 Die beiden letzten bezeichnet Riehl als Nietzsches „Lehren“ (Riehl 1905, S. VII–VIII). 7 Genau wie Tönnies teilt Riehl Nietzsches Denken in drei Perioden, indem er, wiederum gleich Tönnies, die frühe Periode als ‚künstlerische‘ Periode und die mittlere als ‚wissenschaftliche‘ Periode charakterisiert. Bei Riehl werden aber die Ideen der mittleren und späten Periode nicht so explizit und scharf angegriffen, wie es bei Tönnies der Fall ist, auch wenn Riehl viel Interesse für Nietzsche als Künstler hat. Eine ähnliche Nietzsche-Dreiteilung wie bei Riehl, diesmal in ‚Schopenhauerische‘, positivistische und ‚Nietzschesche‘ Periode, lässt sich auch bei Hans Vaihinger finden. 8 Hier und an anderen Stellen zitiere ich nach der 5. Auflage von Riehls Buch (1905), die alle erwähnten Ergänzungen enthält.

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eine marginale Rolle zuschreibt und deswegen seine Ideen in den meisten Fällen außerhalb des damaligen philosophischen, wissenschaftlichen und breiten kulturellen Kontexts betrachtet. Aber auch ohne detaillierte Bezüge auf konkrete Gründe von Nietzsches Popularität macht Riehl seinem Publikum klar, dass er die Frage, ob wir Nietzsche – wegen des leidenschaftlichen Stils seines Denkens und Schreibens – überhaupt als großen Philosophen charakterisieren können, eindeutig positiv beantwortet. Denn gerade Nietzsches Stil ist für Riehl ein Anzeichen des großen Denkers: „Alle großen Dinge, und dazu gehören auch die großen Philosophien, kommen aus dem Herzen und der großen Leidenschaft her.“ (Riehl 1905, S. 11). Riehl beginnt seine Studie mit der Vorbemerkung, dass er „so viel als möglich Nietzsche zu Wort kommen“ lassen will, selbst da, „wo er gegen sich selber redet“. Natürlich bedeutet das keinesfalls, dass Riehl auf seine eigene Interpretation, die u. a. eine bestimmte thematische Beschränkung voraussetzt, verzichtet. In Nietzsches Philosophie findet Riehl mehrere radikale Umbrüche. Nach der Periode der „romantischen Künstler-Metaphysik“ der Geburt der Tragödie (1872) und der Unzeitgemäßen Betrachtungen (1873–1876) weicht Nietzsche von sich selbst ab, weil dann in Menschliches, Allzumenschliches (1878) Aufklärung und „Positivismus der Wissenschaft“ dominieren (Riehl 1905, S. 6). In den späteren Schriften, insbesondere in der Fröhlichen Wissenschaft (1882) und in Also sprach Zarathustra (1882–1885), sieht Riehl eine neue „Umwandlung“, die in einer scharfen „Abrechnung über den Wert des Modernen“ resultiert (Riehl 1905, S. 7).9 Nur in einem, nämlich in seiner radikalen Vorliebe für das „Äußerste“10, bleibe Nietzsches Denken konstant (ebd.). Zu den wichtigsten äußeren Merkmalen von Nietzsches Texten zählt Riehl den aphoristischen Stil, dessen systematische Benutzung durch seine schwache Gesundheit verursacht wurde (Riehl 1905, S. 16–17). Außerdem weist Riehl zu Recht darauf hin, dass die thematischen Umwandlungen im Ganzen mit denjenigen von Nietzsches Stil zusammenhängen, sodass z. B. der leichte Stil von Menschliches, Allzumenschliches mit dem sym-

|| 9 Die von Elisabeth Förster-Nietzsche, Heinrich Köselitz sowie den Brüdern Ernst und August Horneffer verfasste, 1901 in erster Fassung veröffentlichte Kompilation unter dem Titel Wille zur Macht wird bei Riehl auch in späteren Ausgaben seines Buchs nicht unter Nietzsches Werken erwähnt. Allerdings vertritt er die von der späteren Nietzscheforschung widerlegte Meinung, dass Der Antichrist (1888) das erste Buch dieses wegen Nietzsches Krankheit unvollendeten Hauptwerkes repräsentiert (Riehl 1905, S. 8). Außerdem glaubt Riehl ohne guten Grund, dass Nietzsche in Zur Genealogie der Moral (1887) und in Der Fall Wagner (1887) ein anderes Hauptwerk, Die Physiologie der Ästhetik, ankündigt (ebd.). 10 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Riehl hier indirekt an Georg Brandes’ berühmte Charakteristik von Nietzsches Denken als ‚aristokratischen Radikalismus‘ anspielt.

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bolischen Stil der „lärmenden Farben“ in Also sprach Zarathustra stark kontrastiert (Riehl 1905, S. 18). Bereits die frühe Phase von Nietzsches Denken zeichnet sich laut Riehl durch die Umwandlung des weltlichen und menschlichen Daseins zu einem künstlerischen Akt aus (Riehl 1905, S. 25). In diesem Gestus der musikalisch-rhythmischen, dichterischen und malerisch-chromatischen Beherrschung der Sprache, den Riehl als ‚symbolistische Gedankendichtung‘ bezeichnet (ebd.), besteht für ihn der Gipfel von Nietzsches Schaffen. In Riehls ausführlicher Beschreibung der großen und kleinen Wandlungen in Nietzsches einzigartigem Stil finden wir eine ganze Reihe von Vergleichen und Metaphern – bald diejenige eines impressionistischen Malers (Riehl 1905, S. 29), bald die eines leidenschaftlichen, viele Ausdrucksformen beherrschenden Dichters (ebd., S. 32) oder eines Barockmusikers, bei dem das Äußere den Gedanken „überwuchert“ (ebd., S. 34). Im Ganzen sieht Riehl das wichtigste künstlerische Verdienst Nietzsches in seiner polemischen Reaktion auf den „Naturalismus in der Sprache“, die in der Wiederentdeckung der komplexen Rolle des sprachlichen Stils bestand (Riehl 1905, S. 35).11 Indem Riehl konstatiert, dass insbesondere der frühe Nietzsche im Wesentlichen von Schopenhauer ausgeht, betont er, dass Nietzsche niemals nur ein Schüler Schopenhauers war, weil er die Schopenhauersche Philosophie immer mit Misstrauen behandelte. Neben der in Schopenhauer als Erzieher formulierten Auffassung der Aufgabe des Philosophen, selbst zum „Richter und Werthmesser der Dinge“ zu werden (vgl. Unzeitgemäße Betrachtungen II, Schopenhauer als Erzieher 6: KSA 1, S. 385), sei für Nietzsche wie für Schopenhauer kennzeichnend, dass bei ihm „der Künstler den Denker überwiegt“ (Riehl 1905, S. 42). Doch als Künstler wird Nietzsche von Riehl deutlich mehr als Schopenhauer geschätzt. Denn durch sein Verständnis des Daseins als eines künstlerischen Aktes bringt Nietzsche in der Geburt der Tragödie die künstlerische Tätigkeit auf eine solche metaphysische Höhe, die keiner vor ihm erreichen konnte (Riehl 1905, S. 47–48). Für Riehl ist Nietzsche vor allem ein Philosoph der Kultur, dessen Interessen in diesem Bereich, im Gegensatz zum Bereich des Stils und der Sprache, durch die Wandlungen in seinen Anschauungen nicht betroffen wurden (Riehl 1905, S. 54). Aus Riehls Sicht ist Nietzsches Verständnis der Kultur dreifach: Sie ist für ihn Kunst, Erkenntnis und, hinsichtlich ihres Ziels, Erhöhung des Menschentypus (ebd.). Auch Moral werde bei Nietzsche als Kulturproblem behandelt. Zwar bestehe die Aufgabe des Philosophen für Nietzsche nicht in bloßer Kulturerfor-

|| 11 Dabei ist Riehl nicht der Meinung, dass Nietzsche einen neuen Stil erfindet, denn für einen neuen „Anfang der Entwicklung“ sei „Nietzsches Sprachkunst zu reif“ (Riehl 1905, S. 35).

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schung, sondern auch im Schaffen der Kultur, nämlich in der Erfindung und Verwirklichung eines neuen Kulturideals (Riehl 1905, S. 55). Nietzsches Philosophie der mittleren Periode, angefangen mit Menschliches, Allzumenschliches, hat laut Riehl einen Heraklitischen Geist, der sich in erster Linie in der Orientierung auf das Werden und das Werdende verrät (Riehl 1905, S. 61). Als Freigeist sei Nietzsche kein Philosoph der Aufklärung, wohl aber ein aufgeklärter Philosoph und ein erkennender Geist, „dessen Erlebnisse Gedanken sind“ (ebd., S. 62). In seiner Einschätzung dieser Wende in Nietzsches Denken vertritt Riehl die aus der Sicht der heutigen Forschung sehr anfechtbare Idee, dass in Nietzsches Philosophie nunmehr die Wissenschaft und nicht die Kunst den Vorrang hat und das kulturelle Ideal nicht mehr durch die ‚älteren‘, von Pessimismus getriebenen Griechen der archaischen Periode, sondern durch die ‚klassischen‘ Griechen aus der Zeit des Sophokles repräsentiert wird (Riehl 1905, S. 63). Die These, dass Nietzsche während dieser Zeit, Paul Rée folgend, für einen moralischen Utilitarismus plädiert (ebd., S. 64), wäre ebenfalls nur schwer zu begründen – genau wie Riehls Vorstellung von Nietzsche als Verfechter einer wissenschaftlichen Kultur (ebd., S. 67). Die späte Periode von Nietzsches Denken charakterisiert Riehl als Vereinigung der beiden früheren, als „Bund der Romantik und des Positivismus“ (Riehl 1905, S. 72), der Kunst und der Freigeisterei. Laut Riehl behält Nietzsche auch seinen leitenden, „echten Aufklärungs-Gedanken“ der Notwendigkeit der Verneinung und des Neuanfangs der Geschichte, der bereits in seiner zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung, also in der Schrift Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben (1874), formuliert wurde (Riehl 1905, S. 72–74).12 Die Erhöhung des Typus Mensch, die in Nietzsches Schriften der 1880er-Jahre zum zentralen Thema wird, besteht laut Riehl in der Rückkehr zum Instinkt, d. h. zur Natur, wie es bei Rousseau der Fall ist,13 wobei Riehl allerdings betont, dass der Ausgangspunkt und das Ziel von Nietzsche und Rousseau „am entgegengesetzten Ende“ liegen (Riehl 1905, S. 77): Rousseau gehe von der ursprünglichen Gleichheit und Nietzsche von der natürlichen Ungleichheit der Menschen aus, wobei Nietzsche mit seiner Opposition von Herren und Sklaven die Ungleichheit noch zu vertiefen suche (ebd.). Für die späteste Schrift Nietzsches, den Antichrist, hat Riehl nur

|| 12 Solche Interpretation ist, wie in einigen anderen Fällen bei Riehl, zu kategorisch, insofern Nietzsche nicht die Geschichte im Ganzen, sondern eine bestimmte dominierende Vorstellung von der Geschichte kritisiert und somit zugleich, je nach der Perspektive, für und gegen den Historismus plädiert. 13 Dass diese Deutung nicht haltbar ist, beweist Nietzsches explizite Kritik an Rousseaus Idee der Rückkehr zur Natur, besonders direkt in Götzen-Dämmerung (Streifzüge 48: KSA 6, S. 150).

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kritische Worte, nicht nur wegen des „vehementen“ Stils, sondern auch weil dort aus seiner Sicht kein Gedanke zu finden wäre, der nicht bereits in der Morgenröthe (1881) formuliert wurde (Riehl 1905, S. 147). Was in Riehls sonst ziemlich aufmerksamer Analyse der Hauptthemen der nietzscheschen Philosophie leider fast ausgeklammert bleibt, sind insbesondere die psychologischen Aspekte von Nietzsches Argumentation wie auch seine anthropologischen Thesen. Die Rolle der Griechen in Nietzsches Denken wird sehr schematisch interpretiert; außerdem steht Riehls Meinung, dass Nietzsche sich in den mittleren und späten Schriften am Klassizismus orientiert, im direkten Widerspruch zu Nietzsches Kritik an der zeitgenössischen Idealisierung der klassischen antiken Vorbilder sowie zu seiner These, dass die ‚echte‘ griechische Kultur nur in der Zeit vor Sokrates und Platon zu suchen wäre. Von der ziemlich großen Popularität von Riehls Buch zeugt die Tatsache, dass es in den folgenden Jahren ins Russische (1898), Polnische (1900) und Italienische (1911) übersetzt wurde, sodass es eine breite Rezeption auch außerhalb des deutschsprachigen Raums erfuhr, und in Deutschland bis 1924 in acht Auflagen erschien. Zeitgenössische Reaktionen auf die erste Auflage waren vorwiegend sehr positiv, sodass die lobende Einschätzung von Riehls Studie durch Hans Vaihinger in diesem Kontext keine Ausnahme darstellte. Allerdings konnte Riehls zentrale Ausgangsthese, Nietzsche sei nicht weniger Philosoph – im traditionellen Sinne des Wortes –, als er Schriftsteller und Künstler ist, nicht alle Rezensenten überzeugen.14 Ob aber gerade Vaihinger nicht einfach die Tiefe von Riehls Analyse pries, sondern auch eine bestimmte geistige oder gar methodologische Affinität zu seinem eigenen Ansatz erkannte (und ob es dafür auch gute Gründe gab), ist noch im Detail zu betrachten.

3 Riehls Nietzsche: Ein neukantianisches Bild? Im Rahmen von Riehls philosophischen Beschäftigungen hat seine Nietzschedeutung eine besondere Stellung, die auch bei einem näheren Blick keine methodologische Verbindung zu seinen Kantinterpretationen aufweist. In den Nietzsche-Schriften Riehls wird Kants Name nur wenige Male erwähnt. Außerdem sagt Riehl explizit, dass Nietzsche seiner Meinung nach Kant „nie verstanden, nie tief genug genommen hat“ (Riehl 1905, S. 102), weil er z. B. den kategorischen Imperativ für eine „bloße Formel des Sittengesetzes“, die „mit der Bemerkung, daß es keine gleichen Handlungen gebe und geben könne“ (ebd.), widerlegt werden

|| 14 Vgl. etwa Achelis 1898 und Mayer 1898.

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kann. Mehr noch sieht Riehl in Nietzsches Kritik der Vernunft als eines ‚grammatischen Vorurteils‘ „die stärkste Abweichung von der Richtung, welche Kant der deutschen Philosophie gegeben hat“ (Riehl 1905, S. 42). Schon die Tatsache, dass Nietzsche seine Ideen meistens in Form von Aphorismen präsentiert, die, so Riehl, den Gedanken „aus dem Zusammenhang mit dem Ganzen“ herausstellen (ebd., S. 17), macht es aus seiner Sicht unmöglich, Nietzsches Philosophie auf dieselbe Weise wie die des deutschen Idealismus zu betrachten. Denn derjenige, der oft durch die „Plötzlichkeit leidenschaftlicher Erschütterungen und Krisen“ überwältigt wird (ebd., S. 18), philosophiert auf eine völlig unterschiedliche Art im Vergleich zu einem systematischen Denker wie Kant. Indem Riehl sowohl in Friedrich Nietzsche als auch in Nietzsche und Schopenhauer betont, dass Nietzsches Philosophie ein Symptom der kulturellen Krise seiner Zeit15 und in vielerlei Hinsicht einen „Spiegel der modernen Seele“ (Riehl 1921, S. 203) darstellt, ist er zugleich überzeugt, dass ihre Einzigartigkeit „mit kritischem Maßstabe allein nicht zu messen“ wäre (ebd., S. 201). Nietzsche sei ein Philosoph, aber zugleich – als religiöser16 und prophetischer Dichter (ebd.), dessen visionäres Denken voll von Widersprüchen ist, welche in ganz natürlicher Art und Weise angenommen werden – eine philosophische Anomalie, deren Untersuchung einen besonderen Ansatz benötigt. Zu diesem Ansatz gehört u. a. das Ziel, bei Nietzsche das Gesunde „von dem Pathologischen zu scheiden“ – oder, ebenfalls in Riehls Worten ausgedrückt, Nietzsches Denken von der leidenschaftlichen Maßlosigkeit seiner Natur zu trennen.17 Der negative Teil von Riehls Ansatz besteht darin, dass er Nietzsche in einigen Fällen aus den Zusammenhängen dauerhafter philosophischer Diskussionen und kultureller Entwicklungen herausreißt, indem er sich einerseits auf die Erklärung der Widersprüche in Nietzsches Aussagen und nicht auf die Frage nach der Aktualität bzw. Fruchtbarkeit seiner Ideen konzentriert und andererseits sich von den zeitgenössischen nicht-akademischen bzw. populären Interpretationen der Nietzscheschen Philosophie distanziert.

|| 15 Vgl. etwa Riehl 1921, S. 4: „Nietzsche glaubte der Seher einer übermenschlichen Zukunft des Menschen zu sein; in Wahrheit war er ‚die Stimme eines Rufenden in der Wüste‘, und die Sehnsucht der Zeit nach Kulturerneuerung horchte auf diese Stimme.“ 16 Besonders deutlich zeigt sich der religiöse Aspekt laut Riehl in Also sprach Zarathustra: „In dem Gedankenkreise Nietzsches nimmt die Zarathustra-Dichtung die Stelle der Religionsphilosophie ein. Man kann sich dem Eindruck der religiösen Stimmung, die über dem Werke verbreitet liegt, nicht verschließen. […] Denn Nietzsche war eine religiös gestimmte Natur; er empfand Ehrfurcht und opferte sich seinem Werke. Sein Atheismus selbst hat religiöse Farbe und Glut. ‚Zarathustra‘ ist der ‚Frömmste‘ aller derer, die nicht an Gott glauben.“ (Riehl 1905, S. 133). 17 Diese Aufgabe wird bei Riehl allerdings erst in Schopenhauer und Nietzsche und nicht in seinem Nietzsche-Buch von 1897 formuliert.

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Einen anschaulichen Beweis dafür, dass Nietzsches Ideen aus Riehls Sicht u. a. nicht in den Kontext der insbesondere durch Kant beeinflussten MainstreamDebatten der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts gehören, bietet seine Einschätzung von Nietzsches Anthropologie, die er in Schopenhauer und Nietzsche formuliert. Diese steht im radikalen Gegensatz zu derjenigen Max Schelers, auch wenn beide in Nietzsches anthropologischen Ideen etwas wesentlich Unterschiedliches zu Kants Anthropologie finden. Laut Riehl ist Nietzsches Weltanschauung „anthropozentrisch geraten und gehört damit eigentlich in die vorkopernikanische Ära“ (Riehl 1921, S. 201). Diese Einschätzung ist durch seine Vorstellung von der Entwicklung anthropologischer Fragestellungen in der westlichen Philosophie und von der Rolle der Anthropologie in Kants Denken geprägt. So ist etwa Kants Ethik für Riehl ganz klar von Kantischer Anthropologie zu trennen, insofern für ihn „nicht der Mensch, sofern er Mensch, sondern sofern er ein Vernunftwesen ist, […] das Subjekt und zugleich die Quelle des ethischen Handelns“ wäre (Riehl 1921, S. 171). Dass Kant mit seiner Anthropologie die pragmatischen Grenzen der Vernunft und des menschlichen Handelns zu erforschen und somit seine Ethik in dieser Hinsicht zu präzisieren suchte, kommt bei Riehl nicht in Betracht. Außerdem wird bei ihm nirgendwo die Frage stellt, ob Kants Idee der pragmatischen Vernunft eine Verbindung zu dem von ihm hochgeschätzten Pragmatismus der ersten Welle und konkret zu Charles Sanders Peirce haben könnte, was wohl damit zu tun hat, dass Riehl sich mehr auf William James bezieht, bei dem diese Verbindung zu Kant lediglich eine nicht-systematische, auf einzelne Fragen (wie diejenige nach der menschlichen Wohlfahrt) begrenzte Rolle spielt. Zusammen mit der Bedeutung von Kants Anthropologie wird auch die Rolle von Nietzsches Neubewertung der durch den deutschen Idealismus gestellten anthropologischen Fragen unterschätzt. Wo Scheler in Nietzsche eine Chance zur gründlichen methodologischen und z. T. auch thematischen Erneuerung der philosophischen Anthropologie – im Kontext eigener Kritik an anthropologischen Projekten des deutschen Idealismus – sieht, findet Riehl einen philosophisch unfruchtbaren Rückfall ins vor-Kantische Denkparadigma. In demselben Zusammenhang bleibt auch Nietzsches Relation zur Lebensphilosophie weitgehend unberücksichtigt, gleich Nietzsches eigener Kritik am philosophischen und wissenschaftlichen Anthropozentrismus im Antichrist (vor allem im Aphorismus 14; KSA 6, S. 180) und in anderen Schriften der späten Periode. Aus dieser methodologischen Haltung Riehls zu schließen, dass seine Nietzsche-Studien auch thematisch völlig separat von seiner sonstigen, mit Kants Ideen eng verbundenen Forschung ist, wäre dennoch eine vorschnelle Annahme. Denn in dieser Hinsicht lassen sich auch wichtige Ausnahmen finden. Unter ihnen ist nicht zuletzt die Diskussion nach den Werten zu erwähnen, die den

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damaligen Neukantianismus im Ganzen prägte und die im Fokus von Schopenhauer und Nietzsche stand. Gleich Schopenhauer stellt Nietzsche die Frage nach dem Wert des Lebens und „des Daseins überhaupt“, die nach Riehl das „umfassendste“, aber zugleich das schwerste von allen Wertproblemen darstellt (Riehl 1921, S. 173). Nietzsches Antwort auf diese Frage, die laut Riehl in Also sprach Zarathustra im amor fati bzw. in der „Wertschätzung des Leidens in der Gesamtschätzung des Lebens“ kulminiert (Riehl 1921, S. 190), markiert seine endgültige Trennung von Schopenhauers Pessimismus. Diese Bejahung des Lebens bietet die Grundlage für Nietzsches Idee des Willens zur Macht als „Grundtrieb[s] des Lebens“ (Riehl 1921, S. 191) sowie für seinen Kampf gegen die Moral. Insgesamt sei die Natur selbst bei Nietzsche „aristokratisch“ (ebd., S. 192), insofern sie die Ungleichheit menschlicher Typen hervorbringt und folglich den Kampf um Leben in den Kampf um „Macht und Rang“ umwandelt (ebd.). Gerade diese Aspekte von Nietzsches Denken wurden aus Riehls Sicht bisher allzu oft missverstanden, denn Nietzsches Immoralismus bestehe nicht lediglich in der Verneinung der Moral, sondern in ihrer Überbietung und Ersetzung durch eine „höhere Lebensordnung“ der Vornehmheit, Selbstverantwortung und der Macht über sich selbst (Riehl 1921, S. 193). Da selbst die großen Menschen der Gegenwart dieser Aufgabe der Überschreitung der menschlichen Grenzen nicht gewachsen waren, sei Nietzsche in dieser Hinsicht vielmehr Prophet als Philosoph: Indem er die Forderungen des Lebens immer höher treibt, überschreitet er auch die Grenzen philosophischer Kritik und wird zu einer künstlerischen, neue Werte schaffenden Figur. Auf der Oberfläche weist diese Bezeichnung Nietzsches als Dichter der Werte Ähnlichkeiten zu den Charakteristiken bei anderen Neukantianern wie Rickert und Windelband auf, wobei beide allerdings eine weniger positive und weniger komplexe Sichtweise bieten. Außerdem macht Riehl, wie auch Vaihinger, seinen Lesern völlig klar, dass er Nietzsches philosophische Ideen trotz des nicht-systematischen Charakters seines Denkens ernst nimmt (siehe etwa Riehl 1905, S. 10– 11). Im Vergleich zu Vaihingers Interpretation von Nietzsches Antwort auf die Wertfrage legt Riehls Deutung mehr Gewicht nicht auf die Ursache, die darin besteht, dass das Schaffen neuer Werte bei Nietzsche durch die Abwesenheit der Götter verursacht wird, welche uns daran helfen oder hindern könnten (siehe Vaihinger 1902, S. 100). Er interessiert sich wesentlich mehr für Nietzsches endgültiges Ziel, das laut Riehl in der Überwindung der Menschheit und Erreichung des Übermenschen mithilfe des ‚züchtenden‘ Gedanken der ewigen Wiederkunft besteht. Diese Verbindung zwischen zwei Schlüsselideen Nietzsches, die auch in der modernen Nietzsche-Forschung oft als schwer vereinbar gelten, wird laut Riehl nur möglich wegen „krankhafter Überreizung“ des Nietzscheschen Denkens, in dem der Philosoph „seine Quelle“, nämlich seine kulturphilosophischen

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Grundlagen und Argumente aus der frühen Periode, vergisst und sich für den Urvater eines Gedankens hält, der seinen eigenen kritischen Äußerungen gegen die Pythagoreische Lehre von der ewigen Wiederkunft in der zweiten Abhandlung der Unzeitgemäßen Betrachtungen angeblich widerspricht (Riehl 1921, S. 198). Eine weitere Überschneidung zwischen Riehls und Vaihingers Interpretation finden wir auf einem tieferen methodologischen Niveau – in der Auffassung von Nietzsches mittlerer Periode, die beide als wissenschaftszentrisch charakterisieren. Sowohl Riehl als auch Vaihinger glauben, dass Nietzsche nach seinem Bruch mit Wagner und mit Schopenhauers Pessimismus nunmehr nicht in der Kunst, sondern in der Wissenschaft das Lebensideal sieht (Vaihinger 1902, S. 48; Riehl 1905, S. 63). Vaihinger ist überzeugt, dass Nietzsche sich nunmehr „auf den Boden der Erfahrung und exakten Beobachtung stellt“ (Vaihinger 1902, S. 49) und sich somit zum positivistischen Ansatz hinwendet. Riehl äußert sich in ähnlicher Weise, indem er unter den wichtigsten Waffen von Nietzsches Denken der mittleren Periode diejenige erwähnt, welche „man in der Philosophie Positivismus nennt“ (Riehl 1905, S. 157). In den präziseren Charakteristiken dieser wissenschaftlichen Wende sind die beiden allerdings nicht einig, indem sie sich auch auf unterschiedliche Aspekte von Nietzsches Wissenschaftskritik konzentrieren und der auch heute im Zentrum der Debatten stehenden Rolle des Darwinismus in seiner Argumentation nicht die gleiche Bedeutung zuschreiben. Riehl deutet Nietzsches Positivismus als Intellektualismus (Riehl 1905, S. 63), der sich in der Moral am Utilitarismus und in der Kunst an klassischen Vorbildern der Antike sowie an Goethes Verständnis der großen Kunst orientiert.18 Vaihinger hingegen zählt gerade den AntiIntellektualismus, u. a. im Gewande von Nietzsches Kritik an ‚kleiner Vernunft‘ und an konkreten intellektualistischen Denkern wie Sokrates und Voltaire, zu den grundlegenden Eigenschaften seiner Philosophie (Vaihinger 1902, S. 82). Unter positivistischen Tendenzen in Nietzsches Denken versteht er primär seine antimetaphysische Haltung bzw. den Kampf gegen die metaphysischen ‚Hinterweltler‘,19 die das positiv Nachweisbare verkleinern und eine Ergänzung der Welt der Erfahrung durch eine Überwelt anstreben (Vaihinger 1905, S. 114)20. Indem Vaihinger im Darwinismus die Grundlage von Nietzsches zentraler Idee des

|| 18 Durch Nietzsches Intellektualismus erklärt Riehl auch seine angebliche zeitweilige Annäherung an Sokrates (Riehl 1905, S. 63). 19 Das ist die Anspielung auf das Kapitel „Von der Hinterweltlern“ im 1. Buch von Also sprach Zarathustra. 20 Hier und an einigen anderen Stellen zitiere ich nach der dritten, erweiterten Auflage von Vaihingers Werk. Die referierten Passagen fehlen in der ersten und in der zweiten Auflage.

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Willens zur Macht erkennt, ist Riehl wesentlich reservierter in seinen Aussagen über philosophische Folgen von Nietzsches „flüchtige[n] Darwin-Studien“ (Riehl 1905, S. 80). Die Doppeldeutigkeit von Nietzsches Bezügen auf Darwin, die in einigen Aspekten explizit abwertend und in anderen implizit akzeptierend sind, wird bei Riehl im Wesentlichen anerkannt. Einerseits schreibt er Nietzsches Kritik an Darwin und an Darwins Quellen, besonders prominent im Paragraph ‚AntiDarwin‘ der Götzen-Dämmerung gegen Thomas Robert Malthus’ These, dass es in der Natur nicht ums Überleben angesichts begrenzter Ressourcen, sondern immer um Macht gekämpft wird (Götzen-Dämmerung, Streifzüge 14: KSA 6, S. 120; Riehl 1905, S. 104) sowie am dazugehörigen Argument, dass in der Natur ein Überfluss und nicht ein Defizit an Ressourcen herrscht (Riehl 1905, S. 105), wesentlich mehr Bedeutung als Vaihinger zu. Andererseits glaubt er, dass u. a. die Idee der ‚Züchtung‘ bzw. der Erhöhung des Typus Mensch bei Nietzsche von Darwin übernommen wurde, wobei diese Parallele, im Lichte anderer Aussagen Riehls, in eine gefährliche Nähe zu den sozial-darwinistischen Interpretationen von Nietzsches Philosophie kommt.21 Den neukantianischen Quellen Nietzsches, die u. a. seine Haltung zum Darwinismus im Wesentlichen bestimmen, den er mehr von popularisierender Sekundärliteratur als von eigenen Schriften Darwins kennt, schenkt Riehl, wiederum im Gegensatz zu Vaihinger, keine besondere Aufmerksamkeit. Zu den darwinistischen Einflüssen auf Nietzsche zählt er merkwürdigerweise auch die in Nietzsches späten Schriften adaptierte Lamarckische Theorie der Vererbung erworbener Funktionen (Riehl 1905, S. 106–107), obwohl Darwins Idee von spontanen Mutationen mit dieser Theorie in direkter Konkurrenz steht. Im Ganzen betont Riehl mehrmals, dass Nietzsches ‚positivistische‘ Wende nur zeitweilig und relativ kurz war, dass er sich doch immer mehr für Kunst als für Wissenschaft interessierte und „Ungenügen am bloßen Wissen“ hatte (Riehl 1905, S. 155). Dass Nietzsche ein Realist, etwa im Sinne Dührings, sei (vgl. Vaihinger 1905, 125), wird bei Riehl nie behauptet. Von Vaihingers

|| 21 Riehl äußert sich sogar so, dass es bei Nietzsche um die Züchtung einer „stärkeren Rasse des Menschen“ geht (Riehl 1905, S. 105; vgl. S. 158). Anderswo behauptet er, dass Nietzsche „von der Ungleichheit der Rassen“ ausgeht (ebd., S. 77) und mit Joseph Artur de Gobineaus Überzeugung, dass in der Rassenmischung die Ursache des kulturellen Verfalls Europas besteht, übereinstimmt (ebd., S. 114). Gegen diese Behauptungen, welche die in der Nietzscheforschung kontrovers interpretierte Frage nach dem Umfang von Gobineaus Einfluss auf Nietzsche betreffen, lässt sich in erster Linie einwenden, dass Nietzsche ausdrücklich für Rassenmischung plädierte und diese als notwendige Voraussetzung kultureller Entwicklung, u. a. auch in Deutschland, betrachtete (siehe z. B. Die fröhliche Wissenschaft, 377: KSA 3, S. 630 und Jenseits von Gut und Böse, 244: KSA 5, S. 184). Zu Nietzsche und Gobineau siehe etwa Martin 2004 (dort auch weitere Literaturangaben).

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Nietzschedeutung ist dieses Bild, in dem auch Nietzsches frühneukantianische Quellen wie Friedrich Albert Lange kaum eine Rolle spielen, weit entfernt. Es ist somit deutlich erkennbar, dass Riehls Interpretation trotz einiger Parallelen eine wesentlich andere Richtung als diejenige Vaihingers hat, was auch die Tatsache erklärt, dass Vaihinger sich nur einmal auf Riehl bezieht und seine Interpretation sonst an keiner weiteren Stelle erwähnt. Indem Riehl eine deutliche Distanz zwischen Nietzsche und Kant (sei es im Stil des Schreibens und des Denkens, in der Methodologie oder in der Interpretation konkreter Fragen) postuliert, deutet er auf die Einzigartigkeit von Nietzsches Philosophie, die er nicht in den Kontext der westlichen philosophischen Tradition im Ganzen oder auch einer konkreten philosophischen Debatte zu platzieren sucht, sondern ihr die Möglichkeit gibt, sich selbst zu beschreiben und den philosophischen Wert der eigenen Einmaligkeit zu begründen.22 Diese Haltung setzt trotzdem einen bestimmten interpretatorischen Rahmen voraus, der durch Riehls eigene Interessen und Vorstellungen bestimmt wird, sowie eine, wenn auch stark begrenzte, Darstellung des Kontextes, d. h. der früheren Debatten und Deutungen, an denen Nietzsche mit seinen eigenen Argumenten explizit oder implizit anknüpft. So macht Riehl völlig zu Recht die Beobachtung, dass Nietzsches Kritik am Mitleidsgefühl in Menschliches, Allzumenschliches23 die Linie Spinozas und Kants weiterführt (Riehl 1905, S. 92) und der Position Schopenhauers direkt widerspricht (Riehl 1921, S. 185, 194). Allerdings bleibt der eigentliche Kern von Nietzsches Intention, der vor allem in der psychologischen Einschätzung der gegenseitig schädlichen Beziehungen zwischen dem Mitleidenden und dem Bemitleideten besteht, bei Riehl nicht anerkannt, etwa im Gegensatz zu Max Schelers ebenfalls nicht positiver, aber wesentlich tieferer Nietzschedeutung in Wesen und Formen der Sympathie (1913/1923).24 Die Verbindung zu Riehls früheren Studien lässt sich wiederum nicht im methodologischen Ansatz, sondern in seinem Interesse für bestimmte Themen erkennen, die zuerst bei den Denkern vor Nietzsche thematisiert wurden. Nietzsches Vorstellung von der philosophischen Rolle der Kritik wird nicht spezifisch thematisiert und – aus Riehls Perspektive völlig konsequent – nicht im Sinne

|| 22 Vgl. dazu Riehl 1905, S. 10: „Um Nietzsche gerecht zu werden, darf man ihn nicht nach Anschauungen messen, die er selbst bekämpft. Der Maßstab zu seiner Beurteilung ist aus seinen eigenen Werken zu holen.“ 23 Siehe Menschliches, Allzumenschliches I 50, 57: KSA 2, S. 70–76 wie auch weitere Aussagen zum Thema in Morgenröthe (134: KSA 3, S. 127–128) und in Der Antichrist (7: KSA 6, S. 172–173). 24 Mehr zu Schelers Rezeption von Nietzsches Mitleidskritik siehe in Zhavoronkov 2015.

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einer Weiterentwicklung des kantischen Paradigmas verstanden.25 Andererseits hat Riehl Interesse an Nietzsches kulturphilosophischem ‚Erkenntnis-Nihilismus‘, den er als von Schopenhauer vererbt sieht, und den kantischen Prinzipien der Erkenntnis (vgl. Riehl 1908, 404ff.) implizit gegenüberstellt. Einige Themen aus Riehls Nietzsche-Buch finden ihren Weg in die neue Ausgabe von Riehls Kritizismus-Werk. So wird Nietzsches unkonventionelle, für seinen Naturalismus charakteristische Schlussfolgerung in der Fröhlichen Wissenschaft über die „Falschheit der angezüchteten Denkgewohnheiten“, die unser Intellekt für lange Zeit erzeugte und die sich doch als nützlich für das menschliche Überleben erwiesen haben (Die fröhliche Wissenschaft 110: KSA 3, S. 469), in Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntnis als eine theoretische Möglichkeit anerkannt (Riehl 1925, S. 12), allerdings zugleich Riehls eigenem Bild der Entwicklung der wissenschaftlichen Erfahrung gegenübergestellt. An einer anderen Stelle (ebd., S. 149) stimmt Riehl mit Nietzsches Aussage über den Intellekt bzw. das Bewusstsein als Voraussetzung, um die Erlebnisse in ihrer zeitlichen Reihenfolge zu beurteilen, überein.26 Insgesamt bleiben aber explizite wie implizite Bezüge auf Nietzsche spärlich. Denn obwohl Riehl es keinesfalls bezweifelt, dass Nietzsche ein Philosoph (und keinesfalls nur Dichter) ist, steht seine Art des Philosophierens samt seiner Deutung der Vernunft, der Erkenntnis und der wissenschaftlichen Methodologie sehr weit von Riehls eigenem Ansatz entfernt und bietet lediglich eine interessante Alternative, die mit dem Kritizismus jedoch weitgehend unvereinbar ist. Anstatt einer neukantianischen Deutung von Nietzsches Ideen, die bei Riehl nicht angestrebt und sogar ungewollt nicht erzielt wird, besteht das wichtigste Verdienst Riehls in der Darstellung der Vielseitigkeit von Nietzsches Stil27 sowie in der hohen Einschätzung und detaillierten Charakteristik Nietzsches als Kulturphilosophen. Riehls trockener akademischer Stil, der sicher vielen Lesern seiner

|| 25 Sowohl bei Kant als auch bei Nietzsche lässt sich die philosophische Kritik, ungleich in der antiken Philosophie, als dauerhafte Aufgabe ohne Ende verstehen, insofern in der Dynamik des Lebens immer neue Vorurteile entstehen, die mit kritischen Mitteln zu bekämpfen wären. 26 S. Nachgelassene Fragmente 1880–1882, 11[318], KSA 9, S. 564–565: „Zwischen dem letzten Augenblick des Bewußtseins und dem ersten Schein des neuen Lebens liegt ‚keine Zeit‘ – es ist schnell wie ein Blitzschlag vorbei, wenn es auch lebende Geschöpfe nach Jahrbillionen messen und nicht einmal messen könnten. Zeitlosigkeit und Succession vertragen sich miteinander, so bald der Intellekt weg ist.“ 27 Obwohl auch andere zeitgenössische Autoren wie Vaihinger erwähnen, dass Nietzsches Popularität u. a. durch die Feinheit seines Stils verursacht ist, gehört Riehls Darstellung zu den detailliertesten und zugleich am wenigsten voreingenommenen Deutungen der frühen Periode der Nietzsche-Rezeption.

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Zeit, die sich spezifisch für Nietzsche interessierten, nicht zusagte, war Teil seiner interpretatorischen Strategie der Distanzierung von der weitgehend unkritischen Tendenz, die damals im deutschsprachigen Raum herrschte. Trotz einiger Mängel gelingt es Riehl, ein vielseitiges und zugleich einheitliches, durch die damaligen Fälschungen des Nietzsche-Nachlasses weitgehend unberührtes Bild darzustellen. Vor dem Hintergrund vieler frühen Studien, die aus dem Geiste des Nietzsche-Kultus entstanden sind, oder auch im Kontext der späteren unkritischen Nietzsche-Ablehnung erscheint dieses Verdienst keinesfalls klein.

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Julia Regina Meer

„Alle poetischen Ideen sind Bilder“: Alois Riehl und das Problem der Form in der Kunst Abstract: The paper deals with Alois Riehl’s art-theoretical writing “Bemerkungen zu dem Probleme der Form in der Dichtkunst” (1897) and analyzes both Riehl’s discussion of the theoretical work of Adolf von Hildebrand, and his adaption and extension of that work, especially concerning poetry and time. If Riehl’s critical realism has so far been considered mainly epistemologically, it can be shown here that he also interpreted it in terms of art theory. Based primarily on Hildebrand’s concepts of the “Fernbild” and the “Wirkungsform”, Riehl describes how something given is captured in its form and reframed by art. In doing so, Riehl implicitly also refers to Immanuel Kant’s schematism chapter in the first Critique and the concept of the image which is considered primarily in its mediating function.

Einleitung Alois Riehl wird vor allem aufgrund seiner Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie im Philosophischen Kritizismus bis heute rezipiert.1 Dass er sich auch mit kunsttheoretischen Fragestellungen auseinandergesetzt hat, ist hingegen viel weniger bekannt.2 Die „Bemerkungen zu dem Problem der Form in der Dichtkunst“ (1897) bilden dafür die wichtigste Ausgangsbasis. Sie gliedern sich nach einer kurzen Einleitung in zwei Hauptteile. Im ersten Teil bezieht sich Riehl maßgeblich auf die 1893 erschienene Schrift Das Problem der Form in der bildenden Kunst des Bildhauers Adolf von Hildebrand und gibt in sechs Abschnitten eine kompakte Zusammenfassung davon sowie von der dazugehörigen Theorie des Raums. Im zweiten Teil, der fünf Abschnitte hat, überträgt Riehl Hildebrands Ansatz auf die Dichtkunst und die für sie spezifische Struktur der Zeit. Ohne diese direkt anzusprechen, trägt Riehl damit auch zu der weitreichenden Debatte rund um Horaz’ ut pictura poesis bei, die im 18. Jahrhundert vor allem Lessing in „Laokoon oder || 1 U. a. Biagioli 2014; Ferrari 1997; Heidelberger 2006, 2007, 2016; Grillenzoni 1985; Neuber 2012, 2016, 2018. 2 U. a. Siegel 1932, S. 143–158; Grillenzoni 1985, S. 228–271; Efal 2010. || Julia Regina Meer, Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, IFK Research Fellow [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-019

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Über die Grenzen der Mahlerey und Poesie“ (1766) (in Auseinandersetzung mit Winckelmann) geprägt hat. In der Folge wird Riehls Analyse anhand von vier thematischen Schwerpunktsetzungen rekonstruiert, deren Ausgangspunkte jeweils im Text von Hildebrand liegen. Dabei handelt es sich erstens um die Erinnerungsvorstellung und das Fernbild, zweitens die Spontaneität und die Abstraktion, drittens die Daseinsform und die Wirkungsform sowie viertens das Wirkungsganze und die Reliefauffassung. Dieser inhaltlichen Untersuchung vorangestellt wird ein Überblick über Riehls Auseinandersetzung mit der Kunst sowie seine Beziehung zu Hildebrand und dessen Werk. Dabei kann gezeigt werden, dass Riehl neben der erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung mit Kant und den positiven Wissenschaften Ende des 19. Jahrhunderts den für den Philosophischen Kritizismus zentralen Standpunkt des kritischen Realismus auch kunsttheoretisch ausarbeitet. Nach diesem weist der Empfindungsbegriff eine Doppelseitigkeit3 auf, die einen kritischen, aber qualitativ gekennzeichneten Realismus ermöglicht. Die Empfindung bezeichnet einerseits das Ding (an sich),4 ist aber gleichzeitig gesetzlich bestimmt durch die formalen Erkenntnisbegriffe (Raum, Zeit, Identität, Gleichheit, Einheit etc.) und bildet es daher nicht ab.5 In der kunsttheoretischen Abhandlung Hildebrands findet Riehl dieses Spannungsfeld in den Begrifflichkeiten von Wahrnehmung und Vorstellung wieder. Das Fernbild – ein Begriff, den Hildebrand ebenfalls verwendet und Riehl weiterdenkt – kennzeichnet den Aneignungs- und Abstraktionsprozess von Wahrnehmung zu Vorstellung. Entscheidend dabei ist der Begriff des Bildes, der Riehl dazu dient, etwas Gegebenes als gesetzlich Bestimmtes und in seiner Wirkungsform zu erfassen. Er baut damit auf Kant auf, allerdings nicht, wie anzunehmen wäre, der Kritik der Urteilskraft und besonders der reflektierenden Urteilskraft, sondern vielmehr dem Schematismuskapitel aus der Kritik der reinen Vernunft und dessen Interpretationstradition,6 in dem das Bild als vermittelnde Instanz zwischen den reinen Begriffen und dem unbestimmt Gegebenen verstanden wird.

1 Riehl und Hildebrand Die „Bemerkungen zu dem Probleme der Form in der Dichtkunst“ stellen, wie Alois Riehl selbst sagt, seine „einzige veröffentlichte Studie […] zur Ästhetik“7 || 3 Riehl 1924, S. 512. 4 Riehl 1908, S. 119; 1925a, S. 116, 128, 129. 5 Riehl 1925a, S. 4; 1926, S. 123. 6 Siehe dazu u. a. Allison 1983; Guyer 1987. 7 Riehl 1925b, S. VI.

