Jahrbuch für Volksliedforschung: 11. Jahrgang 1966 [Reprint 2020 ed.] 9783112321133, 9783112309988


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German Pages 178 [184] Year 1966

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Table of contents :
Inhalt
I. AUFSÄTZE
Variabilität. Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen
Zur Geschichte der Handschrift des Lochamer-Liederbuches im 19. und 20. Jahrhundert
Die Hauptformen des Hochseeshantys
Mariä Wanderung. Überlieferung und Geschichte eines geistlichen Volksliedes (mit 17 Melodiebeispielen)
Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst
Maria und die Turteltaube. Ein Gottscheer Volkslied
Die Ballade vom Jäger aus Griechenland
Ein unbekannter Holzschnitt mit dem Liede von Marlborough
Zur Geschichte einer französischen Volksliedmelodie
II. BERICHTE
Gottscheer Volkslieder.
Volksliedforschung in Rumänien
III. BESPRECHUNGEN
WULFFEN, B. v.: Der Natureingang in Minnesang und frühem Volkslied, München 1963
HENSEL, W.: Auf den Spuren des Volksliedes, Kassel und Basel 1964
RÖHRICH, L. und BREDNICH, R. W.: Deutsche Volkslieder Bd. I: Erzählende Lieder, Düsseldorf 1965
MORIK, W.: Johannes Brahms und sein Verhältnis zum deutschen Volkslied, Tutzing 1965
STROBACH, H.: Bauernklagen, Berlin 1964
SCHLOMKA, H.: Das Brauchtum der Jahresfeste in der westlichen Altmark, Köln und Graz 1964
FISCHER, H.: Volkslied — Schlager — Evergreen, Tübingen 1965
KAISER, B.: Echte und falsche Moritaten, Berlin 1962
KÜHN, M.: Macht auf das Tor! Alte deutsche Kinderlieder, Königstein 1965
REITER, M.: Egerländer Tanzweisen, Geislingen 1963
DIE STRASSE. Liederblätter deutscher Jugend. Folgen 1—132, Heidenheim 1962—1964. SILBERSPRING. Lieder des Zugvogel, Heft 1—4, o. O. u. J.
ABRAHAMSEN, P. and DAL, E.: The Heart Book, Copenhagen 1965
KUMER, Z.: Baiada o nevesti detomorilki, Ljubljana 1963
HUNTINGTON, G.: Songs the Whalemen Sang, Barre/Mass. 1964
STRACHWITZ, C.: American Folk Musik Occasional No. 1, Lübbecke 1965
RADOLE, G.: Canti popolari istriani, Firenze 1965
AMZULESCU, A. I.: Balade populäre rominesti, Bucuresti 1964
JÄRDÄNYI, P. und KERENYI, G.: Ungarische Volksliedtypen I—II — Volkstümliche Lieder, Budapest 1964
DOCUMENTA BARTÓKIANA 1—2, Budapest 1964
LÜDEKE, H.: Neugriechische Volkslieder Teil 2, Athen 1964
POLLOK, K.-H.: Studien zur Poetik und Komposition des balkanslawischen Volksliedes I. Das Liebeslied, Göttingen 1964
RAD KONGRESA FOLKLORISTA JUGOSLAVIJE Bd. 7—9 (Kongreßjahre 1960—1962) 1961 ff
NARODNA UMJETNOST Jahrgang 1—2, Zagreb 1963—1964
SIROVÁTKA, O.: Lidové balady na Slovácku, Uherské Hradisté 1965
STOIÑSKI, S. M.: Piesni zywieckie, Krakow 1964
KREjCí, P.: Pojizerské a podjestédské písné a tance, Liberec 1963
VALAST'AN, B.: Cigánske spevy a tance, Praha und Bratislava 1963
RUBIN, R.: A Treasury of Jewish Folksong, New York 1964
Mitarbeiterverzeichnis
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Jahrbuch für Volksliedforschung: 11. Jahrgang 1966 [Reprint 2020 ed.]
 9783112321133, 9783112309988

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JAHRBUCH FÜR VOLKSLIEDFORSCHUNG Elfter Jahrgang

JAHRBUCH FÜR VOLKSLIEDFORSCHUNG

Im Auftrag

des Deutschen Volksliedarchivs herausgegeben von

Rolf Wilh. Brednich

Elfter Jahrgang

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO • B E R L I N vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

1966

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Archiv-Nr. 4629 67/1 © Copyright 1967 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. — Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen upd Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30

INHALT I. AUFSÄTZE HERMANN STROBACH Variabilität. Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen

Seite

1

CHRISTOPH PETZSCH Zur Geschichte der Handschrift des Lochamer-Liederbuches im 19. und 20. Jahrhundert

10

HANS-JÜRGEN WANNER Die Hauptformen des Hochseeshantys (mit 4 Melodiebeispielen). . .

26

ERNST HILMAR Mariä Wanderung. Überlieferung und Geschichte eines geistlichen Volksliedes (mit 17 Melodiebeispielen)

37

JOSEF DE COO Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst (mit 4 Abbildungen)

58

ZMAGA KUMER Maria und die Turteltaube. Ein Gottscheer Volkslied (mit einem Melodiebeispiel) 90 B. W. E. VEURMAN Die Ballade vom Jäger aus Griechenland (mit 2 Melodiebeispielen).

98

WOLFGANG BRÜCKNER Ein unbekannter Holzschnitt mit dem Liede von Marlborough (mit einer Abbildung) 111 MARIE VELDHUYZEN Zur Geschichte einer französischen Volksliedmelodie (mit 8 Melodiebeispielen) 115

II. BERICHTE ROLF WILH. BREDNICH Gottscheer Volkslieder. Ein Vorbericht zu ihrer Gesamtausgabe . . . 1 2 3 ION TALOS Volksliedforschung in Rumänien

131

VI

Inhalt

III. BESPRECHUNGEN

Seite

WULFFEN, B. v.: Der Natureingang in Minnesang und frühem Volkslied, München 1963 (ROLF WILH. BREDNICH) 138 HENSEL, W.: Auf den Spuren des Volksliedes, Kassel und Basel 1964 (VOLKER HESS) 139 RÖHRICH, L. und BREDNICH, R. W.: Deutsche Volkslieder Bd. I: Erzählende Lieder, Düsseldorf 1965 (ERNST KLÜSEN) 140 MORIK, W.: Johannes Brahms und sein Verhältnis zum deutschen Volkslied, Tutzing 1965 (WALTER SALMEN) 141 STROBACH, H.: Bauernklagen, Berlin 1964 (ERNST KLÜSEN). . . .

142

SCHLOMKA, H.: Das Brauchtum der Jahresfeste in der westlichen Altmark, Köln und Graz 1964 (DORIS STOCKMANN) 143 FISCHER, H.: Volkslied — Schlager — Evergreen, Tübingen 1965 (WOLFGANG SUPPAN) 144 KAISER, B.: Echte und falsche Moritaten, Berlin 1962 (HERBERT SCHWEDT) 146 KÜHN, M.: Macht auf das Tor! Alte deutsche Kinderlieder, Königstein 1965 (ROLF WILH. BREDNICH) 147 REITER, M.: Egerländer Tanzweisen, Geislingen 1963 (JOSEF LANSKY) 147 D I E STRASSE. Liederblätter deutscher Jugend. Folgen 1—132, Heidenheim 1962—1964. SILBERSPRING. Lieder des Zugvogel, Heft 1—4, o. O. u. J. (ERNST KLÜSEN) 148 ABRAHAMSEN, P. and DAL, E.: The Heart Book, Copenhagen 1965 (ROLF WILH. BREDNICH) 149 KUMER, Z.: Baiada o nevesti detomorilki, Ljubljana 1963 (ROLF WILH. BREDNICH) 150 HUNTINGTON, G.: Songs the Whalemen Sang, Barre/Mass. 1964 (HERMANN STROBACH) 150 STRACHWITZ, C.: American Folk Musik Occasional No. 1, Lübbecke 1965 (WOLFGANG SUPPAN) 151 RADOLE, G.: Canti popolari istriani, Firenze 1965 (ERICH SEEMANN) 152 AMZULESCU, A. I.: Balade populäre rominesti, Bucuresti 1964 (ERICH SEEMANN) 153 JÄRDÄNYI, P. und KERENYI, G.: Ungarische Volksliedtypen I—II — Volkstümliche Lieder, Budapest 1964 (JOSEF LANSKY/WOLFGANG SUPPAN) 155

Inhalt

DOCUMENTA BARTÓKIANA 1—2, Budapest 1964 SUPPAN)

VH

(WOLFGANG

Seite

157

LÜDEKE, H.: Neugriechische Volkslieder Teil 2, Athen 1964 (WILHELM HEISKE) 158 POLLOK, K.-H.: Studien zur Poetik und Komposition des balkanslawischen Volksliedes I. Das Liebeslied, Göttingen 1964 (MAJA BOSKOVICSTULLI) 159 RAD KONGRESA FOLKLORISTA JUGOSLAVIJE Bd. 7—9 (Kongreßjahre 1960—1962) 1961 ff. (ZMAGA KUMER) 162 NARODNA UMJETNOST Jahrgang 1—2, Zagreb 1963—1964 (ZMAGA KUMER) 164 SIROVÁTKA, O.: Lidové balady na Slovácku, Uherské Hradisté 1965 (JOSEF LANSKY) 165 STOIÑSKI, S. M.: Piesni zywieckie, Krakow 1964 (JOSEF LANSKY). . 167 KREjCí, P.: Pojizerské a podjestédské písné a tance, Liberec 1963 (JOSEF LANSKY) 168 VALAST'AN, B.: Cigánske spevy a tance, Praha und Bratislava 1963 (JOSEF LANSKY) 169 RUBIN, R.: A Treasury of Jewish Folksong, New York 1964 (WILHELM HEISKE) 170 Mitarbeiterverzeichnis

172

Variabilität Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen* Von HERMANN STROBACH (Berlin) Die schöne, poetische Äußerung der Brüder Grimm, daß die Volksdichtung „aus der stillen Kraft des Ganzen leise emporgetrieben wird, die Volkslieder z. B. sozusagen von selber an- und fortgesungen werden", ist oft zitiert worden. „Über die Art, wie das zugegangen, liegt der Schleier des Geheimnisses gedeckt", schreibt Jacob Grimm, „an das man glauben soll." Das Werden der Volksdichtung wird hier mit dem Bilde natürlichen Wachsens — „leise emporgetrieben" —• erklärt. Volkspoesie ist für die Grimms Naturpoesie und diese wieder — historisch gesehen — die alte und älteste Poesie der Völker, etwas Ehrwürdiges, fast Heiliges. Seither, oder genauer gesagt seit der Jahrhundertwende eigentlich, hat eine nüchternere Philologie manche Teile des Schleiers, von dem Jacob Grimm spricht, gehoben, vor allem soweit er über dem Anfang, der Herkunft der Volkslieder liegt. Aber auch das Geheimnis ihres Lebens, wie sie sich „von selber . . . fortgesungen", geriet in den Zugriff prüfender Analyse. Beide Leistungen sind im wesentlichen mit dem Namen John Meiers verknüpft, der mit den in der positivistischen Germanistik entwickelten Methoden philologischer Textkritik an das Volkslied heranging und dessen Erforschung damit auf eine neue Grundlage stellte. Beide Aspekte, die Analyse der Herkunft und des Tradierens, erscheinen auch unmittelbar miteinander verbunden, augenfällig in dem kleinen, aber bedeutungsvollen Buch, in dem John Meier 1906 die Ergebnisse seiner philologischen und theoretischen Arbeit am Volkslied bis dahin zusammenfaßte: „Kunstlieder im Volksmunde." Eigentlicher Inhalt des Buches ist das V e r z e i c h nis von Kunstliedern im Volksmunde, d. h. eine größere Zahl von Herkunftsnachweisen. Sie werden in der einleitenden theoretischen Abhandlung fruchtbar gemacht für die Anschauung von Begriff und Wesen des Volksliedes. Wenn die Herkunft der Volkslieder nicht mehr in eine mehr oder minder mythische Ganzheit gebettet erscheint, sondern — zumindest vielfach — als individuell greifbar gilt, zu einem großen Teil sogar außerhalb des „Volkes", in der sogenannten „Kunstdichtung", dann ist sie auch nicht mehr entscheidend für den Volksliedbegriff, in dessen Zentrum vielmehr die Tradierung mit ihren Formen und Bedingungen rückt. Diese Formen und Bedingungen untersucht John Meier nach der „prinzipiellen" (d. h. begrifflichen) Erörterung in den beiden weiteren * Vortrag, gehalten am 28. April 1965 vor dem Deutschen Volkskundekongreß in Marburg/ Lahn. Jahrbuch für Volksliedforschung XI

1

2

Hermann Strobach

Abschnitten der einleitenden Abhandlung, und zwar die V e r b r e i t u n g der Volkslieder und die V e r ä n d e r u n g e n , die sie auf ihrem Lebenswege erfahren. Hier interessiert uns die letztere, ausführlichste dieser Darstellungen1. John Meier geht darin aus von der gedächtnismäßig-mündlichen Überlieferung der Volkslieder und stellt daher zwei Formen der Liedveränderungen heraus: 1. M i ß v e r s t ä n d n i s s e und H ö r f e h l e r , die entweder den Text entstellen oder Bekanntes für Unbekanntes einschieben (hier finden sich die berühmten, seither immer wieder zitierten Beispiele wie Diana—Die Anna usw.), und 2. K o n t a m i n a t i o n e n , die sich in der Form assoziativer Verknüpfungen auf Grund formaler oder stofflicher (textlicher wie musikalischer) Analogien regeln. Als Ursache für die Variantenbildung kommt hier allein die gedächtnismäßig-mündliche Überlieferung in den Blickpunkt. So bieten sich zur Ordnung der Variantenformen auch in erster Linie psychologische Prinzipien an. Die wenigen Textuntersuchungen in der deutschen Volksliedforschung, die sich ebenfalls mit dem Ganzen der Variation in einer mehr oder minder systematischen Weise befaßt haben, gehen im Ansatz und im Prinzip — zum Teil auch im verwendeten Material — kaum über John Meier hinaus2. Fruchtbarer erscheinen da viele Einzelbeobachtungen im Zusammenhang liedgeschichtlicher Analysen sowie Einzeluntersuchungen, wo sie sich von der psychologischen Blickrichtung lösen, wie z. B. Wilhelm Heiskes Aufsatz „Ständisches Umsingen im erzählenden Volkslied" 3 , der historisch-soziale Bedingungen für die Bildung von Varianten untersucht. Stets aber herrscht die Blickrichtung auf einzelne hervorstechende Züge oder sogenannte prominente Stellen der Variation vor (z. B. fremde oder veraltete Wörter, Orts- oder Personenbezeichnungen usw.), nie wird die für das Volkslied charakteristische ständige Veränderung und Unfestigkeit selbst, jene die gesamte Liedgestalt umfassende, durchgehende V a r i a b i l i t ä t der Lieder in der Volksüberlieferung analysiert. In ihrer fließenden Art und oft kaum übersehbaren Fülle erschien sie schwer greifbar und regellos. Indes ist gerade diese Variabilität — nicht in ihren Einzelzügen — aber in ihrer Richtung, ihrer allgemeinen Tendenz mit exakten Methoden auch ziemlich exakt fixierbar. Diese allgemeine Tendenz der Variabilität, und nur diesen Aspekt aus dem großen Komplex „Variation", wollen wir hier betrachten. Nehmen wir als Beispiel das sehr verbreitete, gut überlieferte Soldatenlied „Wie ist doch die Falschheit so groß in der Welt" 4 , dessen Aufzeichnungen mir fast vollständig zur Verfügung standen5. Nach den Kriterien, die bei John Meier 1

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3 4

5

John Meier, Kunstlieder im Volksmunde, Halle 1906, S. L X X V I — C X L I V : „Dichtung und Composition." H. Strobach, Bauernklagen. Untersuchungen £um sozialkritischen deutschen Volkslied, Berlin 1964 (Veröff. d. Instituts f. dt. Volkskunde Bd. 33), 367—374. JbVlf 6, 1938, 32—52. W. Steinitz, Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Bd. 1, Berlin 1954 (Veröff. d. Instituts f. dt. Volkskunde Bd. 4/1), Nr. 139, 368—384. Außer den ebda. S. 372—373 genannten Fassungen noch die Aufzeichnungen aus dem D V A : A 93 910 (Roppweiler, Krs. Saargemünd), 1275 (Hörgenau, Krs. Lauterbach), 101222 Selters, Oberlahnkreis), 22 (Groß-Hausen, Krs. Bensheim), 1195 (Engelrod, Krs. Lauter-

3

Variabilität

und den meisten ihm nachfolgenden Darstellungen gegeben werden, finden wir hier zunächst Personen- und Ortsbezeichnungen variiert. Es heißt also „müssen alle Burschen, Leute, Soldaten ins Feld", für den Hauptmann treten der Kommandant und General ein, der Ort, nach dem marschiert werden muß, ist in jeder Fassung ein anderer. Als Hörfehler, der zum Einschieben von etwas Bekanntem für eine unbekannte Wortform führte, könnte die Umdeutung von son [mundartlich sagen] in Sohn [Kind] gedeutet werden. Dazu erkennen wir Kontaminationen mit dem Liede „O Straßburg, o Straßburg" 6 auf Grund stofflicher Analogien (beides sind Soldatenlieder, in beiden Liedern kommen der Hauptmann und die Mutter vor) sowie mit dem Liede „Der König von Preußen, der hat es gesagt" 7 , ebenfalls auf Grund stofflicher Analogien (Rekrutenlieder, in der ersten Strophe deckt sich ein Vers fast wörtlich). An eine Reihe von Fassungen heftet sich eine Wanderstrophe, die mit dem gleichen Vers wie die Schlußstrophe beginnt 8 . Fast gar nichts scheint in der ersten Strophe vorzugehen. Sie wirkt verhältnismäßig konstant. In einer normalisierten Form nach Steinitz lautet sie: Wie ist doch die Falschheit So groß in der Welt, Daß alle jungen Burschen Müssen ziehen ins Feld9.

Was bleibt in dieser Strophe aber wirklich gleich? In der nichtkontaminierten Version des Liedes enthalten 33 Fassungen diese erste Strophe. Nicht ein Wort bleibt in allen diesen 33 Fassungen gleich. Sogar der Reim Welt—Feld wird aufgegeben, allerdings nur in zwei Fassungen aus Ostböhmen und Mähren. In allen anderen (auch einer Zipser Aufzeichnung) erhält sich der Reim. Außer den Reimwörtem bleiben weitgehend konstant nur noch die Wörter: ist die Falschheit, junge (jungen), müssen (übrigens auch in den beiden Fassungen, die sogar den Reim aufgeben). Müssen fällt lediglich in drei Texten ms, jung in einem, Falschheit in der Zipser Aufzeichnung; in einer schweizerischen Version bleibt es zum Teil erhalten, wenn es dort heißt: Warum ist doch die Menschheit / So falsch in der Welt10. In der weiten Überlieferung des Liedes vom Anfang des 19. bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts über die Schweiz, Baden, Elsaß, Lothringen, das MoselSaar-Gebiet, Hessen, Nassau, Franken, Thüringen, Böhmen, Mähren bis zur Slowakei bleiben also jene Wörter nahezu fest, die das S i n n g e r ü s t der Strophe bilden, auf das sich ihr Inhalt reduzieren ließe: ist die Falschheit (in oder auf) der

6 7 8 9 10

bach), 101431 (Nassau. Archiv), 101670 (Nochern, Krs. St. Goarshausen), 21390 (Zofingen, Schweiz), 21037 (Morschach, Schweiz), 20133 (ebda.); K. M. Klier, Drei hs. Liederbücher aus dem Burgenland, Eisenstadt 1958 (Burgenländische Forschungen 38), S. 29. Steinitz 1, Nr. 154, 420—421; siehe ebda. 373. Ebda. 373—380. Ebda. 372. Ebda. 371. DVA A 21390 = Schweiz. Archiv 3680 = S. Grolimund, Volkslieder aus dem Kanton Aargau, Basel 1911, S. 176.

l

4

Hermann Strobach

Welt, jung in Verbindung mit Burschen, Leuten, Soldaten, womit sich eben die Falschheit, das Unrecht und zugleich das Mitleid verbinden, und müssen . . . ins Feld, der Ausdruck des Zwanges. Es sind dies drei Substantive (von denen zwei durch ihre Stellung als Reimwörter in der Strophenstruktur gestützt werden), drei Artikel, zwei konjugierte Hilfsverben, ein Adjektiv und eine Präposition. Dabei bilden die bewahrten Artikel und die Präposition mit den gleichgebliebenen Substantiven formale und semantische Einheiten: die Falschheit, (in) ( a u f ) der Welt, ins Feld. Alle anderen Wörter der Strophe variieren. Ordnen wir sie nach Wortarten, so erhalten wir folgende Variantentabelle: 1 1 1 1 1 1 1 1

funktionales Interrogativpronomen mit 8 Varianten funktionales Modaladverb mit 5 Varianten Konjunktion mit 5 Varianten Numerale mit 4 Varianten Präposition mit 4 Varianten Adjektiv mit 4 Varianten Substantiv mit 3 Varianten Verb mit 3 Varianten

Zugefügt oder ausgelassen werden: 1 2 3 I

Personalpronomen in 5 Fassungen Interjektionen in 4 Fassungen unbestimmte Numeralien in 3 Fassungen (alles, lauter, Adverb in 1 Fassung (wohl)

ganzes)

An der Spitze der konstanten Wörter standen Substantive und Substantivkonstruktionen, während die häufigsten variablen Wortarten Interrogativpronomen, Adverbien, Konjunktionen, Numeralien, Präpositionen und Interjektionen sind. Das variierte Substantiv ist eine Personenbezeichnung (Burschen, Leute, Soldaten). Eine Untersuchung auch der anderen fünf Strophen ergibt das gleiche Bild. Konstant bleiben, singuläre Varianten ausgenommen: II 2 6 3 3 2

Substantive verbale Substantive Verben Personalpronomen (dabei einmal es) Possessivpronomen Adjektive

Das also sind die Wortarten, in denen Wörter häufiger erhalten bleiben. An der Spitze stehen die Substantive. Sie stellen etwa 40% dieser Wörter. Eine ganz andere Klasse von Wörtern erfassen wir mit jenen, die nur in Einzelfällen gleich bleiben, und zwar sind das: Modaladverb, Lokaladverb, unbestimmtes Numerale, bestimmter Artikel, Interrogativpronomen, Präposition, Konjunktion. In drei dieser fünf Strophen bleiben die Reimwörter sehr weitgehend erhalten. Auf die umgekehrte Fragestellung, welche Wörter variieren am stärksten, erhalten wir im ganzen auch eine umgekehrte Wortliste. Hier dominieren gerade

Variabilität

5

jene Wortarten, die nur in Einzelfällen konstant bleiben. Ich zähle lediglich die am häufigsten variierten Wörter auf: 8 Pronomina mit 27 Varianten 6 Konjunktionen, die mit Pronomen bzw. Artikel variieren, in 17 Varianten

Dann folgen fünf Verben, die hier jedoch nur in wenigen Fassungen variieren, d. h. das Verb bleibt weitgehend konstant und wird nur in zwei, drei oder vier Fassungen durch jeweils ein anderes Wort ersetzt; schließlich vier Substantive, davon ist eines eine Ortsbezeichnung, die in jeder Fassung variiert (im ganzen 24mal), und zwei sind Personenbezeichnungen mit je drei Varianten. Stark variieren weiter ein Adverb, das in fünf Varianten, und ein Adjektiv, das in vier Varianten auftritt. In einem Teil der Fassungen zugefügt bzw. im anderen ausgelassen werden am häufigsten Konjunktionen, Adverbien, Präpositionen, am seltensten Substantive (nur zweimal). Wenn wir nun das Ergebnis dieser Wortstatistik formulieren wollen, dann können wir sagen, daß im allgemeinen die Wortarten mit dem stärksten semantischen Stellenwert als relativ fest erscheinen und ebenso die Reimwörter, am variabelsten dagegen die Wörter mit dem untergeordneten Aussagewert. In derselben Weise, nur noch nicht so genau dokumentiert, stellte sich uns die Variabilität bereits an den rund 200 Varianten der Bauernklagen dar, als wir diese zunächst nur zur Erhellung von Herkunft und Geschichte jedes Liedes verglichen 11 . Unser Ergebnis bestätigte sich an drei weiteren, sehr verschiedenen Liedern: der Ballade von der „Dienenden Schwester", dem „Leunalied" und dem Liebeslied „Kein Feuer, keine Kohle", die wir nunmehr mit denselben Methoden und der gleichen Zielsetzung wie oben das Soldatenlied untersuchten. Einige weiterführende Beispiele aus diesen Untersuchungen sollen hier noch vorgelegt werden. Für den Vergleich der sehr reich überlieferten Ballade von der „Dienenden Schwester", Es wohnt ein Markgraf [Pfal^graf] an dem Rhein, habe ich die verbreitetste Version herausgegriffen, in der Dienstherrin und Dienstmagd als Schwestern gekennzeichnet werden (und zwar nur die nicht vom Wunderhorn abhängige Uberlieferung) 12 . Mir steht bis jetzt der weitaus größte Teil der gedruckten Fassungen dieser Version zur Verfügung. Es sind siebzig. Stellen wir die in allen (das ist nur die 1. Strophe) oder die in fast allen (nämlich mehr als 60) Fassungen überlieferten Strophen zusammen, dann ergibt sich das folgende Bild 13 : 1. Es wohnt ein Markgraf an dem Rhein, Der hatte drei schöne Töchterlein. 2. Die eine zog ins niedere Land, Die andere auch nicht weit davon. 11 12

13

Siehe Strobach, Bauernklagen a. a. O. 376—377. Verzeichnis der Fassungen: Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, hrsg. vom Deutschen Volksliedarchiv, Bd. 4, 1959, S. 76—77, Nr. 75. Zitiert nach der Fassung in: E. Fiedler, Volksreime und Volkslieder in Anhalt-Dessau, Dessau 1847, S. 169 f., Nr. 10.

6

Hermann Strobach 4. Sie ging f ü t ihrer Schwester Tür, Sie klopft ganz leise an dafür. 6. ,Es ist ein armes Mädchen hier, Die will so gerne zu euch ziehn.' 10. Als nun die sieben Jahr umme waren, Das Mädchen krank und schwächlich wird. 1 1 . ,Ach Mädchen, wenn du kränker wirst, So müssen wir's deinen Eltern sagen.' 12. ,Mein Vater ist Markgraf an dem Rhein, Meine Mutter ist Königs Töchterlein.' 17. ,Kein Samt und Seide, die trag' ich nicht, Dem Tod, dem Übergeb' ich mich.'

Wir erhalten also das knappste Handlungsgerüst der Ballade: die Exposition (der Markgraf hat drei Töchter, Str. 1), die Trennung der Schwestern (2), die jüngere kommt unerkannt zur verheirateten Schwester (4) und fragt, ob sie bei ihr dienen könne (6), sie wird krank (10), die Dienstherrin fragt nach den Eltern (11), die Antwort, durch die sich beide als Schwestern erkennen (12), und der Todeswunsch der jüngeren Schwester (17). Umgekehrt sind die am geringsten (in weniger als 25 Fassungen) überlieferten Strophen die für den Sinnzusammenhang entbehrlichsten: die Strophe 3. Die Dritte, die war hübsch und fein, Sie wollte gern eine Dienstmagd sein,

die ausfallen kann, da das Lied nur von der Beziehung zwischen den zwei Schwestern handelt; sodann der Wunsch, Dienstmagd zu sein, der später als wichtiges Handlungsmotiv in der Anfrage bei der unerkannten Schwester wiederkehrt. Ferner gehören zu diesen gering überlieferten Strophen die Beteuerung der jüngeren Schwester, daß sie nicht verworfen sei (8), und zwei Strophen, die das Sterbemotiv wiederholend ausführen (z. B. in: Amft, Volkslieder der Grafschaft Glatz, 1911, Nr. 14, Str. 6,3-4 und Fiedler — s. Anm. 13 — Str. 19). Es könnte gezeigt werden, wie die Bewahrung der anderen Strophen je nach ihrem Aussagewert in die eine oder andere Richtung tendiert. Was wir oben für die Uberlieferung innerhalb der Strophen feststellten, gilt deutlich auch für die Tradierung des ganzen Liedes. Einige Beispiele noch für Bewegung und Beharrung i n den Strophen. Es bleibt fast immer etwas konstant (bei 70 Fassungen!); in der ersten Strophe der Reim: Rhein—Töchterlein, weiter, singulare Varianten ausgenommen, Es . . . ein Graf14 . . . Rhein, hatte drei . . . Töchterlein; in der dritten Die Dritte . . . wollte . . . Dienstmagd sein-, in der vierten — die jüngere kommt hier zu ihrer älteren Schwester — als Wörter nur Schwester (bis auf drei Fassungen) und klopft an usw., es gibt 18 viel überlieferte Strophen. Es variieren zahlreich Verben im gleichen Aussagefeld: wohnte, lebte, war, dann ging, i(og (1); %og, ging, kam, freite, reiste (2); blieb, war (3); ging, kam, %og, schritt, reiste (4); ferner Adverbialbestimmungen: 14

In den verglichenen Fassungen tritt nur einmal Kaiser für Graf ein, während in D V l d r . 4, 83 Kaiser als sehr häufig bezeichnet und auf weitere Benennungen des Vaters verwiesen wird. Die dort zitierten Fassungen mit Kaiser (543, 629) gehören jedoch beide anderen Versionen an.

Variabilität

7

an dem, über den (dem), dort oben am, nahe am, in der Nähe am Rhein (1); ins, auf, nach, an den, über den, ins Oberland, Steierland, nach Schwabenland, Schlaraffenland (2) usw. in allen Strophen; auch Modalbestimmungen: klopft ganso, schön leise, sacht an die Tür. Das Sinngefüge des Liedes sowohl als auch der einzelnen Strophen wird durch diese Variabilität noch nicht berührt. Was wir oben verbal erfaßten, stellt sich also in der gleichen Weise im funktionalen Bereich dar. Alle drei Lieder, das Soldatenlied „Wie ist doch die Falschheit", die Ballade von den Töchtern des Pfalz-[Mark]grafen vom Rhein und das „Leunalied", dessen völlig gleichlaufende Beispiele hier nicht mehr ausgebreitet werden können, sind Erzähllieder, bei denen der Sinngehalt naturgemäß eine gewisse Rolle spielt. Das Soldatenlied und das „Leunalied" besitzen darüber hinaus noch einen deutlichen Wirklichkeitsbezug. Von ganz anderer Art ist das Liebesliedchen: Kein Feuer, keine Kohle Kann brennen so heiß Als heimliche Liebe, Von der niemand nichts weiß 10 .

Seine knappe Formelhaftigkeit scheint kaum Spielraum für eine Lockerung und Variabilität der Liedgestalt freizugeben. In der Tat bewahrt das Liedchen auch eine sehr feste Textform, wozu freilich die häufige Aufnahme in Liederbücher nicht unwesentlich beigetragen haben dürfte. Trotzdem gleicht kaum eine unabhängige Fassung der anderen vollständig. Auch hier ist die Variabilität eine durchgehende Erscheinung — wenn auch in weit geringerem Grade als bei den anderen besprochenen Liedern. Die häufigeren Varianten entfallen auf attributive Adjektive (heimliche, zärtliche, verborgene Liebe), Hilfsverben (kann, tut brennen, entsprechend kann, tut blühen), Konjunktionen (damit—daß), Präpositionen mit Lokaladverb (von der—davon), Numeralien in attributiver Stellung ([etjwas, nichts), Substantive im Bereich von Metonymen (Seelen—Herfen)-, wir finden ferner mehrfach Zufügen oder Weglassen von Modalpartikeln ( j a , so), Lokaladverbien (darinnen, drin), Artikeln (die). Ein Vortrag setzt der Materialdokumentation notwendig Grenzen, sehr enge sogar, und nicht nur zeitliche, sondern vor allem auch stilistische. Die ausführliche Darlegung einer spröden statistischen Analyse kann keinem Hörerkreis zugemutet werden. So muß ich mich auf Beispiele beschränken. Im Rahmen einer geplanten größeren Arbeit über den Gesamtkomplex „Variation" wird auch die Untersuchung des Teilaspektes „Variabilität" wesentlich detaillierter und damit exakter sein können. Soviel dürften aber die ausgewählten Beispiele deutlich gemacht haben, daß die scheinbar regellos und grenzenlos fließende Variabilität des Volksliedgutes in ihrer T e n d e n z mit exakten Methoden auch weitgehend exakt faßbar und als s t r u k t u r e l l e u n d s e m a n t i s c h e G e s e t z m ä ß i g k e i t formulierbar ist. Die relativ festen oder unfesten, beharrenden oder variablen Teile in Lied, Strophe und Vers regeln sich nach ihrem Verhältnis zur Sinn15

Erk, Liederhart

Nr. 109 = E.-B. 2, Nr. 507 (3 Strophen).

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Hermann Strobach

struktur und Formstruktur. Danach erscheint die Variabilität umgekehrt proportional zur Bedeutung, die Strophe, Versteil oder Wort für die Sinn- bzw. Strophenstruktur besitzen. Innerhalb der Sinnstruktur ist sie am stärksten dort, wo im gegebenen sprachlichen Bereich (also dem Volksliedstil, dem Sprachschatz der tradierenden Gemeinschaft) leicht auswechselbare Synonyme oder Metonyme zur Verfügung stehen (hierher gehören auch die Personen- und Ortsbezeichnungen). Für die Bedeutung der Formstruktur haben wir nur auf den Reim hingewiesen. Es sind aber auch die anderen konstitutiven Formelemente in Vers (z. B. Versanfang, Metrik), Strophe (Korrespondenz der Verse, Parallelismus u. a.) und besonders auch in der Melodie-Text-Beziehung zu beachten. Was wir hier als sprachlich-formale Gesetzmäßigkeit formulierten, die zunehmende Variabilität zu den für Sinn- und Formstruktur unwesentlicheren Teilen hin sowie im Bereich der Synonyme und Metonyme, und umgekehrt die stärkste Beharrung in den sinntragenden Partien und im Reim, erweist sich deutlich als Folgeerscheinung des g e d ä c h t n i s m ä ß i g - m ü n d l i c h e n Tradierens. In der Tendenz der Variabilität erfassen wir daher eine Gesetzmäßigkeit der mündlich-gedächtnismäßigen Überlieferung überhaupt. Erstrebt wird im allgemeinen auch in dieser Überlieferungsform nicht Veränderung, sondern Identität der Lieder. Aber diese Identität ist nicht fixiert. Sie wird daher nur annähernd erreicht, und zwar am beharrlichsten in den wesentlichen, konstitutiven Elementen, die dieses Lied oder diese Strophe noch als die gleichen repräsentieren und wiedererkennen lassen. Ein Spielraum wird frei für Füllung, Kürzung und Ausführung, der nicht mit den Worten „zerfasern" oder „auflösen" begriffen werden kann, die aus der einseitigen Blickrichtung vom sogenannten Kunstlied her mit seiner festgelegten Gestalt an das Volkslied herangetragen wurden. Der Vorgang dieser Variabilität ist auch nicht in dem Gegensatz „bewußt—unbewußt", „absichtlich—absichtslos" zu erfassen, wie das zumeist geschehen ist. Das Wesentliche ist vielmehr die in der allgemeinen Tendenz der Variabilität sichtbar werdende relative Freiheit in der Wiedergabe des Liedes, die das Volksliedsingen in einer lebendigen, mündlich-gedächtnismäßigen Tradition gerade über das sogenannte „unbewußte", „mechanische" Memorieren zu einer aktiven Reproduktion erhebt und in seiner spezifischen Eigenheit, in seinem Wesen charakterisiert 16 . Freilich erklärt die hier formulierte Tendenz der Variabilität nicht die Entstehung der einzelnen bestimmten Variation. Zwar existiert die Variabilität nur in den einzelnen konkreten Varianten. Aber beides sind zwei Seiten einer Sache, die sich zueinander verhalten wie Allgemeines zu Besonderem. Die Variabilität ist ein allgemeiner Wesenszug des Volksliedes, bedingt durch seine allgemeine Existenzform, die gedächtnismäßig-mündliche Überlieferung. Für die bestimmte, konkrete Variation dagegen ist die gedächtnismäßig-mündliche Überlieferung nur e i n e Bedingung unter anderen, zu denen besonders die jeweilige historische, soziale und kulturelle Situation gehören. Damit rücken auch die so häufig im 16

Zur These vom „mechanischen" Assoziieren im Volksliedsingen siehe Strobach, klagen a. a. O. S. 385.

Bauern-

Variabilität

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Vordergrund stehenden Mißverständnisse und Hörfehler als Folgen des mündlichen und die Textverluste als Folgen des gedächtnismäßigen Tradierens an die richtige Stelle. Der Blick wird frei für die Vielzahl wirkender Faktoren der Variantenbildung und für die Möglichkeiten, die sich im Wechselspiel von Beharrung und Bewegung auch für die Neuformung bis zur Herausbildung neuer Versionen und Typen hin bieten. Wir haben hier nur den Volksliedtext betrachtet. Die mündlich-gedächtnismäßige Überlieferung ist jedoch ein allgemeines Charakteristikum der traditionellen Volkskultur, die Variabilität des tradierten Gutes daher seine allgemeinste Erscheinungsform. Die Tendenz zur stärksten Beharrung in den wesentlichen, konstitutiven Elementen und zur größten Variabilität in den unwesentlicheren, additiven Elementen als eine Gesetzmäßigkeit dieser allgemeinen Überlieferungsform dürfte deshalb — mutatis mutandis — auch in der Volksliedweise und darüber hinaus auch in anderen Gebieten der Volkskultur wirksam sein.

Zur Geschichte der Handschrift des Lochamer-Liederbuches im 19. und 20. Jahrhundert Von CHRISTOPH PETZSCH

(München)

D e r erste konkrete A n h a l t s p u n k t f ü r die Geschichte der Handschrift seit der Zeit u m 1 5 0 0 liegt mit dem Briefe v o r , in welchem der N ü r n b e r g e r Waag-, d. h. auch Zollamtmann, Polyhistor, K u n s t - und B ü c h e r f r e u n d Christoph G o t t l i e b (Theophil) v o n M u r r 1 sie dem G ö t t i n g e r Musikgelehrten J o h a n n Nikolaus F o r k e l 2 z u m K a u f anbot, nachdem er sie ihm z u v o r zur Ansicht übersandt hatte. D e r am 26. Februar 1 8 1 1 in N ü r n b e r g geschriebene, heute nicht mehr nachweisbare Brief lautet nach A r n o l d , der ihn vermutlich noch in die Handschrift eingelegt f a n d 3 : Ew. Wohlgeboren! werden längst das musikalische Bällchen richtig erhalten haben. Vorige Woche kaufte ich diese Seltenheit um 2 # (Dukaten ?) 3a wofür sie auch Ew. Wohlgeboren zu Diensten steht. Es ist eines der curieusesten Manuscripte des XV. Jahrhunderts und sonderbaren vermischten Inhaltes von Minneliedern, die aus älterer Zeit sind, und geistlicher Musik nach deutscher Tabulatur. Pag. 15 lin.ult. ist sogar hebräisch, nämlich Judendeutsch, wo ich deutlich . . . [hebräische Buchstaben:] Barbara lese. Pag. 37 steht des Schreibers Name Wolflein Lochan.

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Vgl. [E.] Mummenhoff, ADB XXIII, 76—80. Murr lebte vom 6. 8. 1733 bis 8. 4. 1811. Seine Familie (Reichsadel seit 1541) wurde 1768 gerichtsfähig, stellte Juristen und Gelehrte. Vgl. H. H. Hofmann, Nobiles Normbergenses, Zs. f. bayer. Landesgeschichte 28, 1965, 143, Anm. 81. Vgl. H. Edel hoff, J. N. Forkel, 1935; zuletzt J. Peters-Marquardt u. A. Dürr in MGG IV, Hella Gensbaur in NDB V, 1961, und W. Gurlitt in der (12.) von ihm bearb. Aufl. des Riemann-Musiklexikons, 1959. Abdruck ohne Nachweis in: Das Locheimer Liederbuch nebst der Ars Organisandi von Conrad Paumann, hrsg. v. F. W. Arnold u. H. Bellermann (Jbb. f. musik. Wiss. Bd. II), 1867, unveränderter Neudruck 1926, l f . (zum Faksimile von K. Ameln, 1925, vgl. unten mit Anm. 77). In der Handschrift befand sich der Brief auch 1819, als Kretzschmer die Handschrift ersteigerte (s. unten), vgl. H. F. Maßmann, Beiträge xur Geschichte des deutschen Liedes, 2, Münchener Allgemeine Musikzeitung, Februar 1828, Nr. 20, Sp. 313—319; 313 (vgl. auch im folgenden zum Forkeischen Versteigerungskatalog); ebenso z. Z. der Abschrift durch Meusebach, d. h. spätestens 1826, vgl. unten mit Anm. 30. Wenn Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahre 1822 berichtet, daß die Handschrift, die er bei Kretzschmer sah, aus Murrs Bibliothek stammte, könnte er sich gleichfalls an den eingelegten Brief erinnert haben {Mein Leben 1868, I, 314). Bayerische Münze war 1806—25 der Taler mit Brustbild von Maximilian Joseph, vgl. F. Reinfeld, Miin^katalog von der Antike bis %ur Gegenwart 1965, 55 (mit Vermerk: „44,—"). Indessen galt # im 19. Jh. als übliche Abkürzung für den Dukaten (dankenswerte Auskunft von Dr. Grotemeyer, Staatl. Münzslg. München). Das Fragezeichen Murrs ist damit hinfällig.

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Pag. 46 und 52. Dieser Mag. Conradus Paumann, der Blinde ist mir ganz unbekannt, so wie Pag. 84 Georg de Pughems und Pag. 88 Wilhelmus legrant. Pag. 90 steht Baumgartner; Es ist also in Nürnberg geschrieben worden. Hochachtungsvoll verharre Dero Auch sogar das in-volucrum gehorsamer Diener Saec. XIV. 4 ist musikalisch. v. Murr

Es muß überraschen, daß Murr, der an Nürnbergs Altertümern seit jeher so sehr Interessierte, die auch nach seiner Meinung in Nürnberg entstandene „Seltenheit" für einen mäßigen Preis aus Nürnberg fortgeben wollte. Suchte er, seinen nahen Tod ahnend, die Handschrift in rechte, sachverständige Hände zu geben, da er solche in Nürnberg nicht finden zu können meinte? Nach eigenen Worten hatte er sie kurz zuvor, im gleichen Februar 1811, käuflich erworben, vermutlich doch in Nürnberg; von wem, erfahren wir nicht. Kam er auf einem anderen Wege dazu als auf dem angegebenen? Wollte er sich deshalb ihrer entäußern? Eher glauben wir ihm, daß er sie mittelbar oder unmittelbar aus Privatbesitz erwarb. Denn die Anzeichen weisen darauf hin, daß sich die Handschrift zuvor nicht in einer der bekannten, größeren Bibliotheken Nürnbergs befand. Murr hat sie in seinen katalogähnlichen Berichten über Nürnberger Denkwürdigkeiten nirgends erwähnt 6 . Auch in der stattlichen Reihe älterer Kataloge der Stadtbibliothek — zumeist aus dem 17. Jahrhundert — ist die Handschrift nicht aufgeführt. Der ihr beigegebene Lederdeckel mit Daten von 1582, die in die Stadtbibliothek weisen, ist allem Anschein nach erst spät, vielleicht von Murr selber, als Schutz hinzugefügt worden 6 . Für Privatbesitz könnte auch das Fehlen der Überlieferung der Unica des Liederbuches sprechen, für sich gesehen ein Gesichtspunkt von geringerer Beweiskraft, der aber im Zusammenhang der anderen an Gewicht gewinnt. Ein Zeugnis dafür, daß man von der Handschrift gegen Ende des 18. Jahrhunderts in gelehrten Kreisen nicht wußte, bieten auch die Schriften des Nürnbergers D. Johann Sigmund Gruber zur 4

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14. statt 15. Jahrhundert ist nur ein Versehen, da Murr das Datum des Kometenvermerkes 1456 bei seiner Inhaltsangabe (vgl. unten) richtig las. (Auch Meusebach [vgl. Anm. 30] liest XIV bei Murr.) Meinte Murr die Pergamentschale selber? Zu dieser vgl. G. Lehmann, AfMf. 5, 1940, lff. Vgl. insbesondere Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in der Reichsstadt Nürnberg 1/1778, 2/1801 (vgl. 389ff. bzw. 418ff.; 438 z. B. ist der große Hans-Sachs-Kodex von 1517/18 [Mgq 414] der Ebnerischen Bibliothek genannt); Murrs Journal %ttr Kunstgeschichte und zur allg. Litteratur 1775—89; Neues Journal %ur Litt, und Kunstgeschichte, 2 Bde. 1798/99; Memorabilia bibliothekarum publicarum Noribergensium, 3 Bde. 1786/88/91; Description du Cabinet de Monsieur Paul de Praun, 1797 (sämtlich in Nürnberg erschienen). Vgl. ferner Joh. Ferd. Roth(ius), Catalogus librorum quos Christoph Theophil de Murr . . . collegerat Noribergae . . . Libros in classes disposuit . . . vitamque levi penicillo ad umbratam permisit. . . Cum imagine, Nürnberg 1811. Die Umstände werden vom Verf. eingehender erörtert in: Der dim Lochamer-Liederbuch beigefügte Lederdeckel, Mitt. der Stadtbibliothek Nürnberg 14, 1965, 1—9. Die Handschrift befand sich nicht in der reichhaltigen Bibliothek des Hier. Paumgärtner d. J., die 1620 für die Stadtbibliothek angekauft wurde (vgl. R. Wagner, Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt N. 30, 413, Anm. 96).

