Jahrbuch für Kindertheologie Band 12: "Darüber denkt man ja nicht von allein nach...": Kindertheologie als Theologie für Kinder 3766842633, 9783766842633

Die Kindertheologie heute intendiert, die von Kindern selber hervorgebrachte 'Theologie' zu verstehen und zu w

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German Pages 200 [212] Year 2013

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Inhalt
Friedrich Schweitzer
Welche Theologie brauchen Kinder?
Gerhard Büttner
»Clustern« als Erschließung eines theologischen Feldes –
ein Werkzeugkoffer für Religionslehrer/innen
Buchbesprechungen
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Jahrbuch für Kindertheologie Band 12: "Darüber denkt man ja nicht von allein nach...": Kindertheologie als Theologie für Kinder
 3766842633, 9783766842633

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Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen Herausgegeben von Anton A. Bucher, Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch, Hildrun Keßler, Friedhelm Kraft, Bert Roebben, Martin Rothgangel, Thomas Schlag, Martin Schreiner und Elisabeth E. Schwarz

»Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .« Kindertheologie als Theologie für Kinder Jahrbuch für Kindertheologie Band 12

Herausgegeben von Anton A. Bucher und Elisabeth E. Schwarz

Calwer Verlag Stuttgart

eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4264–0 ISBN 978–3–7668–4263–3 © 2013 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Druck und Verarbeitung: Beltz Bad Langensalza GmbH E-Mail: [email protected] Internet: www.calwer.com

Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

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Inhalt

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Friedrich Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Anton A. Bucher Wie viel und was für Theologie braucht das Kind? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Mirjam Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie. Die Notwendigkeit einer »Theologie für Kinder« im Blick auf Zielgruppe, Basiswissen, Nachhaltigkeit und Inhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Sabine Pemsel-Maier Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot? Klärungshilfen von Seiten der Systematischen Theologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Silvia Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus. Ein spirituell-diakonisches Modell für das Zusammenleben in Kindertagesstätten. . . 68 Birgit Sendler-Koschel Der Beitrag der Kinder- und Jugendtheologie zu einer veränderten Sicht von Kirche, Kindern und Jugendlichen – ein Statement. . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Pädagogische Anregungen

Gerhard Büttner »Clustern« als Erschließung eines theologischen Feldes – ein Werkzeugkoffer für Religionslehrer/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Rainer Oberthür »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .« Theologie für Kinder als Gedankenanstoß zum Theologisieren – Grundsätze und Unterrichtserfahrungen. . . . 95

6 Sylvia Inou ». . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein« – 12-jährige Schüler/innen erforschen Gastsein und Gastfreundschaft als Ort der Gottesnähe . . . . . . . . . . . . 105 Angela Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Hanna Roose »War das wirklich so?« – Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung . . . . . . . . . . . . . 147 Claudia Gärtner / Bernadette Pisarski »Erlösung ist, wenn man befreit ist von einem Fluch, wie bei Fluch der Karibik« Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Katrin Bederna »Ich versteh darunter, die Schuld auf eine vertrauliche Person zu schieben, also dass man sich danach besser fühlt« Das Bußsakrament als kindertheologisches Thema? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Jantine Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern – Eine theologisch-rhetorische Analyse von Briefen von Großeltern an ihre Enkel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Martin Steinhäuser Gott im Spiel – Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer »Theologie für Kinder«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Buchbesprechungen

Mirjam Zimmermann (Hg.): Fragen im Religionsunterricht. Unterrichtsideen zu einer schülerfragenorientierten Didaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Albert Biesinger / Helga Kohler-Spiegel: Woher, wohin, was ist der Sinn? Die großen Fragen des Lebens. Kinder fragen – Forscherinnen und Forscher antworten. . . 209 Die Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Vorwort

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Vorwort

Als der zweitgenannte Autor vor vielen Jahren seinem Doktorvater erzählte, an einer Theologie der Kinder zu arbeiten – in dem Sinne, Kinder auch als Theologen zu würdigen –, schüttelte er den Kopf. Es sei doch eher unsere Aufgabe, Kindern Theologie zu vermitteln, bestenfalls kindgemäß und so, dass sie als lebensrelevant empfunden werde. Nach zwölf Jahren »Jahrbuch für Kindertheologie« herrscht Konsens, dass beide Positionen berechtigt, ja notwendig sind. Nachdem Kinder in der religiösen Erziehung lange Zeit marginalisiert und unterschätzt wurden, als leere Gefäße galten, die mit den angeblich richtigen Inhalten zu füllen waren, war es in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wirklich an der Zeit, sie als konstruktive Subjekte zu würdigen, als Schöpfer von theologisch relevanten Gedanken und Imaginationen ernst zu nehmen. Aber: Eigenständige theologische Vorstellungen können Kinder nur dann erschaffen, wenn sie dafür Anregungen aus einer Tradition erhalten haben, die ihnen vorausliegt. Erst dann kann eine Schülerin den Besuch Jesu bei Zachäus so deuten, Jesus habe wissen wollen, was für Vorhänge er habe und wie seine Frau ausschaue, wenn ihm Lk 19,1–10 erzählt worden ist. Erst dann kann sich ein wildwestbegeisterter Junge Gott als Cowboy imaginieren, der mit seinem Lasso den gehörnten Teufel einzufangen versucht,

wenn er die Begriffe »Gott« und »Teufel« assimiliert hat, was Kinder freilich auf ihre eigene Weise tun. Eine Theologie der Kinder wäre inhaltsleer, wenn nicht zuvor schon Theologie für Kinder angeboten worden wäre. Zu Recht verweist Friedrich Schweitzer in seinem paradigmatischen Aufsatz »Was ist und wozu Kindertheologie?« darauf, dass die beiden Positionen einander bedingen, zusätzlich das prozesshafte Theologisieren mit Kindern, die ohnehin wohl zentralste Komponente.1 Mag sein, dass in der ersten, noch überschwänglicheren Phase der Kindertheologie der Akzent zu sehr auf den Kindern lag, die gelegentlich in der Gefahr standen, romantisch überhöht zu werden. Jedenfalls schien es an der Zeit, im Rahmen des Netzwerkes »Kindertheologie« einmal ausdrücklich die Frage zu erörtern, welche Theologie Kindern angeboten werden soll, wie viel davon, in welcher Form? Und: auch sperrige Inhalte, beispielsweise Sünde, Erlösung? Theologie hat, anders als das freie Philosophieren, Wahrheitsansprüche, die existenzieller Art sind und Religionspädagog/innen in die Verantwortung nehmen. Vom 10. bis 12. September 2012 traf sich, eingeladen von Friedhelm Kraft und wohl das letzte Mal im idyllischen Loc1 F. Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? In: JaBuKi 2 (2003), 9–18.

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Vorwort

cum, ein internationaler Kreis von Angehörigen des Netzwerkes Kindertheologie zur ausdrücklichen Thematik »Theologie für Kinder«. Die dort vorgetragenen und diskutierten Gesichtspunkte sind in diesem JaBuKi zusammengestellt. Vorschau auf die Beiträge

Friedrich Schweitzer eröffnete den Reigen der Vorträge mit seinen differenzierten Ausführungen »Welche Theologie brauchen Kinder?« Theologie für Kinder (aber auch für Jugendliche) sei nicht das Ende der Kindertheologie, keine Rückkehr zu einer katechetischen Theologie, die im Kind primär ein zu belehrendes, defizitäres Wesen sieht, sondern notwendig dafür, dass sich Kinder neue Wirklichkeiten erschließen können, ihr eigenes theologisches Nachdenken unterstützt und weitergeführt wird und sie sich Kompetenzen erwerben können. Als Auswahlkriterium verweist er auf Lebens- und Glaubensrelevanz, was korrelationsdidaktisch ohnehin nicht trennbar ist. Anton Bucher, Salzburg, legte dar, die Frage, wie viel Theologie Kinder bräuchten, lasse sich heuristisch aus zwei Perspektiven angehen, der Theologie und des Kindes. Die erste Perspektive birgt die Gefahr in sich, im Kind wieder den bloßen Adressaten zu sehen, aber auch die, aus theologischen Gründen zu früh zu viel zu wollen. Wichtig seien, neben der Elementarisierung von Inhalten, auch Kriterien für die Vermittlung, wie jene, dass theologisch-biblische Inhalte den Selbstwert von Kindern stärken, nicht unnötige Ängste induzieren, eine grundsätzliche Zuversicht und spirituelle Ver-

bundenheit stärken. Damit beschreibt Bucher allgemein, welche Theologie für Kinder es sein sollte. Mirjam Zimmermann fragte in ihrem Beitrag, wie diese Theologie für Kinder angeboten werden sollte, damit Kinder tatsächlich eigene theologische Argumentationen entwickeln. Sie zeigte zunächst an verschiedenen empirischen Studien, dass so manche Äußerungen der Kinder nicht das Prädikat »theologisieren« verdienen und es sehr häufig schlicht am nötigen »Futter« (z.B. biblischen Grundwissen) fehlt, um kindertheologische Kompetenz zu entfalten. In vier Thesen forderte sie anschließend Grundhaltungen der Lehrenden ein, die die Fragen der Kinder fördern, beständig zur diskursiven Auseinandersetzung anregen und nicht jede beliebige Interpretation zulassen, damit christliche Kindertheologie erkennbar bleibt. »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .« meint eine Schülerin und plädiert damit für geeigneten Input im Religionsunterricht. Wie dieses unverzichtbare Angebot im Sinne der Kindertheologie konkret im Unterricht ausschauen kann, skizzierte Oberthür anhand der Fragen: »Was ist Weisheit?« und »Was ist ein Symbol«, sowie an zwei unterschiedlichen Vorschlägen zur Arbeit an kindlichen Gottesbildern. Oberthür unterstreicht, dass Kinder durchaus mit anspruchsvollen Vorgaben (heraus) gefordert werden können, um ihr »philosophie- und theologienahes Potential« zur Entfaltung zu bringen. Wie dieses kindliche Potential erfolgreich am Thema »Gastsein und Gastfreundschaft« sichtbar wurde, stellte Sylvia Inou vor. Nach einer allgemeinen Verortung der Kindertheologie für den

Vorwort

konkreten Religionsunterricht beschrieb sie das dazugehörige Projekt mit 12jährigen SchülerInnen einer multikulturellen Schule in Wien. Spannend zu lesen, wie nach intensiver Begriffsarbeit zu Gastsein und Gastfreundschaft im Sinne des Philosophierens das Thema durch gezielte Inputs im Sinne einer Theologie für Kinder immer stärker theologisch geweitet wurde und zuletzt in einen Schulschlussgottesdienst für alle in der Schule mündete. Was wohl in einem »Gotteskoffer« stecken mag? Angela Kunze-Beiküfner öffnete ihn an der Netzwerktagung, breitete mögliche Gottessymbole aus, einen Stoffhasen ebenso wie eine Waage oder ein Blatt mit einem großen Fragezeichen. Die entwicklungspsychologisch angemessene Hintergrundsüberlegung: Sinnlich wahrnehmbare Symbole sprechen Kinder an, geben ihnen zu denken und motivieren eher als Begriffe dazu, eigene Gottesvorstellungen zu reflektieren und diese mit den Ansichten anderer in einen Austausch zu bringen (sustained shared thinking). Die anschaulichen Praxisbeispiele gegen Ende des Artikels belegen dies. Wie ist religiöses Lernen und Lehren zu gestalten, das die Subjektorientierung der Kindertheologie ernst nimmt, zugleich aber auch die mit der Offenbarung gegebenen theologischen Ansprüche einlöst? Kurz: wie passen Offenbarungstheologie und Kindertheologie zusammen? Sabine Pemsel-Maier stellte in ihrem Beitrag ausführlich dar, wie beide jeweils zu verstehen seien, damit aus einem scheinbaren Gegensatz ein fruchtbares Ineinandergreifen werden könnte. Silvia Habringer-Hagleitner, Linz, entfaltete ein »spirituell-diakonisches

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Modell für das Zusammenleben in Kindertagesstätten«, das gerade vor dem Hintergrund der in der katholischen Kirche stärker werdenden Forderung nach katechetischer Belehrung enorm wichtig ist. Theologie sei nicht nur verbal zu lehren, sondern primär erfahrbar zu machen, speziell die jesuanische Einstellung Kindern gegenüber durch eine erzieherische Haltung der Achtsamkeit, der Zuwendung und nicht zuletzt der unbedingten, unverdienbaren Liebe. Selbst »Lebenslust«, in der Geschichte der religiösen Erziehung oft misstrauisch beargwöhnt, sei »ein jesuanischer Dienst«. Birgit Sendler-Koschel skizzierte ihre Erfahrungen mit der Kindertheologie zunächst als Gemeindepfarrerin, heute als Leiterin der Bildungsabteilung im Kirchenamt der EKD, und bündelte anschließend die Bedeutung dieser religionspädagogischen Ausrichtung in sieben Thesen, wie z.B. Die Kirche brauche Pluralitätsfähigkeit fördernde religionsdidaktische Ansätze wie die Kindertheologie, wenn sie, ihrem eigenen Anspruch nach, durch religiöse Bildung zur Orientierung beitragen will. Zuletzt benannte sie aber auch die noch offenen Desiderata an diese pädagogische Richtung. Über die Tagungsbeiträge hinaus enthält der vorliegende Band einige weitere einschlägige Beiträge zum Thema: Theologie für Kinder. Gerhard Büttner weiß um die Herausforderung, theologische Gespräche so zu leiten und zu bereichern, dass im Moment und spontan Argumentationslinien erweitert werden. Solche Angebote sind wohl die kunstvollste Art einer Theologie für Kinder! Die einzelne Lehrperson müsste das theologische

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Vorwort

Thema so aufbereiten, dass sie für sich eine orientierende Matrix legen kann, die ihrer eigenen theologischen Vorstellung entspricht und die gleichzeitig aber auch bedenkt, in welchem Verhältnis andere Argumentationslinien zu dem eigenen Modell stehen. Büttner sammelt in Anlehnung an Pascal Boyer zu Themen wie Sünde oder Gottes Sohn Aussagenpools, die dieser Orientierung der Lehrkraft dienen könnten und damit einen flexiblen und verantwortlichen Umgang mit kindlichen Äußerungen in einem Gespräch ermöglichen. Wie wesentlich die eigene theologische Auseinandersetzung der Lehrkraft ist, wird durch das detailliert dokumentierte und analysierte Unterrichtsbeispiel aus dem Mosezyklus von Hanna Roose illustriert – hier wäre es die Auseinandersetzung mit dem Grundverständnis biblischer Erzählungen als Tatsachenberichte oder als fiktive Erzählung. Welche Chancen vergibt die Lehrkraft, indem sie sich letztlich immer wieder auf das Tatsachenmodell stützt? Für manche klassische Themen der Theologie scheint es in aktuellen Lebenswelten wenig Resonanz zu geben, umso wichtiger die gezielte theologische Auseinandersetzung der Lehrkraft damit, um das Angebot einer Theologie für Kinder machen zu können. »Erlösung« etwa sei für Kinder (und Jugendliche) »zumeist kein Thema«, konstatieren Claudia Gärtner und Bernadette Pisarski zu Beginn ihres Beitrages über Erlösung als Thema im Religionsunterricht der Grundschule. Der Text beginnt mit empirischen Skizzen über qualitativ erhobene Erlösungsvorstellungen von Kindern (von einer Arbeit, einem Fluch, einer Krankheit erlöst werden) und stellt diese

sodann in Korrelation zu den christologischen Erlösungskonzepten. Ein anschauliches Praxisbeispiel – mit einem Koffer voll Erlösung im Zentrum – rundet den Beitrag ab. Ist denn das Bußsakrament ein Kinderthema? Katrin Bederna führt mit 9–12jährigen Kindern Gespräche über Schuld und Reue, MenschenbeziehungGottesbeziehung, Versöhnung und schließlich das Bußsakrament im engeren Sinn. Diese Gespräche werden aus theologischer, und religionspädagogischer Sicht analysiert und geben Hinweise für die Praxis. Die eigentlichen theologischen Intensionen der Begriffe werden von den Kindern nicht gesehen; die lebensweltlichen Veränderungen im allgemeinen Schuld- und Bußverständnis werden transparent. Die Autorin nimmt hier eine Theologie für Kinder in den Pfarrgemeinden, im kirchlichen Leben selbst in die Pflicht. Theologie für Kinder wird neben Schule und Pfarrgemeinden aber auch in der Familie gefragt sein. Sie findet sich beispielsweise in Briefen, die niederländische Großeltern ihren Enkelkindern zur Frage: »Welche Rolle spielt der christliche Glaube in Ihrem Leben? Was wünschen Sie Ihren Enkeln im Blick auf ihre eigene religiöse Entwicklung?« schrieben. Die berührenden biografischen Dokumente zeigen, dass Großeltern ihre eigenen Glaubenserfahrungen sehr behutsam anbieten, differenzsensibel und beziehungsorientiert. Nadine Nierop analysiert diese Briefe und bettet die Ergebnisse in die aktuelle wissenschaftliche Diskussion zur Großelternrolle ein. Martin Steinhäuser fokussiert auf die kindliche Spieltätigkeit, die als

Vorwort

Echoraum der Theologie für Kinder verstanden werden könnte, aber auch stärker genützt werden könnte, um die Theologie der Kinder zu erfassen. Kinder spielen, was sie gehört haben und was sie dazu denken. Aus diesen kindlichen Äußerungen könnten Erwachsene wiederum pädagogisch verantwortbare Schlüsse für ein stimmiges Angebot ziehen, denn beide, die Theologie der

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Kinder und die Theologie für Kinder sollten in dynamischer Balance zu einander stehen. Diese Forderung Steinhäusers fasst den Grundtenor der Diskussionen innerhalb der Netzwerktagung in Loccum 2012 wohl treffend zusammen. Das rechte Angebot einer Theologie für Kinder zur rechten Zeit zu machen – ein kleines Kunstwerk! Elisabeth E. Schwarz und Anton A. Bucher

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Friedrich Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder?

Meine Überlegungen im Folgenden beziehen sich, anders als der Titel vermuten lassen kann, auch auf die Jugendtheologie. Insofern könnte der Titel auch »Welche Theologie brauchen Kinder und Jugendliche?« heißen. Die bis vor kurzer Zeit vorherrschende Beschränkung auf die Kindertheologie ist inzwischen aus – wie ich meine – guten Gründen in Frage gestellt worden.1 Zudem ist die Unterscheidung zwischen einer Kinder- und einer Jugendtheologie prinzipiell nicht trennscharf, schon weil die Übergänge zwischen den Lebensaltern fließend sind. Gleichwohl belasse ich es bei der mir gestellten Frage »Welche Theologie brauchen Kinder?«2, mache aber darauf aufmerksam, dass sich zumindest implizit viele meiner Ausführungen in modifizierter Form auch auf die Jugendtheologie anwenden lassen, auch wenn ich dies nicht immer ausdrücklich machen werde. Gefragt wird also nach einer oder sogar nach der Theologie für Kinder, und damit geht es um das vielleicht schwierigste Thema der Kindertheologie. Denn von Anfang an will die Kindertheologie ja von den Kindern ausgehen und insofern nicht von etwas, das den Kindern von Erwachsenen gegeben oder geboten werden soll.3 Gleichwohl besteht weithin Übereinstimmung darüber, dass auch die Kindertheologie nicht ohne Impulse von Erwachsenen auskommen kann,

zumindest nicht so, dass solche Impulse ausnahmslos ausgeschlossen werden könnten. Das ergibt sich schon aus dem Interesse, den Ansatz der Kinder- und Jugendtheologie nicht auf empirischreligionspsychologische Erhebungen zu beschränken, sondern ihn religionsdidaktisch und -pädagogisch fruchtbar zu machen.4 Wenn die Frage nach der 1 Vgl. schon Friedrich Schweitzer, Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern. In: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 57 (2005), 46– 53, ausführlich: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011 und Dies. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, NeukirchenVluyn 2012, vgl. auch Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche, Stuttgart 2012, bes. im Blick auf Ausbildungsfragen Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen, München / Stuttgart 2012. 2 Mein Beitrag geht zurück auf meinen Vortrag beim »Netzwerk Kindertheologie« in Loccum im September 2012. Für die Anregungen aus diesem Arbeitskreis bedanke ich mich ausdrücklich. 3 Vgl. dazu den programmatischen Beitrag von Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma? In: ders. u.a. (Hg.): »Mittendrin ist Gott«. Kinder denken nach über Gott, Leben und Tod. Jahrbuch für Kindertheologie 1, Stuttgart 2002, 9–27. 4 Zu meinem Gesamtverständnis von Kindertheologie sowie zu didaktischen Fragen vgl. Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011.

Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder?

Theologie für Kinder aus den genannten Gründen bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit und Bearbeitung erfahren hat, so ist es gerade deshalb wichtig, dieser Frage nun genauer nachzugehen.5 1. Theologie für Kinder – Stolperstein für die Kindertheologie?

Warum stellt eine Theologie für Kinder für die Kindertheologie eine besondere Herausforderung und Schwierigkeit dar? Eine Antwort auf diese Frage lässt sich beispielsweise anhand des ersten und damit bewusst programmatisch ausgerichteten Bandes des Jahrbuchs für Kindertheologie geben: Den Ausgangspunkt für die Kindertheologie stellte demnach keineswegs eine Theologie für Kinder dar, sondern die Theologie der Kinder, ganz im Sinne der von Kindern selbst hervorgebrachten theologischen Reflexionen. Die weitere Differenzierung im heute gebräuchlichen Sinne – Theologie von, mit und für Kinder – erfolgte erst in einem weiteren Schritt.6 Kindertheologie hat es von Anfang an mit dem Anliegen zu tun, dass die Kinder mit ihrer Theologie Gehör finden sollen. Kinder sollen auch in der Theologie eine eigene Stimme haben! – Genau deshalb stellt sich nun, wenn die Theologie für Kinder zum Ausgangspunkt gemacht werden soll, die Frage, ob das Unternehmen einer Kindertheologie damit nicht von vornherein ad absurdum geführt wird. Läuft es am Ende also doch drauf hinaus, dass Erwachsene Kindern eben etwas geben sollen – diesmal eben Theologie oder Religion? Die zweite Frage, die sich im vorliegenden Zusammenhang einstellt, be-

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zieht sich auf den Sinn einer Theologie für Kinder. Ist Theologie für Kinder überhaupt sinnvoll? Was sollen Kinder mit einer solchen Theologie eigentlich anfangen? – Wer in dieser Weise kritisch fragt, kann sich beispielsweise auf Friedrich Schleiermacher berufen. Für Schleiermacher konnte und sollte der Religionsunterricht mit der Konfirmation enden, denn danach gerate er in die Gefahr, eben doch schon Theologie zu treiben. Und dies, so seine Einschätzung, sei eben bestenfalls für diejenigen sinnvoll, die später einmal professionelle Theologen oder eben Pfarrer werden wollen. Denn »namentlich in den Gymnasien wird die Katechese aufhören, dies zu sein, und statt das religiöse Prinzip zu beleben und zu entwickeln, lehrt man dann schon Theologie. So gewinnt der Religionsunterricht ganz das Ansehen einer Vorübung für den künftigen Beruf; dann müsste er aber auch nur für Theo-

5 Hinweisen möchte ich hierzu und also zum Folgenden insgesamt besonders auf den Beitrag von Sabine Pemsel-Maier, Kindertheologie und theologische Kompetenz: Anstöße zu einer Theologie für Kinder. In: Friedhelm Kraft / Petra Freudenberger-Lötz / Elisabeth E. Schwarz (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht!« Kindertheologie und Kompetenzorientierung, Stuttgart 2011, 69–83, mit dem ich in vieler Hinsicht gerne übereinstimme, auch wenn ich das Thema etwas anders angehen werde. 6 Diese Unterscheidung wurde in meinem Beitrag zum zweiten Band des Jahrbuchs für Kindertheologie eingeführt, vgl. Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? In: Anton A. Bucher, u.a. (Hg.): »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten. Jahrbuch für Kindertheologie 2, Stuttgart 2003, 9–18. Als spätere ausführliche Entfaltung vgl. meine Darstellung: Kindertheologie und Elementarisierung (wie Anm. 4).

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

logen sein und nicht ein allgemeiner«.7 Schleiermachers Position beruht hier natürlich auf einem engen Verständnis von Theologie als einer professionsbezogenen Wissenschaft, die sich nicht als Ausgangspunkt für eine Kinder- und Jugendtheologie eignet.8 Zu beachten ist sie aber insofern doch, als damit auch im vorliegenden Zusammenhang wichtige Grenzen markiert werden: Eine Kinderund Jugendtheologie kann ihr Maß nicht in professionellen Anforderungen finden – oder umgekehrt: Alles, was nur die theologische Berufsausübung betrifft, wäre auch bei einer Theologie für Kinder und Jugendliche nicht sinnvoll. Dass die Einschätzung Schleiermachers nicht nur mit der für seine Zeit charakteristischen Unterscheidung zwischen Theologie und Religion zu tun hat,9 kann man sich auch am Beispiel Martin Luthers deutlich machen. Denn so sehr sich Luther für eine christliche Unterweisung auch schon der Kinder eingesetzt hat, so wenig scheint er dabei an die Theologie zu denken: Der Kleine Katechismus bietet Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Theologie im Sinne von deren Konsequenzen für den persönlichen Glauben, aber eben nicht diese Theologie als Wissenschaft. Zumindest die wissenschaftliche Theologie ist demnach auch bei der Frage nach einer Theologie für Kinder deutlich von der Kindertheologie zu unterscheiden. Wie immer wieder – und auch von mir selbst – betont worden ist, kann es nicht darum gehen, Kindern gleichsam eine »Mini-Theologie«10 zu verabreichen, dann etwa nach dem Modell des Nürnberger Trichters. Andernfalls würde aus der Kinder- und Jugendtheologie eine sog. Abbilddidaktik, wie sie in der All-

gemeinen Didaktik grundsätzlich abgelehnt wird. Selbst ein wissenschaftsorientierter Unterricht kann nicht darin bestehen, wissenschaftliche Disziplinen, wie sie an der Universität betrieben werden, einfach abbilden zu wollen. Ein solcher Ansatz ginge prinzipiell an den Lernmöglichkeiten und -bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler vorbei und würde so jeden Bildungsanspruch von vornherein verfehlen. Wenn wir trotzdem weiter über eine Theologie für Kinder nachdenken wollen und wenn wir in der wissenschaftlichen Theologie noch nicht das Vorbild dafür finden, was sinnvoll als Theologie für Kinder gelten kann, dann stehen wir vor der nächsten – also der dritten – Frage: Welche Theologie ist für Kinder sinnvoll und geeignet? Wendet man sich mit dieser Frage etwa den Jahrbüchern für Kindertheologie zu, so fällt es schwer, darauf eine klare Antwort zu gewinnen. Zumindest auf den ersten Blick ist in diesen Bänden kaum zu erkennen, welche Auswahlkriterien für das gelten sollen, was hier mit Kindern theologisch besprochen und reflektiert wird. Insofern droht der Ein7 Friedrich Schleiermacher, Pädagogische Schriften. Hg. v. Theodor Schulze / Erich Weniger, 2 Bde., Düsseldorf / München 1957, Bd. 1, 339f. 8 Zur weiteren Diskussion vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? (wie Anm. 1). 9 Vgl. dazu Botho Ahlers, Die Unterscheidung von Theologie und Religion. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der praktischen Theologie im 18. Jahrhundert, Gütersloh 1980. 10 Vgl. dazu Friedrich Schweitzer, »Elementarisierung – keine Mini-Theologie!« (Gespräch mit Hans Mendl). In: Kat. Blätter 126 (2001), 85–89.

Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder?

druck einer gewissen Beliebigkeit: Kann und soll einfach alles aus dem Bereich von Religion oder Theologie als Theologie für Kinder eingesetzt werden? Weil damit die Kindertheologie jede Plausibilität verlieren würde, lässt sich der zuerst genannte kritische Einwand an dieser Stelle nun auch umkehren: Die Theologie für Kinder ist nicht das Ende der Kindertheologie, vielmehr gilt: Ohne eine plausible Bestimmung der Theologie für Kinder ist Kindertheologie insgesamt auf Dauer nicht durchzuhalten. Sie braucht eine Antwort dazu, was Theologie für Kinder sein soll, was zu ihr gehört und was nicht. Schließlich aber und nicht an letzter Stelle meine vierte Frage: Was soll Theologie für Kinder in der Praxis bedeuten? Welche didaktischen Möglichkeiten empfehlen sich, wenn Kindern hier etwas angeboten, gegeben oder gar vermittelt werden soll? Und wie kann dies geschehen, wenn dabei die Prinzipien einer Kindertheologie nicht preisgegeben werden dürfen? Schon diese vier Fragen machen deutlich, auf welch schwieriges Terrain wir uns mit der Frage nach der Theologie für Kinder begeben. Manche werden es deshalb vielleicht vorziehen, sich überhaupt auf Distanz zu einer Theologie für Kinder zu halten, eben weil sich andere Dimensionen im Sinne der Theologie von und mit Kindern weit mehr empfehlen. Auch darin liegt aber kein gangbarer Ausweg. Denn die Theologie von Kindern, mit Kindern und für Kinder sind ja nicht drei getrennte Teile, sondern sie stellen unterschiedliche Perspektiven der Kindertheologie dar.11 Insofern ist die Theologie für Kinder bei der Kindertheologie unvermeidlich – sie ist immer schon mit

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im Spiel. Das wird im Folgenden noch mehrfach deutlich werden. 2. »Truth Made Simple« – »Theology for Children«: Rückkehr zu einer katechetischen Theologie?

Bereits 1839 ist in den USA ein Buch erschienen, das im vorliegenden Zusammenhang höchst bemerkenswert ist: »Truth Made Simple«, mit dem Untertitel »Theology for Children«.12 Über den Autor John Todd ist leider nicht viel in Erfahrung zu bringen. Er scheint auch in der englischsprachigen Welt weithin vergessen. Sein Programm – eine ganze Buchreihe – beschreibt John Todd jedenfalls so: »Wenn mein Plan ausgeführt werden kann, dann möchte ich diese Buchreihe [. . .] als ein komplettes System der Theologie gestalten, so klar und einfach, dass Kinder es verstehen können, so schön, dass sie es lesen werden, und so gut, dass es sie gut machen wird«13. Geboten werden in diesem Buch narrativ und dialogisch gestaltete Ansprachen an Kinder zu theologischen Aussagen wie etwa der, dass Gott überall ist. Insofern handelt es sich deutlich um eine katechetische Theologie, die Kindern 11 Vgl. ausführlich Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung (wie Anm. 4), s. auch Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 111ff. 12 John Todd, Truth Made Simple. Being the First Volume of a System of Theology for Children. Character of God (1839), Reprint Milton Keynes 2009. 13 Ebd., 1; meine Übersetzung.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

den christlichen Glauben erzählerisch erschließen will – ich erinnere als Parallelen aus Deutschland beispielsweise an die »Kinderreden« Zinzendorfs aus dem 18. Jahrhundert oder an Johannes Falks »Der allgemeine christliche Glaube« aus dem 19. Jahrhundert14. Die Einschätzung als katechetische Theologie gilt ähnlich für das 140 Jahre später erschienene Buch von William L. Hendricks »A Theology for Children«.15 Dieses später auch ins Deutsche übersetzte Buch wendet sich nicht direkt an Kinder, bietet aber Erwachsenen, die mit Kindern arbeiten wollen, vielfältige Hinweise auf kreative Möglichkeiten, wie theologische Themen Kindern nahegebracht werden können. Unter der Überschrift »Zum Spielen muss man zu dritt sein« beispielsweise wird die Trinitätslehre entfaltet, wobei sich der Autor übrigens sehr gekonnt durchweg an die Spielmetapher zu halten weiß.16 Aber ist dies – jenseits des Buchtitels – wirklich eine Theologie für Kinder? Passender erschiene mir als Titel »Glaube oder Religion für Kinder«. Die genannten Veröffentlichungen zeigen jedenfalls eine Verwandtschaft eher mit einem herkömmlichen Kinder- oder Jugendkatechismus und nur ansatzweise und sehr gelegentlich mit der Kindertheologie. Auch an dieser Stelle tritt ins Bewusstsein, dass die Kindertheologie zumindest in bestimmter Hinsicht eine Art Gegenmodell zur traditionellen Katechetik sein will. Setzt die traditionelle Katechetik darauf, dass den Kindern und Jugendlichen Einsichten gegeben und beigebracht oder vermittelt werden müssen, so legt die Kindertheologie großen Wert auf das eigene Finden, Entdecken, Hervorbringen und Erkennen von Kindern

und Jugendlichen. Zumindest in diesem Sinne darf auch die Theologie für Kinder keine Rückkehr zur Katechetik bedeuten. 3. Warum Theologie für Kinder?

Warum Theologie für Kinder? – Die erste Antwort auf diese Frage ist einfach und klar: Kinder können nicht einfach über nichts theologisch nachdenken. Sie brauchen Gegenstände und Themen. Als ich vor inzwischen etwa zehn Jahren den bis heute viel zitierten Aufsatz »Was ist und wozu Kindertheologie«17 geschrieben habe, in dem die Theologie für Kinder erstmals angesprochen wird, war für mich das kleine Buch »Philosophieren mit Kindern« von Ekkehard Martens sehr hilfreich.18 Martens ist im Blick auf einen vermittlungsorientierten Ansatz insofern unverdächtig, als er bekanntlich die These vertritt, dass Kindern weder

14 Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Sammlung Einiger von dem Ordinario Fratrum während seines Aufenthalts in den Teutschen Gemeinen von Anno 1755 bis 1757 gehaltenen Kinder-Reden, Barby 1758; Johannes Daniel Falk (Hg.), Der allgemeine christliche Glaube mit Chorälen und Kupfern, wie solcher im Lutherhofe zu Weimar mit den Zöglingen der Freunde in der Noth gesungen und volksmäßig durchsprochen wird, zum Ausbau des von den Kindern selbst schon bald vollendeten Betund Schulhauses, Weimar 1827. 15 William L. Hendricks, A Theology for Children, Nashville 1980 (dt.: Theologie für Kinder. Wie man mit Kindern über Gott spricht, Marburg 1985). 16 Vgl. ebd., 123ff. 17 Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? (wie Anm. 6). 18 Ekkehard Martens, Philosophieren mit Kindern. Eine Einführung in die Philosophie, Stuttgart 1999.

Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder?

die Philosophiegeschichte noch die Entwürfe großer Philosophen nahegebracht werden sollen, sondern dass Kinder das Philosophieren als eine Kulturtechnik erlernen sollen.19 Trotz dieser Orientierung an einer Kulturtechnik des Philosophierens enthält sein Buch über das »Philosophieren mit Kindern« am Ende aber ein Kapitel mit dem Titel »Aufklärung«, das Anstöße zu einer Art Philosophie für Kinder bietet. Die ersten beiden Abschnitte darin beziehen sich auf François Lyotard und dessen Buch »Postmoderne für Kinder« einerseits und andererseits auf Walter Benjamin und dessen Rundfunkvorträge »Aufklärung für Kinder«. Von Benjamin übernimmt Martens das Beispiel der Hexenprozesse und beschreibt, wie Benjamin die Kinder als Gesprächspartner einbezieht: »Zum ersten Mal habt ihr bei Hänsel und Gretel von Hexen gehört. Und was habt ihr euch dabei gedacht? Eine böse, gefährliche Waldfrau, die alleine vor sich hinlebt und der man besser nicht in die Arme läuft. Sicher habt ihr euch nicht den Kopf zerbrochen, wie die Hexe zu dem Teufel oder dem lieben Gott steht, woher sie kommt, was sie tut und was sie nicht tut«20. Besonders interessiert ist Benjamin an den »Beweisen für das Dasein der Hexen«. Er legt den Kindern das Folgende Beispiel aus dem Jahr 1660 vor: »Wer das Dasein von Hexen leugnet, der leugnet auch das Dasein von Geistern, denn Hexen sind Geister. Wer aber das Dasein von Geistern leugnet, der leugnet auch das Dasein von Gott, denn Gott ist ein Geist. Also leugnet, wer Hexen leugnet, auch Gott«. Martens zeigt dann den logischen Fehler dieser Argumentation auf: Zwar

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seien »alle Hexen Geister, aber nicht alle Geister sind Hexen«21. Solche Überlegungen rufen die Frage hervor, ob es nicht auch so etwas wie eine »theologische Aufklärung« für Kinder geben könnte – also eine Theologie für Kinder im Dienste einer Aufklärung in theologischer Absicht, beispielsweise im Blick auf »dämonische Gottesbilder«, die mit biblischen Gottesvorstellungen konfrontiert werden22. Auch unabhängig von so weitreichenden Erwartungen gilt auf jeden Fall, dass Kindertheologie keinen erwachsenenfreien Bereich darstellt. Ein Großteil der bislang dokumentierten kindertheologischen Gespräche kommt aus der Begegnung zwischen Kindern und Erwachsenen, weshalb auch die Theologie der Erwachsenen unvermeidlich immer schon mit im Spiel ist. Und weil sich dann fragt, welche Theologie von Erwachsenen mitbestimmend ist oder sein soll, ist auch die Frage nach der Theologie für Kinder unerlässlich. Auch dazu ein Beispiel. Es stammt von dem englischen Religionspädagogen John Hull und stellt in meiner Sicht den frühen Prototyp eines kindertheologischen Gesprächs dar, in das sich die Theologie dieses Erwachsenen eindrängt:

19 Vgl. Ekkehard Martens, Methodik des Ethikund Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Hannover 2003. 20 Ekkehard Martens, Philosophieren mit Kindern (wie Anm. 18), 175. 21 Ebd., 176. 22 Vgl. Karl Frielingsdorf, Dämonische Gottes­ bilder. Ihre Entstehung, Entlarvung und Über­windung, Mainz 32001.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

»Kind (3 Jahre, 10 Monate): Wer gewinnt alle Kämpfe? Vater / Mutter: Keiner gewinnt alle Kämpfe, manche gewinnt man, andere verliert man. Kind: Gott gewinnt alle Kämpfe. Vater / Mutter: Naja (zögernd), am Ende vielleicht, aber bis dahin verliert sogar er manche. Kind: Wie kämpft Gott eigentlich? Er ist doch oben im Himmel. Vater / Mutter: Vielleicht kämpft er, indem er Menschen hilft. (Pause) Wenn Gott im Himmel ist, warum fällt er dann nicht herunter?«23

An dieser Stelle, so ist deutlich, nimmt das Gespräch eine entscheidende Wendung. Nicht mehr das Kind fragt den Vater, der dann, als Religionspädagoge – nach kindgemäßen und zugleich theologisch verantwortbaren Antworten sucht. Vielmehr fragt nun der Vater das Kind: »Wenn Gott im Himmel ist, warum fällt er dann nicht herunter?« »Kind: (lacht) Weil er zaubern kann. (Pause) Und weil er . . . in einer kleinen Hütte wohnt. Vater / Mutter: Und warum fällt die kleine Hütte nicht herunter? Kind: (lacht vergnügt) Weil sie in den Wolken ist (Pause) Und weil Gott macht, dass sie nicht runterfällt (Pause; es saugt geräuschvoll am Finger), weil Gott hat nämlich seine Diener, und die machen, dass sie nicht runterfällt (Pause). Sie steht auf Ziegelsteinen. (mit wachsender Sicherheit und sehr viel lebhafter) Auf großen, dicken, schweren Ziegelsteinen. Die halten sie fest. Vater / Mutter: Wirklich? Auf den Wolken? Kind: Nein. Dort, auf der Erde. Vater / Mutter: Aber hast du nicht gesagt, Gottes Hütte ist in den Wolken? Kind: Naja, reichen tut sie (betont) hoch bis in die Wolken, aber sie steht auf der Erde. Ja,

(mit wachsendem Selbstvertrauen) sie fängt auf der Erde an, aber sie geht hoch bis in die Wolken.«

In diesem Falle befinden wir uns in der glücklichen Lage, dass der Vater, von dem hier die Rede ist, also der Religionspädagoge John Hull, auch seine eigene Wahrnehmung der Theologie dieses Kindes dokumentiert. Dabei tritt auch seine theologische Position, die sein Nachfragen steuert, deutlich hervor: »Als dem Kind die Unangemessenheit des einen Bildes bewusst gemacht wird, wartet es mit einer ganzen Reihe neuer Bilder auf, die zunehmend ausgeklügelter und detaillierter werden. Den Selbstwiderspruch löst es, indem es die Funktion der Wolken in ein neues Bild kleidet. Das Problem besteht darin, dass das Kind keine angemessene Mittlerinstanz zwischen Gott und der Welt ausmachen kann.«

Aus meiner Sicht wäre hier gegen John Hull, aber mit einer Theologie der Kinder hervorzuheben, dass die von diesem Kind gefundene Lösung durchaus angemessen ist. Dem Kind »fehlt« nicht einfach etwas, sondern dem Erwachsenen fällt es hier schwer, sich wirklich auf die Denkweise des Kindes einzustellen. In diesem Falle ging das theologische Gespräch von einer Frage des Kindes aus. In der Praxis der Kindertheologie finden sich hingegen zahlreiche Beispiele, bei denen die erwachsenen Gesprächspartner weit stärker eingreifen. Sie legen Kindern Bibeltexte vor, sie präsentieren Geschichten, sie stellen Aufgaben oder 23 Zitate hier und im Folgenden aus John M. Hull, Wie Kinder über Gott reden. Ein Ratgeber für Eltern und Erziehende; Gütersloh 1997, 37f.

Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder?

arrangieren Erlebnisse und Erfahrungen für die Kinder. Und wie nicht zu verkennen ist, sind es immer wieder spezielle Aufmerksamkeitsrichtungen von Erwachsenen, durch welche die Gespräche mit den Kindern gelenkt werden, nicht zuletzt auch durch eine bestimmte Fragetechnik (wonach wird gefragt, wonach nicht?). Insofern belegen diese Beispiele aus der Praxis, dass es schon faktisch ohne eine Theologie für Kinder kaum gehen kann. Hinter solchen Beobachtungen zur Praxis der Kindertheologie liegen jedoch noch weiterreichende Begründungen, die für eine Theologie für Kinder angeführt werden können. Auch dabei erinnere ich noch einmal an Friedrich Schleiermacher, nun allerdings an eine andere bei ihm zu findende Argumentation. Gemeint ist seine kritische Unterscheidung zwischen einem christlichen Unterricht, der sich mit dem Glauben befasst, und einer philosophisch-sokratischen Didaktik. Hier hebt Schleiermacher die prinzipielle Notwendigkeit einer Theologie für Kinder hervor (auch wenn er es selbst nicht so nennt). Denn beim christlichen Glauben gehe es anders als in der Philosophie eben nicht nur um Einsichten, welche Kinder von selber finden können. Es geht, wie Schleiermacher aus heutiger Sicht etwas missverständlich formuliert, um »Tatsachen« – beispielsweise also darum, dass Gott seinen Sohn in die Welt schickt.24 Insofern ist eine Kindertheologie im Unterschied zur Kinderphilosophie geradezu wesensmäßig darauf angewiesen, dass Kindern etwas gegeben wird und dass sie etwas erfahren, was sie zuvor nicht kannten und worauf sie durch bloßes Nachdenken auch nicht kommen können.

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Damit sind wir zugleich bei einer letzten Begründung für eine Theologie für Kinder, die sich besonders auf Bildung und Lernen und speziell auf den Religionsunterricht bezieht. Religionspädagogische Angebote sind nur dann plausibel, wenn sie Kindern und Jugendlichen Lernmöglichkeiten erschließen, die ihnen sonst nicht offen stehen würden. Natürlich könnte man hier argumentieren, dass es beim Religionsunterricht – wieder in Anspielung auf Ekkehard Martens – allein um Theologie als Kulturtechnik gehe, aber diese Antwort wäre doch kaum plausibel. Ein Religionsunterricht ohne Inhalte ist sinnvoll nicht denkbar. Der Unterricht muss auch inhaltlich etwas zu bieten haben. Deshalb gilt: Je mehr Einfluss die Kindertheologie auf den Religionsunterricht nehmen will, desto stärker sieht sie sich auch mit den Inhalten – oder eben mit der Aufgabe einer Theologie für Kinder und Jugendliche – konfrontiert. Damit aber stehen wir nun endgültig vor der Frage: 4. Welche Theologie für Kinder? – Kriterien und Beispiele

Wie die Überschrift zu diesem Abschnitt bereits andeutet, will ich hier nicht versuchen, die Frage »Welche Theologie für Kinder?« material zu beantworten. Ich werde also keinen kindertheologischen Bildungsplan vorlegen. Stattdessen gehe ich von der Frage nach Kriterien für eine

24 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Die praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, hg. v. Jacob Frerichs, Berlin 1850, 371.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Auswahl aus und versuche, diese Kriterien anhand von Beispielen weiter zu klären. Ein entsprechender Bildungsplan wäre ein viel weiterreichendes Projekt, das allerdings auf längere Sicht durchaus sinnvoll wäre. Bislang fehlen dafür aber noch die notwendigen Vorarbeiten. Meine Überlegungen können als ein erster Schritt in diese Richtung verstanden werden. Mehr sollen sie allerdings auch nicht sein. 4.1 Religion für Kinder – Theologie für Kinder

Ein erstes Kriterium ergibt sich daraus, dass zwischen einer »Religion für Kinder« und einer »Theologie für Kinder« ein Unterschied bestehen muss. Wenn dies nicht der Fall wäre, wäre es sinnlos, überhaupt nach einer Theologie für Kinder zu fragen. Die Rede von »Religion für Kinder« lässt zunächst an traditionelle Formen wie die bereits angesprochene katechetische Theologie denken, die ja nichts anderes will, als Kindern eine Religion, nämlich den christlichen Glauben zu erschließen. In neuerer Zeit legt sich darüber hinaus auch der Bezug auf Ansätze nahe, die Kindern »Religion zeigen« wollen. In diesem Falle geht es darum, Kindern Erfahrungen mit Religion und insbesondere mit religiösen Bezügen, vor allem auch in performativer Weise, in der Gestalt einer »Als-Ob-Teilnahme«, zugänglich zu machen. Im Zentrum steht dann nicht die reflexive Distanz, sondern das »religiöse Reden« selbst, eben im Unterschied zum »Reden über Religion«, das allerdings auch seinen Platz haben soll.25

Auch wenn Theologie besonders in der Gestalt einer Laientheologie sich m.E. nicht angemessen mit Hilfe der Differenz zwischen »religiösem Reden« einerseits und »Reden über Religion« andererseits fassen lässt, eben weil theologische Reflexion selbst eine Gestalt gelebter Religion sein kann, ist die Unterscheidung zwischen Religion und Theologie für Kinder doch hilfreich. Theologie für Kinder zielt nicht primär auf Erlebnisse, Erfahrungen oder probeweise Teilnahme an religiösen Vollzügen, sondern eben auf das Nachdenken über solche Erfahrungen, Vorstellungen und religiöse Ausdrucksformen. Dies lässt sich dann auch so aufnehmen, dass es bei einer Theologie für Kinder darum geht, von anderen bereits geleistete theologische Reflexionen als Impulse und Einsichten anzubieten, die sich Kinder und Jugendliche – zumindest möglicherweise – zu eigen machen können. Im Horizont einer Kinder- und Jugendtheologie ist dies freilich nur solange legitim, als ein zweites Kriterium Berücksichtigung findet – sonst wird aus der Kindertheologie doch genau die »MiniTheologie«, die oben abgelehnt wurde: 4.2 Theologie für Kinder muss eigenes theologisches Nachdenken unterstützen und weiterführen

Sofern eine Theologie für Kinder das eigene theologische Nachdenken von Kindern und Jugendlichen ersetzen, eben überflüssig machen könnte oder sollte, 25 Vgl. grundlegend Bernhard Dressler, Unterscheidungen. Religion und Bildung, Leipzig 2006.

Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder?

weil Einsichten anderer einfach übernommen werden, wäre dies in der Tat das Ende der Kinder- und Jugendtheologie. Denn diese zielt ja eben darauf, das theologische Nachdenken anzuregen. Insofern begegnen wir hier einem grundlegend kritischen Kriterium: Nur eine solche Theologie für Kinder ist angemessen, die das eigene theologische Nachdenken unterstützt. Bewusst füge ich freilich hinzu, dass diese Unterstützung auch den Aspekt der Weiterführung einschließen muss. Ohne Berücksichtigung dieses Aspekts bliebe die Kinder- und Jugendtheologie hinter allen Ansprüchen einer Religionsdidaktik zurück, die immer ein Lernen – also ein Weiterlernen oder eben Lernfortschritte über bereits Erreichtes oder Erkanntes hinaus – ermöglichen will. Zur Verdeutlichung wähle ich ein Beispiel, das für Religionsunterricht und Religionsdidaktik zentral ist und deshalb auch bereits vielfach religionspädagogische Aufmerksamkeit gefunden hat. Gemeint ist der Umgang mit biblischen Gleichnissen, im vorliegenden Falle mit dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. In unserer Untersuchung zur Elementarisierung im Religionsunterricht traten die Deutungen der Schülerinnen und Schüler vor allem in Klasse 5/6 deutlich hervor. Heute würde man wohl davon sprechen, dass sich die Kinder als Exegeten erweisen26: Die Schülerinnen und Schüler in der beobachteten Stunde (Klasse 5/6, Klasse 10) rezipierten das Gleichnis auf ihre eigene Art und Weise. Ihnen liegt daran, dass die beschriebene Ungleichbehandlung – keine Bemessung der Entlohnung gemäß der erbrachten Arbeitsleistung –

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nur scheinbar ist, während sich die Geschichte, schaut man nur genauer hin, eigentlich ganz anders verhalten habe. Denn vermutlich hätten diejenigen, die später gekommen waren, deshalb den gleichen Lohn erhalten, weil sie etwa »ohne zu murren« an die Arbeit gegangen seien oder weil sie trotz der bei der späten Anstellung nur noch kleinen bis zum Abend verbleibenden Zeitspanne gleichwohl bereit waren, noch in den Weinberg zu kommen. Andere vermuteten verstärkten Einsatz oder besondere Expertise bei den später Gekommenen. Wieder andere gingen davon aus, dass das Gleichnis auf einen Ausgleich am Folgetag ziele, so dass dann die an Tag 1 spät Gekommenen eben an Tag 2 entsprechend früher kommen. Alle diese Deutungen zielen erkennbar darauf ab, dass das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit nicht verletzt wird. Dabei handelt es sich offenbar um eine Theologie von Kindern – eine theologische Auffassung, welche die Gleichnisauslegung der Schülerinnen und Schüler wirksam steuert. Auf der Lehrerseite waren demgegenüber Ansätze einer Theologie für Kinder zu beobachten. Diese bestanden darin, dass häufig am Ende der Stunde, oft noch in den allerletzten Minuten, versucht wurde, eine »theologisch korrekte«, also der wissenschaftlichen Exegese entsprechende Auslegung ein- und unterzubringen.

26 Vgl. Anton A. Bucher u.a. (Hg.): »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten (wie Anm. 6). Im Folgenden übernehme ich, leicht verändert, einige Passagen aus F. Schweitzer u.a, Religionsunterricht und Entwicklungspsychologie. Elementarisierung in der Praxis, Gütersloh 21997, 45f.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Diese Interpretation fiel freilich in den wenigsten Fällen so aus, dass die Kinder wirklich etwas damit hätten anfangen können. Stattdessen stand die Lehrerdeutung der Auslegung durch die Kinder einfach fremd gegenüber und blieb wohl in den meisten Fällen äußerlich. Als These formuliere ich zu diesem zweiten Kriterium: Eine Theologie für Kinder besitzt ihr Maß in der Anschlussfähigkeit an die Theologie der Kinder und an die Theologie mit Kindern. Ihr Potential, diese beiden anderen Perspektiven der Kinder- und Jugendtheologie zu unterstützen, muss jeweils eigens nachgewiesen werden. Dies lässt sich in einem weiteren Kriterium noch einmal anders wenden: 4.3 Theologie für Kinder muss dem Kompetenzerwerb dienen

In unserem Buch »Brauchen Jugendliche Theologie?« haben wir eine dreifache Zuordnung von Kompetenzen zur Jugendtheologie vorgeschlagen: – Deutungs- und Urteilskompetenz – Theologie der Jugendlichen – Kommunikations- und Partizipationskompetenz – Theologie mit Jugendlichen – Theologische Erkenntnisse erschließen – Theologie für Jugendliche Darüber hinaus formulieren wir dort in umgekehrter Perspektive Anforderungen an Kompetenzen und Standards, im Sinne eines dreifachen Kriteriums: – Kompetenzen müssen subjektbezogen so formuliert sein, dass sie Raum für eine individuelle und persönliche Aneignung lassen.

– Kompetenzen müssen lebensweltbezogen so formuliert sein, dass sie eine Verbindung zwischen Kompetenzerwerb und Lebenslagen, Lebenssituationen oder Lebensführung unterstützen. – Kompetenzen müssen entwicklungsbezogen so formuliert sein, dass sie auf unterschiedliche Aspekte, Dimensionen, Komplexitätsniveaus sowie domänenspezifische Voraussetzungen in der (religiösen) Entwicklung Jugendlicher eingehen können.27 Im Blick auf die geforderte Unterstützung des Kompetenzerwerbs bedeutet dies für eine Theologie für Kinder, dass sie das theologische Nachdenken und Kommunizieren von Kindern und Jugendlichen dadurch fördern muss, dass sie ihnen gezielt eben dafür Hilfen bietet. Am Beispiel des Verhältnisses zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie lässt sich dies verdeutlichen.28 Hier kann Kindern und Jugendlichen erstens deutlich gemacht werden, dass man als Christ keineswegs etwas dem Verstand Widersprechendes wie die Entstehung der Welt in wortwörtlich genommenen sieben Tagen glauben muss. Zweitens kann es das theologische Nachdenken von Kindern und Jugendlichen fördern, wenn ihnen zeitgenössische exe­ getische Interpretationen etwa von Gen 1

27 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? (wie Anm. 1), 145. 28 Vgl. dazu auch Friedrich Schweitzer, Schöpfungsglaube – nur für Kinder? Zum Streit zwischen Schöpfungsglaube, Evolutionstheorie und Kreationismus, Neukirchen-Vluyn 2012.

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zugänglich gemacht werden – dass diese Erzählung beispielsweise kein historischer Bericht sein soll, sondern dass sie eine Schöpfungs- oder Lebensordnung beschreibt. Eine dritte Möglichkeit liegt in der Erschließung der vor allem von Martin Rothgangel beschriebenen wissenschaftstheoretischen Zuordnungsmodelle von Schöpfung und Evolution, natürlich in einer kindgemäßen Gestalt (worin eine eigene Herausforderung liegt, auf die ich hier nicht weiter eingehe).29 Auch bei solchen Beispielen muss aber bewusst bleiben, dass die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen nicht schon dadurch unterstützt werden, dass ihnen gleichsam theologische Fertigprodukte vermittelt werden. Stattdessen sollen Kinder selbst fähig werden, sich entsprechende Informationen zu beschaffen und sich in reflektierter Form Einsichten zu erschließen. Als These formuliert: Theologie für Kinder muss den Kompetenzerwerb bei Kindern und Jugendlichen unterstützen. Alle drei bislang genannten Kriterien bieten aber noch keine zureichende Antwort auf die Frage nach der Auswahl theologischer Inhalte oder Themen. Deshalb: 4.4 Lebens- und Glaubensrelevanz als Auswahlkriterium

Wie ich bereits in der Vergangenheit mehrfach kritisch bemerkt habe, steht die Kindertheologie immer wieder in der Versuchung, die Offenheit und Reflexionsbereitschaft von Kindern bei einem bestimmten theologischen Thema zum Ausschlag gebenden Kriterium zu

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machen. Angesichts der wiederholt beobachteten und hervorgehobenen Bereitschaft von Kindern, sich auf fast alle theologischen Gespräche einzulassen, führt dies leicht zu einer Beliebigkeit bei der Auswahl von Inhalten. Folge wäre dann eine Belanglosigkeit der Kinderund Jugendtheologie – im besten Falle vergleichbar mit einer Spielerei, die im Vollzug Spaß macht, aus der sich aber weiter nichts ergibt. Auch wenn man das Spielen religionspädagogisch durchaus hochschätzen kann und hochschätzen sollte,30 bleibt die Relevanzfrage gestellt. Dass theologische Fragen auch schon für Kinder – sogar im Kindergarten – höchst relevant sein können, zeigt etwa folgendes Gespräch aus unserer Studie »Wie viele Götter sind im Himmel?«31 Es handelt sich um ein Gespräch, in dem Edvin (chr.) und Ebru (musl.) miteinander über den Namen Gottes sprechen und dabei diskutieren, ob sich dahinter der gleiche Gott verbirgt (IW64): Eb: Allah. Allah ist Gott. Allah ist von türkisch Gott. I: Mhm, und ist das ein anderer als der Gott von den anderen oder ist das der gleiche? Ed: Ja, der ist anderer. Eb: Gleiche! Ed: Aber der ist trotzdem anders. 29 Vgl. Martin Rothgangel, Naturwissenschaft und Theologie. Wissenschaftstheoretische Gesichtspunkte im Horizont religionspädagogischer Überlegungen, Göttingen 1999. 30 Vgl. als grundlegende Studie dazu Oliver Kliss, Das Spiel als bildungstheoretische Dimension der Religionspädagogik, Göttingen 2009. 31 Aus Anke Edelbrock / Friedrich Schweitzer / Albert Biesinger (Hg.), Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter, Münster 2010, 167.

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I: Der ist anders? Ed: Ja! Eb: Gleiche! Die sind gleich! Ed: Anderer! Eb: Doch! I: Sind / sind das zwei verschiedene? Ed: Nein. Eb: Ja, bei [ringt nach Worten] aber nur einen gibt’s. Nur einen, sonst nichts.

Diese Sequenz lässt deutlich erkennen, dass die Kinder hier an die Grenzen ihrer theologischen Argumentationsfähigkeit gelangen. Deshalb geht das Gespräch immer mehr von der Argumentation zur bloßen Selbstbehauptung über: Doch – Nein – Ja! Und am Ende schließlich: »sonst nichts«! Offenbar geht es hier – und darauf kommt es mir im vorliegenden Zusammenhang an – um eine für diese Kinder lebens- und glaubensrelevante Frage. Eine Theologie für Kinder müsste ihnen dabei helfen, ihren Streit mit weiteren Argumenten auszutragen und ihre Fragen weiter zu klären. Dafür gäbe es durchaus Möglichkeiten, die an dieser Stelle aber nicht mehr weiter ausgeführt werden können. Ich kehre zurück zu meinem Versuch, allgemeine Kriterien zu formulieren, und fasse das entsprechende Kriterium bewusst mit zwei Begriffen – Lebensrelevanz und Glaubensrelevanz. Auf diese Weise soll kenntlich gemacht werden, dass es im Blick auf die Auswahl von theologischen Inhalten nicht um eine vordergründige Lebensrelevanz gehen kann. Den Kindern sollte aber deutlich werden, in welchem Sinne ein Stück Theologie etwas für ihre eigenen Glaubensfragen bedeutet.

4.5 Bildungstheoretisch begründete Auswahlentscheidungen

Letztlich lässt sich die Frage, welche Theologie für die Arbeit mit Kindern wichtig ist, nur bildungstheoretisch beantworten. Jedenfalls trifft dies solange zu, als wir Kinder- und Jugendtheologie in einem pädagogischen Sinne verstehen wollen. Denn hier gilt durchweg die bildungstheoretische Anforderung, dass alle Inhalte zur Bildung des Subjekts beitragen müssen. Eine Theorie religiöser Bildung, die auf breite Anerkennung hoffen könnte und die sich dazu eignen würde, dass sich die Kinder- und Jugendtheologie daran orientiert, steht uns allerdings heute nicht zur Verfügung. Deshalb gehe ich an dieser Stelle zu einem Ausblick über. Ich erinnere noch einmal an die drei Bestimmungskategorien, die Wolfgang Klafki für das Bildungsverständnis vorschlägt: das Fundamentale, das Exemplarische und das Elementare.32 Auch wenn das genauere Verständnis dieser drei Begriffe sich immer wieder als schwierig und strittig erwiesen hat, lassen sich diese Begriffe doch in einer Weise auslegen, die auch für den vorliegenden Zusammenhang einer Theologie für Kinder hilfreich ist. Mit der Frage des Fundamentalen verbindet sich die Begründung und Bestimmung der religiösen Bildung als einer besonderen Dimension von Bildung insgesamt. In einer uns nicht mehr ohne weiteres zugänglichen Begrifflichkeit 32 Grundlegend dargestellt bei Wolfgang Klafki, Das pädagogische Problem des Elementaren und die Theorie der kategorialen Bildung, Weinheim 21963.

Schweitzer Welche Theologie brauchen Kinder?

spricht Klafki hier von »Grunderfahrun­ gen, die eine Dimension einer geistigen Wirklichkeit als solche konstituieren«33. Wir würden hier wohl eher von der Identifikation eines bestimmten Weltzuganges sprechen – etwa im Sinne von Friedrich Schleiermachers Unterscheidung zwischen Religion, Moral und Metaphysik, die anzeigen soll, dass Religion nicht auf andere Weltzugänge reduziert werden kann. In der Gegenwart entspricht dem die von Jürgen Baumert formulierte Frage nach den »Modi der Weltbegegnung«, nach den »unterschiedlichen Formen der Rationalität« oder den »Horizonten des Weltverstehens«.34 Religion wird von Baumert bekanntlich unter die Überschrift »Probleme konstitutiver Rationalität« gestellt – im Unterschied zu »kognitiv-instrumentellen«, »ästhetischexpressiven« sowie »normativ-evaluativen« Formen der Weltbegegnung.35 Aus meiner Sicht muss die von Baumert gebotene Begründung in unserem Kontext durch eine theologische Qualifikation des Fundamentalen ergänzt werden. Zumindest nach reformatorischem Verständnis geht es um den Glauben an den Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Damit verbunden ist die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch sowie die zwischen den Werken Gottes und den Werken des Menschen. Religiöse Bildung in diesem Sinne bedeutet den Bezug auf dieses Gottes- und Menschenverständnis. Dies ist der Ausgangspunkt einer christlichen Bildungstheorie – das Fundamentale christlicher Bildung. Das Prinzip des Exemplarischen verweist hingegen auf das Problem der stets begrenzten Zeit, das sich auch der Kinder- und Jugendtheologie stellt, beson-

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ders im Bereich des Religionsunterrichts. Während sich Religion und christlicher Glaube prinzipiell in der gesamten Vielfalt ihrer Entfaltungen in Geschichte und Gegenwart erschließen lassen, können im Zusammenhang von Bildung oder Schule immer nur ausgewählte Aspekte oder Inhalte berücksichtigt werden. Damit dies möglichst effektiv geschieht, müssen die Inhalte naheliegender Weise so ausgewählt werden, dass sich in der Auseinandersetzung mit ihnen möglichst viel lernen lässt – in möglichst kurzer Zeit. Insofern sind sie so auszuwählen, dass sie in jedem Falle beispielhaft für eine ganze Gruppe oder Klasse von Inhalten stehen können. Auch wenn dies im Bereich der religiösen Bildung nur bedingt möglich ist, lässt sich das Prinzip des Exemplarischen doch auch hier sinnvoll anwenden. Die Frage nach dem Elementaren schließlich ist bei Klafki in besonderer Weise mit dem Kriterium der Zugänglichkeit verbunden. Anders formuliert, kann ein Inhalt sich zwar als exemplarisch empfehlen, beispielsweise unter exegetischen Aspekten, aber er kann bildungstheoretisch doch deshalb weniger bedeutsam sein, weil es ihm an der entsprechenden Zugänglichkeit für Kinder oder Jugendliche mangelt. In der Religionsdidaktik verweist dies auf die Aufgabe der Elementarisierung, weshalb ich für eine Verbindung von Kindertheologie und Elementarisierung plädiere.36 Eine 33 Ebd., 123. 34 Vgl. Jürgen Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich. In: Nelson Killius (Hg.), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt a.M. 2002, 100–150, 106f. 35 Vgl. ebd., 113. 36 Vgl. Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung (wie Anm. 4).

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Theologie für Kinder muss demnach in dem Sinne elementar sein, dass sie eine elementarisierende Erschließung zulässt. Daraus ergibt sich als abschließende These: Eine Theologie für Kinder muss in einem bildungstheoretischen Horizont ausgewiesen und verantwortet sein. Deshalb muss sie den Kriterien des Fundamentalen, des Exemplarischen und des Elementaren gerecht werden.

Diese formalen Bestimmungen inhaltlich einzulösen – darin sehe ich eine zentrale Herausforderungen für eine Kinder- und Jugendtheologie, die bis hinein in Lehr- oder Bildungspläne Relevanz gewinnen will. Dies zu erreichen erscheint mir als eine ebenso schwierige wie lohnende Aufgabe.

Bucher Wie viel und was für Theologie braucht das Kind?

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Anton A. Bucher Wie viel und was für Theologie braucht das Kind?

Kinder als Theologen zu würdigen, könnte das Missverständnis erzeugen, darin zurückhaltend zu werden, ihnen Inhalte der biblisch-christlichen Tradition oder aus anderen Religionen anzubieten und zu vermitteln. Dem ist entgegenzuhalten, dass Kinder uns Erwachsene nur dann mit theologisch gehaltvollen Aussagen überraschen, gelegentlich erheitern oder nachdenklich stimmen können, wenn sie zuvor entsprechender theologischer Semantik begegnet sind. Die Frage, ob man im Himmel ein Bett brauchen werde, setzt voraus, den Begriff »Himmel« angeeignet zu haben, was Kinder freilich auf ihre Weise tun.1 Eine Theologie der Kinder ist demnach nicht möglich ohne eine vorausgegangene Theologie für Kinder bzw. mit ihnen.2 Die Frage, wie viel Theologie Kinder brauchen, lässt sich aus zwei Perspektiven angehen: Erstens: Aus der Perspektive der Theologie bzw. der Kirchen, die darüber reflektieren, welche heiligen Texte Kindern zu vermitteln sind, welche Glaubenswahrheiten und Dogmen, zu welchen Einstellungen sie anzuhalten sind etc. In dieser Denkrichtung mag jeweils auch gefragt werden, was Kinder schon zu begreifen vermögen, was ihnen zugemutet werden kann, etwa an kognitiver Komplexität: Gleichnisse schon in der Grundschule als Gleichnisse?3 Die letztliche Intention ist, einen theologischen

Korpus zu tradieren bzw. zu bewahren, und dies traditionell mit der Begründung, so zum Seelenheil der nachrückenden Generation beizutragen. Dies erinnert unweigerlich an das Konzept der »Meme«, wie es Richard Dawkins4 popularisiert hat: Solche sind Ideen und Überzeugungen, die sich, wie die biologischen Gene, von Generation zu Generation zu erhalten trachten. Genau gleich, wie körperliche Organismen Vehikel dafür sind, um die Gene weiterzutragen, sind die zu unterweisenden Generationen Mittel dafür, damit Meme (Kultur, Religion, Ideologien etc.) überdauern. Meme können eine enorme Resistenz entwickeln, die starke Reaktanz auslöst, wenn sie kritisiert oder in Frage gestellt werden. Das einprägsamste Beispiel ist der Dogmatismus, der es nicht zulässt, einen einmal abgesegneten Glaubenssatz wieder zu verändern – tausende angeblich Ungläubige büßten, in der Inquisition, dafür mit ihrem Leben. 1 Reto Luzius Fetz / Karl Helmut Reich / Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart 2001. 2 Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? In.: JaBuKi 2 (2003), 9–18. 3 Peter Müller u.a., Die Gleichnisse Jesu. Ein Studien- und Arbeitsbuch für den Unterricht, Stuttgart 2002. 4 Richard Dawkins, Das egoistische Gen. Jubiläumsausgabe, Heidelberg 2007.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Zweitens: Die Frage, wie viel Theologie das Kind braucht, lässt sich aber auch primär aus der Perspektive des Kindes reflektieren. Von welchen theologischen Inhalten kann angenommen werden, sein Befinden zu verbessern und Entwicklung zu fördern? Auch die Aussage des katholischen Jugendkatechismus, am Tod Jesu seien alle Sünder mitschuldig, auch Kinder?5 Wie assimilieren Kinder solche Sätze? Welche können ihnen im Leben hilfreich sein etc.? Diese Denkrichtung ist unbestritten eine neuere Errungenschaft. In der denk-würdigen Schrift »Aufwachsen in schwieriger Zeit« der EKD (Evangelische Kirche Deutschland) aus dem Jahre 1994 wird konstatiert: »Bis heute gibt es in Gesellschaft und Kirche keine Tradition, das den Kindern eigene Verständnis von Leben und Welt . . . zu erfragen oder gar ernst zu nehmen. Was Kinder brauchen, meinen die Erwachsenen im Allgemeinen immer schon zu wissen, auf jeden Fall besser als die Kinder selber.«6 Es war und ist nicht zuletzt die Kindertheologie, die ab den 1990er Jahren zu diesem Perspektivenwechsel beitrug, nachdem »Kindertheologie« noch in den siebziger Jahren so aufgefasst wurde, »Falsches zu korrigieren und auszurotten«.7 Doch die Alternative: Von der Theologie aus? Oder vom Kinde aus? ist falsch. Denn Kinder stehen, wie eingangs gesagt, immer schon in einer Tradition, die durch Theologie mitgeprägt ist. Klafki ist nicht zu vergessen: »Bildung als Subjektentwicklung« geschieht »im Medium objektiv-allgemeiner Inhaltlichkeit.« »Freiheit des Denkens« gewinne das Subjekt nur in »Aneignung und Auseinandersetzung mit einer Inhaltlichkeit, die zunächst nicht ihm selbst entstammt«,8

sondern ihm begegnet als Werk früherer Generationen, als Kultur – und auch als überlieferte Theologie. Wirkliche, kategoriale Bildung geschieht als »wechselseitige Erschließung« von Subjekt und Objekt, als sich-Durchdringen von Kind und Kultur, einschließlich ihrer religiö­ sen Komponenten. Indem Kinder auf schon Gegebenes zugreifen, es bearbeiten, es erkunden, gewinnen sie »neue Erkenntnis-, Erlebnis- oder Handlungsfähigkeit«, Subjektivität, auch im religiöstheologischen Bereich.9 Im Folgenden werde ich einige Beispiele aus der ersten Denkrichtung präsentieren: Inhaltliche theologische Vorgaben, wie sie zumal vom katholischen Lehramt deduziert wurden. Es wird sich zeigen, dass der Fokus stark auf kognitivtheologische und kirchliche Inhalte gelegt zu werden pflegte (Abschnitt 1). Dies führt zu der Frage weiter, was Theologie – für Kinder – denn eigentlich sein sollte. Primär erste Gebete? Das Wissen, woran die Kirche an Ostern oder Weihnachten erinnert? Oder ist nicht auch theologisch relevant, wenn, längst vor expliziter sprachlicher Artikulationsfähigkeit, ein Kind von seinen Lieben einfach nur in die Arme geschlossen und gehalten wird? 5 Youcat. Jugendkatechismus der Katholischen Kirche, München 2011, Absatz 97. 6 EKD: Synode der Evangelischen Kirchen in Deutschland: Aufwachsen in schwieriger Zeit, Gütersloh 1995, 49f. 7 Josef Quadflieg, Theologie in Kinderköpfen? Von der Möglichkeit und Unmöglichkeit, mit Kindern unter sechs Jahren über Fragen des Glaubens zu sprechen, Donauwörth 1972, 9. 8 Wolfgang Klafki, Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim 1991, 20f. 9 Godwin Lämmermann, Grundriss der Religionsdidaktik, Stuttgart 1991, bes. 94.

Bucher Wie viel und was für Theologie braucht das Kind?

(2) Dennoch: In organisierten religiösen Bildungsprozessen sind Inhalte auszuwählen, und zu rechtfertigen. Aber nach welchen Kriterien? (3). Eine Minimalauswahl wird abschließend zur Diskussion gestellt (4). 1. Auch für Kinder: Die ganze Theologie?

Ein in der katholischen Religionspädagogik heftig diskutiertes apostolisches Schreiben war »Catechesi Tradendae« von »Seiner Heiligkeit« Johannes Paul II.10 Aus diesem spricht die ängstlich anmutende Sorge, die religiöse Unterweisung könnte nicht vollständig und systematisch genug erfolgen. »Was wäre das eine Katechese, die keinen vollen Raum mehr ließe für Themen wie die Erschaffung des Menschen und seine Ursünde . . . die Immakulata, die Mutter Gottes, immerwährende Jungfrau . . . Die Realpräsenz in der heiligen Eucharistie . . . Daher ist auch kein wahrer Katechet berechtigt, nach eigenem Gutdünken das Glaubensgut aufzuteilen . . .«.11 Diese Intention floss in die Ausführungen über die Katechese bei »Kleinkindern« ein. Diesen sei zwar in »großer Liebe und in tiefer Ehrfurcht« zu begegnen, aber »nicht genug früh« sei ihnen »der himmlische Vater in seiner Güte und Fürsorge (zu) offenbaren«. Auch sollen sie »sehr kurze Gebete stammeln lernen« und hätten »ein Anrecht auf eine einfache und wahre Darstellung des christlichen Glaubens«.12 In den ersten Schulklassen habe die Katechese »das Kind organisch in das Leben der Kirche einzuführen« und sie auf die Sakramente vorzubereiten. Kateche-

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se dürfe »nicht bruchstückhaft« sein, sie müsse »alle hauptsächlichen Glaubensgeheimnisse und ihre Bedeutung für das sittliche und religiöse Leben des Kindes erschließen«.13 Auch wenn es schwierig sein dürfte, konsensuell festzulegen, welche Glaubenswahrheiten »alle« sind – das Anliegen um inhaltliche Vollständigkeit ist ersichtlich geworden und wurde in der Folge verschärft durch die Rede des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger in Lyon.14 Darin bemängelte er eine »Hypertrophie der Methoden gegenüber den Inhalten« und bedauerte, dass die Katechismen weitgehend aus dem Gebrauch gekommen seien.15 Besonders bedrohlich erscheint ihm, wenn »die eigene Erfahrung zum entscheidenden Maßstab wird«, wodurch ein »theologischer Empirismus« entstehe,16 der von den wirklichen Wurzeln des Glaubens abschneide, von der Schrift und dem Dogma, »das seinem Wesen nach ja auch nichts anderes als Auslegung der Schrift (ist)«.17 In der Folge intensivierte das römische Lehramt die katechetischen Bemühungen, insbesondere durch die Erarbeitung des Weltkatechismus, der 1992 approbiert wurde und im folgenden Jahr erschien. Um seinen Stellenwert in der 10 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Catechesi Tradendae Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. über die Katechese in unserer Zeit, hg. von der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1979. 11 Ebd. Absatz 30. 12 Ebd. Absatz 36. 13 Ebd. Absatz 37. 14 Josef Ratzinger, Die Krise der Katechese und ihre Überwindung. Rede in Frankreich, Einsiedeln 1984. 15 Ebd. 15f. 16 Ebd. 21. 17 Ebd. 17.

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Katechese zu klären, erließ die Kongregation für den Klerus im Jahre 1997 ein »Allgemeines Direktorium für die Katechese«; der Katechismus sei neben der Schrift die zweite »grundlegende Quelle der Inspiration für das gesamte katechetische Wirken der Kirche in unserer Zeit«.18 Auch in diesem Dokument wird, im Hinblick auf Kinder, gefordert, »dass der ganze Schatz der christlichen Botschaft gewissenhaft verkündet wird«,19 obschon kein Geringerer als Karl Rahner kritisch gefragt hatte, »ob ein Katechismus, der – wenn auch noch so ‚kindlich‘ in der Diktion – letztlich noch immer eine Kurzfassung der Dogmatik für Erwachsene darstellt, die geeignete Grundlage für eine religiöse Initiation eines Kindes ist«.20 Wo stehe geschrieben, schon in so jungen Jahren »explizit mit dem Ganzen der Glaubenslehre . . . (zu) konfrontieren«? »Die Auswahl der religiösen Inhalte müsste (bei Kindern, A.B.) viel radikaler geschehen.«21 Auch der verdienstvolle Schweizer Religionspädagoge Fritz Oser sieht es so: In der religiösen Unterweisung wollten alle zu viel, speziell zu viele kognitive Inhalte. Viel wünschenswerter: Weniger Religion, aber tiefe.22 Über welche religiösen Kompetenzen Siebenjährige verfügen sollten, fragte die Forschergruppe »Weltwissen von Siebenjährigen« um Donata Elschenbroich. Interviewt wurde auch Erzbischof Dyba aus Fulda, der folgendes auflistete: – »von der Existenz des lieben Gottes wissen – Gut und Böse, Wahrheit und Lüge voneinander unterscheiden können – Einige Gebete kennen, zum Beispiel das Tischgebet ›Komm Herr Jesus, sei unser Gast‹

– Das Kreuzzeichen machen können – Das Vaterunser kennen – Die wichtigsten Feste im Kirchenjahr, Weihnachten, Ostern, kennen – Die Messe regelmäßig besuchen«23 Am häufigsten sind kognitive Verben (»kennen«), sodann kirchliche Vollzüge. Wofür Kinder dies alles »kennen« sollen, bleibt unerwähnt, ebenfalls, was diese Kompetenzen für Jungen und Mädchen selber bedeuten und welche Emotionen sie auslösen könnten. Hat die Insistenz auf vollständige, kognitiv akzentuierte Katechese, die sich am römischen Lehramt orientiert, nachhaltig in die Praxis auf der Basis gewirkt? Zweifelhaft! Ein Problem vieler katholischer Religionspädagogen ist es, die oft tiefe Diskrepanz auszuhalten, die zwischen kirchlichen Vorgaben und eigener, stärker paidotroper Praxis, die am Kind orientiert ist, liegt. Exemplarisch belegt dies eine Umfrage unter 757 katholischen Religionslehrern in Salzburg und Oberösterreich, die zu 29 Prozent angaben, es sei ihnen im Unterricht ein »intensives / starkes Anliegen«, die Glaubenslehre der

18 Kongregation für den Klerus: Allgemeines Direktorium für die Katechese, hg. von der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1997, Absatz 128. 19 Ebd. Absatz 112. 20 Karl Rahner, Glaube und Lebensstufen, in: Ders.: Praxis des Glaubens. Ein geistliches Lesebuch, Freiburg i.Br. 1982, 192-199, hier 192 21 Ebd. 192. 22 Fritz Oser, Wie viel Religion braucht der Mensch? Erziehung und Entwicklung zur religiösen Autonomie, Gütersloh: Gerd Mohn 1988, 7. 23 Donata Elschenbroich, Das Weltwissen der Siebenjährigen. Wie Kinder die Welt entdecken können, München 2001, 120.

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Kirche zu vermitteln, im Vergleich zu 91 Prozent, die anzielen, dass die SchülerInnen Andersgläubige tolerieren lernen.24 2. Explizite Theologie für Kinder – oder theologisch Implizites und Relevantes?

Theologie wird traditionellerweise definiert als Wissenschaft von Gott, wobei freilich umstritten ist, ob es sich überhaupt um eine Wissenschaft im strengen Sinne handelt, weil sich ihr Materialobjekt, der trinitarische Gott, der empirischen Verifizierbarkeit entzieht. Darauf insistierten zumal Vertreter des Kritischen Rationalismus wie Hans Albert, für den theologische Sätze ein »Elend« sind.25 Empirischer Analyse zugänglich ist jedoch, wie Menschen über Gott reden, auch im Kindesalter. Wenn sich eine Theologie in der scientific community als plausibel halten kann, dann die empirische, für die sich Hans Van der Ven große Verdienste erwarb.26 Empirische Theologie ist weit mehr als nur Interviews führen, Fragebögen auswerten; empirisch ist auch die systematische oder historische Theologie, insofern ihre Akteure Texte, die empirische Fakten sind, rezipieren, neu zueinander in Beziehung setzen, neu auslegen etc. Ohne dies weiter zu erörtern: Es scheint sinnvoll, explizite Theologie ausdrücklich auf die vielfältige Rede über Gott (in Bibel, Dogmatik, Kirchengeschichte, Pastoral etc.) zu beschränken und nicht alles, »woran der Mensch sein Herz hängt« (Luther) oder was ihn »unbedingt angeht« (Tillich), als theologisch zu etikettieren. Unbedingt angehen kann einen Bayern-München-Fan auch ein zu

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Unrecht vergebener Elfmeter, oder ein Siegestor. Von expliziter Theologie plausibel unterscheiden lassen sich jedoch anthropologische Phänomene, die theologisch relevant sind, ohne dass sie ausdrücklich so benannt werden müssen. Beispielhaft ist das Urvertrauen, für den großen Lebenslaufforscher Erik Erikson die Entwicklungsaufgabe in der ersten Lebenslaufphase, der Säuglingszeit, die aber das Neugeborene nicht selber leisten kann. Urvertrauen wird geschenkt.27 Nistet sich stattdessen Urmisstrauen in die Psyche ein, wird dem Kinde eine schwere Hypothek aufgebürdet: Im Kleinkindalter nicht Autonomie, sondern Beschämung, nicht Initiative, speziell im Spiel, sondern Schuldgefühl, im Schulkindalter nicht Werksinn, stolz sein auf eigene Fähigkeiten, sondern Minderwertigkeit. Unverdiente Wohltat ist theologisch »Gnade«, die aber nur dann wirklich begriffen werden kann, wenn Menschen Entsprechendes erlebten. Erfährt ein Kleinkind nie, dass es von leuchtenden Augen angestrahlt wird, besteht die Gefahr, dass der so eindrückliche Aaronitische Segen Worthülse bleibt: »Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig« (Num 6,25). Unnachahmlich schrieb der römische Dichter Vergil: »Wen nimmer der Blick anlachte 24 Anton A. Bucher / Helene Miklas, Zwischen Berufung und Frust. Die Befindlichkeit von katholischen und evangelischen ReligionslehrerInnen in Österreich, Münster 2005, 79. 25 Hans Albert, Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng, Hamburg 1979. 26 Johannes van der Ven, Entwurf einer empirischen Theologie, Weinheim 21998. 27 Erik Erikson, Identität und Lebenszyklus, Frankfurt/M. 1989.