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dar. Sie werden erstmals 1897 in der Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie und 1925 erneut in den Philosophischen Studien abgedruckt. Auch in dieser von Riehl zusammengestellten Kompilation, in der er die wichtigsten Texte seines philosophischen Schaffens aus vier Jahrzehnten einem breiteren Publikum zugänglich zu machen beabsichtigt, nimmt der Text eine Sonderstellung ein – Riehl beschreibt die „Bemerkungen“ im Geleitwort als „außerhalb der Reihe“ 8 aller anderen Texte stehend. Allerdings beruht diese Schrift auf einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Ästhetik und Kunsttheorie. Schon als Privatdozent an der Universität Graz behandelt er in einem seiner ersten Kollegien im Sommersemester 1872 die „Aesthetik, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Geschichte“9 in Form einer fünfstündigen Semestralvorlesung.10 Da dieses Thema in philosophischen Lehrveranstaltungen in Österreich noch kaum thematisiert wurde, nimmt Riehl diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein.11 Ab den 1890er Jahren veröffentlicht er neben den „Bemerkungen“ andere Schriften, in denen die Ästhetik thematisch wird, so vor allem in seinem Buch über Friedrich Nietzsche. Der Künstler und der Denker (1897), aber auch in der Einführung in die Philosophie der Gegenwart (1903) sowie im Aufsatz „Von der Freiheit des Geisteslebens“ (1910). 1904 wurde sein Lehrauftrag in Halle auf Ästhetik und neuere Literatur erweitert. Darüber hinaus zeigt Riehl Interesse an der Architektur: Neben seiner Auseinandersetzung mit dem jungen Mies van der Rohe, den Riehl zur Umgestaltung seines Hauses in PotsdamNeubabelsberg beauftragt, beschäftigt er sich auch mit den Architekten Peter Behrens, Paul Schultze-Naumburg sowie August Schmarsows Wesen der architektonischen Schöpfung (1894).12 Das 1893 erschienene Problem der Form in der bildenden Kunst von Hildebrand übte eine große Wirkung auf Alois Riehl aus. Er hat das Buch noch im selben Jahr gelesen und persönlichen Kontakt zu Hildebrand aufgenommen. Aus einem undatierten Brief von Hildebrand an Riehl, der vermutlich aus 1893 stammt, wird deutlich, dass Riehl Hildebrand eine „Rede“ zugesendet hat. Dabei könnte es sich um Vorstudien zu Riehls Versuch der Übertragung in den „Bemerkungen zu dem Problem der Form in der Dichtkunst“ handeln, da Hildebrand einige Begriffe wie Erinnerungsbild und Gedächtnis aufgreift, die für

|| 8 Riehl 1925b, S. VI. 9 Akademische Behörden […] 1872, S. 27. 10 Als Vorbild dazu könnten die zweibändige Ästhetik (1858–1865) von Robert von Zimmermann sowie die Geschichte der Ästhetik in Deutschland (1868) von Hermann Lotze gedient haben. 11 Siegel 1932, S. 143. 12 Siehe dazu Naehrig 2018, S. 22–33; Neumeyer 2016, S. 62–94.

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Riehl zentral sind. Ein Jahr später kam es zu einem persönlichen Treffen zwischen Riehl und Hildebrand. Am 19. Oktober 1894 schreibt Hildebrand an seine Frau, dass er von einem Prof. Riehl aus Freiburg besucht wurde – dieser sei „voll von meinem Buch“, er halte es „für epochemachend und grundsteinlegend für alle Kunst“,13 ganz besonders für die Dichtkunst. Das Problem der Form in der bildenden Kunst ist Hildebrands einziges veröffentlichtes theoretisches Werk. Ebenso wie sein künstlerisches Schaffen ist auch seine theoretische Auseinandersetzung mit der Kunst eng verknüpft mit dem einmaligen freundschaftlichen Zusammenschluss14 zu Hans von Marées und Konrad Fiedler: Nach dem Tod Hans von Marées’ 1887 ersucht Fiedler Hildebrand, einen Nachruf zu schreiben, was diesem allerdings schwerfällt. Erst 1889 schickt er Fiedler als Ergebnis seiner Überlegungen zwei Einleitungen und einen Schluss. Eine geschlossene Würdigung gelingt Hildebrand nicht, sie wird schließlich von Fiedler selbst verfasst. Die im Zuge des gescheiterten Nachrufs aufgeworfenen Probleme lassen Hildebrand allerdings nicht mehr los. Im Januar 1893 übermittelt er Fiedler das Manuskript zum Problem der Form in der bildenden Kunst, von welchem dieser sehr angetan ist.15 Das Ziel seiner Untersuchung liegt darin, gegenüber der Vielzahl der natürlichen Erscheinungen eine Grundart von künstlerischer Erscheinung auszubilden, die sich aus dem allen Kunstschaffenden gemeinen und zeitunabhängigen Bedürfnis der Kunstschaffenden nach klarem Ausdruck für Raum und Form in der Erscheinung ergibt.16 Kunst wird demnach daran bemessen, inwiefern es dem Werk innerhalb seiner Gattung gelingt, den vollendeten Formausdruck zu finden.

2 Das Problem der Form in der bildenden Kunst und der Dichtkunst Riehl versucht in den „Bemerkungen“ eine Übertragung von Hildebrands Überlegungen zur bildenden Kunst auf jede Art künstlerischen Gestaltens17 und ganz

|| 13 Adolf Hildebrand an seine Frau, München, 19. Oktober 1894, in: Sattler 1962, S. 422. 14 Diese Freundschaft ist von großer kunstgeschichtlicher Bedeutung, wie etwa Heinrich Wölfflin (1946, S. 92) betont: „Solche Neuorientierungen des künstlerischen Bildens sind nie an einzelne Persönlichkeiten gebunden. Man wird neben Hildebrand immer Hans von Marées nennen müssen und von der theoretischen Seite her tritt Konrad Fiedler als wichtiges Element zu der Gruppe hinzu.“ 15 Decker 1967, S. 110–111. 16 Hildebrand 1901, S. 16. 17 Riehl 1925b, S. 266.

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besonders auf die Dichtkunst. Der Raumbehandlung in der bildenden Kunst entspricht in der dramatischen Poesie die Zeit. Diese Betonung der Zeit korrespondiert mit Riehls erkenntnistheoretischem Ansatz, in dem ebenfalls die Zeit eine besondere Stellung gegenüber dem Raum einnimmt und Betonung findet.18 Um die Übertragung auf die dramatische Poesie zu legitimieren, konstatiert Riehl ein gewisses Naheverhältnis zur bildenden Kunst, da erstere als dichterische Schilderung, als epische und dramatische Darstellung dem inneren Sinn auch Bilder der Dinge bzw. der Handlungen vorführe. Die zentrale Frage lautet: Wie gelangt „die Poesie trotz ihres Darstellungsmittels, des sukzessiven Wortes, und durch kunstvolle Verwendung dieses Mittels, zur Erweckung innerer Bilder, zur Bildwirkung ihrer Gegenstände“19? Hierin wird die zentrale Rolle des Bildes in Riehls Ansatz deutlich.

2.1 Erinnerungsvorstellung und Fernbild Ausgangspunkt von Riehls Betrachtungen ist Hildebrands grundlegende Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Vorstellung. Die Wahrnehmung teilt sich in ein optisches und ein haptisches Sehen. Das optische Sehen ist ruhig oder rein schauend, erfolgt aus der Ferne und vermittelt ein zweidimensionales Gesamtbild – Hildebrand nennt es Flächenbild, Einheitsbild oder Fernbild von einem bestimmten Naturgegenstand.20 Letzteren Begriff hält Riehl für eine treffende Bezeichnung, die er selber übernimmt.21 Das haptische oder tastende Sehen ist hingegen rein bewegend und erfolgt aus der Nähe. Die Betrachtenden haben nicht mehr die Gesamterscheinung im Blick wie im Flächenbild, sondern es gibt verschiedene Einzelerscheinungen, welche durch die Augenbewegung verbunden werden. Das Schauen hat sich in ein Abtasten und einen Bewegungsakt umgewandelt. Hildebrand nennt diese Bilder auch dreidimensionale Eindrucks- oder Nahbilder. Das optische und das haptische Sehen sind in der Sinnestätigkeit des Auges vereint.22 Riehl betont an dieser Unterscheidung von optischem und haptischem Sehen, dass erstere räumlich ist, während das Sehen durch die

|| 18 Riehl 1925a, S. 111–115. 19 Riehl 1925b, S. 287. 20 Hierin zeigt sich eine Parallele zu „Die neueren Fortschritte in der Theorie des Sehens“ von Hermann von Helmholtz, für den die Akkommodation für die Ferne der Ruhezustand des Auges ist. Hildebrand hat Helmholtz 1891 porträtiert und dürfte neben der erwähnten Schrift gut vertraut mit Helmholtz’ weiteren Vorträgen und Reden (1884) gewesen sein. 21 Riehl 1925b, S. 270. 22 Hildebrand 1901, S. 18–21.

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Bewegung zu einem zeitlichen Akt wird,23 was für ihn von besonderer Relevanz ist. Das Fernbild nimmt dabei eine ausgezeichnete Stelle ein, da es gleichartig in allen seinen Teilen ist, ausschließlich aus reinen Gesichtseindrücken ohne Beimischung von Bewegungsempfindungen zusammengesetzt ist und alle seine Teile gleichzeitig gesehen werden. Den beiden Wahrnehmungsarten korrespondieren zwei Vorstellungsarten, nämlich die Gesichts- und die Bewegungsvorstellung – die jedoch jeweils auf optischem und haptischem Sehen beruhen. Auf ihrem gegenseitigen Austausch basiert jede künstlerische Formvorstellung.24 Das geistige Material des Bildhauers bzw. der Bildhauerin sind die Bewegungsvorstellungen. Sie versuchen, diese direkt am stofflichen Material umzusetzen, um so den Betrachtenden wiederum einen Gesichtseindruck zu geben, der als Fernbild eine Einheitsform gewinnt.25 Die Gesichtsvorstellungen hingegen sind das geistige Material der Malenden, die sie direkt auf der Fläche zum Ausdruck bringen. Damit gestalten sie ein Ganzes im Sinne eines Fernbildes. Um auch die Formvorstellung zu erwecken, muss das Flächenbild so dargestellt werden, dass alle Gesichtseindrücke von den Malenden auf ihre plastische Anregungskraft hin geprüft und zu diesem Zweck hin verwendet und gestaltet wurden.26 Die Formvorstellung der Natur ist das Produkt aus dem einheitlichen Fernbild und beruht auf einem unendlichen Erfahrungsaustausch der Gesichts- und Bewegungsvorstellungen. Unbewusst ist daraus eine feste Gesetzmäßigkeit geworden. Die Aufgabe der Kunstschaffenden liegt laut Hildebrand darin, ein Naturgebilde aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Gesetzmäßigkeit aufzufassen und darzustellen.27 Riehl stimmt dem zu und hebt hervor, dass die Darstellung selbst „anschaulich-allgemeine Bedeutung“28 erlangt, wenn die Kunstschaffenden es vermögen, den Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Gesetzmäßigkeit aufzufassen und zu gestalten. Plastik und Malerei schaffen demnach, wie Riehl konkludierend hervorhebt, „an einem und demselben künstlerischen Probleme […], nur nimmt jede von ihnen dieses Problem von der entgegengesetzten Seite her in Angriff“29. Riehl folgend gehen die Dichterinnen und der Dichter ebenso wie die Malerinnen und Maler bei ihrer Darstellung des Fernbildes von der Erinnerung aus. Sie halten die Erscheinungsweise des Erinnerungsbildes fest und geben auch den || 23 Riehl 1925b, S. 269. 24 Decker 1967, S. 122. 25 Hildebrand 1901, S. 26–27. 26 Hildebrand 1901, S. 27. 27 Hildebrand 1901, S. 28–29. 28 Riehl 1925b, S. 273. 29 Riehl 1925b, S. 273.

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Gegenständen den Charakter eines solchen Bildes.30 Die Erinnerungsvorstellung wird für Riehl damit zum zeitlichen Fernbild, „das für die Poesie dieselbe Bedeutung hat, wie das räumliche für die bildende Kunst und mit diesem sogar in nachweisbaren Zusammenhange steht“31. Den Begriff der Erinnerung lehnt er dabei an die Fantasie an, unterscheidet ihn aber streng vom Gedächtnis. Der Dichter bzw. die Dichterin schöpfen, so Riehl, die Bilder, die sie den Rezipierenden zur Verfügung stellen, aus ihrer eigenen Fantasie. Die Fantasie und die Erinnerung teilen dabei ihre Gesetze und Eigenschaften. Unterschieden ist die Erinnerung allerdings vom Gedächtnis: Während den Gegenstand des Gedächtnisses ein abstraktes Wissen wie die Vorstellung von Begriffen, Namen, Zahlen bilde, sei die Erinnerungsvorstellung jederzeit konkret und anschaulich. Das Gedächtnis stehe zudem in großem Ausmaß unter dem Einfluss des Willens, der den Ablauf der Vorstellungen in die beabsichtigte Richtung lenke. Die Bilder der Erinnerung tauchen jedoch unwillkürlich und ungerufen aus dem Bewusstsein auf.32 Sie breite einen Zauber auf alles, worauf sie sich beziehe, und dieser gründe auf der Wirkung der zeitlichen Entfernung. Durch diese sondere sich in der Erinnerung immer deutlicher die Erscheinung des Gegenstandes von seiner Wirklichkeit ab. Die Erscheinung werde so selbstständig, in sich abgeschlossen, und gewinne eine Einheit für die Vorstellung. Dadurch rücke alles in eine „objektive Ferne und begünstigt so schon an sich das Eintreten des ästhetischen, der Erscheinung als solcher hingegebenen Zustandes“33. Dass Riehl die Unterscheidung zwischen Erinnerung, Fantasie und vor allem Gedächtnis so stark betont, könnte in Zusammenhang mit der persönlichen Korrespondenz mit Hildebrand stehen. In seiner Antwort auf Riehls Brief äußert sich Hildebrand ausführlich und kritisch zum Thema Erinnerungsbild. Dieser Begriff werde, so Hildebrand, von der Naturwissenschaft in neuerer Zeit gebraucht, ohne dabei aber den Aneignungsprozess des Wahrgenommenen zu einer Vorstellung zu erörtern. Man wolle damit, so Hildebrand, dem Terminus der Vorstellung – den er explizit bevorzugt – ausweichen, da mit diesem der Schwerpunkt auf dem liegt, was aus der Wahrnehmung unwillkürlich in der Erinnerung geworden ist. Es sei dies, als wolle man den positiven Boden der Wahrnehmung und ihre naturwissenschaftlich feststellbare Tatsache nicht aus der Hand lassen und damit || 30 Riehl 1925b, S. 290. 31 Riehl 1925b, S. 288. 32 Riehl 1925b, S. 287–288. 33 Riehl 1925b, S. 288. Riehl bezieht sich dabei auch auf Henry Homes „Grundsätze der Kritik“, in denen dieser zwischen realer und idealer Gegenwart unterscheidet. Beide verhalten sich so zueinander wie ein Objekt der Wahrnehmung zu dem ihm entsprechenden Erinnerungsbild – die Kunst habe es mit einer idealen Gegenwart zu tun (Riehl 1925b, S. 290).

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eine Brücke zu dem inneren Besitz schlagen.34 Das Positive des Wahrgenommenen, so Hildebrand, lässt sich zwar in der fotografischen Maschine feststellen und wir müssen annehmen, dass es faktisch unsere Netzhaut trifft. Aber die Aneignung, das heißt die Übertragung in die Vorstellung, finde nur statt, wenn der geistige Gesichtspunkt dies erfordere – je entschiedener er dies tue, desto entschiedener sei auch die Aneignung und desto entschiedener werde alles ohne Bedeutung ausgesondert. Diese Arbeit bedeute eine Abstraktion und beginne bereits bei der Wahrnehmung selbst, setze sich aber unbewusst fort, wandle die Wahrnehmung in ein Bild um. „Dieses Bild ist dann die gewordene Vorstellung des Wahrgenommenen und der Ausdruck Erinnerungsbild drückt das nicht aus.“35 Dieser Kritik Rechnung tragend betont Riehl in seiner Analyse sowohl die Vorstellung, indem er dezidiert von der Erinnerungsvorstellung spricht,36 als auch den produktiven, anti-mimetischen Zug der Kunst. Es ist gerade der Aneignungsprozess von Wahrnehmung zur Vorstellung, der Hildebrands Ansatz für Riehl so bedeutend macht und den er selbst im Philosophischen Kritizismus für die positiven Wissenschaften ausgearbeitet hat, um eine neue Spielart des Realismus – einen kritischen Realismus – zu entwerfen: Kunst rückt in diesem Sinne alles in eine objektive Ferne und bildet nicht die Wirklichkeit als Wahrnehmung nach.

2.2 Abstraktion und Spontaneität Das Gesetz der Erinnerung und die damit verbundene Distanzierung gilt nicht nur für die Schilderung von Gegenständen, sondern auch für den dichterischen Ausdruck von Gefühls- und Willensbeziehungen (zum Gegenstand), ebenso wie die Lust und Unlust, die damit verbunden ist, ohne dass sie jedoch gänzlich erlöschen. Sie werden zu „idealen Gefühls- und Willensbeziehungen, zu vorgestellter Lust und Unlust, zu vorgestelltem Verlangen“37. Der lyrische Dichter bzw. die Dichterin gibt so nicht den Eindruck der unmittelbar empfundenen, sondern den Eindruck der in der Erinnerung nachempfundenen Erregung wieder. Das heißt, sie stellen die Affekte nicht so dar, wie sie bei ihrem wirklichen Auftreten im Gemüt erlebt wurden, sondern wie sie in der Erinnerung erscheinen – also als

|| 34 Adolf Hildebrand an Alois Riehl, vermutlich 1893, in: Sattler 1962, S. 406. 35 Adolf Hildebrand an Alois Riehl, vermutlich 1893, in: Sattler 1962, S. 407. 36 Riehl hält dies allerdings nicht konsequent durch. 37 Riehl 1925b, S. 288.

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zeitliches Fernbild.38 Diese künstlerische Tätigkeit darf nach Hildebrand, und Riehl stimmt ihm zu, nicht auf starke Gedächtnisbegabung zurückgeführt werden. Seiner Ansicht nach ist es vielmehr der ausgesprochene Gesichtspunkt, aus dem der Künstler Alles ansieht, die entschiedene Fragestellung, die er bei der Wahrnehmung festhält und welche eine ganz entschiedene Antwort der Natur herauslockt.39

In diesem Vorgang liege eine produktive Kraft, eine abstrahierende Fähigkeit in Bezug auf das sinnlich Wahrnehmbare, die zu einfachen klaren Anschauungen führe. Ein Gedächtnismensch, den die Kraft der bloßen Aufbewahrung ohne Wertunterschied des Inhaltes kennzeichne, sei meistens unproduktiv. An ihm hafte die Tatsache, sie rege nicht an, sondern hindere sogar an der Umformung. Bedeutsam für die Erkenntnis des künstlerischen Sehens sei vielmehr die Art der Gesichtspunkte, welche die Wahrnehmung formen.40 Es bedarf also eines historischen Blickes auf die Gegenwart – sie unmittelbar erleben, aber zugleich als erinnert anzuschauen. Diese „objektive Anschauung der Gegenwart“41 sei überaus schwierig zu erreichen. Aus diesem Grund habe die Vergangenheit, die als Ganzes zu überblicken sei, einen großen Vorzug für die dichterische Behandlung und Gestaltung. Riehl kritisiert, dass häufig jedoch das stoffliche Interesse an Gegenständen der Gegenwart (tagesaktuelle Themen) über das rein Künstlerische an der Form der Erscheinung überwiegt, was zwar einen starken Eindruck hervorruft, aber nur einen geringen künstlerischen Wert hat. Für Riehl geht es in der Kunst primär um die Überwindung des Stoffes durch die Gestalt.42 Entscheidend für die Form der dramatischen Gestaltung bleibt dabei, dass in der Handlung zugleich der Typus der Handlung dargestellt wird, der allgemein ist. Das heißt, die Rezipierenden empfangen den Eindruck, dass das, was die Kunst vergegenwärtigt, gerade „eben zum ersten und einzigen Male geschehe, so jederzeit geschehen sei, geschehen sein müsse“43. Als Beispiel nennt Riehl u. a. Shakespeares Romeo – so wie er, rede die zwanzigjähre südliche Liebe immer. Diese typische Darstellungsweise verleihe der als gegenwärtig vorgeführten Handlung den Charakter des Vergangenseins. Sie treffe unfehlbar auf die entgegenkommende Fantasie und Erinnerung der Zusehenden. Es gehe daher nicht

|| 38 Riehl 1925b, S. 293. 39 Adolf Hildebrand an Alois Riehl, vermutlich 1893, in: Sattler 1962, S. 407. 40 Adolf Hildebrand an Alois Riehl, vermutlich 1893, in: Sattler 1962, S.407– 408. 41 Riehl 1925b, S. 294. 42 Riehl 1925b, S. 286. 43 Riehl 1925b, S. 295.

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um die Vollständigkeit einer Handlung, sondern die Dichterin und der Dichter üben sich in Reduktion: Unwesentliches werde weggelassen, wodurch sich das Wesentliche von selbst und auf das Eindringlichste herausstelle.44 Hierin liegt eine Parallele der dichterischen Abstraktion zu derjenigen der Erinnerungsvorstellung. Stärker noch als Hildebrand betont Riehl die Spontaneität und stellt sich damit in eine kantische Tradition. Das Hervorbringen eines Werkes und das ästhetische Auffassen eines Kunstwerkes, also Kunstproduktion und -rezeption, gehören nach Riehl zusammen. Das heißt, die Rezipierenden verfahren nicht passiv empfangend, sondern sind selbst aktiv tätig. Je anschaulich-allgemeiner eine dichterische Darstellung verfahre, desto gewisser werde sie die Erinnerung und Fantasie der Zusehenden in Bewegung setzen und zur Wiederhervorbringung des Dargestellten bewegen. Für die Dichtkunst, so Riehl, gilt dies besonders: Was die produktive Fantasie geschaffen hat, muss die reproduktive der Rezipierenden wiedererzeugen – genau hierin liegt der Akt der Spontaneität.45 Die Betrachtenden können sich nicht anders an den Gehalten künstlerischer Werke erfreuen als durch gleichartige Empfindungen, die es in ihnen wachruft und deren Quelle die eigene Erfahrung und Erinnerung ist.46 Die Rezipierenden sind ergriffen, sogar inniger als durch das wirkliche Erlebnis. So reiche es (wie etwa bei Goethe und Rousseau) nur die wesentlichsten Züge, diese aber mit voller Deutlichkeit hervorzuheben, um damit die stärkste poetische Wirkung zu erzielen. Eine solcherart verallgemeinerte Schilderung wende sich an die Erinnerung der Rezipierenden. Das Bild, das sie hervorrufen kann, ist in der Erinnerung jedes und jeder einzelnen ein anderes, die Stimmung aber, die das Bild erweckt, ist in allen dieselbe.47 In den Aspekten der Abstraktion und der Spontaneität zeigt sich deutlich ein kantisch geprägter Formalismus in Riehls kunsttheoretischem Ansatz, den er mit Hildebrand teilt und mit dem kritischen Realismus in Einklang bringt. Dementsprechend sieht er die Aufgabe der Kunst in der Umformung der Wirklichkeit durch die Herausarbeitung der Form.48 Das heißt, nicht die einzelnen Wahrnehmungen werden wiedergegeben, sondern die aus der Wahrnehmung abstrahierten Formvorstellungen, die sich in der Erinnerung eingelagert und verdichtet haben. Diese Formen vermögen wiederum die Rezipierenden anzusprechen und ihre jeweils eigenen Erinnerungsinhalte zu aktivieren und wiederzubeleben.

|| 44 Riehl 1925b, S. 295. 45 Riehl 1925b, S. 291. 46 Riehl 1925b, S. 289. 47 Riehl 1925b, S. 292. 48 Siegel 1932, S. 148.

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Realistisch ist daran, dass der Grund der Kunst in der Wirklichkeit liegt, formalistisch hingegen, dass nicht die Wirklichkeit, sondern ihre abstrakte Form dargestellt wird – beide Elemente gemeinsam bilden den kritischen Realismus.

2.3 Daseinsform und Wirkungsform Die dramatische Handlung vollzieht sich nicht in der wirklichen, sondern in der idealen oder vorgestellten Zeit. Das bedeutet, dass die Zeit in der dramatischen Dichtung in ihrer Wirkung – als Wirkungsform – zum Ausdruck kommt und nicht als Daseinsform, also wie sie objektiv gemessen wird.49 Diese Begrifflichkeiten entlehnt Riehl erneut von Hildebrand. Unter Daseinsform des Gegenstandes versteht dieser die „teils direkt durch Bewegung gewonnene, teils aus der Erscheinung abstrahierte Form“50. Sie hängt allein vom Gegenstand selbst ab. Da aber der Formeindruck ein gemeinschaftliches Produkt des Gegenstandes, der Beleuchtung, der Umgebung und des wechselnden Standpunktes ist, steht der Daseinsform die Wirkungsform gegenüber. In ihr herrscht das Prinzip der Gegenseitigkeit, das heißt, jedes wirkt auf das andere ein und bestimmt dessen Wert mit.51 Die Daseinsform als messbare Naturform kann zwar vom Auge abgetastet, aber nicht als Einheit aufgefasst werden – diese existiert für das Auge nur in Wirkungen. Das künstlerische Sehen besteht demgegenüber in dem starken Auffassen der Formempfindungen gegenüber der bloßen Kenntnis der Daseinsform. Dafür ist ein Abstraktionsprozess erforderlich ähnlich demjenigen von der direkten Wahrnehmung zur Vorstellung. Die Kunst habe sodann die Aufgabe, den abstrahierten Vorstellungsbesitz wieder einzukleiden. Durch die Wirkungsgestalt des Einzelfalles wird so die Vorstellung eines Bildes gegeben, die sich an tausend Fällen gebildet hat.52 „Was es [das Bild] vergegenwärtigt, wirkt zugleich mit der Kraft der Erinnerung, indem die Vorstellung neu erzeugt wird, die wir allmählich gewonnen haben.“53 Im Festhalten der Formwerte besteht, so Riehl, das Gedächtnis, genauer gesagt die Erinnerungsvorstellung, des Künstlers bzw. der Künstlerin. Ihr Können bzw. die schöpferische und

|| 49 Riehl 1925b, S. 295. Folglich weist Riehl auch die Forderung des französischen Theaters zurück, wonach in einem Stücke nur die Handlung dargestellt werden soll, die in Wirklichkeit an einem Tag geschehen kann. Damit werde zwar ein Teil der äußeren, objektiven Richtigkeit gewahrt, aber die innere Wahrheit der Darstellung preisgegeben. 50 Hildebrand 1901, S. 30. 51 Hildebrand 1901, S. 30–31. 52 Hildebrand 1901, S. 36–37. 53 Riehl 1925b, S. 280.

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darstellerische Kraft liegt darin, diese Formwerte im Kunstwerk zu neuen Einheiten zu verbinden. Das Fernbild, und mit ihm die Wirkungsform, gibt die Gesetze des typischen Sehens, was Riehl zu folgender Konsequenz bringt: „Die Kunst zeigt uns, wie wir sehen sollen.“54 Hierin liegt nicht nur eine Parallele zu Hildebrand, sondern auch zu Konrad Fiedler.55 Übertragen auf die dramatische Poesie bedeutet das, dass die Rezipierenden in der Anschauung einer Szene nicht auf die (Nicht-)Übereinstimmung zwischen der wirklichen Zeit, die während der Vorstellung verläuft, und der vorgestellten in der Handlung achten. Von den Bildern und der Gegenwart der Erscheinung gebannt, vergessen sie den Abfluss der realen Zeit und geben sich ganz der Wirkungsform des Stückes hin. Ebenso wenig stören Verstöße gegen die Chronologie oder ein Sprung über Zeiträume hinweg. Von der wirklichen Zeit wird abstrahiert, sie wird verdichtet. Die ideale Zeit hat ihre eigenen Maßverhältnisse, sie erscheint verlängert und vertieft durch die Vielzahl an Vorstellungen, die wir empfangen, beschleunigt oder verzögert durch den zeitlichen Charakter der dargestellten Handlung.56 Ähnlich verhält es sich auch mit der Vorgeschichte: Jedes Drama enthalte zwar eine solche, die Zusehenden sollen aber nicht darauf zurückblicken und dadurch aufgehalten werden. Die einsetzende Handlung müsse die Fantasie sogleich fesseln, mit ihrer Gegenwart unsere Anschauung erfüllen und auf das Kommende lenken. Es ist die Exposition des Dramas, der Riehl diese Aufgabe zuschreibt. Diese Anfangslage im dramatischen Werk vergleicht er mit der Hauptfläche in der bildenden Kunst – beide müssten entschieden und mit starker Wirkung zum Ausdruck kommen. In diesem Anfang des Dramas ist auch immer schon der Schluss angelegt, so Riehl, da der Dichter bzw. die Dichterin vom Ganzen des Werkes ausgeht und Teile und Glieder aus dem Ganzen und für das Ganze entwickelt hat. Dichtkunst entsteht nicht durch „Addition der Teile“, sondern durch „Evolution der Teile aus dem Ganzen der Stimmung und der Anschauung heraus“57. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto deutlicher werde dies empfindbar: In dieser einzigen Gesamtbewegung, zu der alle Teile der Handlung in Spiel und Gegenspiel, in Auflösung und neuer Spannung zusammenwirken, besteht die innere Konsequenz und Notwendigkeit eines dramatischen Werkes; sie gibt dem Werke wahre Einheit der Zeit: einheitliche zeitliche Tiefe.58

|| 54 Riehl 1925b, S. 279. 55 Fiedler 1887. 56 Riehl 1925b, S. 296. 57 Riehl 1925b, S. 293. 58 Riehl 1925b, S. 297–298.

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Während die Daseinsform also vom Einzelgegenstand und den direkt an ihm gewonnenen Wahrnehmungen und Messungen ausgeht, herrscht in der Wirkungsform das Prinzip der Gegenseitigkeit mit einem unterschiedlich hohen Maß an Strukturierung. Letztere ist für die Kunst zentral, da sie in ihren Werken eine Verdichtung gibt: Die Kunstschaffenden stellen im Fernbild die Wirkungsform des Gegenstandes dar. Hierin liegt eine Überhöhung des Formalismus, was wiederum als Parallele zum Philosophischen Kritizismus59 verstanden werden kann, in dem Riehl die Sinneseindrücke des Sehraums, Geruchsraums etc. in ihrer Kongruenz als übereinander gelagerte Strukturen entwickelt.

2.4 Das Wirkungsganze und die Reliefauffassung Ein weiterer entscheidender Begriff, den Riehl von Hildebrand aufgreift und der eng an die Wirkungsform anschließt, ist derjenige des Wirkungsganzen. Für Hildebrand ist das Kunstwerk „ein abgeschlossenes, für sich und in sich beruhendes Wirkungsganzes“60, das heißt, ein Element des Kunstwerks hat nicht für sich selbst Bedeutung, sondern nur im Gesamtkontext der anderen Elemente.61 Für Riehl ist dies einer der wichtigsten Punkte an Hildebrands Theorie. Alle Einzelgegenstände erlangen durch die Art der Darstellung eine bestimmte räumliche Bedeutung im Ganzen und für das Ganze. Das Ganze wird dadurch ein modellierter Raumkörper, wie es der Einzelkörper an sich ist, so Riehl.62 Auch die laienhaften Betrachterinnen und Betrachter unterliegen dieser Bildwirkung, bei der ihnen alles räumlich lebendig und zu einer Einheit wird.63 Riehl, der diese Stelle von Hildebrand in extenso zitiert, betont dabei enthusiastisch, dass Hildebrand „uns sehen und verstehen lehrt, was wir zuvor nur empfunden haben; er öffnet uns das Auge für das Wesentliche des künstlerischen Werkes“64. Riehl leitet daraus ab, dass auch die künstlerische Bedeutung einer einzelnen Figur oder Szene im Drama ausschließlich in dem liegt, was sie für das Ganze bedeutet. Für sich selbst betrachtet, drücke eine Szene viel weniger und jeden-

|| 59 Riehl 1925a, S. 189–194. 60 Hildebrand 1901, S. 41. 61 Hildebrand geht dabei so weit, die klassische Proportionslehre in der Kunst als aus einem Missverständnis heraus entsprungen zu bezeichnen. Proportionen müssen nach ihm aus der Gesamtheit des Kunstwerkes stets neu geschaffen werde, nicht aber darf die Gesamtheit die Addition von feststehenden Einzelproportionen sein (Hildebrand 1901, S. 41–42). 62 Riehl 1925b, S. 281. 63 Hildebrand 1901, S. 48. 64 Riehl 1925b, S. 282.

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falls etwas anderes aus als in ihrem Gesamtzusammenhang. Ähnlich verhalte es sich auch mit den Charakteren und Situationen eines Dramas – sie stehen in der „Wechselwirkung von Spannung und Gegenspannung, des Vor- und Zurücktreibens, der Überschneidung und Verbindung“65. Auch Gedanken und ethische, religiöse oder philosophische Ideen werden nicht um ihrer selbst willen zum Ausdruck gebracht, sondern weil sie vom gewählten Stoff und als Form seines Ausdruckes gefordert werden. Oder anders formuliert: Kein echter Dichter ist je bei der Schöpfung eines poetischen Werkes von einem abstrakten Gedanken ausgegangen, um hinterher für den Gedanken nach einem passenden Bilde oder Symbole zu suchen.66

Ansonsten, so Riehl, wären auch Lehrgedicht und Fabel Formen der Poesie und nicht Mischformen zwischen Belehrung und Darstellung. Die Kunst ist eine Kulturform für sich, sie will nicht belehren, bessern oder berauschen, sondern entwickelt, schafft unmittelbar aus sich heraus.67 Die künstlerische Praxis habe daher einen grundlegend anderen Weg: „Der poetische Gedanke kommt als Bild; alle poetischen Ideen sind Bilder, – Bilder des Lebens.“68 Am Beginn stehen Bilder, welche aus dem Leben, der Erfahrung, der Erinnerung stammen und einen poetischen Gedanken evozieren. Die Gegenstände der Natur, das Wirkliche sind dabei der Grund der künstlerischen Aktion und nicht die Ursache. Riehl wendet sich gegen (naive) realistische oder naturalistische Formen der Kunst und plädiert stattdessen für einen kritischen Realismus. Dieser beruht darauf, dass die Darstellung der inneren Natur nur auf Anlass der äußeren erfolgen und durch die Konzentration im Bild deren zerstreute Anregungen übertreffen kann.69 Ein Wirkungsganzes ergibt sich sodann durch die kongruente Abstimmung der einzelnen Komponenten des künstlerischen Werkes. Um dies für die Dichtung und deren zeitliche Struktur zu zeigen, zieht Riehl eine Analogie zur Raumdar-

|| 65 Riehl 1925b, S. 300. 66 Riehl 1925b, S. 301. 67 Siegel 1932, S. 147. 68 Riehl 1925b, S. 301. 69 Neben realistischen und naturalistischen Strömungen grenzt sich Riehls Realismus auch vom künstlerischen Positivismus, gemeint sind starke Formen des Impressionismus, ab, da diese, nach ihm, auf einer falschen Auffassung von Wirklichkeit beruhen. Darüber hinaus ist er unterschieden vom Verismus, da es nicht die Aufgabe der Kunst sei, die Wahrheit im Sinne einer Tatsachenerkenntnis, aber auch nicht im Sinne einer Vorstufe des Wissens – was Riehl für den größten Missgriff der idealistischen nachkantischen Philosophie hält – zu geben, obwohl sie in einem unablösbaren Zusammenhang zur Wirklichkeit steht (Siegel 1932, S. 146–147).

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stellung in der bildenden Kunst. Dabei bezieht er sich auf Hildebrands Konzept der Reliefauffassung. Die in der griechischen Kunst vorherrschende Reliefvorstellung markiert für Hildebrand das Verhältnis der Flächenbewegung zur Tiefenbewegung bzw. das der zweiten zur dritten Dimension. Durch sie werden die allgemeinen Gesetze unseres Verhältnisses zum sichtbaren Raum in der Kunst festgehalten und die Natur erst für unsere Gesichtsvorstellung geschaffen. Vermag die Darstellung die zwei einheitlichen Wirkungen, also die einheitliche Wirkung alles Zweidimensionalen als Fläche und alles Dreidimensionalen als Tiefenbewegung, hervorzurufen, enthält sie all das, was das Auge braucht, um eine räumlich klare Vorstellung der Natur zu entwickeln.70 Entscheidend für die einheitliche Erfassung des Raumes ist daher eine einzige und einheitliche Tiefenbewegung im Bild, weshalb die Kunstschaffenden genau diese anregen müssen. Die Mittel dafür liegen in der Art der Anordnung der Raumwerte zu einem einheitlichen Raumganzen, wobei mehrere Einzelgegenstände oder Flächenbilder in verschiedenen, hintereinander gestaffelten Raumschichten oder Distanzplänen vereinigt werden. Diese Raumschichten werden durch perspektivische Verkürzung und Überschneidung der Bildgegenstände deutlich gemacht.71 Die daraus resultierende Einheit von Flächenwerten zu Tiefenwerten „ist das eigentliche FormProblem der Kunst und wie weit das Kunstwerk diese Einheit erreicht, danach bestimmt sich sein Wert“72. Riehl wiederum macht diese Reliefauffassung in der Gegenüberstellung von Anfangs- und Schlusssituation und deren wechselseitiger Beziehung im Drama fest. Zwischen diesen Polen verläuft die Handlung in einheitlicher Bewegung, wodurch das Drama einheitliche zeitliche Tiefe gewinnt.73 Wie Haupt- und Hintergrundfläche in der bildenden Kunst dürfen auch im Drama die Anfangs- und die Schlusssituation erstens nie fehlen und zweitens verläuft zwischen ihnen die || 70 Hildebrand 1901, S. 80. 71 Hildebrand 1901, S. 56, 62–63. Als weitere Mittel zur Erzeugung einer einheitlichen Tiefenbewegung und zur Einigung der Flächenbilder nennt Hildebrand raumbeanspruchende ausdrucksvolle Bewegungen, die Überschneidung von Gegenständen (1901, S. 64–65), Licht und Farbe (1901, bes. S. 65–67, 70–73). 72 Hildebrand 1901, S. 77. Die Parallelen zu Leon Battista Albertis Theorie der künstlerischen Form in „Della Pittura“ sind hier sehr auffallend. Bei beiden wird der begrenzte Bildraum in Raumschichten gegliedert – bei Alberti durch parallel zur Bildfläche gezogene Querschnitte durch die Sehpyramide, bei Hildebrand durch gestaffelte vordere und hintere Bildebenen. Die Gliederung in Raumschichten ist die Basis für den Formzusammenhang unter den Gegenständen der Darstellung. Bei Alberti garantiert sie die Proportionalität der Dinge untereinander im Bildraum, bei Hildebrand den anschaubaren Zusammenhang aller Formteile im Bildraum (Geissler 1963, S. 48–49). 73 Riehl 1925b, S. 302.

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dramatische Handlung als einheitliches Ganzes. Dabei verfahre das Drama häufig analytisch – die Vergangenheit wird nach und nach aufgedeckt. Um die einheitliche Tiefe, die unerlässliche Formbedingung der dramatischen Darstellung, zu wahren, müsse der Handlung eine umso stärkere Kraft der Fortbewegung in Richtung Zukunft gegeben werden. Ansonsten würde die Handlung stillstehen oder gar rückläufig erscheinen. Ähnlich wie in einem Gemälde nichts aus dem Bilde heraus auf die Betrachtenden zukommen dürfe, so dürfe auch im Drama nichts der einheitlichen Gesamtbewegung entgegenwirken. Passiert dies dennoch, so erscheinen die Szenen und/oder die Figuren aufgesetzt und drohen aus der Hauptfläche, der Anfangslage, herauszufallen.74 Für einen gelungenen Aufbau gibt Riehl auch mehrere Beispiele wie Sophokles oder Heinrich von Kleists Der zerbrochene Krug.75 Bei ersterem kennen die Zusehenden die Vergangenheit und das Geschick des Helden, sie stehen dem Stoff als Schauende gegenüber, in einer objektiven Ferne, um durch die Kunst der Darstellung ganz gefesselt zu werden. Die tragische Zweideutigkeit entsteht aus dem Gegensatz des Wissens der Zusehenden zu dem Nichtwissen des Helden. Die Reliefauffassung dient also Hildebrand und mit ihm Riehl dazu, das Wirkungsganze im künstlerischen Werk zu erreichen bzw. zu beschreiben, was zu einer einheitlichen Raum- bzw. Zeitauffassung führt, welche nicht identisch ist mit der messbaren. Die Kunst hat damit zwar ihren Grund in den Gegenständen, also einer bewusstseinsunabhängigen Natur, bringt diese aber durch eine Abstraktionsleistung in ein verdichtetes, in sich stimmiges Formbild.

3 Der Weg zum kritischen Realismus in der Kunst – ein Resümee Hildebrands „Problem der Form“ bildet für Riehl einen zentralen Bezugspunkt, um seine eigene Konzeption des kritischen Realismus auch kunsttheoretisch auszuarbeiten. Er rezipiert dabei Hildebrand nicht nur, sondern führt dessen Ansatz weiter aus, indem er die für den Raum angelegte Konzeption auf die Zeit überträgt, und damit die Theorie zur bildenden Kunst um diejenige zur Dichtkunst ergänzt. Diese Erweiterung impliziert einen allgemeineren Anspruch,76 der als solcher von Hildebrand nicht ausgeführt worden ist und der auf dem Philosophischen Kritizismus beruht.

|| 74 Riehl 1925b, S. 298. 75 Riehl 1925b, S. 299. 76 Riehl 1925b, S. 266.

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Werden Hildebrands Überlegungen zur bildenden Kunst und Riehls Ausweitung auf die Dichtkunst noch einmal komprimiert gegenübergestellt, zeigt sich folgendes Bild:

Hildebrand

Riehl

Bildende Kunst -> Raumdarstellung

Dramatische Dichtung -> Zeitdarstellung

Fernbild

Räumlich: ausgezeichnete Rolle, gleichartig in allen Teilen, zusammengesetzt aus reinen Gesichtseindrücken ohne Bewegungsempfindungen, alle seine Teile werden gleichzeitig gesehen.

Zeitlich: Erinnerungsvorstellung, in der sich (durch zeitliche Distanz) die Erscheinung des Gegenstandes von seiner Wirklichkeit absondert; bleibt anschaulich, konkret, unwillkürlich. Jede Vergegenwärtigung in der dramatischen Poesie ist auch ein Bild der Vergangenheit (im zeitlichen Fernbild der Erinnerung).

Abstraktion

In künstlerischer Herausbildung des Fernbildes liegt produktive Kraft, eine abstrahierende Fähigkeit, die zu einfachen klaren Anschauungen führt.

Dichterin bzw. der Dichter üben sich in Reduktion: Unwesentliches wird weggelassen, wodurch sich das Wesentliche herausstellt – historischer Blick auf die Gegenwart.

Spontaneität

Wirkungsform

Fernbild evoziert bei Rezipierenden Erinnerungsbilder, die Empfindungen wachrufen. Kunstproduktion und -rezeption sind eng verbunden. Bestimmt durch Prinzip der Gegenseitigkeit: Jedes wirkt auf das andere ein und bestimmt dessen Wert mit. Durch die Wirkungsgestalt des Einzelfalls wird die Vorstellung eines Bildes gegeben, die sich an tausend Fällen gebildet hat (Abstraktion von Wahrnehmung, Daseinsform, wirklicher Zeit etc.). Hauptfläche Anfangslage

Wirkungsganze Ein Element des Kunstwerks hat nicht für sich selbst Bedeutung, sondern nur im Gesamtkontext der anderen Elemente. Dieses Wirkungsganze erzeugt Einheitlichkeit und Lebendigkeit für die Rezipierenden.

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Hildebrand Reliefauffassung

Riehl

Verhältnis der Flächenbewegung zur Verhältnis der Anfangs- und Schlusssituation -> einheitliche Bewegung, einTiefenbewegung, Beziehung zwischen Haupt- und Hintergrundfläche heitliche zeitliche Tiefe. -> einheitliche Tiefenbewegung. Allgemeine Gesetze unseres Verhältnisses zum sichtbaren Raum werden in Kunst festgehalten, durch sie wird die Natur erst für Gesichtsvorstellung geschaffen.

