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Italian, English Pages 304 [302] Year 1999
JESU LEHREN IM THOMASEVANGELIUM
NAG HAMMADI AND
MANICHAEAN STUDIES FORMERLY
NAG HAMMADI STUDIES
EDITED BY
s.
EMMEL & H.]. KLIMKEIT
t
Editorial Board H. W. Attridge, R. Cameron, W.-P. Funk, C. W. Hedrick, H.Jackson, P. Nagel,]. van üort, D.M. Parrott, B.A. Pearson,].M. Robinson, K. Rudolph, H.-M. Schenke,W. Sundermann
XLVII
JESU LEHREN IM THOMASEVANGELIUM BY
THOMAS ZÖCKLER
BRILL LEIDEN' BOSTON' KÖLN 1999
This book is printed on acid-free paper.
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Zöckler, Thomas. Jesu Lehren im Thomasevangelium / by Thomas Zöckler. p. cm. - (Nag Hammadi and Manichaean studies, ISSN 0929-2470 47) ) and index. Includes bibliographical references (p. ISBN 9004114459 (cloth: alk. paper) I. Gospel of Thomas-Criticism, interpretation, etc. 2. Jesus Christ-Teachings. I. Tide. 11. Series. BS2860.T52Z63 1999 229' .8-dc21 99-30231 CIP
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahrne ZäckIer, Thornas: Jesu Lehren im Thomasevangelium / by Thomas Zöckler. - Leiden; Boston ; Köln : BrilI, 1999 (NagHammadi and Manichaean studies ; 47) lSBN 90-04-11445-9
ISSN 0929-2470 ISBN 9004 114459
© Copyright 1999 by Koninklijke Brill NY, Leiden, 7he Netherlands All rights reserved. No part qf this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval ~stem, or transmitted in a'!Y form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission ftom the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Brill provided that the appropriate fies are paid directly to 7he Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910 Danvers MA 01923, USA. Fees are subject to change. PRINTED IN THE NETHERLANDS
Aber nicht jeder, der sät, erntet; nicht jeder, der wandert, gelangt ans Zie~' und nicht jeder, der sucht, findet; sondern je kostbarer ein Ding ist, um so mehr Bedingungen sind daran geknüpji, und um so seltener ist es zu finden. (Al Ghasäli, Das Elixier der Glückseligkeit)
INHALT Einleitung TEIL I
DAS THOMASEVANGELIUM ALS TEIL DER JESUSÜBERLIEFERUNG 2
Ein Spruchevangelium ...... ............. ........ ........ ...... .... ............. 1.1 Vielfalt am Anfang ...................................................... 1.2 Eine theologische Ortsbestimmung ............................
9 9 15
2
Text 2.1 2.2 2.3
und Autor .................................................................... Autor und Herkunft .................................................... Griechische und koptische Überlieferung .................. Textgestalt ....................................................................
19 19 25 28
3 Das Thomasevangelium und die synoptische Tradition .... 3.1 Die Frage der Abhängigkeit .. ........................... ......... 3.1.1 Frühe Quellenthesen ........................................ 3.1.2 Wege zu einer geeigneten Methode .............. 3.1.3 Gleichnisse ohne Deutung .............................. 3.2 Thomas und Q ............................................................ 3.2.1 Ohne Kerygma und Menschensohn .............. 3.2.2 Dominanz weisheidicher Logien .................... 3.2.3 Vier weisheidiche Logien ................................ Mt 7,7-1l/Lk 11,9-13; Log. 2; 92; 94 .... Mt 6,25-33/Lk 12,22-31; Log. 36; P.Oxy. 655 1,1-17 .................................... Mt 7,3-5/Lk 6,41-42; Log. 26/ P.Oxy. 1,1-4 ............................................ Mt 6,22-23/Lk 11,34-36; Log. 24,2-3; P.Oxy. 655, Fragment d ........................ 3.2.4 Zusammenfassung: Thomas und Q ..............