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der Eltern, würdigte weder des Mahles der Gott, noch die Göttin des Lagers.«28 Ein weiteres anthropologisches Phänomen, das theologisch höchst bedeutsam ist, ist Bindung, das für Theologie umso relevanter ist, als eine gängige Etymologie von Religion besagt, sie sei die Rückbindung des Menschen an ein Letztgültiges. In der aktuellen Entwicklungspsychologie wird, bezugnehmend auf den Pionier John Bowlby,29 Bindung (attachment) intensiv untersucht. Sicher gebundene Kleinkinder sind explorativer, autonomer, zuversichtlicher und entwickeln sich optimaler. Unsicher oder ambivalent gebundene Kinder sind zögerlicher, weinen leichter und sind weniger neugierig. Religionspsychologen wie Kirkpatrick belegten interessante Zusammenhänge zwischen diesen Bindungsstilen und der Gottesbeziehung, die ein Kern von Religiosität ist und in der Theologie reflektiert wird.30 Viele sicher Gebundene entwickeln eine entsprechend stabile Bindung zu einem freundlichen, wohlwollenden, schützenden Gott. Bei unsicher Gebundenen wurden zwei Varianten nachgewiesen: Zum einen, dass sie über das Bild eines ambivalenten, oft drohenden und misstrauischen Gottes verfügten (Korrespondenzthese). Zum anderen, dass sie zu einer positiven religiösen Bindung fanden, die für die sozialen Entbehrungen entschädigte (Kompensationsthese). Bindung bzw. Verbundenheit ist eine zentrale Komponente in der Psychologie der Spiritualität im Allgemeinen31 und der mittlerweile weltweit vernetzten Kinderspiritualität im Besonderen.32 Diese Verbundenheit bezieht sich zum einen auf Kosmos und Natur, mit der sich gerade Kinder eng verbunden füh-

len können, begünstigt durch den Animismus, die Tendenz ihres Denkens, die Umwelt zu beleben. Zum anderen auf die soziale Mitwelt, und schließlich auf ein höheres, göttliches Wesen, an dessen Existenz die meisten Kinder glauben: »Kein Kind erfindet Gott von sich aus, aber jedes ist bereit, an ihn zu glauben«, so der bedeutende Entwicklungspsychologe Oswald Kroh. Wer könnte plausibel bestreiten: Bevor Kindern theologische Inhalte angeboten werden, als Bilder, Erzählungen, Gebete etc., ist es wünschenswert, wenn sie mit einem sicheren Urvertrauen beschenkt werden, sichere Bindungen zu ihren Bezugspersonen aufbauen können und sich mit dem gesamten Sein verbunden fühlen. Fehlen entsprechende Erfahrungen, besteht die Gefahr, dass viele spätere theologische Begriffe nur Worthülsen sind und keine existenzielle Relevanz gewinnen, mit der Menschen leben – und sterben können. 3. Kriteriologie für theologische Inhalte

Wie eingangs dargelegt, ergibt sich keine Theologie der Kinder, wenn nicht auch Theologie für sie und mit ihnen 28 Vergil: Bukolika, vierte Ekloge, Vers 60 (40 v.Chr.). 29 John Bowlby, Bindung als sicherer Hafen. Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie, München 2010. 30 Lee Kirkpatrick, Attachment, evolution, and the psychology of religion, New York 2005. 31 Anton A. Bucher, Psychologie der Spiritualität. Handbuch, Weinheim 2007. 32 Kate Adams / Brendan Hyde / Richard Woolley, The spiritual dimension of childhood, London 2008.

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betrieben wird bzw. wenn ihnen nicht theologische Semantik vermittelt wird. Allerdings bekam die »Hermeneutik der Vermittlung« in letzter Zeit einen problematischen Ruf, weil sie an vielfach praktizierte Indoktrination denken ließ. Ihr wurde, so von Goßmann und Mette, eine »Hermeneutik der Aneignung« entgegengestellt,33 die sich als subjektorientiert und konstruktivistisch versteht. Es wäre jedoch problematisch, »Vermittlung« generell einer »Hermeneutik des Verdachts« auszusetzen. Sie kann auch so gesehen werden: In die Mitte stellen, Angebot, herausfordernder Anreiz für konstruktive Kinder. Doch nach welchen Kriterien sollen Inhalte ausgewählt werden? Deren Festlegung muss materialen Vorschlägen vorausgehen. Unterscheiden lassen sich funktionale und formale Kriterien. Erstere beziehen sich darauf, welche Effekte theologische Inhalte für Kinder bewirken sollten (bestenfalls Lebenshilfe, Stärkung des Selbstwerts), oder gerade nicht (Angst, ungerechtfertigte Schuldgefühle); letztere darauf, in welcher Form solche Inhalte idealiter anzubieten sind: Als Lehrsätze oder Erzählungen etc. Eine wichtige Funktion traditioneller theologischer Unterweisung war es, das Seelenheil von Kindern zu gewährleisten, aber auch, sie in die Kirche einzubinden. In fundamentalistischen Milieus wirkt diese Vorstellung noch immer. Bezeichnend war eine Erfahrung an einem Workshop zu Kinderphilosophie und Kindertheologie mit Männern und Frauen im Jahre 2000, welche dem Neupietismus nahestanden. Kinderphilosophie möge ja noch angehen, da seien unterschiedliche Auffassungen zulässig. Aber Kindertheologie? Hier gehe es um existenzielle

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Wahrheit, um das Seelenheil des Kindes, das man nicht der Beliebigkeit anheimgeben könne. Welch hoher Stellenwert dem Seelenheil des Kindes beigemessen wurde, zeigt sich daran, wie schnell sie nach der Geburt zur Taufe gebracht werden mussten, um nicht im Limbus vergessen zu gehen.34 Hebammen, die die Nottaufe verabsäumten, wurden bis ins 19. Jahrhundert bestraft. Aus heutiger Sicht erschütternd ist, dass katholische Priester im Tirol Taufen mit einer schnabelförmigen Kanne vornahmen, wenn das Baby im Geburtskanal stecken blieb – oft wurde die Wöchnerin mit Kindbettfieber infiziert.35 Ein zentrales Anliegen der Verkündigung war auch, dass auch junge Menschen keinesfalls im Zustand einer Todsünde sterben. In einer Kinderpredigt – eine für unsere Thematik aufschlussreiche literarische Gattung – heißt es denn auch: »Spätestens am Abend beim Abendgebet müssen wir unsere Sünden bereuen und den Heiland um Verzeihung bitten. Besonders dann, wenn wir eine Todsünde auf dem Herzen haben.« Als letzteres galt auch, noch 1961, »das Schwänzen der Sonntagsmesse«.36 Und nicht zuletzt intendierte Katechese die Integration in die Kirche, zumeist 33 Dazu Ricarda Sohns, Verstehen als Zwiesprache. Hermeneutische Entwürfe in Exegese und Religionspädagogik, Münster 2003. 34 Dazu Internationale Theologische Kommission: Die Hoffnung auf Rettung für ungetauft sterbende Kinder, Arbeitshilfen Nr. 224, veröffentlicht von der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2007. 35 Dazu der zu Recht preisgekrönte, historisch gut recherchierte Fernsehfilm: Hebamme – auf Leben und Tod, Regie: Dagmar Hiertz 2010. 36 Heinz Fine, Kinder unter der Kanzel, Kevelar 1961, 66f.

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auch in die bürgerliche Gesellschaft. Symptomatisch dafür sind die Stiehlschen Regulative als Reaktion auf die Revolution von 1848: Religiöse Erziehung »in christlicher, vaterländischer Gesinnung, und in häuslicher Tugend«.37 Das »Leitmotiv« der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts üblich gewordenen »Kinderpredigten« war denn auch »Folgsamkeit«.38 Besonders einflussreich wurde der Münchner Stadtpfarrprediger Heinrich Stieglitz, der 1915 seine ersten Kinderpredigten veröffentlichte: »Aber merke dir: Ein Kind, das den Eltern nicht folgen mag, das mag auch Gott nicht folgen, und wird schwerlich ein Plätzchen im Himmel bekommen.«39 Ein tief in die Seele greifendes Instrument der Kirchenbindung war die Beichte, aber auch Angst, wie sie in Kinderpredigten (Inbegriff von Theologie für Kinder) noch vor wenigen Jahrzehnten intensiv geschürt wurde: »Wir wollen den Gedanken an die Hölle tief in unsere Seelen prägen, damit wir in der Versuchung, wenn wir schlapp und schwach werden möchten, an die furchtbare Strafe denken, die uns erwartet, wenn wir in die Todsünde einwilligen.«40 Theologie für Kinder hat in den letzten Jahrzehnten viel von ihrer früheren Düsternis verloren. Weitgehend konsensuell ist – fundamentalistische Nischen ausgenommen –, theologische Inhalte wirklich für das Kind anzubieten, und weniger für die Reproduktion von Kirchen, und nicht für die Durchsetzung anderer Intentionen, traditionell oft Untertanenmentalität. Von theologischen Inhalten für Kinder wäre zu erwarten: – Dass sie ihren Selbstwert stärken. Denn Selbstwert ist eine der wichtigsten psychologischen Variablen,41 auch im

Kindesalter. In einer repräsentativen bundesdeutschen Studie darüber, was Kinder glücklich macht, stellte sich »Selbstwert« als eine der bedeutsamsten Voraussagevariablen für subjektiv eingeschätztes Glück heraus.42 Kinder mit höherem Selbstwert haben mehr Freunde, sind aktiver, beliebter, sozialer, erfolgreicher. Aus der biblisch-christlichen Tradition gibt es viele und starke Motive, etwa die hohe Wertschätzung, die Jesus Kindern entgegengebracht hat. – Dass sie Kinder mit grundsätzlicher Zuversicht erfüllen. Gemäß der Bibel richtet sich die Hoffnung darauf, dass Gott dereinst alles in allem sein wird (1. Kor 15,28). Dies ist ein anderes, beglückenderes und tragfähigeres Lebensgefühl als die Annahme, alles münde ins Nichts, bzw. »in schwarze Verwesung«, wie Trakls letztes Gedicht »Grodeck« endet. Ob Menschen grundsätzlich zuversichtlich und optimistisch werden und als solche »länger leben«,43 entscheidet 37 Aus: Karl Ernst Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung, Gütersloh 1989, 43. 38 Michael Klöcker, Katholisch – von der Wiege bis zur Bahre. Eine Lebensmacht im Zerfall? München 1991, 198. 39 Ebd. 40 Heinz Fine (wie Anm. 36), 143f. 41 Astrid Schütz, Psychologie des Selbstwertgefühls. Von Selbstakzeptanz bis Arroganz, Stuttgart 2003. 42 Anton A. Bucher, Was Kinder glücklich macht? Eine glückspsychologische Studie des ZDF. In: Markus Schächter (Hg.): Wunschlos glücklich? Konzepte und Rahmenbedingungen einer glücklichen Kindheit, Frankfurt 2009, 168f. 43 Martin Seligman, Der Glücks-Faktor. Warum Optimisten länger leben, Bergisch Gladbach 2005.

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sich früh; besonders begünstigend sind sichere Bindungen. Zuversichtlich stimmen die Märchen: Weil sie stets gut ausgehen und das Böse besiegt wird. – Dass sie nicht Angst evozieren. Angst, neurologisch zumal in der Amygdala lokalisiert, war evolutionär unabdingbar und gehört untrennbar zum Menschsein: »Solange ihr in der Welt seid, habt ihr Angst« (Joh 16,33). Für uns Heutige ist schwer nachvollziehbar, welche panischen Ängste im Namen von Religion verbreitet wurden: Angst vor Teufeln und Hölle, Türken, Hexen, einem unbarmherzigen Gott (der junge Martin Luther) etc.44 Im Kindesalter besonders lähmen kann Angst vor numinosen, magischen Gestalten – mitunter auch Gott –, weil sie sich kaum beeinflussen lassen, unzugänglich sind, unerwartet zuschlagen. Allerdings: Religiös, oft biblisch motivierte Ängste sind in der religiösen Unterweisung deutlich seltener geworden.45 – Dass sie nicht ungerechtfertigte Schuldgefühle hervorrufen. »Schuld« ist einer der häufigen kirchlichen Begriffe: Dreimal »durch meine Schuld« zu Beginn des katholischen Gottesdienstes. Hinreichend ist dokumentiert, wie sehr Verkündigung Schuld erzeugte,46 speziell an den Qualen und am Sterben Jesu, wegen unserer Verfehlungen »Die Sünde ist etwas furchtbar Trauriges: Sie hat Gott ans Kreuz genagelt. Kind, sündige nicht!« steht in einer Kinderpredigt aus dem Jahre 1955.47 Menschen, sich ungebührlich schuldig fühlend, sind leichter zu lenken. Kinder in dieser Befindlichkeit senken den Kopf und nicken.

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– Dass sie positive Emotionen begünstigen. Die Psychologie der letzten Jahre dürfte in einer zukünftigen historischen Darstellung als »emotionale Wende« charakterisiert werden, speziell hin zu positiven Emotionen, wie von der Positiven Psychologie untersucht.48 Emotionen wie Freude erweitern unser Sinnesrepertoire, begünstigen Kreativität, beschleunigen das Lernen, fördern die Gesundheit. – Dass sie nicht infantilisieren, sondern Entwicklung in Richtung religiöser Autonomie unterstützen. Das biblische »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder« (Mt 18,3) wurde nur zu oft dahingehend ausgelegt, auch Heranwachsende sollten kindlich bleiben, unterwürfig, kritiklos.49 Dem steht entgegen, dass kein Geringerer als Paulus schrieb, er habe abgelegt, was kindlich an ihm war (1. Kor 13,12). Vorbild ist Jesus: Einer der mutig, aufrechten Hauptes, seinen Gegnern entgegentrat und sprach: »Ich aber sage euch!« – Dass sie zu Prosozialität ermuntern. Kinder, von keinem geringeren als Piaget 44 Jean Delumeau, Die Angst im Abendland, Reinbek 1998. 45 Annegret Stein, Vermittlung religiöser Inhalte und religiös begründete Ängste: eine empirische Untersuchung im Bereich katholischer religiöser Erziehung, Essen 1994. 46 Anton A. Bucher, Die dunkle Seite der Kirche, Etsdorf 2010, 132–160. 47 Theodor Blieweis, Kinder vor Gott. Ein Jahreszyklus Kinderpredigten, Paderborn, 31955, 71. 48 Ann Elisabeth Auhagen, Positive Psychologie. Anleitung zum »besseren« Leben, Weinheim, 2 2008. 49 Ausführlicher: Anton A. Bucher, Braucht Mutter Kirche brave Kinder? Religiöse Reifung contra kirchliche Infantilisierung, München 1997.

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als »egozentrisch« charakterisiert, sind – so die jüngere Entwicklungspsychologie – wesentlich früher zu Mitfühlen fähig, zu Empathie und Perspektivenübernahme.50 Diese Kom­petenz kann unterstützt werden durch entsprechende Modelle, in der Bibel prototypisch der barmherzige Samariter. Die religionspädagogische Relevanz von Prosozialität herausgearbeitet zu haben ist ein bleibendes Verdienst von Bernhard Grom.51 Der Katalog ist nicht erschöpfend. Er könnte die Kritik auf sich ziehen: Wo bleibt nun Theologie? Wo bleiben die Inhalte des Glaubens? Zugegebenermaßen sind die entfalteten Kriterien primär psychologisch und anthropologisch, aber theologisch relevant. Selbst gemäß dem CIC (Codex Juris Canonici: Kirchenrecht) muss in der Kirche »das oberste Gesetz« immer »das Heil der Seelen« sein.52 Der Verfasser ist überzeugt: Dieses Heil tritt weniger durch orthodoxen Glauben oder mehr Bibeloder Dogmenkenntnisse ein, sondern wenn Menschen häufiger von positiven Emotionen bewegt werden, ein stabiles, positives Selbstwertgefühl haben, sich nicht in Schuld zerknirschen und nicht von Angst gelähmt werden. Zu bedenken sind auch formale Krite­ rien von Theologie für Kinder: – Die frühere Entwicklungspsychologie charakterisierte das Denken des Kindes als konkret realistisch, Piaget sprach von konkreten Operationen. Wenn Kindern theologische Inhalte präsentiert werden, dann konkret, bildhaft, ästhetisch im ursprünglichen Sinne des Wortes: sinnenhaft. Besonders geeignet sind Erzählungen.

– Einer der ersten Kritiker der klassischen Katechese war Jean Jacques Rousseau. Er beanstandete vor allem, die abstrakten Begriffe aus Philosophie und Religion könnten von Kindern noch nicht verstanden werden: »Wie sollen sich die Begriffe Schöpfung, Vernichtung, Allgegenwart, Ewigkeit . . . in ihrer ganzen Stärke . . . jungen Seelen darstellen, die noch mit den ersten Operationen ihrer Sinne beschäftigt sind, und die nur das begreifen, was sie berühren?«53 Auch wenn Kinder philosophisch-theologisch kompetenter sind als von der traditionellen Entwicklungspsychologie angenommen,54 ist nichtsdestoweniger von verfrühten Abstraktionen abzusehen. Kindertheologie sei »konkret und kontextuell«.55 Zumal die liturgische Sprache, etwa das Hochgebet in der katholischen Messe, mit vielen Abstrakta durchsetzt ist und unzählige Kinder mehr gelangweilt als erbaut hat. – Kindertheologie ist nicht zuletzt »vorläufige, kritische und dialogische Theologie«.56 Ohnehin, auch die Theologie der Erwachsenen, weil 50 Martin Dornes, Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre, Frankfurt/M. 1999. 51 Bernhard Grom, Religionspädagogische Psychologie des Kleinkind-, Schul- und Jugendalters, Göttingen 1981. 52 Canon 1752. 53 Jean Jacques Rousseau, Emile oder über die Erziehung, Paderborn 1981, 266. 54 Gareth Matthews, Die Philosophie der Kindheit. Wenn Kinder weiter denken als Erwachsene, Berlin 1995. 55 Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern, Neukirchen-Vluyn 2010, 91. 56 Ebd. 92.

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unser Erkennen Stückwerk ist (1. Kor 13,9). Noch mehr gilt das Vorläufige für Kinder in dem schnellen und immer wieder faszinierenden Prozess ihrer Entwicklung. – Von daher scheint es auch angemessen, Kindern theologische Inhalte konfessorisch anzubieten, nicht im Sinne eines Katechismus aus dem Jahre 1950: Die Wahrheit ist nur eine 2 mal 2 = 4, alles andere ist falsch.«57 Sondern vielmehr: »Ich persönlich glaube, dass . . .«, was Kinder (und Jugendliche) enorm beeindrucken kann. 4. Mögliche (elementare) Inhalte

Zwar besteht schon lange Konsens, dass theologische Inhalte zu elementarisieren sind,58 strittig aber ist und bleibt, um welche konkreten Inhalte es sich handeln soll, und erst recht, wie viele davon Kindern wann anzubieten sind. Die folgenden Skizzen sind zugegebenermaßen vorläufig, sparsam, subjektiv. Mindestens folgende elementaren Themen scheinen unabdingbar: Gott (aber nicht nur der liebe, liebe) und seine Schöpfung, Jesus, die Feste des Jahreskreises, religiös-spirituelle Haltungen, Hoffnung über den Tod hinaus. Gott steht im Kern jeder Theologie für Kinder. Von ihm ist vor allem zu erzählen. Dieses ist der Königsweg von Kindertheologie, und sie war es schon immer, etwa bei Augustinus als die heilsgeschichtliche Erzählung vom Paradies bis zum himmlischen Jerusalem (»narratio«) in seinem katechetischen Hauptwerk »De catechizandis rudibus«.59 Auch wenn Kinder viel früher an viel mehr kosmologisches Wissen herankommen (Urknall, Evolution), scheint es oppor-

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tun, ihnen weiterhin zu erzählen, dass Gott die Welt erschuf. Kinder neigen nach wie vor zu artifizialistisch-finalistischen Deutungsmustern, sodass der biblische Schöpfungsbericht für die meisten »die selbstverständlichste Sache der Welt« sein kann.60 Vorzüglich geeignet sind auch so viele Geschichten des Ersten Testaments, so Josef und seine auf ihn neidischen Brüder, worin sich viele Kinder erkennen können; die vielen Geschichten um Moses; aber auch die von der Sintflut, eines der bekanntesten Bibelmotive,61 obschon Kalloch in ihrer bibeldidaktischen Habilitation davon abriet, weil sie ein »bedrohlich anthropomorphes Gottesbild« vermittle.62 In dem Zusammenhang stellt sich die grundsätzliche Frage, ob, wie vielfach üblich, nahezu ausschließlich vom »lieben lieben Gott« zu erzählen ist – dies vor dem Hintergrund so oft praktizierter schwarzer Katechese. Ein stets nur lieber Gott wird zum Einen der Bibel nicht gerecht – sie schildert ihn auch als eifersüchtig, mitunter blutrünstig63 –, zum anderen kann er für Kinder, 57 Berhard van Acken, Konvertitenkatechismus, Paderborn 1951, 9. 58 Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011. 59 Aurelius Augustinus, Vom ersten katechetischen Unterricht, München 1998. 60 Reto Luzius Fetz, (wie Anm. 1), 357f. 61 Helmut Hanisch / Anton A. Bucher, Da waren die Netze randvoll. Was Kinder von der Bibel wissen, Göttingen 2002, 20. 62 Christina Kalloch, Das Alte Testament im Religionsunterricht der Grundschule, Münster 2002, 249. 63 Nach wie vor: Franz Buggle, Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann, Reinbek 1992.

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die schon früh Gewalt und Böses kennenlernen, es oft auch erleiden müssen, unglaubwürdig werden. Auch die Märchen, Inbegriff von Literatur für Kinder, schildern Gewalt, und dies drastisch, Kinder vielfach faszinierend, und sie mit Genugtuung erfüllend, wenn die Bösen niedergestreckt werden. Die Lieblingsgeschichte für meinen Sohn, als er sechs Jahre zählte, aber oft den größeren Jungen aus der Nachbarschaft unterlag, war die von David und Goliath. Dass dem Riesen das Haupt abgeschlagen wurde, nährte seine Hoffnung, trotz kleinerem Körperwuchs auch einmal zu siegen. Unabdingbar zu erzählen ist auch von Jesus, seiner Geburt, sein Wirken, wie er sich den Kindern gegenüber verhielt, ihnen die Arme auflegte, sie segnete, in die Mitte stellte. Und dass er ein Freund der Ausgestoßenen und Geächteten war. Bei der Erzählung seines Leidens und Sterbens ist tunlichst zu vermeiden, unterschwellig Schuldgefühle einfließen zu lassen, was der Verfasser in seinem Religionsunterricht der Pflichtschulzeit erlebte: »Auch euretwegen, ihr wart nicht immer brav«. Und selbstverständlich Ostern, die Reisen des Paulus etc.: Christentum ist primär Erzählgemeinschaft, und eine Theologie für Kinder kann nicht anders als wesentlich »narrative Theologie« sein.64 Die Neuropsychologie hat uns belehrt, wie sehr Kinder von Modellen lernen, Vorbildern, die in der emanzipatorischen Pädagogik der siebziger Jahre keinen sonderlich guten Ruf hatten. Um Glaubenshaltungen zu erschließen, wären die Biographien und exemplarischen Verhaltensweisen von Menschen zu erzählen, die diese gelebt haben: »Exempla trahunt«, zitiert Manfred Spitzer: Kon-

krete Beispiele prägen sich ein.65 Meinen Kindern erzählte ich oft von Franz von Assisi, wie er Schnecken von dem Weg wegtrug, auf dem sich schwere Fuhrwerke näherten: Sie taten es auch und wurden ökologisch sensibel und verantwortungsbewusst. Unabdingbar scheint auch die Erschließung des Jahreskreises, an dem sich die Kinder in ihrem Zeiterleben orientieren: »Wie oft noch schlafen, bis Weihnachten?« Dafür sind die Feste zu feiern und ist ihre Herkunft und ihr Sinn zu erschließen, durch die entsprechenden Geschichten. Prototypisch dafür ist eine religionsdidaktische Schlüsselstelle im Buche Deuteronomium (6,20f): Wenn der Sohn frage, warum wir alle diese Vorschriften achten, (diese Feste feiern, speziell Pessach), dann sei ihm zu erzählen: »Wir waren Sklaven des Pharao in Ägypten und der Herr hat uns mit starker Hand aus Ägypten geführt.« Eine Schlüsselfunktion von Religion ist es, Hoffnung über den Tod hinaus lebendig zu halten. Kinder verfügen über eine intuitive Bereitschaft, an die nachtodliche Existenz von Bewusstsein zu glauben, auch wenn sie um biologische Fakten des Todes früher wissen, als traditionell angenommen. Der Entwicklungspsychologe Bering zeigte Kindern unterschiedlichen Alters, wie ein Plüschtieralligator eine Stoffmaus verschlang und fragte, ob die Maus wieder lebendig

64 Nach wie vor: Willy Sanders / Klaus Wegenast (Hg.), Erzählen für Kinder – Erzählen von Gott. Begegnung zwischen Sprachwissenschaft und Theologie, Stuttgart 1983. 65 Manfred Spitzer, Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg 2002, 436 u.ö.

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werde. Die Vier- bis Fünfjährigen verneinten zu 96 Prozent. Als er aber fragte, ob sich die Maus noch krank fühle, Durst habe, nach Hause gehen möchte, bejahte dies weit mehr als die Hälfte – mit steigendem Alter allerdings seltener werdend.66 Bering spricht von einer angeborenen Neigung des kindlichen Denkens, an den Fortbestand von psychischen Zuständen über den Tod hinaus zu glauben, die religionspädagogisch unterstützt werden können, etwa durch die erzählerische Vergegenwärtigung von Menschen, die zutiefst an ein Weiterleben der Seele glauben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber abschließend zu unterstreichen: Wenn Theologie für Kinder, dann sollten Kinder spüren, dass die diese vermittelnden Erwachsenen hinter dieser stehen. Emotionspsychologisch ist erwiesen, dass bei jeder Begegnung in Sekundenschnelle registriert wird, ob die jeweilige

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Person vertrauenswürdig ist, wie sie gestimmt und motiviert ist. Der Neuropsychologe Gerhard Roth: »Wenn also ein in vielen Jahren des Lehrerdaseins ermüdeter, unmotivierter Lehrer Wissensinhalte vorträgt, von denen er selbst nicht weiß, ob sie überhaupt noch zutreffen, so ist dies in den Gehirnen der Schüler die direkte Aufforderung zum Weghören.«67 Positiv gewendet: Wenn Kinder theologisch Begeisterten begegnen, werden sich ihre Ohren auftun, ihre Synapsen feuern, und ihre Herzen sich öffnen.

66 Jesse Bering / David F. Bjorklund, The natural emergence of reasoning about the afterlife as a developmental regularity. In: Developmental Psychology 40, 217–233. 67 Gerhard Roth, Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? In: Ulrich Herrmann (Hg.), Neurodidaktik. Grundlagen und Vorschläge für gehirngerechtes Lehren und Lernen, Weinheim 2006, 49–59, hier 53.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Mirjam Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie. Die Notwendigkeit einer »Theologie für Kinder« im Blick auf Zielgruppe, Basiswissen, Nachhaltigkeit und Inhalt 1. »Kinder ganz groß«

»Kleine Genies ganz groß! In der neuen Kai-Pflaume-Show ›Klein gegen groß – Das unglaubliche Duell‹ (ARD) zeigten Schulkinder erwachsenen Experten, wo der Hammer hängt!«1 so titelt Bild und hält es für würdig zu berichten, wo Kinder Erwachsenen in ihre Grenzen verweisen. 6,13 Millionen Zuschauer haben gesehen, wie die elfjährige Lotte mit ihrem fantastischen Gehör die Geräusche von Staubsauger und Eierkocher besser einem Ton zuordnen konnte als DuellGegner Xavier Naidoo und seine »Söhne Mannheims«. Die Erstklässlerin Alexandra schlug den amtierenden Deutschen Meister am Reck und Weltmeister von 2007, Florian Hambüchen, ohne große Anstrengung, indem sie eine Minute länger in waagerechter Haltung an der Sprossenwand aushaaren konnte! »Auch Literatur-Papst Prof. Hellmuth Karasek (77) ließ sich von einem Bücherwurm im besten TeenagerAlter Goethes Klassiker um die Ohren hauen.«2 Die 14-jährige Jana konnte Textstellen genau zitieren und fortsetzen, während sich der Kritiker ratlos geschlagen geben musste. »Wenn ich gewonnen hab, wirst du heulen!«, kündigte der 6-jährige Kilian seinem Kontrahenten, Moderator Günther Jauch (54), an.«3 Der Erstklässler konnte schneller als der Moderator alle

Länder der Erde an den Umrissen erkennen und wusste von jedem Land alle Nachbarländer. Was zeigen solche Sendungen, was wollen sie für eine Botschaft transportieren? Kinder vollbringen Leistungen, die uns staunen lassen, »normale Grundschüler«, keine TV-Stars (zu solchen sind sie durch die Sendung erst geworden) schlagen Profis, die jahrzehntelang in diesem Metier hart trainiert haben und sehr erfolgreich sind: in der Musik wie Xavier Naidoo, im Sport wie Florian Hambüchen, in der Literatur wie Prof. Karasek. Einzelne Kinder stehen hier exemplarisch für die Leistungsfähigkeit von Kindern, die die Erwachsenen erstaunen lässt: Was, so etwas können Kinder? So groß sind Kleine! Dieses Staunen vor den Leistungen der Kinder und Jugendlichen durchzieht auch die Publikationen der Kindertheologie.4 1 http://www.bild.de/unterhaltung/tv/kai-pflau me/kleine-genies-bei-kai-pflaume-18337974.bi ld.html (Zugriff am 20.09.2013). 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Wie z.B. die Jahrbücher für Kindertheologie und auch das Buch von Petra FreudenbergerLötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen,

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

Natürlich wird dem kritischen Betrachter der Sendung deutlich, dass da Herausforderungen gewählt werden, für die Kinder aufgrund ihres fotographischen Gedächtnisses, ihrer Physiognomie oder ihrer großen Begabung, lange Texte auswendig zu lernen, den Erwachsenen gegenüber im Vorteil sind. Außerdem werden winzige, gut trainierbare Teilbereiche ausgewählt, die aber nicht für das Ganze stehen. Bei einem solchen Vergleich hätten die Kinder keine Chance, z.B. beim Turnen einer ganzen Übung, bei der Interpretation einer Szene aus dem Faust, beim Wissen über Zusammenhänge und ihre Deutungen zu den Ländern der Erde etc. Aber tun wir in der Profilierung einer Kindertheologie nicht das Gleiche wie die Show »Klein gegen Groß«? Suchen wir nicht auch die theologischen Perlen einzelner Kinder, die dann profiliert werden, um zum Staunen zu bringen? Ist die Anfrage von Kritikern nicht berechtigt, dass die Qualität der Kindertheologie durch die Qualität der theologischen Interpreten bestimmt wird, die aus Stroh Gold machen? Stimmt es, dass wir mit einer elitären Probandengruppe arbeiten5, die nicht repräsentativ für Kinder steht, und dass schließlich die Darstellung unserer Auswahl nur die Rosinen vorführt nicht aber die Unzahl an Schweigen, problematischen und fehlerhaften Darstellungen? Ein Beispiel, das sich nun dem Thema »Kindertheologie« explizit nähert, wenn auch von der anderen Seite der Leistungsskala, soll an dieser Stelle präsentiert werden. Es stammt aus einer kleinen Befragung, die Studierende im Rahmen des Seminars »Kind-Krankheit-Religion« im SS 2012 in zwei Klassen (Klassenstufe 6 und 8) durchgeführt haben. Methodisch

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diente die Übung dazu, einerseits auf die Schwierigkeiten bei empirischen Befragungen zu verweisen6, andererseits natürlich aber auch inhaltliche Aspekte zum Thema zu erschließen, um interessante

Abb. 1 Fragebogen 1 Stuttgart / München 2012: »Erstaunlich, wie viel Gesprächsstoff ein Text einer Grundschülerin in der Oberstufe liefern kann« (73); »Gebannt sitze ich hinter meiner Kamera und filme dieses Gespräch.« (48); »Spannend ist auch dieses Gespräch«, »Ich bin überrascht, wie achtungsvoll der Grundschultext bearbeitet wird.« (74); »Diese beiden Texte sind beeindruckend.« (79 u.a.) 5 Vgl. Marcel Saß in seiner Rezension zur Habilschrift Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 22012, in Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 63 (2011) 1, 93–96. 6 Hier zeigt sich z.B. besonders in Frage 5 die Lenkung der Antworten durch die Formulierung der Frage.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Fragestellung für größere Untersuchungen herauszufinden. Die beiden ausgewählten Beispiele werden gewöhnlich weder in Publikationen noch bei Vorträgen vorgestellt.

Abb. 2 Fragebogen 2

Die zwei knapp ausgefüllten Fragebögen demonstrieren, wie wenig die Befragten zum Thema sagen können oder wollen. Keine Totalverweigerung, aber vielleicht Pragmatismus oder Interesselosigkeit, vielleicht aber auch echte Sprachlosigkeit, was sich aufgrund der Methodenwahl nicht weiter klären lässt. Ist das noch eine »Theologie der Kinder«? Zweifellos, definitionsgemäß müssen wir auch diese Äußerungen als Kindertheologie betrachten. Gleichwohl stärken diese Beispiele die Forderung nach einer ›guten Kindertheologie‹ im Kontext der Förderung theologischer Kompetenz. Gütekriterien lassen sich entsprechend auf unterschiedlichen Ebenen

der Kindertheologie erheben, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe.7 In systematisch-heuristischer Hinsicht habe ich dabei drei Dimensionen differenziert: a) Gütekriterien kindertheologischer Forschung b) Gütekriterien kindertheologischer Kom­petenz c) Gütekriterien kindertheologischer Di­ daktik Wenn Kindertheologie einem didaktischen Anspruch genügen will, dann bedarf es dieser evaluativen Rückfragen. Im Folgenden sollen nur die Ebenen b) und c) fokussiert werden. Kindertheologie kann – egal von welchem Punkt aus sie startet – verbessert werden, entwicklungspsychologisch formuliert: Die Spezifizierung der kindertheologischen Domains kann unterstützt werden, oder kompetenzorientiert gewendet: Kindertheologische Kompetenz kann gefördert werden. Diese didaktische Zielformulierung setzt eine ehrliche Erhebung des Status quo voraus, sowie Bewertungskriterien, anhand derer dann ein Maßstab von ›gut‹ und ›besser‹ erstellt werden kann. In einem ersten Hauptteil des Beitrags möchte ich deshalb zunächst Defizite von Kindertheologie benennen und dabei z.B. auf eine kleine empirische Untersuchung zurückgreifen, die im Rahmen einer Staatsarbeit in enger Zusammenarbeit mit der Autorin dieses Beitrags entstanden ist.8 7 Vgl. Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 214– 230. 8 Vgl. Katrin Willwacher, Zur Frage nach der Zufälligkeit einer Theologie der Kinder am Beispiel des Themas Eschatologie, Staatsexamensarbeit Universität Siegen 2012.

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

Kompetenzzuwachs kann durch ein kindertheologisches Gespräch oder offener formuliert durch pädagogische Konzepte und Rahmenbedingungen initiiert werden, die vom erwachsenen Gesprächspartner verantwortet werden. Im zweiten Teil sollen deshalb jeweils Lösungswege bzw. Perspektiven aufgezeigt werden, wie Kindertheologie als eine »Kindertheologie für Kinder« zur Verbesserung von kindertheologischer Kompetenz beitragen kann. 2. Defizite einer »Kindertheologie«: Herausforderungen

Im ersten Hauptteil möchte ich thesenartig einige Leitsätze formulieren, in denen jeweils Problembereiche der Kindertheologie benannt werden, die die Notwendigkeit einer Theologie für Kinder vor Augen führen. Entsprechend kann man als erste These folgenden Satz formulieren: 2.1 Theologie für Kinder ist notwendig, weil . . .

. . . sich empirische Daten häufig auf eine Auswahl von exzeptionellen Kinderäußerungen beschränken, die nicht den Status quo kindertheologischer Kompetenz in seiner Bandbreite abbildet. Dieses Problem wurde einleitend hinreichend dargestellt und braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Als zweite These soll formuliert werden:

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2.2 Theologie für Kinder ist notwendig, weil . . .

. . . Kinder zu wenig theologisches Grundwissen haben und (falls sie Grundwissen haben) zu wenig flexibel damit umgehen können, damit also zwei Voraussetzungen kindertheologischer Kompetenz nur eingeschränkt vorhanden sind. Nehmen wir an, die beiden Schüler, die ihre Fragebögen oben ausgefüllt haben, sind tatsächlich bereit gewesen, zu antworten, was ihnen wichtig ist, dann wird aus den Antworten deutlich, dass sie nichts zu sagen haben. Solche vorsichtigen Klagen über die fehlende Wissensbasis vernimmt man durchaus an unterschiedlichen Stellen kindertheologischer Arbeiten, auch wenn damit das idealistisch romantisierende Bild sprühender Kindertheologie etwas getrübt wird. Die empirische Basis des ersten Hauptteils dieses Beitrags sind zunächst die Ergebnisse einer Untersuchung, die von Januar bis April 2012 in meinem Auftrag an einem Gymnasium in RLP durchgeführt wurde. Mit einem Fragebogen wurden im Abstand von 20 Wochen insgesamt 143 Schülerinnen und Schüler der Klassen 3–10 befragt. Die Probandengruppe setzte sich folgendermaßen zusammen: Klasse 3: 16 Teilnehmer (6 Mädchen und 10 Jungen) Klasse 5: 23 Teilnehmer (13 Mädchen und 10 Jungen) Klasse 6: 19 Teilnehmer (9 Mädchen und 10 Jungen) Klasse 7: 23 Teilnehmer (14 Mädchen und 9 Jungen)

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Klasse 8: 22 Teilnehmer (12 Mädchen und 10 Jungen) Klasse 9: 23 Teilnehmer (12 Mädchen und 11 Jungen) Klasse 10: 17 Teilnehmer (11 Mädchen und 6 Jungen) Der Fragestellung lag einerseits die Perspektive zu Grunde, mehr über eschatologische Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen zu erfahren, andererseits dem Aspekt der Zufälligkeit einer Theologie der Kinder nachzugehen. Die Probanden füllten im Abstand von 20 Wochen je folgenden Fragebogen zum Thema »Eschatologie« aus: 1. Peter und Julia unterhalten sich darüber, was mit einer Person passiert, wenn sie gestorben ist. Was passiert deiner Meinung nach mit einem Menschen, wenn er gestorben ist? 2. Peter sagt: »Meine Oma denkt, dass man nach dem Tod für seine guten Taten von Gott belohnt wird!« Darauf Julia: »Aber dann müsste Gott doch auch die Bösen bestrafen, oder?« Was glaubst Du? 3. Bestraft deiner Meinung nach Gott vielleicht schon in unserem Leben? Wie? 4. Kennst du die biblische Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus? Falls ja, kannst du ihren Inhalt kurz wiedergeben? 5. Kennst du noch andere Geschichten aus der Bibel, die davon berichten, wie Gott nach dem Tod von Menschen handelt? 6. Oder fallen dir andere biblische Geschichten ein, in denen das Thema »Gott bestraft / Gott belohnt« vorkommt?

Die Fähigkeit, sich an im RU sicher behandelte Texte hinsichtlich eines Themas (Texte, in denen Gott nach dem Tod handelt, bzw. im Leben belohnt oder bestraft) zu erinnern, ist eher bescheiden ausgeprägt. So sollten die SuS der Klassen 3–10 auf die Frage 5 »Kennst du noch andere Geschichten aus der Bibel, die davon berichten, wie Gott nach dem Tod von Menschen handelt?« zumindest die Auferstehung (Jesu) benennen können. Aber 66%, also fast 2/3 beantworten die Frage aus welchen Gründen auch immer mit »Nein«. Auch auf die Frage 6 »Oder fallen dir andere biblische Geschichten ein, in denen das Thema ›Gott bestraft / Gott belohnt‹ vorkommt?« antworten 47,5% der Kinder und Jugendlichen mit »Nein«, obwohl sich hier diverse Geschichte von Kain/ Abel, Jakob/Esau, die Arche etc. anbieten, die schon die Grundschulkinder aus dem Religionsunterricht kennen sollten. Durch die Frage 4 Kennst du die biblische Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus? Falls ja, kannst du ihren Inhalt kurz wiedergeben? konnte gezeigt werden, dass Kinder und Jugendliche erzählerische Texte wie die vom reichen Mann und dem armen Lazarus zum größten Teil nicht kennen, sich diese auch nicht selbst anlesen oder danach fragen, nachdem sie einmal ohne Erfolg befragt wurden. Kein einziges Kind hat sich den Inhalt der Geschichte erschlossen, um dann 20 Wochen später auskunftsfähig zu sein. Motivation zur Beschäftigung mit biblischen Inhalten anzubahnen, ist also auch eine wichtige Aufgabe kindertheologischen Arbeitens.

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

Nein Ja

Abb. 3 Bekanntheit von Lk 16,19–31

Viele Beispiele ließen sich anfügen, die gerade auch die Kolleg/innen bestätigen können, die täglich in der Schule arbeiten: Ohne Steine, also biblisches Wissen, kann man nicht bauen – Bibelwissen ist notwendig, damit Kinder und Jugendliche damit Theologie »konstruieren« können. Vergleichbar etwa mit Mathematik gibt es Bedingungen (ohne Zahlenbegriff und Einmaleins kann man auch keine komplexeren Rechenoperationen durchführen) und Voraussetzungen, die auch für theologische Gespräche gelten, die im Rahmen von schulischem Unterricht immer auch daraufhin angelegt sein müssen, zielführend die Förderung von Kompetenzen im Blick zu haben. Wir können also festhalten: Die Wissensbasis – hier des biblischen Wissens – ist oft so gering bzw. kann nicht abgerufen werden, dass ein – für kindertheologische Kompetenz notwendiges – eigenständiges und kreatives Denken damit nicht möglich ist. 2.3 Theologie für Kinder ist notwendig, weil …

. . . die Kinderäußerungen oft zufällig und punktuell sind. Die genannte Untersuchung zur Eschatologie hat weiter-

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hin einen formalen Aspekt bearbeitet. Indem der gleiche Fragebogen zweimal im Abstand von 20 Wochen ausgegeben wurde, sollte der Frage nach der Beliebigkeit kindertheologischer Äußerungen nachgegangen werden. Nachhaltigkeit als Gegensatz zur Zufälligkeit einer Theologie der Kinder wird als Aspekt guter Kindertheologie konstatiert (s.u.). Deshalb galt es folgende Hypothesen zu untersuchen: Hypothese 1

Viele Aussagen, die Schüler im Kontext von kinder- und jugendtheologischen Befragungen machen, sind zu manchen Anteilen zufällig und unterscheiden sich von denen, die sie etwa zwanzig Wochen später zur gleichen Thematik machen, in auffälliger Weise. Hypothese 2

Kindertheologie ist weniger nachhaltig als Jugendtheologie, d.h. je jünger die Kinder sind, desto zufälliger sind deren theologische Aussagen. Die Ergebnisse waren im Abgleich der Frage 1–3 des Fragebogens nicht ganz eindeutig, aber dennoch auffällig. Die Antworten wurden zwei Codes zugewiesen, je nachdem, ob der Inhalt gleich geblieben war oder nicht: Code 1: Die Antworten sind identisch bzw. weisen nur kleinere Zusätze oder Weglassungen auf, während die Kernaussage bestehen bleibt. Bsp.: Antworten auf Frage 2 von einem 15jährigen Jungen der 10. Klasse:

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

»Gott ist gnädig. Die ›Guten‹ werden sicher irgendwie bewahrt, aber die ›Bösen‹ nicht unbedingt bestraft.«9 (Antwort Durchgang 1)

ses kann man eigentlich nicht von einer »Nachhaltigkeit« einer Theologie der Kinder sprechen.

»Ich denke, es gibt einen gnädigen Gott, der zwar die ›Guten‹ belohnt, aber die ›Bösen‹ nicht bestraft.« (Antwort Durchgang 2)

Auch hinsichtlich der Hypothese 2 kann man nicht sagen, dass Jugendliche nachhaltiger antworten, was auf eine größere Beständigkeit ihrer Theologie verweisen würde.

Code 2: Die Antworten unterscheiden sich eindeutig und in auffälliger Weise voneinander. Bsp.: Antworten auf Frage 1 von einem 12jährigen Mädchen der 6. Klasse: »Ich glaube, der Mensch, der gestorben ist, wird von Gott in den Himmel geholt, also nur die Seele des Menschen.« (Antwort Durchgang 1) »Ich glaube, wenn ein Mensch gestorben ist, dann passiert gar nichts, nur, dass man bestattet wird. Außerdem weiß ich es nicht genau.« (Antwort Durchgang 2)

Abb. 4 Abweichung in den Antworten

In der Gesamtschau der Fragen wird deutlich, dass 82% der Schüler/innen im Abstand von 20 Wochen, ohne dass das Thema im Religionsunterricht bearbeitet worden wäre, verschiedene Antworten auf die gleichen Fragen geben. Nur bei 18% sind die Antworten immer gleich. Aufgrund eines solchen Ergebnis-

Abb. 5 Abweichung in den Antworten nach Alter

Es zeigen sich auch in der Betrachtung der Einzelfragen keine größeren Unterschiede. Durchgängig ist, dass mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen ihre Meinung grundlegend verändert, wie im Beispiel oben. Da die die Untersuchung durchführende Lehrerin alle Gymnasialklassen selbst unterrichtet hat, konnte sie zumindest weitgehend sicherstellen, dass das Thema Eschatologie kein Thema im ihrem Religionsunterricht war. Dem Einwand, dass durch die Befragung eine Beschäftigung mit der Thematik stattgefunden habe, aufgrund derer sich die Meinung der SuS verändert hat, kann m.E. mit Blick auf Frage 4 widerspro9 Zur Wahrung der Authentizität sind Rechtschreib- und Grammatikfehler in den Schüleräußerungen generell nicht berücksichtigt worden.

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

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chen werden: Kein(!) Schüler und keine Schülerin haben sich informiert, was in dem biblischen Text vom »reichen Mann und dem armen Lazarus« steht. Die Anzahl derer, die den Text kennen, ist, wie oben gezeigt wurde, exakt gleich geblieben. Ich halte fest: Die kleine Studie nährt den hermeneutischen Verdacht, dass kindertheologische Äußerungen vielfach zufällig sind und damit lediglich Momentaufnahmen darstellen. Wenn Kindertheologie aber für die Kinder selbst orientierend und sinnstiftend sein soll, dann muss sie auch nachhaltig abrufbar sein, also als Ergebnis eines Orientierungsprozesses als kindertheologische Kompetenz entwickelt sein. Besonders ein didaktisch kompetenzorientierter Begriff von Kindertheologie kann sich nicht mit zufälligen Einfällen des Augenblicks zufrieden geben, sondern muss auf Domainspezifizierung und Kompetenzzuwachs ausgerichtet sein.

hieße das, Gott hat einen Fehler eingesehen. Ist das theologisch richtig? Es geht »in dieser Geschichte eben nicht um einen bockigen Vater, der sich Vorwürfe macht, sondern es geht um einen Sohn, der in die Irre geht und den der Vater trotzdem wieder aufnimmt.«11 Ist der These von Klaus und Philipp Wegenast: »Biblische Geschichten dürfen auch ›unrichtig‹ verstanden werden.«12, die uns ja auch in der Kindertheologie sehr gelegen gekommen ist und oft zitiert wurde, in Anbetracht dieses Beispiels tatsächlich uneingeschränkt zuzustimmen? Reicht es, Alltagserfahrungen in den Text einzutragen oder ist es nicht auch Absicht des biblischen Textes, neue Einsichten zum Gottesbild zu gewinnen? Ist diese Interpretation akzeptabel, wenn man nach der »Angemessenheit des kindlichen Verständnisses im Blick auf das biblische Gottesbild insgesamt«13 fragt? Bezieht sich der Freischein der Auslegung nur auf biblische Texte oder auch auf theologische Fragen?

2.4 Theologie für Kinder ist notwendig, weil . . .

Hierzu ein zweites Beispiel:

. . . kindertheologische Aussagen inhaltlich problematisch sind. Friedrich Schweitzer zitiert eine Szene aus dem Religionsunterricht, bei der die Schülerin zum Gleichnis des verlorenen Sohnes zu folgendem Ergebnis kommt: »Also zuerst da waren alle beide bockig gegen sich einander, und als der Sohn dann wiedergekommen ist, da hatʼs dem Vater leid getan. Und da . . . haben sich beide entschuldigt.«10 Wenn Kinder bei diesem Gleichnis mit dem Vater Gott gleichsetzen, dann

Die oben schon erwähnte kleine studentische Studie mit 45 Teilnehmer/in­nen von 11–15 Jahren zum Thema »Krankheits10 Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011, 15. 11 Ebd., 17. 12 Klaus und Philipp Wegenast, Biblische Geschichten dürfen auch »unrichtig« verstanden werden. Zum Erzählen und Verstehen neutestamentlicher Erzählungen, in: Desmond Bell u.a. (Hg.), Menschen suchen – Zugänge finden. Auf dem Weg zu einem religionspädagogisch verantworteten Umgang mit der Bibel. Festschrift für Christine Reents, Wuppertal 1999, 246–263. 13 Friedrich Schweitzer (wie Anm. 10), 32.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

deutung und Religiosität« konnte zeigen, dass 37 von 45 Kindern bzw. Jugendlichen Menschen kennen, die »sehr schwer krank sind«. Es wurde danach gefragt, ob die Schüler/innen schon einmal, wenn es ihnen »sehr schlecht ging« (der Kontext Krankheit war klar) zu Gott gebetet hätten. Ein Junge ist unsicher, 37 Kinder bejahen die Frage, nur 7 verneinen. In unserem Sinn interessant sind die Antworten auf die letzte Frage, die in ihrer methodischen Problematik ja schon oben kritisiert wurde. Hier geht es jetzt um inhaltliche Aspekte: »Wenn ein Mensch nicht mehr gesund wird, obwohl er betet, hat Gott ihn dann nicht erhört oder denkst du, dass er ihn aus anderen Gründen nicht heilt? Welche Gründe könnten das sein?« In den Antworten findet sich nun eine erschreckend häufige Verquickung zwischen dem persönlichen Verhalten und dem Eingreifen Gottes in kausalistischem Sinn (fast ein Viertel der SuS). Obwohl die Problematik der Fragestellung durchaus gesehen werden kann, verdeutlichen die Antworten, dass hier bei den 6- bzw. 8.-Klässlern die Notwendigkeit besteht, zu widersprechen. – »Dann war er böse.« – »Dass er vielleicht etwas Schlimmes getan hat!« – »Sie hat nicht gebetet.« – »Ich glaube, er wird extra nicht geheilt, weil er was Schlimmes gemacht hat z.B. jemanden getötet. Oder Gott konnte ihn nicht heilen, weil er sehr krank ist.« – »Weil er vielleicht gesündigt hat.« Was muss ein krankes Kind durchmachen, dessen Klassenkamerad/innen der Meinung sind, weil es böse war, wird es

nicht geheilt? Damit wird betroffenen Kindern eindeutig die Schuld an ihrer Krankheit zugewiesen. Das kann doch nicht als »Theologie der Kinder« unwidersprochen stehen bleiben? Ein drittes Beispiel aus der Hauptstudie meiner Habilitationsschrift sei angefügt: Auf die Frage »Wer hat Jesus getötet?« antworten zwei Kinder »die Juden«, konkret: er wurde »von Juden an ein Kreuz genagelt« (Fragebogen 52) bzw. »sie (die Juden) kreuzigten ihn« (Fragebogen 5914). Darf man hier das historisch falsche und – nicht nur im Horizont des jüdischchristlichen Dialogs – problematische theologische Artefakt der Kinder unwidersprochen stehen lassen, weil Kinder ja auch die Passionsgeschichten »unrichtig verstehen dürfen«? Die Beispiele zur oben genannten These haben gezeigt, dass Kinderäußerungen aus unterschiedlichen Gründen problematisch sein können, sei es, dass sie den Toleranzrahmen der biblischen und dogmatischen Tradition überschreiten (Beispiel 1 und 3), sei es, dass sie Dinge sagen, die sie im Laufe ihrer künftigen Lebensbewältigung belasten könnten (Beispiel 2: Krankheit – Schuld), sei es, dass sie historisch oder sachlich unzutreffend sind (Beispiel 3). Zwischenfazit:

Aus den verschiedenen Beispielen wurde deutlich, dass eine »Theologie der Kinder« aus inhaltlichen und formalen Gründen durch eine »Theologie für 14 Vgl. Einzelheiten dazu in Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 358f.

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

Kinder« unterstützt werden muss. Weil Kinder zu wenig inhaltliche Basis in der Kenntnis von biblischen Geschichten und theologischer Tradition haben, brauchen sie hier Inputs von außen. Weil Kinder teilweise theologisch nicht richtige und für ihre Entwicklung schädliche Deutungen biblischer Themen und biblischer Geschichten hervorbringen, bedarf es eines Korrektivs. Weil die Äußerungen sowohl der Kinder als auch der Jugendlichen zu zentralen theologischen Themen ohne unterrichtliche Aufarbeitung zu großen Teilen zufällig sind, bedarf es einer Förderung nachhaltiger theologischer Kompetenzen. 3. Theologie für Kinder: Aufgaben und Perspektiven

Im zweiten Hauptteil sollen nun Perspektiven aufgezeigt werden, wie diese Defizite bearbeitet werden könnten. Hierbei geht es nicht darum, in eine Pädagogik jenseits des Perspektivenwechsels der Kindertheologie zurück zu verfallen. Also im Extrem gesprochen: Es wird zuerst mittels frontaler ›Trichterdidaktik‹ möglichst viel Wissen vermittelt, so ist der Boden bereitet, auf dem dann die Kinder zum Zug kommen können. Vielmehr gilt es, die Initiativen der Pä­ dagogen weiterhin im Rahmen der Kin­ dertheologie zu verorten, einer »Kinder­ theologie« in ihren – seit Schweitzer – ausdifferenzierten Dimensionen einer »Kindertheologie von, mit und für Kinder«.15 Präziser müsste meine These entsprechend lauten: Weil die »Kindertheologie der Kinder« in mancher Hinsicht defizitär ist und verbessert werden kann, bedarf es einer »Kindertheologie für Kinder«.

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In Korrelation zu den vier genannten Bereichen möchte ich wiederum vier Leitsätze formulieren. 3.1 »Theologie für Kinder« wird bestimmt durch den erwachsenen Gesprächspartner, der . . .

. . . Anforderungssituationen konzipiert, die Chancen für alle Kinder eröffnen. Gewiss lebt gute Kindertheologie auch von der Auswertung von Kinderäußerungen, die kirchlich sozialisiert sind und schon ein hohes theologisches Reflexionsniveau besitzen. Gleichwohl dürfen Kinder ohne diese Voraussetzungen nicht auf der Strecke bleiben. Eine allzu offene Konzeption der Anforderungssituation16 führt aber zu Ergebnissen, wie sie eingangs vorgeführt wurden. Eine niederschwellige Möglichkeit, zwischen der Skylla der »überfordernden Anforderung« und der Charybdis der »anspruchslosen Offenheit« ist m.E. mit der Entfaltung von Fragekompetenzen gegeben. An verschiedenen Stellen im Rahmen der Kindertheologie wird die Bedeutung von Schülerfragen betont. Petra Freudenberger-Lötz z.B. schreibt: »Es ist das zentrale Anliegen theologischer Gespräche mit Kindern, die Fragen der Kinder [. . .] wahrzunehmen, ernst zu nehmen, aufzugreifen und zu fördern. [. . .].«17

15 Vgl. dazu die Ausführungen und Tabelle in Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 111–123. 16 Vgl. so meine allgemeine Forderung in Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 227. 17 Petra Freudenberger-Lötz, (wie Anm. 4), 21. Es findet sich an unterschiedlichen Stellen, dass im Unterricht die Lernenden dazu ani-

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Dabei geht die Kindertheologie Hand in Hand mit einigen neueren Lehrplänen, bei denen die »Orientierung an den Fragen der Schüler« wie z.B. im neuen Lehrplan evangelische Religion für die Grundschule in NRW (2008) ein wichtiges Prinzip ist: »Schülerinnen und Schüler stellen (. . .) lebensbedeutsame Fragen«,18 Religionslehrer gehen »von den Fragen der Kinder aus und nehmen eigenverantwortlich die theologische und religionspädagogische Vernetzung vor«.19 Auch im Bildungsplan für die Hauptund Werkrealschule in Baden-Württemberg (2004) wird Fragen eine Bedeutung zugemessen: »Die religiöse Kompetenz [. . .] umschreibt die Fähigkeit, die religiöse Dimension des Lebens zu entdecken und menschliche Grunderfahrungen religiös zu verstehen und zu deuten. Die Schülerinnen und Schüler werden deshalb dazu angeregt und darin unterstützt, nach Lebenssinn und Lebenshoffnung, nach dem, was uns trägt, zu fragen und zu suchen und religiöse Spuren in ihrer Alltagswelt zu entdecken. [. . .] Dabei lernen sie auch zu fragen, wie durch die Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus das eigene Leben und Handeln geprägt wird [. . .]«20 Im Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 1 bis 10 der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und schlesische Oberlausitz wird nun direkt von einer »Didaktik des Fragens« gesprochen und dazu ausgeführt: »Der Evangelische Religionsunterricht ermöglicht Kindern und Jugendlichen, sich mit Grundfragen menschlicher Existenz, nach Gott und der Welt auseinander zu setzen.«21 Wird dieser Anspruch aber in Gesprächen, wie sie uns im Rahmen der Kindertheologie vorliegen (Theologisieren

mit Kindern) eingeholt? In seinem Beitrag »Schüler fragen. Zur Beschreibung einer sprachlichen Handlung im Religionsunterricht«22 hat der Sprachwissenschaftler Peter Weber nicht nur erörtert, unter welchen Umständen Schülerinnen und Schüler Fragen stellen, was sie damit machen und wie die Lehrenden darauf reagieren. Er hat als Datenmaterial gerade kindertheologische Gespräche ausgewertet, konkret hat er Gespräche Studierender analysiert, die Petra Freudenberger-Lötz23 in ihrer Arbeit zur Professionalisierung Studierender aufgezeichnet hat. Seine Ergebnisse sind ernüchternd:



mieren sollen, Fragen zu stellen und eine Fragehaltung zu entwickeln, z.B. 123: »Die Aufgabe der Lehrkraft in der einleitenden Phase ist es, einen ›packenden Anstoß‹ seitens der Schüler/innen aufzugreifen bzw. selbst ein Thema so zu präsentieren, dass es einen ›packenden Anstoß‹ liefert, der die Schüler/innen in Staunen, Unruhe und Verblüffung versetzt und sie herausfordert, eine persönliche Beziehung zum Gegenstand aufzubauen und eine spezifische Fragehaltung zu entwickeln.« 18 Lehrplan evangelische Religion für die Grundschule in NRW (2008), 151. 19 Ebd. 153 20 Bildungsplan 2004, 34f. 21 Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 1 bis 10, Berlin 2007, 23. 22 Peter Weber, Schüler fragen – Zur Beschreibung einer sprachlichen Handlung im Religionsunterricht, in: Heike Lindner / Mirjam Zimmermann (Hg.), Schülerfragen im (Religions-)Unterricht. Ein notwendiger Bildungsauftrag heute?!. Neukirchen-Vluyn 2011, 89– 110. 23 »Das Korpus der in Freudenberger-Lötz (2007) abgedruckten Transkripte wird im Folgenden als Stichprobe von Unterrichtsausschnitten genutzt, um diese Fragen zu untersuchen.« Ebd., 94

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

»In zwei Dritteln der Fälle führen die Lernenden objektorientierte sprachliche Handlungen aus: Im Wesentlichen erläutern sie (62%), das Stellen theologischer Fragen tritt selten auf (4%). Die explizit selbstorientierten und mitschülerbezogenen sprachlichen Handlungen teilen sich das restliche Drittel, direkt lehrerbezogene sind ganz selten. Die Arbeit in den aufgezeichneten Unterrichtsausschnitten besteht also für die Lernenden im Wesentlichen in der Auseinandersetzung mit den Unterrichtsgegenständen, an die sie gegebenenfalls ihre persönlichen Gedanken anschließen. Zu den sprachlichen Schülerhandlungen gehören auch Fragen. Ihre Anzahl im Korpus ist aber viel niedriger als die der Lehrerfragen: 114 Lehrerfragen stehen lediglich 18 Schülerfragen gegenüber.«24 Im Klartext gesprochen finden wir hier fast durchgängig das »Fragen-entwickelnde Unterrichtsgespräch«: »Dadurch, dass in fast allen Lehreräußerungen (knapp 90%) Fragen auftauchen, nehmen die Lehrenden viel stärkeren Einfluss auf den Gesprächsverlauf als die Lernenden. In knapp der Hälfte der Gespräche stellen nur Lehrende Fragen, in einem weiteren Drittel stellen Lehrende mehr Fragen als Lernende. Im Extremfall (T 8, S. 204) machen die Lehrerfragen fast die Hälfte sämtlicher Sprecherbeiträge im Gespräch aus.«25 Diese Dominanz der Lehrerfragen ist für klassische Unterrichtssituationen nicht ungewöhnlich. Untersuchungen gehen davon aus, dass Lehrende im Frontalunterricht im Schnitt ein bis zwei Fragen pro Minute stellen, d.h. 50–120 Fragen pro Unterrichtsstunde26. Für kindertheologische Gespräche ist das allerdings nicht so gedacht.

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Es entspricht zwar durchaus guter sokratischer Tradition, gerade durch Fragen des Lehrenden die Denkleistung des Lernenden herauszufordern. Allerdings gehen die Lehrerfragen in der Regel nicht konkret auf die Äußerungen der Kinder ein, greifen diese nicht auf und stellen sie in Frage. Hier wäre also weiterhin an der »Professionalisierung des erwachsenen Gesprächspartners« der Kindertheologie zu arbeiten. Eine Möglichkeit, wie eine »Theologie für Kinder« aus einer »Theologie der Kinder« entwickelt werden kann, könnte darin bestehen, Schülerfragen als Input vorzugeben. Authentische Fragen (aus Vorstudien, anderen Unterrichtsprozessen o.Ä.) können in Gestalt von medialen Aufzeichnungen oder in schriftlicher Form Kindern vorgelegt werden. So geht die inhaltliche Fokussierung von den Kindern aus, theologische Auseinandersetzung ist »ein gemeinsames Geschehen auf Augenhöhe«27, es kann das »Verborgene, Verdeckte, auch Übersehene«28 freigelegt werden und es werden aufgrund der geringeren Komplexität auch Kinder / Jugendliche mit geringeren Voraussetzungskompetenzen herausgefordert, Fragen aufzunehmen und zu erörtern, die doch keine Erwachsenenfragen sind. 24 Ebd., 97–98. 25 Ebd., 101. 26 Anne Levin, Lernen durch Fragen, Münster 2005, 70. 27 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen 2011, 108. 28 Christoph Rosner, Gibt es den Himmel auf Erden? KatBl 131 (2006), 114–116, 116.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Um fragen zu können, bedarf es gleichwohl auch eines bestimmten Wissensniveaus. So komme ich zum zweiten Leitsatz: 3.2 »Theologie für Kinder« wird bestimmt durch den erwachsenen Gesprächspartner, der . . .

. . . eine Wissensbasis29 vermittelt, die komplexeres und kreatives theologisches Denken ermöglicht. Eine rein lernzielorientierte Didaktik hatte sich z.B. zum Ziel gesetzt, ein bestimmtes Gottesbild zu vermitteln und dafür z.B. einzelne Texte, wie das »Gleichnis vom barmherzigen Vater« als Impulstext ausgewählt. Um es in ein Bild zu bringen: Die Didaktik mit einem fixierten Lernziel gleicht einem Modellbausatz, in dem die Einzelteile samt Bauanleitung gegeben werden. Im glücklichen Fall gelingt es dem Lernenden im Verlauf eines Unterrichtsgeschehens, die Teile korrekt zusammen zu setzen, um sich an dem schönen Ergebnis zu freuen. Wie das Modellflugzeug am Ende aussehen soll, war zumindest dem Pädagogen von Anfang an vor Augen. Kindertheologie hat sich jedoch gerade der Offenheit des Prozesses verpflichtet. Um im Bild zu bleiben: Die Aufgabe einer Theologie für Kinder kann es deshalb nur sein, Bauteile bereit zu stellen, die auf unterschiedliche Weise zusammengebaut werden können. Aber um zu irgendwelchen Ergebnissen zu kommen, bedarf es einer gewissen Vielfalt der Bauteile: Mit fünf verschiedenen Tragflächen, aber ohne Motor und Cockpit kann kein Flugzeug entstehen; obwohl jeder zustimmen

wird, dass die Tragflächen absolut notwendig sind. Auf die Kindertheologie bezogen: Mit verschiedensten Texten zum »gnädigen Gott« habe ich zwar einen zentralen Aspekt zum biblischen Gottesbild benannt, aber es würde auch wesentliche Aspekte verschweigen und besonders auch höhere Komplexität und Reflexivität über das Gottesbild erschweren. Um mehr Konkretion zu erlangen: In einer Morgenandacht für Jugendliche wurde unlängst als biblischer Text das Gleichnis von der verschlossenen Tür (Lk 13,22–30) gelesen, nachdem zuvor das Lied »Danke, für diesen Guten Morgen« gesungen worden war. Sofort kam die Frage einer Schülerin auf: »Wie passen die Aussage ›Dein Heil kennt keine Schranken‹ aus dem Lied und das Bild von der verschlossenen Tür des Textes zusammen. Das ist doch ein Widerspruch!« Es entwickelte sich ein fruchtbares Unterrichtsgespräch über billige und teure Gnade, indem aus diesem theologischen Miteinander von Gericht und Gnade auch Gerichtstexte ohne Angst zu bewirken theologisch adäquat eingebracht werden konnten. Diese Situation könnte wiederum als Anforderungssituation für andere Unterrichtssettings zur Verfügung stehen, zu der sich die Kinder / Jugendlichen positionieren sollen. Entsprechend des oben Ausgeführten sind Kinder und Jugendliche nicht vor 29 Bewusst wird in diesem Zusammenhang die Auswahl von theologischen Inhalten und Themen. Das Dargestellte zeigt nur, dass sowohl Kinder als auch Jugendliche nicht nur aus sich selbst heraus theologisch kommunizieren können, sondern auf Impulse von außen angewiesen sind.

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

sperrigen und z.T. widersprüchlichen Aussagen der biblischen und theologischen Tradition zu bewahren, vielmehr sollen Wissensbestände so erweitert werden, dass diese Spannungen überhaupt erst wahrnehmbar werden. Die Vermittlung von Wissensbeständen sollte im Horizont einer Theologie für Kinder also daran interessiert sein, die Wissensbestände so zu wählen, dass die bestehenden Kinderdomains herausgefordert und spezifiziert werden. Wiederum ist der Input des erwachsenen Kindertheologen dabei eng auf die Theologie der Kinder bezogen, denn es geht letztendlich um die »gemeinsame, offene Erkenntnissuche«30. 3.3 »Theologie für Kinder« wird bestimmt durch den erwachsenen Gesprächspartner, der . . .

. . . Kompetenzförderung langfristig und nachhaltig anlegt und somit Zufälligkeit zu minimieren versucht. Kindertheologie kann eine »Theologie bei Gelegenheit« sein. Als solche mag sie prophetische und inspirierende Kraft entfalten. Wissenschaftlich verantwortete und pädagogisch förderbare Kindertheologie im Rahmen von Religionsunterricht darf sich jedoch nicht auf Augenblickseinfälle beschränken.31 Insbesondere mein kompetenzorientierter Begriff von Kindertheologie rechnet mit der Möglichkeit, das kindertheologische Kompetenzniveau durch gezielte Unterrichtsprozesse zu steigern und nachhaltig zu erhöhen. Dafür braucht es neben einer langfristigen kompetenzorientierten Anlage

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kindertheologischer Arbeit auch Kriterien, die deutlich machen, welche Art von »guter Theologie« wir fördern wollen. Dazu habe ich versucht, interne Bewertungskriterien32 aufzustellen, die neben externen Bewertungskriterien, die im nächsten Punkt besprochen werden, nötig sind. Die Aspekte der »Nicht-Zufälligkeit«, d.h. dauerhaft und begründet verfügbar, und des »Bezugs zu biblischer und theologischer Sprachtradition im Sinne von notwendigen Wissensbausteinen« wurden oben dargelegt. Als interne Kriterien wurden an anderer Stelle – innere Logik, Stringenz und Kohärenz – Sprachkompetenz (Begriffsbildung, narrative und metaphorische Kompetenzen) – Kreativität und Innovationsgrad – Angemessenheit, Referenzialität und Relevanz – Abstraktionsniveau, Komplexitätsgrad und Vernetzungsmöglichkeiten ausgewiesen.33 Die Aufgabe von erwachsenen Gesprächspartnern könnte es sein, anhand dieses Wertungsrasters gezielte Kompetenzerweiterungen herauszufordern. Bleiben wir exemplarisch beim letzten Punkt »Abstraktionsniveau«: Ein Kind stellt angesichts des Todes der geliebten Katze die Frage: »Warum hat Gott erlaubt, dass Harvey überfahren wird?«

30 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 27), 126. 31 Vgl. dazu Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 165–167. 32 Vgl. zu dieser Differenzierung Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 220–226. 33 Vgl. Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 163 im Überblick.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Diese kindertheologische Einzelfrage könnte im gemeinsamen Gespräch auf die grundlegendere Frage erweitert werden: »Warum lässt Gott zu, dass unschuldige Haustiere – wie z.B. meine Katze Harvey – sterben müssen?« Der Weg vom Einzelfall zum grundlegenden theologischen Problem ließe sich leicht hervorrufen, indem z.B. andere Geschichten eingebracht werden, in denen auch schon Haustiere gestorben sind, bzw. das grundlegende Problem dahinter (Theodizeefrage, Bedeutung von Tieren in der Schöpfung u.a.) bearbeitet wird. Fazit: Damit Kinderäußerungen durch gezielte Interaktion Erwachsener auf ein höheres Niveau von kindertheologischer Kompetenz angehoben werden, hilft auch die reflexive Durchdringung bei einer nachhaltigen Anlage theologischen Denkens. Unterstützt werden muss dieses Vorgehen, wie die Kognitionspsychologie deutlich macht, durch emotionale Anbindung, konkrete Anforderungssituationen aus dem Leben der Kinder, Spiralcurricula, die kumulativ angelegt sind, denn »Bildung fordert immer dazu heraus, bestehende Fähigkeiten zumindest gezielt zu festigen und, wo möglich, zu bereichern und, zumindest immer wieder, auch zu erweitern und bewusst zu überschreiten.«34 3.4 »Theologie für Kinder« wird bestimmt durch den erwachsenen Gesprächspartner, der . . .

. . . nicht jede beliebige Interpretation zulässt, sondern Interpretationskorridore eröffnet, bei denen auch Grenzen benannt werden, damit christliche Kin-

dertheologie als solche erkennbar bleibt. Die im ersten Hauptteil genannten Beispiele haben deutlich gemacht, dass die Offenheit der kindertheologischen Artefakte Grenzen hat. Dieser Punkt mag auch unter Kindertheologen kontrovers diskutiert werden. Ist nicht doch jede beliebige Kinderäußerung bereits Kindertheologie? Damit Kindertheologie nicht zu einem unscharfen und damit sich selbst unterwandernden Sammelbegriff wird, habe ich mich für einen Begriff von Kindertheologie ausgesprochen, der aus dem Theologiebegriff selbst heraus abgeleitet ist.35 Wenn bereits jedes Nachdenken über Fragen zu ›Gott und der Welt‹ Kindertheologie wäre, d.h. Kindertheologie rein formal bestimmt würde, dann gäbe es keinen Unterschied zur Kinderphilosophie und Kindertheologie müsste sich nur als Teilbereich der Kinderphilosophie verstehen. Wenn nun inhaltsbezogen jedes beliebige Reden über oder Ausüben von Religion bereits Kindertheologie wäre, dann wäre Kindertheologie nicht mehr von kindlicher Religion und Kinderspiritualität unterscheidbar. Ein kompetenzorientierter Begriff von Kindertheologie nimmt besonders die von Klieme u.v.a. eingeforderte »Bereichs- und Domänen34 Friedrich Schweitzer (wie Anm. 10), 34 mit Verweis auch auf die Kinderphilosophie: Es ist »wichtig, bei aller Freude am freien Gedankenaustausch auch handwerkliche Fortschritte zu erzielen«, dazu wird ein »Kompetenz- und Gradierungsmodell« ausgewiesen. Ekkehard Martens, Kinderphilosophie und Kinderphilosophie – Familienähnlichkeiten. In: Anton A. Bucher, u.a. (Hg.), »Kirchen sind ziemlich christlich«. Erlebnisse und Deutungen von Kindern. Jahrbuch für Kindertheologie 4. Stuttgart 205, 12–28, 22. 35 Vgl. Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 59–70.

Zimmermann Zur Dialektik einer aufgeklärten Kindertheologie

bezogenheit«36 ernst. Kindertheologische Kompetenz zeigt sich deshalb immer in Auseinandersetzung mit bereichsspezifischen Inhalten, d.h. der biblischen und christlichen Tradition. Ein diffuses Sprechen über die Wiedergeburt in östlichen Religionen ist im strengen Sinn deshalb keine Kindertheologie. Ein Nachdenken muslimischer Kinder über die christliche Rede vom dreieinigen Gott ist hingegen Kindertheologie im vollen Sinne. Dass Kindertheologie nur von getauften Kindern zu vollziehen ist, ist ein gründliches Missverständnis meines domänenspezifischen Ansatzes.37 Auch wenn der (Unterrichts-)Prozess eines kindertheologischen Gesprächs grundsätzlich offen ist, können und müssen Grenzen eines Korridors oder Spielfeldes benannt werden, die Kindertheologie als solche nicht mehr erkennbar werden lassen. Ferner können aber auch innerhalb des Spielfeldes Kriterien benannt werden, nach denen kindertheologische Äußerungen bewertet werden können und ein unterschiedliches Maß an Güte aufweisen. Kindertheologie braucht z.B. die Rückbindung an die Sprachtradition der Bibel und Dogmengeschichte. Nur auf diese Weise wird sie davor bewahrt frei schwebende Kinderspekulation zu sein oder als individualistische Einzelleistung in die Isolation zu geraten. Christliche Theologie zeichnet sich durch Dialog und Streit, aber eben auch durch Kanonund Konsensprozesse aus. Dies gilt auch für die Kindertheologie. Das Ausmaß eines Bezugs zur biblischen und dogmengeschichtlichen Sprachtradition ist deshalb m.E. ein Kriterium, das bei der Kompetenzentwicklung von Kindertheologie im Blick sein sollte.

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Es muss darüber hinaus aber auch die Aufgabe des Erwachsenen sein, Gefahren und Grenzen kindertheologischer Äußerungen zu benennen, wie sie in den oben ausgeführten Beispielen deutlich wurden. Auf welche Art und Weise das methodisch sinnvoll getan werden kann, muss an anderer Stelle erörtert werden. Epilog: Zur Dialektik aufgeklärter Kindertheologie

In allen genannten Punkten wurde die komplementäre Verzahnung der Theologie für Kinder mit der Theologie der Kinder sichtbar. Die Aktivität der Erwachsenen unterwandert keineswegs die Grundbekenntnisse der Kindertheologie wie etwa die Selbsttätigkeit und Eigenwertigkeit des Kindes oder die Offenheit des unterrichtlichen Prozesses. Lediglich das Ideal der »Autonomie« wurde kritisch befragt, was endlich zu meinem Titel führt. Natürlich ist deutlich, dass hier auf die aufklärungskritische Schrift von Horkheimer / Adorno38 Bezug genommen wird: 36 Vgl. Klieme, E. u.a. (Hg.), Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise, Bonn 2003, 134f: Kompetenzen sind bereichsund domänenspezifisch, d.h. Lernen und Lehren vollzieht sich nicht abstrakt, sondern in Auseinandersetzung mit bereichsspezifischen Inhalten unter Einbeziehung zugehöriger Methoden, vgl. dazu auch Mirjam Zimmermann (wie Anm. 5), 136. 37 Friedrich Schweitzer (wie Anm. 10), 191. 38 Zuerst Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, hektografiertes Manuskript 1944; wiss. Ausgabe in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, 19 Bände, hg. von Gunzelin Schmid Noerr, Band 5: Dialektik der Aufklärung und Schriften 1940–1950, Frankfurt/M. 1987 (3. Aufl. 2003).

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

»Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie wollte die Mythen auflösen und durch Wissen stürzen. (. . .) Schon der Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.«39 Ohne den Vergleich überstrapazieren zu müssen, soll auf Horkheimer / Adorno hier als gedankliche Väter der kritischen Theorie und eines dialektischen Denkens Bezug genommen werden. So wie Aufklärung in Mythologie umschlagen kann, so könnte sich das Bekenntnis zur den in die Autonomie entlassenen Kindertheologen in eine neuromantische Kinder-Mythologie wenden. Mehr noch: Nach Horkheimer / Adorno war es die durch die Aufklärung entfesselte Vernunft, die als »Herrschaft über eine objektivierte äußere und die reprimierte innere Natur«40 selbst in Mythologie zurückgeschlagen ist. Kindertheologie wird analog zum unreflektierten Macht- und Herrschaftsinstrument, wenn unter dem Hinweis auf die Autonomie der Kinder jegliche Mitverantwortung am pädagogischen Geschehen verweigert wird, oder kindertheologische Äußerungen für die eigene Kritik an bestehenden theologischen Systemen instrumentalisiert werden. Analog zu Horkheimer / Adorno wird die Befreiung destruktiv, wenn sie sich gegen sich selbst bzw. die Natur – oder in unserem Fall gegen die eigene theologische Tradition wendet.

Die Dialektik der Aufklärung soll also zum Anlass der »Selbstkritik« und »Selbstbesinnung« genommen werden, so war es auch die Motivation für Adorno / Horkheimer. Das freudige Bekenntnis zu dem Austritt des Kindes aus der pädagogisch verschuldeten Unmündigkeit darf nicht zur Ideologie einer zügel- und planlosen Kinderüberhöhung führen, die unter dem Deckmantel der Eigenständigkeit der Kinder eine Verantwortungsverweigerung der Pädagogen zur Folge hat. »Kinder brauchen Grenzen«41, – so ein bekannter Buchtitel, Kinder brauchen Orientierung und Gegenwind. Die »Theologie der Kinder« braucht entsprechend eine »Theologie für Kinder« damit sie zur theologischen Kompetenz führen kann. Eine »Theologie der Kinder« und eine »Theologie für Kinder« müssen deshalb eng aufeinander bezogen – oder sagen wir es mit Habermas – ineinander verschlungen bleiben.42

39 Ebd., 10 und 13. 40 Vgl. Jürgen Habermas, Die Verschlingung von Mythos und Aufklärung: Horkheimer und Adorno, in: ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, 130–157, 134. 41 Jan-Uwe Rogge, Kinder brauchen Grenzen, Berlin 2004. 42 Jürgen Habermas (wie Anm. 40).

Pemsel-Maier Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot?

