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German Pages [556] Year 2014
Juden in Breslau/Wrocław 1933–1949
Lebenswelten osteuropäischer Juden Erinnerung an die Lebenswelten osteuro päischer Juden, an ihre Geschichte und Kultur, ist eine Erfahrung des Leidens, aber auch des Selbstbewusstseins und der Kraft. Mit den Arbeiten dieser Reihe – wissenschaftlichen Forschungen, Neuaus gaben bedeutender älterer Beiträge und Quelleneditionen – sollen Leben ver hältnisse und Alltag, Werte, Normen und Einstellungen, Denken, Fühlen und Verhalten der Juden ebenso wieder gegen wärtig werden wie das Zusammenleben mit der nichtjüdischen Umwelt und das Einwirken politischer, wirtschaft licher und gesellschaftlicher Strukturen. In der Auseinandersetzung mit diesen Welten gewinnen wir sie als Teil unserer eigenen Geschichte zurück.
Herausgegeben von Heiko Haumann, Julia Richers und Monica Rüthers Band 16
Juden in Breslau/Wrocław 1933–1949 Überlebensstrategien, Selbstbehauptung und Verfolgungserfahrungen von Katharina Friedla
2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Irène Bollag-Herzheimer, Basel, des Max Geldner-Fonds der Universität Basel sowie der ZEIT-Stiftung in Hamburg und des Bucerius Institute for Research of Contemporary German History and Society der Universität Haifa
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: „Tal der Gemeinden“ der Gedenkstätte Yad Vashem – The Holocaust Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority, Jerusalem, 2014 (© Dr. Daniel Uziel). © 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Patricia Simon, Langerwehe Satz: SatzWeise, Trier Druck und Bindung: Prime Rate, Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22393-9
Inhaltsverzeichnis
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort
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2 In der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Zwischen Erfüllung und Ernüchterung . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Demografie, Berufs- und Sozialstruktur . . . . . . . . . 2.1.2 Breslauer Juden in ihrem Umfeld – Politisches und gesellschaftliches Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Kontaktzonen zwischen der christlichen und jüdischen Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Die Breslauer jüdische Gemeinschaft und ihre Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Die Zuwanderung der „Ostjuden“ . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Jüdisches Selbstverständnis im Wandel . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Auf der Suche nach Identität – Jüdische Jugendbewegung 2.3 Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die alte Ordnung wird zerstört, 1933–1935 . . . . . . 3.1.1 Das Vorspiel – Antijüdische Ausschreitungen im Frühjahr 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Offizielle Exklusion . . . . . . . . . . . . . . .
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1 1.1 1.2 1.3 1.4
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . Fragestellung und Struktur der Arbeit . Quellengrundlage . . . . . . . . . . . Methodische Überlegungen und Begriffe Zum Forschungsstand . . . . . . . . .
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. 67 . 78 . 84 . 90 . 102 . 111
. . . . . 116 . . . . . 116 . . . . . 116 . . . . . 130
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Inhaltsverzeichnis
3.1.3 Inoffizielle Verdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Verdrängung und Selbstbehauptung, 1935–1938 . . . 3.2.1 Reaktionen der Breslauer jüdischen Gemeinschaft . . . . . 3.2.2 Individuelle Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Der Handlungsspielraum wird eng – Gesetzliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . Im Spannungsfeld von Ost und West – Die Vertreibung polnischer Juden aus Breslau, Oktober 1938 . . 3.3.1 Zwischen Brüderlichkeit und Entfremdung . . . . . . . . 3.3.2 Die Vertreibung polnischer Juden, 27.–29. Oktober 1938 . 3.3.3 Solidarität und Hilfeleistung der Breslauer Juden . . . . . Der Weg in die Katastrophe – Novemberpogrom und seine Folgen, 1938–1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Flammendes Inferno – Der Novemberpogrom in Breslau . 3.4.2 Das Nachspiel – Deportation ins Konzentrationslager Buchenwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Folgen des Pogroms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswanderung aus Breslau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Auf der Suche nach einer neuen Heimat . . . . . . . . . . 3.5.2 Schwere Entscheidungen – Geglückte Auswanderung . . . 3.5.3 In Deutschland gefangen – Gescheiterte Emigrationsversuche . . . . . . . . . . . . . Der Weg in die Vernichtung, 1940–1945 . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Beengtes Leben und Zwangsarbeitseinsatz . . . . . . . . . 3.6.2 Die Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtung: Durchgangslager in Tormersdorf, Grüssau und Riebnig . . 3.6.3 Die Umsetzung der „Endlösung“ . . . . . . . . . . . . . Unter „Ariern“ und „Nichtariern“ – „Mischehen“ in Breslau . . . 3.7.1 „Gerade Halbjuden haben [es] furchtbar schwer, die gehören zu niemandem.“ . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2 „Wir blieben zurück.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3 Das Ende des Krieges – „Erwischen sie dich doch noch oder nicht?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
4 Neuanfang nach dem Untergang . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 „Stigma der Zugehörigkeit“ – Breslauer Juden in ihrer Heimatstadt nach der Schoah, 1945–1946 . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Rückkehr – „Es gab kein Zurück mehr – die Vergangenheit war Geschichte.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Unter der polnisch-sowjetischen Doppelherrschaft . . . . 4.1.3 „Für die polnischen Bürger der Stadt waren wir sowohl Deutsche als auch Juden. Es war an der Zeit, unsere Heimat hinter uns zu lassen.“ . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 „A Naye Yidishe Heym in Nidershlezye“ – Polnische Schoah-Überlebende in Wrocław, 1945–1949 . . . . . 363 4.2.1 Der Traum von der „jüdischen Autonomie“ . . . . . . . . 4.2.2 „A Naye Lebn Geyt Oyf“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Der Traum löst sich auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Unter dem Zeichen des Exodus . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 „Sie wollten nicht auf dem jüdischen Friedhof leben.“ – Ursachen für die jüdische Emigration aus Polen . . . . . . 4.3.2 Die Etappen des Exodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 März 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Ortsnamenkonkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Stadtteile Breslaus/Wrocławs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 4 Straßen in Breslau/Wrocław . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 5 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Quellen und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . 6.1 Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
6.4 Lexika und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . 6.5 (Auto-)Biografische Literatur, Tagebücher, Erinnerungen, Zeugenberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Publizierte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . 6.7 Internetseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
. . . . 473 . . . . 474 . . . . 478 . . . . 517
Kurzbiografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
Danksagung
Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Promotionsschrift, die im August 2013 von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel angenommen wurde. Diese wäre in der jetzigen Form nicht entstanden ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen, denen ich hier meinen großen Dank aussprechen möchte. An erster Stelle gebührt mein großer Dank meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Prof. Heiko Haumann. Er hat diese Arbeit von Beginn an und durch alle wichtigen Phasen ihrer Entstehung, mit großem Interesse begleitet und gefördert. Ich danke ihm herzlich für sein Vertrauen, zahlreiche Anmerkungen und Kommentare sowie wertvolle Anregungen, die wesentlich zum Gelingen dieses Forschungsprojektes beigetragen haben. Auch für die Aufnahme des Buches in die von ihm herausgegebene Reihe „Lebenswelten osteuropäischer Juden“ bin ich ihm sehr verbunden. Mein Dank gilt ferner Prof. Stefani Schüler-Springorum, Leiterin des „Zentrums für Antisemitismusforschung“, für ihre Bereitschaft, als Zweitgutachterin zur Verfügung zu stehen. Die finanzielle Förderung der vielen Stiftungen und wissenschaftlichen Institute ermöglichte die erforderlichen Recherchereisen in die amerikanische, polnische und israelische Archive, die für die Anfertigung der Arbeit entscheidend waren. Mein großer Dank gilt hierfür dem Deutschen Historischen Institut in Warschau, dank dem ich meine Archivrecherche und Interviews in Polen durchführen konnte; dem Leo Baeck Institute und YIVO Institute for Jewish Research in New York danke ich herzlich für die Unterstützung meiner Recherche in den USA; dem Bucerius Institute for Research of Contemporary German History and Society der Universität Haifa sowie der Zeit Stiftung Hamburg danke ich für die Verleihung des Manfred Lahnstein Scholarships mit dem ich in Israel forschen konnte. Weiter danke ich der Deutschen Nationalstiftung für die Verleihung des Prof. Fritz Stern Stipendiums. Der schweizerischen Stiftung Dialogik – Marry and Herman Levin Goldschmiedt-Bollag sowie der Rothschild Foundation (Hanadiv) möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen, für ihre großzügige Stipendien, die es ermöglichten, meine Arbeit erfolgreich abzuschließen. Weit-
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Danksagung
gehend sorgenfreie Arbeit am Text sowie die Vorbereitungen zur Abgabe der Dissertation ermöglichte mir das Stipendium des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust Studien (VWI); mein Dank gebührt allen seinen Mitarbeitern, die mir einen anregenden Ort boten, und mich in der Endphase der Arbeit unterstützten. Die Max and Hilde Kochmann Summer School für die europäisch-jüdische Geschichte und Kultur an der University of Sussex schuf ein anregendes Diskussionsforum, von dem die vorliegende Studie sehr profitierte, dafür bedanke ich mich herzlich. Der Stiftung Irène Bollag-Herzheimer aus Basel, dem Bucerius Institute for Research of Contemporary German History and Society der Universität Haifa und der Zeit Stiftung in Hamburg (vor allem Frau Lea Dror-Batalion und Frau Frauke Hamann) sowie dem Max Geldner-Fonds der Universität Basel danke ich sehr für die großzügige finanzielle Zuwendung, die die Drucklegung dieses Buches ermöglichte. Ganz besonders herzlich danken möchte ich dem Böhlau Verlag – allen voran Frau Dorothee Rheker-Wunsch für die sorgfältige Betreuung des Bandes, sowie Frau Julia Roßberg und Frau Patricia Simon für das Korrektorat des Manuskriptes. Mein besonderer Dank gilt den zahlreichen Archiven auf verschiedenen Kontinenten, die mich während meiner Forschungsarbeit aufgenommen und fachkundig betreut haben. Mein großer Dank geht an alle Mitarbeiter: des Leo Baeck Institute und des YIVO Institute Archives in New York; des Yad Vashem Archives, The Central Archives for the History of the Jewish People, des Oral History Division – The Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry der Hebräischen Universität sowie des Leo Baeck Institute Archives in Jerusalem; des Archivs des Jüdischen Historischen Instituts, des Archivs des Museums für die Geschichte der polnischen Juden in Warschau, des Staatsarchivs in Wrocław sowie der Jüdischen Gemeinde und der Bente Kahan Stiftung in Wrocław. Vor allem aber: Ohne die persönlichen Kontakte zu ehemaligen Breslauerinnen und Breslauern, die heute in Israel, in den USA, Großbritannien, Deutschland und Polen leben, hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können und wollen. Mein unendlicher Dank gilt allen meinen auskunftsbereiten GesprächspartnerInnen, die mir ihre Zeit und Vertrauen geschenkt haben und ihre Familiengeschichten sowie ihre sehr persönliche Erinnerungen anver-
Danksagung
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trauten. Die Begegnungen mit ihnen haben mich gelehrt, wie kompliziert und überraschend der andere Mensch ist. Vor allem die vielen Gespräche mit Karla Wolff, Kenneth Arkwright, Wolfgang Nossen, Eryk Friedman (sel. A.), David Ringiel (sel. A.) und Cyla Zylbertal (sel. A.) sowie ihre Geduld bleiben mir als große Hilfe in Erinnerung. Ihnen verdanke ich jede erdenkliche, hilfreiche Unterstützung und viele anregende Diskussionen. Viele Kollegen und Freunde haben mit konstruktiver Kritik, kreativen Ideen und substanziellen Hilfeleistungen zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen, unter ihnen ganz besonders: Prof. Natalia Aleksiun, Prof. Abraham Ascher, Prof. Fritz Stern und Dr. Benjamin Sklarz. Dafür gilt Ihnen mein großer Dank. Mein besonderer Dank gebürgt Katja Odenthal, die mit viel Geduld und Offenheit die intensive Textkorrektur übernommen hat. Für ihre Empathie und Hilfsbereitschaft sowie für ihre konstruktiven, inhaltlichen Anmerkungen und Ratschläge bin ich ihr sehr verbunden. Ohne den Zuspruch und die Motivation durch meine Familie, Freundinnen und Freunde wäre dieses Buch nicht entstanden. Ich danke von Herzen Magdalena Kościńska-Krause, Hans und Sophie Krause dafür, dass sie für mich ein zweites Zuhause in Berlin schufen, mir während des ganzen Entstehungsprozesses des Buches immer zur Seite standen und mich in vielerlei Hinsicht unterstützten. Karla und Moshe Wolff danke ich ganz herzlich für ihre Freundschaft, Ausdauer und Geduld. Meine Recherchen in Israel wären ohne ihre Aufmunterung und Unterstützung nicht möglich gewesen. Agata Majdzińska danke ich ganz herzlich nicht nur für verschiedenste Hilfeleistungen, sondern vor allem für langjährige Freundschaft und die so häufig nötige Ermutigung. Last but not least möchte ich meinen Eltern für ihre größtmögliche Unterstützung während der Abfassung der Arbeit danken. Durch ihr Vertrauen an mich, ließen sie mich nicht vergessen, dass das was ich mache, wichtig ist. Dieses Buch ist meinen Eltern sowie allen jüdischen Bewohner von Breslau und Wrocław gewidmet. Katharina Friedla
Jerusalem, im Oktober 2014
Vorwort
In ihrer Studie untersucht Frau Friedla das jüdische Leben in Breslau zwischen Weimarer Republik und Nachkriegszeit. Die „Perspektive der Verfolgten“, ihre Lebenswelten stehen dabei im Mittelpunkt. Damit wird ein Gegengewicht zu den staatlich kontrollierten Quellen während der nationalsozialistischen und kommunistischen Regimes gebildet, zugleich aber auch deutlich gemacht, dass die Juden nicht nur „Objekte“, sondern auch „aktiv Handelnde“ waren. In erster Linie stützt sich Frau Friedla auf Selbstzeugnisse. Einige Erinnerungen sind publiziert, andere finden sich in Archiven. Darüber hinaus hat Frau Friedla selbst rund 40 lebensgeschichtliche Interviews in jiddischer, polnischer oder deutscher Sprache durchgeführt und weitere 50 ausgewertet, die archiviert sind. Hinzu kommen umfangreiche Recherchen in 18 Archiven in den USA, Israel, Polen und Deutschland sowie die – höchst ergiebige – Durchsicht zahlreicher Zeitungen, Zeitschriften und Mitteilungsblätter. Bei ihrem theoretisch-methodischen Zugang orientiert sich Frau Friedla am lebensweltlichen Ansatz, an der Selbstzeugnis- und an der Erinnerungsforschung. In jedem Kapitel verfolgt sie überzeugend ein ähnliches darstellerisches Verfahren: Sie beginnt mit persönlichen Erinnerungen von jüdischen Zeitzeugen, um dann auf dieser Grundlage die jeweiligen Zusammenhänge zu entwickeln oder zu rekonstruieren, immer wieder neu abgestützt durch Selbstzeugnisse und Lebensberichte. Dadurch, dass sich Frau Friedla nicht auf die Zeit des „Dritten Reiches“ beschränkt, sondern die Verhältnisse während der Weimarer Republik und insbesondere während der Nachkriegsperiode einbezieht, treten die Kontinuitäten und Brüche deutlich hervor. Das gilt namentlich für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Identitätskonzepte und die Strategien der Selbstbehauptung. Um der Erinnerung willen hat sich Frau Friedla bemüht, die Folgen jeder Maßnahme oder die Vorgänge um jede Deportation genau zu rekonstruieren. Obwohl sich das Schicksal der Breslauer Juden grundsätzlich nicht vom Schicksal aller anderen Juden in Deutschland unterscheidet, kann Frau Friedla im Einzelnen doch eine Anzahl Besonderheiten herausarbeiten. Insgesamt besticht die Arbeit durch eine sehr gründliche und
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Vorwort
sorgfältige Auswertung der Quellen sowie eine präzise Darstellungsweise. Es entsteht ein differenziertes Bild der verschiedenen Formen des jüdischen Selbstverständnisses sowie der lebensweltlichen Einflüsse auf Denken und Verhalten. Besonders eindrucksvoll schildert Frau Friedla Beispiele für die „Doppelzugehörigkeit“ (Alphons Silbermann) vieler Juden in Breslau, zu deren Lebenswelt das „Grenzgängertum“ zwischen zwei Welten gehörte. Einer der roten Fäden, die sich durch das Buch ziehen, stellt das Verhältnis zwischen „deutschen“ und „polnischen“ Juden dar. Bereits während der 1920er-Jahre gab es Konflikte mit den zuwandernden „Ostjuden“. Trotz fortbestehender Vorbehalte erfuhren diese dann doch angesichts ihrer Ausweisung Ende Oktober 1938 vielfältige Hilfe seitens der „westlich“ orientierten Juden. Die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik fasste alle, die sie zu Juden erklärte, zur „Schicksalsgemeinschaft“ zusammen. Dennoch waren selbst in den Gettos und Lagern die Beziehungen nicht spannungsfrei. Offen brachen die Gegensätze in der Nachkriegszeit wieder auf. Die überlebenden Breslauer Juden sahen schließlich, bis auf wenige Ausnahmen, in Wrocław keine Perspektive mehr und verließen ihre Heimat. Es zeigt sich, dass die Kluft zwischen „Ost- und Westjuden“ und die Unterschiede im Selbstverständnis nicht nur antisemitisch konnotierte Konstruktionen und Fremdzuschreibungen waren – wie manchmal angenommen wird –, sondern auch ein Selbstbild vieler Juden mit langen Traditionen. Das berechtigt zur Aufnahme dieser Studie in die Reihe „Lebenswelten osteuropäischer Juden“. Darüber hinaus leistet Frau Friedla einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Juden in Polen nach 1945 – von der kurzzeitig blühenden „jüdischen Autonomie“ bis zu den Wellen aufflammender Judenfeindlichkeit und deren verheerenden Folgen. Frau Friedla hat in einem außergewöhnlichen Umfang Quellen ausgewertet. Durch die Perspektive der Akteure und ihrer Schicksale werden strukturelle Eigenheiten und Mechanismen wesentlich stärker sichtbar, als es durch einen Blick „von außen“ möglich wäre. Dieses wichtige Buch verdient eine weite Verbreitung. Basel/Elzach-Yach, 1. März 2014
Heiko Haumann
1 Einleitung
Die Breslauer Juden sind in alle Welt zerstreut, ein guter Teil ist aber nach Erez Israel gekommen. Wenn wir an Breslau denken, dann nicht mehr an Breslau, das noch da ist, sondern an unser Breslau, das einst war und nun dort ist, wo Sura und Pumpedita, Toledo und Cordova, Worms, Wilna und viele andere Zentren jüdischen Lebens sind: in unserer Galuthgeschichte. (Vera London-Rosenbaum) 1 Ich emigrierte mit einem großen Groll gegenüber Polen, dass es mich nicht hat haben wollen, dass Polen mich nicht zu schätzen wusste und mich am Ende rausgeschmissen hat. Erst 1980, als ich von der ‚Solidarność‘-Bewegung hörte, stellte ich fest, dass das, was in Polen passierte, viel wichtiger als mein jüdischer Schmerz und mein Trauma ist. Dann fuhr ich das erste Mal wieder nach Polen zurück. Ich freute mich. Ich war sehr stolz auf Polen, weil es in mir tief verankert ist und es für immer bleiben wird. Unabhängig davon, was ich über dieses Land auch sage und denke. (Walenty Cukierman) 2
Mitte der 1990er-Jahre sah ich zum ersten Mal den jiddischen Dokumentarfilm des Regisseurs Natan Gross – „Der Yiddishe Yishuv in Nidershlezye, 1947“. 3 Wenn auch dieser kurze, 15 Minuten lange Film in einer propagandistischen Manier der damaligen polnischen Volksrepublik entstand und vor allem die Zugehörigkeit Schlesiens zum polnischen Staat rechtfertigen sollte, offenbarte dieser das vielfältige Leben der dort angesiedelten polnischen Juden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
1
2 3
London-Rosenbaum, Vera: Breslau (geschrieben 1945, als Breslau drei Wochen beschossen wurde), in: Die Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer (und Schlesier) in Israel (MVBI), Nr. 73, 2002, S. 17; vgl. Archiv des Leo Baeck Instituts Jerusalem (ALBIJ), London-Rosenbaum, Vera: Breslau (geschrieben 1945, als Breslau drei Wochen beschossen wurde), Sig. 64. Interview mit Walenty Cukierman, in: Torańska, Teresa: Jesteśmy. Rozstania 68. Warszawa 2008, S. 297. ‚Die jüdische Ansiedlung in Niederschlesien‘. Der Dokumentarfilm entstand in Zusammenarbeit zwischen Natan Gross und den Brüdern Shaul und Yitzhak Goskind, Begründer der jiddischen Film-Genossenschaft ‚Kinor‘ in Polen.
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Einleitung
Einige Zeit später begab ich mich auf die Spurensuche dieser ausgelöschten jüdischen Lebenswelt 4 in Wrocław. 5 Noch während meines einjährigen Studienaufenthaltes an der dortigen Universität begann ich die noch sehr wenigen in der Stadt verbliebenen Juden zu interviewen und ihre Schicksale zu erforschen. Parallel erkundete ich die deutsch-jüdische Geschichte der Stadt vor 1945. Ein paar Jahre später, als ich vorübergehend in Israel lebte, trat ich in Kontakt mit dem „Verband ehemaliger Breslauer in Israel“. Dies führte dazu, dass ich vielen ehemaligen Breslauer Juden begegnete, die mir ihre Lebensgeschichten anvertrauten und mich letztendlich dazu animierten, mich mit diesem Thema intensiver auseinanderzusetzen. Hinzu kam auch die Teilnahme an dem in Aschkelon bei Tel Aviv jährlich organisierten Treffen (dem sogenannten „Reunion“) 6 der polnisch-jüdischen Emigranten aus Polen, während dessen ich mit einer großen Gruppe der ehemaligen Bewohner Wrocławs in Berührung kam. Diese Begegnungen eröffneten vor mir eine ganz andere historische Perspektive und gaben mir die Anregung, die Geschichte des jüdischen Breslau/ Wrocław in einen Forschungsstrang zusammenzufassen sowie die Zäsur zwischen dem Ende der Weimarer Republik und den ersten Jahren der Volksrepublik Polen als „eine Geschichte“ zu untersuchen. Demzufolge steht im Mittelpunkt dieser Arbeit die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Breslau/Wrocław in den Jahren 1933 bis 1949. Die oben angeführten Zitate veranschaulichen, dass diese Zeit sich nicht nur in die Identitätskonzepte des Jüdischseins eingeschrieben hat, sondern ein Einschnitt war, der auch den Namen und die Identität einer Stadt grund-
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Zum Begriff der ‚Lebenswelt‘ siehe im Unterkapitel ‚Methodische Überlegungen und Begriffe‘. In der Arbeit wird die zum jeweiligen Zeitpunkt gültige Schreibweise benutzt, um den Unterschied zwischen der deutschen Stadt und der nach dem Krieg werdenden polnischen Stadt Wrocław zu betonen. Das Gleiche betrifft die Straßennamen. Das erste Treffen der jüdischen Emigranten aus Polen fand 1989 im israelischen Aschkelon statt. Zunächst versammelten sich dort Personen, die infolge der antisemitischen Kampagne vom März 1968 Polen verlassen mussten. Allmählich folgten ihnen auch Auswanderer, die Polen Ende der 1940er- oder Mitte der 1950er-Jahre verlassen haben.
Einleitung
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legend verändert hat. Breslau gehörte vor dem „Zivilisationsbruch“ 7 der Schoah zu den bedeutendsten und florierendsten Zentren des jüdischen Lebens in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die nunmehr polnisch gewordene Stadt zu einer der größten jüdischen Ansiedlungen in der damaligen Volksrepublik Polen. In dieser europäischen Metropole kam es zu einem vollständigen Bevölkerungstransfer und mithin zu einem Bruch jeglicher kultureller und personeller Kontinuität. Breslau wurde zu Wrocław, einer „Stadt ohne Gedächtnis“ und Identität. 8 Unter diesem Aspekt wären womöglich auch Stettin oder eventuell Danzig als Untersuchungsgegenstand geeignet. Doch Breslau unterscheidet sich durch weitere historische Besonderheiten von diesen Städten. Zum einen gingen von Breslau vor dem Nationalsozialismus wichtige Impulse für das jüdische Leben weltweit aus, die sich sowohl auf das ethnisch-religiöse Judentum als auch auf vielfältige kulturelle Aspekte bezogen. Zum anderen sollte in eben dieser Stadt und auf dem Gebiet Niederschlesiens der Schwerpunkt jüdischer Ansiedlung in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg liegen und eine „jüdische Autonomie“ in dieser Region entstehen. Die Erinnerung an die Breslauer Juden, ihre Ausgrenzung, Unterdrückung, Verfolgung und Ausrottung durch das nationalsozialistische Regime, aber auch die Geschichte des polnisch-jüdischen Wrocław wurden infolge des Kalten Krieges ausgeblendet. In der Volksrepublik Polen wurde die jüdische Geschichte der frühen deutschen Ostprovinzen als ein Teil der deutschen Tradition und Geschichte wahrgenommen und galt im Zusammenhang mit den Zwangsmigrationen nach 1945 als ein Tabubereich. Dieser mögliche Forschungsgegenstand konnte erst nach dem politischen Umbruch 1989 vollständig enttabuisiert werden. In Westdeutschland wiederum lag die Geschichte der Juden in den ehemaligen preußischen Ostprovinzen lang im Schatten der Erinnerung. Vor allem die Vertriebenenverbände, die als Träger der Erinnerung an den ehemaligen deutschen Osten gesehen wurden und die Erinnerungspolitik in gewissem Sinne monopolisierten, zeigten wenig Interesse, sich mit diesem Teil ihres kulturellen Erbes auseinanderzusetzen, das ja zugleich ein gesamtdeut7 8
Diner, Dan (Hrsg.): Zivilisationsbruch: Denken nach Auschwitz. Frankfurt a. M. 1988. Vgl. Thum, Gregor: Die fremde Stadt Breslau 1945. München 2003, S. 498–501.
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sches und europäisches ist. Erst in den letzten Jahren, mit den intensiven und kontroversen Debatten und politischen Diskussionen über die in Berlin gegründete „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ rückte das Thema Flucht und Vertreibung in Deutschland erneut in das Blickfeld des öffentlichen Interesses. Dabei wurden aber wieder das deutsch-jüdische Erbe des ehemaligen preußischen Ostens sowie die Schoah ausgeklammert. 9 Dies überrascht umso mehr, als es die deutschen Juden waren, die als Erste ihrer Heimat beraubt, vertrieben und ermordet wurden. Somit wurde die Geschichte der Juden in Breslau/Wrocław sowohl in der kollektiven Erinnerung aber auch in den wissenschaftlichen Diskursen in Deutschland und in Polen bis heute nicht ausreichend rezipiert. 10 9
Loose, Ingo: Die Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel e. V. 1958–2009, in: MVBI, Nr. 84, 2009, S. 12; vgl. ders.: Alte Heimat in der neuen. Der Verband ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel e. V. und seine Mitteilungen von 1958 bis heute, in: Eiden, Maximilian (Hrsg.): Von Schlesien nach Israel. Juden aus einer deutschen Provinz zwischen Verfolgung und Neuanfang. Görlitz 2010, S. 46–64. 2008 wurde die ‚Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung‘ durch den Deutschen Bundestag gegründet. Seitdem war diese vor allem durch politische Verwerfungen und den Austritt von ausländischen Beiratsmitgliedern in der Öffentlichkeit präsent. Lange Zeit war auch kein Ausstellungskonzept für die museale Dokumentationsstätte vorgelegt. Erst eine Gruppe von renommierten deutschen Historikern legte im September 2010 konzeptionelle Überlegungen für die Ausstellungen der Stiftung vor. Zur möglichen musealen Darstellung von ‚Flucht und Vertreibung‘ während des Zweiten Weltkrieges und in der unmittelbaren Zeit danach haben die Autoren einen sehr wichtigen Beitrag erbracht. Zur angemessenen Darstellung der historischen Vorgänge in der Ausstellung setzte das erwähnte Konzept auf mikrohistorische Perspektive, auf die Darstellung von Orten des Zusammenlebens und der Zwangsmigrationen. Dabei hat unter anderem die Stadt Breslau/Wrocław Erwähnung gefunden, siehe, ‚Konzeptionelle Überlegungen für die Ausstellung der ‚Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung‘‘, unter http://www.hsozkult.de/forum/type=diskussionen&id=1355 (abgerufen am 10. September 2010). 10 In Studien einiger deutscher und polnischer Historiker wurde die Zeitperiode von 1933 bis 1949 fragmentarisch behandelt, siehe u. a.: Thum: Die fremde Stadt Breslau; Hofmann, Andreas R.: Die Nachkriegszeit in Schlesien. Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik in den polnischen Siedlungsgebieten 1945–1948. Köln/Weimar/Wien 2000; Hirsch, Helga: Gehen oder bleiben? Deutsche und polnische Juden in Schlesien und Pommern 1945–1957. Göttingen 2011; Ziątkowski, Leszek: Dzieje Żydów we Wrocławiu. Wrocław 2000; Meng, Michael: Shattered Spaces:
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In Anbetracht dessen wird unter anderem zur Aufgabe dieser Studie, die Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung sowohl der deutschen als auch der polnischen Juden im Breslau und Wrocław im globalen Kontext der Zwangsmigrationen zu platzieren. In dieser Stadt überlagerten sich nämlich parallel mehrere Vertreibungen, die damit verbundenen Heimatverluste und Identitätskrisen: die „Aussiedlung“ der deutschen Bevölkerung, die Ansiedlung der Polen, die Zwangsumsiedlung der Ukrainer, die Vertreibung der zurückgekehrten Angehörigen der deutsch-jüdischen Gemeinschaft sowie die gezielte Ansiedlung der polnischen Schoah-Überlebenden. 11 Was die vorliegende Arbeit aber von den bisherigen Studien sowohl zu der jüdischen Geschichte Breslaus/Schlesiens als auch der Geschichte der polnischen Juden in Wrocław und generell in der Volksrepublik Polen unterscheidet, sind ihre Fragestellung und die Darstellungsweise, in dessen Fokus die jüdischen Protagonisten stehen. Die Breslauer deutsch-jüdische und polnisch-jüdische Lebenswelten existieren nicht mehr. Dieses Zentrum deutschen Judentums mit seiner vielfältigen Kultur und einem Wirtschaftsleben von europäischer Bedeutung war spätestens seit 1944 ausgelöscht. Mit der Deportation und Ermordung der jüdischen Einwohner sowie der Flucht und Vertreibung wurde diese florierende jüdische Lebenswelt zerstört. Das Schicksal der deutschen Juden in Encountering Jewish Ruins in Postwar Germany and Poland. Cambridge 2011; Ascher, Abraham: A Community under Siege. The Jews of Breslau under Nazism. Stanford 2007; Lenarcik, Mirosława: A Community in Transition: Jewish Welfare in Breslau – Wrocław. Opladen/Farmington Hills, MI, 2010. Allmählich beginnen deutsche und polnische Forschungseinrichtungen, sich mit diesem Thema zu befassen und somit die bestehenden Forschungslücken zu schließen. Beispiele hierfür sind einige Konferenzen (und daraus resultierende Sammelbände), die in den letzten Jahren stattgefunden haben: 2011, Internationale Tagung in Berlin ‚Das war mal unsere Heimat …‘ – Jüdische Geschichte im preußischen Osten, veranstaltet durch die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas Berlin und die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung; Konferenz ‚To stay or go? Jews in Europe in the immediate aftermath of the Holocaust‘, organisiert in Zusammenarbeit zweier Warschauer Institute (des Jüdischen Historischen Instituts und des Deutschen Historischen Instituts). 11 Eine vergleichende Analyse der Vertreibungen findet sich u. a. bei Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956. Göttingen 1998.
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den früheren Ostgebieten fiel, zumindest in Europa, einem zweifachen Vergessen anheim. Darüber hinaus wartet auch die Geschichte der polnisch-jüdischen Bewohner Wrocławs auf weitere historische Untersuchungen. Dank des Bemühens einzelner ehemaligen Breslauer Juden in Israel, welche in sich die Verpflichtung fühlten, in einer geeigneten Form das Andenken an die alte Heimatgemeinde zu ehren, wurde der bereits erwähnte „Verband ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel e. V.“ im Jahre 1958 gegründet. 1961 erschien auf die Initiative des Gründers des Vereins, Dr. Seev Wilhelm Freyhan, das erste Exemplar der „Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel“. Auf dieser Weise wurde die Verbindung zwischen den über die ganze Welt durch die Nationalsozialisten verstreuten Juden Breslaus geschaffen, vor allem aber die Erinnerung an die Gemeinde Breslau aufrechterhalten. 2011 erschien die letzte Nummer der „Mitteilungen“. Die Zahl der Mitglieder des Verbandes schrumpft immer mehr, sodass der Vorstand des Verbandes entschied, sich der „Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft“ 12 anzuschließen. 13 Mordechai Hauschner, Redakteur der „Mitteilungen“, schreibt in der letzten Ausgabe vom September 2011: Wir verbleiben in der Hoffnung, dass auch in der Zukunft Gelehrte und Historiker sich mit dem Judentum Breslaus und Schlesiens befassen werden und bisher Unbekanntes an das Licht der Öffentlichkeit bringen werden. 14
1.1 Fragestellung und Struktur der Arbeit Die Studie situiert die jüdischen Lebenswelten in Breslau/Wrocław in mehreren Forschungskontexten: als Rekonstruktion des jüdischen Lebens unter zwei totalitären Systemen, als Suche nach Strategien zur Selbstbehauptung und Identität sowie als Konsequenz der Verfolgungserfahrung bis in die heutige Zeit. Gerade im Kontext der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen 12 Hebr. – ארגון מרכז אירופהIrgun Mercaz Europa. 13 AA, Interview mit Dr. Benjamin Sklarz, am 12. Oktober 2010 in Petach Tikwa/ Israel; vgl. ‚Unser Verband‘, in: MVBI, Nr. 86, 2011, S. 1. 14 Hauschner, Mordechai: ‚An unsere Leser!‘, in: MVBI, Nr. 86, 2011, S. 24.
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Aufarbeitung von Zwangsmigrationen und Vertreibung will diese Arbeit eine Lücke schließen, die unter anderem die unmittelbare Nachkriegszeit in Breslau/Wrocław betrifft. Insgesamt werden die Probleme und Fragen in der wissenschaftlich bisher wenig beachteten Geschichte der Breslauer Juden im 20. Jahrhundert aufgeworfen und in einen chronologischen Zusammenhang gestellt, vor dessen Hintergrund auch Brüche erkennbar werden. Dabei wird die Perspektive der Verfolgten im Zentrum dieser Untersuchung stehen. Die Beschreibungen ihres Lebens, Denkens und Fühlens, ihre Wünsche, Ziele, Hoffnungen, Erlebnisse und Erfahrungen in ihren eigenen Worten sind die Grundlage der Auseinandersetzung mit der Geschichte. Damit umgeht man das Dilemma, wonach zur historischen Untersuchung ausschließlich staatlich kontrollierte Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus beziehungsweise des kommunistischen Regimes herangezogen werden. Diese spiegeln ausschließlich die Sicht der Täter und des Systems wider. Alexander von Plato legitimierte diesen Ansatz der Geschichtsschreibung, indem er festhielt, dass zu den Kernkomponenten der Geschichte „Subjekte im Umgang mit den Zwängen und Möglichkeiten ihrer Zeit, ihre Sicht, ihre Erfahrung und schließlich ihre Verarbeitung“ gehören. 15 Die Wahrnehmung und Sichtweise des Einzelnen werden verbunden mit den Erfahrungen anderer Menschen sowie mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. 16 Diese Arbeit eröffnet damit die Chance, eine Geschichte von Menschen mit Namen und unterscheidbarer Narrative zu schreiben. In den Worten und mit den individuellen Stimmen der Betroffenen wird deutlich, dass Juden nicht namenlose, ohnmächtige und passive Opfer der nationalsozialistischen Politik waren, sondern selbst aktiv auf die Entwicklung der Ereignisse reagierten, Verteidigungsstrategien entwickelten und sich in ihrer Heimat, 15 Von Plato, Alexander: Zeitzeugen und die historische Zunft. Erinnerung, kommunikative Tradierung und kollektives Gedächtnis, in: BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History, Jg. 13 (2000), S. 5–29, zitiert nach: Löw, Andrea: Juden im Ghetto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Göttingen 2006, S. 9. 16 Haumann, Heiko/Mäder, Ueli: Erinnern und Erzählen. Historisch-sozialwissenschaftliche Zugänge zu lebensgeschichtlichen Interviews, in: Leuenberger, Marco/ Seglias, Loretta (Hrsg.): Versorgt und vergessen. Ehemalige Verdingkinder erzählen. Zürich 2008, S. 279–287, hier S. 286.
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solange sie konnten, behaupteten. 17 Anhand der zahlreichen, individuellen Schicksale wird erst das Reaktionsvermögen des jeweiligen Protagonisten auf die Verfolgung sichtbar. Zu der Fragestellung gehören vor allem die Selbstbehauptung und Identitätskonstruktion sowie ihr Wandel infolge der Verfolgungserfahrung; Selbstwahrnehmung und Verhalten; Umgangs- und Überlebensstrategien. Die Erkenntnisse sollen anhand von zeitgenössischen Berichten während der Verfolgung und als biografische Rückblicke, die aus zeitlicher Distanz erfolgen, gewonnen werden. Wichtige Leitfragen dabei sind: Wie haben die Breslauer Juden auf die sich gravierend verschlechternde Wirklichkeit ihres Daseins reagiert? Wie empfanden die Betroffenen selbst die Verdrängung? Welche Strategien im Umgang mit dem Niedagewesenen waren möglich im Angesicht dessen, dass ihr Leben zunehmend von äußeren Zwängen beherrscht wurde? Welche Handlungsspielräume gab es, welche Reaktionen auf die Verfolgungssituation waren möglich, welche Überlebensstrategien wendeten sie an? Wie konnten sie sich behaupten, welche Identitätskonstruktionen halfen ihnen? Wo waren die Schnittstellen zwischen dem jüdischen Leben in der Stadt vor und nach dem Zweiten Weltkrieg? Die Studie ist chronologisch aufgebaut und orientiert sich an den Phasen der politischen Entwicklung. Das historische Umfeld der Weimarer Republik sowie der Ausblick nach 1949 sind bedeutend, um die Brüche und gegebenenfalls Kontinuitäten in den Biografien und der Geschichte der Stadt auszumachen und diese zu verstehen. Im ersten Kapitel werden die jüdischen Lebenswelten zur Zeit der Weimarer Republik anhand verschiedener Selbstzeugnisse dargestellt. Hier stellen sich zum einen die Vielfalt der jüdischen Aktivitäten in der Stadt dar und zum anderen die Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten der jüdischen Minderheit mit der Mehrheitsbevölkerung. Im Fokus steht dabei auch die Frage nach den Identitätskonstruktionen der Breslauer Juden der damaligen Zeit, und dies wird insbesondere am Beispiel der jüdischen Jugendbewegung und der heranwachsenden Generation analysiert. Das zweite Kapitel stützt sich auf eine ausführliche Betrachtung der Schicksale der Breslauer Juden vor dem Hintergrund der Ereignisse des Na17 Vgl. Richarz, Monika (Hrsg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1918–1945. Stuttgart 1982.
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tionalsozialismus. Hierfür wird nach den Möglichkeiten der Selbstbehauptung der jüdischen Gemeinschaft 18 sowohl auf der individuellen als auch kollektiven Ebene gefragt. Darüber hinaus werden in diesem Abschnitt Schicksale der osteuropäischen Juden miteinbezogen sowie derjenigen Personen, die in sogenannten „Mischehen“ lebten. Die fortschreitende Eskalation des nationalsozialistischen Terrors wird vor dem Hintergrund des Novemberpogroms 1938, dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis hin zur Zwangsarbeit, Deportation und dem Massenmord deutlich. Diese Ereignisse und weitere Vorkommnisse, die den „Alltag“ der Zeitzeugen bestimmt haben, werden aus der Sicht der Betroffenen rekonstruiert. Anschließend geht es im zweiten Teil dieser Untersuchung um den Umbruch des Jahres 1945. Die deutschen Juden, die als Schoah-Überlebende nach dem Krieg in ihre Heimatstadt zurückkamen, wurden mit einem Breslau konfrontiert, das nicht nur seinen Namen geändert hatte. Dieser Teil der Arbeit beschäftigt sich mit dem Versuch der Re-Etablierung des jüdischen Lebens in der Stadt – allerdings in einer anderen Ausprägung als vor dem Krieg. Unter den noch anwesenden Deutschen und bereits umgesiedelten christlichen beziehungsweise nichtjüdischen Polen ließen sich dort Tausende polnisch-jüdische Überlebende nieder. Die neuen politischen Macht- und Grenzverhältnisse der Volksrepublik Polen boten nicht nur das Umfeld für den Wiederaufbau des jüdischen Lebens. Auch die Ursachen für den jüdischen Exodus und die damit verbundenen Schwierigkeiten sind nicht ohne die gesamtpolitische Lage zu verstehen. So erwies sich die Stadt Breslau/ Wrocław für die meisten jüdischen Bewohner lediglich als Zwischenstation auf dem Weg in die Emigration. Der Wandel eines Systems hin zum Totalitarismus vollzieht sich in Schritten: Wie reagieren die Menschen individuell und als Gemeinschaft auf die Diskriminierung? Welche Beurteilung ihrer Situation geben sie? Und schließlich: Gibt es gesellschaftliche Dynamiken, die sich in den beiden totalitären Systemen ähneln?
18 Die jüdische Gemeinschaft meint in dieser Arbeit alle Menschen, die in der Definition des Nationalsozialismus unter den Begriff ‚Jude‘ fallen. Diese Entscheidung fußt auf der These, dass die Selbstbehauptung in Abgrenzung zu dieser fremdbestimmten Zuschreibung erfolgt.
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Die Komplexität eines solchen politischen Systems kann sicher nicht in allen Dimensionen miteinander verglichen werden. In dieser Hinsicht bleibt das nationalsozialistische Terrorregime für die jüdische Gemeinschaft singulär, weil ihr erklärtes Ziel die Vernichtung dessen war, was das System als „jüdisch“ definierte. Von der sprachlichen Definition, was „jüdische Identität“ ausmacht, bis hin zur physischen Vernichtung in Konzentrations- und Vernichtungslagern übertrat dieses Regime alle Grenzen, die zu einem menschenwürdigen Leben gehören. Während des kommunistischen Regimes werden die politische Machthabe und der Umbau zur sozialistischen Gesellschaftsordnung zur Hauptdynamik der Nachkriegszeit. Wrocław, das zu der Zeit immer noch über eine leicht heterogene Stadtbevölkerung mit deutscher und jüdischer Minderheit verfügte, sollte im Rahmen der Stalinisierung auf eine sozialistisch definierte Homogenität reduziert werden. Entscheidender Anteil der Identität wurde dort die Zugehörigkeit zur politisierten Volksgemeinschaft. Die Auswirkung dieser Systeme auf die jüdische Minderheit war in beiden Fällen destruktiv und führte in unterschiedlichen Qualitäten zu Verdrängung, Vertreibung und Mord. In welcher Form dies die Situation der Betroffenen veränderte, lässt sich ihren subjektiven Beschreibungen entnehmen. Neben den von den totalitären Regimen gesetzten Lebensbedingungen und ihrer Rezeption durch den Einzelnen werden auch das sich daraus ergebende Verhalten und die Entscheidungen im Mittelpunkt stehen, da diese Aufschluss über die Identität und deren Selbstbehauptung geben. In diesem Sinne ist die Auswahl der Zeugnisse selektiv und bezieht sich, wie bereits beschrieben, auf die subjektive Perspektive. Der historische Kontext wird insofern ausgeführt, wie er zum Verständnis der Zeugnisse notwendig ist. Eine detaillierte Beschreibung der sogenannten „Judenpolitik“ ist an dieser Stelle nicht möglich und auch nicht beabsichtigt. Sie erfolgt insoweit, wie die Regierungsmaßnahmen eine direkte oder indirekte Wirkung auf die jüdische Gemeinschaft oder einzelne Mitglieder ausübten. Eine ausführlichere Darstellung der „objektiven“ historischen Ereignisse in positivistisch fassbaren Daten und Zusammenhängen ist im Forschungsfeld bereits geleistet und wird im Rückgriff in die Arbeit miteinbezogen. Im Rahmen dieser Untersuchung erfolgt eine Verlagerung der Sichtweise „von außen nach innen“, um neue Thesen zu entwickeln. Darü-
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ber hinaus folgt diese Arbeit insofern einem Paradigmenwechsel in der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung, da die Individuen in ihren Lebenswelten und in ihren Zeugnissen als historische und politische Subjekte hervortreten und sich zu der reduzierenden Einordnung in die Begrifflichkeiten und in die Struktur des sie diskriminierenden Systems ins Verhältnis setzen können.
1.2 Quellengrundlage In dieser Studie sollen ganz unterschiedliche Quellengattungen ausgewertet und die daraus gewonnenen Informationen miteinander verknüpft werden. Die wichtigste Basis sind hier die von den deutsch- und polnisch-jüdischen Einwohnern der Stadt selbst erzeugten Dokumente. Tagebücher, Autobiografien, Memoiren, Zeugenberichte, Erinnerungen und Briefe erlauben einen ausschnitthaften Einblick in das Leben der Vergangenheit und halten Gefühle und Reaktionen fest, die die Zeitgenossen der damaligen Ereignisse beschäftigten. 19 Die Rekonstruktion der jüdischen Lebenswelten, die sich aus den Ego-Dokumenten 20 ergibt, soll durch Archivquellen, die zeitgenössische Presse und die Sekundärliteratur ergänzt werden. Als Fundgrube für diese Quellengattung erwies sich das Archiv Yad Vashem in Jerusalem. In diesem Archiv stehen zahlreiche Zeugenaussagen der ehemaligen jüdischen Einwohner der Stadt, Interviews sowie Prozessakten zu Verfügung. Von Vorteil ist die Tatsache, dass die meisten der dort aufbewahrten Selbstzeugnisse noch während des Krieges oder unmittelbar danach erstellt worden waren. Auch im Archiv des Leo Baeck Instituts in New York fanden sich zahlreiche Memoiren und Zeugenberichte der ehemaligen Breslauer Juden. Ähnlich wie im Falle des Yad Vashem Archivs wurden diese ebenfalls vorwiegend bis Anfang der 1950er-Jahre verfasst. Darüber hinaus waren Erinnerungsberichte aus Breslau seltener und vereinzelt im The Central Archives for the 19 Vgl. Volkov, Shulamit: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays. München 1990, S. 132. 20 Zum Begriff der ‚Ego-Dokumente‘ siehe im Abschnitt: ‚Methodische Überlegungen und Begriffe‘.
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History for the Jewish People sowie im Archiv des Leo Baeck Instituts in Jerusalem vorhanden. Eine Anzahl wichtiger Informationen lassen sich dem Archiv der Synagogengemeinde Breslau, das im Jüdischen Historischen Institut in Warschau aufbewahrt wird, entnehmen. Das Archiv hat eine lange Geschichte. Bei der Auflösung der Breslauer Gemeinde im Juni 1943 wurden die Akten dieses Archivs in die Baulichkeiten des Jüdischen Friedhofs Cosel überführt. Die auf dem Friedhof gelagerten Akten blieben völlig vergessen und unbeachtet. Nach der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee wurde dieser Bestand auf dem Friedhofsgelände vorgefunden. Im Jahre 1947 wurde dieser nach Łódź und von dort nach Warschau in das Archiv des neugegründeten Jüdischen Historischen Instituts gebracht. 21 Der Bestand des Gemeindearchivs ist bedingt durch seine wechselhafte Überlieferungsgeschichte besonders für die Jahre 1938 bis 1945 nur fragmentarisch erhalten geblieben. Der Aktenbestand ist nicht vollständig, da Teile während des Krieges verloren gegangen sind oder vernichtet wurden. Diese wertvolle Sammlung besteht dennoch aus über 3.200 Archiveinheiten, aus denen die Tätigkeit der Gemeinde und ihrer Organisationen zumindest bis 1938 relativ gut und übergreifend dokumentiert ist und in die Untersuchung mit einbezogen werden konnte. Darüber hinaus befindet sich im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau auch eine umfangreiche Materialbasis, die das Leben der Juden in Wrocław nach 1945 ausführlich dokumentiert. Hierfür wurden unter anderem Akten des Zentralkomitees der Juden in Polen (1945–1950), der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission und Zeugenberichte gesichtet. Insgesamt ist die Quellenlage für die Zeit des Nationalsozialismus sowohl hinsichtlich der Akten der jüdischen Gemeinde als auch der staatlichen Dokumentation äußerst spärlich. Die Archivbestände des Staatsarchivs in Wrocław sind vor allem für die 21 Zu der Geschichte des Gemeindearchivs siehe, Brilling, Bernhard: Das Archiv der Breslauer Jüdischen Gemeinde (Das schlesisch-jüdische Provinzial-Archiv). Seine Geschichte und seine Bestände, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrichs-Wilhelms-Universität zu Breslau (JSFUB), Bd. 18. Berlin/München 1973, S. 258– 284, hier S. 276; Archiv Yad Vashem (AYV), Brilling, Bernhard: Erinnerungen eines jüdischen Archivars aus der Hitlerzeit, Bestand 0.1 – K. J. Ball-Kaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 95, S. 4.
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Zeit vor 1945 durch die Kriegsschäden während und unmittelbar nach den Festungskämpfen dezimiert worden. Einige Aktenbestände, die den Krieg überstanden haben, wie die der Gauleitung der NSDAP für Niederschlesien und des Polizeipräsidiums Breslau, sind durch die Überschwemmung im Jahr 1997 beschädigt oder vernichtet worden. Dagegen bieten Akten des Jüdischen Wojewodschaftskomitees Niederschlesien zu offiziellen Fragen der jüdischen Ansiedlung in der Stadt eine vielseitige Dokumentation des jüdischen Lebens nach 1945. Ferner können in der Stadt Wrocław kleine Bestände des Archivs der jüdischen Gemeinde, des Archivs der Soziokulturellen Gesellschaft der Juden, des Archivs des Instituts des Nationalen Gedenkens sowie des Archivs der Bibliothek für Jüdische Studien und Jiddische Sprache der Universität Wrocław gesichtet werden. Darüber hinaus fanden sich vereinzelt Akten mit relevanten Informationen im YIVO Institute for Jewish Research in New York, im Archiv des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen (ITS) sowie im Archiv der Neuen Akten in Warschau. Ausgesprochen ergiebig war die Durchsicht des breiten Spektrums der jüdischen Presse zur damaligen Zeit. Zahlreiche Artikel aus deutsch-jüdischen und polnisch-jüdischen Zeitschriften und Zeitungen wurden zur Rekonstruktion herangezogen. Erwähnt werden soll an dieser Stelle das bis 1938 erschienene „Breslauer Jüdische Gemeindeblatt“, das detailliert über das Leben der Gemeinde Einblicke vermittelt. Als eine besondere Quelle dieser Gattung, die bislang kaum ausgewertet wurde, fungieren die bereits erwähnten „Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel“, die in dem Zeitraum vom 1961 bis 2011 zahlreiche Erinnerungen, Berichte und persönliche Dokumente der ehemaligen Breslauer Juden veröffentlichten. Von großem Wert für die Vielfalt der Quellen erwiesen sich auch die bereits publizierten Erinnerungen und Memoiren. An dieser Stelle sind zwei Tagebücher hervorzuheben, die in den Jahren 1933 bis 1941 in Breslau entstanden. Walter Tausk beschreibt mit sehr differenziertem Blick den alltäglichen Terror in Breslau und die zunehmende Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. 22 Er dokumentiert die gesellschaftlichen und politischen Ent22 Tausk, Walter: Breslauer Tagebuch 1933–1940. Herausgegeben von Ryszard Kincel. Berlin 2000.
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wicklungen in der schlesischen Hauptstadt und die Verfolgung, die auch ihm zuteilwurde. Der zweite Verfasser, der Studienrat Willy Cohn, der als anerkannter Historiker und prominentes Mitglied der Breslauer jüdischen Gemeinde eine klare Position bezieht, beschreibt die jüdischen Lebenswelten aus einer völlig anderen Perspektive als Walter Tausk. 23 Die Kombination beider Quellen öffnet somit ein weites Spektrum jüdischer Vielfalt und vermittelt durch die individuelle Prägung und Interpretation einen tiefen Einblick in die Verfolgung der Breslauer Juden. Beide Tagebuchverfasser überlebten die Schoah nicht. Walter Tausk und Willy Cohn wurden während der ersten Deportation aus Breslau im November 1941 in das litauische Kaunas verschleppt und dort unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Ergänzend wurden für diese Untersuchung der Lebenswelten im jüdischen Breslau/Wrocław – sowohl der Vor- als auch der Nachkriegszeit – zahlreiche lebensgeschichtliche Interviews mit Zeitzeugen durchgeführt. 24 Die rund 40 Interviews, die zwischen 2006 und 2011 stattgefunden haben, wurden hauptsächlich in Israel, Polen und den USA durchgeführt. Es handelt sich um Tonaufnahmen, die in den Muttersprachen der Interviewpartner auf Polnisch, Jiddisch oder auf Deutsch aufgenommen und von der Autorin transkribiert wurden. Darüber hinaus konnten mehr als 30 Interviews aus der Sammlung der Shoah Foundation Institute for Visual History and Education Universitity of Southern California und etwa 20 Interviews aus den Beständen des The Avraham Hartman Institute of Contemporary Jewry, Oral History Division der Hebräischen Universität in Jerusalem erschlossen werden. 23 Cohn, Willy: Kein Recht, nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums, 1933–1941. Herausgegeben von Norbert Conrads, Bd. 1 und 2. Köln/Weimar/Wien 2007; vgl.: Conrads, Norbert: Ein Zeuge des deutschen Judentums in Breslau. Willy Cohn (1988–1941) und seine bewegenden Tagebücher, in: Eiden: Von Schlesien nach Israel, S. 23–33. 24 ‚Oral History‘ als Methode der Geschichtswissenschaft in Deutschland wurde von den Historikern um Lutz Niethammer und Alexander von Plato im interdisziplinären Austausch zu einer Methode zeitgeschichtlicher Forschung erweitert. Mittlerweile muss ihre Existenzberechtigung nicht mehr nachgewiesen werden, siehe u. a.: Von Plato, Alexander: Oral History als Erfahrungswissenschaft. Zum Stand der mündlichen Geschichte in Deutschland, in: BIOS, Nr 1, S. 97–119; Niethammer, Lutz: Oral History, in: Kowalczuk, Ilko-Sascha (Hrsg.): Paradigmen deutscher Geschichtswissenschaft. Berlin 1994, S. 189–210.
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Die Interviews wurden sowohl mit deutsch- als auch polnisch-jüdischen Gesprächspartnern durchgeführt, die ihren Lebensmittelpunkt in Breslau/ Wrocław gehabt hatten. Es wurde insofern Rücksicht auf eine gewisse Repräsentativität genommen, dass möglichst viele und aus allen Schichten der Gesellschaft stammende Personen befragt wurden. Vielfalt wurde weiterhin dadurch gewahrt, dass sowohl Zeugnisse von streng religiösen bis hin zu säkularen, zionistischen bis zu politisch indifferenten und liberalen Juden Berücksichtigung finden, ebenso wie diejenigen der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft, die in einer christlich-jüdischen Ehe zur Welt kamen. Die biografischen Überlieferungen stammen im Wesentlichen von denjenigen, die die Verfolgung, sei es in der Emigration, in Breslau im Versteck oder in Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern überlebt haben und die ganz überwiegend der jüngeren Generation angehören. Die meisten der interviewten Personen wurden zwischen 1925 und 1935 geboren. Das, was die Betreffenden in autobiografischen Interviews, meist im hohen Alter, über ihre Jugendzeit und Verfolgungserlebnisse noch wussten oder auch wissen wollten, wurde als ausreichender biografischer Hintergrund akzeptiert und in seiner Selektivität verstanden. 25 Alle Befragten haben über ihre individuellen Erfahrungen und ihre gemeinsame Vergangenheit gesprochen, und in jeder Lebensgeschichte wurden bestimmte Aspekte besonders betont. Manche der Interviewpartner gaben die Geschichten wieder, von denen sie schon häufiger berichtet hatten. Andere hingegen erzählten zum ersten Mal ihre Erlebnisse aus der Kindheit und Jugend und über ihre schmerzhafte Erfahrung der Verfolgung. Wie es der Methode des lebensgeschichtlichen Interviews entspricht, wurde das offene Gespräch nur bei akustischen oder begrifflichen Verständnisfragen unterbrochen. Die Rolle der Interviewerin beschränkte sich auf das aktive Zuhören. Ansonsten erfolgte die Gesamtdarstellung des Lebens meist über verschiedene Sitzungen, die in zeitlicher Nähe zueinander stattfanden. In der abschließenden Sitzung erfolgten vonseiten der Autorin noch Nachfragen zur Klärung akustisch oder sinnhaft unverständlicher Äußerungen. Die in dieser Studie in Auszügen wiedergegebenen Erinnerungen wur25 Vgl. Rosenthal, Gabriele: Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen. Frankfurt a. M./New York 1995, Kapitel 3 und 4.
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den nur dann sprachlich redigiert, wenn es dem Verständnis und dem Lesefluss diente. Insgesamt erfolgten Veränderungen nur sehr zurückhaltend, da die Authentizität der Selbstauskünfte soweit wie möglich erhalten bleiben sollte. Die Zeitzeugen bedienen sich zumeist ihrer Muttersprache, die deutsch, polnisch oder jiddisch ist oder war. In der Regel wurden alle in dieser Arbeit angeführten Zitate von der Verfasserin aus der polnischen, jiddischen und englischen Sprache ins Deutsche übersetzt. Ausnahmen bilden hierbei offizielle Dokumente, die im Original in englischer Sprache zitiert werden. Bei der Schreibweise von Namen wurde tendenziell im zweiten Teil (zu Polen) die polnische Schreibweise im Text bevorzugt, bei Namen, die anders gebräuchlich sind, die jiddische belassen, die in den Quellen am häufigsten vorkommt. Die Transkription der jiddischen Sprache wurde nach den in der Wissenschaft üblichen YIVO-Transkriptionsregeln und aus dem Hebräischen nach den vereinfachten Regeln der Encyclopedia Judaica vorgenommen.
1.3 Methodische Überlegungen und Begriffe Autobiografische Schriften werden innerhalb der neueren Geschichtswissenschaft der Kategorie „Ego-Dokumente“ zugeordnet und bezeichnen Textquellen, in denen sich ein Mensch über sich äußert. 26 Im Kontext dieser Studie wird dabei sowohl auf mündliche Selbstzeugnisse in Form von Zeitzeugeninterviews als auch auf schriftliche Lebenserinnerungen zurückgegriffen. In Tagebüchern, Autobiografien, Gesprächen, Briefen und Zeugnissen erinnert sich der Mensch an die jeweiligen Stationen seines Lebens. Für die Geschichtsschreibung bringen diese primären Quellen allerdings auch besondere Herausforderungen mit sich und bedürfen einer sorgfältigen Quellenkritik. 27 Für die Analyse der Lebenswelten ergibt sich ein spezifisches Pro-
26 Schulze, Winfried (Hrsg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1996, S. 11–30. 27 Haumann, Heiko: Geschichte, Lebenswelt, Sinn. Über die Interpretation von Selbstzeugnissen, in: Hilmer, Brigitte/Lohmann, Georg/Wesche, Tilo (Hrsg.): Anfang und Grenzen des Sinns. Weilerswist 2006, S. 42–54, hier S. 42.
Methodische Überlegungen und Begriffe
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blem, das zugleich auch eine Chance ist. Die subjektive Färbung innerhalb dieser wichtigen Quellengattung bietet autobiografische oder durch Interviews gewonnene Lebenserzählungen, die aber gleichzeitig durch die Zäsur von 1933 und die Schoah geprägt sind. Die erinnerte Geschichte wird noch dazu durch den Kontext der Gegenwart und vom heutigen Selbstverständnis des Erinnernden bestimmt. 28 Darüber hinaus werden in dieser Untersuchung auch Ego-Dokumente analysiert, die während der Zeit des beschriebenen Geschehens oder unmittelbar danach verfasst worden sind. Grundlegend wichtig ist für den Forschungsschwerpunkt dieser Studie und die Quellenbetrachtung die Frage nach der Definition der „Lebenswelt“. 29 Für diese Studie wurde der lebensweltliche Ansatz herangezogen, der vor allem von Heiko Haumann in die geschichtswissenschaftlichen Studien eingeführt wurde. 30 Die Lebenswelt charakterisiert die Verbindung zwischen subjektiven und objektiven Umständen, die sich sowohl auf das Individuum als auch auf das System beziehen. 31 Im Mittelpunkt steht hier der historische Akteur beziehungsweise die Autorin und seine/ihre Sichtweise auf die Normen und Werte, Deutungsmuster, Ideologien, Milieubedingungen und die symbolischen Ordnungen, die das Handeln und die Kultur bestimmen. Der lebensweltliche Zugang bietet die Möglichkeit, geschichtliche Entwicklungen unterschiedlicher Bereiche wie Kultur, Politik oder Soziales nicht getrennt voneinander zu untersuchen, sondern sowohl das Individuum als auch die gesamte Gesellschaft als eine historische Einheit wahrzunehmen und zu betrachten. 32 In diesem Sinne wird „Identität“ im Rahmen dieser 28 Keller, Barbara: Rekonstruktion von Vergangenheit. Vom Umgang der ‚Kriegsgeneration‘ mit Lebenserinnerungen. Opladen 1996, S. 15. 29 Der Begriff ‚Lebenswelt‘ stammt ursprünglich aus der Philosophie. Dank Edmund Husserls Phänomenologie konnte sich der Lebenswelt-Begriff innerhalb der Wissenschaften etablieren. Husserl setzte die Erkenntnis, dass jede menschliche Erkenntnis subjektbezogen und damit auch die Lebenswelt dieses Subjekts durch dessen Erfahrungen und Wahrnehmungen bestimmt sei, siehe Haumann, Heiko: Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung in den Jüdischen Studien: Das Basler Beispiel, in: Hödl, Klaus (Hrsg.): Jüdische Studien. Reflexionen zu Theorie und Praxis eines wissenschaftlichen Feldes. Innsbruck 2003, S. 105–118, hier S. 109 f. 30 Ebd., S. 105–122. 31 Haumann: Geschichte, Lebenswelt, Sinn, S. 54. 32 Ebd., S. 48.
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Arbeit in einem sehr weiten Sinne verstanden: durch alle Faktoren, mit denen ein Mensch sich in Bezug zur Lebenswelt setzt. „Selbstbehauptung“ bezieht sich auf die Verteidigung dieser Zusammenhänge. Die Erforschung der Selbstzeugnisse beruht auf der möglichst authentischen Wiedergabe der subjektiven Beschreibung einer Rekonstruktion des historischen Zusammenhangs und der Entwicklung einer Interpretationshypothese. Für die Auswahl der Quellen war im Sinne des Forschungsschwerpunktes die weitere folgende Frage entscheidend: Wer gilt als Jude? In historischer Perspektive werden hier diejenigen jüdischen Personen zu Wort kommen, die aufgrund der nationalsozialistischen Definition als Juden galten und als solche der Verfolgung ausgesetzt waren. Mit dieser ausgrenzenden Stigmatisierung folgt die Arbeit zwar der Begrifflichkeit des NS-Regimes, aber nur, um im nächsten Schritt den Erfahrungen und Urteilen der als Objekte betrachteten Subjekte ihren Raum zu geben. Dabei wird deutlich, dass die Fremdwahrnehmung mit der Selbstdefinition der Subjekte in unterschiedlicher Weise in Konflikte gerät. 33 In der Arbeit werden einige Biografien und Personen angeführt, die dem Judentum in der religiös-ethnischen Perspektive formell gar nicht angehörten, sowie auch solche, die subjektiv keine Neigung zeigten, sich ihm zuzählen zu lassen. Auch Personen, die nur teilweise jüdischer Abstammung waren, wie zum Beispiel jene, die in einer „Mischehe“ 34 lebten oder als Kinder aus einer solchen Ehe hervorgingen („Mischlinge“), sind ebenfalls in dieser Untersuchung berücksichtigt. Entscheidend für diese Auswahl ist unter anderem der Gesichtspunkt, dass sie später Objekte und Opfer der Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime geworden sind. 35 Bei den zahlreichen Gesprächen und Interviews mit Breslauer Juden, den 33 Vgl. Hertzberg, Arthur: Judaismus. Die Grundlagen der jüdischen Religion. München 1993, S. 65. 34 Im Folgenden bezeichnet (christlich-jüdische) ‚Mischehe‘ die Ehe zwischen Personen, in denen der eine Teil in eine christliche, der andere Teil in eine jüdische Familie hineingeboren wurde, unabhängig davon, ob später ein Religionswechsel stattfand, vgl.: Meiring, Kerstin: Die Christlich-Jüdische Mischehe in Deutschland, 1840–1933. Hamburg 1998, S. 13. 35 Vgl. Lowenthal, Ernst G.: Die Juden im öffentlichen Leben, in: Mosse, Werner E. (Hrsg.): Entscheidungsjahr 1932. Zur Judenfrage in der Weimarer Republik. Tübingen 1966, S. 51–85, hier S. 52.
Methodische Überlegungen und Begriffe
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deutschen wie den polnischen, war die Frage nach der eigenen Identität entscheidend, wobei sowohl das Verständnis zur Zeit der Äußerung als auch das damalige in die Beschreibung der Situation einflossen. Diese Überlegungen prägen fast alle Erinnerungen, Berichte und Interviews, ohne dass in diese Richtung explizit gefragt wurde. Dies hat die Fragestellung und die Problematik dieser Arbeit bestimmt. Auch in kollektiver Hinsicht zieht diese Studie Verbindungen über das Individuelle hinaus, die einen Überblick über die Grundlinien der Entwicklung jüdischen Selbstverständnisses vor und nach der Schoah geben und grundsätzliche Zäsuren und Einflüsse benennen. Erik H. Erikson schildert die Prozesse der Identitätsbildungen in seiner Studie über „Identität und Lebenszyklus“. 36 Nach Erikson stellen die sozialen Interaktionen einen bedeutenden, identitätsstiftenden Faktor dar, der vor allem in Ausnahmesituationen an Bedeutung gewinnt. Die Teilnahme an politischen, kulturellen oder religiösen Aktivitäten, berufliche oder familiäre Bindungen verleihen dem Einzelnen das Gefühl der Beständigkeit und verhelfen der Suche nach eigener Identität. 37 In diesem Sinne verstanden ist die „jüdische Identität“ als vielfältig, äußerst komplex und ständigen Veränderungen unterworfen. 38 Sie beinhaltet den Bezug zu übergreifenden Identitäten, so beispielsweise zu der sozialen Gruppe, mit der das Individuum in Kommunikation und Interaktion steht und nicht zuletzt zu der Nation. Der Identitätsbegriff deckt viele Aspekte und Rollen ab: als religiös praktizierender Mensch, als ethnisch in eine Traditionslinie hineingeborene Person, als Kollege einer bestimmten beruflichen Umgebung, als Nachbar, als politisch aktiver oder künstlerisch tätiger Mensch, um nur einige zu nennen. Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, in welchen Kontexten die jeweiligen Identitätsaspekte auftreten und welche Veränderungen die Identitätskonzepte durch das totalitäre System durchlaufen. Dabei wird die 36 Erikson, Erik H.: Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze. Frankfurt a. M. 1966, S. 140. 37 Schwara, Desanka: Sprache und Identität: Disparate Gefühle der Zugehörigkeit, in: Hödl, Klaus (Hrsg.): Jüdische Identitäten. Einblicke in die Bewusstseinlandschaft des österreichischen Judentums. Innsbruck/Wien/München 2000, S. 139 ff., 163. 38 Vgl. Assmann, Aleida/Friese, Heidrun (Hrsg.): Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität. Frankfurt a. M. 1998; Meyer, Michael A.: Jüdische Identität in der Moderne. Frankfurt a. M. 1992; Erikson: Identität und Lebenszyklus.
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Einleitung
Zuschreibungsrichtung entscheidend: Die Zuordnung zu einer Identität kann autonom von innen oder durch ein äußeres Urteil erfolgen. Insofern ist Identität einerseits definiert als Selbstidentifizierung: Jude ist jeder auf die Weise, wie er sich selbst als Jude betrachtet. In der Fremdidentifizierung wird derjenige zum Juden, der als solcher von außen als Jude wahrgenommen wird. Anhand der Analyse der durchgeführten Interviews mit den ehemaligen Breslauer Juden wird ersichtlich, dass durch die Erinnerung und die Erzählung des eigenen Schicksals die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart geleistet wird, anhand derer die Identitätskonstruktion oder auch ihre Umwandlung erst zum Vorschein kommt. Eine Aufgabe dieser Arbeit ist es, die Vielfalt der jüdischen Identitätsaspekte zu beschreiben. Dabei erweist sich die eine „jüdische Identität“, die sich ausschließlich auf die religiöse und/oder ethnische Gemeinsamkeit bezieht, als ein zu enges Konstrukt. In der Selbstbeschreibung der Individuen erscheint ein deutlich pluralistischeres und fragmentarischeres Bild. Anhand der Betrachtung von Katrin Steffen lassen sich Spannungsfelder der jüdischen Identität herausarbeiten, die auch im Rahmen dieser Arbeit hilfreich sein werden: In einem Feld von Akkulturations- und Integrationsgrad, Zionismus und Sozialismus, säkularisierter Identität oder religiöser Orthodoxie finden sich viele Verortungsmöglichkeiten von jüdischer Identität. 39 Diese Komplexität bezieht sich grundsätzlich auf Menschen der Moderne, wurde aber für die jüdische Bevölkerung zu einer Frage der Positionierung, die lebensentscheidend werden sollte. Identität, gerade in den Kultur- und Geschichtswissenschaften, bezieht sich auf den Prozess, in dem sich Menschen ihrer selbst bewusst sind und immer wieder werden. Sie fragen danach, wer sie sind und entwickeln Strategien der Selbstfindung. Anhand der biografischen Ausschnitte dieser Arbeit erhält man Einblick in die Sozialisation der Personen, in die Vernetzung innerhalb der Familie, des Freundeskreises und anderer sozialer Beziehungen und über die Stellung in der Gesellschaft. Alle bislang aufgeführten Aspekte von Identität sind betroffen, wenn sich ein solcher Wandel vollzieht, wie dies unter dem Nationalsozialismus und dem kommunistischen Regime geschehen ist. 39 Steffen, Katrin: Jüdische Polonität. Ethnizität und Nation im Spiegel der polnischsprachigen jüdischen Presse 1918–1939. Göttingen 2004, S. 13.
Zum Forschungsstand
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Während einige ausgeführte Aspekte im Zusammenhang mit Identität so gängig sind, dass sie keiner weiteren Ausführung bedürfen, ist der Begriff der „Assimilation“ näher zu klären: Dieser wurde auch durchgängig in den zeitgenössischen Quellen verwendet. In Abgrenzung zu dem Begriff der „Assimilation“, der eine vollständige Lösung aus der Identifizierung mit der vorherigen Kultur bedeutet, vermeidet der Begriff der „Akkulturation“ oder der „Integration“ die Unterordnung eines kulturellen Stranges unter einen anderen. 40 Daher erscheint der Begriff der „Akkulturation“, der aus der nordamerikanischen Kulturanthropologie stammt, adäquater als der der „Assimilation“ und wird deshalb in der vorliegenden Arbeit verwendet. 41
1.4 Zum Forschungsstand In den in letzter Zeit veröffentlichten Arbeiten lassen sich vor allem in Polen deutliche Impulse zur Aufarbeitung früherer Tabubereiche erkennen. Zwar ist mittlerweile eine Fülle von Aufsätzen und Monografien zur Geschichte der Juden in den ehemaligen deutschen Ostgebieten veröffentlicht worden, bis jetzt aber fehlt es an einer gründlichen wissenschaftlichen Analyse der Ereignisse und gesellschaftlichen Prozesse der jüdischen Bevölkerung der Stadt Breslau in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Lücken betreffen
40 Volkov: Jüdisches Leben und Antisemitismus, S. 133; ders.: Erfolgreiche Assimilation oder Erfolg und Assimilation: Die deutsch-jüdische Familie im Kaiserreich, in: Jahrbuch des Wissenschaftskolleg zu Berlin, Nr. 83, 1982, S. 373–387. Ähnlich hat Marion Kaplan dafür plädiert, ‚Assimilation‘ im Sinne der Verschmelzung mit der Mehrheit zu gebrauchen, ‚Akkulturation‘ dagegen als die Übernahme vieler Sitten und Kulturmuster der Mehrheit bei gleichzeitiger bewusster oder unbewusster Erhaltung der ‚ethnischen oder religiösen Eigenart‘, Kaplan, Marion A.: Tradition and Transition. The Acculturation, Assimilation, and Integration of Jews in Imperial Germany. A Gender Analysis, in: The Leo Baeck Institute Year Book (LBIYB), Nr. 27, 1982, S. 3–35, hier S. 4 ff. 41 Ebd., S. 4 f.; Maurer, Trude: Die jüdische Minderheit: Akkulturation und Selbstbewahrung, in: Die Entwicklung der jüdischen Minderheit in Deutschland (1780– 1933). Neuere Forschungen und offene Fragen, das 4 Sonderheft Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Tübingen 1992, S. 167–179, hier S. 172.
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Einleitung
vor allem die Jahre 1933–1945, aber auch die Geschichte der polnischen Juden in Wrocław nach 1945. Die bisher veröffentlichten Arbeiten befassen sich hauptsächlich mit der jüdischen Geschichte der Stadt im 18. und 19. Jahrhundert, teilweise auch bis zum Ersten Weltkrieg. Zu diesen zählt unter anderem der Sammelband von Manfred Hettling. 42 Diese Beiträge untersuchen die Bedingungen jüdischen Lebens im Übergang von der Ständegesellschaft zur bürgerlichen Welt und analysieren den Wandel der Beziehungen zwischen der jüdischen Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft in der Stadt für den Zeitraum vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. 43 Till van Rahden untersucht in seiner sehr angesehenen Studie die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in Breslau in der Zeitspanne von 1860 bis 1925. 44 Im Mittelpunkt seiner akribischen Forschungsarbeit stehen die Sozialstruktur der jüdischen Minderheit, das jüdische Vereinswesen, das Breslauer Schulwesen, die jüdisch-christlichen Ehen und letztendlich die lokalen politischen Verhältnisse. Die Situation der Breslauer Juden nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wird jedoch ausschließlich im Epilog erwähnt. Andreas Reinkes Fallstudie widmet sich der Geschichte der Breslauer Israelitischen Kranken-Verpflegungs-Anstalt und rekonstruiert ausführlich das Bestehen des Krankenhauses von den Anfängen bis zu seinem Ende. Auch wenn die Studie hauptsächlich das System der jüdischen Wohlfahrtspflege und Selbsthilfe ausarbeitet, charakterisiert sie darüber hinaus das vielfältige Leben der jüdischen Gemeinschaft in der Stadt. 45 Jüdisches Leben und ebenfalls die Wohlfahrtspflege sowie ihre Entwicklung in Breslau sind Gegenstand der Untersuchung von Mirosława Lenarcik, die sich auf den Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in das Ende der 1940er-Jahre konzen-
42 Hettling, Manfred/Reinke, Andreas/Conrads, Norbert (Hrsg.): In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit. Hamburg 2003. 43 Ebd., S. 7–21. 44 Van Rahden, Till: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925. Göttingen 2000. 45 Reinke, Andreas: Judentum und Wohlfahrtspflege in Deutschland. Das jüdische Krankenhaus in Breslau 1726–1944. Hannover 1999.
Zum Forschungsstand
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triert. 46 Bis jetzt ist es die einzige historische Studie, die auch den Umbruch des Jahres 1945 darstellt und im Überblick die Formierung des jüdischen Lebens nach dem Zweiten Weltkrieg thematisiert. Eine der bis jetzt wichtigsten Abhandlungen über das Schicksal der Breslauer Juden in den Jahren 1933 und 1941 stellt die Publikation des US-amerikanischen Historikers Abraham Ascher dar. 47 Abgesehen von einer umfangreichen Quellenbasis, die sowohl archivarische Dokumente als auch Briefe, Erinnerungen und Zeitzeugenberichte beinhaltet, zeichnet sich das Buch auch durch einen persönlichen Bezug aus. Der in Breslau geborene Historiker Abraham Ascher, der 1939 seine Heimatstadt Richtung USA verlassen hatte, integriert in diese Studie autobiografische Passagen und skizziert das Schicksal seiner Familie. Erst Ende der 1980er-Jahre konnte die im kommunistischen Polen unwillkommene Forschung zur jüdischen Geschichte aufleben, und nach dem politischen Umbruch 1989/90 erlebte diese ihre Blüte. Zuvor gab es vereinzelte Publikationen des Warschauer Jüdischen Historischen Instituts, das aber aufgrund der politischen Zensur in der Thematik, der Reichweite und der Auflagen relativ beschränkt arbeiten musste. Im Bezug auf die Geschichte der Juden in Breslau/Wrocław sollte hier das achtenswerte und erfolgreiche Engagement des Direktors des Historischen Museums in Wrocław, Maciej Łagiewski, Erwähnung finden. Bereits seit Beginn der 1980er-Jahre unternahm er Versuche, die in der Stadt noch erhalten gebliebenen jüdischen Spuren vor der völligen Verwahrlosung zu retten. Mit der Einbeziehung des jüdischen Friedhofs an der Ślężnastraße (Lohestraße) in die Obhut des Historischen Museums versuchte er diesen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit seinen Publikationen zum selben Thema konnte Maciej Łagiewski der polnischen Öffentlichkeit die Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde näherbringen. 48 Zu weiteren Historikern, die sich mit der Geschichte der Breslauer und schlesischen Juden unter nationalsozialistischer Herr46 Lenarcik: A Community in Transition. 47 Ascher: A Community under Siege. 48 Siehe u. a., Łagiewski, Maciej: Das Pantheon der Breslauer Juden. Der jüdische Friedhof ‚Lohestraße‘ in Breslau. Berlin 1999; ders.: Uwagi o sytuacji społecznopolitycznej Żydów na Śląsku w latach 1919–1939, ze szczególnym uwzględnieniem Wrocławia, in: Studia nad Faszyzmem i Zbrodniami Hitlerowskimi, (SFZH), Nr. 15, 1992, S. 343–352.
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Einleitung
schaft befassten, gehören die Forscher und Professoren der Universität Wrocław: Karol Jonca, Alfred Konieczny, Franciszek Połomski und Leszek Ziątkowski. Wenn auch ihre Forschungen sich hauptsächlich auf die Quellengrundlage der polnischen Archive stützen, leisten sie einen unschätzbaren Beitrag zu den einzelnen Aspekten des jüdischen Lebens in der Stadt während des Nationalsozialismus. So untersuchte Franciszek Połomski vor allem die Abwicklung der „Arisierung“ in Breslau und Schlesien. 49 Karol Joncas Forschung widmet sich hauptsächlich der Verfolgung der Breslauer Juden in den Jahren 1938 bis 1945. 50 Die Studien von Alfred Konieczny thematisieren unter anderem die „Gettoisierung“ der jüdischen Bevölkerung in Breslau, ihre Deportation in die schlesischen Durchgangslager Tormersdorf, Grüssau und Riebnig sowie die Deportationen der Breslauer Juden in das Gettolager Theresienstadt. 51 49 Siehe u. a., Połomski, Franciszek: Prawo własności a tzw. ‚rozwiązanie kwestii żydowskiej‘ w Niemczech hitlerowskich. Wrocław 1991; ders.: Die ‚Arisierung‘ des jüdischen Vermögens in Schlesien 1933–1945, in: Rhonhof-Schultze, Friedrich-Carl (Hrsg.): Geschichte der Juden in Schlesien im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumentation einer Tagung in Breslau. Hannover 1995, S. 67–74; ders.: ‚Aryzacja‘ mienia żydowskiego na Śląsku ze szczególnym uwzględnieniem Wrocławia, in: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka, Nr. 1–4, 1991, S. 251–258; ders.: Konfiskata spadku rodziny Schottländerów (1938–1944), in: SFZH, Nr. 14, 1991, S. 349–371; ders.: Zawłaszczenie i sprzedaż cmentarzy żydowskich w latach Drugiej Wojny Światowej na Śląsku, in: SFZH, Nr. 11, 1987, S. 299–331; ders.: Holocaust we Wrocławiu i na Dolnym Śląsku w świetle dokumentów administracji skarbowej, in: Dzieje Najnowsze, Nr. 3–4, 1985, S. 235–246; ders.: Deportacje Żydów z Dolnego Śląska w latach 1941–1944. Próba rekonstrukcji, in: Historia, Nr. 84, 1991, S. 83–119. 50 Siehe u. a., Jonca, Karol: Schlesiens Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft 1933–1945, in: Rhonhof-Schultze, Friedrich-Carl (Hrsg.): Geschichte der Juden in Schlesien im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumentation einer Tagung in Breslau. Hannover 1995, S. 55–66; ders.: Deportations of German Jews from Breslau 1941–1944 as Described in Eyewitness Testimonies, in: YVS, Nr. 25, 1996, S. 275–316; ders.: Deportacje niemieckich Żydów z Wrocławia w świetle relacji naocznych świadków (1941–1944), in: SFZH, Nr. 17, 1994, S. 219–251; ders.: Judenverfolgung und Kirche in Schlesien (1933–1945), in: Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Deutsche – Polen – Juden. Ihre Beziehungen von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Beiträge zu einer Tagung. Berlin 1987, S. 211–228. 51 Siehe u. a., Konieczny, Alfred: Gettoizacja ludności żydowskiej we Wrocławiu w latach 1940–1941, in: Miasta i prawo miejskie w rozwoju historycznym, Materiały
Zum Forschungsstand
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Die Monografie Leszek Ziątkowskis zur Geschichte der Breslauer Juden, beginnend vom Mittelalter bis in die Gegenwart, ist bis jetzt die einzige Publikation, die einen knappen Überblick über den bisherigen Forschungsstand bietet, wobei die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Gemeinde nur einen kleinen Raum einnimmt. Mit der Öffnung der Archive und dem verstärkten Interesse vor allem der jüngeren Generation polnischer Historiker und Historikerinnen erschien seit 1989 eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte der Juden in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ursachen dafür liegen sowohl in der langjährigen Tabuisierung des Themas während Volksrepublikzeiten als auch in der erst Anfang der 1990er-Jahre begonnenen sukzessiven Erschließung polnischer Archive durch das Institut des Nationalen Gedenkens sowie andere wissenschaftliche Institutionen. Das 2000 erschienene Buch des US-Historikers Jan Tomasz Gross hat innerhalb der Wissenschaft und der polnischen Gesellschaft heftige Debatten und eine Intensivierung der Diskussion um die polnisch-jüdischen Beziehungen hervorgerufen. 52 Gerade die Zeit des Zweiten Weltkrieges gab VI Konferencji historyków państwa i prawa. Lądek Zdrój 2002, S. 151–159; ders.: The Transit Camp for Breslau Jews at Riebnig in Lower Silesia (1941–1943), in: YVS, Nr. 25, 1996, S. 317–342; ders.: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig. Obozy przejściowe dla Żydów Dolnego Śląska z lat 1941–1943. Wrocław 1997; ders.: Tormersdorf – Grüssau – Riebnig. Durchgangslager der Juden Niederschlesiens in den Jahren 1941–1943, in: MVBI, Nr. 65, 1998, S. 10; ders.: Die VI. Deportationsaktion Breslauer Juden vom 23. Februar 1943, in: MVBI, Nr. 78, 2005, S. 10–13; ders.: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt w latach 1942–1944, in: SFZH, Nr. 28, 2005, S. 493–525; ders.: VIII. wrocławska akcja deportacji Żydów z 31. marca/1. kwietnia 1943, in: SFZH, Nr. 25, 2002, S. 337–397; ders.: IX. akcja deportacyjna wrocławskich Żydów z 9–16 czerwca 1943 roku, in: SFZH, Nr. 26, 2003, S. 393–417; ders.: Ludność żydowska na Śląsku w świetle spisu z 17. maja 1939 roku, in: SFZH, Nr. 15, 1992, S. 375–382. 52 Gross, Jan T.: Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne. München 2001. Gross beschreibt in diesem Buch die Ereignisse in dem Städtchen Jedwabne im Sommer 1941, während derer nichtjüdische Polen einen großen Teil der jüdischen Bewohner des Ortes in einer Scheune verbrannten. Zu der Debatte um diese Veröffentlichung, siehe u. a.: Dymitrów, Edmund/Machcewicz, Paweł/Szarota, Tomasz: Der Beginn der Vernichtung. Zum Mord an den Juden in Jedwabne und Umgebung im Sommer 1941. Osnabrück 2004; Gross, Jan T.: Wokół Sąsiadów. Polemiki i wyjaśnienia. Sejny 2003; Polonsky, Antony: The neighbors respond.
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Anlass zu besonderer Aufregung. Der Veröffentlichung von Tomasz Gross kommt das große Verdienst zu, dass neue Fragen zum polnisch-jüdischen Verhältnis erörtert wurden. 53 Als Beispiel für diese Entwicklung können unter anderem zahlreiche Studien zur Regionalgeschichte der Juden im Niederschlesien der Nachkriegszeit herangezogen werden. Erwähnung sollen hier die Publikationen von Bożena Szaynok, die an der Universität Wrocław tätig ist, finden. Aufgrund akribischer Quellenarbeit veröffentlichte sie eine umfassende Studie zur Geschichte der jüdischen Minderheit in Niederschlesien in den Jahren 1945 bis 1950. 54 Ewa Waszkiewicz widmete ihre Forschungen der jüdischen Glaubenskongregation in Niederschlesien nach dem Zweiten Weltkrieg. 55 Abschließend sei zu bemerken, dass sich die Historiografie der Breslauer Juden in Deutschland und in Polen auf zwei unterschiedliche zeitliche Schwerpunkte konzentriert. Für die deutschen Forscher ist die Untersuchungsperiode im Zeitraum zwischen 1812 und dem Beginn der Weimarer Republik fest in der historischen Wissenschaft verankert. Für die polnischen Wissenschaftler hingegen stehen im Mittelpunkt ihrer Forschungen die Untersuchung der Verfolgung und Vernichtung der Breslauer jüdischen Gemeinschaft sowie die Geschichte der Juden in Niederschlesien in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
The Controversy over Jedwabne Massacre in Poland. Princeton 2004; Bikont, Anna: ‚My z Jedwabnego‘. Warszawa 2004; Machcewicz, Paweł/Persak, Krzysztof (Hrsg.): ‚Wokół Jedwabnego‘. Studia i dokumenty, Bd. 1–2. Warszawa 2002. 53 Siehe u. a., Forecki, Piotr: Od ‚Shoah‘ do ‚Strachu‘. Spory o polsko-żydowską przeszłość i pamięć w debatach publicznych. Poznań 2010; Engelking, Barbara/ Hirsch, Helga (Hrsg.): Unbequeme Wahrheiten. Polen und sein Verhältnis zu den Juden. Frankfurt a. M. 2008. An dieser Stelle soll auch die Gründung des ‚Polish Center for Holocaust Research‘ an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau erwähnt werden, deren Wissenschaftler (u. a. Barbara Engelking, Jan Grabowski, Alina Skibińska und Jacek Leociak) zahlreiche, neue Studien zu der ‚Schoah‘ veröffentlichen. 54 Szaynok, Bożena: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku 1945–1950. Wrocław 2000. 55 Waszkiewicz, Ewa: Kongregacja Wyznania Mojżeszowego na Dolnym Śląsku na tle polityki wyznaniowej Polskiej Rzeczpospolitej Ludowej 1945–1968. Wrocław 1999.
2 In der Weimarer Republik
2.1 Zwischen Erfüllung und Ernüchterung Die Heimat von mindestens vier Generationen meiner Familie war Breslau, die Hauptstadt Schlesiens, im Osten Deutschlands, eine Stadt, die unterschiedliche Herren gesehen und ihre eigene, umstrittene Geschichte hatte. […] Meine Urgroßeltern und ihre Nachkommen hatten Teil an der Prosperität und Bedeutung Breslaus, das als Schwerpunkt von Handel und Industrie dynamisch expandierte. Meine vier Urgroßväter, die in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts geboren wurden, sowie meine beiden Großväter und mein Vater waren alle Ärzte, und ihre Erfolge und Rückschläge waren charakteristisch für ihre Schicht – immer wohlhabender bis wenigstens 1914, dazu innovativ und erfolgreich in ihrem Beruf, mit einem sehr ausgeprägten Ethos. 1
Mit diesen Worten beschreibt Fritz Stern den wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg seiner jüdischen Vorfahren im „langen 19. Jahrhundert“ in Breslau. Für zahlreiche Breslauer und deutsche Juden wie die Familie Stern war ihr über viele Generationen zurückreichender Stammbaum ein Grund stolz zu sein, denn dies bewies auch ihre tiefe Verbundenheit zu Deutschland. Der US-amerikanische Historiker wurde 1926 in der Odermetropole geboren, in „einer Welt, die sich vor dem Absturz in eine vermeidbare Katastrophe befand“, wie der exzellente Kenner der Geschichte der Weimarer Republik selbst beschreibt. 2 Seine Eltern waren konvertiert; so wurde auch der Sohn evangelisch getauft. Die Konversion hinderte seine Familie aber nicht daran, sich ihrer jüdischen Herkunft bewusst zu sein und enge Verbindungen zum jüdischen Milieu aufrechtzuerhalten. Ihre authentische Heimat jedoch war in ihrer deutschen Lebenswelt verankert. 3
1
2 3
Stern, Fritz: Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen. München 2007, S. 24 f.; vgl. Interview mit Fritz Stern, am 26. Juli 2011 in New York, Archiv der Autorin (AA). Stern: Fünf Deutschland, S. 10. Ebd.
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In der Weimarer Republik
Ignatz Bubis, der 1927 ebenfalls in Breslau geboren wurde, erinnert sich an seine Kinderjahre und seine Familie, die im Gegensatz zu den Sterns erst nach dem Ersten Weltkrieg in die Stadt zog: Meine Eltern kamen 1919, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aus Russland nach Breslau. Ich habe also meine ersten Jahre in Deutschland verbracht. Schon mit drei Jahren ging ich zum Religionsunterricht, lernte dort die Bibel und damit auch Jiddisch schreiben. Ich sprach also Jiddisch, bevor ich Deutsch konnte. Für meine Eltern ist Breslau nie zu einer richtigen Heimat geworden. […] Unser Leben in Breslau war denkbar einfach und unsere Familie alles andere als wohlhabend. Wir lebten sehr zurückgezogen und isoliert, alles Leben spielte sich in unserem Haus ab, Freunde hatten meine Eltern kaum. 4
Der deutsch-jüdische Unternehmer und Politiker war das jüngste von sieben Kindern seiner Eltern. Sein Vater stammte aus Russland und die Mutter aus dem polnischen Dęblin. Zu der traditionell-jüdischen Lebenswelt der Familie Bubis gehörten die Morgen- und Abendgebete, die Feiertage, Fasten zu Yom Kippur und der Sabbat. Auch der Besuch der Betstube am Freitagabend und Samstag wurden zur Selbstverständlichkeit im Leben der Familie. 5 Sie bezogen eine winzige und bescheidene Wohnung im Breslauer Stadtteil Zimpel, wo fast keine Juden wohnten. Familie Bubis pflegte kaum Kontakte zu ihrem deutschen Umfeld, lebte abseits und zurückgezogen, ausschließlich auf ihren Familienkreis konzentriert. 6 Die Vorfahren von Ruth Atzmon-Cohn sind Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Provinz Posen nach Breslau gezogen: Meine Familie, Familie Willy Cohn, lebte einige Generationen in Breslau. Sowohl mein Vater als auch seine Eltern wurden dort geboren. Diese Herkunft hat seine Verbundenheit mit Deutschland und besonders mit Schlesien sowie auch zum Judentum und zum Zionismus geprägt. Die Eltern meines Vaters gründeten eine eigene Firma in der Stadt und genossen großes Ansehen in der Breslauer Kaufmannschaft. Unser Haus war ein Heim von Lesen, Lernen und intelligenten Beschäftigungen und das religiöse Leben spielte auch eine bedeutsame Rolle. 7 4 5 6 7
Bubis, Ignatz (mit Peter Sichrovsky): ‚Damit bin ich noch längst nicht fertig‘. Die Autobiographie. Frankfurt a. M./New York 1996, S. 20 f. Ebd., S. 24. Ebd.; Backhaus, Fritz/Gross, Raphael/Lenarz, Michael: Ignatz Bubis. Ein jüdisches Leben in Deutschland. Frankfurt a. M. 2007, S. 193. Interview mit Ruth Atzmon-Cohn, am 3. November 2008 in Berlin, AA; vgl. In-
Zwischen Erfüllung und Ernüchterung
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Ruth Atzmon-Cohn, die heute im israelischen Herzliya lebt, wurde 1924 in Breslau geboren. Die Familie Cohn hatte es zu Wohlstand gebracht und erbaute 1902 am Breslauer Ring ein Geschäftshaus im Jugendstil. Ruths Vater war Studienrat im Breslauer Johannes-Gymnasium, wurde im Sinne liberalen Judentums erzogen, schloss sich aber zunehmend der konservativ-orthodoxen Richtung an. Während im Hause ihrer Großeltern zur Weihnachtszeit sowohl der Chanukkaleuchter als auch die Kerzen am Christbaum entzündet wurden, wuchs Ruth in einer stärker jüdisch-traditionellen Atmosphäre auf und besuchte die orthodoxe Synagoge. Ihre Familie blieb Deutschland und der deutschen Kultur sehr tief verbunden, manifestierte aber zugleich in ihrer Lebensweise und Selbstwahrnehmung eine gewisse Pluralität, indem sie sich als fromme Juden und Zionisten und zugleich als stolze, deutsche Patrioten definierte. Meine Kindheit habe ich in Breslau verlebt; ich bin in einer musikalisch und literarisch sehr interessierten Familie aufgewachsen. Mein Vater war katholisch, aber nie ein frommer Mann und betätigte sich als Opernsänger. Meine Mutter hingegen war Jüdin und arbeitete als Kindergärtnerin. Sie war auch Mitglied der Gemeinde, hat aber kaum mal einen Gottesdienst besucht. Meine Eltern waren sehr tolerant, sie haben uns natürlich auch die Möglichkeit gegeben, religiöse Schriften zu lesen, aber mein Bruder und ich haben uns entschieden, keiner Religionsgemeinschaft beizutreten. Unser familiäres Leben konzentrierte sich hauptsächlich um die Politik. Das hing zusammen mit meiner jüdischen Großmutter, Anne Friedländer. Sie war schon sehr zeitig als junges Mädchen Mitglied der Sozialdemokratischen Partei geworden. So war sie dann auch in Breslau politisch sehr aktiv und wurde die erste Stadträtin dieser Großstadt. 8
Klaus Trostorff, der nach dem Krieg Direktor der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald wurde, kam 1920 als zweiter Sohn einer politisch und kulturell interessierten Familie in Breslau zur Welt. Die Trostorffs wurden vor allem von Mutter und Großmutter zu wissbegierigen und weltoffenen jungen Menschen erzogen. Die Familie wurde von der Großmutter mütterlicherseits, die zusammen mit Rosa Luxemburg Nationalökonomie gelehrt hatte,
8
terview mit Dr. Tamar Gazit-Cohn, am 31. Juni 2008 sowie am 6. Juni 2009 in Nahariya, AA. Interview mit Klaus Trostorff, am 13. Mai 1996 in Erfurt, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Interview Code 14862, Tape 1.
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sehr stark politisch beeinflusst. Während der 1920er-Jahre wuchs Klaus Trostorff in materiell guten Verhältnissen auf. Diese Jahre gehörten zu den glücklichsten seiner Kindheit. 9 Jüdische Bürger Breslaus bildeten, wie anhand der skizzierten biografischen Passagen ersichtlich wird, eine sehr belebte und äußerst heterogene Gemeinschaft, zu der im Jahre 1925 etwa 23.240 Mitglieder gehörten. 10 Diese Gemeinschaft war genauso bunt gemischt wie andere Gemeinden im Deutschen Reich. Unter den Breslauer Juden gab es orthodox lebende Gemeindemitglieder, zu denen ein überwiegend ostjüdisches Proletariat gehörte, und Anhänger des reformierten Judentums, deutsch-patriotische Juden und Zionisten, Kosmopoliten sowie Linke und Marxisten, Traditionalisten und die sogenannten Assimilierten, die vollständig im bürgerlichen Leben der Stadt aufgingen. Diese nach Berlin und Frankfurt am Main drittgrößte jüdische Gemeinde in der Weimarer Republik hatte Jahrhunderte andauernder Unsicherheit und den Kampf ums Überleben bestanden. Die Geschichte der Breslauer Juden, die unter polnischer, böhmischer, habsburgischer und schließlich preußischer Herrschaft in der Stadt lebten, war von Verfolgungen und Vertreibungen gekennzeichnet. Erst die preußische Monarchie brachte bedeutsame Veränderungen für das Breslauer Judentum mit sich. Nach dem Edikt von 1812 und der Verordnung „die Verhältnisse der Juden betreffend“ von 1847 konnte letztendlich 1870 der Prozess der endgültigen Gleichstellung dokumentiert werden. Erst nach der Reichsgründung im Jahre 1871 wurden die Juden dann rechtlich den nicht jüdischen Deutschen gleichgestellt. Langsam eröffneten sich ihnen auch berufliche, wirtschaftliche und kulturelle Perspektiven und so fanden sich bald jüdische Bürger in führenden Positionen in allen Bereichen der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur sowie der Kommunalpolitik wieder. 11 „Der Aufstieg der deutschen Juden im späten 9 Ebd. 10 Siehe Tabelle Nr. 2 (Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in Breslau, 1871–1939); Breslauer Jüdisches Gemeindeblatt (BJG), Nr. 4, April 1931, S. 52. 11 Allgemein zur Geschichte der Juden in Breslau siehe u. a.: Brilling, Bernhard: Geschichte der Juden in Breslau von 1454–1702. Stuttgart 1960; ders.: Die Begründer der Breslauer jüdischen Gemeinde. Breslau 1935; ders.: Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens. Entstehung und Geschichte. Verlag W. Kohlhammer (o. D.); Brann, Marcus: Geschichte der Juden in Schlesien. (Beilage zum Jahresbericht des
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19. und frühen 20. Jahrhundert“ gehört nach Fritz Stern zweifelsohne zu einem der „spektakulärsten Sprünge einer Minderheit in der Gesellschaftsgeschichte Europas“. 12 Die Weimarer Republik gewährte der jüdischen Bevölkerung volle Gleichberechtigung in dem Sinne, dass ihr der Zugang auch zu den Institutionen ermöglicht wurde, die ihnen zuvor noch verschlossen gewesen waren. Der Eintritt von Juden in Beamtenberufe, die Übernahme von höheren politischen Ämtern und Professuren an den Universitäten markierte einen neuen Wendepunkt. 13 Es scheint, dass es keinen anderen Staat gab, abgesehen von den Vereinigten Staaten, die eine beachtliche Zahl von osteuropäischen Juden aufgenommen hatten, wo die jüdische Minderheit eine ähnlich hohe Chance hatte, in verhältnismäßig kurzer Zeit so schnell einen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg zu erreichen. Der Erste Weltkrieg hatte aber dieser Integrationsbewegung deutlich etwas entgegengesetzt. Die sogenannte „Judenzählung“, 14 die 1916 vom preujüdisch-theologischen Seminars Fraenckel’scher Stiftung). Breslau 1896–1917; ders.: Geschichte des jüdisch-theologischen Seminars in Breslau. Breslau 1904; Cohn, Willy: Die Geschichte der Juden in Schlesien, in: Hintze, Erwin (Hrsg.): Das Judentum in der Geschichte Schlesiens, Katalog der vom Verein ‚Jüdisches Museum Breslau‘ in den Räumen des Schlesischen Museums für Kunstgewerbe und Altertümer veranstalteten Ausstellung. Breslau 1929; Schwerin, Kurt: Die Juden in Schlesien. Aus ihrer Geschichte und ihrem Beitrag zu Wirtschaft und Kultur, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts (BLBI), Nr. 56/57, Tel Aviv 1980, S. 1–84; Łagiewski: Das Pantheon der Breslauer Juden; ders.: Breslauer Juden 1850–1944. Wrocław 1996; ders.: Uwagi o sytuacji społeczno-politycznej Żydów na Śląsku; Ziątkowski: Dzieje Żydów we Wrocławiu; ders.: Die Geschichte der Juden in Breslau. Wrocław 2000; Stolarska-Fronia, Małgorzata: Udział środowisk Żydów wrocławskich w artystycznym i kulturalnym życiu miasta od emancypacji do 1933 roku. Warszawa 2008; Heitmann, Margret/Reinke, Andreas (Hrsg.): Bibliographie zur Geschichte der Juden in Schlesien. München 1995; Schultze-Rohnhof, FriedrichCarl (Hrsg.): Geschichte der Juden in Schlesien im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumentation einer Tagung in Breslau. Münster 1995; Menzel, Josef Joachim (Hrsg.): Breslauer Juden 1850–1945. St. Augustin 1990. 12 Stern, Fritz: Der Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht. Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Berlin 1988, S. 38; vgl. ders.: Fünf Deutschland, S. 30. 13 Vgl. Zimmermann, Moshe: Die deutschen Juden, 1914–1945. München 1997, S. 10; Niewyk, Donald L.: The Jews in Weimar Germany. Louisiana State University Press 1980, S. 2. 14 Laut dem Erlass des Kriegsministeriums vom 11. Oktober 1916 wurden die im
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ßischen Heeresministerium angeordnet wurde, hatte zahlreichen mit Begeisterung für Deutschland kämpfenden jüdischen Breslauern gezeigt, dass sie doch nicht dazugehörten. 15 Trotz der völligen Gleichstellung, die die Weimarer Verfassung garantierte und die letzten Barrieren in Politik, im Militär, in der Beamtenschaft und an der Universität beseitigte, bestimmte doch ein untergründiges Gefühl der Gefährdung weite Teile des schlesischen Judentums. Den Untergang des Kaiserreiches empfanden viele als das Ende einer goldenen Zeit. 16 Kriegsanleihen und Inflation hatten zahlreiche jüdische Breslauer um ihren Wohlstand und auch um ihren politischen Einfluss gebracht. Zudem wurde die Gemeinde vor allem zwischen 1919 und 1923 mit einer erheblichen Zahl von eingewanderten ausländischen Juden konfrontiert. Auch wenn es zur Kaiserzeit weiterhin einen latenten bürgerlichen AnErsten Weltkrieg kämpfenden jüdischen Soldaten gezählt. Der Erlass wurde damit begründet, dass man auf diese Weise Gerüchten auf den Grund zu gehen beabsichtigte, nach denen die Juden sich vom Frontdienst gedrückt haben sollten, siehe u. a.: Jochmann, Werner: Die Ausbreitung des Antisemitismus, in: Mosse, Werner E. (Hrsg.), unter Mitwirkung von Paucker, Arnold: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916–1923. Tübingen 1971, S. 409–510, hier S. 425 ff.; Angress, Werner T.: The German Army’s Judenzählung of 1916. Genesis – Consequence – Significance, in: LBIYB, Nr. 23, 1978, S. 117–137; ders.: Das deutsche Militär und die Juden im Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Nr. 19, 1976, S. 77–146. 15 Nach Jacob Segal stellten 20 Prozent der Kriegsteilnehmer aus Breslau jüdische Freiwillige, siehe Segal, Jacob: Die deutschen Juden als Soldaten im Kriege 1914– 1918. Eine statistische Studie. Berlin 1922. Auf dem Breslauer Jüdischen Friedhof Cosel wurde ein ‚Ehrenfeld‘ mit Gedenktafeln für 466 gefallene jüdische Soldaten errichtet. Allerdings sind nicht alle Soldaten, die während des Ersten Weltkrieges gefallen sind, auf diesem Feld begraben. Einige wurden in den Familiengräbern oder in den im Voraus gebuchten Plätzen beigesetzt. Andererseits wurden nicht alle, die während des Krieges umgekommen sind, auf diesem Ehrenfeld begraben. Daher lässt sich die exakte Zahl der im Kriege gefallenen jüdischen Soldaten aus Breslau nicht benennen. 16 Herzig, Arno: Die NS-Zeit in Breslau im Spiegel der jüdischen Memorialliteratur, in: Gelber, Mark H./Hessing, Jakob/Jütte, Robert (Hrsg.): Integration und Ausgrenzung. Studien zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Tübingen 2009, S. 269–282, hier S. 270; vgl. ders.: „Die Deutschen können doch ganz einfach diesen Wahnsinn nicht mitmachen.“ Die NS-Zeit in Breslau im Spiegel der jüdischen Memorialliteratur, in: Eiden (Hrsg.): Von Schlesien nach Israel, S. 10–22.
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tisemitismus in Breslau gegeben hatte, so nahm dieser nach dem Ersten Weltkrieg radikalere Formen an. Der Einsatz der Freikorps zu Beginn der Weimarer Republik in Schlesien verstärkte antisemitische Tendenzen, die die Stadt zum Schauplatz von Friedhofsschändungen, Überfällen auf Juden, Plünderungen jüdischer Geschäften sowie antisemitischen Kampagnen innerhalb akademischer Kreise machten. Noch vor der „Machtergreifung“ im Januar 1933 wurde im Wintersemester 1932/33 an der Universität Breslau bei dem sogenannten „Fall Cohn“ deutlich, wie stark der nationalsozialistische Antisemitismus das akademische Leben beherrschte. 17 Im gleichen Maße wie sich die Integration im öffentlichen wie im privaten Bereich weiter intensivierte, wurde diese infolge der sich radikalisierenden antisemitischen Ideologie zunehmend infrage gestellt. Dies führte vor allem in den späteren Jahren der Republik zu einer „gewissen Erosion der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden“, wie es die Historikerin Trude Maurer zutreffend beschreibt. 18 Die Breslauer Juden in der Weimarer Zeit waren wie viele Nichtjuden auch auf der Suche nach einer „Gemeinschaft“. Dieser Prozess war eine Gemeinsamkeit aller Generationen, so der Historiker Avraham Barkai, die die Erfahrung des Krieges teilten. 19 Die reine Religionsgemeinde erwies sich im Deutschland der Weimarer Zeit und noch stärker in den darauffolgenden Jahren als ein theoretischer, nirgends voll verwirklichter Begriff. Die Änderungen im Wesen und Aufgabenkreis der Gemeinden waren durch politische
17 Im Sommer 1932 wurde der Privatdozent Ernst Cohn an der Juristischen Fakultät der Breslauer Universität zum Professor ernannt. Im Wintersemester 1932/33 konnte er seine Vorlesungen nur unter dem Schutz des Rektors und der Polizei abhalten. Nach der ‚Machtergreifung‘ 1933 wurde Cohn beurlaubt und ging ins englische Exil. Diese Ereignisse werden im Kapitel 2.1.5 Antisemitismus detaillierter geschildert. 18 Maurer, Trude: Vom Alltag zum Ausnahmezustand: Juden in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, 1918–1945, in: Kaplan, Marion (Hrsg.) im Auftrag des Leo Baeck Instituts: Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945. München 2003, S. 345–470, hier S. 346. 19 Barkai, Avraham: Jüdisches Kultur- und Geistesleben, in: Meyer, Michael A. (Hrsg.), unter Mitwirkung von Brenner, Michael: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band IV (Bd.), Aufbruch und Zerstörung, 1918–1945. München 1997, S. 125–153, hier S. 149.
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und vor allem wirtschaftliche Faktoren vorgeschrieben. Für viele Juden begann die Suche nach der Definition des „Jüdischseins“, denn die Religion konnte in diesem Fall nicht allein den Ausschlag geben. Die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung definierte sich selbst säkular. So betätigten sich die Breslauer Juden vor allem im Bereich der jüdischen Kultur und Bildung und brachten damit das jüdische Gemeinde- und Religionsleben zu einer außerordentlichen Blüte, die sich zunehmend in weltlichen Aufgaben wie Sozialfürsorge und Erwachsenenbildung äußerte. An vielen zu der Zeit neu gegründeten Institutionen und deren gesteigerten Aktivitäten lässt sich in Breslau diese Hoch-Zeit ablesen. Die Stadt war ohnehin Sitz einer der bedeutendsten jüdischen Hochschulen, des „Jüdisch-Theologischen Seminars“, das im Bereich der jüdischen Theologie auch maßgebend für andere Gemeinden im Ausland war. In Breslau existierten eine jüdische Volkshochschule und seit 1920 ebenfalls eine jüdische Volksschule; die jüdische Gemeinschaft der Stadt verfügte über ein jüdisches Krankenhaus, zahlreiche Stiftungen, Zeitungen, Vereine, Logen und ein jüdisches Museum. Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft konnte eine neue Dimension der Stärkung und Akzentuierung des jüdischen Selbstbewusstseins und der jüdischen Identität beobachtet werden. 20 Alfred Wiener notierte 1925: Das Judentum ist keine Einheit, sondern eine Vielfalt; genauso bunt, genau so politisch, so wirtschaftlich zerrissen wie das deutsche Volk. Einen irgendwie überstaatlichen Bau des Judentums gibt es nicht und kann es nicht geben. Der ‚jüdische Geist‘ ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als der Geist der Umwelt, in dem er lebt. 21
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, Wieners Leitgedanken am Beispiel der Breslauer jüdischen Gemeinschaft zu verfolgen.
20 Vgl. nachfolgende Kapitel der vorliegenden Arbeit. 21 Wiener, Alfred: Das deutsche Judentum in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Berlin 1924, S. 21.
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2.1.1 Demografie, Berufs- und Sozialstruktur Im Jahre 1925 lebten etwa 560.000 Juden im Deutschen Reich; diese Zahl entsprach 0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. 22 In Breslau, der nach Berlin zweitgrößten preußischen Stadt, war der prozentuale Anteil wesentlich höher und betrug etwa 4,1 Prozent. 23 Dies ist jedoch hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die reichsdeutschen Juden sich vermehrt in den Großstädten ansiedelten, wozu auch die Odermetropole gehörte. 24 Zwischen 1925 und 1933 ging die Zahl der Juden in Deutschland um 11 Prozent zurück und in Breslau sank sie um 13 Prozent. 25 Die Auswanderung Richtung Osten und Westen war zum Teil eine Reaktion auf die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Innerhalb der konfessionellen Landschaft der Stadt bildeten Protestanten fast 60 Prozent der Einwohnerschaft, während die Katholiken ca. 32 Prozent ausmachten. 26 22 Diese Zahlen wurden infolge der Volkszählung vom Juni 1925 ermittelt. In Fragebögen wurden als Glaubensjuden diejenigen Personen erfasst, die als Mitglieder der rechtlich anerkannten jüdischen Gemeinden verzeichnet worden waren, siehe: Tabelle Nr. 1 (Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, 1910–1939); Barkai, Avraham: Bevölkerungsrückgang und wirtschaftliche Stagnation, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 37–47, hier S. 37; Bennathan, Esra: Die demographische und wirtschaftliche Struktur der Juden, in: Mosse, E. Werner (Hrsg.): Entscheidungsjahr 1932. Zur Judenfrage in der Endphase der Weimarer Republik. Tübingen 1966, S. 87–131, hier S. 87 f. 23 Siehe Tabelle Nr. 2 (Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in Breslau, 1871–1939). 24 Fast 70 Prozent aller deutschen Juden lebten in Städten mit über 100.000 Einwohnern, während von der nicht jüdischen Bevölkerung Deutschlands im Jahre 1925 nur 25,4 Prozent in Großstädten lebten. Allein in Berlin lebten um 1925 etwa 31 Prozent aller deutscher Juden. Vgl. Bennathan: Die demographische Struktur, S. 89. 25 Die Ergebnisse der Volkszählung vom Juni 1933 zeigten, dass die jüdische Bevölkerung Deutschlands auf ca. 500.000 gesunken war. In Breslau verringerte sich die Zahl um etwa 3.000 Personen, siehe Tabelle Nr. 2 sowie: Barkai, Avraham: Die Juden als sozio-ökonomische Minderheitsgruppe in der Weimarer Republik, in: Grab, Walter/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Juden in der Weimarer Republik. Bonn 1998, S. 330–346, hier S. 330. 26 Siehe Tabelle Nr. 3 (Die Bevölkerung Breslaus nach ihrer religiösen Zugehörigkeit, 1885–1925).
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Nach der Verschiebung der Ostgrenze 1918 wurde Breslau zur Grenzstadt. So zog eine Vielzahl der Flüchtlinge aus der nun Polen zugesprochenen Provinz Posen und aus Teilen Oberschlesiens in die schlesische Hauptstadt. Vor allem stieg die Zahl der polnisch- und russisch-jüdischen Zuwanderer, die massenhaft vor Krieg, Revolution oder Pogromen aus den Gebieten des ehemaligen russischen Reiches und der Habsburgermonarchie flüchteten. Zwischen 1919 und 1923 zogen 4.273 osteuropäische Juden nach Breslau. 27 In diesem Zeitraum verließen zwar die meisten von ihnen die Stadt wieder Richtung Westdeutschland und Berlin, der Ausländeranteil unter den Breslauer Juden stieg jedoch zwischen 1910 und 1925 auf fast 9 Prozent. 28 Die jüdische Bevölkerung Breslaus erreichte in der Weimarer Republik zahlenmäßig ihren höchsten Stand in der Geschichte. Dieser Umstand war, wie bereits geschildert, durch die Zuwanderung entstanden, demografisch gesehen aber waren die ansässigen jüdischen Breslauer eher stagnierenden und rückgängigen Tendenzen unterworfen: Die Geburtenrate nahm kontinuierlich ab, die Sterblichkeitsrate erhöhte sich deutlich, eine Überalterung entstand, die sich stark vom Prozentsatz bei der nicht jüdischen Bevölkerung der Stadt abhob.29 Die Zahl der Konversionen oder der Austritte aus der Gemeinde stieg in Breslau in der Weimarer Republik kaum wesentlich an und wurde teilweise sogar durch Übertritte und Rückaufnahmen kompensiert. Demografisch be-
27 Statistisches Jahrbuch der Stadt Breslau für 1924, S. 12; Statistisches Jahrbuch der Stadt Breslau für 1922, S. 28; Philippstahl, Herbert: Die jüdische Bevölkerung Breslaus, in: BJG, Nr. 4, April 1931, S. 52. 28 Zwischen 1919 und 1923 verließen 3.088 der zugewanderten Juden die Stadt wieder, siehe van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 319. 1925 zählte man in Deutschland ca. 108.000 osteuropäische Juden, was einem Anteil von 19 Prozent der gesamtjüdischen Bevölkerung entsprach. In Breslau wurden 1925 über 2.000 ausländische Juden verzeichnet, siehe: Adler-Rudel, Salomon (Schalom): Ostjuden in Deutschland, 1880–1940. Zugleich eine Geschichte der Organisationen, die sie betreuten. Tübingen 1959, S. 165; Bennathan: Die demographische Struktur, S. 98; Maurer, Trude: Ostjuden in Deutschland, 1918–1933. Hamburg 1986, S. 72; Silbergleit, Heinrich: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Bd. 1, Freistaat Preußen. Berlin 1930, S. 24. 29 Siehe Tabelle Nr. 4 (Die Altersgliederung der jüdischen und der Gesamtbevölkerung in Breslau im Jahre 1925).
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trachtet blieben diese Bewegungen ein zweitrangiger Faktor. 30 Der Religionswechsel stellte jetzt kaum noch eine Voraussetzung zur Erlangung eines öffentlichen Amtes oder zum „Eintritt“ in die christliche Gesellschaft dar. Der Gemeindeaustritt war eher durch wirtschaftliche und soziale Gründe wie die Gemeindesteuern oder die Heirat eines christlichen Ehepartners bedingt. 31 Zwischen 1924 und 1933 wurden in Breslau 352 Austritte aus dem Judentum verzeichnet; für den Austritt aus der Glaubensgemeinde haben sich 156 Frauen und 196 Männer entschieden. 32 In den Jahren 1925–1931 hielt sich die Zahl der Austritte auf ähnlichem Niveau und erst das Jahr 1932 brachte einen spürbaren Umbruch, der womöglich durch den rapiden und fühlbaren Anstieg des Antisemitismus bedingt war. Die Zahl der Übertritte zum jüdischen Glauben belief sich in dem oben genannten Zeitraum auf 143 Personen; für den Übertritt haben sich 118 Frauen und 25 Männer entschlossen. 33 Auffallend dabei ist die hohe Zahl der übergetretenen Frauen. Auch wenn die Gründe für den Übertritt in den Statistiken nicht genannt werden, lässt sich diese Erscheinung damit erklären, dass christliche Frauen, die einen jüdischen Mann heirateten, sehr oft zum jüdischen Glauben übertraten. Gerade in dieser Zeitspanne kann man von einer erheblichen Zunahme der christlich-jüdischen Ehen in Breslau sprechen. Die sogenannten „Mischehen“ sind von 13 in den 1880-er Jahren auf 62 im Jahr 1929 gestiegen. 34 30 Vgl. Barkai: Bevölkerungsrückgang und wirtschaftliche Stagnation, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 39. 31 Vgl. Zimmermann: Die deutschen Juden, S. 13; Reichmann, Eva G.: Der Bewusstseinswandel der deutschen Juden, in: Mosse, Werner E. (Hrsg.) unter Mitwirkung von Paucker, Arnold: Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916–1923. Tübingen 1971, S. 511–612, hier S. 535. 32 Siehe Tabelle Nr. 5 (Austritte und Übertritte innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinde, 1924–1933). 33 Ebd. 34 Siehe Tabelle Nr. 6 (Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden in Breslau, 1880–1929). Der Anstieg der Mischehenquote war in allen deutschen Großstädten bemerkbar und Breslau stellte hierfür keine Ausnahme. Der prozentuale Anteil der christlich-jüdischen Ehen war beispielsweise viel höher in Hamburg (wobei die Seelenzahl der Gemeinde viel kleiner war als die der Breslauer) und in Berlin. Vgl. Schüler-Springorum, Stefanie: Die jüdische Minderheit in Königsberg/Preußen, 1871–1945. Göttingen 1996, S. 370; van Rahden: Juden und andere Breslauer,
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Dem gängigen Trend in der damaligen Republik zufolge heirateten auch in Breslau eher jüdische Männer eine nicht jüdische Frau als Jüdinnen nicht jüdische Männer. 35 Wie der Historiker Avraham Barkai feststellte, hatte sich die Berufs- und Sozialstruktur der Juden in der Weimarer Republik im Vergleich zum vorangehenden Jahrhundert wenig verändert. 36 Wie im Jahre 1907 waren auch in der Zeitspanne 1925–1933 über 60 Prozent aller jüdischen Erwerbstätigen in den Handelsberufen sowie im Verkehrswesen konzentriert. 37 In Breslau gehörten Juden viele kleinere und einige große Unternehmen, vor allem in der Textilbranche, sowie einige Fabriken. Ingo Loose, der unter anderem die jüdischen Abwehr- und Überlebensstrategien der jüdischen Unternehmen in Breslau und Schlesien erforschte, bezeugte, dass „bis zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung eine Zahl von ca. 2.500 jüdischen Unternehmen in Breslau tätig war“. 38 Entsprechend der allgemeinen Tendenz im Deutschen Reich waren auch
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S. 147; ders.: Intermarriages, the ‚New Woman‘, and the Situational Ethnicity of Breslau Jews from the 1870s to the 1920s, LBIYB, Nr. 45. Oxford 2001, S. 125– 150; Meyer, Beate: ‚Jüdische Mischlinge‘. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung, 1933–1945. Hamburg 1999, S. 24; Meiring: Die Christlich-Jüdische Mischehe. Von 1919 bis 1929 gingen 426 jüdische Männer und 260 jüdische Frauen eine Mischehe ein (siehe Tabelle Nr. 6), siehe auch: van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 148. Barkai: Bevölkerungsrückgang und wirtschaftliche Stagnation, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 40; ders: Die Juden als sozio-ökonomische Minderheitsgruppe, in: Grab/Schoeps (Hrsg.): Juden in der Weimarer Republik, S. 332. Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen, S. 100; vgl. Barkai: Die Juden als sozio-ökonomische Minderheitsgruppe, in: Grab/Schoeps (Hrsg.): Juden in der Weimarer Republik, S. 332. Loose, Ingo (mit Christoph Kreutzmüller und Benno Nietzel): Nazi Persecution and Strategies for Survival. Jewish Businesses in Berlin, Frankfurt am Main, and Breslau, 1933–1942, in: Yad Vashem Studies (YVS) 39, No. 1, 2011, S. 31–70, sowie: Loose, Ingo: Jüdische Unternehmer in Breslau und Schlesien nach 1933. Einige Überlegungen zu einem offenen Forschungsfeld, in: MVBI, Nr. 81, 2006, S. 2–6, hier S. 3. Nach Schätzungen der Hauptstelle Handwerk und Handel existierten 1936 in Breslau noch etwa 2.000 jüdische Handels- und Handwerksbetriebe, siehe: Gauleitung Schlesien (Hrsg.): Jüdische Geschäfte in Breslau. Teilverzeichnis. Breslau 1936, S. 2.
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die Breslauer Juden in Berufsgruppen vertreten, in denen der Anteil der Selbstständigen überproportional hoch lag. Etwa die Hälfte der jüdischen Erwerbspersonen blieb bis 1933 selbstständig, in Breslau schwankte die Selbstständigenquote zwischen 60 Prozent bei den Männern und 30 Prozent bei den Frauen. 39 Die meisten der Selbstständigen, im Zeitraum 1925–1930 über 2.300 Personen, betätigten sich im Waren- und Produktenhandel und in diesem Erwerbszweig fanden sich auch die meisten jüdischen Angestellten mit über 1.800 Personen. 40 Unter den Breslauer Juden wurden die Berufe des Arztes und des Anwalts bevorzugt, da diese Selbstständigkeit und damit Unabhängigkeit vom Antisemitismus zu versprechen schienen. Bereits 1907 stellten Juden 29 Prozent der Breslauer Ärzte und etwa 20 Prozent aller Juristen. 41 Ihr Anteil stieg in der Zeit der Weimarer Republik noch bedeutend an. Die Wurzeln hatte dies unter anderem in den Verordnungen des Kaiserreichs. Fritz Goldschmidt, Breslauer Jurist und Sohn eines hiesigen Arztes, beschreibt 1939 seinen beruflichen Werdegang wie folgt: Ich begann das Studium deutscher Literatur, Geschichte und Philosophie an der Universität in Breslau. […] Unter den ordentlichen Professoren gab es nur sehr wenig Juden. Eine Benachteiligung jüdischer Studenten im Studium kam nur selten vor. Anders war es hinsichtlich der Anstellung jüdischer Lehrer und Beamter. Meine Absicht, Bibliothekar oder Oberlehrer zu werden, konnte ich im damaligen kaiserlichen Deutschland nicht durchführen. Dann begann ich Jura zu studieren und konnte das Studium 1916 abschließen. 42
Unter den 1.056 Juristen, die im Breslauer Oberlandesgericht im Juni 1933 registriert wurden, befanden sich 564 jüdische Personen; 43 16 jüdische Rich39 Van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 59. In diesem Zeitraum betätigten sich etwa 17 Prozent der Gesamtbevölkerung als Selbstständige. Vgl. Barkai: Bevölkerungsrückgang und wirtschaftliche Stagnation, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 41. 40 Philippstahl: Die jüdische Bevölkerung Breslaus, S. 98. 41 Ascher: A Community under Siege, S. 32. 42 ALBINY, Goldschmied, Fritz: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (Manuskript, verfasst 1939), Sig. ME 193, S. 3. 43 Schlesische Volkszeitung (SVZ), Nr. 251, 27. Juni 1933, Zitat nach, Jonca, Karol: Jewish Resistance to Nazi Racial Legislation in Silesia, 1933–1937, in: Nicosia, Francis R./Stokes, Lawrence D. (Hrsg.): Germans against Nazism. Nonconfor-
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ter und Anwälte hatten die höchsten Positionen in Breslauer Gerichten inne. An der Breslauer Universität und anderen städtischen Hochschulen forschten über 50 jüdische Wissenschaftler. 44 Die Folgen des Ersten Weltkrieges, die Hyperinflation von 1923 und letztendlich die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre erschütterten die wirtschaftlichen Grundlagen der Stadt. Insbesondere die kaufmännische jüdische Bevölkerung und ihre Institutionen wurden davon getroffen. Werner Neufliess skizziert die Lage in Breslau unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wie folgt: Breslau war nach dem Krieg die Stadt mit dem größten Elend und der größten Wohnungsnot. […] Ich sah große Familien, in einem oder zwei Zimmern untergebracht. Dann kam noch die Inflation und später die Massenarbeitslosigkeit und ich hörte zu Hause viel über die Not der Patienten meines Vaters, oft hat er sie umsonst behandelt und ihnen auch noch die Medizin bezahlt aus seiner eigenen Tasche. All das hat natürlich meine spätere politische Einstellung stark beeinflusst. 45
Für die Zeitperiode 1914–1933 wurde eine deutliche Verarmung der jüdischen Bevölkerung der Stadt verzeichnet. Die ökonomischen Schwierigkeiten betrafen vor allem jene Berufe, in denen die Mehrheit der Breslauer Juden vertreten war, sodass die Arbeitslosenquote unter den Selbstständigen bei über 14 Prozent lag. 46 Der jüdische Mittelstand hat sein angespartes Vermögen verloren, aber noch dramatischer war die Situation in den unteren Schichten bei kleinen Händlern, Handwerkern und Arbeitern sowie Pensiomity, Opposition and Resistance in the Third Reich. Essays in Honour of Peter Hoffmann. Oxford 1990, S. 77–86, hier S. 79. 44 Diese Angaben beziehen sich auf den Stand vom 20. Juli 1933, siehe: Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego Warszawa (AŻIH), Gmina Żydowska Wrocław (GŻW), 1933–1935, Sig. 105/0116, Bl. 2, 6, 7, 211; Andree, Christian: Die Ausschaltung jüdischer Mediziner der Universität Breslau und die Gleichschaltung der Ärzteschaft durch den Reichsärzteführer Gerhard Wagner, in: Bossle, Lothar/Keil, Gundolf/Menzel, Josef/Schulz, Eberhard (Hrsg.): Nationalsozialismus und Widerstand in Schlesien. Sigmaringen 1989, S. 105–120, hier S. 107. 45 Neufliess, Werner: Breslau, Theresienstadt, Shavei Zion. Gezeiten eines Jahrhundertlebens. Herausgegeben von Gerhard Senf. Wien 2007, S. 17; vgl. ALBIJ, Neufliess, Werner: Erinnerungen, Sig. 341. 46 Siehe Tabelle Nr. 7 (Der Umfang der Erwerbstätigkeit in Breslau, 1925–1930); Jüdische Zeitung für Ostdeutschland (JZO), 11. April 1930 (unpaginiert).
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nären, die sehr oft auf die Gemeindefürsorge und Wohlfahrtsorganisationen angewiesen waren. Nach Doland L. Niewyk trafen die Folgen der wirtschaftlichen Krisen die jüdische Bevölkerung härter, da diese zumeist im Handel und in freien Berufen tätig war, wohingegen sich die Gesamtbevölkerung Deutschlands schwerpunktmäßig in der Industrie und der Landwirtschaft konzentrierte. 47 Trotz dieser Probleme war die in der jüdischen Presse propagierte „Berufsumschichtung“, also die Umlenkung in Berufe außerhalb des Handels, insbesondere in die Landwirtschaft und das Handwerk, in der Weimarer Zeit noch sehr wenig verbreitet. 48 Zwar gab es bei der Berufswahl der Jugendlichen erste Anzeichen für einen gewissen Trendwechsel, doch war dieser, zumindest bis 1933, von einer marginalen Bedeutung. 49 Vor allem aber schien gerade während der Wirtschaftskrise eine solche Umschichtung kaum realisierbar zu sein. 50 Erst ab 1933 konnten auf diesem Gebiet gewisse Erfolge verzeichnet werden, worüber im Weiteren noch gesprochen wird.
2.1.2 Breslauer Juden in ihrem Umfeld – Politisches und gesellschaftliches Leben Im Kaiserreich gehörte Breslau zur Hochburg des Linksliberalismus. Es verfügte sowohl über eine starke Sozialdemokratische Partei als auch über radikale Gruppen des linken Flügels. In der Nachkriegszeit wurde die politische Orientierung der deutschen Juden vor allem durch ihre früheren Parteiloyalitäten bestimmt. Eine Rolle spielten dabei der soziale Status und nicht zuletzt die Haltung der jeweiligen Partei gegenüber dem zunehmenden Antisemitismus. 51 Demzufolge sahen die Breslauer Juden ihre politische Heimat in der DDP und der SPD, wobei die jüdische Mittel- und Oberschicht meistens linksliberal wählte, die untere, eher sozialistisch orientierte Schicht hin47 Niewyk: Jews in Weimar Germany, S. 23 ff.; vgl. ders.: The Economic and Cultural Role of the Jews in the Weimar Republik, in: LBIYB, Nr. 16, 1971, S. 163–173. 48 Maurer: Vom Alltag zum Ausnahmezustand, in: Kaplan (Hrsg.): Jüdischer Alltag in Deutschland, S. 391. 49 Ebd. 50 Ebd. 51 Vgl. Liepach, Martin: Das Wahlverhalten der jüdischen Bevölkerung in der Weimarer Republik. Tübingen 1996, S. 299–309.
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gegen gab ihre Stimmen der SPD. 52 In der Weimarer Republik bekleideten aus Breslau stammende Politiker hohe politische Ämter. Eng mit der Stadt verbunden waren der Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, Hans Schäffer, und das SPD-Fraktionsmitglied und Ministerialdirektor im Preußischen Innenministerium Hermann Badt, der sich zugleich in der zionistischen Bewegung engagierte. 53 Der Historiker Ernst Hamburger spielte eine wichtige Rolle in der SPD; sein Wahlkreis war in Breslau angesiedelt, und von 1925 an war er Mitglied des preußischen Landtags, in dem während der gesamten Weimarer Zeit eine Koalition aus Sozialdemokraten und Zentrum dominierte. 54 Bis 1918 waren die Breslauer Juden wegen des sogenannten Dreiklassenwahlrechts an der Kommunalpolitik stark beteiligt. Nachdem diese Unterteilung infolge der Novemberrevolution aufgehoben wurde, stellten die Juden nur noch 5 Prozent statt früher etwa 30 Prozent aller Wähler bei den Kommunalwahlen. 55 So lässt sich seit 1918 ein deutlicher Machtverlust der jüdischen Bürger der Stadt feststellen, was die Gestaltung der Kommunalpolitik anbetraf. Wie Barkai und van Rahden bemerkten, hatte ironischerweise ausgerechnet die Demokratisierung der städtischen Politik die Integra52 Neubach, Helmut: Die Juden in Niederschlesien, 1848–1933, in: Schultze-Rhonhof, Friedrich-Carl (Hrsg.): Geschichte der Juden in Schlesien im 19. und 20. Jahrhundert. Hannover 1995, S. 23–35, hier S. 30. 53 JZO, 19. Juni 1925 (unpg.); Lowenthal: Die Juden im öffentlichen Leben, in: Mosse (Hrsg.): Entscheidungsjahr 1932, S. 54 f.; Schoeps, Julius H.: Badt, Hermann, in: ders. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums. Gütersloh/München 1992, S. 58; Ilsar, Yehiel: Hermann Badt. Von der Vertretung Preußens im Reichsrat zum Siedlungsprojekt am Genezareth-See, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. Göttingen 1991, Bd. 20, S. 339–362; ders.: Im Streit für die Weimarer Republik. Stationen im Leben des Hermann Badt. Berlin 1992; Trittel, Günter J.: Schäffer, Hans, in: Benz, Wolfgang/Graml, Hermann (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. München 1988, S. 285; Wandel, Eckhard: Hans Schäffer. Steuermann in wirtschaftlichen und politischen Krisen. Stuttgart 1974. 54 ALBINY, Ernst Hamburger Collection, 1913–1980, Sig. AR 7034 sowie Hamburger, Ernst: Juden im Öffentlichen Leben Deutschlands. Revolution und Weimarer Republik, 1918–1933, (Manuskript), Sig. MS 383, MSF 28. 55 Weisbrod, Bernd: The Crisis of Bourgeois Society in Interwar Germany, in: Bessel, Richard (Hrsg.): Fascist Italy and Nazi Germany. Comparisons and Contrasts. Cambridge 1996, S. 23–39, hier S. 29; van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 321.
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tion jüdischer Politiker im kommunalen Bereich deutlich reduziert. 56 Dennoch fanden sich auch auf der politischen Bühne der Stadt hervorragende jüdische Politiker, die die städtische Politik mitbestimmt hatten. Der Jurist Dr. Adolf Heilberg, unter anderem Vorsitzender der schlesischen Anwaltskammer, politisch aktiv in der DDP, fungierte 44 Jahre lang als Mitglied der Breslauer Stadtverordnetenversammlung. Von 1916 bis 1918 war er deren Vorsitzender. 57 Zu den Mitgliedern des Breslauer Stadtrates gehörten unter anderem die am Anfang des Kapitels erwähnte Großmutter von Klaus Trostorff, Anna Friedländer (Vertreterin der SPD von 1917 bis 1924), Klara Eckstein (SPD, von 1928 bis 1930), Georg Landsberg (von 1919 bis 1932), Georg Cohn (von 1919 bis 1933) und Eugen Bandmann (SPD, von 1929 bis 1933). 58 Der sozialistische Politiker Dr. Ernst Eckstein, eine der berühmtesten Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung in Breslau, bekleidete den Posten des Stadtverordneten und Vorsitzenden des Stadtverbandes und war aktives Mitglied des Bezirksvorstandes. Eckstein gehörte zum engen Freundeskreis des Arztes Rudolf Stern. Dessen Sohn Fritz Stern beschreibt Eckstein als „einen jüdischen Intellektuellen und Volkstribun, einen Redner, der auf einen Teil der Arbeiterschaft großen Einfluss ausübte“. 59 Die Beerdigung von Ernst Eckstein am 10. Mai 1933 wurde zu einer großen und einer der letzten Demonstrationen der Breslauer Arbeiter gegen das nationalsozialistische Regime. 60 56 Van Rahden: Jewish Integration in Wilhelminian Breslau, in: Benz/Paucker/Pulzer (Hrsg.): Jüdisches Leben, S. 207; vgl. Barkai, Avraham: Politische Orientierung und Krisenbewusstsein, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 102–124, hier S. 108. 57 ALBINY, Heilberg, Adolf: Erinnerungen 1858–1936. Breslau 1936, (Manuskript), Sig. ME 257a, MM 32 sowie Heilberg, Adolf: Pro Memoria 1933 (Manuskript), Sig. ME 257b, MM 32. Zwischen 1887 und 1933 gehörten in Breslau drei Juden nacheinander der Stadtverordneten-Versammlung an: Wilhelm Salomon Freund, Adolf Heilberg und Eugen Bandmann, siehe: Schwerin: Die Juden in Schlesien, S. 83. 58 ALBINY, Eugen Bandmann Collection 1948–1975, Sig. AR 7 MX; Korfmacher, Norbert: Vorläufiges Mitgliederverzeichnis der Stadtverordnetenversammlung Breslau 1919 bis 1933. Münster, Stand 25. Mai 2009, http://www.abgeordneten. info/schlesien/Breslau19.pdf (abgerufen am 1. Juni 2012). 59 Stern: Fünf Deutschland, S. 105. 60 Rudorff, Andrea: ‚Privatlager‘ des Polizeipräsidenten mit prominenten Häftlingen. Das Konzentrationslager Breslau-Dürrgoy, in: Benz, Wolfgang/Distel, Barbara
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Die durchaus labile politische und ökonomische Lage der Weimarer Zeit sowie ein gewisses nationales Erwachen im Hinblick auf die Grenzkonflikte unter anderem um die oberschlesische Provinz trugen dazu bei, dass Breslau bei den Reichstagswahlen der 1930er-Jahre zu den Wahlkreisen in Deutschland gehörte, in denen die NSDAP ihre besten Ergebnisse erzielen konnte. 61 Ob die starke Präsenz des jüdischen Bürgertums in Breslau möglicherweise verstärkten Neid und Konkurrenzdruck ausgelöst hat, bleibt schwierig zu klären. Bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 haben die Nationalsozialisten im Wahlkreis Breslau jedenfalls 43,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, nachdem sie 1928 nur ein Prozent der Stimmen der Stadt erreicht hatten. 62 Der Triumph der Nationalsozialisten 1933 erschütterte die jüdische Bevölkerung in Breslau zutiefst, denn als Einwohner einer der liberalsten Städte Deutschlands waren sie fest davon überzeugt, dass die Atmosphäre der Feindseligkeit, geschweige denn der Gewalt niemals in ihre Stadt zurückkehren würde. Es kam jedoch anders. Anfang der 1930er-Jahre entwickelte sich die Stadt zu einem der stärksten und wichtigsten Zentren des Nationalsozialismus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Breslauer Juden seit den 1860er-
(Hrsg.): Instrumentarium der Macht. Frühe Konzentrationslager 1933–1937. Berlin 2003, S. 147–170, hier S. 147, 150; Stern: Fünf Deutschland, S. 122. Unmittelbar nach dem Machteintritt der Nationalsozialisten wurde Ernst Eckstein in Breslau verhaftet und später im Konzentrationslager Breslau-Dürrgoy inhaftiert. Es bleibt aber unklar, ob er Anfang Mai 1933 im Lager umgekommen ist. 61 Vgl. Thum: Die fremde Stadt Breslau, S. 17. 62 Wahlergebnisse der NSDAP in Breslau: Reichstagswahl am 20. Mai 1928 1,0 Prozent der Stimmen; Reichstagswahl am 14. September 1930 24,2 Prozent der Stimmen; Reichstagswahl am 6. November 1932 40,4 Prozent der Stimmen; Reichstagswahl am 5. März 1933 50,2 Prozent der Stimmen. Im gesamten Deutschen Reich erzielten die Nationalsozialisten am 31. Juli 1932 durchschnittlich 37,4 Prozent Stimmen. Das Ergebnis in Breslau mit 43,5 Prozent gehörte nach SchleswigHolstein (51 %) und Hannover (49,5 %) zu den drittbesten Wahlresultaten der NSDAP in Deutschland, siehe: Statistik des Deutschen Reiches, Berlin 1920– 1933; Monatsberichte des statistischen Amtes der Stadt Breslau, Die Reichspräsidentenwahlen und die Landtags- und Reichstagswahlen im Frühjahr und Sommer 1932 in Breslau, Nr. 59, 1932, S. 47–49, hier S. 48; vgl. Falter, Jürgen: Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919–1933. München 1986.
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Jahre große Fortschritte auf dem Weg zur Akkulturation und Integration erzielt. „Vielleicht in keiner anderen Großstadt Deutschlands – mit der einzigen Ausnahme von Frankfurt – war die innere Verknüpfung der Juden mit ihren nichtjüdischen Mitbürgern so stark gediehen wie in Breslau.“ 63 So bezeichnete Ernst Cohn, der, bereits mit 30 Jahren zum ordentlichen Professor der Juristischen Fakultät an der Breslauer Universität ernannt, kurz darauf entlassen wurde und 1933 nach England emigrieren musste, das tolerante Miteinander der jüdischen und nichtjüdischen Bürger der Odermetropole. 64 Breslauer jüdische Bürger erzielten große sozial-, kulturpolitische und wirtschaftliche Erfolge als Unternehmer, Anwälte, Ärzte und Wissenschaftler. Sie engagierten sich im politischen Leben der Stadt, prägten die gesellschaftliche Landschaft Breslaus sichtbar und bedeutend. Sie beteiligten sich stark an der Unterstützung kultureller Institutionen wie der Breslauer Oper, Philharmonie und des Theaters. Der aus Breslau stammende Chemiker Dr. Ernst Avraham Markowicz, langjähriger Assistent von Prof. Fritz Haber, schildert dies mit den Worten: Als in den schweren Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg der Bürgermeister Breslaus irgendwelche Aktionen organisierte, wandte er sich stets direkt an seine jüdischen Mitbürger als solche, wobei er die Bereitschaft der Juden zum Helfen besonders hervorhob, natürlich nie ohne Erfolg. […] Ich glaube, es gab wenig Orte, wo das freundschaftliche Zusammenleben der Konfessionen so ausgeprägt war, wie in Breslau. 65
63 ‚Professor Ernst J. Cohn – London Ehrendoktor anlässlich seines 60. Geburtstages‘, in: MVBI, Nr. 14/15, März 1965, S. 8; vgl. ALBINY, Ernst Cohn Collection 1932, Sig. AR 1872, MF 573. 64 Schulze-Rhonhof, Friedrich-Carl: An Stelle eines Vorwortes, in: ders. (Hrsg.): Geschichte der Juden in Schlesien im 19. und 20. Jahrhundert. Münster 1994, S. 1–8, hier S. 4. 65 Markowicz, Ernst Avraham: Die Juden Breslaus am Anfang des 20. Jahrhunderts, Auszüge aus dem Brief an Dr. Johannes Jänicke v. 1961, in: MVBI, Nr. 48–49, 1981, S. 7–8, hier S. 8; vgl. ALBIJ, Dr. Ernst Markowicz (1901–1979), Korrespondenz, Sig. 193.
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2.1.2.1 Kontaktzonen 66 zwischen der christlichen und jüdischen Lebenswelt Über Freundschaften zwischen Juden und Nichtjuden gibt es sehr unterschiedliche Zeugnisse. So sprechen einige Juden in ihren Memoiren von regen, andere von praktisch keinen Kontakten zu Nichtjuden. Aus den zahlreichen Erinnerungen und Berichten der jüdischen Breslauer lässt sich deutlich ablesen, dass sowohl Protestanten, Katholiken als auch Juden miteinander verbunden waren, unabhängig davon, welche Vorurteile sie auch gegeneinander hegten. In vielen sozialen Bereichen arbeiteten Juden und Nichtjuden zusammen und ihre berufliche Zusammenarbeit gestaltete sich auch äußerst lebhaft. Die gesellschaftlichen Kontakte zwischen den jüdischen und nicht jüdischen Breslauern können hingegen eher als korrekt denn als vertraut bezeichnet werden. Aus den vorhandenen Berichten, Erinnerungen und Interviews geht hervor, dass diese beiden gesellschaftlichen Gruppen mehr neben- als miteinander gelebt haben. Unterschiedliche Faktoren wie religiöse Ausrichtung, Berufsstruktur oder politische Ansichten haben die sozialen Beziehungen zwischen Juden und anderen Breslauern geformt. Das öffentliche Leben der Breslauer Juden war zumeist auf ihre Arbeit konzentriert, hier trafen sie am ehesten auf die nicht jüdischen Breslauer. Im Privatleben lebte jedoch die Mehrheit der Juden abseits der christlichen Lebenswelt. Ihr privater Freundeskreis beschränkte sich hauptsächlich auf Juden, wobei die soziale Schicht dabei eine gewichtige Rolle spielte. Trude Maurer vermutet aufgrund von Hinweisen, dass „die Kontakte im gehobenen Bürgertum, im Kleinbürgertum und in der Unterschicht häufiger und enger waren als in der Mittelschicht“. 67 Dies würde die These der wirtschaftlichen Konkurrenz stärken. Es gab jedoch Schnittstellen wie die öffentlichen oder privaten Schulen sowie die Universität, an denen der Prozess der Annähe66 Im Folgenden meinen die ‚Kontaktzonen‘ das christlich-jüdische Zusammenleben, wobei dies keineswegs mit dem positiv konnotierten Begriff ‚Kontakt‘ in Verbindung gebracht wird. Als ‚Kontaktzonen‘ gemeint sind hier sowohl friedliche als auch feindliche Begegnungen und Verhältnisse zwischen den jüdischen und nicht jüdischen Breslauern. 67 Maurer, Trude: Die Juden in der Weimarer Republik, in: Blasius, Dirk/Diner, Dan (Hrsg.): Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland. Frankfurt a. M. 1994, S. 102–120, hier S. 113.
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rung durchaus fortgeschritten war. In diesen Bereichen der Bildung trafen am häufigsten jüdische und nicht jüdische Welten aufeinander. Ernst Avraham Markowicz besuchte in den Jahren 1906 bis 1924 die Schule und Universität in Breslau und pflegte rege Kontakte zu seinen nicht jüdischen Mitschülern und Studenten: Ich hatte während meiner Schulzeit und Studium in Breslau stets sehr enge christliche Freunde, während ich oftmals Zeuge von ernsten Auseinandersetzungen zwischen meinen katholischen und evangelischen Kameraden war. Die Juden strömten zu den Predigten von Pastor Moehring, der ein ‚Liberaler‘ unter den Lutheranern war. In den Hochämtern im Dom, wie Ostermessen oder Weihnachtsmessen konnte man jedes Jahr viele Juden sehen. Andererseits wurden unsere christlichen Freunde zum Pessachabend eingeladen, man gab ihnen die Mazze, kurz, es war ein geradezu ideales Verhältnis, natürlich manchmal durch Scharfmacher [unverständlich] von beiden Seiten gestört. 68
Die überwiegende Mehrheit der jüdischen Kinder und Jugendlichen besuchte in Breslau die gleichen Schulen wie ihre evangelischen oder katholischen Altersgenossen, das heißt die städtischen Volks- und Mittelschulen, die städtischen und staatlichen höheren Schulen sowie die privaten Schulen. Für den Religionsunterricht konnte die Magistratsschulverwaltung in Abstimmung mit der Synagogengemeinde organisatorische Regelungen treffen, die gewährleisteten, dass selbst in Schulen, in denen nur sehr wenige oder manchmal nur ein einziger jüdischer Schüler vertreten war, der Religionsunterricht außerhalb der Schule in den Unterrichtsanstalten, welche die jüdische Gemeinde unterhielt, garantiert war. 69 Über einen solchen Fall berichtet in seinen Erinnerungen Lutz Witkowski: 68 Markowicz: Die Juden Breslaus am Anfang des 20. Jahrhunderts, S. 8; vgl. ALBIJ, Dr. Ernst Markowicz (1901–1979), Korrespondenz, Sig. 193. 69 Müller, Roland B.: Schulische Bildung für die jüdischen Kinder und Jugendliche zwischen 1918 und 1943, in: Zwierz, Maria (Hrsg.): Breslauer Schulen. Geschichte und Architektur. Wrocław 2005, S. 90–105, hier S. 91. Ausführlich zum Thema allgemeines sowie jüdisches Schulwesen in Breslau, siehe u. a.: Müller, Roland B.: Das Breslauer Schulwesen in der Weimarer Republik. Dresden 2003; ders.: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, in: Medaon, Heft 1, Dresden 2007, S. 1–28; ALBIJ, Müller, Roland B.: Glaube und Pflicht. Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Deutschland. Beispiel Breslau. Manuskript zum Vortrag vom 5. September 2006 im Goethe-Institut in Tel Aviv, Sig. 329.
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In meiner Schule gab es nur einen Juden, und das war ich. Das fiel mir damals gar nicht auf, aber später wurde mir klar, wie vollständig integriert in die Breslauer Gesellschaft meine Familie zu der Zeit war. Niemand machte eine besondere Bemerkung, dass ich als einziger Schüler der Schule vom verbindlichen christlichen Religionsunterricht befreit war. Ich wurde statt dessen dazu verpflichtet, den jüdischen Religionsunterricht im Zentrum der Stadt zu besuchen. 70
Eine besondere Rolle im Hinblick auf die christlich-jüdischen Beziehungen spielte das Johannes-Gymnasium. Diese Anstalt wurde 1872 errichtet und seit ihrer Gründung arbeitete sie im Geiste des Humanismus, der Aufklärung und Emanzipation. 71 Demzufolge bestand die Schülerschaft dieser pluralistischen Einrichtung zu etwa einem Drittel aus jüdischen Kindern und Jugendlichen und seit 1928 stieg ihre Zahl sogar auf über 50 Prozent an. 72 Satzungsgemäß stellte die Einrichtung ausdrücklich jüdische Lehrer ein, zu denen unter anderem Willy Cohn gehörte; er notierte 1940 in seinen Erinnerungen: Es war ein guter Geist, der in dieser Anstalt wehte, in der ich meine ganze Schülerlaufbahn und den erheblichsten Teil meines ganzen Lehrerdaseins verbrachte. Gewiss gab es Spannungen wie überall im menschlichen Leben. Im Allgemeinen aber hat man sich gut vertragen. 73
70 Witkowski, Lutz: Fluchtweg Shanghai. Über China nach Israel und zurück nach Deutschland. Eine jüdische Biographie. Frankfurt a. M./Berlin 2006, S. 12. 71 Cohn, Willy: Verwehte Spuren. Erinnerungen an das Breslauer Judentum vor seinem Untergang. Herausgegeben von Norbert Conrads. Köln/Weimar/Wien 1995, S. 38. Ausführliche Informationen zu dem Johannes-Gymnasium in: van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 194–244; ders.: Pluralismus, Kulturkampf und die Grenzen der Toleranz. Juden, Katholiken und das Breslauer Johannesgymnasium 1865–1880, in: Schuller, Florian/Veltri, Giuseppe/Wolf, Hubert (Hrsg.): Katholizismus und Judentum. Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Regensburg 2005, S. 193–208. 72 Laut dem Schulprogramm des Gymnasiums für das Schuljahr 1927/28 gab es folgende Zahlen über die Religionsverhältnisse der Schüler am 1. Februar 1928: 170 evangelische Schüler; 71 katholische Schüler und 244 jüdische Schüler. Die Zahl der jüdischen Schüler betrug also 50 Prozent, siehe: Schaeffer, Rudolf F.: Das religiös-liberale Schulwerk in Breslau, 1933–1937, in: BLBI, 1967, Bd. 40, S. 298– 308, hier S. 298. 73 Cohn: Verwehte Spuren, S. 38.
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Efraim Orni erinnert sich an seine Schulzeit im Johannes-Gymnasium in einem Interview aus dem Jahre 1991: Die Bezeichnung Jude galt schon für viele Kinder als Schimpfwort, auch ich bekam es zu spüren. Allerdings viel weniger, als ich 1924 auf das Johannes-Gymnasium kam, […] das war das einzige Gymnasium, das so stark jüdisch besetzt war. In meiner Klasse waren zwischen 30 Prozent und 50 Prozent der Schüler Juden. 74
Jisrael (Rudi) Jutkowski äußert sich 1978 in seinen Erinnerungen viel kritischer zu der Situation der jüdischen Schülerschaft im Johannes-Gymnasium: In meiner Klasse, unter 32 Schülern, waren 17 bis 18 jüdisch. […] Drei von ihnen weigerten sich am Sabbat zu schreiben. […] Ausserdem gab es noch einen oder zwei Zionisten, ansonsten waren alle anderen zufrieden, wenn von Juden und Judentum möglichst wenig oder gar nicht gesprochen wurde. […] Im Unterricht wurde alles, was mit Juden zusammenhing, einfach totgeschwiegen. Wir lernten über die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich, aber wir hörten nichts über die Vertreibung der Juden aus Spanien. Wir lernten, dass in Polen Städte gegründet wurden, aber man verschwieg, dass die polnischen Grafen zu diesem Zweck unter anderem Juden aus Deutschland in ihr Land riefen. Und das an einer Schule, deren Schüler in der Mehrheit Juden waren. Selbst die jüdischen Schüler waren mit dieser Taktik durchaus zufrieden (wenn sie sie überhaupt merkten). Denn die Erwähnung des Wortes ‚Jude‘ wirkte auf sie unangenehm. 75
Bis zum Anfang der 1930er-Jahre ist wenig anderes berichtet, als dass man die Erfahrung der jüdischen Kinder in öffentlichen Schulen im Allgemeinen als positiv bewerten kann. Dabei steht das Johannes-Gymnasium in der Schullandschaft Breslaus als ein Einzelfall der äußerst friedlichen und toleranten Zusammenarbeit von Juden und anderen Breslauern da. 76 Zu einem Symptom für die Entwicklungen der Beziehungen zwischen Juden und ihren Mitbürgern wurde zweifelsohne die jüdisch-christliche Ehe. Wie im Kapitel zur Berufs- und Sozialstruktur bereits erwähnt, kann man in der Weimarer Zeit von einer erheblichen Zunahme der interkonfessionellen 74 Interview mit Ephraim Orni, am 20. April 1991 in Jerusalem, The Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry Hebrew University Jerusalem, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 15, Tape 1. 75 Jutkowski, Jisrael (Rudi): Das Johaneum – und die Judenfrage, in: MVBI, Nr. 44, 1978, S. 25. 76 Vgl. van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 222.
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Ehen sprechen. So wurden im Zeitraum zwischen 1918 und 1929 in Breslau 720 christlich-jüdische und 2.118 jüdische Ehen geschlossen. 77 Die „Mischehen“ waren in der Arbeiterschaft ebenso wie bei einem Teil der ihr nahestehenden Intellektuellen weiter verbreitet als im Mittelstand. 78 Bemerkenswert ist, dass die Quote der Mischehen in der Weimarer Zeit zwar bedeutend anstieg, sie aber dennoch weiterhin als unangemessen und ungewöhnlich galt. In jüdischen wie in christlichen Familien trug sie das Stigma einer Besonderheit. Miriam Kedar, die 1922 in Breslau in einer christlich-jüdischen Ehe geboren wurde, schildert rückblickend in einem Interview aus dem Jahre 1993 die vorherrschende Familienatmosphäre im Hinblick auf die Ehe ihrer Eltern: Bevor meine Eltern in Breslau heirateten, ist meine Mutter zum Judentum übergetreten. Sie hatte das meinem jüdischen Großvater zuliebe getan. […] Mein Vater hat sich absolut als Deutscher gefühlt, aber nicht weniger als Jude. Von den jüdischen Großeltern hatten wir eigentlich nur Kontakt mit dem Großvater. Meine jüdische Großmutter wollte von der Familie nichts wissen, ich nehme an, dass sie aus einer sehr frommen Familie kam und sehr unglücklich darüber war, dass ihr Sohn eine Christin geheiratet hatte. […] Meine Großmutter habe ich eigentlich erst kennengelernt, nachdem mein Großvater 1933 gestorben war. Meine Mutter aber durfte auch weiterhin ihr Haus nicht betreten. Zu der christlichen Großmutter hatten wir einen sehr guten Kontakt. Sie war immer sehr lieb und nett zu uns. 79
Ganz anders gestalteten sich die Beziehungen zwischen den jüdischen und christlichen Familienmitgliedern des 1924 in Breslau in einer sozialdemokratischen Familie geborenen Fred Löwenberg: In meinem Elternhaus spielte die Religion, weder die jüdische, noch die christliche, irgendeine Rolle. Mein Vater war aus der Verbundenheit zu seinen damals noch lebenden Eltern in kulturellen Fragen Jude. Allerdings wurde mein Vater auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. […] Unser Haus war durch die Toleranz geprägt, wir waren eine große Familie; bei uns wohnte ja auch die ‚arische‘ Groß77 Siehe Tabelle Nr. 6. 78 Vgl. Barkai, Avraham: Jüdisches Leben in seinem Umfeld, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 50–73, hier S. 61. 79 Interview mit Miriam Kedar (ehemals Margita Heymann), 1993 in Jerusalem, The Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry Hebrew University Jerusalem, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 119, Tape 1.
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mutter, wenn ich so sagen darf, und die jüdische Großmutter war sehr oft zu Besuch. An den hohen jüdischen Feiertagen besuchten wir die Synagoge, aber zu Weihnachten gingen wir auf die Weihnachtsmesse in der evangelischen Kirche. […] Von meiner Kindheit an bin ich daran gewöhnt, das eine wie das andere zu respektieren, zu tolerieren, und auch damit gut zu leben. 80
In der Historiografie zur Geschichte der deutschen Juden wird die jüdischchristliche Ehe zumeist im Rahmen der Debatten über die „Assimilationsfrage“ der Juden in Deutschland platziert. Dabei wird die „Mischehe“ oft der Konversion gleichgestellt und als Ausdruck einer „radikalen Assimilation“ betrachtet. 81 Die jüdisch-christliche Ehe kann man auf jeden Fall als Zeichen einer vollen gesellschaftlichen Integration betrachten, diese musste jedoch im Gegensatz zur Konversion keine Abwendung vom Judentum bedeuten. Gerade die Möglichkeit einer Zivilehe in der Weimarer Republik bot eine Heirat über die konfessionellen Grenzen hinaus, ohne zum Glauben des Ehepartners übertreten zu müssen. So konvertierten viele der jüdischen Ehepartner gerade nicht und bezeugten, dass die Ehe mit einem Nichtjuden keine Verneinung ihrer jüdischen Herkunft bedeuten musste. 82 Hier kann festgehalten werden, dass weder die Zugehörigkeit zur jüdischen Religion noch zur jüdischen Ethnizität ein Kriterium war, welches diese Menschen im privaten und gesellschaftlichen Umgang voneinander getrennt hat. Es zeigt sich zu dieser Zeit auch eine weitere Möglichkeit, die Grenzen des eigenen Identitätskonzeptes zu erweitern: Manche der christlichen Ehepartner wie die Mutter von Miriam Kedar traten zum Judentum über. Insgesamt betrug der Zuwachs der jüdischen Gemeinde in Breslau, der durch Konversion begrün80 Interview mit Fred Löwenberg, am 8. März 1996 in Berlin, University of Southern California Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 11319, Tape 1; vgl. Fuchs-Frotscher, Daniela: Zwischen antifaschistischem Widerstand und Heimatverlust – die Breslauer Familie Löwenberg, in: Domaschke, Cornelia/Fuchs-Frotscher, Daniela/Wehner, Günter (Hrsg.): Widerstad und Heimatverlust. Deutsche Antifaschisten in Schlesien. Berlin 2012, S. 10–38. 81 Levenson argumentierte zum Beispiel, dass die Mischehen zwangsläufig zu einem ‚Abbruch aller Bindungen mit der jüdischen Welt‘ geführt haben, Levenson, Alan T.: Reform Attitudes in the Past Toward Intermarriage, in: Judaism, Jg. 38, 1989, S. 320–333, hier S. 321. Vgl. Endelmann, Todd: Conversion as a Response to Antisemitism in Modern Jewish History, in: Reinharz, Jehuda (Hrsg.): Living with Antisemitism. Modern Jewish Responses. Hannover 1987, S. 59–83. 82 Vgl. van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 171.
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det war, zwischen 1924 und 1933 rund 143 Personen. 83 Stellt man dies in den Zusammenhang der 52 in ganz Niederschlesien von der am weitesten verbreiteten religiösen Gruppe der Protestanten zwischen 1918 und 1927 vollzogenen Konversionen zum Judentum, kann man vermuten, dass das städtische, tolerantere Klima in Breslau Veränderungen wie diese leichter zuließ als Provinzstädte oder Dörfer. 84 In manchen „Mischehen“, in denen der christliche Partner nicht zum Judentum übergetreten war, wurden die jüdische Religion und Tradition gepflegt und bei den Kindern die Festigung ihrer jüdischen Identität angestrebt. Karla Wolff, die 1928 in Breslau geboren wurde, wuchs in einem liberalen Elternhaus auf. Ihre Mutter, die katholisch war, und ihr Vater, der der Breslauer jüdischen Gemeinde angehörte, waren beide nicht fromm, die religiösen Traditionen wurden aber gepflegt und die Atmosphäre ihres Hauses war ausdrücklich jüdisch: Die jüdischen Feiertage haben unser tägliches Leben sehr stark geprägt. Ich ging mit meinem Vater jeden Freitagabend und am Sabbat in die Neue Synagoge am Anger. Die Feiertage zu Hause wurden ganz traditionell gehalten. Wir führten zwar keinen koscheren Haushalt, aber verbotenes Fleisch oder anderes kam nie auf den Tisch. Meine Mutter zündete Freitagabend die Lichter an, der Vater machte Kiddusch und es herrschte Sabbatatmosphäre in ganzem Haus. Es war sehr wichtig für mich, dass ich mit der Tradition aufwuchs, dass es ein Teil von mir wurde und der jüdische Teil meines Erbes auf ganz natürliche Art dominierend wurde. 85
Nach Till van Rahden zeugte der Anstieg der „Mischehenquote“ von einem „freundlichen und intimen Umgang zwischen Juden und anderen Breslauern“. 86 Dies ist ein Indiz dafür, dass der Antisemitismus zur Weimarer Zeit keineswegs in alle liberalen Bereiche vorgedrungen war.
83 Siehe Tabelle Nr. 5. 84 Vgl. van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 171. 85 Interview mit Karla Wolff, am 10. Februar 2007, am 15. Juni 2008, am 6. Juni 2009 in Nahariya/Israel, AA; siehe auch: Wolff, Karla: Ich blieb zurück. Erinnerungen an Breslau und Israel. Herausgegeben von Ingo Loose. Berlin 2012. 86 Van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 148.
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2.1.3 Die Breslauer jüdische Gemeinschaft und ihre Organisationen In der Weimarer Republik kam es zu weitreichenden Transformationsprozessen innerhalb der lokalen jüdischen Gemeinden. Auch die Breslauer jüdische Gemeinde entfaltete sich allmählich von einer im Wesentlichen religiös geprägten Kongregation zu einer überwiegend säkularen Institution. 87 Das Alltagsleben der Breslauer Juden blieb wie zuvor geschildert vielschichtig, daneben aber zeichnete sich eine sichtbare Neubelebung jüdischen Zusammengehörigkeitsgefühls ab. 88 Max Grünwald, der am Breslauer „JüdischTheologischen Seminar“ studierte und anschließend Rabbiner in Mannheim wurde, erinnerte sich später an seine Studienzeit in Breslau: „In jenen Jahren begegneten einander das Krisenhafte und das Schöpferische, eine verstärkte Assimilation und eine entscheidende Wendung zu jüdischen Inhalten.“ 89 In jedem Aspekt des jüdischen Lebens, seien es die Gemeindeaktivitäten, Wohlfahrtsarbeit, jüdische Wissenschaften und Theologie oder die Erwachsenenbildung und Jugendarbeit, kam es zu einer außerordentlichen Blüte der jüdischen Aktivitäten. 90 In den 1840er-Jahren hatten Tendenzen zur Rationalisierung von Religion und Kultur sowie Assimilationsbestrebungen zur Spaltung der Breslauer jüdischen Gemeinde in zwei Kultusfraktionen geführt. 91 An der Spitze jeder 87 Vgl. Brenner, Michael: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik. München 2000, S. 48. 88 Vgl. Barkai, Avraham: Die Organisation der jüdischen Gemeinschaft, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 74–101, hier S. 74. 89 Grünwald, Max: Erinnerungen an Paul Eppstein (o. D.), in: Fliedner, Hans Joachim: Die Judenverfolgung in Mannheim, 1933–1945, Bd. 2, Dokumente. Stuttgart 1971, S. 155, Zitat nach: Maurer: Vom Alltag zum Ausnahmezustand, in: Kaplan (Hrsg.): Jüdischer Alltag in Deutschland, S. 411. 90 Vgl. Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, Einführung, S. 9. 91 Die Spaltung der Breslauer jüdischen Gemeinde in zwei Kultusfraktionen ist auf den berühmten Streit zwischen Rabbiner Tiktin und Geiger zurückzuführen. Die Hauptpunkte des Streites betrafen den Gebrauch der hebräischen oder deutschen Sprache bei religiösen Funktionen und das Problem der freien Forschung. Der Konflikt endete erst nach Tiktins Tod 1843, als sein Sohn und Nachfolger Gedalje Tiktin eine versöhnlichere Haltung annahm. Aufgrund der Neuorganisierung der Gemeindeverwaltung wurde Tiktin 1856 Gemeinderabbiner für den konservativen
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Fraktion stand ein Gemeinderabbiner und diese Doppelspitze hielt sich bis zum Ende der 1930er-Jahre. Diese Tendenz setzte sich über Breslau hinaus fort und teilte Gemeinden in zwei Gruppen mit unterschiedlicher Kultur: einer konservativen und einer liberalen. 92 Den orthodoxen Flügel in Breslau repräsentierte Rabbiner Moses Hoffmann, der zwischen 1921 und 1938 amtierte, und die liberale Richtung vertrat Rabbiner Hermann Vogelstein, der diesen Posten zwischen 1919 und 1938 innehatte. 93 Die Breslauer Juden besaßen im Rahmen der gemeinsamen Gemeindeorganisation ihre zwei Hauptsynagogen, die große liberale „Neue Synagoge“ 94 in der Nähe des Polizeipräsidiums am Anger 8 und die kleinere konservative „Alte Synagoge“ – auch Storch Synagoge genannt – in der Wallstraße 7. Beide lagen unweit vom „Jüdisch-Theologischen Seminar“, das nicht nur räumlich eine vermittelnde Stellung einnahm. Der aus Breslau stammende Historiker Joseph Walk betonte in einem Interview 1991, dass die Atmosphäre, die in der jüdischen Gemeinschaft der Stadt herrschte, auch sein späteres Leben in Israel beeinflusst habe: Breslau war die einzige jüdische Großgemeinde, die keine Außer-Orthodoxie hatte; wir waren in einer Einheitsgemeinde vereinigt. Es konnte wohl nur in Breslau passieren, dass man am Sabbat-Nachmittag auf der Breslauer Promenade drei Rabbiner zusammen spazieren gesehen hatte: in der Mitte ging der Rabbiner des Theologischen Seminars und fungierte als Vermittler. Neben ihm rechts spazierte der orthodoxe Rabbiner, links der liberale. Sie unterhielten sich einträchtig miteinander, diskutierten heftig, aber sie gingen miteinander. Diese Situation wäre zum Beispiel in Frankfurt am Main unvorstellbar. Und sofern habe ich durch diese außergewöhnliche Atmosphäre eine Toleranz mitbekommen, die
Teil der Gemeinde und Geiger liberaler Gemeinderabbiner, siehe: Geiger, Ludwig: Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk. Berlin 1910; Heppner, Aron: Jüdische Persönlichkeiten in und aus Breslau. Breslau 1931. 92 An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass die jüdische Gemeinde zu Breslau die einzige Großstadtgemeinde Deutschlands war, welche – trotz aller religiöser und politischer Gegensätze – ihre Einheit aufrechterhalten konnte, siehe, Walk, Joseph: The Torah va’ Avodah Movement in Germany, in: LBIYB, Nr. 4, 1961, S. 236– 260, hier S. 237. 93 AŻIH, GŻW, 1923–1924, Sig. 105/0116, Bl. 492. 94 Die Breslauer ‚Neue Synagoge‘ wurde auch als ‚Synagoge am Anger‘ oder ‚Große Synagoge‘ bezeichnet.