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Geschichte der Musik, die z. T. auch die Nürnberger Vergangenheit behandeln 7 . Murr selber merkt wenig später dazu kritisch an, der Verfasser beginne erst mit 1641, man könne aber „weit höher hinaufsteigen". Er ergänzt zunächst mit einer Nachricht von 1333, um dann mit der nächsten gleich in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zu springen 8 . D. h., um 1785 wußten Gruber und Murr, zwei Norica-Kundige, noch nichts von der Handschrift. Sie hätten anders zum mindesten Konrad Paumann erwähnt, dessen Fundamentum organisandi, 1452 aufgezeichnet, den zweiten Teil der Handschrift bildet. Murrs 1805 angekündigter „Versuch einer Geschichte der Musik zu Nürnberg. 1805", von Arnold genannt und vergeblich gesucht 9 , ist über den Zustand einer Materialsammlung nicht hinausgelangt. Diese befindet sich als Faszikel einer größeren Reihe von Notizen, Aufzeichnungen, Abschriften, Briefen usw. in der Staatlichen Bibliothek Bamberg 10 und enthält auch ein Inhaltsverzeichnis der Handschrift 11 , das vom Liederbuch außer den Text-Incipits von Nr. 1 und 2 und dem Benedicite auf S. 32 nur die Seitenzahl der hebräischen Widmung, das Datum auf S. 35 und den Schriftzug des Besitzers, vom Orgelbuch dagegen den Inhalt fast vollständig sowie vom Spiegel den Kometenvermerk von 1456 notiert. Dürfen wir von dieser Gewichtsverteilung auf das Interesse Murrs schließen? Die Ziffern in der Notierung der Seitenzahlen entsprechen denen im „Scr. annis . . ." auf S. 1 der Handschrift, womit diese für Murr wohl gesichert sind. Im übrigen führen seine Aufzeichnungen nicht weiter, das schöne Wasserzeichen des Papiers der Inhaltsangabe und die Schriftzüge Murrs erlauben keine präzisere Datierung innerhalb des Zeitraums, der von den übrigen Daten der Material7

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Litteratur der Musik, oder Anleitung %ur Kenntniß des vorzüglichen musikalischen Bücher für Liebhaber der musikalischen Litteratur bestimmt. Herausgegeben von einem Liebhaber der Musik, Nürnberg 1783; Beyträge %ur Litteratur der Musik, Nürnberg 1785AF.; Biographien einiger Tonkünstler. Ein Beitrag %ur musikalischen Gelehrtengeschichte, Frankf. und Lpz. 1786, darin: Etwas zur Geschichte der Musik in Nürnberg (5ff.); „Sogar diejenigen Gelehrten, welche nicht nur alles, was zur Geschichte Nürnbergs auf irgend eine Art dienet, gesammelt, sondern auch ihre Vaterlandsgeschichte mit vielem Fleisse studiert haben, können zur Ergänzung dieses Theils nicht den mindesten Aufschluß geben" (7) — gemeint ist die Zeit vor 1600. (Alles in 8°.) In Grubers Beiträgen (vgl. Anm. 7) VI, 135 f.: Ergänzungen und Berichtigungen der Gruberischen Schriften über die Musik. Nach Auskunft der Staatsbibliothek Bamberg handelt es sich um Heft 2 und 3 der „Beyträge" von 1785; die Stadtbibliothek Nürnberg konnte dazu nichts Sicheres ermitteln. Ziemlich sicher ist jedoch, daß die Druckschrift in Nürnberg erschien („. . . J. S. Gruber . . . allhier. . ."). Vgl. noch unten Anm. 10. Vgl. 81. Murr veröffentlichte 1805 in Nürnberg eine Designatio scriptorum editorum et edendorum (vgl. hier Nr. 82 [S. 12]. Z. T. sind die Orte des Erscheinens angegeben, bei Nr. 82 jedoch nicht: „Versuch einer Geschichte der Musik in Nürnberg. 4."). Signatur J. H. Cod. Msc. Hist. 140 (Blatt 8—9). Nach freundlicher Auskunft von Bibliotheksrat Dr. Schleicher ist sie das einzige Stück aus Murrs Nachlaß in der Bamberger Bibliothek. — Gruber steuerte bereits am 18. 3. 1805 einiges zu Murrs Vorhaben bei, vgl. Blatt 232. — Anm. 8 (oben) bezieht sich auf Blatt 252 ff. der Materialsammlung. Blatt 8 f. Den Hinweis auf das Inhaltsverzeichnis Murrs und damit auf seine Materialsammlung verdanken wir der Liebenswürdigkeit von Prof. Dr. Franz Krautwurst, Erlangen. — Da einzelne Blätter vom Jahre 1812 datiert sind, enthält der Faszikel nicht nur Schriftstücke von Murrs eigener Hand und Sammlung.

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Sammlung auf weniger als ein Jahrzehnt vor Murrs Tod (1811) eingegrenzt wird. Sie ist überdies chronologisch geordnet, beginnt mit einer Notiz zu 1286 und hat das Inhaltsverzeichnis der Handschrift nach einigen Nachrichten zum 14. Jahrhundert, d. h. zeitlich korrekt eingeordnet. Nichts deutet darauf hin, daß Murr die Handschrift vor dem von ihm angegebenen Zeitpunkt erwarb, und sein Interesse am Besitz scheint mit der Gelegenheit, den Inhalt — z. T. oberflächlich — für seine geplante Lokalmusikgeschichte aufzunehmen, erschöpft gewesen zu sein. Auch dies kann als Anhaltspunkt für sehr späten Zeitpunkt der Erwerbung gelten. Wir entnehmen aus der Materialsammlung noch, daß Forkel und Murr sich näher kannten 12 . In einem Brief vom 16. 8. 1805 bedankt sich Forkel für ein ihm von Murr geschenktes, nicht näher bezeichnetes Manuskript und erkundigt sich nach der Provenienz: „. . .vielleicht selbst daher, woher Sie das Ms. bekommen haben?" 13 . Mit einem anderen Briefe, dessen Datum abgeschnitten ist, gibt Forkel eine Handschrift des 16./17. Jahrhunderts zurück, weil sie ohne größeren antiquarischen Wert sei14. Murr hatte dafür den gleichen Betrag von 2 # (Dukaten) gefordert wie im Februar 1811 für das Lieder-und Orgelbuch, demnach für dieses relativ wenig verlangt, was angesichts seiner Kennzeichnung „Seltenheit" und „eines der curieusesten Manuscripte des XV. Jahrhunderts" überraschend ist. Wir ahnen hier auch etwas von der Beweglichkeit, mit der Murr, der mit aller Welt in Verbindung — und Geschäften — stand, sich immer wieder Handschriften und ähnliche „Memorabilia" zu verschaffen wußte. Wie aus dem Versteigerungskatalog seines Nachlasses 15 hervorgeht, hat Forkel die Handschrift des Liederbuches erworben. Der erste Herausgeber vermutete, daß er sich mit ihr nicht näher befaßt hat; er sah die Ursachen in Forkels Vorarbeiten zum dritten Band der Geschichte der Musik und in der 1815 einsetzenden Krankheit, der jener 1818 erlag. Die Angehörigen konnten ihre Absicht, die Bibliothek geschlossen zu verkaufen, nicht verwirklichen 16 und brachten sie deshalb im Jahre 1819 in Einzelstücken zur Versteigerung. Die Handschrift findet sich im Katalog nicht unter den eigentlichen Musikalien. Gegen Schluß unter der Rubrik „Abschriften musikalischer Werke und Forkeische Manuskripte" eingeordnet, erscheint hier, nach Nr. 33 „ein altes Manuskript ohne Titel. . ." (auf Pergament geschriebener Traktat), die Handschrift als Nr. 34: „Ein dito des 15 Jahrh. Eins der curiösesten u. sonderbaren vermischten Inhalts von Minneliedern u. geistlicher Musik nach teutscher Tabulatur. Wahrscheinlich in Nürnberg geschrieben. (Nach Murr, in dem dabey befindl. Schreib:)" 17 . Die 12

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Nach Blatt 47 hat Forkel Murr im Jahre 1804 besacht. Vgl. jetzt auch vom Verf.: Ein unbekannter Brief Ph. E. Bachs an Ch. G. v. Murr in Nürnberg, AfMw. 22, 1965, 208—13. Vgl. Blatt 208. Vgl. Blatt 210. Ver^eichniß der von dem verstorbenen Doctor und Musikdirector Forkel in Göttingen nachgelassenen Bücher und Musicalien welche den 10-ten May 1819 . . . meistbietend verkauft n/erden. Göttingen gedr. bei F. E. Huth 1819. (Benutzt wurde das Exemplar der UB Tübingen.) Vgl. Arnold, 2; ferner G. Schilling, Encyclopädie der gesamten musikalischen Wissenschaften oder Universallexikon der Tonkunst, 1835ff., 2/1847, einbändige Kürzung von F. S. Gassner, 1849. 194f. des Katalogs.

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enge Anlehnung an den Wortlaut von Murrs Brief an Forkel sowie das Fehlen einer genaueren Bestimmung oder Beschreibung in Forkels Schriften stützen Arnolds Vermutung, daß Forkel in den ihm bleibenden Jahren keine Zeit mehr für die Handschrift gefunden habe. Die Höhe des Erlöses ist nicht bekannt. Einer Nachricht auf dem Vorblatt des Katalogs zufolge konnte auf Musikalien „nicht unter 1 Ggr. . . . geboten werden" — Anhaltspunkt für die untere Grenze der Summe. Käufer war der preußische Geheime Kriegsrat Andreas Kretzschmer (1775 bis 1839) 18 . Dieser hatte nach den Freiheitskriegen den Auftrag erhalten, die „noch vorhandenen Reste des Mittelalters" in der Provinz Brandenburg zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten. Dabei hatte er auch ältere Lieder einbezogen; der Musik galt ohnehin sein besonderes, wenngleich laienhaftes Interesse. 1822 gab er eine erste Nachricht von der Handschrift 19 , dazu einen fehlerhaften Textabdruck von Ich sach ein pild (S. 24 der Hs.), Myniglich %artleich gec^jret (S. 24 unten), Ich pin pey ir (S. 22) und Almechtiger got (Tischsegen) (S. 32). Die Lieder schätzt er höher ein als das spätere „Volkslied": „gerade darin, daß diese Lieder den Ubergang vom Minneliede des 13ten und 14ten Jahrhunderts zum Volksliede des löten bilden, liegt ein besonderer Werth dieser Sammlung". Er bedauerte, daß im „Literarischen Conversationsblatt" Melodieabdruck nicht möglich sei. Das Fundamentum erwähnte Kretzschmer nicht. 1826 druckte er diese Nachricht an anderer Stelle ab 20 , mit Wiedergabe von Ich pin pey ir allein, nun aber mit Melodie, welche dabei entstellt, in moderner Notation aufgezeichnet und mit Klavierbegleitung versehen wurde. Als Kretzschmer den kurzen Mensuraltraktat im Orgelbuch (S. 82f. der Handschrift) in Nr. 18 (vom 30. 4. 1828) und Nr. 19 der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung" 2 1 übersetzte und dilettantisch erläuterte, bemerkte er beiläufig, daß er die Handschrift früher besessen hätte. Wenn sie zu dieser Zeit bereits in anderer Hand war, muß er Abschrift genommen haben 21a . Die bei der ersten Nachricht von 1822 ausgesprochene Absicht, „den ganzen Codex mit den Melodien in jetzige Noten übertragen" herauszugeben, hat Kretzschmer nie verwirklicht. Es war dies sicher kein Verlust für die Wissenschaft, sah er doch z. B. in sämtlichen Liedern der Handschrift — vermutlich aufgrund des Wechsels von „Minima" und „Semibrevis" in der Notierung — Tanzlieder. Hoffmann von Fallersleben — und nicht nur dieser21 b — war gegenüber Kretzschmers Arbeiten voller Mißtrauen 22 .

Vgl. A. Reifferscheid!:, A D B X V I I , U l f . Über einen Codex altdeutscher Cedichte, Literarisches Conversationsblatt, Leipzig bei Brockhaus, Nr. 85, 12. April 1822, 227—39. 2 0 „Minerva, als Beiblatt zum allgemeinen musikalischen Anzeiger" (seit 1827 unter dem Titel „Allgem. Musikzeitung"), I, Frankfurt 1826, Nr. 7, 53ff. („Ueber einen Codex altdeutscher Gedichte und Lieder"). 2 1 Bd. 30, 2 8 6 f . ; 302f. (Leipzig, Breitkopf und Härtel). 21a Vgl. die Mitteilung der Redaktion der „Minerva", a. a. O. (Anm. 20), 53. 2ib Vgl. auch H. Spaarnay, Karl Lachmann als Germanist, Bern 1948, 11 und 19. 22 Mein Leben 1868, I, 314. 18 19

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H. F. Maßmanns Nachricht von 1827 (sein erster Artikel ist am 10. November veröffentlicht), nach welcher die Handschrift „inzwischen" in den Besitz des Bücherliebhabers und -sammlers Freiherrn Karl Hartwig Gregor v. Meusebach übergegangen sei23, trifft nicht zu, Meusebach hat sie nie besessen. Durch ihn erfahren wir jedoch, wer der nächste Besitzer war und darüber hinaus Genaueres zum Zeitpunkt des Besitzerwechsels. Am 20. 1. 1826 erhielt Meusebach (1781—1847)2*, der seit 1819 in Berlin lebte, einen Brief von Jacob Grimm 25 , in welchem dieser ihm den jungen Karl Wilhelm Zeisberg empfahl, 1804 geborenen Sohn des Gräflich Stolbergschen Archivars in Wernigerode: „. . . Er sammelt leidenschaftlich für altdeutsche Literatur und ist schon nicht arm an Büchern und Handschriften, steht in Verbindung mit allen guten Antiquaren und kann viele Seltenheiten herbeischaffen. Ein solcher Mann ist Ihnen nicht unscheinbar und unbrauchbar . . . " (einen ähnlichen Brief erhielt Karl Lachmann). Zeisberg, dessen Willen schon zu Hause und auf dem Pädagogium Ilfeld (1821—23) „auf die Erwerbung von Büchern gerichtet" gewesen war, hatte von da an Zutritt zu Meusebachs Haus, in welchem eine ganze Reihe namhafter Männer verkehrte, insbesondere Erforscher und Sammler der altdeutschen Literatur. An Interesse für Liedersammlungen ließen sich Meusebach, der sich selber „Fischarts- und Lieder- und Büchernarr" nannte, und Zeisberg, dem der Ältere bescheinigt, er sei ihm im Abtauschen noch über 26 , von niemandem übertreffen, wenn wir Meusebach in seinem Brief vom 3. September 1827 aus Berlin an Jacob Grimm Glauben schenken können: „Außer mir und Zeisberg giebt für die vorliegende [gemeint ist ein Liederbuch des 16. Jahrhunderts], glaube ich, kein Mensch über 8—10 Thaler." Dieser Brief 27 erhält durch die folgende, dort nur zur Illustrierung des eben Gesagten angefügte Bemerkung besondere Bedeutung für die Geschichte der Handschrift: „Eine in d. J. 1452—56 geschriebene (früher in Forkels Besitz) mit Musiknoten kam vor anderthalb Jahren hier in einer Versteigerung nicht über 11 Thlr. Gebot; auf die Erklärung, dasz sie unter 30 Thlr. nicht gelassen würde, gab Herr Zeisberg 30 Thlr. dafür, und lieh sich nachher, um sie leslich zu haben, meine früher davon genommene Abschrift." 23

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Münchener Allgem. Musikzeitung a. a. O. (vgl. oben Anm. 3; zu Maßmann vgl. im folgenden). Vgl. (Verf. mit -r gezeichnet) ADB XXI, 539—41; Fischartstudien des Frhr, K. H. G. v. Meusebach, hrsg. v. C. Wendeler, 1879. Zum Liedersammler vgl. 20; 25—29. Laßberg zufolge besaß Meusebach „die beträchtlichste Sammlung von volkstümlichen Gedichten" {Briefwechsel ^wischen Jos. Frhr. v. Laßberg und Ludwig Uhland, hrsg. v. Franz Pfeiffer, Wien 1870, 106). Biographisches Material auch im Briefwechsel mit den Brüdern Grimm, III—CXXIV (vgl. Anm. 25). Vgl. Briefwechsel des Frhr. K. H. G. v. Meusebach mit ]. u. W. Grimm, hrsg. v. C. Wendeler, 1880, Nr. 19 (26f.; zu Zeisberg auch Nr. 21 und 31). Nr. 24. Vgl. auch: Uhlands Briefwechsel. Im Auftrage des Schwab. Schillervereins hrsg. v. J. Hartmann, Teil III (Briefe von 1834—50), 1914, Nr. 1816 (144). — Zu Zeisberg vgl. Anm. 68 bzw. ADB LV, 402 ff. Nr. 39 (71 ff.).

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Die Versteigerung fand demnach gegen Frühjahr 1826 statt. Daß Kretzschmer sein Berliner Amt 1825 abgab und später als Justizkommissar nach Halberstadt übersiedelte, kann den Entschluß, die Handschrift aus der Hand zu geben, nicht hinreichend erklären; so leicht wird er sich von ihr nicht getrennt haben. Hoffmann von Fallersleben weiß Genaueres: Kretzschmer liebte „das Geistige in zu weiter Ausdehnung" und zerrüttete auf diese Weise nicht nur seine Gesundheit, sondern auch sein Hauswesen, so daß er gezwungen war, seine antiquarischen Schätze nach und nach zu verkaufen 28 . Ob die Versteigerung in Berlin von ihm selber ausging, von einem Antiquar oder aber — auch dies ist nicht ganz ausgeschlossen — von einem Zwischenbesitzer, erfahren wir nicht. Zeisberg (1804 bis 1850), der neue Besitzer, behielt die Handschrift bis an sein Lebensende, ohne über sie zu veröffentlichen. Seine Bedeutung für die Wissenschaft blieb auch im übrigen auf die Sammeltätigkeit beschränkt 29 . Auch Meusebach hat über die Handschrift nichts veröffentlicht, wohl aber, wie er im zitierten Brief an Jacob Grimm selber bezeugt, eine genaue Abschrift von den Liedertexten genommen, die noch in die Besitzzeit Kretzschmers, d. h. vor Frühjahr 1826, vor die Zeit der Versteigerung, zu datieren ist, wie der Wortlaut bezeugt. Diese Abschrift gelangte nach seinem Tode in die Preußische Staatsbibliothek 30 . Er bereicherte sie um eine „Nachricht von der alten Handschrift dieser Lieder", d. h. um Anmerkungen zur Handschrift und zu einzelnen Liedern mit NachWeisungen und sprachlichen Erläuterungen, die Arnold für seine Ausgabe mit herangezogen hat. Meusebach verstand Murr falsch, wenn er Murrs Beobachtung „sonderbaren vermischten Inhaltes" auf das Liederbuch statt auf die Gesamthandschrift mit dem Nebeneinander von Lieder- und Orgelbuch bezog, doch zeigen andere Notizen, daß er hier und da schon klarer sah als Arnold und einzelne Forscher des 20. Jahrhunderts, etwa in der Frage der Identität von Schreiber und Besitzer; doch irrte er wiederum in der Annahme, der Name des Schreibers sei in den Abkürzungen A.g dor auf den Seiten 37 und 41 angedeutet. Als erster erkannte er, daß das Orgelbuch nicht ursprünglich mit dem Liederbuch verbunden war. Durch ihn erfahren wir, daß die ersten acht Blätter schon damals z. T. vermodert waren. Kretzschmers oben erwähnte Mitteilungen zur Handschrift, die ersten veröffentlichten überhaupt, erfuhren Berichtigung und Ergänzung durch den Münchener Universitätsdozenten Hans Ferdinand Maßmann 31 und den Bibliothekar B. J. Docen 32 in der „Münchener Allgemeinen Musikzeitung", und zwar Mein Leben I, 314. Ihm gehörten z. B. auch die vollständigste Handschrift der Weltchronik des Rudolf von Ems, ein Parzivaldruck von 1477 und mittelniederdeutsche Handschriften. 30 Ms. germ. 4° 713 der Berliner Staatsbibliothek (1964 Stiftung Preuß. Kulturbesitz, Depot Marburg/Lahn). Hoffmann von Fallersleben hat die Meusebachschen Handschriften und Autographe 1856 benützt, vgl. Mein Leben VI, 201. — Wendeler (vgl. Anm. 25) nennt die Abschrift „zu Unrecht geschmäht" (340). 31 1797—1874. Vgl. W. Scherer in ADB XX, 569—71. 32 1782—1828. Vgl. zuletzt A. Eischenbroich, NDB IV, 1959. 28

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mit Bezug auf Kretzschmers späteren Liederabdruck in der „Minerva" 182633. Maßmann, der wie andere in jenen Jahrzehnten die Handschrift als „Kretzschmersche Liederhandschrift" bezeichnete, korrigierte zunächst im besonderen am Beispiel „Der wallt hat sich entlawbet" (S. 16f. der Hs.) die Behauptung Kretzschmers, es gäbe keine Konkordanzen. Später ließ er eine kurze Beschreibung der Handschrift folgen 34 , die sicher fehlerhaft war, wie auch Arnold bemängelte, in Einzelfragen aber, z. B. in der Lesung der hebräischen Widmung (S. 15) oder den Daten Ag (atha) dor (othea) 1460 das Richtige traf; Liederbuchforscher des 20. Jahrhunderts blieben darin hinter ihm zurück 36 . Maßmann besaß nach eigenen Worten eine Abschrift „auch der Noten, und zwar zum Theil im Faksimile"; drei der Lieder, Der wallt hat sich entlawbet (S. 16f.), Ich pin pej ir (S. 22) und Ich spring an disem ringe (S. 41) gab er im Faksimile bei 36 . Mit Wahrscheinlichkeit hat er das Original eingesehen, reiste er doch vor seiner Dozententätigkeit in München viel als Sammler und Forscher und war 1824 auch in Berlin 37 . — Docen, der nur einzelne Reime besserte, kannte das Original nicht. Über Maßmann gelangte später Laßberg, und über diesen Annette von DrosteHülshoff zur Kenntnis der Liederbuches, wie wir aus einem Brief Laßbergs an Ludwig Uhland vom 21. 8. 1836 erfahren: „Ich werde dieser Sendung dann noch zwei Liedersammlungen beifügen, in deren Besitz ich seit einem Jahre gekommen bin." Die erste war ein Liederdruck aus dem 16. Jahrhundert „aus mereren zusammengebundenen Sammlungen verschiedener Tonkünstler . . ." „Das andere ist eine Abschrift von etwa 44 Liedern mit Melodien, welche Prof. Maßmann von dem Kretschmarschen Codex des XV. Jahrhunderts genommen und mir zur Abschrift mitgeteilt. Da die beigefügten Weisen nur einfach die Singstimme enthalten; so hat meine Schwägerin Nette Droste (der ich auch das erstgenannte Liederbuch verdanke) zu iedem Liede einen Baß gesezt; so daß sie sich nun ser gut mit Klavierbegleitung spielen lassen . . ," 38 . Uhland antwortete am 13. 10.: „die beiden Liedersammlungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert. . . würden ohne Zweifel ebenfalls meiner Arbeit über die deutschen Volkslieder zur Förderung gereichen. Da ich jetzt etwas freier über meine Zeit verfügen kann, so werde ich das gütig Mitgeteilte nicht lange vorenthalten" 39 . Doch behielt er, wie häufig, das Geliehene über Gebühr lange, und am 9. 11. 1837 sah sich Laßberg veranlaßt, H. F. Maßmann, Beiträge einer Geschichte des deutschen Liedes, 1. Berichtigung und Zusatz zu dem Artikel der Minerva . . ., I, 1827, Nr. 6, Sp. 84—87; Forts. Nr. 7, Sp. 97—101; J. B. Docen, Altdeutsche Lieder betreffend, ebda. Sp. 111. 34 Beiträge xur Geschichte des deutschen Lieds. 2. Genaue Beschreibung der Kretzschmerischen Handschrift, ebda. 1828, Nr. 20, Sp. 313—319. 35 Zur hebräischen Widmung vgl. jetzt: Die Musikforschung 18, 1965, 25—29. 36 1 827, Nr. 6. 3 7 Vgl. Fischartstudien des Freiherrn K. H. G. v. Meusebach, hrsg. v. C. Wendeler, 1879, 124 bzw. 131. 38 Briefwechsel (vgl. Anm. 24), Nr. 92, (299 ff.). Nr. 130 bei K. Barack, Die Hss. der Fürstl.-Fürstenbergischen Hofbibl. zu Donaueschingen, 1865: Papierhs. des XIX. Jh., 81 Blätter in 2°. Halblederband. Deutsche Lieder des XV. Jahrhunderts. Abschrift d. Kretzschmerischen Liederhs. mit gegenüberstehenden Noten, nebst erläuternden Anm. 39 Uhlands Briefwechsel (vgl. Anm. 26) III, Nr. 1691 (69). 33

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„mein altes Liederbuch" zurückzuerbitten, mit einer Begründung, die nach V o r w a n d klingt. D a Lieder des Lochamer-Liederbuches w e d e r in Uhlands Sammlung v o n 1844/45 abgedruckt 3 9 ® noch im reich mit Beispielen versehenen Teil I V „Liebeslieder" des dritten Bandes seiner Schriften v o n 1 8 4 1 4 0 e r w ä h n t werden, scheint Uhland die A b s c h r i f t Laßbergs unausgewertet zurückgegeben zu haben. M e r k w ü r d i g e r noch ist es, daß ein Besuch Uhlands im Spätsommer oder Herbst 1 8 4 2 bei Zeisberg und in dessen Bibliothek 4 1 sich in dieser Hinsicht ebenfalls nicht niederschlug. — W i r v e r f o l g e n die Geschichte der K e n n t n i s des Liederbuches in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein Seitenthema dieser Darstellung, auch einer speziellen Frage w e g e n noch ein wenig weiter. Annette von Droste-Hülshoff verkörpert in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber den bisher Genannten, die gelehrtes Interesse an das Liederbuch führte, das dichterisch-ästhetische Interesse am älteren Volkslied, ohne daß dieses aber auf ihr Schaffen einwirkte 42 . Vor allem: sie setzte sich einen Klaviersatz zu den einstimmigen Weisen und sie sang die ihr zusagenden Lieder zeitlebens selber. Den Hauptbestand der von ihr geschätzten und bearbeiteten älteren Lieder entnahm sie den beiden im Briefe Laßbergs an Uhland erwähnten Sammlungen, dem Sammeldruck des 16. Jahrhunderts 43 , den sie ihrem Schwager geschenkt hatte, und dem Lochamer-Liederbuch, das sie 1836 nach der Maßmannschen Abschrift für ihn kopierte 44 . Im Nachlaß befindet sich handschriftlich die fast vollständige 45 Bearbeitung des Lochamer-Liederbuches in Reinschrift, in Eppishausen, dem Wohnsitz Laßbergs, entstanden und diesem zum Namenstag am 19. März 1836 gewidmet. Wenn diese mit der „Abschrift" identisch ist, die Laß39a Nach Arens (vgl. Anm. 43), 329, nahm Uhland drei Lieder des Liederbuches auf, die ihm nicht Annette, sondern A. Schott vermittelt hatte. 40 Zur Entstehungszeit des Teils IV vgl. F. Pfeiffer in der Einleitung zu Band III (X): 1841. 41 Ludwig Uhlands Leben. Aus dessen Nachlaß und aus eigener Erinnerung zusammengestellt von seiner Witwe, 1874, 304 f. Daß er in Wernigerode Abschriften nahm, geht aus einem Brief Heinrich Pröhles vom 19. 11. 1854 hervor, vgl. Uhlands Briefwechsel IV, 1916, Nr. 2586 (2506?), 108. Vgl. noch die Erwähnung der Handschrift in einem Briefe W. Wackernagels an Uhland (ebda. III, 144, Nr. 1816) v. 9. 12. 1839. — Im Sommer 1853 müßte Uhland, als er Meusebachs Nachlaß in Berlin durchforschte (vgl. Wilhelm Heiske, Ludwig Uhlands Volksliedersammlung [Palaestra 167], 1929, 12), auf dessen Abschrift gestoßen sein. 42 Vgl. John Meier und Erich Seemann, Volksliedaufzeichnungen der Dichterin Annette von DrosteHülshoff; Jahrbuch f. Volksliedforschung 1, 1928, 79—118, bes. 80. 43 Ebda., 80. Inhalt bei E. Arens, Annette von Droste und das Volkslied, Heimatblätter der Roten Erde (Monatshefte des Westfälischen Heimatbundes) I, 1919/20, 321—35; 323f. (Literaturangaben zum Thema vgl. 335). 44 Einige Lieder gaben ihre Schwester Jenny von Laßberg und der ihr befreundete Professor C. Schlüter nach ihrem Tode zusammen mit Kompositionen eigener und fremder Gedichte heraus: Lieder mit Pianoforte-Begleitung, componiert von Annette von Droste-Hülshoff (Münster, bei Russell, 1877). Die Ausgabe ist von einem „Chordirektor Schmidt" revidiert (es handelt sich um Friedrich Schmidt [1840—1923], von 1864—1903 Domchordirektor in Münster, führender Cäcilianer); sie enthält als Nr. 5 und 21 „Mein Freud möcht ich wohl mehren" (nach S. 8f. d. Hs.; Text z. T. verändert) und „Ich spring' an diesem Reihen" (5 von 7 Strophen nach S. 41). Inzwischen liegt eine neue Auswahl vor: A. v. D.-H., Lieder und Gesänge, hrsg., ausgew. und erläutert von K. G. Feilerer, 1954; darin aus dem Liederbuch: „Mein Mut ist mir betrübet gar" (S. 1 der Hs. = Nr. 10), „Wach auf mein Hort" (S. 2 = Nr. 11) und „All mein Gedanken" (S. 37 = Nr. 9). 45 Es fehlen nur die Liednachträge im Fundamentum, die textlosen Melodien, die melodielosen Texte sowie Lieder, wo die Textlegung Schwierigkeiten bereitete. Vgl. auch in der Anm. 47 genannten Studie, 202.

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berg an Uhland übersandte — und der Wortlaut im Brief Laßbergs vom 21. August 1836 läßt daran kaum Zweifel; Annette kann ihren Baß auch nicht gut in die Maßmannsche Abschrift hineingeschrieben haben —, könnte sich Uhlands Passivität im Jahre 1836/37 vielleicht aus einer Reserve vor der „Bearbeitung" erklären, wie denn auch Annette selber, nach einem Briefe an ihre Schwester vom Mai 1836, gezweifelt hatte, „ob das Unangenehme, daß ich mich selber bei diese Sachen gegeben hätte, nicht das Angenehme für ihn [Laßberg] überwöge" 46 . Über Annettes Bearbeitungen liegt eine Studie von K. G. Feilerer vor 47 , derzufolge sie für die drei Lieder Mein freud möcbt sich wol meren (S. 8 f.), All mein gedencken (S. 37) und Ich spring an diserti ringe (S. 41) als Vorlage Sätze des Anfang des 17. Jahrhunderts in Wolfenbüttel und Göttingen wirkenden Kantors Otto Siegfried Harnisch genannt hatte. Diese Angabe hat sich auch durch den Verfasser der Studie selber bisher nicht bestätigen lassen. Sie scheint auf einem Irrtum zu beruhen 48 . Unter den bekannten Liedsätzen Harnischs sind die drei Lieder nicht nachzuweisen. Wir hätten hier sonst einen wertvollen — bisher einzigen — Anhaltspunkt für das Weiterleben einzelner, im 16. Jahrhundert sonst nicht überlieferter Lieder des Liederbuches, und das hieße doch u. U. auch zugleich einen Hinweis auf Bekanntschaft mit der Handschrift. Aber diese scheint, wie wir oben vermuteten, bis zum Auftauchen bei Murr im Jahre 1811 in einem Nürnberger Bürgerhause versteckt und unzugänglich gewesen zu sein ; überdies erlaubt die Biographie Harnischs keine Rückschlüsse auf eine Reise nach Oberdeutschland. Mit ihrer Intuition und produktiven Aufgeschlossenheit gerade für dieses Liederbuch steht Annette in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allein. Ihr wurde es geistiges Eigentum. Sie kann als erste, wahrhaft profilierte Vorläuferin für das später zunehmende und bis in unsere Tage hinein anhaltende Interesse breiter Schichten für eben diese Handschrift als der Quelle des Prototyps des „schönen, altdeutschen Liedes" gelten, jedoch ohne Weiterwirkung in ihrer Zeit. Das Interesse scheint erst nach Arnold-Bellermanns Ausgabe von 1867 langsam und stetig gewachsen zu sein 49 . Für die relativ geringe Kenntnis in den Jahrzehnten zuvor mag der folgende Uberblick sprechen, der diesen Exkurs, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, abschließen soll. Nach Kretzschmers Bekanntmachung von 1822 mit Abdruck der Texte von vier Liedern veröffentlichte Franz Stöpel 182450 zum ersten Male 51 ein Lied mit Melodie, und zwar das auch 46

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Die Briefe der Annette von Droste-Hiilshoff\ Gesamtausgabe v. K. Schulte-Kemminghausen I, 1944, 172f. (Nr. 56). Zur Frage angeblicher „Mystifikation" vgl. H. Hüffer, Annette von Droste-Hülshoff und ihre Werke, 3. Ausgabe (sic), bearb. v. H. Cardauns, 1911, 117, Anm. 3, ferner 133. Das Lochamer Liederbuch in der Bearbeitung der Annette von Droste-Hülshoff. Die Musikforschung 5,1952, 200—205. Infolge der Übernahme von Arnolds Zählung sind in Anm. 15 die Angaben fehlerhaft. — Vgl. von dems. auch den Droste-Artikel in MGG. Freundliche Auskunft von Dr. H. O. Hiekel, Göttingen, Verf. d. MGG-Artikels Harnisch sowie der Dissertation : O. S. Harnisch, Leben und Kompositionen. Ein Beitrag zur Gesch. d. dt. Chorliedes in Niedersachsen um 1600, Hamburg 1958 (masch.); vgl. hier 181 und das Werkverzeichnis 184—192. — Vgl. zu dieser Frage noch Arens (vgl. Anm. 43), 323 f. und dessen Hinweis auf Schücking (A. v. Droste, 1862, 125), an den Feilerer sich vielleicht anlehnte. In der Wissenschaft zunächst bei den Musikhistorikern, vgl. z. B. A. W. Ambros, Gesch. d. Musik (1862ff.), III, 1868, 367f.; O. Kade, Monatshefte f. Musikgeschichte 4, 1872, 233—48 (Kritisches zur Ausgabe nach Vergleichung der Handschrift). In der Germanistik kam das Liederbuch erst spät zur gebührenden Beachtung. Bei W. Scherer, Geschichte d. dt. Lit., 1883; K. Goedeke, Grundriß I 2 1884; A. Koberstein, Geschichte d. dt. Nationalliteratur bis Ende des 16.Jhs., 6. Aufl. v. K. Bartsch 1884, ist es nicht erwähnt, bei Ehrismann (II, 2, 2; 1935) mit einer Zeile. Eine Besprechung der Ausgabe Arnold-Bellermann (1867) fanden wir in den Bänden 1—10 (1876ff.) des AfdA nicht. Ambros (s. o.) nahm immer wieder Bezug auf sie, vgl. auch Kade. In „Cäcilia" (Mainz) I. Stöpel war später Herausgeber der „Münchener Allgem. Musikzeitung". Zu ihm vgl. auch Hoffmann von Fallersleben a. a. O., I, 317. Es für ein pawr gen holein „Kirmesbüchlein. Eine Sammlung der besten deutschen Trinklieder . . .", Frohburg 1804, 145ff., abgedruckt, ist eine stark veränderte spätere (Spiel-)Fas2«

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in der Folge bevorzugte Reihen- oder Kataloglied Ich spring an diesm ringe (S. 41) in 3/8 Takt mit äußerst zurückhaltendem Klaviersatz: der Baß repetiert F und wechselt nur selten zum C. Da Stöpel nach dem Liedbeginn mit der Bemerkung „die wahrscheinlich noch folgenden Textstrophen fehlen im Codex" schließt, diese dort aber vollständig aufgezeichnet sind, ist er nicht von der Handschrift oder einer vollständigen Abschrift, sondern von einem Teilauszug ausgegangen, vielleicht demjenigen Joh. Gust. Gottl. Büschings in Breslau, eines Bahnbrechers der deutschen Altertumskunde 52 . Stöpels Melodiefassung deckt sich mit derjenigen Carl Johann A. Hoffmanns, der 1826 in Breslau — in welchem Jahre auch Kretzschmer, wie erwähnt, die Melodie Ich pin pey ir herausgab — „Vier Lieder der Minne aus den Zeiten der Minnesänger für vier Männerstimmen bearbeitet und dem Herrn Prof. Dr. Büsching hochachtungsvoll gewidmet" veröffentlichte 53 . Bei den drei anderen Liedern handelt es sich um Unmut hat mir beladen (S. 36 der Hs.), Ich var dohin (S. 9) und den Tischsegen Almecktiger got (S. 32) 54 . Hoffmann teilte im Vorwort mit, daß er die Lieder noch vor Stöpels Veröffentlichung (1824) von Büsching erhalten habe. Dieser hat vermutlich bei Kretzschmer in Berlin Einblick in die Handschrift genommen oder auf dem damals üblichen Wege des Austausches Kenntnis erhalten; Vermittler könnte Hoffmann von Fallersleben gewesen sein 55 . Friedrich Silcher bearbeitete, vermutlich nach Maßmanns Faksimileabdruck von 1827, im Jahre 1830 Ich var dohitfi6. Kretzschmer nahm in seine 1838 begonnene, 1840 von Zuccalmaglio fortgeführte Sammlung „Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen" Ich var dohin (S. 9) 57 und Ich spring an disem ringe (S. 41) 58 auf, beide mit nur einer Textstrophe. Von hier übernahm wahrscheinlich Franz Ludwig Mittler das Abschiedslied in seine „Deutschen Volkslieder". Er druckte ebenfalls nur eine Strophe ohne Nachweis ab, zitierte Kretzschmer indessen bei anderen Liedern als Quelle 59 . Die erste Auflage (1855) enthielt unter der Überschrift „An Sie" (Nr. 650) die erste Strophe von All mein gedencken. 1848 erschien es auch in den „Männerliedern" Wilhelm Greefs 60 . Wir dürfen wohl auch in diesem Falle Kretzschmer — oder Maßmann — als Quelle annehmen. Georg Scherer, der Kretzschmer für seine „Deutschen Volkslieder" 61 benutzte, nahm keines der Lieder auf. C. F. Becker brachte in „Lieder und Weisen vergangener Jahrhunderte" nur Der wallt hat sich entlawbet62, Uhland dagegen, wie erwähnt, nicht eines 63 , ebenso F. K. Frei-

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sung (vgl. auch Weltliche und geistliche Volkslieder und Volksschauspiele, hrsg. v. Heinr. Pröhle, 1855, Nr. 85). Dankenswerte, freundliche Mitteilung des Deutschen Volksliedarchivs, Freiburg/Breisgau. Nachrichten... Vgl. A. Schultze in ADB III, 645 f. (in NDB III nur der Vater). B.'s Wöchentliche erschienen nur 1816 bis 1819 (Band IV). Bestellung über Fernleihe blieb selbst bei der Deutschen Bücherei in Leipzig erfolglos. Verleger Hoffmanns in Breslau war Förster. Dazu finden sich Uberschriften nach dem Geschmack des 19. Jahrhunderts, z. B. „Ritters Sehnsucht". Das Kataloglied (S. 41) lief seit Stöpels Veröffentlichung unter „Ringelreigen". Vgl. Arnold, 2 (auch zum Folgenden). Vgl. im Briefwechsel Meusebach—Brüder Grimm, X X X I X u. ö. — In der „Sammlung deutscher Volkslieder" (mit einem Anhang fläm. und franz. Lieder), die Büsching mit v. d. Hagen 1807 in Berlin herausgab, sind Lieder des Liederbuches noch nicht enthalten. Vgl. B. Nennstiel, Studie ?um Lochamer Liederbuch, Zs. f. Schulmusik 6, 1933, 152—155; 153. Versuche genauer Nachweisung blieben bisher erfolglos. I, Nr. 269, auch in II als Nr. 144. Dies war die Quelle für den dreistimmigen Satz von Johannes Brahms, vgl. S. Kross, Brahmsiana. Der Nachlaß der Schwestern Völckers, Die Musik5 8 II, Nr. 266. forschung 17, 1964, 110—151; 128; 143. 2. Aufl. 1865. Das Abschiedslied ist Nr. 738 (unter 16. Jahrhundert). Heft I—IV, 1848; III, S. 24. „. . . Mehr als 200 der vorzüglichsten Gedichte und Lieder", 3. Aufl. 1866. 2. Auflage 1853, 2. Abtig., Nr. 9. Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, 2 Bde. 1844/45, enthält als Nr. 134 die Kontrafaktur aus dem Fichardschen Liederbuch zu Der wallt hat sich entlawbet. Im Verzeichnis der Handschriften (II, 973) ist das Lochamer-Liederbuch nicht genannt. Vgl. aber oben Anm. 39 a.

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herr von Erlach in „Die Volkslieder der Deutschen. Eine vollständige Sammlung der vorzüglichen deutschen Volkslieder von der Mitte des fünfzehnten . . . Jahrhunderts" 64 , auch nicht Hoffmann von Fallersleben im „Deutschen Volksgesangbuch" 65 oder Ludwig Erk in seinen Sammlungen von 1838—41 (mit Irmer) und 1841—44, in seinem „Deutschen Volksgesangbuch", „Deutschen Liederhort" (beide 1856), auch nicht in „Germania, Deutsches Volksgesangbuch" (1868). Gleiches gilt für die Sammlungen von Wilibald Walter (1841), G. W. Fink (1843/49), Karl Simrock (1851) und Heinrich Pröhle (1855) sowie für das „Liederbuch des deutschen Volkes" mit über 1000 Liedern (ohne Herausgeber, 1843) und das „Allgemeine deutsche Liederlexikon" mit 21/a Tausend Texten (1847). Eine Erhellung des Sachverhalts erhalten wir durch die Einschätzung Franz Magnus Böhmes, der in seinem „Altdeutschen Liederbuch" All mein gedenken, Der wallt hat sich entlawbet und Ich var dohin aufnahm, zur Quelle jedoch bemerkte: „Es sind nur [ ! ] Minne- und Meisterlieder und einige Gesänge von Fahrenden ; volksthümliches Gut ist wenig darin" 66 . D. h. die Ursache ist nicht darin zu sehen, daß der Liederbestand der Handschrift noch nicht vollständig veröffentlicht war, sondern noch nach 1850 war ein Gesichtspunkt der „Volkstümlichkeit" entscheidend, und auch die Durchsicht der Liedersammlungen der Jahrzehnte vor und nach 1900 bezeugt, daß nur wenige Lieder, wie die drei zuletzt genannten, die Böhme aufnahm, zum Gut der Allgemeinheit zählten; ihre Wertschätzung wurde, so müssen wir folgern, auf das Liederbuch als Ganzes übertragen, ohne daß die Mehrzahl der anderen Lieder gleiche Volkstümlichkeit erlangen konnte. Die Gründe dafür zu erörtern, ist eine Aufgabe für sich. Wir glauben, daß sich an der Geschichte einzelner Lieder des Lochamer-Liederbuches, an der Verschiedenartigkeit ihrer Aufnahme aufgrund der jeweiligen Kriterien von Wort und Ton der Volksliedbegriff des 19. Jahrhunderts genauer abgrenzen ließe. Hier sei abschließend noch darauf hingewiesen, daß die Herausgeber der genannten Liedersammlungen in keinem Falle andere Lieder als jene drei und das Reigenlied aufnahmen 66 », obwohl Kretzschmer, Maßmann und Hoffmann weitere bereits mit Melodie veröffentlicht hatten.