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Sabine Pemsel-Maier Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot? Klärungshilfen von Seiten der Systematischen Theologie 1. Differenzierungen – Entwicklungen – Herausforderungen

Theologisieren mit Kindern erfordert nicht zwangsläufig und in jedem Fall das explizite Bemühen um eine Theologie für Kinder. Das wissen (Groß)Eltern und Erzieherinnen, die primär an der Theologie der Kinder interessiert sind, ebenso wie die reichhaltige Forschung auf diesem Gebiet. Theologie für Kinder stellt sich jedoch als Aufgabe in allen religiösen und theologischen Bildungsprozessen, denn mit ihnen verbindet sich sowohl der Anspruch auf Zielgerichtet1 als auch auf die Eröffnung neuer Perspektiven2. Zurückhaltung in dieser Hinsicht führt gerade nicht dazu, dass sich »die Kinder von dogmatischen Theorien oder diskursiven Imperativen unvorbelastet dem Eigentlichen, in unserem Fall also der Religion zuwenden können, sondern lediglich dazu, dass die natürlich auch bei den Kindern immer schon begrifflich konstituierte Wahrnehmung und Würdigung von Religion sich nicht pädagogisch begleitet, sondern biographisch zufällig vollzieht.«3 Religiöse Bildungsprozesse können und wollen es nicht dem Zufall überlassen, mit welchem »Material« Kinder ihre Theologien konstruieren. Diese entwickeln sie eben gerade nicht im luftleeren Raum oder aus dem »hohlen Bauch« heraus4, sondern im Rückgriff auf das, was

ihnen ihre Umgebung, gezielt oder zufällig, bewusst oder unbewusst, zur Verfügung stellt, um es zu rezipieren und zu

1 So Dietrich Benner, Bildung und Religion. Überlegungen zu ihrem problematischen Verhältnis und zu den Aufgaben eines öffentlichen Religionsunterrichts heute, in: Achim Battke u.a. (Hg.), Schulentwicklung – Religion – Religionsunterricht, Freiburg i.Br. 2002, 51–70. 2 Vgl. Mirjam Schambeck, Wie Kinder glauben und theologisieren. Religionspädagogische Konsequenzen aus den theologischen Konstruktionen von Kindern, in: Matthias Bahr / Ulrich Kropač / Miriam Schambeck (Hg.), Subjektwerdung und religiöses Lernen. Für eine Religionspädagogik, die den Menschen ernst nimmt, München 2005, 18–28, 23: »Um Kindern die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln, ergibt sich das Desiderat, ihnen auch Informationen anzubieten, die neu sind. Nur so können sie selbst in immer neue Konstruktionsprozesse verwickelt werden, die dem lebendigen und zur Freiheit befreienden Gott, wie ihn der jüdisch-christliche Glaube verkündet, auf die Spur kommen.« 3 Christian Kahrs, »Dann ist der Teufel ja aber auch gut!?« – Didaktische Perspektiven zum Theologisieren mit Kindern am Beispiel einer Befragung zu »Auferstehung der Toten«, in: Gerhard Büttner / Martin Schreiner (Hg.), »Manche Sachen glaube ich nicht«. Mit Kindern das Glaubensbekenntnis erschließen, JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2008, 175–187, 187. 4 Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma? in: Ders. (Hg.), »Mittendrin ist Gott«. Kinder denken nach über Gott, Leben und Tod, JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 9–27, 21.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

transformieren5. Öffentliche und kirchliche Bildungseinrichtungen und besonders der schulische Religionsunterricht können sich darum von einer Theologie für Kinder nicht dispensieren. Auch wenn Theologie für Kinder schon früh als eine der drei kindertheologischen Dimensionen firmiert, wurde sie vergleichsweise wenig bedacht. Dass sie lange mit großer Zurückhaltung verfolgt wurde, war wesentlich begründet durch die Sorge, die Deutungen der Kinder, deren Würdigung das besondere Verdienst der Kindertheologie ausmacht, mit denen der Erwachsenen zuzudecken, ihnen fremde Meinungen überzustülpen und in eine überwundene Vermittlungsdidaktik, ja Indoktrination zu verfallen. Vor allem in der Pionierphase der Kindertheologie galt sie als geradezu vermintes Terrain. 6 Eben weil es erklärtes Ziel der Kindertheologie war, die Erwachsenenzentriertheit in der Theologie zu überwinden, musste sie zwangsläufig allen Versuchen einer Theologie von Erwachsenen für Kinder höchst kritisch gegenüber stehen.7 Die Skepsis wandelte sich zur Problemanzeige und zur Aufgabe, als sich heraus kristallisierte, dass eine Theologie für Kinder im Kontext der Kindertheologie und des Perspektivenwechsels hin zum Kind sich von der traditionellen kindgerecht vermittelten Theologie grundlegend unterscheiden musste.8 Je mehr sich das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen etablierte, je klarer wurde, dass damit jegliche Form der Instruktion unvereinbar war, desto unbefangener gehen jüngere Publikationen damit um.9 Henning Schluss konzediert einer Theologie für Kinder eine im positiven Sinne »missionarische« Dimen-

5 Ausführlich Dietlind Fischer / Albrecht Schöll (Hg.), Religiöse Vorstellungen bilden. Erkundungen zur Religion von Kindern über Bilder, Münster 2000; Sabine Pemsel-Maier, »Wir glauben immer daran, wenn einer aus unserer Familie stirbt, dass er dann auf den Boden kommt und als Schutzengel auf uns aufpasst«. Medien-, Volks- und Familientheologie als Quelle der Theologie von Kindern, in: Peter Müller / Mechthild Ralla (Hg.), Alles Leben hat ein Ende. Philosophische und theologische Gespräche mit Kindern, Berlin / Münster / Zürich 2010, 87–100. 6 So befürchtete Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? in: Anton A. Bucher / Gerhard Büttner (Hg.), »Im Himmelreich ist keiner sauer«: Kinder als Exegeten, JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–16, 14, »ein deduktives Vermittlungsmodell, bei dem aus Kindertheologie ein Nürnberger TrichterModell zu werden droht. Mini-Theologie wäre in der Tat keine Perspektive für die Religionspädagogik. Ist damit aber auch schon die Frage einer Theologie für Kinder erledigt?« Weniger skeptisch Friedhelm Kraft, »Theologisieren mit Kindern« – ein neues didaktisches Leitbild für den Religionsunterricht der Grundschule? in: Theologische Beiträge 35 (2004) 81–91; Ders., Quo vadis Religionspädagogik? Eine Standortbestimmung aus Sicht der Kindertheologie, in: Loccumer Pelikan 4/05, in: www.rpi-loccum.de/krquo.html. 7 Deutlich wird dies unter anderem im Vergleich mit der Genese der Kindertheologie in Norwegen: Elisabeth Tveito Johnsen / Friedrich Schweitzer, Was ist kritische Kindertheologie? Vergleichende Perspektiven aus Norwegen und Deutschland, in: Anton A. Bucher / Gerhard Büttner (Hg.), Gott gehört so ein bisschen zur Familie. Mit Kindern über Glück und Heil nachdenken, JaBuKi 10, Stuttgart 2011, 27–36. 8 Gerhard Büttner, Kindertheologie beobachtet. Dekonstruktive Ansichten, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 6 (2007), 2–11, 9, hält als Fazit des Diskussionsstandes fest, »dass die Zuordnung einer Theologie der Kinder zu einer Theologie für Kinder sich momentan eher noch als Aufgabe zeigt denn als Feld gelungener Lösungen.« 9 In den neueren Bänden der »Jahrbücher für Kindertheologie« finden sich eine Fülle von anregenden Vorschlägen auch zu einer Theologie für Kinder; exemplarisch Gerhard Bütt-

Pemsel-Maier Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot?

sion10; Mirjam Zimmermann11, Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer12 widmen ihr breite Überlegungen. Als Herausforderung nicht nur auf katholischer Seite bleibt, dass sich »die Religionspädagogik mit Avancen konfrontiert (sieht), die ihr (. . .) die Vermittlung von Glaubenswissen abverlangen, das wohl altersgemäß elementarisiert werden soll, aber doch einen theologischen Vollständigkeitsanspruch einlösen muss.« – »Es scheint so zu sein, als wenn aus Angst vor einem auch nur tendenziell stattfindenden Rückfall in Materialkerygmatik die Probleme marginalisiert werden, die mit einer unirritierten und verabsolutierten Subjektorientierung und Erfahrungsorientierung verbunden sind.«13 Wie innerhalb der Kindertheologie einer solchen Marginalisierung Vorschub zu leisten ist, wie Subjekt- und Erfahrungsorientierung zu wahren sind, ohne verabsolutiert zu werden, wie diese unaufgebbaren Prinzipien gegenwärtiger Religionspädagogik nicht auf Kosten der Inhaltlichkeit gehen dürfen, bedarf einer Klärung im Dialog mit der Systematischen Theologie.14 Denn die theologisch gewichtigsten Argumente für eine Theologie für Kinder haben hier ihre Wurzeln. 2. Zentrale Aspekte einer Theologie der Offenbarung: Argumentationen 2.1 Der fundamentalste Begriff des Christentums – religionspädagogisch wenig bedacht

Systematische Theologie ist von ihrer Aufgabe her Offenbarungstheologie, weil sie in Entsprechung zur Selbstoffenbarung Gottes betrieben wird und

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diese auslegt. Unter dieser Perspektive verlangt sie geradezu nach einer Theologie für Kinder. Mit dem Rekurs auf die Offenbarung kommt ein Begriff ins Spiel, der innerhalb der gegenwärtigen Religionspädagogik nur selten bedacht wird. Stefan Altmeyer hat mittels korpuslinguistischer Methoden 171 Aufsätze und Forschungsarbeiten aus zehn Jahrgängen (1999–2008) der »Religionspädagogischen Beiträge«, Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Katholische Religionspädagogik und Katechetik, auf die Frage hin ausgewertet, welche Begriffe sich als prägend erweisen15. Der Begriff

ner / Martin Schreiner (Hg.), »Manche Sachen glaube ich nicht«. Mit Kindern das Glaubensbekenntnis erschließen, JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2008. 10 Henning Schluß, Kindertheologische Differenzierungen – Zwei Fragen zur Kindertheologie. In: Anton A. Bucher / Gerhard Büttner, »Sehen kann man ihn ja, aber anfassen . . .?« JaBuKi 7, Stuttgart 2008, 21–24, 23. 11 Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen 2010, 115–119, 140f, 188ff. 12 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 107–134. 13 Bernhard Grümme, Theologie der kleinen Leute. Systematische Theologie und Religionspädagogik, in: Ralf Miggelbrink / Dorothea Sattler / Erich Zenger (Hg.), Gotteswege. Für Herbert Vorgrimler, Paderborn 2009, 241–257, 245. 14 Zu den Chancen und Grenzen dieses Dialoges Sabine Pemsel-Maier, Jenseits von Dogmatismus und radikalem Konstruktivismus. Perspektiven aus der Systematischen Theologie zur gegenwärtigen Religionspädagogik, in: Religionspädagogische Beiträge 66/2012, 60–69. 15 Stefan Altmeyer, »Deine Sprache verrät Dich.« Schlüsselbegriffe der Religionspädagogik im Spiegel ihrer Wissenschaftssprache, in: Religionspädagogische Beiträge 66/2012, 31–46.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

»Offenbarung«, insgesamt nur zehnmal genannt, rangiert am Ende der Skala, noch hinter »Kirche« und »Tradition«. Dabei kann Offenbarung als der theologische Grundlagen- und Schlüsselbegriff für die Selbstauslegung des Christentums gelten. Karl Rahner bezeichnet ihn als »fundamentalsten Begriff«16 überhaupt, insofern sich darin das Selbstverständnis des Christentums als Offenbarungsreligion artikuliert, das es mit den anderen monotheistischen Religionen teilt. Eine gewisse Schwierigkeit besteht darin, dass das Wort sowohl als Erfahrungsbegriff als auch als Reflexionsbegriff verwendet wird, was zu semantischer Verunklarung führt. Im Folgenden findet er Verwendung als Reflexionsbegriff, zur Bezeichnung der gesamten Wirklichkeit, auf die sich der christliche Glaube bezieht17. Damit kommt ihm eine hermeneutisch-deskriptive Funktion zu: Er erschließt die Heilsgeschichte als Selbstmitteilung oder Selbstbekundung Gottes. 2.2 »Extra nos«: Eine Wirklichkeit, die von außen auf den Menschen zukommt

Offenbarungstheologie macht darauf aufmerksam, dass die Glaubensinhalte, die »fides quae« sich nicht menschlicher Reflexion und gedanklicher Konstruktion verdanken, sondern den Menschen vorgegeben sind. In der Sprache der Tradition heißt dies: Die Offenbarung ergeht »extra nos«; sie kommt »von außen«, nämlich von Gott her auf die Menschen zu. Dass dieser Gott einer ist, der das Heil der Menschen will, dass er im Alten bzw. Ersten Bund immer wieder neu um sein auserwähltes Volk wirbt, wenn es sich von

ihm abzuwenden droht, dass er nicht nur Israel, sondern alle Menschen vorbehaltlos liebt und unter ihnen sein Reich aufrichten möchte, dass dieser Gott Mensch wird in Jesus von Nazareth, dass dieser sich ans Kreuz schlagen lässt, obwohl er niemandem etwas getan hat, dass er vom Tod wieder auferweckt wurde, dass wir darum Hoffnung über den Tod hinaus haben – alles das haben Menschen nicht aus sich selbst, sondern verdanken sie der göttlichen Selbstmitteilung. Damit ist das Fundament angegeben, auf dem im Christentum theologische Aussagen nur möglich sind. Der stetige Rekurs darauf macht zweierlei geltend: »dass das Fundament des Christentums nicht nur aus Offenbarung stammt (Ursprungsrelation), sondern seiner bleibenden innersten Wesensbewandtnis nach dynamisch als Offenbarung zu denken ist, d.h. als eine bleibend unverfügbare Gabe (. . .).«18 Dass die Offenbarung »extra nos« an die Menschen ergeht, begründet allerdings keinen offenbarungstheologischen Extrinsezismus, so als handele es sich dabei um eine dem Menschen rein äußerliche oder gar fremde Wirklichkeit. Vor allem im Zuge ihrer anthropologischen Wende hat die katholische Theologie herausgestellt, dass die Bedingung der Möglichkeit des Verstehens und der 16 Karl Rahner, Schriften zur Theologie Band XIV: In Sorge um die Kirche, Einsiedeln 1980, 56. 17 Ausführlich Max Seckler, Der Begriff der Offenbarung, in: Walter Kern u.a. (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie. Band 2: Traktat Offenbarung. 2., verbesserte u. aktualisierte Auflage, Tübingen 2000, 41–61; Wolfhart Pannenberg, Offenbarung und »Offenbarungen« im Zeugnis der Geschichte, ebd. 64–82. 18 Seckler (wie Anm. 17) 51.

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Annahme der Offenbarung von Gott her im Menschen selbst angelegt ist. Es war vor allem das Verdienst Karl Rahners, die Frage nach dem Adressaten von Gottes Selbstmitteilung und nach den im Subjekt vorausgesetzten Bedingungen zu stellen, zu reflektieren und zu zeigen, dass in theologischer Perspektive Menschsein nur gedacht werden kann als auf die Selbstmitteilung Gottes angewiesenes Menschsein. Mit ihrer anthropologischen Wende hat die Theologie nicht nur das Erbe der Aufklärung und die Subjektphilosophie rezipiert, sondern die Menschwerdung Gottes als Schlüssel für das Verständnis des Menschen in neuer Weise ernst genommen. Der Mensch ist damit von innen her auf Gottes Wort bzw. auf Gottes Offenbarung hin ausgerichtet. 2.3 Vom instruktionstheoretischen zum kommunikationstheoretisch-partizipativen Verständnis von Offenbarung

Dieser Überzeugung der anthropologisch gewendeten Theologie entspricht das Offenbarungsverständnis des 20. und 21. Jahrhunderts. Das Verständnis von Offenbarung war im Lauf der Theologiegeschichte beträchtlichen Wandlungen unterworfen. Kennzeichnend für das Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert ist eine fortschreitende Intellektualisierung der Offenbarungsidee, die später als »instruktionstheoretisch« qualifiziert werden sollte: Offenbarung wurde verstanden als göttliche Belehrung über Heil und Erlösung, als Information über übernatürliche satzhafte Wahrheiten und Sachverhalte, als Übermittlung einer übernatürlichen Doktrin. Dem Menschen blieb

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als adäquate Reaktion nichts anderes als das gehorsame Annehmen und Fürwahrhalten von sonst uneinsichtigen Glaubenswahrheiten. Diesem Verständnis hat die neuere Offenbarungstheologie eine klare Absage erteilt, auf katholischer Seite unter anderem in der Dogmatischen Konstitution über die Offenbarung »Dei Verbum« auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (vgl. DV 4 und 6).19 An die Stelle der belehrenden Instruktion setzt sie und mit ihr die gegenwärtige Theologie die Selbstmitteilung Gottes: Gott teilt nicht irgendwelche Lehren oder satzhaften Wahrheiten mit, sondern sich selbst. Verstand das Erste Vatikanische Konzil die Offenbarung als Übermittlung göttlicher Dekrete und Weisungen, so fasst sie das Konzil jetzt als Beziehung stiftendes Kommunikationsgeschehen zwischen Gott und den Glaubenden. Auf diese Weise gibt Gott Anteil an sich und an seiner Herrschaft, die unter den Menschen Gestalt gewinnen soll. Offenbarung vermittelt demnach nicht irgendein Wissen vom Heil, sondern ist die Verwirklichung von Heil; es gibt kein Heilsgeschehen außerhalb von ihr. Auf Seiten des Menschen entspricht dem das Annehmen der Offenbarung, das Sich-Einlassen auf dieses Heilsgeschehen, das umfassend und ganzheitlich zu verstehen ist, bis hin zur liturgischen Feier der Gemeinschaft mit Gott. In diesem Sinne ist Offenbarung ein dialogischer Vorgang, ein Gesche19 Vgl. Johann Reikerstorfer, Der Wandel im Offenbarungsverständnis. Vatikanum I – Vatikanum II – weiterführende Perspektiven, in: Jan-Heiner Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg 2012, 477–492.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

hen von Gottes Wort und menschlicher Antwort, ein Kommunikationsprozess, in den sich Gott wie Mensch einbringen – eben kommunikationstheoretisch-partizipativ.20 Ein solches Verständnis korreliert mit der Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch, Wort und Antwort unter den Bedingungen des neuzeitlichen Freiheits- und Subjektivitätsgedankens. Den Unterschied zu einem Welt- und Glaubensverständnis, das vom instruktionstheoretischen Paradigma geprägt ist, illustriert das bekannte Beispiel von Thomas von Aquin, der die Offenbarung mit einem Brief vom Königshof vergleicht21: Ein Bote des Königs überbringt einem Mann einen Brief mit dem königlichen Siegel. Der Empfänger möchte die Echtheit des Briefes überprüfen. Menschen von heute würden vermutlich den Brief öffnen und lesen. Nicht so der mittelalterliche Empfänger nach Thomas von Aquin: Er prüfte nicht etwa den Inhalt, sondern das Siegel. 2.4 Christliche Theologie – konstitutiv auf Offenbarung verwiesen

Christliche Theologie ist grundlegend auf die Offenbarung und ihren schriftlichen Niederschlag in den biblischen Texten verwiesen. Sowohl die verschiedenen in der Glaubensgeschichte begegnenden Überlieferungen haben sich an der Offenbarung auszuweisen, als auch alle individuellen Glaubensvorstellungen und Theologien. Aus diesem Grund sieht die Offenbarungstheologie in den Inhalten des christlichen Glaubens nicht nur einen Ausgangspunkt oder das Material für die eigene Glaubensartikula-

tion, sondern spricht ihnen normativorientierenden Charakter zu. Aus dem gleichen Grund reichen ihr nicht individuelle Konstruktionen, und seien sie noch so kreativ, sondern sie verlangt eine methodisch-hermeneutisch geleitete und an der Sache selbst ausgewiesene Deutung im Kontext der christlichen Tradition. Den Rückbezug auf die Offenbarung fordert die Theologie je neu ein: im interreligiösen Horizont, indem sie geltend macht, dass es nicht »gleich gültig« ist, ob im Zentrum persönlicher Konstruktionen Jesus Christus, Mohammed, Buddha oder ein oberstes Naturprinzip stehen, im christlichen Horizont, indem sie darauf aufmerksam macht, dass es Formen der individuellen Glaubensaneignung gibt, die zwar existentiell stimmig erscheinen, mit dem christlichen Glauben aber schlechterdings unvereinbar sind. 3. Kindertheologie und Offenbarungstheologie: Verhältnisklärungen 3.1 Unterschiedliche Orientierungen und gemeinsame Anschlussstellen

Offenbarungstheologie hier und Kindertheologie dort haben unterschiedliche Orientierungen und Zielsetzungen: hier eine als normativ erachtete Vorgabe des Glaubens, dort die Verstehens-, Deutungs- und Konstruktionsprozesse von Kindern und Jugendlichen, hier verobjektivierbare Aussagen, dort Subjekt­ orientierung, hier institutionelle Religion, dort individuelle Religiosität, hier 20 Vgl. Seckler (wie Anm. 17), 64–66. 21 STh III, 43 I.

Pemsel-Maier Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot?

verbindliches Bekenntnis, dort kreativproduktive Konstruktionen. Dem stehen allerdings vielfache Berührungspunkte gegenüber: Auch die Offenbarungstheologie ist nicht Hüterin von unveränderlichen Glaubenswahrheiten, sondern weiß, dass die Identität von Glaubensaussagen durch die unterschiedlichen Epochen hindurch nicht an der Identität der Formulierung hängt und dass Glaubenlernen nicht einfach in der Übernahme eines vorgegebenen Glaubensgefüges besteht. Auch sie ist auf Kommunikation und Dialog mit ihren Adressaten angelegt. Auch ihr ist nicht nur an der möglichst objektiven Vermittlung von theologischen Aussagen gelegen, sondern gleichermaßen an ihrer Aneignung – versteht sich doch »das Christentum als solches als Aneignungsgeschehen einer geschichtlich ergangenen Offenbarung«22. Auch sie weiß seit Kants Erkenntnistheorie, dass eine objektive Aufnahme theologischer Aussagen so wenig möglich ist wie eine objektive Erkenntnis und hat dank der anthropologischen Wende gelernt, nach den im Subjekt vorausgesetzten Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens der christlichen Offenbarung zu fragen. Umgekehrt plädiert die Kindertheologie nicht einfach für Beliebigkeit, sondern rekurriert, von Ausnahmen abgesehen, auf das Christentum als Bezugsreligion. Sie bietet nicht irgendwelche Re-Konstruktionen, sondern solche aus der christlichen Tradition, um kindliche Konstruktionen zu stimulieren, theologisiert mit Kindern im Rückgriff auf christliche und biblische Inhalte23, macht Kinder mit christlicher Terminologie vertraut und stellt entsprechende Lernangebote und Materialien zur Verfügung. In diesem Sinne erweisen sich Offenba-

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rungstheologie und Kindertheologie im Eintreten für eine Theologie für Kinder als aufeinander hin anschlussfähig. 3.2 Konsequenzen für die Kindertheologie

Der der christlichen Theologie aufgetragene Bezug auf die Offenbarung fordert eine Theologie für Kinder auf der Grundlage des christlichen Bekenntnisses. Dies schließt die Explikation zentraler christlicher Themen ein, auch wenn sie Kinder und Jugendliche möglicherweise nicht von sich her zum Thema machen, etwa die Gottessohnschaft Jesu Christi, die Frage nach dem dreifaltigen Gott, die Reflexion auf die Spezifika christlicher Erlösung. Bezüglich 22 Michael Böhnke, Kirchenglaube und Kinderglaube. Zum Verhältnis von Dogmatik und Religionspädagogik, in: KBl 129 (2004) 193–201, versteht »das Christentum als Aneignungsgeschehen einer geschichtlich ergangenen Offenbarung« (199), so dass gerade »im Begriff der Aneignung (. . .) systematische Theologie und Religionspädagogik auf einen Nenner (kommen).« – Dabei sind die Frageperspektiven und Interessen an diesem Aneignungsprozess durchaus unterschieden, ja müssen dies aufgrund der unterschiedlichen Disziplinen auch sein. 23 Vgl. Bernhard Dressler, Religiös gebildet – kompetent religiös?, in: Clauß Peter Sajak (Hg.), Bildungsstandards für den Religionsunterricht – und nun? Perspektiven für ein neues Instrument im Religionsunterricht, Berlin 2007, 161–178, 173; Friedhelm Kraft / Martin Schreiner, Zehn Thesen zum didaktischmethodischen Ansatz der Kindertheologie, in: theo-web 6 (2007), 21–24, 22; Christian Kahrs, »Dann ist der Teufel ja aber auch gut!?« – Didaktische Perspektiven zum Theologisieren mit Kindern am Beispiel einer Befragung zu »Auferstehung der Toten«, in: Büttner / Schreiner (wie in Anm. 3), 175–187, 187.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

des Spektrums an Themen und Inhalten erwachsen im Rekurs auf die Offenbarung ggf. andere Fragen als diejenigen, die Kinder und Jugendliche von sich her stellen, wie die Frage nach Sinn, Leid oder Leben über den Tod hinaus. Zugleich sind von daher auch solche Inhalte zur Sprache zu bringen, die möglicherweise sperrig, ja anstößig anmuten24: ein Gott, der das Leid der Welt nicht beseitigt, sondern sich in dieses Leid schickt, der erwartete Heilsbringer, der als Verbrecher umgebracht wird, menschliches Leben, das die Signatur des Kreuzes an sich trägt, Überwindung des Todes nur durch den Tod hindurch. Aus der Perspektive der Offenbarungstheologie sind solche Themen nicht als Deduktion, sondern vielmehr im Sinne des christlichen Mehrwerts zu betrachten. Eine Theologie für Kinder muss klären, ob sie diese Bewertung teilt. Umgekehrt fordert sie auf der Grundlage des geltenden kommunikationstheoretisch-partizipativen Offenbarungsverständnisses den Verzicht auf Instruktion zugunsten dialogischer Erschließung und persönlicher Aneignung. Angesichts dessen hat die Systematische Theologie je neu zu prüfen, ob und inwieweit sie dies einlöst. 3.3 Weder belehrende Instruktion noch beliebige Perturbation

Eine auf dieser theologischen Grundlage konzipierte Theologie für Kinder grenzt sich ab von zwei Extremen. Einerseits verweigert sie alle Formen belehrender Instruktion, die in einen potentiellen Dogmatismus münden. Andererseits fragt sie nach den Inhal-

ten und begnügt sich nicht damit, dass die Lerngegenstände in erster Linie eine perturbierend-verstörende Funktion entfalten, um individuelle Konstruktionsprozesse anzustoßen25. Gewiss lassen sich auch in der Gegenwart in beiden Konfessionen Beispiele für eine instruktiv-belehrende Religionspädagogik finden: auf katholischer Seite der Jugendkatechismus Youcat26, auf evangelischer evangelikal-fundamentalistische Strömungen27. Instruktive Tendenzen können auch innerhalb des Religionsunterrichts nicht völlig ausgeschlossen werden – seinem Sinn und Ziel entsprechen sie jedoch nicht.

24 Darauf weist auch Burkard Porzelt hin: Grundlegung religiösen Lernens, Bad Heilbrunn 2011, 117: »Ein Lernmodus, der das Subjekt (zu Recht!) hochschätzt, steht in der Gefahr, sperrige und befremdliche Inhalte der religiösen Überlieferung auszusparen, die diesem Subjekt vermeintlich nicht zugemutet werden dürfen. Dunkle und rätselhafte Seiten des biblischen Gottes beispielsweise drohen unterschlagen zu werden, weil sie als schädlich und unzumutbar gelten für heutige Menschen. Insofern dies geschieht, wird Religion in ihrer kennzeichnenden, pluralen und sperrigen Inhaltlichkeit unkenntlich gemacht.« 25 Vgl. Hans Mendl, Konstruktistische Religionspädagogik, in: Bernhard Grümme / Hartmut Leonhard / Manfred L. Pirner (Hg.), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik Stuttgart 2012, 105–118, 111. 26 Ausführlich Burkard Porzelt, Rolle rückwärts? Der Youcat als Versuch der Wiederbelebung erfahrungsferner Glaubenslehre, in: Renovatio. Zeitschrift für das interdisziplinäre Gespräch 68 (H. 1/2 2012), 48–51; Jürgen Werbick, Fragen an die Antworten des Youcat, in: KatBl 136 (5/2011), 366–371. 27 Vgl. die Beispiele in Schlag / Schweitzer (wie Anm. 12), 123ff.

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4. Zur Konzeption einer Theologie für Kinder: Aufgaben aus systematischer Perspektive

Für die Begründung und Theorie des Religionsunterrichtes und analog anderer religiöser Bildungsprozesse kann als Konsens gelten, dass das individuelle Theologisieren nicht das letzte Maß aller Dinge sein kann, sondern religiöse Bildung im christlichen Sinne auf die Offenbarung bezogen bleiben, dass Inhalte solcher Bildungsprozesse nicht beliebig sind, aber auch nicht aufoktroyiert werden können, dass sie der Erschließung und Aneignung bedürfen, aber nicht einfach instruiert werden können, dass Theologie und Kirche einen Wahrheitsanspruch erheben, aber nicht im Sinne eines Herrschaftsanspruches vorschreiben können, was zu glauben ist und nicht über die Verstehens- und Deutungsweisen der Subjekte verfügen können, dass Glaube nicht gelehrt, sondern nur in Freiheit gelebt werden kann. Auf dieser Grundlage erwachsen aus systematischer Perspektive folgende Aufgaben. 4.1 Die Suche nach einer adäquaten Terminologie

Eine Aufgabe ist die Frage nach der angemessenen Begrifflichkeit. Diesbezüglich ist in der einschlägigen Literatur eine gewisse Variationsbreite festzustellen: Sie reicht von »Denkanstößen und Anregungen«28 über »Interpretationspotential«29, »orientierende Bildung«30, »theologisches Orientierungswissen«31, »Orientierungsregulativ«32 bis hin zum »unverzichtbaren Vorschlagspotenzi-

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al«33, das es gilt, »einzubringen«34, »ins Gespräch zu bringen«35, »anzubieten«36, ggf. um »mit den theologischen Entwürfen der biblisch-christlichen Tradition zu konfrontieren«37, mit dem Ziel der »Erweiterung« und »Ergänzung« vorhandener Vorstellungen bis hin zum »Bereichern«38, »Anreichern«39 und zur »Aufklärung durch Theologie«40. Damit ist ein breites Spektrum abgesteckt, das

28 Hartmut Rupp / Ursula Ruoff, Wie Kinder Kirchenräume wahrnehmen (können), in: Anton A. Bucher / Gerhard Büttner (Hg.), »Kirchen sind ziemlich christlich«. Erlebnisse und Deutungen von Kindern. Jahrbuch für Kindertheologie 4, Stuttgart 2005, 132–142, 134. 29 Vgl. Schambeck (wie in Anm. 2), 24. 30 Schweitzer / Schlag (wie in Anm. 12), 108. 31 Grümme (wie in Anm. 13), 244ff. 32 Rudolf Englert, Wie lehren wir Religion – unter den Bedingungen des Zerfalls ihrer vertrauten Gestalt? in: KatBl 130 (2005) 366–375, 369. 33 Werner Ritter, in: Ders. / Helmut Hanisch / Erich Nestler / Cristoph Gramzow, Leid und Gott. Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen, Göttingen 2006, 185. 34 Petra Freudenberger-Lötz, Der Beitrag des Konstruktivismus zur Qualitätssteigerung theologischer Gespräche mit Kindern im Religionsunterricht, in: Gerhard Büttner (Hg.), Lernwege im Religionsunterricht, 236–254, 248. 35 Rainer Oberthür, Kinder fragen nach Leid und Gott. Lernen mit der Bibel im Religionsunterricht, München 1998, 20. 36 Gottfried Orth / Julia Gerth, Der Heilige Geist – »der macht uns schlau«, in: Büttner / Schreiner (wie in Anm. 3), 123–135, 135. 37 Zimmermann (wie in Anm. 11), 115. 38 Schweitzer / Schlag (wie in Anm. 12), 108. 39 Gerhard Büttner, Kinder – Theologie, in: Evang. Theol. 67 (2007), 216–231, 228. 40 Georg Hilger, Kinder, ihr Theologisieren und ihre religiöse Entwicklung, in: Ders. / W.-H. Ritter (Hg.), Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts, München 2006, 94.

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einen unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrad impliziert und darum der Diskussion bedarf. Weiterführend könnte sich angesichts dessen der Rekurs auf eine Formulierung erweisen, die die französischen Bischöfe 1994 in einem Hirtenbrief geprägt haben, in dem sie die Katholiken ihres Landes und über sie hinaus alle Interessierten einluden, im laizistischen Frankreich über den Glauben ins Gespräch zu kommen: »proposer la foi dans la société actuelle«41. Um die deutsche Übersetzung wurde heftig gerungen; neben »den Glauben vorschlagen«42 wurde »den Glauben anbieten«43 diskutiert. In diesem Sinne könnte auch eine Theologie für Kinder den Charakter eines »orientierenden Angebotes« haben. Als solches wäre sie ein »verbindliches Angebot«, verbindlich nicht deswegen, weil es um jeden Preis angenommen werden muss, sondern verbindlich zum einen in Bezug auf seine Inhaltlichkeit, die sich der christlichen Offenbarung verpflichtet weiß, zum anderen in Bezug auf die Personen, Religionslehrkräfte und andere, die dieses Angebot verantworten und unterbreiten. 4.2 Die Klärung des Verhältnisses von Normativität und Individualität

Eine weitaus größere Aufgabe als die Verständigung über die angemessene Begrifflichkeit ist die Verständigung über die Art und Weise, wie eine solche Theologie für Kinder als verbindliches Angebot »einzuspielen« ist. Dahinter verbirgt sich keineswegs nur eine Frage nach der Didaktik, sondern eine notwen-

dige fundamentaltheologische Klärung. Letztlich geht es dabei um nichts Geringeres als die Frage, wie religiöses Lernen und Lehren zu gestalten ist, das die Subjektorientierung des Religionsunterrichts ernst nimmt, zugleich aber auch die mit der Offenbarung gegebenen theologische Ansprüche einlöst. Dahinter steht ein Grundsatzdiskurs, der im Dialog zwischen Religionspädagogik und Systematik ausgelotet werden muss und nur so ausgelotet werden kann: der Diskurs um die Bestimmung des Verhältnisses von objektiver Religion und subjektiver Religiosität, von Tradition und Innovation, von Normativität und Individualität, von Verbindlichkeit und Freiheit, vom Anspruch auf Wahrheit und Verlangen nach Viabilität44. Eine reflektierte Theologie für Kinder könnte zu diesem Diskurs einen entscheidenden Beitrag leisten. 4.3 Die Förderung theologischer Kompetenz

Systematische Theologie hat im Blick auf Kinder und Jugendliche ein genuines Interesse an der Förderung ihrer theologischen Kompetenz. Dieses Inte­

41 Conférence des Évêques de France, Proposer la foi dans la société actuelle, Paris 1994. 42 Diese Übersetzung wurde letztlich bevorzugt. Vgl. Hadwig Müller, Norbert Schwab, Werner Tzscheetsch (Hg.), Sprechende Hoffnung – werdende Kirche. Proposer la foi dans la société actuelle – Den Glauben vorschlagen in der heutigen Gesellschaft, Ostfildern 2001. 43 Auch eine Initiative der EKD (www.ekd.de/ glauben) spricht von den zehn »AnGeboten« der Kirche. 44 Vgl. Bucher (wie in Anm. 4), 27.

Pemsel-Maier Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot?

resse teilt sie mit einigen Vertreter/in­ nen der Kindertheologie, die sich im aktuellen Kompetenzdiskurs gleichermaßen dezidiert für eine theologische – und nicht nur religiöse – Kompetenz stark machen.45 Theologie für Kinder leistet auf diesem Hintergrund einen Beitrag zum bereichsspezifischen Lernen bzw. zur domainspezifischen Förderung.46 Dass theologisches Wissen, Reflexionsvermögen und kognitive Durchdringung bei Kindern und Jugendlichen ein und desselben Alters stark divergieren können, haben unter anderem die Forschungen zur Theologie von Kindern von Gerhard Büttner47 und Thomas Ziegler48 anschaulich vor Augen geführt. Eine adäquat ausgestaltete Theologie für Kinder fördert theologischer und religiöser Kompetenz und der Anhebung auf ein höheres Kompetenzniveau. In einer Zeit, in der Religion zunehmend an lebensweltlicher Relevanz verliert, kann darauf nicht verzichtet werden.

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45 Insbesondere Mirjam Zimmermann (wie in Anm. 11) erhebt die Forderung nach der Ergänzung der eher unspezifischen Rede von der religiösen um die Dimension der theologischen Kompetenz. 46 Ausführlich Sabine Pemsel-Maier, Kindertheologie und theologische Kompetenz: Anstöße zu einer Theologie für Kinder?, in: Friedhelm Kraft u.a. (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht«. Kindertheologie und Kompetenzorientierung, JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2011, 69–83. 47 Gerhard Büttner, »Halb Mensch, halb nicht, das weiß man nicht so sehr, denn Jesus ist ja eigentlich Gottes Sohn!« Kindliche Versuche, die Paradoxien der Christologie bildhaft auszudrücken, in: Jörg Frey / Jan Rohls / Ruben Zimmermann, Metaphorik und Christologie, Berlin 2003, 399–416, betont, im Zusammenhang mit christologischen Fragestellungen, dass »die Fähigkeit zu komplexeren Verständnisformen offensichtlich nicht nur vom Entwicklungsniveau abhängt, sondern auch vom Kenntnisstand in dem entsprechenden Bereich (. . .)« (402). 48 Thomas Ziegler, »Erzähl mir von Jesus« – Ein Vergleich narrativer Zugänge von Kindern und Jugendlichen zur Christologie, in: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »Sehen kann man ihn ja, aber anfassen . . .?« Zugänge zur Christologie von Kindern. Jahrbuch für Kindertheologie 7, Stuttgart 2008, 48–65, macht darauf aufmerksam, dass es keinen altersabhängigen Automatismus in der Weiterentwicklung der Christologie gibt, sondern dass Siebzehnjährige hinter das Niveau von Kindern zurückfallen, wenn eine entsprechende Förderung unterbleibt.

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Silvia Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus. Ein spirituell-diakonisches Modell für das Zusammenleben in Kindertagesstätten1 1. Drei Beispiele Zeit für mich und dich

Sr. Clara seufzt innerlich auf: der Advent steht vor der Tür und das bedeutet im Kindergarten vermehrte Aktivitäten: die Geschenke für die Eltern müssen gebastelt werden, die Nikolausfeier mit den Kindern vorbereitet, der Adventskalender gestaltet werden. Für einen intensiveren Kontakt mit den einzelnen Kindern bleibt in diesen Wochen wenig Zeit. Sr. Clara spürt ihren Widerstand und überlegt, was sie dieses Mal anders machen könnte, damit die Adventszeit mehr dem entspricht, was sie unter Menschwerdung versteht: wie kann sie Zeit füreinander, Kommunikation miteinander, Freude aneinander in den kommenden Wochen fördern? Und wie kann sie mehr Stille, Ruhe für sich und die Kinder finden? Da hat sie eine Idee: Sie wird eine stille Ecke im Gruppenraum einrichten, abgegrenzt durch einen Vorhang, in die sie sich jeden Tag 20 Minuten zurückzieht. Beim Öffnen des Adventskalenders wird jeden Tag ein Kind gezogen, das dann die Möglichkeit hat, zu ihr in die stille Ecke zu kommen. Bei Kerzenlicht kann sie dann – je nach Wunsch des Kindes – diesem etwas vorlesen oder einfach mit ihm darüber sprechen, was es gerade beschäftigt. Wenn das Kind möchte, können sie auch gemeinsam ruhige Musik hören. Dieser

Advent wird für Sr. Clara zu einer intensiven Erfahrung: die Kinder nehmen das Angebot der stillen Ecke gerne an und sie selber findet anders als die Jahre zuvor zu mehr innerer Ruhe. Wir lassen dich nicht allein, wenn du traurig bist

Zu Beginn des Kindergartenjahres kommt der fünfjährige David glückselig in die Gruppe und verkündet allen: »Ich werde ein Bruder!!!« Alle freuen sich mit ihm. Zwei Monate später – er hat inzwischen fünf Bilderbücher für das Geschwisterchen gezeichnet – kommt er mit einer neuen Nachricht: das Baby ist in Mamas Bauch gestorben. Cornelia, die Pädagogin, setzt sich mit den Kindern in den Kreis und sie reden darüber, wer alles schon einmal erlebt hat, dass jemand für ihn / sie Wichtiger gestorben ist. Sie schlägt den Kindern vor, gemeinsam eine Kerze für Davids Geschwisterchen zu gestalten und diese zum Grab zu bringen. Alle Kinder machen mit und helfen David, seine Trauer auszuhalten.

1 Vgl. Silvia Habringer-Hagleitner, Zusammenleben im Kindergarten. Modelle religionspädagogischer Praxis, Stuttgart 2006, Kap. 4–6.

Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus

Worauf du dich freust!

Die sechsjährige Birgit muss Abschied nehmen von ihrer Kindergartengruppe. Das Sozialamt hat beschlossen, dass sie von ihrer Mutter wegkommt und in ein Kinderheim gebracht wird. Birgit bekommt in der Gruppe einen kleinen Rucksack mit einem Kuscheltier, Schreib­ utensilien und einem Heft zum Abschied. Sie freut sich sehr und packt das Geschenk immer wieder aus, woraufhin eine Pädagogin sie ermahnt aufzupassen, dass sie nichts verliert. Karin, die andere Pädagogin, spürt, dass ihr der Abschied von dem Mädchen schwer fällt, obwohl sie immer wieder schwierige Phasen miteinander erlebt haben. Die völlig offene Zukunft des Kindes belastet sie und sie spürt, dass Birgit Unterstützung braucht. So setzt sie sich mit ihr an einen Tisch und lässt sich von dem Mädchen ein weiteres Mal den Rucksack samt den anderen Geschenken zeigen. Dann spricht sie mit Birgit darüber, wie es sein wird, wenn sie im Herbst in die Schule kommt. Sie zeichnet ihr in das Heft Gegenstände, die sie als Schülerin haben wird und spricht mit ihr über ihre Vorfreude auf die Schule. Es ist das einzige, was sie von Birgits Zukunft sicher weiß, dass sie in die erste Klasse kommen wird – wo auch immer. Und sie weiß, dass sich Birgit auf die Schule freut. Darin will sie sie in diesem Moment bestärken: Du wirst eine Schülerin werden! Darauf freust du dich! Alle drei Pädagoginnen arbeiten mit den Kindern in einer spirituellen Haltung der Achtsamkeit auf sich selbst und die Kinder: sich Zeit nehmen, um sich selber und die anderen wieder genauer wahrnehmen zu können, einander begleiten in Trauerphasen, dem Tod einen Raum im

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Leben geben, die Hoffnung auf eine gute Zukunft mitten in einer Phase der Unsicherheit aufrechtzuerhalten – das sind die Anliegen, nach denen die drei Pädagoginnen handeln. Was aber hat das mit der christlichen Theologie zu tun? Meine These dazu lautet: Alle drei Pädagoginnen lassen sich von christlichen Grundanliegen motivieren und schaffen es, die christliche Botschaft für die Kinder erfahrbar werden zu lassen – konkret in ihrem Handeln. Sie lehren die Theologie nicht verbal, sie leben theologische, jesuanische Kerninhalte und machen sie auf diese Weise für die Kinder erfahrbar. 2. Gelebte Theologie für Kinder – ein implizites Modell

Im Folgenden soll ein religionspädagogisches Modell für die Arbeit in Kindertagesstätten vorgestellt werden, welches die zentralen Inhalte der christlichen Botschaft durch eine verinnerlichte, theologisch begründete Haltung der Pädagog/in­n­en in die pädagogische Arbeit einbringen will. Vorbildhaft für die Entwicklung eines solchen Modells ist die überlieferte jesuanische Haltung den Kindern gegenüber. Als »Kinderevangelium« ist nicht irgendeine Rede des Jesus von Nazareth an die Kinder bekannt geworden, sondern sein Ruf: »Lasset die Kinder zu mir kommen!« und die damit verbundene liebevolle Segnung der Kinder (vgl. Mk 10,13–16). Jesus selber geht in direkte nonverbale, körperlich nahe Beziehung zu den Kindern, er zeigt Interesse an ihnen und stellt sie den Erwachsenen als spirituelle Vorbilder hin (vgl. Mt 18,3.10). In der Pädagogik wissen wir seit langem, dass Kinder mehr von unseren

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Handlungen und Taten lernen als von unseren zielgerichteten Worten an sie. Dies erscheint mir ein triftiger Grund dafür, wieder mehr Aufmerksamkeit auf eine real gelebte christliche Theologie im Zusammenleben mit den Kindern zu legen: Theologie für Kinder als Habitus. Grundlage für die Entwicklung dieses Modells ist meine langjährige Fort- und Weiterbildungsarbeit mit Kleinkindpädagog/innen. In zahlreichen Seminaren und Diskussionen konnte ich die hohe pädagogische Kompetenz, das liebevolle Engagement der Pädagog/innen für die Kinder kennen lernen. Zum anderen wurde mir die hohe systemimmanente Belastung der Pädagog/innen deutlich. Als Mutter von zwei Kindern konnte ich das Handlungsfeld Kindergarten tagtäglich aus Elternperspektive studieren, was sich ebenfalls auf die Modellentwicklung auswirkte. Mittels einer teilnehmenden Beobachtung in einem städtischen Kindergarten sowie durch narrative Interviews mit Pädagog/innen versuchte ich das Handlungsfeld wissenschaftlich in den Blick zu nehmen. Als katholische Religionspädagogin knüpfe ich – wie in unserem Fach üblich – gleichermaßen an Erkenntnissen evangelischer und katholischer Kolleg/innen an. Als Bezugswissenschaften sind für die Entwicklung dieses Modells neben Psychologie, Pädagogik und Soziologie die katholische und evangelische Theologie bedeutsam.

Zweitens sollen alle am Zusammenleben Beteiligten an der Botschaft vom menschgewordenen Gott, dem leidenschaftlichen Liebhaber des Lebens und der Lebendigkeit Anteil haben können. Drittens wird der Blick in diesem Modell auf die Gemeinschaft aller Beteiligten im Kindergarten gerichtet. Es geht um die Frage: wie können Kinder, Pädagog/innen, Eltern, LeiterIn, Küchenund Reinigungskräfte in ihrer Lebendigkeit und in ihrem Selbstwerdungsprozess gestärkt werden. Lieben, was ist. Ein spirituell-diakonisches Modell

Im Anschluss an spirituelle Lehrer der christlichen Religion ist dieses religionspädagogische Modell ein spirituell-diakonisches. Es geht darum, die Liebe Gottes für alle hilfreich und wirksam werden zu lassen. Nicht vorgefasste Idealbilder von der richtigen Entwicklung von Kindern oder von der idealen Pädagog/in leiten den religionspädagogischen Blick, sondern die offene, liebevolle Wahrnehmung dessen, was ist: denn »Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit« und Gott kann in allen Dingen gefunden werden, so heißt es bei Ignatius von Loyola.2 Lebenlernen und Glaubenlernen gehören zusammen

Die drei zentralen Anliegen des Modells

Erstens geht es darum, konkrete Alltagswirklichkeit im Kindergarten christlichtheologisch wahrnehmen zu lernen um daraus Orientierung für die Praxis gewinnen zu können.

In der lebensweltorientierten Religionspädagogik gehen wir davon aus, dass Lebenlernen und Glaubenlernen zwei 2 Vgl. Habringer-Hagleitner, Zusammenleben im Kindergarten (wie Anm. 1), 308ff.

Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus

untrennbar verbundene Dimensionen menschlicher Selbstwerdung sind. Aus diesem Grund geht es dem spirituelldiakonischen Modell zum einen um eine genaue Wahrnehmung der Strukturen und Bedingungen des alltäglichen Zusammenlebens nach gruppendynamischen, pädagogischen und entwicklungspsychologischen Kriterien. Gleichzeitig kann aber das alltägliche Zusammenleben auch anhand wichtiger Kriterien des christlichen Glaubens betrachtet werden. Die Wirklichkeit von Kindertagesstätten braucht diese theologische Wahrnehmung dann, wenn sie als gotthaltige Wirklichkeit begriffen wird. »Es gibt nicht zwei Wirklichkeiten, sondern nur eine Wirklichkeit, und das ist die in Christus offenbargewordene Gotteswirklichkeit in der Weltwirklichkeit« (Dietrich Bonhoeffer).3 Zugewandte, liebevolle Arbeit mit den Kindern ist jesuanisches Handeln

Dort, wo Pädagog/innen Kindern dabei helfen, Leben zu lernen, handeln sie radikal jesuanisch, radikal christlich. Jede Erziehung, die auf unbedingter Liebe basiert, realisiert genau das, was christliche Praxis ist – und dies noch vor aller ausdrücklichen (expliziten) Gottesrede.4 Die christliche Frohbotschaft kann im modernen Alltag heute wahrgenommen werden. Dafür ist es notwendig zu erkennen, dass der Alltag selbst mehrdimensional ist: geprägt von Routine, Mühsal, Eintönigkeit, aber auch von der Tatsache, dass das jeweilige Subjekt sich darin Wirklichkeit konstruiert und von der Tatsache, dass Göttliches mitten im Alltag erfahrbar ist. Anders ausgedrückt

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heißt das: immer dort, wo die Kinder und Pädagog/innen durch ihr Zusammenleben in ihrem Innersten berührt, betroffen, beglückt oder verunsichert sind, sind sie verbunden mit dem leidenschaftlichen Gott des Lebens, der sich in Jesus von Nazaret offenbart hat.5 3. Was wir von Jesus von Nazaret heute noch lernen können

Im Anschluss an eine anthropologisch gewendete Theologie Karl Rahners kann die Religionspädagogik vom »Gottgeheimnis Mensch« sprechen; davon, dass Menschen in ihrem Selbstvollzug, in ihrem Selbstwerdungsprozess auf Gott hin Verwiesene sind.6 Rahner spricht von einer »existential christlichen Situation« der Menschen. Zentraler Orientierungspunkt ist die Heilszusage Gottes in Jesus Christus. In einer »suchenden Christologie« fragen Menschen nach den göttlichen Spuren in der jeweils eigenen, konkreten Geschichte. Für christlich-religionspädagogisches Handeln in Kindertagesstätten kann eine suchende Christologie auch aus dem Apostolischen Schreiben Catechesi Tradendae (1979, Joh. Paul II.) hergeleitet werden. Darin heißt es, dass Jesus von Nazaret unser einziger Lehrer ist, welcher hier und jetzt als Auferstandener für

3 Vgl. ebd., 268ff. 4 Vgl. Norbert Mette, Voraussetzungen christlicher Elementarerziehung. Vorbereitende Studien zu einer Religionspädagogik des Kleinkindalters, Düsseldorf 1983, 271. 5 Vgl. Habringer-Hagleitner, Zusammenleben (wie Anm. 1), 271. 6 Vgl. Ebd.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

immer mit uns lebt.7 Nur – was bedeutet das? Ein religionspädagogischer Entwurf, welcher für die Kindergartenwirklichkeit praktikabel und realisierbar sein will, muss sich zuerst um die Klärung dieser theologischen Begrifflichkeiten bemühen und eine »suchende Christologie« konkreter ausformulieren. Deshalb versuchte ich, für dieses Modell die Grundstruktur der jesuanischen Heilsbotschaft in drei Brennpunkten8 herauszuarbeiten. Dieser Versuch versteht sich als eine mögliche Kriteriologie für die christlich-theologische Wahrnehmung von Wirklichkeit und will in seinem exemplarischen Charakter anregen, weitere Kriteriologien zu entwickeln. 3.1.1 Die absolute Liebe zum Leben: Lebenslust und Vertrauen9

Das erste, das wir von dem im jüdischen Glauben beheimateten Jesus von Nazaret lernen können, ist die absolute Bejahung des Lebens und der Lebendigkeit, die Feier der Lebenslust. Jesus weiß sich in all seinem Reden und Tun innig verbunden mit einem Gott, der ein leidenschaftlicher Liebhaber des Lebens ist und der die befreite Lebendigkeit der Menschen ersehnt. Ein dumpfes Dahinvegetieren ist nicht in seinem Sinne. Er lässt sich von denen, die an eine Heilungsmöglichkeit glauben und dem Gott Jahwe vertrauen, in Anspruch nehmen und verhilft ihnen zu einem befreiten, aufrechten, neuen Lebensgefühl. Auch für sich selbst weiß er zu leben und das menschliche Dasein zu genießen. Mahlgemeinschaften zieht Jesus strikter Askese vor, denn alles hat seine Zeit: das Feiern und das Trauern, das Lachen und das Weinen. In seiner

Geselligkeit schließt er auch Menschen ein, die gesellschaftlich zu den Verachteten oder Ausgestoßenen gehören. Das gemeinsame Mahlhalten wird für Jesus zum Symbol der bereits angebrochenen Gottesherrschaft, die jenseits der alten Hierarchien alle, welche dafür bereit sind, in das gemeinsame Fest mit hinein nimmt. Das Christentum bekennt Jesus Christus als einen, der die Lebendigkeit der Menschen will, der will, dass sie ein angstfreies Leben in Fülle haben. Dieses Leben in Fülle übertrifft qualitativ den größten Reichtum und die besten Speisen, es ist ein Leben, das die innersten Bedürfnisse nach Freude, Geborgenheit, Liebe und Gemeinschaft stillt. Zur Lebendigkeit von Menschen gehört, dass sie »Ich« sagen können, ohne sich auf eine Autorität berufen zu müssen. Furchtlos, weil geborgen in seinem Gott, stand Jesus für sein Denken und Handeln gerade, auch wenn er sich Schwierigkeiten damit einhandelte. Jesu absolutes Ja zum Leben aller Menschen ist immer eine beziehungshafte Lebensbejahung. Lebenslust ist nicht ein Prinzip um seiner selbst willen, son7 Vgl. Apostolisches Schreiben Catechesi Tradendae über die Katechese in unserer Zeit, 16.10.1979, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 12, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1979, 7. 8 Ich beziehe mich hier unter anderem auf die systematischen Überlegungen des Dogmatikers Józef Niewiadomski, mit dem Matthias Scharer und ich 1993 ein Seminar zum Thema »Christologische Brennpunkte des menschlichen Zusammenlebens in der Elementarerziehung, in Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung« an der Theologischen Fakultät in Linz durchführten. 9 Vgl. Habringer-Hagleitner, Zusammenleben (wie Anm. 1), 274–278.

Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus

dern ist verbunden mit Beziehung, Kontakt, Berührung, Vertrauen und Auseinandersetzung. Eines seiner zentralsten Vermächtnisse war sein Liebesgebot: »Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. (Joh 13,34–35)« Begründet ist die jesuanische Liebesfähigkeit und Liebeskraft in seiner mystischen Gottverbundenheit, seiner Erfahrung von umfasssendes Geliebt- und Getragensein. 3.1.2 Prophetisches Handeln – strukturell verursachtes Leiden erkennen und Konflikte für ein besseres Leben austragen10

Hand in Hand mit Jesu Rede von der angebrochenen Gottesherrschaft, welche ein Leben in Fülle für alle bringt, geht seine prophetische Kritik an den todbringenden Mächten seiner Gesellschaft. Seine Überzeugung, dass Gottes Logik schon jetzt gilt, motiviert ihn, für die Veränderung menschenunwürdiger, bedrückender Bedingungen einzutreten. Un­rechtmäßige Besitzgier einerseits, ei­n­­engende Religionsgesetze andererseits stehen im Zentrum seiner prophetischen Kritik. Diese prophetische Haltung ist das zweite Kriterium, das für ein religionspädgogisches Modell heute zur Orientierung werden kann. Gottesglaube und Gerechtigkeit im Handeln können nach Jesus von Nazaret nicht voneinander getrennt werden, was es von ihm zu lernen gibt, ist das solidarische Handeln und eine klare politische Positionierung im Interesse der Marginalisierten. Das Recht auf menschenwürdiges Leben stellt Jesus vor alle religiösen und gesellschaftlichen Gesetze. Jesu besondere Liebe gilt den Kindern, den Frauen und all jenen, die nicht im Zentrum gesellschaftlichen

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Interesses stehen. Zu ihnen geht er in besonders nahen und vertrauten Kontakt, sie sind ihm ein Herzensanliegen, sie stellt er den anderen als Vorbilder hin (vgl. Mk 10,13–16, Mt 19,13–15; Lk 18,15–17). Mit Jesu prophetischem Auftreten gewinnt sein Leben und Sterben also politische Qualität. Lebensbejahung und Lebenslust brauchen förderliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Strukturen. Individuelle Heilwerdung ist nur in menschenwürdigen, liebevollen Räumen, Orten und Systemen möglich. Und sie ist nur möglich, wo Gottesglaube von Götzen und falschen Göttern, wie etwa der Anbetung des Mammon, befreit (vgl. Mt 6,24). Die Fixierung auf das Materielle ist mit einem lustvollen, angstfreien Leben nicht zu vereinbaren. Das lässt sich aus seiner Botschaft lernen. 3.1.3 Fragmentaritätskompetenz lernen – in der Gewissheit, bereits erlöst zu sein11

Der dritte Brennpunkt einer suchenden Christologie kann mit dem Begriff der Fragmentaritätskompetenz zusammengefasst werden. Jesu Erlösungshandeln, sein spezifischer Umgang mit Schuld und Versöhnung, durchzieht sein ganzes Leben. Er verfügte über den Blick der »Liebe zur Wirklichkeit«, was besagt, dass er seine Jünger/innen und Freund/innen in ihren Stärken und Schwächen sehen und lieben und sie damit konfrontieren konnte. Als selbstverständlich nimmt er an, dass Menschen miteinander in Konflikte geraten und in der Folge Vergebung und Versöhnung brauchten. Im Vater Unser, 10 Vgl. ebd., 278–281. 11 Vgl. ebd., 281–285.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

jenem Gebet, das Jesus seinen Freund/in­ nen nahe legte, heißt es: »Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen« (Mt 6,12.13). Jesus ermutigte damit die Menschen, ihren Konflikten ins Auge zu schauen und sie versöhnt auch wieder loszulassen. Wenn wir an Jesus Christus glauben, dann glauben wir an einen von Menschen zu Tode Gefolterten. Das Kreuz, ein wichtiges Symbol der Christ/innen, ist eine permanente Erinnerung an diesen gewaltsamen Tod, der gegen jede Menschenwürde steht. Christ/innen zwingen sich damit immer wieder hinzuschauen auf dieses Zeugnis menschlicher Brutalität, das der Auferstehung vorausgeht. Das Kreuz wird zum Symbol menschlicher Schuld und Gewalttätigkeit, welche aber letztendlich durch die Liebe besiegt werden. Das Wissen um unsere Schattenseiten und um die Tatsache struktureller Sünde ist schwer auszuhalten. Der Glaube an die Auferstehung des zu Tode Gefolterten, der Glaube daran, dass seine Botschaft von allumfassender Liebe nicht zum Schweigen zu bringen war, kann uns mit unserer Widersprüchlichkeit versöhnen. Jesus spitzt mit seinem Leben und seiner Botschaft »die Empfindlichkeit für die gebrochenen Verhältnisse zu und erhöht die Belastbarkeit für das Mit-Leiden mit den Leidenden«12. Christ/innen gewinnen mit dem Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen ein neues Bewusstsein, ein neues Selbstwertgefühl. In den biblischen Schrif­ten wird dies symbolisiert durch das Bild vom »neuen Gewand« (vgl. Gal 3,27).

Das neue Bewusstsein macht frei in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann die eigene individuelle und gesellschaftliche Widersprüchlichkeit offen wahrgenommen werden, die gefährliche Verdrängung eigener Schattenseiten ist nicht länger notwendig. So schreibt etwa Dorothee Sölle: »Die christliche Tradition sieht den Menschen als schuldfähig an, ja sie erkennt seine Würde darin, dass er schuldig werden kann.«13 Religionspädagogisch kann mit dem Begriff der Fragmentaritätskompetenz die Fähigkeit bezeichnet werden, sich der Gebrochenheit der menschlichen Existenz stellen zu können und nicht länger daran zu verzweifeln. Fragmentaritätskompetenz befreit zur vollen Annahme der eigenen Durchschnittlichkeit, befreit von der Angst, nicht zu genügen, von der Hybris, perfekt sein zu müssen und von dem Wahn, dem Sterben entrinnen zu müssen. Der Glaube an die Erlösung aller befreit aber auch vom inneren Zwang, die anderen missionieren zu müssen, von der Vorstellung, die Welt vor Unheil und Bösem retten zu müssen. Wer fragmentaritätskompetent ist, ist versöhnt mit den Grundbedingungen seines Daseins – »dem Mangel der Schöpfung und dem normalen Unglücklichsein«14.

12 Franz Gruber, Heilwerden im Fragment. Anmerkungen zur heilenden Seelsorge aus systematischer Perspektive, in: Theologischpraktische Quartalschrift 145 (1997), 235. 13 Dorothee Sölle, Den Rhythmus des Lebens spüren. Inspirierter Alltag, Freiburg / Basel / Wien 2003, 42. 14 Dieter Funke, Das Schulddilemma. Wege zu einem versöhnten Leben, Göttingen 2000, 162.

Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus

3.2 Lebenslust – Prophetie – Fragmentaritätskompetenz in Kitas entdecken und fördern 3.2.1 Lebenslust und Lebensbejahung in Kitas entdecken und fördern – ein jesuanischer Dienst

Eine religionspädagogische Praxis im Kindergarten wird sich um ein erfülltes Leben, um Lebenslust und Lebensbejahung in jesuanischem Sinn bemühen bzw. sie im Zusammenleben mit den Kindern auch entdecken können. Eine religionspädagogisch orientierte Arbeit im Kindergarten wird darauf achten, dass alle am Zusammenleben Beteiligten in ihrer Lebensfreude gestärkt werden. Dazu braucht es Sensibilität dafür, wo und wie sich Lebensbejahung, Lebensfreude und Vertrauen im Zusammenleben zeigen, aber auch in welchen Situationen sie abhanden kommen oder fehlen. Mögliche Fragen zur Wahrnehmung von Lebenslust und Lebensbejahung im Kindergarten können sein: – In welchen Situationen wird intensive Lebendigkeit in der Gruppe spürbar? – Wann und in welchen Situationen sind die Kinder ganz bei sich? – Wann und wo haben Kinder und PädagogInnen Spaß miteinander? – Wann und wie drücken Kinder Unlustgefühle, Langeweile oder Ablehnung aus? – Wann, in welchen Situationen empfinde ich selber Unlust, Langeweile, Unwillen?15 Die gesellschaftliche Bedeutung der Wahrnehmung und Förderung von Lebenslust und Lebensbejahung liegt darin, die Kinder in ihrem Gefühl für Lebenssinn zu stärken. Erzieher/innen, die um

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ein lebensbejahendens, lebendiges Zusammenleben bemüht sind, werden mit den Kindern Räume und Zeiten für freie Kreativität und Fantasie schaffen. Wo Lebendigkeit und Lebensfreude beachtet werden, können die Kinder viel körperliche Bewegung machen und dafür gefahrlose Räume nützen. Eine lebensbejahende Kindergartenpädagogik kann auch verstärkt Schwerpunkte im freien Erleben von Natur setzen. Auch die heilsame und lebenslustfördernde Wirkung von Musik wurde inzwischen durch die Musiktherapie bekannt gemacht. Mit den Kindern zu trommeln, zu singen, zu tanzen heißt auch, das Leben und die eigene Lebendigkeit und Ausdrucksfreude spüren zu können. Pädagog/innen können die Lebensbejahung bei sich und den Kindern bewusst fördern, indem sie sich mit den Kindern den alltäglichen Dingen gegenüber, die als angenehm und gut und schön empfunden werden, in Dankbarkeit üben. 3.2.2 Prophetisches Handeln in Kitas entdecken und entwickeln

Eine religionspädagogische Praxis, die sich an der Lebensbejahung und Selbstwerdung aller am Zusammenleben Beteiligten orientiert, gerät dort in Konfrontation mit gesellschaftlichen Normen und Trends, wo diese Entfremdung bewirken, wo sie Menschen unter Druck bringen und von ihrer ursprünglichen Lebendigkeit und Lebenslust entfernen. So wird etwa der aktuelle Diskurs zur Steigerung der Bildungsqualität in Kindertagesstätten kritisch daraufhin zu 15 Ein ausführlicher Fragenkatalog dazu in: Silvia Habringer-Hagleitner, Zusammenleben (wie Anm. 1), 327.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

befragen sein, ob die neuen Modelle lebenssinnspendend und lebenslustfördernd sind, oder ob sie letztlich auf eine bessere »Brauchbarkeit« der Kinder für wirtschaftliche Zwecke hinzielen. Gesellschaftliche Entsolidarisierungstendenzen und wirtschaftspolitische Ent­scheidungen, welche die öffentlichen pädagogischen Institutionen wie Kitas und Schulen finanziell in die Enge treiben, werden ebenfalls zum Ansatzpunkt kritischer Auseinandersetzung. Ebenso kritisch werden Pädagog/innen einem unreflektierten Konsum- und Medienverhalten, das individuelle Kreativität und Fantasie einschränkt, begegnen. Gegensteuerung dazu finden sie bereits im neuen österreichischen Bildungskonzept, das mit seinem transaktionalen Ansatz die eigenständige Schaffensfreude der Kinder unterstützen und konsumierendes Verhalten in Lernprozessen reduzieren will. Religionspädagogische Praxis, welche sich von der prophetischen Vision eines Jesus von Nazaret motivieren lässt, wird sich nicht länger auf binnenpädagogische Fragen beschränken oder den Fokus nur auf die Interaktion zwischen Kindern und Pädagogin legen. Aus der Überzeugung, dass gelingendes Zusammenleben im Kindergarten förderliche Bedingungen braucht, befragt sie dieses jeweilige konkrete Zusammenleben in der Folge nach seinen strukturellen Implikationen. Wahrnehmungsfragen dazu können etwa lauten:16  Gibt es strukturelle Regelungen in unserem Haus, im Team, in der Gruppe, durch die einzelne Beteiligte beständig unter Druck geraten? (Bsp. Personalmangel? Ungünstige Personalzuteilung? Raumbeengtheiten? Zu

wenig finanzielle Mittel für Spiel- und Arbeitsmaterialien? Zu kurze oder zu lange Öffnungszeiten? . . .)  Welche Möglichkeiten gäbe es, diese Regelungen zu verändern, so dass weniger Druck für Einzelne entsteht? (Gespräch mit Leiter/in? Ansuchen um zusätzliche Pädagog/innen? Ausbau des Kindergartens? Gespräch mit Träger? Einbeziehung von Eltern? . . .)  Welche Strukturen und Regeln in unserem Haus bringen immer wieder Konflikte? (Bsp. Unregelmäßige bzw. zu wenige Team- und Gesamtteambesprechungen?) Kann es sein, dass diese Strukturen und Regeln lebendigem Zusammenleben nicht dienlich sind und daher ständig zu Störungen und Konflikten führen? Wenn sich diese Fragen mit den strukturellen Bedingungen des Zusammenlebens beschäftigen, so geht es – der jesuanischen Prophetie entsprechend – in einem weiteren Schritt um die Frage, welche Götzen und falschen Götter die Einzelnen in ihrer Lebendigkeit behindern und gefangen halten. Wahrnehmungsfragen dazu können sein:  Wo, in welchen Situationen wird Entfremdung spürbar im Zusammenleben im Kindergarten?  Wo, in welchen Situationen tun wir etwas, das uns in der Gruppe eher lähmt als froh macht?  Warum tun wir das? Wem zuliebe oder wofür?  Welche »Heiligtümer« haben die Kinder in der Gruppe? Was ist ihnen ab16 Vgl. ebd., 329f.

Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus

solut wichtig und heilig? Sind diese Wichtigkeiten lebensförderlich für die Kinder? Oder entfremden sie diese von ihrer Kreativität und inneren, freien Lebensfreude, ihrer Phantasie?  Welche »Heiligtümer« haben wir Pädagog/innen der Gruppe? Was ist uns absolut wichtig und heilig? Halten uns diese Wichtigkeiten innerlich gefangen oder machen sie uns frei und lebensfroh? Eine dritte Fragerichtung bezieht sich auf die jeweilige Gruppendynamik und ihre Ausschluss- bzw. Einschlussverfahren:  Welche Kinder werden immer wieder von anderen abgewiesen und warum?  Gibt es jemanden in unserem Pädagog/innenteam, die / der »draußen« steht, wenig eingebunden wird in unsere Kommunikationsprozesse? Warum?  Was brauchen die am Rand stehenden Gruppenmitglieder, damit sie sich leichter am Kommunikationsgeschehen in der Gruppe beteiligen können?  Wie können wir ein wertschätzendes Klima in der Gruppe schaffen, das alle mit einschließt und jedem seinen / ihren Platz in der Gruppe zuspricht?  Wie kann Fremdheitskompetenz in der Gruppe, bei Erzieher/innen und Kindern gefördert werden? Religionspädagogisches Handeln im jesuanischen Sinn wird diese drei genannten strukturellen, gesellschaftspo­ litischen und gruppendynamischen Fragerichtungen als zum Zentrum seiner religionspädagogischen Reflexions- und Wahrnehmungsarbeit zugehörig betrachten.

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3.2.3 Fragmentaritätskompetenz in Kitas entdecken und üben

Der in der westlichen Zivilisationsgesellschaft vielleicht provokanteste jesuanische Brennpunkt ist jener der Fragmentaritätskompetenz. Die Bemühungen in Wissenschaft und Pädagogik sind nach wie vor darauf ausgerichtet, Fehler und Irrtümer möglichst auszuschalten und das Bestmögliche aus den Kindern herauszuholen. In einer Zeit, die von gestyltem Perfektionismus und Erfolgsstreben bestimmt ist, in der man Krankheiten zunehmend als vermeidbar ansieht, werden persönliche Schwächen in physischer und psychischer Hinsicht mit ebenso vermeidbaren Gendefekten erklärt. Die Vision einer perfekten Menschengesellschaft steht dem Konzept der Fragmentarität unvereinbar gegenüber. Die Angst, Fehler zu machen und mit getroffenen Entscheidungen schuldig am anderen zu werden, äußert sich in Form feindseliger Aggressionen oder einer resignativ-passiven Haltung, die von Ohnmachtsgefühlen bestimmt ist. Schuld an den Verbrechen, die begangen werden, sind dann die anderen; für jene, die leiden und verzweifeln, weil sie materiell benachteiligt, heimatlos oder krank sind, fehlt das Mitgefühl und die Parteinahme. Entsolidarisierung und eine Haltung, die besagt, dass jede/r die freie Wahl habe und selber seines / ihres Glückes Schmied sei, sind die Folge. Das zentrale Anliegen christlicher Botschaft besteht in der Versöhnung der Menschen mit ihrer physischen und psychischen Unvollkommenheit. Nicht die Leugnung von Irrtümern und Fehlentscheidungen ist die Folge dieser Versöhnung, sondern die Fähigkeit, offen und realistisch die eigene Person mit den je-

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

weiligen Stärken und Schwächen wahrnehmen zu können und nicht länger an den eigenen Fehlern zu verzweifeln. Daraus ergibt sich eine befreiende Absage an jeden Perfektions- und Machbarkeitswahn. Pädagogisch ist damit eine Haltung der Gelassenheit verbunden, die sich zwar mit bestem Wissen und Gewissen um ein kinderfreundliches und -stärkendes Verhalten bemüht, gleichzeitig aber weiß, dass es nicht allein von diesem Bemühen abhängt, wie sich die Kinder entwickeln werden. Diese Gelassenheit schützt die Pädagog/innen vor der starr machenden Angst, Fehler zu begehen und deswegen von den Eltern der Kinder oder von Inspek­tor/in­nen kritisiert zu werden. Fragmentaritätskompetente Erzieher/innen verfügen über die Fähigkeit zur realitätsnahen Selbstwahrnehmung und zur Selbstkritik. Sie können zu ihren eigenen Fehlentscheidungen ebenso stehen wie zu ihren Erfolgen. Fragmentarität, wie sie hier verstanden wird, ermöglicht einen empathischen Blick, welcher die biografischen Verletzungen und Leidensgeschichten anderer wahrnehmen kann und sich nicht länger auf die Verhaltensweisen von Menschen fixiert. Pädagog/innen, welche über diesen empathischen Blick verfügen, können auch die Kinder mit ihren biografischen Brüchen und Umbrüchen wahrnehmen und begleiten, weil sie keine Angst davor haben, sondern sie als zum Leben dazugehörig betrachten. Nicht das gelingende, starke, unabhängige, erfolgreiche Leben von Kindern steht dann allein im Zentrum pädagogischen Interesses, sondern das Leben der Kinder, wie es gerade ist. Das reale Leben der Kinder wird von den Pädagog/in-

nen liebevoll wahrgenommen, nicht die Ideal­vorstellung davon. Als Schwerpunkt wird in Kitas das »soziale Lernen« betont. Soziales Lernen ist auch Konfliktlernen, der adäquate Umgang mit den selbstverständlich auftretenden Konflikten. Vorschnell auf Harmonisierung und Versöhnungsrituale hinzuarbeiten, ist wenig zielführend. Erst dort, wo Konflikte auch sein dürfen, wo Kinder ihre Interessengegensätze ausdrücken und ausleben dürfen, können auch Versöhnung und Vergebung möglich werden. Erzieher/innen können einen großen Dienst leisten, indem sie die Kinder an der eigenen Person und Haltung erleben lassen, dass sie Fehler machen dürfen, dass Zusammenleben in der Gruppe auch immer wieder scheitern und nicht gut verlaufen darf; dass trotz vieler nicht veränderbarer Faktoren ein täglicher Neubeginn möglich ist – und Versöhnung und Vergebung dafür Zeichen sind. Die Erfahrung, jeden Tag neu willkommen zu sein im Kindergarten und in der Kindergartengruppe, kann die Pädagogin / der Pädagoge für das Kind nicht allein herstellen und machen; sie / er kann aber mithelfen, dass eine Atmosphäre des Willkommen-Heißens und Wertschätzens immer wieder neu aufgebaut wird im Haus und in der Gruppe. Wahrnehmungsfragen zum theologischen Brennpunkt der Versöhnungsbereitschaft und Fragmentaritätskompetenz können sein:17 – Wie gehe ich persönlich mit Konflikten im Pädagog/innenteam um? 17 Vgl. ebd., 332f.

Habringer-Hagleitner Lieben, was ist – Theologie für Kinder als Habitus

– Was fällt mir schwer, was fällt mir leicht in Konflikten? – Welche negativen Gefühle erlebe ich an mir in diesen Konflikten? (Rache, Konkurrenz, Neid, Ohnmacht, Wut, . . .) – Wie kann ich mit diesen Gefühlen umgehen / nicht umgehen? – Wie kann ich diese Gefühle ausdrücken, ohne andere dabei zu verletzen? – Womit, in welchen Situationen habe ich Kolleg/innen in der Zusammenarbeit verletzt? – Kann ich mir das selber verzeihen? Wenn nicht, warum nicht? – Kann ich / konnte ich mit der Kollegin darüber sprechen? Mich mir ihr aussöhnen? – Woran leide ich im Zusammenleben mit Menschen am meisten? – Was ist meine größte Sehnsucht im Zusammenleben mit Menschen? – Kann ich das den anderen gegenüber auch ausdrücken und mit meinen Bedürfnissen gesehen werden? – Woran leiden meine Kolleg/innen im Zusammenleben mit den anderen am meisten? – Worin liegen ihre biografischen Verletzungen? – Wie können wir in der Zusammenarbeit achtsam miteinander umgehen? Soziales Lernen gilt in Kindertageseinrichtungen als einer der Schwerpunkte. Wahrnehmungsfragen in Bezug auf die Konflikte der Kinder können sein: – Welche Konflikte beschäftigen die Kinder in der Gruppe? – Wer sind die Konfliktpartner? Welche Interessensgegensätze haben sie? – Wie lösen die Kinder ihre Konflikte?

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– Gibt es dabei wechselnde Sieger und Verlierer oder ziehen immer dieselben den Kürzeren? – Können die Kinder mit ihren Konflikten gut leben oder brauchen sie Hilfe? – Welche grundsätzliche Unterstützung können wir Pädagog/innen ihnen für eine gute Streitkultur geben? Gezielte pädagogische Interventionen hinsichtlich Konfliktlernen könnten sein: – Spiele zum Thema Kräfte messen, Raufen, Balgen, Aggressionen ausdrücken. – Gefahrlose Räume, in denen Balgereien und Kräfte messen möglich sind – Gesprächskreise zum Thema: »Jeder darf was falsch machen. Was hab ich schon einmal falsch gemacht?« – Gesprächskreise zum Thema: »Streiten gehört dazu. Was mag ich und was mag ich nicht beim Streiten?« – Gesprächskreise zum Thema: »Wie wir besser miteinander streiten können.« Alternative Handlungsmuster mit Kindern erarbeiten, in denen Konflikte für die Kinder befriedigend gelöst werden können. – Gesprächskreis zum Thema: »Verzeihen und versöhnen – wie geht das?« Wenn – wie oben angemerkt – ein wesentlicher Aspekt von Fragmentaritätskompetenz auch darin besteht, eigene Grenzen wahrzunehmen sowie die Kinder in ihren Grenzen wahrnehmen zu können, so können Fragen in Bezug darauf lauten: – Woran leiden einzelne Kinder in der Gruppe? – Was kann ich, kann die Gruppe daran lindern?

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

– Inwiefern können wir nichts ändern an der Situation des Kindes, wo müssen wir mit dem Kind die Situation aushalten und einfach nur mit ihm sein? – Wo stoßen wir in unserem Zusammenleben in der Gruppe immer wieder an die Grenzen des Machbaren und scheitern in dem Versuch, eine lebensfrohe Gemeinschaft zu sein? – Wie können wir mit diesen Grenzerfahrungen umgehen? – Welche Rituale des Neubeginns oder der Versöhnung kennen wir in der Gruppe? 4. Ausblick Lieben, was ist: Theologie für Kinder als Habitus oder wie der Gott des Lebens in den Kitas spürbar wird

Dieser hier beschriebene spirituell-diakonische Ansatz kommt vorerst einmal ohne ausdrückliche (explizite) Gottes-

rede mit den Kindern aus. Allerdings integriert er die jesuanische Botschaft vom leidenschaftlichen Gott des Lebens explizit in die Reflexion und Planung des pädagogischen Handelns. Ein Grundpfeiler dieses Modells ist es also, aus Verbundenheit mit dem Gott des Lebens, alles was im Alltag passiert, in der Haltung der Liebe zur Wirklichkeit wahrzunehmen. Erzieher/innen, welche dies tun, werden im Zusammenleben mit den Kindern in verschiedenen Situationen auf das spirituelle Leben der Kinder und ihre ausdrücklich philosophisch-theologischen Fragen stoßen. Auch die religiöse Herkunft und Traditionszugehörigkeit wird in den Blick geraten. Es wird dann folgerichtig Zeiten geben, in denen Spiritualität und Religionen ausdrücklich thematisiert werden wollen und müssen.