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mich auch in Israel weiter begleitete und auf die ich noch heute stolz und für diese dankbar bin. 95
Bis in die frühen 1930er-Jahre wurden in der Stadt mindestens sieben neue Bethäuser geschaffen, unter anderem am „Jüdisch-Theologischen Seminar“ sowie im jüdischen Krankenhaus; alle anderen wurden vor allem durch die orthodoxen Juden gegründet, die nach eigenem Ritus ihre religiösen Praktiken ausübten. 96 Der Historiker Abraham Ascher belegte in seiner Studie über die Juden in Breslau, dass etwa 30 Prozent der Gemeindemitglieder die orthodoxen Synagogen besuchten; zwei oder drei dieser Synagogen wurden zu Zentren der osteuropäischen Gläubigen. Laut Ascher ist es sehr schwer zu bestimmen, wie viele der übrigen Gemeindemitglieder an religiösen Praktiken teilgenommen haben, also regelmäßig die Gottesdienste besuchten und nach religiösen Vorschriften lebten. 97
95 Interview mit Joseph Walk, am 16. April 1991 in Jerusalem, The Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry Hebrew University Jerusalem, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 135, Tape 1 und 2; vgl. Loewenstein, I. E.: Gedanken über Ost und West. Gewidmet Prof. Dr. Josef Walk, in: MVBI, Nr. 50, 1982–1983, S. 3–4, hier S. 4. Über die Breslauer Gemeinde als Vorbild der Einheitsgemeinde schreibt auch Mordechai Hauschner: ‚Am Sabbatnachmittag gingen der orthodoxe Gemeinderabbiner Dr. Ferdinand Rosenthal mit seinem liberalen Kollegen Prof. Guttmann am Stadtgraben spazieren und diskutierten‘, siehe: Hauschner, Mordechai: Rabbiner Dr. Bernhard Hamburger s. A., in: MVBI, Nr. 53, 1989, S. 16; ders.: Die Gemeinde Breslau, S. 3, 8. 96 AŻIH, GŻW, 1913–1924, Sig. 105/0095, Bl. 274; ALBINY, Seidemann, Adolf: Aus jüdischer Vergangenheit. Synagogen und jüdische Institutionen in Breslau, Gemeinde Breslau, Sig. AR 2355, S. 7. 97 Ascher: Community under Siege, S. 33. Laut Niewyk sei die Zahl der an Feiertagen praktizierenden Juden in Breslau viel höher als in anderen deutschen Großstädten gewesen (zum Vergleich: In Berlin besuchten 49 Prozent der Gemeindemitglieder die Synagogen an hohen Feiertagen, und in Frankfurt am Main waren es 41 Prozent). Als hohe Feiertage galten u. a. das Neujahrsfest (Rosch Haschana) und der Versöhnungstag (Yom Kippur). Niewyk gibt jedoch keine Informationen bezüglich der Quelle für seine Prozentwerte an sowie benennt keine Berechnungsmethode, anhand derer die Zahlen ermittelt worden sind. Daher können diese prozentualen Werte eher als rein subjektiv eingeschätzt werden, Niewyk: The Jews in Weimar Germany, S. 102.
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Mit einer zunehmenden religiösen Offenheit und Säkularisierung verlor die Gemeinde deutlich an Bedeutung für den Einzelnen. Joachim Prinz bezeichnete diejenigen Personen, deren Anteilnahme am Gemeindeleben sich auf die Gottesdienste der Feiertage beschränkte, wie folgt: „Man hat in Deutschland eine Religion ohne Gott geschaffen, so entstand das Gebilde des ‚Dreitage Judentums‘ – Yomkippur-Juden, Konventions-Juden – eine Farce der ‚höchsten Feiertage‘.“ 98 Prinz’ Begriff prägte auch später viele Aussagen und Erinnerungen der Breslauer Juden, unter anderem die Lebensgeschichte von Lotte Hirschberg, die über die religiösen Praktiken in ihrem Familienhaus berichtet: Den wichtigsten Platz in unserer Erziehung nahm der Patriotismus ein. Die Liebe und der Stolz auf Deutschland, das Interesse am Kaiser und seiner Familie gehörte zu den positiven Erscheinungen in unserem Leben. Daneben nahm die jüdische Erziehung nur einen ganz kleinen Platz ein. Wir gehörten zu den sogenannten Drei-Tage Juden, d. h. zu denen, die drei Mal im Jahr in die Synagoge gingen. Da meine Großmutter noch fromm war, worüber mein Großvater nur lachte, wurde in unserem Haus noch milchig und fleischig getrennt gegessen und verbotene Sachen wie Schweinefleisch nur auf einem Papier serviert. Auch den Pessach-Seder hielten wir noch. Daher galt ich in dem Kreis meiner Freundinnen als fromme Jüdin. Bei ihnen wurde nichts mehr gehalten; im Gegenteil, es wurde Weihnachten mit Baum und Geschenken gefeiert, worum ich sie beneidete. 99
Das hierin deutlich werdende Selbstbild als „Drei-Tage-Jüdin“ ist keineswegs ungewöhnlich für die damalige Zeit und den Ort, sondern gibt eine Grundstimmung wieder. Die Zuschreibung als besonders fromm kann in dem Sinne interpretiert werden, dass für eine großteils säkularisierte jüdische Gemeinschaft das Handeln nach strengen religiösen Regeln eine bemerkenswerte Ausnahme darstellte. Dass dies zwischen Eheleuten sogar für Spott sorgte, legt die Vermutung nahe, dass in bestimmten Kreisen eine Gleichgültigkeit gegenüber der religiösen Dimension des eigenen jüdischen Lebens herrschte. Für die Jugendliche scheint zumindest zu Weihnachten das Ankommen in der Mehrheitskultur das erstrebenswerte Ziel zu sein.
98 Prinz, Joachim: Wir Juden. Berlin 1934, S. 69. 99 ALBINY, Hirschberg, Lotte: Die Lebensgeschichte von Lotte Hirschberg (17. April 1898–8. Juni 1993), (Manuskript, verfasst um 1990), Sig. ME 1532, S. 2.
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Die ostjüdische Einwanderung während des Krieges und danach, vor allem aber die Folgen der Inflation und Wirtschaftskrise stellten die jüdischen Gemeinden vor neue, soziale Aufgaben, die in diesem Umfang und Inhalt so noch nicht vorgekommen waren. Diese Faktoren führten auch in Breslau zur Gründung vieler jüdischer Wohlfahrtsorganisationen. Diese wurden, wie wir später sehen werden, zur grundlegenden Infrastruktur für das Wohlfahrtswesen im „Dritten Reich“, das somit entscheidend die Umgangsund Überlebensstrategien der jüdischen Breslauer bestimmte. Neben den großen Aufgaben, die der Verwaltung der Großstadtgemeinde oblagen, wie zum Beispiel Beerdigungs- und Friedhofswesen, Gottesdienst, Religionsunterricht und dergleichen mehr, stellte die soziale Wohlfahrtspflege ein außerordentlich umfangreiches Arbeitsgebiet dar. Zu diesem Zweck wurde in Breslau das „Jüdische Wohlfahrtsamt“ benannt, das als eine Verwaltungsabteilung der jüdischen Gemeinde galt und daher der Gemeinde unterstellt wurde. 100 Den jüdischen Arbeitslosen, deren wachsende Zahl auf eine drohende wirtschaftliche Krise hindeutete, kam die „jüdische Arbeiterfürsorge“ zu Hilfe sowie der „jüdische Arbeitsnachweis“, der bei Stellenvermittlung Hilfe leistete. 101 Darüber hinaus wirkten in der Stadt zahlreiche Stiftungen, die auf dem Gebiet der Wohlfahrtsarbeit besonders aktiv waren. Zu nennen wären hierbei die „Jonas-und-David-Fraenkel-Stiftung“ und die „Löbel-und-Henriette-Schottländer-Stiftung“, die unter anderem das jüdische Krankenhaus, Kindergarten sowie zahlreiche andere Institutionen finanziell unterstützten. 102 Laut den Dokumenten der Gemeinde waren noch im September
100 AŻIH, GŻW, 1932–1935, Sig. 105/0128, Bl. 42. Der Umfang der Leistungen des Wohlfahrtsamtes ist daraus zu ersehen, dass 1929 die sozialen Leistungen der Gemeinde auf nahezu 35 Prozent des Gesamthaushaltes angestiegen sind. Anfang 1932 waren schon etwa 45 Prozent der Gemeindemitglieder auf die Wohlfahrtspflege angewiesen, siehe: BJG, Nr. 8, 8. August 1929, S. 133; JZO, 26. Januar 1932 (unpg.). 101 JZO, 23. März 1928; 4. Mai 1928 (unpg.). 102 Schlesische Lebensbilder, Breslau 1922–1931, Fraenckel Jonas, S. 195–202. Ausführlich zum Thema jüdische Wohlfahrt in Breslau siehe: Lenarcik: A Community in Transition, S. 103–138; ders.: Jewish charitable foundations in Breslau, in: Medaon, Magazin für Jüdisches Leben in Forschung und Bildung, Heft 1, Dresden 2007, S. 1–16, hier S. 4–8.
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1938 achtundzwanzig jüdische Stiftungen, die zwischen 1835 und 1919 gegründet worden waren, in der Stadt tätig und zahlungsfähig. 103 Zu den herausragenden Leistungen der Breslauer jüdischen Gemeinschaft gehörte vor allem der Unterhalt des jüdischen Krankenhauses. Über 170 Jahre seit der Gründung 1760 entfaltete sich das Hospital von einer kleinen Institution zu einem der modernsten Krankenhäuser der Stadt und zu einem der größten jüdischen Krankenhäuser im Deutschen Reich mit beeindruckender Ausstattung und hervorragendem Personal. 104 Zu Beginn der 1930er-Jahre gehörte diese Anstalt zu einem der besten Krankenhäuser der Stadt, das vor allem durch die innovative Methode der Radiotherapie bekannt wurde. Das Krankenhaus erfreute sich auch unter den nicht jüdischen Breslauern einer großen Popularität, die Mitte der 1920er-Jahre etwa 75 Prozent der Patienten ausmachten. 105 Auffallend für Breslau ist die ungewöhnlich starke soziale Einsatzbereitschaft jüdischer Frauen. Im Oktober 1908 wurde die Breslauer Ortsgruppe des „Jüdischen Frauenbundes“ gegründet. 106 Im Verband engagierten sich bekannte jüdische Frauen der Stadt wie Emma Brann, Beate Guttmann oder Paula Ollendorf.107 Zu den Hauptaufgaben des Bundes gehörte vor allem die Unterstützung von Kindern mit dem Breslauer Kleinkinder- und Säuglingsheim, Adoptionsvermittlung und örtlicher Erholungsfürsorge für Kinder; 103 Den Vermögenswert der größten, nämlich der ‚Schottländer Stiftung‘ schätzte man im März 1933 auf 525.000 RM, siehe: AŻIH, GŻW, Sig. 105/1099, Bl. 122 ff. 104 Mit schließlich 350 Betten und insgesamt sieben Fachstationen war das Breslauer jüdische Krankenhaus nicht nur eines der modernsten und bestausgestatteten Krankenhäuser in der Stadt, sondern neben dem Krankenhaus der Berliner jüdischen Gemeinde auch die größte Einrichtung dieser Art im Deutschen Reich. Ausführlich zur Geschichte des Breslauer jüdischen Krankenhauses siehe: Reinke, Andreas: Stufen der Zerstörung: Das Breslauer Jüdische Krankenhaus während des Nationalsozialismus, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte, Nr. 5, 1994, S. 379–414; ders.: Judentum und Wohlfahrtspflege; Philipsborn, Alexander: The Jewish Hospitals in Germany, in: LBIYB, Nr. 4, 1959, S. 220– 234, hier S. 226 f. 105 Ebd., S. 205. 106 BJG, Nr. 20, 31. Dezember 1934, S. 1; Gedenkbuch. Jüdischer Frauenbund – Ortsgruppe Breslau. Breslau 1928, S. 5. 107 BJG, Nr. 9, 13. Juli 1934, S. 4; Lenarcik: Jewish foundations in Breslau, S. 8 f.
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darüber hinaus gab es für SeniorInnen das „Beate-Guttmann-Heim“, dem eine Haushaltsschule angeschlossen war, und noch die Rentnerinnenfürsorge. 108 Dank der bereits erwähnten „Fraenckelschen Stiftung“ war im Jahre 1849 das „Jüdisch-Theologische Seminar“ errichtet worden, das sich sehr bald zu einer der renommiertesten jüdischen Institutionen der Stadt entwickelte. Neben einer ähnlichen Einrichtung in Berlin bildete es den theologischen Nachwuchs für Deutschland und auch für Teile Osteuropas heran. 109 Neben der großen Zahl Rabbiner, die aus dem Breslauer Seminar 108 JZO, 30. April 1930 (unpg.); BJG, Nr. 5, April 1930, S. 75 ff.; ALBINY, Paula Ollendorff Collection, 1920–1960, Sig. AR 3060 sowie Lilli Liegner Collection, 1841–1974, Sig. AR 1228, Folder III., IV., V.; AŻIH, GŻW, 1930–1938, Sig. 105/1239. 109 Zur Entstehungsgeschichte des Seminars und seiner früheren Tätigkeit siehe: Brann, Markus: Geschichte des Jüdisch-Theologischen Seminars (Fraenckelsche Stiftung) in Breslau. Breslau 1904; Brämer, Andreas: Die Anfangsjahre des Jüdisch-Theologischen Seminars. Zum Wandel des Rabbinerberufs im 19. Jahrhundert, in: Hettling, Manfred/Reinke, Andreas/Conrads, Norbert (Hrsg.): In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit. Hamburg 2003, S. 99–112; ders.: The Early Years of the Breslau Rabbinical Seminary: The Change in the Rabbinical Profession in Germany in the Nineteenth Century, in: Miron, Guy (Hrsg.): From Breslau to Jerusalem. Rabbinical Seminaries Past, Present and Future. Jerusalem 2009, S. 27–50. (hebr.); Kober, Adolf: The Jewish Theological Seminary of Breslau and ‚Wissenschaft des Judentums‘, in: Kisch, Guido (Hrsg.): Das Breslauer Seminar. Jüdisch-Theologisches Seminar (Fraenckelscher Stiftung) in Breslau, 1854–1938. Gedächtnisschrift. Tübingen 1963, S. 261–293; Fuchs, Konrad: Zur Entstehung, Entwicklung und Schließung des Jüdisch-Theologischen Seminars zu Breslau (Fraenckelsche Stiftung), in: JSFUB, Nr. 31, 1990, S. 301–306; Rothschild, Lothar: Die Geschichte des Seminars von 1904 bis 1938. Allgemeine Übersicht, in: Kisch, Guido (Hrsg.): Das Breslauer Seminar. Jüdisch-Theologisches Seminar (Fraenckelscher Stiftung) in Breslau, 1854–1938. Gedächtnisschrift. Tübingen 1963, S. 121–166; Seligmann, Caesar: Breslau Seminary 1881, in: LBIYB, Nr. 5, 1960, S. 346–350; Bericht des jüdischtheologischen Seminars Fraenckel’scher Stiftung für das Jahr 1924. Breslau 1925; Carmilly-Weinberger, Moshe: The Similarities and Relationship between the Jüdisch-Theologisches Seminar (Breslau) and the Rabbinical Seminary of Budapest, in: LBIYB, Nr. 44, 1999, S. 3–22. Die ‚Breslauer Schule‘ gestaltete in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst das Erscheinungsbild des deutschen Rabbiners, wirkte dann aber auch weit nach Südosteuropa über Wien und Budapest, bevor sie dann etwa zur Jahrhun-
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hervorgingen und sich dem religiös-liberalen Judentum in seiner in Deutschland entstandenen klassischen Form zuwandten, fanden sich immer auch andere, die ebenfalls das Seminar besuchten, und konservative oder orthodoxe Positionen vertraten. 110 Der sehr bekannte jüdische Historiker Heinrich Graetz war dem Seminar eng verbunden. Er hat die erste Geschichte der Juden von ihren Anfängen bis ins 19. Jahrhundert verfasst und die „Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums“ herausgegeben. Auch der Rabbiner Leo Baeck gehörte zu den Absolventen des Seminars, und anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Institution äußerte er sich dazu: Wir alle, die wir in der Arbeit für das Judentum stehen wollen, wir denken voller Dankbarkeit an das, das die Breslauer Theologie gegeben hat. Wir alle, welchen Weg oder welchen Umweg wir auch gegangen sind, wir kommen doch schliesslich auch von Fraenckel, von Graetz, von Bernays her. Und wir alten Breslauer, wir erinnern uns oft voll dankbarer Wehmut an die theologische Atmosphäre in dem alten Hause, in seinen Hörsälen und in seiner Synagoge, auf seinen Treppen auch und in seinen Wohnungen, an die theologische Luft in dem alten Garten hinter dem Hause, oft gleichsam, wenn es so gesagt werden darf, dem ‚Garten Epikurs‘. 111
Bis 1938 absolvierten über 700 Studenten das Seminar, von denen 249 als Rabbiner tätig waren. 112 Da das Seminar auch Lehrer ausbildete, fanden einige seiner Schulabgänger Anstellungen in den jüdischen Bildungsanstalten der Stadt. 1920 eröffneten einige Vertreter der „Misrachi“- 113 und der „Agu-
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dertwende auch in Nordamerika Geltung erreichte. Unter dem Eindruck des Breslauer ‚Jüdisch-Theologischen Seminars‘ entstanden 1872 die ‚Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums‘ in Berlin, 1877 die ‚Budapester Landes-Rabbinerschule‘, 1893 die ‚Wiener Israelitisch-Theologische Lehranstalt‘ und schließlich einige bedeutende amerikanisch-jüdische Colleges, wie das berühmte ‚Jewish Theological Seminary‘ in New York, ALBINY, Nicholls Stephen Collection, Sig. AR 10129, MF 636, Folder IV; Carmilly-Weinberger: The Similarities and Relationship, S. 3–22. Rothschild: Die Geschichte des Seminars, in: Kisch (Hrsg.): Breslauer Seminar, S. 142. Zitat nach: Rothschild, Lothar: Die letzten Jahre des Rabbinerseminars, in: MVBI, Nr. 53, 1989, S. 10–11, hier S. 11. Schwerin: Juden in Schlesien, S. 18 f. Hebr. ( – מזרחOsten). Ist eine 1902 in Wilna vom Rabbiner Isaac Reines gegründete orthodox-zionistische Bewegung.
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da“-Partei 114 sowie Repräsentanten der Zionisten eine jüdische Volksschule am Rehdigerplatz. Die Schule, die auf orthodoxer Grundlage basierte, auch „Rehdigerschule“ genannt, wurde auf Wunsch konservativer Eltern errichtet. Die Elternschaft bestand vor allem aus orthodoxen Juden, Zionisten und Ostjuden, die sich wünschten, dass die strengen traditionellen jüdischen Gesetze und Riten in der Einrichtung befolgt werden konnten. 115 Die „Rehdigerschule“ wurde sehr schnell bekannt für seine hervorragenden Leistungen und einen interessanten Lehrplan, zu dem die hebräische Sprache, jüdische Religion und Geschichte, aber auch nicht konfessionell gebundene Fächer gehörten; 1923 wurde neben ihr ein Reformgymnasium errichtet. Die Bestrebungen der konservativen Gruppe, diese jüdische Schule zu errichten, wurden jedoch von der überwiegenden Mehrheit der Breslauer Juden abgelehnt und weitgehend ignoriert. Im Schuljahr 1923/24 besuchten 27 jüdische Kinder die Grundschule am Rehdigerplatz, ihre Anzahl stieg dann während der nächsten Jahre deutlich und betrug 1932 schon 158 Schüler, was etwa 15 Prozent der gesamten jüdischen Schülerschaft der Stadt ausmachte. 116 Der verstärkte Zustrom der Kinder in das jüdische Schulwesen in den späteren Jahren der Weimarer Zeit kann als Schutzmaßnahme der Eltern gegen den sich verstärkenden Antisemitismus verstanden werden. Darüber hinaus erhofften sich sicherlich viele von ihnen, dass das jüdische Bewusstsein ihrer Kinder dadurch untermauert werde. Wie wichtig die Existenz der Schule für die jüdischen Breslauer war, sollte das Jahr 1933 beweisen. So konstatiert Willy Cohn in seinen Erinnerungen: Wie hätte das Breslauer Judentum 1933 dagestanden, wenn dieses jüdische Schulwerk nicht gewesen wäre? Jetzt, als der Staat verlangte, dass die jüdischen Schüler die allgemeine Schule verließen, war man sehr froh, dass man es hatte. 117
114 Hebr. ( – אגודהVerein) Internationale politische Organisation orthodoxer Juden. 115 Auszug aus einer jüdischen Zeitung von 14. Januar 1937. Schule und Jugend, in: MVBI, Nr. 23, April 1968, S. 13–14, hier S. 13; Walk, Joseph: Jüdische Schule und Erziehung im Dritten Reich. Frankfurt a. M., S. 26; ders.: Um die Judenschule (Zum 50. Jahrestag der Breslauer Jüdischen Volksschule), in: MVBI, Nr. 28, 1970, S. 6, 8. 116 Müller: Breslauer Schulwesen in der Weimarer Republik, in: Zwierz (Hrsg.): Breslauer Schulen, S. 98. 117 Cohn: Verwehte Spuren, S. 309.
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Zu den allgemein anerkannten Leistungen der Gemeinde auf dem Gebiet Jugenderziehung gehörte 1930 die Einweihung des Jugendheimes, das sämtlichen Jugendbünden offen stand. 118 Im Mittelpunkt dieser Begegnungsstätte der Breslauer jüdischen Jugend stand ein umfangreiches kulturelles Angebot mit eigener Bibliothek und zahlreichen literarischen, musikalischen und sportlichen Veranstaltungen. Esther Adler, die in einer ostjüdischen Familie in Breslau aufwuchs, berichtet in einem Interview 1996 von der besonderen Atmosphäre des Jugendheimes: Meine Freunde und ich waren von Anfang an sehr stark zionistisch geprägt. An jedem Sabbat haben wir uns zusammen im Jugendheim, das die Gemeinde unterstützte, getroffen. Wir hielten uns dort oft über den ganzen Sabbat auf. Es war äußerst interessant, dass alle jüdischen Organisationen, die Zionisten, die sehr orthodoxe Aguda, die Misrachi, der wir angehörten, bis zu Haschomer Hazair, 119 der wir sehr fern blieben, miteinander versammelt waren. Wir alle trafen uns im gleichen Gebäude des Jugendheimes. Zwar hatten wir unsere Sitzungen in separaten Räumen abgehalten, sind uns aber trotzdem begegnet. Es gab keine Feindschaft zwischen uns. 120
Nach 1918 setzte in Breslau eine besonders intensive geistige und kulturelle Entwicklung ein. Bis Ende 1927 regte die Synagogengemeinde die Idee an, für Ostdeutschland und insbesondere für Schlesien eine Sammelstätte der noch vorhandenen Kunst- und Kulturdenkmäler jüdischer Vergangenheit zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde im März 1928 der Verein „Jüdisches Museum e. V.“ in Breslau gegründet, dessen erste Ausstellung unter dem Titel „Das Judentum in der Geschichte Schlesiens von 1050–1850“ in den Räumen des Schlesischen Museums für Altertum und Kunstgewerbe gezeigt wurde. 121 118 JZO, 21. März 1930, 28. April 1930 (unpg.); BJG, Nr. 4, April 1930, S. 55 f. 119 Hebr. ( – השומר הצעירDer junge Wächter) linksorientierte, zionistische Jugendorganisation 120 Interview mit Esther Adler (geb. Ascher), am 18. September 1996 in Palm Isle (USA), University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 19348, Tape 1. 121 Hinze, Erwin: Katalog der vom Verein ‚Jüdisches Museum Breslau‘ in den Räumen des Schlesischen Museums für Kunstgewerbe und Altertümer veranstalteten Ausstellung ‚Das Judentum in der Geschichte Schlesiens‘, 3. Februar bis 17. März 1929. Breslau 1929, S. III; Cohn, Willy: Das wissenschaftliche Ergebnis der Bres-
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Neben der regen akademischen Aktivität, der Verbandsarbeit und der Jugenderziehung sollen hier auch die jüdische Presse und das Verlagswesen Erwähnung finden. In der Stadt wirkten nämlich angesehene jüdische Verlagshäuser wie das von Felix Priebatsch oder Max Marcus, in dessen Publikationen Breslauer wissenschaftliche Institute und Organisationen aus der jüdischen Welt eine Plattform fanden. 122 Bereits 1896 wurde in der Stadt das „Jüdische Volksblatt“ gegründet, das wöchentlich erschien. Anfang 1924 ging die Zeitung in ausschließlich zionistische Hände über und begann im Februar 1924 als „Jüdische Zeitung für Ostdeutschland“ unter der Redaktion von Joachim Prinz eine neue Ära. 123 In der Zeit von 1924 bis 1938 erschien zudem monatlich das „Breslauer Jüdische Gemeindeblatt“, das als amtliches Blatt der Synagogengemeinde fungierte und allen jüdischen Haushalten in Breslau kostenlos zugesandt wurde. Anfang 1931 betrug die Auflagenhöhe 8.700 Exemplare, somit übertraf diese Zahl erheblich die Auflagen anderer jüdischer Zeitungen in deutschen Großstädten. 124 Breslau war nach Berlin die einzige Gemeinde, die ein eigenes Gemeindearchiv errichtete und ausbaute. Das Archiv wurde im August 1924 gegründet und seither von Rabbiner Dr. Heppner geleitet. Es galt als das einzige jüdische Gemeindearchiv Deutschlands, das als selbstständiges wissenschaftliches Archiv von Fachleuten betreut wurde. 125 Während seines kurzen fünfzehn-
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lauer Ausstellung: ‚Das Judentum in der Geschichte Schlesiens‘, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland, Nr. 1, 1929, S. 163 f.; ders.: Die Entwicklung des Jüdischen Museums in Breslau, in: Jüdisch Liberale Zeitung, Nr. 51, 1928; Stolarska-Fronia: Udział środowisk Żydów wrocławskich w artystycznym i kulturalnym życiu miasta, S. 277–293. Im Verlag von Max Marcus erschienen u. a. die ‚Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums‘ und der erste Band der ‚Germania Judaica‘, vgl.: Kosler, Alois M.: Laudatio auf Dr. Hans Y. Priebatsch, in: Schlesien Nr. 21, 1976, S. 43 f.; Wilhelm, Kurt: Die Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, in: Kisch (Hrsg.): Breslauer Seminar, S. 327–340; Schlesische Lebensbilder, 1922–1931, Priebatsch Felix, S. 396–401. Becker, Fritz: Vor 25 Jahren: Jüdische Zeitung (Jüdische Volkszeitung) Breslau, in: MVBI, Nr. 3, 1962, S. 10; JZO, 30. April 1937 (unpg.). 1931 erreichte die Auflage des Gemeindeblattes der Berliner Gemeinde 90.000 Exemplare, und das Gemeindeblatt der Gemeinde Frankfurt erschien in 8.000 Exemplaren, siehe: AŻIH, GŻW, 1928–1937, Sig. 105/0083, Bl. 7, 8, 9, 10, 28, 73, 112, 151, 166, 167. BJG, Nr. 1, Januar 1933, S. 1.
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jährigen Bestehens hat dieses Archiv einen wertvollen Beitrag nicht nur zur jüdischen Archiv- und Geschichtswissenschaft, sondern auch bei der Erforschung der Geschichte der schlesischen Juden geleistet. 126
2.1.4 Die Zuwanderung der „Ostjuden“ Das Gefüge des jüdischen Lebens veränderte sich durch den Zustrom osteuropäischer Juden nach dem Ersten Weltkrieg. Sie kamen in immer größerer Anzahl nach Deutschland, angezogen von den sich in den Bereichen Bildung, Kultur und Handel bietenden Möglichkeiten. Die meisten dieser Einwanderer ließen sich in einigen wenigen größeren deutschen Städten nieder und gehörten zu den am stärksten urbanisierten Gruppen im damaligen Deutschland. Diese Umstände waren zur Weimarer Zeit nicht neu, denn bereits vor sechzig bis siebzig Jahren gab es die sogenannte „Ostjudenfrage“. 127 Zwischen 1824 und 1871 wanderten rund 50.000 Juden aus der Provinz Posen in die älteren preußischen Gebiete ab, weitere 50.000 zogen zwischen 1877 und 1905 ebenfalls nach Deutschland. Die meisten von ihnen siedelten in und um Breslau und Berlin. 128 126 Brilling: Das Archiv der Breslauer Jüdischen Gemeinde, S. 258; AYV, Brilling: Erinnerungen eines jüdischen Archivars. 127 Der Begriff ‚Ostjude‘ fand Ende des 19. Jahrhunderts Verbreitung und bezeichnete die großen Teile der Jiddisch sprechenden und an ihren Traditionen und Religion festhaltenden polnischen Juden. Zu Beginn 1900 brachte Nathan Birnbaum den Begriff in positiver Konnotation in den innerjüdischen Diskurs ein. Im Gegensatz zu dem ‚Westjudentum‘, das sich durch die ‚Assimilation‘ an die Mehrheitsgesellschaft charakterisierte, zeichneten sich die ‚Ostjuden‘ durch die Bewahrung der jiddischen Sprache, der religiösen Orthodoxie und einer stärkeren jüdischen Identität aus. In der Forschung werden auch die Begriffe ‚Ost- und Westjuden‘ zur Beschreibung von, geografischen, kulturellen und psychologischen Beziehungsgefechten‘ herangezogen, siehe hierfür: Haumann, Heiko: Geschichte der Ostjuden. München 1990, S. 56 f.; Maurer: Ostjuden in Deutschland, S. 12; Saß, Anne-Christin: Berliner Luftmenschen. Osteuropäisch-jüdische Migranten in der Weimarer Republik. Göttingen 2012, S. 38; Birnbaum, Nathan: Was sind die Ostjuden? Zur ersten Information (Wien 1916), abgedruckt in: Herzog, Andreas (Hrsg.): Ost und West. Jüdische Publizistik 1901–1928. Leipzig 1996, S. 9– 25, hier S. 9. 128 Vgl. Volkov, Shulamit: Jüdisches Leben und Antisemitismus, S. 174; Wertheimer,
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Nach dem Ersten Weltkrieg trafen Immigranten aus den von Deutschland abgetrennten Gebieten vor allem aus der Provinz Posen und Oberschlesien in Breslau ein. Hinzu kamen zahlreiche Flüchtlinge, die hofften, vor den Kriegswirren, den antisemitischen Ausschreitungen und der Armut eine Zuflucht in Breslau zu finden. Die „Ortsgruppe des Verbandes der Ostjuden“ in Breslau stellte bereits 1921 eine starke Rückwanderung nach Osteuropa fest, die wahrscheinlich durch die Arbeitslosigkeit in Deutschland, das Wiederentstehen des polnischen Staates sowie den Friedensschluss zwischen Polen und Russland verursacht wurde. 129 Im Jahre 1925 lebten über 97.000 „Ostjuden“ in Deutschland, von denen über 2.000 in Breslau wohnten. 130 Aus den zusammengestellten Daten über den Ausländeranteil unter der jüdischen Bevölkerung in den Großstädten (Tabelle Nr. 8) wird ersichtlich, dass Breslau mit 8,6 Prozent der ausländischen Juden eine der niedrigsten Quoten unter den Großstädten im Deutschen Reich innehatte. Ähnliche Ergebnisse weisen nur Königsberg (mit 10,9 Prozent) und Stettin (mit 6,2 Prozent) auf. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass gerade die östlichen deutschen Provinzen nicht so attraktiv und verlockend für die ostjüdischen Einwanderer waren wie zum Beispiel Berlin oder die Industriegebiete an der Ruhr und in Mitteldeutschland und somit als Durchgangsstationen auf dem Weg in den Westen galten. Aufgrund ihrer alltäglichen Lebensgewohnheiten, der Kleidung und der jiddischen Sprache, aber auch aufgrund der Definition ihres jüdischen Selbstverständnisses sowie der sozialen und demografischen Zusammensetzung bildeten die „Ostjuden“ in Breslau ähnlich wie im gesamten Reich eine erkennbare Sondergruppe. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war das Verhältnis zwischen den osteuropäischen jüdischen Zuwanderern und den in Breslau ansässigen deutschen Juden gespannt gewesen. Trude Maurer arbeitet in ihrer Studie heraus, dass die gesellschaftliche Trennung von deutschen Juden und „Ostjuden“ in der Weimarer Republik sogar noch zugenommen habe, Jack: ‚The Unwanted Element‘ – East European Jews in Imperial Germany, in: LBIYB, Nr. 26, 1981, S. 23–46. 129 Maurer: Ostjuden in Deutschland, S. 68 ff. 130 Siehe Tabelle Nr. 8 (Jüdische Ausländer in deutschen Großstädten, 1925); Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, S. 24; Barkai: Jüdisches Leben in seinem Umfeld, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 60.
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weil der soziale Abstand zu den Neueinwanderern noch größer gewesen sei als in der Vorkriegszeit. 131 Die Mehrheit der deutschen Juden sah in den „Ostjuden“ Vertreter einer fremden, östlich jüdischen Kultur, mit der sie wenig oder gar nichts verband. Außerdem sahen sich die meisten deutschen Juden dadurch mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, die sie längst vergessen und verdrängt glaubten. Die Neuankömmlinge waren nicht Angehörige des „mosaischen Glaubens“, wie die deutschen Juden ihre Religion nannten, sondern „Juden“. Die „Ostjuden“ hatten eine völlig andere Einstellung: Sie fühlten sich bei dem Gedanken wohl, dass sie jüdischer Nationalität waren und ihre eigene jiddische Sprache hatten. 132 In Großstädten wohnten die ostjüdischen Einwanderer meist in gettoähnlichen Judenvierteln. In Breslau konzentrierte sich das ostjüdische Leben um die Antonienstraße, um den Karlsplatz sowie um die Graupen- und Wallstraße, in der unmittelbaren Nähe der „Synagoge zum Weißen Storch“ und den Gemeindeeinrichtungen. Die Ostjuden bildeten generell ihre eigenen gemeinschaftlichen Institutionen, sie besuchten ihre eigenen Synagogen und Bethäuser und pflegten meist ausschließlich Kontakte untereinander. Die ostjüdische Lebenswelt in Breslau illustriert die Passage aus einem Interview mit Esther Adler: Die Breslauer Antonienstraße gehört zu meinen schönsten Erinnerungen an das hiesige jüdische Leben. Hier lebten die meisten Juden, die aus Polen in die Stadt gekommen waren, darunter auch meine Familie. Dieses Stadtviertel wurde meistens als das ‚jüdische Getto‘ bezeichnet. Meine Eltern kamen in die Stadt, wie viele unserer Freunde und Bekannten auch, nach dem Ersten Weltkrieg. Sie waren auf der Suche nach besseren beruflichen und ökonomischen Möglichkeiten. Unser Haus war durchaus jüdisch. Wir feierten immer Sabbat und mein Vater besuchte sein ‚Shul‘ 133 , und brachte immer jemanden zum Essen mit nach Hause. Meist waren es arme polnische Juden, die den traditionellen Chalat und Peies trugen. Meine Eltern gehörten zum ‚Shtibl‘ 134 , aber wir Kinder, besonders ich, besuchten die ‚Storch-Synagoge‘. Die ansässigen Juden betrachteten sich als
131 Maurer: Ostjuden in Deutschland, S. 767. 132 Eine der neusten Studien zu dieser äußerst komplexen Problematik bietet die Monografie von Anne-Christin Saß, Berliner Luftmenschen. Osteuropäisch-jüdische Migranten in der Weimarer Republik. Göttingen 2012. 133 Jidd. – שוּלBethaus, Synagoge. 134 Jidd. – שטיבלBetstube.
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Deutsche; es gab sehr wenige Kontakte zwischen ihnen und ihren aus Osteuropa stammenden Glaubensbrüdern. 135
Esther Adlers Bruder, der Historiker Abraham Ascher, beschreibt ähnlich wie seine Schwester die Stimmung in der Stadt: Meine Eltern zogen 1920 aus Galizien nach Breslau. Sie betrachteten sich nie als Deutsche, waren traditionsbewusst und orthodox. Sie hatten polnische Pässe und zogen die Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft nie in Betracht. In Breslau besuchte die überwiegende Mehrheit der osteuropäischen Juden ihre eigenen Synagogen. Auch ihre sozialen Kontakte wurden meistens nur unter sich gepflegt. Wobei es im Leben der jüngeren Generation viel weniger Einschränkungen gab. Meine Geschwister, ein paar Jahre älter als ich, hatten auch Freunde unter den deutschen Juden. Sehr oft nach einem Gebet in der orthodoxen Synagoge besuchten sie anschließend ihre Freunde in dem deutschen Tempel, der eigentlich viel mehr Respekt weckte. Die Beziehungen zwischen den deutschen und osteuropäischen Juden blieben jedoch gespannt. Dieser Sachverhalt änderte sich aber nach 1933. Ich kann mich an das Jahr 1938 erinnern, als sich meine Familie in Gefahr befand, waren die deutschen Juden bereit, uns zu helfen und boten Unterstützung an. 136
Unter den deutschen Juden gab es freilich Gruppierungen wie die Zionisten und Orthodoxen, die dem Zusammentreffen mit Juden aus Osteuropa und dem Kennenlernen ihres Judentums höchste Bedeutung zumaßen. Dies hatte seinen Ursprung im Ersten Weltkrieg, als viele deutsch-jüdische Soldaten an der Ostfront polnischen oder russischen Juden begegneten. Für die deutschen Juden führte diese Begegnung zur überraschenden Entdeckung eines „authentischen Judentums“, das entweder Sympathie oder Antipathie auslöste. Die Konfrontation mit dem osteuropäischen Judentum brachte viele neue Aspekte in die Frage der deutschen Juden nach ihrer eigenen Identität ein. Franz Rosenzweig behauptete, dass dieses Zusammentreffen das jüdische Bewusstsein der deutschen Juden eindeutig verstärkte. 137 Willy Cohn, der an der Westfront in Frankreich kämpfte, wurde hingegen durch die Ansprachen
135 Interview mit Esther Adler (geb. Ascher), am 18. September 1996 in Palm Isle (USA), USC Visual History Archive, Inerview Code 19348, Tape 1. 136 Interview mit Abraham Ascher, am 11. August 2009 in New York, AA. 137 Rosenzweig, Franz: Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Rachel Rosenzweig und Edith Rosenzweig-Scheinmann, Bd. 1. Den Haag 1984, S. 319.
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und Aufsätze Martin Bubers 138 beeinflusst und brachte dies in seinen Erinnerungen zum Ausdruck: Für uns Westjuden ist Buber auch der Entdecker des Ostjudentums geworden. Mit den Augen Bubers sahen wir in jedem Ostjuden einen Vertreter wirklicher jüdischer Art. Wir glaubten in ihnen Träger des chassidischen Gedankens zu sehen, den er uns so nahezubringen verstand. Dem Ostjuden gegenüber hatten wir damals, jüdisch gesehen, einen Minderwertigkeitskomplex. Während wir mühsam um das Erlernen der hebräischen Sprache kämpften, selbst in der Synagoge manchmal auch schwer folgen konnten, schienen unsere östlichen Brüder das alles mit der Muttermilch eingesogen zu haben. Ihnen war das Judentum etwas Selbstverständliches. 139
Die von Buber intendierten und übernommenen Vorstellungen von osteuropäischen Juden konnten der komplexen Realität nicht standhalten. Obwohl die Flüchtlinge, wie bereits erwähnt, bei den Zionisten und Orthodoxen für ihre Loyalität zu einem ungebrochenen Judentum bewundert wurden, stießen sie bei der Mehrheit der deutschen Juden auf Ablehnung und Kritik. Auch Willy Cohn revidierte später seine früheren Bekenntnisse zum Ostjudentum: Es gab damals, Anfang der Zwanziger Jahren, viele deutsche Juden, die gegen diese ostjüdische Überschwemmung Stellung nahmen. Ich gehörte zu denjenigen, die sich rückhaltlos für die Gleichberechtigung der östlichen Brüder einsetzten. […] Als ich später Gelegenheit hatte, mit Ostjuden auch in persönliche Fühlung zu kommen, da musste ich zu meinem Bedauern oft feststellen, dass sie dem Ideal, das ich mir von ihnen gebildet hatte, in keiner Weise entsprachen. Wir deutschen Juden waren doch sehr preußisch. […] Preußische Pünktlichkeit und Ordnung erschienen uns als eine Grundlage des Lebens. Der Ostjude kam aber aus anderen Verhältnissen, er sah ganz anders aus als in den Büchern von Martin Buber. Für den Ostjuden war der Staat etwas Feindliches, der gerade Weg das Außergewöhnliche und Pünktlichkeit etwas Ungehöriges. 140
138 U. a. Buber, Martin: Die jüdische Bewegung: Gesammelte Aufsätze und Ansprachen, 1900–1915. Berlin 1916; ders.: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte. Leipzig 1916; Die Monatsschrift ‚Der Jude‘ und die zweimal monatlich erscheinenden ‚Neuen Jüdischen Monatshefte‘. 139 Cohn: Verwehte Spuren, S. 275. 140 Ebd., S. 275 f.
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Die rechtliche Situation der Ausländer in Deutschland war zum einen dadurch charakterisiert, dass sie gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch den Inländern in vielen Bereichen des Lebens gleichgestellt waren, gerade aber in jenen Punkten, die die Grundlagen der Existenz bildeten, besonderen Beschränkungen unterlagen; sie konnten nicht jeden beliebigen Arbeitsplatz erhalten und sie konnten jederzeit ausgewiesen werden. 141 Die Gründung des „Jüdischen Arbeiterfürsorgeamtes“ in Breslau wurde zum sichtbaren Zeichen, dass einige deutsche Juden an dem Problem der osteuropäischen Juden, die sich in Deutschland befanden, aktives Interesse zeigten. 142 Die Tätigkeit des „Jüdischen Arbeiterfürsorgeamtes“ bestand unter anderem darin, den ostjüdischen Flüchtlingen das Recht zum Aufenthalt zu sichern und ihnen dabei zu helfen, sich in die umgebende Welt einzuleben und wirtschaftlich einzugliedern. 143 Max Jacobsohn, Leiter der Breslauer Zionistischen Vereinigung, engagierte sich für die osteuropäischen Einwanderer im Breslauer „Jüdischen Arbeiterfürsorgeamt“ und beschreibt die Tätigkeit des Amtes in seinen Aufzeichnungen: Die Ostjuden waren alle zu uns gekommen. Jeder stürmte mit seinen Sorgen und Nöten auf uns ein. Die wenigsten verlangten Geld. Es ging um ganz andere Probleme: Aufenthalts-Erlaubnis, Arbeit, Wohnungsfragen, Gewerbe-Scheine, Zertifikate für Palästina (damals gab es noch nicht einmal Einwanderungs-Bestimmungen), Ausweisungsbefehle, schwebende Strafverfahren (wegen Grenzübertritts) usw. Im Laufe von drei Tagen hatten wir jedem einzelnen irgendwie geholfen; einen grossen Teil von ihnen brachten wir in Arbeitsverhältnissen unter, davon nicht wenige bei Bauern auf dem Lande. […] Uns Zionisten galt es aber als selbstverständliche Pflicht, ihnen allen zu helfen, und dies aus zwei Gründen: Es waren Juden, und jeder Jude hatte Anspruch auf unsere Hilfe. 144
Jacobsohn betonte zugleich, dass die Synagogengemeinde am Anfang abseits stand und sich weigerte, dem „Arbeiterfürsorgeamt“ jegliche Unterstützung zu gewähren. Jacobsohn gelang es aber, die Gemeindevertreter davon zu überzeugen, für die Beteiligung am „Arbeiterfürsorgeamt“ einzutreten. Der liberale Gemeinderabbiner Hermann Vogelstein, der nach Jacobsohn ein 141 142 143 144
Vgl. Maurer: Ostjuden in Deutschland, S. 761. Vgl. Adler-Rudel: Ostjuden in Deutschland, S. 47, 81, 159. Vgl. Maurer: Ostjuden in Deutschland, S. 515–522. Jacobsohn, Max: Ostjuden in Breslau. Erinnerung an eine kämpferische Periode meines Lebens, in: MVBI, Nr. 32, 1972, S. 2–5, 8, hier S. 2.
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„extremer Antizionist“ war, unterstützte die Bemühungen des „Arbeiterfürsorgeamtes“, indem er sich für „ostjüdische Angelegenheiten“ einsetzte und bei Breslauer Behörden im Auftrag der osteuropäischen Juden intervenierte. 145 1919 gründeten die „Ostjuden“ in Deutschland eine überregionale Organisation, den „Verband der Ostjuden“, der auch in Breslau seine Vertreter hatte. Auf der Wahlliste zur Gemeindevertreterversammlung der Synagogengemeinde Breslau vom November 1930 wurden dann immerhin drei Kandidaten der „Arbeitsgemeinschaft ostjüdischer Organisationen“ verzeichnet. 146 Dies zeugt davon, dass die „Ostjuden“ allmählich mit anderen Augen angesehen wurden, nicht von allen und nicht überall, aber jedenfalls von einer bedeutsamen, profilierten und entschiedenen Minderheit. 147 Das war zweifellos Ausdruck eines Generationskonflikts, zugleich aber ein Signal für die Herausbildung eines neuen Selbstgefühls. Auch die Breslauer Juden begannen allmählich, die Heterogenität ihres Zusammenlebens zu akzeptieren und das positive Potenzial dieses Pluralismus anzuerkennen. 148
2.1.5 Antisemitismus Die militärische Niederlage, die russische Revolution sowie die politische und wirtschaftliche Instabilität der Nachkriegsjahre mit ihrer Inflation ließen den Antisemitismus, der sich schon in den letzten Kriegsjahren im Anschluss an die „Judenzählung“ 1916 verstärkt gezeigt hatte, in bisher unbekanntem Umfang anschwellen. Die Antisemiten sahen in den Juden Kriegsgewinnler, 145 Ebd., S. 5. Mordechai Hauschner beschreibt Rabbiner Vogelstein als ‚einen militanten und aggressiven Vertreter des liberalen Judentums, der große Änderungen im Gottesdienst aber auch im Hinblick auf die Vorschriften der ‚Halacha‘ einführte‘, siehe: Hauschner, Mordechai: Die Gemeinde Breslau – ein Vorbild der Eintracht und der Toleranz, in: MVBI, Nr. 50, 1982/1983, S. 2–3, hier S. 3. 146 BJG, Nr. 12, Dezember 1930, S. 187. 147 Vgl. Adler-Rudel: Ostjuden in Deutschland, S. 47. 148 Vgl. Volkov, Shulamit: Die Dynamik der Dissimilation: Deutsche Juden und die ostjüdischen Einwanderer, in: Blasius, Dirk/Diner, Dan (Hrsg.): Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland. Frankfurt a. M. 1994, S. 64–78, hier S. 78.
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Anstifter der Revolution und nicht zuletzt Beherrscher der deutschen Presse und des Kulturlebens. Ein Hauptangriffsziel bildeten die „Ostjuden“, denen gegenüber Rassismus und Xenophobie am deutlichsten ausgesprochen wurden. 149 Die Intensivierung des Antisemitismus überschnitt sich mit dem wirtschaftlichen und politischen Bedeutungsverlust der Breslauer Juden. 150 Der Anstieg des politischen Antisemitismus sowie die Bereitschaft zur individuellen, aber auch kollektiven Gewalt gegen Juden stellten die jüdische Gemeinschaft vor ungeahnte neue Herausforderungen. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ berichtete im September 1920, wie im Anschluss an eine Demonstration für ein deutsches Oberschlesien im August desselben Jahres eine Gruppe jüngerer Männer in ein jüdisches Hotel an der Antonienstraße eindrangen, in dem sich vor allem Gäste aus Osteuropa aufhielten. Sie drohten dem Besitzer, „es werde ihm schlecht gehen, wenn man Ostjuden bei ihm finde, diese selbst würden erschossen werden“. 151 Die als „jüdisch aussehend“ erachteten Gäste wurden zusammengetrieben, um aus dem Hotel hinausgeworfen zu werden, und Hotelfenster wurden zerschlagen, bis die Breslauer Polizei erschien und die Gewalttäter verhaftete. 152 Man sah in der Gruppe der ostjüdischen Einwanderer eine Erklärung für den in der unmittelbaren 149 Diese Mechanismen analysiert u. a. Cornelia Hecht in ihrer Studie über den Antisemitismus in der Weimarer Republik, siehe: Hecht, Cornelia: Deutsche Juden und Antisemitismus in der Weimarer Republik. Bonn 2003. 150 Vgl. van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 318; Barkai: Politische Orientierung und Krisenbewusstsein, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 108. 151 Allgemeine Zeitung des Judentums (AZJ), Nr. 32, 17. September 1920, S. 365 f. 152 Maurer: Ostjuden in Deutschland, S. 334 f. Der Breslauer Polizeipräsident Eugen Ernst äußerte sich zu den Breslauer Ausschreitungen im Berliner ‚Vorwärts‘ wie folgt: ‚In Breslau besteht eine alte jüdische Kaufmannschaft, die mit der Stadt vollständig verwachsen ist und mit der christlichen Bevölkerung in bester Harmonie lebte. Der Antisemitismus war in Breslau glücklicherweise bedeutungslos. Seit einiger Zeit hat sich dort aber ein Schiebertum, ein ostjüdisches Element, eingenistet und ist besonders stark vertreten. Diese Gesellschaft hat früher in den polnischen Grenzstädten ihre unsauberen Geschäfte getrieben und bringt von dort alle Gewohnheiten mit. So sehr auch gerade die einheimischen Juden dieses Gesindel hassen, der unaufgeklärte Mann sieht hier nur den Juden und verfolgt mit seinem blinden Hass alle Juden.‘, Zitat nach: AZJ, Nr. 32, 17. September 1920, S. 366.
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Nachkriegszeit pogromartig aufbrechenden Antisemitismus. Zunächst operierte man mit der Annahme, dass sich der Antisemitismus gegen diese fremden Juden richtete und man sich in seinem lokalen Umfeld oder generell als deutscher Jude vom Antisemitismus nicht betroffen fühlen musste. Sehr bald erkannten die deutschen Juden hingegen, dass die Antisemiten die „Ostjuden“ als sichtbares Angriffsobjekt in den Vordergrund rückten, aber eigentlich alle Juden treffen wollten. Die Radikalisierung des Antisemitismus spiegelte sich dramatisch in den antijüdischen Ausschreitungen vom 20. Juli 1923 wieder. An diesem „Schwarzen Freitag“ kam es wieder im Anschluss an eine Demonstration, die sich diesmal gegen die Arbeitslosigkeit und Hyperinflation richtete, zu vorher geplanten massiven Gewaltakten, während derer etwa 500 junge Randalierer durch die Stadt zogen und über 100 jüdische Geschäfte plünderten. Es gab mehrere Tote und zahlreiche Verletzte. 153 Die „Schlesische Zeitung“ bestritt jedoch, dass es sich in diesem Fall um antisemitische Aktionen gehandelt habe. 154 In der Phase der wirtschaftlichen Stabilisierung zwischen 1924 und 1928 trat der Antisemitismus dann bezeichnenderweise mehr in den Hintergrund. In diesem Zeitraum kam es jedoch in Breslau häufiger zu Friedhofsschändungen, Überfällen auf jüdische Passanten in der Nähe der Synagogen sowie Boykottkampagnen. 155 Angesichts dieser Ereignisse schrieb die „Jüdische Zeitung für Ostdeutschland“ im Juli 1926: „Wir fühlen uns verlassener und ausgestoßener als je. Wir fühlen, dass eine Epoche herannahen wird, in der der Jude auch in Deutschland rechtlos und vogelfrei wird.“ 156 Selbst im privaten Umgang erlebten die Breslauer Juden die antisemitischen Vorurteile ihres sozialen Umfeldes. Wenn auch der Antisemitismus Mitte der 1920er-Jahre allmählich an Bedeutung verlor, blieb dieser jedoch gesellschaftlich und kulturell präsent. Die 1915 in Breslau geborene Irmgard Ruth Konrad formuliert ihre Erfahrungen als Schülerin in einer der städtischen Schulen einmal wie folgt: 153 Breslauer Zeitung (BZ), Nr. 336, 21. Juli 1923; Schlesische Zeitung (SZ), Nr. 337, 21. Juli 1923. 154 SZ, Nr. 337, 21. Juli 1923. 155 JZO, 9. Juli 1926 (unpg.); ders., 25. März 1927; BJG, Nr. 4, 8. April 1927, S. 54; Hecht: Deutsche Juden und Antisemitismus, S. 194 f. 156 JZO, 23. Juli 1926 (unpg.).
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Ich besuchte eine weltliche Schule in Breslau, wo es keine Religion gab. Trotzdem haben wir, ich und meine Schwester, zu leiden gehabt. Wenn die Kinder mit uns böse waren, wenn sie uns was auswischen wollten, waren wir dann eben die Juden: ‚Judenbälger‘, ‚Judenburgs‘. Wir wechselten später in eine freie weltliche Schule, wo die Lehrer entweder Sozialdemokraten, Kommunisten oder Demokraten waren. Dort hatten wir als Kinder eine ganz andere Erziehung erfahren. Für mich war das eine schöne Zeit, eine wunderschöne Schulzeit. 157
Die antisemitischen Tendenzen waren in Breslau auch innerhalb der intellektuellen und akademischen Kreise besonders sichtbar. Rudolf Stern, der als Mediziner an der Breslauer Universität tätig war, erlebte in einem Hörsaal während einer Vorstellung eines psychotischen Patienten, der plötzlich in eine nationalistische Tirade ausbrach und gegen Juden und andere Verbrecher hetzte, lauten Beifall der dort versammelten Studenten und einiger Ärzte. 158 Im Sommer 1932 wurde an der Universität Breslau beim studentischen Boykott gegen Professor Cohn deutlich, wie stark der nationalsozialistische Antisemitismus in das akademische Leben eingedrungen war. Der Jurist Dr. Ernst Cohn war im Sommer 1932 von der Juristischen Fakultät als Ordinarius für bürgerliches Recht in seine Heimatstadt berufen worden. Zuvor war er als Privatdozent an der Universität in Frankfurt am Main tätig gewesen. Sofort nach dem Bekanntwerden der Ernennung Dr. Cohns, die Anfang Juli erfolgte, setzte vonseiten der nationalsozialistischen Studentenschaft die Hetze gegen den zukünftigen Lehrer ein. Im August veröffentlichte der „Schlesische Nationalsozialistische Beobachter“ einen Artikel: „Ein Jude – deutscher Rechtsprofessor“, in dem die Behauptung aufgestellt wurde, die Breslauer Studentenschaft sei durch die Berufung eines jüdischen Professors aufs Schwerste provoziert worden. Bei seiner Antrittsvorlesung am 10. November 1932 kam es zu Störungen durch Studenten des rechtsorientierten Waffenrings und der NS-Studenten-Gruppe. Wochenlang wurde Professor Cohn sodann aufs Brutalste niedergeschrien, wobei sich der Fanatismus der Aggressoren auch gegen jüdische Mitstudenten richtete. Cohn wurde mit Rufen „Wir wollen keine Juden, Juden raus!“ im Hörsaal empfangen. Auch 157 Interview mit Irmgard Ruth Konrad (geb. Adam), am 8. Mai 1996 in Berlin, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 14682, Tape 1. 158 Interview mit Fritz Stern, 2011 in New York, AA; vgl. Stern: Fünf Deutschland, S. 99.
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das Erscheinen des Rektors sowie der Polizei verhinderte nicht, dass die judenfeindlichen Zurufe aufhörten. 159 Der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät schloss vorübergehend die Juristische Fakultät. Zudem gab eine Gruppe von Professoren eine öffentliche Erklärung zur Verteidigung der akademischen Freiheit ab und bat um die Erlaubnis für Professor Cohn, seine Kurse weiter zu leiten. Die Universitätsleitung berief letztendlich einen Disziplinarausschuss gegen dreizehn Studenten ein, aber keiner der Randalierer wurde relegiert. 160 Der Senat der Universität Breslau unterstützte Professor Cohn nur zögernd. Bald darauf fand sich ein Vorwand, ihn seines Amtes zu entheben und hierdurch den Frieden an der Universität wiederherzustellen. Der Grund hierfür war die Veröffentlichung eines einseitig geführten Interviews über die Frage, ob man Leo Trotzki Asylrecht in Deutschland gewähren solle. 161 Professor Cohn hatte sich, wenn auch mit Vorbehalten, unter bestimmten Bedingungen für das Asylrecht ausgesprochen. Diese Äußerung nahmen Rektor und Senat der Universität zum Anlass für eine Erklärung, dass Cohns Lehrtätigkeit nun „nicht mehr tragbar sei“. 162 Die Ereignisse an der Breslauer Univer159 Ein halbes Jahr später wurde Professor Cohn aus Amt und Heimat vertrieben. Er emigrierte nach London, wo er noch einmal als Student beginnen musste. 1937 wurde er zur englischen Anwaltschaft zugelassen und betätigte sich als Anwalt bei dem renommierten Lincoln Inn. Er wurde britischer Staatsbürger und promovierte 1948 erneut, diesmal an der Universität London. Von 1967 bis 1975 unterrichtete er als Gastprofessor am King’s College of London. Siehe: Professor Ernst J. Cohn – London Ehrendoktor anlässlich seines 60. Geburtstages, S. 8; Fraenkel, Ernst: Die schweren Unruhen an der Breslauer Universität, in: C. V. Zeitung, Nr. 47, 17. November 1932, S. 473 f.; JZO, 28. Juli 1932 (unpg.); ders., 11. November 1932; ders., 18. November 1932; ders., 25. November 1932; ders., 2. Dezember 1932; ders., 30. Dezember 1932. 160 Fraenkel, Ernst: Geht der Kampf an der Breslauer Universität weiter?, in: C. V. Zeitung, Nr. 50, 9. Dezember 1932, S. 498 f. 161 ‚University Professors Condemn Breslau University’s Action Against Professor Ernst Cohn‘, in: Jewish Telegraphic Agency (JTA), Berlin, 28. December 1932. 162 Jüdische Rundschau (JR), Nr. 37, 30. Dezember 1932, S. 505; Fraenkel: Die schweren Unruhen an der Breslauer Universität, in: C. V. Zeitung, Nr. 47, 1932, S. 473 f.; C. V. Zeitung: ‚Um die Staatsautorität. Die neue Wendung im ‚Fall Cohn‘‘, Nr. 53, 30. Dezember 1932, S. 537 ff.; Paucker, Arnold: Der jüdische Abwehrkampf gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Hamburg 1968, S. 141.
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sität wurden von den Juden zu Recht als exemplarisch für die Wahrung der Freiheit der Lehre und der jüdischen bürgerlichen Gleichberechtigung angesehen. Wie reagierte die jüdische Bevölkerung in Breslau, individuell und als Gruppe, auf den Anstieg des Antisemitismus? Die großen jüdischen Interessenvertretungen, der C. V. 163 und der RjF 164 , führten mit Aufklärungsmaterial und Gegenpropaganda einen gezielten Abwehrkampf, dessen Wirkungsmöglichkeiten aber gering blieben. Darüber hinaus unternahm man Versuche, durch eine Fülle von Veröffentlichungen sowie durch Hunderte von Versammlungen und Vorträge die antisemitische Propaganda durch rationale Argumente zu widerlegen. Es gab in Breslau auch Proteste individueller Art. Diese bewirkten unter anderem die Absetzung des Films „Stadt ohne Juden“ vom Spielplan, und der angedrohte Boykott einer als antisemitisch geltenden Breslauer Konditorei zwang deren Inhaber zu einem Widerruf.165 Joseph Walk erinnert sich an seine Intervention in der jüdischen Presse gegen einen Friseur: Ich war stolz, als auf meine in der ‚Jüdischen Zeitung für Ostdeutschland‘ veröffentlichte Beschwerde hin, ein Friseurgehilfe, der sich antisemitisch geäußert hatte, von seinem um die jüdischen Kunden besorgten Arbeitgeber fristlos entlassen wurde. 166
163 Der ‚Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens‘ (C. V.) war die größte jüdische Organisation in Deutschland der Zwischenkriegszeit. Bereits 1893 gegründet, definierte sich diese Organisation als Vereinigung für das liberale Judentum, vgl. Barkai: Organisation der jüdischen Gemeinschaft, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 87. 164 Nach dem Ersten Weltkrieg entstand auch in Breslau eine ‚Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten‘ (RjF). Das Hauptbetätigungsfeld des RjF bestand in der Abwehr antisemitischer Angriffe und Propaganda. Die Vereinigung der ehemaligen Soldaten betätigte sich in Breslau vor allem auf dem Gebiet der Berufsumschichtung und der landwirtschaftlichen Ansiedlung in Deutschland, denn darin sah der Bund eine Art der ‚positiven Abwehr des Antisemitismus‘, BJG, Nr. 3, März 1927, S. 1; vgl. Rheins, Carl J.: ‚Der Verband nationaldeutscher Juden 1921–1933‘, in: LBIYB, Nr. 25, 1980, S. 243–268; Dunker, Ulrich: Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 1919–1938. Geschichte eines jüdischen Abwehrvereins. Düsseldorf 1977. 165 JZO, 27. August 1926 (unpg.); ders., 29. Oktober 1926. 166 Interview mit Joseph Walk, am 16. April 1991 in Jerusalem, AHICJ, Oral History
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Die gravierenden antisemitischen Erfahrungen der Weimarer Zeit führten oft dazu, dass sich das Selbstverständnis als „deutscher Jude“ einer weitgehenden Wandlung unterzog. 167 Anhand vieler Biografien Breslauer Juden lässt sich eine Hinwendung zum Zionismus, zum Sozialismus oder auch zu stärkerer Religiosität beobachten. Diese Wahrnehmungsänderungen kann man vor allem bei der jüngeren Generation bemerken, für die das „assimilatorische“ Selbstverständnis keine Perspektive mehr bieten konnte und die im Zionismus und der Emigration eine vielversprechende und motivierende Alternative sahen. Im folgenden Kapitel werden diese Mechanismen unter anderem anhand der Darstellung der jüdischen Jugendbewegung in Breslau analysiert.
2.2 Jüdisches Selbstverständnis im Wandel Was machte die Identität der Breslauer Juden in der Zeit der Weimarer Republik aus? Wie haben sie ihre jüdische Identität artikuliert und ihr „Jüdischsein“ definiert? Haben sie sich als jüdische Deutsche oder deutsche Juden verstanden und welche Abwehrstrategien bemühten sie, um sich in ihrem Breslauer Umfeld zu behaupten? Anhand einzelner Schicksale der Breslauer Juden lässt sich eine Vielzahl äußerst unterschiedlicher Entwürfe jüdischen Selbstverständnisses nachzeichnen und rekonstruieren. Diese waren durch Faktoren wie das soziale, kulturelle oder auch religiöse Milieu, durch Bildung und Beruf, durch Traditionen des Elternhauses, politische Ansichten und nicht zuletzt durch individuelles Temperament und Persönlichkeit bedingt. 168 Division, Project No. 234, Interview No. 135, Tape 1; JZO, 28. September 1928 (unpg.); ders., 5. Oktober 1928. 167 Vgl. Bergmann, Werner/Wetzel, Juliane: ‚Der Miterlebende weiß nichts‘. Alltagsantisemitismus als zeitgenössische Erfahrung und spätere Erinnerung (1919– 1933), in: Benz, Wolfgang/Paucker, Arnold/Pulzer, Peter (Hrsg.): Jüdisches Leben in der Weimarer Republik. Tübingen 1998, S. 173–196, hier S. 176. 168 Michael A. Meyer benennt beispielsweise in seiner Studie über die jüdische Identität der Moderne drei hauptsächliche Faktoren, die für die Identitätskonstruktion der Juden entscheidende Bedeutung hätten, nämlich Aufklärung, den Antisemitismus und Zionismus. Diese hätten nach Meyer die Juden dazu gezwungen, ihr
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Das individuelle Selbstverständnis der deutschen Juden hatte sich bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts stark gewandelt: Eine konkrete und spezifische Gruppenidentität gab es zur Weimarer Zeit nicht mehr. Man kann daher von unterschiedlichen Entwürfen individueller Selbstbetrachtung sprechen, die soziale und kollektive Einflüsse sicher miteinbezogen. 169 Die Entwicklung der zionistischen Bewegung um die Person Herzls in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts zeigt eine Art Erstarken eines jüdischen Selbstverständnisses. 170 Die Zionisten betrachteten die Juden als ein eigenes Volk und knüpften an streng-religiöse jüdische Tradition an. Die Gemeinsamkeit, die im engeren Kontakt mit den Juden aus dem Osten auf der Hand lag, war die Vorstellung einer gemeinsamen jüdischen Nation, die vor allem ‚Selbstverständnis‘ und die Rolle des Judentums in ihrem Leben zu überdenken und neu zu bestimmen, siehe: Meyer: Jüdische Identität in der Moderne, S. 8; zu dem Thema siehe auch: Schoeps, Julius H.: Der Umgang mit dem Judesein. Zur Debatte um ein schwieriges Identitätsproblem, in: Menora, Nr. 5, 1994, S. 15– 22, hier S. 17. Der Philosoph Ernst Tugendhat nannte vier KategorisierungsMöglichkeiten jüdischer Identität: die Religion, Assimilation, den Sozialismus und Zionismus, siehe: Meuter, Norbert: Narrative Identität. Das Problem der personalen Identität im Anschluss an Ernst Tugendhat, Niklas Luhmann und Paul Ricoeur. Stuttgart 1995; Tugendhat, Ernst: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Frankfurt a. M. 1979. Erik H. Erikson beschreibt die unterschiedlichen Stufen von Identitätsbildungen in der klassischen Studie über ‚Identität und Lebenszyklus‘, die alle auf der Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit von Identifikationen basieren, und zwar sowohl aufseiten des Individuums als auch aufseiten der Gruppe bzw. Gesellschaft. Demnach spielen die sozialen Interaktionen eine gewichtige Rolle; sie festigen emotionale Bindungen, verleihen Beständigkeit und geben Sinn bei der Suche nach Identitäten. Diese basieren auf Identifikationen bzw. Identifikationsmechanismen, d. h. hier verbinden sich individuelle mit gruppen- und gesellschaftsspezifischen Faktoren (z. B. familiäre Bindungen, Teilnahme an politischen, religiösen und kulturellen Aktivitäten), Erikson: Identität als Lebenszyklus, S. 140. 169 Nach Shulamit Volkov zwang der Antisemitismus schon seit dem Ende der 1870er-Jahre den deutschen Juden ein neues Selbstverständnis auf. So begannen sie sich zu Beginn der 1890er-Jahre zu organisieren; Beispiel hierfür wäre die Gründung des C. V. Judentum als ‚Konfession‘, ein Grundbegriff, von dem der C. V. bei seiner Gründung ausging, machte allmählich einer neuen ‚ethnischen‘ Auffassung Platz, die sich auf Stamm oder Abstammung berief, siehe: Volkov: Jüdisches Leben und Antisemitismus, S. 132 ff. 170 Vgl. ebd., S. 183.
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vielen jungen Juden, die von den nationalistischen Strömungen der Zeit verunsichert waren, ein gedankliches Zuhause gab. 171 Auch unter liberalen deutschen Juden war bereits um die Jahrhundertwende eine neue Geisteshaltung zu bemerken. In vielerlei Hinsicht war dieser Wandel eine Reaktion auf den Aufstieg des Zionismus und die Popularität der ostjüdischen Spiritualität, aber vor allem auf die rapide Zunahme des Antisemitismus. 172 Eugen Fuchs hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg eine bestimmte ideologische Vorstellung eingeführt, indem er die deutschen Juden nicht nur als „Deutsche jüdischen Glaubens“, sondern als einen „deutschen Stamm“ definierte. Viele assimilierte deutsche Juden verglichen sich in dieser Definition mit deutschen „Stämmen“ wie den Sachsen oder Bayern. So lässt sich während der Weimarer Zeit eine allmähliche Transformation im Selbstverständnis auch der liberalen Mehrheit der deutschen Juden feststellen: die Verschiebung von einer Glaubensgemeinschaft zur Schicksals- und Stammesgemeinschaft. 173 Demzufolge nahmen viele Breslauer Juden an, dass sie von der Mehrheitsgesellschaft nicht unbedingt das religiöse Bekenntnis, die traditionellen und kulturellen Praktiken oder auch die nationale, staatsbürgerliche Zugehörigkeit trennten, sondern dass die Trennungslinie vielmehr auf ihrer ethnischen Abstammung und historischen Herkunft basierte. 174 171 Haumann, Heiko: Zionismus und die Krise jüdischen Selbstverständnisses. Tradition und Veränderung im Judentum, in: ders. (Hrsg.): Der Traum von Israel. Die Ursprünge des modernen Zionismus. Weinheim 1998, S. 9–64. 172 Vgl. Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, S. 53. 173 Fuchs, Eugen: Um Deutschtum und Judentum. Frankfurt a. M. 1919, S. 242. Die meisten deutschen Juden benutzten nicht den Begriff ‚Ethnizität‘, sondern bedienten sich der Bezeichnung ‚Stamm‘. Der deutsche Zionist Franz Oppenheimer versuchte bereits 1910 die Unterschiede zwischen dem ost- und westeuropäischen Zionismus aufzuweisen, indem er zwischen dem Stammesbewusstsein der westeuropäischen Juden und dem Volksbewusstsein der osteuropäischen Juden eine Trennungslinie zeichnete, dazu: Weiss, Yfaat: ‚Wir Westjuden haben jüdisches Stammesbewusstsein, die Ostjuden haben jüdisches Volksbewusstsein‘. Der deutsch-jüdische Blick auf das polnische Judentum in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte, Nr. 37, 1997, S. 157– 178, hier S. 158 ff.; ders.: Polish and German Jews Between Hitler’s Rise to Power and the Outbreak of the Second World War, in: LBIYB, Nr. 44, 1999, S. 205– 223, hier S. 205. 174 Vgl. Weiss, Yfaat: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust. Jüdische
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So entwickelten zwei unterschiedliche Strömungen des Judentums, die orthodoxe ebenso wie die liberale, bereits 1916 als gemeinsame Reaktion auf den das Land überflutenden Antisemitismus zunächst defensiv eine wachsende Selbstwahrnehmung und ein Bewusstsein ihrer gemeinsamen jüdischen Eigenart. 175 Sicherlich hat auch der Kontakt mit den nicht „assimilierten“ Juden Osteuropas eine neue Auseinandersetzung mit ihrem „Jüdischsein“ provoziert. Von der Umwelt reduziert auf eine unbestimmte, nicht näher gefasste jüdische Identität entstand in einem großen Teil der Juden das Bedürfnis, ein für sie selbst befriedigendes Identitätsverständnis zu entwickeln. Im Zusammenhang damit spielten auch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges eine weitere Rolle beim Erstarken der zionistischen Bewegung: Die meisten Breslauer Juden erlebten den Krieg als großes Ereignis, mit seinem anfänglichen Enthusiasmus und der darauf folgenden Enttäuschung. Dies führte zu einem deutlichen Wandel, den Eva Reichmann als „Bewusstseinswandel der deutschen Juden“ bezeichnet hat. 176 Für die Mehrheit der deutschen Juden war der Krieg eine einzigartige Gelegenheit, ihren Patriotismus und ihre Loyalität zu Deutschland unter Beweis zu stellen. Er manifestierte die Sehnsucht, Deutschland ihre Heimat zu nennen oder überhaupt eine Heimat zu finden. Für viele Breslauer Juden war deshalb die „Judenzählung“ ein erschütternder Moment, der für viele eine innere Umorientierung nach sich zog. Anstatt zunehmend als gesellschaftlich integriert wahrgenommen zu werden, wurden sie aufgrund ihrer Herkunft und Ethnizität stigmatisiert und hervorgehoben. Willy Cohn stellt in seinen Erinnerungen die Identitätsentwürfe, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg auseinandergebrochen waren, einer neuen Erkenntnis gegenüber: Zwei innere Erlebnisse waren es, die mein Leben von jetzt an für Jahrzehnte bestimmten: Zionismus und Sozialismus. […] Die Erkenntnis, dass unser jüIdentität zwischen Staatsbürgerschaft und Ethnizität, 1933–1940. München 2000, S. 11. 175 Nach Volkov war die lokale Ausformung des Antisemitismus einer der ‚wesentlichen Einzelfaktoren bei der Renaissance jüdischen ‚Selbstbewusstseins‘‘, Volkov: Jüdisches Leben und Antisemitismus, S. 168. 176 Reichmann: Der Bewusstseinswandel, in: Mosse (Hrsg.): Deutsches Judentum in Krieg und Revolution, S. 511–612.
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disches Volk seinen leidvollen Weg solange fortsetzen müsse, bis es eine grundsätzliche Umstellung seines Daseins vorgenommen habe, war in mir immer stärker geworden. Inzwischen war die Balfour-Deklaration erschienen und die Rückkehr nach Palästina schien aus dem Bereich der Utopie in die Wirklichkeit versetzt. Diesem Gedanken, für den Palästinaaufbau zu wirken, gehörte nun ein Teil meines Daseins. Ein anderes Ideal, das mir lange als solches erschienen war, war durch das Kriegserlebnis zusammengebrochen: die Vereinigung von Deutschtum und Judentum. […] Alles Gute, was wir leisten, wird auf das Konto des Gastvolkes geschrieben, dem wir angehören, alles Schlechte aber, was aus unserer Mitte hervorgeht, wird dem Judentum zur Last gelegt. […] Seitdem ich mir aber diesen Weg zum Zionismus innerlich erkämpft hatte, war meine Verankerung im Judentum eine immer stärkere geworden. Das Judentum wurde mein Haupterlebnis, und ich entdeckte in ihm ständiges Neuland. 177
Der 1911 in Breslau geborene Uri Gassmann betrachtete das gesellschaftliche Umfeld, in dem er lebte, als prägend für seine spätere persönliche und politische Entwicklung ebenso wie für seine noch im Jugendalter vollzogene Hinwendung zu den Ideen des Zionismus. Seiner Auffassung zufolge stellte sich die Kluft zwischen den jüdischen und anderen Breslauern zu der Weimarer Zeit noch schärfer dar. Besonders kritisch, wenn nicht sogar utopisch, sah er die Haltung des sogenannten liberalen Judentums und deren assimilatorischen Tendenzen: Als 15-jähriger Junge habe ich davon einen Begriff bekommen, wie verfälscht dieses sogenannte liberale Judentum war, das anstrebte, sich an die deutsche Kultur anzugleichen. Das liberale Judentum repräsentierte weder die deutsche noch die jüdische Kultur, sondern schwebte in einem Mischmasch. Deshalb auch konnte Wassermann und andere es nicht verstehen, wenn man ihnen plötzlich gesagt hat: ‚Du sprichst zwar besser Deutsch als wir anderen und du weißt besser Bescheid über deutsche Geschichte, aber du bist kein Deutscher!‘ […] Der Unterschied zwischen Juden und Deutschen lag in der völligen Verschiedenheit der Auffassung von der eigenen Volkszugehörigkeit. Der Zionismus bot da eine Rückkehr zum eigenen Volk und zur eigenen Sprache. Das hat mich dazu gebracht, im Zionismus eine Art neue geistige Heimat zu finden. Deutschtum konnte ich sehr verehren, aber geistig war ich kein Deutscher, mit allem, was ich gelernt und in mich aufgenommen habe, auch wenn ich heute noch mit der deutschen Sprache so verwachsen bin wie mit keiner anderen. […] Was hat mich zum Zionismus gebracht? Die Verbindung zu wirklicher jüdischer Folklore, jid177 Cohn: Verwehte Spuren, S. 272–275.
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discher Sprache, Geschichten und Humor, andererseits die hebräische Sprache. Ich habe allmählich gelernt, wo die Grenzen zwischen uns Juden und den Deutschen sind. Ich habe gelernt, die Haltung der liberalen Juden zum Deutschtum zu verachten, weil ich gemerkt habe, wie unecht das alles ist. Ich war zunächst ein deutscher Patriot ersten Grades. Wir hatten eine glänzende humanistische Schule besucht, wo wir begeistert über die deutsche Geschichte und das deutsche Volkstum gelernt haben. Dort bin ich aber zu der Einsicht gekommen, wie weit das von dem entfernt ist, was unsere Vergangenheit ist. Ich habe die riesengroßen Unterschiede zwischen Juden und Deutschen bemerkt, und ich habe keine Illusionen wie Herr Jakob Wassermann über die sogenannte Assimilation gehabt. 178
Eine ganz andere Position vertrat der 1920 in Breslau geborene Dr. Harvey Newton, der sich und seine Eltern als „patriotische Deutsche“ bezeichnete. Im Gegensatz zu Uri Gassmann bedeutete für Harvey Newton die völlige Identifikation mit dem „Deutschtum“ nicht unbedingt die Verneinung seines Jüdischseins: Meine Eltern und ich waren patriotische Deutsche. Mein Vater war Frontsoldat. […] In meinem Elternhaus wurde selbstverständlich hochdeutsch gesprochen. Wie habe ich mich gefühlt: als Deutscher, Schlesier, Preuße oder Jude? Vor 1933 fühlte ich mich als patriotischer Deutscher und nicht anders. Ich war ein großer Lokalpatriot. In der ‚Heimatkunde‘ hatte ich immer ‚sehr gut‘. Ich wurde als Preuße in der Weimarer Republik geboren. Mein Kinderausweis (Kinderpass) zeigt Staatsangehörigkeit ‚Preuße‘, später mit ‚Deutsches Reich‘ überstempelt. Mir war immer bewusst, dass ich jüdisch bin, aber das hieß für mich nie, dass ich nicht als guter Deutscher auf die Welt kam. Als Junge war ich Mitglied des ‚Vereins für das Deutschtum im Ausland‘. Mein Vater war Mitglied des ‚Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten‘ sowie Mitglied des Vorstandes des ‚Regatta Vereins Breslau‘ und im Vorstand des ‚Schlesischen Textilverbandes‘. Zugleich aber waren meine Eltern Mitglieder der jüdischen ‚Heinrich Graetz Loge‘. […] Meine Familie war jüdisch, aber nicht sehr orthodox. Wir haben nie koscher gegessen. Meine Mutter zündete Lichter am Freitag Abend an und der Tisch war festlicher gedeckt. Wir hielten den Seder Abend mit dem Lesen der ‚Haggadah‘. An den hohen Feiertagen gingen meine Eltern in die Neue Synagoge. 179
178 Interview mit Uri Gassmann (vormals Klaus-Ferdinand Gassmann), 1990 in Ramat Gan, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 59, Tape 1. 179 ALBINY, Harvey P. Newton (vormals Hermann Neustadt) Collection 1920– 2000, Sig. AR 5827, MM II 22, MF 963, S. 8.
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In ihrer Mehrheit haben die Breslauer Juden eine ähnliche Haltung wie Harvey Newton bezogen und sahen sich außerstande, ihr Deutschtum oder ihr Judentum aufzugeben – wenn auch für einige von ihnen nur noch wenig davon erhalten blieb. So war die Familie Newton auf der Suche nach einer neuen Synthese zwischen Alt und Neu: Sie reformierte ihre Wahrnehmung der jüdischen Tradition und Religion, indem sie nur einen Teil der religiösen Gebote und Praktiken aufrechterhielt. 180 Im orthodoxen Judentum selbst wurde das Alltagsleben bis in viele Einzelheiten hinein durch religiöse Gebote und Verbote geprägt und die Religion damit der zentrale identitätsstiftende Faktor, wie dies am Beispiel der orthodox-jüdisch lebenden Familie Bubis zuvor geschildert wurde. 181 Die liberale Auffassung des Jüdischseins brachte jedoch gravierende Schwierigkeiten bei der eindeutigen Selbstdefinition vieler Breslauer Juden mit sich. Die dualistische Existenz als Jude und Deutscher, Deutscher und Jude scheint die Lebenserfahrung vieler jüdischer Breslauer grundlegend geprägt zu haben. Diese unvermeidbare Zersplitterung, durch das oben dargestellte Dilemma hervorgerufen, lässt sich nach Alphons Silbermann als „Doppelzugehörigkeit“ definieren. 182 Der 1920 in Breslau geborene Wolfgang Hadda schreibt rückblickend über den Dualismus, in dem er sich befand und ebenso über die daraus resultierenden Probleme hinsichtlich seines Selbstverständnisses: Es war schon seltsam für mich: zu Gott im Tempel, im Kreis der Familie betete man hebräisch, sang und befragte ihn in der Vorfahren-Sprache der Bibel, las die Quadratschrift der ‚Haggadot‘ und der Thorarollen der Synagoge. Aber sonst 180 Nach Volkov haben die meisten deutschen Juden in der Weimarer Zeit die alten Merkmale traditioneller jüdischer Lebensart verloren und diese durch ein wahres ‚Deutschtum‘ zu ersetzen geglaubt. Sie entwickelten jedoch eine andere, besondere sozio-kulturelle Existenz, die durchaus modern und nicht traditionell, aber trotzdem jüdisch war, Volkov: Jüdisches Leben und Antisemitismus, S. 131 ff. 181 Siehe die biografische Skizze in diesem Kapitel, S. 23 f. 182 Laut Silbermann hat sich die sogenannte Doppelzugehörigkeit infolge der Emanzipation und Assimilation und der folgenden Gegenüberstellung von ‚deutscher, französischer, amerikanischer usw. Jude‘ und ‚jüdischer Deutscher, Franzose, Amerikaner usw.‘ herauskristallisiert, Silbermann, Alphons: Deutsche Juden oder jüdische Deutsche? Zur Identität der Juden in der Weimarer Republik, in: Grab, Walter/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Juden in der Weimarer Republik. Skizzen und Porträts. Darmstadt 1998, S. 347–355, hier S. 348.
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sprach man Hochdeutsch oder das Schlesische der Breslauer auf der Straße, im Park, zu Hause. Wo ich auch war, unentwegt drang mir das Doppelte ins Bewusstsein: dieses hier, jenes dort, bald das Jude-sein, bald das Deutsch-sein. Ich war froh, es auch rasch wieder zu vergessen und den Feiertag zu genießen. 183
Mit der Frage des Dualismus ihrer Existenz wurden auch einige konfrontiert, deren Bindung an das Judentum immer schon schwach war, also religiös indifferente oder konvertierte Juden. So beschreibt auch Fritz Stern das Dilemma der Doppelzugehörigkeit an seinem Patenonkel, dem aus Breslau stammenden Nobelpreisträger Fritz Haber: Haber, der zum Christentum übergetreten war, erinnerte sich stets seiner jüdischen Wurzeln und irgendwie hatte er es fertiggebracht, ein nominelles Christentum mit einer Art Zivilreligion, dem ‚Deutschtum‘ und einer privaten jüdischen Identität zu verschmelzen … er hatte es geschafft, wie Tausende jüdischer Männer und Frauen, die bei der Geburt getauft worden waren oder sich irgendwann für die Konversion entschieden hatten – bis das Hitlerregime anstelle der Religion die Rasse zum Bestimmungsmerkmal der Menschen machte. 184
Auch Sterns Familie, die seit zwei Generationen dem Christentum angehörte, war dem Problem sich widersprechender Identitäten ausgesetzt: Meine Urgroßeltern und Großeltern teilten ganz und gar die ‚Kulturreligion‘, die sie auf eine selbstverständliche Weise mit Nichtjuden verband. Und dennoch besaßen sie eine Erinnerung an ihre einstige Andersartigkeit. Ich glaube, sie empfanden ihr Judentum zugleich als Stigma und als Auszeichnung. 185
Nach Kerstin Meiring bewies auch die „Mischehe“ in der Weimarer Zeit „eine Umwandlung der deutschen Juden in eine ethnische Gemeinschaft mit einer neuen, nicht minder vitalen Identität.“ 186 So kann man im Hin183 Hadda, Wolfgang: Knapp davon gekommen. Von Breslau nach Shanghai und San Francisco. Jüdische Schicksale 1920–1947. Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn. Konstanz 1997, S. 15; Karl Grözinger hebt die besondere Bedeutung von Sprache für das Selbstverständnis und das Bewusstsein der eigenen Zugehörigkeit und Identität hervor. Die Sprache einer Gemeinschaft, eines Volkes ist es, was das Wesen und Sein eines Menschen in unabänderlicher Weise bestimmt, Grözinger, Karl E. (Hrsg.): Sprache und Identität im Judentum. Wiesbaden 1998, Einführung, S. 7. 184 Stern: Fünf Deutschland, S. 127. 185 Ebd., S. 32; vgl. Interview mit Fritz Stern, 2011 in New York, AA. 186 Meiring: Die Christlich-Jüdische Mischehe, S. 10.
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blick auf die in „Mischehen“ lebenden Breslauer eine sehr komplexe Identitätskonstruktion bemerken: In der Zwischenkriegszeit stand die „Mischehe“ weiterhin zwischen den Fronten. Sie wurde nicht selten von antisemitischer Seite angegriffen, und unter den jüdischen und christlichen Familienmitgliedern stieß diese ebenfalls nicht selten auf Ablehnung. Oftmals erwiesen sich auch die Beziehungen der jüdisch-christlichen Eheleute zur jüdischen Gemeinde als schwierig. Anhand der biografischen Skizzen wird deutlich, dass sich in der Ablehnung, Akzeptanz oder Gleichgültigkeit gegenüber der „Mischehe“ verschiedene Auffassungen jüdischen Selbstverständnisses spiegeln. Darüber hinaus kommt jedoch bei den „Mischehen“ und bei den in diesen Familien aufgewachsenen Kindern eine deutliche Pluralität von Identitäten zum Ausdruck. 187 Fred Löwenberg, der in einer „Mischehe“ aufwuchs, schildert sein Zuhause als stark sozialdemokratisch geprägt, wo weder die jüdische Religion seines Vaters noch die christliche seiner Mutter eine gewichtige Rolle spielte. Sein Zuhause, in dem die christlichen und jüdischen Verwandten öfters zusammentrafen, war durchaus tolerant und offen. Zu den hohen Feiertagen besuchte die Familie Löwenberg sowohl die evangelische Kirche als auch die Synagoge. In den letzten Jahren der Weimarer Republik trat Fred Löwenberg der „Sozialistischen Arbeiterjugend“, den sogenannten „Falken“, bei, mit denen er sich fortan sehr stark identifizierte und deren Ideologie auch sein späteres Leben prägen sollte. Löwenberg betonte, dass er in einer multikulturellen Atmosphäre erzogen wurde und sich sowohl seiner jüdischen als auch christlichen Wurzeln ganz bewusst sei. 188 Kenneth James Arkwright kam 1929 in Breslau in einer „Mischehe“ zur Welt. Seine christliche Mutter trat zum Judentum über und seine Familie war ausdrücklich jüdisch, nicht zuletzt wegen der jüdischen Großeltern, die zusammen mit der Familie wohnten und großen Wert auf die religiösen Praktiken und jüdische Traditionen legten. Gleichzeitig definierte sich die Familie wohl ähnlich wie die von Harvey Newton als „patriotisch – deutsch“, 187 Kerstin Meiring beschreibt in ihrer Studie über die jüdisch-christlichen Ehen, dass das ‚Judentum‘ in einer gemischten Ehe sehr oft in einer ‚fragmenarischen Form‘ aufgetreten sei; so wurden z. B. neben den jüdischen Festen auch die christlichen gefeiert oder die Beziehungen zur jüdischen Verwandschaft und auch zu der christlichen gepflegt, Meiring: Die Christlich-jüdische Mischehe, S. 129–138. 188 Interview mit Fred Löwenberg, am 8. März 1996 in Berlin, USC Visual History Archive, Inerview Code 11319, Tape 1.
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wo sie doch seit Generationen in Deutschland lebten und in der deutschen Kultur beheimatet waren. Wie Arkwright bemerkte, brachte erst das Jahr 1933 einen gewaltigen Umbruch ihres Selbstverständnisses: Wir waren nicht nur dem Namen nach deutsche Juden, sondern sowohl in der deutschen als auch der jüdischen Kultur verwurzelt. Die Maßnahmen Hitlers führten dazu, dass wir unsere wahre Identität erforschen und überdenken mussten. Bis heute sehe ich es als fortwährende Aufgabe an, die idealisierte Welt, die ich im Kindesalter in meinen Gedanken erschuf, mit der Welt, in der sich mein Leben abspielt, in Einklang zu bringen. 189
Aufgrund der Einblicke in die jeweiligen persönlichen Biografien und Lebensentwürfe kann man feststellen, dass Breslauer Juden über sehr unterschiedliche und teilweise äußerst komplexe bis gespaltene Identitäten verfügten, die auf verschiedene Weisen dazu führten, dass sie in parallelen Welten lebten; dies kommt vor allem in dem Versuch zum Ausdruck, die jüdische familiäre Lebenswelt von der gesellschaftlichen oder beruflichen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft zu trennen. Im Hinblick auf die in den „Mischehen“ lebenden Breslauer lässt sich ein Phänomen beschreiben, das sich zwischen Toleranz und möglicher religiöser Gleichgültigkeit bewegte: Als Grenzgänger überschritten die Ehepartner im privaten eine gesellschaftliche Grenze, die offensichtlich nicht als trennend empfunden wurde – viele von ihnen fühlten sich sowohl in der christlichen als auch der jüdischen Lebenswelt beheimatet. Auch die in den ausschließlich jüdischen Familien lebenden Breslauer Juden sahen sich auf die eine oder andere Weise mit mindestens zwei Kulturen konfrontiert. Die sich überlagernden Identitätsmerkmale, die sich unter anderem im Sprachgebrauch oder in kulturellen Erscheinungsformen wie Gottesdienstbesuchen und Kleidung manifestierten, formten eindeutig ihre Zugehörigkeitsgefühle. Hierfür zieht Till van Rahden den Begriff der „situativen Ethnizität“ heran. Er argumentiert, dass es „spezifische Situa-
189 Interview mit Kenneth James Arkwright (vormals Klaus Aufrichtig), am 28. Januar 2011 in Berlin, AA; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright (vormals Klaus Aufrichtig), am 12. August 1996 in Crawley/Australia, University of Southern California Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 18441, Tape 1; Arkwright, Kenneth James: Jenseits des Überlebens. Von Breslau nach Australien. Herausgegeben von Katharina Friedla und Uwe Neumärker. Berlin 2011, S. 9.
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tionen gibt, in denen für das Individuum die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe etwa im Familienkreis oder bei der Teilhabe am ethnischen Vereinsleben und Organisationen eine gewichtige Rolle spielt. Dagegen kann Ethnizität als Identitätsmerkmal in anderen Situationen ganz zurücktreten und andere Zugehörigkeitsgefühle kommen zum Vorschein.“ 190 Danach sei auch das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft durchaus situativ. Dies lässt sich etwa deutlich anhand der Biografie von Willy Cohn veranschaulichen. Cohn war sich seiner jüdischen Identität zweifelsohne bewusst und hatte diese auch nicht infrage gestellt. Er war religiös, besuchte regelmäßig die Synagoge und auch sein häusliches Leben war durch die jüdische Tradition und religiöse Gebote geprägt. Darüber hinaus bekannte er sich zu zionistischem Gedankengut und brachte dies oft zum Ausdruck. Cohn zeichnete sich durch ein reges Engagement im gesellschaftskulturellen Gemeindeleben aus, hielt sehr oft Vorträge zu jüdischen Themen und Geschichte in zahlreichen deutschen jüdischen Gemeinden. Er publizierte seine Aufsätze in der jüdischen Presse. Zugleich aber war er als Studienrat im Breslauer Johannes-Gymnasium tätig, wo er deutsche Geschichte lehrte und sich eher als „deutscher Lehrer“ und nicht als „jüdischer Lehrer“, definierte. In Cohns Erinnerungen kommt weiterhin seine tiefe Verbundenheit und Liebe zu Schlesien zum Ausdruck. Demnach kann man sagen, dass er sich auch als Schlesier verstand und mit der Region identifizierte. Ähnliche Erfahrungen wie Willy Cohn teilten die Familie Newton und die Familie von Wolfgang Hadda, aber auch die von Kenneth Arkwright: Sie verstanden sich in ihrem Familien- und Freundeskreis, innerhalb der Gemeinde oder als Mitglieder eines jüdischen Vereins als Juden. In anderen Situationen jedoch rückte das „Jüdische“ in den Hintergrund, so beispielsweise im beruflichen Leben, in
190 Nach van Rhaden kann man die ‚situative Ethnizität‘ als ‚ein Nebeneinander von Offenheit und Geschlossenheit, die die Vergemeinschaftungsformen und die Identitätsbildung der Breslauer Juden charakterisierte‘, definieren. Siehe: van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 20, 328; ders.: Weder Milieu noch Konfession. Die situative Ethnizität der deutschen Juden im Kaiserreich in vergleichender Perspektive, in: Blaschke, Olaf/Kulemann, Frank-Michael (Hrsg.): Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen. Gütersloh 1996, S. 409–434; ders.: Intermarriages, the ‚New Woman‘, and the Situational Ethnicity of Breslau Jews from the 1870s to the 1920s, in: LBIYB, Nr. 45, 2001, S. 125–150.
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der Schule oder in einem deutschen Verein und im Falle von Arkwright bei den Zusammenkünften mit seinen christlichen Verwandten. Das von van Rahden postulierte Konzept der „situativen Ethnizität“ lässt sich keineswegs kollektiv auf die Gruppe aller Breslauer Juden zu Weimarer Zeit beziehen. 191 Anhand der oben zitierten Identitätsentwürfe kommt eine deutliche Trennungslinie zum Ausdruck. Sicherlich trifft die Beschreibung nicht auf das Identitätsverständnis von Uri Gassmann oder auch das der Familie Ignatz Bubis zu. Bei ihnen wurde der Widerspruch verschiedener Identitäts-Aspekte zur Zeit der Weimarer Republik besonders offenkundig. So lebte die Familie Bubis, wie bereits im ersten Kapitel geschildert, ausschließlich in ihrer jüdischen Lebenswelt, und unabhängig von der jeweiligen Situation verstand sie sich ausdrücklich als „jüdisch“ und hielt an ihrem jüdischen Selbstbewusstsein fest. 192 Auch Uri Gassmann, der in einer deutsch-patriotischen Atmosphäre aufwuchs, sich aber schrittweise dem Zionismus näherte und in der Ideologie letztendlich seine Heimat fand, distanzierte sich allmählich von seinem deutschen Umfeld. Generell lässt sich festhalten, dass die wachsende soziale Verunsicherung im jüdischen Alltagsleben der Weimarer Zeit das Selbstverständnis vieler Breslauer Juden erschütterte. Der zunehmende Antisemitismus thematisierte nach Jahren der Akkulturation die religiöse Zugehörigkeit und Abstammung und somit auch die ethnische Zusammengehörigkeit auf sehr starke und öffentliche Weise. Dies führte zu einem deutlichen Bekenntnis für die als urreligiös und historisch empfunden Impulse der zionistischen Strömung. Andere wurden sich ihrer inneren Widersprüche bewusster und standen vor der Abwägung der Werte ihrer politischen, nationalen, ethischen und religiösen Identität.
191 Van Rahdens Studie, die die Beziehungen zwischen Juden und anderen Breslauern zum Thema hat, konzentriert sich hauptsächlich auf die Zeitspanne des Kaiserreiches. Van Rahden betont aber in der Schlussbetrachtung, dass es zu Beginn der Weimarer Zeit zu weitreichenden Veränderungen im Hinblick auf die Koexistenz der Juden und Nichtjuden kam. Leider verzichtet er auf eine Analyse, ob das in seiner Arbeit postulierte Konzept der ‚situativen Ethnizität‘ zu Beginn der Weimarer Republik weiterhin zur Geltung kam; van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 317–329. 192 Bubis: Damit bin ich noch längst nicht fertig, S. 20 f.
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Die Polarisierung zeigt, dass ein deutlicheres Bewusstsein für den jüdischen Aspekt in der Identität der einzelnen Menschen entsteht, wie groß dieser zuvor auch gewesen sein mochte. Dies spiegelte sich auch in der Neugründung vieler jüdischer Einrichtungen in Breslau wider sowie im Zustrom der Breslauer Juden zu jüdischen Organisationen und der Gemeinde. Bei anderen wiederum verstärkte sich das in diesem Fall tragische Bestreben, noch mehr in der deutschen Lebenswelt aufzugehen. Das Jahr 1933 sollte diesen Versuchen ein jähes Ende bereiten. So schrieb Fritz Haber im August 1933 in einem Brief an Albert Einstein: „Ich war noch nie in meinem Leben so jüdisch wie jetzt.“ 193
2.2.1 Auf der Suche nach Identität – Jüdische Jugendbewegung Die Entwicklung der deutsch-jüdischen Jugendbewegung in Breslau wurde bislang nur in geringem Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen. 194 Dieser Umstand überrascht vor allem deshalb, da von der Stadt die ersten großen Impulse der deutsch-jüdischen Jugendbewegung ausgingen, die dann später weit über Breslau hinaus auf dem gesamten Gebiet Deutschlands expandierte. Die umfassende Betrachtung dieses Phänomens würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, daher wird sich das folgende Kapitel ausschließlich auf die Frage nach der identitätsstiftenden Rolle der deutschjüdischen Jugendbewegung in der Stadt konzentrieren. Die jüdische Jugendbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland kann in Verbindung und in Abgrenzung zur deutschen Jugend193 Zitat nach Stern: Der Traum vom Frieden, S. 86. 194 Vgl. die Studie von Jörg Hackeschmidt, die u. a. die Hintergründe der Entstehungsgeschichte der Breslauer ‚Blau-Weiß‘-Bewegung beleuchtet. Darüber hinaus werden hier die ‚Führungskräfte‘ dieser Bewegung in Person von Josef Marcus, Martin Bandmann, Benno Cohn oder Norbert Elias näher dargestellt, Hackeschmidt, Jörg: Von Kurt Blumenfeld zu Norbert Elias. Die Erfindung einer jüdischen Nation. Hamburg 1997; Bergbauer, Knut: Jüdische Jugendbewegung in Breslau 1912–1938. Wandern mit Gefühl(en). Über das ‚Jüdische‘ und ‚Schlesische‘ in Breslaus jüdischer Jugendbewegung, in: ‚Das war mal unsere Heimat …‘ – Jüdische Geschichte im preußischen Osten, (Hrsg.): Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas/Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Berlin 2013, S. 76–84.
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bewegung als eine der wichtigsten sozialen Strömungen in der neueren deutschen Geschichte angesehen werden. 195 Für die Traditionsbildung der jüdischen Jugendbünde spielt die Stadt Breslau eine ausschlaggebende Rolle. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Antisemitismus zu einem greifbaren Störfaktor innerhalb der deutschen Jugendbewegung. Vergleichbar 195 Ausführlicher zur deutsch-jüdischen Jugendbewegung in der Zwischenkriegszeit siehe u. a.: Laqueur, Walter: Die deutsche Jugendbewegung. Köln 1978; ders.: The German Youth Movement and the ‚Jewish Question‘. A Preliminary Survey, in: LBIYB, Nr. 6, 1961, S. 193–205; Rinott, Chanoch: Major Trends in the Jewish Youth Movements in Germany, in: LBIYB, Nr. 19, 1974, S. 77–95; Rosenstock, Werner: The Jewish Youth Movement, in: LBIYB, Nr. 19, 1974, S. 97– 102; Schatzker, Chaim: Die jüdische Jugendbewegung in Deutschland (1919– 1933), in: Kindt, Werner (Hrsg.): Die deutsche Jugendbewegung, Bd. 3 (1920– 1933): Die bündische Zeit. Düsseldorf/Köln 1974, S. 769–794; Trefz, Bernhard: Jugendbewegung und Juden in Deutschland. Eine historische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des ‚Deutsch-jüdischen Wanderbundes Kameraden‘. Frankfurt a. M. 1999; Moaz, Eliyahu: The Werkleute, in: LBIYB, Nr. 4, 1959, S. 165–182; Hetkamp, Jutta: Die jüdische Jugendbewegung in Deutschland von 1913 bis 1933, Bd. 2: Ausgewählte Interviews von Ehemaligen der jüdischen Jugendbewegung in Deutschland von 1913 bis 1933. Münster 1994; Schüler-Springorum, Stefanie: Jugendbewegung und Politik. Die jüdische Jugendgruppe ‚Schwarzer Haufen‘, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Nr. 28, 1999, S. 159–200; ders.: Die ‚Mädelfrage‘. Zu den Geschlechterbeziehungen in der deutsch-jüdischen Jugendbewegung, in: Kaplan, Marion/Meyer, Beate (Hrsg.): Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Göttingen 2005, S. 136–154; Bergbauer, Knut/Schüler-Springorum, Stefanie: ‚Wir sind jung, die Welt ist offen …‘ : Eine jüdische Jugendgruppe im 20. Jahrhundert. Berlin 2002; Pilarczyk, Ulrike: Gemeinschaft in Bildern. Jüdische Jugendbewegung und zionistische Erziehungspraxis in Deutschland und Palästina/Israel. Göttingen 2009; Klönne, Irmgard: Jugendbewegung und Realitätserfahrung: Von der deutsch-jüdischen Jugendbewegung zur Kibbuzgesellschaft, in: Hotam, Yotam (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Jugendliche im ‚Zeitalter der Jugend‘. Göttingen 2009, S. 121–144; Neuser, Daniela: Identitätssuche und Erinnerungsikonographie: Deutsch-jüdische Jugendbewegung 1912–1933, in: Hotam, Yotam (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Jugendliche im ‚Zeitalter der Jugend‘. Göttingen 2009, S. 107–120; darüber hinaus gibt es detaillierte Regionalstudien zur jüdischen Jugendbewegung u. a. in Köln und Essen, Döpp, Suska: Jüdische Jugendbewegung in Köln 1906–1938. Münster 1997; Klein-Reesink, Andreas: Jüdische Jugendbewegung in Essen 1918–1938, unveröffentlichtes Manuskript 1991. Archiv Alte Synagoge Essen, Sig. AR 9905.
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einem Reflex gründeten jüdische Jugendliche ihre eigenen Organisationen. 196 Wie ihre christlichen Gleichaltrigen strebten viele von ihnen eine Abkehr und Abgrenzung von der bürgerlichen Welt ihrer Eltern an. 197 Sicher ist es ein grundlegendes Merkmal der Pubertät und Adoleszenz, teilweise recht schmerzhaft in der Erwachsenenwelt der von den Eltern vorgegebenen Werte anzukommen und seine eigene Identität in einem starken Erneuerungs- und Auflehnungswillen auszuleben. Dabei kommt einer Gruppe von Gleichgesinnten und den Gemeinsamkeiten eine wichtige Rolle zu, um die Ablösung in die Eigenständigkeit vollziehen zu können. Wegen dieser allgemeinen „pädagogisch-psychologischen“ Dynamik der Identitätssuche wurden in allen jüdischen Jugendgruppen den spezifisch jüdischen Fragen eine besondere Bedeutung zugemessen und die Suche nach einem „unverfälschten Judentum“ jenseits der Gesinnung der Elterngeneration vorangetrieben. Die zionistische Bewegung sollte hierbei eine wichtige Rolle einnehmen. 1907 wurde mit „Blau-Weiß“ in Breslau der erste Wegbereiter der jüdischen Jugendbewegung gegründet, und schon 1912 war die Gemeinschaft bundesweit vertreten. 198 „Blau-Weiß“ verstand sich als eine zionistische Organisation, die den Patriotismus des deutschen Nationalismus in einen jüdischen Nationalismus verwandelte. Darüber hinaus gehörten die Zusammentreffen der Bewegung zu Beginn der 1920er-Jahre zu einem der wichtigsten intellektuellen Zirkel konservativer jüdischer Jugendkultur. 199 „Blau-Weiß“ lehrte hebräische Sprache, jüdische Geschichte und Tradition, propagierte die Ansiedlung in Palästina, gleichzeitig grenzte es sich aber nicht von der deutschen Kultur ab. 200 Der Einfluss der deutschen Jugendbewegung „Wandervogel“ 196 So beispielsweise ‚Blau-Weiß‘ oder ‚Kammeraden‘ in Breslau. 197 Wie Stefanie Schüler-Springorum argumentierte, wird in der Historiografie der jüdischen Jugendbewegung in Deutschland der Zustrom der Jugendlichen in die jüdischen Bünde vor allem durch den Generationskonflikt und die ‚Assimilationsproblematik‘ begründet, Schüler-Springorum, Stefanie: Jüdische Minderheit in Königsberg, S. 274. 198 Josef Marcus hatte bereits vor der offiziellen Gründung des ‚Blau-Weiß‘ mit der Jugendgruppe ‚Wanderverein 1907‘ die Formierung einer wandervogelähnlichen Gruppe erprobt und ihre Führung übernommen. Zur Entstehungsgeschichte von ‚Blau-Weiß‘ in Breslau siehe: Hackeschmidt: Von Kurt Blumenfeld zu Norbert Elias, S. 115 ff; Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, S. 58. 199 Vgl. Hackeschmidt: Von Kurt Blumenfeld zu Norbert Elias, S. 115. 200 Vgl. Laqueur, Walter: Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend
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auf „Blau-Weiß“ sowie auf spätere jüdische Bünde war nicht zu übersehen. 201 So zeichneten sich auch die Aktivitäten von „Blau-Weiß“ durch die Liebe zur Natur, wöchentliche Treffen, Ferienlager und Wanderausflüge aus. Im Jahre 1927 wurde „Blau-Weiß“ wegen zunehmend auseinanderlaufender ideologischer Tendenzen aufgelöst. An die Stelle von „Blau-Weiß“ traten Nachfolgegruppen wie: „Kadima“, „Makkabi Hazair“, „Habonim“ oder die unter dem osteuropäischen Einfluss gegründeten linksorientierten „Haschomer Hazair“ und der rechtsgerichtete, „revisionistische“ „Betar“. 202 All diese Bewegungen fungierten unter ihren hebräischen Namen. 1916 schlossen sich in Breslau jüdische Mädchen und Jungen zusammen, um als „Kameraden“ in eigenen jüdischen Gruppen zu wandern. Auf dieser Grundlage entstand der „Deutsch-jüdische Wanderbund Kameraden“. Ähnlich wie „Blau-Weiß“ sollte sich dieser Jugendbund auch bald über das ganze Land ausbreiten. 203 Die Mehrheit der Mitglieder der „Kameraden“ stammte aus jüdisch-liberalen Häusern, definierte sich hauptsächlich als deutsche Staatsbürger und sah ihre Heimat in Deutschland. Da der Antisemitismus immer öffentlicher zutage trat, mussten viele der Wanderbund-Jugendlichen ihr Verhältnis zum Judentum und vor allem zum „Deutschsein“ überdenken. Dies mündete in neuen Entwürfen und Ansätzen des jüdischen Selbstverständnisses. Dieses variierte vom Konzept der „Stammesgemeinnach 1933. Berlin/München 2000, S. 20; Korte, Hermann: Norbert Elias in Breslau. Ein biographisches Fragment. Zeitschrift für Soziologie, Jg. 20, Heft 1, Stuttgart 1991, S. 3–11, hier S. 5. Nach Gershom Scholem erwiesen sich diese Aktivitäten von ‚Blau-Weiß‘ als reine Theorie, Zitat nach Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, S. 58. 201 Vgl. Hackeschmidt: Von Kurt Blumenfeld zu Norbert Elias, S. 36–52; Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, S. 58; Barkai: Jüdisches Kultur- und Geistesleben, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 134; Laqueur: The German Youth Movement, LBIYB, Nr. 6, S. 205. 202 BJG, Nr. 14, 30. September 1934, S. 1 ff. 203 Das exakte Gründungsdatum der ‚Kameraden‘ lässt sich nicht bestimmen. Zwischen 1916 und 1921 konnte sich dieser aufgrund allmählichen Zusammenschlusses verschiedener Jugend- und Wanderbunde etablieren, siehe: Trefz: Jugendbewegung und Juden in Deutschland, S. 93–105. In Breslau waren die Kameraden mit 150 Mitgliedern besonders stark vertreten, sie zählten auch zu den aktivsten und am besten organisierten Gruppen in dem Bund, Dertinger, Antje: Weiße Möwe, gelber Stern. Das kurze Leben der Helga Beyer. Ein Bericht. Berlin/Bonn 1987, S. 41.
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schaft“ über Fragen nach der Rolle der Religion und reichte hin zu sozialistischen oder zionistischen Bekenntnissen. Diese Auseinandersetzungen und internen Diskurse innerhalb der Breslauer „Kameraden“, die sich mit der Zeit zu einer der größten Organisationen der jüdischen Jugendbewegung entfalteten, spiegelten die allgemeinen Debatten und Probleme innerhalb des deutschen Judentums wider. Zugleich sind diese auch Reaktionen auf eine sich im Umbruch von Industrialisierung und Kapitalisierung befindende gesellschaftliche Wirklichkeit. Je stärker der gesellschaftliche Erneuerungsdruck und die allgemeine Werteverunsicherung wurden, desto problematischer wurde das Finden von Gemeinsamkeiten und Identität. Bereits Mitte der 1920er-Jahre kam es zu vermehrten Gründungen neuer jüdischer Jugendorganisationen. Infolgedessen verlor der Bund „Kameraden“ Mitglieder und verschwand 1932 völlig. 204 Ähnlich wie bei vielen anderen Breslauer jüdischen Organisationen bildete die Frage nach dem jüdischen Selbstverständnis den Kern der Auseinandersetzungen innerhalb der Jugendbewegung. Was bedeutete das „Judesein“ in einer Gesellschaft, deren Patriotismus allmählich zum Nationalismus driftete, der Minderheiten ausschloss, selbst wenn es sich um eine seit Generationen akkulturierte Bevölkerungsgruppe handelte? Wie sollte und konnte man damit als Einzelner umgehen und wie als Kollektiv? Der 1921 in Breslau geborene Historiker Walter Laqueur stellte in seiner Studie über die jüdische Jugend in Deutschland fest, dass „nicht alle jüdischen Jungen und Mädchen einem Jugendbund angehörten. Dennoch hatten diese landesweiten Organisationen einen beträchtlichen erzieherischen Einfluss auf zwei Generationen junger Juden in Deutschland gehabt.“ 205 204 Vom ‚Kameraden‘-Bund haben sich u. a. folgende Gruppen abgespaltet: der sozialistisch orientierte ‚Schwarze Haufen‘, der ‚Ring‘, der jegliche religiöse oder politische Stellungnahmen ablehnte, sowie der ‚Kreis‘, der sich intensiver mit der jüdischen Religion und Kultur beschäftigte, oder der ‚Schwarze Fähnlein‘, der sich durch deutsch-patriotische Tendenzen zeichnete. Die meisten ehemaligen ‚Kameraden‘ schlossen sich dem Bund der ‚Werkleute‘ an, der sich schrittweise dem Zionismus zuwandte, siehe u. a.: Hetkamp: Jüdische Jugendbewegung, Bd. I, S. 50 ff. Markowicz, Ernst: Die Kameraden, in: Jüdische Rundschau, Nr. 45/46, 8. Juni 1932, S. 215. 205 Laqueur: Geboren in Deutschland, S. 20; vgl. ders.: Weimar: Die Kultur der Republik. Frankfurt 1977.
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Walter Laqueur selbst schloss sich den „Werkleuten“ an, die ebenfalls aus dem Bund der „Kameraden“ hervorgingen. Er stellt fest, die Jugendbewegung habe einen tief greifenden Einfluss auf seine Erziehung ausgeübt, und schildert in seinen Erinnerungen, was das für ihn bedeutete: Wir verbrachten unsere Zeit mit Wandern, Gesprächen, Gesang und Lagerfeuer – doch eine solche einfache Aufzählung kann überhaupt keinen Eindruck davon vermitteln, was dies alles für einen Jungen oder für ein Mädchen meines Alters bedeutete. […] Wir waren in einem ganz eigenen Reich, unserem Reich, weit entfernt von den Zwängen und Einmischungen einer feindlichen Welt. Also Eskapismus? Ja, aber ein sehr notwendiger zu allen Zeiten, und ein besonders hilfreicher zu jener Zeit und an jenem Ort. 206
Wie Laqueur rückblickend betont, fand er eben in der „schwierigen Periode“ seines Lebens in der Jugendbewegung einen „Anker, eine Insel des Friedens inmitten einer Welt, die mehr und mehr feindlich wurde“. 207 Uri Gassmann erlebte einen Wandel seines Selbstverständnisses, indem er von einem „patriotischen Deutschen“ zu einem entschiedenen Zionisten wurde. Die Verständigung innerhalb seiner jüdischen Jugendgruppe „BlauWeiß“ spielte dabei sicherlich eine bedeutende Rolle. Durch die Begegnung mit Kindern aus osteuropäischen Häusern entdeckte er dort ein facettenreiches „Volksjudentum“, in dem er mit seiner Faszination für jiddische Sprache und Kultur ein geistiges Zuhause fand. Diese Erfahrungen, die er unter anderem in der Jugendbewegung gesammelt hatte, trugen dazu bei, dass er zu Beginn der 1930er-Jahre sein Medizinstudium an der Breslauer Universität abbrach und 1935 mit einer Gruppe junger Zionisten nach Palästina emigrierte. 208 Ephraim Orni schloss sich 1927 als zwölfjähriger Junge den Breslauer „Kameraden“ an, bei denen er, wie viele andere Jugendliche, das Zusammengehörigkeitsgefühl suchte und fand, das sich unter anderem in gemeinsamen Wanderungen und durch ähnliche Lebensinhalte als große Bereicherung und
206 Laqueur, Walter: Wanderer wider Willen. Erinnerungen 1921–1951. Berlin 1995, S. 98. 207 Ebd., S. 106. 208 Interview mit Uri Gassmann (vormals Klaus-Ferdinand Gassmann), 1990 in Ramat Gan, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 59, Tape 1.
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Identitätskomponente für ihn erwies. Bis zu den 1930er-Jahre fühlte er sich den deutsch-nationalen Ideen verpflichtet, da diese auch von der Führungsperson seiner Gruppe, die sicher als Rollenvorbild diente, propagiert wurde. Später trat er aus der Bewegung aus und kam, wie er selbst beschreibt, „von diesem Einfluss langsam los“. 209 Er berichtet auch über die Zersplitterungen innerhalb der Bewegung, die vermutlich seinen Austritt aus der Gruppe beeinflusst haben: Bis 1930 wurden kaum jüdische Inhalte in den Zusammenkünften bei den ‚Kameraden‘ behandelt. Dann kam aber der Umschwung, der in dieser Bewegung eine Spaltung hervorrief: in einen Teil, dem auch meine Gruppe angehörte, die weiterhin deutsch-national gesinnt blieb und in eine zweite Gruppe, die sich dann später ‚Werkleute‘ nannte, zuerst zu jüdisch betonter Tradition neigte, stark von Martin Buber beeinflusst war, ab 1932 aber zum Zionismus überging. Ich zog mich dann zurück aus der Jugendbewegung, blieb ihr jedoch geistig sehr nahe. 210
Ab 1935 bekannte sich Orni zunehmend zum Zionismus und ergriff den Beruf eines Hebräischlehrers; unter anderem war er in dem „Hachschara-Lager 211 Gut Winkel“ 212 bei Berlin als Hebräischlehrer tätig. Drei Tage vor dem Novemberpogrom gelang ihm die Auswanderung nach Palästina. Hans Chanan Gruenthal, der 1915 – im selben Jahr wie Ephraim Orni – in Breslau zur Welt kam, trat ebenso wie Ephraim dem jüdischen Bund „Kameraden“ bei. Beide jungen Menschen vertraten jedoch sich widerstreitende Positionen und wussten sich in ihrem Umfeld auf unterschiedliche Art und Weise zu behaupten. Während Ephraim Orni im Geiste der „deutsch-jüdischen Symbiose“ erzogen wurde und sich einige Jahre mit dem deutsch209 Interview mit Ephraim Orni, am 20. April 1991 in Jerusalem, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 15, Tape 1. 210 Ebd. 211 Hebr. ( – הכשרהVorbereitung, Tauglichmachung, Ertüchtigung). Als Hachschara bezeichnete man die Vorbereitung und berufliche Ausbildung für Pioniere auf ein Arbeitsleben in Palästina. 212 Diese Hachschara-Stätte hatte den Status einer Lehranstalt für jüdische Landarbeit. Das primäre Ziel dieser kibbuzähnlichen Arbeit war die Ausbildung und Vorbereitung der Jugend für die Emigration nach Palästina, Klönne, Irmgard/Michaeli, Ilana (Hrsg.): Gut Winkel, die schützende Insel. Hachschara 1933–1941. Berlin 2007.
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nationalen Gedankengut identifizierte, sah Hans Gruenthal schon während seiner Pubertät im Zionismus seine geistige Heimat. Möglicherweise hat die Tradition seines Elternhauses bei der Identitätsbildung eine gewichtige Rolle gespielt, obwohl nicht wenige Jugendliche sich in Abgrenzung vom Elternhaus auf die Suche nach ihren eigenen Werten machten. Ob es die Aktivität seiner Eltern in zionistischen Kreisen war, die den Ausschlag gab, oder die Gemeinsamkeiten mit den anderen Jugendlichen: Nach Gruenthal gehörten jedenfalls die Zusammenkünfte mit Gleichaltrigen bei den „Kameraden“, das dadurch gewonnene Gemeinschaftsgefühl sowie Wanderungen im Riesengebirge zu seinen schönsten Jugenderinnerungen an Breslau. 213 Bereits 1933 gelangte Hans Gruenthal durch die Tschechoslowakei auf illegalem Wege nach Palästina, wo er später in Haifa lebte. Der israelische Pädagoge und Historiker Joseph Walk trat 1924 als zehnjähriger Junge der Breslauer „Misrachi-Jugendgruppe“ bei, die zionistisch orientiert war. 1929 verließ Walk die „Misrachi“ und gründete die zionistisch-religiöse Jugendgruppe „Zeire Misrachi“. 214 In einem Interview 1991 äußerte sich Walk retrospektiv zu der in den Breslauer Jugendbünden herrschenden Atmosphäre: Und jetzt etwas das Klima aller Jugendbewegungs-Gruppen betreffend: von der ‚Esra‘ bis ‚Kameraden‘ waren wir alle im Geiste eines deutschen Humanismus erzogen, den wir bejaht haben, bewusst bejaht haben. Das Wort ‚Synthese‘ liebe ich nicht, aber wir haben eine Synthese gefunden oder sind hineingeboren in eine Synthese unseres Judentums und unseres Deutschtums – in das Beste, was die deutsche Kultur dargestellt hat. 215
213 Interview mit Hans Chanan Gruenthal, am 9. Juli 1990 in Kiryat Bialik/Israel, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 65, Tape 2. 214 The Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem (CAHJP), Privatsammlung Joseph Walk, Sig. P 227; Interview mit Joseph Walk, am 16. April 1991 in Jerusalem, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 135, Tape 1. Die ersten Gruppen der ‚Brit Hanoar schel Zeire Misrachi‘ wurden vor 1910 vom ‚Misrachi‘ gegründet. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Bewegung – hauptsächlich durch den Zustrom osteuropäischer Einwanderer – stark zu, gewann aber nur wenige Anhänger innerhalb des deutschen orthodoxen Bürgertums. Vgl. Reinharz, Jehuda: Dokumente zur Geschichte des deutschen Zionismus, 1882–1933. Tübingen 1981, S. 494. 215 CAHJP, Privatsammlung Joseph Walk, Sig. P 227; Interview mit Joseph Walk, am
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Die jüdische Jugend der Weimarer Zeit zeichnete eine gewisse Zerrissenheit und Unausgeglichenheit aus, die sich möglicherweise aus der Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft speiste. Diese Symptome waren durch die immer weiter sich steigernde Abgrenzung und den Antisemitismus verursacht. Der zumeist als schmerzhaft empfundene Zwiespalt zwischen Deutschtum und Judentum ließ sich dazu immer weniger überbrücken. Die innere Entfremdung vom religiösen Aspekt des Judentums, die durch die Integration und Säkularisierung vieler Juden eingetreten war, schlug nun teilweise in Verunsicherung um. Daher glaubten viele jüdische Jugendliche, in einer gewissen Rückbesinnung auf ihre religiöse jüdische Identität eine Antwort auf dieses Dilemma zu finden. Hierfür sollte die jüdische Jugendbewegung identitätsbildende Wertvorstellungen liefern. Darüber hinaus bot die Gemeinschaft ihnen eine Zugehörigkeit, die ihnen half, sich in der immer feindlicher gesinnten Mehrheitsgesellschaft zu behaupten. Im Gegensatz zur Elterngeneration sahen viele dieser jungen Akteure weniger Probleme darin, ihre jüdische Identität vornehmlich religiös oder ethnisch zu definieren. Der Prozess der Identitätsbildung verlief aber nicht ohne Spannungen. Wie der Historiker Arnold Paucker zu Recht bemerkte, gab es bei der jüdischen Bewegung ein „gewisses Fluktuieren des Bewusstseins“, wonach die Jugendlichen in relativ kurzen Zeitabständen „etliche Phasen eigenen Selbstverständnisses durchlaufen konnten, ohne jedoch aus dem Jugendbund auszuscheiden: einen säkularjüdischen Nationalismus sozialistischer Prägung, einen deutsch ausgerichteten Antifaschismus oder eine jüdische Religiosität“. 216 Nicht selten spielten dabei die Persönlichkeit des Gruppenführers des jeweiligen Bundes und seine Weltanschauung eine gewichtige Rolle. Diese Tendenzen werden unter anderem anhand der Zersplitterung der „Kameraden“ sichtbar. Aus einem anfangs relativ wertoffenen Bund hatten sich dort entweder linksorientierte oder nationaljüdische Gruppen ausgesondert. Erst ab 1933 sollte sich das Bild der jüdischen Jugend16. April 1991 in Jerusalem, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 135, Tape 1. 216 Paucker, Arnold: Zum Selbstverständnis jüdischer Jugend in der Weimarer Republik und unter der nationalsozialistischen Diktatur, in: ders. (Hrsg.): Deutsche Juden im Kampf um Recht und Freiheit. Studien zu Abwehr, Selbstbehauptung und Widerstand der deutschen Juden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Teetz 2003, S. 186.
Zwischenresümee
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bewegung insofern vereinheitlichen, dass die politische Situation den Zustrom jüdischer Jugend zu den zionistischen Bünden begünstigte, da diese ihre Mitglieder auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. Dank der Initiative der jüdischen Jugendbewegung konnte aber vor allem das Gefühl der Gemeinschaft neu definiert und bestimmt werden, was in den nachfolgenden Jahren in Zeiten der Ausgrenzung und Verfolgung weitreichende Konsequenzen hatte.
2.3 Zwischenresümee Aus der dargestellten Perspektive der Weimarer Republik kristallisiert sich eine Vorstellung der jüdischen Lebenswelt in der Odermetropole heraus. Demnach wurden Breslauer Juden nunmehr zu vollberechtigten Staatsbürgern, die vorwiegend in den freien Berufen sowie im Handel tätig waren, den Kern der hiesigen Mittelschicht bildeten sowie in allen Bereichen des städtischen, politischen und gesellschaftlichen Lebens präsent waren. Der Integrationsgrad lässt sich aber nicht allein an der Situation der Juden im öffentlichen und politischen Leben messen. Die gesammelten persönlichen Berichte können darüber hinaus auch Einblicke in private Beziehungen zwischen jüdischen und nicht jüdischen Breslauern geben und innere Haltungen und Einschätzungen vermitteln. So kann man die Erfahrungen der Breslauer Juden im Bezug auf die Annäherung an die christlichen Breslauer durchaus als ambivalent bezeichnen. In den Memoiren und Interviews erschienen sie hauptsächlich in zwei Formen: als eine positive persönliche Beziehung zwischen dem Autor und dem Nichtjuden oder als eine negative bis schmerzhafte Erfahrung des Autors mit einem oder einer Gruppe von feindlich eingestellten Mitbürgern. Man könnte vermuten, dass es in vielen Lebensbereichen eine stillschweigende, aber klar gezeichnete Trennung zwischen Juden und Nichtjuden gegeben hat, die man nicht unbedingt und ausschließlich durch Antisemitismus begründen kann. Zugleich aber kann der Anstieg der christlich-jüdischen Eheschließungen als Zeichen einer schrittweise zunehmenden Veränderung der gegenseitigen Wahrnehmung und Vertrautheit interpretiert werden. Andererseits war diese Erscheinung auch durch eine fortschreitende Entkonfessionalisierung sowohl bei den jüdischen als auch bei den christlichen Breslauern bedingt. Nichtsdestotrotz
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können rein jüdische Ehen als Indiz aufgefasst werden, inwieweit jüdische Identität in streng religiösem Sinn bewahrt wurde oder durch „Mischehen“ eine verstärkte Integration in die Mehrheitsgesellschaft stattfand. In der Weimarer Zeit erreichte die jüdische Aktivität der Breslauer Gemeinschaft eine Blüte. Dies kommt etwa in der Gründung vieler neuer jüdischer Organisationen und Einrichtungen zum Ausdruck, von denen sich viele keineswegs als religiös verstanden haben, sondern vielmehr als sozialgesellschaftlich oder politisch definiert. Obwohl die meisten dieser Organisationen durchaus gegensätzliche Ziele verfolgten, verbanden sie ihre Mitglieder in irgendeiner Form mit dem Judentum. Im Hinblick auf die folgenden Kapitel soll an dieser Stelle betont werden, dass die in der Weimarer Republik gewachsenen organisatorischen Netzwerke ein stabiles Fundament für den Überlebenskampf der Breslauer Juden im Dritten Reich gebildet haben. Bereits im Laufe des Ersten Weltkrieges kam auch öffentlich immer deutlicher Antisemitismus in unterschiedlichen Formen zum Vorschein. Dieser bewegte sich während der Weimarer Republik zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite waren Juden rechtlich gleichgestellt und wurden in vielen Bereichen in die deutsche Gesellschaft integriert, wie es zum Beispiel die steigende Zahl der „Mischehen“ zeigt. Andererseits war unter dem Schleier eines zivilisierten Zusammenlebens eine starke antisemitische Strömung bemerkbar, die sehr bald an Einfluss gewinnen sollte. Damit sank die Hoffnung vieler Breslauer Juden, in der deutschen „Volksgemeinschaft“ endgültig aufgenommen zu sein. In Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Selbstverständnis griff nun für die Breslauer Juden die Idee der Selbstbehauptung wieder stärker Raum. Besonders die Zionisten standen nun in klarer auch öffentlicher Opposition zur vorangehenden Assimilationsbereitschaft im Kaiserreich. Alle Juden als Angehörige des einen jüdischen Volkes zu begreifen, bedeutete für die Zionisten, sich nicht als ethnisch-deutsch zu verstehen, sondern nur formal als deutsche Staatsbürger. Es wird deutlich, wie in diesem Fall das Konzept einer ethnischen Originalität die Wahrnehmungs- und Entscheidungsperspektiven prägt. Aber auch die Führer des C. V., die die Mehrheit der deutschen Juden vertraten, suchten angesichts der schwindenden Religiosität und konfrontiert mit dem wachsenden Antisemitismus nach einer neuen Definition der jüdischen Gemeinschaft.
Zwischenresümee
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Die Breslauer Juden lebten zusammen mit Nichtjuden in denselben Wohnvierteln, sie besuchten dieselben Schulen und die Universität, arbeiteten gemeinsam in Betrieben, Krankenhäusern und Gerichten, waren darüber hinaus in städtischen Vereinen und Parteien aktiv. Nach und nach verschlechterten sich aber ihre Beziehungen zu dem Umfeld, in dem sie lebten, sodass das Gefühl des „Andersseins“ immer stärker in den Vordergrund rückte. Hauptsächlich aufgrund dieser Erfahrungen sahen sich viele der Breslauer Juden stärker und bewusster mit einem „Identitätsproblem“ konfrontiert. Vor allem angesichts ihrer Doppelzugehörigkeit, die sich in ihrem „Deutschsein“ und „Jüdischsein“ manifestierte, suchten viele von ihnen nach einer Selbstdefinition, die diese Dualität auf verschiedene Art und Weise ausbalancieren sollte. Die individuellen Reaktionen der Breslauer Juden auf diesen Sachverhalt waren, wie im vorhergehenden Kapitel betrachtet, äußerst unterschiedlich. Manche hatten das Konzept einer religiös begründeten jüdischen Eigenart mehr und mehr abgelegt, weil sie sich in erster Linie deutsch fühlten. Sie zeigten sich patriotisch und national, waren sich dabei dem Nebeneinander ihrer Verbundenheit mit dem Deutschtum und dem Judentum bewusst. Bei anderen wiederum machte sich eine deutliche Rückbesinnung auf eine religiös geprägte jüdische Identität bemerkbar. Dieses klare Identitätsmodell übte vor allem auf die jüdische Jugendbewegung eine große Faszination aus und sorgte für eine Stabilisierung der Identität in unsicheren Zeiten. Anhand der vorausgehenden Kapitel gewinnt man klare Einblicke in die vielfältige Differenzierung innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinschaft, die der verbreiteten Vorstellung der allgemein fortgeschrittenen „Assimilation“ der deutschen Juden zur Weimarer Zeit widerspricht. Zweifelsohne waren die in Breslau lebenden Juden genauso wie andernorts in Deutschland in mancher Beziehung gut integriert und kulturell angepasst. Kann man diesen Sachverhalt aber tatsächlich, wie es unter anderem Walter Laqueur beansprucht, als eine eigene Lebensform der „deutsch-jüdischen Symbiose“ bezeichnen? 217 Bereits viele Historiker haben versucht zu bezeugen, dass dieses Bild von der historischen Realität weit entfern ist und die deutsch-jüdischen Beziehungen womöglich idealisiert sind. 218 217 Laqueur: Wanderer wider Willen, S. 24. 218 Vgl. Benz, Wolfgang: The Legend of German-Jewish Symbiosis, in: LBIYB, Nr. 37, 1992, S. 95–102; Scholem, Gershom: ‚Wider den Mythos vom deutsch-
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Nichtsdestotrotz rückt nun die Frage in den Vordergrund, ob sich die jüdischen Bürger in Breslau wirklich „zu Hause“ fühlten? Nach Peter Gay waren „Deutschlands Juden in Deutschland zu Hause, in der Weimarer Republik nicht weniger als in früheren Zeiten; sie waren zu Hause trotz aller antisemitischen Zwischenfälle“. 219 Dies bestätigen die ausgewählten Zeugnisse und Interviews, anhand derer das deutsch-jüdische Verhältnis zur Zeit der Weimarer Republik im Rahmen dieser Arbeit rekonstruiert wird. Van Rahden ergänzt die von Gay postulierte These, indem er davon ausgeht, dass „das Haus ungemütlich, wenn nicht gar gefährlich geworden sei“. 220 Dies wird unter anderem anhand der pogromartigen Ausschreitungen in Breslau im Juli 1923 sichtbar und zehn Jahre später an dem Boykott des Juristen Prof. Ernst Cohn an der Breslauer Universität. Das gravierendste Argument gegen die These von der „deutsch-jüdischen Symbiose“, wie sie angeblich bis 1933 bestanden hat, so Wolfgang Benz, liefert der verbreitete Antisemitismus, und zwar „der bürgerliche und nicht der Pöbelantisemitismus der Nationalsozialisten“. 221 Die religiös, sozial oder ökonomisch motivierte bürgerliche Judenfeindschaft, die im Umkreis der Diskussion um die „Judenfrage“ begann und im schweigenden Zusehen bei ihrer „Lösung“ unter dem nationalsozialistischen Regime endete, wuchs
jüdischen Gespräch‘ (1964), in: Judaica II, Frankfurt a. M. 1970, S. 7–12; vgl. ders.: Von Berlin nach Jerusalem: Jugenderinnerungen. Frankfurt a. M. 1994, S. 30 f.; Maurer, Trude: Die Entwicklung der jüdischen Minderheit in Deutschland, 1780–1933. Tübingen 1992. Auch in Bezug auf die Geschichte der Breslauer Juden wurde der Begriff der ‚deutsch-jüdischen Symbiose‘ von Olaf Blaschke sowie Till van Rahden infrage gestellt, Blaschke, Olaf: ‚Das Judentum isolieren!‘ Antisemitismus und Ausgrenzung in Breslau, in: Hettling, Manfred/Reinke, Andreas/Conrads, Norbert (Hrsg.): In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit. Hamburg 2003, S. 167–184, hier S. 169; van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 30. 219 Gay, Peter: In Deutschland zu Hause. Juden in der Weimarer Zeit, in: Paucker, Arnold (Hrsg.): Die Juden im nationalsozialistischen Deutschland, 1933–1943. Tübingen 1986, S. 31–43, hier S. 41. 220 Van Rahden: Juden und andere Breslauer, S. 317. 221 Benz, Wolfgang: Von der Emanzipation zur Emigration, in: ders./Neiss, Marion (Hrsg.): Deutsch-jüdisches Exil: Das Ende der Assimilation? Identitätsprobleme deutscher Juden in der Emigration. Berlin 1994, S. 7–13, hier S. 10.
Zwischenresümee
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parallel zum Aufblühen jüdischer Freiheit in Deutschland Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 222 Wie positionierten sich die Breslauer Juden angesichts dieser sich verschlimmernden Situation? Anhand der persönlichen Schicksale und Erlebnisse der Breslauer Juden lässt sich herausarbeiten, dass viele von ihnen in einer Neudefinition und Umgestaltung ihres „Daseins in diesem Hause“ eine Lösung zu finden glaubten.
222 Ebd.
3 Im Dritten Reich
3.1 Die alte Ordnung wird zerstört, 1933–1935 3.1.1 Das Vorspiel – Antijüdische Ausschreitungen im Frühjahr 1933 Ernst Marcus, der 1890 in Breslau geboren wurde, war Rechtsanwalt am Land- und Amtsgericht sowie als Notar tätig. Seine Kanzlei gehörte zu einer der erfolgreichsten in der Stadt und beschäftigte bis 1933 durchschnittlich zwölf Angestellte. Er berichtet in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahre 1940 über den Tag, an dem die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) die Macht in Deutschland übernahm: Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Wir saßen am Radio und hörten, wie diese Massen in Berlin dem neuen Führer zujubelten. Mit einem Schlage hatte sich die Welt verändert. Die nächste Zeit verlief relativ ruhig. Weite Kreise des Bürgertums, auch wir und unsere jüdischen Freunde glaubten, die Sache werde ‚nicht so schlimm‘ werden. […] Ich hörte im Rechtsanwaltszimmer einer Unterhaltung nationalsozialistischer Kollegen zu: einer äußerte, es gehe nicht mehr an, dass im Vorstand des Anwaltsvereins Juden säßen, da diese nicht geeignet seien, in Zukunft die Interessen der Anwaltschaft den Behörden gegenüber wahrzunehmen. Das war also das Höchste, was er an Radikalismus aufbrachte: Entfernung der Juden aus dem Vereinsvorstand! 1
Wie die Mehrheit der Breslauer Juden verhielt sich auch Ernst Marcus zunächst abwartend in Anbetracht der sich verändernden politischen Lage. Als dringlichstes Problem des neuen Regimes erwiesen sich zunächst die Sicherung der Macht und der Kampf gegen politische Gegner. 2 Demzufolge begannen in Breslau bereits nach dem Reichstagsbrand Ende Februar bzw. An1 2
ALBINY, Marcus, Ernst: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (Manuskript, verfasst 1940), Sig. MM7 Box 47, ME 1204, MM52, S. 28. Vgl. Rürup, Reinhard: Das Ende der Emanzipation: die antijüdische Politik in Deutschland vor der ‚Machtergreifung‘ bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Paucker: Juden im nationalsozialistischen Deutschland, S. 97–114, hier S. 103; Połomski, Franciszek: Położenie ludności żydowskiej na Śląsku po dojściu Hitlera do władzy, in: Studia Śląskie, Seria Nowa, Bd. 11. Katowice 1967, S. 55–72, hier S. 55.
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fang März 1933 Massenverhaftungen von führenden Aktivisten der KPD, SPD und der in der Stadt stark vertretenen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). 3 Kurz darauf erfolgte eine Umstrukturierung der schlesischen Provinzialregierung. So wurden Helmuth Brückner zum Oberpräsidenten in Niederschlesien und der SA-Obergruppenführer Edmund Heines zum Polizeipräsidenten von Breslau ernannt. 4 Noch bevor diese engagierten Nationalsozialisten in Führungspositionen kamen, wurde die Stadt zum Schauplatz einer besonderen Brutalität und Gewalttätigkeit gegenüber den jüdischen Stadtbewohnern. Eine bedeutende Rolle bei diesen Ereignissen sollte der Reichstagsabgeordnete, fanatische Nationalsozialist und verurteilte Fememörder, Edmund Heines, spielen. Der Kaufmann Walter Tausk notierte in seinem Tagebucheintrag vom 11. März 1933, dass an diesem Samstag jüdische Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte von der SA zur Schließung gezwungen wurden. Die Schaufenster großer jüdischer Geschäfte und Warenhäuser wie Wertheim, Tietz 3
4
Unter den Verhafteten befand sich auch der Rechtsanwalt und Führer der Breslauer SAP, Dr. Ernst Eckstein, siehe: ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 23, 29; Schlesische Tagespost, 2. März 1933. Edmund Heines (1897–1934), 1922 trat er der NSDAP und SA bei. 1923 nahm er am Hitler-Putsch teil. Zwischen 1928–1929 wurde er wegen eines Fememordes inhaftiert. In den Jahren 1933 bis 1934 stellvertretender Gauleiter Schlesiens und ab 28. März 1933 Polizeipräsident in Breslau. Am 30. 6. 1934 infolge des angeblichen Röhm-Putsches ermordet. Heines war in seiner Funktion als Polizeipräsident unter anderem für die Errichtung des Konzentrationslagers in Dürrgoy (heute: Tarnogaj) verantwortlich, das nicht selten als sein ‚Privatlager‘ bezeichnet wurde, siehe: Rudorff: Das Konzentrationslager Breslau-Dürrgoy, in: Benz (Hrsg.): Instrumentarium der Macht, S. 147 f.; vgl. Jonca, Karol: Das Ende der Belle Epoque in Wrocław, in: Aufbau, New York, 24. Mai 2001, S. 11; ders.: Jüdisches Leben in Breslau im 20. Jahrhundert. Blüte, Zerstörung und Neubeginn, in: Jahn, Hajo (Hrsg.): Zweiseelenstadt. Ein Else-Lasker-Schüler-Almanach. Wuppertal 2004, S. 27–48, hier S. 28 f.; Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 16. März 1933, S. 40 f., vgl. S. 106 ff.; Ascher, Abraham: Oblężona społeczność. Wrocławscy Żydzi w czasach nazizmu. Wrocław 2009, S. 89 ff.; ALBINY, Marcus, Ernst: Mein Leben in Deutschland, S. 29; AYV, Tramer, Hans: In Breslau 1932 und in Berlin 1932/33 (Manuskript, verfasst 1957), Bestand 0.1 – K. J. Ball-Kaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 145; Ruault, Franco: ‚Neuschöpfer des deutschen Volkes‘. Julius Streicher im Kampf gegen ‚Rassenschande‘. Frankfurt a. M. 2006, S. 362; Schlesische Tageszeitung (STZ), Nr. 78, 31. März 1933.
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und Barasch waren mit der Aufschrift „Deutsche kauft nur bei Deutschen, nicht bei Juden!“ beschmiert worden und die Inhaber zur Schließung gezwungen. Am Tag darauf stürmte die SA die Breslauer Börse an der Graupenstraße, vertrieb die jüdischen Bürger und schloss das Gebäude. 5 Tausk beschreibt die Ereignisse des 11. März 1933 als „Mittelalter des 20. Jahrhunderts“. 6 An diesem Tag wurden auch die jüdischen Breslauer Juristen zur Zielscheibe des organisierten Terrors der SA. 7 Ernst Marcus war Zeuge dieser Ereignisse: 5
6 7
STZ, Nr. 62, 13. März 1933; vgl. Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 11. März 1933, S. 34 f.; Dokumentensammlung über die Entrechtung, Ächtung und Vernichtung der Juden in Deutschland seit der Regierung Adolf Hitler. Abgeschlossen am 15. Oktober 1936, S. 289. Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 17. März 1933, S. 41. Die erste Gerichtsbesetzung durch SA und Stahlhelm, die mit der Verhaftung einiger Richter verbunden war, wurde am 9. März 1933 aus Chemnitz berichtet, siehe: Krach, Tillmann: Jüdische Rechtsanwälte in Preußen. Über die Bedeutung der freien Advokatur und ihre Zerstörung durch den Nationalsozialismus. München 1991, S. 173; Göppinger, Horst: Juristen jüdischer Abstammung im ‚Dritten Reich‘. Entrechtung und Verfolgung. München 1990, S. 49. Weitere Terroraktionen ereigneten sich unter anderem in Oels (18. März), Gleiwitz (24. März), Görlitz (29. März), Königsberg (31. März) und in Berlin (1. April), Maurer: Vom Alltag zum Ausnahmezustand, in: Kaplan (Hrsg.): Jüdischer Alltag in Deutschland, S. 393; Gruchman, Lothar: Justiz im Dritten Reich, 1933–1940: Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner. München 2002, S. 125; ALBINY, Warschauer, Ernst: Als Flüchtling auf den Grenzbanden 1933, in: Warschauer Ernst Collection, 1919–1969, Sig. AR 5784. Eine ausführliche Dokumentation der antijüdischen Ausschreitungen an den Breslauer Gerichten am 11. März 1933 enthalten folgende Zeugenberichte: AYV, Foerder, Ludwig: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht. Erinnerungen eines Augenzeugen (verfasst in Jerusalem am 22. September 1955), Bestand 0.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 130; ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland; ALBINY, Heilberg, Adolf: Pro Memoria 1933 (Manuskript, verfasst am 7. Mai 1933), Sig. ME 257b, MM 32; Polke, Max Moses: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (verfasst 1940), in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 1, Deutsches Reich 1933–1937, Bearbeitet von Aly, Götz/Gruner, Wolf/Heim, Susanne u. a. (Hrsg.), München 2008, S. 81–85; sowie Presseberichte, in: Die Lage der Juden in Deutschland 1933. Das Schwarzbuch – Tatsachen und Dokumente. (Hrsg.) Comité des Délégations Juives (Paris 1934). Wiederaufgelegt bei Ullstein, Frankfurt a. M./Wien/Berlin, 1983, S. 93–101.
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Am 11. März 1933 gegen Mittag besetzte ein Haufen von SA Leuten, mit Gummiknüppeln und Drahtknüppeln bewaffnet, das Gebäude des Amts- und Landgerichts. Ich befand mich im Anwaltszimmer, als etwa 20–25 SA Leute dort eindrangen und brüllten: ‚Juden raus!‘ Ich habe das Gebäude verlassen. Aus verschiedenen Zimmern und aus anderen Stockwerken hörte ich das Brüllen der SA. […] Richter wurden zum Teil aus der Sitzung herausgeholt, unter anderem der Landgerichtsdirektor Steinfeld, ein Mann, der im Weltkriege ein Bein verloren hatte. Wer der Aufforderung, das Gericht zu verlassen, nicht schnell genug nachkam, wurde geschlagen. In mehreren Fällen haben christliche Richter versucht, die jüdischen Kollegen und Anwälte zu schützen, indem sie diese in ihr Zimmer nahmen. […] Die Justizverwaltung, von den Ereignissen ebenso überrascht wie wir, erwies sich als machtlos. Der 11. März war ein Sonnabend. In den ersten Tagen der folgenden Woche blieb das Gericht geschlossen. […] Wir hatten von ähnlichen Vorgängen in anderen Orten nichts gehört und glaubten, dass es sich um eine auf das Konto des Herren Heines zu setzende Sonderaktion handle. So beschlossen einige jüdische Mitglieder des Vorstandes des Vereins der Landgerichtsanwälte, zu denen ich gehörte, nach Berlin zu fahren und dort bei maßgebenden Stellen vorzusprechen. Der christliche, rein ‚arische‘ Kollege, Dr. Friedensburg, ein Mann von demokratischen Überzeugungen und aufrechter Gesinnung, schloss sich an. […] Wir fuhren unverrichteter Sache nach Breslau zurück. Dort hatte unterdessen die Justizverwaltung vor der Partei und Herrn Heines kapituliert. 8
Unter den jüdischen Juristen, die sich am Tag der Ausschreitungen im Breslauer Amts- und Landesgericht „Am Stadtgraben“ befanden, war auch der Rechtsanwalt Ludwig Foerder. In seinen Erinnerungen berichtet er, wie er an jenem Sonnabend nach dem Synagogenbesuch im Amtsgericht eintraf: Plötzlich – es war genau elf Uhr – ertönte auf den Korridoren ein Gebrüll wie von wilden Tieren, das sich schnell näherte. Die Türen des Anwaltszimmers flogen auf. Herein quollen zwei Duzend SA-Männer … und schrien ‚Juden raus‘. Einen Augenblick waren alle, Juden und Christen wie gelähmt. Dann verließen die meisten jüdischen Anwälte das Zimmer. […] Ich bemerkte den über 70 Jahre alten Justizrat Siegmund Cohn, Mitglied des Vorstandes der Anwaltskammer, wie er vor Schreck wie angenagelt auf seinem Stuhl saß und unfähig war, sich zu erheben. Ein paar Mitglieder der braunen Horde stürzten auf ihn zu. Da traten einige jüngere christliche Anwälte, darunter Mitglieder des deutsch-nationalen ‚Stahlhelms‘, hinzu und stellten sich schützend vor ihn, was die Eindringlinge bewog, von ihm abzulassen. Ich selbst rührte mich zunächst nicht von der Stelle. 8
ALBINY, Marcus, Ernst: Mein Leben in Deutschland, S. 30 f.
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Da sprang ein SA-Mann auf mich zu und packte mich am Arm. Ich schüttelte ihn ab, worauf er sogleich aus dem rechten Ärmel seiner Bluse ein metallenes Futteral hervorzog, das auf einen Druck eine Spirale herausspringen liess, an deren Ende eine Bleikugel befestigt war. Mit diesem Instrument versetzte er mir zwei Schläge auf den Kopf. […] Man sah Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, wie sie, manche in ihren Amts-Roben, von kleinen Gruppen der braunen Horde auf die Strasse getrieben wurden. Überall rissen die Eindringlinge die Türen der Verhandlungszimmer auf und brüllten ‚Juden raus!‘. […] 9
Foerder hatte seit 1919 als Rechtsanwalt vieler jüdischer Gemeinden und Organisationen sowie des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ etwa 200 Prozesse gegen prominente Nationalsozialisten geführt, darunter einige gegen Goebbels oder den großen Schweidnitzer Landfriedensbruch-Prozess 10 im Jahre 1930 mit Hitler als Zeugen. Er hatte in den letzten Monaten telefonisch und schriftlich anonyme Drohungen erhalten. Aufgrund dieser Exzesse wurde ihm aber sofort klar, dass er sich in besonderer Gefahr befand. Kurz darauf verließ er Breslau und begab sich in die Tschechoslowakei, wo er bald eine Nachricht erhielt, dass der Polizeipräsident Heines einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. 11 Um zu den Ereignissen am 11. März in Breslau zurückzukommen: Noch am Nachmittag desselben Tages versammelten sich christliche Richter und Rechtsanwälte und beschlossen, einen dreitägigen vollkommenen Stillstand der Rechtspflege eintreten zu lassen. Dies hatte zur Folge, dass alle für die Zeit vom 13. März bis zum 15. März beim Amts- und Landesgericht angesetzten Termine aufgehoben wurden und der Lauf sämtlicher Fristen unter-
9 AYV, Foerder: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht, S. 1 f. 10 Am 27. September 1929 sprengten die Schweidnitzer Nationalsozialisten mit brutaler Gewalt eine SPD-Versammlung. Dieser Akt des Terrors und die zwei daraufhin folgenden Gerichtsverfahren hatten bedeutsame Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Nationalsozialismus nicht nur in der Stadt und in Schlesien, sondern weit darüber hinaus. Hier war es, wo Hitler erstmals vor Gericht aussagte. Die Gerichtsverhandlung gegen 14 angeklagte Nationalsozialisten fand vor dem Landgericht in Schweidnitz zwischen dem 10. Juni und 5. Juli 1930 statt, Adler, Horst: Zur Frühgeschichte des Nationalsozialismus und seiner Vorläufer in Schweidnitz, http://www.horst-adler.de/nsdap.pdf (abgerufen am 10. März 2013). 11 AYV, Foerder: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht, S. 4; vgl. Central Zionist Archive Jerusalem, Foerder Collection, Sig. 283/1.
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brochen war. 12 Demzufolge waren in den Tagen vom 13. bis 15. März beim Amts- und Landesgericht keine Termine gewährt. Am 16. März erhielten alle Breslauer Anwälte ein Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten, Dr. Max Witte, in dem sie informiert wurden, dass auf Veranlassung des Polizeipräsidenten unter allen jüdischen Breslauer Anwälten 17 ausgewählt wurden, welche an den Breslauer Gerichten auftreten dürften. 13 Laut dem Schreiben sollten sich alle anderen jüdischen Anwälte von den Gerichten fernhalten. Zu den 17 ausgewählten jüdischen Juristen gehörte Ernst Marcus. Nach dieser Bekanntmachung begab er sich mit einer Gruppe jüdischer Breslauer Juristen auf die schon beschriebene Reise nach Berlin, um beim Reichsjustizministerium in dieser Angelegenheit zu intervenieren, ihre Bemühungen blieben jedoch erfolglos. 14 Am 21. März 1933 fand eine Sitzung des Vorstandes der Anwaltskammer in Breslau statt, während der 19 von 21 seiner Mitglieder aufgrund der Ereignisse an den Breslauer Gerichten ihr Ausscheiden aus dem Vorstand erklärten. 15 Anhand des Schriftverkehrs zwischen dem Reichskommissar Dr. Hartwig vom Reichsjustizministerium und dem Breslauer Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Witte lässt sich eindeutig ableiten, dass die antijüdischen Ausschreitungen an den Breslauer Gerichten planmäßig durch den hiesigen SAFührer Edmund Heines und seinen juristischen Berater Dr. Helmut Rebitzki
12 AYV, Foerder: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht, S. 3; ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 30; Polke: Mein Leben in Deutschland, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 1, S. 82; ALBINY, Heilberg: Pro Memoria 1933, S. 1 f. 13 AYV, Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Max Witte an sämtliche an den Breslauer Gerichten zugelassenen Rechtsanwälte vom 16. März 1933, Bestand O.51 Nazi Documentation, Reichsjustizministerium, Rechtsangelegenheiten Breslau, Sig. 206, Bl. 19; vgl. ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 32; C. V. Zeitung, Nr. 12, 23. März 1933, S. 98; JR, Nr. 23, 21. März 1933, S. 111; Dokumentensammlung über die Entrechtung, S. 76. 14 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 34; vgl. ALBINY, Heilberg: Pro Memoria 1933, S. 13; AYV, Foerder: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht, S. 2. 15 AYV, Protokoll der Sitzung des Vorstandes der Anwaltskammer am 21. März 1933 in Breslau, O.51 Nazi Documentation, Reichsjustizministerium, Rechtsangelegenheiten Breslau, Sig. 206, Bl. 22 ff.
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durchgeführt worden waren. 16 Diese Tatsache bestätigen auch die Zeugenberichte von Ernst Marcus und Adolf Heilberg. 17 Am 17. März 1933 informierte Helmut Rebitzki das Reichsjustizministerium, dass „in Bejahung der hiesigen Ereignisse ein Christlich-Nationaler Anwaltsverein gegründet wurde, dem sofort hundert Breslauer Anwälte wegen vorwiegend undeutscher Anwaltskammer beigetreten sind“. 18 Es wurde hierbei argumentiert, dass die Zahl der jüdischen Rechtsanwälte in Breslau immer mehr zugenommen und den Stand von 70 Prozent erreicht habe. 19 Am 31. März wurde die Anordnung für Preußen bekannt gegeben, wonach die jüdischen Richter und sonstige jüdische Juristen, welche bei Gerichten beschäftigt waren, zwangsweise beurlaubt werden sollten; so wurde ihnen auch das Betreten von Gerichten verboten. 20 Das Interesse des SA-Führers an der Verdrängung von Juden speziell in juristischen Strukturen wird besonders deutlich durch die enge Zusammenarbeit mit seinem juristischen Berater, der auch am Aufbau des ChristlichNationalen Anwaltsvereins großen Anteil hatte. Die Manipulation des Prozentsatzes jüdischer Rechtsanwälte von faktisch ungefähr einem Drittel auf die oben erwähnten 70 Prozent kann auch im Kontext dieser Fokussierung gesehen werden. Wie anhand der Zeugnisse der jüdischen Juristen aus Breslau ersichtlich wird, war der Handlungsspielraum bereits im März 1933 äußerst begrenzt. 16 AYV, Fernmündliche Mitteilung des Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Max Witte an Reichskommissar des Reichsjustizministeriums Dr. Hartwig vom 18. März 1933, O.51 Nazi Documentation, Reichsjustizministerium, Rechtsangelegenheiten, Breslau Sig. 206, Bl. 22 ff. Wenige Tage darauf wurden Heines zum Polizeipräsidenten von Breslau und Rebitzki zum Oberbürgermeister ernannt. 17 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 33; ALBINY, Heilberg: Pro Memoria 1933, S. 13. 18 AYV, Telegramm an das Reichsjustizministerium vom 17. März 1933, O.51 Nazi Documentation, Reichsjustizministerium, Rechtsangelegenheiten Breslau, Sig. 206, Bl. 16. 19 Die ‚Schlesische Volkszeitung‘ vom 27. Juni 1933 meldete, dass im Oberlandesgericht Breslau 564 jüdische und 1.056 ‚arische‘ Rechtsanwälte verzeichnet seien, SV, Nr. 251, 27. Juni 1933. 20 Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat: eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien, Inhalt und Bedeutung. Heidelberg 1996, S. 7.
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Diese Tatsache hinderte aber die jüdischen Anwälte nicht daran, sich im Angesicht dieser empörenden Umstände zu mobilisieren. Da ihre Interessen von keiner Stelle mehr wahrgenommen wurden, schlossen sie sich zusammen und wählten einen Vorstand. So wurde die Vertretung der nicht zugelassenen Anwälte durch die 17 zugelassenen (12 am Land- und Amtsgericht und 5 am Oberlandesgericht) geordnet. Wie Ernst Marcus berichtet, nahmen während der folgenden Wochen die zugelassenen Anwälte jeder etwa 60 bis 80 Termine täglich für die ausgeschlossenen Kollegen wahr. 21 Durch das Gesetz vom 7. April „über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ wurde den jüdischen Anwälten ihre Zulassung entzogen, wobei von dieser Maßnahme – ebenso wie bei der gleichzeitigen Beamtengesetzgebung – zunächst zwei Gruppen ausgenommen wurden: Anwälte, die bereits vor dem 1. August 1914 zur Anwaltschaft zugelassen worden waren, sowie „Frontkämpfer“ des Ersten Weltkrieges. 22 Aufgrund dieser Bestimmungen blieben in der Anwaltschaft sowohl Ernst Marcus, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, als auch sein Sozius, Dr. Schönfeld, der noch vor dem Stichtag zugelassen worden war. Außerdem behielt Marcus bis 1935 aufgrund der entsprechenden Regelungen des „Berufsbeamtengesetztes“ das Notariat. Er und seine Frau blieben zunächst in Breslau, zogen sich aber mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben zurück, verzichteten auf Theater- und Kinobesuche und besuchten ausschließlich jüdische Lokale. 23 Ernst Marcus berichtet, dass sich viele seiner Kollegen, die aus der Anwaltschaft ausgeschlossen wurden, unter den ersten Auswanderern befanden. 24 So begab sich Ludwig Foerder, wie bereits erwähnt, zunächst in die Tschechoslowakei und von dort nach Palästina. 25 Seine Erinnerungen beendet er mit folgenden Worten: 21 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 34. 22 Hirsch, Martin/Diemut, Majer/Meinck, Jürgen (Hrsg.): Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus: Ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von 1933 bis 1945 mit ausführlichen Erläuterungen und Kommentierungen. Köln 1984, S. 299 f., 309; vgl. Adler-Rudel, Salomon: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime, 1933–1939, im Spiegel der Berichte der Reichsvertretung der Juden in Deutschland. Tübingen 1974, S. 142 f. Göppinger: Juristen jüdischer Abstammung im ‚Dritten Reich‘, S. 69 f. 23 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 40. 24 Ebd., S. 35. 25 In Memory of Ludwig Foerder, in: Information issued by the Association of Jewish Refugees in Great Britain, Vol. 9, Nr. 8, London im August 1954, S. 4.
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Wegen Verletzung der ‚Residenzpflicht‘, das heißt, weil ich mich nicht totschlagen ließ, wurde ich von der Liste der Anwälte gelöscht und aus dem Amt als Notar entlassen. Das war der Dank des Vaterlandes an diejenigen, die einst ihre Haut dafür zu Markte getragen hatten. Als die Nazis die Hoffnung aufgeben mussten, mich in ihre Gewalt zu bekommen, raubten sie mir alle meine mobile Habe. Meine gesamte Wohnungseinrichtung wurde versteigert. Später ermordeten sie meine Frau. 26
Zu der Entscheidung, Breslau zu verlassen, kam auch der Rechtsanwalt und Notar sowie Vorsitzende der Schlesischen Anwaltskammer, Justizrat Dr. Adolf Heilberg. Er entschloss sich im März 1933, seinen Beruf sowie seinen Breslauer Wohnsitz aufzugeben, nicht zuletzt wegen der drohenden Verhaftung. 27 Noch zwei Monate zuvor hatte der Justizrat seinen 75. Geburtstag gefeiert und zahlreiche Ehrungen entgegengenommen. 28 Adolf Heilberg verdeutlichte im Mai 1933 in seinen Aufzeichnungen seine unsägliche Situation: Die Behandlung als Staatsbürger und Anwalt 2. Klasse erschien mir nicht würdig, und so fasste ich denn in der Nacht vom 30. zum 31. März den Entschluss, meinen Beruf und meinen Breslauer Wohnsitz aufzugeben. […] Ich verbringe nun die Zeit mit der Abwicklung meiner Praxis, eine etwas trübselige und melancholische Tätigkeit. […] Ich bin wahrlich niemals deutscher Chauvinist oder auch nur Nationalist gewesen; aber die deutsche Landschaft, die deutsche Natur habe ich mehr und mehr, je älter ich geworden bin, lieb gewonnen und lieb gehabt. Selbst mir erscheint es mehr als widersinnig, mir einreden zu wollen, dass ich in diesem Lande ein Fremder sei. 29
Adolf Heilberg zog nach Berlin, wo er eine kleine Wohnung bezog. Er starb dort im Dezember 1936 als Opfer eines Verkehrsunfalls. 30
26 AYV, Foerder: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht, S. 5. Die Todesumstände der Ehefrau von Ludwig Foerder sind in seinem Bericht nicht überliefert. 27 ALBINY, Heilberg: Pro Memoria 1933, S. 24. 28 BJG, Nr. 1, Januar 1933, S. 3; vgl. ALBINY, Heilberg: Pro Memoria 1933, S. 24 f.; AYV, Foerder: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht, S. 4. 29 ALBINY, Heilberg: Pro Memoria 1933, S. 24, 30. 30 Wabersinn, Gerhard: Er hat sich um Breslau verdient gemacht. Geheimer Justizrat Dr. h. e. Adolf Heilberg, zum Andenken, in: MVBI, Nr. 24, September 1968, S. 11; vgl.: Krach: Jüdische Rechtsanwälte in Preußen, S. 176.
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Die Zustände in Breslau wurden ab März 1933 für die Breslauer Juden immer bedrohlicher. Außer den geschilderten antijüdischen Ausschreitungen gegenüber den Juristen ereigneten sich tagtäglich Gewalttaten der SA. Es wurde den jüdischen Breslauern mehr und mehr bewusst, dass die Gewalt der neuen Machthaber sich keineswegs auf politische Gegner beschränkte, sondern vor allem die Breslauer Juden zur Zielscheibe des SA-Terrors machte: Zahlreiche jüdische Personen wurden in das sogenannte „Braune Haus“ verschleppt, gedemütigt und misshandelt und ihre Wohnungen wurden durchsucht. 31 Der Regisseur und Theaterdirektor Paul Barnay, der zwischen 1921 und 1933 als Intendant der Vereinigten Theater in Breslau tätig war, fiel einer SA-Gruppe zum Opfer. Einen Tag, bevor die Breslauer Gerichte gestürmt wurden, wurde er am 10. März in seiner Wohnung von den SAMännern überfallen. Nachdem die Täter seine Wertsachen geraubt hatten, führten sie Paul Barnay aus der Wohnung heraus, verschleppten ihn in den Oswitzer Wald, wo sie ihn schwer misshandelten. 32 Paul Barnay schreibt in seinen Erinnerungen 1953: In diesen Tagen, von Januar bis Anfang März 1933, veränderten viele Menschen ihr Gesicht, ihre Haltung. Freunde rückten von mir ab, Portiersleute, Kellner und auch einige meiner Schauspieler, vorher devot, fast kriecherisch, sahen mich aus anderen, eiskalten, drohenden Augen an. 33
Unmittelbar nach dieser Demütigung seitens der Breslauer SA wurde Paul Barnay seine Position als Intendant der Vereinigten Theater entzogen und er flüchtete aus Deutschland. 34 31 Hadda, Siegmund: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, 1906–1943, in: JSFUB, Bd. 17. Berlin 1972, S. 198–238, hier S. 218. 32 Barnay, Paul: Menschenjagd im März 1933, in: Limberg, Margarete/Rübsaat, Hubert (Hrsg.): Sie durften nicht mehr Deutsche sein. Jüdischer Alltag in Selbstzeugnissen 1933–1938. Frankfurt a. M./New York 1990, S. 43–46; vgl.: ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 40; ALBINY: Barnay, Paul: Mein Leben 1884–1953 (Manuskript, verfasst 1953), Sig. ME 31, MM 5; Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 12. März 1933, Bd. 1, S. 18. 33 Barnay: Menschenjagd im März 1933, in: Limberg/Rübsaat (Hrsg.): Sie durften nicht mehr Deutsche sein, S. 43–46, hier S. 43; vgl.: ALBINY, Barnay: Mein Leben 1884–1953. 34 Paul Barnay gelangte von Prag nach Wien und nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs 1938 nach Budapest. Dort von den Nationalsozialisten aufgegriffen musste er
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Ähnlichen gewaltsamen Übergriffen wie Paul Barnay war der Reedereiinhaber Sylvius Schalscha ausgesetzt. Im März 1933 war in seiner Breslauer Wohnung durch die SA eine illegale Durchsuchung nach Waffen vorgenommen worden. Einige Wochen danach wurden Sylvius Schalscha und sein Bruder Erich als „sogenannte Volksfeinde“ in Schutzhaft genommen. 35 Aufgrund der Drohungen sah er sich bald dazu gezwungen, den Vorsitz des Vereins der Oderspediteure niederzulegen und aus der Handelskammer Breslau auszuscheiden; ebenso musste er alle Ehrenämter aufgeben. 36 Die Gebrüder Schalscha konnten jedoch zumindest bis Herbst 1937 ungestört ihre erfolgreiche Reederei weiterführen und sich als Unternehmer behaupten. Am Tag des Novemberpogroms 1938 wurden Sylvius und Erich Schalscha verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt. Nach ihrer Entlassung Anfang 1939 gelang ihnen die Auswanderung nach Großbritannien. Im April 1939 wurde das Unternehmen „Josef Schalscha Reederei Breslau und Hamburg“ mit ihren zahlreichen Zweigniederlassungen nach 50-jährigem Bestehen aus den Handelsregistern gelöscht. 37 Diesen ersten äußerst brutalen antijüdischen Exzessen in Breslau, die bis zu dem Zeitpunkt durch die lokale SA auf Initiative der schlesischen Gauleitung verübt wurden, sollte in wenigen Wochen der von Berlin zentral gesteuerte und organisierte Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 folgen. 38 Am 31. März 1933 erschien in der von Gauleiter Helmut Brückner herausgegebenen nationalsozialistischen „Schlesischen Tageszeitung“ der Aufruf an die Bürger Breslaus zum Boykott der jüdischen Geschäfte. 39 Die Stadt
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Zwangsarbeit verrichten. Nach der Befreiung 1945 ging er als einziger Überlebender seiner Familie nach Wien, wo er 1948 die Direktion des Volkstheaters übernahm. Paul Barnay starb 1960 in Wien, ALBINY, Barnay: Mein Leben 1884– 1953. Die sogenannte ‚Schutzhaft‘ wurde auf Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 23. 2. 1933 eingeführt, siehe: Połomski: Położenie ludności żydowskiej na Śląsku, S. 55. AYV, Schalscha, Sylvius: The Jewish Ship-Owning Firm ‚Josef Schalscha‘ under the Nazi Regime, Bestand 0.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 123, S. 2. Ebd., S. 3 ff. Vgl. Barkai, Avraham: Vom Boykott zur ‚Entjudung‘. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich, 1933–1943. Frankfurt a. M. 1988, S. 26 f. Bereits am 29. März 1933 hatten die SA-Einheiten unter Zustimmung des Polizei-
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wurde auch durch Propagandakundgebungen auf den Boykott am 1. April vorbereitet, der, wie es die schlesische Presse ausdrückte, vor allem „den Zorn des Volkes“ symbolisiere: Vor dem „Boykott-Tag“ fanden fünf solcher Kundgebungen statt, unter anderem am Strigauerplatz und am Benderplatz. Während dieser wurde nicht nur zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufgerufen, sondern man forderte viel mehr die Ausweisung der Juden aus Bildungseinrichtungen und restriktive Beschränkungen in der Berufsausübung, vor allem bei Ärzten und Juristen. 40 Darüber hinaus wurden in der Stadt, ähnlich wie im gesamten Reich, die sogenannten „Zentralkomitees zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze“ einberufen, die für die Durchführung des bevorstehenden Boykotts von jüdischen Unternehmen, Geschäften, aber auch Anwaltskanzleien und Arztpraxen zuständig sein sollten. 41 Die gegen die Juden gerichteten Terrorakte und Gewalttätigkeiten erreichten ihren vorläufigen Höhepunkt am 1. April 1933 während des reichsweiten Boykotts. In Breslau begannen die Ausschreitungen um 10 Uhr. 42 Uniformierte SA- und HJ-Angehörige erschienen vor jüdischen Geschäften und Firmen, um die Kunden vor dem Betreten zu warnen. Die Schaufenster wurden beschmiert mit der Aufschrift „Jude“ oder Plakate mit der Parole „Deutsche, kauft nicht beim Juden!“ angebracht. 43 Frieda Silbermann, Inha-
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präsidenten vor den Warenhäusern Wertheim, Tietz, Messow & Waldschmied und Barasch‚ Verzeichnisse deutscher Einzelhändler‘ verteilt, Anschläge angebracht und die Kundschaft am Betreten der Geschäfte gehindert, siehe: STZ, Nr. 78, 31. März 1933; detailliert zu Ursachen und Bedeutung des Boykotts vom 1. April 1933 siehe: Ahlheim, Hannah: ‚Deutsche kauft nicht bei Juden!‘. Antisemitismus und politischer Boykott in Deutschland 1924 bis 1935. Göttingen 2011, S. 241–317; Barkai: Vom Boykott zur ‚Entjudung‘, S. 23–35. STZ, Nr. 79, 1–2. April 1933. Połomski: Położenie ludności żydowskiej na Śląsku, S. 56; vgl. Ahlheim: ‚Deutsche kauft nicht bei Juden!‘, S. 249 f. Ausführlich zum ‚Boykott-Tag‘ am 1. April 1933 in Breslau siehe: Breslau boykottiert die Juden. Restlose Durchführung der Lügenabwehr – Völlige Ruhe in der Stadt, in: STZ, Nr. 80, 3. April 1933; Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 1. April 1933, S. 52–62; Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 1. April 1933, Bd. 1, S. 24 f.; Połomski: Położenie ludności żydowskiej na Śląsku, S. 57 f.; Neue Breslauer Zeitung (NBZ), 2. April 1933, S. 1; NBZ, 5. April 1933, S. 1; Dertinger: Weiße Möwe, gelber Stern, S. 21 ff. STZ, Nr. 80, 3. April 1933; NBZ, 2. April 1933, S. 1.