Hildebrand und Riehl verbindet dabei eine Unzufriedenheit mit (naiven) realistischen Strömungen in der Kunst, vor allem der Skulptur, bzw. in der Philosophie. Denen gegenüber akzentuieren sie eine spezifische Ausprägung des Formalismus, den beide in Auseinandersetzung mit Kant gewinnen. Diesbezüglich beschäftigt sich Hildebrand77 ebenso wie Riehl78 intensiv mit der Raum- und Zeitlehre Kants, wenngleich dies auf sehr unterschiedliche Art und Weise erfolgt. Stärker noch als Hildebrand – da dessen Schrift einen anderen Adressatenkreis anspricht und deshalb eine etwas andere Stoßrichtung hat – vertritt Riehl überdies einen Objektivismus. Ausgangspunkt der Analyse des Wesens der Kunst, des künstlerischen Schaffens und der ästhetischen Wirkung ist demnach die Tatsache der Kunst, die Analyse des konkreten Kunstwerkes. In dieser Hinsicht schlägt Riehl auch einen anderen Weg als Kant ein: Er wendet sich strikt vom Wohlgefallen ab, da dieses auf einer subjektiven Ebene operiere, insofern es immer vom rezipierenden Subjekt ausgehe. Dementsprechend bewertet Riehl auch den Ausdruck vom interesselosen Wohlgefallen als schief.79 Stattdessen lehnt er sich an Max Dessoir an, nach dem „das Eigentümliche des Untersuchungsgebietes hauptsächlich in der Beschaffenheit des Gegenstandes, nicht im Verhalten des genießenden Subjekts“80 zu finden

|| 77 Diese Bezugnahme auf Kant wird an Hildebrands unveröffentlichten Manuskript „Über die Kant’sche Raumauffassung“ noch deutlicher, das Riehl aber unbekannt gewesen sein dürfte. 78 Riehl 1925a, S. 148–163. 79 Riehl 1925b, S. 285. Siegel (1932, S. 144) hebt hervor, dass Riehl hier „kantischer als Kant selbst“ (1932, S. 144) vorgeht, der nicht die Kunst, sondern das ästhetische Wohlgefallen analysiert, um zu einer Anschauung über das Wesen des Gemütszustandes zu gelangen. Ob Riehl (und auch Siegel) mit dieser Einschätzung Kants Theorie dabei gerecht wird, sei hier außer Frage gestellt. Siehe dazu u. a. Allison 2001; Ginsborg 1990; Guyer 1979. 80 Dessoir 1923, S. 19.

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ist. Es ist bemerkenswerterweise Konrad Fiedler – der Freund Hildebrands –, der diesen Ansatz prominent vertreten hat. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Riehl seinen an Kant geschulten und im Philosophischen Kritizismus ausgeformten kritischen Realismus mit Bezug auf Hildebrand auch auf die Kunst zu transformieren vermag. Wie in der Wissenschaftstheorie und der Epistemologie ist es nicht Kants dritte Kritik, die für ihn hier zentral ist, sondern das Schematismuskapitel der ersten Kritik, wodurch das Konzept das Bildes ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückt. Es findet allerdings keine bloße Übertragung auf die Kunst statt, vielmehr gewinnt Riehl durch die Kunst einen weiteren Zugang zu seinem philosophischen Lebensproblem, mit dem er sich über 40 Jahre lang auseinandergesetzt hat.

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| IV: Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte

Hans-Dieter Klein

Transzendentale Systeme im Wien des 20. Jahrhunderts Abstract: There can be no doubt that the mainstream of German-speaking philosophy since the 1930’s had great reservations about Kant’s synthetic a priori. It was even usual – after the famous debate between Ernst Cassirer and Martin Heidegger in Davos – to speak of a real “collapse of Neo-Kantianism”. This essay draws attention to the fact that in Vienna in the 1930s, unlike in Germany, there was no end, but rather an important new development of Kantianism. Beginning with Robert Reininger, several very sophisticated theories emerged in the spirit of critical idealism. The interpretation of classical philosophers was carried out here less out of historical or philological interest than in the service of the contemporary updating of the philosophia perennis, whereby the reading of Kant provided the main guide. This essay attempts to provide a clear presentation of this tradition which existed in the 20th Century and survived unbroken to the present day.

Einleitung: Ewige Wahrheiten. Wissenschaftlichkeit der Philosophie. „Steadfastness“. „Das gegenwärtige Denken ist bestimmt durch den Vorgang der Vereinigung der Lebensphilosophie mit der Phänomenologie.“1 So urteilt Ernst von Aster in seiner in Stuttgart 1932 erstmals erschienenen Geschichte der Philosophie. 1958 schreibt Hermann Glockner: Sämtliche Richtungen des „Neukantianismus“ – vor allem die in ihrer Einseitigkeit besonders charakteristische und erfolgreiche „Marburger Schule“ – sind im Ersten Weltkrieg in das Massengrab der aus der Wilhelminischen Ära überkommenen deutschen Hoffnungen gesunken. Nur was davon in die „Idee des Systems der Philosophia perennis“ einzugehen vermochte, überlebte die Katastrophe – und wird auch weiterleben.2

|| 1 Aster 1956, S. 428. 2 Glockner 1958, S. 997. || Hans-Dieter Klein, Universität Wien [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-020

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Vornehmlich aus zwei Gründen erschien vielen etwa ab den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts der Neukantianismus obsolet zu sein: Erstens waren die neukantianischen Philosophen im Anschluss an Kant im Großen und Ganzen davon überzeugt, dass es Wahrheiten a priori, mit Leibniz zu sprechen: vérités eternelles, gäbe. Zweitens verstand sich der Neukantianismus – darin mit Positivismus und Husserlscher Phänomenologie einig – als wissenschaftliche Philosophie. Beide Aspekte waren in den Augen vieler damals nicht mehr glaubwürdig. Sehr schön kommt dieser Gegensatz in der Davoser Disputation zwischen Heidegger und Cassirer zum Ausdruck: Cassirer fragt Heidegger: Heidegger stellt einmal das Problem der Wahrheit und sagt: Wahrheiten an sich oder ewige Wahrheiten kann es überhaupt nicht geben, sondern Wahrheiten, sofern sie überhaupt bestehen, sind relativ auf das Dasein. Und nun folgt: Ein endliches Wesen kann überhaupt ewige Wahrheiten nicht besitzen. Es gibt für die Menschen keine ewigen und notwendigen Wahrheiten. ... Meine Frage ist nun: Will Heidegger auf diese ganze Objektivität, auf diese Form der Absolutheit, die Kant im Ethischen, Theoretischen und in der Kritik der Urteilskraft vertreten hat, verzichten? Will er sich ganz zurückziehen auf das endliche Wesen, wenn nicht, wo ist für ihn der Durchbruch zu dieser Sphäre? Ich frage das, weil ich es wirklich noch nicht weiß.3

Darauf antwortet Heidegger: Nun aber die Frage: Wie steht es mit der Gültigkeit der Ewigkeit der Wahrheit? Diese Frage orientiert man immer am Problem der Gültigkeit, am ausgesprochenen Satz, und erst von da kommt man auf das, was gilt. ... Die Wahrheit ist relativ auf das Dasein. Damit ist nicht gesagt, daß es keine Möglichkeit gäbe, für jedermann das Seiende, so wie es ist, offenbar zu machen. Ich würde aber sagen, daß diese Übersubjektivität der Wahrheit, dieses Hinausbrechen der Wahrheit über den Einzelnen selbst als In-der-Wahrheit-sein, schon heißt, an das Seiende ausgeliefert sein, in die Möglichkeit versetzt zu sein, es selbst zu gestalten. Was hier als objektive Existenz ablösbar ist, hat gemäß der jeweiligen faktischen Einzelexistenz einen Wahrheitsgehalt, der als Gehalt etwas über das Seiende sagt: Gegenüber dem Fluß des Erlebens gibt es ein Beständiges, das Ewige, den Sinn und Begriff. Ich stelle die Gegenfrage: Was heißt denn hier eigentlich ewig? Woher wissen wir denn von dieser Ewigkeit? Ist diese Ewigkeit nicht nur die Beständigkeit des aeí der Zeit? Ist diese Ewigkeit nicht nur das, was möglich ist auf Grund einer inneren Transzendenz der Zeit? ... Sind alle diese Titel der transzendentalen Metaphysik: A priori, aeí ón, ousía zufällig, oder woher kommen sie? Wenn sie vom Ewigen sprechen, wie sind sie zu verstehen? Sie sind nur zu verstehen und nur möglich dadurch, daß im Wesen der Zeit eine innere Transzendenz liegt, ... daß die Zeit in sich selbst horizontalen Charakter hat, daß ich im zukünftigen, erinnernden Verhalten immer zugleich einen Horizont von Gegenwart, Künftigkeit und Gewesenheit

|| 3 Heidegger 1973, S. 249–250.

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überhaupt habe, daß hier eine transzendental ontologische Zeitbestimmung sich findet, innerhalb deren allererst so etwas wie Beständigkeit der Substanz konstituiert.4

In B 419 bestimmt Kant das „ich denke“ nicht bloß „als einfaches Subjekt“, sondern auch als identisches Subjekt in jedem Zustand meines Denkens. Dieter Henrich baut auf dieser Bestimmung seine Rekonstruktion der transzendentalen Kategoriendeduktion auf. Zu Recht betont er dabei, dass die Identität des Subjekts nicht bloß im temporalen Übergang von einem Zustand zum anderen bestimmt werden könne. Denn man hat mit der Kantischen Position zu rechnen, daß die Zeitfolge keine Implikation des Identitätssinnes des Subjektes ist. Diese These ist nicht so absurd, wie es den Anschein haben mag. Denn ohne Zweifel muß man nichttemporale Abfolgen wie etwa logische Transformationen zugestehen.5

Wie die von Heidegger gebrauchten Beispiele metaphysischer Begriffe, so zeigen auch die Ausdrücke, mit welchen logische Übergänge bezeichnet werden, z. B. Conclusio, Prämissen, eine temporale Metaphorik, ebenso wie das Wort „logischer Übergang“ eine raumzeitliche Metaphorik verwendet. Dieser Sprachgebrauch rührt daher, dass wir z. B. beim sprachlichen Formulieren eines Syllogismus die drei Sätze zeitlich nacheinander aussprechen müssen. Dessen ungeachtet ist die logische Reihung von der temporalen Reihenfolge unabhängig. Ich kann z. B. sagen: „Alle Menschen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, also ist Sokrates sterblich,“ oder: „Sokrates ist sterblich, weil alle Menschen sterblich sind und Sokrates ein Mensch ist.“ In beiden Fällen ist die temporale Reihenfolge der ausgesprochenen Sätze konträr, aber die logische Richtung der Schlussfolgerung ist in beiden Fällen die gleiche. Daher sind Bestimmungen wie aeí ón oder a priori Metaphern, und es ist weder möglich, das Temporale aus dem Logischen, noch das Logische aus dem Temporalen abzuleiten. Diese Differenz übersieht Heidegger, bzw. er versucht, das Logische zuletzt auf das Temporale zu reduzieren. Diese Reduktion ist als Interpretation der Texte sowohl Kants als auch Platons und Aristoteles’ nicht haltbar bzw. eine Verkürzung. Aber auch als These heute ist diese Auffassung Heideggers meiner Meinung nach nicht akzeptabel: das angeführte Beispiel zeigt, wenn auch in sehr kurzer Darstellung, dass es eben nicht möglich ist, den logischen Übergang zuletzt auf einen temporalen zurückzuführen.

|| 4 Heidegger 1973, S. 253–254. 5 Henrich 1976, S. 89–90.

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Historisch ist übrigens zu betonen, dass Platon sehr genau die Ewigkeit der Ideen von einem immerwährenden Zustand unterscheidet: die Ewigkeit der Idee ist – wie die korrekte Definition eines Begriffes – gültig, völlig unabhängig von Raum und Zeit, während die Unsterblichkeit der Seele nach Platons Meinung als immerwährendes Leben der Seele, nicht aber als ewiges Leben aufzufassen ist: das immerwährende Leben der Seele, ihre Unsterblichkeit, ist ja für ihn Abbild der Ewigkeit des Ideenkosmos, aber nicht selbst ewiges Leben. Aristoteles, der zwar den Chorismos zwischen Ideen und Erscheinungen bestreitet, unterscheidet gleichwohl zwischen logischem und temporalem Übergang. Auch er stellt sich das von Cassirer in Bezug auf Kant angesprochene Problem, wie ewige Wahrheiten erkannt werden können von einem in der Zeit lebenden Subjekt. Man muss bedenken: Kant unterscheidet zwischen Kategorien und Schemata und sucht nach ihrer Verbindung im wirklichen Ich, aber er versucht nicht wie Heidegger, die Kategorien letztlich auf die Schemata zurückzuführen. Das Schema der Substanzkategorie ist für Kant das „Beharrliche in der Zeit“, also etwa das, was Heidegger „beständiges Sein“ nennt, und das Schema der Kategorie Notwendigkeit ist das „Dasein zu aller Zeit“, also das aeí ón, wobei der Zusammenhang der platonischen Argumente zur Ideenlehre zeigt, dass für Platon die Temporalität als sprachliche Metapher für Ewigkeit verwendet wird. Heidegger hingegen argumentiert so, als ob es möglich wäre, zu sagen, dass Kategorien letztlich nichts anderes wären als Schemata. Wer auf diese Diskussion und auf den so genannten „Zusammenbruch“ des Neukantianismus reflektiert, sollte selbst zur Frage der ewigen Wahrheiten systematisch Position beziehen. Denn je nachdem, wie man darauf antwortet, wird die Sicht auf die historischen Ereignisse anders ausfallen. Ich selbst will jedenfalls im Folgenden meine Antwort auf diese Frage geben und danach meiner Erzählung zugrunde legen: Dass Mathematik und formale Logik allgemeine und notwendige Wahrheiten formulieren und beweisen können, wird sowohl vom logischen Positivismus als auch von Husserl, vom Neukantianismus und von Peirce zugestanden. Kontrovers sind die Standpunkte der genannten Schulen jedoch hinsichtlich der Frage, ob die logischen und mathematischen Wahrheiten die einzigen ewigen Wahrheiten sind, oder ob es darüber hinaus noch andere derartige Wahrheiten gibt. Im Anschluss an Kant wurde bekanntlich die Frage diskutiert, ob es synthetische Urteile a priori geben könne? Sowohl Hegel als auch Quine vertraten jedoch die Meinung, dass die Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Urteilen nicht aufrechterhalten werden könne. Ohne hier auf diese Frage eingehen zu können, muss jedoch festgehalten werden, dass offensichtlich zumindest klärungsbedürftig ist, was man unter synthetischen und analytischen

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Urteilen genau verstehen will, vorausgesetzt, man möchte die Frage nach synthetischen Urteilen a priori aufrechterhalten. Ein weiteres Problem besteht darin, dass wir heute Logik und Mathematik nicht in der Alltagssprache, sondern in Kalkülen formulieren. Seit ihren Anfängen bei Russell und Moore hat jedoch auch die analytische Philosophie stets sowohl Kalküle als auch die Alltagssprache analysiert. So stellt sich bezüglich der ewigen Wahrheiten noch folgende Frage: Gibt es ewige Wahrheiten, die sich nicht formalisieren lassen und daher in der normalen Sprache formuliert werden müssen? Es gibt aber noch ein drittes Problem: In der Mengentheorie setzen wir Elemente an, die nicht wieder Mengen von Elementen sind, und aus diesen bauen wir dann schrittweise durch Befolgung reflexiver Imperative Mengen auf. Dabei erzeugen wir auch die Gesamtheit der reellen Zahlen, welche gemäß Kontinuumshypothese die stärkste kardinal mögliche Mächtigkeit hat. Dabei ist jedoch implizit das Kontinuum der Anschauung vorausgesetzt, welches keine Elemente kennt und in welchem es überhaupt keine genau abgrenzbaren Abschnitte oder Punkte gibt.6 Daher kann das mathematische Kontinuum, welches die Mächtigkeit der reellen Zahlen hat, nie dem Anschauungskontinuum entsprechen, und es gelten nach wie vor jene Aporien, welche bereits Zenon intuitiv erkannt hat, die sich aber durch die Axiomatische Mengentheorie, die Unvollständigkeitssätze Gödels und die Kontinuumshypothese auch „technisch“ elaboriert bestätigen. Weiters zeigt sich durch die semantischen Paradoxien, dass auch das formallogische Wahrheitsproblem aus sich selbst heraus über den logisch-mathematischen Kosmos hinaus verweist: der epistemische Lügner7 muss einen Ich-jetztIndikator verwenden, dessen Reflexivität sich nicht mehr an geordnete Reflexionsstufen binden lässt und daher jede Formalisierbarkeit sprengt, aber dennoch stillschweigend von der formalen Logik vorausgesetzt wird. Logik und Mathematik weisen also immanent über sich hinaus: sie setzen voraus erstens das nicht formalisierbare Kontinuum der Anschauung, welches vom Körper der reellen Zahlen nicht adäquat abgebildet werden kann und sich demnach nicht formalisieren lässt, und zweitens den Ich-jetzt-Indikator, der in allen normalen Sprachen existiert, der sich aber ebenfalls nicht von einer formalisierbaren Theorie erfassen lässt. Der nichtformalisierbare Ich-jetzt-Indikator spielt jedoch noch eine weitere unverzichtbare Rolle bei der Konstitution von Logik und Mathematik: Wenn wir

|| 6 Blau 1991. 7 Blau 2008, S. 21.

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mit Ulrich Blau die Auffassung vertreten, dass die Mathematik konstituiert wird durch selbstreflexive Imperative,8 dann müssen wir in diesen Imperativen Personalindikatoren verwenden. Darüber hinaus muss man feststellen, dass wir alltagssprachliche Begriffe und Sätze verwenden müssen, um uns bei der Errichtung der grundlegenden mathematischen und logischen Kalküle zu verständigen. So sind also alle jene Aussagen und Begriffe, welche sich selbst zwar nicht formalisieren lassen, welche aber unverzichtbar sind, um die formalen Sprachen und Theorien zu begründen, ihrerseits als Erkenntnisse a priori zu betrachten. Imperative wie: „Setze einen Punkt! Setze einen Nachfolger dieses Punktes und wiederhole diesen Vorgang!“ setzen z. B. bereits voraus: Handlungsbegriffe, denn jeder Imperativ befiehlt ja eine Handlung, weiters ist jeder Imperativ an ein Du gerichtet, demnach sind die Personalindikatoren vorausgesetzt; da aber befohlen wird, eine Handlung nach der anderen zu setzen, sind auch Zeitbegriffe vorausgesetzt usw. All diese Begriffe sind unentbehrlich, um die formalen Theorien zu errichten, können aber nur in nichtformalisierten Alltagssprachen formuliert werden und verwenden auch Begriffe, wie z. B. „ich“ und „jetzt“, welche, wie die zenonischen Aporien und der epistemische Lügner zeigen, selbst nicht formalisierbar sind. Allein, wenn man die jetzt aufgezählten zur Einrichtung formaler Sprachen und Theorien unentbehrlichen Begriffe Handlung und Ich näher analysiert, zeigt sich, dass z. B. eine Entfaltung des Begriffs der Handlung sämtliche Kategorien und Anschauungsformen Kants impliziert sowie die von Husserl so bezeichneten Formen des inneren Zeitbewusstseins und alle Personalindikatoren. Wir können aus diesen Überlegungen sicher folgern, dass es ewige Wahrheiten gibt, die sich nicht formalisieren lassen, die also über den logisch-mathematischen Kosmos hinausreichen. Die dabei verwendeten Begriffe, z. B. das anschauliche Kontinuum, die Zeitbegriffe, die Personalindikatoren usw. existieren in allen Alltagssprachen und sind zur Verständigung im Alltag unentbehrlich. Diese Begriffe lassen sich nicht formalisieren, und es lassen sich von ihnen keine, den Ansprüchen einer logischen oder mathematischen Theorie genügenden Definitionen bilden. Obwohl die Verständigung mit diesen elementaren und konstitutiven Begriffen aller Alltagssprachen nicht exakt sein kann im Sinn der Logik und Mathematik, sind sie doch hinreichend genau, um eine Verständigung im Alltag ohne Missverständnisse zu gewährleisten. Wie ist das möglich? Die Analyse dieser Begriffe zeigt, dass diese Metaphern verwenden, und zwar auf geregelte und nicht willkürliche Weise, z. B. die metaphorische Verwendung der Raumbegriffe „innen“ und „außen“ zur Bezeichnung mentaler Vorgänge. || 8 Blau 2008, S. 114.

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Die geregelte Metaphorik, welche die konstitutiven, aber nicht formalisierbaren Begriffe unserer Alltagssprachen unreflektiert verwenden, wurde in der Tradition bei der philosophischen Analyse dieser Begriffe zu Methoden ausgebaut. Zu nennen sind hier vor allem Analogia entis und Dialektik. Philosophische Methoden wie Analogia entis und Dialektik unterscheiden sich jedoch grundsätzlich von Formen des poetischen Sprechens und von der Rhetorik, z. B. in Predigten. Sowohl Analogia entis als auch Dialektik verwenden logische und mathematische Formen (wie z. B. Widerspruch, Negation, Negation der Negation, Negation der quantitativen Endlichkeit) metaphorisch gemäß strikt definierten Regeln, die von der jeweiligen Theorie genau angegeben und begründet werden müssen. Zum Unterschied davon verwenden die poetische und die rhetorische Sprache sowohl sinnliche als auch logische und mathematische Begriffe auf eine Weise, welche nicht durch Regeln von vornherein eingeschränkt ist und darüber hinaus mit dem Klang der Sprache bzw. dem Schriftbild bedeutungsvoll spielt. In Poesie und Rhetorik wird weiters aus Emotionen heraus gesprochen und es werden Emotionen evoziert, während die wissenschaftliche und philosophische Sprache von Emotionen absieht und bestrebt ist, „sine ira et studio“ zu denken und zu sprechen. Die Differenzierung wissenschaftlicher, poetischer und rhetorischer Sprachverwendung wurde erstmalig von Platon und Aristoteles herausgearbeitet. Meiner Meinung nach sind deren diesbezügliche Einsichten nach wie vor gültig. Der Unterschied zwischen Wissenschaft (einschließlich der Philosophie) auf der einen und Poesie und Rhetorik auf der anderen Seite wurde von Cassirer und dem Neukantianismus im klassischen Sinn aufrechterhalten. Es wurde auch die Philosophie als Wissenschaft angesehen und dementsprechend terminologisch zwischen Einzelwissenschaft und Philosophie unterschieden. In der Lebensphilosophie und bei Heidegger wird jedoch vielfach die Philosophie nicht als Wissenschaft betrachtet.9 Dementsprechend wird terminologisch zwischen Philosophie und Wissenschaft unterschieden; in seiner späteren Zeit verwendet Heidegger überhaupt den Terminus „Denken“. Er verwendet auch bei diesem Denken sprachliche Sequenzen, welche nach klassischer Einordnung als poetische bzw. rhetorische, nicht aber als wissenschaftliche Sprachverwendung eingestuft werden müssen. Dies zeigt sich auch, wenn in Davos folgende Anfrage aus dem Publikum an Cassirer gerichtet wird: „Wie weit hat die Philosophie die Aufgabe, frei werden zu lassen von der Angst? Oder hat sie nicht die Aufgabe, den Menschen gerade radikal der Angst auszuliefern?“ Heidegger scheint diese Frage zustimmend aufzunehmen, denn er sagt später, || 9 Vgl. auch Benedikt 1992.

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daß die Philosophie die Aufgabe hat, aus dem faulen Aspekt eines Menschen, der bloß Werke des Geistes benutzt, gewissermaßen den Menschen zurückzuwerfen in die Härte seines Schicksals.10

Wenn Heidegger hier von der „Härte des Schicksals“ spricht, so sei an eine Bemerkung erinnert, welche sich bei Hans Jonas findet. Hier erinnert sich Jonas an sein erstes Wiedersehen mit Julius Ebbinghaus, Schüler von Windelband, habilitiert bei Husserl, der schließlich zu einem ganz orthodoxen Kantianer geworden war. Er war einer der wenigen, welche, gestützt auf die Prinzipien der praktischen Philosophie Kants, während der Nazizeit öffentlich der nationalsozialistischen Ideologie widersprochen und deren Amoralität demonstriert hatten. Als Jonas ihm gegenüber seine Bewunderung für diese aufrechte Haltung zum Ausdruck brachte, sagte Ebbinghaus, dass er ohne die Philosophie Kants die Nazizeit nicht hätte überleben können. Jonas bemerkt dazu: „Such steadfastness reduces Heidegger, the far more important and original philosopher, to a nonentity.“11 Dass gerade Julius Ebbinghaus, der aus dem Südwestdeutschen Neukantianismus kommt, solche „steadfastness“ bewiesen hat, ist in Zusammenhang mit seiner strikten Rückkehr zum historischen Kant zu sehen. Hans Friedrich Fulda hat überzeugend aufgezeigt, dass es Defizite in der neukantianischen Kantrezeption waren, die das Abgleiten nicht weniger Vertreter des Südwestdeutschen Neukantianismus in den Nationalsozialismus ermöglicht hatten.12 Die entscheidende Stärke des historischen Kant für das Erkennen der grundsätzlichen, philosophisch demonstrierbaren Amoralität und Kriminalität des Nationalsozialismus, z. B. der Nürnberger Rassengesetze, begründet sich darin, dass Kant in der Metaphysik der Sitten auf der Grundlage des Grundgesetzes der praktischen Vernunft einen inhaltlich differenzierten Kanon des gerechten Rechts und der inhaltlichen Moral aus Vernunftgründen a priori zur Diskussion stellen kann. Zwar ist es erforderlich, Kants Lehre in der historischen Gestalt in vielen Punkten zu überarbeiten, aber das grundsätzliche Programm lässt sich meiner Meinung nach auch heute verteidigen. Dazu habe ich selbst einige Vorschläge gemacht.13 Eine inhaltlich differenzierte Theorie des gerechten Rechts, mit deren Hilfe es möglich, aber auch verpflichtend ist, als citoyen in den politischen Diskussionen auf die Verbesserung und Korrektur des je gültigen positiven Rechts hinzuarbeiten, ist das unverzichtbare Rüstzeug, um der politischen Kriminalität auch intellek-

|| 10 Heidegger 1973, S. 263. 11 Jonas 2008, S. 148. 12 Fulda 2009. 13 Klein 1984a, S. 28–29, Klein 1998.

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tuell und wissenschaftlich Widerstand zu leisten. Der Rechtspositivismus,14 auch wenn seine Vertreter von ehrbarer demokratischer und rechtsstaatlicher Gesinnung beseelt sind, ist nicht stark genug, um der relativistischen These von der Gesetztheit des Rechts durch die Brutalität der nackten Macht,15 die jede Inhumanität zum positiven Recht erheben kann, argumentativ gewachsen zu sein. Betrachtet man die Philosophie im Sinne von Platon und Aristoteles, so kann man der Auffassung, dass die Philosophie die Aufgabe hat, den Menschen seiner Angst auszuliefern oder ihn in die Härte seines Schicksals zurückzuwerfen, nicht zustimmen. Die Philosophie hat, wie auch die anderen Wissenschaften, die Aufgabe, „sine ira et studio“ die Wahrheit zu erkennen. Selbstverständlich reagiert jeder Mensch auch emotional auf Ergebnisse der Forschung. Z. B. kann die Diagnose, dass ich Krebs habe, Angst hervorrufen, oder der Befund, dass ich gesund bin, Erleichterung und Freude. So kann man vielleicht sagen, dass die philosophische Forschung zu Ergebnissen über das Leben des Menschen führt, welche Angst erregend sind oder welche dazu führen, dass Menschen ihr Schicksal als hart empfinden. Aber dass die Philosophie die Aufgabe hätte, solche Gefühle hervorzurufen, widerspricht der klassischen Auffassung von Philosophie, welche für Cassirer und den Neukantianismus nach wie vor gültig ist. Aus klassischer Sicht ist das Unternehmen, den Menschen seiner Angst auszuliefern oder in die Härte seines Schicksals zurückzuwerfen, ein rhetorisches, nicht aber ein philosophisches Unternehmen. Gleichgültig, wie man dieses rhetorische Unternehmen bewertet: Es ist nicht in der Lage, die Legitimität der Philosophie oder irgendeiner anderen Wissenschaft zu delegitimieren. Eine Delegitimation wissenschaftlicher Theorien kann nur selbst wieder mit wissenschaftlichen, nicht aber mit rhetorischen oder poetischen Mitteln gelingen. Um aber die Poesie nicht ganz unerwähnt zu lassen, gestatte ich mir, auf das berühmte Sonett „Zum ewigen Frieden“ von Karl Kraus16 hinzuweisen. Es ist nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes, eine systematische Theorie unserer Erkenntnisse a priori vorzulegen. Jedoch sind durch die angedeuteten Überlegungen für die folgende historische Erzählung hinreichend jene Gründe skizziert, welche mich dazu veranlassen, die Frage Cassirers an Heidegger dahingehend zu beantworten, dass es ewige, d. h. allgemeine und notwendige Wahrheiten gibt und dass diese sich nicht auf die formalen Theorien Logik und Mathematik beschränken lassen. Ich bin daher der Meinung, dass Cassirer gegenüber Heidegger im Recht war, wenn er unter Berufung auf Kant ewige Wahrheiten für unumgäng-

|| 14 Schild 1976. 15 Schild 2010. 16 Kraus 1918, S. 159–160; vgl. auch Klein, E. 2014, S. 39.

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lich hielt, und dass Heideggers Antwort, welche die ewigen Wahrheiten von der Zeit her als immerwährende charakterisiert, das eigentliche Problem verfehlt hat. Meiner Meinung nach lässt sich die Differenz zwischen Cassirer und Heidegger bei der Davoser Disputation auch mit Hilfe von Begriffen bzw. Termini charakterisieren, welche Hans Wagner17 herausgearbeitet hat: Hans Wagner unterscheidet noetische Reflexion, noematische Konstitutionsreflexion und noematische Geltungsreflexion. Diese Unterscheidungen knüpfen terminologisch an Husserls Differenzierung zwischen Noesis und Noema an. Noetische Reflexion ist jede Reflexion auf Akte des Bewusstseins, auch die empirische Psychologie. Die noematische Konstitutionsreflexion hat die Aufgabe zu zeigen, wie ein Noema, also z. B. ein Urteil oder eine Theorie, in Noesen, also Bewusstseinsakten, z. B. im Denken, konstituiert ist. Diese Konstitution ist für Husserl nicht durch empirische Psychologie möglich, sondern durch Introspektion, in welcher sich Evidenz einstellt, wodurch die Einsichten der noematischen Konstitutionsreflexion apriorischen Status erhalten. Diese Methode der Evidenz wurde von vielen Autoren, z. B. von Viktor Kraft18 zu Recht für nicht überzeugend gehalten: was ist, wenn in meiner Introspektion mir eine Einsicht evident erscheint, dir in deiner Introspektion aber nicht? Daher ist die phänomenologische Methode Husserls sehr gut geeignet, um Fakten des Bewusstseins zu analysieren und zu thematisieren. Aber den Status von allgemeinen und notwendigen Wahrheiten, welchen Leibniz und Kant für die ewigen Wahrheiten verlangen, kann diese Methode nicht erzielen. Auch die apodiktische Evidenz, welche Husserl in § 6 der ersten Cartesianischen Meditation einführt, bringt zwar das Problem immerhin zur Sprache, aber sie kann den grundsätzlichen Mangel nicht beheben, dass durch „Anschauung“ (Evidenz) eben Fakten festgestellt werden können, es jedoch nicht möglich ist, diesen Fakten Apodiktizität zu verleihen. Der grundsätzliche Mangel dabei besteht darin, dass Husserl Intentionalität primär nach dem Paradigma der Anschauung, nicht aber auch nach dem Paradigma der Handlung denkt. Vergleicht man seine Vorgangsweise mit der Argumentation des Aristoteles in Metaphysik 1006 a 18–21, so wird man sehen, dass Aristoteles hier quasi ein Experiment mit Festsetzungen von logischen Normen durchführt: Er zeigt, dass derjenige, der den Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs durch eine gegenteilige Regelfestsetzung aufheben will, sich selbst konterkarieren muss, weil er den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch beim Versuch von dessen Aufhebung selbst zur Anwendung bringen

|| 17 Wagner 1959. 18 Kraft 1960.

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muss. So wird tatsächlich Apodiktizität, also strikte Allgemeinheit und Notwendigkeit begründet. Daher ist die noematische Konstitutionsreflexion nicht ausreichend und zusätzlich die noematische Geltungsreflexion erforderlich. Diese wurde, freilich nicht unter dieser Bezeichnung, von Kant in der KrV, und zwar als Frage „quid juris?“ exponiert und war das Hauptthema der beiden Schulen des kritischen Idealismus in Marburg und in Südwestdeutschland. Kant geht in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV davon aus, dass einige Wissenschaften, und zwar Logik, Mathematik und, seit „dem Galilei ein Licht aufgegangen“ ist, auch Physik, den „sicheren Gang der Wissenschaft“ gefunden hätten. Was heißt das? Es bedeutet, dass diese Wissenschaften eine sichere methodische Vorgangsweise gefunden hatten, welche dazu führt, dass jeder Mensch, der die betreffende Methode anwendet, dabei zu den gleichen Ergebnissen kommen muss. Die noematische Geltungsreflexion versucht nun, zu begründen, warum dies gelungen ist, warum es möglich ist, mit einer bestimmten Methode in einem bestimmten Bereich argumentativ begründeten und kontrollierbaren Konsens zu erreichen. Historisch muss man ergänzen, dass bei der Entstehung des kritischen wissenschaftlichen Denkens bei den Vorsokratikern auch die Bedeutung der aísthesis für die empirische Erkenntnis ein ähnliches Faktum darstellt. Denn wenn man sich auf das stützt, was man selbst sieht und hört, so ist die Überprüfung durch alle anderen Menschen möglich. Denn, wenn sie selbst nachschauen, sehen sie das Gleiche. Für Sinnestäuschungen usw. gibt es auf diese Weise Erklärungen, welche auch von jedem Menschen überprüft werden können. Anders ist es bei Träumen oder Orakeln, Weissagungen usw. Auf Grund dieser Erfahrung entstand der Konsens, dass einerseits Wahrnehmung und andererseits logische Kohärenz die allen empirischen Wissenschaften gemeinsamen methodischen Kriterien für den sicheren Gang der Wissenschaft bilden, aber nicht Träume und Orakel. Bezieht man diese Differenzierungen auf die Davoser Disputation, so kann man sagen, dass sich Heidegger mit der noematischen Konstitutionsreflexion begnügt, während Cassirer zusätzlich die noematische Geltungsreflexion vertritt. Da Heidegger alle Geltungsinstanzen, welche der Geschichtlichkeit entzogen sind, bestreiten will, bekämpft er sowohl die noematische Geltungsreflexion als auch den Anspruch Husserls, durch Evidenz ewige und apodiktische Wahrheiten begründen zu können. Dennoch erhebt Heidegger für seine seinsgeschichtlichen Aussagen den Anspruch unbedingter Wahrheit. Dies ist möglich, weil er zwar das Bemühen Husserls um die apodiktische Evidenz ewiger Wahrheiten ablehnt, aber in gewissem Sinne Husserls Konzept der Evidenz übernimmt und weiterführt. Evidenz ist unmittelbares Wissen ohne Vermittlung. Genauso wie Viktor Kraft zu Recht darauf insistiert, dass jedes empirisch gegebene Faktum eine

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Hypothese im Kontext eines hypothetisch-deduktiven Systems ist, weist Hegel darauf hin, dass jedes unmittelbare Faktum vermittelt ist. Das Konzept evidenten Wissens ist ein Konzept unmittelbaren Wissens. Wenn nun das unmittelbare Wissen, welches für Heidegger darin besteht, dass sich das Sein selbst offenbart, als geschichtlich, aber doch immun gegen jeden Zweifel gedacht ist, dann stellt sich die Frage, worauf die Offenbarkeit beruht und wie wir sie von Selbsttäuschung unterscheiden können. Da dies aber nicht möglich ist, kann die Sicherheit nur mit rhetorischen Mitteln und mit suggestiver Eindringlichkeit hergestellt werden, wie dies an Heideggers Texten sehr deutlich wird. Die große Mehrheit der im deutschen Sprachraum maßgebenden Philosophen stimmte mit Heidegger in der Auffassung überein, dass die Annahme ewiger Wahrheiten obsolet sei. Aus diesem Grund wurde die phänomenologische Tradition mehr von Heidegger und Sartre her gelesen, die Transzendentalphänomenologie Husserls trat in den Hintergrund. Heideggers seinsgeschichtliche Verstiegenheiten, deren ideologische Verstricktheit in seinen Privatnationalsozialismus inzwischen offensichtlich ist, wurden zwar von Gadamer19 und anderen seiner Schüler nicht mitvollzogen. Jedoch bestritt Gadamer die Möglichkeit von Erkenntnis a priori in jenem Sinne, in welchem sich Husserl und der Neukantianismus darum bemüht hatten. Erkenntnis und Leben sind immer geschichtlich, Verstehen ist für ihn der grundsätzliche konstituierende Akt unserer geschichtlichen Erfahrung. Das Verstehen erfolgt jedoch immer aus einem geschichtlich gewordenen Horizont und weist für ihn stets eine Vorurteilsstruktur auf. Das Verstehen von Texten und Kunstwerken der Tradition ist der Meinung Gadamers nach nicht durch methodisches Vorgehen objektivierbar, wie der Historismus wollte, sondern führt zur Entwicklung der Vorurteilsstruktur des Verstehenden und zum Wandel im Verständnis des verstandenen Textes oder Bildes. Mit Recht kritisiert Vittorio Hösle,20 dass bei Gadamer keine Kriterien entwikkelt werden, welche es ermöglichen, richtiges von falschem Verstehen zu unterscheiden. Gadamer hält solche Kriterien auch nicht für möglich, sodass Hösle auch im Recht ist, wenn er bemerkt, dass der Buchtitel „Wahrheit und Methode“ eher intendiert: „Wahrheit statt Methode“.21 Gegenüber Gadamer möchte ich behaupten, dass in die geschichtliche Erfahrung Voraussetzungen a priori bzw. solche objektivierender Erfahrungswissenschaften eingehen. Da ist erstens zu erwähnen die objektivierende Erkenntnis der Naturwissenschaften, z. B. physikalische Gesetze und deren Voraussetzungen a

|| 19 Gadamer 1960. 20 Hösle 2013, S. 285–288. 21 Hösle 2013, S. 286; vgl. auch Hösle 2018.

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priori, z. B. die Kategorien. Zweitens ist der geschichtlichen Erfahrung das Sittengesetz a priori vorausgesetzt und der jeweilige Stand der öffentlich diskutierten moralischen Urteile. Drittens ist der geschichtlichen Erfahrung der Begriff der geschichtlichen Erfahrung selbst vorausgesetzt, der ebenfalls auf Prinzipien a priori beruht.22 Das Fehlen solcher Prinzipien hat sich auf die geistige Situation nach 1945 beeinträchtigend ausgewirkt. Mit Blick auf Julius Ebbinghaus darf man vielleicht sagen: Verstehen ist auch Verzeihen. Aber das Fehlen einer Systematik a priori verbindlicher moralischer Normen entbindet scheinbar auch von einer hinreichenden Schuldfeststellung und mildert allfällige Reue und in manchen Fällen das Bemühen um hinreichende Wiedergutmachung. Damit soll nicht verkannt werden, dass Philosophen wie Gadamer intellektuelle Träger des Wiederaufbaus des demokratischen Rechtsstaats nach 1945 waren. Es steht auch niemandem zu, aus sicherem Lehnstuhl im Frieden von Menschen, die sich mit ein wenig Opportunismus durch riskante Zeiten durchgeschwindelt haben und deren politische Urteilskraft vielleicht nicht ganz perfekt war, den Mut eines Julius Ebbinghaus einzufordern. Wir alle wissen nicht, wie wir uns dann bewähren werden, wenn die Geschichte unsere „steadfastness“ auf die Probe stellt. Aber es geht darum, „sine ira et studio“ die moralischen Normen zu erforschen und argumentativ zu begründen, gestützt auf das Grundgesetz der praktischen Vernunft, dessen Geltung Kant in Grundzügen bewiesen hat. Und da glaube ich, dass die nach 1945 vorherrschende Überzeugung, dass es keine beweisbaren Einsichten a priori gibt, und dass alles geschichtlich wird und vergeht, unzureichend war und dass das Vergessen dessen, was der Neukantianismus und die transzendentale Phänomenologie bereits erarbeitet hatten, ein schwerer Verlust war. Wenn Julius Ebbinghaus Recht hat, dann ist die Erkenntnis dieser Prinzipien auch eine Hilfe beim Bestehen der moralischen Prüfungen. Gefördert wurde jedoch durch diesen dogmatischen Glauben an die totale Geschichtlichkeit die philosophiegeschichtliche Forschung. Man darf sagen, dass die Philosophiegeschichtsforschung im 20. Jahrhundert zu einem zuvor nicht erreichten Höhepunkt gefunden hat. Methodisch bedienen sich diese Forschungen der Quellenkritik und anderer Hilfswissenschaften auf höchstem Niveau. Allerdings war diese epochemachende unverzichtbare Leistung zugleich nicht selten begleitet von einer Gesinnung, die schon Kant charakterisiert hat: „Es gibt Gelehrte, denen die Geschichte der Philosophie (der alten sowohl als der neuen) selbst ihre Philosophie ist; für diese sind gegenwärtige Prolegomena nicht geschrieben.“23

|| 22 Klein 2002a, S. 178; vgl. auch Nagl-Docekal 1982a. 23 Kant 1968, Bd. IV, S. 255.

