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German Pages 243 [244] Year 1944
K A R L
H A U S H O F E R
JAPANS KULTURPOLITIK
WALTER DE G R U Y T E R & CO. 19 4 4
BERLIN
Archiv-Nr. 3468 44 Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 •vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. T r ü b n e r • Veit & Comp.
Printed in Germany
Vorwort
Der Wunsch, ein Buch über „Japans Kulturpolitik" zu schreiben, das zugleich volksnah und wissenschaftlich wohlbegründet sein sollte, trat von außen an mich heran. Wenn ich den Mut fand, den Versuch zu wagen, so lag der Grund in einem Wort des damaligen Chefs des Generalstabs Prinz Kanin an meinen 1937 in Japan weilenden Sohn: „Ich spreche meinen herzlichen Dank dafür aus, daß Ihr Vater die richtige Erkenntnis für Japan hatte und als ein guter Freund Japans die1 Rolle übernommen hat, das Einvernehmen zwischen beiden Ländern zu vertiefen und sich bemühte, die führenden Persönlichkeiten Deutschlands mit dem richtigen Japan und dem japanischen Geist bekannt zu machen." Eine solche Meinung war verpflichtend, die Mahnung aus den Erfahrungen der „Deutschen Kulturpolitik im Indo-pazifischen Raum" kam dazu. So wurde versucht, durch mehr als zwei Jahrtausende die große, einheimische, arteigene Führungslinie der Kulturpolitik des bis zur Meijiära rassenmäßig und geopolitisch geschlossensten, in seiner ungebrochenen Reichsform ältesten Kulturstaats der Erde herauszustellen. Das bedingte den Verzicht auf viele Einzelheiten der Gestaltung und der Werbung, wollte man nicht zugunsten der Kleinformen den großen
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Vorwort
Zug verlieren, dem der Kulturbau Japans folgte, der ihn trug. Die aus wählerische Übernahme des Besten aus anderen Kulturen, zuerst des Indo-pazifischen Raumes, dann des Atlantischen brachte Kulturkrisen mit sich, die überwunden wurden, was aber zumeist drei Geschlechtsfolgen gekostet hat, die dabei im Sinne Goethes ein: „Stirb und Werde" erfuhren. Das traf beidemale am härtesten den jeweiligen Wehradel der Nation; aber gerade er feierte aus solchen Reichserneuerungen glanzvolle Auferstehung, traf aber freilich schwer, wer immer ihn dabei zu stören suchte. So wurde die Erhaltung von Japans Kultur ein Lebenswunder; und die Kulturpolitik, die es wirkte, ist wohl der Betrachtung im Rahmen einer Reihe wert. 29. April 1942, am Shöwa-Kaisertag! Karl Haushofer
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Inhalts-Überschau
I. Eigenart der Entwicklung von Japans Kulturpolitik II. Der innere kulturpolitische Werdegang. Koku-Beziehungen
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San17
III. Gründe für die verschiedene Beurteilung von außen her
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IV. Kulturstand-Schilderungen über Japan. Der Zustand vor der Erschließung
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V. Suchen und Tasten Außenwirkung
nach
kulturpolitischer 66
VI. Entstehung der auswärtigen Kulturpolitik in der Meiji-Zeit
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VII. Kulturpolitische Bedeutung des Meiji-Tenno .
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VIII. Übersteigerungs-Gefahren. Die Überkreuzung mit panasiatischen und panpazifischen kulturpolitischen Einwirkungen . . . 115 IX. Gegenstreben: Kulturpolitik der Kolonialmächte alten Stils, der kontinentalen russischen und der transpazifischen amerikanischen in ihrer Überschneidung in Ostasien. Deutschland und Japan 130 X. RELIGIO JAPONICA. Selbstverteidigung gegen religiöse Umwerbung. Das auswählerische Talent des Inselreichs und seine Anwendungsformen 146
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Inhalts-Überschau XI. Eigenwert. Die Entstehung der eigenen Linie im Zusammenbau der inneren und äußeren Kulturpolitik. Die letzten Schranken und ihre Überwindung im Dreieck Berlin—Rom—Tokio . . 163 XII. DAI-TO-A. Großostasien als kulturpolitisches Wunschziel. Seine Gestaltungsmöglichkeiten. Die kulturpolitische Durchstrahlung wehrgeopolitischer Vorgänge und Unvermeidlichkeiten. 179 Anmerkungen und Schrifttums-Nachweise
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Erster Teil: Eigenart der Entwicklung von Japans Kulturpolitik
Japans kulturpolitischer Werdegang innerhalb der letzten neunzig Jahre — angesichts eines grundsätzlichen Wandels im Lagenwert des Inselreiches gegenüber dem Indo-pazifischen Raum — gehört zu den kühnsten, gefährlichsten und erfolgreichsten Beispielen der Weltgeschichte, was immer an Enderfolg der vulkanische Ausbruch seit dem Dezember 1941 bringen möge. Er ist in seiner von den meisten Beobachtern von außen her lange verkannten Möglichkeit nur zu verstehen aus einer mehr als zweitausendjährigen kulturpolitischen Anpassung an die geopolitischen Gegebenheiten eines der eigenartigsten Lebensräume der Erde, mit seinem ozeanisch-kontinentalen Doppelgesicht, seiner von verbindendem Meer, Binnenhochland und trennendem Gebirge bestimmten Doppelzeiligkeit von Anfang der Reichswerdung an. An deren Wiege stehen instinktive und bewußte Einsichten in die geopolitischen, wie rassenmäßig bedingten raumpolitischen Daseinsnotwendigkeiten der Kulturanfänge der Reichswerdung, die viel dazu beitrugen, daß Nippon in seinem Werden fast unberührt von fremder Macht und Wirtschaft blieb; unbetreten von Feindmacht in i Haushofer
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seinem Boden; unvergewaltigt in seinem Blut; nur durch Einströmen von Kultur ergriffen, manchmal im tiefsten erschüttert, aber immer so, daß sie mit auswählerischem Talent dem Wesen, Tamashii, Nippons angeglichen werden konnte. Auf diese Weise hatte das Inselreich bei allem Außerachtlassen der Entwicklung von Macht und Wirtschaft in der Welt während seiner Abschließungsperiode von 1600 bis 1853 einen Hochstand des inneren sozialen Kulturausgleichs und der Rassenverschmelzung erlangt. Von ihm aus gab es beim Angleichen an die Züstände der Umwelt kaum eine Steigerung, nur entweder ein Zurückgleiten oder einen verzweifelten Kampf um das Errungene. Dafür fehlten zunächst die Voraussetzungen der Macht und Wirtschaft; sie konnten nur durch eine Bepanzerung mit fremden Kulturerrungenschaften geschaffen werden. Was die Möglichkeit dazu verlieh — im Gegensatz zu den schmerzlichen Erfahrungen aller andern Anlieger des Indo-pazifischen Raumes — das war nur die ungebrochene kulturpolitische Linie von Japans Eigenleben und der aus ihr entsprossene unbändige Lebenswille des Gesamtvolks mit seinen Überlieferungswerten. Er mußte bei der Mehrheit der Fremden unverstanden bleiben. Bei Wenigen nur unter diesen Beobachtern und Zeugen eines Kulturkampfes, der zugleich Machtkampf ist, war das Verständnis für den vollen Wert dieses kulturpolitischen Hochstandes im Gesamtvolk und seine Bedeutung als Kraftquelle im Daseinskampf auf Erden als bewußte Einsicht, bei einer größeren Zahl wenigstens im Gefühl vorhanden. 2
Daher die beständigen Überraschungen in weiten Kreisen der Macht und Wirtschaft des Planeten, vor allem unter ihren Diplomaten und Staatsmännern, die ihnen seit der Erschließimg Nippons immer wieder dessen Vorstöße auf den Kraftfeldern der Macht und Wirtschaft bereiteten, bis zu dem letzten Ausbruch aus der wirtschaftlichen Einkreisung von 19411. Sie sind nur aus der Stärke und Einheitlichkeit seiner kulturpolitischen Linie zu verstehen. Wem diese ungebrochene Kraftlinie verborgen geblieben ist — und das war sie von 1853 bis 1942 für Viele und ist es noch — der wird kein Ende der Kette dieser Überraschungen erleben. Es gereicht dem großdeutschen Kulturbereich bei aller sonstigen Verworrenheit gerade seiner kulturpolitischen Entwicklung zur Ehre, daß sich unter den ahnungsvollen und wissenden Beobachtern des Inselreichs mit richtiger Spürkraft unverhältnismäßig viele Deutsche befinden. Wir haben uns bemüht, in dem Buche: „Japan baut sein Reich"2 einige dieser Stimmen und Zeugnisse zu sammeln, und es genügt, an weltberühmt gewordene Namen zu erinnern: Engelbert Kämpfer; Philipp Franz von Siebold; Ferdinand von Richthofen; Erwin vonBälz,und was sich seither an sie an Ärzten, Baumeistern, Forstleuten, Kunstjüngern, Naturforschern, Philosophen, Soldaten, Verwaltungsfachleuten reihte3. Die Aufzählung steht in der Buchstabenfolge, um jeden Vorwurf der Parteinahme auszuschließen: absichtlich deshalb sind auch später vielfach Belege aus dem Kulturbereich der heute Japan feindlichen Mächte gewählt. Wertvoll darunter sind namendich solche, die den 3
Stoß, den Übergang von der einheitlichen Linie der inneren, von außen her so gut wie ungestörten Kulturpolitik zu der Weichenstellung für ihre Einmündung in das kulturpolitische Spiel und Gegenspiel der Außenwelt und ihrer Mächte beleuchten. Aus diesem Übergang um die Mitte des XIX. Jahrhunderts ergibt sich eine bei wenigen Völkern so klare und unvermittelte Scheidung zwischen nur innenbürtiger und binnengiltiger und nach außen wirksamer Kulturpolitik. Allerdings entwickeln sich an solchen Übergangsstellen der Kulturpolitik durch die Umwandlung von Erbwerten und die Entbindung neuer, zum Ersatz herangeholter oder aus ihnen umgeformter Kräfte gefährliche Gleichgewichtsstörungen. Das hat für Japan niemand schöner ausgedrückt als Ferdinand von Richthofen in seiner großen Rede über: „Das Meer und die Kunde vom Meer" 4 . „Nie ist bei einem Volk so unvermittelt latente Energie in kinetische umgewandelt worden." Dieses Wort habe ich deshalb meiner Studie über: „Das Japanische Reich in seiner geographischen Entwicklung"6 als Leitwort vorangestellt, um die sich die am Schluß von „Japan baut sein Reich" zusammengestellten Bücher über das Problem des japanischen Reiches herumgruppiert haben. Ferdinand von Richthofen, der Ostasienkenner und strenge Forscher, war sehr vorsichtig mit dem Worte: Nie! Aber es galt in diesem Fall in erster Linie der Anreicherung der latenten Spannkraft der japanischen Kulturpolitik, die das Reich durch die Erneuerung 4
der Meiji-Periode getragen hat. Denn Macht und Wirtschaft Nippons, wie sie bei Beginn dieser Ära bestanden, wären allein völlig unfähig gewesen, dem Anprall der um den Pazifik ringenden Raubmächte standzuhalten6. („Dai-Nihon", Erbwerte der Vergangenheit.) Was sie allein überwand, war der unerschöpfliche Schatz an latenter Kraft, den der folgerichtige Wuchs der i n n e r e n Kulturpolitik gehäuft hatte, lange, ehe sie imstande war, sich anders, als durch wenige wesensverwandte Zeugen dem Ausland und der Umwelt mitzuteilen und zu offenbaren und damit zu einer nach außen gewendeten Kulturpolitik zu werden. Von einer solchen kann man eigentlich erst seit der Mitte des XIX. Jahrhunderts, seit der gewaltsamen Öffnung des letzten „verschlossenen Paradieses der Erde" sprechen. Diese in der Weltgeschichte so seltene, reinliche Scheidung würde schon allein eine intime Versenkung in das Wesen und den Werdegang der japanischen Kulturpolitik rechtfertigen, ohne die weder die Macht- und Wehrpolitik des Reiches, noch der jähe Anstieg seiner Wirtschaftsleistung und Außenwirkung zu verstehen sind. Die kulturpolitische Leistung, die beide Strömungen ineinander leitete und einen sonst wohl möglichen, unheilbaren Riß verhinderte, wie er z. B. in China eintrat, ist an den Ära-Namen des Meiji-Tenno7 geknüpft, des hundertzweiundzwanzigsten in der ungebrochenen Reihe der Kaiser, denen seither die Herrschaftszyklen Taisho und Showa folgten. Als gegenüber dem Heranbranden übermächtig scheinender Fremdeinflüsse alle hergebrachten Kräfte des 5
uralten Kulturreiches zu versagen schienen, die ehrwürdigen Hofämter, das Shogunat, der Feudalbau, der Wehradel der Samurai, an seiner Spitze die „Blüte der Geschlechter" mit ihren klugen Hausministern, den Karo, da scharte sich die in ihrem innersten Wesen bedrohte Nation um die einzige unverbraucht gebliebene Erbkraft der Ahnenhohenpriesterwürde des Tenno, um den sich die Erneuerung gruppierte. Mit Recht schreibt ein Zeuge jener Zeit: „es sei unfaßlich, welche Stärke diese Regierung unter einem fünfzehnjährigen Fürsten bewiesen habe ohne eigentliche Machtmittel, ohne Heer, ohne Flotte, ohne Geld, angewiesen darauf, einige 276 Feudalherren, die alles das besaßen, zur Niederlegung ihrer Lehen vor dem Kaiserthron zu überreden." Es war eben die Grundlage einer unantastbaren zweieinhalbtausendjährigen kulturpolitischen Entwicklung, auf der sie fester, als auf einem „rocher de bronze" stand; und es war die fast märchenhafte Tatsache, daß im Grunde ganz Japan diese Form des „ritornar al segno" selbstverständlich fand, einschließlich des letzten Shoguns, der die ausschließliche Souveränität des Kaisers in höchsten Dingen wörtlich zugab. Daß es so kommen konnte, das lag freilich in der geopolitischen Lagengunst des Lebensraums zutiefst begründet, in der sich diese Tugenden der kulturpolitischen Konzentration und des mit ihr verbundenen Ferngefühls für Gefahren hochzüchten ließen. Die Schilderung dieser Verbindung von Geopolitik und Kulturpolitik in Japan beginnt G. E. Uyehara8 in Seinem ausgezeichneten Buch: „The political development of Japan 1867—1909" mit dem klassischen 6
Wort: „A glance at the map reveals why Japan Ied such an isolated and independent life." Aber es muß ein sehr verständnisvoller Blick auf die Karte sein! Mindestens die gleiche Lebenslinie wäre doch auch den U.S.A. freigestanden, und vielen andern „Inselvölkern und Inselstaaten"9. (F. Ratzel). Dabeiwar das kulturpolitische Gesicht der U.S.A.von ihrer Gründung her atlantikwärts gerichtet und ist erst durch spätere unbegrenzte Raffgier südwärts und pazifikwärts gedreht worden. Frühes Zusammenspiel von bbdenwüchsigen, erdgegebenen Zügen des Lebensraumes und rassische Antriebe der Volksgeschichte aber hatten in Japan zusammengewirkt, um das Kulturgesicht, die Schau- und Vorderseite gegen den Großen Ozean zu kehren, die Rückseite gegen den Kontinent über die Japansee und die Meerengen schauen zu lassen. So wurde früh ein „Omote Nippon" einem „Ura-Nippon", ein Aufgangsland mit einem Sonnenstrand einer Kehrseite oder Schattenseite im kulturpolitischen Bewußtsein des Gesamtvolks gegenübergestellt. Dieser Wesenszug prägte sich schon bei der Reichsgründungsfahrt von Jimmu Tenno aus, gleichviel, wie sie etwa noch chronologisch festgelegt werden sollte. Einstweilen halten Reichsmythos und Staatslegende am 11. Februar 660 v. Ztw. als Reichsgründungstag (kigen setsu) fest, und so wird er auch von uns als kulturgeschichtlicher Festpunkt 10 der geltenden Reichsüberlieferung zu achten sein. Sicher aber ist geopolitisch, daß der kühne Gefolgschaftsführer, als Typgestalt reichsgründender Stammhäupter des japanischen Südens, von einem 7
Hafen an der Ostküste von Kyushu aus fahrend, zunächst einmal der Versuchung widerstand, als abenteuernder Wikinger sich in die uferlose Weite des Taiheiyo zu verlieren, daß er durch die Meerengen der Inlandsee zulenkte, in der er die künftige Reichskernzelle erkannte oder witterte. Dann segelte er zwar durch die Enge von Shimonoseki der Festlandbrücke von Korea zu, erkundete auch jenseits der Enge, kehrte aber dann längs dem Nordufer der Inlandsee bis zu deren innerstem Winkel zurück. Dort betrat er die künftige Festlandkernzelle des Kamigata an der „Stätte der schnellen Wellen" des heutigen Osaka, umfuhr deren Südspitze und ging auf dem Landwege zurück. So gab er geradezu ein sinnbildhaftes Beispiel der Kräfteansammlung vor neuem Ausholen — die das Reich später so oft befolgte — und legte als geopolitisches Genie den Grund zur doppelzelligen kulturpolitischen Zukunft des Kaiserreichs, für die er zunächst die Kulturseiten der drei Hauptinseln in einen meerumspannenden Verband zusammenfugte. „Omne imperium iis solum artibus retinetur quibus ab initio partum est." Gewiß hat Jimmu Tenno die Erfahrungsweisheit des Römers Sallust nicht gekannt, aber er legte ahnungsvoll den Grund dazu, daß Japan danach handelte, und es fuhr gut dabei. Das aber ist der großartige Schwung am aufsteigenden Ast der kulturpolitischen Flugbahn Alt-Japans, daß sie von diesen Anfängen an im Wesenhaften nicht mehr von der Linie höchster kulturpolitischer Verhaltenheit innerhalb des geopolitisch Erreichbaren und Möglichen abirrte oder abwich. 8
Gewiß kamen mitunter Zeiten exzentrischer Versuchung: nach dem Aufbau von Yamato lockte die Landbrücke von Korea zu Jingu Kogos Zeit und bis zum Verluste von Mimana, wie später unter dem Taiko Toyotomi Hideyoshi11. Doch daneben ist die Grundrichtung der Ausfüllung und Durch-Kolonisation der Hauptachse der Hauptinsel Hondo nicht vernachlässigt worden; immer wieder fiel auch das Augenmerkauf die andern Inselbogen, zuletztfreilicherst auf die beiden nordischen Anschlüsse, die von YezoHokkaido aus in Sachalin-Karafuto und in den Kurilen erreicht wurden, aber doch lange Zeit Stiefkinder der eigentlichen japanischen Hochkultur blieben. Als der Stamminselbogen endlich sicher in der Hand des neu verfestigten Reiches lag, da schloß sich vor dem zweiten überseeischen Anprall — (nach dem im Göttersturm gescheiterten Mongolenangriff) — das Reich unter dem Tokugawa-Shogunat zu einer der merkwürdigsten kulturpolitischen Instinkthandlungen einer fast völligen Abschließung gegen das Ausland zusammen. Sie vollbrachte in mehr als 250 Jahren eine völlige rassenpolitische Einschmelzung aller bis dahin etwa noch unterscheidbaren fremden Zuflüsse mit einer örtlich so hochgesteigerten Kultur des täglichen Lebens, daß ihr Stand — gewiß der bescheidenen Ausstattimg Nippons mit Bodenschätzen angemessen — doch eine Höhe erreichte, die ringsum die pazifische Umwelt nach allen Berichten ihrer Beobachter und Zeugen übertraf. Sie wußte dabei eine kostbare Gabe festzuhalten: das Döbö- oder Geschwistergefühl, das seinerzeit aus der Stammwanderung entsprang, und ein wirksames Gegengift gegen 9
die Einschleppung von Klassenhaß und Pauperismus und sonstige Schattenseiten der Weltkultur bildete. Zunächst aber pochte diese Weltkultur seit 1853 aus StückpfortenmitKanonenschüssenin so rauherWeise an die Zugänge des Inselreiches, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als sich in den Stand zu setzen, diesen Kulturvermittlem baldmöglichst gleiche Abwehrkräfte entgegenzustellen. Die äußeren Abwehrmittel mußte man wohl oder übel den Trägern der Fremdgewalt absehen und sich so schnell als möglich mit ihnen bepanzern und autark machen. Dadurch entstand jene Zwangsverbindung zwischen Wehrgeopolitik und Kulturpolitik, die lange Zeit das Inselreich in ein ganz falsches Licht des Anstrebens einer reinen Eroberungslaufbahn brachte, weil es versuchen mußte, aus der Not eine Tugend zu machen. Aber es entstand auf der andern Seite ein unendlich heilsamer Zwang für alle bisherigen Macht- und Rüstungsträger des Reiches zu einer innigen Verbindung mit allen Hilfsmitteln, die seine Kulturüberlieferung auf dem Wege über die Hochzüchtung eines zahlreichen Wehradels und eines festen Staatsgefiiges für die unwägbaren Kräfte einer solchen gewaltsamen Aufrüstung in unwahrscheinlich knapp bemessenen Zeiträumen darbot. Daß dabei gelegentliche Fehlschätzungen vorkamen, daß es Persönlichkeiten voll besten Willens gab, die bereit waren, unersetzliche tjberlieferungswerte über Bord gehen zu lassen, um schneller Anschluß an eine scheinbare Weltkultur zu gewinnen, die in Wahrheit nur eine gewisse Auswahl gemeinsamer Zivilisationsgüter bot: wen würde das überraschen? 10
Aber im Großen Ganzen bewährte sich das in vielen Erfahrungen ausgebaute auswählerische Talent der Rasse und die überzeugende Kraft des Kulturbodens, das Zwangsgebot des Lebensraums; soweit wir das heute übersehen können, sind wenig unersetzliche Überlieferungswerte, wenig wirkliche Kulturgüter der Erneuerung der Meiji-Zeit zum Opfer gefallen, so nahe die Versuchung, vor allem bei der Nachahmung des westmächtlichen und u.s.amerikanischen Parteienspiels, Kulturerrungenschaften gefährdet hat. Manchmal entstand fast der Eindruck, als ob der anderwärts oft gebrauchte, aber nicht immer befolgte Mahnruf: „Lebe gefahrlich!" in Japan einen gewissen Reiz ausgeübt hätte, Gewagtes auszuprobieren. Sorgten doch immer schon Erdbeben, Sturmfluten, Drehstürme und sonstige Gewalttaten der Landesnatur dafür, daß die Rassenkraft über den liebenswürdigen Seiten der verführerischen Landschaft nicht erlahmte. So lag es bis zu einem gewissen Grad sowohl in der Landesnatur, wie im Volkscharakter, daß auch für die Kulturpolitik 211 Recht bestand, was von Alters her für die Macht- und Wirtschaftspolitik Japans galt: daß sein Leben einsetzen müsse, wer sein Leben dabei gewinnen wolle — wenigstens, wenn er sich im großen Stil daran beteiügen möchte. Im Zusammenhang mit dieser kulturpolitischen Charakterseite Japans steht die endlose, in der Geschichte des Reiches nicht abreißende Liste der politischen Attentate und der vielen Persönlichkeiten, die sich oft um bloßer kulturpolitischer Überzeugungen willen zum Opfer brachten. 11
Aber es ist bezeichnend, daß auch für dieses Opfer der Persönlichkeit, solange die japanische Kultur ungestört blieb, eine strenge, meist wohlbeachtete Zeremonialdecke auch diese ernsten und wilden Seiten des Lebens regelte und ein ritterliches Ehrenrecht auch auf diesem Gebiet soviel der Willkür entzog, als möglich war. Dieser Grundzug tritt in allen nationalen Epen, Dramen und Romanen hervor; er ist am meisten weltbekannt geworden durch die Geschichte der 47 Ronin, die sich tatsächlich im Jahre 1701 abspielte, aber bei ihrer Abfassung aus innerpolitischen Gründen in eine weiter zurückliegende Zeit mit notorischer innerer Gewaltsamkeit zurückverlegt wurde12. (Junker von Langegg; u. a. m.) Sie behandelt den Freitod von 47 treuen Gefolgen eines Feudalfürsten, der durch Hofränke zu einer Überschreitung strenger Etikette verführt und dann zum Freitod durch Unterleiböffnen verurteilt wurde. Die treuen Vasallen ruhten nicht, bis sie das Haupt des intellektuellen Mörders ihres Herrn auf dessen Grab niedergelegt hatten, obwohl sie wußten, daß das Schicksal des Freitodes dafür auf sie warte; sie liegen im Schatten des Wappens der gekreuzten Adlerfedern ihres Herrn in einem kleinen Sonderfriedhof unweit der Hauptstadt, der heute noch eine nationale Weihestätte ist. Oft führt in der japanischen Geschichte ein scheinbar politisch unbegreiflicher Heldentod und Opfergang durch vieles Leid auf das Postament für die Nachwelt (wie z. B. Yoshitsune oder Feldmarschall Saigo),und das nationale Pantheon ist tolerant und weit — wenn nur das Heldische und die Vaterlandsliebe dabei 12
außer Zweifel steht. In solchem Geiste werden auch heute noch Sympathien verteilt. So betrachtet, wird man das Urteil Jan Hamiltons, eines der besten wehrpsychologischen Beobachter, aus dem Jahre 1904 heute noch bis zu einem gewissen Grad gelten lassen müssen13. „In meiner Meinung sind die Japaner just so zivilisiert, wie der Schwarze Prinz und sein Heer, wenn sie durch irgendein Wunder jetzt wieder auferweckt werden könnten und eine durch und durch tüchtige deutsche Wehrerziehimg auf ihre unzerstörten mittelalterlichen Gemüter aufgeprägt erhielten. Äußerlich sind sie so zivilisiert, wie wir; aber weil sie ihr Ziel durch einen Kurzschluß erreichten, hatten sie nicht Zeit, sich das Luxusbedürfiiis, die Empfindlichkeit und die Nerven zuzulegen, die mit uns unmerklich gleichen Schrittes mit den Verfeinerungen und mechanischen Erleichterungen des Lebens groß geworden sind. Es ist, als ob die Japaner ein jungfräuliches Feld besäßen, und für dieses Feld, zur ersten Ernte, fähig gewesen wären, alle schädlichen und parasitischen Samen auszuschließen, die in den ausgewirtschafteten Böden der älteren Kulturen die Oberhand zu gewinnen drohen." Das jungfräuliche Feld war eben durch die Eigenart von Japans Kultur bereitet! Nun ist aber die japanische Kultur ganz gewiß nicht jünger, als die englische; und die Ernte von 1941-42 ist mindestens die dritte oder vierte, seit die „ersten Eindrücke vom japanischen Heer" niedergeschrieben wurden. (A Staff Officer's scrap book; London, Arnold, 1906, S. 16)13. Aber das japanische Heer, wenn 13
auch seit der Meiji-Zeit an vielen fremden Meistern geschult, ist eben in seinem Ethos ein echtes Kind der altjapanischen Kultur und steht auf ihren Schultern. Nicht durch die wehrtechnische Beobachtung, nicht auf dem Wege über Manometer, an Macht und Wirtschaft angelegt, führt ein Erkenntnispfad zum innersten Wert, zum eigentlichen Wesen (Tamashii) der Reichsleistung, sondern nur über die kulturpolitische Abwägung aller Erbwerte und aller Mittel zu ihrer Erhaltung, die sich vielfach mit guten Gründen der fremden Beobachtung möglichst entzogen, mindestens nicht aufdrängten und nur durch Einfühlung erfaßt werden konnten. Welcher Gegensatz offenbart sich z. B. in dem auf Außenwirkung berechneten Buch von Baron Kikuchi: „Japanese Education" (London, 1909) und dem von Sawayanagi14: „Waga kuni no kyoiku" — das nur der inneren Kulturlinie, aber mit allem Wissen von außen dienen will. Nur durch diese Art von kulturpolitischer Einfühlung war es möglich, letzte und tiefste Kennzüge auch der Machtpolitik, der Wehrgeopolitik, Wehrpsychologie und Wirtschaft des Inselreiches zu erkennen. Hier zeigt sich der grundsätzliche Unterschied zwischen anderen Vorstellungen und seiner Auffassimg von Führungsanspruch, wie er nach einer feinen Untersuchung von Martin Schwind über die Wanderdynamik und Umvolkung in Manchukuo und der Landeskunde von Fochler-Hauke15 aus der Tatsache hervorgeht, daß dort zwar die Japaner erschließen und ordnen, aber die Chinesen siedeln und das Land erfüllen. Oder es begreift sich die Ausprägung seines 14
Wirtschaftsführertyps, in dem von zweitausend Jahren her der Grundsatz hochgezüchtet ist, daß Gemeinnutz vor Eigennutz geht, wenn es auch natürlich selbst dort einige Raubtiere in der Wirtschaft gibt. Diesen aber sind beim Vorgehen im Nanyo, rings um das australasiatische Mittelmeer, 1942 die Krallen doch sehr beschnitten worden, wie in der heimatlichen Kriegswirtschaft auch, nachdem sie der japanische Bauer glücklich durch sieben Jahrzehnte mit unglaublicher Steuerbelastung durchgetragen hat. Wo immer man versucht, die geopolitische Pflicht der Prognose gegenüber Japan und Großostasien zu erfüllen, da wird man nur an der kulturpolitischen Linie, an keiner anderen, eine verlässige Führerin haben. Bei ihrer Beobachtung steigen viele heute noch wirksame Kräfte aus ganz frühen Zeiten des Reiches empor und weisen aus dem Vergangenen, wie durch Richtfeuer, mögliche Fahrtrinnen ins Kommende weiträumiger Entwicklungen hinein16. Aus dieser Erkenntnis heraus ward versucht, im Entwurf einer „Deutschen Kulturpolitik im Indo-pazifischen Raum", soweit Deutsche an der Auslotung dieses Fahrwassers beteiligt waren, ein paarmal das Senkblei an besonders bemerkenswerten Stellen auszuwerfen17. Aus der Überzeugung, daß die Lose Japans mit denen Mitteleuropas irgendwie schon aus den seltsamen Gleichläufigkeiten in beider Geschichte heraus verbunden sind, haben wir so viel Lebensarbeit auf die Erforschung der rätselvollen, nur aus ihrer ungebrochenen Kulturlinie heraus verständlichen Volksseele des Sonnenaufgangslandes verwandt. In solchem Sinne gehen wir nun der Entwicklung dieser Linie in 15
ihrer inneren und äußeren Geltung nach: im Bewußtsein, damit säkularer Arbeit zu dienen, vor allem aber dem gegenseitigen Verständnis zwischen den Lagern der Hauptachsen Europas und Großostasiens, soweit Japan diese zurechtrückt.
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Zweiter Teil: Der innere kulturpolitische Werdegang. San-Koku-Beziehungen
Reichsmythos und Staatslegende — streng an Überlieferungswerten von erprobter kulturpolitischer Kraft festhaltend — verlegen den Zeitpunkt der Reichsgründuijg und Anfangspunkt der Reichskultur Japans in die Zeitnähe des Geburtstages von Rom, der ersten panhellenischen Abwehr der griechischen, abendländischen Arier gegen die von den asienwärts gewanderten Ariern Irans zusammengeballten vorderasiatischen Menschenmassen, der ersten germanischen Südwanderungen aus dem Ostseeraum, also in Zeiten, wo auch anderwärts helle, geschichtlich greifbare und von außen belegte kulturpolitische Erscheinungen aus dem Dunkel der Sage und des Werdens hervortreten. Erst viel später wird auch durch Beobachtungen von außen her, von China und Korea aus, die Chronologie sicherer, wie das Alfred Wedemeyer in seiner Frühgeschichte von Japan nachweist18. Ungefähr zur Zeit der Entstehungssagen des japanischen Kaiserreiches bei seinem Übergang von der Götter- und HeroenZeit auf festen geschichtlichen Boden werden im Großraum der Monsunländer, in den anderen beiden der „Sankoku" China, Japan, Indien, der „drei Läna Haucbofer
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der" schlechtweg, durch Meister Kung in China (551—479 vor Ztwde.) die chinesische Staatsweisheit, lind in Indien durch den Shakyaprinzen, den Buddha (557—477 v. Ztwde. 2), die Lehren geprägt, die mehr als ein Jahrtausend später (552 n. Ztwde.) in Nippon einströmen und den kulturpolitischen Bau des Stammreiches umgestalten sollten, indem sie sich ihm anpaßten. Aber bis diese Wendung wirklich eintrat, in ihrem Höhepunkt „Taikwa", die große Umgestaltung (645—652 n. Ztwde.) genannt — (im langsamen Anlauf und Ablauf von der Mitte des VI. (522) bis Anfang des VIII.;Jahrhunderts nach Ztwde. dauernd)—, war die kulturpolitische Grundlage im Gefüge so stark geworden, daß nur eine Evolution, und diese von oben her angeregt und geführt, keine Revolution sie umzuformen brauchte. Bald genug schien, wie bei einem gut untermalten Palimpsest, die ursprüngliche Anlage der Staatskultur unter der neuen Schrift durch: die Stände, die den Kaiserstaat bisher getragen hatten, erschienen im wesentlichen unversehrt auch weiterhin wieder als seine Träger: eine der tiefsten sozialen Erschütterungen war ohne Riß der Kulturtradition überwunden. Diese Erschütterung war freilich aus der ganzen Kulturtiefe des Großraumes der Monsunländer an ihre äußerste Inselgirlande herangeprallt, nachdem sie zuvor durch die beiden raumgewaltigsten Festlandräume der Einheit der Monsunländer19 hindurchgegangen war und dadurch viele Umwelteinflüsse hatte überwinden, sich auch ihnen anpassen müssen20. Der weite Raum, aus dem Körper Asiens, der Wiege 18
der Völker zwischen dem Einzugsgebiet des Indus und des Amur herausgeschnitten, steht unter der klimatischen Einheit des regelmäßigen Klima- und Niederschlagswechsels der Monsune und hat sich — lange vom expansiveren Abendland durch einen Wüsten- und Hochgebirgsgürtel getrennt — einen verinnerlichten Werdegang der Kulturpolitik gestatten können, wie wenige andere Großräume der Erde21. Unter den rhythmischen Beziehungen seiner strahlenden wie abstoßenden Kraft steht auch, (für die Zeit vor 1513 noch weniger leicht erreichbar für Fremdgewalt, als die indische und die chinesische Kulturwelt), das japanische Reich; es hat, abgesehen von den Abstufungen der über allen dreien waltenden ähnlichen klimatischen Kräfte, während der zwei ersten Jahrtausende seiner kulturpolitischen Entwicklung, nur von ihnen aus umgestaltende Einflüsse erfahren, und zwar in dem Grad, wie es sie selbst auswählerisch herbeiholte. Noch an jener Zeitenwende um die Mitte des XVI. Jahrhunderts, die zum erstenmal andere Einflüsse, als solche aus der indischen und chinesischen Kulturwelt in nennenswertem Umfang heranführte, glaubte man in Japan, daß es nur drei Kulturländer, sankoku schlechthin, gäbe: Indien, China und Japan, die deshalb unter besonderen Beziehungen zueinander stehen müßten und allein einander Kulturgut rechtens zu vermitteln hätten. Der Schatten dieser geschichtlich erwachsenen Vorstellung reicht heute noch mächtig in die Gegenwart herein; er erschwert zur Zeit ganz gewiß reinliche Scheidungen zwischen Großostasien und dem indischen Großraum, z. B. in den Andamanen, in Assam, 19
um Ceylon, erleichtert aber andererseits Kompromisse, wie das zwischen Japan und Wangtschingwei und die Vorstellung von der Daseinsnotwendigkeit eines Kultur-, Macht- und Wirtschaftsbegriffs Großostasiens, (Hakko ichiu — zu Wohlfahrt unter einem Dach). Es könnte zu verhängnisvollen Irrtümern führen, wenn man die Nachwirkungen bis in die Gegenwart solcher kulturgeschichtlicher Erfahrungen und Vorstellungen vom inneren Zusammenhang der Großräume übersähe. Es gab doch Japaner in Malakka und auf den Sundainseln, lange ehe Portugiesen und Niederländer dort ankamen, und es bestanden starke weltanschauliche Bindungen zwischen Nippon, China, Khmer, Mon und Thai, wie Birma, ehe Buddha dort vor den Kanonenbooten zurückwich. Von den Unterströmungen aus dem Bereich der Gesamtheit der Monsunländer, die an der japanischen Küste landeten und den natürlichen Widerstand des wehrhaften Gefolgen- und Stammwanderungs-Staates überwanden, waren die stärksten der Indien entstammte, aber durch weite Wanderungen in seiner Form veränderte Mahayana-Buddhismus, und die beim Durchgehen durch das koreanische oder südchinesische Mittel gleichfalls umgeformte und Japan vielleicht noch mehr, als selbst der Buddhismus angeglichene chinesische Staatsphilosophie. (Chiu-ko statt ko-chiu). Aber diese beiden Einverleibungen in den japanischen Kulturaufbau bezeichnen nur die wirksamsten und, bei ihrer Gleichzeitigkeit des Einflutens, zu einer Wachstumskrise führenden Einströmungen. 20
Viel geräuschloser ist auf dem natürlichen Wege über die Landbrücke die Pferdezucht (201—296), das Papier (610) und die Schrift (405) die Tuschzeichnung, durch Gesandtschaften die Agrumenpflege (259), zeitlich ziemlich genau nachweisbar der Tee im VIII. Jahrhundert eingewandert. Als Begleitpflanze des Buddhismus kamen Lotos und Ficus religiosa; als Begleitpflanze des tatfrohen malaio-polynesischen Zustroms wohl der Bambus, die typische Begleitpflanze der Malaien, im Zeitpunkt unnachweisbar der immergrüne Sakaki des Shinto zu ihrer Verbreitung im Inselbogen. Dessen ursprüngliche Flora ist ganz gewiß nordischer gewesen als heute, wo einen der leitenden Farbenkontraste das dunkle, satte Grün des Bergwalds mit dem starken, lichten Grün der gleichfalls zugewanderten Ernährungs-Charakterpflanze Südostasiens, dem wohl aus Assam stammenden Reis bildet. (Oryza sativa.) Der Reisbau — kulturpolitisch betrachtet — ist einer der stärksten Erzieher der Menschheit zur Gemeinschaftsarbeit in der Bewässerungskultur; er hat die vorindustriellen Zusammenballungen der Menschheit in Indien und Ostasien ermöglicht. Auf ihm, auf der, einen einzelnen Menschen ernährenden Größe des Naßfelds (ta) beruht das erste große Sozialexperiment Japans, der Versuch, das Kulturland, soweit es Reis trug, nach der Kopfzahl der zu Ernährenden in regelmäßigem Wechsel aufzuteilen. Aber es bedurfte freilich einer längeren Frühkulturperiode, bis das aus kühnen Stammwanderungen erwachsene Reich zu einer solchen Kraftprobe fähig war, die schon eine hohe Verwaltungsleistung voraussetzte, wie Yamato sie im VI. 21
Jahrhundert besaß, wenigstens in seinen Kernlandschaften22 (Nachod). Von ausschlaggebender Bedeutung für die ganze Dynamik der japanischen Kulturpolitik ist aber, mit Ausnahme der vielleicht noch zu klärenden Früheinflüsse über Kyushu, vielleicht auch Westhonshu, daß seither alle fremdstämmigen Zuflüsse von Japan aus irgendwie herbeigeholt, zugeführt oder mindestens so stark kontrolliert worden sind, daß man den Grad der Zumischung genau regeln konnte. Das galt unbedingt für die ganze Zeit von der Entstehung Nippons als selbständige Kulturmacht bis zur Erschließimg des Pazifischen Ozeans zwischen 1511, 1513 und 1520; aber es gilt mit ganz wenigen Ausnahmen auch für die Zeit vom Beginn des XVI. Jahrhunderts bis heute. Eingriffe, wie die Romanisierung Galliens und des heutigen Südwestdeutschland, wie das gewaltsame Vortragen von vorderasiatischen Religionen nach West-, Mittel- und Osteuropa, Umbrüche wie sie Hunnen- und Mongolen-Züge, die Überschiebungen der Türkvölker mit sich brachten, Gegensätze, wie zwischen Großbritannien und Irland, kennt die japanische Kulturgeschichte nicht. Ihr Kulturkörper wuchs — ohne jede Völkerwanderung im westlichen Sinne — autochthon aus Stammwanderungen empor und brauchte sich nach der ersten zusammenfassenden Reichsbildung nur langsam über einen weitmaschig von Jäger- und Fischerstämmen überzogenen Raum nach Nordosten einschmelzend und kolonisierend fortzuschieben, bis das Inselbogen-Reich als solches vollendet war. 22
Die Einzelheiten dieses Vorgangs sind besonders klar und übersichtlich von George Montandon in seinen Arbeiten über die Ainu mit Karten belegt23 und nachgewiesen, und weiteres Schrifttum findet sich in dem Göschenbändchen24 Nr. 1120: „Alt-Japan" zusammengetragen, wo das Bild der Frühkultur nach einer kurzen Schilderung von Japans Lebensraum als Schauplatz seiner Geschichte in die Abschnitte „Shinto, Kami und Koropokguru" (Weg der Götter, vergöttlichte Vorfahren und Höhlenmenschen), „Wa und Yamato" (die Auseinandersetzimg zwischen den Frühkulturzentren in Kyushu und Westhondo zum Reich Yamato) und „Uji" (die Zeit des Geschlechterstaats) gegliedert ist. In das ureigene Kulturgebäude waren dann die wertvollsten Zuflüsse aus den Nachbarkulturen zuerst eingesickert, dann eingeströmt, bis sie in der „Taikwa", in Symbiose mit ihr die Lebensform des Inselreiches umzugestalten vermochten. Der Kulturstand Japans zu Beginn dieser ersten größeren Einflutung fremder Kulturelemente, die einverleibt und verdaut werden mußten, ist in deutscher Sprache bisher am breitesten in Nachods Geschichte vor Japan22 im ersten Band und in der ersten Hälfte des zweiten Bandes, dann in Wedemeyers Frühgeschichte von Japan18 geschildert. Diese erste Hälfte umfaßt 539 Seiten, der Band von Wedemeyer 345 Seiten, eines aufs höchste zusammengedrängten Stoffes mit einer Reihe von historischen und zugleich kulturpolitisch deutbaren Karten, von deren jede wieder für sich eingehende Studien und tagtlange Versenkung in ihren reichen Inhalt fordert. 23
Jedenfalls ergibt sich aus ihnen (die überall auf die japanischen, chinesischen und koreanischen Quellen unter sorgfaltiger Quellenkritik zurückgehen), ein hochwertiger, auch nach außen bereits durchaus schlagfertiger und abwehrbereiter Kulturzustand von etwa 8 Millionen Menschen mit einem ausgewogenen Landschaftsgefüge der einzelnen Kulturlandschaften (Kuni, Länder, Gaue), einer zusammenfassenden Herrschermacht, auf Reichsgrundsteuer, Reichskirchengut, Heerverfassung und Rüstungsindustrie gestützt, von einer einheitlichen Religionspolitik (z.B. unter Kaiser Sujin) getragen, durch kaiserliche Fronhöfe und Vorratshäuser in drei verschiedenen Abhängigkeitsstufen durchdrungen. Wie weit aber wird man vor der „Taikwa" von einer instinktiven oder bewußten Kulturpolitik sprechen können, die über rein innere Verhältnisse hinausgriff? Gewiß läßt sich an dem Verhältnis des japanischen Frühstaates zu Korea die Wahrheit des einen Raumgesetzes von Ratzel erweisen: „Im friedlichen Wettbewerb wie im kriegerischen Ringen gilt die Regel, daß der Vordringende denselben Boden betreten muß, auf dem sein Gegner steht. Indem er siegt, gleicht er sich ihm an." Das ist der Schlußabsatz der berühmten Abhandlung über: „Die Gesetze des räumlichen Wachstums der Staaten" (Pet. Mittig. 1896), die sich gerade am kulturpolitischen Werdegang des japanischen Reiches mit klassischer Klarheit erweisen lassen, weil es eben eines der am wenigsten von außen gestörten staatsbiologischen Experimente der Menschheit zeigt25. Mindestens hatte sich durch den ganzen Geschichts24
verlauf hindurch das 1. Gesetz bewährt: „Der Raum des Staates wächst mit der Kultur". Es hatte bis zur Taikwa den Zusammenschluß der Wa-Reiche mit Izumo zum Reiche Yamato bewirkt und diesem den Zug zur Markenerweiterung nach Nordosten gegeben. Auch das 3. Gesetz hatte mit dem Zusammenschluß der „kuni" bewiesen: „Das Wachstum der Staaten schreitet durch die Angliederung kleiner Teile zur Verschmelzving fort, mit der zugleich die Verbindung des Volkes mit dem Boden immer enger wird." Dieses „Wachstum in die Tiefe" allein machte das für die ganze Kulturzukunft Japans so wichtige agrarpolitische Experiment der Taikwa möglich, dem aber schon ein Jahrtausend Bodenkultur des Reisbaues vorangegangen sein mußte. Nicht minder bewahrheitet sich das 6. Gesetz bis in alle, von Ratzel ausgeführten Einzelheiten: „Die ersten Anregungen zum räumlichen Wachstum der Staaten werden von außen hineingetragen." Kulturpolitisch eigenartig aber ist, wie in Japan diese Anregungen vor 645, vor 1592, vor 1868 und 1931 lange angestaut werden und dann mit einem Male zum Durchbruch kommen, fast wie in einer Analogie zur vulkanischen Landesnatur. Behilflich war Japan bei seiner ganzen politischen Bewegung die günstige Zusammensetzung der Großinseln aus kleineren Bewegungsgebieten und Beharrungsgebieten, die sich fast alle auf das Meer als großräumigen Erzieher in einer ziemlich ähnlichen Gaustruktur öfEheten, über welches die einzelnen Rassenbestandteile — irgendwie vom Ozean und seinen Strömungen getragen — 25
herangekommen waren. Dessen fermentierender Zug, mit geringen Kräften große Wirkungen zu üben, saß ihnen daher im Blute. Aus diesem Zug heraus waren die Übergriffe der WaReiche auf das Festland, die Zuwanderung der Gründer von Izumo entsprungen; aber sie führten zugleich die Kulturfermente auf die Inseln, aus denen die erste größere und einheitlichere Ausstrahlung von fremdstämmiger, aber angeglichener Kultur über sie hinwegfuhr und ihnen das kulturpolitische Antlitz umprägte, das schon aus seiner geopolitischen Naturanlage zur Doppelgesichtigkeit und Doppelzelligkeit vorbestimmt war. Der Übergang der chinesischen Staatsphilosophie und des Buddhismus vom Festland über die Festlandbrücke Korea auf den Inselbogen vollzog sich im Sinne eines Kulturgefälles und lief folgerichtig stoßweise aus dem Ahnenland gegen das Kwanto, dann zur Burg Taga in die Gegend um Sendai, endlich nach Aomori und über die Meeresstraßen weiter in die Südmark der Nordinsel Yezo-Hokkaido, über deren Hauptland und schließlich nach Sachalin-Karafuto und den Kurilen in allmählicher Verdünnung des Kulturstromes. Bemerkenswert ist, wie die Seegeltung die meisten der Kulturstauungen anhebend und sinkend mitmacht, wenn auch in etwas anderem Wellengang. Darauf weist ein Aufsatz in den Schweizer Nationalen Monatshef en von Paul K. H. Rordorf: „Alt-Japans Seegeltung" hin, der die frühen Zeiten des Anschwellens japanischer Seegeltung zusammenfassend untersucht26. 26
Wie immer man die Korea-Expedition der Kaiserin Jingu Kogo und die ihr folgenden kriegerischen und kulturellen Verkehrsvorgänge genau chronologisch festhalten mag, ob mit der japanischen Reichstradition oder mit Hilfe der chinesischen und koreanischen Aufzeichnungen, so steht fest, daß auf den schon vor Ztwde. von Altjapan aus beherrschten Gewässern 405 die chinesische Schrift und 552 die entscheidende buddhistische Mission aus Pekche in Korea herübergetragen wurden, daß 562 die Japaner eine Niederlage gegen das koreanische Reich Silla erlitten und sich dann nur in Teilgebieten (Pekche, Mimana) bis 668, zuletzt nur in Hafenkolonien halten konnten, während die Tangdynastie 619—907 in Korea ihren Druck ausübte, ohne daß ihr ein starker japanischer Gegendruck begegnet wäre. Von vielen Gesandtschaften, zugleich Kulturboten, mit zuerst 2, später 4 Schiffen wird berichtet. Wohl aber sind im Nihongi Flotten von 170 und 200 Schiffen für interne Zwecke (Baustofftransporte, Ehrengeleite) erwähnt, von 180 Schiffen in Kriegszügen gegen die Ainu, 658/59 und 200 gegen die Mandschu 660. Dann zog sich die Schiffahrt mehr auf den inneren Gebrauch zurück, obwohl die Magnetnadel 660 schon von China nach Japan gekommen sein dürfte. Die Hauptversuchsperiode des Beamtenstaates von 645—850 scheint die Kulturkräfte vorwiegend nach innen gebunden zu haben, wenn auch für 759 ein Dreijahresplan zum Bau von 500 Schiffen gegen Silla berichtet wird. Immerhin standen noch bei Dannoura 500 TairaSchiffe gegen 700 der Minamoto unter Yoshitsune; 27
dabei dürfte es sich vielfach um Klan-Aufgebote, z. B. 300 aus Kyushu, gehandelt haben. Nach dem glänzenden Anlauf der Nara- und HeianKulturperiode, die eben doch nur mit ihrer Hochblüte schmale höfische Schichten erfaßten, flattert die Kulturpolitik entsprechend der stammesmäßigen Zersplitterung unter dem Druck des Ringens zwischen Kyoto und Kamakura auseinander. Die räumliche Trennung zwischen hiero-monarchischer und wehrpolitischer Gewalt ist ihr in Japan nicht gut bekommen. Erst mit dem nochmaligen Zusammenrücken beider in die Altkulturlandschaft des Kamigata unter Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi schnellt mit der Zusammenraffung der Reichskräfte auch wieder eine gewollte, nach außen gewendete Kulturpolitik und mit ihr Erneuerung der Seegeltung und der überseeischen Kraftäußerung empor. Hatten noch beim Aufkommen Oda Nobunagas und beim Versinken des an sich kulturfrohen AshikagaShogunats verhältnismäßig kleine Feudal-Aufgebote eine Rolle spielen können, so sind die Feldzüge des Taiko Toyotomi Hideyoshi bereits mit mächtigen Heereszahlen und bedeutenden Transportflotten zuerst zur Wiederheranholung der Südstämme auf Shikoku und Kyushu (Satsuma) an das Reich, dann, von 1592—1598, zur Bezwingung von Korea durchgeführt worden. Aber die höchste kulturpolitische Leistung, die der neuere Historiker Hiraizumi eine Achse, einen Eckstein des Reiches nennt, stammt nicht aus einer Zeit des Machtaufschwungs, sondern aus einer Zeit des 28
Doppelkaisertums unter Godaigo Tenno, in der das alte japanische Staatsrecht am Versinken schien: die Staatsdichtung Jinnöshotoki des Kitabatake Chikafusa. Er war ein ungefährer Zeitgenosse von Dante Alighieri, mit dessen Wirken für Italien und den Reichsgedanken die Leistung des Verfassers des Jinnoshotoki oft, und mit einem gewissen Recht, verglichen wird. Diese Wirkung ist eine Bestätigung des in der japanischen Kulturgeschichte nicht seltenen Vorgangs, daß höchste Not eine ungewöhnliche Konzentration des Gesamtvolks und die Entbindung kulturgeschichtlicher, wie politischer und militärischer Kräfte begünstigt. Yamatodake no Mikoto, Yoshitsune und Yoritomo, Kitabatake Chikafusa und Kusunoki Masashige, Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi, der Genrokreis des Kaisers Meiji sind solche Tatbeweise. Zwischen dem ersten Versuch einer geschichtsphilosophischen Betrachtung (Ramming, Japan-Handbuch)27 des Priesters Ji-en, späteren Abtes Jichin, Sohnes des Kwampaku Fujiwara Tadamichi zur Zeit des Kaisers Juntoku (1211—1221), das die Zeit von 660 v. Ztwde. bis 1221 nach Ztwde. vom buddhistischen Standpunkt behandelt, des „Gukwanshö" und der Abfassung des „Jinnoshotoki" 1340 liegt wohl die Überwindung der größten möglichen kulturpolitischen Krise. Sie konnte daraus entstehen, daß der im Grunde doch weltflüchtige Geist des Buddhismus die nationale Richtung und Erneuerungskraft des Shinto überwand, wie dort, wo eine ähnliche Durchdringung einer Volksseele durch den Buddhismus mit Sieg seines weltflüchtigen Zuges endete. Das ist in Birma 29
erfolgt (vgl. Fielding; Hall: The soul of a people)28, hat Thailand zuweilen bedroht, hat Wendungen der Geschichte Tibets und der Mongolei und Zusammenbrüche des Lebenswillens herbeigeführt, von denen Japans Volksseele als Ganzes verschont blieb. Einzelne freilich hat auch in Japan eine solche Kulturkrise oft genug erreicht und vorzeitig dem wirkenden Leben entfremdet, wie wir es in zahlreichen Fällen verfolgen können; sind doch viele Kaiser und auch die beiden ersten Tokugawa-Shogune vor ihrem Ableben wenigstens äußerlich aus der Macht geschieden. Tatsächlich vermochte Japan auch dem Buddhismus ein die Nationalkultur verstärkendes Element abzugewinnen, das seit dem Wiederaufnehmen außenpolitischen Wirkungswillens in der Meiji-Zeit durch Missionierung die werbende Kraft der Kulturpolitik im ganzen großasiatischen Raum wesentlich unterstützte, wofür in Indien, Ceylon, Birma, Thailand reichliche Spuren zeugen. Sogar die strenge, vergeistigte Zen-Sekte hat ihren Anteil an diesem Erfolg, der den stichhaltigsten Beweis für die eigenständige Kraft japanischer Kulturpolitik liefert, die sich vor allem in der entschlossenen Zusammenballung aller geistigen und physischen Kräfte bei Bedrohungen von außen her erwies, wie bei der Abwehr der Mongolenstürme, auch wenn man im Innern zur gleichen Zeit noch so fehdefroh und kampflustig war. Liegt schon in dem Durchsetzen der Schwerpunktpendelung der Macht zuerst zwischen Kyoto und Kamakura, dann, nach ihrer vorübergehenden Rückkehr ins Kwansai, zwischen Kyoto und Tokyo ein 30
Beweis gesunden kulturpolitischen Instinkts gegenüber der fortschreitenden kulturellen Einschmelzung des Nordostens, so noch mehr in den Steigerungen der Abwehrleistung gegen den Andrang außer-pazifischer Mächte zwischen 1549 und 1636 und später von 1853 bis 1941. Beide Abwehrleistungen wären gar nicht zu verstehen, wenn man versuchen wollte, sie rein von Ständpunkten der Macht oder der Wirtschaft aus zu beurteilen. Die geopolitische Eigenart des Raumes und die Eigenständigkeit der von 1600 bis 1853 in einem, der interessantesten Komprimierungs- und Konzentrierungsversuche der Weltgeschichte zur Einheit verschmolzenen Reichskultur lassen beide kulturpolitische Wandlungen voll verstehen und begreifen, wie aus einer scheinbar tiefgehenden Entzweiung solche Zusammenballung zu unerwarteter Schlagkraft nach außen innerhalb eines einzigen Generationswandels entstehen konnte. Die japanische Kulturgeschichte liefert den Schlüssel dazu; deshalb haben wir versucht, ihren Wellengang in einigen, uns wesentlich scheinenden Zügen festzuhalten. Einzelbegründungen freilich mußten dabei gespart werden. Festzuhalten bleibt nur, daß die japanische Reichsgeschichte am besten nach ihren Kultur- und Stilperioden gegliedert im Geiste haftet, daß sie dabei merkwürdige Gleichläufigkeiten mit der Entwicklung der europäischen Achsenmächte zeigt, ohne daß vor Marco Polo auch nur eine flüchtige Nachrichtenberührung stattgefunden hätte; endlich, daß die japanische Kulturbewegung, wenn man sich erst einmal in sie vertieft hat, eine große Klarheit der 31
Linienführung aufweist, wie auch eine ungewöhnliche Gabe zu auswählerischer Einverleibung fördernder Kulturkräfte von außen und zur Ausschaltung, Abdrosselung oder Einkapselung wesensfremder Zumischungen in Rassengefüge und Kulturkreis. Das alles freilich erleichterte ihre Beobachtung von außen her und ihre kulturpolitische Selbstdarstellung nach außen nicht.