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berin des gut gehenden Geschäftes „H. Silbermann & Co“, das an der Breslauer Schweidnitzerstraße Haus- und Damenwäsche verkaufte und etwa zwölf Angestellte beschäftigte, berichtet über die Ereignisse im April: Am 1. April 1933 musste ich das Geschäft schließen, da Banden durch die Stadt zogen und alle Schaufenster von jüdischen Firmen mit der Aufschrift ‚Jude‘ bemalten und die Bevölkerung im allgemeinen gegen diese aufhetzten. Es fehlte auch nicht an Drohbriefen. Wie bekannt gingen diese Aktionen im grösseren und kleineren Maßstab weiter bis zum November 1938, als alle jüdischen Geschäfte zerschlagen und zwangsweise geschlossen wurden. 44
Bis zum Novemberpogrom 1938 konnte Frieda Silbermann ihr Geschäft weiterführen, wenn auch ihre Gewinne deutlich gesunken waren. Im November 1938 wurde ihr Geschäft gestürmt, alle Vitrinen zerschlagen und die Waren beschädigt. Unmittelbar danach musste Frieda Silbermann das Geschäft schließen. Im Juni 1939 emigrierte sie nach England. 45 John J. Baer wurde 1917 in Breslau geboren. Sein Vater arbeitete als Handelsvertreter von vier Berliner Textilfabriken, seine Mutter führte gemeinsam mit ihrer Schwester eines der renommiertesten Hutgeschäfte in Breslau. Der 16-jährige Schüler des Johannes-Gymnasiums beschreibt die Stimmung am 1. April in der Stadt: Und dann am 1. April 1933 kam es zu dem berüchtigten antijüdischen Boykott. Ich erinnere mich bis heute an die zwei uniformierten Nazis, die vor dem Geschäft meiner Mutter standen, und die Parolen ‚Kauf nicht bei Juden!‘ ausriefen. Manche Freunde meiner Eltern haben Selbstmorde begangen, für sie war das das Ende von allem. Der Traum oder Illusion aller deutscher Juden, ihre Vorstellung von der Emanzipation und Gleichstellung in der deutschen Gesellschaft wurde in dieser Nacht zerstört. […] Aufgrund dieser Erfahrung habe ich begonnen[,] nach dem Sinn und einer neuen Definition meiner Identität als Jude zu suchen sowie nach einer Erklärung für diese Katastrophe, die uns gerade verschlungen hatte. Heftige Diskussionen fanden innerhalb unserer Familie statt, aber auch unter meinen Freunden und unter den Mitgliedern der jüdischen Jugendbewegung, in Bezug auf die sich gravierend verschlechternde Lage. Meine Eltern und Verwandte, wie die Mehrheit der älteren Generation, weigerten sich die Tatsache 44 ALBINY, Gerard Braunthal Family Collection, 1939–2003, Frieda Silbermann, Correspondence and documents, Restitution, Folder 6, Restitutionsunterlagen (29. Juli 1955), Sig. AR 25134 (unpg.). 45 Ebd.
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zu akzeptieren, dass dies der Anfang vom Ende der sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose war. 46
60 Jahre nach der Katastrophe in seiner neuen Heimat USA gelingt es John Baer rückblickend, die Identitätskrise zu beschreiben, die, wie er selbst sagt, viele seiner jüdischen Freunde und Familie betroffen hatte. John J. Baer, aber auch Willy Cohn und Walter Tausk erkannten bereits im April 1933 die tragische Wende ihrer Lebenssituation. Dies verdeutlicht auch der Tagebucheintrag von Willy Cohn; er notierte am 1. April 1933: Man gerät in flammende Empörung, wie man uns behandelt. Es ist der letzte Verlust an Menschenwürde. […] Über die Zukunft will und kann ich im Augenblick nicht nachdenken. […] Wenn nur unser jüdisches Volk in Deutschland daraus lernen möchte, nun alle Assimilationsversuche zu lassen, und [in] seinem eigenen Judentum zu leben! 47
Die Ansichten der „älteren Generation“, wie es John J. Baer bezeichnete, teilte der Breslauer Arzt, Sigmund Hadda. Rückblickend fasste er seine Gefühle unmittelbar nach dem Boykott-Tag wie folgt: „Wir waren immer noch in dem Wahn befangen, in Deutschland, das wir liebten, und unter dem deutschen Volke, dem wir uns zugehörig fühlten und dem die Juden so viel gegeben hatten, weiter leben und arbeiten zu können.“ 48 Die Folgen und der Erfolg der Boykottmaßnahmen waren aber für die Breslauer und deutschen Juden keineswegs eindeutig absehbar. Zwar wurde die Stigmatisierung der jüdischen Juristen, Ärzte, Beamten und Geschäftsleute sowie ihre Ausgrenzung aus der deutschen Gesellschaft deutlich sichtbar, viele aber gaben, wie Dr. Siegmund Hadda, ihre Hoffnung auf „bessere Zeiten“ nicht auf.
46 Baer, J. John: Witness for a Generation. Santa Barbara 1997, S. 28 f.; vgl. Interview mit John J. Baer (vormals Hans Joachim Baer), am 14. April 1996 in Los Angeles, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 14168, Tape 1. 47 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 1. April 1933, Bd. 1, S. 24 f. 48 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 218.
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3.1.2 Offizielle Exklusion Der Boykott-Tag markierte den Beginn der rechtlichen Ausgrenzung aller wirtschaftlich-aktiven deutschen Juden und verstand sich zugleich als Auftakt zu deren schamloser und alltäglicher Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Die ersten gesetzlichen Maßnahmen galten hauptsächlich denjenigen Berufsgruppen, die schon vor 1933 vom virulenten Antisemitismus betroffen waren: jüdische Ärzte, Juristen und Wissenschaftler. Dieser Umstand war im Wesentlichen durch den Neid und Konkurrenzgefühle bedingt. Hinzu kam auch, wie es Avraham Barkai feststellte, „eine generelle Aversion gegen die moderne Industriegesellschaft und das ‚System‘ der Weimarer Republik“, die viele durch die Juden verkörpert sahen. 49 Dort waren zum ersten Mal jüdische Politiker in dieser Weise in die Öffentlichkeit getreten, was ein Teil der nicht jüdischen Bevölkerung als Provokation ansah und zum Anlass nahm, beides pauschal miteinander zu identifizieren. In den Aprilwochen wurden dann darüber hinaus auch Beamte, Angestellte, Arbeiter, Schüler und Studenten auf „legalem Wege“ ihrer legitimen Berufs- beziehungsweise Ausbildungsmöglichkeiten beraubt. Aufgrund der spezifischen und florierenden Berufsstruktur der Breslauer jüdischen Bevölkerung mit ihrem überdurchschnittlichen Anteil an Freiberuflern, Beamten und Angestellten wirkten sich die Gesetze von April und Mai 1933 besonders dramatisch aus. Bereits am 7. April 1933 erließ die Reichsregierung das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Auf die deutschen Juden bezog sich dessen Paragraf 3, der bestimmte, dass „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, […] in den Ruhestand zu versetzen [sind]“. 50 Durch Verordnungen vom 4. und 6. Mai 1933 wurde die Wirksamkeit des Gesetzes auch für Angestellte, Arbeiter, Richter, Lehrer und Hochschullehrer 49 Barkai: Vom Boykott zur ‚Entjudung‘, S. 26. 50 Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, S. 12. Davon ausgenommen wurde, wer vor dem 1. August 1914 Beamte geworden war, wer Frontkämpfer war oder dessen Vater oder Söhne im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Im Frühsommer 1934 wurden diese Ausnahmebestimmungen aufgehoben. Die am 31. Dezember 1935 in Kraft getretene neue Reichsärzteordnung schließlich schloss die Approbation derjenigen Mediziner, die aufgrund ihrer oder ihres Ehepartners Abstammung nicht Beamte werden konnten, definitiv aus.
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sowie Wissenschaftler festgelegt. Zu dieser Zeit verzeichnete die Breslauer jüdische Gemeinde in ihren Akten 79 jüdische Beamte, die in den Breslauer staatlichen Institutionen wie Gerichten, Reichsfinanzverwaltung, Stadtregierung, Hochschulen und Schulen tätig waren und die durch diese Maßnahmen betroffen wurden. 51 Bereits bevor diese Gesetze erlassen wurden, hatten die Nationalsozialisten mit der Vertreibung der jüdischen Ärzte aus dem öffentlichen Dienst begonnen. Die Mehrheit der nicht jüdischen deutschen Ärzte schloss sich früh und begeistert den Nationalsozialisten an: Viele der Breslauer nicht jüdischen Ärzte betrachteten ihre jüdische Kollegen als eine bedrohliche Konkurrenz. 52 Bereits am 29. März 1933 wurde in Breslau den 28 an städtischen Krankenhäusern arbeitenden, jüdischen Ärzten zum 8. April beziehungsweise 30. Juni des Jahres gekündigt. 53 Um wenigstens einigen von ihnen die 51 AŻIH, GŻW, 1933–1935, Sig. 105/0116, Bl. 2–7. Anfang 1933 waren in ganz Deutschland etwa 5.000 jüdische Beamte aller Beförderungsstufen fest angestellt. Nach dem Erlass des Berufsbeamtengesetzes wurden bei der Volkszählung im Juni 1933 etwa 2.500 Juden im Staatsdienst gezählt, unter ihnen rund 200 in höheren Stellungen, siehe: Barkai: Vom Boykott zur ‚Entjudung‘, S. 36. 52 Vgl. Grenville, John A.: Juden, ‚Nichtarier‘ und ‚Deutsche Ärzte‘. Die Anpassung der Ärzte im Dritten Reich, in: Büttner, Ursula (Hrsg.): Die Deutschen und die Judenverfolgung im Dritten Reich. Hamburg 1992, S. 191–206, hier S. 192 f. 53 Dokumentensammlung über die Entrechtung, S. 59; vgl. Schlesische Tageszeitung, Nr. 78, 31. März 1933 (unpg.). Am 22. April 1933 wurde auch die Zulassung von Kassenärzten ‚nichtarischer‘ Abstammung ungültig. Die aus den gesetzlichen Krankenkassen verdrängten jüdischen Ärzte konnten wenigstens durch Ersatzkassen und privat versicherte Patienten ein gewisses Einkommen erlangen. Dieser Zustand endete jedoch im Juli 1933 – die jüdischen Ärzte wurden aus den Ersatzkassen hinausgeworfen. Bis Ende 1936 ging die Zahl der in Deutschland praktizierenden jüdischen Ärzte von 9.000 auf 3.300 zurück. In Breslau waren – laut einer im Sommer 1937 von der Bezirksvereinigung der Reichsärztekammer zusammengestellten Liste – noch 255 jüdische Ärzte und 11 Medizinpraktikanten tätig. 52 von ihnen waren seit dem 1. Oktober 1938 noch als ‚Krankenbehandler‘ zugelassen, unter ihnen sämtliche im Breslauer jüdischen Krankenhaus tätigen Ärzte, siehe: Reinke, Andreas: Stufen der Zerstörung: Das Breslauer Jüdische Krankenhaus während des Nationalsozialismus, in: MVBI, Nr. 59, 1995, S. 2, 4, 6, 8–11, hier S. 4; Plum, Günter: Wirtschaft und Erwerbsleben, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.), unter Mitarbeit von Dahm, Volker/Kwiet, Konrad/Plum, Günther/Vollnhals, Clemens/Wetzel, Juliane: Die Juden in Deutschland, 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. München 1988, S. 268–313, hier S. 291.
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Möglichkeit der Weiterarbeit zu geben, richtete das Breslauer jüdische Krankenhaus in den Jahren 1933 bis 1935 mehrere neue Stationen und zusätzliche Stellen an ihrer Einrichtung ein, die von den aus dem öffentlichen Dienst entlassenen Ärzten geleitet und besetzt wurden. 54 Der Internist und Kardiologe, Harry Schaefer, der von 1923 bis 1933 als Privatdozent und schließlich als außerordentlicher Professor an der Universität Breslau tätig gewesen war, fand nach seiner Entlassung 1933 als Oberarzt am israelitischen Krankenhaus eine Anstellung. Er war ein hervorragender Herzspezialist, der sich auf dem Gebiet der experimentellen Pathologie und des Blutkreislaufs einen Namen gemacht hat. Dort arbeitete er bis zu seiner Emigration 1938 nach Palästina. 55 Auch Ruth Silberberg, die als Assistentin am Institut für Pathologie der Breslauer Universität geforscht hatte, nahm im Frühjahr 1933 eine Anstellung am Breslauer jüdischen Krankenhaus an. 1934 gelang ihr die Emigration nach Kanada. Sie wurde Professorin an mehreren renommierten kanadischen und amerikanischen Hochschulen für Medizin. 56 Sowohl Ruth Silberberg als auch Harry Schaefer gehörten zu den insgesamt 51 entlassenen jüdischen Wissenschaftlern der Breslauer Universität. 57 Sie, wie auch viele andere jüdische Forscher zählten zu den international führenden Wissenschaftlern ihres jeweiligen Faches, manche von ihnen fanden in der Emigration erfolgreiche Wirkungsstätten. Die Boykottmaßnahmen gegenüber jüdischen Professoren, Dozenten und Studierenden verschonten auch die Universität Breslau nicht. Einige Monate zuvor war es an dieser Universität zum studentischen Boykott gegen Professor Ernst Cohn gekommen. Bereits im Frühjahr 1933 war die Atmosphäre an der Breslauer Universität für jüdische Wissenschaftler und Studenten sehr gespannt. Nicht nur Studenten traten gegen die jüdischen Dozenten und Professoren auf, auch die Mehrheit der nicht jüdischen Akademiker trieb die Ausschaltung ihrer Kollegen mit voran. Wie tief der Antisemitismus innerhalb der Breslauer akademischen Kreise und der Studentenschaft verankert war, zeigen die Ereignisse am 54 Reinke: Stufen der Zerstörung, MVBI, S. 6. 55 JZO, 22. Dezember 1933 (unpg.); Andree: Die Ausschaltung jüdischer Mediziner, S. 110 f. 56 http://beckerexhibits.wustl.edu/mowihsp/bios/silberberg.htm (abgerufen am 25. November 2012). 57 Unter den 51 entlassenen Wissenschaftlern der Breslauer Universität befanden sich allein 17 Mediziner, in: Andree: Die Ausschaltung jüdischer Mediziner, S. 107.
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10. Mai 1933 während der sogenannten „Bücherverbrennung“. 58 Bevor am Breslauer Schlossplatz die Bücher und Schriften jüdischer Autoren, die zuvor aus den Bibliotheken entfernt worden waren, in Flammen aufgingen, kam es an der Universität zu einer Demonstration, die die Regierungskampagne „wider den undeutschen Geist“ manifestieren sollte. In der „Aula Leopoldina“ versammelten sich neben Studenten prominente Wissenschaftler sowie der Rektor der Breslauer Universität, Professor Hans Helfritz: Es wurden antijüdische Tiraden und Ansprachen gehalten. 59 Mit den Gesetzen vom 25. April 1933 „gegen Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ bestimmte die nationalsozialistische Regierung, dass fortan jüdische Schüler und Studenten bei Neuaufnahmen an den höheren Schulen und an der Universität keinen höheren Anteil als 1,5 Prozent stellen durften, wobei der Anteil der deutschen Juden an der Gesamtbevölkerung 1933 nur 0,8 Prozent betrug. In allen anderen Fällen wurde die Herabsetzung des jüdischen Schüler- und Studentenanteils auf 5 Prozent bestimmt. 60 Dadurch wurde den jüdischen Kindern faktisch der Übergang 58 Detailliert zu den Hintergründen, dem Verlauf und Folgen der Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 in Deutschland, siehe u. a.: Walberer, Ulrich (Hrsg): 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen. Frankfurt a. M. 1983; Kapferer, Norbert: Die Nazifizierung der Philosophie der Universität Breslau, 1933–1945. Münster 2001, S. 88 ff. 59 SVZ, 11. Mai 1933. 60 BJG, Nr. 5, Mai 1933, S. 3; vgl. Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, S. 17. Von dieser Regelung wurden Kinder der Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg sowie Kinder aus Ehen, bei denen ein Elternteil oder zwei Großeltern ‚arischer Abkunft‘ waren, ausgenommen. 1933 schätzte die Reichsvertretung die Zahl der jüdischen schulpflichtigen Kindern in Deutschland auf rund 60.000 (die Volkszählung vom Juni 1933 verzeichnete über 116.000 jüdische Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 25 Jahren). Zu Breslau gibt es unterschiedliche Schätzungen bezüglich der Schülerzahlen im Jahre 1933. Abraham Ascher schätzt die Zahl auf über 2.000 jüdische Schüler auf den öffentlichen städtischen Schulen, in Ascher: A Community under Siege, S. 100. Zum Vergleich: Im Jahre 1936 besuchten über 1.400 Schüler die jüdischen Schulen am Rehdigerplatz und am Anger, in: Müller: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, S. 16; Im Juni 1934 schätzte die jüdische Volksschule am Anger die Gesamtzahl der Jugendlichen bis zu 18 Jahren in Breslau auf 3.569, AŻIH, GŻW, 1933–1935, Sig. 105/0116, Bl. 298, Schreiben der Jüdischen Volksschule an den Vorstand der Synagogen-Gemeinde vom 19. Juni 1934; im Jahre 1938 besuchten 930 Kinder die jüdische Volksschule und 450
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auf die öffentlichen Gymnasien und Oberrealschulen der Stadt verwehrt, sodass deren Zahl in den Volksschulen anstieg. Grundlegend änderte sich dabei die Einstellung der jüdischen Eltern gegenüber dem jüdischen Reformgymnasium, der sogenannten „Rehdigerschule“. 61 Viele der Eltern, die früher grundsätzlich die jüdischen Schulen abgelehnt hatten, versuchten ab jetzt ihren Kindern die Demütigungen des täglichen Schulbesuches zu ersparen. Diesen Wandel bezeugt der rapide Anstieg der Schülerschaft dieser Einrichtung: Zwischen dem 1. März und dem 1. Juni 1933 stieg ihre Zahl von 118 auf 291 Schüler an. 62 Auch die jüdische Grundschule, die im gleichen Gebäudekomplex beherbergt war, verzeichnete einen deutlichen Zuzug von Kindern. Mirjam Kedar besuchte eine katholische Mädchenschule. Sie berichtet, dass die Ausgrenzung für sie sowie für ihre jüdischen Mitschülerinnen nach 1933 schmerzhaft wurde, vor allem wegen der nationalsozialistisch gesinnten Lehrer: Wir haben nachher gelitten: wir hatten Lehrer, die ausgesprochene Nazis waren. Wir hatten einen Gesanglehrer, der die Stunde immer angefangen hat mit der Hymne der Nationalsozialisten. Und alle mussten stehen und die Hand heben. Wir waren drei jüdische Mädchen, es war eine Mädchenschule, natürlich. Er hat immer gesagt: ‚Ihr drei jüdischen Mädchen habt aufzustehen, aber bitte nicht die Schüler die höhere jüdische Schule in Breslau, in: Almanach des Schocken-Verlags auf das Jahr 5699, Berlin 1938/39, S. 139. 61 Diese klare Veränderung in der Einstellung zur jüdischen Schulen wurde in ganz Deutschland verzeichnet. Wenn es vor 1933 zumeist nur die ‚Zionisten und Orthodoxen‘ die Existenz der jüdischen Schulen bejaht hatten, so wandten sich ab 1933 auch die ‚Liberalen‘ diesen Einrichtungen allmählich zu. Ausführlich zum Thema der jüdischen Erziehung im Nationalsozialismus, siehe: Weiss, Yfaat: Schicksalsgemeinschaft im Wandel. Jüdische Erziehung im nationalsozialistischen Deutschland, 1933–1938. Hamburg 1991; Walk, Joseph: Jüdische Schule und Erziehung im Dritten Reich. Frankfurt a. M. 1991. Neben dem Schulkomplex der jüdischen Schule am Rehdigerplatz, das bis zum Anfang des Jahres 1933 ausschließlich durch Kinder konservativer Eltern besucht wurde, gab es zum Anfang 1933 noch zwei kleinere private Schulen, die sich eher dem liberalen Judentum verpflichtet sahen: die von Gertrud Wohl und Gertrud Brann geführt wurden und überwiegend durch jüdische Kinder besucht wurden, siehe: Müller: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, S. 3. 62 ‚Aus dem Leben unserer Schule. 1933–1934 – Jüdisches Reformrealgymnasium‘, in: MVBI, Nr. 35, April 1974, S. 12.
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Hand zu heben!‘ Das wollten wir so wie so nie tun, aber wir haben zusammengehalten, wir drei jüdischen Mädchen. Jedenfalls mussten wir nachher raus und in die jüdische Schule. 63
Der 1922 in Breslau geborene Kurt Bergen wuchs in einem gutbürgerlichen Haus auf, besuchte zunächst eine öffentliche katholische Grundschule, wo er das einzige jüdische Kind war. 1932 wechselte er auf ein Gymnasium, wo die Hälfte seiner Klasse jüdisch war. Dort begann er, zum ersten Mal den Antisemitismus zu spüren. Mit dem Jahr 1933 wurde Kurt Bergen und seinen jüdischen Mitschülern klar, dass sie nicht mehr zu den „vollwertigen Bürgern“ gehörten; sie waren seitdem Feindlichkeiten seitens ihrer nicht jüdischen Mitschüler ausgesetzt. Dies brachte eine zunehmende Verunsicherung und Hilflosigkeit unter den jüdischen Schülern mit sich. Kurt Bergens Eltern entschieden sich 1934, ihren Sohn auf die jüdische „Rehdigerschule“ zu versetzen: 1934 beschließen meine Eltern[,] mich in eine andere Schule zu versetzen. Wie die meisten jüdischen Schüler wechselte auch ich zu dem jüdischen Realgymnasium. Zu dieser Zeit gab es in der Stadt nur diese eine jüdische Schule, die allerdings orthodox geprägt war. Die meisten meiner Mitschüler kamen aus jüdisch-orthodoxen Häusern. Plötzlich also entschieden sich viele Eltern, die überhaupt nicht orthodox, manchmal auch gar nicht religiös waren, ihre Kinder auf diese Schule zu schicken … 64
Im Bericht aus dem Jahre 1933–1934 über die Aktivitäten des jüdischen Reformgymnasiums wurde betont, dass „die Eltern angesichts der äußerst schwierigen Zeit eine gründlichere jüdische Erziehung ihrer Kinder verlangten, als sie selbst erhielten und geben konnten“. 65 Dies mag bei manchen jüdischen Familien in Breslau zutreffend sein, generell aber scheint die Entscheidung der Eltern durch Pragmatismus bedingt zu sein. So beschlossen Kurt Bergens Eltern, ihre Kinder auf die jüdische Schule zu schicken, weil die antisemitische Haltung der Schüler und Lehrer auf den öffentlichen 63 Interview mit Miriam Kedar, 1993 in Jerusalem, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 119, Tape 1. 64 Interview mit Kurt Bergen (vormals Kurt Rosenberger), am 12. Januar 1997 in Madison, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 24668, Tape 1. 65 Aus dem Leben unserer Schule. 1933–1934, S. 12.
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Schulen immer unerträglicher wurde. 66 Diesen Sachverhalt bestätigen auch die Bestrebungen der liberal-religiösen oder religiös indifferenten Eltern, eine Zweiganstalt zu der bereits bestehenden orthodoxen „Rehdigerschule“ zu gründen. 67 Am 10. April 1934 folgte die Eröffnung des „religiös-liberalen Schulzweiges“ in den Räumen der liberalen Religionsunterrichtsanstalt neben der „Neuen Synagoge“ am Anger. 68 Rudolf Schaeffer, Direktor dieser Anstalt, erinnerte sich in seien Aufzeichnungen, dass im ersten Monat der Unterricht in der Schule mit etwa 40 Schülern begonnen wurde. 69 Im Schuljahr 1935/36 waren schon rund 400 Schüler eingetreten. 70 Dies deutet auf die liberale und „überreligiöse“ Tendenz in der jüdischen Bevölkerung in Breslau hin, sich und die Erziehung ihrer Kinder nicht durch die jüdische Religion und Orthodoxie allein zu definieren, trotz der Sanktionen, denen sie sich aus diesen Gründen ausgesetzt sah. Die diskriminierenden Maßnahmen des neuen Regimes trafen neben den jüdischen Schülern auch die jüdischen Lehrer. Aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurden die hiesigen jüdischen Lehrkräfte aus den öffentlichen Schulen entlassen. Aus den Akten 66 Vgl. Schaeffer: Das religiös-liberale Schulwerk in Breslau, S. 300. 67 Das orthodoxe Schulwerk wurde von einem Schulverein getragen, so ergab sich auch für das religiös-liberale Schulwerk die Notwendigkeit eines Schulträgers. So trat der ‚Neue Jüdische Schulverein‘ ins Leben und übernahm die Funktion einer Patronatsbehörde über beide Einrichtungen. Die neue Schule ‚Am Anger‘ verstand sich als eine Nebenstelle der ‚Rehdigerschule‘. Die Synagogengemeinde stellte der Schule drei Stockwerke der ursprünglich liberalen Religionsschule zur Verfügung, die die Bibliothek und eine Rabbiner-Dienstwohnung beherbergt hatte, in: AŻIH, GŻW, 1933–1935, Sig. 105/0143, Bl. 78 f., 523 f., 538. Den Auftakt zur Gründung der religiös-liberalen Schule in Breslau bildeten die heftigen Auseinandersetzungen zwischen den liberalen und konservativen Gemeindevertreter. Dies illustriert der Briefwechsel zwischen dem liberalen Gemeinderabbiner Volgelstein und dem Direktor der jüdisch-konservativen ‚Rehdigerschule‘, Max Feuchtwanger, in: AŻIH, GŻW, 1933–1935, Sig. 105/0143, Bl. 517 ff., siehe auch: JZO, 24. Oktober 1933 (unpg.). 68 Walk, Josef: Das Ende. Das Schlusskapitel der Breslauer jüdischen Schule, in: MVBI, Nr. 30, September 1971, S. 4; Müller: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, S. 11. 69 Schaeffer: Das religiös-liberale Schulwerk in Breslau, S. 307. 70 CAHJP, Schul-Chronik der jüdischen Volksschule, Zweiganstalt am Anger 8, Sig. HM 2/6229.
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der Breslauer Gemeinde kann man ablesen, dass Mitte 1933 achtzehn jüdische Studienräte und Studienassessoren sowie vier Volksschullehrer ihre Stellungen an den Breslauer Schulen verloren haben. 71 Die meisten von ihnen fanden kurz darauf Anstellung in der jüdischen Schule am Rehdigerplatz und ab 1934 in der neu gegründeten jüdischen Schule „Am Anger.“ Ähnlich nachvollziehbar wie im Fall der Breslauer jüdischen Ärzte, die im jüdischen Krankenhaus neue Anstellung fanden, bemühte sich die jüdische Gemeinde auch, die jüdischen Lehrer zunächst in der jüdischen Schule am Rehdigerplatz und ab 1934 in der neu gegründeten liberalen jüdischen Schulanstalt am Anger unterzubringen. Darüber hinaus betätigten sich einige der Lehrkräfte bei den durch die Gemeinde organisierten Fortbildungskursen und Arbeitsgemeinschaften, die sowohl für jüdische Kinder als auch für Erwachsene angeboten wurden. 72 Willy Cohn, der als Studienrat am Johannes-Gymnasium arbeitete, wurde durch die diskriminierenden Gesetze in doppeltem Maße betroffen: einerseits als aktives SPD-Mitglied und andererseits als überzeugter Zionist und Jude. So wurde ihm aufgrund des Paragrafen 4 des erlassenen Gesetzes zum „Berufsbeamtentum“ am JohannesGymnasium gekündigt, wobei „die politische Unzuverlässigkeit“ als Entlassungsgrund diente. Dem herausragenden Historiker wurde dann ebenfalls aus politischem Grund die Anstellung an der jüdischen Schule verwehrt. Willy Cohn konnte jedoch am Breslauer „Jüdisch-Theologischen Seminar“ eine Teilzeitstelle antreten. Darüber hinaus bezog er seit seiner Entlassung vom Johannes-Gymnasium eine Pension, die ihm zunächst seine Existenz sicherte. 73 Der Boykott des jüdischen Einzelhandels, der jüdischen Ärzte und Rechtsanwälte, aber auch der Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst sowie die Restriktionen gegenüber den jüdischen Schülern markierten einen tiefen Einschnitt in die bisherige Existenz der Breslauer und deutschen Juden. Nach Avraham Barkai haben sich diese antijüdischen Maßnahmen „im Ganzen nur von marginaler wirtschaftlicher Bedeutung“ erwiesen. 74 Sie verkün-
71 AŻIH, GŻW, 1933–1935, Sig. 105/0116, Bl.15. 72 JGB, Nr. 6, Juni 1933, S. 3. 73 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 10. Juni 1933 und vom 31. August 1933, Bd. 1, S. 52, 72 f. 74 Barkai: Vom Boykott zur ‚Entjudung‘, S. 33 f.
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deten jedoch den Beginn der Isolation, Verdrängung und Verfolgung der jüdischen Minderheit im Deutschen Reich. Die meisten Breslauer Juden waren auf diesen dramatischen Umbruch nicht vorbereitet. Sie wurden sozusagen zweifach ausgegrenzt und enttäuscht: seitens der neuen politischen Machthaber und der durch sie erlassenen antijüdischen Gesetze aber auch vonseiten der nicht jüdischen Breslauer.
3.1.3 Inoffizielle Verdrängung Für viele der Breslauer Juden erwiesen sich die Gleichgültigkeit, Passivität, Isolation oder Ablehnung seitens der nicht jüdischen Breslauer als viel bedrückender und dramatischer als die Maßnahmen des staatlichen Antisemitismus. 75 Nicht nur die antijüdischen Gesetze des nationalsozialistischen Regimes bestimmten das alltägliche Leben der Breslauer und deutscher Juden, vielmehr war es die Haltung und das Handeln ihrer Kollegen, Freunde, Nachbarn oder Geschäftspartner. Die Beziehungen zwischen den jüdischen und nicht jüdischen Breslauern veränderten sich auf eine Weise, die vor allem für die betroffenen Juden schwer einzuschätzen waren. Fritz Stern erinnert sich an einen Tag, als sein Vater sehr bedrückt nach Hause kam und ihm erzählte, dass sein langjähriger Kollege, mit dem er zusammen studiert hatte, ihn auf der Straße bemerkt hatte und die Straßenseite wechselte, um ihn nicht grüßen zu müssen. Fritz Stern konstatiert: Der Mann befolgte damit, selbst wenn er eine gewisse Scham empfand, doch nur eine verbreitete deutsche Gewohnheit: Man sah lieber nicht hin, man sah nichts, man wollte nichts wissen. Die Zivilcourage, ein großartiges deutsches Wort, aber nicht deutsche Praxis, zeigte sich immer seltener. 76
Der Regisseur Paul Barnay, der wie bereits dargestellt Anfang März 1933 durch eine SA-Gruppe brutal misshandelt worden war, erinnert sich an eine Inszenierung des Theaterstückes „Prinz von Homburg“ in der Breslauer Volksbühne. Er vermerkt, dass bei der Premiere des Stückes das Stammpublikum fehlte und nach dem Fallen des Vorhanges die Schauspieler sich weiger-
75 Vgl. Richarz: Jüdisches Leben in Deutschland, S. 56. 76 Stern: Fünf Deutschland, S. 125.
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ten, ihm die Hand zu geben. 77 Der Breslauer Jurist Ernst Marcus, der bis zu seiner Auswanderung im September 1938 in der Stadt als Anwalt tätig war, beteuert in seinen Aufzeichnungen, dass besonders die Breslauer Beamtenschaft Feindseligkeit gegenüber den Juden hegte; er versucht auch eine Erklärung für diesen Umstand zu finden: Bei den ‚echten Nazis‘, die ich kennengelernt habe, ist mir vielfach eins aufgefallen: dass ihr Antisemitismus sich darstellte als die Freude daran, Leute zu quälen und zu schikanieren. Und zwar Leute, die etwas ‚besseres‘ waren als sie selbst, besser sprachen, besser angezogen gingen und so weiter. Antisemitismus als die sadistische Rache der Schlechtweggekommenen oder ‚die Geburt des Nationalsozialismus aus dem Minderwertigkeitskomplex.‘ Zu dieser Sorte gehörten fast sämtliche Beamte der Breslauer Staatspolizei, mit denen ich zu tun hatte. Ähnliche Gestalten fanden sich auch bei anderen Behörden. 78
Dieser „Minderwertigkeitskomplex“ könnte dadurch zustande gekommen sein, dass der Bildungsbegriff innerhalb jüdischer – nicht notwendigerweise religiös orientierter – Kultur eine geistige Dimension umfasst, die im Widerspruch zu einer rein materiellen Ausrichtung von Berufen steht. Empfinden Ärzte, Wissenschaftler und Juristen (in der Weimarer Republik) ihre Arbeit nicht nur als Beruf, sondern als Berufung, die Welt auch im geistigen Sinne zu gestalten, kann dies bei materiell orientieren Kollegen ein Gefühl der Unterlegenheit auslösen. Als besonders dramatisch erwies sich jedoch die Lage der jüdischen Schulkinder, denn viele von ihnen „durften“ noch die Pflichtjahre an den öffentlichen Schulen absolvieren. Im Allgemeinen waren die jüdischen Kinder der Willkür der Lehrer und den Quälereien der Mitschüler hilflos ausgeliefert. Der psychische Druck in den Klassenräumen, die Isolation auf den „Judenbänken“ und die handgreiflichen Anpöbelungen verleideten den jüdischen Kindern den Schulbesuch. 79 In den Erinnerungen der Überlebenden haben sich traumatische Erlebnisse in der Schule besonders schmerzhaft eingeprägt. Dies bezeugen auch die zwei Interviews und Erinnerungen der 77 Barnay: Menschenjagd im März 1933, in: Limberg/Rübsaat (Hrsg.): Sie durften nicht mehr Deutsche sein, S. 43–46, hier S. 43. 78 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 112. 79 Vgl. Angress, Werner T.: Erfahrungen jüdischer Jugendlicher und Kinder mit der nichtjüdischer Umwelt 1933–1945, in: Büttner (Hrsg.): Die Deutschen und die Judenverfolgung, S. 89–104.
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berühmten Cellistin Anita Lasker-Wallfisch. In allen diesen Zeugnissen kommt sie immer wieder auf ihre erste Konfrontation mit dem Antisemitismus zu sprechen: Die ersten antisemitischen Bemerkungen hörte ich von meinen Mitschülern in der kleinen Privatschule, die wir besuchten. Ich war damals wohl acht Jahre alt, aber es ist mir im Gedächtnis geblieben: Ich wollte die Tafel abwischen und ein Kind sagte: ‚Gib dem Juden nicht den Schwamm.‘ Ich erinnere mich auch, dass Kinder mich auf der Strasse anspuckten und mich ‚Dreckiger Jude‘ nannten. Ich verstand überhaupt nicht, was da eigentlich los war, und war sehr neidisch auf alle Kinder, die nicht dieses mysteriöse Stigma trugen. So ging ich [lacht] nach Hause und fragte meinen Vater: ‚Was ist es, was ist ein Jude?‘ So hoch war der Grad der Assimilation, für die wir ab jetzt hatten bezahlen müssen … 80
Selbst in dem sehr fortschrittlichen und liberalen Breslauer Johannes-Gymnasium änderten sich bereits im Frühjahr 1933 die Umstände. Gabriel Holzer betrat 1932 als stolzer Sextaner die Räumlichkeiten dieses Gymnasiums, an dem es ihm noch vergönnt war, beim Studienrat Willy Cohn Geografie zu lernen. In einem Interview sowie in seinen Erinnerungen berichtet er davon, dass mit dem Jahr 1933 die „Toleranz und Menschlichkeit einen tragischen Niedergang erlitten hatten“. 81 Er schildert seine Erfahrungen im JohannesGymnasium nach 1933 wie folgt: Die meisten meiner Mitschüler waren jüdisch, obwohl es der Mehrheit von ihnen durchaus nicht bewusst war. Im Winter wurde nicht nur Weihnachten gefeiert, sondern der Musiklehrer veranstaltete eine Chanukkafeier mit Maos Zur 82 auf dem Klavier. […] Nach der sogenannten Machtübernahme änderte sich dieser paradiesische Zustand recht bald. Die jüdischen Vertrauensschüler sollten 80 Interview mit Anita Lasker-Wallfisch, am 18. Juli 2010 in London, AA; vgl.: Lasker-Wallfisch, Anita: Ihr sollt die Wahrheit erben. Breslau – Auschwitz – Bergen Belsen. Bonn 1997, S. 21; ALBINY, Lasker-Wallfisch, Anita: Told by Anita, 1925– 1946 (Manuskript, verfasst 1988), Sig. ME 305, MM 47, S. 7; Interview mit Anita Lasker-Wallfisch, am 8. Dezember 1998 in London, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 48608, Tape 1. 81 Holzer, Gabriel: Der Niedergang des Johanneums, in: MVBI, Nr. 42, September 1977, S. 14; vgl. Interview mit Gabriel Holzer, am 5. Januar 2011 in Tel Aviv/ Israel, AA. 82 Hebr. ( – מעוז צורFestung, Fels). Ein Lied, das während des Chanukkafestes gesungen wird.
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durch ‚arische‘ ersetzt werden, und erst jetzt stellte sich heraus, dass von den 30 Schülern der Sexta nur drei rein ‚arisch‘ waren. […] Bald darauf wurden alle jüdischen Lehrer entlassen, aber auch die jüdischen Schüler verließen die Schule. Einige wenige privilegierte jüdische Schüler, die Söhne von Frontkämpfern und Ausländern, sind zunächst in der Schule geblieben. […] Statt Biologie gab es jetzt Rassenkunde, aber taktvollerweise wurde die jüdische Rasse gerade an den jüdischen Feiertagen behandelt, wo wir abwesend waren. […] Die älteren Lehrer, meist deutsch-national eingestellt und ehemalige Offiziere, waren nicht direkt antisemitisch, aber sie waren sehr vorsichtig, ihre Sympathien für jüdische Schüler zu zeigen. Im Allgemeinen benahmen sie sich uns gegenüber anständig. […] Die jüngeren Lehrer demonstrierten, so laut sie konnten, ihre Nazigesinnung, vor allen Dingen, um ihre Unwissenheit in ihren eigentlichen Fächern zu übertünchen. […] Da ich selbst Ausländer war, blieb ich bis Herbst 1938 in dieser Schule. Aber allmählich gab es auch bei mir Einschränkungen. Bei Ausflügen durfte ich mich nicht mehr beteiligen, ebenso beim Turnen, das jetzt ein Hauptfach wurde. Ich musste auf einer besonderen Judenbank sitzen und die arischen Schüler durften mit mir nicht mehr sprechen. 83
Auch John Baer besuchte das Johannes-Gymnasium und berichtet in einem Interview, ähnlich wie Gabriel Holzer, von der sich verändernden Lage der jüdischen Schüler: Schockierend für mich war, dass, nachdem Hitler an die Macht kam, unsere nicht jüdischen Mitschülern die Nazi-Uniforme angezogen haben und von einem Tag auf den anderen taten sie so, als hätten sie uns nicht gekannt und sie wollten auch nichts mit uns zu tun haben. Ich und meine jüdischen Mitschüler fühlten uns von der Mehrheit der Schülerschaft total isoliert. Manche der Lehrer haben dabei mitgemacht und fingen jeden Schulunterricht mit dem Hitlergruß an. Andere wiederum, und es waren ziemlich viele, waren mit dem Hitler-Regime nicht einverstanden und wollten damit nichts zu tun haben. Ich habe meinen Schulabschluss 1935 gemacht, anschließend kam ich auf das Jüdisch-Theologische Seminar, denn ich wollte ein Rabbiner werden. 84
Ephraim Orni schloss sein Abitur zur Zeit der Machtübernahme durch Hitler ab. Im März 1933 während der Abiturientenfeier im Breslauer Schweid83 Interview mit Gabriel Holzer, 2011 in Tel Aviv, AA; vgl. Holzer: Der Niedergang des Johanneums, S. 14; ders.: Das Johanneum in Breslau und seine Juden, in: MVBI, Nr. 80, 2006, S. 3. 84 Interview mit John J. Baer, am 14. April 1996 in Los Angeles, USC Visual History Archive, Int. Code 14168, Tape 1; vgl.: Baer: Witness for a Generation, S. 29.
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nitzer Keller erlebte er seine erste schmerzhafte Konfrontation mit den antisemitischen Parolen, die durch seine Mitschüler zutage traten: Plötzlich bekamen wir von Mitschülern, mit denen wir jahrelang zusammen in einer Klasse waren und sie sehr gut kannten, sogar befreundet waren, einen vollkommen anderen Eindruck. Dass die nun plötzlich, gar nicht mal gezwungenermaßen, sondern vollkommen freiwillig mit den Nazis mitmachten, das war etwas, was wir nie erwartet hätten. Das war das erste große Trauma, das wir erfahren hatten! 85
Dies kann die in dieser Arbeit vertretene These unterstreichen, dass auch in der Zeit, bevor antisemitisches Verhalten so deutlich aufgetreten war, möglicherweise eine Voreingenommenheit gegenüber Juden herrschte. Dann würde deutlich, dass an dieser Stelle gar keine Wende in der Einstellung gegenüber den jüdischen Schülern eingetreten war, sondern die Ablehnung nun ungehemmter ausgesprochen und ausgelebt wurde. Einige der boykottierten Unternehmen, Ärzte oder Anwälte registrierten manchmal wohltuende Beweise der Solidarität von Stammkunden, Patienten, Klienten oder Mitarbeitern, wobei diese „stille Sympathie“ der nicht jüdischen Breslauer gegenüber den Juden sehr selten in der Öffentlichkeit gezeigt wurde. Meistens handelte es sich dabei um angestellte Arbeiter, wie Kenneth James Arkwright berichtet, oder wie im Falle von Dr. Hadda um Patienten. Die Zahl derjenigen, die nach 1933 noch auf verlässliche nicht jüdische Freunde zählen konnten, war auch in Breslau verschwindend gering. Dass anderes Verhalten möglich und auch für die Betroffenen von großer Wichtigkeit war, zeigen viele der Zeugenberichte. Kenneth Arkwright erinnert sich an den Tag des Boykotts im April: Die große, loyale und mehrheitlich nichtjüdische Belegschaft im Geschäft meines Vaters hatte damals noch den Mut, die SA davon abzuhalten, den Laden zu betreten. Der jüdische Besitzer des benachbarten Geschäfts hatte weniger Glück. Die SA-Schläger nahmen ihm zuerst seine Hosenträger ab, dann trieben sie ihn mit heruntergelassener Hose durch die belebte Ohlauerstrasse, angefeuert von vergnügten Passanten. 86 85 Interview mit Ephraim Orni, am 20. April 1991 in Jerusalem, AHICJ, Oral History Division, Project No. 234, Interview No. 15, Tape 1. 86 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 19; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA.
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Dr. Siegmund Hadda erinnert sich wiederum in seinen Aufzeichnungen an einen Patienten, einen hohen Offizier, der ihn in voller Uniform im jüdischen Krankenhaus besucht und begrüßt habe, selbst als er später den „Judenstern“ trug. 87 Die 1887 in Breslau geborene Dr. Hedwig Kohn war anerkannte Physikerin und forschte an dem Physikalischen Institut der Universität Breslau. Die Privatdozentin wurde am 7. September 1933 aufgrund des „Gesetztes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen. Gleichzeitig wurde ihr die Lehrberechtigung entzogen. Der Institutsdirektor Dr. Clemens Schaefer setzte sich für seine Mitarbeiterin ein und reichte dem Kurator der Universität einen Protestbrief gegen die Entlassung von Dr. Kohn ein. 88 Wenn auch die Intervention von Dr. Schaefer erfolglos blieb, gelang es ihm doch, der Physikerin Dr. Kohn Forschungsaufträge der Firma Osram zu verschaffen, damit sie ein Gehalt bekam und ihre Forschungsarbeiten weiterführen konnte. Somit konnte Frau Kohn weiterhin im Institut tätig sein, allerdings wurde sie in einem kleinen Büro ganz hinten im Institut untergebracht. Unmittelbar nach ihrer Entlassung infolge des „Berufsbeamtentumsgesetzes“ erhielt sie nacheinander drei Doktoranden zur Betreuung. 89 Im Juli 1940 verließ Dr. Kohn Breslau. Ihre abenteuerliche Reise führte sie von Schlesien über Stockholm, Leningrad, Moskau, Wladiwostok, Yokohama nach Greensboro in North Carolina, wo sie ihre erste Stelle in Amerika antrat. 90 Bis auf die wenigen Ausnahmen der Solidarität oder Unterstützung vonseiten der nicht jüdischen Breslauer wurden die jüdischen Bewohner der Stadt bereits in den frühen Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft allmählich auf den innerjüdischen Umgang verwiesen, der sich im Laufe der 87 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 217. 88 Schreiben des Direktors des Physikalischen Instituts der Universität Breslau, Dr. Clemens Schaefer, an den Kurator der Universität und der Technischen Hochschule Breslau (Eingang 23. 6. 1933) vom 22. 6. 1933, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 1, S. 198 f. 89 Winnewisser, Brenda P.: Hedwig Kohn – eine Physikerin des Zwanzigsten Jahrhunderts, in: Physik Journal, Nr. 11, 2 (2003), Weinheim 2003, S. 53 http:// www.gradschool.physics.uni-bonn.de/fileadmin/BCGS/pdf/Physik_Journal_Hed wig_Kohn.pdf (abgerufen am 30. November 2012). 90 Ebd., S. 54.
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Jahre immer mehr intensivierte. Die soziale Ausgrenzung und die Verdrängung aus dem öffentlichen Leben sowie der sich immer weiter reduzierende Kontakt mit der nicht jüdischen Lebenswelt verursachte eine gewisse Verlagerung auf die jüdischen Organisationen, Kulturstätten und Gemeinde, aber auch auf die Synagogen und das religiöse Leben. Die bereits während der Weimarer Republik sich intensivierenden Tendenzen der Stärkung des Gemeindelebens und der Rückbesinnung auf das Judentum gewannen erst recht nach 1933 an Bedeutung.
3.2 Zwischen Verdrängung und Selbstbehauptung, 1935–1938 3.2.1 Reaktionen der Breslauer jüdischen Gemeinschaft Ähnlich wie der Herausgeber der Berliner „Jüdischen Rundschau“ Robert Weltsch, der seine Leser unmittelbar nach den Ereignissen des „Aprilboykotts“ aufgerufen hatte, nicht in Verzweiflung zu geraten und „den gelben Fleck mit Stolz zu tragen“, 91 appellierte das „Breslauer Jüdische Gemeindeblatt“ im Juni 1933 an seine Leser, ein neues jüdisches Selbstbewusstsein zu entwickeln: […] Viele jüdische Menschen sind auf der Höhe ihres Lebens vollständig aus ihrer Bahn geworfen worden, sie haben ihren Beruf verloren, sehen sich materieller Not entgegengehen, der moralischen Stütze beraubt, ihre ehrliche Arbeit geschmäht, ihre Ehre den schwersten Angriffen ausgesetzt. Ihre Weltanschauung ist ins Wanken geraten. […] Die Gemeinschaft, der die heutigen Juden sich eingegliedert glaubten, hat sie ausgestoßen. Nun stehen viele Juden, die ihren Zusammenhang mit dem Judentum längst verloren hatten, haltlos da. Es wird ihnen das Wort ‚Jude‘ zugerufen, von außen her wird der Einzelne in die jüdische Gemeinschaft zurückgestoßen. […] In der Stille spielen sich persönliche Tragödien ab; mancher scheint die Kraft nicht zu finden, unter so veränderten Bedingungen sein Leben weiter zu führen. Wer gibt ihnen Kraft? Werden die Menschen, die jetzt richtungslos sind, den Weg zur jüdischen Gemeinschaft finden? Viele Juden, die ahnungslos sich über ihre jüdischen Bindungen hinwegzusetzen glaubten, werden jetzt erkennen, dass sie zu den Müttern hinabsteigen müssen. 91 Weltsch, Robert: ‚Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck!‘, in: JR, Nr. 27, 4. April 1933, S. 131 f.
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Ihr Leben muss eine neue Orientierung bekommen. Sie haben viel verloren, wer könnte es leugnen, aber – sie haben auch viel zu gewinnen. Das Gemeinschaftsgefühl der Juden ist in dieser Zeit stärker geworden. Jüdische Menschen, die noch vor kurzem achtlos und womöglich unerkannt aneinander vorbeigingen, sind einander näher gekommen. Man empfindet den Juden als Schicksalsgenossen, als Bruder. Jüdische Menschen können wieder miteinander sprechen. […] 92
Dieser Aufruf, der zuvor in der zionistisch ausgerichteten „Jüdischen Rundschau“ erschienen war, verstand sich als eine Forderung an die Breslauer jüdische Gemeinschaft, eine positive Einstellung zu den Werten des Judentums zu entwickeln. Dies sollte die Antwort auf die immer intensiver werdende Isolierung und die fortschreitende Verfolgung bieten. Als zentral erwies sich die Frage, auf welche Art und Weise sich die jüdische Gemeinschaft in Anbetracht der nationalsozialistischen Restriktionen behaupten könne. Zur gleichen Zeit bemühte sich die Breslauer jüdische Gemeinde, ihre strategischen Ziele umzuformulieren. Ebenso versuchte sie ihre Institutionen und Organisationen umzugestalten, um ihre Mitglieder auf diesem Weg in schweren Zeiten so weit wie möglich zu unterstützen. Die Reaktion auf den ständig zunehmenden Druck bestand wesentlich in drei Verhaltensweisen, die zugleich das Programm der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ 93 ausmachten: gegenseitige Hilfe, Erziehung und Auswanderung. 94 92 BJG, Nr. 6, Juni 1933, S. 1 f.; vgl. ‚Ja-sagen zum Judentum‘, in: JR, Nr. 16, Mai 1933, S. 197 f. Kurze Zeit, nachdem dieser Artikel und andere ähnlich anmutende Texte im ‚Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt‘ erschienen, waren Dr. Ernst Rechnitz sowie Albert Rosenthal, beide für das Gemeindeblatt verantwortlich, im KZ Dürrgoy inhaftiert worden. Es wurde ihnen vorgeworfen, dass sie ‚unwahre Behauptungen über die Behandlung der Juden in Deutschland‘ verbreiteten, siehe: ST, 28. Juli 1933 (unpg.); vgl.: ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 69 f.; Rudorff: Das Konzentrationslager Breslau-Dürrgoy, in: Benz (Hrsg.): Instrumentarium der Macht, S. 153; Hartmann, Heinz: Once a Doctor, always a Doctor. New York 1986, S. 22. 93 Die Reichsvertretung der deutschen Juden (R. V.) wurde am 17. September 1933 gegründet und sollte die Interessen der in Deutschland lebenden Juden vertreten. Zu der Gründungsgeschichte der ‚Reichsvertretung‘ siehe u. a.: Gruenewald, Max: The Beginning of the ‚Reichsvertretung‘, in: LBIYB, Nr. 1, 1956, S. 57–67; Margaliot, Abraham: The Dispute over the Leadership of German Jewry (1933–1938), in: YVS, Nr. 10, 1974, S. 129–148. 94 Simon, Ernst: Aufbau im Untergang. Jüdische Erwachsenenbildung im nationalsozialistischen Deutschland als geistiger Widerstand. Tübingen 1959, S. 28.
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Auch auf der individuellen Ebene demonstrierten die Breslauer Juden eine hohe Anpassungsfähigkeit und entwickelten praktisch in jedem Bereich ihrer Existenz Strategien, um ihr Dasein in der äußerst angespannten Lage würdig fortführen zu können. Sie handelten nicht kurzfristig, resigniert, unterwarfen sich auch nicht einfach unter die gegebenen Verhältnisse, sondern waren entschlossen, eine anständige Lebensexistenz zu erhalten. Sowohl die Breslauer Gemeindeführung als auch einzelne Mitglieder waren bereit, sich bestmöglich für diese veränderte Realität zu wappnen. Als Antwort auf die Aufrufe zur Selbsthilfe und Solidarität entstanden innerhalb der Gemeinde binnen kurzer Zeit neue Einrichtungen, die den in Not geratenen Juden zur Seite standen. Um die Fürsorge angesichts der wachsenden Not besser zu koordinieren, bildeten sich bereits im Frühjahr 1933 als Reaktion auf die antisemitische Welle überregionale und lokale jüdische Selbsthilfevereinigungen. Diese boten den von den Boykottmaßnahmen Betroffenen groß angelegte Unterstützung: etwa durch die Vermittlung von Arbeitsplätzen, die Gründung von Selbsthilfefonds, die Organisation von Berufsumschulungen und Wohlfahrtsleistungen. 95 Das Spektrum der vertretenen Verbände und Institutionen, die sich bei den Selbsthilfevereinigungen engagierten, umfasste alle Vertreter des deutschen Judentums. So reichte es von den entschiedenen Zionisten bis hin zu den „Assimilierten“, von religiös Liberalen zu streng Orthodoxen. Im April 1933 wurde die Beratungsstelle der Synagogengemeinde begründet. 96 Zwar wurde anfangs die Zweckmäßigkeit der Gründung dieser Organisation innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinschaft vielfach infrage gestellt. Bald erwies jedoch ihre Entwicklung, dass es ohne diese Einrichtung kaum möglich gewesen wäre, sich den dringenden Problemen (wie der genannten Berufsumschichtung, Emigration und Existenzsicherung) der jüdischen Gemeinschaft zu stellen. 97 Im Vordergrund dieser Anlaufstelle stand 95 Vgl. Reinke: Judentum und Wohlfahrtspflege, S. 245. 96 An der Spitze der am 23. April 1933 neu gegründeten Breslauer Beratungsstelle stand Guido Neustadt. Diese als eine der ersten in Deutschland errichteten Stellen unterstand dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C. V.), und ab dem 17. September 1933, der Reichsvertretung der deutschen Juden (R. V.), siehe: BJG, Nr. 17, 15. November 1934, S. 1 f.; ders.: Nr. 4, April 1933, S. 4. 97 BJG, Nr. 17, 15. November 1934, S. 1 f.; vgl. ders.: Nr. 9, 10. Mai 1938, S. 2.
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die Abteilung für selbstständige Kaufleute, Handwerker und Handelsvertreter, die sich mit der Umstellung und dem Neuaufbau wirtschaftlicher Existenz für Breslauer Juden befasste. Die besondere Fürsorge der Beratungsstelle galt der Unterstützung des gewerblichen Mittelstandes. Hier war die Zahl der Hilfesuchenden außerordentlich groß, was auf die Berufsstruktur der Breslauer Juden zurückzuführen ist, deren Mehrheit selbstständigen Berufen nachgegangen war. Diese Gruppe suchte nach neuen Existenzmöglichkeiten, um den Lebensunterhalt für sich und die Familie zu sichern. Die Abteilung für Berufsumschichtung und Wanderungsfragen half bei den Emigrationsangelegenheiten nach Palästina und in andere Länder. Dabei schuf sie auch Grundlagen, um sich in neuen Wirtschaftsgebieten eine Existenz aufzubauen. Ferner wurden auch hebräische, englische, französische und spanische Sprachkurse angeboten, handwirtschaftliche Ausbildungen oder Stenografiekurse. Bei der Umschichtung wie auch bei der Ausbildung der Lehrlinge erfolgte die Betreuung in engster Zusammenarbeit mit den einzelnen Berufsorganisationen wie dem „Zentralverband jüdischer Handwerker Deutschlands“ und seiner hiesigen Ortsgruppe, bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen und Lehrlingsstellen mit dem „Arbeitsnachweis jüdischer Organisationen Schlesiens“ und dem „Hechaluz“. 98 Die akademischen Berufskreise innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinschaft fanden Beratung in den Fachabteilungen für Juristen und Mediziner, in denen versucht wurde, auch diesen um ihre Existenz ringenden Kreisen Rat und, soweit möglich, Hilfe zu erteilen. Auch Kleinrentner wurden durch eine besondere Kleinrentnerfürsorge in allen sie betreffenden und einschlägigen Fragen betreut. Die Wirksamkeit dieser Stelle war besonders in Breslau von Bedeutung, weil sie sich der Betreuung alter und hilfloser Menschen widmete. 99 Dies galt vor allem für die ohnehin schon seit Jahren überdurchschnittliche Überalterung der Breslauer jüdischen Bevölkerung. So wurde auch im April 1934 das neue jüdische Altenheim am Schweidnitzer Stadtgraben eröffnet. 100 98 Hebr. ( – החלוץder Pionier) zionistischer Verband, der 1917 gegründet wurde und sich unter anderem die jüdische Einwanderung nach Palästina zum Ziel setzte. Hechaluz organisierte die sogenannten ‚Hachschara‘-Lager, die die Jugend auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. 99 BJG, Nr. 4, April 1933, S. 4; ders.: Nr. 17, 15. November 1934, S. 1 f. 100 BJG, Nr. 5, 15. Mai 1934, S. 3.
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In den im „Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt“ publizierten Artikeln versuchte man die jüdische Gemeinschaft zu beruhigen, indem man für die Berufsumschichtung plädierte und diese keinesfalls als eine Katastrophe zu bezeichnen pflegte. Allein bis zum Herbst 1934 konnte die Beratungsstelle große Erfolge auf ihrem Arbeitsgebiet verzeichnen. In diesem Zeitraum trafen über 11.500 Anfragen mit Hilfegesuchen bei der Stelle ein. In 2.300 Fällen konnte direkte Hilfe geleistet werden. So wurden unter anderem 550 Personen, die ihre Arbeitsstellen wechseln mussten, Darlehen gewährt. 101 Der Vorstand der Breslauer jüdischen Gemeinde forderte die jüdischen Unternehmer und Industriellen direkt auf, Arbeitsplätze zu schaffen und jüdischen Arbeitssuchenden den Vorrang bei der Einstellung zu geben. Darüber hinaus rief man die Arbeitgeber aller Berufsstände auf, sich zur Ausbildung von Volontären und Lehrlingen zu Verfügung zu stellen. 102 Als besonders problematisch erwies sich die Entlassung der jüdischen Jugendlichen und Auszubildenden aus den deutschen Betrieben, höheren Schulen oder Krankenhäusern. Die schlechte Beschäftigungslage setzte das Problem der Berufsausbildung der schulischen Jugend neben dem der Umschulungsmöglichkeiten für ältere Jahrgänge ganz oben auf die Tagesordnung. 103 Der damals 16-jährige Klaus Trostorff berichtet über seine Schwierigkeiten bezüglich der Ausbildungsstelle in einem Interview: Ich hatte damals einen besondern Wunsch, ich wollte Autoschlosser werden, na ja, es war damals sehr beliebt … Ich bin aber nirgends angenommen worden, obwohl es damals ja eine ganze Reihe von freien Lehrstellen gab. Nach einigen, vergeblichen Versuchen bin ich dann doch dem Angebot einer jüdischen Firma gefolgt und habe dort die Lehre als kaufmännischer Angestellter begonnen. 104
Der Aussage von Klaus Trostorff zufolge wurde der jüdische Inhaber dazu gezwungen, die Firma an zwei nicht jüdische Angestellte zu übergeben. Klaus Trostorff konnte jedoch dort seine kaufmännische Ausbildung zu Ende führen und war sogar nach seiner Ausbildung noch einige Monate als kaufmännischer Angestellter bei dieser Firma tätig: 101 102 103 104
BJG, Nr. 10, 15. Oktober 1934, S. 1 f. BJG, Nr. 5, 15. März 1935, S. 2. Vgl. Barkai: Vom Boykott zur ‚Entjudung‘, S. 96. Interview mit Klaus Trostorff, am 13. Mai 1996 in Erfurt, USC Visual History Archive, Int. Code 14862, Tape 1.
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Die beiden Herren, die die Firma übernahmen, Seidel und Pohl, waren mir gegenüber ganz tolerant. Ich kann über sie nicht klagen. Der eine war, glaube ich, Mitglied der NSDAP, aber er hat das mir nie gegenüber spüren lassen, dass er da eine Art Ablehnung hätte. Und so habe ich diese Lehre zu Ende gemacht, wie gesagt auch noch ein paar Monate dort gearbeitet, bis der Krieg begann. 105
Der im Jahre 1922 in Breslau geborene Freddi Dura hatte im Gegensatz zu Klaus Trostorff ganz andere Erfahrungen an seinem Breslauer Ausbildungsplatz gesammelt: Meine lieben Eltern waren sehr klug und sagten mir, als es damals losging: ‚Mit kaufmännischem Handeln ist jetzt nichts mehr zu machen, und du musst einen Beruf lernen.‘ Ich wurde in eine Weinkellererei gegeben, weil der Besitzer mit meinem Vater zusammen Billard spielte. So bin ich mit 14 aus der Schule raus und habe bis zur Kristallnacht in einem Weinbetrieb gearbeitet, als einziges jüdisches Kind unter lauter christlichen Arbeitern. In der Lehre war es, wie es eben in Deutschland üblich war: hier ein Fußtritt und dort eine Ohrfeige. 106
Das am Anfang mit viel Hoffnung aufgezogene Berufsvorbereitungswerk der Gemeinden konnte nur einen Teil der jüdischen Jugend erfassen. Trotzdem konnte während dieser Jahre in knapp 140 Berufsschulungskursen und landwirtschaftlichen Hachschara-Lehrfarmen ungefähr ein Drittel der betroffenen Jahrgänge eine gewisse Zeit in einer gesellschaftlich geborgenen Umgebung verbringen und sich auf eine Auswanderung, zumeist nach Palästina, vorbereiten. 107 Die Ausbildungsmöglichkeiten der Breslauer jüdischen Jugend waren unter anderem durch die Nähe der großen jüdischen Lehrgüter „Groß-Breesen“ bei Trebnitz und „Ellguth-Steinau“ bei Neustadt/O.S. günstig beeinflusst. 108 105 Ebd. 106 Greif, Gideon/McPherson, Colin/Weinbaum, Laurence (Hrsg.): Die Jeckes. Deutsche Juden aus Israel erzählen. Köln/Weimar/Wien 2000, S. 93 f. 107 Kramer, David: Jewish Welfare Work under the Impact of Pauperisation, in: Paucker: Juden im nationalsozialistischen Deutschland, S. 173–188, hier S. 163. 108 Schwerin, Kurt: Jüdische Arbeit in Breslau, in: Die Jüdische Gemeinde, Neue Folge der Jüdischen Allgemeinen Zeitung, Beilage der C. V. Zeitung, Nr. 44, 3. November 1938, S. 13 f.; vgl.: Angress, Werner T.: Auswandererlehrgut Groß Breesen, in: LBIYB, Nr. 10, 1965, S. 168–187; ders.: Generation zwischen Furcht und Hoffnung. Jüdische Jugend im Dritten Reich. Hamburg 1985, S. 51–64; Adler-Rudel: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime, S. 61; AYV, Teichmann,
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Bestehende demografische und soziale Probleme der deutschen Juden wie ein relativ hohes Durchschnittsalter, hoher Ausländeranteil sowie Konzentration auf gewisse geografische und berufliche Bereiche wurden durch die Marginalisierungs- und Verarmungsstrategie der NS-Regierung verschlimmert. Dementsprechend wurde die jüdische Sozialfürsorge zu den zentralen Arbeitsgebieten der jüdischen Gemeinden, die sich als äußerst weitreichend und beeindruckend erweisen sollte. Vor allem die Auswanderungshilfe und die jüdische Winterhilfe stellten die bedeutendsten Leistungen jüdischer Selbsthilfe dar. Die Winterhilfe war in ihrem Appell an die Wohltätigkeit der zunehmend verarmenden jüdischen Gemeinschaft sehr viel erfolgreicher als das von den Nationalsozialisten mit allen Mitteln der Propaganda aufgezogene Winterhilfswerk des Deutschen Volkes. Bereits zu Beginn des Jahres 1935 wurden 45 Prozent aller Gemeindemitglieder durch das lokale Breslauer Wohlfahrtsamt betreut – gegenüber etwa 30 Prozent 1929. Damit war 1935 fast die Hälfte aller Gemeindemitglieder der Stadt auf Unterstützungsleistungen des hiesigen Wohlfahrtsamtes angewiesen. 109 Im Berichtsjahr 1937/38 wurden unter anderem 20.900 Portionen Essen in der „Jüdischen Volksküche“, 26.500 Lebensmittelmarken und über 10.000 Brotmarken ausgegeben. Das Wohlfahrtsamt der Gemeinde wurde auch durch Organisationen wie die „Jüdische Frauenhilfe“, den „Religiös-Liberalen Verein“ und den „Reichsbund der jüdischen Frontsoldaten“ unterstützt. 110 Ebenfalls unterstützte die „Jüdische Winterhilfe“ während der Wintermonate unter anderem durch Geldspenden und Lebensmittel die sich in der Not befindlichen jüdischen Breslauer. Das „Breslauer Jüdische Gemeindeblatt“ verzeichnete im Juni 1936 etwa 4.600 Personen, denen in den Wintermonaten 1935/36 Lebensmittel, Kohle oder Bekleidung zugeteilt wurden. 111 Der Journalist Dr. Fritz Becker verfasste im Oktober 1937 im „Jüdischen Gemeindeblatt für Rheinland und Westfalen“ einen Artikel zur Lage der jüdischen Gemeinden in Breslau und Köln. Darin stellte er fest:
Benno: Hachscharah – Kibbutz Ellguth, Ende 1938, Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 134, S. 1–18. 109 Reinke: Stufen der Zerstörung, MVBI, S. 4. 110 Schwerin: Jüdische Arbeit in Breslau, S. 14. 111 BJG, Nr. 11, 15. Juni 1936, S. 5; vgl. ders.: Nr. 1, 15. Januar 1936, S. 3.
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Die Unsicherheit, die unser Dasein kennzeichnet, die ausgegangen ist von der Erschütterung unserer wirtschaftlichen Existenz und begleitet bzw. gefolgt war von schweren seelischen Konflikten, zeigt im großen und ganzen im Westen dieselben Spuren wie im Osten. Das äußere Bild, das das Leben zweier solcher Großgemeinden bietet – Breslau ist mit jetzt noch knapp 17.000 Juden etwas größer als Köln – unterscheidet sich daher trotz der beträchtlichen Entfernung nicht wesentlich. Unsere Aussonderung aus dem allgemeinen Leben und unsere Absonderung [sind] hier so vollständig wie da, und jeder Einsichtige und Verantwortliche fügt sich den gegebenen Tatsachen. Das Haus ist wieder zur Stätte unseres privaten und geselligen Lebens geworden, und daneben geben jüdische Unternehmungen dem, der danach verlangt, Gelegenheit zum Zusammensein. 112
Fritz Becker konstatiert in seinem Artikel, dass die schwierige finanzielle Lage der Gemeinde sowie ihrer Mitglieder keinerlei negativen Einfluss auf das jüdische Leben in Breslau habe. Das jüdische Leben in der Stadt entfaltete sich weiter, nach Fritz Becker, vor allem um die jüdischen Schulen, das „JüdischTheologische Seminar“, das Jüdische Lehrhaus, und vor allem um den jüdischen „Kulturbund.“ 113 Die Breslauer Künstler, Schriftsteller und Musiker befanden sich auch unter den Ersten, die die Radikalität des neuen Regimes spürten. Die neue Realität erzwang einen stärkeren Rückzug auf die als „jüdische Kultur“ bezeichneten Bereiche. Aus der Erkenntnis, dass auch in Breslau eine Zusammenfassung und organisatorische Vereinfachung des kulturellen jüdischen Lebens notwendig war, wurde im Mai 1934 in der Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde ein „Jüdischer Kulturkreis“ gegründet. Dieser setzte sich unter anderem zum Ziel, die Kulturveranstaltungen im musikalischen, literarischen und wissenschaftlichen Bereich finanziell zu unterstützen sowie alle kulturellen Veranstaltungen zu koordinieren. 114 Ein Jahr später, am 30. Juni 1935, fand im Gemeindehaus eine Mitgliederversammlung des „Jüdischen Kulturkreises“ statt, in welcher diese Organisation dem deutschwei112 Becker, Fritz: Von Osten nach Westen. Streiflichter aus zwei jüdischen Großgemeinden, in: Jüdisches Gemeindeblatt für Rheinland und Westfalen, Nr. 38, 29. Oktober 1937, S. 337 f., zitiert nach: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 1, S. 727 ff. 113 Ebd. 114 NBZ, 9. Mai 1934, S. 3; BJG, Nr. 12, 31. August 1934, S. 4; ders.: Nr. 18, 30. September 1935, S. 6; ders.: Nr. 13, 15. Juli 1936, S. 1.
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ten „Kulturbund der Deutschen Juden“ eingegliedert wurde. 115 Äußerst interessant ist, dass an den durch den Kulturbund organisierten Veranstaltungen eine ganze Palette der unterschiedlichsten weltanschaulichen Richtungen repräsentiert war: von der orthodoxen „Agudas Israel“ über den „JüdischKonservativen Gemeindeverein“ bis zum C. V. und dem „Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten“. 116 Der „Jüdische Kulturbund Breslau“, der seine Geschäftsstelle im Vereinshaus der „Gesellschaft der Freunde“ in der Neuen Graupenstraße hatte, veranstaltete musikalische Abende, Lesungen und Theateraufführungen. Die erste Vorstellung der Theaterabteilung des Breslauer „Jüdischen Kulturbundes“ fand mit dem Stück „Was ihr wollt“ von Shakespeare im September 1935 im „Freunde-Saal“ statt. Zutritt zu dieser und allen folgenden Veranstaltungen hatten nach behördlicher Anweisung ausschließlich Mitglieder des jüdischen Kulturbundes, 117 der schon im Jahre 1939 rund 2.800 Mitglieder zählte. 118 Allein in dem Zeitraum von März bis Dezember 1939 wurden dank des Bundes etwa 50 Filmabende veranstaltet. 119 Im September 1941 organisierte man eine letzte Konzertveranstaltung durch die Wohl115 BJG, Nr. 13, 15. Juli 1935, S. 1. Am 15. Juli 1933 gab der Staatskommissar Hans Hinkel seine Zustimmung zur Gründung des ‚Kulturbundes Deutscher Juden‘, der seither als eine Selbsthilfeorganisation für die vom Berufsverbot betroffene jüdische Künstler dienen sollte. Nach Berliner Vorbild wurden ab 1934 im ganzen Reichsgebiet regionale und lokale Kulturbünde gegründet. 1935 musste der ‚Kulturbund Deutscher Juden‘ seinen Namen in ‚Jüdischer Kulturbund‘ umändern. Die Einzelbünde wurden gezwungen, darunter auch der Breslauer Bund, sich bis zum August 1935 im Reichsverband jüdischer Kulturbünde in Deutschland (RJK) zusammenzuschließen, siehe: BJG, Nr. 15, 15. August 1935, S. 1; vgl. Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, S. 38; Broder, Henryk M./Geisel, Eike: Premiere und Pogrom. Der Jüdische Kulturbund 1933–1941. Texte und Bilder. Berlin 1992, S. 29. 116 Walk, Joseph: Die ‚Jüdische Zeitung für Ostdeutschland‘, 1924–1937. Zeitgeschichte im Spiegel einer regionalen Zeitung. Zürich/New York 1993, S. 122. 117 BJG, Nr. 15, 15. August 1935, S. 1. 118 Ayalon, Moshe: Jüdisches Leben in Breslau, 1938–1941, in: MVBI, Nr. 65, 1998, S. 2–17, hier S. 2; vgl. ders.: Jewish Life in Breslau 1938–1941, in: LBIYB, Nr. 41, 1996, S. 323–345, hier S. 341. Abraham Ascher schätzt die Mitgliederzahl des Breslauer ‚Jüdischen Kulturbundes‘ im Jahr 1936 sogar auf über 4.000, Ascher: A Community under Siege, S. 92. 119 Ayalon: Jüdisches Leben in Breslau, S. 16.
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fahrtsorganisation „Jüdische Pflicht“. Einige Tage später wurde der Breslauer „Jüdische Kulturbund“ aufgelöst. 120 Kenneth Arkwright, der seine Eltern als Kind oftmals zu den Veranstaltungen des Breslauer „Jüdischen Kulturbundes“ begleitet hatte, brachte die große Enttäuschung, zugleich aber das Gefühl einer geistigen Leere nach der Auflösung dieser Organisation in seinen Erinnerungen zum Ausdruck: Ich denke gerne an die glücklichen Stunden, die ich mit meinen Eltern im ‚Freunde-Saal‘ verbrachte, der von der Jüdischen Gemeinde in ein Theater des Kulturbundes umgewandelt worden war. Als der Kulturbund geschlossen wurde, fehlte etwas in unserem Leben, und obwohl ich zu Hause viel zu lernen hatte, war der Drang viel zu groß, sich vom trostlosen und deprimierenden Alltag loszureißen und Abenteuer zu erleben. 121
Die Mehrheit der Breslauer Juden zog es, dem Ernst der Lage Rechnung tragend, vor, sich mit der Geschichte des deutschen Judentums und speziell der eigenen Gemeinde zu beschäftigen. So eröffnete auch im Oktober 1934 das Jüdische Museum in den Sälen des jüdischen Waisenhauses eine Ausstellung, die den in Deutschland lebenden Künstlern gewidmet war und die eine beträchtliche Besucherzahl aufwies. 122 Das „Breslauer Jüdische Gemeindeblatt“ notierte, man verzeichnete unter den Versammelten bei der Ausstellung von Werken jüdischer Künstler Vertreter aller führenden Kreise der Breslauer Gemeinde, in deren Anwesenheit sich die Anteilnahme der jüdischen Bevölkerung am eigenen kulturellen Leben bekundete. 123 Das jüdische gesellschaftliche und kulturelle Leben pulsierte auch in der „Neuen Synagoge“ am Anger sowie in der Synagoge „Zum Weißen Storch“, wo Vorträge, Lesungen und Konzerte stattgefunden hatten. 124 Der Journalist Leo Baed konstatierte in seinem Artikel im „Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt“:
120 Ebd. 121 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 59; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 122 JZO, 7. Juni 1935 (unpg.); ders.: 10. Dezember 1935; BJG, Nr. 16, 31. Oktober 1934, S. 1 f. 123 BJG, Nr. 16, 31. Oktober 1934, S. 1. 124 BJG, Nr. 5, Mai 1933, S. 6; JZO, 6. Juli 1934 (unpg.); ders.: 13. Juli 1934.
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Für uns deutsche Juden bedeutet heute die Gemeinde mehr denn je. Seit altem schon ist sie den Jahren immer wieder Zuflucht und Halt geworden, beruhigend und bergend, wie eine trauliche, engere Heimat. […] Aber heute ist uns unsere Gemeinde noch mehr; sie ist uns fast wie ein Heim, wie ein schützendes Haus. Eine Geborgenheit inmitten so mancher Einsamkeit, eine Beruhigung. […] Wie sollte ein Jude heute leben, in seinem Deutschtum leben, wenn er das Bewusstsein von seiner Gemeinde nicht hätte. 125
Beginnend mit dem Frühjahr 1933 reagierten die Breslauer Juden auf die neue Realität ihres Daseins mit der Stärkung ihrer Organisationen einerseits sowie mit der Umwandlung ihrer wirtschaftlicher Aktivitäten andererseits; sie hielten an ihren über Jahrzehnte entwickelten Einrichtungen sowie ihren Werten fest. Zunächst erschien ein Überleben unter den fortschreitenden antijüdischen Maßnahmen und Gesetzen zumindest bis zum Jahre 1937 möglich.
3.2.2 Individuelle Reaktionen Wie haben die Breslauer Juden auf die sich gravierend verschlechternde Wirklichkeit ihres Daseins reagiert? Wie empfanden die Betroffenen selbst die Verdrängung? Welche Umgangsstrategien waren möglich im Angesicht dessen, dass ihr Leben zunehmend von äußeren Zwängen beherrscht wurde? Die jüdischen Breslauer versuchten nach der ersten Erschütterung jeder auf seine eigene Art und seiner persönlichen Situation entsprechend, nach individueller Einstellung und Überzeugung, Widerstandskraft und Anpassungsvermögen, mit der neuen Situation fertig zu werden. Manche entschieden sich, wie es anhand des Schicksals des Breslauer Juristen Foerder oder des Theaterintendanten Barnay ersichtlich wird, bereits 1933 zur sofortigen Emigration. Eine Passage aus den Erinnerungen von Wolfgang Hadda verdeutlicht die Hoffnung und Verzweiflung im Alltag der jüdischen Breslauer: Der Großteil der Breslauer Juden versuchte sich einzubilden, dass nach wie vor fast alles seinen beinah gewohnten Gang ging, zwar mit Einschränkungen hier und da, zugegeben. Doch fast immer noch solchen, die sich ertragen ließen. Abgesehen von einigen Schwarzsehern, die man am liebsten schnitt, beherzigte man 125 Baed, Leo: Unsere Gemeinde, in: BJG, Nr. 2, Februar 1934, S. 1.
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jetzt beinah allgemein den erst kürzlich geäußerten Ratschlag Dr. Vogelsteins, des lebensklugen Rabbiners der liberalen Gemeinde: ‚Machen wir uns nichts vor! Wollen wir Juden in Deutschland existenzfähig bleiben, müssen wir uns für die zunehmend rüde Zeit ’ne Elefantenhaut zulegen können!‘ 126
In vielen der Erinnerungen und Aussagen der Breslauer Juden wird der liberale Rabbiner der Gemeinde, Dr. Hermann Vogelstein, erwähnt, der seinen Gläubigen in vielerlei Hinsicht Unterstützung bot. 127 Er versammelte in der „Neuen Synagoge“ immer mehr Gemeindemitglieder und versuchte sie zu trösten, stets ausgleichend und vermittelnd in Anbetracht der sich verschlechternden Situation zu sein. 128 Als im April 1933 in Deutschland das Schächtverbot erlassen wurde und immer dringender werdende Probleme mit der koscheren Fleischversorgung auftraten, erlaubte Rabbiner Vogelstein im Jahre 1935, „neu koscher“ zu essen, indem er die restriktiven Speisegesetze milderte. 129 Auch der Nachfolgerabbiner, Reinhold Lewin, setzte die Tradition seines Vorgängers fort und bot seinen Gemeindemitgliedern eine weitreichende Unterstützung. 130 Die Synagoge wurde zu einem Zentrum des jüdischen Lebens, wo die Gläubigen eine Zuflucht vor der feindlichen Außenwelt zu finden glaubten. Rabbiner Dr. Neufeld beschreibt rückblickend die Atmosphäre in der Breslauer Synagoge „Zum Weißen Storch“: „Nie war diese alte Synagoge so voll, wie in den Zeiten der Not, und Reinhold Lewin verstand es, zu trösten, aufzurichten und auch mit klugen Andeutungen die Machthaber zu geißeln.“ 131 126 Hadda: Knapp davon gekommen, S. 45. 127 Rabbiner Hermann Vogelstein amtierte zwischen 1920 und 1938 in Breslau. Er emigrierte 1938 nach England und 1939 von dort in die USA. 128 Hauschner: Die Gemeinde Breslau, S. 3; Neufeld, Rabbiner: Rabbiner Dr. Hermann Vogelstein zum Hundertsten Geburtstag, in: MVBI, Nr. 27, April 1970, S. 9. 129 Hauschner: Die Gemeinde Breslau, S. 3. 130 Rabbiner Reinhold Lewin wurde als Nachfolger von Rabbiner Vogelstein nach Breslau berufen. Zuvor amtierte er in Königsberg. 131 Neufeld, Rabbiner: Zum Andenken an Reinhold Lewin, in: MVBI, Nr. 24, September 1968, S. 15. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde die große liberale ‚Neue Synagoge‘ am Anger in Brand gesetzt. So zogen die liberalen Gemeindemitglieder und somit Rabbiner Reinhold Lewin in die konservative Synagoge ‚Zum Weißen Storch‘. Dieses Gotteshaus diente seitdem diesen beiden religiösen Richtungen.
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Die Worte des Rabbiners Neufeld deuten auf die verstärkte Rückwendung der Breslauer, aber auch insgesamt der deutschen Juden zur Religion. So gewannen die jüdischen Feiertage, die bislang hauptsächlich im Familienkreis begangen wurden, verstärkt einen gemeinschaftlichen Charakter und intensivierten somit das Gruppenbewusstsein. Bereits nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Frühjahr suchten immer mehr Juden die Synagogen auf. Walter Laqueur, der in einer eher religiös indifferenten Stimmung aufwuchs, beschreibt die religiösen Praktiken seiner Familie: Meine ersten Erinnerungen an jüdisches Leben sind die Synagogenbesuche mit meinem Vater, doch das gab es nicht öfter als zweimal im Jahr. Wir hielten uns weder an die Speisevorschriften noch feierten wir den Sabbat, obwohl am Freitag stets das traditionelle Brot, die Challa, auf dem Tisch stand. Dies und das Fasten am Bußtag war alles, was wir nach der Tradition taten. Mein Vater ging aber nach 1933 häufiger in die Synagoge, als diese auch zum kulturellen und geselligen Zentrum der Gemeinde wurde. […] Meine Haltung zur Religion war vielleicht ein wenig infantil. […] Aber ich verehrte und bewunderte unseren Rabbiner Dr. Vogelstein sehr. 132
Kenneth Arkwright wies der Synagoge und dem religiösen Leben eine wichtige Rolle in der Zeit der Ausgrenzung und Verfolgung zu: Die Neue Synagoge war zu vielen Anlässen von Menschenmengen gefüllt – vor allem nach 1933, als die nicht nur als Gebetshaus, sondern auch als Zufluchtsort diente. Dort wurden Informationen über Überlebensmöglichkeiten ausgetauscht, und man sah sich ängstlich um, welche bekannten Gesichter verschwunden waren, wer das Glück gehabt hatte, zu emigrieren. Mein Blick nahm etwas ganz anderes ins Visier: Freitags während der Gottesdienste rief man die besten Schüler und Schülerinnen aus dem Hebräischunterricht aus, um den Kantor beim Kidduschgebet zu unterstützen: Sie erhielten ihre eigenen Becher Wein, die sie zum entsprechenden Zeitpunkt trinken sollten. In meinen Augen war es eine außergewöhnliche Möglichkeit, als stolzer Jude vor 2.000 Gottesdienstbesuchern zu stehen – noch dazu zu einer Zeit, in der Juden und das Judentum verleumdet wurden. Im Rückblick ist es für unsere säkulare Gesellschaft
132 Laqueur: Wanderer wider Willen, S. 125; vgl. Interview mit Walter Laqueur, ‚Jüdische Porträts‘ : Jaques Schuster im Gespräch mit Walter Laqueur, Bayerisches Fernsehen am 8. September 2012, http://www.br.de/fernsehen/br-alpha/import/ audiovideo/zeitzeugen-walter-laqueur100.html (abgerufen am 21. November 2012).
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womöglich schwer zu verstehen, wie so viele Menschen einen einfachen Sabbatgottesdienst besuchen konnten. 133
Zweifelsohne zeichnete die Breslauer jüdische Gemeinschaft eine zunehmende Sensibilität für religiöse Belange aus. Nichtsdestotrotz entschieden sich einige Gemeindemitglieder für den Austritt: In dem Zeitraum zwischen Januar 1933 und Oktober 1938 wurden 333 Austritte und 155 Übertritte in der Gemeinde registriert. 134 Der Ausschluss aus dem öffentlichen Leben schränkte die Lebensgestaltung aller Juden empfindlich ein. So gewannen die Familie und der jüdische Freundeskreis angesichts der gesellschaftlichen Ausgrenzung zunehmend an Bedeutung. Immer mehr verstärkte sich der innerjüdische Umgang. Der Jurist Ernst Marcus schrieb in seinen Erinnerungen, dass er und seine Frau sich allmählich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzogen und ausschließlich jüdische Lokale und Geschäfte besuchten. In ihren letzten Jahren in Breslau fanden sie in ihrem Haus eine Art „Festung“, in die sie sich vor den Stürmen der Zeit zurückziehen konnten. 135 Willy Cohn beschrieb in seinen Tagebüchern das Bedürfnis der jüdischen Bürger der Stadt, sich von der Außenwelt und von der Gesellschaft, die sie ausgegrenzt hatte, zu distanzieren. Dies verdeutlicht sein Tagebucheintrag vom 27. September 1936, in dem er von den Feierlichkeiten anlässlich der Eröffnung der Reichsautobahn bei Breslau berichtete: Wir Juden vermeiden ja an solchen Tagen die Feststraße, nicht aus Angst, sondern vor allem, um die selbstverständliche Distanz zu wahren. Es berührt uns ja auch innerlich kaum mehr. Früher interessierte mich alles, was mit dem Fortschritt der Heimatprovinz in Beziehung stand; das ist nun anders geworden; man hat nur das Gefühl, noch ein Gast zu sein! 136
Hier ist ein Selbstbehauptungskonzept zu erkennen, in dem Willy Cohn eine eigene Interpretation seiner Situation vornimmt. In Bewahrung seiner indi133 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 27 f.; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 134 Siehe Tabelle Nr. 9 (Austritte und Übertritte innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinde, 1933–1938). 135 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 41. 136 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 27. September 1936, Bd. 1, S. 359.
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viduellen und kollektiven Würde zieht er selbst eine deutliche Grenze zu der ihn ausschließenden Gesellschaft. Er schließt Angst als Motivation aus und wählt den beschönigenden Status als Gast. Das Annehmen dieser Illusion erspart ihm das Empfinden von Schmerz, Bitterkeit oder Lähmung, welches im Kontext seines Tagebuchs durchaus Gefühle waren, die seiner Zerrissenheit entsprochen hätten. Die jüdische Minderheit musste entschieden auf die sich von Tag zu Tag verschlechternde Lage reagieren: Je bedrückender die äußere Situation wurde, desto häufiger suchten sie in ihrer Familie und jüdischem Freundeskreis eine Zuflucht vor Vereinsamung und Unsicherheit und desto mehr mussten sie Konzepte zur Selbstbehauptung entwickeln. In den Erinnerungen der Breslauer Juden kommt sehr oft die tiefe Enttäuschung über den Abbruch der Beziehungen durch ehemalige Freunde und Kollegen deutlich zum Ausdruck. In dieser Situation waren die meist starke Traditionsverbundenheit und der Kontakt zum jüdischen Milieu ein lebenserhaltender Rückhalt. Die jüdische Familie wurde zum Zentrum der Lebenswelt der Breslauer Juden, wie dies eine Passage aus den Erinnerungen von Kenneth Arkwright veranschaulicht: Kontakte zu Freunden und Bekannten wurden immer seltener; unser jüdischer Bekanntenkreis schwand dahin, und die nichtjüdischen Freunde wahrten Distanz. Trotz weiterer Einschränkungen durch die antijüdische Gesetzgebung verzweifelten wir nicht. Für uns war die Feindlichkeit der Außenwelt eine Herausforderung, als Familie enger zusammenzurücken und uns dem ‚Tausendjährigen Reich‘ mit fester Entschlossenheit zu widersetzen. 137
Wie Kenneth Arkwright bemerkt, verließen auch die jüdischen Freunde schrittweise die vertraute Nachbarschaft und die gewohnte gesellschaftliche Umgebung, begaben sich entweder in die Emigration oder zogen sich ebenfalls in ihren Familienkreis zurück. Es scheint so zu sein, dass die jüdische Gemeinschaft nie zuvor so stark voneinander abhängig war wie während der zwölf Jahre des nationalsozialistischen Regimes. Sowohl im privaten Leben als auch in organisierter Form – innerhalb der jüdischen Gemeinde oder in zahlreichen jüdischen Verbänden – hielten die deutschen Juden sehr eng zusammen und boten sich gegenseitige Unterstützung. Diese Tendenzen erwiesen sich als besonders wichtig und prägend für die jüdische Jugend, die 137 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 21.
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zumeist in den zahlreichen Jugendverbänden Schutz und Trost gegen die feindlich eingestellte Umgebung fand. 1934 mussten sich die jüdischen Jugendverbände in Deutschland im „Reichsausschuss der Jüdischen Jugendverbände“ zusammenschließen. So gründete man auch in Breslau eine Filiale dieser Organisation, den „Ortsausschuss jüdischer Jugendverbände“. 138 Alle in Breslau vertretenen jüdischen Jugendverbände, seien es die neutralen, konservativen, zionistischen oder religiösen Bünde, waren sich einig in der Notwendigkeit, das jüdische Erbe bei ihren jungen Mitgliedern zu bekräftigen und ihnen bei der eventuellen Auswanderung aus Deutschland behilflich zu sein. Vor allem aber gewann die zionistische Jugendbewegung nach 1933 viele neue Anhänger. Dieser große Zulauf der jüdischen Jugendbünde war eine Folge der zunehmenden Isolierung und Verdrängung der jüdischen Jugend, für die die fortschreitende Diskriminierung zumeist noch schmerzhafter war als für die ältere Generation. Eine weitere Folge der neuen Umstände war die Rückkehr der Jugendlichen zu jüdischen Werten und Religion; die Rückkehr zu den jüdischen Wurzeln und ein Zugehörigkeitsgefühl zum jüdischen Volk erweckten ein neues und zugleich starkes Selbstbewusstsein. Die jüdische Jugendbewegung wurde zu einer seelischen und geistigen Heimat, in der sich eine stärkere jüdische Identität entwickelte. John Baer, der in einer liberal-jüdischen Familie aufwuchs, traf nach seinem Abitur die Entscheidung, sich dem revisionistisch-zionistischen Jugendbund „Betar“ 139 anzuschließen. Rückblickend fasst er seinen Entschluss zusammen:
138 Schatzker, Chaim: The Jewish Youth Movement in Germany in the Holocaust Period (I). Youth in Confrontation with a New Reality, in: LBIYB, Nr. 32, 1987, S. 157–181, hier S. 162. Dem Breslauer ‚Ortsausschuss der jüdischen Jugendverbände‘ schlossen sich unter anderem folgende Jugendbunde an: ‚Der deutsch-jüdische Jugendverein‘, ‚Das Schwarze Fähnlein‘, ‚Esra‘ und ‚Agudah‘, ‚Wir Greifen‘, ‚Die Werkleute‘, ‚Habonim‘, ‚Der Hechaluz‘ oder ‚Der Brith Chaluzim Dathiim‘, siehe: BJG, Nr. 14, 30. September 1934, S. 1 f. 1936 gehörten rund 60 Prozent der deutsch-jüdischen Jugend einem Jugendbund an, in: Angress: Jüdische Jugend im Dritten Reich, S. 27; vgl. Mendes-Flohr, Paul: Jüdisches Kulturleben unter dem Nationalsozialismus, in: Meyer (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, S. 272–300, hier S. 288. 139 Hebr. ( – בית"רAbkürzung für ‚Hebräischer Jugendbund Josef Trumpeldor‘) eine zionistische Jugendorganisation, die 1923 in Riga durch den Revisionisten Ze’ev Jabotinsky gegründet wurde.
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Meine Eltern und ich, wir verstanden uns als Deutsche, als deutsche Juden, alle Männer in meiner Familie haben im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. Meine Eltern und ich gehörten dem liberalen Judentum an, besuchten die Synagoge jedoch nur an großen jüdischen Feiertagen, und zwar am Rosch haSchana und Yom Kippur. Infolge der Ereignisse nach 1933 schloss ich mich schrittweise der zionistischen Jugend an und trat dem zionistisch-revisionistischen ‚Betar‘ bei. Zu diesem Zeitpunkt gehörte ich zwar einer jüdischen Studentengruppe an, der ‚Ivriah‘ (später hieß die ‚Sefira‘). Ich begann mich aber allmählich für die zionistischen Ideen zu interessieren, und war von den Reden und Publikationen von Ze’ev Jabotinsky sehr angetan. So kam ich auf die zionistische Bewegung ‚Betar‘. Aufgrund meiner jüdischen Bildung wurde ich bald zum Anführer der ‚Betar-Gruppe‘ in Breslau. Wir haben Hebräisch gelernt, hebräische Literatur studiert und paramilitärische Übungen organisiert. 140
John Baer hatte nach dem Umbruch des Jahres 1933 seine Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft neu entdeckt und in die zionistische Bewegung hineingefunden. Unter den jüdischen Breslauern gab es aber auch Menschen, deren religiöse Zugehörigkeit in Zweifel geriet. Fritz Stern, der in der evangelischen Kirche getauft worden war, beschreibt seine Identitätsschwierigkeiten zu Beginn des Nationalsozialismus: Unsere Familie beging weiterhin Weihnachten und Ostern, festliche Anlässe mit all den vertrauten Ritualen, die ich mit einem gewissen Unbehagen genoss. Doch 1935, wenn nicht schon früher, fühlte ich mich von allem, was im strengen Sinne christlich war, entfremdet. Ich empfand eine eindeutige Identität mit Juden, obwohl mir ihre religiösen Gebräuche unbekannt waren. Oft besuchte ich jüdische Freunde, die bei uns um die Ecke wohnten, und lieh mir ihre jüdischen Zeitungen, die unter dem Naziregime noch erlaubt waren. […] 141
Avraham Barkai urteilte zu Recht, dass sich die seelische Belastung der konvertierten Juden und ihrer Kinder, die völlig unerwartet zu „Juden“ oder „jüdischen Mischlingen“ erklärt wurden, als viel schmerzhafter erwies als die der Menschen, die sich in religiösem, nationalem oder auch nur rein gefühlsmäßigem Sinn als Juden gefühlt hatten. 142 140 Baer: Witness for a Generation, S. 31 f.; vgl. Interview mit John J. Baer, am 14. April 1996 in Los Angeles, USC Visual History Archive, Int. Code 14168, Tape 1. 141 Stern: Fünf Deutschland, S. 142. 142 Barkai, Avraham: Jüdisches Leben unter der Verfolgung, in: Meyer, Michael A.
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3.2.3 Der Handlungsspielraum wird eng – Gesetzliche Beschränkungen Zwischen 1935 und 1937 wurde die antijüdische Gesetzgebung wesentlich verschärft. Während die bisherigen Maßnahmen hauptsächlich auf den wirtschaftlichen Bereich abgezielt hatten, wurden den Juden nun auch ihre Grundrechte entzogen. Die schwerwiegendsten Folgen hatten die sogenannten Nürnberger Gesetze, vor allem das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935. Juden verloren ihre Bürgerrechte; sie durften weder eheliche noch außereheliche Beziehungen mit Nichtjuden haben; sie durften nicht mehr beim Militär dienen und durften auch nicht die deutsche Fahne hissen. Dieses Gesetz untersagte auch „arischen“ Frauen unter 45 Jahren, in jüdischen Haushalten zu arbeiten. 143 Im Mai 1935 schätzte die „C. V. Zeitung“ etwa 450.000 „Volljuden“ und ungefähr 250.000 „nicht jüdische Nichtarier“, darunter konvertierte Juden und „Mischlinge“, in Deutschland. 144 Aufgrund der „Nürnberger Gesetze“ (Hrsg.), unter Mitwirkung von Brenner, Michael: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, Aufbruch und Zerstörung, 1918–1945. München 1997, S. 225–248, hier S. 242. 143 Friedländer, Saul: Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933–1939. Band 1, München 1998, S. 158 ff. Ausführlich zu den ‚Nürnberger Gesetzen‘ siehe: Essner, Cornelia: Die ‚Nürnberger Gesetze‘ oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933–1945. Paderborn/München 2002; Genschel, Helmut: Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich. Göttingen 1966, S. 114 f.; Adam, Uwe Dietrich: Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 2003; Kulka, Otto Dov: Die Nürnberger Rassengesetze und die deutsche Bevölkerung im Lichte geheimer NS-Lage- und Stimmungsberichte, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 32, 1984, S. 582–636. Mit den ‚Nürnberger Gesetzen‘ wurde der Begriff ‚Nichtarier‘ durch neue Einteilungen abgelöst. Zum ‚Volljuden‘ wurde jeder Mensch mit drei oder vier Großeltern, die der jüdischen Religion angehörten. Zu den ‚Mischlingen des ersten Grades oder Halbjuden‘ wurden Personen eingestuft, die zwei jüdische Großeltern hatten, und als ‚Mischlinge des zweiten Grades oder Vierteljuden‘ wurden Personen bezeichnet, die einen einzigen jüdischen Großelternteil hatten. Als ‚Geltungsjuden‘, also ‚Halb- oder Vierteljuden‘, wurden Personen benannt, die mit Juden verheiratet waren oder der jüdischen Religion angehörten, in: Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden, S. 166 ff. Abdruck der ‚Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz‘ vom 14. November 1935 in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 1, S. 521. 144 ‚Die Nichtjüdischen Nichtarier in Deutschland‘, in: C. V. Zeitung, Nr. 20, 1. Beiblatt, 16. Mai 1935 (unpg.).
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wurde ihnen die deutsche Reichsbürgerschaft aberkannt und der Status von „Staatsangehörigen“ zugewiesen. Die von den nationalsozialistischen Machthabern angestrebte vollkommene Trennung zwischen Deutschen und Juden wurde bereits vor dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ in praktisch allen Lebensbereichen sichtbar. Der Erlass dieser Gesetze verkündete deutlich und klar, dass der „nationalsozialistische Rechtsstaat“ zum Staat wurde, in dem das offene Unrecht legalisiert worden war. Der Breslauer Kaufmann und Schriftsteller Walter Tausk, der selbst Anhänger des Buddhismus war und sich nicht dem Judentum zugehörig fühlte, fiel im Herbst 1935 ebenfalls unter die „Rassengesetze“ und wurde wider Willen der jüdischen Gemeinschaft zugeordnet. Sein Tagebucheintrag verdeutlicht die Situation in Breslau nach dem Erlass der Gesetze im September 1935: Die Stimmung hier in Breslau ist täglich gedrückter, zurückhaltender, schweigender, versteckt wütend. […] Am 15. des Monats kamen die Ausführungsbestimmungen zu den Nürnberger Judengesetzen heraus. Ich selbst bin also ab 15. November 1935 auch, rein rassisch gesehen, nach dieser Ideologie, ein ‚Jude‘. […] Ich bin auch kein ‚Reichsbürger‘ mehr und kein ‚Volksgenosse‘, aber darum wird man heute von solchen Leuten beneidet! Ich bin nur noch ein ‚Einwohner‘, der an dem Geschehen in Deutschland in weitem Bogen herumgehen kann, was er gern tut. Aus diesem Volk wird nichts mehr! Es hat zwei Hauptsachen verloren: die eigene Würde und Größe und die Würde innerhalb und gegenüber den anderen Völkern. 145
Bevor jedoch die „Nürnberger Gesetze“ erlassen wurden, brachte das Jahr 1935 eine zweite Welle antisemitischer Ausschreitungen mit sich. Ernst Marcus notierte in seinen Erinnerungen, dass „1935 die ‚Judenfrage‘ in ein neues Stadium eintrat: diese wurde plötzlich zu einem Sexualproblem“. 146 Ende Januar 1935 veröffentlichte der „Stürmer“ auf seiner Titelseite einen umfangreichen Hetzartikel unter dem Titel „Rassenschande in Breslau“. 147 Einige 145 Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheinträge vom 18. September 1935 und 17. November 1935, S. 127, 131 f. 146 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 44. 147 ‚Rassenschande in Breslau‘, in: Der Stürmer, Nr. 5, Januar 1935, Zitiert nach: Wildt, Michael: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919–1939. Hamburg 2007, S. 232.
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Wochen später, im März 1935, begann auch die „Schlesische Tageszeitung“, die neue Rubrik „An den Pranger“ zu veröffentlichen, in der fortan Personen mit Namen samt Adressen verzeichnet wurden, die angeblich Liebesbeziehungen zu Juden hatten. 148 Seither veranstaltete die Breslauer SA systematisch an jedem Sonntag Prangerumzüge, während derer die Namen der „Rassenschänder“ lautstark vorgelesen wurden. 149 Zwar fanden diese Demütigungen auch in anderen deutschen Städten statt, in Breslau erwiesen sie sich aber als sehr heftig. 150 Der britische Vizekonsul in Breslau berichtet in einem Schreiben über die Ereignisse in der Stadt: […] It has been the fashion of late in Breslau to have processions of SA men in lorries through the streets with choruses chanting such slogans as ‚Death to the Jews, the Betrayers of the nation!‘, ‚The Jews are our downfall!‘, ‚Away with the pest in our midst!‘ and the like. On the lorries it was a common sight to see an effigy of a horrible Jew being hanged from the gallows. Up till very lately it was still the practice to parade through the streets which placards bearing the names and addresses of persons who had committed ‚Rassenschande‘. 151
In den Erinnerungen Breslauer Zeitzeugen wurden diese antijüdischen Feldzüge als „Rückkehr in das Mittelalter“ bezeichnet. 152 Ernst Marcus schreibt in seinen Aufzeichnungen: 148 ‚Schluss mit der Rassenschande!‘, in: STZ, 14. März 1935 (unpg.). 149 Die Breslauer Bevölkerung reagierte eher ablehndend und verhalten auf diese Angriffe. Der Breslauer Regierungspräsident berichtete, dass ‚die Bevölkerung diesen Maßnahmen teilweise ablehnend gegenüber stünde‘, siehe: Przyrembel, Alexandra: ‚Rassenschande‘. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus. Göttingen 2003, S. 73 ff.; vgl. Kulka, Otto Dov/Jäckel, Eberhard (Hrsg.): Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933–1945. Düsseldorf 2004, S. 129, 138. 150 Przyrembel: Rassenschande, S. 76. 151 British Documents on Foreign Affairs (BDFA), Beilage: Vizekonsul, Breslau, 3. September 1935, B. C. Newton, Britische Botschaft, an Samuel Hoare (Die Lage der Juden in Deutschland, basierend auf den Einschätzungen der Konsulate Frankfurt a. M., München und Breslau), Berlin 9. September 1935, Bd. 46 (1935), S. 273–276, zitiert nach: Bajohr, Frank/Strupp, Christoph (Hrsg.): Fremde Blicke auf das ‚Dritte Reich‘. Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933–1945. Göttingen 2011, S. 432. 152 ALBINY, Harvey P. Newton Collection 1920–2000, S. 719; ALBINY: Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 45.
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An jedem Sonntag kam es zu einer ‚spontanen‘ Kundgebung vor Häusern, in denen ‚arische‘ Mädchen, die mit jüdischen Männern befreundet waren, wohnten. Ein Menschenhaufen versammelte sich, brüllte unter Beschimpfungen den Namen des Mädchens und dann zogen sie mit einer Tafel, auf der zu lesen war, dass die X. Y. mit dem Juden Z. verkehrte[,] auf den Ring, wo die Tafel an der Staupsäule aufgestellt wurde; hier wurden im Mittelalter die Verbrecher öffentlich gestäupt, gepeitscht. 153
Die Breslauer Geheime Staatspolizei (Gestapo) ließ im Juni und Juli 1935 etwa 40 jüdische Männer und nicht jüdische Frauen wegen angeblicher „Rassenschande“ verhaften. 154 Am 30. Juli 1935, als die Verhafteten in das Konzentrationslager Dachau gebracht werden sollten, versammelten sich auf den Breslauer Straßen Tausende von Schaulustigen, um den Abtransport beobachten zu können, die in Richtung der festgenommenen jüdischen Häftlinge riefen: „Pfui, ihr Juden“ oder „Ihr Säue“. Die Menschenmenge versuchte, die Sperrkette zu durchbrechen und gegen die Schutzhäftlinge tätlich vorzugehen. 155 Alfons Freund erinnert sich in einem Bericht für die Jüdische Historische Kommission in Polen 1946, dass wegen der „Rassenschande“ Verurteilte zuerst zur Auswanderung getrieben werden sollten, was aber nur wenigen gelang. In den überwiegenden Fällen wurden die Angeklagten in ein Konzentrationslager deportiert; viele überlebten die Haft nicht. 156 In demselben Monat Juli 1935 erließ der Breslauer Bezirksbürgermeister Josef Schönwälder eine Anordnung, die den Breslauer Juden das Betreten der
153 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 45. 154 Stapostelle Breslau, Bericht für Juli 1935, Dok. Nr. 1007, in: Kulka/Jäckel (Hrsg.): NS-Stimmungsberichte, zitiert nach: Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung, S. 234. 155 Ruault: Neuschöpfer des deutschen Volkes, S. 365; Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung, S. 234; Przyrembel: Rassenschande, S. 74; CAHJP, Cohn, Willy: Tagebücher, Eintrag vom 16. Juli 1935, Sig. P 88, Record No. 64, S. 68; Geheimes Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz, Schnellbrief des Regierungspräsidenten von Breslau an den Herrn Reichs- und Preussischen Minister des Inneren, 2. August 1935, Sig. SOP, Nr. 58, Heft 3, Bl. 48 f. 156 AYV, Freund, Alfons: Schicksal und Ausrottung der Juden in Deutschland. Die Tragik der Juden in Breslau (Bericht für die Jüdische Historische Kommission in Polen, verfasst am 15. März 1946 in Wrocław), Bestand M.49 E – ZIH-Testimonies, Sig. 4856, S. 2.
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städtischen Badeanstalten untersagte. 157 Eine bemerkenswerte Ausnahme machte das Hallenschwimmbad in Breslau, dessen Direktor sich entschieden geweigert hatte, diese Anordnung einzuhalten. Er solle den zuständigen Behörden erwidert haben, dass während seiner langen Amtszeit schon viele Klagen über schlechtes Benehmen „arischer“ Besucher an ihn gelangt seien, aber noch nie eine Beschwerde über einen jüdischen Badegast. Tatsächlich führte dieses Hallenschwimmbad erst viel später, um 1937, eine Besuchsbeschränkung für Juden ein. 158 Parallel zu der in Form von Gesetzen und Verordnungen vollzogenen Ausgrenzung sowie der Hetzkampagne gegen die jüdische Bevölkerung, die sich nach der Annexion von Österreich im März 1938 verschärften, nahmen auch die gewalttätigen Ausschreitungen und staatlich organisierten Verfolgungsmaßnahmen zu. Zu einer ersten gezielten „Verhaftungsaktion“ gegen die Juden kam es Mitte Juni 1938. Bei dieser Verhaftungswelle, die von den NS-Behörden im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ inszeniert worden war, wurden zahlreiche Juden und Nichtjuden, die vorher vorbestraft waren, verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen deportiert, wo sie zum Teil über Wochen misshandelt wurden. 159 In Breslau 157 ‚Im Jordan – aber nicht in der Oder. Juden in Freibädern unerwünscht – Wir können wieder unbehelligt baden‘, in: STZ, 18. Juli 1935, (unpg.); vgl. ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 44 f. 158 Ebd. 159 Auf die Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, vom Juni 1935 sollten alle ‚asozialen‘ Personen wie Landstreicher, Bettler, mehrfach Vorbestrafte, Zuhälter, Sinti und Roma sowie alle männlichen Juden, die mit mindestens einer Gefängnisstrafe von mehr als einem Monat bestraft waren, verhaftet werden. Im Rahmen der Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ wurden im Juni 1938 2.259 Juden als sogenannte Asoziale in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Abdruck des Schnellbriefes von Reinhard Heydrich, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 2, Deutsches Reich 1938–1939, Bearbeitet von Heim, Susanne/Aly, Götz/Herbert, Ulrich u. a. (Hrsg.). München 2009, S. 160; vgl. Garbe, Detlef: Absonderung, Strafkommandos und spezifischer Terror: Jüdische Gefangene in nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1933 bis 1945, in: Herzig, Arno/Lorenz, Ina (Hrsg.): Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus. Hamburg 1992, S. 173–204, hier S. 181. Zu der ‚Aktion Arbeitsscheu Reich‘ siehe: Schüler-Springorum, Stefanie: Massen-
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verhaftete die SA am 15. Juni 1938 zwischen 3 und 5 Uhr morgens schätzungsweise etwa 70 Breslauer Juden und verschleppte sie in das Konzentrationslager Buchenwald, wo sie etwa vier Wochen inhaftiert wurden. 160 Der Chefchirurg des Breslauer jüdischen Krankenhauses, Dr. Siegmund Hadda, erinnert sich an den Tag der Verhaftungen und an die aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassenen jüdischen Breslauer, die im Krankenhaus behandelt worden waren: Am 25. Juni 1938 drangen SA-Leute in die Wohnungen einiger Hundert jüdischer Bürger Breslaus ein, verhafteten die Ahnungslosen und brachten sie in Konzentrationslager, meist nach Buchenwald, wo sie etwa vier Wochen bleiben mussten. Eine erhebliche Zahl von ihnen musste sofort ins Krankenhaus. Auf meiner Abteilung lagen Patienten, die kurz zuvor aus dem Konzentrationslager entlassen wurden. Obwohl sie mir von den Quälereien erzählten, denen sie im KZ ausgesetzt gewesen waren, lag mir der Gedanke, dass diese Verbrechen sich wiederholen und schließlich regelmäßig und systematisch durchgeführt werden würden, damals noch völlig fern. Immerhin lebten wir alle seitdem in Furcht vor unerwarteten Eingriffen in unsere Freiheit. 161
einweisungen in Konzentrationslager. Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘, Novemberpogrom, Aktion ‚Gewitter‘, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 1. München 2005, S. 156–164. 160 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 53; vgl.: Stein, Harry: Juden in Buchenwald 1937–1942. Buchenwald 1992, S. 16 ff.; Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, S. 227. Nach Ramona Bräu wurden im Konzentrationslager Buchenwald 70 jüdische Häftlinge aus Breslau registriert, die während der Verhaftungswelle im Juni 1938 festgenommen worden waren, Bräu, Ramona: ‚Arisierung‘ in Breslau. Die ‚Entjudung‘ einer deutschen Großstadt und deren Entdeckung im polnischen Erinnerungsdiskurs. Magisterarbeit. Weimar 2006, S. 49 http://www.db-thueringen.de/servlets/ DerivateServlet/Derivate-13966/marb_original.pdf (abgerufen am 1. Februar 2013). 161 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 219; vgl. AYV, Hadda, Siegmund: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses in Breslau (Manuskript, verfasst am 28. Oktober 1960 in New York), Bestand 0.1 – K. J. Ball-Kaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 259, S. 1 f. Dr. Hadda gibt in seinen Erinnerungen ein falsches Datum der Verhaftungen an: Diese fanden am 15. Juni 1938 in Breslau statt.
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Die zunehmende antijüdische Repression und Diffamierung, aber auch die inzwischen erlassenen antijüdischen Gesetze machten die Existenz der Juden in Deutschland immer unerträglicher. Die gesellschaftliche Ausgrenzung verstärkte zusätzlich die Einführung der Zwangsnamen „Sara“ und „Israel“ sowie die Abstempelung der Pässe mit einem „J“. Dr. Siegmund Hadda beschreibt in seinen Memoiren die schwierige Lage der jüdischen Ärzte in Breslau, nachdem sie am 28. September 1938 ihre Approbation verloren hatten, 162 und den unermüdlichen Kampf der Mitarbeiter des jüdischen Krankenhauses und der jüdischen Gemeinde, diese Einrichtung weiter am Leben zu erhalten. Für Dr. Hadda und sicherlich für die meisten Breslauer Juden brachte aber der Oktober 1938 eine ausschlaggebende Zäsur: Einen entscheidenden Einschnitt brachte der 26. Oktober 1938, an welchem Datum uns Juden die Pässe entzogen wurden. Unsere Lage wurde aber plötzlich in unerwarteter Weise verschlimmert, als Anfang November die Nachricht von der Ermordung des Botschaftsrates vom Rath in Paris durch den Rundfunk und die Zeitungen verbreitet wurde. 163
3.3 Im Spannungsfeld von Ost und West – Die Vertreibung polnischer Juden aus Breslau, Oktober 1938 3.3.1 Zwischen Brüderlichkeit und Entfremdung Laut der Volkszählung vom 16. Juni 1933 lebten 98.747 jüdische Ausländer im Deutschen Reich, von denen 56.480 die polnische Staatsbürgerschaft be162 Infolge der ‚Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz‘ erloschen zum 30. September 1938 Approbationen jüdischer Ärzte. Von den 266 jüdischen Ärzten, die noch 1937 in Breslau ansässig waren, bekamen 55 Ärzte im Oktober 1938 die Genehmigung, als sogenannte Krankenbehandler tätig zu sein, siehe: ‚IVVerordnung zum Reichsbürgergesetz‘, Reichgesetzblatt I, S. 969 f.; vgl. Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, S. 234; Reichsärztekammer Ärztliche Bezirksvereinigung Breslau-Stadt (Hrsg.): Liste der in Breslau-Stadt ansässigen jüdischen Ärzte und Medizinalpraktikanten, Breslau o. D; BJG, Nr. 20, 25. Oktober 1938, S. 12. 163 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 220. Hadda gibt hier irrtümlich ein falsches Datum ein: die Entziehung der Reisepässe von Juden fand am 5. Oktober 1935 statt.
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saßen. 164 In Breslau betrug die Zahl der dort lebenden ausländischen Juden Anfang 1933 den Schätzungen zufolge zwischen 2.000 und 3.000. 165 Ende 1938 waren bereits mehrere Tausend osteuropäische Juden in ihre Heimatländer zurückgekehrt, viele von ihnen begaben sich auch in die fernere Emigration, vor allem in die USA oder nach Palästina. 166 Durch die Erfahrungen in ihren vorherigen „Heimatländern“ hatten die polnischen und osteuropäischen Juden ein geschärftes Empfinden für die sich in Deutschland anbahnende Katastrophe; viele von ihnen hatten nicht selten zuvor Vertreibung erlebt, antijüdische Ausschreitungen und schließlich die Emigration. Sie verfügten über eine größere Flexibilität und ein ausgeprägtes Anpassungsvermögen sowie über eine schon bewährte Sprachbegabung im Vergleich zu den deutschen Juden. Daher zogen einige in Breslau und Deutschland lebende polnische Juden es vor, nach Polen zurückzukehren, obwohl sich ihre Lage dort ebenfalls permanent verschlechterte. 167 164 Die Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Juden betrug laut der Volkszählung vom Juni 1933 499.682 Personen, Adler-Rudel: Ostjuden in Deutschland, S. 166. 165 ALBINY, Blau, Bruno: Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland von 1800–1945, in: Blau, Bruno Collection, Sig. MSF 1. MS16, S. 61. Juden polnischer Staatsangehörigkeit machten etwa 98 Prozent aller in der Stadt lebenden polnischen Staatsbürger aus, Loose, Ingo: Das Schicksal polnischer Juden in Breslau und Niederschlesien nach 1933, in: MVBI, Nr. 82, 2007, S. 10, 11, 19, hier S. 10. 166 Vgl. Maurer, Trude: Abschiebung und Attentat. Die Ausweisung der polnischen Juden und der Vorwand für die ‚Kristallnacht‘, in: Pehle, Walter H. (Hrsg.): Der Judenpogrom 1938. Von der ‚Reichskristallnacht‘ zum Völkermord. Frankfurt a. M. 1988, S. 52–73, hier S. 56. Die Rückwanderung der ausländischen Juden wurde in keiner Statistik verzeichnet. Schätzungsweise verließen zwischen 1933 und 1939 etwa 29.000 ausländische Juden Deutschland, siehe: Adler-Rudel: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime, S. 216. 167 JZO, 20. März 1936 (unpg.). In den 1930er-Jahren verschlechterte sich die Situation der Juden in Polen erheblich. Seit dem Tod des Staatschefs Józef Piłsudski im Mai 1935 breitete sich der Antisemitismus hemmungslos in der Innenpolitik Polens aus. Die polnischen Juden, die zu der Zeit knapp 3 Millionen Menschen und 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, wurden allmählich wirtschaftlich und gesellschaftlich diskriminiert. An den Universitäten bestand kein gesetzlicher, aber ein faktischer Numerus clausus, und die zugelassenen Studenten wurden auf die ‚Judenbänke‘ verwiesen. Zum Antisemitismus in Polen der Zwischenkriegszeit siehe u. a.: Natkowska, Monika: Numerus clausus, getto ławkowe, numerus nullus, ‚paragraf aryjski‘. Antysemityzm na Uniwersytecie Warszawskim 1931–1939.
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Die Stellung der osteuropäischen Juden in Deutschland, als Bürger fremder Staaten, war im Rahmen der internationalen Verträge verankert. Generell galten also für ihre Behandlung seitens des deutschen Staates die Bestimmungen des Ausländerrechts. 168 Die durch den NS-Staat erlassenen antijüdischen Gesetze zielten zunächst nur auf Juden ab, die die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Die ausländischen Juden blieben, zumindest bis Mitte der 1930er-Jahre, von den offiziellen, staatlichen Diskriminierungen verschont. Ihr Status als Ausländer gewährte ihnen einen vorübergehenden Schutz. Nichtsdestotrotz wurden ausgerechnet die „Ostjuden“ wegen ihres Äußeren zur Zielscheibe der antisemitischen Übergriffe und Diffamierungen. Als polnische Staatsbürger unterstanden die polnischen Juden der Botschaft sowie den Konsulaten der Republik Polen in Deutschland. So traten die diplomatischen Vertretungen für die polnischen Juden ein, intervenierten im Falle von Übergriffen, Misshandlungen und Repressalien, indem sie den deutschen Behörden Protestakte einreichten und eine Bestrafung der Schuldigen verlangten. In sehr schweren Fällen kam es seitens der polnischen Regierung sogar zu offiziellen Beschwerden beim Auswärtigen Amt. 169 Der polnische Warszawa 1999; Michlic, Joanna Beata: Poland’s Threatening Other. The Image of the Jew from 1880 to the Present. Lincoln 2006; Polonsky, Antony: The Jews in Poland and Russia. 1914–2005, Bd. 3. Oxford 2011; Cała, Alina: Żyd – wróg odwieczny? Antysemityzm w Polsce i jego źródła. Warszawa 2012; ders.: The image of the Jew in Polish folk culture. Jerusalem 1995; Melzer, Emanuel: Antisemitism in the Last Years of the Second Republic, in: Gutman, Israel (Hrsg.): The Jews of Poland between two World Wars. Hannover 1989, S. 126–137. Allein bis Ende 1935 zählte die jüdische Hilfsorganisation ‚Joint‘ 9.000 Juden, die aus Deutschland nach Polen auswanderten, siehe: Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust, S. 140. 168 Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust, S. 226 f.; Die Bestimmungen des Ausländerrechts wurden jedoch durch spezielle Verwaltungsanweisungen in Bezug auf die osteuropäischen Juden ergänzt, wie zum Beispiel die Verordnung über ausländische Arbeitnehmer, aufgrund derer die ostjüdischen Arbeitnehmer zusätzliche Arbeitserlaubnisse brauchten, Maurer: Abschiebung und Attentat, in: Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom, S. 56. 169 Jerzy Tomaszewski stellt aufgrund seiner Quellenanalyse fest, dass sich das Verhalten einzelner polnischen Konsulate den polnischen Juden gegenüber unterschiedlich gestaltete. Er argumentiert, dass zwar manche Diplomaten den polnischen Juden nicht allzu viel Sympathie zeigten, sie jedoch in der Regel loyal zur Verteidigung ihrer jüdischen Antragsteller gegenüber den deutschen Verwaltungsbehör-
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Botschafter in Berlin, Józef Lipski, stellte am 20. Februar 1936 in einem Bericht über die Lage der polnischen Juden in Deutschland fest: Die Juden polnischer Staatsangehörigkeit stehen, soweit es antijüdische Aktionen anbetrifft, mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland auf gleicher Ebene. […] Dennoch ist die allgemeine Situation der polnischen Juden besser. Sie können den Schutz der Konsulate und diplomatischen Vertretung in Anspruch nehmen, die in erster Linie gegen die Verwaltungsbehörden tätig werden und so in hohem Maße verschiedene Gefahren neutralisieren. Die Hauptgefahr, die den polnischen Juden droht, sind Maßnahmen der Verwaltungsbehörden. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, den polnischen Juden eine Existenz in Deutschland unmöglich zu machen und sie zum Verlassen des Landes zu zwingen. […] Die Mehrheit der polnischen Juden kam schon in den Vorkriegsjahren nach Deutschland. Ihre Kinder sind also in Deutschland geboren und aufgewachsen und können daher kein Polnisch. Die Alten beherrschen zwar noch das Polnische, benutzen diese Sprache jedoch nicht mehr im alltäglichen Leben. 170
Yfaat Weiss stellte in ihrer Studie zum Thema „Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust“ fest, dass der politische Umbruch in Deutschland und die zentrale Rolle des Antisemitismus in der neuen Regierungspolitik keineswegs zu einer Annäherung zwischen der altansässigen deutsch-jüdischen Gemeindeführung und den osteuropäischen Juden geführt haben. 171 Nach Weiss hatten die polnischen Juden in Deutschland in den jüdischen Gemeinden weiterhin keinen gleichberechtigten Status gewinnen können. Sie wurden zwar korrekt behandelt, aber nur aus dem Grunde, dass die Gemeinden in Deutschland die Verpflichtung hatten, die Immigranten als Gemeindemitglieder aufzunehmen. 172 Die osteuropäischen Juden in Breslau jedoch wurden zum Beispiel ähnlich den altansässigen deutschen Juden von zahlreichen jüdischen Institutionen, wie beispielsweise dem „Jüdischen Wohlfahrtsamt“, der „Beratungsstelle der Jüdischen Gemeinde“ oder der
den oder der Polizei auftraten, Tomaszewski, Jerzy: Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938. Osnabrück 2002, S. 63. 170 Zitat nach, Tomaszewski, Jerzy: Raport dyplomatyczny o położeniu Żydów polskich w Niemczech na początku 1936 roku, in: Biuletyn Żydowskiego Instytutu Historycznego (BŻIH), Nr. 2, 1978, S. 101–109, hier S. 103–109. 171 Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust, S. 227. 172 Ebd.
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„Jüdischen Winterhilfe“, unterstützt. 173 Seit 1933 war auch innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinde der verstärkte Einfluss der zionistischen Bewegung spürbar. Dem Breslauer zionistischen Kreis gehörten unter anderem viele osteuropäische Juden an, die ab November 1935 mit der „Jüdischen Volkspartei“ durch neun Vertreter in der Repräsentantenversammlung der Breslauer Gemeinde vertreten waren. 174 Daraus wird ersichtlich, dass sich die osteuropäischen Einwanderer in Breslau immer stärker auf der politischen Bühne des Gemeindewesens etablieren konnten, was Yfaat Weiss für Deutschland hingegen ausgeschlossen hat. Die Akzentuierung ihrer Präsenz in Deutschland fand 1935 in der Gründung des „Reichsverbandes der polnischen Juden in Deutschland“ ihren Ausdruck. Am 4. Mai 1936 fand die Gründungsversammlung der Breslauer Ortsgruppe des Reichsverbandes statt, an der auch Vertreter des polnischen Konsulats teilnahmen. 175 Der Verein vertrat die Interessen der in Niederschlesien lebenden polnischen Juden, indem er sie auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge, des Rechtsschutzes, der Regelung der Auswanderung und der Betreuung anderer Belange unterstützte. 176
173 AŻIH, GŻW, 1926–1937, Sig. 105/0950, Bl. 68 f. 174 Nach dem im November geschlossenen Kompromiss, der bis zum 1. Juli 1937 währte, waren in der Repräsentanz die ‚Jüdische Volkspartei‘ mit Vertretern der Ostjuden mit neun (zuvor mit vier Plätzen), die Liberalen mit neun (zuvor mit elf Plätzen), die Konservativen mit drei Plätzen und die Wirtschaftspartei mit zwei Plätzen vertreten. Der Breslauer Gemeindevorstand bestand aus fünf Vertretern der ‚Jüdischen Volkspartei‘, fünf Vertretern der Liberalen und zwei Vertretern der Konservativen Partei, siehe: JZO, 22. November 1935; ders.: 29. November 1935 (unpg.). 175 BJG, Nr. 9, 15. Mai 1936, S. 13. 176 BJG, Nr. 9, 15. Mai 1936, S. 13. Yfaat Weiss behauptet, dass die Gründung polnisch-jüdischer Vereine, somit des ‚Verbandes der polnischen Juden in Deutschland‘ mit der sich allmählich ‚verstärkten Beziehung der polnischen Juden zum polnischen Staat‘ erklären lässt, Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust, S. 228. Dies kann jedoch nicht überzeugen, da sich die Lage der Juden in Polen sehr verschlechterte und die im Ausland lebenden Juden eher eine ambivalente Stellung der Polnischen Republik gegenüber vertraten. Hierfür scheint aber eine eher pragmatische Entscheidung bei der Gründung der polnisch-jüdischen Vereine eine wichtigere Rolle zu spielen. In Anbetracht der sich immer dramatischer verschlechternden Situation der polnischen Juden im Dritten Reich
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Die „Jüdische Zeitung für Ostdeutschland“ meldete im Februar 1936, dass sowohl in den Breslauer traditionellen Kreisen wie auch in der zionistischen Ortsgruppe und den chaluzischen Jugendbünden „Ost- und Westjuden“ einträchtig zusammenarbeiteten. 177 Eine gewisse gesellschaftliche und kulturelle Distanz zwischen den osteuropäischen und deutschen Juden blieb aber weiterhin bestehen, auch wenn eine pragmatische und organisatorische Zusammenarbeit in den zionistischen Kreisen oder innerhalb der jüdischen Jugendbewegung beobachtet werden konnte. Obwohl das NS-Regime sowohl deutsche als auch osteuropäische Juden de facto in ähnlicher Weise verfolgte, konnten doch die alten Missstimmungen innerhalb der beiden Gruppen weiterhin nicht überbrückt werden. Willy Cohn notierte im März und April 1937 während seiner Palästinareise in seinem Tagebuch: Wenn man auch die Ostjuden theoretisch liebt, kann man praktisch nicht mit ihnen auskommen, es fehlen eben die elementarsten zivilisatorischen Voraussetzungen. […] Zwischen Ost- und Westjuden haben sich kaum Beziehungen herstellen lassen; es sind völlig getrennte Kreise. Es ist nur zu hoffen, dass die nächste Generation zueinander findet. […] Ich habe eine gewisse Liebe zu den Ostjuden, weil sie dem Judentum näher stehen als wir. Wenn sie sich dem deutschen Judentum ablehnend gegenüberstellen, so auch deswegen, weil sie ja vom deutschen Judentum menschlich nie besonders behandelt worden sind. 178
Hier ist anzumerken, dass Willy Cohn sowohl in der Begründung der Ablehnung der „Ostjuden“ als auch in seiner Zuneigung ein stereotypes Bild des „Ostjudentums“ vermittelt. Im Familienkreis von Walter Laqueur kursierten weitere Stereotype. Unter anderem hieß es dort, dass die osteuropäischen Juden eine unangenehme Sprache sprächen und keine Manieren hätten. In seinen späteren Jahren habe er mit ihnen zusammengelebt und sie viel besser verstehen gelernt – auch die großen Unterschiede zwischen ihnen:
boten diese Vereine ihren Mitgliedern weitreichende Unterstützung und Hilfe und zwar sowohl auf der praktischen als auch der moralischen Ebene. 177 JZO, 7. Februar 1936; ders.: 28. Februar 1936 (unpg.). 178 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheinträge vom 19. März 1937 und 24. April 1937, Bd. 1, S. 387, 425.
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In Breslau muss es Tausende Ostjuden gegeben haben, in ganz Deutschland noch wesentlich mehr, doch ich begegnete nur einer Handvoll – sie lebten ein getrenntes Leben. Ich hatte einige Freunde aus dieser Gemeinschaft, doch die hatten gegen ihre Herkunft rebelliert und waren entweder Kommunisten oder Zionisten geworden. 179
Mit diesen Worten schildern Willy Cohn und Walter Laqueur zutreffend die in Deutschland vorherrschende Stimmung unter den autochthonen Juden und ihren Glaubensbrüdern, den Immigranten aus Ost- und Südosteuropa. Unter den in Breslau lebenden osteuropäisch-jüdischen Migranten gab es Arbeiter, die von einem bescheidenen Einkommen lebten und zumeist der ärmeren Bevölkerungsschicht angehörten. Viele von ihnen waren als Arbeiter oder Angestellte im Handels- und Dienstleistungsgewerbe tätig, manche besaßen kleine Handwerksbetriebe oder Läden. In Breslau lebten aber auch relativ vermögende osteuropäische Juden, die selbstständige Geschäfte, Läden und mittelständige Betriebe führten, wie die Eltern von Celia Elkin, die in der Stadt ein Großhandelsgeschäft für Textil, Wolle und Stoffe gründeten. 180 Celia Elkin wurde in Breslau als Cilli Zelmanowicz in einer polnisch-jüdischen Familie geboren. Ihr Vater, Lipman Zelmanowicz, stammte aus Skierniewice bei Warschau. Um dem Militärdienst während des Ersten Weltkrieges zu entkommen, flüchtete er aus seiner Heimatstadt nach Breslau. Weil er sich der Militärpflicht entzogen hatte, verlor er die polnische Staatsbürgerschaft und galt seither in Deutschland als staatenlos. Die Mutter von Celia Elkin, Gitel Zelmanowicz, war polnische Staatsbürgerin, stammte aus Tomaszów Mazowiecki bei Łódź. Die Familie Zelmanowicz führte bis 1933 ein Leben im Wohlstand und erwarb ein Mietshaus an der Freiburgerstraße. Celia Elkins Familie pflegte die jüdische Tradition, hielt die religiösen Vorschriften ein und besuchte die Breslauer konservative „Storch Synagoge“. Anfang Juli 1933 erhielten 180 polnisch-jüdische Familien, von denen die meisten als staatenlos galten, ein Schreiben der Breslauer Behörden, in dem ihnen der weitere Aufenthalt im Deutschen Reich verweigert und ihre bevorstehende Ausweisung angekündigt wurde. Der polnische Konsul in Breslau versuchte dies zu verhindern und intervenierte bei den deutschen 179 Laqueur: Wanderer wider Willen, S. 127. 180 Elkin, Celia: Kristallnacht. A Tale of Survival and Rebirth. Bloomington 2001, S. 32.
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Behörden. Allerdings – wie sich herausstellte – erfolglos. 181 Auch Celia Elkins Vater, der als staatenlos galt, bekam die Benachrichtigung über seine bevorstehende Ausweisung aus Deutschland. Da die Familie ein sehr gut laufendes Geschäft besaß und Lipman Zelmanowicz sich einer ausgezeichneten Reputation als Geschäftsmann erfreute, gelang es ihm, seinen Aufenthalt in Deutschland zu verlängern. Dennoch war die Familie Zelmanowicz durch die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes genauso betroffen wie die deutschen Juden. Celia Elkin berichtet in ihren Erinnerungen über die Situation ihrer Familie, die sich schon vor dem „Novemberpogrom“ dramatisch änderte: Unsere sehr große und zügige Wohnung, sowie das ganze Mietshaus, das meinem Vater und seinem Bruder gehörte, musste für eine sehr geringe Summe verkauft werden. Dies spielte nun jetzt auch keine Rolle mehr, wir konnten ja eh kein Geld ins Ausland transferieren. Auch die ‚Arisierung‘ des Geschäftes meines Vaters war bereits abgeschlossen. Unsere wohlhabende Existenz war nicht mehr möglich. Seither konnten wir auch kein normales und geordnetes Leben führen. Wir waren genauso wie andere deutsche Juden der ständig zunehmenden Gewalt und Diffamierungen ausgesetzt. 182
Die Eltern von Esther Ascher (später: Adler) und Abraham Ascher zogen 1920 aus Galizien nach Breslau. Sowohl die Eltern als auch die vier Kinder waren polnische Staatsbürger. Sie lebten traditionsbewusst und nach den jüdisch-orthodoxen Regeln, die Kinder besuchten die jüdische Schule, sie verkehrten fast ausschließlich in jüdischen Kreisen und hatten kaum Kontakt zu den deutschen nicht jüdischen Breslauern. Die Familie Ascher betrieb ein kleines Unternehmen, das in Ratenzahlungen Haushaltgeräte zumeist an die Breslauer Arbeiterschaft verkaufte. Auch wenn das Geschäft klein war, konnte die Familie Ascher ein verhältnismäßig komfortables Leben in Breslau führen. 183 Abraham Ascher beschreibt, dass sich seine Eltern in Deutschland als „unbeteiligte Dritte“ fühlten. Der rapide und dramatische Aufstieg des Anti181 ‚Eastern European Jews in Breslau Ordered to Leave Germany at Once‘, in: JTA, Berlin, 13. und 14. Juli 1933. 182 Elkin: Kristallnacht, S. 32, vgl. 46, 64. 183 Interview mit Esther Adler (geb. Ascher), am 18. September 1996 in Palm Isle (USA), USC Visual History Archive, Int. Code 19348, Tape 1.
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semitismus überraschte sie nicht, da sie diesen bereits in Galizien erfahren hatten und diesen als eine Art „Naturgewalt“ betrachteten, der man machtlos ausgesetzt war. Die einzige Rettung oder Erlösung sahen sie in der erneuten Flucht. Abraham Ascher stellt fest, dass „das Einpacken von Koffern“ und der Entschluss zur Emigration ihm und seinen Eltern viel leichter gefallen sei als den deutschen Juden. 184 In den ersten Monaten der nationalsozialistischen Herrschaft erlebte die Familie Ascher selten direkte antisemitische Übergriffe. Dass Abraham Ascher später dann auf der Straße von Jugendlichen belästigt, als „Judenjunge“ beschimpft und mit einem Stoß traktiert wurde, beschleunigte mit Sicherheit auch den Entschluss der Familie, Deutschland im Sommer 1939 den Rücken zu kehren. So begann das Ehepaar Ascher, sich auf die Emigration vorzubereiten. Einige Monate danach, Anfang Oktober, während der jüdischen Feiertage erlebte die Familie Ascher zum ersten Mal unmittelbar einen Gewaltakt in der Synagoge: In den ersten Oktobertagen 1938, zu den Sukkot-Feiertagen versammelte sich meine Familie zum letzten Mal in unserer Synagoge mit anderen Gläubigen zum feierlichen Abendessen. Während unseres Treffens und der Feierlichkeiten in der Synagoge befanden wir uns draußen in der Sukka. Plötzlich fiel durch das Dach ein Backstein und verletzte mich und meinen Bruder Max. Aus Angst vor weiteren Übergriffen der Nationalsozialisten verließen wir das Bethaus und gingen nach Hause. 185
In den kommenden Wochen aber sollte die Familie Ascher mit viel schwerwiegenderen Ausschreitungen, die sich gegen die polnischen Juden richteten, konfrontiert werden. Wie der Familie Zelmanowicz drohte auch den Aschers die Ausweisung aus dem deutschen Staatsgebiet.
3.3.2 Die Vertreibung polnischer Juden, 27.–29. Oktober 1938 Vorgestern Abend war in Breslau Jagd auf polnische Juden. […] Man hat die Menschen am Donnerstag Abend, wo man sie fand, teils in der Sprachschule, teils zu Hause, aufgegriffen und abgeschoben. Man erzählt sich, dass Polen die 184 Ascher: A Community under Siege, S. 4. 185 Ebd., S. 6.
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Übernahme dieser unglücklichen Menschen verweigert hat und dass sie nun in Beuthen sitzen. Sie konnten nichts mitnehmen! Familien sind auseinander gerissen, man suche in jüdischen Kreisen Unterkunft für zurückgebliebene Kinder. Menschenjagd im 20. Jahrhundert. Was wird uns noch alles bevorstehen? Es ist gut, dass man es nicht weiss! 186
So fasste Willy Cohn, der zum Zeugen der „Abschiebungsaktion“ der polnischen Juden aus Breslau wurde, seine Beobachtungen am 29. Oktober 1938 in seinem Tagebuch zusammen. Das am 31. März 1938 vom polnischen Parlament verabschiedete Gesetz, das die Überprüfung von Pässen der im Ausland lebenden Polen zum Ziel hatte, stellte einen Wendepunkt für die in Deutschland lebenden polnischen Juden dar. Das Gesetz sah vor, denjenigen Personen die polnische Staatsbürgerschaft zu entziehen, die länger als fünf Jahre nicht in Polen gewesen waren oder im Ausland zum Schaden des polnischen Staates gehandelt hatten. 187 Ausschlaggebend für den Erlass dieses Gesetzes war die Annexion Österreichs durch NS-Deutschland am 12. März 1938. 188 Die Warschauer Regierung befürchtete, dass Tausende von polnischen Juden in ihre alte Heimat würden zurückkehren wollen, um der antijüdischen Politik der Natio186 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 29. Oktober 1938, Bd. 2, S. 529. 187 Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej, 1938 I., Nr. 22, Poz. 191, S. 340, zitiert nach Maurer: Abschiebung und Attentat, in: Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom, S. 59; Ausführlich zu den Hintergründen dieser Gesetzgebung siehe: Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung, S. 73–100; ders.: Ustawa o pozbawieniu obywatelstwa z 31. marca 1938, in: Historia – Prawo – Polityka, Warszawa 1990, S. 114–122, hier S. 114 f. Es sei an dieser Stelle anzumerken, dass sich das Gesetz scheinbar auf alle Polen bezog, bekannt war aber, dass es sich gegen die im Deutschen Reich lebenden polnischen Juden richtete, siehe: Jonca, Karol: Spór niemiecko-polski o wysiedlenie Żydów z Trzeciej Rzeszy, in: Acta Universitatis Wratislaviensis (AUW), Prawo, Nr. 186, 1990, S. 105–119, hier S. 108 f. 188 Maurer: Abschiebung und Attentat, in: Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom, S. 59; vgl. Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust, S. 195; Harris, Bonnie M.: From German Jews to Polish Refugees: Germany’s Polenaktion and the Zbąszyń Deportations of October 1938, in: Kwartalnik Historii Żydów (KHŻ), Nr. 2, 2009, S. 175–205, hier S. 178; Jonca, Karol: The Explusion of Polish Jews from the Third Reich in 1938, in: Polin – Studies in Polish Jewry (Polin), Vol. 8, Jews in Independent Poland 1918–1939. London/Washington 1994, S. 255–281, hier S. 257.
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nalsozialisten zu entkommen. 189 Am 6. Oktober 1938 ordnete der polnische Innenminister die Überprüfung und einmalige Abstempelung von Pässen der im Ausland lebenden polnischen Staatsbürger an, die auch die sich im Deutschen Reich befindlichen polnischen Juden einbezog. Diese Prozedur sollte bis zum 30. Oktober 1938 abgeschlossen sein. 190 Allen Betroffenen, die sich der Anordnung nicht unterzogen, sollte zukünftig die Einreise nach Polen verweigert werden und ein automatischer Verlust der polnischen Staatsangehörigkeit drohen. Tatsächlich weigerten sich aber die polnischen Konsulate in Deutschland, die vorgelegten Pässe zu überprüfen und gegebenenfalls abzustempeln. Dies lag am unterschiedlichen Verhalten einzelner polnischer Konsulate den polnischen Juden gegenüber. 191 Diese Anordnung des polnischen Innenministeriums diente der NSFührung als Vorwand, um gegen die polnischen Juden vorzugehen, die in der Gefahr standen, dann staatenlos in Deutschland zurückzubleiben. Der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, wies am 26. Oktober 1938 alle verantwortlichen Stellen an, noch vor dem Ablauf des polnischen Ultimatums am 29. Oktober „alle polnische[n] Juden, die im Besitz gültiger Pässe sind, in Abschiebungshaft zu nehmen und unverzüglich nach der polnischen Grenze im Sammeltransport abzuschieben“. 192 189 Die Warschauer Zeitung ‚Gazeta Polska‘ schätzte die Zahl der eventuellen Rückkehrer auf etwa 30.000, Gazeta Polska, Nr. 77, 19. März 1938, S. 6, Zitat nach: Jonca, Karol: ‚Noc Kryształowa‘ i casus Herszela Grynszpana. Wrocław 1992, S. 82. Trude Maurer sowie Dan Diner sprechen von etwa 20.000 Rückkehrern, Maurer: Abschiebung und Attentat, in: Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom, S. 59; Diner, Dan: Die Katastrophe vor der Katastrophe: Auswanderung ohne Einwanderung, in: Blasius, Dirk/Diner, Dan (Hrsg.): Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland. Frankfurt a. M. 1994, S. 138– 160, hier S. 153. 190 Tomaszewski, Jerzy: Wysiedlenie Żydów obywateli polskich z Niemiec 28.–29. października 1938 roku, in: SFZH, Nr. 14, 1991, S. 167–193, hier S. 167. 191 Vgl. Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung, S. 63. 192 In dem Schnellbrief des Reichsführers SS hieß es weiter: ‚Die Sammeltransporte sind so durchzuführen, dass die Überstellung über die polnische Grenze noch vor Ablauf des 29. Oktober 1938 erfolgen kann. Es muss erreicht werden, dass eine möglichst große Zahl polnischer Juden, namentlich der männlichen Erwachsenen, rechtzeitig vor dem genannten Zeitpunkt über die Grenze nach Polen geschafft wird.‘, Zitat nach, Maurer: Abschiebung und Attentat, in: Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom, S. 61.
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Am 27. und 28. Oktober verhaftete die deutsche Sicherheitspolizei aufgrund von Namenslisten insgesamt 17.000 polnische Juden im Reichsgebiet, unter anderem in Berlin, Leipzig, Chemnitz und Breslau, und brachte die Festgenommenen an die polnische Grenze. 193 Die „Aussiedlung“ wurde auf besonders brutale Art überraschend in der Nacht durchgeführt. Ein Teil der deportierten polnischen Juden wurde in Eisenbahntransporten an die polnische Grenze gebracht und mit gezückten Gewehren über die grüne Grenze gejagt. Über 9.000 polnische Juden trieb die deutsche Polizei in das polnische Zbąszyń in der Provinz Posen. 194 Andere Transporte, unter anderem aus Berlin und Königsberg, wurden mit etwa 1.500 polnischen Juden Richtung Chojnice geleitet. 195 Die über die Grenze gejagten polnischen Juden stießen oft auf Gegenwehr seitens der polnischen Grenzbehörden und der polnischen Polizei. 196 Einige der Ausgewiesenen, deren Pässe von den polnischen Grenzposten kontrolliert wurden, konnten hingegen in ihre ehemaligen Heimatorte in das Innere des Landes weiterziehen. Diejenigen, denen die polnischen Behörden die Einreise nach Polen verweigerten oder die nicht wussten, wohin sie sich begeben sollten, wurden in einer leer stehenden Kaserne in Zbąszyń untergebracht. 197
193 Bauer, Jehuda: My Brother’s Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee, 1929–1939. Philadelphia 1974, S. 243–252; Goldberg, Bettina: Die Zwangsausweisung der polnischen Juden aus dem Deutschen Reich im Oktober 1938 und die Folgen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 46, 1998, S. 971–984. 194 Milton, Sybil: The Explusion of Polish Jews from Germany, October 1938 to July 1939. A Documentation, in: LBIYB, Nr. 29, 1984, S. 169–199, hier S. 171; Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung, S. 186, 188. Die nach Zbąszyń abgeschobenen polnischen Juden kamen unter anderem aus Berlin, Hamburg, Hannover, Hildesheim, Leipzig, Düsseldorf, Köln und Wien, siehe: Harris: From German Jews to Polish Refugees, S. 182, Skórzyńska, Izabela/Olejniczak, Wojciech (Hrsg.): See you Next Year in Jerusalem: Deportations of Polish Jews from Germany to Zbąszyń in 1938. Poznań 2012; http://www.zbaszyn1938.pl/zbaszyn/de (abgerufen am 10. November 2013). 195 Milton: The Explusion of Polish Jews, S. 171. 196 Ebd. 197 Nach Tomaszewski befanden sich nach der Abschiebungsaktion in Zbąszyń etwa 7.000 polnische Juden, von denen ungefähr 2.000 binnen Kurzem in andere polnische Orte weiterreisen konnten, Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung, S. 188.
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Nach Angaben des polnischen Historikers Karol Jonca deportierte die deutsche Polizei am 28. Oktober 1938 etwa 4.200 polnische Juden an die deutsch-polnische Grenze bei Beuthen und trieb diese ebenfalls, wie bei Zbąszyń, auf die polnische Seite der Grenze. Am nächsten Tag kam eine weitere Gruppe Deportierter von etwa 1.800 Personen hinzu. 198 In diesen zwei Transporten befanden sich auch die aus Breslau abgeschobenen polnischen Juden. Abraham Ascher schätzt ihre Zahl auf etwa 1.500 Personen. 199 Bei etwa 1.700 Personen aus diesen Transporten gelang der deutschen Polizei die Vertreibung nach Polen nicht. Diese wurden in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober in das Innere des Reiches zurückgeleitet. 200 Isaac Giterman, der zwischen 1926 und 1939 Direktor des Jewish Joint Distribution Committees (JDC) in Polen war, berichtete über das Schicksal der aus Deutschland abgeschobenen polnischen Juden in einem oberschlesischen Dorf Radzionków bei Kattowitz: The worst happened at Radzionków, 16 km. from Katowice where at 12 points between 2 and 4 a. m., 2.500 persons have been driven across the frontier. They have been beaten with terrible cruelty and shot at on a way of 5–6 km, in order to compel them to run. Arriving in Radzionków I found several persons lying ill on the ground. Some of them had broken hands and legs, since they ran into pits and holes. Many of the ill were still in the fields. First aid was given by Polish and 8 Jewish doctors from Katowice. The German police did not allow them to take luggage out of the railway cars. […] It should be admitted here that the attitude of the Polish population was very humane. The local Christians have actively helped in organising aid for the expelled. All refugees have been brought with cars and vans, placed at the disposal of the committee by the jewish proprietors, to Katowice. Besides those driven over the frontier at Radzionkowo, 3.500 persons have crossed the frontier in trains at Bytom. As already stated, at Katowice 5.000 persons entered Poland. 201
198 Jonca: The Explusion of Polish Jews, S. 265; vgl. ders.: ‚Noc Kryształowa‘ na Śląsku Opolskim na tle polityki antyżydowskiej Trzeciej Rzeszy, in: Studia Śląskie, Nr. 37, 1980, S. 112–117. 199 Ascher: A Community under Siege, S. 167. 200 APWr, RO I/12466, Bl. 279 f., Telegramm vom 29. Oktober 1938, zitiert nach, Jonca: The Explusion of Polish Jews, S. 266. 201 Giterman, Isaac: ‚Jews Exiled from Germany to Poland‘, zitiert nach: Milton: The Explusion of Polish Jews, S. 193.
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Die Ereignisse vom 28. und 29. Oktober 1938 können mit einer brutalen Ausweisung der in Deutschland wohnhaften polnischen Juden kaum ausreichend umschrieben werden. Der zur damaligen Zeit gängige Name für die Jagd und Deportation war „Polenaktion“ und wurde inzwischen von einigen Historikern gründlich untersucht. 202 In dieser Arbeit sollen die Ereignisse in Breslau ans Licht gebracht werden, dabei vor allem die individuellen Schicksale der polnischen Juden, die bis dahin in der Stadt lebten. Walter Tausk, der Chronist der Ereignisse in Breslau, stand einer befreundeten polnisch-jüdischen Familie bei und wurde somit zum direkten Zeugen dieser Vorgänge in der Stadt, ebenso wie der folgenschweren Konsequenzen, die daraus für die Betroffenen resultierten. Die Familie Herstein lebte in der Breslauer Brandenburgerstraße am Hohenzollernplatz. Der Kaufmann Isidor Herstein, Oberhaupt der Familie, zog 1888 aus Krakau in die niederschlesische Metropole. Er lebte mit seinem Sohn Josef Herstein, seiner Tochter Hanna Süsser und ihrem Mann Osias Süsser sowie ihren zwei Töchtern zusammen. 203 Am Donnerstagabend, dem 27. Oktober 1938, er202 Das Thema wurde unter anderem in folgenden Publikationen detailliert ausgearbeitet: Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung; ders.: Wysiedlenie Żydów polskich z Niemiec; ders.: The Polish right-wings press, the Explusion of Polish Jews from Germany, and the Deportees in Zbąszyń, 1938–1939, in: Gal-Ed, on the History of the Jews in Poland, Nr. 18, Tel Aviv 2002, S. 89–100; ders.: Letters from Zbąszyń, in: YVS, Nr. 19, 1998, S. 289–315; Harris, Bonnie M.: From German Jews to Polish Refugees; ders.: The Polenaktion of October 28, 1938: Prelude to Kristallnacht and Pattern for Deportation, in: Holocaust, Persecutions and Consequences, Cambridge Scholars Publishing, Mai 2010, S. 56–76; Milton: The Explusion of Polish Jews; ders.: Menschen zwischen Grenzen: die Polenausweisung 1938, in: Menora, Nr. 1, 1990, S. 184–206; Jonca: The Explusion of Polish Jews; ders.: Casus Herszela Grynszpana; ders.: Spór niemiecko-polski o wysiedlenie Żydów; Maurer: Abschiebung und Attentat, in: Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom; Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust; ders.: ‚Ostjuden‘ in Deutschland als Freiwild. Die nationalsozialistische Außenpolitik zwischen Ideologie und Wirklichkeit, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Nr. 23, 1994, S. 215–232; Melzer, Emanuel: Relations between Poland and Germany and Their Impact on the Jewish Problem in Poland (1935–1938), in: YVS, Nr. 12, 1977, S. 193–229; Skórzyńska/Olejniczak (Hrsg.): See you Next Year in Jerusalem. 203 Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 30. Oktober 1938, S. 167; Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony for
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schienen bei Familie Herstein sieben Sicherheitspolizisten (SIPO) und verhafteten Josef Herstein sowie seine Schwester Hanne Süsser. Die Verhafteten durften ein paar warme Sachen und etwas Geld mitnehmen; daraufhin wurden sie in das Gefängnis in der Graupenstraße gebracht. Josef Herstein, der ein guter Freund von Walter Tausk war, betätigte sich als Kaufmann in Breslau, er war unter anderem Mitbegründer des Breslauer „Reichsverbandes der polnischen Juden“ und dessen Sekretär. Aufgrund seiner Vereinstätigkeit wusste er von der Aktion und wurde gewarnt, sich nicht zu Hause aufzuhalten, sondern sich wie etwa 250 andere polnische Juden zum polnischen Konsulat zu begeben. Trotzdem hatte Josef Herstein mit der Verhaftung nicht gerechnet, da er annahm, einem Beamten des „Reichsverbandes der polnischen Juden“ könne nichts zustoßen. Die SIPO verhaftete ihn dennoch und deportierte ihn zur polnischen Grenze in Beuthen; bereits am folgenden Tag, dem 28. Oktober, war er mittags im polnischen Kattowitz. 204 Die SIPO verhaftete auch seine Schwester Hanna Süsser. Sie wurde mit einer Menge anderer Frauen und Kinder festgehalten und erlebte „eine tierische Behandlung“, die in einer Vertreibung via Beuthen in das polnische Staatsgebiet gipfelte. 205 Die gesamte aus Breslau vertriebene Familie Herstein kehrte in ihre Heimatstadt Krakau zurück. Ihr weiteres Schicksal ist nicht genauer überliefert. Die meisten Spuren der nach Polen ausgewiesenen Juden verlieren sich in den im besetzten Polen errichteten Gettos. Laut Informationen des Archivs und der Gedenkstätte Yad Vashem wurden alle Angehörigen der Familie Herstein während der Schoah ermordet. Die genauen Umstände ihres Todes sind jedoch nicht bekannt. 206 Stephanie Sucher, die 1917 in der niederschlesischen Kleinstadt Freystadt geboren worden war und seit 1933 in Breslau lebte, berichtet in einem
Isidor Herstein, Josef Herstein, Hanna Süsser (geb. Herstein), Osias Süsser, Eleonore Süsser, Renate Süsser, http://db.yadvashem.org (abgerufen am 7. Februar 2013). 204 Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 30. Oktober 1938, S. 168. 205 Ebd., S. 170. 206 Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony (Isidor Herstein, Josef Herstein, Hanna Süsser (geb. Herstein), Osias Süsser, Eleonore Süsser, Renate Süsser wurden während der Schoah ermordet).
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Interview über die Ausweisung ihres Ehemannes aus der Stadt. 207 Moshe Sucher war polnischer Staatsbürger und zog von Krakau nach Breslau, um im dortigen „Jüdisch-Theologischen Seminar“ zu studieren. Er wollte Rabbiner werden. Am 27. Oktober 1938 um Mitternacht verhaftete ihn die Polizei in seiner Wohnung und brachte ihn in einem Transport mit anderen polnischen Juden aus Breslau an die polnische Grenze. Moshe Sucher war einer von drei inhaftierten jungen Zöglingen des Breslauer Rabbinerseminars. 208 Die Deportierten, unter denen sich sowohl junge wie alte Personen befanden, kamen in das oberschlesische Grenzgebiet in der Nähe der polnischen Stadt Kattowitz. Dort jagte sie die deutsche Polizei über die „grüne Grenze“ auf polnisches Staatsgebiet. Denjenigen, die sich dem Befehl widersetzen wollten, wurde mit Erschießung gedroht. Auf polnischer Seite griff die Polizei Einzelne aus der Menge der Flüchtlinge auf, was Moshe Sucher erspart blieb. Eine befreundete Familie konnte die Passkontrolle verhindern, indem sie ihn abfingen und ihn zu ihrem Haus brachten. Stephanie Sucher berichtet über das Schicksal ihres Mannes: Auch die Polen empfingen sie mit Gewehren. Für meinen Mann war das eine schreckliche Situation. Er hatte zwar einen polnischen Pass, der war aber mit keinem Stempel über den vorherigen Grenzübertritt nach Deutschland versehen. Er befand sich in einer großen Gefahr, weil er vor Jahren aus Polen geflüchtet war, um nicht in der polnischen Armee dienen zu müssen. Er war streng orthodoxer Jude und Militärdienst kam bei ihm überhaupt nicht in Frage. Es geschah jedoch ein Wunder. Er wurde durch eine polnisch-jüdische Familie gerettet. 209
Moshe Sucher verblieb einige Zeit bei der befreundeten Familie in Kattowitz. Dort erfuhr er, dass ihm das amerikanische Konsulat in Stuttgart bereits ein Affidavit 210 für die USA ausgestellt hatte. Moshe Sucher durfte daraufhin für nur sechs Tage zurück nach Breslau einreisen, um dieses Dokument abzuholen. Im Frühjahr 1939 emigrierte er in die USA. Seine Frau, Stephanie Su-
207 AYV, Interview mit Stephanie Sarah Sucher, Tape Number 033C/242, Bestand O.3 – Testimonies department of the Yad Vashem Archives, Transkript S. 1–42, Sig. 5132. 208 Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 1. November 1938, S. 177. 209 AYV, Interview mit Stephanie Sarah Sucher, S. 12. 210 Affidavit – Bürgschaft, die in den USA als Voraussetzung für ein Visum verlangt wurde.
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cher verblieb zunächst in Breslau, konnte jedoch im Frühling 1939 zusammen mit ihrer Schwester nach England emigrieren. Ihre Mutter blieb in Breslau zurück und arbeitete als Krankenschwester im jüdischen Krankenhaus. Sie wurde zu einem ihrer Tochter nicht bekannten Zeitpunkt mit einem Transport in das Gettolager Theresienstadt deportiert, von wo sie dann weiter mit einer Gruppe älterer Menschen ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt wurde. Dort wurde sie ermordet. Die genauen Umstände ihres Todes sind nicht bekannt. Moshe Suchers Mutter sowie seine zwei Schwestern, die nicht mit ihm in Breslau lebten, wurden als polnische Staatsbürgerinnen während der „Abschiebungsaktion“ am 28. Oktober 1938 nach Zbąszyń deportiert. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt; ihre Spuren verlieren sich in Zbąszyń. 211 Gabriel Holzer befand sich mit seinen Eltern auch unter den polnischen Juden, die aus Breslau nach Polen abgeschoben wurden. Am 27. Oktober 1938 erschienen in ihrer Breslauer Wohnung Polizisten und brachten die Familie Holzer zur Zentrale der Polizei. Dort waren schon über hundert Juden inhaftiert, die polnische Staatsbürger waren und denen die Ausweisung bevorstand. Die Polizisten brachten diese Gruppe zum Bahnhof und von dort in einem Zug Richtung der polnischen Grenze bei Beuthen: In der Nacht wurden wir zu der polnischen Grenze getrieben. […] Wir hatten schreckliche Angst und waren entsetzt. Wir begannen zu laufen in die Richtung, die man uns zeigte, im Regen und Dunkelheit. Bis wir eine polnische Eisenbahnstation erreichten. Dort wurden wir von polnischen Soldaten verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Weder die Deutschen noch die Polen behandelten uns als Menschen. 212
Am nächsten Tag wurde die Familie Holzer aus der Haft entlassen und fand Unterschlupf bei polnisch-jüdischen Bekannten, die in der Nähe der Grenze wohnten. Ein paar Tage danach gelang es Gabriel Holzer, mit seiner Familie nach Breslau zurückzukehren. Dort angekommen verhaftete die Polizei seine Mutter und inhaftierte sie für zwei Monate im Gefängnis. Gabriel Holzer mit seinem Vater und seiner Schwester versteckten sich bei einer Verwand-
211 AYV, Interview mit Stephanie Sarah Sucher, S. 41. 212 Interview mit Gabriel Holzer, 2011 in Tel Aviv, AA.
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ten. Im Januar 1939 gelang der Familie Holzer die Auswanderung, sie verließen Breslau in Richtung Palästina. 213 Benno Teichmann, der sich zusammen mit anderen Breslauer jüdischen Jugendlichen im oberschlesischen „Hachschara-Lager Ellguth“ auf die Ausreise nach Palästina vorbereitete, berichtet über die „Abschiebungsaktion“, wie sie in diesem Vorbereitungslager stattfand: Es war am 28. Oktober 1938 in Ellguth, einem Hachscharah-Kibbuz von Mitgliedern des deutschen Hechalutz. Es kam der Befehl nach Ellguth: Alle Polen sind ausgewiesen. Sie müssen bis 5 Uhr über die Grenze sein. […] Plötzlich erschienen verweinte Mädchen und auch den Jungs standen die Tränen in den Augen, und die Furcht vor dem nächsten Tag, Furcht vor den Deutschen, Furcht vor den Polen. […] Man fing eigentlich an zu denken, man begriff, was das bedeutete. Jetzt wusste man, dass im selben Augenblick Massen von Juden, Frauen und Kindern der polnischen Grenze zu transportiert wurden. Weil Polen seine Juden los sein wollte und Deutschland sie nicht wollte, und jetzt wurden sie wieder einmal, wie schon so oft, in Massen dahingetrieben, um noch vor 5 Uhr die Grenze zu erreichen, um die Juden los zu sein, um den Polen die Stärke und Macht zu beweisen. Und dann kam der Autobus. […] Die Namen wurden verlesen und die Chawerim stiegen ein und verließen unser Kibbuz. 214
Die deutsche Polizei fuhr die Gruppe von dreizehn jungen Hachschara-Mitgliedern, von denen die meisten zuvor in Breslau gelebt haben, mit einem Autobus in die Nähe der polnischen Grenze. Dort setzte man die jungen Menschen an einer einsamen, schlammigen Landstraße ab und trieb sie auf polnisches Staatsgebiet. Die Polizei drohte ihnen, „sie sollen aber nicht wagen zurückzukommen, denn man würde sie ohne Zögern erschießen“. 215 In einem polnischen Dorf angekommen, wurde die Gruppe der jungen polnischen Juden von dessen Bewohnern mit Hunden zurück nach Deutschland gejagt. So gelangten die jungen Menschen auf das deutsche Gebiet zurück. Ein Teil von ihnen setzte sich nach Beuthen ab. Dort brachte sie die jüdische Gemeinde zusammen mit anderen polnisch-jüdischen Flüchtlingen in der
213 Ebd. 214 AYV, Teichmann, Benno: Hachscharah-Kibbuz Ellguth, Ende 1938, Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 134, S. 1–18, hier S. 1 f. 215 Ebd., S. 4.
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Synagoge unter. Die Beuthener jüdische Gemeinde bezahlte 1.700 RM für einen Sonderzug, der die Menschen, die an der deutsch-polnischen Grenze stecken geblieben waren, weiter in ihre Städte in Deutschland fahren sollte. 216 Sechs von den Zöglingen des „Hachschara-Lagers“ in Ellguth, die polnische Pässe besaßen, reisten durch die reguläre Grenze nach Polen aus, die übrigen sieben Personen kamen nach Ellguth zurück. 217 Benno Teichmann beendete die Beschreibung dieser Ereignisse mit folgenden Worten: Wir sagten uns nur: ‚Jetzt sind die Polen dran, bei der nächsten Gelegenheit kommen deutsche und staatenlose Juden daran‘. 218
Am 10. November 1938 verhaftete die Gestapo Benno Teichmann sowie seine jungen Kollegen aus dem „Hachschara-Lager“ in Ellguth und verschleppte sie in das Konzentrationslager Buchenwald. Nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager fuhr Benno Teichmann zu seinen Eltern nach Breslau, um Abschied von ihnen zu nehmen. Am 15. Februar 1939 verließ er Ellguth mit anderen Zöglingen des „Hachschara-Lagers“ und begab sich nach Holland. 219
3.3.3 Solidarität und Hilfeleistung der Breslauer Juden Die Familie von Abraham Ascher und Esther Adler hatte das Schicksal der aus Breslau abgeschobenen polnischen Juden nicht geteilt. Dank der Hilfe einer befreundeten deutsch-jüdischen Familie wurden die Aschers nicht ausgewiesen. Am Donnerstag, dem 27. Oktober 1938, als die SIPO in Breslau die polnischen Juden festzunehmen begann, bekamen die Aschers eine Nachricht von Familie Friedländer, die sie über die von den deutschen Behörden geplanten Verhaftungen in Kenntnis setzte. Die Nachricht brachte den Aschers Alice Friedländer, die eine Schulfreundin von Esther war. Deren Vater, Raphael Friedländer, war bis 1933 Polizeioffizier in Breslau. Seine ehemaligen Kollegen übermittelten ihm die Pläne der Breslauer Polizei zur Ver216 217 218 219
Ebd., S. 5; vgl. Jonca: Casus Herszela Grynszpana, S. 96. AYV, Teichmann: Hachscharah-Kibbuz Ellguth, S. 5. Ebd., S. 6. Ebd., S. 18.
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haftung der sich in der Stadt befindlichen polnischen Juden. 220 Darauf benachrichtigte die Familie Ascher alle ihre Freunde und Bekannten, die ebenfalls die polnische Staatsbürgerschaft besaßen, sich dadurch auch in Gefahr befanden, und warnten sie vor der drohenden Verhaftung. Unmittelbar nach dem Erhalt der Nachricht verließ die Familie Ascher ihre Wohnung in der Antonienstraße und begab sich auf die Straße, um der drohenden Verhaftung zu entkommen. Nach ein paar Stunden beschlossen sie, sich auf das polnische Konsulat zu begeben, das unter dem Recht der Extraterritorialität stand, um dort Schutz zu suchen. Sie hielten sich dort mit etwa 200 anderen polnischen Juden bis Freitagnachmittag auf. Dann informierte sie der polnische Konsul, Leon Koppens, dass sie das Gelände der polnischen diplomatischen Vertretung sofort verlassen müssten. Er drohte der dort Schutz suchenden Gruppe der polnischen Juden, ansonsten die deutsche Polizei zu holen. Die Familie Ascher verließ also mit anderen Personen das polnische Konsulat und begab sich zu einer befreundeten deutsch-jüdischen Familie, bei der sie sich bis zum darauffolgenden Montag, dem 31. Oktober 1938, in einem Versteck aufhielt. Von ihren Nachbarn erfuhr die Familie Ascher, dass die Polizei während ihrer Abwesenheit ihre Wohnung aufgesucht hatte, um die Verhaftung vorzunehmen. Bereits Anfang November gelang dem Oberhaupt der Familie, Jacob Ascher, die Emigration in die USA. Esther Adler sowie der Bruder Max Ascher konnten im April 1939 nach Palästina ausreisen. Abraham Ascher, sein Bruder Henry Ascher und ihre Mutter, Feiga Ascher, emigrierten im Sommer 1939 nach England. 221 Während der Verhaftungsaktion gegen die polnischen Juden in Breslau half ein deutsch-jüdischer Jurist der Familie von Celia Elkin. Die Polizei verhaftete Celia Elkin, ihre zwei jüngeren Geschwister sowie ihre hochschwangere Mutter und brachte sie ins Gefängnis. Zu dieser Zeit war das Oberhaupt der Familie, Lipman Zelmanowicz, bereits nach Polen ausgewiesen worden. 222 Dem Juristen Friedländer gelang es, Gitel Zelmanowicz und ihre Kinder aus dem Gefängnis zu befreien. Celia Elkin verließ Breslau gemein-
220 Ascher: Community under Siege, S. 7; vgl. Interview mit Esther Adler (geb. Ascher), am 18. September 1996 in Palm Isle (USA), USC Visual History Archive, Int. Code 19348, Tape 3. 221 Ebd.; vgl. Ascher: Community under Siege, S. 7 ff. 222 Elkin: Kristallnacht, S. 73 f., 113.
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sam mit ihrem Vater im März 1939 in Richtung USA. Ihre Mutter und die drei jüngeren Geschwister konnten ihnen Ende Juli 1939 folgen. Lili Wollmann arbeitete als Kinderfürsorgerin und Vertreterin des „Jüdischen Frauenbundes“ bei der Breslauer jüdischen Gemeinde. Sie beaufsichtigte unter anderem die jüdischen Einrichtungen in Breslau wie das Säuglingsheim, das Waisenhaus, die Suppenküchen und die Kindergärten. 223 Während der Verhaftungswelle der polnischen Juden in Breslau im Oktober 1938 unterstützte Lili Wollmann die polnisch-jüdischen Ausgewiesenen zusammen mit anderen Gemeindemitgliedern. Ihr großes Engagement illustriert die Passage aus ihrem Bericht: […] Als die Oktoberaktion gegen die aus Polen stammenden und in Deutschland ansässigen Juden begann und die größte Verwirrung brachte, reichten meine Arbeitsstunden im Gemeindehaus nicht mehr aus. Das Telefon in meiner Wohnung stand bis spät in der Nacht nicht still. Die Familien wurden plötzlich von einander getrennt, Kinder wussten nicht, wo ihre Eltern, Eltern wussten nicht wo ihre Kinder sich aufhielten. Ich erinnere mich, lange Stunden mit meiner 15jährigen Tochter auf den Bahnsteigen verbracht zu haben. Mit Hilfe des Roten Kreuzes schenkten wir aus ungeheuer großen Kaffeekrügen den verzweifelten Durchreisenden Kaffee, versuchten ihnen Hilfe und Fürsprache zu gewähren. Es war der Anfang der Verzweiflung und Verwirrung. Der kleine Aktenordner ‚Auswanderung‘ in meinem Büro wuchs mehr und mehr. Aber unsere würdigen Leiter rieten immer noch zum Ausharren und Erfüllung unserer Pflichten, als ob noch einmal alles gut werden könne. Wir brachten indessen die alleinstehenden polnisch-jüdischen Kinder in Familien und Heimen unter, sorgten dafür dass sie ihre regelrechte Schulerziehung und Pflege erhielten und versuchten den Aufenthalt der herumreisenden und gehetzten Eltern zu ermitteln. 224
Viele der Bahntransporte mit den deportierten polnischen Juden aus dem Inneren des Reiches hielten vorübergehend am Breslauer Hauptbahnhof. Die Breslauer jüdische Gemeinde organisierte Hilfe für die sich im Transit befindlichen Personen und ließ sie mit Essen und Trinken verpflegen. Der Breslauer liberale Rabbiner, Hermann Vogelstein, bewährte sich besonders 223 ALBINY, Wollmann, Lili: Bericht über meine Tätigkeit als Kinderfürsorgerin der Jüdischen Gemeinde Breslau, in: Wollmann Family Collection, Sig. AR 717, S. 1– 3, hier S. 1. 224 ALBINY, Wollmann: Bericht, S. 2.
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bei der seelischen Unterstützung der Ausgewiesenen. 225 Auch Esther Adler erinnert sich, dass sie zusammen mit anderen Kindern am Breslauer Hauptbahnhof bei der Verpflegung der abgeschobenen polnischen Juden mithalf, indem sie die Deportierten mit Essen und Trinken versorgte. 226 Nach Angaben des Berliner Auswärtigen Amtes vom Anfang Juni 1939 hielten sich auf dem Gebiet des Reiches etwa 26.000 polnische Juden auf, wobei nicht bekannt ist, wie viele von ihnen in Breslau ansässig waren. 227 Diese setzten sich aus verschiedenen Gruppen zusammen: Einige widersetzten sich der „Aktion“ und versteckten sich, andere nutzten die ihnen eingeräumte Gelegenheit, für kurze Zeit nach Deutschland zurückzukehren, um ihre Angelegenheiten vor Ort abzuschließen, und blieben illegal dort. Laut der Verordnung von Reinhard Heydrich vom 8. Mai 1939 sollten auch diese Personen von Deutschland nach Polen ausgewiesen werden. So verhaftete die Polizei in Breslau erneut polnische Juden, die Dimension dieser „Verhaftungsaktion“ ist nicht überliefert. 228 The Jewish Telegraphic Agency informierte am 11. Juni 1939, dass zwischen 10.000 und 15.000 polnische Juden erneut verhaftet und über die polnische Grenze vertrieben
225 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 1. November 1938, Bd. 2, S. 531. 226 Interview mit Esther Adler (geb. Ascher), am 18. September 1996 in Palm Isle (USA), USC Visual History Archive, Int. Code 19348, Tape 3. 227 Zitat nach, Jonca: Spór niemiecko-polski o wysiedlenie Żydów, S. 118. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Anfang September 1939 schätzte Jerzy Tomaszewski aufgrund deutscher Quellen 11.500 polnische Juden in Deutschland, Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung, S. 301. Auch der polnische Historiker Józef Adelson nennt die gleiche Zahl in seiner Publikation, Adelson, Józef: Minian uschlusiat ha-Yehudim esrechei Polin be-Germania ba-Shanim 1919–1939, in: Gal-Ed, Nr. 11, 1989, S. 97–108, hier S. 107. Hans Günther Adler sowie Herbert Strauss zählen 10.000 polnische und 13.000 staatenlose Juden nach der ‚Abschiebungsaktion‘ vom Oktober 1938, Adler, Hans Günther: Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland. Tübingen 1974, S. 92; Strauss, Herbert A.: Jewish Emigration from Germany. Nazi Policies and Jewish Responses (I), in: LBIYB, Nr. 25, 1980, S. 313–361, hier S. 322. 228 Vgl. Jonca: Spór niemiecko-polski o wysiedlenie Żydów, S. 118; Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheinträge vom 23. Mai 1939 und 24. Mai 1939, Bd. 2, S. 646 f.