Sendler-Koschel Der Beitrag der Kinder- und Jugendtheologie zu einer veränderten Sicht …

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Birgit Sendler-Koschel Der Beitrag der Kinder- und Jugendtheologie zu einer veränderten Sicht von Kirche, Kindern und Jugendlichen – ein Statement Die neunjährige Nora streifte durch das Pfarrbüro. Ihr Vater war Gemeindepfarrer und saß am PC. Nora musterte die Bücher im Regal. Wenige Minuten zuvor war sie aus der Schule nach Hause gekommen. An die Haustür, die auch Zugangstür zum Gemeindesaal war, hatte die Mesnerin einen Aushang gehängt: »Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Gemeindesaal wegen Bauarbeiten nicht benutzbar ist«. Was ist eigentlich »Zur Kenntnis nehmen« fragte Nora beiläufig. Ihr Vater erklärte den Ausdruck. »Aha«, meinte Nora und betrachtete weiter die Bücher im Regal, während ihr Vater die Arbeit an seinem Text fortsetzte. Nach einer Weile zog Nora ein dickes weißes Buch aus dem Regal. Was sind denn »Bekenntnisschriften«, fragte sie. »Warum interessiert dich das?«, fragte ihr Vater. »Weil da »Kenntnis« vorkommt«, antwortete Nora. Ihr Vater versuchte sich an einer Erklärung zu den evangelischen Bekenntnisschriften, die an dieser Verbindung von Kenntnis und Bekenntnis anknüpfte. »Du musst als Pfarrer also zur Kenntnis nehmen, was die damals über Gott dachten und über die Kirche«, sagte Nora. Wenige Sekunden später folgte die Anschlussfrage: »Musst du auch zur Kenntnis nehmen, was die Leute heute über Gott und Kirche denken? Und was Kinder darüber denken?«. Diese Szene ist schon einige Jahre her. Sie fällt in die Zeit, als nicht nur meine Kinder, sondern auch die Kindertheologie selber noch in den Kinderschuhen

steckten. Gelegentlich notierte ich damals Gespräche mit meinen drei Kindern, aber auch mit Kinderkirch- und Kindergartenkindern in der Kirchengemeinde, in der mein Mann und ich das Pfarramt teilten. Mich faszinierte, wie Kinder entwicklungsbedingt und zugleich sehr individuell über Religion nachdenken, wie sie ständig Eindrücke rezipieren und verarbeiten, in Sprache fassen und reflexiv weiterentwickeln. Mir wurde in diesen Jahren im Gemeindepfarrdienst deutlich, welch wichtigen Dienst wir als Kirche darin leisten, Lernorte und Formen anbieten zu können, die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen Raum und Gelegenheit bieten, über Religion und Glaube mehr zu erfahren und neue Erkenntnisse mit eigenen gedanklichen Konstruktionen zu verknüpfen. Vier Blitzlichter dazu aus der Praxis theologischer Gespräche mit Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern: – Viele Jahre lang lud ich freitagabends zum Thema des samstäglichen Konfirmandentags alle interessierten Konfirmandeneltern in den Gemeindesaal ein. Ich wollte ihnen zeigen, was wir als ›Konfiteam‹ zusammen mit ihren Jugendlichen erarbeiten werden und ihnen Gelegenheit geben, grundlegende Themen des Glaubens vertieft oder neu kennenzulernen, den dabei entstehenden Fragen nachzugehen

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

und darüber mit anderen Eltern ins Gespräch zu kommen. Am letzten der zehn thematischen Elternabende standen wir zum Verabschieden an der Tür des Gemeindehauses. Eine Mutter sagte: »Schade, dass die Konfizeit meiner beiden Söhne bald zuende ist. Dann kann ich gar nicht mehr zu diesen Elternabenden kommen. Es war wichtig für mich, so kreativ und frei mit anderen Erwachsenen über Gott und Kirche nachdenken zu können.«. Ein Vater von drei Töchtern, bei dem es auch das jüngste Kind war, das vor der Konfirmation stand, hörte diese Äußerung mit und meinte: »Ja, schade, dass diese Gespräche nun enden. Ich habe hier viele Impulse für meinen Glauben bekommen. Ich bin auch immer gerne in den Gottesdienst gekommen.« »Das können Sie doch weiterhin tun«, meinte ich. »Nein, nicht wirklich«, meinte er. »Ich bin in der Feuerwehr und da geht man als Mann nur dann in die Kirche, wenn es einen Grund gibt. Die Begleitung meiner Kinder war einer. Jetzt muss ich nach neuen Gelegenheiten suchen, um mit anderen zusammen über Gott und Glauben nachdenken zu können«. – Ein Highlight im Hinblick auf die Qualität religiöser Bildung durch theologisierende Gespräche bei Jugendfreizeiten war das Angebot der »Diskussionen am Lagerfeuer«. Es handelte sich um Theologisieren am Lagerfeuer. Nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Mitarbeitenden profitierten von diesen oft intensiven Gesprächen, in denen unter dem Sommernachtssternenhimmel die Rät­sel und Fragen, Herausforderungen, Verzweiflungen und Freuden des

Menschenlebens zur Sprache kamen und in den Horizont des christlichen Glaubens gestellt wurden. – Deutlich schwieriger gestaltete es sich, anspruchsvolle Gespräche in der Schule zu initiieren. Im Religionsunterricht am Gymnasium, später dann vor allem in der Realschule nahm ich wahr, dass der Lernort Schule einer völlig anderen Art der Inszenierung theologischer Gespräche bedarf und dass die Heterogenität der Schülereinstellungen und Interessen nicht nur in unterschiedlichen Enzyklopädien begründet ist, sondern auch in nicht leicht veränderbaren grundsätzlichen Haltungen, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht zeigen. Die Haltungen, die Petra Freudenberger-Lötz in ihrer Veröffentlichung »Theologische Gespräche mit Jugendlichen beschreibt« – eine Haltung aus ruhendem Glauben, aus reflektiertem Glauben heraus, eine kritischsuchende, eine kritisch-ablehnende und eine indifferente Haltung – begegneten mir genau so. Interessant dabei war, dass sich dieselben Jugendlichen in der Konfirmandenarbeit und in der Schule in Hinblick auf diese Grundhaltung unterschieden. Es gibt im Religionsunterricht offenbar so etwas wie eine im Laufe der Jahre entwickelte und gestaltete Haltung und Rolle, die aufgebrochen wird, wenn die Gruppenkonstellation, aber vor allem auch der Lernort sich verändern. Im Religionsunterricht wie in der Konfirmandenarbeit mit ihren heterogenen Gruppen muss kontinuierlich eingeübt wer-

Sendler-Koschel Der Beitrag der Kinder- und Jugendtheologie zu einer veränderten Sicht …

den, wie man miteinander religiöse bzw. theologische Gespräche führen kann. – Besonders gelingende theologische Gespräche mit Kindern erlebte ich im Kindergottesdienst. Hier gab es anders als im Religionsunterricht in der Grundschule keine Notwendigkeit, die neuen Erkenntnisse und Gedankengänge über eine Heftwerkstatt festzuhalten. Die Kinder nahmen wahr, dass ein zunächst völlig zweckfreier Erkenntnisgewinn beglücken kann. Das mit dem Erzählen einer biblischen Geschichte verknüpfte Theologisieren ermöglichte Neugier weckende Bildungserlebnisse. Trotzdem dachte ich immer neu darüber nach, wie es gelingen kann, solche theologischen Gespräche in ihren sich entwickelnden Gedankengängen so festzuhalten, dass die Kinder selber ihre theologischen Denkbewegungen nachvollziehen können und die Gelegenheit haben, zu einem späteren Zeitpunkt einen der Gedankengänge weiter zu entwickeln. Ohne diese Anknüpfungsmöglichkeiten bleibt von gelingenden theologischen Gesprächen mit Kindern kein deutlich fassbarer Erkenntnisgewinn zurück, sondern eher der beglückende oder für weiteres Nachdenken über Gott motivierende Moment der Freude an neu begriffenen Zusammenhängen. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen und Fragen las ich als Gemeindepfarrerin, später dann als auf der mittleren Führungsebene für religiöse Bildung in Schulen und Gemeinden Zuständige und jetzt als Leiterin der Bildungsabteilung im Kirchenamt der EKD die Veröffentlichungen zur Kindertheologie in den Jahrbüchern, in der ›Zeitschrift

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für Pädagogik und Theologie‹ und anderswo. Ich erkannte in dem subjektorientierten Theologisieren große Chancen, dass Menschen sich über eigene Kon­struktionen biblisches Wissen und kirchliche Tradition aneignen können. Ich werde in diesem Vortrag sieben Thesen zur Kindertheologie entwickeln in dem Versuch, den Beitrag der Kindertheologie für die kirchliche Arbeit und damit für die Kinder und Jugendlichen, mit denen und für die unsere Kirche arbeitet, zu skizzieren. Da das Netzwerk Kindertheologie sich dieser Tage mit der »Theologie für Kinder« beschäftigt, erscheint es mir legitim, die Frage nach dem Ertrag der Kindertheologie nicht zuerst von den Kindern und Jugendlichen selber her zu stellen, sondern sie aus der kirchlichen Perspektive zu bearbeiten. Denn Kinder und Jugendliche gehören zur Kirche als Gemeinschaft der Getauften, die sich ihnen (hoffentlich) nicht nur als Tradierungsgemeinschaft zeigt, sondern auch als eine Communio der gemeinsam nach Gott Fragenden. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, – dass es in ihrer Kirche Lehrende gibt, die ihnen Zugänge zu den Inhalten der biblischen und kirchlichen Tradition eröffnen und offen sind für die bei dieser inhaltlichen Auseinandersetzung entstehenden Fragen und Gedanken der Kinder und Jugendlichen – dass ihre Kirche ihnen altersgemäße Zugänge zum theologischen Denken erschließt – dass ihre Kirche ihnen Begegnung mit gelebtem Glauben und seinen Formen ermöglicht (dazu gehört auch das theologische Nachdenken als eine Funktion des christlichen Glaubens)

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

– und dass sie in der Gemeinschaft der Kirche auf dem Weg des Glaubens begleitet werden. Wenn der Bertelsmann-Religionsmonitor 2008 zeigt, dass gerade bei den jungen Menschen die persönliche Zustimmung zu Hoffnungsgehalten des Glaubens im Vergleich zu anderen Alterskohorten hoch ist (H.-G. Ziebertz; Gibt es einen Traditionsabbruch?, Religionsmonitor, S. 44–53, Gütersloh 2007), so weist dieser Befund darauf hin , dass die Weiterentwicklung des religiösen Denkens und des Glaubens einer Begleitung bedarf, wenn beides in der Reflexion der Lebenserfahrungen nicht abbrechen soll und wenn religiöses Denken mit dem dominanten kognitiv-instrumentellen Denken im naturwissenschaftlichen Modus der Weltbegegnung vermittelt werden soll. Was heißt das für die Kirche und den Beitrag, den die Kinder- und Jugendtheologie in den letzten Jahren geleistet hat? 1. Das »Theologisieren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen« in ganz verschiedenen kirchlichen Bildungsfeldern bietet Haupt- und Ehrenamtlichen die Chance, die Glaubensfragen und das religiöse Denken der Menschen kennen und achten zu lernen und Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene in der Weiterentwicklung ihres religiösen Denkens, ihres theologischen Wissen und ihres persönlichen Glaubens zu begleiten. Kaum eine andere Art der Religionsdidaktik bringt für die Unterrichtenden selber eine so intensive und oft auch persönliche Begegnung mit Themen und Formen des religiösen

Denkens ihrer Zielgruppe. Die Kindertheologie bahnte und bahnt für die Kirche Wege zu einer angemessenen Achtung der Leistungen und des Werts theologischen Fragens und Antwortens von nicht wissenschaftlich-theologisch gebildeten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. 2. Beim Theologisieren in der Gruppe wird Kirche als Gemeinschaft erfahrbar, in der Christenmenschen in Sachen Religion voneinander lernen. In theologischen Gesprächen in der Gruppe erleben Kinder und Jugendliche eine Kirche, die sich für ihre theologischen Fragen und Konstrukte interessiert. Die beim Theologisieren eng aufeinander bezogenen Glaubens- und Lebensfragen eröffnen gemeinsam neue theologische Horizonte, die zur Lebensbewältigung beitragen können. Es geht nicht zuerst um ein ›Bespaßen‹ von Kindern und Jugendlichen, sondern um ein lebensrelevantes Nachdenken über Gott und ein dazu passendes Gestalten von Ausdrucksformen des Glaubens. Beides – das Nachdenken und das Gestalten von Formen wie auch das Feiern – sind Funktionen des christlichen Glaubens und ereignen sich in der Gemeinschaft der Getauften. Dass Theologisieren in der unterrichtlichen Inszenierung die Rolle der Unterrichtenden und der Lernenden verändert, entspricht dem Gedanken des Priestertums aller Getauften. 3. Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen bedarf einer bewussten Definition der Rolle der Lehrenden. Das Einüben der Rolle als Moderator/in und Experte/in erleichtert den Unterrichtenden Zugänge zu einer Religionsdidaktik, die konsequent subjektorientiert ist und die die se-

Sendler-Koschel Der Beitrag der Kinder- und Jugendtheologie zu einer veränderten Sicht …

mantischen Konstruktionen der Kinder und Jugendlichen aufnimmt und gemeinsam mit ihnen weiter entwickelt. Wer als Unterrichtender die Kompetenzen religiöser Bildung seiner Lerngruppe erweitern will, kann dies nur mit den Lernenden gemeinsam angehen. Der Ansatz des Theologisierens mit Kindern rückte ähnlich wie die performative Religionsdidaktik ins Bewusstsein, dass Unterricht auf die aktive Co-Konstruktion und Gestaltung durch die Lernenden angewiesen bleibt. Theologisierende Gespräche brauchen Formen, anregende Lernarrangements und müssen eingebettet sein in Bildungsprozesse, in denen die Lehrenden als Moderatoren und Experten, als Regisseure, die Potentiale ihrer Gesprächsgruppe kreativ ins Spiel bringen. 4. Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen steht immer im Bildungskontext und ist genuine Bildungsarbeit. Ein geplantes, sorgsam durchgeführtes und auch ausgewertetes »Theologisieren mit Kindern oder Jugendlichen« ist ein bedeutsames Bildungsangebot an diese Zielgruppe im Kontext religiöser Bildung. Das Paradigma »Kindertheologie« half unserer Kirche, den 1994 in der EKD-Synode geforderten Perspektivenwechsel umzusetzen, sich nicht länger zuerst und hauptsächlich um die Inhalte und deren Weitergabe zu kümmern, sondern evangelische Bildungsarbeit in Familie, Kindertagestätten, Kirchengemeinde, Sozialraum und Schule von den Kindern und Jugendlichen selber her zu denken. Kinder und Jugendliche rücken in der Kindertheologie als aktive Rezipienten der Tradition, die eigenständig deuten, Lebensrelevanz hinterfragen und sich

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aktiv beteiligen wollen, in den Blick. Theologisierende Gespräche eröffnen in besonderer Weise innere und äußere Partizipationsmöglichkeiten im Kontext von religiösen Lernprozessen. Sie können dazu beitragen, vor allem Jugendliche und Erwachsene bei Einbrüchen des Glaubens oder bei der Bearbeitung wichtiger Erfahrungen zu begleiten und zu zeigen, dass sich das ganze Leben lang die Gottesfrage immer wieder stellt und man für deren Bearbeitung in der Kirche Orte und Formen finden kann. 5. Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen könnte im Kontext einer subjektorientierten Religionsdidaktik einer der Ansätze sein, um Pluralitätsfähigkeit anzubahnen. Plu­ ralitätsfähigkeit fördernde religionsdidaktische Ansätze braucht unsere Kirche, wenn sie dem eigenen Anspruch genügen will, durch religiöse Bildung zur Orientierung beitragen zu wollen. Beim Theologisieren erleben Kinder und Jugendliche, dass sie ihre plurale Welt stets aktiv deuten, dass Erwachsene sich für ihre Deutungen interessieren und dass es möglich ist, verschiedene Deutungen miteinander ins Gespräch bringen. Theologisierende Gespräche erweitern die Ambiguitätskompetenz und damit die Fähigkeit, mit Pluralität umzugehen und Positionen zu vermitteln oder auch begründet zu besetzen. 6. Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen bedarf fundierter Ausbildung und Begleitung. Das Projekt des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen stellt noch einmal anders als die empirische Forschung über die Theologie der Kinder oder der Jugendlichen oder die Erarbeitung einer Theologie für Kinder bzw. für Jugendliche hohe

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Anforderungen an die religiöse Kommunikationsfähigkeit und das theologische Wissen von Unterrichtenden in Schule und Gemeinde. Wir brauchen dazu eine fundierte theologische Ausbildung und eine Hochschul- und Fortbildungsdidaktik, in der offene theologische Diskurse, in die auch persönliche Erfahrungen eingetragen werden dürfen, gelernt werden können und in der Bezüge zu Orten gelebten Glaubens thematisiert und inszeniert werden. 7. Der Terminus »Kindertheologie« löst in der Kirche und in der wissenschaftlichen Theologie – und dort nicht nur in der Religionspädagogik – in fruchtbarer Weise Perturbationen aus. Aber er bedarf auch weiterer Klärungen. Eine Religionsdidaktik, die Pluralitätsfähigkeit mit anbahnen soll, bedarf der Impulse aus einer noch theoretisch zu präzisierenden Didaktik des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen. Die Kindertheologie bereichert unsere Kirche und ihre Bildungsarbeit. Dabei habe ich aus kirchlicher Sicht noch einige Fragen an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich der Kindertheologie: – Wie erleichtert die Kindertheologie eine Unterscheidung ihrer Theorieund Praxisentwürfe? Oft vermischen sich in Veröffentlichungen zur Kindertheologie ganz unterschiedliche Zugänge und Themen. Wäre es vielleicht schon in der Konzeption des Jahrbuchs hilfreich, zwischen der empirischen Forschung zur Theologie der Kinder bzw. der Jugendlichen, zwischen der systematisch-theologischen und religionspädagogischen Aufgabe einer Theologie für Kinder und für Jugendli-

che sowie der Reflexion der Praxisfelder des »Theologisierens mit Kindern bzw. Jugendlichen« zu unterscheiden? Friedrich Schweizer hat mit den Vorschlag einer Theologie der Kinder, mit Kindern und für Kinder wichtige, weiter zu entwickelnde Weichen gestellt. – Müssten Praxisentwürfe des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen die Lernorte und Lernräume mit ihren spezifischen Chancen stärker reflektieren? Schulische Bildungsarbeit steht immer in der Gefahr, raumund leibvergessen zu agieren. Schulische und kirchliche Bildungsarbeit nutzen die Chancen, in Räumen, die von gelebtem Glauben etwas sichtbar machen können, zu arbeiten, oft wenig. Theologisieren als Inszenierung kann durch räumliche Wechsel und die von Räumen ausgehende Anregungen profitieren. – Welchen Theologiebegriff nutzt und regt die ›Kindertheologie‹ an? Theologisch plausibel und mit der wissenschaftlichen Theologie als einer besonderen Funktion des christlichen Glaubens kompatibel erscheinen mir Wilfried Härles Überlegungen zur Kindertheologie, die er als spezifische Form der in der Kirche immer lebendigen Laientheologie auffasst. Kindertheologie kann dann der Modus sein, wie getaufte Kinder über den Glauben nachdenken. Dieses Nachdenken gehört zum christlichen Glauben selbst und ist eine Form, in der er sich äußert. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir immer mehr ungetaufte Kinder und Jugendliche im Religionsunterricht, in der Konfirmandenarbeit und in den Jugendgruppen haben, stellt sich die

Sendler-Koschel Der Beitrag der Kinder- und Jugendtheologie zu einer veränderten Sicht …

Frage, ob diese Definition der Kindertheologie ausreicht. Denn sie schließt gedanklich diejenigen vom Theologisieren aus, die den christlichen Glauben, der sich gerade im theologisierenden Reflektieren äußert, nicht teilen und / oder die nicht getauft sind. Die Anzahl dieser nicht evangelischen Kinder und Jugendlichen nimmt in Kindertagesstätten und schulischem Religionsunterricht zu. In manchen Klassen, in denen wir im Religionsunterricht mit ihnen theologisieren, stellen sie die Mehrheit. Der Theologiebegriff in der ›Kindertheologie‹ ist nach meiner Wahrnehmung noch klärungsbedürftig. Auch die Lösung, dass Kindertheologie Theologie als Reflexion der religiösen Reflexion ist, wie Friedrich Schweitzer anregend zur Diskussion stellte, erscheint mir aus der Praxisbeobachtung heraus fraglich. Selbst dann, wenn der Unterricht auf die Abwechslung in Darstellung und Mitteilung, auf das Ineinander von Erlebnisse eröffnenden unterrichtlichen Inszenierungen und dann intensiver Reflexion konsequent aufbaut, kommt die Reflexion der religiösen Reflexion wenig vor. Hier zeigt sich in Hinblick auf die Definition der Theologie wie auch die praktische Qualität der theologischen Gespräche mit Kindern eine Herausforderung. Es stellen sich viele Fragen, wenn wir die religiösen Fragen und theologischen Denkbewegungen und Gespräche von

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Kindern und Jugendlichen nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern in den Focus der Aufmerksamkeit rücken. In die Handreichung des Rats der EKD »Kirche und Jugend« aus dem Jahr 2010 haben Impulse aus der Kindertheologie Eingang gefunden. Kapitel 4.1 trägt den Titel: »Kulturen der Kommunikation Jugendlicher achten und sich von der Theologie Jugendlicher inspirieren lassen« und fordert, die Theologie der Jugendlichen noch weiter auszuarbeiten und Jugendlichen Räume zu eröffnen, sich religiös zu artikulieren (S. 79). Die Orientierungshilfe »Kirche und Bildung« des Rats der EKD von 2009 fordert die »Entwicklung zeitgemäßer Ausdrucks- und Kommunikationsformen« (S. 65–67) im Kontext religiöser Bildung. Die Forschung zur Theologie der Kinder, das unterrichtspraktische Nach­ denken über das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen und die Frage nach einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche kann hierfür ein Baustein sein. Es bleibt wichtig, dass Inhalte der Bibel, vielleicht auch Gedanken aus den Bekenntnisschriften als traditionelle Codes der christlichen Kirche eingespielt werden in den Diskurs um plausible Deutungen für all die Formen, in denen sich Glaube heute äußert. So kann für Kinder und Jugendliche religiöse Bildung über offene, theologisierende Gespräche immer wieder lebensrelevant werden.

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Pädagogische Anregungen

Gerhard Büttner »Clustern« als Erschließung eines theologischen Feldes – ein Werkzeugkoffer für Religionslehrer/innen

Theologische Gespräche mit Kindern zu führen ist nicht einfach. Petra Freudenberger-Lötz schreibt der Lehrkraft drei Rollen in diesem Prozess zu: als aufmerksame Gesprächsbegleiterin, als stimulierende Gesprächspartnerin und als begleitende Expertin.1 Doch steht dem im Wege, dass die Unterrichtenden oft Mühe haben das Gespräch der Kinder in den theologischen Diskursraum einzuordnen2 und sich ihrer eigenen »Theologie« nicht bewusst sind3. Die Idee dieses Beitrages ist es von daher, theologisch relevante Themen so aufzubereiten, dass jede einzelne Lehrperson für sich eine orientierende Matrix legen kann, die ihrer eigenen theologischen Vorstellung entspricht und die gleichzeitig aber auch bedenkt, in welchem Verhältnis die anderen (nicht benutzten) Bausteine zu dem eigenen Modell stehen. Ich orientiere mich in meinem Vorgehen an Überlegungen zur Mathematikdidaktik4 und vor allem der Religionswissenschaft und versuche deutlich zu machen, welcher Gewinn daraus entspringen kann. Wir sind es gewohnt, religionswissenschaftliche Beobachtungen als eine Art Reduktionismus zu identifizieren, nach dem Motto, Religion ist nichts als eine Projektion psychischer oder sonstiger Wünsche und Bedürfnisse (Feuerbach, Freud). Neuere kognitivistisch orientierte Forscher haben dagegen eher ein evolutionstheoretisches Paradigma im Kopf.

Sie gehen davon aus, dass Menschen in ihrer überwältigenden Mehrheit in irgendeiner Weise Religion haben. Von daher fragen sie, warum dies offenbar evolutionär so erfolgreich ist, bzw. sie verfeinern ihre Fragestellung und sehen, auf welche Form dies am meisten zutrifft. Auf diese Weise beobachten und ordnen sie bestimmte Phänomene ohne den Anspruch, Aussagen über deren Wahrheit treffen zu können oder zu wollen. Mit dieser Methode lässt sich erkennen, dass es trotz der Fülle religiöser Manifestationen und Vorstellungen ganz offensichtlich nur einen engen Korridor von Möglichkeiten gibt. So gibt es etwa keine Idee von einem göttlichen Wesen, das mit niemandem kommuniziert. Ich werde im 1 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern, Stuttgart 2007, 130. 2 Annike Reiß, »Man soll etwas glauben, was man nie gesehen hat.« Theologische Gespräche zur Wunderthematik, Kassel 2013. 3 Caroline Köndring / Oliver Reis, »An der Uni lernst du nichts!« – eine Lernumgebung zum Konzeptwechsel in der Lehrerbildung, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik 3 (2012), 107. 4 Nicole Willms, Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit mathematikdidaktischer Prinzipien auf den Religionsunterricht der Klassen 3–6, Kassel 2008. In diesem Sinne auch Petra Pohlmann, Eigenproduktionen im RU der Grundschule. Schüler/innen entdecken Wundergeschichten Jesu, in: entwurf 4/2010, 18–21.

Büttner »Clustern« als Erschließung eines theologischen Feldes

Folgenden einige wichtige Aussagen aus Pascal Boyers Untersuchungen darstellen.5 Dabei interessieren mich die einzelnen Ergebnisse weniger als das dort sichtbar werdende Vorgehen. Indem Boyer zeigt, was man – gestützt von Religionsvergleichen – einer göttlichen Macht überhaupt zuschreiben kann, eröffnet er Optionen für das theologische Spekulieren. Konkret heißt das dann, dass jede gewählte Option (z.B. Gott verzeiht immer, manchmal, nie) bestimmte weitere Optionen produziert, z.B. im Hinblick auf das dann mögliche Verhalten der Menschen. Von der religionswissenschaftlichen Sicht interessiert erst einmal nur die Möglichkeit und implizite Logik einer Aussage. Wenn ich eine solche für die Deutung christlicher Theologie in Gebrauch nehmen will, dann muss ich natürlich prüfen, was geht, d.h. mit den inhaltlichen Aussagen etwa der Bibel kompatibel ist. Gelingt es jedoch, einen Pool mit Handlungsoptionen plausibel darzustellen, dann sollte es möglich sein, entlang dieser Felder plausiblen Theologisierens abzustecken. Dabei geht es dann einerseits um das Markieren der gefundenen »Werkzeugkärtchen«, gleichzeitig aber auch um das Erlernen einer solchen Arbeit mit Eigenkonstruktionen und das Vertrauen in dieses Verfahren. 1. Pascal Boyers Überlegungen

Was charakterisiert die Welt des Religiösen? Boyer meint, dass es Aussagen sind, die kontraintuitiv sind. D.h., dass sie in einem – allerdings wesentlichen – Punkt unsere ontologischen Vorstellungen verletzen. Gott kann als Person gedacht werden, mit der ich kommunizieren kann. Er

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sieht mich und hört mich und ich kann zu ihm sprechen, doch sehen kann ich ihn nicht und sein Reden hat nicht die mir vertraute Gestalt. Es ist also die besondere Mischung aus vertrauten Realitätsannahmen mit solchen, die gegen diese verstoßen. Dabei ist dieses System fein austariert. Von daher präsentiert Boyer eine Liste von Aussagen und prüft, welche als religionsbezogene Äußerungen überhaupt infrage kommen:6 »(4) Tote sprechen (und laufen) nicht. [. . .] (23) Die Seelen Verstorbener kommen manchmal in einem anderen Körper zurück. [. . .] (35) Manche Ebenholzbäume behalten Gespräche in Erinnerung, die Menschen in ihrem Schatten geführt haben. [. . .] (6) Die Götter beobachten uns und sehen alles, was wir tun! Aber sie vergessen es gleich wieder, [. . .] (9) Es gibt nur einen Gott! Aber er hat keine Möglichkeit herauszufinden, was auf der Welt vor sich geht. [. . .] (11) Es gibt nur einen Gott! Er ist allmächtig. Aber er ist nur mittwochs da. [. . .] (13) Dieses Standbild ist etwas Besonderes, weil man es hier sieht, aber eigentlich ist es überall auf der Welt« Betrachten wir diese kleine Liste, dann können wir Unterscheidungen treffen. Aussage 4 ist offensichtlich und erst einmal trivial. 23 ist eine Aussage, die unserer Ontologie erst einmal widerspricht, 5 Pascal Boyer, Und Mensch schuf Gott, Stuttgart 2004. 6 Ebd., 74ff.

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Pädagogische Anregungen

die aber auf den zweiten Blick als übernatürliche Deutung Sinn macht. Ähnlich verhält es sich mit 35, wenn man von einer beseelten Natur ausgeht. 9 und 11 erscheinen dagegen unsinnig, weil sie offensichtlich in sich widersprüchlich sind, 13 ist erst einmal nicht plausibel. Doch beim Nachdenken stellt man fest, dass es eine gelungene Aussage zur Frage der Sichtbarkeit des Unsichtbaren ist. Mit dem Rekurs auf diese Beispiele wollte ich zeigen, dass es möglich ist, religiöse Phänomene zu sichten und zu ordnen ohne gleich deren Wahrheitscharakter allgemein oder im Sinne eines bestimmten Glaubens zu thematisieren. Es wird aber deutlich, dass es möglich wird, bestimmte Aussageketten plausibel zu machen. Wenn ich annehme, dass die Natur oder zumindest Teile von ihr beseelt sind, dann muss dies auch irgendwelche Konsequenzen haben können. Wenn ich Gott denke, dann ist es wenig sinnvoll, diesen in keinerlei Verhältnis zu den Menschen vorzustellen. Gott denken, bedeutet demnach immer auch die Überlegung, wie dessen Beziehung zu den Menschen aussehen könnte. Eine solche religionswissenschaftliche Sicht fragt zunächst einmal nach den Logiken und Konstruktionsbedingungen eine bestimmten religiösen Phänomens. Ich will versuchen, dies anhand der Stelle zum Seewandel (Mt 14,22–33) zu erläutern. Die Jünger fahren über den See Genezareth und haben Schwierigkeiten mit dem ihnen entgegenkommenden Wind. Da erscheint ihnen Jesus auf dem See und spricht sie an. Mt erwähnt nun das Gespräch mit Petrus, der Jesus auffordert, ihn zu bitten, zu Jesus aufs Wasser zu kommen. V. 19b heißt es dann »Und Petrus stieg aus dem Schiff und wandelte

auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.« Doch der Anblick von Wind und Wellen lassen ihn zweifeln und er beginnt zu versinken, bis Jesus ihn rettet und seinen Kleinglauben schilt. Betrachten wir die Szene mit dem Boyerschen Instrumentarium, dann stoßen wir auf die Aussage: (1) Jesus läuft auf dem Wasser. Wir sind geneigt, dazu die Aussage zu formulieren: (2) Wer auf dem Wasser laufen kann, muss ein übernatürliches Wesen sein und / oder über außergewöhnliche Kräfte verfügen. Während sich die Mk-Parallelstelle mit dieser Sequenz zufrieden gibt, provoziert Mt die weitere Aussage: (3) Manche Menschen können zeitweise auf dem Wasser gehen, manchmal gehen sie unter. Für Petrus gilt offensichtlich (3). Doch wie verhält es sich mit (3)? Mt will offenbar zeigen, dass die Nähe zu dem göttlichen Wesen Jesus Glaubenden zeitweise Anteil gibt an dessen Macht. Doch bleibt die Frage offen, wann und wie die Nähe Jesu und der Glaube »groß genug« sind, damit das jeweils klappen kann. 2. Versuch zur Christologie

Unter dem Eindruck der Forschungen zum »historischen Jesus« gab es in der Religionspädagogik lange den Versuch, die Bedeutung Jesu schwerpunktmäßig über sein historisches Wirken zu vermit-

Büttner »Clustern« als Erschließung eines theologischen Feldes

teln. Dadurch geriet die theologische Dimension Jesu als göttliche Gestalt in den Hintergrund. Nicht zuletzt die Beiträge von Kindern haben deutlich gemacht, dass ihnen die existentielle Begegnung mit der Jesusgestalt wichtiger ist als Details seines Lebens. Von daher ist es konsequent, dass Petra Freudenberger-Lötz es für sinnvoll erachtete, die christologischen Kontroversen des Konzils von Chalzedon bereits mit Grundschüler/in­ nen altersgemäß zu thematisieren.7 Angesichts von biblischen Geschichten, in denen Jesu menschliche Seite hervortritt (z.B. Gethsemane) und solchen, in denen seine göttliche hervorscheint (z.B. Verklärung) konnten die Schüler/in­nen die Spannung dieser beiden Aspekte wahrnehmen. Die Schüler/innen konnten in jeweils einer Ecke des Klassenzimmers Argumente für eine dieser Optionen sammeln. In einem zweiten Durchgang wurde dann auch eine vermittelnde Sowohl-als-auchPosition angeboten. Auch wenn es fraglich ist, ob die Kinder die ambitionierte Chalzedon-Formel in ihrer Komplexität ausschöpfen (zwei Naturen unvermischt und ungetrennt) konnten, so stießen sie wohl doch zu Frühformen einer komplementären Sicht vor (halbe-halbe). Das Beispiel ermutigt dazu, einmal zu überlegen, welche Bausteine bzw. Werkzeuge notwendig sind, um eine solche Christologie zu entwickeln. Ich versuche, Sätze nach dem Muster Boyers zu formulieren: (1) Manchmal erscheinen göttliche Wesen in Menschengestalt. (2) Ihre Göttlichkeit ist nur manchmal zu erkennen, wenn sie übernatürliche Handlungen vollziehen. (3) Solche Wesen wissen bereits im Voraus, was passieren wird.

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(4) Solche Wesen sind Herr über den Tod. (5) Menschen können nicht im Vorhinein wissen, wie sich Dinge entwickeln. (6) Menschen werden von ihren Gefühlen wie Freude, Trauer, Schmerz bestimmt. (7) Menschen sind unausweichlich vom Tod bedroht. (8) Menschen sind Ereignissen wie Krankheit und Tod letztlich ohne wirkliche Rettungsmöglichkeit ausgeliefert. Es ist lohnend, diese Aussagen nun einmal für Jesus durchzuspielen. Man findet zu den Punkten 1–4 für Jesus leicht Bibelstellen. Für 3 muss man etwas länger suchen. Für 6 und 7 findet man leicht Hinweise, für 5 ist es schwierig (aber Gethsemane). 8 wird man eher punktuell finden (z.B. beim Verlassenheitsruf am Kreuz). Im Folgenden soll versucht werden, die Aussagen anhand einer komplexen Bibelstelle wie Joh 11,1–44, der Auferweckung des Lazarus, zu testen. Die Exposition der Geschichte lässt erwarten, dass Jesus auf die Nachricht von der Erkrankung seines Freundes Lazarus schnell zu ihm eilen wird. Doch die sybillinische Antwort »Diese Krankheit führt nicht zum Tod« (V. 4, vgl. auch V. 15) lässt sich als Aussage im Sinne von 3 deuten. Darauf deutet auch das retardierende Verhalten V. 6ff hin. V. 22 weckt Erwartungen im Sinne von 2 oder 4; Marta erhofft etwas von Jesus. V. 35 zeigt nun allerdings den weinenden Jesus und damit mit 6 eine zutiefst menschliche 7 Freudenberger-Lötz (wie Anm. 1), 201ff.

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Pädagogische Anregungen

Seite. V. 41ff zeigt nun mit 1, 2 und 4 die göttliche Seite: Jesus erweckt den toten Lazarus. So gesehen ist diese Bibelstelle außergewöhnlich, als sie Jesus kurz hinter einander einmal in zutiefst menschlicher, dann in extrem göttlicher Weise zeigt. Die Narration hat nun gegenüber der Chalzedon-Formel den großen Vorteil, dass sie die logische Paradoxie dadurch auflöst, dass die einzelnen »Naturen« Jesu zeitlich nacheinander manifest werden. Gleichwohl hat sich unser Suchraster an dieser Frage bewährt. 3. Was ist Sünde und was macht sie?

Ich gehe davon aus, dass Sünde in einer Dreieckskonstellation zwischen Gott – Mensch – Mitmensch angesiedelt ist. Der Mensch kann sich gegen Gott und gegenüber dem Mitmenschen »versündigen«. Doch der eigentliche Bezugspunkt scheint zwischen Gott und Mensch zu liegen. Folgende Aussagen sind machbar: (1) Gott erwartet vom Menschen ein bestimmtes Verhalten gegenüber ihm und gegenüber dem Mitmenschen. (2) Gott nimmt Regelverletzungen des Menschen zur Kenntnis. (3) Gott kann den Menschen (in Maßen) lenken. (4) Gott verzichtet darauf, den Menschen zu lenken und überlässt ihn seinem Willen. (5) Gott kann den Menschen für seine Verfehlungen bestrafen. (6) Diese Strafe kann zeitlich nah zur Verfehlung erfolgen. (7) Gott kann auf eine Bestrafung in diesem Leben verzichten und sie für die Zeit nach dem Tode aufsparen.

(8) Gott verzeiht grundsätzlich. (9) Gott verzeiht dem reuigen Sünder. (10) Gott verzeiht aus Liebe allen Menschen. (11) Gott entwirft einen Heilsplan für die sündigen Menschen. (12) Gott schickt Jesus Christus zum Kampf gegen das sündige Verhalten der Menschen. (13) Das eigentliche Gericht über die Sünden der Menschen erfolgt vor Gottes Gericht nach dem Tod. (14) Der Mensch kann willentlich und unbeabsichtigt sündigen; das sollte einen Unterschied machen. (15) Zum Sündigen bedarf es eines bestimmten Unterscheidungsvermögens. Also können kleine Kinder nicht sündigen. (16) Wenn man Mensch ist, sündigt man automatisch, Das hat Gott offenbar so gewollt oder zugelassen. (17) Man muss sich trotzdem anstrengen, möglichst wenig zu sündigen. (18) Die Sünde ist wie eine Macht, die uns bestimmt und uns wenig Spielraum zum eigenständigen Handeln lässt. (19) Wenn Gott uns aus Liebe alles verzeiht, dann muss man sich eigentlich nicht mehr anstrengen. (20) Wenn Gott uns aus Liebe alles verzeiht, dann ist das ein Grund, sich aus Dankbarkeit anzustrengen. (21) Ein Leben ohne Sünde macht vermutlich mehr Freude. (22) Ein Leben ohne Sünde ist wohl eher langweilig. (23) Beim Sündigen sollte man immer ein göttliches Gericht vor Augen haben. (24) Der Gedanke an ein Gericht nach den Sünden schränkt nur unsere Lebensfreude ein.

Büttner »Clustern« als Erschließung eines theologischen Feldes

(25) Gottes Endgericht hat vermutlich mit ein paar mehr oder weniger Sünden nichts zu tun, sonder mit unserer und der Erlösung der Welt. Der stattliche Aussagenpool nimmt explizit theologische, aber auch lebensweltliche Argumentationen auf. Es ist klar, dass nur ein Teil von ihnen jeweils mit einander kompatibel ist. Man kann also Wenn-dann-Alternativen erstellen. Die Aussagen sind alle von einer Konkretheit, dass sie sich mit Äußerungen von Schüler/innen leicht verbinden lassen. Bevor dies aber geschieht, muss jede Lehrkraft für sich überlegen, welche Aussagen für sie bestimmend sein sollen. Im obigen Fall kann man sagen, dass viele der Statements einen biblischen Hintergrund haben – auch und gerade da, wo sie sich widersprechen. D.h. dann auch, dass es nach der eigenen Wahl darauf ankommt, darüber nachzudenken, wie man die abgelehnten Voten zuordnen soll. Man wird sie ja nicht abrupt ablehnen können, zumal dann nicht, wenn sie Anhaltspunkte in der christlichen Tradition haben. Am Ende der Beschäftigung mit diesen Aussagen sollte also ein doppelter Schritt stehen: einmal die Herstellung einer eigenen Argumentationsmatrix und dann ein Nachdenken über die Zuordnung der ausgeschiedenen Voten. 4. Ein Versuch zu dem Hoheitstitel »Gottes Sohn«

Der Titel »Sohn Gottes« ist der bedeutendste, wenn es darum geht, den Status Jesu Christi zu beschreiben. Sohn, Christus, Heiland oder Herr stellen sog. Hoheitstitel dar, mit deren Hilfe versucht

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wird zu bestimmen, wer denn dieser gekreuzigte und auferstandene Jesus ist. Dabei hat jeder dieser Titel eine eigene Geschichte und Tradition. Doch ergaben sich im Rahmen der Geschichte spezifische Neuakzentuierungen. Ich möchte dies an den Titeln »Herr« und »Sohn« ausführen. Der Titel »Sohn Gottes« gehört in die jüdische Herrschervorstellung. Offenbar enthielt das Krönungsritual eine explizite Adoption des neuen Königs durch JHWH. Damit ist klar, dass alle biologischen Konnotationen, wie wir sie etwa von Griechenland her kennen, abgewiesen werden. Der König ist ein Mensch und bleibt es auch nach seiner Krönung. Doch die griechische Metaphysik benutzte den Titel um Aussagen zu formulieren wie »eines Wesens mit dem Vater«, »gezeugt, nicht geschaffen«, die deutlich machen, dass der Titel durchaus mindestens »göttliche Anteile« enthalten muss. Die entgegen gesetzte Bewegung können wir für den Titel »Herr« beobachten. In der deutschsprachigen Bibel finden wir den Gottesnamen mit »der HERR« wiedergegeben. Hinter dem griechischen kyrios (Herr) verbirgt sich also ein Gottesprädikat. Wer Jesus als »Herrn« bekennt, schreibt ihm damit eine »göttliche Natur« zu. Doch in der Rede vom Herrn Jesus ist dies z.T. verblasst und so erscheint der Begriff des »Herrn« manchmal eher als Anrede wie beim Herrn Meier von gegenüber. Wenn wir dies in Rechnung stellen, dann wird klar, dass ein religionswissenschaftlicher Zugang zum Thema »Sohn Gottes« neben den religionsgeschichtlichen und theologischen Bedeutungen auch die lebensweltlichen mit heran ziehen muss. Von daher ergibt sich die folgende Liste:

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Pädagogische Anregungen

(1) Götter haben Kinder (2) Die Götterkinder sind meist Menschen (3) Gott gebiert (er kommt aus seines Vaters Schoß) (4) Gott zeugt (5) Jesus wurde bei seiner Taufe von Gott adoptiert (6) Gottes Sohn ist eine Metapher (7) Wir sind alle Gottes Kinder (8) Wenn Jesus göttlich ist, kann nicht nur der Vater, dann muss auch die Mutter göttlich sein (9) Das Sohnsein Jesu ist in einem biologischen Sinne wörtlich zu nehmen (10) Das Sohnsein Jesu bedeutet, dass er dasselbe Wesen ist wie der Vater (11) Der Sohn ist dem Vater gleich (12) Sohn bedeutet eine etwas niederere Stellung als der Vater (13) Jesu Sohnsein ist etwas ganz Besonderes, Unvergleichliches (14) Jesus teilt sein Sohnsein mit uns (Vater-unser) (15) Wenn Jesus Gottes Sohn war / ist, dann hätte Gott ihn nicht so sterben lassen dürfen (16) Der Ursprung des Sohnseins Jesu liegt in Weihnachten (17) Der Ursprung des Sohnseins liegt in der Auferstehung an Ostern (18) Dass (ein) Gott Kinder hat, widerspricht seinem Gottsein. (19) Die Anwendung des Bildes von Vater, Sohn und Gottesmutter ist eine (unangemessene) Projektion des Menschlichen auf das Göttliche (20) Die leiblichen Geschwister Jesu sind eigentlich gar nicht seine Geschwister (21) Jesus hat zwei Väter: einen echten und einen Stiefvater (22) Seine Mutter Maria sollte gerade seine irdische Herkunft zeigen

5. Aus der Praxis der Lehrerbildung

Mit den letzten beiden »Listen« (Sünde, Hoheitstitel) wurde mehrfach in der Lehrerbildung gearbeitet.8 Es gab dabei erwartungsgemäß ganz unterschiedliche Versuche, das Material zu Clustern zusammenzustellen. Dabei fiel es in der Regel leichter, die Aussagen zu ordnen, denen man zuzustimmen geneigt war. Schwieriger war es, »unsinnigen« Aussagen in dem Bedeutungsfeld Raum zu geben. Dies ist verständlich, aber im Hinblick auf das Theologisieren auch wieder problematisch. Denn Kindertheologie hat nach ihrem Selbstverständnis nicht die primäre Aufgabe, »richtig« von »falsch« zu unterscheiden, sondern eher nach Anschlussfähigkeiten zu suchen – auch dort, wo eine Aussage schlussendlich abgelehnt wird. Für die Lehrer/ innen macht das angebotene Verfahren deutlich, dass es zu ihrem Thema wohl mehr Aussagen geben muss, als ihnen auf den ersten Blick geläufig sind, und dass es innerhalb eines Korridors theologischer »Viabiltät« wohl immer mehrere mögliche Argumentationsmuster gibt. Wer dies in Bezug auf sein Thema im Kopf hat, ist recht gut gerüstet für ein offenes und weiterführendes theologisches Gespräch (nicht nur) mit Kindern.

8 Sie können als Karteikarten kostenlos unter www.calwer.com beim Buchtitel (JaBuKi 12) heruntergeladen werden!

Oberthür »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .«

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Rainer Oberthür »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .« Theologie für Kinder als Gedankenanstoß zum Theologisieren – Grundsätze und Unterrichtserfahrungen »GOTT ist das, worüber hinaus nichts Besseres gedacht werden kann.« Diesen fünften Satz über Gott (von insgesamt 24) aus dem »Buch der Philosophen«1 sucht sich ein Mädchen aus, wählt aus einer umfangreichen Bild-Kartei das Bild einer Landschaft, das einen Weg hinauf zu einem Berg zeigt, der von einem Regenbogen überspannt ist, und schreibt dazu ihren eigenen Gedanken über Gott: »Gott ist einfach das Beste, was einem über den Weg laufen kann.« Der erwachsene Philosophensatz, bei dem wir Anselm von Canterbury mithören (»nichts Größeres«), und das didaktisch motivierte Bild der Illustratorin Mascha Greune2 führen das Kind zu einem eigenständigen Gedanken über Gott, den es aus sich heraus wohl nicht hätte sagen können. Dabei wendet es im souveränen Sprachspiel die biblische Metapher vom Regenbogen als Symbol der Gegenwart und des Bundes Gottes an. Dieses Eingangsbeispiel führt nicht nur in das Thema dieses Beitrags ein, sondern illustriert auch meine Situation und Intention: Als Dozent in der Fort-, Aus – und Weiterbildung, als Religionslehrer in der Grundschule, als Lehrbeauftragter der Universität Wuppertal und als Beiratsmitglied der Katechetischen Blätter stehe

»Gott ist einfach das Beste, was einem über den Weg laufen kann.« ich ständig im Schnittpunkt zwischen Schule und Universität, zwischen Praxis und Theorie und versuche zwischen diesen Arbeitsbereichen Brücken zu errichten und Positionen zu vermitteln. Im Mittelpunkt meiner Überlegungen stehen die Fragen: Warum brauchen Schülerinnen und Schüler – meine Erfahrungen beziehen sich vornehmlich auf Kinder, weiterführende Prozesse mit Jugendlichen sind aber mit im Blick – notwendig eine »Theologie für Kinder«, wie bringen wir theologische Positionen in den Unterricht ein und was geschieht dann im weiteren Prozess? 1. Theologie für Kinder – unverzichtbar

Überschrieben habe ich meine Gedanken mit einem Zitat einer Jugendlichen: »Darüber denkt man ja nicht von allein 1 Kurt Flasch, Was ist Gott? Das Buch der Philosophen, München 2011, 39. 2 Aus: Rainer Oberthür, Die Symbol-Kartei. 88 Symbol- und Erzählbilder für Religionsunterricht und Gruppenarbeit, mit Begleitbuch, München 2012.

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Pädagogische Anregungen

nach . . .«. Die 16jährige Laura blickt zusammen mit Christine und Ben zurück auf den Religionsunterricht ihrer Grundschulzeit. Vier Jahre lang hatten der Klassenlehrer Alois Mayer und ich uns um einen Religionsunterricht bemüht, der die Fragen der Kinder genauso ernst nimmt wie die Fragen von Religion und Glaube; um einen Unterricht, der das Philosophieren und Theologisieren mit Kindern in den Mittelpunkt rückt. Sechs Jahre später interviewten wir drei ehemalige Schüler und inzwischen Jugendliche hinsichtlich ihrer Erinnerungen.3 Laura stellt fest: »Auf den Religionsunterricht in der Grundschule habe ich mich immer besonders gefreut, er war aktiv, man hat etwas gemacht und sich über Sachen Gedanken gemacht, hat nichts aufgezwungen bekommen, es war alles von einem selber, man bekam Gedankenanstöße, die man selbst ausformuliert hat. Sie haben uns nicht soviel erklärt und beigebracht, sondern das, was wir schon in uns hatten, herausgeholt, weil über so Fragen denkt man nicht von allein nach, aber wenn man einen Denkanstoß bekommt und darüber nachdenkt, kommt viel mehr dabei heraus.«4 Damit bringt Laura mit ihren Worten einen Grundzug unseres Religionsunterricht auf den Punkt und führt uns zu meinem Grundgedanken, den ich mit Hilfe einiger Unterrichtsbeispiele ausführen möchte. Vor dem Hintergrund vieler Jahre unterrichtspraktischer Erfahrung und Reflexion bin ich der festen Überzeugung: Im Zusammenspiel der in der kindertheologischen Literatur immer wieder unterschiedenen und doch aufeinander bezogenen drei Dimensionen der Theologie der Kinder, der Theologie mit Kin-

dern und der Theologie für Kinder ist es zwar unbedingt zu vermeiden, dass den Kindern eine Theologie übergestülpt wird. Aber sie brauchen immer wieder notwendig theologische Positionen, Grundannahmen und Überzeugungen, an und mit denen sie sich selbst einbringen und ihre »Theologie« hervorbringen können, damit sie nicht in die »Beliebigkeitsfalle« tappen oder sich in theologischen »Sackgassen« verirren. Insofern ist erstens der jeweilige elementare theologische INHALT wichtig, den wir ihnen anbieten, zweitens unsere HALTUNG, wie wir selbst und mit den Kindern Theologie treiben, und drittens auch jede DIDAKTISCH-METHODISCHE ENTSCHEIDUNG, die theologische Implikationen in sich trägt und mit dem Inhalt und der Haltung im Einklang stehen muss. 2. Elementarisierung von biblischen Texten und christlichen Symbolen

Der Frage, welche Theologie Kinder brauchen, ist Friedrich Schweitzer hilfreich und eindrucksvoll nachgegangen (s. S. 12ff in diesem Buch). Deshalb werde ich nun nicht die theologischen bzw. bibeltheologischen Inhalte selbst in den Mittelpunkt stellen, wie ich sie vor allem in der Kinderbibel und im Buch der Symbole präsentiert habe.5 Exemplarisch 3 Vgl. Rainer Oberthür, Wo ist das Kind, das ich gewesen?, in: Katechetische Blätter 131 (2006) Heft 2, 82–85. 4 Ebd., 82. 5 Vgl. Die Bibel für Kinder und alle im Haus, erzählt und erschlossen von Rainer Oberthür. Mit Bildern der Kunst ausgewählt und gedeutet von Rita Burrichter, München 2004;

Oberthür »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .«

seien jedoch zu diesen beiden umfangreichen Entwürfen nur grundsätzliche Elementarisierungen durch strukturgebende Leitmotive benannt: – In der »Bibel für Kinder und alle im Haus« habe ich den Geschichten aus dem Ersten Testament den Untertitel »Erfahrungen der Menschen mit dem einen und einzigen Gott« gegeben, der Untertitel der Geschichten aus dem Neuen Testament heißt bei mir »Jesus, der Retter, zeigt, wie Gott ist«. So kennzeichnen schon die Überschriften, was die Texte der Bibel dann entfalten und in den Kommentaren persönlich nähergebracht wird. Gerd Theissen beschreibt in seinem Entwurf einer offenen Bibeldidaktik6 zwei Grundaxiome als Basis des christlichen Glaubens, die meinen Überschriften sehr ähnlich sind: Der Monotheismus, also der Glaube an den einen und einzigen Gott als Zentrum des AT und als Zentrum des NT der Erlöserglaube, dass Jesus Christus als Erlöser den einen Gott allen zugänglich macht. Den Leitgedanken folgend zieht sich im AT meiner Kinderbibel der Jahwe-Name (Ich-bin-der-ICHBIN-DA) und im NT der Jesus-Name (der ICH-BIN-DA rettet) durch die erklärenden Texte. – Auch »Das Buch der Symbole« ist durch und durch elementarisert, verdichtet auf 40 zentrale und elementare Symbole der christlich-jüdischen Glaubensgeschichte (als konkrete Ebene) und einer parallelen Symbolkunde zur Frage nach dem Symbol in sechs Texten, die sich (gewissermaßen als Meta-Ebene) quer durch das Buch ziehen. Für beide Ebenen wichtig und immer wieder erinnert und weiterge-

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führt ist der elementare Leitgedanke: »Alle Dinge, die wir sehen, können wir doppelt anschauen. Als Tatsache und als Geheimnis. Aus dem Wirklichen erwächst das Erstaunliche.« Dieses Leitmotiv als kürzeste Formulierung einer Symboldidaktik hat sich dann auch im Unterricht als sehr hilfreich für Kinder im 3. Schuljahr erwiesen (s. 3.2.).7 An Stelle weiterer Inhalte führe ich hier nur in Stichworten einige Haltungen und Prinzipien an, die mir bei Entwürfen einer »Theologie für Kinder« grundlegend wichtig erscheinen. – das Wesentliche an der doch subjektiven Auswahl zur Sprache bringen – schreiben, was man selbst verstanden hat und was einen selbst fasziniert – immer so anspruchsvoll wie möglich und so einfach wie nötig – vereinfachen und verdichten, aber niemals verflachen und verfälschen – lieber überfordern als unterfordern, denn Kinder wollen wachsen – den Anspruch als Zuspruch betrachten: Du bist gefragt! – die Zumutungen mit Ermutigungen verbinden: Ich traue dir das zu! – das Fremde als Herausforderung betrachten: Versteh’ es mit deinen Möglichkeiten! Rainer Oberthür, Das Buch der Symbole. Auf Entdeckungsreise durch die Welt der Religion, München 2009. 6 Vgl. Gerd Theissen, Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003, bes. 131ff. 7 Vgl. Rainer Oberthür, Schaue die Welt als Tatsache und als Geheimnis! Symboldidaktik einmal anders mit einem vorangestellten Leitgedanken, in: Katechetische Blätter 135 (2010) Heft 5, 337ff.

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Pädagogische Anregungen

– verschiedene Antwortversuche anbieten: Was ist deine Meinung? – Zeit lassen und die Fragen über die Antworten stellen: Versteh’ es nicht zu schnell! 3. Unterrichtliche Umsetzungen

Ich möchte nun an vier Beispielen aus meinem Unterricht meinem Hauptgedanken entsprechend konkret vor Augen führen und bedenken, wie Inhalte, Haltung und didaktisch-methodische Entscheidungen zusammenkommen und so Prozesse des Nachdenkens und Erkennens mit Kindern möglich werden, die – wie Laura betonte – nicht von allein geschehen. 3.1 Was ist Weisheit?

Zunächst ein ganz einfaches und typisches Beispiel einer Gesprächssequenz: Mit einer als schwer angekündigten Frage steigen wir in ein neues Thema ein (es ging um die Arbeit mit Texten und Fotos aus dem Kalenderbuch »So viele Fragen stellt das Leben«).8 Ich schreibe diese Frage an die Tafel und zunächst kann jedes Kind sie auf einem Zettel beantworten: »Was ist WEISHEIT?« Die Kinder schreiben ihre Antworten für sich auf und stellen sie in einer Meldekette unkommentiert vor. Es zeigt sich, dass nahezu alle Kinder dieselben zwei Aspekte betonen: 1. Weisheit bedeutet, dass man viel »weiß«. 2. Weisheit findet man bei alten Menschen mit viel Erfahrungen im Leben.

Das hatte ich genau so auch erwartet. Ich frage nach: »Weisheit hat für euch mit Wissen zu tun. Ist Weisheit eher mehr oder eher weniger als Wissen?« Die Kinder sind sich durchweg einig, dass Weisheit mehr ist als Wissen. »Weisheit und weise Gedanken erwartet ihr hauptsächlich bei älteren Menschen – gibt es vielleicht auch Weisheit bei Kindern?« Ja, Kinder können auch weise sein, aber anders. – Sie haben noch nicht so viele Erfahrungen, aber sie sehen vieles anders. – Sie haben Fantasie, sagen einfach, was sie denken und fühlen. – Sie haben ihre eigene Weisheit. An dieser Stelle hätte ich zufrieden sein und abbrechen können. Die Frage hatte die Kinder interessiert und herausgefordert und sie waren zu erfreulichen Erkenntnissen gekommen. Doch ich wollte noch mehr! So folgte die Vertiefung der Frage und die Anregung zum eigenen Denken: »Ich schreibe euch eine Antwort eines erwachsenen Dichters (Hans Kasper) auf die Frage nach der Weisheit an die Tafel und ihr sagt mir, was er damit wohl sagen will oder besser: wie ihr das versteht.« Der Kopf verneigt sich vor dem Herzen. Dass der Kopf merkt, dass das Herz wichtiger ist. Dass der Kopf sich senkt zum Herzen – im Kopf sind ja die Gedanken und im Herzen mehr die Gefühle, die müssen zusammenkommen und sich vermischen. Wenn Gedanken und Gefühle sich vermischen, wenn sie zusammenkommen, ist das Weisheit.

8 Vgl. Rainer Oberthür, So viele Fragen stellt das Leben. Das Kalenderbuch für alle im Haus, München 2010.

Oberthür »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .«

Aus dem Gespräch entwickle ich (vorher nicht geplant) eine Tafelanschrift, die die Kinder dann mit ihren Worten erklären: M E

KOPF

M

Gedanken

N

E

WEISHEIT

S

N

Gefühle C

HERZ H

S C

H

Ein Kind präzisiert nun seine Gedanken und fasst sie in anschauliche Bilder: Die Gedanken sind mehr im Kopf, die Gefühle mehr im Herz. Zusammen genommen ist der Mensch weise, ergeben sie Weisheit. Ein Mensch ist erst weise, wenn sein Kopf auf sein Herz hört. Man könnte das beim Menschen wie bei einem Puzzle sehen: Es gibt GedankenPuzzleteile und Gefühle-Puzzleteile. Wenn das Puzzle zusammengesetzt ist und keine Teile mehr fehlen, ist das Weisheit. Ein letztes Mal frage ich nach einem Aspekt, den zuvor kein Kind erwähnt hatte, nun aber alle Kinder bestätigen: Gibt es eine Weisheit, die nur aus Fragen besteht? Wenn man nichts fragt, dann weiß man auch nichts. – Man wird weise über das Fragen – Wenn man nie fragt, kriegt man nie Antwort. – Es gibt eine Weisheit in den Fragen, aber es gibt keine Weisheit ohne Fragen. Nach diesem Anfang kann ich das nun folgende Projekt beschreiben: »Ich habe ein Jahr lang ›Weisheiten‹ gesammelt: Fragen und Antworten, die mir begegneten und die mir selbst in den Sinn kamen. Das wird einmal ein Kalender mit 365 Fragen und Antworten werden, für

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jeden Tag eine. Nun habe ich – weil 365 zu viele sind – eine Reihe von Fragen und Antworten bzw. Gedanken dazu ausgesucht, über die wir uns in der nächsten Zeit unterhalten werden, mit denen wir arbeiten werden, zu denen ihr eigene Gedanken haben werdet . . .« Diese Einstiegssequenz zeigt, dass die Kinder ein Menge aus sich heraus mitbringen, die inhaltlichen Impulse und meine Nachfragen aber immer noch ein Stück weiterführen, auf Wege, die die Kinder wohl kaum allein hätten beschreiten können. 3.2 Was ist ein Symbol?

Das zweite Beispiel ist der Einstieg in eine Unterrichtsreihe zur Sprache der Symbole mit Hilfe des Leitgedankens (s.o.) in einem 3. Schuljahr. Zunächst hatte ich den Kindern Puzzleteile dieses Leitmotivs in falscher Reihenfolge präsentiert, aus denen sie dann in einem »Spiel mit Worten« kluge Sätze bilden konnten: ALS / TATSACHE / DOPPELT / DAS / ERSTAUNLICHE / UND / KÖNNEN / WIR / ALLE / DINGE / ALS / GEHEIMNIS / ERWÄCHST / AUS DEM / WIRKLICHEN / ANSCHAUEN / DIE / WIR / SEHEN So setzten die Kinder Sätze zusammen, die sie dann auch deuteten: Aus dem Wirklichen erwächst das Erstaunliche. Wenn wir das, was es gibt, beschreiben, ist das zum Staunen. Wenn wir mehr darüber wissen und davon kennen, können wir noch mehr staunen.

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Alle Dinge, die wir sehen, können wir als Geheimnis anschauen. Man muss nicht alles wissen. Das ist das Schöne an einem Geheimnis. Man kann auch nicht alles wissen. Das ist das Störende an einem Geheimnis. Doppelt können wir alle Dinge anschauen. Wir können sie erst ansehen und dann noch mal ansehen. Wir können immer wieder Neues entdecken. Wir können das Bekannte neu und anders sehen. Wir können es sehen und uns dann vorstellen. Das geschieht erst mit den äußeren Augen, dann mit den inneren. Schließlich gelang es uns, aus allen Worten einen Text zu bilden: Alle Dinge, die wir sehen, können wir doppelt anschauen: als Tatsache und als Geheimnis. Aus dem Wirklichen erwächst das Erstaunliche. Wir probierten nun in einem »Spiel mit Bildern« an den Symbolen Sonne, Baum, Herz, Brot, Buch, Labyrinth und Regenbogen aus, ob das eigentlich stimmt. Jedes Kind gestaltete zu einem Symbolbild eine Seite mit seiner Sicht des Bildes als Tatsache und Geheimnis. Allein die schriftlichen Äußerungen vermitteln einen Eindruck vom Verstehen und Anwenden des Leitgedankens. Die Sonne ist mehr als Licht. Das Geheimnis ist: Sie wärmt uns. Ohne sie könnten wir nicht leben. – Der Regenbogen ist mehr als ein Regenbogen. Er ist ein Strahl, der Freude bringt. – Ein Buch ist mehr als ein Buch, es stehen nicht nur Tatsachen darin, sondern man kann auch Geheimnisse daraus lesen. – Das Herz ist als Tatsache etwas Lebendiges in unserem Körper, das wir nicht sehen können. Aber das Geheimnis des Herzens ist die Liebe. – Das Labyrinth ist nicht nur ein Labyrinth. Die Tatsache des Labyrinthes ist, dass man das Leben betrachten kann. Das Geheimnis des

Labyrinthes ist der Lebenslauf. Im Leben darf man nie stehen bleiben und mutlos sein, genau wie im Labyrinth. Auf diese Weise näherten wir uns spielerisch dem Symbol, lange bevor der Begriff gefallen war. 3.3 Du und Gott auf einem Bild

Das dritte Beispiel bezieht sich direkt auf die Gottesfrage, war ein Einstieg in eine längere Unterrichtseinheit im 4. Schuljahr zu den symbolischen Formen Kreis, Kreuz und Dreieck und eröffnet in einer einfachen Übung, die eigene Beziehung zu Gott in einem Bild zu zeigen (Variation einer Idee von Hubertus Halbfas). Die folgende Aufgabenstellung hat natürlich viele theologische Implikationen, vor allem, dass Gott beziehungsfähig und – willig gegenüber den Menschen ist, ihnen aber auch die Freiheit lässt, diese Beziehung selbst immer neu zu beschreiben. Versuche einmal, deine Beziehung zu Gott auf einem Bild zu zeigen.Du bekommst dafür einen roten und einen blauen Faden und einen gelben Karton. Der rote Faden steht für dich, der blaue Faden steht für Gott. Du hast drei Formen zur Auswahl, um dich darzustellen: Ein Kreis [] ein Kreuz [] ein Dreieck []. Du hast drei Formen zur Auswahl, um Gott darzustellen: Ein Kreis [] ein Kreuz [] ein Dreieck []. Du kannst auch mit den beiden Fäden für dich und für Gottzusammen nur einen Kreis, ein Kreuz oder ein Dreieck bilden. Lege die Fäden und klebe sie auf den Karton! Wenn dein Fadenbild fertig ist, dann sehe dir dein Bild in Ruhe an! Schreibe in wenigen Worten auf, was du mit deinem

Oberthür »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .«

Bild sagen willst! Klebe deinen Text unter das Fadenbild! Auch ohne die Bilder zu sehen, sprechen allein die Sätze der Kinder für sich. – Ein Mädchen legt mit dem rot-blau geflochtenen Band einen Kreis und kommentiert: Gott ist mit uns verwickelt. Er zeigt uns das runde Leben. – Insgesamt wird das Kreuz am häufigsten gelegt: z.B. ein rotes Kreuz umgeben von einem blauen Kreuz: Gott ist wie eine Hülle um mich und die anderen Menschen herum. Oder ein blaues Kreuz im roten Kreis, denn Gott ist in mir und ich bin in Gott. Oder in rot im blauen Kreis: Ich bin immer in Gott drin. Schließlich in rot und blau geflochten: Gott ist in uns Menschen, er lebt in uns. – Ein Junge legt ein Kreuz links in rot, rechts in blau mit einer rot-blau geflochtenen Linie dazwischen und beschreibt: Von außen ist Gott weit weg, doch von innen ist Gott nah. – Ein Mädchen legt mit dem roten Faden ein kleines und ein großes Dreieck und mit dem blauen Faden einen großen und einen kleinen Kreis, die jeweils durch eine Linie verbunden sind. Das kleine Dreieck ist im großen Kreis, der kleine Kreis im großen Dreieck, die Linie verläuft aneinander. Sie schreibt: Gott ist groß und ich bin klein. Ein Teil von Gott ist in mir und ein Teil von mir ist in Gott. Ein langer Weg verbindet uns. Gott lenkt meine Schritte. Die 10–11-jährigen Kinder »meistern« diese Übung auch bei Vorgabe abstrakter Symbole spielerisch und souverän. Der einfache Impuls bringt eine Theologie zu Tage, die sich auch für einen Erwachsenen noch als tragfähig erweisen kann.

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3.4 Mit Bildern zu Wort kommen – Symbol- und Erzählbilder (nicht nur) zur Gottesfrage

Wenn es um die Frage nach Gott, um die Vorstellung von Gott und um die Beziehung zu Gott geht, haben in meinem Religionsunterricht seit über zwanzig Jahren eigens zusammengestellte Bildersammlungen einen festen Platz. Die »Urform« dieser Sammlung habe ich aus verschiedenen Quellen zusammengestellt: Bilder der Kunst, gemalte Gottesvorstellungen von Kindern und Jugendlichen, Fotos von Mensch und Welt, thematisch unterschiedliche Illustrationen kamen zusammen und halfen den Kindern, zur Sprache zu kommen. Der Hauptimpuls lautet dabei wörtlich jedes Mal gleich: »Suche dir ein Bild aus, das für dich etwas von Gott zeigt, oder besser noch: mit dem du den anderen etwas von Gott erzählen kannst!« Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen habe ich ein umfangreiches Praxismaterial entwickelt. Die sogenannte »Symbol-Kartei« (s. Fußnote 2) besteht aus 88 Symbol- und Erzählbildern, gezeichnet von Mascha Greune, die jeder Betrachter mit seiner Gottesfrage, Gottesvorstellung und Gottesbeziehung, aber auch mit vier weiteren Themenfeldern (Mensch, Welt, Bibel, Symbole) in Zusammenhang bringen kann. Der Leitgedanke lautet hier: Der MENSCH begegnet dem anderen und sich selbst in der wirklichen und erstaunlichen WELT, im Reichtum und in der Kraft der SYMBOLE, in Worten, Bildern und Geschichten der BIBEL und darin dem verborgen anwesenden dreieinen GOTT. Im Begleitbuch sind in 44 Zugängen Ideen, zusätzliche Materialien und Kopiervorlagen angeboten, wie die

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Pädagogische Anregungen

Bilder im religiösen Lernprozess fruchtbar eingebracht werden können. Im Folgenden beschreibe ich Erfahrungen mit der Grundübung im 2. und im 4. Schuljahr, die durch viele weitere Zugänge (s. Anregungen im Begleitbuch des Materials) zu ergänzen sind. Die Kinder im 2. Schuljahr konnten sich aus der ausgebreiteten Sammlung ein Bild aussuchen, auf der Vorderseite eines farbigen Kartons aufschreiben, was sie auf dem Bild erkennen (der Satzanfang »Ich sehe . . .« war vorgegeben), und auf der Rückseite, was sie mit diesem Bild von Gott erzählen können. Zum Beispiel schrieb ein Kind zu dem Bild von Menschen an einer Wegkreuzung auf die Vorderseite: »Ich sehe: jeder geht seinen eigenen Weg.« Oder bei dem Bild vom Mond: »Ich sehe den Mond in der Nacht.« Folgende Sätze (Rechtschreibung korrigiert) standen z.B. auf der Rückseite . . . Gott geht mit uns.

Gott ist bei uns am Tag und in der Nacht.

Gott hat uns die Kunst gegeben.

Gott erschafft uns, wie Mama uns leben lässt.

Gott ist geschenkte Liebe, er hat in sich Wege.

Gott hat uns die Freude gegeben.

Solche Sätze über Gott erwartet man nicht unbedingt von Achtjährigen. Die Kinder sprechen mit Hilfe der ausgewählten Bilder in schlichten und ergreifenden Metaphern über das Sein Gottes, sein Tun und Wirken, seine Intentionen, seine Beziehung zu den Menschen und seiner Schöpfung insgesamt. Derselbe Zugang erbrachte im 4. Schuljahr komplexere und erstaunliche Sätze mit paradoxen Sprachspielen rund um die Gotteserfahrung und Gottesbeziehung der Kinder. Vor dem ersten Zugang zu den 88 Bildern hatte ich einleitend beschrieben: »Stell dir vor, dir sagt jemand: ›Es ist doch ganz klar, dass es Gott gar nicht gibt!‹ Was sagst du ihm?« Die Kinder erhoben Widerspruch, fanden gute Gründe für die Existenz Gottes, merkten aber auch, dass wir Gottes Existenz so wenig »beweisen« können wie seine Nicht-Existenz. So lenkte ich den Blick auf die Frage, wie wir uns eigentlich über Gott verständigen können. Wir kamen zu der Möglichkeit, von Gott in Bildern zu sprechen. Und Bilder, die dabei helfen können, die hatte ich ja in großer Zahl dabei . . . Bei der Aufgabenstellung wies ich die Kinder darauf hin, dass es darum gehe, mit Hilfe der Bilder »überraschende« Sätze zu finden: »Schreibt nicht

Oberthür »Darüber denkt man ja nicht von allein nach . . .«

einfach: ›Gott hat die Bäume erschaffen‹, ›Gott hat die Rose erschaffen‹, ›Gott hat die . . . erschaffen‹, sondern etwas, womit keiner rechnet, was vielleicht nur dir einfällt.« Als Beispiel zeigte ich ein Bild mit einer durchsichtigen Kugel und nannte einen dazu passenden, wirklich ungewöhnlichen Satz aus dem »Buch der Philosophen«.9 »Gott ist die unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall ist und deren Umfang nirgends ist.« Die folgenden Kindersätze aus dieser 4. Klasse zeigen die theologische Kompetenz 10jähriger Mädchen und Jungen, die das Prinzip der analogen Rede von Gott offensichtlich verstanden und verinnerlicht haben. Sie verwenden mutige Metaphern, wissen aber um die Unmöglichkeit der endgültigen Gotteserkenntnis. Sie rechnen mit Gott als Quelle unendlicher Liebe, vergessen dabei aber nicht die Traurigkeit und das Leid. Immer ist Gott als beziehungsstiftendes Geheimnis da und weiß um uns, sieht uns an, denn wir sind bei ihm vorgesehen. So wie der Löwe der König der Tiere ist, so ist Gott der Herr über alles. Nur leider wird der Löwe nicht von allen als König der Tiere bezeichnet. So ist das auch bei Gott. Das Dorf ist Gott. Und wir wohnen alle im Dorf, also in Gott. Deswegen sorgt er immer für uns.

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Gott ist eine unendliche Zahl, die jeder kennt und doch noch niemand kennen gelernt hat. So ist nur Gott! Das Wasser aus dem Brunnen Gottes macht glücklich. Und es ist noch genug für alle da. Gott ist eine Brücke vom Leiden zum Glücklich-Sein. Auf dieser Brücke werden alle fröhlich, selbst die, die schon immer böse waren. Gott ist ein Eimer, der Traurigkeit aus der Glücklichkeit herausfiltert. Er lässt nur einen Tropfen Traurigkeit durch, denn sonst wäre die Welt langweilig. Wir erzählen von Gott. Gott ist in uns drinnen, er erzählt von sich. Man kann so viele Bilder von Gott malen. Keines ist richtig oder falsch. Wann werden wir wohl erfahren, wie Gott aussieht? Wir wissen nicht wirklich, wer Gott ist. Aber Gott weiß, wer wir sind.

9 Vgl. Kurt Flasch, Was ist Gott? Das Buch der Philosophen, C.H. Beck, München 2011. Im Begleitbuch zu den 88 Bildkarten wird ein umfangreicher Zugang zu diesem faszinierenden Buch beschrieben, der die Kinder zu einem »Buch der Kinderphilosophen« führte.

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Pädagogische Anregungen

Zwei Wochen nach diesen Erfahrungen setzten wir uns intensiv mit allen Sätzen aus dem »Buch der Philosophen« (s.o.) auseinander.10 Ein Kind wählte den Philosophensatz »GOTT ist ganz und gar da, in allem, was in ihm ist.« Es wählte dazu ein Bild von Mascha Greune mit einem Baum und blühenden Blumen und schrieb: »Gott ist überall in allem, aber Gott ist alles, deswegen ist Gott in sich selbst.« Als ich mein Erstauen äußerte, wie verständlich der eigentlich komplizierte Satz nun geworden ist, sagte das Kind: »Es ist doch ganz klar: Wenn Gott in allem ist und er selber alles ist, dann ist er auch in sich selber.« Das ist sowohl verblüffend einfach als auch einfach (kon-) genial ausgedrückt. 4. Resümee

Diese exemplarischen Wege zeigen: Das philosophie- und theologienahe Potential der Kinder, die theologischen Inhalte und die didaktischen Impulse und methodischen Wege mit dem ihnen eigenen »theologischen Rang« (Jürgen Werbick) sind immer zugleich zu unterscheiden und zusammen zu sehen. Im strukturiert eingeleiteten und dann offenen Prozess werden sie zusammengeführt. Ein Religionsunterricht, der vom Theologisieren mit Kindern geprägt ist, eröffnet anspruchsvolle Lern- und Erfahrungsprozesse, in denen Aneignung und Vermittlung, Gedanken und Gefühle, Erfahrung und Reflexion bei allen Beteiligten eine Rolle spielen. Schon vor vielen Jahren hat Bischof Klaus Hemmerle in einer Rede vor Religionslehrern solche Prozesse mit beeindruckender Klarheit und Tiefe beschrieben:

»Aus der Mitte eines Anderen geht eine Sache in ihrer Mitte mir so auf, dass sie in meine Mitte trifft und aus meiner Mitte neu aufgeht.« Das gilt für das Fragen und Antworten im Religionsunterricht! Im Fragen wie im Antworten werden Kinder auf ihre Weise zu Philosophen, mehr noch zu Theologen und mitunter zu Mystikern, die uns immer wieder erstaunen. Es bedarf einer präzisen und sensiblen Wahrnehmung der Theologie der Kinder und einer elementaren Theologie für Kinder, um eine lebendige, den Kindern und der »Sache« gerecht werdenden Theologie mit Kindern in Gang zu bringen und wach zu halten. Diese drei Akzente theologischer Gespräche mit jungen Menschen sollten punktgenau, ausgewogen und ineinander greifend den Religionsunterricht prägen, damit wir alle Fragen stellen und Antworten suchen, versuchsweise und vorläufig, doch selbstbewusst und glaubwürdig, damit »allen alles auf alle erdenkliche Weise« (Comenius) sinnvoll zum Thema werden kann. Das ist eine hohe Erwartung und ein hoher Anspruch, aber mit weniger sollten wir uns nicht zufrieden geben.

10 Vgl. ausführlich Rainer Oberthür, Das Buch der 24 Philosophen – das Buch der Kinderphilosophen, in: Katechetische Blätter 138 (2013) Heft 4, 258–263.

Inou ». . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein«

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Sylvia Inou ». . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein« 12-jährige Schüler/innen erforschen Gastsein und Gastfreundschaft als Ort der Gottesnähe Einladung

»Was bedeutet Theologie für Kinder im Rahmen der Kindertheologie – aus der Sicht der Praxis meines Unterrichts, in meinem Selbstverständnis als katholische Religionspädagogin an einem Wiener Gymnasium?« Fast ein Jahr begleitete mich diese explizit kindertheologische Fragestellung. Ich habe das eigene tägliche Unterrichten beobachtet, dokumentiert, befragt, reflektiert, Fachliteratur gelesen, im kollegialen Gespräch immer wieder gemeinsam nachgedacht – und sehr viel dabei gelernt. Um schließlich ein Projekt für meine beiden zweiten Klassen zu entwerfen, das mich meine »Erkenntnisse« anwenden und ausprobieren ließ. Ich war also Gastgeberin für meine Schüler/innen und zugleich ihr Gast – denn gemeinsam wollten wir lernen. Womit ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mitten im Thema willkommen heiße! Ich möchte Sie einladen, auf den folgenden Seiten nun Gast bei meinen Schülerinnen, Schülern und mir zu sein. Zugleich bedanken wir uns bei Ihnen als unserem Gastgeber, unserer Gastgeberin – wir haben in diesem kindertheologischen Unterrichtsprozess gelernt, dass wir immer beides sind: Gast und Gastgeber wie Jesus bei Zachäus. In Ihren Hörraum, mit dem Sie uns Ihre Auf-

merksamkeit schenken, erzählen wir von unseren Entdeckungen. Überblick

In einem ersten Teil gehe ich, rückblickend auf 20 Jahre Berufserfahrung im Religionsunterricht, zunächst der prinzipiellen Frage nach dem Ort und der Aufgabe der Kindertheologie in der Religionspädagogik nach. Diese Fragestellung drängte sich im Zusammenhang mit den Überlegungen, worin nun eine Theologie für Kinder besteht, auf. Es zeigte sich im Prozess des kindertheologischen Fragens, dass den Überlegungen zu Didaktik und Methode grundlegende Reflexionen zur persönlichen Glaubensgeschichte sowie zum eigenen Theologiebegriff und seinen Implikationen für das Menschenbild und den Gottesbegriff vorausgehen müssen. »Nur wenn wir die Absichten und Hintergründe unserer Kommunikation reflektieren, sind wir auch in der Lage, sie anderen mitzuteilen und geben ihnen dadurch Gelegenheit sich dazu zu verhalten.«1 1 Henning Schluß, Kindertheologie – zu Gegenstand und Grenze einer neuen Methode. http://homepage.univie.ac.at/henning. schluss/vortraege/024-Kindertheologie-Hen­­ ning-Schluss-Muehlhausen.pdf (Zugriff 06.03.2013), 3–4.

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Im zweiten Schritt wird das Projekt »›. . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein.‹ 12-jährige Schüler/innen erforschen Gastsein und Gastfreundschaft als Ort der Gottesnähe« als Frucht und Realisierung der vorangegangenen Überlegungen skizziert, um mit der Auswertung der Erkenntnisse auf Schüler- und Lehrerseite zu schließen. 1. Kindertheologie: Versuch einer Standortbestimmung oder: sichtbar machen, was ist

1.1 »Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst« (Moshe Feldenkrais)

In den Jahren 2009 bis 2011 konnte ich an der KPH Wien / Krems an einem 2-jährigen Lehrgang »Theologisieren und Philosophieren mit Kindern« teilnehmen. Die Kunst der Kindertheologie wurde in sieben mehrtägigen Blöcken praktisch gelernt und geübt. Dank der kompetenten und wertschätzenden Leitung durch Elisabeth Schwarz und Franz Maurer und der sehr aktiven und interessierten Gruppe wurde die Zeit zu einem spannenden und nach vorne offenen Lernprozess für alle Beteiligten.2 Meine große Begeisterung für die Methoden und die damit eröffneten Lernräume der Kindertheologie rief aber die Frage nach ihrem Ort im Reigen der bisherigen religionspädagogischen Entwicklungen wach. Denn was ich für Kinder tue, welche Lernbereiche ich eröffne, welche Methoden ich wähle etc. hängt vom eigenen persönlichen wie professio-

nellen Selbstverständnis für das, was ich tue, ab. Ich wollte verstehen, in welchen Zusammenhängen dieser Weg entstanden ist um die gegenwärtige kindertheologische Praxis und Fragestellung, wie ich sie kennen gelernt habe, vertieft und bewusster weiter entwickeln zu können. Diese Retrospektive in die Entwicklungsströme der nachkonziliaren Religionspädagogik erwies sich als besonders erhellend, da sie Hand in Hand ging mit einem Rückblick auf meine eigene fast 20-jährige Praxis als Religionspädagogin. Inspiriert von einem Habitus des Fragens als kindertheologischer Grundhaltung, die auch Erwachsene in der Kindertheologie lernen können (!), wurde diese Arbeit zu einer mehrgleisigen Selbsterforschung. Zum einen gewann ich durch das Studium von entsprechender Fachliteratur zur Geschichte der RP im deutschsprachigen Raum einen anderen Blick auf meine tägliche Arbeit. Zum anderen brachte diese Auseinandersetzung aber auch ein vertieftes Verständnis der Verwobenheit der persönlichen theologischen und spirituellen Geschichte und Gestalt mit den Menschen und Umständen, die mir Lebensraum waren und sind. Spannend fand und finde ich, dass sich diese Bewegung des Rückblicks in Zusammenhänge und Kausalitäten, der Selbsterforschung, wie sie für mich not2 Der Lehrgang ist ausführlich beschrieben in Elisabeth E. Schwarz, Philosophieren und Theologisieren mit Kindern – Ein Akademielehrgang, in: Anton A. Bucher u.a. (Hg): »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«. Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie, JaBuKi 5, Stuttgart 2006, 173–181.

Inou ». . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein«

wendig wurde um die Gegenwart besser zu verstehen, in vielen verschiedenen Kontexten wiederfindet. Ein Beispiel: Martin Buber spricht in seinem Büchlein »Der Weg des Menschen« (1960)3 von der »Selbstbesinnung« als dem ersten Schritt des Menschen auf dem Weg zu Gott. »Wo bist du?« fragt Gott Adam. Buber: »Sei die Frage nun aber an Adam oder sonst einen Menschen gerichtet. Wenn Gott so fragt, will er vom Menschen nicht etwas erfahren, was er noch nicht weiß; er will im Menschen etwas bewirken, was eben nur durch eine solche Frage bewirkt wird, vorausgesetzt, dass sie den Menschen ins Herz trifft, dass der Mensch sich von ihr ins Herz treffen lässt.« Desmond Tutu nennt diese Bewegung »Spotlight on yourself«4. Sie ist für ihn notwendige Voraussetzung für jeden Neubeginn gesellschaftlicher wie persönlicher Art. Mit Hubertus Halbfas gesprochen: »Das Christentum muss sich nicht neu erfinden, aber ganz neue Wege wagen, die vielleicht am Ende gar nicht so schrecklich neu waren, sondern gespeist aus dem Geist Jesu einen Neuanfang sehen ließen.«5 1.2 Welche Not stand an der Wiege der Kindertheologie? oder: »Der Mensch ist Hörer des Wortes«

Im Nachhinein schien es wenig überraschend, dass meine Suche bei Karl Rahner und der anthropologischen Wende, die nachhaltig prägend auf Kirchen und Theologie wirkte, ankam: »Der Mensch als Hörer des Wortes«. Diese Perspektive und das damit eröffnete Paradigma, so wurde mir deutlicher als zuvor klar,

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waren und sind der Raum, in dem ich als Theologin fragen und denken gelernt habe. Rahners prophetischer und wirkmächtiger Satz markiert einen point of no return der Geschichte des europäischen Christentums im 20. Jahrhundert. Denn der immer genauer auf den suchenden Menschen in seinem konkreten Lebensumfeld gerichtete Blick begann die vorherrschenden Überlieferungen des Christentums angesichts des sich verändernden Menschenbildes im 20. Jahrhundert unumkehrbar und zunehmend herauszufordern. Während im säkularen Denken Postmoderne und Konstruktivismus Sichtweisen und Kategorien ausbildeten, um dem modernen Selbstverständnis des Menschen, der als Individuum und Architekt seiner Lebensgeschichte immer stärker selbst in die Verantwortung genommen wird, Ausdruck zu verleihen, wies Rahner den Weg für Christen in der Moderne anzukommen, ohne ein religiöses Doppelleben führen zu müssen. Diese anthropologische Wende haben Religionspädagog/innen an den Universitäten und Hochschulen ebenso wie in der Praxis in den letzten Jahrzehnten auf vielfältigen Wegen und mit immer neuen Methoden quasi in Spiralen kreisend realisiert. Die große Frage, die große Herausforderung, die – wie mir scheint – mit der Zeit immer deutlicher sichtbar wurde, versuche ich so zu benennen: Wie können wir als Religionspädagog/innen 3 Martin Buber, Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre, Heidelberg 1960. 4 Desmond Tutu, God Is Not a Christian. And Other Provocations, New York 2011. 5 Hubertus Halbfas, Glaubensverlust. Warum sich das Christentum neu erfinden muss, Düsseldorf 2011.

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Pädagogische Anregungen

eine Brücke bauen zwischen einer zunehmend säkularen, sich immer weniger an den Vorgaben des Christentums orientierten Lebenserfahrung des modernen, europäischen Menschen und einem ständig an Plausibilität und Wert abnehmenden kirchlichen Glauben, der für das tägliche Leben irrelevant, ja oft sogar als hinderlich, bedrohlich erlebt wird. Diese Aufgabe wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts bis heute und andauernd in dem Maße immer schwieriger, in dem Kirche und Glaube – insofern sie eine in sich geschlossene Welt repräsentieren – für immer mehr Menschen in Fragen ihrer Lebensführung an Relevanz verlor und noch immer verliert. Wenn man im Bild der Brücke zwischen Mensch und christlichem Glauben bleiben will, so heißt das: Ein Teil des anderen Brückenkopfes ist zerfallen, nicht mehr in Sicht, irrelevant und überflüssig geworden. Als Folge davon nimmt nicht nur die kirchliche Sozialisierung in unserer Gesellschaft ab, sondern auch das Wissen um religiöse Begriffe und Themen. Biblische Geschichten sind nur mehr wenigen Kindern vertrautes Erzählgut, die christlichen Hochfeste sind vor allem emotionale und familiäre Höhepunkte inklusive willkommener Auszeit vom Arbeitsalltag. Immer weniger Kinder können die Symbole und Riten decodieren; der tiefe, befreiend wirkende Sinngehalt bleibt verborgen. Im Religionsunterricht erleben wir aber zunehmend, dass diese Wissenslücke weniger zu bedauern und zu bejammern ist, denn als Chance zu begrüßen und mit aller Kreativität, der wir fähig sind, zu nutzen ist. Viele Kinder tragen keine belastenden Erinnerungen an einen strengen Katechismusunterricht in sich,

wie oft noch ihre Eltern, der oft viele Jahre dunkel vor der Möglichkeit steht, Gott als Liebe zu suchen und zu ahnen. Viele Kinder, die ohne explizite religiöse Erziehung aufgewachsen sind, beginnen aber zu fragen, möchten wissen, was Christen glauben, wie sie leben . . . Es ist lohnend, diesen Frageraum wertschätzend wahrzunehmen und methodisch zu beleben. Täglich erleben wir im Unterricht und bei Begegnungen mit Kolleg/innen und Eltern: Die Entfremdung vieler Menschen von den institutionalisierten Kirchen bedeutet weder das Ende von Gottessuche und Sinnsuche der Menschen noch das Ende der Befreiungskraft der biblischen frohen Botschaft von Jesus. Eine herausfordernde Situation für den Religionsunterricht in Schulen, aber ebenso für das Gemeindeleben, ist entstanden. Wie können wir von der Weisheit alter Geschichten erzählen und tradiertes, befreiendes Wissen lebendig weitergeben, ohne in Schülerinnen und Schülern Ablehnung und Langeweile hervorzurufen, noch erneut damit zu beginnen, Religion als System von Sätzen und Geboten zu präsentieren. Es reicht ja schon lange nicht mehr, im Religionsunterricht – da wo er noch stattfindet – Glaubenssätze weiterzugeben, systematische Lehrgebäude darzulegen und ihre Repetition zu verlangen. Zugleich ist es aber angesichts der abnehmenden christlichen Sozialisierung unserer SchülerInnen nötig, zentrale und grundlegende Begriffe und Inhalte zur Sprache zu bringen. Wie von Herz zu Herz sprechen, Schüler/innen in christlicher Terminologie kompetent und diskursfähig machen und zugleich zum »Selberden-

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ken, das schlau macht« 6 ermutigen? Wie die Fähigkeit des kritischen Fragens und Denkens fördern, die sie zur Orientierung in unserer vielfältigen Welt dringend brauchen und zu der die christliche Botschaft Hilfreiches beizutragen hat? Die Herausforderung besteht nun darin, Wege und Methoden zu finden, die gerade nicht wieder in der Vermittlung eines in sich geschlossenen Systems von religiösen Sätzen und Ableitungen da­raus enden. 1.3 Kindertheologie: Spiritualität der Frage

Hier schließt sich der Kreis: Die eigene Praxis der Kindertheologie und die zu diesem Aufsatz anregende Frage nach der Theologie für Kinder hat mich zum Fragen und Denken gebracht. Die Erfahrung mit kindertheologischen Gesprächen im Unterricht hat auch gezeigt, dass diese Art der »biographischen Auseinandersetzung mit der eigenen Religiosität eine der Grundvoraussetzungen für das ›Theologisieren mit Kindern‹ ist«.7 Mit der Kenntnis der eigenen spirituellen Entwicklung (und dem Bewusstsein, dass es sich um vielfältige Prozesse handelt) und der damit verbundenen Theologie ist erst die Möglichkeit geschaffen, offen für die kindlichen religiösen Erfahrungen, Bilder und Vorstellungen zu sein. In gewissem Sinne »musste« ich lernen, den eigenen Fragen Raum und Respekt zu erweisen, um den Aussagen der SchülerInnen (aber auch Erwachsener!) zu Religion und Glaube wertschätzend und hörend ebenso wie klärend und weiterführend begegnen zu können. Anders gesagt: Sich auf die Frage Gottes in der Genesis »Wo bist du

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Adam?« einzulassen macht bereit für die ganz sicher irgendwann gestellt Frage eines Schülers: »Glauben Sie an Jesus, Frau Lehrerin?« Kindertheologie ist eine Herausforderung, den Blickwinkel zu wechseln, keine Brücken zu in sich geschlossenen Glaubenssätzen schlagen zu wollen. Dieser Schritt geht ins Leere. Kindertheologisches Fragen geht vom Menschen aus, der in seiner Rede von Gott das menschliche Leben zu deuten sucht. »Die Aufgabe der Religion besteht darin, die Bedeutung der Welt für den Menschen zu beschreiben, heute jedoch nicht unabhängig von dem, was wissenschaftlich erkennbar wird. Das ›Göttliche‹ – um mit einem Wort alter Tradition zu sprechen – artikuliert letztlich den Sinn, in dem die Welt für den Menschen inneren Zusammenhang und Bedeutung erhält. ›Gott‹ verstehen wir insofern, als wir uns selbst in der von uns begriffenen Welt verstehen.«8 Im Hören auf die Fragen und das Denken der Kinder erfahren wir, vielleicht mit ihnen gemeinsam, auf diesem Weg das Geheimnis der Gegenwart Gottes – und stellen mit Staunen fest, dass wir – den Fragen der Kinder folgend – unsere eigenen Fragen neu formulieren können und aufbrechen wie Abraham es tat. – an der Seite der Kinder aus der Mitte unseres eigenen Lebens heraus den biblischen Schriften wie der Tradition je neu und berührend lebendig begegnen können und weiter wachsen. 6 Eva Zoller Morf, Selber denken macht schlau. Anregungen für Schule und Elternhaus, Oberhofen 2010. 7 Friedhelm Kraft, »Wenn dein Kind dich morgen fragt . . .«, Loccumer Pelikan 4/04, 171–174. 8 Hubertus Halbfas (wie Anm. 5), 72.