Mitte Oktober 1828 verließ Zeisberg, Besitzer der Handschrift seit 1826, der in drei Jahren des Aufenthaltes sein Jurastudium zu Gunsten seiner Bücherliebhaberei vernachlässigt hatte, Berlin, um nach Wernigerode heimzukehren. Seine Absicht, sich um Anstellung bei der Königlichen Bibliothek zu bewerben, hat er nicht zum Erfolg führen können 67 . Er blieb in Wernigerode, wurde 1830 Gräflich Stolbergscher Bibliothekssekretär und 1846 Bibliothekar 68 ; seine Sammeltätigkeit setzte er auch hier fort. Die Handschrift wird in dieser Zeit, wie 5 Bde. 1834—46 (36?). 1848 (175 Lieder). 6 6 Vgl. 3., unveränderte Auflage 1925, 71 f. Vgl. hierzu noch A. Vilmar im Brief an Hoffmann von Fallersleben (1840) abgedruckt in: H. v. F., Mein Leben III, 190: „es muß eine Anthologie der Volkslieder des 15.—16. Jh. veranstaltet werden . . . nach dem objektiven Maßstabe, zunächst nur das aufzunehmen, was e r w e i s l i c h allgemein gesungen worden, der Beweis dafür ist aus der Nachahmung des Tons, weltlich und geistlich, und aus der geistlichen Umdichtung, welche statt gefunden hat, zu entnehmen". Kriterium war demnach die Verbreitung in älterer Zeit. Vgl. auch Arens (Anm. 43), 324. 6 6 a Andere Lieder erscheinen in der großen Mehrzahl erst im 20. Jh. in den Sammlungen, wie aus einer dankenswerterweise vom Deutschen Volksliedarchiv zur Verfügung gestellten Aufstellung hervorgeht. 67 Vgl. Briefwechsel Meusebach—Brüder Grimm, Nr. 53 (100ff.; vom 19. 10. 1828). 6 8 Vgl. auch zum Folgenden, E. Jacobs (später gräfl. Stolbergscher Archivar), ADB I.V (1910), 402—404; ferner Briefwechsel, 325 (zu Nr. 19); der Herausgeber, C. Wendeler, hatte Nachrichten über Zeisberg und den Verkauf seiner Bibliothek erhalten, so auch die Angabe des Kaufpreises. Hier weitere Literatur. 1857 als Verkaufsjahr beruht auf einem Irrtum Jacobs oder Wendelers, vgl. im folgenden und Anm. 72. 64 65

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F. H. von der Hagen, auch anderen Gelehrten zu Gesicht gekommen sein 69 . Bei seinem Tode hinterließ Zeisberg eine Privatbibliothek von etwa 16000 Bänden, mit einer kleinen Sammlung wertvoller Handschriften. Sie wurde katalogisiert und zum Verkaufe angeboten, dann aber, da ein Verkauf der ganzen Bibliothek nicht gleich zustande kam, nicht, wie im Falle Forkel, zerstreut, sondern zur Sicherung verpackt und gelagert. Im Jahre 1858 übernahm sie Graf Botho zu Stolberg oder dessen Mündel Graf Otto, von Zeisbergs Nachfolger Ernst Wilhelm Förstemann 70 bewogen, in seine Bibliothek 70 ». Der Kaufpreis betrug 11000 Taler 71 . Mit der Bibliothek ging auch die Handschrift in gräflichen Besitz über, hier als Z(eis)b(erg) 14 gekennzeichnet. Der Verkauf fand in der zweiten Hälfte des Jahres 1858 statt, Hoff mann von Fallersleben hat die Zeisbergsche Bibliothek zuvor vom 27. Juni bis zum 7. Juli noch benutzen können: „Alle Welt ist hier erstaunt, denn noch niemand wurde nach Zeisberg's Tode in die Bibliothek zugelassen" 72 . Durch den Verkauf wurden die Bestände Zeisbergs der Öffentlichkeit und Wissenschaft zugänglich, wie die Stolbergsche Bibliothek 73 bereits seit dem 18. Jahrhundert, doch hat man bei den Handschriften zweifellos besondere Vorsicht walten lassen. Arnold berichtet, daß Philipp Wackernagel seinen Besuch vermittelte 74 . Sein „Revisor" Heinrich Bellermann hat sie, wie es scheint, von März bis August 1864 ausleihen können 75 — auch für Arnold, der von „unbeschränktester Benutzung" spricht (6), ist dies nicht ausgeschlossen. Die Bedeutung der Handschrift ist dem Hause Stolberg-Wernigerode wohl erst viele Jahre später gänzlich aufgegangen, als am 6. 9. 1924 Konrad Ameln, der sich zuvor eingehend mit ihr beschäftigt hatte, im Schloß einen Vortrag über „Lochamers Liederhandschrift" hielt, mit Erläuterungen anhand des Originals und Vortrag einzelner Beispiele 76 . Anschließend in Nürnberg im Germanischen 69

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Jacobs nennt u. a. den Historiker Pertz. V. d. Hagen bezieht sich 1838 im 4. Band der „Minnesinger", 441, Anm. 5, auf die Glosse ah des neytharts veyel auf S. 29 der Hs.; in Wolflein von L. sah er den Sammler der Lieder. Daß Zeisberg in Wernigerode die Handschrift besaß, war ihm bekannt. Vgl. E. Schneider, NDB V. Zu dieser (durch ihre Bibel- u. Gesangsbuchslg. berühmt) vgl. O. Graf zu Stolberg-Wernigerode, Christian Ernst Graf St.-W. ah Politiker (1691—1771J, Jb. f. d. Gesch. Mittel-u. Ostdeutschlands XIII/XIV, 1965, 88—109; 90 u. ö. „Vor Jahren wurden den Erben 12000 Taler geboten, jetzt verlangen sie 15000", vgl. Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben IV, 261. Ebda., 260. Im Jahre zuvor hatte er nur die gräfliche Bibliothek besucht, vgl. 214. Rechnungen über Beträge für Arbeiten bei der Übernahme der Bibliothek bestätigen gleichfalls 1858 als Verkaufsjahr (dankenswerte Mitteilung von Dr. Ross, Leiter des Landesarchivs Oranienbaum/Anhalt). Von den z. B. 1898 außerhalb der Bibliothek gelesenen Büchern wurden 935 innerhalb der Grafschaft, außerhalb . . . 696 . . . entliehen, vgl. (E.) Jacobs, Nachricht über die Fürstliche Bibliothek zu Wernigerode, 1899, 2. Vgl. 6. Vgl. Nachwort, 229. Die Aufführung wurde (freundliche Mitteilung von Dr. Konrad Ameln, Lüdenscheid, dem hier auch für eine Reihe weiterer Einzelheiten zum Wechsel der Handschrift von Wernigerode

Zur Geschichte der Handschrift des Lochamer-Liederbuches

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Nationalmuseum, danach in Stadtbibliothek und -archiv vorfühlend, fand er wenig Interesse für die Erwerbung; allerdings dachte man in Wernigerode damals noch nicht an Verkauf. Der Erhaltungszustand der Handschrift, die damals meist als „Codex Wernigerode" bezeichnet wurde, die Gefahr weiterer Vermoderung, die Unterbringung in einem früheren Orangeriegebäude führten Ameln dann zu dem Entschluß, sie in ihrem damaligen Zustand in einer Faksimile-Ausgabe festzuhalten, mit deren vorzüglichem Gelingen er sich besondere Verdienste um die Liederbuchforschung erworben hat — kann sie doch, mit einem entschieden • weiterführenden Nachwort versehen, sehr weitgehend als Ersatz des Originals gelten 77 . Praktische Ausgaben folgten bald. Aufgrund von Nachrichten im Sommer 1928, daß der Fürst, nach Fehlschlag geschäftlicher Unternehmungen, in dieser Zeit allgemeiner wirtschaftlicher Depression wertvolle Stücke aus seinen Sammlungen von Altertümern zu veräußern gezwungen war und bereits veräußerte, bat der damalige Direktor des Germanischen Nationalmuseums Heinrich Zimmermann, seines Zeichens Kunsthistoriker und persönlich mit dem Stolbergschen Bibliothekar Dr. Günther Dennecke in Wernigerode bekannt, diesen am 1. 8. 192 8 78 , dem Nationalmuseum eine Ottonische Handschrift zu verschaffen; das für Nürnberg so bedeutsame Liederbuch erwähnte er nicht. Von Dennecke durch Ansichtssendung (des Faksimiles) auf die Handschrift hingewiesen, antwortete er am 28. September: „. . . was das Locheimer Liederbuch angeht, so wäre es natürlich für Nürnberg von größtem Interesse. Andererseits werden Sie verstehen, daß ich nicht gerne Geld dafür ausgebe, zumal ich schon in diesem Jahre so stark gesündigt habe 79 . nach Berlin und für andere Mitteilungen aufrichtig gedankt sei) am 22. März 1926 vor dem Wernigeroder Geschichtsverein wiederholt. Mit Vorträgen und Aufführungen machte K. Ameln das Liederbuch auch im weiteren Lande bekannt, z. B. 1925/26 in Berlin, Augsburg und Dortmund. Am 5. Februar 1930 folgte darin auch ein Volksliederabend in Breslau mit Heribert Ringmann, dem Mitherausgeber des „Glogauer Liederbuches". Vorangegangen war W. Gurlitt im September 1922 (Kunsthalle Karlsruhe) und April 1924 (Hamburg). Ihm hatte Ameln — als Schüler — manche Anregung zu verdanken. 77 Locheimer Liederbuch und Fundamentum organisandi des Conrad Paumann, in Faksimiledruck hrsg. v. K. A., Wölbing-Verlag Berlin 1925. (Eine Neuauflage des Faksimiledruckes ist in Aussicht genommen.) Titel und Einband zeichnete Otto Westphal, Dresden.OffizinH. G.Röder, Leipzig. Der Preis für die Halbpergamentausgabe betrug 65,—, für die Luxusausgabe in Halbleder (300 num. Exemplare) 120,—. Der Verleger ließ 2 Luxusausgaben auf der Leipziger Messe auslegen. — K. Ameln ließ 1925 im Bärenreiterverlag auch eine Ausgabe der mehrstimmigen Liedsätze erscheinen ( 2 1929). Die ebenfalls praktische Ausgabe von K. Escher und W. Lott folgte 1926. — Anzeigen und Rezensionen der Faksimileausgabe vgl. u. a. ZfMw. 1926, 443f. ( J . H. Wetzel); ZfM 1926, 92 (K. Dezes); Dt. Tonkünstlerzeitung 5. 12. 1925; Allgem. Musikzeitung 11. 12. 1925; Zentralblatt für Bibliothekswesen 43, 1926, 183 (Joh. Wolf). 78 Vgl., auch zum Folgenden, Korrespondenz des Germ. Nat. Mus. II, l a Nr. 5142 (1. 8. 28); aall l a Nr. 7612; aall l a Nr. 257. Das Schreiben Denneckes vom 30. 9. 28 ist nicht signiert. Für freundliche Hilfe dankt der Verf. auch an dieser Stelle Dr. Elisabeth Rücker und Dr. Veit, Germ. Nat. Mus. Nürnberg. — Bibliothekar in Wernigerode war u. a. 1924 Wilhelm Herse (später Direktor). 79 Nach freundlicher Auskunft von Dr. Hans Zirnbauer, Direktor der Handschriftenabteilung der Stadtbibliothek Nürnberg, hatte der Ankauf einer österreichischen „Madonna lactans" damals den Etat stark belastet.

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Christoph Petzsch

Ich möchte sehr gerne veranlassen, daß die Stadt das Stück erwirbt. Ich habe auch mit dem Direktor der hiesigen Stadtbibliothek einen Feldzugplan entworfen, der dahin geht, daß das Stück unbedingt zunächst Herrn Oberbürgermeister Dr. Luppe . . . angeboten werden muß . . . Diskreterweise schreiben Sie in Ihrem Briefe garnicht, wieviel Sie für das Liederbuch erzielen müßten . . .". Zimmermann riet dann zu einem „etwas höheren Preisansatz" und betonte noch einmal, es sei erfolgversprechender, wenn Dennecke, als wenn er selber oder Stadtbibliotheksdirektor Dr. Bock es ans Rathaus weitergäben. Dennecke dankte am 30. September für den Rat und teilte mit, daß mit gleicher Post ein Brief an den Oberbürgermeister abgehe. Dieser Brief, der den geforderten Preis enthalten haben muß, ist im Kriege verbrannt. Den Transport des Liederbuches deklarierte Dennecke mit 10000 Reichsmark, was Zimmermann in einem Brief vom 11. Januar 1929 unvorsichtig nannte, die Summe könnte als Endpreis mißverstanden werden. Er bot sich zur Vermittlung an. Obwohl auch Bibliotheksdirektor Bock einen dringenden Antrag an die Stadt stellte — der geforderte Preis war seiner Erinnerung nach hoch, aber durchaus angemessen80 —, kam der Ankauf infolge der Finanzlage der Stadt Nürnberg nicht zustande (die Unterlagen sind nach Auskunft der Stadtbibliothek nicht erhalten). Auch bei dieser Sachlage hat sich das Germanische Nationalmuseum nicht zum Ankauf entschließen können, und so kehrte die Handschrift nicht wieder an ihren Entstehungsort zurück. Habebat libellum aliud fatum. In Wernigerode schloß man einen Vergleich, die Deutsche Bank übernahm die Aktiva; mit der Verwertung der Bibliothek wurde hauptsächlich der Berliner Antiquar Martin Breslauer beauftragt 81 . Da bereits ein Angebot aus den Vereinigten Staaten vorlag, bat Johannes Wolf, der Leiter der Musikabteilung der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin, Konrad Ameln in den Tagen um Neujahr 1930, beim Fürsten (und dessen Bibliotheksdirektor Dr. W. Herse) vorstellig zu werden, um den Verkauf ins Ausland zu verhindern. Dieser Schritt hatte Erfolg. Die Handschrift konnte dann mit Hilfe des preußischen Kultusministeriums, das für die damals nicht seltenen Fälle der Auflösung wertvoller Privatbibliotheken einen Sonderfonds bereitgestellt hatte, als „eins der wertvollsten musikalischen Kulturdokumente deutscher Vergangenheit" für die Musikabteilung der Staatsbibliothek erworben werden82. Laut Rechnung des 80

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So in schriftlicher Mitteilung an den Verf.; Stadtarchivdirektor Dr. W. Schultheiß erfuhr bei persönlicher Rückfrage, es könnte sich um 5000 Reichsmark gehandelt haben. — Da der Antrag von vornherein wegen der Wirtschaitsdepression abgelehnt werden mußte, sei seiner Ansicht nach ein Niederschlag in Stadtratsprotokollen (ohne Register) und Stadtchronik nicht zu erwarten. Auch die Unterlagen (Korrespondenz) der Stadtbibliothek sind nicht erhalten. Dankenswerte Mitteilung von Stadtarchivdirektor Dr. B. Schwineköper, Freiburg/Breisgau (früher Landeshauptarchiv Magdeburg). Vgl. dazu Joh. Wolf in: Jahresbericht der Preußischen Staatsbibliothek 1930, 1931, 59ff.; 119f. („selbst Fürstenhäuser und Klöster mußten der Zeit ihren Tribut zollen . . . Da war es Pflicht der öffentlichen Hand, zu retten, was zu retten war . . ."); ders., Neuerwerbungen der Musikabteilung der Staatsbibliothek Berlin 1928—1931, Acta Musicologica 3, 1931, 119—124 (und 171—174); 121. — Aus dem Sonderfonds konnte z. B. zugleich der Ankauf der wertvollsten Stücke der Reste der Bibliothek Dr. Werner Wolffheim bestritten werden.

Zur Geschichte der Handschrift des Lochamer-Liederbuches

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Antiquars v o m 18. 2. 1 9 3 1 betrug der K a u f p r e i s 2 0 0 0 0 Reichsmark 8 3 . K o r r e spondenz zwischen W e r n i g e r o d e u n d d e m Antiquariat w a r nicht e r r e i c h b a r 8 4 ; K o r r e s p o n d e n z zwischen dem nach 1 9 3 3 liquidierten Antiquariat u n d der Musikabteilung liegt f ü r diesen Fall nicht v o r 8 5 . Die Rechnung ist somit d e r einzige schriftliche Beleg. Ihre A u s f e r t i g u n g erfolgte nachträglich, die Handschrift ist unter der N u m m e r M 1 9 3 0 2 3 4 6 akzessioniert, d. h. bereits i m Geschäftsjahr 1 9 3 0 e r w o r b e n w o r d e n 8 6 . Bald nach der E r w e r b u n g könnte sie eine s o r g f ä l t i g e Restaurierung erfahren haben 8 7 . D i e V e r m o d e r u n g der ersten acht Blätter, v o n der schon Meusebach u m 1 8 2 5 berichtet hatte, müßte sich dabei damals j e d o c h als irreparabel erwiesen haben. I m J a h r e l 9 4 1 8 8 w u r d e die Handschrift mit weiteren Beständen der Preußischen Staatsbibliothek in die Erzabtei B e u r o n (Hohenzollern) verlagert. V o n d o r t k a m sie 1 9 4 8 nach Tübingen u n d hier, i m G e b ä u d e der Universitätsbibliothek, ist sie seit dem 1. September des gleichen Jahres mit d e m nach B e u r o n v e r l a g e r t e n Bestand der Forschung wieder zugänglich 8 9 . 83

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Freundliche Mitteilung, auch zum Folgenden, von Dr. K.-H. Köhler, Direktor der Musik abteilung. Die Rechnung befindet sich in der Korrespondenz der Musikabteilung. Nach Auskunft des Landesarchivs Oranienbaum (Anhalt), das die — „ohne jeden Verlust" sichergestellten (Dr. Schwineköper, Stadtarchiv Freiburg i. Breisgau) — Archivalien des Fürsten Stolberg-Wernigerode aufbewahrt, ist anzunehmen, daß genauere Angaben in den vier Bänden der Kammer Wernigerode betr. „Schriftwechsel mit M. Breslauer, Berlin, über den Verkauf der Fürstlichen Bibliothek" aus den Jahren 1930—1933 enthalten sind. Diese seien im Repertorium ohne Angabe der Lagerungssignatur verzeichnet, konnten deshalb ohne größere Mühe nicht aufgefunden werden. — Die nicht verkauften Handschriften und die Bibliothek befinden sich in der Univ.- und Landesbibliothek Halle/Saale (Mitteilung von Dr. Schwineköper). „. . . wie überhaupt die Korrespondenz mit dieser Firma sehr schmal ist, was wohl darauf zurückzuführen sein dürfte, daß sich dieses Antiquariat in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses Unter den Linden, nämlich in der Französischen Straße 46, befand" (freundliche Mitteilung von Direktor Dr. Köhler). Das „Haus Unter den Linden" ist die Staatsbibliothek. Das Akzessionsjournal weist diese Nummer erst am 20. 2. 1931 nach, wohl aufgrund der 2 Tage vorher ausgestellten Rechnung. Breslauer bemühte sich zuvor angelegentlich und versuchte „immer noch, einen Käufer zu finden, aber leicht scheint es ihm nicht zu fallen" (Wölbing [vgl. Anm. 77] an K. Ameln vom 15. 1. 1931). Unterlagen sind darüber in der Musikabteilung nicht vorhanden. Dr. Rolf Ibscher, Kleinmachnow bei Berlin, teilte dankenswerterweise mit, daß sein Vater Hugo I., der bekannte Palimpsestspezialist (von J. Wolf und K. Ameln schon 1924 wegen der Moderflecken um Rat gefragt: progressive Zerstörung aufgrund der Art der Vermoderung nicht aufzuhalten), zuverlässigen Aufzeichnungen über durchgeführte Arbeiten zufolge nicht restauriert habe. Auch Dr. Ameln erinnert sich nicht an eine Restauration. „Nach unseren Unterlagen . . . ,zu Anfang des Krieges', genau wohl Oktober 1941" (Formulierung Dr. W. Virneisel, vgl. die folgende Anm.). Freundliche und sehr dankenswerte Mitteilung von Dr. W. Virneisel, Leiter des Depots Universitätsbibliothek Tübingen der Stiftung Preuß. Kulturbesitz. — Restauration ist dort vorgesehen („zu gegebener Zeit").

Die Hauptformen des Hochseeshantys Von HANS-JÜRGEN WANNER (Hamburg) Das Wort „Shanty" löst in unseren Tagen vielerlei Vorstellungen aus. Da entstehen nebelhafte, romantische Bilder von Piratenwesen und Abenteuern in grauer Vorzeit, von Seemannsleben, Salzwasser und Hafenliebe. Das Wort hat den geheimnisvollen Zauber des Vergangenen wie der Weltenferne. Jugendliche sagen „rauh" und „handfest" und finden heute im Shanty einen Ersatz für das Männer- und Soldatenlied. Und weil es außerdem das stets vorhandene Bedürfnis nach Sentiment befriedigt, vermag es sich als vielleicht einzige Volksliedgattung noch neben dem Schlager zu behaupten. Viele reden von Shanties, und viele singen sie. Eine Umfrage bei Jugendlichen im Jahre 1958 hat aber ergeben, daß 71% der Befragten nicht wußten, was Shanties wirklich sind. Was ist ein Shanty? Es ist das Arbeitslied der Seeleute auf Segelschiffen und gehört also der Vergangenheit an. Die Segelschiffahrt ist dahin und mit ihr der Lebensgrund dieses eigenartigen Volksliedes, das zu seiner Blütezeit im Binnenland kaum bekannt war und ein fremdartiges Eigenleben führte. In seiner alten Form kann es nicht mehr weiterleben. Wir beobachten aber heute eine volkstümliche Wiederauferstehung des Shantys, eines Shantys freilich, das sich seiner Bedeutung, seiner Anwendung und der musikalischen Interpretation nach sehr verändert hat. Es wäre lohnend, diese Veränderungen einmal näher zu untersuchen. Man würde interessante Aufschlüsse über das Liedverlangen unserer Zeit gewinnen. Doch ist es notwendig, daß wir uns vorerst den alten ursprünglichen Shanties und ihren Formen selber zuwenden, so wie sie sich auf ihrer Anwendung und den Arbeitsvoraussetzungen auf den Langreiseseglern entwickelt haben. „A song is ten men on the rope." Dieser Seemannsspruch charakterisiert am besten das Zaubermittel Shanty. Reeder und Kapitäne wußten sehr wohl um den Geist, den ein guter Vorsänger in die Männer tragen konnte und „make them work cheerfully and with a will". Nicht selten wurden dazu Negerminstrels angeheuert und gut bezahlt, die den musikalischen Rhythmus von Natur aus im Blut und — in der Geige hatten. Zu den verschiedenen seemännischen Arbeiten von Hand paßten — gleich Werkzeugen — nur ganz bestimmte Shantyformen. Ein Lied, das dem Bau nach nicht den Arbeitsgang widerspiegelt, hatte keinen ökonomischen Wert. Es vervielfältigte nicht die auf den Handelsschiffen immer knappe Arbeitskraft, sondern diente nur der Kurzweil. Es kam vor, daß dem Shanty-man nach stundenlangem Singen die echten Shanties ausgingen, so daß er zu heimatlichen Volksliedern griff, diese dann aber improvisierend in die charakteristische Shantyform umsang (vgl. unten S. 35).

Die Hauptformen des Hochseeshantys

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Die seemännischen Arbeiten, zu denen gesungen wurde, lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: 1. Pull- ( = Zieh-) Arbeiten; 2. Spillarbeiten (Gehen, Stampfen, Schieben um das Spill herum im Arbeitstakt). Die Pullarbeiten zerfallen wiederum in Kurzzug- und Langzugarbeiten. a) Ein kurzes, kräftiges Reißen am senkrecht fallenden Seil (Fall) war nötig, um flatternde Segel zu „stretchen". b) Beim langen Zug ergreift die Arbeitsgruppe das über den tief angebrachten Block laufende Seil und geht, zweimal kräftig ziehend, einige Schritte rückwärts über Deck, zieht also in der Waagerechten. Sie geht dann, Hand über Hand hangelnd, wieder in Ausgangsstellung und bereitet sich auf den nächsten Zug vor, während der Vorsänger allein singt. Auf diese Weise wurden vor allem die Segelwürste aufgezogen bei der Ausfahrt nach längerer Liegezeit oder beim Einfahren in die Passatregionen zwecks Segelwechseins. Solche Arbeiten dauerten bei einem großen Schiff vier bis sechs Stunden. Die Spillarbeiten umfassen „walk-around-Arbeiten" am Gangspill oder Capstan {gang = Rotte, Bande, spill = germanisch Spindel; capstan von spanisch cabrestande = stehende Winde). Das Gangspill diente zum Hieven des Ankers oder auch der Stenge und Rahen. Auch diese Arbeiten dauerten viele Stunden. Der Vorsänger oder Spieler saß dabei häufig auf dem Spillkopf und ließ sich mitdrehen. Zwischen 1. und 2. sind als Untergruppe die leichteren „stamp and go-" oder „walk away-" Arbeiten einzuordnen, die Hand über Hand oder durch Laufen über Deck ausgeführt werden konnten. Den genannten Gruppen entspricht die Einteilung der Shanties: 1. Pull-, haul- oder drag-Shanties a) Short-haul-Shanties b) Long-drag-Shanties oder Halyard-Shanties, Walk-away-Shanties; 2. Spill-Shanties. Pull-Shanties sind Arbeits-Ruf-Lieder; Spill-Shanties sind Arbeits-Takt-Lieder. I Das A r b e i t s r u f l i e d ist unmittelbar aus der Arbeit entstanden und mit dem Arbeitsvorgang verschmolzen. Es ist daher dem Ursprung nach ein e c h t e s Arbeitslied. Seine Entwicklung aus dem Arbeitsruf ist leicht zu verfolgen. Den einfachsten Arbeitsruf kann man auch heute noch überall bei der Arbeit hören: hou

rruck!

Er gliedert sich in einen Ankündigungsteil und einen Ausführungsteil, schematisch dargestellt: X !

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Hans-Jürgen Wanner

Bei den Faßziehern ertönte früher ein klanglich schönerer Ruf: Lö' ho se io . . . Jo se

. hin! .ha! , hin!

Der Ankündigungsteil kann, wenn der Vorarbeiter gar nicht, scheinbar oder nur leicht mitarbeitet und dadurch Freiheit zum Singen hat, erweitert werden, das heißt, zu den sinnlosen Rufen mit Aufforderungscharakter treten sinnvolle Arbeitsanweisungen. Oder es flicht ein phantasievoller Vorsänger improvisierte Aufmunterungen, Verheißungen für geleistete Arbeit und allerlei Anspielungen auf Personen, Erlebnisse und Umstände ein, die unmittelbar oder mittelbar mit der Arbeit zu tun haben und die meist witzig sind. Der zweite Teil bleibt vorerst nur ein kurzes Auslösekommando. Arbeitsrufe, die so gebaut sind und augenblicklich aus der Improvisation immer wieder neu geschaffen werden, nennt man bei den Seeleuten „Das Aussingen". Kilian 1 schreibt über den Brauch des Aussingens, dieser nicht fixierten Shantyform, folgendermaßen: „Bei ruhigem Wetter hatte man für die einfachen, dauernd wiederkehrenden Arbeiten an der Besegelung, die nicht soviel Kraft erforderten, das , A u s s i n g e n ' . Hierfür gibt es keinen einzigen festgelegten Text und auch keine Melodie. In jeder Wache befanden sich vielleicht zwei oder drei Matrosen, die musikalisch auf der Höhe waren und die dann das Aussingen besorgten. Jeder machte das auf seine Art, mit eigenen Worten oder Lauten und immer sehr melodisch . . . " Auch Fred Schmidt 2 gibt eine anschauliche Schilderung des Aussingens: „Klatschend fallen die letzten Leinen von den Dalben zu Wasser, und über Deck schallt das halb jauchzende, halb schluchzende ,Aussingen' der TiefwasserSeeleute. Es läßt sich schwer beschreiben, man muß sie gehört haben, diese nun gedehnten, dann wieder kurz abgerissenen Schreie, bald hell klingend, bald heiser röhrend, nach denen Langreisesegler zu gleicher Zeit an einem Tampen holten oder in ein Ende einfielen." Een för de Uutreis höjo! Pull em an Jäckett hejepp! O-dschobbi-hooh jahal Noch so'n Lütten . . . . dol damit! höpp! Tonimakaheii Heuger rroppp, seggt Sander riet em! Und noch so'n Pull, boys jehö!

usw. Der Zweiteiligkeit des Rufes entspricht nun bei den höher entwickelten und in feste Formen übergegangenen Shanties die Aufteilung in Vorsängerteil und Mannschaftsteil (Response), in Solo und Kehrreim. Der Kehrreim übernimmt dabei das Auslösewort bei gleichzeitiger Arbeitsanstrengung der Mannschaft und 1 2

Joachim Kilian, Arbeitslieder auf Segelschiffen, in: Niederdt. Zs. f. Vkde. 11 (1933), S. 98. Fred Schmidt, Von den Bräuchen der Seeleute, Hamburg 1947, S. 70.

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wurde darum auch mehr gegröhlt und geächzt als gesungen. Aus metrischen Gründen, oder weil der Langzug es erfordert, finden wir alsdann den Chorteil in der Länge an den meist vierhebigen Vorsängerteil angeglichen. Die Ausgestaltung geschieht entweder durch Hinzufügen eines zweiten sinnlosen Auslöserufes away orreh! Schema : X— -Xoder dergestalt, daß eine bekräftigende, textlich meist sehr stabile Sinneinheit entsprechend den Auslöserufen mit zwei Betonungen, den „Pulls", versehen wird: > the cot-ton down > oh roll Schema : - X — Manche dieser Response-Zeilen wurden durch ihren vorzüglichen Arbeitsrhythmus so beliebt, daß sie als Stamm des Shantys mit immer neuen Vorsängerteilen versehen wurden oder daß das ganze Lied als Muttermelodie für andere Volkslieder auftrat. Der Zweizeiler Vorsängerteil plus Chorteil verbindet sich schließlich mit einem weiteren zu einem Vierzeiler und einer musikalischen Periode. Roll the cotton down Long-drag

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3. 4.

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Vorsänger -X— Chor Vorsänger X— Chor

Aus dem Arbeitslied ist nun ein Strophenlied entstanden, das auch außerhalb der Arbeit auf Freiwache sangbar ist. Diese Form des Shantys ist die Regel bei den voll ausgebauten Arbeitsruf Hedem, also hier bei den Pullshanties. Es ist bemerkenswert, daß sich im Laufe der Zeit Solo und Kehrreim musikalisch so sehr gegeneinander ausgewogen haben, daß die Lieder heute oft nicht 3

F. Schmidt a. a. O. S. 89.

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mehr aufgeteilt vorgetragen werden. Die Improvisation im Vorsängerteil entfällt. Die Texte liegen mit der Fixierung in Liederbüchern fest. Überliefert werden ohnehin fast nur solche Texte, die zur Arbeit keinen Bezug haben. Das Arbeitslied ist kaum mehr zu erkennen. So kann es kommen, daß z. B. das Shanty „Hanging Jonny" 4 heute ganz mißverstanden wird. Darin heißt es: „. . . I hang for money" (Ich hänge in den Seilen, ziehe, arbeite). Dann aber: ,,. . . first I hanged my daddy, then I hanged my sister, my brother, my granny" usw. Aus dem Wortspiel mit dem transitiven und intransitiven „hang" entsteht eine Räubergeschichte. Gemeint ist natürlich: I h u n g f o r my daddy usw. Es ist klar, daß dies als Witz, der es sein soll, heute nicht mehr verstanden wird, da der Bezug zur Arbeit verloren gegangen ist. In einem deutschen Liederbuch findet sich denn auch ohne irgendwelche Erklärungen die Übersetzung „ich hängte meinen Alten, meine Mutter" usw. II Das vorbesprochene Shanty-Muster „Roll the cotton down" war ein Longdrag-Shanty. Das Short-haul-Shanty dagegen enthält nur e i n e n „Pull". Mehr ist nicht notwendig für die Kurz-Zug-Arbeiten. Der Zug muß aber hart und kräftig sein. Er bildet den Abschluß der Chorzeile. Auch ist die Strophe nicht achttaktig, sondern nur viertaktig. Innerhalb jeder Strophe wird also nur einmal gezogen. Während der übrigen Zeit bereiten sich die Männer auf den Zug vor. Short-haul-Shanty im Schema: 1.

Vorsänger X ! Chor

2. Haiti on the bowline .

: r u c

Hau! on tha

n

Short-haul-

haut

bow - Una, the

long - tai-Ud



on f-ba bow-

5

' 'in n r IJ '|

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Una, the

bow

f - Una

bow — hne,

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„Haul on the bowline" ist das berühmteste und älteste der bekannten Shanties. Es stammt aus Elisabeths Zeiten, wie man weiß, weil seit etwa 1600 der Ausdruck bowline für ein Vorsegel (foresheet) auf englischen Schiffen nicht mehr üblich war. Ähnlich klingen „Way haul away" 6 und „ Jonny Boker" 7 , die wahrscheinlich 4 5 6

7

R. R. Terry, The Shanty Book I, London 1949, S. 40. William M. Doerflinger, Shantymen and Shantyboys, New York 1951, S. 9f. Neuerdings veröffentlicht in „Das singende Jahr", hrsg. v. Gottfr. Wolters, Wolfenbüttel 1961, Bl. 83. C. Sharp, Pulling Shanteys, London 1951, S. 5.

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ursprünglich alle miteinander zusammenhingen. Diese Short-haul-Shanties sind wegen ihrer herben, etwas verlorenen Fremdartigkeit, andererseits wegen ihrer straffen Knappheit vielleicht die schönsten Shanties überhaupt. Richard Maitland, einer der letzten Shanty-man, verschafft durch seine einmalige Vortragsweise auf einer Schallplatte Duncan Emrichs 8 der ruhigen Würde dieses Shanty-Veteranen volle Geltung. Grundstimmung und Charakter dieses Shantys geben Maßstäbe, an denen alle Seemannslieder gemessen werden sollten. Die erwähnte Schallplatte hat überhaupt einen unersetzlichen Wert dadurch, daß sie als m. W. einzige und letzte das Shanty in reinster Form ohne instrumentales Tingeltangel wirklich zum Klingen bringt, dank der Seeverbundenheit ihrer Sänger. III Während zu Pullarbeiten nur Shanties Verwendung finden können, deren Bau „Pulls" aufweist, werden am Gangspill beliebige Lieder gesungen, wenn sie nur einen langsamen Marschtakt oder einen schwingenden %-Takt aufweisen. Es sind meist internationale Volkslieder, nach denen es sich zufällig gut arbeiten läßt, sie sind also dem Ursprung nach unechte Shanties. Ein Volkslied, das auf diese Weise zur Arbeit passend befunden wird, behält zumeist nicht seine ursprüngliche Gestalt bei. Es wird nach seinem Eintritt in die Klasse der Arbeitslieder, nach seinem Einspannen in das Joch der Arbeit gleichsam, allmählich diesem S t i l immer mehr angeglichen. Die Anpassung beginnt mit Namensänderungen von Personen, Städten und Flüssen. Sie geht dann zum Austausch von Strophen und ganzen Kehrreimen mit bestehenden Shanties über schließlich werden Melodie und Text zersungen oder unter dem Einfluß des schwer gehenden, prägnanten Arbeitsrhythmus' umgesungen. Ein derart angepaßtes Volkslied kann so viele Merkmale — einschließlich Vortragsweise — eines echten Arbeitsliedes tragen, daß es kaum noch von diesem zu unterscheiden ist. Interessant ist die Frage, nach welchen Gesichtspunkten unter den Volksliedern die Auswahl für das Umsingen zum Shanty getroffen wird. Das Volkslied muß eine Reihe von bestimmten Voraussetzungen besitzen, die es zum Shanty geeignet machen. Es muß in erster Linie rhythmisch markant sein und sich dem Arbeitstakt anpassen können. Meist ist es zufällig bei einer Spillarbeit angestimmt worden, hat sich bewährt und ist Shanty geblieben. Auf den verschiedenen Schiffen machte man dabei unterschiedliche Erfahrungen. Das Lied muß dem Zeitgeschmack entsprechen und aufgrund seiner Popularität in aller Munde sein. Es wird also nicht allzu kritisch „ausgewählt". Man greift auch gern zu den beliebten Liedern anderer Stände (Jäger, Rammer). Es muß im Ton und Inhalt männlichen Charakter tragen, wie z. B. die Soldatenlieder. Es muß darin den Vorbildshanties irgendwie nacharten. Die heroische Tönung der alten anglo-keltischen Volkslieder verschaffte diesen einen besonders schnellen und anhaltenden Weg zur See. 8

Duncan Emrich, Beiwort zur Schallplatte „Amerikanische Volksmusik", Nr. L 26 und L 27.

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In der Frühgeschichte des Shantys lieferten mehrtonale Melodien das Vorbild, später, im 19. Jahrhundert, waren es „neuzeitliche" Funktionsharmonik und ausgreifende, subdominantisch klangreiche Melodien. Deutsche Volkslieder leisteten ihren Beitrag vor allem zu der letzten Gruppe. Melodie und Text müssen einfach und leicht eingänglich sein und dürfen keine zu hohen Anforderungen an die arbeitenden Menschen stellen. Vorhandene Kehrreime prädestinieren ein Lied geradezu zur Verwendung als Shanty. Der Inhalt ist meist kurzweilig-unterhaltend, derb und erotisch, balladenhaft. Wenn es auch möglich war, die verschiedensten Marsch-, Wander- und Tanzlieder am Capstan zu singen, so hat sich doch mit der Zeit ein bevorzugter Typ herausgebildet. Diese Hievlieder konnten ausgearbeiteter und ausführlicher sein als Pullshanties. Die Arbeit gestattete längere Refrainteile oder machte sogar den Vorsängerteil überflüssig. Allerdings verzichtete man ungern auf die launigen Vorsängereinfälle, nicht zuletzt deshalb, weil die Mannschaft nicht genügend Texte kannte. Der Vorsänger aber mußte einen unermeßlichen Liederschatz besitzen, dauerte doch das Ankerhieven manchmal vier und mehr Stunden. Hauptsächlich mußte man nach dem Lied gut marschieren können. Weil Spilllieder unterhaltender sind und mehr Liedcharakter haben, sind sie auch nach der Segelschiffzeit verbreitet geblieben. Zu ihnen gehören die beiden Shanties, die heute jedes Schulkind kennt: „Rolling home" und „Sacramento". Für den Typ des Capstan-Shantys kann man folgendes Formschema aufstellen: Vorsänger (Chor) (ohne Pulls) Vorsänger Chor

Chor (Refrain)

Auf den Ruf „Man th' capstan!" eilten die Matrosen nach vorn zum Spill, steckten die Handspaken in die vorgesehenen Löcher im Spillkopf und hielten sich bereit, drei oder vier Mann manchmal an jeder Spake. Was dann folgt, schildert Doerflinger in unübersetzbarer Anschaulichkeit 9 : „Aye, aye, sir! All right, bullies, heave away! Give us a shanty, one o' you men — let's hear some noise!" The men put their beef against the bars and tramped slowly ( ! ) around the capstan, its pawls (die Pallen) clanking as the cable came in. And one of them raised his voice in an irresistible old tune: 9

Doerflinger a. a. O. S. 52 f.

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„Oh, the anchor is weighed an' the sails they are set!". . . Almost before he had finished the verse, the ,crowd' chorused ,,Away-y, Rio!" Again the shantyman's voice: „The girls we are leaving we'll never f o r g e t . . . " And his mates lifted the long, rolling refrain: „Ans I'm bound for Rio Grande! Ans away, Rio' Away, Rio! So fa-are you we-ell, my bonny young gal, We're bound for Rio Grande!" Rio-Grande-Shanty10 Solo

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Als Beispiel für die Übernahme von Liedern und ihren Umsingeprozeß zum Shanty mag das erwähnte „Sacramento-Shanty" dienen. Ich h e w mol en Hamborger Veermaster sehn to my hoodah, to my hoodah, de Masten so scheev as den Schipper sien Been, to my hoodah, hoodah ho. Blow boys b l o w f o r Californio! There is plenty of gold, so I am told, on the banks of Sacramento 1 1 .

Die Weise dieses Shantys soll einmal einem sehr frühen christlichen Spielmannslied angehört haben12. Der Text geht auf die Zeit der Goldfunde in Sutters Mill und auf den Bänken des Sacramento-Flusses in Kalifornien in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zurück. 1850 veröffentlichte Stephan Foster seinen 10 11

12

C. Sharp, Capstan Shanteys, London o. J., S. 18. In vielen dt. Liederbüchern, z. B . : Jürgen Dahl, Shanties, Ebenhausen b. München 1 9 5 9 , S. 72 f.; Ldb. f. Schlesw.-Holstein, hrsg. v. Schlesw.-Holstein. Heimatbund, WolfenbüttelGodesberg 1956, S. 2 2 3 f. Doerflinger a. a. O. S. 67. Jahrbuch für Volksliedforschung XI

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überschwenglichen Minstrelsong „De Camptown Races". Er verwendete dabei wahrscheinlich die alte Spielmannsweise13. Das Lied wurde zum Schlager, der den Goldrausch einfing und um die Welt trug. Auf Clipperschiffen landete ein Goldsucherstrom in San Franzisco, und man sang an Bord: I go down dar wid my hat caved in, Doodah, doodah! I come back home wid a pocket full of tin Oh, doodah, day! Gwine to run all night, Gwine to run all day, I'll bet my money on de bob-tailed nag, Somebody bet on de bay.

Die Sänger waren offensichtlich Neger. Das „Doodah" ist wahrscheinlich ein sinnloser Füllreim. Die Melodie und die kurzen Kehrreimeinwürfe (doodah) verbanden sich dann mit dem Chorus eines Liedes, das eine berühmte „New England Concert troupe" in jenen Tagen als Beitrag zum Goldfieber vortrug. Ho, for California! Then ho! Brothers ho! To California go I There is plenty of gold in the world, we're told, on the banks of the Sacramento.

Daraus entstand das Shanty. Auf See wurden aus „Brothers" boys, und aus „ho" wurde „blow" in Angleichung an ähnliche Wendungen in anderen Shanties. Die Kunde vom Goldfund blieb als wichtigster Bestandteil (Kehrreim) erhalten. Der übrige Text wurde vielfach abgewandelt. Das Sacramento-Shanty wurde so beliebt, daß man es als Muttermelodie verwendete. Man sang zum Beispiel das deutsche „Als ich an einem Sommertag" im Ton des Sacramento-Shantys. Wie das Volkslied aus Schleswig-Holstein „Als ich an einem Sommertag" (ErkBöhme Nr. 517) und ebenso „Es wollt ein Mädchen Wasser holen" aus Brandenburg und Sachsen (Erk-Böhme Nr. 117) dank ihrer großen derzeitigen Popularität von Seeleuten als Shanty benutzt und umgesungen wurde, gehört zu den überraschenden Mitteilungen der Shanty-Forschung. Man kleidete sie in das Arbeitsgewand, das man brauchte. Sollte mit Hilfe des Volksliedes der Anker aufgezogen werden, sang man es als Arbeitstaktlied (im eigenen und im Ton des SacramentoShantys oder anderer), sollten Segel gesetzt werden, mußte es zum HalyardShanty werden, z. B. mit dem Kehrreim „roll the cotton down" oder — dem schöneren — „a long time ago". Niemanden störte es dabei, daß der stammhafte Kehrreim einen völlig anderen Sinn hatte als der Vorsängerteil. Es ist denkbar, daß auf irgendeinem Schiff einmal „roll the cotton down" als Shanty mit vielen anderen Vorsängertexten gesungen worden war. Als dann der Vorsänger nichts mehr wußte, sang er einfach den Text des deutschen Volksliedes im Vorsängerteil weiter. Man war begeistert, wie sich das fügte, und überlieferte es als selbständige Version. 13

Doerflinger a. a. O. S. 67 und Emrich a. a. O.