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worden seien. Unter anderem verließ ein Transport mit polnisch-jüdischen Deportierten Breslau. 229 Nach Sybil Milton kann man die „Ausweisungsaktion“ vom Oktober 1938 als eine Art der Vorübung für spätere antijüdische Maßnahmen des NS-Regimes ansehen: Es handle sich hierbei um die erste kollektive Deportation, die eine Kooperation der Reichsbahn, der deutschen Polizei, der Finanzbehörden und letztendlich der Diplomatie erfordert habe. 230 Zugleich kommt ein weiterer Aspekt dieser gegen die polnischen Juden gerichteten Maßnahme zum Vorschein: die Mitverantwortung des polnischen Staates. Diese kommt nicht nur auf der diplomatischen Ebene zum Ausdruck, bei der in Breslau wohnhafte polnische Juden letztendlich aus dem polnischen Konsulat ausgewiesen wurden und ihnen jeglicher Schutz verweigert wurde. Die Vorgänge an der Grenze, bei denen der polnische Grenzschutz beziehungsweise die polnische Polizei den eigenen Staatsbürgern die Einreise nach Polen verweigerte und sie wieder zurück nach Deutschland trieb, zeugen davon, dass es sich keineswegs um ein diplomatisches Problem handelte. Auch im Lager in Zbąszyń, wo noch viele Monate nach der Ausweisung Tausende der jüdischen Flüchtlinge leben mussten, waren sie ausschließlich auf Hilfe und Unterstützung jüdischer Organisationen angewiesen. Sybil Milton argumentiert, dass diese Tatsachen auch die Absichten Deutschlands signalisierten, andere Staaten in die antijüdischen Maßnahmen zu verwickeln und sie somit mitverantwortlich zu machen. 231 Die aus Deutschland nach Polen abgeschobenen Juden wurden nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf Polen durch die Verfolgungsmaschinerie wieder eingeholt. Nur wenige von ihnen konnten sich durch eine Emigration retten. Das Schicksal der Familie Herstein gibt den weiteren Lebensweg der meisten ausgewiesenen polnischen Juden wieder: Sie wurden zusammen mit anderen Juden in die Gettos gedrängt, später in die Vernichtungslager deportiert und ermordet. Die strukturelle und tatsächliche Gewalt der deutschen Anordnung zur „Ausweisung der polnischen Juden“ kann als brutaler Grundstein für die wei-
229 ‚15.000 Reich Jews Rounded up for Deportation to Poland‘, in: JTA, New York, 11. Juni 1939. 230 Milton: The Explusion of Polish Jews, S. 171; vgl.: Maurer: Abschiebung und Attentat, in: Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom, S. 71. 231 Milton: The Explusion of Polish Jews, S. 174.
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tere Verfolgung interpretiert werden: Wohnungslos, außerhalb des gewohnten sozialen Zusammenhangs, ohne eine Staatszugehörigkeit mit damit verbundenen Rechten sind Menschen angreifbar und für ihr Umfeld und vor sich selbst erkennbar geschwächt. Dies bedeutet ein Einfallstor für weitere Diskriminierungen und beschleunigt die destruktive Dynamik der Ausgrenzung weiter. Auch wenn „Ostjuden“ in diesem Ausnahmezustand von ihren jüdischen Glaubensbrüdern unterstützt wurden, überdauerte diese Solidarität die kommende Verfolgung nicht. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn der Massendeportationen der deutschen Juden in „den Osten“ im Oktober 1941 gelangten viele von ihnen in die Gettos im Generalgouvernement, darunter ins Getto Litzmannstadt, Warschau oder in die Durchgangsgettos im Distrikt Lublin (u. a. Izbica, Piaski). Dieses erzwungene Zusammenleben der deutschsprachigen und polnischen Juden unter den extremen Bedingungen und ständiger Lebensgefahr erweckte statt Solidarität und Mitgefühl gegenseitige Missachtung, Fremdheit, Feindseligkeit, nicht selten Konkurrenzkämpfe. 232 Die Zusammenkunft der deutschen und polnischen Juden in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Wrocław, die in dem folgenden Kapitel ausführlich dargestellt wird, zeigt, dass es in dieser Hinsicht eine gewisse Kontinuität in der gegenseitigen Wahrnehmung der „Ost- und Westjuden“ gegeben hat und dass die tief verankerten Vorurteile nicht überbrückt werden konnten. Wenige Tage, nachdem die „Abschiebungsaktion“ der polnischen Juden aus Deutschland eingestellt worden war, notierte Willy Cohn in seinem Ta232 Die angespannten Verhältnisse zwischen den deutschsprachigen und polnischen Juden im Getto Litzmannstadt analysiert ausführlich Andrea Löw in ihrer Monografie: Juden im Ghetto Litzmannstadt, S. 224–262. Siehe auch, Barkai, Avraham: In a Ghetto without walls, in: ders./Mendes-Flohr, Paul (Hrsg.): German Jewish History in Modern Times, Bd. 4, Revival and Destruction 1918–1945. New York 1998, S. 333–359; ders.: Deutschsprachige Juden in osteuropäischen Ghettos, in: ders. (Hrsg.): Hoffnung und Untergang. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Hamburg 1998, S. 197–223; ders.: Between East and West: Jews from Germany in the Lodz Ghetto, in: YVS, Nr. 16, 1984, S. 271–332; Kuwałek, Robert: Das kurze Leben ‚im Osten‘. Jüdische Deutsche im Distrikt Lublin aus polnisch-jüdischer Sicht, in: Kundrus, Birthe/Meyer, Beate (Hrsg.): Die Deportation der Juden aus Deutschland. Pläne – Praxis – Reaktionen, 1938–1945. Göttingen 2004, S. 112–134.
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gebuch am 8. November 1938 ein weiteres Ereignis, das, wie er selbst schon vermutete, einen tiefen Einschnitt in das Leben der deutschen Juden mit sich bringen sollte, nämlich das Attentat auf den Botschaftssekretär vom Rath in Paris: Die heutigen Zeitungen bringen eine für uns sehr schlimme Nachricht. Der Botschaftssekretär vom Rath ist in Paris in der deutschen Botschaft von einem polnischen Juden angeschossen und schwer verwundet worden, eine sehr feige Tat, die sicherlich die schlimmsten Folgen für uns in Deutschland haben wird. […] Es ist unabsehbar, und die feige Tat, die aus einem falschverstandenen Rachedurst entstanden ist, wird in das Leben des Einzelnen eingreifen. 233
3.4 Der Weg in die Katastrophe – Novemberpogrom und seine Folgen, 1938–1940 3.4.1 Flammendes Inferno – Der Novemberpogrom in Breslau Ich habe noch in Breslau die Kristallnacht mitgemacht. Ich war dabei, wie man meinen Vater und meinen Bruder verhaftet und nach Buchenwald abtransportiert hat. Ich sehe diese schweren Tage noch heute vor meinen Augen. Ich habe beobachtet, wie die SS- und SA-Leute mit den Lastwagen herumfuhren durch die Stadt und geschrien haben: ‚Jude Verrecke!‘. Zwei Strassen von uns entfernt war eine kleine Synagoge. Ich habe mich am 9. November die ganze Zeit in den Strassen herumgedreht und sah dann, wie die SA-Männer in die Synagoge eindrangen, die Thora-Rollen herausholten und sie dann zerrissen. Diese Synagoge lag zwischen Wohnhäusern, und so wagten sie es nicht, das Gebäude anzuzünden. Die Synagoge, in der meine Eltern beteten, war an der Ecke und ich konnte die Kuppel von uns aus sehen. Den ganzen Tag rief man mich an, um mich zu fragen, was mit unserer Synagoge sei, denn man verbrennt in der ganzen Stadt die Tempel. Wie ich am Nachmittag noch einmal Ausschau hielt, war bereits das Dach der Synagoge nicht mehr zu sehen. 234
Erna Eisner, die 1919 als Erna Friedländer in Breslau geboren wurde, fasst rückblickend ihre Erlebnisse am Tag des Pogroms in Breslau zusammen. Die SS und SA verhafteten ihren Bruder und Vater und verschleppte beide in das 233 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 8. November 1938, Bd. 2, S. 535. 234 Greif/McPherson/Weinbaum (Hrsg.): Die Jeckes, S. 98.
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Konzentrationslager Buchenwald. Mithilfe der Breslauer jüdischen Gemeinde erhielt ihr Vater ein Visum nach Schanghai und wurde aus dem Konzentrationslager entlassen. Er verließ Breslau im Mai 1939 Richtung Schanghai; dort starb er an einer Krankheit im Januar 1945. Erna Eisners Bruder begab sich zu Kriegsbeginn, nachdem er aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen worden war, zusammen mit einer Gruppe junger Männer nach Holland, wo er sich dann bei der Zentrale des „Makkabi Hazair“ betätigte. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt; er fiel der nationalsozialistischen Todesmaschinerie zum Opfer. Erna Eisner gelang im letzten Moment die Flucht aus Breslau. Sie kam 1940 mit dem Flüchtlingsschiff „Patria“ von Rumänien nach Palästina. 235 Für die damals zehnjährige Karla Wolff bedeutete der Tag des Pogroms einen großen Einschnitt in ihr Leben. Die Überlebende beschreibt die Ereignisse und ihre Gefühle wie folgt: Dann kam der Novemberpogrom. Ich war zehn Jahre alt und die Ereignisse des 10. November 1938 waren eigentlich die ersten, wirklichen Erlebnisse der Verfolgungszeit, die ich bewusst empfand und die sich bis heute tief bei mir eingegraben haben. […] Auf dem Schulweg fielen mir die vielen zerbrochenen Fensterscheiben auf. Die große Wein- und Likörhandlung Herzberg auf der Höfchenstrasse war in eine Wolke von Alkoholdunst gehüllt. Die Synagoge brannte. Der Rabbiner Dr. Lewin, der daneben in dem Gemeindehaus wohnte, wollte in das brennende Gotteshaus, um vielleicht die Thora-Rollen zu retten. ‚Hinein kommst Du, aber nicht mehr hinaus‘, war der Kommentar der SA-Leute, die dort anwesend waren. […] Der 10. November war ein grauer, nasser Novembertag, unfreundlich und bedrückend, und ich weiß noch, wie mich auf dem langen Schulweg langsam ein Angstgefühl wie eine eiserne Klammer einschloss, Hals und Brust fest umklammerte. Ich wusste nicht warum, konnte es auch nicht definieren. Ich wusste nur, dass der Tag anders war als alle anderen. […] Die Angst hing in der Luft und senkte sich mit dem Rauch der brennenden Synagogen auf uns und schloss die ganze jüdische Gemeinschaft der Stadt – und des ganzen Landes – ein. 236
Auf ähnliche Weise wie die zitierten Zeugenaussagen von Erna Eisner und Karla Wolff, die über den Pogrom in Breslau berichteten, spielten sich die 235 Ebd. 236 Wolff: Ich blieb zurück, S. 45 ff.; vgl. Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya, AA.
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antijüdischen Gewaltakte in vielen Orten ab, die unter dem Machtbereich der Nationalsozialisten standen. Der Pogrom vom 9./10. November wird in der Fachliteratur mit der Zwangsausweisung der polnischen Juden aus dem Deutschen Reich Ende Oktober 1938 in Verbindung gebracht. 237 Herszel Grynszpan, der polnisch-jüdischer Herkunft war und in Frankreich lebte, erschoss am 7. November 1938 in der deutschen Botschaft in Paris den Legationsrat Ernst vom Rath, um auf das Schicksal seiner während der sogenannten „Abschiebungsaktion“ im Oktober nach Zbąszyń ausgewiesenen Eltern sowie Tausender polnischer Juden aufmerksam zu machen. Diese Tat wurde von dem NSRegime als propagandistischer Vorwand für den folgenden Pogrom aufgegriffen. Am 10. November 1938 um 1:20 Uhr verschickte der Chef der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich eine Meldung nach Breslau, die an alle Staatspolizeistellen im Breslauer SS-Oberabschnitt Südost 238 gerichtet war, in der er Instruktionen bezüglich der Organisation und Durchführung des Pogroms erteilte. 239 Dies kann als offiziell-formaler Beginn einer vorher telefonisch angekündigten und vorbereiteten Maßnahme gelten. Die Anweisungen waren zuvor von Joseph Goebbels, dem Reichsminister für Aufklärung und Propaganda, konzipiert worden. In dem Schreiben war unter anderem zu lesen: Aufgrund des Attentates gegen von Rath in Paris sind im Laufe der heutigen Nacht – 9. auf 10. November 1938 – im ganzen Reich Demonstrationen gegen 237 Siehe unter anderem Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung; Pehle: Der Judenpogrom 1938; Steinweis, Alan E.: Kristallnacht 1938. Ein deutscher Pogrom. Stuttgart 2011; Graml, Hermann: Reichskristallnacht. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich. München 1998; Obst, Dieter: ‚Reichskristallnacht‘ : Ursachen und Verlauf des antisemitischen Pogroms vom November 1938. Frankfurt a. M. 1991; Benz, Wolfgang: Der Novemberpogrom 1938, in: ders. (Hrsg.): Die Juden in Deutschland, 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. München 1988, S. 499–544. 238 SS-Oberabschnitt Südost umfasste mehrere SS-Standarten und unterstand in der Regel einem SS-Brigadeführer oder einem SS-Oberführer. Breslau war der Sitz des SS-Oberabschnitt Südost, das für Schlesien und Niederschlesien zuständig war. 239 Abdruck des Dokumentes in, Hoffman, Zygmunt: Noc Kryształowa na obszarze wrocławskiego nadodcinka SS (SS Oberabschnitt Südost), in: BŻIH, Nr. 2, 1976, S. 75–96, hier S. 79 ff.
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die Juden zu erwarten. Die Leiter der Staatspolizeistellen haben mit den für ihren Bezirk zuständigen politischen Leitungen eine Besprechung über die Durchführung der Demonstrationen zu vereinbaren. […] Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (z. B. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist). Geschäfte und Wohnungen von Juden dürfen nur zerstört, nicht geplündert werden. Die Polizei ist angewiesen, die Durchführung dieser Anordnung zu überwachen und Plünderer festzunehmen. […] Zur Durchführung der sicherheitspolizeilichen Maßnahmen können Beamte der Kriminalpolizei sowie Angehörige des SD, der Verfügungstruppe und der allgemeinen SS zugezogen werden. […] 240
Der Stabsführer des „SS-Oberabschnittes Südost“ in Breslau, Hanns Albin Rauter, meldete am 11. November dem Reichsführer SS Heinrich Himmler, dass „die anbefohlene antijüdische Protestaktion im ‚SS-Oberabschnitt Südost‘ schlagfertig am 10. November 1:30 Uhr einsetzte.“ 241 Um diese Zeit brannte bereits das Werk des bekannten Architekten Edwin Oppler, die „Neue Synagoge“ am Anger. 242 Werner Pusch, der vor 1933 vier Jahre in der sozialistischen Jugendbewegung in Breslau tätig war, schloss sich im Frühjahr 1933 einer Widerstandsgruppe in der Stadt an. In der Widerstandsorganisation bekam er einen Befehl, sich als V-Mann der hiesigen SS anzuschließen. Wie Werner Pusch berichtet, war es ihm im Herbst 1938 möglich, mithilfe der schwarzen Uniform einigen Opfern des Terrors zu helfen sowie einige Beobachtungen zu machen, die anders nicht möglich gewesen wären. 243 Werner Pusch befand sich am Abend des 9. November im Haus der Breslauer SS-Standarte in der Sternstraße. Gegen 1 Uhr in der Nacht rief der Sturmführer zu den dort ver240 Ebd., S. 79 f.; vgl. Blitz-Fernschreiben (geheim. Dringend! Sofort dem Leiter oder seinem Stellvertreter vorlegen!) des Chefs der Sicherheitspolizei (München 47767 10. 11. 1938), gez. Heydrich, an alle Staatspolizeileit- und Staatspolizeistellen und alle SD-Ober- und Unterabschnitte vom 10. 11. 1938 (Abschrift), in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 2, S. 367 f. 241 SD Südost in Breslau, 11. 11. 1938, 11:40, an die Reichsführung SS, SS-Hauptamt in Berlin, Betr.: Antijüdische Demonstrationen im SS-Oberabschnitt Südost, Abschrift in: Hoffman: Noc Kryształowa, S. 86. 242 Ebd. 243 Pusch, Werner: Kristallnacht und KZ, in: MVBI, Nr. 40, September 1976, S. 14– 15.
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sammelten SS-Männern: „Die Partei hat eine Protestdemonstration beschlossen. Wir werden den Juden die Schaufensterscheiben einschlagen.“ 244 Die Stadt wurde in Bezirke aufgeteilt, und dem „Sturm“, dem auch Werner Pusch angehörte, wurde die Stadtmitte zugeteilt. Dann folgte der Befehl: „Jeder besorge sich jetzt einen Knüppel oder eine Eisenstange, und dann geht’s los. Plündern ist verboten. Wer etwas mitnimmt, wird streng bestraft.“ 245 Werner Pusch entschloss sich, dem randalierenden Haufen als Beobachter zu folgen. Er beschreibt die darauf folgenden Ereignisse in seinen Aufzeichnungen: Da krachten vorn die ersten Scheiben. Klirrend fiel das Glas aufs Pflaster. Es war ein kleines Radiogeschäft. Woher wussten die SS-Leute, dass es jüdisch war? 246 […] Der nächste Laden war eine Schnapsdestille. Die großen Schaufensterscheiben fielen splitternd zusammen, die Tür wurde erbrochen. Innen standen auf langen Borden die Flaschen mit Weinbrand, Likör und Cognac. Sie wurden mit Stangen heruntergeschlagen und zerbrachen. Gestalten der Breslauer Unterwelt folgten johlend dem Haufen der SS. Eine Drogerie wurde demoliert, ein Tuchgeschäft folgte. Die Leute gerieten in Ekstase. Es genügte ihnen nicht mehr, das Schaufenster zu zertrümmern. Sie drangen durch das Fenster in den Laden ein. […] Ab und zu hörte ich Stimmen von Vorübergehenden, die leise, aber mit tiefer Empörung von Kulturschande sprachen. Wir näherten uns dem Stadtgraben. Neben dem Polizeipräsidium leuchtete ein Feuerschein auf. Dort war die große Synagoge. Ich ließ meinen Sturm aus dem Auge und ging zum Polizeipräsidium. Die Synagoge stand in hellen Flammen. Polizisten sperrten die Strasse und hielten Neugierige zurück. […] Das hohe Gebäude brannte prasselnd aus. Schließlich stürzte die Kuppel ein. 247
Daraufhin ging Werner Pusch in Richtung der „Synagoge zum Weißen Storch“, um nachzuschauen, was dort geschehen war. Als er dort ankam, wurde das eiserne Tor, das zum Vorhof führte, gerade gesprengt; die SSund SA-Angehörigen stürmten in das Gebäude ein. In den Innenräumen der Synagoge wurden die Leuchter umgeworfen, alle Geräte zerschlagen, die 244 Ebd., S. 14. 245 Ebd. 246 Als ‚Wegweiser‘ diente die von der ‚Gauleitung Schlesien‘ 1936 herausgegebene Broschüre ‚Jüdische Geschäfte in Breslau‘, die 2.000 jüdische Händler und Geschäfte in Breslau verzeichnete, siehe: Gauleitung Schlesien: Jüdische Geschäfte. Breslau 1936. 247 Pusch: Kristallnacht, S. 14.
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Thorarolle lag zerfetzt zwischen Möbeltrümmern. 248 Die konservative „Storch Synagoge“, die in einem Hof stand und von anderen Baulichkeiten umgeben war, blieb deshalb vom Feuer während des Novemberpogroms verschont. 249 Der Rabbiner Dr. Moses Hoffmann 250 und der Vorbeter, die beide der Verbrennung beiwohnen mussten, haben sich später auf den Boden gesetzt und ihre Kleider eingerissen, um ihre Trauer auszudrücken, wie das jüdische Gesetz es gebietet. 251 Die liberale „Neue Synagoge“, die zweitgrößte Deutschlands, die noch in Jahre 1936 renoviert worden war, wurde, wie bereits geschildert, niedergebrannt. Das Abreißen der Mauerreste nahm einige Monate in Anspruch, die Reste der Synagoge konnten erst Mitte Mai 1939 niedergelegt werden. 252 Die Kosten für den Abbruch in Höhe von 180.000 RM mussten von der jüdischen Gemeinde aufgebracht werden. 253 Die Wochentags-Synagoge, die in unmittelbarer Nähe der niedergebrannten „Neuen Synagoge“ stand, wurde beschädigt. Die Gestapo beschlagnahmte das Gebäude, in welchem sich auch die jüdische liberale Volksschule befand, 248 Ebd. 249 AYV, Brückheimer, Simon: Der 10. November 1938. Die Zerstörung der jüdischen Gemeinden in Deutschland, Bestand O.42 – Simon Brückheimer Collection about the November Pogrom 1938 in Germany (‚Kristallnacht‘), Sig. 1, S. 146. 250 Dr. Moses Hoffmann bekam 1921 die Berufung in die Gemeinde Breslau als Nachfolger des pensionierten Rabbiners Dr. Ferdinand Rosenthal. Er amtierte in der konservativen Synagoge ‚Zum Weißen Storch‘. Während des Novemberpogroms am 10. November 1938 wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. 1939 emigrierte er mit seiner Familie nach Palästina und ließ sich in Petach Tikwa nieder, siehe: ‚Rabbiner Dr. Moses Hoffmann s. A.‘, in: MVBI, Nr. 45, April–Mai 1979, S. 20 f.; Hoffmann, Moses Jehuda, in: Brocke, Michael/Carlebach, Julius (Hrsg.): Das Biographische Handbuch der Rabbiner. Teil II, Die Rabbiner im Deutschen Reich, 1871–1945 (Bearbeitet von Katrin N. Jansen). München 2009, S. 288. 251 AYV, Brückheimer: Der 10. November 1938, S. 146. 252 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 16. Mai 1939, Bd. 2, S. 643. 253 AYV, Gluskinos, Willi: Die Gemeinde Breslau vom 9. November 1938 bis zum Kriegsausbruch 1. September 1939 (Aufzeichnungen von Willi Gluskinos, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, verfasst im Winter 1939/1940), Bestand O.1 – K. J. Ball-Kaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 27, S. 3, 5; vgl. CAHJP, ders., Sig. P 231, Record No. 23.
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und errichtete dort bald darauf ihre Ämter. 254 Die orthodoxe Synagoge, „Zum Tempel“, die sich in einem Privatgebäude in der Antonienstraße befand, wurde vollkommen zerstört. In der „Pinchas-Schul“ wurden die meisten Thorarollen vernichtet. Die ebenfalls verwüstete „Altglogauer-Schul“ in der Gartenstraße gegenüber dem Schauspielhaus konnte anschließend gegen Eintrittsgeld von Schaulustigen besichtigt werden. Die sich in der Goldenen Radegasse befindende „Sklower-Schul“ sowie die „Land-Schul“ in der Sonnenstraße wurden ebenfalls beschädigt. Auch das „Jüdisch-Theologische Seminar“, das 1938 das vierundachtzigste Jubiläum seines Bestehens feierte, fiel der Gewalt zum Opfer. Die sich im Seminar befindliche Synagoge wurde verwüstet und die große Bibliothek weitgehend vernichtet. 255 Nach dem Krieg 1950 gingen dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund etwa 6.000 Büchern aus den Beständen des Seminars zu, die an die Bibliotheken der jüdischen Gemeinden in Genf und Zürich verteilt wurden. 256 254 Das Gebäude der liberalen jüdischen Schule wurde am 24. November 1938 beschlagnahmt, AYV, Brückheimer: Der 10. November 1938, S. 147; vgl. Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 12. November 1938, S. 185; Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 29. März 1940, Bd. 2, S. 773. 255 Rothschild: Die Geschichte des Seminars, in: Kisch (Hrsg.): Breslauer Seminar, S. 165; vgl. Rothschild: Die letzten Jahre des Rabbinerseminars, S. 11. Willy Cohn, der im ‚Jüdisch-Theologischen Seminar‘ unterrichtete, notierte am 21. November 1938 in seinem Tagebuch: ‚Das Dozentenzimmer ist unversehrt geblieben, dagegen ist das Hörerzimmer und die Hörsäle zerschlagen.‘, Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 21. November 1938, Bd. 2, S. 552. 256 Rothschild: Die letzten Jahre des Rabbinerseminars, S. 11. Laut Rabbiner Bernhard Brilling, dem Archivar der Breslauer jüdischen Gemeinde, wurde die berühmte Sammlung der Bibliothek des Breslauer Rabbinerseminars im Juli 1939 von der Gestapo beschlagnahmt, AYV, Brilling: Erinnerungen eines jüdischen Archivars, S. 4. 1949 lagerten im Depot der ‚Commission on European Jewish Cultural Reconstruction‘ (JCR) in Wiesbaden rund 11.000 der ursprünglich 30.000 Bände umfassenden Breslauer Seminarbibliothek. Der größte Teil (6.000 Bücher) ging an die deutschsprachige, jüdische Gemeinde in der Schweiz. Die Reste der Bibliothek wurden vor allem auf Israel und die USA aufgeteilt, ca. 1.000 weitere Bände kamen nach Mexiko City. Die wertvollste Sammlung dieser Bibliothek von Leon Vita Savaral (1771–1851) kehrte nach Wrocław zurück und wird in der Universitätsbibliothek aufbewahrt, siehe: Wilke, Carsten: Von Breslau nach Mexiko: Die Zerstörung der Bibliothek des Jüdisch-theologischen Seminars, in: Klein, Birgit E./Müller, Christiane E. (Hrsg.): Memoria – Wege jüdischen Erinnerns. Festschrift für Michael Brocke zum 65. Geburtstag. Berlin 2005, S. 315–338; Gallas,
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Nach einer Woche nahm das Seminar wieder seinen Betrieb auf, auch wenn die Vorlesungen seit diesem Tag in ganz bescheidenem Rahmen gehalten wurden. Die zwei letzten Studenten des „Jüdisch-Theologischen Seminars“ wurden am 21. Februar 1939 ordiniert. 257 In der Stadt unbeschädigt blieben lediglich die Synagoge im jüdischen Krankenhaus in der Hohenzollernstraße, die „Mugdan Synagoge“ im Gebäude der jüdischen Schule am Rehdigerplatz sowie die im „Beate-Guttmann-Altenheim“. 258 Die Breslauer SA und SS zerstörten und demolierten zahlreiche andere Gebäude der Gemeinde, daneben über 500 jüdische Geschäfte sowie private Wohnungen. 259 Der SS-Oberführer Friedrich Katzmann vom VI. SS-Abschnitt, der später zum SS-Polizeiführer von Galizien ernannt wurde und sich maßgeblich an der Ermordung der Juden in Ostgalizien beteiligte, 260 stellte am 10. November 1938 um 15.00 Uhr eine vorläufige Bilanz der Ereignisse der vergangenen Nacht in Breslau:
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Elisabeth: ‚Das Leichenhaus der Bücher‘. Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945. Göttingen 2013, S. 175–178. Jüdisch-Theologisches Seminar, Breslau, in: Berenbaum, Michael/Skolnik, Fred (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica, Bd. 11. Detroit 2007, S. 572. AYV, Brückheimer: Der 10. November 1938, S. 148; vgl. AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 1; Ayalon: Jewish Life in Breslau, S. 324. In dem gesamten ‚Oberabschnittsbereich Südost‘, dem Nieder- und Oberschlesien angehörten, wurden insgesamt 28 Synagogen verbrannt und 25 zertrümmert, siehe: SD Südost in Breslau, 11. 11. 1938, 11:40, an die Reichsführung SS, SSHauptamt in Berlin, Betr.: Antijüdische Demonstrationen im SS-Oberabschnitt Südost, Abschrift in: Hoffman: Noc Kryształowa, S. 83. Friedrich Katzmann wurde am 9. November 1938 zum SS-Oberführer des SSAbschnitts VI in Breslau befördert. Ab Juni 1941 war er SS- und Polizeiführer von Galizien mit Sitz in Lemberg. Er beteiligte sich während seines Kommandos in Galizien an der Ermordung der Juden. Berühmt wurde sein Bericht vom 30. Juni 1943 mit dem Titel ‚Lösung der Judenfrage im Distrikt Galizien‘. Später beteiligte er sich unter anderem an der Räumung des KZ Stutthof, siehe unter anderem: Pohl, Dieter: Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien, 1941– 1944. München 1997; Friedmann, Tuvia (Hrsg.): Die Vernichtung der Juden Ost-Galiziens und die Rolle des SS- und Polizeiführers Fritz Katzmann, der die Aktionen in Lemberg und Galizien in den Jahren 1941–1943 leitete. Institute of Documentation in Israel. Haifa 2004; Żbikowski, Andrzej (Hrsg.): Rozwiązanie kwestii żydowskiej w dystrykcie Galicja. Warszawa 2001.
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Breslau – 1 Synagoge niedergebrannt; 2 Synagogen demoliert; 1 Haus ‚Gemeinschaft der Freude‘ demoliert; mindestens 500 Geschäfte völlig verwüstet; mindestens 10 jüdische Gasthäuser demoliert; etwa 600 Männer mit Hilfe der Polizei verhaftet; circa 35 jüdische Betriebe verwüstet. 261
Am Tag darauf berichtete die „Schlesische Tageszeitung“: „Wie Breslau mit den Juden abrechnete.“ 262 Die nationalsozialistische Tageszeitung teilte mit, dass „die Synagoge am Anger nach der Sprengung nur noch ein Schutthaufen war und dass im Ganzen gute Arbeit geleistet worden sei, denn kein jüdisches Geschäft vergessen wurde.“ 263 Am meisten beschädigt wurden die jüdischen Geschäfte in der Schweidnitzer-, Reusche- und Ohlauerstraße. 264 Bei der brutalen und drastischen Durchführung des Pogroms in Breslau sollte der Höhere SS- und Polizeiführer im schlesischen „Oberabschnitt Südost“ Erich von dem Bach-Zalewski federführend sein. 265 Nur wenige Jahre darauf beteiligte er sich an Massenmorden auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion, und im August 1944 war er für die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes verantwortlich. 266 Werner Pusch beschreibt in seinen Aufzeichnungen, dass am Abend des 10. Novembers 1938 der höchste SSFührer Schlesiens, von dem Bach-Zalewski, in einer Versammlung zu SS261 Meldung vom VI. SS-Abschnitt, der SS-Oberführer Katzmann vom 10. November 1938, 15 Uhr, Abschrift in: Hoffman: Noc Kryształowa, S. 83. 262 ‚Wie Breslau mit den Juden abrechnete. Die fremden Ausbeuter dort getroffen, wo sie am empfindlichsten sind: am Geldbeutel – Ihre Synagoge nur noch ein Trümmerhaufen‘, in: STZ, Nr. 311, 11. November 1938, S. 9. 263 Ebd. 264 Ebd. 265 Hoffman: Noc Kryształowa, S. 82; vgl. Jonca: Casus Herszela Grynszpana, S. 179. 266 Erich von dem Bach-Zalewski wurde im Juni 1938 zum Höheren SS- und Polizeiführer im ‚SS- Oberabschnitt Südost‘ mit Sitz in Breslau befördert. Nach dem Krieg wurde er als Zeuge der Anklage in den Nürnberger Prozessen gerufen. Für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit und seine führende Rolle bei der Verfolgung und Ermordung von Juden wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Erich von dem Bach-Zalewski wurde zwar 1951 von der Münchener Hauptspruchkammer zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt, die Strafe wurde jedoch nie vollzogen. Während des zweiten Prozesses 1961 in Nürnberg wurde er wegen Ermordung von Buchwald und Hohberg während des sogenannten ‚Röhm-Putsches‘ zu lebenslanger Haft verurteilt, AYV, Bestand M.21.1 – War Criminals’ Section, Legal Department at the Central Committee of Liberated Jews, Munich, Sig. 609, S. 1– 12.
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Männer Folgendes gesagt habe: „In der Nacht zum 9. November haben wir in München noch lange mit dem Führer zusammengesessen, ich war stolz, ihm um vier Uhr morgens melden zu können, dass in Schlesien 80 Synagogen brennen.“ 267 Im Jahre 1961 hatte der Oberstaatsanwalt Dr. Sauter beim Landgericht Nürnberg-Fürth festgestellt: In Bezug auf seine [Erich von dem Bach-Zalewskis] Stellung als höchster SS- und Polizeichef in Schlesien als auch in Bezug auf das besondere Vertrauen, das ihn mit Himmler verband, nahm der Beschuldigte in entscheidendem Ausmaß an der Vorbereitung des Judenpogroms in den Tagen 9.–10. November 1938 teil. 268
Der zentral inszenierte Pogrom in Breslau folgte der Entwicklungsdynamik des gesamten Reichsgebiets. Einen Unterschied machte nur der breite Einsatz von einigen Hundert SS-Männern, wogegen sich in den meisten anderen Städten hauptsächlich die SA für den Pogrom verantwortlich zeichnete. 269 Auch wenn in der nationalsozialistischen Propaganda die Behauptung verbreitet wurde, die Gewaltakte der sogenannten „Reichskristallnacht“ seien auf den spontan ausgebrochenen „Volkszorn“ zurückzuführen, hatte sich die deutsche Zivilbevölkerung nur in einem geringen Maße an dessen Ausführung beteiligt. 270 Wie bereits erwähnt war der Pogrom zentral organisiert und hauptsächlich von SS- und SA-Männer durchgeführt worden. Selbst bei einigen SS-Männern mögen diese Maßnahmen auf Ablehnung gestoßen sein. Werner Pusch berichtet, dass unmittelbar nach der Mitteilung des Befehls einige der SS-Männer sofort Zustimmung äußerten und „erstaunlich 267 Pusch: Kristallnacht, S. 14. 268 Zitat nach: Jonca, Karol: Schlesiens Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft 1933–1945, S. 58; vgl. ders.: Casus Herszela Grynszpana, S. 180. 269 In der Meldung des Staabsführers des ‚SS-Oberabschnittes Südost‘ aus Breslau an die Reichsführung SS wird betont, dass ‚die Aktionen ausschließlich von der Schutzstaffel in Uniform durchgeführt wurden. Das Zusammenarbeiten mit der Ordnungs- und Sicherheitspolizei in Breslau war ausgezeichnet‘. In dem bereits erwähnten Bericht von Friedrich Katzmann hieß es: ‚150 SS-Männer wurden während der Aktion in Breslau bis 20 Uhr als Hilfspolizei eingesetzt, nach 20 Uhr wurden weitere 150 SS-Männer eingesetzt‘, Abdruck in: Hoffman: Noc Kryształowa, S. 83, 86; vgl. Cygański, Mirosław: Udział SS i policji w pogromach Żydów w Niemczech 9.–10. listopada 1938 roku, in: SFZH, Nr. 15, 1992, S. 189–198. 270 Longerich, Peter: ‚Davon haben wir nichts gewusst!‘ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945. München 2006, S. 129.
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rasch einen geeigneten Knüppel gefunden haben“, andere wiederum waren „bestürzt und besorgt, zeigten weniger Eifer und eine ganze Anzahl von SSLeuten machte sich unauffällig beiseite“. 271 Im Angesicht dieser Gewaltakte teilte sich auch die deutsche Bevölkerung in jene, die den brutalen Pogrom billigten, jene, die völlige Gleichgültigkeit zeigten, und letztendlich jene, die ihrer Empörung Ausdruck gaben. Aufgrund der vorhandenen Zeugenberichte muss allerdings resümiert werden, dass die letzte Gruppe zu einer deutlichen Minderheit gehörte. Dr. Siegmund Hadda bemerkt dazu in seinen Erinnerungen, dass sich die Stimmung unter der Breslauer Bevölkerung aufgrund der fortschreitenden antijüdischen Propaganda allmählich verschlechterte: So berichtet er über seine Eindrücke von der Atmosphäre in der Stadt kurz vor dem Novemberpogrom: Die bis dahin relativ ruhige Stimmung der nichtjüdischen Bevölkerung wandelte sich im Handumdrehen in ausgesprochenen Hass um, das erwünschte Resultat der ordinären antisemitischen Stimmungsmache von Goebbels. Sie hatte den Boden für eine Saat vorbereitet, die in der ‚Reichskristallnacht‘ am 10. November auch in Breslau mit rasender Schnelligkeit aufschoss. 272
Es ist zu vermuten, dass der antisemitisch aufgehetzte Teil der Bevölkerung in einem Maße laut und gewalttätig aufgetreten war, dass nicht nur die jüdische Bevölkerung davon betroffen war, sondern auch ein Teil der deutschen Bevölkerung sich davon einschüchtern ließ. Der anonyme Bericht einer in der jüdischen Wohlfahrtspflege tätigen Breslauerin, der sich im Archiv der Wiener Library in London befindet, schildert die Atmosphäre unter der deutschen Bevölkerung in Breslau unmittelbar nach dem Novemberpogrom: Man kann nicht davon sprechen, dass sich in Breslau und in Niederschlesien eine scharfe oppositionelle Stimmung bemerkbar macht. Die so genannten gebildeten Stände, die sich noch ein Gefühl für Humanität und Anstand bewahrt haben, sind natürlich durch das ganze Auftreten der führenden Kreise des Dritten Reiches, insbesondere aber durch die Inbrandsetzung der Synagogen, abgestoßen und stehen dadurch wie durch andere Eindrücke abseits. Die große Masse hin-
271 Pusch: Kristallnacht, S. 14. 272 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 221.
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gegen steht den Ereignissen gleichgültig oder sogar mit einer gewissen Sympathie für die Regierung gegenüber. 273
Für die Mitarbeiterin der Breslauer jüdischen Gemeinde, Lili Wollmann, blieb folgende Erinnerung: „Die Gesichter der Menschen, die dem traurigen Schauspiel an der schönen ‚Neuen Synagoge‘ in seiner Zerstörung beiwohnten, nur wenige wandten sich mit Abscheu hinweg.“ 274 Der damals 18-jährige Klaus Trostorff wurde ebenfalls zum Zeugen des Pogroms in Breslau, er berichtet darüber: Ich sah die brennende Synagoge, weil die in der Nähe der Stelle, wo ich gearbeitet habe, in der Innenstadt von Breslau stand. Das ist unvergesslich … Die johlende deutsche Bevölkerung … die sich dann immer noch freute, wie mit den Juden umgegangen wurde, wie man ihr Eigentum zerstört hat, wie man die Synagoge verbrannte. 275
Auch Willy Cohn notierte in seinem Tagebuch am 11. November 1938, dass die Stimmung auf der Straße „durchaus antisemitisch“, und die nicht jüdische Breslauer Bevölkerung froh über „das jüdische Unglück“ sei. 276 Dr. Alexander Walk, der während des Pogroms in Breslau festgenommen wurde, um in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert zu werden, schreibt in seinem Bericht: Vom Sammelplatz wurden wir, vorbei an der brennenden großen liberalen Synagoge, abtransportiert und nach Buchenwald geschickt. Als ich den Tempel brennen sah, war ich überzeugt, dass dies den schließlichen Untergang Deutschlands nach sich ziehen würde. 277
273 ‚Bericht einer in der jüdischen Wohlfahrtspflege tätigen Breslauerin über die Stimmung der deutschen Bevölkerung in Breslau und Niederschlesien nach dem Pogrom‘ (Archiv Wiener Library London, Private reports on Jews in Germany, Nr. 046-EA-0450, S. 1–6), zitiert nach: Barkow, Ben/Gross, Raphael/Lenarz, Michael (Hrsg.): Novemberpogrom 1938. Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London. Frankfurt a. M. 2008, S. 274 f. 274 ALBINY, Wollmann: Bericht, S. 2. 275 Interview mit Klaus Trostorff, am 13. Mai 1996 in Erfurt, USC Visual History Archive, Int. Code 14862, Tape 1. 276 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 11. November 1938, Bd. 2, S. 539. 277 AYV, Walk, Alexander: Mein Leben als Landarzt in Nimkau, Kreis Breslau, Schle-
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3.4.2 Das Nachspiel – Deportation ins Konzentrationslager Buchenwald Heinz Hirschfeld, der als Vorsitzender des Breslauer Hechalutz-Büros tätig war, stand kurz vor seiner Abreise, die Mitte November 1938 nach Schweden erfolgen sollte. Dort wollte er sich in einem „Hachschara-Lager“ auf seine künftige Ausreise nach Palästina vorbereiten. Die Ereignisse des Novemberpogroms verhinderten jedoch sein Vorhaben. Am 11. November 1938 verhaftete ihn die Gestapo in seinem Büro in der Gartenstraße: […] Um 6 Uhr morgens wurden wir im Beth Chaluz durch lautes Klingeln und Klopfen geweckt: Aufmachen! Gestapo! […] Wir wurden nun erst zum Polizeirevier in der Gräbschenerstrasse gebracht, wo wir Haftbefehle bekamen – Ordnung muss sein! Nachher schob man uns ins Polizeipräsidium ab. Auf dem Wege zeigte man uns die Reste der großen Synagoge. Der Hof des Polizeipräsidiums war schon gedrängt voll mit ‚Inhaftierten‘. Nach Einbruch der Dunkelheit: Abmarsch. Wir wurden durch die Tauentzienstrasse zum Bahnhof getrieben. Die Vordersten wurden mehrmals plötzlich angehalten, die Hintersten angetrieben, so dass alle aufeinander prallten. Zu beiden Seiten der Strasse die Breslauer Bevölkerung, grölend, lachend, Witze reißend, spottend. Das waren mal unsere friedlichen Mitbürger. Wir, viele hundert Juden, wurden auf dem Bahnhof verladen, allerdings nicht in Viehwagen, sondern in alten Personenwagen. Wir fuhren die ganze Nacht, und konnten uns anhand der Stationen, an denen wir vorbei fuhren, vorstellen, dass wir auf dem Wege nach Weimar waren. In Weimar angekommen, warteten unsere Wachmannschaften, bis alle anderen Züge abgefahren waren, und dann: ‚Raus!!!‘ In der Unterführung, die vom Bahnsteig zur Strasse ging, wurden wir zusammengepfercht. Oben stand unsere ‚Empfangsdelegation‘, die SS. Nachdem wir zusammengepresst in der Unterführung standen, schlugen diese feinen Leute, die zum ‚Herrenvolk‘ gehören wollten, Wasser auf unsere Köpfe aus. Das war die Begrüßung. Danach wurden wir mit Schlägen auf die wartenden Lastautos getrieben, und ab nach Buchenwald. Viele hundert Breslauer Juden wurden durch das Tor gejagt. Auf dem Tor konnte man lesen: ‚Jedem das Seine‘. 278
Unter den verhafteten Breslauer Juden befand sich auch Paul Fabisch, der über seine Erlebnisse in Breslau und im Konzentrationslager Buchenwald sien, Bestand O.33 – Various Testimonies, Diaries and Memoirs Collection, Sig. 1403, S. 3. 278 Hirschfeld, Heinz: Novemberpogrom 1938 in Breslau. Erlebnisse eines Hechaluzsekretärs, in: MVBI, Nr. 53, 1989, S. 4, 11.
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im September 1945 der Jüdischen Historischen Kommission in Polen berichtete: Es war am 10. November 1938 morgens etwa gegen 9 Uhr. Stürmisches Läuten an der Flurtür. Als ich öffnete, drangen sich sieben SS Leute und ein Zivilist ins Entrée, nachdem sie mich brutal zur Seite stießen. ‚Wie heißen Sie‘ – fragte der Anführer dieser Rotte. Ich nannte ihm meinen Namen. Der Zivilist, anscheinend ein Kriminalbeamter, sah darauf eine lange Liste durch, auf der die Namen derer verzeichnet waren, die abgeholt werden sollten. […] ‚Sie kommen mit. Wenn Sie den Wunsch haben sollten, zu entfliehen, werden Sie auf der Stelle erschossen.‘ […] Wir fuhren zum Polizeipräsidium. Hier standen nun bereits einige hundert Juden. […] Nach ein paar Stunden Warten mussten wir alle antreten und nach einer weiteren Stunde marschierten wir, etwa 1.200 Menschen, ab. Nun begann der berüchtigte Leidensweg durch die Strassen der Stadt vom Polizeipräsidium bis zum Güterbahnhof des Breslauer Hauptbahnhofs! Dicht gedrängt umsäumten die Bewohner die Strassen, durch die sich unser Zug bewegen musste. Was uns von der aufgehetzten Menge an Schimpfworten und unflätigen Redensarten ins Gesicht geschleudert wurde, übersteigt alles, was mir je zu Ohren gekommen ist! Jeder von uns wird diese Stunde wohl Zeit seines Lebens nicht vergessen! […] Am nächsten Morgen kamen wir in Weimar an. Die Waggons wurden geöffnet und wir stiegen aus. Wer nicht schnell genug war, wurde herausgezerrt, gestoßen, getreten und den Bahnsteig heruntergejagt. Unten im Gang wurde angetreten mit dem Gesicht zur Wand. Hier wurde eine große Zahl der Kameraden mit Fußtritten, Schlägen mit Gewehrkolben traktiert und es gab die ersten Verletzten. 279
Der polnische Konsul in Breslau, Leon Koppens, informierte das Warschauer Außenministerium in einem Schreiben, dass am 10. November 1938 gegen 10 Uhr morgens der Pogrom und die systematische Demolierung aller jüdischer Geschäfte durch die SA- und SS-Einheiten beendet worden war. 280 Der Novemberpogrom markierte den vorläufigen Höhepunkt der bis dahin erlassenen antijüdischen Gesetze, vor allem aber kündigte er den Ausbruch antijüdischer Brutalität und Barbarei an, der in Synagogenbränden, 279 AYV, Fabisch, Paul: Tatsachenbericht über meine Erlebnisse und Beobachtungen während meiner Internierung im KZ Lager Buchenwald im Jahr 1938 (Bericht für die Jüdische Historische Kommission in Polen, verfasst am 14. September 1945 in Wrocław), Bestand M.49 E – ZIH-Testimonies, Sig. 1304, S. 1 ff. 280 Tomaszewski, Jerzy: ‚Noc Kryształowa‘ w relacjach polskich konsulatów, in: BŻIH, Nr. 2/3, 1980, S. 149–167, hier S. 152 f.
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Vandalismus, Plünderungen und Misshandlungen mündete. Nach den offiziellen Berichten wurden auf dem Gebiet des Deutschen Reiches während des Pogroms 91 Juden ermordet, 267 Synagogen zerstört, 177 jüdische Häuser und Wohnungen sowie etwa 7.500 jüdische Geschäfte demoliert. 281 Tatsächlich war die Dimension der Zerstörung größer. Ebenso war die Zahl der Opfer, unter anderem auch derjenigen, die Selbstmorde begangen hatten, viel höher, als aus den NS-Berichten ersichtlich wird. Hierüber berichtet der Arzt im Breslauer jüdischen Krankenhaus, Dr. Siegmund Hadda, dass „der erste Tag nach dem Novemberpogrom für die Ärzte des Krankenhauses mit viel Arbeit und voll tiefster seelischer Belastungen angefüllt war“. 282 Seinem Bericht zufolge rollten die Krankenwagen mit nur kurzen Unterbrechungen an das Krankenhaus heran und brachten fast ausschließlich Selbstmordfälle: „Die Unglücklichen waren bei Ankunft bereits tot oder schwer bewußtlos.“ 283 Im Anschluss an die Ausschreitungen während des Pogroms begann die Gestapo mit Massenverhaftungen der in Breslau wohnhaften jüdischen Männer. Schätzungen zufolge wurden während und unmittelbar nach dem Novemberpogrom 36.000 Verhaftungen im gesamten Deutschen Reich vorgenommen. Mehr als 26.000 jüdische Männer wurden anschließend in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. 284 Anlass zu diesen so weit ausgedehnten Verhaftungen im Deut281 Benz: Der Novemberpogrom, in: ders. (Hrsg.): Die Juden in Deutschland, S. 519. Die Wiener Library in London konnte bis Februar 1963 aufgrund von Zeugenberichten 412 völlig zerstörte Synagogen verzeichnen, wobei diese Zahl nicht vollständig ist. Salomon Korn geht von etwa 1.000 Synagogen und Bethäusern aus, die während des Pogroms und kurz danach zerstört wurden; Korn, Salomon: Synagogenarchitektur in Deutschland nach 1945, in: Schwarz, Hans-Peter (Hrsg): Die Architektur der Synagoge. Frankfurt a. M. 1988, S. 287–343, hier S. 309, zitiert nach: Rohde, Saskia: Die Zerstörung der Synagogen unter dem Nationalsozialismus, in: Herzig/Lorenz (Hrsg.): Verdrängung und Vernichtung, S. 153–172, hier S. 169 f. 282 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 221; vgl. Hartmann: Once a Doctor, S. 28. 283 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 221. 284 Pollmeier, Heiko: Die Verhaftungen nach dem November-Pogrom 1938 und die Masseninhaftierung in den ‚jüdischen Baracken‘ des KZ Sachsenhausen, in: Morsch, Günther/zur Nieden, Susanne (Hrsg.): Jüdische Häftlinge im Konzentra-
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schen Reich war der Befehl des Amtsleiters des Geheimen Staatspolizeiamtes, Heinrich Müller, der am 9. November 1938 kurz vor Mitternacht allen Gestapostellen die Verhaftung von 20.000 bis 30.000 Juden im Deutschen Reich befahl. 285 Reinhard Heydrich gab in seinem erwähnten Schreiben an die Breslauer Staatspolizeistellen weitere Anweisungen zur Durchführung des Pogroms: Dass „in allen Bezirken so viele Juden festzunehmen seien – vor allem wohlhabende – als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können. […] Nach Durchführung der Festnahme ist unverzüglich der Kontakt mit den zuständigen Konzentrationslagern wegen schnellster Unterbringung der Juden in den Lagern aufzunehmen. Es ist besonders darauf zu achten, dass die aufgrund dieser Weisung festgenommenen Juden nicht misshandelt werden.“ 286 Die letzte Anweisung wurde jedoch nicht strikt verfolgt, denn nach einigen Hinweisen in Berichten wurden an mehreren Orten Festgenommene misshandelt. Den Anweisungen zufolge begann die Breslauer Gestapo am 10. und 11. November 1938 jüdische Männer, unter denen sich Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren, aber auch ältere Gemeindemitglieder befanden, festzunehmen. 287 Von den neun Mitgliedern des Vorstandes der Breslauer jüdischen Gemeinde wurden sechs verhaftet. Die drei zurückgebliebenen Mitglieder des Vorstands wurden als alleinverantwortlich für Gemeindeangelegenheiten eingesetzt, unter Androhung schwerer Strafen für unerlaubte Aktivitäten. 288 Unter den Verhafteten befand sich auch der orthodoxe Gemeinderabbiner, Dr. Moses Hoffmann. 289 Die männlichen Mitglieder der
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tionslager Sachsenhausen 1936 bis 1945. Berlin 2004, S. 164–179, hier S. 164. Infolge der Novemberpogrome wurden im KZ Buchenwald 9.845, im KZ Dachau 10.911 und im KZ Sachsenhausen ca. 6.000 jüdische Männer inhaftiert, siehe, Garbe: Absonderung, Strafkommandos und spezifischer Terror, in: Herzig/Lorenz (Hrsg.): Verdrängung und Vernichtung, S. 183. Bundesarchiv Koblenz, Bestand Reichssicherheitshauptamt, Sig. R 58/242, Bl. 124, zitiert nach: Konieczny, Alfred: Problem Żydów aresztowanych w pogromach ‚nocy kryształowej‘ 1938 roku, in: SFZH, Nr. 29, 2007, S. 215–228, hier S. 215. Hoffman: Noc Kryształowa, S. 80. Tomaszewski: ‚Noc Kryształowa‘, S. 152 f. AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 1. ‚Rabbiner Dr. Moses Hoffmann s. A.‘, in: MVBI, Nr. 45, April–Mai 1979, S. 20 f.; vgl. Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 26. November 1938, Bd. 2, S. 555.
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Belegschaft des Breslauer jüdischen Krankenhauses sowie alle gehfähigen Patienten wurden am Morgen nach dem Pogrom verhaftet, mit Ausnahme der Ärzte, die man für direkte medizinische Behandlungen benötigte. 290 Die festgenommenen jüdischen Männer wurden in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Zwischen dem 11. und 14. November 1938 lieferte man insgesamt 9.828 Juden aus, die als „Aktionsjuden“ bezeichnet wurden, in dieses Konzentrationslager ein. 291 Am 11. November 1938 kamen 963 jüdische Männer aus Breslau an und am darauffolgenden Tag weitere 811 Personen. 292 Im Zuge des Pogroms verhaftete man 2.471 jüdische Männer, also etwa ein Fünftel der Breslauer jüdischen Bevölkerung, und verschleppte sie nach Buchenwald. 293 Die Massenverhaftungen von Juden infolge des Novemberpogroms waren von Beginn an nicht auf eine dauerhafte Internierung ausgerichtet, sondern hatten zum Ziel, den Auswanderungsdruck durch Demütigungen zu beschleunigen. In den meisten persönlichen Berichten, Erinnerungen und Memoiren der Breslauer Juden, die von ihrer Verhaftung in Breslau berichten, kommt ihre tiefe Erschütterung deutlich zum Ausdruck. Zum ersten Mal hatten sie ein solches Ausmaß an Willkür erlebt. In den folgenden Wochen der Haft im KZ Buchenwald sollten sie weiteren Schikanen und Folterungen ausgesetzt werden. Bereits die Ankunft in Weimar erwies sich für die meisten als ein traumatisches Erlebnis, so auch für den damals aus Breslau verschleppten 60-jährigen Arthur Aron Hirschmann: In dem berüchtigten Weimar früh um 6 Uhr angekommen, jagten uns die Nazis unter nicht misszuverstehenden Drohungen aus den Abteilen und nun trat die Weimarer Schutzpolizei in ihre Rechte. Wir wurden durch den Tunnel wie ein gehetztes Wild mit Peitschenhieben und Fußtritten und teilweise mit Gummikuppeln gejagt und misshandelt. Es ist mir noch in ganz deutlicher Erinnerung, wie ein Junge, ein Bekannter von mir namens Arthur Feltenberg, von diesen infamen Schurken zu Boden geschlagen und in der übelsten Weise zugerichtet wurde. So kamen wir unter Flüchen, Schlägen und Verwünschungen bis an die zum Transport nach Buchenwald bestimmten Lastautos. Nochmals hagelte es 290 AYV, Hadda: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses, S. 3; vgl. Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 221. 291 Stein, Harry: Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945. Göttingen 2008, S. 111. 292 Ebd., S. 114. 293 Stein: Juden in Buchenwald, S. 42.
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Puffe, Schläge und Beschimpfungen. Ich bekam, da ich als 60jähriger Kriegsverletzter des Ersten Weltkriegs nicht schnell genug das ziemlich hohe Auto erklimmen konnte, gleichfalls einen wuchtigen Hieb ab, der mich für einige Minuten besinnungslos machte. 294
Im Konzentrationslager Buchenwald, in dem die Gefangenenzahl infolge der Verhaftungen während des Pogroms von circa 9.800 auf 19.678 angewachsen war, wurden die jüdischen Häftlinge in fünf direkt neben dem Appellplatz liegenden, scheunenähnlichen Notbaracken zu je 2.000 Menschen untergebracht. 295 Die Bedingungen in diesen Baracken, die als jüdisches „Sonderlager“ vom restlichen Lagergelände durch Stacheldraht abgetrennt wurden, waren katastrophal. 296 In den folgenden Wochen der KZ-Haft erreichte der Terror die extremsten Formen: Die jüdischen Häftlinge wurden immer wieder verhöhnt, geprügelt, gedemütigt und gefoltert. 297 Salo Alfred Sklarz, Lehrer des Breslauer jüdischen Reformgymnasiums, kam am 12. November 1938 zusammen mit anderen Breslauer jüdischen Männern im Konzentrationslager Buchenwald an. Er verblieb dort zwei Monate in Haft und 294 AYV, Hirschmann, Aron Arthur: Bericht an das Historische Institut der Jüdischen Kultus-Gemeinde in Bensheim (verfasst am 24. März 1947 im Displaced Persons Camp Bensheim), Bestand M.1 E – Central Historical Commission in Munich, Testimonies Collection, Sig. 1088, S. 2. 295 Stein: Konzentrationslager Buchenwald, S. 111 f.; Garbe: Absonderung, Strafkommandos und spezifischer Terror, in: Herzig/Lorenz (Hrsg.): Verdrängung und Vernichtung, S. 184; AYV, Striem, Hermann: Meine Verhaftung und Aufenthalt in Buchenwald anlässlich des Judenpogroms im November 1938, Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 1001, S. 2. 296 Stein, Harry: Das Sonderlager im Konzentrationslager Buchenwald nach den Pogromen 1938, in: Kingreen, Monica (Hrsg.): ‚Nach der Kristallnacht‘. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945. Frankfurt a. M./New York 1999, S. 19–54, hier S. 24 f. 297 Siehe unter anderem: AYV, Rosten, P.: Experiences in the Buchenwald Concentration Camp (verfasst im Januar 1950), Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 145, S. 3; AYV, Hirschmann: Bericht an das Historische Institut, S. 2; AYV, Fabisch, Tatsachenbericht; AYV, Striem: Meine Verhaftung; Sklarz, Alfred Salo: Erinnerungen an meine Haftzeit im Konzentrationslager Buchenwald (verfasst 1955 in London), in: MVBI, Nr. 83, 2008, S. 3–5, hier S. 4 f.; ALBINY, Newton, Harvey: Erinnerungen an das KZ Buchenwald, November–Dezember 1938 (verfasst im April 1994 in Escazu, Costa Rica), in: Harvey P. Newton Collection 1920–2000, Sig. AR 5827, MM II 22, MF 963.
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wurde zum Zeugen von Misshandlungen und Morden. In seinen Erinnerungen, die er 1955 in London niederschrieb, berichtet er über seine Haftzeit in Buchenwald: Abgesehen von dem Vorfall im Weimarer Bahnhof, wo ich selbst misshandelt wurde und einen Schlag des SA-Mannes mit Gewehrkolben auf den Hinterkopf bekam, habe ich verschiedene Misshandlungen anderer jüdischen Häftlinge mit angesehen. Das erschütterndste Ereignis meiner Haftzeit jedoch fand am 21. Dezember 1938 statt, als am Abend ein Mann erhängt wurde. Die jüdischen Häftlinge mussten antreten und die ‚Zeremonie‘ mit ansehen, den Aufmarsch der SS auf dem taghell erleuchteten Appellplatz, die Exekution, und den Abmarsch. Tage vorher hatten die Vorbereitungen dafür begonnen und vielleicht zwei Tage danach hing das Opfer noch am Galgen. 298
Salo Sklarz wurde am 5. Januar 1939 aus der Haft entlassen. Anfang August 1939 wanderte er mit seiner Frau Ruth und zwei kleinen Kindern, Benjamin und Eva, nach England aus, wo er sich in London niederließ. 299 Der 1919 in Breslau geborene Menachem Frischler wurde am 10. November 1938 in Breslau verhaftet und anschließend in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Ähnlich wie für Salo Alfred Sklarz war die KZ-Haft für Menachem Frischler das erste traumatische Erlebnis. Er berichtet darüber in einem Interview: […] Die Zeit im Konzentrationslager war natürlich sehr, sehr schwer gewesen, vor allem die enormen Schikanen und die Sachen, die man mit eigenen Augen mit ansehen musste. Ich persönlich hatte diesen Schlag, den ich am Bahnhof bekommen habe und nach dem der Hinterkopf mir sehr geschmerzt hat. […] vor allen Dingen, als man mir die Haare hat runter geschoren, das hat sehr, sehr weh getan. Und die Schikane und die verschiedenen Strafsachen, die wir mit ansehen mussten … Also da hat es diese berühmten Strafen gegeben: 25-mal auf den Arsch, da hat man die Leute auf eine Pritsche gezerrt und vier, fünf SSLeute schlugen mit Stöcken und Peitschen abwechselnd auf diese ein. Oder das 298 Sklarz: Erinnerungen an meine Haftzeit, S. 3 ff.; vgl.: Interview mit Benjamin Sklarz, 2010 in Petach Tikwa/Israel, AA. Salo Alfred Sklarz berichtet von der Hinrichtung des Sozialdemokraten Peter Forster, der im Mai 1938 mit einem anderen Häftling bei einem Fluchtversuch einen SS-Mann getötet hatte. Am 21. Dezember 1938 erhängte ihn die SS an einem auf dem Appellplatz errichteten Galgen vor allen zum Appell angetretenen Gefangenen, siehe: Stein: Das Sonderlager, in: Kingreen (Hrsg.): Nach der Kristallnacht, S. 45. 299 Interview mit Benjamin Sklarz, 2010 in Petach Tikwa, AA.
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berühmte Hängen, wie die Leute an den Armen verkehrt aufgehängt wurden. Einige mussten als Strafe 20 Stunden stehen, man hat sie von früh bis abends stehen gelassen, am nächsten Tag mussten sie wieder stehen. Diese schrecklichen Strafen, die es gab … Diese Tyrannei, das war natürlich schrecklich alles. 300
Am 9. Januar 1939 wurde Menachem Frischler aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen. Bereits im Mai 1939 gelangte er dank der Unterstützung der Breslauer jüdischen Gemeinde und des „Palästina-Amtes“ 301 in das „Hachschara-Lager Gut Winkel“. Am 1. November 1941 kam er auf dem Schiff „Patria“ in Haifa an und wurde anschließend durch das englische Militär interniert. Menachem Frischler ließ sich 1945 in Rehovot nieder. 302 Die im Lager Buchenwald herrschenden Krankheiten, der Hunger und der tägliche Terror forderten Hunderte von Menschenleben. Innerhalb der ersten sechs Wochen nach dem Novemberpogrom kamen in dem „Sonderlager“ des KZ Buchenwald 227 jüdische „Aktionshäftlinge“ ums Leben, darunter 35 jüdische Männer aus Breslau. 303 Unter den ersten Opfern war auch der Vater von John Baer, der 1878 in der Provinz Posen geborene und seit vielen Jahren in Breslau wohnhafte Kaufmann Bernhard Baer. Am 11. November 1938, unmittelbar nach seiner Ankunft im KZ Buchenwald, verstarb Bernhard Baer an Herzinfarkt durch Folter. 304 An die Umstände des Todes
300 Interview mit Menachem Frischler (ehemals Erich Frischler), am 21. August 1997 in Rechovot/Israel, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 35925, Tape 1. 301 Das ‚Palästina-Amt‘ der ‚Jewish Agency‘ förderte die Auswanderung nach Palästina, unter anderem, indem sie Einwanderungszertifikate verteilte. Das Amt wurde 1918 in Wien gegründet und hatte seinen Hauptsitz in Berlin mit zahlreichen Zweigstellen, darunter in Breslau. Im April 1941 wurde das ‚Palästina-Amt‘ aufgelöst und der ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland‘ eingegliedert. 302 Interview mit Menachem Frischler, am 21. August 1997 in Rechovot, USC Visual History Archive, Int. Code 35925, Tape 2, 3, 4. 303 Stein: Konzentrationslager Buchenwald, S. 115; ders.: Juden in Buchenwald, S. 59–63. Insgesamt wurden 255 Opfer des ‚Sonderlagers‘ in der Lagerstatistik ermittelt, Stein: Das Sonderlager, in: Kingreen (Hrsg.): Nach der Kristallnacht, S. 46. 304 Stein: Juden in Buchenwald, S. 59; Interview mit John J. Baer, am 14. April 1996 in Los Angeles, USC Visual History Archive, Int. Code 14168, Tape 1; Baer: Witness for a Generation, S. 38 f.; AYV, Hirschmann: Bericht an das Historische Institut, S. 2.
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von Bernhard Baer erinnert sein Mithäftling, Arthur Aron Hirschmann, in seinen Aufzeichnungen: Das Essen im Lager war nur ganz selten einigermaßen ausreichend, dafür hagelte es aber von Flüchen, Schlägen und schweren Misshandlungen, wie Anbinden, Schlägen mit Stahlruten etc. Als wir am ersten Tag in tadellos ausgerichteten Reihen stundenlang bei großem Sonnenbrand dastanden, drohte einer von uns, ein gewisser schwer herzleidender Breslauer Jude namens Bernhard Baer, umzufallen. Wir wollten ihm selbstverständlich helfen und geradezu todesmutig sprang ein inzwischen verstorbener Breslauer Arzt ihm hilfreich zur Seite. Nur durch das Mitleid eines politischen Kapos blieb dieser von dem Schicksal verschont, für seine menschenfreundliche Tat selbst von den Verbrechern ermordet zu werden. Der arme unglückliche Baer musste im halb toten Zustand sich nochmals in die Reihe begeben, bis er leblos umfiel. Nach kurzer Zeit verstarb er unter einem schattigen Baume liegend, vor unseren Augen. 305
Kurz darauf wurde Marta Baer, Bernhard Baers Ehefrau, zur Breslauer Gestapostelle vorgeladen. Als sie dort eintraf, teilten ihr die Gestapobeamten mit, dass ihr Ehemann einen tödlichen Herzinfarkt während seiner „Schutzhaft“ in Buchenwald erlitten habe, und überreichten ihr einen Karton mit der Asche ihres Ehemannes. Bernhard Baer wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Lohestraße beigesetzt. 306 Etwa zwei Wochen nach dem Novemberpogrom erfolgten die ersten Entlassungen, in der Regel aufgrund von Nachweisen einer Auswanderungsmöglichkeit und unter Androhung erneuter KZ-Haft bei einer Rückkehr. Die erste größere Entlassungswelle aus dem Konzentrationslager Buchenwald fand Mitte Dezember 1938 statt und betraf diejenigen Häftlinge, die ihre Frontkämpfer-Urkunden aus dem Ersten Weltkrieg vorlegen konnten. In Breslau angekommen mussten sich die ehemaligen Häftlinge regelmäßig bei der Gestapo melden, um nachzuweisen, inwieweit sie in ihren Auswanderungsbestrebungen weitergekommen waren. 307 305 Ebd., S. 2; vgl. AYV, Rosten: Experiences in the Buchenwald Camp, S. 4. 306 Baer: Witness for a Generation, S. 39; vgl. Interview mit John J. Baer, am 14. April 1996 in Los Angeles, USC Visual History Archive, Int. Code 14168, Tape 1. 307 Unikower, Franz: Novemberpogrom 1938 in Breslau. Erinnerungen, in: MVBI, Nr. 53, 1989, S. 4–5, hier S. 5; AYV, Hirschmann: Bericht an das Historische Institut, S. 3; AYV, Rosten: Experiences in the Buchenwald Camp, S. 8.
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Praktisch jede jüdische Familie in Breslau war von dieser Verhaftungswelle betroffen und vermisste Väter, Brüder, Söhne und Großväter, die im Konzentrationslager waren. Die Todesmeldungen aus dem Lager verschärften den Eindruck einer unmittelbaren Lebensgefahr unter den Verbliebenen. An den Folgen ihrer KZ-Haft hatten die meisten Befreiten noch lange zu leiden. Für viele der ehemaligen KZ-Häftlinge brachten nicht nur die überstürzten Ereignisse des Novemberpogroms und die Zerstörungsaktionen einen tiefen Einbruch in ihre Leben. Die erlittenen physischen und psychischen Strapazen, die Zeugenschaft von Misshandlungen und Gewaltakten bewirkten einen nachhaltigen Schock, der viele noch jahrzehntelang in der Emigration begleitete.
3.4.3 Folgen des Pogroms Die vorangegangenen fünf Jahre voller Drangsalierungen und Diskriminierungen wurden durch den Pogrom in den Schatten gestellt, in dem Gotteshäuser angezündet, Geschäfte zerschlagen und Juden öffentlich misshandelt und in Massen verhaftet wurden. Die Juden in Breslau standen unter Schock. Die veränderte Realität stellte die Leitung der Breslauer Gemeinde vor unlösbare neue Aufgaben: Ihr wurde durch diese dramatischen Ausschreitungen bewusst, dass sie von jetzt an die Breslauer Juden nicht nur zu beraten und betreuen hatte, sondern sie vielmehr deren Leben und deren physische Unversehrtheit zu verteidigen hatte. Am 15. November 1938 benachrichtigte die Breslauer Gestapo die drei Vertreter des Gemeindevorstandes, Georg Less, Willi Gluskinos und Ludwig Korett, dass die jüdische Gemeinde ihre Arbeit, unter Aufsicht der Gestapo, wieder ausführen müsse. Am 18. November 1938 nahm die Breslauer Gemeinde als Erste in Deutschland ihre Arbeit wieder auf. Angeblich war sie die erste im Deutschen Reich, die nach dem Novemberpogrom die Erlaubnis erhielt, wieder Gottesdienste abzuhalten. 308 Kurz darauf fanden die Sabbatgottesdienste in den kleinen, unzerstörten Synagogen im jüdischen Schulgebäude am Rehdigerplatz und im jüdischen Krankenhaus statt. 309 In der zwar verwüsteten, aber noch vorhan308 AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 1. 309 Ebd.
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denen konservativen Synagoge „Zum Weißen Storch“ wurden ebenfalls Gottesdienste abgehalten. Das Gesetz gegen den Wiederaufbau der zerstörten Synagogen vom 12. November 1938 erlaubte Reparaturen, sodass die Erlaubnis erteilt wurde, die „Storch Synagoge“ zu reparieren, die während des Pogroms vollkommen ausgeplündert worden war. 310 Orthodoxer, beziehungsweise konservativer und liberaler Gottesdienst wurden an Sonnabenden und jüdischen Feiertagen nacheinander abgehalten. Während der Woche fanden im Gemeindehaus in der Wallstraße Gottesdienste statt. Der orthodoxe Rabbiner Dr. Bernhard Hamburger gab dort nach dem Nachmittagsgottesdienst zweimal wöchentlich Vorlesungen. 311 In der konservativen Synagoge „Zum Weißen Storch“ wurde auch ein Harmonium in die Mitte gestellt, das für die liberalen Gottesdienste bestimmt war. 312 Gottesdienste wurden auch in jüdischen Institutionen abgehalten: in der jüdischen Schule am Rehdigerplatz, im „Beate-Guttmann-Altenheim“ und im jüdischen Krankenhaus, wo der Gottesdienst auf Kranke und Personal beschränkt war. 310 Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, S. 289. 311 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA; Arkwright, Kenneth James: Das letzte Gebet, in: MVBI, Nr. 32, September 1974, S. 15–16, hier S. 14 f.; ders.: Gedenksteine. Eine kleine Betrachtung, in: MVBI, Nr. 61, 1996, S. 4–5, hier S. 4; Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 230; Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 1. und 2. Juni 1941, Bd. 2, S. 942. Rabbiner Bernhard Hamburger betätigte sich ab 1908 als Religionslehrer in Breslau und amtierte zunächst in der orthodoxen ‚Altglogauer-Schul‘. Nachdem 1939 der orthodoxe Gemeinderabbiner Dr. Moses Hoffmann nach Palästina emigriert war, übernahm er seinen Posten und amtierte in der ‚Synagoge zum Weißen Storch‘. Bernhard Hamburger wurde am 4. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er vermutlich kurz nach seiner Ankunft ermordet wurde, Hauschner: Rabbiner Hamburger, S. 16; Brocke/Carlebach: Das Biographische Handbuch der Rabbiner, S. 269 f.; Yad Vashem The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony (Gedenkblatt eingereicht von Miriam Nussbaum, Tochter des Rabbiners Bernhard Hamburger), http://db.yadvashem.org (abgerufen am 21. Februar 2013). 312 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya, AA; vgl.: Arkwright: Gedenksteine, S. 4. Auch Willy Cohn notierte am 6. November 1939 in seinem Tagebuch, dass in der konservativen ‚Storch-Synagoge‘ ein Harmonium aufgestellt wurde. Nach dem orthodoxen beziehungsweise konservativen Ritus waren ein Harmonium oder eine Orgel im Gotteshaus und ihre Benutzung während des Gottesdienstes nicht zulässig, Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 6. November 1939, Bd. 2, S. 714.
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Zu besonderen Anlässen und jüdischen Feiertagen wurden Gottesdienste für die liberale Gemeinde im Auditorium des jüdischen „Freunde-Saals“ abgehalten, wo die Orgel von Rabbiner Reinhold Lewin gespielt wurde. 313 Rabbiner Lewin zeichnete sich durch einen unermüdlichen Optimismus aus. Kenneth Arkwright, der mit seinem Sohn Ulrich Lewin befreundet war und das Rabbinerhaus öfters besuchte, erinnert sich an seine Reaktion kurz nach dem Novemberpogrom: „Der Rabbiner Lewin blickte aus seiner Wohnung auf die Ruinen der Neuen Synagoge und betrachtete den Schutt dieses vormals prachtvollen Gebäudes. Er wandte sich zu uns und sagte: Wir werden überleben und dann werden wir alles wieder aufbauen müssen.“ 314 Rabbiner Reinhold Lewin wurde am 4. März 1943 gemeinsam mit seiner Ehefrau sowie seiner Tochter und dem Sohn in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. 315 Der Novemberpogrom brachte unter anderem das Ende jeder wirtschaftlichen Tätigkeit der Breslauer Juden mit sich. 316 Bis dahin hatten sie ihre Geschäfte und Firmen auf erstaunliche Weise erhalten und sich auf diesem Gebiet noch behaupten können. Diese Handlungsspielräume wurden mit dem Pogrom zunichtegemacht. Der Breslauer Jurist Ernst Marcus, der noch vor dem Novemberpogrom am 15. September 1938 Breslau Richtung USA verlassen hatte, berichtet über die Lage der Juden in Breslau in seinen Erinnerungen: Eine Verschlechterung in der Lage der Juden trat deutlich um die Wende des Jahres 1937/38 ein. […] Zwar hatten auch die Jahre 1935/37 entgegen allen Erklärungen wirtschaftliche Maßnahmen gegen die Juden gebracht, […] und 313 AYV, Jüdisches Leben in der Provinz Schlesien und in Breslau 1940/41 (Anonym), Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 483, S. 5. 314 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA; vgl. Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 31. 315 Ebd.; vgl. Neufeld: Zum Andenken an Reinhold Lewin, S. 15. 316 Vgl. Barkai, Avraham: ‚Schicksalsjahr 1938‘. Kontinuität und Verschärfung der wirtschaftlichen Ausplünderung der deutschen Juden, in: Pehle, Walter H. (Hrsg.): Der Judenpogrom 1938. Von der ‚Reichskristallnacht‘ zum Völkermord. Frankfurt a. M. 1988, S. 94–117, hier S. 95; Bajohr, Frank: ‚Arisierung‘ als gesellschaftlicher Prozess. Verhalten, Strategien und Handlungsspielräume jüdischer Eigentümer und ‚arischer‘ Erwerber, in: Hayes, Peter/Wojak, Irmtrud (Hrsg.): ‚Arisierung‘ im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis. Frankfurt a. M./New York 2000, S. 15–30, hier S. 18.
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daneben ging der inoffizielle Kampf weiter mit dem Verbot für Beamte, in jüdischen Geschäften zu kaufen und mit ‚aufklärendem Unterricht‘ in den Schulen und Boykott aller Art. […] Ein großer Teil der jüdischen Geschäfte hatte bis in das Jahr 1937 gute Erfolge aufzuweisen. Ein Teil meiner Klienten hatte noch 1936 ein gutes Weihnachtsgeschäft gehabt. (…) Während des Sängerfestes 1937 317 waren jüdische Geschäfte zeitweise so voll, dass sie vorübergehend schließen mussten. Gegen Ende 1937 änderten sich die Dinge allmählich. Im April 1938 ergingen die neuen Judengesetze: Verkäufe und Verpachtungen jüdischer Geschäfte und Unternehmungen bedürfen behördlicher Genehmigung: Juden und Vertreter von Juden machen sich strafbar, wenn sie bei einem Vertragsschluss nicht erkennbar machen, dass es sich um einen jüdischen Vertragsgegner handelt; Juden haben eine genaue Aufstellung ihres gesamten Vermögens einzureichen. 318
Am 26. April 1938 begann mit der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ ein Prozess, der die vollständige Zerstörung jüdischer Gewerbetätigkeit und die „Arisierung“ ihrer Betriebe zum Ziel hatte. 319 Der Pogrom beschleunigte diesen Verlauf, indem er die „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ bis zum Ende des Jahres einleitete. 320 Die in der Sitzung im Reichsluftfahrtministerium unter Hermann Görings Vorsitz am 12. November 1938 diskutierten Forderungen zur Entrechtung der Juden fanden ihren Niederschlag in zunächst drei Erlassen zur „Wiederherstellung des Straßenbildes“, zur „finanziellen Sühneleistung“ und zur „Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“. Die im Zusammenhang mit der Besprechung vom 12. November 1938 herausgegebenen Erlas317 Das ‚Deutsche Sängerfest‘ fand in Breslau vom 28. Juli bis 1. August 1937 statt. 318 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 50 f. 319 Aly, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt a. M. 2005, S. 55 f. Der Begriff ‚Arisierung‘ kam Mitte der 1930er-Jahre in der Behördensprache zum Ausdruck. Im Allgemeinen fand dieser ökonomische Verwendung, bezeichnete den Prozess der wirtschaftlichen Verdrängung, Abschaltung und Existenzvernichtung der Juden und einen Transfer des Eigentums von ‚jüdischen‘ in ‚arischen‘ Besitz. Der Begriff wurde auf weitere Bereiche ausgedehnt, wie z. B. Verdrängung aus dem Berufsleben etc. 320 Zum Thema ‚Arisierung‘ in Breslau siehe: Bräu: ‚Arisierung‘ in Breslau; Loose: Nazi Persecution and Strategies for Survival; Połomski: Prawo własności; ders.: Die ‚Arisierung‘ des jüdischen Vermögens in Schlesien 1933–1945; ders.: ‚Aryzacja‘ mienia żydowskiego na Śląsku; ders.: Konfiskata spadku rodziny Schottländerów; ders.: Zawłaszczenie i sprzedaż cmentarzy żydowskich.
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se und Durchführungsverordnungen schlossen die Juden aus dem Wirtschaftsleben aus, verboten ihnen die Herstellung jeglicher materieller Produkte sowie die Ausübung von Handwerksberufen, öffentlichen Diensten und Kleinhandel. Leitende Stellungen in Betrieben und Unternehmen wurden ihnen gleichfalls untersagt. Die zynisch als „Sühneleistung“ bezeichnete Kontribution in Höhe von einer Milliarde RM war bis August 1939 aufzubringen und brachte dem NS-Regime einen beträchtlichen Gewinn ein. 321 Der „Arisierungsprozess“ in Breslau, der bereits 1933 eingesetzt hatte, hatte zur Folge, dass das jüdische Eigentum, welches nicht ins Ausland gebracht wurde, im Zeitraum von 1933 bis 1945 in die Hände anderer deutscher Bürger beziehungsweise des Staates überging. Dass es sich im Falle von Breslau um einen sehr bedeutenden Wert handelte, spiegelt das Schreiben des Oberbürgermeisters von Breslau, Hans Fridrich, an den Oberfinanzpräsidenten von Schlesien vom 23. Januar 1939 wider, wonach Fridrich das gegenwärtige Vermögen der Breslauer Juden auf höchstens 120 Millionen RM und mindestens 70 Millionen RM schätzte. 322 Den rechtmäßigen Eigentümern ist kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September 1939 von diesem Betrag nichts übrig geblieben. Wenn es im Mai 1937 noch etwa 2.000 jüdische Geschäfte in der Stadt gab, waren bis zum Novemberpogrom nur noch 288 jüdische Einzelhandelsgeschäfte verzeichnet, von denen 280 bis Ende 1938 aufgelöst und acht „arisiert“ wurden. 323 Daran wird ersichtlich, dass der Schwerpunkt der Verdrängung jüdischer Unternehmer in die zweite Jahreshälfte 1937 beziehungsweise in die erste Jahreshälfte 1938 fiel. Die Arisierung erfolgte in einer besonderen Atmosphäre, deren wesentliches Element direkter oder auch indirekter physischer beziehungsweise psychischer Zwang war. Symptomatisch für diese Prozesse, die Hunderte Breslauer Familien betrafen, ist das Schicksal der Familie Aufrichtig. Die Familie besaß in Breslau 321 Das Breslauer Finanzamt belegte in Breslau-Süd etwa 3.500 Juden, 527 in BreslauMitte, 116 in Breslau-Nord und 51 Juden im Landkreis Breslau mit diesem Tribut. In die Kassen der Finanzämter flossen allein aus der Stadt Breslau 33 Millionen 862 Tausend RM, davon 30 Millionen aus dem Stadtbezirk Breslau-Süd, siehe: Jonca: Jüdisches Leben in Breslau, in: Hajo (Hrsg.): Zweiseelenstadt, S. 39 f. 322 Archiwum Państwowe we Wrocławiu (APWr), Urząd Skarbowy Prowincji Dolnośląskiej we Wrocławiu (USPD), Sig. 2852, Bl. 523. 323 Loose: Jüdische Unternehmer in Breslau, S. 5.
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eine Damenmantelfabrik sowie in Berlin die Schuhfabrik „Basch und Aufrichtig“. 324 Im Januar 1933 lebte die Familie noch in einem schönen Viertel Breslaus: in einer 15-Zimmerwohnung in der Charlottenstraße. Ab 1933 beeinträchtigten die antijüdischen Maßnahmen des NS-Regimes das Leben der Familie Aufrichtig. Kenneth Arkwright erinnert sich an diese Zeit: Diese Ereignisse beeinträchtigten unser Leben in vielerlei Hinsicht. Das Einkommen reichte nicht mehr aus, um unseren großen Haushalt aufrechtzuerhalten. Wir mussten unseren Lebensstil an die neuen Umstände anpassen und so zogen wir in eine Vierzimmerwohnung in der Gabitzstraße. Selbst dort sahen wir uns dazu gezwungen, noch zwei Zimmer unterzuvermieten, um über die Runden zu kommen. 325
Der Betrieb der Familie Aufrichtig wurde bereits 1936 „arisiert.“ Der Vater von Kenneth Arkwright, Rudolf Aufrichtig, fand zunächst Anstellung in einem kleinen jüdischen Laden, dem „Schuhhaus – Ideal“ in der Neuen Taschenstraße. Während des Novemberpogroms wurde auch dieses Geschäft zerstört und anschließend „arisiert“. 326 Am 14. Dezember 1938 wurde Rudolf Aufrichtig zum Zwangsarbeitseinsatz für das Bauunternehmen Carl Nicolai in Werlte bei Hannover eingesetzt. Hier fanden sich die Breslauer, Wiener und Berliner Juden zum Autobahnbau zusammen. 327 Noch einmal sei hier Kenneth Arkwrights Erfahrung aus dieser Zeit zitiert: Meines Vaters Lohn, den er während des Arbeitseinsatzes in Werlte erhielt, reichte nicht aus, um unsere Familie zu unterhalten. Somit setzte sich unser unaufhaltsamer Abstieg fort. Am 22. Februar 1939 mussten wir all unsere Edelsteine, unser Gold und unser Silber abgeben. Zusammen mit anderen jüdischen Familien musste meine Mutter den ganzen Tag lang vor dem städtischen Pfandhaus anstehen, beladen mit zwei Wäschekörben voller Silberbesteck, Sabbatkerzenleuchter, Diamantenringe, Golduhren und Silberverzierung, die unser Haus über Jahre stolz geschmückt hatten. Die Nationalsozialisten ermutigten zudem zu einer Demütigung derer, die in der Schlange standen, durch Passanten und Zuschauer. Wir konnten nicht ahnen, dass wir bald wieder an derselben Stelle stehen würden, diesmal mit unseren Radioapparaten, die Juden auch nicht mehr 324 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 325 Ebd. 326 Arkwright, Kenneth: Unvergessene junge Freunde, in: MVBI, Nr. 62, 1997, S. 8– 9, hier S. 8. 327 Ebd.
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besitzen durften. Am 23. September 1939 war Yom Kippur. Ausgerechnet am wichtigsten jüdischen Feiertag hinderte die Gestapo die Juden daran, in die Synagoge zu gehen, und ließ sie stattdessen in der Herbstkälte auf der Straße stehen. 328
Schrittweise wurde der Familie Aufrichtig ihr Besitz genommen. Sie durfte nun nicht mehr im selben Haus mit „Ariern“ wohnen oder in denselben Geschäften einkaufen. So musste die Familie Aufrichtig erneut ihre bisherige Wohnung aufgeben und in das Zimmer des Hausmeisters im Keller des Breslauer Kinderhauses in der Gräbschenerstraße einziehen, wo Rudolf Aufrichtig Anstellung fand. Die Wohnungseinrichtung musste verkauft werden, um die Ausstattung von mehreren Zimmern auf ein Zimmer zu reduzieren. 329 Dr. Siegmund Hadda, Arzt im jüdischen Krankenhaus, verlor wie Familie Aufrichtig sein ganzes Vermögen: Die Bedingungen, unter denen die Juden leben mussten, verschlechterten sich ständig. Kurz vor Kriegsausbruch wurde der jüdische Grundbesitz ‚arisiert‘. Auch ich verlor mein geliebtes Haus, in dem wir solange glücklich gewesen waren[,] und musste eine kleine Wohnung im Jüdischen Krankenhaus beziehen, die ich aber mit dessen Beschlagnahme verlor. 330
Wie anhand der zitierten Berichte von Kenneth Arkwright und Siegmund Hadda ersichtlich wird, hatte die Verarmung in der Zwischenzeit vor niemandem in der jüdischen Gemeinde haltgemacht. Die Familie von Willy Cohn kämpfte auch mit der sich rapide verschlechternden finanziellen Situation: […] man muss sich jetzt sehr den Kopf zerbrechen, welche Zahlungen zum Monatsersten die dringlichsten sind; es ist immer noch ein Wunder, wie wir durchkommen und uns anständig ernähren, aber es ist sehr schwierig. An die Gemeinde musste ich mich, da ich eine Mahnung erhielt, wegen der Stundung der Steuern wenden, etwas, was ich jetzt sehr ungern tue, denn die Gemeinde braucht sicher jeden Pfennig. 331
328 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 329 Interview mit Kenneth James Arkwright, am 12. August 1996 in Crawley/Australia, USC Visual History Archive, Int. Code 18441, Tape 2. 330 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 228. 331 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 29. Dezember 1938, Bd. 2, S. 575.
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Alle Arten von Wohlfahrtstätigkeiten waren während dieser Zeit außerordentlich wichtig für das physische Überleben der Juden in Deutschland, bedingt durch die geschilderte Verarmung und den hohen Prozentsatz älterer Mitglieder in der jüdischen Gemeinschaft. Nachdem die Gemeinde ihre Arbeit nach dem Novemberpogrom wieder aufgenommen hatte, setzte sie zuallererst das Wohlfahrtsamt wieder in Betrieb. Die Breslauer jüdische Gemeinde mobilisierte die für die Wohlfahrt erforderlichen Mittel unter anderem durch den Verkauf von Grundstücken und Aktien. Sie war dazu gezwungen, das gesamte Stiftungskapital der Chewra Kadischa und des Bestattungswesens zusammenzulegen, um vorläufig das nötige Geld zu sichern. Von den über 11.000 in Breslau lebenden Juden im Jahre 1939, benötigten 8.200 die Unterstützung der jüdischen Gemeinde. 332 Laut Schätzungen einer ehemaligen Mitarbeiterin des Breslauer Wohlfahrtsamtes gab die Gemeinde allein für öffentliche Fürsorge eine Million RM im Jahr aus. 333 Bereits einige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges begann für die Breslauer Juden das letzte Kapitel ihrer Existenz in Deutschland. Das Leben der jüdischen Gemeinde und der jüdischen Bevölkerung Breslaus wurde reglementiert und der vollständigen Kontrolle durch die Gestapo unterworfen. Die in der Stadt verbliebenen Juden wurden aus ihren Wohnungen in immer kleinere Behausungen gedrängt. Wenn es auch noch zu keiner Gettobildung kam, so war ihre soziale Isolation praktisch abgeschlossen. Fortan begann für die Breslauer Juden ein Leben im „mauerlosen Getto“. 334 Eine Erwerbstätigkeit war ihnen seit Ende 1938 nur noch im Rahmen der eigenen Gemeinschaft möglich. Nach dem Verbot der Ausübung eines Handwerks oder Gewerbes konnten sich nur wenige ihren Lebensunterhalt als Arbeiter oder Gemeindeangestellte verdienen, die Mehrheit lebte von verbliebenem Erspartem oder der Gemeindewohlfahrt. Mit dem Novemberpogrom setzte nicht nur die endgültige Auflösung jeglicher rechtlich anerkannter jüdischer Selbstverwaltung ein, auch wurde die bis dahin noch bestehende Autonomie der Religionsgemeinschaft been332 AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 2. 333 Bericht einer in der jüdischen Wohlfahrtspflege tätigen Breslauerin, S. 1. 334 Vgl. Barkai, Avraham: Etappen der Ausgrenzung und Verfolgung bis 1939, in: Meyer, Michael A. (Hrsg.), unter Mitwirkung von Brenner, Michael: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. IV, Aufbruch und Zerstörung, 1918–1945. München 1997, S. 193–224, hier S. 218.
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det. 335 Die deutschen Juden wurden über Nacht vor die Wahl gestellt, entweder ihre einstige Heimat zu verlassen oder ihr Leben entrechtet, verarmt und von der übrigen Bevölkerung vollkommen isoliert fortzuführen. So kam es unmittelbar nach dem Pogrom zu einer massiven Emigrationswelle aus Deutschland. Das Auswanderungsberatungsbüro der Gemeinde hatte rund um die Uhr geöffnet, um alle Anfragen bewältigen zu können. Die Emigration beschäftigte nun jede jüdische Familie und wurde zu einem zentralen Thema in der Breslauer jüdischen Gemeinschaft: Alle Menschen sprechen jetzt von Auswanderung und Neuaufbau; ich bin sehr müde, und ich hänge sehr an Deutschland, in dem man 50 Jahre gelebt hat; ich mag nicht draußen in der Welt ein Schnorrer werden und danke sagen. […] Aber wir müssen die Kinder zu retten versuchen; wir stehen ja hier noch nicht am Ende dessen, was uns bevorsteht. 336
3.5 Auswanderung aus Breslau 3.5.1 Auf der Suche nach einer neuen Heimat Ende 1935 erzählte mir ein Freund in der deutsch-jüdischen Jugendbewegung, dass die ‚Reichsvertretung der Deutschen Juden‘ ein Lehrgut gründen würde, welches junge Leute wie mich ausbilden würde und dass es einen landwirtschaftlichen Kursus, einen Schlosserkursus und einen Tischlerkursus haben würde. Meine Überlegung zu dieser Zeit war die folgende: Es sieht so aus, als ob ich auswandern müsste, aber sicher ist es nicht. Deutschland ist mein Vaterland und diese Naziprobleme würden vielleicht nochmals weggehen. Schule als solche hatte ich satt. So wenn ich den Schlosserkursus mitnehmen würde und nicht auswandern müsste[,] würde es mir helfen[,] die Fabriken meines Vaters mal zu leiten. Wenn ich auswandern müsste, wäre es ein Beruf, der mich hoffentlich ernähren würde. So meldete ich mich und war akzeptiert und war einer der ers335 Die ‚Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz‘ vom 4. Juli 1939, ordnete die Auflösung aller jüdischer Organisationen, Vereine und Stiftungen an und sah ihre Eingliederung in die ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland‘ vor. Auch die jüdischen Gemeinden hatten ihre Selbstständigkeit verloren und wurden ebenfalls der ‚Reichsvereinigung‘ unterstellt. 336 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheinträge vom 30. November 1938 und 1. Dezember 1938, Bd. 2, S. 557, 559.
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ten Praktikanten, die im Mai 1936 am ‚Auswandererlehrgut Groß-Breesen‘ ankamen. 337
Mit diesen Worten beschreibt Harvey Newton, ehemals Hermann Neustadt, seinen Entschluss, eine Ausbildung in dem landwirtschaftlichen Lehrgut „Groß-Breesen“ anzufangen. Nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“, die den in Deutschland lebenden Juden den bitteren Ernst ihrer Lage klar machten, beschlossen Ende 1935 die Mitglieder der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ unter dem Vorsitz von Rabbiner Dr. Leo Baeck, entgegen allen zionistischen Vorbehalten ein Auswandererlehrgut für die nicht zionistisch orientierte Jugend zu gründen. 338 Die „Reichsvertretung“ pachtete Mitte April 1936 einen in Niederschlesien gelegenen Landsitz „GroßBreesen“, der rund 30 Kilometer nördlich von Breslau gelegen war. 339 Der Psychologe und Sozialforscher Curt Bondy 340 wurde von der „Reichsvertre337 ALBINY, Harvey P. Newton Collection 1920–2000, S. 28. 338 Die Errichtung dieses einzigen nicht zionistischen Ausbildungslehrgutes für Landwirtschaft in Deutschland sorgte für bittere Streitigkeiten zwischen der ‚Zionistischen Vereinigung Deutschlands‘ und der ‚Reichsvertretung‘. Gegenstand des Streites war die Unterstützung des Palästinaaufbaus von nicht zionistischer Seite, in diesem Fall von der ‚Reichvertretung‘, Angress: Auswandererlehrgut Groß Breesen, S. 168 ff.; ders.: Jüdische Jugend im Dritten Reich, S. 52 f. 339 Zur Geschichte des Auswandererlehrgutes ‚Groß-Breesen‘ siehe: Angress: Jüdische Jugend im Dritten Reich; ders.: Auswandererlehrgut Groß Breesen; Bondy, Curt: Bericht aus dem jüdischen Auswandererlehrgut Groß-Breesen, in: C. V. Zeitung, Nr. 17, 28. April 1938, S. 3; Walk, Joseph: The Diary of Günther Marcuse (The Last Days of the Gross-Breesen Training Centre), in: YVS, Nr. 8, 1970, S. 159– 181; Adler-Rudel: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime, S. 61; Gross-Breesen-Silesia, Emigrant Training Farm, http://grossbreesensilesia.com/pdfs/0.pdf (abgerufen am 1. März 2013); ALBINY, Jüdisches Auswandererlehrgut GrossBreesen, Silesia, Collection, 1933–2005, Sig. AR 3686; ALBINY, Angress, Werner T. Collection, 1904–1994, Sig. AR 25321, MF 924. 340 Curt Werner Bondy (1894–1972) war ein deutscher Psychologe und Sozialforscher. Seit 1925 lehrte er an der Universität Göttingen als Honorarprofessor Sozialpädagogik. Nach seiner Entlassung 1933 arbeitete er unter anderem mit Martin Buber im ‚Jüdischen Hilfswerk‘ in Frankfurt am Main zusammen. 1936 wurde er von der ‚Reichsvertretung der Deutschen Juden‘ zum Leiter des Ausbildungslehrgutes in ‚Groß-Breesen‘ berufen. Nach seiner Inhaftierung im KZ Buchenwald infolge des Novemberpogroms 1938 gelang ihm die Emigration via England in die USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Curt Bondy zum Professor für Psychologie an die Universität Hamburg berufen.
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tung der Juden in Deutschland“ als Leiter dieser Ausbildungsstätte beauftragt. 341 In Anfangsstadium sollten höchstens 125 Jungen und Mädchen dort eine Fachausbildung erhalten, die sich in Theorie und Praxis auf Landwirtschaft, Gartenbau, Handwerk und Hauswirtschaft konzentrierte. Zusätzlich war Unterricht in den Fremdsprachen Englisch, Spanisch und Hebräisch im Lehrplan vorgesehen. Anfang Mai 1936 trafen die ersten Jungen und Mädchen auf dem Gut „Groß-Breesen“ ein. Unter ihnen befand sich auch Harvey Newton. 342 Harvey Newton wuchs in einer jüdischen Familie auf, die dem oberen Breslauer Mittelstand angehörte. Seine Familie war weitgehend „assimiliert“, verstand sich als Deutsche und sah in Deutschland ihre einzige Heimat. Der Vater von Harvey Newton, Max Neustadt, besaß eine Strumpffabrik „Neustadt & Neumann“ in der Stadt und konnte sein Geschäft bis 1939 führen und gute Gewinne erzielen. 343 Bis zu diesem Zeitpunkt war für die Eltern Harvey Newtons die Emigration kein Thema. So kommentiert der Sohn: „Mein Vater sagte noch 1938: Wie soll ich meine Frau im Ausland ernähren?“ 344 Deshalb dachte er zumindest bis zum Novemberpogrom nicht an eine Auswanderung und betrachtete die Ausbildungsmöglichkeit im Lehrgut „Groß-Breesen“ als gute Alternative, da er nach dem Gymnasialabschluss eher keine Perspektiven mehr auf eine gute Ausbildung hatte. Aus der oben zitierten Passage kann man entnehmen, dass er noch 1936 eine Ausreise aus Deutschland nicht in Betracht gezogen hatte. Vielmehr glaubte er daran, den in „Groß-Breesen“ erlernten Beruf in der Fabrik seines Vaters ausüben zu können. Ähnlich der Familie Neustadt lehnten die meisten deutschen Juden und ihre Organisationen den Gedanken ab, dass die Emigration die einzige Lösung ihrer sich dramatisch verschlechternden Existenz in Deutschland sei. Zumindest lässt sich dies bis zum Erlass der „Nürnberger Gesetze“ im Herbst 1935 und dem Novemberpogrom 1938 so festhalten. 341 Angress: Jüdische Jugend im Dritten Reich, S. 53. 342 ALBINY, Harvey P. Newton Collection 1920–2000, S. 83. 343 Die Strumpffabrik ‚Neustadt & Neumann‘, die außer Breslau Zweigbetriebe in Strehlen und Wünschelburg besaß, wurde am 31. März 1939 ‚arisiert‘, siehe: Bräu: ‚Arisierung‘ in Breslau, S. 130. 344 ALBINY, Harvey P. Newton Collection 1920–2000, S. 28.
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In der Zeit vor dem Novemberpogrom konnte sich die Mehrheit der deutschen Juden nicht vorstellen, Deutschland zu verlassen. Die Emigration war immer ein schwieriger und langwieriger Entscheidungsprozess, wobei die individuelle Entscheidung für die Emigration oder für den Verbleib in Deutschland von vielen unterschiedlichen Faktoren bedingt wurde, etwa der ökonomischen Situation, der persönlichen Mobilität oder von Fremdsprachenkenntnissen und dem Alter. Die Vorstellung, in einem fremden Land neu beginnen zu müssen, oftmals unter ärmlichen Bedingungen, brachte manchen potenziellen Auswanderer von seinem Vorhaben ab. 345 Für die äußerst schwierige Entscheidung „Bleiben oder Gehen“ waren also nicht nur die für viele fast unüberwindlichen Probleme, ein Einwanderungsland und eine gesicherte Existenz zu finden, verantwortlich, sondern auch die Schwierigkeit, sich von Deutschland zu lösen. Die innere Verbundenheit mit ihrer Heimat und die Angst vor fremden Ländern, Kulturen, Sprachen und Traditionen hielten viele deutsche Juden davon ab, rechtzeitig die vorgeschriebenen Ausreiseformalitäten in Angriff zu nehmen. Diese Bedenken kommen sehr deutlich in den Tagebüchern von Willy Cohn zum Ausdruck, in denen er nach dem Novemberpogrom 1938 seine Gedanken bezüglich der Emigration folgendermaßen zusammenfasst: Alle jüdischen Menschen sprechen jetzt von Auswanderung und Neuaufbau; ich bin sehr müde, und ich hänge trotz allem an Deutschland, in dem man 50 Jahre gelebt hat; ich mag nicht draußen in der Welt ein Schnorrer werden und danke sagen. 346
Der Auswanderungsentschluss hing auch von der beruflichen und finanziellen Situation ab. Diejenigen, wie die Eltern von Harvey Newton, die ihr Geschäft bis zum Novemberpogrom erfolgreich betreiben konnten, oder wie der Jurist Ernst Marcus, der bis Sommer 1938 in Breslau beruflich tätig sein konnte, verzögerten ihre Entscheidung oft jahrelang. Symptomatisch für diese Reaktionen ist die Erinnerung Ernst Marcus’, der seine Heimatstadt am 15. September 1938 Richtung USA verließ:
345 Maurer: Vom Alltag zum Ausnahmezustand, in: Kaplan (Hrsg.): Jüdischer Alltag in Deutschland, S. 447. 346 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 30. November 1938, Bd. 2, S. 557.
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Wenn wir diesen ‚Rückzug‘ antraten, wenn wir auch in den nächsten Jahren dem Gedanken an eine Auswanderung abgeneigt blieben, so waren dabei die folgenden Gedankengänge bestimmend: Einmal die rein materielle Erwägung, dass wir in Deutschland unsere Existenz hatten und diese anscheinend behalten konnten, während wir im Ausland einer völlig ungewissen Zukunft entgegen gingen, ferner war das Gefühl[,] ‚im Recht zu sein‘, bessere Deutsche zu sein als die Herren des Dritten Reiches[,] entscheidend; schließlich und vor allem die feste Überzeugung, dass dieser Spuk nicht lange dauern könne. Diese Überzeugung gründete sich auf innenpolitische, außenpolitische und wirtschaftliche Momente: Wir teilten sie nicht nur mit den direkt Betroffenen (Juden, Linkspolitikern, Katholiken)[,] sondern auch mit weiten Kreisen der Bevölkerung, wie ich aus zahlreichen Unterhaltungen aus dieser Zeit mit Kollegen, Klienten und Bekannten, arischen und nichtarischen Deutschen weiß. 347
Wenn auch für das nationalsozialistische Regime die Emigration der jüdischen Bevölkerung sehr willkommen war, wurden die jüdischen Auswanderer in ihren Bestrebungen, das Land zu verlassen, durch die schrittweise Verschärfung der Devisenbestimmungen und der „Reichsfluchtsteuer“ gehindert oder sogar gänzlich davon abgehalten. So forcierte die nationalsozialistische Politik die Auswanderung der deutschen Juden einerseits, erschwerte aber die Ausreise durch zahlreiche administrative Formalitäten. 348 Ernst Marcus schildert den langwierigen Prozess der Emigrationsvorbereitungen und damit verbundenen Schwierigkeiten: Die Auswanderung ist uns nicht leicht vorgekommen. Einholung eines Gutachtens der Auswandererberatungsstelle, Anträge auf Bewilligung von Pässen für die Auswanderung, Zahlung der Reichsfluchtsteuer, Sicherstellung oder Zahlung weiterer Steuern, die bis zum Tage der Auswanderung entstehen könnten. Einholung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Finanzamt. Einreichung zahlreicher Fragebögen bei allen beteiligten Behörden, Einreichung von Listen mit genauer Aufstellung des Umzugsgutes, das sind einige Hauptpunkte aus der Tätigkeit des Auswanderers: und alles das geschah unter begreiflichem psychischem Druck, verbunden mit der fortlaufenden Berufsarbeit und neben den Bemühungen um die Erteilung des Visums für die Vereinigten Staaten, die mehrere eilige Reisen nach Berlin erforderlich machten. 349 347 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 39. 348 Vgl. Benz, Wolfgang: Flucht aus Deutschland. Zum Exil im 20. Jahrhundert. München 2001, S. 63 ff. 349 ALBINY, Marcus: Mein Leben in Deutschland, S. 56.
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Gleichzeitig wurden die Einreisebestimmungen nicht nur für Palästina, sondern auch für andere Länder wie England oder die USA vor allem infolge der Weltwirtschaftskrise deutlich verschärft. So wuchs bei den deutschen Juden die Unklarheit im Bezug auf ein eventuelles Auswanderungsziel immer mehr. Palästina allein konnte nicht alle deutsch-jüdischen Emigranten aufnehmen, und alle anderen Länder wurden ebenfalls immer restriktiver bei der Einreise. So hatten die Vereinigten Staaten beispielsweise bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Einwanderungsquoten deutlich begrenzt. Die internationale Konferenz in Evian im Sommer 1938 lässt sich als letzter Versuch internationaler Politiker ansehen, nach einer Lösung der Frage der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich zu suchen. 350 Die Konferenz beschloss lediglich die Gründung eines „Intergovernmental Committee for Refugees“ mit Sitz in London, in allen anderen Fragen hinsichtlich der Emigrationsmöglichkeiten für die im NS-Bereich lebenden Juden scheiterte sie hingegen. Trotz aller Schwierigkeiten emigrierten in der Zeitspanne 1933 bis 1945 zwischen 270.000 und 300.000 Juden aus Deutschland. Etwa 30.000 von ihnen flüchteten in die europäischen Länder und kamen meist während der Schoah um. 351 350 BJG, Nr. 14, 25. Juli 1938, S. 9. Die auf Initiative des US-Präsidenten Franklin D. Roosvelt einberufene internationale Konferenz im französischen Evian, auf der sich Vertreter von 32 Nationen trafen, fand vom 3. bis 13. Juli 1938 statt. Ziel der Konferenz war, nach Alternativen und Möglichkeiten für die Emigration der deutsch- und österreichisch-jüdischen Flüchtlinge, deren Zahl nach der Annexion Österreichs im März 1938 deutlich anstieg, zu suchen. Dieses internationale Treffen scheiterte jedoch. Pläne für eine Massenauswanderung der unter dem NS-Regime lebenden Juden kamen nie zustande. Ausführlich zur Konferenz in Evian siehe: Kieffer, Fritz/Salewski, Michael/Elvert, Jürgen (Hrsg.): Judenverfolgung in Deutschland – eine innere Angelegenheit? Internationale Reaktionen auf die Flüchtlingsproblematik 1933–1939, Bd. 44. Stuttgart 2002; Adler-Rudel, Salomon: The Evian Conference on the Refugee Question, in: LBIYB, Nr. 13, 1968, S. 235–274; Weingarten, Ralph: Die Hilfeleistung der westlichen Welt bei der Endlösung der deutschen Judenfrage. Das Intergovernmental Committee on Political Refugees (IGC) 1939. Bern 1981; Benz, Wolfgang/Curio, Claudia/Kauffmann, Heiko (Hrsg.): Von Evian nach Brüssel. Menschenrechte und Flüchtlingsschutz 70 Jahre nach der Konferenz von Evian. Karlsruhe 2008. 351 Strauss: Jewish Emigration (I), S. 327; vgl. Eschwege, Helmut/Kwiet, Konrad: Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde, 1933–1945. Hamburg 1986, S. 142; Lavsky, Hagit: The Impact
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Die erste große Emigrationswelle setzte unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Ende Januar 1933 ein. In diesem Jahr verließen 37.000 deutsche Juden ihre Heimat; 352 aus Breslau emigrierten 725 Personen. 353 Unter ihnen befanden sich vor allem Juristen, die sich infolge der antijüdischen Ausschreitungen im Frühjahr 1933 an den Breslauer Gerichten zur Emigration entschlossen hatten. So verließ Ludwig Foerder das Land, begab sich zunächst in die Tschechoslowakei und anschließend nach Palästina. Auch der Juraprofessor Ernst Cohn wanderte Mitte 1933 nach London aus. Zu den Emigrationszielen wurden vor allem die europäischen Nachbarländer und nur selten Übersee. Lotte Hirschberg erkannte schon nach dem „Aprilboykott“ 1933, dass sie mit ihrer Familie in Deutschland das Leben nicht fortführen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt verstand sich Lotte Hirschberg als patriotische Deutsche, und auch die Mitglieder ihrer Familie definierten sich als „deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Nichtsdestotrotz begann Familie Hirschberg, die Vorbereitungen für ihre Auswanderung aus Deutschland zu treffen: Den Namen Hitler hörten wir wohl das erste Mal um das Jahr 1930. Man glaubte, dass ein kleiner Haufen von Fanatikern sich zusammen getan hatte und nahm sie nicht ernst. Man ließ sich in seinem Leben nicht stören. Das Anwachsen dieser Gruppe ist bekannt und mit dem Boykott-Tag im April 1933 begannen uns die Augen aufzugehen und wir erkannten, dass wir unser Leben als Juden und nicht als Deutsche zu leben haben. […] Als wir sahen, dass auch unser Kind von ihren Mitschülern boykottiert wurde, war für uns die Zeit gekommen, Deutschland zu verlassen. 354
Die Kindergärtnerin Lotte Hirschberg und ihr Ehemann Dr. Josef Hirschberg, der Arzt war, entschieden sich, neue Berufe zu erlernen, um sich in Chile, ihrer zukünftigen neuen Heimat, beruflich weiter betätigen zu können. Sie begannen ihre Umschulung in der jüdischen Chemiefabrik „Be-
of 1938 on German-Jewish Emigration and Adaptation in Palestine, Britain and the USA, in: Heim, Susanne/Meyer, Beate/Nicosia, Francis R. (Hrsg.): ‚Wer bleibt, opfert seine Jahre, vielleicht sein Leben‘. Deutsche Juden 1938–1941. Göttingen 2010, S. 207–225, hier S. 208. 352 Strauss: Jewish Emigration (I), S. 330. 353 AŻIH, GŻW, 1933–1935, Sig. 105/0116, Bl. 253 f. 354 ALBINY, Hirschberg: Die Lebensgeschichte, S. 4.
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rendt“ in Berlin und erlernten dort die Herstellung chemisch-pharmazeutischer Präparate. 355 Nach der ersten Massenfluchtwelle des Jahres 1933 stagnierte die Emigrationsbewegung aus Deutschland zunächst. So war der Zeitraum zwischen 1933 und 1936 durch eine schrittweise Emigration geprägt, 356 während der allerdings 93.000 Juden das Land verließen. 357 In Breslau sank die Zahl der dort lebenden Juden von 20.202 im Jahr 1933 auf 18.818 im Frühjahr 1935. 358 Nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 lässt sich eine zweite Auswanderungswelle nachzeichnen. Die „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ entschied sich unmittelbar nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ zur Gründung eines zentralen Komitees für Auswanderungsfragen. Dieser Entschluss markierte eine Wandlung in der Haltung der deutsch-jüdischen Führung in Bezug auf die Emigrationsfrage. 359 Diese Wende kommt auch in der jüdischen Presse sehr deutlich zum Ausdruck, wie im „Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt“, wo dem Thema der Emigration seitdem viel mehr Platz eingeräumt wurde. Die Zahl der Auswanderer stieg 1936 auf 25.000 an, fiel aber 1937 wieder auf 23.000 zurück. 360 Im Zeitraum zwischen September 1935 und Dezember 1937 verließen über 2.000 Juden Breslau.361 Unter den Auswanderern befanden sich auch Lotte und Josef Hirschberg mit ihren drei Kindern. Am 14. Februar 1936 verließ die Familie Hirschberg Deutschland Richtung Südamerika und ließ sich in Chile nieder. Im Dezember 1952 zogen Lotte und Josef Hirschberg dann aus Chile nach Israel. Der Abschied von Deutschland, ihrer Familie und Freunden fiel ihnen sehr schwer: 355 Ebd., S. 5; vgl. ALBINY, Hirschberg, Lotte: Mein Leben (verfasst zwischen 1982 und 1985), Sig. ME 1531, S. 20. 356 Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust, S. 131. 357 Lavsky: The Impact of 1938, in: Heim/Meyer/Nicosia (Hrsg.): Wer bleibt, S. 214; Joel, Georg: Juden suchen eine Heimat, in: BJG, Nr. 15, 15. August 1936, S. 1. 358 Siehe Tabelle Nr. 10 (Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Breslau, 1925– 1942). 359 Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust, S. 132. 360 Strauss: Jewish Emigration (I), S. 326. 361 Siehe Tabelle Nr. 10. Nach Angaben des Statistischen Amtes der Stadt Breslau verließen in den Jahren 1933 bis 1936 2.606 jüdische Einwohner die Stadt, Statistisches Amt der Stadt Breslau (Hrsg.): Breslau Schlesiens Hauptstadt. Vier Jahre der nationalsozialistischen Verwaltung 1933–1936. Breslau 1937, S. 5.
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Im Oktober 1935 erwiesen die Nürnberger Gesetze, dass die Juden vollkommen rechtlos waren, aus allen Berufen verdrängt und zu einer niedrigeren Menschenklasse degradiert wurden. Es wurde für uns immer schwerer. Nicht so sehr beruflich wie psychisch war alles darauf ausgerichtet, die Juden zu demütigen und zu entrechten. Unser Auszug aus Deutschland erfolgte noch freiwillig und nicht unter Zwang. Das Visum nach Chile hatten wir mehr für alle Fälle beantragt, es wurde uns umgehend ohne weitere Formalitäten per Post ins Haus geschickt. So überlegten wir nicht lange. Wer weiß, was bis kommenden Sommer sein wird, ob es Juden erlaubt sein wird zu jüdischen Ärzten zu gehen. Der Abschied von Deutschland war nicht leicht. Die ganze Familie und alle unsere Freunde waren noch dort und hielten uns für verrückt, dass wir schon gingen. Die Meinung herrschte vor, dass der Hitler nicht lange aushalten würde, das Ausland würde ihm die schlechte Behandlung der Juden nicht gestatten und die Menschen um ihn seien unfähig den Staat zu führen. Später gelang es uns dann noch die ganze nähere Familie und einige Freunde und Verwandte, leider nicht alle, herauszubringen. Unsere Abreise aus Deutschland hielt die ganze Familie für einen Fehler. Sie konnten damals nicht ahnen, dass das auch für sie die Rettung ihres Lebens bedeutete. 362
Die letzte und dritte Phase der Auswanderung der deutschen Juden erfolgte zum einen infolge der Ausweisung der polnischen Juden im Oktober 1938, zum anderen aber aufgrund der Ereignisse des Novemberpogroms und der anschließenden Verhaftung von 30.000 Juden. Zu dieser Zeit gab es nur noch wenige Juden im Deutschen Reich, die nicht nach einem Zufluchtsort im Ausland suchten. Während dieser letzten Phase der jüdischen Emigration aus dem Dritten Reich flüchteten die meisten Juden und mussten einen Großteil ihres Besitzes zurücklassen. Wenn die Auswanderung im Jahre 1936 für Harvey Newton nicht real erschien, so änderte sich seine Sichtweise zwei Jahre später. Er vollendete seine Ausbildung im Ausbildungslehrgut „GroßBreesen“. Infolge des Novemberpogroms wurde der 18-jährige Harvey Newton mit anderen Jugendlichen und der Leitung des Lehrguts, darunter Curt Bondy, als „Aktionsjude“ verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Am 4. Dezember 1938 wurde er aus der KZ-Haft entlassen. Bereits am 15. Dezember 1938 gelang Harvey Newton die Ausreise aus Deutschland. Er passierte die deutsch-holländische Grenze bei Bentheim, zu der er am 1. Oktober 1944 als Leutnant im Nachrichtendienst der 362 ALBINY, Hirschberg: Die Lebensgeschichte, S. 4 ff.; vgl. ALBINY, Hirschberg: Mein Leben, S. 20.
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amerikanischen Armee zurückkehren sollte. Dank der Hilfe des holländischen jüdischen Komitees fand Harvey Newton mit anderen Groß-Breesenern Aufnahme in einem landwirtschaftlichen Ausbildungslager, dem Werkdorf im Wieringermeer. 363 Am 24. Januar 1940 verließ Harvey Newton Holland wieder und wanderte am 5. Februar in die Vereinigten Staaten von Amerika ein. Kurz darauf trat er dort der US-amerikanischen Armee bei und änderte seinen Namen von Hermann Neustadt in Harvey P. Newton. 364 Nach dem Novemberpogrom sanken die Auswanderungsmöglichkeiten durch den nun ausgelösten Andrang und die immer restriktiv werdenderen Einwanderungsbeschränkungen im Ausland. Schließlich wurde die Emigration nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fast unmöglich. Im Anschluss an den Novemberpogrom bemühten sich die meisten der noch in Deutschland lebenden Juden um die Ausreise: Etwa 120.000 verließen zwischen November 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges Deutschland. 365 Laut der Volkszählung vom 17. Mai 1939, also knapp drei Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, lebten in Breslau 11.172 Juden (davon 4.652 Männer und 6.520 Frauen). 366 Somit war die Breslauer jüdische Gemeinschaft immer noch die drittgrößte im Deutschen Reich. In der Zeitspanne vom Mai 1939 bis Ende 1940, also noch bevor die Massendeportationen einsetzten, gelang es etwa 2.000 Juden, Breslau zu verlassen. Am 31. Dezember 1940 wies die statistische Abteilung der „Reichsvereini363 Das Werkdorf Wieringen wurde Anfang 1934 auf einem von der holländischen Regierung zur Verfügung gestellten Gebietsteil errichtet. Dieses Lehrgut gab landwirtschaftliche, gärtnerische und handwerkliche Ausbildung anfangs für über 100 junge Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren und bereitete sie auf die Weiterwanderung nach Übersee und Palästina vor, siehe: Adler-Rudel: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime, S. 68. 364 ALBINY, Harvey P. Newton Collection 1920–2000, S. 27 ff., 721; vgl. ALBINY, Newton, Harvey: Erinnerungen an das KZ Buchenwald, S. 1–11. 365 Eschwege/Kwiet: Selbstbehauptung und Widerstand, S. 53; vgl. Strauss: Jewish Emigration (I), S. 326. 366 Bundesarchiv Koblenz, Übersicht der Ergebnisse der Statistik über die Juden und jüdische Mischlinge bei der Volkszählung in den größeren Verwaltungsgebieten Preussens, Sig. R18/5519, Bl. 405 f.; vgl. Statistik des Deutschen Reiches: Die Bevölkerung des Deutschen Reiches nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939, Bd. 552, Heft 4. Die Juden und jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich. Berlin 1944.
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gung der Juden in Deutschland“ noch 9.175 Juden in der Stadt aus. 367 In diesem Jahr erfolgten auch die ersten Massendeportationen von Juden aus dem Deutschen Reich, unter anderem aus Stettin, Karlsruhe und Ludwigshafen. 368 Dass die Emigrationschancen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges dramatisch sanken, wird daran ersichtlich, dass im Jahr 1940 nur noch 566 Breslauer Juden die Auswanderung gelang. 369 Am 23. Oktober 1941 wurde die Auswanderung durch das NS-Regime endgültig verboten. 370 Zwei Monate, bevor der Erlass über das Auswanderungsverbot für die Juden bekannt gegeben wurde, gelang es den Eltern von Harvey Newton, Max und Irene Neustadt, Ende August 1941 Breslau zu verlassen. Sie gehörten zu einigen der letzten Breslauer Juden, denen die Flucht aus dem Dritten Reich gelang. Über Kuba kamen sie im Februar 1943 in die USA. 371 367 Nach den Mitteilungen der ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland‘ befanden sich im gesamten Reichsgebiet, inklusive Danzig, am 31. Dezember 1940 noch etwa 175.046 Juden. Zu den größten jüdischen Gemeinden zählten: Berlin (75.186), Köln (17.935), Frankfurt am Main (14.115), Hamburg (11.207). Mit 9.231 Juden war Breslau die fünftgrößte Gemeinde in Deutschland: AŻIH, Gmina Żydowska Gliwice (GŻG), 1907–1942, Sig. 112/21b. 368 Am 12. Februar 1940 wurde fast die gesamte Stettiner Gemeinde, etwa 1.000 Personen, in die Gettos im Distrikt Lublin deportiert. Am 22. Oktober 1940 wurden Juden aus Baden und der Saarpfalz, unter anderem aus Ludwigshafen und Karlsruhe, in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert. Insgesamt wurden während dieser Massendeportation 6.504 Juden aus dem Südwesten Deutschlands nach Frankreich verschleppt, siehe: Gottwald, Alfred/Schulle, Diana: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich 1941–1945. Eine kommentierte Chronologie. Wiesbaden 2005, S. 34, 39. Bereits im Oktober 1939 waren Juden aus Wien und Mährisch-Ostrau in das polnische Nisko im Distrikt Lublin deportiert. Zu den früheren Deportationen aus dem Bereich des Dritten Reiches siehe: Löw, Andrea: Die früheren Deportationen aus dem Reichsgebiet von Herbst 1939 bis Frühjahr 1941, in: Heim, Susanne/Meyer, Beate/Nicosia, Francis R. (Hrsg.): ‚Wer bleibt, opfert seine Jahre, vielleicht sein Leben‘. Deutsche Juden 1938–1941. Göttingen 2010, S. 59–76. 369 AŻIH, GŻG, 1907–1942, Sig. 112/21b. 370 Geheimer Erlass des RSHA vom 23. Oktober 1941, in: Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, S. 353. Drei Tage vor dem Ausreiseverbot, am 20. Oktober 1941, gelang es Moritz Skalla, aus Breslau nach Südamerika zu emigrieren. Er war die letzte Person, die die Stadt auf legalem Wege verlassen konnte, siehe: Połomski: Prawo własności a tzw. ‚rozwiązanie kwestii żydowskiej‘, S. 182 f., 185. 371 ALBINY, Harvey P. Newton Collection 1920–2000, S. 27 ff.
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Die Förderung der Emigration wurde ab Sommer 1939 als die wichtigste Aufgabe der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ sowie aller jüdischen Gemeinden angesehen. Das „Auswanderer-Beratungsbüro“ der Breslauer Gemeinde arbeitete rund um die Uhr, um überhaupt alle Anfragen bewältigen zu können. Der Emigrationswille war jedoch viel stärker als die realen Möglichkeiten. Es war enorm schwierig, ein Einreisevisum eines anderen Staates zu erhalten. Darüber hinaus war die Auswanderung mit einer großen finanziellen Belastung verbunden, wie dem Kauf von Schiffskarten, Ausgaben für die „Sühneleistung“ bis hin zur „Reichsfluchtsteuer“. Der stellvertretende Vorsitzende der Breslauer jüdischen Gemeinde, Willi Gluskinos, schrieb im Winter 1939/1940 in seinen Aufzeichnungen über die Tätigkeitsfelder der hiesigen Gemeinde und deren Schwierigkeiten: Unsere Hauptaufgabe neben der Verwaltung war, die Auswanderung mit allen Kräften zu fördern. Das der Gemeinde angeschlossene Büro des Hilfsvereins war Tag und Nacht geöffnet und jede Chance wurde ausgenutzt[,] um durch Auswanderung die Zahl der Juden in Breslau zu vermindern. Leider wurde die Ausführung immer schwieriger. 372
Im Juni 1939 befahl die Breslauer Gestapo den etwa 200 vermögendsten Gemeindemitgliedern, 20 Prozent ihres Vermögens der Gemeinde zur Verfügung zu stellen, um die Auswanderung der ärmeren Gemeindeangehörigen zu ermöglichen. Aufgrund der Proteste des Gemeindevorstandes, der diesen Satz zu hoch einschätzte, hat man sich auf die Hälfte, also 10 Prozent geeinigt. 373 Diese Auflage ergab etwa eine Million RM, die auf ein Sonderkonto der Synagogengemeinde bei der Dresdner Bank eingezahlt wurde und ausschließlich Auswanderungszwecken dienen sollte. Jede Abhebung bedurfte der Gegenzeichnung der Gestapo.374 372 AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 3. 373 Aufgrund dieser Vereinbarung sollten diejenigen Breslauer Juden, deren Vermögen 200.000 RM betrug, 10 Prozent davon der Gemeinde zur Verfügung stellen, und bei dem Vermögenswert geringer als 200.000 RM wurden 6 Prozent verlangt: AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 4. 374 Im späteren Verlauf genehmigte die Gestapo Geldabhebungen von diesem Sonderkonto bei der Dresdner Bank nur dann, wenn die Reisekosten zu einem Drittel von der ‚Reichsvereinigung‘ und zu einem Drittel von der Breslauer Gemeinde getragen wurden: AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 4; AYV, Friedländer, Mosche: Breslau von 1933 bis 1939, allgemeine und persönliche Erlebnisse (Zeu-
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Die Breslauer Gestapo übte eine Menge Druck auf die Juden aus, um sie zur Auswanderung zu bewegen. Juden ließen sich im örtlichen „PalästinaAmt“ zur Emigration registrieren, wobei in diesem Fall die Aussicht auf Erfolg äußerst gering war und es mehr als Beweis ihrer Bemühungen diente. Die einzige Möglichkeit für viele Juden, Deutschland zu verlassen, war die Emigration nach Schanghai, wo es zu der Zeit keine offiziellen Einreisebestimmungen gab und eine Einreise ohne Visum möglich war. Im Laufe des Jahres 1939 wurde der Zugang zu Schiffspassagen immer schwieriger und teurer, sodass die von der Gestapo verlangte Anzahl von monatlichen Auswanderungen nicht mehr eingehalten werden konnte. Für die Gestapo stand im Vordergrund, dass möglichst viele Juden möglichst schnell Breslau verließen. Im Januar 1939 wurden Dr. Georg Less, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, und der stellvertretende Vorsitzende Willy Gluskinos zu einem Gestapobeamten berufen, der mit ihnen über einen Plan sprach, eine große Anzahl von Juden aus Breslau zu evakuieren. Der Beamte hatte bereits zu diesem Zweck eine Werft in Hamburg angesprochen, um ein Schiff zu chartern und etwa 300 Breslauer Juden zur Abfertigung nach Schanghai zu schicken. 375 Georg Less ging darauf nach Berlin, um diesen Plan mit der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ zu besprechen. Dr. Paul Eppstein, der für die Emigrationsangelegenheiten bei der „Reichsvertretung“ zuständig war, setzte sich mit den übergeordneten deutschen Behörden in Verbindung. Das Vorhaben wurde nicht genehmigt, und seine Initiatoren wurden gerügt. 376
3.5.2 Schwere Entscheidungen – Geglückte Auswanderung Die Überlegungen zur Auswanderung waren individuell und hingen unter anderem von politischen und religiösen Überzeugungen und auch vom jeweiligen sozialen Status ab. Mit zunehmender struktureller Diskriminierung genaussage aufgenommen im Dezember 1958 in Tel Aviv), Bestand O.1 – K. J. Ball-Kaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 123, S. 1 f.; vgl: Archiv Beit Lohamei HaGhetaot, Sig. 19986, S. 2. 375 ‚Eichmann Slated to Head Central Emigration Office‘, in: JTA, Berlin 14. Februar 1939; vgl. AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 5. 376 AYV, Gluskinos: Die Gemeinde Breslau, S. 5.
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im gesellschaftlichen und ökonomischen Leben sowie dem Ausbruch brutaler physischer und psychischer antijüdischer Gewalt nahm 1938 die Bereitschaft zur Auswanderung zu. Folgende Familienschicksale spiegeln die damalige Situation wieder und offenbaren die Atmosphäre, unter der die schweren Entscheidungen über die Auswanderung getroffen wurden. Die Angst vor dem Leben in einem fremden Land, dessen Sprache man nicht kannte, deren Sitten einem völlig fremd waren und vor allem, dass man keinerlei Verbindung mit den dort lebenden Menschen hatte, war enorm. Ich und meine Eltern konnten uns eigentlich nicht vorstellen, woanders zu leben. Mein Vater hatte Alpträume, dass er in Palästina nicht Fuß fassen würde und sich finanziell nicht über Wasser halten könnte. Und er hatte vollkommen recht, er konnte es nicht. 377
Kurt Bergens Eltern trafen unmittelbar nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ Vorbereitungen für ihre Ausreise nach Palästina. Diesen Entschluss fasste seine Mutter, die schon seit ihrer Jugendzeit zionistisch orientiert war; sein Vater jedoch äußerte große Bedenken und war für diesen Plan zunächst gar nicht offen. Kurt Bergen selbst begrüßte dagegen die Idee seiner Mutter, sich in Palästina niederzulassen. Bereits als 10-jähriger Junge war er der zionistischen Jugendgruppe „Habonim“ beigetreten und verbrachte die meiste Zeit im Breslauer „Jugendheim“, wo sich unter anderem die zionistische Jugend traf. Dank dem „Haavara-Abkommen“ gelang es der Familie, einen Teil ihres Vermögens in die neue Heimat zu transferieren. 378 Im August 1938 verließ der 16-jährige Kurt Bergen gemeinsam mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder seine Geburtsstadt Breslau. 377 Interview mit Kurt Bergen, am 12. Januar 1997 in Madison, USC Visual History Archive, Int. Code 24668, Tape 2. 378 Haavara (hebr. – העברהTransfer) war eine Vereinbarung, die am 25. August 1933 zwischen der ‚Zionistischen Vereinigung für Deutschland‘, der ‚Jewish Agency‘ und dem Deutschen Reichsministerium für Wirtschaft geschlossen wurde. Ziel des Abkommens war, die Emigration der deutschen Juden nach Palästina zu erleichtern und zugleich den deutschen Export zu unterstützen, siehe u. a.: Barkai, Avraham: German Interests in the Haavara-Transfer Agreement 1933–1939, in: LBIYB, Nr. 35, 1999, S. 245–266; Feilchenfeld, Werner/Michaelis, Dolf/Pinner, Ludwig (Hrsg.): Haavara-Tranfer nach Palästina und Einwanderung deutscher Juden 1933–1939. Tübingen 1972; Nicosia, Francis R.: Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich. Göttingen 2012, S. 110–125.
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Die Ankunft in Erez Israel und den Wiederaufbau der materiellen Existenz empfand nicht nur die jüngere Generation als eine Art der Wiedergeburt und als den Anfang einer neuen jüdischen Identität. Zweifelsohne bedeutete die Auswanderung nach Erez für viele der deutschen Juden die Stärkung ihres jüdischen Selbstbewusstseins. Auf der anderen Seite begleiteten Resignation und Enttäuschung das hoffnungsvolle Eintreffen im Nahen Osten. Die Lebensumstände in Palästina waren ermüdend und trostlos; die wenigsten Emigranten konnten hier ihre bisherigen Berufe ausüben. Auch der Neuanfang der Familie Bergen in Palästina erwies sich als sehr schwierig. Kurt Bergen beschreibt seine Probleme beim Aufbau eines neuen sozialen Umfeldes, was ihn wegen fehlender Kenntnisse in Hebräisch große Mühen kostete. Das Leben in Palästina und später in Israel erschien ihm als nicht nur in der Anfangsphase kompliziert. Nach Gründung einer eigenen Familie entschied er sich, 1956 in die USA auszuwandern. Seine Eltern hingegen wurden beide allmählich zu entschiedenen Zionisten, obwohl sie ähnliche Schwierigkeiten beim Einleben wie ihr Sohn hatten. Sie konnten sich später jedoch auch nicht vorstellen, das Land zu verlassen; sie blieben in Israel. 379 Walter Laqueur verließ Breslau im November 1938 und begab sich wie Kurt Bergen zunächst nach Palästina. Anders als Kurt Bergen jedoch musste er seine Eltern in der niederschlesischen Hauptstadt zurücklassen. Auch wenn Else und Fritz Laqueur ihren Sohn Walter bereits 1935 zu einer Auswanderung ermutigten, konnten sie selbst Deutschland nicht verlassen und sind in Breslau zurückgeblieben. Walter Laqueur erinnert sich an das Jahr 1938, kurz bevor er seine Ausreise antrat, und schildert die vorherrschende Atmosphäre unter den Breslauer Juden: Die Juden belagerten verschiedene Konsulate, um die Einreise nach Palästina zu erhalten, sie frequentierten Büros, in denen Emigranten Rat suchen konnten, besuchten Sprachkurse und bereiteten sich hektisch auf die Abreise vor. […] Doch kein Land der Erde wartete auf die deutschen Juden (oder irgendwelche Emigranten überhaupt). Doch ganz andere Worte hörte man von den Betroffenen, sie sind in meiner Erinnerung beredter Ausdruck jener Jahre: ‚Umschulung‘, ‚Lebensunterhalt‘ (‚einen sicheren Lebensunterhalt schaffen‘), ‚Polizeiliches Führungszeugnis‘, ‚Hachschara‘, ‚Gesundheitsattest‘, ‚Polizeiliche Abmeldung‘, ‚Hafengebühren‘, ‚Affidavit‘ und so weiter. […] Die Szenen in die379 Interview mit Kurt Bergen, am 12. Januar 1997 in Madison, USC Visual History Archive, Int. Code 24668, Tape 2, 3, 4.
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sen Emigrationsbüros sind das Quälendste, an das ich mich erinnere. Niemand schrie oder weinte, doch es herrschte eine tiefe, fast körperlich spürbare Bedrückung. […] Doch die jugendliche Lebenskraft setzte sich am Ende durch: Vielleicht sollte ich als Landarbeiter nach Palästina gehen? 380
Am 7. November 1938, zwei Tage vor dem Novemberpogrom, fand auf dem Breslauer Hauptbahnhof der Abschied Walter Laqueurs von seinen Eltern statt. Damals konnte er nicht ahnen, dass er sie zum letzten Mal sehen würde. Else und Fritz Laqueur wurden am 13. April 1942 von Breslau aus in das Durchgangsgetto Izbica im Distrikt Lublin deportiert. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Sie wurden wahrscheinlich aus Izbica in das Vernichtungslager Bełżec verschleppt und dort ermordet. 381 Walter Laqueur fuhr mit dem Zug Richtung Triest, um von dort das Schiff nach Palästina zu besteigen. Nach acht Tagen Reise erreichte er die Küste von Tel Aviv: Bei der Annäherung an die Küste konnte man die Minarette von Jaffa deutlich sehen und schließlich dann die weißen Gebäude von Tel Aviv. […] Das war am 14. November 1938. Wir waren Europa entkommen, und die alte Welt war bereits halb vergessen. 382
Walter Laqueur, der zunächst im Kibbuz lebte, durchlebte die Kriegsjahre und den Unabhängigkeitskrieg. Er ließ sich in Jerusalem nieder. Nach der Gründung des Staates Israel betätigte er sich als Journalist. 1955 verließ er Israel und ging nach London. Seitdem lebte er als Historiker und Publizist in Paris, London und Washington. 383 Max Moses Polke wurde am 3. September 1895 in Breslau geboren. Er studierte Jura, Nationalökonomie sowie Psychologie und Philosophie an der Breslauer Universität. Nach dem Abschluss seines Studiums fand er beim Breslauer Amts- und Landgericht eine Anstellung; 1930 wurde ihm ein Notariat übertragen. Bereits während des Studiums fand Max Polke seinen Weg zum Zionismus und engagierte sich in der Breslauer Gemeinde und der 380 Laqueur: Wanderer wider Willen, S. 152 f., 158. 381 Yad Vashem The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony für Fritz Laqueur und Else Laqueur. 382 Laqueur: Wanderer wider Willen, S. 182; vgl. Interview mit Walter Laqueur, ‚Jüdische Porträts‘, Bayerisches Fernsehen. 383 Ebd.
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Ortsgruppe der „Misrachi“. 384 Nach den antijüdischen Ausschreitungen gegen die Breslauer Juristen im März 1933 durfte Max Moses Polke zwar als Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges weiter vor Gericht auftreten, musste aber seine Kanzlei verkleinern. Zur Hauptquelle des Lebensunterhaltes der Familie wurde das Schuhgeschäft seiner Ehefrau. 1935 verlor Max Polke seine Zulassung als Notar. Erst im Juli 1938 nahm er eine Beschäftigung bei der Breslauer jüdischen „Arbeiter- und Wanderfürsorge“ auf. Ende 1937 reiste die Ehefrau von Max Moses Polke nach Palästina, um nach eventuellen Existenzmöglichkeiten Ausschau zu halten. Max Moses Polke schrieb 1940 in seinen Erinnerungen über ihre Entscheidung zur Auswanderung wie folgt: Nachdem meine Frau aus Palästina zurückgekehrt war, dachten auch wir an unsere Übersiedlung dorthin. Ich hatte zwar bis dahin die Absicht gehabt, in Deutschland zu bleiben und nur den Kindern eine Zukunft in Palästina zu bereiten, denn es war ja für uns in Deutschland immer noch wirtschaftlich erträglich. Ich fürchtete, dass meine Einordnung in Palästina bei meinem Alter und Beruf sehr schwer sein würde, und in Deutschland konnte ich immerhin noch einiges auch für das Judentum leisten. Nunmehr bemühte ich mich aber um die Erlangung eines Palästinazertifikats, was im Laufe der Jahre immer schwieriger geworden war. Nach vielen Bemühungen und Fahrten nach Berlin erhielt ich am 19. August 1938 vom Berliner Palästinaamt einen zusagenden Bescheid als einziger von 50 Bewerbern aus Breslau. Meine langjährige zionistische Tätigkeit und die Anzahl von drei Kindern waren hierfür entscheidend gewesen. 385
Im Anschluss an den Novemberpogrom am 10. November 1938 wurde Max Moses Polke verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. In seinen Erinnerungen betont er die wichtige Rolle der Frauen, die zurückblieben, aber für ihre verhafteten Ehemänner, Söhne, Väter „unermüdlich tätig waren“. 386 Auch seine Ehefrau erledigte alle für die Über384 Dunlap, Thomas: Before the Holocaust. Three Jewish lives, 1870–1939. Xlibris 2011, S. 245–357. 385 Polke, Max Moses: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (verfasst 1940), in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 2, Deutsches Reich 1938–1939, Bearbeitet von Heim, Susanne/Aly, Götz u. a. (Hrsg.). München 2008, S. 353 f. 386 Polke, Max Moses: Der Hölle entkommen, in: Limberg, Margarete/Rübsaat, Hubert (Hrsg.): Sie durften nicht mehr Deutsche sein. Jüdischer Alltag in Selbstzeugnissen 1933–1938. Frankfurt a. M./New York 1990, S. 304–315, hier S. 312.
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siedlung nach Palästina erforderlichen Formalitäten. 387 Anschließend gab die Breslauer Gestapo die Zusage für seine Auswanderung und am 25. November 1938 wurde Max Moses Polke aus der KZ-Haft entlassen. Einige Tage später, am 13. Dezember 1938, erhielt er beim englischen Generalkonsul in Berlin das begehrte Palästina-Zertifikat. 388 Familie Polke verließ am 18. Dezember 1938 Breslau. In Palästina ließ sie sich in Petach Tikwa nieder. 389 Ähnlich wie bei Walter Laqueur musste Max Moses Polkes 75-jährige Mutter in Breslau zurückbleiben. Zwischen 1920 und 1932 emigrierten nur knapp 1.948 Juden aus Deutschland nach Palästina, zwischen 1933 und 1941 stieg die Zahl der deutsch-jüdischen Emigranten nach Erez Israel auf etwa 53.200. 390 Allmählich wandelte sich die Idee des Zionismus von einem theoretischen Konzept, das sogar von den in Deutschland lebenden Zionisten vor 1933 als solches betrachtet wurde, zu einer praktischen Notwendigkeit. Wenn Palästina bis 1933 als Emigrationsziel praktisch keine große Rolle spielte, so änderte sich diese Tatsache nach 1933 schlagartig. Dieses Land wurde für diejenigen Juden, die versuchten, Deutschland zu verlassen, zu einer ernsthaften Perspek-
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Auch Rabbiner Bernhard Brilling beschreibt die besondere Rolle der Breslauer jüdischen Frauen, die vor allem nach den Massenverhaftungen der jüdischen Männern infolge des Novemberpogroms bei den Breslauer Behörden um die Freilassung der Inhaftierten intervenierten sowie Ausreisevorbereitungen ergriffen hatten, CAHJP, Brilling, Bernhard: Einzelheiten aus den Erinnerungen eines jüdischen Archivars (verfasst im Februar 1946), Sig. P 231, Record No. 40, S. 2. Polke, Max Moses: Mein Leben in Deutschland, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 2, S. 353. Für die Einwanderung (hebr. – עלייהAlijah) in Palästina war ein Zertifikat erforderlich, das die britische Mandatsregierung im Rahmen einer Quotenregelung ausstellte. Polke, Max Moses: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (unveröffentlichtes Manuskript, verfasst in Petach Tikwa 1940), Houghton Library, Harvard, S. 182–187. Weiss: Polish and German Jews, S. 212; Lavsky: The Impact of 1938, in: Heim/ Meyer/Nicosia (Hrsg.): Wer bleibt, S. 214. Zwischen 1933 und 1941 gelangten etwa 1.800 deutsche Juden auf illegalem Wege nach Palästina (die sogenannte ‚Alijah Beth‘ (hebr. ))עלייה ב. Somit betrug die Gesamtzahl der jüdischen Emigration aus Deutschland zwischen 1933 und 1941 nach Palästina etwa 55.000 Personen, siehe: Strauss, Herbert A.: Jewish Emigration from Germany. Nazi Policies and Jewish Responses (II), in: LBIYB, Nr. 26, 1981, S. 343–409, hier S. 346.
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tive. Bereits in den ersten drei Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft emigrierten etwa 31.000 deutsche Juden nach Palästina, während zu dieser Zeit etwa 9.500 Juden in die USA und 4.000 nach Großbritannien auswanderten. 391 Bis 1938 konnten insgesamt 43.000 deutsche Juden in Palästina Zuflucht finden. 392 Die veränderte Wahrnehmung Palästinas als potenzielles Emigrationsland war ein langer Prozess. Oftmals lagen mehrere Jahre des Erduldens des nationalsozialistischen Regimes hinter vielen deutschen Juden, bis sie zu der Ansicht der hier geschilderten Personen und Familien kamen, ihr einstiges Heimatland zu verlassen und Palästina als neue Heimat in Betracht zu ziehen. Nicht zuletzt war dieser Umstand dadurch bedingt, dass unter anderem die Vereinigten Staaten und Großbritannien ihre Einreisequoten für jüdische Flüchtlinge senkten. Die einzige Alternative boten einige der südamerikanischen Länder oder Schanghai. Das „Palästina-Amt“ wurde von Anträgen überschwemmt. Doch nicht alle Interessenten konnten auf eine Zusage und ein Einreisezertifikat setzen. Mitte 1938 erhielt Max Moses Polke wie beschrieben als Einziger unter 50 Antragstellern aus Breslau ein Einreisezertifikat nach Palästina. 393 Der überwiegende Teil der Auswanderer nach Palästina waren Kinder und Jugendliche beziehungsweise jüngere Erwachsene, die wie Walter Laqueur und Kurt Bergen darauf hofften, sich in der Emigration ein neues Leben aufbauen zu können. Bereits vor dem nationalsozialistischen Machtantritt errichtete die zionistische Bewegung sowohl in Deutschland als auch im Ausland ein System von Umschulungslagern, den sogenannten Hachschara-Lagern. Diese wurden zu einem integralen Bestandteil der Vorbereitung jüdischer Jugend auf das Leben in ihrer neuen Heimat Palästina. 394 Dort lernten die jüdischen Jugendlichen vor allem praktische Berufe in der Landwirtschaft und Handwerk, aber auch die hebräische Sprache, Palästinakunde und jüdische Geschichte. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 391 Lavsky: The Impact of 1938, in: Heim/Meyer/Nicosia (Hrsg.): Wer bleibt, S. 214. 392 Ebd., S. 213. 393 Polke, Max Moses: Mein Leben in Deutschland, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 2, S. 353 f. 394 Nicosia, Francis R.: Haavara, Hachschara, und Alijah-beth. Jüdisch-zionistische Auswanderung in den Jahren 1938–1941, in: ders./Heim, Susanne/Meyer, Beate (Hrsg.): ‚Wer bleibt, opfert seine Jahre, vielleicht sein Leben‘. Deutsche Juden 1938–1941. Göttingen 2010, S. 134–148, hier S. 142.
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gelang es fast 20.000 jüdischen Lehrlingen aus Deutschland, nach Palästina auszuwandern. 395 Aufgrund der sich extrem verschlechternden Lebenssituation in Deutschland und dem sich intensivierenden Auswanderungsdruck wurden viele jüdische Familien zu einer Trennung gezwungen. Notgedrungen wanderten viele auf getrennten Wegen in unterschiedliche Länder aus. Oft blieben die Eltern in Deutschland zurück und versuchten, zumindest ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Unmittelbar nach dem Novemberpogrom bot die britische Regierung etwa 10.000 jüdischen Kindern aus dem Machtbereich des Deutschen Reiches die Aufnahme in Großbritannien. Außer Großbritannien erklärten sich auch die Niederlande und die Schweiz sowie Belgien und Schweden bereit, eine größere Zahl der jüdischen Kinder aus Deutschland aufzunehmen. 396 Dank dieser Rettungsaktion der jüdischen Kinder, die unter der Bezeichnung „Kindertransporte“ bekannt wurde, 397 wurden mindestens 18.000 Kinder in der Zeit vom November 1938 bis September 1939 ohne Begleitung ihrer Eltern ins Ausland geschickt. 398 Die damals 22-jährige Stephanie Sucher berichtet in einem Interview von der Ausreise gemeinsam mit ihrer Schwester in einem Kindertransport aus Breslau nach London im Frühjahr 1939: Ich war unendlich glücklich, denn ich hatte eine Person in England gefunden, die mich als Dienstmädchen einstellen wollte. Das war die einzige Möglichkeit für mich nach England zu gelangen. Ich hatte auch Glück, denn ich musste Breslau nicht alleine verlassen. Ich wurde beauftragt, einen Kindertransport aus Breslau zu der holländischen Grenze zu begleiten. An dem Tag unserer Ausreise begleitete uns meine Mutter zum Breslauer Bahnhof. Ich kümmerte mich um die 395 Adler-Rudel: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime, S. 216–219. 396 Göpfert, Rebekka: Kindertransport. Geschichte und Erinnerung, in: Benz, Wolfgang/Curio, Claudia/Hammel, Andrea (Hrsg.): Die Kindertransporte 1938/39. Rettung und Integration. Frankfurt a. M. 2003, S. 34–43, hier S. 34. 397 Detailliert zu den ‚Kindertransporten‘, siehe u. a.: Curio, Claudia: Verfolgung, Flucht, Rettung. Die Kindertransporte 1938/39 nach Großbritannien. Berlin 2006; Benz/Curio/Hammel (Hrsg.): Die Kindertransporte 1938/39; Göpfert, Rebekka: Der jüdische Kindertransport von Deutschland nach England 1938/39. Geschichte und Erinnerung. Frankfurt a. M./New York 1999; Berth, Christiane: Die Kindertransporte nach Großbritannien 1938/39: Exilerfahrungen im Spiegel lebensgeschichtlicher Interviews. Ebenhausen/Isartal 2005. 398 Strauss: Jewish Emigration (I), S. 328.
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Gruppe der Kinder, in der sich auch meine 15-jährige Schwester Renate befand. Die Vorgänge an der niederländischen Grenze erwiesen sich für die Kinder als sehr traumatisch. An der Grenze angekommen, wurden die Kinder aus diesem Transport von der SS aufgefordert, sich auszuziehen. Sie wurden nach Schmuck durchsucht. Meine Schwester hatte ein goldenes Armband mit einem kleinen Davidstern. Dieses wurde ihr abgerissen und weggenommen. Es war für die Jungs und Mädchen sehr unangenehm, sich in der Gruppe ausziehen zu müssen und sich nackt gegenüberzustehen. Sie kamen sehr traumatisiert in England an. 399
Die meisten der ausgewanderten Kinder haben ihre Eltern nie mehr gesehen und gehörten sehr oft zu den einzigen ihrer Familie, die die Schoah überlebten. Auch Stephanie Sucher und ihre Schwester Renate waren die einzigen ihrer Familie, die sich retten konnten und den Krieg überlebten. Im gesamten Reichsgebiet entstanden binnen kurzer Zeit Büros zur Organisation solcher Kindertransporte. In Breslau beauftragte die jüdische Gemeinde den „Jüdischen Frauenbund“ zur Organisation und Durchführung der Transporte von jüdischen Kindern ins Ausland. Lili Wollmann berichtet in ihren Erinnerungen über ihre Tätigkeit und die Vorbereitungen bei der Auswanderung der jüdischen Kinder aus Breslau: Meine Tätigkeit in der Gemeinde in diesem Dezember 1938 und Januar 1939 wurde so unermesslich, dass die Gemeinde mir den Repräsentantensaal zur Verfügung stellte, denn ein gewöhnliches Büro reichte nicht mehr aus. Ich bekam unendliche Listen von Kindern, die verschickt werden sollten, nachdem ich den ersten Transport auf den Bahnsteig gebracht hatte, der mit unbekanntem Ziel mit einem Sammelvisum nach England gegangen war und sich mit Hunderten jüdischen Kindern aus anderen Städten in Berlin getroffen hatte. Meine damals 15jährige Tochter war eine der Ältesten, sie half[,] die jüngeren auf dem Transport zu betreuen. Aus vielen Kindern, die diesem ersten Transport folgten, haben sich tüchtige glückliche Menschen entwickelt, viele sind auch unter dem Druck der Trennung und der Sorge um die zurückgebliebenen Familien seelisch und körperlich zusammengebrochen. Indessen geschah alles[,] was möglich war, die Kinder der Gemeinde zur Auswanderung vorzubereiten: Sprachkurse, Kochkurse und Näh-Unterricht wurden vermittelt, Beziehungen zum Ausland angeknüpft und Kinder einzeln und in Gruppen nach Schweden, Belgien, Schweiz und Palästina verschickt. 400 399 AYV, Interview mit Stephanie Sarah Sucher, S. 18 f. 400 ALBINY, Wollmann: Bericht, S. 2 f.
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Wie viele der Breslauer jüdischen Familien musste sich auch Lili Wollmann von ihren Kindern trennen, denen 1938 die Einreise nach England gelang. Sie selbst verließ im Februar 1939 mit ihrem Ehemann und dem jüngsten Kind Breslau und emigrierte nach Ecuador. 401 Zu ähnlich exotischen Exilorten wie Ecuador gehörte auch Schanghai. Bis zum Zeitpunkt des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor im Dezember 1941 konnten die jüdischen Flüchtlinge ungehindert von Pass- und Visumsschranken nach Schanghai einreisen und dort bleiben. 402 Zwar erwiesen sich die Lebensverhältnisse unter der japanischen Besatzung als schwierig, diese wurden aber nicht lebensgefährlich. Zwischen November 1938 und August 1939 kamen etwa 20.000 jüdische Flüchtlinge – unter anderem aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei – in Schanghai an. 403 Dort fand auch Fritz Fabisch mit seiner Familie Zuflucht. Er wurde am 13. Mai 1922 in Breslau geboren. Fritz Fabischs Vater, Heinrich Fabisch, war Kellner, seine Mutter Erna Hausfrau. Die Familie Fabisch wohnte in der Tauentzienstraße. Seit 1936 bemühte sich Fritz Fabisch, eine Lehrstelle in der Elektrotechnik zu finden. Nach seinen erfolglosen Bemühungen ging er zu einem jüdischen Konfektionsbetrieb in die Lehre. Dieser bestand allerdings nur bis zum Novemberpogrom 1938. Kurz danach wurde Fritz Fabischs Vater in Breslau verhaftet. Der Mutter gelang es jedoch, Schiffskarten nach Schanghai zu besorgen, sodass Heinrich Fabisch aus der Haft entlassen wurde. Ende Januar 1939 verließ Fritz Fabisch gemeinsam mit seinen Eltern und der 14-jährigen Schwester Hannah seine Heimatstadt: Die deutschen Behörden machten uns keine besonderen Schwierigkeiten. Wir mussten nur eine Steuerbestätigung und Führungszeugnisse vorlegen. Wir bekamen einen Auswandererpass, in dem ein großes ‚J‘ eingestempelt war. Die vor401 Ebd., S. 3. Nach Herbert A. Strauss emigrierten zwischen 1933 und 1945 etwa 3.000 Juden aus Europa nach Ecuador, Strauss: Jewish Emigration (II), S. 377. 402 Ausführlich zum Thema der jüdischen Flüchtlinge in Schanghai siehe u. a.: Ristaino, Marcia R.: The Jacquinot Safe Zone: Wartime Refugees in Shanghai. Stanford 2008; ders.: Port of last Resort. The Diaspora Communities of Shanghai. Stanford 2001; Zuroff, Efraim: Attempts to Obtain Shanghai Permits in 1941: A Case of Rescue Priority During the Holocaust, in: YVS, Nr. 13, 1979, S. 321–351; Altman, Avraham/Eber, Irene: Flight to Shanghai, 1938–1940. The Larger Setting, in: YVS, Nr. 28, 2000, S. 51–86. 403 Altman/Eber: Flight to Shanghai, S. 51.
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gelegten Schiffskarten dienten als Transitvisa für Italien. Ende Januar 1939 fuhren wir von Breslau ab, kamen über die Tschechoslowakei, Wien, Semering, Klagenfurt und erreichten Anfang Februar Triest. Von dort fuhren wir mit dem Dampfer ‚Comte Rose‘ nach Shanghai. […] Aus Deutschland hatten wir etwas Gepäck mitnehmen dürfen. Unsere Koffer wurden daheim von zwei Zollbeamten versiegelt. Neue Kleider und Wäsche haben wir nicht mitgenommen, weil dies an eine besondere Bewilligung gebunden war. Vater und Mutter hatten ihre Eheringe. Anderer Schmuck durfte nicht ausgeführt werden. Pro Person durften wir 10 Mark auf die Reise mitnehmen. Die Passkontrollen an den Grenzen waren durchaus normal. Wir wurden von niemandem belästigt. Am 5. März 1939 kamen wir in Shanghai an. 404
In Schanghai wies man der Familie Fabisch das Stadtviertel Hong-Kew zu, das sie mit circa einer halben Million Menschen teilten. In diesem Stadtviertel lebten etwa 20.000 jüdische Flüchtlinge, hauptsächlich aus dem Deutschen Reich. Nach Kriegsende wanderte ein großer Teil der Juden in die USA und nach Israel aus. Sobald der Krieg zu Ende war, stellte sich auch für Fritz Fabisch die Frage einer Weiterwanderung. Im Januar 1949 verließ Fritz Fabisch Schanghai in Richtung des neu gegründeten Staates Israel, wo er sich in Mazor bei Petach Tikwa niederließ. 405 Ein ähnliches Schicksal wie Fritz Fabisch teilt Evelyn Pike Rubin. Sie wurde 1930 in Breslau als Evelyn Popielarz geboren und wuchs in einer orthodoxen jüdischen Familie, die sich als „deutschnational“ definierte, auf. Ihre Eltern, Rika und Benno Popielarz, waren mittelständische Geschäftsleute und besaßen in Breslau ein Papier- und Bindfadengeschäft. Um die Jahreswende 1936/37 begann die Familie Popielarz, ihre Auswanderung aus Breslau in Erwägung zu ziehen. Evelyn Pike Rubin erinnert sich an die Diskussionen in ihrem Elternhaus: Das war 1936/37. Damit war unsere letzte Hoffnung dahin. Später wurde ein großes ‚J‘ in unseren Pass gestempelt. Es gab also nur noch einen Weg Deutschland zu verlassen: das Exil! Jeden Tag, wenn Mutti und Vati aus dem Geschäft nach Hause kamen, hörte ich neue Begriffe: Visa, Affidavit, Auswanderung, Bra404 AYV, Protokoll zum Interview mit Fritz Fabisch (‚Über seine Erlebnisse zur Zeit seines Aufenthaltes in Schanghai vom Jahre 1939–1949‘, aufgenommen am 20. Dezember 1964 in Mazor/Israel), Bestand O.3 – Testimonies department of the Yad Vashem Archives, Sig. 2763, S. 1 f. 405 Ebd., S. 15.
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silien, Kuba, Amerika, England, Frankreich, Palästina. Ich hörte erstmals auch Fremdsprachen, als meine Eltern begannen, Englisch, Spanisch und Portugiesisch zu lernen. 406
Während des Novemberpogroms wurde der Vater von Evelyn Pike Rubin, Benno Popielarz, inhaftiert und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Er kam erst ein paar Wochen später krank zurück nach Breslau. Unmittelbar danach besorgte Rike Popielarz Fahrkarten für eine Schiffsreise nach Schanghai. Im Alter von acht Jahren verließ Evelyn Pike Rubin mit ihren Eltern Breslau. Am 14. März 1939 traf die Familie Popielarz in Schanghai ein und war gerettet. Evelyn Pike Rubin verließ am 6. März 1947 Schanghai und kam am 20. März 1947 in die USA, wo für sie ein neues und endlich normales Leben begann. 407 Die erzwungene Emigration trennte Familien. Oft blieben die alten Eltern, wie die von Walter Laqueur oder Stephanie Sucher, in Deutschland allein zurück. In anderen Fällen gingen die einzelnen Familienmitglieder in verschiedene Länder, wie etwa die Familie Wollmann nach Ecuador und zwei ältere Töchter nach Großbritannien. In den Berichten, Erinnerungen und Tagebüchern der Breslauer Juden finden sich die unendliche Mühsal und die allgegenwärtige Angst um das eigene Leben, aber auch um das der zurückgelassenen Eltern, Verwandten und Freunde wieder. Nicht zuletzt war der Schmerz, ihre Heimatstadt Breslau, in der sie oft seit Generationen gelebt hatten, ihren Freundeskreis und ihren Sprachraum verloren zu haben, groß. Es finden sich Angehörige, die in den Anzeigen nach seit einem halben Jahrhundert verschollenen Familienangehörigen suchen. In einer der letzten Ausgaben der „Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel“ meldet sich Moshe Posener, der im israelischen Modiin lebt,
406 Pike Rubin, Evelyn: Ghetto Shanghai. Von Breslau nach Shanghai und Amerika. Erinnerungen eines jüdischen Mädchens, 1943–1947, 1995 und 1997. Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn. Konstanz 2002, S. 20; vgl. ALBINY, Pike Rubin, Evelyn Collection, 1996–2002, Sig. AR 10586; Interview with Evelyn Pike Rubin, June 1997, Holocaust/Genocide Project: An End to Intolerance, http://www. iearn.org/hgp/aeti/aeti-1997/shanghai.html (abgerufen am 11. März 2013). 407 Interview with Evelyn Pike Rubin, June 1997, Holocaust/Genocide Project: An End to Intolerance, http://www.iearn.org/hgp/aeti/aeti-1997/shanghai.html (abgerufen am 11. März 2013).
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2008 zu Wort und sucht nach seinen Familienmitgliedern, die entweder Breslau verlassen konnten oder in der Stadt verblieben waren: Mein Onkel verließ Deutschland und ging entweder nach Australien oder Neuseeland. Nie wieder wurde etwas von ihm gehört. Meine mütterlichen Großeltern Hugo und Grete Lewin, geb. Freund, wurden 1942 aus Breslau in das Ghettolager Izbica im Kreis Lublin deportiert. Gibt es darüber irgendwelche Informationen? 408
3.5.3 In Deutschland gefangen – Gescheiterte Emigrationsversuche Nach dem Besuch des „Hachschara-Lagers Gut Winkel“ brach der 16-jährige Ernst Avraham Cohn Ende März 1935 mit einer Breslauer Gruppe der „Jugendalijah“ 409 von Triest aus nach Palästina auf. Mitte 1936 schrieb Ernst Avraham Cohn aus dem Kibbuz Giwat Brenner 410 an seinen Vater Willy Cohn in Breslau: Ich bin jetzt ein Jahr hier. Wenn ich heute zurückblicke, verging es schnell, wie überhaupt alles, wenn man nur rückwärts blickt … Wie oft habe ich gewünscht, es sei morgen. Nur besteht eine Frage: war es wirklich ein Aufstieg, oder was ist es? … Noch eines sollte jeder wissen: sobald Du in Haifa vom Schiffe steigst, hast Du einen Punkt gesetzt nach einem Satz. Hast Du Schluss gemacht mit deinem ganzen bisherigen Leben. Denn hier ist alles anders, als Du es dir in deinen kühnsten Träumen vorgestellt hast. Die Wirklichkeit ist anders als alle Erzählungen, und das ist auch ein Grund, weshalb man so wenig Persönliches nachhause schreibt. 411
Bereits wenige Monate später konnten sich Willy Cohn sowie seine zweite Ehefrau Gertrud von den Schilderungen ihres Sohnes Ernst Abraham bezüglich des Lebens in Erez Israel selbst überzeugen. Im Frühling 1937 reisten 408 Suchanzeigen, in: MVBI, Nr. 83, 2008, S. 23. 409 Hebr. ( – עלית הנוערAlijat haNoar) eine jüdische Organisation, am 30. Januar 1933 von Recha Freier in Berlin gegründet, setzte sich zum Ziel, möglichst viele Kinder und Jugendliche aus dem Deutschen Reich hauptsächlich nach Palästina in Sicherheit zu bringen. 410 Hebr. – גבעת ברנרKibbuz Giwat Brenner, gelegen bei Rechovot südlich von Tel Aviv, wurde 1928 gegründet. 411 BJG, Nr. 16, 25. August 1938, S. 8.
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nämlich Willy und Gertrud Cohn mit einem Touristenvisum nach Palästina, um ihrem Sohn einen Besuch abzustatten. Vor allem aber wollten sie auf diese Weise die Möglichkeiten ihrer eventuellen Übersiedlung in das „Gelobte Land“ überprüfen. Für Willy Cohn war die Reise nach Palästina sehr emotional und anrührend. Hier traf er auch „mehr Bekannte und Freunde, als in Breslau“. 412 Nach seiner Rückkehr aus Palästina hielt er in Breslau eine Vortragsreihe über Erez Israel und widmete sich mit verstärkter Intensität seiner zionistischen Tätigkeit. Der Exodus aus Breslau begann bei den eigenen Kindern. Der älteste Sohn Wolfgang floh unmittelbar nach dem Abitur im April 1933 nach Paris. 413 Die zwei jüngeren Kinder Ernst und Ruth teilten die zionistischen Hoffnungen ihres Vaters auf Palästina. So lebte Ernst Avraham bereits ab 1935 in Palästina. 1939 verschaffte Gertrud Cohn ihrer 14-jährigen Tochter Ruth die Ausreise mit einer Jugendalijah-Gruppe nach Dänemark. Als Dänemark im April 1940 von den deutschen Truppen besetzt wurde, gelangte sie im Dezember 1940 unter sehr schwierigen Umständen mit einer Sonderhachschara über Stockholm, Helsinki, Moskau, Odessa und Istanbul nach Palästina. 414 Zurück in Breslau blieben die zwei jüngsten Töchter von Willy und Gertrud Cohn, die 1932 geborene Susanne und die 1938 geborene Tamara. Trotz aller Enttäuschungen hing Willy Cohn sehr fest an Deutschland und seiner Kultur. Das Land sah er immer noch als seine Heimat. So schrieb er im Februar 1933 in sein Tagebuch: „Es ist trotz allem sehr schwer, sich die Liebe zu Deutschland ganz aus dem Herzen zu reißen.“ 415 Selbst nach über sieben Jahren des Lebens unter der nationalsozialistischen Herrschaft und der Erfahrung des offenen antijüdischen Terrors notierte Willy Cohn bereits nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Juni 1940 in seinem Tagebuch:
412 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 19. April 1937, Bd. 1, S. 422. 413 Interview mit Louis Cohn (ehemals Wolfgang Robert Cohn), 1996 in Hauts-deSeine, Frankreich, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 9399, Tape 1. 414 Interview mit Ruth Atzmon-Cohn, 2008 in Berlin, AA. 415 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 26. Februar 1933, Bd. 1, S. 13.
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Für mich persönlich hat die ganze Lage noch etwas besonders Tragisches: meine inneren Sympathien sind nun einmal bei Deutschland, von dem ich glaube, dass es um seinen Lebensraum kämpft, und mein ältester Sohn, an dem ich so sehr hänge, muss für die andere Seite kämpfen. 416
Zum anderen erkannte Willy Cohn sehr schnell die Gefahren, die den deutschen Juden seitens der Nationalsozialisten drohten, und er versuchte, die Ausreise seiner Familie in die Wege zu leiten. 1937 in Jerusalem angekommen, scheiterten seine Bemühungen, an der Hebräischen Universität oder einer anderen Erziehungsanstalt eine passende Stelle zu finden. Auch der Kibbuz Giwat Brenner lehnte die Aufnahme der Familie Cohn ab. 417 Als Hindernis erwies sich das zu hohe Alter des Ehepaars Cohn. Nachdem Willy Cohn von seiner Palästinareise zurück nach Breslau gekommen war, intensivierte er seine Emigrationsanstrengungen. Nach dem Novemberpogrom setzte er alles daran, Deutschland verlassen zu können. Er bestand jedoch weiterhin darauf, ausschließlich nach Palästina auswandern zu wollen: Bekannte gibt es nur wenige noch. […] Die Juden wechseln so leichthin ihr Vaterland; ich kann das nicht; Erez Israel wäre eine Heimat, aber andernorts ist eine neue Galuth. Ja, wenn ich in Erez Israel ein Brot finden würde, das mich ernährt; aber das werde ich gewiss nicht mehr finden; ich bin immer ein stolzer und unabhängiger Mann; ich möchte nie danke sagen müssen. […] Wenn es Palästina nicht sein kann, so will ich schon gern das Schicksal Deutschlands mittragen. 418
Bald musste er resigniert erkennen, dass die Auswanderung aufgrund der begrenzten Zahl an Immigrationsbewilligungen, aber auch wegen seines fortgeschrittenen Alters sowie seiner hartnäckigen Überzeugung, nur nach Palästina gehen zu wollen, nicht mehr möglich sein würde. Dies verdeutlicht sein Tagebucheintrag vom März 1941: „Ich bin der letzte der jüdischen Studien-
416 AYV, Auszüge aus den Tagebüchern von Willy Cohn, Bestand O.1 – K. J. BallKaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 260, Tagebucheintrag vom 4. Juni 1940, S. 35. 417 CAHJP, Cohn: Tagebücher, August–Oktober 1937, Sig. P 88, Record No. 80, S. 65–67; vgl. Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 13. September 1937, Bd. 1, S. 467 f. 418 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 9. Januar 1939 und 10. August 1940, Bd. 2, S. 583, 827.
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räte des ehemaligen Johannes-Gymnasiums, der heute noch hier ist und der es nicht verstanden hat, für sich eine Zukunft zu schaffen.“ 419 Seine Tochter Ruth Atzmon-Cohn erinnert sich rückblickend: Ich selbst verließ Breslau im Alter von vierzehneinhalb Jahren. Das war ein schwerer Abschied, den mein Vater kaum ertragen konnte. Nur meine Mutter begleitete mich zur Bahnstation, welche noch heute in Breslau steht. Diese Minuten sind für immer unvergesslich in meinem Gedächtnis. Bis zum letzten Augenblick hofften meine Eltern, uns nachkommen zu können. Aber es gelang nicht. Für die Auswanderung nach Palästina benötigte man eine große Summe Geld, die ihnen nicht zur Verfügung stand. Bis zum Schluss focht mein Vater einen inneren Kampf zwischen Familie und ‚Heimatzugehörigkeit‘ ! Doch Hitler ‚löste‘ dieses Dilemma. Für ihr Judesein mussten sie mit ihrem Leben bezahlen. 420
Am 15. November 1941 wurde Willy Cohn per Postkarte benachrichtigt, dass er mit seiner Familie an einen anderen Ort umgesiedelt würde. Sechs Tage später, am frühen Morgen des 21. Novembers 1941, wurde die Familie Cohn aus ihrer Wohnung abgeholt und zur Sammelstelle gebracht. Willy Cohn mit seiner Ehefrau Gertrud sowie ihren zwei jüngsten Töchtern, Susanne und Tamara, wurden am 25. November 1941 mit weiteren 1.000 Breslauer Juden in das litauische Kaunas deportiert. 421 Im dortigen IX. Fort erschoss das deutsch-litauische Einsatzkommando 3 unter Führung von Karl Jäger am 29. November alle angekommenen jüdischen Breslauer. 422 Dr. Alfons Lasker wurde am 22. Oktober 1886 in Kempen in der Provinz Posen geboren. Er lebte mit seiner Frau Edith sowie mit dreien ihrer Töchter, Marianne, Renate und Anita, in Breslau. Alfons Lasker war ein geachteter Rechtsanwalt am Breslauer Oberlandesgericht und besaß eine gut 419 420 421 422
AYV, Auszüge aus den Tagebüchern von Willy Cohn, S. 103 f. Interview mit Ruth Atzmon-Cohn, 2008 in Berlin, AA. APWr, Urząd Skarbowy Wrocław Południe (USWP), Sig. 575/1–4. Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933–1945), http://www. bundesarchiv.de/gedenkbuch (abgerufen am 12. März 2013); AYV, Jäger, Karl: Gesamtaufstellung der im Bereich des Einsatzkommandos 3 bis zum 1. Dezember 1941 durchgeführten Exekutionen (verfasst in Kauen am 1. Dezember 1941), der sogenannte ‚Jäger Bericht‘, Bestand O.53 – Ludwigsburg, USSR Collection (Zentrale Stelle des Landesjustizverwaltungen), Sig. 1, Bl. 217; vgl. Wette, Wolfram: Karl Jäger. Mörder der litauischen Juden. Frankfurt a. M. 2011, S. 124 ff.