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So gesehen verstehe ich Kindertheologie im weiteren Sinn als Mystagogie, als Weg in das Geheimnis der Gegenwart Gottes, für alle Beteiligten die so eine »Lerngemeinschaft«, »inquiring community«, bilden. Theologie für Kinder heißt dann: Ich als Lehrerin weiß, was ich tue, kenne den Weg und die Abschnitte und verstehe und lerne die Gedanken, Anliegen und Fragen der Kinder zu deuten und mit ihnen gemeinsam weiter auf dem Weg zu halten. Didaktische Planung und methodische Überlegungen realisieren auf der Basis dieses Grundverständnisses die religionspädagogische Aufgabe: Räume des Nachdenkens über Gott öffnen im Dienst an den Kindern und ihren Fragen. »Jugendliche brauchen Menschen und Orte, an denen sie erfahren können, dass Glaube etwas mit ihrem konkreten Leben zu tun hat und mehr ist als ein ›Sahnehäubchen‹ oben drauf.«9 Es ist mir an dieser Stelle besonders wichtig zu betonen, – dass die Leitung kindertheologischer Gespräche nicht theoretisch erlernt werden kann. Wir brauchen in Ausbildung wie Fortbildung Konzepte und Lernräume, die das reflektierende Lernen am eigenen religionspädagogischen Tun ermöglichen. Mit der Lernwerkstatt in Kassel bei Prof. Freudenberger-Lötz sind aus meiner Sicht solche nachahmenswerten Bedingungen gegeben.10 Mit dem eingangs erwähnten Lehrgang in Wien ist ein adäquates Modell für die Fortbildung geschaffen. – dass Kindertheologie demnach nicht auf ihre kognitiven Seiten, die sie zweifelsohne hat, reduziert werden darf. Gerade unsere Fragestellung nach der Theologie für Kinder zeigt,

wie stark spirituelle, soziale, performative und intellektuelle Aspekte dazugehören damit die entsprechenden Kompetenzen im kindertheologischen Gespräch gelernt und geübt werden können. 2. Projektbeschreibung: » . . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein«

12-jährige Schüler/innen erforschen Gast­sein und Gastfreundschaft als Ort der Gottesnähe. Den zündenden Anstoß zu diesem Projektthema gab David Novakovits, Theologiestudent in Wien. Er hielt im Zuge seines Praktikums in unserer Schule eine Stunde zum Pessachfest. In diesem Zusammenhang kam er auf das Thema Gastfreundschaft und die Rolle des Gastes, Gast sein als Lebensstil, das er in einem Fundamentaltheologischen Seminar bei Prof. Kurt Appel in Wien kennen gelernt hatte. Ich unterstreiche dieses Detail, weil es zeigt, was »Lerngemeinschaft« im kindertheologischen Prozess bedeuten kann: Alle Beteiligten haben die Chance zu lernen, jeweils an ihrem Ort, je nach Verantwortung und persönlicher Geschichte. Ich war neugierig geworden und wollte mehr darüber nachdenken, da mir das Thema für einen kindertheologischen Prozess zumal an unserem Schul­ standort sehr geeignet schien. 9 Regina Polak, »Gott ja, aber weit weg« in: KirchenZeitung Diözese Linz 18.11.2011, S. 8–9. 10 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern – Chancen und Herausforderungen für die Lehrer/innenausbildung, Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 6(2007), 12–20.

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Unsere Schule ist am Stadtrand von Wien gelegen und lässt sich in Kürze wie folgt charakterisieren: 1. Die erst 18 Jahre alte Schule ist ein Gymnasium, wurde aber von Anfang an in der Unterstufe (Sekundarstufe I) im Schulversuch als Kooperative Mittelschule geführt. Diese ist nun in die Form einer Neuen Wiener Mittelschule übergegangen. Dieser Sachverhalt bedeutet, dass sehr innovativ und engagiert arbeitende Lehrer/innen Schüler/innen mit und ohne Gymnasiumsreife in drei Zweigen unterrichten: Schüler/innen können zwischen an Maria Montessori orientierten Freiarbeitsklassen, einem Sportzweig und bilingualen Klassen, die dem Vienna Bilingual Schooling Projekt angehören, wählen. 2. Diese breite Streuung bringt eine sehr gemischte Schülerpopulation hinsichtlich Religion, Muttersprache und Herkunftsland der Eltern mit sich (die Eltern von ca. 25% unserer Schüler/innen sind nicht in Österreich geboren). Es ist zu betonen, dass wir bislang kaum mit Diskriminierungsproblemen aufgrund von Religion oder Herkunft konfrontiert waren, wenn, dann in Form von unterschwellig wirksamen kollektiven Bildern. Dass diese sich mitunter hartnäckiger halten als die tägliche, sehr positive Erfahrung im Klassenzimmer war mit ein Grund, das Projekt mit einer intensiven sprachlichen Auseinandersetzung beginnen zu lassen. Das Projekt »Gastsein« wurde mit den katholischen Religionsgruppen von zwei Klassen der 6. Schulstufe durchgeführt, also 12-jährigen Mädchen und Buben,

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die sich bis dahin bereits durch großes Interesse an den »großen Fragen« ausgezeichnet hatten. Teile des Projektes banden alle Schüler/innen beider Klassen ein. In beiden Gruppen war eine überdurchschnittliche sprachliche und kulturelle Vielfalt gegeben, ebenso was die soziale Herkunft und den Status intellektueller Förderung betrifft. Das Thema »Gastsein« ist zunächst nicht explizit als religiös einzustufen. Damit sah ich folgende Möglichkeiten gegeben: 1. Es gab die Chance, dieses Thema nicht in religiösen Sprachkategorien zu eröffnen, den religiösen Denkund Sprachschienen, die oft eine in sich geschlossene Welt darstellen, zu entkommen, vielmehr den im Alltag wirksamen unreflektierten Mustern und Einstellungen auf die Spur zu kommen und den Schüler/innen die Möglichkeit zu geben, diese sprachlich auszudrücken. 2. Des Weiteren sah ich die Chance, dass dieses Unterrichtsprojekt der Gemeinschaft der ganzen Klasse dienen konnte. Durch begleitete und angeregte Kommunikation und damit einhergehendes näheres Kennenlernen der Anderen könnte das Zusammenleben gefördert werden. Daher wurde an manchen Stellen die ganze Klasse, also auch jene Schüler/innen, die den kath. RU nicht besuchen, einer anderen Religion angehören, eingebunden. 3. Schließlich versprach ich mir von der ausführlichen sprachlichen Befassung mit dem Thema, dass die Kinder von ihren eigenen Erfahrungen und deren Deutungen ausgehend zum religiösen Gehalt des Themas weitergehen konnten. Das hieß:

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 einerseits biblische Geschichten zu Gastsein und Gastfreundschaft kennen zu lernen und  die darin liegenden Schätze für ihre persönliche spirituelle wie menschliche Entwicklung zugänglich zu machen.

täglichen Gebrauch der beiden Begriffe gemeinsam im schriftlichen Dialog zu erforschen und festzuhalten. Scheinbar Selbstverständliches war das »Lernziel« dieser zwei Stunden dauernden Einheit:

In fünf Schritten entwarf ich einen Weg, auf dem die Schüler/innen und ich gemeinsam unterwegs waren, um mit den je eigenen Ohren und Herzen »Hörer des Wortes« zu werden.

 . . . alltägliche Erfahrungen in Worte bringen  .  .  . von einander unterschiedliche Sicht­weisen kennen lernen  . . . eigene Begriffe aufbrechen und vielleicht erweitern.

1. Die Begriffe Gast und Gastgeber sein erforschen 2. Eigene und biblische Erfahrungen zum Gast / Gastgeber sein 3. Fragen unserer Zeit: »Denn Gott hat den Fremdling lieb« (Ausstellung) 4. Feiern: Gast und Gastgeber sein 5. Jesus bei Zachäus

In späterer Folge sollten die Schüler/in­ nen biblischen Texten begegnen. Dabei sollte nicht das »Religions-Ich« einen Filter setzen, nicht die »Sondergut-Gedanken« aus der Schublade Reli-Stunde die Begegnung mit dem biblischen Text leiten, sondern das Kind mit seinem »Alltagsich« anwesend sein.

Mit Gisbert Greshake gesprochen: »mit allem Wissen im Hintergrund vertrauend gestalten.« – so machte ich mich auf den Weg mit den Schüler/innen Lernräume zu eröffnen, in denen Erfahrungen und Gedanken von ihnen ins Gespräch kommen können, im Rahmen eines theologischen Denkens, das ich für sie in Methoden münden ließ.

1. Beispiel: »Bezieht sich Gastsein nur auf Orte? Wohnungen, Länder, Häuser? In welchem anderen Sinn kannst du dir noch vorstellen, Gast zu sein?«

2.1 Schritt: Begriffe Gastsein und Gastfreundschaft erforschen

Um herauszufinden, welche Themen im Umfeld dieser Begriffe für meine SuS aktuell und nahe sind, starteten wir mit vielen Fragen zu den Begriffen »Gast sein« und »Gastgeber sein«. Im Klassenraum verteilte leere Plakate luden ein, den all-

Es zeigte sich, dass die Kinder durch diese Methode voneinander unterschiedliche Räume, in denen sie sich selber als Gast erleben, kennen lernten. In den anschließenden Gesprächen lernten sie einander persönlich besser kennen, erfuhren von den Geschichten und Erfahrungen, die sie zu ihren Wortmeldungen veranlasst haben. Klare Ausdrucksweise, genaues Zuhören und Respekt vor dem Erzählten wurden geübt – und es war nicht immer einfach, zumal begriffliche Klarheit selten im ersten Anlauf gelingt.

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Am folgenden Beispiel zeigt sich, wie einmal ausgesprochene Einsichten, wenn sie wirklich im Kind angekommen sind, wirksam bleiben und in neuen Zusammenhängen wieder angewendet werden können. Auf dem zum oben genannten analogen Plakat mit der Überschrift »Bezieht sich Gastgeber sein nur auf Orte?« schrieb Macy:

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In der Reflexionsrunde zu diesem Plakat stieß dieses Wort vom Herz als Ort, an dem man Gastgeber sein kann, auf große Begeisterung bei der Klasse. Immer wieder kam in den folgenden Stunden die Erinnerung an das Herz als Ort der Gastfreundschaft. Als Beispiel: Einige Stunden später sprachen wir darüber, dass wir Gast auf dieser Erde sind. Im Laufe der Überlegungen der Schüler/innen, was denn nach dem Tod sein würde, fragte ein Mädchen: »Wo ist nach dem Tod meine Geschichte? In der Seele? Im Hirn? Im Herzen?« Eine andere fragte: »Was ist das Herz? Ein Organ? Was ist, wenn es transplantiert wird?« Da meldete sich Macy mit großer Sicherheit zu Wort: »Das Herz ist das, in dem man auf dieser Erde sein kann.« Es folgte anerkennendes und zustimmendes Kopfnicken der Klassenkamerad/innen, die zuvor der Frage sehr angestrengt nachgegangen waren. In einem Text von Vitus H. Weh (Leiter des quartier 21 / Museumsquartier Wien)

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Pädagogische Anregungen

fand ich die Notwendigkeit dieser ausgiebigen sprachlichen Auseinandersetzung mit unserem Thema von Seiten eines Kunstkritikers bestätigt: »Die Sprache dient der Wahrnehmung als eigenständiges Sinnesorgan: Dinge, die für uns existent sind, benennen wir. Für anderes, das wir nicht registrieren oder das uns nicht beschäftigt, kennen wir mitunter auch keine Worte. Sprache macht also sichtbar, und ohne die erhellende Wirkung von Sprache verbleiben manche Sachverhalte und Dinge im Dunkel.«11 2.2 Schritt: Eigene und biblische Erfahrungen zum Gast / Gastgeber sein

»Nur ein Gast bin ich auf dieser Welt.« Der Vers in Psalm 119 verleiht einer menschlichen Grunderfahrung inklusive Deutung Ausdruck. Die Schüler/innen erhielten die einzelnen Worte des Satzes in Großbuchstaben geschrieben und sollten unterschiedliche Sätze damit bauen – danke Rainer Oberthür, diese Methode aktiviert und regt zum Nachdenken an! Je nachdem, wie der Satz gebaut wird, werden unterschiedliche Aspekte der Grunderfahrung und verschiedene Deutungen betont. Für eine tiefergehende Reflexion darüber erwiesen sich die Kinder aber als noch nicht bereit. Dieser Vers eröffnete aber wie auf Knopfdruck für die meisten Schüler/innen das Themenfeld der Endlichkeit. a) Persönliche Erfahrungen

Es gab kein Kind, das nicht wusste, von welcher Wahrnehmung die Rede war. Ihre Erzählungen zeigten wenig überraschend, dass Tod, Scheidung, Tren-

nungen und Streitereien – Endlichkeit und die damit verbundene Ungewissheit unserer Existenz zu ihrem Erfahrungshorizont gehören. Maria: »Nur ein Gast zu sein auf dieser Erde bedeutet, man wird geboren, man ist ein Kind und man wird erwachsen und als alter Mensch stirbt man; also man bleibt nicht lange auf der Welt.« b) Was kommt nach dem Tod?

Auffallend war, dass zwei Aspekte von den Kindern jedoch kaum angesprochen wurden, nicht annähernd in ihr Blickfeld kamen:  Dass Christen die Auferstehung bekennen, wurde ein einziges Mal in einem leisen Nebensatz, der nicht aufgegriffen wurde, erwähnt.  Die Frage nach dem Woher? meines Lebens, der Welt . . . kam überhaupt 11 Den vollständigen Text von Vitus H. Weh fand ich im Juli 2012 im Stift Admont / Österreich in der Sonderausstellung »Jenseits des Sehens – Kunst verbindet Blinde und Sehende«. »Die Sprache dient der Wahrnehmung als eigenständiges Sinnesorgan: Dinge, die für uns existent sind, benennen wir; Für anderes, das wir nicht registrieren oder das uns nicht beschäftigt, kennen wir mitunter auch keine Worte. Sprache macht also sichtbar, und ohne die erhellende Wirkung von Begriffen verbleiben viele Sachverhalte und Dinge im Dunkel. Nun ist das Sinnesorgan Sprache allerdings großen Schwankungen unterworfen: Die sprachlichen Lichtungen und Dunkelstellen. Als viele noch überwiegend in der Landwirtschaft arbeiteten, gab es andere Dinge zu sehen und zu benennen als in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft. Reste dieser vergangenen Sichtbarkeiten haben sich in den Mundarten erhalten. So kennt der Vorarlberger Dialekt mehrere Bezeichnungen allein für das unterschiedliche Wiederkäuen der Kühe. Noch spezifischer ist die Inuit-Sprache in Grönland. In ihr gibt es unzählige Worte für Schnee und Eis. Und ebenso viele Varianten dessen, was wir als Weiß nur kennen.«

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nicht in den Blick. Überlegungen, die zum Schöpfungsglauben führen würden, zur Frage der Entstehung des Universums – das alles kam von den Schüler/innen her nicht zur Sprache. Umso intensiver gestalteten sich die Gespräche zur Frage »Wohin nach dem Tod?«. Meine Intention war es ja, die quasi (vermeintliche?) Sonderwelt »ReliSchublade« nicht zum Zug kommen zu lassen, um der Gruppe die Möglichkeit zu geben, auch über jene Aspekt des Themas zu sprechen, die nicht als religiös relevant bewertet werden würden. Ich griff hier inhaltlich nur wenig ein, nahm aber dank der Aufnahmen auf Tonträger die Gedankenwelt der Schüler/innen zur späteren Aufarbeitung dankbar mit. c) Biblische Erfahrungen

Was steht in den Büchern der Bibel über Menschen, die so wie wir gemerkt haben, dass wir nur eine kurze Zeit auf dieser Erde sind? Ich kann das Leben unterschiedlich gestalten. Was mache ich in dieser kurzen Zeit auf der Erde? Es wurden mehrere Stellen aus dem AT und NT auf bunten Karten angeboten. Die SchülerInnen bekamen viel Zeit alle zu lesen und eine Lieblingsstelle auszusuchen, bei der sie stehen blieben. In der so entstandenen Kleingruppe wurde dann über die Motive, die zur Wahl des Textes geführt haben, gesprochen. Im Plenum berichteten die Gruppen von ihren Gesprächen und wir ergänzten ihre Gedanken durch Information zu den einzelnen Stellen, sofern das nötig und gewünscht war. Lukas wählte 1. Chr 29,14–16: Dankgebet Davids für Spenden für Tempelausbau.

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Ihm gefällt: ». . . dass sie erwähnen, dass sie nur, dass wir nur begrenzte Zeit hier sind, dass alles Gott gehört, dass niemand alles an sich reißen muss, das g’hört mir, das g’hört mir, das g’hört mir. L: Sondern? Lukas: Dass alles jedem gehört. L: Es gehört alles . . . ? Wem gehört alles? Lukas: Gott. L: Gott gehört alles. Und wie kommen wir dann zu den Dingen, zum Leben? Lukas: Indem wir Gott bitten.« In Lukas’ Gruppe schreiben die Kinder, seit sie in unserer Schule sind, ein Mal pro Woche auf ihre sogenannte »Danke­ seite« im Religionsheft ganz hinten, für welche kleinen und großen Dinge, Ereignisse oder Menschen sie dankbar sind. Sie üben zu sehen, dass nichts selbstverständlich ist und vieles und viele unverdient für sie da sind. Vielleicht gehört diese Übung der Dankbarkeit und seine Erkenntnis, dass wir Gott bitten können, zusammen. Tanja wählte Röm 12,13: »Gewährt jederzeit Gastfreundschaft«. Und hier kam auch das Herz wieder! »Ich habe den Text gewählt, weil man zu jedem gastfreundlich sein muss. Egal, ob man jemanden mag oder nicht, weil er ist ja auch nur ein Mensch, jetzt kann er ja zum Beispiel nichts dafür, dass man ihn nicht mag. Und man muss ihn behandeln wie jeden anderen . . . gastfreundlich sein heißt alle Menschen gleich behandeln, heißt allen Menschen das Herz öffnen.« Als beliebteste Bibelstelle erwies sich Hebr 13,2: »Vergesst die Gastfreundschaft nicht, denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.«

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Niki, ein ohne Bekenntnis am Unterricht teilnehmender Junge fragte: »Wie wird man zu einem Engel?« L: Das Wort Engel in der Bibel – angelos – ist der Bote. Falsch, Entschuldigung, angelos ist die Nachricht, und der Engel ist der Überbringer der Nachricht von Gott. Wer oder was ist der Überbringer einer Nachricht von Gott ? Das kann deine Phantasie sein . . . Michelle: Darf ich kurz, angelos heißt doch auch Los Angeles, oder L: Genau Los Angeles, angel kommt davon. Niki, du wolltest wissen, wie man zu einem Engel wird. Niki: Ja. L: Ein Engel ist etwas oder jemand – (es läutet zur Pause, alle bleiben erwartungsvoll sitzen) –, der eine Nachricht von Gott bringt. Niki: Ja, aber wie geht denn das? L: Wie wird man zum Engel nach dieser Geschichte? Nikolai: Gott sagt dir, du musst eine Nachricht zu dem und dem bringen. Niki: Wie kommt man da rauf? ? leise: Selbstmord (kichern) L: Meinst du zu Gott? Niki: Ja. L: Ist Gott oben? Paul: Der ist in unserem Herzen. Wir tragen ihn bei uns. L: Das heißt auf was muss ich hören? Macy: Vielleicht wird man zu einem Engel, wenn man von Geburt an einen Engel in sich hat. L: Gibt es jemanden, der keinen Engel in sich hat? Lisa: Man muss auf das Herz hören. Es entspann sich ein langes Gespräch über von den Kindern aufgebrachte Fragen:

– »Auf wen man hören soll?« – »Wem soll man öffnen, das Herz oder die Türe?« – »Was ich einem Gast geben kann, wenn ich keine Geld habe?« Hier war Macy wieder zur Stelle: »Das Herz!« Die genannten Beispiele erzählen davon, dass Kinder sehr aufmerksam zuhören und mitdenken, selbst wenn es schon die 6. Stunde ist, dass es oft sehr anstrengend ist, rasch und klar auf Fragen zu reagieren und dass Kinder einander oft selbst gut weiterhelfen können, wenn wir das zulassen. 2.3 Fragen unserer Zeit: »Denn Gott hat den Fremdling lieb« (Ausstellung)

Den großen Geschichten zum Gastsein und zur Gastfreundschaft begegneten alle Kinder beider Klassen im Bibelzentrum der Österreichischen Bibelgesellschaft in Wien. Wir besuchten die Ausstellung: »Gott hat den Fremdling lieb«. Dass Gast zu sein auch zugleich bedeutet fremd zu sein fügte für die Schüler/in­nen einen neuen Aspekt hinzu. Da der Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen oder anderen Religionen und Weltanschauungen seit Jahrzehnten ein hochpolitisches Sujet ist, war es mir sehr wichtig, dass diese Auseinandersetzung stattfinden konnte. Da die ganze Klasse mitkam, lernten auch die nicht-katholischen Kinder die Sichtweise Gottes, wie die Bibel sie erzählt, kennen. Die Schicksale »prominenter« Fremder in der Bibel von Abraham und Sara über Josef, Mose und Rut bis zu Jesus –

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Flucht nach Ägypten, Brotvermehrung, Fußwaschung und den ersten Christen wurden in der Ausstellung nachgezeichnet. Wir lernten bleibend aktuelle biblische Gebote zum Schutz des Fremden kennen. Die Kinder wurden auch aufgefordert von der praktizierten Gastfreundschaft in ihren Familien und Kulturen zu erzählen, wovon sie mehrfach profitierten. Einige fanden, was die hohe Wertschätzung des Gastes betrifft, so manche Parallele zwischen der Bibel und ihren eigenen Kulturen. Serbische, syrische und indische Kinder erzählten stolz von der in ihren Familien gelebten Gastfreundschaft und erfuhren dafür von ihren Klassenkameraden unerwartet hohe Wertschätzung. An diesem Tag hörten alle Kinder bis dahin unbekannte Geschichten aus den jeweiligen Herkunftskulturen ihrer MitschülerInnen. Ich freute mich über den großen Respekt, den sie einander dafür zollten. Auch die Leiterin unseres Besuchs war erstaunt über die große Reife, mit der die noch jungen Schüler/innen das komplex aufbereitete Thema bearbeiteten, da die Ausstellung ab dem Jugendalter konzipiert war. Durch die lange Vorarbeit an den Begriffen und mit der Bibel war die Sensibilität verfeinert und der Begriffshorizont weit geworden. Da sich der Ertrag einer Unterrichtsreihe dieser Art schwer evaluieren lässt, war mir diese Rückmeldung sehr wichtig. 2.4 Ein Gastmahl feiern

In der Woche darauf hielten wir ein Gastmahl. Die beiden Klassen luden einander zum selbst zubereiteten Essen ein.

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Ein ganzer Vormittag stand so im Zeichen der geübten Gastfreundschaft vom Rezepte auswählen, gemeinsam einkaufen, Tisch decken und Raum schmücken, Geschichten und Spiele mitbringen bis zum gemeinsam genossenen Essen. Alle waren Gast und Gastgeber zugleich, es gab syrische und türkische Küche ebenso wie selbstgemachten Aufstrich nach österreichischen Rezepten. Eine Sikh und eine Muslima waren von der Ausstellung so begeistert gewesen, dass sie von sich aus anboten, als ihren Beitrag zum Gastmahl den beiden Klassen über ihre Religion zu erzählen. Sie wollten ihre Klassenkameraden bei sich, in ihrer Religion Gast sein lassen. Die Mädchen hatten sich intensiv auf ihr Referat vorbereitet. »In unserer Religion«, so das muslimische Mädchen, »ist Gastfreundschaft sehr wichtig. Im Koran steht, dass wir von Gott ein sehr großes Herz bekommen haben, und dies will uns sagen, dass wir das große Herz für Besucher, also Gastfreundschaft, benützen sollen.« Da war es wieder, das Herz! Diesmal aber von einem Mädchen, das in den vorangegangenen Stunden nicht dabei war. Ihre Mitschüler/innen waren davon beeindruckt, so hatten sie den Koran noch nie gesehen. In Rahmen meiner Theologie, mit der ich für Kinder einen Lernraum geöffnet hatte, konnten diese Ereignisse stattfinden – planbar war das nicht. Wieder dachte ich: »Mit all unserem Wissen im Hintergrund vertrauend gestalten . . .« Ich hoffe jedenfalls, dass unser Projekt die Islam-Bilder in einigen Köpfen ein wenig verändern konnte. Einmal werden auch sie Wähler/innen sein . . .

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2.5 Schritt: Jesus ist Gast und Gastgeber (Lk 19)

Den Abschluss des Projektes bildete eine Besuch bei Zachäus in Jericho, besser gesagt in der Geschichte, die erzählt, wie Jesus Gast bei Zachäus war, sich aber dann durch die Art und Weise, in der er Gast war, als sein Gastgeber erwies. Für diese letzte Etappe in unserem Projekt wählte ich das Zelt12 als Symbol für – die in den letzten Wochen vielbesprochene Erfahrung des Unterwegsseins im Leben und auf dieser Erde, – Gast sein in vielfachem Sinn – die Anwesenheit Gottes in biblischer Sprache – den Innenraum, in dem Gott da ist. »Offenbarung kommt ursprünglich von innen. Es muss uns also auch heute noch möglich sein, ihren Ursprung in unserem eigenen Inneren zu entdecken.«13 Kindertheologie wird hier zur Mystagogie. – und letztlich für den gegenwärtigen Augenblick, das Heute, in dem Gott befreiend im Menschen Gast sein kann.

Das Symbol begleitete uns bis zum Gottesdienst am Ende des Schuljahres. Von den vielen Aspekten dieser Geschichte wählte ich für das »Finale« einen

aus, der mir für unseren Themenkomplex, das Alter der Kinder und die Klassensituation passend erschien: Durch die Art, wie Jesus zu Gast ist, wird der Mensch frei zu einem neuen Anfang. Zwei Gründe für diese Wahl möchte ich nennen: 1. Die Schüler/innen hatten sehr lange über Endlichkeit und die Folge davon für die Gestaltung der Zeit, in der wir Gast auf Erden sind, also die Gestaltung ihres Lebens, nachgedacht. Das war eine schwierige weil komplexe Thematik. Mit Lk 19 wollte ich ihnen bezüglich einer möglichen sinnvollen Gestaltung des eigenen Lebens eine Hoffnungsgeschichte mitgeben, quasi eine »Anleitung«, wie man sich und andere glücklich werden lassen kann. 2. Zudem konnten sie durch die emotionale und soziale Auseinandersetzung mit der Geschichte Jesus als Gast und befreienden Gastgeber kennen lernen und Zugang zu der Erfahrung bekommen, dass Jesus als Gast eingelassen werden kann, heute, je und je, und befreit.14

12 Das Zelt wurde gezeichnet und zur Verfügung gestellt von Mag. Barbara Bohacek-Oster, Wien. 13 David Steindl-Rast, Credo, Herder 2011, S. 14. 14 »Es gilt also im Unterricht Gelegenheiten zu schaffen, Geschichten so zu interpretieren, dass Ähnlichkeiten zwischen den Protagonisten und der eigenen Person deutlich werden, dass Schüler/innen Fragen und Deutungen hierzu und zur Rolle Gottes formulieren können und dass insgesamt Raum für emotionale Beteiligung entsteht.« Katharina Kammeyer / Gerhard Büttner, Erfolgreiche Bibelperikopen und ihre Lernorte – Woher 6. und 7.-Klässler/in­nen ihr Bibelwissen haben und welche Geschichten zu Lieblingsgeschichten werden, Schönberger Hefte 4/11, 16–21.

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Wir betraten diese Geschichte mit einem Bibliolog zur Zachäusgeschichte, weil er meiner Erfahrung nach sehr geeignet ist, dem Geist, der in der Geschichte bewegt, nahe zu kommen.15 Obwohl manche die Geschichte schon kannten, stiegen viele mit großer Lust in diese Methode und damit die Geschichte ein. Der nächste Schritt sollte die Möglichkeit geben, das im Bibliolog »Gelernte« anzuwenden. Ein Viereck an der Tafel stellte die Stadt dar, in der Zachäus wohnte. Mit Hilfe von Magneten und Zeichnungen sollten die Schülerinnen nun Jesus, Zachäus und – wie sie sie nannten – die Bürger platzieren. Das Haus von Zachäus wurde von den Kindern an den Rand der Stadt gebaut, da er ein Außenseiter war. Für ihn verwendeten sie einen blauen Magneten, für Jesus ein gelben. Die Kreise in der Mitte, so wollten es die Kinder, stellten die Bürger dar. Dann durften sie spielend überlegen und dabei die Magneten bewegen: Wie verhalten sich die Bürger? Warum? Mit welchen Folgen für sich selbst? Und was bewirkt ihr Verhalten bei Zachäus? Warum wollen die Bürger Jesus sehen? Was geschieht im Haus von Zachäus, als Jesus zu Gast ist? Welche Reaktionen zeigen die Bürger? Gibt es vielleicht unterschiedliche Reaktionen? Welche Gründe könnte Lukas gehabt haben, nur eine Reaktion zu erzählen?

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Diese Fragen kamen zum Teil von mir, zum Teil aber auch von den Schüler/innen selber, die immer tiefer in die Geschichte eintauchten. Die im Tafelbild notierten Wörter sind Notizen, die die Kindern mir ansagten, weil sie sie nicht vergessen wollten. Von einem Mädchen kam dann auch die Erkenntnis: das Haus des Zachäus steht für sein alte Leben, aus dem Zachäus nun heraus konnte. Sie hatten großes Verständnis dafür, dass das nicht so einfach gewesen sein muss. Aber: Jesus kann nicht für immer in der Stadt bleiben. Was geschieht, wenn er weiterzieht? Mit Zachäus? Den Bürgern? L: Worauf kommt es an, dass die Geschichte weitergeht? Denise: Auf’s Gesicht. Wenn ein Schauspieler spielt und so wegschaut, bist du nicht angesprochen. Aber wenn er dich anschaut, bist du angesprochen. Wie Jesus den Zachäus am Baum. Die Bürger müssen Jesus das Gesicht zuwenden.

15 Ein Bibliolog ist der »kleine Bruder« des Bibliodrama, eine Methode für Gruppen, die den Rahmen für Begegnung mit Figuren in biblischen Geschichten setzt. Vielfältige, auch widersprüchliche Möglichkeiten zu denken und zu empfinden können in einer Perikope entdeckt werden. Jeder Teilnehmer kann seinen Platz finden, der Geschichte mit seinen Ohren begegnen und zugleich wird einander ein neuer Begegnungsraum mit den Gestalten der Geschichte eröffnen und der Verstehenshorizont erweitert. Mehr zu Bibliologs und Kindertheologie bei: Uta Pohl-Patalong
»Gott hat uns ja auch aus Ägypten geführt, da kann er uns jetzt auch nicht einfach im Stich lassen!«
Bibliolog als Weg zu kindertheologischen Entdeckungen in: Jahrbuch für Kindertheologie, Band 5: »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«, 2006.

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Später fügten wir einen weiteren blauen Magneten hinzu. Er könnte für einen ungerechten Richter stehen. Und dann hatten die Kinder die Idee, einen zweiten gelben Magneten ins Spiel zu bringen. Er stand zunächst für einen Bürger, der nach dem Beispiel von Jesus handelt und den ungerechten Richter besucht. Dann fiel einigen auf, dass es ja auch Zachäus sein könnte, der am eigenen Leib erfahren hat, was es heißt, von einer großen Last befreit zu werden.

Geschichten, dass sie im Akt des Hörens eine höchst aktive Tätigkeit entfalten, die sie weit über ihre Bezeichnung als Rezipienten heraushebt, sind sie es doch, die im Hören Handlungsverläufe weiterspinnen, Handlungsverläufe und Entwicklungen antizipierend konstruieren bzw. weiterentwickeln, innere Bilder imaginieren und so eine Fülle von Verstehensweisen entwerfen.«16 2.6 Schritt: Sommergottesdienst

Die Frage, ob Zachäus nach dem Besuch von Jesus wohl aus seinem Haus, seinem »Angst-Haus« (Denise) herauskommen und auf die Bürger zugehen konnte, um sein Leben wirklich neu zu beginnen, beschäftigte Adam offensichtlich sehr. Am Ende der Stunde, als die Klasse bereits leer war, kam er zu mir und rang nach Worten: »Es ist wie mit Petrus, der nicht glaubte, dass er gehen kann. Wenn niemand glaubt, dass Zachäus kommt, kann er auch nicht kommen. Man kann nur durch eine Türe, wenn sie offen ist, sonst geht es nicht. Das gilt für alles. Ja, Zachäus auch. Alles.« Adam ist Ministrant, war in der Lage, diese beiden Geschichten zusammen zu schauen und durch einen eigenen Gedanken in seiner Sprache zu deuten. Ich war staunend Gast bei Adam. »Auch entspricht es der durchaus erfahrbaren Reaktion von Kindern auf

Nach der fünf Wochen dauernden Projektphase mündete unser gemeinsamer Lernweg in den ökumenischen Sommergottesdienst unserer Schule. Der schlichte Ablauf eines Wortgottesdienstes wurde mit den Erkenntnissen und Ideen der Kinder lebendig gefüllt. Unter dem Aspekt des gemeinsamen liturgischen Feierns der Nähe Gottes trug ich für und mit den Schüler/innen zusammen, was wir erfahren hatten. Ein Zelt stand neben dem Altar, ein Schüler war Zachäus und in einer offenen Predigtspielform erzählten wir, die Schüler/innen und ich, die Geschichte dieser Begegnung und ließen die Fragen und Formulierungen aus den vorangegangenen Stunden zum Gastsein Jesu einfließen. Zu Ps 104,2, Ps 61,5 und Ps 18,12 wurden Kyrierufe geschrieben. Hebr 13,2 gab das Thema für Fürbitten vor. 16 Wolfgang Wagerer, Das Hören ist der erste Schritt. Vernehmendes Theologisieren im strukturbewahrenden Erzählen, in: Anton A. Bucher u.a., »Sehen kann man ihn ja, aber anfassen . . .?« Zugänge zur Christologie von Kindern, Jahrbuch für Kindertheologie Bd. 7, Stuttgart 2008, 156.

Inou ». . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein«

Auch hier gilt wieder: Es lässt sich schwer evaluieren, ob und was die Schüler/innen lernen konnten, welche Kompetenzen hier bei den einzelnen erweitert werden konnten und wie nachhaltig hoffentlich in Gang gekommene Nachdenkprozesse weiterwirken werden. Die Atmosphäre beim Gottesdienst war aber spürbar dicht, gefüllt mit Begeisterung und Rührung, sprachen die Kinder doch in ihren Worten von Not und Sehnsucht, die alle kennen. Vielleicht darf auch hier wieder die Reaktion der mitfeiernden Erwachsenen als Zeugnis gelten: Eine Kollegin hatte Tränen in den Augen, als die Kinder davon sprachen, wie es weitergehen kann, nachdem Jesus gegangen ist. Andere kamen nach der Feier und gratulierten zu dem selten lebensnahen und Freude schenkenden Gottesdienst. Es war das Werk der Kinder, die sich lange und intensiv auf einen meist spannenden, oft lustigen, manchmal auch anstrengenden Weg eingelassen hatten. Sie erinnern sich an das häufig wiederkehrende Motiv des Herzens? Zum Abschluss eine Sequenz aus dem an dieser Stelle sehr nachdenklich geführten Predigtgespräch zu Zachäus: Denise: Wenn heute einer Angst hat und alleine ist, muss Gott ihm wieder Mut machen. Lorena: Aber eigentlich den Bürgern auch. Allen. Lehrerin: Kann er das? Alle: Ja, sicher. Lehrerin: Wie? Einige Schüler: Im Herzen . . . Tomy: Er ist da . . .

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Auswertung und . . .

Theologie für Kinder: Wonach fragen wir, wenn wir das für bedenken?17 Diese Frage nach der Frage führte mich im oben beschriebenen Prozess der Rückschau und Selbstbesinnung zum einen in die Mitte unseres Tuns: Wo und wie ist Gott, das Wort dem Menschen als Hörendem zugewendet und erfahrbar, heute und hier? Die Gottesfrage ist auch die wichtigste, drängendste religiöse Frage der Kinder und Jugendlichen. Offenbarungstheologie gehört zugleich zum Kerngeschäft christlicher Dogmatik. Einmal mehr zeigt sich hier, dass Kindertheologie und Systematische Theologie noch eine große gemeinsame Zukunft haben können! Der erste Aspekt des für betrifft also die eigene, persönliche Fragehaltung in theologischen Kernfragen, unter Einbeziehung von Erkenntnissen aus anderen Wissenschaften, besonders im Bereich der Philosophie, Psychologie und Pädagogik. Der zweite Aspekt betrifft die Entfaltung theologischer Erkenntnisse in didaktischen Entwürfen und der Suche nach adäquaten Methoden, mit Hilfe derer Kinder wie Lehrer als Lerngemeinschaft – jeder an seinem Ort – mit den großen Fragen, Sehnsüchten und Nöten vertraut werden können. 1. Das »für« in der Kindertheologie fordert die Lehrende zur Selbstbesin17 Zum Wert der Frage nach der Frage vergleiche »Karl Rahner – Martin Heidegger zum zum 75. Geburtstag« 1964 unter http://www. youtube.com/watch?v=JLpkhq-5SZw (Zugriff 06.04.2013).

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Pädagogische Anregungen

nung in spiritueller wie theologischer Hinsicht heraus. »Adam, wo bist du?« 2. Auf dieser Basis der Reflexion der eigenen Grundlagen heißt »für« in der Folge Methoden zu suchen, die den Kindern einen adäquaten Raum für das »von« und »mit« eröffnen. 3. Kindertheologie, in der sich die begleitenden erwachsenen Kindertheologen hörend an die Seite der Fragenden und Suchenden stellen, ist ein Angebot, eine Chance heute und hier die Schätze unseres Glaubens zugänglich zu machen. 4. Die Früchte Theologischer Gespräche auf Seiten der Kinder sind nicht immer sofort erkennbar, schwer zu evaluieren, nicht für alle gleich geltend zu machen. ». . . aber wenn die Begegnung mit dem Text geglückt ist, dann darf man – das lehrt die Erfahrung – sicher sein, dass sich Schüler/innen früher oder später wieder darauf beziehen. Und dann erweist das Theologisieren seine Langzeitwirkung . . .«18 In unserem Projekt erweist sich diese Hoffnung als berechtigt: Das Herz als Ort der Gastfreundschaft kam in vielen Kontexten von Seiten der Schüler/in­nen immer wieder ins Gespräch. 5. Die Kategorie der Gastfreundschaft erwies sich als weites Feld, in dem sehr viele Themen beheimatet sind. Ich konnte eine Fülle von Anregungen und Gedanken der Schüler/innen mitnehmen. Besonders zu den Fragen »Was kommt nach dem Tod?«, »Was sind Engel?«, »Wo war ich bevor ich Gast auf dieser Erde wurde?« und viele Aspekte zu sozialen Themen rund um Schuld, Ausgrenzung, Versöhnung, Verantwortung, Befreiung gaben mir die Projektteilnehmer/innen

Einblick in ihr Denken und ihre Vorstellungen und viel Stoff für weitere Projekte. 6. Der lange, aufwendige sprachliche Zugang erwies sich insofern als wirkungsvoll, als die Schüler/innen zunehmend ihre eigene Welt in Sprache bringen konnten und am Ende in der Begegnung mit der Zachäusperikope weitgehend von sich aus in die Geschichte einsteigen konnten. »Mind the gap!« zwischen Religion und Lebenswelt war meine Intention. »Gastsein« als Leseart für unser Leben erwies sich als guter Ort dafür. 7. Im gemeinsamen Erforschen, was »Gast sein« und »Gastfreundschaft« bedeuten kann, lernten wir diese Kategorie als Ort der wirksamen Nähe Gottes kennen, konnten je eigene emotionale und soziale Zugänge erarbeiten. 8. Mit dem Konzept der Gastfreundschaft ist eine Kategorie für den interreligiösen Dialog und das Gespräch mit Menschen ohne Religion gegeben. Daher ist es ein lohnendes Projekt in Schulen / Klassen mit einer großen Vielfalt an Weltanschauungen oder Kulturen. . . . Ausblick

Im Prozessverlauf des Projektes zeigte sich, dass Kindertheologie das Konzept der Gastfreundschaft realisiert. Als Pilger sind wir unterwegs, eine begrenzte Spanne Zeit dauert unser Leben, in dem wir in der Suche nach Deutung 18 Wolfgang Wagerer (wie Anm. 16), 169.

Inou ». . . denn ich will HEUTE bei dir zu Gast sein«

und Verstehen aufeinander verwiesen sind. »Lehrperson, Schüler/innen sowie theologische Tradition treten in einen gleichberechtigten Dialog gegenseitiger Achtung und Anerkennung. Sie machen sich gemeinsam auf den Weg.«19 In der Sprache unseres Projektes heißt das: Kinder bei uns Gast sein lassen und zugleich ihr Gast sein, im Raum des anderen zu lernen und darin die Nähe Gottes und seines Reiches zu erahnen. Mit der Kindertheologie ist uns ein Modell gegeben, wie wir unseren Weg als pilgernde, dialogische Kirche den wirklichen Fragen unserer Mitmenschen begegnen können – »In Zeiten wie die-

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sen muss sich die Kirche den Fragen stellen.«20 Kindertheologie realisiert ein Konzept der Gastfreundschaft, das uns als Pilger, als Gäste auf dieser Welt versteht und zeigt in der Pilgerschaft einen möglichen Angelpunkt für die Frage der Einheit angesichts der großen Vielfalt an Wegen.

19 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Ge­ spräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen, Stuttgart / München 2012, 170. 20 Reinhold Stecher, Spätlese, Innsbruck 2012, 77.

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Pädagogische Anregungen

Angela Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie1

»Ein Gotteskoffer??? Gott im Koffer???« Auf Fortbildungen zu dem Koffer voller Gegenstände, die biblische Sprachbilder von Gott im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar machen sollen, gehört dies zu den spontanen Reaktionen der Teilnehemer/innen. Argumentiert wird u.a. mit dem Bonhoeffer Zitat »Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht«2 oder mit dem biblischen Bilderverbot. Die Anfrage, die hinter diesen Argumenten steht, lautet wohl: Widerspricht ein Gotteskoffer nicht dem Wesen Gottes? Gott entzieht sich doch allen Bildern, Vorstellungen, Begriffen – wie kann man ihn da in einen Koffer stecken. Dem stimme ich zu. Gott passt nicht in einen Koffer. Dies trifft aber auch auf unsere Sprache zu. Auch mit unseren Worten können wir Gott nicht fassen. Wie können wir aber dann angemessen über Gott reden? Vielleicht sollten wir eher davon reden, wie Gott nicht ist? In seinen Buch »Gott ist nicht gut und nicht gerecht« betont der katholische Physiker und Theologieprofessor Andreas Benk sehr zu Recht die Bedeutung der Gottesrede, »die unruhig beim Anderen« ist und sich auch als christliche Gottesrede »ihrer Vorläufigkeit und Bestreitbarkeit bewusst bleiben« muss.3 Benk plädiert für eine Negative Theologie, da sie geeignet ist »verfestigte Gottesbilder aufzubrechen und an die Unangemessenheit jeder Gottesrede zu erinnern.«4 Wenn aber in der Religions-

pädagogik von Gott nicht nur in der Negation gesprochen werden soll, empfiehlt Benk zwei religionspädagogische Ansätze: Die Symboldidaktik und das Theologisieren mit Kindern.5 Der Gotteskoffer verknüpft beide Ansätze. Er wurde konzipiert als ein symboldidaktisches Instrumentarium, der für das Theologisieren mit Kindern über ihre Gotteskonzeptionen Impulse liefern möchte und ganzheitlich-begreifbare Materialien zu Gottesbildern aus der biblischen Überlieferung enthält. Die Konzeption des Gotteskoffers ist darauf ausgerichtet, Anregungen zu geben und gehört in diesem Sinne in die Kategorie »Theologie für Kinder«. Aber die Arbeit mit dem Gotteskoffer beinhaltet auch immer das Reflektieren über Gotteskon1 Einzelne Abschnitte dieses Beitrags wurden unter der Überschrift »Der Gotteskoffer – Lebensnahe Theologie für Kinder und Erwachsene« im Jahrbuch 2013 Ganzheitlich-Sinnorientiert Erziehen und Bilden« (Hg. von Franz Kett) veröffentlicht. Auf der Seite der Lernwerkstatt unter www.pti-mitteldeutschland. de kann ebenfalls Material zur Arbeit mit dem Gotteskoffer eingesehen werden. 2 Habilitationsschrift Akt und Sein (1929), Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie, München 1956, 94. 3 A. Benk, Gott ist nicht gut und nicht gerecht. Zum Gottesbild der Gegenwart, Düsseldorf 2008, 161. 4 Ebd. 124. 5 Vgl. ebd. 80.

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

zeptionen, welches im Elementarbereich über ein rein kognitives Reflektierens hinaus geht und auch nonverbale Ausdruckformen einschließt. Mit den lebensnahen und zum Spiel einladenden Symbolen ist der Gotteskoffer daher auch ein Medium, welches das Theologisieren mit den Kindergartenkindern (und mit den Erzieher/in­nen und Eltern) anregen soll. Zudem gibt die Konzeption für die Arbeit mit dem Gotteskoffer Raum für eigene Ausdrucksformen von Gottesvorstellungen und Gotteserfahrungen eines jeden Kindes (dies gilt auch für die Erwachsenen, s.u.). Kinder sollen motiviert werden, sich ihren ganz eigenen Gotteskoffer zu packen – in diesem Sinne kann ein Gotteskoffer auch zum Ausdruck einer Theologie von Kindern werden. Der Schwerpunkt in diesem Beitrag liegt auf der Dimension »für Kinder«. Eine »Theologie für Kinder« lässt sich nicht isoliert von den strukturellen und pädagogischen Rahmenbedingungen betrachten. Daher werden zunächst die Rahmenbedingungen für den Einsatz des Gotteskoffers kurz umrissen, bevor der »Gotteskoffer« als eine konkrete Konzeption für die Arbeit mit Kindern im Kindergarten vorgestellt wird. 1. Rahmenbedingungen für die Entwicklung des »Gotteskoffers« 1.1 Die Religionspädagogische Qualifizierung von Erzieher/innen

Entstanden ist der »Gotteskoffer« im Zusammenhang mit Fort- und Weiterbildungen für Religionspädagogik im Elementarbereich am Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche

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in Mitteldeutschland und der Landeskirche Anhalts (PTI). Schwerpunkt in diesem Tätigkeitsfeld ist seit 2004 die religionspädagogische Fort- und Weiterbildung von Erzieherinnen, die in evangelischen Kindertagesstätten arbeiten.6 Zu DDR-Zeiten gab es einige Kindergärten in der Trägerschaft von Kirchgemeinden und eine gesonderte kirchliche Ausbildung für Kinderdiakoninnen, welche in den kirchlichen Einrichtungen als Erzieherinnen eingesetzt wurden.7 Kennzeichnend für die Kinderdiakoninnen war und ist die hohe Bedeutung der religionspädagogischen Arbeit. Der Schwerpunkt der religionspädagogischen Arbeit bei dieser Gruppe von Erzieherinnen liegt aber weiterhin auf dem Erzählen biblischer Geschichten und auf der Gestaltung des Kirchenjahres 6 Für die religionspädagogische Weiterbildung wurde eine berufliche Qualifizierung zur religionspädagogischen Fachkraft konzipiert (RPQ), welche 240 Unterrichtsstunden umfasst und mit einer Hausarbeit und einer Praxispräsentation abgeschlossen wird. 7 Offiziell war der Beruf einer Kinderdiakonin zwar in der DDR nicht anerkannt, aber sie erfuhren durch die Wertschätzung ihrer Einrichtungen dennoch die Anerkennung, die auch eine Kindergärtnerin in der DDR genoss. Nach Ruppin, die für ihre 2008 veröffentlichte Untersuchung 22 Kinderdiakoninnen interviewt hat, erfuhren die Kinderdiakoninnen eine doppelte Wertschätzung, denn sie waren zum einen als Kindergärtnerinnen sozial anerkannt, zum anderen hatten sie einen besonderen Status durch ihre Tätigkeit als kirchliche Mitarbeiterin. »Der evangelische Kindergarten hatte bedingt durch mangelnde Alternativen zu dem staatlichen sozialistischen Kindergarten eine elitäre Funktion, das wurde in den Interviews mit den Kinderdiakoninnen immer wieder deutlich« (I. Ruppin, Kinderdiakoninnen im Transformationsprozess. Beruflicher Habitus und Handlungsstrategien im Kindergarten, Wiesbaden 2008, 76).

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Pädagogische Anregungen

(Ruppin 2008, vgl. 196).8 Diese Erzieherinnen und diese Einrichtungen sind inzwischen zu einer Minderheit in dem Gesamtspektrum christlicher Kindertagesstätten in Ostdeutschland geworden. Die Mehrheit der evangelischen Kindertagesstätten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wurde erst nach 1990 aus der ehemals staatlichen und dann kommunalen Trägerschaft übernommen.9 Nach der Übernahme ihrer Einrichtung in eine christliche Trägerschaft wurden und werden viele Erzieher/innen eingeladen oder aufgefordert, eine religionspädagogische Qualifizierung (RPQ) zu besuchen.10 Diese Kurse besuchen zu einem großen Teil Erzieher/innen, die bis dahin mit Kirche und konfessioneller Religion kaum in Berührung gekommen sind. Ein wesentliches Ziel der RPQ ist es, die Wahrnehmungs-, Reflexions- und Sprachfähigkeit der Erzieherinnen bezüglich ihrer eigenen Einstellung zu Religion und Religiosität zu schulen.11 Zu den ersten Assoziationen, die Erzieher/innen mit dem Thema »Religion« zur Sprache bringen, gehören immer wieder bestimmte Gottesbilder. Diese sind bei den Erzieher/innen, die sich selbst als »nicht religiös« bezeichnen, häufig geprägt von der Vorstellung, dass die Christen an einen Gott glauben, der ein alter Mann im Himmel (Sky) ist und dass Christen denken, dass dieser Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat. Daher wird ein eigener Glaube an diesen Gott als unvernünftig abgelehnt. Gerade für diese Zielgruppe erweist sich der Gotteskoffer als ein hilfreiches Instrument. Denn die Arbeit mit dem Gotteskoffer (als ein Beispiel von vielen Arbeitsformen) ermöglicht zum einen, sich sym-

8 In der Studie »Mein Gott – Dein Gott« wurde im regionalen Vergleich festgestellt, dass die konfessionellen Einrichtungen in Dresden der christlichen Bildung den höchsten Wert gaben und diesbezüglich die Differenz zu den nichtkonfessionellen Einrichtungen in Dresden am größten war. Gedeutet wird dies von den Autoren der Studie »mit der starken Diasporasituation und der Rolle der Religion als Gegenpol zur staatlichen atheistischen Haltung während der DDR-Zeit« (A. Edelbrock u.a., Religion und Religionen in der Kindertagesstätte, in: A. Biesinger u.a. (Hg.), Mein Gott – Dein Gott, Weinheim / Basel 2008, 149–221, hier 217f ). 9 Das Diakonische Werk als Dachverband wurde zu einem der großen freien Träger auch im Osten Deutschlands, von 383 evangelischen Einrichtungen in der DDR 1989 stieg die Zahl auf über 1.050 evangelische Einrichtungen im Jahr 2010 in den ostdeutschen Bundesländern. Das ist im Vergleich zu den alten Bundesländern eine vergleichsweise geringe Zahl, aber an nur wenigen Orten in der ostdeutschen Gesellschaft kommt es zu so unmittelbaren Begegnungen und Beziehungen zwischen religiös indifferenten und religiös orientierten Menschen. Dies gilt auch für die dort tätigen Erzieher/innen. 10 Nach wie vor nehmen jedes Jahr zwischen 60 und 90 Erzieherinnen in der EKM an einer (RPQ) des PTI teil. 11 »Die Kurse fördern die Reflexion der eigenen Biographie in Bezug auf religiöse Erfahrungen und die Entwicklung eines eigenen religiösen Standpunktes. Es werden Kontakte zu Ausdrucksformen christlicher Religiosität ermöglicht und diese gemeinsam diskutiert« (Konzeption der Religionspädagogischen Qualifizierung für Erzieherinnen und Erzieher am PTI der EKM und ELA, S. 11).

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

bolische Deutungen biblischer Texte zu nähern und zum anderen, die Vielfalt und Uneindeutigkeit biblischer Rede von Gott kennenzulernen. Der Koffer enthält viele verschiedene Symbole, damit zum einen ein sich Hineindenken in die mehrdeutige biblische Sprache der Symbole geschult, zum anderen wird auch das Ungenügen zum Ausdruck gebracht, Gott mit einem Symbol angemessen beschreiben zu wollen.12 1.2 Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der EKM sind geprägt von einem weltweit fast einzigartigen Phänomen der Ablehnung eines Glaubens an Gott: »Im weltweiten Vergleich kommt dem Osten Deutschlands mit seinen Höchstwerten an Konfessionslosigkeit und selbst bezeugtem Atheismus eine herausgehobene (. . .) Stellung zu, welche sich höchstens mit der Säkularisierung in der Tschechischen Republik, in Estland und in den Niederlanden vergleichen lässt.«13 Insgesamt ist der Anteil der Konfessionslosen seit 1989 im Osten weiter kontinuierlich angestiegen. Der Säkularisierungssprozess in Ostdeutschland, so die These von Wohlrab-Sahr, konnte eine ganz eigene innere Plausibilität entfalten, die sich zu einer genuinen Haltung der Menschen entwickelt hat. Diese Plausibilisierung beruht auf den »Anschluss an die Bestände der Aufklärung.«14 »Es ist diese Vorstellung des Gegensatzes von Religion und Wissenschaft, auf die man auch heute im Osten Deutschlands immer wieder stößt, und die das Ende des politischen Systems

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überdauert hat.«15 Wir haben es also in Ostdeutschland auch zwanzig Jahre nach dem Umbruch mit einer stabilen Mehrheit vom Menschen zu tun, für die schon die Suche nach einer angemessenen Bezeichnung Probleme bereitet, und die sich selbst am ehesten als »normal« bezeichnen.16 Eberhard Tiefensee, katholischer Theologe, Priester und Professor für Philosophie an der Universität in Erfurt, bezeichnet diese Gruppe als die »religiös Indifferenten« und beschreibt sie folgendermaßen: »Die religiös Indif12 »Ein Symbol allein genügt nicht, um von Gott angemessen zu sprechen. Die Notwendige Vielfalt von Symbolen bringt zugleich das Ungenügen jedes einzelnen Symbols zum Ausdruck.« A. Benk, ebd. 82. 13 Wohlrab-Sahr, M., Forcierte Säkularität oder Logiken der Aneignung repressiver Säkularisation, in: G. Pickel / K. Sammet (Hg.), Religion und Religiosität im vereinigten Deutschland, Wiesbaden 2011, 145–164, hier 146. 14 Vgl. ebd. 147. 15 Vgl. ebd. 152. Die Unterschiede zu den anderen Staaten des Ostblocks erklärt Wohlrab-Sahr mit einem komplexen Gefüge von verschiedenen Faktoren: »Dass es in anderen kommunistischen Ländern vergleichbare Ideo­ logien mit – unmittelbar oder langfristig – geringerem Erfolg im Hinblick auf die Säkularisierungsprozesse geben hat, etwa in Polen oder Russland, muss man dann auch vor dem Hintergrund der Frage diskutieren, welchen sozialen Rückhalt – z.B. über die Anbindung an entsprechende Milieus – und welche Plausibilität aufklärerische Ideologien in den jeweiligen Kontexten hatten und wie sich die dominanten Religionsgemeinschaften dazu verhielten. Unter Umständen gehen Urbanisierung und Protestantismus eine eigene »aufklärerische« Verbindung mit szientistischen Weltsichten ein, während stärker agrarisch geprägte Lebenswelten und der Katholizismus eine solche Verbindung nicht in gleicher Weise nahe legen« (ebd., 147). 16 M. Wohlrab-Sahr, Religionslosigkeit als Thema in der Religionssoziologie, in: Pastoraltheologie, 2001/90/ S. 152–167, hier 152.

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Pädagogische Anregungen

ferenten können ohne Gott gut und auf einem hohen moralischen Niveau leben, sie verfügen über eine eigene stabile Feierkultur, z.B. die Jugendweihe, die keine Rückgriffe auf religiöse Traditionen nötig macht. Pragmatisch-nüchtern gestalten sie ihr Leben und sind aufgrund ihrer eher naturalistischen Sozialisation für metaphysische Fragen kaum noch ansprechbar, gelten doch Sinnfragen und der in Grenzsituationen vielleicht hier und da aufkeimende Wunsch, sich einer höheren Instanz auszuliefern, als Krisenphänomene, die nach der Krise wieder verschwinden.« Im Unterschied zu den religiös Entfremdeten oder religiös Unberührten verfügen die »religiös Indifferenten« über ein stabiles Selbstbild und lassen sich kaum von religiösen Themen ansprechen.17 Die Mehrheit der Kinder in christlichen Kindergärten kommt aus nicht christlichen, religiös indifferenten Familien. Familien haben einen maßgeblichen Einfluss auf die religiöse Entwicklung der Kinder; die frühe Prägung durch die Familie, das zeigt die nachhaltige Säkularisierung in der ehemaligen DDR, ist nicht nur in Bezug auf den Glauben, sondern auch auf die Areligiosität prägend. Kinder im Kindergartenalter orientieren sich an ihren Eltern und identifizieren sich mit ihren Positionen – gerade das bringt die Erzieherinnen in eine Dilemmasituation, wie folgende exemplarische Szene zeigt: Max: »Gott gibt’s.« Sofie: »Nein, Gott gibt’s nicht.« Max: »Doch, den gibt’s. das hat mein Papa gesagt.« Sofie: »Und meine Mama sagt, den gibt’s nicht«.

Mit dieser Meinungsverschiedenheit kom­ men sie dann auch zu ihrer Erzieherin: Max und Sofie: »Wer hat Recht?« Viele Erzieher/innen in kirchlichen Einrichtungen fürchten solche Situationen, denn sie sind unsicher, wie sie darauf »richtig« reagieren sollen und versuchen, diese Themen zu vermeiden – sowohl in den Gesprächen mit den Kindern als auch in den Gesprächen mit den Eltern. Auf die Gefahr, dass sich während der Kindergartenzeit Konflikte auftun, wenn das religiöse Profil der Einrichtung nicht zur Sprache kommt, weist auch Claudia Guggemos in Bezug auf die Ergebnisse der Tübinger Studie »Mein Gott – Dein Gott« (Biesinger, Edelbrock und Schweitzer 2008) hin: »Für kirchliche Einrichtungen sollte gelten, dass ein wichtiges Thema für das Anmeldegespräch das religiöse Profil des Hauses sein muss. Wird es nicht thematisiert, kann sich im Lauf der Zeit Religion zu einem ausgegrenzten Tabuthema entwickeln, das bei auftretenden Konflikten dann schwer angesprochen werden kann.«18 Die Konzeption des Gotteskoffers steht in dem religionspädagogischen Kontext der religionssensiblen Begleitung. In der Praxis hat sich der Gotteskoffer als ein hilfreiches Instru17 E. Tiefensee, Religiöse Indifferenz als interdisziplinäre Herausforderung, in: G. Pickel / K. Sammet (Hg.), Religion und Religiosität im vereinigten Deutschland, Wiesbaden 2011, 79–102, hier 95. 18 C. Guggemos, Interreligiöses Lernen in der Kita, in: K. Bederna / H. König (Hg.), Wohnt Gott in der Kita? Religionssensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen, Berlin / Düsseldorf 2009, 111–119, hier 116.

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

mentarium für Elternveranstaltungen in Kindertagesstätten erwiesen, da durch seine Vielfalt und Anschaulichkeit niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten für eine Gespräch über Gotteskonzeptionen ermöglicht werden, ohne dass eine Gottesbeziehung vorausgesetzt wird oder eine Missionierung befürchtet werden muss.19 1.3 Elementarpädagogische Rahmenbedingungen

Unter der Bezeichnung »religionssensible Erziehung« ist zur Zeit ein neuer Ansatz jenseits der klassischen Religionspädagogik im Entstehen. Das Besondere dieses Ansatzes ist, dass Religion als elementarer Bestandteil eines allgemeinen pädagogischen Prozesses gesehen wird. Das Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe« (2005–2008) an der Phil.-Theol. Hochschule des Salesianer Don Boscos in Benediktbeuern hat den Ansatz auch in der religionspädagogischen Fachdiskussion bekannt gemacht.20 Henning Schluß würdigt diese Studie, da hier empirisch durch die Interviews belegt wird, was bislang nur »theoretisch postuliert wurde«, nämlich »dass Erzieher/innen, die sich selbst nicht als religiös im engeren oder weiteren Sinne verstehen, durchaus in ihrem pädagogischen Handeln Kompetenzen aufweisen, die mit dem zugrunde gelegten Instrumentarium als religionssensibel beschrieben werden können (. . .). Pädagog/innen können demnach die Betätigung des religiösen Weltzugangs auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen fördern, auch wenn sie selbst nicht nur keine Kirchenmitglieder sind, sondern sich selbst auch nicht als religiös be-

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schreiben«21 Katrin Bederna definiert Religionssensibilität als eine »grundlegende und lernbare Empfindungsfähigkeit für Religion.«22 Dies wird sowohl im Blick auf die Kompetenz der Erzieherinnen als auch als Ziel für die Kinder gedeutet. Die religionssensible Erziehung versteht sich als ein konsequent kindzentrierten und erfahrungsbezogenen Ansatz, mit dem auf die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft reagiert wird. »Zentrales Charakteristikum dessen, was wir hier religionssensible Erziehung nennen, ist der Ausgang von den Bedürfnissen und den Themen der Kinder und nicht beispiels19 Ein Beispiel für ein Eltern- und Erzieherinnenseminar mit dem Gotteskoffer als Medium wurde 2009 in den Heften der religionspädagogischen Praxis veröffentlicht – vgl. A. Kunze-Beiküfner, Dem »lieben Gott« auf der Spur, RPP 2009/2, Landshut 2009, 47–53. 20 In dem Forschungsprojekt wird »religionssensible Erziehung« als eine Handlungstheorie für die religiöse Erziehung Jugendlicher beschrieben, die bei der subjektiven Religion der Jugendlichen anknüpft. Der Religionsbegriff wird am Bild von drei konzentrischen Kreisen in drei Dimensionen beschrieben: Die »existenzielle Dimension«, zu der z.B. Sinnfragen gehören, ist die allgemeinste Dimension (größter Kreis), als nächstes folgt die »religiöse Dimension«, die bereits auf eine andere Wirklichkeit hinweist (mittlerer Kreis), und die »konfessionelle Dimension« als Konkretion der Religion in bestimmten Glaubensgemeinschaften (engster Kreis). A. Gabriel / M. Lechner, Religionssensible Erziehung. Impulse aus dem Forschungsprojekt »Religion in der Jugendhilfe« (2005–2008), München 2008, 71. 21 H. Schluß, Religionssensibilität als pädagogische Kompetenz, in: G. Guttenberger / H. SchroeterWittke (Hg.), Religionssensible Schul­kultur, Jena 2011, 211–224, hier 224. 22 K. Bederna, Religionssensible Erziehung – Bedeutung für die Frühpädagogik, in: K. Bederna / H. König, Wohnt Gott in der Kita? Religionssensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen, Düsseldorf 2009, 13–28, hier 17.

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weise der Ausgang von dem Interesse religiöser Gemeinschaften, Mitglieder zu binden.«23 Aus der Perspektive der Kinder gedacht sollten Anregungen für die Entfaltung einer religiösen Bildung unabhängig von der Trägerschaft der Einrichtung geschehen. Dies wird entfaltet an der grundsätzlich gestellten Frage »Was brauchen Kinder zu einem gelingendem Leben?« Dazu gehört auch die religiöse Welterkundung, die in »unserer pluralen Gesellschaft in weiten Teilen interreligiös« ist. Als Dimensionen dieser religiösen Welterkundung werden genannt ein distanziert-forschendes interreligiöses Lernen, erfahrungsbezogenes interreligiöses Lernen, weisheitliches Theologisieren mit den Kindern, sowie religiöse Symbole, Räume für Stille, Rituale, Feste und religiöse Erzählungen. Religionssensible Erziehung bedeutet »auf dieser Ebene die Themen der Kinder wahrzunehmen und korrekt zu interpretieren.«24 Bei dem Ansatz der »religionssensiblen Erziehung« handelt es sich ganz ausdrücklich nicht um einen Ansatz, dessen Ziel es ist, zu einem bestimmten Glauben und einer konfessionell geprägten Religiosität zu erziehen, sondern es geht um einen weiten Ansatz religiöser Erziehung, der die Kinder und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Daher kann der Terminus »Erziehung« durchaus auch irreführend wirken – besonders auf dem Hintergrund der DDR-Pädagogik, in der für den Kindergartenbereich die »Einheit von Bildung und Erziehung« die Basis für das Leitbild einer Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit gewesen ist. Ich bevorzuge daher den Begriff der »Begleitung«, da dieser den aktiven Part der Kinder und die Subjektorientierung stärker zum Ausdruck bringt als der Erziehungs-

begriff. Die Beschreibung des Ansatzes mit dem Begriff der »Religionssensibilität« ist m.E. dagegen durchaus geeignet, das Anliegen der Begleitung der religiösen Bildung von Kindern im Vorschulalter deutlich werden zu lassen, da der Begriff deutlich über eine konfessionell intendierte religiöse Bildung hinausweist und eine weite Definition von Religion zu Grunde legt. Dieser weite Religionsbegriff wird nicht nur von konfessionell ungebundenen Kindertageseinrichtungen, sondern generell und spezifisch auch von christlichen Kindertagesstätten gefordert.

Die Konzeption des Gotteskoffers beruht zwar auf biblischen Gotteserfahrungen und Gotteskonzeptionen, ist aber grundsätzlich offen für andere Gotteskonzeptionen und Gotteserfahrungen einschließlich einer kritischen oder ablehnenden Haltung zu einem Glauben an Gott. 1.4 Entwicklungspsychologische Rahmenbedingungen

Aufbauend auf Piagets Grundkonzeption des Lernens als aktiver Prozess der Assimilation und Akkommodation und 23 Vgl. ebd. 14. 24 Vgl. ebd. 20.

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

der Erkenntnis, dass Menschen beim Lernen die Assimilation vorziehen, gibt es auf der Grundlage der Hirnforschung wichtige neue Hypothesen, die sich auf die Phasen beziehen, in denen Lernende empfänglich für neues domänenspezifisches Wissen sind und Phasen, in denen Lernende ihre Wissen in stabilen Strukturen verankert haben und sich durch neuen Fakten und Informationen nicht verunsichern lassen. Eine wichtige Größe für die Lernbereitschaft des »Lerners« ist neben der anregungsreichen Umwelt die Organisation des Wissens: »Je (scheinbar) konsistenter dieses strukturiert und je stabiler es infolge dessen organisiert ist, desto unempfänglicher ist er gegenüber (prinzipiell) irritierenden Informationen. Erst wenn ein/e Lernende/r wiederholt auf Fakten stößt, die die bislang erworbenen Vorstellungen zunehmend unterhöhlen (Transitionalstadium), kann es passieren, dass sich die jeweiligen Wissensstrukturen (vorübergehend) ›lockern‹ und sie / er empfänglicher gegenüber neuen Informationen wird.«25 Im Blick auf die Kinder bedeutet dies, dass diese weder zu viel noch zu wenig Vertrauen in ihre eigenen Wissensstrukturen haben dürfen, wenn sie offen sein sollen für neue Informationen. Um zu erkennen, wann sich die Kinder gerade in einer solchen Phase befinden, sollen Pädagog/innen darauf achten, wie Kinder Probleme lösen: Zeigen Kinder inkonsistente Problemlösungen, wenden sie ihr Wissen nur bei einigen, aber nicht bei anderen, ähnlich gelagerten Aufgaben an oder setzt das Kind unterschiedliche Sprachkanäle ein, indem die Sprache mit der Mimik divergiert, während das Kind etwas erklärt, kann dies ein Hinweis dafür sein, dass sich das

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Kind in diesem Bereich in einem Transitionalstadium befindet und auf unterstützende Impulse oder Informationen angewiesen ist.26 Spezifisch ist aber im Kindergartenalter der sogenannte »kindliche Überoptimismus« – erst circa ab dem 6. Lebensjahr entwickelt sich eine realistische Selbsteinschätzung, bis dahin vermuten die Kinder, dass »Anstrengung allein genüge, um gewisse Kompetenzen zu erlangen«. Diese unrealistischen Kompetenzüberzeugungen könnten die Funktion haben, das Durchhaltevermögen und die Anstrengungsbereitschaft der jungen Kinder beim Erwerb und Ausbau motorischer und kognitiver Fähigkeiten zu motivieren – und Motivation ist für das Lernen ein wesentlicher Faktor. Die Theorie des konzeptuellen Wandels versucht den Vorgang des Verstehens zu beschreiben. Eine große Bedeutung hat die Sprache – können Wahrnehmungen mit sprachlichem Ausdruck verbunden werden, können diese auf einer höheren Ebene des Bewusstseins durch reflexives Denken mit anderen bereits zugänglichen Wahrnehmungseindrücken verknüpft werden. »Beim Lernen durch Analogie und Vergleich kann durch die Anregung von Vergleichsprozessen strukturell ähnlicher Objekte oder Situationen auf tiefliegende begriffliche und prinzipielle Gemeinsamkeiten neuen Wissens generiert oder vorhandenes Wissen aktiviert werden. Vergleichsprozesse sind von zentraler Bedeutung für 25 L. Fried (Hg.), Ausblick, in: Das wissbegierige Kind. Neue Perspektiven in der Früh- und Elementarpädagogik, Weinheim / München 2008, 190–198, hier 191. 26 Vgl. ebd. 192.

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Pädagogische Anregungen

naturwissenschaftliches Lernen, da sie die Grundlage für Schlussfolgerungen, die Entwicklung von Begriffen und die Restrukturierung von Vorwissen bei Kindern darstellt.«27 Mit der Theorie des konzeptuellen Wandels wird auch erklärt, warum Kinder Schwierigkeiten haben können, ein ihnen vermitteltes Wissen zu verstehen. Dies liegt nicht an zu wenigem Wissen, sondern häufig an den eigenen Theorien, sie sie in diesem Bereich schon entwickelt haben und die bis dahin im Alltag der Kinder gut funktionierten. In Bezug auf Carey28 schlagen Saalbach / Leuchter / Stern vor, die Kinder öfter zu motivieren, Erklärungen für ihre Theorien zu geben, so dass auch die Lehrperson die Konzepte der Kinder verstehen kann. Wird das Lernen von Kindern als ein konzeptueller Wandel gedeutet, gehören aber Fehlvorstellungen »als unabwendbare Begleiterscheinungen des Lernprozesses« dazu.29 Als Ko-Konstrukteure sind die Erzieherinnen gefordert, sensibel die Konstruktionen der Kinder zu begleiten, ihnen Anregungen zur Weiterentwicklung oder Vertiefung zu geben sowie die Pluralität von Vorstellungen ins Gespräch zu bringen. Der Gotteskoffer soll Kinder und Erwachsene einladen, die eigenen Kon­ zeptionen und Vorstellungen zu Gott zu reflektieren und diese mit den Vorstellungen und Erfahrungen anderer Menschen in einen Austausch zu bringen. Auch die unterschiedlichen Konzeptionen in den Peers können so zur Sprache gebracht werden, ohne dass sich am Ende alle auf ein gemeinsames inhaltliches Ergebnis einigen müssen. Auf der Basis, dass alle sagen dürfen, was ihnen wichtig ist – aber auch wertschätzend mit den Aussagen der anderen umgehen,

können Kinder im Austausch mit anderen Kindern ihre Konstruktionen reflektieren und – wenn das Bedürfnis dafür da ist – neu konstruieren. Auch diesen Prozess des »Neukonstruierens« können Kinder durchaus bewusst wahrnehmen, wie folgendes Beispiel zeigt:30 Chris (3) sitzt auf dem Boden und spielt mit einem Steckspiel. Dazu kommentiert er: »Das ist eine Kirche, in der ist Gott geboren.« (. . .) Er steckt einen zweiten Stecker und sagt: »Hier wird noch ein Gott geboren.« Bernd (4) kommt dazu: »Es gibt nur einen Gott.« Chris: »Nein.« Bernd: »In deinem Alter . . . in meinem gibt es nur einen Gott.« 1.5 Ko-Konstruktion als »sustained shared thinking«

In der Interaktionsform des »sustained shared thinking« wird die klassische Dichotomie von kindzentrierter oder erwachsenenzentrierter Pädagogik zugunsten einer Intersubjektivität überwunden. Das »sustained shared thinking« bezieht sich konsequent auf einem ko-konstruktivistischen Ansatz und »ermöglicht einen Lernprozess, an dem beide Subjekte in

27 H. Saalbach / M. Leuchter / E. Stern, Entwicklungspsychologische Grundlagen der Didaktik für die ersten Bildungsjahre, in: M. Leuchter, Didaktik für die ersten Bildungsjahre. Unterricht mit 4- bis 8-jährigen Kindern, Seelze / Zug 2010, 86–97, hier 90. 28 Carey, S., Science education as conceptual change. In: Journal of Applied Developmental Psychology 21 (1) 2000, 13–19. 29 Vgl. ebd. 91. 30 Von einer Erzieherin 2011 beobachtet und dokumentiert, vgl. Kunze-Beiküfner, Theologisieren mit Kindergartenkindern, 2014.

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

gleicher Weise aktiv beteiligt sind.«31 Iram Siraj-Blatchford, Professorin für »Early Childhood Education« an der »University of London«, ist eine der Pionier/innen dieses Ansatzes. Im Rahmen des Projekts »Effective Provision of Pro-School Education« (SPPE) hat Siraj-Blatchford mit Hilfe von Videodokumentationen die Interaktionsprozesse zwischen Kindern und Erzieher/innen beobachtet. Dabei hat sich der Ansatz des »sustained shared thinking« als besonders effizient erwiesen32 und als wesentlicher Indikator für eine effektive frühkindliche Erziehung herausgestellt: »Erwachsene und Kinder in den effektivsten Einrichtungen beteiligten sich häufiger an länger anhaltendem, gemeinsamem Denken – Zeitabschnitte, in denen zwei oder mehr Individuen auf intellektuelle Art und Weise zusammenarbeiten, um ein Problem zu lösen, ein Konzept zu klären, Aktivitäten auszuwerten, Geschichten weiterzuführen. Während der Phasen des länger andauernden gemeinsamen Denkens tragen beide Seiten zu den Überlegungen bei, sie entwickeln und weiten den Diskurs aus.«33 Besondere Bedeutung für die Anregung von Lernprozessen hat das Einbringen und gemeinsame Nachdenken über »offene Fragen«, die König als fragend-entwickelnde Interaktion beschreibt.34 Der an »dialogisch-entwickelnde Interaktionsprozesse« gestellte Anspruch schließt neben einer geschickten Fragestellung auch ein, das Kind als gleichberechtigtes Gegenüber ernst zu nehmen, welches mit seinen Kompetenzen zum Dialog herausgefordert wird. Auch Vertreter einer expliziten kindzentrierten Pädagogik vertreten die Position, dass vor allem das nachdenkliche Gespräch eine wichtige Form der Bil-

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dungsarbeit in der Kita darstellt: »Wahrscheinlich besteht sogar die wichtigste Bildungsaufgabe der Erzieherin darin, die Fragehaltung der Kinder nicht mit Antworten zuzuschütten, sondern sie zu erhalten. Das gelingt aber nur, wenn die Erzieherin selbst wieder zur fragenden Forscherin wird und sich mit Interesse und Spaß auf die nachdenklichen Gespräche einlässt, die dabei entstehen können.«35 Die Erzieher/innen sollen mit einer dialogischen und erkundenden Haltung ihre Fragen stellen und erkennen lassen, dass sie ernsthaft versuchen, den Hypothesen der Kinder zu folgen. Klein unterscheidet folgende Fragen für einen nachdenklichen Dialog:36 – Fragen, die die Aufmerksamkeit und das Interesse wecken und zum Staunen einladen: Woran erinnert mich das? Was ist da passiert?

31 A. König, Interaktionsprozesse zwischen Erzieherinnen und Kindern. Eine Videostudie aus dem Kindergartenalltag, Wiesbaden 2009, 125. 32 Für diese Studie wurden 141 vorschulische Einrichtungen in sechs englischen Schulbezirken ausgewählt und 2700 Kinder im Alter von 3–7 Jahren, die eine Einrichtung besuchten sowie 300 Kinder, die keine nennenswerte Erfahrung mit einer Gruppe vor der Einschulung gemacht hatten, auf ihre soziale und kognitive Entwicklung hin untersucht. Vgl. I. SirajBlatchford u.a., Technical Paper 10 – Case Studies of Practice in the Foundation Stage, London 2003. 33 I. Siraj-Blatchford, Effektive Bildungsprozesse: Lehren in der frühen Kindheit, in: F. Becker-Stoll / M.R. Textor, Die ErzieherinKind-Beziehung, Berlin 2007, 97–114, hier 113. 34 Vgl. König (wie Anm. 31), 119. 35 L. Klein, Die richtige Frage zur richtigen Zeit, in: R. Henneberg u.a. (Hg.), Mit Kindern leben, lernen, forschen und arbeiten, Kindzentrierung in der Praxis, Hannover 2004, 205. 36 Vgl. ebd. 206–208.

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Pädagogische Anregungen

– Konkrete Informationsfragen zu Material, Größe, Form, Begriffen. – Zum Nachdenken anregende Vergleichsfragen: Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen? Diese Fragen sollen produktive Irritationen auslösen, z.B. durch den Hinweis auf Kontraste (Wie passt das zu zusammen?) und neues Staunen auslösen. – Handlungsfragen, die zum Weiterphantasieren einladen: Was würde ge­schehen, wenn . . .? Was würdest du jetzt tun, wenn . . . – Problemaufwerfenden Fragen, die ein längeres gemeinsames Nachdenken erfordern. Der Gotteskoffer gibt den pädagogischen Fachkräften durch die vielfältigen Symbole ein hilfreiches Instrumentarium zur Hand, mit den Kindern verschiedenen Gotteskonzeptionen auf die Spur zu kommen. Sowohl zu konkreten Informationsfragen als auch zu Vergleichsfragen, die zum Nachdenken anregen, laden die verschiedenen Symbole ein. Die Kinder können die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit der Symbole beschreiben, sie können Kategorien und Hierarchien bilden und werden dazu angeregt, eigene Metaphern zu finden.

1.6 Weisheitliches Theologisieren als mehrdimensionale ästhetische Reflexion

Auch das Philosophieren und Theologisieren kann zu der Interaktionsform des »sustained shared thinking« bzw. des nachdenklichen Gesprächs gezählt werden. Grundsätzlich ist im Elementarbereich ein eher weit gefasstes Verständnis der Kindertheologie zu finden, welches die Nähe zur Kinderphilosophie und zum interreligiösen Lernen betont und sich als ein offenes dialogische Gespräch versteht, wie es z.B. Sylvia HabringerHagleitner formuliert hat: »Die Kinder in ihrer Kompetenz als Theolog/innen und Philosophinnen zu achten und sich ernsthaft mit ihnen auseinander zu setzen, ist ein wichtiger Dienst an zukünftigen reifen Persönlichkeiten. Ein solches Theologisieren mit Kindern kann über die Religionsgrenzen hinweg geschehen, es kann für alle in der Gruppe von Interesse sein, was beispielsweise die muslimischen Kinder über Allah oder ein Leben nach dem Tod denken und was christlich geprägte Kinder dazu sagen.« Habringer-Hagleitner plädiert für ein »offenes Gespräch, dass viele Vorstellungen zulässt und die Rede von Gott nicht abschließend einer bestimmten Wahrheit zuführen will.«37 Bederna begründet dies mit der pluralen Zusammensetzung der Kinder in der Kitagruppe und mit den Kindern selbst und ihren Fragen. Sie bezeichnet diesen Ansatz als ein »Weisheitliches Theologisieren«. Weisheitliches Theologisieren in der Kindertagesstätte bedeutet, dass keine Einschränkung der 37 S. Habringer-Hagleitner, Zusammenleben im Kindergarten. Modelle religionspädagogischer Praxis, Stuttgart 2006, 339.

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

Theologie auf eine bestimmte Glaubens­ tradition erfolgt. Für den Elementarbereich ist der Begriff des weisheitlichen Theologiserens eingebracht worden, um diese Weite zu verdeutlichen. Die Methoden des weisheitlichen Theologisierens sind bestimmt durch die Grundsätze, dass die Kinder die Umgebung eigenständig erforschen und sich eigenaktiv mit der Welt und den großen Fragen auseinandersetzen können und dass Denken und Reden ebenso wichtig ist wie Wahrnehmen, Handeln und Gestalten. Die Erwachsenen sind vor allem in der Rolle, die Kinder aufmerksam zu beobachten und ihnen anregendes Material zur Verfügung zu stellen. »Ein zentraler Ort des Theologisierens in der Kita ist folglich das Atelier und nicht nur der Stuhlkreis.«38 Bederna sieht »100 Wege« für die konkrete »Ausgestaltung des Theologisierens« und zählt (analog zum Philosophieren) u.a. Erzählungen, Gedichte, Sprichwörter, Paradoxien, Dilemmata, und Gedankenexperimente auf. Als spezifisch elementarpädagogisch verortete Methoden werden benannt das »Theologisieren im Alltag«, das »Theologisieren im Atelier« als Ort der Kunst und als Werkstatt und das »Theologisieren mit Puppen.«39 Im Sinne einer weiten, für den Elementarbereich angemessenen Deutung bedeutet dies, dass auch von einem mehrdimensionalen Reflexionsbegriff ausgegangen wird, der die ganzheitlichsinnorientierte Dimension des Wahrnehmens und Begreifens einschließt. HansJürgen Röhrig weist darauf explizit hin: »Reflektieren darf jedoch nicht nur kognitiv verstanden werden. (. . .) Ein rein kognitiver Reflexionsbegriff birgt die theologisch-anthropologisch nicht ak-

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zeptable Gefahr, zum Beispiel jüngeren Mädchen und Jungen oder Schülerinnen und Schülern mit individuellem Förderbedarf, die Möglichkeit des Theologisierens abzusprechen. Es geht um einen breiten, mehrdimensionalen ästhetischen Reflexionsbegriff, der allen Mädchen und Jungen die Kompetenz des Theologisierens zuspricht. Über kreative Zugänge – wie das Bilder malen und zeichnen, Puzzeln, Tonarbeiten, über Standbilder, Rollenspiele ect. – haben sie die Möglichkeit, das Wahrgenommene und Erfahrene auszudrücken und auf einer zweiten Ebene zu »reflektieren«. Kindertheologie lässt sich nicht auf eine Theologie der Kinderfragen reduzieren, sondern ist eine Theologie der breit reflektierten Kindergedanken und -gefühle, die verbal und nonverbal (eben auch ästhetisch) kommuniziert werden können.«40 Der Gotteskoffer beruht mit seiner Konzeption auf einer ganzheitlich-sinnesorientierten Pädagogik und bezieht das Fühlen und Sehen, die Spielfreude und den ästhetischen Ausdruck ein. Die Kinder werden eingeführt in die biblische Sprache der Symbole und mit verschiedenem Legematerial können 38 K. Bederna, Weisheitliches Theologisieren mit Kindern, in: K. Bederna / H. König, Wohnt Gott in der Kita? Religionssensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen, Düsseldorf / Berlin 2009, 68–81, hier 79. 39 Vgl. ebd. 80–82. 40 H.-J. Röhrig, Mädchen und Jungen als autonome Theologinnen und Theologen. Chancen und Grenzen einer »Kindertheologie«, in: A. Wuckelt, u.a. (Hg.), »Und schuf dem Menschen ein Gegenüber . . .« Im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Angewiesensein, Forum für Heil-und Religionspädagogik, Münster 2011, 54–71, hier 57.