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1 Kein „Zusammenbruch“ des Neuen Kantianismus in Wien In gewisser Weise kann man sagen, dass in Wien der so genannte „Zusammenbruch des Neukantianismus“ bisher nicht stattgefunden hat. Zwar muss man feststellen, dass die ursprünglichen Konzeptionen von Lotze und Windelband sowie von Cohen nicht unverändert weiter zelebriert wurden. Durch solche Einschränkung verwendet man den Begriff des Neukantianismus jedoch sehr eng. Ein weiter Begriff des Neukantianismus würde folgendes beinhalten: In der Mitte des 19. Jahrhunderts suchten viele für die Philosophie einen Weg, der weder den starken metaphysischen Theorien des ersten Kantianismus, d. h. des deutschen Idealismus, die man oft nicht mehr verstand und denen man daher umso leichter misstraute, nachfolgt, noch in die Falle des reduktiven Materialismus oder anderer Reduktionismen, welche als Reaktion auf den mit der Industrialisierung verbundenen durchgreifenden wissenschaftlichen und sozialen Wandel in Mode gekommen waren, geht. Das Bedürfnis nach einer nicht reduktiven, aber dennoch streng wissenschaftlichen Philosophie führte zu einer weit verbreiteten Wiederaufnahme des Kantstudiums. Dies würde ich als Neukantianismus in weitem Sinne bezeichnen, man könnte auch Zweiter Kantianismus sagen. Zu diesen Bemühungen gehören aber nicht nur die Marburger und die Südwestdeutsche Schule des kritischen Idealismus, sondern auch der so genannte realistische Neukantianismus von Otto Liebmann und Alois Riehl sowie der Pragmatizismus von Charles Sanders Peirce und seinen Nachfolgern. Die Schüler von Cohen, Natorp, Windelband, Rickert und Riehl gerieten beim Versuch, die Ansätze ihrer Lehrer weiter zu entwickeln und zu perfektionieren, mehr und mehr in Problemstellungen und sogar Lösungsversuche, welche viel Ähnlichkeit mit den Versuchen des ersten Kantianismus erkennen ließen. Dies ergab sich durch die innere Dynamik der Sachprobleme selbst. Daher begann diese Generation wieder intensiver die Philosopheme des deutschen Idealismus zu studieren, und es entstanden Standardwerke wie Von Kant bis Hegel von Richard Kroner. Die eigenen Systembauten von Cassirer, Hönigswald, Kroner und anderen muss man daher als Kantianismen in einem weiteren Sinn bezeichnen. Sie sind dem „kritischen Weg, der allein noch offen ist“ (Kant) nach wie vor verbunden, jedoch beziehen sie ihre Anregungen nicht nur von Kant selbst, sondern auch von Fichte, Schelling und Hegel, ja auch von Spinoza und Leibniz und von Platon und Aristoteles. Wenn man den Terminus Neukantianismus für die Marburger und die Südwestdeutschen reservieren will, dann kann man den Begriff „kritischer Idealismus“ oder „Neuer Kantianismus“ verwenden. „Kritischer Idealismus“ passt auf Kant selbst und auf alle Kantianismen seit Kant, und „Neuer Kantianismus“ bezeichnet den Ausgang von Kant, der alle Richtungen des Neukantianismus, aber auch die

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späteren Ausformungen von Cassirer, Hönigswald, Kroner und vielen anderen mit einschließt und rein begrifflich auch auf Peirce zutreffen könnte. Ebenfalls um strenge Wissenschaftlichkeit bemühte Alternativen zum kritischen Idealismus waren erstens der Versuch Brentanos und seiner Schüler, Philosophie auf empirische Psychologie zu gründen. Dieser Versuch wurde bekanntlich dann von Brentanos Schüler Husserl radikal kritisiert, eine Kritik, welche zur Begründung der phänomenologischen Forschung in der Philosophie führte. Da Husserl später die Phänomenologie zur transzendentalen Phänomenologie weiter entwickelte und damit Probleme thematisierte, mit denen auch Vertreter des kritischen Idealismus wie der späte Natorp, Hönigswald und andere befasst waren, entstand das Bedürfnis nach einer vorsichtigen Annäherung beider Traditionen, deren Anfänge 1934 durch die politische Katastrophe unterbrochen worden sind. Diese Diskussion wurde jedoch nach 1945 intensiv vor allem von Hans Wagner weitergeführt, dessen Theorie der Reflexion mit der bereits besprochenen Unterscheidung von noetischer Reflexion, noematischer Konstitutionsreflexion und noematischer Geltungsreflexion eine meiner Meinung nach stichhaltige Basis für die weitere Arbeit am Projekt der Vereinigung von Neukantianismus und Phänomenologie vorgelegt hat. Hans Wagners Anfänge sind bekanntlich sehr stark von Nicolai Hartmann bestimmt. Dieser entstammt ja der Marburger Schule. Seine spätere Wendung gegen den kritischen Idealismus hin zu einer Ontologie mit dem Streben nach Wissenschaftlichkeit hat zwar nicht zu einem Aristotelismus geführt, aber doch viele Anregungen von Aristoteles eingearbeitet. Der Aristotelismus, welcher auch die ursprüngliche wissenschaftliche Heimat des katholischen Theologen Brentano bildet, war natürlich im Neothomismus voll präsent. Philipp Frank gesteht sowohl den Neothomisten als auch den Neukantianern das Bemühen um Wissenschaftlichkeit zu, welches sie mit den Neopositivisten und dem Wiener Kreis gemeinsam hätten.24 Alle diese Richtungen haben das Streben gemeinsam, Philosophie als strenge Wissenschaft zu betreiben. Was jedoch in vielen Richtungen der Philosophie nach 1945 dominierend war, war eine gewisse Skepsis gegenüber der Wissenschaft. Diese besteht darin, nicht nur reduktionistische Formen der Wissenschaft, sondern Wissenschaft insgesamt erstens auf Technik zu reduzieren und zweitens für zumindest partiell gefährlich zu halten und delegitimieren zu wollen. Es sind dies Richtungen, die auch untereinander verfeindet waren. Vor allem sind hier zu nennen Heidegger und die Hermeneutik, aber auch Teile des Existentialismus, die ältere Frankfurter Schule und verschiedene ideologische Positionen, welche auch in die Universi|| 24 Fischer 1995, S. 267.

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tätsphilosophie mehr oder weniger eindringen konnten. Diese Tendenzen drängten den kritischen Idealismus ebenso wie die Phänomenologie Husserls in den Hintergrund. In Bezug auf diese Situation formuliere ich meine These, dass der „Zusammenbruch“ des Neukantianismus in Wien nicht stattgefunden hat. Denn der kritische Idealismus war an der Universität Wien mit Robert Reininger und dem Privatdozenten Erich Heintel stark vertreten. Dadurch dass Heintel 1952 zum Professor ernannt wurde, bekam diese Präsenz selbstverständlich eine massive Unterstützung. Das große Talent Heintels als Lehrer hätte jedoch auch ohne seine Bestallung als Professor zur Heranbildung engagierter Schüler geführt. Die Geschichte des Neukantianismus beginnt in Österreich mit Alois Riehl, in Wien mit Robert Reininger. Richard Hönigswald, Riehls Schüler, der meiner Meinung nach als der bedeutendste aus Österreich stammende Vertreter des kritischen Idealismus bezeichnet werden kann, wirkte hauptsächlich in Breslau und München. Da Riehl, Reininger und Hönigswald im vorliegenden Sammelband im Beitrag von Kurt Walter Zeidler auf eine Weise besprochen und dargestellt werden, welche mit meinen Auffassungen weitgehend übereinstimmt, kann ich gleich dort einsetzen, wo Zeidler die Erzählung abbricht, nämlich bei Erich Heintel. Ausführlicher als in diesem Band hat Zeidler die genannten Philosophen in anderen Publikationen umfassend und trefflich dargestellt, daher sei auf diese Publikationen mit Nachdruck verwiesen.25 Bevor ich mich mit Heintel befasse, möchte ich noch zwei Kantianer erwähnen, die Zeidler ebenfalls in einer anderen Publikation zu Recht würdigt: Max Adler und Oskar Ewald. Selbstverständlich muss an dieser Stelle der auch international höchst bedeutende österreichische Rechtsphilosoph und Jurist Hans Kelsen genannt werden. Seine Reine Rechtslehre steht dem Marburger Neukantianismus nahe. Über ihn gibt es eine umfangreiche Literatur, sodass es nicht nötig ist, ihn hier zu besprechen, was auch den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde. Erinnert sei nur daran, dass er der wichtigste Mitgestalter des Bundesverfassungsgesetzes von 1920 ist, welches in der novellierten Fassung von 1929 die Grundlage auch noch der heutigen Bundesverfassung der Republik Österreich ist. Ähnlich wie Karl Vorländer versuchte auch Max Adler im Anschluss an den Begriff des Sozialismus bei Hermann Cohen Marxismus und Kantianismus miteinander zu verbinden. Seine Arbeit spielte eine große Rolle im so genannten Austromarxismus. Diese Verbindung von Kantianismus und Marxismus erweckte auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kreis um Erich Heintel mehrfach Interesse. Hier ist namentlich die Arbeit von Peter Heintel26 zu erwähnen.

|| 25 Zeidler 1995, Zeidler 2004, Zeidler 2015. 26 Heintel, P. 1967 und Zeidler 2015, S. 481.

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Der Politologe und Philosoph Norbert Leser, der in Österreich in dieser Zeit der führende Kenner Max Adlers war, wurde auf Initiative Erich Heintels zum Professor an das Institut für Philosophie berufen. Er entwickelte sich in seinen späteren Jahren zu einem Bewunderer der systematischen Philosophie Erich Heintels, nicht ohne auch in philosophischen und theologischen Fragen seine eigene Position zu entwickeln. Noch größere Verwandtschaft zu Hermann Cohen hat der kantianische Sozialismus von Oskar Ewald.27 Er versuchte, im Anschluss an Kant einen religiösen Sozialismus zu begründen. Jüdischer Herkunft wie Max Adler musste er 1938 fliehen und ist 1940 in England gestorben. Trotzdem hat seine Philosophie in Wien bedeutend nachgewirkt. Michael Benedikt,28 dessen Vater Eugen Benedikt dem „kleinen“ Otto Bauer beratend bei der Gründung des Bundes religiöser Sozialisten zur Seite stand, dem auch Oskar Ewald als maßgebendes Gründungsmitglied angehörte, war in Wien ordentlicher Professor für Philosophie von 1976 bis 1997. Er vertrat eine an Kant orientierte philosophische Position, in welcher er auch die Tradition Oskar Ewalds weiterführte. Davon wird weiter unten zu reden sein.

2 Erich Heintel Eine systematische Konzeption, die derjenigen Hönigswalds in vielem nahe steht, vertrat der Wiener Philosoph Erich Heintel, obwohl diese Ähnlichkeit nicht durch unmittelbare Beeinflussung zustande gekommen ist, sondern eher dadurch, dass Heintel von verwandten Quellen ausgehend zu Resultaten kam, die mit Hönigswalds Ansichten über weite Strecken übereinstimmen. Heintel schätzte Hönigswald sehr, aber unmittelbaren Bezug nahm er lediglich auf den Aufsatz „Über den erkenntnistheoretischen Gehalt alter Schöpfungsmythen“29 und auf Hönigswalds Sprachphilosophie. Wie dieser konkretisierte er die Transzendentalphilosophie unter Aufnahme von Motiven Hamanns, Herders und Humboldts als transzendentale Sprachphilosophie, was auch von Apel und vom frühen Habermas geschätzt wurde. Unmittelbar mit Hönigswald setzte er sich auch in einer Rezension des Nachlasses Hönigswalds auseinander.30 Heintels Lehrer Robert Reininger vertrat eine Transzendentalphilosophie, welche vom „Urerlebnis“ ausgeht. In Übereinstimmung mit dem Neopositivismus

|| 27 Zeidler 2015, S. 482. 28 Benedikt 1982a. 29 Heintel, E. 1972, S. 222; Heintel, E. 1984, Bd. II, S. 322; Heintel, E. 1990, S. 105. 30 Heintel, E. 1988ff., Bd. 7 (2000), S. 217ff. und 226ff.

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war Reininger davon überzeugt, dass wir es im Denken immer nur mit Aussagen zu tun haben, sowie mit Aussagen über Aussagen, und dass wir unsere Aussagen permanent korrigieren und korrigieren müssen. Aber vorausgesetzt ist diesem permanenten Vermittlungszusammenhang der Aussagen stets die unmittelbare Erlebnisgewissheit der ursprünglichen, selbst nicht aussagbaren, aber in allen Aussagen präsenten ursprünglichen Einheit von Denken und Sein. Den Ausdruck „Urerlebnis“ hat Reininger vermutlich von Natorp übernommen,31 ebenso den Gedanken der allen Aussagen vorausgesetzten und in ihnen präsenten, aber selbst nicht aussagbaren unmittelbaren Erlebnisgewissheit der Einheit von Denken und Sein. Reiningers Konzeption des Urerlebnisses hat, wie öfters bemerkt wurde, große Ähnlichkeiten mit Husserls aller Selbstthematisierung des Ich vorausgesetzten unmittelbaren Selbstgewissheit desselben. Diese Ähnlichkeit zwischen Husserl und Reininger dürfte, wie Zeidler aufgezeigt hat,32 daher rühren, dass beide diesen Grundgedanken aus derselben Quelle beziehen, nämlich aus der Spätphilosophie Natorps.33 Hönigswald hat Natorps „Allgemeine Psychologie“ folgendermaßen kritisiert: Natorp ist ja der Meinung, dass grundlegende psychische Akte, insbesondere das „Urerlebnis“ gar nicht verbalisiert werden können, und vertritt eine negative Psychologie in der Art der negativen Theologie. Damit ist Hönigswald nicht einverstanden. Er ist der Meinung, dass zwar viele Erlebnisse nonverbal sind, aber diese müssen seiner Meinung nach grundsätzlich verbalisierbar sein.34 In ähnlicher Weise kritisiert Heintel das Urerlebnis bei Reininger. Er drückt das Argument, welches Hönigswald gegen Natorp wendet, mit Hegels Satz aus: „Alles Unmittelbare ist vermittelt.“ Die Vermittlung ist für Heintel das Ich. Wie Hönigswald am Urteil einen Ichpol und einen Istpol unterscheidet, so ist für Heintel die Vermittlung als Ich transzendental, das Unmittelbare hingegen ontologisch bestimmbar. Wie Hönigswald das Seiende als in sich zentriert und als Organismus auffasst, so ist für Heintel das Unmittelbare in sich vermittelt und als solches In-sich-Vermitteltsein Entelechie und Organismus. Zu diesen Positionen ist Heintel nicht durch Hönigswald gelangt, sondern durch sein Biologiestudium, durch das Studium der Kritik der Urteilskraft, der Naturphilosophie Schellings, durch Hegel und vor allem auch durch Leibniz und zeitgenössische Philosophen wie Richard Kroner35 und

|| 31 Zeidler 1995, S. 256. 32 Zeidler 1995, S. 256, Anm. 5. 33 Vgl. auch Stolzenberg 1995. 34 Zeidler 1995, S. 91. 35 Kroner 1913.

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Wilhelm Burkamp36, dessen Buch Wirklichkeit und Sinn von ihm sehr geschätzt wurde. In der Vorrede zur Theodizee37 spricht Leibniz davon, dass es in der Philosophie zwei Labyrinthe gäbe, das des Kontinuums und das der Freiheit. Daran schließt Heintel an und unterscheidet zwei Voraussetzungen, von denen das Philosophieren ausgehen muss: das Ich, welches er im Anschluss an Hegels Terminologie als „transzendentalen Begriff“ bezeichnet, und die aristotelische Entelechie, die er „ontologischer Begriff“ nennt. Die theoretische Philosophie muss demnach Transzendentalismus und Aristotelismus miteinander vermitteln. Heintels Lehre von den beiden Voraussetzungen Ich und Entelechie hat eine gewisse Verwandtschaft mit der Position des mit ihm befreundeten Hans Wagner. Dieser geht ja aus von den Bestimmungen Subjekt, Gegenstand, Akt (Noesis) und Noema. Weil Denken Absolutheit nur in der Funktion des Bezugs von Anderem besitzt und weil das a priori entworfene Gegenständliche zwar Anderes, als entworfenes Anderes jedoch Konstitut des Denkens selbst ist, ergibt sich für Wagner, daß das Denken des Bezugs auch eines solchen Anderen bedürfe, das nicht sein Konstitut, sondern von anderen Prinzipien Konstituiertes ist. Dieser Gedanke bietet, soweit er überzeugt, eine „prinzipientheoretische“ – gerade keine bewußtseinstheoretische oder gar mentalistische (cf. auch KP, 114–124)! – Begründung des „Ansichseienden“ und somit auch unseres gewöhnlichen Realitätsbewußtseins (PR, § 20); damit leitet er die Transzendentalphilosophie zunächst in genuine Ontologie über (sodaß Wagner ein Hauptanliegen N. Hartmanns integrieren kann, dessen Denken er stets mit Achtung begegnet, auch wenn er die Grundlagen dieses Denkens, genauer: dessen transzendentale Grundlosigkeit verwirft).38

Das Aufeinanderbezogensein von Transzendentalphilosophie und Ontologie vertritt auch Heintel. In der Ontologie orientiert er sich jedoch nicht an N. Hartmann, dem er sehr kritisch gegenüberstand, sondern ausschließlich an Platon und vor allem an Aristoteles und Leibniz. Das Ich und der mit Leibniz als Monade aufgefasste Organismus haben Folgendes gemeinsam: Beide sind Gegenstände in Raum und Zeit, die wir als physikalische Objekte bestimmen können und die lückenlos den physikalischen Gesetzen unterliegen. Beide gehen aber nicht auf in dem, was sich physikalisch über sie aussagen lässt. Das Ich ist als Objekt der Physik, der Psychologie, der Medizin, der Soziologie usw. gegeben, zugleich aber ist es die Instanz, der alles

|| 36 Burkamp 2010. 37 Gerhardt (Hrsg.) 1961, S. 29 38 Aschenberg 1999, S. 226. Das Kürzel PR bedeutet Wagner 1956 und das Kürzel KP Wagner 1980

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Gegebene gegeben ist. Der Organismus ist Objekt der Physik, der Chemie usw. Würde er aber in diesen Bestimmungen aufgehen, dann wäre es nicht möglich, den Organismus als funktionale Einheit, in der Terminologie des Aristoteles: als Entelechie zu betrachten. Es wäre kein grundsätzlicher Unterschied, ob einem Säugetier die Nägel geschnitten oder der Kopf abgeschnitten wird, es wäre kein Unterschied, ob ein Schaf geschoren oder geschlachtet wird. Beides sind physikalische Prozesse der Zerlegung eines Körpers. Phänomene, die einerseits als Gegenstände in Raum und Zeit unter physikalischen Gesetzen bestimmbar sind, aber durch diese Bestimmung als Objekt nicht wesentlich erfasst werden, bezeichnet Heintel als dialektische Phänomene.39 Heintels Meinung nach war Hegel der einzige Philosoph der Tradition, der das Phänomen der Dialektik von Ich und Organismus methodisch angemessen erfasst hat. Im Anschluss an Hegels Terminus „Begriff“ bezeichnet er daher, wie schon erwähnt, das Ich als „transzendentalen Begriff“ und die aristotelische Entelechie als „ontologischen Begriff“. Ähnlich wie der von ihm besonders geschätzte Richard Kroner war Heintel jedoch der Meinung, dass Hegel im Irrtum war, wenn er die Dialektik in Gott bzw. das Absolute hineinprojizierte und so die Position einer absoluten Dialektik vertrat. In Bezug auf die Theorie der Dialektik betonte er immer wieder seine besondere Übereinstimmung mit Jonas Cohn.40 Bei Platon und Aristoteles, aber in deren Gefolge auch in der scholastischen Philosophie bis zum Neothomismus, wurde der Versuch gemacht, die praktische Philosophie auf das Fundament der Ontologie zu gründen. Dieser Ordogedanke ist nach Heintel ebenso bewundernswürdig wie unhaltbar. Dies zeigt sich bereits bei Abaelard, aber erst Kant gelingt es, die praktische Philosophie unabhängig von Ontologie und Theologie zu begründen, und zwar indem er, wie Heintel meint, das Gebäude der praktischen Philosophie auf der Inappellabilität des individuellen Gewissens errichtet. Kants Durchbruch wird bei Hegel in Substantialität eingebettet und somit bis zu einem gewissen Grad zurückgenommen, was aus der Perspektive Heintels unzulässig ist. Diesbezüglich stimmte er der Hegelkritik Schellings in dessen Freiheitsschrift von 1809 zu, welche er als Wiederaufnahme von Kants Theorie der Freiheit interpretierte. Seiner Meinung nach war es Kant vorbehalten, eine fundierte Theorie der Freiheit vorzulegen, woran die gesamte Tradition einschließlich Leibniz gescheitert wäre, weil Kant die Absolutheit des individuellen Gewissens angemessen herausgearbeitet hätte. Hier bestand in Heintels Anfängen die Gefahr, Kant in zu große Nähe zum Existentialismus zu rücken und zu wenig zu beachten, dass der Begriff des

|| 39 Heintel, E. 1984. 40 Cohn 1923.

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Gewissens in der praktischen Philosophie Kants nicht isoliert dasteht, sondern im Zusammenhang mit Sittengesetz, Kategorien der Freiheit, moralischer Urteilskraft, Achtung, moralischem Gefühl, Liebe usw. bedacht werden muss. In seinen späteren Jahren hat Heintel selbst mehr und mehr ähnliche Differenzierungen vorgenommen. Auch in der Rechts- und Geschichtsphilosophie wandelt Heintel auf den Spuren Kants. Seit den 30er Jahren vertrat er kontinuierlich Kants Gedanken des Völkerbundes und das Ideal des ewigen Friedens sowie die Theorie der Grund- und Menschenrechte. Zwei Probleme sind es, die nach Heintel über den Problemkreis der praktischen Philosophie hinaus verweisen: erstens ist der Mensch, und zwar jeder Mensch, moralisch unvollkommen und wird sich schmerzlich seiner Schuld bewusst, es sei denn, die Erkenntnis eigener Schuld wird durch Selbsttäuschung zugeschüttet. Zweitens ist bei einem Wesen, welches wie der Mensch die Zukunft vorwegnimmt, der Tod ein Ereignis, welches durch keine innerweltliche Antwort versöhnt wird. Nun ist es Tatsache, dass viele Menschen auf diese beiden Fragen Antwort finden im Glauben an Gott. Die Existenz Gottes kann theoretisch weder widerlegt noch bewiesen werden, sondern der Glaube an Gott ist für Heintel ein „Totalexperiment“ des gesamten Daseins eines Menschen. Auch hier bewegt sich Heintel in Gedanken, die denen Richard Kroners verwandt sind, obwohl er vermutlich unabhängig von Kroner zu einer ähnlichen Auffassung gelangt ist. Der Titel der frühen Schrift Hans Wagners Existenz, Analogie und Dialektik41 liefert auch die Stichworte, welche für Heintels Philosophie des Glaubens zentral sind. Zum Unterschied von den Problemen der Dialektik, welche ja stets mit innerweltlichen Phänomenen befasst sind, geht es beim Glauben um Transzendenz. Hier schließt Heintel an die Lehre von der Analogia entis an, namentlich an Thomas von Aquin. Um seine Auffassung von Transzendenz zu interpretieren, ist es nötig, sich an seine Anknüpfung an Hegels Ausführungen zur „sinnlich-übersinnlichen Differenz“ zu erinnern. Wie Nietzsches Kritik an der „Hinterwelt“ und das Argument des „dritten Menschen“, welches Aristoteles gegen den Platonismus richtet, wenngleich es von Platon selbst schon verwendet wurde, kritisiert Heintel die Annahme einer übersinnlichen Welt, welche nichts anderes darstellt als eine Verdopplung der sinnlichen Welt. Heintel hat dafür auch gerne den Ausdruck „Gespenstermetaphysik“ verwendet. Es geht vielmehr darum, zu zeigen, dass die sinnliche Welt selbst durch den in ihr handelnden Menschen, der sich frei selbst bestimmen kann und muss, über die sinnliche Welt hinausweist. Sprachlich ausdrücken können wir jedoch dieses Transzendieren der Freiheit || 41 Wagner 1953

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nicht durch theoretische Annahmen, sondern durch eine Metaphorik, welche im Primat des Praktischen steht. Diese auch schon in der Alltagssprache präsente Metaphorik wird durch die Methode der Analogia entis methodisch kontrollierbar. Dem Moment „Existenz“ entspricht in seiner Philosophie des Glaubens das, was er „Totalexperiment des Glaubens“ genannt hat, dem Moment „Analogie“ Heintels Anknüpfung an Thomas im Zeichen Kants, und das Moment „Dialektik“ verfehlt seiner Meinung nach das Problem der Transzendenz, weshalb er Hegels absolute Dialektik in ähnlicher Tendenz kritisiert hat wie Richard Kroner. Seine Ansichten zu Glaube und Theologie sind in dem von Stephan Haltmayer und Waltraud Heintel aus dem Nachlass herausgegebenen Buch Mündiger Mensch und christlicher Glaube42 dargestellt. Eine übersichtliche Darstellung seines Gesamtsystems kann man in seiner Einführung43 finden sowie in dem Buch Theologie im Gesamtraum des Wirklichen von Helmut Gehrke.44 Schüler Heintels, welche außerhalb Wiens wirkten, waren unter anderen Arno Anzenbacher,45 Josef Derbolav, Dietrich Benner, J. C. Horn, Heimo Hofmeister und Wolfdietrich Schmied-Kowarzik. Zeitweilig in Wien studiert hatten Carlos Cirne-Lima und Bruno L. Puntel. Heintel kritisierte von Kant her seit seiner Jugend sowohl den Biologismus, der bei Nietzsche anklingt, als auch dessen Moral- und Christentumskritik.46 Desgleichen war er ein scharfer Kritiker Heideggers, insbesondere von dessen Position nach der „Kehre“. Abgesehen von den großen Philosophen der Tradition, der Philosophia perennis, waren im 20. Jahrhundert von ihm besonders geschätzte und häufig zitierte Philosophen Cohen, Natorp, Cassirer, Richard Kroner, Jonas Cohn, Hönigswald, Theodor Litt und natürlich sein Lehrer Reininger. Auf die Schriften dieser Philosophen berief er sich auch in seinen Publikationen während der NS-Zeit. Den Rassismus lehnte er als biologistisch ab. Warum er sich trotz dieses offensichtlichen Gegensatzes seiner Philosophie zur nationalsozialistischen Ideologie um die Mitgliedschaft bei der NSDAP bewarb und als zahlendes Mitglied in den Dokumenten aufscheint, ist durch biographische Forschung zu klären. Hier gibt es inzwischen die Monographie des Zeithistorikers Franz Weisz.47 Philosophisch ist es meiner Meinung nach, was durch Franz Weisz bestätigt wird, deshalb irrelevant, da, anders als dies bei Heidegger der Fall ist, in || 42 Haltmayer/Heintel, W. 2004. 43 Heintel, E. 1986. 44 Gehrke 1981. 45 Siehe Anzenbacher (1981/2010, 8. Aufl.), Anzenbacher (1992/2003, 3. Aufl.), Anzenbacher (1998). 46 Heintel, E. 1939. 47 Weisz 2009.

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seinen philosophischen Schriften und Argumenten keine Nähe zum Nationalsozialismus nachweisbar ist. Auch in seiner Theologie gibt es nicht die Distanz zur hebräischen Bibel, welche in seiner Auffassung vom Christentum die Grundlage aller Offenbarung darstellt. Ich selbst und andere, die nicht nur Erich Heintels philosophische Arbeit, sondern auch ihn als Menschen hoch schätzen und sich in Dankbarkeit seiner erinnern, hätten es für richtig und angebracht gehalten, wenn er eingestanden hätte, dass sein Beitritt zur NSDAP ein Fehler gewesen ist und den von ihm selbst vertretenen Prinzipien der praktischen Philosophie widersprochen hat. Überraschenderweise ist vor kurzem auch eine diesbezügliche Diskussion über Robert Reininger entstanden: 1927 trat die „Philosophische Gesellschaft an der Universität Wien“ der „Kant-Gesellschaft“ als Ortsgruppe bei und trug den Namen: „Philosophische Gesellschaft an der Universität Wien, Ortsgruppe Wien der ‚Kant-Gesellschaft‘“. Beiräte waren unter anderen Karl Bühler und Moritz Schlick. Dieser Beitritt ist jedoch kein Indiz für eine Nähe zum Nationalsozialismus, wie Bastian Stoppelkamp suggeriert, sondern bewegt sich, abgesehen von den rein philosophischen kantianischen Motiven, im Rahmen des in allen politischen Parteien in der Ersten Republik Österreich bestehenden weitgehenden Konsenses, dass der Beitritt Österreichs zum Deutschen Reich ein wünschenswertes politisches Ziel sei. Nicht nur Reininger war ein Befürworter des Beitritts der Republik Österreich zur Republik Deutschland, wie es die deutschösterreichische Nationalversammlung am 12. November 1918 beschlossen hatte, dann aber auf Druck der Siegermächte davon Abstand nehmen musste, sondern beispielsweise auch Hans Kelsen. Erst nach den Erfahrungen mit dem vollzogenen „Anschluss“ 1938 unter nationalsozialistischen Bedingungen änderte sich das. Bastian Stoppelkamp sieht jedoch darin einen weiteren Fall „eines fatalen deutschen Sonderwegs, der von der Rezeption Kants zur Misere des Dritten Reiches geführt hatte“48. Dass diese These philosophisch absurd ist und jeder Begründung entbehrt, wurde mit philosophischen Argumenten vielfach gezeigt: Da auch für Peirce das Kant-Studium und sogar die Bezugnahme auf Schellings objektiven Idealismus sehr bedeutsam ist, da weiters in der heutigen analytischen Philosophie das Kant-Studium und die partielle Übernahme kantischer Thesen sehr wichtig geworden ist, entbehrt Stoppelkamps These, das Kant-Studium oder den Kantianismus als deutschen Sonderweg aufzufassen, jeder Begründung. Historisch ist diese These schlichtweg auch deshalb falsch, da ein großer Teil der führenden deutschen Kantianer nach 1933 als Juden in die Emigration getrieben wurde. Waren also Cohen, Cassirer, Kelsen und viele andere eigentlich || 48 Stoppelkamp 2015, S. 438.

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Wegbereiter der politischen Katastrophe von 1933? Was den Beschluss der Philosophischen Gesellschaft an der Universität Wien, sich als Ortsgruppe Wien der „Kant-Gesellschaft“ zu konstituieren, betrifft, so darf angemerkt werden: Obmann war Reininger, seine beiden Stellvertreter waren Karl Roretz und Theodor Auspitz, beide jüdischer Herkunft. Mitglieder des Beirats waren Moritz Schlick und der berühmte Philosoph und Sprachpsychologe Karl Bühler, ebenfalls von den Nazis verfolgt und zur Emigration gezwungen. Auch der unterzeichnende Schriftführer Arthur Liebert war Jude. Die „Philosophische Gesellschaft an der Universität Wien – Ortsgruppe Wien der ‚Kant-Gesellschaft‘“ hat 1939 ihre Selbstauflösung beschlossen. Als Robert Reininger „als Obmann der Philosophischen Gesellschaft nach dem Anschluß 1938 von der Vereinspolizei den Auftrag erhielt, die nichtarischen Mitglieder auszuschließen, reagierte er darauf mit der Auflösung der Gesellschaft“49. Reininger hat sich auch sehr für seine langjährige jüdische Assistentin Dr. Amalie Rosenblüth50 eingesetzt. Im Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kann man sehen, dass Reininger seit 1926 versucht hat, Karl Bühler als korrespondierendes Mitglied zur Wahl vorzuschlagen, zunächst im Alleingang ohne Unterstützung durch andere Mitglieder. Nach mehreren erfolglosen Versuchen wurde Bühler dann doch 1934 gewählt. Wenn Bastian Stoppelkamp im Gegensatz zu diesen gegenteiligen Indizien Antisemitismus bei Reininger erkennen will, so gründet sich dies darauf, dass Reininger Mitglied des antisemitischen Netzwerks „Geheimsache Bärenhöhle“ gewesen sein soll, welches versucht hat, jüdische und sonst missliebige Personen aus der Universität zu drängen. Stoppelkamp stützt sich hierbei auf den 2016 erschienenen Aufsatz „Geheimsache Bärenhöhle“ von Klaus Taschwer. In diesem verdienstvollen und sorgfältig argumentierenden Aufsatz berichtet Taschwer: Der Paläontologe Kurt Ehrenberg, frühes NSDAP-Mitglied und nach 1945 in den Ruhestand versetzt, erwähnt sie [die antisemitische Clique Geheimsache Bärenhöhle, Anm. Klein] en passant in einer 1975 erschienenen Biografie seines Lehrers und Schwiegervaters, Othenio Abel, des international renommierten Begründers der Paläobiologie.51

Ab 1922/23 soll es informelle Treffen von 18 Professoren der Philosophischen Fakultät gegeben haben, mit dem Ziel, die Habilitation oder Berufung jüdischer und linker Personen zu hintertreiben. Es wird nicht näher angegeben, wie oft und wann sich diese Personen getroffen haben. Es wird zwar eine Mitgliederliste

|| 49 Nawratil 1969, S. 72 50 Nawratil 1969 51 Taschwer 2016, S. 223.

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angegeben, aber nicht begründet und nicht ausgeführt, wie sich die einzelnen Mitglieder verhalten haben und ob alle Mitglieder dieser Gruppierung bis zum Ende dabei waren oder ob einige wieder ausgeschieden sind. Auch Robert Reiningers Name scheint unter diesen Mitgliedern auf. Taschwer versucht nun, die Aktivität dieses Netzwerks durch Analyse jener Verfahren indirekt zu rekonstruieren, in welchen antisemitische Motive beim Scheitern der Antragsteller im Spiel waren. Im Bereich der Philosophie geht es hauptsächlich um das wegen Aussichtslosigkeit vom Antragsteller selbst zurückgezogene Habilitationsverfahren Zilsel. Hier führt Taschwer an, dass die bisherigen Studien zu diesem Verfahren ergeben hätten, dass es anscheinend hauptsächlich sachliche Argumente waren, welche zur ablehnenden Haltung Reiningers geführt hätten. Taschwer ist bezüglich Reininger vorsichtig und führt auch dessen jüdische Assistentin Amalie Rosenblüth in einer Fußnote an. Bezüglich Reininger ist also demnach dem Aufsatz Taschwers zu entnehmen, dass wir über sein Mitwirken oder Beiseitestehen in diesem Netzwerk nichts wissen. Das einzige Faktum ist: Kurt Ehrenberg war 1975 aus nicht näher genannten Gründen der Meinung, dass Reininger zu dieser Gruppe gehört habe. Taschwer ist – wie gesagt – hier zu Recht sehr zurückhaltend und betont auch, dass wir keine historisch-kritische Biographie Othenio Abels haben, sondern nur diese Erinnerungen seines Schwiegersohns. Die präsentierte Quellenlage ist also zu dünn für die starken Schlüsse, die Stoppelkamp daraus zieht. Zu erheben wäre, was Reininger in diesem Netzwerk genau getan und gesagt hat und in welchen Einzelfällen er am Vorgehen gegen bestimmte Personen in welcher Weise und aus welchen Gründen beteiligt war. Hier wäre eine minutiös recherchierte Einzelfallstudie erforderlich. Die von mir gerade erwähnten Fakten aus Reiningers Leben deuten jedoch nicht auf Antisemitismus bei ihm, der übrigens auch nie Mitglied der NSDAP war. All diese Fragen sind biographisch relevant, haben jedoch keine philosophische Bedeutung, da Reiningers Philosophie von etwaigen antisemitischen Vorurteilen frei und nicht davon kontaminiert war. Man muss dabei auch bedenken, dass Antisemitismus und Antijudaismus sehr viele Varianten hatten und leider immer noch haben, sodass auf der einen Seite die Quellenlage in Bezug auf Reininger zu dürftig ist, um daraus Schlüsse ziehen zu können. Auf der anderen Seite reicht auch der Hinweis nicht aus, dass Reininger und auch Heintel von Kant her sicher keine biologistischen Rassisten waren und sicher auch keine Freunde politischer Kriminalität, um jede Variante des Antisemitismus oder Antijudaismus pauschal von ihnen fernzuhalten. Man muss berücksichtigen, dass damals nur wenige von zumindest leichteren antisemitischen oder antijudaischen Vorurteilen frei waren, und das gilt für das gesamte politische Spektrum, nicht nur für die Deutschnationalen, sondern auch

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für Christlichsoziale, aber auch für die sozialdemokratische und marxistische Seite. Auch heute gibt es noch viele Formen von Antisemitismus, z. B. auch im linken Teil des politischen Spektrums. Meinungen über „die Juden“ waren und sind weit verbreitet bei gleichzeitiger völliger Unkenntnis über jüdische Geschichte und Traditionen und jüdisches Leben heute. Daher wären noch gründliche Einzelfallstudien erforderlich, um hier fundierte Individualdiagnosen zu erstellen. Dem Vorwurf an den Kantianismus als „deutschen Sonderweg“ muss auch entgegengehalten werden, dass die Definition dessen, was „österreichische Philosophie“ ist, zu eng gefasst wird, wenn man die Philosophie in Österreich auf den Wiener Kreis und Wittgenstein einschränkt. Die Realität ist und war eben komplexer. Ich selbst kann übrigens mit Begriffen wie österreichische, deutsche, georgische usw. Philosophie philosophisch nicht viel anfangen: Philosophie ist eine Sache der gesamten Menschheit und nicht von partikularen Identitäten.

3 Philosophie im Dialog mit Religionen und Ideologien Erich Heintel hat den Dialog mit der Theologie intensiv gepflegt. Gemeinsam mit Hans Stroh52, Oberkirchenrat der Württembergischen Landeskirche, begründete er die jährlich stattfindenden zweiwöchigen Pfarrerfortbildungskurse der Württembergischen Evangelischen Landeskirche, welche von 1970 an in Inzigkofen und ab 1972 in Stift Zwettl stattfanden. Diese Tradition des Dialogs zwischen Philosophie und Religionen habe ich durch die „Maimonides Lectures“53 fortgeführt, welche von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), den abrahamitischen Religionsgemeinschaften Österreichs, der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems, der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien-Krems und dem Koordinierungsausschuss für Christlich-jüdische Zusammenarbeit jedes Semester veranstaltet und von Patrizia Giampieri-Deutsch und mir wissenschaftlich geleitet werden. Die „Maimonides Lectures“ gehen jedoch insofern weit über das Programm der großartigen Seminare in Stift Zwettl hinaus, als sie nicht nur Gespräche zwischen Philosophie und Theologie sind, sondern sämtliche abrahamitische Religionen und auch die in der ÖAW vertretenen Wissenschaften versammeln. Weiters werden durch Patrizia Giampieri-Deutsch andere philosophische Traditionen einge-

|| 52 Stroh 1982. 53 https://www.oeaw.ac.at/veranstaltungen/veranstaltungsreihen/maimonides-lectures/; abgerufen am 22.07.2021.

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bracht, z. B. Brentano, die analytische Philosophie und die Phänomenologie Husserls sowie die für die Philosophie, Theologie und Religionsgemeinschaften wichtige psychodynamische Forschung. Wie die Internationale Hegel-Vereinigung mit dem Band All-Einheit haben auch wir in Wien den Dialog mit Philosophen ostasiatischer Tradition, insbesondere des japanischen Zen-Buddhismus gepflegt. Reininger war ja an indischer Philosophie sehr interessiert. Deshalb bestanden Kontakte mit den Indologen seit Frauwallner und Oberhammer, später besonders mit Ernst Steinkellner. Vermehrte Kontakte mit Japan wurden möglich durch die in Wien tätige Philosophin Hisaki Hashi,54 welche sich selbst in die von Reininger und Heintel herkommende Wiener Tradition des Philosophierens einreiht und eine eigenständige Synthese zwischen dieser Tradition und ostasiatischen philosophischen Traditionen zu schaffen versucht. 1966 gründete Erich Heintel gemeinsam mit dem tschechischen Philosophen Jindrich Zeleny eine Reihe jährlich in Stift Zwettl stattfindender Symposien, die dem Gespräch mit Philosophen aus sozialistischen Ländern gewidmet waren. An diesen Gesprächen nahmen u. a. teil Damir Barbarić, Josef Derbolav, Milovan Djuric, V. Filipovic, Eugen Fink, Gariewicz, Miloš Havelka, Agnes Heller, Joachim Christian Horn, Friedrich Kaulbach, Milan Kudrna, Bruno Liebrucks, Karl Löwith, Herbert Marcuse, Nelly Motroschilowa, Hans Wagner, Jan Patočka, Czesław Porębski, Milan Sobotka, Xavier Tilliette, Kyoshiro Yajima, Jindřich Zelený. Diese Symposien fanden bis 1990 statt.55

4 Hans-Dieter Klein Aus der Problemkonstellation nach neukantianischer Geltungsreflexion und transzendentaler Phänomenologie ziehe ich selbst in meinem Versuch, ein System der Philosophie zu entwerfen, folgende Konsequenzen: Wie viele, namentlich aus dem Umkreis der transzendentalen Phänomenologie, bin auch ich der Meinung, dass Descartes’ „cogitans sum“ eine unmittelbar intuitiv plausible und unwiderlegbare Einsicht ist.56 Jedoch bedarf diese Einsicht der sukzessiven Explikation. „Cogito“ heißt: „Ich bin bei Bewusstsein und bin mir bewusst, dass ich bei Bewusstsein bin.“ „Ich bin bei Bewusstsein“ heißt aber primär immer: „Ich handle“, d. h.: ich sitze, liege oder gehe irgendwo, oder tue sonst etwas, und sehe,

|| 54 Hashi 2019 und Jäger 2018. 55 Heintel, E. 1988ff., Bd. 7, S. 109ff. („Ostzwettl“). 56 Klein 1973, Bd. I, S. 20 und Klein 2002a, S. 39.

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denke dabei dies oder jenes. Der Begriff des Handelns bedarf der Explikation, für die ich die entscheidende Vorarbeit in der Exposition des Handlungsbegriffs in der Nikomachischen Ethik III finde. Damit befinde ich mich in einer gewissen Übereinstimmung auch mit dem aktpsychologischen Ansatz von Brentano, insofern als Brentano dem Ichsubjekt als Prädikate aristotelisch dynámeis oder enérgeia beilegen muss. Actus ist ja Übersetzung von enérgeia. Jedoch ist der Begriff der enérgeia hier zu wenig präzis, denn das Ich als Subjekt benötigt als Prädikat eine bestimmte enérgeia, nämlich Handlung. Der Handlungsbegriff ist nun zu explizieren durch die Momente Motivation, Handlung und Erfahrung. Die Analyse dieser drei Momente zeigt,57 dass diese Bestimmungen implizit sehr viele Bestimmungen enthalten: z. B. das echte Kontinuum, Raum, Zeit, die Formen des inneren Zeitbewusstseins, sämtliche Kategorien Kants, die Mengentheorie, die Indikatoren, die Prädikatentheorie, somit also auch die aristotelische Logik incl. Schlusstheorie, aber im Erfahrungsbegriff auch das Verfahren des hypothetisch-deduktiven Systems, wozu mich besonders die Erkenntnislehre von V. Kraft angeregt hat. Selbstverständlich enthält der Satz „Ich handle“ implizit auch sämtliche Indikatoren und Personalindikatoren und andere Bestimmungen mehr. Da nun aber das handelnde Subjekt, zu dessen begrifflicher Erfassung alle diese aufgezählten Bestimmungen unentbehrlich sind, fallibel ist und seine Erfahrungswelt in einem unendlichen Progressus perennierend korrigiert, erweist sich alles Seiende stets als etwas, was nur jetzt so zu sein scheint.58 Die Reflexion auf diese durchgehende Fallibilität ergibt, dass sich zwar alle inhaltlichen Bestimmungen meiner Erfahrungswelt als falsch erweisen können, nicht müssen, dass aber die allgemeine Struktur dieses permanenten Progressus der Selbstkorrektur meiner Erfahrungswelt in diesem Korrekturprozess unverändert bleibt und unverändert bleiben muss. Mit Hans Wagner lässt sich also sagen: Diese Exposition beginnt mit dem „ego cogito“ zunächst als einer noetischen Reflexion, die ein noematisches Geltungsversprechen impliziert, aber noch nicht expliziert. Mit der Exposition des Erfahrungsbegriffs eröffnet sich dann eine noematische Konstitutionsreflexion. Durch die Reflexion der Scheinhaftigkeit alles in der Erfahrung Seienden, in welcher sich erweist, dass das Scheinen und seine Formen selbst nicht „scheint“, sondern „ist“, entsteht aus dieser Bewegung die noematische Geltungsreflexion.

|| 57 Klein 1973, Bd. I, S. 20ff. und Klein 2002a, S. 47ff. 58 Klein 1973, Bd. I, S. 40–52 und Klein 2002a, S. 52–59.

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Die so von mir versuchte noematische Geltungsreflexion ist aber zugleich Ontologie des Ich. Da jedoch auch über unsere singulären und partikulären Urteile wissenschaftlich abgesicherter Konsens möglich ist, ein Konsens, der nicht durch das Sein des Ich, welches nur die Geltung der allgemeinsten allgemeinen Prinzipien ermöglicht, abgesichert ist, muss man den Bereich des unbedingten Seins über das Ich hinaus ausdehnen und das aristotelische Konzept von ousía und entelécheia rehabilitieren.59 Hier folge ich den Spuren der Kritik der Urteilskraft, Schellings und des realistischen Neukantianismus von Alois Riehl über Richard Hönigswald bis Erich Heintel. Da sich für mich die Differenz von Subjekt und Objekt als Differenz zwischen dem Handeln und dem, was diesem Widerstand leistet, also als Differenz im Ich erweist, kann man sagen, dass die gesamte Wirklichkeit „im“ Ich ist. Dies gilt, wie auch Leibniz in seiner Monadologie annimmt, für jedes Ich. Daher ergibt sich für mich, dass das Ich als allgemeinstes Allgemeines bzw. als Menge aller Mengen anzusehen ist. Auf diesem Weg habe ich versucht, Erich Heintels These, dass das Ich ein dialektisches Phänomen sei, zu präzisieren. Dies hat mich dazu geführt, mich näher mit den Mengenantinomien und den semantischen Paradoxien zu beschäftigen. Da ich selbst weder Logiker noch Mengentheoretiker bin, habe ich auf Empfehlung von Claudia Erdheim und Klaus Dethloff Kontakt mit dem Logiker und Philosophen Ulrich Blau aufgenommen und mit ihm in Gesprächen über mehrere Tage hinweg diese Probleme geklärt. Meine Publikationen verraten eine gewisse Unsicherheit, ob ich bezüglich des Ich von Menge aller Mengen oder Klasse aller Klassen sprechen soll. Meine Gespräche mit Ulrich Blau haben für mich in dieser Frage folgendes Resultat erbracht: Wenn ich Blau richtig verstanden habe, so ist er der Auffassung, dass sich alle scheinbaren Antinomien formal auflösen lassen, z. B. durch die Unterscheidung zwischen Mengen und Klassen, mit zwei Ausnahmen: erstens lässt sich, wie schon Zenon intuitiv richtig gesehen hat, das echte anschauliche Kontinuum, welches aller Formalisierung vorausgesetzt ist, selbst nicht formalisieren. Denn Formalisierung setzt den Ausgang von klar abgrenzbaren und unterscheidbaren Elementen voraus. Solche existieren aber im anschaulichen Kontinuum nicht, daher ist es nicht formalisierbar. Zweitens führt die Analyse der Lügner-Paradoxie zu dem Resultat, dass sich der epistemische Lügner jeder Formalisierung entzieht. Denn Formalisierung und formales Management der reflexiven Paradoxie ist nur solange möglich, als man klar gegeneinander abgrenzbare Reflexionsstufen voneinander unter|| 59 Klein 1973, Bd. I, S. 60ff. und Klein 2002a, S. 65ff.