31 31 33 36 48 53 54 60 65 65 70 75 82 96
Vlll
INHALT
TEIL 11
JESU LEHREN IM THOMASEVANGELIUM
4
101
Gnosis oder Weisheit? ... .... ................. .......... .......... ........ ...... 4.1 Gnosis und Weisheit als Ableitungsmodelle des EvThom ............................................................ 4.2 "Geheime Worte" ....................................................... . 4.3 Konzeptionen von "Welt" im Thomasevangelium: a) Distanz zur Welt ............................................... . b) Positive Weltbeziehung ..................................... . 4.4 Aussagen über den Körper ...................................... .. 4.5 Himmlische Herkunft ................................................. . 4.6 Personifizierte Weisheit
113 119 121 124 128
5
Suchen und Finden ......... .......... .... ..... ................ .... ........ ...... 5.1 Gleichnisse vom Finden .............................................. 5.1.1 Der Fischer/Das Fischnetz ............................ 5.1.2 Der Fund der Perle ........................................ 5.1. 3 Der Schatz im Acker ...................................... 5.1.4 Das verlorene Schaf ........................................ 5.2 Das Königreich "in euch" .......................................... 5.2.1 ,,€vtO~ ullrov" .................................................... 5.2.2 Dtn 30,11-14 und Log. 3,1-3 ...................... 5.2.3 Sich erkennen und Erkanntwerden ................ 5.2.4 Realisierte Eschatologie? ................................ 5.3 "Herrschen und Ruhe finden" ..................................
136 138 138 144 154 158 164 166 173 175 178 180
6
Tod und Leben .................................................................... 6.1 Dem Tod entgehen .................................................... 6.2 Königreich und Gewalt .............................................. 6.2.1 Entweder-Oder im Gleichnis .......................... 6.2.2 Das unversehrte Haus
187 187 194 194 199
7
Zwei- und Einssein .............................................................. 7.1 Den Anfang entdecken ................................................ 7.2 Zwei zu eins machen ....... ......... ............. ...... ............... 7.2.1 Kinder und Königreich .................................. 7.2.2 Die Aufhebung der Gegensätze .................... 7.3 Licht und Finsternis im Menschen ............................
211 211 222 223 225 242
101 106
INHALT
8
Selbstaussagen
......................... ........................ ............... ......
IX
244
Resümee und Ausblick
253
Bibliographie
261
Stellenregister
273
Autorenregister ......... .... .... ........ .... .......... ........ .... .... .....................
283
DANKSAGUNG Mit dem reifenden Entschluß, die folgenden Seiten aus der Hand zu geben, stellen sich dankbare Gedanken an viele ein, die diese Arbeit begleitet und gefordert haben. Allen voran gilt mein Dank meinem Doktorvater und langjährigen Lehrer in der Religionswissenschaft Prof. H.·]. Klimkeit, der sich für die Anfertigung der Arbeit nachdrücklich eingesetzt hat. Erste Anregungen zur Auseinandersetzung mit dem Thomasevangelium erhielt ich in einem seiner Seminare zum Thema "Die Thomasliteratur und Indien". Die Arbeit hätte nicht die vorliegende Gestalt annehmen können ohne den Einfluß und die Mithilfe von Prof. P. Nagel, dem ich die Einführung ins Koptische zu danken habe. Meinen Nachfragen zu spezielleren Problemen des Textes hat er sich immer bereitwillig und mit großer Geduld gewidmet. Prof. S. Emmel hat bei der Durchsicht des Manuskriptes große Sorgfalt walten lassen und mir mit wichtigen Verbesserungsvorschlägen, formaler und inhaltlicher Art, geholfen. Auch ihm sei an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt. Prof. J. Robinson bin ich für sein freundliches Entgegenkommen sowie Ermunterung und Zuspruch zu weiterer Auseinandersetzung mit dem Thema verbunden. Einen erheblichen Anteil am Zustandekommen der Arbeit hat auch die Studienstiftung des deutschen Volkes, die mich mit einem Stipendium gefordert hat. Ihre Unterstützung bot die Grundlage für ein in manchen Phasen notwendiges ungestörtes Nachdenken und Forschen. Nicht zuletzt aber richtet sich mein Dank an meine Frau Silke und meine Kinder Maximiliane, Theresa und Konrad, die meine wiederholten Verlängerungs anträge geduldig ertragen und wohl wie sonst niemand den Tag der Abgabe dieser Arbeit herbeigewünscht haben.
Nachtrag Kurz vor Erscheinen dieser Arbeit ist der plötzliche Tod von Prof. Klimkeit ein schmerzliches Ereignis. Seine große Leidenschaft, sich
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DANKSAGUNG
dem Fremden anderer Kulturen zu öffnen, es zu verstehen und anderen zu vermitteln, verbunden mit einer Wesensart, die auch im Gespräch den anderen sucht und von und mit ihm bereichert werden will, wird mir in dankbarer, lebendiger Erinnerung bleiben.