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die Kinder eigene Gotteskonzeptionen gestalten oder Symbole entwickeln, die ihrem Gottesbild entsprechen.

2. Der Gotteskoffer – Grundlagen und Praxisbeispiele 2.1 Die Konzeption des Gotteskoffers

Mein Gotteskoffer sieht wie eine alte Schatzkiste aus und wird von den Kindern auch so gedeutet. Wenn ich mit dieser Kiste in eine Kita komme, wollen die Kinder unbedingt wissen, was ich diesmal eingepackt habe und sind daher auch sehr motiviert, den Schatz mit mir zu entdecken. Auch für die Lernwerkstatt des PTI hat meine Kollegin Simone Wustrack einen Gotteskoffer eingestellt, so dass man sich diesen ausleihen kann.41 Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden habe ich den Gotteskoffer an einem Stand vorgestellt und danach viele Anfragen bzgl. der Adresse erhalten, über die man diesen Koffer beziehen könne. Doch ein wichtiger Grundgedanke des Gotteskoffers besteht darin, dass alle, die damit arbeiten, sich diesen Koffer selbst zusammenstellen. Wenn ich im Folgenden beschreibe, wie ich damit arbeite, dann ist dies nur ein Beispiel für viele Möglichkeiten, die vorstellbar sind.

Jede/r die / der mit dem Gotteskoffer arbeitet, entscheidet sich selbst, welche Symbole in welcher Form enthalten sein sollen. Die Ästhetik spielt dabei für mich eine wichtige Rolle – auf Material aus Kunststoff verzichte ich weitgehend und die Gegenstände sind auch untereinander stimmig und passend. Aber was dies konkret bedeutet, muss jede/r selbst entscheiden können. Die Symbole im Gotteskoffer sind beschränkt auf biblische Gottesmetaphern, vorwiegend aus dem ersten Testament, da es explizit nur um Gott geht – ohne christologische oder trinitarische Dimensionen. Enthalten sind ganz bewusst auch sich anscheinend widersprechende Symbole, oder Symbole, die nicht eindeutig zuzuordnen sind. Der Gotteskoffer enthält auch mindestens ein Symbol für den Zweifel oder die Ablehnung der Existenz Gottes (z.B. das Fragezeichen). Zudem enthält der Gotteskoffer im Sinne einer geschlechterreflektierten Pädagogik bewusst auch Symbole, die besonders Jungen ansprechen.42 Im Gespräch über die Symbole wird das Verständnis für die (biblische) Symbolsprache geschult und erprobt. Daher 41 Der Gotteskoffer ist natürlich nur ein Beispiel für einen Themenkoffer. Für den Elementarbereich hat Simone Wustrack u.a. Koffer zum Kirchenjahr, zum Thema Abschied und Tod, zum Thema Übergänge und zu vielen weiteren Themen konzipiert und in die Lernwerkstatt des PTI eingestellt (www.pti-mitteldeutschland.de). 42 Eine geschlechterreflektierte Auswahl an biblischen Zitaten könnte durchaus auch noch betonter erfolgen, indem z.B. die Bibel in gerechter Sprache zitiert wird. Da es sich bei meiner Tätigkeit oft um eine Erstbegegnung mit biblischen Texten handelt, habe ich aber darauf verzichtet.

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

können durchaus auch neue, fremde Begriffe eingeführt werden – allerdings immer nur in kleinen Größenordnungen und es muss dann Zeit geben, diese zu vertiefen (s.u. zu Ruach). Die Symbole geben Anregungen für die Reflexion der eigenen Gotteskonzeptionen und ermöglichen die wertfreie Auseinandersetzung mit fremden Gottesbildern und Konzeptionen. Der Gotteskoffer ist grundsätzlich unvollendet – immer wieder können Symbole hinzukommen oder auch aussortiert werden. Damit ist er ein Paradigma für unser eigenes bruchstückhaftes Erkennen – und ermöglicht dennoch ein Gespräch über Gott, ohne nur in der Negation zu bleiben43. Arbeite ich mit dem Gotteskoffer in einer Kindergruppe, kommen zunächst nur einige Symbole zum Einsatz – auf eine konkrete Zahl möchte ich mich hier aber nicht festlegen, da das Alter, die Gruppengröße und die Erfahrung der Kinder mit einer solchen Runde ausschlaggebend dafür ist, wie viele neue Anregungen den Kindern gut tun. Grundsätzlich sind die Kinder beteiligt, indem sie z.B. das Rundtuch für die Mitte entfalten und so den Platz für den Gotteskoffer bereiten, und indem sie die einzelnen Gegenstände aus dem Koffer holen dürfen und von ihren Assoziationen dazu erzählen. Der Gotteskoffer lädt durch die spielzeugartigen Gegenstände die Kinder ein, spielerisch zu theologisieren. Eine Lesekompetenz darf im Elementarbereich nicht Voraussetzung sein! Der Gotteskoffer soll mit seinen Symbolen einen Weg von den kleinen zu den großen Fragen eröffnen. Die Kinder können die Symbole des Gotteskoffers im Alltag des Kindergartens wiedererken-

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nen, dadurch wird eine implizite religiöse Dimension und eine Verknüpfung für ein Theologisieren im Alltag des Kindergartens angeregt. Optimal ist es, wenn der Gotteskoffer nach seiner Einführung für die Kinder frei zugänglich ist. Es gibt für ihn wie für alle anderen »Morgenkreiskisten« Regeln für den Umgang: Die Kinder können sich selbst Material entnehmen, achten aber darauf, dass dieses sorgsam behandelt wird und nach dem Spiel wieder an den gleichen Ort zurückgelegt wird. Die Kinder dürfen dieses Material auch für anderen (Spiel)themen ausleihen! Hier nun die (fragmentarische) Liste der Symbole in meinem Koffer. 2.2 Die Symbole im Gotteskoffer

Der Grundsatz »Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht!«44 wird von mir beim Auspacken und Spielen mit dem Koffer immer zuerst in den Blick genommen: Dafür wird ein leerer Bilderrahmen in die Mitte gelegt und aus Ex 20,2a und 4a zitiert45: Ich bin JHWH, dein Gott. Du sollst Dir kein Gottesbild machen (vgl. 43 Familienähnlichkeiten gibt es zu religionspädagogischen Freiarbeitsmaterial und zu der Symbolkartei von Rainer Oberthür (München 2012), allerdings enthält der Gotteskoffer ganz bewusst Gegenstände und nicht nur Bilder. In der erweiterten Fassung für Erwachsene ist dann aber auch viel didaktisches Material, weiterführende Bilderbücher (siehe Literaturliste am Ende) die biblischen Quellen (laminiert, für jeden Gegenstand extra) enthalten. 44 D. Bonhoeffer: Habilitationsschrift Akt und Sein (1929), Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie, München 1956, 94. 45 Zitiert wird weitgehend nach der Einheitsübersetzung.

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auch Jes 40,18: Mit wem wollt ihr Gott vergleichen und welches Bild an seine Stelle setzen?). Wer ist Gott?

1. Gott, die Ruach (Wind, Hauch, Lebensatem): Die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gen 1,2 (ein Fächer) 2. Gott, der Schöpfer: Der Herr hat Himmel und Erde gemacht, das Meer und alle Geschöpfe, ewig hält er die Treue. Ps 146,6a (eine Schöpfkelle / einen Regenbogen) 3. Gott, ein Vater46: Ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist. Eph 4,6 (eine VaterFigur mit Kind) 4. Gott, wie eine Mutter: So spricht der Herr: Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch. Jes 66,13 (eine Mutter-Figur mit Kind) 5. Gott, wie ein Hirte: Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Ps 23,1 (eine Hirtenfigur) 6. Gott, wie ein König: Der Herr ist König, bekleidet mit Hoheit, der Herr hat sich bekleidet und mit Macht umgürtet. Ps 93,1 (eine Königsfigur) 7. Gott, wie ein Richter: Gott ist ein gerechter Richter! Ps 7,12a (eine Waage / eine gelbe und rote Karte) 8. Gott, wie ein Arzt: Gott sagte zu seinem Volk, als es durch die Wüste zog: Ich bin der Herr, dein Arzt. Gen 15,26 (ein Stethoskop) 9. Gott, ein Krieger: Der Herr ist ein Krieger, JHWH ist sein Name. Pharaos Wagen und seine Streitmacht warf er ins Meer. Seine besten Kämpfer versanken im Schilfmeer. Ex 15,2–3 (ein Schwert)

10. Gott, der Retter: Ich aber schaue aus nach dem Herrn, ich warte voll Vertrauen auf Gott, meinen Retter. Mein Gott wird mich erhören. Mi 7, 7 (ein Rettungsring) 11. Gott, ein Lehrer: Sieh, groß ist Gott in seiner Macht. Wer ist ein Lehrer wie er? Hiob 36,22 (eine Tafel) 12. Gott, der Allmächtige: Herr, Allmächtiger, Gott Israels! Eine Seele in Ängsten, ein Geist voll Kummer schreit zu dir. Bar 3,1 (ein Zauberstab) 13. Gott, der Heilige: Mit wem wollt ihr mich vergleichen? Wem sollte ich ähnlich sein?, spricht der Heilige. Jes 40,25 (goldenes Rundtuch) 14. Gott im Wort: Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Joh 1,1 (eine Schriftrolle) Wie ist Gott?

15. Gott ist Liebe. 1. Joh 4,16a (Herz). 16. Gott ist groß und unbegreiflich, Psalm 36,26 (Fragezeichen) 17. Wahrhaftig, du bist ein verborgener Gott. Jes 45,15a (schwarzes Tuch)

46 Im Ersten Testament wird Gott vor allem als ein »Gott der Väter« bezeichnet und die explizite Bezeichnung »Gott, der Vater« kommt kaum vor. Da aber das Vaterbild sehr prägend ist (auch für das Judentum zur Zeit Jesu), wird hier ein neutestamentliches Zitat einbezogen, welches die Vatermetaphorik direkt auf Gott bezieht. Ein Zusammenhang mit dem »Vater unser« als christliches Gebet wird bewusst nicht evoziert, dies kann von den Kindern selbst kommen. Auch bei »Gott ist das Wort« und »Gott ist die Liebe« habe ich mich auf das Neue Testament bezogen, da die äquivalente Bezeichnungen für diese Dimensionen Gottes im ersten Testament nicht explizit vorkommen.

Kunze-Beiküfner Der Gotteskoffer – Theologie für Kinder im Kindergarten im Kontext der Kindertheologie

18. Gott leuchtet wie das Licht der Sonne, ein Kranz von Strahlen umgibt ihn, in ihnen verbirgt sich seine Macht. Hab 3,4 (eine Sonne) 19. Der Herr ist ein ewiger Gott. Er wird nicht müde und matt. Jes 40,28b (ein goldender Ring) 20. Gott führt: Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen und fasse dich an der Hand. Jes 42,6 (eine Hand aus Ton) 21. Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Ps 27,1a (eine große Kerze) 22. Bei dir ist die Quelle des Lebens. Ps 36,10a (ein Brunnen) 23. Mein Gott, mein Fels, bei dem ich mich berge. 2. Sam 22,3a (ein Stein) 24. Doch meine Burg ist der Herr. Ps 94,22a (eine Burg) 25. Alle, die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf den Herrn! Er ist für euch Helfer und Schild. Ps 115,11 (ein Schild) 26. Herr, mein Gebieter, meine starke Hilfe, du beschirmst mein Haupt am Tag des Kampfes. Ps 140,8 (ein Schirm) 27. Der Herr ist ein Hüter, der Herr gibt dir Schatten. Bei Tag wird dir die Sonne nicht schaden noch der Mond in der Nacht. Ps 121,5a+6 (ein Hut) 28. Sei mir gnädig Gott, sei mir gnädig; denn ich flüchte mich zu dir. Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht, bis das Unheil vorübergeht. Ps 57,2 (eine Schmusedeck zum Verkriechen) 29. So gibt Gott auf sein Volk acht: Wie ein Adler, der sein Nest beschützt und über seine Jungen schwebt, der seine Schwingen ausbreitet, ein Junges ergreift und es flügelschlagend davon trägt. Dtn 32,11 (ein Adler)

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30. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gen 1,26a (ein Spiegel) Wo ist Gott?

31. Gott blickt vom Himmel herab auf die Menschen. Ps 53,3a (ein blaues Tuch mit Sternen) 32. Nur eines erbitte ich vom Herrn, danach verlangt mich: Im Haus des Herrn zu wohnen alle Tage meines Lebens, die Freundlichkeit des Herrn zu schauen und nachzusinnen in seinem Tempel. Ps 27,4 (ein Haus und eine Menora bzw. Kirche) 33. In deinem Zelt möchte ich Gast sein auf ewig. Ps 61,5 (ein Tipi) 34. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 1. Joh 4,16b (ein zweites Herz) 35. In Gott leben wir, in ihm bewegen wir uns, in ihm sind wir. Apg 17,28 (ein transparentes Chiffontuch) Anmerkungen: Bei dieser Liste wird deutlich, wie fragmentarisch und anfechtbar das Unterfangen ist, Gott auf Symbole festzulegen und biblische Texte aus dem Zusammenhang herauszureißen. Mein Kriterium für die Auswahl sind die Kinder und ihr Symbolverständnis. Grundsätzlich gehören daher auch einige personale Symbole dazu, unbedingt der Vater und die Mutter, der Hirte und der König. Auch wird bei manchen Symbolen mit der Sprache gespielt – wie z.B. beim Schöpfer. Mit einigen Symbolen bin ich noch nicht zufrieden – z.B. wird die Tafel von den Kindern nicht unbedingt mit einer Lehrkraft gedeutet und noch schwieriger ist es mit der Richterfigur: Die Waage als Symbol für Gerech-

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Pädagogische Anregungen

tigkeit und ein Richter mit einem Talar und/oder einem Richterstab ist den Kindern in der Regel unbekannt – aber die Figur eines »Schiedsrichters« kennen auch schon die Kindergartenkinder. Eine Erzieherin hat davon berichtet, dass die Kinder intensiv und mit vielen eigenen Assoziationen an das Bild eines Schiedsrichters angeknüpft hätten und über den Schiedsrichter zu den Fragen nach den Regeln für die Urteile Gottes diskutiert hätten. Der Begriff der Fairness ist für Kinder auch oft naheliegender und konkreter, als »die Gerechtigkeit«. Zu erläutern ist auch der Zauberstab für allmächtig: Ist Gott wie ein Zauberer? Ist ein Zauberer allmächtig? Kann Gott alle Wünsche erfüllen? Einige der Symbole sind sich in der Rolle auch durchaus sehr ähnlich – der Retter und der Arzt, der Vater und die Mutter, die Burg und das Schild, der Schirm und der Hut ect. – und es bietet sich an, mit den Kindern Paare zu suchen und dann genauer zu betrachten: Was sind Unterschiede, was sind Gemeinsamkeiten? Was heißt dies in Bezug auf Gott? Auch prägnante Gegensatzpaare laden zur Betrachtung ein: Hirte und König? Fels und Adler? Quelle und Burg? Kann Gott so verschieden sein? Oder im Hinblick auf den Himmel kann die Anregung lauten: Was ist alles im Himmel? Gibt es zwei Himmel – einen für das Unsichtbare und einen für das Sichtbare? Wie passt das zusammen, Gott im Herzen und Gott im Himmel? In der Dimension »Theologie für Kinder« werden zu und mit den Symbolen Geschichten erzählt und gestaltet – u.a. auch in der Form von Fingerspielen, als Traumreise, mit Rückenmalbildern oder Bodenbildern.47 Zu jedem Symbol gibt es Lieder und Spiele, zu jedem Symbol

lässt sich spielerisch im Alltag der Kinder eine Verknüpfung herstellen (Windmühlen basteln für die Ruach, eine Burg besuchen und erkunden für die »feste Burg« ect., das Leben einen Adlers in einem Projekt erforschen und z.B. einen Falkner besuchen; die Eigenschaften eines Adlers erkunden und dann auf das Gottesbild übertragen). In vielen Kindertagesstätten wird inzwischen bei uns mit einem Gotteskoffer in der einen oder anderen Weise gearbeitet und die Dokumentationen, die Erzieherinnen anfertigen, belegen, dass die Kinder in diesen Einrichtungen über sehr vielfältige Gotteskonzeptionen verfügen und diese auch begründen können. Eine Erzieherin, die mit Kindern über einen längeren Zeitraum während eines Projekts mit Symbolen aus dem Gotteskoffer gearbeitet hat, hat ein Jahr später die Kinder befragt: »Wie stelle ich mir Gott vor, was ist mir besonders wichtig?« und dokumentierte ihre Antworten48: Tom (5 J.): Für mich ist Gott lieb und ein Schäfer. Moritz (4 J.): Für mich ist Gott überall. Julien (5 J.): Für mich ist Gott wie ein Zeppelin. 47 Religionspädagogische Arbeitshilfen im Kontext einer kindertheologischer Didaktik im Elementarbereich sind u.a. in folgenden Publikationen zu finden: A. Kunze-Beiküfner, Kindertheologie im Elementarbereich, Landshut 2009; U. Labuhn, Der Neugier der Kleinsten Raum geben, Troisdrof 2010; H. HelmchenMencke, (Hg.), Mit Kindern über Gott reden, Freiburg 2011; M. Arnold, Hat Gott auch Hände?, München 2012. 48 Folgendes Protokoll wurde mir von der Erzieherin zugeschickt, das Gespräch fand am 26.4.2006 statt.

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Lena (5 J.): Für mich ist Gott bunt wie die Liebe. Liesa (5 J.): Für mich ist Gott die Liebe. Dario (5 J.): Für mich ist Gott so groß wie das größte Flugzeug der Welt. Laura (4 J.): Für mich ist Gott so warm wie die Sonne und so hell. Florian (6 J.): Für mich ist Gott wie ein großes Herz. Laura (5 J.): Für mich ist Gott die Stärke im Himmel und auf der Erde und im Herzen. Cheyenne (6 J.): Für mich ist Gott schön und lieb wie eine Frau. Michelle (6 J.): Für mich ist Gott so hell und schön wie die Sonne. Johanna (6 J.): Für mich ist Gott wie ein Engel überall. Pia (5 J.): Gott ist für mich die Liebe. Da der Schwerpunkt dieses Beitrags auf der Theologie für Kinder liegt, hier noch einige exemplarische Praxisbeispiele für den Einsatz des Gotteskoffers. 2.3 Praxisbeispiele Gott ist Lebensatem – die Ruach

Vorüberlegungen: »Gott kann man nicht sehen – aber den Glauben an Gott kann man sehen.« Dieser Satz von einem elfjährigen Jungen hat mich nachdenklich gestimmt. Die Äußerung des Jungen fiel nach der Begegnung mit einer anschaulich gestalteten Pfingstgeschichte. Gott kann man nicht sehen – aber der Glauben an Gott wird in der Pfingsterzählung sichtbar in der Bewegung von Angst, Trauer, Verschlossenheit und Hoffnungslosigkeit hin zu Fröhlichkeit, Begeisterung,

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Courrage und Gemeinschaft. Auslöser für diese Bewegung ist der Heilige Geist (Apg 2,4). Geist – Spiritus – Pneuma – Ruach: Das Wort Geist wurde aus der Bibelübersetzung der iroschottischen Mönche abgeleitet, welche ab dem 8. Jahrhundert die größten Teile Germaniens missioniert haben. Diese hatten das lateinische »Spiritus« der lateinischprachigen Bibel mit »Ghost« übersetzt. Aber der griechische Urtext verwendet im Pfingstbericht der Apostelgeschichte das Wort »Pneuma«. Das Wort kommt vielleicht bekannt vor – der luftgefüllte Reifen (Pneu), die Luftdruckmechanik der Orgel (Pneumatik), die Lungenentzündung (Pneumonie) – Pneuma, die griechische Bezeichnung für Geist, hat augenscheinlich etwas mit Luft zu tun. In dem Wort »Pneuma« ist wesentlich mehr von der Bedeutung des eigentlichen, hebräischen Herkunftswortes »Ruach« zu erkennen, auf das sich auch der Pfingstbericht der Apostelgeschichte bezieht. Dort zitiert Petrus den alttestamentlichen Propheten Joel, bei dem es heißt: »Danach aber wird es geschehen, dass ich meine »Ruach« ausgieße über alles Fleisch und eure Söhne und Töchter werden Propheten sein.« (Joel 3,1a). Wenn wir das Wort Ruach langsam und deutlich aussprechen, dann werden wir automatisch bei dem »Ru« und dem »Ach« deutlich ausatmen – und hinterher tief atmen. Das Wort »Ruach« hat die Grundbedeutung von Wind, aber auch von Atem, Hauch und Leben. Die Ruach kann sowohl auf Gott als auch auf den Menschen und auf die Natur bezogen werden – Götzen dagegen haben keine Ruach. Im Schöpfungsbericht 1. Mose

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Pädagogische Anregungen

1,2 schwebt die Ruach Gottes über den Chaosfluten und senkt die Keime des Lebens in sie ein. Atem und Wind: Atem und Wind – beide Bedeutungen hängen eng zusammen. In beiden Fällen geht es um Luft, die in Bewegung ist. Die bewegte Luft ist unsichtbar, unfassbar, scheinbar ein Nichts – doch sie ist lebensnotwendig. Mit dem letzten Atemhauch wird auch das Leben ausgehaucht. Ruach ist etwas, was immer in Bewegung ist und anderes in Bewegung setzt – es ist das Gegenteil von Stillstand. Die Ruach gibt dem Leben eine zielorientierte Dynamik. Deshalb meint Ruach auch oft Lebenskraft. Für Kinder ist Wind und Atem sehr viel anschaulicher als »Geist«. Den Wind nutzen Kinder auch spielerisch, z.B. wenn sie Drachen steigen lassen und oder mit Windmühlen spielen. Jede Jahreszeit bringt besondere Windformen hervor: frische Frühlingsbriesen, laue Sommerwinde, wilde Herbststürme und nasse Schneestürme – den Kindern fallen viele verschiedenen Windarten und Winderlebnisse ein, wenn man sie fragt. Manche Kinder wissen auch schon über die lebenswichtige Funktion des Windes als Samenverbreiter Bescheid – und eine Pusteblume kennen schon die ganz Kleinen. Ebenso bringen Kindergartenkinder eigene Erfahrungen und konkrete Assoziationen zum Thema Atem mit, und auch Spiele, für die ein langer Atem nötig ist, gibt es so einige. Dass Leben und Atem zusammengehören, ist eine Dimension der Ruach. Gott schenkt uns Lebensatem, Gott ist der Lebensatem. Das Jesusgebet, eine Gebetsform aus der russisch-orthodoxen Kirche verbindet jeden Atemzug mit einem Gebet – aus dem

Verlangen heraus, das ganze Leben ein Gebet werden zu lassen. Mit Kindern die Ruach entdecken  Ankommen und sich zum Kreis versammeln, eine Mitte entfalten, eine Kerze in die Mitte stellen . . .  Die eigenen Gefühle wahrnehmen und äußern: Drei Schalen mit bunten Filzblumen, Kieselsteinen und Muscheln werden in die Mitte gestellt (oder gehen auf einen kleinen Tablett im Kreis herum). Die Kinder können Blume, Stein und Muschel auf ihr buntes Stofftüchlein in die Mitte legen und dazu sagen, wie sie sich gerade fühlen: Ich bin glücklich – (Filzblume), Ich bin traurig (Stein), Ich bin voller Erwartung (Muschel)  Wir betrachten die Symbole in der Mitte: Blumen, Muscheln und Steine drücken unterschiedliche Gefühle aus. Auch unser Atem kann unterschiedliche Gefühle ausdrücken: Gemeinsam versuchen wir, unsere Gefühle durch den Atem zu zeigen (alle Atemübungen mit den entsprechenden Arm- und Körperbewegungen): – Wie atmen wir, wenn wir traurig sind? (seufzen) – Wie atmen wir, wenn wir müde sind? (gähnen) – Wie atmen wir, wenn wir ganz aufgeregt sind? (Stoßatmung) – Wie atmen wir, wenn wir ganz glücklich und entspannt sind? (ruhige tiefe Atmung)  Atmen bedeutet Leben. Wir Menschen atmen unser ganzes Leben lang. Wir atmen aus und wir atmen ein. Wir atmen im Schlaf ohne es zu merken und wir atmen tagsüber, ohne daran zu denken. Manchmal spüren wir

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unseren Atem, manchmal sind wir atemlos. Wenn wir eine Pusteblume anpusten, dann lassen wir viele kleine Samen fliegen. Kräftiger Atem kann etwas in Bewegung bringen. Vorschlag: Mit einer Windmühle, Federn, Wattebäuschen, Luftballons, Mundstück eines Musikinstruments, Panflöte oder einem Papierschiffchen auf einer Wasserschüssel (vorbereitet auf einem Tisch am Rand) können die Kinder ihren Atem ausprobieren.  Einladung zu einer Phantasiereise: Wir hocken uns hin und machen uns ganz klein. Wir lassen die Augen zufallen und stellen uns vor, wir sind noch nicht geboren. Wir sind noch im Bauch der Mutter wie in einer Höhle und brauchen noch nicht selbst atmen. Klangschale erklingt und gibt den Kindern Zeit zur Imagination.  Gott kennt uns schon, bevor wir geboren wurden. Er will, dass wir leben und atmen können. Erzieherin geht mit einem Fächer zu den Kindern und weht ihnen Luft zu. Spürt ihr den Lebensatem? Atmet ihn tief ein. Richtet euch auf und sucht euch eine Haltung, in der ihr gut atmen könnt. Klangschale gibt den Kindern Zeit zum Aufrichten und durchatmen.  Der Fächer wird in die Mitte zur Kerze gelegt. Er ist das Zeichen dafür, dass Gott die Ruach, der Lebensatem ist. Wir sagen auch Gottes Geist dazu. Unser ganzes Leben wird erfüllt von Gottes Geist. – Gott schenkt uns den Lebensatem – Gott ist der Lebensatem. Auf Hebräisch heißt dieser Lebensatem Ruach. Alle werden eingeladen, dieses Wort »Ruach« laut zu sprechen – mit Armbewegungen: RU = Einatmen; Ach = Austamen.

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 Der Atem Gottes macht uns lebendig und bringt uns in Bewegung: Jedes Kinder erhält ein Chiffontuch. Mit diesem Tuch winken und schwingen wir herum, kommen in Bewegung und tanzen frei herum. Dazu kann folgendes Lied (von der Erzieherin mit Gitarre?) gesungen werden: Lied: Gott gab uns Atem, damit wir leben (EKG 432, Strophe 1)  Gestaltung durch die Kinder: Die Kinder legen mit ihren Chiffontüchern eine Verbindung von ihren kleinen Bildern mit Blume, Muschel und Stein in Richtung Fächer und gestalten ihr Bild mit leichten Legematerial (Federn, Seidenbändern, Transparentpapierschnipsel)  Gemeinsam Nachdenken: Gott und Luft im Vergleich: Wo sehe ich Gemeinsamkeiten? Wo sehe ich Unterschiede? Was ist mir an Gott wichtig?  Lied zum Abschluss (auf die Melodie von »Meister Jakob, Meister Jakob«) Ru-u - a-ach, Ru-u - a-ach, Atme aus, atme ein. Lebensatem Gottes, Lebensatem Gottes, Atme aus, atme ein. Gott ist wie ein Schirm

Vorüberlegungen »Du bist mein Schirm, du bewahrst mich vor Not.« So betet der Notleidende in Psalm 32,7. Schirm – in der Hebräischen Bibel steht dafür das Wort: »Setär«. Es hat auch die Bedeutung von Hülle, Schutz oder Versteck (Luther übersetzt »Schirm«, die Einheitsübersetzung verwendet den Begriff »Schutz«. Das hebräische Bildwort »Schirm« ist vielen Menschen auch vertraut aus dem Beginn von Psalm 91: Wer unter dem Schirm des

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Pädagogische Anregungen

Höchsten sitzt und unter dem Schatten des allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Der Schirm ist schon für kleinere Kinder ein verständliches und zugängliches Symbol. Sie kennen es sowohl aus dem Alltag, als auch aus dem Spiel. Beim längeren Nachdenken werden den Kindern auch noch andere Kombinationen zu »Schirm« einfallen als den Regenschirm: Sonnenschirm, Schirmmütze, Papierschirmchen auf dem Eisbecher . . . In der weiteren Bedeutung von »Setär« als Hülle oder Versteck wird deutlich, dass nicht an einen Schirm gedacht ist, der weit entfernt oben »am Himmel« aufgespannt ist, sondern an einen Schirm, der den einzelnen Menschen durch seine Nähe beschützt und einhüllt. Um sich einem ungewohnten Symbol zu nähern (im Vergleich zu Kerze, Sonne oder Herz ist der Schirm als Symbol für Gott noch relativ »unbearbeitet«), ist es hilfreich, sich erst einmal mit dem Gegenstand auseinander zu setzen. Mit dem Gegenstand Schirm können sich viele Erfahrungen und Handlungen verbinden: Ein Schirm kann zugeklappt werden. Er kann verloren gehen. Er kann durch einen Windstoß aus der Hand gerissen werden. Er kann mit anderen geteilt werden. Ein Schirm kann einen überall begleiten, er ist beweglich – braucht aber auch unser aktives Tun, unserer Hand, die sich nach ihm ausstreckt. Er kann vor Sonne und Regen schützen, aber auch vor lästigen Blicken. Welche dieser Funktionen und Eigenschaften eines Schirmes lassen sich auf Gott übertragen? Theologisch geht es, wenn wir von Gott als »Schirm« reden um eine Dimension des Segens Gottes: Ein Segen, der die

Menschen behütet und bewahrt vor Gefahren. Gleichzeitig bietet das Bildwort vom Schirm auch Anknüpfungsmöglichkeiten an die eigene Verantwortung: Auf uns ruht der behütende Segen – aber wir gehen den Weg selbst und tragen den Schirm in unserer Hand. Wir können uns durch unser Gebet und durch unser Vertrauen auf Gott aktiv unter diesen Schirm begeben, aber wir können den Schutz des Schirmes auch ablehnen. Mit Kindern »Gott wie ein Schirm« entdecken  Ankommen und sich zum Kreis versammeln  Hinführung: Wir entfalten in der Mitte nacheinander (durch Zuzwinkern fordern die Kinder sich gegenseitig auf) ein rundes blaues Tuch: Was fällt uns dazu ein?  Sensibilisierung: ein zusammengefalteter Schirm wird, noch vollständig versteckt unter einem Tuch, in die Mitte gelegt: die Kinder dürfen tasten und sagen, wie es sich anfühlt  Allmählich dürfen Kinder das Tuch einrollen: der Schirm wird Schritt für Schritt aufgedeckt und kommt zum Vorschein (schön ist ein Schirm in Regenbogenfarben)  Gespräch – sammeln von Assoziationen: Was hat der Schirm schon alles erlebt? Was fällt euch ein, wenn ihr einen Schirm seht?  Identifikationsspiel: Immer drei Kinder erhalten zusammen ein Stofftuch – und probieren aus, wie es ist, wenn sich eines von den anderen zwei Kindern mit dem Tuch beschirmen lässt  Mit den Händen wird ein Schirm geformt, die Kinder dürfen im Kreis herumgehen und singen

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Lied: Es regnet, es regnet – doch ich hab einen Schirm. Und Gummistiefel hab ich auch – ich habe den Regen gern. Impuls:  Die Kinder setzen sich auf den Boden um das Seil herum  Der Schirm wird aus der Mitte genommen, das runde blaue Mitte-Tuch wird von allen angefasst und gemeinsam hochgehoben: Finden alle darunter Platz?  Das blaue runde Tuch wird wieder in die Mitte gelegt, alle setzten sich wieder drum herum  Der Schirm wird aufgespannt: ein Kind (das zuletzt Geburtstag hatte oder das sich zu Beginn traurig gefühlt hat) darf sich in die Mitte setzen und den Schirm über sich halten (der Schirm sollte so groß sein, dass der Griff auf dem Boden abgestützt werden kann): Wie fühlt es sich an, unter so einem Schirm zu sitzen? Das Kind setzt sich wieder zu den anderen  Alle Kinder werden gebeten, auf einen Ton aus der Klangschale hin die Augen zufallen zu lassen, bis die Klangschale erneut zu hören ist  Die Erzieherin geht im Kreis herum und hält den Schirm über jedes einzelne Kind. Dazu sagt sie: Gott, du bist mein Schirm. Du behütest mich, wenn ich Angst habe.  Dann erklingt die Klangschale wieder und die Kinder dürfen die Augen öffnen. Nachdenken: Die Kinder dürfen zeigen und erzählen, was sie gespürt und gedacht haben. Die Erzieherin kann Fragen stellen: Ist Gott wirklich ein Schirm? Was ist damit gemeint?

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Wie fühlt es sich an, wenn Gott mich beschirmt? Wie stelle ich mir Gott vor? Gestaltung durch die Kinder:  Die Kinder gestalten als Bodenbild gemeinsam einen Schirm in der Mitte, indem sie alle ein Stofftuch oder Rhythmiktuch erhalten. Zu dem Klang einer Zimbel werden die Tücher nach und nach in die Mitte gelegt, so dass ihre Spitzen sich alle in der Mitte berühren und sie sich nach außen öffnen. Der Schirm kann mit Legematerial verziert werden.  Wir basteln gemeinsam verschiedene Schirme im Atelier und probieren sie aus. 2.4 Zusammenfassung

Der Gotteskoffer ist ein symboldidaktisches Instrumentarium. Er enthält 35 verschiedene biblische Gottesbilder in gegenständlicher Form. Durch diese Materialien, die den Kindern aus ihrer Lebenswelt vertraut sind, können sich Kinder ganzheitlich-sinnorientiert und spielerisch mit biblischen Gottesmetaphern auseinander setzen und in KoKonstruktion mit den pädagogischen Fachkräften eigene Gotteskonzeptionen zum Ausdruck bringen und weiterentwickeln. Die Materialien bieten auch Anregungen, eine Gottesbeziehung zu reflektieren und sind für die Arbeit mit Erwachsenen (Erzieher/innen, Eltern, Mitarbeiter/innen im Verkündigungsdienst) gut geeignet49. Erfahrungen mit 49 Vgl. hierzu meinen Beitrag im Jahrbuch 2013 »Ganzheitlich – sinnorientiert erziehen und bilden« (Hg. von F. Kett, Gröbenzell 2013).

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Pädagogische Anregungen

dem Gotteskoffer belegen, dass auch Kinder, die in einem religiös indifferenten Umfeld aufwachsen, die Anregungen aus dem Gotteskoffer aufnehmen können und ihre eigenen Gotteskonzeptionen (die auch zweifelnd oder ablehnend sein können) aufgrund dieser Impulse weiterentwickeln bzw. reflektieren. Der erweiterte Gotteskoffer enthält zudem auch didaktische Materialien und zusätzliche Kinderbücher zu diesem Thema.50 Für Einrichtungen mit muslimischen Kindern ist der Gotteskoffer vermutlich nur bedingt einsetzbar (er enthält auch das Büchlein »Der hundertste Name Gottes«51 mit einer Geschichte aus dem Sack, diese ist auch für muslimische Kinder erzählbar). Zum Abschluss: Gespräch mit Kindern nach einer Kirchenerkundung52

E: Ach ja. Und wisst ihr was, manche Leute sagen ja, in der Kirche wohnt Gott. Eva: Ja. E: Wie denkt ihr denn da drüber? Eva: Also Gott wohnt in der Kirche. E: Ja. Und Anna, was denkst du darüber? Anna: Ich denke nicht. E: Du denkst Gott wohnt nicht in einer Kirche? Was denkst du, wo er dann wohnt? Anna: In unseren Herzen. (. . .) E: Mika, was wolltest du noch dazu sagen? Mika: Es gibt eigentlich nur ganz, ganz viele Götter. Hundert. E: Woher weißt du das? Mika: Das habt ihr hier doch einmal im Morgenkreis erzählt. Hundert Namen, hundert Götter.

E: Nee, das hast du falsch verstanden. Der hundertste Name Gottes, das war doch so wie Spitznamen. (. . .) E: Und wolltest du noch was dazu sagen wie es ist mit Gott, ob er nun in der Kirche wohnt oder im Herzen oder im Himmel oder ganz woanders, was du denkst. Lea: Ich glaube Gott wohnt im Himmel. E: Wie kommst du darauf? Hast du das auch mal in einer Geschichte gehört? B: . . . aber ich denke mir das so. Mika: Ich glaube, Gott wohnt im Himmel, weil wo wir morgens hier ja noch gesungen und gespielt haben, da war ja immer zum Morgengebet Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name und der Anfang war das ja Vater unser im Himmel und nicht Herzen. E: Gut überlegt. Mika: Selbst gedacht habe ich auch in dem Herzen. E: Das würdest du dir selber denken.

50 M. Arnold, Hat Gott auch Hände?, München 2012; M.-H. Deleval u.a., Wie siehst du aus, Gott?, Stuttgart / Wien 2011; F. Hübner / M. Humbach, Weißt du schon, wie lieb dich Gott hat?, Gütersloh ²2008; F. Hübner, Der liebe Gott wohnt bei uns im Apfelbaum, Wien / München 1992; H. Schulz / D. Wünsch, Ein Apfel für den lieben Gott, Wuppertal 22004; I. Sönnichsen / E. Liddle, Mama, wie groß ist der Himmel?, Stuttgart / Wien 2003; Ch. Stählin / A. Reichel, Das kleine Schaf und der gute Hirte, Stuttgart / Wien 2004; P. Verrept, Gott, Innsbruck 2003. 51 Ch. Knaebel, Der hundertste Name Gottes, Landshut ²2008. 52 Die Gruppe bestand aus 14 Kindern im Alter von 5–6 Jahren, dokumentiert wurde mit einer Videokamera, das Gespräch dauerte 23 Minuten, die Erzieherin war die Gesprächsleiterin.

Roose Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung

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Hanna Roose »War das wirklich so?« – Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung 1. Einleitung

Wie werden biblische Geschichten im Religionsunterricht der Grundschule erzählt oder präsentiert? Als Tatsachenbericht oder als fiktive Erzählung? Oder normativ gefragt: Wie sollten biblische Geschichten im Religionsunterricht der Grundschule präsentiert werden? Die Frage nach dem Realitätsstatus biblischer Erzählungen wird didaktisch bisher v.a. im Zusammenhang mit neutestamentlichen Wundererzählungen thematisiert.1 Didaktisch explizit wird die Fragestellung dabei meist nicht in der Grundschule2, sondern in der 7./8. Jahrgangsstufe.3 Hinter dieser relativ späten didaktischen Thematisierung steht vielleicht noch das klassische Bild des Kindes, das gutgläubig zuhört und weitgehend unfähig ist, zwischen realen und fiktiven Sachverhalten und Ereignissen zu unterscheiden.4 Neuere entwicklungspsychologische Stu­ dien zeigen jedoch, dass bereits Kinder im Vorschulalter »begin to make various sorts of distinctions between entities and events that are real and those that are not real«5. Ein wichtiges Ergebnis der Studien zur Entwicklung des »reality status judgment« lautet, »dass das Urteil der Kinder durch anderer Leute Bezeugung geleitet wird und nicht durch ihre eigenen Erfahrungen aus ›erster Hand‹.«6 Wenn diese Beobachtungen zutreffen, dann gewinnt die Frage, wie biblische

Erzählungen – und hier nicht nur Wundererzählungen – im Religionsunterricht der Grundschule hinsichtlich ihres Realitätsstatus präsentiert werden, erheblich an Relevanz. Empirische Untersuchungen zu dieser Frage gibt es bisher kaum. Ein Promotionsvorhaben an der Universität Lüneburg will sich dieser Frage1 Klassisch Günter Scholz, Didaktik neutestamentlicher Wundererzählungen, Göttingen 1994. 2 Vgl. Gerhard Büttner, Jesus hilft!, Stuttgart 2000; Petra Freudenberger-Lötz, Spuren lesen. Lehrermaterialien für das 1./2. Schuljahr, Stuttgart 2010, 212–219; Petra FreudenbergerLötz, Spuren lesen. Lehrermaterialien für das 3./4. Schuljahr, Stuttgart 2012, 174–179. 3 Vgl. Gehard Büttner / Hanna Roose, Das Johannesevangelium im Religionsunterricht. Informationen, Anregungen und Materialien für die Praxis, Stuttgart 2007, 77–87.159–168; Gerhard Büttner u.a., SpurenLesen 2. Lehrermaterialien, Stuttgart 2010, 58–59. 4 Vgl. Jean Piaget, The child’s conception of the world, London 1929. 5 Victoria Cox Vaden / Jacqueline D. Wooley, Does God Make It Real? Children’s Belief in Religious Stories From the Judeo-Christian Tradition, In: Child Development 82 2011, 1120–1135, 1120; Vgl. A. Tullos / Jacqueline D. Wooley, The development of children’s ability to use evidence to infer reality status, Child Development 80 (2009), 101–114; unter Verweis auf Jacqueline D. Wooley / H.M. Wellman, Young children’s understanding of realities, nonrealities, and appearances, In: Child Development 61 (1990), 946–961. 6 Vgl. Gerhard Büttner, Lieber Rotes Meer als Grüner See!, in: Katechetische Blätter 137 2012, 448–454, 450.

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Pädagogische Anregungen

stellung widmen.7 Im Zuge einer ersten explorativen Annäherung betrachte ich hier eine Unterrichtsstunde zu »Mose« in einer 3. Grundschulklasse. Die Stunde wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes zu »Diskurs und Präsenz« an der Universität Lüneburg im Oktober 2012 aufgezeichnet und nach der dokumentarischen Methode8 ausgewertet. Ich beschreibe an dieser Stelle erste Eindrücke und fasse relevante Beobachtungen zusammen.

kraft leitet über diese Lücke die weitere Erzählung ein: »Aber dann ist was ganz Schlimmes passiert, und das erzähl ich euch heute.« Sie erzählt dann davon, wie Mose mit ansieht, dass ein ägyptischer Aufseher einen Israeliten erschlägt. Auf die Frage der Lehrkraft, wie Mose wohl auf die Tötung des Sklaven reagiert, aktivieren die Kinder ihr Wissen aus dem Lied: Mose – so vermuten sie – befreit die Israeliten. Die Lehrkraft übernimmt daraufhin wieder die Regie.

2. Eine Unterrichtsstunde zu Mose in der 3. Klasse

Szene 1: Die Moseerzählung als Tatsachenbericht

Die Stunde beginnt mit einer Wiederholung des bisher Durchgenommenen. Die Lehrkraft sammelt Beiträge der Schülerinnen und Schüler und hält Stichworte an der Tafel fest. Es geht um die Sklaverei in Ägypten, das Gebot der Tötung von neugeborenen israelischen Jungen, die Bedeutung des Namens »Mose«, die Aussetzung von Mose, die Rettung aus dem Fluss. Anschließend singen die Kinder das Lied »Als Israel in Ägypten war«. Die Kinder kennen das Lied aus dem Musikunterricht. Der Liedtext greift inhaltlich vor, denn bisher wissen die Kinder nur, dass der junge Mose am ägyptischen Hof groß wird und »es gut hat«. Die Lehrkraft bespricht unter Aufnahme des bisher Besprochenen unbekannte Wörter aus dem Liedtext (z.B. »Joch«). Nach dem Singen des Liedes thematisiert sie die erzählerische Lücke, die sich zwischen dem bisher Besprochenen und dem Liedtext auftut. Denn im Lied wird Mose dazu aufgefordert, nach Ägypten zu gehen. Aber er wohnt doch (als Junge) in Ägypten? Die Lehr-

L: Er [Mose] hat was ganz Blödes gemacht. Er ist nämlich (unverständlich) so sauer gewesen und dann hat er sich umgeguckt und dann hat er gesehen, er ist ganz alleine mit dem Aufseher. Und dann hat er etwas gemacht, was man eigentlich gar nicht tun darf, er hat den Aufseher nämlich getötet. . . . Und dann hat er den Aufseher, weil er Angst gekriegt hat, in Sand eingebuddelt und ist abgehauen. Mehrere Kinder: War das wirklich so? L: Das war in echt so. Er hat den Aufseher, der den Israeliten getötet hat, selber getötet und hat ihn eingebuddelt und ist weggelaufen. Die Tötung des Sklavenaufsehers durch Mose steht in einem auffallenden Kon7 Vgl. Juliane Schrader, »Ist die Geschichte echt?« – Wie Kinder über den Realitätsstatus biblischer Geschichten urteilen, Lüneburg 2012. 8 Vgl. Ralf Bohnsack, Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, Opladen 82010.

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trast zu den Vermutungen der Kinder. Die Lehrkraft leitet ihre Erzählung dessen, was Mose tut, deshalb mit der wertenden Bemerkung ein: »Er hat was ganz Blödes gemacht.« Die Diskrepanz zwischen den Vermutungen der Kinder und dem weiteren Verlauf der Erzählung führt auch dazu, dass die Klasse sich hinsichtlich des »reality status« der Geschichte explizit vergewissern will. Ihre Nachfrage »War das wirklich so?« beantwortet die Lehrkraft affirmativ: »Das war in echt so.« Sie wiederholt daraufhin, was Mose getan hat. Dadurch präsentiert sie die Erzählung als Tatsachenbericht. Die Szene passt gut zu dem entwicklungspsychologischen Befund, dass Kinder Vergewisserung auf dem Weg der persönlichen Beglaubigung durch erwachsene Vertrauenspersonen suchen und einfordern.9 Interessant ist, dass die Lehrkraft die Frage nach Vergewisserung nicht durch Rekurs auf den narrativen Charakter der Erzählung (etwa »So steht es in der Geschichte. Das ist auch wichtig, um zu verstehen, wie es weitergeht.«), sondern durch historische Beglaubigung beantwortet. Szene 2: Die Moseerzählung als historisch möglicher (plausibler) Bericht

Nach dieser Zwischenfrage erzählt die Lehrerin weiter: Die Tötung bleibt nicht unbeobachtet, Mose muss nach Midian fliehen und hütet für einen Priester die Schafe. Eine Schülerin meldet sich und kommt noch einmal auf die Tötung des Aufsehers durch Mose zurück.

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L: Marie, kannst du dich erinnern? M: Nein, em aber ich hab ne Frage. L: Ja. M: Wie konnte er ihn eigentlich töten? Er hatte doch kein Messer oder so. L: Gut, ich war nicht dabei, ich weiß es nicht. Aaron (meldet sich, spricht los, bevor die Lehrkraft ihn dran nimmt): Ich aber. L (zu Marie): Frag doch mal hier. L: Nickt Aaron zu. Aaron: Er hat ihn angefallen, er hat ihn vielleicht angefallen (unverständlich) L: Möglich (zu Marie): Zufrieden mit der Antwort? Martin hat auch noch ne Meldung. Martin: Ich hab auch noch ne Idee. L: Dann sag’s mal in die Klasse. Martin: Und zwar dass er ihm die Peitsche von hinten abgenommen hat und dann selber ausgepeitscht hat. L: Mm. Jonas. Jonas: Die Idee hatte ich auch. L: Aha. Kirsten, hattest du auch noch eine Idee? Kirsten: Em. Ich wollte (unverständlich) wollt, em, dass er ihn erwürgt (unverständlich). L: Mm. Morten. Morten: Windelweich geschlagen. L: Er hat ihn getötet und nicht nur windelweich geschlagen, er hat ihn auch richtig getötet. Morten (fällt L ins Wort): Ja zusammengeschlagen und getötet. L: Jannis. Jannis: Er hat die Peitsche genommen und . . . ihm um den Hals gewickelt und dann hat er keine Luft mehr gekriegt. L: Das könnte auch sein, ne? Also Marie, du siehst, die anderen Kinder haben genügend Ideen, wie es hätte sein können. 9 Vgl. Büttner (wie Anm. 6), 450.

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Marie möchte wissen, wie genau Mose den Aufseher töten konnte, obwohl er keine Waffen hatte. Zweifelt sie damit die (historische) Glaubwürdigkeit der Erzählung an, da es doch unmöglich sei, einen Menschen ohne Waffen zu töten? Offenbar geht es um die Plausibilität, um die Wahrscheinlichkeit der Erzählung.10 Nach Fowler haben wir es hier mit einer typischen Ausformung des »mythischwörtlichen Glaubens« zu tun: »Im Gegensatz zum Vorschulkind konstruiert der Zehnjährige eine in höherem Maße ordentliche, zeitlich lineare und zuverlässige Welt. Da er induktiv und deduktiv denken kann, ist er ein junger Empiriker geworden. Wo das intuitiv-projektive Kind Phantasie, Tatsache und Gefühl verschmelzen lässt, arbeiten das mythisch-wörtliche Mädchen und der mythisch-wörtliche Junge hart und effektiv daran, das Wirkliche vom Scheinbaren zu trennen. Nach Maßgabe seiner Fähigkeit zur Untersuchung und Prüfung wird dieser junge Mensch auf der Demonstration oder dem Beweis für Tatsachenbehauptungen bestehen.«11 Die Lehrkraft weigert sich jedoch, einen entsprechenden »Beweis« zu liefern. Sie verortet die Tötung des Aufsehers durch Mose aber auch nicht im Bereich des »Scheinbaren«, sondern distanziert sich mit der Äußerung: »Gut, ich war nicht dabei, ich weiß es nicht.« Mit dieser Äußerung bleibt sie aber durchaus im historischen Bezugsrahmen, in dem Tatsachenbehauptungen darüber, was passiert ist, durch Augenzeugen beglaubigt werden. Dasselbe ist ja gerade in der Welt des Textes mit Mose passiert: Es gab – unerwarteter Weise – Zeugen für seine Tat, so dass er fliehen musste. Dann lädt sie die Kinder dazu ein, sich

zu beteiligen. Die Kinder entwickeln nun engagiert eigene Ideen, wie Mose es geschafft haben könnte, den Aufseher zu töten. Die Lehrerin hat sich mit ihrer Bemerkung, dass sie nicht dabei gewesen sei, aus der Rolle der Expertin verabschiedet. Die Kinder können ihr jetzt »auf Augenhöhe« begegnen und eigene Ideen einbringen. Dabei greifen sie mit der Peitsche auf die Erzählung zurück, entwickeln aber auch unabhängig davon Ideen (anfallen und erwürgen). Die Lehrkraft kommentiert die Ideen der Kinder zunächst zurückhaltend (»möglich«). Ihre Zwischenfrage an Marie »Zufrieden mit der Antwort?« impliziert, dass es ihrer Meinung nach nicht darum geht, gemeinsam herauszufinden, was »wirklich« passiert ist, sondern darum, eine Idee zu finden, die die Schülerin, die nachgefragt hat, zufriedenstellt. Für die Schülerinnen und Schüler ist das Thema damit noch nicht erledigt: Sie präsentieren weitere Ideen, die die Lehrkraft als Moderatorin des Gesprächs nebeneinander stehen lässt. Sie beharrt allein darauf, dass Mose den Aufseher totgeschlagen (und nicht nur »windelweich« geschlagen) hat. Als Fazit fasst sie zusammen: »Marie du siehst, die anderen Kinder haben genügend Ideen, wie es hätte sein können.« Damit verweist sie die Ideen der Kinder in den Bereich des »Möglichen«. Zwischen dem Realen (»ist so passiert«) und dem Irrealen (»ist nicht so passiert«) eröffnet sie damit einen wei10 Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt a.M. 22012, 78. 11 James W. Fowler, Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn, Gütersloh 1991, 152.

Roose Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung

teren Raum des »reality status« (»könnte so passiert sein«). Damit hat sie keinen »Beweis« für die Tat des Mose geliefert, aber immerhin hat sie sie in den Raum des historisch Möglichen bzw. des Plausiblen gerückt, während die Schülerin vermutet hatte, dass es für Mose unmöglich hätte sein können, den Aufseher ohne Waffen zu töten. Szene 3: Die Moseerzählung als (fiktive) Erzählung

Anschließend erzählt die Lehrkraft weiter: Mose heiratet und bekommt Kinder. An dieser Stelle geht die Lehrkraft auf die Bemerkung eines Schülers ein, der das »peinlich« findet. Sie entwirft das Bild von einer leeren Klasse, vor der sie stehen würde, wenn die Mütter der Schülerinnen und Schüler alle keine Kinder bekommen hätten. Ein Kind weist darauf hin, dass es die Lehrkraft dann ja auch nicht gäbe. Diese Bilder erzeugen bei den Kindern Lachen und Unruhe. Die Lehrkraft ruft die Schülerinnen und Schüler daraufhin wieder zur Ordnung: »Hört ihr bitte zu, wie’s weitergeht.« Aber Arved meldet sich hartnäckig und wird schließlich drangenommen. L: Arved. Arved: Sieht die Frau überhaupt hübsch aus? L: Bitte? Arved: Sieht die Frau überhaupt hübsch aus? L: Arved, da antworte ich nicht so drauf! Ist das für unsere Geschichte wichtig? Arved: Nö! Stimmen aus der Klasse (gleichzeitig): Jain! Nein! Hmm. Nö!

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L: Hm. Genau. So! Und jetzt werden wieder die Münder geschlossen. Augen und Ohren sind wieder bei mir. Die Lehrkraft möchte nach der Unruhe weiter machen. Schon vorher hatte sie angekündigt, keine weiteren Fragen mehr zuzulassen. Trotzdem nimmt sie Arved, da er sich »nachdrücklich« zu Wort meldet, dran. Auf die Frage danach, ob die Frau hübsch gewesen sei, reagiert sie zunächst mit einer Rückfrage (Bitte?). Entweder hat sie die Frage akustisch tatsächlich nicht verstanden, oder sie markiert durch ihre Reaktion bereits, dass sie die Frage für unangemessen hält (und sich wohl »verhört« haben muss). Arved versteht die Rückfrage als akustisch bedingte Nachfrage. Die Lehrkraft weist seine Frage ab, indem sie explizit angibt, die Antwort zu verweigern. Als Begründung stellt sie eine rhetorische Frage und weist Arveds Anliegen implizit als irrelevant zurück. Das hat zum einen sicherlich pädagogisch-disziplinarische Gründe. Es fragt sich, wie ernst es dem Jungen mit seiner Frage ist, oder ob er hier eher den »Job« als Schüler erfüllt und für ein bisschen Heiterkeit sorgen möchte.12 Für unseren Zusammenhang ist jedoch interessant, mit welcher Begründung die Lehrkraft die Frage abweist. Nicht etwa, weil wir eben nicht wissen, wie genau es war (nach dem Motto: »Ich war nicht dabei.«); sondern weil das für die Geschichte nicht wichtig sei. Damit wechselt die Lehrkraft von einer historischen in eine narratologische Begründungsstruktur,

12 Vgl. Georg Breidenstein, Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum Schülerjob, Wiesbaden 2006.

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nach der »the audience are told by the story-teller just what is necessary to ›further the plot‹«13. Sie präsentiert die Moseerzählung damit implizit an dieser Stelle nicht (mehr) als einen Tatsachenbericht, sondern als eine Erzählung, deren Gestaltung erzähltheoretischen Maximen folgt und für die die Frage nach ihrer Historizität unangemessen ist. Szene 4: Die Moseerzählung als eine Geschichte aus der Bibel

Die Lehrkraft erzählt weiter: Mose zieht morgens mit den Schafen auf den Weideplatz. Es ist still, er genießt die Ruhe und hört seine Schafe blöken. Dann passiert – mitten im Gewöhnlichen – das ganz Außergewöhnliche. L: Und plötzlich sah er, dass einer der Büsche brannte und große helle Flammen aus dem Busch aufstiegen. Er ist näher herangetreten und hat etwas sehr Komisches festgestellt. Der Busch brannte aber er verbrannte nicht. Stimmen aus der Klasse: Was brannte? – BUSCH. L: Äh Bist du jetzt bitte mal leise? Du störst hier. Und als er noch ein bisschen dichter dran war, kam, hörte er aus dem Busch eine Stimme, die zu ihm sprach. (Schaut Hauke an, der sich schon länger meldet. Nickt ihm zu.) Hauke: Die Geschichte kenn ich. Wir haben zu Hause ne Bibel und da steht genau die Geschichte auch drin. L: Genau, die ist ja auch aus der Bibel. Die außergewöhnliche Szene des brennenden Dornbusches versetzt die Kinder

in Staunen. Sie fragen aber nicht nach. Ein Kind erinnert sich – jetzt – daran, dass es die Geschichte kennt: In seiner Kinderbibel »steht genau die Geschichte auch drin«. Diese Äußerung veranlasst die Lehrkraft dazu, die Moseerzählung als biblische Geschichte zu verorten. Hat sie das vorher, zu Beginn (oder im Verlauf) der Einheit, noch gar nicht getan? Oder hat das Kind nicht genug aufgepasst? Zumindest hat die Lehrkraft die Verortung nicht so konsequent vorgenommen, dass sie allen Kindern präsent wäre. Die Lehrkraft geht (auch jetzt) nicht weiter darauf ein, was es für eine Bedeutung hat, dass es sich bei der Moseerzählung um eine biblische Geschichte handelt – weder im Hinblick auf den Realitätsstatus der Erzählung, noch im Hinblick auf ihre mögliche Relevanz. Szene 5: Die Moseerzählung als Tatsachenbericht des »Besonderen«

Die Lehrkraft erzählt nun davon, wie Gott aus dem Dornbusch mit Mose spricht. Mose wirft den Hirtenstab zu Boden und es wird eine Schlange daraus. Die Lehrkraft schließt mit dem Auftrag Gottes an Mose, zum Pharao zu gehen, damit das Leiden aufhöre. Sie schlägt dann eine Brücke zum Liedtext. L: Und das ist das, was in den Liedtexten stand. Das hat Mose sich also nicht ausgedacht, sondern woher hat Mose diesen Auftrag bekommen? Wer kann das noch einmal sagen? 13 David Carr, Narrative and the Real World. An argument for continuity, in: Geoffrey Roberts (Hg.), The History and Narrative Reader, London / New York 2001, 143–156, 148.

Roose Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung

Stimme aus der Klasse (ruft rein): Gott. L: Wer hat Mose diesen Auftrag gegeben? Frank. Frank: Gott. L: Und wenn man von Gott einen Auftrag bekommt, dann . . . kann man den ablehnen? Stimmen aus der Klasse: Nein! Nein! L: So! Du kriegst jetzt noch ein zweites Blatt, dort hast du . . . Marie. Marie: ich hab noch eine Frage. L: Ja. Marie: Ehm also, aber heute passiert das doch gar nicht mehr, dass Gott mit einem spricht? L: Nein. Mit den meisten Menschen nicht. Aber vielleicht gibt es doch den ein oder anderen, mit dem Gott schon mal gesprochen hat. Erstaunte und zweifelnde Geräusche aus der Klasse. L: Das ist auch damals in der Zeit, als dies hier passierte, nur ganz, ganz wenigen Menschen passiert. Mose ist einer von denjenigen, mit denen Gott gesprochen hat. Auch dort ist es mit den meisten Menschen nicht passiert. Marie: Hat er denn mit dir schon mal gesprochen? Stimme aus der Klasse: Ja. L: Nein, hat er nicht. Stimme aus der Klasse: Mit mir aber. L: Aber angeblich soll es Menschen geben, ich kann nur sagen, was ich gehört habe, ich hab noch nie mit so einem Menschen gesprochen, mit dem er schon gesprochen hat. Aber wie gesagt, es passiert nur ganz selten. Die Lehrkraft macht bezüglich der Deutung der Vision und Audition des Mose eine Alternative auf: ausgedacht oder von Gott. Sie konnotiert die erste Alternative eindeutig als »falsch« und insistiert dar-

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auf, dass Gott Mose den Auftrag gegeben habe. »Das war schon etwas Besonderes.« lautet ihr Fazit. Die Alternative »ausgedacht oder von Gott« verweist Gott und damit die Erzählung vom brennenden Dornbusch in den Bereich des Faktischen – im Unterschied zum Fiktiven, Ausgedachten, »Scheinbaren«. Das Faktische erhält hier zusätzlich die Zuschreibung des Besonderen. Damit möchte die Lehrkraft das Unterrichtsgespräch beenden. Sie betont abschließend, dass Mose etwas ganz Besonderes passiert sei und greift zu den Arbeitsblättern. Das »So« markiert auch sprachlich eine Zäsur. Während sie anfängt, den Arbeitsauftrag zu erläutern, sieht sie, dass Marie sich meldet. Sie unterbricht sich und nimmt die Schülerin dran. Auf die Ankündigung der Schülerin, dass sie noch eine Frage habe, legt die Lehrkraft die Blätter wieder aus der Hand und äußert ein aufmunterndes »Ja«. Marie formuliert ihre Frage als Aussage, die sie mit »aber« einleitet. Damit macht sie einen Gegensatz zwischen damals und heute auf: Heute spricht Gott nicht mehr mit Menschen, damals offenbar schon. Vielleicht reicht der Zweifel aber auch weiter: Wenn es stimmt, dass Gott heute nicht mehr mit Menschen spricht, wie glaubhaft ist es da, dass er es damals getan hat? Mit ihrer Frage zweifelt Marie indirekt die Faktizität der Erzählung an. Dabei bezieht sie sich nicht auf die wundersame Umwandlung des Stabes in eine Schlange, sondern – viel grundsätzlicher – auf die Möglichkeit, dass Gott mit Menschen redet. Es geht Marie also – wie schon bei ihrer Frage, wie Mose den Sklavenaufseher ohne Waffen habe töten können – um die Beglaubigung des Erzählten.

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Pädagogische Anregungen

Im Unterschied zur zweiten Szene gibt die Lehrkraft die Frage nicht an die Klasse, sondern antwortet selbst – obwohl spontane Äußerungen aus der Klasse kommen. Vielleicht sind es pädagogische Gründe, die die Lehrkraft hier anders reagieren lassen: Die Kinder werden unruhig, sie haben schon lange zugehört. Vielleicht schätzt die Lehrkraft die Frage von Marie aber auch als zu »schwierig« und als zu wichtig (!) ein, um sie sinnvollerweise an die Kinder weiter geben zu können. Sie sieht sich als Expertin gefragt und bemüht sich um eine angemessene Antwort. Die Lehrkraft korrigiert den Gegensatz von damals und heute und betont, dass Gott damals wie heute nur mit ganz wenigen Menschen spricht. Damit knüpft sie an ihre abschließende Aussage an, nach der es etwas ganz Besonderes war, dass Gott Mose einen Auftrag erteilt hat. Indirekt ist damit auch gesagt, dass Menschen damals wie heute nicht damit »rechnen« können, dass Gott mit ihnen spricht. Mit anderen Worten: Der Umstand, dass Gott möglicherweise noch nicht mit »mir« gesprochen hat, spricht nicht dagegen, dass er mit Mose gesprochen hat – und auch nicht dagegen, dass er heute noch mit einzelnen Menschen spricht. Bei dieser Art der Gottesrede handelt es sich also grundsätzlich um ein Phänomen, das sich der eigenen empirischen Überprüfung weitgehend entzieht.14 Marie hakt genau an diesem Punkt nach und will wissen, ob Gott schon einmal mit der Lehrerin gesprochen habe. Hier scheint wiederum der Wunsch nach persönlicher Vergewisserung durch. Die Lehrkraft gilt als vertrauenswürdige Person. Wenn sie angibt, dass Gott mit ihr gesprochen habe, dann ist auch glaubhaft,

dass Gott mit Mose gesprochen hat. Eine Mitschülerin beantwortet die Frage spontan mit »Ja«. Entweder sagt sie damit, dass Gott schon einmal mit ihr gesprochen habe, oder sie bezieht die Frage auch auf die Lehrkraft und geht selbstverständlich davon aus, dass Gott schon einmal mit der Religionslehrkraft gesprochen habe. Die Lehrkraft befindet sich jetzt in einem gewissen Dilemma. Vertrauenswürdigkeit setzt voraus, dass sie ehrlich antwortet. Ihre ehrliche Antwort (dass Gott noch nie mit ihr gesprochen habe) könnte aber ihre eigene Glaubwürdigkeit als Religionslehrkraft (als Erzählerin eines so unwahrscheinlichen, unglaubwürdigen Tatsachenberichtes) in den Augen der Schülerinnen und Schüler gefährden. Die Lehrkraft löst dieses Dilemma, indem sie »glaubwürdige Dritte« ins Spiel bringt, sich von ihnen aber gleichzeitig etwas distanziert: »Angeblich« gibt es auch heute Menschen, mit denen Gott spricht, sie habe davon gehört – ohne dass sie es selbst überprüfen konnte. Abschließend verweist sie noch einmal darauf, dass das aber nur ganz selten passiere. Thematisch bindet die Lehrkraft die Frage also in ihre Aussage ein, nach der es etwas Besonderes sei, dass Gott mit einem Menschen spricht. So war es damals, so ist es im Prinzip auch heute noch. 3. Zusammengefasste Eindrücke

Insgesamt zeigt der Blick auf diese Unterrichtsstunde, dass die Kinder versuchen, die Mose-Erzählung u.a. im 14 Vgl. Büttner (wie Anm. 6).

Roose Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung

Hinblick auf ihren Realitätsstatus einzuordnen. Die Lehrkraft leistet von sich aus diese Einordnung kaum. Auf Rückfrage der Kinder präsentiert sie die Erzählung überwiegend, aber nicht durchgehend, als Tatsachenbericht. Die Kinder wenden unterschiedliche Vergewisserungsstrategien an, z.B. die Rückfrage, wie genau etwas passiert ist oder das Vertrauen auf die Aussage der Lehrkraft als einer vertrauenswürdigen Person. Wesentlich ist die Beobachtung, dass die Lehrkraft die (religiöse) Relevanzfrage der Mose-Erzählung zumindest in dieser Unterrichtsstunde in die Alternative von »ausgedacht vs. tatsächlich passiert« einspannt: Gott hat tatsächlich mit Mose gesprochen, das hat Mose sich nicht ausgedacht. Gleichzeitig wird diese Pointe gegen empirische Überprüfbarkeit immunisiert: Das passierte und passiert nur ganz wenigen Menschen. Die Kinder sind so um so mehr auf die Beglaubigung durch die Lehrkraft angewiesen. Dieser punktuelle Einblick in eine Unterrichtsstunde kann den Blick dafür schärfen, wie Lehrkräfte und Kinder biblische Erzählungen implizit und explizit verorten. Von besonderem Gewicht scheint mir die Beobachtung, dass die Lehrkraft Aussagen, die ihr thematisch wichtig sind (dass Mose den Aufseher totgeschlagen hat, dass Gott tatsächlich zu Mose gesprochen hat) implizit oder (auf Nachfrage) explizit als historisch glaubwürdig konnotiert. Narratologische Muster greifen demgegenüber bei Aussagen, die sie als nicht relevant betrachtet (ob die Frau des Mose hübsch war). Sie koppelt damit zumindest implizit thematische und theologische Relevanz an historische Glaubwürdigkeit. Die Frage, wie eine (biblische) Erzählung jenseits

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der Frage ihrer Historizität Relevanz erlangen kann, kommt nicht in den Blick. 4. Weiterführende Überlegungen

Die Stunde erweckt den Eindruck, dass die Lehrkraft die Frage, ob sie die Mosegeschichte als historischen Bericht, als (fiktive) Erzählung oder als Erzählung mit historischem Inhalt präsentieren möchte, für sich nicht ausreichend geklärt hat. Im Sinne einer »Theologie für Kinder« wäre das aber nötig. Wie sind die einzelnen Optionen fachwissenschaftlich und didaktisch zu bewerten? Die exegetische Wissenschaft ist in ihrer Suche nach einem historischen »Kern« der Exodustradition um Mose inzwischen sehr zurückhaltend: »Ohne Mose gäbe es keinen Pentateuch . . ., und es ist schwer vorstellbar, wie die Erzählung von der Frühgeschichte Israels ohne ihn hätte Gestalt gewinnen können. Doch dieser literarischen Rolle muss nicht notwendigerweise eine geschichtliche Wirklichkeit entsprechen. Damit haben wir nicht gesagt, dass es niemals einen Mose gegeben hätte . . .«15. Unbestritten ist die enorme Wirkungsgeschichte der Exodustradition. Das lässt sich schon innerhalb des Alten Testaments beobachten. Denn im Blick auf die Mose-Erzählung, die um 1300 v.Chr. spielt, fällt auf, dass sie markante Motive mit der Geschichte von der Reichsteilung im Jahr 926 v.Chr.16 gemein hat: 15 Niels Peter Lemche, Die Vorgeschichte Israels. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts v.Chr., Stuttgart 1996, 59. 16 1. Kön 12.

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Pädagogische Anregungen

»Wie Jerobeam so wird auch Mose als ein Mann dargestellt, der, aus königlichem Milieu stammend, sich mit seinen geschundenen Landsleuten solidarisiert und den Aufstand wagt, indem er einen ägyptischen Vorarbeiter erschlägt.17 Beide Male schlägt der Aufstandsversuch fehl, wie Jerobeam muss Mose vor der Strafverfolgung des Königs ins Ausland fliehen.18 Beide kehren erst nach dem Tod des Königs zu ihren Landsleuten zurück.19 Es kommt in beiden Fällen zu Verhandlungen mit dessen Nachfolger um die Erleichterung der Fron, die jedoch mit einer Verschärfung der Fronforderung enden20, an denen eigenartigerweise sowohl Mose als auch Jerobeam eher im Hintergrund wirken. Schließlich erfolgt die Befreiung aus der Fronarbeit beide Male auf vergleichbare Weise durch eine Separation vom Machtbereich des uneinsichtig unterdrückenden Potentaten (Ex 14,5a; 1. Kön 12,16.19).«21 Der Alttestamentler Rainer Albertz deutet diese Parallelen so, dass die Exodustradition bei der Reichsteilung aktualisiert wurde und so politische Wirksamkeit entfaltete: »Die parallelisierende Aktualisierung verlieh der alten Exodustradition unmittelbare gesellschaftliche Relevanz und gab den Aufständischen gegen die Herrschaftsansprüche der Davididen die notwendige religiöse Motivation und Legitimation.«22 Die Exodustradition prägte danach das Selbstverständnis der Aufständischen und beeinflusste so entscheidend die politischen Ereignisse im Jahr 926 v.Chr. sowie deren Darstellung in 1. Kön 12. Für das jüdische Selbstverständnis hat die Exodustradition bis heute eine enorme Bedeutung,

z.T. bis in aktuelle politische Auseinandersetzungen hinein. Das Passafest hält die Exodustradition im kulturellen Gedächtnis präsent. Die Exodustradition rückt damit in die Nähe eines »enacted narrative«. Das heißt: »Die gewohnte Zeitfolge dreht sich um: Erst ist die Erzählvorlage da, oft palimpsestförmig unter fremden und zufälligen Bedingungen entstanden, dann wird aus dieser Vorlage ein Skript, an dem sich die Verhaltensweisen, Selbstdefinitionen und dadurch vermittelt auch Objektwahrnehmungen ausrichten.«23 In systematisch-theologischer Hinsicht stellt sich hier die Frage nach dem Verhältnis von Bibel und Wort Gottes bzw. Offenbarung, die im Verlauf der Kirchengeschichte unterschiedliche Antworten gefunden hat. In einer aktuellen Einführung in das Studium der Evangelischen Theologie heißt es dazu: »Es gilt, hinter die Schrift zurückzufragen nach dem, was sie bezeugt: das Geschehen der Offenbarung Gottes in der Geschichte Jesu von Nazareth.«24 Dabei ist die Bibel kein »totes Protokoll«, ihr vorrangiger Zweck besteht also nicht darin, von vergangenen Ereignissen zu berichten, sondern »lebendiges« Zeugnis zu sein, ein Zeugnis, das uns heute noch angehen, betreffen kann. 17 Ex 2,11–15 vgl. 1. Kön 11,26–28. 18 Ex 2,15 vgl. 1. Kön 11,40. 19 Ex 2,23a+4,19.20a vgl. 1. Kön 11,40; 12,2cj.20. 20 Ex 5,3–19; 1. Kön 12,3b–15. 21 Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels im alttestamentlicher Zeit, Göttingen 1992, 217–218. 22 Ebd., 219. 23 Koschorke (wie Anm. 10), 23–24. 24 Friedrich Lemke, Systematische Theologie, in: Einführung in das Studium der evangelischen Theologie, hg. v. R. Heiligenthal, Stuttgart 2004, 207–219; hier: 276.

Roose Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung

Was bedeutet das didaktisch? Horst Klaus Berg kritisiert einen »unreflektiertnormativen Gebrauch der Bibel«, der sich in der Art zeigen kann, »wie Geschichten erzählt werden – insbesondere im Primarbereich. Hier wird die Überlieferung meist so wiedergegeben, als wenn es sich um Tatsachenberichte handelte. . . . Den Hörern muss die biblische Tradition als fraglos gültige Mitteilung vorkommen.«25 Die Darstellung einer biblischen Darstellung als Tatsachenbericht ist aus didaktischer Sicht problematisch, weil sie die Spezifik biblischer Überlieferung in doppelter Hinsicht unterschlägt: Zum einen deuten biblische Texte Welt unter der Voraussetzung, dass es den jüdisch-christlichen Gott gibt. Zu dieser Weltsicht gibt es Alternativen. Das wird aber nicht deutlich, wenn biblische Erzählungen als historische Tatsachenberichte präsentiert werden. Die biblische Darstellung erscheint dann als die einzig »richtige«. Darin liegt die Normativität, die Berg kritisiert. Zum anderen erheben biblische Erzählungen als »lebendiges« Zeugnis den Anspruch, auch für uns heute relevant sein zu können. Der Blick auf diese mögliche aktuelle Relevanz wird weitgehend verstellt, wenn biblische Erzählungen als protokollarische Berichte zurückliegender Ereignisse präsentiert werden. Der Vorwurf des unreflektiert-normativen Gebrauchs biblischer Texte wird durch die dargestellten Unterrichtsszenen – wenn auch nicht durchgängig – illustriert. Er zeigt sich – im Blick auf die mangelnde Reflexion – zunächst darin, dass die Lehrkraft von sich aus keine erkennbare Verortung der Erzählung in einem bestimmten Relevanzsystem vornimmt. Ihr eigenes Relevanzsystem – so

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wie sie es erkennbar zumindest für ihren Unterricht zugrunde legt – koppelt Relevanz an historische Glaubwürdigkeit. Die Normativität dieses Vorgehens wird (scheinbar) dadurch gemildert, dass die Lehrkraft angibt, über bestimmte Vorgänge damals nicht genau informiert zu sein, da sie nicht dabei gewesen sei. So ergibt sich an manchen Stellen Raum für Spekulation. Das Relevanzsystem wird dadurch aber nicht verändert. Langfristig kann diese Strategie dazu führen, dass auch Kinder diese Kopplung internalisieren und biblische Texte in dem Maß, in dem sie ihre historische Glaubwürdigkeit anzweifeln, ganz verwerfen.26 Aus bibeldidaktischer Sicht ist also die Frage zu klären, welche Relevanz biblische Erzählungen jenseits der Frage ihres historischen »So – (Nicht-) Gewesenseins« (heute) entfalten können, bzw. – andersherum gefragt – wie Kinder »Eingang« in diese Erzählungen finden können. Eine wesentliche Frage kann dabei sein, wie der Glaube an Gott das Leben der Figuren im Text – oder der Verfasser dieser Texte – beeinflusst oder prägt. Bezogen auf die analysierte Unterrichtsstunde könnte das heißen: Mose ist überzeugt davon, dass ihm im brennenden Dornbusch Gott begegnet. Wenn Mose gedacht hätte, sich das alles nur einzubilden, wäre sein Leben ganz anders weitergegangen. Die Verfasser der Erzählung vom brennenden Dornbusch finden die Geschichte so wichtig, 25 Horst Klaus Berg, Grundriss der Bibeldidaktik. Konzepte – Modelle – Methoden, München / Stuttgart 1993, 32. 26 Vgl. Peter Müller, Schlüssel zur Bibel. Eine Einführung in die Bibeldidaktik, Stuttgart 2009, 53.

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Pädagogische Anregungen

dass sie sie aufschreiben, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Warum? Was könnte ihnen an der Geschichte wichtig sein? Warum gehört die Erzählung zu ihren »Lieblingsgeschichten«, wie auch Kinder sie haben?27 Schließlich kommt so die Lehrkraft als Erzähler/in der Geschichte in den Blick: Warum erzählt sie von Mose? Was ist ihr an der Geschichte wichtig? »Insofern bin ich in jeder Geschichte, die ich erzähle, auch selbst präsent; ich teile viel von mir selber mit, und

das kann manchmal auch bedeuten: Beim Erzählen liefere ich mich aus . . . Deshalb liegt die Versuchung nahe, sich selbst aus der Geschichte herauszuhalten, doch das wird teuer bezahlt: Die Erzählung wird langweilig.«28 27 K.L. Alexander / P.J. Miller / J.A. Hengst, Young children’s emotional attachments to stories, In: Social Development 10 (2001), 374– 398. 28 Ingo Baldermann, Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 1996, 100.

Gärtner / Pisarski Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine

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Claudia Gärtner / Bernadette Pisarski »Erlösung ist, wenn man befreit ist von einem Fluch, wie bei Fluch der Karibik« Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine Für Kinder und Jugendliche ist »Erlösung« zumeist kein Thema. Die Vorstellung, ihr Leben sei erlösungsbedürftig oder unheilvoll, erscheint ihnen kaum plausibel. »Erlösung« zählt daher weder bei Schüler/innen noch Religionsleh­rer/in­nen zu den gefragten Themen. Dass dies theologisch höchst problematisch ist, ist offensichtlich: Denn neutestamentliche Christologien sind in ihrem Kern soteriologische Christologien.1 Aus theologischer Perspektive gehört die Erlösungsthematik somit zentral in den Religionsunterricht (RU). Wie aber soll man aus Sicht eines schülerorientierten RU mit dem wahrzunehmenden Relevanzverlust der Soteriologie umgehen? Und liegt mangelndes Interesse bei Grundschulkindern nicht auch an einer kognitiven Überforderung, da sie kaum in der Lage sind, die teils komplexen soteriologischen Konstrukte zu erschließen? Die folgenden Überlegungen setzen bei der Beobachtung an, dass »Erlösung«, wenn überhaupt, vielfach als theologische »Leerformel« verwendet wird, deren Bezug zu menschlicher Existenz oftmals nicht mehr erfahrbar scheint.2 Um diese »Leerformel« zu füllen, ist es zuallererst notwendig zu wissen, ob bzw. wie Kinder diesen Begriff verstehen. Denn es macht selbstredend einen Unterschied, wenn sie diese »Erlösung« mit dem »Fluch der Karibik«3, mit Heilung von einer schweren Krankheit oder mit dem Kreuzestod Jesu

in Verbindung bringen. Im Folgenden werden daher Einblicke in eine kindertheologisch orientierte Studie gegeben (1.). Die qualitativ-empirisch erhobenen Vorstellungen der Kinder werden dann in einem zweiten Schritt mit christlichen Soteriologievorstellungen verglichen (2.), um daraus anschließend konkrete Unterrichtsideen zu entwickeln (3.). 1. Eine qualitativ-empirische Studie zu Erlösungsvorstellungen von Kindern

»Wenn jemand eine Plage hat, zum Beispiel, dass die ganze Zeit Vögel auf seinen Balkon kacken. Ja, meiner Oma passiert das immer. Ja, dann kann man umziehen und dann ist man erlöst.« So versuchte ein Drittklässler einem Mitschüler in einer 2012 am Lehrstuhl für Praktische Theologie der TU-Dortmund durchgeführten qualitativen Studie »Erlösung« 1 Vgl. Hans Kessler, Christologie, in: HDog 1 (1992), 241–442, 387ff; Ingolf Ulrich Dahlfert, Der Mythos vom inkarnierten Gott und das Thema der Christologie, in: ZThK 84 (1987), 320–344, 341ff. 2 Vgl. Victor Hahn, Zum theologischen Problem der Erlösung. Hermeneutische Besinnung, in: ThG 25 (1982), 56–65, 56. 3 Dieses und alle weiteren Zitate von Schülerinnen und Schülern entstammen der im Folgenden dargestellten Studie.

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Pädagogische Anregungen

zu erläutern. Insgesamt wurden 18 Schüler/innen einer dritten Klasse in einer katholisch geprägten westdeutschen Großstadt zu ihren Erlösungsvorstellungen befragt. Fast alle teilnehmenden Kinder besuchten seit einigen Monaten die Erstkommunionkatechese, so dass sich ihr religiöses Vorwissen durch den Kommunionunterricht, den katholischen Religionsunterricht (RU) und ggf. durch die familiäre Erziehung zusammensetzt. In vier Gruppen wurde mit je vier bis fünf Schüler/innen eine Gruppendiskussion durchgeführt. Um eine möglichst authentische Gesprächssituation zu ermöglichen, wurden »Realgruppen« gebildet, d. h. die Kinder eines im Klassenverband üblichen Gruppentisches bildeten eine Kleingruppe. Alle entstandenen Diskussionen wurden audiographiert und später transkribiert. Das vorrangige Ziel dieser Gruppendiskussionen war es, die subjektiven Erfahrungen und eigenständigen Konstruktionsleistungen der Kinder zum Thema »Erlösung« zu erheben. Dies geschieht in vier Schritten. Um ein kindertheologisch orientiertes Gespräch zu initiieren, wird den Kindern zunächst ein Impuls in Form eines Puzzles gegeben.4 Auf jedem Puzzleteil ist ein Buchstabe des Wortes »Erlösung« abgedruckt und die Kinder bekommen die Aufgabe, die Puzzleteile in die richtige Reihenfolge zu bringen. Anschließend sollen die Schüler/innen versuchen, einem anderen Kind das Wort zu erläutern. Nachdem der erste Austausch über ihr Verständnis von Erlösung beendet ist, erhalten die Kinder als weiterführenden Impuls folgende, sprachlich leicht vereinfachte Zitate aus der Bibel und dem Vaterunser. Bei der

Auswahl der Zitate waren sowohl atl. und ntl. Metaphernfelder zur Erlösung als auch christologische Erlösungsansätze leitend (vgl. 2.). 1. Jesus ist für uns gestorben, um uns von unseren Sünden zu befreien. 2. Jesus ist für uns am Kreuz gestorben, damit wir gerettet werden und ewig mit ihm leben können. 3. Jesus sprach: »Ich gebe meinen Jüngern ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen. Gottvater, der mir die Menschen anvertraute, ist größer als alle und niemand kann die Menschen aus der schützenden Hand meines Vaters entreißen. Denn Ich und der Vater sind eins.« 4. Im Vaterunser heißt es: ». . . erlöse uns von dem Bösen«. 5. Jesus sprach: »Glücklich ihr Armen, denn euch gehört das Himmelreich. Glücklich, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Glücklich, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.« 6. Jesus sprach: »Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Taube hören; Tote stehen auf.« 7. Gott sprach zu Mose: »Ich habe das Leiden der Israeliten in Ägypten gesehen und ihre laute Klage habe ich gehört. Ich bin gekommen, um sie aus der Hand der Ägypter zu entreißen. Mose geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe die Israeliten aus Ägypten heraus!« 4 Vgl. methodisch ähnlich Doris Hiller, »Vergebung der Sünden«, in: Gerhard Büttner / Martin Schreiner (Hg.), »Manche Sachen glaube ich nicht«. Mit Kindern das Glaubensbekenntnis erschließen, JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2008, 163–174.