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gehende Kanzlei in der Stadt. 423 Wie Willy Cohn war auch Alfons Lasker Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg. Familie Lasker gehörte dem deutschen Bildungsbürgertum an, das dem liberalen Reformjudentum verbunden war. Sie bezeichnete sich selbst als „assimiliert“. Im Haus der Familie Lasker wurde auf ein klares, gefälliges, ja elegantes Deutsch Wert gelegt. 424 Eltern und Kinder lasen miteinander, auch in den Jahren der Verfolgung, die großen Werke der klassischen Dichter. Musik spielte ebenfalls eine besondere Rolle im Leben der Familie Lasker. Jede der drei Töchter lernte ein Instrument, und einmal in der Woche wurde im Hause Lasker ein Kammermusikabend veranstaltet. Als den jüdischen Anwälten in Deutschland die Lizenz entzogen wurde, war Alfons Lasker zunächst eine begrenzte Ausübung seines Berufes gestattet. Dies verdankte er der Verwicklung in einen Prozess, in dem er seinen Klienten, den Grafen Künigl, in einem Rechtsstreit mit dem schlesischen Magnaten Henckel von Donnersmarck vertrat. 425 Spätestens nach dem Novemberpogrom begann Alfons Lasker, an eine Auswanderung zu denken. Zunächst wurde die Auswanderung in die USA in Erwägung gezogen, wo der Bruder Edward Lasker seit mehreren Jahren lebte. Sehr schnell stellte sich heraus, dass der Geburtsort des Juristen diesen Plänen im Wege stand. Die Tatsache, dass Alfons Lasker in Kempen geboren wurde, welches laut Versailler Vertrag Polen zugesprochen worden war, bestimmte, dass die Familie der polnischen Auswanderungsquote in die USA zugeordnet war, die für Jahre im Voraus überfüllt war. Eine Existenz in Palästina konnte sich Alfons Lasker nicht vorstellen, überhaupt war ihm die Vorstellung eines Lebens außerhalb des deutschen Kulturkreises nahezu undenkbar. In der Zwischenzeit schloss sich die älteste Tochter Marianne der zionistischen Gruppe der „Werkleute“ an. Im Sommer 1939 gelangte sie nach England, welches eine Zwischenstation auf dem Weg nach Palästina sein sollte. Die beiden jüngeren 423 AYV, Wallfisch, Anita: Cellist in the Auschwitz Camp Orchestra, Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 523, S. 1. 424 Lasker-Wallfisch: Ihr sollt die Wahrheit erben, S. 11. 425 Korrespondenz des Grafen Philipp Künigl mit Tuvia Friedmann, in: Friedmann, Tuvia (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen kämpfen um die Erbschaft von fünf Millionen Goldmark. Dafür wird der jüdische Anwalt nach Auschwitz in den Tod geschickt. Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel. Haifa 1997, S. 2 f.; vgl. Lasker-Wallfisch: Ihr sollt die Wahrheit erben, S. 11.
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Töchter Renate und Anita mussten jedoch in Breslau bleiben. Sämtliche Emigrationsversuche, die Alfons Lasker für die Familie unternahm, schlugen fehl. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges scheiterten schließlich die verzweifelten Anstrengungen, wenigstens die zwei Töchter vor Deutschland in Sicherheit zu bringen. Alfons Lasker schrieb am 26. August 1939 an seine älteste Tochter Marianne in England: […] Nun ist ja mit einem Schlage alles verändert. Mein ausführlicher Brief ist durch die Ereignisse längst überholt. In Berlin erhielt ich noch einen Brief von Odettes Bruder [Odette war die ehemalige Gouvernante der drei Töchter Laskers] mit einer persönlichen Garantie für Anita. Überholt. In Breslau fand ich Deinen Brief mit der chilenischen Anregung vor. Überholt. Und heute früh kamen die beiden Unbedenklichkeitsbescheinigungen für Renate und Anita. Alles überholt. […] Ich gebe bei England noch nicht ganz die Hoffnung auf, dass Permits und Visa über neutrale Konsulate geleitet werden. Aber schließlich ist alles Persönliche heute unwesentlich gegenüber der Frage: was wird aus Europa werden? […] 426
Alfons Lasker kämpfte jedoch weiter um die Ausreise seiner Familie. Diese Anstrengungen eines verbitterten Kampfes sowie ein Hauch der Hoffnung verdeutlichen die Zeilen aus dem Brief an seine Tochter in England vom März 1940: […] In den letzten Wochen habe ich wie ein Wahnsinniger gearbeitet. Auch an den beiden Ostertagen klapperten die Schreibmaschinen von früh bis Abend. Das Tempo der Abwicklung unterschätzt man leider sehr, und der 15. 4. dürfte der Zeitpunkt unserer Ausreise sein. Immerhin schreibe ich schon heute unsere künftige Adresse: c/o Dott. Boscarolli, via Piemonte 14, Bolzano. 427
So glaubte die Familie Lasker, kurz vor der Abreise nach Italien gestanden zu haben. Aber auch dieses Ziel erwies sich als nicht realisierbar. Anita Lasker schreibt in ihren Erinnerungen: Alles zerschlug sich immer im letzten Moment. Ich erinnere mich noch, wie wir alle auf das italienische Konsulat gingen, der Beamte schon seinen Stempel in der Hand hielt und dann im letzten Augenblick zögerte, da irgendeine Bedingung doch noch nicht erfüllt war, und wie wir alle niedergeschlagen nach Hause gingen. […] Wir versuchten uns damit abzufinden, in Deutschland bleiben zu müs426 Lasker-Wallfisch: Ihr sollt die Wahrheit erben, S. 36. 427 Ebd., S. 38.
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sen, und nahmen alle möglichen Aktivitäten auf. Wir waren nicht so verzweifelt, wie wir es hätten sein sollen. Man ahnte nicht, was alles bevorstand. 428
Am 13. April 1942 wurden Alfons und Edith Lasker in demselben Transport, in dem sich die Eltern von Walter Laqueur befanden, in das Durchgangsgetto Izbica im Distrikt Lublin deportiert. 429 Höchstwahrscheinlich wurden sie in einem der Vernichtungslager Bełżec oder Sobibór ermordet. 430 Die in Breslau verbliebenen zwei Töchter Renate und Anita wurden einige Monate später nacheinander in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dort angekommen wurde Anita Lasker Mitglied des „Lagerorchesters“. Im November 1944 wurden die beiden Schwestern in das Konzentrationslager Bergen-Belsen verschleppt. Dort erlebten sie am 15. April 1945 die Befreiung durch britische Truppen. 431 Zu einem der ungewöhnlichsten Dokumente in Bezug auf die Emigration aus Breslau gehört ein Fotoalbum, das im Archiv des New Yorker YIVO Instituts aufbewahrt wird. 432 Es beinhaltet Fotografien mit Angaben wie Geburtsort, Geburtsdatum, berufliche Erfahrung sowie Kenntnisse von Fremdsprachen von 324 Breslauer Juden. Es wurde 1938 vom Breslauer Zahnarzt Dr. Otto Neumann in der Hoffnung zusammengestellt, im Ausland für diese Gruppe der Verfolgten nach Emigrationsmöglichkeiten suchen zu können. Diese Listen gelangten in die USA zu Virginia Dorsey Lightfoot, die seitdem an mehreren amerikanischen Institutionen mit ungeheurem Engagement für die Auswanderung dieser Gruppe warb. Im Juni 1939 schrieb sie an den Gründer und Vorsitzenden des „Intergovernmental Committee on Refugees“, Myron Charles Tylor in New York: I hope that you can spare a few moments to examine the photographs I have of a group of refugees who are still in Breslau, Germany. For a year I have been trying to help these people. A year ago a Christian member of the old German nobility, 428 Ebd., S. 40. 429 APWr, USWP, Liste der am 13. April 1942 abgeschobenen Juden, Sig. 575/15– 28. 430 Friedmann: Zwei deutsche Grafen kämpfen, S. 102; Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch (abgerufen am 12. März 2013). 431 Interview mit Anita Lasker-Wallfisch, am 18. Juli 2010 in London, AA. 432 Archiv Institute for Jewish Research, YIVO (AYIVO), Lightfoot, Virginia Dorsey, 1939–1941, Sig. RG 715.
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wrote asking me to try to help her dentist (who is a jew) Dr. Otto Neumann of Breslau, to emigrate to some other country. Since then I have been in close correspondence with Dr. Neumann. […] It is through Dr. Neumann that I have learned of this group of people whom he recommends for their good characters as well for their skill in their various trades and professions. […] The opinion of many persons who have seen this list is, that it is the most wonderful human document they have ever seen, mainly because of the fine character shown in the faces of these people. When the Breslau police threatened to put this group on a ship without permits to land anywhere, 433 I took the list with the photographs to Philadelphia to the American Friends Service Committee to ask if the Friends would try to have the peoples’ time extended until there was hope of the Intergovernmental Committee on Refugees making some arrangement for them. These people have been robbed of their possessions therefore they have no money to pay their entrance fees to other countries. The only way they could pay back for their emigration is by their work but as there is no country at present open to them on these terms it would seem them is the only hope left for them. 434
Virginia Dorsey Lightfoot versuchte, sich ebenfalls bei dem britischen Konsulat in Breslau, dem „American Friends Service Committee“ 435 und dem „National Refugee Service“ 436 für die Auswanderung der Gruppe der Breslauer Juden einzusetzen. Bereits im November 1938 unternahm das „National Refugee Service“ Versuche, Dr. Otto Neumann die Ausreise in die USA zu ermöglichen, unter anderem suchte es nach einer Person, die ein Affidavit für den Zahnarzt ausstellen könnte. Im Herbst 1939 wurde in Erwägung gezogen, die etwa 300 Breslauer Juden in Alaska unterzubringen. Am 433 Es handelt sich hier um die bereits erwähnten Pläne der Breslauer Gestapo, die im Frühjahr 1939 beabsichtigte, eine Gruppe von etwa 300 Breslauer Juden nach Schanghai abzuschicken, siehe u. a.: ‚Eichmann Slated to Head Central Emigration Office‘, in: JTA, Berlin 14. Februar 1939. 434 AYIVO, Lightfoot, Virginia Dorsey, 1939–1941, Sig. RG 715 (unpg.). 435 Das ‚American Friends Service Committee‘ wurde 1917 während des Ersten Weltkrieges gegründet und setzte sich zum Ziel, zivile Friedensdienste zu organisieren. Zu seinen Arbeitsgebieten gehörten medizinische Versorgung sowie Verteilung von Lebensmitteln und Kleidung in den vom Krieg betroffenen Regionen. 436 ‚National Refugee Service‘ wurde 1939 in New York gegründet und leistete den aus Europa vor dem Nationalsozialismus geflüchteten Personen Hilfe. Zu den Tätigkeiten dieser Organisation gehörten unter anderem Unterstützung der Immigrationsprozeduren, Besorgung von Affidavits und Visen.
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30. April 1940 gab das „Refugee Section of the American Friends Service Committee“ bekannt, dass es die Möglichkeit der Übersiedlung dieser Gruppe nach Santo Domingo sondiere. Am 11. März 1940 schrieb Dr. Otto Neumann einen Brief an Virginia Dorsey Lightfoot, in dem er noch seine Hoffnungen auf eine baldige Auswanderung der „Breslauer Gruppe“ äußerte: I informed my people here as they are only waiting for the moment of emigration and the authorities hold us under very hard pressure to get forward our emigration as we are not desired here. Thereby it is so difficult to come out if one has no relations and foreign money abroad. We are doing what is possible to force our emigration by all means. 437
Alle Pläne der amerikanischen Organisationen zugunsten der Emigration der 324 Breslauer Juden scheiterten jedoch. Nur sehr wenige von ihnen konnten sich durch eine individuell organisierte Flucht aus Breslau retten. Anhand der Korrespondenz von Dr. Otto Neumann und Virginia Dorsey Lightfoot erfahren wir, dass zumindest seine jüngste Tochter, Silvia Neumann, Zuflucht in Großbritannien fand. Am 13. April 1942 wurde der 60jährige Arzt Otto Neumann, zusammen mit dem Ehepaar Alfons und Edith Lasker, in das Transitgetto Izbica im Lubliner Distrikt deportiert. 438 Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Unter den 324 Breslauer Juden, die in diesem Album aufgelistet waren, befand sich unter der Nummer 92 der Breslauer Architekt Moritz Hadda. 439 Er wurde am 16. Januar 1887 im oberschlesischen Cosel geboren und zog als Kind mit seinen Eltern nach Breslau. Moritz Hadda studierte an der Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe. Nach dem Studium gründete er gemeinsam mit Ludwig Schlesinger ein Architektenbüro. Sein älterer Bruder, der Chirurg Dr. Siegmund Hadda, war Leiter des jüdischen Krankenhauses in der Stadt. Nachdem Moritz Hadda nach 1933 seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte, fand er Anstellung bei der Breslauer jüdischen Gemeinde. Seitdem arbeitete er als Lehrer der technischen Fächer in der jüdischen Schule sowie bei den Umschichtungskursen der Gemeinde. Seine Tätigkeit bei 437 AYIVO, Lightfoot, Virginia Dorsey, 1939–1941, Sig. RG 715 (unpg.). 438 APWr, USWP, Liste der am 13. April 1942 abgeschobenen Juden, Sig. 575/15– 28; Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/ gedenkbuch (abgerufen am 15. März 2013). 439 AYIVO, Lightfoot, Virginia Dorsey, 1939–1941, Sig. RG 715 (unpg.).
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der Gemeinde endete im November 1941. Am 25. November 1941 wurde er, zusammen mit der Familie Willy Cohn, in das litauische Kaunas deportiert, wo er vier Tage danach im IX. Fort erschossen wurde. 440 Auf der Liste der Breslauer Juden stand unter der Nummer 166 der Name Konrad Latte, mit seinen Eltern Margarete und Manfred Latte. 441 Er wurde 1922 in Breslau geboren. Sein Vater Manfred Latte war Jurist und betätigte sich bis 1933 als Leiter eines Textilunternehmens. In der Familie Latte wurde Kunst und Bildung großgeschrieben. So wuchs Konrad Latte mit dem Entschluss auf, Musiker zu werden. 1939/40 besuchte er in Berlin das einzige jüdische Konservatorium Landsberg-Holländer. Nach seiner Rückkehr nach Breslau gelang es ihm, nicht zur Zwangsarbeit in der Fabrik, sondern im jüdischen Krankenhaus eingesetzt zu werden. Das dort erlebte Elend und seine eigene kurzzeitige Festnahme 1942 verstärkten in ihm den Willen, sich nicht freiwillig zur Deportationssammelstelle zu begeben. Im März 1943 von der Deportation nach Auschwitz bedroht, flohen Manfred und Margarete Latte, dem Rat ihres Sohnes folgend, und versuchten in Berlin unterzutauchen. 442 Dieser Versuch scheiterte. Margarete und Manfred Latte wurden am 14. Oktober 1943 von Berlin aus in dem „44. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. 443 Als einem der wenigen der 324 Breslauer Juden, die in dem Album aufgelistet waren, gelang hingegen Konrad Latte das Überleben in der Illegalität in Berlin. 444 440 Yad Vashem The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony für Moritz Hadda; vgl. Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www. bundesarchiv.de/gedenkbuch (abgerufen am 15. März 2013). 441 AYIVO, Lightfoot, Virginia Dorsey, 1939–1941, Sig. RG 715 (unpg.). 442 ALBINY, Latte, Konrad/Latte, Ellen: Überleben in der Illegalität, 1940–1952, Sig. ME 1108 MM II 32, S. 1 ff.; vgl. Feinberg, Anat: Nachklänge. Jüdische Musiker in Deutschland nach 1945. Berlin/Wien 2005, S. 50 f.; Broder/Geisel: Premiere und Pogrom, S. 270–281; Schneider, Peter: Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen. Wie ein jüdischer Musiker die Nazi-Jahre überlebte. Berlin 2001. 443 Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/gedenk buch (abgerufen am 15. März 2013); Broder/Geisel: Premiere und Pogrom, S. 278; Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 425. 444 Konrad Latte überlebte in ständiger Lebensgefahr und Not den Krieg im Berliner Untergrund. Seine Bekannten und Widerständler haben ihn dabei unterstützt,
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3.6 Der Weg in die Vernichtung, 1940–1945 3.6.1 Beengtes Leben und Zwangsarbeitseinsatz 1940 lebten in Breslau noch mehr als 9.000 Juden, von denen nur wenige ein Leben oberhalb des Existenzminimums führten. Anfang 1940 waren in der Stadt acht jüdische Rechtsanwälte, die sogenannten „Rechtskonsulente“, und etwa 40 bis 50 Ärzte sowie 15 Zahnärzte, die als „Krankenbehandler“ bezeichnet wurden, tätig. 445 Mehr und mehr entwickelte sich die Breslauer jüdische Gemeinde zum Hauptarbeitgeber für die in der Stadt lebenden Juden. Das Gesamtpersonal der Verwaltung der jüdischen Gemeinde nebst den angeschlossenen Organisationen, die einst über etwa 1.400 Beschäftigte verfügte, musste um 40 Prozent reduziert werden. 446 Zudem wurden die Gehälter bei den verbliebenen Gemeindebeamten und Angestellten fast unerträglich gekürzt. 447 Aufgrund der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz mussten sich alle jüdischen Gemeinden, Organisationen und Verbände am 4. Juni 1939 der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ anschließen. Aufgrund dessen verschmolz zwangsweise auch die Breslauer jüdische Gemeinde, ebenso wie andere jüdische Organisationen und Einrichtungen der Stadt, zur „Reichsvereinigung“, die genauso wie die Berliner Zentrale unter Aufsicht der Gestapo stand. 448
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unter anderem besorgten sie für ihn gefälschte Dokumente. Nach Kriegsende fand er Anstellung als Korrepetitor an der Berliner Staatsoper. 1953 gründete er das Berliner Barockorchester. Konrad Latte starb 2005 in Berlin, Feinberg: Nachklänge, S. 51. AYV, Jüdisches Leben in der Provinz Schlesien und in Breslau 1940/41, S. 1. Ebd. Ebd. Vgl. Cochavi, Yehoyakim: ‚The Hostile Alliance‘ : The Relationship Between the Reichsvereinigung of Jews in Germany and the Regime, in: YVS, Nr. 22, 1992, S. 237–272; AYV, Jüdisches Leben in der Provinz Schlesien und in Breslau 1940/ 41, S. 2; Meyer, Beate: Between Self-Assertion and Forced Collaboration: The Reich Association of Jews in Germany, 1939–1945, in: Nicosia, Francis R./Scrase, David (Hrsg.): Jewish Life in Nazi Germany. Dilemmas and Responses. New York/Oxford 2010, S. 149–169. Die ‚Reichsvereinigung‘ stand unter der Aufsicht des Reichsministeriums des Inneren und unter Kontrolle der Gestapo, und seit September 1939 des Reichssicherheitshauptamts (RSHA). Allgemein zu der
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In dem nur noch spärlich existierenden „jüdischen Wirtschaftssektor“, der aus den durch den Regierungspräsidenten zugelassenen Schneidern, Barbieren, Schuhmachern, Friseuren und anderen bestand, fanden nur zwischen 50 und 100 berufstätige Personen eine Verdienstmöglichkeit. 449 Ein anonymer Augenzeuge schildert Folgendes in seinem Bericht über die Lage der Breslauer Juden um die Jahreswende 1940/41: Die meisten Juden sind bleich, abgemagert und schäbig gekleidet, selbstverständlich auch die früher wohlhabenden. Auf der Strasse sind sie schwer und nicht sofort erkennbar. […] Völliges geistiges Ghetto, tatsächliches Ghetto wird gefürchtet. 450
Das tägliche Leben wurde für die Breslauer Juden nach Kriegsbeginn noch schwerer. Die ungenügende Nahrungsmittelversorgung wurde zu einem der größten Probleme. Juden wurde ein Teil der regulären Rationen verweigert. In Breslau gab es eine Reihe von Lebensmittelgeschäften, Fleischereien und Molkereien, in denen Juden einkaufen durften, aber nur zu bestimmten Stunden. Auch Lebensmittelkarten wurden eingeführt. Die in Breslau lebenden Juden mussten diese, die mit der Aufschrift „Jude“ überdruckt waren, von der „Gesellschaft der Freunde“ abholen. 451 Schnell durften Juden kein Fleisch, Obst, Gemüse, Fisch, Milch und Eier sowie weißes Mehl und Gebäck mehr erwerben. Brot und Butter erhielten sie in viel kleineren Rationen als die nicht jüdische Einwohnerschaft. 452 Am 27. Dezember 1939 meldete die „Jewish Telegrafic Agency“ über die Situation der Juden in Breslau: Plight of an estimated 13.000 Jews remaining in Breslau, is described as ‚catastrophic‘ in the current issue of ‚Inside Germany Reports‘, published by the Friends of German Freedom. ‚Thirteen thousand Jews‘, the publication states,
449 450 451 452
‚Reichsvereinigung‘ der Juden in Deutschland siehe Meyer, Beate: Tödliche Gratwanderung – Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zwischen Hoffnung, Zwang, Selbstbehauptung und Verstrickung (1939–1945). Göttingen 2011. AYV, Jüdisches Leben in der Provinz Schlesien und in Breslau 1940/41, S. 1. Ebd., S. 2 f. Arkwright, Kenneth: Einiges Unbekanntes aus den letzten Tagen der Breslauer Jüdischen Gemeinde, in: MVBI, Nr. 58, 1994, S. 2. AŻIH, Bericht von Herrn Kon (verfasst am 14. Januar 1947 in Wrocław), Bestand 301 – Zeznania Ocalałych z Zagłady, Sig. 301/2096, S. 3.
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‚have ten grocerys and ten butchers where they can buy. Time for sale for Jews is, in the grocery’s, daily from 10.30 to 1 o’clock, for meat three times a week from 4.30 to 6 o’clock. The Jews have to wait for hours and then usually have to go home without having got anything. The long queus of Jews in front of the grocer shops irritate the people in the streets. The Jews continually fear pogroms. The people say: ‚The Jews, these parasites are at home, whereas our young men are at the front. They are eating up our food. The English and the Jews are to blame for the war.‘ It is above all the Nazis who zealously make this kind of propaganda. One can imagine in what situation the Jews in Breslau are. 453
Anhand der kurzen Meldung wird ersichtlich, dass sich das antisemitische Verhalten nach dem Novemberpogrom, besonders aber nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September 1939 auch durch den Mangel an Waren sehr verstärkte. Parallel zu dieser Entwicklung wurde zugleich die antijüdische Gesetzgebung beschleunigt. Die Flut an Verordnungen und Gesetzen war enorm. Während der gesamten Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurden fast 2.000 antijüdische Verordnungen und Gesetze erlassen. Diese führten letztendlich zu der völligen Entrechtung der jüdischen Bürger. An dieser Stelle sollen nur einige dieser diskriminierenden Maßnahmen Erwähnung finden. Bereits unmittelbar nach dem Novemberpogrom trat das Verbot der jüdischen Presse in Kraft, sodass das „Breslauer Jüdische Gemeindeblatt“ sein Erscheinen einstellen musste. Juden wurde verboten, öffentliche Schwimmbäder zu besuchen, sich auf bestimmten öffentlichen Plätzen aufzuhalten, auf öffentlichen Bänken zu sitzen und nach 20 Uhr auszugehen. Der Eintritt in Restaurants, Kinos, Konzertsäle und Theater wurde ihnen untersagt, auch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und das Studium an deutschen Hochschulen. Auf Befehl der Gestapo gab der Vorstand der Breslauer Synagogengemeinde am 8. November 1940 eine Liste derjenigen Spielplätze und Parks bekannt, die von Personen jüdischer Herkunft nicht mehr betreten werden durften. So betraf das Zutrittsverbot unter anderem eine der bekannten Breslauer Grünanlagen, den Sondergarten in Scheitnig oder die Promenade am Stadtgraben. 454 Ab Mai 1942 durften die
453 ‚Plight of Breslau Jews Termed „catastrophic“‘, JTA, New York, 27. Dezember 1939. 454 AŻIH, GŻW, 1939–1944, Sig. 105/0971, Bl. 131.
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Breslauer Juden die städtischen Straßenbahnen ohne eine polizeiliche Erlaubnis nicht mehr benutzen. 455 Mit der Verordnung vom 1. September 1941 über die Kennzeichnungspflicht für Juden mit dem „Davidstern“ begann die letzte Etappe der Judenverfolgung im Deutschen Reich, die Vertreibung und totale Ausmerzung jüdischen Lebens. 456 Ab dem 19. September 1941 waren in Breslau alle Personen ab sechs Jahren, die gemäß den „Nürnberger Rassengesetzen“ von 1935 als Juden galten, zum Tragen eines gelben Sterns mit der Aufschrift „Jude“ auf der linken Brustseite ihrer Kleidung verpflichtet. 457 Zur gleichen Zeit mussten die jüdischen Breslauer weiße Sterne aus Pappe an ihren Wohnungstüren anbringen. 458 Dadurch wurden die jüdischen Wohnungen nicht nur „stigmatisiert“, sondern auch als eine „Vorausmaßnahme“ für die leichtere Erfassung für die folgenden Abtransporte und Deportationen markiert. 459 Durch das Tragen des Erkennungszeichens an ihrer Kleidung wurden Juden an öffentlichen Orten schnell bemerkt, was nicht selten zu Diffamierung und Verleumdung führte. Der Breslauer Rechtsanwalt Dr. Franz Unikower berichtet in seinen Aufzeichnungen: Schlimmer war es auf der Strasse. Es kam hier und dort zu Beschimpfungen und Belästigungen. Sternträger durften keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. […] Wir Rüstungsarbeiter mussten bis zu einer Stunde bei jeder Witterung zur Arbeit und zurück laufen. […] Zu einem Spaziergang hatte kein Sternträger 455 Ebd., Bl. 122. 456 Vgl. Kwiet, Konrad: Nach dem Pogrom: Stufen der Ausgrenzung, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.), unter Mitarbeit von Dahm, Volker/Kwiet, Konrad/Plum, Günther/ Vollnhals, Clemens/Wetzel, Juliane: Die Juden in Deutschland, 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. München 1988, S. 545–659, hier S. 614. 457 Vgl. Cohn, Willy: Als Jude in Breslau, 1941. Aus den Tagebüchern von Studienrat a. D. Dr. Willy Israel Cohn. Herausgegeben von Joseph Walk. Gerlingen 1984, Tagebucheintrag vom 19. September 1941, S. 98; vgl. Kaplan, Marion A.: Between Dignity and Despair. Jewish Life in Nazi Germany. New York/Oxford 1998, S. 157; Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden, S. 633. 458 Vgl. Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA; Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA; Unikower, Franz: Vor 25 Jahren, in: MVBI, Nr. 20, 1966, S. 6. 459 Vgl. Kwiet: Nach dem Pogrom, in: Benz (Hrsg.): Die Juden in Deutschland, S. 615.
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mehr Lust. Man fühlte sich ausgeschlossen und scheel angesehen. Beim Gottesdienst in der Storch-Synagoge, wo noch regelmäßig Andachten statt fanden, trugen Rabbiner und Kantor ebenfalls den Stern am Talar. 460
Die Reaktionen der Breslauer Bevölkerung beim Anblick des „Gelben Sterns“ an jüdischen Passanten, Nachbarn und Kunden waren äußerst unterschiedlich. Der Oberarzt des jüdischen Krankenhauses Dr. Siegmund Hadda erinnerte sich an mündliche Beschimpfungen, 461 während Willy Cohn in seinen Tagebüchern zum Ausdruck brachte, dass der Stern nicht jüdische Deutsche nicht zu beeindrucken schien und sie vielleicht sogar etwas verlegen machte. Willy Cohn berichtet über den ersten Tag, nach dem die Verordnung über die Kennzeichnung mit dem „Gelben Stern“ in Kraft getreten war: […] Dann im Schmuck des Judensterns in die Storchsynagoge gegangen; ich wollte an diesem Tag unbedingt gehen, um mir nicht nachsagen zu lassen, dass ich wegen Feigheit gefehlt hätte; ich bin den ganzen Weg gelaufen, und das Publikum hat sich tadellos benommen, ich bin in keiner Weise belästigt worden; man hatte eher den Eindruck, dass es den Leuten peinlich ist. 462
Ähnlich wie Willy Cohn begab sich am Tag des 20. Septembers 1941 Kenneth Arkwright zum Gottesdienst in die Synagoge „Zum Weißen Storch“. Er berichtet über seine Eindrücke wie folgt: Am Freitag, den 20. September 1941, war der Sabbatgottesdienst überfüllt. Die gelben Sterne schmückten die versammelte Menge und ließen keinen Zweifel an ihrem Jüdischsein. Einige Tage später sagte ein überraschter nichtjüdischer Verkäufer meiner Mutter, dass ich den Gelben Stern wie eine Auszeichnung trage. Ich war nicht die Ausnahme, das taten wir alle. 463
Manche der Breslauer Juden, wie Kenneth Arkwright, trugen den „Gelben Stern“ mit Stolz und identifizierten sich stark mit der jüdischen Schicksals460 Unikower: Vor 25 Jahren, S. 6. 461 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 229 f.; vgl. Hadda, Siegmund: Krankenhaus in Breslau. Erinnerungen eines jüdischen Arztes, 1933– 1945, in: MVBI, Nr. 59, 1995, S. 3–15, hier S. 14. 462 Cohn: Als Jude in Breslau, Tagebucheintrag vom 20. September 1941, S. 99; vgl. AYV, Auszüge aus den Tagebüchern von Willy Cohn, S. 29. 463 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 45; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA.
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gemeinschaft. Andere wiederum nahmen diesen Zwang mit großem Entsetzen und Verzweiflung auf und spürten den Schmerz der Stigmatisierung und der sozialen Degradierung. Dies illustriert eine Passage aus dem Interview mit der 1923 in Breslau geborener Kate Langer: „Ich habe plötzlich kein soziales Leben in Breslau. Ich durfte nirgendwo hingehen. Ich hatte große Angst und blieb zu Hause. Der Judenstern war mein Ende.“ 464 Durch die antijüdischen Restriktionen hatten in Breslau, wie schon angedeutet, auch die Institutionen der jüdischen Gemeinde stark gelitten. In der Folgezeit ging ein Teil der Wohlfahrtsanstalten der Gemeinde wie das jüdische Krankenhaus, das Waisenhaus oder das Gymnasium, ebenso wie der größte Teil der wohltätigen Vereine teils durch Beschlagnahme der Gebäude beziehungsweise der Vereinsvermögen, teils aber durch Mangel an Personal ein. Dies spiegelt die Zahl der in der Stadt praktizierenden jüdischen Ärzte wieder: Im Juni 1940 arbeiteten noch 38 sogenannte „Krankenbehandler“ in der Stadt. 465 Zwei Jahre später, im Oktober 1942, als bereits die Deportationen aus der Stadt im Gange waren, war die Zahl der jüdischen Ärzte auf 17 zurückgegangen. 466 Die Prozesse der allmählichen Auflösung und Enteignung der jüdischen Einrichtungen in der Stadt bildet die Situation des Breslauer jüdischen Krankenhauses ab, das bereits seit Sommer 1938 unter der Kontrolle der staatlichen Behörden durch einen Treuhänder stand. Drei Tage vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, am 29. August 1939, wurde der Leiter des Krankenhauses, Dr. Siegmund Hadda, zur Gestapostelle bestellt. Dort erteilte ihm die Gestapo den mündlichen Befehl, das Krankenhaus in der Hohenzollernstraße sei durch die Wehrmacht beansprucht und bis zum 31. August 1939 zu räumen. 467 Sollte dies nicht bis zu dem angegebenen Termin erfolgen, drohte die Gestapo ihm sowie dem Vorsitzenden der Breslauer jüdischen Gemeinde, Georg Less, mit der Inhaftierung in einem Konzentrationslager. 468 Der Vorstand der jüdischen Gemeinde berief sofort danach eine Sitzung ein, 464 Interview mit Kate Langer (ehemals Käthe Leschnitzer), am 22. März 1996 in Fort Lee, New Jersey, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 13452, Tape 1. 465 AŻIH, GŻW, 1939–1944, Sig. 105/0971, Bl. 96 ff. 466 Ebd., Bl. 92. 467 AŻIH, GŻW, 1935–1939, Sig. 105/0701, Bl. 222. 468 AYV, Hadda: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses, S. 3 f.
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auf der beschlossen wurde, das auf dem Grundstück des Krankenhauses stehende, aber von ihm völlig unabhängige jüdische Siechenhaus mit den bettlägerigen Kranken zu belegen. 469 Bereits während der Räumung des jüdischen Krankenhauses begannen die Wehrmachtsangehörigen, das Gebäude zu besetzen. Siegmund Hadda berichtet darüber in seinen Erinnerungen: Es war bereits dunkel, als wir die allerletzten Patienten des Krankenhauses, elf Geisteskranke, nach der Landesirrenanstalt in Leubus abtransportierten. 470 […] In einen nur von einer winzigen Öllampe erleuchteten Pferdeomnibus wurden die Unglücklichen mit Gewalt hineingezwungen. Das Toben und Schreien einzelner unter ihnen hörten wir noch, als sich der Wagen bereits außerhalb des Areals des Krankenhauses befand. Es war gerade Sabbatbeginn, als wir alle tief deprimiert das Krankenhaus verließen. Mir selbst fiel der Abschied von dem Hause, dem ich seit 1906 verbunden war, besonders schwer. Am schmerzlichsten war es für mich, dass noch während unserer Anwesenheit die Schändung der Synagoge begann. Die Thorarollen konnten von uns in Sicherheit gebracht werden, aber der Thoraschrein, das Betpult und die Bänke wurden in vandalischer Weise zerschlagen. Man brauchte zwei Tage, um den die Kuppel des Leichenhauses zierenden Davidstern abzureißen. 471
Ende November 1939 wurde auch das Siechenhaus von der Militärverwaltung beschlagnahmt, so zog das jüdische Krankenhaus in das Verwaltungsgebäude der jüdischen Gemeinde in die Wallstraße. Hier wurde im zweiten und dritten Stock des Gemeindehauses eine Abteilung mit 80 Betten eingerichtet. 472 Neben der Bezirksstelle der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ blieb das jüdische Krankenhaus bis zu Beginn des Jahres 1943 die einzige noch in der Stadt bestehende jüdische Einrichtung. Am 9. Juni 1943 wurden die letzten Patienten des Breslauer jüdischen Krankenhauses in 469 Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 224. 470 Im niederschlesischen Lebus befand sich seit 1930 die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt für psychisch Kranke. Ungewiss bleibt jedoch das weitere Ziel der Transporte der Patienten von Leubus. Bekannt ist, dass rund 150 schlesische Juden dem Euthanasiemord zum Opfer fielen, siehe: Konieczny, Alfred: Rozwiązanie kwestii umysłowo chorych Żydów na Śląsku w latach 1938–1943, in: SFZH, Nr. 18, 1995, S. 235–260, hier S. 249; vgl. Friedlander, Henry: Jüdische Anstaltspatienten in Deutschland, in: Aly, Götz (Hrsg.): Aktion T4 1939–1945. Die ‚Euthanasie‘-Zentrale in der Tiergartenstrasse 4. Berlin 1987, S. 34–44, hier S. 40. 471 AYV, Hadda: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses, S. 6 f. 472 Ebd., S. 8.
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das Gettolager Theresienstadt deportiert. 473 An diesem Tag wurden reichsweit die letzten noch bestehenden jüdischen Einrichtungen, darunter die „Reichsvereinigung“ und ihre Bezirksstellen, aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt. Die einzige noch bestehende jüdische Vertretung in Deutschland blieb das jüdische Krankenhaus in Berlin. Kurz, nachdem das jüdische Krankenhaus den Befehl zur Räumung erhalten hatte, bekam die Gemeinde am 22. September 1939 die Anordnung, die große jüdische Altersversorgungsanstalt der „Julius und Anna Schottländer Stiftung“ in der Neudorferstraße bis zum nächsten Morgen zu räumen und diese der Gestapo zu übergeben. Die Bewohner des Heimes wurden in den Räumen des „Jüdisch-Theologischen Seminars“ untergebracht, das seit dem Novemberpogrom und der Beschlagnahme der Bibliothek leer stand. 474 Ein ähnliches Schicksal wie das jüdische Krankenhaus erlitten die Breslauer jüdischen Schulen. Vor dem November 1938 existierten in Deutschland zahlreiche jüdische Unterrichtsanstalten. In Breslau bestanden, wie schon früher beschrieben wurde, zwei Schulen: das konservativ beziehungsweise orthodox ausgerichtete jüdische Reformgymnasium am Rehdigerplatz 3 und die liberal orientierte jüdische Schule am Anger 8. Bereits nach dem Novemberpogrom 1938 wurde das Gebäude der Schule am Anger durch die Gestapo beschlagnahmt. 475 Ähnlich wie beim jüdischen Krankenhaus fanden daraufhin einige ihrer Schüler in den Räumen des Verwaltungsgebäudes der jüdischen Gemeinde in der Wallstraße Zuflucht, andere gingen in das jüdische Reform-Realgymnasium am Rehdigerplatz, das seinen Lernbetrieb zunächst weiterführen konnte. 476 Zu dieser Zeit lebten etwa 600 jüdische Kinder im schulpflichtigen Alter in der Stadt. 477 Am 1. Oktober 1939 wurde allen jüdischen Schulen befohlen, ein einheitliches Erziehungssystem unter der Aufsicht des neuen Dachverbandes der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, einzufüh473 Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 511 f. 474 Hadda: Krankenhaus in Breslau, S. 7. 475 AYV, Brückheimer: Der 10. November 1938, S. 185; vgl. Müller: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, S. 17. 476 Walk: Das Schlusskapitel der Breslauer jüdischen Schule, S. 4. 477 Arkwright, Kenneth: Das Ende der jüdischen Schule in Breslau, in: MVBI, Nr. 31, 1972, S. 9.
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ren. Dies bedeutete das Ende der unterschiedlichen religiösen Orientierungen in der jüdischen Erziehung. Das jüdische Reform-Realgymnasium erhielt dann den offiziellen Namen der „Höheren Jüdischen Schule“. 478 Am 27. August 1940 wurde die jüdische Gemeinde von der Stadtverwaltung mit einem Schreiben informiert, dass „das Grundstück am Rehdigerplatz 3 für Zwecke der militärischen Luftfahrt benötigt“ würde. 479 Dies bedeutete die Beschlagnahme des Gebäudes und kündigte die Räumung der dort befindlichen jüdischen Schule an. 480 Die Räumung der jüdischen Schule am Rehdigerplatz erfolgte am 1. Januar 1941. Daraufhin zog die Breslauer jüdische Schule in die zur Gemeinde gehörenden Räume der „Gesellschaft der Freunde“ an der Graupenstraße 3/4. 481 In diesen Räumen fand, wie das „Jüdische Nachrichtenblatt“ 482 vom 24. Januar 1941 berichtete, noch eine verspätete Chanukkafeier statt, die Eltern und Kinder für wenige Stunden die feindliche, grauenhafte Umwelt vergessen ließ. 483 Im Oktober 1941, kurz vor der ersten Deportation der jüdischen Breslauer aus der Stadt, lernten 512 Schüler in 17 Klassen mit 21 Lehrern in der Breslauer jüdischen Schule; somit war diese nach Berlin und Frankfurt a. M. die drittgrößte im „Altreich“. 484 478 Ebd. 479 Müller: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, S. 20. 480 Roland Müller behauptet, dass der Wehrmacht bessere und geeignetere Gebäude der Stadt angeboten werden konnten. Bei der Beschlagnahme des Gebäudes der jüdischen ‚Rehdigerschule‘ ging es offensichtlich darum, so Müller, der schulischen Bildung für die jüdischen Kinder in der Stadt ein Ende zu setzen, Müller: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, S. 20. 481 Walk: Das Schlusskapitel der Breslauer jüdischen Schule, S. 4; Arkwright: Das Ende der jüdischen Schule in Breslau, S. 9; vgl. Müller: Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Breslau, S. 21. 482 Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde die gesamte jüdische Presse verboten. An ihre Stelle trat als einziges Organ das ‚Jüdische Nachrichtenblatt‘, das unter strenger Aufsicht der NS-Behörden stand. In dem Blatt wurden unter anderem zahlreiche antijüdische Gesetze und Verordnungen veröffentlicht. Im Juni 1943 musste diese letzte Zeitung der deutsch-jüdischen Presse ihr Erscheinen in Berlin einstellen. 483 Zitiert nach Walk: Das Schlusskapitel der Breslauer jüdischen Schule, S. 4. 484 Zu dieser Zeit gehörte die Breslauer jüdische Schule zu den zehn ‚vollgegliederten‘ (also 8-klassigen) jüdischen Schulen im Deutschen Reich. Mit den im November 1941 einsetzenden Massendeportationen der Breslauer Juden ging auch die Schü-
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Der Erlass vom 20. Juni 1942 über die Schließung aller jüdischen Schulen im Deutschen Reich markierte das Ende der jüdischen Schule in Breslau. Kenneth Arkwright beschreibt die Schließung der jüdischen Schule sowie die neuen Herausforderungen der jüdischen Gemeinde im Hinblick auf die jüdischen Kinder und Jugendlichen in seinen Erinnerungen: Im Juni 1942 bei der Auflösung der jüdischen Schule war die Schülerzahl schon sehr klein (schätzungsweise 150–200) und sechs bis zehn Lehrer. Wir Schüler mussten Inventur aufnehmen und alle Bücher und Eigentum der Schule verladen, da es vom Breslauer Schulamt beschlagnahmt war. Die Auflösung der Schule brachte ein neues Problem für die Gemeindeverwaltung. Die Kinder im schulpflichtigen Alter mussten beschäftigt werden, deren Eltern Zwangsarbeit zu leisten hatten. Zuerst wurde auf dem Friedhof Cosel eine Spielwiese eingerichtet, die kurz darauf wieder geschlossen wurde. […] Später wurden die Kinder zu den verschiedenen Aufgaben bei der Gemeinde eingeteilt: Wir hatten Essen von der Gemeindeküche im ‚Freunde-Saal‘ zu älteren Gemeindemitgliedern ausgetragen. Die Lehrer gaben noch nach Möglichkeit Privatunterricht. Der erste Osttransport von Breslau wurde im ‚Schiesswerder-Saal‘ zusammengestellt (alle späteren Transporte wurden im ‚Freunde-Saal‘ zusammengestellt), so wurden die Kinder damit beschäftigt, Essen aufzuteilen, Strohsäcke zu füllen sowie Gepäck zu tragen und zu verladen. 485
Die Breslauer jüdische Schule erfüllte jedoch in dieser bedrückenden Zeit nicht nur ihre Rolle als Bildungseinrichtung für die aus den öffentlichen Schulen und der Gesellschaft vertriebenen jüdischen Kinder. Die jüdische Schule erwies sich als ein identitätsstiftender Faktor und gab sowohl ihren Schüler als auch deren Eltern ein Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Noch einmal seien hier die Erinnerungen von Kenneth Arkwright zitiert, die die besondere Rolle der jüdischen Schule in der Stadt wiedergeben: Die Schultage von 1939 bis 1942 in Breslau waren eine ganz besondere Lebenserfahrung. Zwischen Schülern und Lehrern gab es eine Freundschaft. Ich glaube, die Lehrer haben uns nicht nur Wissen vermittelt, sondern ein wenig Lebens-
lerzahl der jüdischen Schule rapide zurück. Ende November 1941 betrug die Gesamtzahl der jüdischen Schüler 420 Kinder, Walk: Das Schlusskapitel der Breslauer jüdischen Schule, S. 4. Als ‚Altreich‘ gemeint ist das Gebiet Deutschlands in den Grenzen von 1937. 485 Arkwright: Das Ende der jüdischen Schule in Breslau, S. 9; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA.
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freude ersetzen wollen, und wir, wir wollten lernen, soviel wie möglich bevor Zwangsarbeit und Deportation. Der Lehrplan wurde nicht eingehalten, sondern soviel wie möglich gelehrt. Wir kannten jedes Gesicht auf dem Schulhof im Freundegarten und die fehlenden Schüler und Lehrer nach jedem Transport wurden genau von uns registriert. […] Von 1939–1942 wurde sie zur ‚Jüdischen‘ Schule und war in der Zeit der Naziverfolgung eine Oase der Toleranz, Humanität und Hilfsbereitschaft. Sie wurde gegründet, um das Jüdische im Menschen zu betonen. In den Jahren ihrer Reife hat sie viel mehr erreicht. Sie hat das Menschliche in den Juden Breslaus zu einem einmaligen Erlebnis gestaltet. 486
Seit der Jahreswende 1938/39 mussten zunächst alle arbeitslos angemeldeten Breslauer Juden Zwangsarbeit verrichten. Unter den ersten jüdischen Zwangsarbeitern aus Breslau befand sich, wie bereits erwähnt wurde, der Vater von Kenneth Arkwright, Rudolf Aufrichtig. Noch kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde im August 1939 die Erfassung aller arbeitsfähigen jüdischen Männer zwischen 18 und 55 Jahren verordnet. 487 Spätestens ab Herbst 1940 konnten schließlich alle Juden zur Zwangsarbeit herangezogen werden. Max Benditt, der 1922 in Breslau geboren wurde und gelernter Maschinenschlosser war, wurde 1939 zur Zwangsarbeit in Breslau eingezogen. Im August 1945 berichtete er bei der Jüdischen Historischen Kommission in Polen unter anderem über seine Erlebnisse während seiner Zwangsarbeit: Im Jahre 1939 wurde ich auf Veranlassung des Breslauer Arbeitsamtes in das Arbeitslager Minden in Westfalen verschickt. In dem Lager befanden sich ausschließlich Juden. Wir waren etwa 400 Arbeiter und arbeiteten am Bau des Weser Ems Kanals. […] Ich war damals 16 Jahre alt, so dass mir diese Arbeit sehr schwer fiel. Im Jahre 1940 verlor ich bei einem Fliegerangriff den Unterschenkel des linken Beines. Im Krankenhaus in Minden wollte man mich als Juden nicht aufnehmen und ich fand schließlich nach schwerem Blutverlust in einem Krankenzimmer Aufnahme. Nach sechs Wochen wurde ich als ‚Arbeitsunfähig‘ nach Breslau entlassen, dort wurde ich durch das Arbeitsamt an eine Kürschnerei vermittelt, wo ich 12 Stunden am Tag arbeiten musste. 488 486 Arkwright: Das Ende der jüdischen Schule in Breslau, S. 9. 487 Maurer: Vom Alltag zum Ausnahmezustand, in: Kaplan (Hrsg.): Jüdischer Alltag in Deutschland, S. 454; vgl. Kwiet, Konrad: Forced Labour of German Jews in Nazi Germany, in: LBIYB, Nr. 39, 1991, S. 389–410, hier S. 392. 488 AŻIH, Bericht von Max Benditt (verfasst am 15. August 1945 in Wrocław), Bestand 301 – Zeznania Ocalałych z Zagłady, Sig. 301/1506, S. 1.
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So wurden die Breslauer Juden nicht immer nur vor Ort zur Zwangsarbeit eingesetzt, sondern wie Max Benditt nach Minden in Westfalen oder Rudolf Aufrichtig nach Werlte bei Hannover abkommandiert. In der ersten Augustwoche 1939 wurden alle beim Arbeitsamt gemeldeten jüdischen Frauen und Männer, die das 65. Lebensjahr nicht überschritten hatten und arbeitsfähig waren, zur „Staatsarbeit“ für mehrere Wochen verschickt: die Männer in Steinbrüche und die Frauen in Konservenfabriken. 489 Bereits in der letzten Maiwoche 1940 forderte man in Breslau alle arbeitsfähigen jüdischen Männer zwischen 16 und 60 Jahren und alle jüdischen Frauen zwischen 16 und 55 Jahren auf, sich bei der jüdischen Gemeinde zu melden, um „in den Arbeitseinsatz“ eingegliedert zu werden. 490 Daraufhin untersuchten die jüdischen „Vertrauensärzte“ diese Gruppe der jüdischen Arbeiter. Diejenigen, die als arbeitsfähig eingestuft worden waren, wurden als ungelernte Arbeiter in die Fabriken, zur Müllabfuhr oder im Winter bei der Schneeräumung eingesetzt. 491 Noch viele Monate, bevor der Erlass über die Kennzeichnung der Juden mit dem „Gelben Stern“ in Kraft trat, mussten die jüdischen Zwangsarbeiter in Breslau im Januar 1941 beim Schneeräumen mit einer stigmatisierenden gelben Binde gekennzeichnet werden. 492 Zwei Jahre später, am 1. Januar 1943 zählte die SS in einer Statistik 20.406 überwiegend deutsch-jüdische Zwangsarbeiter im „Altreich“, davon 2.451 allein in Breslau. 493 Viele jüdische Männer leisteten Zwangsarbeit bei den Breslauer Fahrzeug- und Motoren-Werken (FAMO). Unter ihnen befand sich der 39-jährige Breslauer Rechtsanwalt Dr. Franz Unikower, der seit Ende 1940 in dieser Fabrik Zwangsarbeit verrichten musste: Ende 1940 wurden einige wieder zur Gestapo bestellt. Uns wurde gesagt, die Stadt sei mit uns zufrieden gewesen, wir würden jetzt zur Rüstung kommen. Wir wurden der Fabrik FAMO (Fahrzeug-Motorenwerke) im Hermann-Göring-Konzern überwiesen. Ich, für zunächst sechs Monate, in die Gießerei als 489 Tausk: Breslauer Tagebuch, Tagebucheintrag vom 8. August 1939, S. 225 f. 490 AYV, Jüdisches Leben in der Provinz Schlesien und in Breslau 1940/41, S. 1. 491 Ebd., S. 2; vgl. AYV, Ksinski, Ernst: Report on Breslau and the Camps, 1933– 1945, Bestand O.1 – K. J. Ball-Kaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 149; AŻIH, Bericht von Herrn Kon, S. 3. 492 Cohn: Als Jude in Breslau, Tagebucheintrag vom 8. Januar 1941, S. 19. 493 Gruner: Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden, S. 313.
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Hilfsarbeiter. […] Die Arbeit war sehr schwer. […] Wir arbeiteten abwechselnd Tag- und Nachtschicht, immer 12 Stunden, darunter zwei Pausen je eine halbe Stunde. In der ganzen Halle arbeiteten 200 Mann, darunter 80 Juden. 494
Auch in Breslau wurden zunehmend Jugendliche zur Zwangsarbeit einbezogen. Die 16-jährige Anita Lasker und ihre ein Jahr ältere Schwester Renate mussten ab 1941 in der Schlesischen Cellulose- und Papierfabrik Ewald Schoeller & Co. in Sacrau Zwangsarbeit verrichten. Anita Lasker schildert ihre Erfahrungen in einem Bericht wie folgt: Seit etwa 1941 wurden meine Schwester und ich zur Zwangsarbeit eingeteilt. Ich war damals 16 Jahre alt. Wir hatten in einer Papierfabrik zu arbeiten, die in einem weit außerhalb der Stadt gelegenen Vorort lag. Da es Juden verboten war, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen; die Fabrik, in der wir arbeiteten, war nur mit der Eisenbahn zu erreichen. Wir mussten also zum Bahnhof zu Fuß gehen und durften die Eisenbahn benutzen, aber keinen Sitzplatz beanspruchen. Dieses bedeutete, dass ich bereits um vier Uhr morgens aus dem Hause musste[,] wenn ich der Frühschicht von sechs Uhr morgens bis zwei Uhr mittags zugeteilt war. Die zweite Schicht hatte von zwei Uhr bis zehn Uhr abends zu arbeiten. Die Arbeit an sich, die wir zu leisten hatten, war verhältnismäßig sauber und nicht übermäßig schwer, wenn auch das zu erfüllende Soll an Arbeit nach und nach erhöht wurde. Außerordentlich gering war aber die Bezahlung, die ich erhielt, etwa 7 Mark wöchentlich. Das Geld reichte auch nicht für die allernotwendigsten Lebensbedürfnisse. Ich war nicht imstande, irgendwelche Kleidungsstücke zu ersetzen. Dieses zusammen mit der Dürftigkeit der uns Juden zugeteilten Lebensmittel ließ uns das Leben schwer ertragen. 495
Sowohl für Anita und Renate Lasker als auch für Dr. Franz Unikower waren die Stätten ihrer Zwangsarbeit die letzte Station ihres Lebens in Breslau vor der Deportation ins das Konzentrationslager Auschwitz.
494 Bundesarchiv Berlin, Lebenslauf von Dr. Franz Unikower (verfasst am 10. September 1945), Sig. DP 1/982, Bl. 3 ff., zitiert nach: Vierneisel, Beatrice: Franz Siegbert Unikower (1901–1997), in: ders.: Erinnerungszeichen: Franz Siegbert Unikower. Ein Porträt. Herausgegeben vom Förderverein der Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin e. V. Wöbbelin 2011; vgl. Unikower: Vor 25 Jahren, S. 6. 495 AYV, Wallfisch: Cellist in the Auschwitz Camp Orchestra, S. 1 f.
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3.6.2 Die Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtung: Durchgangslager in Tormersdorf, Grüssau und Riebnig Die Breslauer Juden wurden bereits 1938 mit Unterbringungsproblemen konfrontiert. So schrieb das „Jüdische Nachrichtenblatt“ am 13. Dezember 1938, dass die jüdische Gemeinde über keine freien Zimmer beziehungsweise Wohnungen für seine Mitglieder verfüge. 496 Den Mangel an Wohnraum verursachte hauptsächlich der Zustrom von Juden aus den kleineren Städten der niederschlesischen Provinz, die infolge des Novemberpogroms 1938 verlassen wurden. Zunächst hatte der Boykott der jüdischen Mieter keine formale Grundlage – er folgte weder einem Gesetz noch einer Verordnung. Trotzdem vermehrten sich auch in Breslau die Weigerungen „arischer“ Hausbesitzer, Wohnungen an Juden zu vermieten. Durch das Gesetz „über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 schufen die nationalsozialistischen Machthaber dann die gesetzlichen Voraussetzungen, um jüdische Familien in sogenannten „Judenhäusern“ zwangsweise unterzubringen. 497 Infolge dieses Gesetzes wurden die jüdischen Mieter des Mietschutzes beraubt und ihnen konnte so jederzeit ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Auch die Mietverträge durften ausschließlich unter Juden abgeschlossen werden. Wie im übrigen Reichsgebiet begann dadurch in Breslau allmählich die „Gettoisierung“ der jüdischen Bevölkerung. Diese hatte zum einen zum Ziel, die jüdische Bevölkerung von der nicht jüdischen abzusondern, und zum anderen, die Wohnungen und Häuser für die deutsche Bevölkerung freizumachen. 498 Die „Judenhäuser“ kündigten die letzte Etappe vor der Deportation und Ermordung der deutschen Juden an. Die „Gettoisierung“ bedeutete für die Juden eine totale Isolation und die völlige Kontrolle seitens der nationalsozialistischen Machthaber. 499
496 Ayalon: Jewish Life in Breslau, S. 337. 497 Die sogenannten ‚Judenhäuser‘ waren Häuser im jüdischen Besitz, die zum größten Teil von Juden bewohnt waren. 498 Vgl. Konieczny: Gettoizacja ludności żydowskiej we Wrocławiu w latach 1940– 1941, S. 151. 499 Kwiet, Konrad: Without Neighbors: Daily Living in ‚Judenhäuser‘, in: Nicosia, Francis R./Scrase, David (Hrsg.): Jewish Life in Nazi Germany. Dilemmas and Responses. New York/Oxford 2010, S. 117–148, hier S. 118.
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Am 17. September 1940 kam es in Breslau zu einem Treffen der Gestapo mit der Kreisführung der NSDAP, der SS sowie den Vertretern der hiesigen jüdischen Gemeinde, während dessen die bevorstehende Zwangsausweisung der jüdischen Breslauer aus ihren bisherigen Wohnungen besprochen wurde. 500 Dabei wurden in allen Stadtteilen Häuser ausgewählt, die sich im jüdischen Besitz befanden. In diese Häuser sollten zukünftig die jüdischen Familien aus den „arisierten“ Stadtteilen einziehen. 501 Am 22. November 1940 gab der Regierungspräsident der Stadt Breslau, Georg Kroll, die Verordnung bekannt, dass die Breslauer jüdische Gemeinde mit der Versetzung der Juden, die in den „arischen“ Häusern ihre Wohnungen verloren hatten, beginnen solle. 502 In den folgenden Wochen bereitete das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Breslau gemeinsam mit der Gestapo sowie der „Deutschen Arbeitsfront“ eine Liste von Grundstücken und Häusern vor, in denen man in erster Linie die aus ihren bisherigen Wohnungen ausgewiesenen jüdischen Familien unterbringen sollte. 503 Die meisten dieser Häuser waren bereits durch jüdische Familien bewohnt. 504 Diese staatlich organisierten „Raubzüge“ bescherten der Stadt Breslau einen großen Gewinn. Dies wird anhand der Forschungsergebnisse des polnischen Historikers Alfred Konieczny deutlich. 505 Konieczny stellte nämlich fest, dass sich die Zahl der jüdischen Adressen in Breslau infolge der Zwangsumsiedlung der jüdischen Bevölkerung in die „Judenhäuser“ von einst 770 auf 74 verringert habe und ihr Besitz an die Stadt übergegangen ist. 506 Bereits nach wenigen Monaten fanden die Gestapo sowie die Grundstücksverwaltung der Stadt Breslau diese Maßnahme unzureichend. Beginnend im April 1941 verfügte die Stadtverwaltung die Beschlagnahme wei500 Konieczny: The Transit Camp for Breslau Jews at Riebnig, S. 318; ders.: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 16. 501 APWr, Rejencja Wrocławska, (RW), Bestand 172, Sig. 9976, Bl. 50 f. 502 Konieczny: Gettoizacja ludności żydowskiej we Wrocławiu, S. 155. 503 Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 17 ff. 504 Die meisten der sogenannten ‚Judenhäuser‘ befanden sich in der Wallstraße (wo auch die jüdische Gemeinde ihren Sitz hatte), Sonnenstraße, Roonstraße sowie Zimmerstraße, Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 18 f. 505 Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig; ders.: Gettoizacja ludności żydowskiej we Wrocławiu. 506 Ebd., S. 157.
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terer jüdischer Grundstücke. Der Regierungspräsident lehnte jegliche Proteste der jüdischen Gemeinde in dieser Angelegenheit ab. 507 In der Folge ging die NSDAP-Gauleitung unter der Führung von Karl Hanke 508 gemeinsam mit der Breslauer Gestapo zu einer breit angelegten „Ausweisungsaktion“ zahlreicher jüdischer Familien aus Breslau über. 509 Für die Betroffenen bedeutete dies eine Zwangsumsiedlung in eine sogenannte „jüdische Wohngemeinschaft“. Tatsächlich handelte es sich hierbei um zeitweilige Transitlager, in denen die Breslauer Juden bis zu ihrer Deportation in die Vernichtungsstätten zwangsweise untergebracht werden sollten. Am 25. September 1941 schrieb ein Bewohner eines der Breslauer „Judenhäuser“ an seine Bekannte im Ausland: Seit Juli wohne ich in einem Raum mit meinen Kindern. Das ist für sie und mich höchst unangenehm. Die Gemeinde, die die Wohnungslage zu erledigen hat, hat mich hintergangen. Sie hatte versprochen eine Wand zu ziehen und hinterher sich geweigert, die Kosten zu tragen. Alle Schwiegersöhne sind nicht so liebevoll, wie die Ihren, so werden Sie begreifen, dass ich mich nicht wohl fühle. Meine letzten Tage hätte ich mir anders gedacht. Das Beate Guttmann Heim befindet sich seit der Besetzung seiner Räume in Tormersdorf bei Rothenburg, Ober-Lausitz. Wahrscheinlich werde ich dorthin übersiedeln. Zwar wohnen dort acht bis neun Menschen in einem großen Zimmer, aber was bleibt mir übrig? […] Über kurz oder lang müssen wir alle unsere Stadt verlassen. 510 507 Konieczny: Tormersdorf – Grüssau – Riebnig, S. 10. 508 Karl August Hanke wurde 1941 von Adolf Hitler zum Oberpräsidenten und Gauleiter von Niederschlesien ernannt. Während seiner Amtszeit in Breslau (1941– 1945) wurden in der Stadt Tausende von Personen hingerichtet, aufgrund dessen er den Beinamen ‚Henker von Breslau‘ erhielt. Im Frühjahr 1945 leitete er als Kampfkommandant die Verteidigung der ‚Festung Breslau‘. Kurz vor der Eroberung der ‚Festung Breslau‘ durch die Rote Armee gelang Karl Hanke die Flucht aus Breslau. Vermutlich wurde er durch tschechische Partisanen in der Nähe von Chomutov erschossen, siehe: Richter, Jana: Karl Hanke, in: Weiß, Hermann (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. Frankfurt a. M. 1998, S. 177 f. 509 Konieczny: The Transit Camp for Breslau Jews at Riebnig, S. 321. Die Ausweisung der Breslauer Juden, die durch die Breslauer NS-Führung als ‚Juden-Wohnungsaktion‘ bezeichnet wurde, ordnete der niederschlesische Gauleiter und Oberpräsident Karl Hanke in einem vertraulichen Schreiben an den Breslauer Polizeipräsidenten am 26. Juli 1941, an, Abschrift des Dokuments bei, Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 169 ff. 510 Diese Postkarte war der Redaktion der ‚Mitteilungen der ehemaligen Breslauer
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Die Vermutungen des Autors sollten sich bestätigen: Er wurde kurz darauf in das Durchgangslager Tormersdorf deportiert. Das Zusammendrängen in die „Judenhäuser“ und eine zeitgleiche Überführung von zahlreichen Breslauer Juden in drei Durchgangslager – Tormersdorf bei Görlitz, Grüssau bei Landeshut und Riebnig bei Brieg – wurden mit dem Ziel, „Breslau in absehbarer Zeit von Juden freizumachen“, durch die Gauleitung am 28. Mai 1941 beschlossen – und zwar unabhängig von Weisungen aus Berlin. 511 Diese drei Durchgangslager wurden als „Jüdische Wohngemeinschaften“ bezeichnet und unterstanden der Breslauer jüdischen Gemeinde unter Beaufsichtigung der Staatspolizei-Leitstelle Breslau.512 In dem Zeitraum zwischen Juli 1941 und März 1943 wurden in den Durchgangslagern Tormersdorf, Grüssau und Riebnig insgesamt etwa 2.000 Breslauer Juden interniert. Alfred Konieczny stellte in seiner Studie aufgrund akribisch recherchierter Quellen Verzeichnisse von 1.846 namentlich bekannten Internierten dieser Lager zusammen. 513 Im April 1941 hatte die Wehrmacht, die sich auf den Krieg mit der Sowjetunion vorbereitete, unter anderem die Übergabe des „Beate-GuttmannAltersheims“ für Lazarettzwecke gefordert. 514 Am 10. Mai 1941 ordneten
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und Schlesier in Israel‘ von den Kindern des umgekommenen Autors übergeben worden. Die Redaktion der ‚Mitteilungen‘ vermerkte, dass der Autor dieser Postkarte zu den bekannten Persönlichkeiten der Stadt gehörte. Die Initialen auf der Postkarte deuten auf Georg Hirschberg, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Breslauer jüdischen Gemeinde. Georg Hirschberg starb im Durchgangslager Tormersdorf und wurde auf dem Breslauer jüdischen Friedhof an der Lohestraße beigesetzt, ‚Postkarte als Dokument‘, in: MVBI, Nr. 45, April/Mai 1979, S. 13. APWr, RW, Geheimer Vermerk des Regierungspräsidenten vom 30. Mai 1941, Sig. 172/I/9979, Bl. 4 ff. Die drei niederschlesischen Durchgangslager wurden zum Forschungsgegenstand einiger polnischer Historiker, siehe u. a., Konieczny: The Transit Camp for Breslau Jews at Riebnig; ders.: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig; Kruszewski, Tomasz: Obóz ludności żydowskiej w Rybnej koło Brzegu (1941–1943), in: SFZH, Nr. 15, 1992, S. 315–341. AYV, Ermittlung ehemaliger Mitarbeiter der Gestapo-Leitstelle Breslau, Protokoll zur Aussage von Hans Müller (verfasst 1951 in Karl Marx Stadt), Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Bestand TR.10 – Legal Documentation from Trials of Nazi Criminals, Sig. 3728, Bl. 6. Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 89–165. Brilling, Bernhard: Die Evakuierung der Breslauer Juden nach Tormersdorf bei
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die Militärbehörden die Räumung des jüdischen Altenheimes an. Das „Beate-Guttmann-Altersheim“, das zu dieser Zeit durch Annie Cohn 515 geleitet wurde und etwa 90 Bewohner zählte, wurde einige Wochen später vollständig geräumt. 516 Anfang Juli 1941 verließ der erste Transport mit etwa 80 Bewohnern dieses Altersheimes Breslau Richtung Tormersdorf. 517 Bella Carlebach-Rosenak, die als Pflegerin diesen ersten Transport nach Tormersdorf begleitete, erinnert sich an ihre Eindrücke unmittelbar nach der Ankunft im Lager: Die vielen schrecklichen Einzelheiten der Ankunft, die Schilderung der noch vor zwei Tagen gewesenen Irrenanstalt, erregt mich noch jetzt beim Schreiben. Einige nicht schwer kranke Geisteskranke blieben noch im Haus. Man konnte keine Fenster öffnen, keine Türe schließen. Toiletten funktionierten nicht. Wasser musste man von der Strasse holen und jeder Insasse musste helfen. […] Es kamen fast täglich neue Transporte. Der erste war der der Insassen des Beate-Guttmann-Heims. Uns gegenseitig zu besuchen in den Nachbarhäusern war uns auch nicht erlaubt. Die Heimleiterin und die Heimschwestern hatten es sehr schwer. Viele erkrankten und andere verloren ganz die Nerven. 518
Das Lager in Tormersdorf wurde auf einem Gelände der evangelischen Bruderschaft, die dort eine Pflegeanstalt „Zoar“ für geistig behinderte, epileptische und sozial gefährdete Männer führte, errichtet. Diese zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in „Martinshoff“ umbenannte Anlage er-
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Görlitz, Kreis Rothenburg, Oberlausitz, 1941/42, in: MVBI, Nr. 46–47, Mai 1980, S. 16–17, hier S. 16; vgl. Cohn: Als Jude in Breslau, Tagebucheintrag vom 26. April 1941, S. 54. Die 1864 in Breslau geborene Annie Cohn wurde am 30. August 1942 mit 200 anderen jüdischen Internierten von Tormersdorf via Breslau in das Gettolager Theresienstadt deportiert. Am 22. September 1942 wurde sie von dort in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet, Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch (abgerufen am 26. März 2013). Cohn: Als Jude in Breslau, Tagebucheintrag vom 10. Mai 1941, S. 58; vgl. Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 23 f. Das genaue Datum dieses Transportes konnte nicht ermittelt werden. Der Historiker Alfred Konieczny schätzte, dass sich in dem Transport zwischen 80 und 130 Breslauer Juden befanden, Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 24. ALBINY, Carlebach-Rosenak, Bella: Lebenserinnerungen, 1897–1957 (verfasst 1957), Sig. ME 81 MM 14, S. 51 f.
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schien der Breslauer NS-Führung nach der infolge der „Euthanasie-Aktion“ erfolgten Räumung als ein geeigneter Ort für die Breslauer Juden, die Mitte 1941 aus der Stadt vorerst „umgesiedelt“ werden sollten. 519 Einige Wochen nach der ersten „Umsiedlung“ der Bewohner des „Beate-Guttmann-Heimes“ nach Tormersdorf folgte am 31. Juli 1941 ein weiterer Transport mit etwa 50 Breslauer jüdischen Wohnungsinhabern, die ihre Wohnungen räumen mussten. 520 Nach der Benachrichtigung durch die Gestapo beziehungsweise durch einen Vertreter der jüdischen Gemeinde hatten sich die von der Räumung Betroffenen im Hof des Polizeipräsidiums mit Handgepäck einzufinden. Die Wohnung samt Einrichtung wurde durch die Gestapo beschlagnahmt und vom städtischen Wohnungsamt und dem Oberfinanzpräsidium übernommen. 521 Weitere Transporte der Breslauer Juden nach Tormersdorf folgten am 25. August sowie am 11. September 1941. 522 Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Tormersdorf wurden die Breslauer Juden an die Beamten der hiesigen Gestapo übergeben. Die Breslauer jüdische Gemeinde betrachtete die nach Tormersdorf evakuierten Juden als eine mit ihr verbundene „Jüdische Wohngemeinschaft“, um dessen Mitglieder sie sich weiterhin kümmerte. 523 Die Lebensbedingungen im Lager waren geprägt durch extreme Raumknappheit, katastrophale hygienische Bedingungen und rigorose Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Internierten. Zum Lagerleiter wurde Martin Saul einberufen, der für die Führung des Lagers sowohl vor der jüdischen Gemeinde in Breslau als auch vor der Gestapostelle verantwortlich war. 524 519 Brilling: Die Evakuierung der Breslauer Juden nach Tormersdorf, S. 16. 520 Für die Vertreibung der Breslauer Juden aus ihren Wohnungen war die niederschlesische Gauleitung verantwortlich. Diese teilte dem Breslauer Polizeipräsidenten und der Gestapo die Adressen der zu räumenden jüdischen Wohnungen mit. Die Gestapo veranlasste dann die Benachrichtigung der betroffenen jüdischen Haushalte durch die jüdische Gemeinde, die für alles Weitere (wie Zusammenführung zur Sammelstelle, Abtransport des Gepäcks usw.) verantwortlich war, Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 26; vgl. Brilling: Die Evakuierung der Breslauer Juden nach Tormersdorf, S. 16. 521 Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 26 f. 522 AYV, Auszüge aus den Tagebüchern von Willy Cohn, S. 1, 3. 523 Brilling: Die Evakuierung der Breslauer Juden nach Tormersdorf, S. 16. 524 Der 1885 geborene Martin Saul wurde am 23. Februar 1943 aus Breslau in das Gettolager Theresienstadt deportiert und von dort am 9. Oktober 1944 in das
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Alle dort Internierten mussten für ihren Aufenthalt Beiträge an die Breslauer jüdische Gemeinde zahlen. In diesem Durchgangslager wurden später auch jüdische Familien aus anderen niederschlesischen Städten wie Glogau, Görlitz oder Lauban interniert. Nach dem polnischen Historiker Alfred Konieczny wurden zwischen 550 und 600 Juden aus Breslau nach Tormersdorf „umgesiedelt“, von denen 532 Namen ermittelt werden konnten. 525 Die Internierung der Breslauer Juden in Tormersdorf währte nicht lange. Einige Monate nach der Errichtung des Lagers wurden die 203 zu dieser Zeit dort internierten Breslauer Juden nach Breslau zurückgebracht und am 3. Mai 1942 in den Distrikt Lublin verschleppt, wo sie in den Vernichtungslagern Bełżec und Sobibór ermordet wurden. In weiteren zwei Transporten in das Gettolager Theresienstadt, die am 26. Juli und am 30./31. August 1942 Breslau verließen, befanden sich 275 Personen, die zuvor in Tormersdorf interniert waren. 526 Danach stand das Lager in der Auflösungsphase. Mitte September 1942 wurden die letzten jüdischen Bewohner von Tormersdorf in eine „analoge“ „Jüdische Wohngemeinschaft“ in Grüssau überstellt. 527 Bereits während der ersten Transporte in das Durchgangslager Tormersdorf suchten die Breslauer Behörden nach einem anderen Ort, um dort eine weitere „Jüdische Wohngemeinschaft“ zu errichten. Für dieses Ziel wurde ein Zisterzienserkloster in Grüssau bei Landeshut ausgewählt, das zu dieser Zeit leer stand, nachdem die letzten Mönche verhaftet worden waren. 528 Am 20. September 1941 wurde die Breslauer jüdische Gemeinde benachrichtigt, dass weitere 1.000 Juden bald die Stadt verlassen müssten; die ersten 200 Personen sollten bis zum 25. September 1941 ihre Breslauer Wohnungen
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Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt, wo er ermordet wurde, Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch (abgerufen am 27. März 2013). Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 32, 89–110. Nach Bernhard Brilling überlebten insgesamt sechs der aus Tormersdorf nach Theresienstadt deportierten Breslauer Juden die Schoah (Getzel, Elise (geb. 1869); Hochfelder, Marie (geb. 1866); Blasberg, Flora (geb. 1868); Daniel, Lucia (geb. 1878); Kronthal, Rosa (geb. 1878) und Pese, Isidor (geb. 1871)), Brilling: Die Evakuierung der Breslauer Juden nach Tormersdorf, S. 17; vgl. Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 43. Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 43. Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 230.
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räumen. 529 Der erste Transport nach Grüssau verließ Breslau am 5. Oktober 1941. Bis zumindest November 1942 trafen hier regelmäßig neue Transporte ein. Der 1924 in Breslau geborene Ernst Ksinski äußerte sich während seiner Vernehmung bezüglich der NS-Verbrechen 1963 in der Polizeistelle in Tel Aviv zur Deportation der Breslauer Juden in das Durchgangslager in Grüssau: Anfang 1942, an das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern, wurde eine weitere Verschickungsaktion von Juden in Breslau durchgeführt. In dieser Aktion[,] die meistens alte und kranke Menschen umfasste, wurden wieder die Juden in dem Schiesswerder-Saal auf Grund einer Verordnung der Kultusgemeinde versammelt. Nach einigen Tagen wurde dieser Transport nach Grüssau bei Rybnik in Oberschlesien verschickt, dort wurden sie ca. für ein halbes Jahr in einem Kloster untergebracht. In dieser Zeit kamen öfters Nachrichten von dort und es wurde[n] auch diesen Juden Lebensmittelpakete zugeschickt. 530
Die Gesamtzahl der nach Grüssau deportierten Breslauer Juden ist nicht übermittelt. Alfred Konieczny stellte anhand der erhalten gebliebenen Quellen eine Liste der in Grüssau internierten Personen zusammen, die 796 Personen verzeichnet. 531 Die „Jüdische Wohngemeinschaft“ in Grüssau unterstand ähnlich wie die in Tormersdorf der Breslauer jüdischen Gemeinde und wurde aus den Beiträgen der Insassen finanziert. An ihrer Spitze stand ein ehemaliger Gemeindemitarbeiter, Siegbert Benjamin. 532 Die Lebensbedingungen in diesem Durchgangslager waren ähnlich wie in Tormersdorf, katastrophal. Viele der dort erkrankten Internierten wurden in das Breslauer jüdische Krankenhaus 529 Cohn: Als Jude in Breslau, Tagebucheintrag vom 20. September 1941, S. 99. 530 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Ernst Ksinski bezüglich des Ermittlungsverfahrens gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel, Tel Aviv, 31. Juli 1963, Bestand TR.11 – Israel Police Investigations of Nazi Crimes, Sig. 01174 (upgn.); vgl. AYV, Ksinski: Report on Breslau and the Camps. 531 Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 110–143. 532 Ebd., S. 44 f. Der 1891 in Breslau geborene Siegbert Benjamin wurde am 13. April 1942 via Breslau in das Transitgetto Izbica im Distrikt Lublin deportiert. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt; er wurde für tot erklärt, Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch (abgerufen am 27. März 2013).
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gebracht. Dr. Siegmund Hadda behandelte viele Patienten, die aus Grüssau in sein Krankenhaus gebracht wurden: Im Laufe des Jahres 1941 waren etwa 2.000 ältere Juden in drei in verschiedenen Teilen Schlesiens gelegene Orte in den sogenannten ‚Zwangsgemeinschaften‘ untergebracht worden. Eines davon war das berühmte Kloster Grüssau. Hier wurden mehrere Hundert Männer und Frauen monatelang gefangen gehalten. Die hygienischen Verhältnisse in den beiden anderen Orten – Tormersdorf und Riebnig – waren alles andere als gut, aber Grüssau muss furchtbar gewesen sein. Von Insassen, die wegen chirurgischer Behandlung ins Krankenhaus gebracht wurden, erfuhr ich Genaueres über die mangelnde Verpflegung, Massenepidemien von Enteritis, Pneumonien wegen mangelnder Heizung im Winter. 533
Ähnlich wie in Tormersdorf wurden die Insassen von Grüssau den aus Breslau abgehenden Transporten in die Vernichtungsstätten angeschlossen. Die ersten 16 Internierten aus Grüssau deportierte die Breslauer Gestapo mit den etwa 1.000 anderen Breslauer Juden in das Durchgangsgetto in Izbica bei Lublin. 534 Etwa 235 Juden aus Grüssau wurden via Breslau am 3. Mai 1942 in den Distrikt Lublin verschleppt und 359 Personen am 26. Juli und am 30. August 1942 in das Gettolager Theresienstadt deportiert. 535 Ein halbes Jahr später, am 23. Februar 1943, wurden die letzten 102 Internierten aus Grüssau nach Theresienstadt verschleppt und das Lager aufgelöst. 536 Das dritte Durchgangslager für die Breslauer Juden in Riebnig bei Brieg wurde im Oktober 1941 in Betrieb genommen und befand sich im Gebäude des ehemaligen „Reichsarbeitsdienstes“. 537 Zum Lagerleiter wurde der Arzt Dr. Georg Heidenfeld beordert, der am 27. Oktober 1941 in das Lager kam,
533 AYV, Hadda: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses, S. 13. 534 Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 53. 535 Im Gettolager Theresienstadt überlebten das Ende des Krieges nur 10 ehemalige Internierte aus dem Durchgangslager Grüssau, Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 56 f. 536 Konieczny: Die VI. Deportationsaktion Breslauer Juden, S. 10–13. Die deportierten Juden in diesem Transport (unter der Bezeichnung ‚IX/3‘) nach Theresienstadt kamen außerdem aus Bunzlau, Freystadt, Görlitz, Grünberg und Oberglogau. Acht Menschen aus diesem Transport haben den Krieg überlebt, siehe: Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 351. 537 Kruszewski: Obóz ludności żydowskiej w Rybnej koło Brzegu, S. 318; vgl. Gruner: Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden, S. 252.
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um es für die Ankunft der Transporte der Juden aus Breslau vorzubereiten. 538 Bereits am 4. November 1941 traf hier der erste Transport mit etwa 200 Breslauer Juden ein. 539 Zwischen November 1941 und März 1943 wurden etwa 519 Breslauer Juden in dieses Durchgangslager deportiert. 540 Am 13. April 1943 wurden etwa 13 Personen aus dem Lager nach Izbica deportiert und drei Wochen später am 3. Mai weitere 82 Lagerinsassen in den Distrikt Lublin verschleppt. 541 Zusätzliche Transporte mit fast 300 Internierten aus Riebnig wurden den Breslauer Transporten nach Theresienstadt, die im Sommer 1942 abgingen, angeschlossen. Kurz vor der Auflösung des Lagers wurden die verbliebenen 100 Juden am 4. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. 542 Nach 17 Monaten seines Bestehens wurde das Durchgangslager Riebnig am 20. März 1943 aufgelöst. 543 Susanne Veit erinnert sich an das Schicksal ihrer Eltern, die aus Breslau in das Durchgangslager Riebnig verschleppt worden waren, wie folgt: Auch den Abtransport meiner Angehörigen in Breslau musste ich miterleben. In Breslau wurden – anders als bei dem zunächst streng bürokratischen System in Berlin – die Leute häufig in einem Augenblick wegtransportiert, wo ein Nazi ihre Wohnung oder ihr Haus brauchte. Diese Transporte gingen dann zunächst in drei Lager in Schlesien selbst. Ich erinnere mich noch an Grüssau und Riebnig nahe von Brieg, in denen die Juden selbst eine gewisse Lagerorganisation halten konnten, und wohin wir Briefe und Päckchen schicken konnten. Wie sich bald herausstellte, waren sie auch nur als Übergangslager zum völligen Abtransport gedacht. […] Das war im November 1941. […] Ihnen [den Eltern der Autorin] wurde einige Tage vorher die Räumung der Wohnung angekündigt. Diese vollzog sich in der üblichen Verbrecherart. Sie mussten gute Kleidung wieder ausziehen, die die Abholenden gleich für sich einpackten[,] und dafür altes Zeug 538 Konieczny: The Transit Camp for Breslau Jews at Riebnig, S. 325. Dr. Georg Heidenfeld wurde 1891 in Breslau geboren. Aus dem Durchgangslager Riebnig wurde er via Breslau am 4. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet, Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch (abgerufen am 27. März 2013); vgl. Yad Vashem The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony für Georg Heidenfeld. 539 Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 66 f. 540 Ebd., S. 81. 541 Konieczny: The Transit Camp for Breslau Jews at Riebnig, S. 334 f. 542 Konieczny: Tormersdorf, Grüssau, Riebnig, S. 79. 543 Konieczny: The Transit Camp for Breslau Jews at Riebnig, S. 341.
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anziehen etc. […] Meine Eltern kamen in das Lager von Riebnig. Nach zwei Monaten starb mein Vater dort an Lungenentzündung. Der Sarg wurde auf einem Pferdewagen aus dem Lager gefahren und soll auf dem jüdischen Friedhof von Brieg beigesetzt worden sein. Meine Mutter durfte nicht aus dem Lager heraus. Aus den Briefen aus diesen Lagern begann man bald zu merken, dass auch dort neues Einpacken, Umgruppieren und düsteres Abschiednehmen begannen. Meine Mutter wurde nach einigen Monaten fortgebracht, ich hoffe, nach Theresienstadt. Das war die letzte Nachricht, die wir von ihr erhielten. 544
3.6.3 Die Umsetzung der „Endlösung“ Die Massendeportationen aus dem deutschen Reichsgebiet, darunter auch aus Breslau, verbunden mit der physischen Ausrottung der Juden in den Kriegsjahren 1941–1945 sollten den bisher geschilderten Vernichtungsprozess vollenden. So erscheinen die Durchgangslager für die Breslauer und niederschlesischen Juden in Tormersdorf, Grüssau und Riebnig als eine düstere Vor-Etappe der sogenannten „Abschiebungen in den Osten“. Mit dem Einsetzen der Massendeportationen im Oktober 1941 begannen die zuständigen Behörden mit dem schrittweisen Rücktransport aus den schlesischen Sammellagern nach Breslau in die vorgesehenen Sammelstellen der Stadt. Darunter fielen der Hof der Synagoge „Zum Weißen Storch“ in der Wallstraße und das Gebäude der „Gesellschaft der Freunde“ in der Graupenstraße. Von diesen Sammelstellen wurden die zur Vernichtung Bestimmten in die Endsammelstelle am Schießwerderplatz gebracht, um vom nahe gelegenen Odertorbahnhof deportiert zu werden. Bevor der erste Transport „in den Osten“ Breslau verließ, lebten in der Stadt noch fast 8.000 Juden. Die meisten von ihnen deportierte die Breslauer Gestapo zwischen dem 25. November 1941 und dem 25. April 1944 nach Kaunas, in den Distrikt Lublin (von dort in die Vernichtungslager Bełżec und Sobibór), in das Gettolager Theresienstadt sowie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. 545
544 AYV, Veit, Susanne: Non-Jews helping Jews, Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 363, S. 4. 545 Vgl. Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt;
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Die erste Deportation der Breslauer Juden nach Litauen im November 1941 geschah noch vor der berüchtigten „Wannseekonferenz“ und der dort unrühmlich besiegelten „Endlösung der Judenfrage“, die das Schicksal der Juden aus Deutschland und dem besetzten Europa besiegelte. Kenneth Arkwright behielt die Erinnerung an die Deportation seiner Nachbarn, der Familie Korngrün, lebenslang: Wir wohnten zusammen mit der Familie Korngrün in einer sehr kleinen Zweizimmerwohnung in dem Gemeindehaus in der Kopischstrasse. Jede Familie bewohnte ein Zimmer und wir mussten die kleine Küche und das Badezimmer teilen. Es war ein dunkler und unfreundlicher Herbstmorgen 1941. Es muss wohl zwischen sechs und sieben Uhr morgens gewesen sein, als wir ein Hämmern von Fäusten auf die Entreetür hörten: ‚Aufmachen, Gestapo!‘. Meine Mutter öffnete die Tür. Zwei Gestapo-Beamte schoben sie beiseite: ‚Wo ist der Jude Korngrün?‘ Sie öffneten die Tür des Korngrün Zimmers. Die Familie lag noch im Bett. Die Korngrüns mussten sich anziehen, das Wichtigste einpacken, aber nicht mehr[,] als sie selbst tragen konnten. Brot für zwei Tage mitnehmen. Das Zimmer wurde versiegelt. Es wurde ihnen gesagt, dass sie in die neuen Ostgebiete übersiedelt werden, so dass sie endlich ehrliche Arbeit leisten könnten. Die Werkzeuge würden später abgeholt und der Zimmerinhalt würde nachgeschickt. Es konnte doch vielleicht wahr sein, denn Breslauer Juden waren schon nach Tormersdorf, Grüssau und Riebnick verschickt worden und man bekam ab und zu einmal Nachricht von ihnen. Ich musste mit ihnen mitgehen und mit dem Gepäcktragen helfen. Mit der Straßenbahn ging es nach dem Schiesswerder-Saal. Dort warteten schon viele jüdische Familien und saßen auf ihren Rücksäcken und Koffern. Herr und Frau Korngrün schienen beruhigt zu sein, so viele jüdische Mitbürger zu sehen. Ihr sechsjähriger Sohn Heini weinte bitterlich. Sein Teddybär war zurückgeblieben. Frau Korngrün bat mich den Teddy nach zu bringen, so dass sie Heini beruhigen konnte. Ich kam nach Hause und da lag der Teddybär im Entree. Zurück zum Schiesswerder: Welche Freude des Kindes[,] den Teddybär wieder zu haben und darin Trost zu finden. Wir mussten die Wohnung räumen und kurz vorher holte die Gestapo alles, was den Korngrüns gehörte, ab. 546
Einige Wochen zuvor, am 24. Oktober 1941, war vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin die Anweisung ergangen, sämtliche Juden aus Połomski: Holocaust we Wrocławiu i na Dolnym Śląsku; ders.: Deportacje Żydów z Dolnego Śląska; Jonca: Deportations of German Jews from Breslau 1941–1944. 546 Arkwright, Kenneth: Auf Nimmerwiedersehen, in: MVBI, Nr. 64, 1998, S. 2–3, hier S. 2; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA.
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dem „Altreich“, Österreich und Böhmen und Mähren „in den Osten zu evakuieren“. Laut der Aussage des ehemaligen Mitarbeiters der StaatspolizeiLeitstelle Breslau, Hans Müller, wurde der Oberkommissar der Breslauer Gestapo und Leiter des Referats II. B (Juden- Kirchen- und Sektenbearbeitung), Alfred Hampel, 547 nach Berlin entsandt, um sich die Durchführung der dort laufenden Deportation der Juden anzusehen. 548 Unmittelbar nach seiner Rückkehr erhielt Alfred Hampel den Auftrag, die „Evakuierung“ der Breslauer und schlesischen Juden durchzuführen. Bei einer Dienstbesprechung mit den Mitarbeitern seines Referats erklärte er die Abwicklung dieses Vorhabens: Nach Aufstellung einer durch die Jüdische Gemeinde zu erstellenden Liste über die jeweils von Berlin geforderte Anzahl zu evakuierender Juden ist eine entsprechende Sammelstelle einzurichten. Die Juden, die vorher durch die Jüdische Gemeinde benachrichtigt worden sind, werden einige Tage vor der Evakuierung durch aufgestellte Festnahme-Kommandos zu dieser Sammelstelle gebracht. Die Festnahme-Kommandos sind aus Beamten der Staatspolizei, Kriminalpolizei, Schutzpolizei und aus Angehörigen der politischen Leiter aufzustellen. Die Sammelstelle ist vorher durch Luftschutz-Betten für die Unterbringung und durch Anschaffung entsprechender Lebensmittelmengen für die Verpflegung vorzubereiten. Die Einziehung des gesamten Vermögens erfolgt durch Beamte der Finanzverwaltung durch die entsprechende Regierungsstelle. Für den Abtransport wird mit der Reichsbahn in Verbindung getreten zur Erstellung des entsprechenden Wagenmaterials. 549
547 Alfred Hampel war seit 1937 Leiter des Referats II. B (des sogenannten ‚Judenreferats‘) der Breslauer Gestapo und maßgeblich an den Deportationen der Breslauer Juden beteiligt. Das Verfahren beim Landgericht Bielefeld gegen Alfred Hampel, dessen Name häufig in Zeugenaussagen erwähnt war, wurde nach dessen Tod bereits am 18. Mai 1966 eingestellt, siehe: AYV, Ermittlungsverfahren gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel Bestand TR.11 – Israel Police Investigations of Nazi Crimes, Sig. 01174; http://db.yadvashem.org/deportation/supervisorsDetails.html?language=en& itemId=9737990 (abgerufen am 31. März 2013). 548 AYV, Ermittlung ehemaliger Mitarbeiter der Gestapo-Leitstelle Breslau, Protokoll zur Aussage von Hans Müller, Bl. 3. Hans Müller wurde bei der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) im Jahre 1951 vernommen. 549 AYV, Ermittlung ehemaliger Mitarbeiter der Gestapo-Leitstelle Breslau, Protokoll zur Aussage von Hans Müller, Bl. 3.
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Zur Durchführung der Deportationen der Breslauer Juden wurde ein „Festnahme-Kommando“ von 200 bis 300 Männer eingesetzt. Alfred Hampel hatte nicht nur die Deportationen angeordnet, sondern die erforderlichen Verhandlungen mit den zuständigen Dienststellen geführt und selbst die Durchführung der Anordnungen überwacht. 550 Am 21. November 1941 begann die Breslauer Staatspolizei-Leitstelle mit den Verhaftungen der ersten 1.005 Breslauer Juden. Vor dieser ersten Deportation nach dem „Ostland“ errichtete die Gestapo eine Sammelstelle am „Schießwerder“, 551 wohin sie die Verhafteten brachte. 552 Der 1918 in Breslau geborene Ismar Pick schilderte im August 1962 die Umstände dieser ersten Deportation der Breslauer Juden in einem Bericht wie folgt: Diese Menschen wurden von der uniformierten Polizei gegen 6 Uhr morgens aus den Wohnungen abgeholt und nach dem sogenannten Sammellager ‚Schießwerder‘ gebracht. Da sich diese Aktion wie ein Lauffeuer unter uns Juden schnell verbreitete, ging ein großer Teil unserer Leute nach dem ‚Schießwerder‘, weil dort jeder von uns Verwandte oder Freunde hatte. Leider hatte man uns beim Eingang den Eintritt verweigert, obwohl wir unseren Lieben nur auf Wiedersehen sagen wollten. Die Wohnungen waren nach ein paar Tagen vollkommen leer und wurden wieder bezogen. Die Gestapo benutzte die Synagoge auf der Wallstrasse als Lagerhaus, welches mit Möbeln und Haushaltsgegenständen gefüllt war. 553 550 Ebd. 551 ‚Schießwerder‘ war der beliebte Breslauer Biergarten an der Schießwerderstraße nahe dem Odertorbahnhof, in dem die ‚Endsammelstelle‘ für die deportierten Juden eingerichtet wurde. 552 Hans Werner Abraham, der an den Sammelstellen als Krankenpfleger tätig war, beschreibt in seinem Bericht die dort herrschenden Verhältnisse wie folgt: ‚Die sogenannten Sammelstellen waren große Hallen mit jeweilig drei Bettgestellen übereinander, wo Frauen, Männer und Kinder zusammen untergebracht waren. Die Wasch- und Toilettenverhältnisse waren völlig unzureichend, Medikamente waren nur beschränkt vorhanden, da wir nicht in der Lage waren[,] das Lager zu verlassen[,] bevor die Transporte abgingen.‘, siehe, Abraham, Hans Werner: Bericht über die Deportationen der Breslauer Juden vom 5. März 1962, in: Friedmann, Tuvia (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen kämpfen um die Erbschaft von fünf Millionen Goldmark. Dafür wird der jüdische Anwalt nach Auschwitz in den Tod geschickt. Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel. Haifa 1997, S. 104. 553 Pick, Ismar: Bericht über die Deportationen der Breslauer Juden vom 20. August
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Nach vier Tagen, am 25. November 1941, wurden die über 1.000 Personen von der Sammelstelle am „Schießwerder“ zu dem nahe gelegenen Bahnhof Breslau-Odertor getrieben, von wo sie in einem „Sonderzug“ die Stadt Richtung Litauen verließen. Der Transport erreichte am 29. November 1941 Kaunas. 554 Deutsche Angehörige der 3. Kompanie des Reserve-Polizeibataillons II bewachten die Breslauer Juden auf dem Weg vom Bahnhof zum IX. Fort. 555 Die jüdischen Polizisten aus dem Getto Kaunas beobachteten die langen Kolonnen von relativ gut gekleideten Juden, die am Getto vorbei Richtung IX. Fort gingen. Der Arzt Dr. Aron Perez sagte während des Eichmann-Prozesses 1961 in Jerusalem aus: Die ‚Juden‘, wenn [sie] die Juden auf der anderen Seite des Zaunes sahen, schrien uns zu, ‚ist das Lager noch weit?‘, denn man hatte ihnen gesagt, dass man sie zu einem Lager führe. Wir wussten natürlich, wohin der Weg führte. […] Dieser Weg führte zum Neunten Fort zu den vorbereiteten Gruben. 556
Dort ermordeten Männer des Kommandeurs der Sicherheitspolizei Litauens, Karl Jäger, des 1. litauischen Schutzmannschaftsbataillons unter Major Šimkus und des litauischen Gefängnispersonals die 1.005 Juden. 557 Diese Exekution umfasste ebenfalls einen Transport von 993 Wiener Juden, sodass
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1962, in: Friedmann, Tuvia (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen kämpfen um die Erbschaft von fünf Millionen Goldmark. Dafür wird der jüdische Anwalt nach Auschwitz in den Tod geschickt. Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel. Haifa 1997, S. 159. Porat, Dina: The Legend of the Struggle of Jews from the Third Reich in the Ninth Fort near Kovno, 1941–1942, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Nr. 20, 1991, S. 363–392, hier S. 375. Der Transport vom 25. November 1941 aus Breslau war ursprünglich für Riga gedacht. Da die ‚Aufnahmekapazitäten‘ im Getto Riga ausgeschöpft waren, wurde der Transport der Breslauer Juden kurzfristig nach Kaunas umgeleitet, Adler: Der verwaltete Mensch, S. 184 f.; Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 108 f. Dieckmann, Christoph: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941–1944, Bd. 2. Göttingen 2011, S. 959. Zitat nach, Scheffler, Wolfgang: Massenmord in Kowno, in: ders./Schulle, Diana: Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, Bd. 1. München 2003, S. 83–188, hier S. 84. AYV, Jäger: Gesamtaufstellung der durchgeführten Exekutionen, Bl. 217.
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insgesamt etwa 2.000 Personen erschossen wurden, darunter 693 jüdische Männer, 1.155 jüdische Frauen sowie 152 Kinder. 558 Ein Litauer, der Beteiligter an diesem Massenmord war, schilderte die Geschehnisse im IX. Fort in einem Bericht: Die aus Deutschland kommenden Juden mussten sich völlig entkleiden (es seien 18 Grad Kälte gewesen), dann in vorher von russischen Kriegsgefangenen ausgehobene ‚Gruben‘ steigen. Darauf wurden sie mit Maschinengewehren erschossen; Granaten wurden hinterdrein geschleudert. Ohne Kontrolle, ob alle tot waren, ertönte das Kommando, die Gruben zuzuschütten. Sowohl die litauischen wie die deutschen Nichtarier, Christen wie Juden, starben ruhig und gefasst. Sie sollen laut gemeinschaftlich gebetet haben und Psalmen singend in den Tod gegangen sein. 559
Der Breslauer Transport nach Kaunas war ein Teil der insgesamt 42 Deportationszüge aus Deutschland, Österreich und der besetzten Tschechoslowakei, die zwischen Oktober und Ende Dezember 1941 Richtung „Osten“ fuhren. 560 Die Massenhinrichtung vom 29. November 1941 im IX. Fort hat niemand überlebt. 561 Unter den Ermordeten befanden sich auch die zwei Chronisten des jüdischen Lebens in Breslau: Willy Cohn mit seiner Ehefrau und zwei kleinen Töchtern sowie Walter Tausk, ebenso wie die Nachbarn von Kenneth Arkwright: Charlotte und Leopold Korngrün mit ihrem 10jährigen Sohn Heinz. Anfang März 1942 kündigte Adolf Eichmann im RSHA den Vertretern lokaler Gestapostellen die Wiederaufnahme der Deportationen aus Deutschland, Österreich und dem Protektorat an. 562 Bereits im Januar 1942 verwies 558 Ebd.; vgl. Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen, Bd. 2, S. 959 f.; Scheffler: Massenmord in Kowno, S. 83. 559 Eingangsvermerk vom 14. Februar 1941 zu Berichten von Frau Sommer, der Leiterin des Berliner Hilfswerks, an den Bischof von Osnabrück, Berning, vom 5. Februar 1942, in: Akten deutscher Bischöfe, Bd. 5, S. 675, zitiert nach: Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen, Bd. 2, S. 960; vgl. Longerich: Davon haben wir nichts gewusst!, S. 227. 560 Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen, Bd. 2, S. 961. 561 Von den 1.005 Breslauer Juden, die am 29. November 1941 in Kaunas ermordet wurden, konnten 919 Namen übermittelt werden, siehe: Scheffler: Massenmord in Kowno, S. 171–188. 562 Gruner, Wolf: Von der Kollektivausweisung zur Deportation der Juden aus Deutschland (1938–1945). Neue Perspektiven und Dokumente, in: Kundrus,
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Eichmann auf die „Aufnahmemöglichkeiten“ im Generalgouvernement, wo gerade mit der systematischen Ermordung der polnischen Juden begonnen wurde. Demnach sollten die reichsdeutschen Juden vor allem in den Distrikt Lublin gebracht werden. 563 Zwischen März und Juni 1942 deportierte die Gestapo Zehntausende Juden aus Berlin, Hessen und Schwaben, dem Rheinland und Sachsen in das Generalgouvernement. Im April und Mai 1942 verließen zwei große Transporte mit jeweils 1.000 Breslauer Juden die Stadt Richtung Distrikt Lublin. Der erste Deportationszug fuhr am 13. April 1942 mit 1.000 Personen zu dem Durchgangsgetto Izbica bei Lublin. Bereits am 3. Mai 1942 wurde der nächste Transport mit ebenfalls 1.000 Juden in Breslau zusammengestellt und wurde in den Distrikt Lublin geleitet. Niemand hat diesen Transport überlebt, deshalb ist auch der Zielort dieser Deportation im Distrikt Lublin unbekannt. 564 Mittwoch den 8. April 1942 morgens bekamen wir die Nachricht, dass sich unsere Eltern am Donnerstag den 9. April früh morgens am zuständigen Polizeirevier mit Gepäck einzufinden haben. […] Meine Schwester und ich begleiteten die Eltern Donnerstag zur Polizei und von dort auch zur allgemeinen Sammelstelle. Ich will es mir ersparen, von diesem unvergesslichen Tag genauer zu berichten. Renate und ich mussten zurückbleiben und die Ruhe, die mein Vater und auch meine Mutter bewahrten, ist wohl auch nur so zu erklären, dass sie doch noch im letzten Moment auf das große Wunder einer Reclamation hofften. Montag Abend ist dieser Transport von Breslau abgegangen. Es ist mir, trotz mehrerer Versuche, nicht gelungen[,] meine Eltern noch einmal zu sehen oder gar zu sprechen. Meinem Vater gelang es[,] uns zwei Briefe aus dem Sammellager zukommen zu lassen. Beide sind sehr mutig. In dem zweiten Brief schreibt mein Vater, dass er sich erst jetzt, Sonntag, darüber klar ist, dass sich seine Hoffnungen nicht erfüllen werden und dass wir uns lange, vielleicht unabsehbar lange nicht wieder sehen werden. 565
Die damals 16-jährige Anita Lasker schrieb diesen Brief am 15. April 1942, also zwei Tage nach der Deportation ihrer Eltern aus Breslau in das DurchBirthe/Meyer, Beate (Hrsg.): Die Deportation der Juden aus Deutschland. Pläne – Praxis – Reaktionen, 1938–1945. Göttingen 2004, S. 21–62, hier S. 56. 563 Longerich, Peter: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München 1998, S. 485 ff. 564 Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 204 f. 565 Brief von Anita Lasker an Grafen Philipp Künigl vom 14. April 1942, in: Friedmann: Zwei deutsche Grafen kämpfen, S. 106 f.
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gangsgetto Izbica an einen ehemaligen Klienten ihres Vaters, den Grafen Philipp Künigl. Einige Wochen später erhielten die in Breslau zurückgebliebenen Töchter, Anita und Renate Lasker, eine Postkarte von ihren Eltern aus Izbica. Dies war das einzige Lebenszeichen von Edith und Alfons Lasker. Seitdem haben ihre Töchter nichts mehr von ihnen gehört. 566 Ähnlich wie das Ehepaar Lasker erhielt auch Kate Langer die Aufforderung, sich zu einem „Abtransport zum Arbeitseinsatz in den Osten“ zu stellen, der am 13. April 1942 Breslau Richtung Getto Izbica verließ: Am 9. April 1942 bekam ich von der Jüdischen Gemeinde eine Vorladung, mich mit Gepäck am nächsten Tage im Polizeirevier einzufinden. Ich leistete Folge. Ich begab mich zu der Sammelstelle, wo ein Judentransport zusammengestellt wurde. Es wurde mir gesagt, dass wir zur Arbeit wegkommen sollten. Wertsachen und Geld wurden uns von der Gestapo-Beamtin in Zivil abgenommen, ebenso wie unsere Koffer, die nachgesandt werden sollten. Man hing uns Papierschilder mit Nummern um den Hals und rief uns anstatt mit dem Namen nur noch mit der Nummer. Ich hatte die Nummer 584. Nach drei Tagen ungewissen Wartens ging der Transport unter polizeilicher Bewachung nach dem Güterbahnhof Odertor. Wer außer der Reihe ging[,] wurde mit Erschießen bedroht. An die 1.200 Menschen, worunter auch alte Menschen und Kleinkinder waren, wurden in einen bereits wartenden Personenzug verladen. Fenster und Türen wurden verschlossen. Kein Mensch wusste, wohin die Fahrt geht. Drei Tage war der Zug unterwegs, ohne dass man uns etwas zu essen oder zu trinken gab. Allmählich merkten wir, dass die Fahrt durch Polen geht. […] Die Fahrt ins Ungewisse ging weiter, bis wir in Izbica eintrafen. 567
Der Stab der „Aktion Reinhardt“ bestimmte den kleinen Ort Izbica zum größten Durchgangsgetto im Distrikt Lublin. 568 Ab März 1942, also noch 566 AYV, Wallfisch: Cellist in the Auschwitz Camp Orchestra, S. 1; vgl. Interview mit Anita Lasker-Wallfisch, 2010 in London, AA; Interview mit Anita Lasker-Wallfisch, am 8. Dezember 1998 in London, USC Visual History Archive, Int. Code 48608, Tape 1. 567 AYV, Leschnitzer, Käthe: Bericht (Bericht für die Jüdische Historische Kommission in Polen, verfasst am 18. September 1945 in Wrocław), Bestand M.49 E – ZIH-Testimonies, Sig. 1303, S. 1. 568 Der polnische Historiker Robert Kuwałek, der unter anderem zu den Durchgangsgettos im Distrikt Lublin forschte, stellte fest, dass die kleine Siedlung Izbica wahrscheinlich nach Lublin der zweitgrößte Ort im ganzen Distrikt war, an dem man die Juden vor ihrer Deportation in die Vernichtungslager versammelt hatte. In der
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vor dem Beginn der „Aktion Reinhardt“, und durch das ganze Jahr hindurch wurde das Getto Izbica für Tausende polnische, deutsche, österreichische, tschechische und slowakische Juden zu einer Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager Bełżec und Sobibór. 569 Die in diesem mauerlosen Getto zusammengepferchten Menschen verbrachten einige Wochen oder auch Monate dort, bis sie letztendlich in die Vernichtung geschickt wurden. Bereits in der Stadt starben viele von ihnen oder sie wurden ermordet. Die in Izbica angekommenen Breslauer Juden erwarteten dort katastrophale Lebensbedingungen sowie Schikanen und Grausamkeiten seitens der dortigen SS. Die Überlebende Kate Langer erstattete im September 1945 der Jüdischen Historischen Kommission in Polen Bericht über die im Getto Izbica herrschenden Verhältnisse: In dem zerstörten und völlig untergekommenen Dorf wurden wir in den noch vorhandenen Hausruinen untergebracht. Ich kam mit noch 6 anderen Breslauern in einen kleinen Laden, in dem keine Gelegenheit für ein Lager vorhanden war. Wir beschafften uns etwas Stroh, das Abends ausgestreut wurde[,] um uns in der Nacht hinzulegen. Ungeziefer jeder Art quälte uns unausgesetzt. Im Dorfe, in dem schon mehrere Tausend Menschen von fünf vorangegangenen Transporten aus der Tschechoslowakei und Deutschland waren, befand sich eine Küche. Zu essen gab es erst nach 10 Tagen das erste Mal und zwar eine schmutzige Wasserbrühe. Schnell breiteten sich Krankheitsepidemien aus. Die sogenannte Sanitätsstation war in der Synagoge untergebracht. Medikamente gab es kaum, außer dem, was die jüdischen Ärzte aus den Transporten mitgebracht hatten. Die Kranken lagen mit den bereits verstorbenen auf der Erde, ohne dass sich jemand um sie kümmern konnte. Die Menschen starben durch Hunger, Entkräftung und Zeit vom 13. März 1942 bis zum 15. Juni 1942 wurden über 18.000 ausländische Juden nach Izbica deportiert. Insgesamt passierten über 26.000 polnische und ausländische Juden dieses Durchgangsghetto, siehe: Kuwałek, Robert: Die letzte Station vor der Vernichtung. Das Durchgangsghetto in Izbica, in: Löw, Andrea/Robusch, Kerstin/Walter, Stefanie (Hrsg.): Deutsche – Juden – Polen. Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2004, S. 157–179, hier S. 161, 172. 569 Vgl. Kuwałek: Die letzte Station vor der Vernichtung, S. 157; ders.: Die Durchgangsghettos im Distrikt Lublin (u. a. Izbica, Piaski, Rejowiec und Trawniki), in: Musiał, Bogdan (Hrsg.): ‚Aktion Reinhardt‘. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941–1944. Osnabrück 2004, S. 197–232; ders.: Das kurze Leben ‚im Osten‘, in: Kundrus/Meyer (Hrsg.): Die Deportation der Juden aus Deutschland, S. 112–134.
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Krankheit. Täglich wurden Männer durch den SS-Mann namens Engels herausgegriffen, um auf dem nahe liegenden Friedhof erschossen zu werden. Manche wurden spät Abends in den Wohnungen oder an den Latrinen erschossen. Mit Hundepeitschen prügelten die SS-Aufseher willkürlich in die Menschen. […] Alle paar Wochen wurde ein Transport meist älterer Leute zusammengestellt und in Güterwagen zu 100 Menschen in einem Wagen zusammengepresst nach Belschuetz [Bełżec] verbracht. Dort sollen alle diese Menschen vergast worden sein. 570
Schon in der zweiten Maiwoche 1942 verließen die ersten Transporte das Getto Izbica in das Vernichtungslager Sobibór. 571 Die nächsten Transporte in die Vernichtung begannen am 8. Juni 1942, diesmal gingen diese in das Vernichtungslager Bełżec. Im Oktober 1942 erfolgte dann die nächste Deportationswelle aus Izbica, von wo die Transporte abwechselnd nach Bełżec und Sobibór in die Vernichtung geschickt wurden. 572 Insgesamt wurden in den Monaten vom März und Juni 1942 über 15.000 Juden aus Deutschland und Österreich in das Distrikt Lublin deportiert. 573 Die Breslauer Juden der zwei Transporte nach Izbica und in den unbekannten Ort im Lubliner Distrikt fielen der „Aktion Reinhardt“ zum Opfer. Kate Langer, die in einer „Mischehe“ in Breslau als Käthe Leschnitzer geboren wurde, überlebte vermutlich als Einzige oder eine der sehr wenigen den Krieg. 574 Im Herbst 1942 konnte sie dank Hilfe eines Volksdeutschen aus Izbica flüchten. Anschließend gelangte sie auf einem abenteuerlichen Wege über Krasnystaw, Lublin
570 AYV, Leschnitzer: Bericht, S. 2 f.; vgl. Interview mit Kate Langer, am 22. März 1996 in Fort Lee, New Jersey, USC Visual History Archive, Int. Code 13452, Tape 1. 571 Arad, Yizhak: Belzec, Sobibor, Treblinka. The Operation Reinhard Death Camps. Bloomington 1999, S. 390. 572 Kuwałek: Die letzte Station vor der Vernichtung, S. 169 f. 573 Kuwałek: Das kurze Leben ‚im Osten‘, S. 112. 574 Kate Langer (Käthe Leschnitzer) kam am 25. April 1923 in Breslau zur Welt. Ihr Vater, Hugo Leschnitzer, war jüdisch und ihre Mutter, Klara Leschnitzer (geb. Krampos), Nichtjüdin. Die Kinder des Ehepaars Leschnitzer, Käthe und Alfred, wurden im jüdischen Glauben erzogen und waren Mitglieder der Breslauer jüdischen Gemeinde. Am 13. April 1942 wurde Käthe Leschnitzer gemeinsam mit dem Bruder ihres Vaters, Dagobert Leschnitzer, nach Izbica deportiert, siehe: AYV, Leschnitzer: Bericht; Interview mit Kate Langer, am 22. März 1996 in Fort Lee, New Jersey, USC Visual History Archive, Int. Code 13452, Tape 1, 2.
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und Beuthen nach Breslau und lebte dort im Versteck beziehungsweise unter falscher Identität bis zur Eroberung der Stadt durch die Rote Armee. 575 Bereits zwei Monate nach der letzten Deportation in den Distrikt Lublin begann in Breslau die Zusammenstellung erneuter Transporte, diesmal mit dem Ziel Gettolager Theresienstadt. Insgesamt kamen zwischen dem Sommer 1942 und Ende 1944 in zwölf Transporten 2.816 Juden aus Breslau in Theresienstadt an. 576 Von dort wurden die meisten in Vernichtungslager weitertransportiert. Die Verfolgung überlebten nur 198 Personen. 577 Am 26. Juli 1942 befahl das RSHA dem Leiter der Breslauer Staatspolizei-Leitstelle Ernst Gerke 578 die Vorbereitungen für die „IV. Deportationsaktion“, worunter sie einen großen Transport der niederschlesischen Juden nach Theresienstadt verstanden. 579 Zum ersten Mal wurde den zu dieser Deportation bestimmten Breslauer Juden die Möglichkeit des Erwerbs einer Wohnung in Theresienstadt angeboten. Einige von ihnen, die noch über größere Summen auf den ohnehin gesperrten Bankkonten verfügten, entschieden sich, ohne den Betrug dahinter zu erkennen, Wohnungen in Theresienstadt zu erwerben. 580 Der erste Transport ins Gettolager Theresienstadt mit 1.100 Juden verließ Breslau am Sonntag, den 26. Juli 1942. 581 Etwa 400 Personen aus die575 Interview mit Kate Langer, am 22. März 1996 in Fort Lee, New Jersey, USC Visual History Archive, Int. Code 13452, Tape 1; AYV, Leschnitzer: Bericht. 576 Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 303; vgl. Adler, Hans Günther: Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. (Reprint). Göttingen 2005, S. 725. 577 Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 303. 578 Der SS-Obersturmbannführer Ernst Gerke leitete vom Ende 1939 bis Sommer 1942 die Staatspolizeileitstelle Breslau. Gerke war an der Deportation der Breslauer Juden beteiligt. In den 1960er-Jahren wurden gegen ihn mehrere Verfahren wegen seiner Tätigkeit bei der Breslauer Gestapo eingeleitet. Alle diese Verfahren wurden jedoch eingestellt, siehe: AYV, Ermittlungsverfahren gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau; vgl. Jonca: Deportacje niemieckich Żydów z Wrocławia w świetle relacji naocznych świadków, S. 225–228; ders.: Deportations of German Jews from Breslau, S. 281–286. 579 Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 495. 580 Ebd., S. 498. 581 Laut Alfred Konieczny verließ dieser Transport Breslau am 26. Juli 1942, Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 499.
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sem Transport, der nach der Ankunft in Theresienstadt die Bezeichnung „IX/ 1“ erhielt, kamen im September und Oktober 1942 im Vernichtungslager Treblinka um. 582 Bereits einen Tag nach der Deportation, am 27. Juli 1942, nahm das sogenannte „Judenreferat“ der Breslauer Gestapostelle Vorbereitungen für den nächsten Transport auf. 583 Am Sonntag, den 30. August 1942, ist der zweite Transport mit 1.065 Personen vom Breslauer Odertorbahnhof nach Theresienstadt abgegangen. 584 In diesem Transport befanden sich 51 Bewohner des Altersheimes im Gebäude der jüdischen Gemeinde an der Wallstraße, darunter die Tante von Kenneth Arkwright, Meta Bernstein: Das letzte Familienmitglied, das Breslau verließ, war die Schwester meiner Großmutter, Meta Bernstein, für mich einfach nur Tante Meta. Sie war eine warmherzige ältere Dame. Eine Zeitlang musste sie von einem Altersheim ins nächste ziehen, letztendlich fand sie eine Bleibe in einem der wenigen übrig gebliebenen Räume der Jüdischen Gemeinde. Im August 1942 mussten die letzten Einwohner dieses Altenheims in Busse nach Theresienstadt steigen. Wir packten Metas Hab und Gut, doch wir konnten sie nicht dazu überreden, sich vernünftig und praktisch für die Reise zu kleiden. Sie zog ihre besten Sachen an, als wäre sie mit ihren Freundinnen zu Kaffee und Kuchen verabredet, wie in alten Zeiten. […] Bei der Abfahrt erblickten wir sie noch einmal, als der Bus an uns vorbeifuhr. Sie war in Tränen aufgelöst. 585
Aus diesem Transport, ähnlich wie aus dem vorherigen, wurden 314 Breslauer Juden im September 1942 und Januar 1943 ins Vernichtungslager Tre-
582
583 584 585
Nach Gottwald und Schulle ist das genaue Datum dieses Transportes nicht übermittelt. Möglich erscheint auch der 25. oder 27. Juli 1942, Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 303. Im Januar 1943 wurden acht Personen aus diesem Transport und im Laufe des Jahres 1944 weitere 49 Personen nach Auschwitz deportiert. Aus diesem Transport erlebten das Ende des Krieges lediglich 23 Personen, http://www.holocaust.cz/de/ transport/TRANSPORT.ITI.554 (abgerufen am 31. März 2013); Gottwald/ Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 303. Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 501. Http://www.terezinstudies.cz/deu/ITI/database/tr_in_from (abgerufen am 31. März 2013). Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 52 f.; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA.
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blinka überstellt, weitere 111 Personen kamen in späteren Deportationen 1944 aus Theresienstadt nach Auschwitz. 586 Die Lebensbedingungen im Gettolager Theresienstadt waren verheerend. Diese trugen dazu bei, dass aus dem Transport 359 Personen bereits bis Ende des Jahres 1942 gestorben waren. 587 Unter diesen Opfern war auch Meta Bernstein, die acht Wochen nach ihrer Ankunft aus Breslau in Theresienstadt am 29. Oktober 1942 verstarb. 588 Nach den vier großen Deportationen des Jahres 1942 trat für ein halbes Jahr eine gewisse Ruhe ein. Die Ursache lag womöglich in der Entwicklung an der Ostfront sowie dem fortschreitenden Mangel an Arbeitskräften in Deutschland. Die etwa 3.000 in Breslau verbliebenen Juden wurden zur Zwangsarbeit eingezogen. 589 Am 20. Februar 1943 gab das Judenreferat IV. B 4 des RSHA neue „Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden nach dem Osten (KL Auschwitz)“ heraus, die vorsahen, dass die bisher verschonten jüdischen Zwangsarbeiter, ausgenommen die in „Mischehen“ lebenden Juden, in den Vernichtungsprozess einbezogen werden sollten. 590 In den neuen Richtlinien wurde die Zahl der zu evakuierenden Juden in der Stärke von mindestens 1.000 Personen angeordnet. Zu dieser Zeit ließen sich aber Transporte mit solcher Zahl nur in Berlin und Breslau zusammenstellen. 591 586 Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 505; vgl. Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 316. 587 Aus diesem Transport (IX/2) verstarben in Theresienstadt 607 Personen, Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 505 f. 588 Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch, http://www.bundesarchiv.de/gedenk buch (abgerufen am 31. März 2013); vgl. Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 53; Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 589 Zu Beginn des Jahres 1943 lebten in Deutschland nur noch 51.327 Jüdinnen und Juden. Etwa 20.000 von ihnen mussten Zwangsarbeit verrichten, Gruner: Von der Kollektivausweisung zur Deportation der Juden aus Deutschland, S. 58. 590 Vgl. Gottwald/Schulle: Die ‚Judendeportationen‘ aus dem Deutschen Reich, S. 380. Die Verhaftungsaktionen der jüdischen Zwangsarbeiter, die vorwiegend in der Rüstungsproduktion Zwangsarbeit leisteten, ereigneten sich auch in Berlin, Dresden und anderen Städten Deutschlands, Gruner: Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden, S. 317 f. 591 Ebd., S. 382.
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Unmittelbar nach der Bekanntmachung der neuen Richtlinien fing die Breslauer Gestapo an, Vorbereitungen für einen neuen Deportationszug zu treffen. Die Zeugin dieser Geschehnisse, Karla Wolff, bezeichnet diese Deportation als „das Ende der Jüdischen Gemeinde Breslau“: 27. Februar 1943: Ich weiß gar nicht mehr, wie es begann. Aber plötzlich wussten es alle – das ist der Tag der vollkommenen Liquidierung der Jüdischen Gemeinde. Das ist der letzte Abschnitt. Ich war bei meiner Arbeit im Altersheim, dessen Fenster auf den Hof der Storch Synagoge gingen. Die Tore der Synagoge waren offen und schnell füllten sich Hof und Synagoge mit Hunderten von blassen Menschen, den gelben Judenstern auf der linken Brustseite, ihr armseliges Gepäck hinter sich herschleppend. Familien, Gruppen bildeten sich in dem kalten Hof, man packte und ordnete. Viele saßen aber nur apathisch auf ihren Kisten und starrten vor sich hin. Zu Anfang gab es noch eine Identität, eine Würde. Jeder bewahrte noch das ihm eigene menschliche Antlitz. Doch mit jeder Stunde verschwanden bekannte Gesichter, verschwamm das Eigene, das Persönliche. Sie verwuchsen zu einer Masse von Angst und tiefster Trostlosigkeit. […] Aus dem Altersheim wurde die Leiterin, Frau Sandberg, geholt. Sie gab mir ihren dunkelblauen Wintermantel – er wäre ihr zu schwer auf der langen Reise! Rabbiner Lewin, der den Vorschlag der Gestapo ausschlug, an einem späteren Termin nach Theresienstadt zu gehen, war für viele sicher eine große Stütze und moralische Hilfe. Als Vorbild von unerschrockenem Mut strahlte er Ruhe und Würde aus, die über allem zu schweben schien: Er ging ihnen allen voran, Trost ausstrahlend auf dieser Fahrt in die ewige Nacht. 592
Hans Werner Abraham, der als Krankenpfleger im jüdischen Krankenhaus arbeitete, wurde gemeinsam mit seiner Ehefrau Susanne gegen sechs Uhr morgens von der Gestapo abgeholt und in die Räume der „Gesellschaft der Freunde“ gebracht. Der Oberkommissar der Breslauer Gestapo, Alfred Hampel, ernannte Hans Werner Abraham gemeinsam mit dem Arzt Dr. Georg Heidenfeld, der kurz zuvor Leiter des Durchgangslagers in Riebnig war, zu Transportleitern. Hans Werner Abraham schildert die Ereignisse kurz vor der Deportation in seinem Bericht vom März 1963: Durch Zufall habe ich ein Telefongespräch mitgehört, in dem Hampel sich im Zusammenhang mit der Zusammenstellung der Waggons unterhielt und dabei die Bemerkung machte[,] ‚es wäre besser, wenn eine Bombe auf den Zug fallen 592 Wolff: Ich blieb zurück, S. 79 f.; vgl. Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA.
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würde, dann würden wir alle los werden und uns würde die Arbeit erspart bleiben.‘ Jeder in meinem Transport wusste, dass wir in ein KZ kommen sollten und viele Leute begingen Selbstmord, wie in vielen vorherigen Transporten. 593
Ismar Pick befand sich zusammen mit seinem guten Freund, Hans Werner Abraham, unter den von der Gestapo verhafteten Breslauer Juden. In seinem Bericht vom 20. August 1962 schildert er die Umstände seiner Verhaftung: Am 26. Februar 1943 wurde ich von der Gestapo frühzeitig am Morgen verhaftet. Ich wohnte mit meinen Eltern zu dieser Zeit in der Sonnenstrasse 21. […] Obwohl es nicht sehr weit war, hatte man uns in Lastwagen verbracht und transportierte uns in das Sammellager bei der Gesellschaft der Freunde in der Graupenstrasse. Da wir auf diesem Transport 1.000 Menschen waren, wurde ein Teil in der Jüdischen Gemeinde in der Wallstrasse untergebracht. […] Jeder von uns Erwachsenen wurde in einem extra Raum in den beiden Sammellagern vernommen[,] und wer noch über ein Bankkonto verfügte, musste sich schriftlich bereit erklären[,] zu Gunsten des Deutschen Reiches als Staatsfeind, auf all sein Vermögen zu verzichten. 594
Nach vier beziehungsweise fünf verbrachten Tagen in den Sammelstellen in den Räumen der „Gesellschaft der Freunde“ und in den Räumlichkeiten der jüdischen Gemeinde und der „Storch Synagoge“ wurden die 1.405 Breslauer Juden am 4. März 1943 zum Odertorbahnhof getrieben. Unter ihnen war der 19-jährige Ernst Ksinski: Am 4. März 1943 in den Morgenstunden befahl man uns[,] Pappschilder am Hals zu befestigen, auf denen die Kennkarte und eine Aufschrift ‚am 4. 3. 1943 nach Auschwitz evakuiert‘, geschrieben stand. Dann wurden wir unter Bewachung von Schupos durch die Strassen Breslaus zum Oderbahnhof geführt, wo 593 Abraham: Bericht über die Deportationen der Breslauer Juden vom 5. März 1962, in: Friedmann (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen, S. 104. Der 1912 in Breslau geborene Hans Werner Abraham wurde gemeinsam mit seiner Frau Susanne (geb. Richter) am 4. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Susanne Abraham wurde kurz nach ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau ermordet. Hans Werner Abraham wurde zur Zwangsarbeit in Auschwitz III (Buna Monowitz) abkommandiert. Er überlebte den Krieg und emigrierte danach in die USA, wo er dann in New York lebte. 594 Pick: Bericht über die Deportationen der Breslauer Juden vom 20. August 1962, in: Friedmann (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen, S. 159. Ismar Pick überlebte die Zwangsarbeit im KZ Auschwitz III. Nach dem Krieg emigrierte er in die USA und ließ sich in Providence nieder.
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wir in Viehwaggons verladen wurden. Etwa 80 bis 100 Menschen in jeden Waggon. Auf der Fahrt nach Auschwitz verstarben viele Menschen durch Erstickungstod. 595
In der Nacht vom 5. März 1943 erreichte der Deportationszug aus Breslau das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Unmittelbar nach der Ankunft begann die SS mit der „Selektion“ der angekommenen Personen: 406 Männer sowie 190 Frauen wurden als Häftlinge in das Lager eingewiesen. Die übrigen 809 Menschen, darunter 125 Männer sowie 684 Frauen und Kinder, wurden in den Gaskammern getötet. 596 Erich Bernhard Kempner gehörte zu den 406 jüdischen Männern aus Breslau, die als Häftlinge nach Auschwitz III abtransportiert wurden: Nach unserer Ankunft in Birkenau wurden die Waggons von SS-Leuten geöffnet und mit Schlägen wurden alle Insassen auf ein danebenliegendes Gelände herausgetrieben. Es wurde sofort eine Selektion durchgeführt und zuerst wurden dann die Frauen mit Kinder[n] weggebracht. […] Unter den Frauen war meine Mutter und drei kleine Geschwister. […] Wir verblieben zum Schluss, nur noch lauter arbeitsfähige Männer. […] Wir Männer wurden dann auf Lastwagen verladen und nach dem Lager Buna-Monowitz transportiert. Dort verblieb ich bis zur Evakuierung des Lagers im Januar 1945. 597 595 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Ernst Ksinski (unpg.). 596 Czech, Danuta: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager AuschwitzBirkenau 1939–1945. Hamburg 2008, S. 434. Der ‚Arbeitseinsatzführer‘ des KL Auschwitz, SS-Obersturmführer Heinrich Schwarz, meldete diesen Vorgang in einem Fernspruch vom 8. März 1943 dem Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamt (Amt D II., ‚Arbeitseinsatz der Häftlinge‘) in Oranienburg: ‚Transport aus Breslau, Eingang 5. März 1943, Gesamtstärke 1.405 Juden. Zum Arbeitseinsatz gelangten 406 Männer (Buna) und 160 Frauen. Sonderbehandelt wurden 125 Männer und 684 Frauen und Kinder.‘ Abdruck des Dokuments bei: Scheffler, Wolfgang: Judenverfolgung im Dritten Reich 1933 bis 1945. Frankfurt a. M. 1965, S. 175 f. 597 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Erich Bernhard Kempner bezüglich des Ermittlungsverfahrens gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel, Afula, 5. November 1963, Bestand TR.11 – Israel Police Investigations of Nazi Crimes, Sig. 01174 (upgn.). Erich Bernhard Kempner gelangte über das KZ Flossenbürg in ein Dorf in der Nähe von Regensburg, wo er am 23. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurde. Nach dem Krieg emigrierte er nach Israel und lebte in dem Dorf Merchawia bei Afula.
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Der 1918 in Breslau geborene Mordechaj Masur gelangte nach Auschwitz mit seiner Frau Ruth Irmgard und ihrem eineinhalbmonatigen Kind. Nach ihrer Ankunft wurde die Familie voneinander getrennt und Mordechaj Masur zusammen mit Erich Bernhard Kempner als Häftling ins Lager abkommandiert: Die SS-Führer selektierten dann die Juden in drei Gruppen und zwar: Frauen mit Kindern, ältere Leute beider Geschlechter und arbeitsfähige Männer. Ich wurde von meiner Frau und Kind weggerissen. Ich sah dann[,] wie man meiner Frau unseren Säugling entriss und er dann mit noch anderen Kleinkindern auf einen besonderen bereitstehenden Lastwagen wie Kohlenstücke geschmissen wurde. Auf andere Lastwagen wurden dann die Frauen mit gehfähigen Kindern verladen. Ich gelangte mit meiner Gruppe von arbeitsfähigen Männern in das Lager Buna-Monowitz. 598
Wie Hans Werner Abraham in seinem Bericht andeutete, ereigneten sich vor jedem Transport Selbstmorde. 599 Die Untersuchungen des polnischen Forschers Daniel Bogacz, die auf der Grundlage der deutschen Totenbücher aus dem Archiv des Standesamtes in Breslau basieren, weisen darauf hin, dass zwischen 1940 und 1943 etwa 108 Breslauer Juden Selbstmord verübten. 600 598 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Mordechaj (Heinz) Masur bezüglich des Ermittlungsverfahrens gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel, Ramat-Gan, 3. Dezember 1963, Bestand TR.11 – Israel Police Investigations of Nazi Crimes, Sig. 01174 (unpg.). Mordechaj Masurs Ehefrau sowie ihr Kind wurden kurz nach ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau ermordet. Mordechaj Masur verblieb bis Januar 1945 in Auschwitz, von wo er in andere Lager verschleppt wurde. Am 26. April 1945 wurde er von amerikanischen Truppen befreit. Nach dem Krieg emigrierte er nach Israel, wo er sich in Ramat Gan niederließ. 599 Abraham: Bericht über die Deportationen der Breslauer Juden vom 5. März 1962, in: Friedmann (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen, S. 104. 600 Bogacz, Daniel: Samobójstwa niemieckich Żydów we Wrocławiu. Ze studiów nad zagładą Żydów w okresie ‚ostatecznego rozwiązania‘ kwestii żydowskiej (1941– 1944), in: SFZH, Nr. 13, 1990, S. 235–264, hier S. 254, 260 ff. Über die Hälfte der Selbstmörder starb im jüdischen Krankenhaus in der Wallstraße 9. Zu den Selbstmorden unter den Juden während des Nationalsozialismus hat unter anderem Konrad Kwiet geforscht, siehe: Eschwege/Kwiet: Selbstbehauptung und Widerstand, S. 194–215; ders.: The Ultimate Refuge. Suicide in the Jewish Community under the Nazis, in: LBIYB, Nr. 29, 1984, S. 135–167. Zu der
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Angesichts der bevorstehenden Deportation wählten 66 Personen den Freitod als Flucht vor dem ungewissen Schicksal. 601 Während der Vorbereitungen zu der siebten Deportation der Juden aus Breslau nach Auschwitz in den Tagen zwischen dem 20. Februar und dem 3. März 1943 begingen elf Personen Selbstmord. 602 Unter diesen Personen, die in ihrer letzten Verzweiflung im Selbstmord den einzigen Ausweg vor der ihnen bevorstehenden Deportation nach Auschwitz suchten, befand sich auch die Familie Berger: Ich erinnere mich an die Leichen von Arnold Berger, dem Organisten der Neuen Synagoge, seiner Ehefrau Alice Helene und ihrer Kinder Artur und Marianne Eva Gerda, wie sie mitten im Flur lagen, nachdem die Familie sich mit Cyanid vergiftet hatte – im Tod vereint. Es war der 29. Februar 1943. 603
Karla Wolff, die zur Zeit der Deportationen aus Breslau im Altersheim bei der jüdischen Gemeinde in der Wallstraße arbeitete und die zum Abtransport versammelten Menschen im Hof der Synagoge „Zum Weißen Storch“ betreute, wurde zur Zeugin dieser dramatischen Ereignisse: Die ersten Todesfälle ereigneten sich, und an diesem Tage gab es ihrer eine Menge. Die Mutigen oder die ganz hoffnungslosen, die das schnelle Ende dem Ungewissen vorzogen und die auch die Mittel dazu hatten: die ‚Obertoni‘, die Oberschwester Toni aus dem Krankenhaus, Familie Berger – er spielte Harmonium im liberalen Gottesdienst – und viele andere. Meistens war es eine Kapsel Zyankali, die in wenigen Minuten das Leben auslöschte. 604
601 602 603 604
Sterblichkeitsrate unter den Breslauer Juden zwischen 1941 und 1945 siehe: Sadowski, Mirosław/Scheffler, Tomasz: Ze studiów nad śmiertelnością ludności żydowskiej we Wrocławiu w latach 1941–1945, in: SFZH, Nr. 24, 2001, S. 445–498; ders.: From the Studies of the Death Rate of Jewish People in Wroclaw in the Period of Nazi Deportations, 1941–1944, in: Spyra, Janusz/Wodziński, Marcin (Hrsg.): Jews in Silesia. Kraków 2001, S. 345–374. Bogacz: Samobójstwa niemieckich Żydów we Wrocławiu, S. 254. Ebd. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. Wolff: Ich blieb zurück, S. 80; vgl. Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA. Karla Wolff erhielt während der ‚Zusammenstellung des Transportes‘ nach Auschwitz von ihren Freunden und der Familie von Rabbiner Lewin, die sich in der zweiten Sammelstelle in der ‚Gesellschaft der Freunde‘ befanden, ermutigende Briefe. Auf dieser Weise nahmen ihre Freunde Abschied von ihr. Karla Wolff erreichten im Laufe des Jahres 1944 einige Briefe von ihren zwei Freunden aus Auschwitz (womöglich wurden diese durch die in Auschwitz einge-
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Der Deportationszug vom März 1943 nach Auschwitz war bereits der siebte und größte Transport aus Breslau. Bis zu diesem Zeitpunkt deportierte die Breslauer Gestapo in diesen sieben Transporten etwa 6.500 Breslauer Juden. 605 Schon einige Wochen nach der letzten Deportation vom Anfang März 1943 bereitete das sogenannte „Judenreferat“ der Breslauer Gestapo neue Namenslisten der zum nächsten Transport bestimmten Juden vor. Auf diesen Listen befanden sich 276 Personen, darunter 111 Männer und 165 Frauen. 606 Zwischen dem 31. März und 2. April 1943 verließ der nächste Deportationszug Breslau. 607 In die Lagerdokumentation in Theresienstadt wurde dieser Transport mit dem Symbol IX./4 am 2. April 1943 aufgenommen. 608 Für Karla Wolff gehörten die Stunden unmittelbar vor dem Abgang dieses Transportes zu den schwersten Momenten, die sie in Erinnerung behielt. Sie betreute die kurz vor der Deportation stehenden Menschen im Hof der Synagoge, unter anderem die Bewohner des Altenheimes:
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setzten Zivilarbeiter nach Breslau geschmuggelt). Horst Zwillenberg und Heinz Rudi Bodländer wurden am 4. März 1943 aus Breslau in das KZ Auschwitz deportiert. Beide bekamen kleine Päckchen von Karla Wolff in Auschwitz. Horst Zwillenberg überlebte das Ende des Krieges nicht; die Umstände seines Todes sind nicht bekannt. Heinz Rudi Bodländer überlebte den Krieg und emigrierte am 15. Juli 1946 in die USA. Kopien der erwähnten Briefe befinden sich im Privatarchiv von Karla Wolff (Originale wurden im Archiv Yad Vashem hinterlegt: AYV, Bestand O.75 – Letters and Postcards Collection, Sig. 9246). Vgl. Konieczny: VIII. wrocławska akcja deportacji Żydów z 31. marca/1. kwietnia 1943, S. 337. Ebd., S. 374, 379–390. Nach Alfred Konieczny umfasste diese Deportation noch zwei weitere Transporte. Der eine verließ am 31. März 1943 die Stadt mit dem Vermerk ‚Osteinsatz‘ mit einem unbekannten Ziel und umfasste 35 Personen. Der zweite Transport mit 32 Personen ging am 1. April 1943 in das KZ Auschwitz, siehe: Konieczny: VIII. wrocławska akcja deportacji Żydów, S. 376 f., 391 f. Am 18. Februar 1944 wurde zu diesem Transport noch ein in Theresienstadt geborener Säugling zugerechnet. Bis zum Ende des Krieges starben in Theresienstadt 77 Personen aus diesem Transport. 159 Personen wurden in das KZ AuschwitzBirkenau verschleppt, von denen nur drei überlebten. Insgesamt überlebten das Ende des Krieges 43 Personen aus dem Transport IX/4, Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 511; vgl. Konieczny: VIII. wrocławska akcja deportacji Żydów, S. 375 f.
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Das Verladen der alten Menschen für diesen Transport im April ist eine meiner schwersten Erinnerungen. Auf Tragbahren wurden die meisten in den Hof getragen, dort auf die Erde gelegt und in Decken und Mäntel eingepackt. Die meisten verstanden nicht, was eigentlich vor sich ging, und schrien, schimpften, jammerten vor sich hin. Das Elend war groß. Meinen Schützlingen vom Zimmer neun wurden Hände und Füße zusammengebunden, sie schlugen um sich und wollten nicht aus ihren warmen Betten heraus. Die ganze Nacht saßen und lagen diese alten, kranken Menschen in dem kalten Hof der Synagoge, im Morgengrauen wurden sie verladen. Das war das Ende. 609
Spätestens seit April 1943 waren die letzten Breslauer Juden rund um die Wallstraße in wenigen Häusern, die der Gemeinde gehörten, konzentriert. 610 Zu dieser Gruppe zählten unter anderem die letzten Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde, die der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ unterstand, und die Mitarbeiter sowie Patienten des jüdischen Krankenhauses in der Wallstraße 9. 611 Anfang Juni 1943 bereitete das Referat II. B der Breslauer Gestapo eine Liste von 218 der letzten nicht in „Mischehen“ lebenden Juden vor, die in den kommenden Wochen aus Breslau abtransportiert werden sollten. 612 Diese Gruppe verließ die Stadt in drei Transporten, von denen zwei in das Gettolager Theresienstadt und einer in das KZ Auschwitz geleitet wurden. Am 9. Juni 1943 deportierte die Gestapo die erste Gruppe von 161 Personen, darunter alle Patienten des jüdischen Krankenhauses, nach Theresienstadt. 613 Die zweite Gruppe von 18 Personen wurde am 15. Juni 1943 von drei bewaffneten Schutzpolizisten zum Breslauer Hauptbahnhof getrieben und in einem Personenzug nach Theresienstadt abtransportiert. 614 Zu dieser 609 Wolff: Ich blieb zurück, S. 82. 610 AYV, Hadda: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses, S. 13. 611 Konieczny: IX. akcja deportacyjna wrocławskich Żydów z 9–16 czerwca 1943, S. 393. 612 Ebd., S. 395. 613 Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 512 f. 77 Personen aus diesem Transport (IX./5) starben in Theresienstadt, weitere 65 Personen wurden von dort nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die Befreiung im Gettolager überlebten 15 Personen (fünf weitere wurden im Februar 1945 in die Schweiz ‚evakuiert‘), Konieczny: IX. akcja deportacyjna wrocławskich Żydów, S. 397 f. 614 Der Transport IX./6 erreichte am 16. Juni 1943 das Gettolager Theresienstadt.
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Gruppe gehörten die noch amtierenden Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde, unter anderem der Gemeindevorsitzende Dr. Georg Kohn mit seiner Familie sowie der Leiter des jüdischen Krankenhauses, Dr. Siegmund Hadda mit seiner Ehefrau Hertha. Der Chefarzt schildert den Tag des Abtransportes aus Breslau folgendermaßen: Im Juni wurde der Vorstand des Krankenhauses und der Gemeinde und mit mir der nur noch aus vier Personen bestehende Mitarbeiterstab des Krankenhauses abtransportiert. Wir achtzehn waren die letzten Juden, die Breslau verließen. Es muss zugegeben werden, dass unser Transport in menschlicher Form vor sich ging. […] Im Hof des Gemeindehauses wurden wir nummeriert wie die Gepäckstücke. […] Drei Schutzpolizisten, einer sogar mit Maschinenpistole bewaffnet, eskortierten uns durch Seitenstrassen zu einem Hintereingang des Hauptbahnhofes. […] Wir wurden nicht angeschrien und brauchten keinen Viehwagen zu besteigen, sondern konnten einen Personenwagen der 3. Klasse benutzen. Die Wachmannschaft kümmert sich überhaupt nicht um uns. […] Wir passierten den Stacheldrahtzaun, der das Lager umgab. Kann man sich vorstellen, wie uns zumute war, als wir von dem letzten Rest der Freiheit, der uns geblieben war, Abschied nehmen mussten? Zwar waren wir in unserer Bewegungsfreiheit immer stärker eingeschränkt worden, aber wir vermochten uns doch eine innere Freiheit aufzubauen und den Zusammenhalt unserer Gemeinde zu wahren. 615
Im Rahmen der Verhandlungen zwischen Heinrich Himmler und den Alliierten wurde am 5. Februar 1945 ein Transport mit 1.200 Personen aus Theresienstadt in die Schweiz abgefertigt. Dr. Siegmund Hadda mit seiner Ehefrau Hertha gelangten auf diesem Wege in die Schweiz. Nach dem Krieg emigrierte das Ehepaar Hadda in die USA und ließ sich in New York nieder. 616 Der letzte dritte Transport, mit dem Vermerk „Abwanderung Arbeitseinsatz Ost“, in das Konzentrationslager Auschwitz umfasste 39 Personen und verließ die Stadt am 16. Juni 1943. 617 Nach der Ankunft in Auschwitz wurVon den 18 deportierten Personen verstarben vier in Theresienstadt; elf Personen wurden nach Auschwitz verschleppt, zwei Personen im Februar 1945 in die Schweiz ‚evakuiert‘. Im Lager selbst erlebte nur eine Person die Befreiung, Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 515. 615 AYV, Hadda: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses, S. 13; vgl. Hadda: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, S. 234. 616 Ebd., S. 237 f. 617 Konieczny: IX. akcja deportacyjna wrocławskich Żydów, S. 413 f.
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den 16 Männer und acht Frauen als Häftlinge in das Lager überstellt. Die verbliebenen 15 Personen wurden unmittelbar danach ermordet. 618 Die einzige Überlebende dieses Transportes war die 1920 geborene Anni Jonas. Sie erhielt am 9. Juni 1943 die Nachricht mit der Aufforderung, sich für den Abtransport vorzubereiten. Am 16. Juni 1943 traf sie bei der Sammelstelle im Hof der jüdischen Gemeinde ein: Wir wurden durch die Gestapomänner Hampel und Marsch laut den Listen in zwei Gruppen eingeteilt. Die kleine Gruppe, also wir die junge Generation, verließen als erste den Hof in der Wallstrasse 9 und begaben uns zu Fuß zum Hauptbahnhof, wo ein Personenzug schon auf uns wartete. […] Am 17. Juni 1943 619 am späten Abend kamen wir in Auschwitz an und wurden auf einem Lastwagen nach Birkenau gebracht, wo wir in einer leer stehenden Baracke die Nacht abwarteten. Am nächsten Tag erschien bei uns die SS. Die Männer wurden auf einer Seite und die Frauen mit Kindern auf der anderen aufgestellt. Nur einige wurden zur Arbeit in das Lager eingewiesen. Zuerst hat man uns alle Sachen heruntergerissen, auch Eheringe, Uhren, bis wir nackt da standen. Dann hat man uns die Haare abgeschoren und wir erhielten Häftlingskleidung. Nachher hat man mir meine Nummer, 46213, eintätowiert. […] Dann wurden wir ins Lager A in den Block Nummer neun abkommandiert. […] Allmählich starben einer nach dem anderen, so dass ich am Ende alleine blieb. 620
Anni Jonas gelangte bei der Auflösung von Auschwitz in das Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo sie am 15. April 1945 von den alliierten Truppen befreit wurde. Nach dem Krieg emigrierte sie in die USA, wo sie dann später in Kalifornien lebte. 621 Am 20. August 1943 fasste der Leiter der Breslauer Staatspolizei-Leitstelle Wilhelm Scharpwinkel das Ende der hiesigen jüdischen Gemeinde in einem Schreiben an den schlesischen Oberfinanzpräsidenten zusammen:
618 Ebd., S. 402. 619 Anni Goldstein-Jonas gibt in ihrem Bericht irrtümlich das Datum ihrer Ankunft in Auschwitz an. Tatsächlich kam sie mit dem genannten Transport am 16. Juni 1943 im KZ Auschwitz an, siehe: Czech, Danuta: Kalendarz wydarzeń w obozie koncentracyjnym Oświęcim-Brzezinka – 1943 rok, in: Zeszyty Oświęcimskie, t. 4, Oświęcim 1960, S. 109. 620 Goldstein-Jonas, Anni: Ich überlebte …, in: MVBI, Nr. 67, 1999, S. 3; vgl. Konieczny: IX. akcja deportacyjna wrocławskich Żydów, S. 401 f. 621 Goldstein-Jonas: Ich überlebte, S. 3.
Unter „Ariern“ und „Nichtariern“ – „Mischehen“ in Breslau
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Durch die vom Reichssicherheitshauptamt angeordneten Maßnahmen ist die im Bereich der Staatspolizeistelle Breslau befindlich gewesene Reichsvereinigung der Juden durch Abschiebung aller Juden praktisch seit dem 10. 6. 1943 aufgelöst. Das Vermögen ist weisungsgemäß beschlagnahmt und dem Oberfinanzpräsidenten Schlesien zur Verwaltung übergeben worden. Durch den Abtransport der Juden haben daher Krankenhäuser, Altersheime oder sonstige der ehemaligen Reichsvereinigung der Juden unterstehenden Betriebe oder Einrichtungen im Bereich der Staatspolizeistelle Breslau zu existieren aufgehört. Lediglich die noch im Bereich der Staatspolizeileitstelle Breslau verbliebenen in Mischehen oder in privilegierter Mischehe lebenden Juden sind in der sogenannten ‚Restvereinigung der Juden‘ erfasst, die keinerlei Rechtspersönlichkeit genießt und mit der ehemaligen Reichsvereinigung der Juden weder identisch noch als deren Rechtsnachfolgerin zu betrachten ist. 622
Wie das Schreiben es verdeutlicht, verblieben nach diesen letzten drei Transporten vom Juni 1943 nur einige Hundert Juden, die in „Mischehen“ lebten, in Breslau. Bald aber sollte sich herausstellen, dass auch diese Personen den schützenden Status einer „Mischehe“ verlieren sollten.
3.7 Unter „Ariern“ und „Nichtariern“ – „Mischehen“ in Breslau 3.7.1 „Gerade Halbjuden haben [es] furchtbar schwer, die gehören zu niemandem.“ […] ich wollte die ganze Zeit über als Kind nur jüdisch werden, das war für mich völlig klar. Ich bin bei Juden aufgewachsen und irgendwie war das eben für mich das Wichtigste. Grade Halbjuden haben [es] furchtbar schwer, die gehören zu niemandem. Die christliche Seite, wenn ich irgendeinen Fehler gemacht habe, haben sie gesagt ‚typisch jüdisch‘. Und die Juden haben das nicht gesagt‚ typisch christlich‘, aber ich wollte immer ganz dazugehören, einfach. 623
Susi-Eva Ringers Erinnerungen an ihre Kindheit, in der sie während der NSZeit als sogenannter „Mischling“ eingestuft wurde, spiegeln die Gefühle zahl622 APWr, USPD, Schreiben der Geheimen Staatspolizei an den Oberfinanzpräsidenten Schlesiens vom 20. August 1943, Sig. 1397, Bl. 37. 623 Interview mit Susi-Eva Ringer (geb. Weiss), am 21. Mai 1997 in München, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 31751, Tape 1.
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reicher „Halbjuden“ wieder, die sich als Ausgegrenzte inmitten des arischen Umfelds bewegten. Susi-Eva Ringer kam 1920 als Eva-Susi Weiss in Breslau zur Welt. Ihre Mutter, Erna Weiss, war Jüdin und verstarb 1922, als das Mädchen zwei Jahre alt war. Egon Weiss, der Vater von Susi-Eva Ringer, war nicht jüdisch. Nach dem Tod der Mutter wuchs Susi-Eva Ringer bei ihrer jüdischen Großmutter, Henriette Fischer, auf. Auf ihre Anweisung wurde das 14-jährige Mädchen 1934 evangelisch getauft. Nach und nach gingen die jüdischen Verwandten von Susi-Eva Ringer in die Emigration und ihre Großmutter verstarb Mitte der 1930er-Jahre. Zunehmend von ihren christlichen Familienmitgliedern ausgestoßen und von der Gesellschaft verachtet, wusste Susi-Eva Ringer nun nicht mehr, wo sie hingehörte. Der Wunsch nach Zugehörigkeit kommt deutlich in der oben zitierten Passage zum Ausdruck. Einsamkeit, das Gefühl des Ausgegrenztseins und der Isolation sollten Susi-Eva Ringer bis zum Ende des Krieges begleiten. 624 „Mischlinge“ waren nach der nationalsozialistischen Definition alle „Halbjuden“, wie Susi-Eva Ringer, die nicht der jüdischen Religion angehörten und die nicht mit Juden verheiratet waren. Lebensgemeinschaften, in denen einer der beiden Verheirateten nach der NS-Definition als jüdisch galt, wurden in der nationalsozialistischen Sprachnomenklatur als „Mischehen“ bezeichnet. Mit den „Nürnberger Rassengesetzen“ traten erstmals Sonderregelungen für die in „Mischehen“ verheirateten Juden und Jüdinnen und ihre Kinder in Kraft, die nun als „Mischlinge ersten oder zweiten Grades“ eingestuft wurden. 625 624 Ebd. 625 Die ‚Mischlinge des ersten Grades‘ hatten zwei jüdische Großelternteile und die ‚Mischlinge des zweiten Grades‘, die sogenannten ‚Vierteljuden‘, hatten einen jüdischen Großelternteil. Ausführlich zum Thema der ‚Mischehen‘ und ‚Mischlinge‘ im Dritten Reich siehe u. a.: Meyer: ‚Jüdische Mischlinge‘ ; ders.: Gratwanderungen. ‚Jüdische Mischlinge‘ zwischen Mehrheitsgesellschaft und Verfolgung 1933– 1945, in: Gensch, Brigitte/Grabowsky, Sonja (Hrsg.): Der halbe Stern. Verfolgungsgeschichte und Identitätsproblematik von Personen und Familien teiljüdischer Herkunft. Gießen 2010, S. 37–55; ders.: Grenzgänger – ‚Mischlinge ersten Grades‘ zwischen Normalität und Verfolgung (1933–1945), in: Quack, Sibylle (Hrsg.): Dimensionen der Verfolgung. München 2003, S. 15–48; Noakes, Jeremy: The Development of Nazi Policy towards the German-Jewish ‚Mischlinge‘ 1933–1945, in: LBIYB, Nr. 34, 1989, S. 291–354; Büttner, Ursula: The Persecution of Christian-Jewish Families in the Third Reich, in: LBIYB, Nr. 34,1989,
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Die Religionszugehörigkeit und Familienverhältnisse der durch die „Nürnberger Gesetze“ betroffenen Personen sollten entscheidend für ihre Existenzmöglichkeiten im Dritten Reich sein. Im Dezember 1938 teilten die Nationalsozialisten die „Mischehen“ in zwei zusätzliche Kategorien auf: die „privilegierten“ und die „nicht privilegierten“. Dieser Sachverhalt war nicht durch ein erlassenes Gesetz begründet worden, sondern basierte auf den vom Hermann Göring gekennzeichneten Richtlinien vom 28. Dezember 1938. 626 Als „privilegierte Mischehe“ wurde demnach eine Ehe bezeichnet, in der die Frau jüdisch und der Mann nicht jüdisch war und die darüber hinaus keine oder nicht jüdisch erzogene Kinder hatten. Ebenso betraf es Ehen mit Kindern, in der der Mann jüdisch und die Frau nicht jüdisch war und die Kinder nicht jüdisch erzogen wurden. Solange die Ehe bestand, waren die jüdischen Ehepartner in einer „privilegierten Mischehe“ geschützt. War die Ehe geschieden oder der nicht jüdische Ehepartner verstorben, waren die jüdischen Partner wie alle anderen „Volljuden“ der Verfolgung ausgesetzt. 627 Alle anderen Ehepaare wurden als „nicht privilegiert“ eingestuft: wenn die Ehe mit einem jüdischen Mann kinderlos blieb. Wenn ein Ehepartner jüdisch war und die Kinder jüdisch erzogen wurden ebenso wie im Fall, dass der nicht jüdische Ehepartner zum Judentum übertrat. 628 Darüber hinaus hatte man die Kategorie der „Geltungsjuden“ für all diejenigen in einer „Mischehe“ Verheirateten eingeführt, die sich weiterhin dem Judentum zugehörig fühlten, der jüdischen Gemeinde angehörten und ihre Kinder im jüdischen Glauben erzogen hatten. 629 Diese Personen waren generell schlechter als die nicht jüdisch-religiös gebundenen „Mischlinge“ gestellt. Diejenigen Personen, die als „Geltungsjuden“ eingestuft wurden, ge-
626
627 628 629
S. 267–289; ders.: ‚Nichtarier‘ – ‚Judenmischlinge‘ – ‚Privilegierte Mischehen‘ : Die Verfolgung der christlich-jüdischen Familien im Dritten Reich, in: SFZH, Nr. 14, 1991, S. 139–165; Tent, James F.: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer ‚Mischlinge‘ im Dritten Reich. Köln/Weimar/Wien 2007. Diese Richtlinien wurden von Hermann Göring im Bezug auf die Errichtung von ‚Judenhäusern‘ angeordnet und regelten unter anderem den Status von ,Mischehen‘, Abdruck des Dokuments in: Dokument 215, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 2, S. 583 f. Meyer: ‚Jüdische Mischlinge‘, S. 30. Noakes: The German-Jewish ‚Mischlinge‘ 1933–1945, S. 337 f. Vgl. Meyer: ‚Jüdische Mischlinge‘, S. 105.
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hörten in der Regel der jüdischen Gemeinde an und wurden von dieser in vielerlei Hinsicht unterstützt. 1939 lebten von den 330.000 „Volljuden“ im „Altreich“ etwa 20.000 Personen in „Mischehen“. 630 Laut der Volkszählung vom 17. Mai 1939 waren in Breslau 1.727 Personen als „Mischlinge des ersten Grades“ und 776 als „Mischlinge des zweiten Grades“ definiert. 631 Zunehmend unterlagen auch diese Personen dem diskriminierenden Sonderrecht der Nationalsozialisten. Manche der „Mischlinge“, wie Käthe Langer, die im April 1942 „in den Osten“ ins Getto Izbica verschleppt wurde, waren in die Vernichtung miteinbezogen. Andere wurden gegen Kriegsende zur Zwangsarbeit eingezogen und mussten Deportation oder Internierung befürchten. 632 Die Unterschiede in der Behandlung dieser Personengruppe kamen deutlich bereits im September 1941 zum Ausdruck, als die deutschen Juden gezwungen wurden, einen „Davidstern“ zu tragen. Die „Mischlinge des ersten Grades“, die nicht der jüdischen Religion angehörten, sowie Juden aus „privilegierten Mischehen“ waren von diesem diskriminierenden Gesetz befreit. Hingegen mussten die sogenannten „Geltungsjuden“ und Juden aus einfachen „Mischehen“ den Stern tragen. Zu dieser Gruppe gehörte auch Kenneth Arkwright mit seinen Eltern, Rudolf und Frieda Aufrichtig. 1928 war Frieda Aufrichtig kurz vor der jüdischen Hochzeit mit ihrem Verlobten Rudolf zum Judentum überge630 Laut den Volkszählungsergebnissen lebten im Mai 1939 neben 56.327 jüdischen Ehepaaren 19.114 ‚Mischehen‘, Statistik des Deutschen Reiches: Die Bevölkerung des Deutschen Reiches nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939, Bd. 552, Heft 4. Die Juden und jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich. Berlin 1944, S. 4, 62 f. 631 Konieczny: Ludność żydowska na Śląsku w świetle spisu z 17. maja 1939, S. 380. Der Anteil der Personen, die laut der nationalsozialistischen Definition als ‚Mischlinge‘ eingestuft wurden, war im Deutschen Reich relativ hoch. Nach der Statistik der Volkszählung vom Mai 1939 fielen auf 100 Juden in Hamburg 77 ‚Mischlinge‘, während der Durchschnitt im Reich bei 35 ‚Mischlingen‘ lag. In Berlin fielen auf 100 Juden 35 ‚Mischlinge‘, in Frankfurt a. M. 19 und in Breslau 22, siehe: Bajohr, Frank: ‚Aryanisation‘ in Hamburg. The Economic Exclusion of Jews and the Confiscation of their Property in Nazi Germany. New York/Oxford 2002, S. 105. Im Mai 1939 lebten im ‚Altreich‘ 330.539 Juden, 72.738 ‚Halbjuden‘, diese in etwa 8.000 jüdische und 64.000 nicht jüdische unterteilt, und 42.811 ‚Vierteljuden‘, also ‚Mischlinge des II. Grades‘, Meyer: ‚Jüdische Mischlinge‘, S. 162 f. 632 Ebd., S. 9.
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treten. So wurde auch Kenneth Arkwright in jüdischer Tradition und Religion erzogen und war wie seine Eltern Mitglied der Breslauer jüdischen Gemeinde. Die Familie Aufrichtig lehnte die Alternative, zum Christentum zu konvertieren, entschieden ab: Nichtjüdische Freunde, die wichtige Führungspositionen innehatten, deuteten 1934/35 an, dass wir uns vielleicht taufen lassen sollten, um so dem vollen Ausmaß der Nürnberger Gesetze, die bald in Kraft treten würden, zu entgehen. Unsere Familie wollte jedoch auf gar keinen Fall aus Zweckmäßigkeit konvertieren. Besonders meine Mutter, die 1928 zum Judentum übergetreten war, wies darauf hin, dass sie aus freien Stücken und aus Überzeugung Jüdin geworden war. Dafür musste Mutter einen hohen Preis zahlen: Sie wurde regelmäßig zur Gestapo bestellt[,] wo ihr geraten wurde, sich von meinem Vater scheiden zu lassen und sich von der Last ihrer jüdischen Familie zu befreien, was sie allerdings standhaft verweigerte. Die Gestapo riet ihr dazu, es sich bis zum nächsten Treffen zu überlegen und fügte hinzu, dass sie noch schlimmer als gebürtige Juden sei. 633
Die Familie Aufrichtig entging zunächst bis 1944 den Deportationen. Mitte 1944 deportierte die Gestapo zuerst Rudolf Aufrichtig zur Zwangsarbeit in das niederschlesische Groß Bargen und kurze Zeit später seinen Sohn, Kenneth Arkwright (Klaus Aufrichtig) zur Zwangsarbeit nach Grüntal, ebenfalls in Niederschlesien. Frieda Aufrichtig blieb in Breslau zurück und musste in einer Rüstungsfabrik Zwangsarbeit verrichten. Ähnlich wie Frieda Aufrichtig trat auch Luci Nossen, die Mutter von Wolfgang Nossen, kurz vor ihrer Hochzeit 1929 zum Judentum über. So wuchs der 1931 in Breslau geborene Wolfgang Nossen wie seine vier jüngeren Schwestern in einem durchaus jüdisch geprägten Elternhaus auf. Obwohl seine Mutter sich vorbehaltlos zum Judentum bekannte, zu ihrem Mann hielt und alle Aufforderungen der Gestapo zu einer Scheidung zurückwies, kehrte sie, um die Familie zu beschützen, in den Schoß der evangelischen Kirche zurück. Wolfgang Nossen konstatierte in einem Interview: „Sie hat mich zweimal geboren. Das erste Mal schenkte sie mir das Leben mit der Geburt. Das zweite Mal, als sie für die Nazis wieder zur Arierin wurde.“ 634 Seitdem galt nun Wolfgang Nossen, obwohl er beschnitten war, als „Misch-
633 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 22. 634 Interview mit Wolfgang Nossen, am 10. November 2008 und am 17. Dezember 2009 in Erfurt, AA.
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ling“. Ähnlich wie die Familie Aufrichtig entging die Familie Nossen der nationalsozialistischen Todesmaschinerie, wenn sie auch zur schweren Zwangsarbeit eingezogen und das Familienoberhaupt Max Nossen zunächst in das Konzentrationslager Buchenwald und später zur Zwangsarbeit zusammen mit Kenneth Arkwright nach Grüntal verschleppt wurde. 635 Im April 1937 wurde Karla Wolff in die Breslauer jüdische Gemeinde aufgenommen. Ihr Vater, der jüdisch war, und ihre Mutter, die der katholischen Kirche angehörte, standen vor einer schwierigen Entscheidung, denn ihre neunjährige Tochter wollte unbedingt in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen werden: Ich wurde jüdisch. Vorbereitet musste ich nicht werden. Ich ging in die jüdische Schule und alles, was ein neunjähriges Mädchen wissen musste, um in die Religionsgemeinschaft aufgenommen zu werden, wusste ich. Im April 1937 wurde ich offiziell in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen. Wir waren vier Mädchen, alles Mischlinge[,] und gingen dann in eine Mikve[,] um ins Judentum aufgenommen zu werden. […] Ich habe so geweint, ich war so aufgeregt und so mitgenommen, dass ich nicht mal die Worte des Rabbiners Vogelstein verstand. Ab jetzt waren wir Juden, gehörten zu einer Gemeinschaft, gezeichnet, gestempelt. 636
Karla Wolff gehörte zu den neun Kindern, die im Laufe des Jahres 1937 der Breslauer jüdischen Gemeinde beitraten. 637 Wie die meisten christlichen Ehefrauen in einer „Mischehe“ wurde auch Karla Wolffs Mutter zu der Breslauer Gestapo vorgeladen und dort festgehalten. Auf diese Weise versuchte die Gestapo die Frauen zu einer Scheidung von ihren jüdischen Ehemännern zu zwingen. Die Familie von Karla Wolff hielt zusammen, und ihre christliche Mutter versuchte, ihre Tochter und den Ehemann vor der sich immer mehr zuspitzenden Gefahr zu schützen. In den letzten Monaten des Krieges tauchte Karla Wolff mit ihrem Vater in Breslau unter, bis die Stadt durch die Rote Armee erobert wurde. 638 Ähnlich wie Karla Wolff oder Wolfgang Nossen ist Mordechaj Masur als Kind aus einer „Mischehe“ hervorgegangen. Sein Vater war jüdisch und seine 635 Ebd. 636 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA. 637 Zwischen 1933 und 1938 traten insgesamt 155 Personen der Breslauer jüdischen Gemeinde bei, siehe Tabelle Nr. 9. 638 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA.
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Mutter evangelisch. Die Ehe der Eltern von Mordechaj Masur galt als „privilegiert“ und der Sohn war evangelisch getauft. 1938 begann der 20-Jährige, im Fahrzeug- und Motoren-Werk des Junkers-Konzern in Breslau als Klempner zu arbeiten. Er meldete seiner Arbeitsstelle nicht, dass er „Mischling“ war, danach wurde er auch nicht gefragt. Aufgrund seiner Qualifikationen wurde Mordechaj Masur bald zum Vorarbeiter. Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen 1940 wurde er an seiner Arbeitsstelle verhaftet: Ich wurde in das Rassenpolitische Amt in Breslau gebracht. Ich wurde gleich bei meiner Ankunft misshandelt, ohne das[s] mir die Beamten in SS-Uniformen erklärten, um was es sich handelt. Aus der Unterhaltung der sich dort befindlichen Beamten erfuhr ich, dass man erfahren habe, dass ich Mischling bin. Ich wurde am selben Tag der Gestapo in Breslau übergeben. Dort wurde ich wieder geschlagen und ohne Verhör am selben Tag entlassen. Nach einigen Tagen wurde ich wieder zur Gestapo vorgeladen und diesmal wurde ich einem Verhör unterzogen. Man beschuldigte mich damals, dass ich nicht gemeldet habe, Mischling zu sein. Nach meinem Verhör bekam ich einen Schein zum Arbeitsamt und durfte nicht mehr an meinen Arbeitsplatz in den Junkers-Werken zurückkehren. 639
Daraufhin wurde Mordechaj Masur zur Zwangsarbeit in eine Marmeladenfabrik in Breslau eingezogen, wo schon mehrere Breslauer Juden Zwangsarbeit verrichten mussten. Im Oktober 1942 heiratete er vor dem Breslauer Standesamt Ruth Irmgard Nebel, die Jüdin war. Dies bezeichnet er selbst als einen Sonderfall, der nach den „Nürnberger Gesetzen“ verboten war. Seit diesem Moment unterlag Mordechaj Masur allen für die „Volljuden“ bestimmten Verordnungen; so musste er den Zusatznamen Israel einführen und den „Judenstern“ tragen. Am 4. März 1943 deportierte die Breslauer Gestapo ihn mit seiner Familie nach Auschwitz-Birkenau. 640 Innerhalb der nationalsozialistischen Rassengesetze wurde neben „Volljuden“ und „Mischlingen“ eine weitere Kategorie von Betroffenen geschaffen, nämlich die sogenannten „nichtarischen Christen“. Diese Personen, die mit der jüdischen Gemeinschaft und Religion nichts mehr verband und deren Bindungen an das Judentum manchmal seit zwei Generationen erloschen waren, teilten den „Nürnberger Gesetzen“ entsprechend das Schicksal der Juden, denen sie gleichgestellt wurden. Besonders für Christen jüdischer 639 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Mordechaj (Heinz) Masur (unpg.). 640 Ebd.
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Herkunft und deren Kinder erwiesen sich die fortschreitende Isolierung und Ausgrenzung als noch dramatischer und tiefgründiger als bei den in der jüdischen Gemeinschaft lebenden Personen. Diese konnten auf eine weitreichende seelische und materielle Unterstützung der jüdischen Gemeinde rechnen, während die evangelische und katholische Kirche ihren Angehörigen jüdischer Herkunft eher selten moralischen Rückhalt boten. Der Breslauer Rechtsanwalt Dr. Franz Unikower, der eine Nichtjüdin geheiratet hatte und in der „Mischehe“ bis zu der Scheidung 1938 lebte, berichtet jedoch in seinen Erinnerungen von einem Fall, in dem die Christen jüdischer Abstammung seitens der evangelischen Pfarrer unterstützt wurden: Jeden Sonntag gingen einige Juden, mehr oder weniger frisch getauft, in ‚ihre‘ Kirche im Süden der Stadt. Auch dort mussten sie den Stern tragen und eine besondere Bank benutzen. Aber mindestens in einem Falle predigte der Pfarrer eingehend darüber, dass kein Glaubensbruder diese Sternträger irgendwie als zweitklassig ansehen dürfte, sie wären Brüder auch mit dem Stern. 641
Anhand der dargestellten Schicksale der in den „Mischehen“ lebenden Breslauer Juden kommt die Widersprüchlichkeit der NS-Rassenpolitik gegenüber den sogenannten „Mischlingen“ einmal mehr deutlich zum Ausdruck. 641 Unikower: Vor 25 Jahren, S. 6. Dr. Franz Unikower hatte 1931 Helene Nowak geheiratet, die am Theater tätig war. Sie war ‚Arierin‘ und durfte wegen der Ehe mit einem jüdischen Mann ab 1933 nicht mehr ihrem Beruf nachgehen. Die Breslauer Gestapo übte großen Druck auf das Ehepaar aus, was 1938 in der Scheidung mündete. Franz Unikower berichtet, dass er mit seiner Frau unter dem Druck auseinandergegangen und bis Ende 1944 mit ihr in bester Freundschaft sowie Briefwechsel verblieben sei, siehe: Bundesarchiv Berlin, Lebenslauf von Dr. Franz Unikower (verfasst am 10. September 1945), Sig. DP 1/982, Bl. 3 ff., zitiert nach: Vierneisel: Franz Siegbert Unikower, S. 48. Weitere Informationen zur Biografie von Franz Unikower siehe: Haumann, Heiko: Hermann Diamanski (1910– 1976): Überleben in der Katastrophe. Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst. Köln/Weimar/Wien 2011, S. 313 ff. In Breslau wurden die evangelisch getauften Juden von der Stadtvikarin Katharina Staritz unterstützt. Mehrmals setzte sie sich für ihre jüdisch-christlichen Gemeindemitglieder bei ihren Amtskollegen ein. Aufgrund ihrer Unterstützung für die jüdischen Christen in Breslau verbrachte sie Monate im Polizeigefängnis und wurde anschließend in das Konzentrationslager Ravensbrück verschickt, Schwöbel, Gerlind: Staritz, Katharina Helene Charlotte, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 10. Herzberg 1995, S. 1225–1230.
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Wie Beate Meyer in ihrer Studie zum Thema „Jüdische Mischlinge“ andeutete, gab es bei „der großen Bandbreite der Schicksale der jüdischen ‚Mischlinge‘ solche, die zusammen mit Jüdinnen und Juden ermordet wurden, und andere, die[,] nie von Verfolgung berührt, überlebten.“ 642 Im Folgenden sollen jene in Breslau offiziell verschonten Mischlinge und ihr Leben während der letzten Monate des Krieges in den Vordergrund rücken.