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Die Hauptformen des Hochseeshantys

Noch ein Beispiel soll genannt werden. Das Volkslied aus Brandenburg „Es wohnt ein Müller an jenem Teich" (Erk-Böhme Nr. 146) wurde auf deutschen Walfangschiffen ohne große Veränderung zum Ankerhieven gesungen. Zur Verwendung beim Segelsetzen aber mußte es „Pulls" erhalten. So entstand die folgende, von Vanda Oesau mitgeteilte Fassung14: Es wohnt ein Müller an jenem Teich

Es

wohnt ein Mü!-Ur

an

je-nem

Teich,

o

rei -

o,

2. Da nahbei wohnt ein Edelmann, oreio! der liebt sie alles, was er kann, oreio! 3. Die Tochter sprach, es kann nicht sein, oreio I ein andrer ist der Liebste mein, oreio! 4. Ein Edelmann tut mir nicht gut, oreio! ich will ein frisches Matrosenblut, oreio! (oreio vermutlich von horreh, hurra = sinnloser Auslöseruf)

Vanda Oesau gibt auch wieder, was der Störfischer aus Glückstadt, der die alten Grönlandfahrer noch kannte, von dem Liede erzählt: „Dat gung man noch immer so wieder. — Wenn dat ,Reio' to End ist, kummt jedesmal de Tutsch oder de Puhl (d. h. das Segel wird ein Stück hochgerissen). ,Reio' mutt de Vorsänger son beeten kort affbieten, dat da Zuck in kummt. De Minsch sali dat richtig in sich hem, denn fallt dat dor ok richdig rut. Und denn riet de Kerls verdorri dull. Wenn dat Leed to End weer, seet dat Seil, dat weer genau utreekent." (Ursprünglich hatte das Lied zehn Strophen.) „So'n twintig Mal fulln se in, bit se son Seil hoch harrn. Mennichmal sungn se dat op mehre Scheepen to glieker Tid, de Grönlandfahrers fahrn meistids tosam äff. Wenn de Luft denn still weer, kunst dat milenwiet hörn. Dat hör sik fein an — dat ,Reio' holn se wied ut." 15 Kilian 16 erwähnt das Lied mit einem fast gleichen Text wie bei Erk-Böhme, doch ebenfalls mit einem Halyard-Kehrreim: Es wohnt ein Müller an jenem Teich Oh long and strong, der hat eine Tochter, und die war reich, oh long and strong usw.

„Oh long and strong" mag sich auf das Seil beziehen, kann aber auch eine freie Angleichung an englische Shanties sein, die hin und wieder mit diesem Kehrreim vorkommen. Englische Kehrreime und Shanties waren ja auf deutschen Schiffen schnell bei der Hand, weil die Seemannssprache englisch ist. 14 15 16

Vanda Oesau, Hamburgs Grönlandfischerei, 1938, S. 242. Oesau a. a. O. S. 242. Kilian, Nd. Zs. f. Vk. 11 (1933), S. 103. 3*

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IV Die Untergruppe der „Walk-away-Shanties" wird am besten durch das bekannte „What shall we do with the drunken sailor" vertreten. Bezeichnend für diese Gruppe ist der schnelle 2/4-Takt. Ein allgemeingültiges Formschema läßt sich nicht aufstellen. Der Kehrreim wiederholt meist nur den Vorsängerteil ohne Pulls oder andere Akzente. Seinen außergewöhnlichen Schwung und somit seine Arbeitstauglichkeit erhält das Lied durch die klare Harmonik bei vorantreibender sprachlicher Rhythmik. Es wurde daher ebenso häufig auch beim Soldatendrill auf englischen und amerikanischen Kasernenhöfen gesungen oder gespielt. Ihm liegt eine irische Volkstanzmelodie zugrunde, die wohl durch die Spielmänner auf dem Capstan Eingang in die Seefahrt gefunden haben. Das Lied soll als Seemannslied in der Textfassung von Karl-Seidelmann „Auf, grüner Jung, reck deine Glieder" in der Reichskriegsmarine ganz besonders beliebt gewesen sein. Nach dem letzten Krieg hat sich in Deutschland die englische Fassung stark verbreitet. Auf den vorangegangenen Seiten wurden die Hauptformen des Hochseeshantys behandelt, die man vor allem im 18. und 19. Jahrhundert in der letzten Blütezeit des Shantys sang. Wie die Shanties v o r dieser Zeit geklungen haben, läßt sich leider sehr schwer oder gar nicht zurückverfolgen, weil es bei dieser wandlungsfähigsten aller Volksliedgattungen nur allzu natürlich ist, daß frühere Fassungen durch neuere verschüttet wurden oder in ihnen aufgingen. Es ist anzunehmen, daß es auch in früheren Jahrhunderten Blütezeiten des Shantys gegeben hat. Man weiß nämlich, daß während der Kriege zwischen England und Amerika Ende des 18. Jahrhunderts das Shanteying zurückgegangen ist, weil es auf den Kriegsschiffen als unsoldatisch und zeitraubend verboten worden war. Man bedurfte dieses Hilfsmittels auch gar nicht, weil die Kriegsschiffe ausreichend bemannt waren. Reisende Schriftsteller hatten schon vorher kein Interesse an dem Gesang der Seeleute gehabt und ihn der Aufzeichnung nicht für würdig gehalten; und dies erst recht nicht in Kriegszeiten, in denen bei der Öffentlichkeit die Kriegs- und Heldengesänge weit höher im Kurs standen als die primitiven, schmucklosen Arbeitsgesänge der Handelssegler. Das Shantysingen wurde also verdrängt. Es erfuhr erst eine Art modischer Wiederbelebung mit dem Aufkommen der amerikanischen Paketschiffahrt nach 1818. Immerhin berichten einzelne Reisende vor diesen Kriegsjahren, daß die Seeleute auf hoher See zur Arbeit gesungen haben. Über die Form des damaligen Shantys kann man nur Vermutungen anstellen. Wenige Anhaltspunkte lassen es möglich erscheinen, daß das spätmittelalterliche Shanty dem Short-haul-Shanty geähnelt hat. An den noch unentwickelten Winden werden einfache Tanz- und Marschlieder gesungen worden sein. Eine andere Blütezeit dürfte es vor dem Aufkommen der größeren Segelschiffe gegeben haben, als im Altertum die vielfach bemannten Ruderschiffe über die Meere glitten. Von Römern und Griechen sind einzelne solcher Gesänge überliefert. Warum sollte das Shanteying, das freilich erst im 19. Jahrhundert so genannt wurde, nicht ebenso alt sein wie die Schiffahrt selbst? Das Arbeitslied zumindest stand am Anfang der Musik überhaupt.

Maria Wanderung Überlieferung und Geschichte eines geistlichen

Volksliedes

Von ERNST HILMAR (Kassel) Ein Blick auf die Quellenlage des geistlichen Volksliedes von Mariä Wanderung zeigt die starke Tradition auf romanischem Boden, wo zum Teil frühe historische Belege und Fassungen von auffallender Länge mit Motiven aus der Passion Christi zu ermitteln sind. Allein die Tatsache, daß die Legende fast ausschließlich in mündlicher Überlieferung- lebte und verschiedene Motive aus der Leidensgeschichte und Marienverehrung, Kernstücke christlicher Überlieferung, variierte, erweitert den Textbereich, aber erschließt auch wichtige Erkenntnisse zu ihrer Historie. Eine genaue zeitliche Festsetzung ist weithin noch illusorisch, doch sind verschiedentlich Textanalogien in handschriftlichen Codices aus dem Spätmittelalter bekannt, und nicht weniger ist der ausgesprochene Dialogcharakter in fast sämtlichen Teilen vornehmlich älterer Fassungen Kennzeichen der mit szenischer Darstellung verbundenen Praktiken, die im vorliegenden Fall im mittelalterlichen Passionsspiel wurzeln. Die nachstehende Überlieferungstabelle ist regional und jeweils nach chronologischen Gesichtspunkten gegliedert1. I. Fassungen aus Baden-Württemberg und Bayern [1] E. Meier, Schwäbische Volkslieder. Berlin (1855), S. 304, 354. [2] G. Scherer, Jungbrunnen. Die schönsten deutschen Volkslieder. Stuttgart 1873. [3] H. Krapp, 300 Volkslieder aus dem Odenwald (Odenwälder Spinnstube). 1910, S. 136 [vgl. auch Fassungen aus Hessen, a. a. O.]. [4] Claus-Mangler, Volkslieder aus dem Odenwald. ZfVk. 28, Berlin 1918, S. 93. [5] A. Lämmle, Die Volkslieder in Schwaben. Stuttgart 1924, S. 61. [6] Badische Volkslieder, hsg. v. DVA. Karlsruhe 1925, S. 15f. [7] ebda., S. 18. [8] H. Moser, Volkslieder der Sathmarer Schwaben und ihre Weisen. Kassel 1943, S. 86. [9] Ditfurth, Fränkische Volkslieder I. Leipzig 1855, Nr. 62. [10] ebda., Nr. 63. [11] Erk-Böhme III, Nr. 2060. [12] ebda., Nr. 2060b. [13] ebda., Nr. 2062. — hs.: [14] Vors. O. Birnhäuer, Varnhalt 1921, aufgez. v. E. Minkoff. DVA, M 1289. [15] [Vors. nicht genannt] Hochingen o. J., Codex Heidelberg 3843 Nr. 38 (o. Mel.). [16] [Vors. nicht genannt], Gegend v. Straubing, eingesandt [aufgez. ?] v. Dr. Schmutzer (Verein f. bayr. Volkskunde und Mundartforschung) 1900. DVA, A 179283. [17] Vors. F. Pillmann, Bayreuth 1936 (Liederslg. v. Chr. Nützel, Helmbrechts). DVA, A 163567. [18] Vors. Margarete Saß, Bayreuth 1936 (ebda.). DVA, A 163567. [19] [Vors., Aufz. nicht genannt] Liederbuch aus Haistadt. DVA, A 194411. 1

Besonderen Dank für die gewährte Einsichtnahme in das Material des Deutschen Volksliedarchivs (DVA) schulde ich dem Leiter, Herrn Prof. Dr. Wilhelm Heiske und Herrn Dr. Wolfgang Suppan. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Josef Lansky, der mir bei der Ubersetzung der slawischen Fassungen behilflich war.

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II. Fassungen aus Elsaß-Lothringen, Rheinland-Pfalz 2 [20] Alsatia, Jb. f. elsässische Geschichte, Sage, Altertumskunde, Sitte, Sprache und Kunst, hsg. v. Stöber. Mühlhausen 1852, S. 117 (o. Mel.). [21] Köhler-Meier, Volkslieder von der Mosel und Saar. Halle 1896, S. 1. [22] Erk-Böhme III, Nr. 2059. [23] L. Pinck I, S. 39. [24] ebda., S. 36. [25] Pinck II, S. 37. [26] Pinck V, S. 26. [27] ebda., S. 27. [28] F. Wilhelm, Vieilles chansons alsaciennes. Colmar 1947, S. 113. [29] Lothringischer Liederhort. Metz o. J., S. 62 (o. Mel.). [30] Zuccamaglio-Kretschmer, Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen II. Berlin 1840, S. 38. [31] K. Simrock, Die deutschen Volkslieder. Frankfurt 1859, S. 145. [32] K. Becker, Rhein. Volksliederborn. Neuwied a. Rh. 1892, S. 29. [33] Wolfram, Nassauische Volkslieder. Berlin 1894, S. 30f. [34] ebda., Nr. 2b. [35] Heeger-Wüst, S. 191. — hs.: [36] Liederheft J. Schneider, Bliesebersingen (Kr. Saargemünd) 1892—1900, S. 63. DVA, A 148695. [37] Liederbuch Maria Marque aus Weiler 1893, 1928 übermittelt dch. Pinck (o. Mel.). DVA A 100936. [38] Liederheft Jean Victor, Weiler 1895, Nr. 4 (o. Mel.), DVA, A 124024. [39] Liederheft J. Keib, Altrip um 1897 (o. Mel.). DVA, A 123977. [40] Vors. Verschiedene Frauen, Fellerich (Kr. Saarburg) um 1900, aufgez. [?] v. Bievers (o. Mel.). DVA, A 132280. [41] Liederbuch Margarete Bintz aus Weiler (Kr. Forbach) 1902 (o. Mel.). DVA, A 100864. [42] Vors. P. Ganghoff, Hambach (Kr. Saargemünd) 1918, aufgez. v. C. Weber. DVA, A 159104. [43] Liederheft Anna Brua, Wolfskirchen o. J., 1928 übernommen v. Pinck (o. Mel.). DVA, A 94098. [44] Vors. Frau Adrian, Rechicourt (Kr. Zabern) 1929, aufgez. v. Wolber-Wernert-Eckel (Slg. Pinck). DVA, A 159105. [45] Vors. J. Kneib, Altrip 1930, aufgez. v. Wolba (Slg. Pinck) (o. Mel.). DVA, A 159118. [46] Vors. Kath. Lux, Freimengen (Kr. Forbach) 1930, aufgez. v. Pinck (o. Mel.). DVA, A 143485. [47] Vors. Josephine Wacker, Walberg (Kr. Weißenburg) 1932, aufgez. v. Th. Wolber (Slg. Pinck). DVA, A 159122. [48] Vors. Jean Kneib, Altrip 1937, aufgez. v. A. Rohr. DVA 148643. [49] Vors. J. Schreiner, Bundenthal 1938, aufgez. v. P. Vorholz. DVA. [50] [Vors. nicht genannt], Friedolsheim o. J., Slg. Fritsch. DVA, A 63915. [51] [Vors. nicht genannt], s. 1. n. d., aufgez. [?] v. M. Gezigniant. Hs. in Bibl. nat. in Paris. DVA, A 110536. [52] [Vors. nicht genannt], Kestenholz (Kr. Schlettstadt) o. J., aufgez. [ ? ] v. J. Ruff (o. Mel.). DVA, A 48558. [53] N. Baro, Volkslied-Aufzeichnungen in Weiler, o. J., H. 1, Nr. 30 (o. Mel.). DVA, A 100764. [54] Liederbuch Joh. Kloster in Weiler o. J., Nr. 16 (o. Mel.). DVA, A 100902. [55] Vors. Nikolaus Baro, Weiler o. J., aufgez. v. Otto Drümer (Slg. Pinck.) DVA, A 159115. [56] [Zitat fehlt] Slg. Pinck (o. Mel.). DVA, A 159116. [57] Vors. Nikolaus Schneider, Saargemünd o. J., [Aufz. nicht genannt] Slg. Pinck (o. Mel.). DVA, A 159117. [58] [Vors. nicht genannt], Wirmingen (Kr. Chateau-Salins) o. J., [Aufz. nicht genannt] Slg. Pinck (o. Mel.). DVA, A 159121. [59] [Vors. und Aufz. nicht genannt], Saaralben o. J., Slg. Pinck (o. Mel.). DVA, 159119. [60] Liederheft Andreas Bour, Ötingen (Kr. Forbach) o. J., S. 108f. (o. Mel.). DVA, A 123925. [61] [Vors., Aufz. nicht genannt], Weningrath (Kr. Bernkastel) o. J. (o. Mel.). DVA, A 100248. [62] Hanns Heeren, Niederrhein. Liederblatt, Wolfenbüttel 1917, S. lOf. DVA, B 30538. [63] Vors. Else Schumacher, Riederbach 1927 aufgez. v. H. Strippel. DVA, A 126747. [64] [Vors. nicht genannt], Niederzissen 1929, aufgez. [ ? ] v. Göbel. DVA, A 151488. [65] [Vors. nicht genannt], Dietkirchen 1930, aufgez. v. Wang [?]. DVA, A 169140. [66] [Vors. nicht genannt], s. 1. 1938 [?], aufgez. v. Günther (o. Text). DVA, G. 64. [67] [Vors., Aufz. nicht genannt], s. 1. n. d., übermittelt v. Pfarrer Frings. DVA, A 96814. [68] [Vors. nicht genannt], s. 1. n. d., aufgez. v. Thomas (o. Mel.). DVA, A 135756. [69] Vors. [?] Diethart Bomich, Hof Laufensellen o. J., F. Seiberts Ms., Nr. 155. DVA, A 101475. [70] Lierschied (Kr. Goarshausen) o. J., aufgez. von Karl Toenges. DVA, A 101 598.

III. Fassungen aus Nordrhein-Westfalen, Hessen [71] Deutsche Volkslieder, Eine Dokumentation des Deutschen Musikrates. Zürich-Wolfenbüttel-Hamburg 1961, III. Plattenseite Nr. 8. [72] Westfälisches Liederblatt, Münster o. J. H. 1, 2

Die bekannten Sammlungen, wie Erk-Böhme, Deutscher Liederhort. Leipzig 1925, L. Pinck, Verklingende Weisen I—V. Metz 1926, 1928, 1933, Kassel 1939, 1962, und Heeger-Wüst, Pfälzische Volkslieder. . . hsg. v. Müller-Blattau. Mainz-London-Paris-New York 1963, sind im Text nur abgekürzt zitiert.

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S. 20f. [73] Erk-Böhme III, Nr. 2058a. [74] ebda., Nr. 2058b. [75] ebda., Nr. 2058c. [76] M. Schäfer, Volkslieder aus dem Kinzigtal. Marburg 1925, S. 84. — hs.: [77] Vors. Hermann Möcklinghoff, Coerde b. Münster 1954, [Aufz. nicht genannt], DVA, A 199801. [78] [Vors. nicht genannt], Gießen 1907, aufgez. v. Koch [?]. DVA, A 803. IV. Fassungen aus Thüringen und Sachsen [79] H. Rösel, Sang und Klang im Sachsenland. Leipzig 1887, S. 67 (o. Mel.). — hs.: [80] Vors. Anna Jordan, s. 1. 1908, aufgez. v. C. Hertenstein. DVA, A 104410. [81] Vors. Mehnert, Gera 1922, aufgez. v. C.Hartenstein. DVA, A 104411. [82] [Vors. nicht genannt], Hernberg b. Wittenberg [1937?], mitgeteilt [aufgez.?] v. A. Neumann-Werner (o. Mel.). DVA, A 173167. [83] Vors. Krause, Printewitz o. J., aufgez. v. L. Steglich. DVA, A 118961. [84] [Vors. nicht genannt], s. 1. n. d., aufgez. y. Steglich. DVA, 118960. [85] Vors. Hansel, Medessen o. J., aufgez. v. Steglich. DVA, A 118962. V . Fassungen aus Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien [86] A. Hruschka-Toischer, Deutsche Volkslieder aus Böhmen. Prag 1891, S. 17 (o. Mel.). [87] Blümml, Quellen und Forschung Zur deutschen Volkskunde VI, S. 29. [88] HoffmannRichter, Schlesische Volkslieder. Leipzig 1842, S. 321. [89] Der schlesische Wanderer, hsg. v. Arbeitskreis f. schles. Lied und Musik, Rhodenkirchen a. Rh. 1859, S. 106 f. [90] Hommel, Geistliche Volkslieder. Leipzig 1864, S. 54. [91] A. Peter, Volkstümliches aus ÖsterreichSchlesien; Troppau, 1865, S. 351 (o. Mel.). [92] C. Amft, Volkslieder der Grafschaft Glatz. Habelschwerdt 1911, S. 429. [93] ebda., S. 430 [94] Erk-Böhme III, Nr. 2061. [95] W. Hensel Finkensteiner Liederbuch V. Kassel o. J., S. 94f. — hs.: [96] Vors. Maria Seemann, Dobritz 1948, aufgez. v. J. Hyba. DVA, A 182613. [97] [Vors. nicht genannt], Friedberg 1957, aufgez. v. A. Brosch. DVA, A 195633. [98] [Vors., Aufz. nicht genannt], s. 1. n. d., Lieder aus Nordmähren, Nachlaß Götz. DVA, A 183794. [99] Vors. Pauline Banks, Großbriesen (Kr. Grottkau) o. J., aufgez. v. Otto Neugebauer. DVA, A 134277. [100] Vors. Antonia Wagner aus Wiesenberg, Lager Tachau 1940, aufgez. v. Brosch-Eger. DVA, A 161951. [117] (Vors. nicht genannt) Dobrenz b. Iglau o. J., aufgez. y. J. Stibitz. In: VI. 15 (1913), S. 156f. [118] K. Hübel, Volkslieder aus dem nördlichsten Schönhengsterland. In: Mitteilungen zur Volks- und Heimatkunde des Sch. 21 (1925), S. 12. [119] Vors. Marg. Klier, Eger 1935, aufgez. v. A. Brosch (Vir. aus dem Egerland). DVA, A 182632. [135] K. Horak, Wochentagslieder aus Münnichwies. In: Karpathenland 4, Reichenberg 1931, S. 62. [136] A. Damko, Volksdichtungen aus Kuneschau. Ebda. 5 (1932), S. 62f. [140] (Vors. nicht genannt), Kremnitz — Dt. Proben 1930, aufgez. von K. Horak. DVA, A 160965. [141] (Vors. nicht genannt), Kremnitz 1930, aufgez. v. Karl Horak. DVA, A 160144. VI. Fassungen aus Niedersachsen, Mecklenburg [101] (Aufgez. V. de Witt) in: Das Deutsche Volkslied 31 (1929), S. 43. — hs.: [102] Vors. J Gädecke, Sevikow b. Wittstock 1859 [Aufz. nicht genannt], DVA, E 12995. VII. Fassungen aus Osterreich und Schweiz [103] P. K. Rosegger, Zwei Volkslieder. Heimgarten II, 1877, S. 628ff. [104] (Liebleitner). In: VI. 16 (1914), S. 77. [105] J. Thirring-Waisbecker, Volkslieder der Heanzen. In: ZföVk. 21—22 (1915/16), S. 185. [106] ebda. [107] K. Mautner, Alte Lieder und Weisen aus dem stmk. Salzkammergut, 1918, S. 65. [108] A. Anderluh, Drei Formen eines Passionsliedes. In: VI. 40 (1938), S. 50f. [109] Kotek-Zoder, Ein österreichisches Volksliederbuch III. Wien 1948, S. 102f. [110] ebda., S. 102f. [111] ebda., S. 106. [112] L. Kretzenbacher, Passionsbrauch und Christileidenspiel. Salzburg 1952, S. 91. (o. Mel.). [113] L. Kaff, Mittelalterliche Oster- und Passionsspiele aus Oberösterreich im Spiegel musikwiss. Betrachtung. Linz 1956, S. 38 f. u. 54f. [114] L. Tobler, Schweizer. Volkslieder. Frauenfeld 1882, S. 155 (o. Mel.). [114a] O. Greyerz, Im Röseligarten. Schweizer. Volkslieder. Bd. 6. Bern 1925, S. 8 u. 76. — hs.: [115] H. Commenda,

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30 Volkslieder aus Oberösterreich. S. 11. [116] [Vors. nicht genannt] Mähren b. Drosendorf o. J., aufgez. v. K. Scholar. DVA.

VIII. Deutsche Fassungen aus den Siedlungsgebieten Dobrudscha, jugoslaw. und rumän. Banat, Batschka [120] Hans y. d. Au, Über das Volkslied bei den Dobrudschadeutschen. In: VI. 46 (1944), S. 61. [121] ebda., S. 61 f. [122] ebda., S. 62. [123] H. Renner, Volkskundliche Aufzeichnungen aus der Dobrudscha. In: Jb. der Dobrudschadeutschen 1958, S. 145 (o. Mel.). [124] J. Künzig, Volkslieder aus dem rumänischen Banat. Leipzig 1935, S. 6. [125] K. Scheierling, Lob Gott mein Harfenspiel. Boppard 1961, Nr. 31. — hs.: [126] H.Winter u. H. v. d. Au, Volkskundliche Erfassung der Dobrudschadeutschen (1. Die Umsiedler aus Malcoci im Umsiedlungslager b. Aschaffenburg; 2. Volkslieder u. Volkstänze . . .), S. 79, Nr. 55. DVA. [127] ebda. [128] Vors. Klara, Josef u. AI. Seifert aus Karamurat, Wallersdorf 1953, aufgez. v. K. Scheierling. DVA, A 1289204. [129] Vors. P. Ruscheinski aus Karamurat, 1956, aufgez. v. K. Scheierling. DVA, o. sign. [130] ders., ebda., DVA, o. sign. [131] Vors. C. Reiter aus Rudolfsgnad, Freiburg 1963, aufgez. v. J. Künzig 3 . [132] Vors. Frau Kraushaar, Hatzfeld 1933, aufgez. v. Linster. DVA, A 148987 [133] Volksliedslg. aus der jug. Batschka dch. H. Bräutigams Mitarbeiter, s. 1. 1938, aufgez v. W. Hiltscher. DVA, A 171154. [134] Vors. K. Zopf und Tochter, Karamkowo 1938. Vir. aus der jug. Batschka, ges. v. H. Bräutigam. DVA, A 171043.

IX. Deutsche Fassungen aus der Slowakei und der Ukraine V. Schirmunski, Alte deutsche Volkslieder aus der bayrischen Kolonie Jamburg am Dnjepr. In: VI. 33 (1931), S. 36. [138] T. Sokolskaja, Alte deutsche Volkslieder in der oberhessischen Sprachinsel Belowjesch (Nord-Ukraine). In: Hessische Blätter f. Vk. XXVIII, 1929, S. 152f. (o. Mel.). — hs.: [139] Vors. Th. Funk, Holzbach-Lehen 1939 [?], Slg. H. Bräutigam. DVA, A 161289. [142] Vors. Kath. Schubert, Marienfeld (Lager Zanessen) 1944, aufgez. v. BroschEger. [143] Vors. Klementine Klaß, Jamburg a. Dnjepr 1946, aufgez. v. Brosch-Windsheim.

X. Deutsche Fassungen aus den Siedlungsgebieten Wolhynien, Bessarabien hs.: [144] Vors. Milda Bachmann, Wola Popowa 1941. Slg. Chr. Weiss, Lieder aus dem Warthegau. DVA, A 168091. [145] Vors. J. Jans, Jakobstal 1941, aufgez. v. Brosch-Eger. DVA, A 168428. [146] Vors. Dorothea Klandt, s. 1. 1941, aufgez. v. A. Brosch-Eger. DVA, A168485. [147] Vors. Mathilde Schmalz, Jakobstal 1943, aufgez. v. Brosch-Eger. DVA, A 168448.

XI. Deutsche Fassungen aus den Siedlungsgebieten Slawonien, Gottschee [148] Th. Elze, Gottschee und die Gottscheer. III. Jahresheft d. Krainischen Landesmuseums. Laibach 1862, S. 38 (o. Mel.). [149] Kobe (Istinic), Koledarcek slovenski (slow. KalenderAlmanach) 1855, S. 54, u. F. Klein, Zum Gottscheer Dialekte. Die deutschen Mundarten, hsg. V. Fromann (1855), S. 86. [150] A. Hauffen, Die deutsche Sprachinsel Gottschee. Graz 1895, S. 189. [151] ebda., S. 192. [152] ebda., S. 199. [153] K. J. Schröer, Weitere Mitteilungen über die Mundart von Gottschee. In: Sitzungsberichte Wien, Bd. 65, S. 437 f. — hs.: [154] Vors. Anna Zimmermann, Freiburg 1963, aufgez. v. J. Künzig. IfoVk. [155] Vors. Maria Wittine, Händlern 1895, aufgez. v. W. Tschinkel (Das deutsche Volkslied in der Sprachinsel Gottschee, ms.). DVA, A 109462. [156] Vors. Marg. Mantel, Graflinden 1907, aufgez. v. W. Tschinkel (ebda.). DVA, A 109461. [157] Vors. Marg. Günserich, Göttenitz 1907, aufgez. v. W. Tschinkel (ebda.). DVA, A 109463. [158] Vors. Mathilde Mausser, Tschermoschnitz 1938, aufgez. v. W. Tschinkel. DVA, A 155 478. 3

Veröffentlicht auf Platte 9 v. Institut f. Ostdeutsche Volkskunde (IfoVk) Freiburg. Weitere Fassungen, die das IfoVk bewahrt und die auch der Erwähnung wert sind, konnten dem Verf., dem sie im übrigen bekannt sind, nicht zur Verfügung gestellt werden.

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XII. Deutsche Fassungen aus Siedlungsgebieten in Italien, Ungarn, Bulgarien, Kaukasus [159] M. Hornung, Halge Gesang. Alte Kirchengesänge aus den dt. Sprachinseln der „Sieben Gemeinden" in Oberitalien (Cimbri). In: Jb. d. öVlw. 10 (1961), S. 92. [160] G. Henßen, Ungarndeutsche Volksüberlieferungen, s. 1. 1959, S. 353. — hs. : [161] A. Loschdorfer, Die Lieder der Dorfgemeinschaft zu Vezpremfasz. Budapest 1932, S. 65f. DVA. [162] [Vors. nicht genannt], Palé (Baranya) 1933, aufgez. v. A. Karasek (Slg. Horak) (o. Mei.). DVA, A 142181. [163] [Vors. nicht genannt], Palé 1933, aufgez. v. A. Karasek (Slg. Horak) (o. Mei.). DVA, A 142179. [164] Vors. Franziska Heith, Soraksar 1954, aufgez. v. K. Scheierling. DVA, A189236. [165] [Vors. nicht genannt], Solymar 1959, aufgez. v. Siuts. (o. Mei.). DVA, o. sign. [166] Vors. Elisabeth Fittner, Dunakömlöd (Tolnau) o. J., aufgez. v. K. Horak. DVA, A 145 332 3a . [167] [Vors. nicht genannt], Carevbrod o. J., aufgez. v. O. Götz aus Zschölkai. (o. Mei.). DVA, A 191306. [168] H. v. d. Au, Die deutschen Umsiedler aus Koschelak . . . Mainfr. (Heppenheim, 1941), S. 92.

XIII. Deutsche Fassungen aus Siedlungsgebieten in Rußland (Samara, Saratow, Wolga u. a.) [169] G. Schünemann, Das Lied der dt. Kolonisten in Rußland. München 1923, Nr. 14. [170] ebda., Nr. 15. [171] ebda., Nr. 16. [172] ebda., Nr. 17. [173] ebda., Nr. 18. — hs.: [174] Vors. M. Wohn aus Rothammel/Wolga, Lager Rogg b. Litzmannstadt 1943, aufgez. v. Raufer. DVA, A 173011. [175] dies., Kassel 1953, aufgez. v. J. Künzig. IfoVk. [176] dies. u. Tochter, ebda. [177] dies., Freiburg 1958, aufgez. v. J. Künzig. IfoVk.

XIV. Fassungen aus Dänemark, Estland, Polen, Slowakei und wendische Fassungen [178] S. Grundtvig, Danmarks Gamie folkeviser II, 526. [179] H. Neus, Esthnische Volkslieder, Urschrift und Übersetzung. Reval 1850, S. 104f. [180] J. H. Bystroñ, Piesñ o dziewrzynie i przewoznike XXII, 63—71. [181] J. Konopka, Piesni ludu krakowskiego. W. Krakówie 1840, S. 79ff. [182] F. Bartos, Národní písné moravské v nové nasbírané. Praha 1901, S. 1052. [183] M. Hórnik, Pokhérlusk, dotai njewociscany. = Casopis towaí stwa macicy serbskeje 17 (1864), S. 195 ff. [184] ders., ebda., S. 196f. [185] H. Ducman, Koklowny rukopis khérolusow. In: Casopis towaístwa macicy serbskije 23 (1870), S. 109 ff. [186] M. Róla, Pèsnje a pokhérluski z luda. (Spéwane w ranisich stronach khróscanskeje wosady). In: Casopis macicy serbskeje 33 (1880), S. 25f. [187] A. Czerny, Narodne hlosy luziskoserbskich pésni. Budysin 1888, S. 11.

X V . Fassungen aus Spanien und Portugal [188] Romancero popular del la montaña. Colleción de Romanees Tradicionales recogidos y ordenados por José M. e de Cossio y Tomás Maza solano. Tomo II. Santander (1934), S. 252. [189] ebda., S. 263. [190] ebda., S. 265. [191] ebda. [192] ebda. [193] ebda., S. 267. [194] ebda. [195] ebda., S. 268. [196] ebda. [197] ebda., S. 269. [198] ebda. [199] ebda., S. 270. [200] ebda. [201] ebda., S. 271. [202] ebda., S. 273. [203] ebda., S. 274. [204] ebda. [205] ebda., S. 276. [206] ebda. [207] ebda., S. 277, u. D. Anos de Escalente, La mujer de Santander, la Montañesa. En: Las Mujeres Españolas, Portuguesas y Americanas. Tomo II. Madrid 1872, p. 339. [208] Romancero popular . . . II, S. 283. [209] ebda., S. 285. [210] Cancionero popular de Extremadura contribución al folklore musical de la región colección, estudio y notas de Bonifacio Gil Garcia. Tomo I. Badajoz 1961, S. 155f. [211] dass., Tomo II. Badajoz 1956, S. 149f., Nr. 315. [212] ebda., Nr. 316. [213] ebda., S. 150, Nr. 317 4 . 3a Vermutlich von deutscher Fassung beeinflußt ist jene von László Lajtha in Siebenbürgen aufgezeichnete ungarische Weise. Vgl. L. Vargyas, Zur Verbreitung deutscher Balladen und Er^ähllieder in Ungarn, Jahrbuch f. Volksliedforschung 9 (1964), S. 77. 4 Melodien sind nur in 210—215 überliefert.

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XVI. Fassungen aus Italien 5 1. V e n e z i a , F r i u l i , G i u l i a , T r e n t i n o [214] D. G. Bernoni, Canti popolari veneziani. Venezia 1873, S. 25. [215—220] ebda., S. 26, 27, 28, 30, 33, 40. [221] A. Arboit, Villotte Friulane. Piacenza 1876, S. 309. [222] F. Corazzini, I componimenti minori della letteratura popolare italiana. Benevento 1877, S. 383 f. [223] A. Garlato, Canto del popolo di Chioggia. Venezia 1885, S. 287. [224] (Ostermann) Archivio per lo studio delle tradizioni popolari (ATP) VI (1887), S. 237 f. [225—229] (Gortani) Pagine Friulane V i l i (1895), S. 193,193f., 194,194f., 195. [230] (Nardo Cibele) ATP XIV (1895), S. 345f. [231—232] ebda., S. 215f., 349. [233, 233a, 234] (Gortani) Pagine Friulane IX (1896), S. 30 u. 30f. [235, 236] ebda., S. 148. [237] (F. Babudri) ATP (1901), S. 192. [238] (Balladoro). ATP X X (1901), S. 199. [239] L. Gortani, Tradizioni popolari friulane. Udine 1904, S. 60. [240] (Fabris). ATP XXIII (1904), S. 328. [241—242] ebda., S. 333, 338. [243] ebda., S. 41 f. [244] G. Fabris, Canti popolari religiosi della diocesi di Padova. Padova 1922, S. 11. [245—247] ebda., S. 12, 13, 15. [248] F. Babudri, Fonti vive dei Veneto-Giuliani. Milano 1927, S. 194. [249] ebda., S. 195f. [250] (Zenatti). Archivio storico per Trieste, l'istria e il Trentino. Voi. II. o. J., S. 205 f. 2. L o m b a r d i a , P i e m o n t e , E m i l i a , R o m a g n a [251] G. Ferraro, Canti popolari monferrini. Torino-Firenze 1870, S. 108. [252—253] ebda. S. 109, 110. [254] C. Nigra, Canti popolari del Piemonte. Torino 1888, S. 153 I. [255] ebda., S. 153 II. [256] (Massara). ATP XXII (1903), S. 508—510. [257] (Ferraro) ATP XXIII (1904), S. 482f. [258] (Tiraboschi) ATP XXIII (1904), S. 443. [259] M. A. Spreafico, Canti popolari di Brianza. Varese 1959, S. 172 u. S. 56. [260] B. Pergoli, Saggio di canti popolari romagnoli. Forlì 1894, S. 60. [261] F. B. Pratella, Poesie narrazioni e tradizioni popolari in Romagna. Forlì 1920, S. 33—36. [262] M. Spalicci, La poesia popolare romagnola. Forlì 1921, S. 89f. [263] (Fantucci) Illustrazione toscana VII, 2. Firenze 1929, S. 60. [264—276] P. Toschi, La poesia popolare religiosa in Romagna, studio critico e testi inediti, o. J. 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 32. (vgl. ders., La poesia popolare religiosa in Italia. Firenze 1935). [277] Coelho II, S. 260. 3. T o s c a n a , M a r c h e , U m b r i a [278] (G. B. Corsi) ATP X (1891), S. 252. [279] ebda., S. 253. [280] (Vincenzi) Rivista delle tradizioni popolari italiane I (1893), S. 853. [281] G. Giannini, Canti popolari della montagna lucchese. Torino 1899, S. 231. [282—284] ebda., S. 276ff., 279, 280. [284a] ebda., S. 231. [285] (Corsi) ATP XVIII (1899), S. 60—61. [286—289] P. Toschi, Poesia popolare religiosa aretina. Arezzo 1932, S. 7, 8, 9, 11. [290—291] A. Gianandrea, Canti popolari marchigiani. RomaTorino-Firenze 1875, S. 231 f., 290. [292] ders., Saggio di giuochi e canti fanciulleschi delle Marche. Roma 1878, Nr. 23. [293] (Castelli) Vita popolare marchigiana I (1896), S. 17. [294] (Jurno) ATP XXI (1902), S. 395. [295—298] G. Vitaletti, Tradizioni carolingie e leggende ascetiche a Fonte Avellana (Archivum romanicum, Voi. Ili), S. 246, 275 f., 277 f., 279 ff. [299] A. M. Eustacchi-Nardi, Contributo allo studio delle Tradizioni popolari marchigliane. Firenze 1958, S. 226. [300] De Angelis, I canti popolari delle Marche (Con motivi musicali). Lares 26 (1960) H. 3—4, S. 143 ff. [301—305] G. Mazzatinti, Canti popolari umbri raccolti a Gubbio. Bologna 1883, S. 456 I, 456 II, 456 C, 456a, b. [306—322] O. Grifoni, Poesie e canti religiosi dell'Umbria. 4"ed. corretta. Assisi 1927, S. 1,2,3,4, 5, 6, 7, 8,8, 9,11,12,13,14, 15,19, 176. (vgl. l a ed. Foligno 1911, u. Canzoniere italiano [Collana Fenice Nr. 28] S. 147—151). [323—328], M. Chini, Canti popolari umbri, raccolti nella città e nel contado di Spoleto. Todi 1918, S. 3—7, 7—10, lOf, 11 f., 12, 13. 4. L a z i o , A b r u z z o , M o l i s e [329] G. Mazzatinti, Canti popolari Umbri raccolti a Gubbio. Bologna 1883, S. 308. [330] G. Zanazzo, Canti popolari romani, con un saggio dei canti del Lazio (Tradizioni popolari romane 5

Melodiebeispiele in 259, 261, 424—433.

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III). Torino 1910, S. 113. [331—338] G. Finamore, Tradizioni popolari abruzzesi. Vol. II. Lanciano 1886, S. 636, 652, 653, 654, 655, 656, 659, 663. (vgl. auch: Canzoniere italiano a. a. O., S. 191, u. G. Finamore, Credenze, usi e costumi abruzzesi. Palermo 1890). [339—345] A. De Nino, Usi e costumi abruzzesi. Vol. IV. Firenze 1887, S. 83—100,106—109,110—112,113—116, 117—122, 129—132, 133—136. [346—357] E. Cirese, I canti popolari del Molise I. NobiliRieti (1953), S. 102, 103—105, 105, 107, 108, 109, 111, 113, 114, 115, 117, 123f. 5. C a m p a n i a , P u g l i a , B a s i l i c a t a [358] F. Corazzini, I componimenti minori della letteratura popolare italiana. Benevento 1877, S. 393. [359] L. Molinaro del Chiaro, Canti del popolo napolitano. Napoli 1880, S. 299. [360] Torraca, Studi e storia letteraria napolitana. Livorno 1884, S. 385. [361—362] (Simoncelli) Il Giambattista Basile, archivio di letteratura popolare. 1885, S. 74, 77. [363] (G. Fiore) RTP. 1893, S. 276f. [364—367] A. D'Amato, Reliquie di sacre rappresentazioni nell'Iipinia [Estratto dal Folklore italiano [1927—28]), S. 6f., 8, 10, 19. [368] D'Amato-A. Gliani, Montoro nella storia e nella tradizione. Avellino 1929, S. 13. [369] A. D'Amato, Ancora reliquie di sacre rappresentazioni nell'Irpinia. Avellino 1931, S. 14. [370—371] (Zumpetta) Rivista italiana di letteratura dialettale. Milano 1931, S. 150, 151. [372] P. Pellizari, Fiabe e canzoni popolari del contado di Maglie in Terra d'Otranto (fase. 1.). Maglie 1881, S. 109. [373] (G. Simone) Rassegna Pugliese di scienze lettere e arti. Vol. IX (1892), S. 257. [374] (Pedio) Apulia, Rivista di filologia, storia, arte e scienze IV. Martina Franca 1913, S. 27f. [375] S. La Sorsa, Leggende poetiche di Puglia (Estratto dalla Rassegna, XL, 3—4, S. 9). [376] M. Vocino, Apulia Fidelis. Milano 1927, 5. 73. 6. C a l a b r i a , S i c i l i a , S a r d e g n a [377—380] A. Lumini, Studi calabresi. Cosenza 1890, S. 55, 59, 61, 67. [381] (Brinati) Calabria, rivista di letteratura popolare. Monteleone Calabro 1892, S. 10 u. 77. [382] (G. T. D.) Rivista delle tradizioni popolari italiane, Roma 1893, S. 926. [383] L. Borello, Le Laude di Calabria e gli „Uffizianti" di Bova. Napoli 1899, S. 33. [384—390] ebda., S. 33,36,36,37, 38,39,40. [391—405] Lombardi-Satriani, Canti popolari calabresi. Vol. IV. Napoli 1933, S. 146, 150, 152, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 168, 169, 174. [406] L. Vigo, Raccolta amplissima di canti popolari siciliani. Catania 1857, S. 278. [407^412] ders., ed. II.®, ebda. 1870—74, S. 2307, 2309, 3262, 3309, 3311, 3425—29. [413—415] G. Pitrè, Canti popolari siciliani (Bibl. delle tradizioni popolari sic.) II. Palermo 1870—71, S. 962, 963, 964. [416—417] (Arenaprimo) Archivio storico delle tradizioni popolari X X (1899), S. 97—99, 98—100. [418—423] M. Alesso, Il giovedì Santo in Caltanisetta. Caltanisetta 1909, S. 204—234, 238, 238, 235f., 236f., 238f. [424—433] A. FavaraO. Tiby, Corpus di musiche popolari siciliane I. Palermo 1957, S. 386, 387, 389, 393, 393 (Nr. 667), 394, 396, 397, 397 (Nr. 672), 398. [434] G. Bottiglione, Vita sarda. Milano 1927, S. 222. [435] P. Moretti, Poesia popolare sarda. Canti dell'Ogliastra. Firenze 1963, S. 33. [436—4391 ebda., S. 36, 40, 41, 42.

L e g e n d e u n d H i s t o r i e . Zunächst ist nachstehend eine Auswahl verschiedener Textmodelle getroffen, die das Kernstück bilden und auch vornehmlich wegen einiger beliebter Varianten wichtig erscheinen. Auf den Abdruck einer der üblichen Weisen aus dem binnendeutschen Raum ist hier verzichtet worden, da diese in der obengenannten Literatur leicht zugänglich sind. a) Weise aus einem Passionsspiel aus Oberösterreich [113]: Maria: — Ser betribet ist mein geist An mir armen allermeist, Ser betribet ist das herze mein. Awe, ich hab mein liebes kindt verlohren, Awe daß ih nie war geboren!