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scheiden kann. Das ist jedoch beim epistemischen Lügner nicht mehr möglich. Daher entzieht sich hier der immer vorausgesetzte Ich-jetzt-Indikator jeder Formalisierung. Diese beiden sich jeder Formalisierbarkeit entziehenden Instanzen, anschauliches Kontinuum und Ich-jetzt-Indikator, erinnern an die beiden Labyrinthe der Philosophie, welche Leibniz in der Vorrede zur Theodizee erwähnt, und welche Erich Heintel im Titel seines Buches60 anspricht. Nun glaube ich, dass es nicht erforderlich ist, wegen der Nichtformalisierbarkeit den Ich-jetzt-Indikator zu einem negativen Absoluten in der Art des Einen bei Plotin zu machen. Vielmehr sind wir in der Alltagssprache durchaus in der Lage, uns über Ich, Zeit und Kontinuum mit praktisch hinreichend genauen Aussagen zu verständigen, auch wenn diese Aussagen nie den Ansprüchen einer formalisierten Theorie gerecht werden können. Dies ist ermöglicht durch die durchgehende Metaphorik der Alltagssprache. Da wir es also sowohl beim Ich-jetzt-Indikator als auch beim echten Kontinuum mit allumfassenden nichtformalisierbaren Gesamtheiten, also mit Monaden, zu tun haben, erübrigt sich die Frage, ob wir hier von Mengen oder Klassen sprechen sollen. Es ist nämlich weder der eine noch der andere Begriff passend, weil beide die Existenz von klar abgrenzbaren Elementen bzw. Reflexionsstufen voraussetzen, bzw. beide Begriffe können hier analog angewendet werden. Diese Metaphorik der Alltagssprache wurde in der philosophischen Tradition zur Methodik des analogen Redens weitergebildet. Daher bin ich der Meinung, dass wir über Ich und Kontinuum in verbindlichen Theorien reden können durch analoge Verwendung der logischen Formen Widerspruch und unendlicher Progressus in Verbindung mit den Modalkategorien. Schon während meines Studiums und in den Jahren danach war ich in einer intensiven Denkzusammenarbeit mit meinem Studienkollegen Uwe Arnold, der später in Klagenfurt als Professor wirkte. Sein Buch Die Entelechie61 übte damals nicht nur bei mir, sondern bei fast allen Schülern und Schülerinnen Erich Heintels große Wirkung aus. Es handelt sich dabei um eine Interpretation von Platon und Aristoteles, welche die Hegellektüre retrospektiv für die Interpretation der akademischen Prinzipientheorie fruchtbar macht. Zugleich entwickelte Arnold auf dieser Basis eine von Hegel abweichende neue Variante der dialektischen Methode, welche ich in mein Denken integrierte und mit meinen Überlegungen zu Mengenantinomien und semantischen Paradoxien verschmolz. Es handelt sich um ein Schema der dialektischen Entwicklung zum System der Philosophie unter

|| 60 Heintel, E. 1968. 61 Arnold 1965.

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Verwendung der logischen Formen Selbstwiderspruch und unendlicher Progressus, orientiert an den aristotelischen Begriffen dýnamis, enérgeia und entelécheia. Diese Methode bildet die Grundlage für die Architektonik des von mir vorgelegten Systementwurfs.62 Während Uwe Arnold und andere, z. B. auch Peter Heintel, damals dazu neigten, im Widerspruch zu Erich Heintels Auffassung Hegels absolute Dialektik für akzeptabel zu halten, überzeugten mich die Argumente derer, die – wie Heintel oder Kroner – die absolute Dialektik ablehnten und daher in der einen oder anderen Weise zu Kant zurückkehrten. Das bedeutet aber, anders als Hegel lehrt, beim Problem der Freiheit zur Transzendenz des Sollens und zum Primat der praktischen Vernunft zurückzukehren. Da, um an meine Differenzierung Motivation, Handlung und Erfahrung anzuknüpfen, das Unbedingte der Motivation durch das Sittengesetz auf allgemeinverbindliche Prinzipien gegründet ist, muss der Bereich des unbedingten Seins durch ein unbedingtes Sollen, welches auch Transzendenz eröffnet, erweitert werden.63 Freiheit besteht meiner Meinung nach nicht nur darin, diese oder jene Handlung tun oder unterlassen zu können oder mich für eine andere Handlung zu entscheiden, Freiheit besteht vor allem darin, meinen Charakter, zwar nicht auf einen Schlag, aber doch durch Beharrlichkeit und im Zusammenleben mit anderen Menschen, modellieren zu können, geleitet vom Ideal meines intelligiblen Charakters. Hier folge ich Kants Sittengesetz und seinen Postulaten Freiheit und Unsterblichkeit sowie dem Konzept des intelligiblen Charakters bei Kant, aber insbesondere auch im Anschluss an Schellings Freiheitsschrift von 1809. Von hier aus eröffnet sich dann auch eine nochmalige Erweiterung des Unbedingten durch das Konzept von ursprünglichem Glauben und Ritus, woraus sich dann meine Philosophie der Religion und der Philosophie selbst entfaltet.64 Dass Freiheit nicht Unbedingtes des Seins, sondern Unbedingtes des Sollens ist, ist an einer Stelle durchbrochen: Wenn nämlich Freiheit vor die Entscheidung gestellt ist, Freiheit zu wollen oder nicht zu wollen, wenn also Freiheit (nicht theoretisch, sondern praktisch) auf sich reflektiert, dann ergibt sich, dass diese Entscheidung schon immer durch ein Ja zur Freiheit vorentschieden ist. Dieses Ja der Freiheit zu sich selbst nenne ich „ursprünglicher Glaube“. In diesem ist Freiheit nicht nur Unbedingtes des Sollens, sondern Unbedingtes des Seins und

|| 62 Klein 1973, Bd. I, S. 240ff. und S. 264ff. bzw. Klein 2002a, S. 180ff. und S. 195ff.; vgl. auch Klein, 2003, S. 3–76. 63 Klein 1973, Bd. I, S. 73ff. bzw. Klein 2002a, S. 73ff. 64 Klein 1973, Bd. I, S. 84ff. und S. 181ff. bzw. Klein 2002a, S. 80ff. und S. 142ff.

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Sollens. Dieses Sein der Freiheit ist aber transzendent und kann nur durch Analogia entis und Coincidentia oppositorum, welch letztere nicht mit Dialektik konfundiert werden darf, formuliert werden. Aufbauend auf diesen Grundlagen habe ich nach dem Muster Schellings und Hegels, aber auf der veränderten Grundlage meiner Variante der Kritik der Vernunft eine umfassende Systematik der Realphilosophie versucht, die ich gerade weiter ergänze und korrigiere bzw. in einer neuen Fassung ausarbeite.65 Ich war immer an der Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaften interessiert, aber auch am Gespräch mit anderen philosophischen Lehrmeinungen. Mit Stolz denke ich daran zurück, dass ich durch ein Unterstützungsschreiben an das Bundesministerium einen kleinen Beitrag zur Gründung des „Instituts Wiener Kreis“ leisten konnte, wofür mir Rudolf Haller zu meiner Freude das Du-Wort angetragen hat. Da eine solche starke Orientierung am Ideal des philosophischen Systems in unserer Zeit nicht auf viel Sympathien stößt, bin ich mit einigen anderen auf den Gedanken gekommen, die „Internationale Gesellschaft ‚System der Philosophie‘“ zu gründen. Dabei wurde ich sehr unterstützt durch die aufmunternde Anteilnahme von Dieter Henrich, mit dem schon Erich Heintel freundschaftlichen Gedankenaustausch pflegte. Meine Partner waren dabei Karen Gloy, Wolfgang Schild, Wolfgang Marx, Klaus Düsing, Harald Holz, Dieter Wandschneider, Vittorio Hösle, Konrad Cramer, Jürgen Stolzenberg und einige andere. Es ging darum, den philosophischen Systembegriff noch einmal zu klären und nochmals zu prüfen, ob und inwieweit das heute allgemein verbreitete Vorurteil, die Form des philosophischen Systems sei obsolet, berechtigt ist. Diese Gesellschaft veranstaltete bis jetzt einige Symposien, welche in der Buchreihe Studien zum System der Philosophie (zuerst Bouvier, dann Königshausen & Neumann) ab 1993 erschienen sind. Besonders verweisen möchte ich in diesem Zusammenhang darauf, dass von der „Internationalen Gesellschaft ‚System der Philosophie‘“, gemeinsam mit der Philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Internationalen Kant-Gesellschaft, North American Kant Society, Internationalen Fichte-Gesellschaft, Internationalen Schelling-Gesellschaft, Schelling-Kommission der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Internationalen Hegel-Vereinigung, Internationalen Hegel-Gesellschaft, Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie – Societas Hegeliana von 7.–11. Oktober 1997 in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien das Symposion „Architektonik und System in der Philosophie Kants“ unter der Leitung von || 65 Klein 1973, Bd. II bzw. Klein 2006.

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Hans Friedrich Fulda und Jürgen Stolzenberg veranstaltet wurde. Dieses, vom Istituto per gli Studi Filosofici in Neapel und der ÖAW großzügig geförderte Symposion war das erste von sechs Symposien der Reihe „System der Vernunft. Kant und der deutsche Idealismus“.66 Das erste Symposion wurde von einem Team bestehend aus Manfred Baum, Hans-Friedrich Fulda, Paul Guyer und mir vorbereitet. Diese Symposien wurden als gleichnamige Buchreihe ab 2001 im Felix Meiner Verlag publiziert, herausgegeben von Wilhelm G. Jacobs, Hans-Friedrich Fulda, Jürgen Stolzenberg, Christian Danz und Violetta L. Waibel. Waibel hat auch selbst einen bedeutenden Beitrag zur Theorie des philosophischen Systems durch ihre Monographie über das System der Systemlosigkeit bei Friedrich von Hardenberg beigesteuert.67

5 Transzendentale Systematik am Leitfaden der Lektüre eines klassischen Philosophen der Vergangenheit oder der Gegenwart In Wien wurde jedoch transzendentale Systematik nicht nur in der literarischen Form des Verfassens eigener Systemtexte und in der Form der Thematisierung des Systembegriffs als solchen betrieben, sondern auch, indem man sich an einem Klassiker der Vergangenheit oder Gegenwart primär orientierte und an diesem Leitfaden die Gesamtheit der systematischen Probleme zur Diskussion stellte. Schon im Vorwort des von Peter Heintel und Ludwig Nagl herausgegebenen Sammelbandes Zur Kantforschung der Gegenwart heißt es: Die Absicht des vorliegenden Sammelbandes ist es, an Kant primär nicht nur in einer historisch-philologischen Intention heranzugehen, sondern die Aktualität seines Denkens im weiten Spektrum gegenwärtiger Philosophie aufzuweisen.68

Dieser Satz kann als Motto für die spezifische Art und Weise stehen, in welcher einige Wiener Philosophinnen und Philosophen transzendentale Systematik am Leitfaden jeweils eines klassischen Philosophen betrieben haben und weiter betreiben. Herta Nagl-Docekal, die bei Friedrich Engel-Janosi über Ernst von Lasaulx dissertiert hatte, hat in vielen Büchern und Aufsätzen sämtliche Bereiche der systematischen Philosophie behandelt. Hervorgehoben werden müssen ihre || 66 Stolzenberg et al. 2001ff. 67 Waibel (im Erscheinen). 68 Heintel, P./Nagl 1981.

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Arbeiten zur Geschichtsphilosophie69, praktischen Philosophie, Religionsphilosophie und feministischen Philosophie70. In diesen Arbeiten erörtert Nagl-Docekal zunächst kritisch die zeitgenössische Debatte zum jeweiligen Thema. Meistens zeigen sich dabei sehr deutlich blinde Flecke in der gegenwärtigen Art und Weise, an ein Problem heranzugehen. Auf sehr plausible Weise tritt dann Kant auf den Plan, und es zeigt sich überzeugend, wie der Zugang zum jeweiligen Problem durch angemessene Berücksichtigung der Vorschläge Kants, welche NaglDocekal natürlich ebenfalls kritisch unter die Lupe nimmt, gefördert werden kann. Auf diese Weise legt die Autorin argumentativ gut vermittelte eigene Vorschläge zur Behandlung der meisten Probleme der systematischen Philosophie vor. Orientiert an den philosophischen Klassikern arbeitet Rudolf Langthaler, ebenfalls mit primärer Orientierung an Kant, aber auch an Schelling und den anderen Vertretern des deutschen Idealismus. Langthaler ist, obwohl Kantianer, an der gesamten Philosophia perennis orientiert. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Bereich der Ethik und der Religionsphilosophie. Besonders hervorheben möchte ich sein zweibändiges Buch Geschichte, Ethik und Religion im Anschluss an Kant, Berlin 2014,71 sowie sein umfangreiches Buch Kants Ethik als „System der Zwecke“.72 Gemeinsam mit Michael Hofer ist er auch Herausgeber des von Erich Heintel begründeten und herausgegebenen und zwischenzeitlich von mir edierten Wiener Jahrbuch für Philosophie. Auch er hat die meisten systematischen Probleme mit eigenen, zumeist an Kant orientierten Vorschlägen bearbeitet. Herta Nagl-Docekal, Ludwig Nagl und Rudolf Langthaler haben auch die Philosophie von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas von Kant her rezipiert. In Ablösung von der Dominanz der Hermeneutik haben Apel und Habermas versucht, zur Philosophie als strenger Wissenschaft zurückzukehren. Es ist bemerkenswert, wieviel von der Tradition des Neukantianismus in ihrem Denken aufscheint, ohne dass ihnen das selbst wirklich bewusst geworden wäre. Einen neukantianischeren Buchtitel als „Faktizität und Geltung“ wird man schwer finden können. Auch die Letztbegründungsthematik namentlich bei Apel ist derjenigen von Hönigswald durchaus verwandt. Wenn man Peirce als im weitesten Sinne neukantianischen Philosophen auffasst, dann wird solche Übereinstimmung durchaus verständlich.

|| 69 Nagl-Docekal 1982. 70 Nagl-Docekal 2000. 71 Langthaler 2014. 72 Langthaler 1991.

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Zwischen 4. und 6. März 2004 fand unter der Leitung von Herta Nagl-Docekal und Rudolf Langthaler aus Anlass des 200. Todestages Kants als Veranstaltung der ÖAW ein Symposion über das Thema „Recht – Geschichte – Religion. Die Bedeutung Kants für die Gegenwart“ statt. Den Eröffnungsvortrag hielt Jürgen Habermas.73 Auf seinen Vorschlag hin wurde am 23. und 24. September 2005 abermals ein Internationales Symposion mit ihm unter dem Titel „Glauben und Wissen. Ein Symposion mit Jürgen Habermas“ an der Universität Wien abgehalten. Vortragende waren Christian Danz, Rudolf Langthaler, Herta Nagl-Docekal, Wilhelm Lütterfelds, Hans-Julius Schneider, Ludwig Nagl und Klaus Müller.74 Der im Rahmen der Wiener Reihe75 publizierte Band enthält eine ausführliche Replik von Jürgen Habermas76. Die Diskussion mit Positionen der analytischen Philosophie war für alle in Wien Philosophierenden selbstverständlich. Große Verdienste erwarb sich hier Kurt Rudolf Fischer, der wichtige analytische Philosophen wie Stanley Cavell, Hilary Putnam und Richard Rorty nach Wien brachte, sodass wir hier Gelegenheit zum persönlichen Gespräch mit ihnen hatten. Vor seiner Berufung nach Passau war Wilhelm Lütterfelds für die Diskussion zwischen transzendentalem Idealismus und analytischer Philosophie ein wichtiger Faktor und blieb auch von Passau aus für uns ein ständiger Gesprächspartner. Aber auch andere zeitgenössische Philosophien wie etwa die postmodernen Positionen wurden gepflegt. Besondere Verdienste hat hier Ludwig Nagl, der von einer in Kant zentrierten Perspektive aus die Diskussion mit der analytischen Philosophie, mit Stanley Cavell, Jürgen Habermas und Derrida pflegte. Von besonderer Bedeutung ist auch seine kritische Auseinandersetzung mit dem Pragmatismus, auch dies von Kant her. Als herausragendes Beispiel seiner umfangreichen Arbeit sei das Buch Das verhüllte Absolute77 erwähnt. Wichtige Perspektiven verdankt die Wiener Szene dem schließlich in Kassel tätigen Wiener Philosophen Wolfdietrich Schmied-Kowarzik. Ausgehend von seiner Arbeit an Schelling, wandte er sich später dem Studium und der Pflege des Erbes von Richard Hönigswald und Franz Rosenzweig zu. Ich verweise auf den Band Erkennen Monas Sprache. Internationales Hönigswald-Symposion Kassel 199578 sowie auf die zwei Bände Franz Rosenzweigs „neues Denken“79, Alber 2006, || 73 Nagl-Docekal/Langthaler 2004. 74 Nagl-Docekal 2015. 75 Langthaler/Nagl-Docekal 2007. 76 Habermas 2007. 77 Nagl 2010. 78 Schmied-Kowarzik 1995. 79 Schmied-Kowarzik 2006.

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ebenso auf Existenz denken. Schellings Philosophie von ihren Anfängen bis zum Spätwerk80, Alber 2015. Schmied-Kowarzik war es, der die Wiener Diskussion auf Hönigswald und auf Rosenkranz lenkte und die Position Schellings immer wieder zur Geltung brachte, wobei ihm in der Auseinandersetzung mit diesen drei Philosophen der Rückbezug auf Kant besonders wichtig ist. Die Wiener „KantianerInnen“ werden ergänzt durch einige „HegelianerInnen“. Hier ist zu erinnern an die leider zu früh verstorbenen Philosophen Franz Ungler und Urs Richli. Ihrer hegelianischen Behandlung der systematischen Probleme und ihrer Aktualisierung, insbesondere von Hegels Wissenschaft der Logik, die auch der regelmäßigen Anwesenheit von Bruno Liebrucks in Stift Zwettl viel verdankt, sind einige ihrer jüngeren Schüler mit eigenen Kommentaren der Hegelschen Logik nachgefolgt. Besonders hervorheben möchte ich Franz Unglers Buch Individuelles und Individuationsprinzip in Hegels „Wissenschaft der Logik“81 (Karl Alber). Ebenfalls an Hegel orientiert, hat Fritz Grimmlinger82 transzendentale Systematik gepflegt. Viel zu verdanken hat die Wiener Diskussion auch dem Platon-Forscher Wilhelm Schwabe.83 Er hat in Wien die Tübinger Platon-Interpretation nahegebracht und auch den persönlichen Kontakt mit Hans Krämer, Thomas Alexander Slezák und anderen vermittelt. Als „Aristoteliker“ hat Stephan Haltmayer gewirkt. Große Bedeutung hatte der jahrzehntelange intensive Gedankenaustausch mit Juristen und Rechtsphilosophen, beginnend mit Erich Heintels Zusammenarbeit mit Felix Ermacora. In der jüngeren Generation wurde dieses Gespräch fortgesetzt mit den Rechtsphilosophen Wolfgang Schild84, Peter Böhm und Gerhard Luf85. Am 26. November 1964 fand die erste Veranstaltung des von dem Philosophen Erich Heintel und dem Theoretischen Physiker Walter Thirring auf Anregung ihrer damaligen Assistenten Gerhard Schwarz86 und Herbert Pietschmann87 gegründeten Philosophisch-naturwissenschaftlichen Arbeitskreises statt. Die beiden Professoren zogen sich bald zurück, aber von Gerhard Schwarz und Herbert Pietschmann wurde diese Lehrveranstaltung durch mehr als 50 Jahre regelmäßig jedes Semester weitergeführt. Dieser so genannte „Physikerkreis“ war für || 80 Schmied-Kowarzik 2015. 81 Ungler 2017. 82 Auinger/Grimmlinger 2007. 83 Schwabe 1980 und 2001. 84 Schild 1976, 2010 und 2018. 85 Luf 2008 und 2014. 86 Schwarz 1972 und 2016. 87 Pietschmann 1996.

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das naturphilosophische Denken am Institut für Philosophie der Universität Wien eine ganz zentrale Veranstaltung. Ich selbst verdanke Gesprächen in diesem Kreis, insbesondere aber darüber hinausgehenden privaten Gesprächen mit Herbert Pietschmann, entscheidende Grundlagen meiner Naturphilosophie.88

6 Psychologia rationalis Nicht nur die spekulative Logik ist für das Philosophieren im Anschluss an Kant von Bedeutung, sondern ebenso sehr die rationale Psychologie.89 Die verschiedenen „Vermögen des Gemüts“ spielen in der Architektonik von Kants Denken eine zentrale Rolle. Für das Problem des Vergleichs zwischen der transzendentalen Phänomenologie Husserls mit der transzendentalen Psychologie Natorps möchte ich nachdrücklich auf den meiner Meinung nach wegweisenden Aufsatz von Konrad Cramer90 verweisen: „Metaphysik im 20. Jahrhundert als Metaphysik nach Hegel“. Das umfassende Unternehmen einer heutigen Transzendentalphilosophie sollte sich aber auch daran erinnern, dass schon Kant der Transzendentalphilosophie die Anthropologie in pragmatischer Absicht beigesellt und dass Schelling für die Philosophie insgesamt, besonders aber auch für die Transzendentalphilosophie „empirische Controle“ gefordert hat. Daher sollte man in diesem Zusammenhang auch nicht auf Brentano und dessen Versuch einer Psychologie vom empirischen Standpunkt vergessen. Das heißt, dass wir heute alle philosophischen Aussagen über Noesen der „empirischen Controle“ durch die experimentelle Psychologie auf der einen Seite und durch die Psychoanalyseforschung bzw. psychodynamische Forschung auf der anderen Seite ergänzen sollten. Diese Zusammenarbeit sollte keineswegs auf die Psychologismuskritik Husserls und der Neukantianer vergessen. Es wäre auch nicht sinnvoll, die Methoden der empirischen Psychologie und diejenigen der transzendentalen Phänomenologie und der geltungstheoretischen Transzendentalphilosophie miteinander zu vermengen. Diese Methoden müssen getrennte Wege gehen, können und sollten aber zusammenarbeiten und einander wechselseitig zuarbeiten. Aus Interesse an diesen Problemen habe ich 1976, gemeinsam mit dem Individualpsychologen Walter Spiel, dem Psychoanalytiker Alois M. Becker und dem Psychologen und Verhaltenstherapeuten Giselher Guttmann an der Universität

|| 88 Klein 2006 und 2011. 89 Klein 2002b. 90 Cramer, K. 1988.

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Wien das „Medizinisch-psychologisch-philosophische Konversatorium“ gegründet, welches jedes Semester bis zur Emeritierung von Walter Spiel 1991 stattfand. In der Gegenwart sind Bemühungen in Gang, die Phänomenologie in der Tradition Husserls mit der Psychoanalyseforschung zu verbinden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Band des Husserl-Archivs, herausgegeben von Lohmar und Budzinska, Founding Psychoanalysis Phenomenologically91. Im Rahmen dieser Bestrebungen sind die international viel beachteten und mit Recht hoch geschätzten Arbeiten von Patrizia Giampieri-Deutsch richtungweisend,92 welche analytische Philosophy of Mind, Phänomenologie in der Tradition Husserls mit empirischer Psychologie, Neurowissenschaften und Psychoanalyseforschung bzw. psychodynamischer Forschung verbindet. Giampieri-Deutsch zeigt in diesem Zusammenhang, dass die Psychoanalyse in Theorie und Praxis zwar den Dritte-Person-Aspekt kennt und gebraucht. Dies ermöglicht auch die Zusammenarbeit mit experimenteller Psychologie und mit Neurowissenschaften. Vor allem aber findet die Psychoanalyse in Theorie und Praxis in der Erste-PersonPerspektive statt.93 Wichtig ist dabei weiterhin, auch die Argumente der geltungstheoretischen Transzendentalphilosophie in der Tradition von Cohen bis Hönigswald und Nachfolger und die formallogischen Aspekte des Ichbegriffs im Anschluss an die Lügnerparadoxien, insbesondere den epistemischen Lügner, einzubeziehen.

7 Michael Benedikt Michael Benedikt wurde durch sein aus der Tradition des religiösen Sozialismus im Sinne des „kleinen“ Otto Bauer, seines Vaters Eugen Benedikt und Oswald Ewalds stammendes Bemühen um eine Communio solidaritatis zur philosophischen Anthropologie, orientiert an der kritischen Philosophie Kants, geführt. Kant gliedert bekanntlich die Frage: „Was ist der Mensch?“ in die drei Unterfragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Benedikt versucht zu zeigen, dass jede dieser Fragen erst durch die Analyse und Überwindung von Abstraktionen und Verfallsformen hindurch angemessen in den Blick kommen kann. Diese Verfallsformen reichen bis in die Sprache hinein, sodass die Arbeit an der transzendentalen Anthropologie ein semiotisches Projekt ist. Eine durchgeführte semiotische Anthropologie ist bisher ein Desi-

|| 91 Giampieri-Deutsch 2012a. 92 Giampieri-Deutsch 2020a. 93 Giampieri-Deutsch 2020b, besonders S. 43ff.

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derat. Michael Benedikt hat jedoch wesentliche Beiträge auf dem Wege zu ihrer Realisierung beigesteuert.94 Die Frage: Was kann ich wissen?, schon von Kant in den Kontext der technisch-praktischen Vernunft gerückt, verfällt in die Selbstbedrohung der Menschheit im Zauberlehrlingssyndrom. Die Frage: Was soll ich tun?, also die Frage nach der Moralität, verfällt in die Abstraktion der bloßen Gesinnung, die sich von der Rechtsnorm und ihrer soziologisch-ökonomischen Basis isoliert. Die Frage: Was darf ich hoffen? eröffnet in der Bestimmung unseres Naturells die Charakteristik der sich erweiternden Menschlichkeit, die zu schützen ist vor den Abstraktionen des Tausches, der bloß kompetitiven Arbeitsteilung, des Besitzes und der Institutionen. Semiotische Anthropologie unternimmt so Entlarvung und Sturz des Götzendienstes, dem in solchen Abstraktionen der Mensch verfällt. Durch die Herausgabe mehrerer umfangreicher Sammelbände unter dem Titel Verdrängter Humanismus – Verzögerte Aufklärung hat Benedikt ab 1992 sein systematisches Konzept auch an der österreichischen Geistesgeschichte enzyklopädisch durchdekliniert.95 Durch das Vorbild seines im ersten Weltkrieg als Kriegsdienstverweigerer zum Tode verurteilten, aber dann begnadigten Vaters sowie durch die in ihm lebendige und wirksame Tradition des religiösen Sozialismus war Michael Benedikt von Kindheit an zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus erzogen worden. Dadurch und durch sein caritatives und pazifistisches Engagement konnte er uns Jüngeren entscheidende Hinweise auf die Richtung geben, in welcher eine dem kategorischen Imperativ entsprechende Lebensführung zu suchen ist. Ich selbst verdanke Benedikt z. B. die klare Einsicht in die Differenz von Autarkie und Autonomie, die Kritik an der Abstraktion der bloßen Gesinnung, die für mich ein Gegengewicht darstellte gegen die meiner Meinung nach zu einseitig existentialistische Sicht des individuellen Gewissens bei Reininger und dem frühen Heintel und das bessere Verständnis für die vielen Differenzierungen der Kritik der praktischen Vernunft und der Metaphysik der Sitten, welche unerlässlich sind, um die Abstraktion der bloßen Gesinnung zu vermeiden.

|| 94 Vgl. Rupitz/Schönberger/Zehetner 1998. In dieser Festschrift für Benedikt findet man auf S. 432 dessen Lebenslauf und auf S. 434 ein Werkeverzeichnis zum damaligen Stand. Eine kleine Auswahl von Benedikts Schriften habe ich in die Bibliographie dieses Aufsatzes aufgenommen. 95 Benedikt/Knoll/Zehetner 1992ff.

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Auch die Einsicht, dass die vom deutschen Idealismus und von den Marburgern formulierte Kritik an Kants Konzeption des Dings an sich voreilig ist, verdanke ich zumindest teilweise den Diskussionsbeiträgen Benedikts.

8 Kurt Walter Zeidler Kurt Walter Zeidlers Grundriß der transzendentalen Logik96 knüpft einerseits an Kants Kritik an und baut auf dessen Positionen auf: So ist Zeidler z. B. von der Vollständigkeit der Kategorientafel Kants überzeugt. Andererseits sieht sich Zeidler jedoch genötigt, von einigen Überzeugungen Kantens abzurücken und diese zu kritisieren. So versucht er, Kants „Auseinanderreißung“ von Verstand und Sinnlichkeit zu widerlegen. Stattdessen geht seine transzendentale Logik von der Einheit der Vorstellung im Begriff aus. Begriffe bringen ja Vorstellungen aller Art zur Einheit, mögen diese nun Anschauungen oder untergeordnete Begriffe oder beides sein. Zum Unterschied von der formalen Logik greift die transzendentale Logik für Zeidler Denkformen nicht einfach als gegebene Objekte auf, sondern zeigt, wie das Denken seine Formen produktiv generiert. Der Anfang dieser Genese ist Denken als Einheit von Vorstellungen überhaupt: dies ist der Begriff. Wenn man Verstand und Anschauung nicht auseinanderreißt, sondern als ursprüngliche Einheit begreift, dann sind die Denkformen zugleich Anschauungsformen. Einen ersten Schritt in diese Richtung hat Kant ja durch seine Lehre vom Schematismus getan. Die Schemata bei Kant entsprechen Stück für Stück den zwölf Kategorien. Jedoch sind sie nur Schemata der Zeit. Für Zeidler ist das inkonsequent. Es ist erforderlich, den Zeitschematismus durch einen Raumschematismus zu ergänzen. Weiters hat der Schematismus dann, wenn man Denken und Anschauung nicht auseinanderreißt, sondern als ursprüngliche Einheit begreift, nicht mehr die Aufgabe, Anschauung und Denken, die zuerst getrennt wurden, hinterher wieder zusammenzuknüpfen, sondern ursprünglich differenzieren sich Denken und Anschauung durch dieselben Formen, die uns im Denken als Kategorien, in der Anschauung aber als Schemata des Raumes und der Zeit begegnen. Die Formen des Denkens, welche in der transzendentalen Logik generiert werden, sind aber nicht nur Formen der theoretischen, sondern ebenso Formen der praktischen Vernunft. Auch bei Kant gibt es ja in der Kritik der praktischen Vernunft Kategorien der Freiheit, die Typik entspricht dem Schematismus, und die Kritik der praktischen Vernunft unterscheidet ebenso wie die Kritik der reinen

|| 96 Zeidler 1992.

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Vernunft Analytik und Dialektik. Die Formen des Denkens sind also ein- und dieselben sowohl für die theoretische als auch für die praktische Vernunft. Schon Kant hatte die „Einheit der Vernunft“ gefordert. Zeidler erhebt den Anspruch, mit seiner transzendentalen Logik die Formen der theoretischen und der praktischen Vernunft vorzulegen und auf diese Weise zu erfüllen, was bei Kant nur Programm war. Kant ist nach Ansicht Zeidlers in den Fehler der Auseinanderreißung von Verstand und Anschauung gestolpert, weil er das Denken einseitig vom Urteilen her auffasst. Im Urteil, welches entweder wahr oder falsch ist, vergleicht jeweils ein Ich seinen Urteilsinhalt mit einem Gegenstand. Hier sind Subjekt und Objekt einander gegenübergestellt. Deshalb sind dem Urteilen auch die kantischen Kategorien Realität und Negation zugeordnet, verbunden mit den von Kant vergessenen, aber bei Aristoteles wohl bedachten Kategorien Tun und Leiden. Daher kann im Urteil in der Differenz von Subjekt und Objekt die Theorie der Anschauung verknüpft werden mit der Theorie des Handelns und ist der Raum zentriert auf das Hier des handelnden Ich, schematisiert als Richtungsraum, die Zeit aber schematisiert als Handlungszeit. Kant verharrt nach Zeidler auf der Position des Urteils und konstruiert fälschlicherweise die Kategorientafel ausschließlich auf Grund seiner Analyse der Urteilsformen. Vielmehr müssen vor allem die grundlegenden Denkformen Begriff, Urteil und Schluss durch das Denken generiert werden, wobei Zeidler an Hegel und an Peirce anknüpft, die einzigen, die über die Fixierung auf das Urteil hinausgehen und die Formen des Denkens weiterführen zu Logik und Ontologie des Schlusses bzw. der Einheit der Schlüsse im Denken überhaupt. Die Generierung der logischen Formen beginnt für Zeidler, wie schon gesagt, mit der Einheit der Vorstellung, in welcher Denken und Anschauung, Subjekt und Objekt, unmittelbar eins und verbunden sind. Das Denken kann sich aber nicht auf diese Einheit beschränken, denn sonst würde es der schon in dieser Einheit vereinigten Mannigfaltigkeit nicht gerecht. Dieses Heraustreten der Differenz aus der ursprünglichen Einheit des Begriffs ist sodann das Urteil, durch welches sich Tun und Leiden, Realität und Negation, Subjekt und Objekt voneinander scheiden und aufeinander durch Beachtung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch beziehen. Aber auch hierbei kann das Denken nicht stehen bleiben, sondern es muss die Funktion der Einheit des möglichen Urteils im Denken herstellen: Dies ist der Schluss. Hier erst, also nicht wie bei Kant durch einen bestimmten Aspekt der Urteilsform, werden die Kategorien der Relation vom Denken generiert. Der Schlussform entspricht im Raumschematismus die Verallgemeinerung des Richtungsraumes zum dreidimensionalen Raumkontinuum und die Verallgemeinerung der Handlungszeit zur Zeitordnung des Früher-Zugleich-Später. Hier ist die Ichzentriertheit im Hier und Jetzt von Richtungsraum und Handlungszeit aufge-

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hoben in die allgemein verbindliche Ordnung des Raumes und der Zeit. Zum Abschluss der Genese der Denkformen muss das Denken nach vollzogenem und im Schluss vollendetem Durchgang durch seine selbsterzeugten Differenzierungen die Einheit des Denkens als viertes Moment im Denken selbst generieren und damit thematisieren und differenzieren, wodurch einerseits die Kategorien der Modalität, andererseits die Schemata der modalen Raum- und Zeitinbegriffe erzeugt werden. In all diesen späteren Differenzierungen verschwinden das Ich und sein Objekt nicht, aber diese Urteilsdifferenz ordnet sich selbst in den Gesamtzusammenhang der Vernunft ein, bleibt also nicht in der Urteilsdifferenz stecken. Der transzendentalen Logik Zeidlers entspricht in meinen Bemühungen der zwei Jahre später erschienene Aufsatz „Allgemeine Ontologie“97. Ich stimme mit Zeidlers Entwurf in vieler Hinsicht überein. Es ist hier nicht der Ort, um unsere Übereinstimmungen und Differenzen ausführlich zu diskutieren. Folgender kurze Hinweis sei gestattet: Zeidler beginnt, indem er Intelligibilität, also logisch geordnetes Denken als solches voraussetzt und dann darstellt, wie sich dem Denken die logischen Formen erzeugen. Dieser Erzeugungsprozess der logischen und ontologischen Formen findet auch in meinem Entwurf statt. Für mich ist jedoch die erstmalig durch die Aporien Zenons gewonnene Einsicht entscheidend, dass der logisch-mathematische Kosmos eine Pflanze ist, welche auf einem logisch noch nicht geordneten, aber gleichwohl potentiell logischen Boden sprießt. Daher beginne ich, wie übrigens meiner Meinung nach auch Hegel, dessen Wissenschaft der Logik nicht mit dem „Dasein“, sondern mit dem vorprädikativen „Sein“ beginnt, aus welchem das „Dasein“ erst „wird“, mit logisch noch nicht geordneten Formen, welche ich analog durch regelwidrige Verwendung logischer Formen ausdrücke, wie „Identität und Nichtidentität von Identität und Nichtidentität“ oder „Identität und Nichtidentität von Reflexivität und Unmittelbarkeit“ usw. Aus dieser Grunddifferenz sind meiner Meinung nach die weiteren Unterschiede, die zwischen Zeidlers Entwurf und meinem bestehen, verständlich. Dies im Detail zu erörtern, ist allerdings hier nicht der Ort.

9 Ausblick Die Festschrift für Kurt Walter Zeidler98 und andere Publikationen zeigen, dass viele Jüngere weiterhin bestrebt sind, den „kritischen Weg, der allein noch offen“ ist, in Wien auch in Zukunft zu gehen.

|| 97 Klein 1994, insbesondere S. 184ff. 98 Rendl/König 2020.

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Dass die analytische Philosophie in der philosophischen Gegenwart die dominierende Richtung ist, ist ein wohlbegründetes Faktum. Nochmals möchte ich betonen, dass die analytische Philosophie meiner Meinung nach keine philosophische Richtung, sondern eine Methode ist. Diese Methode tritt bereits in der griechischen Antike auf, und zwar spätestens bei Platon. Die logische und linguistische Analyse ist also keineswegs an das Spektrum der im Wiener Kreis vertretenen Lehrmeinungen gebunden, sondern auch mit anderen philosophischen Positionen vereinbar, z. B. mit der phänomenologischen Forschung im Sinne Husserls oder mit dem kritischen Idealismus. Die analytische Methode und die mit ihr verbundenen philosophischen Textformen, namentlich kleine Abhandlung und Dialog, schließen jedoch nicht andere philosophische Literaturformen, z. B. den Systemtext, aus. Immerhin war Platon nicht nur der Begründer der methodischen Disputation und der philosophischen Analyse, sondern auch des Systems der Philosophie (in der ungeschriebenen Lehre). Auch im Kontext des logischen Positivismus und im Pragmatismus finden wir philosophische Systeme, z. B. von Whitehead, Peirce oder Nicholas Rescher. Der Grund dafür, dass die analytische Methode, namentlich die Mikroanalyse, die in der Gegenwart dominierende Textform ist, liegt darin, dass diese Form die einzige Möglichkeit ist, philosophische Disputationen durchzuführen. Ein System en bloc kann man nicht diskutieren, man kann es schreiben, man kann es lesen, aber diskutieren kann man es nur, wenn man sich einzelne darin vertretene Thesen herauspickt und diese nach pro und contra durcharbeitet. Daher ist es auch möglich und auch erforderlich, die in Wien vertretenen Positionen des kritischen und spekulativen Idealismus analytisch durchzuarbeiten. Verweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf zwei Bücher des aus Wien stammenden Philosophen Stefan Lang99. Lang diskutiert in diesen Büchern angloamerikanische und deutsch-idealistische Vorschläge zur Theorie von Bewusstsein und Selbstbewusstsein in analytischer Methode. Der vorliegende Aufsatz100 hatte die Absicht, auf Philosophen aufmerksam zu machen, die außerhalb Wiens kaum bzw. kaum mehr beachtet werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie versucht haben, ein eigenes System der Philosophie zu formulieren und zur Diskussion zu stellen. Wie ausgeführt, hat diese philosophische Textform in der Gegenwart aus guten Gründen die einstige Relevanz ver-

|| 99 Lang 2020a und Lang 2020b. 100 Besonders herzlich danke ich der Philosophin und Lyrikerin Ursula M. Ernst (siehe Ernst 1975, 2004 und 2017) für die verständnisvolle Lektüre der Arbeit und für interessante Gespräche zum Inhalt. Ihrer Gewohnheit entsprechend hat Frau Dr.in Ernst den Text bei der Lektüre auch gleich lektoriert und mir dadurch auch in dieser Hinsicht sehr geholfen.

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loren. Die Auswahl dieser Autoren ist durch das von mir gewählte Thema „Transzendentale Systeme“ nahegelegt und ermöglicht. Hätte ich in Abwandlung des Gesamtthemas des vorliegenden Bandes über „Kant in Vienna“ geschrieben, dann hätte ich auf die Forschungen von Rudolf Langthaler, Herta Nagl-Docekal und Ludwig Nagl näher eingehen müssen. Sie sind die in Wien tätigen AutorInnen, welche mit ihren hochzuschätzenden Arbeiten, die in vielfältiger Weise von der Transzendentalphilosophie Kants ausgehen, auch internationale Anerkennung gefunden haben. Aus Gründen der philosophischen Anthropologie und der Rechtsphilosophie wurde die Gleichheit der Geschlechter von den allermeisten Philosophen und Philosophinnen in dem behandelten Zeitabschnitt in der Theorie verstanden und anerkannt. Trotz bedeutender Reformen in dieser Zeit ist die Praxis, die wir leben, von dem, was die Vernunft von uns fordert, nach wie vor weit entfernt. Die letzten 75 Jahre waren in Wien eine Zeit des Friedens und des Wohlstands. Wir konnten in Ruhe ohne Gefährdungen philosophieren. Möge uns auch weiterhin Frieden und die Möglichkeit zu ruhigem Leben in demokratischen Rechtsstaaten geschenkt sein. Den Philosophierenden möchte ich den wissenschaftlichen Ernst von Hermann Cohen, Ernst Cassirer, Edmund Husserl, Richard Hönigswald, Jonas Cohn und Richard Kroner und die „steadfastness“ von Julius Ebbinghaus wünschen.

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Tomasz Kubalica

The Reception and Rejection of Alois Riehl’s Philosophy in Poland: Jan Stepa and Władysław Tatarkiewicz Abstract: The article discusses the main directions of the reception of Alois Riehl’s philosophical thought in Poland in the period 1927–1950 based on the works of two representatives of that period: Jan Stepa and Władysław Tatarkiewicz. I will show that the reception of Riehl’s critical realism was determined primarily by the – variously motivated – interest in realism, which has left Riehl’s criticism on the margins of interest. The critical nature of Riehl’s realism was the reason why Riehl’s position met with rejection as being too unorthodox. Philosophers in Poland after the First World War found themselves in a situation of Post-Neo-Kantian discussions, which shaped the development of philosophy in Poland and the rest of the world. One of the most important discussions was the philosophical dispute between idealism and realism. The interwar period was a time when realism in various forms (Neo-Thomism, Neo-Positivism, MarxismLeninism, and others) became the dominant trend in Poland. Furthermore, philosophers educated in the spirit of idealism had to modify their views, just like Władysław Tatarkiewicz, who did his doctorate in the idealistic Marburg School but had to work in an academic environment dominated by realism. In this way, the question about the dispute between realism and idealism crosses with the question about the interpenetration of 20th-century philosophical trends such as Neo-Kantianism, Neo-Thomism, Neo-Positivism, and Marxism-Leninism. In the early period of the reception of Riehl’s philosophy, we find an account of his realism in the habilitation thesis Neokantowskie próby realizmu a neotomizm (The Neo-Kantians Attempts at Realism versus the Neo-Thomism) of 1927 by the lesser-known philosopher Jan Piotr Stepa (1892–1959).1 Stepa was an associate professor at the Department of Christian Philosophy at the Jan Kazimierz University in Lviv until its closure in 1939. Although the aim of the dissertation was

|| 1 Stepa 1927; cf. Musioł 2016. || Tomasz Kubalica, Uniwersytet Śląski w Katowicach [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-021

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presupposed, and consisted in showing the superiority of Christian philosophy of Neo-Thomism over Kant’s and the Neo-Kantians’ destructive criticism, this work sheds light on the reception of Riehl’s critical realism in the Polish philosophical community. Stepa treats Riehl’s realism as a development of the tendencies outlined by Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz and Friedrich Albert Lange in NeoKantianism’s physiological direction.2 However, Stepa recognises that it was only Riehl who made the issue of realism clear and was the first of the NeoKantians to base it on Kant’s principles. From Stepa’s point of view, Riehl’s realism gained its followers in the form of his disciple Richard Hönigswald, as well as Oswald Külpe, who referred to Riehl in his criticism of the Hermann Cohen system. In Stepa’s view, Riehl’s realism derives from his understanding of philosophy as a science and the critique of knowledge, the aim of which is primarily to investigate whether (scientific) knowledge is real.3 The starting point for such a critique of knowledge cannot be either subject or object. An undogmatic starting point can only be consciousness, which initially does not differentiate between subject and object. However, it is only from this that experience leads to a distinction between self-awareness and object awareness.4 However, consciousness understood in this way is not knowledge (cogito), but instead, it connects with feeling (sentio), which gives the subject and the equal object rights in consciousness. Stepa presents the foundations of critical realism as follows: “The key to solving a real problem in Riehl’s system is double-feeling: subjective and objective.”5 The object is therefore directly contained in the feeling, and its analysis is enough to create a concept of reality that we can directly perceive through sight and touch. The fundamental problem of the system is Kant’s thing in itself (Ding an sich), which raises questions about the possibility of creating representation and concepts of reality in all its diversity. Stepa systematises two groups of proof given by Riehl for the existence of the real world: (1) evidence based on the analysis of feelings; and (2), evidence based on feelings.6 The first group consists of the relationship between sensory awareness and an external factor. The starting point for the second group is the self-

|| 2 Stepa 1927, p. 17f.; Riehl 1887, vol. 2/2, p. 15. 3 Cf. Stepa 1927, p. 23f. 4 Riehl 1887, vol. 2/2, p. 196. 5 Stepa 1927, p. 34 (all translations mine). 6 Stepa 1927, p. 43–48.