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Dritter Teil: Gründe für die verschiedene Beurteilung von außen her
„Eure Insel läßt sich geistig und gemütlich ganz anders erfassen und umfassen als ein natürlich unbegrenztes Stück Festland. Sie bleibt immer dieselbe. Es liegt etwas, das man ein Formelement nennen könnte, in dieser Wirkung der Inseln auf ihre Völker. Dasselbe zeigt sich aber auch in der starken Wirkung der Inselvölker auf die kontinentalen. Der feste Rahmen der Insel gibt allen Äußerungen jener etwas scharf Umrissenes, Eindrucksvolles und besonders auch Gleichmäßigeres, das dem immer neue Formen annehmenden, ewig angeregten und veränderlichen Wesen der Kontinentalen naturgemäß überlegen ist." Dieser Satz aus Friedrich Ratzels klassischen Aufsatz: „Inselvölker und Inselstaaten" (Kl. Aufsätze Bd. II, S. 29429)—der eine kulturgeographische Fundgrube für die Erkenntnis von Japans Eigenart ist — hat eine ausgesprochene Kehrseite: daß es für die kontinentalen Beobachter aller Inselvölker sehr schwer ist, sie gerecht oder auch nur gleichmäßig zu beurteilen. Japans Los in seiner ganzen Altkulturzeit aber war es, bis zur Ankunft der ersten Portugiesen in Großost3
Hausbofer
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asien, fast ausschließlich von Kontinentalen über nahe Meere hinweg beobachtet und beschrieben zu werden, denen seine Wehrkultur in ihrer Seegeltungsausstrahlung das friedliche Leben mit den Inselleuten sehr schwer machte. Die kontinentalen Ostasiaten, immer mit einer Vorliebe für Statistik und geordnete Verhältnisse behaftet, auch wenn sie momentan nicht erreichbar waren, haben periodenweise die Einfälle der „Bahan", der Inselseeräuber gezählt, die stattliche Rekordreihen längs des ganzen Küstenmeerkorridors von der Japansee bis zur Sundasee erzielten. Ebenso sind natürlich die jahrhundertelangen Frühvorstöße Japans nach Korea schmerzlich empfunden worden, und haben dort, wie in China selbst, den Universalreichswahn der chinesischen Staatskultur oft peinlich an die ozeanischen Grenzen seiner Macht und seiner Machtvorstellungen von einem allsouveränen Reich der Mitte erinnert. Trotzdem hat dieser Größenwahn, durch altes Kulturbewußtsein genährt, sich noch in der Frage von Titelverleihungen an den Taiko Hideyoshi bis zum Ende des XVI. Jahrhunderts lebendig gezeigt und den Blitz einer sechsjährigen Invasion auf das Festland gezogen. Viel unausrottbarer noch saß er als Überlegenheitsgefühl im Kulturbewußtsein der Festlandreiche in den Gehirnen, die immer bereit waren, freundschaftliche Annäherimg als Bereitschaft zur Unterwürfigkeit zu deuten und Kulturgaben in Tribute umzufälschen. Mit beständigem Blick auf diese Seelenhaltung, die leider aus dem chinesischen Schrifttum auch etwas auf den Geist der abendländischen Sinologie über34
gesprungen ist, wird man an die endlosen Klagereihen in koreanischen und chinesischen Quellen herangehen und sie Hohenliedern der japanischen Heroensage gegenüberstellen müssen, wie das Wedemeyer im ersten Teil seiner japanischen Frühgeschichte so vorbildlich tut 30 . Helles Licht strahlt von der ins Jahr 366 verlegten Verbindung durch Shima no Sukune mit dem koreanischen Reich Peckche aus, da Japan über dieses eine „Fülle von Gütern und Anregungen aus der festländischen Kultur, die Mehrzahl jener koreanischen und chinesischen Einwanderer, namentlich der Schreiberzunft und Schreibersippen empfing." Einen deutlichen Grund der Schwierigkeiten, mit denen die Festlandbeobachtung zu ringen hat, zeigt aber (Wedemeyer S. 47)31 die Tatsache, daß Oro, Prinz von Silla, bei der Bewirtung eines Gesandten der „Wa" (Japaner) den schlechten Scherz macht: „Früher oder später werden wir deinen König zum Salzsklaven machen und die Königin zur Küchenmagd" — wofür er dem Rachezug der Wa als Geisel zum Opfer fiel und von ihnen verbrannt wurde. Sicher scheinen auch wohl die Hinweise auf Matriarchats-Zustände in Kyushu aus älteren chinesischen Annalen, mit denen Wedemeyer den Ruf der Jingu Kogo als der Herrscherin begründet „die das von ihren Vorgängern hinterlassene geeinte Reich zum Anschluß an die festländische ostasiatische und damit an die Weltkultur geführt hat." Jedenfalls ist zwischen 375 und 405 spätestens der Einzug der Schrift und damit der Anbruch einer neuen Kulturperiode in Nippon verbürgt, und zwar 3'
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als Ausstrahlung teils harter und rauher, teils freundlicher, aber jedenfalls intensiver Berührung mit dem Festland über die Landbrücke Korea. Zweieinhalb Jahrhunderte hat es dann gedauert (fast ebenso lang wie nach der Ausschließung des Christentums und der Conquista 1200 Jahre später) — bis das durch Einsickerung aufgenommene fremde Kulturgut so weit angleichbar und vertraut schien, daß die schicksalbestimmenden Kreise an seine Einbürgerung denken konnten; und diese wieder vollzog sich unter Kämpfen, die fast ein volles Jahrhundert und ein weiteres Viertel in Anspruch nahmen. Denn mehr als ein halbes Jahrhundert lang leisteten die führenden Sippen des alten Geschlechterstaats einen an kritischen Wendungen reichen Widerstand. Der ganze Vorgang wurde, soweit China in Betracht kam, von außen her nur von höfischer Überhebung aus gesehen, die alle Gesandtschaften, wie das Wedemeyer im einzelnen nachweist, im Lichte von Tributgaben (— die nach altchinesischer Auffassung generationsweise fällig waren) — und Gesuchen um Gewährung von Rang und Titelerhöhungen erwähnte, so von 306, dann 413 bis zu Beginn des VI. Jahrhunderts, wo wenigstens die chronologischen Schwierigkeiten enden. Aber die Bildung des starken Reiches von Yamato hinter dem schützenden Schrein der westjapanischen Teilreiche auf Kyushu entging den Festlandnachbarn geraume Zeit, während die werdende Zentrale bereits ihre Kulturwerte an sich zog. Erst die Festland-Unternehmungen von 363—369 scheinen diesen Zustand geändert zu haben. Ausnahmen bilden zwei sagen36
haft umrankte Gesandtschaftsberichte aus Sujins Zeit, der die Kulte von Izumo in den Reichskult von Yamato aufnahm und überführte, und damit wohl das Beste zur Vereinheitlichung der frühjapanischen Kulturpolitik tat. Es ist von besonderem Reiz, an Hand von Wedemeyers Werk zu verfolgen, wie er die Kulturberührungssagen zwischen Festland und Inselreich unter Vermittlung von Izumo und Kyushu und schließlich über beide hinweg entwirrt; zu erfahren, wie nüchtern etwa im „Weichi" die Zustände des Wa-Reichs an Hand von Gesandtschafts-Itineraren beschrieben werden. Für den großen Zug der Geschichte der Kulturpolitik genügt aber die Tatsache, daß eine Sammelzentrale bestand, ehe die Kulturschleusen von außen herein planmäßig geöffnet wurden, wobei mehr Kulturkunde von außen herein, als von innen hinauskam. So früh wußte sich das wohlgeordnete Staatsgefüge kulturpolitisch zu tarnen! Wir sehen also das Inselreich, ehe überhaupt die fortlaufende Beobachtung von außen her beginnt, auf der bemerkenswerten Höhe, von einer fest begründeten Zentrale aus bewußte kulturpolitische Handlungen von großer Tragweite vornehmen. Suchen wir die anderwärts selten zu findenden Ursachen dafür, so liegen sie eben doch in der geschichtlichen Tatsache der Reichsgründungsfahrt von Jimmu Tenno. Während dieser geographisch durchaus verfolgbaren Leistung hat er als geopolitisches Genie eine Reihe positiver organisatorischer Aufbaumaßnahmen von tausendjähriger Dauer und Kulturtragweite getroffen, und vor allem keinem der lockenden Antriebe und 37
Reize nachgegeben, die expansive und kulturverstreuende, statt zentripetaler, intensiver, konzentrischer, kulturverfestigender Folgen haben konnten. So wurde dadurch ein kulturpolitischer Mittelpunkt im Kamigata bei zunächst freilich noch wechselndem Sitze der Macht geschaffen, der auf einen regelmäßigen, wabenformigen Anbau weiterer Gaukulturzellen angelegt und damit eines organischen Wachstums fähig war. Die Einzelheiten dieses Wachstumsvorgangs und der Entstehung der Staatskultur als kulturpolitische Erscheinungen zu verfolgen, würde ein Buch für sich beanspruchen; die politisch-geographische Rekonstruktion von Jimmu Tennos Fahrt und seiner Unterbauten für eine Verfassung dabei am laufenden Bande finden sich bei Wedemeyer, später auch bei Nachod. Wir halten für die große Linie des aufsteigenden Astes der japanischen Kulturflugbahn fest, daß sich deren Anfänge bis zu einer sehr beträchtlichen Steighöhe der Beobachtung von außen her überhaupt entziehen, die erst beginnen konnte, als das Reich Yamato bereits die Teilbildungen in Kyushu und Izumo überschattete und deutlich hervortrat und als die friedliche und kriegerische Ausdehnung nach Korea bewußt Baustoffe zum weiteren Ausbau einer gelenkten Kulturpolitik herbeischaffen. Diese Lenkung der Kulturpolitik von oben, von der Spitze der Staatspyramide aus, auf Grund einer Auswahl der Helfer dabei durch ein eklektisches, im besten Sinn aristokratisches, aber von früher Geschlechter- und Rassensichtung bestimmtes Führerprinzip wird seit der Angleichung des Buddhismus und der festländischen 38
Staatsphilosophie erst recht zum Leitgedanken der japanischen Kulturpolitik, die fürderhin von außen her nicht mehr wesentlich gestört wurde, allerdings rings um die Taikwa eine große Krise erlebte. Es wäre wider die Natur und Erfahrung der Menschheit bei so grundstürzenden Rezeptionen, wie der des Buddhismus in seiner Mahayanaform durch einen so kriegerischen, auf Wachstum abgestellten Geschlechterstaat, der sich die Weltfluchtlehre und ihren Kulturapparat mehr mit Waffengewalt, als auf friedlichem Wege auf seine Inseln geholt hatte, wenn die Einfügung der Buddhalehre in das bestehende Uji-Geschlechter-Staatsgebäude ohne schwere Kämpfe und heroische Opfer abgegangen wäre. Diese Opfer fielen sowohl von seiten des Kaiserhauses (Shotoku Taishi und Sippe) als auch von seiten der widerstrebenden Geschlechter (Mononobe, Soga) und zwar gleich in ganzen Familien und Verbänden. Der Sieg blieb aber bei der vorher schon aufgezeigten Leitlinie der Staatskultur-Politik von der hiero-monarchischen Spitze aus. Er führte nach einigen großartigen Umformungen im Sinne des Beamtenstaatsgedankens sogar zu einer Entfremdung zwischen den, von fremdbürtiger Hochkultur erfaßten Oberschichten des Hofes und Hofadels in Heian-Kyoto und den Trägern der vorwärtsstrebenden Wehrgeopolitik in den Marken, aus denen sich dann der Wehradel der Buke im Gegensatz zum Hofadel der Kuge entwickelte und schließlich den Sitz der wehrhaften Macht nach Kamakura verlegte. Auf den Buke und der von Yoritomo Minamoto zum erstenmal in Form gebrachten Ritterlehre fußte dann 39
die wichtige kulturpolitische Einrichtung der Samurai, des Wehradels (shizoku), der aber aus den Gefolgschaften und ihren besonderen Treueverpflichtungen hervorging, deren Vorbild die Seegefolgschaft Jimmu Tennos war. Auch dieses wichtige Rippengefüge im Bau des Staatsfahrzeugs ist also folgerichtig aus ganz früh gelegten kulturpolitischen Anfängen hervorgegangen, hat sich aber der Wahrnehmung von außen her fast völlig entzogen, im Gegensatz zu den frühzeitig beobachteten Gauherrschern, späteren Feudalherren aus der Blüte der Geschlechter (kwazoku), deren Macht von außen her meist überschätzt wurde, so auch später vom Christentum. Nur ihre Wehrtüchtigkeit spürte man. Woher sich aber im Gegensatz zu dem beständigen wehrgeopolitischen Auf und Nieder innerhalb der Festlandnachbarn ihre dauernde Tüchtigkeit und Überlegenheit erhielt, das ist den auswärtigen ostasiatischen Beobachtern offenbar entgangen; erst die abendländischen fühlten sich besser an den Kern des Problems heran, wurden aber durch den Gegensatz Conquista-Christentum dabei behindert. So gehört die dauernde Unterschätzung der japanischen Wehrkraft und. Staatsbeständigkeit als Folge einer seltenen Kultureinheit durch die meisten Beobachter von außen her fast zu den kulturpolitischen Dauerzügen. Sie bewirkt die beständigen peinlichen Überraschungen festländischer und überseeischer Mächte, wenn sie nach dem für seine Grenzen und Marken sehr feinfühligen, fernempfindlichen und weitsichtigen Inselreich greifen. 40
Solche Überraschungen, mit Mängeln der kulturpolitischen Beobachtung von außen her zusammenhängend, erlebten in grauen Tagen die südkoreanischen Reiche, Kublai Chan Ende des XIII. Jahrhunderts, erlebten im XVI. Jahrhundert die iberischen Seemächte und die katholische Propaganda, Korea und das hinter ihm stehende China zum erstenmal 1592—98, später wieder zu Ende des XIX. Jahrhunderts, das Zarenreich 1904/5, und erleben jetzt die verbündeten anglo-amerikanischen Seemächte seit dem 8.12.1941. Die warnenden Berichte des ersten mongolischen Gesandten und Kundschafters Chao-Liang-pi aus Japan — (die späteren, zahlreicheren Botschaftet wurden teils vor Kamakura, teils in Kyushu (1279) enthauptet, bis 1281 die Angriffsflotte vernichtet wurde) — stehen als kulturpolitische Erscheinung auf demselben Blatte, wie die Berichte des Generals Samoilow vor dem russisch-japanischen Krieg. Darin hat er mir persönlich die Stelle gezeigt, die sich über die Schwierigkeit der Lage eines fremden Militärattachis in Japan ausläßt, nicht zuletzt „weil es das internationale Gesindel, sonst die beste Informationsquelle, in Japan nicht gibt". Zwischen der Meiji-Zeit und dem pazifischen Krieg war etwas davon eingesickert und auch in der englisch geschriebenen japanischen Presse zu spüren. Aber es verflüchtigte sich rasch und bewährte so einen seit mehr als zweitausend Jahren gegenüber fremdem Einblick in seine wirkliche Stärke erprobten Grundzug der japanischen Staatskultur. Er ist mindestens seit den koreanischen Annalen bald nach Ztwde. erweisbar, und wird deshalb 41
hier im Zusammenhang herausgestellt, weil er zweitausend Jahre alt ist und deshalb auch in Washington bekannt sein konnte. Mit dieser Tatsachenreihe wird ein Leitzug japanischer Kulturpolitik berührt: die Fähigkeit, ohne dabei bewußt in Abwehr zu handeln, die Hauptstärken der eigenen Kulturleistung nach außen verborgen zu halten, bis sie jäh „aus latenter Energie in kinetische verwandelt werden". Mit der Übertragung des Buddhismus seit 552 waren auch die chinesisch-japanischen Beziehungen enger geworden, hatten über die Taikwa hinweg zu einer Art von diplomatischem Verhältnis friedlicher Art geführt (Krause, Geschichte Ostasiens, I, S. 147)82, die dann im Jahre 859 von Japan aus eine Unterbrechung erfuhren. Freilich war es 660 zur ersten chinesisch-japanischen Seeschlacht gekommen, bei der 400 japanische Schiffe vernichtet worden sein sollen, und Korea unter chinesische Vormundschaft geriet. Dann folgte ein Machtverfall in China, der wenig werbende Kraft meerüber frei ließ, wenn auch die seltsamen staatssozialistischen Versuche des Reformers Wanganshi (1021—1086) sicher bekannt wurden, wie ja auch die Kulturblüte der Sung-Dynastie hinüberwirkte. Dann trennten Tatareneinbrüche die beiden Kulturwelten, bis es zum Mongolensturm und nachher zur Einschmelzung der Tayüan-Dynastie in China kam. Über diese hinweg aber erreichte durch Marco Polo zum erstenmal ein freilich wenig deutliches Umrißbild von Nippon das Abendland. 42
Es ist der Mühe wert, die beiden Berichte und ihren Erfolg aus gleicher Zeit gegeneinander zu halten: 1271 hatte nach zwei vorgängigen Gesandtschaften von 1266 und 1268 Chao-Liang-pi gewarnt „da das Überwinden der See und ein Landen auf den Inseln sehr schwierig wäre, die Japaner ein kriegerisches und tapferes Volk seien, und das arme Land einen so gewagten Versuch nicht lohne". „Nach dem alten Wahne der Taoisten aber glaubte man, auf diesen westlichen Inseln reiche Goldschätze zu finden und ließ sich dadurch zu Abenteuern verleiten." Diese Vorstellung, die auch in Marco Polos Reisebericht überging, hat Kublai 1274 einen vergeblichen Versuch mit 300 Schiifen bei Tsushima, einen zweiten 1281 mit 900, nach andern mehr als 1000 Schiifen in Kyushu, und einen letzten von 1284—86 gekostet, der durch Streik der chinesischen Schiffergilden und Wasserscheu der Mongolen scheiterte. Die Wahrheit über das Inselreich drang damals so wenig durch wie später, als General Samoilow sie an den Zarenhof zu bringen versuchte, oder noch später, als die heimgekehrten U.S.A. -Presseleute sie schon durch Interviews in Honolulu und in Washington geltend machten; wohl aber wurde Marco Polos falsche Meldung über „das Goldland Zipangu und das goldene Haus des japanischen Kaisers" mit zu einem Anreiz für die Fahrten des Columbus und die Entdeckung Amerikas. Das Unwahre fand Glauben — das Wahre nicht. Wahrheit ist gewiß, soweit fromme Väter mit Bekehrungsabsichten oder Händler mit Übervorteilungs-
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wünschen sie zu sehen vermochten, in den Berichten der Missionen von 1549 bis gegen 1636 enthalten, aber auch von Abenteurern, wie Bill Adams, der im Juli 1598 nach Japan aussegelte, dort 1620 starb und kluge, wertvolle Briefe hinterließ, die von der Hakluyit-Gesellschaft herausgegeben worden sind: „ein ehrendes Zeugnis für ihn, wie für den in seiner Darstellung überaus menschlich wirkenden Shogun Iyeyasu, der weitsichtig genug gewesen war, 1610 und 1613 Schiffe nach Mexiko auszusenden, stolz genug, mit seinem Wehrgefüge hinter sich, die Krone Spanien nicht zu fürchten und menschlich genug, um als Mensch zum Menschen mit seinem Segelmeister zu plauschen." Fast wie ein Hintertreppenwitz der Kulturpolitik aber mutet es an, daß auf diese Weise, von ausländischer Hand gezeichnet, neben dem ganzen offiziellen Glanz ein gemütliches Bild der mächtigen Persönlichkeit des ersten Tokugawa-Shoguns in die Weltmeinung einging38. Viel weniger erfreulich ist der Nachweis ihrer Einzelfehlschläge durch den Streit der Sendboten des Christentums, dem von 1549 bis 1587 in Japan große Zügelfreiheit gegeben worden war, die erst auf Grund staatsgefährlicher Eindrücke 1587 einer ersten scharfen Verfolgung, 1597 einem furchtbaren Blutbad zu Nagasaki und 1637 dem Verbot, 1638 der öffentlichen Austilgung der „gefährlichen Sekte" Platz machte. Als kulturpolitischer Erfolg ist es unter solchen Eindrücken wohl buchbar, wenn trotzdem durch die christlichen Missionäre auf dem Weg über den großen Atlas von 1595 an das Abendland als Meinung überging: 44
„Die Japaner seien im allgemeinen stark, robust und eingeführt in die Anforderungen des Krieges. Sie ertragen Hunger, Durst, Kälte, Hitze, Wachen und alle andern Härten mit einer fast unglaublichen Geduld; sie sind zumeist überhöflich und artig, witzig, feinfühlig, neugierig, von heller Auffassungsgabe, willig, auf Vernunftgründe zu hören. Ihre Sprache ist ernst, elegant und reich, ohne Zweifel das Griechische und Lateinische an Wortreichtum und Ausdrucksvielseitigkeit übertreffend. Ihre Hauptleidenschaft ist Ehre. Kein Volk unter dem Himmel kann ruhmgieriger und empfindlicher für Beleidigungen sein. Sie regieren und beherrschen sich durch Ehrgefühl als Menschen, die Geltung erwerben und sich durch ihr Verdienst hervortun wollen. Sie geben sich hauptsächlich kriegerischen Übungen hin, tragen Waffen vom 12. Jahr an und tun sie nicht ab, ehe sie zu Bett gehen. Selbst dann hängen sie ihr Rüstzeug unmittelbar auf Griffweite ans Lager, um sich sogar im Schlaf als Krieger zu zeigen. Der große Fehler der Vornehmen ist, daß sie alle mit geringerem Glücksstand verachten und zurücksetzen. Sie schauen auf Bürger und Händler als zum Dienst bestimmtes Volk, der Freiheit und des Rechts auf sie nicht wert." Mit dieser Qualifikation des Abendlandes ging Japan in eine 250 jährige Trennungsperiode von ihm hinein. Freilich wurde ihr vom abweichenden christlichen Standpunkt aus, wie um die Schwierigkeit gerechten Urteils von außen her zu erhärten, folgender Denkzettel angehängt: «Nur ein Wunder der Gnade kann einen Japaner dazu bringen, sich selbst im christlichen Sinne zu demüti45
gen; aber sie sind auf der andern Seite so Herr ihrer Leidenschaften, daß sie darin nur in den Stoikern ihresgleichen haben. Es ist sehr selten, daß man sie im Streit oder Fechten oder selbst beim Gebrauch beleidigender Worte antrifft. Ihr Mut im Unglück ist wunderbar. Sie sehen den größten Gefahren kühn ins Gesicht und zeigen selten Zeichen von Furcht in Taten und Worten." Das war vor Beginn der Tokugawa-Zeit; auf ihrer Scheitelhöhe, ehe noch der begabte, aber launenhafte und verschrobene Shogun Tsunayoshi (1681—1705) das Werk von vier tüchtigen Vorfahren gefährden konnte, schildert Engelbert Kämpfer, der deutsche Ar?t der niederländischen Faktorei in Deshima von 1692—1694, jüngst zum Romanhelden geworden, denselben Nationalcharakter: „Sie sind kühn, heroisch und rachsüchtig, ehr- und ruhmgierig und eifrig, an Härte gegen sich und von außen gewöhnt; große Verehrer von Höflichkeit und guten Sitten, von ausgezeichneter Haltung und Selbstkontrolle; bestrebt, sich selbst, ihre Kleidung und Wohnung sauber und reinlich zu halten. In praktischer Tugend, in Reinheit des Lebens und äußerer Frömmigkeit übertreffen sie die Christen weit; bedacht auf die Rettung ihrer Seelen, peinlich in der Tilgung jeder Schuld, bei schweren Strafen auf der leisesten Gesetzesübertretung." Wer Organe für kulturpolitische Abstimmungen in der Farbe und im Ton für Nuancen hat, wird in der Wahrnehmung Kämpfers, eines der besten natur- und geistes-wissenschaftlichen Beobachter nicht nur seiner Zeit, sondern aller Zeiten, einen leisen Wandel gegen46
über dem Urteil von 1595 erkennen! Die starre Zeremonialdecke ist etwas fester angezogen, der Buddhismus als Staatskirche hat sich über der UnteLStrömung des Shinto durchgesetzt; aber die Rassenkonstante ist geblieben, und sie wird — trotz aller Schwierigkeiten der Beobachtung — über Siebolds Hofgang hinweg, bei allen wirklich guten Beobachtern durchschlagen. Wie selten aber Organe dafür bei den Fremden waren, das bewies doch 1904/5 und 1941/42 zuerst die Überraschung der Russen, dann der Angloamerikaner durch das um die Mitte des XIX. Jahrhunderts scheinbar wehrlos ihnen zu Füßen liegende Volk, dessen Wesen sie wirklich nach den vorgezeigten Proben hätten kennen können. So objektiv wahr, als Beobachtungen von außen her überhaupt sein konnten, waren ganz gewiß die Warnrufe des nach langer Abwesenheit in das Land seiner Wahl zurückgekehrten Siebold, wenn er die Mächte auf die Bedeutung der in Japan eingeleiteten Reichserneuerung vergeblich hinwies. Geradezu überrascht klingt die folgende Schilderung: „Der äußeren Form nach haben wir also hier das Feudalsystem..., in dem der Feudalherr alles bedeutet, und die anderen, die niederen, arbeitenden Klassen nichts. Aber was sehen wir ? Frieden, Überfluß, offenbare Zufriedenheit und ein Land, vollkommen und sorgfältig bebaut, mit einem nach künstlerischen Gesichtspunkten gehegten Baumschlag, der sich sogar mit dem in England messen kann. Die Gesetze sind, soweit wir wissen, etwas drakonisch in ihrer Strenge und werden unbeugsam gehandhabt, im 47
einfachsten, unmittelbaren Verfahren, ohne Hilfe von Rechtsgelehrten... Andererseits sehen wir das materielle Gedeihen einer auf dreißig Millionen geschätzten Bevölkerung, die einen Paradiesgarten aus diesem vulkanischen Boden gemacht hat und an Volkszahl und Vermögen gewachsen ist durch rein einheimische Arbeit, von niemand unterstützt und von j eder Verbindung mit der übrigen Welt abgeschlossen." So 1863 Sir Rutherford Alcock in „The capital of the Tycoon". Gewiß auch glaubte Lord Elgin die Wahrheit auszusagen: „ . . . überall voll von einer bezaubernden Gutartigkeit und Höflichkeit, in einem sozialen und moralischen Zustand, der ebenso viel Bewunderung verdient wie die große natürliche Schönheit ihres Landes. Japan war 1858 ein Land mit einer vollkommen patriarchalischen Herrschaftsform, einem vollkommen kindlich gehorsamen Volke, einer sich durchaus selbst erhaltenden und selbstgenügenden Volksgemeinschaft, mit Frieden innen und außen, ohne jede Begehrlichkeit, ohne jedes Übelwollen zwischen den Klassen.. Und doch hat die anglo-amerikanische Zivilisation, namentlich soweit sie in der von ihren Landsleuten geleiteten Presse in Japan Ausdruck fand, nicht geruht, bis sie das Menschenmögliche getan hatte, um diesen Zustand zu zerstören! Es gibt kaum einen überzeugenderen Beweis dafür, daß selbst dort, wo die Beobachtung von außen her in die Tiefe der japanischen Kultur wenigstens an Hand ihrer äußerlichen Ergebnisse zu dringen wußte, die 48
Mehrheit der Volksgenossen der Erkennenden solchen Wahrnehmungen nicht Glauben schenkte, sondern im Gegenteil handelte, als ob sie die Beobachtungen absichtlich nutzlos machen wollte. So blieben denn die wenigen wirklich wahren und erschöpfenden Kulturstandschilderungen über Japan auf Wirkung in engeren Kreisen beschränkt und den schicksalbestimmenden Mehrheiten unbekannt.
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Vierter Teil: Kulturstand-Schilderungen über Japan. Der Zustand vor der Erschließung
Gute, allseitige Kulturstand-Schilderungen, zuweilen in den Einleitungen großer Geschichtswerke zu finden wie etwa in Macaulay's III. Kap. seiner Geschichte von England, sind in der Weltliteratur nicht so häufig als es der Kulturpolitiker wünschen möchte. Um so erstaunlicher ist es, daß trotz der Schwierigkeiten, die sich der Beobachtung von außen her bei einer Kulturpolitik entgegenstellen, die bis 1854 so fast ausschließlich nach innen gewandt war wie die japanische, verhältnismäßig viele solcher Zustandsschilderungen bestehen. Sie sind zum großen Teil — soweit sie innerer, japanischer Herkunft sind — aus intensiver Selbstbeobachtung und freilich auch in frühen Zeiten aus ihrer Ergänzung durch Staatslegenden entstanden. Zum Teil, wenn sie von Ausländern stammen, sind sie deshalb so gut, weil Japan sich mit einem großen Anreiz zu wissenschaftlicher Beobachtung durch die stahlartige, zugleich schichtweise spröde und elastische Eigenart seines Wesens zu umgeben wußte, wie eben ein ausgeprägter und eigenartiger, in sich geschlossener Charakter unwillkürlich auch durch seine Widerstände eine ungewollte Aufmerksamkeit auf 50
sich zieht und den Reiz erweckt, gerade ihn zu beschreiben. Freilich zeigt sich dabei ein jäher Umschwung der Betrachtungsweise oft innerhalb derselben Geschlechtsfolge und Erziehungsgemeinschaft oder Korporation: man braucht nur an den Unterschied in der Auffassung von „dem liebenswürdigsten aller noch zu bekehrenden Völker" nach dem Urteil Franz von Xaviers zu der wesentlich kühleren Schätzung von Pater Frois bis zur Martyrologie unter Hideyoshi und Iyeyasu zu denken, der sich innerhalb eines Menschenalters offenbart, ohne daß der Gegenstand der Beobachtung sich wesentlich geändert hat34 (Schurhammer: Shinto; Frois.) Andererseits läßt sich schon die chronologisch so viel umstrittene Reichsgründungsfahrt von Jimmu Tenno topographisch und kulturpolitisch in ihren Maßnahmen für Macht und Wirtschaftsgefüge aus japanischen Frühquellen so gut verfolgen, wie die Itinerare der sehr aufmerksam beobachtenden chinesischen Gesandten aus chinesischen Wahrnehmungen, wie sie z. B. das „Weichi" wiedergibt35 (Wedemeyer). Freilich sind alle diese Zeremonialreisen und Hofgänge an ganz bestimmte Wege gebunden, längs deren man in Japan, wie in China auch für Männer wie Engelbert Kämpfer und Ph. F. von Siebold wohl dafür zu sorgen wußte, daß fremde Augen nichts zu sehen bekamen, was nicht im Sinne der Kulturpolitik des Reiches lag. Aber, was am Wege lag, das konnte sich sehen lassen und jeder Zustandschilderung Stand halten, wenn nur Augen darauf fielen, die wirkliche Kulturwerte von Zivilisationsgütern zu scheiden wußten. 4'
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Der äußere Ausdruck des Landeskultur, die Kulturlandschaft, war ihren Entwicklungsgesetzen treu geblieben und ist uns von Kämpfer 36 , Siebold37, Rein88 der Reihe nach in kaum veränderten Wesenszügen geschildert worden, später auch in vielen Bildwerken ostasiatischen und euramerikanischen Stils39. Wieweit in ihr Rassencharakter und Volksseele zum Vorschein kamen, dafür haben wir vor allem solche Stimmen vorher sprechen lassen, die eigentlich ausgesandt waren, um beides zu verändern, wenn nicht zu zerstören: fremde Missionäre, Gesandte usw. Sie zeigen, wie sehr sich Führer und Volk innerhalb ihrer reizvollen, wenn auch etwas starren Kulturlandschaftsdecke selbst treu geblieben waren. Aber unter dieser Decke rührte es sich schon vor der Meiji-Zeit allerorten. Die Nation war schon vor dem gewaltsamen Einbruch der weiteren Umwelt in ihren engeren Lebensraum mit ihrer Lage nicht mehr zufrieden40 (Uyehara). Sie hatte das weitverbreitete Gefühl, daß mit dem Shogunat eine Stilperiode und zugleich eine bestimmte, hoch, aber einseitig entwickelte Lebensform geistiger und seelischer Haltung zu Ende gehe und auf den bisher beschrittenen Kulturbahnen keiner weiteren Steigerung mehr fähig sei. Das von innen her bereitete Gegenmittel war Shinto und die Vorbereitung der Kaiserromantik. Japan hat seit dem Umbruch von 1868 längst gelernt, gegen die Tokugawazeit, gegen die Yedokultur und die lange, wenn auch von Katastrophen unterbrochene Landfriedensruhe von 1600—1854 gerechter zu sein, als es unmittelbar nach dem Abschütteln der Bakufu-Regierung und des Shoguns an ihrer 52
Spitze gegen beide und die von ihnen verfochtenen Zustände war. Viel haben dazu die Arbeiten von Professor Etsujiro Honjo 41 in Kyoto beigetragen, viel auch die werbende Kraft, die der Buddhismus in seinen geläuterten Spielarten auch für Japans irdische Ziele entfaltete. Ein kulturpolitischer Grundzug Japans trug dazu bei, das nationale Pantheon lieber zu weiten als zu verengern, wie ja auch Shinto neben dem Staatskult in 13 Sonderformen lebt, und auch solchen heroischen Persönlichkeiten und Zeitaltern Denkmäler zu setzen oder stehen zu lassen, die nicht rundum der Gesamtheit der Volksgenossen gefielen. Starrheit und Strenge im Lebenswichtigen, aber weitherziges Geltenlassen im Ertragbaren: in necessariis unitas, in dubiis libertas galt auch dort als Lebensweisheit, nicht nur in der zweitausendjährigen Erfahrung der römischen Kirche. Es ist kein Wunder, sondern eine allgemeine kulturpolitische Menschheitserfahrung, daß sich bei Einrichtungen von bewährter, mehrtausendjähriger Dauer — auch wenn sie sich evolutionär verändern — größere Nachsicht und gütigerer Verständniswille für einmal bestehende Zustände einstellt als bei heftigen, ruckweisen Neubewegungen erhalten bleibt, die weit mehr zur Bilderstürmerei, jäher Umwandlung der Kulturlandschaft und zum Aufpressen ihrer Stilstempel, Symbole und Bauformen neigen. Das kam der japanischen Kulturlandschaft bis 1868 zu gute, die Holzbauten aus den Anfangsjahren des VII. Jahrhunderts, uralte Tempelhaine unbehelligt neben den Burgen der Gaufürsten und weitläufigen 53
Klosteranlagen, wie neben neueren Göttern und ihren Behausungen stehen ließ, und heilige Bäume nur mit einem Strohseil zu umkränzen brauchte, um . sie vor dem Frevelbeil der Gewinnsucht auf Kosten der Nachfahren zu schützen. Aus solchem Geiste heraus waren Japans führende Stände auch sorgfältige Waldpfleger42 geworden und die großen Reichsstraßen waren von mächtigen Baumreihen begleitet. Gefahr für beide entstand nur während der kurzen Übergangszeit von dem Tag, wo die alte Ehrfurcht vor der unter pantheistischen Motiven vergöttlichten Landesnatur zu weichen schien, bis zu den Jahren, wo die fremden Forstkundigen, beglückt über die noch geretteten, vorhandenen Bestände, dem gelehrigen Volk wieder beibrachten, daß höchste moderne volkswirtschaftliche Weisheit sei, was es aus Kulturinstinkt seit Vorvätertagen gepflegt hatte. Allzuleicht verkannten die westlichen Lehrer auf allen Gebieten, daß der Osten einen gewaltigen menschlichen Vorsprung besaß: daß er in seinem Menschengedränge ganz anders und früher gelernt hatte, Auswege und Weisheiten zu finden, daß die Menschen dort sich freundlicher, gütiger, gemeinverantwortlicher zu ertragen gelernt und damit eine wesentliche Grundlage geschaffen hatten, auch harte Notwendigkeiten reibungsloser einzuführen. Es gab trotzdem doch Reibungen genug, namentlich, bis der fast nur auf Menschen, Sänften und Tragtiere gestellte Verkehr, bisher sonst für schwere Lastenbewältigung hauptsächlich auf Küstenschiffahrt angewiesen, lernte, auch zu Lande Massenbewegungen zu dienen. Dazu waren alle Verkehrsadern in einer dicht be54
siedelten Kulturlandschaft zu verbreitern, in der die künstliche Bewässerung bereits aufs höchste entwickelt und kaum mehr zu steigern war. Der Wechsel des Kulturgewands ist um so schmerzlicher, je besser das Kleid auf den Leib geschnitten war, je fester es wie angegossen saß. Dabei fielen zwei kulturpolitische Grundwahrheiten ins Gewicht, die bei vielen Aufnahmen des Kulturbestandes in Japan von fremder Hand leicht übersehen wurden. Franz Briel weist noch am 30. 3. 42 (Bulletin de l'Ouest, Brüssel43 „Le Problème de l'Occupation du soi", auf den Widerspruch zwischen den Bodennutzungstheorien von Ricardo (— unter deren Einfluß viele Fremdbeobachter gerade der Übergangszeit standen —) und Carey hin. Nach Ricardo soll die Menschheit von Anfang an die besseren Böden, das reiche, am meisten produktive Gelände bevorzugt, und den nachfolgenden Generationen bis zur Gegenwart die schwerer zu bewirtschaftenden Böden mit dürftigeren Erträgen überlassen haben. Carey dagegen zeigt, wie die Merfschheit in ihren Anfängen an Böden benutzt habe, was eben zunächst in ihrer Reichweite lag, die am leichtesten zu bearbeitenden, aber oft weder die besten, noch die ertragreichsten Böden. Erst mit dem Wachsen der Erfahrung ändert sich die Auswahl und zuletzt werden die besten Böden gesucht, die erst durch Erfahrung und verbesserte Nutzungsmethoden höchsten Ertrag hergebén. Das sind derbe Verallgemeinerungen; aber sie zeigen,
welchen Irrtümern die Beobachter, je nach ihrer theoretischen Eingeschworenheit, ausgesetzt waren, gegenüber der zweitausendjährigen und viertausendjährigen Erfahrung der Ostasiaten in ihrer Bewertung der den Anbau namentlich für Reis lohnenden und der besser der Natur zu überlassenden Böden. Das war besonders ausgeprägt, wenn die Beobachter von Australien oder dem u. s. amerikanischen Westen herkamen, wo Verstädterung neben ganz ungesunder, raubwirtschaftlicher Landnahme herrschte, wo z. B. in Australien erst 1830 der Fehlschlag der Strafarbeit klar wurde, 1850 300000 E., 1866 1,150000 E., jetzt nicht ganz 7 Millionen auf Erdteilweite sitzen, während die Eingeborenen rasch von dem Rest von 50—60000 herabsinken. Schroff standen sich Altkultur und Parvenu gegenüber, zumal eine Bevölkerungssteigerung, die 44 (André Derchet c. 1. „Les aspects démographiques delà révolution européenne") eine solche Revolution rechtfertigte, von zwei Fünftel auf fünf des heutigen Standes in Japan bereits innerhalb der drei Perioden Meiji, Taisho und Showa eingetreten war. Beide Beschleunigungsfaktoren kulturpolitischer Dynamik ^wurden selten erkannt — bis es zu spät war. Was ohne Industrialisierung oder sonstige Steigerung der Tragfähigkeit des Volksbodens über sein natürliches Maß hinaus möglich war, das war im Zustand der Kulturlandschaft agrarpolitisch erreicht. Die Kulturpolitik hatte in der Erhaltung eines Bevölkerungsgleichgewichts von zwischen 27 und 30 Millionen, das sich zuletzt innerhalb eines Jahrhunderts nur um 900000 Köpfe veränderte (so viel wie der Zuwachs 56
nur eines Jahres in der Showa-Zeit betrug) statisch einen Ausweg gefunden, wenn er auch von vielen bevölkerungspolitischen Mißständen begleitet war: künstlicher Geburteneinschränkung und Verweichlichung in der Kultur des täglichen Lebens. Gefahr drohte dieser Kultur, sobald sich dynamische Veränderungsmöglichkeiten zeigten. Der harmonische Reiz der japanischen Kulturlandschaft vor der Erschließung war auf einen Grad von Verzicht gegründet, der nur aufrecht zu erhalten war, wenn kein böses Beispiel und kein kapitalistisch übersteigertes Vorbild breiterer Lebenshaltung die gute Überlieferung umwarf. Ein Zustand der Kulturlandschaft, wie etwa das Schloß und die Gaufürstensitze rings herum in YedoTokyo, der Aufriß von Kyoto mit den geschwungenen Tempeldächern darüber und der mit Sakralbauten bedeckten Höhenleite im Osten, die Strandsiedelungen an der Inlandsee, Tokaido und Nakasendo, das Bergdorf und der Felsentempel von Haruna, die Gipfelgestaltungen von Miyama auf Miyajima, des Hikosan ihn zeigten, war eine Geschmacksund Gebrauchseinheit, die keinen Fremdzusatz vertrug, ohne in ihrem ganzen Wesen verändert zu werden. Ähnliches galt für die Tracht, die für Klasseneinteilung und Lebensgewohnheiten der Yedo-Kultur vollendet angepaßt war, den Arbeitsstil der Japaner vertrug, jede darüber hinausgehende Mechanisierung und Industrialisierung unter Vermassung aber nicht, gleichviel, ob es sich um Lebensgenuß außerhalb odei innerhalb der Wohnstätten, um Reisen und 57
Wandern, um Arbeit im Freien oder in geschlossenen Räumen handelte. Heraustreten aus beiden bedeutete das Opfer einer kulturpolitischen Einheitlichkeit: um eines zweifelhaften Fortschritts willen gegen eine Weltzivilisation hin, die nur in anglo-amerikanischer Vorstellung bestand, ein Zurücksinken aus eigenständigem Kulturniveau. Der erste Hammerschlag gegen dieses Kulturniveau bedeutete einen ungeheuren, fast herostratischen Entschluß. Er wäre allen denen unmöglich gewesen, die instinktiv fühlten, daß er zunächst eine Senkung des gesamten Glücks- und Lebensstandes mit sich bringen mußte, ehe wieder eine Hebung möglich war, wenn nicht im Hintergrund allergrößte einheimische und bodenentstammte wiederaufsteigende Kulturwerte aus der Vergangenheit gleichzeitig lockende Ausblicke eröffiiet hätten. So lenkten sich die Blicke auf Wiederherstellung der wenn auch verkapselt, doch unversehrt erhaltenen nationalen Zentralgewalt und alles, was ihre Wiederaufrichtung mit sich bringen konnte: physische und psychische Erneuerung, unmittelbares Anknüpfen an die Gemeinschaft der vergeistigten und vergöttlichten Vorfahren über Shinto, und doch zugleich eine so sicher gelenkte Berührung mit der so ungestüm herandrängenden überseeischen Welt, daß die Nation bei ihr nicht nur der nehmende und deshalb leicht überwältigte Teil war und mindestens das Recht zur Auswahl des Gewünschten, zum Abstoßen des Unerwünschten behielt. Dazu mußte sie stark sein und selbst den Hammer 58
beim Umbau eines Endzustandes führen, der in eine kulturpolitische Sackgasse zu münden drohte. Dazu mußte sie aber nicht nur auf der inneren Richtlinie der Kulturpolitik weiter zurückgreifen, stellenweise bis hinter 552 n. Ztwde., auf das Ende der Taikwa, auf die Zeiten Godaigos und des Jinnoshotoki, auf die Renaissanceheroen Oda Nobunaga, Taiko Toyotomi Hideyoshi und die unvergänglichen Seiten des Werkes von Tokugawa Iyeyasu, um den Kulturverbiegungen der späteren Tokugawa zu entrinnen; sie mußte auch Linien der Selbstdarstellung gerade bei alledem finden, was das Ausland an ihr verkannte, um den bisher erreichten Zustand zu verteidigen und das Erhaltenswerte schützen zu können; sie mußte, mit einem Wort, die ganze, zweieinhalb Jahrhunderte vernachlässigte äußere, nach außen gewandte Kulturpolitik neu aufbauen, während der bisher erreichte Kulturhochstand unter den Füßen schwankte, ja stellenweise zerbrach. Das war eine Herkulesaufgabe — je schöner das Versinkende war. Diese Erneuerungsarbeit stellte ungeheure Anforderungen an die Nerven derer, die sie zu vollziehen hatten: um so höhere, je lieber ihnen der Zustand gewesen war, je fester sie auf seinem Boden standen, je schmerzlicher sie Stück um Stück von der Kulturfassade der Yedo-Zeit opferten, um das Wesen des nationalen Baukörpers zu erhalten und dafür zu sorgen, daß die Abbruchsteilen wenigstens für künftige Erweiterungspläne auf erprobten Grundrichtungen unverbaut blieben. Solche fremde Einmauerungsversuche waren ja ringsum spürbar: von den Russen im Hokkaido, nachdem 59
sie sich schon in Sachalin, auf den Kurilen, aufTsushima, ja in Nagasaki herangepürscht hatten; von den U. S. Amerikanern auf Taiwan-Formosa und den Bonininseln, wie sonst in der Südsee; von den Briten in Fort Hamilton, auf Shantung, in den chinesischen Hafenkolonien; von den Franzosen in Anfängen sogenannter „friedlicher Durchdringung" mittels der Shogunat-Regierung. „Halten Sie uns nur das Opium und die Missionäre vom Leibe und Alles wird gut gehen" hatte Prinz Kung zu dem fremden Minister gesagt, der ihn besorgt frug, wie denn die Berührung der großen Ostkulturen mit der des Abendlandes ausgehen werde. Trotzdem waren gerade diese beiden China aufgedrängt worden, und es war von 1842 an fortwährend schlecht gegangen, was man in Japan sehr aufmerksam verfolgte. Die Missionäre drängten ringsum heran; daß ihnen der Kulturstand des Inselreiches nicht recht war und sie danach strebten, ihn zu ändern und wenn es nur durch den Baustil ihrer eigenen Häuser gewesen wäre, daraus machten sie kein Hehl. Aber der „European style" war das weit geringere Übel gegenüber der Unterminierung der geistigen und seelischen Haltung, die bisher, frei von Fremdeinflüssen, die Kulturlandschaft gebaut und sie mit ihrer gesellschaftlichen Haltung durchtränkt hatte. Würde die seelische Haltung aufrecht bleiben können, wenn ihr die schützende Hülle der Ausdruckskultur weggezogen wurde, ehe die neue Haut in ausreichender Stärke gewachsen war, widerstandsfähig genug, um vorfremdbürtigenÜberrumpelungen zu schützen ? Würden nicht nur museale Reste bleiben, die nicht 60
mehr die Kraft hatten, Überlieferung lebendig zu halten ? Das war eine Frage der Imponderabilienpflege, der Erhaltung unwägbarer Werte, vor allem also eine solche der völkischen Erziehung, die aber auch wesentlich von einer sprechenden und wirkenden Umwelt abhing. Zunächst wurde auch in Japan der kulturpolitische Wert dieser Wahrheit verkannt. Unersetzliche Stilmuster in Tempeln, Klosterburgen und Herrenschlössern fielen zunächst dem Modernismus zum Opfer, Kunstschätze, die niemals ihre Heimat hätten verlassen dürfen, gingen für lächerlich geringe Summen ins Ausland. Gerade die Eigenart japanischer Gildenstruktur ließ mit jedem alten Meister ein Stück Überlieferimg in Kunst und Handwerk abreißen. Zahllose Schwertstichblätter, heute wieder als kostbares Ahnenvermächtnis gehütet, jede für sich zumeist ein inhaltsschweres Epigramm aus edlen und starken Metallen, wanderten in die U.S.A., als Schlüssellochumrahmung, wofür sie findiger, pietätloser Neukunstgewerbler-Witz einmal ausgeprobt hatte. Der große Buddha von Kamakura, als eines der edelsten Kunstwerke der Kamakurazeit in die Weite des Pazifik hinausträumend, entging mit genauer Not dem Schicksal des Eingeschmolzenwerdens. Dennoch war zu Ende des Meiji-Zeitalters die Kulturdecke noch so dauerhaft und fest gewoben, daß die störenden Fremdkörper, wenn auch in Yokohama, in Teilen von Tokyo, in Kobe und Osaka dicht gesät, aus dem Stadtbild herausfielen, wie etwas nicht Hineingehöriges. Keijo-Seoul fing erst an, verunstaltet zu 61
werden; in Außenlandschaften begann sich ein Kolonialstil zu entwickeln. — Aber weite Landschaften waren in ihrer angestammten erzieherischen Kraft noch unberührt, und bereits begann man, für notwendige neuzeitliche Bauzwecke Bauformen zu entwickeln, die an allerbeste Kulturüberlieferung anknüpften, wie etwa das neue Museum in Hakata und Manches, was später, so nach dem Erdbeben von 1923, neu erstand. Freilich sagte ein großer Kunstforscher, ohne daß ihm widersprochen werden konnte, daß Japan Europa in der für seine Baukunst ungünstigsten Zeit entdeckt habe. Dafür hatte gerade der verstädterte Teil der Kulturlandschaft die Kriegskosten zu bezahlen und sehr Unharmonisches mußte sich miteinander abfinden. Auch waren — wie anderwärts — Geschmack und Geld durchaus nicht in den gleichen Händen — bei alten Geschlechtern und „narikin". Rasch entstehender „neuer Reichtum" ist immer eine gefährliche Belastung für jede in langsamem Wachsen erstandene Kulturlandschaft und wird immer noch eher bei großzügig geplanten Anlagen unschädlich zu machen sein, wofür ja gerade ostasiatische Stadtpläne, voran Peking, manche Beweise liefern. Deshalb hat der einheitlich geplante Wiederaufbau von Yokohama und Tokyo mit seiner gewaltsamen Erweiterung und Streckung der Verkehrsadern weniger verwüstend gewirkt als befürchtet werden mochte, und ist nur ein pazifischer Beweis mehr für die Tatsache, daß der Menschheit ihre Technik seit dem XIX. Jahrhundert über den Kopf gewachsen ist, und ihre Kulturdecke überall zerfetzt hat, in Japan vielleicht im62
mer noch weniger, als an vielen andern Erdenstellen. Nur ist der Kontrast gegenüber einer erst seit drei Geschlechtsfolgen technisch veränderten Kulturlandschaft, die bis 1870 noch einheitlich war, noch schmerzlicher, als in der mitteleuropäischen Großstadt-Hypertrophie oder in der nordbritischen Kohlenlandschaft, in der ohnehin außer weiterer Schwärzung von Kulturbauten vergangener Zeit wenig mehr zu verderben ist. In Japan aber reagiert eine von Natur so schöne und wechselvolle, wenn auch oft kleinräumige Landschaft gereizt auf jede Geschmacklosigkeit (namentlich die schreiende Reklame, die im Sowjetbereich und in den U.S.A. so unbefangen mißbraucht wird), die doppelt peinlich in Ländern mit alter Augenkultur wirkt und stellt sie als Eindringling und Upstart blos — durch den reinen Gegensatz. Dem Einheimischen, der mitten im beständigen Wandel steht, kommt die Veränderung seiner Umwelt nicht so zum Bewußtsein, wie dem Besucher, der von Zeit zu Zeit wiederkehrt, wenn er dann Charakterzüge vermißt, die ehedem wohltätig leitend waren, und neue feststellt, die sich erst bewähren müssen und anderwärts bereits abgewirtschaftet haben, wie die Kasernierung der verstädterten Massen, die Vertilgung der Freiflächen trotz beständigem Gerede von ihrer Erhaltung, das Auffressen von Ernährungsräumen durch Flugplätze, Verkehrseinrichtungen, Großstadtwüstenflächen und sonstige Kultursteppen der Technik. Die Narben dieses Kampfes trägt heute auch das Antlitz der seit den ersten Meijitagen so grausam ver63
änderten japanischen Kulturlandschaft — unausgeglichen, wie sie durch das Ringen widerstrebender kulturpolitischer Motive geworden ist. Deutlich lassen sich die einzelnen Krafdinien noch darin ablesen; von entscheidender Bedeutung dabei ist nur, ob die Überlieferungslinien die Oberhand über die von außen hereingelenkten und hereingespielten behalten. Es muß zugegeben werden, daß es immer wieder kriegerischer Aufrüttelungen bedurfte, um die japanische Kulturpolitik zu sich selbst zurückzurufen; zuerst der inneren Reinigungskämpfe, um ein zu frühes, zu gewaltsames Hinaustreten zu verhindern; dann der Auseinandersetzung mit China, um dem kulturverwandten Festland gegenüber Armfreiheit zu gewinnen; endlich des russisch-japanischen Zusammenstoßes, um den Andrang aus der Tiefe Eurasiern abzuwehren; endlich des Ringens von 1931 bis 1940 und dann des Ausbruchs von 1941, um von den Fesseln der anglo-amerikanischen Ideologie loszukommen. So lange hat es gedauert, bis die 1854 so geschickt begonnene Überfremdung durch die Kulturpolitik der englisch sprechenden Völker in ihrer gefährlichen Umschnürung erkannt und in ihren wesentlichsten Maschen durchbrochen worden ist. Knotenpunkte in diesem Netz für den gewaltigen Raumkörper, den man Englisch unter Far East verstand, waren Shanghai, Hongkong, Manila, Singapur, Rangun; alle zugleich Filter, um den Altkulturen Großostasiens Kräfte abzusaugen, überaus zweckmäßig unter Aufwand eines großen Zivilisationsapparats auf diese Aufgabe hin konstruiert. Nur als Sehenswürdigkeiten 64-
wurden noch große Zeugen der altangestammten Kulturen gehalten: Buddha-Bilder, die Shve-DagonPagode, Ankortom und Ankorvat, Borobudur und viele andere Tempel, Moscheen und Paläste, aber nicht mehr schicksalbestimmend, sondern als „Curio", wie die andern großen und kleinen Zeugen einheimischen Seelenlebens und seiner Beraubung, der gegenüber nur Japan seine Selbstbestimmimg behauptet hat. Auch das widerfuhr ihm nicht ohne Wunden, die es sich wohl gern erspart hätte, dennoch stolz auf seine Narben aus seinem Kulturkampf, die es nicht hergeben würde, auch wenn es für sie seine unberührte Kulturdecke zurückkaufen könnte.