Sol ich sein nimmer mehr gesehen, Wie sol mir armen dan geschehen ? — Johannes: Maria, mutter, reine magdt, Sein martter war mir von im geseydt,

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Die er da leydet ohne schuldt Damit die schrift wirdt erfildt. Awe, awe, awe, auß der Juden hauß Sah ich in blutig gehn herauß. Ein creicz auf seinen ruckhen lag, Noch gresser den ein donerschlag. Awe jamerliche bein, Awe der großen marter sein,

Awe als ich vernommen hab, so wollen sy in an ein creicz schlagen. — Maria: — Johannes lieber freundte mein, nun gehn wir zu der martter sein vnd hilf mir klagen seine noth, wolt Gott vnd lag ich für in t o d t . . . — (Daran schließt die Marienklage)

b) 2 Weisen aus der Gottschee [156]:

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Maria shitzat in Goldstielein shi spinnet ihran Shühne za oainan sheidein Jepplein, ze oainan sheidein Reckhlein. Bia scheanar shi spinnait, noch scheanar shingait shi. Und vir du ziahat Johannes, dar Götasch Täfar ischt. — „Benn dü bessaischt, buas i boaß, dü shingaischt barlein et shö schean, dü spinnaischt barlein et shö schean, Da plintn, wolschn Jüdn hont dein Traut schon heilik ahin." — Maria bill noch Jerusalem ziehn. Ashö du sprichat Johannes, dar Götasch Täfar ischt: — „'s ischt hettain Beibar üngeshünt, pis da Glöckn et laitn tant, pis da Hahnlein et khranen tant." — Asho du sprichat Müatar Maria: — „Laitat, laitat, Gleckalein, sho khranat, khranat, Hahnlein, mit aiar roat Schnabalein, daß ich bard ziehn nach Jerusalem!" —

c) Bol durt aw gruener älm geat dar möargenstern aw: atunten sitzot Maria bol ünsere liabe wrä. si ziehot a boiniges würhin und würhin wür das haus. Johannes schäget poin Wanster eraus, — Johannes, du hoiliger man hast du et gesachen Jesum main sun ? —

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Maria ziahat nach Jerusalem, nach Jerusalem af mittai Stodt. af mitter Stodt ischt a heiliges Khraiza, af dan heilign Khraiz ischt a liebas Kind. Shi vollait nidar af de Khnien. Asho du sprichat Herr Jeson Khrist: —„Buas boainascht dü, Müatar, dü vrümmes B e i b ? " — Ashö du sprichat Müeter Maria: — „ I pin as et a vrümmes Beib, i pin as ju dai Müater dein!" — Ashö du sprichat Herr Jeson Khrist: — „Sheiet Ihr, dai Müatar mein, shö hübet Ihr aüf Aiar Virtüchlein! — I' bard uhin luaßn vollen dos Milich und Plüat; dos Plüet trüget Ihr in schtickhl Roain! Ahant berd bokschn a Beinrable. Benn Ihr bart ziahn durch ebn Pödn, lot Ihr voll' a Milichtrepflein! Draüs bard bokschn a Boaizaharle. Uanin dan kialan Bein uanin dos boaizeina Proat konn koain Mescha et galeshat shein." —

[153]: — 'ih hänem bol gesachen, herrn Jesum dain sun, mit strickhen hänt seu 'n gepunten, mit goiseln hänt seu 'n gegoiseltl seu hänt en angeslügen an's hoilige kreuz zbean näglain in de hende oin in die wüesz! — dar däs liedle singen kän dar sing es alle tug amöl, dem bil ih gaben däs ebig laben.

d) Weise aus Spanien (Campo de Ebro) [189]: (Camino del Calvario)

camina la Virgen pura

Por el rastro de la sangre

en busca de su hijo amado,

que Jesús ha derramado

E n el medio del camino

Maria Wanderung una mujer ha encontrado. — Dime, cristiana mujer, Si a mi Jesús has hallado. — Si, señora, le encontré allá en el monte Calvario; una cruz lleva en sus hombros de madera muy pesado una soga a su garganta que perros iban tirando, cada vez que el perro tira Jesucristo arrodillado. La Virgen que ha oído eso desmayada se ha quedado. San Juan y la Magdalena la levantan de la mano. — Vamos, vamos, mi Señora, vamos al monte Calvario; por aprisa que lleguemos ya le habrán crucificado. Ya le meten las espinas ya le atiestan con los clavos,

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ya le dan las tres lanzadas en su divino costado. La sangre que derramase cayó en un cáliz sagrado, e hombre que lo bebiese será bienaventurado; será rey en este mundo y en el otro coronado. El que esta oración dijese todos los viernes del año saca un ánima de pena y la suya de pecado; la de su padre y su madre la de todos sus hermanos; quien la sabe y no la dice, quien la oye y no la aprende el día del juicio verá lo que en ella se contiene; Con una vara de acebo palos hasta que se quiebre.

e) Weise aus der Toscana [282] : Maria stava in casa e non sapeva il suo caro figliuolo du'l'aveva. Maria si misse per andallo a cercare scrontrò Giovanni che a-l-lei ne veniva. — Dirmi, Giovanni che sei caro e-l-buono : L'avresti visto '1 mio caro figliuolo ? — — Si, si, Maria, chè io l'ho veduto in mano de'-l-ladron, tutto battuto, Tutto battuto e tutto fragellato Con (una) corona di spine (l'avevano) incoronato. Maria si misse per mia e colle lagrime copriva tutta la via; Arriva a quelle oscure porte, prese le pietre e le sbatteva forte. — Aprite, aprite, chè io son Maria, La più dolente che nel mondo sial — — Giudei Giudei, statemi ascoltale: Mi par di sentì mia madre lamentare.

— Non ti saprebbe qualche scusa fare sentir le donne cosi lamentare. — Tutti vi vo' pregare in cortesia che quei chiodi li fate più sottile : Chè hanno a entrare in carne più gentile. — Per più dispetto che a-t-te ti faremo, sei libbre di più ce n'aggiungeremo l'n sulla faccia nu li calcheremo. Piangon i piccolini piangono i grandi; Gesù fu preso di trentatre anni: Di trentatre denari fu ricomprato, A guida maledetto fu perdonato E chi tre volte '1 giorno dirà questa, in ciel mi sarà scritta una messa : Chi la dirà e chi la farà dire, di mala morte non potrà morire : Chi la dirà con (puro) cuore e (con pura) devozione, non morirà senza la confessione.

D e r Stoff v o n Maria W a n d e r s c h a f t ist aufs engste mit der Leidensgeschichte Christi v e r w a c h s e n u n d hat sich gleichsam als Episode aus dem ganzen K o m p l e x der Passion herausgeschält und vielfach an Selbständigkeit g e w o n n e n , w o b e i die stereotypen Gestalten und M o t i v e w i e Johannes oder Petrus, Verurteilung durch die J u d e n und K r e u z i g u n g am Ölberg in der Legende sich mehr oder weniger verstümmelt erhalten haben. Die Suche nach dem S o h n und die G e g e n ü b e r stellung v o n Jesus und Maria als E n d p u n k t der W a n d e r s c h a f t drängen schon aus psychologischen G r ü n d e n nach dialogischer Behandlung und fanden daher den

46

Ernst Hilmar

entsprechenden Ausdruck in den mittelalterlichen Passionsspielen. Zweifellos haben sich nur mehr Fragmente dieser szenischen Darstellungen in die heutige Zeit gerettet, die teils in der Marienklage und zum Teil in den Leiden Christi am Kreuz gipfeln. Die ursprüngliche Form war mit einiger Bestimmtheit dreiteilig mit fünf Episoden und Schlußformel, wie sie uns heute noch in den Weisen beispielsweise aus Umbria (301—305) begegnet. Ihr entspricht weitgehend die Passione Italia Centrale I, (215, 220, 230, 231, 244, 245, 249, 252—256, 261, 262, 264—269, 282, 286, 293, 297, 301, 302, 306, 309, 312, 323, 324, 329, 332, 335, 339,340,343—345,348—351,354—357,362—365,373—376,381,388,392—394, 396, 401, 411, 414, 416, 417, 421, 422), die sich, wenn auch verschiedentlich sehr verkürzt, großer Beliebtheit erfreute. I. A. Am heiligen Donnerstag wird Christus, der sich in den Garten begeben hatte, um zu beten, von den Juden gefangengenommen, gebunden und geschlagen. Jesus ist besorgt um seine Mutter und bittet Johannes, der seine Leiden sah, Maria Nachricht zu geben. B. Maria sitzt im Hause, weiß nichts von ihrem Sohn und glaubt ihn verloren. Johannes kommt mit der traurigen Erzählung, worauf Maria in Ohnmacht sinkt. Schließlich macht sie sich auf den Weg zum Kreuzigungsort, den Blutspuren Jesus' folgend. C. Auf dem Wege trifft sie einen Schmied, der Kreuzigungswerkzeuge anfertigt, und erfährt auf ihre Frage, daß diese für Jesus bestimmt seien. Nun bittet sie ihn, sie nicht zu dick und schwer zu machen, um den Sohn nicht zu verletzen. II.

Der Schmied schlägt ihr es ab. D. Maria kommt zur Kreuzigungsstätte, klopft an die Tür, doch Judas gewährt ihr keinen Einlaß. Schließlich gelingt es ihr, ihren Sohn zu sehen, wobei sie (in einigen Fassungen) selbst Schläge erhält. E . Im Dialog zwischen Mutter und Sohn drängt Jesus Maria, von seiner Seite zu gehen, und erbittet zuletzt Tuch und Wasser.

III.

Maria will ihm ihre Brust reichen, doch Judas tritt entgegen, gibt ihm Essig und setzt die Martern fort. Maria fällt in Ohnmacht, die Sonne verdunkelt sich. F. Wer dieses Gebet spricht, wird ohne Leiden eingehen in das Himmelreich.

In den meisten Fassungen fehlt der Teil A, und D und C sind umgestellt. Die Tatsache verwundert, daß außerhalb von Italien noch keine Belege vom Abschnitt C bekannt sind, der gerade wieder einen Modellfall für szenische Entfaltung bildet. Kürzungen und Varianten, wobei sogleich mit Marias Wanderung begonnen wird, sind natürlich auch in Italien verbreitet, schon auf Grund überwiegend mündlicher Überlieferungsträger. Bis zu reinen Gebetsformeln ohne Liedweise und motivverschleiernden Kontaminationen wie Marias Traum, die im folgenden noch zur Erwähnung kommen, reicht die Fülle der Variierungstendenzen. Das Kernstück, die Sohnsuche und Maria angesichts der Leiden

Mariä Wanderung

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Christi, ist in sämtlichen europäischen Fassungen vorhanden. Darum rankt sich auch im deutschsprachigen Raum ein blühendes Gebilde zum Teil charakteristischer Wendungen. Meist hält Maria sich im Haus auf, singt (155) oder weint Tränen von Gold (206), in Spanien sitzt sie im Schatten einer Palme (202), im Banat auf einem hohen Stein (124), in der Gottschee kleidet sie sich schön und empfängt die Nachricht von einem Engel des Herrn (301—305), vielerorts von Johannes (115), Josef (205, 207) und sogar Jesus (206), oder sie ist bereits auf der Suche nach ihrem Sohn und erfährt Christi Gefangennahme von Petrus (6, 9, 15, 18, 22, 24, 26, 27, 35, 39, 41, 43, 47, 50, 55, 59—65, 73—75, 84, 93, 94, 99, 111, 121, 123, 142, 143, 145—166, 167, 173 u. a. [dagegen ist diese Variante in Italien fast unbekannt]), der bisweilen einen Hirtenstab trägt (166) oder mit heller Stimme spricht (117), oder von Johannes (1, 5, 7, 12—14, 16, 77, 95—98, 100, 110, 131—135, 157, 158, 164, 169, 172, 174—177, 183—186, 425 u. a.); im Rheinland begegnet sie Jesus [!] (62), im Frankenland einem hübschen jungen Mann (80), in Spanien einer Rosenkranz betenden Frau (198), den Hirten (201) oder drei Marien bzw. Magdalena, in Hessen einem armen alten Mann (76). Mancherorts lautet auch die Frage: „Habt ihr nicht gesehen . . . ?" (65, 69, 71, 79, 82, 115a, 140, 144, 159 u. a.). In der Gottschee erfährt es Maria auch durch einen schneeweißen Brief (150), anderorts heißt es wieder: „. . . wir sahen ihn nicht, aber wir hörten . . ." (186). Eine andere Gruppe verwendet eine Einleitung gleichsam zur Erklärung der Situation, die auf der italienischen und spanischen Seite noch kein Gegenstück hat, dafür aber vor allem im Alpen- und Alpenvorland sehr verbreitet ist. Maria sitzt auf grüner Alpe (148), oder auf grüner Heide (95,110,135), auf dem Ölberg (136), in der Wiese (98), in der Aue (120), im Tal ( 1 0 , 1 2 , 1 9 , 34, 71, 77) u. a. m., wo der Morgenstern aufgeht (10, 12, 14, 71, 77,92, 99, 105, 110, 104, 129, 131, 134, 108, 151, 158, 161, 163) oder der Mond scheint (106, 108) und legt sich schlafen eine Viertelstund' ( 1 2 , 1 4 , 9 2 , 1 3 1 , 1 2 4 ) , eine halbe Stund' ( 1 0 , 1 1 0 , 104), einmal schläft sie auch in Johannes' Haus (100) und verliert in dieser Zeit ihren Sohn. Weitere Varianten und motivisches Beiwerk finden sich bei wendischen Fassungen und in der Gottschee, wo Maria über blühende Wiesen (183) bzw. in den Blumengarten hinauszieht. Ebenhier wird auch an den Hahnenschrei erinnert: der Herr sei vor dem Hahnenschrei vorbeigegangen und vor dem Hahnenschrei sollte Maria nicht reisen. Im übrigen hat dieser erste Abschnitt die Entsprechung in B. Vom zweiten Hauptteil sind in deutschen Fassungen nur mehr Anklänge vorhanden, insbesondere in Lothringen, wo Maria vor die Juden tritt und ihren Sohn verlangt (24). Allerdings handelt es sich im folgenden bereits um eine Kontamination mit „Maria und der Schiffmann". Die meisten deutschen Fassungen erschöpfen sich in dem Bericht vom Judenhaus (1, 4, 9, 12, 16, 18, 38, 39, 48, 49, 53, 54, 64, 67, 72, 76, 78, 80, 93, 94, 99, 115a, 118, 1 2 7 , 1 2 1 , 1 2 2 , 1 2 8 , 1 4 0 , 1 4 3 , 1 4 5 , 1 4 6 , 1 5 9 , 1 7 0 — 1 7 6 u. a.), Judentüre (22, 43, 59, 60), vom Richterhaus (6, 62), Pilatus' Haus (108, 426), golden hohes Haus (95), wo alle Morgen Jesus blutig aus- und einging (108). Ein anderer hat ihn „gestern abend spät"

48

Emst Hilmar

gesehen (34, 71, 92, 110, 119, 161, 177), ganz blutig (52, 115a, 128), ganz betrüblich (177), verblutet (94), wieder ein anderer in der Weihnachtsnacht [!] oder mit drei Fähnlein auf den allerheiligsten Händen in der Kirche (181). Diese Gruppe von Varianten steht der Passione Italia III (214, 221, 222, 225, 232, 233, 233a, 234, 236, 238, 240—242, 247, 257, 258, 272, 274, 278, 280, 288, 298, 319, 320, 327, 377, 399, 400), IV (218, 246, 275, 290, 295, 296, 325, 328 [oftmals vermischt mit Pass. III]) und Pass. V (263, 276, 284, 285, 291, 294, 296, 304, 315, 316, 330, 331, 336, 358, 374, 376, 377, 407, 408) sehr nahe, wo gleichfalls die charakteristische Dialogszene zwischen Maria und Judas resp. Maria und Schmied wegfällt und an ihre Stelle die Erzählung von der Gefangennahme und den Leiden Christi tritt. Zur Erklärung der Passione III und IV muß gesagt werden, daß beide gleichsam schon einen Typus der „preghiere" bilden 6 , während die Pass. V als verstümmelte Form insbesondere im Kinderspiel auch heute noch in Verwendung steht. In Spanien erfährt man zur obengenannten Erzählung noch, daß Johannes, Magdalena, Josef und auch Isabella Maria nach besten Kräften helfen werden (202, 207). Ein besonderes Beispiel zum Gang auf den Kalvarienberg bietet die Fassung aus Iglau mit ausgesprochen dialogischer Wendung, die ursprünglich wohl mit szenischer Darstellung verbunden war: Jesus trägt das schwere Kreuz und bittet, da er sich so schwach fühlt, man solle es ihm tragen (117). Der letzte Hauptteil, die Szene an der Kreuzigungsstätte ist auch im deutschsprachigen Raum dialogisch ausgewertet, an der Stelle „Maria, sollst nicht weinen" (41, 43, 52, 54, 57, 59, 61, 68, 72, 74, 75, 80, 101, 115a, 122, 127, 128, 137, 170, 177, 185 u. a.), nur fehlen hier gewisse dramatische Elemente, wie sie in Italien und Spanien aber auch in der Gottschee verbreitet sind. In der Gottschee erkennt Jesus seine Mutter nicht und bittet Johannes, das fremde Weib wegzuführen (155). In Spanien spielt die rührende Szene, wo Johannes die Nägel küßt (202). Alle diese Fassungen waren urtümlich wohl als Darstellung unter dem Kreuze gedacht, wenn auch in Italien Stätte der Marter und der Kreuzigung oftmals zusammengezogen sind, und sind in beiden Fällen nur mehr Relikt eines szenischen Ablaufes, der auch in einem dramatisch in die Länge gezogenen Dialog erfaßt war. Vermutlich schloß sich daran die Kreuzabnahme, die eine Kärntner Fassung noch bewahrt hat (108). Die Schlußformel gestattet vielerlei Varianten wie: Wer dieses Liedlein . . . singt (10, 14, 23, 34, 96, 99, 105, 110, 131, 1 2 4 , 1 3 6 , 139, 1 5 1 , 1 5 4 , 161, 164 u. a.) oder Wer das Blut trinkt (189,197, 200), Wer mein Leibt ißt. . . (186), Wer dieses Gebet alle Freitag singt (189), Wer dieses Kreuzspiel singen kann (108), Sünder bekehrt euch (34, 13, 108, 110, 168) u. a. m., die auf alte Gebetsformeln zurückzuführen sind. Wie eingangs erwähnt, ist die Verbindung von Marias Wanderschaft zum geistlichen Drama des Mittelalters auf Grund der torsohaften Uberlieferungsquellen nicht immer deutlich zu ersehen. Das Passionsspiel hat sich wie die anderen 6

Vgl. P. Toschi, La poesia popolare

religiosa

in Italia.

Firenze 1935, S. 99f.

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Maria Wanderung

mittelalterlichen geistlichen Dramen aus den Übungen der hohen Festtage entwickelt, indem das in der Liturgie gefeierte Geschehen schließlich nach mimischer Darstellung außerhalb der kirchlichen Feier drängte 7 . Aufs engste betrachtete man das Marienleben mit dem Leben Jesu verbunden, wie die Dichtungen des Mittelalters bezeugen (beispielsweise vom Karthäuserbruder Philipp, 1306). Für das Passionai bildet der erste Band der Legenda aurea des Jacobus de Voragine mit der Darstellung des Lebens Jesu die Hauptquelle, wo Marias Leben als Umrahmung gedacht ist. Mit Gewißheit findet sich in der Legende von Marias Wanderung ein Echo der alten Passionsspiele, in denen schon bis zum Typus ein Motiv wiederkehrt 8 : Johannes begleitet Maria zum Kreuze, oder es sind dort ähnliche Verse verbreitet wie : Madonna mie el tuo filliuolo é priso dalli Judei e tucto lo an piagato e connannato che scia crocifisso come latrone in croce sia chiavato . . .

Gleichfalls auf Maria und Johannes dialogisch verteilt ist ein Passionsspiel aus dem 16. Jahrhundert aus dem Benediktinerstift Lambach in Oberösterreich bekannt, mit denselben Motiven aus Marias Wanderschaft, auch wenn es vermutlich als Gegenstück zum Pianto della Maria (248) in der Beschreibung als „Marienklage" deklariert ist. Der Grundstock der Legende liegt jedenfalls nicht erst in Kolers Ruefbuechl von 1601, sofern nicht die textliche Einkleidung damit ausgesprochen wird. Nach Angabe dieser Quelle wird die Weise auf ein Bußlied der Geißler aus dem 14. Jahrhundert zurückgeführt, das die Limburger Chronik (1336—1398) aufbewahrt. Es beginnt: Es ging unsre Fraue, Kyrie eleison! Des Morgens in dem Taue, Hallelujah! Da begegnet ihr ein Junge, Kyrie eleison I Sein Bart war ihm entsprungen, Hallelujah. Gelobt seist du, Maria I

Diese kirchlichen Büßergenossenschaften, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts unter Bußgesängen durch ganz Westeuropa zogen, sind vermutlich die Überlieferungsträger auch für Süd- und Mitteldeutschland gewesen, ähnlich wie später die Bruderschaften der Lauda in Italien Stoffe aus der Leidensgeschichte, und, wie in Fragmenten heute noch zu erkennen, insbesondere auch Motive aus Marias Wanderung in ihre Gesänge einbezogen. Vor allem in der Passione III, IV und V lassen sich Analogien zu Lauden aus dem 14. und 15. Jahrhundert feststellen, wenn auch nur gewisse Teile und nicht der vollständige Komplex übernommen ist 9 . Hier ein textlicher Beleg: 7 8 9

Vgl. H. Rosenfeld, Legende. Stuttgart 1961, S. 62. F. Torraca, Teatro italiano dei sec. XIII, XIV, XV. Firenze 1885, S. 13ff. A. Panizza, Di alcune laude dei Battuti di Rendena. In : Archivio Trentino II, p. 75—100 ; G. Ferraro, Laude del Piemonte. Bologna o. J., 238. Jahrbuch für Volksliedforschung X I

4

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Ernst Hilmar Madonna santa Maria de gran olimento si se pattina dal monumento e se ne andava alla santisima croce humilmente el adorava con grandi pianti che l'abrazava et se dicena : Figliolo del corpo mio quest' è la croce dove fusti morto per salvare li pecatori sufristi gran dolore e mi tutta gramosa madre maria che al cor mio porto con gran doglia. chi questa orazione ne la mente sua dirano e che nel cor suo l'averano ben scrita quela gratia che al cor mio domanderano potrano eser seguri et certi chel gela fatano.

(vgl. auch Lesarten in den Codices A r e t i n o , Oliveriano, Vallicelleriano u. a.) 1 0 . Es ist w o h l v o n Ü b e r n a h m e v o n Seiten der Bruderschaften die Rede, da der ältere Bestand n o c h weiter zurückreicht und v o m V o l k tradiert w u r d e . D i e kürzeren Fassungen der Passione II u n d der übrigen tragen sehr auffällig den Typus der G e b e t s f o r m e l n an sich, die wenigstens schon i m 13. J a h r h u n d e r t bekannt waren, sofern sie nicht den A n f ä n g e n der italienischen V o l k s d i c h t u n g angehören. V i e l e der Eingangs- und S c h l u ß f o r m e l n zur Passione stammen w o h l aus dem 13. u n d 14. J a h r h u n d e r t 1 1 , sind auch v o n den Spielleuten überliefert u n d finden sich vereinzelt in den Lauden Codices w i e i m Codex trentino oder Codex C M 1 0 6 der Biblioteca Comunale v o n Padova. Daneben gibt es zur Passione n o c h viele Lesarten und Gebete, die auf keine ursprüngliche G a t t u n g deuten, sondern aus der Passione h e r v o r g e g a n g e n sind: beispielsweise Marias T r a u m (oder in einer umbrischen Fassung Jesus' T r a u m ) : Madona santa Maria in Biliemme si stava In del so bianco lecto dormiva et pensava Ro so caro sovra ga rimirava. Elo disse : Dormiva, mare, o vegiay — ? Eia disse: E'no dormo, fiolo, che vuy m'avi resvegià, De un si greve insonio che de vu mo insugnai. De nemici crudi e'vi vidi prendere e ligare, A lo legno de la croxe e' ve vedea menare : i vostri bei pe' e le vostre bele mare De agudhi e de chioldi e' ve vedea inchioldare Lo vostro bel costado de una lanza e' ve vedea impassare, Ra vostra bela bocha de felle e d'asedo abeverare, Ra vostra bela faza de spudo ispudazare Ra vostra bela testa de spine e de boci incoronare. Elo disse : Mare mia, quest' è ben vero e verità : Mo chi tre volte dirà questa oratione lo dì 10 11

Vgl. Tenneroni, Inizi di antiche poesie religiose. Roma o. J. E. Broli, Laude e sacre rappresentazioni degli studenti trentini VI, S. 161 ; G. Fabris, Un'eco moderno di antiche laude. In: ATP XXIII (1906), S. 327ff.; ders., Canti popolari religiosi della diocesi di Padova. Padova 1923, S. 43; G. Amati, Ubbie, Cianconi e ciarpe del sec. XIV. Bologna 1866, S. 72.

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Maria Wanderung Per me' amore e per vostra carità, zamai de le pene de l'inferno tocarà, Re porto dè l'inferno sarà ben serà Quelle del paradiso sarà adverte e parichià, Christo lo faza, pella Sua misericordia e pietà.

Davon ist ein Beleg aus der zweiten Hälfte des 13. Jh. bekannt (um 1280), der wohl um diese Zeit niedergeschrieben, vermutlich aber schon früher gesungen wurde12. Jedenfalls ergeben sich daraus wieder Ansätze zu einer frühen Datierung der Passione I. Eine genaue zeitliche Abgrenzung ist für alle diese Gesänge, die wie die Passione III oftmals ohne Melodie anzutreffen sind, nicht möglich, nur ist denkbar, daß ihre Anfänge in den ersten Jahrhunderten christlicher Volksdichtung liegen, da sie Motive aus den Leben Jesu und Marias vereinigen und damit weitgehend zum Prototyp der christlichen Legende zählen. Im übrigen ist abschließend für diesen Teil noch zu erinnern, daß die Weise ähnlich der Passione V auf italienischer Seite auch in Deutschland Eingang in das Kinderspiel gewonnen und hier wieder eine bescheidene mimische Darstellung gefunden hat13.

Kontamination Angesichts der Fülle von Textvarianten ist es nicht verwunderlich, daß besonders beliebte Motive durch assoziative Momente in andere Themen eingedrungen sind und sich bisweilen ohne erkenntlichen Bruch in diese neuen Zusammenhänge fügten. Oftmals aber ist die Anpassung nicht gelungen, und dann muten diese blockartigen Bildungen als Phänomen ohne primäre innere Beziehung heradezu parodistisch an. Die häufigste Erscheinung der ersten Gattung findet sich im vorliegenden Fall bei „Maria und der Schiffmann", wo im ersten Teil Maria sich auf der Suche nach dem Sohn bewegt und ihn im folgenden über das Meer den Juden entführt (25, 152, 160). Ein anderes Beispiel bietet „Jesus im Tempel" als Endziel Marias Wanderung. Seltsam befremden dagegen die Fassungen der zweiten Gattung, wie insbesondere jene aus Molise, die Marias und Josefs Reise ins Heilige Land beinhaltet und worin plötzlich die aus der Passione I bekannte dialogische Szene zwischen Maria und dem Schmied angestimmt wird. In ähnlicher Weise sind die Legende der heiligen Katharina von Alessandrien und die Beweinung Christi aus der Legende von Marias Wanderung zusammengezogen. Die assoziativen Punkte liegen im ersten Fall in der Wanderung und der Beziehung auf Jesus, im anderen in der Beweinung an der Stätte des Leidens. Ohne Zweifel lassen sich noch ähnliche Beispiele anführen, die in einer weiteren Überlieferungstabelle zu erfassen wären.

12

13

G. Ferraro, Regola dei Servi della Vergine Gloriosa ordinata e fatta in Bologna nell'anno izSt. Livorno 1875, S. 46. F. Heeger, Altes Karfreitagslied. In: Heimatblätter f. Ludwigshafen a. Rh. und Umgebung Nr. 7 (1921). 4*

52

Ernst Hilmar

Zur M e l o d i e Auf Grund der spärlichen Überlieferung aus älterer Zeit und der zum Teil unzulänglichen Notierung, um die sich erst die jüngste Forschung seit Bartök bemüht, führt eine Betrachtung zur Melodiegeschichte wohl zu lückenhaften und unbefriedigenden Ergebnissen. Eine Ordnung der Melodien ist nur angebracht, sofern sich diese nach gewissen Konkordanzen zusammenfassen lassen, wobei aber kleinste motivische Analogien ausgeschlossen sind, die weitgehend nur einer theoretischen Auffassung Genüge tun könnten. Approximativ läßt sich jedoch für die überlieferten Weisen in nachstehenden Punkten eine chronologische Einteilung resp. Aufspaltung nach Typen wählen: 1. Melodien, die zum alten oder älteren Bestand zählen; 2. Relikte barocker Spiel- und Singpraktiken; 3. Beliebte Melodiemodelle aus dem früheren 18., bzw. aus dem 19. Jh.; 4. Kirchenliedweisen. 1. Gerade aus dem alten italienischen Bestand sind noch so gut wie keine Melodien bekannt, die Ansätze zu beweisfähigen Zusammenhängen geben könnten. Nur verschiedentlich Deutungen sind möglich: meistenteils handelt es sich bei den italienischen Gebetsformeln und Teilen zur Passion doch um zehnoder siebensilbige Melodienzeilen von vorzugsweise geringer Tonbewegung, die unaufhörlich für jede Textzeile wiederholt werden. Oftmals ist ungefähr in der Mitte eine Fermate oder auch nur Verzögerung anzutreffen, wodurch die Zeile gleichsam von Thesis und Antithesis gebildet wird. Die besondere Beschaffenheit von Melodieschluß und -anfang gestattet ein fast lückenloses Ineinandergehen der Wiederholungen. Gewiß gehört diese Art der melodischen Ausführung ähnlich der Laissenstrophe dem Litaneitypus an und entspricht zum Teil weitgehend der im 13. Jh. beliebten altfranzösischen Chanson de Geste1*. Einzelne Beispiele sind uns im weiteren aus der Gottschee (150,156,157), Lothringen (118) oder aus den zimbrischen sieben Gemeinden in Oberitalien, die um 1100 von Westtirol besiedelt wurden (159), überliefert, sowie auch Lesarten aus Spanien (212), der Romagna oder ähnliche Melodieformen aus Sizilien (424), die mitunter noch auf diesen Typus weisen:

[159]

$

yi

t

0

A

brs

cJ

i pian-ti

in

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irr

r

en

/' -

!a

Hand-

i-£ b j « h tr—— Ma

- n'-a

¿1 von Gotts-wol

n

[119]

> Da

da

- da, sie

au-ßen

schaut

j

i

j

Su-chet ih ren

den

sie ver-lo-ren

i

J

*

auf dem

dieMut-ter

Sohn,

Ber-ge-Iet'n

Got-tes

beim

geht der Mor-gan-stern

Fen-ster

auf,

her-aus.

i—i—/—

[94]

lJ M a - r i - a

den

sie

J

r

ging

aus

ver-lo-ren

hat,

wan-dern

den

: sie

sie nidit

such-fa

fin-den

ih-ren

kann.

Sohn,

hat.

55

Maria Wanderung

[100] Drun-ten

in der

Au- e

9' n9.

I: sitzt

dia

/ie-be

o

Frau-a

mm--

mit

Mor-genstern

;

Je-su

«—c a!

— tein, •

auf;

dorf-n

iis: Je-su

a! - /ein.

[183]

Nalétasko so piiblii' wase, Hórki a dolki so zelenjachu, . .

[110]

Lost

auf, ihr Kin der von

Is-ra-e/,

wie

schlägtdieUhr

heut'so

sdinell!

Hät neun Uhr

g'sdilàgn!

Dieser Typus ist vielen szenischen Spielen des Volkes zu hohen Festen des Jahres eigen, die sich als Relikte barocker Spielfreudigkeit erhalten haben und sich ohne wesentliche charakteristische Unterschiede nicht nur in Passions-, sondern auch in Weihnachts-, Oster- und anderen Spielen finden können. Von hier aus wird die Weise auch Eingang in das Kinderspiel gewonnen haben. Zur Ergänzung: ähnlich wie bei 2. konnte auch in den nächstfolgenden Abschnitten fast ausschließlich die deutschsprachige Überlieferung in die Darstellung einbezogen werden. Der Grund hierfür liegt in der dürftigen Quellenlage im besonderen auf italienischer Seite, wo man erst nach 1930 systematisch mit der Aufzeichnung der Melodien und noch später mit kritischen Ausgaben begann 1 6 . 3. Aus den südostdeutschen Sprachgebieten haben sich zwei Fassungen erhalten, von denen bisher noch keine Parallelerscheinung innerhalb Marias Legende bekannt ist. Die erste war in der Dobrudscha (122,129), in Bessarabien (147) und im Kaukasus (168) lebendig, die zweite im rumänischen Banat (124, 132), Batschka (134), Ungarn (164) und schließlich auch in einer burgenländischen Quelle (105). Als melodische Fundgrube sind sie nicht zu werten, weil sie sich ausschließlich in einfacher Dreiklangsmelodik über latenter Hauptstufen-Harmonik bewegen. Das beliebteste Melodiemodell, das im gesamten deutschsprachigen Raum verbreitet war und in unzähligen Varianten bis zur völligen melodischen Verflachung gesungen wurde, stammt wohl aus dem 17. oder auch erst frühen 18. Jh., vielleicht aber aus noch älterer Quelle, hat aber jedenfalls seine umgänglichste Form im späten 18. oder frühen 19. Jh. gefunden. Das schönste Beispiel bietet die Wolgadeutsche Fassung, die zweistimmig erhalten ist und hierin auf E. Hilmar. Die Volksliedforschung 1966), S. 119—123.

in Italien. Jb. für musik. Volks- und Völkerkunde II (Berlin

56

Ernst Hilmar

ältere Praktiken, wie Quintparallelen und Gegenbewegung aus und in den Einbzw. Quintklang, weist (176):

Ma - r/ - a

woll-tc

su-chen

woll-fe

ih-ren

wan

ha-ben

— darn,

Sohn^~

wotl-fa

,

a!-

Lön-dar

woll-le suchen

ih-ren

aus-gehn,

lie-ben

Sohn.

Nur die Rußlanddeutschen Fassungen (169, 172—177) und jene aus der Dobrudscha (128) kennen noch die aufstrebende Linie bis zum Halbschluß und die refrainartige Wendung des Schlusses. Die übrigen (in der Reihe der melodischen Entkolorierung und Simplifizierung: 32, 73, 80, 137, 120, 81,127, 169, 170, 171, 75) lassen die Hochführung der Melodie vermissen und verlieren sich in mehr oder minder platte absteigende und repetierende Wendungen. Auch der Spannungsverhalt zwischen Halb- und Ganzschluß wird verschiedentlich aufgegeben. Beispiel einer verarmten Fassung (75):

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Sohn.

Eine andere Version hat ihre ältere Vorlage in Liedweisen der Siedler aus der Dobrudscha (121, 126), Ukraine (142) und Wolhynien (144), in denen die Halbkadenz meistenteils sprunghaft in den Unterquintton fällt. Analoge Lesarten, nur mit Hilfe von Durchgangstönen belebter gestaltet, sind vor allem in Lothringen und im Rheingebiet beliebt gewesen (22, 70, 33, 63, 27, 47, 29, 21, 45, 66, 121, 126, 24, 49,17,18). Allerdings können die entferntest liegenden Varianten bereits als breitgetretene Form der ursprünglichen Weise gelten. Von zwei weiteren Melodietypen, deren erster in Franken, Rheinland und mit Varianten im westfälischen Raum gesungen wurde (10, 13, 34, 98, 77, 71) und ähnlich dem zweiten Typus aus dem österreichischen Raum, Sudetengau und Böhmerwald (113, 107, 104, 87, 129) durch Sequenzierung kurztaktiger Motive gekennzeichnet wird, liegen die Quellen in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s 17 . Im ersten Fall weisen die hervortretenden weiblichen Schlüsse auf empfindsame Einflüsse, im anderen ist ein gewisser dem Alpen- und Alpenvorland anberaumter Melodietypus mit sprunghaften Dreiklangs- und Terzwendungen vorherrschend. Beachtenswert ist die Tatsache, daß zu diesen Melodien die Textfassung fast durchwegs „Da draußen auf grüner Aue" (oder eine der obenerwähnten Varianten) lautet. 17

Lt. Aufzeichner um 1780 bekannt.

Maria Wanderung

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4. Die Ausstrahlungen der Kirchenliedweisen haben auch das geistliche Lied von Marias Wanderschaft erfaßt und insbesondere im 19. Jh. der Weise Melodien aufgezwungen wie jene kunstfertig nachgebildete Fassung von Molitor (1851) 18 . Allerdings haben sich auch dem älteren Kirchenlied verwandte Beispiele im Volksmund festgesetzt, u. a. jene aus Kremnitz (141), die in der Notierung leider sehr geglättet wirkt. Bei den Beispielen aus Sachsen (83, 85), Rheinland (64) und Lothringen (53) ist die Verbindung zu den Kirchenliedweisen (19. Jh.) nur mehr lose, obwohl verwunderlicherweise eindringliche Modulationswendungen mit chromatischen Fortschreitungen nicht abgestoßen, sondern weiter tradiert wurden. Zusammenfassend und abschließend ist nochmals darauf hinzuweisen, daß die lückenhafte Überlieferung gerade auf musikalischer Seite und die sporadischen Quellen außerhalb des deutschsprachigen Raumes, wobei auf textlicher Seite hinsichtlich der älteren Überlieferung das umgekehrte Verhältnis zu beachten ist, nur ein umrißhaftes Bild zur Legende von Marias Wanderung zu entwerfen vermögen. Der breite Wirkungsbereich des Legendenstoffes hatte auch eine Aufspaltung des gesamten Komplexes in einzelne Motive zur Folge, die je nach Beliebtheit sich zu Gebetsformeln wandelten, sofern diese nicht den ältesten Grundstock bildeten oder kontaminatorisch in andere Gattungen wanderten, während melodiegeschichtlich die Weise vom schlichten Litaneitypus über blühende Koloristik oder barocke Gewichtigkeit bis in die vielfältigen Varianten oft landschaftlicher Prägung der neueren Zeit ihre Ausdrucksformen wechselte.

18

W. Baumker, Das katholische Kirchenlied

IV, Freiburg 1911, Nr. 78.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst Von JOSEF DE COO (Antwerpen) In keiner Epoche war die bildende Kunst des Abendlandes so ,figurativ' wie im Mittelalter. Von der Gotik kann man behaupten, sie sei ausschließlich ,figurgestaltend' gewesen, sogar, nach der damaligen Ideologie, im Kirchenbau. Zu ihrem Gestaltungstrieb genügte bei weitem nicht ein Vokabularium, das sich auf die alt- und neutestamentlichen Szenen beschränkte. Die vielleicht noch reichhaltigeren Heiligenlegenden hat die gestaltende Gotik schließlich erschöpft. Überdies erfand sie, auch diesmal szenisch behandelt, eine Symbolik und eine Typologie, die gewiß nicht allen Zeitgenossen verständlich waren. Einer wesentlich auf den Inhalt ausgerichteten Kunst wie der gotischen, sollten wir mit völliger Kenntnis dieses Inhaltes entgegentreten, so daß wir uns nicht bloß sagen müssen: ,Schon wieder eine Geburt Christi!' — ,Siehe mal das komische Detail!' — „Wie sehr naiv!' — ,Und dies, was soll es?'. Die Notwendigkeit einer solchen Kenntnis haben die Kunstgelehrten, wenn auch zum Teil immer noch mangelhaft, erkennen müssen, nachdem sie diese Hilfswissenschaft allzulang dem einzelnen Dilettanten überlassen hatten. Zur Erhellung rätselhafter, ungedeuteter Figuren, Handlungen, Gebärden, Attribute, Szenen in Miniaturen und Bildern und Skulpturen setzt sich heute die Ikonographie der Kunst ein. Sie erstrebt es, in den Apokryphen, der Hagiographie, den Schriften der Mystiker in möglichst zeitgenössischer geistlicher und weltlicher Literatur die Lösung zu finden zu den zahlreichen jetzt erst auftretenden Problemen in der Darstellungswelt der mittelalterlichen Kunst. Die Resultate dieser nunmehr von bedeutenden Spezialforschern gepflegten Wissenschaft zu betrachten, ist immer lohnend. Sie sind jeweils ein Beleg dafür, wie zu der Zeit die plastische Formgebung dem geistigen Inhalt, und deshalb dem inspirierenden Text, untergeordnet war, ob dieser Text nun schriftlich oder mündlich dem Künstler vorlag. Diese letzte Art Quelle nachzuprüfen, ist natürlich am schwersten und in bestimmten Fällen gar nicht mehr möglich: es lassen sich höchstens etwaige, meist örtliche Spuren finden in Sagen, im Volksbrauch, in der Volksdevotion, im Schauspiel und — warum nicht ? — im Volkslied. So entsprach es einer der kunstwissenschaftlichen Hauptaufgaben des Mayer van den Bergh Museums in Antwerpen, zur Erforschung des berühmten hier bewahrten Diptychons beizutragen, das einem um 1400 entstandenen Altarwerk angehört, dessen zwei andere Täfelchen sich in Baltimore befinden (Abb. 1). Wie sehr man sich auch bemüht hat, das Werk einer bestimmten Werkstatt in Frankreich, Deutschland oder den Niederlanden fragweise oder endgültig

Abb. 1. Geburt Christi: der hl. Josef schneidet eine seiner Strumpfhosen für eine Windel zurecht. Poliptychon Antwerpen-Baltimore. Maas-Rhein-Gebiet um 1390—1400. Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh.

60

Josef de Coo

zuzuschreiben, so hat man sich mit der ikonographisch so eigenartigen Figur des hl. Josef in der Geburt Christi kaum näher befaßt. Das Außergewöhnliche dieser Josefsfigur ist ihre Beschäftigung, die noch obendrein im Vordergrund auffallend betont ist, eben in einer Zeit, in der ihre Apathie in Weihnachtsdarstellungen längst eine Tradition geworden war: Josef, von der im Wochenbett liegenden Maria beobachtet, hat im Antwerpener Bild eine seiner Strumpfhosen ausgezogen, die er mit einem Messer sehr fleißig behandelt. Im mittelalterlichen Volkslied begegnete mir die Stelle, wo vom Nährvater gesagt wird, er habe Weihnachten seine Beinkleider ausgezogen, um daraus Windeln für das nackte Christkind zu machen. Gleichartige aufgefundene Texte erwähnen dabei die Stadt Aachen als Aufbewahrungsort dieser Jesuswindeln. Meine Beschäftigung mit den Jesuswindeln führte mich zum Aachener Domschatz, in dem die Reliquie tatsächlich aufbewahrt wird, und zugleich zum mittelalterlichen Volksliederschatz, der sich offenbarte als die einzige Quelle zur Deutung eines als verbreitet sich ausweisenden Motivs in der bildenden Kunst. Man könnte es eingebildet nennen, das Enträtseln eines bisher vernachlässigten Details in Weihnachtsdarstellungen anzusehen als einen Beitrag zu noch anderen Wissenschaften neben der christlichen Ikonographie, — hoffentlich jedoch wird ein solches Urteil nicht ganz stimmen, wenn erst einmal die Kenntnis sämtlicher gleichartigen bildlichen Darstellungen und aller gleichartigen literarischen Quellen es ermöglichen wird, eine Sage von ihrem Entstehen bis zu ihrem Verschwinden örtlich und zeitlich zu verfolgen. Zur Zeit lassen sich etwa fünfundzwanzig Texte und ebenso viele bildliche Darstellungen nachweisen 1 . Die Herkunft der Windeln Jesu ist in der Literatur und der Volksdichtung oft beschrieben und verschiedenartig ausgestaltet worden. In der deutsch-ungarischen Fassung des Liedes „Joseph lieber Joseph mein" — i m Ofener Christkindelspiel— fragt Maria singend: Joseph meinl Was soll dem Kind sein Windlein sein ?

worauf Josef spricht: Schleier soll dem Kind sein Windlein sein2.