EINLEITUNG Als der ägyptische Bauer Muammad 'All im Jahre 1945 bei der Suche nach Düngemateria1 am Fuße des Jabal el Tärif in der Nähe der Stadt Naj' I:Iammädl auf einen alten, versiegelten Tonkrug stieß und ihn nach einigem Zögern - aus Angst, es könnte sich darin ein Geist verbergen - zerbrach, ahnte er nicht, daß er einen für das Verständnis der spätantiken Geistesgeschichte höchst bedeutsamen Fund gemacht hatte. l Und ebensowenig konnte ihm bewußt sein, daß eines der 13 aus dem Krug fallenden Papyrusbücher eine Schrift mit besonderem Seltenheitswert enthielt. Das nach der offiziellen Zählung im Codex 11 enthaltene "Evangelium nach Thomas", das sich erst in der Unterschrift (߀Y~['['€'2I.fOJ'{ ßK~T~ 6W~~C) so zu erkennen gibt, ist eine reine Sammlung von Aussprüchen Jesu, fast unbeschädigt erhalten - die einzige außerhalb der kanonischen Evangelien und anderer früher Schriften des orthodoxen Christentums, und bis heute das einzige Exemplar einer solchen Schrift überhaupt, wenn man bedenkt, daß die Existenz aller übrigen Sammlungen mit Worten Jesu nur indirekt aus später entstandenen und literarisch anders gearteten Texten erschlossen werden kann, in denen sie selbst aufgegangen sind. Dieser Ausnahmestellung entspricht das erhöhte Interesse, das dem EvThom 2 vor allen anderen Texten der Nag-Hammadi Bibliothek zuteil geworden ist. Allerdings ist dieses Interesse einseitig verteilt: während ihm in der europäischen und namentlich in der deutschen Forschung in der Frage nach den Anfangen des Christentums heute häufig kaum mehr als marginale Bedeutung zugestanden wird, ist in der neueren amerikanischen Wissenschaft eine gegenläufige Tendenz zu bemerken. Häufig wird es hier schon mit großer Selbstverständlichkeit in Untersuchungen zum Neuen Testament mit einbezogen. 3
I Die näheren Umstände der Entdeckung der Nag Hammadi Bibliothek beschreibt ausführlich Robinson, The Nag Hammadi Library, 22-26; ders., "From the Cliff to Cairo. The Story of the Discoverers and the Middlemen of the Nag Hammadi Codices", 21-58. Siehe auch Pagels, Versuchung durch Erkenntnis, 9-11, 20-25. 2 Die im folgenden gebrauchte Abkürzung für das Thomasevangelium. 3 Vgl. das jüngst ins Deutsche übertragene Werk von Crossan, Der historische Jesus.
2
EINLEITUNG
Während hier konzediert wird, daß zumindest manches aus dem EvThom an den historischenJesus heranführen könnte, herrscht dort die Auffassung vor, daß in dieser Schrift Jesus fremdem Geist die Stimme geliehen habe: der Verfasser war ein Gnostiker und dessen Vorstellungen können mitJesu Glaube, Überzeugungen und Absichten nichts gemeinsam gehabt haben. Dem Tatbestand, daß der Text in den letzten Jahren innerhalb der deutschen Theologie und Religionswissenschaft zuwenig Beachtung gefunden hat und - von einzelnen Ausnahmen abgesehen nicht eigenständig behandelt worden ist,4 tragen die einleitenden Kapitel Rechnung: sie informieren über die Gestalt der koptischen Fassung und die in Oxyrhynchus gefundenen griechischen Varianten der Sammlung, stellen die wichtigsten Thesen zur Herkunft des Textes sowie zu dem im Prolog als Autor genannten Thomas vor. Und sie behandeln, allem vorangestellt, Kösters und Robinsons These zur Stellung der Schrift innerhalb der frühchristlichen Literaturgeschichte, die die Grundlage aller bisherigen Bearbeitungen des EvThom bildete, welche den Nachvollzug der Textform als wesentliche Voraussetzung für das Verständnis der Absichten des oder der Verfasser nahmen. Zum heutigen Zeitpunkt noch kann in einer Darstellung des EvThom auch dasjenige Thema nicht unberücksichtigt bleiben, das die bisherige Forschungsgeschichte weitgehend bestimmt hat: die Frage nach den Beziehungen des EvThom zum Neuen Testament und zur syn-
4 Vgl. die deutschen Monographien zum EvThom von Haenchen (1961), Schrage (1964), den umfangreicheren, 1980 veröffendichten Aufsatz von Lindemann ("Gleichnisinterpretation im Thomasevangelium") sowie die neuere Dissertation von Fieger (1991), die allerdings Schrages Ergebnisse - häufig bis in den Wordaut hinein nur wiederholt. Eine Ausnahme bildet die jüngst erschienene Habilitationsschrift von Schröter (Erinnerung an Worte Jesu. Studien zur Rezeption der Logienüberlieferung in Markus, Q und Thomas, 1997). Zwar behandelt Schröter nur einen Teil der Thomas-Logien, er setzt sich aber intensiv mit der Forschungsgeschichte zu Thomas und Q auseinander und übt in diesem Zusammenhang teilweise scharfe Kritik an den Forschungsansätzen von Köster und Robinson, an denen sich die vorliegende Arbeit maßgeblich orientiert. Da der Abschluß der vorliegenden Arbeit mit dem Erscheinen von Schröters Buch zusammenfallt, kann eine eingehende Auseinandersetzung mit dessen Thesen hier nicht mehr in angemessener Form erfolgen. Schröter argumentiert zu differenziert - und zu grundsätzlich - gegen vieles, das im folgenden als plausibel vorausgesetzt wird, als daß eine quasi nachgeschobene Stellungnahme hier und dort noch sinnvoll erschiene. Auf den wichtigen Beitrag Schröters zur Diskussion um das EvThom sei an dieser Stelle aber immerhin nachdrücklich hingewiesen.