3.7.2 „Wir blieben zurück.“ Folgender Auszug aus einem Interview mit Karla Wolff, die als „Mischling“ nicht in die Deportationen der Breslauer Juden miteinbezogen wurde und in der Stadt zurückblieb, beschreibt ihre große Leere und Bedrücktheit, nachdem die ihr vertraute Welt, ihre Freunde und Bekannten mit den nächsten Transporten aus der Stadt verschwunden waren: Bei jedem Transport waren Freunde aus der Schule dabei, Bekannte der Eltern. […] Eine meiner Schulfreundinnen gab mir eine Brosche, eine andere gab mir ein Buch. ‚Heb es uns auf‘, baten sie, ‚bis wir wiederkommen. Du bleibst doch hier!‘ Mit diesem Urteilsspruch musste ich fertig werden. Als dann alle auf Lastwagen verladen waren und die letzten Umarmungen auseinandergehen mussten und die Autos Richtung Odertorbahnhof fuhren, ging ich dann nach Hause, in mein eigenes Haus, wo es immer warm war und es immer etwas zu essen gab. Dann ratterten die Eisenbahnräder in meinem Kopf: Du bleibst doch hier. Du bleibst doch hier. Warum? Lieber Gott, warum ich? Warum darf ich nicht mit allen gehen, mit allen zusammen sein? Warum bin ich so ‚gestraft‘ und muss hierbleiben? Warum habe ich eine christliche Mutter – Gedanken eines unreifen, dummen Kindes? Vielleicht – aber vielleicht auch verständlich, weil ich immer einsamer wurde, je mehr mich verließen. Ich fühlte mich ausgestoßen und ich fühlte mich sehr alt. 643
Nach den letzten Deportationen der Breslauer Juden ins Gettolager Theresienstadt und ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau vom Juni 1943 begann für Karla Wolff ebenso wie für die meisten der in „Mischehen“ leben642 Meyer: Gratwanderungen. ‚Jüdische Mischlinge‘ zwischen Mehrheitsgesellschaft und Verfolgung, S. 40; ders.: ‚Jüdische Mischlinge‘, S. 266–355. 643 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA.
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den Personen ein neuer Abschnitt in ihrem Leben in Breslau. Die genaue Zahl der in Breslau verbliebenen und in „Mischehen“ lebenden Personen sowie ihrer Kinder lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Andreas Reinke erwähnt in seiner Studie zur Geschichte des jüdischen Krankenhauses in Breslau, dass zwischen 1943 und 1944 eine Gruppe von 600 bis 700 Personen in der Stadt gelebt habe, die entweder in einer Ehe mit einem nicht jüdischen Partner lebten oder nach den nationalsozialistischen Rassengesetzen als „Mischlinge“ galten. 644 Viele der Zeugenaussagen sprechen für die Zeit von 1943 bis 1944 von etwa 300 in der Stadt existierenden „Mischehen“; die Listen der überlebenden Breslauer Juden aus der unmittelbaren Nachkriegszeit belegen, dass etwa 1.800 Personen aus „Mischehen“ die Vernichtung überlebt haben und in ihre Heimatstadt zurückkehrten. 645 Die Zwangsumsiedlung dieser Personen in die sogenannten „Judenhäuser“ wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 abgeschlossen. Die meisten von ihnen lebten in Häusern in der Wallstraße, allen voran in dem Gebäude des ehemaligen „Jüdisch-Theologischen Seminars“ in der Wallstraße 14–18 sowie in vier „Judenhäusern“ in der Sonnenstraße. 646 Spätestens seit der Deportation der letzten Mitarbeiter der Breslauer jüdischen Gemeinde im Sommer 1943 waren sämtliche jüdischen Institutionen, Grundstücke und Häuser sowie die einzige erhalten gebliebene Synagoge „Zum Weißen Storch“ beschlagnahmt worden. Soziale Einrichtungen gab es nicht mehr. Zur „gesundheitlichen und fürsorgerischen Betreuung“ dieser zunächst von den Deportationen ausgenommenen Gruppe der „Mischehen“ und „Mischlinge“ befahl die Berliner Gestapo, eine „Neue Reichsvereinigung“ mit Sitz im Berliner jüdischen Krankenhaus an der Iranischen Straße zu gründen. 647 Eine 644 Reinke: Judentum und Wohlfahrtspflege, S. 297. 645 Vgl. Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA; Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA; Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA; Wolff, Karla: Die Geschichte einer Krankenstation, in: MVBI, Nr. 38, 1975, S. 15–16, hier S. 15; AYV, Ermittlungsverfahren gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau (unpg.); Archiv International Tracing Service (ITS), Sig. ITS/ANF/K-NKZ, Listen Wrocław, Ordner 88. 646 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA; Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA; Wolff: Ich blieb zurück, S. 83; Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 647 Reinke: Judentum und Wohlfahrtspflege, S. 293.
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der wichtigsten Aufgaben dieses Zwangsverbandes bestand in der medizinischen Versorgung der jüdischen Bevölkerung. Da mit der einzigen Ausnahme von Berlin alle sich im „Altreich“ befindlichen jüdischen Krankenhäuser aufgelöst worden waren, befahl die Gestapo, in mehreren Städten sogenannte Krankenstationen einzurichten. In 41 Städten des Reiches wurden „Vertrauensmänner der Juden in Deutschland“ ernannt, die der Berliner Zentrale unterstanden. 648 In Breslau übernahm Erwin Ludnowsky diesen Posten und wurde somit zum Vertreter der in der Stadt verbliebenen Angehörigen von „Mischehen“. 649 Mitte Juni 1943 befahl die NSDAP-Gauleitung Niederschlesien, eine „Krankenstation für die noch in Breslau ansässigen jüdisch-arischen Mischehen“ zu errichten. 650 Am 28. Juni 1943 nahm die Krankenstation unter Leitung von Dr. Herbert Hayn 651 in den Räumlichkeiten des ehemaligen Verwaltungsgebäudes auf dem Jüdischen Friedhof Cosel in der Flughafenstraße 51 ihre Arbeit auf. 652 Das Personal dieser Einrichtung bestand aus fünf Ärzten sowie fünf Pflegern und drei Haushaltskräften. 653 Zu einer der Haushaltskräfte gehörte Karla Wolff, die in ihren 648 Gruner: Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden, S. 325. 649 Erwin Ludnowsky wurde am 3. Januar 1889 in Breslau geboren. Er wurde im Januar 1945 mit einem unbekannten Ziel aus Breslau deportiert. Nach dem Krieg wurde er für tot erklärt: Yad Vashem The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony; vgl. Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch. 650 Reinke: Judentum und Wohlfahrtspflege, S. 296. 651 Dr. Herbert Hayn wurde aus Breslau Ende 1944 in das KZ Groß-Rosen deportiert. Von dort wurde er in das KZ Buchenwald verschleppt, wo er im Februar 1945 umgekommen ist. Die Umstände seines Todes sind nicht bekannt, Yad Vashem The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony; Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch. 652 AŻIH, GŻW, 1939–1944, Sig. 105/0971, Bl. 89 f. 653 Außer dem Leiter, Dr. Herbert Hayn, gehörten zu den in der Krankenstation tätigen Ärzte folgende Personen: Dr. Joseph Israel Garnmann (Dr. Garnmann kam am 1. Dezember 1944 in Breslau ums Leben. Die Umstände seines Todes sind nicht bekannt. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Cosel beigesetzt.); Dr. Herbert Hirsch-Kaufmann (überlebte den Krieg); Dr. Manuel Paul Schüler und Dr. Georg Schmoller (Dr. Schmoller wurde am 8. Januar 1944 aus Breslau nach Theresienstadt deportiert. Am 28. Oktober 1944 wurde er von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt, wo er ermordet wurde.), Yad Vashem The Central Database of Shoah Victims’ Names, Pages of Testimony; Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch.
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Erinnerungen ausführlich die Bedingungen und Arbeit dieser Krankenstation dokumentiert hat: Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem wir mit sehr ärmlicher Ausstattung – einiges Mobiliar, ein Operationstisch, das Minimalste an Instrumenten und Arzneien und einigen Apparaten [–] ziemlich sprach- und hilfslos vor dem Gebäude standen. Aber in kürzester Zeit entstand dort ein Krankenhaus, ein Zufluchtsort für viele, in jeder Beziehung. Die Atmosphäre und das Verhältnis zwischen Kranken, Ärzten und Personal war ein so harmonisches und starkes[,] wie es wohl nur in schwersten Zeiten zu finden ist. […] Weit weg von der anderen Gemeinschaft bildeten wir eine Insel für uns, mitten auf dem Friedhof, mitten in den Gräbern unserer Vorfahren. […] Auf der Krankenstation in Cosel war die Atmosphäre gelöster und leichter als in der Stadt, vielleicht weil wir ‚auf dem guten Ort‘ 654 saßen und Natur und Frieden um uns hatten. Aber Hampel, der Gestapo-Chef, stattete uns jeden Tag einen Besuch ab, er bestimmte auch täglich, wer entlassen wird, wer operiert werden darf und wer arbeitsfähig ist. 655
Unter der permanenten Gestapoaufsicht wurden in dieser Anstalt bis Ende 1944 mehrere Hundert Patienten versorgt und behandelt. Außer den in Breslau lebenden „Mischehen“ wurden in der Krankenstation zahlreiche jüdische Häftlinge aus den umliegenden Zwangsarbeitslagern behandelt. 656 In regelmäßigen Abständen wurden sie unter polizeilicher Bewachung aus den Arbeitslagern in Hundsfeld, Neukirch, Groß-Masslewitz oder Klettendorf in die Krankenstation gebracht und notdürftig medizinisch versorgt. Das Personal der Station versorgte die jüdischen Häftlinge je nach Möglichkeit mit Essensrationen und Medikamenten. Zu den täglichen Arbeiten des Personals der Krankenstation gehörte auch die Bestattung derjenigen, die in den Zwangsarbeitslagern gestorben oder ermordet wurden. Zwischen Juni 1943 und Dezember 1944 wurden insgesamt 111 jüdische Häftlinge auf dem Feld
654 Die Bezeichnung ‚der gute Ort‘ stammt vom Jiddischen ( )דאָס גוּטע אָרטund bezeichnet den Friedhof. 655 Wolff: Ich blieb zurück, S. 85 f.; ders.: Die Geschichte einer Krankenstation, S. 15. 656 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Karla Wolff (geb. Grabowski) bezüglich des Ermittlungsverfahrens gegen die früheren Angehörigen der StaatspolizeiLeitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel, Nahariya, 8. August 1963, Bestand TR.11 – Israel Police Investigations of Nazi Crimes, Sig. 01174 (unpg.).
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Nummer 24 des Jüdischen Friedhofs Cosel beigesetzt. 657 Die ungarische Jüdin Klara Rausmann kam über das Getto Munkács und das Konzentrationslager Auschwitz im August 1944 ins Zwangsarbeitslager Breslau-Hundsfeld, wo sie in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit verrichten musste. Sie berichtete im Juli 1945 über das Begräbnis eines Häftlings auf dem Breslauer Jüdischen Friedhof Cosel: In Breslau arbeiteten wir in einer Munitionsfabrik bei zwölfstündiger Arbeitszeit. […] Eine 20jährige Frau verlor in der Fabrik bei der Arbeit das Bewusstsein; dafür wurde sie von der Kommandoführerin so sehr geprügelt, dass sie sich eine tödliche Leberverletzung zuzog. Sie wurde auf dem Breslauer jüdischen Friedhof beigesetzt, da wo auch die Breslauer Mischlinge ihre letzte Ruhestätte fanden. 658
Die Breslauer Angehörigen jüdischer „Mischehen“ lebten unter dem Zeichen einer Degradierung und unter ständiger Aufsicht der Gestapo. Es gab kaum Lebensmittel für sie, sie wohnten in den „Judenhäusern“ und leisteten Zwangsarbeit. Karla Wolff urteilte, dass, „je schlechter die Kriegslage wurde, desto aggressiver wurde die Gestapo und auch die Bevölkerung“. 659 Der 15jährige Kenneth Arkwright musste seit Anfang 1944 Zwangsarbeit in der Breslauer Chemiefabrik Carl Boeger & Co. verrichten. Er erinnert sich an das Leben der „Mischehen“ in Breslau nach den letzten Deportationen folgendermaßen: Das Leben im Jahr 1943 war zutiefst deprimierend gewesen, und 1944 lief nicht viel besser, denn die jüdische Welt um uns herum brach zusammen. Das Dritte Reich stand vor dem Verfall, aber leider nicht schnell genug, um unsere Lage zu verbessern und uns die ständige Angst vor der ‚Endlösung‘ zu nehmen. Die körperliche anstrengende Zwangsarbeit, die harten Bedingungen zu Hause, der Hunger und die Kälte. 660 657 AYV, Sklarz, Benjamin: Burials of Jewish Forced Labourers in Breslau 1943–1944, Bestand O.41 – Lists and Documentation of Perished and Persecuted Collection, Sig. 1256, S. 1–4; vgl. Wolff, Karla: Feld 24 auf dem jüdischen Friedhof in Cosel, in: MVBI, Nr. 84, 2009, S. 6, 24; Sklarz, Benjamin: Feld 24: Sie sind nicht mehr namenlos, in: MVBI, Nr. 84, 2009, S. 7, 23. 658 AYV, Protokoll zur Zeugenaussage von Klara Rausmann (aufgenommen am 10. Juli 1945 in Budapest), Bestand O.15 E – DEGOB Testimonies Collection, Sig. 2615, S. 3. 659 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA. 660 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 58.
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Viele der in den „Mischehen“ lebenden Personen versuchten, zusammenzuhalten und versammelten sich weiter, um ihr religiöses Leben zu praktizieren. Mitte 1944 wurde den Breslauer Juden das Versammlungsrecht entzogen, was zur Folge hatte, dass jüdische Gottesdienste in Breslau nicht mehr stattfinden durften. Der Erlass war für manche ein Antrieb, Widerstand zu leisten und unter konspirativen Umständen den wöchentlichen Sabbatgottesdienst fortzusetzen: Ungefähr zwanzig von uns trafen sich im kleinen Zimmer des Schreiners Korotowski, das zugleich Küche, Schlaf- und Wohnzimmer war. Einer nach dem anderen, wie beim Staffellauf, kamen wir an und gingen wieder nach Hause, um keinen Verdacht zu erregen. Den traditionellen Beginn des Sabbat konnten wir nicht einhalten, denn aufgrund der Ausgangssperre durften wir uns nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf der Strasse aufhalten. Gebete wurden nicht gesungen, sondern geflüstert, damit keiner sie im Treppenhaus hören könnte. Diese Gottesdienste boten eine ungeheuere Genugtuung, denn wir behielten das jüdische Gebet bei – in einer Stadt, in der Juden seit über tausend Jahren gebetet hatten. Wir behielten die Treffen bei, bis der letzte von uns deportiert wurde. 661
3.7.3 Das Ende des Krieges – „Erwischen sie dich doch noch oder nicht?“ Die nahende Katastrophe für die letzten Breslauer Juden aus den „Mischehen“ kündigte sich durch eine weitere Deportation in das Gettolager Theresienstadt an. In diesem Transport wurden die jüdischen Ehepartner aus den „Mischehen“ verschleppt, deren nicht jüdische Partner verstorben oder geschieden waren, und ebenso deren Kinder, die das 14. Lebensjahr überschritten hatten. 662 Nach Alfred Konieczny wurden die Vorbereitungen für diese 661 Ebd., S. 63. 662 Der Breslauer Erzbischof Adolf Bertram verfasste am 9. Januar 1944 einen Brief an den Gauleiter der NSDAP Niederschlesien, Karl Hanke, in dem er sich für die deportierten Breslauer Juden aus den ‚Mischehen‘ einsetzte. Seine Intervention blieb erfolglos und ohne jegliche Antwort, Akten der deutschen Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945, Bd. 6. Mainz 1985, S. 291–293, zitiert nach, Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 518. Der Erzbischof Bertram war über die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung bereits ein halbes Jahr zuvor informiert. Im August 1943 erhielt er einen anonymen
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Deportation durch die Breslauer Gestapo in großer Eile getroffen. 663 Am 8. Januar 1944 wurden die zum „Abtransport“ bestimmten Personen durch die Breslauer Polizei zu der Sammelstelle in der „Storch Synagoge“ in der Wallstraße getrieben. 664 Unter den Deportierten befand sich auch die 42jährige Käthe Bott. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit ihrer 19-jährigen Tochter Steffi, die nach dem Vater katholisch getauft war, in einem der Breslauer „Judenhäuser“ zusammengelebt. Ludwig Bott, der katholisch war, verließ seine Ehefrau und Tochter und ließ sich 1939 von seiner jüdischen Ehefrau scheiden. Als die Tochter am 8. Januar 1944 von der Arbeit nach Hause kam, war ihre Mutter bereits durch die Gestapo abgeholt worden. Sie eilte sofort zu der Sammelstelle in der Synagoge, um die Mutter sehen zu können: Kurz[,] nachdem meine Mutter abgeholt worden war, begab ich mich am Abend zu der Synagoge, in der Hoffnung[,] sie sehen zu können. Als ich dort ankam, sah ich die ganze Wallstraße voll mit weinenden Kindern, die von ihren jüdischen Elternteilen getrennt wurden. Sie weinten und schrien. Dieser Anblick war schrecklich. […] Zum Glück gelang es mir[,] meine Mutter zu sehen, ihr ein paar Sachen für die Reise ins Unbekannte zu überreichen und mich von ihr zu verabschieden. 665
Käthe Bott wurde kurz darauf mit den anderen 72 Juden von der Sammelstelle abtransportiert. 666 Einen Tag darauf, am 9. Januar 1944, erreichte die-
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Brief eines polnischen Juden aus dem besetzten Polen, in dem ausführlich die nationalsozialistischen Verbrechen und Morde an Juden dokumentiert worden waren. Dieser Brief blieb jedoch ohne Reaktion seitens des Erzbischofs Bertram, Abdruck des Briefes in: Akten der deutschen Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945, S. 210–215; vgl. Jonca, Karol: Relacja anonimowego Żyda o zagładzie społeczności żydowskiej w Generalnym Gubernatorstwie, in: SFZH, Nr. 13, 1990, S. 221–234. Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 516. Ebd.; Interview mit Steffi Aghassi (geb. Steffi Bott), am 12. August 1997 in Deerfield, Florida, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 32692, Tape 2. Ebd. Sadowski, Mirosław: Deportacje niemieckich Żydów z Wrocławia do KZ-Theresienstadt w styczniu i kwietniu 1944 roku, in: SFZH, Nr. 18, 1995, S. 261–269, hier S. 263. Dieser Transport umfasste insgesamt 73 Personen (14 Männer und 60 Frauen): 64 Juden stammten aus Breslau. Die übrigen neun Personen kamen aus
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ser Transport das Gettolager Theresienstadt. 667 Noch im Laufe des Jahres 1944 starben im Gettolager 13 Personen aus diesem Transport, acht weitere wurden ins KZ Auschwitz-Birkenau verschleppt. Die Befreiung in Theresienstadt erlebten 53 Personen, unter ihnen auch Käthe Bott. 668 Im Anschluss an diese „Deportationsaktion“ verließ am 25. April 1944 der letzte Transport Breslau Richtung Theresienstadt. Diesmal befahl man den 18 Personen, sich an der Krankenstation auf dem jüdischen Friedhof in der Flughafenstraße 51 zu versammeln. 669 Im Sommer 1944 kam es zu Regionaldeportationen der in den „Mischehen“ lebenden Juden und „Mischlingen“ in diverse Arbeitslager, die im Rahmen der „Organisation Todt (OT)“ im gesamten Altreich errichtet wurden. 670 Auch die in den „Mischehen“ lebenden Breslauer Juden wurden in diese Deportationen miteinbezogen und in mehrere Arbeitslager außerhalb Breslaus verschickt, die im Rahmen des Stellungsbaus zur Verteidigung der östlichen Reichsgrenze in Schlesien, des sogenannten „Unternehmens Bartold“, bestanden. 671 Beginnend im Juli 1944 wurden die meisten der letzten in den „Mischehen“ lebenden Juden und „Mischlinge“ in mehreren Transporten in die Gegend des niederschlesischen Trachenbergs verschickt, darunter Kurzbach, 672 Grüntal oder Groß Bargen, um vor Ort bei den
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anderen niederschlesischen Städten (u. a. aus Görlitz, Glogau, Friedensdorf, Krummhübel, Bad Warmbrunn), siehe: Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 515. Ebd. Interview mit Steffi Aghassi, am 12. August 1997 in Deerfield, Florida, USC Visual History Archive, Int. Code 32692, Tape 3; vgl. Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 517. In diesem Transport befanden sich elf Juden aus Breslau und sieben aus anderen niederschlesischen Ortschaften (u. a. aus Schweidnitz, Waldenburg und Striegau). Vier Personen wurden anschließend aus Theresienstadt ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert, eine Person im Februar 1945 in die Schweiz ‚evakuiert‘, 14 Personen erlebten das Kriegsende, Konieczny: Deportacje dolnośląskich Żydów do obozu-getta Theresienstadt, S. 519. Gruner: Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden, S. 327. Rudorff, Andrea: Kurzbach (Bukołowo), in: Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 6, Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof. München 2007, S. 369–372. Lager Kurzbach war ein Außenlager des KZs Groß-Rosen, Rudorff: Kurzbach, in: Benz/Distel: Der Ort des Terrors, Bd. 6, S. 369–372.
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Befestigungsanlagen und Panzergräben zu arbeiten. Außerdem wurde eine Gruppe nach Ostlinde in der Nähe von Grünberg gebracht, um ebenfalls bei den Befestigungsanlagen zu arbeiten. 673 Eine Gruppe von 200 bis 300 Personen kam Mitte Oktober 1944 in das KZ-Außenlager Blankenburg im Harz, das als Außenlager dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora zugeordnet war. 674 Horst Buhl, der als „Mischling des ersten Grades“ durch die NS-Behörden eingestuft wurde, kam gemeinsam mit seiner Mutter, Ruth Buhl, am 18. August 1944 von Breslau zunächst in das Arbeitslager in Grüntal, wo beide einen Monat verblieben. Von dort gelangten sie mit einer Gruppe der Breslauer „Mischlinge“ nach Ostlinde. Horst Buhl beschreibt seine Erfahrungen in Ostlinde wie folgt: Das Lager selbst bestand aus einem fabrikähnlichen Gebäude. […] In diesem Gebäude waren etwa 80 bis 100 männliche und etwa 100 weibliche Mischlinge ersten Grades untergebracht. Dort wurden wir zum Ausheben von 12 Meter tiefen Panzergräben eingesetzt. Außerdem wurden in einem nahe gelegenen Waldgrundstück Holzstämme für Befestigungsanlagen verarbeitet. Als Leiter
673 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Horst Buhl bezüglich der Untersuchungen über die Verfolgungspraxis der faschistischen Staatspolizei-Leitstelle Breslau für den Zeitraum von Herbst 1939 bis Ende 1944, Berlin 28. Oktober 1982, (BStU), Bestand TR.10 – Legal Documentation from Trials of Nazi Criminals, Sig. 3100, Bl. 73 f.; AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Ruth Buhl bezüglich der Untersuchungen über die Verfolgungspraxis der faschistischen Staatspolizei-Leitstelle Breslau für den Zeitraum von Herbst 1939 bis Ende 1944, Berlin 21. Oktober 1982, (BStU), Bestand TR.10 – Legal Documentation from Trials of Nazi Criminals, Sig. 3100, Bl. 76 f.; Interview mit Susi-Eva Ringer, am 21. Mai 1997 in München, USC Visual History Archive, Int. Code 31751, Tape 3. 674 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Lothar Weiß bezüglich der Untersuchungen über die Verfolgungspraxis der faschistischen Staatspolizei-Leitstelle Breslau für den Zeitraum von Herbst 1939 bis Ende 1944, Halberstadt 13. Juli 1982, (BStU), Bestand TR.10 – Legal Documentation from Trials of Nazi Criminals, Sig. 3100, Bl. 426 f. Zu dem KZ-Außenlager Blankenburg siehe Wagner, Jens-Christian: Blankenburg-Oesig, Blankenburg-Regenstein, in: Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7, Niederhagen, Wewelsburg, Lublin-Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora. München 2008, S. 293–296.
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dieses Lagers fungierte der Beamte der Gestapo-Leitstelle Breslau namens Pilz und noch zwei weitere Gestapo-Beamte. 675
Im Februar 1945 wurden Horst und Ruth Buhl in Ostlinde durch die Rote Armee befreit. 676 Im September 1944 wurde auch Kenneth Arkwright in die Zwangsarbeit in das niederschlesische Grüntal verschickt. Dort angekommen traf er eine Gruppe der Breslauer Juden, darunter seinen Vater, Rudolf Aufrichtig: Im September 1944 war auch ich dran, die Reise anzutreten, die alle Juden Europas anzutreten hatten. Ich erhielt einen Brief von der Gestapo, in dem stand, ich solle mich am nächsten Tag an einem wenig benutzten und abgelegenen Bahngleis am Breslauer Hauptbahnhof zur Deportation in ein Arbeitslager einfinden. […] Nur eine Handvoll der übrig gebliebenen Mitglieder der Jüdischen Gemeinde war da. Wir wurden von ‚Gestapo-Marsch‘ 677 empfangen und in das reservierte Zugabteil eingeschlossen. Nach einigen Stunden Zugfahrt kamen wir an. Man befahl uns, am Bahnhof des Dorfes Groß Bargen auszusteigen. Dort übergab uns Marsch einer Lagerwache. […] Wir marschierten in das Zwangsarbeitslager Kurzbach-Grunthal in der Nähe von Trachenberg. Im Lager angekommen erkannte ich viele bekannte Gesichter und entdeckte unter ihnen meinen Vater. 678
Im Arbeitslager Grüntal mussten die Breslauer Juden qualvolle Arbeit verrichten, indem sie tiefe Panzerabwehrgräben aushuben. Diese sollten für die 675 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Horst Buhl, Bl. 73 f. 676 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Ruth Buhl, Bl. 76 f. 677 Herbert Marsch (Geburts- und Sterbedatum unbekannt) war Angehöriger der Gauleitung NSDAP in Breslau und beteiligte sich an den Deportationen der Breslauer Juden sowie war für die jüdischen Zwangsarbeiter aus der Stadt zuständig. Laut mehreren Zeugenaussagen begleitete er Alfred Hampel vom sogenannten ‚Judenreferat‘ der Breslauer Gestapo bei den Deportationen der Juden aus Breslau. 1966 wurde gegen ihn, wie auch gegen Alfred Hampel, ein Gerichtsverfahren in Bielefeld eingeleitet. Das Verfahren wurde 1978 eingestellt, AYV, Ermittlungsverfahren gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel Bestand TR.11 – Israel Police Investigations of Nazi Crimes, Sig. 01174; http://db.yadvashem.org/deportation/supervisorsDetails.html?language= en&itemId=9738110 (abgerufen am 10. April 2013). 678 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 64 ff.; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA.
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sowjetischen Panzer ein Hindernis auf ihrem Vormarsch nach Berlin sein. Kenneth Arkwright schildert das Leben in diesem Lager in seinen Erinnerungen: Die Arbeitslagerinsassen unterschieden sich in Alter und Bildung sowie hinsichtlich ihres sozialen und religiösen Hintergrunds. Nach den Nürnberger Gesetzen galten alle als Juden. Darunter war eine kleine Gruppe von Menschen, die zwar, wie wir, den Gelben Stern mit aufgedrucktem ‚Jude‘ tragen musste, die aber christlichen Glaubens war. Manche waren als Erste in ihrer Familie getauft worden, andere hatten bereits getaufte Eltern. Während wir unsere Sabbatgebete leise sangen und Zweige anstelle von Chanukkakerzen anzündeten, hielten sie zusammen und sangen Weihnachtslieder. Die Situation war äußerst bizarr. 679
Anfang Januar 1945 kamen die jüdischen Zwangsarbeiter aus Grüntal im Rahmen der „Evakuierung“ des Arbeitslagers in das niederschlesische Konzentrationslager Groß-Rosen, wo sie ein paar Tage verblieben. Die „GrüntalGruppe“ der jüdischen „Mischlinge“ aus Breslau gehörte zu einer der Ersten, die auf den Marsch aus Groß-Rosen Richtung Westen getrieben wurden. Währenddessen entschied sich Kenneth Arkwright zur Flucht. Er gelangte nach Neudorf in der Oberpfalz, wo er bis zu der Befreiung durch amerikanische Truppen unter falscher Identität lebte. 680 Lothar Weiß, der nach der rassischen NS-Doktrin als „Mischling“ galt, musste sich bereits seit 1942 einmal im Monat bei der Breslauer Gestapostelle melden, wo er mehrere Male beschimpft und misshandelt wurde. 681 Am 9. Oktober 1944 erhielt Lothar Weiß von der Gestapodienststelle eine Vorladung zum Arbeitsamt. Zwischen dem 11. und 12. Oktober 1944 kam Lothar Weiß dieser Vorladung nach, begab sich zum Arbeitsamt, wo ihn mehrere Gestapobeamte erwarteten. Zusammen mit einer Gruppe von etwa 250 bis 300 aus den „Mischehen“ stammenden Personen wurde Lothar Weiß zu einem „Abtransport“ aus Breslau gebracht: Noch am gleichen Tage oder am 12. 10. 1944 mussten alle Personen, die aller Altersstufen waren und die sich im Hof des Arbeitsamtes aufhielten, unter Bewachung, im Fußmarsch zum Hauptbahnhof in Breslau laufen. Auf dem Hauptbahnhof wurden wir in Güterwagen verladen und nach Blankenburg/Harz ver679 Ebd. 680 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 681 AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Lothar Weiß, Bl. 426 f.
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schleppt. Nach meiner Ankunft in Blankenburg (wie ich zu einem späteren Zeitpunkt erfahren habe, handelte es sich hierbei um ein Außenlager des Konzentrationslagers Dora), wurde ich im Stollenbau und bei Verladearbeiten in den Lagern Lauseberge/Oesig und am Westbahnhof eingesetzt. Untergebracht waren wir in Baracken, die sich unmittelbar in der Nähe der einzelnen Stollen befanden. Aus dem genannten Zwangsarbeitslager wurde ich Ende April 1945 durch die alliierten Truppen befreit. 682
Max Benditt, der durch die Nationalsozialisten als „Geltungsjude“ eingestuft wurde und bereits seit 1939 Zwangsarbeit verrichten musste, wurde im August 1944 in das Arbeitslager in Grüntal verschleppt. Während der Räumung des Lagers Anfang Januar 1945 wurden seine Insassen Richtung KZ GroßRosen in Marsch gesetzt. Da Max Benditt eine Beinprothese hatte und nicht gehfähig war, erlaubte man ihm, mit der Bahn nach Breslau zu fahren. Sofort nach seiner Ankunft musste er sich bei der Breslauer Gestapo melden. Kurz darauf erhielt er eine Anweisung, sich auf dem Jüdischen Friedhof Cosel zu stellen. Dort versammelte die Gestapo 23 jüdische Männer und Frauen aus Breslau. Am nächsten Tag eskortierten vier schwer bewaffnete SD Männer die Gruppe in das KZ Groß-Rosen: Bei Schneesturm und Minus 18 Grad Kälte marschierten wir am Tage 10 Stunden[,] ohne jegliche Verpflegung zu erhalten. Übernachtet haben wir in Scheunen und Ställen. Zwei Wochen verblieben wir in Groß-Rosen und mussten mit ansehen[,] wie täglich ca. 40 Lagerinsassen pro Block verstarben oder zu Tode geprügelt wurden. […] Nach 14 Tagen wurden alle Juden zusammengetrieben und auf Transport für das KZ Buchenwald zusammen gestellt. 683
Von Buchenwald gelangte Max Benditt zuerst in das KZ Dachau und von dort in das KZ Flossenbürg. Die amerikanischen Truppen befreiten Max Benditt auf einem Marsch bei der „Evakuierung“ des Konzentrationslagers Flossenbürg in Schaudorf. 684 Max Benditt gehörte zu den etwa 150 „Mischlingen“ und Personen aus „Mischehen“, die im Januar 1945, kurz bevor die Rote Armee die Stadt erreichte, in das KZ Groß-Rosen deportiert worden waren. Unter den Deportierten befanden sich auch einige der Ärzte und ein verbliebener Teil des Pfle682 Ebd., Bl. 428. 683 AŻIH, Bericht von Max Benditt, S. 3 f. 684 Ebd., S. 3.
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gepersonals der Krankenstation des Jüdischen Friedhofs Cosel. Die meisten von ihnen wurden bald nach ihrer Ankunft in Groß-Rosen weiter in das KZ Bergen-Belsen verschleppt, nur sehr wenige erlebten das Ende des Krieges. 685 Am 12. Januar 1945 begann die sowjetische Großoffensive auf Breslau, die zur „Festung“ erklärt worden war. 686 Knapp einen Monat später, am 15. Februar 1945, wurde Breslau von der Roten Armee eingekesselt. 687 Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch rund 200.000 Zivilisten in der Stadt, darunter Zehntausende von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZHäftlingen 688 sowie einige Personen, die in „Mischehen“ lebten. Alfons Freund, der mit einer nicht jüdischen Frau verheiratet war, schildert die letzten Wochen vor Kriegsende: Die Schreckenszeit der in Breslau verbliebenen Juden in Mischehe und ihrer treuen arischen Ehepartner, die zu den niedrigsten Arbeiten herangezogen wurden, fand ihre Krönung, als Breslau zur Festung erklärt wurde. Ich habe gemeinsam mit meiner Ehefrau viele Nächte beim Bau des berüchtigten ‚Rollfeldes‘ 689 in Breslau im Bombenhagel dem Todesschrecken trotzen müssen. Manchen dieser restlichen Juden hat das Schicksal in der Festungszeit erreicht und sie unter den Trümmern begraben. Der Hauptteil der restlichen Breslauer Juden in Mischehen konnte noch rechtzeitig aus dem aufgelösten Arbeitslager Grüntal des Unternehmens Bartold nach Breslau zurückkehren, um hier unter ständiger Todesgefahr das Kriegsende und damit ihre Befreiung zu erleben. 690 685 ‚The Fate of the Breslau Jews‘, in: Association of Jewish Refugees in Great Britain (AJR), Information, Nr. 3, 3. März 1946, S. 21; vgl. Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA; AYV, Freund: Schicksal und Ausrottung der Juden in Deutschland, S. 5. 686 Breslau wurde bereits am 25. August 1944 von Generaloberst Guderian zur ‚Festung‘ erklärt. Zugleich wurde auch mit dem Bau von Befestigungen begonnen. 687 Vgl. Peikert, Paul: ‚Festung Breslau‘ in den Berichten eines Pfarrers, 22. Januar 1945 bis 6. Mai 1945. Herausgegeben von Karol Jonca und Alferd Konieczny. Berlin 1974, S. 52. 688 Siebel-Achenbach, Sebastian: Lower Silesia from Nazi Germany to Communist Poland, 1943–1949. London/New York 1994, S. 73. 689 Für den Bau eines Start- und Landeplatzes für Flugzeuge wurde das Stadtviertel um den Scheitniger Stern zerstört. Hunderte von Menschen wurden zu Bauarbeiten dieses Rollfeldes eingezogen und auf der freien Fläche dem sowjetischen Beschuss ausgesetzt. 690 AYV, Freund: Schicksal und Ausrottung der Juden in Deutschland, S. 4 f.; vgl. Adler: Der verwaltete Mensch, S. 320.
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Auch wenn die sowjetische Armee die Stadt schon im Februar 1945 einkesselte, fand die Befreiung erst am 6. Mai statt. Bis dahin hörte die Breslauer Gestapo nicht auf, die „Mischehen“ zu verfolgen, und plante, diese Personen zur „Endlösung“ zu transportieren. Unter polizeilicher Bewachung wurden die „Mischlinge“ aus den „Judenhäusern“ in der Sonnen- und Wallstraße Richtung Odertorbahnhof getrieben. Etwa 150 jüdische Frauen, Kinder und Alte wurden zur Kletschkaustraße in der Nähe des Oderhafens geführt und dort in Holzbaracken untergebracht. 691 In dieser Gruppe war der 14jährige Wolfgang Nossen mit seiner Mutter und vier jüngeren Schwestern: Je näher es dem Ende des Krieges zuging, desto dramatischer wurde es: Erwischen sie dich doch noch oder nicht? […] Wir ließen unsere Fantasie ausmalen. Sollten wir jetzt vor Kriegende noch auf die Oderkähne geladen und im Fluss 691 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA; vgl. AYV, Freund: Schicksal und Ausrottung der Juden in Deutschland, S. 5; AŻIH, Bericht von Herrn Kon, S. 4. Der 1927 in Breslau geborene Jehuda Prinz befand sich, wie die Familie Nossen und viele andere Eheleute in ‚Mischehen‘, in den Baracken in der Kletschkaustraße. Während seiner Vernehmung im Mai 1964 sagte er, dass eine Delegation der christlichen Ehefrauen bei der Breslauer Gestapo sowie bei dem Kommandeur der ‚Festung Breslau‘, Hans von Ahlfen, intervenierte, um die dort internierten Personen aus ‚Mischehen‘ zu befreien, AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Jehuda (Edgar) Prinz bezüglich des Ermittlungsverfahrens gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel, Ra’anana, 1. Mai 1964, Bestand TR.11 – Israel Police Investigations of Nazi Crimes, Sig. 01174 (unpg.). Angeblich plante die Breslauer Gestapo beziehungsweise der Gauleiter Karl Hanke, die in den Baracken untergebrachten Breslauer Eheleute in ‚Mischehen‘ sowie deren Kinder auf eine beschädigte Flussbarke zu setzen, um sie in der Oder zu versenken. Der Festungskommandant, Hans von Ahlfen, sollte sich dagegen ausgesprochen haben. Von diesen Plänen berichten die überlebenden Zeitzeugen sowie der Leutnant Richard Wolf und der Pfarrer Ernst Hornig, siehe: Hornig, Ernst: Breslau 1945. Erlebnisse in der eingeschlossenen Stadt. München 1975; Jonca: Judenverfolgung und Kirche in Schlesien, in: Jersch-Wenzel (Hrsg.): Deutsche – Polen – Juden, S. 226; Hofmann: Die Nachkriegszeit in Schlesien, S. 371; AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (aufgenommen am 27. Juni 1956 in Tel Aviv), Bestand O.1 – K. J. Ball-Kaduri, Collection of Testimonies and Reports of German Jewry, Sig. 148, S. 2; AYV, Freund: Schicksal und Ausrottung der Juden in Deutschland, S. 5; Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA; vgl. Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 96.
Zwischenresümee
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versenkt werden? Waren die Baracken mit Dynamit präpariert, um in die Luft gesprengt zu werden? Der eine Tag, den ich dort vom frühen Morgen bis zum Einbruch der Dunkelheit verbrachte, kam mir wie eine Ewigkeit vor. 692
Infolge eines schweren Fliegerangriffs auf dieses Viertel floh die Wachmannschaft und überließ die Menschen in den Baracken sich selbst. Unmittelbar danach verließen die dort internierten Angehörigen aus den „Mischehen“ das Lager und zerstreuten sich in der im Chaos versunkenen Stadt. 693 Für sie alle begann damit eine dreimonatige Zeit im Versteck, bis die Rote Armee in Breslau einmarschierte und die Kapitulation der Stadt am 6. Mai 1945 unterzeichnet wurde.
3.8 Zwischenresümee Das verhängnisvolle Ende jüdischen Lebens in Breslau und in Deutschland scheint das menschliche Erinnerungsvermögen zu überfordern. Die Aufgabe dieser Arbeit ist es, Erinnerungsspuren, die einen Weg der reflektierenden Annäherung möglich machen, zu sammeln und der Stimme und Sprache der Betroffenen Gehör zu verschaffen. Die Geschichten der einzelnen Breslauer Juden während einer Zeit der Extreme, die in diesem Kapitel dargestellt wurden, geben jeweils unterschiedliche Perspektiven und einen subjektiv erlebten Ausschnitt des historischen Geschehens wieder. Dies erzeugt in dem Sinne Authentizität, dass die Überlebensstrategien, Selbstbehauptung und Identitätsaspekte während dieser Zeit, die in der Sprache ihren Niederschlag finden und teilweise im biografischen Rückblick verfasst sind, in den Vordergrund treten. Die Geschichte der Menschen tritt an einem Ort des individuellen Wirkens hervor, der objektiv betrachtet voller Leiden und Sterben war. Indem die „Objekte“ der Geschichtsbetrachtung in dieser Arbeit zu „Subjekten“ der Beschreibung und Bewertung ihrer eigenen Lebensumstände werden, setzen sie sich selbst in Relation zu einem Phänomen, das sich hauptsächlich dadurch auszeichnete, sie zu Opfern einer bis dahin nie da gewesenen Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung zu machen. 692 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA. 693 Ebd.; vgl. AYV, Protokoll zur Vernehmung des Zeugen Jehuda (Edgar) Prinz (unpg.); AYV, Freund: Schicksal und Ausrottung der Juden in Deutschland, S. 5.
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Im nationalsozialistischen Regime, das die völlige Ausrottung des europäischen Judentums zum Ziel hatte, schlug den Breslauern ebenso wie allen deutschen Juden ein besonderer Widerstand entgegen. Sie hatten mehr als ein Jahrhundert um ihre rechtliche Gleichstellung gekämpft und diese auch erreicht. In ihrem nationalen und kulturellen Selbstverständnis verstanden sich die meisten von ihnen als stolze Deutsche und schienen darin auch in der Gesellschaft angekommen zu sein. Es brauchte etwa zehn Jahre nationalsozialistischer Herrschaft, in der alle Kräfte dieser Maschinerie aufgeboten wurden, um die Integration und Emanzipation der jüdischen Bevölkerung zunichtezumachen. Im Unterschied zu den osteuropäischen Juden, die als Folge des Krieges zu Opfern der Schoah wurden, erlitten die deutschen Juden Hass und Verfolgung aus der Mitte einer Gesellschaft, zu der sie sich, wie kaum anderswo eine jüdische Gemeinschaft, zugehörig gefühlt hatten. Die Vertreibung aus der Heimat und die Ermordung der Zurückgebliebenen war ein letzter tragischer Schritt in einer umfassenden Folge des Vernichtungsprozesses. Die massiven Beschränkungen veränderten die herkömmliche Lebensweise seit 1933 in allen Bereichen entscheidend. Hinzu traten Erlebnisse und Erfahrungen, die durch ihre Häufigkeit oder Permanenz ebenfalls Teil des Alltags wurden und zu einer zunehmenden Erosion der äußeren und inneren Sicherheit führten: antisemitische Gewalt als Ausschreitungen gegen Einzelne bis hin zum Novemberpogrom, der KZ-Haft, Zwangsarbeit und der anschließenden Deportation in die Vernichtungslager. Es wird dem Verhalten der jüdischen Bevölkerung unter der nationalsozialistischen Herrschaft nicht gerecht, auf den Begriff der Passivität reduziert zu werden. Das Spektrum jüdischen Handelns zeigte eine Reihe von Abwehrreaktionen und Überlebensstrategien: Rückzug auf traditionelle Werte der ethnischen oder religiösen Abstammung, Emigration und Flucht, Untertauchen und Freitod. Diese Verhaltensweisen können in dem Sinne als Widerstand angesehen werden, dass der Maßstab nicht das rein physisch-materielle Überleben ist, sondern darüber hinaus das Sichberufen auf eine geistige Unversehrtheit. Nach dem scharfen Einschnitt des 30. Januar 1933 begann für die Breslauer Juden eine fortschreitende gesellschaftliche Isolation und Verdrängung, infolge derer sich eine weitgehend von der sie umgebenden Gesellschaft abgeschlossene jüdische Lebenswelt zu bilden begann. In Anbetracht dessen
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wurden die jüdische Familie, jüdische Institutionen sowie die Gemeinde zum Kern des Lebens und gewannen immer mehr an Bedeutung. Entscheidend dabei war die Rolle der jüdischen Gemeinde mit ihren zahlreichen Organisationen und vor allem einem sehr weit reichenden und vielfältigen Hilfsangebot sowohl materieller als auch spiritueller Art. Die bereits während der Weimarer Republik sich intensivierenden Tendenzen der Stärkung des Gemeindelebens und der Rückbesinnung auf das Judentum wurden erst recht nach 1933 unverzichtbar. Die Führung der Breslauer jüdischen Gemeinde hatte auf die zunehmende Ausgrenzung, Diffamierung und Verfolgung mit einer Doppelstrategie reagiert, indem sie die Auswanderung jüngerer Mitglieder förderte und gleichzeitig die innerjüdische Infrastruktur für die Zurückgebliebenen ausbaute und verbesserte. Auf den brutalen Vernichtungswillen der Nationalsozialisten war die jüdische Minderheit nicht vorbereitet. Die internationale Staatengemeinschaft bot ihr keine Unterstützung. Obwohl die Juden in Breslau in dieser Weise auf sich selbst gestellt waren, konnte sich das jüdische Leben in der Stadt sowohl auf der institutionellen als auch individuellen Ebene, zumindest bis 1938, grundsätzlich behaupten. Binnen kurzer Zeit nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten gründete die Breslauer jüdische Gemeinde weitere Einrichtungen, um der neuen Situation in der Stadt gerecht zu werden. Umschulungen, soziale Wohlfahrt und vor allem Unterstützung bei der Emigration waren wichtige Ziele dieser Tätigkeit. Bis zum Novemberpogrom 1938 konnte sich die jüdische Gemeinschaft in Breslau einen gewissen Handlungsspielraum bewahren, der durch die zunehmende Kontrolle der Gestapo immer weiter eingeschränkt wurde. Die Zeugnisse legen dar, inwieweit um Autonomie in den Freiräumen des religiösen, künstlerischen und kulturellen Lebens gerungen wurde und welche individuellen Auswirkungen der Verdrängungs- und Vertreibungsprozess auf der anderen Seite hatte. Zu beobachten ist eine verstärkte Hinwendung zur – oder Reaktivierung der strengeren Ausrichtung auf – Religion, die bald große Teile der jüdischen Gemeinschaft erfasste. Dies sorgte für ein jüdisches Gruppenbewusstsein, wie es in dem Umfang in den Jahren zuvor nicht bestanden hatte. Gruppengeist und die persönliche solidarische Einsatzbereitschaft wurden zu einem gemeinsamen Potenzial, das das Selbstgefühl des Individuums wie der Gruppe stärkte beziehungsweise in manchen Fällen auch rettete. Es machte die
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Selbstbehauptung trotz widrigster Umstände in der feindlichen und bedrückenden Realität des NS-Regimes überhaupt erst möglich. Die Abwehr- und Überlebensstrategien der Breslauer Juden trafen jedoch auf die Schranken eines Systems, das auf die Vernichtung dessen ausgerichtet war, was deren Machthaber als „jüdisch“ definierten. Die meisten ihrer nicht jüdischen Mitbürger reagierten mit Gleichgültigkeit und Schweigen, als die Nationalsozialisten begannen, ihre Definition des „Jüdischseins“ zu etablieren. Auch als sie Teile der Bevölkerung separierten, vertrieben und schließlich vernichteten, geschah dies ohne öffentlichen Protest. Die durch die nationalsozialistischen Machthaber durchgesetzte antijüdische Politik und die damit verbundenen Verbrechen, aber auch die passive Haltung ihrer nicht jüdischen Mitbürger verursachten das dramatische Gefühl, von mehreren Seiten ausgrenzt und enttäuscht zu werden. Wie den individuellen Zeugnissen zu entnehmen ist, reagierten die Breslauer Juden keinesfalls sprachlos oder handlungsunfähig. Auf unterschiedlichste Weise kämpften sie in allen Bereichen ihres Lebens darum, ihre Würde unter dem totalitär gegen sie gerichteten Regime erhalten zu können. Viele von ihnen handelten nicht impulsiv oder resigniert, unterwarfen sich nicht der Perspektivlosigkeit der gegebenen Verhältnisse, sondern bemühten sich bis zuletzt, eine menschlich erträgliche Lebenswelt zu erhalten. Nicht nur der Verlust des Eigentums oder des physischen Lebensraumes war die gewaltsamste Form der Diskriminierung. Die Solidarität, Freiheit und Hoffnung als Grundlagen des menschlichen Zusammenseins wurden ihnen von der sie umgebenden Gesellschaft verweigert. Als Reaktion darauf verlagerten sich diese Grundbedürfnisse in den Bereich der geistigen Zusammengehörigkeit im Rahmen eines friedlichen und unterstützenden Zusammenlebens innerhalb der Gemeinde. Anhand der Zeugnisse ist zu erkennen, dass die tiefe Verwurzelung in ihrer Heimat verhinderte, dass die Breslauer Juden eine radikalere Konsequenz aus den sie umgebenden Umständen zogen. Während einige schon 1933 die sofortige Emigration wählten, blieb die Mehrheit an ihrem Heimatort Breslau und orientierte sich an einer ethnisch-religiös definierten Richtung des Jüdischseins, aus der sie Stärkung erfuhr. Innerhalb dieser Grundtendenz vollzog sich der Wandel nach der ersten Erschütterung auf individuelle Art und der persönlichen Situation entsprechend. Die unterschiedlichen Einstellungen und Überzeugungen in Bezug auf weitere Aspek-
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te ihrer Identität, die Widerstandskraft und der bestehende Grad der Integration bestimmten die Strategien im Umgang mit der neuen Situation. Der Handlungsdruck nahm fast täglich zu: Je bedrückender die äußere Situation wurde, desto häufiger suchten sie in ihrer Familie und im jüdischen Freundeskreis eine Zuflucht vor Vereinsamung und Unsicherheit. Die Konzepte zur Selbstbehauptung wurden reflektiert und entwickelt. In den Erinnerungen der Breslauer Juden kommt sehr oft die tiefe Enttäuschung über den Abbruch der Beziehungen durch ehemalige Freunde und Kollegen zum Ausdruck. In dieser Situation waren eine gestärkte Traditionsverbundenheit und der Kontakt zum jüdischen Milieu ein lebenserhaltender Rückhalt. Die Vernetzung der jüdischen Gemeinschaft verstärkte sich gegenüber dem zwölf Jahre bestehenden nationalsozialistischen Regime zunehmend. Sowohl im Privatleben als auch in Organisationen – innerhalb der jüdischen Gemeinde oder in zahlreichen jüdischen Verbänden – hielten die deutschen Juden zusammen und boten sich gegenseitige Unterstützung. Diese Tendenzen erwiesen sich auch vor dem Hintergrund der Identitätsbildung als besonders wichtig und prägend für die jüdische Jugend, die zumeist in den zahlreichen Jugendverbänden Schutz und Trost gegen die feindlich eingestellte Umgebung fanden. Die Rückkehr der Jugendlichen zu den ethnisch-religiösen jüdischen Wurzeln erweckte ein Zugehörigkeitsgefühl zum jüdischen Volk, ein stärkeres Selbstbewusstsein und eine Ausrichtung für die Zukunft. Die Radikalisierung der „Judenpolitik“, die in Etappen erfolgte und zeitweise durch ruhigere Monate unterbrochen wurde, setzte möglicherweise einen psychologischen Mechanismus in Gang. Je mehr die in ihrer Heimat verwurzelten Juden sich auf die zunehmend unerträglicher werdenden Umstände eingelassen hatten, desto mehr hofften sie, dass sich diese Opfer und Mühen doch noch lohnen würden. Viele befanden sich so in einem inneren Zwiespalt. Der Novemberpogrom war in doppelter Hinsicht schwächend für die Moral der jüdischen Bevölkerung: Er führte ihnen ihre Isolation und Schutzlosigkeit vor Augen und machte die Auswanderung zur einzig möglichen Lösung, um die sich etwa 12.000 noch in Breslau lebende Juden nun bemühen mussten. Demgegenüber steht eine geringe Zahl von Emigranten, der dies trotz Auswanderungsquote und unter Aufwendung hohen finanziellen und persönlichen Aufwandes auch glückte. Dies wurde jedoch seit Kriegs-
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ausbruch weitgehend unmöglich und im Oktober 1941 gänzlich unterbrochen. Die Motive und Überlegungen, die einer Emigration vorausgingen, finden sich auch in den Berichten dieses Kapitels. Auch wenn es sich um Einzelzeugnisse handelt, kann eine Tendenz festgestellt werden, sein Identitätskonzept für die ethnisch-religiöse Abstammung und gegen die Heimatstadt und Deutschland auszurichten. Diese Entscheidung traf bis Oktober 1941 fast die Hälfte der zu Beginn der 1930er-Jahre in der Stadt lebenden Juden. Das Spannungsfeld von jüdischer Identitätswahrung und Identitätsfindung, Offenheit und klarer Abgrenzung wird durch die destruktive Kraft des Nationalsozialismus zum Kampf ums Überleben, im physisch-materiellen wie in dem darüber hinausgehenden metaphysischen Sinn. Die Lebensund Bewusstseinswelt der Juden in Deutschland veränderte sich zwischen 1933 und 1945 existenziell. Die meisten der Breslauer Juden waren im eigenen Identitätskonzept verunsichert, das sich in unterschiedlicher Ausprägung auch auf ethnisch-religiöse und national-politische Aspekte bezog. Erst der aufkommende Nationalsozialismus machte diese Vielfalt im Selbstkonzept zu einer Bedrohung und zu einem Nachteil, der über Leben und Tod entscheiden konnte. Waren die Wahl und die Vereinbarkeit verschiedener Identitätsaspekte zunächst noch möglich, wurden sie durch die zunehmende Terrorisierung und Abschnürung aller Lebensmöglichkeiten seit Kriegsbeginn und schließlich die Deportationen zu einem unabwendbaren Schicksal. Die selbstverständliche Sozialisation in einer überwiegend jüdischen Gruppe, wie sie zum Beispiel die Schulen, Synagogen oder Vereine boten, stärkte die Identität, die ansonsten in vielen Aspekten angegriffen wurde. Als Kollegen, als Nachbarn, als nationale Staatsbürger, als Kunden, als Unternehmer, als städtische Spaziergänger auf der Straße, als Teilhaber an gesellschaftlichen Prozessen generell erfuhren die Juden seit 1933 offene Ablehnung und Ausgrenzung. Das ethnisch-religiöse Jüdischsein als Selbstverständlichkeit wahr- und anzunehmen, war eine wichtige Möglichkeit, das darauf beruhende „Anderssein“ und vor allem seine eigene Identität als positiven Wert zu empfinden. Walter Laqueurs Zeugnis ist in diesem Sinn exemplarisch für den dramatischen Einschnitt, den das Jahr 1933 für die deutschen Juden mit sich brachte. Er reflektiert das Identitätsproblem direkt und sprachlich. Die Dy-
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namik der durch die Nationalsozialisten aufgezwungenen, reduzierten Identität und die Reaktion darauf werden hier sehr deutlich: Was bedeutet es, als junger Jude in Deutschland aufzuwachsen? Ich kam in Deutschland zur Welt, meine Vorfahren hatten hier gelebt. […] Doch die neuen Machthaber sagten mir nach 1933, dass ich nicht zum deutschen Volk gehöre und hier keine Zukunft haben würde. […] Das Jahr 1933 hatte auch eine – wie man heute sagen würde – Identitätskrise mit sich gebracht. Wenn ich kein Deutscher war, wo dann gehörte ich hin? Ich kannte einige, die fest darauf bestanden, bessere Deutsche als die Nazis zu sein, einen tiefverwurzelten Patriotismus zu besitzen, fest in der deutschen Kultur verankert zu sein. Doch diese Haltung erschien mir nicht sehr überzeugend. Was einer auch von sich dachte, wenn die Gesellschaft entschied, dass er nicht zu ihr gehörte, so war es sinnlos[,] sich zu verhalten wie ein Vogel Strauß. Wahrscheinlich würde der Nazismus nicht ewig dauern, doch das half hier und heute wenig bei den anstehenden Problemen. 694
Deutlich wird hier, wie die klare Grenzziehung innerhalb der Identitätsaspekte zu einer eindeutigen Entscheidung gegen Deutschland führt. Sie entspringt nicht einer religiösen Motivation, möglicherweise einer zunächst ethnischen. So begibt sich Walter Laqueur schon vor dem Novemberpogrom nach Palästina, wobei er in der biografischen Rückschau ein anderes Motiv für seinen Umgang mit Identität erkennen lässt: Die Frage der Identität hatte mir schlaflose Nächte bereiten sollen, doch sie tat es nicht. Mir fehlte eine gewisse Sensitivität, was in der Rückschau ziemlich unerklärlich scheinen mag. Die Bemühungen einiger Freunde, neue Wurzeln zu finden, da sie nun vom Land ihrer Geburt entwurzelt wurden, beobachtete ich mit Sympathie (und manchmal ein wenig amüsiert). Für mich war das keine zwingende Notwendigkeit; ich war, was ich war, und zu einer bestimmten Gruppe zu gehören, betrachtete ich nicht als essentielle Angelegenheit. Meine Gefühle haben sich stets stärker in der Beziehung zu einzelnen Personen ausgedrückt als in Gruppenbeziehung. 695
Sein Identitätskonzept ist individualistisch geprägt und seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe stellt kein wesentliches Merkmal seines Selbstbildes dar. Für die meisten bedeutete die späte „Entdeckung“ beziehungsweise der Bedeutungszuwachs der jüdischen Abstammung eine große Herausforde-
694 Laqueur: Wanderer wider Willen, S. 124 f. 695 Ebd., S. 127.
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rung im Prozess der Identitätsbildung und regte eine jahrelange Arbeit am eigenen Selbstkonzept an. Der damals siebenjährige Fritz Stern schildert aus der Perspektive eines Kindes, das evangelisch getauft war und in der christlichen Tradition erzogen wurde, die Konfrontation mit seinem Identitätsbild wie folgt: Vor 1933 wusste ich gar nichts von meinen jüdischen Wurzeln. Doch dann, kurz nach Hitlers Machtübernahme, schleuderte sich bei einem Streit mit meiner Schwester ein antisemitisches Schimpfwort an den Kopf. Anschließend wurde ich in das Arbeitszimmer meines Vaters zitiert und über unsere jüdische Herkunft unterrichtet. Ich schämte mich, meine Schwester auf dieser Weise beschimpft zu haben. War doch der strenge Verweis meines Vaters zugleich eine erstaunliche Offenbarung. […] Die ganze Bedeutung dessen ging mir erst in den folgenden Wochen auf. Kaum sieben Jahre alt, begann ich zum Glück und zumindest teilweise aufgeklärt zu sein. Ich entwickelte eine gewisse Vorstellung davon, wer ich war – und allmählich, wer ich nicht war. […] Jetzt erfuhr ich, dass ich kein ‚Arier‘ war, ein Begriff[,] mit dem ich nichts anfangen konnte. Irgendwann werde ich dann wohl ‚arisch‘ mit ‚christlich‘ gleichgesetzt und gedacht haben, dass ich beiden Gruppen nicht angehöre. Und nach dem, was ich ringsherum sah, beschlich mich das Gefühl, kein Deutscher zu sein. Heute würde man sagen, dass ich mir meiner Identität nicht sicher war. Ich lebte in einem Zustand der Zwiespältigkeit, wie es sich für jemanden gehörte, der von Amts wegen negativ definiert wurde, nämlich als ‚Nichtarier‘. 696
Eine weitere explizite Auskunft zu Identität findet sich im folgenden Bericht. Konrad Latte, der 1932 nach der Grundschule auf ein Gymnasium gekommen war, musste schon 1934 die Schule als „Nichtarier“ verlassen. Auf die Frage seines Klassenlehrers, wer „Arier“ sei und wer „Nichtarier“, hatte er sich als „Arier“ gemeldet, weil er dachte, dass „Arier“ eigentlich „Jude“ heißt. Als Elfjähriger konnte er damit nicht viel anfangen: Dann kam ich auf eine jüdische Schule in ein Milieu, das ich überhaupt nicht kannte. Ich hatte ja erst durch die Nazis mitbekommen, dass wir Juden waren. Bei uns wurde in die Kirche gegangen, weniger aus religiösen als aus ästhetischen Gründen. In Breslau gab es schöne gotische Kirchen mit wunderbarer Orgelmusik. Daneben pflegte mein Vater ein verschämtes Judentum. Einmal im Jahr, am Versöhnungstag, ging er in die Synagoge und fastete. Und dann wurden wir
696 Stern: Fünf Deutschland, S. 127 ff.
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schnell hineingetrieben in das Judentum, obwohl wir von den Gebräuchen und den Geboten eigentlich keine Ahnung hatten. 697
Konrad Latte, der sich vor Beginn der Verfolgung durch das NS-Regime seiner jüdischen Identität nicht bewusst war, wurde wie Fritz Stern per Definition in die jüdische „Schicksalsgemeinschaft“ hineingetrieben. Aufgrund der Stigmatisierung und Reduzierung auf diesen Identitätsteil musste er sich mit seiner jüdischen Identität zwangsläufig auseinandersetzen. Spätestens nach der Verabschiedung der „Nürnberger Gesetze“ im Jahre 1935 wurde dieser Identitätsteil durch den äußeren Druck zum bedeutsamsten, der sein Leben in Deutschland bestimmen sollte. Anita Lasker-Wallfisch wählt einen anderen Weg der Selbstbehauptung. Wie Konrad Latte wird ihr auch erst 1933 richtig bewusst, dass sie jüdisch war: Wir waren eine typisch deutsch-jüdische Familie. Mein Vater war Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg mit Eisernem Kreuz und dem ganzen Zeug, was dazugehört. Ein überzeugter Deutscher. […] Man hat es mir in der Schule gesagt, dass ich Jude bin, ‚ein dreckiger Jude‘. Zuerst habe ich mich gefragt, was das eigentlich heißen soll. Aber dann hat man es verstanden, man ist also Jude, man gehört der jüdischen Religion oder der jüdischen Gemeinschaft an. Es wäre mir allerdings nie eingefallen zu versuchen, dieses Judesein abzulegen. Ja, auch wenn man nicht nach den traditionellen Regeln lebt. 698
Hier sieht man, dass auch ohne die Selbstwahrnehmung als Jude im traditionellen oder religiösen Sinne eine weitere Facette der jüdischen Identität in den Vordergrund tritt: Als Reaktion auf die Diskriminierung und aus innerem Widerstand heraus integriert Anita Lasker-Wallfisch den von den Nationalsozialisten so deutlich propagierten pejorativen Begriff „des Juden“ und verwandelt ihn in etwas Positives, zu dem sie stolz stehen kann. Insofern fühlt sie sich der Schicksalsgemeinschaft zugehörig. Stephanie Sucher hingegen fand in der Religion und der jüdisch-orthodoxen Lebensweise einen Rückhalt: Allmählich habe ich mein Leben verändert. Meine Familie war nicht besonders religiös. Ich wusste überhaupt nicht, was es bedeutet, jüdisch zu sein. Mein Ehe-
697 Broder/Geisel: Premiere und Pogrom, S. 271. 698 Interview mit Anita Lasker-Wallfisch, am 18. Juli 2010 in London, AA.
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mann war ein polnischer, orthodoxer Jude. Er hat mich sehr beeinflusst. So wurde ich nach hinein zu einer überzeugten Jüdin, und war auf mein Jüdisch-Sein wahnsinnig stolz. Diese Umwandlung erlebte ich zu Beginn des Jahres 1938; gerade in einem Moment, wo ich beinahe vor einem Zusammenbruch stand. 699
Der Einfluss des orthodox-religiösen Judentums ist hier ebenso erkennbar wie die Notwendigkeit, seinen Identitätsbegriff neu zu fassen. Auch diejenigen, die fest in ihrem jüdischen Glauben verwurzelt waren und sich auf die ethnische Tradition beriefen und dadurch eine Kontinuität in ihrem Selbstbild hatten, standen vor Schwierigkeiten, sich in diesen extremen Zeiten zu orientieren. Das Dilemma zwischen Deutschtum und Judentum, Selbstsicht und Ablehnung durch die Gesellschaft war die Situation des deutschen Judentums insgesamt. Dies kommt in dem Identitätszwiespalt Willy Cohns deutlich zum Ausdruck. Wenige Tage nach den Ereignissen des Novemberpogroms 1938 schreibt er in seinem Tagebuch: Vielleicht wird mich mancher Juden wegen dessen, was ich jetzt aufschreiben muss, für närrisch halten: Ich kann mir die Herauslösung aus dem deutschen Kulturkreis gar nicht vorstellen. Gewiss, äußerlich ist man ja schon lange heraus gegliedert, und die jüdische Betätigung in deutscher Sprache wird nun auch zum Erliegen kommen, und doch, wenn ich in einem Lande fremder Zunge leben sollte, wo mir gar keine Betätigungsmöglichkeiten mehr erwachsen! 700
Wie viele deutsche Juden identifizierte sich Willy Cohn mit dem Teil der deutschen Kultur, der in der Vergangenheit vor Aufkommen des Nationalsozialismus lag. Er bezieht sich auch auf die Sprache als Element der Identität, die zwar durch die Nationalsozialisten belegt und missbraucht wurde, aber auch unabhängig von ihnen existierte. Das Widersinnige an der Situation lag darin, dass Cohn alle Juden verurteilte, die ihr Judesein verleugnet hatten, um Deutsche zu werden, er selbst aber seinen deutschen Patriotismus nicht ablegen konnte, der ihn wiederum daran hinderte, seine zionistischen Hoffnungen in die Tat umzusetzen. Es wird an dieser Stelle noch einmal deutlich, dass der Nationalsozialismus ein Nebeneinander verschiedener Identitätsaspekte unmöglich machte. Sowohl deutsch als auch jüdisch zu sein erscheint Cohn in beiden Fällen als nachteilig und verwerflich. 699 AYV, Interview mit Stephanie Sarah Sucher, S. 12 f. 700 Cohn: Kein Recht, nirgends, Tagebucheintrag vom 22. November 1938, Bd. 2, S. 552.
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Die Erfahrung mit dem allmählichen Verlust der Vielfalt, des sozialen Ortes, mit der fortschreitenden Ausgrenzung, Diffamierung und Verfolgung – für den Einzelnen wie für die jüdische Bevölkerung überhaupt – führte zu einem Dilemma, das jeder für sich lösen musste. Im Mittelpunkt stand die Anstrengung, die eigene Identität in einem Umfeld zu behaupten, welches eine völlige und grenzenlose „Demontage“ der Personen jüdischer Abstammung zum Ziel hatte. Dieser Wandel des eigenen Identitätskonzeptes wird im Rahmen einer innerlich empfundenen Kontinuität vollzogen, sodass es nicht zu einem völligen Verlust der Identität kommt. Die in diesem Kapitel dargestellten biografischen Passagen spiegeln nicht nur die unmittelbare Reaktion der Beteiligten wider, sondern lassen auch sehr deutlich die Verzweiflung über die grundsätzliche Infragestellung der bislang vertretenen Wertvorstellungen und ihrer Vielfalt erkennen.
4 Neuanfang nach dem Untergang
Mit dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 wurden die Grenzen in Europa wieder einmal neu gezogen. Die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in Europa, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich, beschlossen, dass weite Teile Ostdeutschlands unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der Sowjetischen Besatzungszone betrachtet werden sollten. Bereits ein Jahr zuvor, im Sommer 1944, hatten Stalin und Vertreter des kommunistischen „Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung“ in Lublin über den künftigen Grenzverlauf zwischen der Sowjetunion und Polen konferiert und die „Evakuierung“ der polnischen Bevölkerung aus dem inzwischen sowjetischen Ostpolen vereinbart. In Potsdam ließ sich Stalin diese Übereinkunft von seinen westlichen Verbündeten nur noch bestätigen. Polen erhielt die ostbrandenburgische Neumark, zwei Drittel Pommerns, das südliche Ostpreußen und den Großteil Schlesiens zugesprochen, musste jedoch seine östlichen Gebiete, die sogenannten „Kresy“, an die Sowjetunion abtreten. Polen und Juden, die diese Gebiete bewohnten, standen vor der Wahl, Bürger der Sowjetunion zu werden oder in die neuen polnischen Westgebiete „überführt“ zu werden. Transfer, Zwangsmigration, Aussiedlung oder Vertreibung und damit millionenfacher Heimatverlust galten den großen Vier in Potsdam als legitimes Mittel ihrer Realpolitik. 1 Nach den schweren Kämpfen um die „Festung Breslau“, die am 6. Mai 1945 mit der deutschen Kapitulation endeten, erlitt die Stadt ihre beinahe vollständige Zerstörung. Die gesamte deutsche Einwohnerschaft von Breslau sollte binnen drei Jahren nach Westen „umgesiedelt“ werden. Damit begann in der Stadt die Zeit des großen Transfers: die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung parallel zur Ansiedlung der polnischen Siedlungsgemeinschaft. Aus Breslau wurde Wrocław; die Stadt wurde von deutschen Spuren bereinigt und völlig polonisiert. Dieses Terrain wurde als „wiedergewonnene Ge1
Vgl. Thum: Die fremde Stadt Breslau; Hofmann: Die Nachkriegszeit in Schlesien; Siebel-Achenbach: Lower Silesia from Nazi Germany to Communist Poland.
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biete“ gefeiert. Die unmittelbar nach Kriegsende in die Stadt strömenden polnischen Neusiedler, darunter die überlebenden polnischen Juden, sollten hier ihre neue Heimat finden. Unter den Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit erwies sich diese Bestrebung als äußerst herausfordernd: Wrocław versank im Chaos und der Zerstörung, die deutschen Einwohner waren in der Stadtlandschaft (mindestens bis 1948) immer noch präsent, die Neuorganisierung der polnischen Staatsstrukturen sowie die politische Machtkonsolidierung erst im Gange. War eine Verwurzelung in der neuen, niederschlesischen „Heimat“, vor allem für die polnisch-jüdischen Überlebenden, überhaupt möglich? Hatten die Juden im Nachkriegspolen Perspektiven für den Aufbau ihrer Existenz nach den Jahren der Verfolgung und Vernichtung?
Die Untersuchung jüdischen Lebens in Polen nach 1945 beginnt mit zwei Zahlen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Polen etwa 3,4 Millionen Juden, die zu einer der wichtigsten und mitgliederstärksten jüdischen Gemeinschaften weltweit gehörten. Nur ein Bruchteil von ihnen überlebte die Schoah. Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte die Zahl der Juden in Polen den Schätzungen zufolge mit etwa 240.000 im Juli 1946 ihren Höchststand in der Nachkriegsgeschichte. 2 Zwischen dem Ende des Krieges und 1949 siedelten sich in Niederschlesien etwa 100.000 polnische Juden an. Bereits in den ersten Nachkriegswochen entstand die Idee der jüdischen Ansiedlung in diesem Gebiet, das im Sommer 1945 erst sehr spärlich von polnischen Siedlern bewohnt war und zur gezielten jüdischen Sesshaftmachung zumindest theoretisch ideal zu sein schien. Noch bevor der Zweite Weltkrieg beendet wurde, versicherte das politische Manifest vom 22. Juli 1944 die völlige Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung sowie die Unterstützung beim Wiederaufbau des jüdischen Lebens in Polen. 3 Die jüdische Minderheit war die Einzige, die in 2
3
Die genaue Zahl der Juden in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich nicht bestimmen. Die in den Statistiken angegebenen Zahlen wurden zumeist entweder künstlich erhöht oder auch gesenkt, siehe: Eisler, Jerzy: Fale emigracji żydowskiej z powojennej Polski, in: Biuletyn Instytutu Pamięci Narodowej (BIPN), Nr. 3, 2002, S. 59–61, hier S. 59. Das ‚Juni-Manifest‘, auch ‚Lubliner Manifest‘ genannt, wurde am 22. Juli 1944
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diesem Aufruf Erwähnung fand, und zum ersten Mal in der Staatsgeschichte Polens sollte sie völlig gleichberechtigt werden. Somit würde das kommunistische Nachkriegspolen die Jahrhunderte andauernde ethnische und rassische Diskriminierung der jüdischen Minderheit offiziell beenden. Die Beschlüsse des „Juli-Manifests“ ließen nicht lange auf ihre Realisierung warten. Bereits im Oktober 1944 wurde auf Initiative der jüdischen Kommunisten das Zentralkomitee der Juden in Polen (Centralny Komitet Żydów w Polsce/CKŻP) gegründet. Dieses setzte sich zum Ziel, nach dem Ende des Krieges alle jüdischen Gruppierungen zu vereinigen, die Sozialhilfe für betroffene Juden im Land zu koordinieren und die jüdische Bevölkerung bei staatlichen Behörden sowie ausländischen Organisationen zu repräsentieren. Im ganzen Land entstanden auch Zweigstellen – die sogenannten Jüdischen Wojewodschaftskomitees. In Wrocław wurde das Jüdische Komitee bereits im Mai 1945 gegründet – und zwar durch deutsch-jüdische Überlebende. Zu dieser Zeit kehrte ein Teil der überlebenden deutschen Juden in seine Heimatstadt zurück und versuchte, in dem von der Zerstörung verschonten Gemeindekomplex das jüdische Leben neu zu organisieren. Wie sich aber sehr schnell herausstellte, sollte es für die deutschen Schoah-Überlebenden ebenso wie für die nicht jüdische deutsche Bevölkerung keine Zukunft in der Stadt mehr geben. Die Rückkehr der deutschen Juden nach Wrocław erwies sich als eine weitere sehr schmerzhafte und traumatische Erfahrung: Die deutsch-jüdischen Überlebenden wurden von den neuen, polnischen Bewohnern und Behörden, dem sowjetischen Militär und noch dazu von ihren polnisch-jüdischen Glaubensbrüdern als „Angehörige der deutschen Volksgemeinschaft“ wahrgenommen. Somit wurden sie tragischerweise der Gruppe der deutschen Mitläufer, Profiteure und Täter zugeordnet und erlebten so ein zweites Mal Willkür, Enteignung und Vertreibung. Bald mussten sie ihre Heimatstadt verlassen. Parallel zu ihrer Ausreise trafen in Wrocław Transporte mit den jüdischen Umsiedlern aus der UdSSR ein. Während des Zweiten Weltkrieges befanden sich etwa 230.000 polnische Juden auf dem Gebiet der Sowjetunion. Darunter waren Personen, durch das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung (PKWN) als Aufruf an das polnische Volk veröffentlicht. Dies war die erste Erklärung der kommunistischen Herrschaft im Nachkriegspolen, siehe: Gutman, Israel: Ha-Jehudim be-Polin aharej milchemet ha-Olam ha-Shnija. Jerusalem 1985, S. 129.
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die nach der Besetzung der östlichen Teile Polens durch die Sowjetunion im September 1939 als „feindliche Kapitalisten“ in das Innere des Landes deportiert worden oder die nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges im Juni 1941 vor den Nationalsozialisten ebenfalls in die Weite der UdSSR geflohen waren. Ab dem Frühjahr 1946 sollten sie in Hunderten von Transporten aus der Sowjetunion nach Polen umgesiedelt und vor allem nach Niederschlesien geleitet werden. Der Zweite Weltkrieg wurde für die polnischen Juden zu einem dramatischen Wendepunkt. Die seit Jahrhunderten auf dem polnischen Boden vertretene jüdische Bevölkerung – mit ihrer reichen Kultur und eigenständigen Religion – hörte praktisch auf zu existieren. Beide Bevölkerungsgruppen, die nichtjüdisch-polnische und die jüdische, waren eng miteinander verbunden. Das Verschwinden der jüdischen Mitbürger übte aber kaum Einfluss auf das kollektive Bewusstsein der Polen aus. Die Bevölkerung der Nachkriegszeit weigerte sich überwiegend, das Ausmaß der Tragödie anzuerkennen; das Martyrium der Mehrheitsbevölkerung während des Krieges verdrängte das Leid der jüdischen Minderheit. Der virulente Antisemitismus der Nachkriegszeit, der mancherorts in gewalttätigen Übergriffen oder Pogromen mündete, belastete die gegenseitigen Beziehungen für die Zukunft sehr. Nachkriegspolen sollte ein homogener polnischer Nationalstaat sein. Das war die Meinung sowohl der Opposition als auch der regierenden Kommunisten. In der Konsequenz wurden Minderheitenrechte ignoriert und Assimilierungszwang ausgeübt. Ohnehin war die Zahl der Minoritäten – wie Deutsche, Ukrainer, Weißrussen, Litauer, Slowaken, Tschechen und Juden – wesentlich geringer als in der Zwischenkriegszeit. Die jüdische Minderheit wurde als Einzige offiziell – zumindest in den Jahren 1945 bis 1949 – als solche anerkannt. Dies geschah unter anderem aus politischem Kalkül, aber auch als moralische Legitimation des Antifaschismus. Dadurch sollte auch ein positives Bild des kommunistischen Polens im Ausland vermittelt werden. Noch nie zuvor in der Geschichte Polens wurden Juden so weitreichende Rechte zugesichert, und zwar faktisch und nicht nur formell. Von jetzt an konnten sich Juden in Polen unter anderem in führenden Stellen am politischen Leben beteiligen oder im Staatsdienst angestellt werden. In der Volksrepublik Polen genossen die Juden erstmals einen privilegierten Status: Sie
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konnten relativ autonom ein eigenständiges jüdisches Leben gestalten, und zwar in allen Bereichen, sei es Politik, Bildung, Kultur oder Religion. Die polnischen Linken, insbesondere die Kommunistische Partei, bekämpften den weitverbreiteten Antisemitismus, den sie im rechten Spektrum verorteten und somit auch als Taktik gegen politische Gegner nutzten. Der Antifaschismus und die Rehabilitierung beziehungsweise der Ausbau ihrer Bürgerrechte konnten die jüdische Bevölkerungsgruppe für die neue Gesellschaftsordnung gewinnen. Aus diesem Grunde unterstützten die Kommunisten zunächst jüdische Initiativen und nutzten die Wiederbelebung jüdischen Lebens in Polen für eigene Propagandaziele, vor allem im Ausland. Für ihre offizielle Anerkennung zahlten die Juden jedoch einen hohen Preis; sie wurden von der Warschauer Regierung instrumentalisiert. Gleichzeitig stand das Regime unter Druck, weil die Kommunistische Partei teilweise zur reinen „Judäo-Kommune“ 4 (żydokomuna) diffamiert wurde. Dabei bedurften Juden in den ersten Nachkriegsjahren eines besonderen Schutzes. Auch ausländische Politiker übten in der jüdischen Frage Druck auf die polnischen Machthaber aus. Nicht zuletzt musste deshalb der Aufbau eines eigenständigen jüdischen Lebens vom Staat in hohem Maße unterstützt werden. Um diesem Problem aus dem Wege zu gehen, wurde die Emigration von Juden in den ersten Nachkriegsjahren stillschweigend befürwortet. Schwerwiegende Konsequenzen hatten in Polen wie in allen Ostblockstaaten die aufkommenden Rivalitäten zwischen den Großmächten im Nahen Osten. Die Gründung eines jüdischen Staates und die Teilung Palästinas in einen jüdischen und arabischen Staat waren dank der Unterstützung sei4
Der Ursprung des Begriffs ‚Judäo-Kommune‘ lag in der Zwischenkriegszeit, als die Kommunistische Partei Polens (KPP) von der Mehrheit der polnischen Gesellschaft als eine von Juden beherrschte Partei des nationalen Verrats eingestuft wurde. Die zu jener Zeit propagierten Halbwahrheiten und Verdächtigungen schienen unter den veränderten politischen Bedingungen der Nachkriegszeit erneute Bestätigung zu finden. Deshalb erfolgte ein Teil der an Juden verübten Mordtaten nicht nur aus antisemitischen oder Motiven im engeren Sinne, sondern richtete sich gegen Juden in ihrer Eigenschaft als Repräsentanten oder Kollaborateure des neuen Regimes. Siehe Pufelska, Agnieszka: Die „Judäo-Kommune“ – ein Feindbild in Polen. Das Polnische Selbstverständnis im Schatten des Antisemitismus 1939– 1948. Padeborn 2007, S. 12; vgl. Schatz, Jaaf: The Generation. The Rise and Fall of the Jewish Communists of Poland. Berkeley/Los Angeles/Oxford 1991; Śpiewak, Paweł: Żydokomuna. Interpretacje historyczne. Warszawa 2012.
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tens der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten durch die UNO im Mai 1948 proklamiert worden. Durch das Aufkommen des Kalten Krieges war es mit der Eintracht bald vorbei: Israel bezog finanzielle Hilfe aus den USA und distanzierte sich von der Politik der kommunistischen Staaten, vor allem von der Sowjetunion. Diese wiederum unterstützte im Gegenzug die arabischen Länder im aufkeimenden Nahostkonflikt. Für die Juden in den Ostblockstaaten bedeutete dieser Konflikt nicht nur das Ende ihrer neu gewonnenen Eigenständigkeit, sondern das Wiedereinsetzen diskriminierenden Verhaltens und von Schikanierung. Die Nachkriegsschicksale der Juden in Polen waren von diesen Verwerfungen bestimmt. Der Aufbau einer normalen Existenz nach der Schoah war auch durch die instabile, politische Lage nahezu unmöglich. Die Wiederbelebung ihrer traditionellen Strukturen und Lebensformen waren vor dem politischen Hintergrund zum Scheitern verurteilt. Das Engagement von Juden beim Aufbau des Kommunismus steigerte lediglich antisemitische Ressentiments. Die Beziehung der polnischen Mehrheitsgesellschaft zu den Juden nach dem Krieg war selten freundlich, oft durch Gleichgültigkeit, meist aber durch Abneigung oder sogar Feindlichkeit gekennzeichnet. Sie war eine Hinterlassenschaft des Vorkriegsantisemitismus, der vor allem durch nationalistische, rechte Kräfte propagiert worden war und durch die weitgehende Demoralisierung infolge des Krieges weiter verstärkt wurde. Polen war nicht das einzige Land in Europa, in dem es nach dem Zweiten Weltkrieg zu Pogromen kam. Ende der 1940er-Jahre blieben weder Westeuropa von einer Intensivierung antisemitischer Tendenzen verschont noch Ungarn oder die Tschechoslowakei und in besonderem Maße die Sowjetunion. 5 Hier gab es den inszenierten „Prozess gegen jüdische Ärzte“, Repressalien gegen jüdische Künstler und Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees; viele wurden 1948 verhaftet und 1952 hingerichtet. Erhalten gebliebene Dokumente belegen jedoch, dass der Judenhass in der polnischen Gesellschaft am stärksten hervortrat und sich dies für lange Zeit auch politisch auswirkte. Unter diesen Umständen war der Handlungsspielraum für die Pflege eines jüdischen Nationalbewusstseins, einer eigenen Kultur und Tradition in Polen denkbar begrenzt. Die jüdische Bevölkerung versuchte dennoch, 5
Vgl. Epstein, Simon: Cyclical Patterns in Antisemitism. The Dynamics of AntiJewish Violence in Western Countries since the 1950s. Jerusalem 1993.
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alle Möglichkeiten zu nutzen, um eigene Verlage, Theater, Presse, Schulen, wissenschaftliche Einrichtungen, Genossenschaften und religiöse Institutionen zu unterhalten. Zu einem Phänomen der politischen Nachkriegsrealität gehörte die legale, wenn auch nur bis zum Jahr 1949/50 währende Tätigkeit jüdischer Parteien. Obwohl die kulturelle Aktivität der Juden sukzessive begrenzt und dem Monopol der Kommunisten untergeordnet wurde, bereiteten ihr erst die politischen Repressalien im Jahre 1968 ein Ende. 6 Die „jüdische Frage“ verschwand im März 1968 von der politischen Szenerie, weil über 13.000 als „Zionisten“ und „Systemfeinde“ geschmähte Juden durch die Warschauer Regierung ausgebürgert wurden. Anhand der zahlreichen Berichte der jüdischen Emigranten, die 1968 ihre Heimat verlassen mussten, lässt sich eindeutig feststellen, dass 23 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der traditionelle, konfessionelle und sozioökonomische Antisemitismus unter der polnischen Bevölkerung weiterhin stark verbreitet war. Das Jahr 1968 jedoch blieb für das kollektive Bewusstsein der polnischen Gesellschaft entscheidend: Repressionen, die der „Zerschlagung der Intelligenz“ galten und vorwiegend die jüdische Bevölkerung trafen, haben das Bild „einer organischen Verflechtung von kommunistischer Macht und Juden“ zerstört. 7 In der Wahrnehmung der jüdischen Minderheit sowie ihrer kulturellen Hinterlassenschaft wurde für die Polen ein langsamer Prozess des Perspektivenwechsels in Gang gesetzt. Dies geschah zeitgleich mit dem Entstehen der oppositionellen Bewegung in Polen sowie mit dem Versuch der Klärung, in welcher Stellung die katholische Kirche sich gegenüber dem Judaismus befand. 8
6
7 8
Vgl. Stola, Dariusz: Kraj bez wyjścia? Migracje z Polski 1949–1989. Warszawa 2010; ders.: Kampania antysyjonistyczna w Polsce 1967–1968. Warszawa 2000; ders.: Jak i dlaczego kampania marcowa stała się antyżydowska?, in: Berendt, Grzegorz (Hrsg.): Społeczność żydowska w PRL przed kampanią antysemicką lat 1967– 1968 i po niej. Warszawa 2009, S. 107–118; Berendt, Grzegorz: Życie żydowskie w Polsce w latach 1950–1956. Gdańsk 2008; Tych, Feliks: Kilka uwag o marcu 1968, in: ders.: Długi cień Zagłady. Warszawa 1999, S. 131; Cała, Alina: Mniejszość żydowska, in: Madajczyk, Piotr (Hrsg.): Mniejszości narodowe w Polsce. Warszawa 1998, S. 272–274. Vgl. Kurcz, Zbigniew: Mniejszości narodowe w Polsce. Wrocław 1997. Vgl. Michnik, Adam (Hrsg.): Przeciw antysemityzmowi 1939–2009, Bd. 2, 3. Kraków 2010.
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Leitend bleibt aber die Frage, wie die Konzeption des Aufbaus jüdischen Lebens in Polen und insbesondere in Wrocław nach 1945 umgesetzt wurde. Wodurch war das Schwanken zwischen Emigration und Verbleib in Polen bedingt? Von den drei Hauptbewegungen – der zionistischen, derjenigen der politisch-kulturellen Autonomie sowie der Beteiligung am Aufbau eines sozialistischen Staates – hatten lediglich die Erste und Dritte überhaupt eine Chance auf Realisierung. Juden in Polen hatten nach 1945 nur zwei Alternativen: Emigration oder Assimilation. Letztere sollte sowohl ideologisch als auch national erfolgen.
4.1 „Stigma der Zugehörigkeit“ – Breslauer Juden in ihrer Heimatstadt nach der Schoah, 1945–1946 4.1.1 Rückkehr – „Es gab kein Zurück mehr – die Vergangenheit war Geschichte.“ Als Mitte Januar 1945 die sowjetische Großoffensive begann und in wenigen Tagen danach die Ostfront auf der gesamten Länge zusammenbrach, gab am 19. Januar 1945 der in Breslau residierende Gauleiter von Niederschlesien, Karl Hanke, den Befehl zur Evakuierung der Stadt. 9 Breslau versank in Chaos. Alle Straßen waren von Flüchtlingen und Truppen verstopft. Zu dieser Zeit verfügte die Reichsbahn nicht mehr über die erforderlichen Kapazitäten, um eine Millionenstadt zu evakuieren. 10 Am 15. Februar 1945 wurde die „Festung Breslau“ durch die Rote Armee eingekesselt und damit auch die noch rund 200.000 Zivilisten innerhalb der Stadt. Alles wandelte sich zu einem großen Schlachtfeld, was letztendlich zu einer fast völligen Zerstörung der Stadt führte. Unter diesen Umständen fand Wolfgang Nossen mit seiner Mutter sowie vier jüngeren Schwestern in der Moltkestraße in der Nähe der Universitätsbrücke einen Unterschlupf. Von diesem Moment an fühlte sich die Familie 9 Siebel-Achenbach: Lower Silesia from Nazi Germany to Communist Poland, S. 57 ff.; vgl. Thum: Die fremde Stadt Breslau, S. 20 f.; Tyszkiewicz, Jakub: Od upadku Festung Breslau do stalinowskiego Wrocławia. Kalendarium 1945–1950. Warszawa 2000. 10 Thum: Die fremde Stadt Breslau, S. 20.
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Nossen nicht mehr stigmatisiert, da sie behaupten konnte, sie sei wie die anderen nicht jüdischen Breslauer ausgebombt und habe ihre Dokumente verloren. 11 Zu derselben Zeit fing auch für Karla Wolff und ihre Eltern das Leben im Untergrund an. Sie zogen von einem Haus zum anderen, den Bombenangriffen ausgesetzt und in großer Angst, in den letzten Tagen noch entdeckt zu werden. Letztendlich fand Karla Wolff mit ihren Eltern außerhalb der Stadt, in der Hundesfelder Landstraße, ein kleines Häuschen, wo sie von etwaigen Nachbarn und Bombenangriffen erst mal mehr geschützt waren. 12 Erst am 6. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht, die zuvor aus angeblich militärischen Gründen ganze Straßenzüge und Häuser gesprengt hatte. 13 Von den etwa 30.000 Häusern waren rund 21.000 völlig zerstört oder stark beschädigt. Nur 180 der 600 historischen Gebäude in der Innenstadt hatten den Krieg ohne größere Schäden überstanden, darunter das berühmte gotische Rathaus. 14 Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges hatten bereits bei der Konferenz von Jalta im Februar 1945 die Westverschiebung Polens beschlossen. Bevor auf der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 weiterverhandelt werden konnte, schufen Stalin und die Provisorische Polnische Regierung (Rząd Tymczasowy Rzeczpospolitej Polskiej) Tatsachen. Im März 1945, also sechs Wochen vor der Kapitulation der „Festung Breslau“, hatte die Provisorische Polnische Regierung Bolesław Drobner zum neuen Stadtpräsidenten von Breslau ernannt, das seither Wrocław heißt. Ab Mai 1945 koordinierte er zunächst das Nebeneinander von sowjetischer Besatzung, deutscher und polnischer Verwaltung – bis sich im Sommer 1945 die polnische Macht durchsetzte. 15 Nach dem Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945 standen die früheren deutschen Ostgebiete offiziell „unter polnischer Verwaltung“. Die 11 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA. 12 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA. 13 Vgl. Siebel-Achenbach: Lower Silesia from Nazi Germany to Communist Poland, S. 76. 14 Mazurski, Krzysztof R.: Hauptprobleme der polnischen Denkmalspflege, in: Trierenberg, Heinrich (Hrsg.): Schlesien heute. Leer 1991, S. 93–105, hier S. 93; Ordyłowski, Marek: Życie codzienne we Wrocławiu 1945–1948. Wrocław 1991, S. 10. 15 Thum: Die fremde Stadt Breslau, S. 63.
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polnischen Behörden betrachteten alle Deutschen auf ihrem neuen Staatsgebiet unterschiedslos als „Feinde des polnischen Volkes“. Ihre planmäßige Zwangsaussiedlung – auch aus Wrocław – begann schon im Herbst 1945. Die Deutschen wurden meist in Viehwaggons bis zur sowjetischen Besatzungszone westlich von Oder und Neiße gebracht. Innerhalb weniger Monate veränderte sich die Einwohnerstruktur der Stadt völlig: Nach Behördenschätzungen lebten im August 1945 noch fast 190.000 Deutsche in Wrocław, aber erst 17.000 Polen. 16 Bis Anfang 1946 war die Zahl der Deutschen auf 110.000 gesunken, die der Polen dagegen auf 53.000 gestiegen. 17 Bis Ende 1948 wurde die gesamte noch verbliebene deutsche Einwohnerschaft nach Westen zwangsumgesiedelt und durch polnische Siedler ersetzt, die vorwiegend aus dem östlichen Teil des Landes kamen, das an die Sowjetunion abgetretenen war. Hierfür hat die kommunistische Führung in Warschau ein Ministerium für die „Wiedergewonnenen Gebiete“ 18 (Ministerstwo Ziem Odzyskanych/MZO) einberufen, das für die Koordination des Bevölkerungstransfers und aller damit verbundenen Angelegenheiten zuständig war. Die Juden, die unmittelbar nach dem Ende der Kriegshandlungen in die jetzt polnische Stadt Wrocław kamen, waren zum größten Teil frühere Häftlinge aus dem Konzentrationslager Groß-Rosen und seinen zahlreichen Außenkommandos. Bevor die Stadt zu einem wichtigen Zentrum neuer jüdischer Ansiedlung wurde, galt sie in den ersten Nachkriegsmonaten als eine Transitscheibe: Zunächst trafen in Wrocław die Transporte der geretteten Juden aus den niederschlesischen Konzentrationslagern ein, parallel wurde die Stadt ein zeitweiliger Sammelpunkt für westeuropäische Juden, die in Konzentrations- und Zwangsarbeitslager auf dem Gebiet Zentralpolens verschleppt worden waren und nunmehr in ihre Heimat zurückkehren wollten. 19 Bis Ende Dezember 1945 wurden in Wrocław 3.010 polnische Scho16 Kaszuba, Elżbieta: Między propagandą a rzeczywistością. Polska ludność Wrocławia w latach 1945–47. Warszawa/Wrocław 1997, S. 39. 17 Ordyłowski: Życie codzienne we Wrocławiu, S. 25 f. 18 Mit ‚wiedergewonnenen Gebieten‘ waren die ehemaligen deutschen Territorien Danzig, Teile Preußens, Pommerns und Schlesiens gemeint. 19 Bronsztejn, Szyja: Z dziejów ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku po II. Wojnie Światowej. Wrocław 1993, S. 8; ders.: Uwagi o ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku w pierwszych latach po wyzwoleniu, in: BŻIH, Nr. 75, 1970, S. 31–54.
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ah-Überlebende registriert. 20 In den „wiedergewonnenen Gebieten“, wie die angeblich altslawischen Teile von Schlesien und Westpommern in der Propagandasprache genannt wurden, suchten jüdische wie katholische Polen einen Neuanfang nach Schoah und Krieg. Anfangs geschah dies noch in Nachbarschaft mit der eingesessenen deutschen Bevölkerung, der allerdings die „Umsiedlung“ bevorstand, und eben der Gruppe der deutsch-jüdischen Breslauer, die den Nationalsozialisten entgangen war. Überlebt hatten vor allem Angehörige aus „gemischten“ Familien. Wie viele deutsch-jüdische Breslauer den Krieg überlebten, lässt sich keiner genauen Statistik entnehmen. Dies gilt übrigens auch für die Zahlen der überlebenden polnischen Juden. Denn nicht alle diese Personen ließen sich bei den Jüdischen Komitees registrieren. Vor allem waren die meisten jüdischen Überlebenden auf einer permanenten Suche nach Verwandten, Bekannten und ihrer ehemaligen Heimat und befanden sich im „Transit“. Aus den überlieferten Quellen geht jedoch hervor, dass zwischen 1.600 und 1.800 jüdische Überlebende in der unmittelbaren Nachkriegszeit in ihre Heimatstadt Breslau zurückkehrten und sich bei dem Jüdischen Komitee registrieren ließen. Belege hierfür finden sich unter anderem in Form von Namenslisten der Breslauer Überlebenden, die im Archiv des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen sowie im Privatarchiv der Autorin aufbewahrt werden. Laut den Listen wurden Ende Dezember 1945 in Wrocław um 880 deutsch-jüdische Überlebende (inklusive „Mischlinge“) verzeichnet, und am 2. Februar 1946 die Zahl 1.100 Breslauer Überlebender verzeichnet (einschließlich „Angehörige von Mischehen“ und „Mischlinge“), die nach Wrocław zurückkehrten. 21 Da sich einige Namen auf diesen Listen wieder20 APWr, Wojewódzki Komitet Żydów na Dolny Śląsk, 1945–49 (WKŻ), Sig. 6, Bl. 44. 21 ITS, Sig. ITS/ANF/K-NKZ, Listen Wrocław; AA, ‚Complete List of Jews – Survivors of Breslau, included ‚Mischlinge‘ and ‚Mischehen‘. Persons who are still in Breslau as at least Dezember 1945 (Some of these have in the main time left for Erfurt); siehe auch: AYV, Listen von Überlebenden aus Breslau, Dezember 1945, Bestand M.7 – Relico- Committee for Relief of the War-stricken Jewish Population, World Jewish Congress, Geneva, Sig. 332. Der polnische Historiker Szyja Bronsztejn geht für Mai 1945 von 135 Personen deutsch-jüdischer Herkunft aus, die sich an verschiedenen Orten Niederschlesiens aufhielten, siehe: Bronsztejn: Z dziejów ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku, S. 8; die polnische Historikerin Bożena Szaynok erwähnt in ihrer Studie zur jü-
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holen, stellt das Archiv Bad Arolsen zusammenfassend die Zahl von 1.600 deutsch-jüdischen Überlebenden für Breslau dar. 22 Dr. Friedrich Kuschnitzki, der zeitweilige Vorsitzende des Komitees deutscher Juden in Wrocław, nannte im September 1945 die Zahl von 1.800 deutsch-jüdischen Überlebenden, die nach dem Krieg in die Stadt zurückkamen. 23 Weitere Namenslisten der deutsch-jüdischen Schoah-Überlebenden aus Breslau befinden sich im Jüdischen Historischen Institut (Żydowski Instytut Historyczny im. Emanuela Ringelbluma/ŻIH) in Warschau. Für das Frühjahr 1946 verzeichnen diese 963 Personen. 24 Sicher ist: Im Mai 1945 lagen hinter den im Untergrund überlebenden Breslauer Juden mehrfache Flucht, Bombenangriffe, monatelanges Überleben in leer stehenden Häusern und Kellern unter der ständigen Gefahr, noch im letzten Augenblick entdeckt zu werden. Bald aber sollte sich herausstellen, dass die lang ersehnte Befreiung nicht weniger Gefahren mit sich bringen sollte. Im Folgenden soll das Augenmerk auf die Schicksale der Überlebenden deutsch-jüdischen Breslauer gelegt werden, die entweder nach ihrer Befreiung in die Odermetropole zurückkehrten oder die letzten Monate des Krieges in der Stadt im Versteck verbrachten. Wie erlebten sie ihre Heimkehr in das ihnen fremd gewordene Land? Wie gestaltete sich das zeitweilige Zusamdischen Bevölkerung in Niederschlesien, dass sich im Juni 1945 in Wrocław etwa 400 deutsche Juden aufhielten, Szaynok: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku, S. 28. Siehe auch: AŻIH, Centralna Komisja Żydowska w Polsce (CKŻP), Prezydium, Sig. 303/I/1, Bl. 65. Marek Ordyłowski gib in seiner Publikation über das Alltagsleben in Wrocław nach dem Krieg die Zahl der 1.800 deutschen Juden, die sich in der Stadt im Sommer 1945 aufhielten, Ordyłowski: Życie codzienne we Wrocławiu, S. 35. 22 ITS, Sig. ITS/ANF/K-NKZ, Listen Wrocław. 23 Archiwum Biblioteki Studium Kultury i Języków Żydowskich we Wrocławiu (ABSKJŻ), Sprawozdanie Mojżesza Linkowskiego dla Wojewódzkiego Komitetu Żydowskiego w Rychbachu, am 10. September 1945, Protokoły i sprawozdania (Dzierżoniów 1945), Sig. 1, Bl. 8. Kuschnitzki erwähnte für den 10. 09. 1945 insgesamt 2.000 Juden, die sich zu der Zeit in der Stadt aufhielten (darunter 200 polnische Juden, 1.800 deutsche Juden, von denen die Hälfte Angehörigen der ‚Mischehen‘ waren. 24 AŻIH, CKŻP, Wydział Ewidencji i Statystyki, Sig. 303/V/677 (unpg.); AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/683 (unpg.).
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menleben der deutschen Juden und der Polen, der polnischen Schoah-Überlebenden und der sowjetischen Soldaten? 25 In welchem Verhältnis standen die deutschen und polnischen Juden zueinander? Als die Breslauer Schoah-Überlebenden im Laufe des Sommers 1945 in ihre Heimatstadt zurückkehrten, wussten sie über die Grenzverschiebung Polens nicht Bescheid – sie hatten keine Ahnung, dass Breslau fortan polnisch sein sollte und ein vollständiger Transfer seiner Einwohnerschaft beschlossen war. Die Stadt lag in Trümmern. Deutsche – ob Juden oder Nichtjuden – galten als „Freiwild“. Die Überlebenden kamen aus Verstecken oder – wie eine der deutsch-jüdischen Überlebenden, Judith Sternberg – aus Lagern. Judith Sternberg, Jahrgang 1919, arbeitete als Krankenschwester im Breslauer jüdischen Krankenhaus. Am 4. März 1943 deportierte man sie mit 1.405 Breslauer Juden in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Dort angekommen überstellte man Judith Sternberg zusammen mit 596 Personen aus diesem Transport als Häftling in das Lager. Ihre Mutter und fünf Geschwister wurden in Auschwitz ermordet. Noch im Stammlager Auschwitz wurde Judith Sternberg mit ihrem Verlobten, dem ehemaligen Mitarbeiter der Breslauer jüdischen Gemeinde, Dr. Martin Tallert, getraut. 26 Wenige Monate später, im Dezember 1943, kam Martin Tallert in Auschwitz ums Leben. 27 Bei der Auflösung des Konzentrationslagers Auschwitz gelangte Judith Sternberg unter anderem in die KZs Groß-Rosen und Ravensbrück und wurde Ende April 1945 im sächsischen Oschatz bei Dresden durch alliierte Truppen befreit. Im Juli 1945 kehrte Judith Sternberg in ihre zerstörte Heimatstadt zurück: Es war der 5. Juli 1945[,] als ich Breslau erreicht hatte. Ich war bedrückt, die Stadt lag in Trümmern und war zu zwei Drittel zerstört. Man hörte gelegentlich noch die Schüsse fallen. Ich hatte keine Idee, was ich tun sollte. Das war ein 25 Die Beziehungen zwischen den deutschen Einwohnern Niederschlesiens, den sowjetischen Soldaten sowie den Polen in den Jahren 1945–1948 analysiert in ihrer Studie die polnische Historikerin Joanna Hytrek-Hryciuk: ‚Rosjanie nadchodzą.‘ Ludność niemiecka a żołnierze Armii Radzieckiej (Czerwonej) na Dolnym Śląsku w latach 1945–1948. Wrocław 2010. 26 AYV, Sternberg, Judith: Fate of Deportees from Breslau (verfasst am 8. Januar 1946 in Hannover), Bestand O.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 418, S. 1. 27 Bundesarchiv Koblenz, Das Gedenkbuch.
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schreckliches Gefühl. Ich war ganz alleine, wusste nicht[,] wohin ich gehen sollte und hatte niemanden mehr. Als ich erfahren hatte, dass nach Breslau einige überlebende Juden, zumeist aus Mischehen, zurückgekehrt waren, entschloss ich mich, sie sofort ausfindig zu machen. Ich ging nun auf die Wallstraße, wo sich die Gemeindeeinrichtungen mit der ‚Storch Synagoge‘ befanden. Als ich dort ankam, traf ich etwa 40 Breslauer Überlebende in einem Raum versammelt, darunter einen Bekannten von mir, der gerade aus Theresienstadt zurückkam. 28
Ähnlich wie Judith Sternberg kehrte auch Kenneth Arkwright, der unter falscher Identität in Oberfranken überlebt hatte, Mitte August 1945 nach Breslau/Wrocław zurück. Wenngleich Arkwright die Schwierigkeiten beim Grenzübertritt aus der Sowjetischen Besatzungszone Mitteldeutschlands in das polnische Verwaltungsgebiet Schlesien erfahren hatte, wusste der junge Heimkehrer nicht, dass Breslau fortan polnisch sein sollte. Kenneth Arkwright berichtet über seine Rückkehr in seinen Aufzeichnungen: Alle Strassen, die nach Breslau führten, waren von Schutt und Trümmern bedeckt. Der Anblick rief viele Erinnerungen wach. Ich ging am großen Jüdischen Friedhof Cosel vorbei. Aus den endlosen Reihen der zerstörten Häuser stachen die wenigen erhalten gebliebenen Gebäude hervor, die dem sowjetischen Angriff auf die ‚Festung Breslau‘ standgehalten hatten. Eines dieser Gebäude war das ‚Judenhaus‘ in der Wallstrasse 31, aus dem ich verschleppt worden war. Entschlossen betrat ich das Treppenhaus und ging in die zweite Etage hoch. Nichts hatte sich verändert. Das kleine Schild aus Messing, auf dem unser Familienname eingraviert war, war noch immer an der Tür, genauso wie der weiße Stern mit dem Wort ‚Juden‘, der auf Befehl der Gestapo an der Tür jeder jüdischen Wohnung angebracht worden war. Jetzt, da ich praktisch vor der Haustür meiner alten Wohnung stand, kam ich mir wie ein Fremder vor. Es gab kein Zurück mehr – die Vergangenheit war Geschichte. Der Weg nach vorn war ungewiss; er führte zu neuen Kämpfen und zu der Suche nach einem Lebenssinn jenseits des Überlebens. 29
28 Interview mit Judith Sternberg-Newman (ehemals Judith Sternberg), am 19. Juni 1998 in West Kingstown, Richmond, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 42741, Tape 2, 3; vgl. Sternberg-Newman, Judith: In the Hell of Auschwitz. The Wartime Memoirs. New York 1964, S. 107. 29 Arkwright: Jenseits des Überlebens, S. 94 f.
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Die Nachricht über die Kapitulation der „Festung Breslau“ brachte Karla Wolff und ihren Eltern ein christlicher Ehemann aus einer „Mischehe“. Kurz darauf wurde aber die Familie mit den sowjetischen Soldaten konfrontiert: Die russischen Soldaten kamen auch in unser Versteck, die Judensterne, die wir herausholten, um zu beweisen, dass wir Juden seien, keine Deutschen, nützten natürlich gar nichts. Ihre Sprache konnten wir nicht sprechen, und sie waren wild, die ersten Truppen, die in die Stadt einzogen. Für uns war es ein schweres Erlebnis. Sie glaubten nicht, dass wir Juden sind. ‚Nix Jewrejka, Jewrejka kaputt‘. Sie sind doch durch Polen gekommen und haben sicherlich die Lager und Massengräber gesehen, sie wussten, dass alle Juden vernichtet waren. Erzähl nun ihnen, was ‚Mischehen‘ waren, warum wir nicht in einem Lager waren und nicht kaputt. Sie schlossen mich und meine Mutter in einem Zimmer ab, den Vater schlugen sie zusammen. Da sie aber sehr betrunken waren, gelang uns die Flucht. Am nächsten Tag erreichten wir das ehemalige jüdische Zentrum an der Wallstraße. Man wusste ja nicht, was man machen sollte, wohin man gehen sollte. Man ging dorthin, wo man einmal zu Hause war, zur Synagoge, zu den Häusern des Rabbinerseminars. Ob man die glorreiche Vergangenheit suchte und zu finden glaubte? Nein, man klammerte sich nur an etwas Warmes, Bekanntes. Und da waren schon einige Zerstreute so wie wir, die aus ihren Löchern auftauchten. Wir alle warteten ängstlich[,] wie es weiter gehen sollte. Jeder suchte sich eine Wohnung möglichst mit anderen zusammen in denselben Häusern. […] Und sie kamen: tropfenweise, zu Fuß, in den gestreiften Kleidern, manchmal ein Wägelchen mit armseligem Hab und Gut hinter sich herziehend. Sie kamen, ihre Familien zu suchen, einen Anhaltspunkt zu finden in ihrem wiedergewonnenen Leben. 30
Wolfgang Nossen lernte während eines Fliegerangriffs im Keller seines Verstecks eine russische Jüdin kennen, die vermutlich aus einem der Breslauer Zwangsarbeitslager geflüchtet war. Von ihr wurde Wolfgang Nossen auf die Ankunft der sowjetischen Armee vorbereitet und lernte den Satz „Ja Jewrjej“ – „Ich bin Jude“ –, der unter dem nationalsozialistischen Regime ein Todesurteil für ihn bedeutet hätte. Doch einer der ersten „Rotarmisten“, denen Wolfgang Nossen am 11. Mai 1945 begegnete, war sein Vater Max, der in einer sowjetischen Uniform unmittelbar nach der Befreiung bei der Familie erschien. Max Nossen war Ende Januar 1945 während der Evakuierung des Arbeitslagers Grüntal geflüchtet und versteckte sich in einem der umliegen-
30 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA.
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den Dörfer, bis zwei Tage später dort die sowjetischen Soldaten einmarschierten. Zunächst glaubten ihm die sowjetischen Soldaten nicht, dass er Jude war und aus dem Zwangsarbeitslager geflüchtet war. Als er aber ein hebräisches Gebet rezitierte sowie detailliert über die Vernichtung der Breslauer Juden berichtete sowie die Namen der führenden SS- und Gestapobeamten nannte, wurde er der Spezialeinheit Smersch 31 eingegliedert, um die eventuell in Breslau/Wrocław verbliebenen NSDAP- und SS-Mitglieder aufzuspüren. 32 So zog die bislang im Versteck lebende Familie Nossen in das durch die sowjetische Armee besetzte Kasernengelände an der Breslauer Wilhelmsbrücke/ Most Mieszczański.
4.1.2 Unter der polnisch-sowjetischen Doppelherrschaft Die überlebenden jüdischen Breslauer versuchten unmittelbar nach Kriegsende, in der Stadt eine neue Gemeinschaft zu bilden. Im Mai 1945 gründeten sie ein Jüdisches Komitee, das die deutsch-jüdischen Rückkehrer in seine Obhut nahm. 33 Die deutschen Juden nahmen jedoch mit ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Kultur und Gesellschaft einerseits und ihrem Status als Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik andererseits sowohl bei den Soldaten der Roten Armee als auch bei der sich erst vor kurzem etablierten polnischen Zivilverwaltung eine Zwischenstellung ein. Wenn auch die sowjetischen Soldaten einerseits als Befreier begrüßt worden waren, verbreiteten sie zugleich auch Entsetzen und Angst. Ähnlich wie die Familie von Karla Wolff hatten die meisten Überlebenden sehr schmerzhafte Erfahrungen bei ihrer Begegnung mit der sowjetischen Armee. Plünderungen, Gewalttaten, Diffamierung und Vergewaltigungen gehörten zur Lebensrealität unmittelbar nach dem Ende des Krieges in der Stadt. Die sowjetischen Soldaten verübten Racheakte an den verbliebenen deutschen Stadtbewohnern. Weder das Alter oder das Geschlecht noch die Religion oder Nationalität sollten dabei
31 Russ. СМЕРШ (Смерть Шпионам) – ‚Tod den Spionen‘, gegründet am 19. April 1943 vom NKWD, war ein militärischer Nachrichtendienst der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs. 32 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA. 33 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I/1, Bl. 65.
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entscheidend sein. So wurden die deutschen Juden zumeist wie die übrigen deutschen Staatsbürger behandelt und mit ihnen gemeinsam als „Volk der Täter“ wahrgenommen. Vor allem sprachen sie nur deutsch. Einige versuchten, wie es auch Max Nossen tat, durch Rezitation hebräischer Gebete ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft zu beweisen. Diese Strategie ergriff auch Karla Wolff: Auch am Tag wurden Frauen tätlich angegriffen, vergewaltigt und misshandelt. Ich war viel unterwegs, um noch eventuell Juden zu finden, die nicht zur Zentrale in der Wallstraße gefunden hatten. Einmal wurde ich von zwei jungen Leuten angesprochen; Sie folgten mir und in meiner großen Angst schrie ich sie auf Hebräisch an. Ich konnte zwar die Sprache nicht, sagte einfach eines der Pessachgebete, nur damit sie merkten, dass ich keine Deutsche bin, nicht dazugehöre. Sehr verdutzt amüsierten sie sich dann über die ‚jiddische Tochter‘, die sich mit ‚Ma Nischtanah‘ 34 retten wollte, obwohl es gar nicht Pessach war. Es waren jüdische Flüchtlinge, die aus Polen kamen, unsere guten Freunde wurden und uns längere Zeit mit Lebensmitteln versorgten. 35
Nicht nur die sowjetischen Soldaten erwiesen sich als eine Gefahr für die deutschen Juden in der Stadt, auch die polnische Zivilverwaltung, die sich gerade in der Stadt etablierte, übersäte sie mit ständigen Diffamierungen und Feindseligkeiten. Und nicht zuletzt die polnisch-sowjetische Doppelherrschaft machte die Existenz der überlebenden deutschen Juden unerträglich, da sie auch bei ihren polnischen Glaubensbrüdern auf eine feindselige Einstellung und Verständnislosigkeit stießen. Ein deutscher Antifaschist, der vom sowjetischen Militärkommandanten zum deutschen Bezirksbürgermeister ernannt wurde und kurze Zeit in der Stadt amtierte, beschreibt in seinen Aufzeichnungen die untragbare Situation der deutschen Juden in den ersten Nachkriegsmonaten in Wrocław: Die wenigen deutschen Juden, die aus den verschiedenen KZ-Lagern von Auschwitz bis Mauthausen in ihre Heimat nach Breslau zurückkamen, waren ebenso ‚Freiwild‘ für die Behörden gewesen wie Funktionäre und Anhänger des NS-Regimes. Die polnische Verwaltung verweigerte ihnen Lebensmittel genauso, wie allen anderen Deutschen. Eine Existenzmöglichkeit hatten sie auch nicht, da der Handel ausschließlich in polnischer Hand beziehungsweise in der Hand pol34 Hebr. ‚( – מה נשתנהwas hat sich verändert‘) Ist die erste Zeile des Liedes zu Pessach, das vier Fragen beinhaltet und am Seder-Abend von den Kindern gesungen wird. 35 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA.
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nischer Juden lag, die sich oft genug sogar feindselig gegen deutsche Juden äußerten. 36
Am 11. Mai 1945 wurde Wolfgang Nossen bei einer Razzia durch die polnische Miliz festgehalten. Bei der täglichen Suche nach Lebensmitteln hatte er sich, um etwas Warmes zu haben, eine gefundene Hitlerjungen-Uniform angezogen. Ein Deutscher habe ihn später bei den sowjetischen Behörden denunziert und die polnische Miliz brachte ihn in das Milizgebäude: Der Chef der polnischen Miliz brüllte mich an: ‚Hitlerjunge!‘, ich erwiderte: ‚Nein!‘ Darauf kriegte ich den ersten Schlag. Und wieder: ‚Hitlerjunge!‘ – ‚Nein!‘, da kam der nächste Schlag. Schließlich habe ich gesagt: ‚Ich bin kein Hitlerjunge, ich bin ein Jude!‘ Da wurde ich gleich brutal verprügelt, bis mein Rücken von blutigen Streifen überzogen war. Als ich nach drei Wochen getürmt bin, war mein Rücken von den Schlägen voller vereiterter Striemen. 37
Daraufhin wurde Wolfgang Nossen einem Trupp Deutscher zugeordnet und musste am südlichen Stadtrand Zwangsarbeit verrichten, unter anderem tote sowjetische Armeeangehörige begraben. Vor allem die wachhabenden polnischen Milizionäre seien ausgeprägt sadistisch gewesen. Beim ersten Fluchtversuch wurde er beinahe erschossen, beim zweiten Versuch konnte er jedoch entkommen. Nossen zog an diesem Tag ein Fazit: Für mich und meine Familie waren nicht die Sowjets das Problem, sondern die Polen. Gleich am 9. Mai hatten sie die Verwaltung der Stadt übernommen. Ich hatte bei ihnen immer gleich schlechte Karten, ob sie in mir einen Deutschen vermuteten oder einen Juden in mir erkannten. 38
Anfang Juni 1945 stellte die Stadtverwaltung von Wrocław einigen deutschen Juden Passierscheine aus. Diese bezeugten, dass die Inhaber ehemalige Häftlinge der nationalsozialistischen Lager waren, gestatteten ihnen freien Zugang innerhalb der Stadt und vermerkten, dass diese nicht wie die übrige deutsche Bevölkerung der Zwangsarbeit unterlagen. 39 Aber auch diese Dokumente konnten den deutschen Juden keine Sicherheit garantieren und sie 36 Bericht des ehemaligen Bezirksbürgermeisters H. aus Breslau, in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, bearbeitet von Theodor Schieder, Bd. I/2. München 1984, S. 333. 37 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA. 38 Ebd. 39 AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.).
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vor Übergriffen der sowjetischen Soldaten und polnischer Miliz schützen. Am 27. Juni 1945 begaben sich zwei Vertreter der deutschen Juden in Wrocław, Albert Hadda und Dr. Friedrich Kuschnitzki, nach Warschau. Dort wollten sie mit dem Generalsekretär des Zentralkomitees der Juden in Polen (Centralny Komitet Żydów w Polsce/CKŻP), Paweł Zielicki, und dem Direktor der Politischen Abteilung des Warschauer Ministeriums für Öffentliche Verwaltung (Ministerstwo Administracji Publicznej/MAP), Adam Grabowski, die Frage der deutschen Juden diskutieren, um eine rechtliche Gleichstellung auf Grundlage eines noch zu erlassenden Gesetzes zu erreichen. 40 Infolge dieser Absprache wurde die Lage der deutschen Juden zumindest im juristischen Sinn durch eine Anweisung des Ministeriums für Öffentliche Verwaltung geklärt. Demzufolge wurde den deutschen Juden ein Sonderstatus als Opfer der NS-Politik zum Schutz vor Strafmaßnahmen zuerkannt, insbesondere um Internierung und die Einziehung zur Zwangsarbeit zu verhindern. Sie waren auch vom Tragen einer weißen Armbinde befreit und waren von der ansonsten für ehemalige reichsdeutsche Staatsbürger gültigen Zwangsumsiedlung ausgenommen. Diese Ausnahmeregelungen bezogen sich auch auf nicht jüdische Ehepartner aus den „Mischehen“, vorausgesetzt sie hatten sich nach dem Erlass der NS-Rassengesetze von ihren jüdischen Partnern nicht getrennt. 41 Erst einen Monat nach der Anweisung des Ministeriums, Ende Juli 1945, konnte das Jüdische Komitee in Wrocław nach einer Beschwerde beim niederschlesischen Regierungsbeauftragten jedem deutschen Juden eine Bescheinigung ausstellen, die dem Inhalt nach den früheren Passierscheinen ähnlich war. 42 Dieses Dokument, in deutscher, polnischer und russischer Sprache verfasst, beinhaltete folgende Informationen:
40 APWr, Urząd Wojewódzki Wrocław (UWW), Sig. VI/269, Bl. 9; vgl. AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.). 41 APWr, UWW, Sig. VI/27, Bl. 32; vgl. Archiwum Akt Nowych (AAN), Ministerstwo Administracji Publicznej (MAP), Sig. 2338, Bl. 8–13, Zitat nach: Borodziej, Włodzimierz/Lemberg, Hans (Hrsg.): Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950. Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 4, Wojewodschaften Pommerellen und Danzig (Westpreußen), Wojewodschaft Breslau (Niederschlesien). Marburg 2004, S. 493 f. 42 AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.).
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Es wird bescheinigt, dass der Bürger als durch Sondermaßnahmen des Hitlerismus Verfolgter keiner Zwangsarbeit, welche Deutschen gegenüber Anwendung findet, unterliegt, und sich ungehindert in der Stadt Breslau bewegen kann. 43
Diese Bescheinigung schützte, ähnlich wie die früheren Passierscheine, nicht immer vor Willkür und Übergriffen. Kenneth Arkwright beschreibt einen Vorfall im September 1945: Das jüdische Komitee in Breslau gab uns Bescheinigungen, um uns vor den Exzessen der polnischen Miliz und der sowjetischen Armee zu beschützen. Jedoch ohne Erfolg. Frau Cohn, Mutter meines guten Freundes und Auschwitz-Überlebende, wurde von einem russischen Soldaten erschossen, weil sie sich nicht vergewaltigen lassen wollte. Ich bin beinahe auf dem Schlossplatz durch polnische Miliz erschossen worden, dann zur Kommandantur geschleppt. Sie waren feindselig und sprachen kein Deutsch. Mein Ausweis, ausgestellt von der jüdischen Gemeinde auf Polnisch und auf Russisch, verschlimmerte alles nur. Nach viel Geschrei und erregten Diskussionen schickten sie mich hinaus. Dies war kein einmaliges Ereignis. 44
Anhand der vorliegenden Archivquellen lässt sich feststellen, dass die größte Schwierigkeit sowohl für die polnischen Behörden als auch für die polnischen Juden die Anerkennung der jüdischen „Nationalität“ („Identität“) der registrierten deutschen Juden, aber auch der Personen, die den Status „Mischling“ oder Partner in einer „Mischehe“ bekommen hatten, darstellte. 45 Dieser Umstand ist womöglich darauf zurückzuführen, dass es im Vorkriegspolen äußerst wenige christlich-jüdische Ehen gegeben hat, somit löste diese Tatsache sowohl bei den polnischen Behörden, aber auch bei polnischen Juden ein großes Misstrauen aus. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass diese Personen sich ausschließlich der deutschen Sprache bedient haben und automatisch der „deutschen Gemeinschaft“, also dem „Feind“ zugeordnet wurden. 43 Privatarchiv von Karla Wolff; Privatarchiv von Kenneth Arkwright; Interview mit Kate Langer, am 22. März 1996 in Fort Lee, New Jersey, USC Visual History Archive, Int. Code 13452, Tape 4; Interview mit Hannelore Wanderer (geb. Breitkopf ), am 8. März 1996 in Seattle, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 12695, Tape 4. 44 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 45 AŻIH, CKŻP, Wydział Organizacyjny, Organizacji i Kontroli, OrganizacyjnoSpołeczny, Sig. 303/II/132, Bl. 9 f.; AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/408, Bl. 4.
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Außer den Bescheinigungen als „Opfer des Nationalsozialismus“ wurde den deutschen Juden ein Teil der Räume der früheren jüdischen Gemeinde in der Wallstraße/Włodkowica zur Verfügung gestellt und sie bekamen auch Lebensmittelrationen von der sowjetischen Armee beziehungsweise von der polnischen Zivilverwaltung. 46 Bereits wenige Tage nach dem Kriegsende, am 17. Mai 1945, erteilte die polnische Stadtverwaltung in Wrocław dem Vater von Karla Wolff, Kantor Fritz Grabowski, der Mitglied des Provisorischen Komitees zur Vereinigung der Jüdischen Bevölkerung in der Stadt war, die Erlaubnis zur Abhaltung von Gottesdiensten. 47 Zu dieser Zeit war die Synagoge „Zum Weißen Storch“ fremdgenutzt und diente als Magazin. So versammelte Fritz Grabowski die deutschen Juden in einer leer stehenden Wohnung in der Zimmerstraße und hielt dort Gottesdienste am Sabbat ab. Seine Tochter, Karla Wolff, beschreibt die Atmosphäre, die unter den deutschen Juden in der Stadt herrschte: Torarollen gab es nicht. Aber mein Vater las aus dem Chumasch. 48 Es gab auch immer Minjan. 49 Man traf sich, und langsam löste sich die Erstarrung, in der wir alle in den letzten Monaten existiert hatten. Langsam konnte man wieder normal und menschlich denken und fühlen. 50
In demselben Gebäude, wo die deutschen Juden sich jeden Sabbat zum Gottesdienst versammelten, trafen sich auf der anderen Seite des Stockwerks polnische Juden zum Gebet. Sogar zu den großen jüdischen Feiertagen im September 1945 trafen die beiden Gruppen nicht zusammen zum Gebet. 51 Dank des Engagements von Albert Hadda, dem ersten Vorsitzenden des Jüdischen Komitees nach dem Krieg, und Dr. Georg Cohn, dem letzten Vorsitzenden der Breslauer jüdischen Gemeinde vor dem Krieg, bezogen die deutschen Juden einige Räume in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der 46 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA; vgl. AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.). 47 Privatarchiv von Karla Wolff, Schreiben des Vizepräsidenten der Stadt Wrocław vom 17. Mai 1945. 48 Hebr. ‚ – חומשPentateuch‘, die fünf Bücher Moses. 49 Hebr. – מניןbezeichnet man im Judentum das Quorum von zehn oder mehr im religiösen Sinne mündigen Juden, welches nötig ist, um einen Gottesdienst abzuhalten. 50 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA. 51 Ebd.
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jüdischen Gemeinde in der Wallstraße. 52 Auf Initiative der Überlebenden Chaja Teichmann wurde in der Stadt auch ein „Kibbuz“ gegründet, in dem vor allem junge deutsch-jüdische Heimkehrer lebten, die niemanden aus der Familie mehr vorgefunden hatten. Kurze Zeit darauf verließ Chaja Teichmann mit einigen ihrer jungen Zöglinge ihre Heimatstadt und emigrierte nach Palästina. 53 Somit wurde die Wallstraße mit den ehemaligen Gemeindeeinrichtungen zu einem „Sammelpunkt“ und Zentrum des jüdischen Lebens der überlebenden Breslauer. 54 Es wurden Listen von Überlebenden zusammengestellt, ebenso von allen, die Familien suchten, und von denen, die gesucht wurden. Wenige Monate später, im April 1946, wurden diese in der New Yorker jüdischen Zeitung „Aufbau“ veröffentlicht. 55 Die deutschen Juden konnten sich aber nur über eine relativ kurze Zeit in der Stadt behaupten und mit der Unterstützung seitens des Jüdischen Komitees rechnen. Dieses Komitee, das die deutsch-jüdischen Überlebenden wenige Tage nach Kriegsende im Mai 1945 gegründet hatten, wurde sehr bald von den polnischen Juden als Konkurrenzeinrichtung angesehen. Der erste Vorsitzende des Jüdischen Komitees der deutschen Überlebenden in der Stadt, Albert Hadda, urteilte in seinem Bericht: „Das Leben mit den polnischen Juden in Wrocław war alles andere als angenehm.“ 56 Aus Zeugenberichten und Interviews sowie Archivquellen geht hervor, dass die Koexistenz der deutschen und polnischen Juden nicht ohne Spannungen verlief.57 Auch wenn das NS-Regime sowohl für die deutschen als auch für die polnischen 52 AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.). 53 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA. 54 Vgl. ‚Surviving Polish Jews Make Lower Silesia a New Jewish Center; Merge with German Jews.‘, in: JTA, Wrocław, 8. Oktober 1945. 55 ‚Juden in Breslau‘, in: Aufbau, Nr. 16, 19. April 1945, S. 14, 16; ‚Juden in Breslau‘, in: Aufbau, Nr. 17, 26. April 1946, S. 22. Auf diesen Listen wurden insgesamt 1.600 deutsch-jüdische Überlebende, inklusive ‚Mischehen‘ und ‚Mischlinge‘, in Breslau verzeichnet, vgl. AA, ‚Complete List of Jews – Survivors of Breslau, included ‚Mischlinge‘ and ‚Mischehen‘. 56 AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.). 57 Vgl. Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA; AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.); Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA; Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA; APWr, WKŻ, Sig. 1, Bl. 17; ABSKJŻ, Sprawozdanie Mojżesza Linkowskiego.
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Juden dasselbe Schicksal, nämlich die Ausrottung und Vernichtung, vorgesehen hatte, konnten diese beiden Gruppen trotzdem keine geteilte jüdische Schicksalsgemeinschaft bilden. Die Differenzen zwischen der ostjüdischen und westjüdischen Lebenswelt schienen längst nicht überwunden zu sein. Die Kluft zwischen ihrer „Mentalität“, ihren kulturellen Werten oder ihrem sozialen Status erwies sich als zu tief. So wurden die Beziehungen zwischen den polnischen und deutschen Überlebenden trotz der gemeinsamen Verfolgungserfahrung von Vorbehalten und nicht von Solidarität geprägt. Die Passage aus dem Bericht des Vorstandsmitglieds des Jüdischen Wojewodschaftskomitees Niederschlesien (Wojewódzki Komitet Żydów/WKŻ) in Rychbach, 58 Mojżesz Linkowski, verdeutlicht dieses äußerst komplexe Spannungsverhältnis: Die deutschen Juden in Breslau leben noch mit der Mentalität ihres alten Ruhms. […] Sie wollen sich nicht der Leitung der polnischen Juden fügen, und mit uns zusammenarbeiten. 59
Am 17. Juni 1945 fand in Rychbach eine Konferenz aller Jüdischen Komitees auf dem Gebiet Niederschlesiens statt. Diese war vor allem der Frage der jüdischen Ansiedlung gewidmet. Zugleich wurde auf der Konferenz beschlossen, dass alle Jüdischen Komitees in Niederschlesien fortan dem Jüdischen Wojewodschaftskomitee mit seinem Vorsitzenden Jakub Egit und dem Sekretär Ignacy Kuczyński unterstehen sollten. 60 Anlass war der Konflikt zwischen dem Wojewodschaftskomitee mit Sitz in Rychbach und dem Jüdischen Komitee in Wrocław, das mehrheitlich deutsche Juden vertrat. Die Auseinandersetzung betraf in erster Linie den Unabhängigkeitswillen und die souveräne Tätigkeit des Komitees in Wrocław. 61 Im September 1945 traf sich der Vertreter des Jüdischen Wojewodschaftskomitees Niederschlesien, Mojżesz Linkowski, mit dem Vertreter des lokalen Jüdischen Komitees der deutschen Juden aus Wrocław, Dr. Friedrich Kuschnitzki. Während dieses Treffens unternahm Mojżesz Linkowski Versuche, Friedrich Kuschnitzki zu einem Anschluss des Jüdischen Komitees der deutschen Juden an das Jüdische Wojewodschaftskomitee zu überreden: 58 59 60 61
Bis 1945 ‚Reichenbach‘, 1945–46 ‚Rychbach‘ und ab 1946 ‚Dzierżoniów‘. ABSKJŻ, Sprawozdanie Mojżesza Linkowskiego. Szaynok: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku, S. 30. AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I/2, Bl. 111.
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Nichts trennt uns und es gibt keinen Grund für die Existenz zweier Jüdischen Wojewodschaftskomitees für Niederschlesien. Ein gemeinsames Komitee, das die gesamte jüdische Gemeinschaft in Niederschlesien repräsentieren würde, hätte zweifellos größere Autorität gegenüber den staatlichen Organen besitzen können. 62
In der Tat ging es dabei weniger um die postulierte Machtkonsolidierung als vielmehr um die völlige Kontrolle und Unterordnung der deutschen Juden und ihres Komitees unter das Jüdische Wojewodschaftskomitee. Friedrich Kuschnitzki lehnte dieses Angebot ab: […] von einer Unterordnung unter das Jüdische Wojewodschaftskomitee in Rychbach kann keine Rede sein. Das Komitee deutscher Juden in Breslau ist im Juni 1945 als eigenständiges Komitee vom Warschauer Zentralkomitee der Juden in Polen anerkannt worden und wohlwollend von der sowjetischen Militärmacht behandelt worden. Die Komitees Polnischer Juden in Niederschlesien hingegen haben sich nicht um die deutschen Juden gekümmert, sie vielmehr wie Fremde behandelt. 63
Bald aber sollten sich die Mehrheitsverhältnisse in dem Jüdischen Komitee der deutschen Juden in Wrocław umgestalten, und zwar durch die massive Ausreise der deutschen Juden und den Zuzug polnischer Juden in die Stadt. Aus den wenigen erhaltenen Archivquellen geht hervor, dass sich am 7. November 1945 ein neuer Vorstand des Jüdischen Komitees in Wrocław konstituierte, dem mehrheitlich polnische Juden und lediglich zwei deutsche Juden, Hans Schreiber und Emil Wulkan, angehörten. 64
4.1.3 „Für die polnischen Bürger der Stadt waren wir sowohl Deutsche als auch Juden. Es war an der Zeit, unsere Heimat hinter uns zu lassen.“ Es war sinnlos, sich weiter vor der Gegenwart zu drücken. Ich musste der Wahrheit ins Auge sehen und anerkennen, dass diese Stadt nicht mehr mein Zuhause war. Breslau war bis zu achtzig Prozent zerstört. Die neuen Einwohner waren Fremde, deren Sprache ich nicht verstand. Von den über 23.000 Juden der 900 Jahre alten Gemeinde waren die meisten ermordet worden, einige in die ganze 62 ABSKJŻ, Sprawozdanie Mojżesza Linkowskiego. 63 Ebd. 64 APWr, UWW, Sig. VI/269, Bl. 43, 46.
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Welt verstreut. Wir, die zurückgekommen waren, versuchten, die Gemeinde wiederaufzubauen, doch im polnischen Breslau waren wir zweifach benachteiligt: Für die polnischen Bürger der Stadt waren wir sowohl Deutsche als auch Juden. Es war an der Zeit, unsere Heimat hinter uns zu lassen. 65
Die meisten in die Stadt zurückgekehrten überlebenden deutschen Juden kamen zu der gleichen Erkenntnis wie Kenneth Arkwright – sie konnten sich nicht vorstellen, unter diesen Umständen in ihrer ehemaligen Heimat eine Lebensexistenz aufzubauen. Nicht nur die äußerst angespannte, feindliche und gefährliche Atmosphäre in der durch die Sowjets und Polen regierten Stadt bewegte die meisten zur Ausreise. Vor allem diejenigen, die ihre Familienmitglieder verloren hatten, wurden durch die Anwesenheit in ihrer Heimatstadt mit der Vergangenheit und der Erinnerung an die Vorkriegszeit konfrontiert. Die Überlebende Judith Sternberg fand nach ihrer Rückkehr eine Anstellung als Krankenschwester in einem der Krankenhäuser, wo vor allem sowjetische Soldaten behandelt wurden. Bald aber musste sie feststellen, dass sie in ihrer Geburtsstadt nicht mehr würde weiterleben können: Ich musste heraus aus Breslau. Ich konnte es seelisch nicht mehr ertragen. Alle Erinnerungen wirbelten wieder auf, so konnte ich keine Ruhe finden. Elternlos und heimatlos irrte ich herum, weil ich oft glaubte, dass ich nicht mehr leben kann. Nicht nur Materielles haben sie uns genommen, nein, all unsere Lieben und den Glauben an die Menschheit, da wir Unmenschliches gesehen und miterlebt haben. Allmählich wurde es immer deprimierender, ja unerträglich, in dieser Stadt, wo ich die Tage meiner Kindheit verbracht hatte, zu leben. Ich wusste jedoch nicht, wo ich hingehen sollte. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, Breslau zu verlassen und in die amerikanische Zone zu übersiedeln. Das Leben in der russischen Zone schien hoffnungslos zu sein. Inzwischen stieg die Zahl der Polen in Breslau an, es kam oft zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Polen und dem russischen Militär. Die jüdische Gemeinde, die zu dieser Zeit hauptsächlich aus deutschen Juden bestand, bemühte sich, spezielle Transporte für seine Mitglieder zu stellen, um in die westliche Besatzungszone zu gelangen. […] Ich wusste ganz genau, dass es in der Stadt nichts mehr gab, was mich zurückhalten konnte. Ich hatte kein Haus, alle meine Lieben, meine Mutter und die Geschwister, wurden ermordet. 66
65 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. 66 Interview mit Judith Sternberg-Newman, am 19. Juni 1998 in West Kingstown, USC Visual History Archive, Int. Code 42741, Tape 3; vgl. Sternberg-Newman:
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Noch im Sommer 1945 ergab sich die Möglichkeit einer organisierten Ausreise der deutschen Juden aus der Stadt. Täglich kamen Busse mit ehemaligen polnischen Häftlingen aus Deutschland nach Polen. Im August 1945 erreichten Wrocław einige Busse mit der Aufschrift „Buchenwald – Breslau“ und brachten ehemalige polnische Häftlinge aus Buchenwald zurück nach Polen. 67 Günther Singer, der Sekretär des Jüdischen Komitees der deutschen Juden, Überlebender des Gettolagers Theresienstadt und des KZs Auschwitz-Birkenau, verhandelte mit den Busfahrern, ob sie auf dem Rückweg nach Deutschland einige der deutschen Juden aus Wrocław mitnehmen würden. Singers junge Frau wurde in Auschwitz-Birkenau „vergast“, so hoffte er wie alle anderen auf einen Neubeginn weit weg von all dem, was die schmerzlichen Erinnerungen hervorrief. 68 Klaus Trostorff, der von 1943 bis April 1945 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert gewesen und im Juni 1945 nach Wrocław zurückgekehrt war, befand sich mit seiner Mutter in einem dieser ersten Bustransporte, die die Stadt Richtung Erfurt verlassen hatten: Wir haben ein paar Wochen in Breslau gelebt, aber wir wussten schon, dass es auf Dauer so nicht bleiben kann. Es war für mich klar, dass das polnische Gebiet bleibt, und es war natürlich vieles ungewiss. Wir sagten, was soll es? Was sollen wir in Breslau mit einer Zukunft, die sicher nicht gut für uns ist, weil die Polen auch nicht unbedingt Judenfreunde waren. Und so sind wir dann nach Erfurt gekommen … 69
Daraufhin nahmen die Vertreter des Jüdischen Komitees in Wrocław, unter anderem Albert Hadda, Kontakt mit der Stadtverwaltung Erfurt auf. 70 In
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In the Hell of Auschwitz, S. 111, 113 f.; AYV, Sternberg, Judith: Fate of Deportees from Breslau. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA; Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA; AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.); Bericht des ehemaligen Bezirksbürgermeisters H. aus Breslau, in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, bearbeitet von Theodor Schieder, Bd. I/2. München 1984, S. 333. ‚Germans Do Not Dare Show Overt Anti-semitism in Soviet Zone, JTA Correspondent Finds‘, in: JTA, Berlin, 9. Juli 1946; vgl. Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA. Interview mit Klaus Trostorff, am 13. Mai 1996 in Erfurt, USC Visual History Archive, Int. Code 14862, Tape 3. AYV, Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (unpg.).
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diese Stadt waren etwa 15 Schoah-Überlebende zurückgekehrt und hatten eine Gemeinde und ein Jüdisches Komitee gegründet. Bei so wenigen jüdischen Bürgern war die Erfurter Gemeinde auf Zuwachs aus anderen Orten oder Ländern angewiesen. 71 In den Monaten August und September 1945 verließen weitere Busse mit deutschen Juden Wrocław Richtung Erfurt. Den Überlebenden wurde gestattet, zwei Koffer pro Person mitzunehmen. Vor ihrer Ausreise wurden sie einer scharfen und beschämenden Kontrolle durch die polnische Miliz unterzogen. Dies illustriert die Passage aus dem Interview mit Hannelore Wanderer, Jahrgang 1922, Überlebender des Zwangsarbeitslagers Ostlinde: Im September 1945 verließen wir nun Breslau und kamen in Erfurt an. Vor der Abreise kamen aber die Polen, wir mussten auf die Kommandantur, wo die Leibesvisitation stattfand. Wir mussten uns ausziehen, es war schrecklich, sie wollten sehen[,] was wir noch hatten, um es zu beschlagnahmen. Eine bescheidene Habe, die man in den letzten Monaten aus den Trümmern bergen konnte. 72
Ähnliches berichtet Wolfgang Nossen: Wir wollten nicht unter den Polen leben. Mein Vater lehnte das Angebot des NKWD ab, nach Wien umzuziehen. Am 10. September 1945 ergab sich die Chance zur Ausreise nach Deutschland; so sind wir mit einem Bus, an dessen Vorderfront ‚KZ-Häftlinge‘ stand, ausgereist. Ausgeraubt wurden wir Insassen trotzdem, in der Breslauer polnischen Kommandantur, sinnigerweise war die genau da, wo sich noch vor einigen Monaten die Wehrmachtskommandantur befand. Am 10. September 1945 überquerte unser Bus die Neiße bei Görlitz und wir kamen in Erfurt an. Von wo ich dann 1948 nach Israel auswanderte. 73
Ab August 1945 gelangten etwa 1.200 deutsche Juden aus Wrocław nach Thüringen, von denen sich viele in Erfurt niederließen. 74 Nachdem vier 71 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA. 72 Interview mit Hannelore Wanderer, am 8. März 1996 in Seattle, USC Visual History Archive, Inerview Code 12695, Tape 4. 73 Interview mit Wolfgang Nossen, 2008, 2009 in Erfurt, AA. 74 AITS, Sig. ITS/ANF/K-NKZ, Listen Wrocław, Ordner 88; vgl. Privatarchiv der Autorin, ‚Complete List of Jews – Survivors of Breslau, included ‚Mischlinge‘ and ‚Mischehen‘ ; ‚35.000 Displaced Jews Demonstrate in U.S. Zone Against Killing Jew by German Police‘, in: JTA, Frankfurt a. M., 5. April 1946. Dank des Zuzugs der Breslauer Juden wuchs die Gemeinde in Erfurt, wo bereits im Herbst 1945 ein erstes jüdisches Gemeindezentrum in gemieteten Räumen Am Anger 30/32 ent-
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Transporte mit den Autobussen nach Erfurt abgegangen waren, wurden weitere Busse angehalten. Den Autobussen aus Erfurt wurde die Einfahrt an der Grenze in Görlitz in das polnische Gebiet verweigert. Die Verhandlungen der Erfurter Stadtverwaltung mit sowjetischen und polnischen Kommandostellen blieben erfolglos. Erst nach zwei Monaten, Anfang November 1945, wurde die Abfertigung von Eisenbahntransporten, in denen die deutschen Juden Polen verlassen sollten, von den polnischen Behörden bewilligt, sofern Waggons aus Deutschland gestellt wurden. 75 Bereits Ende November 1945 verließ der erste Transport mit deutschen Juden, der aus Güterwagen bestand, Wrocław. 76 Unter den Ausreisenden war auch Kate Langer mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder. Auch sie waren wie viele andere auf der Suche nach einer neuen Bleibe, weit weg von den Schrecken des Krieges und der ständigen Gefahr, der sie in Wrocław ausgesetzt waren. Kate Langer berichtet über ihre Ausreise aus ihrer Heimatstadt: Alle in diesem Transport waren Juden. Das war ein jüdischer Transport. Wir fuhren in den Viehwaggons. Wir wurden durch die Russen einer sorgfältigen Kontrolle unterzogen und mussten alles abgeben, was wir noch im Besitz hatten. […] Die Bedingungen während des Transports waren schrecklich, ja unerträglich. Manche sind sogar auf dem Weg gestorben, bevor wir die Ostzone erreicht
stand. Seit April 1946 bemühten sich die jüdischen Breslauer um die Rückübertragung des Synagogengrundstückes in Erfurt, die schließlich im März 1947 erfolgte. 1951 konnte mit dem Bau der neuen Synagoge, an der Stelle der zerstörten Synagoge am heutigen Juri-Gagarin-Ring, begonnen werden. Am 31. August 1952 wurde die neue Synagoge mit Gemeindezentrum durch Landesrabbiner Dr. Martin Riesenburger feierlich eingeweiht. Dieser Bau blieb bis 1989 der einzige Synagogenneubau auf dem Gebiet der DDR. Die meisten der Breslauer Juden verließen Erfurt im Laufe des Jahres 1946 in die westliche Besatzungszone, sodass die Erfurter Gemeinde im Dezember 1946 nur noch 153 Mitglieder zählte, AYV, Landesverband Thüringen der Jüdischen Gemeinden, Sitz Erfurt: Mitgliederverzeichnis vom 12. Dezember 1945, Bestand M.1P – Displaced Persons Collection, Sig. 75; vgl. ‚Germans Do Not Dare Show Overt Anti-semitism in Soviet Zone, JTA Correspondent Finds‘, in: JTA, Berlin, 9. Juli 1946. 75 Bericht des ehemaligen Bezirksbürgermeisters H. aus Breslau, in: Dokumentation der Vertreibung, S. 333. 76 Ebd.
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hatten. […] Wir kamen im thüringischen Silberhausen an. Die hiesigen Einwohner gaben uns zu essen und stellten Wohnungen zur Verfügung. 77
Zwischen November 1945 und Sommer 1946 folgten weitere Transporte Richtung Westen. In einem der Transporte, der Wrocław im Dezember 1945 verließ, befanden sich die letzten zwei Vertreter der deutschen Juden im Vorstand des Jüdischen Komitees, Emil Wulkan 78 und Hans Schreiber. 79 Im Frühjahr 1946 meldete das Jüdische Komitee in Wrocław dem Jüdischen Zentralkomitee in Warschau die Zahl der deutschen Juden, die in der Stadt registriert waren. Demnach befanden sich noch 963 deutsche Juden in Wrocław. 80 In den folgenden Monaten verließen die meisten von ihnen in weiteren Transporten die Stadt. 81 Bis Sommer 1947 haben sich noch etwa 30 deutsche Juden in Wrocław aufgehalten. 82 Ihr juristischer Status war weiterhin ungeklärt. Das Jüdische Wojewodschaftskomitee Niederschlesien, das im April 1946 aus Rychbach nach Wrocław zog, änderte seine Einstellung gegenüber dieser sehr kleinen Gruppe der deutschen Juden völlig und intervenierte sogar beim Zentralkomitee der Juden in Polen, um die rechtliche Lage dieser Personen zu regeln. In einem Schreiben des Vorsitzenden des Jüdischen Wojewodschaftskomitee Jakub Egit vom Juni 1947 hieß es:
77 Interview mit Kate Langer, am 22. März 1996 in Fort Lee, New Jersey, USC Visual History Archive, Int. Code 13452, Tape 3. 78 Emil Wulkan war ein ehemaliger Auschwitz-Häftling. Als er nach seiner Befreiung nach Wrocław zurückkehrte, kam er in Besitz von Akten, die die Korrespondenz zwischen der Leitung des KZs Auschwitz und der Breslauer SS dokumentierten. Diese enthielten unter anderem Namenslisten der in Auschwitz erschossenen Häftlinge. Darunter waren vor allem die Namen der an den Exekutionen beteiligten SSMänner verzeichnet. Diese Akten wurden später Fritz Bauer übergeben und dienten als Beweismaterial bei dem sogenannten ‚Auschwitz-Prozess‘ in Frankfurt a. M. Siehe u. a.: Pendas, Devin O.: The Frankfurt Auschwitz Trial, 1963–1965: Genocide, History and the Limits. New York 2006, S. 46; ‚Trial of Auschwitz Killers of Millions of Jews Starts Today in Germany‘, in: JTA, 20. Dezember 1963. 79 APWr, WKŻ, Sig. 17, Bl. 13. 80 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/677 (unpg). 81 APWr, UWW, Sig. VI/408, Bl. 5. 82 APWr, UWW, Sig. VI/271, Bl. 3 f.; vgl. AŻIH, CKŻP, Wydział Prawny, Sig. 303/ XVI/230, Bl. 2 f.
Breslauer Juden in ihrer Heimatstadt nach der Schoah, 1945–1946
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Auf dem Gebiet der Wojewodschaft Niederschlesien leben einige Dutzend jüdischer Familien, ehemalige Bewohner Niederschlesiens, die sich vor der nationalsozialistischen Vernichtung retten konnten – meist waren sie bis zu ihrer Befreiung in Lagern, die größte Zahl im tschechoslowakischen Theresienstadt. Diese Personen haben die polnische Staatsangehörigkeit bis zum heutigen Tag nicht erhalten; ihre Anträge auf die Anerkennung als Autochthone wurden abgelehnt. Die örtlichen Behörden wollen jetzt damit beginnen, diese Personengruppe nach Deutschland auszusiedeln, wohin diese Personen nicht ausreisen wollen, weil sie dort unter ihren Feinden nicht leben möchten. Die lokalen Behörden betrachten und behandeln sie als Deutsche, was nicht den Richtlinien der Regierung entspricht, die den Schutz der jüdischen Bevölkerung, die durch das nationalsozialistische Regime verfolgt wurde, garantiert. Diese Gruppe zeichnet sich durch eine sehr positive Einstellung gegenüber dem neuen Polen aus […]. Wir bitten daher um eine Intervention bei den zentralen Behörden, […] dass diese Personen besonders behandelt werden und dass man ihnen ermöglicht, an ihren bisherigen Wohnorten zu bleiben. Sie sollen ihre Wohnungen und ihr Gut behalten. Diesen Personen soll auch die polnische Staatsangehörigkeit zuerkannt werden. 83
Bemerkenswert dabei ist der Wandel der Einstellung des Jüdischen Wojewodschaftskomitees den deutschen Juden gegenüber. Die Gründe hierfür waren vielfältig. Zum einen handelte es sich lediglich um ein paar Dutzend Personen, die keineswegs mehr als Konkurrenz gefürchtet werden mussten, zum anderen wurde diese Angelegenheit, wie das oben zitierte Schreiben erkennen lässt, viel mehr zu propagandistischen Zielen seitens der jüdischen Aktivisten in Niederschlesien instrumentalisiert: so sollten auch deutsche Juden am Aufbau des jüdischen Lebens in der Volksrepublik Polen ihren Anteil haben. Zu der winzigen Gruppe der letzten deutschen Juden in der Stadt gehörte Fred Löwenberg. Im Herbst 1945 kehrte er nach seiner zweieinhalbjährigen Inhaftierung in den Konzentrationslagern Buchenwald und Neuengamme als 21-Jähriger in seine Geburtsstadt zurück. 84 Kurz darauf inhaftierte ihn der polnische Sicherheitsdienst, weil ihn ein Pole, ehemaliger Mithäftling in Neuengamme, infolge eines Streites auf der Straße lautstark 83 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/XVI/230, Bl. 1. 84 AYV, Löwenberg, Fred (Ferdinand): The Truth and Facts about Buchenwald (Zeugenaussage vom 15. September 1945 in Wrocław), Bestand 0.2 – Wiener Library Collection of Testimonies, London, Sig. 783.
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als SS-Mann beschimpft hatte. Fred Löwenberg fand sich im Quartier der polnischen Sicherheitspolizei in derselben Zelle wieder, in der er bereits von der Breslauer Gestapo verhört worden war: Das war das Schwerste in meinem Leben, moralisch natürlich: Denn ich hatte das Vergnügen, mit Banditen, mit SS-Mördern, mit KZ-Offizieren oder -Unteroffizieren aus Groß-Rosen in einer Zelle zu sitzen. Ich habe die Prügel bekommen, die die SS-Leute von den Polen bekommen haben. Ich habe noch dazu eine Spezialportion Prügel und mehr Hungerrationen von den SS-Zellengefährten bekommen. 85
Nach 19 Monaten der Untersuchungshaft wurde Fred Löwenberg freigesprochen. Ihm wurde die polnische Staatsbürgerschaft angeboten, jedoch unter einer Voraussetzung: Der Staatsanwalt, ein Kommunist, hat mir angeboten, polnischer Staatsbürger zu werden, aber gleichzeitig verbunden mit der Aufforderung, dann müsste ich Katholik werden. Er sagte zu mir: ‚Sie können Pole werden, sie können hier bleiben, kriegen die alte Wohnung zurück, sie werden Arbeit finden. Also optieren sie doch für Polen! Aber sie müssen ein Katholik werden.‘ 86
Fred Löwenberg lehnte diesen Vorschlag ab. Er fand jedoch Anstellung in der jüdischen Gemeinde in Wrocław und begann, als Bademeister in der Mikwe der „Storch Synagoge“ zu arbeiten. Fred Löwenberg wurde auch Mitglied des Jüdischen Komitees, das zu dieser Zeit schon fast ausschließlich aus polnischen Juden bestand. Im Oktober 1948 verließ Fred Löwenberg Polen und ließ sich in Ostberlin nieder. 87 Für die meisten der Breslauer Juden erwies sich ihre Heimkehr als ein schmerzhaftes und traumatisches Erlebnis. Nach vielen Jahren Verfolgung erwartete die Schoah-Überlebenden in ihrer Heimatstadt eine völlig neue Realität. Die Zugehörigkeit zur deutschen Sprache und Kultur wurde für sie zum Verhängnis. Sowohl vom sowjetischen Militär als auch von der polnischen Zivilverwaltung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis stigmatisiert, wurden die Breslauer Juden dem Rest der deutschen Bevölkerung gleichgestellt. Parallel zum vollständigen Bevölkerungstransfer 85 Interview mit Fred Löwenberg, am 8. März 1996 in Berlin, USC Visual History Archive, Int. Code 11319, Tape 4. 86 Ebd. 87 Ebd.
Polnische Schoah-Überlebende in Wrocław, 1945–1949
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der Jahre 1945 bis 1948 erlebten die deutschen Schoah-Überlebenden ein zweites Mal Vertreibung und Enteignung. Mehr noch: Aufgrund der Stigmatisierung und ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis rückten die jüdischen Überlebenden in die „deutsche Täter-, Profiteur- und MitläuferGemeinschaft“. Auch der Gedanke der „jüdischen Zusammengehörigkeit“ hatte einen schweren Schlag erlitten. Das Verhältnis zwischen den jüdischen Breslauern und ihren polnischen Glaubensbrüdern war in der unmittelbaren Nachkriegszeit hauptsächlich durch starke Spannungen geprägt. Die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung konnte die Entfremdung, Isolation und Feindseligkeit zwischen „Ost- und Westjuden“ nicht tilgen. Sie blieben weiterhin „Brüder und Fremde“ 88 und standen sich in Wrocław gegenüber.
4.2 „A Naye Yidishe Heym in Nidershlezye“ – Polnische Schoah-Überlebende in Wrocław, 1945–1949 4.2.1 Der Traum von der „jüdischen Autonomie“ In den ersten Tagen im Juni 1945 kam ich mit meinem Freund Itzhak Zukerman 89 nach Niederschlesien. Mein Ziel war es, auf dieser Erde, wo Hitler das polnische Judentum ausrottete, ein neues jüdisches Leben aufzubauen. In Niederschlesien konnten die jüdischen Überlebenden ein neues Leben beginnen, denn ihre ehemaligen Häuser und Städte waren zerstört. Für die gab es keinen Weg zurück. 90
Mit diesen Worten schilderte der jüdische Aktivist und spätere Vorsitzende des Jüdischen Wojewodschaftskomitees Niederschlesien, Jakub Egit, die 88 Vgl. Aschheim, Steven E.: Brothers and Strangers: The East European Jew in German and German Jewish Consciousness, 1800–1923. Madison 1982. 89 Itzhak Zukerman, geb. 1915 in Wilna, gest. 1981 im Kibbuz Lohamei Hagetaot in Israel. Zionistischer Aktivist, einer der Anführer des Untergrunds im Warschauer Getto und Mitbegründer der Jüdischen Kampforganisation (Żydowska Organizacja Bojowa/ŻOB). 1946 emigrierte er nach Palästina und gründete 1949 den Kibbuz Lohamei HaGetaot (Kibbuz der Gettokämpfer). 90 Egit, Jakub: Tzu A Naje Lebn. Wrocław 1947, S. 21; vgl. ders.: Grand Illusion. Toronto 1991, S. 44.
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Umstände, unter denen der Gedanke entstand, in Niederschlesien ein Zentrum jüdischen Lebens zu etablieren. Zu den Wegbereitern der jüdischen Ansiedlung in diesem Gebiet gehörten vor allem polnische Juden, Überlebende des KZ Groß-Rosen und seiner zahlreichen Nebenlager. Als am 8./9. Februar 1945 das Stammlager Groß-Rosen von der Roten Armee befreit wurde, waren nach Angaben des polnischen Historikers Alfred Konieczny in seinen verschiedenen Außenstellen noch etwa 9.000 Jüdinnen und 2.800 Juden am Leben. 91 Ein Bericht des Jüdischen Wojewodschaftskomitees Niederschlesien spricht von insgesamt 18.000 jüdischen Überlebenden in seinem Zuständigkeitsbereich in Niederschlesien im Mai 1945, davon etwa 10.000 polnische Staatsangehörige. 92 Den Schätzungen der Historiker zufolge überlebten auf dem Gebiet des okkupierten Polen zwischen 60.000 und 145.000 polnische Juden die Schoah. 93 Am 15. Juni 1945 verzeichnete das Zentralkomitee der Juden in Polen
91 Konieczny, Alfred: Więźniowie żydowscy w obozie koncentracyjnym Gross-Rosen, in: Sobótka, Nr. 44, 1989, S. 151–163; vgl. Sadowski, Mirosław: Z badań nad więźniami żydowskimi wyzwolonymi w filiach Obozu Koncentracyjnego GrossRosen, in: SFZH, Nr. 16, 1993, S. 252–276. 92 APWr, WKŻ, Sig. 5, Bl. 37. Polnische Historiker erwähnen hierfür unterschiedliche Zahlen (zwischen 12.000 und 15.000 jüdische Überlebende), siehe u. a.: Bronsztejn: Uwagi o ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku, S. 31–54; vgl. Konieczny: Więźniowie żydowscy w obozie koncentracyjnym Gross-Rosen, S. 151– 163. 93 Stankowski, Albert/Weiser, Piotr: Demograficzne skutki Holocaustu, in: Tych, Feliks/Adamczyk-Garbowska, Monika (Hrsg.): Następstwa zagłady Żydów. Polska 1944–2010. Lublin 2011, S. 15–38, hier S. 31, 37; Prekerowa, Teresa: Wojna i okupacja, in: Tomaszewski, Jerzy (Hrsg.): Najnowsze dzieje Żydów w Polsce w zarysie (do 1950 roku). Warszawa 1993, S. 273–384, hier S. 384. Eine genaue Zahl der überlebenden Juden in Polen ist unter anderem aufgrund der großen Fluktuation nicht zu ermitteln, siehe u. a.: Dobroszycki, Lucjan: Survivors of the Holocaust in Poland: A Portrait Based on Jewish Community Records, 1944–1947. New York 1994, S. 83; Adelson, Józef: W Polsce zwanej Ludową, in: Tomaszewski, Jerzy (Hrsg.): Najnowsze dzieje Żydów w Polsce w zarysie (do 1950 roku). Warszawa 1993, S. 387–477, hier S. 387–390. Als äußerst wahrscheinlich erscheint jedoch die Zahl zwischen 60.000 und 80.000 polnischer Juden, die die deutsche Okkupation in Polen überlebten, siehe: Aleksiun, Natalia/Stola, Dariusz: ‚Wszyscy krawcy wyjechali‘. O Żydach w PRL, in: BIPN, Nr. 2, 2008, S. 391–409.
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73.965 Juden, die in den Jüdischen Komitees in ganz Polen registriert waren. 94 Unmittelbar nach der Befreiung verließ ein Großteil der ehemaligen jüdischen Häftlinge sofort Niederschlesien, einige Tausend ließen sich in den Ortschaften um das nun polnische Wrocław nieder. 95 Aufgrund der Grenzverschiebung Polens konnten viele jüdische Überlebende nicht in ihre Heimatorte, in den sogenannten „Kresy“ zurückkehren. Diese ehemaligen östlichen Teile Polens, darunter Wilna und Lemberg, die zu den größten jüdischen Zentren im Vorkriegspolen gehörten, waren in der neuen Nachkriegsordnung an die Sowjetunion gefallen. Manche der ehemaligen jüdischen Häftlinge aus den niederschlesischen Lagern, die aus Zentralpolen stammten, kehrten wie die meisten polnischen Schoah-Überlebenden in ihre Heimatorte zurück. Nach den Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern, nach den Verstecken in Städten und Dörfern, nach den Bunkern in den Wäldern oder bei den Partisanen schien die ehemalige Heimat die nächstliegende Station. Diese Rückkehr erwies sich aber für die meisten von ihnen als besonders dramatisch. In ihrer Heimat angekommen, wurden sie zumeist mit Feindseligkeit seitens ihrer polnischen Nachbarn konfrontiert. Der Krieg milderte keineswegs die alten Stereotype und Vorurteile, die in Teilen der polnischen Gesellschaft gegen ihre jüdischen Mitbürger weit verbreitet waren. 96 Viele polnische Nachbarn zeigten kein Mitgefühl oder Solidarität gegenüber den überlebenden Juden. Völlige Gleichgültigkeit wurde die dominierende Haltung der Polen den Juden ge94 Aleksiun, Natalia: Dokąd dalej? Ruch syjonistyczny w Polsce (1944–1950). Warszawa 2002, S. 63. 95 Vgl. Adelson: W Polsce zwanej Ludową, S. 391. 96 Zu der äußerst komplizierten und dramatischen polnisch-jüdischen ‚Koexistenz‘ in unmittelbarer Nachkriegszeit in Polen gibt es mittlerweile umfangreiche Literatur. Siehe hierfür u. a.: Gross, Jan T.: Strach. Antysemityzm w Polsce tuż po wojnie. Historia moralnej zapaści. Kraków 2008; ders. (unter Mitarbeit von Irena Grudzińska-Gross): Złote żniwa. Rzecz o tym, co się działo na obrzeżach zagłady Żydów. Kraków 2011; Zaremba, Marcin: Wielka Trwoga. Polska 1944–1947. Ludowa reakcja na kryzys. Kraków 2012; Tych/Adamczyk-Garbowska (Hrsg.): Następstwa zagłady Żydów; Engel, David: Patterns of Anti-Jewish Violence in Poland, 1944– 1946, in: YVS, Nr. 26, Jerusalem 1998, S. 43–85; Sauerland, Karol: Die Polen und Juden zwischen 1939 und 1968. Berlin/Wien 2004; Engelking/Hirsch (Hrsg.): Unbequeme Wahrheiten.
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genüber, die sich mancherorts zu Hassgefühlen wandelte. 97 In ganz Polen hatten die ermordeten und verschleppten Juden Häuser, Wohnungen, Geschäfte, Werkstätten und andere Güter hinter sich lassen müssen. Den größten Teil davon haben noch während der deutschen Okkupation die polnischen Nachbarn übernommen. 98 Nur wenige waren bereit, den Besitz den überlebenden Juden zurückzugeben. In vielen Fällen führten Streitigkeiten um die Rückgabe des enteigneten Eigentums an die jüdischen Eigentümer zu gewalttätigen Übergriffen oder zu Morden. 99 Unmittelbar nach Kriegsende, im Sommer 1945 kam es in manchen polnischen Städten, unter anderem in Rzeszów, Lublin, Radom, Częstochowa oder Krakau zu antijüdischen Exzessen und Pogromen. 100 Darüber hinaus fanden die Überlebenden weder Familienangehörige, Freunde noch Bekannte in ihrer Heimat mehr vor. Ähnlich wie für die deutsch-jüdischen Rückkehrer nach Breslau/Wrocław gab für viele der polnisch-jüdischen Überlebenden die
97 Skibińska, Alina: Powroty ocalałych i stosunek do nich społeczeństwa polskiego, in: Tych/Adamczyk-Garbowska (Hrsg.): Następstwa zagłady Żydów, S. 39–70; vgl.: Świda-Ziemba, Hanna: Die Schande der Gleichgültigkeit, in: Engelking/ Hirsch (Hrsg.): Unbequeme Wahrheiten, S. 92–105. 98 Vgl. Żbikowski, Andrzej: Morderstwa popełniane na Żydach w pierwszych latach po wojnie, in: Tych/Adamczyk-Garbowska (Hrsg.): Następstwa zagłady Żydów, S. 71–93, hier S. 72 f. 99 Vgl. Szaynok, Bożena: The Role of Antisemitism in Postwar Polish-Jewish Relations, in: Blobaum, Robert (Hrsg.): Antisemitism and Its Opponents in Modern Poland. New York 2005, S. 265–283; Gross: Strach; Żbikowski: Morderstwa popełniane na Żydach. 100 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I/388, Bl. 1 ff., 5 ff.; ‚Di Mord-Bandes vern oysgerisn mitn Wurtsl‘, in: Dos Naje Lebn, 20. Juni 1945, S. 1; ‚Di Gesheenishn in Kroke‘, in: Dos Naje Lebn, 20. August 1945, S. 1; ‚Wider Mordn iber Yidn‘, in: Dos Naje Lebn, 11. Juli 1945, S. 9; vgl. Kersten, Krystyna: Polacy, Żydzi, Komunizm. Anatomia półprawd 1939–1968. Warszawa 1992, S. 110 ff.; Tokarska-Bakir, Joanna: Cries of the Mob in the Pogroms in Rzeszów (June 1945), Cracow (August 1945), and Kielce (July 1946) as a Source for the State of Mind of the Participants, in: Gross, Tomasz J. (Hrsg.): The Holocaust in Occupied Poland: New Findings and New Interpretations. Frankfurt a. M./Berlin/Bern 2012, S. 205–229; Bańkowska, Aleksandra/Jarzębowska, Agnieszka/Siek, Magdalena: Morderstwa Żydów w latach 1944–1946 na terenie Polski na podstawie kwerendy w zbiorze 301 (Relacje z Zagłady) w Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego, in: KHŻ, Nr. 3, 2009, S. 357–367.
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Konfrontation mit diesem weiter andauernden Verlust und Schmerz in ihren Heimatorten den Ausschlag, wegzuziehen und an anderen Orten ihre neue Existenz aufzubauen. Im Falle der ehemaligen Häftlinge aus den niederschlesischen Lagern führte sie ihr Weg oft wieder in diese Gebiete zurück. Hier lebten zumindest frühere Mitgefangene: Diejenigen, die meist ein Zufall vor der Vernichtung bewahrt hatte, gehören zu Menschen, die abgehärtet sind, die Initiative zeigen und unternehmungslustig sind […] Sie kommen vor allem aus Łódź, Dombrowa und Częstochowa. Während der sechs Kriegsjahre wurden sie – aufgrund der schwierigen Bedingungen unter dem nazistischen Terror – untereinander sehr vertraut und befreundeten sich. Sie haben sich entschlossen, auf den Trümmern der ehemaligen Orte ihres Leidens ein neues, besseres Leben aufzubauen. Es waren Städte, wo sie gequält wurden, dort aber hatten sie auch ihre Freiheit wiedererlangt. Diejenigen, die noch am Leben waren, haben Freundschaften geschlossen. Es entstand ein Gedanke, dass genau dort, wo Hitler ihr Leben zunichte machen wollte, ein neues jüdisches Leben entstehen soll. 101
Nach missglückter Heimkehr schienen die Städte wie Wrocław, Dzierżoniów, Wałbrzych oder Bielawa und viele andere niederschlesische Orte gut geeignet, um hier eine neue Lebensexistenz zu gründen. Die neuen westlichen Territorien Polens, darunter die Großstädte wie Wrocław und Szczecin, schienen auch viel sicherer für die Juden zu sein als die Gebiete in Zentralpolen. Zum Ersten waren Juden hier genauso Neuansiedler wie die Polen; sie alle standen vor einem Neuanfang und der Notwendigkeit, hinterlassene deutsche Häuser, Fabriken und die Infrastruktur zu übernehmen; außerdem war hier noch immer die deutsche Bevölkerung präsent, also ein „gemeinsamer Feind“ sowohl für die Juden als auch Polen. Auf diesen Gebieten kam es nicht zu Spannungen hinsichtlich der Übernahme des jüdischen Eigentums durch Polen. Und letztendlich war hier der antikommunistische Untergrund, wie beispielsweise die antisemitisch ausgerichteten Nationalen Streitkräfte (Narodowe Siły Zbrojne/NSZ), nicht so stark aktiv wie im Inneren des Landes. 102 Laut den Akten des Zentralkomitees der Juden in Polen wurden zwischen Januar und Dezember 1945 insgesamt 353 Juden durch die Polen
101 ‚Nowe życie w Rychbachu‘, in: Pionier, Nr. 34, 4. Oktober 1945; vgl. Egit: Tzu A Naje Lebn, S. 16, 18 f. 102 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I/1, Bl. 104 f.