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preserving and altruistic feelings of our consciousness.7 Although feeling discovers the existence of a thing in itself, the resulting vision cannot be a representation of the external world and the essence of the discovered things is presented by reason in an a priori manner. Consequently, Stepa emphasises that the experience of things is not an entity in itself, but only its phenomena.8 In this way, Riehl rephrases Kant’s fundamental problem. Thus the question of the possibility of synthetic judgements a priori becomes the question of how and under what conditions our cognition can be understood,9 so that according to Stepa: Riehl’s critical realism follows Kant as an empiricist rather than as a rationalist, so the focus has shifted from the forms and categories of knowledge to Ding an sich, thinking came to the background, and the feeling was in the foreground.10

Despite the existing discrepancies, Riehl does not entirely break with Kant’s thought, and to some extent defends his position against unfounded accusations of psychological subjectivity. Riehl’s starting point is direct realism, which excludes any mediation that separates the world of things from the subject. Knowledge of the external world we obtain through a feeling in which both the cognitive subject and the object of knowledge participate. Thus, no inference is needed to reach the world of external objects through feeling since feeling is part of the object and more of the object of insight. According to Stepa: Riehl did not go far beyond Kant’s phenomenalism because although he gives phenomena a higher value than things themselves, he essentially agrees to the separation between the world of things and the field of phenomena.11

Riehl’s claims to direct realism are therefore unfounded because, despite his efforts, he did not get out of Kant’s phenomenalism. The main accusation by Stepa is that Riehl reaches reality only by inference. Another accusation is that Riehl’s direct realism is bordering on the existence of a thing and does not capture its essence; for both Riehl and Kant, a thing remains a borderline concept (Grenzbegriff). It is rather half-direct realism or phenomenalism. Stepa evaluates Riehl’s system from the perspective of the philosophy of Thomas Aquinas, which cannot

|| 7 Riehl 1887, vol. 2/2, p. 155. 8 Stepa 1927, p. 61–64. 9 Riehl 1879, vol. 2/1, p. 17–18. 10 Stepa 1927, p. 68. 11 Stepa 1927, p. 71.

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be “completely agreed upon with Kant’s system because the fundamental philosophical problem lies in both masters at opposite poles”12. Nevertheless, Stepa sees the need to consider the achievements of Kantianism, which include the critical realism of Riehl. Stepa expresses his assessment of Riehl’s philosophy as follows: Although Riehl has not managed to lay solid foundations for a realistic view of the world, he has the merit among Neo-Kantians that he has paid attention to the question of knowledge.13

In his approach to Riehl’s philosophy, Stepa reaches for the foundation of the Würzburg School of Oswald Külpe and August Messer.14 This school tries to make a similar synthesis of realism and idealism, recognising the value of both sensual and mental sources of knowledge. The relationship between Stepa and Riehl was not direct. However, Stepa indirectly got to know and critically analysed the assumptions of critical realism. Thus, we are dealing with an indirect influence, in the sense that the understanding and critical reference to the views of the philosopher in question allowed him to develop his own independent and opposing position. It should, therefore, be concluded that the interaction between philosophers does not always lead to the development of views of the interacting philosopher by the philosopher subjected to the interaction. It is, therefore, an influence that is not reactive but rejective. It should be noted, however, that the earlier adoption of the Thomistic position played an essential role in the rejection of Riehl’s views by Stepa. However, Stepa remains a little-known philosopher with a range limited to Polish Neo-Thomism. On the other hand, Tatarkiewicz’s approach to Riehl’s philosophy is essential because of his handbook on the History of Philosophy, which is still regarded by every educated person in Poland as being primary literature in philosophy. The life and philosophy of Władysław Tatarkiewicz was described by many authors who looked at him in different contexts.15 Tatarkiewicz’s period of studies in Berlin is essential for our reflections. However, before we move on to it, it is crucial to explain how Tatarkiewicz found himself in Germany. Tatarkiewicz’s period of schooling coincided with the partition of Poland, which was the result of the unprecedented division of the Polish Republic by the anti-democratic neighbouring empires of Russia, Prussia, and Austria. On the map

|| 12 Stepa 1927, p. 83. 13 Stepa 1927, p. 82. 14 Cf. Noras 2020, p. 404. 15 Głombik 2005.

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of Europe for over 120 years, until the end of World War I in 1918, there was no independent Polish nation-state. Tatarkiewicz was born on 3 April 1886 in Warsaw, which was then occupied by the Russians.16 That is why Tatarkiewicz attended the Russian-speaking middle school in Warsaw, and from 1903 he started studying at the University of Warsaw with Russian as the language of the lecture. Initially, he tried to study mathematics, and then he started law. Language repressions were one of the reasons for student protests, in which Tatarkiewicz participated in 1905. As a result, Tatarkiewicz was expelled. Nevertheless, he continued his studies in philosophy and psychology secretly, among others including Adam Mahrburg, and finally began studying abroad in Zurich and Berlin. In his Memoirs, Tatarkiewicz assessed the time spent in Berlin as very intensive not only in university life but also in cultural life, which resulted in his desire to rest and calm down by moving to a smaller German university in Marburg.17 However, Tatarkiewicz’s interest in philosophy was already aroused in Berlin before he realised that Berlin could not be the right place to study. We are interested in his studies at Emperor Friedrich Wilhelm University. In Berlin, he attended lectures by several renowned Berlin professors, such as Georg Simmel’s Nineteenth-Century Philosophy from Fichte to Nietzsche, Friedrich Paulsen’s Philosophy of Law and Political Theory, Georg Lasson’s Science and Faith, and Alois Riehl’s Introduction to Philosophy and the History of Philosophy.18 Riehl’s lectures proved to be a valuable contribution to the development of his philosophical thinking. In a way, one can say that Riehl was the reason for his trip to Marburg, because during Tatarkiewicz’s stay in Berlin Cohen also appeared there to visit the retired Dilthey, as well as Simmel and Riehl.19 Indirectly Riehl contributed to the Marburg period of Tatarkiewicz’s development. The most extensive view of Riehl’s philosophy we find in Tatarkiewicz’s History of Philosophy, which is his opus magnum. Tatarkiewicz presents Riehl’s philosophical path in the following way: He came out of the same assumptions as of the immanentists – from the interdependence of subject and object – but he came to the opposite conclusion: he came to realism, like the immanentists to idealism. After all, it was a new realism, half-realism, recognising the existence of real things beyond the self, but not beyond consciousness.20

|| 16 Kubalica 2015. 17 Tatarkiewiczowa/Tatarkiewicz 2011, p. 167. 18 Tatarkiewicz 2019, p. 40. 19 Tatarkiewicz 2019, p. 42. 20 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 103 (all translations mine).

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By the immanent philosophy (as well as critical idealism), Tatarkiewicz understood a position that assumes that transcendent existence is an absurdity that cannot be thought of at all, and contrasts its philosophy that presupposes transcendence. The analysis of the external world proves that it is only a set of contents of consciousness. The relationship between consciousness and object is so close that “there is and cannot be an object that is not an object of consciousness, just as there is no consciousness that is not an object of consciousness”21. In Tatarkiewicz’s view, unlike the idealists, the immanentists did not defend themselves against the accusation of solipsism, although they considered it only an epistemological solipsism. Among the precursors of the philosophy of immanence, Tatarkiewicz mentioned Immanuel Kant, Georg Berkeley, and Johann Gottlieb Fichte, although one may have justified doubts about the former. As the leading representatives of the philosophy of immanence, he considered Wilhelm Schuppe and Richard von Schubert-Soldern. They also emphasised their relationship with Kantianism in Friedrich Albert Lange’s version, and sympathised with Richard Avenarius and Ernst Mach. The philosophy of immanence grew out of idealism such as Berkley’s, and means a philosophy that is limited only to what was directly given and experienced – that is, to what is simply immanent consciousness. This philosophy rejects the thing in itself as something transcendent. The whole reality is the content of “consciousness in general”. Starting from the premise of the philosophy of immanence, Schubert-Soldern acknowledged the epistemological – but not metaphysical – solipsism: “Solipsism is theoretically undeniable because every other ego comes to me only as of the content of my consciousness.”22 There is nothing except the self that represents it. Coming back to Riehl’s concept, Tatarkiewicz calls it the new realism, but he has not defined what he means by old realism. In the third volume of History of Philosophy, realism in the theoretical-philosophical sense appears in references to Johann Friedrich Herbart’s philosophy and dialectical materialism. Hence it can be assumed that they constitute old realism. This assumption is understandable because Herbart’s philosophy, of which realistic metaphysics and pluralistic and deterministic mechanistic psychology were a vital component, appears in Germany in opposition to German idealism.23 After 1830, when idealism was in decline, Herbart’s realism took its place to give way to even more empirical views. Tatarkiewicz describes the role of this realism in the following way:

|| 21 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 102. 22 Eisler 1912, p. 659. 23 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 36.

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Herbart’s philosophy was for Central Europe a factual and temporal view between the metaphysics of the beginning of the century and criticism and positivism. When these occurred in the last third of the century, the idealists no longer played a role, but rather that of Herbart’s followers. Moreover, the attacks of the new generation focused largely directed against them: they measured theory of knowledge in dogmatic realism, psychology in aperceptionism, practical philosophy in formalism.24

Thus, Herbart’s realism should be regarded as a direct predecessor of Riehl’s realism, who tried to modernise it by giving it a more critical form. The dialectical materialism of Karl Marx and Friedrich Engels is another example of the realism that precedes Riehl. For Tatarkiewicz, the theory of cognition is above all realistic in dialectical materialism. Ontologically, materialism states that the original and self-contained form of being cannot be the spirit, as idealism puts it, but matter. In the materialistic theory of knowledge, material objects are independent of the mind: “The material, sensually perceived world to which we belong is the only real world.” The spiritual world is derived from it, dependent on it, and it is its creation.25

Tatarkiewicz notes that realism can have a moderate or radical form. Realism assumes that material objects exist independently of our perceptions. However, moderately, it assumes that they are not sufficiently available to us, i.e. we perceive them, but ultimately we do not know whether our perceptions are similar to objects. The radical realism of Marx and Engels assumes that material things are always fully accessible to our perceptions: Our knowledge of the material world, based on experience and tested by the practice of life, is completely reliable and objective.26

In their view, realism is confirmed by the practice of experience and industry, which in particular proves the reality of things by the fact that we can create and use them for our purposes. Theories of cognition not based on practise should be regarded as “misunderstanding and bemoaning”. In this context, Tatarkiewicz’s term for Riehl’s realism is “new realism, halfrealism, recognising the existence of real things outside the self, but not outside

|| 24 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 39. 25 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 47. 26 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 47.

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the consciousness”27. The half-heartedness of Riehl’s realism we interpret as equivalent to the category of moderate realism introduced by Tatarkiewicz. Tatarkiewicz acknowledges that Riehl’s starting point is not the subject, but the consciousness, since “considering the self as a primary entity is as dogmatic as considering the matter as a primary entity”28. Tatarkiewicz explicitly cuts off his starting point from Kant and Descartes, but implicitly also from Marx and Engels. Riehl’s starting point is the broadly understood consciousness, which includes both the self and the outside world.29 Consciousness understood in this way has two faces – the subjective and the objective, which leads to the emergence of subject and object in a way that the former is formed from emotional components and the latter from impressions. Feelings and impressions are the basis for the formation of the subject and the object, which make up the whole of consciousness. The object of consciousness in Riehl’s realism is, therefore, impressions that should become the starting point of the theory of knowledge. As Tatarkiewicz sums it up: So the theory of knowledge should not come from cogito, but sentio. Furthermore, when I do, I can say not only sentio ergo sum, but – sentio ergo sum et est.30

In the concept of impression, Riehl refers to Kant’s transcendental aesthetics. However, he tries to avoid his understatements and recognises that sensation itself proves the existence of external objects, and there is no need to refer to the category of causality. The impressions only indicate the phenomenon of the existence of the external world, but do not define its essence.31 Therefore, the knowledge of objects is only the knowledge of phenomena. Despite Tatarkiewicz’s objections, Riehl’s realism as a kind of phenomenalism is, therefore, a realistic interpretation of Kant’s philosophy. Kant’s provenance also attests to how the reflective element appears in knowledge. He treats a priori conceptual factors as essential components that bring together impressions that bring order to them. In Tatarkiewicz’s opinion, the consequence of introducing rationalism is the penetration of a subjective factor into knowledge. Tatarkiewicz believes that Riehl’s correlation between subject and object is “an important motive for new positivism. He was considered a Kantian, but his

|| 27 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 103. 28 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 103. 29 Riehl 1879, vol. 2/1, p. 67–69. 30 Tatarkiewicz 1995, vol. III., p. 103. 31 Riehl 1879, vol. 2/1, p. 249–253.

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Kantian motifs were secondary to those of positivism”32. In Tatarkiewicz’s opinion, this is determined not only by the very correlativity, realism or subjective understanding of conceptual factors. Above all, however, what is important is the “epistemological primacy of sensual impressions and the conviction of direct knowledge of reality”33. In Tatarkiewicz’s summary it is interesting that he sees a similarity to undefined positivism and not to phenomenology, which assumes that the starting point of the theory of knowledge must be direct knowledge and in which sensual impressions play a significant role. The question is, what does Tatarkiewicz mean by the new positivism? Is it about Neo-Positivism? A subchapter on Riehl appeared in the chapter on the second phase of the philosophy of the nineteenth century from 1860 to 1880. Auguste Comte’s (old) positivism was discussed at the beginning of phase one (1830–1860), while Neopositivism comes in the second part devoted to the philosophy of the twentieth century in phase three (1930–1945). From this, it seems that Riehl was not classified as either a classical positivist or a Neo-Positivist, since his work is somewhere between the two. Riehl’s new positivism, therefore, has a different meaning from both old positivism and Neo-Positivism. Tatarkiewicz situates Riehl in the confrontation between Neo-Kantianism and positivism based on the theory of knowledge. The fundamental difference between Neo-Kantians and them [positivists] lay relates the a priori factors of knowledge: the one defended them, those other denied them. However, they also had many common features of minimalist philosophy. Although the cantors defended apriorism, they gave it interpretations that brought them closer to the positivists.34

Despite this criterion of a priori, this division is not sharp enough and poses many problems. In any case, as typical positivists of the second phase, Tatarkiewicz recalls the German philosophers Carl Theodor Göring and Ernst Laas. However, above all, he emphasises the role of Ernst Mach in Austria and Richard Avenarius from Switzerland. A characteristic feature of this second-wave positivism, also called “epistemological positivism” or “empirical criticism”, is that, unlike August Comte’s positivism, which was limited to examining facts, he went further into the question of the possibility of learning facts, which he wanted to justify epistemologically. However, while Neo-Kantianism came from Kant, Empiriocriticism and the whole positivist tradition comes from David Hume’s empiricism.

|| 32 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 103. 33 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 103. 34 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 98.

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The fundamental difference reveals itself in epistemology, which is based on the notion of introjection, which, unlike Kantianism, does not contrast things and phenomena. Tatarkiewicz associates Riehl’s realism with the philosophical discussion around empiricism when he states that: Avenarius began with an idealistic view, to finally move on to a realistic one. The other positivists went in two opposite directions: some, like the immanentists, went in the idealistic, others, like Riehl, in the realistic.35

Empiricism tried to combine realism with idealism based on the positivist concept of pure experience (pure description). If a sensual representation is a whole reality that exists beyond us, it means that either sensual is reality (realism) or reality is a sensual representation (idealism). Mach tried to go beyond the opposition of realism and idealism to find a third neutral solution. However, it turned out to be too vague, which further exacerbated the dispute between idealism and realism. Unlike Stepa, Tatarkiewicz had the opportunity to meet Riehl directly during his studies in Berlin, which undoubtedly influenced his ideas, and allowed a thorough analysis of his critical realism in a historical context. Thus, we are dealing with direct second-degree influence in the sense that the cognition of and critical reference to the views of the philosopher in question allowed him to develop his independent and partly shared position. In Tatarkiewicz’s case, the influence between philosophers led to the development of the views of the influenced philosopher towards the reception of his philosophy’s assumptions because – as Tatarkiewicz’s biography shows – he abandoned Kantianism, rejecting the idealism of the Marburg Neo-Kantianism type. The rejection of Marburg idealism led him to the reception of Riehl-style realism, although Tatarkiewicz did not declare his epistemological and ontological views. Summarising the conclusions from the analysis of the reception of Riehl’s thoughts, it seems that his realism has been the focus of attention. However, it is necessary to say that his criticality, apart from being situated in the context of Kant’s philosophy and Neo-Kantianism, was not a fundamental problem. Both for Tatarkiewicz and Stepa, though for different reasons, Riehl’s standpoint was too nonradical and too half-hearted. For Tatarkiewicz, Riehl’s realism is moderate against the background of Marxist materialism, and for Stepa against the background of Thomistic realism. The standpoints of both interpreters reflect

|| 35 Tatarkiewicz 1995, vol. III, p. 102.

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the spirit of the times when Marxism and Thomism fought for supremacy, bidding which realism was more consistent. These were not times conducive to intellectual sophistication and careful consideration of individual rationales, advantages and disadvantages.

References Eisler, Rudolf (1912), Philosophen-Lexikon: Leben, Werke und Lehren der Denker, Berlin: Mittler. Głombik, Czesław (2005), Obecność filozofa: studia historycznofilozoficzne o Władysławie Tatarkiewiczu, Katowice: Wydawn. Uniw. Śląskiego. Kubalica, Tomasz (2015), “Władysław Tatarkiewicz und der Marburger Neukantianismus”, in: T. Kubalica/St. Nachtsheim (eds.), Neukantianismus in Polen, Würzburg: Königshausen & Neumann, p. 115–124. Musioł, Anna (2016), “Realistyczny neokantyzm Aloisa Riehla w interpretacji Jana Stepy”, in: Ruch Filozoficzny 72 (1), p. 93–108. Noras, Andrzej J. (2020), Geschichte des Neukantianismus, translated by T. Kubalica, Bern: Lang. Riehl, Alois (1879), Der philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, zweiter Band, erster Theil: Die sinnlichen und logischen Grundlagen der Erkenntniss, Leipzig: Engelmann. Riehl, Alois (1887), Der philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, zweiter Band, zweiter Theil: Zur Wissenschaftstheorie und Metaphysik, Leipzig: Engelmann. Stepa, Jan (1927), Neokantowskie próby realizmu a neotomizm, Lviv: Tow. “Bibljoteka Religijna”. Tatarkiewicz, Władysław (2019), Dzienniki, Tom. I: Lata 1944–1960, ed. by Radoslaw Kuliniak/ Dorota Leszczyna/Mariusz Pandura/Łukasz Ratajczak, Kęty: Wydawnictwo Marek Derewiecki. Tatarkiewicz, Władysław (1995), Historia filozofii. Filozofia XIX wieku i współczesna, vol. III, eleventh ed., Warsaw: Państwowe Wydawnictwo Naukowe. Tatarkiewiczowa, Teresa/Tatarkiewicz, Władysław (2011), Wspomnienia, Warsaw: Zysk i S-ka.

| Appendix

Josef Hlade

Alois Riehl (1824–1924): Selected Archive Sources on Life and Work Abstract: In this edition selected documents are presented, which are of great interest for the understanding of Alois Riehl’s academic career and also for the understanding of his philosophical work. At the beginning of this edition a list of the lectures given by Riehl at the University of Graz is presented. It shows, among other things, that Riehl had already given lectures on Kant’s theoretical and practical philosophy in the early 1870s. All in all, he covers a wide range of topics in his lectures, including lectures on psychophysics. Further documents provide insights into Riehl’s academic career, including an expert opinion by his teacher and mentor Joseph Nahlovsky, in which Nahlovsky supported Riehl’s appointment as associate professor. This document gives an overview of Riehl’s early philosophical period, in which some central themes of his mature philosophy are already in place. The report of the committee which was responsible for the appointment procedure for the succession to Ernst Mach can also be found in this edition. It was written by Friedrich Jodl and shows that Jodl was probably the main supporter of Riehl’s possible appointment to Vienna. Letters presented in the same section show that Jodl finally turned to Riehl to find out about possible successors for the Viennese chair in 1912. Riehl’s letters to Bartholomäus von Carneri, that are presented in the next section, in particular shed new light on Riehl’s reflections on moral problems, which were primarily reflected in his preoccupation with values. In these letters the relationship between scientific and non-scientific philosophy and his critique of metaphysical systems is explained in detail. Finally, Riehl’s correspondence with Alexius Meinong, Riehl’s successor at Graz, was included in this edition. It shows that the two philosophers maintained contact for years. The correspondence indicates, among other things, that Riehl had brought Meinong into play for his succession in Kiel. The edition is divided into the following 5 subject areas: 1 Lectures given by Riehl at the University of Graz (1870–1882) 2 Documents on Riehl’s academic career in Graz (1872–1882) 3 Letters to Bartholomäus Carneri 4 The reappointment of Mach’s professorship in Vienna 5 Riehl’s correspondence with Alexius Meinong || Josef Hlade, Karl-Franzens-Universität Graz [email protected] https://doi.org/10.1515/9783110747379-022

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1 List of lectures given by Riehl at the University of Graz (1870–1882) Wintersemester 1870/71 Philosophie der Griechen von Sokrates bis Aristoteles (einschliesslich), wöchentlich 3 Stunden, Dienstag, Donnerstag und Samstag von 3–4 Uhr, vom Privatdocenten Dr. Alois Riehl. Einleitung in die Philosophie, wöchentlich 2 Stunden, Freitag von 3–4 Uhr und Samstag von 8–9 Uhr, von demselben. Sommersemester 1871 Die theoretische und praktische Philosophie Kant’s, 3 Stunden wöchentlich, Montag, Mittwoch und Freitag von 8–9 Uhr, vom Privatdocenten Dr. Alois Riehl. Wintersemester 1871/72 Ueber Aristoteles Logik und Metaphysik, wöchentlich 4 Stunden, von 5–6 Uhr Abends, vom Privatdocenten Dr. Alois Riehl. Sommersemester 1872 Aesthetik, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Geschichte, wöchentlich 5 Stunden, Montag bis Freitag von 8–9 Uhr, vom Privatdocenten Dr. Alois Riehl. Wintersemester 1872/73 Allgemeine Geschichte der Philosophie, von ihrem Ursprung bis auf die Gegenwart, 5 Stunden in der Woche, Montag bis Freitag von 5–6 Uhr, vom Privatdocenten Dr. Alois Riehl. Erläuterungen zu Kant’s Kritik der reinen Vernunft, 2 Stunden in der Woche, Montag und Mittwoch (Ort und Stunde nach Vereinbarung), von demselben. Sommersemester 1873 Ueber den gegenwärtigen Zustand der philosophischen Forschung in Deutschland. 2 Stunden wöchentlich. Montag und Mittwoch von 8–9 Uhr, von Privatdocenten Dr. Alois Riehl. Wintersemester 1873/74 Erkenntnistheorie. Die logischen und realen Grundlagen der Erfahrung, dreimal in der Woche, Montag, Dienstag und Mittwoch von 5–6 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl.

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Uebersicht der Geschichte der antiken Philosophie, mit besonderer Beziehung auf ihre Bedeutung für die gegenwärtige philosophische Forschung, dreimal in der Woche, Donnerstag, Freitag und Samstag von 5–6 Uhr, von demselben. Philosophische Uebungen. Erklärung und Kritik von Kant’s Prolegomenen zu einer jeden künftigen Metaphysik, zweimal wöchentlich, an noch zu bestimmenden Tagen und Stunden, von demselben. Sommersemester 1874 Geschichte der Philosophie von Kant bis Hegel, dreimal wöchentlich, Montag bis Mittwoch von 11–12 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. *Die Methode der Naturwissenschaften, wöchentlich 1 ½ Stunden, Freitag von 11–12 ½ Uhr, von demselben. Colleg. publ. Wintersemester 1874/75 Logik, dreimal in der Woche, Montag bis Mittwoch von 11–12 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl Geschichte der Philosophie seit Kant (Schluss der Vorlesungen vom Sommersemester) dreimal in der Woche, Donnerstag bis Samstag von 11–12 Uhr, von demselben. Sommersemester 1875 Logik (zweiter Theil: Induction) und Erkenntnisstheorie, wöchentlich fünfmal, Montag bis Freitag von 11–12 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Wintersemester 1875/76 Praktische Philosophie, 5 Stunden wöchentlich, Montag bis Freitag von 8–9 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Geschichte und Kritik der wichtigsten Systeme der Philosophie der neueren Zeit. Zugleich als Einleitung in das Studium der Philosophie, zweimal wöchentlich, Freitag und Samstag von 12–1 Uhr, von demselben. Sommersemester 1876 Logik und Theorie der wissenschaftlichen Methode, wöchentlich 3 Stunden, Montag, Dienstag und Mittwoch von 8–9 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl, im Stöckel Nr. I. *Erklärung von Kant’s Kritik der reinen Vernunft, wöchentlich 2 Stunden, Donnerstag und Freitag von 8–9 Uhr, von demselben, ebenda. Colleg. publ.

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Wintersemester 1876/77 Praktische Philosophie und Geschichte der moralphilosophischen Systeme, 5 Stunden wöchentlich, Montag bis Freitag von 8–9 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Grundzüge der Gymnasialpädagogik, 3 Stunden wöchentlich, Montag bis Mittwoch von 12–1 Uhr, von demselben, im Stöckel Nr. I. Erklärung von Spinoza’s Ethik, 2 Stunden wöchentlich, Donnerstag und Freitag von 12–1 Uhr, von demselben, ebenda. Sommersemester 1877 Psychologie, dreimal wöchentlich, Montag bis Mittwoch von 8–9 Uhr im Stöckl, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Elemente der Logik und wissenschaftlichen Methodenlehre, wöchentlich 2 Stunden, Donnerstag und Freitag von 8–9 Uhr, ebenda, von demselben. *Über Einrichtung und Bedeutung des philosophischen Studiums (Colleg. publ.), wöchentlich 1 Stunde, Samstag von 8 bis 9 Uhr, ebenda, von demselben. Wintersemester 1877/78 Praktische Philosophie und Geschichte der moralphilosophischen Systeme, 5 Stunden wöchentlich, Montag bis Freitag von 8–9 Uhr, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. (Das Local wird später bekannt gemacht werden.) Grundzüge der Gymnasialpädagogik, 2 Stunden wöchentlich, Montag und Dienstag, von demselben. Stunde und Ort nach Vereinbarung. Sommersemester 1878 Psychologie mit besonderer Berücksichtigung der Psychophysik, wöch. 3 Stunden, Montag, Dienstag und Mittwoch von 8–9 Uhr Vormittags im Stöckl Hörsaal Nr. I, vom a. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Geschichte und Kritik der Philosophie. Einleitung in das historische Studium der alten und neueren Philosophie, wöch. 3 Stunden, Montag, Dienstag und Mittwoch von 12–1 Uhr ebenda, von demselben. Wintersemester 1878/79 Praktische Philosophie und Geschichte der Moral und der moralphilosophischen Principien, wöch. 5 Stunden, Montag bis Freitag vom a. ö. Professor Dr. Alois Riehl. Ort und Stunden nach Vereinbarung.

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Gymnasialunterrichtslehre, wöch. 2 Stunden, Montag und Dienstag von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, von demselben. *Historische und kritische Uebersicht der Philosophie vom Zeitalter der Griechen bis zur Gegenwart, wöch. 2 Stunden, Mittwoch und Donnerstag von demselben. Ort und Stunden nach Vereinbarung. (Coll. publ.) Sommersemester 1879 Erkenntnisstheorie oder System der theoretischen Philosophie, 4 Stunden wöchentlich, Montag bis Donnerstag von 8–9 Uhr, vom o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Kritische Geschichte der Philosophie von Kant bis zur Gegenwart (Schluss der hist. krit. Uebersicht der Philosophie), 2 Stunden wöchentlich, Montag und Dienstag von 5–6 Uhr, von demselben. Der Ort der Vorlesungen wird später bekannt gegeben werden. Wintersemester 1879/80 Praktische Philosophie oder System und Geschichte der Moralphilosophie, 5 Stunden wöchentlich, Montag bis Freitag von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, vom o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Gymnasialpädagogik, insbesondere Didaktik für Lehramtscandidaten, 3 Stunden wöchentlich, Montag bis Mittwoch von 8–9 Uhr im Stöckl Nr. I, von demselben. *Anleitung zum quellenmässigen Studium der Philosophiegeschichte: Uebungen an Spinoza‘s Ethik für Vorgeschrittene, 1 Stunde wöchentlich, Donnerstag von 8–9 Uhr, ebenda, Colleg. publ., von demselben. Sommersemester 1880 Die Philosophie Kant’s und die wissenschaftliche Philosophie der Gegenwart, 3 Stunden wöchentlich, Montag, Dienstag und Mittwoch von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, von o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Ueber moderne Logik und Theorie der Induction, 3 Stunden wöchentlich, Montag, Dienstag und Mittwoch von 11–12 Uhr im Stöckel I, von demselben. Wintersemester 1880/81 Praktische Philosophie, System und Geschichte der Ethik, 5 Stunden wöchentlich, Montag bis Freitag von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, vom o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode, 3 Stunden wöchentlich, Montag bis Mittwoch von 11–12 Uhr im Stöckel I, von demselben.

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Sommersemester 1881 Die Philosophie Platon’s, 2 Stunden wöchentlich, Montag und Dienstag von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, vom o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Gymnasialpädagogik, insbesondere Unterrichtslehre, 3 Stunden wöchentlich, Mittwoch von 11–12 Uhr und von 5–6 Uhr, Donnerstag von 11–12 Uhr, der Ort dieser Vorlesung wird später bekannt gegeben werden; von demselben. *Philosophische Uebungen für Anfänger. Die Elemente der Erkenntnisslehre nach Hume und Kant, 1 ½ Stunden wöchentlich, von 5–6 ½ Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I. Coll. publ., von demselben. Wintersemester 1881/82 Praktische Philosophie (System und Geschichte der Ethik), 5 Stunden wöchentlich, Montag bis Freitag von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, vom o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Die Philosophie Schopenhauers, 2 Stunden wöchentlich, Freitag von 12–1 Uhr und Samstag von 5–6 Uhr, ebenda, von demselben. Sommersemester 1882 Geschichte der neueren Philosophie, insbesondere der kritischen von Descartes bis Kant, 4 Stunden wöchentlich, Montag bis Donnerstag von 8–9 Uhr im mineralogischen Hörsaale, vom o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. *Ueber die Pricipien und die Methode des Naturerkennens an Beispielen aus der Geschichte der inductiven Wissenschaften, zweimal in der Woche, Montag und Mittwoch von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, von demselben. Wintersemester 1882/83 Praktische Philosophie (System und Geschichte der Ethik), 5 Stunden wöchentlich, Montag bis Freitag von 5–6 Uhr im juridischen Hörsaale Nr. I, vom o. ö. Prof. Dr. Alois Riehl. Ueber Gymnasialpädagogik insbesondere die Unterrichtslehre, 3 Stunden wöchentlich, Mittwoch bis Freitag von 8–9 Uhr im histor.-philol. Hörsaale, Burggasse Nr. 9, von demselben.

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2 Documents on Riehl’s Academic Career in Graz (1872–1882) 2.1 Referat über das Gesuch des Privat-Docenten Herrn Dr. Alois Riehl um Erlangung einer außerordentlichen Professur der Philosophie an der k. k. Carl-Franzens-Universität zu Graz. Joseph Nahlovsky, Graz, 20. Juli 1872. Aus: Alois Riehl. Professorenakt, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Unterrichtsministerium, allgemeine Akten, AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 939.37/9428/1873. Referat [1] Über das Gesuch des Privat-Docenten Hr. Dr. Alois Riehl um Erlangung einer außerordentlichen Professur der Philosophie an der k. k. Carl-Franzens-Universität zu Graz. Herr Dr. Alois Riehl, Privat-Docent an der k. k. Carl-Franzens-Universität zu Graz, hat in einer an das k. k. Professoren-Collegium gerichteten Eingabe vom 24. 7. v. M. das Ansuchen gestellt, ihn bei Einem hohen k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht für eine außerordentliche Professur der Philosophie in Vorschlag zu bringen. In seinem Gesuche beruft sich derselbe: A) auf sein durch 5 Semester, bei stetig wachsender Hörerzahl, fortgesetzte Lehrtätigkeit, B) auf seine literarischen Leistungen, C) auf den Umstand, daß er, dem Zuge seiner besonderen Neigung folgend, eine ihm in naher Aussicht stehende definitive Anstellung am k. k. Gymnasium zu Klagenfurt aufgegeben habe, „in der Hoffnung seine akademische Wirksamkeit und literarische Thätigkeit werden in nicht ferner Zukunft von einem entsprechenden Erfolge begleitet sein.“ Referent glaubt, zu Gunsten des Gesuchs-Stellers, besonders auf dessen bisher entfaltete literarische Thätigkeit hinweisen zu sollen. Die sich in kurzen Intervallen folgenden drei Schriften: a) „Realistische Grundzüge“, Graz, Universitätsbuchhandlung 1870; b) „Moral und Dogma“, Wien, Gerold 1872; endlich c) „Über Begriff und Form der Philosophie“, Berlin, Duncker, 1872, – bekunden einen sichtlichen Fortschritt. Schon in der ersten der eben genannten Schriften, welche seinen Habilitations-Acte, betreffs Erlangung der Docentur an der Grazer Universität, zu Grunde lag, fand Referent – einige kleinere Mängel abgerechnet, – lobend hervorzuheben, die gute Verwerthung der einschlägigen Literatur, die strenge Zucht der Gedanken und selbst eine, bei der Jugend des Verfassers, anerkennenswerthe Klarheit und Schärfe des wissenschaftlichen Ausdrucks. Namentlich waren es die synechologischen Untersuchungen über Raum, Zeit und Bewegung, welche nicht bloß eingehende Studien Kant’s und Herbart’s bekundeten; sondern überdies,

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vermöge ihres theilweise selbständigen Haltung, das speculative Talent des Verfassers kennbar hervortreten ließen. [2] Auf das kleine Schriftchen „Moral und Dogma“, obgleich eigenthlich vorwiegend eine Gelegenheitsschrift und für einen größeren Leserkreis berechnet, begnügt, – mag man auch nicht allen darin ausgesprochenen Behauptungen unbedingt beipflichten, – doch abermals einen formellen Fortschritt, eine geschickte Handhabung der historisch-kritischen Methode, so wie die zunehmende Fertigkeit in der Bewältigung eines größeren empirischen Materials zu speculativen Zwecken. Selbst der Ausdruck hat abermals an Klarheit und Colorit namhaft gewonnen. Was nun schließlich die erste (dem Gesuche beiliegende) Publication Dr. Riehl’s anbelangt, die sich betitelt: „Über Begriff und Form der Philosophie. Eine allgemeine Einleitung in das Studium der Philosophie“; – so kann man an derselben füglich zwei, nicht äußerlich gesonderte, vielmehr durchwegs in einander hinüberspielende Theile unterscheiden, nämlich die Kritik formende und die These der eigenen Grundanschauungen. Diese Schrift gibt sich gewissermaßen als ein Programm, welches nur in allgemeinen Grundstrichen ausdrückt, wie sich Dr. Riehl die Philosophie der Zukunft und deren Stellung, einerseits der Naturwissenschaft, andererseits der Geschichte gegenüber, denkt; – ein Programm, das sich jedenfalls erst durch die bis ins Detail durchgeführte Ausgestaltung zu erproben und zu verificieren hat. Der Schwerpunkt liegt auch hier nicht auf dem positiven Ertrag der Abhandlung, nicht auf Seiten der These; sondern auf Seiten der Kritik. Man kann auch da, betreffs der Resultate seiner Anschauungen, dem Autor gegenüber einer anderen Meinung sein; kaum namentlich seine Bestimmung des Begriffs der Philosophie „als Bewußtseinslehre“, (S. 27) oder als „wissenschaftliche Erforschung des Bewußtseins, seiner Gegenstände und Gesetze“ (S. 28), oder endlich als „die Wissenschaft, welche durch isolirte Betrachtung des Bewußtseins entsteht“ (S. 43), wie die Formulierungen der Definition lauten, – allzu[k]lug finden, denn, so gefaßt, würde die Philosophie eigentlich wie in der Erkenntnißtheorie oder in einer Art Phänomenologie des Geistes (freilich nicht im Sinne Hegel’s, sondern mit realistischer Unterlage,) aufgehen, die Metaphysik, als Grundlage der theoretischen Philosophie entfallen; der Logik, Psychologie, Aesthetik und Ethik aber nur untergeordnete Stellung angewiesen werden: – nichtsdestoweniger kann man immerhin der historisch-kritischen Methode, wie überhaupt dem wissenschaftlichen Geiste, von dem die ganze Abhandlung getragen und durchdrungen ist, seine unumwundene Anerkennung zollen. Als einen Glanzpunkt der Abhandlung darf man vor Allem das über die Methode Kant’s Gesagte hervorheben und namentlich auf die treffende Bemerkung

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über den wahren Sinn des Kant’schen „a priori“ hinweisen.1 Bei Kant ist eben der Autor frühe in die Schule gegangen, das verriethen, wenn auch nur andeutungsweise, seine Elaborate bei Gelegenheit der in Graz abgehaltenen Canditaten-Prüfung für das Gymnasial-Lehramt; – und dies zumal, [3] daß er in eine so gute Schule gegangen, kann ihm zu besonderer Empfehlung gereichen und im Verein mit seinem ausgezeichneten Talente zugleich als Versicherung späterer, weil gereifterer Arbeiten dienen; – denn auf Kant muß ja die neuere Philosophie immer und immer wieder zurückgehen, da kann man am besten den kritischen Geist, die nüchterne Auffassung und Würdigung des Gegebenen, so wie die Schärfe und Prägung der wissenschaftlichen Formulierung der Gedanken lernen. – In Anbetracht der eben hervorgehobenen literarischen Leistungen Dr. Riehls wie nicht minder in Hinblick auf dessen bereits bei der Probevorlesung zu Tage getretenen Gabe des freien Vortrages, erlaubt sich demnach Referent dessen Ansuchen aufs wärmste zu befürworten. Dabei kann derselbe auch nicht umhin, den geehrten Professoren-Collegium noch besonders folgende zwei Momente nahe zu legen: Fürs Erste wäre der Umstand zu bedenken, daß eine Überschau des Status der philosophischen Lehrkräfte an den k. k. österreichischen Universitäten es als

|| 1 Riehl nimmt tatsächlich in dieser Schrift an genau jenem von Nahlovsky so gelobten Punkt, seine spätere realistische Kant-Interpretation vorweg, meint zu diesem Zeitpunkt allerdings noch, dass Kant diese Lösung selbst ferngelegen sei. Die Abneigung gegenüber der praktischen Philosophie Kants wird Riehl auch in seiner reiferen Philosophie weiterhin hegen: „Der Gegensatz zum Subjektiven ist das Objektive und nicht die transzendentale Realität. Obschon das Subjektive als solches kein Objektives sein kann, kann es doch sehr wohl ein transzendental Reales sein. Indem aber Kant grundlos das Subjektive in ein transzendental Ideales verwandelte, beging er den logischen Fehler, der die unerträglichen, die Kritik zum subjektiven Idealismus hintreibenden Konsequenzen nach sich zog. Er beging diesen Fehler, um sich ‚den praktisch dogmatischen Übergang zu dem Übersinnlichen‘ zu retten. […] Helmholtz, der die Apriorität des Kausalgesetzes nicht nur anerkennt, sondern sogar mit einem neuen Beweis versieht, findet zwischen dieser Eigenschaft der Apriorität und der Gültigkeit über die ausschließlich subjektive Sphäre hinaus keinen Widerspruch. Unter Idealität der Anschauungs- und Denkformen ist nur die Behauptung zu verstehen, daß dieselben an sich genommen nichtig, im System der Dinge an sich ganz bedeutungslos seien, nicht aber die davon zu unterscheidende Apriorität, welche die Transzendentalphilosophie erklärt. Jene Idealität entzweit das Subjektive und Objektive die Seiten eines untrennbaren Verhältnisses. Durch die einfache Unterscheidung des Gesetzes der Kausalität von der Eigenschaft der Dinge kausal zu sein, – der Anschauung des Raumes von der wirklichen Gemeinschaft koexistierender Dinge wird die Zumutung der Idealität überwunden (Riehl, Alois (1872 / 1925), „Über Begriff und Form der Philosophie. Eine allgemeine Einleitung in das Studium der Philosophie“, in: Philosophische Studien aus vier Jahrzehnten, Leipzig, 144–145).

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wünschenswerth erscheinen läßt, für einen entsprechenden heimischen Succurs von jüngeren u. strebsamen Kräften rechtzeitig Fürsorge zu treffen. Fürs Zweite möchte ferner zu erwägen sein, daß in Anbetracht der schon im nächsten Studienjahre 1872/73 ins Leben tretenden neuen Rigorosen-Ordnung, welche (von Privatdocenten gänzlich absehend,) die Betheiligung von mindestens zwei Fachprofessoren an jedem einschlägigen Prüfungsacte vorschreibt, sich das Bedürfniß herausstellt, für etwaige Verhinderungsfälle des einen oder anderen der beiden officiellen Vertreter der Philosophie einen geeigneten Ersatzmann zur Verfügung zu haben. Graz am 20sten Juli 1872 Dr. Joseph Nahlovsky k. k. ord. Prof. d. Philosophie

2.2 Karl Schankl an das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht zwecks der Ernennung Alois Riehls zum außerordentlichen Professor in Graz, Graz, am 26. Juni 1872. Aus: Alois Riehl. Professorenakt, in: Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Unterrichtsministerium, allgemeine Akten, AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 939.37/9428/1873. Z. 529 Hohes k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht! Der Privatdocent für Philosophie Herr Alois Riehl hat am 24. Juni d. J. eine Zuschrift Beilage A an die philosophische Facultät gerichtet, in welcher er an dieselbe die Anfrage richtet, ob man vielleicht den Zeitpunkt für gekommen erachtet, ihn beim h. Ministerium für eine außerordentliche Professur der Philosophie in Vorschlag zu bringen. Die Facultät beschloß nun in der Sitzung vom 27. Juni l. J. dieses Gesuch einer Beurtheilung zu unterziehen und die beiden Vertreter des Faches Philosophie an der hiesigen Universität Herrn Professor Dr. J. Nahlowsky und Herrn Professor Dr. W. Kaulich mit der Berichterstattung zu betrauen. Die beiden Herrn erstatten ihren Bericht in der Sitzung am 23. Mai. Das Gutachten des Herrn Professor Nahlowsky (Beilage B) befürwortet die Anstellung des Dr. A. Riehl als außerordentlichen Professor auf das Wärmste, das Gutachten des Herrn Professor Kaulich (Beilage C) sieht den Zeitpunkt, wo Dr. Riehl auf eine außerordentliche Professur mit Recht Anspruch machen kann, eigentlich noch nicht gekommen, meint aber, daß man immerhin aus Zweckmäßigkeitsgründen die Anstellung des genannten empfehlen könne.