EINLEITUNG
3
optischen Tradition im besonderen. Sind die in Thomas enthaltenen etwa zwei Drittel der Worte mit Parallelen in der synoptischen Tradition von dort übernommen und verändert worden? Handelt es sich um ausgewählte, den eigenen theologischen Vorstellungen der Autoren angepaßte, dadurch aber von ihrem ursprünglichen Sinn entfernte, sekundäre Plagiate, oder überliefert Thomas seine Sprüche unabhängig von den Synoptikern, und hat die synoptische Überlieferung auch auf spätere Rezensionen des Textes keinen bestimmenden Einfluß genommen? In dieser Arbeit wird die zweite These für die überzeugendere, in mehrfacher Hinsicht besser begründbare angesehen; aber diese Auffassung erfordert, gerade weil bis heute keine allgemeine Zustimmung zu ihr vorliegt und weil mit der Antwort auf die genannte Frage das Urteil über die Glaubwürdigkeit und den Wert des EvThom als eigenständige J esusüberlieferung fällt, eine eingehende Begründung einschließlich der in der Diskussion gegen die Unabhängigkeit vorgebrachten Argumente. Der Plural "Lehren" im Titel der Arbeit, der als Überschrift des Hauptteils wiederkehrt, ist bewußt gewählt. Es soll im folgenden nicht versucht werden, eine einheitliche und konsistente, allen Logien zugrunde liegende theologische Aussage oder Grundrichtung des Textes zu ermitteln; auch nicht, einzelne Logien vom Textganzen zu isolieren, um den theologischen Hintergrund, den man diesen - ob zu Recht oder Unrecht, sei dahingestellt - meint zuweisen zu können, zum Ausgangspunkt und Maßstab für die Deutung aller übrigen Sprüche zu nehmen. 5 Im folgenden wird beabsichtigt, jede Deutung auf die Grundlage einer möglichst präzisen Beschreibung des einzelnen Spruches, das heißt eine Erfassung aller für seine Bedeutung relevanten formalen, sprachlichen und inhaltlichen Einzelheiten, zu stellen. Wenn vorhanden, werden weitere Logien innerhalb der Sammlung, die entweder als direkte Parallelen oder Varianten des Spruches ausgewiesen sind oder deren Aussagen durch eine klare sachliche Gemeinsamkeit mit demselben ins Auge fallen, in die Analyse mit einbezogen. Aber solche eindeutigen Zusammenhänge sind nur in der geringeren Zahl der Logien nachweisbar. Um über die Darlegung des wenigen, ohnehin offenkundig Zusammengehörigen hinauszukommen, wird hier der
5
Vgl. dazu ausführlicher das Kapitel "Gnosis oder Weisheit?"