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Fünfter Teil: Suchen und Tasten nach kulturpolitischer Außenwirkung
Wie schwer es ist, die Fäden kulturpolitischer Außenwirkung wieder anzuspinnen,,wenn man das Gesamtgewebe nur auf ein „chef d'oeuvre de balance" im Innern, auf Anhaftestellen auswärts aber gar nicht eingestellt hat, das beweist jeder Lebensgang, den sein Schicksal als Inländer oder Ausländer mit Japans Reichserneuerung verbunden hat, vielleicht kein anderer so deutlich, wieder des 1823—1830, dann wieder 1860, zuerst als „Yama-Ollanda", als Bergholländer nach Japan gelangten großen deutschen Japanforschers F. von Siebold45. (Siebold Lit.) Denn dieses Forscherleben zeigt ja auch, daß die Abschließung Japans von 1636 bis 1854 durchaus keine so vollkommene gewesen war, daß nicht das für Japan in seinem damaligen Stande erwünschte fremde Kulturgut, freilich unter tausend Schwierigkeiten, hätte einsickern können. Es spiegelt also in einem seltenen Grade jene Periode des Übergangs wieder, in der bereits instinktiv das Suchen nach kulturpolitischer Außenberührung und Außenwirkung begann, und zugleich die starre Zeremonialdecke der Yedo-Kultur und das Gefüge des Shogunats und seiner Bakufu-Regierung, der ganze 66
Feudalbau in seinem künstlichen Gleichgewicht auch von den inneren Kräften der Erneuerung gezerrt und schließlich aufgerissen wurde. Der am meisten bezeichnende dieser Anstöße ist die in der Geschichte der Reichserneuerung berühmt gewordene Denkschrift des Prinzen von Mito über die Praxis der Fremdmächte mit der Schlußmahnung (Uyehara S. 46/47), die Lehren des Opiumkrieges nicht zu vergessen46; er beweist, wie das Verhalten des Astronomen Takahashi und vieler seiner Schüler gegenüber Siebold, wie die geheime Küstenvermessung von 180747 die Nordforschungen von Mamia Rinsöo, Mogami Tokunai48 daß eine Reihe heller Köpfe eigentlich schon seit 1715 die Gefahr und das Problem vollkommen klar gesehen haben. Er zeigt aber auch, daß sich die seit dem Shogun Tsunayoshi nur noch in zwei tüchtigen Persönlichkeiten über den Durchschnitt ragende Tokugawa-Zwischenregierung49 nicht mehr zu einer bewußten Begegnung mit beiden aufraffen konnte, sondern nur in ein unsicheres Tasten geriet, das ihr bei dem hochflammenden Selbstgefühl der Nation erst recht den Boden entzog und die Erneuerung der unmittelbaren, vollen Kaiserherr'schaft vorbereitete. Die Vorbedingung jeder Erfolgsmöglichkeit für Außenkulturpolitik war aber natürlich, daß die Nation selbst wußte, wie sie zu einer solchen hingesteuert werden wollte. Da die Abschließungspolitik der Tokugawa-Shogune im Augenblick ihres Beginnens wohl eine der großartigsten instinktiven Schutzmaßregeln für ein noch nicht ganz zum überseeischen Wettbewerb reifes Land war, aber, auf die Dauer ange5'
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wandt, zu kulturpolitischer Wehrlosigkeit in diesem Wettbewerb führen mußte, blieb kein anderer Weg, als das Zurückfinden zu den Mitteln, die einst den Aufbau des Reiches gefördert hatten und die uralte Römerweisheit auch im Osten anzuwenden: „Jegliche Machtform wird nur durch solche Künste und Mittel forterhalten, durch die sie von Anbeginn erworben wurde." Das war für Japan in Kultur, Macht und Wirtschaft der „kaiserliche Weg", wie ihn die großen Herrscher der Frühzeit vorgezeichnet hatten, und den unter Godaigo Tenno 50 (Bohner) Kitabatake Chikafusa in seiner Staatsdichtung noch einmal vorzeichnete. Auf diesen Weg lenkte schon 1715 mit seinem Mitarbeiterstab und seinem vielbändigen Werk „Dai Nihon Shi" der Fürst Komon von Mito zurück, der aus einer der drei Tokugawa-Hauptfamilien stammte; seinen Ruf nahm von 1790—1833 Rai Sanyo, nahmen die Shintoerneuerer Motoori 'und Hirata auf; von Schülerschaar zu Schülerschaar wurde die Gottkaiserlehre weiter gereicht und schließlich von Saigo, Okubo, Kido und dem späteren Genro-Kreise zum Siege geführt. Damit erst war die Grundlage geschaffen, von der aus eine nach außen wirksame Kulturpolitik anheben konnte; aber es ist bezeichnend, daß ihr diese Möglichkeit gerade durch den Kreis geschaffen wurde, der ursprünglich den schwankenden Fragen des letzten Shoguns, ob er dem amerikanischen Anstoß zur Reichsöflnung weichen solle, am schroffsten ablehnend gegenüberstand. Das war der Kaiserhof in Kyoto und die Mehrheit der großen Landherren — (Daimyo). War doch der Wortlaut des Daimyo von 68
Mito, des Erben von Komon: „Die Politik der Barbaren ist, zuerst ein Land um des Handels willen zu betreten, dann ihre Religion einzuführen und nachher Streit und Gegensätzlichkeit aufzurühren. Laßt Euch also von den Erfahrungen unserer Ahnen zweihundert Jahre früher leiten, verachtet nicht die Lehren des chinesischen Opiumkrieges." Das war deutlich genug! Wenn man sich auch ganz gewiß in den Herzen nicht nur jener, die „Sonno Joi" zu ihrem Schlachtruf erkoren, sondern auch der notgedrungenen Befürworter der LandöfFnung diese Warnung gesagt sein ließ, lag es doch in dem auswählerischen Charakter und Talent Japans, dann wenigstens alle wahrnehmbaren Kulturmanifestationen Europas und Amerikas durchzuprobieren, um sicher zu sein, daß man nichts übersehen habe und kein „locus minoris resistentiae" zurückbleibe. So sehen wir im Laufe der kulturpolitischen Tastversuche auch vieles ausgekostet was sich dann nicht bewährte; die auswärtigen Berater auf solchen Gebieten wurden dann oft zu Trägern übler Nachrede. Ihnen gesellten sich auch solche Helfer, bei welchen man in Japan zu früh glaubte, ihnen alle ihre Künste abgesehen zu haben und ihrer deshalb entraten zu können. Dabei unterschied man meist sehr genau, wer aus wirklichem Kulturantrieb in das Inselreich gekommen war, des Geistes seiner Kunst oder seiner Sache voll, und wer es in dem an sich armen Lande mit billiger Lebenshaltung innerhalb des eigenen Kulturbereiches um des lieben Geldes willen oder aus Abenteurerlust getan hatte. 69
Immer aber galt die Wahrnehmung eines der Fremden 51 , Hamilton, daß die Nation, zu welcher Japan kam, um Lehrer oder Helfer aus ihr zu werben, ruhig annehmen konnte, daß sie auf diesem Gebiet auf der Höhe oder nahe daran war. Das galt für reine Wehrwissenschaften zu Land und zur See, für die Naturwissenschaften,u.a. Pharmakologie, in höheren und niederen Stufen, Geologie, wie für die Erziehungswissenschaften. Natürlich wurden die Vorbilder mit größerer oder geringerer Genauigkeit ausgewertet, es wurde bald tiefer, bald leichter gepflügt; wie tief namentlich auf den wichtigsten Arbeitsfeldern, denen der Erziehung, das geht etwa aus dem Schrifttumsverzeichnis zu des Kulturministers Sawayanagi: „Waga kuni no kyoiku" (Unseres Landes Erziehung52) hervor, das wirklich das Beste vom Besten umfaßt, was pädagogisch deutsch, englisch und französisch geschrieben wurde. Eine Erziehungsfrage des Gesamtvolks, wie der Einzelnen war die Überholung des ganzen alten Fahrzeugs der Nationalkultur doch sicherlich in erster Linie! Erziehungsergebnisse aber reifen erst um Menschenalter später, als die Saaten gelegt werden; deshalb handelte es sich zunächst darum, durch glückliche Auswahl der von Japan ins Ausland, der vom Ausland nach Japan zu sendenden Persönlichkeiten eine gefährliche Lücke zu überbrücken. Auf diesen Kulturboten hin und her lastete eine schwere Verantwortung und nicht alle waren gleichmäßig geschickt, sie zu tragen. Viele Menschen sind um so besser zum Tragen sol70
eher Kulturlasten geeignet, je fester das Spalier war, an dem sie emporgewachsen waren und von dem sie doch die Richtungen ihres Wachstums empfangen hatten. Da war es denn für alle Kulturwerbimg, die von Japan ausging, ersprießlich, daß ihre Träger fast alle aus dem festgefügten Wehradel Japans, den Samurai stammten, der ihnen den sicheren Boden seiner Ritterehre gewährte. Das Opfer dieses Standes für die Reichserneuerung, mutig und tapfer angegangen, trug ihm nach einer harten Prüfungszeit später reiche Frucht. Es kam wahrhaftig zu einem: „Stirb' und werde". Aber das wußte kein Mensch, als die Last übernommen wurde. Immerhin brachte jeder ins Ausland auf Kulturwerbung gesandte Japaner einen sicheren Stock kulturpolitischer Unterlagen mit sich, der für die nach Japan geholten ausländischen Erzieher seiner Erzieher zwar in ihren einzelnen Ständen auch vorhanden war, aber lange nicht so einheitlich, und vor allem den Japanern zunächst unbekannt. So war denn die Verantwortung für die von den fremden Mächten aus nach Japan gesandten Kulturboten noch viel größer, ihre Auswahl noch schwieriger und mehr vorbelastet, als bei den Kulturschöpfern von innen her. Wenn man nun aus einzelnen Lebensbeschreibungen den Umständen bei dieser Auswahl nachgeht, dann erschrickt man nachträglich vor dem Walten des Zufalls dabei, der im allgemeinen gnädiger war, als das Verständnis der auswählenden Stellen, soweit sie nicht schon weitsichtige Kulturpolitik dabei trieben, die aber Japan durchaus nicht günstig zu sein brauchte. 71
Nicht alle Weltmächte waren bei ihren Aussendungen so harmlos, wie das damalige Deutschland und Österreich-Ungarn ! Deren Auswahl zeigt das Japanhandbuch und die Sammlung: „Nippon, ein Überblick" 53 64 (Schmiedel). Bei der überseeischen Machtlosigkeit der Altkulturreiche Mitteleuropas während der ersten Hälfte der Meiji-Zeit ünd vorher — die durch die Begleitreibungen der Sendung Eulenburg 1860—1864 für Norddeutschland, durch den Fall Maximilians von Habsburg in Mexiko 1864—1867 für Österreich grell beleuchtet worden war — bedeutete es für Mitteleuropäer einen gewagten Entschluß, den besten Teil ihrer Lebensarbeit an überseeisches Kulturwerk zu setzen. Noch viel gewagter war freilich eine Fahrt, wie die des alten Ulmer Geschützgießers H. W. Braun, des ersten Deutschen in Japan 1639 gewesen; dann die von Engelbert Kämpfer 1690—1692 und Ph. F. von Siebold 1823—1830; 1860. Aber sie hatten den Vorteil gehabt, vorher vieler Länder und Völker Sinn erkannt zu haben und durch eine einzigartige völkerpsychologische Schulung gegangen zu sein. So gut wurde es ihren Nachfahren nicht; hier mußte Zusammenarbeit des japanischen Auftraggebers und des fremden Absenders an Stelle der erziehenden Wirkung des Sich-Durchschlagens unterwegs treten. Dabei war es mindestens von 1862—1870 für die ausreisenden Japaner, wie für die in der Nähe des Inselreichs auf Lauerposten liegenden Fremdmächte ungleich bequemer und leichter, zueinander zu kommen, als für die weitab liegenden Kulturzentren, namentlich wenn sie nicht über eigene Schiffahrtslinien 72
und Seestreitkräfte verfügten. Immerhin ist es bezeichnend für die zahlreichen Lücken, die kultur- und machtpolitischlange offen bleiben konnten, daß Japan vom Geltendmachen der u.s.amerikanischen HawaiiErklärung von 1841 gegenüber seinen ersten Auswanderversuchen nach Hawaii im Jahre 1884 überrascht wurde, daß andererseits eine in japanischen Küstenvermessungen längst festgelegte Tatsache, wie das Bestehen der tatarischen Meeresstraße, der britischen Admiralität verborgen geblieben war, so daß ein russisches Geschwader im Krimkrieg 1854/55 durch sie entschlüpfen konnte. Graf Paul Teleki hat in einem prächtigen Atlasbande 55 das überaus langsame Heraustreten des Kartenbildes von Japan aus dem Unbekannten festgehalten und damit eine wertvolle, Ausland und Inland verbindende kulturpolitische Leistung vollbracht, die nebenher verriet, wie viel praktische Japankunde in den Archiven der iberischen Halbinsel verborgen lag, wie wenig Exaktes aber auch die ernsthafteste Wissenschaft des Abendlandes lange Zeit über Japan wußte56. (Hab.Schrift.) Nur wenn man sich erinnert, wie verhältnismäßig kurz die am meisten werbetüchtigen Flaggen der Erde über ihre symbolische Kraft als Kulturträger über See und über Land verfügen, daß es noch kein Jahrhundert her ist, seit Lord Palmerston die erste Form einer deutschen Flagge als Piratenflagge bezeichnete, begreift man, daß die Sonnenball-Flagge (hi no maru) — heute in beherrschender Schlüsselstellung zwischen Indischem und Pazifischem Ozean — erst seit 1854 ihre Bedeutung gewann und erst seit 27. 2. 1870 73
durch kaiserlichen Erlaß in der ursprünglich nur für die Reistransportschiffe geltenden Form bestätigt wurde. Freilich hatte schon Hideyoshi dem Schiff „Nihon maru" das Sonnenbild als Abzeichen verliehen, und es entsprach uraltem Nationalglauben, auf das großartigste Sinnbild des Himmels zurückzugreifen, als man die Notwendigkeit empfand, der Außenwelt ein gemeinsames Kulturzeichen auch auf jedem schwimmenden Stück vaterländischen Bodens entgegenzustellen. Aber es ist für das Tasten nach kulturpolitischen Werbemitteln bezeichnend, daß die Notwendigkeit erst seit 1854 empfunden wurde, und daß auch erst seit 1779, 1792 und 1810, namentlich mit der Vermessung durch Ino Tadataka (1800—1816 und 1821)57,58 die Grundlage kulturpolitischer Zusammenfassung, eine kartographische Selbstdarstellung entstand, so hoch sonst die graphischen Künste entwickelt waren und so frühzeitig eine geopolitisch anderen Ländern weit vorauseilende chorographische Landeseinteilung zustande gekommen war. Solche Beispiele und Gegenbeispiele verraten, welchen Spannungen zwischen Hochkulturleistungen und Zivilisationslücken die ersten Kulturboten des Auslands in Japan, die ersten Anschluß suchenden Sendlinge Japans im Ausland gegenüberstanden, und wie schwer es war, sich in der kurzen, fortwährend von Gewaltakten erschütterten Übergangszeit zusammenzufinden, die beiden Typen für Austausch ihrer Sendungserfahrungen zur Verfügung stand. An der nächsten Geschlechtsfolge zeigte sich, daß die Kulturbestände das zum Anschluß an den Welt74
bestand fehlende Zivilisationsdefizit weit überwogen. Aber bei der ersten war es eine Glaubensfrage. So prallten denn die einzelnen Gläubigen und Sucher seit dem Attentat auf den Tairo Ii. 1860 bis zu den Februarereignissen von 1936 oft mit ungeheurer Wucht aufeinander und verliehen dem Anschluß, wie der Auseinandersetzung Japans im Verhältnis zu seiner Umwelt jenen dramatischen, vielfach tragischen Charakter, bei dem so viele ihr Leben einsetzten und verloren. Zuweilen wurden auch Kulturkämpfe der weiteren und allerweitesten Umwelt innerhalb Japans durch Männer fortgesetzt und blutig ausgetragen, die sich im zweiten französischen Kaiserreich, in den Reihen der englisch sprechenden Völker, in der wieder konsolidierten Mitte Europas in konservativen, liberalen oder ultraradikalen Kreisen mit bestimmten Lehren vollgesogen hatten, nicht mehr von ihnen loskamen, und sie nun mit voller Schärfe auf Nippons Boden auszutragen suchten. Nicht alle schützte dabei, so wie etwa Fürst Ito, Soyeshima, u. a. das ererbte auswählerische Talent Japans vor Irrtümern und ermöglichte es ihnen, fremde Fehler bei Anwendung fremder Muster zu vermeiden, wie z. B. gerade durch Itos Verdienst Wortlaute und Vorbehalte der japanischen Verfassung bei vergleichender Betrachtung im Stil Matsunamis59 (Constitution of Japan, Tokyo, 1930, I—XII u. Anhang) sehr vorteilhaft von ihren seinerzeitigen Mustern und Vorbildern abstechen. Wo das aber nicht der Fall war, da gab es wohl japanische Bestrebungen, die amerikanischer waren als die amerikanischen Exzesse der Presse, der U.S.A., 75
der religiösen Proselytenmacherei, radikaler als die radikalsten Köpfe in London Eastend und die russischen Nihilisten (wie Sen Katayama), verstiegener, als die verstiegensten Staatsdenker Mitteleuropas, modischer als der Hof Eugenies. Nach ihrer Rückkehr aber hatte das ohnehin vom Anklopfen der U.S.A. und Rußlands und der Beschießung von Shimonoseki bis zum Chinakrieg aufgeregte, von politischer Leidenschaft brodelnde Land im Innern die hereingetragenen fremden Staats- und Kulturlehren in seinen eigenen Feuerköpfen auszugleichen und dafür zu sorgen, daß die so lange gedämpften Leidenschaften nicht jedes Maß überschritten und womöglich vorzeitige Eingriffe heraufbeschworen: eine Gefahr, die in den Tagen Saigos, Hoshis, auch der Seiyukai zuweilen dicht vor der Türe stand. So werden die besten Freunde Japans zugeben müssen, daß die Tage des Suchens und Tastens nach kulturpolitischer Außenwirkung noch weit in jene Zeiten hineinreichen, in denen die Hauptentwicklungsrichtung schon festzustehen schien und in denen man wohl von einer organischen Reihe in der Entstehung einer bewußten Kulturpolitik sprechen kann. Denn es gab Rückfälle ins „Suchen und Tasten", wo viele Beobachter diese Periode schon überwunden glaubten. Sie schwankten mit dem Einfluß des GenroKreises um den alternden Meiji Tenno, dessen Tod ein Zurückgleiten mit sich brachte. Schicksalsschläge und Hochspannungen hat Japan dabei besser vertragen, als Hochkonjunkturen und rasch zufließenden 76
neuen Reichtum. Es war großartig, wie alles „Suchen und Tasten" in großen nationalen Prüfungen zurücktrat: im Chinakrieg, angesichts der kontinentalen Einmengung, im Russenkrieg, bei der Überwindung der Erdbebenkatastrophe 1923. Wie flüssig die Lava aber unter der scheinbar erkalteten und formsicheren Decke war, das verriet die Zeit zwischen Verfassungsversprechen und Verfassungsverkündigung, der Kampf um die aufgezwungenen Zollverpflichtungen, das Parteienspiel bis zur Wahlrechtserweiterung von rund 3 auf rund 13 Millionen von 1924 und noch manche spätere Verdunkelung der Ära des leuchtenden Friedens (Shöwä). Rasches Tempo im Verbrauch der „ministeriellen Bekleidungsstücke", das Fühlerstrecken der Vorkriegsministerien Abe und Yonai nach verschiedenen Seiten konnten auch dem langjährigen Beobachter und Freund des Inselreiches als Rückfälle in die Zeiten des „Suchens und Tastens" erscheinen, so schicksalbestimmt und zwangsläufig der Gang der Reichspolitik und Reichskultur durch Großostasien sich bei der Rückschau auch ausnimmt. Aber das Zurückzucken vor ihrem Schicksalsruf findet sich ja gerade bei Inselreichen oft in ihrer Geschichte, wenn sie die Schritte zur Gegenküste über See tun müssen, ohne sie eigentlich aus sich heraus tun zu wollen. So war es nicht ein besonderer, vereinzelter Fall, sondern eine fast gesetzmäßige Erscheinimg, die Japan dieses Suchen und Tasten nach seiner kulturpolitischen Bestimmung auferlegte, nachdem es einmal aus seiner Klausur nicht aus eigenem Antrieb 77
hervorgetreten, sondern aus ihr herausgestoßen worden war. Über Geschick und Ungeschick, über liebenswürdige und unliebenswürdige Eigenschaften, die bei diesem „Suchen und Tasten" entfaltet wurden, gehen die Urteile so schroff auseinander, wie später bei der Einstellung von innen und von außen gegenüber dem bald langsamen, bald sprungweisen und unheimlich schnellen, jedenfalls ungleichmäßigen Aufbau einer nach außen gewandten Kulturpolitik überhaupt, im Gegensatz zur harmonischen der ursprünglichen inneren Linie. Man braucht nur etwa eine Schrift wie Friedrich Kleemann: Japan, wie es ist, Leipzig, Voigtländer, 192160, das Betrachtungs-Endergebnis eines über seine besonderen Verhältnisse mit Recht mißvergnügten Kriegsgefangenen der langen Reihe japanfreundlicher Schilderungen gegenüber zu stellen, von Junker von Langegg, Erwin von Baelz, Lafcadio Hearn an bis zu meinen eigenen Büchern oder den unter dem Eindruck der deutsch-japanischen Annäherung entstandenen Zweckschriften. Weder das Konzentrationslager bei längerem Aufenthalt darin, noch die Hafenkolonie ist eine besonders günstige Ausgangslage, um der Seele eines Volkes abseits von den Zentralen seiner Hinterlandhelden oder seiner Händler kennen zu lernen; es kommt eben alles darauf an, bei einem Volk von noch größerer „Insularität", als die gewiß nicht leicht zu erkennende britische war, mit welcher seiner Schichten und mit welchen seiner Kulturträger der Beobachter zusammentrifft. 78
Man wird auch nicht vergessen dürfen, daß der überwiegende Teil der Japaner zwischen dem Fall der Shogune und der Verfestigung der Meiji-Zeit die Mehrheit der Ausländer als gegen den Willen des Volkes eingedrungene, auf Ausbeutung bedachte Gangster betrachtete und ihnen schon dementsprechend entweder gleich mit bewaffneter Abwehr oder doch mindestens mit Mißtrauen und Vorsicht entgegentrat. Auch sind die Wächter der Konzentrationslager selten die kulturpolitische Blüte einer Nation, oder, wenn sie es sind, nicht geneigt und befugt, sich von dieser Seite her zu erkennen zu geben. Diese Erwägung müßte gerechterweise bei jeder Schrifttumsprüfung angestellt werden. Fremde Glaubensboten, die ausgesandt waren, die beiden angestammten Landesreligionen möglichst bald zu diskreditieren und ihnen Seelen abzufangen41, Staatsmänner, die den unerfahrenen Sinn des eben erschlossenen Landes zur Erlangung möglichst großer Vorteile im Wettbewerb mit andern Staaten nutzen wollten, Händler, die den bescheidenen Bestand an Edelmetallen mit möglichst geringer Gegenleistung an sich zu bringen trachteten, endlich Abenteurer, die an dieser entlegenen Küste landeten, weil sie an vielen andern schon abgehaust hatten, mußten notwendig das kulturpolitische Tasten nach belehrender Außenberührung gefährden. Zwischen Fremdlingen dieser Art waren wirkliche Kulturfreunde weniger zahlreich gesät, als für eine unbelastete Fühlung gut gewesen wäre. Auf der andern Seite fanden gerade die später als die 79
vertrauenswürdigsten zur Kulturvermittlung erkannten japanischen Kreise schwerer aus ihrer Zurückr haltung und abschließenden Kulturhülle heraus, als solche, die das Fremde um des Fremden und Neuartigen willen unterschiedslos ergriffen, und heikle, letzte, noch längst unentschiedene Fragen und Plagen des Abendlandes, wie den Marxismus, absonderliche Lösungen der Frauenfrage, Sozialexperimente in sich aufsogen und als Evangelien zu verkünden bereit waren62. (Lederer, Kennedy, Russen, Kagawa.) Jede solche Fermentierung, auch in Kulturfragen, treibt zunächst Gärungsprodukte und Schaum an die Oberfläche; der wirkliche Gehalt entsteht darunter in der Tiefe und entzieht sich so der Beobachtung mehr, als er sie sucht. Wer der Kulturzukunft aber wirklich dienen wollte, mußte zu ihr hinab in diese Tiefe tauchen. In der Übergangszeit bis zum Werden tragfahiger, aufeinander zustrebender kulturpolitischer Bildungen hatten alle Einzelgänger von drinnen und draußen das Gefühl, als Einzelkämpfer nur vorbereitende Arbeit zu leisten, ehe die Fronten sich treffen und vereinigen konnten, und dabei leicht auf verlorene Posten zu geraten, auch vorzeitig durch irgendein Zwischenhindernis, das oft gar nicht in der Sache zu liegen brauchte, zu Fall zu kommen. Schmerzliche Beispiele dafür gibt es in der japanischen neueren Kulturgeschichte genug. Aber auch auf ihnen ruhte der Vorbau der zusammenstrebenden Brückenteile, bis aus der Arbeit vieler Hände und Köpfe endlich der Zusammenschluß entstand und die 80
aufeinander zustrebenden Verzahnungen sichtbar wurden. In Würdigung der kurzen, dafür gegebenen Fristen, der großen, zwischen Beginn und Erfolg liegenden Gefahren ist die Gesamtleistung erstaunlich und mußten die dabei vorgekommenen persönlichen Entgleisungen in den Kauf genommen werden.
6 Haufihofcr
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Sechster Teil: Entstehung der auswärtigen Kulturpolitik in der Meiji-Zeit
Die Entstehung der auswärtigen Kulturpolitik in der Meiji-Zeit ist untrennbar von der Entstehungsgeschichte des Ringens der beiden Strömungen, die in Japan durch die ersten gewalttätigen Fremdeingriffe um die Mitte des XIX Jahrhunderts entfesselt wurden. Sie verkörpern sich in den ersten Parteinamen der Joito und Kaikokuto63. Abwehr der Fremdgewalt wollten im Grunde beide; nur wünschte die erste Vertreibung der Barbaren mit den augenblicklichen Mitteln des Landes und Fernhalten alles Fremden unter Erneuerung der Kaisermacht um jeden Preis; die andere Kulturströmung vertrat eine Öffnung des Landes soweit, daß es möglich sein sollte, den Fremden ihre Überlegenheiten abzusehen und sich mit ihnen zu bepanzern. Völlige Hingabe an die Weltzivilisation unter Opferung altüberkommener Kulturwerte forderten nur wenige, vereinzelte, verstiegene Gemüter. Immerhin hat es solche gegeben, von Inouye, der die Reisfelder in Weizenbreiten zu verwandeln vorschlug, bis zu dem amerikanisierten Politiker Hoshi und dem nach Moskau ausgerissenen Ultrasozialisten Sen Katayama und dem Christlich-Sozialen Toyohiko Kagawa mit 82
seiner Mischung von Auflehnung und Opfer im Stil der Christian Young men's association64. Als Mittelweg blieb die schon oft im Laufe der japanischen Kulturgeschichte gewählte, in beschränktem Maß ja auch gegenüber den Holländern auf Deshima vom Tokugawa-Shogunat geübte Aushilfe, fremdes Kulturgut, so weit es zu vertragen war, maßvoll einsickern zu lassen, oder, wenn es nicht zufließen wollte, durch eigene Sendboten hereinzuholen, oder auch durch gut bezahlte Sachberater autoritativ zu verbreiten, was von 1862—1870 angegangen wurde. Dem stand nun freilich zunächst das Verbot der Auswanderung entgegen, das noch für die Ausreise des späteren Reichskanzlers Fürst Ito 1863 eine Flucht mit seinen Freunden unter abenteuerlichen Umständen erzwang65. (Ito selbst darüber bei Baelz.) Aber die Lage drängte. Mit einem bloßen Einsickern fremden Kulturgutes war es nicht mehr getan. Man mußte ihm schon Schleusen öflhen. Die jähen Sprünge im Wachstum der SchifFstonnage überbrückten selbst die so lange schützende Weite des Pazifischen Ozeans66 (Geopolitik des Pazifischen Ozeans) und gerade über'sie hinweg erfolgte — nach manchen abgeschlagenen britischen und russischen Tastversuchen — der erste entscheidende, das verschlossene Kulturwesen aufreißende Stoß. Das bedingte einen Zwang, der keine auswählerische Behandlung mehr zuließ. Es mußte rasch nach innen, wie nach außen gehandelt werden. Ein Vorbild für das dabei unvermeidliche Tempo ist die Laufbahn von Fürst Hirobumi Ito (1841—1909), eines der gewiegtesten Kulturpolitiker der Meiji-Zeit, 83
der denn auch eine ganze Welle von Schrifttum über sich entfesselte und uns Deutschen besonders sympathisch in den Erinnerungen von Erwin von Baelz entgegentritt, auch mit seinem Freimut, mit seiner glänzenden Begabung als Plauderer, die ihmeinen guten Teil seiner Gunst beim Meiji-Tenno erwarb und erhielt. Seinem treuen Alterego, Graf Shimpei Goto, und meinem, ihm verwandten Divisionskommandeur, Baron Nobuyoshi Yamanaka, verdanke ich eine Reihe lebendiger Erzählungen über ihn, die gerade das Bild seiner Vorzüge als Kulturpolitiker abgerundet haben. Bis zum 22. Jahr Hatamoto des Yamaguchi-Klans, flüchtete er 1863 mit K. Inouye über Shanghai nach England, um die bisher verschlossene westliche Welt aus eigener Anschauung kennen zu lernen, kehrte 1864 zurück, spielte schon 1867/68 eine bedeutende Rolle, und wurde uns 1868 als junger Gouverneur von Hyogo durch Berührung mit Deutschen67 (Brandt) und Schöpfer der Fremdenniederlassung in Kobe bekannt. Als Teilnehmer an der Auslandmission Iwakura kehrte er gerade rechtzeitig zurück, um zu verhüten, daß Saigo Japan viel zu früh in das Wagnis eines Festlandkrieges stürzte, griff nach dem Attentat auf Okubo an das Staatsruder, machte 1882/83 eine Verfassungs-Studienreise nach Europa, von der er nach reichen Eindrücken zurückkehrte, und ward schließlich zum Urheber und durch seinen berühmten Kommentar zum Erklärer der 1889 verkündeten Verfassung. Inzwischen war er 1884 Minister des Kaiserlichen Haushalts, legte als solcher den Grund zur wirtschaftlichen Stellung und Stärke der Monarchie und gestaltete und zeichnete 1885 den Vertrag von 84.
Tientsin mit China. 1885, 1892, 1898, 1900 Ministerpräsident, 1895 Bevollmächtigter beim Friedensschluß mit China, 1900 Former der Seiyukai, die ihn später verriet, wurde er 1901 von der unverwandten Gunst seines Kaisers zum Präsidenten des Geh. Staatsrats ernannt, hatte aber leider keinen Erfolg bei seinen vielfältigen Bemühungen um ein gutes deutsch-japanisches Verhältnis. In großer Vision von den Möglichkeiten einer eurasiatischen Zusammenarbeit legte er den Grund zu ihr 1906—1909 als Generalgouverneur von Korea und bahnte die Wiederaussöhnung mit Rußland an, wobei er 26. 10. 1909 den gewaltsamen Tod von der Hand eines Koreaners fand. ' Was Fürst Ito noch durch seinen Tod im Dienste seiner Sache als werbende Kraft für die japanische Kulturpolitik nach innen, wie nach außen wert war, das kam mir 1909 in Kyoto bei der Auffassung in meinem ganzen japanischen Beobachtungskreis über das Beneidenswerte seines Todes als Versöhnungsopfer in seiner eigensten Sache zum Bewußtsein. „Welches schönere Ende kann ein alter Mann erleben?" Das war der Grundton der Betrachtungsweise! Dazu kam, daß alles sich sofort darüber klar war, daß Korea nun formal für alle schärferen Maßnahmen ins Unrecht gesetzt war. „Baka" (Dummkopf) war das letzte unwillige Wort des ermordeten früheren Geüeralgouverneurs gewesen, als er erfuhr, daß sein Mörder ein Koreaner war. Konnte Ito doch das Bewußtsein haben, daß er — gerade wegen seiner kulturpolitischen Weitsicht — die mildesten Formen bei der Hinzuschaltung Koreas angewandt hätte. 85
In seiner ganzen, zugleich überlegenen und verbindlichen Art ist Ito wahrscheinlich dem Ausland gegenüber die stärkste kulturpolitische Werbekraft seines Zeitalters in Japan — trotz Graf Okuma — gewesen. Bis zu einem gewissen Grad befähigte ihn die Abenteuerlichkeit des eigenen Lebensganges mit seinem vollen Ausmessen menschlicher Höhen und Tiefen dazu. Darüber hat er, freimütig und tapfer wie er war, den höchsten Grad von „(Zivilcourage" verkörpernd, im Freundeskreise auch mit Ausländern, die sein Vertrauen besaßen, oft gescherzt. Als im Genrokreise mit Baelz das Gespräch auf Übertreibungen in Romanen kam, rief Ito: „Was redet Ihr von Übertreibungen! Ihr wißt doch, daß eine wahrheitsgetreue Schilderung meines Lebens abenteuerlicher klänge, als irgendein Roman". Bei solcher souveräner Einstellung zum Leben war Ito, mit dem Wesen der Anglo-Amerikaner, der sorgfältig von ihm studierten Deutschen, der immer wieder an die Hand gestellten Russen, der Chinesen gründlich vertraut, der rechte Mann, um einen Weltruf zu handhaben. Wußte er doch, daß Klappern zum Handwerk gehört, ohne je dafür den Kaufpreis zu zahlen, den Napoleon in Gestalt der Eitelkeit von jeder menschlichen Leistung von vornherein abgezogen wissen wollte. Kein anderer hat so wie er verstanden, im Wirbel der kulturpolitischen Schwankungen seiner Zeit im Inland und Ausland immer obenauf zu bleiben68. (Felix Schottländer: Erwin v. Baelz, S. 149: Pers. Erinng. an Fürst Ito.) Alte Werbeweisheit ist: Die beste Reklame ist der zufriedene Kunde. Sie gilt auch für die Kulturpolitik 86
— vielleicht noch mehr als für die Wirtschaft. Von ihr aus Schlüsse ziehend, wird man gut tun, nach dem Eindruck des kulturpolitischen Wandels in der MeijiZeit solche Zeugen zu fragen, die mit warmem Herzen für ihr Gastland und doch dem offenen Blick des Naturwissenschaftlers für seine staatsbiologische und kulturmorphologische Erscheinung die entscheidenden Jahre dieses Wandels in Japan mitgemacht und reichlich von ihrem Einblick Zeugnis gegeben haben. Sie müssen das japanische Volk dort kennengelernt haben, wo es, wie ja auch vom deutschen gesagt wird am tüchtigsten ist: bei seiner Arbeit. Diese Notwendigkeit schließt von voller Zeugniskraft alle Diplomaten aus, so wertvoll ihre Berichte im einzelnen sind, aus denen wir ja auch manche Probe geben; leider auch die zu sehr zweckbestimmten Vertreter fremder öffentlicher Meinung. Denn ihre eigentliche Arbeit im Lande richtet sich ja doch im Grunde gegen dessen allereigenständigstes und daher am meisten gerade mit seiner Kulturpolitik verbundenes Streben. Ganz anders beim Arzt. Er ist der Helfer aus der innersten Natur seines Amtes heraus, wie der Soldat es als Kamerad ist. Darum ist es nicht verwunderlich, daß einige der besten Schilderungen japanischer Kultur als Ganzes von Ärzten und Soldaten stammen, und als die kostbarste nächst den älteren von Kämpfer und Siebold gilt uns das Kulturbild Japans von Erwin von Baelz, obwohl er nie dazu kam, das abschließende Buch, von dem er träumte, zu schreiben. Als Ersatz dafür aber gibt es einige liebevolle Sammlungen aus seinen Tagebüchern, Briefen und Berichten von seinem eigenen Sohn®9 87
und ein Lebensbild von Felix Schottländer in den „Schriften des Deutschen Ausland-Instituts", das mit Recht auf diesen schwäbischen Kulturboten, um nicht zu sagen Kulturbotschafter, besonders stolz ist70. Wenn dieses Lebensbild nichts enthielte, als seinen Abschnitt IV: „Zur Psychologie der Japaner", würde es einen unsterblichen Platz in der Japankunde damit behaupten. Kaum ein anderer fremdbürtiger Zeuge ist der ungeheuren psychologischen Belastung der Volksseele während der Meiji-Zeit so gerecht worden, wie Baelz, der — trotz unbestechlicher Wahrheitsliebe in allen verantwortlichen Äußerungen—Freundschaft und Vertrauen des Meiji-Tenno und seiner wichtigsten Berater bis an sein Ende behielt. So kenne ich trotz genügendem Überblick über das Meiste, das über Japan geschrieben wurde, keinen Spiegel, der die entscheidende kulturpolitische Wandlung vom Beginn der Siebziger Jahre bis kurz vor dem Weltkrieg so treu aufgefangen hätte, wie Erwin von Baelz, dem die Genro ihr Vertrauen schenkten wie wenigen andern, während sich Fürst Ito z. B. über Lafkadio Heam sehr deutlich ausgelassen hat. Trotzdem sind dessen, wie so manchen andern Dichters, Künstlers und Kunstwissenschaftlers Bilder vom Inselreich eine dankbar begrüßte farbenbunte und malerische Ergänzimg; aber die Grundlinien verlässiger Beobachtung kommen sicherer von der Naturwissenschaft her: für uns Deutsche in erster Linie von Baelz und Müller71, den Ärzten, aus den Japantagebüchern von Richthofen72, den freilich verbitterten Skizzen von Naumann73, der ersten deut88
sehen Landes- und Volkskunde von Rein' 4 . Besonders ertragreich erwies sich kulturpolitisch des Zoologen Doflein Ostasienfahrt75., Baelz setzte mit seinen Beobachtungen ein, als eben der Wandel vollzogen war, der aus den Hauptgegnern der schwankenden Kulturpolitik der letzten Shogune, dem Kaiserhof und den großen westlichen Daimyos die entschlossenen Verfechter der Bepanzerung mit dem Können und Wissen des Auslandes gemacht hatte. Der damit verbundenen Verwirrung vieler Geister folgte der jähe Anstieg einer Kurve höchster Überfremdungsgefahr, die wohl mit dem Empfang des Präsidenten Grant 1879 ihren bedenklichsten Stand erreicht hatte, in dem Prinzen und Minister alle Warnungen zum Festhalten am bewährten alten Kulturgut ablehnten mit Worten, wie „daß Japans Geschichte erst jetzt beginne". Diese Kurve wurde in flacherem Bogen fortgesetzt bis zur Verfassungsverkündigung von 1889, verflachte sich weiter von 1889 an; sie senkte sich ruckweise mit dem Chinakrieg, der Vertragsrevision, den Chinawirren von 1900, dem Russenkrieg und der Einverleibung von Korea, bis 1912 das Totengeleit des Kaisers Meiji die Stärke der Tradition und die Schwäche der Fremdeinschläge in der Kulturpolitik bewies. So etwa spiegelt die Erinnerung von Baelz die kulturpolitische Krisenkurve von 1868 bis 1912, die am wildesten bewegte seit der Taikwa. Mit leisem Bedauern aber zieht durch alle Aufzeichnungen die Klage darüber, wie sehr die Kulturpolitik Japans, mit einem Höhepunkt der anglophilen Kurve zuerst zur Zeit des Besuchs von Präsident '
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Graut, dann zur Zeit des Blütentraums über das englisch-japanische Bündnis von 1902, unter angloamerikanische Führung geriet, obwohl einzelne führende Köpfe der Meiji-Zeit, wie Fürst Ito, Admiral Kato, Kurino, Graf Goto, auch wohl Fürst Katsura die Gefährlichkeit dieser einseitigen kulturpolitischen Hinneigung erkannten und russische, wie deutsche Gegengewichte einzuschalten suchten. Baelz beklagt, wie sehr die amtliche deutsche Ostasienpolitik seit dem Ausscheiden von Hollebens als Gesandter durch unnötige kulturpolitische Verstöße diese Lage verschärfte und damit das Spiel von Gegnern Deutschlands, wie Japans auf lange Sicht erleichterte. Es ist kein Zweifel, daß von England, wie von den U.S.A. aus, trotz einzelnen Anläufen FestlandEuropas zum Besseren und den Leistungen der deutschen Naturwissenschaftler und Soldaten, eine der kontinentalen weit überlegene Kulturpolitik getrieben wurde, solange, bis der Übermut der „Haves" sich überschlug. Ihre Auswirkungen reichen bis dicht an 1941 heran. Diese seltsame Beschleunigung ist auch an der in ihren Anfängen meisterhaften panpazifischen geistigen Überbrückungsarbeit erkennbar. Sie bewegte sich zuerst von Hawaii aus auf reinen Kulturbahnen mit merklichem, das ganze größte Meer und sein Einzugsgebiet umspannenden Erfolg und begann erst, ihn zu verlieren, als die politischen Krallen unter dem erhaben gewirkten Kulturgewande sichtbar wurden, und zuletzt rassenpolitisch und wirtschaftlich zu kratzen anfingen, als der Schwerpunkt ihrer Arbeit 90
auf die Neuenglandseite der U.S.A. geriet ".(„Pacific Affairs" als Barometer!) Zur Fernlenkung Japans bediente sich die angloamerikanische Kulturpolitik eines Orchesters von vielen Instrumenten, zum Teil mit durchaus ehrlichen Spielern besetzt, unter denen wir Lafkadio Hearn77, Munro 78 , Griffis79 und viele andere nennen, die. in ihrer Eigenart teils von Japan durchschaut wurden (Ito über Lafkadio Hearn „ . . . ein geistreicher Autor, der schöne und bunte Bilder zu entwerfen versteht, aber er ist ein Schwärmer. Die Gegenwart ist ihm fremd. Uns heutige Japaner, unsere Bedürfnisse kennt er nicht und für unsere Bestrebungen hat er kein Verständnis") — teils aber doch auch nicht erkannt waren und Wölfe im Schafpelz bleiben konnten, wie in der anglo-japanischen Presse, bis 1941. Es genügt, etwa in der Buchstabenreihe, um jedes Werturteil auszuschließen, die Namen Aston, Brinkley, Gubbins, Hearn, Kennedy, vor allem Chamberlain in seinen Wandlungen zu nennen, die einen großen Einfluß auf die seit 1868 erscheinende, in den gegenwärtigen Vertretern nur bis 1872 zurückreichende japanische Presse gewannen, so zügellos sie sich scheinbar zeitweilig gebärdete, und darauf hinzuweisen, daß die zwei wichtigsten Nachrichtenagenturen teils unter Reuters (Rengo), teils unter U.S.A.-Vormundschaft (Nippon Dempo) standen und erst sehr spät lernten, eigene Wege zu gehen. Wir folgen hier gern, um ja nicht dem Bann der Voreingenommenheit zu verfallen, den Schilderungen von M. D. Kennedy über die japanische Presse in „The changing fabric of Japan", London, 193080 91
ebenso, wie wir jeden Leser der „Pacific Affairs" ruhig bitten können, darin die Wege zu verfolgen, auf welche zuletzt die Ostasienkenntnis von Owen Lattimore81 und seines glänzend geschulten Mitarbeiterstabes die chinesische, wie die japanische Kulturpolitik zu verführen suchte, was ihm weitgehend gelang. Aus seiner späteren Stellung als politischer Berater von Marschall Tschiangkaischek dürften manche arglose japanische Mitarbeiter mit ihren oft bienenfleißigen und redlichen Beiträgen erkennen, wie brav sie imbewußt am Strang der U.S.A.-Kulturpolitik gezogen haben. Ganz gewiß schuldet die japanische Pressetechnik den anglo-amerikanischen Beispielen sehr viel und hat ihre großartige Entwicklung teilweise ihnen zu verdanken, aber auch den inneren Gegensatz, in den — nach Muster der yellow press — viele dieser Preßorgane zu der tragenden Altkulturlinie ihres Vaterlands gerieten, die nun einmal mit Kaisertradition, mit dem Aufgehen der Samurai in Heer und Flotte und den Ämtern, mit dem stammesmäßigen Einfluß der alten Gaufürstenfamilien verbunden war. Die so herb angegriffene Bürokratie verfuhr, soweit sie die Macht dazu hatte, nicht sänftiglich mit den Vorkämpfern der Pressezügellosigkeit, die frühzeitig die Einrichtung der Sitzredakteure kannten. Der Dauerwirkung japanischer Kulturpolitik nach außen hat aber vielleicht nichts so sehr geschadet, wie übersteigertes parlamentarisches undPressegeschrei, wenn innerpolitischer Ärger nebenher außenpolitische Fenster einschlug, woran sich sogar Männer wie YukioOza92
ki82 beteiligten, während Tokutomi seinen einsamen Pfad als ein Ritter der Presse wandelte83. Diesem nur die Gegenwart kurzsichtig umdrängenden Parlamentarisierungsgeschrei und der Tendenz gegenüber, auch alle Fehlerquellen und Ermattungserscheinungen fremder Zivilisation baldmöglichst einzuschleppen, wie in übereilter Weise die Frauenfrage (Kennedy84), oder solche Sozialisierungsbestrebungen, die gegenüber einem vom Staatssozialismus und ausgeglichener autarkischer Naturalwirtschaft herkommenden Volk absurd waren, wirkten weitsichtige raumpolitische Bestrebungen in der Stille. Aber sie waren in ihren Anfangen auch für den Beobachter von außen her gegen Ende des MeijiZeitalters wohl zu erkennen. Sonst hätte ich nicht als damals in erster Linie militärisch und wehrwissenschaftlich ausgesandter Beobachter 1909/10 in „Dai Nihon" eine Reihe von Proben sammeln können, die ausgesprochen einer weitausschauenden, großasiatischen Kulturpolitik dienten85. Freilich wurden diese Wahrnehmungen auch von solchen Stellen gemacht, denen ein kulturpolitischer Erfolg einer asiatischen Macht auf diesem Felde im höchsten Grad unheimlich sein mußte, vor allem wegen des Beispiels, das dadurch der indischen, der südostasiatischen Selbstbestimmungsregung gegeben werden mußte. Großostasien ist nicht etwa ein neues Schlagwort zur Verschleierung von Machtwünschen, sondern es lebte in einsichtigen Minderheiten Japans, aber auch Chinas schon vor 1900. Es erhielt einen mächtigen Auftrieb durch die Einschnürung des damaligen Siam, des heutigen Thailand, von britischen 93
und französischen Randbesitzungen her, und namentlich durch die Demütigung Chinas an der Jahrhundertwende. Durch sie wurde es Männern, wie Kangyuwei, wie Sunyatsen ganz klar, wie wichtig das kulturpolitische Beispiel Japans auch für die Festlandräume der Monsunländer war, auch wenn Japan gegen China mit seinen andern Bedrängern unter Waffen stand. Daran änderte sich nichts, wenn chinesische Satrapen, wie Li Hung Tschang die Mandschurei lieber in Geheimverträgen (Li-Lobanow-Abkommen) den Russen in die Hände spielten, um ihre Rache an Japan zu nehmen, obwohl sie damit Leitgedanken Asiens an dessen Bedränger verrieten. Ihr Verrat an Asien trug das meiste zum Sturz der Tatsing-Dynastie bei: sie war kulturpolitisch verloren, lang, ehe sie es militärisch war, was man klar in Japan erkannte, obwohl der Generalstabsprinz Tsaitao sympathisch aufgenommen wurde 86 . Immerhin hatte man in Japan gerade in kulturpolitisch weitsichtigen Kreisen gehofft, China werde sich durch Kangyuweis Einfluß auf den jungen Kaiser Kwanghsü auf ähnliche Reformwege hinlenken lassen, wie sie ein Menschenalter vorher Japan eingeschlagen hatte, und daraus könne ein widerstandsfähiges Ostasien entstehen durch ein Zusammengehen beider Völker, wie es ganz gewiß auch jetzt noch vielen vorschwebt. Daher der Haß, den ich bei Vertretern dieser Meinung gegen Yüanschikai als den Verräter eines möglichen Ködö, eines kaiserlichen Reformweges, in China gefunden habe87. Der Sieg der Theaterkaiserin Tsusi über die Reformer hat jedenfalls für China Revolution und Umsturz 94
an Stelle einer immerhin in Japan für möglich gehaltenen Evolution und Umformung und dann im Verlauf des Sturzes der Dynastie einen dreißigjährigen Krieg Aller gegen Alle in China gebracht, aus dem Japan eine Reihe erschütternder Folgerungen und Schlüsse zog. Dabei darf nicht vergessen werden, daß der reformfreundliche Süden Chinas in Japan immer Verständnis und Hilfe fand, daß Sunyatsen und Tschiangkaischek lange Zeit in Japan verbrachten, und Sunyatsen an eine Reihe japanischer Staatsmänner zu Beginn des Weltkrieges jenen berühmten Brief schrieb: jetzt sei Japans große Stunde, um die Befreiung Asiens an der Seite der europäischen Mittelmächte gegen alle seine Bedränger in die Hand zu nehmen 88 . Es hat Europas Mittelmächte und Japan viel Lehrgeld gekostet, daß sie die ihnen von Sunyatsen aus seinem kulturpolitischen Ahnungsvermögen heraus gezeigte Stunde erst fast dreißig Jahre später wahrzunehmen versuchten. Wie ich aus Gesprächen von Fürst Ito, von Graf Goto und manchem andern weiß, gab es aber schon im Japan der verklingenden Meiji-Zeit Männer, die solche Möglichkeiten gerade aus kulturpolitischer Intuition erkannten, aber weder in Mitteleuropa, noch in Japan Gehör fanden. Noch waren die Blicke der Mehrheiten durch den Glanz der Macht und Wirtschaft der Weltreiche alten Stils, der Westmächte, der Russen und U.S.A. verschleiert, und auch in Japan waren viele westlich Orientierte sich ihrer Hörigkeiten nicht bewußt. So verbreitet nach dem nationalen Wiedererwachen in der zweiten Hälfte der Meiji-Zeit das großasiati95
sehe Kulturbewußtsein war, so spät erwachte, wie auch in Mitteleuropa nördlich und südlich der Alpen, die Einsicht, wie nützlich es wäre wenn Kultur- und Rassenpolitik Hand in Hand zu gehen lernten. Das erklärt sich zum Teil daraus, daß die im indopazifischen Raum um sich greifenden, ortsfremden Machtbildungen diese Möglichkeiten zu verschleiern strebten, weil sie der Bildung von Ausbeutungsgebieten in Streulage, (nur durch „Krieg, Handel und Piraterie" verbindbar,)und noch mehr dem Zurückhalten weiter, untervölkerter Reserveräume abhold waren. Um der Kraftabmessimg mit den Oberherren farbiger Millionen auszuweichen, die sich im Zahlenverhältnis von 60 zu 500 solche Untertan gemacht hatten oder über weite Seestrecken hinweg nach rassen- und wesensfremden Gebieten, wie Hawaii und den Philippinen griffen, hatte Japan sogar geraume Zeit versucht, den Wanderdruck seines übervölkerten Stammbodens in seine Nordinseln und auf das Festland abzulenken, die heide dem natürlichen Wandergefall der Rasse widerstrebten89 (vgl. Schwind: Karafuto, J. Perthes, 1942), wenn auch natürlich ein starkes Kulturgefälle nach Norden und Nordwesten vorhanden war. (Fochler-Hauke: Mandschurei. Heidelberg, 1942 u. a.) 90 . Immer wieder wurde der Vorwurf erhoben, weshalb denn nicht Yezo-Hokkaido, in der ungefähren Größe Bayerns, aber kaum halb so dicht besiedelt, mit viel größeren Bodenschätzen und einer reich gegliederten Küstenlinie von 2555 km mit Bayerns Volkszahl, warum nicht Japanisch-Karafuto, die Südhälfte von 96
Sachalin mit mehr als einer halben Million Menschen gefüllt werde, ehe man den Wunsch nach Reichsraumerweiterung kulturpolitisch begründen lasse. Aber es waren gerade kultur- und rassenpolitische Gemeinschaften, die den Siedelungserfolg südostwärts deutlich zeigten, der sich ja auch mit mehr als einer Verdoppelung der Einwohnerzahl der Inselflur in der Südsee durch freiwilligen Zustrom deutlich zeigte, während ehrliche anglo-amerikanische Beobachter, wie Stevenson, die „Depopulation" der Südsee unter britischer Hand beklagten. So zeigte nur der Zeiger der Machtwaage nordwestwärts, der Rassenund Volkswunsch aber südostwärts, als der MeijiTenno seine Augen schloß.