Eine gleiche Antwort gibt Josef in der schlesischen Fassung des Liedes im Johnsbacher Christkindel: Schierlei soll die Windel sein,

was einige Verse weiter jedoch vom singenden Chor variiert wird: Der alte Mann Josef zog Hemdelein aus und machte dem Kindel paar Windeln draus3. 1

2 3

Der vorliegende Aufsatz ist eine vom Verf. umgearbeitete Fassung seines Beitrages „In Josephs Hosen Jhesus ghewonden wert. Ein Weihnachtsmotiv in Literatur und Kunst", in: Aachener Kunstblätter des Museumsvereins 30 (1965), S. 144—184. Aug. Hartmann, Volksschauspiele in Bayern und Österreich-Ungarn gesammelt, Leipzig 1880, S. 4. Fr. Vogt, Die schlesischen Weihnachtsspiele, Leipzig 1901, S. 254—255.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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Dasselbe w u r d e i m Frankenland gesungen: Der Joseph ziehet sein Hemd gleich aus, Und macht dem Kind drei Windelein draus, Er machet's so hübsch und machet's so fein 4 . Das Hemd-Thema k o m m t überwiegend in Dreikönigsspielen v o r 5 . D i e Magier können den Nährvater heißen, das Hemd auszuziehen, und selbst W i n d e l n daraus machen. V e r f ü g t Maria z u m Zudecken des K i n d e s über eine W i n d e l und eine W i c k e l schnur, w o h e r k o m m t dann diese Schnur ? In L o t h r i n g e n weiß man es: Sankt Joseph ziehet sein Mäntelchen aus — Alleluja Und macht dem Kind Jesus eine Wickelschnur draus — Alleluja 6 . Es ist nochmals der Schleier ihres Hauptes, in den Maria den S o h n G o t t e s gewickelt haben soll, w e n n m a n die f ü r die bildende K u n s t allerdings wichtigen Meditationes des Johannes de Caulibus (Pseudo-Bonaventura) zu Rate zieht 7 . A u c h J a c o p o n e de T o d i w e h r t in seinem D i c h t w e r k in bezug auf die W i n d e l n jeden Beitrag des Pflegevaters ab: Als die Mutter ihn geboren Ihre eignen Linnen nahm sie, wickelte darein das Söhnlein Joseph aber benedeiet Stand für sich gar sehr betrübet, Wie durchbohrt von großem Mitleid, Daß zu helfen ihm versagt war 8 . Ebensowenig w i r d in dieser Hinsicht dem Josef eine Rolle g e g ö n n t i m ,Marienleben' v o n B r u d e r Philipp dem Kartäuser (Steiermark), das zu den beliebtesten Büchern des 14. und 15. Jahrhunderts g e h ö r t e : Ir Kint Maria in ein tüechlin want, mit reinen winteln si ez bant 9 . 4 0

6

7

8

9

Fr. W. Freiherr von Ditfurth, Fränkische Volkslieder I, Leipzig 1855, S. 5. z. B. in Spielen aus Ulmbach (rumänisches Banat), Ruma (Syrmien), Franztal (jugoslaw. Banat), Nemesnadudvar (Batschka). Diese Angaben hat mir Prof. Dr. J. Künzig, Leiter des Instituts für ostdeutsche Volkskunde, Freiburg-Littenweiler, liebenswürdigerweise zur Verfügung gestellt. A. Merkelbach-Pinck und J. Müller-Blattau, Verklingende Weisen. Lothringer Volkslieder, Band 5, Kassel 1962, S. 21, Nr. 8a. I. Ragusa and R. Green, Meditations on the Life of Christ, an illustrated manuscript of the 14th Century, Princeton 1961, S. 32—33. Henry Thode, Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien, Wien 19344, S. 455. Bruder Philipps des Carthäusers Marienlehen, herausgegeben von H. Rückert, QuedlinburgLeipzig 1853, V. 2092—93.

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Josef de Coo

Manchmal, zumal in Volksliedern, ist die Beteiligung J o s e f s ganz unbedachtsam geschildert, w i e in diesem schweizerisch-romanischen Lied „ A la minuit de Noël": Saint Joseph de son manteau Lui fit un berceau Enveloppa ce poupon Dans sa casaque, Enveloppa ce poupon Dans son giron 10 . Jedoch, w i e sehr unbedachtsam ein V o l k s v e r s auch erscheinen mag, ganz anspielungsfrei ist er w o h l niemals oder ist er wenigstens in seiner Urfassung niemals gewesen. S o ist es m e r k w ü r d i g , daß in einem Weihnachtslied aus dem Jura, w e n n die W i n d e l n gesucht w e r d e n müssen, es Josef ist, der gefragt w i r d : Dites donc, oncle Joseph, Ou sont ses bandelettes P11 M e r k w ü r d i g n o c h könnte man nennen, daß der o f t so ungeschickte Josef die W i n d e l n — laut einem v o n Flamen in N o r d f r a n k r e i c h gesungenen Liede — auch kennen kann, sie sogar wäscht : Maria geeft hem ( = Jesus) suykerpap; En Joseph brengt den windelap Daer Joseph werckt den heele nacht En wascht de luyers in den gracht 12 . U n d gebührt dem N ä h r v a t e r kein besonderes L o b , w e n n er, außer den gewaschenen Windeln, n o c h V o r r a t hat, nicht i r g e n d w o , sondern am w a r m e n O r t ? Lauschen w i r dem Weihnachtsspiel v o n Benedict Edelpöck (Verse 1 6 2 6 f f . ) : Maria : Mein Joseph, bring mir doch die windl ! ei lauf doch flugs und volge mir, daß uns das kindlein nit erfrier. Joseph: Maria fass auf mich kain zorn ! die windel sein noch alle gfrorn, wie ichs dann nechten gwaschen han ; 10

11

12

A. Rossat et E. Piguet, Les chansons populaires recueillies dans la Suisse romande II, Lausanne 1930, S. 153, Nr. 58, Str. 2. Ebenso bei E. Piguet, Vieux Noëls, Basel 1926, S. 12, Nr. 3. Diese Hinweise verdanke ich der Liebenswürdigkeit von Frl. Dr. E. Liebl, Schweizerisches Institut für Volkskunde, Basel. D'Aucourt, Nolls jurassiens, in: Schweiz. Archiv für Volkskunde, Bd. 3 (1899), S. 48, 261. Ebenso A. Rossat, IM poésie religieuse patoise dans le Jura bernois catholique, in: Festschrift zur 49. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Basel, Basel 1907, S. 387. Auch diese Hinweise verdanke ich dem Schweiz. Institut für Volkskunde, Basel. E. de Coussemaker, Chants populaires des flamands de France, Gent 1856, S. 32 ,,'t Stalleken van Bethleem".

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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waist, daß ichs nindert trucknen kan. Wie thun wir dan, daß Got erbarm I auf daß uns doch das kind erwarm ? Sieh, Maria, ich denk erst dran, daß ich noch aine bei mir han, die hab ich nechten in pusen gstekt, ist auch noch warm; riech wies nur schmekt! So hin, wickl fein das kindlein drein13.

Ob nun in diesen Texten die Jesuswindeln aus den Hosen Josefs gefertigt wurden oder nicht, alle mittelalterlichen Texte haben hinsichtlich des Auftretens Josefs bei der Geburt des Heilandes zwei Aspekte gemeinsam: er wird burlesk geschildert, und nur ausnahmsweise weiß er zu helfen, meistens ist er ratlos. Wenn er wenigstens dem Kind die Fliegen abwehrte — so wie es die Franken sangen14, — wie oft aber gilt seine ganze Aufmerksamkeit nur seinem Durst! Im hessischen Weihnachtsspiel zankt er sich mit einer Magd 18 . Von den schlesischen Adventsspielen ist bekannt, daß Josef, überdies noch geschwärzt, nachdem er vom Engel und von den Hebammen geprügelt worden ist, das Kindelwiegen, wozu er aufgefordert wird, verwünscht: Wie koan ich denn doas kleene Kindel wiega, ich koan men ala krumma Puckel salber ne biega ! 16

Diese Antwort gibt Josef stets — auch in auslandsdeutschen Varianten, wie im Käsemarker Weihnachtslied17, — in Dialekt, auch in den schlesischen Weihnachtsspielen18, wo er im übrigen gewöhnlich hochdeutsch spricht19. Dadurch soll seine Plumpheit gegenüber der hehren Maria bezeichnet werden 20 . Wie sollte es verwundern, daß solche Späße oft genug der Anlaß dafür gewesen sind, daß man zuletzt manche Weihnachtsspiele überhaupt verboten hat21. Daß bei der Geburt Christi, mehr als sonst, Hilfe nötig ist, ergibt sich aus der Armut, derzufolge keine richtigen Windeln vorhanden sind, eben die Windeln, die. samt der Krippe den Hirten als Zeichen verkündet werden, woran sie ja den Heiland erkennen sollen. Windeln müssen also improvisiert werden. In solcher Not — und dies ist der zweite allgemeine Aspekt der Josefszene — bringt, in der 13

14 15 19 17 18

19 20 21

„Komödie von der freudenreichen Geburt Jesu Christi durch Benedict Edelpöck", Mitte 16. Jahrh., bei Karl Weinhold, Weihnachtsspiele und Lieder aus Süddeutschland und Schlesien, Neue Ausg. Wien 1875, S. 212. Für die Kenntnis dieses Textes bin ich Herrn Dr. R. W. Brednich, Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg i. Br., sehr verbunden. Fr. W. Freiherr von Ditfurth, Fränkische Volkslieder I, Leipzig 1855, S. 4 „Gang zur Krippe". K. W. Piderit, Ein Weihnachtsspiel aus einer Handschrift des 15. Jahrh., Parchim 1869. R. Froning, Das Drama des Mittelalters III, Stuttgart 1892. Karl Jul. Schröer, Deutsche Weihnachtsspiele aus Ungern, Wien 1858, S. 158—159. Karl Weinhold, Weihnachtsspiele und Lieder aus Süddeutschland und Schlesien, Graz 1853, S. 106. Im Schlaupitzer Kristkindellied heißt es: „Kindla wiega, kindla wiega! ich koan nich menne Finger biegal". Fr. Vogt, Die schlesischen Weihnachtsspiele, Leipzig 1901. Karl Jul. Schröer, Deutsche Weihnachtsspiele aus Ungern, Wien 1858, S. 73. Für diese Auskunft habe ich Prof. Dr. L. Kretzenbacher, Kiel, zu danken.

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Literatur und der Kunst, ein betrübter und sinnender, wenn nicht eingeschlafener 22 Josef gar nichts, ein derb-komischer Josef nicht viel Seriöses zustande. Ist er in der Malerei bisweilen mit dem Kinderbad 23 , mit dem Kindersüppchen 24 oder dem Kohlenbecken 25 beschäftigt, kappt er Brennholz 26 oder holt er es herbei 27 , —• so sind doch die Fälle weniger selten, wo er, seine eigene Not ans Herz nehmend, seinen Durst löscht 28 oder den Fuß entblößt hat und ihn über dem Feuer erwärmt 29 . Und wo es kein Feuer gibt, da wäre das Entblößen des Fußes sinnlos, wenn man dabei nicht an Kälte und Erwärmen gedacht hätte 30 . Denn Kälte und Armut als Leitmotive des größeren Teils aller Weihnachtsdarstellungen und -beschreibungen wurden möglichst stark akzentuiert. Gar nicht erst über Windeln verfügen können, etwas Schlimmeres, Beklagenswerteres könnte beim Erzählen einer Geburt wohl nicht ausgedacht werden, einer Geburt, bei der ja alles fehlte, ,das den ainer kindpeterin ( = Wöchnerin) zue gehert' (Eisacktaler sog. Sterzinger Weihnachtsspiel, Vers 809). Mochte auch Werner der Schweizer in seinem ,Marienleben' nicht an Armut denken wollen und versuchen, Josefs ,demütig gewant' zu erklären ,als sitt da was durch du lant, und nut ( = nicht) durch armüt noch durch spar' (Verse 2759 ff.), so muß sich dennoch seine Beschreibung mit improvisierten Windeln begnügen und muß auch er sich dazu auf Josefs Hosen berufen. Ja, sogar ein sehr ernster Verfasser wie Werner wird in diesem seinem Ernst dadurch nicht einmal beeinträchtigt. In den folgenden Textbelegen wird nur von den als Windeln verwendeten Josefshosen, also der Aachener Reliquie, die Rede sein. Dem Recht aber, mittelalterliche Texte und mittelalterliche Darstellungen aufeinander zu beziehen, geht die Frage voran, was zu der Zeit das Wort ,Hosen' bedeutete, und zwar in den beiden angeführten Sprachen: in der deutschen, die noch heute das Wort gebraucht, und in der niederländischen, die längst keine ,Hosen' mehr kennt. Nach dem heutigen deutschen Sprachgebrauch sind mit den mittelalterlichen „hosen" Strümpfe gemeint, während die heutigen Hosen andere Kleidungsstücke sind, die im Niederländischen mit ,broek' bezeichnet werden. Nur in niederdeutschen Mundarten hat sich bis auf den heutigen Tag die Bezeichnung ,Hosen' für Strümpfe erhalten. Im Mittelhochdeutschen bedeutet ,Hose' (nur im Plural) Bekleidung der Beine (vom Schenkel oder erst vom Knie an) samt den Füßen: Hose oder Strumpf 31 . Hiermit stimmt die Bedeutung des mittelniederländischen 22

23 24 25 26 27 28 29 30 31

z. B. Initial B zum Weihnachtsfest im Graduale von 1442, Neustifter Schule, Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstiftes, Neustift bei Brixen. z. B. Klarenaltar, Köln, Dom. z. B. Marienkrönungsaltar, niedersächsisch um 1420, Hannover, Landesgalerie. z. B. Konrad von Soest 1404, Altar, Niederwildungen, Stadtkirche. z. B. Meister des Hildesheimer Johannesaltars, Hannover, Landesgalerie. z. B. ms. fr. 244, Paris, Bibliothèque Nationale. z. B. Buxtehuder Altar, Hamburg, Kunsthalle. z. B. „Anbetung der Könige", französisch Ende 14. Jahrh., Firenze, Museo Nazionale. z. B. mittelrheinisch um 1410, Utrecht, Aartsbisschoppelijk Museum. E. Teichmann, Zur Heiligthumsfahrt des Philipp von Vigneulles im Jahre 1510, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins XXII, (1900), S. 163.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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Abb. 2. Anbetung des Kindes: auf Josefs Knie eine seiner Strumpfhosen, auf seinem Spruchband ,Maria nym dy hosen min und wint dar in din lybes kindelin'. Meister des Ortenberger Altars um 1400—1420. Lezignan, Kirche.

Jahrbuch f ü r Volksliedforschung XI

5

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Josef de Coo

,hosen' überein. Daß ein Niederländer auch Gamaschen (ndl. laarzen) damit gemeint haben kann, ist eine Anschauung, die auch dem Deutschen nicht unmöglich ist. Nur in der ostlimburgischen Mundart lebt das niederländische ,hosen' zur Bezeichnung von ,kousen' d. h. Strümpfen noch heute fort. In der benachbarten Aachener Mundart heißt ,ein Strumpf' immer noch ,eine hoss'. Am klarsten wird uns die Bedeutung des mittelalterlichen ,hosen' in zeitgenössischen bildlichen Darstellungen, in denen der Gegenstand zugleich benannt wird. Wir führen sie im folgenden an. Wichtig — man könnte sagen: unparteiisch — ist eine derartige Darstellung, bei der an die Josefshosen gar nicht gedacht ist : zum Beispiel bei dem Wappen der Maria Hoose, der zweiten Gattin des Bürgermeisters Jan de Witte von Brügge. Bei ihrem Hochzeitsaltar vom Jahre 1473 (vor kurzem erworben vom Kon. Museum voor Schone Künsten, Brüssel) zeigt das Wappen der 16jährigen Braut als Anspielung auf ihren Familiennamen dreimal eine Hose, eine breite Fuß- und Beinbekleidung, die unter den Knien umgekrempelt ist32. Dem heraldischen Symbolismus ganz fremd, ja so natürlich wie nur möglich und dazu überzeugend vom Maler auf der eigenen Komposition benannt, ist die Hose auf dem Bild mit den Spruchbändern vom Meister des Ortenberger Altars (Abb. 2). Wo bildliche Darstellungen der Josefshosen als Reliquie lateinisch oder französisch benannt werden, begegnet man Wörtern wie caliga bzw. chausse. Das französische chausse, das heute noch in chaussette, d. h. Halbstrumpf, weiterlebt, kann als Strumpf verstanden werden, das lateinische caliga nach dem klassischen Latein als Stiefel oder Gamasche, nach dem mittelalterlichen Latein wohl auch als Strumpf. Übrigens gibt das Mittellateinische uns — und gab es vermutlich auch dem Zeitgenossen — nicht selten Anlaß zu Interpretationen und dem Suchenden allzuviel Anlaß zu Spitzfindigkeiten. Dazu möchte ich die Behauptung von Floß rechnen, die später von Strauch übernommen wurde, nämlich die Josefshosen seien nicht etwa ein Volkswitz, sondern erklärten sich als Mißverständnis der lateinischen fasciae,fasciolae, die neben der Bedeutung Windeln schon zu Karls des Großen Zeit zugleich auch die Bezeichnung für die damals übliche Beinbekleidung waren33. Belehrend ist die Definition von H. Leclercq, besonders weil er sich — ohne an die Josefshosen zu denken, die in seinem Dictionnaire nicht vorkommen —, die Hosen ohne Fuß und aus Leder denkt, was mit bestimmten Darstellungen übereinstimmt: „Ce sont des bas, mais des bas sans pieds que les hosae\ ils ne diffèrent des tubugri que par leur matière qui était le cuir et leurs procédés d'attache, nécessairement plus complexes. Importés de Germanie en Gaule, les hosen, hosae, houseaux, furent toujours conservés par les barbares même après que ceux-ci 32

33

Konservator Dr. A. Janssens de Bisthoven, Brügge, teilt mir freundlichst mit, daß der Name Hoose in keinem anderen Bezug in der Brügger Geschichte vorkommt, daß aber im Mittelalter in Brügge von „hosen", bzw. „visschershosen" oft die Rede war. — Im Wappen des erst 1549 geadelten preußischen Geschlechts Hosius kommt ein Strumpf vor. Heinrich Joseph Floß, Geschichtliche Nachrichten über die Aachener Heiligthümer, Bonn 1855, S. 313 ff.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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eurent acquis une certaine civilisation. Les hosae lombardes consistaient en d'étroits étuis de peau tannée qui garantissaient la jambe entière et dont l'extrémité inférieure s'emboîtait dans le soulier. Les hosae franques dont faisait encore usage Charlemagne, ses guerriers et son peuple en différaient sans doute assez peu" 34 . In den weiter angeführten Darstellungen der Josefshosen als Reliquie haben diese keine Füße. Daß Hosen, eben in der Zeit dieser Darstellungen (1460—1517) nicht notwendigerweise Füße hatten, wird sehr deutlich gezeigt von Jeroen Bosch in seiner .Geburt Christi' (Köln, Wallraf-Richartz-Museum), wo im Hintergrund ein Hirte den Fuß zum Erwärmen über einem Lagerfeuer entblößt hat, ohne die Hose selbst ausgezogen zu haben.

Literarische Quellen Bei den mir bekannten mittelalterlichen Texten, in denen von den Josefshosen die Rede ist, lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: die geistliche Literatur und die Chroniken und Kritiken. Gruppe A: GEISTLICHE LITERATUR Ein Versuch, die Weihnachtslieder chronologisch anzuführen, hätte keinen Sinn, denn die meisten sind Uberlieferungen oder Varianten von älteren unbekannten Liedern. Dieser Vorbehalt muß auch bei einer Lokalisierung gemacht werden. Lit. 1 — M a r g a r e t a E b n e r : Offenbarungen, 1345. Die Mystikerin Margareta Ebner, geboren etwa 1291 zu Donauwörth, war Dominikanerin im Kloster Maria-Mödingen bei Dillingen a. D. und starb ebendaselbst im Jahre 1351. Ihr tiefinnerliches Leben wurde besonders gefördert durch den Seelsorger, Weltpriester Heinrich von Nördlingen. Durch ihn auch wurde die Ebnerin in Dominikanerinnenklöstern (Klingenthal zu Basel, Unterlinden zu Colmar und Köln) bekannt, aus denen man Heinrich öfter Gaben, meist Reliquien, für sie übersandte35. So bekam sie, laut einem seiner Briefe an sie (zwischen 1332—1338), das Bad, in welchem das neugeborene Christkind gebadet wurde, weiter die Milch der hl. Jungfrau, die Tränen des Kindes, sein bei der Beschneidung vergossenes Blut 36 . Im Jahre 1344 notiert Margareta: „mir wart gesendet von Wiene ain minneklichez bilde, daz was ain Jhesus in ainer wiegen" 37 . Sie nimmt das Kind aus der Wiege und legt es an ihr „blosses herze mit grossem 34

35

36

37

F. Cabrol et H. Leclercq, Dictionnaire d'Archéologie chrétienne et de Liturgie III1, Paris 1913, s. v. „chausses", Sp. 1230. Hieronymus Wilms, o. p., Der seligen Margareta Ebner Offenbarungen und Briefe, Vechta in Oldenburg 1928, S. 39. Philipp Strauch, Margareta Ebner und Heinrich von Nördlingen, ein Beitrag %ur Geschichte der deutschen Mystik, Freiburg i. Br. — Tübingen 1882, S. 171. a. a. O. S. 90. 5*

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lust und süessiket". Von dieser Stunde an — so hat man neuerlich festgestellt 38 — beginnt sie, ihre Visionen und Ekstasen auf die Kindheit des Herreil zu richten und körperlich zu vollziehen — ihr religiöses Wünschen ins Frauliche übertragend —, was dem normalen Prozeß der mystischen Praxis widerspricht. In dem vom Christkind geforderten körperlichen Erleben sieht Margareta nichts Anstößiges. Alle ihre Fragen werden von ihm beantwortet. Eine interessiert uns: „ich sprach: ,kint mins, sie sprechent, du weret as arm, ist ez war?' ez ( = das Christkind) sprach: ,ez ist war. es muost an mir volbraht werden durch daz haile der menschen', 'kint mins, ist daz auch war, daz dich Joseph (in jüngeren Kopien: von grosser armuth wegen) want in sin hosen, wan daz was mir ie wider (jüngere Kopien: all zeit zu wider) gewesen', ez sprach: ,er want mich in waz er gehaben moht, er het nit daz mir zem ( = er hüllte mich in das, was ihm gerade zur Hand war; etwas Passendes und Würdiges konnte er nicht haben) 39 .

Ob die Hosenlegende Margareta aus bildlichen Darstellungen, aus der Literatur oder aus der Überlieferung bekannt war, wird immer eine Frage bleiben. Beachtenswert ist die Tatsache, daß ihr Seelsorger Heinrich von Nördlingen im Jahre nach der erwähnten Offenbarung eine Reise nach Köln und Aachen unternahm. Lit. 2 — W e r n e r der S c h w e i z e r : Das Marienleben 1382 Eine Bearbeitung in deutschen Versen der von einem Deutschen geschaffenen und sehr verbreiteten ,Vita beatae virginis Mariae et Salvatoris rhythmica'. Der Bearbeiter war geistlichen Standes, vermutlich Weltgeistlicher. Das Gedicht, der Mundart nach nordostschweizerisch, ist nur in einer schwäbischen, 1382 datierten Handschrift (Heidelberg, Pal. Germ. 372) überliefert, die Werner einer Dame widmet 40 . Verse 2751 ff. (Herausgabe M. Päpke und A. Hübner, Das Marienleben des Schweizers Wernher aus der Heidelberger Handschrift, Berlin 1920): Maria wand ir kindelin In aermü klainü tüchelin, Die man noch lät zeAche sechen: Ich waen und han es hören jechen Das sü mit rechten maeren Josephes hossen waeren. Zwai graewü tüchelü da sint Siner windelin, die man da vint.

Nach Schiffers Meinung hat Werner das Heiligtum wohl selbst in Aachen gesehen 41 . Lit. 3 — B r u d e r H a n s : Marienlieder, verfaßt wohl bald nach 1391. Der Dichter, der sich Bruder Hans nennt, war seiner eigenen Aussage nach ein ,nyderlender', der der Mutter Gottes zuliebe seine Braut oder Frau verlassen und 38

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Rosemarie Rode, Studien den mittelalterlichen Kind-Jesu-Visionen, Frankfurt a. M. 1957, S. 75. — Hans Wentzel, Eine Wiener Christkindmege in München und das Jesuskind der Margareta Ebner, in: Pantheon 1960, S. 277. Philipp Strauch o. c., S: 100. L. Denecke in: Verfasserlexikon I V , Berlin 1953 2 , Sp. 934. Heinrich Schiffers, Kulturgeschichte der Aachener Heiligtumsfahrt, Köln 1930, S. 61.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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sich dem geistlichen Stande gewidmet habe. Seine Sprache weist laut L. Denecke 42 in die Gegend von Kleve, laut dem zweiten Herausgeber M. S. Batts in die Gegend zwischen Köln und Kleve. Beachtenswert sind die auf der dem Original sehr nahestehenden Handschrift in Leningrad (Öffentliche Bibliothek, Hs. Rasnojas, O. v. XIV. 1) angebrachten Wappen, nach denen anzunehmen ist, das Pergament habe der Gräfin Margareta von Berg-Ravensberg (gestorben 1425?) gehört. Da die Schrift auf den Ausgang des 14. Jahrhunderts hinweist, ist das Werk wahrscheinlich kurz nach 1391, dem Kanonisierungsjahr der als ,sunte' angeführten Birgitta von Schweden, entstanden. Bech meint, die Lieder seien nach Meistersängerart komponiert 421 . Den Offenbarungen dieser Mystikerin (geschrieben 1360—1370) hat Bruder Hans die Umstände für seine Beschreibung der Geburt Christi entliehen, aber nicht alle. Den Hosen des Nährvaters gesteht die hl. Birgitta keine Rolle zu, wenngleich sie auf ihrer Pilgerfahrt nach Compostella über Aachen gereist sei 43 , wo sie sicherlich von den Jesuswindeln alias Josefshosen alles vernommen hat. Ihr wurde im Gegenteil offenbart, wie ,sehr rein und fein' die Kinderstücke waren, ,die Maria mit sich geführt hatte' — wie Maria Windeln mitgenommen hatte, ,die niemand vorher benutzt hatte' — wie Maria das Kind in reine Windeln hüllte, die sie lange vorher in Ordnung gebracht hatte, und wie Josef, als er dies sah, sich verwunderte 44 . Bruder Hans, diesen Reichtum an Windeln verschweigend, ergötzt sich in seiner Phantasie an den ihm von anderswo und schon länger vertrauten Umständen von Kälte und Armut, wo Windeln ganz fehlten, die , Josef moest Schoren von sinen alden hosen'. Verse 2582 ff. (Herausgeber Rudolf Minzloff, Bruder Hansens Marienlieder aus dem 14. Jahrhundert nach einer bisher unbekannt gebliebenen Handschrift der Kaiserlich Öffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg, Hannover 1863. — M. S. Batts, Bruder Hansens Marienlieder, Tübingen 1963): Nicht als die wiben pleghen In arbeyt und in rouwen En wert diin kint gecregen, Daz weys ich wol, ye doch can ich nich scouwen Wie es gescach, was hulfes vil gheleunet, Aen sunte Brigut uz Sweden Die scriibt da von daz ir sus wert verzeunet. Maria, ist ir rede, Had sich wol half untcleydet Und lach in ir gebede, So se sich was zu rüsten had bereydet, Do wert ir geyst gezuict in hoger gerte. Als ze quam zu ir zelben, Doe lach ir kint da vuer se uph die erte. 42 42a

43

44

L. Denecke, in: Verfasserlexikon, Berlin-Leipzig II, 1936, Sp. 157—159; V, 1955, Sp. 320. Fedor Bech, Rezension der Minzloffschen Herausgabe, 1863, zitiert bei M. S. Batts, Studien Bruder Hansens Marienliedern, Berlin 1964, S. 3. R. Steffen, Uit de Geschriften der H- Birgitta van Zweden, Haag 1914, S. 9: ,de reis schijnt over Keulen, Aken en Tarascon gegaan te zijn'. Sven Stolpe, Die Offenbarungen der hl. Birgitta von Schweden, Frankfurt a. M. 1961, S. 104—105.

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Josef de Coo Wol dich des hoen vondes, Yil sueze maget reyne, E du dich onderwondes Zu handelen daz liebe kindliin cleyne, So viels du uph diin knien, werte moeter, Im innentlich aenbedende Diin got, diin kint, diin vater und diin broeter. Licht sam eyn vurich glinster Glimden unde sceyne, Nie nacht en was so vinster Noch also kalt, daz spricht man al gemeyne, Sam der nacht was, doe Cristus was gebaren Ach werte suesze maget, Wie rechte swinde seer haet ym gevraren. In dinen zarten armen Neemstu in minnentliiche Und Woldes so er warmen;

So arm was doe die coninc alre riiche, Sold her ennege wendel duecher haben, Joseph die moest se Schoren Von sinen alden hasen doe beschaben. Es was eyn dor geverte

Von bedden und von wigen Und uph der calder erte Hedstu ym ungern bi dich lasen Ilgen; In sulchen doechen als her was gewonden Leydstu yn in der cribben, Da ox und esel stonden an gebonden. Lit. 4 — Weihnachtslied V o n d e r b o r t C h r i s t i . Hamburgisch 14. Jahrh. Laut Teichmann ist es ein hamburgisches Kirchenlied 45 . Schiffers betrachtet es als ein Bruderschaftslied für die Brüder des hl. Leichnams zu S. Johannis, später Gesellschaft der Flandernfahrer genannt, also offenbar eine Schifferverbrüderung 46 . Strophen 62 und 63 (Herausg. Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrh., II, Leipzig 1867, Lied Nr. 543): Her Joseph hadde sorge noch, sine hosen dat he ut toch, Maria nam de in ere hant, unse heren se dar in want. Dat wil ik in de warheit tehen, de sülüe hose ist to sehen To Aken in der goden stad, da men se gewiset hat Vor mennigen pelgrim openbar, unde godes windeldecke sin aldar. 45 46

E. Teichmann, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins XXII (1900), S. 162. Heinrich Schiffers, Kulturgeschichte der Aachener Heiligtumsfahrt, Köln 1930, S. 72.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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Lit. 5 — D a s h e s s i s c h e W e i h n a c h t s s p i e l , 2. Hälfte des 14. Jahrh. Laut Mitteilung seines ersten Herausgebers Piderit 4 7 zeigt dieses niederhessische Spiel, das wahrscheinlich u m 1 4 5 0 i m Franziskanerkloster zu Friedberg v e r f a ß t w u r d e (Landesbibliothek Kassel), Spuren einer älteren Fassung, so daß als eigentliche Entstehungszeit die 2. Hälfte des 14. J a h r h . betrachtet w e r d e n muß48. Verse 598ff.: (Ioseph respondit:) Eya, liebe Maria, vol gnaden bistu unnd gude pia hie sint zwo alt hoszen, der künde ich nij geloszen ! 49 dy sint nicht gar glantz unnd sint by den lucheren gantz: andersz habe ich nicht mer I reich mir das kint her: ich wel es legin in die wiege und wel im singen: „susze, liebe ninne!" Lit. 6 — S p r u c h b ä n d e r auf dem Bild der G e b u r t Christi v o m Meister des O r t e n b e r g e r A l t a r s zu Lezignan. Mittelrheinisch u m 1 4 0 0 (s. A b b . 2) Spruchband der M a r i a : (Gott ?) und Herre von himelrich (. . . ?) ich bijden vor den snuder gewahre mich (vgl. Anm. 72) Spruchband des J o s e f : Maria nym dy hosen min und wint dar in din lybes kindelin. Ausführliches f o l g t unten S. 79f. Es sei hier schon v e r m e r k t , daß das hessische Weihnachtsspiel in der Nähe entstand. Lit. 7 — Geistliches Lied I d t v r y e d e e y n j u n g e l y n c k . Niederdeutsch 15. Jahrh. Strophe 1 0 (Herausg. B. Hölscher, Niederdeutsche geistliche Lieder u n d Sprüche aus dem Munsterlande, Berlin 1 8 5 4 , Lied Nr. X ) : Joseph de rette de hosen syn, he und de junckfrouwe wunden dar den vorsten in; eth was doch also kolt; Maria truerde sere. 47 48

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K. W. Piderit, Ein Weihnachtsspiel aus einer Handschrift des 15. Jahrh., Parchim 1869, S. III—IV. An eine ältere Vorlage denken ebenso: W. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas I, Halle a. S. 1893, S. 243. — Rudolf Jordan, Das hessische Weihnachtsspiel und das Ster^inger Weihnachtsspiel vom Jahre 1511, II, in: 30ter Jahresbericht des k. k. Staats-Obergymnasiums in Krumau 1902—03, Krumau 1903, S. 15. „der künde ich nij geloszen". Von Froning {Das Drama des Mittelalters III, S. 926) gedeutet als: die konnte ich nie von mir geben (weil sie eben von Gott zu diesem Zwecke bestimmt waren). Dieselbe Deutung bei W. Lipphardt, Das Hessische Weihnachtsspiel, in: Die Weihnachtsgeschichte, Bremen 1958, S. 40. Piderit, o. c. hat irrtümlicherweise „mij" statt „nij" gelesen und gibt demzufolge eine falsche Deutung. Die richtige Schreibweise wurde für mich liebenswürdigerweise kontrolliert von Frl. Dr. M. Möller, Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel und Landesbibliothek.

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Josef de Coo

Lit. 8 — Weihnachtslied V a n v r o u d e n ons die K i n d e r s i n g h e n . Niederländisch 15. Jahrh. Strophe 4 und 5 (Herausg. Hoffmann von Fallersleben, Niederländische geistliche Lieder des X V . Jahrh., Horae belgicae X, Hannover 1854. Lied Nr. 11): Maria en hadde haer niet bereit tot enigherhande wieghencleit, daer si haer lieve kint in want. Joseph die tooch altehant die hosen van den benen sijn, die men ons noch tAken latet sien, ende daer toe dat wal hilige cleet, daer God sine menscheit in ontfenck 60 .

Lit. 9 — Weihnachtslied W e t e w e l w a t de k i n d e r k e n s s o n g e n . Niederländisch 15. Jahrh. Strophen 4 und 5 (Gheestelycke Liedekens, Antwerpen-Dordrecht zwischen 1728 und 1759): Maria die wasser niet wel bereydt Van doeck, van weyndel, van wieghenkley t; Maer Joseph die was daer ter hant Joseph most staen en syn hoosen uytgaen 51 . Joseph was neder ter aerden gebooght, Syn hoosen (heeft hij) van syne beenen getooght En daer toe menigh schoon dueren kleyt Daer onsen Heer Godt syn rugh aen leyt.

Dieses Lied könnte, nach Knüttels Meinung, dem Kreise von Kleve entstammen52. Lit. 10 — Weihnachtslied W i l d i h ö r e n s i n g h e n enen s o e t e n sanc. Niederländisch 15. Jahrh. Strophe 2 (Herausg. Hoffmann von Fallersleben, Niederländische Geistliche Lieder des X V . Jahrh., Horae belgicae X, Hannover, 1854, Nr. 24): Ende doe heer Jesus gheboren wert, doe wasset cout, in tween ouden hosen hi ghewonden wert.

Die Mundart dieses Liedes nennt Knüttel ostmittelniederländisch63. Mak weist auf das Bestehen einer hochdeutschen Version hin und betrachtet die niederländische, im Widerspruch zu Knüttel, als die ursprüngliche54. 50

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Die älteste bekannte Quelle (Berlin, ms. germ. 8° 185) gibt „hoer" und „hasen" für „haer" und „hosen" an. J. G. R. Acquoy, in: Archief voor Nederlandse Kerkgeschiedenis II (Haag 1887), S. 397. J. A. N. Knüttel, Het geestelijk Lied in de Nederlanden voor de Kerkhervorming, Rotterdam 1906, S. 144. a. a. O. S. 53. J. J. Mak, Middeleeume Kerstliederen, Utrecht-Brüssel 1948, S. 122.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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Lit. 11 — Weihnachtslied O n s is een k y n d e k y n g h e b o r e n . Niederländisch 15. Jahrh. Strophen 7 und 8 (Herausg. F. van Duyse, Het oude Nederlandsche Lied, Haag-Antwerpen, III, 1905, Nr. 480): Die al die werrelt heeft gemaect end dat ciaer sonne schijne, lach in die cribbe bloet, al naect; hem vrosen die ledekijns sijne. Noch bont noch graw was daer geleit, noch oic duyrbaer ghesmide; in Ioseph cousen was hi geleyt, om ons woude hi dit liden.

Lit. 12 — Weihnachtslied O n s n a k e t e e n e n s o e t e n t i j t . Niederländisch 15. Jahrh. Strophe 4 (die älteste bekannte Ausgabe: Dat is een suuerlijc boecxken in welcke staen scone leysen ende veel scone gheestelike liedekens, Antwerpen 1508, S. 33): Op luttel hoey wert hi gheleyt, Josephs coussen syn eerste cleyt, Daer wert hi in ghewonden; Noyt en was meerder oetmoedicheyt In deser werelt vonden.

Lit. 13 — Gebetbuch, anfangend mit D e n B e n e d i c i t e v o e r d e n eten. Brabant (?) um 1450. Diese unveröffentlichte Handschrift auf Pergament enthält hauptsächlich „die passie ons Heeren Jhesu Christi bescreven vanden vier Evangelisten". Einige Seiten sind der Verkündigung, der Heimsuchung und der Geburt Christi gewidmet. Bei der Geburt heißt es (f. 15 r°): . . . Doen na(m) Maria hare(n) ghebenediden Zoen op, ende sy leyden op hären moederlyken scote, ende sy dructe(m) ae(n) hae' moederlyck en(de) meechdelyck hert ende borsten, en(de) sy wa(n)t he(m) in witten snooden doeexkens, en(de) in Joseph oude caussen, en(de) alzo leydsen ned' in eenre cribbe(n), op wat hoeys . . . Das Gebetbuch (Ex-Sammlung Frans Claes, Antwerpen) gehörte nachher — laut Text f. 58 r° — vermutlich auch ursprünglich einem der den Regeln der Augustiner folgenden Nonnenklöster im Bistum Kamerijk (Cambrai) zu. Der heutige Besitzer ist Dechant Dr. J. Van Herck, Kontich bei Antwerpen, dem ich für die Hinweise zu großem Dank verpflichtet bin. Ausnahmsweise ist hier von Tüchern und Josefshosen zugleich die Rede. Auch Johannes Brugman bestätigte in seinen Predigten „die snoetheit der doexken", die Ärmlichkeit der Tücher. Lit. 14 — Weihnachtslied M a r i a sie w a r es g e r i t t e n h e r a u s . Eifel, Kreis Prüm, 15. Jahrh. Strophe 3 (Herausg. J. Meier, Ein altes Weihnachtslied, in: Jahrbuch für Volksliedforschung, Bd. 5, Berlin 1936. S. 47):

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Josef de Coo In der Kripp' da sollt' sie (Maria) Gott den Herrn gebären. St. Joseph, und er es die Not betracht, Die Hosen er aus seinen Beinen zog Die eine war blau, die andere grau, Darin sollte sie es Gott den Herrn einschlon.

Dem Herausgeber war das Lied bekannt aus dem Deutschen Volksliedarchiv (A 46 467), wo es eine kaum abweichende Variante gibt (A 54 185)65. Lit. 15 •— Weihnachtslied Die g o d h e i t v a n t der g r a c i e n vont. Niederländisch 15. Jahrh. Strophe 9 (Herausg. C. Lecoutere, Middelnederlandsche Geestelijke Liederen naar een Parijsch Handschrift, in: Leuvensche Bijdragen 1899, Lied XLI): Her Jhosep is ten dienst bereet, Syn couse moet sijn des coninx cleet.

Lit. 16 — Sterndreherlied M i t Gott so w o l l e n w i r loben. Deutsch 15. Jahrh. Strophe 21 (Herausg. Fr. M. Böhme, Altdeutsches Liederbuch, Leipzig 1877, S. 643, Nr. 537. Auch bei R. Frh. von Liliencron, Deutsches Leben im Volkslied um 1530, Stuttgart o. J., S. 82ff., Nr. 26, Str. 10): Joseph der zöge sein höslein aus und macht dem kindlein zwei windelein draus58.

In der modernen deutschen Literatur finden sich diese Verse wieder: in seiner Dreikönigskantate dichtete Franz Dietrich (gestorben um 1940—45): , Josef zog sein Höslein aus und macht' dem Kind zwei Windeln draus.' Lit. 17 — Weihnachtslied Do de t y d w a r t w u l l e n b r a c h t . Niedersächsisch um 1460—70. Aus dem um 1460—1470 im Zisterzienser-Nonnenkloster Wienhausen bei Celle geschriebenen Liederbuch, das heute noch im dortigen Archiv des Konvents evangelischer Damen bewahrt wird. Diese bedeutsame neuerlich aufgefundene Handschrift ist das älteste und reichhaltigste niederdeutsche Liederbuch und eines der frühesten deutschen Liederbücher überhaupt. Vom Herausgeber P. Alpers (Das Wienhäuser Liederbuch, Celle 1951, S. 6) wird eine starke Verwandtschaft mit dem westfälisch-niederrheinisch-niederländischen Kulturkreis festgestellt. Im Jahre 1469 wurde das Kanonissenstift Wienhausen reformiert und der von den Niederlanden ausgehenden Glaubensbewegung geöffnet57. Unser Lied ist ohne Melodie verzeichnet, es hat einen lateinischen Kehrreim, der von den Nonnen musiziert wurde, während unter wiegender Bewegung der vor dem Altar aufgebauten Krippe die Solopartie gesungen wurde (H. Sievers, Das Wienhäuser Liederbuch, Wolfenbüttel 1954, 2 Bde, Lied Nr. 38, Strophen 4 und 5): 55

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Nachprüfung der Quellen verdanke ich Herrn Dr. W. Suppan, Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg i. Br. Die Kenntnis dieses Liedes verdanke ich Herrn Dr. R. W. Brednich, Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg i. Br. Horst Appuhn, Der Auferstandene und das heilige Blut %u Wienhausen, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte I, Köln, 1961, S. 74.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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Do dat kind geboren ward, ecce mundi gaudia ! do en haddet neinen windeldok, sine fine laetitia ! Josep tog sine höseken ut, ecce mundi gaudia! unde makede dem kinde ein windeldok, sine fine laetitia !

Gruppe B: CHRONIKEN und KRITIKEN Mittelalterliche Texte, in denen die Jesuswindeln zu gleicher Zeit Josefshosen genannt werden, finden sich in Chroniken gelegentlich einer Zeigung der Aachener Heiligtümer. So berichtet die Magdeburger Schöppenchronik 1414: „Des anderen dages dorch des loveliken festes willen" (d. h. die Kaiserkrönung Sigismunds am 8. November, wobei eine private Vorzeigung stattgefunden hatte), „wart gewiset to Aken das werdige hilgedom unser leven vruwen himmede, dar se Christum under to der werlde gedragen heft, und Josepes hosen, dar Christus in gewunden wart, do her geboren was, und andere vele hilgedomes, darbe gewardich waren vele vorsten erzbischope prelaten und untellich ander volck" 88 . Dieser Text ist schon in Studien über die Aachener Pilgerfahrt angeführt worden, ebenso wie die .Dortmunder Chronik' von Johann Kerkhörde zum Jahre 1426: „Do gengen wy tosamen to Aken, daer togede men unser vruwen hemede, Josephs hosen grauw und swart." 59 Über die darauffolgende Zeigung im Jahre 1433 berichtet ein flämischer Wallfahrer in seinen Reisenotizen: „Tonser Vrouwen tAken: Daer toecht men Onser Vrouwen himde. Item Josephs cousen, daer Ons Heere in ghewonden was, ende in de crebbe daer mede gheleit" 60 . Die ausführlichste der ausländischen und einheimischen Nachrichten über die mittelalterlichen Aachenfahrten findet sich im Gedenkbuch des Metzer Bürgers Philippe de Vigneulles aus den Jahren 1471 bis 1522 (herausgegeben von H. Michelant, 1852, und, was Aachen betrifft, von Teichmann besprochen in der Zs. des Aachener Geschichtsvereins, 22, 1900). Vigneulles, dem bei der Aachener Zeigung von 1510 augenscheinlich kein einziges Detail entgangen ist, gebraucht für die uns interessierende Reliquie nicht die amtliche, sondern die volkstümliche Benennung Josefshosen : , , . . . les chaussettes saint Joseph, dont l'une est noire et l'aultre comme tanée sans avant-piedz ne nulle façon, mais sont lairges et tout d'ugne venue" (die Strümpfe des hl. Josef, von denen der eine schwarz und der andere gleichsam lohfarbig ist, gar ohne Fußspitze, aber sie sind breit und platt). 58

59 60

J. H. Kessel, Geschichtliche Mitteilungen Uber die Heiligthümer der Stiftskirche Aachen usw., Köln-Neuss 1874, S. 181. H. Schiffers, Kulturgeschichte der Aachener Heiligtumsfahrt, Köln, 1930, S. 85. J. F. Willems, Aentekeningen van eenen pelgrim der XVde eeuw, in: Belgisch Museum III (Gent 1839), S. 409, nach einer Handschrift in der Kon. Bibliotheek, Brüssel. Die Kenntnis dieses Textes verdanke ich Herrn Dr. C. Fransen, Antwerpen.