4
EINLEITUNG
Versuch unternommen, das Netz der thematisch untereinander verbundener Aussagen weiter zu stecken. Manche der hier thematisch zusammengestellten Worte lassen ihre unterschwellige Zusammengehörigkeit, die sich in einer verwandten Geisteshaltung, Einsicht oder Einstellung zum Dasein bekundet, erst auf den zweiten Blick erkennen - was häufig auch davon herrührt, daß die gewohnten, durch die synoptischen Kontexte der gleichen Sprüche vorgegebenen Verständnisbrücken entfallen. Die für drei Abschnitte des Hauptteils gewählten Überschriften "Suchen und Finden", "Tod und Leben" und "Zwei- und Einssein" sowie die weiteren Unterbezeichnungen in diesen Kapiteln sind nicht nur als Oberbegriffe gedacht, unter denen eine Reihe von Logien nur durch die Tatsache einer gemeinsamen Begriffiichkeit, die letztlich nur eine äußerliche ist, zusammengefaßt sind. Hinter jeder Formel steht eine markante theologische Aussage, die das Leitmotiv für in anderen Sprüchen wiederkehrende Gedanken angibt. Die Überschriften bezeichnen grundlegende Ideen, die in einigen Logien deutlich hervortreten, für andere als Interpretament dienen. Daß die in einem Themenkomplex zusammengefaßten Aussagen nicht alle die gleiche Nähe zueinander aufweisen, daß überdies manche Sprüche mehreren der vorgeschlagenen Themen zugeordnet werden könnten und somit die Ränder jedes Komplexes nicht mit letzter Genauigkeit zu zeichnen sind, ist nicht bestreitbar und liegt in der Natur des angewandten Verfahrens. Die Analyse kann allerdings nicht bei der Betrachtung der Beziehungen eines Spruches zu sachlichen verwandten Aussagen innerhalb des EvThom stehenbleiben. Gleichberechtigt neben der internen, kontextgebundenen Analyse hat die Gegenüberstellung und der Vergleich mit Parallelen in anderen Texten der frühchristlichen Überlieferung zu stehen. Häufiger - besonders deutlich im Hinblick auf Thomas' Gleichnisse - liegt das direkte Gegenstück und damit der nicht zu umgehende Vergleichspunkt für die Betrachtung in der synoptischen Tradition. Dieses doppelte methodische Verfahren, das Aufsuchen der theologisch verwandten Aussagen, die in Thomas selbst greifbar sind, und die Konfrontation der Thomasworte mit ihren Bezeugungen außerhalb des Textes verspricht Ergebnisse in zweifacher Hinsicht: Zum einen erhöht sich die Chance, den ursprünglichen Aussagekern eines Spruches herauszuschälen (dieser Kern kann natürlich nur ein vorläufiger, hypothetisch ermittelter sein, weil ungewiß bleibt, ob nicht weitere wichtige Varianten verschollen sind), zum anderen lassen sich erst mit der Berücksichtigung aller verfug-
EINLEITUNG
5
baren Parallelen eines Spruches Vermutungen darüber anstellen, ob die hier vorgestellten thematischen Schwerpunkte nur die spezifischen theologischen Einsichten der Thomastradition spiegeln oder ob es sich hier und dort auch um frühe, in der Spruchüberlieferung breit bezeugte Vorstellungen handeln könnte.
TEIL I
DAS THOMASEVANGELIUM ALS TEIL DER JESUSÜBERLIEFERUNG
KAPITEL 1
EIN SPRUCHEVANGELIUM
1. 1
Vielfalt am Arifang
Köster hat bemerkt, daß jede Bemühung um eine unvoreingenommene Betrachtung der außerkanonischen chrisdichen Literatur schon durch die für diese übliche Bezeichnung apokryph ("geheim, verborgen") eingeschränkt ist, mit der sich bis heute häufig die Vorstellung des Zweitrangigen, Unauthentischen und Unglaubwürdigen verbindet. 1 Ob bemerkt oder unbemerkt, in dem Begriff lebt die Nebenbedeutung "falsch, unecht, häretisch" fort, die dieser schon im Gebrauch der Kirchenväter im Zuge der Auseinandersetzung mit der Gnosis im 2. Jh. angenommen hat: Irenäus stellt a7t61Cpu.ö..C)I aufschrieb.
In dieser Namenskombination ist Judas ein Eigenname, während Didymos und Thomas als Beinamen zu verstehen sind; Didymos hat auf griechisch, ebenso wie das von syrisch tä['}mä (aramäisch te'ömä) abgeleitete Thomas, die Bedeutung "Zwilling".2 Ein Apostel mit dieser Bezeichnung ist bekanntlich nur in Schriften genannt, die aller Wahrscheinlichkeit in Ostsyrien verfaßt worden sind und ursprünglich in diesem geographischen Raum verbreitet waren: der AbgarLegende in der Wiedergabe des Eusebius (h.e. 1,13), den Thomasakten , und dem Buch des Thomas. 3 Auch lesen nur zwei altsyrische Handschriften Joh 14,22 "Judas Thomas" (syC) bzw. "Thomas" (syS) anstatt "Judas, nicht der Iskariot".
I In P.Oxy. 654,2-3 ist nicht genügend Platz, um OlOlJll0