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Siebenter Teil: Kulturpolitische Bedeutung des Meiji-Tenno
Je ferner der Meiji-Tenno uns zeitlich rückt, um so größer wird seine, schon in den letzten Lebensjahren fast legendär gewordene Gestalt als Vermittler des einzigen, ohne Katastrophe möglichen Übergangs von dem abgesonderten, nur auf innere Kulturpolitik abgestellten Sonderdasein Alt-Japans zu einer Weltmacht mit unvermeidlicher Außenwirkung in einer nun einmal dem Weltverkehr und seinem Kulturwerben erschlossenen Welt — in der märchenhaft kurzen Zeit einer einzigen Geschlechtsfolge. Dieses Wunder war nur wirkbar durch die einzigartige Schicksals- oder Göttergunst, daß mit einer tatsächlich unumschränkten, aber nie mißbrauchten Macht dem Reich eine Persönlichkeit erstand, die zugleich den strengen Anforderungen einer in zweieinhalb Jahrtausenden verwurzelten Tiefenwirkung als hiero-monarchische, der Überlieferung nach gottenstammte Gestalt und den vielen Selbstentäußerungen an persönlichem Regime und Verzichten auf Außenwirkung als Mensch eines konstitutionellen Herrschers genügte: also beide Erneuerungsströmungen, die innere und äußere in ein Bett lenken konnte. Eine solche Doppelrolle lebenslänglich zu spielen, ohne dabei jemals aus seinem Nimbus eines groß98
artigsten Hintergrundspielers der Weltgeschichte herauszutreten, und mit der Charaktergabe, sich obendrein den Ruf eines ungewöhnlich trtuen Herren vieler treuer Diener zu erwerben, das bedingte zunächst ein ungewöhnliches persönliches Opfer. Es mag dem Philosophen und feinsinnigen Kunstkenner, wie es der Kaiser Mutsuhito, der Meiji-Tenno war, in seiner eigenen Kulturhöhe leichter geworden sein, als vielen anderen; aber es kam doch in seinem Gesichtsausdruck, in seinen großen dunklen Augen und seiner ganzen Haltung, auch in seinen Kurzgedichten deutlich zum Ausdruck91. Unter solchen persönlichen Eindrücken von ihm stehend und seinerzeit ehrlich bewundernd vor ihm gestanden, habe ich versucht, in den kleinen Biographieen von Coleman ein Lebensbild des Meiji-Tenno zu skizzieren92, weil ich weder in der japanischen Literatur, noch in irgendeiner fremden eine solche Skizzierung des bedeutendsten und wirksamsten Monarchenlebens meiner Zeit in ausreichendem Umfang fand, und bin mir der unvermeidlichen Unzulänglichkeit dieses Versuches wohlbewußt. Dennoch stehe ich heute, angesichts der Entfaltung seines Lebenswerks zu jedem, damals geschriebenen Wort. Das ist um so leichter zu verantworten, als sich dieses Bild des großen Erneuerungsmonarchen als Kulturpolitiker im wesentlichen nicht nur mit den vielen, in Japan von vertrauten Persönlichkeiten erzählten Einzelzügen deckt, sondern auch mit den Erfahrungen, die Erwin v. Baelz in einer der letzten Arbeiten seines Lebens mitgeteilt hat, im „Geist des Ostens" von 1913 unter dem Titel: „Der japanische Kaiser 7*
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Mutsuhito oder Meiji-Tenno, seine Stellung im Staat und Volk" 93, zwischen deren zweite und dritte Fortsetzung die Todeskunde des großartigen Japanforschers (vom 31. 8. 1913) fiel. Baelz hat den von ihm ärztlich betreuten Tenno nur um ein Jahr überlebt, und mit der Aufrichtigkeit, mit der er ihm selbst immer unter , die Augen getreten war, dem großen Toten sein Denkmal im Nachruf errichtet. Darin steht kein Wort, von dem er nicht überzeugt war. Es steht darin, wie furchtbar die Geburtswehen der Reichserneuerung von 1866—1868 das innere Gleichgewicht der Volksseele erschütterten; wie schwierig anfangs die Stellung,des 1867 fünfzehnjährigen weltscheuen .jungen Tenno war; wie die Reichsüberlieferung zunächst äüf Muster-VQn 700 nach Ztwde. („Taiho") zurückgriff, aber eben .doch ins höchst moderne Machtgedränge zwischen den großen Daimyo des Südwestens, Tosa, Choshu und Satsuma geriet; wie Hof und Daimyos ursprünglich fremdenfeindlich waren, und wie sich die Stimmung vieler Erneuerer in Amerikanismus, fanatischem Verkünden fremder Kulturlehren, „wie hypnotisiert" überschlug, wie stark auch „republikanische Anwandlungen" waren. Es steht darin, wie das Verhältnis zwischen Kaiser und Volk während der Meiji-Zeit schwankte, aber auch: „Sein Verdienst bleibt es, daß er zu Zeiten der überstürzten Aneignung alles Fremdentums stets warnend und zurückhaltend eingegriffen hat" — „ein Glück für sein Land!" Die Größe der Gestalt liegt in der vollendeten Ausfüllung einer der schwierigsten kulturpolitischen Vermittlerrollen der Erde. Dennoch hat er sich selbst 100
darin vielleicht nur als vorbereitende Kraft einer Reihe empfunden, etwa im Sinne einer Uta der Kaiserin Haruko: „Minato bune-ikarf wo aguru-koe no uchi ni-namiji shiramite: Yo wa ake ni keri!" („Schiffen im Hafen — lichtend die Anker nachts — raunt eine Stimme zu: auf den Wogen wisset Ihr: Nacht vom Frührot überwunden !" . . . ) wobei „Yo" auf das Heraufdämmern eines neuen Zeitalters gedeutet werden konnte, das Frührot ganz gewiß dem Reich der aufgehenden Sonne galt! — in der vornehmen, verhaltenen Art, in der am Hofe—nicht anders als in der Heian-Zeit— auch bei Hochspannungen kulturpolitische und andere Wendungen angedeutet wurden 94 . Das japanische Kurzgedicht ist in seiner wundervollen Vereinigung von aufs Höchste zusammengeraffter Ausdrucksicherheit und freiem Spielraum für die Phantasie des Gestalters, wie des Lesers bei aller scheinbaren Einfachheit unübersetzbar. Das werden Alle zugeben, die es schon versucht haben. Bei seiner Sinndeutung vollends ergeben sich große Spannweiten und Schwingungsmöglichkeiten. So konnte der berühmte Dreizeiler von Basho aus dem Schlachtfelde von Sekigahara: „Natsukusaya Tsuwamono domo ga yume no ato "ebenso im Sinne des höchsten Krieger-Idealismus gedeutet werden, wie pazifistisch. Die wörtliche Übersetzung des Gedichtes I. M. der Kaiserin Haruko lautet: „Während die Stimmen (der Seeleute) gehört werden, wie sie den Anker eines im Hafen (vertäuten) Schiffes lichten, hat es über dem Meer gedämmert, und die Nacht ist vergangen". In101
terpretieren könnte man: „Rufe sind vernommen, daß Japan (das Schiff) ein neues nationales Dasein beginnen soll, und ein neues Zeitalter hat gedämmert" — was die Vieldeutigkeit von Yo in diesem Zusammenhang ermöglicht. Je größer die Meisterschaft des Verfassers, je höher seine kulturpolitische Stellung, je weiter die Schau, desto mehr wächst der Deutungsreichtum seines Werks, hinter das der Dichter und Schöpfer dann oft mit seiner noch so berühmten Persönlichkeit zurücktritt. „Yumei-mujitsu" — (berühmt-unwahr)95. Diese in ihrer lakonischen Gegenüberstellung fast unübersetzbare echte Kulturweisheit, am ehesten noch wiederzugeben mit unserm Sprichwort: „Der Schein trügt", als ständige Mahnung, mehr zu sein, als zu scheinen, war ein Grundvermächtnis altjapanischer Kultur an das neue Reich, und durch die autoritäre Macht des Kaiserhofs auch an die „neuen Reichen". Der Grundsatz lag einem Volk ganz natürlich nahe, das seine Häuser so baute96, (Bilder u. a. „Japan baut sein Reich"), daß die schönsten, prunkvollsten Gemächer aus Edelhölzern sich ganz im Innern auf einen Garten öffneten, während die Straßenfront, abgesehen von den Torburgen der Mächtigen, von raffinierter Einfachheit war, und das kostbares Brokatfutter innen unter schlichter schwarzer, nur wappengeschmückter Seide trug. Auch um auszudrücken, was wir landläufig derb mit: „Außen hui-innen pfui" bezeichnen, begnügte sich der wohlerzogene Japaner wenigstens noch zu meiner Zeit damit, zu sagen, „sotogawa yoi" — Außenseite 102
s c h ö n . . . und dem Zuhörer zu überlassen, wie er sich die Innenseite denke. In diesem Stil lebte in der Meiji-Zeit Alles, was den Kulturzusammenhang nicht verloren hatte; und die Lebensführung des Meiji-Tenno gab ihm die Möglichkeit, sich gegenüber der Hochflut des Amerikanismus, der Industrialisierung, der Vermassung zu behaupten — solange eben die Tradition nicht aufgegeben werden wollte. Oberster Traditionswächter aber war der Ahnenhohenpriester der Nation, der Hieromonarch-Kaiser; und er schuf sich das Gegenwärtigkeitsrecht dazu auch in moderner Zeit durch den eigenen Verzicht auf fast alle äußerlichen Formen der Willkür persönlichen Lebens. Es war ein Leben auf Goldgrund, das er führte, kein FjeilufÜeben. Aber es entsprach zugleich seinem eigenen Charakter, wie dem Wunsche der Nation. „Das Land ist gewohnt an eine unsichtbare und unpersönliche Regierung und es wäre gefährlich, dies zu ändern" (Baelz, S. 145)97. Wo es die Repräsentierung des Staates verlangte, da stellte der für japanische Verhältnisse hochgewachsene Kaiser den imponierenden Mittelpunkt; aber eher zurückhaltend, als geltungsbedürftig schien er dem Prunk und jedem Zurschaustellen abgeneigt, so überlegen er sich fühlen durfte im kleinen Kreis als Meister des japanischen Gesprächs mit seinem pointenreichen, wenn auch halblaut fließenden „Hanashi", das beim Umgang mit ihm große Geistesgegenwart und Kultursicherheit verlangte, wie u. a. Matsukata und Okuma — sonst nicht verlegen — erfahren haben98. 103
Professor Waldemar Oehlke hat unter dem Titel: „Kaiserliche Verse" von Meiji-Tenno (Berlin, 1940; Herwig)99 eine Auswahl von 103 Tanka aus den viel Tausenden von Kurzgedichten des Kaisers, die er tagebuchartig jeden Abend niederzuschreiben pflegte, in deutscher Übersetzung herausgebracht. Leider sind es dort zumeist nur feinsinnige Naturbilder bis auf ganz wenige mit kulturpolitischem Einschlag, der sich sonst häufig unter den Dichtungen des Hofes fand. Wir müssen dabei von abendländischen Denkgewohnheiten absehen; das Malenkönnen schöner, durchdachter Zeichen, das Umgehen mit Tuschpinsel und Farbe und das Formen von Kurzgedichten gehörte noch im Nippon der Meiji-Zeit zur allgemeinen Bildung. Staatsmänner, Feldmarschälle, Admirale, Wirtschaftsführer, nicht nur Gelehrte und Künstler waren stolz darauf, diese Formen der Ausdruckskultur zu beherrschen; es war selbstverständlich, sie aufzufordern, etwa einen schönen Stein von ungewöhnlichem Adel der Struktur durch ein paar Inschriftzeichen zur Erinnerung an vergeistigte Vorfahren oder große Ereignisse zu verschönern. Der regelmäßige Jahreswettbewerb um das Kaiserkurzgedicht, an dem jeder Japaner teilnehmen durfte und für das schönste Gedicht einen Preis bekam, war nur ein Beispiel guter Volksgewohnheit an hervorragender Stelle. Wie ernst aber der Meiji-Tenno seine erhaltende, kulturbewahrende Aufgabe nahm, das zeigt etwa ein anderes Kurzgedicht von ihm, das bei Oehlke fehlt, das ich aber wegen seiner kennzeichnenden 104
geistigen Haltung in „Japan baut sein Reich" auf-» genommen habe: „Chihayaburu Das aus den alten kami no mi-yo yori Tagen der göttlichen Zeit uketsugeru mir übererbte kuni wo orosoka ni Reichsland sollte ich etwa mamorubeshi ya wa." sorglos wahren, verwalten ? (Übersetzung von Hermann Heuvers) Die Kurzgedichte 75, 98 und 103 bei Oehlke atmen verborgen auch etwas von dem Geiste des vorher japanisch und deutsch zitierten Gedichts. Sie sind spärliche Streifblitze auf die Innenkultur eines Mannes, der wußte, warum er sein Innerstes nur Wenigen enthüllte. Aber dieses Innerste ist fast ein halbes Jahrhundert lang das Pivot, der Schwenkpunkt japanischer Kulturpolitik gewesen. Mit seiner Treue zu den Beratern seiner Wahl, ganz gleichgültig ob sie öffentliche Leidenschaft von rechts oder von links umtobte, ob sie die in der Übergangszeit jäh herumschlagende Volksgunst liebkoste oder schalt, hat der Meiji-Tenno diesen Schwenkpunkt festgehalten. So war er wirklich der „ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht", ein Sinnbild „vertrauten Gesetzes". In seiner frühesten Herrscherjugend warfen sich tausende von Zweischwertmännern vor den Weg seiner Sänfte vom altheiligen Kyoto zu der neuen Östlichen Hauptstadt Tokyo, um seine Abreise zu hindern, und bildeten, als er trotzdem reiste, das vielleicht gefährlichste, turbulenteste Ehrengeleit seines Lebens. Zur Zeit früher Mannesreife versuchte die geflüchtete 105
Shogunflotte unter Enomoto eine Republik Yezo auszurufen, und später spielten Leute wie Hoshi, aber auch andere mit der Auslieferung Japans bis ins Letzte an fremde, späte Formen einer für Japan denkbar unpassenden Staatskultur100. Dann folgte von 1871 bis 1899 das Ringen um gleiche Weltgeltung unter Abwerfen der aufgezwungenen Verträge, die das Reich verarmten und seiner Würde Abtrag taten, der Kampf gegen die Festlandwucht zuerst von China, dann von Rußland; zuerst der wehrhafte Teil der Nation, dann ihre Gesamtheit erkannte, was die sichere kulturpolitische Führung durch alle diese Wirbel bedeutet hatte. Der MeijiTenno, der Volkstümlichkeit im landläufigen Sinne nie gesucht hatte, wurde populär. Auch die von Fremdströmungen überwältigten seiner Untertanen erkannten an, daß sein ganzes Volk an seiner Bahre trauerte; sein volkstümlichster Feldmarschall, Nogi, opferte sich ihm in der Stunde seiner Beisetzung als Totengeleit, von einer treuen Gattin gefolgt, nach den uralten Riten des „Junshi"101. Verlegen schauten manche der Überfremdeten an solchen Beweisen der Stärke alten, einheimischen, innersten Kulturwillens vorbei, und schalten wohl als Barberei, was höchste Sittlichkeit im Sinne der Stoa war, deren Würde die euramerikanische Kultur mit den Lippen und im Schrifttum bekannte, aber in Gestalt ihrer lärmenden Fortschrittsprediger fürchtete, wo sie verwirklicht wurde. So ist der japanische Kaiserhof des Meiji-Tenno ein unbestechlicher Maßstab des wirklichen Kulturstandes in Nippon geblieben, so unbequem das für 106
Viele war, die bei einem stetigen Gang des Kulturwandels nicht auf ihre Rechnung kamen: innen und außen. In wirklichen Kultur- und Machtkrisen zeigte sich überall außerhalb Englands, daß die von Briten für Briten erfundenen und in sieben Jahrhunderten erprobten und zurecht geschliffenen Formen der Staatskultur für die meisten andern Lebensformen nicht taugten, am wenigsten für Japan, zu dessen Staatsgeist der Parlamentarismus in einem grellen Gegensatz stand. Was Schopenhauer von der Natur sagte, sie sei streng aristokratisch, verfahre auswählerisch und lasse ihrer nicht spotten, das gilt auch von der Kultur; der Auslesevorgang für das Walten der Staatsmacht zum Schutze der Staats- und Volkskultur wird deshalb in jeder Lebensform nach andern kulturpolitischen Erfahrungen aus ihrem eigensten Wesen heraus erfolgen müssen. Was in England einen in Wahrheit durch seine Trimmer zwischen den Parteien geregelten regelmäßigen Gang der Staatsmaschine ergab, das versank anderswo in „mares stagnantes" der Wahlkreiskorruption und in Demagogie, die eine Herrschaft der lautesten Schreier und bedenkenlosen Berufspolitiker sowie verborgener Geldmächte auf Kosten der Tüchtigsten begünstigte, und erwies sich in Japan als. ein im Übereifer der Nachahmung euramerikanischer Motive angeklebtes „Frontornament am uralten hieromonarchischen Bau" 102 (Kjellèn) Diese Wahrheit hat der Meiji-Tenno und sein Beraterkreis der Genro frühzeitig erkannt; aber man
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war weise genug, das außer Rand und Band geratene Pferd langsam auf einen großen Zirkel, dann auf eine Volte hereinzuspielen, und als der letzte Genro hochbetagt im Jahre 1940 starb, Fürst Sayionji, der gleichen Mut und ein hohes Maß von „(Zivilcourage" gegen seine Freunde, wie gegen seine Feinde bewiesen hatte, da stand eine volksweite Bewegung zur Unterstützung der kaiserlichen Politik bereit, und die Parteien hatten sich in ihr aufgelöst. Japan hatte sich im Kulturschatten des Meiji-Tenno zu seiner eigenen Linie zurückgefunden, bereit, auf weiterem Grund sich selbst zu genügen und dennoch einer Welt ins Auge zu sehen. In solchem Sinne war es gewiß keine höfische Phrase, sondern die Überzeugung des beispielhaft bescheidenen und schlichten Siegers von Tsushima, Admiral Togo, und seines Stabchefs, wenn sie den Erfolg „den Tugenden des Meiji-Tenno" zuschrieben und im Tempel von Ise dessen Vorfahren dankten. Es war ein Zurücktreten des Einzelenen hinter die Gesamtheit der lebenden und toten Schutzgeister Japans, den Genius ihres Volks, als dessen ersten priesterlichen Diener sich der Kaiser Mutsuhito fühlte, der ganz genau wußte, daß er kein Flotten- und Heerführer war und nie solche persönlichen Gloriolen in Anspruch nahm. Aber er war ein beispielhafter treuer. Wächter der Nationalkultur, die vom ersten bis zum letzten Mann im Reich solche Seelenhaltung zu fördern suchte. Daß es nicht immer und nicht überall gelang, wer wußte das besser, als der aus den stillen, zurückgezogenen Gemächern des stilvollen Burgbaues in108
mitten von Tokyo das weite Reich aus vielen ergebenen und verschwiegenen Helferaugen überwachende Mittelpunkt einer mühsamen und umstürmten Wacht! Konzentration, meditative, schauende Versenkving in sich selbst und das Streben, dem nach außen für ihn Wirkenden ein steter, sicherer Halt zu sein, das war die Leitmaxime dieses Herrscherlebens, nicht Expansion oder der unruhige Wunsch nach blendender Außenwirkung und „persönlichem Regime", das in den verschiedensten Ausprägungen Europa von einer Verwirrung in die andere gestürzt hatte.«Das umgekehrte Ergebnis war in Japan die langsame Verwandlung einer heftigen kulturpolitischen Bewegung mit allerlei exzentrischen und revolutionären Begleiterscheinungen in ein evolutionäres System, in dem zuletzt Gestirne von sehr verschiedenem Wertgehalt auf konzentrischen Bahnen liefen. Religionspolitische Einwirkungen seiner Jugendzeit mögen dem persönlichen Mittelpunkt dieses Systems seine Rolle erleichtert haben. „Glauben sie, es sei gleichgültig, ob Millionen in vielen Geschlechtsfolgen zu einer Reihe schützender vergöttlichter Vorfahren und Ahnengeister und einem edlen, in Meditation versunkenen Menschenbild eines Vollendeten, eines Buddha, aufschauen, oder zu einem blutenden gemarterten Leib in furchtbarer Zwangshaltung" — so frug mich einmal ein führender Kopf aus der nächsten Umgebung des Kaisers. Es war schwer zu antworten, und das war ja wohl auch der Sinn der Frage; aber sie war bezeichnend für die Umwelt, aus der sie kam. 109
„Wie angenehm ist es doch für alle Ministerpräsidenten und Soldaten Se. Majestät, daß sie nie für Äußerungen ihres hohen Herrn in der Öffentlichkeit einzutreten brauchen, die sich schwer verantworten lassen", sagte mir einmal ein hoher militärischer Würdenträger im Gespräch. Ein anderer wiederholte, den gleichen Satz auf sich selbst anwendend, eine kaiserliche Äußerung: „Ich bin wie ein gutes altjapanisches Schwert und werde nur im Notfall herausgezogen; jeder überlegt sich dreimal, ob es notwendig ist, daß er an den Griff faßt". — (Der Griff zum Schwert als Gebärde auch in bloßer Andeutung war bereits eine symbolische Handlung, die man sehr ernst nehmen mußte, auch wenn es nicht gezogen wurde, die z. B. innerhalb der Kaiserburg nach altjapanischen Gesetzen Todesstrafe nach sich zog.) (Ursache des Freitodes des Feudalherrn der 47 Ronin noch 1701)103.. Auch aus solchen Äußerungen geht die Sicherheit kulturpolitischen Handelns für alle Staatsdiener hervor, die daraus entsprang, daß sie vor jeder Übereilung an höchster Stelle sicher waren, auf der andern Seite aber unbedingter Deckung, wenn sie für die Erhaltung von bewährtem Kulturgut mit ihrer Person eintraten. (Graf Komura an Baelz über die Untragbarkeit eines Parlamentsregimes in Japan)104. Dabei durften in taktvoller Form in unmittelbarem Verkehr schwierige Fragen freimütig berührt werden, worin namentlich Ito eine besonders glückliche Hand hatte. Er bedauerte ebenso, wie Baelz, die strengen Zeremonialformen, denen sich der Kaiser selbst unterzog, die ihm z. B. den Verkehr mit seinem Sohn 110
und seinen Enkeln so schwer machten, auch den altjapanischen Brauch, daß die kaiserlichen Kinder in ein anderes Haus zur Erziehung übergeben wurden. „Es ist wirklich ein hartes Schicksal, als Kronprinz geboren zu werden. Sofort, wenn er in die Welt kommt, wird er überall mit Etikettenbändern gefesselt, und wenn er größer wird, so muß er nach der Pfeife seiner Erzieher und Räte tanzen." Ito machte dabei am 9. Mai 1900, kurz vor der Hochzeit des späteren Kaisers Taisho, eine Gebärde, wie man Marionetten an Fäden tanzen läßt, als er, zu Prinz Arisugawa gewandt, diese, Baelz durch ihre Ungeniertheit frappierende Bemerkung aussprach. Und doch wäre Ito vielleicht der Einzige gewesen, durch einen Vortrag beim Meiji-Tenno die alte japanische Idee umzuformen, „wonach dem regierenden und dem künftigen Kaiser alle denkbare Ehre erwiesen, aber keine Selbständigkeit gelassen wird." (Baelz). Verkannte selbst ein so guter Beobachter wie Baelz stellenweise die Umrisse der Schleier, die eine Traditionslinie der japanischen Kulturpolitik seit dem letzten Kaiser, der ein persönliches Regime im westlichen Stil versucht hatte, seit Godaigo-Tenno (1288 bis 1339) absichtlich um die oberste Kulturstelle und Rechtsquelle des Kaiserreiches gewoben hatte ? Aber war nicht gerade aus den bewegten und tragischen Schicksalen eben dieses wildbewegten Kaiserlebens jene Staatsdichtung Jinnoshotoki emporgestiegen, die mehr, als vieles andere, zur Wiederaufrichtung der Hieromonarchie den starken Anstoß gegeben hatte die „Achse und Eckstein" (Hiraizumi) für die Ruhelage der Plattform des Meiji-Tenno war ? 106 . 111
Bei aller scheinbaren Klarheit der Linienführung ist die japanische Kulturgeschichte doch immer wieder von mystischem Glanz durchglüht und von Lichtern erhellt und durchblitzt, die nur bei liebevoller Versenkung im Auge des Beschauers Widerscheinen. Diesen Wünschen seines Volkes fast hellseherisch entsprechend, hat der Meiji-Tenno sein Hintergrundleben auf Goldgrund vorbildlich und mit großer kulturpolitischer Wirkkraft geführt, so wenig er äußerlich hervortrat, ja, vielleicht gerade deshalb, weil er ein Leben im Stil der europäischen Herrscher und Volksführer, oder der Präsidenten der U.S.A. mit ihrer aufdringlichen Pressebeleuchtung bewußt vermied, was das andere Pazifikufer der englisch und spanisch sprechenden Völker nicht verstand. Natürlich entging ein so geführtes Leben als Kulturerhalter dem Mißverstehen nicht und war vor allem gar nicht geeignet, in Globetrotterbüchern eine Rolle zu spielen106. Heute noch danke ich Erwin v. Baelz, daß er in einer der letzten Arbeiten seines arbeitsreichen, zu kurzen Lebens mein Erstlingsbuch: „Dai Nihon" (Berlin, 1913) in einer langen Besprechung (Petermanns Mittig. 1913; S. 295 und 296) bezeichnete als „ganz aus dem Rahmen der gebräuchlichen Literatur über Japan herausfallend." So reichte der für mein Gefühl aufschlußreichste „Meiji-Deutsche" einem der letzten die einführende Hand und gibt ihm das Gefühl, mit seiner Meinung über eine der am schwersten zu durchschauenden Persönlichkeiten unserer Zeit als Kultur erhalter und Kultur schöpfer auf dem richtigen Wege zu sein107. 112
Wie stark die Meiji-Ära als ein kulturpolitischer Wendepunkt nicht nur der japanischen Kulturpolitik, sondern auch ihres Verhältnisses zu Deutschland und der Einstellung der Deutschen zu Japan empfunden worden ist, das verrät eine Arbeit von Adolf Freitag in den Mitteilungen der um Japan wie Deutschland gleich verdienten Deutschen Gesellschaft für Naturund Völkerkunde Ostasiens (Bd. XXXI, Teil C, Tokyo, 1939): „Die Japaner im Urteil der MeijiDeutschen"108, worin die deutschen Zeitgenossen des Meiji-Tenno in Japan in ihrer Kulturtätigkeit als eine eigene Gruppe gewürdigt werden. Nur hat der Verfasser dieses Bandes mit Freitag deshalb zu rechten, weil er dessen Ausschaltung der deutschen Zeitgenossen des Meiji-Tenno zwischen 1905 und 1912 kulturpolitisch für imberechtigt hält, so richtig der von Brandt geprägte, von Freitag übernommene Leitsatz ist: „dem armen Land ist das traurige Schicksal geworden, nie durch eine ungefärbte Brille, sondern stets durch rosa oder dunkel angehauchte Gläser betrachtet zu werden". Leider hat Herr von Brandt zur Verdunkelung vieler wichtiger deutscher Gläser in Politik und Wissenschaft nicht unerheblich beigetragen. Gegen die Wahl von 1905 als Scheidejahr berufener Zeugen aber spricht, daß es unter den von 1905 bis 1912 mit dem Kaiser selbst und mit seinen unmittelbaren Mitarbeitern in Berührung gekommenen Deutschen manche gab, die viel nähere Fühlung mit seiner kulturpolitischen Lebensleistung gewannen, als eine Reihe von christlichen Sendboten früherer Jahre und von Größen der Hafensiedelung. I
Haushofer
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Wird man bei irgendeiner biologischen Betrachtung wohl Saat und Wachstum vom Reifen und der Ernte willkürlich abtrennen dürfen, wie es geschieht, wenn man bei der Betrachtung der Meiji-Ära die Vollendung des meerumspannenden Reichsbaues um die Japansee bis auf den russisch verbliebenen Quadranten, wenn man die Einverleibung von Korea, die letzten innerpolitischen Ausgleichsschwankungen ausschließt ? Der Meiji-Tenno selbst würde ein Abhängen seiner letzten sieben Lebensjahre von seinem sonstigen Werk auch innerhalb eines fremden Beobachterkreises von sich gewiesen haben! Trotzdem ist Freitags Arbeit gerade vom Standpunkt der Prüfung feinster kulturpolitischer Fäden ein Beitrag von hohem Rang zur Erkenntnis der Meiji-Zeit. Der Hinweis auf sie mag würdig eine Betrachtung der Kulturleistung des Meiji-Tenno im Lichte seines Widerscheins in Deutschland beschließen.