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Josef de Coo

Andersartige — sogar illustrierte — Textbelege für die Identität Jesuswindeln = Josefshosen sind die Unterschriften bei bildlichen Darstellungen der Reliquie als solcher. — Weitere Belege sind schließlich die kritisierenden Meinungen u. a. der Reformatoren. Diese werden am Schluß der vorliegenden Publikation zitiert.

Bildliche Darstellungen Gruppe A : ALS RELIQUIE (Siehe die Abbildungen in meinem Beitrag „In Josephs Hosen Jhesus ghewonden wert" in: Aachener Kunstblätter, Heft 30, 1965, S. 144—184). 1. — „ V i r g i n i s et m a t r i s in A q u i s est f o r m a M a r i e " Schrottschnitt, Aachen oder Köln, um 1460. Verschollenes Wallfahrtsandenken, nur noch aus Reproduktion bekannt. Maria stehend mit Krone und von einer Aureole umrahmt. Auf dem rechten Arm das mit einer Windel bekleidete Kind, das nach einem Büchschen greift, das Maria in der linken Hand hält. Vor zwei an den Seiten befindlichen Pfeilerbauten sind Heiligtümer zur Schau aufgehängt: oben die als Windeln verwendeten Hosen des hl. Josef. 2. — „ S o z o u g t m a n zu A c h e J o s e p h s H o s e n " Kolorierter Holzschnitt, 1468 (1475?). München, Staatliche Graphische Sammlung. Die älteste Holzschnittdarstellung der Heiligtümer von Maastricht, Aachen und Cornelimünster. Zwei Hosen, vielmehr Gamaschen, von denen eine koloriert ist, sind abgebildet unter der Erläuterung: ite Josephs hosen do Jhesus ingewonde wart und in die krippen geleit wart. 3. — D i e H o s e n v o n e i n e m E n g e l g e z e i g t Gemälde, Kölner Schule, 2. Hälfte 15. Jahrh. Aachen, Domschatz. Eines der Tafelgemälde, mit denen man im 15. Jahrh. das hölzerne Schutzgehäuse für den Marienschrein bekleidete. Ein Engel hält vor sich auf einem Stab die beiden ungleich gefärbten Hosen. Bei der Zeigung, jeweils im Abstand von sieben Jahren, trugen zwei Prälaten, der Dechant und der älteste Kanoniker auf den Schultern einen runden lanzenförmigen mit reinem Gold überzogenen Stab, auf dem die Hosen ausgebreitet waten. 4. — D i e H o s e n v o n z w e i E n g e l n g e z e i g t Holzschnitt, Köln ( ? ) zwischen 1512 und 1517. Wien, Nationalbibliothek. Einer der Holzschnitte mit je einem der vier großen Aachener Heiligtümer in einem Büchlein mit lateinischem Text, vermutlich von Heinrich von Neuß in Köln zwischen 1512 und 1517 oder spätestens 1517 gedruckt. Der Titel heißt: „Libellus demonstrativus omnium reliquiarum simul et indulgentiarum in civitate imperiali Aquisgrano promerendarum feliciter inchoatur." Zwei Engel halten auf zwei Stäben die beiden Hosen, so wie diese früher tatsächlich auseinandergebreitet den Pilgern gezeigt wurden. Unter dem Holzschnitt fängt S. 6 der Text an (übertragen): Das zweite Stück jener vier Hauptstücke sind die Hosen des Mannes der glorreichsten Maria, des hl. Josef. In diese Hosen wurde unser Herr Jesus Christus, der König der Könige und Herr der Heerscharen, von seiner Mutter, der glorreichsten Maria, eingewickelt und wegen der heftigen Kälte in die Krippe mitten zwischen zwei Tiere, nämlich Ochs und Esel, gelegt.

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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Bitten wir also die lieblichste Gottesgebärerin, daß sie ihren einzigen Sohn für uns elende Sünder bitte, daß er uns der Kälte der tiefen Hölle entreiße und uns nach dem Übergang aus diesem Leben der himmlischen Gemeinschaft teilhaftig mache. Amen. 5. — D i e H o s e n v o n z w e i E n g e l n g e z e i g t Holzschnitt, Köln ( ? ) um 1517. Verschollen, photographische Kopie Stadtbibliothek Aachen. Einblattdruck in einem frühestens auf 1517 zu datierenden Reliquien-Blockbuch mit französischem Text, dem Kölner Drucker Amt von Aich zugeschrieben. Zwei Engel halten über zwei Stäben zwei Gamaschen, eine dunkle, eine helle. Als Unterschrift (übertragen): Die Hosen des hl. Josef in die Unser Herr in der Krippe vor dem Ochsen und dem Esel gewickelt wurde. 6. — D i e H o s e n v o n e i n e m E n g e l g e z e i g t Relief aus Ton, Raeren um 1517. Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte. London, British Museum. Relief an einer Pilgerflasche aus Ton, in Raeren um 1517 hergestellt. Derartige kostbare Gefäße für das heilige Wasser kauften sich hochgestellte Pilger als eine fromme Erinnerung an den Besuch der drei Heiligtumsstätten: Aachen, Cornelimünster und Maastricht. Das alte Töpferdorf Raeren liegt in nächster Nähe. Auf dem Dortmunder Exemplar hält ein Engel mit weit ausgebreiteten Armen quer über die Brust eine Stange, an der, rechts und links vom Unterkleid der Maria, die beiden Windeln des Christkindes als Strumpfhosen des hl. Josef aufgehängt sind. 7. — D i e H o s e n auf P i l g e r z e i c h e n Die am meisten verbreitete Art des Wallfahrtsandenkens — Pilgerzeichen oder Pilgermedaille — liegt bei der mittelalterlichen Aachenfahrt noch kaum vor. In der Schatzkammer des Aachener Doms wird eine gotische, und im Aachener Stadtgeschichtlichen Museum werden mehrere spätere Pilgermedaillen aufbewahrt, die auf der einen Seite die vier großen Aachener Heiligtümer zeigen. Uberaus merkwürdig ist die Tatsache, daß jeweils unzweideutig zwei Beinlinge vorkommen, und dies sogar im 18. und 19. Jahrhundert, in welchen sonst nur noch von Jesuswindeln, längst aber nicht mehr von Josefshosen, geredet wurde. Ein zweites gotisches Pilgerzeichen mit den Josefshosen befindet sich im Provinciaal Museum Sterckshof in Antwerpen-Deurne.

Gruppe B: SZENISCHE BEHANDLUNGEN (Siehe die Abbildungen in meinem Beitrag ,,In Josephs Hosen Jhesus ghewonden wert" in: Aachener Kunstblätter Heft 30, 1965, S. 144—184). Aus unserer Betrachtung seien alle Darstellungen ausgeklammert, von denen sich nicht mit Sicherheit feststellen läßt, ob der Künstler mit den Windeln des Christkindes tatsächlich die Beinkleider dessen Nährvaters gemeint hat. Wohl ist an erster Stelle bedingt, daß das Christkind ganz unverhüllt dargestellt ist, aber diese Bedingung ist dennoch nicht unentbehrlich, so wie es Multschers Bild in Berlin zeigt. Wenn der hl. Josef obendrein seine Füße, sogar seine Beine, entblößt hat, kann diese Blöße für unseren Blick von seinem Mantel verhüllt sein, oder kann sie, beispielsweise bei italienischen Darstellungen, bloß der Landessitte des Künstlers entsprechen. Mögen auch zwei Tücher oder nur eines in der Krippe liegen, irgendwo aufgehängt sein, von einem Engel hergebracht, von Josef selbst über der Schulter oder an einem Stab oder zum Trocknen gehalten, ja, an das Kind hingebracht werden, und mag dieses Tuch wirklich eine Windel sein — so betrachte ich dennoch das Vorhandensein eines oder mehrerer dieser Motive nicht als unzweideutig charakteristisch für eine absichtliche Darstellung der Hosensage, nicht einmal für eine Anspielung auf diese Legende. Außerdem kann die Folgerung, die in Weihnachtsdarstellungen separat vorkommende Beinoder Fußbekleidung sei die des hl. Josef, ein Irrtum sein, zumal, wenn es eher Schuhe sind. Es

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kann nämlich sein, daß der Künstler nicht Josefs Hosen, sondern Marias Schuhe gemeint hat. Dies Motiv entspricht den Offenbarungen der schwedischen Mystikerin Birgitta, die, gleichzeitig mit der Hosensage, manche Weihnachtsdarstellungen beeinflußt haben, und laut welcher die Jungfrau bei der Geburt des Kindes die Schuhe von ihren Füßen nahm. In Weihnachtsspielen innerhalb und außerhalb Deutschlands ist es nicht selten, daß Josef während der Geburt des Kindes unter irgendeinem Vorwand abwesend ist. Dies war so sehr eine gemeinsame Tradition, daß man versucht hat, dies aus einem naiven Zartgefühl zu erklären, ohne dabei auch hier an das Gesicht der hl. Birgitta zu denken 61 . Kann übrigens dieses Gesicht der populären Literatur nicht gewisse Elemente zu verdanken haben? Ist es nicht — wie Frauenfelder behauptet — einfach ein geistiges Spiegelbild der Zeitauffassung, ohne neue Motive überhaupt 62 ? Sobald das Kind eingewickelt erscheint, ist es immer eine offene Frage, ob bei diesen Windeln vom Künstler an die Josefshosen gedacht wurde und von uns daran gedacht werden darf, gleichviel, ob das Kind von seiner Mutter umarmt wird oder in der Krippe liegt. Ebenso offen ist die Frage nach der Herkunft des Tuches, auf dem das Kind, und diesmal nackt, sitzt und nach der Herkunft der kleinen Bettdecke unter dem Kinde, auch wenn diese aus zwei Stücken besteht. Alle derartigen Fälle, mögen sie noch so wenig allein der Phantasie des Schaffenden entsprungen sein, bei denen aber die Josefsfigur durch ihre Haltung, Kleidung und Tätigkeit keine erläuternde Rolle spielt, bleiben hier außer Betracht. 8. — G e b u r t C h r i s t i Englisch, vermutlich London, um 1330. London, British Museum, neuerlich erworben aus der Sammlung Earl of Leicester. Kolorierte Handzeichnung im Holkham Bible Picture Book. Diese Bibelillustration wird hier vorangenommen wegen der Entstehungszeit, nicht wegen der Deutlichkeit, von der man wünschen möchte, daß sie überzeugender sei. Ist der Gegenstand, der in der Mitte des Bettes von Maria herabhängt, wirklich ein Paar Strumpfhosen? Der beste Kenner dieser Handschrift, dem ich mich mit dieser Frage zuwandte, ihn zugleich mit der Hosensage bekannt machend, tritt meiner Meinung bei, es seien die Hosen des hl. Josef 63 . Im Kommentar zu seiner Faksimileausgabe dieses dem gebildeten Stande bestimmten Bibelbilderbuches weist W. O. Hassall darauf hin, mit welcher Sorgfalt und Kenntnis alles in bezug auf den Schreinerberuf abgebildet ist, gleichsam dem heiligen , Joseph charpentant' zu Ehre, was zu der Annahme führen könnte, der uns unbekannte Auftraggeber sei einer der Hauptzimmermänner des Königs gewesen 64 . Daß wir uns diesen Auftraggeber samt dem Leiter des Werks (ein Dominikanermönch?) und dessen Künstler als Josefs Verehrer vorstellen, die mit der Hosensage vertraut sind, wird von der Meinung Hassalls unterstützt, zeichnerisch lassen sich Beziehungen zu Köln feststellen 65 . 9. — G e b u r t C h r i s t i Österreichisch (Tirol oder Wien), 1370—72. Innsbruck, Ferdinandeum. Flügel des Altars aus der Burgkapelle vom Schloß Tirol bei Meran. Wirklich auffallend sind in dieser Geburt, außer dem entblößten Oberkörper der im Bette liegenden Jungfrau, die in ihrer Nähe liegenden weißen Hosen des Nährvaters. Der seltsam zusammengefügte Flügelaltar, der älteste erhaltene des Alpenlandes, wurde von den österreichischen Herzögen Albrecht III. und Leopold III. aus Anlaß der endgültigen Sicherung Tirols für Österreich gestiftet. 61 62

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E. Wilken, Geschichte der geistlichen Spiele in Deutschland, Göttingen 1872, S. 33, Anm. 2. Reinhard Frauenfelder, Die Geburt des Herrn. Entwicklung und Wandlung des Weihnachtsbildes bis %itm Ausgang des Mittelalters, Leipzig 1939, S. 48, 100. Herrn W. O. Hassall, Oxford, Verfasser der Faksimileausgabe The Holkham Bible Picture Book, London 1954, bin ich für diese Bestätigung verbunden. Hassall o. c., S. 37—39. a. a. O. S. 24—25.

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Es ist wohl nicht unsinnig, diese Darstellung der Hosensage mit der Wallfahrt nach Aachen in Beziehung zu bringen, die Herzog Albrecht II., der Vater der Stifter, 1337 gemacht hatte 66 . Diese Wallfahrt — ob von den Söhnen wiederholt, wissen wir nicht — wird um so begreiflicher, wenn wir uns erinnern, daß Agnes, die Schwester Albrechts II., mit König Andreas III. von Ungarn vermählt war. Und wie rege die Ungarn an der Aachener Pilgerfahrt teilnahmen, ist bekannt67. 10. — Geburt C h r i s t i Maas-Rhein-Gebiet, um 1390—1400 (s. Abb. 1). Antwerpen, Mayer van den Bergh Museum. Flügel eines Poliptychons, dessen eine Hälfte sich in Antwerpen, die andere in Baltimore, Walters Art Gallery, befindet. Vermutlich aus der Kartause Champmol, Dijon 68 . Ganz im Vordergrund sitzt Josef, den entblößten rechten Fuß und den Unterschenkel zeigend. Mit einem Messer schneidet er die ausgezogene Hose für eine Windel zurecht. Die im Bette liegende Maria und eine der Hebammen schauen sich die Handlung an, die wegen ihrer Rätselhaftigkeit manchen Kunsthistoriker unserer Zeit beschäftigt hat. Die Zuschreibungen des Poliptychons waren bisher sehr schwankend: Broederlam, Nähe des Broederlam, burgundisch, Paris, Hennegau, südniederländisch, Geldern. Einmalig in der Kunst ist die Handlung des Hosenzerschneidens. Diese erste Geburtsdarstellung mit den Josefshosen, die mir bekannt wurde, habe ich aus ikonographischen Gründen mit dem Aachener Wallfahrtskreis verknüpft 69 . Doch scheint sie auch aus stilistischen Erwägungen im Maasland-Niederrheinischen entstanden zu sein 70 . 11. •— Geburt C h r i s t i Deutschordensland, gegen oder um 1400. Warschau, Nationalmuseum. Flügel des Altars, ursprünglich aus der ehem. Lorenzkapelle des Deutschordensschlosses in Graudenz stammend, und später in Schloß Malbork aufbewahrt. Anbetende Maria. Über einem Zaun sieht man das Haupt des hl. Josef, der sich nur für die Tauben auf dem Dach interessiert. Auf dem Boden, zwischen der Jungfrau und dem Kinde im Strahlenkranz, zwei hellfarbige Hosen. 12. — G e b u r t C h r i s t i Westfälische Werkstatt in Köln. Frühes 15. Jahrh. (Abb. 3). Kirchsahr (Kr. Ahrweiler), Kirche. Teil des linken Flügels eines Altars aus dem Benediktinerkloster in Münstereifel, für das er ursprünglich und wohl als Hochaltar geschaffen worden ist. Eigentlich die Anbetung des Kindes. Ganz offensichtlich liegen voran in der Mitte ausgebreitet: Josefs beide Hosen, sein Stab und Betschnur. Die Hosen treten ähnlich stiefelartig wie beim Veronikameister auf (s. Nr. 14). Kirchsahr wurde spätestens im 11. Jahrhundert an das durch die Reichsabtei Prüm gegründete Stift Münstereifel übertragen. 13. — A n b e t u n g des K i n d e s Meister des Ortenberger Altars. Mittelrheinisch (Mainz?) um 1420. Lezignan (Aude, Frankreich), Kirche (Abb. 2). 66 67 68

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H. von Liebenau, Lebensgeschichte der Königin Agnes von Ungarn, 1868, S. 151. Zitiert von Ph. Strauch, Margareta Ebner und Heinrich von Nördlingen, 1882, S. 377, Anm. 41. Elisabeth Thoemmes, Die Wallfahrten der Ungarn an den Rhein, Aachen 1937. Nachweisbare Herkunft: Versteigerung Sammlung Bertholomey (Dijon), Paris 1843. Weiteres Problematische nebst kunstwissenschaftlichen Angaben in: Josef de Coo, Catalogus Museum Mayer van den Bergh I, 1960, Nr. 374. J. de Coo, De unieke voorstelling van de „Jo^efskousen" in het veelluik Antwerpen-Baltimore, in: Oud-Holland 1958, S. 186—198. — Ders., De voorstelling met de „Jo^efskousen" in het veelluik Antwerpen-Baltimore toch niet uniek, in: Oud-Holland 1960, S. 222—228. Mindestens vorauseilend ist die Behauptung des Ausstellungskatalogs Europäische Kunst um 1400, Wien 1962, S. 87: „nach de Coo von einem deutschen Maler".

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Abb. 3. Anbetung des Kindes: die Josefshosen im Vordergrund. Altar aus Münstereifel. Westfälische Werkstatt in Köln, frühes 15. J h . Kirchsahr, Pfarrkirche. Der kniende Josef hält über dem rechten Knie eine deutlich erkennbare Strumpfhose 71 . Außer einem Spruchband mit dem Gloria, das von Engeln gehalten wird, gibt es zwei höchst interessante Spruchbänder, von denen das eine den Nährvater gleichsam wie eine Aureole umgibt. Die Spruchbänder Mariens und Josefs besagen bzw.: ,(Gott?) und herre von himelrich (mag?) ich bijden vor den snuder gewa(hre?) mich' 7 2 . ,maria nym dy hosen min und wint dar in din lybes kindel(in?)' Diese Worte des Josef an Maria — diesmal auf einer gemalten Darstellung — sind der eindeutigste Beleg für den Zusammenhang von Literatur und Malerei. Die Tafel gehört zu der fragmentarisch erhaltenen „Anbetung der K ö n i g e " in der Alten Pinakothek, München (Bestand der Galerie im Schloß Aschaffenburg). 14. — G e b u r t C h r i s t i Kölner Meister der hl. Veronika, tätig etwa 1405 bis um 1440. Köln, Wallraf-Richartz-Museum. Untere Hälfte eines Flügels des Triptychons der hl. Sippe. Vielleicht aus der Kapelle des ehem. Hospitals St. Heribert in Köln. 71

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Dies Bild wäre mir ohne die Hilfsbereitschaft von Prof. A. Stange, Tutzing, unbekannt geblieben, der mich in selbstloser Weise seine Photothek nachschlagen ließ. Lese ich richtig? Snuder (mhd.) = Catarrh, Rheumatismus.

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Abb. 4. Geburt Christi: der hl. Josef zieht seine Strumpfhosen aus. Sterzinger Altar. Meister der Sterzinger Flügelbilder. Sterzing, Südtirol, Städt. Museum. In einer unkomplizierten Komposition wird das nackte Jesuskind von Maria, Josef und zwei Engeln angebetet. Im Vordergrund auf dem Boden, nah bei der Krippe, zwei dunkelfarbige Hosen. 15. — A n b e t u n g des K i n d e s Lübisch 1435. Schwerin, Staatliches Museum. Flügel des auf 1435 datierten Altars aus Neustadt an der Elbe. Das Kind, nackt im Strahlenkranz auf dem Boden, wird von der Jungfrau und von kleinfigurigen Engeln angebetet. Josef sitzt abseits mit einer Kerze und wendet sich zwei Hosen zu, die ganz unten links aufrecht stehen, seinen bekleideten Füßen gleich nahe wie den vom Kleid bedeckten der knienden Maria. 16. — G e b u r t C h r i s t i Hans Multscher, 1437. Allgäuer Meister, tätig in Ulm, auch als Bildhauer. Berlin-Dahlem, Gemäldegalerie. Tafel des signierten und datierten, jetzt nicht mehr vollständigen Wurzacher Altars, dessen ursprünglicher Standort unbekannt ist, und der sich 1782—1803 in der Gräflich Truchseß von Waldburgischen Galerie zu Wurzach befand. Jahrbuch für Volksliedforschung X I

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Eigentlich die Anbetung des Kindes, auch durch eine Gruppe Hirten. Alle Gesten und Blicke sind auf das Jesuskind gerichtet, das diesmal nicht nackt, sondern mumienhaft gewickelt in einem Körbchen liegt. Zwei Strumpfhosen von derselben grauvioletten Farbe wie die des Mantels des Josef sind darübergelegt: die eine wird als eine Art Bettdecke, die zweite als Kopfunterlage verwendet. 17. — G e b u r t C h r i s t i Meister der Sterzinger Flügelbilder 1456—58, tätig in Ulm (Abb. 4). Sterzing (Südtirol), Stadt. Museum. Eines der acht Flügelbilder des Schnitzaltars von Hans Multscher, seit 1458 bis heute am ursprünglichen Ort. Anbetende Maria. Uberdeutlich ist hier die Handlung des Nährvaters: völlig unbefangen zieht er eines seiner Beinkleider aus, während er das andere auf den Boden geworfen hat. Diesen Sterzinger Tafeln verdankt der selbständig neben Multscher arbeitende Maler seinen Notnamen. Vom Bildhauer-Maler Multscher stammen der Gesamtentwurf und die Gruppierung der vorgeschriebenen Bildthemen, die er in Innsbruck der Stadtverwaltung von Sterzing unterbreitete. Hat Multscher als älterer Werkstattleiter die Anlage der einzelnen Bildkompositionen wenigstens mitbestimmt, so hat sein Vertrautsein mit der Hosenlegende — 20 Jahre vorher in der Berliner Tafel belegt — wenn nötig hier seine Rolle gespielt. Im übrigen muß der Meister der Sterzinger Flügelbilder seine Schulung in den Niederlanden, im Kreise Rogiers van der Weyden empfangen haben, der die Hosensage ebenfalls verewigt hat. 18. — G e b u r t C h r i s t i Westfälisch 1457. Rhynern bei Hamm, Pfarrkirche. Eines der Silberreliefs am datierten Reginenschrein. Anbetende Maria. Josef naht von rechts mit beiden Hosen in den Händen. Der Goldschmied, vermutlich sein (graphisches ?) Vorbild mißverstehend, gab den Hosen ein stiefelähnliches Aussehen. 19. — A n b e t u n g d e r K ö n i g e Rogier van der Weyden, um 1460. München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Mitteltafel des Kolumba-Altars. Aus der von Godart von den Wasserfaß in S. Kolumba in Köln gestifteten einstigen Georgs- jetzt Taufkapelle. Der Stifter war 1437 bis 1462 Bürgermeister und bis 1463 Ratsherr der Stadt Köln. Auf der Krippe, aus der Maria das Kind genommen hat und in deren unmittelbarer Nähe Josef steht, liegen nebeneinander wie eine Art Deckel zwei gamaschen- oder hosenähnliche Lappen. Nicht nur der Maler, sondern auch der Stifter, der hinter Josefs Rücken betend dargestellt ist, hat gewiß von der Sage alles gewußt, der eine als Kölner, der andere als Niederländer, der außerdem mit Multscher verkehrt hat. 20. — G e b u r t C h r i s t i Syrlin-Kreis, Ulm, Anfang 16. Jahrh. Zürich, Schweizerisches Landesmuseum. Flügelbild des Schreinaltars aus der Stiftskirche in Biasca, Tessin. Eigentlich die Anbetung des Kindes mit Engeln und Hirten. Zentral der hl. Josef mit bis über die Knie entblößten Beinen, der damit beschäftigt ist, die zweite Hose auszuziehen. Er ist dabei so unbefangen wie im Sterzinger Bild, an das seine Haltung erinnert. Da beide Bilder Ulmer Werkstätten entstammen, hat dies freilich in dieser Hinsicht nichts Erstaunliches. Ganz ungewöhnlich ist bei dem Christkind das Verhüllen seiner Nacktheit — wie spärlich es auch sei —, das die Essenz des hier fast triumphierenden Hosenmotivs allzusehr beeinträchtigt, so sehr ja, daß ich mich fragen mußte, ob diese augenscheinlich ungotische Verhüllung wohl original sei, was.in der Tat nicht der Fall ist: ursprünglich, vor der kleinlichen Übermalung, soll das Kind ganz nackt dargestellt gewesen sein. Diese naivste aller mir bekannten .Weihnachtsdarstellungen mit den Josefshosen' ist zugleich nicht nur die späteste, sondern auch die am wenigsten erwartete, gehört sie doch einer Zeit an, in der einmal beliebte Legenden, wie z. B. die der Hebammen, längst nicht im Stande gewesen waren, die vorreformatorische Kritik zu überleben.

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21. — B e e r d i g u n g des hl. J o s e f Antwerpen oder Brüssel, um 1515. Brüssel, Stadsmuseum Broodhuis. Szene auf einem Flügel des St. Josefsaltars sog. aus Saluzzo, Piemont, möglicherweise für die italienische Familie Pensa di Mondovi e Marsaglia geschaffen. Der Sterbende Josef wird von dem jünglinghaft dargestellten Jesus umarmt. Der Tote wird im Vordergrund von Jesus sowie von einer Frau in die Gruft gesenkt. Maria — die auch am Sterbebett nicht fehlt — und zwei Engel beweinen ihn. In der einen Hand hält Maria zwei schwer herabhängende Strumpfhosen. Ihr sind sie gewiß kostbare Reliquien, die wohl unzerschnitten als Jesuswindeln gedient haben müssen.

Mit diesem Beitrag wurde ein Corpus des Josefshosenthemas in Literatur und Kunst weder gegeben noch beabsichtigt. In den heute sichtbaren Umständen kann man Folgerungen nur wünschen, nicht aber bereits — auch nur ahnungsweise — formulieren. Ist es nicht verfrüht, dem niederrheinischen Element, das sich im Voranstehenden einigermaßen geltend macht, eine besondere Wichtigkeit in der Josefshosenverehrung zuzuschreiben? — oder sich den hessisch-schwäbischen Raum, der gleichfalls reiche Belege bietet, als repräsentativ der Hosensage vorzustellen ? — oder das gänzliche Fehlen von französischen Texten und Bildern mit dem Fernbleiben französischer Pilger bei der Aachener Wallfahrt zu erklären ? Ebenso ist abzuraten, die Augen vor wesentlichen Lücken in der vorigen Übersicht zu schließen, die die Wichtigkeit, den Ernst eines allgemeingültigen Schlusses zu beeinträchtigen drohen. In Anbetracht der verhältnismäßig großen Anzahl von niederländischen Texten — noch dazu verbreiteten Volksliedern — ist z. B. nicht anzunehmen, daß die Hosenlegende in der spezifischen altniederländischen Malerei nicht oder kaum behandelt worden sei. Auch wird die Legende in der Buchmalerei sowie in Bildwerken aus Elfenbein oder Holz dargestellt worden sein. Alle angeführten Texte und Bilder lassen sich natürlich nicht auf die Kaiserstadt als Aufbewahrungsort der Jesuswindeln beziehen. Wie oft etwa wurde ein Heiliger wie der hl. Martin von Tours im Augenblick, da er einem Bettler die Hälfte seines Mantels überreicht, dargestellt, wie oft hat seine Nächstenliebe einen Dichter inspiriert, wie sehr ist der Heilige eben deshalb verehrt worden — ohne daß Künstler, Dichter, Gläubige sich mit der Frage beschäftigt hatten, wo eigentlich dieser Mantel oder dessen Hälfte wohl aufbewahrt werden könnten? Das klassische Attribut, wie es für die Martinsfigur der durchschnittene Mantel geworden ist, sind für die Josefsfigur niemals und nirgends die durchgeschnittenen Hosen gewesen, nicht einmal in Weihnachtsdarstellungen. Das Derbe und Komische in der Darstellung des Nährvaters bei der Geburt Christi ist anderswo orientiert. Dem Menschen des Mittelalters ist sicherlich die Hosensage nicht lächerlich erschienen; er empfand es nicht, wie ausnahmsweise die Ebnerin, als etwas Widriges, er wird es gewürdigt, ja geliebt haben, weil ihm dadurch die große Armut des Heilandes besser anschaulich wurde. Vielleicht war es nur Scheu vor einer bildlichen Darstellung, daß er im allgemeinen eine solche nicht verlangte, er nicht und auch die Kirche nicht. Als anstoßerregend wurde es betrachtet, wenn einer ohne Hosen ins Bad ging: die Bamberger Badeordnung von 1481 gebietet," 6*

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daß man ,sonn- und feiertags gehost und nicht mit plossen peinen und on schwe' (ohne Schuhe) sich zeigen soll 73 . Rein optisch gesehen, könnte man sich den Ursprung der Hosensage vorstellen als die Verwechslung, die Assimilation zweier männlicher Sitzfiguren, so wie diese mehrfach, von den Jahren 1300 an, als Illustration der verbreiteten Armenbibel 74 und, nach dieser Vorlage, in der Glasmalerei 75 , in Stickereien 76 oder in der Buchmalerei 77 vorkamen. Als Symbole der Jungfräulichkeit Marias, die empfangen hat, ohne vom Feuer der Leidenschaften berührt zu sein, galt der brennende und doch nicht vom Feuer verzehrte Dornbusch, in dem der Herr vor Moses erschien (Exodus 3, 2). Deswegen wurde in der mittelalterlichen Typologie die Darstellung der Geburt Christi von der alttestamentlichen Szene begleitet, in der Moses auf Gebot des Herrn die Schuhe löst. Zweifellos waren nur wenige ,pauperes praedicatores' mit dem Sinn derartiger von der scholastischen Theologie zur tiefsinnigen Methode ausgebildeten Gegenüberstellungen vertraut. Und wer den Sinn einer Parallele nicht erfaßt, sie geradezu nicht als Parallele erkennt, der unterliegt leicht der Versuchung, sich einen Zusammenhang zu phantasieren. Nicht lediglich der Laie war der Möglichkeit ausgesetzt, von allem Tiefsinnigen irregeführt, den fast bei der Krippe sitzenden Moses für den hl. Josef zu halten und das Entblößen der Füße in irgendeinem Bezug zu der Geburt des Heilandes zu interpretieren. Dazu ist es gar nicht notwendig, daß in den eng gepaarten Szenen der hl. Josef völlig fehlt, wie z. B. in einer mitteldeutschen (?) Armenbibel in Wolfenbüttel 78 . Wie dem auch sei, ein Irrtum unserer Zeit ist es, als ikonographische Parallele zum Motiv des Moses vor dem brennenden Busch wohl die Jungfrau beim Ausziehen ihrer Schuhe zu erwähnen, dabei aber von Josef und seinen Hosen nicht zu wissen 79 . Es wird niemanden wundern, daß die Hosensage nicht zu den vielen mittelalterlichen Motiven gehört, die trotz Reformation, aber auch trotz selbstkritischer Gegenreformation, in der christlichen Kunst des 17. Jahrhunderts wieder belebt wurden — man könnte sagen: auch trotz der großen Verehrung, die dem hl. Josef in der Barockzeit zuteil wurde. Als 1644 in einem dieser Verehrung gewidmeten Buch, fast schüchtern am Ende des Werkes, die Josefsreliquien angeführt werden, da vernimmt man nichts von irgendwelchen Beinbekleidungen, nichts von Jesuswindeln, nur von einer Bettdecke, die, aus Josefs Mantel ange73 74

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J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1877, sub Hose. z. B. St. Florian, Stiftsbibliothek, cod. III 207. f. 1. — Wien, Nationalbibliothek, cod. 1198, f. 1. z. B. Mönchengladbach, Abteikirche, jetzt im Münster, entstanden vor 1275; Brandenburg, St. Johanniskirche, jetzt in St. Gotthardt, 2. Viertel 14. Jahrh.; Köln, Dominikanerkirche, jetzt im Dom, Stephanuskapelle, entstanden um 1290. Kölner Altarborte, 2. H. 16. Jahrh., Köln, Diözesanmuseum. Leubuser Antiphonarium, um 1280/90, Breslau, Universitätsbibliothek, cod. I F 401, f. 23 r°. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, cod. Guelf 5. 2 Aug., f. 33 v°. H. Cornell, The Iconography of the Nativity of Christ, in: Uppsala Universitets Arsskrift 1924, S. 39.

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fertigt, für die Krippe gedient haben soll, und deren Fragmente — wie es der Verfasser, der Jesuit Jacquinot, anführt — in Rom und in Amerika aufbewahrt werden 80 . Die Gegenreformation hätte nur bekämpfen oder verbieten können, was längst die Kritik des ausgehenden Mittelalters nicht überstanden hatte. Späte, sehr späte Darstellungen der Hosenlegende, wie die aus Biasca und die aus Saluzzo, sind vielmehr Anachronismen an der Schwelle der Glaubensspaltung. Nennt Erasmus» wenn er die Reliquienverehrung an den Pranger stellt, die Josefshosen nicht wörtlich, so sind Luther und Calvin um so deutlicher. In Luthers WartburgKirchenpostille von 1522 lautet es: „Nun denk', was mögen's für Tüchlein gewesen sein, in die sie ihn eingewickelt ? Vielleicht ihr Schleier, oder was sie an ihrem Leibe hat können entbehren. Daß sie ihn aber in Josefs Hosen gewickelt haben soll, wie man sie zu Aachen zeigt, das lautet allzu lügenhaft und leichtfertig. Es sind Fabeln, deren es wohl mehr in aller Welt gibt" 81 . Zu Aachen — schreibt Calvin — wird ein Hemd der Jungfrau aufbewahrt. „Et pour lui donner meilleur lustre on porte quand et quand les chaussettes de saint Joseph qui seraient pout un petit enfant ou un nain. Qu'on aille maintenant baiser bien dévotement ees reliques, lesquelles n'ont autre apparence de vérité" 82 , (Um dem Hemde der Jungfrau mehr Ruhm zu leihen, zeigt man zu gleicher Zeit die Hosen des hl. Josef, die vielmehr der Gestalt eines kleinen Kindes oder der eines Zwergs entsprechen. Daß man also ehrfurchtsvoll diese Reliquien küsse, die auf keine andere Weise echt scheinen.) Die Josefshosen haben Calvin jedoch nicht so sicherlich an Jesuswindeln denken lassen, denn diese — ,le drapeau ( = die Windel) dont notre Seigneur fut enveloppé' — erwähnt er an einem anderen Ort als in Rom und in Spanien aufbewahrt. Als reines Geschwätz könnte man den folgenden Ausspruch bezeichnen, der jedoch wegen des sich leicht vergaloppierenden Geistes jener Zeit erwähnenswert ist. ,Albert Münster, der ein Westfale gewesen sein soll, trat 1524 in Aachen als umherziehender Schauspieler auf und behauptete, die Gewänder der Heiligen, welche Karl der Große nach Aachen gebracht, besonders diejenigen, welche alle sieben Jahre öffentlich gezeigt werden, seien nicht mehr zu achten als gewöhnliche Lumpen; die Pilger täten besser, Opfer und Geld in Häusern der Unzucht als auf so viele Reisen zu verwenden.' Die Aachener Ratsprotokolle, nach denen dies dem Historiker P. Beeck mitgeteilt wurde, fügen hinzu, daß man bald darauf erfuhr, dieser Schauspieler habe zwei Mordtaten begangen, und daß er zum Tode verurteilt wurde 83 . Ernüchternd klingt das Wort Bartholomäus Sastrows, der 1548 Aachen besuchte: ,Heiligthumb haben sie-(zu Aachen) Josephshosen, werden zu sonder80

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I. Jacquinot, S. J., La gloire de S. Ioseph représentée dans ses principales grandeurs, Dijon 1644, S. 727. Weimarer Bibel, 10 I 1, 66, 1—6. Calvin, Traite des reliques (éd. Alb. Autin), Paris 1921. Friedrich Haagen, Geschichte Aachens von seinen Anfängen bis %ur neuesten Zeit II, Aachen 1874, S. 132.

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ücher Zeit, und sonst nicht, gezeigt; als dan, wer sie siehet, erlangt viell Vergebung seiner Sunden'84. Nicht weniger tadelfrei ist das Urteil Sebastian Münsters in seiner verbreiteten Cosmographia: ,in unser frawen münster (zu Aachen) werde den bilgern gezeigt Josephs hosen . . . un andere alte ding dar von gros gelt uffgehebt ist worde' 86 . Die goldene Zeit der Reliquienverehrung war in der Tat vorüber. Der Johanniter Michael zo Louff von der Kommende Kieringen bei Jülich klagt im Jahre 1543: ,Min vursees plaegen in der heildomsvart einen mulenstoeffer zo haven, plaegen die pilgerim zo bestrichen mit dem heildom in dem aflaes verkundichgen, men sould nu bespotten ind beschimpen: „it was doch ein half scretzeleri". Dat volk was innich ind goet. Och Luter, Luter, wat heft die geistlichkeit diner schaid!' 86 . Hat sich die katholische Kirche zu der Zeit auch weniger mittelbar ausgesprochen, so war sie prinzipiell wohl keiner anderen Meinung als Johannes Eck. Dieser erfolgreichste Gegner der Reformation (1486—1543) drang darauf, daß man den Pflegevater Christi beim Weihnachtsspiel in der Kirche nicht Windeln waschen und Supperl kochen lasse, „auf daß die Kirche Gottes nicht verunglimpft würde" 87 . Und streng, wie immer, wird der Löwener Theologe Van der Meulen alias Molanus im tridentinischen Geist warnen vor Darstellungen des hl. Josef „als einfältiges Männchen das kaum bis fünf zählen kann" 88 . Solche Aufforderungen zum Rehabilitieren klingen wie ein Echo dessen, was schon Jean Gerson in Frankreich, freilich mit geringem Erfolg, unternommen hatte, um die Person des Nährvaters nicht weiter als ,der Genarrte' vorführen zu lassen, eine musterhafte Figur, um, im Sinne des Eustache Deschamps, die Männer vor der Gründung eines Hausstandes zu warnen. Mögen auch Mißbilligung und Spott nicht verhindert haben, daß noch Jahrzehnte lang von den Josefshosen die Rede gewesen ist, im Volksmunde, wie im Pilgerkreis — besonders dann in Aachen selbst, — so wuchs doch von oben her eine stillschweigende Reaktion, indem das Kirchenamtliche, eben das Aachener, nunmehr noch allein Jesuswindeln kannte oder zu kennen schien. Trotzdem und merkwürdigerweise blieb die graphische Darstellungsweise unserer Reliquie bis in die Barockzeit völlig traditionstreu, sogar die amtliche. Auf dem 1622 datierten Stich mit der Abbildung von 28 Aachener Heiligtümern 89 würde ein mittelalterlicher Wallfahrer sogleich die Darstellung zweier Hosen erkannt haben, ganz ähnlich wie diese in hundert Jahre älteren Holzschnitten von Engeln gezeigt 84

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G. Chr. Fr. Mohnike, Bartholomäi Sastrorven Herkommen, Geburt und Lauff seines gant^en Lebens usw. II, Greifswald 1824, S. 581. Sebastian Münster, Beschreibung aller Länder usw., Basel 1544, S. 348. In den lateinischen Ausgaben (Cosmographiae universalis etc.) heißt es ,Josephi nutricij caligae'. O. Dresemann, Die jülische Fehde 1542—43, zeitgenössischer Bericht des Michael L o u f f , in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 61 (Köln 1895), S. 76. Ingolstädter Pfarrbuch Unser Lieben Frauen, Archiv für Kulturgeschichte VIII, S. 103. Ioannes Molanus, De picturis et imaginibus sacris etc., Löwen 1570, cap. LXII, a. Paris, Bibliothèque Nationale, Cabinet des Estampes.

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wurden. Zwar fehlen die Engel, und es sind „zween Canonicos" im Chorhemd, die den Stab tragen, an dem die Hosen gezeigt werden: „durch den einen nemblich die dunckel gelbe / und durch den anderen die / so in dem schwartzen Schleyer seynd." Wie man diese aber benennen muß, lehrt der begleitende Text: „Mann soll euch zeunen die Windelen die H. Tücher darin unser Herr Jesus Christus gewickelt wardt auff die H. Christnacht. On vous monstrera les bandelets, les saintes drapeaux en lesquels nostre Seigneur Iesu Christ fust envelope en la sainte nuict du Noel. . .". In der neueren Zeit haben Herausgeber von mittelalterlichen Liedern und Spielen, wie Creizenach und Knüttel, sobald sie auf das Josefshosenmotiv stießen, diese Szene als komisch und abgeschmackt, die Hinweise auf Aachen als schulmeisterhaft gebrandmarkt. In seinem Werk über die Frömmigkeit in den Niederlanden verbirgt Pater Axters nicht, wie Josefs Familiäres in dem Geburtsbild des Mayer van den Bergh Museums ans Komisch-Alltägliche, er meint wohl, ans Gemeine, grenzt 90 . Gerade bei Forschern wie jenen möchte man eine solche Bilderstürmertendenz am wenigsten erwarten. Müssen also Legenden und Sagen bestimmten zukünftigen Normen entsprechen, um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, in späteren Zeiten als unpassend getadelt zu werden? Müssen wir die Zimperlichkeit vorziehen, die die Nacktheit des Christkindes im Züricher Bild übermalen ließ und eben dadurch das Hosenausziehen des Josef allen Voraussetzungen preisgab? Wirklich komisch, komisch-besserwissend, scheint mir hingegen ein typischer Fall wie der folgende, da in demselben Weihnachtslied des 15. Jahrhunderts die Verse: Maria en hadde haer niet bereit Van doeck, van weyndel, van wieghenkleijt; Joseph most staen en syn hoosen uytgaen

im 17. Jahrhundert, aufs Neue herausgegeben, lauten: Maria die was wel bereyt Met cierlycke doecke of windelkleyt, In doecxkens reyn dat kint gewant91.

Bilderstürmerei dieser Art ist raffinierter und deswegen mehr zu tadeln als die eines Claudius, des Bischofs von Turin, des Bekämpfers von Wallfahrten und Reliquienkult (gestorben um 827). Kaum konnte Aachen mit dem kaiserlichen Geschenk der Jesuswindeln prunken, da schrieb dieser Ikonokiast nach byzantinischem Zuschnitt: „Wolle man das Kreuz verehren, so müsse man auch alle Jungfrauen verehren, weil Christus von einer Jungfrau geboren worden, — (so müsse man alle) die alten Windeln verehren, weil er in solche eingewickelt worden." Seinen Gegner fand Claudius in dem Bischof Jonas von Orleans, seine endgültige Widerlegung erfolgte durch die Theologen am Hof, in Aachen selbst. 90 91

S. Axters o. p., Geschiedenis van de Vroomheidin de Nederlanden III, Antwerpen 1956, S. 404—405. Geestelycke Harmonie van veelderleye en uytgelesen . . . Lofsangben usw., Emmerick 1637 und spätere Ausgaben bis zum Jahre 1762.