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ermordet. 103 Zu den meisten Morden an Juden kam es in den Wojewodschaften Kielce, Białystok und Rzeszów. 104 In den neuen polnischen Westgebieten wurden in dem Zeitraum zwischen der Befreiung und dem Ende 1945 drei Juden in Pommern (in Szczecin und Bydgoszcz) ermordet; in Niederschlesien und Wrocław wurden keine jüdischen Todesopfer verzeichnet. 105 Für die Verortung der jüdischen Ansiedlung in Niederschlesien sprach weiter, dass ehemalige deutsche Häuser, Wohnungen und Güter auf neue Besitzer warteten. Diese Region war mit der Ausnahme der ehemaligen „Festungsstadt Breslau“ kaum durch Kriegshandlungen zerstört worden und bot den Neuansiedlern eine landwirtschaftlich und industriell gut entwickelte Infrastruktur. Die von den Deutschen zurückgelassenen Fabriken und Bauernhöfe boten ebenso die Möglichkeit einer Beschäftigung. 106 Im Juni 1945 stellten die polnischen Juden dem Ministerium für Öffentliche Verwaltung ein Konzept für eine jüdische Ansiedlung in Niederschlesien vor: In Niederschlesien befindet sich zur Zeit eine Gruppe von 7.000 Juden […]. Ein Teil dieser Bevölkerungsgruppe hatte Versuche unternommen, sich zu ihren ehemaligen Heimatorten zu begeben, um nach ihren Familienangehörigen zu suchen; sie hatten auch die Hoffnung, dort ein neues Leben beginnen zu können. Sie haben jedoch in diesen Ortschaften keine Ruhe gefunden, so kehren sie dorthin, wo ihre Genossen aus der Kriegszeit geblieben sind. Niederschlesien wurde zu ihrer Heimatstätte. Gleich nach der Kapitulation der Deutschen haben sie 103 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/388, Bl. 5–7; vgl. Bauer, Jehuda: Flight and Rescue. New York 1970, S. 115; Engel: Patterns of Anti-Jewish Violence; Gross: Strach; Żbikowski: Morderstwa popełniane na Żydach; Cichopek, Anna: Pogrom Żydów w Krakowie 11 sierpnia 1945. Warszawa 2000, S. 34–52; ders.: Jews, Poles and Slovaks: A Story of Encounters, 1944–48. Ann Arbor 2008; ders: Beyond Violence: Jewish Survivors in Poland and Slovakia, 1944–1948. Oxford 2013; Cała: Żyd – wróg odwieczny?, S. 454 f.; Gutman: Ha-Jehudim be-Polin. Die Forschungen der polnischen Historiker belegen, dass in den ersten Nachkriegsjahren zwischen 600 (diese Zahl ist durch Archivdokumente belegt) und 1.000 bis 2.000 Juden in Polen ermordet wurden, siehe: Kersten: Polacy, Żydzi, Komunizm; Tomaszewski: Najnowsze dzieje Żydów; Cała: Żyd – wróg odwieczny? 104 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/388, Bl. 5 ff. 105 Ebd., Bl. 7. 106 Vgl. Szaynok, Bożena: The Beginnings of Jewish Settlement in Lower Silesia after World War II (May 1945–January 1946), in: Acta Poloniae Historica Nr. 76, 1997, S. 171–195.
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Fabriken und Betriebe in ihre Obhut genommen; laut proklamieren sie ihre Zugehörigkeit zum polnischen Volk. Für die Zugehörigkeit zu Niederschlesien haben sie mit eigenem Blut und eigener Arbeit bezahlt. […] Dies ist ein Ausdruck der jüdischen Bestrebungen, hier eine Siedlung zu schaffen. 107
Hinter dieser Stellungnahme lässt sich ein weiterer psychologischer Faktor vermuten: nämlich der Wille, unter Personen zu bleiben, die das gleiche Schicksal geprägt hat. Die jüdischen Schoah-Überlebenden stellten eine sehr spezifische, von Ängsten und Traumata gekennzeichnete Gruppe dar: Sie kamen entweder aus Verstecken und konnten nach vielen Jahren illegaler Existenz wieder frei auftreten oder sie waren durch schreckliche und schmerzhafte Erfahrungen in Gettos oder Konzentrationslagern gekennzeichnet. 108 Zumeist waren sie die einzigen Überlebenden ihrer Familie. Celina Konińska, die vor dem Krieg in Lwów lebte, überlebte den Krieg im Untergrund unter falscher Identität. Unmittelbar nach dem Kriegsende ging sie nach Krakau und dann nach Niederschlesien, wo sie sich zunächst in Dzierżoniów niederließ und für das Jüdische Komitee tätig war. Nach ein paar Monaten zog sie jedoch weiter und ließ sich in Wrocław nieder, wo sie bis zu ihrer Emigration nach Israel 1956 lebte. 109 Celina Konińska schildert in einem Interview die Gründe und Impulse, die die Überlebenden dazu bewogen haben, sich nach dem Krieg in Niederschlesien anzusiedeln: Es gab eigentlich keine offiziellen Informationen, was es in Niederschlesien gab, aber einer teilte dem anderen die Nachrichten mit, dass es in Niederschlesien Fabriken gibt, dass dort die Juden anfangen, das neue Leben zu organisieren. […] Wir, die niemanden mehr hatten und ständig erfuhren, dass Juden ermordet werden … […] Wir waren dazu entschlossen, dorthin zu fahren, wo es viele 107 AŻIH, CKŻP, Wydział Produktywizacji, Sig. 303/XII/11; vgl. AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I/347, Bl. 415 ff. 108 Vgl. Hurwic-Nowakowska, Irena: Żydzi polscy (1947–1950). Analiza więzi społecznej ludności żydowskiej. Warszawa 1996, S. 46; Koźmińska-Frejlak, Ewa: Kondycja ocalałych. Adaptacja do rzeczywistości powojennej (1944–1949), in: Tych/Adamczyk-Garbowska (Hrsg.): Następstwa zagłady Żydów, S. 123–155; ders.: Polen als Heimat von Juden. Strategien des Heimischwerdens von Juden im Nachkriegspolen 1944–1949, in: Fritz Bauer Institut (Hrsg.): Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt a. M./ New York 1997, S. 71–107. 109 AYV, Koninska, Celina: Testimonie, Bestand O.3 – Testimonies department of the Yad Vashem Archives, Sig. 1180.
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Juden gibt, um unter eigenen Leuten zu leben. Wir alle wollten zusammen sein. […] Wir wussten, dass die Deutschen uns nicht mehr bedrohen, dass Niederschlesien zu einer ruhigen Region gehört, und dass es dort die Möglichkeit gibt, sich einfach dort anzusiedeln. […] Alles war dort fremd und neu für uns. Wir waren von dem Wohlstand, den die Deutschen dort überließen, berauscht. Wir fragten uns ständig verbittert, wenn es also ihnen so gut ging, wenn sie es so gut hatten, was wollten sie noch, warum wollten sie den Krieg? Die Anfänge waren schwierig … 110
Ähnlich wie Celina Konińska zog auch der Schoah-Überlebende Ignatz Bubis vorübergehend nach Wrocław. Dies war seine Geburtsstadt, in der er allerdings nur die ersten acht Jahre seines Lebens verbrachte. Zwei Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, 1935, hatte er mit seiner Familie Breslau verlassen und war in die polnische Kleinstadt Dęblin gezogen. Nach der deutschen Besetzung Polens wurde die Familie im Getto in Dęblin zusammengepfercht. Dort starb seine Mutter 1940, und sein Vater wurde vor seinen Augen 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Ignatz Bubis wurde aus dem Getto Dęblin nach Częstochowa verschleppt, um dort in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit zu verrichten. Am 16. Januar 1945 erlebte er dort die Befreiung durch die Rote Armee. Nach kurzen Zwischenstationen in Lublin und Łódź führte ihn sein Weg im Sommer 1945 in die niederschlesische Hauptstadt. Ignatz Bubis beschreibt in seinen Erinnerungen die Situation der Schoah-Überlebenden in den ersten Nachkriegsmonaten in Polen: In den ersten Monaten nach der Befreiung ereigneten sich in Polen die bis dahin vielleicht grausamsten Verbrechen an Juden der ganzen Nachkriegszeit. Der Hass vieler Polen auf die Juden war mit dem Rückzug der deutschen Truppen nicht geringer geworden. […] Viele Überlebende, die die schlimmsten Jahre in den Lagern überstanden hatten, wurden nun in Freiheit von Polen ermordet. […] Mitsamt einiger meiner Freunde aus dem Lager brach ich nach Łódź auf, wo ich vorerst blieb. […] Dann zogen wir weiter Richtung Westen. Wir kamen nach Breslau, in meine alte Heimatstadt. Sie war inzwischen an Polen gefallen, die deutsche Bevölkerung war zu einem großen Teil geflüchtet. Diejenigen, die nicht
110 Interview mit Celina Konińska (durchgeführt von Bożena Szaynok, Tel Aviv 1995), in: Szaynok, Bożena: Żydowskie nowe życie we Wrocławiu i na Dolnym Śląsku, in: Żuk, Piotr (Hrsg.): My Wrocławianie. Społeczna przestrzeń miasta. Wrocław 2006, S. 136–150, hier S. 139 f.
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flüchteten, wurden in der Folgezeit vertrieben. Auch dabei ließen viele Polen oft ihrem aufgestauten Hass gegen die Nazis und gegen alles, was deutsch war, freien Lauf. In dieser Beziehung waren viele Polen von einer Schizophrenie befallen, indem sie gleichermaßen gegen Deutsche wie gegen Juden brutal vorgingen. Breslau war zerstört, allerdings war der Vorort Zimpel, in dem wir gewohnt hatten, völlig heil geblieben. In unserer alten Wohnung lebten Flüchtlinge, und ich fühlte mich nicht besonders wohl hier. Die Stadt war mir fremd geworden. Meine Freunde – inzwischen waren es nur noch zwei, Cyril Stamfater und Stasiek Steinfeld – und ich machten uns wieder auf den Weg, diesmal nach Berlin. 111
Dawid Ringiel wuchs in einer chassidischen Familie in Leżajsk auf. Er überlebte unter anderem das Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska und entschloss sich nach dem Krieg, seine Heimatgegend zu verlassen und in die neuen, polnischen Territorien zu ziehen: In meine Heimatstadt Leżajsk brauchte ich nicht mehr zurückzukehren. Meine ganze Familie war nicht mehr am Leben. Es war schon bekannt, dass die Polen die jüdischen Rückkehrer ermorden. Ein Kollege von mir – ein Überlebender namens Dawid Miler – kam zurück nach Leżajsk und wurde ermordet. Im Juni 1945 bestieg ich einen Zug, der Richtung unbekannt in den Westen Polens abfuhr. Nach drei Wochen Zugfahrt kamen wir in Wrocław an, wo ich bis heute lebe. 112
Die Vorschläge der überlebenden polnischen Juden hinsichtlich der jüdischen Ansiedlung in Niederschlesien fanden bei Vertretern der Warschauer Regierung Akzeptanz. Das lag vor allem daran, dass diese auch ihrer eigenen Konzeption für eine Neuansiedlung in den „wiedergewonnenen Gebieten“ entsprachen – nämlich dieses neue Territorium schnell zu besiedeln und wirtschaftlich zu erschließen. Noch im Juni 1945 erließ der Ministerrat einen Beschluss „Über die Intensivierung der Umsiedlungsaktion“, bei dem die „Repatriierung“ 113 in einen gesamtstaatlichen bevölkerungspolitischen Plan 111 Bubis: Damit bin ich noch längst nicht fertig, S. 58–61. 112 Interview mit Dawid Ringiel, am 14. September 2006 in Wrocław, AA. 113 Der Begriff ‚Repatriierung‘ wird nicht nur in den zeitgenössischen kommunistischen polnischen und sowjetischen Dokumenten unterschiedslos auf die verschiedensten Formen von organisierten Bevölkerungsbewegungen angewendet, obwohl es sich in den meisten Fällen nicht um eine Rückführung in das Heimatgebiet, sondern um eine Entwurzelung von der Heimat handelte, der Wortsinn also in zynischer Weise umgekehrt wurde, siehe hierfür u. a.: Kersten, Krystyna: Repatri-
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Eingang fand. 114 Mit geschätzten 200.000 Personen nahmen die jüdischen „Repatriierten“, die den Krieg in der Sowjetunion verbracht hatten und auf diese Weise der Schoah entkommen waren, einen besonderen Platz in diesem Plan ein. 115 Nach einem Treffen zwischen einer Delegation niederschlesischer Juden mit dem Minister für Öffentliche Verwaltung, Edward Ochab, im Juni 1945 sagte dieser Unterstützung beim „Aufbau eines neuen jüdischen Lebens auf diesem Gebiet“ zu. 116 Somit siedelte etwa die Hälfte der überlebenden polnischen Juden in den ehemaligen deutschen Ostgebieten Niederschlesien und Westpommern. 117
114 115
116 117
acja ludności polskiej po II Wojnie Światowej. Wrocław 1974, S. 9; Szarota, Tomasz: Osadnictwo miejskie na Dolnym Śląsku w latach 1945–1948. Wrocław 1969, S. 11; Eberhardt, Piotr: Political Migrations in Poland (1939–1948). Warszawa 2006, S. 61. Czerniakiewicz, Jan: Repatriacja ludności polskiej z ZSRR. 1944–1948. Warszawa 1987, S. 37. Während des Zweiten Weltkrieges befanden sich etwa 230.000 polnische Juden auf dem Gebiet der Sowjetunion. Die meisten von ihnen waren entweder nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aus dem vom Deutschen Reich okkupierten Polen in die Sowjetunion geflohen oder in dem zwischen 1939–1941 von der Sowjetunion besetzten Ostpolen als ‚Klassenfeinde‘ verhaftet und ins Innere der Sowjetunion deportiert worden. Das am 6. Juli 1945 zwischen der Provisorischen Polnischen Regierung und der Regierung der UdSSR unterzeichnete Abkommen erlaubte es diesen Personen, nach Polen zurückzukehren. Bevor dieses Abkommen in Kraft trat, waren aufgrund von Vereinbarungen zwischen dem Polnischen Komitee der Nationalen Befreiung (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego/ PKWN) und den Regierungen der westlichen Sowjetrepubliken (Litauen, Weißrussland und der Ukraine) vom Herbst 1944 bereits viele polnische Juden nach Polen umgesiedelt, Czerniakiewicz: Repatriacja ludności polskiej z ZSRR, S. 102 f., 130, 154 f.; Eberhardt: Political Migrations in Poland, S. 62. Siehe auch: Jasiewicz, Krzysztof: Rzeczywistość sowiecka 1939–1941 w świadectwach polskich Żydów. Warszawa 2009; Gross, Jan T.: The Sovietization of Western Ukraine and Western Byelorussia, in: Davis, Norman/Polonsky, Antony (Hrsg.): Jews in Eastern Poland and the USSR, 1939–1946. London 1991, S. 60–76, hier S. 73; Litvak, Joseph: Jewish Refugees from Poland in the USSR, in: Gitelman, Zvi (Hrsg.): Bitter Legacy: Confronting the Holocaust in the USSR. Bloomington 1997, S. 123–150, hier S. 147. Egit: Grand Illusion, S. 48. Vgl. Bronsztejn, Szyja: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku po II wojnie światowej. Nieudana próba utworzenia skupiska, in: Sobótka, Nr. 2, 1991, S. 259–275, hier S. 264.
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Am 1. Juli 1945 waren bei den Jüdischen Komitees in Niederschlesien 7.860 Personen registriert; am 1. Januar 1946 bereits 18.210. 118 Die Masse der jüdischen Neusiedler sollte erst während der folgenden „Repatriierungswelle“ aus der Sowjetunion kommen. Gegen Ende 1945 teilte das Organisationskomitee der Polnischen Juden in der UdSSR dem Jüdischen Wojewodschaftskomitee Niederschlesien mit, dass die Einreise von voraussichtlich 200.000 Juden aus der UdSSR nach Polen zu erwarten sei. 119 Ein Teil von ihnen sollte auf direktem Weg nach Niederschlesien geleitet werden. Zwischen dem 1. Januar und dem 1. Juni 1946 kamen insgesamt 82.840 der sogenannten jüdischen „Repatrianten“ in Niederschlesien an. 120 Am 1. Juli 1946 meldete das Jüdische Wojewodschaftskomitee Niederschlesien die Zahl von 16.057 jüdischen Ansiedlern in Wrocław, darunter 8.769 der sogenannten „Repatrianten“ aus der Sowjetunion. 121 Bereits zwei Monate später, im September 1946, war die Zahl der jüdischen Einwohner der Stadt auf 19.485 Personen gestiegen. 122 Die jüdische Bevölkerung in Wrocław erreichte ihren Höchststand in der Nachkriegszeit zwischen Dezember 1946 und Februar 1947 mit über 20.000 Personen. 123 118 APWr, WKŻ, Sig. 5, Bl. 35. Die Anzahl der jüdischen Siedlerbevölkerung ist durch eine lückenhafte statistische Erfassung schwer zu bestimmen. Lediglich die Statistiken der Jüdischen Komitees bieten Informationen. Diese erfassten allerdings nur Personen, die sich freiwillig meldeten. Manche Juden, die den Krieg unter falscher Identität überlebt hatten und ihre polnischen Pseudonyme auch nach dem Mai 1945 beibehielten, nahmen keinen Kontakt zu den jüdischen Organisationen auf. 119 Hornowa, Elżbieta: Powrót Żydów polskich z ZSRR oraz działalność opiekuńcza Centralnego Komitetu Żydów w Polsce, in: BŻIH, Nr. 1–2, Januar–Juni 1985, S. 105–122, hier S. 112. 120 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/401 (unpg.). In dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1945 und dem 1. März 1947 betrug die Gesamtzahl der jüdischen Ansiedler in Niederschlesien 93.000 Personen, AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/414a, Bl. 2. Siehe Tabelle Nr. 12 (Zahl der Juden in den Wojewodschaften oder Bezirken in Polen, 1. Januar 1946). 121 AŻIH, CKŻP, Wydział Repatriacji, Sig. 303/VI/63, Bl. 9. Siehe Tabelle Nr. 11 (Verteilung der jüdischen Bevölkerung in Niederschlesien, erste Jahreshälfte 1946; größte Ansiedlungsorte). 122 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/403 (unpg.). 123 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/405 (unpg.); AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/406 (unpg.). Siehe Tabelle Nr. 19.
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Auch Cyla Zylbertal mit ihren Geschwistern gehörte zu den neuen jüdischen Siedlern in Wrocław. Sie wurde als Cyla Berman 1931 in Zamość geboren. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verbrachte Cyla Zylbertal ihre Kindheit mit ihrer Familie in Biłgoraj. Nach der deutschen Besetzung Polens gelang es ihrer Familie, im Januar 1940 in die Sowjetunion zu flüchten. Ein halbes Jahr später wurde die Familie Berman durch die Sowjets nach Sibirien deportiert. Den Krieg überlebte nur Cyla Zylbertal mit ihren zwei älteren Schwestern Mina und Regina sowie dem jüngeren Bruder Henryk. Im März 1946 kamen die Geschwister Berman in einem der Transporte mit „Repatriierten“ in Wrocław an: Wir fuhren mit dem Zug in die westlichen Gebiete – wir wussten es schon. Es war uns völlig egal. In unsere Stadt brauchten wir nicht mehr zurückzukehren, wir wussten, dass wir dort nichts mehr hatten – weder das Haus, noch unsere Familie, nichts. Wir wussten schon damals sehr viel über die Vernichtung und Ermordung der Juden. […] Als wir in Wrocław ankamen, wollten sie uns noch weiterhin fahren. Ständig wurden irgendwelche Waggons abgehangen. Wir mussten den Lokführer mit Geld bestechen, damit er uns in Wrocław aussteigen ließ. So sind wir in der Stadt gelandet. Alles war hier total durch den Krieg zerstört. Nur Trümmer, Trümmer und Trümmer, nichts mehr gab es hier. Die Mitarbeiter von PUR 124 brachten uns zu der Viktoriastraße 7, so hieß sie noch in dieser Zeit, denn alle Straßen hatten noch deutsche Schilder. Dort gaben sie uns so ein Hinterhaus in Parterre. Ein Zimmer, etwa 70 m2 , und nichts mehr, ohne alles. Ich stand da mit meinem Bruder, als die Deutschen ausziehen mussten, damit sie alle ihre Sachen mitnahmen. Was sie nicht mitgenommen hatten, hat mein Bruder hinter ihnen rausgeschmissen, damit da nichts von ihnen bleibt, so wütend waren wir auf sie. […] Nach unserer Ankunft in Wrocław, dachten wir, dass es ein Paradies sei. Das jüdische Leben hier war gut organisiert, niemand fürchtete etwas. […] In den ersten Wochen nach unserer Ankunft in Wrocław haben wir zwei Pakete von der UNRRA 125 , ein wenig Essen und Bekleidung bekommen. Es gab auch Bekleidungsrationen im Jüdischen Komitee an der Włodkowicastraße, dort wo auch die Jüdische Gemeinde war, wo sich das jüdische Leben in Wrocław konzentrierte. Auch der JOINT 126 schickte dorthin
124 PUR – Państwowy Urząd Repatriacji (Staatliches Repatriierungsamt). 125 UNRRA – United Nations Relief and Rehabilitation Administration (Die Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen). 126 JOINT – American Jewish Joint Distribution Committee (Jüdisch-Amerikanisches Hilfskomitee Joint).
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Pakete und diese wurden im Jüdischen Komitee verteilt. Es gab Dosen, Zigaretten, Wurst, sogar Schokolade. Also es gab Hilfe und Unterstützung. 127
Für die Aufnahme und Betreuung der jüdischen „Repatrianten“ waren das Jüdische Wojewodschaftskomitee sowie seine „Repatriierungsabteilung“ zuständig. Für Hilfsleistungen für die jüdische Bevölkerung bei ihrer Ansiedlung in Niederschlesien wurde – gemäß einem Bericht der Repatriierungsabteilung – für die erste Jahreshälfte 1946 die enorme Summe von über sechs Millionen Złoty ausgegeben. 128 Diese finanzielle Unterstützung wurde von verschiedenen Institutionen geleistet, vor allem vom Zentralkomitee der Juden in Polen, dem Jüdisch-Amerikanischen Vereinigten Hilfskomitee („JOINT“) und der polnischen Regierung. Sie konnte allerdings nicht alle Bedürfnisse abdecken, weshalb man in einem dramatischen Aufruf auch um Hilfe bei Juden im Ausland bat: Im Namen jener, die in der vergangenen, allergrößten Tragödie des Weltjudentums getötet wurden, und im Namen derer, die überlebt haben, fordern wir: Schicken Sie uns finanzielle Hilfe, Nahrung, Kleidung. Bitte übernehmen Sie Verantwortung für das Schicksal Ihrer Brüder. Wir sind davon überzeugt, dass Sie uns diesmal erhören werden. 129
Die etwa 90.000 Juden in Niederschlesien stellten einen bedeutenden Prozentsatz der jüdischen Gesamtbevölkerung Polens zu dieser Zeit dar: Im Juli 1946 waren bei der Abteilung für Statistik des Zentralkomitees der Juden in Polen insgesamt etwa 250.000 Juden registriert, die außer in Niederschlesien vor allem in Szczecin, Łódź und Oberschlesien lebten. 130
127 Interview mit Cyla Zylbertal, am 15. September 2006 und am 10. September 2007 in Wrocław, AA; vgl. Interview mit Cyla Zylbertal, im September, Oktober und November 2007, Kolekcja autorska Anki Grupińskiej ‚Zapisywanie świata żydowskiego w Polsce‘, Muzeum Historii Żydów Polskich Warszawa (MHŻP). 128 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/VI/63, Bl. 46. 129 AŻIH, CKŻP, Sig. 301/2, Bl. 76. 130 Hornowa: Powrót Żydów polskich z ZSRR, S. 105–123.
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4.2.2 „A Naye Lebn Geyt Oyf“ Der jüdisch-amerikanische Journalist Peysekh Novik bereiste zwischen Mai 1946 und Januar 1947 das Nachkriegseuropa. Ziel seiner Reise war es, die Situation der überlebenden Juden in den europäischen Ländern zu erkunden. Zurück in New York angekommen, verfasste Peysekh Novik Reisereportagen, die in seinem Buch in jiddischer Sprache, „Eyrope – Tsvishn Milhome un Sholem“ (Europa – Zwischen Krieg und Frieden), 1948 veröffentlicht wurden. Während seiner Reise durch Polen gelangte er nach Niederschlesien und hielt sich einige Tage in Wrocław auf. Er beschreibt in seinem Reisebuch die Eindrücke über das erst seit Kurzem in der Stadt etablierte jüdische Leben: Die jüdische Ansiedlung in Niederschlesien konzentriert sich vor allem in Wrocław, Rychbach, Bielawa, Wałbrzych, Legnica, Kłodzko, Jelenia Góra. Es sind industrielle Zentren. Die Juden leben aber auch in 43 Städten und Städtchen in Niederschlesien und übernehmen auch Bauernhöfe. […] In Niederschlesien erscheinen jüdische Zeitungen, es gibt eine Vielzahl jüdischer Genossenschaften, Schulen, Kulturzentren, Bibliotheken und ein Jüdisches Theater. […] Ein kleines Stückchen des jüdischen Lebens aus dem Vorkriegspolen ist hier auferstanden. […] Wrocław gehört zu den größten Städten der jüdischen Ansiedlung und ist zugleich Hauptstadt von Niederschlesien. […] In Wrocław angekommen, gehe ich zu einer kleinen Insel aus Gebäuden und Strassen, die nicht zerstört wurden. Hier befindet sich das Zentrum des jüdischen Lebens, genau an der Stelle, wo sich das ehemalige jüdische Zentrum der deutschen Juden in Breslau befand. Die Gebäude haben den Krieg überstanden und gehören wieder den Juden. Hier befindet sich das Jüdische Wojewodschaftskomitee für Niederschlesien sowie das lokale Jüdische Komitee für die Stadt Wrocław. Hier konzentriert sich auch das jüdische religiöse Leben. Es gibt hier eine jüdische Küche und die Synagoge, in der regelmäßig Gottesdienste stattfinden. Die religiösen Juden erbauten hier sogar ein rituelles Bad, die Mikwe. Eine Menschenmenge: Gedränge, Personen die gerade aus der Sowjetunion angekommen sind – lebende polnische Juden treffen wir auf der Strasse, auf den Treppen in die Gebäude, im großen Hof der Synagoge, in den Fluren. Sie alle erhalten hier Hilfe, Informationen und erledigen andere Angelegenheiten. Die jüdischen Ankömmlinge brauchen Wohnungen, Arbeit und suchen nach Verwandten. […] Die Massen von Menschen haben sich noch nicht eingelebt hier. Eine Tatsache erschwert alles; die Stadt ist eine Ruine. 131 131 Novik, Peysekh: Eyrope – Tsvishn Milhome un Sholem. New York 1948, S. 110– 113.
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Diese Beschreibung über ein florierendes jüdisches Leben in Wrocław mag äußerst außergewöhnlich anmuten, vor allem in Anbetracht dessen, dass der Zweite Weltkrieg, während dessen Verlauf Millionen europäischer Juden ermordet wurden, erst ein knappes Jahr vorbei war. Aus diesen Zeilen erhalten wir auch eine Vorstellung über das Ausmaß und die Dimension der jüdischen Ansiedlung in der Stadt sowie in ganz Niederschlesien. Wie die Beschreibung von Peysekh Novik andeutet, wurden infolge der massiv steigenden Zahl der jüdischen Umsiedler aus der UdSSR in Niederschlesien neue jüdische Institutionen und Organisationen ins Leben gerufen. Zu ihren dringendsten Aufgaben gehörten anfänglich die Krankenfürsorge, die sogenannte „Produktivierung“, 132 ebenso wie materielle Hilfe und die Beschaffung von Wohnraum und Arbeit. In Wrocław übernahm das Jüdische Komitee diese immens wichtige Arbeit: Obhut für die Juden in der Stadt zu gewährleisten, Hilfe bei der Vermittlung von Arbeit zu bieten und bei der Suche nach Wohnraum und nicht selten nach überlebenden Familienmitgliedern Unterstützung zu geben. In Wrocław entstand, wie bereits erwähnt wurde, auf Initiative der überlebenden Breslauer Juden im Mai 1945 ein Jüdisches Komitee. Im April 1946 kam es zum Transfer des Jüdischen Wojewodschaftskomitees aus Rychbach nach Wrocław. Dieses bezog ein Gebäude an der Włodkowicastraße (ehemals Wallstraße) – inmitten des ehemaligen Zentrums der deutschen Juden in Breslau in unmittelbarer Nachbarschaft der Synagoge „Zum Weißen Storch“, die seit Mai 1945 als Synagoge „Pod Białym Bocianem“ genannt wurde. Die Kontinuität des deutsch-jüdischen Lebens aus der Vor132 Der Begriff ‚Produktivierung‘ (Produktywizacja) ist durchaus antisemitisch konnotiert, da er sprachlich impliziert, dass ein bisher nicht produktiver Mensch zu einem solchen gemacht werden müsse. Dieser Terminus wurde allerdings nur auf die jüdische Bevölkerung Polens angewandt. Der Begriff ist allerdings erst in den 1880er-Jahren aufgekommen, als es galt, die von der zaristischen Administration vom Land verwiesenen mittel- und obdachlosen Juden in den kapitalistischen Produktionsprozess der polnischen Städte einzubinden. Trotz der Tatsache, dass der Begriff immer auch antisemitische Stereotype vermittelte, wurde er nach dem Krieg wiederverwendet, vgl. Golczewski, Frank: Die Ansiedlung von Juden in den ehemaligen deutschen Ostgebieten Polens 1945–1951, in: Brumlik, Micha/ Sauerland, Karol (Hrsg.): Umdeuten, verschweigen, erinnern. Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa. Frankfurt a. M. 2010, S. 91–114, hier S. 104– 108.
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kriegszeit war hier nicht nur in materiellem Sinne gegeben, also in Form der jüdischen Gebäude. Die polnischen Juden gründeten in eben diesem Gebäudekomplex Institutionen, die denen der deutschen Juden sehr ähnlich waren: „Im ersten Stock des Gebäudes richtete man die Büros des Komitees ein; im zweiten Stock befand sich ein Theatersaal. Im hinteren Teil des Gebäudes lag ein Internat für die Jugendliche[n]. Im Erdgeschoss hatte die Jüdische Gemeinde ihre Räume.“ 133 Von hier aus leitete und beaufsichtigte das Wojewodschaftskomitee die Jüdischen Lokalkomitees in ganz Niederschlesien und war zugleich unmittelbarer Vertreter des Zentralkomitees der Juden in Polen vor Ort. 134 Die politische Freizügigkeit, die den Juden in Polen in der unmittelbaren Nachkriegszeit gewährt war, begünstigte ein breites Spektrum von Parteien, unter denen die Kommunisten nicht unbedingt das Monopol besaßen. Die gesamte Palette der jüdischen Parteien in Polen in dieser Zeit knüpfte an die politische Tradition der polnischen Juden in der Vorkriegszeit an. In Wrocław, ähnlich wie in ganz Polen, waren unter anderem die jüdische Fraktion der kommunistischen Arbeiterpartei (Polska Partia Robotnicza/PPR), die „Bund-Partei“ 135 sowie zionistische Parteien tätig. 136 Zu ihnen gehörten „Poale Zion“ 137 , „Hitahdut“ 138 , „Haschomer Hatzair“, „Ichud“ 139 . Darüber hinaus waren in der Stadt auch religiöse Parteien präsent: „Mizrachi“ und 133 APWr, WKŻ, Sig. 105, Bl. 3. 134 Bereits im Juni 1946 existierten in 43 niederschlesischen Ortschaften 30 Jüdische Komitees und 13 Kreiskomitees, siehe: AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/281 (unpg.). 135 Bund – Der Allgemeine jüdische Arbeiterbund (jidd. אלגעמיינער יידישער – ארבייטערסבונדAlgemeyner Yidisher Arbeter Bund), 1897 in Wilna gegründet, war eine der größten und mitgliederstärksten jüdischen Arbeiterparteien im Polen der Zwischenkriegszeit. Konsequent stand sie in Opposition zu einem zionistischen Programm und postulierte die Lösung der jüdischen Frage in Polen auf dem Wege sozialistischer Änderung der Staatsform und einer kulturell-nationalen Autonomie der Juden. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand sie weiterhin in Opposition zum zionistischen Programm, indem sie für den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Polen plädierte. 136 Vgl. Interview mit Dina Schein, im November 2006 und Mai 2007, Sammlung von Anka Grupińska, MHŻP. 137 Hebr. ( – פועל ציוןArbeiter von Zion) marxistisch-zionistische Zirkel jüdischer Arbeiter. 138 Hebr. ( – התאחדותBund) Zionistische Arbeiterpartei. 139 Hebr. ( – איחודVereinigung, Union) Vereinigung der Zionisten Demokraten
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„Aguda“ 140 , die mit der jüdischen Gemeinde eng verknüpft waren. 141 Für dieses breite Spektrum von Parteien war Niederschlesien mit seinen zahlreichen jüdischen Einwohnern ein besonders spannendes Betätigungsfeld. Trotz aller Unterschiede in ihrer jeweiligen ideologischen Ausrichtung verfügten die zionistischen Parteien unter der jüdischen Bevölkerung über einen größeren Einfluss und mehr Unterstützung als die Fraktion der Arbeiterpartei oder der Bund. 142 Die jüdischen politischen Parteien sowie deren Sozialeinrichtungen (wie Schulen, Waisenhäuser und Genossenschaften) wurden bis 1949 von den kommunistischen Machthabern toleriert, obwohl sie formal nicht legalisiert waren. Die Arbeit der zionistischen Parteien und der jüdisch-kommunistischen Kreise war von zwei gegenläufigen Zielen geprägt: Die Zionisten strebten danach, ein jüdisches Leben in Palästina aufzubauen und an Traditionen und Religion anzuknüpfen, die Kommunisten dagegen, eine moderne, säkulare jüdische Gesellschaft in Polen zu formen. Die zionistischen Parteien waren zwar hinsichtlich der gesellschaftlichen Stimmung und der Zahl ihrer Mitglieder deutlich im Vorteil: Hier erfreute sich die „Ichud“-Partei größter Popularität. Die politische Macht hielt aber die Polnische Arbeiterpartei fest in der Hand. Die verstärkte Emigration von Juden – darunter der Zionisten nach Palästina – und die Festigung der kommunistischen Diktatur in Polen halfen linken Zionisten und jüdischen Kommunis-
‚Ichud‘ in Polen. Unter den zionistischen Parteien in Wrocław erfreute sich ‚Ichud‘ der größten Popularität. 140 ‚Aguda‘ agierte zu dieser Zeit illegal, weil ihr die notwendige Registrierung beim Ministerium für Öffentliche Verwaltung fehlte. 141 Vgl. Interview mit Anzel Schwarztz, im November 2009 in Moshav Zafriya/Israel, MHŻP, Int. No. 900800; Interview mit Ilana Caigier (geb. Kaganowsky), am 25. November 2007 in Tel Aviv, Int. No. 701143, MHŻP; Grabski, August: Działalność komunistów wśród Żydów w Polsce (1944–1949). Warszawa 2004; ders.: Kształtowanie się pierwotnego programu żydowskich komunistów w Polsce po Holokauście, in: ders./Berendt, Grzegorz/Stankowski, Albert: Studia z historii Żydów w Polsce po 1945 roku. Warszawa 2000, S. 67–192; ders.: Żydzi a polskie życie polityczne (1944–1949), in: Tych/Adamczyk-Garbowska (Hrsg.): Następstwa zagłady Żydów, S. 157–188; Aleksiun: Dokąd dalej? Ruch syjonistyczny w Polsce; Hensel, Jürgen/Tych, Feliks: Bund. 100 lat historii 1897–1997. Warszawa 2000. 142 AAN, PZPR, Sekretariat, Sig. 295/VII-149, Bl. 72–75.
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ten, ihre Stärke auszubauen. 143 Bis es dazu kam, konnten die zionistischen Parteien in ganz Niederschlesien zahlreiche „Kibbuzim“ gründen. Allein in Wrocław existierten etwa 13 solcher Einrichtungen, die meistens von der äußerst populären „Ichud“-Partei unterhalten wurden. 144 Gerade die jungen jüdischen Überlebenden, die oft als Einzige ihrer Familien überlebt hatten und in die fremde Stadt kamen, fanden in den „Kibbuzim“ einen Neubeginn. Der 1923 im ostpolnischen Borowiec bei Biłgoraj geborene und aus einer chassidischen Familie stammende Julian Brejt sammelte reiche Erfahrungen mit mehreren „Kibbuzim“ in Wrocław. Nachdem er mit seiner Mutter Fryda den Krieg im Versteck in den Wäldern bei Dubno überlebt hatte, entschloss er sich Ende 1947, nach Niederschlesien überzusiedeln. Er schildert seine Aufenthalte in den „Kibbuzim“ wie folgt: Wir kamen in Wrocław mit einem sehr großen Transport an. Dieser bestand aus 50 Waggons, in denen ganz viele Juden Richtung Westen fuhren. Als wir in Wrocław ankamen, standen schon auf dem Bahnhof zionistische Aktivisten aus den Kibbuzim und begrüßten uns mit diesen Worten: ‚Ihr braucht nicht in Polen bleiben. Das Land ist nicht unsere Zukunft. Unsere Zukunft wird in Palästina sein.‘ Sie sagten uns, dass wir vorübergehend nach Deutschland gehen werden. Ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen, nach all dem[,] was ich durchgemacht habe, soll ich jetzt nach Deutschland gehen? Ich habe nach etwa einer Woche dieses Kibbuz verlassen, weil ihre zionistische Ideologie nicht immer mit meinen Vorstellungen übereinstimmte. Danach wechselte ich in andere Kibbuzim, unter anderem in einen Aguda-Kibbuz. Dieser war mir wiederum zu religiös und zu streng. Dann ging ich zum Kibbuz der Misrachi. Dieser Kibbuz wollte mich wiederum nach England zu einer Yeschiwa 145 schicken. Ich konnte es nicht tun, weil ich mich um meine kranke Mutter kümmern musste. So habe ich mich von dem Kibbuzim-Leben gelöst. 146 143 Vgl. Aleksiun: Dokąd dalej? Ruch syjonistyczny w Polsce, S. 245 f.; Szaynok, Bożena: Problematyka żydowska w polityce komunistów w latach 1949–1953, in: Ruta, Magdalena (Hrsg.): ‚Nusech Pojln‘. Studia z dziejów kultury jidysz w powojennej Polsce. Kraków/Budapeszt 2008, S. 9–26. 144 AŻIH, CKŻP, Akta Towarzystwa Ochrony Zdrowia Ludności Żydowskiej (TOZ), Sig. 324/1169, Bl. 12; AŻIH, CKŻP, TOZ, Sig. 324/1180, Bl. 1 ff. 145 Hebr. – ישיבהeine Talmudhochschule, wo sich die männlichen Studenten dem Talmud- und Thorastudium widmen. 146 Interview mit Julian Brejt, am 2. Januar 1996 in Milwaukee, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 10653, Tape 4.
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Die Agitation der Zionisten war in Niederschlesien weit verbreitet. So meldete im Februar 1946 ein Vertreter des Zentralkomitees der Juden in Polen folgende Geschehnisse auf dem Bahnhof in Wrocław: Agitationen […] betreibt die Ichud Partei […], sie ruft gegen die Niederlassung in Rychbach auf, wo angeblich Juden ermordet werden, und besteht darauf, dass man in Wrocław vorübergehend bleiben solle. Hier […] sind schon Wohnungen vorbereitet, von hier aus könnten sie leichter ins Ausland emigrieren. 147
Auch wenn die zionistischen Parteien gegen die jüdische Ansiedlung in Niederschlesien und im Allgemeinen gegen die Revitalisierung des jüdischen Lebens in Polen antraten, unterhielten sie außer den „Kibbuzim“ etwa sieben andere Einrichtungen wie beispielsweise Zentren der „Produktivierung“ und Waisenhäuser in der Stadt. 148 Die politischen Veränderungen in der Volksrepublik Polen und die wachsende kommunistische Dominanz sowie die Ereignisse in Palästina übten einen starken Einfluss auf die jüdischen Parteien aus und führten in der Konsequenz 1949 zur Auflösung der Bund-Partei sowie zur allmählichen Ausschaltung der polnischen zionistischen Parteien. 149 Die Gründung der Jüdischen Komitees im Nachkriegspolen mit ihrer Führung, dem Zentralkomitee der Juden in Polen, sowie ihren zahlreichen Einrichtungen stellte ein Novum in der Geschichte der Juden in Polen dar. Diese Institutionen, die sich vor allem durch ihre areligiöse Gestalt auszeichneten, ersetzten im gewissen Sinne die sogenannte „Kehila“ 150 , also die jüdische Gemeinde, die im Vorkriegspolen für zahlreiche Bereiche des jüdischen Lebens wie Wohlfahrt, Bildung oder Gesundheit zuständig war. 151 Dieser Umstand führte jedoch nicht dazu, dass sich im Nachkriegspolen parallel die religiösen Gemeinden neu organisierten. Da die jüdischen Gemeinden keine Verzeichnisse führten, lässt sich die Anzahl ihrer Mitglieder nicht präzise bestimmen. Die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde war eine freiwillige und individuelle Entscheidung, die als 147 148 149 150 151
AŻIH, CKŻP, Sig. 303/V/281 (unpg.). AŻIH, CKŻP, TOZ, Sig. 324/1180, Bl. 1 ff. AAN, Spóścizna Zachariasza, Sig. 476/28, Bl. 227. Hebr. – קהילהGemeinde. Vgl. Polonsky, Antony: Tradycje polskich Żydów i wpływ Holokaustu na ich zmianę, in: Berendt: Społeczność żydowska w PRL przed kampanią antysemicką, S. 27–42.
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ein Bekenntnis zur jüdischen Nationalität, zur jüdischen Kultur und zum mosaischen Glauben betrachtet wurde. Interessanterweise waren es Juden, die sich meist aufgrund der Erfahrungen während der Schoah vom religiösen Leben distanziert oder auch völlig entfernt hatten, die ein äußerst positives emotionales Verhältnis zu jüdischen Feiertagen, Traditionen und zum religiösen Leben pflegten. Im Bewusstsein der polnischen Juden in der Nachkriegszeit wurde die Religion generell als nationale jüdische Tradition wahrgenommen, abgesehen vom individuellen Verhältnis zum Glauben, und war ein entscheidender Faktor für den Zusammenhalt dieser Gruppe. Dies galt auch für Atheisten. In einem Interview mit dem Arzt Eryk Friedman, der den Krieg in der Sowjetunion überlebte und sich 1946 in Wrocław niederließ, lässt sich diese Tendenz deutlich erkennen: Früher, auf der jüdischen Gasse, hat die Religion ganz andere Rolle gespielt als in der Nachkriegszeit in Polen. Die im Bethaus versammelten Juden fühlten sich einer Nation zugehörig. Ich bin heute, genauso wie damals in Wrocław, konfessionslos. Nur die jüdische Tradition hat mich damals angezogen. Diese erinnerte mich an die Familientreffen, somit an meine Familie, die ich verloren habe. Ich bin der Meinung, dass die Religion ein wichtiger Faktor war, der die jüdische Nation nach all diesen Katastrophen in der Diaspora aufrechterhalten hat. Meine Wahrnehmung der jüdischen Religion ist deshalb äußerst positiv, dank ihrer konnten wir die Eigenart unseres Volkes beibehalten. 152
Die Juden im polnischen Wrocław haben die religiösen Strukturen, die während des Zweiten Weltkrieges völlig zerstört wurden, neu erschaffen. Die jüdische Gemeinde, die sogenannte „Kongregation Jüdischen Glaubens“ (Żydowska Kongregacja Wyznaniowa/ŻKW) in Wrocław nahm ihre Tätigkeit unmittelbar nach dem Ende der Kriegshandlungen auf, also bereits im Mai 1945. 153 Ein Schreiben der Repräsentanz an das Präsidium des Nationalrates, Abteilung für Konfessionen (Prezydium Rady Narodowej, Wydział do spraw Wyznań) der Stadt Wrocław vom 5. Dezember 1967 enthält Informationen über die Situation der Gemeinde im ersten Jahr ihrer Tätigkeit: Nach der Befreiung, im Mai 1945, haben Genossen Berber, Nessel, Margulies, Sprung, Weidt, Kohn und andere […] in Wrocław eine Jüdische Glaubensrepräsentanz gegründet. Sie haben die einzige erhalten gebliebene Synagoge in der 152 Interview mit Eryk Friedman, am 10. Januar 2007 in Haifa, AA. 153 Vgl. Waszkiewicz: Kongregacja Wyznania Mojżeszowego na Dolnym Śląsku.
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Włodkowicastraße 9 [Wallstraße] renoviert und das religiöse Leben organisiert. Im ersten Zeitraum nach der Befreiung betrug die Zahl der Mitglieder der Vereinigung etwa 5.000. Aufgrund der Umsiedlung aus der UdSSR stieg die Zahl der Mitglieder im Jahre 1950 auf etwa 20.000. […] Die Zahlen unterlagen jedoch ständigen Veränderungen, die durch Umsiedlung und Emigration von Juden ins Ausland bedingt waren. Bis Ende 1950 war Genosse Trajstman 154 offizieller Rabbiner der Gemeinde. 1951 emigrierte er ins Ausland. 155
Aus diesem Schreiben lässt sich ableiten, dass die deutsch-jüdischen Breslauer zu den Gründern der jüdischen Gemeinde unmittelbar nach dem Krieg gehörten. Willi Sprung, ein deutscher Jude, amtierte bis 1948 als Vorsitzender der Gemeinde. Die erhalten gebliebenen Sterbebücher der Gemeinde für die Jahre 1945 und 1946 wurden ausschließlich in deutscher Sprache geführt und verzeichnen 27 Beerdigungen von deutschen Juden auf dem Jüdischen Friedhof Cosel. 156 Vom Mai 1945 bis 1951 gab es in Wrocław vier Gebetshäuser: die große Synagoge und eine kleine Synagoge in der Włodkowicastraße 9 sowie die Gebetshäuser in der Żeromskiegostraße 24 (ehemals Weinstraße) und in der Oleśnickastraße 11 (Oelsnerstraße). 157 Den Juden in der Stadt standen außerdem Vorstandsbüros, eine Speisenausgabe, die „Talmud-Tora“-Schule, zwei Schächtereien und zwei Friedhöfe in der Ślężnastraße (Lohestraße) und in der Lotniczastraße (Flughafenstraße) zur Verfügung. 158 Die zentrale Stelle für die religiösen Juden war die Włodko-
154 Szulim Trajstman begann mit seiner Arbeit in der jüdischen Repräsentanz Wrocław im Juli 1946. Er wurde 1892 in Żelechów geboren. Als Sohn eines Rabbiners bekam er auch eine entsprechende Ausbildung. Unter anderem studierte er im Berliner Judaistischen Institut (Bet Midrash Elion) bei Professor Chaim Heller. In den Jahren 1927 bis 1932 war er Oberrabbiner in Finnland, dann – bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – Rabbiner in Warschau. Er war auch Vorsitzender der ‚Misrachi‘-Partei. Die Kriegszeit verbrachte er in der UdSSR, wo er an der Petropawlowsker Universität Fremdsprachen unterrichtete. Siehe, APWr, UWW, Sig. VI/270, Bl. 60. 155 Archiwum Gminy Żydowskiej we Wrocławiu (AGŻWr), Schreiben vom 5. Dezember 1967 (unpg.). Der Bestand im Archiv der jüdischen Gemeinde in Wrocław ist nicht archiviert und verfügt über keine Signaturen. 156 Ebd. Die jüdische Gemeinde Wrocław führte ihre Korrespondenz bis Ende 1948 hauptsächlich auf Deutsch und auch auf Hebräisch. 157 AGŻWr, Schreiben vom 5. Dezember 1967 (unpg.). 158 Ebd.
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wicastraße 9. An die dort herrschende Atmosphäre erinnert sich Dawid Ringiel: Im Hof der Synagoge ‚Zum Weißen Storch‘ [im Original deutsch] versammelten sich jeden Tag Juden, und zwar nicht nur religiöse, die zur Synagoge strömten, sondern auch diejenigen, die irgendwas im Jüdischen Wojewodschaftskomitee [das nebenan seinen Sitz hatte] zu erledigen hatten. Es war ein bekannter Treffpunkt aller Juden der Stadt Wrocław gewesen. Man betrieb Handel, hier befand sich auch die koschere Metzgerei. Jeden Tag wimmelte es vor Juden, die sich miteinander unterhielten, meistens über die Vorkriegszeit oder einfach über die gegenwärtigen Existenzprobleme. Man traf hier auch öfter Juden aus anderen niederschlesischen Städten, aus Rychbach, Kłodzko oder Wałbrzych, die meist mit verschiedenen Problemen zum Jüdischen Komitee kamen. Es erinnerte mich an die kleinen jüdischen Städte in der Vorkriegszeit, wo man sich ja auch am Markt getroffen und stundenlang unterhalten hat. An jüdischen Feiertagen war es hier so voll, dass man überhaupt nicht vorbeigehen konnte, geschweige denn in die Synagoge hereinkam. Es war ein jüdischer Mikrokosmos, wo die alten orthodoxen Juden in ihrer traditionellen Kleidung mit jungen, teilweise assimilierten Juden zusammentrafen; eine gewisse Exotik in Wrocław. 159
Von 1945 bis 1947 existierte in Wrocław auch eine jüdische Glaubensrepräsentanz auf Bezirksebene, die für die Verteilung der finanziellen Mittel aus der Zentrale des Jüdisch-Amerikanischen Vereinigten Hilfskomitees („Joint“) in Warschau auf die Gemeinden im Kreis Wrocław verantwortlich war. 160 Auch staatlicherseits bemühte man sich zu dieser Zeit um Beihilfe: Die Zentral- und Regionalbehörden halfen z. B. bei der Belieferung mit Fleisch für eine rituelle Schlachtung, außerdem bekam die Gemeinde Mehl und „Matze“ (Letzteres allerdings hauptsächlich über den „Joint“). 161 Innerhalb der jüdischen Gemeinde in Wrocław gab es – wie erwähnt – eine religiöse „Talmud-Tora“-Schule und neben dieser gab es in der Stadt auch eine religiöse Oberschule: die sogenannte „Jeschiwa-Schule“ – als eine von zweien in ganz Polen (die Zweite hatte ihren Sitz in Krakau). 162
159 Interview mit Dawid Ringiel, 2006 in Wrocław, AA. 160 Waszkiewicz: Kongregacja Wyznania Mojżeszowego na Dolnym Śląsku, S. 83. 161 AŻIH, CKŻP, Wydział Kultury i Propagandy, Biuletyn Żydowskiej Agencji Prasowej, Nr. 45 (165), 29. April 1946, Sig. 303/XIII/192. 162 Szaynok: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku, S. 125.
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Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass trotz der zu verschiedenen Zeiten widrigen und widersprüchlichen Beschlüsse und Direktiven der kommunistischen Partei und des Staates die Gemeinden als die einzigen jüdischen Organisationen weiter bestehen konnten. Dies trifft auch auf Wrocław zu. 163 Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann das Jüdische Wojewodschaftskomitee in Niederschlesien das jüdische Schulwesen zu beleben. So hieß es auf der ersten Konferenz der niederschlesischen Jüdischen Komitees im Juni 1945: „In der Sorge um die überlebende jüdische Jugend und Kinder rufen wir auf, entsprechende Einrichtungen und Schulen zu organisieren.“ 164 Außer dem Komitee waren auch Institutionen wie „Hechaluz Pionier“ und die jüdischen Gemeinden für den Aufbau eines jüdischen Schulwesens tätig. Als erste jüdische Schule im Gebiet Niederschlesiens wurde am 10. Januar 1946 eine dreistufige jüdische Grundschule in Wrocław eröffnet, die durch das Zentralkomitee der Juden in Polen subventioniert wurde. Sie hatte ihren Sitz in der Włodkowicastraße. In der Schule wurden zunächst drei Lehrer beschäftigt, die für 46 Schüler zuständig waren; aber schon im Februar 1946 stieg die Zahl der Schüler auf 70 an und am Ende des Jahres 1946 betrug die Zahl der Schüler schon 250 und die der Lehrer 14. 165 Die Bildung in den jüdischen Schulen, die zumeist in der Unterrichtssprache Jiddisch erteilt wurde, umfasste – neben den regulären Fächern in allen polnischen Schulen – auch die jiddische und hebräische Sprache; ab der dritten Klasse war die Geschichte der Juden Teil des Lehrprogramms und Hebräisch obligatorische Lernsprache. Zu den größten Problemen gehörte unter anderem der Mangel an qualifizierten Lehrkräften mit Jiddisch- und Hebräischkenntnissen sowie an Lehrmaterialien und Büchern in diesen Sprachen. 166 Einen raschen Anstieg der Zahl der jüdischen Schüler 163 AGŻWr, Korrespondenz. 164 Archiwum Towarzystwa Społeczno-Kulturalnego Żydów w Polsce, Wrocław (ATSKŻ), Resolution vom 17. Juni 1945. 165 Datner-Śpiewak, Helena: Instytucje opieki nad dzieckiem i szkoły powszechne Centralnego Komitetu Żydów Polskich w latach 1945–1946, in: BŻIH, Nr. 3, Juni–September 1981, S. 37–51, hier S. 46; vgl. ders.: Szkoły Centralnego Komitetu Żydów w Polsce w latach 1944–1949, in: BŻIH, Nr. 1–3, Januar–September 1994, S. 103–119, hier S. 106. 166 Datner-Śpiewak: Instytucje opieki nad dzieckiem S. 48; Egit: Tzu a Naje Lebn, S. 65.
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brachte die Ankunft der jüdischen „Repatrianten“ aus der Sowjetunion. In der hiesigen jüdischen Schule gab es Mitte 1946 nur zehn Kinder, die die deutsche Okkupation in Polen überlebt hatten, 240 waren hingegen „Repatriantenkinder“. 167 Dieser Zustrom trug dazu bei, dass das Schulgebäude an der Włodkowicastraße sich bald als zu klein erwies. Deshalb versuchte die Schule, das ehemalige Gebäude der Breslauer jüdischen Gemeinde an der Perecastraße (Rehdigerplatz) zu erhalten. Hier nahm die Schule dann im Schuljahr 1946/1947 unter dem Namen „Szolem Alejchem“ 168 ihre Arbeit auf. 169 Eine der großen Schwierigkeiten bei der Eingliederung der „Repatriantenkinder“ war die fehlende Beherrschung des Polnischen und Jiddischen; sie sprachen fast ausschließlich russisch. In den ersten Klassen mussten die Lehrer den Unterricht deshalb in drei Sprachen durchführen, da manche Kinder nur russisch, andere aber polnisch oder auch jiddisch konnten. 170 Bis zum Jahr 1949 war in Wrocław eine hebräische Schule (mit 108 Schülern) tätig; sie wurde aber, wie alle hebräischen Schulen in Polen, noch im September 1949 geschlossen. 171 Neben den Schulen gab es in der Stadt auch 167 Bronsztejn: Z dziejów ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku, S. 32. 168 Scholem [poln.: Szolem] Alejchem (1859–1916), eigentlich Schalom Rabinowitsch, aus der Ukraine stammend, wanderte 1905 in die Schweiz und dann nach Amerika aus. Bereits im Alter von 21 Jahren Rabbiner, begründete er mit lebensnahen Milieuromanen seinen Ruf als größter Humorist der jiddischen Literatur. Die von ihm geschaffenen Charaktere aus allen Schichten des jüdischen Volkes Osteuropas haben geradezu metaphorische Bedeutung erlangt. 169 Dawidowicz, Jakub: ‚W gościnie u dzieci‘, in: Nowe Życie, Nr. 9, 8. Dezember 1946, S. 4. 170 Kreuslerowa, Estera: ‚Nasza szkoła‘, in: Nowe Życie, Nr. 8, 10. November 1946, S. 5. Ab Mitte 1947 bemühte sich das Jüdische Wojewodschaftskomitee Niederschlesien an der ‚Szolem-Alejchem‘-Schule, auch eine Oberschule zu integrieren. Im Schuljahr 1947/48 konnte die Schule dann um ein jüdisches Lyzeum erweitert werden und erhielt den Status einer staatlichen Schule. Sie war mit 320 Schülern die größte jüdische Schule dieser Art in Polen, Bronsztejn: Z dziejów ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku, S. 34. 1947 wurden in Wrocław auch eine jüdische Künstlerschule und eine Ballettschule von Judyta Berg organisiert sowie eine jüdische Musikschule namens „Huberman“ eröffnet, AŻIH, Żydowskie Towarzystwo Krzewienia Sztuk Pięknych, Sig. 361/16 (unpg.). 171 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I/16, Bl. 86. Die Auflösung der hebräischen Schulen war Teil der Umsetzung eines Planes zur Ausschaltung eigenständiger jüdischer Institutionen durch die jüdischen Kommunisten. Das Jahr 1949 bot auch die Mög-
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einen „Akademischen Kreis jüdischer Studenten“ (Koło Akademickie Studentów Żydowskich). Bereits im Herbst 1946 zählte diese Organisation 168 Studenten und im Jahre 1948 stieg ihre Zahl auf 360. 172 Einmalig für ganz Polen eröffnete 1946 auch ein jüdisches Studentenwohnheim. Beide beendeten ihre Tätigkeit nach den politischen Umbrüchen im Oktober 1956. 173 Zu den wichtigsten Aufgaben der jüdischen kulturellen Tätigkeit in Wrocław gehörten zweifelsohne Presse und Verlagswesen. Ab Juli 1946 erschien in Wrocław die Zeitschrift „Nowe Życie“ (Das Neue Leben) 174 , ab Dezember des Jahres 1946 die jiddischsprachige Zeitung „Nidershlezye“. Im gleichnamigen Verlag „Nidershlezye“, der bis 1950 existierte, erschienen mehrere Bücher in jiddischer Sprache. 175 Im Juni 1946 wurde ein jüdisches Theater in der Stadt gegründet. Zwischen 1946 und 1947 zeigte das Niederschlesische Jüdische Theater über 190 Stücke und trat an über 28 Orten in Polen vor über 95.000 Zuschauern auf. 176 Bei allen Überlegungen, wie die überlebende jüdische Bevölkerung in Polen sesshaft gemacht werden könne, stand ihre sozioökonomische Integration in die polnische Gesellschaft durch die sogenannte „Produktivierung“ (produktywizacja) wie ein Leitmotiv im Mittelpunkt. 177 Es erstaunt, dass die jüdischen Komitees sich hierbei offensichtlich von Vorstellungen leiten ließen, wie sie – wenn auch in stereotyper Ausprägung – bereits in der polnischen Vorkriegsgesellschaft verbreitet gewesen waren; etwa durch die Auf-
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lichkeit einer erleichterten Emigration aus Polen, und so verließ eine sehr große Zahl jüdischer Kinder Wrocław mit dem Ziel Israel. ‚Koło Akademickie we Wrocławiu‘, in: Nowe Życie, Nr. 6, 30. September 1946, S. 5. Interview mit Józef Lipman, am 14. September 2006 in Wrocław, AA; vgl. Interview mit Anatol Kaszen, am 9. September 2006 in Wrocław, AA. Vollständiger Titel: „Nowe Życie – Trybuna Wojewódzkiego Komitetu Żydów na Dolnym Śląsku“. Horn, Maurycy: Działalność naukowa i wydawnicza Centralnej Żydowskiej Komisji Historycznej przy CKŻP i Żydowskiego Instytutu Historycznego w Polsce w latach 1945–1950, in: BŻIH, Nr. 1–2, 1985, S. 123–132, hier S. 126 f. ‚Trzy lata osiedla żydowskiego na Dolnym Śląsku. Osiągnięcia trzech lat‘, in: Mosty, Nr. 81, 10. Juli 1948. AŻIH, CKŻP, Sig. 303/II/15 (unpg.).
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fassung, dass die Sozialstruktur der jüdischen Bevölkerung „unnatürlich“ und „ungesund“ sei, da in ihr landwirtschaftliche Berufe und Industriearbeiter unterrepräsentiert waren und Kleinhandel und Kleingewerbe sowie freie und akademische Berufe vorherrschten. Trotz der Tatsache, dass der Begriff immer auch antisemitische Stereotype vermittelte, wurde er nach dem Krieg wiederverwendet. Die positive Umwertung des Begriffs der „Produktivierung“ gelang jedoch offenbar nur unvollkommen. Das nach 1945 wiederbelebte Schlagwort meinte nicht nur die Integration der Juden in den Arbeitsmarkt, sondern gleichzeitig auch die Anpassung ihrer Sozialstruktur an die polnische Gesellschaft. 178 So wurde im Januar 1945 eine „Zentralabteilung für Produktivierung“ beim Zentralkomitee der Juden in Polen eingerichtet; analog entstanden auch entsprechende Abteilungen bei allen jüdischen Komitees – darunter im Wojewodschaftskomitee Wrocław. 179 Die von den jüdischen Siedlern bevorzugte Konzentration an bestimmten Orten in den Siedlungsgebieten hatte aber dazu geführt, dass die Produktions- und Dienstleistungsgenossenschaften zur gängigsten Organisationsform des jüdischen Wirtschaftslebens wurden, während genossenschaftliche Betriebsformen von der nicht jüdischen polnischen Bevölkerung im Allgemeinen abgelehnt wurden. 180 Die jüdischen Genossenschaften wurden nicht nur zu einem Arbeitsplatz, sondern galten auch als Treffpunkt für Bekannte und Freunde. Hier wurden auch jüdische Klubs und Gemeinschaftsräume eingerichtet. 181 Die Sprache in diesen Einrichtungen war Jiddisch. Nachdem der jüdischen Bevölkerung im Juli 1944 das „Lubliner Manifest“ den Wiederaufbau ihrer Existenz sowie ihre rechtliche und faktische Gleichberechtigung versichert hatte, verbanden viele der Schoah-Überlebenden große Hoffnungen mit dieser Erklärung. Eine besondere Rolle in der jüdischen Nachkriegsgeschichte sollte die jüdische Besiedlung Niederschle-
178 Goldsztejn, Arnold: Powstanie skupiska ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku w latach 1945–1947, in: Matwijowski, Krystyn (Hrsg.): Z dziejów ludności żydowskiej na Dolnym Śląsku. Wrocław 1991, S. 121–135. 179 Grynberg, Michał: Problemy zatrudnienia ludności żydowskiej w Polsce w pierwszych latach po II Wojnie Światowej, in: BŻIH, Nr. 1–2, 1986, S. 97–114. 180 Siehe Tabelle Nr. 13 (Anzahl der beschäftigten Juden in Wrocław, 1946). 181 Interview mit Dawid Ringiel, 2006 in Wrocław, AA; Interview mit Grzegorz Szyjewicz, am 10. September 2006 in Wrocław, AA.
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siens einnehmen. Einige der jüdischen Neusiedler waren, wie der jüdische Aktivist Jakub Egit, ungeheuer enthusiastisch und erhofften sich, in diesen neuen westlichen Gebieten Polens ein pulsierendes und buntes jüdisches Leben aufbauen zu können. Die oben dargestellten, fragmentarischen Ausschnitte, die die Selbstständigkeit und Vielfalt der Aktivitäten der jüdischen Gemeinschaft dokumentieren, lassen vermuten, dass zunächst die entsprechenden Voraussetzungen für den Aufbau des „Yiddishen Yishuvs“ (jüdische Ansiedlung) in Niederschlesien vorhanden waren. Sehr bald aber sollte sich dieser Eindruck als eine große Illusion erweisen.
4.2.3 Der Traum löst sich auf In den ersten Jahren nach Kriegsende waren die Eigenständigkeit und der Selbstbestimmungswille des jüdischen Lebens in Polen durch unterschiedliche Faktoren bedingt. Zu diesen gehörten unter anderem die über Jahrhunderte gepflegte Abgrenzung und Ausdifferenzierung gegenüber der polnischen Gesellschaft und Kultur; die Erlebnisse des Krieges, die die jüdische Gemeinschaft von der polnischen Mehrheitsbevölkerung isoliert hatten; der Nachkriegsantisemitismus, der Angst verursachte, aber auch Solidaritätsgefühle innerhalb des jüdischen Milieus weckte sowie den Wunsch nach einem Aufbau jüdischen Lebens in Polen, der an die Tradition im Vorkriegspolen anknüpfen wollte. Hinzu kommt die Tatsache, dass Juden in Polen anfänglich finanzielle Unterstützung von ausländischen Organisationen erhielten. Schrittweise sollten aber diese Bestrebungen ein Ende nehmen. Die Gründung des Staates Israel veränderte im Frühling des Jahres 1948 das Verhältnis zwischen dem Staat und den Juden. Die machtpolitische Lage verursachte eine Anlehnung der polnischen Politik an die Moskauer Position gegenüber dem neu gegründeten jüdischen Staat. Die Atmosphäre begann, sehr angespannt zu werden, und die antijüdischen Signale aus der Sowjetunion trugen wesentlich zur Verschlechterung der Lage bei. Die blühende „jüdische Autonomie“ währte sehr kurz. Infolge der sukzessiven Stalinisierung 1947/48 rückten nun auch die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche des jüdischen Lebens in Polen ins Visier des Sicherheitsamtes.
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Letztendlich beabsichtigten die Kommunisten eine „Auflösung des institutionellen Separatismus der jüdischen Bevölkerung in Polen“. 182 Diese begann 1949 und bedeutete: die Ausschaltung des politischen Pluralismus, die Verstaatlichung des jüdischen Schulwesens, die Auflösung der selbstständigen jüdischen Genossenschaften, des eigenständigen Gesundheitswesens. Das Zentralkomitee der Juden in Polen mitsamt seinen lokalen Vertretungen, darunter die Jüdischen Wojewodschaftskomitees, wurde aufgelöst. 183 Am 6. Oktober 1950 kam es daraufhin in Wrocław zu einer gemeinsamen Sitzung des Jüdischen Wojewodschaftskomitees und der Jüdischen Kulturgesellschaft (Żydowskie Towarzystwo Kultury i Sztuki ŻTK), 184 auf der die bevorstehende Verschmelzung beider Organisationen diskutiert wurde. Jakub Egit – seit Juni 1945 Vorsitzender des Jüdischen Wojewodschaftskomitees für Niederschlesien – war allerdings nicht mehr unter den Teilnehmern. 185 Mit der Gründung der Soziokulturellen Gesellschaft der Juden in Polen (Towarzystwo Społeczno Kulturalne Żydów w Polsce/TSKŻ) als Ergebnis der Sitzung am 6. Oktober 1950 endete die Tätigkeit des Jüdischen Wojewodschaftskomitees in Wrocław sowie aller lokalen Jüdischen Komitees in Polen. 186 182 Grabski, August: Sytuacja Żydów w Polsce w latach 1950–1957, in: BŻIH, Nr. 4, 2000, S. 504–519. 183 Smolar, Hersz: Oyf der Letster Pozitsiye mit der Letster Hofenung. Tel Aviv 1982, S. 192 f. 184 Am 16. Oktober 1949 fand im Gebäude der Oper in Wrocław die erste Sitzung der Jüdischen Gesellschaft für Kunst und Kultur in Polen, statt; ein weiteres Zeichen der Unterordnung jüdischer Aktivitäten unter jüdisch-kommunistisches Dirigat. Allein in der ersten Jahreshälfte 1949 organisierte die Jüdische Kulturgesellschaft über 500 Veranstaltungen, zu deren meistbesuchten und erfolgreichsten die ‚Freitagabende‘ in Wrocław mit Theatervorführungen, Lesungen, Büchervorstellungen sowie Auftritten bekannter jüdischer Künstler gehörten, siehe, Szydzisz, Marcin: Działalność dolnośląskich oddziałów Towarzystwa Społeczno-Kulturalnego Żydów w Polsce w latach 1950–1989, in: Waszkiewicz, Ewa (Hrsg.): Współcześni Żydzi – Polska i diaspora. Wybrane zagadnienia. Wrocław 2007, S. 70–113. 185 Egit: Grand Illusion, S. 100 f. 186 Grabski: Sytuacja Żydów w Polsce, S. 505; Die Kommunisten im Zentralkomitee der Juden in Polen schlugen dem Vorsitzenden des Zentralkomitees der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, Bolesław Bierut, in einem Schreiben vom Juni 1950 Folgendes vor: ‚Da die jüdischen Parteien in allen jüdischen Organisationen ausgeschaltet und jüdische kulturelle und gesellschaftliche Organisationen durch den
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Die Soziokulturelle Gesellschaft der Juden in Polen (TSKŻ) war in Wrocław sehr aktiv, präsentierte Aufführungen des jüdischen Theaters und organisierte literarische sowie künstlerische Veranstaltungen. Im jüdischen Milieu stießen die Funktionäre dieser Kulturgesellschaft allerdings auf starke Vorbehalte. Insbesondere im schwierigen Jahr 1956 wurde dieser Konflikt deutlich, als die Kulturführer aus ihrer negativen Einstellung gegenüber der jüdischen Gemeinde keinen Hehl machten und als das jüdische Theater aus Wrocław nach Warschau verlegt wurde – zu einer Zeit, da in der Stadt und Niederschlesien die meisten Juden auf dem Gebiet Polens lebten. Aufgrund der folgenden Emigrationswellen verlor die Soziokulturelle Gesellschaft der Juden massiv an Bedeutung – zumal sie auch weiterhin vor allem als Instrument der kommunistischen Partei wahrgenommen wurde. Der Wegbereiter der „jüdischen Autonomie“ in Niederschlesien, Jakub Egit, wurde von seinem Posten innerhalb des Jüdischen Wojewodschaftskomitees in Wrocław entbunden. Zu sehr galt er als Symbol einer eigenständigen jüdischen Ansiedlung und des Judentums in Niederschlesien. 187 Ihm wurde vorgeworfen, in Niederschlesien eine nationalistische jüdische Siedlung aufbauen zu wollen. 188 Seine anschließenden Versuche, Polen zu verlassen und nach Israel zu emigrieren, misslangen. Im Februar 1953 wurde er durch den Sicherheitsdienst unter dem Verdacht, Niederschlesien von der Volksrepublik Polen abtrennen zu wollen, verhaftet. 189 Nach acht Monaten Haft wurde er im Herbst 1953 entlassen. 1957 gelang Jakub Egit mit seiner Familie die Emigration nach Kanada, wo er sich in Toronto niederließ. 190 Egits Zweifel, in Polen ein jüdisches Leben aufzubauen, wurden aber nicht erst während der Stalinismus-Ära geweckt. Jakub Egit schreibt in seinen Erinnerungen, dass schon der Pogrom in Kielce 191 im Juli 1946 starke Bedenken auslöste:
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Staat übernommen wurden, ist es notwendig, alle jüdischen Organisationen zusammenzuführen.‘, AAN, KC PZPR, Sig. 237-V-98, Bl. 147. Egit: Grand Illusion, S. 100 f. Szaynok, Bożena: Z historią i Moskwą w tle: Polska a Izrael 1944–1968. Wrocław 2007. S. 228 ff. Egit: Grand Illusion, S. 107 f. Ebd., S. 115. Ähnlich wie ein Jahr zuvor in Krakau war der Anlass für das Pogrom von Kielce das Gerücht, dass Juden einen ‚Ritualmord‘ an einem katholischen Kind begangen
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Nach der Tragödie von Kielce und den zahlreichen Ausbrüchen des Antisemitismus in ganz Polen, konnte ich nachts nicht schlafen. Fragen hinsichtlich unserer Zukunft, uns Schoah-Überlebenden, ließen mir keine Ruhe. War es überhaupt möglich, fragte ich mich, dass eine Änderung des politischen Systems auch die Herzen des polnischen Volkes änderte? Konnte der Hass gegen die Juden, der seit Generationen sehr tief in der Psyche der Polen verwurzelt war, durch ein politisches Dekret nivelliert werden? Ich wollte so sehr glauben, dass eine neue, menschlichere Ära begann, die den Krebs des Antisemitismus vollständig zerstören wird. […] Ich erinnere mich an polnische Kinder, die mich mit Steinen beworfen hatten und hinter mir her geschrien hatten, ich hätte Jesus getötet. War es überhaupt sinnvoll, die Juden dazu aufzurufen, in diesem Land ein jüdisches Leben aufzubauen? Diese Fragen plagten mich jede Nacht … 192
Für Jakub Egit, wie für die meisten polnischen Juden, sollte nun die Emigration die einzige Antwort sein auf die volkspolnische Zentralisierung und den Stalinismus Anfang der 1950er-Jahre. Fortwährender Antisemitismus bestimmte weiter den Alltag der jüdischen Gemeinschaft. Im Folgenden werden die dabei entscheidenden Faktoren ausführlicher analysiert.
4.3 Unter dem Zeichen des Exodus 4.3.1 „Sie wollten nicht auf dem jüdischen Friedhof leben.“ – Ursachen für die jüdische Emigration aus Polen Tausende jüdische Überlebende standen vor einem Dilemma, welches für ihr weiteres Schicksal entscheidend sein sollte: entweder in ihrer Heimat Polen, hätten, um das Blut des Kindes für die Zubereitung von Matze zu nutzen; ein altes Vorurteil, das in Europa seit dem XV. Jahrhundert verbreitet war und der ‚Legitimierung‘ der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung diente. Die Ausschreitungen in Kielce ereigneten sich vorwiegend in der Planty-Straße, wo etwa 200 Juden wohnten und jüdische Organisationen ihren Sitz hatten. Infolge des Pogroms kamen 42 Personen ums Leben, über 40 wurden verletzt. Dazu u. a. Szaynok, Bożena: Pogrom Żydów w Kielcach, 4. lipca 1946 roku. Wrocław 1992; Friedrich, Klaus-Peter: Antijüdische Gewalt nach dem Holocaust. Zu einigen Aspekten des Judenpogroms von Kielce, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Nr. 6, 1997, S. 115–147. 192 Egit: Grand Illusion, S. 65.
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dem Land ihrer Geburt und Erziehung, zu bleiben oder einen Neubeginn in einem anderen Land zu wagen. Diejenigen, die erst einmal in Polen blieben, glaubten fest an eine Wiederbelebung der jüdischen Gemeinschaft und des jüdischen Lebens sowie an die Bewahrung ihrer Eigenständigkeit. Für dieses Lebensmodell standen auch zwei politische Gruppierungen: die Bund-Partei sowie die jüdische Fraktion der Polnischen Arbeiterpartei (PPR). Darüber hinaus gab es auch eine Gruppe von Personen, die völlig in der polnischen Mehrheitsgesellschaft aufgegangen war, ihre Bindung zum Judentum abgebrochen und oft ihre jüdischen Namen geändert hatte. Unabhängig von jeglicher Ideologie sah diese kleinere Gruppe ihre Zukunft in Polen. Die Mehrheit der überlebenden polnischen Juden in Polen entschied sich allerdings für die Ausreise. Eine Emigration von polnischen Juden, unter anderem als legale und illegale zionistische Auswanderung nach Palästina, hatte es bereits in der Vorkriegszeit gegeben. Wenngleich sich der verbliebene Teil der zionistischen Bewegung in Polen im Prinzip auf diese Tradition berufen konnte, hatten die Schoah und die gänzlich neue politische Situation sowie gesellschaftliche und soziale Stimmungen im Nachkriegspolen die Lage der polnischen Juden dennoch derart verändert, dass ein Anknüpfen an die Zwischenkriegszeit – auch hinsichtlich der Exilfrage – praktisch unmöglich war. In der ersten Phase zwischen 1945 und 1947 dominierte die illegale Emigration, die vorwiegend durch den Wunsch nach Sicherheit sowie die starke emotionale und psychische Belastung der erlebten Vergangenheit bedingt war. In Übereinstimmung mit der damaligen Haltung der polnischen Regierung in der Palästinafrage erklärte Premier Edward Osóbka-Morawski bereits im Januar 1945, dass Polen eine jüdische Emigration nicht behindern werde. 193 In einer späteren Äußerung im Januar 1946 hielt er diese Position aufrecht, obwohl er gleichzeitig auf den Bedarf Polens an Arbeitskräften hinwies. 194 Tatsächlich entsprachen solche Verlautbarungen der Regierungspolitik während der folgenden zwei Jahre: Die Auswanderung wurde weitgehend nicht gesteuert oder kontrolliert, allerdings auch keine offizielle Hilfe bei Pass- und Visaangelegenheiten geleistet, sodass es keine geregelten und damit 193 AAN, Krajowa Rada Narodowa (KRN), Sig. B 7677. 194 AAN, KRN, Sig. B 7680.
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legalen Möglichkeiten zur Ausreise gab. Als Reaktion auf den ersten Exodus reaktivierte im März 1946 die „HIAS“ (Hebrew Sheltering and Immigration Aid Society) ihre Tätigkeit und organisierte vor allem eine Emigration in die USA; im April 1946 eröffnete das „Pal-Amt“ 195 eine Vertretung in Warschau. 196 Bereits im Februar 1946 hatte das Zentralkomitee der Juden in Polen eine Abteilung für Emigrationsangelegenheiten ins Leben gerufen. 197 Dennoch waren die Formalitäten für eine legale Auswanderung derart umständlich und unklar, dass sich die meisten Juden für den illegalen Weg entschieden. Die zweite Emigrationswelle fiel in die Jahre 1948 bis 1951 und war eine Reaktion auf die Proklamation des Staates Israel am 14. Mai 1948. Die polnischen Juden wie die gesamte jüdische Diaspora in der Welt begrüßten den unabhängigen jüdischen Staat enthusiastisch – selbst die jüdischen Kommunisten in Polen; sie und der „Bund“ unterstützten das kämpfende Palästina. 198 Die anschließende Eröffnung einer diplomatischen Vertretung Israels in Warschau im Oktober 1948 ermöglichte und erleichterte für kurze Zeit die Emigration. Nach 1949/50 hatten die meisten Anhänger und Mitglieder zionistischer Parteien Polen verlassen. Es kam zu grundlegenden politischen Veränderungen im Land, die auch die jüdische Existenz tief beeinflussten. Die schwierige wirtschaftliche wie politische Lage Anfang der 1950er-Jahre und der wachsende Widerstand gegen den Terror der Sicherheitsdienste spitzten sich im Jahre 1956 dramatisch zu. Ausdruck dessen war auch der Posener Arbeiteraufstand im Juni. Władysław Gomułka, 199 dem 1948 – noch vor der 195 196 197 198 199
‚Palästina Amt‘. Szaynok: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku, S. 88. AŻIH, CKŻP, Wydział Emigracyjny, Sig. 303/XIV/18 (unpg.). AAN, Spóścizna Zachariasza, Sig. 476/16, Bl. 42 ff. Władysław Gomułka (1905–1982) war ein polnischer Kommunist. 1943–1948 Erster Sekretär der Kommunistischen Partei (PPR), 1956–1970 Erster Sekretär des Zentralkomitees der Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR). 1948, nachdem der stalintreue Bolesław Bierut die Parteiführung übernommen hatte, wurde Gomułka seines Postens enthoben. 1951 Parteiausschluss und Verhaftung (unter anderem wegen ‚rechtsnationalistischer Abweichung‘); Gefängnis bis 1954. Nach Ablösung von Parteichef Edward Ochab im Herbst 1956 kehrte Gomułka im Triumph und mit Unterstützung von weiten Teilen der polnischen Gesellschaft, der er umfangreiche wirtschaftliche Reformen wie die Beendigung der Kollektivierung der Landwirtschaft versprach, an die Macht zurück.
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Zwangsvereinigung von Kommunisten und Sozialdemokraten – die Parteiführung entzogen worden war, nutzte den Umbruch im Jahr 1956, um die Macht wieder an sich zu reißen. Seine ersten Amtshandlungen waren „Säuberungen“ im staatlichen Parteiapparat, im Militär sowie in anderen Institutionen – vor allem im Sicherheitsdienst. Diese sogenannte „Liberalisierung“ unter Gomułka beförderte den Ausbruch nationalistischer und antisemitischer Tendenzen. Es kam zu Übergriffen auf Juden; viele wurden ihrer Posten enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Die politische Führung war außerstande, die antijüdische Radikalität zu stoppen, und wollte es auch nicht. Eine erneute Auswanderung sollte das Problem lösen. Während dieser in Israel als „Gomułka-Emigration“ bezeichneten Welle verließen zwischen 1956 und 1960 etwa 51.100 Juden das Land. 200 Die Ursachen der frühen jüdischen Emigration aus Polen nach dem Krieg lassen sich auf drei Faktoren zurückführen: den psychologischen, den politischen und den individuellen Aspekt, wie eine englisch-amerikanische Kommission im März 1946 feststellte. 201 Zu den psychologischen Faktoren zählten insbesondere die Erfahrungen während des Krieges. Wenngleich die Polen – abgesehen von einer kleinen Gruppe – nicht für den Bau und Betrieb der nationalsozialistischen Vernichtungs-, Zwangsarbeits- und Konzentrationslager sowie der Gettos auf polnischem Boden verantwortlich und am Massenmord aktiv beteiligt gewesen waren, fand die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung vor ihren Augen statt; die meisten von ihnen zeigten eine äußerst passive Haltung. Zusätzlich zur Frage nach dem Ausmaß der Unterstützung oder Ignoranz seitens ihrer polnischen Mitbürger stellte für viele Juden die fehlende Wahrnehmung der Schoah und ihrer Opfer durch die polnische Gesellschaft eine unüberwind-
200 Grajek, Stefan: Po wojnie i co dalej. Żydzi w Polsce w latach 1945–1949. Warszawa 2003, S. 221. 201 Diese Kommission wurde mit dem Ziel gebildet, die Lage der Juden in den ehemals besetzten Staaten zu überprüfen und die Zahl derjenigen, die zur Emigration gezwungen waren oder emigrieren wollten, festzustellen. Sie besuchte unter anderem die DP-Lager (Displaced Persons) in Europa. In ihrem Bericht wurde empfohlen, einen jüdischen Staat zu gründen und Bedingungen für die Aufnahme von 100.000 Juden zu schaffen. Siehe Cohen, Yohanan: Palestine and the Great Powers. Princeton 1982, S. 60–67, 96–115.
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bare Hürde dar. Ein Auszug aus einem Interview gibt aus jüdischer Perspektive die Sicht auf das polnisch-jüdische Verhältnis wieder: Man sagt, dass die Juden, die den Krieg überlebten, Polen verlassen hatten, weil sie nicht auf dem eigenen Friedhof leben wollten. Ich sehe es ein wenig anders: Sie haben das Land verlassen, weil sie nicht neben den Menschen leben wollten, die diese Folterkammer nicht wahrgenommen haben! Auf dem Friedhof kann man vielleicht doch irgendwie leben, aber ob man mit Menschen zusammen leben kann, die nicht wissen wollen, dass es ein Friedhof ist … 202
Teil der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik war die Enteignung. Im Privaten wie im Wirtschaftsleben der polnischen Gesellschaft war den jüdischen Besitzern jeglicher Raum entzogen worden. Immobilien, besonders Häuser, Geschäfte sowie mobiles Eigentum der deportierten und ermordeten Juden waren zum größten Teil in den Besitz ihrer nicht jüdischen Nachbarn übergegangen; das heißt, die nicht jüdische Bevölkerung hatte ökonomisch von der deutschen Besatzung profitiert. Hinzu tritt der Umstand, dass sich durch die Besatzung antijüdische Stimmungen in Polen weiter zugespitzt hatten. Die sozialpsychologischen Verwüstungen, die die Besatzungspropaganda in der polnischen Gesellschaft angerichtet hatten, reichen als Erklärung für die bestürzende Heftigkeit antisemitischer Denk- und Verhaltensweisen im Polen der Nachkriegsjahre allerdings nicht aus. Erst die Mischung aus traditionellem Antijudaismus, Kriegs- und Besatzungserfahrungen verursachte eine Korrumpierung der allgemeinen sozialen Verhaltensstandards. 203 Die herabgesetzten psychischen Hemmschwellen und die verbreitete Gewaltbereitschaft machten sich deutlich bemerkbar. In einer bis etwa 1947 anhaltenden antijüdischen Pogromstimmung geschahen vielerorts gewaltsame Ausbrüche. Unmittelbar nach Kriegsende, also zwischen 1944 und 1947, wurden in Polen etwa 1.000 Juden ermordet. 204 202 Interview mit Leszek (Nachname anonym), in: Wiszniewicz, Joanna: Życie przeciętne. Opowieści pokolenia Marca. Sękowa 2008, S. 189. 203 Vgl. Kersten, Krystyna/Szapiro, Jerzy: The Contexts of the so-called Jewish Question in Poland after World War II, in: Polin, Nr. 4, 1989, S. 256–268. Der Historiker Włodzimierz Borodziej spricht im Hinblick auf die ersten Nachkriegsjahre in der Volksrepublik vor einer ‚allgemeinen Verwahrlosung der Gesellschaft‘, Borodziej, Włodzimierz: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert. München 2010, S. 269. 204 Vgl. Kersten: Polacy, Żydzi, Komunizm; Tomaszewski: Najnowsze dzieje Żydów
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Antijüdische Ausschreitungen blieben jedoch in einem Regime, dessen eine Propaganda Antifaschismus predigte, meist unbestraft. 205 Wie widersprüchlich und komplex die Lage für die Rückkehrer aus der Vertreibung war, lässt sich an folgendem Bericht ablesen: Eryk Friedman, der Polen 1957 verließ und nach Israel emigrierte, schildert die Situation wie folgt: Ich wurde in einer assimilierten Familie und einer polnischen Schule groß. Keine andere Kultur stand mir näher als die polnische. Ich sprach, dachte und fühlte nur auf Polnisch. Polen war meine Heimat. Mein Vater pflegte es zu sagen, dass Polen wie eine Mutter sei – manchmal auch böse und ungerecht, nie jedoch darf man sie verleugnen. Ich glaubte daran, dass das Ende des Krieges eine bessere Zukunft bringen würde. Ich habe aber unmittelbar nach dem Krieg erkennen müssen, dass für uns Juden der Krieg noch lange nicht vorbei war. […] Gleich nach meiner Ankunft in Wrocław wurde ich mit Sprüchen wie ‚Judäo-Kommune‘, ‚jüdische Kapitalisten‘ und Ähnlichem konfrontiert. Da ich eigentlich äußerlich nicht wie ein Jude ausgesehen habe, erlaubten sich ja die Polen, auch in meiner Anwesenheit solche Bemerkungen zu machen. Ich kam als Jugendlicher nach Wrocław. Im jüdischen Milieu fühlte ich mich völlig fremd; ich kannte deren Sprache nicht, die jüdische Kultur und Religion waren bedeutungslose Begriffe für mich. Trotzdem fühlte ich mich der jüdischen Gemeinschaft in gewissem Maße zugehörig. Aus heutiger Perspektive kann ich jedoch feststellen, dass dieses Gefühl und besonders die Nachkriegserfahrungen dazu geführt haben, dass ich mich letztendlich für Israel entschieden habe. Es war aber eine durchaus schwierige Entscheidung. Im Nachkriegspolen durfte ich doch Medizin in Wrocław studieren, was vor 1939 in Polen wahrscheinlich nie der Fall gewesen wäre. Ich wurde vom polnischen Staat gefördert, indem ich ein Stipendium bekam. Ich habe in Wrocław neue Freundschaften, die ich bis heute pflege, geknüpft. 206
Anhand Eryk Friedmans Wahrnehmung der Situation im Nachkriegspolen wird der innere Zwiespalt einiger Schoah-Überlebender erkennbar. Zum einen sahen sie im kommunistischen Polen die vielversprechenden Perspekw Polsce; Gutman: Ha-Jehudim be-Polin aharej milchemet; Engel: Patterns of Anti-Jewish Violence; Cała: Żyd – wróg odwieczny? 205 Wystąpienie przewodniczącego CKŻP Emila Sommersteina na VII. Sesji Krajowej Rady Narodowej, 21.–23. 07. 1945, in: BŻIH, Nr. 52, 1964; vgl.: Kersten: Polacy, Żydzi, Komunizm, S. 110. 206 Interview mit Eryk Friedman, 2007 in Haifa, AA.
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tiven eines Existenzaufbaus, zum anderen aber stellte der virulente Antisemitismus diese Option in einen fragwürdigen Kontext. Diejenigen, die den Krieg überlebt hatten und in ihre früheren Heimatorte zurückkehrten, fanden dort eine nochmalige Bestätigung der Dimension des Verbrechens. Für viele war es aus praktischen und vor allem psychischen Gründen unmöglich, auf einem solchen „Friedhof“ wieder eine Heimstatt zu finden beziehungsweise eine Existenz neu aufzubauen – auch wenn Begriffe wie Amerika, Frankreich oder Australien genauso exotisch klangen wie etwa der neue polnische Name Wrocław. Für alle Optionen schien eine Zukunft dort ungewiss. Dies bestätigen Aussagen des Juristen Uli Gurewitz, der nach dem Krieg vorübergehend in Wrocław lebte, dort sein Jurastudium abschloss und 1949 nach Israel auswanderte. Auch wenn sich für Uli Gurewitz ebenso wie Eryk Friedman die Gelegenheit zum Studium im Nachkriegspolen bot, verband er von Anfang an keine Zukunftspläne mit diesem Land: Polen, das zu einem Friedhof aller meiner Familienangehörigen geworden war, hatte mir überhaupt keine Gelegenheit geboten, mich in diesem Land als gleichberechtigter Bürger zu fühlen. Die Gettos und Krematorien haben dieser Erde ihren Stempel aufgedrückt; davon konnte ich nicht loskommen. Durch meine ermordeten Eltern und drei Millionen getötete Juden hatte Polen für mich aufgehört, zu existieren. Ich fühlte mich dort völlig fremd. 207
Bei der Entscheidung zur Emigration war ein gesteigertes Nationalgefühl im politischen Bewusstsein maßgeblich. Die Schreckenserlebnisse, die die ganze jüdische Gemeinschaft ausnahmslos teilte, haben vor allem viele „assimilierte“ Juden dazu veranlasst, sich verstärkt auf ihre „Abstammung“ zu besinnen. Es gab nahezu niemanden, der von schweren, traumatisierenden Verlusten und schmerzhafter Augenzeugenschaft verschont geblieben war. Dieses gemeinsam durchlittene Schicksal stellte eine unmittelbar empfundene seelische Verbindung zwischen allen Vertretern der jüdischen Gemeinschaft her: seien es religiös-orthodoxe Juden, jüdische Zionisten oder Kommunisten oder die „assimilierten“ polnischen Juden. Um die abgebrochenen Bindun-
207 Interview mit Uli Gurewitz, am 25. Juli 1997 in Stuttgart, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Int. Code 34600, Tape 6.
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gen zum jüdischen Milieu wiederzubeleben, ließen sich viele bei Jüdischen Komitees registrieren. 208 Die Gründung einer eigenen Staatsform bot für viele polnische Juden eine realistische und möglicherweise tröstliche Perspektive. Insbesondere Schoah-Überlebende sahen die Ursache für den geringen Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Fehlen eines eigenständigen Staates, der sie vor der Verfolgung hätte retten können. Zu den wichtigsten Elementen bei der Entscheidung für die Emigration zählten zweifelsohne die politische Situation in Polen und die – oft in brutaler Form – zutage tretenden antijüdischen Stimmungen. Für die jüdische Bevölkerungsgruppe blieb der politische Kampf in Polen nicht allein auf den Antisemitismus beschränkt, sondern bezog sich darüber hinaus, wie schon beschrieben, auch auf den wiederbelebten Begriff der „Judäo-Kommune“, der Juden per se eine Nähe zum Kommunismus unterstellte. In den legalen sozialen und politischen Institutionen der polnischen Juden war das Bekenntnis zu den Zielen des neuen Regimes selbstverständlich, weil sie mit einer nie da gewesenen Verbesserung ihrer Rechtssituation einherging. Darüber hinaus hegte ein Teil der jüdischen Bevölkerung linke politische Präferenzen: Die Rote Armee stellte für sie, anders als für die Mehrheit der polnischen Bevölkerung, einen wirklichen Befreier dar, weil ihr Einmarsch das Ende jahrelanger äußerster Bedrückung und Todesgefahr bedeutet hatte. 209 Gravierend für die Prägung antisemitischer Vorurteile war außerdem die Rolle, die Juden bzw. aus jüdischen Familien stammende Personen in der kommunistischen Partei und den Organen der Staatssicherheit spielten, wie beispielsweise Jakub Berman oder Hilary Minz. 210 Insgesamt führten alle 208 Vgl. Hurwic-Nowakowska: Żydzi polscy. 209 Vgl. Adelson: W Polsce zwanej Ludową, S. 392 ff. 210 Jakub Berman (1901–1984). Seit 1944 Mitglied des Politbüros der PPR und 1948–1956 der PZPR, wo er unter anderem für Propaganda, Kultur, Sicherheit und Auslandsbeziehungen zuständig war. 1954–1956 Vizepremier; 1957 wurde Jakub Berman aus der PZPR als einer der Schuldigen für die ‚Irrtümer und Fehler der Stalin-Ära‘ und wegen der Unterdrückung der antikommunistischen Opposition Ende der 1940er-Jahre ausgeschlossen. Hilary Minc (1905–1974). In den Jahren 1944–1949 Minister für Handel und Industrie und 1949–1952 Vizepremier der Volksrepublik Polen und Vorsitzender
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hier aufgeführten Faktoren dazu, dass die polnischen Juden für viele Polen zur Personifizierung der sowjetischen Fremdherrschaft wurden. Eine wie auch immer geartete jüdische Einflussnahme in sozialistischen Strukturen endete spätestens dann, als die stalinistische Arbeiterpartei die Oberhand gewann. Diese gestaltete Staat und Gesellschaft unterschiedslos nach sowjetischem Muster um – für viele nicht jüdische und jüdische Gegner des neuen Systems Anlass zur Emigration. Hierbei spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass die Mehrzahl der jüdischen „Repatriierten“ bereits leidvolle Erfahrungen mit dem stalinistischen Terrorapparat in der Sowjetunion gemacht hatten und diese im Nachkriegspolen nicht abermals durchleben wollten und deshalb auswanderten. 211
4.3.2 Die Etappen des Exodus Die organisierte, wenn auch illegale Emigration war in den ersten Nachkriegsjahren die meist verbreitete Form der Ausreise von Juden aus Polen. Die größte Zahl der Juden verließ das Land mithilfe der „Zionistischen Koordination“, der sogenannten „Brichah“. 212 Diese war bereits im Februar 1944 im ukrainischen Rowno auf Initiative jüdischer Partisanen aus den Reihen der „Dror“- 213 und „Hashomer Hazair“-Parteien sowie in Wilna um den berühmten Partisanenführer Abba Kovner gegründet worden. 214 Zu ihren Aufgaben gehörten vor allem die Konzeption und Durchführung der jüdischen Übersiedlung nach Palästina. Seit ihrer Gründung galten alle Tätigkeiten der „Brichah“ als illegal und rechtswidrig. Mit der Verlagerung der
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der Kommission für Wirtschaftliche Planung; ab 1949 Mitglied der Sicherheitskommission der PZPR, die die stalinistischen Repressionen in Polen überwachte. Polonsky, Antony/Abramsky, Chaim (Hrsg.): The Jews in Poland. Blackwell 1989, S. 190. Hebr. ( – בריחהFlucht). Vgl. Bauer: Flight and Rescue. Hebr. ( – דרורFreiheit). Eine 1938 in Polen gegründete sozialistische Jugendorganisation. ‚Dror‘-Mitglieder spielten eine bedeutende Rolle bei den Vorbereitungen und der Durchführung der Aufstände in den Gettos Warschau, Krakau, Białystok und Wilna. Nach dem Krieg war ‚Dror‘ auch in niederschlesischen Kibbuzim tätig. Vgl. Ben-Natan, Asher/Urban, Susanne: Die Brichah. Ein Fluchthelfer erinnert sich. Düsseldorf 2005.
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Frontlinie nach Westen 1944/45 zog auch die Koordinierungszentrale der „Brichah“ auf polnisches Territorium. Einer der Führer dieser Aktion in Polen, Yohanan Cohen, schreibt in seinen Memoiren: Niemand wusste genau, woher die Bezeichnung ‚Brichah‘ kam. Es ist aber sicher, dass ihre Wurzeln in der Situation der polnischen Juden nach der Shoah zu suchen sind. Dahinter standen jedoch weder Führer noch eine Ideologie. ‚Brichah‘ entstand aus der Zeit und dem Leben heraus. Sie wurde zum Inbegriff des Zionismus, wobei die Erfahrungen der Schoah und der Kampf um einen eigenen Staat eine entscheidende Rolle spielten. Die Jugendorganisationen richteten ihre Fluchtbewegung auf die ‚Brichah‘ aus; sie wurde auch zu einer Bewegung, die jegliche jüdische Existenz außerhalb Palästinas negierte. 215
Trotz ihres illegalen Charakters stand „Brichah“ mit den legal in Polen tätigen jüdischen Gruppierungen in Verbindung und erhielt sogar finanzielle Unterstützung vom „Joint“. 216 „Brichah“ stützte sich auf ein Netz von Filialen, die über alle jüdischen Siedlungsgebiete auf polnischem Territorium verstreut waren; die Koordinierungszentrale hatte ihren Sitz mittlerweile in Łódź. Im Herbst 1945 kamen Gesandte aus Palästina (Yohanan Cohen, Itzhak Ben Zwi und Itzhak Zwi Netzer) nach Polen, um die illegale Auswanderung zu organisieren und durchzuführen. Die Transporte gingen in drei Richtungen: über die Südgrenze (mit der Zentrale in Wrocław), die östliche Grenze (Zentrale in Katowice) und die Westgrenze (Zentrale in Szczecin 217 ). 218 Der illegale Grenzübertritt war mit großen Risiken verbunden; gefasste „Brichah“-Leute mussten mit hohen Gefängnisstrafen oder sogar Abschiebung rechnen. Lediglich die polnische Südgrenze war bis zu einem gewissen Grad durchlässig, 215 Cohen, Yohanan: HaBrichah haGedolah mi Polin 1945–1947, in: Entziklopediyah shel Galuyot. Jerusalem 1970, zietiert nach: Szaynok, Bożena: Nielegalna emigracja Żydów z Polski – 1945–1947, in: Przegląd Polonijny, XXI, 76, 1995, S. 31– 46, hier S. 35; vgl. Cohen, Yohanan: Owrim kol gwur. HaBrichah. Polin 1945– 1946. Tel Aviv 1995. 216 Bauer: Flight and Rescue, S. 216, 219. 217 Entscheidend für die organisierte Flucht nach Deutschland war die Tatsache, dass sich dort mehrere DP-Lager befanden. Juden schmuggelten sich meist unter die ausgesiedelten Deutschen. Die meisten Transporte gingen nach Berlin; unter anderem wurden zu diesem Zweck illegal LKWs der Roten Armee gemietet. 218 Vgl. Cohen: HaBrichah haGedolah mi Polin; Bauer: Flight and Rescue.
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wurde aber auch von Grenztruppen bewacht. Wegen der Risiken des Personenschmuggels über die grüne Grenze gab es Versuche, Juden mithilfe gefälschter Ausweispapiere in die westalliierten Besatzungszonen zu schaffen. Wrocław spielte bei der Tätigkeit der „Brichah“ in Polen eine sehr wichtige Rolle – vor allem deshalb, weil in dieser Stadt eine der Zentralen ihren Sitz hatte. 219 Von hier aus wurde die Emigration der Juden nach Deutschland und in die Tschechoslowakei organisiert. 220 Die erste Zeitperiode der Tätigkeit von „Brichah“ endete im Juni 1946; bis zu diesem Zeitpunkt hatten etwa 50.000 Juden Polen verlassen. 221 Das Pogrom in Kielce am 4. Juli 1946 markierte eine neue Etappe der Emigration von Juden aus Polen, die die Bezeichnung „Großer Exodus“ erhielt. 222 Die Ereignisse von Kielce waren von tief greifender Bedeutung für das gesamte polnische Judentum. Unmittelbar warf dies erneut die Fragen nach dem Sinn und Zweck des Aufbaus jüdischen Lebens in Polen auf. Das Zentralkomitee der Juden in Polen, das sowohl emigrationsfreundliche wie skeptische Parteien vertrat, musste eine gemeinsame Antwort auf die Vorgehensweise nach dem Pogrom finden. Informationen, die aus Kielce in andere Städte drangen, riefen nicht nur wegen der Anzahl der Opfer Bestürzung hervor, sondern noch mehr wegen der Gleichgültigkeit der Behörden und der Teilnahme polnischer Miliz sowie des Militärs an den Ausschreitungen. Eine unmittelbare Folge des Pogroms war eine massive Migration von Juden aus kleineren Ortschaften in größere Städte, um dort Schutz zu suchen; dies galt auch für Niederschlesien und Wrocław. 219 Interview mit Arie Eisenbach, o. D., Petach Tikva/Israel, MHŻP. 220 Die Brichah-Aktivisten standen in Wrocław bereits ab 1947 im Visier des Sicherheitsdienstes. Zwischen 1950 und 1951 wurden insgesamt 33 Juden in Wrocław vor Gericht gestellt. Drei Personen wurden zur Todesstrafe verurteilt und zwischen 1950 und 1952 hingerichtet. Zwei Brichah-Mitarbeiter wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, alle anderen erhielten Gefängnisstrafen zwischen einem und 15 Jahren. 1958 wurden alle Häftlinge aufgrund einer Amnestie entlassen. Bis 1970 emigrierten die meisten von ihnen nach Israel, siehe: Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej we Wrocławiu (AIPN Wr), Sig. 049/166. 221 Vgl. Grajek: Po wojnie i co dalej; Bauer: Flight and Rescue; Cohen: HaBrichah haGedolah mi Polin. 222 Vgl. Szaynok: Pogrom Żydów w Kielcach; Bauer: Flight and Rescue. Unmittelbar nach dem Pogrom in Kielce hatten zwischen Juli und Dezember 1946 etwa 67.000 Juden Polen verlassen, Szaynok: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku, S. 95.
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Gleich nach dem Pogrom wurde das Emigrationsproblem auf zwei Ebenen untersucht. Einerseits gab es eine Diskussion innerhalb des Zentralkomitees der Juden in Polen zwischen den Vertretern der Zionisten und der Fraktion der Arbeiterpartei sowie des „Bundes“, andererseits fanden Gespräche jüdischer Aktivisten mit der polnischen Führung über die Erleichterung der Emigrationsbedingungen für Juden statt: Itzhak Zukerman und Adolf Berman 223 trafen sich mit dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit (Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego/MBP), dem Außenministerium (Ministerstwo Spraw Zagranicznych/MSZ) sowie mit dem Verteidigungsministerium (Ministerstwo Obrony Narodowej/MON). Sie erreichten eine Änderung der Regierungslinie, die für einen Zeitraum von etwa zwei Monaten die Ausreisebedingungen erleichterte. Jüdische Emigranten erhielten Gruppendokumente, mit denen sie ab dem 30. Juli 1946 die Staatsgrenze passieren durften. 224 Wrocław und Niederschlesien wurden im Sommer 1946 zu einer Transitstation für viele emigrierende Juden. Das brachte das hiesige jüdische Wojewodschaftskomitee in eine schwierige Situation. Die Scharen von Ausreisenden riefen Unsicherheit bei den dort ansässigen Juden hervor und waren gleichzeitig so etwas wie eine Aufforderung zur Emigration. 225 Die Zahl der Emigranten für Wrocław ist schwer zu bestimmen, da die Ausreisenden zum einen statistisch nicht erfasst wurden, zum anderen ohnehin eine große Beweglichkeit der jüdischen Bevölkerung herrschte, die in einer Stadt wie Wrocław nicht zu kontrollieren war. „Brichah“ schätzte für den Zeitraum zwischen zweiter Julihälfte, August und September 1946, dass sich 68.680 jüdische Emigranten in Niederschlesien aufhielten – andere gingen von über
223 Adolf (Abraham) Berman, geb. 1906 in Warschau, gest. 1978 in Israel. Zionistischer Aktivist, Philosoph und Psychologe. Während des Zweiten Weltkrieges einer der Anführer des jüdischen Untergrunds. Anfang 1947 formierte er die ‚Dritte Gruppe‘ in der zionistischen Bewegung in Polen, deren Ziel es war, mithilfe der Sowjetunion einen sozialistischen Staat in Palästina zu gründen. 1950 Emigration nach Israel, wo er unter anderem der Sozialistischen Partei ‚Mapam‘ beitrat und als ihr Vertreter Abgeordneter in der Knesset war. 224 Grajek: Po wojnie i co dalej, S. 97–101; vgl. Cohen: HaBrichah haGedolah mi Polin. 225 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I/2, Bl. 75.
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71.000 aus; etwa die Hälfte stammte aus dem Gebiet selbst. 226 Diese von der Regierung gebilligte halblegale Emigration dauerte bis Oktober 1946; im Februar 1947 wurden die Grenzen dann erneut geschlossen. Die Zahl der noch in Polen befindlichen Juden wird für 1947/48 auf etwa 110.000 geschätzt. 227 Wenngleich offizielle Organisationen, wie die Emigrationsabteilung des Zentralkomitees der Juden in Polen, das „Pal-Amt“ und die „HIAS“, auch weiterhin alles für eine legale Emigration taten, gestaltete sich die Ausfertigung der notwendigen Dokumente durch die polnischen Behörden als langwierig. 228 Nach 1948 wurde die „Repatriierung“ aus der Sowjetunion für beendet erklärt und jegliche Emigration aus Polen – mit Ausnahme der deutschen Bevölkerung – durch die Behörden verhindert. Ab 1949 verschärfte sich die Stalinisierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens: Alle zionistischen Parteien und Organisationen wurden ausgeschaltet, jüdische Einrichtungen verstaatlicht und ausländische Organisationen (wie „Joint“ und „Pal-Amt“) verboten. Dies führte zu einer Emigrationspanik unter den Juden. Dem entsprachen die polnischen Machthaber – mit Unterstützung des jungen Staates Israel: Die Massenemigration zwischen 1949 und 1951 war – im Gegensatz zu den vorherigen Emigrationsbewegungen – von vornherein legal. Entsprechend informierte die polnische Presse am 4. September 1949 über Emigrationsmöglichkeiten polnischer Bürger jüdischer Abstammung nach Israel. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die notwendigen Ausreisedokumente vom Ministerium für Öffentliche Verwaltung ausgestellt würden. 229 Diese Meldung erhöhte zwar die Zahl der Anträge; an den Ausreisebedingungen änderte sich allerdings wenig, ebenso wie die Erlaubnis weiterhin extrem res226 Die Zahlen variieren in der Fachliteratur. So kommt Yohanan Cohen, damals Koordinator der „Brichah“ in Polen, auf 67.943 Personen, Cohen: Owrim kol gwur. HaBrichah, S. 554; Bauer hingegen zählt 71.167 Emigranten, Bauer: Flight and Rescue, S. 211–219. Siehe Tabellen Nr. 14 (Illegale Emigration aus Polen, Juli 1945–Juni 1946) und Nr. 15 (Jüdische Emigranten aus Polen, Juli 1946–Dezember 1946). 227 Adelson: W Polsce zwanej Ludową, S. 420 f. 228 AŻIH, CKŻP, Sig. 303/XIV/18. 229 Pisarski, Maciej: Emigracja Żydów z Polski w latach 1945–1951, in: Tomaszewski, Jerzy (Hrsg.): Studia z dziejów i kultury Żydów w Polsce po 1945 roku. Warszawa 1997, S. 13–81, hier S. 63.
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triktiv erteilt wurde. 230 Allerdings bestimmte das Zentralkomitee der Vereinigten Arbeiterpartei im Dezember 1949 konkret, wessen Emigration es fördern wollte: „Ausreisen sollen vor allem Zionisten, Anwälte, private Unternehmer, Besitzer von Immobilien, Arbeitslose, Rabbiner, Mitglieder der Jüdischen Gemeinden“ 231 – mit dem Ziel, ideologisch fremde Personen und die zionistische Bewegung in Polen auszuschalten. 232 Arbeitern, Angestellten in Fabriken und Genossenschaften, Technikern, Ärzten, Künstlern und Schriftstellern sollte die Ausreise dagegen verweigert werden; diese galten als nützlich für das Regime. Die Ausreise erfolgte aufgrund eines „Reisedokuments“, das zur einmaligen Überschreitung der polnischen Staatsgrenze berechtigte und eine Rückkehr ausschloss; darüber hinaus wurde jedem Emigranten die polnische Staatsangehörigkeit entzogen. Anträge wurden bis zum 31. August 1950 angenommen, die Dokumente bis zum 31. Dezember ausgestellt. Mit diesem Tag beendete das Ministerium für Öffentliche Verwaltung die Aktion, obwohl israelische Diplomaten vergeblich für eine Fortführung intervenierten. 233 Zu dieser Zeit hatten sich die Beziehungen zwischen Israel und den Satellitenstaaten der Sowjetunion bereits derart verschlechtert, dass über weitere Emigrationsmöglichkeiten nicht verhandelt wurde. Im Zeitraum vom 13. September 1948 bis zum 31. August 1949 wurden insgesamt 27.150 Ausreiseanträge von Juden gestellt. 234 Bis Februar 1951 verließen 22.000 bis 23.000 Juden das Land; einschließlich Kindern bis zum 13. Lebensjahr waren es 28.000. Das bedeutete etwa 26 bis 30 Prozent der jüdischen Bevölkerung in Polen. 235 Die Jahre 1949 bis 1951 hatten das Leben der jüdischen Bevölkerung in Wrocław verändert. In diesem Zeitraum verließen etwa 20.000 Juden Niederschlesien Richtung Israel. In der zweiten Hälfte 1949 lebten in Wrocław nur
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AAN, MAP, Sig. 796, Bl. 3. AAN, Spóścizna Zachariasza, Sig. 476/21, Bl. 102. Ebd. Adelson: W Polsce zwanej Ludową, S. 424. AAN, Komitet Centralny Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej (KC PZPR), Sig. 237/V/98, Bl. 153–156. 235 Adelson: W Polsce zwanej Ludową, S. 421.
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noch 12.240 Juden; in ganz Niederschlesien Anfang 1950 etwa 30.000 236 – die meisten in größeren Städten und Siedlungen, neben Wrocław in Wałbrzych und Dzierżoniów. Diese Tendenz, von kleineren Ortschaften in größere Städte umzuziehen, war einerseits eine spontane Entscheidung der jüdischen Bevölkerung, andererseits aber auch ein gezieltes Bestreben des Jüdischen Wojewodschaftskomitees in Wrocław, Juden in der jeweiligen Stadt zu konzentrieren. Jakub Egit stellte im April 1949 fest: „Vor uns steht die Aufgabe der Umsiedlung der jüdischen Bevölkerung aus kleinen Städten in größere Zentren, in denen die Möglichkeit besteht, ein jüdisches Leben zu entfalten.“ 237 Nach dem Tod Stalins am 5. März 1953 kam es in vielen Staaten des Ostblocks zu einer deutlichen Lockerung des staatlichen Terrors. Während dieser „Tauwetterperiode“ 238 (1953–1956) wurde auch in Polen über mögliche Reformen diskutiert. Die Parteiführung war gespalten, heftige Kämpfe zwischen den Flügeln waren die Folge. Die eine Seite forderte eine Liberalisierung des politischen Lebens sowie Zugeständnisse gegenüber den Forderungen der Gesellschaft, die andere suchte eine Annäherung an das Volk durch Populismus und bemühte sich, eine Abschwächung des totalitären Systems zu verhindern. Da es in beiden Lagern kompromittierte Stalinanhänger gab, griff man im Kampf gegen parteiliche Gegner auch auf nationalistische, antijüdische Argumentationsstrategien zurück. So wurde die Verantwortung für stalinistische Verbrechen in der Parteiführung „Genossen“ jüdischer Abstammung wie Jakub Berman oder Hilary Minc zugeschoben. Abgesehen von den parteilichen Kämpfen, brachte das „Tauwetter“ auch eine Wiederbelebung antisemitischer Stimmungen in der polnischen Gesellschaft mit sich. Zu ernsthaften antijüdischen Vorkommnissen kam es in Niederschlesien im Oktober 1956, als Parolen von der „Judäo-Kommune“ und der angeblichen „Verantwortung der Juden“ für den Stalinismus verbreitet wur-
236 Szaynok: Ludność żydowska na Dolnym Śląsku, S. 194. Der polnische Historiker Grzegorz Berendt nennt in seiner Studie zum jüdischen Leben in Polen (1950– 1956) für das Jahr 1954 die Zahl 12.000 der noch in Wrocław lebenden Juden. Somit verzeichnete die Stadt die größte jüdische Gemeinschaft in Polen, siehe Berendt: Życie żydowskie w Polsce, S. 343. 237 APWr, WKŻ, Sig. 3, Bl. 60. 238 Nach einem Roman des sowjetischen Schriftstellers Ilja Ehrenburg so bezeichnet.
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den, 239 die in antisemitischen Unruhen in Wrocław mündeten, bei denen ein jüdischer Arbeiter ermordet wurde. 240 Gizela Fudem wurde 1924 als Gizela Grünberg in einer orthodoxen jüdischen Familie in Tarnów geboren. Sie überlebte als Einzige ihrer Familie den Krieg. Nach ihrer Befreiung in Bergen-Belsen lebte sie fortan in einem DP-Lager; 1948 kehrte sie nach Polen zurück und ließ sich in Wrocław nieder. Gizela Fudem, die als Ingenieurin in einem Konstruktionsbüro arbeitete, beschreibt die Stimmung 1956 an ihrem Arbeitsplatz in einem Interview wie folgt: 1956 habe ich das erste Mal nach dem Kriegsende den Antisemitismus zu spüren bekommen. Ich arbeitete damals in einem Konstruktionsbüro ‚Gazoprojekt‘. An meinem Arbeitsplatz hörte ich dann zufällig – ich glaube nicht, dass die Mitarbeiter es absichtlich sagten, um mich zu ärgern – ein extrem antisemitisches Gespräch über Juden: Die Verfolgung und Ausrottung sei sehr gut gewesen, bedauerlicherweise nicht zu Ende gebracht worden und so weiter. Ich war zutiefst schockiert. 241
Ein Schüler der jüdischen Schule in Wrocław schildert die antisemitischen Vorfälle, denen die jüdischen Schüler tagtäglich ausgesetzt waren: 1957 stand unsere Schule als einzig erhaltenes Gebäude unter den Ruinen. Als wir das Gelände nach dem Unterricht verließen, begann immer das gleiche Ritual: Gegenüber der Schule, auf den Trümmern, stand eine Gruppe von Jünglingen mit Ziegelsteinen in den Händen, und schrie: ‚Juden! Juden!‘ Dann rief der
239 Kersten: Polacy, Żydzi, Komunizm, S. 133; ‚Virulent Anti-Semitism Growing in Poland‘, in: JTA, New York 10. Januar 1957. 240 Smolar: Oyf der Letster Pozitsiye, S. 232. Der Mord an Chaim Nutkiewicz war offensichtlich nicht der einzige rassistische Vorfall in Wrocław. Sowohl Smolar als auch zeitgenössische Presse informierten über mindestens einen weiteren Mord an einem Juden auf dem Bahnhof in Wrocław, vgl. Grabski: Sytuacja Żydów w Polsce, S. 508. 241 Interview mit Gizela Fudem (ehemals Gizela Grünberg), im Dezember 2004 in Wrocław, Centropa, http://www.centropa.org/biography/gizela-fudem (abgerufen am 20. Juni 2009); vgl. Interview mit Gizela Fudem (geb. Grünberg), am 23. Oktober 1995 in New York, University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Interview Code 7896.
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Schuldirektor die Miliz an, und diese eskortierte uns dann zu der Straßenbahnhaltestelle. Jeden Tag wiederholte sich die gleiche Geschichte. 242
Walenty Cukierman wurde erst 1956 bewusst, dass es den Staat Israel gibt und dass Juden sich dort viel sicherer fühlen als in Polen. Er berichtet über seine Eindrücke aus dieser Zeit in einem Interview: 1956 war es in Wrocław sehr unruhig. Die Juden fühlten sich bedroht. Eines Tages habe ich neben meinem Haus ein Gedränge gesehen, das einen Mann hinter sich herzog. Es gab da keinen Milizionär. Als meine Nachbarin mich in der Nähe dieser Menschenmenge gesehen hat, wies sie mich an, sofort davon wegzulaufen. Ich hörte nur: ‚Schlage die Juden!‘ und ‚Juden nach Palästina!‘ 243
Die feindliche Einstellung der polnischen Gesellschaft und der Parteiführer gegenüber der jüdischen Bevölkerung beförderten eine erneute Emigrationswelle 1956/57, die von den staatlichen Behörden gebilligt wurde. Eryk Friedman, der 1957 aus Wrocław nach Israel emigrierte, schildert die Situation mit diesen Worten: Meiner Ansicht nach war die Emigrationswelle in den Jahren 1956 und 1957 durchaus nicht nur durch Ereignisse ‚antisemitischer Natur‘ bedingt. Vielmehr ging es um den Antisemitismus im Parteiapparat, wo Juden ihrer Posten enthoben wurden. [Bei der Nachbesetzung] wurden [gemäß Parteidoktrin] aus Arbeiterfamilien stammende Polen favorisiert. Gängig waren auch Gerüchte, dass es wahrscheinlich jetzt die letzte Chance für die Juden sei, Polen zu verlassen. 244
Der stärker werdende Antisemitismus war jedoch nicht der einzige, wenngleich ein entscheidender Faktor für die Emigration; dafür war die allgemeine Lage zu kompliziert und vielschichtig. Nunmehr wollten auch diejenigen fort, deren Familienangehörige vor Schließung der Grenze 1951 ausgereist waren und bereits im Westen oder Israel lebten. Ebenso waren psychische Folgen der Schoah ein Antrieb. Letztendlich emigrierten auch Juden, die vom politischen System enttäuscht waren und in der politischen Krise Polens eine persönliche Niederlage sahen. Deshalb stieg die Zahl der ausgestellten
242 Interview mit Alik (vollständiger Name anonym), in: Wiszniewicz: Życie przeciętne, S. 143. 243 Interview mit Walenty Cukierman, in: Torańska: Jesteśmy, S. 297. 244 Interview mit Eryk Friedman, 2007 in Haifa, AA.
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Ausreisedokumente 1956 rasant an: Allein im Dezember 1956 wurde beispielsweise 2.130 Personen eine Emigrationserlaubnis erteilt – im Jahr 1954 waren es insgesamt nur zwei gewesen. 245 Zwischen Juni 1956 und April 1957 verließen insgesamt 23.000 Juden Niederschlesien, von denen etwa 20.000 nach Israel ausreisten. 246 Auch von den 3.500 Juden, die zwischen 1955 und 1959 aus der Sowjetunion nach Wrocław „repatriiert“ worden waren, bemühten sich 3.079 Personen zwischen Juni 1956 und März 1957 um die Ausreise aus Polen; 70 Prozent der Anträge wurden genehmigt. 247 1957 erreichte die Emigrationswelle nach Israel ihren Höhepunkt. Bis zu ihrem Ende 1960 verließen über 51.000 Juden die Volksrepublik Polen, darunter etwa 13.000 „Repatrianten“, die nach 1956 aus der Sowjetunion nach Polen gekommen waren. 248 Die Zahl der Juden in Polen halbierte sich; 1961 lebten hier noch etwa 30.000 Juden; 249 in Wrocław waren es 4.500 Personen. 250 Die kurzzeitige „Blüte“ jüdischen Lebens in Wrocław nach dem Zweiten Weltkrieg hatte damit ihr Ende gefunden.
4.3.3 März 1968 In den Jahren 1961 bis 1967 kam es zu einer gewissen Stabilisierung des jüdischen Lebens in Polen. 251 Dies war die Folge einer Verbesserung der di245 AAN, PZPR, Sig. 237/XIV, Bl. 149. 246 Stankowski, Albert: Nowe spojrzenie na statystyki dotyczące emigracji Żydów z Polski po 1944 roku, in: ders./Berendt/Grabski: Studia z historii Żydów w Polsce po 1945 roku, S. 103–151, hier S. 130. 247 Latuch, Mikołaj: Rapatriacja ludności polskiej w latach 1955–1960 na tle zewnętrznych ruchów wędrówkowych. Warszawa 1994, S. 125. 248 Stankowski: Nowe spojrzenie na statystyki, S. 131. 249 Vgl. Adelson, Józef: Żydzi w Polsce 1944–1984, in: Kalendarz Żydowski. Warszawa 1985; Latuch: Repatriacja ludności polskiej, S. 59; Stankowski: Nowe spojrzenie na statystyki, S. 132. 250 AŻIH, TSKŻ, Sig. 325/114. Wrocław zählte nach Warschau zu der zweitgrößten Gemeinde in Polen. 251 So nahm beispielsweise auch der amerikanische ‚Joint‘ seine Tätigkeit in Polen wieder auf und leistete vor allem finanzielle Unterstützung der jüdischen Gemeinschaft in dem Land.
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plomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Volksrepublik. 252 Diese relative Ruhe währte jedoch nur bis Juni 1967, dem „Sechstage-Krieg“ im Nahen Osten. Der Sieg Israels und zugleich die Niederlage Ägyptens verringerten den sowjetischen Einfluss im Nahen Osten. Infolge dessen unterbrach die UdSSR die diplomatischen Beziehungen zu Israel. Polen, wie andere Satellitenländer der Sowjetunion, brach am 12. Juni 1967 seine Beziehungen zu Israel ab.253 Aufgrund dieser Ereignisse setzte in Polen eine antizionistische Kampagne ein. Diese wurde durch den damaligen Minister Mieczysław Moczar geleitet und nahm sehr schnell einen antisemitischen Charakter an. 254 Im Rahmen der innerparteilichen Kämpfe begann die Entlassung von Personen jüdischer Abstammung aus höheren Positionen, anfänglich innerhalb des Militärs und Sicherheitsdienstes. 255 Im März 1968 führten heftige Proteste der Studenten und Intellektuellen zur Absetzung des Theaterstücks „Ahnen“ des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz vom Spielplan des Nationaltheaters. Zu Verantwortlichen der Proteste wurden Studenten jüdischer Abstammung erklärt. 256 In diesen sahen die kommunistischen Machthaber ihre Feinde und assoziierten sie mit Zionisten. Unmittelbar danach dehnte sich diese antisemitische Agitation auf die gesamte jüdische Gemeinschaft in Polen aus. Sie richtete sich auch gegen Personen, die sich ihrer jüdischen Abstammung nicht einmal bewusst waren. 257 Die antisemitische Hetzjagd in der Presse, im Radio und Fernsehen, Entlassungen sowie der Mangel an breiter Unterstützung seitens der polnischen Gesell252 Vgl. Cała: Mniejszość żydowska, in: Madajczyk (Hrsg.): Mniejszości narodowe, S. 272–274. 253 Osęka, Piotr/Zaremba, Marcin: Wojna po wojnie, czyli polskie reperkusje wojny sześciodniowej, in: Polska 1944/45–1989. Studia i materiały, Nr. 4, 1999, S. 216 f. 254 Parteichef Gomułka äußerste in seiner Rede während des Gewerkschaftenkongresses am 19. Juni 1967 Folgendes: ‚Wir sind der Meinung, dass jeder Bürger in Polen nur ein Vaterland haben sollte – und das ist Volkspolen. […] Wir wollen nicht, dass sich in unserem Land eine fünfte Kolonne bildet.‘, zitiert nach: Stola: Kampania antysyjonistyczna, S. 274. 255 Vgl. Tych, Feliks: Kilka uwag o marcu 1968, in: ders.: Długi cień Zagłady, S. 131. 256 Im Zentrum der Angriffe standen unter anderem die bekanntesten Mitglieder der Gruppe ‚Komandosi‘ Adam Michnik, Henryk Szlajfer oder Jan Lityński, die sich einige Jahre später der demokratischen Opposition anschlossen. 257 Vgl. Stola: Kampania antysyjonistyczna; ders.: Kraj bez wyjścia?
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schaft gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern trugen dazu bei, dass 13.333 Juden zwischen 1967 und 1971 Polen den Rücken kehrten. 258 Besonders schmerzhaft und traumatisch erwiesen sich diese Ereignisse für die SchoahÜberlebenden, die diese antijüdische Hetzkampagne mit den Tiraden der Nationalsozialisten aus der Vorkriegszeit assoziierten. Die im März 1968 begonnenen Ausschreitungen gehörten zu der größten antijüdischen Kampagne in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die später als „März-Emigration“ bezeichnete Massenausreise der Juden aus Polen trug jedoch einen besonderen Charakterzug und ähnelte keiner der früheren Emigrationswellen. Die meisten der nach der letzten Emigration zu Beginn der 1960er-Jahre in Polen gebliebenen Personen waren völlig in die Gesellschaft integriert und sich ihrer jüdischen Abstammung teilweise nicht bewusst. Auch ihr sozialer Status unterschied sich deutlich von dem der früher aus Polen emigrierten Juden: Die „März-Emigration“ bestand aus Personen mit einer überdurchschnittlich hohen Bildung. Der Prozentsatz der Personen mit Hochschulbildung sowie der Studenten war unter den Emigranten achtmal so hoch wie bei dem Rest der polnischen Gesellschaft. 259 Für viele der zur Emigration gezwungenen Personen wurde die Ausreise zu einer persönlichen Tragödie. Sie betrachteten Polen als ihre einzige Heimat und konnten sich nicht vorstellen, ohne sie zu leben. Viele von ihnen hatten ihre ethnische, religiöse und kulturelle „jüdische Identität“ aufgegeben, um in Polen leben zu können. Beginnend mit dem Sommer 1967 stellte sich jedoch heraus, dass sie in ihrer Heimat nicht mehr erwünscht waren und in die Zwangsemigration getrieben wurden. Zu der Gruppe der Zwangsemigranten gehörten auch die meisten polnischen Juden, jüdischen Polen oder Polen jüdischer Abstammung, die in Wrocław lebten. Paula Teitelbaum wuchs in einer jüdischen Familie in Wrocław auf. Sie wurde zwar säkular erzogen, besuchte aber mit ihrem Bruder die jüdische Schule, das jüdische Theater sowie Veranstaltungen bei der Soziokulturellen
258 Manche polnische Historiker geben die Zahl von 20.000 Emigranten, die jedoch in den vorhandenen Quellen keine Bestätigung findet, vgl. Wróbel, Piotr: Migracje Żydów polskich. Próba syntezy, in: BŻIH, Nr. 1–2, 1998, S. 3–30; Eisler, Jerzy: Marzec 1968. Geneza, przebieg, konsekwencje. Warszawa 1991, S. 427 f. 259 Stola, Dariusz: Emigracja pomarcowa, in: Prace Migracyjne, Nr. 34, 2000, S. 2– 21, hier S. 10.
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Gesellschaft der Juden in Wrocław. Paula Teitelbaum erinnert sich an die Umstände der Ausreise ihrer Familie aus Polen: Wir haben Wrocław im August 1967 verlassen. Ich schaffte es gerade noch, im Juli zu dem Sommerlager der Soziokulturellen Gesellschaft der Juden zu fahren. Es war gleich nach dem Ausbruch des Sechstage-Krieges. Ich kann mich noch an die dort herrschende Stimmung erinnern, die jubelnde jüdische Jugend, zugleich aber die Verunsicherung und Beunruhigung der Betreuer, die unsere Diskussionen zu beruhigen und zu dämmen versuchten. Es fing nun mit der antisemitischen Hetzjagd an, bald erreichte auch diese den kritischen Punkt. Obwohl wir Verwandte in den USA hatten, wollte ich nicht Polen verlassen. Meine Eltern haben genügend Zeit ‚auf den Koffern‘ gesessen. Wir waren die Letzten aus der Familie, die noch in Polen lebten. Meine Eltern haben mich beruhigt und versprochen, wir können doch immer wieder zurück nach Polen kehren, wenn uns Amerika nicht gefallen würde. Nach den Märzereignissen wurde mir aber klar, dass es keine Wiederkehr mehr geben kann. Sehr schnell wurde mir bewusst, dass ich in Polen ohne meine jüdische Gemeinschaft keinen Platz für mich finden würde. 260
Paula Teitelbaum ließ sich mit ihrer Familie in New York nieder. Sie studierte Sprachwissenschaften und arbeitet als Englisch- und Spanischlehrerin in einem College in New York; sie unterrichtet auch Yiddisch im New Yorker YIVO Institute. Ein Student (Alik, Nachname anonym) der Universität in Wrocław berichtet über die Ereignisse im März 1968, die einen tiefen Einschnitt in seinem Leben markierten: Seit dem Beginn meines Studiums an der Universität in Wrocław änderte sich auch völlig meine soziale Umgebung. Vorher war diese ausschließlich jüdisch, und jetzt begann mein Umfeld eindeutig polnisch zu werden. Im polnischen Umfeld begann ich mich genauso gut zu fühlen wie vorher im jüdischen! Es war irgendwie natürlich. Ich sprach die Sprache und lebte völlig in der polnischen Kultur. […] Selbstverständlich brachten mir meine Eltern bei, dass ich anders bin. Sie lehrten mich auch, dass wir ‚Juden‘ der Partei nicht angehören sollten oder wichtige, öffentliche Funktionen bekleiden sollten, weil ‚es nichts für uns ist‘. Ich spürte schon meine Eigenart, diese hinderte mich aber nicht daran, mich als ein Teil des Landes, als ein Teil Polens zu fühlen. Ob ich mich im März bedroht fühlte? Nein, eher nicht. Sie suchten für Repressionen Kinder jüdischer Prominenz und nicht einen Sohn des jüdischen Handwerkers. […] 260 Interview mit Paula Teitelbaum, am 10. Juli 2011 in New York, AA.
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Unsere März-Ausreise begann damit, dass meine Eltern mir plötzlich mitteilten, dass wir ausreisen werden: ‚Alle fahren weg, wir werden es auch tun‘. Welche Ausreise? Bis zu diesem Moment hatte ich doch alle meine Zukunftspläne mit Polen verbunden. Ich hatte Erfolge im Studium, und es war klar für mich, dass ich hier weiter leben werde. Plötzlich brach der ganze Horizont meiner Vorstellungen zusammen. Allmählich begriff ich, dass also meine ganze jüdische Welt ausreist! Ein Teil meines Lebens schließt sich, mein Polen endet, es ist schon das Ende von Allem, mit dem ich hier so lange und tief verbunden war … Wir fuhren weg – ich und meine ganze jüdische Welt in Polen. Und hier brach für mich dieses Polen ab. Nie mehr wieder, weder in Rom, Israel oder später in den USA – nie wieder hat mir dieses Polen gefehlt. 261
Die meisten der jungen jüdischen Emigranten aus Polen waren durch ihre ambitionierten Pläne bestimmt. Einige von ihnen strebten an, die berühmten amerikanischen Universitäten wie Princeton, Harvard, Columbia oder Yale zu besuchen. Alik studierte Medizin an der Columbia University in New York und wurde Arzt. Sabina Baral absolvierte ein Studium an der University of Michigan und wurde eine bekannte Innenarchitektin, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Im März 1968 erlebte sie als Studentin die antijüdische Kampagne an der Universität in Wrocław: Man konnte sich eigentlich das ganze Leben lang ärgern. Ich wollte aber dieses polnische Kapitel abschließen. Das, was sich 1968 abgespielt hatte, aber auch die Ereignisse, die ich zwischen 1948 und 1968, also mein ganzes polnisches Leben lang, gesehen hatte, waren für mich einfach unbegreiflich. Als ich ausreiste, wurde mir erst klar, dass alles, was ich gegenüber Polen empfand, unerwidert geblieben war – sie wollten mich hier nicht. Es war unerträglich. Meine ganze Existenz in Polen war durch große Unsicherheit gekennzeichnet. Wir wohnten neben der Synagoge in Wrocław, wo viele Juden lebten. Die meisten unserer Nachbarn waren Schoah-Überlebende. Eine Nachbarin schlug jeden Tag mit dem Kopf gegen die Wand, weil ihre Kinder in Auschwitz ermordet wurden. In solcher Atmosphäre bin ich also groß geworden. Meine Eltern, Schoah-Überlebende, hatten keine Kraft mehr für die Ausreise. Sie waren der Meinung, dass wenigstens ich weg aus Polen gehen sollte. Letztendlich haben sie mit mir Polen verlassen. […] Die Schuld der Polen meiner Meinung nach liegt darin, dass sie es nicht annehmen wollten, dass Juden sehr tief in Polen verwurzelt waren. Wir versuchten, 261 Interview mit Alik (vollständiger Name anonym), in: Wiszniewicz: Życie przeciętne, S. 143.
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Hunderte Jahre hinweg gute Polen zu werden. Meine Familie lebte hier seit 600 Jahren. Die Deutschen versuchen zumindest mit ihrer ‚kollektiven Schuld‘ zurechtzukommen, aber die Polen haben eine bequeme Stellung angenommen – sie sind Opfer. Sie haben uns aus dem Land vertrieben, aber unternehmen ja keine Versuche, um es wieder gutzumachen. 262
Der damals 23-jährige Walenty Cukierman berichtet über die Situation seiner Familie 1968 sowie seine Gefühle in Anbetracht des Verlustes seiner Heimat: 1968 war ich 23 Jahre alt. Ich absolvierte Russische Philologie an der Universität in Wrocław. Gerade begann ich, als Russischlehrer zu arbeiten, da wurde ich schon in Polen nicht mehr gebraucht. Es stellte sich heraus, dass dieser Defekt, mit dem ich geboren wurde, viel größer war, als ich es vermutete. Dafür musste ich einen hohen Preis zahlen. Polen würde diese Last nicht mehr tolerieren. Vor der Abreise verkauften meine Eltern alles, was sie besaßen, und es stellte sich heraus, dass ihr ganzes Vermögen rund 200 Dollar betrug. Mein Vater war damals 67 Jahre alt. Er musste auf die polnische Staatsangehörigkeit verzichten und seine Pension wurde ihm entzogen. Nach vielen Jahren Berufsleben fuhren meine Eltern ins Unbekannte, ohne jegliche finanzielle Absicherung. Ich fuhr mit einem großen Groll gegenüber Polen, dass es mich nicht hat haben wollen, dass Polen mich nicht zu schätzen wusste und mich am Ende rausgeschmissen hat. Erst 1980, als ich von der ‚Solidarność‘-Bewegung hörte, stellte ich fest, dass das, was in Polen passierte, viel wichtiger als mein jüdischer Schmerz und mein Trauma ist. Dann fuhr ich das erste Mal wieder nach Polen zurück. Ich freute mich. Ich war sehr stolz auf Polen. Weil es in mir tief verankert ist und es für immer bleiben wird. Unabhängig davon, was ich über dieses Land auch sage und denke. 263
Dawid Ringiel ist mit seiner Familie in Wrocław geblieben. Er berichtet über die Situation der wenigen in der Stadt verbliebenen Juden: An der Włodkowicastraße in der Synagoge gab es immer sehr viele gläubige Juden. Nach 1968 wurde diese aber geschlossen. Wir versammelten uns zum Gebet in einem kleinen Saal, auch noch in den 1980er-Jahren. Die meisten Juden kamen aber nur zu den großen Feiertagen zum Gebet. Wer ein Bedürfnis nach dem religiösen Leben hatte, kam einfach hin. Generell war es aber kein Gesprächsthema. 1968 hatte ich eigentlich keine Probleme gehabt, ich gehörte nie der Partei an und war nur ein einfacher Handwerker. 264 262 Interview mit Sabina Baral, am 12. August 2011 in New York, AA. 263 Interview mit Walenty Cukierman, in: Torańska: Jesteśmy, S. 297. 264 Interview mit Dawid Ringiel, 2006 in Wrocław, AA.
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Cyla Zylbertal mit ihrer Familie gehörte auch zu den wenigen Juden, die sich entschlossen hatten, in der Stadt zu bleiben. Sie wollte Polen nie verlassen. Aus der heutigen Perspektive bereut sie ihre damalige Entscheidung bitter. Cyla Zylbertal betont, dass sie es vor allem deshalb bereut, weil sich in Polen, ihrer Meinung nach, nichts geändert habe: Meine Schwester und Bruder gingen 1957 nach Israel. Ich war so dumm nicht mitzukommmen. Ich dachte, dass ich hier … Es war doch meine Heimat. Ich sah den Antisemitismus und nicht nur das, ich habe gesehen, wie Juden ermordet wurden. Ich sagte mir damals: ‚Die Heimat muss einen nicht unbedingt zurück lieben‘. Ich war von solchen Idealen erfüllt, von solchen dummen Idealen, wie es sich jetzt herausstellt. […] Es wird keine Juden mehr in Polen geben. Es gibt nur sehr wenige Juden hier, viele von ihnen bekennen sich nicht einmal zum Judentum. Wenn ich auf unsere Synagoge schaue, wenn ich diese Menschen zu Rosch Haschanah zum Gebet versammelt sehe … Das sind doch alles Greise, die bald sterben werden. […] So zerfällt das alles, es zerfällt einfach … Wird es noch jemanden geben, der mich auf dem jüdischen Friedhof beisetzen wird? Totengräber gibt es bei uns in Polen genug, aber Juden … ? 265
Włodek Goldsztejn besuchte die jüdische Schule in Wrocław, wo er zusammen mit Sabina Baral Abitur machte. Als einziger Schüler seiner Klasse ist er in Polen geblieben. Włodek Goldsztejn studierte Jura an der Universität in Wrocław und fand dort eine Gruppe polnischer Freunde: Während unserer Urlaube hatten wir immer heftig über die Politik diskutiert. Ich erinnere mich, es war schon nach unserer Studienzeit, haben wir wie immer über politische Fragen debattiert und ich äußerte mich gegen die Eingriffe der katholischen Kirche in das Privatleben. Daraufhin hörte ich von meinen Kollegen: ‚Siehst du, du verstehst es nicht, weil du ein Fremder bist.‘ Ich habe damals zu mir gesagt, wenn ich schon ein Fremder sein muss, dann werde ich also solcher bis zum Gehtnichtmehr sein. Es wurde mir bewusst, dass Judesein in Polen eine Mission ist. Trotz alledem und der ganzen Welt zum Trotz. Diese Mission ist notwendig – menschliche Würde verlangt es. 266
265 Interview mit Cyla Zylbertal, im September, Oktober und November 2007, Kolekcja autorska Anki Grupińskiej ‚Zapisywanie świata żydowskiego w Polsce‘ MHŻPW. 266 Interview mit Włodek Goldsztejn, am 2. September 2006 in Wrocław, AA.
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4.4 Zusammenfassung und Ausblick Der Totalitarismus erschütterte im 20. Jahrhundert zweimal die Stadt Breslau/Wrocław: seitens der Nationalsozialisten in den Jahren 1933 bis 1945 und seitens der Kommunisten von 1945 bis 1989. Terror, Krieg und Genozid prägten die in dieser Studie dargestellten biografischen Aufzeichnungen der deutschen und polnischen Juden, die einen ganz spezifischen Blick auf diese Jahre eröffnen. Die Auswirkung beider Systeme auf die jüdische Minderheit war destruktiv und führte in unterschiedlichen Qualitäten zu Verdrängung, Vertreibung und Mord. Wenn der Nationalsozialismus auch in vieler Hinsicht unvergleichbar in der historischen Landschaft steht, ist es für das geschichtliche Bewusstsein notwendig, Prozesse und Wirkungen totalitärer Systeme generell zu untersuchen und miteinander zu vergleichen. Die aus dieser Arbeit hervorgehende These ist, dass die gesellschaftlichen Mechanismen sowohl für die deutschen Juden bis 1945 in Breslau als auch für die polnischen Juden in Wrocław nach 1945 ähnlich verheerende Wirkungen hatten. Die Rekonstruktion der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft in Breslau und Wrocław während der beiden totalitären Systeme weist Parallelen in den jüdischen Reaktionen auf, in den Strategien der Selbstbehauptung und den Veränderungen der Identitätskonzepte. So reagierte die jüdische Gemeinschaft sowohl individuell als auch institutionell unter dem NS-Regime aber auch in der Volksrepublik Polen auf sehr spezifische und ähnliche Weise: Das Organisationswesen der deutschen Juden zwischen 1933 und Ende 1938 war in gewisser Beziehung eine paradoxe Erscheinung. Der diffamierten und verfolgten jüdischen Minderheit wurde gestattet, was allen anderen verboten war: Innerhalb einer totalitären Diktatur und „gleichgeschalteten“ Gesellschaft durfte sie ihre bisherigen Organisationen demokratischer Repräsentanz weitererhalten. Die jüdischen Gemeinden wurden durch Vertreter von Parteien und Organisationen weitergeführt. Die Nationalsozialisten duldeten diesen außergewöhnlichen Status zumindest bis 1938. Die jüdische Reaktion auf die Verfolgung entsprach den historischen Vorläufern jüdischer Politik und sozialer Hilfeleistung, wie sie sich in früheren Jahrzehnten entwickelt hatten. Jüdische Autonomie wurde durch Kontakte mit amerikanischen und britischen Hilfsaktionen und
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mit der „Jewish Agency for Palestine“ unterstützt. Obwohl die Verfolgung durch die Nationalsozialisten maßgeblich auf die jüdische Lebenswelt einwirkte und den jüdischen Organisationen eine allenfalls lindernde soziale Hilfsfunktion zuwies, gelang es der Breslauer jüdischen Gemeinde doch, die ständig zunehmenden Einschnitte in ihre Autonomie aufzuhalten und die Auswirkungen der Verfolgung zu mildern, solange dies möglich war. 267 Die polnische jüdische Gemeinschaft in der Volksrepublik Polen durfte in den Jahren zwischen 1945 und 1949 als die einzige Minderheit unter dem sozialistischen Regime ihre eigenständigen Institutionen und Parteien aufrechterhalten. Wenn auch diese im Visier des staatlichen Parteiapparates standen, konnten sie sich entfalten und behaupten. Das Spektrum der Tätigkeit der polnisch-jüdischen Gemeinschaft war vielfältig. Die meisten Wirkungsgebiete und Institutionen entsprachen denen der deutschen Juden in Breslau unter dem Nationalsozialismus. Ihr Handeln war von dem Ziel geprägt, den polnischen Schoah-Überlebenden weitreichende Unterstützung und Hilfe zu leisten. Diese reichten von der sozialen und gesundheitlichen Fürsorge über Arbeits- und Unterkunftsvermittlung bis hin zu Emigrationsfragen. In Wrocław gründete man zahlreiche Kibbuzim, die zum einem vor allem für junge jüdische Überlebende ein Zuhause wurden, zum anderen für die Ausreise aus Polen Hilfe boten. Das im Mai 1945 in der Stadt gegründete Jüdische Komitee, das zum Träger dieser Hilfeleistung wurde, hatte seinen Sitz in den Räumlichkeiten der ehemaligen deutschen jüdischen Gemeinde an der Wallstraße/Włodkowicastraße. Wenn es auch spätestens seit Anfang 1946 tragischerweise keine personale Kontinuität mehr gab, blieb doch die Tätigkeitspalette der polnisch-jüdischen Organisationen aus der Zeit vor 1945 erhalten. Die Frage „gehen oder bleiben?“ war prägend für die jüdische Gemeinschaft in Breslau und dann später auch in Wrocław. Während die Umstände, unter denen die Entscheidung für die Emigration getroffen wurde, sich grundsätzlich dadurch unterschieden, dass während der NS-Zeit Lebensgefahr bestand und dies in der Volksrepublik nicht direkt lebensbedrohlich 267 Strauss, Herbert A.: Jewish Autonomy within the Limits of National Socialist Policy. The Communities and the Reichsvertretung, in: Paucker, Arnold (Hrsg.): Die Juden im nationalsozialistischen Deutschland, 1933–1943. Tübingen 1986, S. 125–152, hier S. 152.
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war, ist die Frage, ob diese Gefahr für die jüdische Bevölkerung vor November 1938 erkennbar war. Dass sich das System in der Weise etablieren würde, dass es sich tatsächlich um eine Frage von Leben oder Tod handelte, ist in der Wahrnehmung der meisten Zeitzeugen nicht antizipiert. Die Hoffnung auf eine Besserung der Umstände findet sich in vielen Zeugnissen bis 1938. Ein ähnliches Gefühl bewegte auch die polnischen Juden, die sich für einen weiteren Aufenthalt in der Volksrepublik entscheiden. Die Verfolgung überlebten einige Hundert der Breslauer Juden, von denen die meisten in einer sogenannten „Mischehe“ lebten. Ihre Rückkehr erwies sich aber für sie als eine schmerzhafte und erschütternde Erfahrung. Sie waren während des NS-Regimes als „Juden“ aus der „Volksgemeinschaft“ ausgegrenzt, vertrieben und verschleppt worden, galten aber jetzt selbst als „Deutsche“ und wurden wie Feinde behandelt. In beiden Fällen dient die Instrumentalisierung und Hervorhebung eines Identitätsaspekts als Grundlage für die Diskriminierung. So lebten sie in den ersten Monaten nach Kriegsende inmitten der Trümmer zusammen mit den übrigen Deutschen (der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft), denen die „Aussiedlung“ bevorstand. Daneben fanden sich frühere jüdische Häftlinge, Neuankömmlinge aus dem Osten des Landes und jüdische Schoah-Überlebende, die aus dem Inneren des Landes kamen, in der Stadt ein. Auch wenn die deutschen wie die polnischen Schoah-Überlebenden das gleiche Schicksal getroffen hatte, haben die Erfahrungen des Krieges und des kollektiven Leidens zu keinem Zusammengehörigkeitsgefühl geführt. Der Identitätsaspekt der gemeinsamen ethnisch-religiösen Zugehörigkeit stand hierbei offensichtlich nicht so weit im Vordergrund, als dass er sprachliche, kulturelle, soziale, ökonomische und innerreligiöse Unterschiede hätte überwinden können. Der Gedanke einer „jüdischen Zusammengehörigkeit“ hatte sich während ihrer gemeinsamen Geschichte nicht als tragfähig gegenüber anderen Aspekten der Identität erwiesen. Das Verhältnis zwischen den jüdischen Breslauern und ihren polnischen Glaubensbrüdern war in der unmittelbaren Nachkriegszeit hauptsächlich durch starke Spannungen geprägt. Die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung konnte die Entfremdung, Isolation und Feindseligkeit zwischen „Ost- und Westjuden“ nicht tilgen. Sie blieben weiterhin „Brüder und Fremde“ und standen sich in Wrocław gegenüber. Ihre gegenseitigen Beziehungen hatten eine lange und komplizierte Geschichte. In der Kluft zwischen den „West- und Ostjuden“ lässt sich eine deutliche Kontinuitäts-
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linie nachzeichnen: Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war ihre Koexistenz durch Konflikte gekennzeichnet; dann aber, in der tragischen Endphase des erzwungenen Zusammenlebens der deutschsprachigen und osteuropäischen Juden unter anderem in den Gettos von Warschau, Łódź, Riga oder in den Transitgettos im Distrikt Lublin, kamen das verstärkte Misstrauen und die Entfremdung extrem zum Ausdruck. Letztendlich zeugt die „Wiederbegegnung der Ost- und Westjuden“ in Wrocław davon, dass die kulturellen und gesellschaftlichen Barrieren trotz der gemeinsamen traumatischen Kriegserfahrung weiterhin nicht überbrückt werden konnten. Diese wechselseitige Missstimmung wirkte sich aber weit über diesen Zeitraum hinaus aus: Auch in dem neu gegründeten Staat Israel hatten sich in den ersten Jahren seit der Staatsgründung die Verhältnisse zwischen den deutschsprachigen „Jeckes“ und den aus Osteuropa stammenden Juden nicht stark verändert und waren nach wie vor durch ein Gemisch von Neid, Ironie und Missachtung bestimmt. So trug das gemeinsame Verfolgungsschicksal wenig zu einer Solidarisierung bei, sondern bestärkte eher alte Vorurteilsstrukturen und Klischees. Auch wenn Solidarität unter den deutschen und polnischen SchoahÜberlebenden in den ersten Nachkriegsmonaten in Wrocław und generell nicht geboten war, erwiesen sich die Verfolgungserfahrung sowie die Erinnerung an die Schoah als eines der wichtigsten identitätsstiftenden Motive, die für das Selbstkonzept sowohl der deutschen als auch der polnischen Juden in der Nachkriegszeit prägend war. Nach den traumatischen Erfahrungen im Nationalsozialismus versuchten viele, ihr Leben durch individuelle Sinngebung zu stabilisieren. Der Verlust von Familie, Heimat und Identität durch die NS-Verfolgung führte bei den Überlebenden der Schoah zur Suche nach Geborgenheit, Zuwendung und einem sicheren Platz zum Leben. Das Erlebnis von auf Vernichtung angelegter individueller wie kollektiver Verfolgung unterschied sich nicht nur von früheren jüdischen Generationen, sondern auch von den meisten anderen Volksgruppen. Die Wirkungsmacht dieser Lebenserfahrung formte aber nicht nur das Selbstverständnis der Angehörigen dieser Generation selbst, sondern auch das ihrer Nachkommen. Aufgrund der Verfolgung hat sich das Selbstverständnis der Juden sowohl auf kollektiver wie auch auf individueller Ebene grundlegend gewandelt. So bildete sich durch die Verfolgungserfahrung ein Identitätsaspekt heraus, der sich im Rückgriff auf „spezifisch
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jüdische Werte“, in der Rückkehr zur jüdischen Tradition, zur Religion, aber auch im ethnischen Sinne manifestierte. Der Überlebende Kenneth Arkwright, der nach Kriegsende für kurze Zeit nach Wrocław zurückkehrte und bereits im September 1945 nach Deutschland zog, beschreibt die ersten Tage nach seiner Ankunft in Berlin: In Berlin trug ich nach dem Krieg einen kleinen silbernen Davidstern an meinem Jackenaufschlag. Die meisten Überlebenden taten das. Wir glaubten, wir könnten so zeigen, dass wir wieder stolz darauf sein konnten, jüdisch zu sein, und dass Hitlers Gelber Stern keine Belastung war. Wir konnten uns alle noch an den Artikel von Robert Weltsch in der Jüdischen Rundschau während der Verfolgung erinnern: ‚Tragt ihn mit Stolz, den Gelben Fleck!‘ Doch war das der wahre Grund? Oder trugen wir den Stern, um uns von den Deutschen um uns herum zu distanzieren? 268
Hier kommt die große psychische Belastung zum Ausdruck, nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurückkehren zu müssen. Doch sollte für Kenneth Arkwright und seine Eltern, ebenfalls wie für die meisten Schoah-Überlebenden, Deutschland zu einer Zwischenstation in die weitere Emigration werden. 1949 begab sich Kenneth Arkwright von Berlin nach Paris mit dem Ziel, nach Australien zu emigrieren. Er lebt heute in Perth, wo er sich unter anderem als engagiertes Mitglied der dortigen jüdischen Gemeinde betätigt. Ein ähnliches Schicksal nach Kriegsende teilt Karla Wolff. Sie überlebte den Krieg im Versteck in Breslau und kehrte mit ihren Eltern ihrer Heimatstadt im September 1945 den Rücken. Über Erfurt gelangte ihre Familie in die amerikanische Besatzungszone. Damals war Karla Wolff schon klar, dass sie ihre Zukunft nur in Palästina aufbauen könnte. Nach ihrer Vorbereitung in dem „Hachschara-Lager Gehringshof“ erreichte sie schließlich auf illegalem Wege die Küste von Palästina. Ihre Eltern wanderten zunächst in die USA aus und kehrten einige Jahre später nach Deutschland zurück. Anhand der Lebensgeschichte von Karla Wolff sowie ihrer Eltern kommen der Zwiespalt und die Differenzen in der Selbstwahrnehmung und Identität stark zum Ausdruck. Während Karla sich in Palästina niederließ und kurz darauf israelische Staatsbürgerin wurde, setzte ihre Mutter, die katholisch war und nach dem Kriegsende zum Judentum übertrat, alles daran, Deutschland zu verlassen. In den USA wurde sie zur Amerikanerin, und selbst bei der Rück268 Interview mit Kenneth James Arkwright, 2011 in Berlin, AA.
Zusammenfassung und Ausblick
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kehr nach Deutschland Mitte der 1950er-Jahre definierte sie sich als amerikanische Staatsbürgerin. Der Vater von Karla Wolff konnte sich hingegen von seinem „Deutschtum“ nicht lösen und konnte sich nicht vorstellen, außerhalb des Landes zu leben. Letztendlich ließen sich die Eltern Karla Wolffs in Düsseldorf nieder, wo ihr Vater als Kantor und Religionslehrer bei der dortigen jüdischen Gemeinde viele Jahre amtierte. 269 Konrad Latte, der als Einziger seiner Familie den Krieg überlebte, entschied sich im Gegensatz zu Kenneth Arkwright und Karla Wolff, nach dem Krieg in Deutschland zu bleiben. In der Musik und seiner Tätigkeit als Musiker fand er eine Heimat, die ihm vermutlich dabei half, die Kriegserfahrungen zu verarbeiten und die schmerzhaften Erinnerungen zu tilgen. Er ließ sich zunächst als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung in Cottbus und später als musikalischer Oberleiter in Bautzen nieder. 1953 gründete er das Berliner Barock-Orchester, das er bis 1997 leitete. 270 Fritz Stern, der 1938 mit seinen Eltern in die USA emigrierte, beschreibt die Probleme mit der Fremdwahrnehmung seiner Person sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland: In den USA nimmt man mich als einen Deutschen wahr, nur wegen meines Vornamens Fritz. Wenn ich nach Deutschland komme, werde ich sofort dem Judentum zugeordnet, und dies wegen meines Nachnamens Stern. Es ist eine äußerst paradoxe Erscheinung – ich werde nach meiner Meinung nicht gefragt. Natürlich fühle ich mich weder dem Deutschtum noch dem Judentum zugehörig. Ich bin ein Amerikaner. 271
Ganz anders positioniert sich Evelyn Pike-Rubin. Im Gegensatz zu Fritz Stern fand sie in der jüdischen Tradition und Religion ihren wichtigsten Identitätsaspekt: Aufgrund meiner Erfahrungen während des Holocausts sehe ich Judentum anders. Ich glaube fest daran, dass ich aus einem Grund überleben konnte. Dieser Grund basiert auf der jüdischen Tradition, geht auf unser Erbe zurück, das wir als Volk seit Tausenden von Jahren in uns tragen. Dies ist sehr wichtig für mich, dieses Erbe und Religion weiterzugeben. Ich habe eine sehr starke jüdische Identität. Ich bin konservativ, führe einen koscheren Haushalt. Meine Kinder besuch269 Interview mit Karla Wolff, 2007, 2008, 2009 in Nahariya/Israel, AA. 270 ALBINY, Latte, Konrad/Latte, Ellen: Überleben in der Illegalität. 271 Interview mit Fritz Stern, 2011 in New York, AA.
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ten alle hebräische Schulen und setzen die jüdische Tradition unseres Hauses fort. 272
Die Bedingungen und Verhältnisse, unter denen die Schoah-Überlebenden nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen lebten, die tief greifende Andersartigkeit und Isolierung, vor allem aber der virulente Antisemitismus haben in vielen Fällen das Aufkommen eines Zugehörigkeitsgefühls zur Heimat Polen erschwert, kompliziert und in den meisten Fällen sogar unmöglich gemacht. Für einige erwies sich die Identifizierung mit dem Schicksal der während der Schoah umgekommenen Juden als einzige Brücke, die sie emotional mit dem Judentum verband. So entschied sich nach 1945 die Mehrheit der polnischen Juden für eine Emigration aus Polen. Für die wenigen der noch in Polen lebenden Juden wurden die Ereignisse vom März 1968 zu einem sehr wichtigen Moment der Konfrontation mit der eigenen Identität. In diesem Jahr wurde die Abstammung als offizielles Kriterium für die Zuweisung als Jude festgelegt. Die weitgehend integrierten Betroffenen empfanden das Unrecht dieses Fremdbildes doppelt: einmal wegen ihrer infrage gestellten Zugehörigkeit zu Polen, zum anderen wegen der Reduzierung auf ihre jüdische Abstammung. Das führte zum Gefühl der Fremdheit in der polnischen Gesellschaft. Die Entwicklung und Identitätsbildung bei denjenigen, die das Land verließen, verlief ganz anders als bei denjenigen, die in Polen geblieben waren. Die „März-Emigranten“ haben zumeist aufgrund des Schocks des Antisemitismus und der dramatischen Umstände ihrer Ausreise eine intensive Umwertung ihrer Identität erfahren. Meistens distanzierten sich diese von Identitätsmerkmalen wie Sprache und Nationalität, die sie mit Polen verbanden. Sie begannen, ihre Identität auf vielfältige Weise neu zu definieren. Sie setzten sich intensiv mit der Geschichte der Schoah auseinander, traten jüdischen Gemeinden bei und wurden religiös, engagierten sich bei unterschiedlichen jüdischen säkularen Organisationen oder pflegten die jüdische Tradition. Der 1968 aus Polen in die USA emigrierte Student beschreibt seine Identitätsprobleme, die ihn bis in die Gegenwart begleiten:
272 Interview with Evelyn Pike Rubin, June 1997, Holocaust/Genocide Project: An End to Intolerance, http://www.iearn.org/hgp/aeti/aeti-1997/shanghai.html (abgerufen am 11. März 2013).
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Es kommt vor, dass man mir vorwirft, dass ich ein schlechter Jude bin und zu wenig jüdisch bin. Ich bin ein schlechter Jude, weil ich nicht in Israel lebe; ich bin ein schlechter Jude, weil ich nicht genügend über das Judentum und jüdische Tradition weiß. Ich habe mich aber damit vollkommen abgefunden, dass ich zu den sterbenden Überresten des polnischen Judentums gehöre. Ich bin durch Zufall geboren worden, weil meine Eltern den Krieg durch Zufall überlebten. Ich gehöre zu der merkwürdigen ersten Generation nach der Schoah, die im kommunistischen Polen groß geworden ist. Es wird nie mehr solche merkwürdigen Juden wie mich geben. 273
Paula Teitelbaum, die Wrocław im Sommer 1967 mit ihren Eltern verließ, beleuchtet ihren Identitätswandel infolge der Emigration wie folgt: Meine Eltern waren überhaupt nicht religiös und änderten dies auch nicht in Amerika. Ich habe jedoch nach der Emigration aus Wrocław das Bedürfnis gespürt, mein Wissen über jüdische Traditionen zu ergänzen. Ich habe angefangen Hebräisch zu lernen, später habe ich angefangen, zu Hause mit meiner Familie jüdische Feiertage zu feiern. Am Anfang fühlte ich mich sehr komisch in der Synagoge. Als ich meine Tochter zur Welt brachte, haben wir angefangen Sabbat zu begehen und ich bin nun seitdem mit den Kindern regelmäßig in die Synagoge gegangen. Wenn auch ich nicht besonders religiös bin, bin ich der jüdischen Tradition, die meine Großmutter in Polen kultiviert hatte, nähergekommen. Bei mir zu Hause in New York spreche ich mit meinem Mann und meinen beiden Töchtern jiddisch. Die Weitergabe der Sprache sowie der jüdischen Kultur an meine Kinder ist für mich wahnsinnig wichtig, diese haben doch meine Identität in Polen, und später auch in den USA bestimmt. 274
Bei den in Wrocław verbliebenen Juden erwies sich die Möglichkeit der Rückbesinnung auf die jüdische Tradition, Kultur oder Religion erst seit Anfang der 1980er-Jahre als machbar. Die meisten von ihnen entschieden sich, auf die jüdische Tradition und Religion zurückzugreifen. 275 Gizela Fudem,
273 Interview mit Alik (vollständiger Name anonym), in: Wiszniewicz: Życie przeciętne, S. 137. 274 Interview mit Paula Teitelbaum, 2011 in New York, AA. 275 Vgl. Wiszniewicz, Joanna: Pierwsze powojenne pokolenie polskich Żydów. Rodzicielski przekaz pamięci Holocaustu a tożsamość żydowska, in: BŻIH, Nr. 3, September 1999, S. 40–47; vgl. Interview mit Mira Żelechower-Aleksiun, am 10. März 2009 in Warszawa, AA; Interview mit Jerzy Kichler, am 15. September 2006 und 30. August 2008, in Wrocław, AA.
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die sich für den Verbleib in Wrocław entschied, beschreibt die Schwierigkeiten, sich in Polen als Jüdin zu behaupten: Bis heute befinde ich mich in einem Zwiespalt hinsichtlich meiner Identität. Wenn ich zum Beispiel im Ausland unter anderen Juden bin, fühle ich mich durchaus polnisch. Wenn ich aber unter Nichtjuden in Polen bin, kommt dann das starke Jüdisch-Sein-Gefühl bei mir zum Ausdruck. 276
Włodek Goldsztejn blieb wie Gizela Fudem in Wrocław. Er war 1965 der einzige Schüler des Abiturjahrgangs der jüdischen Schule, der nicht emigrierte. Am 8. September 2010 organisierten die ehemaligen Mitschüler ein Klassentreffen in Wrocław. Angereist war etwa die Hälfte seiner Klasse: aus Israel, den USA, Dänemark, Schweden, Deutschland und Australien. Die meisten von ihnen verließen die Stadt 1968, drei Jahre nach ihrem Abitur. Viele besuchten Polen und Wrocław das erste Mal seit 42 Jahren. Włodek Goldsztejn äußert sich zu dieser Begegnung mit ehemaligen Schulfreunden und über sein Leben als Jude in Polen: Ich habe nun meine verstorbene Schulklasse gesehen. Ich spüre es einfach so. Ich habe mit ihnen zusammen die Schule besucht und das Abitur gemacht. Dann sind sie alle weggefahren. Für mich und in mir waren sie gestorben. Ich fühle mich jetzt so, als ob man mir gewaltsam etwas annähen wollte, was vor Jahren amputiert worden war. Es wird nicht gelingen. Zu große Entfernung trennt uns. Nach all den Jahren in sicheren, normalen Ländern verstehen sie nicht, was ich hier [in Polen] durchmachen musste, was mich hier geformt und gestaltet hat. Sie machten eine sentimentale Reise nach Wrocław, zu den Orten ihrer Kindheit und Jugend. Und ich lebe hier immer noch. Wenn sie mich fragen, wie es mir geht, weiß ich nicht, was ich antworten soll. Wie soll ich innerhalb von fünf Minuten all die Jahre hier zusammenfassen? Es stimmt auch, es verbindet uns eine Schicksalsgemeinschaft, dies ist aber eine Gemeinschaft von Menschen, die vertrieben und ausgegrenzt wurden. Darin gibt es nichts Konstruktives. 277
Eine meiner Gesprächspartnerinnen aus Wrocław, die anonym bleiben wollte, beschreibt ihre Identitätsprobleme als polnische Jüdin im heutigen Polen wie folgt: 276 Interview mit Gizela Fudem (ehemals Gizela Grünberg), im Dezember 2004 in Wrocław, Centropa, http://www.centropa.org/biography/gizela-fudem (abgerufen am 20. Juni 2009); vgl. Interview mit Gizela Fudem, am 23. Oktober 1995 in New York, USC Visual History Archive, Interview Code 7896. 277 Interview mit Włodek Goldsztejn, 2006 in Wrocław, AA.
Zusammenfassung und Ausblick
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In den 1970er- und 1980er-Jahren hatte ich Kontakt zu den sehr wenigen Mitgliedern der Soziokulturellen Gesellschaft der Juden in Wrocław. Diese Begegnungen waren oft sehr schmerzhaft für mich. ‚Was bist du denn für eine Jüdin? Alle jungen, wahren Juden haben doch gleich nach dem März 1968 Polen verlassen!‘ Diese Leute waren ja in meinen Augen auch keine echten Juden und stellten keine Autorität für mich dar. Zugleich plagte mich ständig die Frage: ‚Was für eine Jüdin bin ich denn wirklich?‘ Einerseits wusste ich nicht, was ich mir vorwerfen sollte. Zum anderen war ich mir dessen bewusst, dass ich vom Judentum nichts mehr in mir habe. Ich spreche kein jiddisch und hebräisch, ich kenne die religiösen Gebote nicht; von der jüdischen Geschichte habe ich nun keine Ahnung. Die einzige jüdische Tradition, die ich lange Zeit kultivierte, waren die Seder-Abende in der jüdischen Gemeinde; mit diesen konnte ich jedoch nicht viel anfangen. Meine jüdische Identität reduziert sich nur auf das bittere Gefühl der Andersartigkeit. 278
Bis in die 1980er-Jahre waren die jüdische Geschichte und traditionelles Erbe in dem öffentlichen Leben in Polen nicht präsent. Erst der politische Umbruch des Jahres 1989 initiierte eine öffentliche Debatte und Entdeckung der jüdischen Vergangenheit in Polen. Dies bewegte viele nicht jüdische Polen dazu, das jüdische Kulturerbe sowie die verlorene Identität ihrer Städte zu erforschen. Diese „jüdische Renaissance“ hat seine Wurzeln in Krakau, wo seit 1988 das berüchtigte, und zurzeit größte in Europa, Jüdische KulturFestival stattfindet. Dieser Erfolg dehnte sich auf andere polnische Städte aus, wo heutzutage auch ähnliche Festivals veranstaltet werden; Erinnerungsorte und Denkmäler zum Gedenken an die während der Schoah ermordeten Juden errichtet werden; es gibt christlich-jüdische Begegnungsstätten und einen intensiven polnisch-israelischen Austausch. In den polnischen Medien erscheinen jeden Tag Beiträge zu jüdischen Themen. Darüber hinaus gilt Polen als das am meisten proisraelisch eingestellte Land innerhalb der Europäischen Union. Das kürzlich eröffnete Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau, inmitten des symbolischen Ortes des ehemaligen Gettogeländes und zugleich eines der modernsten Museen Polens, thematisiert in seiner Dauerausstellung die tausendjährige Tradition und Geschichte der polnischen Juden. 278 Interview mit einer jüdischen Bewohnerin Wrocławs (Name, Nachname: anonym), 10. September 2006 in Wrocław, AA.
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Neuanfang nach dem Untergang
Handelt es sich aber hier nicht nur ausschließlich um eine „virtuelle jüdische Welt“, deren Träger nur nicht jüdische Polen sind? Welchen Platz nehmen in diesen Bestrebungen polnische Juden an? In Israel und den USA wird sehr oft angenommen, dass es heute keine Juden mehr in Polen gibt. Diesen Vorstellungen zum Trotz findet das jüdische Leben in Polen, auch wenn in einer sehr bescheidenen Form, doch statt. Gerade viele junge Menschen, zumeist aus christlich-jüdischen Familien stammend, nähern sich der jüdischen Religion, engagieren sich im Gemeindeleben oder gründen und versammeln sich in säkularen Organisationen. 279 In Wrocław, das seit nunmehr 69 Jahren polnisch ist, gibt es wieder ein jüdisches Leben. Die jüdische Gemeinde zählt nur noch etwa 300 Mitglieder, und damit stellt sie bereits die zweitgrößte Polens dar. 280 Bereits Ende der 1950er-Jahre, endgültig jedoch nach der antisemitischen Kampagne 1968 erstarb das jüdische Leben in Wrocław. Das jüdische traditionelle Bad, die Mikwe, wurde außer Betrieb genommen, von allen vorhandenen Gebetshäusern lediglich der Betsaal im Gemeindehaus an der Włodkowicastraße weiter genutzt. Die Synagoge „Pod Białym Bocianem“ wurde letztendlich 1974 vom Staat übernommen. Der Verlust des Gotteshauses war auch Ausdruck einer tiefen Krise innerhalb der jüdischen Gemeinschaft der Stadt. Die wenigen Juden, überwiegend hohen Alters und sehr arm, sahen sich nicht nur außerstande, die Kosten für die notwendige Generalsanierung der Synagoge zu tragen, sondern auch die für ihre Pflege erforderlichen Mittel aufzuwenden. Darüber hinaus war das riesige Gebäude für die kleine Gruppe der Gläubigen und ihre Kultuspraktiken entschieden zu groß. Inspiriert von der „Wiedergeburt jüdischen Lebens“ in Krakau unternahmen erst Ende der 1980er-Jahre jüngere, tatkräftige Juden in der Stadt den Versuch, das jüdische Leben dort zu beleben. So wurden auf Initiative von Jerzy Kichler, dem heutigen Vizepräsidenten des polnisch-jüdischen Rates, innerhalb der jüdischen Gemeinde religiöse und kulturelle Aktivitäten wiederbelebt und erneuert. 279 Vgl. Reszke, Katka: ‚Powrót Żyda‘. Narracje tożsamościowe trzeciego pokolenia Żydów w Polsce po Holocauście. Kraków/Budapeszt 2013; Celnik, Paulina: Naród nie wybrany. Warszawa 2013. 280 Interview mit Jerzy Kichler, 2006, 2008 in Wrocław, AA.