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Nach eingehender Debatte wurde zur Abstimmung und zwar auf Verlangen zur namentlichen Abstimmung geschritten, worauf der Antrag Herrn Dr. A. Riehl einem h. Ministerium zur Anstellung als außerordentlicher besoldeter Professor der Philosophie in Vorschlag zu bringen mit elf gegen fünf Stimmen angenommen wurde. Für den Antrag stimmten die Herrn Proff: Dergel, Nahlowsky, Petner, Wolf, Frischauf, Pögler, Boltzmann, von Karajan, Kroner, Lubin, dagegen die Herren Proff: Heinzel, Leitgeb, Roesler, Krek, Kaulich. Demgemäß erlaubt sich das ergebenst gefertigte Decanat seinem h. Ministerium die Ernennung des Privatdocenten Dr. A. Riehl zum außerordentlichen besoldeten Professor der Philosophie bestens zu empfehlen und fügt zur Begründung noch Folgendes hinzu: 1. Ist Dr. Riehl ein sehr strebsamer Mann, von dem nach seinen bisherigen Leistungen als Lehrer und Schriftsteller viel zu erwarten ist. Was seine Schriften anbetrifft, verweist das Decanat auf das Zeugniß des allgemein [2] geachteten Professor Nahlowsky, ferner darauf, daß Männer, wie Lott, Zimmermann u. A. sich über dieselben ausgesprochen haben. Als Lehrer übt Dr. Riehl durch seinen klaren und lebendigen Vortrag eine große Anziehungskraft auf seine Zuhörer aus und weiß dieselben dauernd zu feßeln. Besonders hervorzuheben ist noch, dass Dr. Riehl mit gutem Erfolge Vorlesungen über Ästhetik gehalten hatte, welches Fach sonst an der hiesigen Universität nicht vertreten ist. 2. Außerordentliche Professoren sind dazu bestimmt jungen, strebsamen Männern die Mittel zur weiteren Fortbildung zu gewähren und so eine Schule für künftige Ordinarien zu bilden. Nun ist aber in Oesterreich keine solche Fülle von einheimischen Kräften [vorhanden], daß man bei der Anstellung von Extraordinarien eher sparsam vorgehen müßte. Will man für Oesterreich einheimische Lehrkräfte gewinnen und nicht immer zu Berufungen greifen, dann muß man auch jüngeren Männern durch Verleihung von außerordentlichen Professuren aufmuntern. Dr. Riehl ist ein Mann von nahezu 30 Jahren, er hat die Lehramtsprüfung für Philosophie und Geschichte abgelegt und könnte schon lange den Posten als Lehrer an einem Gymnasium bekleiden. Aus Liebe zur Wissenschaft hat er darauf verzichtet und sich der Universität zugewandt. Es ist begreiflich, daß ein solcher Mann nicht Jahre lang als Privatdocent verbleiben kann, ohne jeden Gehalt, bloß auf seine eigenen Mittel angewiesen. 3. Bei dem Umstande als jetzt die Rigorosen an der philosophischen Facultät bei weitem zahlreicher sein werden als früher, ist es nicht unzweckmäßig die Größe der Extraordinarien für dieses Gebiet zu erhöhen. Auch kommt dazu, wie schon oben bemerkt wurde, daß Dr. Riehl auch über Ästhetik liest, welche Collegien besonders für Lehramtscanditaten wichtig sind.

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Aus diesem Grunde erlaubt sich das ergebenst gefertigte Decanat den genannten Antrag einem h. Ministerium zur Berücksichtigung und Würdigung zu empfehlen. Graz, am 26. Juni 1872. Dr. Karl Schankl, d. z. Decan.

2.3 Z. 466 Gesuch des ord. Professors der Philosophie a. d. Univ. in Graz Dr. Al. Riehl an das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht um die Bewilligung des Austrittes aus dem k. k. Staatsdienste mit 1. Oktober des l. Jahres. Aus: Alois Riehl. Professorenakt, in: Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Unterrichtsministerium, allgemeine Akten, AT-OeStA/AVA Unterricht UM allg. Akten 939.37/9428/1873. Hohes k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht! Die großherz. badische Regierung hat dem ergebenst Unterzeichneten das Lehramt der Philosophie an der Universität Freiburg angetragen und die Bedingung, welche derselbe an die Übernahme dieses Lehrauftrages knüpfte, mit großer Zuvorkommenheit zugestanden. Die stets zunehmende Frequenz, deren sich die philosophische Facultät in Freiburg zu erfreuen hat – verglichen mit der überaus starken Abnahme des Besuches an der Grazer philosophischen Facultät eröffnet dem Unterzeichneten [2] die sichere Aussicht auf eine ausgebreitetere lehramtliche Wirksamkeit. Der ergebenst Unterzeichnete ist aus diesem Grunde entschlossen, der Berufung nach Freiburg mit hoher Genehmigung des k. k. Ministeriums Folge zu leisten. Derselbe sieht sich daher zu seinem aufrichtigen Bedauern veranlasst, das hohe k. k. Ministerium zu bitten, ihm den Austritt aus dem k. k. Staatsdienste mit 1. Oktober des l. Jahres gnädigst bewilligen zu wollen. Bruneck in Tirol d. 21. Juli 1882. Dr. Alois Riehl k. k. ord. Professor der Philosophie a. d. Universität in Graz.

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3 Letters to Bartholomäus Carneri 3.1 Riehl an Carneri, Dietenheim bei Bruneck, 21. September 1883, Wienbibliothek des Rathauses, Nachlass von Wilhelm Börner, I.N. 133. 673. [1] Dietenheim bei Bruneck. 21. September 1883. Hochverehrter Freund! Ihre Epistel habe ich richtig erhalten und ohne alle „Ungeduld“ gelesen, wie ich überhaupt alles von Ihnen mit Interesse zu lesen pflege. Ihr Urtheil über meine Rede ist allzu günstig ausgefallen, und ich versuche dasselbe, indem ich den Antheil, den die Freundschaft daran nimmt, in Abzug bringe. Es hat mich ganz besonders befriedigt zu sehen, dass ich in der Hauptsache deutlich gesprochen habe. Denn Sie haben in der Tat den Kern der kleinen Schrift hervorgeholt: „die Philosophie ist die griechische Wissenschaft“. – Weniger scheint mir die Ausführung gegen die „Weltanschauungslehren“ gelungen zu sein, da Sie an derselben Anstoss genommen haben. [2] Ich leugne weder die Möglichkeit, noch den Verdienst solcher zusammenfassender Gesammtansichten über das Wirkliche vom wissenschaftlichen Standpunkte aus. Was ich behauptet habe und behaupten möchte – auch nachdem ich Ihre Einwendungen gelesen habe – ist nur der Satz: dass Weltanschauungen, sollen sie wissenschaftlich sein, nicht construirt werden dürfen, dass folglich die Weltanschauung jederzeit der Wissenschaft nachfolgen muss, dass sie werten muss, bis wieder der positiven Forschung irgend ein Schritt von prinzipieller Tragweite gelungen ist. Die Wissenschaft selbst arbeitet am Gesammtbilde des Wirklichen für den menschlichen Geist und kein ‚Philosoph‘ kann erraten, an welchem Punkte sie eine neue, umfassende Übersicht [3] gewinnen wird. Oder wer hätte unter allen den „Naturphilosophen“ ahnen können, dass die genaue Naturwirkung und denkende Verwertung einer so alltäglichen Erfahrung, wie es die Domestication von Pflanzen und Thieren ist, die Weltanschauung von Menschen umgestalten werden! – Jeder Satz der wissensch. Weltanschauungslehre ist entweder ein Satz aus der allgemeinen Erkenntnistheorie, oder ein Satz aus der positiven Wissenschaft. – Damit soll aber, wie angedeutet, nicht das Verdienst jener Denker verkleinert werden, die wie Sie, die Wissenschaft ihrer Zeit benützen, um allgemeine Übersichten zu gewinnen, um den Stand der augenblicklichen Weltanschauung des wissenschaftlich Gebildeten zu fixieren. Diese Anwendung der Wissenschaft auf allgemein-menschliche Bedürfnisse und Probleme bin ich weit entfernt zu verwerfen, oder herabzuwürdigen. – [4]

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Aber es gibt keine Wissenschaft der Weltanschauung, keine universelle Wissenschaft des Universums, die irgendetwas äusseres wäre, als die Ausbreitung und Verzweigung zwischen Hauptsätzen der positiven Wissenschaft. – Haben Sie zufällig das Buch eines jüngeren dänischen Philosophen Kromann2 „Unsere Naturerkenntiss“ zu Gesichte bekommen? Ohne dass der Autor meinen II. B. kennt, oder zu kennen scheint (den I. citiert er) trifft er mit meiner Hauptlehre: dass das „Apriori“ nur allein im Einheitsbestreben des Bewusstseins wurzele, also auf den Satz der Identität reduzierbar ist, sowie in dem realen Gebrauch dieses Satzes, wonach derselbe der Causalsatz ist, völlig überein. Der Autor hat mir das Buch, das von seinem Freunde in’s Deutsche übertragen wurde (und sehr klar geschrieben ist) eingesendet – es ist in Kopenhagen bei Höst & Sohn erschienen – [5] Das Gebiet der mathemat. Physik kennt der Autor besser als ich. Sein Buch ist (nicht etwa, weil er in meinen Gedankenkram passt, sondern angesehen davon) eine sehr bedeutende Leistung und ganz in der Richtung die allein ich als die wissenschaftliche in der Philosophie anerkenne. – Die Aussicht, die Sie uns eröffnen, Ihre Aufsätze bald in Buchform zu erhalten, ist mir, der ich die meisten derselben kenne und aufrichtig schätze, sehr erwünscht. Indem ich Ihren Brief noch einmal überblicke fällt mir eine Stelle auf, über die Einiges zu äussern habe. Meine Absicht war es keineswegs, „Ethikern“ zu gestatten, was ich dem Philosophen im weiteren Sinne strikte untersage: in’s metaphysische [6] auszuschweifen. Was ich allein behaupte ist die Unabhängigkeit des Ethischen als solchem von unserer Auffassung der ausserethischen Natur, von der Vorstellung, die wir uns über Naturgesetzlichkeit machen, oder nicht machen mögen. Das Ethische ist das rein menschliche, es hat nur im regnum hominis Sinn und Bedeutung. Diesen Gedanken, der schon Hobbes vorgeschwebt zu sein scheint, gedenke ich gelegentlich eingehend zu begründen. Ich fürchte, dass ich in der aphoristischen Form, die ich ihnen in der Rede gegeben, missverstanden werden muss. Die Ethik ist nach mir historisch-psychologisch (nicht naturwissenschaftlich im eigentlichen engeren Sinne dieses Begriffs) zu begründen – nur durch eine ‚Kunstlehre‘ [7], wenn Sie ihren idealen Teil so nennen wollen, zu vollenden. Doch darüber anderswo näheres. […] [8] Es wird mich überaus freuen von Zeit zu Zeit mit Ihnen, hochverehrter Freund, brieflich philosophische Dinge zu besprechen.

|| 2 Kristian Frederik Vilhelm Kroman (1846–1925)

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Indem ich Sie herzlich grüsse und Ihren Gruss an meine Frau, für welchen dieselbe Ihnen verbindlich dankt in deren Namen erwidere bin ich Ihr ergebener A. Riehl.

3.2. Riehl an Carneri. Freiburg. 21. August 1884. Wienbibliothek des Rathauses, Nachlass von Wilhelm Börner, HIN-133674 [1] Freiburg d. 21. Aug. 1884 Hochgeehrter Herr! Für Ihre wiederholten freundlichen Zusendungen sage ich, wenn auch verspätet, herzlichen Dank. Dass ich erst heute mit meiner brieflichen Mitteilung beginne – müssen Sie freundlichst entschuldigen. Ich will mich nicht auf Zeitmangel ausreden – sondern offen gestehen, dass ich überhaupt ein bummeliger Correspondent bin – und lieber mündlich als schriftlich mich unterrede. Ihren Aufsatz „Entstehung der Sittlichkeitsidee“ habe ich schon vor längerer Zeit gelesen. Ihre Rezension über Vaihinger heute empfangen und sogleich zur Kenntnis genommen. Die Unterscheidung zwischen Ethik und Moral, die Sie im ersten Aufsatz einführen, erscheint mir sachlich genommen richtig zu sein, doch möchte ich ihre wörtliche Formulierung in Anspruch nehmen. Mir will nämlich die Bezeichnung: Ethik in mancher Beziehung weniger zusagen als die schlichtere und mehr auf eine empirische Unterscheidung hinweisende: Moral – und ich würde lieber von Principien der Moral als der Ethik reden. Sie aber erfassen den Ausdruck: Moral in dem Sinne, als ob durch denselben die „Ethik“ erniedrigt werden sollte – dadurch, dass nach einem für alle Menschen gleich verbindlichen Gebote gefragt und gesucht werden sollte. [2] Ich weiss nicht, ob Sie für diese Auffassung den Sprachgebrauch für sich haben; doch ist dies am Ende eine blose Sache der Benennung. Principiell stimme ich Ihren Ausführungen bei: besonders will mir Ihre Bemerkung gefallen, dass wir für eine Entwicklung und tüchtige Verwicklung der Sittlichkeitsidee diese Bestimmungsgründe (Erziehung, physisches und moralisches Gefühl, Vollkommenheit) allesammt in Anspruch nehmen. Ich bin mit Ihnen der Ansicht, dass man die Frage nach der (subjectiven) Fundamentierung der Moral (oder Ethik) sich zu sehr vereinfacht habe – nur sage [ich] mit v.

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Gizycki3: „das Fundament der Moral ist der ganze Mensch“, der Mensch mit allen seinen Trieben und Neigungen, den selbstischen wie den wohlwollenden, seiner Verständigkeit, Berechnung, und Voraussicht – nur vor allem der ganze Mensch in seinem ganzen Dasein, dem individuellen, dem gesellschaftlichen, dem historischen – der Mensch, der an der Vergangenheit anknüpft mit seinen vererbten Eigenschaften und an den die Zukunft anknüpfen wird. – Das Princip der Moral dagegen scheint mir immer mehr, je genauer ich diese Frage studiere im Sinne des universellen Utilitarismus erfasst werden zu müssen – V. Gizycki wenigstens hat mich erst jüngst davon überzeugt, dass auch die Gerechtigkeitsbezeichnungen nur durch die Rücksicht [3] auf universelles Wohl festzustellen sind. – Es ist dies das Princip des klar bewusst gewordenen gemeinschaftlichen Glückseligkeitstriebes. – S. 409. sprechen Sie mit deutlichen Worten es aus, dass die Einheitlichkeit des Menschen die Grundlage seiner Ethik sei – und so treffen wir in diesem einen Hauptpunkte zusammen, denn Sie erläutern Ihren Begriff dahin: „für uns fühlt, denkt und handelt der ganze Mensch.“ Noch muss ich Ihrer kräftigen und mannhaften Worte gegen den reactionären Zug der Zeit gedenken (403). Ich stimme nicht blos mit dem Kopfe sondern auch mit warmem Herzen diesen zeitgemässen Worten bei. Es verlohnte sich die hier berührte Frage einmal selbständig in einer grösseren Schrift nach Gründen und Folgen zu beleuchten, um der Gegenwart, die trotz Darwinismus und kritischer Philosophie wieder wundergläubig geworden ist und die Juden verfolgt, einen Spiegel vorzuhalten. Sie mit Ihrer Beredsamkeit wären der Mann dazu, ein solches, nützliches Werk zu schaffen. Zu Prel4, den Sie so richtig taxirten, als Sie dessen verdächtige Auslassungen über den Traum (im Kosmos) angegriffen haben, gehört nun auch zum Chorus der Herzensgläubigen. Sein Buch Philosophie der Mystik (!) kennen Sie gewiss schon – Sie wissen also auch, dass du Prel der Erfinder eines transcendentalen (er meint aber: transcendenten) Darwinismus geworden ist und richtig entdeckt [4] hat, dass uns die „biologische Entwicklung“ dereinst sammt und sonders zu Somnabulen machen wird, indem die Empfindungsschwelle, welche bei diesen interessanten meist weiblichen Personen schon heute nur ausnahmsweise heruntergedrückt ist, allgemein tiefer sinken wird, und uns so zu Empfindungen befähigen muss, von denen wir nicht-Somnabule heute nicht das geringste wissen, obgleich wir sie allnächtlich im Traume erleben. Wir sind nämlich eigentlich ein Doppelwesen, wie ja schon Kant gelehrt habe, nur stecken wir mit der empirischen Person und Haut, mit unserem „armen empirischen Teufel“ in diesem

|| 3 Georg von Gizycki (1851–1895) 4 Carl du Prel (1839–1899)

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leider nur 3 dimensionalen Raume, während unser (wieder!) „transcendentales“ (sic) Subject sein Haupt stolz in die 4. Dimension hinausstreckt. Zu den größten Philosophen der Zeit zählt Herr du Prel auch v. Hellenbach!5 (sapienti sat) – Die Extravaganz und Phantasieausschweifung des Buches ist so abnorm, dass selbst die Hartmannische bei weitem überholt wird. Hab‘ ich es nicht gesagt: philosophische Systeme lassen sich dichten, so viele man will! Man braucht nur eine gewisse auf’s Trockene und Abstracte geratene Phantasie dazu – Amüsieren Sie sich, wenn Sie es nicht schon getan, an dem Buch nur führen Sie den Autor recht bald und recht gründlich ab. [5] E. Hartmann hat richtig gespürt, dass meine Antrittsrede vom vorigen Jahre einen Stachel gegen ihn und sein pseudowissenschaftliches, Schopenhauer bestehlendes Verfahren hatte. Er fällt über mich her in den Bl. f. lit. Unterh. und sein Verleger war so naiv, mir die Auslassung dieses metaphysischen Gründers zuzusenden, in der Hoffnung ich werde die langweiligen Spalten seines Blattes mit einer ergötzlichen Polemik (Sie wissen: ergötzlich für den oder die Dritten) ein wenig amüsanter machen. Ich erwidere aber grundsätzlich nichts gegen irgendwelche Angriffe, nicht einmal gegen klare Lügen, wie sie Zimmermann in der Zeitschrift für österr. Gymnasien gegen meine Rede auftischte. Wer lesen und urteilen kann, lese und urteile selber. Bei jeder Polemik hat der Angreifer einen Vorteil, den man ihm nicht gönnen darf. Den Vorteil das erste und das letzte Wort zu haben. Vaihinger’s Auffassung des Idealismus bei Kant ist falsch und durch eine unbegreiflich irrtümliche Auslegung des Terminus: Erscheinung von Erscheinungen die Kant in seinem nachgelassenen Werke brauchte, um das Object für den Verstand zu bezeichnen, veranlasst worden. – [6] Ich handle in Kürze davon in einer Anmerkung zu meinem II. B. 2. T. An diesem oft verheissenen immer wieder zurückgehaltenen Buche arbeite ich jetzt endlich mit Erfolg. Es führt den Seperattitel: Erkenntnisskritik und Probleme der Metaphysik und soll kurz gesagt eine ausführliche Antimetaphysik werden. Ich werde mich glücklich preisen, wenn ich Ihnen die ersten Aushängebogen einsenden kann. Der Tag soll mir ein Freudentag werden. Denn kaum irgendwer hat meinen Versuchen so viele liebenswürdige Teilnahme entgegengebracht und so eingehendes Verständniss als Sie, hochgeehrter Freund! Meine persönlichen Umstände hier und das Befinden und Gedeihen der Meiningen sind ganz nach Wunsch. Sie lassen nur den Wunsch nach ihrer Erhaltung und Dauer zu – nur dies ist so vieles, als man sagen und wünschen kann. || 5 Lazar von Hellenbach (1827–1887)

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Noch muss ich Ihnen für die freundliche Erwähnung in der Rede Vaihingers [7] meinen Dank sagen. Was Sie S. 153. Über Kant’s Standpunkt sagen, beweist, dass Sie Kant tief und richtig erfasst haben. Ihre Worte: „Eines ist es … ein anderes, dass dieser Widerspruch … nicht zu lösen sei“ eigne ich mir vollinhaltlich an. Sie sind der Auszug dessen, was ich in der Kantfrage entdecke. Man kann von Kant zu Fichte, aber man muss es nicht – nur müsste man es, so wäre man genötigt, Kant überhaupt zu verlassen und den Todten bei den Todten ruhen zu lassen – nur vorwärts nach einer kritischen Auffassung des Erkenntnisproblems zu dringen. Sie wissen, ich habe Kant in der Raum und Zeitlehre verlassen und noch fühle ich nicht den geringsten Beweggrund, auf ihn wieder zurückzugehen. Gewiss Sie haben Recht: dass alle Erkenntnistheorie zwar von Kant auszugehen hat, aber dass sie nur in fortschrittlichem Sinne weiter entwickelt werden darf – und ich rechne auf Ihren Beistand, wenn ich hinzusetze: fortschrittlich bedeutet hier in stetem Zusammenhange mit der positiven Wissenschaft unter steter Berücksichtigung des bei weitem wichtigeren apositiorischen Erkenntnisfaktors – [8] Die Sonderung von Apriori und Aposteriori ist übrigens nur als eine methodische Abstraction zu verstehen. In Wahrheit ist alle Erfahrung Bestätigung des Bewusstseins am gegebenen Stoffe, aller Stoff Wirkung auf ein gegebenes Bewusstsein. Leben Sie recht wohl und mögen Sie von der politischen Campagne ausruhen und noch ferner Musse finden, an der Förderung der Wahrheit und Aufklärung wie bisher weiter zu wirken. Es grüsst Sie und empfiehlt sich Ihnen in Schrift und effigie Ihr ergebener Freund Alois Riehl

3.3 Riehl an Carneri, 23. Mai 1888. Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Wilhelm Börner, HIN-133679. [1] Freiburg i. B. 23. Mai 1888 Hochgeehrter Freund! Empfangen Sie für die Zusendung Ihrer Abhandlung: Causalität und Sittlichkeit meinen herzlichen Dank. Der Gegenstand derselben: der Nachweis der Vereinbarkeit einer streng wissenschaftlichen also causalen Weltanschauung mit der

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höchsten Anforderung einer geläuterten Sittlichkeit ist für mich zu wichtig, als dass ich nicht jeden Ihrer Sätze mit Aufmerksamkeit lesen und erwägen sollte. Sie „zu verreissen“ wie Sie scherzend sagen, habe ich keinen Anlass gefunden; ich wünschte höchtens[,] dass Sie hie und da ausführlicher wären insbesondere Wundt gegenüber. Wenn dieser mir persönlich durch seine Liebenswürdigkeit und sein redliches Wahrheitsstreben befreundete Denker seinen Standpunct selbst als „Idealismus“ bezeichnet, so hätten Sie sich dadurch nicht abhalten lassen sollen eben diesen Standpunct als „Spiritualismus“ zu kennzeichnen. „Idealistisch“ kann derselbe höchstens dann heissen, wenn auch Hegelphilosophie „Idealismus“ genannt werden darf. Doch dies nebenbei – [2] Die überaus ehrenden Worte mit welchen Sie meines Werkes gedenken nehme ich als den Ausdruck Ihrer Gesinnung für mich und Ihre Zustimmung zu meinen Absichten entgegen. Wie weit das Werk selbst hinter diesen Absichten zurücksteht, verkenne ich nicht. Dass Sie an der dualistischen Methode Anstoss nehmen wird mich bestimmen – falls ich überhaupt zu einer II. Auflage des Buches komme – den Satz, in dem jene Worte stehen – zu streichen. Ich lege durchaus kein Gewicht auf die Bezeichnung: Dualismus der Methode. In der Sache aber besteht, wie ich nicht länger zweifeln kann, keine Differenz zwischen unseren Anschauungen. Schreiben Sie doch selbst: „darum ist der Materialismus im Unrecht, wenn er meint, aus der Materie als solcher die Erscheinung, die wir … als psychische bezeichnen, erkennen und erklären zu können“ (S. 132) Auf nichts weiteres aber als die Berechtigung, ja Unentbehrlichkeit der „psychologischen Analyse“ neben der mechanischen Erklärung kam es mir bei jenem von Ihnen getadelten Ausdrucke an. Die Unerklärlichkeit der psychischen Erscheinungen aus materiellen Vorgängen ist einfach eine Consequenz des Principes der Erhaltung der Energie. [3] Zufolge dieses Principes wissen wir mit derselben Sicherheit, mit der wir das Princip selbst annehmen, dass materielle Ursachen ausschließlich und jederzeit nur materielle Wirkungen und keinerlei psychische Nebenfolge oder „Begleiterscheinungen“ nach sich ziehen. Damit aber ist der „Dualismus“ als Methode unvermeidlich geworden: d.h. die psych. Erscheinungen als solche lassen sich für sich selbst betrachten und diese Betrachtung ist die ihnen gegenüber natürliche Auffassung. Ein Motiv und der Innervationsimpuls sind zwei ganz heterogene Erscheinungen – oder Vorstellungen. Um aber dem Dualismus als System zu entgehen, müssen wir den Begriff: materielle Vorgänge kritisch erfassen. Auch diese Vorgänge sind in der Beschaffenheit und Form, in der wir von ihnen Erfahrung erlangen. Und nun erst ist es möglich dass Willensentschluss und Centrale

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Innervation ungleichartige d. h. auf verschiedene Sinne bezogene Erscheinungen ein und desselben Vorganges sind. Diese Möglichkeit wird zur Annahme durch die tatsächliche Abhängigkeit derjenigen Erscheinungen[,] die wir als psychische unmittelbar erfahren von denjenigen „Dingen und Vorgängen“ die wir mittelbar als materielle Erscheinung auffassen. [4] Die tatsächliche Abhängigkeit der Bewusstseinsvorgänge von der körperlichen Natur erfahren wir; also muss das „Reale“, das der körperlichen Natur zum Grunde liegt auch dasjenige sein, von dem die geistigen Vorgänge bewirkt werden (Kritizismus). Die Erfahrung der Abhängigkeit dessen, was wir Bewusstsein nennen, von der körperlichen Natur, ist noch keine Erkenntniss der Art und Weise dieser Abhängigkeit. Eine solche stellt sich nun auf dem kritischen Standpunkt vielmehr als unmöglich heraus – da sein Inhalt aller Erkenntnisse schon auf das Bewusstsein bezogene Erscheinungen bilden (transzendentaler Idealismus). Der transz. Idealismus ist sonach die Erkenntnismethode für den kritischen Monismus, während der transzendentale Realismus die Erscheinungen zu Dingen an sich selbst macht die Erkenntnismethode des Materialismus und des Spiritualismus zugleich ist. Auf dem Standpunkte dieses Realismus ist nämlich nur der Dualismus als System consequent.

3.4 Riehl an Carneri, Freiburg i. B. d. 26 Jänner 1891. Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Wilhelm Börner, HIN-133684 [1] Freiburg i. B. d. 26 Jänner 1891 Hochverehrter Freund! Sie haben mir mit dem Geschenk Ihres Buches und der Widmung, die Sie in dasselbe einschrieben, eine doppelte Freude bereitet, wofür ich Ihnen herzlichsten Dank sage. Ich habe Ihre Schrift sogleich meiner Spannung nachgebend vorgenommen und einzelne Abschnitte gelesen. Nach dem Eindruck zu urteilen glaube ich, dass Sie es getroffen haben. Getroffen mit dem packenden, zur Aufmerksamkeit zwingenden Titel, getroffen mit Ihrer objectiven und doch herzenswarmen Lebensbetrachtung. Dass Sie meiner im Cap. Egoismus so freundlich gedachten, ist dann eine besondere Liebenswürdigkeit, die ich [2] gerne und mit Dank annehme. Was Sie über den Tod äussern ist tief gefasst und Ihr „Gottüberall“ von herrlicher pädagogischer Wirkung. Sie dürfen und müssen mit diesem Buche Freude haben und werden gewiss freudigen Lebensmut mit ihm verbreiten.

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Meine Gedanken haben inzwischen von selbst fortgefahren [sich] in der von Ihnen im „Egoismus“ gezeichneten Linie zu bewegen. Gerade, dass ein so scharfsinniger Denker wie Sidgwick aus dem unwerten Utilitarismus keinen anderen Ausweg kennt als transcendente Hoffnung bestärkt mich im Glauben an die Richtigkeit unserer Hoffnung. Wir leben unter dem Zeichen des Socialismus – was aber anders kann der Zweck aller unserer Bestrebungen [3] sein, das wirtschaftliche Leben gerechter auszurichten als das persönliche Wohl zu steigern – die „Persönlichkeit“ zu erheben? Nicht Pflicht, Hingebung ist unsere Parole, aber Hingebung nicht an ein unpersönlich Allgemeines, sondern an das persönlich, also unser Eigen gewordene Allgemeine. Die Menschheit im Menschen nicht über den Menschen! – Vielleicht sehe ich Sie Ostern – vielleicht muss ich sagen, so ich noch keine bestimmten Pläne habe. Sollte ich Sie sehen, dann will ich Ihnen herzlich die Hand drücken und dieses schriftliche Gespräch mündlich fortsetzen – Möge Ihnen 1891 ein gesegnetes Jahr sein! Es grüsst Sie herzlichst Ihr ergebener Freund A. Riehl

4 The Reappointment of Mach’s Professorship in Vienna 4.1 Friedrich Jodl als Berichterstatter über den Vorschlag, Riehl primo et unico loco als Nachfolger Ernst Machs vorzuschlagen. Wien, 7. März 1903. In: Wiederbesetzung der Philosophischen Lehrkanzel nach Prof. Ernst Mach, 01.07.1901—26.03.1903. Archivbestände der Philosophischen Fakultät, PH 34.15. Wien: Archiv der Universität. Schachtel 5. [1] Löbliches Professoren Collegium! Durch den mit Schluß des Sommersemesters 1901 erfolgten definitiven Rücktritt des ordentlichen Professors der Philosophie, Hofrat Dr. Ernst Mach, vom Lehrstuhl […] ist die von Mach eingenommene Lehrkanzel für Philosophie, insbesondere für Geschichte u. Theorie der inductiven Wissenschaften, erledigt worden. Um die Frage der Wiederbesetzung zu erörtern, trat noch am 1. Juli 1901 eine Commission unter dem Vorsitz des damaligen Decans, Prof. Dr. D. H. Müller zusammen. Dieser Commission gehörten außer den nächststehenden Votanten des Faches, die Proff. Müllner, Vogt u. Paier außerhalb an, die Herrn Proff. Dopsch, Fr. Exner, Kretschmer, Mertens, Perntner, u. insbesondere auch die mittlerweile aus dem Lehramte geschiedenen Herrn Hofrat Mach u. [2] Gomperz an, welche die

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Commission bei ihrer schwierigen Aufgabe unterstützten u. darum dieselbe für diese freundliche Mitwirkung zu Dank verpflichtet ist. Die Stellung, die Ernst Mach eingenommen hatte, ist eine so einmalige, individuell bestimmte, daß die Frage eines Erfolges naturgemäß nicht einfach gelöst werden kann. Mach stand an der Grenzscheide zweier großer, wohl einfach aufeinander angewiesenen, aber ganz selbständig entwickelten Wissensgebiete. Eine unzweifelhaft philosophisch veranlagte Natur hat er Jahre lang als Forscher und Lehrer auf dem Gebiete der Physik gearbeitet, um in späterer Zeit, völlig vertraut mit den experimentellen u. mathematischen Methoden der exakten Naturwissenschaft, die Geschichte des naturwissenschaftlichen Denkens unter dem Gesichtspunkte der wissenschaftlichen Methodenlehre u. der Erkenntnistheorie zum Gegenstand seines Nachdenkens zu machen. Schon eine flüchtige Überschau der in Betracht kommenden Persönlichkeiten ergab, daß eine einfache Wiederholung des s. Zt. an Mach [3] erteilten Lehrauftrages unausführbar sei u. daß es sich nur darum handeln könne, bei der Wiederbesetzung der Lehrkanzel möglichst die Berührung naturwissenschaftlichen und philosophischen Denkens im Auge zu behalten. Aber auch bei einer weiteren Fassung der Frage ergaben sich neuerliche Schwierigkeiten. Wohl zeigen manche Erscheinungen der Gegenwart, daß sich bei den Naturforschern wieder philosophische Bedürfnisse geltend machen, u. daß auch die Philosophie, wenigstens gewisse Richtungen, wieder lebendige Berührung mit den Naturwissenschaften sucht. Aber die kritische Durcharbeitung der Grundbegriffe unserer Erforschung von beiden Seiten her u. die Bildung der neuen Synthesen, die sich daraus ergeben müssen, steht noch in den Anfangsgründen u. die Zahl der wissenschaftlich anerkannten Persönlichkeiten, welche mit der lehrhaften Vertretung einer solchen Aufgabe betraut werden könnten, ist verhältnismäßig gering. Denn es ist ja klar, daß der Vertreter irgend einer exakten Wissenschaft, der nur gelegentlich auch philosophisch Anwendung hat ebenso [4] wenig wie irgend einer der zahlreichen Erkenntnistheoretiker welche in größerer oder geringerer Entfernung von den exakten Wissenschaften ihre Anschauungen gewinnen, geeignet sein können, die durch Machs Abgang entstandene Lücke auszufüllen. Aus diesen Gründen glaubt die Commission, um ihre Vorschläge nicht allzu eng begrenzen zu müssen, es sei zweckmäßig auch jenes Gebiet in Betracht zu ziehen, auf welchem in unserer Zeit eine vielleicht noch breitere Berührungsfläche zwischen Naturwissenschaft u. Philosophie gewonnen worden ist: die naturwissenschaftliche und experimentelle Psychologie. Auch dabei glaubte sich die Commission an die Nähe des von Mach als Lehrer und Forscher vertretenen Gedankenkreises zu halten. Ist Mach doch der Erste gewesen, der an der österreich-

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ischen Universität bald nach dem Erscheinen von Fechner’s „Grundzügen der Psychophysik“ Vorlesungen über diese eben der Wissenschaft nun gewonnenen Materie hielt u. ebenso hat er in die weitere Entwicklung der [5] experimentellen Psychologie durch seine Untersuchungen über Bewegungs- u. Orientierungsempfindungen u. späterhin namentlich durch seine „Analyse der Empfindungen“ eingegriffen. Die Commission ist der Meinung, daß eine Berücksichtigung hervorragender Vertreter dieses Gebietes nicht nur die Zahl der überhaupt in Betracht zu ziehenden Persönlichkeiten erheblich vergrößern, sondern vielleicht auch einen neuen Anstoß geben wird, um einen langgehegten Wunsch der Wiener Universität, die Begründung eines psychologischen Instituts, insbesondere aber die Beschaffung von Hilfsmitteln für den experimentellen Betrieb der Psychologie, endlich der Erfüllung entgegen zu führen. Alle diese Erwägungen waren in dem von der Commission auf ihre sorgfältige Prüfung der ganzen Sachlage erstatteten Vorschlage zum Ausdruck gelangt, welchen die Herrn Prof. Alois Riehl in Halle primo loco, Prof. Dr. Oswald Külpe in Würzburg, secondo [6] loco, Prof. Dr. Adolf Stöhr in Wien, tertio loco dem Collegium präsentierte. Nachdem das Collegium jedoch, wie es nach dem Verlauf der über den Commisionsvorschlag stattgefundenen Discussion den Anschein hat, vorzugsweise Gewicht auf die Vertretung der erkenntnißkritischen Richtung legt, u. die von der Commission in erster Linie als Nachfolger Machs vorgeschlagene Persönlichkeit von der großen Majorität des Collegiums acceptiert worden ist, so besteht für die Commission kein Hinderniß auch ihrerseits zu insistiren, daß sie in der Berufung Riehls einen vollwichtigen Ersatz für die durch das Ausscheiden Machs entstandenen Lücke erblicken könnte. In Gemäßheit eines vom Decanate schriftlich erteilten Auftrages […] beehrt sich die Commission, den am 14. December 1901 an das Collegium erstatteten Vorschlag auf Prof. Riehl primo et unico loco einschränkend, über diesen hiermit einen neuen Bericht vorzutragen. [7] Alois Riehl, geboren 1844 zu Bozen in Tirol, nimmt unter den gegenwärtigen Vertretern der wissenschaftlichen Philosophie einen hervorragende, von allen Kantianern anerkannte Stellung ein. Riehl begann seine Laufbahn als akademischer Lehrer an der Universität zu Graz, an welcher er i. J. 1872 Extraordinarius, 1878 Ordinarius wurde. I. J. 1881 folgte er einem Ruf der großherzogl. Badischen Regierung nach Freiburg, welches er auf Veranlassung der kgl. Preußischen Regierung i. J. 1896 mit Kiel vertauschte. Seit 1898 wirkt er zu Halle a. S. Riehls wissenschaftliche Bedeutung knüpft sich vor Allem an sein zweibändiges Hauptwerk „Der philosophische Kritizismus u. seine Bedeutung für die positiven Wissenschaften“, welches zugleich ein

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Document seiner geständigen Entwicklung ist. Der erste Band dieses Werkes, „Geschichte und Methode des philosophischen Kritizismus“ a. d. J. 1876, bezeichnet einen Wendepunkt in der geschichtlichen Auffassung Kants, indem er die durch zahlreiche ältere Arbeiten sich hindurchziehende Legende von der neuen Fragestellung bei Kant zerstört u. die Wurzeln der kriticistischen Philosophie [8] in Locke u. Hume aufweist. Beim Abschlusse dieses historischen Bandes noch überwiegend im Banne des Neukantianismus, hat Riehl im Fortgange seiner Arbeit zu diesem Ausgangspunkte eine immer selbständigere Stellung gewonnen u. seine Lehren in den beiden Theilen des II Bandes, „die sinnlichen u. logischen Grundlagen der Erkenntniß“ (1879) u. „Zur Wissenschafts-Lehre und Metaphysik“ (1887) zu einem kritischen Positivismus entwickelt, welcher mit Kant nur das gemeinsam hat, daß er Metaphysik nur als negative Disciplin anerkennt, d.h: als Grenzbegriff der Erfahrung. Die Untersuchung dieser Grenz- oder Fundamentalbegriffe unserer Erfahrung nach doppelter Methode, indem einerseits genetisch ihrer physiologischen Entstehung, andererseits kritisch der Bereich ihrer begrifflichen Gattung aufgezeigt wird, ist ausgezeichnet durch Feinheit u. Schärfe des begrifflichen Ausdrucks u. durch weiten Blick über die verschiedensten Wissensgebiete. Die Untersuchungen der physiologischen Psychologie sind Riehl sowenig fremd, wie die Controversen über die absolute Geltung der Axiome der ebenen Geometrie u. die Möglichkeit einer Metageometrie, die Untersuchungen der modernen Physik über die Grundlagen der Begriffe Bewegung, Materie, Energie, Kraft, [9] u. die Fragen, welche Biologie u. Physiologie bewegen. Unaufdringlich, ja fast absichtlich in rein abstrakte Erörterungen aufgelöst steckt in dem Buche ein ausgebreitetes Wissen u. eine durch sorgfältige, unablässige Arbeit gewonnene Berührung mit den verschiedensten naturwissenschaftlichen Disziplinen. Für Riehls Vertrautheit mit den Fragen der philosophischen Naturwissenschaft mag auch noch die in der Festschrift zu Chr. Sigwarts 70. Geburtstag veröffentlichte Abhandlung: „Rob. Mayers Entdeckung u. Beweis des Energieprincipes“ (1900) speciell angeführt werden. „Der phil. Kriticismus“ ist seit längerer Zeit im Buchhandel vergriffen u. wird von Riehl einer vollständigen Durcharbeitung unterzogen, welche das Werks zweifellos nicht nur einheitlicher gestalten, sondern auch mit der gegenwärtigen Fassung der Probleme in den einzelnen Disziplinen noch inniger in Fühlung bringen wird. Auch eine Reihe von Vorlesungen, welche Riehl von Kiel aus für größere Kreise in Hamburg gehalten hat, soll demnächst unter dem Titel: „Einführung in die Philosophie der Gegenwart“ z. Ausgabe gelangen. Von den übrigen Arbeiten Riehls mögen [10] zunächst die Schriften über Logik Erwähnung finden. „Über die englische Logik der Gegenwart“ u. „Beiträge zur Logik“. Von diesen hat sich namentlich die erste den großen Verdienst erworben, daß sie die deutschen Logiker auf die Ausgestaltung hinwies, welche die

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englische inductive Logik durch die Quantification des Prädicats u. die dadurch ermöglichte mathematisierende Behandlung des Syllogismus erfahren hat. Auch mit dem ästhetischen Gebiet ist Riehl durch persönliche Interessen wie durch eine beachtenswerte Arbeit verknüpft, indem ihm die Schrift des genialen Bildhauers Hildebrand „Über das Problem der Form in der bildenden Kunst“ Veranlassung gab, die Anwendung dieser Gedanken auf die Dichtkunst zu versuchen u. damit der allgemeinen Kunsttheorie dienstbar zu machen. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben Riehl’s Monographie über Friedrich Nietzsche, welche durch die Unbefangenheit ihres Urteils eine wahre Sache in der Weite der zumeist dilettierenden Nietzsche-Literatur bedeutet, die Würdigung dieser merkwürdigen Erscheinung zuerst auf feste Grundlagen stellt u. auch durch die [11] sprachliche Eleganz der Darstellung ausgezeichnet wird. Die meisten seiner kleineren wissenschaftlichen Arbeiten hat Riehl in der Vierteljahresschrift f. wissenschaftliche Philosophie veröffentlicht, zu deren Mitarbeitern er von Anfang an gehört u. deren Anleitung er nach dem Tode von Avenarius in Gemeinschaft mit Mach übernahm. Als akademischer Lehrer genießt Riehl einen ausgezeichneten Ruf. Seine Vorlesungen erstrecken sich über die verschiedensten Gebiete der Philosophie u. haben es verstanden, ebensowohl auf die größten Kreise der akademischen Jugend zu wirken, als auch kleinere Gruppen zur Genauigkeit kritischen Denkens heranzubilden. Alois Riehl bedeutet für die moderne Erkenntnißtheorie von der Seite der Philosophie herkommend das Gleiche, wie Mach von Seite der Physik herkommend. Hinter Mach an persönlicher Vertrautheit mit den Verfahrungs- und Denkweisen der exacten Naturwissenschaft zurückstehend, [12] ersetzt Riehl diesen Mangel durch eine ungleich tiefere u. schärfere Erfassung der eigentlichen philosophischen Probleme, durch eine überlegene Vertrautheit mit dem Gesamtgebiet der Philosophie. Da sein Können überdies schon bei früherer Gelegenheit von der Facultät mit Auszeichnung genannt worden ist, so kommt es unter den gegenwärtigen Verhältnissen ohne Frage als Nachfolger Machs in erster Linie in Betracht, u. es muß die Gewinnung dieser hervorragenden Persönlichkeit als eine hocherfreuliche u. höchst wünschenswerte Förderung des philos. Studiums an der Wiener Universität bezeichnet werden. Wien am 8. Januar 1902 Fr. Jodl als Berichterstatter Müllner Exner Arnim Vogt

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4.2 Riehl an Friedrich Jodl wegen Besetzung der Lehrkanzel in Wien. Wienbibliothek im Rathaus, Sammlung Wilhelm Börner, HIN-133403- HIN133404 [1] Berlin W. 15 Schaperstr. 15 d. 31. Januar 1912 Hochverehrter Freund und College! An Rickert dürfen Sie nicht denken, ausser Sie wollen ihm durch Ihren Vorschlag eine Ehre erweisen. R. ist ein nervenkranker Mann, der sich allein nicht auf die Strasse wagt und von seiner Frau ans Katheder begleitet werden muss. Nun denken Sie erst an den Verkehr in Wien! Ich glaube, selbst wenn R. wollte, wird es ihn sein Arzt nicht erlauben, die für ihn relativ günstigen Verhältnisse aufzugeben. Damit erübrigt sich eigentlich die Beantwortung Ihrer weiteren Fragen. Ich will aber doch erwähnen, dass R. einen ausserordentlichen Lehrerfolg hat; auch seine Privat-Collegien werden von Hunderten Studierenden angenommen, so dass sich sein Einkommen, da in Baden kein Abzug von dem [2] Erfolgshonorar erfolgt, recht günstig stellen dürfte. Er vertritt das gesammte Gebiet der Geschichte der Philosophie, auf deren Auffassung er allerdings seine Ihnen bekannten überträgt. Sein Standpunkt ist nicht der Ihrige, also ebenso wenig auch der meine, doch würde dies unter anderen Umständen kein Hindernis für seine Berufung nach Wien bilden. Nicht blos Dantes Komödie auch die Komödie der Philosophie hat die Eigenschaft der Vielsinnigkeit. Endlich bemerke ich noch, dass R. wie es sich schon seiner Abkunft nach versteht (er ist Sohn des bekannten Parlamentariers H. Rickert6, des Führers der […] „freisinnigen Vereinigung“) Protestant ist, ohne davon übrigens, weil er auch Philosoph ist, Gebrauch zu machen. Da Sie nach anderen möglichen Candidaten nicht fragen, noch ich annehme, dass [3] Sie schon selbst hierüber mit sich im Reinen sind – ich würde sonst Ihre Aufmerksamkeit auf Dr Ernst Cassirer in Berlin und allenfalls auch auf Prof. Medicus in Zürich gelenkt zu haben. Für Ihre freundlichen persönlichen Zeilen am Schlusse ihres Schreibens danke ich Ihnen herzlich, und bin mit Empfehlung und Grüssen an Ihre liebe Frau und Grüssen von meiner Frau und Mir an Sie beide Ihr aufrichtig ergebener A. Riehl

|| 6 Heinrich Edwin Rickert (1833–1902)