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Achter Teil: Übersteigerungsgefahren. Die Überkreuzung mit panasiatischen und panpazifischen kulturpolitischen Einwirkungen
Bald nach der Überwindung der ersten Lebensgefahren für den Fortbestand Japans als selbständiger Kultur-, Macht- und als Wirtschaftskörper tauchten bei dem naturgemäß hohen und steilen Wellengang, in dem sich das Staatsschiif in der Reichserneuerung bewegen mußte, Gefahren durch Übersteigerimg auf. Solange das Joch der ungleichen, aufgezwungenen Verträge auf Japan lastete, also bis Ende des XIX. Jahrhunderts, traten sie nicht so deutlich hervor. Vielleicht kam dem Volk gar nicht zum Bewußtsein, wie sehr eine einzige uralte Kulturhilfe es vor Überfremdung und Auskauf seiner wertvollsten Grundrechte durch Fremdkapital bewahrt hatte: die Unbelastbarkeit des nationalen Grundbesitzes von der Fremde aus, dank der man jedes Rechtsgeschäft eines Japaners für ungültig erklären konnte, das dazu beitrug, ein Stück heiligen Volksbodens an Fremde auszuliefern. Erst als die Aufhebung keine Gefahr mehr in dem nach der Kriegskonjunktur reich gewordenen Lande bot, wurde nach langem Druck des Auslands unter Gegenseitigkeit die schützende Bestimmung aufgehoben. ». 115
Wie eingelebt in Japan und wie wenig im Ausland begreiflich diese uralte Kulturschutzbestimmung war, das geht aus dem Unwillen der Jesuiten (bei Pater Frois) hervor, die nicht begriffen, warum die Japaner kein Grundstück für einen Kirchenbau verkaufen wollten und Petitionen einreichten, um zu verwehren, daß stilfremde Gebäude errichtet würden, aus denen man in die Intimität ihrer eigenen Häuser, Gärtchen und Höfe von oben hineinsehen könne109. Eine solche Feinfühligkeit war dem europäischen Mittelländer mit seinem ungenierten Publizitätsgefühl Aller gegenüber Allen unverständlich, doch war sie echt bezeichnend für japanisches Empfinden. Es wehrte sich gegen jede Art von Überranntwerden von außen her; aber die Versuchung, anderen zu tun, was man selbst nicht leiden wollte, war natürlich größer, wenn sie an alte Ausdehnungswünsche anknüpfen zu können glaubte und appellierte, wie gegenüber dem Doppelgesicht festlandeinwärts und über See, das Japans geopolitisches Schicksal ist, und dem bald panasiatische, bald panpazifische Lockungen erschienen. Wie wenig vielen Ausländern der Gedanke kam, das böse Beispiel, das sämtliche weißen Mächte im Pazifik gegeben hatten, könne auch Japan als kulturpolitische Selbstverständlichkeit erscheinen, nämlich durch Hinausgreifen über sein Stammland die Sicherung eines seinem Volksdruck entsprechenden Lebensraums anzustreben, verrät sich noch in den sonst aufschlußreichen Büchern von Kennedy, wenn er die meisten der geistigen Regungen, die panasiatische Kulturziele zu verfolgen begannen, einfach unter die 116
Schlagzeile: „Reactionary Clements" zusammenfaßt 110 . Dabei werden die Träger der Versuche, gegenüber der importierten Zivilisation anglo-amerikanischer Prägung zur Selbstbestimmung auf den ererbten Kulturkraftlinien zurückzufinden, in Bausch und Bogen als „Ronin" und „Soshi" abgetan. In einer Aufzählung politischer Attentate wird jedes einzelne mit allen andern in einen Topf geworfen, gleichviel aus welchen ethischen Beweggründen es entstand und ob der Täter sich dabei bewußt um eines höheren Zieles willen opferte. So wird verschwiegen, daß der allerdings intellektuell sehr begabte Erziehungsminister Mori 1889 deshalb einem Angriff zum Opfer fiel, weil er mit frivolen Scherzen mit einem Spazierstöckchen den heiligen Vorhang im Tempel der Sonnengöttin zu Ise lüftete, was eben ein Schlag ins Gesicht einer mehr als zweitaüsendjährigen Kulturüberlieferung war und der überwältigenden Mehrheit seiner Landsleute als ein Sakrileg erschien, das den Zorn des Himmels auf ihr Land herabrufen mußte. Kein Wunder, daß dann Moris Mörder ein Altar errichtet wurde. Mori hatte sich gegen die Ehrfurcht vor der Staatstradition versündigt und vergessen, daß „Schaudern der Menschheit bester Teil" sei. Japan weiß auch, warum es gegen die Wünsche der Angloamerikaner seine Söhne den Freimaurerlogen fernhält und ihre Werbeorgane verboten hat, und warum es die Rotary-Klubs auflöste. Wenigstens wird zugegeben, daß die Kokuryukai (Schwarzdrachen-Gesellschaft), der erste stärkere Antrieb zu panasiatischen Bestrebungen, einfach ein 117
Rückschlag von 1901 gegen den um sich greifenden russischen Imperialismus war, wobei der Schlachtruf: „Asien den Asiaten" und Gründungen wie „The Asian review" ganz natürlich entstanden. Erst als fast alle Gegenspieler Japans im Pazifik sich irgendwelche Panideen als höchst wirksame kulturpolitische Werkzeuge längst zurecht gemacht hatten, besann sich Japan darauf, daß es ja auch mit dem von den alliierten und assoziierten Mächten bis zur Fadenscheinigkeit mißbrauchten Selbstbestimmungsrecht der kleinen und großen Völker spielen könne, daß es die größte buddhistische Macht war und auch der Buddhismus Werbekraft besaß, und daß man einen Gegenpräriebrand gegen russische panasiatische Funkenherde und amerikanische panpazifische Brände neben dem panamerikanischen Einkreisungsfeuer anlegen könne. Gewiß hat die panasiatische Tagung in Nagasaki 1925 an manchen Unvollkommenheiten gelitten; aber es knüpften sich doch Beziehungen an, die im weiteren Verlauf dem Gedanken eines von Fremdgewalt freien Großostasien zu präludieren vermochten, und die natürliche Einheit der Monsunländer ihren 1200 Millionen Einwohnern zum Bewußtsein brachten. Wenn sich als Gegengewicht gegen die Überfremdung in der Kulturpolitik ungefähr dreißig Verbände bilden konnten, unter denen die 1919 ins Leben gerufene Kokusuikai nur die zahlenwuchtigste war, neben Kenkokukai, Taikosha, Sekkaboshidan, Taikakai (Große Kulturgesellschaft), Kokufakai (Nationaler Traditionsbund) Kokoku Isshinkai, Tekketsusha, Sekishindan u. a., alle mit ausgesprochen kultur118
politischen Zielen, alle Vorläufer einer zusammenfassenden Bewegung, die gegen Ende des vierten Jahrzehnts des XX. Jahrhundert Parteien und Verbände in sich aufzunehmen und mit sich fortzureißen vermochte, so bewies das doch kulturpolitisches Reifen auf weite Sicht! Aber welcher lange kulturpolitische Weg war von dem ersten Zurückweichen vor der überlegenen Zivilisationstechnik der Fremdmächte 1854 bis zur einheitlichen Gestaltung abwehrbereiter Nationalkultur 1940 zurückzulegen! Gewiß hatte schon zu Beginn der siebziger Jahre Feldmarschall Saigo versucht, durch die Wendung gegen Formosa, gegen Korea unter Aufstellung raumpolitischer Ziele und einigender wehrgeopolitischer Notwendigkeiten diesen langen Entwicklungsgang abzukürzen111 (Longford). Er hat damit sein Land in eine schwere Wachstumskrise gestürzt, weil eben gerade kulturpolitisch fest unterbaute Wachstumswünsche langsam reifen müssen und allseitig vorbereitet, wie vorbedacht sein wollen. Für Hellhörige lag in der verfrühten Formosa-Expedition, in dem japanisch-russischen Abkommen von 1875 und in dem deutlich gezeigten besonderen Anteil an Korea eine kulturpolitische Warnung, die nähere Umwelt des Inselreichs nicht unnötig mit Machteinwirkungen zu berühren. Aber der Expansionswille der pazifikfremden Mächte oder der erst neugekommenen Anlieger ließ sich durch so verhaltene Töne nicht warnen. Ein kleiner Kreis von Deutschen vernahm sie rechtzeitig, gab den gewonnenen Einsichten auch in Be119
richten Ausdruck, und als sie nichts halfen, schrieb ich 1912 nach' der Rückkehr aus Meiji-Japan das Buch: „Dai Nihon. Betrachtungen über Groß-Japans Wehrkraft, Weltstellung und Zukunft" 1913, in dem fast alles vorausgesagt wurde, was sich dann entwickelt hat: Die Ziele der Auswärtigen Politik: Weltpolitische Rückenfreiheit, Auseinandersetzung mit feindlichen Nachbarn, der Zug nach Süden und die panasiatischen Träume. Alles das kam zu seiner Zeit118. Es war eben schon im Japan derMeiji-Zeit durch deutliche, ehrlich ausgesprochene kulturpolitische Zeichen an die Wand gemalt! Man mußte nur diese Zeichen lesen, statt dem, was in den Blättern der aus der Fremde gekauften Federn in englischer Sprache stand. Die machten sich freilich über die „Asia-Gikai" lustig, und schrieben: „Die neue Gesellschaft scheine nicht unter Mangel an offener Sprache zu leiden." Aber es ist doch sehr „fair", wenn weltumspannende, bedeutsame Fragen der Kulturpolitik auf weite Sicht offenherzig behandelt werden! Als die Gesellschaft verkündete, „ihr Ziel sei die Wiedererweckung Asiens, der schlafenden Kräfte seiner Völker, und ihr Weg dazu vorerst das Studium der rasseverwandten Nationen und die Förderung des Verstehens zwischen ihnen", da hieß es spöttisch: „Die wirtschaftlichen Mittel würden etwas beschränkt für so große Ziele sein." Man fand ihr Streben „arrogant", bezeichnete sie selbst als „Fehlkonstruktion, die sich der Kritik und der Lächerlichkeit aussetze." Haben wir das nicht alles auch über das faschistische Italien, das Wiedererwachen des nationalen Deutschlands gedruckt gesehen und gehört ? 120
Es waren dieselben geistigen Kräfte, dieselben Federn, die im Abendland gegen die künftigen Achsenmächte eines erneuten Europa, im Osten gegen die Verselbständigung einer möglichen Führermacht für Großasien losgelassen wurden. Sie bedienten sich fast desselben Stils. Der Aufruf der „Asia Gikai" ließ keinen Zweifel über ihre eigentlichen Ziele und Wünsche zu und wandelte das Thema: „Asien den Asiaten" in allen Spielarten ab. Als ihr besonderes Arbeitsgebiet bezeichnete sie China, Siam, Indien, Afghanistan, Persien und die Türkei; danach ist es begreiflich, daß ihre Gründer von den Vertretern der anglo-amerikanischen Presse in Ostasien, den Inhabern der „Goldfransen am Bettelmantel Asien" (nach Lord Curzon), nicht freudig begrüßt wurden. Aber heute mag es sie reuen, daß sie damals solche Gedanken lächerlich gefunden haben. Gibt es doch heute noch in diesem Bereich Leute genug, die ein indisches Nationalgefühl als utopisch erklären und danach handeln. Aber um die Jahreswende 1908/09 hat mir in Peschawar ein kluger englischer Prokonsul in Indien gesagt: „Wenn mir vor Jahren jemand von einem indischen Nationalgefühl gesprochen hätte, ich hätte ihn verlacht. Jetzt kann ich nicht leugnen, daß es etwas Derartiges gibt!" Das ist jetzt 33 Jahre her, und schon vor 33 Jahren hieß es: „Der Kontinent Asien ist zentral auf der Erde gelegen und schließt die guten Geister des Himmels und der Erde in sich ein. Asien übertrifft alle andern 121
Erdteile an Ausdehnung, Größe seiner Flüsse und Gebirge, Zahl seiner Einwohner und Reichtum seiner natürlichen Hilfsquellen. Das ist der Grund, warum die hohe Zivilisation der alten Zeiten ihren Ursprung in Asien hatte und die großen Weisen in diesem Erdteil geboren wurden. In neuerer Zeit aber sind die Asiaten alle indolent geblieben, haben einander mit Eifersucht betrachtet und eine Nation gehindert, sich über die andern zu erheben, so daß der westliche Einfluß sich ungehindert hat ausbreiten können. Wenn das nicht anders wird, so wird Asien verloren gehen; und darüber muß man Besorgnis fühlen. Ausgezeichnete Sitten und Gebräuche und ein hoher Sinn zieren alle Asiaten, und die Erhebung Asiens muß daher von allen Asiaten gleichzeitig in Angriff genommen werden. Aus diesem Grunde haben wir, trotz unserer schwachen Kräfte, diese Gesellschaft gegründet, zu der wir den Zutritt aller derer erbitten, die mit uns die gleiche Ansicht und das gleiche Streben haben"113 (Buddha, Kung, Zarathustra, Veden, Evangelisten, Mahomed zeugen für Asiens Kräfte). So stand es im Aufruf der „Asia Gikai", und nicht minder energisch arbeitete die „Toadobunkai", die „Ostasiatische Schrifttumsgesellschaft": beide machten gute kulturpolitische Vorarbeit, die Achtung verdiente ! Es ist noch kein Menschenkind und kein Volk etwas Rechtes geworden, das nicht seinen Gedankenflug, seine Ideenjagd, seine Wunschträume den augenblicklich in Zeit und Raum erreichbaren Zielen weit vorausgesandt hätte. Aber solche Vorwegnahmen beflügeln das Wissen, 122
das dem Können vorausgehen muß. So hatte die Toagakuin (Schule des Ostens) im Jahre 1908 als gerechten Lohn kluger Organisationsarbeit sofort nicht weniger als 272 Beobachter zur Verfügung, die ihr in einem Jahre 20000 Seiten Berichte über die ökonomische und politische Lage Chinas vor dem Sturz der Tatsing-Dynastie lieferten. Der Erfolg veranlaßte Nachahmung: Beispiel ist mehr als Lehre. Aus solcher kulturpolitischer Erziehung heraus konnten mit wachsenden wirtschaftlichen Mitteln ähnliche Quellen für Hawaii, für die Philippinen, für Malaia, für Indonesien, Birma und wohl auch Indien fließen. Auf der anderen Seite entstand gewiß die Gefahr, daß weitgehende Wunschträume vor der Zeit einen dafür noch nicht bereiten Reichs- und Volkskörper zu weit in ihren Flugrichturigen mit sich fortreißen könnten. Auch diese Gefahr war Japan aus seiner jüngsten Geschichte vertraut. Aber um ihr nicht zu erliegen hatte es 1877 eine seiner stärksten Reformpersönlichkeiten, Marschall Saigo, geopfert, der zu früh Hand auf Korea und Formosa legen wollte. Vor dieser Gefahr war es, China und den Festlandmächten gegenüber, 1895 in Shimonoseki zurückgewichen, und hatte Port Arthur ein zweitesmal erobern müssen. „Vielleicht wäre es sonst zu schnell gegangen" — meinte ein japanischer Minister. Dieser Gefahr hatten Japans Bevollmächtigte in Portsmouth (U.S.A.) ins Gesicht geschaut, als sie einen Frieden mit Rußland unter dem Druck des ältern Roosevelt schlössen, der dem eigenen Volk — in Unkenntnis seiner Tragweite — als ein schmählicher, unzureichender Ersatz 123
für die gebrachten Opfer erschien, so sehr» daß Graf Komura bei der Rückkehr den Vertrag für den Tenno seinem Begleiter zur Verwahrung übergab, damit et bei einem sicher erwarteten Attentat auf seine Person nicht mit seinem Blut befleckt dem Tenno übergeben werden müsse. Es dauerte drei Jahrzehnte, bis die Früchte dieses Friedens südlich vom Amur voll ausgereift waren! Die Gefahr zu hochfliegender Träume also kannte Nippon seit der Meiji-Zeit. Zu dieser allgemeinen Gefahr einer Hypertrophie der kulturpolitisch vorzubereitenden Zielrichtungen und Ausdehnungswünsche trat noch eine besondere, die mit der geopolitischen Eigenart des Stammreichskörpers untrennbar zusammenhing: die Zerrung zwischen festländischen und meerbestimmten Leitzügen, durch das Janus-Gesicht, die Doppelzelligkeit des langgestreckten, ozeandurchpulsten, wie ein Riegel vor Ostasien geworfenen, beim Tode des MeijiTenno schon zwei Meere, ein kleineres und ein größeres umspannenden Reichs, das dennoch seinen Fuß auf den Kontinent gesetzt hatte. Es mußte der Aufgabe genügen, in drei Nahrichtungen Organe kulturpolitischen Wachstums auszubilden und sich dafür Trittsteine, Beobachtungsposten, Akklimatisationsstationen, wahre staatsbiologische Versuchsgärten zu schaffen: einen nordischen, einen westwärts zur Festlandbrücke gewandten, einen südostwärts gerichteten, der noch die doppelte Schwierigkeit barg, daß Südsee (Nanyo) und Großer Ozean, der eigentliche Pazifik (Taiheiyo) ganz verschiedene Problemreihen boten. Einen großen Vorteil für ihre künftige Kulturpolitik 124
freilich hatte die Meiji-Ära der Taisho- und ShowaÄra hinterlassen: den Besitz der Nordinselbögen, der ganzen Kurilen und halb Sachalins, um dort auszuprobieren, wie die Rasse dem nordischen, schroff zwischen Kälte und Hitze wechselnden Klima standhalten würde und sich mit Tiefständen der Kultur gegen die Tundra zu abfinden könne; den Besitz der Landbrücke Korea, der besonderen Rechte in der Mandschurei und des vorzüglichen Instruments der südmandschurischen Eisenbahn (Mantetsu), die sich als kulturpolitischer Erzieher ersten Ranges herausstellen sollte; endlich den Besitz der Tropenübergangsstation Formosa-Taiwan, die — sowohl in Nanyo, wie Taiheiyo schauend — ein unvergleichlicher Trittstein nach Süden war. Von diesen Festpunkten aus ist an Vorbereitungsarbeit nichts versäumt worden, und der Schatz an Erfahrung blieb erhalten, auch als die in China, in der Südsee während der Weltkriegskonjunktur gewonnenen Stellungen darüber hinaus wieder zum Teil geräumt werden mußten, ebenso, wie die nordische Front, die bereits Sachalin und Wladiwostok erreicht hatte. Diese Erfahrung aber, noch durch die Durchdringung der Mandschurei gesteigert, zeigte, daß die besten Siedelungs- und Angleichungserfolge im Süd-Osten, nach den Inseln in den warmen Meeren zu lagen, und daß der Wanderdruck in Festlandklima, gar nach Steppenasien hinein, auch in Höhenlagen trotz aller, noch so klug vorbedachten und reichlich gewährten amtlichen und militärischen Hilfe nachließ. So war es leicht, die Einwohnerzahlen der entvölkerten Südinseln wieder hochschnellen zu lassen 125
und sie mit trassierten Reisfeldern zu bedecken, aber schwer, Wehrbauern amurwärts anzusetzen oder die nur an ihren Küsten zur Fischerei ausgenützten Nordinseln zu kolonisieren. Japaner und Russen mußten erkennen, daß sie unter gleichen Verhältnissen ohne weitgehende Staatshilfe nicht imstande waren, für die Kulturarbeit im allerengsten, ursprünglichen Sinne des Wortes den Wettbewerb mit dem anspruchslosesten, vom Klima unabhängigsten Werkmenschen der Erde, dem Chinesen, aufzunehmen oder gar ihn durchzuhalten114 (Arsenjew — u. a.). So richteten sich für das weit eher meerbestimmte, ozeanische, als festländische, kontinentale japanische Reich lange, ehe Macht und Wirtschaft geneigt waren, sie anzuerkennen, in Gestalt solcher Hemmungen kulturpolitische Warnungstafeln vor seiner Ausdehnung auf. Sie fallen festlandwärts mit den Fronten zusammen, die Japans Wehrmacht in China und in der Mongolei gegen beider kontinentalen Westen erreicht hat. Das große Kompromiß mit Wangtschingwei wirft den Schatten eines viel größeren Kompromisses gegen das Nachbarkulturvolk voraus. Viel günstiger aber waren die Erfahrungen Japans im Küstenmeerkorridör und in die Großerscheinung der austral-asiatischen Zerrungsbögen, ihrer Inselgirlanden und Inselwolken hinein. In diesen Richtungen war schon die kulturpolitische Ausdehnungskraft anscheinend so unbegrenzt, wie sich, den tastenden Spuren der gehobenen Siedler folgend, die militärische eigentlich seit dem Beginn der Chinawirren erwies: Hainan und Shinnangunto waren nur Tritt126
steine, denen sich Hongkong, Maiiila, Shonan, Rangun, Batavia, Surabaya, Timor folgerichtig einreihten — kulturpolitisch überschattet, lang' ehe das Sonnenbanner über ihnen flatterte. Wer aber dem kulturpolitischen Ringen der um Großostasien wirksamen Panideen durch ein Menschenalter gefolgt ist — der panasiatischen in ihren russischen, indischen, chinesischen und japanischen Varianten, der panpazifischen in der Art, wie sie von den U.S.A. aus zuerst als ein Werkzeug des pazifischen Friedens von Honolulu aus, dann als ein Werkzeug der Durchdringung von Neuengland aus aufgezogen wurde — der gewahrt, daß die Art des japanischen Vorgehens sehr geschickt den unmittelbaren, schroffen Frontalzusammenstoß mit der kulturpolitischen Seite dieser Ideen bei ihrem wehrgeopolitischen Vorgehen vermieden hat und sich auf einer malaiomongolischen Zwischenlinie vorwärtsbewegt. Mit dem gleichen kulturpolitischen Geschick weicht sie auch dem immittelbaren Zusammenstoß mit der großindischen Idee aus und verweist die Inder nur auf eine unvergleichliche Gelegenheit, an der die anglophilen Inder, wie Gandhi und Jawaharlal Nehru, schwer vorbeikommen. Ebenso wird auch Tschiangkaischek kulturpolitisch in die peinliche Lage manövriert, Schulter an Schulter mit den Vergewaltigern Ostasiens zu kämpfen, die er in seiner besten Zeit in schärfsten kulturpolitischen Formen angegriffen hat, sich immer dabei auf seinen Lehrer Sunyatsen berufend. Man könnte aus Reden und Briefen Sunyatsens, namentlich seinem berühmten Brief an die japanischen 127
Staatsmänner, u. a. Okuma und Inukai, zu Beginn des Weltkriegs, eine für den Marschall in Tschungking vernichtende Sammlung von Zitaten zusammenstellen und aus dem Wortlaut dieses Briefes beweisen, daß Sunyatsen auch heute wie damals für Zusammenarbeit mit den Dreierpaktmächten zur Befreiung Großasiens von Fremdgewalt stimmen würde, während Tschiangkaischek diese Fremdgewalt in Birma und Indien mit dem Blut und den Waffen der chinesischen Westländer unterstützt115. Bis jetzt ist diese große Linie der südostasiatischen Selbstbestimmung von Japan in den Philippinen, in Malaia und Birma mit großem Geschick durchgehalten worden, so schwer es im Drange militärischer Operationen manchmal sein mag, an die langfristigen Wege der Kulturpolitik zu denken und sich darüber klar zu bleiben, daß man auf Bajonetten nicht sitzen kann, was Japans Staatskunst nicht vergaß (Reden von Arita, Konoye u. a.). Deshalb aber haben wir in der Überschrift von den Gefahren der Übersteigerung gesprochen und darauf hingewiesen, daß sie in der japanischen Kulturpolitik durch die Überkreuzung mit panasiatischen und panpazifischen kulturpolitischen Einwirkungen entstehen können, zumal ja auch noch großmalaiische Bewegungen zweifellos vorhanden sind und die japanische Wehrmacht, mindestens von der Großostasienvorstellung durchdrungen, auch ihre eigene Bewegungswucht (Dynamik) hat und strebt, die Staatskunst nach ihren Wünschen mit sich fortzureißen. So hat diese jetzt in Südostasien so wenig ein leichtes Spiel, wie sie es von 1931—1934 in der Mandschurei, 128
seither in der Mongolei und in Nordchina und von 1937 an in ganz China hatte, das noch dazu schon vorher durch einen fast zusammenhängenden Bürgerkrieg seit 1911 im Tiefsten kultur-, macht- und wirtschafts-politisch erschüttert war. Es gibt doch Großlandschaften in China, die seit 31 Jahren keinen wirklichen Friedenszustand mehr erlebt und gesehen haben, große Städte, die neunmal von Leuten durchgeplündert worden sind, die zu plündern verstehen, die schon im Frieden gewohnt waren, auf der den Wachen abgekehrten Seite von Bahnhöfen die Metallbuchstaben von D-Zugwagen während kurzer Halte wegzustemmen und in Kleingeld zu verwandeln. Solche Begleiterscheinungen vergißt der Bewohner einer vorläufig noch normalen Kulturlandschaft leicht, wenn er versuchen soll, den Schwierigkeiten großasiatischer Kriegführung und noch mehr panasiatisch und panpazifisch beeinflußter Kulturpolitik mit allen großchinesischen, großindischen, malaiischen und mongolischen Zwischenströmungen gerecht zu werden. Dazu kommt dann aber noch, daß die ostasiatische Kulturpolitik bei ihren Versuchen, solche Zustände wieder zu befrieden, nicht nur mit den einheimischen Schwierigkeiten zu rechnen hat, sondern im größten Stil durch außenbürtige Drahtzieher an hereinwirkenden Hebeln teils ahnungslos und unbewußt, teils aber planmäßig und des gewirkten Unheils vollbewußt gestört wird. Den verschiedenen Spielarten dieser Drahtzieher muß deshalb ein eigener Abschnitt gewidmet werden. 9
Haushofer
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Neunter Teil: Gegenstreben: Kulturpolitik der Kolonialmächte alten Stils, der kontinentalen russischen und der transpazifischen amerikanischen in ihrer Überschneidimg in Ostasien. Deutschland und Japan
Es ist gewiß eine unvermeidliche Verallgemeinerung, wenn wir versuchen, aus dem bunten, schillernden Fädenspiel der Weltkulturpolitik — die, sprungweise vorgehend, auch den Pazifik und Eurasien überspannte — in einer Art von Schwarzweißzeichnung einige Typen zu gestalten. Wir unterscheiden dabei aus ihren Überschneidungen in Großostasien drei schon aus ihren Raumbedingungen leicht zu unterscheidende Arten: die Eigenart der Kolonialmächte alten Stils, als welche dem geschichtlichen Auftauchen nach Portugiesen, Spanier, Niederländer, dann fast gleichzeitig bald ringend, bald zusammengehend England und Frankreich sich in Ostasien durchzusetzen suchen; die Eigenart des russischen kontinentalen Vordringens und die des u.s.amerikanischen transpazifischen Übergriffs. Typisch von ihnen allen verschieden ist das Verhältnis zwischen Deutschland und Japan, das ursprünglich bis 1895, mindestens 1893, auf rein kultur130
politische Gegenseitigkeit gegründet war, und nur durch groteske Mißverständnisse und ein kulturpolitisches Aneinandervorbeilaufen in letzter Stunde 1914 zu einem inzwischen längst ausgeglichenen Gegensatz führte. Die anderen drei kulturpolitischen Eingriffsmethoden aber unterschieden sich vor allem raumpolitisch: denn die Kolonialmächte alten Stils standen im ganzen indo-pazifischen Raum vor der auf die Dauer unlösbaren Aufgabe, von unzulänglichen Raum- und Bevölkerungsgewichten der sogenannten Mutterländer aus sich in den Riesenräumen und der großen Bevölkerungswucht des Ostens als wirtschaftliche Ausbeuter durchzusetzen. Russenreich und Sowjetbund hingegen hatten über Land, die U.S.A. über See doch mindestens flächenhaft die für eine Stellung von Gleich auf Gleich mit Ostasien unerläßliche Raumwucht und wenigstens einigermaßen die nötigen Bevölkerungszahlen hinter sich, wie das ja auch Graf Komura in seiner berühmten Reichstagsrede vom Februar 1909 für Russen, U.S.A. und China einräumte116. So lag — seit jenem denkwürdigen Tag programmatisch für Reich und Welt verkündet, aber schon lange zuvor von führenden Köpfen geahnt und ferngefühlt — auf Japan der Zwang, ringsum zwar aufweite Entfernungen, aber unter ähnlicher Einkreisungsgefahr, wie Deutschland, zahlenmäßig weit überlegenen Raumund Menschenmassen gewachsen zu bleiben und dieser Zwangsläufigkeit nur durch überlegene KulturMacht- und Wirtschaftspolitik begegnen zu können 11 '. (Kjellen.) 9'
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Dabei hatte jeder dieser Gegner außer seinen Machtund Wirtschaftsdruckmitteln noch ein besonderes kulturpolitisches Täuschungsgewebe, das er als „Cant", als „the lie of the land" um die harten Kanten seiner Machtmittel zog, die gerne mit irgendeiner weltumspannenden Reichsidee, einem Menschheitsziel oder Weltanschauungsgedanken mit Schlagzeilen, mit panasiatischen, panpazifischen, panamerikanischen, aber weit über die Grenzen der Neuen Welt hinausgeschobenen Verschleierungen getarnt wurden. Einen kleinen Teil des mit solchen Täuschungsversuchen verbundenen Schrifttums habe ich einmal in Band 21 der Weltpolitischen Bücherei 118 auf die nüchterne Ebene einer „Geopolitik der Panideen" herabzustellen versucht, auf raumpolitische Möglichkeiten hin betrachtet. Dabei glaubte ich zu erkennen, daß fast jedes der herrschenden, raummächtigen Völker der Erde, der „Haves", wie jedes der bisher unterlegenen, um ihren Lebensraum, ihre Selbstbestimmung geprellten Völker, der „Havenots", seine Art von Buch der Bücher für „seine" Panidee hat, d. h. jenes weltpolitische Zukunftsbild malt, von dem es sich — nüchtern gesagt — die größten Vorteile verspricht. (Beispiel: B. K. Sarkar: The Futurism of Young-Asia)118; (Danilewsky, Mahan)119. Solche Wunschträume, die unter gewissen günstigen Umständen aber schnell in wirksame Kräfte zu verwandeln sind, hegt jeder der Erdteile alten Stils und jeder solche, der es werden will. Neueinteilungen der Landfläche der Erde sind seit langem in großer Zahl vorgenommen worden, so von Ewald Banse120, von 132
Colin Roß1*1 u. a. Auch über jedem Meer — von den Ozeanen über die drei Mittelmeere bis zu kleinen Rand- und Nebenmeeren — schwebt seine „Panidee", seine Vorstellung, wie das „dominium", das „imperium" über seine schwankende Fläche hinweg erhalten werden könne. Japan hat verhältnismäßig spät den Nutzen solcher geopolitischer Wirkungskräfte erkannt, hat sich aber dann größerer kulturpolitischer Einheiten, wiePanasiens, Eurasiens, Großostasiens, des Nanyo, der Südsee gewandt zu bedienen gelernt. Aber es hatte dabei Vorbesitzer der Ideen hinauszumanövrieren, was zunächst nur kulturpolitisch möglich war. Am schwierigsten war die Aufgabe, ihren dem Pazifik ursprünglich raumfremden Imperialismus in Macht und Wirtschaft durch Kulturpolitik zu verschleiern, für die Kolonialmächte alten Stils, die hinabgegangenen wie Spanien und Portugal und die noch mit Weltreichen ausgestatteten, wie Frankreich, England und die Niederlande in ihrem Schatten in den Monsunländern. Denn man konnte ihnen ja von den Anliegern des größten Meeres aus leicht die Zeitfristen nachrechnen, innerhalb deren sie die einzelnen Teile Asiens und Ozeaniens ihrer Selbstbestimmung beraubt hatten — bis auf den einzigen, der sie nicht verloren hatte, eben Japan. Wie gut Japan darüber informiert war, zeigt der bereits erwähnte Bericht des Daimyo von Mito an das Shogunat 122 . Die kulturpolitische Ausgangslage der Kolonialreiche alten Stils war insofern verschieden, als das britische Reich zwei wichtige Dominien völlig im Pazifik liegen hatte, mit einem 133
weiteren, Kanada, ein freilich durch Alaska und die U.S.A. eingerahmtes Fenster zum Pazifik besaß und darin Inselreiche der verschiedensten Art, wie Tonga, und Stützpunkte in Schlüssellagen, wie Hongkong und Singapur sein eigen nannte. Frankreich aber, obwohl auch weltüber allgegenwärtig, war es doch in ganz verschiedenem Grade, bezeichnete wohl selbst Indochina als seinen „Balkon" zum Pazifik, legte aber offensichtlich mehr Wert und Gewicht auf seine geschlossenen afrikanischen Räume, als auf die zerstreute pazifische Inselflur, wie schon die Kolonialausstellung in Paris alsbald nach dem Weltkrieg jedem Kundigen klar gezeigt hatte. Die Niederlande aber waren insofern eine kulturpolitische Anomalie, als ein weites, ausgezeichnet verwaltetes und wissenschaftlich durchforschtes fremdrassiges tropisches Inselreich an einem winzigen nordischen Reichskem hing, der weder nach Menschenzahl, noch machtmäßig die Mittel hatte, über Java hinaus das Ganze zu erschließen, es festzuhalten, wenn es seine Selbstbestimmung zurückforderte, oder — wie sich im Frühjahr 1942 zeigte — es zu verteidigen, wenn der Großraum, zu dem es gehörte, sein reichstes tropisches Rohstoffgebiet wenigstens zu freiem Austausch der Lebensgüter zurückforderte. Es standen also, abgesehen von den portugiesischen Splitterresten Makao und Timor, Fragen ganz verschiedenen kulturpolitischen Gewichtes auf dem Spiel. Kein Wunder, daß unter den früher gekommenen, von außen her kulturpolitisch einwirkenden Mächten England an erster, Frankreich an guter zweiter Stelle 134
der kulturpolitischen Bedeutung lag, während die Niederlande den durch ihre mehr als 250 Jahre in Deshima-Nagasaki als Beobachtungsposten und die Leistung der zwei deutschen Ärzte Kämpfer und Siebold in ihren Diensten gewonnenen Vorsprung nicht zu halten vermochten. Sie schalteten sogar im Gegenteil bei seinem zweiten Japanaufenthalt Siebold durch diplomatische Torheit aus. Kurz vor der Meiji-Zeit hatte sich der Wettbewerb des zweiten französischen Kaiserreichs in Japan stark fühlbar gemacht; aber es setzte bei dem Versuch einer friedlichen Durchdringung mit Hilfe des Shoguns auf das falsche Pferd, so gut sich später noch französische Wissenschaft und schönes Schrifttum, auch die bildende Kunst und der Kunsthandel (Hayashi) in der Front des fernöstlichen Kulturkampfes hielten. Es genügt, Namen, wie Cordier und Montandon, wie Pierre Loti und Claude Farrere zu nennen. Aber der Vorsprung der englisch sprechenden Völker war nicht einzuholen, bis sie sich selbst zu Tode galoppierten. Ihre kulturpolitische Begleitmusik zu dem Werbekampf mit dem Ziel: „Die Welt wird englischer von Tag zu Tag", mit dem „Oceana"-Gedanken vor Augen, umfaßte alle Register von Schwärmern, wie Lafkadio Hearn, dessen geometrischer Kulturort lebenslang zwischen Levante, Großbritannien, Japan und den U.S.A. schwankte, von Skeptikern, wie Chamberlain, von hellsichtigen Journalisten, wie Brinkley, bis zu den amtlichen Frauen, wie Lady Macdonald, und so einwandfreien, würdigen und gewinnenden Verkündern des „Empire Day"-Gedan135
kens, wie dem Barl of Meath. Ausgezeichnet präludiert, trat das Bündnis von 1902 ins Leben, wobei auch in Großbritannien selbst in Kunst, Literatur und Schrifttum die Empfindlichkeiten der neuen Freunde ebenso sorgfältig geschont wurden wie sie auf dem Kontinent verärgert wurden; der anglojapanische Flirt währte mit großen Stimmungsschwankungen bis 1922, wo er von den U.S.A. aus zerbrochen wurde. Wer das „ruere in servitium" Englands gegenüber den U. S.A. bis dahin noch nicht bemerkt hatte, der konnte es bei der Konferenz in Washington erkennen. Sie bezeichnet den Machtübergang über den Atlantik innerhalb der englisch sprechenden Völker. Aber feinfühlige kulturpolitische Beobachtung hatte diesen Wandel der Führung, für den man in Japan durchaus nicht blind war, schon vor der Jahrhundertwende durch Mahan und Brooks-Adams als vorbereitet erkannt und trotz aller Werbearbeit von Lord Bryce und Rudyard Kipling sich vollziehen gesehen. Noch gegen Ende der Meiji-Ära arbeitete alles Englische in Japan ohne Ansehen der Person zusammen, um den Japanern noch das Mutterland an führender Stelle zu zeigen, so sehr sich nicht nur die U.S.A. in dem ihnen hörigen „Japan Advertiser", sondern auch schon Australien dagegen wehrten und auf Gleichberechtigung mit oder innerhalb des Commonwealth oder im Pazifik auf Vormacht hindrängten123. Immerhin blieben hier gewisse Gleichläufigkeiten kulturpolitischer Wünsche gegenüber ganz Großostasien, bei denen sich nicht nur so gesellschaftlich verschieden gestellte Kräfte, wie Brinkley von der 136
„Japan Mail" und Lady Macdonald von der Botschaft und der Spitze der „society" zusammenfanden, sondern auch die u.s.amerikanischen Schriftsteller, die sich irgendwie das Salböl Neuenglands verdienen wollten. In viel rauheren Formen als zwischen Britenreich und U.S.A. spielte sich der Kampf um die Vorhand bei kulturpolitischer Einmischung in Ostasien zwischen Russen und Briten ab, wobei schließlich das britische Meisterstück war, die Russen durch Japan auf Kompromißbereitschaft mit den Briten im mittleren und nahen Osten und zur Einkreisung in Europa von ihren pazifischen Wunschzielen abzudrängen. In Europa wird oft übersehen, daß sich das russische Fenster zum Pazifik um 57 Jahre früher öffnete, als das Fenster nach Europa. Es ist ein ausgesprochen kulturmorphologisches Moment, das den Russen ihr Vorgehen längs der Anökumene durch Eurasien in nur 80 Jahren über fast 10000 km hinweg ohne wesentliche Widerstände der beiden ostasiatischen Hochkulturvölker und die nachherige Einwirkung auf sie ermöglichte: die Tatsache, daß den Chinesen schon die Amurlandschaft, den Japanern das Küstenmeergebiet nördlich der Tsugarustraße als eigentlich nicht besiedelnswert galt. Erst die nordischere Mandschu-Dynastie und später der Verdacht Japans gegen die russische Küstenausbreitung und sein Fischereianteil weckten Widerstände. Zunächst aber schonte das russische Vorgehen, durch den Vertrag von Albasin gewitzigt, die kulturpolitisch empfindlichen Nordmarkvorstellungen sowohl der Chinesen, wie der Japaner und breitete sich, seinen 137
nordischen Antrieben folgend, um den Nordpazifik aus, über den es sich über Alaska bis in die Gegenden vorschob, wo es mit der iberischen Siedelung in Berührung kam und versuchen konnte, mit den Spaniern zusammen, den Briten und U.S.A. das Vorstoßen an die pazifische Küste überhaupt abzudämmen124 (Semjonow: Sibirien). Daher zuerst die völkerrechtlich als Kulturhemmung interessanten russischen, dann die amerikanischen Versuche, die Beringsee als mare clausuni zu behandeln. Bemerkenswert ist, daß fast alle ozeanischen Vorstöße der Russen von Balten, Dänen oder Deutschen ausgehen, die Russen selbst am liebsten sogar Murawiews Gründimg Wladiwostok verleugnet hätten125. Russische Kultureinflüsse (wenn man sie so nennen kann, da sie meist mit rauhen Händen ausgeführt wurden) richteten sich gegen die Nordinseln, die ostkoreanischen Häfen, die Insel Tsushima, von der sie durch einen britischen Gegenschachzug nach Port Hamilton weggetrieben werden mußten. Kulturpolitische Einflüsse sickerten auch durch die Winterstationen russischer Flottenteile in Hakodate und Nagasaki ein, endlich durch den regelmäßigen Verkehr der freiwilligen Flotte zwischen Tsuruga und Wladiwostok, wo eine kleine japanische Hafenkolonie entstand. Aber viel größeres, aus dem gleichen kontinentalen Grundzug hervorgehendes Verständnis herrschte zwischen Russen und Chinesen, trotz aller Aggression. Russische und chinesische Satrapen, wie Li und Lobanow, verstanden einander und spielten gern gegen das Inselreich zusammen, dem seinerseits aus 138
de; britischen und u.s.amerikanischen Kulturwerbung viel häufiger verwandte Saiten entgegenklangen. Namentlich zur Zeit der Hochblüte des britisch-japanischen Bündnisses wurden die Gleichläufigkeiten in der Geopolitik der beiden Randinselreiche der Alten Welt betont, die Kontraste im Helldunkel gehalten128, während die u.s.amerikanische Kulturpolitik sich viel schärfer gegen das kulturpolitische Wesen Japans richtete, ohne daß man sich dort, geschmeichelt durch scheinbare Gleichachtung, dessen bewußt wurde. So konnte es zu weitgehenden Unterminierungen kommen, bis 'die Rassendiskriminierung die Augen öflhete. Das erlesenste kulturpolitische Werkzeug amerikanischer Kulturpolitik war, neben dem Gespinst der u.s.amerikanischen und kanadischen Missionen und der Y. M. Chr. A., die panpazifische Kulturpolitik. Sie war ursprünglich von reinsten Motiven ausgegangen und hatte ihren Sitz in dem auf geopolitischen und rassenpolitischen Ausgleich angewiesenen Inselgebiet von Hawaii in Honolulu mit einer der interessantesten Hochschulen der Erde. Nach Landesnatur und ursprünglicher Besiedelung unzweifelhaft zu Ostasien und Ozeanien gehörend, mit dem stärksten Bevölkerungsanteil von 152000 Köpfen rein japanischer Rasse, mit überwältigender farbiger Mehrheit, war Hawai auf rein imperialistischem Wege in die Hände der U.S.A. geraten und zu einem militärischen Stützpunkt erster Klasse ausgebaut worden, der erst durch einen beispiellos kühnen japanischen Überfall am 8. 12. 1941 mattgesetzt wurde127. Ein grundsätzlicher Zwiespalt klaffte nur zwischen 139
der Panidee panasiatischer Prägung, wie sie in Rußland und der Sowjetunion, aber auch sonst in Asien aufgefaßt wurde, zwischen den zu Panideen ausgewachsenen überseeischen Reichsgedanken und der panpazifischen Kulturpolitik der U.S.A. gegenüber ihrem imperialistischen Vorgehen im Pazifik. Denn die panpazifische geistige Arbeitsidee war auf Kooperation aller Pazifikanlieger aufgebaut und trug, bis sie mit ihrem Sitz nach dem Osten der U.S.A. verlegt wurde und in ganz andere Hände, als die ihrer Begründer geriet, einen zweifellos ausgleichenden pazifistischen völkerversöhnenden Zug. Sie versuchte, den zukünftigen pazifischen Krieg (der in der englisch geschriebenen Literatur beiderseits des Atlantik eine große Rolle spielt)128. (Baywater.) durch gegenseitige Verständigung unnötig zu machen. Aber kundige Augen konnten wahrnehmen, wie unter diesem paradiesischen Gefilde Minengänge ganz anderer Art vorwärtsgetrieben wurden, und wie die ausgezeichneten Hefte der „Pacific Affairs", die Arbeiten der verschiedenen „Panpacific Unions", die Neugründungen von Zeitschriften, wie „Amerasia", „Australasia", die reiche Fundgrube kultur- und wirtschaftlicher Information, zugleich ganz andern Zwecken, nämlich einer pazifischen Vorherrschaft der U.S.A. dienten. Mehr und mehr traten auch ausgezeichnet informierte Emigranten in den Spalten der „Pacific Affairs" auf, namentlich auch in den fast immer sachlich wertvollen und aufschlußreichen Notizen, Buchbesprechungen, aus denen nicht selten lange vor ihrem Auftreten Schlüsse auf bevorstehende Schachzüge der 140
Macht- und Wirtschaftspolitik der U.S.A. gezogen werden konnten. Dort reichten sich lange vor dem Krieg schon Bolschewismus, Plutokratie und Zionswächter die Hände. Durch diese und ähnliche Mittel fand man von den U.S.A. aus noch mehr, als von England — das zusehends in zweite Linie glitt —, die Möglichkeit zur kulturpolitischen Gängelung nicht nur der niederländisch-indischen Presse in Indonesien, sondern auch der indischen Festlandpresse129 (Amrita Bazar Patrika), die nicht bemerkte, daß ein demokratisches Seil, auf dem sie (wie z. B. Jawaharlal Nehru, die „Amrita Bazar Patrika") Inder mit Vorliebe tanzen ließ, viel zu hoch gespannt war, als daß man die rund vierhundert Millionen Indiens jemals hätte seiner Tragkraft anvertrauen können. Dieses Spiel ist zum Glück in einflußreichen Kreisen Japans durchschaut worden. Nur, wenn man es kennt, vermag man der vollkommenen kulturpolitischen Weisheit der Ansprachen an Indien von 1942 des japanischen Ministerpräsidenten und des Außenministers gerecht zu werden. Gerade das Unschädlichmachen der sorgfältigen und wohlbedachten u.s.amerikanischen Kulturpolitik mit einer zweiundzwanzigjährigen Wirkungstiefe rund um den Pazifik, einer fast hundertjährigen in Japan selbst, erfordert ein hohes Maß von Verständnis für kulturpolitische Kleinarbeit neben allen Notwendigkeiten raumpolitischen Umbruchs im Großen. Sonst wird auch aus den umgebrochenen Schollen schnell genug das Unkraut oder doch fremdwüchsiges Wachstum zwischen die Halme schießen, auf denen nun doch in erster Linie 141
das einheimische Saatgut zum Gedeihen gebracht werden soll. Diesen wuchtigen Vorgängen standen die andern Europäer im indo-pazifischen Raum, wie in Japan selbst, nur sehr begrenzt als Wissende, zum großen Teil als betrogene Europäer gegenüber, was ihrem guten Gewissen mehr Ehre macht als ihrer kulturpolitischen Schulung. Waren sie doch selbst oft genug am Gängelband gegangen! „Deutsche sehen Japan" — unter diesem Titel sammelt ein Buch des jungen Japanologen. Dr. Schwind die Erfahrungen der letzten Geschlechtsfolge130. „Die Japaner im Urteil der Meiji-Deutschen" schilderte Adolf Freitag eine Geschlechtsfolge zuvor, und gab am Schluß in einem guten SchrifttumsVerzeichnis den reichen Stoff, aus dem er geschöpft hatte131. Vorher wurde die Folge dünner; sie begann, wie wir schon wissen, mit Engelbert Kämpfer; seinen Spuren folgte Franz Philipp von Siebold; diesen wieder verfehlte in Nagasaki Ferdinand von Richthofen, der Schreiber der feinsten Japan-Tagebuchblätter neuerer Zeit182, und traf dafür Brandt, den man freilich im vertrauten Kreise später den Chinesen-Brandt nannte. Von ihm ging die Fackel vielfaltig weiter an die Altersklasse von Baelz, von Rein, der „Meiji-Deutschen", unter denen wieder Schmiedel133 sein Buch über „Die Deutschen in Japan", schrieb und viele Andere, die in alledem erwähnt sind, ihr Bild von Japan und den Japanern niederlegten. Dem Deutschen also stehen in seiner Sprache viele Fenster offen, durch die er Japan und seine Kulturpolitik in dem Lichte betrachten kann, in dem seine 142
Landsleute es erblickten, bald durch rosige, bald durch angerauchte Brillen. Wie aber stand es mit der Schau in umgekehrter Richtung ? War auch die japanische Kulturpolitik mit der Beleuchtung einverstanden, die ihr von Mitteleuropa aus zuteil wurde? Wie es mit der Grundfarbe stand, mit dem wechselnden Scheinwerferlicht, das über sie hinweg von den Westmächten, von Osteuropa oder den U.S.A. aus auf Japan bald wohlwollend, bald abgeblendet, bald feindselig fiel, das enthüllte ja nacheinander der Krieg, das Wanderverbot, die wirtschaftliche Einschnürimg und wieder der Krieg. In der härtesten Probe des Kampfes ums Dasein aber standen die Achsenmächte Europas, und vorher schon, ehe es die Achsenbindung gab, Deutschland mit Japan Schulter an Schulter, nachdem sie zuerst in einer echten Völkerfreundschaft lebten, dann entfremdet wurden und sinnlos widereinander fuhren und zuletzt wieder in langsamer Annäherung zusammengefunden hatten. Wie war das gekommen, wie hatte es sich gefügt? War menschliche Schuld, war Zwangsläufigkeit dabei beteiligt? Unbestreitbar ist, daß viele der ersten japanischen Kulturvermittler nach dem Abendland hin Siebold als den „Meister" verehrten, und daß sein Denkmal fester, als in Nagasaki, in der Erinnerung und den Herzen vieler Japaner als eines ihrer besten Freunde steht; von dieser schönen gemeinsamen Kulturisohypse sind die Mitteleuropäer erst nach 1893 abgetriftet, nachdem sie bis dahin durch ihre bloße Landsmannschaft persona grata gewesen waren, was zeitlich 143
mit dem Abgang des als kulturvermittelnde Persönlichkeit unersetzlichen Gesandten von Holleben zusammenfiel. Wir können nicht nachspüren, wo im einzelnen die Fehler gemacht wurden, die diesen für beide Völker glücklichen Zustand reiner und absichtsloser Kulturfreundschaft änderten; sie lagen in schwankendem politischen Kurs, unglücklicher Personenwahl amtlicher Vertreter — während einzelne Kulturträger, wie E. v. Baelz nicht aufhörten, persona grata zu bleiben — und in einer falschen Ostasienpolitik trotz vergeblicher Bemühungen von einzelnen: Künstlern und Kunstwissenschaftlern, Soldaten, Naturforschern, die heimatliche Regierung von ihrer unglücklichen überall abstoßenden Zickzackfahrt durch den Pazifik und den indopazifischen Raum abzubringen. Ihre Wünsche begegneten sich mit taktvollen und vornehmen Versuchen japanischer Führer, Schwankungen auszugleichen, Vorurteile zu entkräften und auf die glücklichen Möglichkeiten einer aufeinander abgestimmten Kulturpolitik aufmerksam zu machen, der günstige Nachwirkungen auf den Kraftfeldern der Macht und der Wirtschaft nicht fehlen konnten. Unter den japanischen Namen, die sich mit solchen Anregungen verbinden, stehen Ito und Goto, Katsura und Kurino, Admiral Kato und Aoki, die großen Naturwissenschaftler Kitas ato, Sata (Osaka), Yabe (Sendai), Kikuchi, Sawayanagi und viele andere, die im Japan-Handbuch zu finden sind. Ihre Arbeit war zunächst vergebens; der angelsächsische Nahzauber des Bündnisses 1902—1922 stärker als die Sicht auf kommende Unvermeidlichkeiten; von 1914 bis zum 144
großen Kwantobeben siegte die Entfremdung. Dann erst begann das unerschütterte Vertrauen zu Einzelnen wieder verbindende Fäden zu entdecken, die sich endlich zum Antikominternverband, schließlich zum Dreierpakt verdichteten. So dürfte sich das Bild in großen Zügen von japanischer Seite aus gliedern lassen; den Lauf der Fäden im einzelnen, die von harter, nüchterner Wehrgemeinschaft bis weit ins Metaphysische laufen, wird erst die Zukunft enthüllen.
io Haushofer
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Zehnter Teil: RELIGIO JAPONICA Selbstverteidigung gegen
religiöse
Umwerbung.