Zusammenfassung und Ausblick
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Die Synagoge „Pod Białym Bocianem“ wurde mithilfe unermüdlicher Bemühungen von Bente Kahan und ihrer Stiftung im Mai 2010 feierlich wiedereröffnet und erstrahlt nun im alten Glanz. 281 Die norwegische Künstlerin jüdischer Abstammung gründete 2006 die „Bente-Kahan-Stiftung“ in Wrocław mit dem Hauptziel, die Synagoge zu restaurieren und darin das Jüdische Zentrum für Kultur und Bildung einzurichten. Sie erzählt von ihren Anfängen in der Stadt: Es war alles schrecklich hier. Die Synagoge hatte kein Dach und war ungeheuer verwahrlost. Was mich erschüttert hat, war die Tatsache, dass die Synagoge nicht durch die Deutschen während des Novemberpogroms 1938 oder infolge des Krieges zerstört war, aber die Zerstörung erst nach 1968 durch die Kommunisten erfolgte. Spätestens seit 1971 gehörte das Gebäude nicht mehr der jüdischen Gemeinde. Bis Ende der 1960er-Jahre haben dort noch Menschen gebetet … 282
In den Innenräumen der Synagoge wird eine permanente Ausstellung „Zurückgewonnene Geschichte“ präsentiert, die das jüdische Leben in Breslau/ Wrocław und in Niederschlesien seit ihren Anfängen bis zur Gegenwart dokumentiert. Das Jüdische Zentrum für Kultur und Bildung agiert als eine Schirmherrschaftsorganisation sämtlicher kultureller Veranstaltungen, die in der Synagoge stattfinden. Diese sind für die Öffentlichkeit der Stadt offen und sehr gerne besucht. „Dieser Ort soll für alle zugänglich sein, damit die Geschichte der Juden in Breslau/Wrocław einen Platz in dem Bewusstsein der Einwohner gewinnt“ – so Bente Kahan. 283 Seit 1998 existiert in Wrocław auch eine jüdische Grundschule „Szalom Alejchem“, die jedoch zum größten Teil von nicht jüdischen Kindern besucht wird. An der Universität Wrocław wurde 2003 das Institut für Jüdische Studien gegründet, das unter Leitung von Prof. Marcin Wodziński die Forschungen zur Kultur, Literatur und Geschichte der Juden sowie der polnischjüdischen Beziehungen betreibt. Auch wenn diese Bestrebungen mit dem einstigen Glanz des jüdischen Lebens in der Stadt nicht vergleichbar sind, findet das jüdische Leben in Wrocław dennoch in anderer Weise und an anderen Orten seine Fortsetzung. Die jüdische Gemeinde in der Stadt ist eine der großen Hoffnungen für jü281 Ebd. 282 Interview mit Bente Kahan, 12. September 2006 in Wrocław, AA. 283 Ebd.
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disches Leben in Polen. Auch die Bemühungen um die Wiedereröffnung der Synagoge haben bewiesen, wie sehr sich die polnischen Juden aller Brüche zum Trotz mittlerweile auch auf die deutsch-jüdischen Traditionen zurückbesinnen und diese als Teil der eigenen Geschichte begreifen. Auch die nicht jüdischen Bewohner von Wrocław nehmen die Rückbesinnung auf die jüdische Tradition ihrer Stadt ernst. Ein Beispiel von vielen ist die am 7. Mai 2010 am Ring enthüllte Gedenktafel für den Breslauer Historiker Willy Cohn. Diese befindet sich am väterlichen Haus der Familie Cohn am Ring 49. Die Entwicklung des jüdischen Lebens in der Stadt sowie die zahlreichen Initiativen der Polen, das jüdische Erbe von Wrocław weiterzutragen, betrachtet die 1968 in die USA emigrierte Sabina Baral mit einer gewissen Distanz und Skepsis: Die neue jüdische Schule wirkt imposant. Diese weist auch ein interessantes Schulprogramm auf, und es ist sehr berührend, dass sie in dem gleichen Gebäude untergebracht ist, wo sich unsere jüdische Schule befand. Diese Bestrebungen, das jüdische Leben in der Stadt zu revitalisieren, ist aber wichtig für Polen, nicht für uns Juden. In unserem heutigen Lebenskontext ist es eigentlich bedeutungslos. Vor Jahren waren wir alle hier Juden, und die jüdische Schule war ein natürlicher und integraler Teil des blühenden jüdischen Lebens. Unsere Tradition besagt, dass das jüdische Leben aus drei unabdingbaren Elementen besteht – Schule, Synagoge und Armenfürsorge. Das alles wurde im Nachkriegs-Wrocław geschaffen und nahm auch mit unserer Ausreise ein jähes Ende. 284
Das durch das nationalsozialistische Regime vernichtete deutsche Judentum in Breslau, aber auch das polnisch-jüdische Leben in der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg wurden unwiederbringlich ausgelöscht. Als einzige Denkmäler ihrer Geschichte überdauerten die „Synagoge zum Weißen Storch/Synagoge pod Białym Bocianem“ sowie die zwei jüdischen Friedhöfe. Es blieben als einzige sprechende Zeugnisse die schriftlichen Lebenserinnerungen und Zeugenberichte, die die Verdrängung, Vernichtung und Vertreibung der Juden aus Breslau/Wrocław eindrucksvoll dokumentieren.
284 Interview mit Sabina Baral, 2011 in New York, AA.
Abbildungen
Blick auf den Breslauer Ring, Anfang der 1930er Jahre (© Archiv Herder Institut in Marburg)
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Abbildungen
Neue Synagoge „Am Anger“, Breslau um 1925 (© Archiv Herder Institut in Marburg)
Abbildungen
Aufmarsch der Nationalsozialisten auf der Breslauer Schweidnitzer Straße (© Archiv Universität Wrocław)
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Abbildungen
Breslau, wahrscheinlich Ende November 1941: Der beliebte Biergarten an der Schießwerder Straße diente als „Endsammelstelle“ vor der Deportation „in den Osten“ (© Archiv Yad Vashem)
Breslau, vor der Deportation am Schießwerder (© Archiv Yad Vashem)
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Abbildungen
Breslau bei Kriegsende, Mai 1945 (© Muzeum Miejskie Wrocławia)
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Abbildungen
Auflistung jüdischer Überlebender aus Breslau, die sich 1945/46 zeitweilig in der Stadt aufhielten (© International Tracing Service Bad Arlosen)
Abbildungen
Bescheinigung von Karla Wolff (geb. Grabowski) über ihren Status als „Opfer des Faschismus“, vom 31. Juli 1945 (© Privatbesitz Karla Wolff )
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Abbildungen
Sitz der Jüdischen Gemeinde sowie des Komitees in Wrocław, Włodkowica Straße, Frühling 1946 (© Archiv Żydowski Instytut Historyczny Warszawa)
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Abbildungen
Polnisch-jüdische „Repatrianten“ beim Studium des Talmuds in Wrocław, 1946 (© Archiv Żydowski Instytut Historyczny Warszawa)
Innenraum der Synagoge „Zum Weißen Storch“, 1946 (© Archiv Żydowski Instytut Historyczny Warszawa)
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Abbildungen
Plakat zum Anlass des zweijährigen Bestehens der jüdischen Siedlung in Niederschlesien, Juni 1947 (© Archiv Żydowski Instytut Historyczny Warszawa)
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Abbildungen
Innenraum der Synogoge „Zum Weißen Storch“, 2014 (©Fundacja Bente Kahan Wrocław)
Außenansicht der Synogoge „Zum Weißen Storch“, 2014 (©Miriam Magal)
440
Abbildungen
Gedenktafel für den Breslauer Historiker Willy Cohn (© Katharina Friedla)
441
Abbildungen
Haus der Familie Cohn in Breslau, Ring 49 (©Katharina Friedla)
Anhang
1 Tabellen Tabelle 1: Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Verhältnis zur deutschen Gesamtbevölkerung, 1910–1939 Jahr 1910 1925 1933
Zahl 535.200 564.379 502.799
Prozentsatz 0,93 0,90 0,77
1939
213.930
0,32
Quelle: Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, S. 1.
444
Anhang
Tabelle 2: Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in Breslau, 1871–1939 Jahr
Gesamtbevölkerung
Jüdische Bevölkerung
Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung
1871
207.997
13.916
6,69
1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910
239.050 227.912 299.640 335.186 373.163 422.709 470.904 512.105
15.505 17.445 17.655 17.754 18.449 19.743 20.356 20.212
6,48 7,65 5,9 5,29 4,94 4,67 4,3 3,95
1925 1933 1939
557.139 625.198 630.041
23.240 20.202 11.172
4,17 3,2 1,77
Zusammengestellt nach: Philippstahl: Die jüdische Bevölkerung Breslaus, S. 52; BJG, Nr. 8, April 1937, S. 2; AŻIH, GŻW, 1911–1915, Sig. 105/0174, Bl. 272, 296; AŻIH, GŻW, 1927–1929, Sig. 105/0425, Bl. 25; Breslauer Statistik, Bd. 33, 1. Ausgabe, 1914, S. 75; Breslauer Statistik, Bd. 11, 2. Ausgabe, 1887, S. 32; Bundesarchiv Koblenz, Reichsministerium des Inneren, R18, Sig. 5520, vgl. R18/5519, S. 405 f.
445
Tabellen
Tabelle 3: Die Bevölkerung Breslaus nach ihrer religiösen Zugehörigkeit, 1885–1925 Jahr
GesamtProtestanten bevölkerung 1885 299.640 172.233 (57,47 %) 1910 512.105 303.378 (59,24 %) 1925 557.139 327.493 (58,78 %)
Katholiken 108.631 (36,25 %) 183.542 (35,84 %) 182.343 (32,72 %)
Juden 17.655 (5,9 %) 20.212 (3,95 %) 23.240 (4,17 %)
Zusammengestellt nach: AŻIH, GŻW, 1922–1930, Sig. 105/0145, Bl. 208, 366, 368; BJG, Nr. 2, März 1927, S. 3; Breslauer Statistik, Bd. 11, 2. Ausgabe, 1887, S. 32. Breslauer Statistik, Bd. 33, 1. Ausgabe, 1914, S. 75.
Tabelle 4: Die Altersgliederung der jüdischen und der Gesamtbevölkerung in Breslau im Jahre 1925 (vom Hundert der jüdischen und gesamten Bevölkerung, in Prozent) Altersgruppen unter 5 Jahren 5–10 10–15 15–20 20–25 25–30
Juden 6,69 4,09 6,15 7,44 8,27 8,93
Gesamtbevölkerung 7,42 5,78 8,67 9,72 9,78 9,12
30–35 35–40 40–45 45–50 50–60 60–70 70–80 80–90
8,09 7,62 7,36 7,63 13,26 9,43 4,18 0,81
8,36 7,72 7,05 7,00 10,52 6,08 2,37 0,39
90–100
0,06
0,02
Quelle: Philippstahl: Die jüdische Bevölkerung Breslaus, S. 67.
446
Anhang
Tabelle 5: Austritte und Übertritte innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinde, 1924–1933 Jahr 1924
Austritte 19 Personen (davon 8 Frauen und 11 Männer)
Übertritte 1 Person (männlich)
1925
29 Personen (davon 11 Frauen und 18 Männer) 38 Personen (davon 16 Frauen und 22 Männer) 43 Personen (davon 21 Frauen und 22 Männer) 26 Personen (davon 10 Frauen und 16 Männer) 28 Personen (davon 8 Frauen und 20 Männer)
16 Personen (davon 11 Frauen und 5 Männer)
47 Personen (davon 20 Frauen und 27 Männer) 27 Personen (davon 11 Frauen und 16 Männer)
15 Personen (davon 13 Frauen und 2 Männer) 11 Personen (davon 8 Frauen und 3 Männer)
95 Personen (davon 51 Frauen und 44 Männer) 352 (davon 156 Frauen und 196 Männer)
24 Personen (davon 19 Frauen und 5 Männer) 143 (davon 118 Frauen und 25 Männer)
1926
1927
1928
1929
1930
1931
1932
Zusammen
17 Personen (davon 14 Frauen und 3 Männer) 19 Personen (davon 18 Frauen und 1 Mann) 12 Personen (12 Frauen) 28 Personen (davon 23 Frauen und 5 Männer)
Zusammengestellt nach: BJG, Gesamtausgabe 1924 bis 1933.
447
Tabellen
Tabelle 6: Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden in Breslau, 1880–1929 Jahr
Jüdische Ehen
Mischehe Mischehe Mischehe (Mann jüdisch) (Frau jüdisch) gesamt
1880–1884 121
8
6
14
Ehen gesamt in Breslau 2.539
1885–1889 1890–1894 1895–1899 1900–1904 1905–1909 1910 1914 1918
117 145 152 142 138 136 114 97
6 6 12 9 13 15 43 21
6 8 9 9 13 24 20 13
12 14 21 18 26 39 63 34
2.886 3.241 3.709 3.804 4.067 4.125 4.692 3 437
1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926
240 282 247 238 213 164 125 107
49 28 43 38 53 42 32 29
37 46 21 21 24 27 13 12
86 74 64 59 77 69 45 41
6.384 6.917 6.031 5.942 5.181 3.949 4.168 3.960
1927 1928 1929
124 153 128
35 41 36
13 20 26
48 61 62
4.524 ß8-ß ß8-ß
Quelle: Philippstahl: Die jüdische Bevölkerung Breslaus, S. 67.
448
Anhang
Tabelle 7: Der Umfang der Erwerbstätigkeit in Breslau, 1925–1930 Gesamtbevölkerung Erwerbstätige Nicht erwerbstätige Ehefrauen Berufslose Familienangehörige Berufslose Selbstständige insgesamt
276.477 (49,7 %) 83.312 (14,9 %) 128.964 (23,1 %) 68.386 (12,3 %) 557.139
Juden 10.519 (45,3 %) 3.879 (16,8 %) 5.428 (23,3 %) 3.414 (14,6 %) 23.240
Quelle: Philippstahl: Die jüdische Bevölkerung Breslaus, S. 98.
Tabelle 8: Jüdische Ausländer in deutschen Großstädten, 1925 Stadt
Berlin
Gesamte Die jüdische Die jüdischen Die jüdischen Wohnbevölke- Wohnbevölke- Ausländer ge- Ausländer in % rung rung samt der jüdischen Bevölkerung 4.024.165 172.672 43.838 25,4
Frankfurt am Main Breslau Köln Hannover Essen Königsberg
467.520
29.385
5.753
19,6
557.139 700.222 422.745 470.524 279.926
23.240 16.093 5.521 4.209 4.049
2.006 3.908 1.311 1.173 440
8,6 24,3 23,7 27,9 10,9
Dortmund Stettin Magdeburg
321.743 254.466 293.959
3.820 2.615 2.356
1.200 162 820
31,4 6,2 34,8
Zusammengestellt nach: Silbergleit, Heinrich: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Bd. 1, Freistaat Preußen. Berlin 1930, S. 24; Maurer, Trude: Ostjuden in Deutschland 1918–1933. Hamburg 1986, S. 76.
449
Tabellen
Tabelle 9: Austritte und Übertritte innerhalb der Breslauer jüdischen Gemeinde, 1933–1938 Jahr 1933
Austritte 82 Personen (davon 42 Frauen und 40 Männer)
Übertritte 16 Personen (davon 10 Frauen und 6 Männer)
1934
33 Personen (davon 18 Frauen und 15 Männer) 41 Personen (davon 25 Frauen und 16 Männer) 54 Personen (davon 32 Frauen und 22 Männer) 41 Personen (davon 22 Frauen und 19 Männer) 82 Personen (davon 49 Frauen und 33 Männer)
47 Personen (davon 32 Frauen, 6 Männer und 9 Kinder)
1935
1936
1937
1938
Zusammen
333 (davon 188 Frauen und 145 Männer)
30 Personen (davon 18 Frauen, 9 Männer und 3 Kinder) 30 Personen (davon 18 Frauen, 10 Männer und 2 Kinder) 27 Personen (9 Frauen, 9 Männer und 9 Kinder) 5 Personen (davon 1 Frau, 3 Männer und 1 Kind) 155 (davon 88 Frauen, 43 Männer und 24 Kinder)
Zusammengestellt nach: BJG, Gesamtausgabe von Nr. 1, Januar 1933 bis Nr. 20, 25. Oktober 1938.
450
Anhang
Tabelle 10: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Breslau 1925–1942 Datum
Zahl
1925 1933 16. Juni 1933 14. Juni 1934 31. März 1935 30. September 1935 31. März 1936 30. Juni 1936
23.240 20.202 19.700 19.590 18.818 18.652 18.243 18.041
30. September 1936 31. März 1937 31. Dezember 1937 17. Mai 1939 31. Dezember 1940 1. März 1941 31. August 1941 31. Dezember 1942
17.720 17.233 16.582 11.172 9.175 9.231 7.985 ca. 3.200
Zusammengestellt nach: BJG, Nr. 8, 30. April 1935, S. 1; ders.: Nr. 3, 15. Februar 1937; ders.: Nr. 8, 30. April 1937; ders.: Nr. 2, 30. Januar 1938; JZO, 13. Oktober 1936; ders.: 11. September 1936 (unpg.); Statistisches Amt der Stadt Breslau (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der Stadt Breslau 1934. Breslau 1934, S. 5; Walk: Die ‚Jüdische Zeitung für Ostdeutschland‘, S. 119; Reinke: Judentum und Wohlfahrtspflege, S. 285; Adler: Der verwaltete Mensch, S. 201.
451
Tabellen
Tabelle 11: Verteilung der jüdischen Bevölkerung in Niederschlesien, erste Jahreshälfte 1946 (größte Ansiedlungsorte) Ort Wrocław Bielawa Rychbach Kłodzko Legnica
Januar 3.010 – 4.132 401 474
März 4.434 1.526 5.832 461 1.055
Mai 9.139 3.304 9.495 2.928 2.702
Juni 15.057 4.469 11.051 2.098 3.550
Juli 16.057 4.969 11.856 3.431 4.450
Świdnica Wałbrzych
– 2.125
– 3.114
1.577 4.991
1.577 6.966
2.377 7.666
Zusammengestellt nach: APWr, WKŻ, Sig. 38, Bl. 6, 14, 44, 45; Sig. 5, Bl. 104, 63, 61, 35; Sig. 37, Bl. 31; AŻIH, CKŻP, Sig. 303/I, Bl. 110.
Tabelle 12: Zahl der Juden in den Wojewodschaften oder Bezirken in Polen, 1. Januar 1946 Wojewodschaft/Bezirk
Zahl der Juden
Niederschlesien Oberschlesien Łódź Szczecin Kraków Poznań Warszawa
90.000 21.000 30.000 20.000 13.000 10.000 8.000
Qulle: AAN, KC PZPR, Sig. 295/IX/408, Bl. 11, 17.
452
Anhang
Tabelle 13: Anzahl der beschäftigten Juden in Wrocław, 1946 Produktivierungszweig bzw. Betriebsform Industrie Gewerbe Landwirtschaft Freie Berufe, Verwaltung Handel Gesamt
Anzahl der Arbeiter 137 300 – 545 213 1.260
Quelle: AŻIH, Sig. 303/XII/12, Bl. 14.
Tabelle 14: Illegale Emigration („Brichah“) aus Polen, Juli 1945 bis Juni 1946 Monat Juli 1945 August 1945 September 1945 Oktober 1945 November 1945 Dezember 1945
Zahl der Emigranten 4.600 9.875 6.475 9.760 520 2.050
Januar 1946 Februar 1946 März 1946 April 1946 Mai 1946 Juni 1946 Gesamt
412 960 860 1.098 3.502 11.000 51.052
Quelle: Cohen: HaBerihah haGedolah mi Polin, S. 554.
453
Tabellen
Tabelle 15: Jüdische Emigranten aus Polen, Juli 1946–Dezember 1946 Monat
Zahl der Emigranten
Juli August September Oktober November Dezember Gesamt
19.000 35.346 12.379 – 2.545 1.897 71.167
Quelle: Bauer: Flight and Rescue, S. 211–219.
454
Anhang
2 Ortsnamenkonkordanz Auschwitz Bad Warmbrunn Bentschen Beuthen Breslau Brieg Danzig Ellguth Freystadt Friedensdorf Gleiwitz Glogau Görlitz Groß Bargen Groß-Breesen Groß-Rosen Grüntal Grüssau Kattowitz Kaunas Kempen Krakau Krummhübel Landeshut Langenbielau Lauban Leubus Lemberg Neustadt/O.S. Ostlinde Posen Radzionkau Reichenbach Riebnig Schweidnitz Stettin Strehlen Striegau Theresienstadt Tormersdorf
Oświęcim Cieplice Zbąszyń Bytom Wrocław Brzeg Gdańsk Ligota Ścinawska Kożuchów Biedrzychowo Gliwice Głogów Zgorzelec Barkowo Brzeźno Rogoźnica Kędzie Krzeszów Katowice Kowno Kępno Kraków Karpacz Kamienna Góra Bielawa Lubań Lubiąż Lwów/L’viv (UA) Prudnik Ciosaniec Poznań Radzionków Dzierżoniów (von 1945 bis 1946 Rychbach) Rybna Świdnica Szczecin Strzelin Strzegom Terezín Prędocice
Ortsnamenkonkordanz
Trachenberg Trebnitz Waldenburg Warschau Wünschelburg
Żmigród Trzebnica Wałbrzych Warszawa Radków
455
456
Anhang
3 Stadtteile Breslaus/Wrocławs Cosel Dürrgoy Hundsfeld Klettendorf Krietern Masslewitz Neukirch Oswitzer Wald Sacrau Scheitnig Zimpel
Kozanów Tarnogaj Psie Pole Klecina Krzyki Maślice Nowy Kościół Las Osobowicki Zakrzów Szczytniki Sępolno
Straßen in Breslau/Wrocław
4 Straßen in Breslau/Wrocław Antonienstraße Am Anger Benderplatz Brandenburgerstraße Charlottenstraße Flughafenstraße Freiburgerstraße Gabitzstraße Gartenstraße Goldene Radegasse Graupenstraße Gräbschenerstraße Hohenzollernplatz Hohenzollernstraße Höfchenstraße Hundesfelderstraße Karlsplatz Kletschkauerstraße Kopischstraße Lohestraße Moltkestraße Neudorferstraße Neue Taschenstraße Ohlauerstraße Oelsnerstraße Rehdigerplatz Reuschestraße Scheitninger Stern Schlossplatz Schweidnitzerstraße Sonnenstraße Stadtgraben Sternstraße Strigauerplatz Tauentzienstraße Viktoriastraße Wallstraße Weinstraße Wilhelmsbrücke Zimmerstraße
Ulica Św. Antoniego Ulica Łąkowa Plac Stanisława Staszica Ulica Lubuska Ulica Krucza, ulica Inżynierska, ulica Wielka Ulica Lotnicza Ulica Świebodzka Ulica Gajowicka Ulica Józefa Piłsudskiego Ulica Kazimierza Wielkiego Ulica Krupnicza Ulica Grabiszyńska Plac Jakuba Szeli Ulica Zaporoska, ulica Sudecka, ulica Wyścigowa Ulica Tadeusza Zielińskiego Ulica Bolesława Krzywoustego Plac Bohaterów Getta Ulica Kleczkowska Ulica Stalowa Ulica Ślężna Ulica Władysława Łokietka Ulica Wiśniowa Ulica Hugona Kołłątaja Ulica Oławska Ulica Oleśnicka Plac Lejba Icchaka Pereca Ulica Ruska Plac Grunwaldzki Plac Wolności Ulica Świdnicka Ulica Iwana Pawłowa Ulica Podwale Ulica Henryka Sienkiewicza Plac Strzegomski Ulica Tadeusza Kościuszki Ulica Lwowska Ulica Pawła Włodkowica Ulica Żeromskiego Most Mieszczański Ulica Joachima Lelewela
457
458
Anhang
5 Abkürzungsverzeichnis AA AAN ABSKJŻ
AGŻWr AHICJ AIPNWr AJR ALBIJ ALBINY APWr AUW AYIVO AYV AZJ AŻIH
BIOS BIPN BJG BLBI BStU BZ BŻIH
CAHJP CKŻP C. V. CZAJ DDP
Archiv der Autorin Archiwum Akt Nowych (Archiv der Neuen Akten) Archiwum Biblioteki Studium Kultury i Języków Żydowskich we Wrocławiu (Archiv der Bibliothek für Jüdische Studien und Jiddische Sprache der Universität Wrocław) Archiwum Gminy Żydowskiej we Wrocławiu (Archiv der Jüdischen Gemeinde zu Breslau) The Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry Hebrew University Jerusalem Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej we Wrocławiu (Archiv des Instituts des Nationalen Gedenkens in Wrocław) Association of Jewish Refugees in Great Britan Archiv Leo Baeck Institute Jerusalem Archiv Leo Baeck Institute New York Archiwum Państwowe we Wrocławiu (Staatsarchiv in Wrocław) Acta Universitatis Wratislaviensis Archiv Institute for Jewish Resaerch, YIVO Archiv Yad Vashem Jerusalem Allgemeine Zeitung des Judentums Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego im. Emanuela Ringelbluma Warszawa (Archiv des Jüdischen Historischen Instituts namens Emanuel Ringelblum Warschau) Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufanalyse Biuletyn Instytutu Pamięci Narodowej (Bulletin des Instituts des Nationalen Gedenkens) Breslauer Jüdisches Gemeindeblatt Bulletin des Leo Baeck Instituts Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Breslauer Zeitung Biuletyn Żydowskiego Instytutu Historycznego (Bulletin des Jüdischen Historischen Instituts) The Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem Centralny Komitet Żydów w Polsce (Zentralkomitee der Juden in Polen) Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Central Zionist Archive Jerusalem Deutsche Demokratische Partei
Abkürzungsverzeichnis
459
DNVP
Deutschnationale Volkspartei
Gestapo
Geheime Staatspolizei
HIAS
Hebrew Sheltering and Immigration Aid Society
ITS
International Tracing Service Bad Arolsen
JDC JNB JR JSFUB JTA JZO
Jewish Joint Distribution Committees Jüdisches Nachrichtenblatt Jüdische Rundschau Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau Jewish Telegraphic Agency Jüdische Zeitung für Ostdeutschland
KHŻ KPD KRN
Kwartalnik Historii Żydów (Vierteljahresschrift für Jüdische Geschichte) Kommunistische Partei Deutschlands Krajowa Rada Narodowa (Landesnationalrat)
LBIY
The Leo Baeck Institute Year Book
MAP
Ministerstwo Administracji Publicznej (Ministerium für Öffentliche Verwaltung) Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego (Ministerium für Öffentliche Sicherheit) Muzeum Historii Żydów Polskich (Museum der Geschichte der polnischen Juden) Ministerstwo Obrony Narodowej (Verteidigungsministerium) Ministerstwo Spraw Zagranicznych (Außenministerium) Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel Ministerstwo Ziem Odzyskanych (Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete)
MBP MHZP MON MSZ MVBI MZO
NBZ NSDAP NSZ
Neue Breslauer Zeitung Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Narodowe Siły Zbrojne (Nationale Streitkräfte)
o. D. O.S.
ohne Datum Oberschlesien
Polin
Studies in Polish Jewry
460 PPR PZPR
Anhang
PUR
Polska Partia Robotnicza (Polnische Arbeiterpartei) Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) Państwowy Urząd Repatriacji (Staatliches Repatriierungsamt)
RjF RM RSHA R. V. RW
Reichsbund jüdischer Frontsoldaten Reichsmark Reichssicherheitshauptamt Reichsvertretung der deutschen Juden Rejencja Wrocławska (Regierung Breslau)
SA SFZH
Sturmabteilung Studia nad Faszyzmem i Zbrodniami Hitlerowskimi (Studien über den Faschismus und die Hitlerverbrechen) Sicherheitspolizei Sozialdemokratische Partei Schlesische Tagespost Schlesische Tageszeitung Schlesische Volkszeitung
SIPO SPD ST STZ SVZ TSKŻ
Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Żydów w Polsce (Soziokulturelle Gesellschaft der Juden in Polen)
UdSSR UNRRA upgn. USC USPD USPD USWP UWW
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion) United Nations Relief and Rehabilitation Administration unpaginiert University of Southern California Unabhängige Sozialdemokratische Partei Urząd Skarbowy Prowincji Dolnośląskiej we Wrocławiu (Die Finanzbehörde der Provinz Niederschlesien in Breslau) Urząd Skarbowy Wrocław Południe (Finanzamt Breslau-Süd) Urząd Wojewódzki Wrocław (Wojewodschaftsamt Wrocław)
YVS
Yad Vashem Studies
WKŻ
Wojewódzki Komitet Żydów (Jüdisches Wojewodschaftskomitee)
YIVO
Institut for Jewish Research
ŻIH
Żydowski Instytut Historyczny im. Emanuela Ringelbluma, Warszawa (Jüdisches Historisches Institut namens Emanuel Ringelblum, Warschau)
Abkürzungsverzeichnis
ŻKW ŻOB ŻTK
461
Żydowska Kongregacja Wyznaniowa (Jüdische Glaubenskongregation) Żydowska Organizacja Bojowa (Jüdische Kampforganisation) Żydowskie Towarzystwo Kultury i Sztuki (Jüdische Gesellschaft für Kultur und Kunst/Jüdische Kulturgesellschaft)
462
Anhang
6 Quellen und Literaturverzeichnis 6.1
Archive
Archiv Leo Baeck Institute New York AR 25321 MF 924 Angress, Werner T. Collection, 1904–1994 AR 7 MX Eugen Bandmann Collection, 1948–1975 ME 31 MM 5 Barnay, Paul: Mein Leben 1884–1953 (Manuskript, verfasst 1953) MSF 1 MS16 Bruno Blau Collection AR 25134 Gerard Braunthal Family Collection, 1939–2003 ME 81 MM 14 Carlebach-Rosenak, Bella: Lebenserinnerungen, 1897–1957 (verfasst 1957) AR 1872 MF 573 Ernst Cohn Collection 1932 ME 193 Goldschmied, Fritz: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933, (Manuskript, verfasst 1939) AR 7034 Ernst Hamburger Collection, 1913–1980 MSF 28 MS 28 Hamburger, Ernst: Juden im Öffentlichen Leben Deutschlands. Revolution und Weimarer Republik, 1918–1933 ME 257a MM 32 Heilberg, Adolf: Erinnerungen 1858–1936. Breslau 1936 ME 257b MM 32 Heilberg, Adolf: Pro Memoria 1933 (Manuskript, verfasst am 7. Mai 1933) ME 1532 Hirschberg, Lotte: Die Lebensgeschichte von Lotte Hirschberg (17. April 1898–8. Juni 1993), (Manuskript, verfasst um 1990) ME 1531 Hirschberg, Lotte: Mein Leben (verfasst zwischen 1982 und 1985) AR 3686 Jüdisches Auswandererlehrgut Gross-Breesen Collection, 1933–2005 ME 305 MM 47 Lasker-Wallfish, Anita: Told by Anita, 1925–1946 (Manuskript, verfasst 1988) ME 1108 MM II 32 Latte, Konrad/Latte, Ellen: Überleben in der Illegalität, 1940–1952 AR 1228 Lilli Liegner Collection, 1841–1974 MM7 Box 47 ME 1204 MM 52 Marcus, Ernst: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933, (Manuskript, verfasst 1940) AR 5827 MM II 22 MF 963 Harvey P. Newton (vormals Hermann Neustadt) Collection, 1920–2000 AR 10129 MF 636 Stephen Nicholls Collection AR 3060 Paula Ollendorff Collection, 1920–1960 AR 10586 Evelyn Pike Rubin Collection, 1996–2002
Quellen und Literaturverzeichnis
AR 2355 AR 5784 AR 717
463
Seidemann, Adolf: Aus jüdischer Vergangenheit. Synagogen und jüdische Institutionen in Breslau, Gemeinde Breslau Ernst Warschauer Collection Wollmann Family Collection
Archiv Leo Baeck Institute Jerusalem 103 Blau, Bruno: Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland von 1800–1945 193 Ernst Markowicz (1901–1979) 329 Müller, Roland B.: Glaube und Pflicht. Vom Ende des jüdischen Schulwesens in Deutschland. Beispiel Breslau. Manuskript zum Vortrag vom 5. September 2006 im Goethe-Institut in Tel Aviv 341 Neufliess, Werner: Erinnerungen The Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem P 231 Brilling, Bernhard: Einzelheiten aus den Erinnerungen eines jüdischen Archivars (verfasst im Februar 1946) P 88 Cohn, Willy: Tagebücher P 231 Gluskinos, Willi (Stellv. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Breslau): Die Gemeinde Breslau vom 9. November 1938 bis zum Kriegsausbruch 1. September 1939 HM 2/6229 ‚Schul-Chronik der jüdischen Volksschule, Zweiganstalt am Anger 8‘ 1434 ‚Streit zwischen jüdischen und christlichen Ärzten in Breslau, 1923–1925‘ P 227 Privatsammlung Joseph Walk Central Zionist Archive Jerusalem 283/1 Foerder Collection Yad Vashem Archives Jerusalem O.1/95 Brilling, Bernhard: Erinnerungen eines jüdischen Archivars aus der Hitlerzeit O.1/260 Auszüge aus den Tagebüchern von Willy Cohn O.1/259 Hadda, Siegmund: Die letzten Jahre des Jüdischen Krankenhauses in Breslau (Manuskript, verfasst am 28. Oktober 1960 in New York) O.1/123 Friedländer, Mosche: Breslau von 1933 bis 1939, allgemeine und persönliche Erlebnisse (Zeugenaussage aufgenommen im Dezember 1958 in Tel Aviv)
464 O.1/27
O.1/145 O.1/149 O.1/148 O.2/130
O.2/483 O.2/145 O.2/123 O.2/1001 O.2/134 O.2/523 O.2/363 O.2/418 O.2/39 O.2/151 0.2/783
O.3/5132 O.3/1180 O.3/2763
O.3/12062 O.3/9052 O.3/9097 O.33/1403 O.15 E/2615
Anhang
Gluskinos, Willi: Die Gemeinde Breslau vom 9. November 1938 bis zum Kriegsausbruch 1. September 1939 (Aufzeichnungen von Willi Gluskinos, dem Stellvertretenden Vorsitzendem der Jüdischen Gemeinde, verfasst im Winter 1939/40) Tramer, Hans: In Breslau 1932 und in Berlin 1932/33 (verfasst 1957) Ksinski, Ernst: Report on Breslau and the Camps, 1933–1945 Protokoll zur Aussage des Zeugen Albert Hadda (aufgenommen am 27. Juni 1956 in Tel Aviv) Foerder, Ludwig: Der erste Pogrom auf ein deutsches Gericht. Erinnerungen eines Augenzeugen (verfasst in Jerusalem am 22. September 1955) Jüdisches Leben in der Provinz Schlesien und in Breslau 1940/ 41 (Anonym) Rosten, P.: Experiences in the Buchenwald Concentration Camp (verfasst im Januar 1950) Schalscha, Sylvious: The Jewish Ship-Owning Firm ‚Josef Schalscha‘ under the Nazi Regime Striem, Hermann: Meine Verhaftung und Aufenthalt in Buchenwald anlässlich des Judenpogroms im November 1938 Teichmann, Benno: Hachscharah – Kibbutz Ellguth, Ende 1938 Wallfisch, Anita: Cellist in the Auschwitz Camp Orchestra Veit, Susanne: Non-Jews helping Jews Sternberg, Judith: Fate of Deportees from Breslau (verfasst am 8. Januar 1946 in Hannover) Report of a ‚Mischling‘ (Anonym) Mitzman, M.: A Visit to Germany, Austria and Poland in 1939 Löwenberg, Fred (Ferdinand): The Truth and Facts about Buchenwald (Zeugenaussage vom 15. September 1945 in Wrocław) Interview mit Stephanie Sarah Sucher, Tape Number 033C/242 Koninska, Celina: Testimonie Protokoll zum Interview mit Fritz Fabisch (‚Über seine Erlebnisse zur Zeit seines Aufenthaltes in Shanghai vom Jahre 1939– 1949‘, aufgenommen am 20. Dezember 1964 in Mazor/Israel) Interview Elijah Hyman (19. Mai 2002) Interview Raphael Hatzevi (20. Juni 1995) Interview Ernest Levison (13. Mai 1995) Walk, Alexander: Mein Leben als Landarzt in Nimkau, Kreis Breslau, Schlesien Protokoll zur Zeugenaussage von Klara Rausmann (aufgenommen am 10. Juli 1945 in Budapest)
Quellen und Literaturverzeichnis
O.41/1256 O.42/1 O.51/206 O.51/331 O.53/1
O.75/9246 M.49 E/1304
M.49 E/4856
M.49/1303
M.1 E/1088
M.1 P/75 M.7/332 M.21.1/609 TR.11/01174
TR.10/3728 TR.10/3100
465
Sklarz, Benjamin: Burials of Jewish Forced Labourers in Breslau, 1943–1944 Brückheimer, Simon: Der 10. November 1938. Die Zerstörung der Gemeinden in Deutschland Reichsjustizministerium, Rechtsangelegenheiten Breslau Bericht Preußische Politische Polizei Jäger, Karl: Gesamtaufstellung der im Bereich des Einsatzkommandos 3 bis zum 1. Dezember 1941 durchgeführten Exekutionen (verfasst in Kauen am 1. Dezember 1941) Letters and Postcards Collection Fabisch, Paul: Tatsachenbericht über meine Erlebnisse und Beobachtungen während meiner Internierung im KZ Lager Buchenwald im Jahr 1938 (Bericht für die Jüdische Historische Kommission in Polen, verfasst am 14. September 1945 in Wrocław) Freund, Alfons: Schicksal und Ausrottung der Juden in Deutschland. Die Tragik der Juden in Breslau (Bericht für die Jüdische Historische Kommission in Polen, verfasst am 15. März 1946 in Wrocław) Leschnitzer, Käthe: Bericht (Bericht für die Jüdische Historische Kommission in Polen, verfasst am 18. September 1945 in Wrocław) Hirschmann, Aron Arthur: Bericht an das Historische Institut der Jüdischen Kultus-Gemeinde in Bensheim (verfasst am 24. März 1947 im Displaced Persons Camp Bensheim) Landesverband der Jüdischen Gemeinden Thüringen, Sitz Erfurt: Mitgliederverzeichnis vom 12. Dezember 1945 Listen von Überlebenden aus Breslau, Dezember 1945 War Criminals’ Section, Legal Department at the Central Committee of Liberated Jews, Munich Ermittlungsverfahren gegen die früheren Angehörigen der Staatspolizei-Leitstelle Breslau wegen Beihilfen zum Mord, Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen beim Landesstab der Polizei Israel Ermittlung ehemaliger Mitarbeiter der Gestapo-Leitstelle Breslau (BStU), 1951 Untersuchungen über die Verfolgungspraxis der faschistischen Staatspolizei-Leitstelle Breslau für den Zeitraum von Herbst 1939 bis Ende 1944, (BStU)
466
Anhang
Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego im. Emanuela Ringelbluma w Warszawie (Archiv des Jüdischen Historischen Instituts namens Emanuel Ringelblum, Warschau) 105 Gmina Żydowska Wrocław (Synagogen Gemeinde zu Breslau), 1852–1944 112 Gmina Żydowska Gliwice (Synagogen Gemeinde Gleiwitz), 1907–1941 301/2096 Bericht von Herrn Kon (verfasst am 14. Januar 1947 in Wrocław) 301/1506 Bericht von Max Benditt (verfasst am 15. August 1945 in Wrocław) 303/II Centralna Komisja Żydowska w Polsce (Zentrale Jüdische Kommission in Polen, CKŻP), Wydział Organizacyjny, Organizacji i Kontroli, Organizacyjno-Społeczny (Abteilung für Organisation, Organisation und Kontrolle) 303/V CKŻP, Wydział Ewidencji i Statystyki (Abteilung für Evidenz und Statistik) 303/XVI CKŻP, Wydział Prawny (Juristische Abteilung) 303/I CKŻP, Prezydium (Präsidium) 303/XII CKŻP, Wydział Produktywizacji (Abteilung für Produktivierung) 303/VI CKŻP, Wydział Repatriacji (Abteilung für Repatriierung) 303/XIII Wydział Kultury i Propagandy (Abteilung Kultur und Propaganda) 303/XIV Wydział Emigracyjny (Abteilung für Emigrationsangelegenheiten) 303/XX Centralna Żydowska Komisja Historyczna (Zentrale Jüdische Historische Kommission) 324 CKŻP, Akta Towarzystwa Ochrony Zdrowia Ludności Żydowskiej (Akten der Gesellschaft für gesundheitliche Fürsorge der jüdischen Bevölkerung, TOZ) 361 Żydowskie Towarzystwo Krzewienia Sztuk Pięknych (Jüdische Gesellschaft zur Förderung der Künste) 325 Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Żydów w Polsce (Soziokulturelle Gesellschaft der Juden in Polen) 350 American Jewish Joint Distribution Committee, 1945–1949 351 Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society in Poland, 1946– 1949
Quellen und Literaturverzeichnis
467
Archiwum Państwowe we Wrocławiu (Staatsarchiv Wrocław) 246 Urząd Skarbowy Prowincji Dolnośląskiej we Wrocławiu (Die Finanzbehörde der Provinz Niederschlesien in Breslau) 247 Urząd Skarbowy Wrocław Południe (Finanzamt Breslau-Süd) 172 Rejencja Wrocławska (Regierung Breslau) 331 Urząd Wojewódzki Wrocław (Wojewodschaftsamt Wrocław) 415 Wojewódzki Komitet Żydów na Dolny Śląsk, 1945–49 (Das Jüdische Wojewodschaftskomitee Niederschlesien) 1198 Komitet Wojewódzki Polska Partia Robotnicza (Wojewodschaftskomitee Polnische Arbeiterpartei) Archiwum Akt Nowych (Archiv der Neuen Akten, Warschau) 1554 Akta Szymona Zachariasza 237/5 Komitet Centralny Polskiej Zjednoczonej Partii Robotniczej (Zentralkomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei) 199 Ministerstwo Administracji Publicznej (Ministerium für Öffentliche Verwaltung) 1512 Krajowa Rada Narodowa (Landesnationalrat) Archiwum Biblioteki Studium Kultury i Języków Żydowskich we Wrocławiu (Archiv der Bibliothek für Jüdische Studien und Jiddische Sprache der Universität Wrocław) 1 Sprawozdanie Mojżesza Linkowskiego dla Wojewódzkiego Komitetu Żydowskiego w Rychbachu, 10. 09. 1945, Protokoły i sprawozdania, Dzierżoniów 1945 (Bericht von Mojżesz Linkowski an das Jüdische Wojewodschaftskomitee in Rychbach, 10. September 1945) Archiv International Tracing Service (ITS), Bad Arolsen ITS/ANF K-NKZ Listen Wrocław Archiwum Gminy Żydowskiej we Wrocławiu (Archiv der Jüdischen Gemeinde in Wrocław) Archiwum Towarzystwa Społeczno-Kulturalnego Żydów w Polsce, Wrocław (Archiv der Soziokulturellen Gesellschaft der Juden in Polen, Wrocław) Archiv Beit Lohamei HaGhetaot
468
Anhang
Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej we Wrocławiu (Archiv des Instituts des Nationalen Gedenkens in Wrocław) 049/166 Nielegalna Organizacja Syjonistyczna ‚Bricha‘ (Die illegale zionistische Organisation ‚Bricha‘) 053/557 Informacje dotyczące wrogich wystąpień w okresie wydarzeń marcowych 1968 (Informationen zu den feindlichen Erscheinungen während der März-Ereignisse 1968) Bundesarchiv Koblenz R18/5519 Übersicht der Ergebnisse der Statistik über die Juden und jüdische Mischlinge bei der Volkszählung in den größeren Verwaltungsgebieten Preußens Archive YIVO Institute for Jewish Research RG 715 Lightfoot, Virginia Dorsey, 1939–1941 Privatarchiv von Karla Wolff Privatarchiv von Kenneth Arkwright
Interviews
6.2
Interviews
Archiv der Autorin Arkwright, Kenneth James (vormals Klaus Aufrichtig), 28. Januar 2011 Berlin. Ascher, Abraham, 11. August 2009 New York. Atzmon-Cohn, Ruth, 3. November 2008 Berlin. Baral, Sabina, 12. August 2011 New York. Benari, Rina, 10. Juni 2008 Jerusalem. Ben Zvi, Miriam, 10. März 2007 Kibbuz Saad/Israel. Brod, Lusia, 12. Februar 2007 Tel Aviv. Fajgenbaum, Sala, 15. Februar 2007 Rischon LeZion/Israel. Friedman, Eryk, 10. Januar 2007 Haifa. Gazit-Cohn, Tamar, 31. Juni 2008, 6. Juni 2009 Nahariya/Israel. Gilad, Batia, 7. Juni 2008 Kibbuz Beit Lohamei HaGhetaot/Israel. Goldsztejn, Włodek, 2. September 2006 Wrocław. Greenbaum, Leo, 10. August 2009 New York. Hoffman, Ludwig, 4. September 2006 Wałbrzych. Holzer, Gabriel, 5. Januar 2011 Tel Aviv. Hyman, Elijah, 10. August 2010 Jerusalem. Kahan, Bente, 12. September 2006 Wrocław. Kaszen, Anatol, 9. September 2006 Wrocław. Kichler, Jerzy, 15. September 2006, 30. August 2008 Wrocław. Lasker-Wallfisch, Anita, 18. Juli 2010 London. Levin, Roza, 7. März 2007 Holon/Israel. Lewkowicz, Karol, 8. September 2006 Wrocław. Lipman, Józef, 14. September 2006 Wrocław. Masur, Werner, 30. März 2007 Netanya/Israel. Nisenbaum, Samek, 15. Juni 2008 Jerusalem. Nossen, Wolfgang, 10. November 2008, 17. Dezember 2009 Erfurt. Ringiel, Dawid, 14. September 2006 Wrocław. Robak, Henryk, 5. September 2006, Wrocław. Sklarz, Benjamin, 12. Oktober 2010 Petach Tikwa/Israel. Stern, Fritz, 26. Juli 2011 New York. Szyjewicz, Grzegorz, 10. September 2006 Wrocław. Szwarc, Bronisława, 15. Juni 2008, Kiryat Motzkin/Israel. Teitelbaum, Paula, 10. Juli 2011 New York. Web, Marek, 21. Juli 2011 New York. Wolff, Karla, 10. Februar 2007, 15. Juni 2008, 6. Juni 2009 Nahariya/Israel. Zylbertal, Cyla, 15. September 2006, 10. September 2007 Wrocław. Żelechower-Aleksiun, Mira, 10. März 2009 Warszawa.
469
470
Anhang
University of Southern California, Shoah Foundation Institute for Visual History and Education Adler, Esther (geb. Ascher), 18. September 1996 Palm Isle/USA, Int. Code 19348. Aghassi, Steffi (geb. Bott), 12. August 1997 Deerfield, Florida/USA, Int. Code 32692. Arkwright, Kenneth James (vormals Klaus Aufrichtig), 12. August 1996 Crawley/ Australia, Int. Code 18441. Baer, John J. (vormals Hans Joachim Baer), 14. April 1996 Los Angeles, Int. Code 14168. Bachner, Henryk, 26. September 1996 Wrocław, Int. Code 20715. Bergen, Kurt (vormals Kurt Rosenberger), 12. Januar 1997 Madison/USA, Int. Code 24668. Berger, Rita (geb. Adler), 21. September 1997 Lido Beach/USA, Int. Code 34313. Brejt, Julian, 2. Januar 1996 Milwaukee/USA, Int. Code 10653. Bucheister, Freda (geb. Katz), 12. März 1996 Omaha/USA, Int. Code 12956. Bułka, Gitla (geb. Posalska), 13. September 1996 Wrocław, Int. Code 20666. Cahn, Lory (geb. Grünberger), 27. September 1996 Philadelphia, Int. Code 20209. Cohn, Louis (ehemals Wolfgang Robert Cohn), 1996 Hauts-de-Seine/Frankreich, Int. Code 9399. Englard, Willy, 1. November 1998 New York, Int. Code 47893. Frischler, Menachem (ehemals Erich Frischler), 21. August 1997 Rechovot/Israel, Int. Code 35925. Fudem, Gizela (geb. Grünberg), 23. Oktober 1995 New York, Int. Code 7896. Fuks, Mina, 5. Dezember 1996 Kfar Saba/Israel, Int. Code 23787. Gurewitz, Uli, 25. Juli 1997 Stuttgart, Int. Code 34600. Konrad, Irmgard Ruth (geb. Adam), 8. Mai 1996 Berlin, Int. Code 14682. Langer, Kate (ehemals Käthe Leschnitzer), 22. März 1996 Fort Lee, New Jersey/USA, Int. Code 13452. Lasker-Wallfisch, Anita, 8. Dezember 1998 London, Int. Code 48608. Löwenberg, Fred, 8. März 1996 Berlin, Int. Code 11319. Putzrath, Heinz, 1. August 1996 Wachtberg-Niederbach, Int. Code 18169. Ringer, Susi-Eva (geb. Weiss), 21. Mai 1997 München, Int. Code 31751. Schweda, Manfred, 20. Juni 1995 Beverly Hills, Int. Code 3254. Sternberg-Newman, Judith (geb. Sternberg), 19. Juni 1998 West Kingstown, Richmond/USA, Int. Code 42741. Swarten, Ester, 15. Mai 1996 Toronto, Int. Code 15183. Trostorff, Klaus, 13. Mai 1996 Erfurt, Int. Code 14862. Tuckman, Ruth Marianne (geb. Bayer), 30. Oktober 1996 Ashkelon/Israel, Int. Code 21325. Wanderer, Hannelore (geb. Breitkopf ), 8. März 1996 Seattle/USA, Int. Code 12695.
Interviews
471
Oral History Division, The Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry Hebrew University Jerusalem Gassmann, Uri (vormals Klaus-Ferdinand Gassmann), 1990 Ramat Gan/Israel, Project No. 234, Int. No. 59. Gruenthal, Hans Chanan, 1990, Project No. 234, Int. No. 65. Hein, Mirjam Margot, 1990, Project No. 234, Int. No. 67. Kedar, Miriam (ehemals Margita Heymann), 1993 Jerusalem, Project No. 234, Int. No. 119. Orni, Ephraim, 20. April 1991 Jerusalem, Project No. 234, Int. No. 15. Rudberg, Hilde, 1991 Jerusalem, Project No. 234, Int. No. 32. Tauber, Ruth Luise, 1991 Atlit/Israel, Project No. 234, Int. No. 104. Walk, Joseph, 16. April 1991 Jerusalem, Project No. 234, Int. No. 135. Muzeum Historii Żydów Polskich Warszawa (Museum der Geschichte der polnischen Juden Warschau) Caigier, Ilana (geb. Kaganowsky), 25. November 2007 Tel Aviv, Int. No. 701143. Degany, Lilia (geb. Ajzensztadt), Tel Aviv, Projekt Polish Roots in Israel. Eisenbach, Arie, o. D., Petach Tikva/Israel. Lejder, Zelda, Juli–Oktober 2008 Wrocław, Kolekcja Anka Grupińska. Lewinstein, David, Haifa, Projekt Polish Roots in Israel. Schein, Dina, November 2006, Mai 2007, Kolekcja Anka Grupińska. Schwarztz, Anzel, November 2009, Moshav Zafriya/Israel, Int. No. 900800. Zylbertal, Cyla, September, Oktober, November 2007, Kolekcja Anka Grupińska. Andere Interview mit Walter Laqueur, ‚Jüdische Porträts‘ : Jaques Schuster im Gespräch mit Walter Laqueur, Bayerisches Fernsehen am 8. September 2012, (http://www.br. de/fernsehen/br-alpha/import/audiovideo/zeitzeugen-walter-laqueur100.html) Interview with Evelyn Pike Rubin, June 1997, Holocaust/Genocide Project: An End to Intolerance, (http://www.iearn.org/hgp/aeti/aeti-1997/shanghai.html) Interview mit Gizela Fudem (ehemals Gizela Grünberg), im Dezember 2004 in Wrocław, Centropa, http://www.centropa.org/biography/gizela-fudem (abgerufen am 20. Juni 2009). Interview mit Nachman Elencwajg, im April 2006 in Wrocław, Centropa, http:// www.centropa.org/biography/nachman_elencwajg (abgerufen am 10. Juni 2009)
472
6.3
Anhang
Periodika
Allgemeine Zeitung des Judentums Aufbau Breslauer Jüdisches Gemeindeblatt Breslauer Zeitung C. V. Zeitung Dos Naje Lebn Im deutschen Reich Information issued by the Association of Jewish Refugees in Great Britain Jewish Telegraphic Agency Jüdisch Liberale Zeitung Jüdische Rundschau Jüdische Volkszeitung Jüdisches Nachrichtenblatt Jüdische Zeitung für Ostdeutschland Neue Breslauer Zeitung Nowe Życie (Trybuna Wojewódzkiego Komitetu Żydowskiego na Dolnym Śląsku) Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel e. V. Mosty Pionier Schlesische Tagespost Schlesische Tageszeitung Schlesische Volkszeitung Schlesische Zeitung Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland
Lexika und Nachschlagewerke
6.4
473
Lexika und Nachschlagewerke
Berenbaum, Michael/Skolnik, Fred (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica, Bd. 11. Detroit 2007. Brocke, Michael/Carlebach, Julius (Hrsg.): Das Biographische Handbuch der Rabbiner. Teil II, Die Rabbiner im Deutschen Reich, 1871–1945 (Bearbeitet von Katrin N. Jansen). München 2009. Cohen, Yohanan: HaBerihah haGedolah mi Polin 1945–1947 [Die Massenflucht aus Polen 1945–1947], in: Entziklopediyah shel Galuyot [Enzyklopädie der Diaspora]. Jerusalem 1970. Richter, Jana: Karl Hanke, in: Weiß, Hermann (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. Frankfurt a. M. 1998, S. 177 f. Schoeps, Julius H.: Badt, Hermann, in: ders. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums. Gütersloh/München 1992. Schwöbel, Gerlind: Staritz, Katharina Helene Charlotte, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 10. Herzberg 1995, S. 1225–1230. Trittel, Günter J.: Schäffer, Hans, in: Benz, Wolfgang/Graml, Hermann (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. München 1988. Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat: eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien, Inhalt und Bedeutung. Heidelberg 1996.
474
6.5
Anhang
(Auto-)Biografische Literatur, Tagebücher, Erinnerungen, Zeugenberichte
Abraham, Hans Werner: Bericht über die Deportationen der Breslauer Juden vom 5. März 1962, in: Friedmann, Tuvia (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen kämpfen um die Erbschaft von fünf Millionen Goldmark. Dafür wird der jüdische Anwalt nach Auschwitz in den Tod geschickt. Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel. Haifa 1997, S. 104. Anders, Günther: Besuch im Hades. Auschwitz und Breslau 1966. Nach ‚Holocaust‘ 1979. München 1996. Ansorge, Werner: Meine ersten achtzig Jahre. Von Breslau nach Israel. Würzburg 2009. Arkwright, Kenneth James: Jenseits des Überlebens. Von Breslau nach Australien. Herausgegeben von Katharina Friedla und Uwe Neumärker. Berlin 2011. Ders.: Das letzte Gebet, in: MVBI, Nr. 32, September 1974, S. 15–16. Ders.: Gedenksteine. Eine kleine Betrachtung, in: MVBI, Nr. 61, 1996, S. 4–5. Ders.: Unvergessene junge Freunde, in: MVBI, Nr. 62, 1997, S. 8–9. Ders.: Einiges Unbekanntes aus den letzten Tagen der Breslauer Jüdischen Gemeinde, in: MVBI, Nr. 58, 1994, S. 2. Ders.: Das Ende der jüdischen Schule in Breslau, in: MVBI, Nr. 31, 1972, S. 9. Ders.: Auf Nimmerwiedersehen, in: MVBI, Nr. 64, 1998, S. 2–3. Aus dem Leben unserer Schule. 1933–1934 – Jüdisches Reformrealgymnasium, in: MVBI, Nr. 35, April 1974, S. 12. Auszug aus einer jüdischen Zeitung von 14. Januar 1937. Schule und Jugend, in: MVBI, Nr. 23, April 1968, S. 13–14. Baer, J. John: Witness for a Generation. Santa Barbara 1997. Barnay, Paul: Menschenjagd im März 1933, in: Limberg, Margarete/Rübsaat, Hubert (Hrsg.): Sie durften nicht mehr Deutsche sein. Jüdischer Alltag in Selbstzeugnissen 1933–1938. Frankfurt a. M./New York 1990, S. 43–46. Becker, Fritz: Vor 25 Jahren: Jüdische Zeitung (Jüdische Volkszeitung) Breslau, in: MVBI, Nr. 3, 1962, S. 10. ‚Bericht einer in der jüdischen Wohlfahrtspflege tätigen Breslauerin über die Stimmung der deutschen Bevölkerung in Breslau und Niederschlesien nach dem Pogrom‘ (Archiv Wiener Library London, Private reports on Jews in Germany, Nr. 046-EA-0450, S. 1–6), zitiert nach: Barkow, Ben/Gross, Raphael/Lenarz, Michael (Hrsg.): Novemberpogrom 1938. Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London. Frankfurt a. M. 2008, S. 274 f. Bericht des ehemaligen Bezirksbürgermeisters H. aus Breslau, in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, bearbeitet von Theodor Schieder, Bd. I/2. München 1984, S. 333.
(Auto-)Biografische Literatur, Tagebücher, Erinnerungen, Zeugenberichte
475
Bondy, Curt: Bericht aus dem jüdischen Auswandererlehrgut Groß-Breesen, in: C. V. Zeitung, Nr. 17, 28. April 1938. Bubis, Ignatz (mit Peter Sichrovsky): ‚Damit bin ich noch längst nicht fertig‘. Die Autobiographie. Frankfurt am Main/New York 1996. Cohn, Willy: Verwehte Spuren. Erinnerungen an das Breslauer Judentum vor seinem Untergang. Herausgegeben von Norbert Conrads. Köln/Weimar/Wien 1995. Ders.: Kein Recht, nirgends. Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums, 1933–1941. Herausgegeben von Norbert Conrads. Köln/Weimar/Wien 2007. Ders.: Als Jude in Breslau, 1941. Aus den Tagebüchern von Studienrat a. D. Dr. Willy Israel Cohn. Herausgegeben von Joseph Walk. Gerlingen 1984. Egit, Jakub: Tzu A Naje Lebn [Dem neuen Leben zu]. Wrocław 1947. Ders.: Grand Illusion. Toronto 1991. Elkin, Celia: Kristallnacht. A Tale of Survival and Rebirth. Bloomington 2001. Goldstein-Jonas, Anni: Ich überlebte …, in: MVBI, Nr. 67, 1999, S. 3. Grajek, Stefan: Po wojnie i co dalej. Żydzi w Polsce w latach 1945–1949 [Nach dem Krieg und was nun weiter. Juden in Polen in den Jahren 1945–1949]. Warszawa 2003. Hadda, Siegmund: Als Arzt im jüdischen Krankenhaus zu Breslau, 1906–1943, in: JSFUB, Bd. 17. Berlin 1972, S. 198–238. Ders: Medizinstudent in Breslau am Anfang unseres Jahrhunderts, in: JSFUB, Bd. 14. Berlin 1969, S. 234–274. Ders.: Krankenhaus in Breslau. Erinnerungen eines jüdischen Arztes, 1933–1945, in: MVBI, Nr. 59, 1995, S. 3–15. Hadda, Wolfgang: Knapp davon gekommen. Von Breslau nach Shanghai und San Francisco. Jüdische Schicksale 1920–1947. Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn. Konstanz 1997. Hartmann, Heinz: Once a Doctor, always a Doctor. New York 1986. Hauschner, Mordechai: Die Gemeinde Breslau – ein Vorbild der Eintracht und der Toleranz, in: MVBI, Nr. 50, 1982/1983, S. 2–3. Hirschfeld, Heinz: Novemberpogrom 1938 in Breslau. Erlebnisse eines Hechaluzsekretärs, in: MVBI, Nr. 53, 1989, S. 4, 11. Holzer, Gabriel: Der Niedergang des Johanneums, in: MVBI, Nr. 42, September 1977, S. 14. Ders.: Das Johanneum in Breslau und seine Juden, in: MVBI, Nr. 80, 2006, S. 3. Hornig, Ernst: Breslau 1945. Erlebnisse in der eingeschlossenen Stadt. München 1975. Jacobsohn, Max: Ostjuden in Breslau. Erinnerung an eine kämpferische Periode meines Lebens, in: MVBI, Nr. 32, 1972, S. 2–5, 8. Jutkowski, Jisrael (Rudi): Das Johaneum – und die Judenfrage, in: MVBI, Nr. 44, 1978, S. 25. Laqueur, Walter: Wanderer wider Willen. Erinnerungen 1921–1951. Berlin 1995.
476
Anhang
Lasker-Wallfisch, Anita: Ihr sollt die Wahrheit erben. Breslau – Auschwitz – Bergen Belsen. Bonn 1997. Loewenstein, I. E.: Gedanken über Ost und West. Gewidmet Prof. Dr. Josef Walk, in: MVBI, Nr. 50, 1982–1983, S. 3–4. Markowicz, Ernst Avraham: Die Juden Breslaus am Anfang des 20. Jahrhunderts, Auszüge aus dem Brief an Dr. Johannes Jänicke v. 1961, in: MVBI, Nr. 48–49, 1981, S. 7–8. Ders.: Die Kameraden, in: Jüdische Rundschau, Nr. 45/46, 8. Juni 1932. Neufliess, Werner: Breslau, Theresienstadt, Shavei Zion. Gezeiten eines Jahrhundertlebens. Herausgegeben von Gerhard Senf. Wien 2007. Novik, Peysekh: Eyrope – Tsvishn Milhome un Sholem [Europa – Zwischen Krieg und Frieden]. New York 1948. Pick, Ismar: Bericht über die Deportationen der Breslauer Juden vom 20. August 1962, in: Friedmann, Tuvia (Hrsg.): Zwei deutsche Grafen kämpfen um die Erbschaft von fünf Millionen Goldmark. Dafür wird der jüdische Anwalt nach Auschwitz in den Tod geschickt. Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel. Haifa 1997, S. 159. Pike Rubin, Evelyn: Ghetto Shanghai. Von Breslau nach Shanghai und Amerika. Erinnerungen eines jüdischen Mädchens, 1943–1947, 1995 und 1997. Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn. Konstanz 2002. Polke, Max Moses: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (verfasst 1940), in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 1, Deutsches Reich 1933–1937, Bearbeitet von Aly, Götz/Gruner, Wolf/Heim, Susanne u. a. (Hrsg.). München 2008. Ders.: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (verfasst 1940), in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 2, Deutsches Reich 1938– 1939, Bearbeitet von Heim, Susanne/Aly, Götz u. a. (Hrsg.). München 2008. Ders.: Der Hölle entkommen, in: Limberg, Margarete/Rübsaat, Hubert (Hrsg.): Sie durften nicht mehr Deutsche sein. Jüdischer Alltag in Selbstzeugnissen 1933– 1938. Frankfurt a. M./New York 1990, S. 304–315. Ders.: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (unveröffentlichtes Manuskript, verfasst in Petach Tikwa 1940), Houghton Library, Harvard. ‚Postkarte als Dokument‘, in: MVBI, Nr. 45, April/Mai 1979, S. 13. Pusch, Werner: Kristallnacht und KZ, in: MVBI, Nr. 40, September 1976, S. 14–15. Rosenzweig, Franz: Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Rachel Rosenzweig und Edith Rosenzweig-Scheinmann, Bd. 1. Den Haag 1984. Scholem, Gershom: Von Berlin nach Jerusalem: Jugenderinnerungen. Frankfurt a. M. 1994.
(Auto-)Biografische Literatur, Tagebücher, Erinnerungen, Zeugenberichte
477
Sklarz, Alfred Salo: Erinnerungen an meine Haftzeit im Konzentrationslager Buchenwald (verfasst 1955 in London), in: MVBI, Nr. 83, 2008, S. 3–5. Smolar, Hersz: Oyf der Letster Pozitsiye mit der Letster Hofenung [Auf dem letzten Posten, mit der letzten Hoffnung]. Tel Aviv 1982. Stern, Fritz: Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen. München 2007. Stern, Lev: ‚Wrocław. Jerozolima. Wrocław‘. Wrocław 2014. Sternberg-Newman, Judith: In the Hell of Auschwitz. The Wartime Memoirs. New York 1964. Tausk, Walter: Breslauer Tagebuch 1933–1940. Herausgegeben von Ryszard Kincel. Berlin 2000. Unikower, Franz: Novemberpogrom 1938 in Breslau. Erinnerungen, in: MVBI, Nr. 53, 1989, S. 4–5. Ders.: Vor 25 Jahren, in: MVBI, Nr. 20, 1966, S. 6. Walk, Joseph: Um die Judenschule (Zum 50. Jahrestag der Breslauer Jüdischen Volksschule), in: MVBI, Nr. 28, 1970, S. 6, 8. Ders.: Das Ende. Das Schlusskapitel der Breslauer jüdischen Schule, in: MVBI, Nr. 30, September 1971, S. 4. Ders.: The Diary of Günther Marcuse (The Last Days of the Gross-Breesen Training Centre), in: YVS, Nr. 8, 1970, S. 159–181. Witkowski, Lutz: Fluchtweg Shanghai. Über China nach Israel und zurück nach Deutschland. Eine jüdische Biographie. Frankfurt a. M./Berlin 2006. Wolff, Karla: Ich blieb zurück. Erinnerungen an Breslau und Israel. Herausgegeben von Ingo Loose. Berlin 2012. Ders.: Ich blieb zurück. Die Überlebensgeschichte der Tochter einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters im Nazideutschland und ihr Neuanfang in Israel. Langen 1990. Ders.: Die Geschichte einer Krankenstation, in: MVBI, Nr. 38, 1975, S. 15–16. Ders.: Feld 24 auf dem jüdischen Friedhof in Cosel, in: MVBI, Nr. 84, 2009, S. 6, 24.
478
6.6
Anhang
Publizierte Quellen und Literatur
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7 Kurzbiografien Abraham, Hans Werner Geboren 1912 in Breslau. Ab März 1938 betätigte er sich als Krankenpfleger im Breslauer jüdischen Krankenhaus. Im Februar 1943 wurde er gemeinsam mit seiner Ehefrau in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Seine Ehefrau wurde kurz nach ihrer Ankunft in Birkenau ermordet. Hans Werner Abraham wurde nach Auschwitz III (Buna Monowitz) überstellt, wo er Zwangsarbeit verrichten musste. Er überlebte den Krieg und wanderte in die USA aus, wo er dann in New York lebte. Adler, Esther (geb. Ascher) Geboren 1924 in Breslau. Nach dem Novemberpogrom 1938 ging sie in das „Hachschara-Lager“ in Altona-Blankensee, um sich auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Im April 1939 wanderte sie nach Palästina aus. Sie besuchte eine Mädchenschule in Jerusalem. Später zog sie in ein Kibbuz bei Haifa und arbeitete zuerst in der Landwirtschaft und dann als Kindergärtnerin. 1947 besuchte sie ihre Eltern in den USA, die noch rechtzeitig Breslau verlassen konnten, und ließ sich dort nieder. In New York absolvierte sie das Jüdisch-Theologische Seminar und arbeitete als Hebräischlehrerin sowie Bildungskoordinatorin für den „Jewish National Fund“. Aghassi, Steffi (geb. Bott) Geboren 1925 in Breslau in einer christlich-jüdischen Familie. Sie erlebte die Verfolgung der Breslauer Juden. Anfang Januar 1944 deportierte die Breslauer SS ihre Mutter in das Gettolager Theresienstadt. Im Sommer 1944 wurde Steffi Aghassi mit einer Gruppe der in den „Mischehen“ lebenden Breslauer Juden zur Zwangsarbeit in Trachenberg verschleppt. Anfang Januar 1945, während des Marsches aus Trachtenberg Richtung Bergen-Belsen, gelang ihr die Flucht. Sie verbrachte die letzten Monate im Versteck in Würzburg. Ihre Mutter überlebte im Gettolager Theresienstadt. Im Sommer 1946 wanderten sie in die USA aus. Steffi Aghassi verstarb 2011 in Deerfield Beach in Florida. Alik (vollständiger Name anonym) Geboren als Sohn polnischer Schoah-Überlebender in Sambor (in der heutigen Ukraine). Dort verbrachte er seine ersten Kindheitsjahre. 1957 zogen seine Eltern im Rahmen der zweiten „Repatriierung“ der polnischen Staatsbürger aus der Sowjetunion nach Polen. Er ließ sich mit seinen Eltern in Wrocław nieder. Nach seinem Abitur im jüdischen Gymnasium studierte er Mathematik an der Universität Wrocław. Nach der antisemitischen Kampagne im März 1968 emigrierte er mit seinen Eltern in die USA. Dort studierte Alik zunächst Mathematik an der Columbia University in New York und später Medizin. Er praktiziert als Arzt in New York.
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Ascher, Abraham Geboren 1929 in Breslau. Der US-amerikanische Historiker erlebte als Kind die Verfolgung der Breslauer Juden. Vor dem Novemberpogrom 1938 gelang es seinem Vater, in die USA auszuwandern. Im Sommer 1939 wanderte Abraham Ascher mit seiner Mutter zunächst nach England aus. Im August 1943 erreichten sie die USA. Familie Ascher ließ sich in New York nieder. Abraham Ascher studierte Geschichte und promovierte in Europäischer Geschichte an der Columbia University. Er arbeitete viele Jahre als Geschichtsprofessor an der City University of New York. 2006 veröffentlichte er eine Pionierstudie zu der Geschichte der Breslauer Juden in den Jahren 1933–1941. Abraham Ascher lebt heute in New York. Arkwright, Kenneth James (ehemals Klaus Aufrichtig) 1929 in Breslau geboren. 1943, schon als 14-jähriger Junge, musste er in der Breslauer Chemiefabrik Boeger & Co. Zwangsarbeit leisten. Im September 1944 kam er in das Zwangsarbeitslager Grüntal, wo er erneut zur Zwangsarbeit bei den Befestigungsarbeiten eingesetzt wurde. Im Februar 1945, bei der „Evakuierung“ des Lagers, gelang es ihm, aus der Marschkolonne zu fliehen. Die letzten Kriegsmonate überlebte er unter falscher Identität als Klaus Schneider auf einem deutschen Bauernhof in der Oberpfalz. 1945 kehrte er in seine Heimatstadt zurück, sah sich aber wenige Wochen später gezwungen, Breslau in Richtung Erfurt zu verlassen. Bald darauf begann er ein Medizinstudium in Ostberlin und emigrierte 1949 über Paris nach Australien, wo er ein erfolgreicher Geschäftsmann wurde. Er lebt heute im australischen Perth. Baer, John J. (ehemals Hans Joachim Baer) Geboren 1917 in Breslau. Nach dem Abitur begann er zunächst sein Studium am Breslauer Jüdisch-Theologischen Seminar. Baer war engagiertes Mitglied der jüdischen Jugendbewegung, und nach 1933 wurde er zum Leiter der zionistisch-revisionistischen Jugendgruppe „Betar“ in Breslau. Nach dem Abbruch des Studiums am Jüdisch-Theologischen Seminar nahm er an der Breslauer Universität das Studium der Philosophie und Ökonomie auf, das er nach dem Novemberpogrom 1938 abbrechen musste. Kurz darauf gelang ihm die Flucht aus Deutschland. Nach einer Zwischenstation in Südamerika ließ er sich 1944 in den USA nieder, wo er später in Los Angeles eine erfolgreiche Anwaltspraxis betrieb. John J. Baer starb 2001 in Los Angeles. Baral, Sabina Geboren 1948 in Wrocław als Tochter zweier Schoah-Überlebender. Sie besuchte die dortige jüdische Schule Namens „Szolem-Alejchem“. Nach dem Abitur 1965 begann sie das Elektronikstudium an der Technischen Hochschule in Wrocław. Im März 1968 erlebte sie als Studentin die antijüdische Kampagne. In diesem Jahr emigrierte sie auch mit ihren Eltern in die USA. An der University of Michigan in Ann Arbor
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beendete Sabina Baral das Studium der Elektronik. Sie wurde eine bekannte Innenarchitektin, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Sabina Baral besitzt eine Designer-Firma und lebt heute in San Francisco. Barnay, Paul Geboren 1884 in Wien. Bereits seine Eltern waren zum Christentum übergetreten, so haben sie ihren Sohn bewusst als Nichtjuden erzogen. Dem Schauspielstudium in Berlin folgte ein zweijähriges Engagement am Hoftheater in Neustrelitz, das der Erste Weltkrieg unterbrach. Nach Kriegsende übernahm er die Leitung des Kattowitzer Theaters und arbeitete anschließend zwölf Jahre als Direktor der Volksbühne Breslau. 1933 begann auch für Paul Barnay, der seine jüdische Abstammung nicht verleugnete, die Verfolgung. Er flüchtete zunächst nach Prag und von dort weiter nach Budapest. Dort von den Nationalsozialisten aufgegriffen und in ein Lager transportiert, wurde er von der einrückenden Roten Armee befreit. Als einziger Überlebender seiner Familie kehrte er nach Wien zurück, wo er 1948 Direktor des Volkstheaters wurde. Paul Barnay starb 1960 in seiner Heimatstadt. Benditt, Max Geboren 1922 in Breslau. Benditt war gelernter Maschinenschlosser. 1939 wurde er zur Zwangsarbeit in Breslau eingezogen. Im August 1944 wurde er aus Breslau in das Zwangsarbeitslager Grüntal verschleppt. Von dort kam er über die Konzentrationslager Groß-Rosen und Buchenwald nach Dachau. Auf dem Marsch ins KZ Flossenbürg wurde er von den amerikanischen Truppen befreit. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Bergen, Kurt (ehemals Kurt Rosenberger) Geboren 1922 in Breslau. Bergen besuchte das Breslauer jüdische Gymnasium. 1932 schloss er sich der zionistischen Jugendgruppe „Habonim“ an. Seit dem Erlass der „Nürnberger Gesetzte“ bemühten sich seine Eltern um die Emigration aus Deutschland. Im August 1938 wanderte Kurt Bergen mit seiner Familie nach Palästina aus. 1940 schloss er eine Ausbildung zum Polizisten ab und zog nach Jerusalem. Später machte er eine Ausbildung zum Flugzeugmechaniker und arbeitete für die israelische Fluggesellschaft EL AL am Flughafen in Tel Aviv. 1956 verließ er Israel und ging in die USA. Kurt Bergen starb 2006 in Madison. Brejt, Julian (Judah) Geboren 1923 im ostpolnischen Borowiec in der Nähe von Lublin. Ende Oktober 1942 wurde er in das Getto von Brody verschleppt. Bei der „Auflösung“ des Gettos im Frühling 1943 gelang ihm die Flucht. Julian Brejt überlebte den Krieg mit seiner Mutter im Versteck in den Wäldern bei Dubno (in der heutigen Ukraine). Ende 1947 kam er mit seiner Mutter im Rahmen der „Repatriierung“ aus der Sowjetunion nach
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Wrocław. Nach dem Tod seiner Mutter wanderte er 1965 aus Wrocław in die USA aus. Er lebte dann in Cleveland/Ohio. Bubis, Ignatz Geboren 1927 in Breslau. 1935 verließ er mit seiner Familie, die polnische Staatsbürger waren, Breslau und zog in die polnische Kleinstadt Dęblin an der Weichsel. Im Februar 1941 musste er ins Dęmbliner Getto übersiedeln. Im Getto arbeitete Bubis zunächst als Postbote. 1942 wurde sein Vater in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Auch seine Geschwister kamen während der Schoah um. Ende 1944 wurde Ignatz Bubis in das Zwangsarbeitslager Tschenstochau verschleppt, wo er in einer Munitionsfabrik Zwangsarbeit verrichten musste. Im Januar 1945 wurde er dort durch die Rote Armee befreit. Bubis ging nach Kriegsende nach Deutschland, ließ sich in Frankfurt a. M. nieder, betätigte sich als Kaufmann und engagierte sich als Politiker und Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland. Ignatz Bubis starb 1999 in Frankfurt a. M. Buhl, Horst Geboren in einer christlich-jüdischen Familie in Breslau. Horst Buhl, der als „Mischling des ersten Grades“ durch die NS-Behörden eingestuft wurde, kam gemeinsam mit seiner Mutter, Ruth Buhl, am 18. August 1944 von Breslau zunächst in das Arbeitslager in Grüntal, wo beide einen Monat Zwangsarbeit leisten mussten. Von dort gelangte er mit einer Gruppe der Breslauer „Mischlinge“ nach Ostlinde. Mitte Februar 1945 wurde er durch die Rote Armee befreit. Nach dem Krieg ließ er sich in Ostberlin nieder. Carlebach-Rosenak, Bella Geboren 1876 in Lübeck. Sie heiratete den aus Ungarn stammenden orthodoxen Rabbiner Leopold Rosenak, mit dem sie drei Töchter hatte. Ab 1939 wurde ihr keine Pension mehr ausgezahlt. So zog sie in das Beate-Guttmann-Heim in Breslau. 1940 erhielt sie eine Ausreisegenehmigung in die USA. Über Frankreich, Spanien und Portugal reiste sie in die USA aus und erreichte Ende 1941 New York. Bella CarlebachRosenak starb 1961 in New York. Cohn, Ernst Geboren 1904 in Breslau. Nach seinem Jurastudium erhielt er eine Privatdozentur an der Universität Frankfurt a. M. Im Sommer 1932 wurde der Privatdozent Ernst Cohn an der Juristischen Fakultät der Universität Breslau zum Professor ernannt. Im Wintersemester 1932/33 konnte er seine Vorlesungen nur unter dem Schutz der Polizei abhalten. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Prof. Cohn beurlaubt. 1933 emigrierte er nach London, wo er noch einmal als Student beginnen musste. 1937 wurde er zur englischen Anwaltschaft zugelassen und betätigte sich als
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Anwalt bei dem renommierten Lincoln Inn. 1967–1975 unterrichtete er als Gastprofessor am King’s College of London. Prof. Ernst Cohn verstarb 1976 in London. Cohn, Willy Geboren 1888 in Breslau. Er studierte Geschichte an der Universität in Heidelberg und in Breslau und promovierte 1910. Nach der gescheiterten Bewerbung für den Posten eines Dozenten an der Universität Breslau nahm er 1919 die Stelle eines Lehrers am Breslauer Johannes-Gymnasium an. Außer seiner Lehrertätigkeit führte er weiterhin seine Forschungsarbeiten fort, publizierte zahlreiche Artikel und hielt Vorträge über jüdische und historische Themen in den jüdischen Gemeinden deutschlandweit. Im Juni 1933 wurde er aus politischen Gründen seiner Lehrerstelle enthoben. Willy Cohn gelang es, seine zwei Söhne und eine Tochter noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Ausland in Sicherheit zu bringen. Vergeblich suchte er für sich, seine Ehefrau und die zwei jüngeren Töchter nach einer Auswanderungsmöglichkeit. Im November 1941 wurde er mit seiner Familie in das litauische Kaunas deportiert und dort unmittelbar nach seiner Ankunft erschossen. Willy Cohn hinterließ einzigartige Tagebücher aus der Zeit der Verfolgung, die 2006 veröffentlicht wurden. Diese gelten als eine der erschütterndsten Chroniken der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Cohn, Ernst Abraham Geboren 1919 in Breslau. Anfang der 1930er-Jahre besuchte er das „Hachschara-Lager“ in Gut Winkel, um sich auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. 1935 kam er mit einer Gruppe Jugendlicher aus Breslau via Triest nach Palästina. Dort angekommen lebte er zunächst im Kibbuz Giwat Brenner, wo er sich für die zukünftige Arbeit ausbilden ließ. Abraham Cohn bemühte sich vergeblich um die Einwanderung seines Vaters Willy Cohn und seiner Familie nach Palästina. Abraham Cohn verstarb 2008 in Israel. Cohn-Atzmon, Ruth (geb. Cohn) Geboren 1924 in Breslau. Die Tochter von Willy Cohn wurde zur Zeugin der Judenverfolgung in Breslau. Dank der Bemühungen ihrer Eltern gelang es ihr rechtzeitig, Breslau zu verlassen. Sie kam 1939 mit der „Jugendalijah“ nach Dänemark. Als Dänemark im April 1940 von den deutschen Truppen besetzt wurde, gelangte sie unter schweren Umständen im Dezember 1940 von Dänemark über Schweden, Finnland, die Sowjetunion und die Türkei nach Palästina. Sie ließ sich dann im Kibbuz Ein Schemer nieder. Heute lebt sie in Herziliya. Cukierman, Walenty Geboren 1945 in der Sowjetunion. 1946 kam er mit seinen Eltern nach Polen und lebte seither in Wrocław. Dort absolvierte er das Fach Russische Philologie an der
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dortigen Universität. Nach dem Studium arbeitete er als Russischlehrer in der Kunsthochschule. Infolge der antisemitischen Kampagne im März 1968 wanderte er mit seinen Eltern in die USA aus. 1976 promovierte er in Russischer Literatur an der University of Michigan in Ann Arbor. Viele Jahre war er als Professor an der University of Connecticut tätig. Walenty Cukierman lebt heute in College Park (Maryland). Dura, Freddi Geboren 1922 in Breslau. Nach der Schulzeit in seiner Geburtsstadt ging er in ein „Hachschara-Lager“, um sich dort auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. 1939 wanderte er nach Palästina aus und lebte fortan im Kibbuz Ein Charod. Er betätigte sich dort als Hilfspolizist und versuchte, sein Talent als Sänger und Schlagzeuger zu nutzen. 1956 zog er in die nordisraelische Nahariya und eröffnete dort zwei bekannte Lokale. Darüber hinaus war er Sänger, gab Solokonzerte in Israel und auch in Deutschland. Freddi Dura starb 2006 in Nahariya. Egit, Jakub Geboren 1908 in Borysław. Während des Zweiten Weltkrieges diente er in der Roten Armee. Nach dem Krieg wurde er im Sommer 1945 Mitglied des Zentralkomitees der Polnischen Juden und zum Vorsitzenden des Jüdischen Wojewodschaftskomitees in Niederschlesien. Egit gehörte zu den Wegbereitern der „jüdischen Ansiedlung“ in Niederschlesien. 1953 wurde er durch den polnischen Sicherheitsdienst verhaftet. 1957 wanderte er nach Kanada aus und wurde zu einem prominenten Mitglied der jüdischen Gemeinde in Toronto. Jakub Egit verstarb 1996 in Toronto. Eisner, Erna (geb. Friedländer) Geboren 1919 in Breslau. Als Jüdin durfte sie schon ihr Abitur nicht mehr absolvieren, so arbeitete sie zunächst als Haushaltsangestellte. Letztendlich entschied sie sich für eine Ausbildung in einem „Hachschara-Lager“ im Hinblick auf ihre Auswanderung nach Palästina. Im November 1940 kam sie auf dem Flüchtlingsschiff „Patria“ von Rumänien nach Palästina. Sie ließ sich in Haifa nieder. Elkin, Celia (ehemals Lilli Zelmanowicz) Geboren in Breslau in einer polnisch-jüdischen Familie. Ihre Eltern gründeten in Breslau ein Großhandelsgeschäft für Textil, Wolle und Stoffe. Im März 1939 verließ sie mit ihrem Vater Breslau in Richtung USA. Ihre Mutter und Geschwister folgten ihnen im Juli 1939. Die Familie ließ sich anschließend in New York nieder. Fabisch, Fritz Geboren 1922 in Breslau. Ab 1936 Ausbildung bei einem jüdischen Konfektionsbetrieb. Ende Januar 1939 wanderte Fabisch mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Schanghai aus. Im Januar 1949 verließ er Schanghai in Richtung des neu ge-
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gründeten Staates Israel, wo er sich in Mazor bei Petach Tikwa niederließ und sich dort als Landwirt betätigte. Fabisch, Paul Über seinen Lebensweg ist nichts Weiteres bekannt. Foerder, Ludwig Geboren 1886 in Breslau. Nach seinem Jurastudium betätigte er sich als Rechtsanwalt in seiner Geburtsstadt. Ab 1919 hatte er als Rechtsanwalt im Auftrag zahlreicher jüdischer Gemeinden und Organisationen etwa 200 Prozesse gegen prominente Nationalsozialisten geführt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wanderte er 1933 zunächst in die Tschechoslowakei und dann nach Palästina aus. Ludwig Foerder starb 1954 in Jerusalem. Freund, Alfons Über seine Biografie ist nichts bekannt. Friedman, Eryk Geboren 1931 in Krakau. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges floh er mit seinen Eltern in das von der Sowjetunion okkupierte Ostpolen. Von dort wurde er 1940 mit seinen Eltern in den Ural deportiert, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten. Nach dem Krieg kam er 1946 mit seinen Eltern im Rahmen der „Repatriierung“ der polnischen Staatsbürger aus der Sowjetunion nach Polen. Die Familie ließ sich in Wrocław nieder. Eryk Friedman studierte Medizin an der Universität in Wrocław. 1957 emigrierte er nach Israel, wo er als Arzt in Haifa praktizierte. Eryk Friedman verstarb 2011 in Haifa. Frischler, Menachem (ehemals Erich Frischler) Geboren 1919 in Breslau. 1933 begann er eine kaufmännische Lehre in seiner Geburtsstadt. Infolge des Novemberpogroms 1938 wurde er inhaftiert und in das KZ Buchenwald gebracht. Nach der Freilassung im Januar 1939 gelangte er in das „Hachschara-Lager Gut Winkel“. Im November 1941 kam er auf dem Schiff „Patria“ in Palästina an. Frischler verbrachte vier Jahre im Kibbuz Kiriat Anavim. 1945 zog er nach Rehovot, heiratete und bekam zwei Töchter. Fudem, Gizela (geb. Grünberg) Geboren 1924 im polnischen Tarnów. Ab Sommer 1942 musste sie fortan im Getto Tarnów leben. Nach der Auflösung des Gettos im November 1943 wurde sie zunächst in das KZ Płaszów deportiert, von dort, im August 1944, in das KZ Auschwitz-Birkenau und Ende Dezember 1944 in das KZ Bergen-Belsen. Sie überlebte als Einzige ihrer Familie die Schoah. Nach ihrer Befreiung in Bergen-Belsen lebte sie
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zunächst im dortigen DP-Lager. 1948 kehrte sie nach Polen zurück, zog nach Wrocław und begann ihr Studium an der Technischen Hochschule. Nach dem Studium fand sie als Ingenieurin in einem Konstruktionsbüro in Wrocław eine Anstellung. Nach dem Tod ihres Ehemanns 2005 zog sie zu ihrer Tochter in die USA. Gassmann, Uri (ehem. Klaus-Ferdinand Gassmann) Geboren 1911 in Breslau. Nach seinem Abitur studierte er Medizin an der Breslauer Universität. Nach dem Abbruch des Studiums wanderte er 1935 nach Palästina aus und lebte zunächst in einem Kibbuz. Später ließ er sich in Rischon le Zion nieder. Er betätigte sich als Angestellter bei einer Krankenkasse und absolvierte eine Ausbildung zum Bibliothekar. Anschließend war er als Bibliothekar an einem Krankenhaus tätig. Gluskinos, Willi (Ze’ev) Geboren 1881 in Breslau. Willi Gluskinos war in den 1930er-Jahren stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Breslau. Unmittelbar nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gelang ihm die Flucht aus Breslau nach Palästina. Willy Gluskinos verstarb 1965. Goldschmidt, Fritz Geboren 1893 in Breslau. Studierte Jura an der Breslauer Universität. Zwischen 1926 und 1933 war er als Landgerichtsrat in Breslau tätig. Nach 1933 wurde er zum Rechtsberater des Centralvereins der Reichsvertretung der Juden in Deutschland ernannt. 1939 gelang ihm die Auswanderung nach England. Fritz Goldschmidt verstarb 1968. Goldsztejn, Włodek Geboren 1947 in der Sowjetunion. Mitte der 1950er-Jahre zog er mit seinen Eltern im Rahmen der zweiten „Repatriierung“ der polnischen Staatsbürger aus der Sowjetunion nach Polen. Die Familie Goldsztejn ließ sich in Wrocław nieder. Nach seinem Abitur in der dortigen jüdischen Schule nahm er ein Jurastudium an der Universität Wrocław auf. Włodek Goldsztejn lebt heute in Wrocław. Gruenthal, Hans Chanan Geboren 1915 in Breslau. Bereits in jungen Jahren engagierte er sich in der zionistischen Jugendbewegung. 1933 gelangte er auf illegalem Wege nach Palästina. Dort angekommen schloss er eine Ausbildung als Elektriker ab. Danach absolvierte er ein Ingenieurstudium an der Universität Haifa. Nach dem Studium betätigte er sich für die „Israel Electric“. Nach seiner Pensionierung lebte Chanan Gruenthal im Altersheim Rishonei HaCarmel in Haifa.
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Gurewitz, Uli Geboren 1924 in Kurzeniec (im heutigen Weißrussland). Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schloss er sich einer Partisanengruppe an und überlebte den Krieg im Versteck. Im Mai 1946 konnte er Weißrussland verlassen und begab sich nach Polen. Er engagierte sich bei der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Haschomer Hazair und wurde 1946 nach Wrocław gesandt, um die Organisation vor Ort zu leiten. Anschließend nahm er sein Jurastudium an der Universität Wrocław auf. 1949 emigrierte er nach Israel. Uli Gurewitz zog 1963 nach Deutschland, wo er sich in Stuttgart niederließ. Haber, Fritz Geboren 1868 in Breslau. 1886, nach kaufmännischer Lehre, begann er ein Chemiestudium an der Universität Heidelberg. 1891 folgte seine Promotion in Organischer Chemie. 1893 konvertierte Haber zum protestantischen Glauben. 1896 habilitierte er sich an der Technischen Hochschule Karlsruhe und wurde 1898 zum außerordentlichen Professor ernannt. Seit 1911 betätigte er sich als Direktor des Instituts für Physikalische Chemie in Berlin. 1919 erhielt er den Nobelpreis für Chemie (für die Entwicklung der Amoniaksynthese zur Sprengstoffherstellung). Haber war wesentlich an der Entwicklung chemischer Kampfstoffe beteiligt, die bekanntlich im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden. Nachdem die Nationalsozialisten im Mai 1933 den „Arierparagrafen“ eingeführt hatten, ließ er sich aus Protest im Mai 1933 in den Ruhestand versetzen. Im Herbst 1933 emigrierte er nach England und wurde an die Universität Cambridge berufen. Haber verstarb 1934 auf einer Durchreise in Basel. Hadda, Albert Geboren 1892 in Cosel (im heutigen Polen: Koźle). Er absolvierte das Architekturstudium in Breslau. Ab 1928 betätigte er sich als selbstständiger Architekt. 1928/29 wurde er zum privaten Assistenten von Gropius in Dessau. Nach dem Berufsverbot arbeitete er zwischen 1934 und 1942 als Lehrer an der jüdischen Schule für technische Fächer in Breslau. Zwischen 1942 und 1944 war er im Vorstand der Breslauer Chewra Kadischa angestellt, anschließend wurde er zur Zwangsarbeit verschickt. 1944 folgte die Deportation ins Arbeitslager Grüntal. 1946 verließ er Breslau und begab sich nach Erfurt. Zwischen 1947 und 1951 bereitete er sich für die Emigration nach Israel im „Hachschara-Lager Gehringshof“ vor. 1952 emigrierte er nach Israel. Albert Hadda starb 1974 in Stockholm. Hadda, Moritz Geboren 1887 in Cosel (heute Polen: Koźle). Zwischen 1911 und 1913 studierte er Architektur an der Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe. Nach seinem Studienabschluss gründete er 1917 ein Architektenbüro in Breslau. Nach dem Berufsverbot 1933 folgte für ihn die Anstellung bei der Breslauer jüdischen Gemeinde,
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wo er als Lehrer bei den Umschichtungskursen der Gemeinde arbeitete. Im November 1941 wurde er von Breslau aus in das litauische Kaunas deportiert und dort unmittelbar nach seiner Ankunft im Fort IX. während einer Massenexekution erschossen. Hadda, Siegmund Geboren 1882 in Cosel (im heutigen Polen: Koźle). 1901 begann er sein Medizinstudium in Breslau. 1906 erhielt er eine Assistentenstelle im jüdischen Krankenhaus in Breslau. 1935 wurde er zum Chefchirurgen am Breslauer jüdischen Krankenhaus berufen. Im Juni 1943 deportierte ihn die Breslauer Gestapo in das Gettolager Theresienstadt. Im Rahmen der Verhandlungen zwischen Heinrich Himmler und den Alliierten wurde er gemeinsam mit seiner Ehefrau im Februar 1945 in einem Transport aus Theresienstadt in die Schweiz „evakuiert“. Siegmund Hadda emigrierte nach England und 1947 in die USA. Er verstarb 1977 in New York. Hadda, Wolfgang Geboren 1920 in Breslau. Nach dem Abitur 1939 bis zu seiner Auswanderung 1941 absolvierte er eine landwirtschaftliche Ausbildung im Auswandererlehrgut „GroßBreesen“. Im Frühsommer 1941 emigrierte er über die Sowjetunion nach Schanghai. 1947 verließ er Schanghai und wanderte nach San Francisco aus. Zwischen 1951 und 1972 studierte er englische Literatur, Bibliothekswissenschaften und Kunstgeschichte. Nach dem Studium betätigte er sich als Bibliothekar an der Hauptbibliothek in San Francisco. Wolfgang Hadda ist Autor von Kurzgeschichten, Gedichten und Hörspielen. Hamburger, Bernhard Geboren 1875 in Alzenau/Unterfranken. Er studierte am Rabbinerseminar in Berlin und an der Universität Straßburg. 1908–1912 arbeitete er als Lehrer an der jüdischen Religionsschule in Breslau. 1924/25 wurde er zum Direktor der Höheren Schule des Jüdischen Schulvereins in Breslau ernannt. 1926/28 folgte die Berufung als Rabbiner an der Breslauer Privatsynagoge Altglogauer-Schul. Bernhard Hamburger wurde am 13. April 1942 über das Durchgangsgetto Izbica in das Konzentrationslager Majdanek deportiert und seither gilt er als verschollen. Heilberg, Adolf Geboren 1858 in Breslau. Er absolvierte ein Jurastudium an der Breslauer Universität. Seit 1925 war er Vorsitzender der Schlesischen Anwaltskammer sowie politisch bei der DDP aktiv. Darüber hinaus war Adolf Heilberg Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in Breslau. Im März 1933 musste er wegen einer drohenden Verhaftung seine Heimatstadt verlassen. Heilberg nahm seither seinen Wohnsitz in Berlin. Er starb dort im Sommer 1936 an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
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Herstein, Josef Geboren 1891 in Krakau. Nach dem Abitur studierte er Jura an der Krakauer Jagiellonen-Universität. Während des Ersten Weltkrieges leistete er Armeedienst bei der österreichisch-ungarischen Armee. Nach dem Krieg wanderte er nach Breslau aus, wo er kaufmännisch tätig war. Josef Herstein war Mitbegründer des „Reichsverbandes Polnischer Juden“ und dessen Sekretär in Breslau. Während der „Abschiebung“ polnischer Juden aus Deutschland wurde er am 27. Oktober 1938 nach Polen ausgewiesen. Josef Herstein kam während der Schoah in Polen um. Die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt. Herstein, Isidor Geboren 1860 in Krakau. Im Alter von 28 Jahren zog er nach Breslau, wo er sich als Kaufmann betätigte. Im Oktober 1938 im Anschluss an die „Ausweisung“ der polnischen Juden aus Breslau wurde er nach Polen abgeschoben und kehrte in seine Heimatstadt Krakau zurück. Isidor Herstein kam während der Schoah in Polen um. Die genauen Todesumstände sind nicht bekannt. Hirschberg, Lotte (geb. Krieg) Geboren 1898 in Breslau. Sie heiratete den Arzt Josef Hirschberg und hatte mit ihm zwei Töchter und einen Sohn. 1936 wanderte die Familie Hirschberg nach Chile aus. 1952 zog Lotte Hirschberg mit ihrer Familie nach Israel. Sie starb 1993 in Israel. Hirschfeld, Heinz Über seinen Lebensweg ist nichts bekannt. Hirschmann, Arthur Aron Geboren 1878 in Kreuzburg (heute Polen: Kluczbork). 1884 ließ er sich mit seinen Eltern in Breslau nieder. Während des Novemberpogroms 1938 wurde er in Breslau verhaftet und im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Von Oktober 1942 bis Februar 1945 musste er Zwangsarbeit in Breslau verrichten. Nach der Befreiung durch die Rote Armee verließ Arthur Aron Hirschmann Breslau und ging in das DP-Lager Bensheim. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts überliefert. Hoffmann, Moses Jehuda Geboren 1873 in Berlin. Zunächst studierte er Geschichte und Philosophie. 1901/ 1902 absolvierte er das Rabbinerseminar in Berlin und promovierte 1912. Im Ersten Weltkrieg diente Hoffmann als Feldrabbiner. 1921 wurde er in die jüdische Gemeinde Breslau berufen, wo er bis 1938 als orthodoxer Rabbiner amtierte. Infolge des Novemberpogroms 1938 wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. 1939 gelang ihm die Auswanderung nach Palästina. Moses Hoffmann starb 1958 in Petach Tikwa.
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Holzer, Gabriel (ehemals Gerhard Holzer) Geboren 1922 in Leipzig. 1931 ließ er sich mit seinen Eltern in Breslau nieder. Im Oktober 1938 wurde die Familie im Rahmen der „Ausweisung“ der polnischen Juden als polnische Staatsbürger verhaftet und nach Polen abgeschoben. Kurz darauf, nach der Rückkehr nach Deutschland, war die Familie Holzer gezwungen, im Versteck zu leben. Im Januar 1939 gelang Gabriel Holzer und seinen Eltern die Auswanderung nach Palästina. Er ließ sich in Tel Aviv nieder und betätigte sich als Zollbeamter. Jacobsohn, Max Er war als Leiter der „Zionistischen Vereinigung“ in Breslau tätig, und später arbeitete er bei dem Jüdischen Arbeiterfürsorgeamt der Breslauer jüdischen Gemeinde. Jacobsohn war ein engagierter Unterstützer der „Ostjuden“ in Breslau. 1933 gelang ihm die Auswanderung nach Palästina. Jonas-Goldstein, Anni (geb. Jonas) Geboren 1920 in Patschkau (im heutigen Polen: Paczków). Anni Jonas arbeitete als Krankenschwester im Breslauer jüdischen Krankenhaus. Im Juni 1943 wurde sie von Breslau aus in das Konzentrationlager Auschwitz-Birkenau deportiert. Kurz vor der Auflösung des Lagers wurde sie über das KZ Groß-Rosen nach Bergen-Belsen verschleppt, wo sie im April 1945 von den alliierten Truppen befreit wurde. Nach dem Krieg wanderte sie in die USA aus, wo sie später in Kalifornien lebte. Jutkowski, Jisrael (ehemals Rudi Jutkowski) Mit 12 Jahren zog er mit seiner Familie nach Breslau und besuchte das JohannesGymnasium. Seiner Familie gelang noch vor dem Zweiten Weltkrieg die Auswanderung nach Palästina. Über sein weiteres Schicksal ist nichts überliefert. Kedar, Miriam (ehemals Margita Heymann) Geboren 1922 in Breslau in einer christlich-jüdischen Familie. Sie besuchte zunächst eine evangelische und dann eine katholische Schule in Breslau und anschließend begann sie eine Schneiderlehre. 1938 wanderte sie mit der „Jugendalijah“ nach Palästina aus. Dort angekommen ließ sie sich im Kibbuz Ein Schemer nieder. Sie studierte Bibliothekswissenschaften und war danach als Bibliothekarin tätig. Miriam Kedar starb 2011 in Israel. Kempner, Erich Bernhard Geboren 1924 in Neisse (im heutigen Polen: Nysa). Als fünfjähriger Junge zog er mit seinen Eltern nach Breslau. Im März 1943 wurde Erich Kempner zusammen mit seiner Mutter und drei jüngeren Geschwistern in das Konzentrationslager AuschwitzBirkenau deportiert. Kempner wurde zur Zwangsarbeit nach Auschwitz III (BunaMonowitz) verschleppt. Bei der Auflösung des Lagers gelangte er über das KZ Flös-
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senburg in die Nähe von Regensburg, wo er von amerikanischen Truppen befreit wurde. Er überlebte als Einziger seiner Familie die Schoah. Nach dem Krieg wanderte er nach Israel aus. Erich Kempner lebte als Landwirt im Moshav Merchavia bei Affula. Kohn, Hedwig Geboren 1887 in Breslau. 1906 nahm sie ihr Physikstudium an der Universität Breslau auf. 1914–1934 arbeitete sie als Assistentin und von 1930 an als Privatdozentin am Physikalischen Institut der Universität Breslau. Nach dem Berufsverbot wanderte sie 1935 in die Schweiz aus, wo sie am Lichtklimatischen Observatorium Arosa forschte. Von dort emigrierte sie in die USA. 1945–1952 hatte sie eine Professur am Wellesley College, Massachusetts, inne. Hedwig Kohn starb 1964 in den USA. Konińska, Celina Vor dem Zweiten Weltkrieg lebte sie in Lwów. Den Krieg überlebte sie unter falscher Identität. Nach dem Krieg zog sie Mitte Dezember 1945 zunächst nach Krakau und von dort in das niederschlesische Dzierżoniów, wo sie für das Jüdische Wojewodschaftskomitee als Leiterin der Abteilung für Sozialfürsorge tätig war. 1946 ließ sie sich in Wrocław nieder. 1956 wanderte Celina Konińska nach Israel aus. Konrad, Irmgard Ruth (geb. Adam) Geboren 1915 in einer christlich-jüdischen Familie in Breslau. Sie engagierte sich in der Breslauer sozialistischen Arbeiterbewegung. Ab 1929 war sie Mitglied des Sozialistischen Jugendverbandes. 1933 und 1936 wurde sie wegen der Mitgliedschaft bei einer Widerstandsgruppe der jungen Sozialisten und Kommunisten verhaftet. Im Sommer 1942 wurde sie erneut verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. 1943 in einem Transport der „deutsch-jüdischen Mischlinge“ wurde sie ins KZ Ravensbrück überführt. Ende April 1945 erlebte sie ihre Befreiung in Mecklenburg. 1947 zog sie nach Leipzig und ließ sich 1981 in Ostberlin nieder. Sie war politisch aktiv und engagierte sich für die Opfer des Faschismus. Irmgard Ruth Konrad starb 2003 in Berlin. Ksinski, Ernst Geboren 1924 in Breslau. Bis 1938 besuchte er die Breslauer jüdische Schule. 1941/ 42 musste er Zwangsarbeit in einer Ziegelei in Dyhernfurth bei Breslau sowie in der Breslauer Waffenfabrik Hoffmann verrichten. Im März 1943 wurde er zusammen mit seinen Eltern aus Breslau in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Ende August 1943 wurde er aus Auschwitz in das Warschauer Gefängnis „Pawiak“ überführt. Von dort wurde Ernst Ksinski 1944 in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Im April 1945 erlebte er die Befreiung bei Feldafing. 1946 wanderte Ernst Ksinski nach Palästina aus, wo er sich in Bat Yam niederließ und als Fotograf tätig war.
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Langer, Kate (ehemals Käthe Leschnitzer) Geboren 1923 in Breslau in einer christlich-jüdischen Familie. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Laborantin in ihrer Heimatstadt. Im April 1942 wurde sie in das Durchgangsgetto Izbica im Generalgouvernement deportiert. Im Herbst 1942 gelang ihr die Flucht aus dem Getto Izbica. Über Lublin und Beuthen gelangte sie nach Breslau und überlebte den Krieg im Versteck beziehungsweise unter falscher Identität. Ende November 1945 verließ sie mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder ihre Heimatstadt und ging nach Deutschland. Bis zu ihrer Auswanderung in die USA arbeitete sie in Berlin für das amerikanische Hilfskomitee Joint. Latte, Konrad Geboren 1922 in Breslau. 1939/40 besuchte er das einzige jüdische Konservatorium Landsberg-Holländer in Berlin. Ab 1940 arbeitete er im jüdischen Krankenhaus in Breslau. Im März 1943 vor der Deportation aus Breslau bedroht, floh Konrad Latte mit seinen Eltern nach Berlin. Seine Eltern wurden im Herbst 1943 von Berlin aus in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie ermordet wurden. Konrad Latte tauchte in Berlin unter und überlebte den Krieg im Versteck. Nach dem Krieg war er von 1949 bis 1952 als Korrepetitor mit Dirigentenverpflichtung in Cottbus tätig. 1953 gründete er das Berliner Barock-Orchester, das er bis 1997 leitete. Zuletzt lebte er mit seiner Ehefrau in Berlin-Wannsee. Konrad Latte starb 2005 in Berlin. Laqueur, Walter Geboren 1921 in Breslau. Der US-amerikanische Historiker besuchte das Breslauer Johannes-Gymnasium. Im November 1938, kurz vor dem Pogrom, gelang ihm die Auswanderung nach Palästina. Dort erlebte er den Zweiten Weltkrieg und den Israelischen Unabhängigkeitskrieg (1948). Seine Eltern, die in Breslau zurückblieben, wurden in das Durchgangsgetto Izbica im Generalgouvernement deportiert und vermutlich im Vernichtungslager Bełżec ermordet. In Israel begann er, als Journalist zu arbeiten. 1955 verließ er Israel und ging nach London. Von 1964 bis 1993 war er als Direktor der Londoner Wiener Library tätig. Er hatte zahlreiche Geschichtsprofessuren inne: u. a. an der University of Chicago, Harvard University, Brandeis University, Tel Aviv University und Georgetown University in Washington DC. Lasker-Wallfisch, Anita (geb. Lasker) Geboren 1925 in Breslau. Die Cellistin ist eine der letzten Überlebenden des Frauenorchesters von Auschwitz-Birkenau. Ab 1941 musste sie Zwangsarbeit in der Schlesischen Cellulose- und Papierfabrik in Breslau verrichten. Im April 1942 wurden ihre Eltern in das Durchgangsgetto Izbica im Distrikt Lublin deportiert. Höchstwahrscheinlich wurden sie in einem der Vernichtungslager Bełżec oder Sobibór ermordet. Anita Lasker verblieb in Breslau mit ihrer Schwester Renate. Wegen illegaler Wider-
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standstätigkeit und Hilfeleistung für französische Kriegsgefangene sowie Fluchtversuche aus Breslau wurde sie im September 1942 verhaftet und ins Breslauer Gefängnis gebracht. Ende 1943 wurde sie in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert, kurz darauf wurde auch ihre Schwester Renate in das Lager verschleppt. Die Musikerin kam in Auschwitz in die von Alma Rosé geleitete Lagerkapelle. Im November 1944 wurde sie mit ihrer Schwester in das KZ Bergen-Belsen verschleppt. Dort erlebte sie im April 1945 die Befreiung durch die britischen Truppen. 1946 wanderte sie nach London aus. 1949 begründete sie das English Chamber Orchestra. Anita Lasker-Wallfisch spielte weltweit auf Konzerten und lebt heute in London. Lasker, Alfons Geboren 1886 in Kempen in der Provinz Posen (im heutigen Polen: Kępno). Er studierte Jura und promovierte danach an der Breslauer Universität. Nach seinem Studium arbeitete er als Rechtsanwalt am Breslauer Oberlandesgericht sowie betrieb eigene Praxis. Im April 1942 wurde er zusammen mit seiner Ehefrau von Breslau aus in das Durchgangsgetto Izbica im Distrikt Lublin deportiert. Höchstwahrscheinlich wurde er in einem der Vernichtungslager Bełżec oder Sobibór ermordet. Leszek (vollständiger Name anonym) Geboren im niederschlesischen Kłodzko. Er studierte an der Universität Wrocław und promovierte dort. In den 1980er-Jahren engagierte er sich beim Aufbau des jüdischen Lebens in der kleinen Gemeinde in Wrocław. Er lebt heute in Wrocław. Lewin, Reinhold Geboren 1888 in Magdeburg. Zwischen 1906 und 1912 studierte er am JüdischTheologischen Seminar und der Universität in Breslau und promovierte 1911. Bis 1913 arbeitete er als Lehrer an der Religionsschule in Breslau. In den Jahren 1913 bis 1920 war er als Rabbiner in Leipzig tätig. 1920 wurde er als Gemeinderabbiner nach Königsberg berufen. Ab Herbst 1938 amtierte Reinhold Lewin als Rabbiner der Breslauer jüdischen Gemeinde. Rabbiner Lewin wurde im März 1943 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Löwenberg, Fred (Ferdinand) Geboren 1924 in einer christlich-jüdischen Ehe in Breslau. Anfang der 1930er-Jahre trat er der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ bei. Ende 1942 wurde er durch die Breslauer Gestapo aufgrund seiner antifaschistischen Tätigkeit verhaftet. Anschließend wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Ende November 1944 wurde er in das KZ Neuengamme verschleppt. Dort erlebte er im Mai 1945 die Befreiung. Im August 1945 kehrte er in seine Heimatstadt Breslau zurück und war am Aufbau der Breslauer Antifa beteiligt. Kurz darauf wurden sein Büro geschlossen und
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die Antifa von polnischen Behörden zwangsaufgelöst. Danach wurde Fred Löwenberg durch den polnischen Sicherheitsdienst interniert. Nach eineinhalbjähriger Haft wurde er freigesprochen. Danach fand er als Bademeister in der Mikwe der jüdischen Gemeinde Anstellung. Im Oktober 1948 wanderte Fred Löwenberg nach Deutschland aus und ließ sich in Ostberlin nieder. Bis zu seinem Tode 2004 war er Vorsitzender der Berliner Vereinigung ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand. Marcus, Ernst Geboren 1890 in Breslau. Er besuchte das Breslauer Gymnasium „Zum Heiligen Geist“ und studierte Jura an den Universitäten Breslau und München. 1920 begann er als Rechtsanwalt am Land- und Amtsgericht sowie als Notar in Breslau seine berufliche Tätigkeit. Bereits im März 1933 wurde er von den „SA-Gewaltaktionen“ gegen die Breslauer jüdischen Anwälte betroffen. Gemeinsam mit seiner Frau wanderte er im September 1938 via Holland in die USA aus, wo er sich zunächst in New York niederließ. In den 1950er-Jahren zog er nach San Francisco, wo er als Buchhalter und Steuerberater tätig war. Ernst Marcus verstarb 1982 in San Francisco. Markowicz, Ernst Avraham Geboren 1901 in Breslau. Mitbegründer und aktives Mitglied der jüdischen Jugendbewegungsgruppe „Kameraden“ in Breslau. Avraham Markowicz studierte Chemie und promovierte 1926 an der Breslauer Universität. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Fritz Haber. In den 1930er-Jahren gelang ihm die Auswanderung nach Palästina. Ernst Avraham Markowicz starb 1979 in Israel. Masur, Mordechaj (ehemals Heinz Masur) Geboren 1918 in einer christlich-jüdischen Familie in Breslau. Nach seiner Ausbildung zum Klempner arbeitete er für die Breslauer Junkerswerke. Im Oktober 1942 heiratete er in Breslau eine jüdische Frau. Seither galt er als „Volljude“ und musste Zwangsarbeit in einer Marmeladenfabrik verrichten. Im März 1943 wurde er zusammen mit seiner Ehefrau und ihrem eineinhalbmonatigen Sohn von Breslau aus in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. In Auschwitz angekommen wurde Mordechaj Masur nach Buna-Monowitz zur Zwangsarbeit abkommandiert. Seine Frau und sein Sohn wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Infolge der „Evakuierung“ von Auschwitz gelangte er über das KZ Flossenbürg nach Bayern, wo er im April 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurde. Unmittelbar nach dem Krieg wanderte er nach Palästina aus und ließ sich in Ramat-Gan nieder. Neufliess, Werner Geboren 1908 in Breslau. Er absolvierte eine Berufsausbildung zum Gärtner. 1933 wanderte er in die Tschechoslowakei aus. Nach der Besetzung Prags durch die deut-
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schen Truppen wurde er verhaftet und in das Gettolager Theresienstadt deportiert. Dort überlebte er den Krieg. Nach dem Ende des Krieges wanderte er nach Israel aus. Er ließ sich in Shavei Zion nieder und ging seinem erlernten Beruf als Gärtner nach. Werner Neufliess verstarb im Mai 2004 in Israel. Neumann, Otto Geboren 1882 in Breslau. Er studierte Medizin an der Universität Breslau. Nach dem Studium war er als angesehener Zahnarzt in Breslau tätig. Dr. Otto Neumann bemühte sich um die Auswanderung von über 300 Breslauer Juden aus Deutschland. Seine Bestrebungen blieben jedoch erfolglos. Im April 1942 wurde er in das Durchgangsgetto Izbica im Distrikt Lublin deportiert. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Newton, Harvey P. (ehemals Hermann Neustadt) Geboren 1920 in Breslau. Nach dem Abitur absolvierte er eine landwirtschaftliche Ausbildung im jüdischen Auswanderer-Lehrgut „Groß-Breesen“. Infolge des Novemberpogroms 1938 wurde er mit anderen Jugendlichen und der Leitung des Lehrguts verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Im Dezember 1938 wurde er aus der Haft in Buchenwald entlassen. Kurz darauf gelang ihm die Ausreise aus Deutschland. Über Holland wanderte er 1940 in die USA aus. Harvey Newton diente dann in der Amerikanischen Armee und kam am Ende des Zweiten Weltkrieges nach Europa. Er studierte und promovierte an der Rutgers University in New Jersey. Harvey Newton verbrachte seine letzten Jahre in Costa Rica und starb dort 1998. Nossen, Wolfgang Geboren 1931 in Breslau. Sein Vater wurde 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Da seine Mutter Ende der 1930er-Jahre zur evangelischen Religion zurückkehrte, konnte sie zunächst ihre Kinder vor der Deportation schützen. Im Frühjahr 1945 gelang es der Familie Nossen, unterzutauchen und bis zur Befreiung im Mai 1945 durch die Rote Armee im Versteck zu überleben. Im Herbst 1945 zog Wolfgang Nossen mit seiner Familie nach Erfurt. 1948 wanderte er nach Israel aus und nahm am Unabhängigkeitskrieg teil. Wolfgang Nossen kehrte nach Deutschland zurück und stand von 1995 bis 2012 der jüdischen Gemeinde in Thüringen vor. Er lebt heute in Erfurt. Orni, Efraim Geboren 1915 in Breslau. 1933 schloss er ein Gymnasium in seiner Geburtsstadt ab. Von 1935 an arbeitete er als Hebräischlehrer bei der jüdischen Gemeinde in Ratibor (im heutigen Polen: Racibórz). 1938 fand er eine Anstellung als Hebräischlehrer im „Hachschara-Lager Gut Winkel“. In demselben Jahr wanderte er nach Palästina aus
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und arbeitete zunächst in der Landwirtschaft in einem Kibbuz. Nach dem Krieg war er für den Jüdischen Nationalfonds (Keren Kajemeth LeIsrael) als Journalist und Geografielehrer tätig. Pick, Ismar Geboren 1918 in Breslau. Im März 1943 wurde er von Breslau aus in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort angekommen wurde er zur Zwangsarbeit in Auschwitz III (Buna Monowitz) verschleppt. Ismar Pick überlebte in Auschwitz den Krieg, und nach seiner Befreiung wanderte er in die USA aus. Er ließ sich in Providence nieder. Ismar Pick starb 1996 in Florida. Pike, Rubin Evelyn (geb. Popielarz) Geboren 1930 in Breslau. Im März 1939 wanderte sie mit ihren Eltern nach Schanghai aus. Im Frühling 1947 gelang ihr von Schanghai aus die weitere Auswanderung in die USA. In den USA publizierte sie Erinnerungen über ihr Leben im Getto Schanghai. Polke, Max Moses Geboren 1895 in Breslau. Er studierte Jura, Nationalökonomie, Psychologie und Philosophie an der Breslauer Universität. Nach seinem Studienabschluss war er als Rechtsanwalt beim Breslauer Amts- und Landgericht tätig. 1930 wurde ihm ein Notariat übertragen. Max Polke engagierte sich in der zionistischen Ortsgruppe der „Misrachi“ in Breslau. 1935 verlor er seine Zulassung als Notar. Ab 1938 war er bei der Breslauer jüdischen „Arbeiter- und Wanderfürsorge“ beschäftigt. Infolge des Novemberpogroms 1938 wurde er verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Nach seiner Entlassung aus Buchenwald wanderte er mit seiner Familie nach Palästina aus und ließ sich in Petach Tikwa nieder. Ringiel, Dawid Geboren 1920 im polnischen Leżajsk. Dort besuchte er eine Cheder- und TalmudTora-Schule. Nach der deutschen Besetzung Polens im September 1939 floh er nach Przemyśl, das fortan unter der sowjetischen Herrschaft stand. Im Sommer 1941 wurde auch Przemyśl durch deutsche Truppen besetzt und Dawid Ringiel in das dortige Getto gepfercht. Von dort wurde er im Sommer 1943 in das Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska verschleppt. Im November 1943 gelang ihm die Flucht aus dem Lager. Er überlebte den Krieg im Versteck. Im Sommer 1945 kam er in Niederschlesien an und ließ sich in Wrocław nieder. In den Jahren 1994–1999 war er Vorsitzender des Vorstandes der jüdischen Gemeinde in Wrocław. Nach 1989 engagierte er sich in der Wiederbelebung des jüdischen Lebens in der Stadt. Dawid Ringiel starb 2013 in Wrocław.
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Ringer, Susi-Eva (geb. Weiss) Geboren 1920 in Breslau in einer christlich-jüdischen Familie. Nach dem Tod ihrer Eltern wuchs sie bei ihrer jüdischen Großmutter auf, die sie Anfang der 1930er-Jahre evangelisch taufen ließ. Ende November 1944 wurde sie aus Breslau mit anderen Mitgliedern der „Mischehen“ in das Arbeitslager Ostlinde verschleppt. Im Januar 1945 gelang ihr die Flucht aus dem Lager. Nach dem Krieg ließ sie sich im bayerischen Münchshöfen nieder. Schaefer, Harry Geboren 1894 in Breslau. Als Internist und Kardiologe war er von 1923 bis 1933 Privatdozent und schließlich außerordentlicher Professor an der Universität Breslau. Nach seiner Entlassung 1933 fand er zunächst als Oberarzt am israelitischen Krankenhaus in Breslau eine Anstellung. Er floh 1938 nach Palästina und emigrierte 1964 erneut, diesmal nach Italien. Harry Schaefer verstarb 1979. Schalscha, Sylvius 1911 trat er in die von seinem Vater gegründete „Reederei Josef Schalscha“ ein. Gemeinsam mit seinem Bruder baute er das Breslauer Unternehmen aus. Ab Frühjahr 1933 war Sylvius Schalscha der Verfolgung ausgesetzt und wurde im April 1933 als „Volksfeind“ in Schutzhaft genommen. Im Sommer 1938 wurde er gezwungen, sein Unternehmen aufzulösen. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde Sylvius Schalscha verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Nach seiner Entlassung Anfang 1939 gelang ihm die Auswanderung nach Großbritannien. Silberberg, Ruth (geb. Katzenstein) Geboren 1906 in Kassel. Sie studierte Medizin und promovierte 1931 an der Universität Breslau. Danach war sie als Assistentin am pathologischen Institut der Breslauer Universität tätig. Nach ihrer Entlassung 1933 wurde sie als Pathologin am jüdischen Krankenhaus in Breslau eingestellt. 1934 wanderte sie nach Kanada aus. Später wurde sie Professorin für Pathologie an der Washington University. In den späten 1970er-Jahren emigrierte sie nach Israel, wo sie 1997 verstarb. Silbermann, Frieda Geboren 1898 in Breslau. Seit 1915 betrieb sie das Geschäft ihrer Eltern in der Schweidnitzerstraße, das Haus- und Damenwäsche verkaufte. Während des Novemberpogroms 1938 wurde ihr Geschäft gestürmt und beschädigt. Kurz danach wurde sie dazu gezwungen, das Geschäft zu schließen. Frieda Silbermann wanderte im Juni 1939 nach Großbritannien aus und ließ sich in London nieder. 1958 zog sie zu ihrer Schwester nach Frankreich und verstarb dort 1963.
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Sternberg-Newman, Judith (geb. Sternberg) Geboren 1919 in Breslau. Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester arbeitete sie im Breslauer jüdischen Krankenhaus. Im März 1943 wurde sie in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Ihre Mutter und fünf Geschwister wurden in Auschwitz ermordet. Bei der „Evakuierung“ des Lagers gelangte sie unter anderem in die KZs Groß-Rosen und Ravensbrück. Judith Sternberg wurde Ende April 1945 bei Dresden durch alliierte Truppen befreit. Im Juli 1945 kehrte sie nach Breslau zurück. Kurz darauf verließ sie ihre Geburtsstadt und ging nach Hannover. 1947 wanderte sie in die USA aus. Judith Sternberg verstarb 2008 in Rhode Island. Singer, Günther Geboren 1922 in Breslau. Er absolvierte das jüdische Realgymnasium in Breslau und arbeitete danach als Verwaltungslehrling in der Breslauer jüdischen Gemeinde. Günther Singer wurde von Breslau aus in das Gettolager Theresienstadt deportiert und von dort in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. Nach seiner Befreiung kehrte er nach Breslau zurück und war als Sekretär des Komitees der Breslauer Juden tätig. Im Herbst 1945 ging er nach Erfurt und beteiligte sich dort am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde. 1953 verließ er die DDR und wurde Kantor in der jüdischen Gemeinde Hamburg. Günther Singer verstarb 1989 in Hamburg. Sklarz, Salo Alfred Geboren 1903 in Kempten in der Provinz Posen (im heutigen Polen: Kępno). Nach dem Ersten Weltkrieg zog er mit seinen Eltern nach Breslau, wo er Philosophie und Sprachen an der dortigen Universität studierte. 1928 schloss er sein Studium als Studienassesor ab. Salo Sklarz unterrichtete Englisch, Französisch und Latein am Johannes-Gymnasium. Nach 1933, nachdem er in den Ruhestand gezwungen worden war, fand er als Lehrer im jüdischen Reformgymnasium am Rhedigerplatz eine Anstellung. Anfang August 1939 wanderte er mit seiner Frau und zwei Kindern nach Großbritannien aus, wo er dann in London lebte. Salo Alfred Sklarz verstarb 1966 in London. Stern, Fritz Richard Geboren 1926 in Breslau. Der US-amerikanische Historiker besuchte das MariaMagdalenen-Gymnasium. Im September 1938 gelang es seiner Familie, in die USA auszuwandern. Stern studierte an der Columbia University in New York Geschichte und promovierte dort 1953. 1963 wurde er dort zum ordentlichen Professor für Geschichte berufen. Bis auf Unterbrechungen wegen zahlreicher Gastprofessuren in den USA und im Ausland blieb er bis zu seiner Emeritierung in dieser Position. Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist er als angesehener Historiker und Experte der deutschen Geschichte geschätzt.
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Anhang
Sucher, Stephanie Sarah Geboren 1917 in einer niederschlesischen Kleinstadt Freystadt (heutzutage Polen: Kożuchów). Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und dem Selbstmord ihres Vaters zog sie 1933 mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester nach Breslau. 1939 heiratete sie Moshe Sucher, einen polnisch-jüdischen Studenten des Breslauer Jüdisch-Theologischen Seminars. Im Frühjahr 1939, kurz nach ihrer Hochzeit, verließ ihr Mann Breslau Richtung USA. Stephanie Sucher konnte kurze Zeit darauf mit ihrer Schwester Breslau verlassen und ging zunächst nach Großbritannien. Später folgte sie ihrem Mann in die USA. Süsser, Hanna (geb. Herstein) Geboren 1896 in Krakau. Nach der Heirat mit Isias Süsser zog sie nach Breslau. Das Ehepaar hatte zwei Töchter, und Hanna Süsser betätigte sich als Hausfrau. Infolge der „Abschiebung“ der polnischen Juden aus Deutschland wurde sie am 27. Oktober 1938 mit ihrer Familie aus Breslau nach Polen abgeschoben. Sie kehrte in ihre Heimatstadt Krakau zurück. Hanna Süsser kam während der Schoah in Polen um. Die genauen Umstände ihres Todes sind nicht bekannt. Tausk, Walter Geboren 1890 in Trebnitz (heute Polen: Trzebnica). Er besuchte ein Gymnasium im niederschlesischen Hirschberg und absolvierte eine Tischlerlehre. Nach der Ausbildung arbeitete er als Handelsvertreter für Möbel und Einrichtungsgegenstände in Breslau. Darüber hinaus betätigte er sich als Schriftsteller. Im November 1941 wurde er während der ersten Massendeportationen aus Breslau in das litauische Kaunas deportiert und dort unmittelbar nach seiner Ankunft erschossen. Er ist Autor des „Breslauer Tagebuches, 1933–1940“, das ein erschütterndes Zeugnis der Verfolgung der Breslauer Juden darstellt. Teichmann, Benno Stammte aus Breslau. Zusammen mit einer Gruppe Breslauer jüdischer Jugendlicher bereitete er sich im oberschlesischen „Hachschara-Lager“ in Ellguth auf die Auswanderung nach Palästina vor. Am 10. November 1938 verhaftete ihn die Gestapo in Ellguth und verschleppte in das Konzentrationslager Buchenwald. Nach seiner Entlassung im Februar 1939 verließ er Ellguth und begab sich nach Holland. Von dort gelangte er höchstwahrscheinlich nach Palästina. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt. Teitelbaum, Paula (Perl, Pola) Geboren in Wrocław. In ihrer Geburtsstadt besuchte sie die jüdische Schule „SzolemAlejchem“. Im August 1967 emigrierte sie mit ihren Eltern in die USA, wo sie dann in New York lebte. Paula Teitelbaum studierte Sprachwissenschaften am Columbia
Kurzbiografien
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University’s Teachers College. Sie lebt in New York und arbeitet als Englisch- und Spanischlehrerin und unterrichtet Yiddisch im YIVO Institute. Trostorff, Klaus Geboren 1920 in Breslau. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre in seiner Geburtsstadt. 1943 verhaftete ihn die Breslauer Gestapo. Kurz danach wurde er im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert und musste Zwangsarbeit im Sauckel-Rüstungswerk verrichten. Im April 1945 erlebte er die Befreiung im Lager. Er kehrte nach Breslau zurück und fand dort seine Mutter, die vorher im Konzentrationslager Groß-Rosen inhaftiert war. Im August 1945 verließ er Breslau und ging nach Erfurt. 1948 nahm er das Jurastudium und das der Gesellschaftswissenschaften an der Universität Jena auf. Nach dem Studium war er als politischer Mitarbeiter der SED tätig und wurde später Bürgermeister von Erfurt. Im September 1969 wurde er zum Direktor der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald. Klaus Trostorff lebt heute in Erfurt. Unikower, Franz Geboren 1901 in Breslau. 1919 wurde er zum Sekretär der Jüdischen Arbeiterfürsorge. Franz Unikower studierte Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin und Breslau und promovierte 1922. 1926 nahm er den Posten des Amts- und Landrichters in Breslau auf. In den Jahren 1929 bis 1933 war er als Rechtsanwalt tätig. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde er im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Ab 1940 musste er Zwangsarbeit in Breslau leisten. Im März 1943 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Nach der „Evakuierung“ von Auschwitz wurde er über die KZs Mittelbau und Ravensbrück nach Wöbbelin verschleppt, wo er Anfang Mai 1945 durch US-Truppen befreit wurde. Er ließ sich zunächst in Mecklenburg nieder und engagierte sich beim Aufbau der jüdischen Gemeinden. In den Jahren 1948 bis 1952 war er Vorsitzender des Strafsenats am Oberlandesgericht Schwerin. 1956 flüchtete er nach Westdeutschland und fand eine Anstellung im Vorstand der jüdischen Gemeinde in Frankfurt. Franz Unikower starb 1997 in Langen. Vogelstein, Hermann Geboren 1870 in Pilsen (im heutigen Tschechien: Plzeň). Er studierte orientalische Sprachen an den Universitäten Berlin und Breslau und war Student am Breslauer Jüdisch-Theologischen Seminar. 1894 folgte seine Promotion. In den Jahren 1895 bis 1897 amtierte er zunächst als Rabbiner in Oppeln (Opole), danach (1897–1920) in Königsberg. 1920 wurde er als Rabbiner nach Breslau berufen. Zu seiner Zeit gehörte er zu den führenden liberalen Rabbinern in Deutschland. 1938 emigrierte er nach Großbritannien und anschließend 1939 in die USA. Dort war er im New York Board of Jewish Ministers und in der Association of Reform Rabbis tätig. Hermann Vogelstein verstarb 1942 in New York.
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Anhang
Walk, Alexander Geboren 1892 in Tilsit/Ostpreußen (im heutigen Russland: Sowjetsk). 1900 zog er mit seinen Eltern nach Breslau. 1912 nahm er sein Medizinstudium an der Breslauer Universität auf und absolvierte 1920 sein Doktorexamen. 1938 nahm er als Arzt im Breslauer jüdischen Krankenhaus seine Tätigkeit auf. Am 10. November 1938 wurde er infolge des Pogroms in Breslau verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Nach einmonatiger Haft in Buchenwald gelang ihm die Auswanderung nach Italien. Von dort gelangte er auf illegalem Wege nach Palästina. Walk, Joseph Geboren 1914 in Breslau. 1932 nach seinem Abitur am Breslauer Reformgymnasium nahm er sein Studium am jüdischen Lehrerseminar in Köln auf. Nach dem Studium fand er als Lehrer eine Anstellung an der jüdischen Volks- und Höheren Schule in Breslau. Von 1931 bis 1936 war er als Pädagoge und Lehrer in Gruppen der religiösen „Jugendalijah“ und als Erzieher an der Rabbinischen Lehranstalt in Frankfurt a. M. tätig. 1936 emigrierte er nach Palästina. Dort arbeitete er ab 1942 als Lehrer in Sde Yaacov. Nach dem Studium der Pädagogik und jüdischer Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrte er in den Jahren 1964 bis 1981 als Dozent für Pädagogik an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan. Von 1978 an leitete er das Leo Baeck Institut in Jerusalem. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur deutschjüdischen Geschichte und leistete einen großen Beitrag zum Verständnis zwischen Christen und Juden. Joseph Walk verstarb 2005 in Jerusalem. Wanderer, Hannelore (geb. Breitkopf ) Geboren 1922 in Breslau. Nach ihrer Ausbildung zur Modistin arbeitete sie ab 1938 in einem Breslauer Modesalon. Im Laufe des Jahres 1944 wurde sie in das Arbeitslager in Ostlinde verschleppt und musste dort Zwangsarbeit verrichten. Sie überlebte den Krieg und kehrte in ihre Geburtsstadt zurück. Im Herbst 1945 gelang sie mit anderen überlebenden Breslauer Juden nach Erfurt und von dort nach Fulda und Frankfurt a. M. Im August 1946 wanderte sie in die USA aus. Dort lebte sie zunächst in Portland und zog später nach Seattle. Hannelore Wanderer lebt heute in Seattle und engagiert sich bei dem Jewish Club of Washington. Weiß, Lothar Stammte aus einer christlich-jüdischen Familie, die in Breslau wohnhaft war. Bereits seit 1942 wurde er regelmäßig zur Breslauer Gestapo bestellt, wo er misshandelt wurde. Im Oktober 1944 wurde er mit einer Gruppe der in den christlich-jüdischen Ehen lebenden Breslauer Juden zur Zwangsarbeit nach Blankenburg im Harz verschleppt. Er musste Zwangsarbeit im Stollenbau und bei Verladearbeiten in den Lagern Lauseberge/Oesig leisten. Ende April 1945 erlebte er die Befreiung durch die alliierten
Kurzbiografien
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Truppen. Nach dem Krieg ließ er sich in Halberstadt nieder und arbeitete als Stahlbauschlosser. Witkowski, Lutz Geboren 1925 in Berlin. Er verbrachte seine Kinderjahre in Breslau. 1939, nach dem Tod seiner Mutter verließ er mit seinen Tanten und Onkeln Breslau und wanderte nach Schanghai aus. Nach dem Krieg versuchte er, illegal nach Palästina einzuwandern und wurde auf Zypern für zwei Jahre interniert. Danach in Israel angekommen, arbeitete er als Flugzeugtechniker. Später ließ er sich in Deutschland nieder. Er zog nach Frankfurt a. M. und erlernte den Beruf des Medizintechnikers. Wolff, Karla (geb. Grabowski) Geboren 1928 in Breslau in einer christlich-jüdischen Ehe. Zwischen 1933 und 1945 erlebte sie unmittelbar die Verfolgung und Ermordung der Breslauer Juden. Im Rahmen des Zwangsarbeitseinsatzes arbeitete sie als Aushilfskraft im jüdischen Altenheim und begleitete die zur Deportation bestimmten Breslauer Juden zur Sammelstelle. Ab Sommer 1943 arbeitete sie auf der jüdischen Krankenstation auf dem Jüdischen Friedhof Cosel. In den letzten Monaten des Krieges versteckte sie sich zusammen mit ihrem Vater bis zur Eroberung der Stadt durch die Rote Armee. Im September 1945 verließ sie mit ihren Eltern Breslau und ging zunächst nach Erfurt. Nach ihrer Vorbereitung im „Hachschara-Lager Gehringshof“ erreichte sie im November 1947 auf illegalem Wege Palästina. Sie lebt heute im nordisraelischen Nahariya. Wollmann, Lili (geb. Meyer) Arbeitete als Kinderfürsorgerin und Vertreterin des „Jüdischen Frauenbundes“ bei der Breslauer jüdischen Gemeinde. Während der „Ausweisung“ der polnischen Juden aus Breslau im Oktober 1938 unterstützte sie die polnisch-jüdischen Ausgewiesenen. Sie verließ Breslau im Februar 1939 und emigrierte zunächst nach Ecuador und später in die USA. Zylbertal, Cyla (geb. Berman) Geboren 1931 im polnischen Zamość. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verbrachte sie ihre Kinderjahre in Biłgoraj. Nach der deutschen Besetzung Polens gelang es ihrer Familie im Januar 1940, in die Sowjetunion zu fliehen. Ein halbes Jahr später wurde sie mit ihrer Familie durch die Sowjets nach Sibirien deportiert. Im März 1946 kam sie im Rahmen der „Repatriierung“ der polnischen Staatsbürger aus der Sowjetunion in Wrocław an. Sie studierte an der Technischen Hochschule Wrocław Chemie und arbeitete dann in der Stadt als Ingenieurin. Cyla Zylbertal verstarb 2012 in Wrocław.
Register
Orte Affula 530 Alaska 251 Altona-Blankensee 518 Alzenau 527 Ann Arbor 519 Aschkelon 16, 470, 523 Atlit 471 Auschwitz-Birkenau (Konzentrations- und Vernichtungslager) 183, 214, 250, 253, 266, 276, 277, 289, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 305, 307, 311, 314, 344, 348, 351, 357, 413, 454, 464, 518, 524, 529, 530, 531, 532, 533, 535, 537, 539 Australien 244, 398, 420, 424, 519 Ägypten 410 Bad Arolsen 27, 342, 343 Barkowo (Groß-Bargen) 303, 314, 316, 454 Basel 526 Bat Yam 530 Bautzen 421 Bayern 533 Beit Lohamei HaGhetaot 469 Belgien 239, 240 Bełżec (Vernichtungslager) 235, 250, 273, 277, 285, 286, 531, 532 Bergen-Belsen (Konzentrationslager) 250, 298, 319, 407, 518, 524, 525, 529, 532 Berlin 18, 44, 49, 50, 73, 77, 78, 79, 108, 116, 119, 121, 124, 126, 128, 170, 178, 217, 224, 227, 232, 236, 237, 240, 249, 253, 254, 261, 262, 270, 276, 278, 279, 283, 289, 308, 309, 317, 362, 371, 420, 421, 448, 469, 470, 519, 520, 521, 526, 527, 528, 530, 531, 533, 539 Bensheim 465, 528 Bentheim 228 Beverly Hills 470 Białystok 368
Bielawa (Langenbielau) 367, 376, 451, 454 Biłgoraj 374, 380, 541 Blankenburg im Harz 315, 317, 318, 540 Bolzano 249 Borowiec 380, 520 Boryslaw (Borysław)523 Böhmen und Mähren 279, 282 Brasilien 243 Brody 520 Brzeg (Brieg) 270, 275, 276, 277, 454 Brzeg Dolny (Dyhernfurth) 530 Brzeźno (Groß-Breesen) 149, 221, 222, 228, 229, 454, 462, 527, 534 Buchenwald (Konzentrationslager) 43, 126, 165, 166, 185, 191, 192, 202, 203, 205, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 228, 236, 237, 243, 304, 318, 357, 361, 465, 520, 524, 528, 532, 534, 535, 536, 539, 540 Budapest 464, 520 Bukołowo (Kurzbach) 314, 316 Bydgoszcz 368 Bytom (Beuthen) 176, 179, 181, 183, 184, 185, 287, 454, 531 Cambridge 526 Chemnitz 178 Chile 226, 227, 228, 528 Chojnice 178 Cleveland 521 College Park (Maryland) 523 Cordova 15 Costa Rica 534 Cottbus 421, 531 Crawley 470 Częstochowa 366, 367, 370, 521 Dachau (Konzentrationslager) 164, 165, 205, 318, 520, 530 Dänemark 245, 424, 522
544 Deerfield Beach 470, 518 Dessau 526 Dęblin 42, 370, 521 Dombrowa 367 Dortmund 448 Dresden 344, 537 Dubno 390, 520 Düsseldorf 421 Dzierżoniów (Reichenbach/ Rychbach) 354, 360, 367, 369, 376, 377, 381, 384, 406, 451, 454, 467, 530 Ecuador 241, 243, 541 Ein Charod 523 Ein Schemer 522, 529 Erfurt 357, 358, 359, 420, 465, 469, 519, 526, 534, 537, 539, 540, 541 Essen 448 Evian 225 Feldafing 530 Finnland 522 Florida 535 Flossenbürg (Konzentrationslager) 318, 520, 529, 530, 533 Fort Lee 470 Frankfurt am Main 44, 59, 68, 87, 88, 262, 448, 521, 539, 540, 541 Frankreich 63, 81, 193, 225, 243, 332, 398, 521, 536 Fulda 540 Galizien 81, 174, 175, 198 Gdańsk (Danzig) 17, 454 Gehringshof 420, 526, 541 Generalgouvernement 283, 531 Genf 197 Giwat Brenner 244, 246, 522 Gliwice (Gleiwitz) 454, 466 Głogów (Glogau) 273, 454 Görlitz 270, 273, 358, 359, 454 Greensboro 143 Großbritannien 59, 126, 128, 186, 209, 225, 238, 239, 240, 241, 243, 248, 249, 252, 332, 380, 519, 525, 526, 527, 536, 537, 538, 539 Groß-Masslewitz (Arbeitslager) 310
Register Groß-Rosen (Konzentrationslager) 317, 318, 319, 341, 344, 362, 364, 454, 520, 529, 537, 539 Grüntal (Arbeitslager) 303, 304, 314, 315, 316, 317, 318, 319, 346, 454, 519, 520, 521, 526 Gut Winkel 108, 210, 244, 522, 524, 534 Haifa 109, 210, 244, 469, 471, 518, 523, 524, 525 Halberstadt 541 Hamburg 126, 232, 537 Hannover 217, 265, 448, 464, 537 Hauts-de-Seine 470 Heidelberg 522, 526 Helsinki 245 Herzliya 43, 522 Hessen 283 Holon 469 Hundsfeld (Arbeitslager) 310, 311 Israel 13, 15, 16, 20, 27, 28, 69, 227, 234, 235, 242, 243, 336, 337, 358, 369, 389, 391, 394, 395, 397, 398, 404, 405, 408, 409, 410, 413, 415, 423, 424, 426, 459, 465, 520, 522, 523, 524, 526, 528, 529, 530, 531, 533, 534, 536, 541 Istanbul 245 Italien 242, 249, 536, 540 Izbica (Getto) 190, 235, 244, 250, 252, 275, 276, 283, 284, 285, 286, 527, 531, 532, 534 Jalta 340 Jelenia Góra (Hirschberg) 376, 538 Jena 539 Jerusalem 25, 26, 28, 235, 246, 281, 464, 469, 471, 518, 520, 524, 540 Kalifornien 28, 298, 460, 470, 529 Kaliningrad (Königsberg) 79, 178, 448, 532, 539 Kamienna Góra (Landeshut) 270, 273, 454 Kanada 132, 391, 523, 536 Karlsruhe 230, 526 Karpacz (Krummhübel) 314, 454 Kassel 536
Register Katowice (Kattowitz) 179, 181, 182, 401, 454, 520 Kaunas 247, 253, 277, 281, 282, 454, 465, 522, 527, 538 Kępno (Kempen) 247, 248, 454, 532, 537 Kfar Saba 470 Kielce 368, 391, 392, 402 Kiryat Anavim 524 Kiryat Motzkin 469 Klagenfurt 242 Klettendorf (Arbeitslager) 310 Kluczbork (Kreuzburg) 528 Kłodzko (Glatz) 376, 384, 451, 532 Koźle (Cosel) 252, 526, 527 Kożuchów (Freystadt) 181, 454, 538 Köln 150, 151, 448, 540 Krakau 180, 181, 182, 366, 369, 384, 425, 426, 451, 454, 524, 528, 530, 538 Krasnystaw 286 Krzeszów (Grüssau) 38, 267, 270, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 454 Kuba 230, 243 Kuranetz (Kurzeniec) 526 Langen 539 Lauseberge/Oesig (Arbeitslager) 318, 540 Legnica (Liegnitz) 376, 451 Leipzig 178, 529, 530, 532 Leningrad (Sankt Petersburg) 143 Leżajsk 371, 535 Lido Beach 470 Ligota Ścinawska (Ellguth-Steinau) 149, 184, 185, 454, 464, 538 Litauen 247, 253, 278, 281 Litzmannstadt (Getto) 190 London 201, 209, 225, 226, 235, 239, 469, 470, 521, 522, 531, 532, 536, 537 Los Angeles 470, 519 Lubań (Lauban) 273, 454 Lubiąż (Leubus) 260, 454 Lublin 190, 235, 244, 250, 252, 273, 275, 276, 277, 283, 284, 286, 287, 332, 366, 370, 419, 520, 531, 532, 534 Ludwigshafen 230 Lübeck 521 Lv’iv (Lwów) 365, 369, 371, 454, 530, 535 Łódź 26, 173, 367, 370, 375, 401, 419, 451
545 Madison 470, 520 Magdeburg 448, 532 Majdanek (Konzentrationslager) 527 Mannheim 67 Mauthausen (Konzentrationslager) 348 Mazor 242, 464, 524 Mecklenburg 530, 539 Miękinia (Nimkau) 464 Milwaukee 470 Minden 264, 265 Mittelbau-Dora (Konzentrationslager) 315, 318, 539 Modiin 243 Moshav Merchavia 530 Moshav Zafriya 471 Moskau 143, 245 Munkács 311 München 200, 465, 470 Münchshöfen 536 Nahariya 469, 523, 541 Netanya 469 Neudorf 317 Neuengamme (Konzentrationslager) 361, 532 Neukirch (Arbeitslager) 310 Neumark 332 Neuseeland 244 Neustrelitz 520 New Jersey 534 New York 25, 27, 250, 297, 353, 376, 412, 413, 423, 463, 469, 470, 518, 519, 521, 523, 527, 533, 537, 538, 539 Niederlande 185, 192, 228, 229, 239, 533, 534, 538 North Carolina 143 Nürnberg 200 Nysa (Neisse) 529 Oberfranken 345 Oberpfalz 317, 519 Oberschlesien 50, 79, 85, 182, 184, 252, 274, 375, 451, 459 Ober-Lausitz 269 Odessa 245 Omaha 470 Opole (Oppeln) 539
546 Oschatz 344 Ostlinde (Arbeitslager) 315, 316, 358, 454, 521, 536, 540 Ostpreußen 332 Österreich 165, 176, 225, 241, 279, 282, 286 Paczków (Patschkau) 529 Palästina 83, 94, 104, 107, 108, 109, 111, 123, 132, 147, 149, 168, 172, 184, 186, 192, 203, 210, 225, 226, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 336, 353, 379, 380, 381, 393, 400, 401, 408, 420, 518, 520, 522, 523, 524, 525, 528, 529, 530, 531, 533, 534, 535, 536, 538, 540, 541 Palm Isle 470 Paris 167, 191, 193, 235, 245, 420, 519 Pear Harbor 241 Perth 420, 519 Petach Tikwa 237, 242, 469, 471, 524, 528, 535 Philadelphia 251, 470 Piaski 190 Płaszów (Konzentrationslager) 524 Plzeň (Pilsen) 539 Pommern 332 Portland 540 Portugal 521 Potsdam 332, 340 Poznań (Posen) 42, 50, 78, 79, 178, 210, 247, 451, 454, 532, 537 Prag 520, 533 Prędocice (Tormersdorf ) 38, 267, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 277, 278, 454 Providence 535 Prudnik (Neustadt O.S.) 149, 454 Przemyśl 535 Pumbedita (Pumpedita) 15 Racibórz (Ratibor) 534 Radom 366 Radzionków 179, 454 Ramat Gan 471, 533, 540 Ravensbrück (Konzentrationslager) 344, 530, 537, 539 Regensburg 530
Register Rehovot 210, 470, 524 Rheinland 283 Rhode Island 537 Riga 419 Rischon LeZion 469, 525 Riwne (Rowno) 400 Rom 413 Rothenburg/Oberlausitz 269 Rumänien 192, 523 Russland 42, 79 Rybna (Riebnig) 38, 267, 270, 274, 275, 276, 277, 278, 290, 454 Rzeszów 366, 368 Saad 469 Sachsen 283 Sachsenhausen (Konzentrationslager) 165, 205 Sambir (Sambor) 518 San Francisco 520, 527, 533 Santo Domingo 252 Schanghai 192, 232, 238, 241, 242, 243, 464, 523, 527, 535, 541 Schaudorf 318 Schwaben 283 Schweden 203, 239, 240, 424, 522 Schweiz 239, 240, 297, 527, 530 Schwerin 539 Sde Yaacov 540 Seattle 470, 540 Semering 242 Shavei Zion 534 Sibirien 374, 541 Silberhausen 360 Skierniewice 173 Sobibór (Vernichtungslager) 250, 273, 277, 285, 286, 531, 532 Sowjetsk (Tilsit) 540 Sowjetunion 199, 270, 332, 334, 335, 337, 341, 365, 372, 373, 374, 377, 382, 383, 386, 389, 399, 404, 405, 409, 410, 460, 518, 522, 524, 525, 527, 541 Stockholm 143, 245, 526 Straßburg 527 Stuttgart 182, 470, 526 Strzelin (Strehlen) 454 Strzegom (Striegau) 454
547
Register Südamerika 227, 519 Spanien 63, 521 Szczecin (Stettin) 17, 79, 230, 367, 368, 375, 401, 454, 448, 451 Świdnica (Schweidnitz) 120, 451, 454 Tarnów 407, 524 Tel Aviv 16, 235, 274, 463, 464, 469, 471, 520, 529, 531 Theresienstadt (Gettolager) 38, 183, 261, 273, 275, 276, 277, 287, 288, 289, 290, 295, 296, 297, 307, 312, 313, 314, 345, 357, 361, 454, 518, 527, 534, 537 Thüringen 358, 360, 534 Toledo 15 Tomaszów Mazowiecki 173 Toronto 470, 523 Treblinka 288, 289, 370, 521 Triest 235, 242, 244, 522 Trzebnica (Trebnitz) 149, 454, 538 Tschechoslowakei 109, 120, 123, 226, 241, 242, 282, 285, 337, 361, 402, 524, 533 Türkei 522
426, 428, 518, 519, 520, 521, 523, 525, 527, 529, 530, 531, 533, 534, 535, 537, 538, 539, 540, 541 Wachtberg-Niederbach 470 Wałbrzych (Waldenburg) 367, 376, 384, 406, 451, 455, 469 Warschau 26, 27, 173, 190, 199, 341, 343, 350, 355, 360, 384, 391, 394, 419, 425, 451, 455, 460, 466, 469, 530 Washington 235, 531, 536 Weimar 203, 206, 209 Werkdorf im Wieringermeer 229 Werlte 217, 265 West Kingstown 470 Westfalen 264, 265 Westpommern 342, 372 Wien 242, 281, 258, 520 Wilna 15, 365, 400 Wladiwostok 143 Worms 15 Wöbbelin 539 Würzburg 518 Yokohama 143
Ukraine 520 Ungarn 337 Vereinigte Staaten von Amerika 13, 28, 37, 45, 129, 143, 168, 182, 186, 187, 214, 223, 224, 225, 229, 230, 234, 238, 242, 243, 248, 250, 251, 297, 298, 332, 337, 394, 398, 412, 413, 420, 421, 422, 424,
Zamość 374, 541 Zbąszyń 178, 179, 183, 189, 193, 454 Zielona Góra (Grünberg) 315 Zimpel 42 Zürich 197 Zypern 541 Żmigród (Trachenberg) 314, 316, 455, 518
Personen Abraham, Hans Werner 290, 291, 293, 518 Abraham, Susanne 290 Adler, Esther (geb. Ascher) 76, 80, 81, 174, 185, 186, 188, 470, 518 Aghassi, Steffi (geb. Bott) 313, 518 Angress, Werner 462 Arkwright, Kenneth James 98, 99, 100, 101, 142, 153, 156, 157, 158, 214, 216, 217, 218, 258, 263, 264, 278, 282, 288, 302,
303, 304, 311, 316, 317, 345, 351, 355, 356, 420, 421, 468, 469, 470, 519 Ascher, Abraham 37, 69, 81, 174, 175, 179, 185, 186, 469, 519 Ascher, Feiga 185, 186, 519 Ascher, Henry 185, 186 Ascher, Jacob 185, 186, 519 Ascher, Max 175, 185, 186 Atzmon-Cohn, Ruth (geb. Cohn) 42, 43, 243, 247, 469, 522
548 Aufrichtig, Frieda 216, 217, 218, 302, 303, 304, 420 Aufrichtig, Rudolf 216, 217, 218, 264, 265, 302, 303, 304, 316, 420 Bachner, Henryk 470 Badt, Hermann 56 Baeck, Leo 74, 221 Baed, Leo 153 Baer, Bernhard 210, 211 Baer, John J. 128, 129, 141, 159, 160, 210, 470, 519 Baer, Marta 211 Bandmann, Eugen 57, 462 Baral, Sabina 413, 414, 415, 428, 469, 519, 520 Barkai, Avraham 47, 52, 56, 130, 137, 160 Barnay, Paul 125, 126, 138, 139, 154, 462, 520 Becker, Fritz 150, 151 Benari, Rina 469 Benditt, Max 264, 265, 318, 466, 520 Benjamin, Siegbert 274 Benz, Wolfgang 114 Ben-Zwi, Itzhak 401 Ben-Zvi, Miriam 469 Bergen, Kurt 135, 233, 234, 238, 470, 520 Berger, Alice Helene 294 Berger, Arnold 294 Berger, Artur 294 Berger, Marianne Eva Gerda 294 Berger, Rita 470 Berman, Adolf 403 Berman, Henryk 374 Berman, Jakub 399, 406 Berman, Mina 374 Berman, Regina 374 Berstein, Meta 288, 289 Blau, Bruno 462, 463 Bogacz, Daniel 293 Bondy, Curt 221, 222, 228 Bott, Käthe 313, 314, 470, 518 Bott, Ludwig 313 Brann, Emma 72 Braunthal, Gerard 462 Brejt, Fryda 380 Brejt, Julian 380, 470, 520, 521
Register Brilling, Bernhard 463 Brod, Lusia 469 Brückheimer, Simon 465 Brückner, Helmuth 117, 126 Buber, Martin 82, 108, Bubis, Ignatz 42, 96, 101, 370, 371, 521 Bucheister, Freda 470 Buhl, Horst 315, 316, 521 Buhl, Ruth 315, 316, 521 Bułka, Gitla 470 Cahn, Lory 470 Caigier, Ilana 471 Carlebach-Rosenak, Bella 271, 462, 521 Cohen, Yohanan 401 Cohn, Annie 271 Cohn, Ernst Avraham 244, 245, 522 Cohn, Ernst 47, 59, 87, 114, 132, 226, 462, 521, 522 Cohn, Georg 57, 297, 352, Cohn, Gertrud 244, 245, 246, 247, 282 Cohn, Siegmund 119 Cohn, Susanne 245, 247, 282 Cohn, Tamara 245, 247, 282 Cohn, Willy 28, 42, 43, 62, 75, 81, 82, 93, 94, 100, 129, 137, 140, 157, 158, 172, 173, 175, 176, 190, 191, 202, 218, 220, 223, 244, 245, 246, 247, 248, 253, 258, 282, 330, 428, 440, 463, 522 Cohn, Wolfgang 245, 246, 470 Cukierman, Walenty 15, 408, 414, 522, 523 Degany, Lilia 471 Dorsey Lightfoot, Virginia 250, 251, 252 Drobner, Bolesław 340 Dura, Freddi 149, 523 Eckstein, Ernst 57 Eckstein, Klara 57 Egit, Jakub 354, 360, 363, 364, 389, 390, 391, 392, 406, 523 Eichmann, Adolf 281, 282, 283 Einstein, Albert 102 Eisenbach, Arie 471 Eisner, Erna (geb. Friedländer) 191, 192, 523 Elencwajg, Nachman 471
Register Elkin, Celia (geb. Zelmanowicz) 173, 174, 175, 186, 187, 523 Engels, Kurt 286, Englard, Willy 470 Eppstein, Paul 232 Erikson, Erik H. 33 Fabisch, Erna 241, 242 Fabisch, Fritz 241, 242, 464, 523, 524 Fabisch, Hannah 241 Fabisch, Heinrich 241, 242 Fabisch, Paul 203, 465, 524 Fajgenbaum, Sala 469 Feltenberg, Arthur 207 Fischer, Henriette 300 Foerder, Ludwig 119, 120, 123, 124, 154, 226, 463, 464, 524 Freund, Alfons 164, 319, 465, 524 Freyhan, Seev Wilhelm 20 Fridrich, Hans 216 Friedländer, Anna 43, 57 Friedländer, Alice 185 Friedländer, Mosche 463 Friedländer, Raphael 185, 186 Friedman, Eryk 382, 397, 398, 408, 469, 524 Frischler, Menachem 209, 210, 470, 524 Fuchs, Eugen 92, Fudem, Gizela 407, 423, 424, 470, 471, 524, 525 Fuks, Mina 470 Gassmann, Uri 94, 95, 101, 107, 471, 525 Gay, Peter 114 Gazit-Cohn, Tamar 469 Gerke, Ernst 287 Gilad, Batia 469 Giterman, Isaac 179 Gluskinos, Willi 212, 231, 232, 463, 464, 525 Goebels, Joseph 120, 193, 194, 201 Goldschmidt, Fritz 53, 462, 525 Goldsztejn, Włodek 415, 424, 469, 525 Gomułka, Władysław 394, 395 Göring, Hermann 215, 301 Grabowski, Adam 350
549 Grabowski, Fritz 304, 340, 346, 347, 352, 420, 421 Grabowski, Gertrud 304, 340, 346, 347, 420, 421 Graetz, Heinrich 74 Greenbaum, Leo 469 Gross, Jan Tomasz 39, 40 Gross, Natan 15 Gruenthal, Hans Chanan 108, 109, 471, 525 Grünwald, Max 67 Grynszpan, Herszel 191, 193 Gurewitz, Uli 398, 470, 526 Gutmann, Beate 72 Haber, Fritz 59, 97, 102, 526, 533 Hadda, Albert 350, 352, 353, 357, 464, 526 Hadda, Moritz 252, 253, 526, 527 Hadda, Sigmund 129, 142, 143, 166, 167, 201, 205, 218, 252, 258, 259, 260, 275, 297, 463, 527 Hadda, Hertha 297 Hadda, Wolfgang 96, 97, 100, 154, 155, 527 Hamburger, Bernhard 213, 527 Hamburger, Ernst 56, 462 Hampel, Alfred 279, 280, 290, 291, 298, 310 Hanke, Karl 269, 339 Hatzevi, Raphael 464 Hauschner, Mordechai 20 Hayn, Herbert 309 Heidenfeld, Georg 275, 290 Heilberg, Adolf 57, 122, 124, 462, 527 Hein, Mirjam Margot 471 Heines, Edmund 117, 119, 120, 121, 122 Helfritz, Hans 133 Heppner, Rrabbiner 77 Herstein, Isidor 180, 181, 189, 528 Herstein, Josef 180, 181, 189, 528 Herzl, Theodor 91 Hettling, Manfred 36 Heydrich, Reinhard 188, 193, 206 Himmler, Heinrich 177, 194, 200, 297, 527 Hirschberg, Josef 226, 227, 228, 528 Hirschberg, Lotte 70, 226, 227, 228, 462, 528 Hirschfeld, Heinz 203, 528
550 Hirschmann, Arthur Aron 207, 208, 211, 465, 528 Hitler, Adolf 116, 120, 141, 226, 228, 247, 363, 367 Hoffman, Ludwig 469 Hoffmann, Moses 68, 196, 206, 528 Holzer, Gabriel 140, 141, 183, 184, 469, 529 Hyman, Elijah 464, 469
Register
Kahan, Bente 427, 469 Kaszen, Anatol 469 Katzmann, Friedrich 198 Kedar, Miriam 64, 65, 134, 135, 471, 529 Kempner, Erich Bernhard 292, 293, 529, 530 Kichler, Jerzy 426, 469 Kohn, Hedwig 143, 530 Konieczny, Alfred 38, 268, 270, 273, 274, 312, 364 Konińska, Celina 369, 370, 464, 530 Konrad, Irmgard Ruth 86, 87, 470, 530 Koppens, Leon 186, 204 Korett, Ludwig 212 Korngrün, Charlotte 278, 282 Korngrün, Heinz 278, 282 Korngrün, Leopold 278, 282 Kovner, Aba 400 Kroll, Georg 268, 269 Ksinski, Ernst 274, 291, 292, 464, 530 Kuczyński, Ignacy 354 Kuschnitzki, Friedrich 343, 350, 354, 355 Künigl, Graf Philipp 248, 284
Laqueur, Walter 106, 107, 113, 156, 172, 173, 234, 235, 237, 238, 243, 250, 326, 327, 471, 531 Lasker, Alfons 247, 248, 249, 250, 252, 283, 284, 532 Lasker, Edith 247, 248, 250, 252, 283, 284 Lasker, Edward 248 Lasker, Marianne 247, 248, 249 Lasker, Renate 247, 248, 249, 250, 266, 283, 284, 531, 532 Lasker-Wallfisch, Anita 140, 247, 248, 249, 250, 266, 283, 284, 329, 462, 464, 469, 470, 531, 532 Latte, Konrad 253, 328, 329, 421, 462, 531 Latte, Manfred 253 Latte, Margarete 253 Lejder, Zelda 471 Lenarcik, Mirosława 36 Less, Georg 212, 232, 259 Levin, Roza 469 Levison, Ernest 464 Lewin, Grete 244 Lewin, Hugo 244 Lewin, Reinhold 155, 192, 214, 290, 532 Lewin, Ulrich 214 Lewinstein, David 471 Lewkowicz, Karol 469 Liegner, Lilli 462 Lightfoot, Virginia Dorsey 250, 251, 252, 468 Linkowski, Mojżesz 354, 355, 467 Lipman, Józef 469 Lipski, Józef 169, 170 London-Rosenbaum, Vera 15 Loose, Ingo 52 Löwenberg, Fred (Ferdinand) 64, 98, 361, 362, 464, 470, 532, 533 Ludnowsky, Erwin 309 Luxemburg, Rosa 43 Lagiewski, Maciej 37
Landsberg, Georg 57 Langer, Kate (geb. Leschinitzer) 259, 284, 285, 286, 287, 302, 359, 260, 465, 470, 531 Laqueur, Else 234, 235, 250 Laqueur, Fritz 234, 235, 250
Marcus, Ernst 116, 118, 121, 122, 123, 139, 157, 162, 163, 164, 214, 215, 223, 224, 462, 533 Marcus, Max 77 Markowicz, Ernst Avraham 59, 61, 463, 533 Marsch, Herbert 298, 316
Jabotinsky, Ze’ev 160 Jacobsohn, Max 83, 529 Jäger, Karl 247, 281, 465 Jonas-Goldstein, Anni 298, 529 Jonca, Karol 38, 178, 179 Jutkowski, Jisrael (Rudi) 63, 529
Register Masur, Mordechaj 293, 304, 305, 533 Masur, Ruth Irmgard 293, 305 Masur, Werner 469 Maurer, Trude 47, 60, 79 Meiring, Kerstin 97 Meyer, Beate 307 Mickiewicz, Adam 410 Miler, Dawid 371 Milton, Sybil 189 Minz, Hilary 399, 406 Moczar, Mieczysław 410 Müller, Heinrich 206 Müller, Roland B. 463 Müller, Hans 279 Netzer, Itzhak Zwo 401 Neufeld, Rabbiner 155, 156 Neufliess, Werner 54, 463, 533, 534 Neumann, Otto 250, 251, 252, 534 Neumann, Silvia 252 Neustadt, Irene 230 Neustadt, Max 222, 223, 230 Newton, Harvey 95, 96, 98, 100, 220, 221, 222, 223, 228, 229, 230, 462, 534 Nicholls, Stephen 462 Nicolai, Carl 217 Niewyk, Donald L. 55 Nisenbaum, Samek 469 Nossen, Luci 303, 304, 320, 339, 340, 347 Nossen, Max 303, 304, 346, 347, 348, 358 Nossen, Wolfgang 303, 304, 320, 321, 339, 340, 346, 347, 349, 358, 469, 534 Novik, Peysekh 376, 377 Ochab, Edward 372 Ollendorf, Paula 72, 462 Oppler, Edwin 194 Orni, Efraim 63, 107, 108, 109, 141, 142, 471, 534, 535 Osóbka-Morawski, Edward 393 Pastor Moehring 61 Paucker, Arnold 110 Perez, Aron 281 Pick, Ismar 280, 291, 535 Pike Rubin, Evelyn (geb. Popielarz) 242, 243, 421, 422, 462, 471, 535
551 Polke, Max Moses 235, 236, 237, 238, 535 Połomski, Franciszek 38 Popielarz, Benno 242, 243 Popielarz, Rika 242, 243 Posener, Moshe 243, 244 Pribatsch, Felix 77 Prinz, Joachim 70, 77 Pusch, Werner 194, 195, 199, 200, 201 Putzrath, Heinz 470 Rausmann, Klara 311, 464 Rauter, Hanns Albin 194 Rebitzki, Helmut 121, 122 Reichmann, Eva 93 Reinke, Andreas 36, 308 Ringer, Susi-Eva 299, 300, 470, 536 Ringiel, Dawid 371, 384, 414, 469, 535 Robak, Henryk 469 Rosé, Alma 532 Rosenak, Leopold 521 Rosenzweig, Franz 81 Rudberg, Hilde 471 Saul, Martin 272 Schaefer, Harry 132, 536 Schalscha, Erich 126 Schalscha, Sylvius 126, 464, 536 Schaefer, Clemens 143 Schaeffer, Rudolf 136 Scharpwinkel, Wilhelm 298, 299 Schäffer, Hans 56 Schein, Dina 471 Schlesinger, Ludwig 252 Schönwälder, Josef 164 Schreiber, Hans 355, 360 Schwarztz, Anzel 471 Schweda, Manfred 470 Seidemann, Adolf 463 Shakespeare 152 Silberberg, Ruth (geb. Katzenstein) 132, 536 Silbermann Alphons 14, 96 Silbermann, Frieda 127, 128, 536 Singer, Günther 357, 537 Sklarz, Benjamin 209, 465, 469 Sklarz, Eva 209 Sklarz, Ruth 209 Sklarz, Salo Alfred 208, 209, 537
552 Sprung, Willi 382, 383 Stalin, Josef 332, 340, 406 Stamfater, Cyril 371 Steffen, Katrin 34 Steinfeld, Stasiek 371 Stern, Fritz 41, 42, 45, 57, 97, 138, 160, 328, 329, 421, 469, 537 Stern, Rudolf 57, 87, 138, 421 Sternberg-Newman, Judith 344, 345, 356, 464, 470, 537 Striem, Hermann 464 Sucher, Moshe 182, 183, 329, 330, 538 Sucher, Stephanie 181, 182, 183, 239, 240, 243, 329, 330, 464, 538 Süsser, Hanna (geb. Herstein) 180, 181, 189, 538 Süsser, Osias 180, 181, 189 Swarten, Ester 470 Szaynok, Bozena 40 Szyjewicz, Grzegorz 469 Szwarc, Bronisława 469 Šimkus, Kazys 281 Tallert, Martin 344 Tauber, Ruth Luise 471 Tausk, Walter 27, 28, 117, 118, 129, 162, 180, 181, 282, 538 Teichmann, Benno 184, 185, 464, 538 Teichmann, Chaja 353 Teitelbaum, Paula 411, 412, 423, 469, 538, 539 Trajstman, Szulim 383 Tramer, Hans 464 Trostorff, Klaus 43, 44, 57, 148, 149, 202, 357, 470, 539 Trotzki, Leo 88 Tuckman, Ruth Marianne 470 Tylor, Myron Charles 250 Unikower, Franz 257, 265, 266, 306, 539 Veit, Susanne 276, 464 vom Rath, Ernst Eduard 167, 191, 193 von dem Bach-Zalewski, Erich 199, 200
Register von Donnersmarck, Graf Henckel Lazarus 248 vonHindenburg, Paul 116 von Plato, Alexander 21 van Rahden, Till 36, 56, 66, 99, 100, 101, 114 Vogelstein, Hermann 68, 83, 84, 155, 156, 187, 188, 304, 539 Walk, Alexander 202, 464, 540 Walk, Joseph 68, 69, 89, 109, 463, 471, 540 Wanderer, Hannelore (geb. Breitkopf) 358, 470, 540 Warschauer, Ernst 463 Wassermann, Jakob 94 Waszkiewicz, Ewa 40 Web, Marek 469 Weiss, Egon 300 Weiss, Erna 300 Weiss, Yfaat 170, 171 Weiß, Lothar 317, 318, 540, 541 Weltsch, Robert 144 Wiener, Alfred 48 Witkowski, Lutz 61, 62, 541 Witte, Max 121 Wodziński, Marcin 428 Wolff, Karla (geb. Grabowski) 66, 192, 290, 294, 295, 296, 304, 307, 308, 309, 310, 311, 340, 346, 347, 348, 352, 420, 421, 468, 469, 541 Wollmann, Lili (geb. Meyer) 187, 202, 240, 241, 243, 463, 541 Wulkan, Emil 355, 360 Zachariasz, Szymon 467 Zelmanowicz, Gitel 173, 175, 186, 187 Zelmanowicz, Lipman 173, 174, 175, 186, 187 Ziątkowski, Leszek 38, 39 Zielicki, Paweł 350 Zukerman, Itzhak 364, 403 Zylbertal, Cyla (geb. Berman) 374, 375, 415, 469, 471, 541 Żelechower-Aleksiun, Mira 469
FRANK WOLFF
NEUE WELTEN IN DER NEUEN WELT DIE TRANSNATIONALE GESCHICHTE DES ALLGEMEINEN JÜDISCHEN ARBEITERBUNDES 1897–1947 (INDUSTRIELLE WELT, BAND 86)
Diese Geschichte des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes analysiert die Gegenseitigkeit von Massenmigration und sozialer Massenbewegung. Der 1897 gegründete Bund wandelte sich von einem Protagonisten des revolutionären Russland zu einer Institution gelebter Yidishkayt. Das Buch zeichnet dies als Geschichte sozialer Praktiken nach. Es folgt zudem tausenden Aktivisten nach New York und Buenos Aires und erkundet eine unbekannte Vernetzungsgeschichte von Menschen und Organisationen zwischen 1897 und 1947. Anhand von Memorik, Treffen, Gewerkschafts- und Bildungsarbeit sowie Fundraising entsteht daraus eine detaillierte Sozialgeschichte dieser beidseitig des Atlantiks bedeutenden, transnationalen Bewegung. 2014. 558 S. 3 S/W-ABB. ZAHLR. GRAFIKEN UND TAB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22211-6
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Willy Cohn
Kein ReCht, niRgends BResl aueR tageBüCheR 1933–1941 eine ausWahl heR ausgegeBen von noRBeRt ConR ads
Der Breslauer Historiker Willy Cohn (1888–1941) ist der wichtigste Autor seiner Gene ration für das jüdische Breslau. Er kannte die Stadt und die jüdische Gemeinde wie kaum ein zweiter. Mit seinen hier in einer Auswahl vorge legten Tage buchaufzeichnungen, die er im geheimen bis zu seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten 1941 führte, liegt erstmals ein umfassender Augen zeugenbe richt über den Untergang der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands vor. 2008. 369 S. 17 S/w-Abb. Auf 16 TAf. Gb. miT Su. iSbN 978-3-412-20139-5
»Mit der Veröffentlichung seiner Tagebücher ist Willy Cohn nun ein Denk mal gesetzt – als dem, nach Victor Klemperer, wichtigsten Chronisten des Schicksals jüdischer Deutscher in Zeiten der finstersten Barbarei.« Volker Ullrich, DIE ZEIT »Aufschlussreicher als Klemperer.« Walter Laqueur, Die Welt
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