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[1] Berlin W. 15 Schaperstr. 15 d. 10 Feb. 1912 Hochverehrter Freund und College! Ich danke verbindlich für Ihre liebenswürdigen Zeilen vom 3. Was aber soll ich auf Ihre Anfrage erwidern? Die Auswahl geeigneter Candidaten für die Wiener Lehrkanzel wird immer schwieriger. Nachdem Sie an Cassirer nicht denken können, weil er Jude ist, werden Sie auch Misch7 in Marburg, den Verfasser eines ausgezeichneten Werkes über die Autobiographie und einen historisch ungewöhnlich orientierten Gelehrten – aus dem gleichen Grunde wie bei Cassirer ebenfalls nicht brauchen können. Nun wäre freilich noch Heinrich Maier in Göttingen – über dessen hervorragende Arbeiten auf dem Gebiete der aristotel. Forschung ich kein Wort zu verlieren brauche – ein mir persönlich [2] bekannter Mann von grosser Frische und Kraft und auch durch seine Charaktereigenschaften durch und durch verlässlich. – Wir haben vor ein paar Jahren ernstlich an ihn für Berlin gedacht. Ich bedenke nur, er werde nicht leicht zu gewinnen sein, es sei denn – durch seine Frau. Dieser nämlich wäre eine Großstadt überaus erwünscht; sie ist eine Tochter Sigwarts und hoffte immer statt von einer Kleinstadt (Tübingen) in die andere (Göttingen) ziehen zu müssen – lieber nach Berlin kommen. Also – vielleicht versuchen Sie es mit Maier. Es wird dennoch Sache der Regierung sein, ihm solche Bedingungen zu gewähren, die ihn zur Annahmen der Wiener-Professur bestimmen können. Andere Namen – wie etwa Goedeckemeyer8 in Königsberg, von dessen Lehrbefähigung ich nichts weiss – brauche ich nicht näher zu erwähnen. [3] Wenig also weiss ich, wie Sie schon, zur Erleichterung Ihrer ungewöhnlich schwierigen Aufgabe, beizutragen. Haben Sie vielen Dank für Ihre und Ihrer verehrten Gattin freundliche Erinnerung. […] Mit den besten Grüssen an Sie beide Ihr aufrichtig ergebener A. Riehl

|| 7 Georg Misch (1878–1965) 8 Albert Goedeckemeyer (1873–1945)

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5 Riehl’s Correspondence with Alexius Meinong Uni. Bibl. Graz Sosa. Nachlass Meinong. Korrespondenz Meinong-Riehl/ RIEHL, A 6228-6234

Graz d. 5. Jänner 1883 Sehr geehrter Herr College! Zu meinem lebhaften Bedauern war es mir nicht möglich während meiner kurzen Anwesenheit Ihren freundlichen Besuch zu erwidern. Ich behalte mir vor, Sie bestimmt im März aufzusuchen und grüsse Sie einstweilen herzlich Ihr ergebener College A. Riehl ----------------------[1] Freiburg B. d. 20 Nov. 1894 Sehr geehrter Herr College! Empfangen Sie aufrichtigen und herzlichen Dank für die freundliche Übersendung Ihrer psychologisch-ethischen Untersuchungen zur Werththeorie. Schon eine flüchtige Durchsicht Ihrer neuesten Schrift lässt überall, wo man sie aufschlägt, die an Ihnen gewohnte feine und gründliche Untersuchungs- und Denkungsweise erkennen. Ich freue mich daher auf die Zeit, in der ich Ihrem Gedankengang genauer und im Einzelnen werde folgen können. [2] Vorerst halten mich davon eigene und dringende Arbeiten zurück. Sie herzlich grüssend bleibe ich Ihr ergebendster College A. Riehl Halle a. S. d. 27. März 1902 ----------------------Sehr geehrter Herr College, empfangen Sie für die freundliche Übersendung Ihres neuesten Werkes meinen herzlichsten Dank. Ich freue mich, durch Sie persönlich in dessen Besitz gelangt

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zu sein, und werde das Buch, das ich bereits besitze, als Ergänzungsband der Zeitschrift f. Psychologie flüchtig durchgesehen habe, mit der Aufmerksamkeit studieren, welche die Neuheit des Gegenstandes und Ihre gewohnte feinsinnige Untersuchungsart erwarten. Mit dem Ausdruck der vorzüglichsten Hochachtung Ihr sehr ergebener A. Riehl ----------------------Halle a. S. 21. Juli 1905 Sehr geehrter Herr College, für die überaus freundlichen Wünsche die Sie mir zu meiner Berufung nach Berlin ausdrückten, sage ich Ihnen aufrichtigsten, besten Dank Ihr A. Riehl ----------------------[1] Berlin W. 10 a. d. Hegelstraße 11 d. 8. Februar 1907 Hochgeehrter Herr College! Sie fordern mit vollem Rechte Aufklärung über die in Ihrem Schreiben vom 4. behandelte Angelegenheit. Im Nov. v. J. setzte mich Dr. Renner9, der von Halle her mein Schüler ist, von seiner Absicht in Kenntnis eine Gesellschaft für Philosophie gründen zu wollen. Diese sollte zunächst zur Erhaltung der „philos. Wochenschrift“ bestimmt sein, dann aber noch darüber hinaus dem Interesse der Philosophie dienen. Er glaubt dafür bestimmt auf Ihre, Diltheys und meine Mittwirkung rechnen zu dürfen. In einer Versammlung vom 14. Dez. erfolgt dann unsere Wahl zu Ehrenpraesidenten der nun zu gründenden Gesellschaft. Wir hatten der Versammlung nicht beigewohnt, sie soll auch ausser den Einberufenen nur aus einer sehr geringen Zahl von Interessenten bestanden haben. Die Mitteilung, die ich von Dr. Renner über meine Wahl erhielt, musste ich so verstehen, dass Sie und Dilthey bereits || 9 Hugo Renner (geb. 1876) Er gab die Philosophische Wochenschrift zwischen 1906 und 1908 gemeinsam mit Walter Kinkel (geb. 1871) und Wilhelm Jerusalem (1854–1923) heraus, bevor sie schließlich eingestellt wurde.

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zugesagt haben und so müsste ich denn in meinem Schreiben an Dr. Renner unter dieser Voraussetzung die Wahl annehmen zu wollen. Dilthey ist es ganz ähnlich ergangen. Übrigens glauben wir, auf den jugendlichen Eifer der beiden eigentlichen Gründer der Gesellschaft mässigend einwirken zu können. [2] Erst als wir Einsicht in das gedruckte Statut der Gesellschaft nehmen konnten – das uns die Gesellschaft nicht selbst mitgeteilt oder nur zur Beratung vorgelegt hatte – waren wir entschieden, das uns übertragene Amt niederzulegen. Die ganze Argumentation mit ihrer Verzweigung in Ortsgruppen ihrer Consolidierung in Berlin erschien uns am wenigsten geeignet, gerade die Interessen der Philosophie zu fördern. Besonderen Anstoss nahmen wir an der „Ernennung“ von Docenten, die dadurch zu Beamten der Gesellschaft werden möchten, an der Unterstützung auswärtiger Docenten, der Erteilung von Ehrengaben für „verschiedentliche Veröffentlichungen“. Wir mussten es ablehnen, für diese viel zu hoch gestochenen Ziele und unausführbaren Pläne die Verantwortung mitzutragen – und so erklärten wir in einem gemeinsamen Schreiben an Dr Renner unseren Austritt aus dem Ehrenpraesidium und verlangten zugleich, von einer weiteren Nennung unserer Namen in seinen Kundgebungen der Gesellschaft abzusehen. Da erschien – Wochen nach dieser Erklärung – die bekannte Notiz in der D. Lite. Zeit. No 4 [3] dass statt unserer gemeinschaftlichen Berichtigung, in der Form einer Nachricht der Redaktion, zunächst meine „Erklärung“ allein erschien, hat Dr Hermberg verschuldet. Dilthey wird in der nächsten Nummer folgen und Sie werden sich wohl unserem Beispiel anschliessen. Ich gestehe, dass es für mich besonders anziehend gewesen wäre, zusammen mit Ihnen an den zuerst annehmbar erschienenen Aufgaben der Gesellschaft mitwirken zu können, was nun leider durch die bedauerlichen Pläne derselben verhindert worden ist. Für die mir bewahrte und in Ihrem Schreiben ausgedrückte Gesinnung bin ich Ihnen aufrichtig verpflichtet und mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung bleibe ich Ihr sehr ergebener A. Riehl.

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20. April 1907 Hochverehrter Herr College! Für die freundliche Zusendung Ihres Werkes über Gegenstandsth. sage ich Ihnen meinen besten Dank. – sobald ich mit dem Druck meiner Neubearbeitung durch bin, werde ich an die genaue Lektüre gehen. Ich habe zu meiner Freude bemerkt, dass wir uns in den letzten Jahren immer näher kommen; es ist mir dies von großem Werte, bei dem ungemeinen Scharfsinn den ich stets bei ihnen fand. Von dem Ehrenpräsidium sind wir nun alle drei glücklich los. Sollte ich einmal das Vergnügen haben, mündlich mit Ihnen zu reden, einiges Intimes darüber mit. Mit bestem Gruß, in vortrefflicher Hochachtung Ihr A. Riehl ----------------------Riehl, Berlin. Neubabelsberg, Hegelstr. d. 1 Oct. 1910 Empfangen Sie hierdurch, hochgeehrter Herr College, den Ausdruck des verbindlichsten Dankes für die freundliche Übersendung der 2. Auflage Ihres Werkes Annahmen. In vorzüglicher Hochachtung Ihr A. Riehl

5.1 Korrespondenz Meinong-Riehl. Briefkonzepte Meinong-Riehl von 1907 und 1898 [1] 15. 11. 1907. Hochgeehrter Herr Geh.R.! Besten Dank für Ihre freundlichen Mitteilungen. Mir ist es mit der „Gesellschaft f. Philos.“ ziemlich ähnlich gegangen. Auch ich brachte sie zunächst nur mit der „Wochenschrift“ in Verbindung und staunte dann über die grossen Dinge, die da statutenmässig zuwachsen sollten. Nur nahm ich die Sache nicht schwer: allerdings vor Allem deswegen, weil ich für selbstverständlich hielt, Sie und Geheimrat Dilthey hätten an der Generalversammlung teilgenommen, die die Satzung beraten und beschlossen haben muss, – dann aber freilich auch, weil ich meinte,

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zu weiter aussehenden Unternehmungen würde vorerst doch jedenfalls die Mittel fehlen. Keineswegs aber könnte ich, wie die Dinge jetzt stehen, das Ehrenpräsidium etwa allein behalten, habe daher den Ausschusse bereits meinen Rücktritt bekannt gegeben. Nur mich damit auch an die Oeffentlichkeit zu wenden, möchte ich wo möglich vermeiden. Anderes als Formfehler scheinen ja, wenn ich Ihre und Geheimrat Dilthey’s Ausführungen richtig verstehe, nicht eigentlich vorgefallen zu sein:10 [2] Ich habe als selbstverständlich vorausgesetzt, dass mir nichts zur Unterschrift werde vorgelegt werden, was nicht Ihre beiden Unterschriften bereits besitzt. Vielleicht darf ich mir auf alle Fälle ein Wort freundlicher Verständigung Ihrerseits erbitten, sobald ein derartiges Schriftstück von Ihnen unterzeichnet und oder ungültig zurückgewiesen worden ist. Übrigens hat Dr Renner, wie er mir schrieb Ihnen gegenüber bereits den Wunsch ausgesprochen, es möchten durch eine von uns allen unterzeichnete Veröffentlichung, allfällige Missverständnisse beseitigt werden. Herzlich bedauernd, durch den unerwarteten Verlauf dieser Sache und die erwünschte Gelegenheit zu gemeinsamen gedeihlichen Zusammenwirken mit Ihnen, hochg. H. Geheimrat gekommen zu sein, grüsst in hochachtungsvoller Ergebenheit [Alexius Meinong] [1] Troppau, 28. III. 1907. ----------------------Hochgeehrter Herr Geheimrat! Auf Wunsch Herrn Geh. R. Dilthey’s erlaube ich mir bekannt zu geben, dass ich mit der von dieser entworfenen Erklärung in Sachen der „Gesellschaft für Philosophie“ einverstanden bin. Sie mit dem mit vor einiger Zeit seitens der Gesellschaft übermittelten Entwurfe zu vergleichen, bin ich freilich zur Zeit nicht im Stande, da ich den Text in Graz zurückgelassen habe und mich auch bei dessen Empfang nicht eben lange bei ihm aufhielt. Daran ist aber nur die Gesellschaft || 10 An dieser Stelle hatte Meinong folgende Passage durchgestrichen, die ursprünglich Teil des Textes sein sollte: „so werden die Gründer der Gesellschaft durch die beiden Notizen in der D. L. Z. ohnehin hart genug getroffen. Übrigens schrieb mir Dr. Renner von einer von uns Allen zu unterzeichnenden Erklärung, durch die allfälligen Missverständnissen hinsichtlich jener Notizen in der D. L. Z. vorgebeugt werden soll. Da solche Missverständnisse wirklich möglich sind, habe ich mich mit dem Gedanken nicht prinzipiell ablehnend verhalten.“

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resp. deren Vorstand schuld. Denn besagter Text kam mir eines Tages ohne irgend ein Geleitwort der Absender ins Haus, und ich meinte auf so summarisches Verfahren hin für so lange einfach bei Seite legen [2] zu können, bis die Herren vom Ausschuss mir verraten haben werden, was ich damit eigentlich anfangen solle. Mit besten Wünschen für den Rest der Osterferien grüsst in hochachtungsvoller Ergebenheit [Alexius Meinong] ----------------------Aus Brief an Riehl, Kiel. 6. II. 1898. … Unter solchen Umständen konnte der unerwartete Ausblick auf’s Meer und auf die Heimat Cl. Groth’s und Th. Storm’s seinen Eindruck nicht verfehlen. Leider war ich in Folge amtlicher Abhandlungen, wie sie jetzt an der Tagesordnung sind, ausser Stande, Ihre vormittags erhaltenen freundlichen Zeilen früher als am nachmittage durch mein Telegramm zu beantworten, das übrigens natürlich mit Absicht so abgefasst war, dass es in den Telegraphen-Aemtern nicht wol verstanden werden konnte. Ebenso bitte ich den bewegten Zeiten zu Gute zu halten, dass ich die gewünschten Daten erst heute beibringen kann. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, beschränke ich mich auf die Beantwortung Ihrer direct gestellten Fragen, bin aber selbstverständlich zu jeder Vervollständigung gern bereit. Mit Fragen belästige ich Sie nicht, ehe mein mich dazu einigermassen autorisirender Vorschlag thatsächlich vorliegt; für jetzt erlaube ich mir nur die Bitte, mich vom Votum der Facultät, sobald sich diese entschieden hat, freundlichst benachrichtigen zu wollen. Günstigen Falles werde ich mir dann freilich nicht versagen können, von Ihrem liebenswürdigen Anerbieten Gebrauch zu machen und mir über Kieler Verhältnisse sowie über Form und Inhalt der mit der preuss. Behörde durchzuführenden Verhandlungen Auskünfte u. Vorschläge zu erbitten. Zu bereits telegraphisch ausgesprochenem Dank für Ihre freundliche Absichten – hiermit auch brieflich wiederhole. [Alexius Meinong]

Personenregister Abaelard 498 Abel, Othenio 502f. Abela, Paul 252, 254, 265, 269, 291 Achelis, Thomas 445 Adler, Max 351, 494f. Alberti, Leon Battista 469 Allais, Lucy 251, 254f., 265f., 269, 291 Allison, Henry E. 251, 255, 264ff., 268f., 291, 456, 472 Althoff, Friedrich 29, 196 Amrhein, Hans 352 Anzenbacher, Arno 500 Apel, Karl-Otto 495, 512 Aristoteles 255, 272, 290, 382, 407, 409, 429, 481f., 485, 487f., 492f., 497ff., 508, 519, 544 Arnim, Hans von 567 Arnold, Uwe 508f. Aschenberg, Reinhold 358, 497 Aschheim, Steven F. 193 Ash, Mitchell G. 6 Asmuth, Christoph 395, 397, 399, 413, 422 Aster, Ernst von 379, 479 Auinger, Thomas 514 Auspitz, Theodor 502 Avenarius, Richard 19, 180, 534, 537f., 567 Bähr, Hans Walter 41 Baensch, Otto 393 Barbarić, Damir 505 Bauch, Bruno 32f., 88, 353, 356, 439 Bauer, Otto 495, 516 Baum, Manfred 511 Baumgardt, David 36 Baumgarten, Alexander Gottlieb 394 Baumgartner, Elisabeth 4 Becher, Erich 40, 240 Beck, Jacob Sigismund 268 Beck, Lewis White 373 Becker, Alois M. 515 Becker, Carl Heinrich 41 Behrens, Peter 31, 457 https://doi.org/10.1515/9783110747379-023

Beiser, Frederick C. 20, 42, 44, 167, 181f., 184, 207, 275ff. Belmore, Herbert 391 Beltrami, Eugenio 85, 209 Benedikt, Eugen 495 Benedikt, Michael 485, 495, 516ff. Beneke, Friedrich Eduard 42, 254, 352 Benis Sinaceur, Hourya 180 Benjamin, Walter 391f., 432, 433 Benner, Dietrich 500 Berkeley, George 259, 266, 277, 291, 317, 363, 534 Biagioli, Francesca 44, 188, 202, 276, 278, 455 Bitbol, Michel 221 Blau, Ulrich 483f., 507 Bloch, Ernst 30 Böhm, Peter 514 Börner, Wilhelm 557, 560, 562, 568 Boghossian, Paul 128 Boi, Luciano 208 Bolin, Wilhelm 27 Boltzmann, Ludwig 35, 553 Bolzano, Bernard 349 Bonnet, Christian 40, 118, 123 Born, Max 221 Bosse, Robert 21, 23 Boyle, Matthew 136 Braig, Carl 20 Branca, Edith 36 Brandes, Georg 442 Brecht, Bertolt 433 Breil, Reinhold 343 Brelage, Manfred 339, 358, 360 Brentano, Franz 349, 351, 362, 493, 505f., 515 Brücke, Ernst Wilhelm 5 Brueckner, Anthony L. 280f. Bruno, Giordano 416 Budzinska, Jagna 516 Bühler, Karl 501f. Burge, Tyler 239, 243ff. Burkamp, Wilhelm 497

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Caimi, Mario 119, 122, 165 Caneva, Kenneth L. 231f., 235 Carnap, Rudolf 75, 88 Carneri, Bartholomäus von 3f., 9, 12ff., 16ff., 19ff., 22, 26ff., 29, 31, 41, 154, 543, 555 Carnot, Nicolas Léonard Sadi 225 Carrière, Moritz 4 Cassirer, Ernst 73f., 89, 187f., 191f., 196f., 203, 205, 211ff., 217, 221, 232, 342, 350, 353, 371, 479f., 482, 485, 487ff., 492f., 500f., 568f. Cavell, Stanley 513 Cerwinka, Günter 9, 14 Chahrour, Marcel 13 Chemero, Anthony 246 Chisholm, Roderick M. 256f. Cirne-Lima, Carlos 500 Classen, August 82 Coen, Deborah R. 181 Cohen, Hermann 8, 11, 33, 40, 42, 73f., 76f., 181, 183f., 195, 201, 323f., 326f., 333, 350, 352f., 354, 371, 378f., 423, 492, 494f., 500f., 516, 530, 533 Cohn, Jonas 498, 500, 522 Comte, Auguste 537, 375 Conrad, Johannes 24 Cornelius, Carl Sebastian 82 Cramer, Konrad 510, 515 Cramer, Wolfgang 340, 343 Crusius, Christian August 394 Cruz, Joseph 257 Damböck, Christian 19, 42 Danz, Christian 511 Darjes, Joachim Georg 394 Darwin, Charles Robert 193, 224, 240f., 439f., 449f., 558 Davidson, Donald 244, 247 De Angelis, Simone 218 Decker, Elisabeth 460, 458 Dedekind, Richard 84 Demokrit 409 Derbolav, Josef 500, 505 Derrida, Jacques 513

Descartes, René 11, 76, 132, 147, 179, 185, 220, 246, 259, 279, 394, 407f., 505, 536, 548 Dessoir, Max 31, 472 Dethloff, Klaus 507 Deutsch, Max 269 Devitt, Michael 12 Diethe, Carol 439 Dilthey, Wilhelm 28f., 32, 76, 83, 196, 382, 533, 571–574 DiSalle, Robert 86, 92, 188 Dittenberger, Wilhelm 24 Djuric, Milovan 505 Dopsch, Alfons 563 Dühring, Eugen Karl 11, 88, 153, 450 Düsing, Klaus 510 Dummett, Michael 287 Duns Scotus, Johannes 275 Ebbinghaus, Hermann 23, 32 Ebbinghaus, Julius 55f. 486, 491, 522 Eberhard, Johann August 267 Efal, Adi 44, 455 Ehrenberg, Kurt 502f. Einstein, Albert 75, 92f., 190f., 201, 203, 218ff., 221 Eisler, Rudolf 351, 534 Emden, Christian J. 438f. Engel-Janosi, Friedrich 511 Engels, Friedrich 535f. Engler, Fynn Ole 42 Enskat, Rainer 108 Erdheim, Claudia 507 Erdmann, Benno 20, 23f., 33, 195f. Erhardt, Franz 160 Ermacora, Felix 514 Ernst, Ursula M. 521 Eucken, Rudolf 32 Euklid 85–89, 92f., 190, 209–213, 217– 221, 270 Evans, Gareth 244 Ewald, Oscar 350, 356, 494f., 516 Exner, Franz Serafin 6 Exner, Friedrich 563 Fabbianelli, Faustino 317 Fahrenberg, Jochen 23

Personenregister | 579

Falckenberg, Richard 387, 388 Faraday, Michael 220, 225 Fechner, Gustav 80, 148, 565 Feder, Johann Georg Heinrich 251, 255, 265, 268f., 290, 394 Feichtinger, Johannes 6 Feigl, Herbert 42, 75, 161 Ferrari, Massimo 43, 180f., 456 Ferraris, Maurizio 64, 127 Fichte, Johann Gottlieb 33f., 37, 39, 83, 181, 315, 317–320, 349, 363, 386, 400 Fiedler, Konrad 458, 466, 473 Filipovic, V. 505 Fink, Eugen 505 Fischer, Kuno 11, 181 Fischer, Kurt Rudolf 493, 513 Flach, Werner 42, 299f., 304ff., 314ff., 351 Förster-Nietzsche, Elisabeth 23, 442 Frank, Manfred 423 Frank, Philipp 493 Friedman, Michael 74f., 82, 89, 91f., 188 Fries, Jakob Friedrich 42, 118, 254, 323, 352 Frischauf, Johann 553 Frohschammer, Jakob 4, 8 Fulda, Hans Friedrich 486, 511 Gadamer, Hans-Georg 490f. Galilei, Galileo 19, 179, 186f., 191, 213, 373, 407, 489 Garve, Christian 251, 253, 255, 265, 268f., 290, 394 Gauß, Johann Carl Friedrich 209, 211, 215 Gehrke, Helmut 500 Geiger, Moritz 32 Geissler, Joachim 469 Gerhardt, Carl Immanuel 497 Gerhardt, Gerd 44, 183 Gerhardt, Volker 196 Gettier, Edmund 256 Giampieri-Deutsch, Patrizia 504, 516 Giesebrecht, Wilhelm von 4 Gimpl, Georg 27 Ginsborg, Hannah 472 Gizycki, Georg von 558 Glockner, Hermann 373, 479

Głombik, Czesław 532 Gloy, Karen 510 Goedeckemeyer, Albert 569 Göring, Carl Theodor 537 Goethe, Johann Wolfgang 26, 37, 414f., 417, 449, 464 Goldman, Alvin I. 248, 257 Goller, Peter 5, 14, 29, 31, 36, 44 Gombocz, Wolfgang L. 40, 350 Gomperz, Theodor 25, 563 Graykowski, Georg 36, 43 Griffing, Harold 393 Grillenzoni, Paolo 44, 455 Grimmlinger, Friedrich 514 Grove, William 225 Gülberg, Niels 42, 44 Guttmann, Giselher 515 Guyer, Paul 251, 255, 265f., 269, 291, 456, 472, 511 Habermas, Jürgen 495, 513 Haller, Rudolf 121, 349, 510 Haltmayer, Stephan 500, 514 Hamann, Johann Georg 495 Hammer, Martin 8f., 44, 393, 409 Hansen, Frank-Peter 44 Harman, Peter M. 225, 231 Harper, William 259 Hartel, Wilhelm von 25 Hartknoch, Johann Friedrich 252 Hartmann, Eduard von 559 Hartmann, Nicolai 323, 358, 360, 377f., 493, 497, 559 Hashi, Hisaki 505 Hatfield, Gary 82 Haupt, Erich 24 Havelka, Miloš 505 Haym, Rudolf 28, 196 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 39, 80, 201, 299, 312, 314, 382, 391f., 397ff., 400f., 406, 409ff., 413, 416, 422– 426, 428, 432, 438, 482, 490, 492, 496ff., 499f., 505, 508ff., 514f., 519f., 545, 550, 561 Heidegger, Martin 191f., 195f., 275, 433, 479, 480ff., 485–490, 493, 500,

580 | Personenregister

191f., 195f., 275, 358, 360, 433, 479– 482, 485–490, 493, 500 Heidelberger, Michael 42ff., 75, 80, 88, 123, 148, 161, 166, 184, 202, 240, 292, 455 Heimsoeth, Heinz 372 Heintel, Erich 494–501, 503ff., 507–510, 512, 514, 517 Heintel, Peter 494, 509, 511 Heintel, Waltraud 500 Heinze, Richard 23 Heinzel, Richard 553 Hellenbach, Lazar von 559 Heller, Agnes 505 Helmholtz, Hermann von 27, 73–93, 179, 182, 188–191, 201–213, 216, 219f., 224ff., 231, 233, 254, 371, 373, 382f., 402f., 438, 459, 530, 551 Henrich, Dieter 481 Heppner, Harald 6 Herbart, Johann Friedrich 6ff., 10, 14f., 42, 76f., 80, 82, 118, 181–184, 203, 207f., 216, 254, 275f., 349, 352, 357, 365, 371f., 385, 387, 534f., 549 Herder, Johann Gottfried 495 Hering, Karl Ewald Konstantin 67, 81 Hertz, Heinrich 191, 403 Heyse, Hans 11, 16, 39 Hilbert, David 75, 88 Hildebrand, Adolf von 21f., 30, 455–467, 469–473 Hinske, Norbert 380 Hirstein, William 292 Hitzig, Eduard 26 Hlade, Josef 8f., 44, 409 Hobbes, Thomas 17, 556 Hönigswald, Richard 40f., 43, 323–344, 348, 350f., 353f., 356–362, 492f., 494ff., 500, 507, 512ff., 516, 522, 530 Hösle, Vittorio 510 Hofer, Michael 512 Hoffmann, Thomas Sören 167 Höflechner, Walter 6 Hofmann, Paul 43, 165 Hofmeister, Heimo 500 Holz, Harald 510 Holzhey, Helmut 42, 351

Home, Heinrich 461 Hoorn, Sjoerd van 123 Horaz 455 Horn, Joachim Christian 500, 505 Horneffer, August 442 Horneffer, Ernst 442 Hufnagel, Erwin 359 Humboldt, Wilhelm von 495 Hume, David 11, 32, 75f., 181, 185, 188f., 218, 234, 241, 277, 291, 325, 327f., 333, 357, 373, 376f., 379f., 393ff., 399f., 538, 548, 566 Husserl, Edmund 24, 32, 229, 342, 351, 354f., 358, 362, 480, 482, 484, 486, 488ff., 493f., 496, 505, 515f., 521f. Hutten, Ulrich von 20 Jackson, Frank 230 Jacobi, Friedrich Heinrich 276, 349 Jacobs, Wilhelm G. 511 Jäger, Heidrun 505 Jaeger, Werner 30 Jaensch, Erich 7, 9, 30, 43, 182 Jaensch, Ernst Anton 30 James, William 248 Jodl, Friedrich 3f., 20, 24f., 27, 33, 381, 395f., 543, 563, 567f. Johnston, William M. 181 Jonas, Hans 486 Joule, James 224, 231 Jung, Mathias 44, 128 Karajan, Max Ritter von 553 Katz, David 241 Kaulbach, Friedrich 505 Kaulich, Wilhelm 552f. Kautzsch, Emil 24 Kelsen, Hans 351, 494, 501 Kemp Smith, Norman 251, 254f., 273, 291 Kerszberg, Pierre 221 Kiersnowska-Suchorzewska, Janina 387 Kirchhoff, Gustav 186 Klein, Evelin 487 Klein, Felix 88, 201, 203, 210–213, 217 Klein, Hans-Dieter 486, 491, 505–511, 515, 520 Kleist, Heinrich von 470

Personenregister | 581

Kloeden, Wolfdietrich von 97 Köhnke, Klaus Christian 18f., 42f., 44, 77, 123, 180f., 185 Koenig, Eugen 393 König, Giovanni Klaus 4 König, Robert 520 Köselitz, Heinrich 442 Kolak, Daniel 292 Krämer, Hans 514 Kraft, Viktor 488f., 506 Kraus, Karl 487 Krek, Gregor 553 Kretschmer Paul 563 Krijnen, Christian 305, 384 Kroman, Kristian Frederik Vilhelm 556 Kroner, Richard 378, 492f., 496, 498ff., 509, 522, 553 Kubalica, Tomasz 533 Kudrna, Milan 505 Külpe, Oswald 24f., 40, 74, 239, 341f., 361, 530, 532, 565 Kues, Nikolaus von 187 Kuhn, Thomas Samuel 224f., 231 Kuntz, Friedrich 35 Laas, Ernst 537 Lambert, Johann Heinrich, 11, 393 Landwehr, Achim 391 Lang, Stefan 521 Lange, Friedrich Albert 160, 181, 184, 254, 371f., 440, 451, 530, 534 Langthaler, Rudolf 512f., 522 Langton, Rae 251, 254f., 265, 267ff., 286, 291 Lasaulx, Ernst von 511 Lask, Emil 350f., 353, 356 Laßwitz, Kurt 24 Lau, Joe 269 Lavoisier, Antoine Laurent de 232 Leclair, Anton von 15 Lehmann, Günther 315 Lehrer, Keith 251, 255, 257f., 290, 292f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 6, 11, 76, 113, 120, 147, 185, 251, 253, 255, 268, 275f., 286, 291, 330, 344, 357, 376, 385, 394, 480, 488, 492, 496ff., 507f.

Leitgeb, Hubert 553 Lenoir, Timothy 225 Lepsius, Johannes 393 Leser, Norbert 495 Lessing, Gotthold Ephraim 196, 455 Lewin, Kurt 36 Licht dos Santos, Paulo R. 108, 116f. Lie, Sophus 85, 88, 219 Liebert, Arthur 502 Liebig, Justus 225 Liebmann, Otto 181, 323, 353f., 356, 371ff., 438, 492 Liebrucks, Bruno 505, 514 Lindau, Hans 35 Lipps, Theodor 24 Litt, Theodor 32, 500 Locke, John 11, 32, 61f., 76, 109, 181, 185, 246, 277, 286, 291, 325, 327, 357, 373, 376f., 379f., 393ff., 399f., 410, 413, 566 Loening, Edgar 24 Löwi, Moritz 340, 343 Löwith, Karl 505 Lohmar, Dieter 516 Loofs, Friedrich 24 Lott, Franz Karl 6 Lotze, Hermann 182, 457, 492 Lubin, Anton 553 Ludwig, Carl 5 Lütterfelds, Wilhelm 513 Luf, Gerhard 514 Mach, Ernst 3f., 15, 23–26, 29, 35, 39, 186f., 218, 537f., 543, 563f., 567 Maier, Heinrich 16, 35, 43, 164, 167 Malter, Rudolf 384, 387 Malthus, Thomas Robert 450 Mandik, Peter 292 Marck, Siegfried 328 Marcuse, Herbert 505 Marées, Hans von 458 Martin, Nicholas 450 Marx, Karl 535f., 351 Marx, Wolfgang 510 Mayer, E. W. 445 Mayer, Julius Robert 187f., 191, 223ff., 230–237, 373, 403, 445, 566

582 | Personenregister

McDowell, John 128 McKinsey, Michael 280 Mead, George Herbert 248 Meder, Norbert 339, 360 Meer, Rudolf 154 Meerbote, Ralf 300 Mehring, Reinhard 196 Meier, Heinrich 394 Meinong, Alexius 15, 342, 543, 570–575 Mensching, Günther 395, 397ff., 406 Mertens, Franz 563 Messer, August 532 Meyer, Eduard 23f. Meynert, Theodor 10 Mies van der Rohe, Ludwig 29f., 40 Mill, John Stuart 66, 189 Minkowski, Hermann 190 Misak, Cheryl 248 Misch, Georg 569 Möckel, Christian 439 Morgenstern, Martin 7 Motroschilowa, Nelly 505 Motta, Giuseppe 59 Mueller, Axel 268f. Müller, David Heinrich 563 Müller, Johannes 39, 80–83, 203 Müller, Klaus 513 Müllner, Laurenz 24 Münsterberg, Hugo 3f., 35 Musioł, Anna 529 Naehring, Niklas 29, 31, 40, 44, 457 Nagel, Albrecht 82 Nahlowsky, Joseph 552f. Nagl, Ludwig 511ff., 522 Nagl-Docekal, Herta 491, 511ff., 522 Nahlovsky, Joseph 7f. Natorp, Paul 32, 73f., 181, 186f., 327, 333, 342, 350, 353, 362, 372, 492f., 496, 500, 515 Nawratil, Karl 502 Nelson, Jacob S. 242 Nelson, Leonard 323 Neuber, Matthias 42ff., 74f., 78, 88, 240, 455 Neumeyer, Fritz 30, 457 Neurath, Otto 182

Newton, Isaac 93, 182, 187, 213ff., 218, 220, 253 Nietzsche, Friedrich 7, 22f., 27, 34f., 187, 193f., 357, 404f., 409, 414f., 417f., 419, 432, 437–453, 457, 499f., 533, 567 Nolte, Ernst 22 Noras, Andrezej J. 532, 382 Oehler, Richard 23 Oesterreich, Traugott K. 350 Ollig, Hans-Ludwig 76, 324 Orestano, Francesco 439 Orth, Ernst Wolfgang 44, 379f. Parmenides 122 Pascher, Manfred 384 Patočka, Jan 505 Paulsen, Friedrich 533 Peirce, Charles Sanders 248f. Perger, Josef 44 Perry, Ralph Barton 245, 447, 482, 492f., 501, 512, 519, 521 Peters, Heinz Frederick 23 Petitot, Jean 221 Pettoello, Renato 44, 77, 106f., 112, 115, 123, 167, 181 Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm 67 Pietschmann, Herbert 514f. Pischel, Richard 24 Planck, Max 220 Platon 11, 76, 166, 185f., 353, 409, 412, 415, 433, 445, 481f., 485, 487, 492, 497ff., 508, 514, 521, 548 Plotin 508 Poggi, Stefano 207 Poincaré, Henri 35, 75, 217 Pollock, John L. 257 Pollok, Konstantin 108 Polster, Pauline (erste Ehefrau von Alois Riehl) 5, 13 Porębski, Czesław 505 Prauss, Gerold 115 Prel, Carl du 558 Prichard, Harold Arthur 266 Prossegger, Peter 31 Protagoras 193 Pulte, Helmut 75

Personenregister | 583

Puntel, Bruno L. 500 Putnam, Hilary 251, 255, 257, 266, 278– 289, 291ff., 513 Pythagoras 186 Quine, Willard Van Orman 244 Radaković, Konstantin 41 Reichenbach, Hans 89, 221 Reimarus, Hermann Samuel 394 Reinhold, Karl Leonhard 203, 349, 363, 378 Reininger, Robert 40, 347, 350, 354, 356ff., 360–366 Reischle, Max 24 Rendl, Lois Marie 520 Renner, Hugo 571 Reyer, Eduard 31 Reyer, Sofie (zweite Ehefrau von Alois Riehl) 13, 15, 26, 29, 31, 36, 40 Richardson, Alan 74 Richli, Urs 514 Rickert, Heinrich 3ff., 20f., 26, 28, 31–35., 39ff., 43, 181, 192f., 195, 275, 299– 312, 316–319, 324f., 350, 353, 372, 383, 387, 439, 448, 492, 568 Rickert, Heinrich Edwin 568 Riehl, Josef (Bruder von Alois Riehl) 4 Riehl, Josef (Vater von Alois Riehl) 4 Riehl, Maria (geb. Kehlauer) (Mutter von Alois Riehl) 4 Riehl, Wilhelm Heinrich 4 Riemann, Bernhard 84f., 89, 92f., 201, 203, 207ff., 211, 214–220 Rindert, Jan 196 Ritzel, Wolfgang 44, 378f., 383 Robert, Carl 24 Röd, Wolfgang 10, 14, 20, 44, 118, 123f., 181, 240, 371f. Roesler, Robert 553 Rogler, Erwin 358 Rolf, George 269 Romand, David 7 Roretz, Karl 502 Rorty, Richard 513 Rosegger, Peter 9f. Rosenblüth, Amalie 502

Rosenzweig, Franz 513 Rousseau, Jean-Jacques 444, 464 Rowlands, Mark 269 Rupitz, Josef 517 Russell, Bertrand 74f., 78, 279, 290 Rutte, Heiner 41f., 44 Ryckman, Thomas 43, 74f., 92 Sartre, Jean-Paul 358, 360, 490 Sattler, Bernhard 458, 462f. Sattler, Florian 22 Sauer, Werner 6, 349 Schankl, Karl 552ff. Scheerer, Eckart 37 Scheibe, Erhard 191 Scheler, Max 440, 441, 447, 451 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 80, 201, 363, 382, 400f., 492, 496, 498, 501, 507, 509f., 512–515 Schild, Wolfgang 487, 510, 514 Schlick, Moritz 40, 42, 74f., 78, 82, 88f., 92, 160f., 184, 189, 195, 197, 201f., 221, 501f. Schmarsow, August 31, 457 Schmidt, Hermann 24 Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich 325, 359, 500, 513f. Schneider, Hans-Julius 513 Schneider, Ilse 36, 41, 190f., 275 Schönberger, Elisabeth 517 Scholem, Gershom 391 Scholz, Heinrich 35, 41 Schopenhauer, Arthur 7, 42, 83, 156, 352, 362, 439ff., 443, 446–449, 451f., 548, 559 Schübl, Elmar 6 Schultze-Naumburg, Paul 31 Schwabe, Wilhelm 514 Schwarz, Gerhard 514 Sellars, Roy Wood 242 Sellars, Wilfrid 269 Sellien, Ewald 190f. Shakespeare, William 463 Siegel, Carl 5ff., 9, 13, 20, 38, 40f., 43, 167, 169, 181, 183, 356, 372–375, 387, 455, 457, 464, 468, 472 Sigwart, Christoph von 556, 569

584 | Personenregister

Simmel, Georg 193, 440, 533 Slezák, Thomas Alexander 514 Sobotka, Milan 505 Sokrates 37, 415ff., 445, 449, 481, 544 Sophokles 444, 470 Spengler, Oswald 34, 41 Spiel, Walter 515f. Spinoza, Baruch de 39, 113, 120, 148, 156ff., 394, 401, 415, 451, 492, 546, 547 Spir, Afrikan 438 Spitzer, Hugo 13f., 41 Spranger, Eduard 3f., 7f., 11, 16, 30, 35, 39, 41, 43 Stadler, Friedrich 25f. Städtler, Michael 391, 396, 398, 404, 406f., 416, 421, 425f., 430f., 433 Stammler, Rudolf 24 Stang, Nicholas F. 259, 282, 291 Stegie, Reiner 23 Stein, Edith 229 Steinbuch, Johann Georg 82 Stepa, Jan 529–532, 538f. Stöhr, Adolf 25, 565 Stolzenberg, Jürgen 510 Stoppelkamp, Bastian 501ff. Strawson, Peter Frederick 244, 251, 255, 265, 267ff., 277, 291ff. Stroh, Hans 504 Stumpf, Carl 28, 391 Sturm, Thomas 400, 407f., 410f. Tait, Peter 224, 231 Taschwer, Klaus 502f. Tatarkiewicz, Władysław 529, 532–538 Tatarkiewiczowa, Teresa 533 Tauschinski, Hyppolyt 8f., 15 Tetens, Johannes Nikolaus 11, 62, 393 Thiele, Joachim 24 Thirring, Walter 514 Thomas von Aquin 499, 531 Thompson, Michael 136 Thun-Hohenstein, Leo 6 Tilitzki, Christian 14 Tilliette, Xavier 505 Tönnies, Ferdinand 22, 441 Torretti, Roberto 85

Tufts, James Hayden 41 Ungler, Franz 514 Vaihinger, Hans 3f., 15, 23, 437–441, 445, 448–452, 557, 559f. Van Cleve, James 251, 255, 265, 269, 281, 284, 287, 291 Virone, Giacomo Maria 44, 107, 113, 123 Vleeschauwer, Herman Jean de 116 Vogt, Theodor 563, 567 Volkelt, Johannes 24, 350, 356 Voltaire 449 Wachowski, Lana 292 Wachowski, Lilly 292 Wagner, Hans 372, 449, 488, 493, 497, 499, 505f. Wagner, Richard 7 Waibel, Violetta L. 511 Waitz, Theodor 82 Wandschneider, Dieter 510 Waskan, Jonathan 292 Weber, Ernst Heinrich 67 Weber, Max 30f. Weber, Wilhelm Eduard 215 Weininger, Otto 350, 356 Weisz, Franz 500 Wendel, Hans Jürgen 42 Westphal, Kenneth R. 269 Weyl, Hermann 218ff. Whitehead, Alfred North 521 Wilfing, Alexander 6 Wilhelm II. (Kaiser) 33 Willaschek, Marcus 12 Williamson, Timothy 257 Windelband, Wilhelm 8, 15, 32, 40, 42, 76, 181, 195f., 323f., 350, 352ff., 356, 372f., 387, 439, 448, 486, 492 Wissowa, Georg 24 Wittgenstein, Ludwig 75, 289f. Wölfflin, Heinrich 458 Wolandt, Gerd 339, 358, 360 Wolf, Adam 553 Wolff, Christian 61, 63, 393f. Wundt, Max 372

Personenregister | 585

Wundt, Wilhelm 3f., 18, 20, 23, 32f., 36ff., 74, 80, 82, 148, 154, 239, 341, 372, 561 Wust, Peter 351 Yajima, Kyoshiro 505 Zehetner, Cornelius 517 Zeidler, Kurt Walter 6, 40, 44, 323, 325, 339f., 347–350, 355f., 365, 371, 373, 494ff., 518ff. Zelený, Jindřich 505 Zeller, Eduard 181, 374 Zenon 483f., 507, 520 Zhavoronkov, Alexey 451 Zimmermann, Robert 6, 15, 20, 76, 181, 393, 457, 553, 559 Zocher, Rudolf 327 Zöller, Günter 313 Zöllner, Johann Karl Friedrich 386