Das auswählerische Talent des Inselreichs und seine Anwendungsformen
Die frühesten kulturpolitischen Formen der Selbstverteidigung gegen außerpazifische und außerasiatische Einflüsse mußten gegen die religiöse Umwerbung seit der Mitte des XVI. Jahrhunderts gefunden werden. Sie waren um so schwieriger zu finden, als die religiöse Umwerbung vor der politischen seit 1549 an das Inselreich herantrat134, das eben aus verworrenen Innenzuständen in eine Periode staatlicher Neuverfestigung übergegangen war, und als die ersten Vertreter des Christentums in außergewöhnlich gewinnender und kulturtragender Gestalt erschienen, wie Franz von Xavier,Pater Frois und andere. Zudem eröflnete und offenbarte sich diesen würdigen Werbern gegenüber das auswählerische Talent Japans in einer geradezu verführerischen Form. Sein Volk wurde von Franz von Xavier als das liebenswürdigste der noch zu gewinnenden Völker bezeichnet. So täuschten sich die ersten außenbürtigen Vertreter pazifik-fremder kulturpolitischer Expansion voll146
kommen darüber, daß in Japan neben den liebenswürdigen Anwendungsformen eines geistig freien Gastrechts die Fähigkeit zu schroffster Abstoßung von einmal als gefährlich erkannten außenbürtigen Einwirkungen griffbereit lag. Nur eine ungewöhnliche Schicksalsgunst hatte die, Christen zu einer Zeit ins Land geführt, wo seine Regierung mit einer herrschsüchtigen einheimischen Klerisei im Kampfe lag, wo Oda Nobunaga diese mit seinem Klöster- und Tempelsturm auf dem Hieisan ob Kyoto ausräucherte, um ihrer beständigen Einmischung in die Händel der Hauptstadt ein Ende zu machen. Dabei kam ihm jede fremde Lehrmeinung gelegen, die imstande schien, der Überheblichkeit des längst japanisierten Buddhismus Einhalt zu tun. Es kam so zu einer doppelten kulturpolitischen Täuschungsgefahr mit Rückschlag. So fand die Ausbreitung der christlichen Kultureinflüsse in Japan beim Ausklang der Ashikagaperiode zunächst einen außerordentlich günstigen, aufhahmebereiten Boden vor und führte zu bemerkenswerten Anfangserfolgen (fast 700000 Bekehrten). Das währte, bis hinter den Glaubensboten die Gefahr der Konquista erschien, die Drohung fremder Gewalt sichtbar wurde und damit die günstige Stimmung der herrschenden Kräfte schnell verschwand und einer entschlossenen Abwehr Platz machte. Bei dieser Abwehr war Japan aber hauptsächlich auf die weltliche Gewalt angewiesen. Denn die Buddhalehre ist nur in einer einzigen ihrer sektenmäßigen Ausprägungen, den Nichiren-Anhängern, streitbar, sonst eine der nachgiebigsten Weltanschauungen in 147
ihrer exoterischen Form, so strenge sie esoterisch ist. Shinto aber war so ausgesprochen dem Blut und Bo-' den Japans angepaßt und verhaftet, daß so gut wie keine Exportmöglichkeit oder Werbungsvorrichtung über das Stammland hinaus dafür bestand. Ebenso war der aus chinesischer Staatsphilosophie, namentlich dem Konfuzianismus, aber auch aus taoistischen Spuren übernommene Kulturbestand von Ostasien her so sehr Japan angeglichen, daß er kulturpolitische Werbekräft nur für auserlesene Kenner aus der Fremde hatte. Solche haben allerdings im ostasiatischen Kulturboden vieles von seinen Eigentümlichkeiten angenommen, was namentlich für manche lange im ostasiatischen Kulturbereich tätige Missionäre, aber auch Kulturattaches, Kunstsammler usw. zutraf. Die weltliche Gewalt aber setzte sich allerdings von dem Augenblick an, wo sie die Staatsgefährlichkeit der fremden Lehren erkannt zu haben glaubte, mit einer wilden Entschlossenheit für ihre Ausrottung ein, die denn auch trotz mehr als einer halben Million von Bekennern binnen eines Menschenalters gelang, wenn auch eine kleine Zahl von Katholiken auf Kyushu sogar die Wucht dieser Verfolgung überlebte. Ungleich schwieriger war die Lage religionspolitisch von 1854 an. Nicht als ob die Bekennerzahl des Christentums auch nur die des ersten Anlaufs zwischen 1550 und 1590 annähernd erreicht hätte. W. H. Murray Walton und M. S. Murao schrieben in „Japan and Christ" 135 , (London; 1928) „es werde etwa 10000 Jahre dauern, bis Japan nach dem gegenwärtigen Tempo des Fortschritts christlich werde". Tatsächlich wird man sagen dürfen, daß der staatliche Shinto148
kult den allergrößten Teil des Gesamtvolks umfaßt, seine religiöse Seite in 13 Spaltformen 16—20 Millionen, der Buddhismus in allen seinen Spielarten 10 Hauptsekten und vielen Unterteilungen (9 bei Nichiren allein) 48—54 Millionen, während die Bekenner des Christentums, gleichfalls fünfundzwanzigfach aufgespalten, wenig über eine halbe Million betragen mögen. Aber in der liberalen Periode glaubte Fukuzawa Yukichi (1835—1901), selbst Agnostiker, Japan den Übergang zum Christentum anraten zu sollen! Fukuzawa ist in „seinem fanatischen Haß gegen das Lebenssystem der Tokugawazeit" (F. R. Schäfer im Japan-Handbuch136), da er „dem Ziele, Japan zu modernisieren und zu amerikanisieren, sein Leben lang mit edler Begeisterung und Lauterkeit nachgestrebt" gewiß ein pädagogischer Anreger von hohem Rang, aber vielleicht die größte religionspolitische Gefahr des Inselreichs gewesen, das er vollkommen unter die kulturpolitische Vormundschaft der Anglo-Amerikaner gebracht hätte. Aber es ist selbstverständlich, daß solche Helfer bei dem von 1859 an wieder von Amerika aus einwandernden Christentum begeistert begrüßt und literarisch gefördert wurden. 1864, 1869, 1873 sind die wesentlichsten Einmarschfristen; aber erst 1873 wurden die christenfeindlichen Edikte zurückgezogen und innerhalb der Vertragshäfen die Werbung frei. 1880 wurde die in Ostasien so tief wirkende „Young Men's Christian Association" in Tokyo organisiert, aber erst am 11. 2. 1889 durch den Art. XXVIII der Verfassung die Glaubensfreiheit gewährleistet. Gleich149
zeitig aber wurde die einheimische kirchliche Zusammenfassung der Christen angestrebt. Für die katholische Kirche wirkten zunächst von Tokyo, Osaka, Hakodate, Nagasaki, Shikoku, Niigata und Sapporo aus die Sendboten der „Société des missions étrangères" in Paris und trugen wesentlich dazu bei, zunächst die aus den letzten Zeiten des Shogunats franzosenfreundliche Stimmung zu steigern. In Shikoku arbeiteten spanische Dominikaner, im Hokkaido Franziskaner und Trappisten, während die 1908 wieder eingezogenen Jesuiten vor allem eine vorzügliche Hochschule in Tokyo errichteten und den Schwerpunkt auf Unterricht und wissenschaftliche Leistung legten. Die stärkste Säule der griechischen Kirche war Erzbischof Nicolai, der sich zuerst im Hokkaido (Hakodate) niederließ, wo die russische Kulturpolitik anzusetzen hoffte. Von 1859—1872 dort wirkend, kam er nach Tokyo und baute mangels zahlreicher Gläubigen von 1884—1891 wenigstens eine prunkvolle Kirche. 1919 errichteten die weißen Russen dann eine „orthodoxe Kirche Christi in Japan" im Gegensatz zu den Sowjets. Allen diesen Sonderentwicklungen gegenüber ging die Religionspolitik Japans darauf aus, sie unter einen Hut zu bringen, wozu fortwährend religionspolitische Anläufe des Staates genommen und meist durch ihre eigene Uneinigkeit von den Christen vereitelt wurden. Die kulturpolitische Mühe, die sich der japanische Staat mit seinen einheimischen und den hinzugeströmten Weltanschauungen gab, um sie einigermaßen auf die politische Linie des Inselreichs zu 150
bringen und auf ihr zu halten, hat zuweilen geradezu rührende Züge angenommen; sie wäre eines sichtbareren Enderfolgs wert gewesen. Zunächst wanderten die religiösen Angelegenheiten von Mimbusho (1870) unter das Kyobusho (Religionsamt) 1872 und dann 1873 ins Innenministerium. 1884 wurde die offizielle Ernennung religiöser Instruktoren, für die 1872 höchst vernünftige Regeln herausgegeben waren, wieder unterbrochen und den Kwancho (Hauptpriestern) für die Jushoku (örtliche Priester) übertragen. Nach der Verfassungsverkündigung kam ein freies Kräftespiel; 1900 wurde das frühere Büro der Heiligtümer und Tempel geteilt in eine Abteilung für die Shinto-Heiligtümer (15113 an der Zahl) und das Religionsbüro, das u. a. die über 100000 buddhistischen Tempel und Heiligtümer überwacht und die 2788 Stellen, von denen in den verschiedensten Auffassungen da? christliche Evangelium ausfließt. 1913 wanderte die ganze Staatsaufsicht in das Erziehungsministerium und von dort aus wird sie noch geübt, wenn auch unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten, die sich einfach aus der Art des Zusammenlebens der in Japan vertretenen Weltanschauungen mit der Kulturpolitik des Reiches ergeben. Denn schließlich ist Shinto der nationale Kult, der bis 552 Alles beherrschte und sich selbst unter dem mächtigen geistigen Überdruck des Buddhismus lebendig erhielt;-der Buddhismus war mit allen seinen Sonderbildungen anderthalb Jahrtausende mit der japanischen Kultur verwachsen; das Christentum hingegen war eben doch nur im XVI. Jahrhundert 40 Jahre lang geduldet, aber 40 Jahre 151
lang verfolgt worden, hatte im Hinterland von Nagasaki ein Geheimleben geführt, und war erst, zugleich verbündet mit fremder Vergewaltigung, 1859 wieder auf dem Platz erschienen. Es wäre unnatürlich, wenn nach den ersten grundstürzenden Erschütterungen nicht die beiden kulturpolitisch wesensverwandten Weltanschauungen, zumal sie sich untereinander vertrugen, mit Liebe, die eingeführten Fremdkulte nur mit Duldung behandelt worden wären, zumal innere und äußere Feinde Japans vielfach aus den Reihen der Y. M. C. A. hervorgingen — von Toyohiko Kagawa bis zu Tschiangkaischek und Frau,—und auch die katholische Auffassung von Alvarez 1647 über Frois bis Schurhammer S. J. 1923 kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Japans Traditionswerte machte137. Nicht, als ob es Japan in vergangenen Zeiten seiner Kulturgeschichte ganz an Präzedenzfällen kirchlicher Übergriffe in seine weltliche Herrschaft hinein gefehlt hätte. Die Hauptstadtverlegung von Nara nach Kyoto war zum Teil eine Reaktion auf die im Kernland von Yamato versuchten mönchischen Übergriffe in einer ähnlichen Form, wie sie die ersten Könige der Germanen von der katholischen Kirche her erlebten und wie sie später den deutschen Kaisern das Leben sauer machte. Nur hat in Japan die Kirche nie gesiegt138. In unruhigen Zeiten mit loser Zentralmacht beteiligten sich die kriegerischen Insassen der Klöster an den Feudalfehden, wenn auch dazwischen wieder Klagen darüber, wie das „Gukwansho" des Abtes Ien vom nahen Hieisan in die Kaiserstadt hinabklangen, und 152
Kaiser in die Klöster flüchteten oder mehr oder weniger unfreiwillig darin abstarben. Entscheidend aber blieb, daß Japan seine Klerisei immer wieder zu bändigen wußte. Wenn die ersten Europäer den vorgefundenen Zustand zwischen Kaiser und Shogun dem Ringen zwischen geistlichem und weltlichem Schwert im Abendland verglichen, war das ein kulturpolitischer Fehlschluß, entstanden aus Enge des Gesichtskreises, in den Muhamedaner in der Erinnerung an ihre Vorstellung vom Kalifat kaum verfallen wären. Der Islam selbst spielte zahlenmäßig in Japan eine ganz bescheidene Rolle, nicht aber propagandamäßig, in welcher Richtung er freundliche Förderung erfuhr. Mit Kirchen, die Kulturparolen, wie die u.s.amerikanischen, kanadischen und britischen Missionen, oder gar Befehle von auswärtigen Zentralen empfingen, fehlten dem Inselreich ursprünglich die Erfahrungen; war es doch für Japans Staatsgefühl ein staatsrechtlicher Unfug, daß Date Masamune noch 1613 (nach den christenfeindlichen Schritten des Taiko Hideyoshi und ein Jahr nach Jyeyasus Verbot des Predigern des katholischen Christentums) Hasekura nach Rom sandte und daß dieser dort als japanischer Gesandter aufgezogen wurde, während er nur von einem Gaugrafen kam. Wohl aber hatten 40 Jahre folgerichtiger Abwehr Methoden dazu entwickelt, die nicht ganz in Vergessenheit gerieten und die fremden Sendboten mit gründlichem Mißtrauen umgaben. Kanokogi („Der Geist Japans"; Leipzig, 1930)139 spricht von einem „Zwischenspiel des katholischen 153
Christentums" (S. 148ff.); anerkennt aber die Tragik im Los seiner ca. 678000 Bekenner bis 1638. Dieser Auffassung gegenüber setzt sich Wilhelm Gundert in seinem für jedes tiefere Pflügen in japanischer Kulturpolitik höchst aufschlußreichen Geleitwort zu seiner „Japanischen Religionsgeschichte", Tokyo, 1935140 dafür ein, daß man die Auseinandersetzung mit dem Abendland zum mindesten weltanschaulich mit dem Jahr 1549 beginnen lassen müsse. Dieses Geleitwort enthält kulturpolitische Richtlinien von großer Bedeutung, vor allem auch für die Betrachtung der Rolle des Buddhismus in Japan, von der Gundert mit Recht sagt, „es handle sich in erster Linie nicht darum, die japanische Prägung des Buddhismus fortwährend mit dem von Indien, China oder Tibet zu vergleichen, sondern den japanischen und den koreanischen Buddhismus in ihrer regionalen Ausprägung darzustellen". Demi das Entscheidende für Japans kulturpolitische Linienführung ist ja doch, was es aus dem an seine Ufer getragenen Buddhismus gemacht hat, wie ja auch der Hinayana-Buddhismus unter den Händen der Khmer, der Javanen, der Thai, der Birmanen und Ceylons etwas ganz Verschiedenes geworden ist. Es ist jammerschade, daß Gundert so viel Zurückhaltung geübt hat (so sehr wir seine Beweggründe dabei anerkennen), daß er auch die Versuchung abgelehnt hat „die Vergleiche zu ziehen, zu denen der auffallende Parallelismus der japanischen Entwicklung mit der unsern auf Schritt und Tritt verlockt" (S. V.). Die Religionswissenschaft muß es vielleicht dem ge154
lehrten Verfasser danken; die Kulturpolitik klagt an den vorübergehend geöffneten Türen voll geistreicher und weiter Ausblicke, wenn sie ihr immer wieder verschlossen werden. Aber freilich wirkt deshalb das dennoch auf und zwischen den Zeilen Gesagte um so überzeugender; und das Geleitwort für sich ist schon ein Handweiser zur Auswertung religionspolitischer Vorgänge für die allgemeine Betrachtung der Kulturpolitik in nuce. Wenn das gehaltvolle Buch nichts enthielte als dieses Geleitwort und dasjTitelbild mit dem einzigschönen Waldfriedhof auf dem Köyasan, so würde es für immer die Legende von dem Scheuen der Japaner vor religiöser Tiefenschau zerstören. Aber Gundert spricht in seinem zweiten Abschnitt über die große Erschütterung durch den Einstrom abendländischer Weltanschauung mit Recht von einem nahezu „hemmungslosen Europarausch" der siebziger und achtziger Jahre, von dem „Jahrzehnt der Rückbesinnimg auf die ererbten ostasiatischen Kulturwerte", auch als Gegengewicht gegen „die von Sowjetrußland ausgehende marxistische Verfuhrung" und betont (S. 166), daß die bedeutende Rolle, die das Christentum in dem ungeheuren Wandlungsprozeß der letzten sechzig Jahre spielte, „anscheinend mit der Zeit geringer geworden sei". Namentlich das durch die amerikanischen Missionäre vermittelte Gedankengut war doch geisteswissenschaftlich durchaus nicht imstande, es mit der geistigen Schulung der Vertreter hochwertiger einheimischer Weltanschauung aufzunehmen, nicht einmal mit dem Neuauferstehen auch pantheistischer Lehren 155
im erneuerten Shinto des Kakebi Katsuhiko (Gundert S. 181)141. Da war es kein Wunder, wenn in den Massen Schwärmerbewegungen, wie die Omotokyo hervorbrechen konnten, die ebenso, wie die Heimatvorstöße auf höheren Ebenen, „trotz der Erschütterung durch den Hereinstrom abendländischen Wesens" — vielleicht gerade durch sie! — „das kulturelle und religiöse Selbstbewußtsein Japans neu gefestigt haben". So können wir Gundert, der gewiß nicht geneigt ist, die Westeinflüsse zu unterschätzen, nur zustimmen, wenn er weiterhin in seiner vorsichtigen und klug verhaltenen Weise schreibt: „Es ist darum zu erwarten, daß die künftigen Auseinandersetzungen nach innen wie nach außen in weit tieferem Sinn als während der Meiji-Periode von national-japanischen Motiven bestimmt sind, daß sie einen neuen Versuch dieses Volkes darstellen werden, wieder zu sich selbst zu kommen und sich in seiner Besonderheit, die gerade in seiner religiösen Geschichte deutlicher als sonstwo zutage tritt, unter den Völkern der Welt zu behaupten." Das veröffentlichte 1935 einer der umsichtigsten, von jeder einseitigen Leidenschaft freien Japankenner für das immateriellste Gebiet kulturpolitischer Betätigung; 1913 schon habe ich ähnliches'für die Wehrgeopolitik geschrieben, 1941 tat gerade das Volk, das die „political science" für sich gepachtet zu haben glaubte, das der U.S.A., als ob alles das weder gesehen, noch gesagt, noch geschrieben, noch gedruckt worden sei: es glaubte mit Japan, das um die höchsten Probleme rang, verfahren zu können wie 156
mit den vielfach des Lesens und Schreibens unkundigen mittelamerikanischen Nachbarn. Kulturpolitische Irrtümer rächen sich, wenn auch langfristig, so doch am schwersten. Man hatte das Problem in den U.S.A. wohl nur zu wirtschaftlich gesehen und zu sehr nur als ein technisches betrachtet. Die schwierigste Aufgabe von Japans Kulturpolitik liegt aber auf der obersten Ebene der Geisteswissenschaft, nicht der Naturwissenschaft oder Technik, in der es längst sein Recht auf einen Stuhl im engsten Kreise der Weltkulturmächte durch bedeutende Köpfe und Namen und die feine Art seiner kunstgewerblich geschulten Einzelbeobachtung und Feinarbeit dargetan hat. Aber es handelt sich darum, die wundervolle Geschlossenheit der Weltanschauung bei relativ großer Freiheit im einzelnen der Nation auf einer höheren Ebene weiterhin zu erhalten, und zwar unter Einfügung der westlichen Errungenschaften. Das bietet weitere Schwierigkeiten namentlich, wenn durch die Führung Großostasiens intime Berührungen mit andern Spielarten südostasiatischer Kultur dazu kommen, die noch mehr in Fühlung mit dem Christentum, wie die Philippinen, oder dem Islam, wie Indonesien, gekommen sind, oder der Hinayanaform des Buddhismus anhangen, wie Thailand und Birma. Wohl weiß ich aus bewährter Freundschaft, daß es gerade unter hochgebildeten Offizieren einen Zusammenbau von Shinto, eklektischem Buddhismus und westlicher Weltweisheit gab, der den schwierigsten Seelenstürmen standhielt und weite Durchblicke in eine ihres Weges, ihres Tao, sichere Zukunft 157
eröffnete. Aber die Träger einer solchen Weltanschauung waren Spitzenmenschen, noch dazu innerlich verfestigt durch die uralte Kulturvergangenheit ihres Herrengeschlechts als Fujiwara-Nachkommen, mit Ahnen, die Godaigo mit erlesener Mannschaft zu Hilfe gekommen, und dabei zugrunde gegangen waren, um ewig zu leben (Shi mon yori irite sei mon ni iru!), die Säulen der Zenlehre gewesen waren, die in der Mongolenschlacht mitgekämpft hatten. Sie waren Männer, die alle westliche Technik als Gründer wichtiger Waffengattungen beherrschten und doch Söhne ausländischer Freunde zu Ahnentempeln mitnahmen, „damit sie Japan von innen kennen lernten". Ihre Pfadfinderkunst ins Geistige konnte man nicht von den Scharen geistigen Proletariats, vom industrialisierten Großstadt-Plankton erwarten, zumal vom Ausland her die Weltans chauungskünder keineswegs immer nach den Lehren lebten, die sie predigten, und grobe Taktfehler diesseits und jenseits des Atlantik die Diskreditierung auswärtiger Vorbilder erleichtert haben. Auch von ihnen könnte man zusammenhängende Reihen aufzählen, von den Erinnerungen Perrys und der ersten Ankömmlinge bis zu den U.S.A.-Reden, die den politischen und militärischen Führern Japans das Vorgehen 1941 gegen seine angloamerikanischen Präzeptoren so sehr erleichterten. Welche kulturpolitischen Schäden durch Taktverstöße gerade auf solchen Gebieten angerichtet werden können, die ans Metaphysische grenzen und doch ausgesprochen politische Fronten ins Reale hinein haben, davon haben wir leider ein Beispiel an einem Bilde, 158
das immer wieder propagandistisch ausgewertet in Reproduktionen erschien, wenn deutsch-japanische Reibungen im Begriffe waren, vergessen zu werden. Es stellte eine Schar uneiniger christlicher Walküren dar, die zur Einigung gegen ein zwar in Meditationshaltung, aber inmitten einer Feuerwolke heranziehendes Buddhabild aufgefordert werden sollten. Die heiligsten Güter der Völker Europas wurden aber damals schon nicht durch Ostasien, sondern durch U.S.A. und weiße und rote Zaren bedroht. Verärgerte schon die unverkennbare Tendenz des Bildes, so vielleicht noch mehr den kulturpolitisch Gebildeten in Ost und West die kitschige Aufmachung und völlige Verkennung dessen, was der in Meditation versunkene Vollendete als geschichtliche oder religiöse Gestalt für mehr als eine Milliarde Menschen bedeutete; denn nicht nur Japan und China, ganz Süd-Ostasien wurde peinlich dadurch berührt. Ein schwerer kulturpolitischer Irrtum wäre es auch, zu glauben, wenn in engerem Kreise zweifelnde Äußerungen über transzendente, mit Staatsmythos und Reichslegende verbundene unwägbare Werte fallen, daß, was dem Einheimischen an Kritik erlaubt sei, auch vom Fremden gern entgegengenommen werde. Wenn an einer der ehrwürdigsten Kulturstätten Japans, im Horyuji-Tempel, in zierlichen Kästchen japanischer Arbeit Bildermappen mit der Aufschrift: „Die größte Curio-Sammlung Japans" verkauft werden, ist noch lange nicht gesagt, daß es selbst der japanische Agnostiker gerne hört, wenn man seine ältesten Kunstschätze als „Curio" bezeichnet. Es ge159
hört im Gegenteil zu den selbstverständlichsten Pflichten des Besuchers, der für sein Land, sein Volk und seine Kultur durch seine eigene Haltung zu werben wünscht, daß er der Ehrfurcht und Sitte anderer Kulturen auch in der Form seine Achtung bezeuge. Dagegen ist schwer und viel gefehlt worden; nicht nur von Globetrottern jenes Stils, die in einem indischen Heiligtum vor eine seit Jahrtausenden brennende Flamme geführt, sie ausbliesen mit der Bemerkimg: „Now it's gone out" — und mit Mühe der wütenden Menge entrissen werden konnten. Die Folge war Verbot des Betretens des Allerheiligsten im Tempel durch Weiße — kein ehrendes Zeugnis für die Überlegenheit anglo-amerikanischer Kulturpolitik. Der Osten ist voll von solchen Erinnerungen. Es bleibt noch übrig, einen Blick auf die Darstellungen der religionspolitischen Vorgänge in Japan zu werfen, in denen sich japanische und deutsche Kulturpolitik begegnen. Fesselnd ist z. B. die geistige Begegnung von Gundert 141 und Kanokogi142 in großen Umrissen einer Gesamtüberschau über das kulturpolitische Ringen der Weltanschauungen in Japan und ihre Genetik. Ein ähnlich reizvoller Gegensatz besteht für Shinto, wenn man Kato143 in seiner japanischen Auffassung der deutschen von Schiller144 gegenüberstellt, oder der katholischen von George Schurhammer S. J. Bonn-Leipzig 192314S. Man sollte immer wieder versuchen, die ja oft auch in englischer oder deutscher Sprache dargestellte japanische Religionsauffassung allen ihren möglichst unbefangenen Spiegelungen von außen her gegenüberzustellen. 160
Gerade treuen und überzeugten Dienern kultischer Einrichtungen wird es oft beim allerbesten Willen schwer» den Staatslegenden und Volksmeinungen gerecht zu werden, die sie bekämpfen sollen. Welches Farbenspiel aller möglichen Schilderungen aus einer buntbesetzten Palette vom strahlenden Weiß bis zum düstersten Schwarz hat allein der Buddhismus entfalten helfen! Finden sich doch im selben Tagebuchabsatz berühmter Jesuiten, wie von Pater Frois, erhabene Eindrücke von buddhistischen Heiligtümern und Kulthandlungen dicht neben Absätzen, in denen eingeprägte Vorstellungen den Beschauer zwingen, das Geschaute als Teufelswerk zu bezeichnen und das eben noch rosig gemalte Bild wieder zu schwärzen! Ahnlich Jorge Alvarez 1547 in Malakka über Shinto 1 «. Solche klaffenden Gegensätze sind auch heute noch nicht gegenüber dem werdenden Großostasien überwunden und steigen um so häufiger, wie Schachtelteufel aus ihren sonst längst verstaubten Kistchen empor, je mehr der gewerbsmäßige Propagandagebrauch der Kriegslügen die Wirklichkeit überall umnebelt und umraucht. Gerade deshalb aber heißt es jetzt für alle, die etwas von dieser Wirklichkeit in Großostasien mit seinen überkommenen Kültureinheiten erkannt haben, ehrlich Zeugnis für diese Wirklichkeit abzulegen, die es vielen Millionen unter schwerem Volksdruck ermöglicht hat, bis zum Eingreifen atlantischer Expansion ohne Kampf Aller gegen Alle wenigstens leidlich auszukommen und ihr „Döb6"-Geschwister-Gefühl cx Haushofor
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dabei nicht zu verlieren und im Klassenkampf versinken zu sehen. Richtfeuer dabei flammten ihnen führend aus eigenstem Wesen voraus.
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Elfter Teil: Eigenwert. Die Entstehung der Japan eigenen Linie im Zusammenbau der inneren und äußeren Kulturpolitik. Letzte Schranken und ihre Überwindimg im Dreieck Berlin—Rom—Tokio
Die Entstehung einer Japan eigenen Linie weltumspannender Kulturpolitik und namentlich ihr jäher Aufschwung aus dem Zusammenbau der inneren und äußeren Kulturpolitik, die man von außen her in den auf Vormundschaft gegenüber Asien trachtenden Mächten noch lange auseinanderzuhalten gedachte, hat viele Gegner Japans und auch manche seiner Freunde überrascht. Wer noch bis in den Frühsommer 1941 hinein die zum Teil recht seltsamen Leitsätze der halbamtlichen englisch geschriebenen Blätter Japans und der Mandschurei verfolgte, die verschlungenen Wege der Ministerien Abe und Yonai, der konnte wohl vermuten, daß sich leitende Kräfte des Inselreichs viel enger gebunden an die Gedankengänge der U.S.A., der „nisei", der panpazifischen Unionen bewegten, als es tatsächlich der Fall war. Ganz gewiß waren sich auch die kulturpolitischen Lenker der wirklichen öffentlichen Meinung im Inselreich klar darüber, daß 163
um des pazifischen Fliedens willen das Äußerste an Nachgiebigkeit in läßlichen Fragen geübt werden sollte, ehe mit einem letzten „Schritt zurück" im Sinne der Lehren des Jiujitsu die ganze Nation zur höchsten Abwehrkraft versammelt worden war, und dem Gegner gerade aus der Überheblichkeit seiner Angriffshandlungen der Fall von Pearl Harbour in Hawaii und Java bereitet werden konnte146 (Pet. Mitt. 1/42). Wer sich jemals in das beherrschte Mienenspiel hochwertiger japanischer Kulturträger hineinvertieft hat, der konnte über das schließliche Verhalten gegenüber so derber und plumper Aggression keinen Zweifel haben. Die letzten Schranken räumte eben der Übermut der Angreifer hinweg und so konnten sie völlig im Rahmen des Dreiecks Berlin—Rom—Tokyo überwunden werden. Wer jemals einem guten Kabukispiel gefolgt war, der brauchte um den heroischen Ausgang nicht zu bangen, auch wenn den Angloamerikanern beliebte, Rüpelspiele frei nach Shakespeare einzulegen, und Japans Lenkern, sie scheinbar mit nachsichtiger Würde abrollen zu lassen. Hochstand oder Verfall der „Spiele der Völker" ihres Theaters sind ein fein aufzeigendes Beobachtungsinstrument für die kulturpolitische Gesamthaltung147. Dem unvoreingenommenen Beobachter schien das Theater, eines der bezeichnenden Spiele der Völker neben ihrem sonstigen Spiel und Sport in Japan, wie übrigens auch in den Malaienlanden auf einer achtungswerten Höhe zu stehen, während man sich in China und Indien dem Eindruck des Verfalls, gelegentlich sogar eines Tiefstandes, eines fast völligen 164
Verlustes der Überlieferungslinie kaum erwehren konnte. Darin aber gehen das japanische Theater und die japanische Volksleidenschaft einig, daß sie ein fast übermenschliches Maß von Selbstbeherrschung, von Haltung, von Wahrung des Gesichts gerade gegenüber dem elementaren Ausbruch der Leidenschaft fordern. Es ist die Nachwirkung der starren Zeremonialdecke, die ein ursprünglich durchaus seiner südstämmigen Leidenschaft bewußtes Volk planmäßig schützend um seine Kulturpersönlichkeit zog. Selbst Lieblingshelden verzieh sie ihr Zerreißen nicht oder verlangte — durch tausendjährigen Gebrauch geheiligt — die strenge Sühne der eigenhändigen Unterleiböfl&iung (Harakiri, Seppuku), die selbst ein für ihre Vasallentreue verständnisvoller Gerichtshof den 47 Ronin von 1702 nicht erspart hatte148 (Junker v. Langegg; R. Italiaander). Wie konnten Kenner der inneren kulturpolitischen Linie, die noch in der Meiji-, Taisho- und ShowaÄra so strenge Bräuche guthieß, wie den Freitod aus verletzter Ehre und zum Beweis reiner Gesinnung, den Gefolgentod (junshi), wie ihn noch Marschall Nogi 1912 geübt hatte, glauben, daß ein Volk mit einer solchen Einheit des Reichsgedankens nicht nur der zufällig jetzt lebenden, sondern aller vergöttlichten Vorfahren in seiner äußeren Kulturpolitik eine solche Reihe von Beleidigungen hinnehmen werde, wie sie ihm seit dem ersten Hände weg von Hawaii, seit 1853 mit konzentrierter Häufung in den letzten Jahren von den U.S.A. aus widerfahren war? Eine solche Annahme, nach dem Widerhall der Rassengesetzgebung, 165
nach dem Knox-Proposal von 1909 widersprach jeder kulturpolitischen Erfahrung mit der japanischen Volksseele und dem, was sie hinzunehmen jemals bereit war. So läßt sich wohl denken, daß gerade kulturpolitisch hochstehende Menschen in der Nähe des japanischen Staatsruders 1941 mit einer gewissen Erleichterung die überhebliche Haltung Präsident Roosevelts und seines Kabinets erfuhren — als eine Entlastung ihres Kulturgewissens. Es war auch nicht diplomatische Verschlagenheit, die Indochina und Thailand gegenüber so maßvoll verfuhr, die Indonesien und Australien lange goldene Brücken für ein Ausscheren aus der Angriffslinie des ABCD-Verbandes mit so ungleichen Kampfstärken offen hielt und im April wieder Indien, sondern der Ausfluß einer lange überlegten kulturpolitischen Haltung gegenüber notwendigen Bauelementen eines ostasiatischen Großraumes. Genaue Forschung wird feststellen können, daß der Ausbruch der chinesisch-japanischen Wirren 1937 beiden Teilen unerwünscht kam und auf ein unglückliches Spiel von Zufälligkeiten zuerst, dann auf ein allzu peinliches Bedachtnehmen auf ein für Ostasien typisches Wahren des Gesichts auf beiden Seiten, auch wohl auf Versäumnisse Dritter zurückzuführen war, denen die Tragweite des Gegensatzes entging149 (Geopolitik-Berichte). Aber von diesem Ausbruch an hat auf beiden Seiten eine weitsichtige Kulturpolitik um Ausgleich gegen wehrgeopolitischen Starrsinn gerungen, und wirklich gute Freunde taten ihr Bestes, ihn herbeiführen zu helfen. 166
Das Verhalten in der öffentlichen Meinung der Welt, in Presse, Zeitschriften, Büchern und Staatsschreiben ist geradezu eine Probe darauf, wer es ehrlich, und wer es nicht ehrlich mit der Befriedung des Ostens meinte, und mit der — trotz allem — größten Aufgabe des XX. Jahrhunderts, dem Angleich der alten, einheimischen Kulturen der Monsunländer an die Weltkultur. Denn um Ausgleich und Angleichung, soweit als möglich, nicht um Überwältigung der einen oder andern kann es sich handeln; dabei sind alle Schlagworte, auch die von der „gelben Gefahr", dem drüben ein solches von der „weißen Gefahr" gegenübersteht, nur vom Übel150 (Nohara). Auf alle Völker, die einseitig mit Schlagzeilen gefüttert werden, wartet die kulturpolitische Ernüchterung, wenn nicht Schlimmeres. „Inter arma silent musae" ist schwächliche Weisheit; es sind feige Musen, die das tun; und gerade Japans Kultur nimmt ihren Rat nicht an. Wer feine Ohren hatte, vorauszuhören, was dem Wissenden einen Vorklang kommender Ereignisse bedeutete, der konnte sich schon am 17. April 1934 bei der Erklärimg der Ostasiatischen Monroedoktrin sagen, was Botschafter von Dirksen am 2. 2. 1942 in einem Vortrag über „Mächtegruppierungen in Ostasien, ihre Grundlagen, Ziele und Möglichkeiten" in der gelungenen Prägung vereinigte: „Japan, das durch Mangel an Rohstoffen, durch Bevölkerungsdruck und den Gang der Geschicke genötigt sei, eine Erweiterung seines Lebensraums anzustreben, habe mit diesem Streben gleichlaufend das politisch-ethische 167
Ziel der Vorherrschaft im ostasiatischen Raum herausgebildet und damals verkündet"151. „Während das Ausdehnungsstreben Japans sich in den vergangenen Jahrzehnten bis 1939 nach dem Kontinent zu gerichtet habe, sei durch die Ausdehnung der Kriegshandlungen mit China und durch den Ausbruch des zweiten Weltkrieges 1939 die Stoßrichtung nach Süden zu den Rohstoffquellen Südostasiens hinzugekommen." „Zu diesen berechtigten Aspirationen hätten sich die U.S.A. von Anfang an in Widerspruch gesetzt, mit unerbittlicher Folgerichtigkeit ihre imperialistischen Ausdehnungstendenzen über den eigenen Kontinent, über den Pazifik hinweg nach Ostasien in die fremde Interessensphäre vorgetrieben... bis Japan nichts Anderes übrig geblieben sei, als zu den Waffen zu greifen." So sprach im Rahmen eines maßvollen verantwortlichen Vortrags einer der vorsichtigsten Staatsmänner, der zwischen Solf, Vorretsch und Ott in Japan tätig war und fast unbegrenzte Mittel der Beobachtung zur Verfügung hatte. Kulturpolitik wurde durch Wirtschaftsdruck zur Machtpolitik genötigt! Es handelte sich zwischen den Vorgängen in der Mandschurei, von denen wir festzuhalten haben, daß sie aus der Preisgabe der Mandschurei an die Russen durch chinesische Satrapen entsprangen, und dem Ausbruch der Wirren in China, von Ostasien aus betrachtet, um die letztmögliche kulturpolitische Abwehraktion. Wer ihren scharfen Klang nicht h ö r e n wollte, konnte klar darüber sein, daß es zum F ü h l e n kommen werde. 168
Im weltpolitischen Schrifttum ist die jetzt so klar hexvortretende eigenständige kulturpolitische Linie Japans zum erstenmal, wenn auch unter fremder pressewissenschaftlicher Führung, vor der Weltöffentlichkeit in allgemein verständlicher Form erschienen in dem Sammelwerk „Unser Vaterland Japan. Ein Quellenbuch, geschrieben von Japanern" (Deutsch, Leipzig 1904; E. A. Seemann); mit einem Vorwort von Alfred Stead, das zeigt, woher die Anregung kam und welches Weltvolks Erfahrung publizistisch dabei Pate stand152. Die kulturpolitische Wirkung weltüber war ausgezeichnet; sie überrannte das ganze, von Petersburg aus bezahlte „Federvieh". Aber unter der englischen kulturpolitischen Maske blitzte bereits das Auge des kommenden pazifischen Großreichs, der werdenden Weltmacht hervor. Es führte Stead selbst bei einigen inhaltschweren Sätzen die Feder; es stand in den Beiträgen von Ito und zwischen den Zeilen von vielen andern der „Prominenten", die fiir die damalige Verteilung von Macht und Verantwortung mit großer Treffsicherheit herausgesucht waren. „Hauptursache war allezeit das Bestreben, Japan für die Japaner zu erhalten." So schrieb Stead 1904! Wie sprachen Roosevelt und sein „brain trust" 1941 ? — Stead anerkennt: „ . . . das Ziel wäre nie erreicht worden, wenn nicht schon eine erstaunliche nationale Kultur vorhanden gewesen wäre, die Japan in den Stand setzte, sich Systeme en bloc statt obskurer Einzelheiten anzueignen". Aber versuchte man nicht, Japan mit „obskuren" Einzelheiten, Schrottausfuhrverboten, Wegkaufen tropischer Ernten von der kul169
turpolitischen Linie seines Eigenlebens als Führervolk im Großraum seiner zweieinhalbtausendjährigen Geschichte abzudrängen? „Mögen Japans Bestrebungen sein, welche sie wollen, es bleibt doch unzweifelhaft, daß die Japaner in der Leitung ihrer nationalen Politik das letzte Wort zu sprechen haben . . H ä t t e man in W a s h i n g t o n auch nur die Einleitung von Stead nachgelesen, würde man nicht daran gedacht haben, nun, vierzig Jahre später, zu verlangen, daß dort das letzte Wort über Japans nationale Politik gesprochen werden müsse, und Japan es auszuführen habe. Es ist nur natürlich, daß Persönlichkeiten von so verschiedener Kulturhaltung und Berufstätigkeit, wie Ito, Yamagata, Kaneko, Oyama, Saito, Ariga, Okuma, Sawayanagi, Suyematsu, Nitobe, Inouye, Matsukata, Shibusawa, Otani, Iwasaki, Katsura, Goto — um einige später weltbekannte Namen zu erwähnen, nicht auf ein Klischee über die kulturpolitische Haltung und das Selbstbehauptungsrecht ihres Landes im Daseinskampf zu einigen waren163. Gerade diese Tatsache ist ein Beweis dafiir, aufweiche Fehlschlüsse Percival Lowell mit seinen Ideen über die „Unpersönlichkeit" als Schlüssel zum Verständnis der Fernostkultur überhaupt verfallen war. Trotzdem konnten sie der Kulturwelt in einem weithin ernst genommenen Buche vorgesetzt werden, zu einer Zeit, wo die kulturpolitische Eigenlinie Japans sich längst geoffenbart hatte, die aus dem Zusammenwirken jener unheimlich starken und eigenwilligen Persönlichkeiten entstanden war, deren oberste Krönung unter dem Kaiser Meiji der Genro-Kreis ge170
bildet hatte. Nur waten sie bereit, die starke Persönlichkeit dem Ganzen zu seiner Förderung unterzuordnen und waren zu dieser Gemeinschaftsleistung aus der ganzen Kultur- und Sozialgeschichte Japans heraus eher fähig, als Angehörige individualistischer, auch im einzelnen expansiver, zuweilen eben deshalb zentrifugaler Geisteswelten154. (Hierüber in Giselher Wirsing, München, 1934, „Köpfe der Weltpolitik", S. 98 Sadao Araki.) Wir greifen deshalb heute noch gern zuweilen nach dem Band: „Unser Vaterland Japan", obwohl wir wissen, daß er kulturpolitische Propaganda, allerdings bester Art war, weil er die nach unserer Meinung, dank dem leitenden Geist der Meiji-Ära, immer ungebrochene, wenn auch zeitweilig schwer gefährdete kulturpolitische Eigenlinie Japans im Rahmen der Weltkultur zum erstenmal in ihrer Erneuerung deutlich kundgegeben hat. Von dieser Kundgebung an war sie nicht mehr totzuschweigen, auch nicht mehr zu verbiegen, wenn Enttäuschte, wie z. B. Chamberlain, nachdem er so viel zu ihrem besseren Erkennen geschrieben hatte, nachher wieder zu einem Saulus aus einem Paulus wurde und mit Steinen bewarf, was er vorher angebetet hatte. Auch in der Kulturpolitik aber gilt doch wohl: „II ne faut pas sortir de son caractère!" — „Méfiez vous de celui qui en est sorti!" Unter den Persönlichkeiten, die längs der einen wiedergefundenen und dann — gewiß mit Hemmungen und Schwankungen dazwischen — doch folgerecht weitergebildeten Linie der Kulturpolitik ihrem Charakter treu geblieben sind, waren Ito, nach ihm Sa171
yonji, auch wohl Okuma die biegsamsten und wendig' sten Persönlichkeiten, Yamagata, Tanaka, Hiranuma, Sadao Araki u. a. die starrsten, während viele zwischen ihnen standen: elastisch und doch immer zurückfedernd Fürst Konoye, starrer der tüchtige wehrpolitische Organisator Katsura; er hat sich lange gegen die Übernahme des Ministerpräsidiums in schwerer Lage gewehrt, weil er, wie er sagte, von der einen Seite von Yamagata, von der andern von den Seyukai zerrissen würde. Der Meiji-Tenno selbst hat ihn in ernster Lage auf seinem Posten durch die Mahnung gehalten, daß auch er nicht von dem seinigen weglaufen dürfe und könne. Ein solches Blitzlicht, und die Treue, mit der der Meiji-Tenno an einmal erprobten Männern festhielt, verrät, wie sehr er selbst der rote Faden in dem starken, verbindenden Tau gewesen ist, das Japans Kulturpolitik unter Erhaltung ihrer tausendjährigen Überlieferungslinie in die Weltmachtaufgaben von heute lotste. Was Yamagata 1904 schrieb, könnte Sadao Araki 1934 geschrieben, Tojo 1942 gesprochen haben! Die Sicherheit der Linie aber war eigentlich vom russisch-japanischen Krieg an außer Zweifel; sie hatte sich festlandwärts durchgesetzt und war nur mehr überseeisch gefährdet. Aber in dieser Richtung glaubte man lange, es müsse sich ein vernünftiges Kompromiß zwischen „Volk und Raum" finden lassen, um die kulturpolitische Leitfrage auch der Pazifikumrandung auf ihre letzte Form zu bringen. Man hoffte wohl, durch die jahrelang mit zäher Geduld immer wieder vor internationale Foren gebrach172
ten Tatsachen des Volksdrucks, durch das ausgleichende Mittel der Pazifischen Verbände und Zusammenkünfte auf friedlichem Wege die „Haves" mit ihren leeren Räumen überzeugen zu können, daß ohne gerechte und vernünftige Regelung gefährliche Explosionen aus den übervölkerten Gebieten unvermeidlich sein würden. Es waren dieselben Wege, die die Führer Deutschlands und Italiens viele Jahre lang erfolglos beschritten. Man denke an Mussolinis Reden über die Gefahr, Länder in hochgeladene Minen zu verwandeln. Die ersten Explosionen ereigneten sich denn auch dort, wo der größte Volksdruck am dichtesten an die leersten Räume stieß: in der Mandschurei von 1931 bis 1934 und dann in Nordchina. Längs dem ostasiatischen Inselbogenkranz aber richteten die überseeischen Mächte mit den leeren Räumen — fin Kalifornien, wie Australien schon mit der Kulturkrankheit der Verstädterung, des Überwiegens der städtischen über die ländliche Bevölkerung, auf jungfräulichen Böden behaftet) — eine Wandersperre gerade in der von Japan aus meistbegehrten Siedelungsrichtung auf. Dabei enthüllte sich jedem Kulturpolitiker mit offenen Augen155 (Schwind: Geopolitik) im Machtbereich der rund 150 Millionen des Japanischen Reichs („Volk ohne Raum"!) und von Mandschukuo, der 450 in China, der fast 400 in Indien, der rund 100 in Südostasien, daß die gegenwärtigen Inhaber von „Raum ohne Volk" weder Neuguinea, noch Borneo oder Sumatra und Nordaustralien jemals würden raumpolitisch entwickeln oder gar durchsiedeln können. 173
Nur zu Raubwirtschaft an den am meisten zu Tag liegenden Rohstoff-Fundstätten reichte die Kraft, meist nur, wenn man Ostasiaten oder Inder zur eigentlichen Arbeit heranzog. Die schreienden Mißstände, soweit sie den japanischen Wanderdruck betrafen, hat Dr. Schwind in der Geopolitik und anderwärts graphisch und schriftlich geschildert165. Es ist selbstverständlich, daß sie der japanischen Kulturpolitik wirksame Hebel in die Hand gaben, aber auch den Anlaß, sich sorgfältig mit den Kulturund Wirtschaftsverhältnissen der südöstlichen Gegenufer Japans zu befassen, so daß sachkundige Kräfte zu ihrer Angliederung an Großostasien im Überschuß bereitstanden. Vieles, was dem zuschauenden Europäer ein Wunder von vorbereitender Durchdringung erscheint, schuf einfach die kulturpolitische Not und der wirtschaftliche Tagesbedarf; aber das Abendland hat vom japanischen Generalstab und von der kulturpolitisch so hellhörigen Flotte zu gut denken gelernt, als daß es nicht überzeugt wäre, daß diese Kräfte bestens verwendet werden. Am wunderbarsten erscheint es vom Standpunkt der Japankunde, daß gerade die Nächstbeteiligten von dem Ausbruch, der sie traf, so unvorbereitet in trügerischer wirtschaftlicher Siegesgewißheit überfallen wurden. Das hängt mit einem allgemeinen euroamerikanischen Irrtum einiger politischer und Kulturwissenschaften zusammen, die sich zu wenig mit der „latenten" Dynamik und Energie Großostasiens befaßten166 (Richthofen). Ein verhängnisvoller Irrtum, aus mangelnder Beob174
achtungstiefe stammend, hatte dem Abendland die Geschichte der beiden großen Kulturvölker Ostasiens als etwas Starres mit unzureichender Entwicklung erscheinen lassen. In Wahrheit war sie im Spiel und Gegenspiel der Macht und Wirtschaft157 (Krause, Geschichte Ostasiens, Franke) voll Bewegung gewesen, und diese Bewegung hatte, wenn auch in anderen, längeren Wellen, die Kultur und selbstverständlich auch die Kulturpolitik mitgemacht. Eine örtliche Art von Nationalsozialismus z. B. gab es in Japan von 645 bis 705, in China u. a. zum letztenmal zur Zeit Wanganshi's Ende des XI. Jahrhunderts. Ganz ist dieser Irrtum westlicher, „political science" heute noch nicht geschwunden, und auch viele Sendboten der Achsenmächte glauben, ihnen vertraute Erscheinungen in Japan und China neu, wohl durch ihr Beispiel angeregt zu finden, die in Wahrheit dort schon längst durchgeprobt sind. Es hat in Japan nationalen Sozialismus größten Stils gegeben, zu einer Zeit, in der nördlich der Alpen in Europa die notwendigsten Unterlagen für einen solchen Versuch noch nicht vorhanden waren. Die rauhe Berührung mit dem Westen und seinen u.s.amerikanischen Ausläufern warf Großostasien in den verschiedensten Formen aus dem Gang seines Kulturlebens heraus und brachte es aus seinem menschlichen Gleichgewicht. Es brauchte, wie schon früher in großen Kulturkrisen, von denen wir in Japan zum mindesten vier genau verfolgen können, zwei bis drei Geschlechtsfolgen, die ein langlebiger Greis, wie Sayonji aber überdauern konnte, um dieses 175
Gleichgewicht wieder zu finden. Es hat etwa ein Vierteljahrhundert gewährt» bis die Meiji-Krise der Kulturpolitik auf ihrem Höhepunkt anlangte, und ein halbes, bis Japan, dank seinem Festhalten am „kaiserlichen Weg" (Ko-Do) in den wesentlichsten Dingen wieder auf die ungebrochene Leitlinie seiner arteigenen Kulturpolitik zurückwenden konnte. Die letzte Folge war die Abwehr von allen Fremdeinflüssen, die in Großostasien ungerufen störend eingegriffen hatten, in führender Stellung. Zu welchem Ende diese Zusammenballung aller Kulturkräfte des Ostens führt, ist noch nicht abzusehen. Abzusehen aber ist, daß Japan damit auf arteigene Kulturwege zurückwendet und damit wenigstens seinem eigenen Schicksalsruf, keinen fremden Sirenenklängen folgt. Darin scheint uns zugleich Naturgesetzliches und für den Gang der K u l t u r auf Erden Gesetzmäßiges zu liegen, und deshalb brechen wir an einer neuen Wende diese Rückschau auf das Wesen japanischer Kulturpolitik ab, in der dennoch zugleich Prognose, Vorausschau, Schicksalskündung aus dem bisherigen Ablauf heraus liegt. Denn seit dem 8. 12. 1941 steht Japan vor einer ganz neuen Entwicklung seiner Kulturpolitik; aber es beginnt sie durchaus von seinen arteigenen und eigenständigen Grundlagen aus, zu denen es seit 1940, soweit es die Führung angeht, vollkommen zurückgekehrt ist. Den verwegen scheinenden Anspruch darauf, in einer solchen Kulturentwicklung zugleich Naturgesetzliches sehen zu können, nehmen wir aus einer gerade176
zu sinngebenden Äußerung des besten Rassenkenners in unserm Erfahrungsbereich, Egon v. Eickstedt (Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit, Bd. I, S. 626)158, weil uns darin etwas, wie ein kulturpolitisches Orakel für unser Arbeitsziel zu liegen scheint, den organischen, rassen- wie raumbedingten Gang der japanischen Kulturpolitik nachzuweisen: „Das Wesentliche und Dauernde an Mensch, Konstitution, Rasse und Volk ist also erblich, und zwar dies Alles und ohne Einschränkimg. Zum Begriff der lebendigen Form gehört das alternierende Kontinuitätsmoment (wechselhafte Dauerheit) — (warum nicht gleich Goethes „Wechseldauer" ?) — daher als integrierender (ingebundener) und selbstverständlicher Teil." „Erst die atomisierende Wissenschaft des 19. technischen Jahrhunderts pflückte Form und Ursache, Morphologie und Physiologie auseinander; aber mit dem heutigen Absinken des geistigen Technizismus bricht sich auch das Bewußtsein der ganzheitlichea natürlichen Zusammenhänge wieder Bahn und setzt die lebendige und dauernde Form selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung. So folgt auch hier auf die biologische Gestaltbeschreibimg sinngemäß die biologische Ursachenforschung, die Forschung nach Formenwerden, Formenwechsel und Formenart. Das Erste für uns ist das rassische und konstitutionelle Formenwerden.. Welche Vermessenheit lag angesichts des Sieges solcher Anschauungen in dem Versuch, einem Volk, einer Rasse, die sich eine solche kulturpolitische Hülle in vier Jahrtausenden geschaffen hatten, wie die Alti3
Haushofer
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kulturvölker Großostasiens, ihre gewachsene Kulturhaut, nicht nur ihr Kulturgewand abreißen und es noch nicht einmal durch die Originalkulturen des Abendlandes, sondern durch ihre kolonialen Abklatsche und Abzüge ersetzen zu wollen! Der Rückschlag konnte nur Zerstörung der wirklichen Kulturträger oder eine Abwehr von selten erlebten Ausmaßen sein: Eine Kulturrevolution gegen die Unkultur technischer Vergewaltigung! Vor dieser Abwehr stehen die Vergewaltiger jetzt.