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Josef de Coo

Ein vorsichtiger Josefsverehrer wie Seitz findet die Hosensage .nicht vertrauenerweckend' 92 . Hoffmann von Fallersleben erklärt das Komische, in das die Schilderung hinüberspielt, mit der Tatsache, daß das fromme poetische Gemüt sich dermaßen in seinen Gegenstand vertiefte 93 . Wie sehr man auch die Hosenlegende belächeln mag, und wie leicht sie im Spätmittelalter karikaturistisch hätte ausgenützt werden können, — aus keinem Lied, aus gar keinem Spiel läßt sich eine andere Absicht herauslesen als die, mit dem Hosenmotiv die grenzenlose Armut anschaulich und fühlbar zu machen: eine fremde Stadt, keine Bekannten, keine Herberge, keine Wiege, keine Windeln, eine hochverehrte Jungfrau, der Gottmensch! Das Elend der Situation konnte in naiven Geistern und in einer Zeit, die wie keine andere Maria leidenschaftlich verehrte, noch gesteigert werden durch die Hilflosigkeit des Alten, und es geschah in einem Sinne, der fast unvermeidlich das Derbe wenigstens streifen mußte. Nirgends aber wird der Nährvater, seiner Ungeschicklichkeit wegen, von der Jungfrau getadelt. Vielmehr spricht aus ihrem wiederholten sachten „Lieber Josef" ein Gefühl von großmütiger Geduld, ein tiefes Verständnis für seine Unfähigkeit, eine Würdigung seines guten Willens. Als Beleg dieser innerlichen Hilfsbereitschaft entstand eines Tages in einem dichterischen Gemüt die Geschichte der Hosen, vielleicht des Hemdes, irgendeines Kleidungsstückes, das der „ale Jusef" von sich gibt, um wenigstens die Nacktheit des Heilandes zu bedecken, eine Tat, die ihn selbst noch größerer Kälte, noch größerer Armut aussetzt. Ob dieser Dichter die Aachener Windeln je gesehen hat, werden wir niemals wissen. Auch ohne auf Josef bezogen zu werden, würde dieses Heiligtum immerhin zu den höchstverehrten gehört haben, denn nicht das Mittelalter war die Zeit der Josefsdevotion. Die Phantasie unseres Dichters, von anderen wohl von Anfang an als Geschehenes aufgefaßt, hatte vieles für sich, um die Gemüter zu treffen, wohl alles, um eine Pilgerseele zu rühren, eine Seele, die das Wunderliche und Unwahrscheinliche zu glauben wünschte. Welcher Aachener Wallfahrer konnte übrigens an eine Unwahrscheinlichkeit denken, wenn ihm und Tausenden anderer, einmal in sieben Jahren, für wenige Sekunden aus großer Distanz zwei Tücher zur Verehrung gezeigt wurden? ,Die Josefshosen!', rief jeder Blick und jeder Mund, und die ungeheure Menge fing an, auf Hörnern und Trompeten zu blasen, ,sodass man Gott nicht hätte donnern hören' 9 4 , und da wurde das Heiligtum schon an einer anderen Seite der hohen Domgalerie gezeigt. Und die Wallfahrer, ob aus Ungarn, aus Polen, aus Bayern, aus Brabant, kauften sich irgendeine Abbildung der Heiligtümer, ein Pilgerzeichen, ein Achhorn, einen Holzschnitt, als Erinnerung, als Beleg ihrer Gegenwart bei dem

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Jos. Seitz, Die Verehrung des hl. Joseph in ihrer geschichtlichen Entwicklung usw., Freiburg i. Br. 1908, S. 188. Hoffmann von Fallersleben, Niederländische Geistliche Lieder des 15. Jahrb., Hannover 1854, bei Lied Nr. 11. Wie es vor sich ging, lese man bei Philippe de Vigneulles (siehe Anm. 31).

Das Josefshosen-Motiv im Weihnachtslied und in der bildenden Kunst

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unvergeßlichen Augenblick, auch als Dokument, das den Daheimgebliebenen helfen sollte, die Reise mitzuerleben, die Reise und das Ziel: die Aachener Heiligtumsfahrt, die am weitesten verbreitete Wallfahrt nördlich der Alpen, die Krönung eines jeden frommen Lebens. Unser Dichter konnte nunmehr schweigen. Die Herkunft der Jesuswindeln war Gemeingut geworden, das andere Dichter übernahmen, als wäre es Evangelium. Und die Sage wurde gesungen und jeder neuen Generation weitergereicht. Maler suchten eine Darstellungsform, die das Heilige der Geburtsnacht nicht stören sollte. Manche, vielleicht viele, suchten umsonst, und nur einigen gelang es, das zu schaffen, was dem Dichter kein Problem gewesen und was dem schlichten Gemüt ein reichhaltiges, liebgewonnenes Motiv geworden war.

Maria und die Turteltaube Ein Gottscheer

Volkslied

Von ZMAGA KUMER

(Ljubljana)

Unter diesem Titel befindet sich in der handschriftlichen S a m m l u n g G o t t scheer Volkslieder v o n Hans Tschinkel ein wunderschönes, zartes Legendenlied. Es w u r d e v o n Josef Perz i m J a h r e 1 9 0 6 i m D o r f e Bühel (slowenisch Hrib) aufgezeichnet.

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Bia vria ischt auf Müatar Maria! Shi ziahat ahin am Bäga proait, Shi geanait shüachan a Biagarle, A Biagarle, a Gämarle. Paim Bäga du shizat a Türtltaüba. ,Buhin, buhin, Müatar Maria ?' ,1 geanait shüachan a Biagarle, A Biagarle, a Gämarle.' ,1 gean as shaubn shain aiar Biagarle, Aiar Biagarle, aiar Gämarle, Lai shingan konn i ondarsch et Bia „Prütai, ninai, nannai".' Ashö do sprichat Müatar Maria: ,Pai damon shlufat Herr Jeshu Krischt, Herr Jeshu Krischt ollarliabischt.' Shai ziahant hintarshich, hintarshich hoaim. Shi 't shich hingashezat za dan Biaglain schean. Shi shingat a Baile shö schoana: ,Prütai, ninai, nannai.' Varnopfazat hot dos Türtltaible, Herr Jeshisch hot geboainat hoaiß. Müatar Maria kerat hintarshich, hintarshich hoaim; Shi gabait 'm Türtltaiblain a Vladar zan Oam. Ashödre sprichat Müatar Maria: ,Shö shez di hin af dürra Zbaiga, Af griana Zbaiga deafascht dü et! Dort konnascht dü shingan: Tütütü, tütütü, tütütü!'

Seit jener Zeit sitzt die Turteltaube nur auf dürren Zweigen und singt nur: ,Tütütü, tütütü, tütütü!' Übertragung: Wie früh ist auf Mutter Maria I Sie ziehet dahin auf dem Wege breit, Sie gehet suchen eine Wiegerin, Eine Wiegerin, eine Haushüterin.

Maria und die Turteltaube 5

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Beim Wege da sitzet eine Turteltaube. ,Wohin, wohin, Mutter Maria ?' ,Ich gehe suchen eine Wiegerin, Eine Wiegerin, eine Haushüterin.' ,Ich geh selber sein eure Wiegerin, Eure Wiegerin, eure Haushüterin. Nur singen kann ich anders nicht Als „Prutai, ninai, nannail"' Also da spricht Mutter Maria: .Dabei da schläft Herr Jesus Christ, Herr Jesus Christ am allerliebsten.' Sie ziehen zurück, zurück nach Haus. Sie hat sich hingesetzt zum Wieglein schön, Sie singet eine Weile so schön: ,Prutai, ninai, nannai.' Entschlummert ist das Turteltäublein, Herr Jesus hat geweinet heiß. Mutter Maria kehrt zurück, zurück nach Haus; Sie gibt dem Turteltäublein einen Schlag auf die Ohren. Also da spricht Mutter Maria: ,So setz dich hin auf dürre Zweige, Auf grüne Zweige darfst du nicht! Dort kannst du singen: Tütütü, tütütü, tütütül'

D V A A 109435. Sammlung Hans Tschinkel Nr. 8. Vorsänger: G. König. Tschinkel war der Meinung, das Lied gehe auf eine slowenische Quelle zurück. Er führte zum Vergleich Strekelj 1 Nr. 428—431 an; Nr. 430 käme „der Gottscheer Übertragung am nächsten". Hat Tschinkel recht? Kann man wirklich von einer „Übertragung" sprechen, und gibt es tatsächlich ein slowenisches Lied als unmittelbare Quelle der Gottscheer Aufzeichnung ? In der slowenischen Volksdichtung gehören zum Thema „Das Wiegen Jesu" — um dieses handelt es sich im oben abgedruckten Gottscheer Lied — zwei motivisch voneinander abweichende Liedtypen, die beide durch zahlreiche Beispiele belegt sind. Den ersten könnte man mit dem Titel „Ein Vogel wiegt Jesus" umschreiben, der zweite wäre mit der Anfangszeile „Es steht, es steht ein Hügelein steil" zu kennzeichnen2. Im ersten wird erzählt, warum die Turteltaube das Köpfchen schief hält: Maria gab ihr eine Ohrfeige, weil sie als Wiegerin des kleinen Jesu eingeschlafen war und Maria, von einer Hochzeit bzw. von einem Gastmahl zurückgekehrt, die Wiege umgekippt vorfand. Der zweite Liedtypus enthält ein anderes wesentliches Motiv: Ein Baum auf einem steilen Hügel, der 1

2

Die bisher größte gedruckte slowenische Volksliedsammlung: K. Strekelj, Slovenske narodne pesmi I—IV, Ljubljana 1895—1923. Strekelj hat beide Typen — nicht vermischt, jedoch auch nicht deutlich voneinander abgegrenzt — unter dem Titel „Jesus wiegend" veröffentlicht. Unter die slowenischen werden auch kroatische, motivisch etwas anders gebaute Varianten eingereiht. Im ganzen sind es 10 Beispiele, vgl. Nr. 427—436.

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Zmaga Kumer

sieben Jahre lang dürr war, bekam plötzlich grünes Laub, nachdem Maria ihn angesprochen oder sich vor ihm verneigt hatte; im Schatten unter diesem Baum wiegte Maria dann ihr Kind. Beide Typen werden noch heute in vielen slowenischen Gebieten gesungen, und zwar in einzelnen Orten oftmals beide nebeneinander. Hie und da sind nur noch die letzten Zeilen vom zweiten Typus als Wiegenlied erhalten. In einer Aufzeichnung aus Bela krajina (Strekelj Nr. 431) sind Motive beider Typen zu einem Lied zusammengeflossen. Die slowenische Volkstradition kennt außer dem Liede auch die Sage von der Turteltaube als Wiegerin Jesu. Eine Variante zitiert Strekelj als Anmerkung zu seiner Nr. 430. In der deutschen Volksdichtung haben sich bisher außer dem Gottscheer Lied keine weiteren Belege von der Existenz eines solchen „Jesu-Wiegen-Liedes" gefunden. Auch in anderen Ländern Europas außer Kroatien 3 scheint dieses Thema im allgemeinen und als Typus „Ein Vogel wiegt Jesus" im besonderen unbekannt zu sein 4 . Jedenfalls blieb auch das Suchen nach einer Variante in Prosa bisher ohne Erfolg 5 . Man könnte sagen, es handele sich um ein territorial engbegrenztes Thema, das nur den Gottscheern, Slowenen und Kroaten eigen ist. Welche der drei Volksgruppen darf nun die Lieder zu diesem Thema ihr eigen nennen? Die Kroaten ganz sicher nicht, denn die wenigen bisher bekannten kroatischen Varianten stammen aus Hrvatsko Zagorje, einem Gebiet, das an Slowenien grenzt und auch sonst viele slowenische Lieder übernommen hat. Es ist anzunehmen, daß auch der Liedtypus „Ein Vogel wiegt Jesus" von slowenischer Seite her zu den Kroaten gelangte, nicht etwa umgekehrt. Man könnte auch sagen, daß es das Thema war, das auswanderte bzw. übernommen wurde und dann mancherorts eine motivisch ziemlich selbständige Liedform annahm. Das gilt z. B. für Strekeljs Nr. 429 und 436, während Nr. 427 eine Variante des slowenischen Liedes Nr. 428 ist. Dem Gottscheer Lied ist von den Varianten bei Strekelj — wie schon Tschinkel richtig erkannt hat — die Fassung Nr. 430 am nächsten. Trotzdem kann sie nicht die unmittelbare Quelle der Gottscheer Aufzeichnung sein, denn sie stammt aus der weiteren Umgebung von Maribor (Marburg a. d. Drau) in Stajersko, also von der Gottschee sehr weit entfernt. Tschinkel konnte nicht wissen, daß dieses Beispiel nicht das einzige seiner Art ist und daß es andere gibt, die aus den der 3

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Kroatische Fassungen (Strekelj Nr. 427, 429 und 436) gehen wieder eigene Wege. In einer derselben (Nr. 427) wird erzählt, daß Maria auf der goldenen Brücke spazierenging und ihr Kind gebar; dann ging Joseph eine Wiege suchen; als Wiegerinnen kamen drei Vögel herbeigeflogen und begannen Jesus zu wiegen. In der zweiten wurde nur kurz angedeutet, daß Jesus im Rosmarinschatten gewiegt wurde: die hl. Janica ist seine Hüterin, die graue Turteltaube seine Wiegerin. Die dritte Fassung erzählt einleitend von der Mutter Maria, wie sie ihr Kind auf den Armen zur Messe trägt; dann wird das Wiegen Jesu durch Jela-gospona erwähnt und vom dreifachen Baden Jesu gesprochen. Nach der freundlichen Mitteilung von Dr. R. W. Brednich vom Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg i. Br. Für diesbezügliche Mühe danke ich dem Kollegen Dr. Milko Maticetov, Ljubljana.

Maria und die Turteltaube

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Sprachinsel benachbarten Gebieten stammen. Dazu gehören z. B. eine Variante aus der weiteren Umgebung von Ljubljana (im Archiv des Glasbeno narodopisni institut — zitiert als GNI — Sign. M 22.421), eine aus der südlichen Umgebung von Novo mesto (Rudolfswert) (GNI O 8557) und eine dritte aus einem Dorf an der Straße Gottschee—Ljubljana (GNI M 26.117). Man kann also annehmen, daß in der Vergangenheit diese Fassung auch in verschiedenen anderen Orten der Gebiete, die um Gottschee liegen, zu hören war. Dort irgendwo ist die unmittelbare Quelle des Gottscheer Liedes zu suchen. Doch bestehen zwischen der slowenischen und der Gottscheer Fassung so viele Unterschiede, daß von einer „Übertragung" keine Rede sein kann. Schon der Anfang der Gottscheer Fassung ist anders als derjenige der slowenischen. Er beginnt mit der für Gottscheer Lieder charakteristischen Eingangszeile Wie früh ist auf. . . 6 . Auch den zweiten Vers Sie ziehet dahin auf dem Wege breit (zitiert nach Tschinkeis Übersetzung ins Schriftdeutsche) kennen wir bereits aus anderen Gottscheer Liedern. Die slowenischen Varianten beginnen ohne eine besondere Einführung, obwohl auch im slowenischen Volkslied einige typische Anfangszeilen gebräuchlich sind. Aber nicht nur die Eingangsformen, sondern der Anfangsgedanke überhaupt ist verschieden: Im Gottscheer Lied hat Maria bereits ihr Kind verlassen und sich auf die Suche nach einer Wiegerin begeben. Im Slowenischen hat sie nur den Wunsch geäußert, an einer Hochzeit teilzunehmen bzw. zu einem Gastmahl zu gehen, zugleich aber wußte sie, daß es unmöglich ist, ihr Kind ohne Wiegerin oder Hüterin zu lassen. Da kam die Turteltaube geflogen und bot sich Maria als Wiegerin an, damit sie ausgehen konnte. Das Vöglein scheint um Marias Bedrängnis zu wissen. Anders dagegen im Gottscheer Lied. Dort fragt die am Wege sitzende Turteltaube zuerst, wohin Maria gehe, und nach deren Antwort bietet sie sich ihr an. Sie bemerkt aber, daß sie kein Wiegenlied außer Prütai, ninai, nannai singen kann. Eine ähnliche Stelle enthält auch die im Anfang anders gestaltete slowenische Variante Nr. 428 bei Strekelj: Zwei Turteltauben bieten sich Maria als Wiegerinnen an, nur wissen sie keine Wiegenlieder zu singen; da belehrt sie Maria, daß sie nur Hajdel, hajdel ti tuja singen sollen. In einer anderen, motivisch noch weiter entfernten Variante (Strekelj Nr. 431) singt Maria selbst als Wiegenlied tutaj nunaj. Tschinkel hat bereits auf diese Stellen hingewiesen und gemeint, das Wiegenlied Prütai, ninai, nannai wäre „der alte Wiegengesang der Gottscheer", „der aber nicht slavischen Ursprungs ist". Nach Hauffen S. 130 bedeutet im Gottscheeischen prüte die Wiege. Die ethnische Zugehörigkeit der beiden anderen Wörter wird sich aber auf diese Art kaum beweisen lassen. Die Mütter in der nahen slowenischen Ribniska dolina (Reifnitzer Tal) versuchen ihre Kinder auch mit ajd tutü einzuschläfern. Das Zeitwort nunati kennen auch die nordöstlichen, von Gottschee weit entfernten Slowenen in derselben Bedeutung „schlafen". Tutati bedeutet im Slowenischen neben „auf einem Horn blasen" auch „schmollen, mucken"; man bezeichnet damit jedoch ebenfalls den Gesang der Turtel6

Vgl. A. Hauffen, Die deutsche Sprachinsel

Gottschee, Graz 1895, S. 142f.

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Zmaga Kumer

taube. Ähnlich wie die Gottscheer Mütter schläfern auch die Sloweninnen ihre Kinder ein; ein Blick in die Sammlung Strekeljs genügt, um sich zu überzeugen: tutaj ninaj (Nr. 8175 aus Pivka in Notranjsko [St. Peter in Innerkrain], westlich von Gottschee), tutaj ninaj (Nr. 8176 aus Loski potok, einem Tal parallel zu Ribniska dolina), ajcka tutajcka (Nr. 8179 aus Pijavice bei Mokronog [Nassenfuß], nordöstlich von Gottschee) und tuti nuni (Nr. 8181 aus Tribuce in Bela krajina [Weißkrain]) 7 . Bei den Worten aus der Kinderwelt scheint es kaum am Platze, die ethnische Zugehörigkeit zu suchen, denn bekanntlich sind viele Ausdrücke der Kindersprache verschiedenen Völkern gemeinsam, ja, man könnte sie fast als international bezeichnen (z. B. die Bezeichnungen für Vater, Mutter, essen, schlafen usw.). Gerade die einfachen Wiegengesänge sind etwas so Elementares, daß in unserem Falle von einem deutschen bzw. Gottscheer Einfluß auf die slowenischen Wiegenlieder zu sprechen ebenso sinnlos wäre wie umgekehrt 8 . Die Ähnlichkeit, wenn sie nicht zufällig ist, kann nur auf das Urwüchsige, Elementare dieses Gesanges zurückzuführen sein. Der weitere Verlauf der Geschichte ist in der slowenischen Fassung logischer als in der Gottscheer: Maria geht zu der Hochzeit, kommt aber bald zurück und findet die Turteltaube schlafend. Das Gottscheer Lied erzählt zunächst, Maria und die Turteltaube seien zurückgegangen und das Vöglein sei Jesu Wiegerin geworden. Nachdem es eine Weile gesungen hatte und dann eingeschlafen war, kam Maria heim. Das Lied sagt nichts davon, daß sie irgendwohin gegangen sei. Entweder ist die Aufzeichnung bzw. die Fassung unvollständig bzw. zersungen, oder diese Stelle ist eben ein Zeichen dafür, daß das Lied ursprünglich nicht in der Gottschee beheimatet war. Auch am Schluß unterscheiden sich die beiden Fassungen. Die Gottscheer endet mit Marias Gebot, die Turteltaube dürfe von nun an nur noch auf dürren Zweigen sitzen und singen, in der slowenischen versetzt Maria der Turteltaube eine Ohrfeige, die noch heute zu sehen ist bzw. der Grund dafür ist, daß das Vöglein noch heute den Kopf schief hält. Die Ähnlichkeit, ja Verwandtschaft des Gottscheer und des slowenischen Liedes von der Turteltaube als Wiegerin Jesu ist unverkennbar. Weil das Grundmotiv im Slowenischen zu verschiedenen Fassungen ausgebildet worden ist, während das deutsche Volkslied nur die Gottscheer Fassung kennt, weil ferner in der slowenischen Volkspoesie das Thema vom Jesu-Wiegen als solches bekannt ist, darf man annehmen, daß dieses Gottscheer Volkslied slowenischer Abstammung ist. Tschinkeis Vermutung, das Lied gehe „auf eine slovenische 7

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Dazu ist zu vergleichen, daß die Italiener das Wiegenlied ninna oder ninna-nanna nennen, und ninnare bedeutet „ein Wiegenlied singen". In der deutschen Schweiz sagt man ninnen, namen oder nunnen und meint damit „durch die Zähne singen", zum Einschläfern der Kinder. Vgl. Nina, nina Wiegelistoß . . . (Gertrud Züricher, Kinderlieder der deutschen Schweif Basel 1926 [Schriften d. Schweiz. Ges. f. Vkde. 17], S. 1 und 8, Nr. 120). Einen ähnlichen Ausdruck kennen auch die Tschechen. Vgl. Hulaj, nynaj a neplac . . . (ein Wiegenlied aus der Sammlung Fr. Susil, Moravske närodniptsne, 4. vydäne, Praha 1951, S. 448, Nr. 1411). Vgl. Fr. Marolt, Slovenskeprvine v kocevski ljudskipesmi, in: Kocevski zbornik, Ljubljana 1939, S. 253.

Maria und die Turteltaube

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Quelle zurück", ist somit richtig. Nur ist es nicht eine „Übertragung", sondern ein selbständiges Gebilde nach slowenischer Vorlage, wofür gerade die oben angeführten Unterschiede zwischen der slowenischen und der Gottscheer Fassung zeugen. Eine Antwort auf die Frage, wann die Übernahme vor sich gegangen sein kann, erwarten wir von der musikalischen Seite. Im Slowenischen sind leider nur drei Beispiele mit den Melodien versehen 9 . Die Melodiestrophe ist in allen drei Fällen vierteilig, doch im Grunde aus zwei Phrasen zusammengesetzt: A B A B k bzw. A A 3 B B. Die Textstrophe dagegen ist vierzeilig, doch scheint die einstige Zweizeiligkeit durchzuschimmern. Stellen wir die Formeln der Melodie- und der Textstrophe gegenüber, so sieht man deutlich: A B A B k : M N N O bzw. A A j B B : M N + Refrain. Im ersten Falle wird der zweite Vers immer auf die Wiederholung der ersten Phrase gesungen. Es scheint, als ob damit schon die nächste Strophe begonnen wäre. Daß man die folgende Strophe mit der Wiederholung des vorangehenden Verses beginnt, kommt im Volksliede ja oft vor. Man müßte annehmen, zwei zweizeilige Strophen seien zu einer zusammengeschmolzen, wenn nicht der vierte Vers kürzer wäre und eine Art Kadenz in der vierzeiligen Strophe darstellte. Die Form ist also 9 — 9 — 9 — 7 , stets mit der Anakruse beginnend. Der Versfuß ist meistens der Daktylus, was dem 3/8-Takt entspricht. Doch läuft jeder Vers in den Trochäus aus, was sich wieder im Rhythmus der Melodie spiegelt. Nach einigen inhaltlich wichtigen, gänzlich trochäischen Versen zu urteilen, dürfte dieses Versmaß das ursprüngliche gewesen sein und die daktylischen Versfüße wären nur Füllungen, was beim 3/8-Takt der Melodie leicht möglich ist ( J

J) bzw. J

J

J geht in J

J

J

über, wenn im Text

ein - " zu - " " wurde) 10 . Der heutige Neunsilbler wäre danach eine jüngere 9 10

G N I O 8557, M 22421 und M 26117. z . B . M a - r i - j a je sla na g o - s t i :

ÜJ J>I'J J>U Po-nu-di-la

se

ji

} \ ]

ti - ci - ca

Ma - r i - j a bi

ra-dana

o h - c e t sla

iiminiij Po-nu-di-la

se

ji je

ÜJ ti - ci - ca

¿ i r n i J }'u } i J

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Ma- ri - ja

Ma - r i - j a se pa

„| - „ „| -

na pot po - da

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je od - ha - ja - la

J>IJ J>!J

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-

Im letzten Vers ist das Wort pa die typische überflüssige Füllung. Der Vers wäre ohne es stilistisch und metrisch reiner und besser: Ma - r i - j a se na pot po - da . . .

J>|J J I J -M J J>IJ

Zmaga Kumer

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Entwicklungsstufe des Siebensilblers. Als die ursprüngliche Form der slowenischen Fassung könnte der Zweizeiler mit dem trochäischen Siebensilbler angesehen werden. Analysieren wir unter dem gleichen Gesichtspunkt die Gottscheer Fassung, so kommen wir zum gleichen Ergebnis: der ursprüngliche trochäische Siebensilbler mit der Anakruse wurd durch Füllungen — die genau wie im Slowenischen für die Form eine Verfallserscheinung bedeuten — zu 9-, 10-, 11-Silbler daktylischen Charakters 11 . In der Melodie ist jedoch der einstige Rhythmus erhalten

Was die Form betrifft, hat das Gottscheer Lied im Vergleich zum slowenischen ein beträchtlich altertümlicheres Gesicht: die Verse reihen sich hintereinander, ohne Strophen zu bilden, und die Melodie besteht aus einer einzigen Phrase. Perz hat ihr das Vorzichene F-dur gegeben. Sie ist aber keine wahre Dur-Melodie, weil sie nur aus drei Tönen im Rahmen einer großen Terz besteht. Nach Wiora sind solche Weisen nicht als Ausschnitte aus der Moll- oder Dur-Tonleiter anzusehen. Sie gehören zur sogenannten stufenarmen Melodik, unter der sich auch Beispiele für Melodiegut befindet, das älter als ist die Pentatonik. Die oben angeführte Weise kann zu den trichordischen gerechnet werden und nimmt auch unter den Gottscheer Melodien eine Sonderstellung ein 1 . Im Gottscheer Volksliedschatz gehören solche Melodien — wie auch bei den anderen Völkern — zu den ältesten Liedern, meistens aus dem Brauchtum oder aus der Kinderwelt. In der Zeit, als die Gottscheer eine — wahrscheinlich unterkrainische Fassung — des slowenischen Legendenliedes von der Tirteltaube als der Wiegerin Jesu kennengelernt, übernommen und selbständig umgeformt haben, muß bei ihnen dieser alte Typus der Melodik noch etwas Alltägliches, Lebendiges gewesen sein. Es ist zwar möglich, daß einem neu übernommenen Liede eine altertümliche Melodie gegeben wird, doch in diesem Falle ist der strophenlose Text ein Zeichen des hohen Alters. Ein jüngeres strophenartiges Lied würde sich der Melodie wegen kaum in ein strophenloses verwandeln, denn gewöhnlich geschieht ja immer das Gegenteil. 11

Bia vria ischt auf Müatar Maria Shi zishat ahin am Bäga proait A Biagarle, a Gämarle Paim Bäga du shizot a Türtltaübo.

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Von Perz notiert als 3/4-Takt in Vierteln.

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Vgl. W. Wiora, Älter als die Pentatonik, in: Studia memoriae Belae Bartok Sacra Bd. 2 (Budapest 1957) S. 185—194; Wolfgang Suppan, Bi- bis fltrachordische Tonreihen im Volkslied deutscher Sprachinseln Süd- und Osteuropas, in: Studia Musicologica 3 (1962), 329—356.

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Maria und die Turteltaube

Wenn die Gottscheer Fassung unseres Liedes also zu den ältesten, ja mittelalterlichen gezählt werden kann, so muß auch das Vorbild, nach dem es gebildet worden ist, aus dem Mittelalter stammen. Terminus ante quem non für das Gottscheer Lied ist das 14. Jahrhundert, die Zeit der Gottscheer Ansiedlung. Obwohl die slowenischen Varianten der Fassung in ihrer heutigen Gestalt keine ausdrücklich altertümlichen Züge aufzuweisen haben, so ist die Tatsache, daß ihre ehemaligen Gottscheer Nachbarn die wesentlichen Motive übernommen haben und sie nach eigenem, damals noch schöpferischem alten. Muster umgebildet haben, ein Beweis für das Alter der slowenischen Urform, des Vorbildes, nach dem einerseits die Gottscheer ihre Fassung bildeten und aus dem sich andererseits die jetzige slowenische Gestalt des Liedes entwickelt hat.

Jahrbuch für Volksliedforschung XI

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Die Ballade vom Jäger aus Griechenland Von B. W. E. VEURMAN (Wassenaar) Im Gegensatz zu der Ballade von Heer Halemjn, der eine Unmenge Betrachtungen und Untersuchungen in verschiedenen Sprachen gewidmet wurde, ist über das Lied De Griekse jager verhältnismäßig wenig publiziert worden. Dies ist um so merkwürdiger, als man fast von einem Parallelismus zwischen den beiden Balladen reden kann, nicht nur inhaltlich, sondern auch der ganzen Atmosphäre nach, es sei denn, daß im Lied vom Jäger das Drohende, Finstere und zugleich das Burleske überwiegt. Ebenso wie im Lied vom Heer Halewijn reitet hier der Mensch trotz der ihm gegebenen Warnungen in den geheimnisvollen Wald und überlistet einen grausamen Feind. Obwohl zweifellos keine nähere Verwandtschaft besteht, könnte man mit einiger Übertreibung sogar von einem „männlichen Gegenstück des Halewijnliedes" reden. Das Fehlen einer ausgebreiteten Literatur über De Griekse jager ist denn auch meines Erachtens nicht in erster Stelle dem Lied als solchem, sondern vielmehr dem Mangel an Material zuzuschreiben. Bis vor wenigen Jahren kannte man nur eine Fassung der Ballade. Diese wurde von Grimm entdeckt und in die Altdeutschen Wälder aufgenommen. Bei Hoffmann von Fallersleben (Horae Belgicae II, 1856, Nr. 13), Kalff (Het lied in de middeleeuwen, 1884, S. 90, fragmentarisch), Van Duyse (Het oude Nederlandsche lied 1,1903, Nr. 6) und in Deutsche Volkslieder I 1935 (Nr. 5, S. 45 f.) findet man denselben Text aus dem Liederbuche De Oost-Indische Theeboom vom Jahre 1818. Den Text von Willems (Oude Vlaemsche liederen Nr. 50) hat man wohl mit Recht nie ernstgenommen. Erst etwa 1900 wurde von Blijau und Tasseel eine flämische, stark abweichende Fassung aufgezeichnet. Die zufällige Entdeckung einer bisher unbekannten dialektisch gefärbten Fassung in einer Liederhandschrift aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts veranlaßte mich, außer dem Druck des Oost-Indische Theeboom von 1818 auch die früheren Ausgaben dieses Buches durchzulesen. In zwei Drucken (1767 und 1777) fand ich eine Fassung, die in verschiedener Hinsicht von der aus dem Jahre 1818 abweicht. In Zusammenarbeit mit den Kollegen Dr. Tj. W. R. de Haan und Ate Doornbosch organisierte ich nun eine neue „Jägerjagd", wobei zwei bisher unbekannte Fassungen zum Vorschein kamen : eine mit Melodie wurde im Osten der Provinz Friesland notiert, die zweite mittels des Rundfunks in der Provinz Groningen im Norden des Landes aufgespürt1. 1

Dazu vgl. man meinen Artikel De ballade van „De Griekse jager" in: Neerlands Volksleven 1 3 (1962/63) S. 53 ff.

Die Ballade vom Jäger aus Griechenland

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Die Melodien aller Fassungen, ausgenommen die aus Friesland, fehlten dennoch. Beim Durchlesen der Lieder aus der Provinz Nordholland im „Nederlands Volkslied Archief" stellte sich aber heraus, daß sich in der Sammlung von C. Bakker nicht nur noch ein Text, sondern auch eine dazu gehörende Singweise, welche auch zu vier anderen Fassungen paßte, befand. Beide hat C. Bakker, der zudem ein interessantes Werk über dieses Gebiet schrieb, etwa 1900 aufgezeichnet 2 . Die sieben mir bis jetzt bekannten Fassungen und die beiden Melodien folgen hier.

A 1767 Oost-Indische Theeboom 1. Daar ging een Jager uyt Jagen / Zo veer al in het Woud / Hy vond daar niet wild weeten / Als een gebonden Man oud. 2. Jager zeyde hy Jager / In't Bos daar wandeld een Wijf / Komt zy jou in't gemoed / 't Zal kosten u Jonger-lijf. 3. Zou ik voor een Wijf vreezen / Ik vrees nog voor geen Man / Eer hij dat Woord ten halve had / Doe kwam'er dat booze Wijf an. 4. Zy nam hem by den Armen / En 't Paardje al by den Toog / En klom 'r mee den Berg op Die zeventien Mijlen was hoog. 5. De Bergen waaren hooge / En de Dalen die leyden zo dik / Daar lagen der twee gezoden / De derden ley aan een Spit. 6. Zal ik hier moeten sterven / Als ik voor mijn oogen beken / Zo mag ik mijn wel beklagen / Dat ik 'er een Grieke-man ben. 7. Bend gy ook van de Grieken / Daar isser mijn Man van dan / Zo noemt mijn eens jou Ouders Laat hooren of ikze wel kan. 2

C. Bakker, Volksgemeskmde in Waterland, 1928. 7*

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B. W . E . Veurman 8. Zoud ik mijn Ouders noemen? Weet dan wie dat ze zijn; D e Koning van de Grieken / Dat is 'er de Vader van mijn. 9. Zijn Huys-vrouw Margareta / Dat is 'er de Moeder van mijn / D e Naam moogt gy wel weeten Wie dat 'er mijn Ouders zijn. 10. D e Koning van de Grieken / Dat is zo een kleine Man / Zoud gy niet hooger wassen Wat baat jou leven dan. 11. Zou ik 'er niet hooger wassen / I k ben der maar elf Jaar oud / Ik hoop nog hooger te wassen / Als 'er Boomen staan in't Woud. 12. Hoop je nog hooger te wassen / Als 'er Boomen staan in't Woud / Z o heb ik nog een Dogter / Die is jonk en daar toe stout. 13. Zij draagt op haaren Hoofje / Een Kroon van Paarlen fijn / AI kwamen 'er Zeven Koningen / Zij zouden voor haar niet zijn. 14. Zij draagt op haare Borsten / Een Lely met een Zwaard / D e Booze uyt der Helle / Is voor mijn Dogter vervaard. 15. Gy roemt zo van uw Dogter / Ik wou dat ik ze eens zag / Ik zou 'er heymelijk küssen / E n bieden haar goeden-dag. 16. Ik heb nog een kleyn Paardje / 't Loopt snelder dan de Wind / Dat zal ik u heymelijk leenen; Gaat zoekt dat gy haar vind. 17. D e Jager zat op het Paardje / Hij reeder zo lustig voort / Adieu jou zwarte Hoere / J o u dogter mij niet bekoord. 18. Had ik jou in mijn klauwen / Gelijkje van d'Morge waart / J e zou het mij niet zeggen / Dat ik was veel te zwart.

Die Ballade vom Jäger aus Griechenland 19. Zy nam daar eene Knoesten / E n sloeg 'er al op den Boom / Dat d' Boom in't Groene-woud daverde / E n alle Bladeren schoon.

B Um 1800 Aus dem Norden der Provinz Nordholland 1. Daar ging een Jager uit 't Jagen al längs 't groene woud wat vond hij op zijn Jagen niet als een gebonden man oud. 2. Jager zei hij Jager in 't bos daar wandelt een wijf en zo die u zal ontmoeten zal 't kosten u Jonger lijf. 3. Zoud ik vrezen voor een wijf ik vrees nog voor gene man en zo hij deze woorden halvers had komt dat boze wijf an. 4. Zij grijpt hem bij zijn arm en haar paardje al bij de toom en klimt ermee een berg op die 70 mijlen was hoog. 5. D e bergen waren zo hoog en de dalen leiden zo diep 2 leiden daar gezoden de derde lei aan een spit. 6. Zou ik hier moeten sterven zo ik 't hier aanzien dan mag ik mij wel beklagen dat ik een griekse man ben. 7. Zijt gij van de grieken daar komt mijn man vandaan laat mij u ouders eens hören of ik die dan ook ken. 8. Zou ik u mijn ouders noemen ik weet niet of gij die wel ken de koning van de grieken dat was de vader van mij. 9. de huisvrouw margereta dat was de moeder van mij de namen moogt ge wel weten wie dat mijn ouders zijn.

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B. W. E. Veurman 10. de koning van de grieken dat was zo een kleine man zoudt gij niet groter wassen wat baat u leven dan. 11. zoud ik niet groter wassen ik ben nog maar 11 Jaar oud ik hoop nog hoger te wassen als er bomen staan in't woud 12. hoopt gij nog hoger te wassen als er bomen staan in 't woud zo heb ik nog een dochter zeer jonk en daartoe stout 13. zij draagt op haar hoofd een parel fijn al kwam 'er 7 koningen zij zou' voor haar niet zijn 14. en op haar borst een lelie met een zwaard de boze(n) uit de hei is zij niet voor vervaard 15. gij roemt zo van u dochter ik wou dat ik ze eens zag ik zou ze heimelijk küssen en bieden haar goeden dag 16. hier heb ik nog een paardje 't loopt snelder als de wint dat zal ik u heimelijk lenen zoekt dat gij ze vindt 17. de ruiter op 't paard hij reed zo lustig voort adie jouw zwarte hoer jouw dochter is mij veel te boos 18. had ik jou in mijn klauwen zoals ik van de morgen had dan zou gij niet zeggen dat ik was zo zwart 19. zij nam toen ene knoest en sleeg ermee op ene boom dat alle bomen in't groen woud daverde en alle bladeren schoon.

Die Ballade vom Jäger aus Griechenland

C 1818 D e Oost-Indische Thee-Boom (Abdruck in: Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, Bd. I, Nr. 5) 1. Daer ging een Jager uit Jagen Zoo veer al in 't Wout, Hy vond daer niet te Jagen, Als een gebonden Man oud. 2. , Jager', zeid' hy, , Jager, In 't Bos daer wändeld een Wijf, Komt zy jou in 't gemoete, 't Zal kosten jou jonger Lijf.' 3. ,Zou ik voor een Wijf vrezen? Ik vrees nog voor geen Man.' Eer hy dat woord ten halven had, Doe kwam 'er dat booze Wijf an. 4. Zy nam hem by de armen En 't Paertje al by den Toom En klom 'er mee den Berg op Die zeventig mylen was hoog. 5. De Bergen waere hoogen En de Daelen die laegen zoo diep, Daer laegen 'er twee gezooden, Den derden ley aen een spit. 6. ,Zal ik hier moeten sterven, Als ik voor mijn oogen aenzie, Zoo mag ik my wel beklaegen, Dat ik 'er Griekman ben.' 7. ,Bent gy ook van de Grieken (Daer isser mijn Man van daen), Zoo noemt my eens jou Ouders, Laet hooren of ik se wel kan.* 8. ,Zou ik mijn Ouders noemen, Wie weet, of gy se wel kend ? De Koning van de Grieken Dat is 'er de Vader van my. 9. ,Zijn Huisvrouw Margareta Dat is 'er de Moeder van mijn, De naem moogt gy wel weten, Wie dat 'er mijn Ouders zijn.' 10. ,De Koning van de Grieken Dat is zoo een mooijen Man; Zoud gy niet hoger wassen, Wat baet jou Ieven dan?'

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B. W. E. Veurman 11. ,Zou ik niet hoger wassen, Ik bender maer elf jaer oudl Ik hoop 'er nog hoger te wassen, Als 'er de Boomen staen in 't Wout.' 12. ,Hoopt gy nog hoger te wassen, Als 'er Boomen staen in 't Wout, Soo heb ik nog een Dogter, Die is jonk en daertoe stout. 13. ,Zy draegt op haer Hoofje Een Kroon van Paerlen fijn: AI kwamen 'er Koninginnen, Zy zouden voor haer niet zijn. 14. ,Zy draegt op haer Borsten Een Lely met een Zwaerd, Den boozen uit der hellen Is voor mijn Dogter vervaert.' 15. ,Gy roemt zo op uw Dogter, Ik wou dat ik er eens zag: Ik zou er heimelijk küssen En bieden haer goeden Dag.' 16. ,1k heb nog een klein Paerdje, 't Loopt snelder dan de Wind, Dat zal ik u heimelijk leenen, Gaet, zoekt, dat gy haer vind.' 17. De Jager zat op het Paerdje, Hy reeder zoo lustig voort: ,Adieu, jou zwarte Hoeren, Jou Dogter is veel te boos.' 18. ,Had ik jou in mijn klouwen, Als ik van de Morgen had, Jy zou het my niet zeggen, Dat ik was veel te zwart.' 19. Zy nam daer op eenen knoesten En sloeg 'er al op den Boom, Dat al de Boomen [in 't groene woud] daverden En al de bladeren schoon.

A scheint im allgemeinen unverletzter als B und C. Oft ist der R e i m in B und C assonierend, w o er in A voll ist [Str. 4 toogfhoog

statt toom;

Str. 6 beken\ben statt

aan^ien usw. [. D e r Dialog zwischen dem J ä g e r und dem W e i b ist in A und B logischer als. in C [kleine man statt mooie jedoch im ganzen mit A verwandt.

man].

B hat ma.

Abweichungen, ist

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D Um 1900 Waterland (Provinz Nordholland)

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i n i j ^ j i 1. Er ging eens een jager uit jagen Zoo verre al in het woud Hij vond er niets te jagen Als een gebonden man oud

unterscheidet sich im folgenden nur wenig von B, mit Ausnahme davon, daB Str. 11 hier eine Kontamination von 11 und 12 ist: 11. „Ik hoop er nog hooger te wasschen Als boomen hier staan in het woud Ik heb ook nog een dochterje Ze is jong maar daartoe stout." Str. 16, letzte Zeile: „En zoeken dat gij haar vindt." Schwach mundartlich gefärbt. E Um 1962 Provinz Groningen 1. Er wou er een jager uit jagen gaan, Van verre al in het woud. Hij vond er niks te jagen Dan een stuk verbonden (h)out. 2. Och jager, och, zeide de andere jager, Daar ginder daar wandelt een boos wijf. 3. Zou ik voor die boos wijf vrezen ? Ik vrees noch voor geen boos man. Hij had dat woordje nog niet half gezegd Toen kwam dat boos wijf er al aan.

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B. W. E. Veurman 4. Pakt' hem al bij zijn arm, En 't paardje bij den toom, en klom met hem op een berg, Die Zeven en zeventig mijlen waren hoog. 5. De bergen die waren zo hoog, En de dalen die waren zo diep, Er lagen drie enige zoontjes, En de derde was al aan het spit. 6. Och, zegd'e, nou moet ik toch zelf zien voor mijn ogen. En sterven hier zo den dood, Nou moet ik me toch beklagen, Dat ik een Grijksman ben. 7. Zijt gij een van de Grijken? Daar is mijn man vandaanl Laat hören Uw lieve ouders, Of ik die dan wel kan. 9. En de moeder, haar naam Marie, Dat is de moeder van mie. 10. De koning van de Grijken Dat is zo'n lieve man, 12. Dan heb ik nog een klein dochtertje, Die draagt een halve paraplu, 13. AI boven haar hoofd en boven haar borst, En alle mensen zijn voor haar verborgd. 15. Pocht gij zo van Uw klein dochtertje? Dan wo'k da'k haar eens zag. Dan wou'k haar wel vriendelijk küssen, En küssen haar een goedennacht. Wik gij haar wel vriendelijk küssen, En küssen haar een goeden nacht ? 16. Dan heb ik nog een klein paardje, Die loopt nog sneller als de wind. Die wil ik U wel lenen, Ga maar toe, dat gij haar vindt! 17. Hij klom al op er het paardje, En reed er zo lustig op los, Maar toen hij 'n eindje van haar was, Riep hij: Adu, doe swaarte swien, Dien dochter is mie veul te boos! 18. Als ik die in mien klaauwen har, Geliek ik die zonet har, Den zolstoe mie nait verwieten, Dat ik was zulf zo swaart I

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Die Ballade vom Jäger aus Griechenland 19. En ze sluig mit de voeste al op 'n boom, Dat de boom van groen ontdobberde, Van al zijn bladeren schoon.

Stark mundartliche Einschläge, besonders gegen Ende. Volksetymologische Änderungen. Hyperkorrekte Bildungen wie Grijken und Grijksman können nur aus einem holländischen Vorbild erklärt werden. F 1962 Provinz Friesland Die Sängerin erzählt: Es war mal ein Jäger der sich im Walde verirrt hatte. Dann begegnete ihm das wilde Weib. Er fragte sie nach dem Weg, aber sie sagte, sie möchte zuerst wissen, wer er wäre und woher er käme. Nun, es war ein sehr vornehmer Reiter: der Vater war vielleicht ein König und die Mutter war auch so etwas Hohes. Und das Weib sagte, sie hätte noch wohl ein Töchterlein für ihn, ein sehr eigentümliches Töchterlein. Op het maaltijd kan zij er nog eten — zei ze — twee osjes en een aardig jong zwijn. En dat moet ze ook alle dagen hebben — zei ze — en daarbij moet zij er nog drinken twee emmers vol koele wijn. En dat moet ze alle dagen hebben en zesendertig keer gevuld. Der Reiter sagte, er möchte diese Tochter mal sehen. Und als er sie dann gesehen hatte, wollte er sie heiraten, aber zuerst den Eltern mal alles erzählen. Nun, das war ja gut. Dan heb ik voor u — zei ze — nog een paardje dat radder rijdt dan de wind. Toen hij er met 't gat op zijn paardje zat, Toen zei hij: Wel hoer, ik ben er uw dochtertje zat. En zij sloeg er op beide haar handen [oder: tanden] Dat de bomekes dansten in 't woud. (Melodie zu den letzten beiden Strophen:)

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