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Zwölftel Teil: DAI-TO-A Großostasien als kulturpolitisches Wunschziel. Seine Gestaltungsmöglichkeiten. Kulturpolitische Durchstrahlung wehrgeopolitischer Vorgänge und Unvermeidlichkeiten
Diesseits der freilich nie aus dem Auge verlorenen jenseitigen panasiatischen und panpaziiischen Hoffnungen und Träume richtete sich — nicht zuletzt als Folge des brutalen wirtschaftlichen Druckes und Einkreisungsverfahrens des ABCD-Verbandes — Großostasien als kulturpolitisches Wunschziel auf. Es schien in Reichweite vor der einzigen wirklich eigenständigen Anliegermacht des Pazifischen Ozeans zu liegen, die ihre kulturpolitische Eigenart zugleich mit ihrem politischen und wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrecht gegenüber allen Eindringlingen hatte behaupten können169 (Großostasien- Karte). Kraft dieser Tatsache vor allem beanspruchte Japan ein Führungsrecht bei neuen Möglichkeiten der Gestaltung Großostasiens, die nach den verschiedensten Richtungen durcherwogen und geisteswissenschaftlich vorbereitet waren. Daraus erklären sich zum Teil die überraschenden Erfolge, soweit sie auf 179
einer sorgfaltigen geistigen Durchdringung und Kenntnis der Eigenart aller betretenen Kampfplätze beruhen; auf der einen praktischen Seite: auf einer gründlichen kulturpolitischen und wirtschaftlichen Vorbereitung macht- und wehrpolitischer Anstrengungen, wie auf der andern Seite einer kulturpolitischen Durchstrahlung unvermeidlicher wehrgeopolitischer Vorgänge. Diese Zusammenarbeit ist die Folge einer Grundrichtung, die in der ganzen Reichserneuerung der Meiji-Zeit schon lebendig ist, verfolgt werden kann, und unter anderm auch die zumeist vorbildliche Behandlung von Kriegsgefangenen, die ritterliche und sichere Form bei der Durchführung schwieriger Verhandlungen unter Waffen zur Folge hatte. Sie wurde durch die Überraschung beim Ausbruch der Chinawirren und die ungeheure volkspolitische Dynamik beim Aufeinanderprall der beiden ostasiatischen Altkulturen, z. B. in Nanking zeitweilig gefährdet, ist aber, wie früher bei den Verhandlungen mit Lihungtschang, beim Fall von Port Arthur, so später bei der Übergabe von Singapur, in Hongkong, Manila und Java vielfach von Gegnern bezeugt160 (Meiji-Erlasse). Wir greifen diese heikelste Seite der neuesten Entwicklung japanischer Kulturpolitik vor vielen anderen möglichen Gegenständen ihrer Darstellung heraus, weil sie wegen ihrer Wehrtüchtigkeit den meisten Anfechtungen von außen her ausgesetzt ist. Viel lohnender wäre es, etwa die Kulturpolitik weiteren Kreisen vorzuführen, wie sie durch die bildenden Künste — z. B. durch die Ausstellungen ostasiatischer Kunst in Berlin — die gewinnende Wirkung der Kultur des 180
täglichen Lebens auf Jeden, der ihr wirklich nahekommt, oder ein eigenartiges Schrifttum, namentlich die hochentwickelten Kurzgedichte im besten Sinn werbend wirkt. Diese Arbeit ist jedoch schon großenteils geleistet: durch die verdienstvollen Arbeiten der gegenseitigen Kulturinstitute in Berlin, Kyoto und Tokyo, der deutsch-japanischen Gesellschaften, der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, durch Kunstvermittler, wie Große und Kümmel, etwa in einem Werk, wie die Herausgabe der Schätze der Berliner Japanausstellung161, durch zahlreiche Nachdichtungen, wie erst jüngst die der Geschichte der 47 Ronin durch neueres Schrifttum162, durch Sammelwerke, wieRammings Japan-Handbuch163. All das ist so leicht für deutsche Leser erreichbar, daß auf diesen Gebieten nur die längst von kundiger Hand — zuerst schon von Kämpfer, Siebold, Baelz u. a. — geöffneten Türen erneut aufgestoßen zu werden brauchten. Anders steht es auf dem wehrgeopolitischen Arbeitsfelde, wo gewiß immer wieder der japanischen Hochkulturlinie Gerechtigkeit widerfahren ist, wie von Deutschland aus von den Fahrtgenossen der Mission Eulenburg, von Meckel, von Prinz Hohenzollern, von zahlreichen Bearbeitern der Meiji-Feldzüge, von England aus vor allem von Jan Hamilton. Aber diesen freundlichen Stimmen schallten, zuweilen aus durchsichtigen außenpolitischen Beweggründen, immer wieder abträgliche entgegen und versuchten noch bis kurz vor der endgültigen Wendung zum Dreierpakt um die Volksseele der Führernation Großostasiens zu ringen. Das läßt sich sogar in halbamtlichen Zeitungen 181
und Zeitschriften verfolgen und gilt selbstverständlich für die verbreiteten, ausgezeichnet unterrichteten und geldstarken Organe der von den U.S.A. aus geleiteten panpazifischen Richtung, die eine Führung auch Asiens an anglo-amerikanischem Gängelband anstrebte. Ein kulturpolitisches Symptom dafür war der am 26. 3. 1942 zum letzten Mal zusammengetretene, am 30. 3. durch Neuwahlen ersetzte japanische Reichstag, der vor dem Ausbruch der Chinawirren gewählt worden war. Denn diese Reichstagsperiode, innerhalb deren das Unterhaus noch zuletzt von General Tojo als Bühne für grundlegende Erklärungen zu Japans Politik benützt worden war, bezeichnet eine weitere Wegwendung von euramerikanischen Versuchen auf die alte kulturpolitische eigenständige Einheitslinie des Inselreichs hin; hatten sich doch innerhalb ihrer Dauer ¡die alten nach westlichen Mustern aufgezogenen politischen Parteien Japans aufgelöst (1940). An ihre Stelle traten die von den zwei Organisationen des „politischen Rats zur Unterstützung des Thrones" vorzuschlagenden Kandidaten, deren Aufstellung sich ohne direkten Regierungseinfluß in einer typisch japanischen Symbiose von autoritärer Leitung und örtlich aufgelockerter Initiative vollzog, die in dieser Art vielleicht nur in Japan möglich war, wie nur dort eine Meiji-Reform um das Gallionbild der uralten Ahnenhohenpriesterwürde am Bug des Staatsschiffes hin, eine Scharung um die ehrwürdigste nationale Sturmfahne möglich war. Die Neigung freilich, einmal geschaffene oder gewordene staatsbiologische Organe beizubehalten, 182
wenn auch verändert, zuweilen wohl verkümmert, zuweilen aber auch mächtig in ihren Funktionen ausgeweitet, ist wesenhaft für die kulturpolitische Entwicklung Japans. Man ist noch mehr, als sonst in allen Inselreichen, revolutionären Stößen abgeneigt und sucht evolutionäre Lösungen und Wege, wo andere Staatswesen sie nicht finden. So trachtet beste japanische Kulturtradition ihrem eklektischen, im wahren Sinn aristokratischen Verfahren treu zu bleiben, das auch, wenn die Wogen der Leidenschaft hochgehen, am Grundsatz der Herrschaft der Besten festhält. Wir haben nach unsern Eindrücken im Ausklang der Meiji-Zeit den Parlamentarismus „ein Frontornament am uralten hiero-monarchischen Bau des Reiches" genannt (Dai Nihon; 1913)164 und sind dafür aus anglo-amerikanischen Lagern heftig angegriffen worden. Ungefähr von 1920 über die Wahlrechtserweiterung 1924 hinweg bis zur Wahl des jetzt verlebten Reichstags hatte das „Frontornament" Gelegenheit, zu zeigen, wieweit es Halt nach innen zu geben und zu gewinnen vermochte. Dann hat in einem Lustrum, wie ein kluger Beobachter165 (Frkf. Ztg. 27. 3. 42) fand, „die Flut der Ereignisse die Männer von ihrem politischen Ort weggetragen und in den großen Dauerstrom der japanischen Kulturpolitik zurückgeführt." Was sich in vorsichtigem Vorwärtsfühlen an innerer Entwicklung in Japan von 1933 an bis 1942 in stufenweisen, mehr gesinnungsmäßigen, als irgendwie in Buchstaben oder Wortlauten festgelegten Wandlungen vollzog, läuft jedenfalls in der Richtung dieses Dauerstroms, wobei sich dann zwanglos wichtige Wendungen des Staatsfahrzeugs auf ihm ergeben. 183
Dabei wird gern an tausendjährige Überlieferungen angeknüpft, wie ja auch die Erziehung zum Staatsbewußtsein vornehmlich biographisch, durch Lebendigerhalten vorbildlicher Beispiele in der Volksphantasie erfolgt, die sich dadurch immer wieder auf Vertrautes berufen kann. Wo aber solche Beispiele fehlen, da genügten oft sparsame Anhaltspunkte in der Verfassung, um wichtige Institutionen, wie z. B. die des Ministerpräsidenten, auszubilden. Hier wirkt ein verwandter kulturpolitischer Zug der in ihrer festen meerumgrenzten Form ja leichter in einer klaren Staatsvorstellung festzuhaltenden Inselreiche gegenüber den zwischenvölkisch rings umschobenen und druckumgebenen Festlandstaaten überhaupt. Das zeigt sich besonders klar, wenn man etwa im Stil des Staatsrechtslehrers N. Matsunami166 die Konstitution Japans in ihrer Eigenart und ihrem Wortlaut mit ähnlichen Ergebnissen der Staatskultur in England und den U.S.A., in Deutschland, Frankreich, Italien und Rußland vergleicht; dabei wird man daran erinnert, daß innerhalb des Gesamtraums der Monsunländer und der südostasiatischen Hochkulturen die aus Europa und Amerika übernommenen kulturpolitischen Schlagworte wie z. B. „Demokratie" nicht dasselbe bedeuten, wie in ihren Ursprungsländern. Auf diese Tatsache verweist überzeugend, freilich vom indischen Standpunkt aus, Radhakamal Mukerjee (Lucknow) in seiner Studie: „Democracies of the East"167, die für totalitäre, wie demokratische Staatsvölker gleich nützlich zu lesen ist. Zwischen den Zeilen steht, daß es nicht dasselbe ist, wenn man mit 184
Hilfe der chinesischen Zeichenkonstruktion im Westen für Griechen, Römer, Briten erfundene und erprobte Begriffe auf Ostasien überträgt und dann japanisch ausspricht, während die ursprünglichen japanischen Parteinamen joito und kaikokuto jedem in japanischer Staatskultur Großgewordenen augenblicklich zu sagen vermochten, was sie meinten. Später erst schliff sich mit zunehmender Verwestlichung die Deutlichkeit der Parteinamen ab, und zuletzt konnte man ihre vorgegebenen Programme beinahe vertauschen, so allgemein aber auch gehaltlos waren sie geworden. Es ist bezeichnend, daß der Inder R. Mukerjee in seinem 1923 in London erschienenen Buch bei seiner knappen Schilderung der japanischen Staatskultur vom Standpunkt nationaler Demokratie (S. 183—189) dem Nachwirken der alten japanischen Staatskulturkräfte, der Übertragung des Geistes der Samurai durch den Bushido168 (Nitobe) auf das Gesamtvolk und ihrer Wiederauferstehung durch dieses „Stirb und werde" vollkommen gerecht wird, während ein verwestlichter Textverfasser noch im „Japan Year Book" aus der Mitte der dreißiger Jahre — (das doch eine Selbstdarstellung Japans für die Welt sein sollte) — den Samurai-Begriff als „eine historisch überlebte Sache" hinstellte, „die demnächst völlig der Vergangenheit angehören würde". Die FeldzugseröShung von 1941 bewies selbst für solche, die vorher nicht sehend waren, die Gegenwart des Wehrkulturwertes der Samurai und ihres Bushido, wie das Vorhandensein vieler anderer scheinbar zurückgesunkener Kulturwerte. Die Behauptung des 185
, Japan Year Book" klang doch etwa so, wie wenn jemand über Deutschland hätte behaupten wollen, Kameradschaft und Ritterlichkeit seien aus der deutschen Wehrkultur entwichen, weil ihre Träger nicht mehr geschlossen, Bügel an Bügel und in Ritterharnisch und Krebs als „Eiserne Wehr" ausrückten! Aber es gab natürlich Leute, die Japan eine solche kulturpolitische Knochenerweichung wünschten, "wie denn schon lange vor dem ersten Weltkrieg der tschechische Professor Broda meinte, der leidenschaftliche Patriotismus der Japaner sei ein Haupthindernis für den Weltfrieden, so wie er sich ihn dachte. Wir haben dieses eine kulturpolitische Element bewußt in den Vordergrund gestellt, weil wir früher den durch die Aggression des Auslandes entstandenen Zusammenhang zwischen Kulturpolitik und Wehrkultur in Japan begründeten. Das Japan der Yedo-Kultur war alles eher als angriffslustig. Erinnere ich mich doch persönlich der Äußerung eines hohen japanischen Staatsmanns: „Solange wir nur Tempelhaine schufen und Farbenholzschnitte in die Welt sandten, waren wir Barbaren; jetzt, wo wir Kanonen gießen und Panzerschiffe bauen können, sind wir eine Kulturnation und eine Edelrasse..." Es lag eine tiefe Bitterkeit in diesem Vorwurf. Selbstverständlich mußte es für ein, auf so rauhe Weise aus einem kulturpolitischen Beharrungszustand voll großer, aber in ihrer Eigenart nicht mehr zu steigernder Harmonie herausgerissenes Kulturreich, geraume Zeit dauern, bis es die Art und Weise seiner Umwelt lernte, sein natürliches Gleichgewicht wieder186
fand, sich selbst und seine Lebensbedürfnisse jener Umwelt gegenüber in die Schleier des Cant zu hüllen und sich kulturpolitisch nach außen zu manifestieren in der Lage war. Dazu gehörten vor allem die Formen, in denen man zu Macht und Verfügungsgewalt über lebensnotwendige Rohstoffe und Wirtschaftsgüter aufstieg. Diese Formen haben sich während der Meiji-Zeit schnell verfeinert und auch für die außenpolitische Linienführung zur Höhe der organisch gewachsenen inneren aufzusteigen vermocht. Dafür gibt es einen sprechenden Beweis durch die Art, wie die Weltmachtausweitung aufstieg, von der noch ganz in ostasiatischen Formen gebliebenen Führung gegenüber dem chinesisch-japanischen Kondominium über die Riukiu, zu dem harten Ringen nicht nur mit China, sondern auch mit Russen und Nordamerikanern um die Landbrücke von Korea. Ihm entsprang zwangsläufig die blutige Auseinandersetzung mit dem Zarenreich upd den Bolschewiken um die Mandschurei, von der ein Weg weiterführte bis zu der feinen Scheidung zwischen der inneren Führungslinie gegenüber den Südostasiaten und der äußeren gegenüber den verbündeten Angloamerikanern bei der Gestaltung Südostasiens zur Einheit Großostasien. Bemerkenswert ist, wie das Zusammenspiel mit den binnenbürtigen Kräften völkerpsychologisch abgestuft wurde, wobei natürlich die in den Chinawirren gewonnene kulturpolitische Erfahrung wesentlich njitwirkte. Auf diese Weise ist denn auch gerade durch das Fest187
halten einer klaren kulturpolitischen Linie überraschend schnell eine Einfügung der Räume um das australische Mittelmeer in den Ideenbereich Großostasien und damit auch die Fortführung ihres blühenden Wirtschaftslebens innerhalb des naturgemäßen Großraumes gelungen, über deren Einzeltatsachen wir den Bericht eines offenbar ausgezeichnet informierten Beobachters nach unsern eigenen Erfahrungen als vermutlich zutreffend übernehmen können. Sie stehen im schroffen Gegensatz zur Taktik der „verbrannten Erde", wie alles, was kulturpolitischem Aufbau dienen will. Das Gebiet im Süden, das schon unter japanischer Verwaltung steht, ist fünfmal so groß wie Japan und hat eine Bevölkerung von ungefähr fünfundneunzig Millionen Einwohnern. Die japanische Regierung hat schon bald nach Ausbruch des Krieges in Ostasien ihre Aufmerksamkeit der kommenden Verwaltung und Bewirtschaftung dieses zugleich strategisch wichtigen und wirtschaftlich reichen Gebietes zugewandt, so daß die Verwaltung rasch eingerichtet werden konnte, nachdem die Feinde vertrieben waren. Wie schon Januar 1942 bekanntgegeben wurde, sollten die eroberten Gebiete (Hongkong, die Philippinen, Malakka, Niederländisch-Indien und Birma, ferner Neuguinea, die Inseln des Bismarck-Archipels und andere) vorläufig unter militärischer Verwaltung stehen. Der spätere Status würde, wie Ministerpräsident Tojo in seinen Reichstagsreden bekainntgab, verschieden sein; sie sollen je nach der politischen Haltung der Bevölkerung ihre Unabhängigkeit erhalten, 188
jedoch weiden Hongkong und Malakka mit Shonan (Singapore) unter japanischer Verwaltung bleiben. Die oberste Instanz für die Verwaltung der südlichen Gebiete war also die japanische Regierung, doch hat sie ihre Kompetenzen weitgehend an die Wehrmacht übertragen. Die Tatsache, daß General Tojo zugleich Ministerpräsident und Kriegsminister ist, trägt zu einer einheitlichen Wahrnehmung dieser Vollmachten bei. Der Regierung stand als oberste beratende Instanz der „Rat f ü r den A u f b a u Großostasiens" zur Seite, der Februar 1942 gebildet worden war. Er umfaßte siebenunddreißig Mitglieder aus allen Berufskreisen, darunter Reichstagsabgeordnete, Industrielle, Finanzleute, Gelehrte, Offiziere und auch einen hohen buddhistischen Priester. Heer und Marine haben für die Oberkommandos im Süden hohe zivile Berater ernannt, so im Februar für die Philippinen und Malakka und bald darant 1942 für Niederländischindien und Birma. Außerdem wurden bereits vierzehn hohe Verwaltungsbeamte ausgewählt, von denen neun als Gouverneure in Shonan und in den malaiischen Staaten eingesetzt sind. Inzwischen ist unter Aoki ein eigenes Ministerium für die Außengebiete gebildet worden. Auch dessen Beamte kommen aus verschiedenen Berufen: es wird denen der Vorzug gegeben, die Erfahrimg, Kenntnisse und Verdienste um den Süden haben. Deshalb sind japanische Unternehmer darunter, die in den letzten Jahrzehnten trotz der schwierigen politischen Verhältnisse große japanische Unternehmungen, wie Plantagen, Zinngruben und so weiter im Süden eingerichtet haben, ferner frühere Generalkonsuln und Offiziere. In den Gebieten, in 189
denen auf die Dauer keine japanische Verwaltung geplant ist, sondern die Unabhängigkeit erstrebt wird, zum Beispiel auf den Philippinen, wurden von der Wehrmacht an Ort und Stelle japanische Zivilberater zur Unterstützung der einheimischen Verwaltungen eingesetzt. Birma steht ganz auf eigenen Füßen. Es ergibt sich also, daß bei der japanischen Militärverwaltung im Süden überall das zivile Element mitwirkt. Es begann an höchster Stelle in Tokio mit dem „Rat für den Aufbau Großostasiens" und wird fortgesetzt bis in die Verwaltungsstuben der Städte und Provinzen. Die Leitung lag zwar überall eindeutig bei der Wehrmacht, jedoch kommt auf diese Art eine ersprießliche Zusammenarbeit aller Berufe zustande; dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, daß alle, die Kenntnisse vom Süden haben, entsprechende Arbeitsmöglichkeiten erhalten. Die japanische Presse weist bei der Besprechung der Verwaltung in den eroberten Gebieten darauf hin, daß diese so reibungslos aufgebaut werden könne, weil Japan in den letzten Jahren in Mandschukuo und China viele Erfahrungen gesammelt habe. Die Zeitung „Asahi" erinnert daran, daß das Heer auf dem Kontinent stets modern geschulte und begabte Verwaltungsbeamte und Wirtschaftsführer zur Mitarbeit herangezogen habe und daß dies der Grund sei, warum zum Beispiel der Aufbau Mandschukuos so rasche Fortschritte gemacht habe. Die Verflechtungen der modernen Wirtschaft seien so kompliziert, daß man ohne Fachleute nicht auskommen könne. In Hongkong wurde General Isogai, ein erfolgreicher Divisionskommandeur im chinesischen Krieg, be190
reits Januai 1942 als Verwaltungsgouverneur eingesetzt, die Verwaltung liegt hier — unter Heranziehung der unteren chinesischen Beamten, die auch unter den Engländern gearbeitet haben — ganz in japanischer Hand. In Manila, das am 2.1.42 in japanische Hand fiel, wurde Jorge Vargas am 23.1. 42 als Bürgermeister von Manila eingesetzt, gleichzeitig wurde er Chef der Verwaltung der Philippinen. Hier ist also nur die alleroberste Spitze, das Oberkommando, japanisch, während die gesamte Verwaltung sich aus Einheimischen zusammensetzt. Den einzelnen Verwaltungsstellen wurden nur japanische Berater zugeteilt. Vargas ist kein „hergelaufener Politiker", sondern seit jeher eine anerkannte politische Persönlichkeit auf den Philippinen; er hatte in den letzten Jahren höchste Posten inne und war auch schon früher Bürgermeister von Manila. Die Zusammenarbeit zwischen Japanern und den Filipinos ist zufriedenstellend. Das nächste Gebiet, das eine japanische Verwaltung bekam, war die Halbinsel M a lakka mit Shonan; hier stand General Yamashita, der Eroberer von Singapore, an der Spitze. Ebenso wie in Hongkong soll hier die japanische Verwaltung für die Dauer bleiben. In Niederländisch-Indien gab es 1942 keine einheitliche Verwaltung. Da sich jedoch zahlreiche einheimische Beamte sofort den Japanern zur Verfügung gestellt haben und an vielen Orten loyal mit den Japanern zusammenarbeiteten, ist anzunehmen, daß die Verwaltung hier ähnlich wie auf den Philippinen gestaltet wird. Dasselbe galt von Birma, wo die Japaner besonders freudig begrüßt wurden. Da Rangun erst spät gefallen war, konnte die neue 191
Verwaltung erst langsam anlaufen; ihre Organisation ist aber bald auf nationalen Linien Tatsache geworden. Die Japaner verfolgten den Grundsatz, überall, wo sie hinkamen, die vorhandenen Verwaltungseinrichtungen so weit wie möglich bestehen zu lassen, um einen ungestörten Weiterlauf des Wirtschaftslebens zu ermöglichen. In Shonan wurden sogar zahlreiche Engländer zunächst auf ihren Posten belassen, um die Verwaltung nicht zu stören. Die Verwaltungen sollen erst allmählich nach japanischen Grundsätzen und unter Ausschluß fremdartiger, westlicher Ideen umgestellt werden. Die Hauptschwierigkeit liegt in dem Problem der Ü b e r s e e c h i n e s e n , die das Wirtschaftsleben im Süden weitgehend beherrschen. Während die eigentliche einheimische Bevölkerung seit jeher den Japanern gegenüber freundlich, manchmal auch nur gleichgültig eingestellt ist, bildeten die Chinesen den Kern des antijapanischen Elementes. Das Verhalten dieser Überseechinesen ist jetzt verschieden; an vielen Orten erklärten sie sich zur Zusammenarbeit bereit, so daß die Japaner ihnen alle Freiheiten gewähren können, während an anderen Orten die Gefahr der Sabotage, politischer Umtriebe und passiven Widerstandes bestand. So wurden in Shonan zahlreiche chinesische Kommunisten verhaftet. In Niederländisch-Indien sind die Chinesen nach japanischen Berichten am wenigsten verhetzt; dort waren sie meist sofort bereit, mit den Japanern in Verbindung zu treten und deren wirtschaftliche Wünsche zu unterstützen. Dem Problem der japanischen Siedlung in den bisher besetzten Gebieten des Südraumes steht das 192
Altreich klug abwartend gegenüber. In Vorträgen und Zeitungsartikeln wird dieses Problem nach allen Richtungen beleuchtet; das Für und Wider wird dabei nach der nationalen, rassischen, wirtschaftlichen und klimatischen Seite hin diskutiert. Vorläufig herrscht die Meinung vor, daß nur junge, gesunde, geschulte Menschen die Erlaubnis zur Siedlung im Süden erhalten sollten und daß es das Wichtigste bleibe, den Kontakt mit der Heimat aufrechtzuerhalten. Soviel geht jedenfalls aus allen feststellbaren Handlungen hervor, daß im Geiste derselben kulturpolitischen Reihenfolge, die zu Beginn der Meiji-Zeit die Abwehrindustrie aufgebaut hatte, die organisierte Volksgemeinschaft, der Staat, und nicht etwa private Wirtschaftsmächte oder gar Fremdkapital die Führung beim Neuaufbau Großostasiens haben werden, soweit es in der Macht der japanischen Kulturpolitik steht. Diese selbst aber würde weder bei einem guten Teil der Hongkong-Chinesen noch auf den Philippinen, wo der Siedelungs- und Wirtschaftserfolg von Davao ja schon den Boden bereitet hatte, noch in Malaya und Birma oder gar bei den gewiß nicht leicht zu behandelnden chinesischen Bevölkerungsanteilen auf den Sunda-Inseln das tatsächlich geleistete Entgegenkommen gefunden haben, wenn man dort nicht die verwandten Züge gerade der Kulturpolitik selbst innerhalb gewaltsamer Handlungen durchgespürt hätte. Dazu trugen gewiß ganz ursprüngliche Gemeinschaftskräfte bei: Klimagewöhnimg, verwandte Rassenzüge, gleichartiges Abfinden mit der Pflanzenwelt, 13 Haushof«
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mit Reis, Tee und Bambus, dichten Wäldern mit doppelter und dreifacher Vegetationsdecke, amphibische Neigungen, vorwiegende Meerernährung, aber auch so erhabene Kulturgemeinschaften, wie die des Buddhismus, des Vorwaltens vofl Familien- und Gildengefüge, die immer gleich die Schlüssel zu größeren Bevölkerungsgruppen boten. Auch für die Wohnkultur des täglichen Lebens bewegte sich der japanische Soldat im Malaien-, Thaiund Khmerer-Land, namentlich aber in Birma unter vertrauten Bedingungen und brauchte nicht auf Schritt und Tritt bei der Bevölkerung anzustoßen, während uns doch ein Buch von dem hohen geistigen Rang von Fielding Hall's „The soul of a people"169 verrät, wie schwer dem britischen Eroberer gerade innerhalb der Hinayana-Kultur die Einfühlung in eine so fremde, dem Japaner aber so vertraute Volksseele wurde, die nur ganz hoher Geistigkeit trotz vieler Hemmungen gelang. Birma ist geradezu ein Denkstein für die Bedeutung kulturpolitischer Fühlung zwischen geistesverwandten, hochstehenden Kulturvölkern, die keine andere, am wenigsten wirtschaftliche Übermacht zu ersetzen vermag. Darin eben scheinen die Aussichten für den erfolgreichen Aufbau Großostasiens durch eine einheimische Macht zu liegen, daß Japan die kulturpolitischen Voraussetzungen dafür wenigstens innerhalb des bisher gewonnenen Raumes erkannt zu haben scheint und zu erfüllen bereit ist, und zwar um so mehr, je mehr es seiner eigenwüchsigen, bodenentstammten und rassenechten Linie dabei treu bleibt. Es ist der große Nachteil Chinas, daß sein angeblich 194
Überzeugungstreuester Vorkämpfer seinen Versuch zur Gestaltung vom westchinesischen Binnengebiet aus im Zusammenspiel mit eben denjenigen kulturpolitischen Kräften machen müßte, die am meisten dazu beigetragen haben, die Selbstbestimmung und den Eigenwuchs Südostasiens zu verkrüppeln oder zu zerstören, was kürzlich sogar seine Gattin und Mitkämpferin zugegeben hat. Die darin liegende kulturpolitische Unlogik wird als Widerspruch in sich in Ostasien, wo man eine sehr feine Beobachtungsgabe gerade für kulturpolitische Entgleisungen hat, scharf bemerkt. Sie ist doch noch ungleich ärger, als jener Schnitzer, der bei der Übersetzung eines kirchlichen Buches der protestantischen Episkopalkirche den Chinesen und Japanern deren ganzen inneren Widerspruch dadurch klarmachte, daß die an sich ganz richtig konstruierten Zeichen den Sinn der „Gemeinschaft der untereinander hadernden, sich widersprechenden geistlichen Oberaufseher", der „contradicting overseers" ergaben, was jetzt bei Gebeten dieser Kirche für den Schlachtensieg der Gottlosen erst recht erkennbar wird. Schon an solchen Nebenzügen wird deutlich, daß sich Entgleisungen und Fehler auf den Arbeitsfeldern de* Kulturpolitik noch viel empfindlicher und langfristiger rächen, als auf denen der Macht, Wehr und Wirtschaft, wo schließlich blos Leiber, Land und Geld verloren gehen können, aber nicht die Seelen der Völker. Daß man Vieles mit dem Bajonet tun kann, aber nicht auf die Dauer darauf sitzen, das ist für die Japaner eine der wertvollen Erfahrungen, die ihnen 13'
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das Vorgehen in China einbrachte, nachdem die Klugheit der Kwantung-Armee und die Erfahrung der Mantetsu (Südmandschurischen Bahn) in der Mandschurei bereits nach diesem Erfahrungssatz wertvolle Kulturarbeit geleistet hatte. Beide Erfahrungen zusammen haben sich nun in Großostasien zu bewähren, an der wichtigen Scheide innerhalb des Indopazifischen Raumes mit seiner ganzen Menschenwucht. Man vergißt rings um den Atlantik in der Erinnerung an die Glanztage des viktorianischen Zeitalters und das Gerede von den unbegrenzten Möglichkeiten zu leicht, daß die Herde zweier von den drei großen kulturpolitischen Strahlungen vor der Aufteilung der Erde unter die großen Mächte im Indopazifischen Räume flammten, daß ihre maßgebenden Hochkulturen eben so alt oder sogar älter, wie die meisten europäischen sind und ihre Erinnerungen heute von der zahlenmäßig größeren Hälfte der Erdbewohner getragen werden. Wie bescheiden standen doch noch vor dem ersten Tokugawa-Shogun, später noch vor dem chinesischen Eklektikerkaiser Kienlung die Vertreter des Westens, dazwischen vor dem Großmogul Akbar, dem „Schatten Gottes auf Erden" 1585 die unscheinbaren drei Sendboten der Königin Elisabeth mit ihrem Brief! Durch welche Wechsel des Lagenwerts, der Kulturbedeutung, des Wirtschaftsglanzes ging das im Dschungel vergessene einstige malaiische, dann von Stanford Raffles zu neuem Leben erweckte Inselchen Singapur, das heute Shonanko heißt, der „Hafen des leuchtenden Südens"; in einer kulturpolitisch zwanglos zu findenden Umbenennung. Aber es war doch 196
ursprünglich den Japanern ebenso unangenehm, wie den Briten diese Umtaufe, wenn Siebold eine seit Jahrtausenden von Ostasiaten befahrene Meeresstraße mit eingelebtem festem japanischen Namen nach einem niederländischen Generalgouverneur in Batavia umtaufte! — und wenn sie so auf die Weltkarten kam (Linschoten-Straße). Schlechtes Beispiel verdirbt gute Sitten — am empfindlichsten in der Kulturpolitik, die sich von allen andern Äußerungen menschlicher Macht und Wirtschaft in den längsten Wellen und den auf die Dauer gerechtesten Schwingungen bewegt. Vor ihr trägt Japan eine ungeheure Verantwortung, und wird sie — so oder so — mit Europas Achsenmächten zusammen zu schultern haben. Voraussetzung dafür ist überlegene geistige Leistung, weit mehr des Kopfes und des Herzens, als der Faust, die freilich mit der Waffe in der Hand zuvor feste Grundlagen schaffen muß; Kopf und Herz sollten aber nie vergessen, daß nur der kulturpolitische Erfolg über ihre Dauer und ihr Urteil bei der Nachwelt entscheidet.
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Anmerkungen und Schrifttums-Nachweise
Anmerkungen zu I „Japans Eintritt in den Krieg." Herausgegeben von der Kaiserlich-Japanischen Botschaft in Berlin. Steiniger-Verlage, Berlin 1942. 2 K . Haushofer: „Japan baut sein Reich." ZeitgeschichteVerlag, Wilhelm Andermann, Berlin 1940, mit Anhang, Übersicht der sonstigen Japanwerke d. Verf. 3 Einzelheiten in „Japan"-Handbuch. Nachschlagewerk der Japankunde. Herausgegeben von Prof. Dr. Martin Ramming, Steiniger-Verlage, Berlin 1941, oder in „Nippon". Ein Überblick. Tokyo 1937, namentlich ab S. 454ff. 4 Ferdinand von Richthofen: „Das Meer und die Kunde vom Meer." Berlin 1904, S. 40. 5 K . Haushofer: „Das Japanische Reich in seiner geographischen Entwicklung." L.W.Seidel & Sohn, Wien 1921. 6 K . Haushofer: „Dai Nihon", Betrachtungen über GroßJapans-Wehrkraft, Weltstellung und Zukunft. Ernst Siegfried Mittler & Sohn, Berlin 1913, namentlich Abschnitt I I I : Soziale Grundlagen der japanischen Wehrkraft. Erbwerte der Vergangenheit. 7 K . Haushofer: Mutsuhito, Kaiser von Japan; Colemans Kleine Biographien. Herausgegeben von Dr. Fritz Endres, Heft 36, Lübeck 1933. Mit Angaben über Wege zum Schrifttum über den Meiji-Tenno auf S. 52/53. ? G. E. Uyehara: „The Political Development of Japan 1867—1909. Constable & Co., London 1910. 9 Friedrich Ratzel: „Inselvölker und Inselstaaten" in Kleine Schriften II. Band, S. 294. R. Oldenbourg, München und Berlin 1906. Herausgegeben von Hans Helmolt. 10 Beispiele für Standpunktwahl bei Ito Nitobe (dafür ausgeschaltet), Josef H. Longford (London 1923), Kurita,
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Yoshida,A. Wedemeyer: Japan. Frühgeschichte. Tokyo 1930, mit wertvollem Literaturverzeichnis. Nachod: Geschichte von Japan, I. Bd. Vgl. Kikuchi, Sp. 14, S. 7. 11 W. Dening: Life of Toyotomi Hideyoshi. Tokio, Yurakusha 1906. 12 Breit bei Dr. F. A. Junker von Langegg: Midzuho-gusa: Segenbringende Reisähren. Erster Band: Vasallentreue. Chiu-shin-gura-no-bu. Leipzig, Breitkopf und Härtel. Kürzer in den Nachdichtungen von Rolf Italiander. 13 Jan Hamilton: A staff officer's scrap-book. London,Arnold 1906, S. 66. 14 Baron Dairoku Kikuchi: Japanese Education. London 1909. Murray, aus Vorträgen in der Universität London entstanden (foreign use!). Sawayanagi: Waga kuni no kyoiku (Unseres Landes Erziehung). Tokio 1909. Text japanisch; Europäische Literatur im Anhang in Romaji (römische Schriftzeichen). 15 Martin Schwind u. a.: Japanische Raumnot und Kolonisation. Tokyo 1940. Die Wanderrichtung des mandsch. Bev. Zuwachses. G.Z. 1942 S. 46. Dr. Fochler-Hauke: Die Mandschurei. Eine geographisch-geopolitische Landeskunde. Kurt Vowinckel Verlag; Heidelberg-Berlin-Magdeburg 1941. Mit reicher Schrifttumsangabe. 16 So etwa schon 1923 in „Südostasiens Wiederaufstieg zur Selbstbestimmung." München und Leipzig 1923, später K . Vowinckel, wo der heutige Freiheitskampf Südostasiens vorausgesagt wurde. 17 K . Haushofer: Deutsche Kulturpolitik im indo-pazifischen Raum. Hamburg 1939, HofEmann und Campe Verlag. Anmerkungen zu II 11
A. Wedemeyer: Japanische Frühgeschichte. Untersuchungen zur Chronologie und Territorialverfassung von Alt-Japan bis zum V. Jahrhundert n. Chr. Tokyo 1930, Supplementband X I der Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, im Buchhandel durch Asia Major-Verlag, Leipzig; Wedemeyers
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grundlegende Arbeit ist, neben der vielbändigen, aber in der Frühgeschichte teilweise überholten Geschichte von Nachod — die namentlich die Taikwa-Periode sehr eingehend schildert — wohl die beste deutsch geschriebene Quelle für Japans kulturpolitische und soziale Frühorganisation und ihren Einklang mit den geopolitischen Grundlagen Alt-Japans. 19 Über „Die Einheit der Monsunländer" in „Bausteine zur Geopolitik". Berlin-Grunewald 1928, Kurt VowinckelVerlag ab S. 106, auch Sion: „L'Asie des Moussons", und Warburgs „Monsunia". Daß die Monsunländer in ihrer Gesamtheit eine höhere gefühlsmäßige, klimatisch begründete und kulturpolitisch gewordene Einheit sind, zeigt erst wieder die Art der Aufnahme des japanischen Siegeszugs von 1941/42 an der Nahtstelle des indo-paziiischen Raumes. Durch sie geht zugleich eine Art Schwerlinie oder Achse der Monsunländer, um die der ostasiatische und der indische Flügel des Kulturraumes der Monsunländer, der buddhistischen Weltanschauung, der südostasiatischen Ausprägungen von Monarchie, Aristokratie und Demokratie (vgl. Radhakamal Mukerjee: „Democracies ofthe Eastc Zeitgeschichte-Verlag, Wilhelm Andermann, S. 45. Ihre Übersetzung zeigt, auf wie hoher Stufe im Jahr 702 die Erfassung des Blut-und Bodenverhältnisses der japanischen Bevölkerimg stand. 23 George Montandon: „La Civilisation Ainou et les Cultures arctiques" Paris 1937, Payot, mit vielen Karten und Textbildern, Bibliographie. George Montandon, z. Z. wohl der bedeutendste abendländische Ainuforscher, französischer Ethnolog, hat die Bücher des Verf. „Japan und die Japaner" (Le Japon et les Japonais, Paris 1937, Payot) und „Japan baut sein Reich" übersetzt. 24 In dem Göschenband: „Alt-Japan"Nr.ii20V0nK. Haushofer ist auf S. 21 ein" Zusammenbau von drei Karten
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George Montandons der Ainu-Fundstätten der YamatoAinu-Grenze im III. Jahrhundert und der Ostgrenze der Bronzefunde versucht worden. Sie gibt natürlich nur einen Augenblicksstand in der nach Torii, Shiratori und Kitayama in stürmischer Entwicklung begriffenen japanischen Rassenkunde und Archäologie, deren Wunschziele im Abschnitt Shinto, Kami und Koropokguru geschildert sind. 25 Es gehört zu den fruchtbarsten geopolitischen Untersuchungsmethoden, die beiden Aufsätze von Friedrich Ratzel: „Die Gesetze des räumlichen Wachstums der Staaten" und „Inselvölker und Inselstaaten" auf den Schulfall des Japanischen Reiches anzuwenden. Sie finden sich in Petermanns Mitteilungen 1896 und im II. Band der kleinen Schriften, ausgewählt von Helmolt, München 1906, Oldenbourg, S. 294. 28 Paul K. H. Rordorf: „Alt-Japans Seegeltung« Schweizer Nationale Monatshefte 1942, 9. Jahrg., April, S. 32—39. 27
Kurzer bibliographischer Hinweis über das Gukwansho (S. 195) und seinen Verfasser von Ramming im „JapanHandbuch", m. a. O., ebendort über Kitabatake Chikafusa mit Bild, S. 305 und seine Staatsdichtung Jinnoshotoki, S. 262, mit dem Hinweis auf die vorzügliche, gehaltvolle Übersetzung von Dr. Hermann Bohner als Buch von der wahren Gotteskaiser-Herrschaftslinie. Tokyo 1935, Japanisch-Deutsches Kulturinstitut. 28 H. Fielding Hall: „The Soul of aPeople." London und New York 1906, Macmillan: das erschütterndste Bekenntnis eines Mitglieds des erobernden Volkes zur seelischen Haltung des eroberten, das sich 1942 mit japanischer Hilfe unter unendlichem Leid zu befreien versuchte. Einer der stärksten Beweise für die Berechtigung des Strebens in ganz Südostasien zum Wiederaufstieg zur Selbstbestimmung, wie er in dem Buch von Haushofer und März: „Geopolitik der Selbstbestimmung in Südostasien" München 1923, zuerst Rösl & Cie, dann Kurt Vowinckel mit den damals erreichbaren und kennzeichnenden Quellenangaben (auf S. 457) geschildert ist und sich 1942 auf den dort gezeichneten Richtlinien vollzog.
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Anmerkungen zu III 29
„Inselvölker und Inselstaaten" — der schon erwähnte klassische Aufsatz von Friedrich Ratzel: (Kleine Schriften, II. Band, München 1906, R. Oldenbourg, S. 294) beginnt leider mit einem typischen kontinentalen, europazentrischen Irrtum des berühmten Geographen. „Die Bildung eines neuen großen Inselstaates ist das Greifbarste und zunächst Entscheidende in dem Hervortreten einer nordpazifischen Macht, mit der die Staatskunst des Abendlandes rechnen m u ß . . . " Demgegenüber entsteht die kulturpolitisch wohlbegründete Frage: War dieser Inselstaat in derselben Größe seines Kernlandes nicht mindestens seit dem X V I Jahrhundert ebenso gebildet, wie 1895, als dies geschrieben wurde, und hätte die Staatskunst des Abendlandes nicht alle Ursache gehabt, mindestens seit Siebolds zweiter Japanreise mit dieser nordpazifischen Macht zu rechnen? Dann allerdings kommen großartige Erwägungen mit schicksalverkündender Kraft in dem Aufsatz zu ihrem Recht, wie denn die geographischen Vorteile des japanischen Archipels als „das einzige Stück der politischen Rüstung Japans von sicherer Stärke" selten so treffend geschildert worden sind. Unter den Vorzügen vor dem britischen,,, daß er dem größten Meer der Erde angehört und tiefer nach den Tropen herabgerUckt ist", fehlt der große Vorteil, daß Japan innerhalb seines Inselbogens kein Problem von der Art des irischen kennt, sondern früh zu einer friedlichen Kultur-Kooperation der Hauptinseln gekommen ist. 30 A. Wedemeyer berührt (a. o.) gerade dieses schwierige Problem des Gegensatzes zwischen insularer und festländischer Auffassung der Eingriffe festlandwärts mit großer Vorsicht und dem bei Annäherung an die chronologische Prüfung japanischer Reichsmythen und Staatslegenden unabweisbaren Takt. 81 A. Wedemeyer gibt auf S. 47 ein Beispiel jenes kontinentalen, durch die Berührung mit dem chinesischen Über203
Staatsbewußtsein großgezogenen Hochmuts, der so viele peinliche Berührungen zwischen Festland und Inselreich zur Folge hatte, von dem die Abwehr Toyotomi Hideyoshis gegen chinesische Ansprüche auf ein Vasallenverhältnis Japans, aber auch die Überhebung Nikolais II. von Rußland vor dem russisch-japanischen Kriege nur Einzelproben aus einer immer wiederkehrenden Reihe sind. 32 F. E. A. Krause:„Geschichte Ostasiens",in drei Teilen Göttingen 1925, bei Vandenhoek & Rupprecht erschienen, ist ein kühner Versuch, angeregt durch die Äußerung in dem Buch von Dr. Jos. Hallauer, „China, Wirtschaft und Wirtschaftsgrundlagen", Berlin 1921: „Für die allgemeine Unkenntnis über China und chinesische Verhältnisse gibt es keine Entschuldigung" — der trotz einer seither aufgeblühten Konjunkturliteratur für breitere Massen Mitteleuropas getrost auf ganz Großostasien ausgedehnt werden kann — denn Schlagzeilen und Schlagworte schaffen keine Kenntnis. Wir beziehen uns hier auf S. 147 des I. Bandes, ohne sonst alle zum Teil schroffen Urteile über das Schogunat und die frühe Hintergrundstellung des japanischen Tenno übernehmen zu wollen. Treffend sind besonders die Bemerkungen S. 6 und 7 über den subjektiven Charakter der chinesischen Geschichtsdarstellung, die natürlich auch das Spiegelbild Japans in ihr verzerrt. 33 Vgl. etwa A. L . Sadler: „The maker of modern Japan." „The Life of Tokugawa Iyeyasu." London 1937, George Allen & Unwin Ltd. mit breiter Bibliographie. Anmerkungen zu IV. 31
Man vergleiche die früheren Jesuitenurteile, wie sie sich bei George Schurhammer S. J.:„Shinto",Bonn und Leipzig 1923, Kurt Schröder finden und etwa inOrtelius' Atlas von 1595 übergangen sind, mit den späteren Urteilen von P. Frois, oder die abfällige Beschreibung von Toyotomi Hideyoshi bei Schurhammer S. 88, den Don Rodrigo de
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Vivero y Velasco, schiffbrüchiger früherer Generalstatthalter der Philippinen „als in der Hölle für alle Ewigkeit" betrachtet, während flämische Schriftsteller das gleiche von Philipp II. von Spanien annehmen. Valignano, der Visitator Japans, sagt in seinem Brief an den Ordensgeneral vom 10. 10.1599: der Taikosama sei „durch abergläubische Gottlosigkeit unter die Zahl der Götter versetzt und als höchster aller Kamis erklärt" (Schurhammer, 1. c. S. 90 lind 91). Es ist unmöglich, daß man vom Standpunkt einer solchen Lehrmeinung aus der japanischen Ahnenverehrung und dem Übergang hervorragender Nationalhelden zum Kami gerecht werden konnte. Aber nicht viel besser geht es mehr als drei Jahrhunderte später Schriftstellern, wie Maurice T. Price: „Christian Missions and Oriental Civilisations", Shanghai 1924, oder Spender, die nicht von ihren Leitlehren in religionspolitischer oder staatsdoktrinärer Grundlinie wegkönnen. Price hat gerade für diese Frage ab S. 546 eine nützliche Bibliographie gesammelt, in der sich Vieles findet, was sonst dem Festlandeuropäer leicht entgeht. 35 A. Wedemeyer: „JapanischeFrühgeschichte" ... bis zum V. Jahrhundert n. Chr. Tokyo 1930, Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, durch Asia Major, Leipzig ist eine der gediegensten, liebevoll die Überlieferung so weit als möglich achtenden Frühdarstellungen mit ausgezeichneten Stichproben, die überall auf die Quellen zurückfuhren. Vor allem die Kritik der chinesischen Nachrichten und die Schilderung der Territorialverfassung ist hier wichtig. 39 Engelbert Kämpfers „Geschichte und Beschreibung von Japan,,. Aus den Originalhandschriften des Verfassers, herausgegeben von Christian Wilh. Dohm; Lemgo, im Verlage der Meyerschen Buchhandlung, 1777 Bd. I, 1779 Bd. II. Mit der Zeit selten geworden, von einzelnen neueren wohl als verschollen bezeichnet. Die beiden Bände sind dem Verf. oft in der anschwellenden Konjunkturliteratur über Japan ein Trost und eine Erholung in ihrer echten An-
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schaulichkeit, z. B. bei der Taifunschilderung S. 67, in ihrer landeskundlichen Beobachtungsgenauigkeit. 37 Über Philipp Franz von Siebold ist, dank der Sieboldstiftung und den Bemühungen von Prof. F. Trautz, ein eigener Schrifttumskreis entstanden. Die meistverbreitete Beschreibung dürfte aber doch wohl immer noch die Ausgabe: „Nippon, Archiv zur Beschreibung von Japan", herausgegeben von seinen Söhnen in zwei Bänden, Würzburg und Leipzig; 1897, Leo Wörl, sein, die freilich nur ein sehr abgetöntes Bild von Siebolds Gesamtleistung als Vater der zeitgemäßen Japankunde gibt. 38 J. J. Rein: „Japan, nach Reisen und Studien im Auftrage der K.Preuß. Regierung." II. Auflage, Leipzig 1905, Wilhelm Engelmann — eine typische Landeskunde auf Grund von Reisen in den Jahren 1874 und 1875, im Jahre 1904 noch einmal überholt, wobei das Vorwort zur II. Auflage in getreuer Überschau die wesentlichsten Helfer bei jener Überholung nennt. Auf diese Weise hat Deutschland das Glück, drei der besten wissenschaftlichen Momentaufnahmen Japans aus der Zeit des Höhepunkts der Tokugawa-Periode, aus der Zeit kurz vor ihrem Versinken, und aus der. ersten Meiji-Ära gerade noch in dem Zustand zu besitzen, aus dem Nippon zur Weltmachtlaufbahn aus einem eben noch verschlossenen Paradies heraus antrat. Das ist für die deutsche Japankunde, aber auch für die Erleichterung der kulturpolitischen Verständigung zwischen Japan und Deutschland ein nicht immer genügend gewürdigter Vorzug. 88 Unter den vielen Bildwerken seien die Lichtbilder von Hürlimann, die feinen und duftigen Aquarelle von MortimerMempes (bei nicht gleichwertigem Text) hervorgehoben. Wie man landeskundlich illustrieren sollte, zeigt FochlerHauke in seiner geopolitischen Landeskunde der Mandschurei. 10 Eine der schönsten Schilderungen dieser wachsenden Unruhe Japans von innen heraus gibt George Etsujiro Uyehara in „The Political Development of Japan 1867—1909". London 1910, Constable, in den Abschnitten I und II, dann
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dem ersten Teilabschnitt I des ersten Teiles ; The politicai state before the Restoration (S. 37—41). Die kulturpolitisch wichtigsten Teile des Buches sind in der Introduktion enthalten: The nation and its politicai mind, vor allem auf den S. 5, io, 11 und 15, dann 24, wo der durchaus mit britischen staatsrechtlichen Lehren vertraute Verfasser auf die Konstitution des Prinzen Shotoku zurückgeht (Kap. VII) und einen Idealkonnex zwischen Shotoku, der japanischen Reichstradition, Plato und Aristoteles anmerkungsweise herzustellen weiß. 11 Professor Etsujiro Honjo (Kyoto Univers.) scheint mit allen seinen Arbeiten die gerechteste und sicherste Unterlage fllr die Beurteilung der Tokugawa-Zeit, der Lage namentlich der Samurai in dieser Geschichtsperiode und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Zustände zu liefern. 4 2 Unter den vielen guten großdeutschen Arbeiten über die Waldpflege in Japan scheint mir eine der handlichsten Übersichten Dr. Amerigo Hofmann: „Aus den Waldungen des Fernen Ostens" Wien und Leipzig 1913, Wilhelm Frick — der auf Thunberg, Siebold, Miquel, A. Gray, Dupont, Mayr und Grasmann, dem Schweizer Spörry (Verwendung des Bambus), die Japaner Miyoshi „Atlas of Japanese Vegetation", 1905fr., Honda, Kawai, Shirasawa u. a. fußt. * 3 Bulletin de l'Ouest, Brüssel, 30. 3. 42: Franz Briel über „ L e Problème de l'occupation du sol" unter Erörterung über den Widerspruch zwischen den Bodenausnützungstheorien von Ricardo und Carey. " Ebenda: André Derchet: „Les aspects démographiques de la révolution européenne." Anmerkungen zu V Eine gedrängte Angabe des Siebold-Schrifttums findet sich in Rammings Japan-Handbuch S. $47 bei dem Aufsatz über Siebold. Um die Wiederbelebimg seines Andenkens hat sich F. M. Trautz besondere Verdienste erworben, der im Japan-Institut ein eigenes Zimmer zur Ehrung Siebolds einrichtete und wesentliche Verdienste um die Sammlung aller Sieboldiana und den prachtvollen Faksimile-Neu15
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druck des Hauptwerks: „Nippon, Archiv zur Beschreibung von Japan", Leyden 1832—1852 von 1930 geleitet und veranlaßt hat. 46 Uyehara a. o. S. 46/47. 47 Vgl. Ryokichi Otani (Kyoto-Univ.): „Tadataka Ino, the Japanese Landsurveyor". Tokyo 1932, S. Iwanami, herausgegeben von d. Yamato Society, Tokyo, ein leider in Deutschland viel zu wenig bekanntes Buch über die innere Linie der japanischen Vermessungskunde. 48 Schilderung der Nordlandfahrten von MamiyaRinso und Mogami Tokunai u. a. bei Siebold, dann in den kurzen ausgezeichneten Personalübersichten im Japan-Handbuch von Ramming auf S. 399 (Mogami Tokunai) und S. 363 (Mamiya Rinzo). 49 Um hier Vergleichsmaßstäbe der kulturpolitischen Persönlichkeitsleistung zu gewinnen, vergleiche man etwa: A. L. Sadler (Prof. der Universität Sidney): The Maker of Modern Japan; The Life of Tokugawa Iyeyasu, London 1937, Allen & Unwin, mit seinem sehr bemerkenswerten Stammbaum der Minamoto-Tokugawa-Zusammenhänge (S. 37) mit der Porträtgalerie des Tokugawa-Hauses, wie sie das „Japan"-Handbuch von S. 601—610 in seinen EinzelLebensbildern wiedergibt. Man wird daraus den Eindruck eines langsamen Absinkens der Kulturleistung von Iyeyasu und Iycmitsu ab gewinnen, mit gelegentlichen Hebungeu, so in dem literaturfreundlichen Mitsukuni und Nariaki, in dem organisatorisch tüchtigen Yoshimune, der die schlimmsten Entgleisungen Tsunayoshis, des begabten, aber schrullenhaften Shoguns der Genroku-Ära auszugleichen hatte. 60 Das beste Bild der Bedeutung von Godaigo-Tenno und seiner Ära für die japanische Reichskultur gewinnt der Deutsche aus den Schriften von Hermann Bohner. Es ist vor allem seine kommentierte Übersetzung von Kitabatake Chikafusas: „Jinnoshotoki" — der wichtigsten japanischen Staatsdichtung über die Gott-Kaiser-Lehre, die tiefste kulturpolitische Einblicke in eine der scheinbar unglücklichsten, aber wirkungstiefsten japanischen Geschichtsperioden vermittelt.
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Jan Hamilton: „ A staff officer's scrap book during the Russo-Japanese war" London, Edward Arnold, 1906; einer der besten psychologischen Beobachter Japans zu seiner Zeit, war nicht der erste, der darauf hinwies „ein europäisches Volk, das von Japan zum Muster in einem bestimmten Fall genommen würde, könne wohl annehmen, daß es darin auf der Höhe oder ihr wenigstens nahe sei, aber nicht, daß es darauf bleibe oder nicht von seinem geduldigen aufmerksamen Schüler übertroffen werde". Hamilton sah weit voraus, auch die Hilflosigkeit Australiens und kommende Niederlagen des Britenreichs durch seine Verbündeten von 1902—1922. 52
Das Schrifttumsverzeichnis zu Masataro Sawayanagi's (1865—1927) „Wagakuni no kyoiku" (Kurzes Lebensbild von Y . Kitayama im Japan-Handbuch, S. 506) — umfaßt auf vielen Seiten das Beste, was das Abendland an pädagogischem Schrifttum hervorbrachte, das im Anschluß an den japanisch gedruckten Text mit den deutschen, englischen und romanischen Schriftzeichen der Titel wiedergegeben ist, so daß auch der nicht Japanisch verstehende Leser ein Bild von der umfassenden Schrifttumskenntnis des großen Pädagogen, des „japanischen Kerschensteiner" gewinnt. 63 Rammings Japan-Handbuch ist bereits öfters zitiert. „Nippon." Ein Überblick. Tokyo 1937, Nippon Dempo Tsushinsha, war ein ausgezeichnetes Sammelunternehmen zur Vorbereitung deutsch-japanischer Kulturfühlung, namentlich im iV. Teil: Kultur, und im siebenten Kapitel, deutschjapanische Beziehungen. 54 Außer dem Japanhandbuch und „Nippon", ein Überblick, gibt vielleicht noch Otto Schmiedel: „Die Deutschen in Japan", Leipzig 1920, K . F. Köhler, auch wohl der Schriftwechsel von Baelz, das Zufallspiel bei der Zusammenbringung der Mission Eulenburg eine Vorstellung von der kulturpolitischen Harmlosigkeit und dem Zufallspiel bei der Auswahl der Japandeutschen, im Gegensatz zu der Planmäßigkeit, die vielfach in andern Staaten waltete und deren Personenkreis bestimmte, soweit, er sich mit Ostasien zu befassen hatte. 14
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Paul Graf Teleki: „Atlas zur Geschichte der Kartographie der japanischen Inseln." Budapest' undLeipzig 1909, Karl W. Hiersemann, ist ein würdiges Denkmal, das sich der große ungarische Kulturpolitiker, Staatsmann und Geograph für seine Beziehungen zu Japan gesetzt hat und die beste Quelle zur Erkenntnis der langsamen Loslösung des Kartenbildes von Nippon aus dem Nebel sowohl ahnungsloser (von außen) als bewußter Ungewißheit (von innen!). 66 K. Haushofer: „Das Japanische Reich in seiner geographischen Entwicklung."Wien 1921, L. W. Seidel & Sohn und „Der deutsche Anteil an der geographischen Erschließung Japans und des subjapanischen Erdraums und deren Förderung durch den Einfluß von Krieg und Wehrpolitik", München 1914, Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft München, in denen damals noch der rein wissenschaftliche und kulturpolitsche Gebrauch der Bezeichnung eines ,, subjapanischen Erdraums" Anstoß erregte, während jetzt die Führerstellung Japans für ganz Großostasien und den Westpazifik umkämpft wird: ein Beweis, wie sehr in der großostasiatischen Frage die Dynamik der Statik voraneilte und wie schwer es manchmal innerhalb der Erdkunde war, der ersteren zu ihrem kulturpolitischen Recht zu verhelfen. 67 Hier ist wieder das Lebenswerk von Tadataka Ino einschlägig, dessen Lebensbild von Professor Ryokichi Otani, englisch von Kazue Sugimura (Tokyo 1932, S. Iwanami), auch die Vorgeschichte der wichtigsten Grundlage des kulturpolitischen Selbstbewußtseins eines Landes, der Kenntnis der Umrisse und der Oberfläche seines Lebensraumes enthält. S. 46 z. B. wird der Schleier von den Beklemmungen über die Russenannäherung gelüftet, die sich etwa von der andern Seite gesehen, entwickelt aus: 58 F. A. Golder: „RussianExpansion on thePacific 1641 bis 1850." Cleveland 1914. Arthur H. Clark Company, und 59 Dr. Juri Semjonow: „Die Eroberung Sibiriens. Ein Epos menschlicher Leidenschaften. Der Roman eines Landes", Berlin 1937, Ullstein, jetzt Deutscher Verlag.
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Interessant ist bei Golder S. 254 der Spott über das geringe Interesse Japans an den geographischen Fragen seiner Nordinseln wegen zu starker anderweitiger politischer Inanspruchnahme; eine Mahnung, die Augen kulturpolitisch ringsum, auch nach den scheinbar minder bedrohten Kraftfeldern zu, offen zu halten! 60 N. Matsunami: „The Constitution of Japan." Tokyoigso, Maruzen. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte mit einigen ausgezeichneten geopolitischen Streiflichtern, zu denen etwa Constantin Popoff (russisch) Moskau-Leningrad, 1931 — also ungefähr aus gleicher Zeit eine SowjetAntiphonie schrieb. Nicht viel freundlicher eingestellt ist: 61 Friedrich Kleemann: „Japan, wie es ist." Leipzig 1921, R. Voigtländer. Unter dem Eindruck frischer Verbitterung, aber mit viel Temperament geschrieben und als herber Spiegel nützlich. 62 Hier wären zu nennen: Emil Lederer und Emy LedererSeiler, Japan in Transition. Yale University Press; 1938, M. D. Kennedy: The Changing Fabric of Japan. London 1930, Constable, K. Charnskii: Japonija: Wladiwostok 1926 (russisch) und etwa Toyohiko Kagawa: Auflehnung und Opfer. Lebenskampf eines modernen Japaners. Stuttgart 1929, D. Gundert-Verlag. Anmerkungen zu VI 83
Ausgezeichnete Gegenüberstellungen der ersten Parteibildungen in Japan gegenüber der Fremdeinflußfrage bei G. E. Uyehara: The political development of Japan 1867— 1909. London 1910, Constable S. 47ff. 81 Toyohiko Kagawa: Auflehnung und Opfer. Stuttgart 1929, D. Gundert, zeigt in seiner ganzen inneren Zerrissenheit und eigenen Führungslosigkeit als sogenannter Führer, wie schlecht das aufgepropfte Reis der Y. M . Chr. Ass. der ostasiatischen Kultur bekommt, selbst wenn das Ergebnis nicht am Schicksal Chinas abzulesen wäre. Auch das Lebensbild von Weidinger (Japan-Handbuch S. 269) kann nicht an der Tatsache vorbei, daß die von ihm iV
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geführte Art Arbeiterbewegung aus seinen Händen zum Marxismus abgerutscht ist, wenn er sich auch selbst in Regierungsstellen bergen und dann seinen Wanderpredigerdienst der Bauernbewegung (seit 1928) widmen konnte. 65 Fürst Ito üb^r seinen bewegten Lebensgang bei Felix Schottländer: Erwin von Baelz S. 151 u. a. o. Stuttgart 1928, Schriften des Deutschen Ausland-Instituts. 66 K . Haushofer: Geopolitik des Pazifischen Ozeans. III. Auflage. Heidelberg-Berlin 1938, Kurt Vowinckel-Verlag, versucht einen Überblick über die zuerst schützende, dann überwundene Rolle des größten Seeraums der Erde und ihre kulturpolitischen, wie Macht- und Wirtschaftsfunktionen zu geben. 67 M. von Brandt: 33 Jahre in Ostasien. Erinnerungen eines deutschen Diplomaten. Leipzig 1901, Georg Wiegand. Ab S. 90 I. Bd., dann II. Bd. S. 190, wo Ito zum erstenmal Brandt in Hiogo ausgleichend gegenübertritt. Ebenso S. 200 bei dem Harakiri des Offiziers von Bizen, der den Befehl zu der Schießerei in Hiogo gegeben hatte, der in einer .würdevollen, alle anwesenden Zeugen tief beeindruckenden Weise seine Sühne vollzog, würdiger, als sich (S. 208) die Sühne fllr Sakai abspielte, an deren Stelle heute ein Denkmal steht. Die breiten Schilderungen von Brandt geben ein Bild von den ungeheuren Schwierigkeiten, die in ihren Anfängen von der kaiserlichen Regiening und den wenigen auslandkundigen, kulturpolitisch erfahrenen unter ihren Beratern und ausfuhrenden Kräften zu überwinden waren. 68 Felix Schottländer, bereits a. o. zitiert, in „Erwin v. Baelz", S. 149, Persönliche Erinnerungen an Fürst Ito. 69 Toku Bälz: Erwin Baelz. Das Leben eines deutschen Arztes im erwachenden Japan. Tagebücher, Berichte, Briefe, Stuttgart 1931; Engelhorn, in ihrer Unmittelbarkeit und Reife des völkerpsychologischen Urteils eine kulturpolitische Quelle von einzigartigem Wert, zusammen mit Felix Schottländer: Erwin von Baelz. 1849—1913. Leben und Wirken eines deutschen Arztes in Japan. Schriften des Deutschen Auslandinstituts Stuttgart; Reihe D. Biogra212
phien und Denkwürdigkeiten. Bd. i , 1928. Mit gutem chronologischen Schriftenverzeichnis der leider weit verstreuten Arbeiten von Baelz und nützlichen Literaturhinweisen, darin Fehringer, die Deutsche Japanpost von 1902 bis 1914, die Mitteilungen der deutsch-japanischen Gesellschaft 1908—1912, Mohi, Molisch, Müller, Ostwald, Rathgen, Rieß, Schmiedel, Wernich und die Nachrufe hervor gehoben sein mögen. 71 Müller, Leopold: Tokio-Igaku. Skizzen und Erinnerungen aus der Zeit des geistigen Umschwungs in Japan 1871 bis 1876. Deutsche Rundschau, Band 57, 1888, Berlin, Paetel. 72 Richthofen, Ferd. v.: Aus den Japan-Tagebüchern. Mitteilungen des F. v. Richthofen Tages, Berlin 1912, mit ungewöhnlichem Reiz der ersten Eindrücke und Prognose auf um ein Menschenalter später eingetretene Entwicklungen. 78 E. Naumann: Neue Beiträge zur Geologie und Geographie Japans. Petermanns Mitteilg. Erg.-Heft Nr. 108, Bd. 23, Gotha 1893, Justus Perthes. i 71 J. J . Rein: Japan. Leipzig 1905, Wilhelm Engelmann in neu bearbeiteter 2. Auflage erschienen, war die erste im neuzeitlichen Sinn als Landeskunde zu bezeichnende Beschreibung Japans nach seiner Reichserneuerung in deutscher Sprache. 76 Franz Doflein: Ostasienfahrt, Leipzig und Berlin 1906, B. G. Teubner, in erster Linie zur Erforschung der Meeresfauna unternommen, ist einer der glänzendsten Beweise für die kulturpolitischen Erfolge, die durch richtigen Ansatz hervorragender naturwissenschgafüicher Beobachtung unter den Händen überlegener Persönlichkeiten gewonnen werden können. In diesem Buch finden sich neben aller Exaktheit biologischer Tatsachenfeststellung Prognosen und menschenkundige Wahrnehmungen höchsten Ranges, mit unbeirrbarer Treue des Zeugnisses festgehalten. „Eine einzige Wanderung durch eine solche Stadt des Ostens genügt für einen Europäer, welcher mit offenen Augen zwischen den Erscheinungen dahinwandelt, um Hunderte von Vorurteilen umzustürzen . . . Wie groß ist solch eine
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alte Kultur, wie fest gefügt in allen ihren Einzelheiten." Aber warum bestehen diese „Hunderte von Vorurteilen?" 76 „Pacific Affairs", Honolulu, später New York, als Stimmungsbarometer. " Das wichtigste Schlüsselbuch über Lafkadio Hearn, einen Wanderer nicht nur zwischen zwei, sondern zwischen vier verschiedenen Welten, ist wohl: The Japanese Letters of Lafkadio Hearn, herausgegeben von Elizabeth Bisland, London 1911, Constable; Boston und New York, Houghton Mifflin Co. mit höchst lehrreichen Ahnenbildern von vier Geschlechtsfolgen. Von seiner eigenen Hand: Japan. An Interpretation. New York 1905, Macmillan, dann: Glimpses of Unfamiliar Japan. London 1905, KeganPaulXX ferner: Kokoro. Kobe 1895, dann volksnah, London 1905, Gay & Bird. Gleanings in Buddhas Fields. London, Kegan Paul und manche andere dort verzeichnete. 78 Munro: Prehistoric Japan. London 1911, mit den Arbeiten von Batchelor und George Montandon beste Stutzen von außen her der japanischen Vorgeschichtsforschung. 79 Griffis: The Mikado's Empire. New York und London 1906, Harpers u. Br. 1 1 . Auflage ff.; ders., The Religions of Japan. New York 1907, Scribners & Sons, wohl die zu ihrer Zeit am tiefsten schürfenden U.S.A.-Schilderungen Japans. 80 M. D. Kennedy: „The Changing Fabric of Japan" London 1930, Constable — eine ausgezeichnete Überschau technischen Verstehens, aber psychologischen Verkennens. 81 Owen Lattimore, gründlicher Kenner vor allem der Mongolei, ist bis zum Kriegsausbruch wohl die Seele des ostasiatischen Erkundungsdienstes der U.S.A. gewesen, ebenso wie der geistige Leiter der „Pacific Affairs". 82 Ozaki Yukio, zeitweilig Bürgermeister von Tokyo, greiser Parlamentarier, unentwegter Verfechter anglo-amerikanischer Vorbilder. 83 Tokutomi Jichiro, Schöpfer d.„Kokumin Shimbun" und ritterlichste, selbständigste Journalistenpersönlichkeit der Übergangszeit. 1863.
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M. D. Kennedy: The Changing Fabric of Japan. London 1930, Constable, S. 124: The women's movement. Die Auffassung, daß die Wahl von 1928, die erste unter dem neuen Wahlrecht, auch die Frauenbewegung auf das Stimmrecht zu beschleunigen müsse, dürfte wohl angesichts der Wahlen von 1942 mit ihren 80%, 381 Mitgliedern von 464 der Bewegung zur Unterstützung des Kaiserthrons vom Verfasser selbst nicht mehr aufrechterhalten werden. Er verband die Frauenbewegung mit allen andern, die der arteigenen Linie der Kulturpolitik Japans widerstrebten, und darf wohl als deren Negativ gelten. In dieser Eigenschaft zitiert er auch alle Matriarchats-Züge aus der Geschichte, die Tatsache, daß Japan immerhin von zehn Kaiserinnen regiert worden sei, gibt aber wider Willen Zeugnis für die Stärke des Familiensystems gegenüber den in allen ihren einzelnen Organisationen erwähnten Vorkämpferinnen der Frauenrechte. 85
K. Haushofer: Dai Nihon. Berlin 1913, E. S. Mittler & Sohn. Im Kap. XVIII: Der Zug nach Süden und panasiatische Träume, u. a. S. 32off. 88 Persönliche Eindrücke vom Empfang des damaligen chinesischen Chefs des Generalstabes, des Mandschuprinzen Tsaitao sowohl in Kyoto-Fushimi, als in Tokyo, wobei gerade unter den führenden Soldaten eine gewisse ritterliche Teilnahme mit einem Unterton von verständnisvollem Mitleid mit dem Träger einer mehr und mehr unlösbar werdenden Aufgabe sichtlich mitschwang. 87 Persönliche Mitteilung hochgestellter Führer der „vaterlandsliebenden Kreise". 88 Der Brief Sunyatsens ist im Gepäck des chinesischen Volksführers bei einer Flucht aus Kanton gefunden und veröffentlicht worden, worauf sich offen und mutig Inukai, gewundener Graf Okuma zu seinem Empfang bekannten. 89 Zahlreiche kleinere Aufsätze von Dr. Martin Schwind bewegen sich in dieser Richtung, vor allem der schöne Band: Karafuto, Gotha 1942, Justus Perthes und 90 Dr. Gustav Fochler-Hauke: Mandschurei. Heidelberg 1942; Kurt Vowinckel, in der Reihe Schriften zur Wehr-
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geopolitik, neben andern Arbeiten des in der Mandschurei unter besonders günstigen Verhältnissen gereisten und ungewöhnlich ortskundigen Verfassers, der namentlich den Versuchen, japanische Wehrbauern in gefährdeten Gegenden durch planmäßige Siedlung anzusetzen, besonderes Augenmerk widmete. Anmerkungen zu VII 81
Über den persönlichen Eindruck S. Maj. des Meiji Tenno finden sich neben den Zeremonialbildern Aufnahmen in den verschiedensten Lebensaltern bei v. Brandt, bei E. v. Baelz, persönliche Beschreibungen ebenda und bei Vay de Vaya: Empires and Emperors of Russia, China, Korea and Japan. London 1906, John Murray — wobei es bezeichnend ist, daß alle übrigen Herrscher im Bilde vertreten sind, nur der Meiji-Tenno nicht. Eine Reihe von Anhaltspunkten aus Quellen, die sich alle vorsichtiger Zurückhaltung befleißigen, sind am Schluß von 92 angeführt. 92 Mutsuhito, Kaiser von Japan, von Karl Haushofer in Colemans Kleine Biographien, Heft 36, herausgegeben von Dr. Fritz Endres, Lübeck 1933. Abgedruckt mit ausdrücklicher Genehmigung von Herrn Coleman in „Japan baut sein Reich", mit Angaben über Wege zum Schrifttum über Kaiser Mutsuhito, den Meiji-Tenno mit 25 Einzelangaben des außerordentlich spärlich fließenden Materials für ein Lebensbild. 83 Erwin von Baelz: „Der japanische Kaiser Mutsuhito oder Meiji-Tenno, seine Stellung im Staat und Volk". Geist des Ostens, München 1913. 84 Gedicht ihrer Majestät der Kaiserin in „Yamato Damashii". Zeitschrift Tokyo 1910, worin auch der Erziehungserlaß. 05 Bilder japanischer Gartenfronten und Hauspläne u. a. in „Japan baut sein Reich", in den Aquarellen von Mortimer Mempes, den Aufnahmen von Hürlimann usw. 96 Wortlaut in den Erinnerungen von Baelz auf S. 145. 216
. 97 U. A. Okuma, Marquis Shigenobu: „Fifty Years of New Japan". London 1909, Smith Eider. Die Überraschung, die der Meiji-Tenno Fürst Matsukata auf dessen gewohnheitsmäßige Auskunft: Er werde sofort Erhebungen pflegen durch die blitzschnelle Frage nach der Zahl seiner Kinder mit einem Glückwunsch bereitete, als auch auf diese Frage dieselbe stereotyp gewordene ausweichende Antwort erfolgte, (nach persönlicher Mitteilung.) 98 Kaiserliche Verse von Meiji-Tenno. Berlin 1940, F. A. Herbig-Verlag. Deutsche Übertragung von Professor Waldemar Oehlke, mit Einführung unter Hinweis auf die rund 300000 Tankas des Meiji-Tenno und die bei Maruzen veröffentlichten Sammlungen von je zwei Bänden Haiku und zwei Bänden Tanka durch Miyamori Asataro, Tokio 1932 und 1936. Den Tanka und Haiku entspricht in epigrammatischer Prägung und Schürzung das kunstgewerblich hochwertige Schwertstichblatt (Tsuba), oft ein Kurzgedicht in Eisen und Edelmetall, wie ich z. B. eine Tsuba über das Kurzgedicht von Basho auf dem Schlachtfeld von Sekigahara besitze: „Natsukusaya tsuwamonodomo ga yume no ato" (O du Sommergras-schwertfreudiger Männer nun — traumvolle Ruhstatt). Ein Kriegertotenkopf, auf einem umgesunkenen Totenbrett (Ihai) unter langen Grashalmen ruhend, auf denen Tautropfen golden vom Strahl einer liegenden Mondsichel glänzen. „Nagakusa no kage ni neru — " (Im Schatten der langen Grashalme schlafen!) Besonders bezeichnend ist das während des russisch-japanischen Krieges geschriebene Kurzgedicht Nr. 75 mit seiner schwermütigen Philosophie. Das japanische Kurzgedicht ist im Grunde so unübersetzbar, wie Omar Chayam, und jede Übersetzung gibt nur einen schwachen Schatten von dem Reiz des Gedankeninhalts und der Phantasieanregung einer guten Uta. Die besten des Meiji Tenno sind im Ausland unbekannt, gehen aber in Japan unter Wissenden mit ihren Deutungen von Mund zu Mund. 99 Andeutungen darüber finden sich besonders ehrlich bei
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Baelz, so in Äußerungen über Inouye, Hoshi, in Wiedergabe einer Äußerung Komuras. 100 „Junshi", der uralte japanische Brauch des Totenopfers der Persönlichkeit eines treuen Gefolgsmannes als Seelengeleit, um einem geliebten Herren im Jenseits weiter dienen zu können, ist in der japanischen Geschichte oft verboten worden, so schon vom Kaiser Suinin, dann besonders scharf von den Tokugawa-Shogunen Jyeyasu und Iyetsuna, 'und hielt sich dennoch, als wenn auch seltener, doch heroischer freiwiliger Brauch, dessen sinnfälligste Ausführung 1912 Feldmarschall Nogi und seine Gattin übten. 101
Rudolf Kjellin in „Die Großmächte und die Weltkrise". B. G. Teubner 1931, Leipzig-Berlin, S. 163, im Anschluß unter Zitierung an den Verf. Ähnlich in „Die Großmächte der Gegenwart", 19. Auflage, Leipzig r9i8, über „Japan", von S. 182 ab, namentlich auf S. 184,187,189,193—195 usf. Der „irrationale Rest" ist eben nur kulturpolitisch, nicht machtmäßig oder wirtschaftlich begreifbar gewesen, daher die vielen Fehlurteile, trotz der Beschattung durch „den Krieg nach zwei Fronten" (196). Die „Genro" wußten das schon 1909, wenn man mit ihnen und ihren Vertrauten sprach, und Graf Komura sagte es eigentlich im Februar 1909 im Reichstag urbi et orbi; trotzdem brauchten Volk, Parlament, Presse und namentlich die nisei dreißig Jahre länger, bis sie es begriffen und ihre eigenständige kulturpolitische Linie wieder in ihrem ganzen Wert erfaßten. 102 Z. B. Junker v. Langegg in „Midzuho-gusa" (Segenbringenden Reisähren), Bd. I Vasallentreue (Chiu-shingura-no-bu), Leipzig 1880, Breitkopf & Härtel, S. 1—4. Gesetz 41 und 50 des Jyeyasu, deren Konflikt die Tragödie der 47 Ronin erzeugt. Dann S. 9. 103 Graf Komura zu Erwin von Baelz (Tokyo, 16. Februar 1905): in Erwin Baelz: „Das Leben eines deutschen Arztes im erwachenden Japan" Stuttgart 1931, J. Engelhorn, S.385:
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, , . . . das Parlament sei nur dazu da, eine gewisse Kontrolle und Überwachung zu üben. Eine wirkliche parlamentarische Regierung durch Parteien sei ausgeschlossen. Dazu dürfe es in Japan nicht kommen. Die eigentliche Leitung müsse stets in den Händen weniger Männer sein. Glücklicherweise habe in Japan der Kaiser das Recht, das Parlament aufzulösen, wenn er es für nötig e r a c h t e . . . " Dann folgte eine scharfe Stellung gegen Okuma, wenn dieser die englischen parlamentarischen Zustände in Japan einführen wolle, da die Verfassung beider Länder zu grundverschieden sei. Okuma habe es leicht, denn er habe nichts anderes zu tun, als zu räsonnieren und zu agitieren. 101 fällt aus. 105 So Hiraizumi über das Jinnoshotoki bei Hermann Bohner. 108 Vgl. das teilweise Verkennen bei Vay de Vaya und Marie von Bunsen. 107 Ausdruck namentlich in »Japan baut sein Reich" über die Bedeutung der Meiji-Zeit. 108 Adolf Freitag prägt in Bd. X X X I der Mitteilungen der hochverdienten Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Teil C, Tokyo 1939, „Die Japaner im Urteil der Meiji-Deutschen", diesen an sich wohlgewählten Begriff, weil er dem gegenseitigen tiefgehenden kulturpolitischen Einfluß gerecht wird. Über die zeitliche Abgrenzung dabei ist zu rechten; Verfasser bestreitet, daß die letzten sieben Regierungsjahre des Meiji-Tenno mit der Krönung seines politischen Baues abgeschnitten werden können. Anmerkungen zu VIII 109 P. Luis Frois S. J . : Die Geschichte Japans (1549—1578) — nach der Handschrift der Ajudabibliothek in Lissabon übersetzt und kommentiert von O. Schurhammer und E. A. Voretzsch. Leipzig 1926, Verlag der Asia Major. Einleitung V—VII, dann S. 466, „weil die benachbarten Heiden um keinen Preis irgend etwas von ihren Grund-
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stücken verkaufen wolltenj auch wenn die Christen ihnen dafür den höchsten Preis bezahlten..." — (weil es eben etwas staatsrechtlich und kulturpolitisch Unmögliches war). Dann folgt der aus japanischer endogener Kulturpolitik durchaus verständliche Einspruch gegen den überragenden Kirchenbau! Man vergleiche damit den Zorn in Tokyo und den Ausbruch der Russenfeindschaft wegen des Baues der dominierenden orthodoxen Kathedrale, die als landfremder Trotzbau wirken sollte und deshalb auch wirkte! 110 So in M. D. Kennedy: »The changing fabric of Japan; London 1930, Constable im Abschnitt V I I : „Reactionary Elements", in dem mit scharfer Witterung alle der langsamen Einschmelzung in anglo-amerikanische kulturelle Vasallenschaft widerstrebenden Elemente, auch Kulturträger höchsten Ranges, in einen Topf geworfen werden. 111 Wir folgen hier gerne Joseph H. Longford in „Japan" der Sammlung The Nations of To-day. A new History of the World. London 1923, Hodder and Stoughton, wie auf andern Wegen Sir Haiford Mackinder, um jeden Schein von kontinentaler Voreingenommenheit zu vermeiden, auch auf die Gefahr hin, daß man uns beschuldige, Instrumente aus der Werkstatt des britischen Kulturimperialismus entnommen und gegen ihn verwendet zu haben. Diese Geschichte ist eben noch zu der Zeit geschrieben — (wenn auch nicht veröffentlicht!) — als die Wahl des westlichen Inselreiches Eurasiens zwischen dem ihm gerade noch verbündeten östlichen Japan und den U.S.A. vor der Konferenz von Washington noch in der Schwebe war, und der Autor infolgedessen ungestraft und voraussetzungslos gerecht gegen Japan sein konnte, über das er auch — wie S. 317—320 seine Bibliographie zeigt — den größten Teil des wesentlichsten Schrifttums zu Rate zog. Die Satsuma-Wirren (ab S. 185) und die Haltung Japans in Korea, bis Notwende eintrat, sind mit großer kulturpolitischer Gerechtigkeit dargestellt. 112 Ein Durchblättern der angegebenen Abschnitte in „Dai Nihon", oder der „Geopolitik der Selbstbestimmung in Siid-
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ostasien" genügt] um Weltkundige zu überzeugen, daß sich der •Entwicklungsgang von 1939—1942 in großen Zügen schon in den drei letzten Regieruftgsjahren des Meiji-Tenno, allerspätestens aber von der Konferenz von Washington an voraussehen ließ, wofür in beiden Büchern der gedruckte Nachweis vorliegt. 113 Eine Aufzählung der Lehren und Schriften des Buddha, des Meisters Kung und wohl auch Laotses, Zarathustras, der Veden, der Evangelien und des Islam dürfte das Zitat der „Asia Ghikai" von vor 33 Jahren unangreifbar machen. 114 Für die Russen dürfte das Zeugnis von Arsenjew, General Unterberger, einem der hervorragendsten Kolonisatoren im russischen Fernen Osten, und persönliche Äußerungen von Mitgliedern der Stäbe in Wladiwostok und Chabarowsk an den Verf. genügen. Das Zeugnis von Arsenjew liegt in seinem Buche: Wladimir K. Arsenjew: Russen und Chinesen in Ostsibirien, übersetzt von Franz Daniel vor (Berlin 1926, Scherl). Die Jüngsten der Japaner stehen in den Arbeiten von Gustav Fochler-Hauke (a. o.) über die Mandschurei und von Martin Schwind über Karafuto (a. o.) und den japanischen Wanderdruck, auch in ähnlichen Arbeiten d. Verf. 115 Man vergleiche darüber nur etwa die bitteren Auslassungen der Frau Marschallin Tschiangkaischek in „New York Times Magazine", wie sie die Neue Züricher Zeitung wiedergibt: Offene Worte aus Tschungking, 28. 4. (W. B. aus Tschungking): Ein ungewöhnlich freimütiger Artikel unter der Überschrift: „Wird das Licht aus dem Osten kommen?", aus der Feder der Gattin Marschall Tschiangkaischeks im „New York Times Magazine" wird in Tschungking in chinesischen und ausländischen Kreisen lebhaft besprochen. In dem Artikel heißt es u. a.: „Während der letzten drei Monate war das chinesische Volk mit ungläubigem Erstaunen Zeuge des Schauspiels, das die Armeen der Westmächte boten, indem sie die Waffen streckten vor der — wie sie erklärten — überlegenen Macht Japans. Diese Erklärung ist China unverständlich. In den vergangenen fünf Jahren gibt
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es keinen Fall, in dem sich chinesische Truppen dem Feinde ergeben hätten. [ ?] Die Verwaltungsbeamten'der indischen Regierung mögen von den besten Absichten erfüllt sein und aufrichtig wünschen, Indien in einer entschlossenen Kriegsanstrengung zusammenzufassen. Aber sie können nichts Grundlegendes erreichen ohne einen radikalen und drastischen Wechsel in ihrer gegenwärtigen Politik gegenüber Indien und ihrer Anwendung auf das indische Volk. Was nun über die Zukunft? Der Westen muß seine Ideen über den Osten revidieren. Wir in China müssen dementsprechend umlernen. In der Völkergesellschaft, die wir schaffen wollen, darf es den Gedanken von Völkern höherer und solchen niedrigerer Ordnung nicht mehr geben. Alle Männer und Frauen aller Rassen, die vorwärts streben zu einem großen Ideal, müssen gleichberechtigt sein. Der Osten sowohl wie der Westen machten den sinnlosen Versuch, sich selbst zu genügen. Es ist nicht gelungen, und es konnte nicht gelingen. Jeder muß annerkennen, daß der andere ihn etwas lehren kann. Wir hoffen, daß der Westen jetzt den Wert der seelischen Stärke Chinas kennengelernt hat, der uns im dunkelsten Augenblick aufrecht erhielt. Wir in China lernten den Wert der wissenschaftlichen Entwicklung des Westens kennen. Laßt uns, Ost und West, jeder auf seine Art, seinen Beitrag leisten zu dem gemeinsamen Schatz von kulturellen, geistigen und wissenschaftlichen Leistungen, die den wahren Reichtum der Welt darstellen." Indem sie die größten Weisen Chinas erwähnt, schließt die Gattin Tschiangkaischeks ihren Artikel mit der Forderung, „daß eine vollständige Revision unserer Ideen gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Wertschätzung zwischen Ost und West herbeiführe". Der Artikel wird von der chinesischen Presse allgemein gebilligt, in den ausländischen Kreisen aber mit Überraschung aufgenommen. Er ist zweifellos eine außerordentlich bedeutsame Kundgebung, von der man glaubt, daß sie große Auswirkungen haben werde. Neue Züricher Zeitung, 28.4. (London-Korr.): Der Artikel aus der Feder der Gattin Marschall Tschiangkaischeks im
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„New York Times Magazine," über den die englische Presse nichts veröffentlicht, hat in den chinesischen Kreisen Londons wie in der chinesischen Presse den stärksten Widerhall gefunden. Die auf Rassenunterschiede gegründete Überheblichkeit wird allgemein als der Geist, den es zu überwinden gelte, angegriffen. Dabei wird kein Blatt vor den Mund genommen bei der Kritik des Verhaltens der Europäer im Zeitalter des Imperialismus. Aber hier stößt diese Kritik durchaus auf die Zustimmung aller Kreise, denen es mit den Worten „Demokratie" und „Freiheit" ernst ist, und sie repräsentieren wohl die Mehrheit des englischen Volkes. Anmerkungen zu I X 118
In jener Reichstagsrede hatte Graf Komura darauf hingewiesen, daß Japan zwischen der Raumwucht und den Menschenzahlen Chinas, Rußlands und der U.S.A. zur Verkümmerung verurteilt sein werde, Wenn es nicht gelänge, in naher Zeit Lebensraum für wenigstens 100 Millionen Japaner zu gewinnen und den letzten rassenverwandten Mann unter dem Sonnenbanner, zu vereinigen. Im Jahre 1941 wurde Japan zum Ausbrechen aus einer wirtschaftlichen Einkreisung genötigt mit einem Menschenbestand im eigenen Reich von 105 Millionen und einem verbündeten Kaiserreich von 45 Millionen an seiner Seite und führte seinen Feldzug zur Befreiung Großostasiens über mehr als das Doppelte des eigenen Staatsgebiets zu Kriegsbeginn an der Spitze eines Blockes von mehr als hundert weiteren Millionen südostasiatischer Rasseverwandten und etwa 120 Millionen Chinesen der Wangtschingwei-Regierung hinweg. Welche Voraussicht lag in jener Rede eines Staatsmannes, der von sich sagen konnte, daß er buchstäblich im Dienste des Vaterlandes verzehrt worden sei. Graf Komura (1855 bis 1911) starb zwei Jahre nach dieser Rede, die an das Auftreten des sterbenden Pitt im britischen Unterhaus erinnert.
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Rudolf Kjellén: Die Großmächte und die Weltkrise (a. o.). S. 166 „In der Tat zeichnet sich der „Zweifrontenkrieg" ebenso klar am Gesichtskreis Japans ab wie an dem früheren Deutschlands . . . bis . . . so möchte man zweifeln, ob ein friedliches Verhältnis zwischen den beiden Großmächten aufrechterhalten werden kann, die den größten Abstand der Lebensanschauüngen darstellen und zugleich die einzigen sind, die niemals die Prüfung einer Niederlage erfahren haben." ff. 118 Weltpolitische Bücherei, Band 21, Karl Haushofer: „Geopolitik der Pan-Ideen". Berlin 1931, Zentralverlag mit Schrifttumsnachweisen und Karten. 118 Benoy Kumar Sarkar: The Futurism of Young Asia. Berlin 1921, Julius Springer, mit Übersicht über die panasiatischen Ziele. N. J. Danilewski: Rußland und Europa. Stuttgart und Berlin 1920, Deutsche Verlagsanstalt. Die Panslavisten-Bibel. Huang Fu (General) ¿,Panpacific" North China Herald v. 5. 5-1928. Stoddard, Lothrop: „The New World of Islam", New York 1928. Taylor, Griffith: Australia in its physiographic and economic aspects 1925, oder „The Evolution of a capital" Roy. Geograph. Soc. Journal X L I I I , S. 378 und 536, mit kürzester Darstellung der Grundlagen von Panaustralien, die Schriften von Mahan und Brooks-Adams für das Werden des Pan-Amerikanismus sind solche Beispiele. 120 Ewald Banse: „Geographie", Petermanns Mitteilungen 1912, Bd. I, Taf. 1 gibt eine Karte seiner vierzehn Erdteile. 121 Colin Roß: Das Meer der Entscheidung, dann handschriftlich: „Wo beginnt Afrika", zeigt Versuche des bekannten Weltreisenden, zu neuen Erdteilauffassungen durchzustoßen. Weitere Ansätze dazu lassen sich aus den Schrifttumsnachweisen zur „Geopolitik der Pan-Ideen", dann den Verhandlungen der panasiatischen und panpazifischen Kongresse entnehmen, deren Anfänge dort nachgewiesen sind.
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Wortlaut dieses Berichts bei G. E. Uyehara (a. o.) und Longford (a. o.). 123 Belege u. a. in Dai Nihon (a. o.) im Abschnitt „Zug nach Süden"; Vorklänge der 1942 eingetretenen Entwicklung Australiens und Neuseelands zu den U.S.A. hin, die in einem Südpazifik-Oberkommando der U.S.A. ausmündeten: eine kulturpolitisch längst im Gange befindliche Entwicklung! „Hat Deine Mutter auch so schöne Schiffe?" — „Ich weiß nicht, ich habe sie nie gesehen", fragt lange vor 1941 ein junger Amerikaner einen Australier! 124 Aus der uferlosen Literatur seien etwa genannt: Juri Semjonow: Die Eroberung Sibiriens. Roman eines Landes. Berlin 1937, Ullstein, jetzt Deutscher Verlag, mit 40 Tafeln und 8 Karten, oder B. Doliwodobrowolskii: Tichookeanskaja Problema (Russisch), Moskau 1924, mit sehr bezeichnender Schrifttumsangabe von S. 222—229. 125 Semjonow (o. a. o.): S. 360—376 über Murawiews Dank für die Sicherung der Amurstellung und von Wladiwostok von 1850—1861. 128 Vgl. z. B. Mackinder: The geographical pivot of history. London 1904; Roy. Geogr. Soc. Journal. Dort, und in vielen anderen Veröffentlichungen wurde das gemeinsame Interesse der ozeanischen Mächte, der Inselreiche in den Vordergrund gestellt. Als Japan seine Flotte entwickelte, las man's anders, und die „Rassenschranken" wurden aufgerichtet. 127 Näheres über die Hawaiifrage mit Literaturangaben in der „Geopolitik des Pazifischen Ozeans" d. Verf. 3. Aufl., Heidelberg 1938, Index S. 322. 128 Bei der romanhaften Behandlung des transpazifischen Krieges führte unzweifelhaft Admiral Bywater. Dahinter stand aber doch der Ernst seestrategischer Auffassungen, wie sie Mahan zuerst in großem Stil umrissen, dann Admiral Sir Reginald Custance (A study of war; LondonBombay-Sidney 1924, Constable) von Mahan wegentwickelt hatte, während Bywater in „The Great Pacific War" 1931—33 — er täuschte sich um ein Jahrzehnt! — dann 15
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in „Navies and Nations", London 1927, wieder mehr auf die weitausgreifende Seekriegslehre zurücklenkte. Zahlreiche Schrifttumsangaben finden sich in der „Geopolitik des Pazifichen Ozeans" (a. o. a.). 129 Anhalspunkte dafür gab unter anderem des Verf. jahrelanges Verfolgen der an sich durchaus indisch-national eingestelltenZeitung „Amrita Bazar Patrika", aus der besonders kennzeichnende Leistungen zeitgerecht in den Berichten aus dem indo-pazifischen Raum der „Zeitschrift für Geoplitikc< veröffentlicht wurden. Fortlaufend seit 1924 — Heidelberg, Kurt Vowinckel-Verlag. 130 Dr. Martin Schwind: Deutsche sehen Japan. B. G. Teubner 1943, Adolf Freitag: Die Japaner im Urteil der Meiji-Deutschen (a. o. a.). 131 fällt aus. 132 Ferdinand von Richthofen: Japan-Tagebuch, herausgegeben vom Ferdinand v. Richthofentag (a. o. a.). 133 Otto Schmiedel: Die Deutschen in Japan. Leipzig 1920, K. F. Koehler. Vgl. auch: Nippon, ein Überblick. Tokyo 1937, Nippon Dempo Tsushinsha — das ganz gewiß zu seiner Zeit dem Zusammenwirken von Japan und Mitteleuropa ausgezeichnet präludierte, und namentlich im siebenten Kapitel seiner Kulturabteilung: Deutsch-Japanische Beziehungen wertvolle Winke für kulturpolitische Zusammenarbeit überhaupt enthält, und geradezu die Aufforderung, ein Handbuch der Kulturpolitik überhaupt zu schreiben, für das sich nach und nach weltüber die nötigen Grundlagen zusammenfinden, das die Nachkriegswelt in allen ihren Hauptsprachen dringend nötig hätte, um frei von unlauteren Gängelungen zu werden. Hier liegt eine Forderung und eine Aufgabe für die Kriegsjahrgänge Großdeutschlands, Italiens und Japans für Großostasien . . . „Lest we forget." Anmerkungen zu X. 134
Haarspaltende Geschichtsforschung kann natürlich offen lassen, ob nicht der Bericht des Kapitäns Jorge Alvarez von
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1547) a u f Wunsch von Franz v. Xavier in Malakka verfaßt, und 1548 von diesem an seinen Ordensgeneral Ignatius von Loyola gesandt, zunächst ein Gegenstand politischer Umwertung gewesen sei. Der kirchliche Gebrauch, auch noch bei Schurhammer: Shinto, Bonn und Leipzig 1923; Kurt Schroeder, S. 4 zeigt aber, daß dieser erste Bericht, wie auch die späteren, dort erwähnten in den Bereich der religiösen Umwerbung kulturpolitisch gehört. 135 Die Bemerkung bei M . H. Murray Walton und M . S. Murao in „Japan and Christ", London 1928: „es werde etwa 10000 Jahre dauern, bis Japan nach dem gegenwärtigen Tempo des Fortschritts christlich werde" lenkt die Aufmerksamkeit auf die statistisch sehr schwer in ihrem wirklichen Wert erfaßbaren Bekennerzahlen ostasien- und indien-fremder Weltanschauungen und Religionen oder gar Konfessionen innerhalb der drei alten Hochkulturen des indo-pazifischen Raumes. Die Japanische Verfassung gewährt (vgl. Matsunami: Constitution of Japan, Tokyo 1930, Maruzen Kap. X I , S. 95). Freiheit der religiösen Meinung, Art. 28 — aber selbstverständlich unter der Forderung der Ungefahrlichkeit gegenüber Kaiser und Reich und ihren Daseinsgrundlagen, zu denen auch die strikte Aufrechterhaltung des Staatsmythos gehört. S. 96 bei Matsunami ist geradezu eine magna Charta des religionspolitischen Takts. 139 So der Wortlaut von F. R. Schäfer in „Japan-Handbuch", Berlin 1941, Steiniger Verlage. Dort sind 302876 Christen (1933) genannt, bei Matsunami 270000, bei andern reichen die Zahlen an eine halbe Million! 137 P. Louis Frois, S. J . : Die Geschichte Japans. Leipzig 1926, Asia Major übersetzt und kommentiert von G. Schurhammer und E. A. Vorretzsch. G.' Schurhammer S. J . : Shinto, Bonn-Leipzig 1923, Kurt Schröder. Durchgehender Zug., 138 Wiederholt erwähnt und dort belegt in: K . Haushofer: Alt-Japan. Göschen 1120, Berlin-Leipzig 1938, Walter de Gruyter. Die ersten Versuche fanden schon in Yamato, in 15'
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der Narazeit, statt, wiederholten sich immer wieder und dürften endgültig mit dem Sturm Ota Nobunagas auf die Hieisan-Klöster beendigt worden sein. 139 K. Kanokogi: „Der Geist Japans", herausgegeben vom Japaninstitut in Berlin. Leipzig 1930, Asia Major (Dr. Bruno Schindler, S. 148®.). 140 W. Gundert: „Japanische Religionsgeschichte". Japanisch-Deutsches Kulturinstitut, Tokyo. D. Gundert-Verlag, Stuttgart 1930. Einleitung. 141 Ebenda, S. 181, die milde Beurteilung auch der dem Verfasser widerstrebenden Züge an der Arbeit von Kakehi Katsuhiko über die große Bedeutimg des alten Shintoismus. Man vergleiche sie etwa mit der herben Selbstkritik des Bischofs von Kalkutta (Times 20. 4.1942) in seinem Schreiben an die britische Gemeinde: „Unser größter Fehler ist die anmaßende Auffassung . . . sie beruht auf Mangel an Kenntnis und Würdigung der Kultur und Zivilisation des Ostens . . . diese Anmaßung führt uns dazu, Traditionen, Sitten und Gebräuche, die von unsern abweichen, als tieferstehend zu betrachten, lediglich, weil sie uns fremd sind"... oder mit den scharfen religionspolitischen Wendungen gegen die starre Selbstüberhebung der protestantischen Episkopalkirche bei Kipling (z. B. in „Kim"). 142 fällt aus. 143 G. Kato: „A Study of Shinto, the Religion of the Japanese Nation." Tokyo 1926. 144 Emil Schiller: Shinto, die Volksreligion Japans. Berlin 1 9 1 1 ; dazu Aston, Chamberlain, Florenz, de Visser, Terry, etwa noch Lowell. 145 George Schurhammer: Shinto. Bonn und Leipzig 1923, Kurt Schröder. Deutsch und englisch nebeneinander im Text, 12 bunte, 102 schwarzweiße Abbildungen. Anmerkungen zu X I 146
Wehrgeopolitik im Pazifischen Ozean. Wie der große Friedensozean (Taiheiyo) zum Kriegsschauplatz wurde. Mit 1 Karte. Petermanns Geographische Mitteilungen 1942, Heft 1.
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Dazu als Standwerk Gerhard Schott: Geographie des Indischen und des Stillen Ozeans. Hamburg 1935, Boysen und ergänzend: Prof. Dr. Hermann Lautensach, Greifswald: «Die amtlichen japanischen Kartenwerke", mit einem bezeichnenden Kartenausschnitt und Indexkarte, in Petermanns Geographischen Mitteilungen 1942, Heft 1 — wo gezeigt wird, auf welcher intensiven Kulturarbeit die Wehrleistung des Japanischen Reiches auch vom kartographischen Gebiet her beruht. Vgl. auch Zeitschrift für Geopolitik, Januarheft 1942. 14 ' Carl Hagemann: Spiele der Völker: Eindrücke und Studien auf einer Weltfahrt nach Afrika und Ostasien. Berlin 1919,' Schuster und Löffler, widmet Japan für das No, die klassische Schaubühne der Japaner, Japanische Tanzstücke und vieles andere, die Seiten von 175—394 aus der richtigen Erkenntnis, daß der Zustand des Theaters im besonderen, der Spiele und des Sports der Völker im allgemeinen ein nicht nur kulturpolitischer Barometer ersten Ranges ist. Im Zusammenhang damit könnte scheinen, als ob bei diesem gedrängten Entwurf einer Kulturpolitik der werbenden Kraft von Kunst und Kunstgewerbe zu wenig Raum gewidmet worden sei. Das hängt damit zusammen, daß Japan selbst erst verhältnismäßig spät gelernt hat, sich der werbenden Kraft seiner Kulturleistungen auf diesen Gebieten im Ausland zu bedienen, und damit der Stimmen der verlässigsten Interpreten, die es durch ihre Liebe für diese Seite des echt japanischen Wesens gewonnen hatte. 148 Um sich über die Schwankungen in der Beurteilung der Kulturwelt gegenüber so herben Sitten, wie Seppuku (Harakiri) und Junshi (Freitod durch Leiböffnen, um der Ehre und Gefolgschaftstreue willen) ganz ins Bild zu bringen, ist es zweckmäßig, etwa die Schilderung der 47 Ronin im Band 1 der Midzuho-gusa (Segenbringende Reisähren) von Junker von Langegg (Leipzig 1880, Breitkopf und Härtel), bei Lord Redesdale (Tales of Old Japan, London 1906; Macmillan),oder Mitford, die herbe und nüchterne Schilderung
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der beiden amtlichen Entleibungen bei v. Brandt, 33 Jahre in Ostasien und die gehobene Darstellung, bei Rolf Italiaanders Ronin, oder in seinem kulturgeschichtlichen Japanbuch (beide im Druck) zu vergleichen. Im letzteren wird auch der werbenden Seiten in der jüngsten Entwicklung von Musikleben, Film, Presse, Architektur besonders gedacht, so daß sich diese mehr absolute Kulturpolitik und Rolf Italiaanders Werke wesentlich ergänzen dürften (Mitteil, von Rolf Italiaander.) 149 Für diese Auffassung darf auf die fortlaufende Berichterstattung in der Zeitschrift für Geopolitik aus dem indopazifischen Raum als Beleg hingewiesen werden. 150 Das Buch von Nohara mit seiner berechtigten Verspottung des Schlagwortes von der „Gelben Gefahr", die er auf eine späte Nachwirkung des Mongolenschrecks über Europa zurückführte, war eine verdiente Strafe des Abendlands; umgekehrt malte „The Problem of Japan" by an Ex Counsellor of Legation in The Far East, Amsterdam-Rotterdam 19x8, Publ. by C. L . van Langenhuysen den Teufel an die Wand, auf dessen Berücksichtigung Niederländisch-Indien wirklich Zeit hatte sich einzurichten: auf Kompromiß und Zusammenarbeit oder Abwehr — aber eines von beiden. In dem Schlußabschnitt auf S. 226: „Clouds are gathering over Japan, black with evil portent. . . " lag manche Wahrheit, aber doch auch eine Schicksalskündung, die gewiß so viel Bedeutung für Indonesien, wie für Japan hatte. Auch was H. Roos, H. J. Paris, Amsterdam über „Japan in den Grooten Oceaan" mit vielem Schrifttumsnachweis schrieb, konnte warnen. 151 Botschafter von Dirksen über* 3i Mächtegruppierungen in Ostasien, ihre Grundlagen, Ziele und Möglichkeiten'1 Berlin, 2. 2.1924. Er zeigte eigentlich klar den ehernen Schicksalsweg, auf dem Kulturpolitik durch Wirtschaftsdruck zur Machtpolitik genötigt wurde — im Grunde, weil die Haves die Lebensnotwendigkeiten der Havenots nicht begreifen wollten, und lieber eine Weltexplosion herbeiführen, als ihnen maßvoll Rechnung tragen.
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„Unser Vaterland Japan. Ein Quellenbuch geschrieben von Japanern." Deutsch. Leipzig 1904, E. A. Seemann. Mit einer gedankenreichen, kulturpolitisch damals im höchsten Grad zweckbestimmten Einleitung von Alfred Stead. Es war ganz gewiß nur die Einsicht in höchste kulturpolitische Notwendigkeit, die Männer, wie Feldmarschall Yamagata, Oyama und Saito, auch den vorsichtigen Matsukata zu solchem Hervortreten brachte; leichter waren schon Beiträge, wie die von Ito, vor allem von Okuma, auch Nitobe über seine Lieblingsgegenstäride (Bushido) zu gewinnen, oder die großen Wirtschaftsführer. Jedenfalls kam eine erste Selbstdarstellung Japans vor der Weltöffentlichkeit durch seine ersten Fachmänner zustande. 153
Das Große daran ist aber, daß im Augenblick einer kulturpolitischen Notwendigkeit alle inneren Reibungen zurücktraten und das Zusammenspannen eben, wie der gemeinsame Band bewies, möglich war. 154
Über diese Einordnungsmöglichkeit, die einerseits aus der tausendjährigen Denkgewohnheit der Samurai in den Bahnen des von Yoritomo Minamoto zuerst festgelegten Bushido entsprang, andererseits aus der Denkweise, die die Erneuerung derTenno-Gewalt und des Shinto herbeigeführt hatte. Vgl. bei Giselher Wirsing: Köpfe der Weltpolitik, München 1934, Knorr & Hirth, das Lebensbild von Sadao Araki, S. 98, wo die Kulturlinie des japanischen Wehradels begründet ist. 156
Dr. Martin Schwind in Zeitschrift für Geopolitik, 1942, Heft I I I , mit aufschlußreichem Diagramm über die japanische Wanderdynamik. 158
Der denkwürdige Satz von Ferdinand von Richthofen: „Nie ist bei einem Volk so unvermittelt latente Energie in kinetische umgewandelt worden", ist deshalb vom Verf. seiner Studie: „Das Japanische Reich in seiner geographischen Entwicklung", Wien 1921, L . W. Seidel & Sohn, die Erich von Drygalski gewidmet ist, vorausgestellt worden. Der Ausspruch ist 1900 getan worden. Konnte wirklich eine Wiederholung eines solchen Ereignisses innerhalb des-
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selben Raumes, vom gleichen Blut und Boden her bestimmt, nur von so wenigen vorausgesehen werden? Mißtrauten doch selbst im verbündeten Mitteleuropa Viele kleinmütig der Möglichkeit der Wiederholung dieses Wunders, zu dem die Kulturpolitik der Macht und Wirtschaft die Treibladung gab. 167 An dieser Stelle muß rühmend des Buches von O. Franke, Ostasiatische Neubildungen, Hamburg ' 1 9 1 1 , C. Boysen gedacht werden, aber auch der Geschichte Ostasiens von F. E. A. Krause, Göttingen 1925, Vandenhoek & Ruprecht, die wirklich verhindern konnten, daß sich die ganz imbegründete abendländische Auffassung von der Unbewegtheit der in Wahrheit von einer wilden Dynamik erfüllten Geschichte Ostasiens immer noch als Fossil erhielt. 158 Franz von Eickstedt: Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit, Bd. I, S. 626, neben vielen anderen kulturpolitisch bedeutsamen Stellen. Anmerkungen zu X I I 169
Umriß Großostasiens, wie.es zunächst als Wunschziel bestand, in der Vorsatzpapier-Karte des Werdegangs von Japans Raumpolitik in K. Haushofer: „Japan baut sein Reich". Berlin 1941, Zeitgeschichte-Verlag. Der Raum ist nunmehr in Birma und Midland, dann gegenüber den U.S.A.-Flugstützpunkten der Gilbert-Inseln überschritten worden, sonst hat sich Japan ausfüllend an ihn gehalten. 1,0 Bestimmte kaiserliche Erlasse im Stil des Erziehungserlasses sorgten für korrekte Einhaltung der Kriegsbräuche in bester Form. Erziehungs- und Wehrerlaß finden sich u. a. englisch im Anhang zu J. H. Longford: Japan, London 1923, Hodder and Stoughton, S. 311—316. Den Erziehungserlaß habe ich deutsch in „Dai Nihon", Berlin 1913, E. S. Mittler, auf S. 61 und 62 übersetzt und im Abschnitt: „Die neue Saat der nationalen Erziehung" erläutert. 161 Gedächtniskatalog der Ausstellung Altjapanischer Kunst, Berlin 1939, I. und II. Band. Herausgegeben vom Japani232
sehen Ausschuß für die Berliner Ausstellung Altjapanischer Kunst, Otsuha Kogeisha, Tokyo, mit Geleitworten von Herbert v. Dirksen, Marquis Okubo und Vorwort von Generaldirektor Kümmel, dessen kulturpolitischer Geist zusammen mit den Manen unseres gemeinsamen Freundes Ernst Große über dieser Veranstaltung edelster Kulturpolitik schwebte. Wer die Ehre und Freude hatte, verständnisvolle deutsche Träger kulturpolitischer Zusammenarbeit mit Japan durch die Wunderwelt dieser Ausstellung zu führen, wird niemals vergessen, an die oberste Ebene der Kulturpolitik die höchsten Anforderungen zu stellen, weil sie sich dort mit Hochzielen der Menschheit begegnet. 162 Unter den vielen Nachdichtungen japanischer Originale heben sich die von Rolf Italiaander, namentlich die unter der Presse befindliche der 47 Ronin, durch ihre Formschönheit und ihre Ehrfurcht vor dem Heroischen heraus, auf einem Weg, auf dem Florenz rühmlich vorausschritt. 1.3 Das „Japan-Handbuch". Nachschlagewerk der. Japankunde. Berlin 1941, Steiniger-Verlage im Verlag Reimar Hobbing, im Auftrage des Japaninstituts Berlin, herausgegeben von Prof. Dr. M . Ramming dürfte nicht nur als Nachschlagewerk benutzt werden, als welches sein Zweck natürlich in einer bestimmten Richtung auch vollkommen erfüllt wird, sondern durch Lesen seiner einzelnen biographischen und sachlichen Perlen als Fundgrube zum persönlichen Einleben in die Strahlungen deutsch-japanischer Kulturpolitik, deren Saaten jetzt im Aufgehen sind, aber dort noch in ihren Furchen verfolgt werden können. . 1.4 So in „Dai Nihon", Berlin 1913, E. S. Mittler & Sohn, Betrachtungen über Groß-Japans Wehrkraft, Weltstellung und Zukunft im Abschnitt I V : Persönlichkeit, Familie und Staat im Übergangszeitalter, wo die Volksvertretung als geringste effektive Kraft und Frontornament gezeichnet wurde (S. 85). 1.5 Dem Aufsatz in der Frankfurter Zeitung vom 27. 3. 42 kann meine persönliche Erfahrung und öffentliche, wie vertrauliche Information nur zustimmen. Deshalb ist, was mir an seinem Inhalt wesentlich schien, im Wortlaut gebracht. 16
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N. Matsunami: „The Constitution of Japan", Tokyo 1930, Maruzen ist voll feiner, staatsrechtlich und völkerpsychologisch vergleichender Pointen, und beginnt schon, was vielleicht dem normalen Rechtsdenken des Abendlandes gegen den Strich geht, zunächst mit einer geopolitischen Betrachtung des Inselreichs, um seine kulturpolitische Eigenart klar zu machen, ehe überhaupt auf seinen rechtlichen Charakter eingegangen wird. 1,7 Radhakamal Mukerjee: Democracies of the East. A study in comparative politics. London 1923, P. S. King & Son. So kurz die Betrachtungen über Japan z. B. auf S. 183 sind, so zeigen sie doch, daß der Inder mit feinem Ferngefühl den staatssozialistischen Grundzug der japanischen Hieromonarchie erspürt mit seinem ,Appell an das soziale Temperament und die Gewöhnung der Rasse". Er versteht gerade aus indischen Gedankengängen heraus vollkommen, warum damit die frühe japanische Auffassung vom Tenno als göttlicher und mystischer Erscheinung als oberste und letzte Autoritätsquelle vereinigt und sogar gesteigert werden konnte. „Die Japaner, obwohl sie die Sitten der Samurai aufgaben, haben doch immer mit Stolz ihren Geist aufrechterhalten und die Bushido-Ritterlichkeit ist eine mehr als zwingende Gewalt im neuen J a p a n . . . " So wörtlich der Inder an der Spitze sehr interessanter Ausführungen, bei denen doch wieder für Japan nicht zutreffende indische Vorstellungen vom Wünschenswerten des Panchayat-Systems dazwischentreten, deren letzte Folgerungen Indien durch schwere bolschewistische Erfahrungen fuhren könnten. 168 Ganz gewiß hat Inazo Nitobe (1863—1923) mit seinem „Bushido", deutsch Magdeburg 1937 und seinen sonstigen Schriften, wie seiner kulturpolitischen Vortragstätigkeit ein großes Verdienst um die Erhaltung der alten Ritterschaftsgesinnung des japanischen Wehradels in einer neuen, dem Weltbewußtsein mundgerecht gemachten Form, ebenso wie Kano für die Weltgeltung des Jujitsu, an dessen Erhaltung Erwin v. Baelz große Verdienste hat. 234
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Angesichts der Zerstörungen in Rangun und Mandalay durch die verbündeten britischen und Tschungkingtruppen ist es doppelt nötig, für die ganze kulturpolitische Einstellung Südostasiens an die durchaus berechtigten Gewissensbedenken zu erinnern, die ein Buch von der Eigenart H. Fielding Halls: The soul of a people, London 1906, Macmillan, durchziehen, oder die einen Mann wie J. A. Spender bewogen, in seinem Buch: The changing East; London, Toronto; Melbourne und Sidney 1926; Cassell die bitteren Stellen über „Prestige" S. 230—232 zu schreiben. 170 Der Sturm über Asien, den Filchner an ganz anderer Stelle als möglich schilderte, ist zunächst als Randwirbelsturm rings um die Monsunländer losgebrochen, und wer immer ihre hohen Kulturwerte kennt, hat in Asien, wie Europa Sorge genug, das Unersetzlichste aufrechtzuerhalten In dieser Richtung hat Japan seinen Sendungsglauben; ihm dienen die Werkzeuge der Kultur wie die der Macht und der Wirtschaft; wer sie aber in ihrem Verhältnis zur Vergänglichkeit alles Zeitlichen kennt, der weiß, daß die Werke der Kultur am längsten für die Zeugnis ablegen, die sie tragen.
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