Gärtner / Pisarski Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine

Die Kinder werden aufgefordert, ein Zitat auszuwählen und zu erläutern, inwiefern dieses für sie mit Erlösung zusammenhängt. Anschließend diskutieren die Kinder umgekehrt, welches Zitat aus ihrer Sicht nichts mit Erlösung zu tun hat bzw. welches ihnen Verständnisprobleme bereitet. In der vierten und letzten Aufgabe, die gemeinsam in der Kleingruppe erarbeitet werden soll, halten die Kinder die wichtigsten Punkte und Ergebnisse auf einem Plakat fest (vgl. Abb.), wozu sie teils die Unterstützung der Moderatoren benötigen. Diese Aufgabe nötigt die Kinder zu einer Fokussierung und zu einem gemeinsamen Ringen um die wichtigsten Aspekte.

Ergebnisplakat einer Gruppendiskussion zum Thema »Erlösung«. (Privat / Bernadette Pisarski)

Die audiografierten Daten und die Plakate wurden in zwei Phasen ausgewertet. In einer ersten Phase stand die systematische Erarbeitung der Erlösungsvorstellungen der Kinder im Mittelpunkt. Diese wurden sowohl in Bezug auf die einzelnen Gruppen als auch gruppenübergreifend erarbeitet. Dem Erhebungsdesign entsprechend gab es hierbei drei zentrale Fragerichtungen. 1. Welches (Vor-) Verständnis von Erlösung besitzen die Kinder bereits? 2. Welche der vorgestellten Bibelzitate verbinden sie mit dem Wort

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»Erlösung«? 3. Zu welchem Resultat gelangen die Kinder nach der Gruppendiskussion? In einer zweiten Phase wurden dann die Vorstellungen der Kinder mit christlichen Erlösungsaussagen verglichen. Im Folgenden sollen zentrale Ergebnisse aus dieser Auswertungsphase vorgestellt werden. 2. Vergleich der Erlösungsvorstellung von Kindern mit der christlichen Soteriologie

Um einen solchen Vergleich vornehmen zu können, bedarf es benennbarer soteriologischer Konstrukte, die an die Kinderäußerungen herangetragen werden können. Als besondere Herausforderung erweist sich dabei die Pluralität biblischer und theologiegeschichtlicher Soteriologie. Um diese zu strukturieren, sei eine zweifache Annäherung an Erlösung versucht: Über biblische Metaphern und soteriologische Christologien. 2.1 Metaphern

Dorothea Sattler geht davon aus, dass die Erlösungslehre »in Bildern«5 spricht. Hierin kommt zum Ausdruck, dass Erlösung eine große semantische Bandbreite hat und sich vielfältig auf menschliche Erfahrungen bezieht. Sattler stellt diesbezüglich folgende atl. und ntl. Metaphernfelder heraus6: 1. Medizinisch

5 Dorothea Sattler, Erlösung? Lehrbuch der Soteriologie, Freiburg i.Br. 2011, 83. 6 Vgl. zum Folgenden ebd., 83–125.

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Pädagogische Anregungen

geprägte Metaphern, wonach JHWH z. B. als Arzt beschrieben wird (Ex 15,26). Hieran knüpfen die zahlreichen Krankenheilungen im NT an. 2. Sozial geprägte Metaphern, wie z.B. die Befreiung aus Sklaverei (Ex; Jes 43,3; 53,10–12). Herauslösung aus Sklaverei ist auch ein fiskalischer Akt der zu 3. dem fiskalischen Metaphernfeld überleitet. Die Beschreibung von Erlösung z. B. als Löschung des Schuldscheins (Kol 2,14) verweist auf eine fiskalische Metaphorik. 4. Forensisch geprägte Metaphern drücken Gottes Freispruch im Gericht aus. 5. Rituelle Metaphern betrachten insbesondere die rituelle Waschung als Bild für die Reinigung von Schuld (Ps 51,4; Jer 2,22). Hierunter lässt sich auch die Taufe zählen. 6. Bei kommunikativ geprägten Metaphern wird Schuld, Vergebung und Erlösung durch Gespräch und Bekenntnis herbeigeführt (Ps 32,3–5). 7. Bei motorischen Metaphern geht es um die Einsicht von Schuld und Sünde und um die sich daran anschließende Umkehr. Die durchgeführte Studie zeigt, dass die Kinder in allen Gruppen auf eigene Metaphern zurückgreifen, um das Wort »Erlösung« zu erklären. Bezogen auf die sieben von Sattler herausgearbeiteten Metaphernfelder sind dies vornehmlich medizinische und soziale. Die medizinische Metapher wird dabei von einer Gruppe sogar als »bestes Beispiel« bezeichnet. Demnach ist Erlösung, »wenn man befreit wird [. . .] von einer Krankheit oder wenn man sich einen Knochen gebrochen hat. [. . .] Oder vom Tod oder vom Fluch oder ’ner Glatze.« Auch ein von den Kindern vielfach ausgewähltes Bibelzitat fällt in die medizinische Kategorie: Die Lahmen können gehen, Blinde sehen und Taube hören.

Auch den sozialen Metaphern stehen die Kinder positiv gegenüber, die ihnen weitgehend aus der Kommunionvorbereitung bekannt sind. In allen Gruppen wird das siebte Zitat ausgewählt und die Befreiung der Israeliten aus Ägypten als Erlösung bezeichnet. Ebenfalls der sozialen Metapher zuzuordnen ist die mehrfach so oder ähnlich geäußerte Vorstellung: »Man wird von der Arbeit erlöst. Man soll die Spülmaschine zum Beispiel ausräumen von der Mama, und die sagt dann jetzt: ›Du kannst jetzt aufhören‹.« In der medizinischen wie auch in der sozialen Metapher finden Kinder offensichtlich ihren Lebensalltag wieder und können entsprechend Beispiele für das Erlösungsverstehen geben. Mit der forensischen Metapher verbinden einige wenige Kinder ebenfalls Erlösung: »Man sagt ja auch, wenn man lieb ist, dann geht man hoch zu Gott, und wenn man böse ist und stirbt, dann geht man zu dem Teufel. Aber dann lebt man ja immer noch.« Diese Aussage leitet in die forensische Metapher über und es wird eine Anspielung auf eine Gegenüberstellung guter und schlechter Taten sichtbar. Eine andere Gruppe schafft sich den Zugang zur forensischen Metapher über das Vaterunser: »Wenn mich jemand bedroht und dann jemand kommt, der sagt: ›Halt! Stopp! Die kenn ich, die mag ich halt und lass die sofort los.‹ [. . .] Erlöse mich von den Bösen.« Insgesamt ist auffällig, dass die Kinder das Wort »Erlösung« zunächst aus dem alltäglichen Geschehen heraus beschreiben und erst mit dem Einbringen der Zitate auf die Bibel zurückgreifen. Ab diesem Zeitpunkt wird ein Bezug zu Jesus hergestellt. Die Nichtanwendung der fiskalischen Metapher verwundert

Gärtner / Pisarski Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine

somit nicht, da diese im Lebensalltag der Kinder keine vorrangige Stellung hat. Erstaunlich ist hingegen, dass die Kinder keine rituellen und motorischen Metaphern verwenden. Insbesondere Taufe und Beichte könnten hiermit in Verbindung gebracht werden, eine Verbindung, die jedoch von den Kindern nicht gezogen wird, obwohl sie sich im Rahmen des Kommunionunterrichts aktuell mit der Beichte auseinandergesetzt haben. 2.2 Soteriologische Christologien

Auch wenn Kindern mit Hilfe von Metaphern ein Zugang zur Erlösung möglich ist, bleibt dennoch die Frage, inwiefern diese auch für eine christologische Deutung offen sind. Daher sollen die Aussagen der Kinder in einem zweiten Schritt mit Typen soteriologischer Christologien verglichen werden. Obwohl Typisierungsversuche nicht unproblematisch sind, zeichnen sich ntl. drei Typen heraus, die Sattler als staurologische, inkarnatorische und vitale Erlösungsvorstellung qualifiziert. Bei dem staurologischen Ansatz liegt der Schwerpunkt auf der Deutung des Todes Jesu »für uns«. Durch Jesu Kreuzestod werden die Menschen mit Gott versöhnt und befreit zu neuem Leben. Versöhnung, Rechtfertigung, Stellvertretung, Opfertod sind zentrale Elemente einer so ausgerichteten Soteriologie. Besonders prominent ist die u.a. von Anselm v. Canterbury entwickelte Satisfaktionslehre. Insbesondere die in der Folge von Anselm entstehenden verkürzten Zerrformen dieser Lehre sind nicht unproblematisch, da sie sowohl einer juristischen Sprache verhaftet sind

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als auch einseitig Erlösung auf den Kreuzestod Jesu reduzieren. Der vitale Ansatz richtet sein Augenmerk auf Leben, Leiden und Auferstehung Jesu Christi, da auch das »Wirken, Verhalten und Verkündigen Jesu«7 soteriologisch zu betrachten sei. Die Begegnung mit ihm und sein Handeln zeigten eine »neue Praxis«8, eine Praxis, die für die Menschen befreiend und möglich geworden ist aus Jesu Gotteserfahrung, Gottes Gnade und Güte.9 Ein dritter Ansatz geht inkarnationstheologisch von der Menschwerdung des Gottessohnes als Offenbarung und Vermittlung göttlichen Lebens aus. Die soteriologische Relevanz liegt in der Wesensgleichheit Jesus zu Gott und zu den Menschen. Nur dadurch kann Jesus »Künder von Gott«10 sein. Gleichzeitig wird – durch das Leben Jesu als Mensch – das Leben aller Menschen von Gott angenommen, so dass sie in die Nachfolge Christi treten und dadurch Anteil am göttlichen Leben gewinnen. Die Inkarnation Gottes ist notwendig, da sie die Grundlage für die Erlösung der Menschen bildet. Durch die Selbsterniedrigung Gottes in der Menschwerdung nimmt Gott Anteil am Leben und Leiden der Menschen. In der Auferstehung Jesu, der durch Gott vom Tod befreit wird, haben die Menschen die Erwartung, auch zum ewigen Leben zu gelangen.11 Zwischen dem vitalen Ansatz und den Antworten der Kinder gibt es wenige 7 Hans Kessler, Erlösung als Befreiung, Düsseldorf 1972, 61. 8 Sattler, Erlösung? (wie Anm. 5), 170. 9 Vgl. ebd., 171. 10 Ebd., 215. 11 Vgl. ebd., 216f.

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Pädagogische Anregungen

Bezüge. Die Kinder greifen nur in Verbindung mit den Bibelzitaten verhalten auf Teilaspekte der Geschichten Jesu zurück. Zu dem angebotenen Zitat »Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Taube hören, Tote stehen auf« sehen die Kinder zunächst keine Bezüge zur Erlösungsthematik, erst nach einiger Zeit bemerkt ein Kind: »Das ist auch ’ne Erlösung.« Eine nähere Erklärung der Kinder gibt es hierfür jedoch nicht. Der inkarnatorische Ansatz hat im Gegensatz zum vitalen keine Erwähnung gefunden. Demnach wird die Menschwerdung von den Kindern vermutlich nicht mit Erlösung in Verbindung gebracht. Keines der Kinder ist im Laufe des Interviews darauf zu sprechen gekommen, dass Gott Mensch wurde, um die Menschen zu erlösen. Somit lehnen sie auch das dritte Zitat ab und finden, »irgendwie steht gar nicht so viel über Erlösung drin«. So scheint dieser Ansatz kaum eine schülerorientierte Basis zu besitzen, um kindertheologisch über die Erlösungsproblematik zu sprechen. Die häufigsten Übereinstimmungen mit den Aussagen der Kinder sind im Vergleich mit dem staurologischen Ansatz zu finden. Es wird zwar deutlich, dass die Kinder weder auf die Erlösung von den Sünden, die Versöhnung der Menschen mit Gott oder auch die Erbsünde zu sprechen kommen. Weiterhin reden die Schüler/innen nicht über die theologische Bedeutung von Jesu Tod, aber seine Kreuzigung und der damit verbundene Tod sowie seine Auferstehung werden von ihnen erwähnt. So sehen die Kinder einiger Gruppen die Bedeutung des Wortes Erlösung in Jesu Tod ausgedrückt. Ein Mädchen erklärt dies so: »Wenn man zum Beispiel am Kreuz

gestorben ist, wie Jesus und man steht dann wieder auf, [dann ist man] erlöst vom Tod.« Hier kann deutlich abgelesen werden, dass dieses Mädchen Bezug auf das historische Ereignis nimmt, die Bedeutung des Kreuzesgeschehens für die Heilsgeschichte dagegen keine Erwähnung findet. Trotz des Bibelzitats: »Jesus ist für uns gestorben, um uns von unseren Sünden zu befreien« finden die meisten Kinder den Zugang nicht. »Jesus ist für uns am Kreuz gestorben [. . . aber] kann ich irgendwie nicht erklären.« Dieses Beispiel belegt die von Pirner getätigte Aussage, dass »die Darstellung der Kreuzigung Jesu [. . .] auf das Faktische, Äußerliche begrenzt [bleibt]«12. Gleichzeitig wird aber die Frage aufgeworfen, wie die soteriologische Bedeutung den Kindern näher gebracht werden kann bzw. wie man mit ihnen darüber in ein theologisches Gespräch kommen könnte. Immerhin gibt es einige Kinder, die auf das zweite Zitat hin formulieren: »Ich find den eigentlich gut, weil er stirbt für die Menschen und beschützt die. [. . .] Also, wenn jetzt ne Gefahr kommt, beschützt er die Menschen und stirbt dafür, dass die Menschen weiterleben können«. Und ein weiteres Kind ergänzt: »Die Menschen [werden] von Jesus erlöst, also gerettet.« Obwohl die meisten Kinder ihre Äußerungen über die Kreuzigung Jesu auf das »Faktische, Äußerliche« beschränken und die anschließende Heilsbedeutung für die Menschheit nicht sehen, wissen 12 Pirner, Manfred, Für und gestorben. Theologisieren mit Kindern über die Bedeutung des Todes Jesu, in: JabuKi Sonderband, Stuttgart 2008, 71–85, 71.

Gärtner / Pisarski Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine

sie aber, dass Erlösung mehr ist als sie ausdrücken können. Den Kindern ist klar, dass auf jeden Fall etwas passieren muss, um erlöst zu werden: »[etwas] muss weggehen« bevor man erlöst ist. Die Kinder sind sich also durchaus darüber bewusst, dass Jesu Tod eine bedeutende Rolle für die Menschen hat. Die hier aufgezählte Vielzahl der Übereinstimmungen zwischen den Kinderantworten und dem staurologischen Ansatz könnte daran liegen, dass das Wort »Erlösung« im RU wahrscheinlich häufiger in den Unterrichtsstunden genannt wird, in denen vom Tod Jesu und dessen Auferstehung die Rede ist, während es bei Besprechungen zu Geschichten von Jesu Wirken nicht oder nur selten gebraucht wird.

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»Hänsel und Gretel« wird Hänsel aus dem Käfig befreit und dadurch von seiner Sorge befreit, verspeist zu werden. In einem Pre-Test zu der Studie erläutert ein 8-jähriges Mädchen »Denn da kommt es ja auch manchmal vor, dass böse Hexen oder Zauberer oder auch Kobold oder irgendjemand anderes halt einen verwünscht und dann erlöst irgendjemand ihn davon auf irgendeine Art wieder.« Dennoch bleiben die Erklärungen, wie Erlösung geschieht, vage (»erlöst irgendjemand ihn davon auf irgendeine Art«). Dieser Wechsel in eine »narrative Parallelwelt«, an die Kinder anknüpfen können, mag ein Ansatzpunkt sein, um mit ihnen über »Erlösung« ins Gespräch zu kommen, die in ihrer Lebens- und Erfahrungswelt ansonsten explizit kaum vorkommt.

2.3 Narrative Zugänge

Unabhängig von religiös geprägten Zugangsweisen greifen einige Kinder zu Vergleichen mit der Populärkultur oder Märchen, also zu narrativen Konstrukten aus ihrer Lebenswelt. Die Befreiung von einem Fluch wird beispielsweise von einem Kind in dem Grimmschen Märchen »Der Froschkönig« gesehen. »Ein Prinz ist von einer bösen Hexe in einen Frosch verwandelt [worden.] Und dann muss eine Prinzessin kommen und dann und dann kann die den nur mit einem Kuss erlösen.« Ein anderer Junge erläutert: »Wenn man befreit ist, zum Beispiel von einem Fluch wie beim Fluch der Karibik.« Ebenso kann der Erklärungsversuch eines Mädchens, Erlösung als Befreiung des Menschen aus einem »Käfig« zu verstehen, dem narrativen Zugang zugeordnet werden, denn im Märchen

3. »Erlösung« in der Grundschule: ein Praxisbeispiel

Pirner stellt fest, dass es für Grundschüler/innen bis in die mittlere Sekundarstufe kaum Angebote für Antworten auf die Frage: Was heißt »für uns gestorben«13? gibt. Das mag an der Komplexität des Themas liegen, erlaubt aber ebenso die Frage, ob der christliche Glaube auch ohne die genaue Erklärung der soteriologischen Bedeutung des Kreuzes auskommt. Denn wie die Ergebnisse der Studie gezeigt haben, sehen Kinder Erlösung vor allem in ihrem alltäglichen Lebensbereich. Dies belegt u.a. der Ausspruch: »[Erlösung] von der Arbeit«. 13 Pirner, Für uns gestorben (wie Anm. 12), 71.

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Pädagogische Anregungen

Gleichzeitig werden weitere Fragen aufgeworfen: Wie kann Kindern in der Grundschule überhaupt ein Zugang zu einem komplexen theologischen Thema eröffnet werden? Und wie kann man mit ihnen z.B. über Erlösung in ein Gespräch kommen? Essentiell ist dabei die Beachtung von Erfahrbarkeit, denn wie die Studie gezeigt hat, können Kinder, die Erlösung aus oder in ihrem Lebensalltag erfahren, diesen Begriff auch verinnerlichen. Aufgrund der Erkenntnisse, die aus der Studie gewonnen wurden, wird im Folgenden versucht, ein Praxisbeispiel zu einer möglichen Unterrichtsreihe zum Thema »Erlösung« zu geben. 3.1 »Ein Koffer voll Erlösung«

Gerade beim Thema »Erlösung« bietet es sich an, die Unterrichtreihe – angepasst an das Kirchenjahr – in die vorösterliche Zeit zu legen. Um den Kindern einen parallelen Zugang zum Thema zu ermöglichen, könnte es hilfreich sein, im Deutschunterricht das Thema Märchen (z.B. Der Froschkönig, Rapunzel, Dornröschen u.ä.) zu behandeln, in denen Akteure z.B. von einem Fluch oder aus einer misslichen Lage »erlöst« werden. Denn die Studie hat gezeigt, dass Kinder auch narrative Ansätze entwickeln, um sich und anderen Erlösung begreiflich zu machen. Im Folgenden wird jedoch ausschließlich auf den RU eingegangen. Um einen Spannungsbogen aufzubauen und die Aufmerksamkeit der Kinder zu erlangen, könnte die Lehrkraft einen alten Koffer mitbringen, in dem anfangs alle benötigten Utensilien vorhanden

sind. Dieser wird nach und nach mit den Arbeitsergebnissen der Schüler/innen gefüllt und zu jeder Unterrichtsstunde wieder mitgebracht. Am Ende der Unterrichtsreihe sollte es »Ein Koffer voll Erlösung« sein. 3.1.1 Einstiegsphase der ersten Unterrichtssequenz

In der Einstiegsphase bringt die Lehrkraft als Impuls einen »Buchstabensalat« (z.B. Kinderscrabble) oder ein Puzzle ein. Alle Schüler/innen sollen gemeinsam das Wort aus den Buchstabensteinen oder Puzzleteilen wieder zusammensetzen, das z.B. auf dem Weg in die Klasse oder beim Auspacken aus dem Koffer »irgendwie durcheinander« geraten ist. Ist das Wort erpuzzelt, sollen nun alle Kinder zusammen theologisieren, wobei – nach Bucher – die erste Naivität der Kinder grundsätzlich zugelassen werden soll. Allerdings darf Naivität nicht mit Unkenntnis gleichgesetzt werden. Gemeint ist hier in erster Linie das natürliche und unbefangene Umgehen mit magischen Figuren.14 Die Lehrkraft akzeptiert die Schüler/innen als gleichwertige Gesprächspartner – es soll demnach ein Theologisieren von und mit Kindern stattfinden. Hier sollte jede Lehrkraft für sich selbst beurteilen, ob sie sich mit dieser Methode als Einstieg wohl fühlt. Dieser Impuls muss nicht zwingend gesetzt werden, es sollte jedoch eine Möglichkeit eröffnet werden, mit den Kindern ins Theologisieren zu kommen. 14 Vgl. Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma? in: JaBuKi, Bd. 1, Stuttgart 2002, 9–27, 24.

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Nach einer angemessenen Zeit des Theologisierens folgt eine stille Phase. Als neue Aufgabe erhält jedes Kind ein Blatt Papier, auf dem bereits das Wort ›Erlösung‹ in der Mitte geschrieben steht. Der Arbeitsauftrag für jedes Kind lautet sinngemäß: »Gleich sollst du deinem Sitzpartner das Wort ›Erlösung‹ erklären. Schreibe auf, was für dich wichtig ist, damit du diesen Zettel gleich als Hilfe beim Erzählen oder Erklären verwenden kannst.« Sobald jedes Kind seinem Partner seine Definition von Erlösung mitgeteilt hat, treffen sich alle in der Mitte, um mit der Vertiefungsphase zu beginnen. 3.1.2 Vertiefungsphase: »Ich packe meinen Koffer« auf dem Weg zur Erlösung

Diese Phase findet wieder gemeinschaftlich im Kreis statt. Die Vorgabe für die Lehrkraft ist dabei, während des Erzählens zuzulassen, dass ein Theologisieren mit Kindern entstehen kann, d.h. auch während des Erzählens werden Gespräche, Diskussionen und Nachfragen grundsätzlich zugelassen. Für jedes Kind sollten dabei ca. zwei Minuten eingeplant werden. Wenn jedoch noch mehr Gesprächsbedarf vorhanden ist, entscheidet die Lehrkraft individuell, ob mehr Zeit gewährt werden muss. Für die Dokumentation der Kernaussagen der Schüler/innen sollen ausreichend Moderationskarten zur Verfügung stehen. Als Einstieg in die Erzählphase könnten die folgenden Sätze hilfreich sein: Beispiel: »Pascal, der Marcel hat dir gerade erklärt, was für ihn Erlösung bedeutet. – Was hat er dir erzählt?« Nachdem der Schüler seine Gedanken mitgeteilt hat, fragt die

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Lehrkraft: »Welches Wort oder welchen Satz soll ich auf die Karte schreiben?« Hier bietet es sich an, dass die Lehrkraft selbst die Karten beschreibt, einerseits, damit es schneller geht, andererseits ist es möglich, dass die Schüler/innen in der nächsten Unterrichtstunde vielleicht ihre eigene Schrift erkennen, aber eventuell keine Identifikation mehr mit dem Wort bzw. Begriff vorhanden ist. Die Lehrkraft gibt dann jedem Kind die beschriebene Karte zurück. Haben alle Kinder eine Karte mit dem Begriff erhalten, den sie selbst aus der Erzählung bzw. Erklärung des Partners interpretiert haben, legen alle Schüler/innen die Karten in den Koffer. Jedes Kind bekommt noch eine leere Karte mit nach Hause für den Fall, dass ihm noch etwas Wichtiges zum Thema einfällt. 3.1.3 Einstiegsphase der zweiten Unterrichtssequenz

In der nächsten Schulstunde / Doppelstunde dienen die Metaphern nach Sattler als Einstiegsimpuls, denn Metaphern können einen guten Einstieg zum Theologisieren mit Kindern bilden, da es inspirierend wirken kann, wenn »Erlösung« nicht ausschließlich systematisch, sondern – wie besonders im AT – erzählerisch und bildhaft dargestellt wird. Sattlers Metaphern werden in Kategorien eingeteilt und auf Plakate geschrieben bzw. geklebt. Zu jeder Metapher wird eine Kategorie gebildet: a) Die medizinische Metapher: Heilung b) Die soziale Metapher: Befreiung c) Die finanzielle Metapher: Bezahlung einer Schuld – Gut und Böse

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Pädagogische Anregungen

d) Die forensische Metapher: Freispruch im Prozess – Gerechtigkeit e) Die rituelle Metapher: Taufe f) Die kommunikative Metapher: Bekenntnis und Versöhnung – Beichte g) Die motorische Metapher: Umkehr – Vergebung von Sünden Die sieben Plakate – jeweils mit der betreffenden Kategorie als Überschrift – werden in der Mitte des Klassenraumes ausgelegt. Die Schüler/innen sollen sich die einzelnen Metaphern durchlesen. Nun kommt wiederum der Koffer ins Spiel. Die Lehrkraft kann die Frage stellen, ob die Schüler/innen noch wissen, was in dem Koffer ist und ob sich noch jemand an »sein Wort« erinnern kann. Dann lässt sie die in der letzten Stunde beschriebenen Karten von den Schü­ler/in­ nen den einzelnen Plakaten / Kategorien zuordnen und auf die betreffenden Plakate legen. Dabei ist es egal, welche Karte von welchem Kind zugeordnet wird. Vielleicht gibt es auch einige Karten, die keinem Plakat zugeordnet werden können, wie z.B. Tod. Für diesen Fall wird ein zusätzliches Plakat ohne Überschrift bereitgestellt und diese wird dann nachträglich von den Kindern selbst festgelegt (Kreuzestod o.ä.). 3.1.4 Gruppenarbeitsphase – Bibelarbeit

Auch in dieser Phase spielt der Koffer wieder eine Rolle, denn es befindet sich dieses Mal ein Klassensatz Kinderbibeln von Rainer Oberthür darin. Dieser Autor wurde ausgewählt, weil seine Bibeln kindgerecht und trotzdem sehr bibelnah sind. In dieser Phase ist es vorteilhaft,

wenn die Kinder im Vorfeld schon Erfahrungen mit Bibelarbeit gesammelt haben. Außerdem erfolgt – anders als bei der Arbeit mit Metaphern – eine Beschränkung auf das NT. Denn Sattler beschreibt ihr Erlösungsverständnis nicht nur durch Metaphern, sondern auch durch »die personale Identität des Jesus«15: Die Menschwerdung Gottes, das Leben Jesu, Tod und Auferstehung Jesu. Wie die Studie gezeigt hat, kannten alle getesteten Gruppen den Exodus und auch alle haben diesen mit Erlösung verbunden. Bucher meint: »Kinder brauchen Kalorien«16 damit sie sich weiterentwickeln können. Es ist also davon auszugehen, dass Kinder – mit genügend »geistiger Nahrung« – auch die personale Identität Jesu in ihre Überlegungen einbeziehen können. Demgemäß wird die anschließende Bibelarbeit hier für besonders wichtig erachtet, da eben genau diese personale Identität Jesu durch die genannten Erfahrungen aus dem eigenem Leben der Kinder (wie z.B. an dem Satz »die Rettung aus einem brennendem Haus« deutlich wurde) so gut wie gar nicht aufgegriffen wurden. Aus diesem Grund ist es zu diesem Zeitpunkt elementar, in den Bereich »Theologie für Kinder« zu kommen. Mit den Kinderbibeln wird den Schüler/innen zusätzliches Material zur Verfügung gestellt, mit dem sie das Thema weiter erarbeiten können. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Lehrkraft es den Kindern ermöglicht, ihre Ansätze aus dem Moment der ersten Naivität entweder weiter zu entwickeln oder aber die Kinder selbst

15 Sattler, Erlösung? (wie Anm. 5), 126. 16 Vgl. Bucher, Kindertheologie (wie Anm. 14), 21.

Gärtner / Pisarski Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine

zu der Erkenntnis gelangen zu lassen, dass einige ihrer Ansätze vielleicht doch nicht so gut zur Thematik passen. Zu Beginn der Gruppenarbeitsphase erfolgt die Einteilung in vier Gruppen, z.B. tischweise. Jeder Gruppe werden zwei Metaphern bzw. Überschriften zugeteilt. Ein Mitglied aus jeder Gruppe erhält oder zieht aus einem Stapel einen verschlossenen Briefumschlag, in dem sich diese Überschriften mit zwei bis drei Textstellen aus dem NT befinden. Als nächstes soll innerhalb der Gruppe zu jeder Metapher eine passende Geschichte aus den angegebenen Textstellen gefunden werden. Hierfür ist auf jeden Fall genügend Zeit einzuplanen, da hier ebenfalls eine Auseinandersetzung mit anderen Geschichten aus der Bibel gefordert ist. Für den Fall der Überforderung der Schüler/innen, werden zusätzlich Tippkarten ausgelegt, an denen sich die Schüler/innen orientieren können. Damit Texte keine falsche Zuordnung erhalten, muss die Lehrkraft diese Phase begleiten und ggf. die Zuordnung des Textes einer Gruppe kritisch hinterfragen. 3.1.5 Präsentation der Arbeitsergebnisse

Jede Gruppe stellt den anderen Kindern die Überschriften und die von ihnen als passend herausgefundenen Geschichten vor. Die Gruppe könnte ihre Präsentation z. B. mit dem Satz: »Wir haben diese Geschichte zur Überschrift ›Heilung‹ ausgesucht, weil . . .« beginnen. Nun wird die jeweilige Geschichte nacherzählt und anschließend erklärt, warum gerade diese nach Ansicht der Schüler/innen in die zugeteilte Kategorie passt. Im Anschluss werden die Er-

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gebnisse der einzelnen Gruppen im gesamten Verband diskutiert und von den Schüler/innen selbst bewertet, ob die Zuordnung gelungen ist. Danach werden die Überschriften der herausgesuchten Bibelgeschichten auf Moderationskarten geschrieben und auf die passenden Plakate geklebt. Nachdem alle Gruppen ihre Arbeitsergebnisse präsentiert haben, wird die Stunde beendet. 3.2 Zwischenresümee

Nach ca. vier Doppelstunden sollten mehrere Schritte erfolgt sein: – Die erste Naivität der Kinder wurde zugelassen. – Ein erster Einstieg über Metaphern wurde erreicht. – Damit wurde ein erster Schritt geschafft, um die soteriologische Relevanz des Christusgeschehens zu erfahren. Ein weiteres Ziel ist nunmehr die eigenständige Auseinandersetzung und die eigene Reflexion. Dies soll mit der selbstständigen Erarbeitung der Ergebnissicherung geschehen. Dafür werden den Kindern verschiedene Wahlmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, mit denen sie in einer von ihnen selbst gewählten Form ihre Arbeitsergebnisse sichern sollen. Dies kann in Form eines Gedichtes, einer Bildergeschichte, eines Bilderbuch oder selbstgestalteter Kartenspiele wie Memory oder Quartette geschehen. Für das Memoryspiel malen die Kinder z.B. auf vorgefertigte Pappkarten mit einheitlichen Rückseiten ein Bild, welches zu einer Metapher oder einer ausgewählten Bildergeschichte passt. Das Gegenstück hierzu ist dann die Überschrift des ent-

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Pädagogische Anregungen

sprechenden Plakates, beispielsweise passt die Überschrift Befreiung zu einem Bild, in dem Mose das Meer teilt. Alles, was bis dahin erarbeitet wurde, dient als Material für diese Ergebnissicherung. In den nächsten Unterrichtsstunden sollte die Lehrkraft demnach die verschiedenen Möglichkeiten der Ergebnissicherung vorstellen, aber dabei offen lassen, welche Form gewählt wird. So kann jedes Kind auf seine eigene Weise reflektieren, was es mit Erlösung verbindet. Einigt sich die Gesamtgruppe jedoch auf ein Medium, z.B. ein Spiel, so könnte dieses im Gruppenverband erarbeitet werden und damit etwas komplexer ausfallen. Die letzten ca. 10 Minuten der Stunde sollten zu einem »Museumsrundgang« als Abschluss dieser Sequenz genutzt werden. Wenn alles erarbeitet wurde, rotiert die Klasse zu den einzelnen Ergebnissen, die auf den Ergebnistischen ausgestellt sind. 3.3 Die letzte Sequenz der Unterrichtsreihe

Um die Unterrichtsreihe »Erlösung« abzuschließen, sollte sich die gesamte Gruppe zu Beginn der letzten (Doppel)

Stunde wieder im Kreis zusammenfinden. Die Lehrkraft hat noch einmal den Koffer dabei und beginnt die Stunde beispielsweise mit dem Satz: »Könnt ihr euch noch daran erinnern, was ihr vor drei Wochen in der ersten Schulstunde zum Thema ›Erlösung‹ gedacht habt? Was denkt ihr jetzt darüber und was hat sich im Laufe der Zeit verändert?« Mittlerweile kann erwartet werden, dass die Phase der ersten Naivität vorbei ist und die Lehrkraft bei der Abschlussdiskussion auch kritisch hinterfragen darf. Sie muss so gut vorbereitet sein, dass sie immer wieder neue Impulse in Form beispielsweise von Fragen oder Provokationen einbringen kann, um eine Reflexion des »Denkens über religiöses Denken« möglich zu machen. Somit soll in der letzten Sequenz dieser Unterrichtsreihe eine fachlich-theologische Diskussion entstehen können, also eine Theologie von, mit und für Kinder ermöglicht werden. Zum Abschluss bietet es sich an, die Unterrichtsreihe mit den selbst gestalteten Memory- und / oder Quartettspielen ausklingen zu lassen, um die Arbeitsergebnisse der Schüler/innen entsprechend zu würdigen.

Bederna Das Bußsakrament als kindertheologisches Thema?

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Katrin Bederna »Ich versteh darunter, die Schuld auf eine vertrauliche Person zu schieben, also dass man sich danach besser fühlt« Das Bußsakrament als kindertheologisches Thema? Ist das Bußsakrament ein Kinderthema? Die Feier des Bußsakraments erneuert die in der Taufe geschenkte Versöhnung des schuldigen Menschen mit Gott1. Sie entfaltet ihren wahren Sinn im Leben der Christen (und ist nur dort verbindlich), wo Schuld als Selbstverfehlung und Verunmöglichung des Lebens aus der Taufe vorliegt. Geht man aus von diesem Sinn, ist die Koppelung von Erstbeichte und Erstkommunion zu Recht umstritten und das Bußsakrament wohl kaum ein Kinderthema: Ohne dass gravierende Schuld, »Verunmöglichung des Lebens aus der Taufe« vorläge, wird es von außen an die Kinder herangetragen, von den Eltern oft argwöhnisch begleitet. Andererseits geht es im Bußsakrament um große Themen, die alle gläubigen Menschen angehen, auch Kinder im Grundschulalter: Es geht um Schuld und Reue (1), Zusammenhang von Menschenbeziehung und Gottesbeziehung (2), Versöhnung miteinander und Versöhnung mit Gott (3). Diese bilden den anthropologischen Ort theologischer Gespräche mit Kindern über das Sakrament der Buße. Sie sollen deshalb im Folgenden skizziert werden, bevor abschließend im engeren Sinne nach dem Bußsakrament (4) gefragt wird. Alle vier Teile gehen von Abschnitten einer Gruppendiskussion von sechs Kindern im Alter zwischen 9 und 12 Jahren aus und entfalten von dort das

Thema aus systematisch-theologischer und religionspädagogischer Perspektive.2 1. Schuld und Reue

I: Was fällt euch zu diesem Wort ein: »schuldig werden«? Julius: Dass man anderen etwas Schlechtes tut, sozusagen. Luca: Also für die Umwelt ist was Böses, dass manche, meist Jugendliche, immer Abfall und so auf den Boden werfen. [. . .] Martin: Also ich find’s überhaupt nicht, auch nicht schön, wenn sich welche gegenseitig ermorden oder schlagen oder so. Konstantin: Petzen. Luca: Petzen ist verschieden, wenn man Julius: ja es gibt verschiedene Sachen. 1 Vgl. Martin Stuflesser / Stephan Winter, Erneuere uns nach dem Bild deines Sohnes. Die Feiern des Taufgedächtnisses, der Umkehr und der Versöhnung, Regensburg 2005, 85. 2 Die Gruppendiskussion, aus der alle im Folgenden zitierten Abschnitte stammen, wurde im Mai 2012 für diesen Artikel geführt, transkribiert und analysiert. Die fünf Jungen und ein Mädchen waren der Autorin flüchtig aus ihrer Kirchengemeinde bekannt. Kinder aus dem Gemeindeumfeld wurden gewählt, damit eine Chance auf Vorerfahrungen mit dem Bußsakrament bestand. Selbstverständlich ist mit dem Bezug auf die genannte Gruppendiskussion keinerlei wissenschaftlich-empirischer Anspruch verbunden.

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Pädagogische Anregungen

Luca: Wenn man etwas echt Schlimmes petzt, dann ist es nicht so schlimm wie wenn man immer Julius: ja, man kann es auch so sagen, wenn man zwei beobachtet, die was machen, wenn man das petzt, dann ist es natürlich blöd, aber wenn man selber da mit einbezogen ist und da was Schlimmes passiert, dann darf man es natürlich sagen. Martin: [. . .] Und dann haben wir eine Kritisierliste. Da ist ein Blatt aufgehängt und da schreibst du dann: Ich kritisiere, dass Tobias mir auf den Rücken geschlagen hat. I: Schreibt da auch mal jemand was drauf, was gar nicht stimmt? Martin: Ja, das kann schon sein, aber lügen tut man meistens nicht, also nur, wenn man wirklich beschuldigt ist, und dann steht drunter, das stimmt nicht. Schuld im ethischen Sinne beruht auf der freiwilligen und wissentlichen Verursachung eines Schadens ohne rechtfertigenden Grund3. Kinder entwickeln in Auseinandersetzung mit Autoritäten und Gleichaltrigen Vorstellungen davon, was gut ist und was schlecht, was gerecht und ungerecht (hier bspw. die sicherlich zu präzisierenden Überlegungen zum Petzen), wann also jemand Schuld auf sich lädt. Religionspädagogisch ist es nötig, sittliche Urteils- und Handlungskompetenz der Kinder zu fördern, sei es im Blick auf eigenes Handeln, sei es im Blick auf das Handeln Dritter. Die Betonung menschlicher Schuld ist nun selbst nicht gänzlich unschuldig. So setzt die pädagogische Rede von Monsterkids und Fehlen jeden Unrechtsbewusstseins bei den »Heranwachsenden

von heute« die Erziehenden ins Recht und macht die Intervention unausweichlich. Umso größer die Schuld, umso größer der Bedarf an Hilfe, Aufrichtung und Vergebung. Das gilt auch für kirchliche Zusammenhänge. Das erste Wort Gottes ist jedoch nicht Schuldspruch sondern Zusage: »Du bist geliebt, es ist gut, wie du bist.« Die Grundlage pädagogischen Handelns ist die Anerkennung des anderen, trotz und vor seiner Schuld. Nicht unschuldiger allerdings ist die heutige kollektive Unschuld. »Wenn man wirklich beschuldigt ist, und dann steht drunter, das stimmt nicht« ist deren kindliche Variante. »Ich kann nichts dafür, dass ich nichts dafür kann!« – so die erwachsene Version, logische Folge aus Naturalisierungsbestrebungen, die Freiheit und damit Verantwortung negieren. »Jeder muss für sich entscheiden, ob er das in Ordnung findet oder nicht« ist die zugehörige relativistische Grundhaltung. Schuldfähigkeit, Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen, scheint im Schwinden begriffen. Doch kennzeichnet gerade diese Fähigkeit die Größe des Menschen, denn sie impliziert nicht Normkonformität und Gehorsam gegenüber äußeren Autoritäten, sondern ist die Fähigkeit, sich selbst zu binden, die eigenen Handlungen vor dem inneren Gerichtshof der Vernunft zu beurteilen4. Sie ist also realisierte Freiheit, eine Freiheit, die die Kinder und Jugendlichen entwickeln und üben müssen. Schuldwahrnehmung macht hier

3 Stephan Ernst, Grundfragen theologischer Ethik. Eine Einführung, München 2009, 265– 272. 4 Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten A100.

Bederna Das Bußsakrament als kindertheologisches Thema?

nicht klein, sondern gehört zur Größe des Menschen. Die Wahrnehmung der eigenen Schuld kann zur Reue führen. Reue ist eine Handlung in der Zeit. Sie entspringt einer Betrachtung und Bewertung der eigenen Geschichte, die als unwiederbringlich vergangen und zugleich nicht seinsollend wahrgenommen wird. Ohne sie kein Bußsakrament, wie Martin in der obigen Diskussion sagte: »Ja schon, aber wenn man des gemacht hat, ja, wenn man das gewollt hat, dann denk ich nicht, dass man das beichten will.« Der Königsweg, auf dem Schuldwahrnehmung und Reue geschult werden kann, sind neben dem Weg des Vorbilds Wertdiskurse und biographie- und lebensweltorientiertes Lernen, beispielsweise durch den Einsatz von Kinderliteratur im Religionsunterricht. 2. Schuld und Gottesbeziehung

Im Rahmen der oben zitierten Diskussion wurde den Kindern der Anfang des Buches »Sonst bist du dran« vorgelesen, in dem ein Viertklässler, Michel, beobachtet, wie die Mitschüler Bertram und Klaus einen Klassenkameraden, Arnold, mit dem Kopf ins Klo drücken. Michel schweigt auf Nachfrage des Lehrers, was passiert sei5. An die gemeinsame Überlegung, wen hier warum welche Schuld trifft, schloss sich die Frage an, ob diese Schuld auch Gott angeht: I: Hat das irgendwas mit Gott zu tun? [alle lachen] Julius: Jetzt nicht sofort in der Anbindung nicht irgendwie, aber wir hätten das ja jetzt nicht besprochen, wenn

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es da nicht drum son bisschen gehen würde, da muss es ja irgendwo einen kleinen Zusammenhang geben. I: Die Frage ist, ob ihr einen Zusammenhang seht, es kann ja auch sein, dass es keinen gibt. Anna: Vielleicht bei dem Arnold, dass nichts Schlimmes passiert ist, da war vielleicht Gott dabei, aber, der wo in der Kloschlüssel ist, da hat Gott ihm geholfen, aber bei den Bösen, die hatten nachher auch kein schlechtes Gewissen. Deswegen glaub ich eher dann nicht. [. . .] Julius: ja, naja, wenn Gott ihm geholfen hätte, wäre er gar nicht in der Kloschüssel gelandet vielleicht. Anna: Ja aber wenn er da gelandet wär, hat er ja immer noch Glück, dass er nicht ertränkt ist. Auf den ersten Blick sehen die Kinder hier keinerlei Verbindung zwischen der Schuld im fraglichen Mobbingfall und Gott. Gott ist hier für Anna der Helfende (was zu Recht von Julius in diesem konkreten Fall bezweifelt wird), Gott ist für sie nicht der Gerechte und Zürnende. Für Judentum und Christentum ist das Verhältnis zum Nächsten der ausgezeichnete Ort der Realisierung oder eben Verfehlung der Gottesbeziehung6. Dieser Gedanke ist nicht der der hier diskutierenden Kinder. Die Schuld ist in ihren Augen die Schuld der Menschen am Menschen und nichts als das. Dass die menschliche Schuld auch Gott betrifft, fasst die jüdisch-christliche Tradition im Begriff Sünde: Sünde ist Schuld 5 Renate Welsch, Sonst bist du dran, Würzburg 2011. 6 Vgl. Am 5; Mt 25, 31–46

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Pädagogische Anregungen

vor Gott. Für Glaubende ist Schuld nicht nur Schuld am anderen und sich selbst, sondern zugleich Störung der Gottesbeziehung, nicht weil der schuldig Gewordene damit Gebote Gottes übertreten hätte, also einer äußeren Autorität gegenüber ungehorsam gewesen wäre, sondern weil Gottes- und Nächstenliebe untrennbar verflochten sind. Im weiteren Verlauf des Gesprächs, nachdem das Wort »Beichte« gefallen ist, werden die Kinder überlegen, dass Gott mit der eigenen Schuld zu tun hat als derjenige, der alles verzeihen kann, auch das eine logische Folgerung ihres Bildes vom »lieben Gott«: Luca: Das meiste hat aber nichts mit Gott zu tun. Martin: Ein ganz kleines bisschen. Anna: Diese Jungs, die ihn in die Toilette getunkt haben, wenn die ein schlechtes Gewissen haben, wenn die dann des beichten, dann haben sie ja was Gutes getan, dann verzeiht ihnen das Gott glaub ich auch, aber wenn sie warten bis es aufgeklärt wird, ja dann ist Gott nicht, na klar ist er bereit, das wieder zu verzeihen, aber es ist nicht so gut, wie wenn man es gleich weitersagt, zu Gott halt. I: Ich versteh noch nicht so ganz, warum Gott das jetzt verzeihen soll. Ich hätte gedacht, der Arnold müsse das verzeihen. Konstantin: Beide. Luca: Weil Gott hat damit auch was zu tun, aber ich weiß nicht was. Anna: ja Gott nimmt halt alles auf sich und der kann auch in der Situation alles, der kann alles, der kann alles Julius (ironisch): alles tragen Luca: alles gerade biegen.

Damit fassen Anna und Luca, von den anderen unverstanden, einen zentralen Gedanken: Die Interpretation der Schuld als Sünde erleichtert ihre Wahrnehmung und die Umkehr, denn sie fügt der »bloßen Schuld« etwas hinzu: die Hoffnung auf Versöhnung, die Hoffnung auf Auferstehung, die Hoffnung auf Linderung allen Leidens, dass alles wieder »gerade gebogen wird«7. Das wird vor allem dort relevant, wo es dem Schuldigen einerseits nicht ohne Weiteres gelingt, aus dem Kreislauf der Schuld auszubrechen, oder wo andererseits die anderen seine Wiedergutmachung nicht annehmen, sich nicht versöhnen können oder wollen. Die religionspädagogische Herausforderung besteht diesbezüglich darin, Vertrauen zu ermöglichen, nicht nur den eigenen Fähigkeiten zu trauen, Mut zum Neubeginn zu fassen. Der Ort dafür sind nicht in erster Linie kindertheologische Gespräche, sondern die im Schulleben geübte Praxis der Anerkennung und vor allem performative Elemente, in denen die eigene Schuld vor Gott getragen wird. 3. Versöhnung miteinander und Versöhnung mit Gott

I: Meine Frage war, die müssen sich ja irgendwie versöhnen, Julius: sonst können sie ja nicht weiterleben. I: Das ist klar, die müssen sich irgendwie wieder versöhnen. Müssen sie sich auch mit Gott versöhnen? Julius: Ich glaube nicht. 7 Vgl. Magnus Striet, Schulderfahrung – zwischen Menschenrecht und Gnadenzusage, in: KatBl 137/2012, 14.

Bederna Das Bußsakrament als kindertheologisches Thema?

Martin: Ich find da keinen Zusammenhang. [Schweigen] I: Können die sich wirklich wieder versöhnen, Arnold, Bertram und Klaus, habt ihr da Hoffnung? Martin, Matthias, Luca, Konstantin: Ja. Julius: Wahrscheinlich schon. I: Echt? Was müssen die denn machen? Martin: Die Hand geben und halt wieder zu Frieden kommen. Anna: Sich aussprechen. Konstantin: Man muss sagen, was man gegeneinander, was man nicht so gut fand und was man nicht will. Julius: Wenn es einem wirklich leid tut, kann man sich auch revanchieren bei dem. Versöhnung braucht, so betonen die Kinder hier zu Recht, das klärende Wort, die ausgestreckte Hand, den offenen Blick. Versöhnung braucht das Bekenntnis: »Ich habe dies getan.« Das Geschehen wird identifiziert, als Nicht-Seinsollendes in­ terpretiert, veröffentlicht und damit anderen zur Interpretation überlassen. Nicht zufällig ist dieser Moment in der Diskussion der Kinder sehr versteckt (»sich aussprechen«) und ersetzt durch die Anklage (»sagen, was man nicht so gut fand«), denn es ist so schwierig wie zentral für die zwischenmenschliche Versöhnung wie für das Bußsakrament. Wer sich versöhnen will, entblößt sich, macht sich angreifbar, gibt sich in die Hand des anderen, der die Versöhnung annehmen oder ablehnen kann. Versöhnung braucht also Mut und Hoffnung auf Erwiderung, auf das erlösende Wort: »Ich vergebe dir.« Auch die Vergebung wird in der obigen Diskussion nur ganz verschämt ge-

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nannt. Sie ist nichtsdestotrotz zentral für zwischenmenschliche Versöhnung wie für das Bußsakrament. Dessen Lossprechung ist performativ, schafft eine neue Wirklichkeit. Versöhnung braucht nicht zuletzt den Versuch, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen (»sich auch revanchieren bei dem«) und dem Opfer darüber hinaus Gutes zu tun, braucht also Buße. Insgesamt aber gilt: Versöhnung braucht Formen, die Handlungssicherheit schaffen und zugleich Raum für Neues lassen. Versöhnung braucht Riten. Das gilt für die Versöhnung im Kinderund Schulalltag (hier: Hand geben, sich aussprechen) wie auch für die Versöhnung mit Gott. So wie es etwas anderes ist, ob ich etwas nur bereue oder ob ich dies in Handschlag, Gespräch und Tat real werden lasse, so ist es etwas anderes, von der vergebenden Liebe Gottes zu wissen oder sie zu erfahren. Mit dem Gedanken der Versöhnung mit Gott können die Kinder hier erst einmal gar nichts anfangen, so wie sie oben die menschliche Schuld nicht direkt mit der Gottesbeziehung in Verbindung brachten. Aber vielleicht muss hier auch wie so oft vor der theologischen Reflexion die Erfahrung stehen: Zentral sind in diesem Zusammenhang das seelsorgliche Gespräch, das Hören des Wortes Gottes und das Gebet, das die eigene Schuld vor Gott bringt. 4. Bußsakrament

Unter den Sakramenten ist das sündenvergebende und versöhnende schlechthin die Taufe – auch wenn dies durch die Praxis der Säuglingstaufe kaum noch prä-

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Pädagogische Anregungen

sent sein dürfte. In den gleichen Zusammenhang gehört die Eucharistie, die die rückhaltlose Hingabe Christi vergegenwärtigt (DH 1743). Nicht zuletzt hat die Krankensalbung ihren Kern in Stärkung und Vergebung8. Das Bußsakrament erneuert nun die in der Taufe geschenkte Versöhnung, wenn diese durch konkrete Taten gestört wurde. Von der Sache her gründet diese sakramentale Versöhnung in Jesu Verhalten gegenüber Sündern und seiner Botschaft vom vergebenden, die Verlorenen suchenden Gott9. Luca: Ich find man muss sich auch mit dem schuld, mit dem, der es gemacht hat auch versöhnen, sonst hat das ja gar keinen Sinn, wenn man es nur Gott sagt, [. . .] Anna: Ich glaub, der erste Teil der Beichte ist, zu Arnold zu gehen und dem zu entschuldigen und wenn man dann immer noch schlechtes Gewissen hat, dass er noch von anderen ausgegrenzt wird, dann kann man ja zum Lehrer gehen oder so und das dann sagen lassen oder wenn man sich net selbst traut oder zu Gott sagen, es tut mir leid. Die sakramentale Versöhnung hat zwei Ebenen. Die eine ist die, die die Kinder im vorliegenden Gespräch immer wieder betonen: die Versöhnung des Menschen mit sich und mit seinem Nächsten – und in diesem Sinn sind Ritual und Sakrament nur Verdichtungen und Anfang versöhnten Lebens und ohne dieses nichts. Die andere ist die Versöhnung des Menschen mit der kirchlichen Gemeinschaft und mit Gott, denn die begangene Schuld schafft eine Distanz zum Ideal des Lebens der Kirche im Geiste Jesu und stört die Gottesbeziehung. Die

religionspädagogische Herausforderung besteht diesbezüglich darin, wo es Not tut, Worte zu finden, die trösten und befreien, gemeinsam Rituale der Versöhnung zu erfinden, die Versöhnung ermöglichen und Erfahrungen der Versöhnung Gottes ermöglichen. In performativ angelegtem Religionsunterricht können hier Taufgedächtnisfeiern ihren Ort haben10. Kindertheologie beginnt dort, wo solches Tun reflektiert wird. Anna: Sie haben ja vorhin gesagt, was versteht Luca unter beichten, also ich versteh da die Schuld auf jemand anderes auf eine vertrauliche Person zu schieben, also dass man sich danach besser fühlt, also dass es für sich auch gut ist, also die Schuld halt, also nicht die Schuld, die Last halt jemand anderes, dem es nichts ausmacht, also jemand anders halt erzählen, dass man sich das Leid teilen kann. [. . .] Luca: Es geht auch anders. Julius: Man kann sich auch untereinander versöhnen. Martin: Ja, es ist eigentlich nur eine Hilfe, sich zu versöhnen. Julius: Schaden kann es nicht. Anna: Man muss nicht unbedingt beichten. Statt zu beichten, man kann auch beten. Luca: Das kann man auch. I: Macht ihr das denn, wenn so was passiert ist? 8 Herbert Vorgrimler, Sakramententheologie, Düsseldorf 21990, 228f. 9 Mt 9,1–8; Lk 5,27–32; Lk 7,36–50, Lk 15, Lk 19. 10 Vgl. Martin Stuflesser / Stephan Winter, Erneuere uns nach dem Bild deines Sohnes. Die Feiern des Taufgedächtnisses, der Umkehr und der Versöhnung, Regensburg 2005, 111–140.

Bederna Das Bußsakrament als kindertheologisches Thema?

(alle lachen) Julius: Eigentlich nicht. Martin: Nö, ich versöhn mich immer persönlich. Matthias: Wenn ich mal was Fieses gemacht hab oder jemand wehgetan hab, dann vertrag ich mich sofort, dass ich keine Strafe krieg. (alle lachen) [. . .] Anna: Ich glaub, Beten ist fast das gleiche, bloß dass man halt nicht direkt zum Pfarrer, dass der Pfarrer nichts damit zu tun hat. Bloß dass man halt beim Beichten dem Pfarrer noch verbunden ist und beim Beten direkt zu Gott. Während die hier diskutierenden Jungen das Sakrament der Buße pragmatisch sehen (es könne nicht schaden, helfe bei der Versöhnung untereinander), aber selbst das zwischenmenschliche Geständnis und die »persönliche« Versöhnung mit dem Opfer vorziehen, versucht Anna, dem Bußsakrament eine eigene Bedeutung zuzuschreiben: Diese hat für sie zwei Aspekte, zum einem die Aussprache mit einem Dritten (»das Leid teilen«), zum anderen die Gemeinschaft mit Gott, ähnlich der Gebetsgemeinschaft. Beides verschränkt sie: Das Bußsakrament ist weder rein interpersonal, vergleichbar einer Therapie, noch innerlich gottunmittelbar wie das Gebet, sondern beides zugleich. Theologisch gesagt: Das Bußsakrament ist »Liturgie der Kirche«11. Dass diese kirchliche Dimension hier nicht klarer wird, ist nicht verwunderlich: Von der urchristlichen einmaligen kirchlichen Feier der Wiedereingliederung in die Kirche nach einer gravierenden, aus der christlichen Gemeinschaft ausschließenden Verfeh-

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lung wurde die Buße bis zum 13. Jh. zu einer intimen und wiederholbaren individuellen Versöhnung mit Gott vermittelt durch den Priester12 – und ist es in den Augen dieser Kinder und Jugendlichen bis heute. Hierfür sind theologie- und kirchengeschichtlich vor allem zwei Umbrüche signifikant. Der erste betrifft die Schwere der Schuld und die Häufigkeit der Buße: In den ersten fünf Jahrhunderten war eindeutig die Taufe das Zeichen der Umkehr und radikaler Neuanfang im Leben eines Erwachsenen. Die Feier der Buße war bezogen auf die Taufe, nötig nur bei Vorliegen einer gravierenden, aus der christlichen Gemeinschaft ausschließenden Verfehlung, wie es beispielsweise das Opfern zu heidnischen Göttern war. Dies führte zur expliziten Ausschließung und – nach einer teils mehrjährigen Bußzeit – zur Feier der Wiederaufnahme in die Kirche. Diese Buße und Versöhnungsfeier war also eine Notlösung für einen Fall, der nach der Taufe eigentlich gar nicht hätte eintreten dürfen. Sie war dementsprechend nur einmal im Leben möglich und zudem von derart einschneidenden Auflagen, wie beispielsweise lebenslanger sexueller Enthaltsamkeit, begleitet, dass sie faktisch erst bei Nahen des Todes üblich war. In der Ostkirche setzte sich hingegen schon früh die Einzelbeichte auch leichter Sünden durch. Diese Praxis gelangte in den irisch-angelsächsischen Bereich, wo sie ab dem 6. Jahrhundert bezeugt ist. Die harschen Bußauflagen

11 Vorgrimler, Herbert: Sakramententheologie, Düsseldorf 21990, 239–243. 12 Ebd., 81.

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Pädagogische Anregungen

blieben dort bestehen, konnten aber nach in Bußbüchern genau geregelten Tarifen in Geldspenden, Gebete u.a. umgewandelt werden. Diese Bußpraxis verbreitete sich nun im 8. Jahrhundert durch die angelsächsische Mission von Norden her in ganz Europa13. Die Buße war nun also wiederholbar, nicht mehr reserviert für schwere Vergehen, nicht mehr öffentlich und nicht mehr verbunden mit einer Zeit des Ausschlusses aus der Gemeinde. Der zweite Umbruch im Bußverständnis ist im ersten schon vorbereitet und betrifft die Bedeutung der fürbittenden Gemeinde, also die Buße als Gemeindeliturgie. Dieser Aspekt trat um die Jahrtausendwende in den Hintergrund zugunsten der Bedeutung der priesterlichen Absolutionsformel, die im 13. Jh. »zur alleinigen ›Form‹ dieses Sakraments erklärt« wurde14. Mit den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (SC 72, LG 11) und in der Folge des Ordo Poenitentiae (1973/1974) wurde die ekklesiale Dimension der Buße durch gemeinschaftliche Versöhnungsfeiern und Bußgottesdienste neu gestärkt. Die Zukunft der »Ohrenbeichte« hingegen ist offen: I: Apropos Papa, kennt ihr Erwachsene, die zur Beichte gehen? Anna: ne. Julius, Matthias, Martin: nö. Luca: Ich seh es nicht mal beim Ministrieren, dass jemand irgendwie danach zum Pfarrer geht.

Zu neuem kirchlichem Leben kommen kann das Bußsakrament wohl nur, wenn die ursprüngliche Verbindung von neuem Leben aus der Taufe in Christus und gemeinschaftlicher sakramentaler Versöhnungsfeier wiederentdeckt wird. Das ist nicht Sache des Religionsunterrichts und kindertheologischer Gespräche, sondern Sache kirchlicher Praxis. Eine gelungene Synthese von Gemeinschaft der Kinder und kirchlicher Gemeinschaft, Intimität und Öffentlichkeit, Wort und Symbol, von Schuldmystagogik und Gottesmysta­ gogik bieten in diesem Zusammenhang die Vorschläge Becks und Henneckes15 aus der Erstkommunion- und Firmkatechese. Diese können auch für performative Elemente im Religionsunterricht inspirierend sein. Kindertheologie beginnt wiederum dort, wo das Erleben reflektiert und nach seinen Gründen befragt wird. Erst vor dem Hintergrund konkreter Erfahrung – im Sakrament und andernorts – kann gedacht und verstanden werden: Gott selbst ist die Liebe, die jedem vergeben will.

13 Ebd., 231–253. 14 Ebd., 234f. 15 Wolfgang Beck / Christian Hennecke, Think about. Das Sakrament der Buße mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen neu entdecken, München 2008.

Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern

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Jantine Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern – Eine theologisch-rhetorische Analyse von Briefen von Großeltern an ihre Enkel »Welche Rolle spielt der christliche Glaube in Ihrem Leben? Was wünschen Sie Ihren Enkeln im Blick auf ihre eigene religiöse Entwicklung?« 15 niederländische Großeltern (viele von ihnen Theologen) versuchten diese Fragen in Briefen an ihre Enkel zu beantworten. 2009 erschienen die Briefe in Buchform.1 Mit ihren persönlichen, authentischen Dokumenten gehorchten die Großeltern einem uralten, biblischen Auftrag. Denn der Aufruf an Großeltern, mit ihren Enkeln über Glaubensthemen zu reden, ist so alt wie das Buch Exodus. Im zehnten Kapitel dieses Buches trägt Gott Mose auf, nicht nur seinen Kindern, sondern auch seinen »Kindeskindern« zu erzählen, wie Gott das Volk Israel aus Ägypten befreit hat (vgl. 2. Mose 10,2). Es scheint so zu sein, dass die Kirchen diesen uralten Auftrag immer mehr in den Blick bekommen. Etliche Großeltern-Enkel-Aktivitäten haben seit einiger Zeit einen festen Platz in kirchlichen Bildungs- und Freizeitprogrammen. Ulrich Fischer, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, betonte in einer Predigt: »Glaube wird vermittelt durch das Gespräch der Generationen miteinander, genauer: durch das Fragen der Kinder und Jugendlichen und das Antworten der Eltern und Großeltern.«2 Vielleicht hängt das gestiegene Interesse an Glaubensvermittlung durch Großeltern mit dem Phänomen zusammen, das

der Schweizer Soziologe und Generationenforscher François Höpflinger die »Vertikalisierung intergenerationeller Be­ziehungen«3 nennt. 1. Großelternschaft im Wandel der Zeit

Die Vertikalisierung generationeller Beziehungen geht einerseits auf die geringe Geburtenrate in (west)europäischen Gesellschaften zurück. Andererseits spielt die verlängerte Lebenserwartung durch die moderne Medizin eine Rolle. Dadurch, dass weniger Kinder geboren werden und gleichzeitig die Lebenserwartung erheblich zugenommen hat, gibt es längere vertikale Verwandtschaftsbeziehungen und weniger horizontale Verwandtschaften. Kurz gesagt: »In immer mehr Familien übersteigt die Zahl an

1 Vgl. Jantine Nierop, Opa’s en oma’s schrijven. Wat ze hun kleinkinderen willen meegeven, Kampen 2009. 2 Ulrich Fischer, Fragen und Antworten – Von der Weitergabe des Glaubens, Predigt im Gottesdienst anlässlich der Bundesfachtagung »Lernende Jugendhilfe«, Karlsruhe am 12. Mai 2009. (http://www.ekiba.de/415_10115. php, 14.01.2012), 1. 3 François Höpflinger, Großeltern und Enkelkinder – alte Bilder – neue Beziehungen (http://www.hoepflinger.com/fhtop/Grosselternschaft.pdf, 14.01.2012), 1.

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Pädagogische Anregungen

Großeltern die Zahl an Enkel«4. Diese Tatsache ermöglicht eine neue Intensität bei der Gestaltung der Großeltern-Enkel-Beziehung.5 Neben demografischen Veränderungen spielen dabei nach Höpflinger auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse eine Rolle, wie neue Familienformen und eine aktivere Gestaltung der zweiten Lebenshälfte.6 1.1 Der Einfluss von Großeltern auf Ihre Enkel

Eine wichtige Frage im Zusammenhang der großelterlichen Glaubensvermittlung ist, inwiefern Großeltern ihre Enkel beeinflussen können. Höpflinger weist zuerst darauf hin, dass der Einfluss der Eltern und der Einfluss der Großeltern auf die jüngste Generation sich nicht immer gegenseitig verstärken. Von einer solchen wechselseitigen Ergänzung der Einflüsse der Eltern und Großeltern ging lange Zeit die so genannte Doppel-TeamTheorie aus. Neueste Forschungsergebnisse unterstützen diese Theorie jedoch nicht oder nur sehr eingeschränkt. Höpflinger beschreibt folgenden Wandel: »Es scheint, dass die Doppel-Team-Theorie primär bei traditionellen Familien- und Generationsverhältnissen gilt, wogegen in aktuellen Generationenbeziehungen eher ein intergenerationelles Kompensationsmodell zu beobachten ist. Sind die Eltern beispielsweise streng, verhalten sich die Großeltern eher verwöhnend, praktizieren die Eltern jedoch eher einen ›laissez-faire‹-Stil, so kompensieren dies viele Großeltern durch ein etwas strikteres Verhalten.«7 Nach Höpflinger betrifft der Einfluss der Großeltern auf ihre Enkel jedoch

meistens nicht so sehr bestimmte Inhalte, sondern erst und vor allem »die Erfahrung intergenerationeller Differenzen vor dem Hintergrund persönlicher Zuwendung und Wertschätzung«8. Durch den Kontakt mit Personen einer anderen Familiengeneration erweitert sich der eigene Horizont – dies gilt übrigens nicht nur für Enkel, sondern auch für Großeltern.9 Die Generationendifferenz zwischen Großeltern und Enkeln spielt auch in anderer Hinsicht eine positive Rolle: Durch den größeren Altersunterschied und die geringere Abhängigkeit der jüngeren von der älteren Generation sind Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern im Vergleich zu ElternKind-Beziehungen weniger anfällig für Konflikte.10 1.2 Großeltern und Enkel in gegenseitiger Wahrnehmung

Eine andere wichtige Frage im Zusammenhang der Kommunikation von Großeltern und Enkeln lautet: Wie nehmen

4 Vgl. Höpflinger (wie Anm. 3), 1. 5 An anderer Stelle wird von Höpflinger (u.a.) in diesem Zusammenhang auf zwei Studien von Claudine Attias-Donfut und Martine Segalen hingewiesen: »Grands-parents. La famille à travers les generations« (Paris 1998) und »Le siècle des grands-parents: une génération phare, ici et ailleurs« (Paris, 2001) (in: François Höpflinger / Cornelia Hummel / Valérie Hugentobler, Enkelkinder und ihre Grosseltern – intergenerationelle Beziehungen im Wandel, Zürich 2006, 3). 6 Vgl. Höpflinger (wie Anm. 3), 1. 7 Ebd., 3. 8 Ebd. 9 Vgl. ebd. 10 Vgl. ebd.

Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern

sich Großeltern und Enkel gegenseitig wahr und was ist bei der Kommunikation der älteren mit der jüngeren Generation zu beachten? Francois Höpflinger und seine Kolleginnen Cornelia Hummel und Valérie Hugentobler weisen auf einen wichtigen Unterschied in der gegenseitigen Wahrnehmung von Großeltern und Enkeln hin: »Während die Enkelkinder für die Großeltern eine genealogische Weiterführung – und damit die Möglichkeit des Weitergebens kultureller und familialer Werte – bedeuten, stehen Großeltern aus der Sicht der Enkelkinder sozusagen am Ende der Lebenspyramide. Oder prägnanter formuliert: Enkelkinder bedeuten für die Großeltern Zukunft. Für die Enkelkinder repräsentieren Großeltern jedoch Vergangenheit.«11 Neben der zukunftsorientierten Weiterführung der familialen Generationenfolge bieten Enkelkinder ihren Großeltern aber auch die Möglichkeit, – eher rückwärtsgewandt – an frühere Familienphasen anzuknüpfen.12 Großeltern- und Enkelkindbefragungen in der Schweiz13 zeigen außerdem, dass sich die Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln mit dem Heranwachsen des Kindes deutlich wandelt. Großelterliche Betreuungsaufgaben stehen nicht länger im Zentrum der Beziehung, wie noch häufig in der Kleinkindphase. Es entsteht die Möglichkeit eigenständiger Kontaktaufnahme seitens des Enkelkindes sowie sein Bedürfnis nach einer neuen Gleichwertigkeit in der Beziehung. Höpflinger, Hummel und Hugentobler schreiben dazu: »Dies erfordert auch von den Großeltern Verhaltensmodifikationen; beispielsweise auf bisherige Kinderspiele zu verzichten, und dafür ernsthafte soziale und moralische Fragen zu diskutieren

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und dabei die Meinung des heranwachsenden Enkelkindes ernst zu nehmen. Das Heranwachsen der Enkelkinder erfordert die Entwicklung einer großelterlichen Reife (›grandparental-maturity‹), die einschließt, dass sich Großeltern und Enkelkinder beidseitig als Erwachsene ernst zu nehmen beginnen.«14 Nach Höpflinger, Hummel und Hugentobler urteilen ältere Enkelkinder mehrheitlich positiv über die Beziehung zu ihren Großeltern. Nur 13% von 658 befragten Enkeln im Alter von 12–16 Jahren stufen die Beziehung zu ihren Großeltern als eher unwichtig oder überhaupt nicht wichtig ein.15 Als positive Eigenschaften hebt eine klare Mehrheit der Befragten die liebevolle Art, die Großzügigkeit und die Geselligkeit ihrer Großeltern hervor. Auch ihr Humor und ihre Toleranz werden geschätzt.16 Bei dieser überwiegend positiven Wahrnehmung der eigenen Großeltern fällt noch ein anderes Ergebnis auf: Nur 20% der Enkel halten ihre Großeltern für altmodisch.17 Aus der gleichen Befragung geht ebenfalls hervor, dass Enkel ihre Großeltern vor allem schätzen als allgemeine Bezugspersonen, »die von der übrigen leistungsorientierten Welt der Erwachsenen eher dissoziiert sind«18. Diese Erwartung einer allgemeinen Bezugsperson entspricht interessanterweise nicht dem 11 François Höpflinger u.a. (wie Anm. 5), 5. 12 Vgl. ebd., 11. 13 Bei gleichen sozialen Bedingungen dürften die Ergebnisse auch über die Schweiz hinaus Aussagekraft haben. 14 Höpflinger u.a. (wie Anm. 5), 77. 15 Vgl. ebd., 60. 16 Vgl. ebd., 42. 17 Vgl. ebd. 18 Ebd., 94.

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Pädagogische Anregungen

Rollenbild vieler Großeltern, die sich vor allem eine Funktion innerhalb der familialen Gemeinschaft zusprechen.19 Nach Höpflinger, Hummel und Hugentobler gilt jedoch vielmehr: »Die subjektive Bedeutung von Grosseltern für heranwachsende Enkelkinder besteht zumeist im Sinne einer generalisierten, emotionalen Bezugsperson, die unhinterfragt zur Verfügung steht.«20 Das Konzept der Großeltern als generalisierte Bezugspersonen erfordere die Einhaltung von zwei wichtigen Regeln bei der Kommunikation mit den Enkeln: »Zum ersten ist – gerade bei heranwachsenden Enkelkindern – ein zurückhaltendes Engagement wichtig. Die heranwachsenden Enkelkinder müssen einerseits ernst genommen werden, andererseits dürfen sie sich nicht in das (Alltags)-Leben ihrer Enkelkinder einmischen. Zum zweiten basiert – und dies ist eines der zentralen Resultate der Studie – die Qualität der Beziehung von Großeltern zu heranwachsenden Enkelkindern darauf, dass intime Themen des Heranwachsens gezielt und konsensual ausgeblendet werden. Es wird über soziale und moralische Fragen diskutiert, nicht über Sexualität und Intimität. Auch ›Abstand von Intimität‹ gehört zum Grundprinzip einer ›engagierten Nichteinmischung‹.«21 Werden diese Regeln eingehalten, hat die Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln große Chancen: »So betrachtet gewinnt die Beziehung zwischen heranwachsenden Enkelkindern und Großeltern eine sehr besondere Qualität, die andere Beziehungen – zu Eltern, Gleichaltrigen usw. – nie aufweisen können.«22 Die Ergebnisse empirischer Forschung zeigen also, dass Großeltern ihre

Enkel eher durch Differenzerfahrungen beeinflussen als durch die Vermittlung von bestimmten Inhalten. Differenzerfahrungen werden vor allem fruchtbar vor dem Hintergrund persönlicher Zuwendung und Wertschätzung. Außerdem sind Zurückhaltung und Abstinenz bei allzu intimen Themen wichtige Grundregeln in der Kommunikation von Großeltern mit Enkeln. 2. Großeltern schreiben ihren Enkeln . . .

Wir wenden uns nun Fragmenten aus den Briefen der niederländischen Großeltern an ihre Enkel zu. Auf der Suche nach einer »Theologie für Kinder« interessiert uns dabei besonders, welche theologischen Inhalte angesprochen werden und in welcher sprachlichen Form dies geschieht. Manche Briefe sind an einen Enkel oder eine Enkelin gerichtet, andere an mehrere. Das Alter der Kinder variiert von 0 bis 22 Jahren. Einige Briefe sind auf Zukunft hin geschrieben; der Autor oder die Autorin rechnet mit einem späteren Alter des Kindes als es zum Zeitpunkt der Verfassung des Briefes tatsächlich hat. 2.1 . . . über den Tag ihrer Geburt

Bei der Durchsicht der Briefe fällt zuerst auf, dass viele Großeltern sich in den Briefen an den Tag der Geburt der En19 Vgl. ebd. 20 Ebd., 102. 21 Ebd., 105. 22 Ebd.

Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern

kel erinnern. Die Erinnerung ist oft mit Dankbarkeit und großer Freude verbunden, aber auch mit Angst und Sorge. Wim Koerselman schreibt seinen Enkeltöchtern Julia und Sarah: »Als ob es gestern war – so ist für mich der Tag eurer Geburt. Ich sehe uns, eure Oma und Opa, im Flur des Kreißsaals des Careggi-Krankenhauses in Florenz stehen. Auf einmal gingen die Türen auf und eure Mama wurde vorbeigefahren. Sie lächelte matt aus ihrem Bett, winkte uns noch ein wenig zu. Die Ärzte konnten ihre Schwangerschaft nicht länger hinausziehen als diese 26 Wochen und vier Tage. Um euch beide so viel wie möglich zu schonen, hatten die Ärzte sich zum Kaiserschnitt entschieden. Noch immer fühle ich die Spannung dieses Moments. Aber dann, die Entladung: Ein italienischer Arzt kam aus dem geschlossenen Zimmer auf uns zu, mit seinen Händen zeigte er, wie klein ihr ward (›piccolo, piccolo‹). Aber er lachte und das gab uns Hoffnung, dass alles gut werden würde. Und es wurde gut, obwohl es ein langer Weg war und die Situation manchmal sehr kritisch war. Kaum eine Woche alt musstest du, Sarah, schon eine schwere Operation durchstehen. In diesen Wochen haben viele für euch gebetet. Und wir wissen ja alle, dass es auch anders laufen kann als man hofft und betet . . . Im Flur des Krankenhauses lag ein Buch, wo Eltern und Großeltern etwas reinschreiben durften anlässlich der Geburt ihres Kindes. Eure Oma schrieb: ›Segne sie, du guter Gott, und behüte sie. Erhebe dein Angesicht auf sie und schenke ihnen Licht‹.«23 Leendert van Nieuwpoort schreibt an seine Enkeltochter Trui: »Wir werden

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deinen Geburtstag nicht leicht vergessen: Sonntag, den 18. Mai 2008. Am Abend dieses Tages rief dein Vater uns an und mit großer Freude und gleichzeitig tief gerührt erzählte er uns, dass du das Licht des Lebens erblickt hattest. Den ganzen Tag waren deine Mutter und dein Vater im Krankenhaus in Amsterdam-Nord und hielten voller Spannung Ausschau nach deinem Kommen . . . Und endlich kamst du in unsere Welt herein. Den nächsten Morgen machten wir uns schon früh auf dem Weg, um dich zu bewundern und deinen Eltern Glück zu wünschen. Um niemals zu vergessen.«24 Ries Nieuwkoop schreibt seiner Enkeltochter Madelief: »Im Zug nach Mannheim, wo ich morgen einen Gottesdienst für Schifffahrer halten werde, denke ich daran, dass ich genau vor einem Jahr dieselbe Reise gemacht habe. Das war eine sehr komische Fahrt. Unterwegs wusste ich bereits, dass deine Geburt sich angekündigt hatte – die ersten Signale waren da. Es würde nicht mehr lange dauern. Nachts im Hotel wurde ich um ungefähr zwei Uhr angerufen von Esther, deine Mutter, die sehr froh rief: ›Hey Opa!‹. Im Hintergrund hörte ich ein Kind weinen: MADELIEF war geboren! Ich war Großvater geworden! So etwas Besonderes hatte ich bisher in meinem Leben noch nicht erlebt.«25 Wim Verboom schreibt an seine Enkel Marijn und Janneke: »Du warst zuerst da, Marijn, und kurze Zeit spä23 Wim Koerselman, in: Nierop (wie Anm. 1), 23, 24. [Übersetzung der Brieffragmente von JN] 24 Leendert van Nieuwpoort, in: Nierop (wie Anm. 1), 69. 25 Ries Nieuwkoop, in: Nierop (wie Anm. 1), 91.

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Pädagogische Anregungen

ter war Janneke auch da. Ich sehe euch liegen, neugeborene Zwillinge im Krankenhaus in Harderwijk. Quer im Bettchen. Ein stolzer Papa und eine stolze Mama nahe bei euch. Um niemals zu vergessen.«26 Piet de Jong schreibt an seine Enkeltochter Fleur: »Wenn ich an dich denke, denke ich an einen ganz kleinen Menschen. Oma und ich waren sehr nahe, als du – viel zu früh – geboren wurdest im Sophiakrankenhaus. Natürlich stand dein Vater ganz nahe bei dir und deiner Mutter. Aber schon bald durften wir dich auch bewundern. So ein kleiner Mensch, der du damals warst – das hatte ich noch nicht oft gesehen. Aber du schienst sofort sehr zufrieden und auch motiviert, in diesem Jahrhundert bewusst mitzumachen. Du kamst uns vor als große Bereicherung der Menschheit. So klein wie du warst, sahst du deinem Vater sofort ähnlich. Er war direkt sehr stolz auf dich, denn er ist auch ein Mensch voller Energie und immer darauf erpicht, vorwärts zu kommen. Mit deiner Erscheinung zeigte er sich verlegen, stolz, reich.«27 Bei all ihrer Unterschiedlichkeit ähneln sich diese Geburtsberichte der Großeltern in einigen Punkten auffällig. Zu nennen sind die Betonung, wie unvergesslich der Tag der Geburt der Enkel ist (dabei spielt der Ort eine besondere Rolle: Geburtsort und Krankenhaus werden oft mit Namen genannt), die Beschreibung von inneren Bildern, die den Großeltern immer noch vor Augen stehen, und die Rede von der Spannung und der großen Freude28, die die Geburt auslöste. Von Stolz und Bewunderung wird ebenfalls mehrmals gesprochen.

2.2 . . . über unterschiedliche Zeiten und Lebenswelten

Das Bewusstsein, dass ihre Enkel in einer anderen Welt aufwachsen als sie selbst, ist bei einigen Großeltern sehr ausgeprägt. Piet de Jong schreibt an seine Enkeltochter Fleur: »Das Jahrhundert, das du durchlebst, ist in vielerlei Hinsicht ein ganz anderes als das deiner Großeltern. In unserer Generation konnten Menschen sich ganz oft noch spontan aufeinander verlassen. Eine Straße war eine Straße und ein Platz war ein Platz. Es gab auch ein gemeinsames Ziel: den Aufbau unseres Landes. Die Herausforderungen deiner Generation sind ganz andere. Lass dich nie entmutigen. Dafür gibt es keinen Grund.«29 Leendert van Nieuwpoort schreibt an seine Enkeltochter Trui: »Du wirst in einer ganz anderen Zeit leben. Das merke ich selbst schon, jetzt, wo es in Richtung meines achtzigsten Geburtstages geht! Eigentlich fühle ich mich immer fremder in der Zeit, in der ich lebe. Das wird sicher der Fall sein in der Zeit, in der du

26 Wim Verboom, in: Nierop (wie Anm. 1), 97. 27 Piet de Jong, in: Nierop (wie Anm. 1), 49. 28 Überhaupt ist in vielen Briefen davon die Rede, dass Enkel ihre Eltern frohmachen. Beispielsweise im Brief von Wim Koerselman an seine Enkeltöchter Giulia und Sarah: »Gott freut sich darüber, dass ihr da seid, so wie auch ich mich jedes Mal freue, wenn ich euch sehe« (Koerselman, in: Nierop (wie Anm. 1), 25) oder im Brief von Piet Schelling an seinen Enkelsohn: »Du bist oft in meinen Gedanken. Du kannst mich mit deiner Anwesenheit, deinen Bemerkungen, deiner spielerischen Art und deinen Fragen sehr frohmachen und tief rühren.« (Schelling, in: Nierop [wie Anm. 1], 43) 29 De Jong, in: Nierop (wie Anm. 1), 52.

Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern

lebst. Die christliche Gemeinde wird immer mehr eine Randerscheinung werden. Kernworte aus der Bibel, wie Versöhnung und Erlösung, Kreuz und Auferstehung, leben in der Nachfolge Christi, werden den Menschen so fremd sein, sicher jungen Menschen, dass man sich fast nicht mehr traut, davon zu reden.«30 Wim Verboom schreibt an seine Enkel Marijn und Janneke: »Ihr lebt in einer ganz anderen Zeit, wie ich früher. Ich wuchs auf in einer großen Familie mit elf Kindern. Das war in der Zeit des Krieges und kurz nach dem Krieg. Wir schliefen zu dritt in einem Bett, denn mehr Platz gab es nicht. Auf dem Brot gab es nur Käse oder Zucker. Etwas anderes gab es nicht. Ich trug die Kleider, die meinem Bruder (etwas älter als ich) nicht mehr passten. Meistens liefen wir auf Holzschuhen. Es war eine arme Zeit. Aber wisst ihr, es war auch eine schöne Zeit, denn mein Vater und meine Mutter sorgten gut für uns. Und man spürte ihnen ab, dass sie Gott wirklich lieb hatten. [. . .] Früher gingen fast alle Menschen in die Kirche. Heute nicht mehr. Ihr findet es wahrscheinlich ganz normal, dass viele Menschen nicht in die Kirche gehen. Doch ist es schade. Denn in der Kirche ist man Gott nahe und man kann seine Stimme hören in den biblischen Geschichten. Ich hoffe deswegen, dass ihr beide Jesus und der Kirche nahe bleiben werdet.«31 Annego Hogebrink schreibt ihren Enkeltöchtern Lotus und Sofie: »Die Gesellschaft sah früher ganz anders aus: ganz viele Menschen glaubten, dass Gott in der Kirche wohnte und dass der Pfarrer genau wusste, was Gott gefiel oder nicht. Und wie man die Bibel lesen sollte. Es gab auch einen großen Unterschied

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zwischen Menschen, die evangelisch waren – wie wir in unserer Familie früher – und katholisch. Die hatten keinen Kontakt, die Kinder durften nicht miteinander spielen. [. . .] Wenn ich sehe, wie Menschen von verschiedenen Glaubensrichtungen jetzt miteinander umgehen, und nicht nur weiße Menschen, sondern auch farbige Frauen und Männer, was für ein Unterschied . . . Ihr habt Kontakt mit Kindern verschiedener Kulturen und Glaubensrichtungen, großartig finde ich das.«32 Mit ihren Erinnerungen an frühere Zeiten und der Betonung des Wandels der Zeit ermöglichen die Großeltern ihren Enkeln wichtige Differenzerfahrungen. Außerdem signalisieren sie auf diese Weise, dass sie um das grundsätzliche Anders-Sein des Alltags ihrer Enkel wissen und relativieren somit implizit ihre Aussagen als persönliche, situationsbedingte und kontextgebundene Aussagen. 2.3 . . . über ihre Verlegenheit bei der Abfassung des Briefes

Manche Großeltern machen aber auch explizit klar, dass sie ihre Aussagen nicht als zeitlose, unangefochtene Glaubenswahrheiten verstehen, indem sie beispielsweise die Schwierigkeit ihrer Aufgabe hervorheben oder ihren Enkeln das fiktive Recht zum Widerspruch einräumen oder Gefühle von Verlegenheit und Zurückhaltung bei der Verfassung des Briefes konkret benennen. 30 Van Nieuwpoort, in: Nierop (wie Anm. 1), 72, 73. 31 Verboom, in: Nierop (wie Anm. 1), 98, 100. 32 Annego Hogebrink, in: Nierop (wie Anm. 1), 104, 105.

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Pädagogische Anregungen

Carel ter Linden schreibt an seinen Enkelsohn Miguel: »Über den Glauben haben du und ich nie geredet. Menschen reden darüber auch nicht leicht. Denn es geht hier um zwei schwierige Fragen: warum wir leben und wie wir leben sollen.«33 Marijke de Jong schreibt an ihre Enkeltöchter: »Als wir neulich mit euch am Tisch saßen, merkten Opa und ich, dass unsere drei Teenager mit Gefühl und Einsicht über schwierige Sachen reden, wie über das Gewissen. Und wir wissen, dass ihr manchmal nachdenkt über ›Gott‹, wer und was ›Gott‹ ist. Kann man dabei als Eltern oder Großeltern ein bisschen helfen? Das ist schwierig, denn so wie ich in meiner Jugend, lange her, erzogen wurde, so ist es nicht mehr. Sogar eure Eltern leben in einer anderen Welt als die ihrer Jugend. Und damit ändern sich auch die Fragen und Arten, wie man religiöse Sehnsucht gestalten kann.«34 Leendert van Nieuwpoort schreibt an seine Enkeltochter Trui: »Wenn ich dein Foto sehe, ist es so, als ob du mir sagen willst: »Opa, häng’ das mit der Taufe und dem Sonntag nicht so hoch . . . Genieße das Leben! Es gibt so viele schöne Dinge. (. . .) Es scheint mir, als ob du mich vom Foto her anblinzelst, als ob du sagen willst: Mach’ dir keine Sorgen, Opa, es wird alles gut.«35 Riet Bons-Storm schreibt an ihre Enkel: »Ich wurde gefragt, euch in einem Brief zu sagen, was ich euch gerne mitgebe für euer Leben. Meine Lebenserfahrung, vor allem Glaubenserfahrung, das, was mir wichtig geworden ist in meinem Leben, soll ich für euch aufschreiben. Das ist nicht leicht. [. . .] Ich bin immer ziemlich zurückhaltend gewesen mit weisen Ratschlägen, vor allem auf dem Gebiet des Glaubens. Nur wenn

das Gespräch darauf kam, zum Beispiel während eines Spazierganges, haben wir darüber geredet. Warum bin ich zurückhaltend und werde ich euch nicht schnell ›anpredigen‹ oder versuchen, euch zu überzeugen, dass es gut ist, zu glauben und mit der kirchlichen Gemeinde zu leben, wie ich es tue? Das hat, denke ich, mit meiner tiefsten Glaubensüberzeugung zu tun, nämlich dass Gott euch trotzdem liebt und in seiner / ihrer Hand hält und das Beste mit euch vorhat. Ob ihr das nun glaubt oder nicht.«36 Und am Ende ihres Briefes schreibt sie: »Nehmt mir diese ›Predigt‹ nicht übel. Ich mache das nur auf Papier. Ansonsten gehen wir wieder zusammen essen, ins Kino, einen Kaffee trinken, kuscheln, wie immer.«37 2.4 . . . über Gott

Vor dem Hintergrund der großen Freude über das einfache ›Dasein‹ des Kindes und eingebettet in einen biographischen Zusammenhang schreiben Großeltern differenzbewusst und voller Zurückhaltung über ihre Religiosität. Viele von ihnen machen einen Versuch, zu beschreiben, wer oder was Gott ist. Hanneke Meulink-Korf schreibt an ihre Enkelsöhne Max und Ravael: »Eine Geschichte, die ich oft vor mir sehe, will ich euch erzählen. Menschen kann man mit Vögeln vergleichen. Jeder hat seine (oder ihre) eigenen Flügel. Niemand an33 34 35 36 37

Carel ter Linden, in: Nierop (wie Anm. 1), 29. De Jong, in: Nierop (wie Anm. 1), 77. Van Nieuwpoort, in: Nierop (wie Anm. 1), 72. Riet Bons-Storm, in: Nierop (wie Anm. 1), 37. Bons-Storm, in: Nierop (wie Anm. 1), 41.

Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern

ders kann für mich fliegen. Dass muss du selbst machen, und du wirst merken, dass du es kannst. Und wenn es eine Weile nicht gut geht, dann fliege im Windschatten anderer Vögel, die dich sozusagen vor dem Wind schützen. Wenn man Kind ist, sind das hoffentlich die Eltern, und vielleicht auch noch ein paar andere. Später können das auch Vögel (Menschen) sein, die man gar nicht so gut kennt. Du wirst merken, dass es auch Vögel gibt, die eine Weile deinen Windschatten und deinen Schutz brauchen, deine Ermutigung, vor allem die Kleinen natürlich, aber auch andere. Es kann passieren, dass das Fliegen für eine Zeit wirklich nicht geht; vielleicht gibt es einen großen Sturm, der es schwierig macht. Außer Atem bist du dann. Aber du stürzt nicht herunter. Denn es fliegt ein großer Vogel unter dir mit breiten Flügeln, und der fängt dich auf, wenn es nötig ist, und lässt dich ausruhen. Wenn du aufgefangen worden bist und wieder atmen kannst, dann schlägst du deine Flügel wieder aus.«38 Carel ter Linden schreibt an seinen Enkelsohn Miguel: »Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich zum Teil etwas ungläubig geworden. Ich bin sehr dankbar, dass ich da bin, dass ich leben darf. Aber ich habe auf die Frage, warum wir da sind, keine Antwort. Und doch brauche ich den Begriff ›Gott‹, oder welchen Namen wir dafür auch wählen. Es gibt ja eine rätselhafte Wirklichkeit, die dieses Universum lenkt, sowie auch unseren kleinen Planeten Erde mit allem Leben darauf. Es gibt ein Geheimnis, glaube ich, das unser Leben auf Erden trägt und uns auch zeigt, wie man zu leben hat. [. . .] Als Oma Diede so krank war und wusste, dass sie sterben würde, fragte sie jemand, ob der Glauben ihr in dieser Zeit eine

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Hilfe war. Sie sagte damals: ›Warum ich krank geworden bin, weiß ich nicht. Ich sehe das nicht als etwas, das Gott mir antut. Aber wenn ich sehe, wie phantastisch die Kinder mithelfen und mich pflegen, wie Freundinnen uns immer wieder eine Mahlzeit bringen, wenn ich die Briefe lese, die Menschen schreiben – ja, dann sehe ich darin etwas von Gott.‹ Das glaube ich auch. [. . .] Nirgendwo habe ich [. . .] mehr Weisheit gefunden als in den ganz alten Geschichten des Volkes Israel, die unsere Welt so tiefgehend geprägt haben. Dies hoffe ich: dass du dich in deinem Leben dort mal beraten lässt.«39 Albert Ploeger schreibt an seine Enkel Meander, Stijn, Veerle und Sem: »In diesem Brief will ich euch ein Geschichte über Jesus erzählen. [. . .] Jesus hatte einmal Maria gefragt: ›Ist Gott der Vater von allen Menschen, auch von mir? Wie kann das sein, ich habe doch schon einen Vater?‹ Und er schaut zur Zimmermannswerkstatt hinüber. Sein Vater, Josef, war kurz weg, denn er war der Zimmermann von Nazareth. ›Ja, sagte Maria, du hast zum Glück schon einen lieben Vater. Aber ich sagte, Gott ist der Vater von allen Menschen. Er ist eine Art Übervater.‹ Jesus war ein kluger Junge. Er fragte: ›Gibt es dann auch ein Übermutter? Ich finde Papa lieb, aber ich finde dich auch sehr lieb!‹ ›Was sagst du das schön‹, sagte Maria. Wir finden dich auch lieb. Wir sind dein Vater und deine Mutter. Aber Gott ist Übervater und -mutter zur gleichen Zeit. Wir sagen Gott der Vater, so tun wir das. Du bist doch auch nach deinem Vater genannt, du heißt doch Josefs Sohn? 38 Hanneke Meulink-Korf, in: Nierop (wie Anm. 1), 18, 19. 39 Ter Linden, in Nierop (wie Anm. 1), 31, 32, 35.

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Pädagogische Anregungen

Und doch bist du auch mein Sohn, Marias Sohn. Darum ist Gott zur gleichen Zeit der Übervater und die Übermutter aller Menschen. Opa und Oma sind gestorben. Das waren meine Eltern und jetzt habe ich keine Vater und Mutter mehr. Aber zum Glück habe ich doch noch einen Übervater und eine Übermutter, die sehr lieb zu mir sind. Gott ist lieb zu jedem Menschen. Er ist der Übervater und die Übermutter aller Menschen, des Königs, von allen armen und reichen Menschen, auch von dir und mir. Und Gott hat alle Menschen lieb. Immer.«40 Riet Bons-Storm schreibt ihren Enkeln: »Aus dem festumschriebenen dreieinigen Gott der offiziellen Glaubensbekenntnisse, von dem ich in grauen Urzeiten beim Konfirmandenunterricht gelernt habe, ist der Gott, den ich lieb habe und mit dem ich lebe, eine nicht zu beschreibende Kraft des Guten geworden, eine Kraft der Liebe, die mit Menschen mitgeht in dieser Welt. Die Kraft ist göttlich, weil sie alles umfasst und über unsere menschlichen Beschränkungen hinausgeht. Die Kraft – so etwas wie der Heilige Geist, Gott-mit-uns – ist nach meiner tiefsten Überzeugung auch mit euch, was ihr auch macht. Was ich euch wünsche, ist, dass ihr ab und zu auch spürt, wisst, dass die göttliche Kraft für euch da ist, unter welchen Umständen auch immer. Und dass ihr darin Halt oder Trost findet.«41 Theologisch betrachtet steht in den vier zitierten Fragmenten vor allem der liebende, tragende, mitgehende Gott im Zentrum. Wenn man sich den rhetorischen Stil der Fragmente näher anschaut, beeindruckt, wie zwanglos die Großeltern ihren Enkeln über Gott erzählen: in einer einladenden Ich-Form

(»wenn ich ehrlich bin«, »das glaube ich«, »nach meiner tiefsten Überzeugung«), mit Hilfe von offenen und grundsätzlich mehrdeutigen Geschichten, Bildern und Metaphern (Gott als Vogel, als Kraft des Guten, als Übervater und Übermutter) und ohne Überzeugungseifer, sondern verbunden mit Hoffnungen und Wünschen für die Enkel (»dies hoffe ich, dass du . . .«, »was ich euch wünsche«). Diese rhetorischen Stilmittel finden wir auch in Fragmenten, die von Jesus (2.5) und vom Glauben (2.6) berichten. 2.5 . . . über Jesus

Wim Koerselman schreibt an seine Enkeltöchter Giulia und Sarah: »Wenn ihr wissen wollt, wer dieser Gott nun eigentlich ist, kann ich nichts Besseres tun als euch über Jesus erzählen. Das fällt mir nicht schwer, denn Jesus hat mich gepackt. Er lässt mich nicht los. Tief in mir ist es auch manchmal leer und kalt. Aber früher oder später kommt er dann wieder zurück in mein Leben wie eine Stimme, die mich nicht loslässt, wie eine Geschichte, die ich nicht ignorieren kann. Er spricht mich an in biblischen Geschichten, die sich mir manchmal auf einmal öffnen. Ihr werdet, wenn ihr größer seid, von uns auch die Geschichten über Jesus hören. In seinem Leben wie in seinem Tod geht er uns voraus. Aber das Größte ist, wie sein Dienst endet. Alle denken, dass es mit Jesus, wie mit jedem anderen Menschen, letztendlich auf den Tod hin40 Albert Ploeger, in: Nierop (wie Anm. 1), 63, 64, 65. 41 Bons-Storm, in: Nierop (wie Anm. 1), 38.

Nierop Glaubensvermittlung durch Großeltern

ausläuft. Dann würde alles bleiben, wie es ist. Das Leben wäre in tiefstem Sinne sinnlos: Jesus tot, letztendlich alle tot. Aber das, womit keiner rechnet, passiert: total unerwartet steht er auf aus dem Grab! Er besiegt den Tod. Jesus ist keine Vergangenheit. Er lebt! An Ostern feiern wir das. Oder eigentlich gehe ich jeden Sonntag in die Kirche, um diese frohe Botschaft zu hören. Ich kriege nicht genug davon. Ich will immer wieder hören, dass alles deswegen letztendlich gut wird. Mit dieser Welt, mit mir selbst, mit euch! Liebe Giulia und Sarah, immer noch geht mir euer Taufspruch durch den Kopf: ›Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein‹. Vergesst nie die Bestimmung eures Lebens.«42 Riet Bons-Storm schreibt ihren Enkeln: »Die Kraft des Guten wird nach meiner Idee verkörpert von Jesus von Nazareth. Er ist eine Ikone, die mich motiviert, mit Gott mitzuwirken in Richtung des Guten: eine Welt, in der Friede herrscht im Großen und im Kleinen und in der alle Menschen ihr Recht bekommen. Na ja, für mich heißt das einfach, überlegte politische Entscheidungen zu treffen und seine Zeit sinnvoll zu nutzen, nicht nur im Blick auf den eigenen Spaß.«43 2.6 . . . über den Glauben

Wim Koerselman schreibt an seine Enkeltöchter Giulia und Sarah: »So klein ihr noch seid: ich mag gar nicht daran denken, dass ihr euch eines Tages vom Glauben distanziert. Denn der Glaube ist das Wichtigste, das es gibt. Man kann mir viel wegnehmen, wenn ich den Glau-

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ben nur behalten darf. Dieses Geschenk gönne ich euch auch!«44 Evert Jonker schreibt an seine Enkeltochter Emma: »Ich hoffe, du wirst glauben. Nicht um alles besser zu wissen, sondern um eine Geschichte zu kennen, wodurch du das Leben besser verstehen lernst. Vier Verben können etwas vom Geheimnis des Lebens beschreiben: sich wundern, sich entsetzten, Verantwortung spüren und erwarten. Kannst du dich wundern? Dass es dich gibt, dass du atmest, dass du läufst, dass du mit einem Ball spielst? Wunderst du dich über Hunde, deine Mama, den Wald, einen Stern [. . .]? Es sind alles Geschenke für dich. Kannst du dich entsetzen? Nicht alles, was passiert, ist gut. Menschen können zerbrechen wie Glas. Viele Menschen gehen kaputt. Menschen machen auch einander kaputt. [. . .] Muss das sein? Das kann und darf doch nicht sein. Gott, was soll das alles? Spürst du Verantwortung? Nein, die ganze Welt kannst du nicht verbessern, aber vielleicht kannst du für ein paar Menschen etwas tun. [. . .] Gott sagt uns, wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Kannst du erwarten? [. . .] Dass die Welt sich von heute auf morgen nicht ändern wird, das deprimiert mich oft. Wird sie immer so schlecht bleiben, wie sie für manche Menschen jetzt ist? Ich erwarte aber, dass es einmal anders wird. Über diese neue Welt singe ich ein Lied in der Kirche, und schon fühlt sich die Welt anders an. 42 Koerselman, in: Nierop (wie Anm. 1), 26, 27. 43 Bons-Storm, in: Nierop (wie Anm. 1), 40. 44 Koerselman, in: Nierop (wie Anm. 1), 25, 26.

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Pädagogische Anregungen

Dass du dies versuchen willst und kannst: dich wundern, dich entsetzen, Verantwortung spüren und erwarten – das wünsche ich dir und den Menschen auf deinem Lebensweg. Ich bin gespannt, was du über meinen Brief sagst.«45 3. Fazit: Eine heikle Aufgabe

Im Licht der Forschungsergebnisse von Höpflinger, Hummel und Hugendobler (vgl. 1.1 und 1.2) erscheint die Aufgabe der Glaubensvermittlung durch Großeltern als durchaus heikel. Zwar hat der Glaube unbestritten soziale und moralische Aspekte – Themen, worüber Enkel gerne mit ihren Großeltern diskutieren. Aber gerade der Alltagsbezug des Glaubens und die in einer gewissen Weise ‚intime‘ Angelegenheit der Frage nach der eigenen Religiosität sind nicht zu leugnen. Nach Höpflinger, Hummel und Hugentobler sind die Nicht-Einmischung in den Alltag und die Distanz zu Fragen der

Intimität Grundregeln der Kommunikation zwischen Großeltern und Enkeln. Die zitierten Fragmente zeigen freilich, wie Kommunikation zwischen Großeltern und Enkeln gelingen kann, auch wenn es um das heikle Thema Religion geht. Die große Zurückhaltung der Großeltern, ihr biografiebezogener, differenzsensibler und beziehungsorientierter Sprachstil, sowie der Gebrauch von offenen und zur eigenen Interpretation anregenden Sprachformen ermöglichen einen zwanglosen Austausch mit den Enkeln, der Distanz gewährt, ohne unverbindlich zu sein. Oder kurz gesagt: »Theologie für Kinder«, formuliert von den eigenen Großeltern, ist immer gelebte Theologie, erfahrungssatt von der eigenen Biografie und mit Hoffnungen und Wünschen für das Leben der Enkel gefüllt.

45 Evert Jonker, in: Nierop (wie Anm. 1), 113, 114.

Steinhäuser Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer »Theologie für Kinder«

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Martin Steinhäuser Gott im Spiel – Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer »Theologie für Kinder«

1. Leitende Fragestellung

Über längere Zeit hat sich der Diskurs zur Kindertheologie auf das »Theologisieren mit Kindern« und die Erkundung der »Theologien von Kindern« konzentriert. Nun scheint es Zeit – das vorliegende Jahrbuch dokumentiert es –, neu über den Bereich einer »Theologie für Kinder« nachzudenken. Die Grenzen »nach hinten« sind gezogen: Es kann in diesem Nachdenken nicht um die Revitalisierung einer Theologie gehen, die sich auf die Er- und Vermittlung traditionaler Richtigkeiten konzentriert. Sondern: Die Entwicklung einer zeitgemäßen »Theologie für Kinder« bedarf des permanenten Dialogs mit der Wahrnehmung von Kindern als theologisch produktiven Subjekten. Diese Position wird in den folgenden Überlegungen nicht problematisiert; ich halte sie für bildungstheoretisch und religionspädagogisch unhintergehbar.1 Weiterführender Reflexionen hingegen bedarf m.E. das Problem der didaktischen und forschungsmethodischen Operationalisierung: Wie kann denn abgesichert werden, dass die Erörterungen zu einer »Theologie für Kinder« nicht wieder hinter den erreichten Diskussionsstand zu einer »Theologie von Kindern« zurückfallen? Hier speziell: Welchen Beitrag kann eine verstärkte Berücksichtigung der Spieltätigkeiten von Kindern bei dieser Absicherung leisten? Damit ist die Leit-

frage dieses Aufsatzes gestellt. Ich verstehe sie in zwei Hinsichten als eine systematische Herausforderung: Zum ersten anknüpfend an das Desiderat, das Oliver Kliss 2009 herausgearbeitet und breit begründet hat: »Gemessen an dem theologischen Verständnis des Spiels als einer grundlegenden Dimension von Bildung wird das Spiel bis zur Gegenwart in der Religionspädagogik nicht in seiner eigentlichen Bedeutung erkannt.«2 Zum zweiten sollen die Spieltätigkeiten mit Bezug auf die Differenzierung kindertheologischer Diskursebenen erörtert werden, die Henning Schluß 2008 aufgezeigt hat: (1) Als herrschaftsfreie Kommunikation der Kinder untereinander oder mit Erwachsenen, (2) als religionspädagogische Praxis sowie (3) als wissenschaftliche Forschung.3 2. Godly Play-Praxis als Reflexionsfolie

Die Praxisfolie, vor der ich meine Überlegungen anstelle, heißt »Godly Play«. Dieses Konzept ist hier nicht gesondert 1 Vgl. auch Schweitzer, Bucher, Pemsel-Maier im vorliegenden JaBuKi 2 Oliver Kliss, Das Spiel als bildungstheoretische Dimension der Religionspädagogik, Göttingen 2009, 375. 3 Henning Schluß, Kindertheologische Differenzierungen – Zwei Fragen zur Kindertheologie, in: JaBuKi 7, Stuttgart 2008, 21ff.

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Pädagogische Anregungen

darzustellen.4 Der Hinweis soll genügen, dass Godly Play in Montessori-Tradition die Darbietung von Inhalten mit speziell entwickelten Materialien verknüpft, welche (neben einer Palette von Kreativmaterialien) den Kindern in einer bestimmten Phase des Prozesses (»Freispiel«) zur selbstgesteuerten Nutzung angeboten werden. Der Bezug auf Godly Play als Praxis bedeutet aber nicht, dass der vorliegende Beitrag einen Beitrag zur empirischen Forschung leisten möchte. Seine Praxisbeispiele haben eher den argumentativen Wert von »Illustrationen«. Sie können sich insofern nicht mit den Ansprüchen messen, die etwa Mirjam Zimmermann an den kindertheologischen Diskurs stellt oder die von Ulrich Heimlich zur empirischen Spielpädagogik geltend gemacht werden.5 Doch sich auf Godly Play zu beziehen lohnt, weil die Leitfrage für den vorliegenden Beitrag, wenn man sie an Godly Play heranträgt, auf eine merkwürdige Spannung stößt, die ich wiederum für anregend im ganzen Diskurs halte: Einerseits liegen der Praxis von Godly Play eine Fülle theologischer Vorentscheidungen zugrunde. Teilweise sind sie dokumentiert, teilweise müssen sie didaktisch rekonstruiert werden am Curriculum, den Materialien, der Raum- und Zeitstruktur, der Beschreibung des pädagogischen Verhältnisses u.v.m. In der deutschen Rezeption und Adaption werden diese Vorentscheidungen bei Godly Play teilweise kritisch gesehen. Z.B. hält Peter Müller Berryman insgesamt »eine eklektische und deutlich interpretierende Art der Bibelverwendung« (2008, 97) . . . in klarer ekklesiologischer Orientierung der im Hintergrund stehenden Theologie . . . an der Episcopal Church in den USA«

vor (2007, 94f).6 Kann man Godly Play als repräsentativ ansehen für jene Tradition einer »Theologie für Kinder«, die in Deutschland überwunden scheint (s.o.)? Doch dies wäre zu kurz gesprungen – die Diskussion ist im Gang. Denn andererseits beeindruckt die Praxis von Godly Play mit einem hohen Maß an freiheitlicher Erkundung der Kinder. Am sog. »Ergründungsgespräch« faszinieren die Ernsthaftigkeit religiöser Vorstellungen, die bei den Kindern evoziert werden, und die Differenziertheit ihrer theologischen Überlegungen im Diskurs. In der anschließenden »Freispiel-Phase« setzt sich die Erkundung auf andere Weise fort – und darauf soll es jetzt ankommen. Mithilfe der im »offenen Lernraum« angebotenen und frei wählbaren Geschichten- und Kreativmaterialien gestalten

4 Vgl. Jerome Berryman, Godly Play. Das Konzept zum spielerischen Entdecken von Bibel und Glauben, hg. v. Martin Steinhäuser, Bd.1– 4, Leipzig, 2006–07; Martin Steinhäuser (Hg.), Godly Play, Bd 5: Analysen, Handlungsfelder, Praxis, Leipzig 2008; vgl. auch diverse Beiträge im JaBuKi 6 (2007) und 9 (2010) und 10 (2011). Vgl. auch die Website www.godlyplay.de mit dem 20’-Video »Was ist Godly Play?« 5 Vgl. Mirjam Zimmermann, Methoden der Kindertheologie. Zur Präzisierung von Forschungsdesigns im kindertheologischen Diskurs, in: Theo-Web 5. Jg. 2006, Heft 1, 99–125. Vgl. ebenso Ulrich Heimlich, Kinderspiel und Spielbeobachtung. Spielerfahrungen als Mittler zwischen Bildungssystem und Lebenswelt, in: Friederike Heinzel (Hg.), Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive, Weinheim 2000, 171–184. 6 Vgl. Peter Müller, Erzählen und Übersetzen. Hermeneutische Überlegungen zu Godly Play, in: Martin Steinhäuser (wie Anm. 4), 92–102, sowie Ders., Godly Play – hermeneutisch, exegetisch und religionspädagogisch betrachtet, in: JaBuKi 6, Stuttgart 2007, 91–102.

Steinhäuser Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer »Theologie für Kinder«

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Kinder ihre eigenen Themen. Sie werden eingeladen, zu spielen. Sie vertiefen sich individuell oder in kleinen Grüppchen. Ohne inhaltliche Vorgaben drücken sie aus, was sie beschäftigt. Sie holen sich gezielt, was sie dazu brauchen. Sie erproben Konstellationen, Verläufe und Lösungen. Sie sind engagiert »bei ihrer Sache«, mit Freude, denken sich Neues aus und verwandeln das vorfindliche Material kreativ.

von Kindern« abzuweisen und stattdessen von einer »dynamischen Balance« auszugehen. Hinsichtlich der Leitfrage sei als These aufgestellt: Die Absicherung der dynamischen Balance zwischen einer »Theologie für Kinder« und »Theologie von Kindern« profitiert davon, dass Kindern Freiräume zum Spielen eingeräumt werden und ihrem Spiel konzeptioneller Wert beigemessen wird. Diese These möchte ich im Folgenden begründen.

3. Kindliche Spieltätigkeit als Promotor einer dynamischen Balance

4. Ein vorläufiges Verständnis von Spiel

Reflektiert man diese Spannung hinsichtlich der oben gestellten Leitfrage, so wird zunächst deutlich: Ich betrete die Diskursarena durch diejenige Pforte, die Henning Schluß als »religionspädagogische Praxis«, als »zweite Ebene« der kindertheologischen Diskussion bezeichnet. Denn ich suche das Kriterium dafür, ob die erfragte »Absicherung« gelingt, darin, was die Kinder im konkreten Prozess tun oder tun könnten oder tun sollten. Mit der Aufmerksamkeit auf der Spieltätigkeit wird ein Bereich fokussiert, in dem Kinder gleichsam »zuhause« sind. Damit bleibt zunächst offen, wie das Verhältnis zwischen einer »Theologie für Kinder« und »Theologie von Kindern« hinsichtlich des Spielens didaktisch zu denken sei. Man kann ja beispielsweise fragen, ob die Kinder ihr Spiel wegen oder trotz bestimmter theologischer Vorgaben entfaltet haben! Auch fehlt noch eine kategoriale Bestimmung des Spiel-Verständnisses. Einstweilen mag es genügen, ein irgendwie linear oder statisch oder separat zu denkendes Verhältnis zwischen »Theologie für Kinder« und »Theologie

Im thematischen Rahmen der vorliegenden Überlegungen kann es nicht um einen Spiel-Begriff im allgemeinen Sinn gehen, wie ihn etwa Johan Huizinga in kulturtheoretischer Hinsicht oder Stuart Brown im Blick auf den Beitrag des Spiels zu einem »guten Leben« entfaltet haben.7 Betrachtet wird vielmehr das Verständnis des Spiels von Kindern, insofern dieses pädagogisch reflektiert wird.8 Besonders die religionspädagogische Analyse von Oliver Kliss mit ihrer bildungstheoretisch fundierten Pers7 Vgl. Johan Huizinga, Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek 222011; Stuart Brown, Play. How it Shapes the Brain, Opens the Imagination, and Invigorates the Soul, New York 2009, bes. Kap. 8: »a world at play«, und darin 201ff: »the good play«. 8 Aus der Fülle der einschlägigen Literatur sei lediglich verwiesen auf. Andreas Flitner, Spielen – Lernen. Praxis und Deutung des Kinderspiels. Erw. Neuausgabe, München 1996; Hans Scheuerl, Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen, Weinheim 121994; Jürgen Fritz, Das Spiel verstehen. Eine Einführung in Theorie und Bedeutung, Weinheim 2004.

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Pädagogische Anregungen

Abb 1. Quelle: Autor

pektive auf das »gute Spiel« führt hier weiter.9 Unterstützt wird dabei eine Perspektive auf das Kinderspiel als Gelegenheit, leistungsfrei sich selbst und die Welt zu erkunden. Es sind solche Merkmale des Spieles selbst, die es Erwachsenen sowohl aus theologischer wie aus pädagogischer Sicht gestatten, an Kinder eine »Einladung zur freien Spieltätigkeit« auszusprechen, obwohl doch dieser Einladung ein Gefälle zu paradoxem, antinomischem Handeln innewohnt. Denn ein »verordnetes« Spiel wäre kein Spiel mehr. Ob das pädagogische Handeln dem Bildungsanspruch gerecht werden kann, bleibt keine theoretische Frage. Denn was ein »gutes Spiel« ist, lässt sich nicht unter Absehung vom Tun der Kinder bestimmen. Im Gegenteil: Aus konstruktivistischer Sicht trägt besonders das Spiel dazu bei, dass aus einem (gegebenen) »Thema« im Prozess ein (subjektiv errichteter) »Inhalt« werden kann.

5. Eine kindertheologische Analyse kindlicher Spieltätigkeiten

Fragen wir also, was an theologischer Produktivität (»Theologie von Kindern«) in ihrem Spielen sichtbar wird, und zwar hinsichtlich der Absicherung einer dynamischen Balance mit einer »Theologie für Kinder«. Wir knüpfen an die eingangs referierte Differenzierung von Henning Schluß an und ziehen in einem illustrativen Sinn Impressionen von Godly Play bei. Dort wird der Begriff »Spielen« so weit gefasst, dass auch kreative-künstlerische Betätigungen dazugehören. Abb. 1 zeigt ein Bild, das ein ca. 10-jähriges Mädchen dem Vf. nach Schluss eines Gottesdienstes zwischen Tür und Angel und ohne näheren Kommentar in die Hand drückte: »Hier, kannste haben, hab ich gemacht.« Das Mädchen war eine punktuelle Besucherin des Kindergottes9 Vgl. Kliss (wie Anm. 2), 339ff.

Steinhäuser Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer »Theologie für Kinder«

dienstes; mir ist nichts weiter über sie bekannt – eine durchaus typische Situation in diesem Feld. Sie hatte das Bild in der »Freispielphase« angefertigt, mit nur wenigen Gesprächskontakten zu anderen Kindern ringsum. Zuvor hatte sich die Gruppe in Darbietung und Ergründen mit der »Heilung eines Gelähmten« (Mk 2,1–12) beschäftigt, aber darauf hat das Mädchen später keinen Bezug genommen, weder durch materialbezogenes Spielen noch in ihrer kreativen Gestaltung. Stattdessen grundierte sie ein A4-Blatt mit Wachsblöcken blau. Sie ordnete darauf im Kreis bunte Klebe-Schnipsel unterschiedlicher Formen aus Transparentpapier an und schrieb in die Mitte mit gelb »Gott« (in der Reproduktion aus drucktechnischen Gründen eingeschwärzt). Es fällt auf, dass der Kreis den unteren Bildrand berührt.

Abb 2. Foto: Autor

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Ich interpretiere dieses Bild als Ausdruck der Kontaktnahme des Mädchens zu dem grundsätzlichen religiösen und strukturellen Geschehen im Kindergottesdienst, das sie gerade miterlebte und für sich deutete. So ein »bunter« Kreis von Kindern saß mit der Erzählerin auf dem Boden. »Gott« in der Mitte des Kreises war zuvor weder verbal noch symbolisch (z.B. Anzünden einer Kerze) direkt thematisiert worden. Freilich fehlt der Interpretation dieses Bildes eine näherführende, erklärende Kommunikation mit seiner Schöpferin. Ohne die verbale Reflexion des Kindes bleiben Erwachsene auf Vermutungen angewiesen, worin hier eine Verbindung zur »Theologie für Kinder« liegen könnte. Das Bild verweist auf die »religionsbezogenen und religiösen Erfahrungen der Kinder (Glaubenshandeln)«,

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Pädagogische Anregungen

welche der Kindertheologie voraus liegen; Schluß nennt sie die »Basis« der Kindertheologie. Diese Erfahrungen sind als solche kaum anschaulich. Immerhin können Erwachsene lernen, Kinder in dem wahrnehmen, was diese nach außen erkennbar werden lassen, in Bildern, Spielhandlungen oder anderen Darstellungsformen. Doch mit diesen Wahrnehmungen hat im strengen Sinn die kommunikative Erschließung und Reflexion der religiösen Vorstellung bereits begonnen. 5.1 Erste Ebene: Kinder theologisieren herrschaftsfrei untereinander oder mit Erwachsenen

Abb. 2 (s. S. 194) ist eine Nachstellung des Autors. In der Originalszene war es nicht möglich, zu fotografieren. Zu sehen ist das Godly Play-Material »Tempel«, das ein 11-jähriger Junge im Freispiel auf den Teppich geholt und an dem er sein eigenes Spiel entwickelt hatte. In der zuvor gesehenen und ergründeten Darbietung war es um die Bergpredigt gegangen; ein inhaltlicher Zusammenhang zum »Tempel« ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Der Junge war von seinen Eltern in den zurückliegenden 4 Jahren schon häufig zum Kindergottesdienst im Godly Play-Konzept geschickt worden. Seine kargen Wortbeiträge und seine Körpersprache ließen vermuten, dass er mit recht niedriger Motivation teilnimmt. Schon mehrfach hatte er sich in der Freispielphase den Tempel geholt und damit alles Mögliche ausprobiert. Z.B. hatte er das Dach-Holzteil so schräg gelegt, dass er darauf Volk Gottes-Figuren wie auf einer Bahn in den Tempel rutschen lassen konnte, wo sie dann vorn zum Tor

herausgesaust kamen. Dieses Spiel wiederholte er minutenlang, alleine für sich, immer wieder. Er setzte sich meist so, dass die Erzählerin ihn mit etwas Abstand sehen konnte, sprach sie aber nicht an. Am fraglichen Sonntag nun, nach einigen Minuten »Rutschpartie«, legte er das Dach wieder waagerecht, stellte die Figuren auf die Ränder, holte sich (aus dem »Daniel«-Material im Regal) einen Kreisel und ließ diesen geschickt auf dem Dach schnell drehen. Gespannt wartete er dann darauf, dass der Kreisel in seinem »Tanz« über die Fläche die eine oder andere Figur berührte und dadurch herunterschleuderte. Die Erzählerin sah, dass nichts kaputt zu gehen drohte und unterbrach ihn nicht. Der Junge probierte alle möglichen Konstellationen aus und verfeinerte sein Spiel immer weiter. Dabei fing sein Gesicht an zu leuchten. Er begann über seinem Spiel zu lächeln. Als der Kindergottesdienst zu Ende war, wirkte er »aufgeräumt« und kehrte, immer noch ohne mit jemandem zu reden, zu seinen Eltern zurück. In meiner Interpretation hat dieser Junge ein »persönliches Thema« gespielt. Er hat seiner Auseinandersetzung mit Autorität eine Gestalt gegeben, mit sich selbst als effektiver auctoritas. Dieses Beispiel unterscheidet sich vom obigen »Bild des Mädchens« in mehreren Hinsichten, ich beschränke mich auf vier: (1) Der Junge hat es, möchte man meinen, im Prozess darauf angelegt, dass die Erzählerin sieht, was er tut. Vielleicht hatte er Gründe dafür, darauf zu spekulieren, dass sie interveniert? Ich interpretiere die Szene als einen stummen Dialog zum Thema »Macht« und »So-Sein-Dürfen«. (2) Er hat den Raum gewährter Freiheit zum schöpferischen Anverwandeln ei-

Steinhäuser Überlegungen zu den Bedingungen der Möglichkeit einer »Theologie für Kinder«

ner religionspädagogischen Vorgabe genutzt. Was einer Curriculum und Material gewordenen »Theologie für Kinder« entstammte, wurde in seinem Spiel zu einem anderen, höchst subjektiven Prozess, der seinen Sinn in sich selbst zu haben schien. (3) Das Spiel ließ in sich eine Entwicklung erkennen. Es hatte hinsichtlich des offenen Ausgangs jene Ambivalenz, jenen Spannungszustand, jene Unberechenbarkeit, die zum »Spiel« dazugehört. (4) Die Anverwandlung des Materialgebrauchs war nahe der Grenze, die vom Konzept her in der »Beschädigung von Material« oder dem »Ablenken anderer Kinder« gesetzt ist. Der Umgang des Jungen mit den Figuren hatte etwas Aggressives, es war mit emotionalen Spannungen aufgeladen und in aller Freiheit doch auch nicht »beliebig«. Freilich ist auch bei diesem Beispiel zuzugestehen: Wo der Theologie-Begriff an kognitiv-reflexive Kommunikationsformen gebunden wird, bleibt auch hier die »dynamische Balance zwischen einer Theologie von Kindern und einer Theologie für Kinder« unausdrücklich, unausgesprochen, vor-reflexiv. Sie lässt sich nicht mit den gewohnten Mitteln wissenschaftlich-empirisch überprüfbar auswerten und dann auf ihren systematisch-theologischen Gehalt prüfen. 5.2 Zweite Ebene: Spiel als religionspädagogische Praxis

Jede religionspädagogische Praxis wird von didaktischen Entscheidungen bestimmt. Ihnen liegen theologische Inhalte und Denkwege voraus. Diese sind Reflexionsgegenstand einer »Theologie für Kinder«. In diesem Vorgang werden

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(eventuelle Nicht-)Entsprechungsverhältnisse zwischen einem didaktischen Arrangement und – z.B. – einer bestimmten Gottesvorstellung hinsichtlich kindlicher Auffassungen sichtbar. In diese Reflexionsstruktur ist nun das Spiel einzuzeichnen. Zunächst ganz allgemein betrachtet, verdeutlichen Spielangebote für Kinder die Auffassung vom Spiel als einer Grundkategorie theologischer Anthropologie. Was Kinder in einer konkreten Praxissituation mit einer eingeräumten Spielmöglichkeit anfangen, sagt (nicht nur, aber auch) etwas darüber aus, inwiefern die theologischen Grundideen hinter dem didaktischen Arrangement als solchem wie auch hinter der konkreten »Spielvorgabe« in eben jener dynamischen Balance steht, die wir eingangs als konstitutiv für das Projekt Kindertheologie bezeichnet hatten. Worin die konkrete Spielvorgabe besteht, kann in aller Breite variieren (s.u. das »Spannungsspiel« bei Vobbe). Nehmen wir wiederum Godly Play als Beispiel, so finden wir dort eine »vorbereitete Umgebung« im Montessori-Stil. Offene Regale beinhalten Materialien, denen ein Aufforderungscharakter zum selbsttätigen Freispiel unterstellt wird. Es gibt zwei- und dreidimensionale Materialien, aus Holz, Filz, Stoff mit unterschiedlichen Konkretions- bzw. Abstraktionsniveaus und Komplexitätsgraden. Es wird Wert gelegt auf ästhetische Qualität, Dauerhaftigkeit und Selbsterschließungspotentiale für unterschiedliche Altersstufen.10 Diese Materialien transportieren konkrete theologische Ent10 Foto-Beispiele aus Godly Play-Räumen in Deutschland sind zugänglich unter www.god lyplay.de.

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Pädagogische Anregungen

scheidungen, etwa biblisch-hermeneutischer Art, etwa zur Gleichnistheorie. Darin unterliegen sie der theologischen Reflexion. Andere spielrelevante didaktische Elemente des Konzeptes Godly Play wären z.B. die Einbettung des Freispiels in das vorgeschlagene Zeitschema aus 4 »Phasen« oder die Rolle der Erwachsenen während des Freispiels. Eine wissenschaftlich fundierte Kriteriologie zur Beurteilung der Godly Play-Materialien existiert meines Wissens nicht.11 Ein sehr einfaches Kriterium öffnet immerhin eine pragmatische Tür zur pädagogischtheologischen Reflexion: Materialien, die von den Kindern in der Freispielphase über längere Zeit selten oder gar nicht angewählt werden, obwohl die zugehörigen Geschichten dargeboten wurden, lassen eine fehlende Balance zwischen Absichten und Spielbedürfnissen vermuten und bedürfen einer kritischen Revision. Mit diesem Prüfkriterium schließt Berryman direkt an seine Lehrerin Sofia Cavaletti an. In umgekehrter Richtung gesagt: Cavaletti machte deshalb den »Guten Hirten« zum Grundsymbol ihres katechetischen Konzeptes, weil sie bemerkt hatte, dass die Kinder ihrer Gruppen immer wieder selbsttätig auf diese Figur und die zugehörigen Materialien zugegriffen hatten.12 An dieser Stelle muss ein Blick auf das didaktische Setting der religionspädagogischen Praxis geworfen werden. Für den weitaus überwiegenden Teil der deutschen kindertheologischen Praxis besteht dieses Setting im schulischen Religionsunterricht.13 Zu ihm scheint ein Begriff wie »Arbeit« besser zu passen als »Spiel«, wenn es um Maßnahmen zur Förderung des selbständigen Lernens geht. Auch Montessori bezieht sich ausdrücklich

auf »freie Arbeit« und grenzt sich vom »Spiel« ab. In dieser Tradition steht bspw. Horst-Klaus Bergs Konzept von »Freiarbeit im Religionsunterricht«.14 Ein unterrichtliches Setting legt es zugleich nahe, die Nutzung des Materials bzgl. konkreter Ziele zu beschreiben und damit zu definieren, was ein »sachgerechter Gebrauch« ist. Bestimmte Montessori-Kriterien wie: Isolation der Schwierigkeit, immanente Fehlerkontrolle, festgelegte Lektion, passendes Ergänzungsmaterial etc. schränken ein, dass die Kinder mit dem Material so frei, und darin so spielerisch umgehen könnten wie im oben skizzierten Beispiel des Jungen mit dem »Tempel«. Godly Play versucht hier eine 11 Diese Kriteriologie könnte an die Diskussion zu den Freiarbeitsmaterialien anschließen, d.h. nach Begründungszusammenhängen, In­ halten, Rolle der Kinder, Arbeitsmethoden differenzieren. Vgl. Christine Lehmann, Art. »Freiarbeit«, in: LexRP (1), 598f. 12 Vgl. Sofia Cavaletti, Die Katechese des Guten Hirten, in: JBTh 17 (2002), 291–312, zum Material bes. 311ff, auch Dies., Das religiöse Potential des Kindes. Religiöse Erziehung im Rahmen der Montessori-Pädagogik. Erfahrungen mit Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren, Freiburg i.Br. 1994. 13 Bd. 3 des Jahrbuches für konstruktivistische Religionsdidaktik (Hannover 2012) widmet sich dem Thema der »Lernumgebungen«. Zwar dominiert auch hier in nahezu allen Beiträgen ein schulbezogenes Verständnis von Religionsdidaktik, selbst da, wo Gerhard Büttner und Hans Mendl »außerschulische Lernumgebungen« bedenken. Allerdings muss man die Frage des Settings, wenn man sie aus konstruktivistischer Sicht beleuchtet, auch nicht überbewerten: Gerade die Reflexion von »Lernlandschaften« lässt sich hervorragend auf spielerische Szenarien von Kindern und Jugendlichen in Schule und Gemeinde übertragen. 14 Horst Klaus Berg, Freiarbeit im Religionsunterricht. Konzepte, Methoden, Praxis, Stuttgart / München 1997.

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Brücke zu schlagen: »Die ›Arbeit‹ der Kinder ist das ganz vertiefte, persönliche Spiel«.15 Brendan Hyde hat herausgearbeitet, dass Berryman mit seiner Interpretation des »Spiel als Arbeit des Kindes« über die Montessori-Tradition im engeren Sinn hinausgeht.16 Allerdings würde ich Hydes kritische Beobachtung noch weiterführen. Denn an früherer Stelle schreibt Berryman zum »sachgerechten Gebrauch«: »Die Materialien sind nicht zum freien Spiel bestimmt. Die Freiheit liegt in der Antwort auf die Darbietung. Wenn den Kindern frei stünde, den Gebrauch der Materialien zu verändern, würde ihnen nichts bleiben, das sie an der religiösen Sprache nutzen könnten, um stinnstiftend tätig zu werden.«17 Mit der umstandslosen Anwendung einer klassischen Montessori-Regel auf sein spielbestimmtes System scheint Berryman seine eigenen Prinzipien von der selbstbestimmten Ingebrauchnahme religiöser Sprache für das kindliche Beschäftigen mit existentiellen Grundfragen des eigenen Lebens zu unterminieren. Der Spiel-Begriff wird didaktisch und ethisch depotenziert und (nur noch) auf eine ästhetische Beschreibung des allgemeinen Verhältnisses von Mensch, Gott und Welt bezogen: »Sind wir also anmutig, gnadenvoll, begnadet, dann bedeutet das nichts anderes, als das Gott mit uns ist. Das Ergebnis ist die mühelose Bewegung, das Lebensspiel . . . Wenn Spiel Gott als Dreifaltigkeit einschließt . . . haben wir ein anmutiges, gnadenvolles Godly Play.«18 Mit diesem Seitenblick auf das Verständnis von »Arbeit« und »Spiel« sei zugleich ein Beispiel für die Tendenz bei Berryman gegeben, dass seine »Theologie für Kinder« engführt, was die religionspädagogische Praxis von Godly

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Play an kindertheologischem Potential eröffnet. Aussichtsreicher erscheint es, die Freiheit der Spielwahl nur durch eventuelle Sachbeschädigungen und den Respekt gegenüber der Spielautonomie anderer Kinder zu begrenzen. Ob die Kinder ein Material grundsätzlich erst anwählen dürfen, nachdem sie modellhaft seinen Gebrauch innerhalb einer Darbietung gesehen haben, ist damit noch nicht entschieden. Wichtig ist zunächst, »die Sache« des sachgerechten Gebrauchs von seiner modellhaften Anwendung zu unterscheiden. In der Praxis lassen sich folgende vier Formen unterscheiden, in denen Kinder ihr Spiel auf Darbietungen beziehen: (1) in einem thematisch freien Sinn (s.o. die Bildgestaltung des Mädchens), (2) in einem reproduktiven Sinn (Kinder spielen eine Darbietung nach), (3) in einem vertiefenden Sinn (bzgl. einzelner Elemente – z.B. motiviert das Beerdigen der Sarah- und Abraham-Figuren in der Wüstenkiste die Kinder regelmäßig zum konzentrierten »Beerdigen« aller möglichen Figuren aus dem Raum in der Wüstenkiste, wodurch der Themenbereich »Tod – Beerdigung – Friedhof« als Thema der Kinder sichtbar wird) und (4) im verwandelnden 15 Jerome Berryman, Teaching Godly Play. How to Mentor the Spiritual Development of Children. Denver 2009, 66, üb. M.St. Den Hinweis auf die Spannung zu den Montessori-MaterialKriterien verdanke ich Anne Ebers, Dresden. 16 Vgl. Brendan Hyde, Montessori and Jerome W. Berryman. Work, play, religious education and the art of using the Christian language system, in: Br J Relig Educ 33(2011), 341–353.) 17 Jerome Berryman, Godly Play. An Imaginative Approach to Religious Education, Minneapolis 1995, Erstausgabe, San Francisco 1991, 85, üb. M.St. 18 Ders., Bd.1, [wie Anm. 3], 75.

200 Pädagogische Anregungen Sinn (s.o. das Tempelspiel des Jungen). Diese Wahlfreiheit drückt didaktisch aus, was theologisch als bejahte Freiheit der Spieler, als Befreiungsprozess von konkreten Vorgaben hin zu einer mündigen Religion interpretiert werden kann. Umgekehrt gesagt: Eine »Theologie für Kinder« sollte die religionspädagogische Praxis zur Ermöglichung solcher Räume herausfordern. Sie wird auf eine kreative, vertiefende, eröffnende Beteiligungsvielfalt in der Praxis rechnen dürfen. Dies ist dann nicht mehr nur eine Frage an die pragmatischen Chancen und Grenzen »unterrichtlicher« Formen; es ist eine Frage an die bildungstheologische Grundlegung jedweder religionspädagogischer Praxis. Eine spielintegrierte »Theologie für Kinder« begründet und unterstützt eine bestimmte Haltung der Erwachsenen. Das theologisch-pädagogische Ethos dieser Haltung liegt darin, Kindern eine affirmativ geprägte, leistungsdruckfreie Zeit einzuräumen und sie zum Spielen einzuladen. Die offene Kommunikation dieses Ethos (und seiner Regeln) nimmt Kinder hinein in die damit verbundene Haltung und wirkt dadurch bildsam für die gesamte pädagogische Beziehung. 5.3 Dritte Ebene: wissenschaftliche Forschung

Auf der dritten der von Henning Schluß skizzierten Diskurs-Ebenen zur Kindertheologie ist nun zu fragen, welchen Beitrag die wissenschaftliche Erforschung des Spiels zu einer »Theologie für Kinder« leisten kann. Wir ziehen hierzu zwei Linien aus: Zum einen in Richtung einer Theologie des Spiels, zum anderen hinsicht-

lich der empirischen Beforschung kindlicher Spieltätigkeiten im religionspädagogischen Kontext. 5.3.1 Theologie des Spiels

Der Titel des vorliegenden Aufsatzes – »Gott im Spiel« – soll auf die besondere religionspädagogische Dignität des Spiels hinweisen. Das lässt sich theologisch in zwei zentralen Reflexionshorizonten bedenken: Der Schöpfungstheologie und der Rechtfertigungslehre. a) Schöpfungstheologisch gesehen, gehört das kreative Potential menschlichen Spielens zu den Realisationen der Ebenbildlichkeit und des Gestaltungsauftrages Gottes an den Menschen (Gen 1,26ff). Das Spiel hat grundsätzlich die Möglichkeit, dass etwas nie Dagewesenes entsteht. Darin hat das theologische Erkunden von Kindern in ihrem Spielen Anteil am schöpferischen Handeln Gottes selbst und erhält von daher besondere Würde. Mehr noch: Insofern sich das schöpferische Handeln der Kinder in ihrem Spiel auf die Idee von Gott selbst bezieht, wirkt es zurück in die »Theologie für Kinder«. Im Anschluss an Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer ist zu sagen, dass eine Theologie für Kinder nicht durch die klassischen Loci, sondern von den Orientierungsbedürfnissen der Jugendlichen / Kinder her zu ordnen ist.19 Anders gesagt: Der Theologie19 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 22–25.

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begriff selbst muss religionspädagogisch angelegt sein.20 Er könnte sonst das Kinderspiel nicht einfangen. Für Kinder und Jugendliche wiederum ist die Gottesfrage bzw. die Frage nach dem Gottesbild zentral, »weil sich die Beziehung des Menschen zu einem Göttlichen als definitorisches Kernelement der Religionspsychologie bewährt hat und Theologie – auch bei Kindern – primär Reflexion auf Gott ist«.21 Die theologische Produktivität von Kindern im Spiel setzt einen starken Impuls dafür, die Gottesfrage konstruktivistisch anzugehen und aus dem Gottesglauben heraus zum spielerischen Erkunden zu ermutigen. »Schöpfung« ist kein quasi-historisches Datum eines Weltanfangs. Die theologische Rede von Schöpfung beinhaltet die Idee der »creatio continua«, wie sie Martin Luther in seiner Auslegung des Ersten Artikels des Apostolicums so plastisch auf seinen Lebensalltag bezogen hat. In ihrem Spiel werden Kinder zu CoKreatoren und zeigen den Erwachsenen eigenständige, vielschichtige Möglichkeiten, Gott zu denken. »Kinder erspielen sich . . . ihre eigene subjektive Wahrheit.«22 Das Bild Gottes entsteht im Prozess kindlichen Spiels. Dies betrifft auch die Erfahrbarkeit: In ihrem Spiel können Kinder Gott als »gegenwärtig« erleben, ihm nahe kommen bzw. seinem Nahekommen zu den Handlungsträgern der jeweiligen Geschichte ihres Spiels nachspüren. b) Eine zweite theologische Tür wird durch eine einfache Unterscheidung geöffnet. Kinder spielen häufig sog. »Als-ob«-Spiele.23 Sie konfigurieren

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mit sich selbst oder Objekten Spiele, deren Rollen und Verläufe sie schon einmal so oder ähnlich irgendwo gesehen oder erlebt haben. Sie setzen sich mit sozialem Verhalten, Regeln oder mit Ideen auseinander durch »Rollenspiele«. Dies nutzt bspw. Frederic Vobbe in seiner kindertheologischen Forschung zum Hiob-Buch mit Grundschul-Kindern, inhaltlich konkretisiert durch den Impuls, 20 Vgl. Wilfried Härle, Was haben Kinder in der Theologie verloren? Systematisch-theologische Überlegungen zum Projekt einer Kindertheologie, in: Anton A. Bucher u.a. (Hg.), »Zeit ist immer da«. Kinder erleben Hoch-Zeiten und Fest-Tage. JaBuKi 3, Stuttgart 2004, 11–27. Reiner Anselm, Verändert die Kindertheologie die Theologie? In: Anton A. Bucher (Hg.), »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«. Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie. JabuKi 5, Stuttgart 2006, 13–25. 21 Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma? In: Ders. u.a. (Hg.), Mit Kindergartenkindern theologische Gespräche führen. JabuKi Sonderband, Stuttgart 2008, 11–29, Zitat 19. Im Konzept von Godly Play wird die Gottesfrage v.a. über die »Erfahrbarkeit seiner Gegenwart« thematisch eingespielt und von den Kindern hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Erfahrung als Spannung von »Nähe und Verborgenheit« problematisiert. 22 Peter Biehl, Kinder erspielen Wahrheit, in: ZPT 57 (2005), 54–64, Zitat 63. 23 Vgl. Dietmar Sturzbecher, Methodische Lösungsansätze zur Befragung jüngerer Kinder, in: Ders. (Hg.), Spielbasierte Befragungstechniken. Interaktionsdiagnostische Verfahren für Begutachtung, Beratung und Forschung, Göttingen u.a. 2001, 51–63. Zu beachten ist, dass Sturzbecher im Rahmen psycho- und interaktionsdiagnostischer Intentionen argumentiert, was in Settings wie bei »Godly Play« nicht der Fall ist. Auch vertreten wir im Unterschied zu Sturzbecher nicht die Ansicht, dass »jedes Spiel als Ausgangspunkt eine fiktive ›als ob-Situation‹« habe (ebd. 57, s.u. zu den »was wäre wenn«-Spielen).

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»eine spannende Szene . . . nachzustellen«.24 Neben »Rollenspielen« spielen Kinder aber auch noch eine zweite Art von Spielen, bei denen sie etwas inszenieren, das nicht oder nur in Ansätzen Teil einer Vorgabe war und dessen Zweck auch im Moment des Spiels nicht »feststellbar« ist. Man könnte sie »Was wäre wenn«-Spiele nennen. Die Kreativität dieser Spiele ist überwiegend imaginativer Art: Mithilfe der Vorstellungskraft lassen die Kinder eine neue Wirklichkeit in, mit und unter ihrem Spiel Gestalt gewinnen.25 Dieselbe Vorgehensweise wählte Jesus von Nazareth, als er in Gleichnissen über das Reich Gottes redete. Was er beschrieb, wurde seinen Hörern als Wirklichkeit begreiflich und wäre in anderer Weise nicht kommunikabel gewesen. »Die Gleichnisse spielen dem Hörer spielend die Gottesherrschaft zu und ermöglichen so eine ›spielende Einstellung‹«.26 Auf diese Struktur eschatologischer Zugänglichkeit im Spiel der Imagination beziehe ich auch die Rede Jesu Mk 10,15: »Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.«27 Eine »Theologie für Kinder« muss daher bereit sein, sich selbst in Inhalten und Erkenntniswegen hinterfragen, gleichsam »unterwandern« zu lassen von der besonderen imaginativen Nähe, die Kinder in ihren »Was wäre wenn«Spielen zum Reich Gottes gewinnen. Hier leuchtet das grundlegende Merkmal der Leistungsfreiheit im Kinderspiel noch einmal stärker auf als bei den »Rollenspielen«. Theologisch pro-

duktives Spiel kennt vielleicht krassen Subjektivismus – aber es kennt kein richtig und falsch. In der Praxis wird dieser Grundsatz auf eine harte Probe gestellt, wo z.B. Kinder Züge eines angstmachenden Gottesbildes zu erkennen geben. Verschiedene Interventionen scheinen denkbar. Aber im vorliegenden Erörterungszusammenhang folgt aus solchen Fragen zunächst erstmal die Nötigung, in Modellen einer »Theologie für Kinder« nach möglichen Ursachen solcher dezidiert negativer, kindfeindlicher Gottesbilder zu suchen. Das freie Spiel ermöglicht Kindern, Themen des Alltags wie des Glaubens in verschiedenen Konstellationen »durchzuspielen«. Die theologische Grundlage der Freiheit, dies zu tun, liegt in der Rechtfertigung. Das Kreuz »macht das neue Spiel der Freiheit möglich«, denn »der Ausgang der Geschichte Christi ist . . . von der Freude am Wohlgefallen Gottes und 24 Frederic Vobbe, Auch wenn die Welt manchmal wild aussieht. Multimodale empirische Forschung zu einer Kindertheologie des Hiobbuches, Göttingen 2012 (zum Design des »Spannungsspiel« vgl. bes. 155f). Auch Peter Biehl (siehe Anm. 22, 63) denkt v.a. an das »Rollenspiel«, weil ihm die Rollenentwicklung die Gewähr diskursiver Prozesse bietet, die s.E. für die Überprüfung erspielter Wahrheit unverzichtbar ist. 25 Vgl. Martin Steinhäuser, Imagination. Studien zu Theorie und Wirksamkeit der Vorstellungskraft in Prozessen religiöser Bildung, Münster 2011, 198ff. 26 Biehl (wie Anm. 22), 62. 27 Darin folge ich der nominativischen Interpretation des Verses 15: »das Reich so annehmen, wie ein Kind es annimmt«, und nicht der akkusativischen Interpretation (»das Reich so annehmen, wie man ein Kind aufnimmt«), Vgl. Marlene Crüsemann, KinderReich, in: Junge Kirche 66 (2005), Sonderheft, 33–41.

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vom Spiel der befreiten Menschen erfüllt«.28 5.3.2 Empirische Forschung

Im Diskurs zur Kindertheologie stehen Beispiele und Reflexionen zur empirischen Erforschung kindlicher Spieltätigkeiten noch ganz am Anfang. Die Gründe dafür sind m.E. zum einen in der religionsdidaktischen und forschungspragmatischen Dominanz verbaler und bildhafter Dokumente zu sehen.29 Erforscht wird hier, was Kinder sagen (zueinander oder zu einer erwachsenen Person) oder wie sie sich in Artefakten kreativ mitteilen und dies ggf. auch verbal kommentieren. Eine sehr instruktive Ausnahme bildet die bereits erwähnte Untersuchung von Vobbe zum videografierten, multimodal eingebetteten Rollenspiel von Grundschul-Kindern bzgl. einer »spannenden« Sequenz des biblischen Hiob-Buches. Zum anderen liegen die Gründe natürlich auch darin, dass Spiel-Phasen nur selten in ausgeformten religionsdidaktischen Konzepten vorkommen und in sich selbst selten solche reflexive Kommentierungen einschließen, die von Härle, Schweitzer, Biehl und anderen als conditio sine qua non von »Theologie« genannt werden. Spielaktivitäten stehen daher eher am Rande des Interesses. Der folgende Abschnitt kann hier lediglich Richtungen zeigen und methodische Problemstellungen benennen. Ausgangspunkt muss die wissenschaftlich fundierte Spielbeobachtung sein, wie sie erziehungswissenschaftlich v.a. in der Pädagogik der frühen Kindheit entwickelt und erprobt worden ist. Sie ver-

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sucht, mehreren Gegenstandsmerkmalen Rechnung zu tragen: Beim kindlichen Spiel handelt es sich (1) um komplexe Interaktionsformen, die dementsprechend differenzierter Erfassungsmethoden bedürfen. (2) Diese Methoden dürfen nicht nur vorstrukturierter Art sein, sondern müssen sich offen halten für das Unberechenbare im konkreten Prozess. (3) Der Sinn der Spieltätigkeiten lässt sich meist nicht bloß sinnlich-wahrnehmbar erfassen, sondern ist implizit, er liegt verborgen und ist von daher auslegungsbedürftig. (4) Die Gegenstandsmerkmale sowie die Forderung nach intersubjektiver Überprüfbarkeit des Forschungsgangs legen eine Interpretation im Team nahe, in welches je nach Alter und Situation auch Kinder selbst einbezogen werden können. Ulrich Heimlich skizziert, inwiefern die Spielbeobachtung anfällig ist für spezielle, bereichsspezifische Fehler, die in der Person der Forschenden begründet sind – er zählt hier emotionale Bedürfnisse und soziale Erwünschtheit, Mittelwertfehler, Halo-Effekte und weiteres auf.30 Klassische Methoden sind Tagebuchaufzeichnungen und Beobachtungsprotokolle, aus denen sich in heuristischen Verfahren Kategorien ableiten und verdichten lassen. Videografische Methoden werden unterstützend beigezogen. Allerdings stoßen all diese Methoden, besonders wenn nicht nur ein bestimmtes Kind, sondern das Spielverhalten einer ganzen Gruppe untersucht 28 Jürgen Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung. Versuche über die Freude und das Wohlgefallen am Spiel, München 51976, 38, zit. nach Kliss (wie Anm. 2), 327. 29 Vgl. das aufgezeigte methodische Spektrum bei Zimmermann (wie Anm. 5). 30 Vgl. Heimlich (wie Anm. 5), 175f.

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werden soll, aufgrund der Komplexität des Vorgangs schnell an Grenzen der Praktikabilität. Für die Entwicklung einer »Theologie für Kinder« scheinen folgende Aspekte besonders vielversprechend: a) die spielzeug- und spielpartnerbezogenen Spielformen erlauben Rückschlüsse auf die Art der theologischen Produktivität des Kindes. So lassen sich etwa die vier oben erwähnten Spielformen bei Godly Play mit den Kategorien vergleichen, die Heimlich in Anschluss an van der Kooij und Parten systematisiert hat (»Aufräumen, Wiederholungsspiel, Imitationsspiel, Konstruktionsspiel, Gruppierungsspiel« bzw. »selbst beschäftigt, Beobachtungsspiel, Alleinspiel, Parallelspiel, Assoziationsspiel, Koalitives Spiel, Kooperationsspiel«).31 b) Neben solche vorstrukturierte Beobachtungsmerkmale müssen aus theologischer Sicht offene Wahrnehmungsund Interpretationsverfahren treten, die besonders den Inhalt der theologischen Produktivität in den Blick nehmen. Freilich drückt sich theologische Produktivität – wenn sie nicht rational-verengt begriffen wird – auch in Atmosphären aus, in Stimmungen, körpersprachlichen Äußerungen und winzigen Sequenzen, die selbst mit mehrperspektivischer videografischer Unterstützung kaum einzufangen sind. Teilweise wäre es systemwidrig, diese spielerischen Selbstentäußerungen in die Form reflexiver Rede überführen zu sollen. Die Tatsache, dass Reflexivität teilweise nur kontingent zugänglich ist, heißt aber nicht, dass keine reflexiven Prozesse in den Kindern ablaufen würden. Wir wissen nur

nicht viel davon. Umso wichtiger sind kleine Signale, die nach außen treten, selbst im Schweigen. Man kann das Kinderspiel – im Unterscheid zum Gespräch (und Interview) einerseits und zum gänzlich unkommentierten Artefakt andererseits als – eine »Expressivität mittlerer Reichweite« auffassen. Einiges davon dürfte in der optisch-akustischen Wahrnehmung und im Körpergefühl der Forschenden zugänglich sein. Daher legt sich trotz aller methodischen Bedenken eine Beobachtung im Raum (statt einer Ein-Weg-Glasscheibe) nahe. Insofern hier mit beträchtlicher Unschärfe, Beeinflussung und subjektiver Wahrnehmungslenkung seitens der Forschenden zu rechnen ist, scheinen teamgestützte Auswertungsverfahren gleichsam zwingend. Auf eine »Theologie von Kindern« im Interesse einer »Theologie für Kinder« gerichtet, folgen solche Forschungsmethoden heuristischen Verfahren, die wiederum neue Kriterien freisetzen.32 c) Theologische Produktivität kann durchaus spontan zuhanden sein. Aber sie baut sich auch auf. Spielbezogene empirische Untersuchungen können deshalb besonders dann auf aufschlussreiche Ergebnisse hoffen, wenn sie nicht nur punktuell, sondern im Längsschnitt angelegt werden. Insbesondere in Bezug auf Konzepte, die wie bei Godly Play absichtsvoll bestimmte Darbietungen in einem Spiralcurriculum über mehrere Jah31 Vgl. ebd. 179f. 32 Zu den forschungsmethodischen Problemen bei Godly Play vgl. die kurze, bilanzierende Übersicht bei Berryman (wie Anm. 15), 141ff.

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re wiederkehren lassen und darin der Idee einer vertiefenden spirituellen Bildung folgen, erscheint es nahe liegend, forschend die spielerische Entwicklung bestimmter Kinder über mehrere Jahre kontinuierlich hinweg zu verfolgen, um (im Zusammenspiel mit entwicklungspsychologischen Theorien) Überlegungen zu ihrer theologischen Entwicklung anstellen zu können. 6. Bilanz

Kindertheologie ist Theologie unter besonderer Berücksichtigung des Generationenverhältnisses. Sie muss religionspädagogisch verfasst und darin weit genug sein, um die ureigenen, kindgemäßen Formen der Welterschließung zu interpretieren und auch als kritische Rückfrage an die theologische Verfasstheit in Formen und Inhalten ernst zu nehmen. Damit werden kindliche Spieltätigkeiten zum kritischen Echo-Raum einer »Theologie für Kinder« und zum Gegenstand theologischer Verständigungen von Erwachsenen. Spielbezogene Kindertheologie verlangt nicht wenig von Erwachsenen – im Unterschied zu romantisierenden Bildern fordert sie eine Haltung ein, wo erwachsene Theolog/innen die Ambivalenzen im Spiel der Kinder sehen lernen und ihre Theologie von solchem Spiel verändern lassen. Sie sollen etwas (wieder)entdecken, was ihnen vielleicht verloren gegangen ist – die freudige Einladung an sich selbst zum Spielen. Eine »Theologie für Kinder«

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kann also nicht ohne das Gespräch mit einer »Theologie von Kindern für Erwachsene« entstehen. Eine gute »Theologie für Kinder« ist keine intellektuelle Einzelleistung, sondern ein »bildsames Gesamtpaket« aus Inhalt und Prozess, aus Spielgaben und Beziehung, aus Raum und Zeit. Erst als Ganzes kann es den spielenden Kindern gerecht werden und ihnen ein ermutigendes Gottesbild zeigen, das die Kinder selbst zum Spielen einlädt. In umgekehrter Richtung lässt sich sagen: Eine »Theologie für Kinder« trägt dazu bei, die Inhalte, Formen und Ambivalenzen, die in kindlichem Spiel ansichtig werden, erkunden und reflektieren zu können. Dies geschieht auch dadurch, dass sie der Interpretation eine Art Folie anbietet, vor der die kindliche Eigenlogik deutlich wird, durchaus in entwicklungstypischen Unterschieden zu klassischen Theologumena. Ob eine »Theologie für Kinder« zu Vorgaben, Impulsen, Gestaltungen und einer Themenauswahl führt, die sich in einer dynamischen Balance mit einer »Theologie von Kindern« befindet, und dadurch gegen einen Rückfall in eine Vermittlungstheologie abgesichert ist, erkennt man an den Anzeichen lebensweltlicher Relevanz, an Ausdrucksformen vertieften spirituellen Erlebens, am Maß des Zugewinns aufgeklärten Glaubens. Ein didaktisches Setting, das Phasen des selbstbestimmten Spiels von Kindern erlaubt, in welchen Erwachsene frei sind zu beobachten, ist wie kaum ein anderes Setting dafür geeignet.

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 Mirjam Zimmermann (Hg.): Fra­gen im Religionsunterricht. Unterrichtsideen zu einer schülerfragenorientierten Didaktik, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, 164 Seiten, 27 Abbildungen

Das Buch stellt eine sehr lohnende und anregende unterrichtspraktische Ausarbeitung zur Schülerfragendidaktik im Religionsunterricht dar. Mirjam Zimmermann hat als Herausgeberin Autorinnen und Autoren für diesen Band gewinnen können, die entweder im Schuldienst oder in der schulpraktischen Ausbildung als Fachleiter, Studienleiter oder im Hochschulbereich tätig sind. Damit hat sie das Thema religionspädagogisch konsequent weitergeführt: Im Vorläuferband zu diesem Praxisbuch »Schülerfragen im (Religions-)Unterricht. Ein notwendiger Bildungsauftrag heute?!«, herausgegeben von Heike Lindner und Mirjam Zimmermann, sind die theoretischen Grundlegungen als historisch-pädagogische, sprachwissenschaftliche, pädagogisch-psychologische, empirische, religionspädagogische und philosophische Zugänge interdisziplinär entfaltet worden, sodass mit diesen beiden Bänden eine sehr wichtige didaktische Analyse und Umsetzung dieser wichtigen Thematik vorliegt. Bei aller heutigen Kompetenzorientierung und der damit verbundenen output-ori-

entierten Didaktik ist der Gedanke, wie Schülerfragen aktiv gefördert werden können, bis auf wenige Ausnahmen seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr weitergeführt worden. Dabei lebt gerade der Religionsunterricht davon, dass die Schülerinnen und Schüler selbstständige Fragen zu den wichtigen Themen des Lebens stellen lernen. Mirjam Zimmermann fragt in der Einleitung zurecht: »Was ist das nur für eine Unterrichtskultur, in der eine Schülerin bzw. ein Schüler im Durchschnitt alle zehn Unterrichtsstunden eine Frage stellt und diese Fragen dann weitestgehend organisatorischer Art sind?« (S. 7). Es ist eben gerade nicht so, als hätten Kinder und Jugendliche keine Fragen mehr, im Gegenteil, sie kommen häufig erst gar nicht selbst zum Zuge, da statistisch gesehen die Lehrerfragen überwiegen. Geht man davon aus, dass sich Kinder entwicklungspsychologisch vor allem in der Vorschul- und Grundschulzeit im richtigen Fragealter befinden, so ist es für die Pubertätszeit sehr wichtig, die Fragehaltung als ein Mittel von Selbstbestimmung, Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit (S. 11) fortzuführen, indem sie sich Schritt für Schritt auf kognitiv höherem Niveau (S. 21) entfalten kann. Dazu sollte die Lehrkraft über eine Fragesystematik und -methodik verfügen, die einem schülerfragen-freundlichen Unterricht entgegen kommt.

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Diesen Anspruch löst das Buch in vollem Umfang sehr gut ein: Es bietet zahlreiche, vor allem methodisch-didaktische Anregungen für die Unterrichts­ praxis in der Primarstufe, Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II. Die Ausgangspunkte sind sehr unterschiedlich: Rainer Oberthür regt mit seinem Kalenderbuch für das 4. Schuljahr an, mit einer schweren Frage die Schülerfragen an das Leben anregen und entfalten zu können: »Was ist Weisheit?« Die Kinder werden zunächst in ihren Fragehaltungen abgeholt, bis sie schließlich eigene Fragen im Kalenderbuch festhalten. Mit einem frag-würdigen Thema »Sterben, Tod und Traurigkeit« versucht Martina Plieth für die Klassenstufe 1 bis 6 »den Palast des Fragens neu aufzubauen«. Kinder kennen in diesem Alter bezüglich dieser schwierigen Thematik noch keine Tabus, vielmehr haben sie gerade dazu viele Fragen, die im Religionsunterricht zum Zuge kommen sollten. Dazu stellt sie zahlreiche methodische Frage-Anreizsituationen vor. Ein sehr schönes Unterrichtsprojekt präsentiert Angela Heidler für das 2. Schuljahr. Die Kinder treffen aktive Gemeindemitglieder und befragen sie nach ihren Erfahrungen: »Warum gehst du in die Kirche?« Als Erkundungsgang können die Kinder mit Hilfe einer Kirchenfragebox das Thema selbstständig und kreativ erforschen. Romy Tenge bringt Schüler einer 5. und 12. Jahrgangsstufe zusammen. Das stufenübergreifende Gespräch im RU wird durch »Fragenkreise« vorbereitet, die jüngeren Schüler stellen gesammelte Fragen an die älteren und kommen so ins Gespräch über die wichtigen Fragen und Themen des Lebens. Die Oberstufenschüler erhalten hier

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die Möglichkeit, anthropomorphe und symbolische Deutungen der jüngeren Schüler zu erkennen und entwicklungspsychologisch auszuwerten. Mit einem theologisch-philosophischen Kindercafé bietet Gabriele Obst Kindern der 5./6. Jahrgangsstufe schulübergreifend Gelegenheit, an einem exponierten Ort in der Stadt Fragen zu lernen. Die Kinder werden angeregt Perspektivenwechsel einzuüben und Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Fragen und Nachdenken aushalten zu können, auch wenn manches offen bleibt, ist erklärtes Ziel dieses Projekts, das die »suchende Haltung als Grundhaltung des Philosophierens und Theologisierens« (S. 72) einüben möchte. Mit Hilfe einer spannenden Ganzschrift-Lektüre stellt Bärbel Husmann ihr Unterrichtsvorhaben für Schüler der 10. Jahrgangsstufe vor. Mit dem Jugendbuch »Nichts, was im Leben wichtig ist« konfrontiert sie die Schüler mit der Möglichkeit dem Leben nihilistische Denkfiguren entgegenzusetzen und damit jegliche Sinnfragen als berechtigte Fragen infrage zu stellen. Dieser provozierende Kerngedanke des Jugendbuchs spielt konsequent die These durch, was wäre, wenn alles keinen Sinn hätte. Die Schüler können mit den Romanfiguren diese Provokation durchleben und sie lernen angesichts der Notwendigkeit, sterben zu müssen, Fragen an diese negative Weltdeutung zu stellen, welche auch die normalen Konventionen und Lebensentwürfe im Alltag in Frage stellt (S. 84). Christian Fabritz präsentiert mit einer Schüler-Präsenzbibliothek für den Religionsunterricht Orte für Antworten auf selbst gestellte Fragen. Methodentraining und Umgang mit einer Bibliothek können sehr hilf-

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reich für das Anfertigen einer Facharbeit im RU sein. Mit einem Bibellesetagebuch fördert Wolf Eckhard Miethke die Annäherung an die Bibel für die 11. Jahrgangsstufe eines Beruflichen Gymnasiums. Dazu stellt er einen festgelegten Rahmen vor, in dem die Schülerinnen und Schüler sich bestimmte biblische Bücher zur Leseauswahl in einer bestimmten Zeit mit Hilfe eines Bibelleseprotokolls aneignen sollen. Diese Portfolio-Technik führt die Schüler gezielt durch die Texte, inhaltliche Fragen und persönliche Fragen sollen die Schüler darin unter anderem festhalten. Die Ergebnisdokumentation zeigt, dass die Verbindlichkeit des Verfahrens zielführend ist. Eine der schwierigsten theologischen Fragen in Verbindung mit der Frage, was geht uns das an?, entfaltet Oliver Arnhold im Hinblick auf die Deutung des Todes Jesu »Für mich gestorben!? – Was geht uns der Tod Jesu an?« Anknüpfend bei den Schülerfragen zum Sühnetod-Gedanken und mit Hilfe des Kooperativen Lernens können die Schülerinnen und Schüler in diesem Unterrichtsprojekt Fragen reflektieren, »die ihre eigene religiöse Sozialisation und Einbruchstellen für ihren Glauben« (S. 125) betreffen. Die dokumentierten Schülerfragen zeigen, wie tiefgehend christologisch im Oberstufenunterricht gearbeitet werden kann. Schülerfragen als Weg zur Bildung diakonischer Kompetenzen entfaltet Gabriele Klappenecker in ihrem gleichnamigen Beitrag. Diakonische Einrichtungen können Fragehaltungen wecken, die die Schüler in ihrem Praktikum vor Ort mit Hilfe des forschenden Lernens entfalten und mit wichtigen lebensnahen Erfahrungen füllen können. Der Prak-

tikumsbericht dokumentiert die Ergebnisse dieses Projekts. Hamjan Dam stellt in seinem Oberstufenkurs Fragen zur Christologie als strukturierendes Element vor. Um die Lernausgangslagen zu erfassen, werden die Schüler vor eine komplexe Anforderungssituation gestellt, die Fragehaltungen wecken soll: »In Ihrer Klasse wollen drei Schüler an Karfreitag eine Party feiern. Zwei andere Schüler meinen, dass das doch nicht geht, weil an dem Tag daran erinnert wird, dass Jesus stellvertretend für unsere Sünden gestorben ist« (S. 143). Anhand von einer großen Anzahl von Jesusdarstellungen sollen die Schüler die eigenen Jesusvorstellungen sichten und auswerten und schließlich in Fragen transferieren: »Was ich schon länger über Jesus Christus wissen wollte, mich bis jetzt noch nicht so zu fragen traute, aber in diesem Kurs endlich mal beantwortet haben möchte« (S. 145). Dieses schöne und perspektivenreiche Buch macht Appetit auf die Schülerfragendidaktik für den RU. Hier wird eine große und breite Leserschaft angesprochen, der die eigenen Fragen der Schülerinnen und Schüler sehr wichtig ist. Fragekompetenz zu fördern verhilft Kindern und Jugendlichen sich selbst, die Welt und den eigenen Glauben zu erschließen. Darum lohnt es sich sehr diese methodisch-didaktischen Anregungen einmal selbst im eigenen Unterricht auszuprobieren. Heike Lindner

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 Albert Biesinger / Helga KohlerSpiegel: Woher, wohin, was ist der Sinn? Die großen Fragen des Lebens. Kinder fragen – Forscherinnen und Forscher antworten, Kösel-Verlag, München 2011, 141 Seiten

Wie alt ist Gott? Oder: warum haben wir so viele Fragen? Wann hat die Zeit angefangen und wann hört sie wieder auf? Warum bin ich auf der Welt? Was ist der Sinn des Lebens? Ist es im Himmel schöner als auf der Erde? Warum glauben manche Menschen nicht an Gott? Menschen können so viel lernen, aber was ist das Wichtigste? Komme ich von Gott – gehe ich zu Gott? Kommt meine Katze in den Himmel? Worauf darf ich stolz sein? Straft Gott böse Menschen? Warum haben wir so unterschiedliche Talente? Warum streiten wir? Und warum ist es so schwer sich zu vertragen? Woher, wohin, was ist der Sinn von Taufe? Warum werden wir krank? Diesen »großen« Fragen gehen renommierte Religionspädagoginnen und Religionspädagogen so nach, dass sie in einen fiktiven Dialog mit Kindern treten; sie nehmen mögliche Gedankengänge der Kinder an, gehen darauf ein und bieten im besten Sinne Theologie für Kinder. Gleichzeitig bereichern sie damit aber auch Erwachsene. Ich werde dieses Buch nicht nur Religionslehrer/innen empfehlen, sondern all jenen jungen Eltern, die mit der Frage ringen, ob Inhalte der christlichen Religion überhaupt persönlichkeitsfördernd vermittelt werden können. Schaden sie der Seele nicht mehr als sie nützen? Die aktuelle Verunsicherung unter den jungen nachdenklichen Erwachsenen diesbezüglich ist groß – die Miss-

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brauchsgeschichten haben auch die dahinter liegenden destruktiv-religiösen Erziehungsmethoden in Kirchen und christlichen Kinderheimen deutlicher ans Licht gebracht. Neben der starken Verunsicherung ist aber die Sehnsucht nach einer transzendenten Rahmung des Lebens geblieben. Und so stehen junge Eltern vor der Frage, ob überhaupt und wie religiöse Inhalte für ihre Kinder hilfreich werden könnten. Welche grundlegenden Botschaften vermittelt dieses reizvolle Buch diesbezüglich implizit? 1. Kinder fragen unvoreingenommen, unverblümt, aus existentiellem Bedürfnis. Jede der im Buch aufgegriffenen großen Fragen könnten die eigenen Kinder schon irgendwann gestellt haben. Die Autor/innen zeigen, dass sie naturwissenschaftlich – etwa bei der Frage nach dem Anfang der Zeit (Reinhold Boschki, 22) oder unserem eigenen Anfang (Albert Biesinger, 63) – oder psychologisch – wie bei der Frage nach den unterschiedlichen Talenten (Regina Radlbeck-Ossmann, 108) – angegangen werden könnten, aber dass jede dieser Fragen schnell in den transzententen Bereich führt. Auch Kinder, die in unserer Gesellschaft ohne religiöse Erziehung aufwachsen, werden etwa weiterfragen, wer eigentlich für den Urknall verantwortlich ist, ob irgend eine höhere Macht die Krankheit gebracht hat, oder ob es irgendwann eine ausgleichende Gerechtigkeit gibt, die die Bösen bestraft, und sie erhoffen sich ein Gespräch dazu. Das wird im Lesen sehr deutlich – es sind die Fragen der Kinder, über die hier nachgedacht wird. Am Ende der gemeinsamen Suchbewegung gibt es dann aber

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meist Impulsfragen der Erwachsenen, die die Kinder zum weiteren Nachdenken anregen sollen. 2. Kinder machen sich ihre eigenen Gedanken und können zu erstaunlichen Lösungen kommen. Mehrere Autor/innen lassen die Kinder ganz ausdrücklich zu Wort kommen und führen deren Sichtweisen beispielhaft an. Wunderschön etwa das Gespräch zwischen einem 7-Jährigen und seiner Mutter zu früher Morgenstund’ über Gott und warum er uns das Leben gegeben hat. Der Bub meint, wir seien auf der Welt, um lieben zu lernen. »Naja, eigentlich kann das jedes Kind, wenn es geboren wird, aber weißt du: es ist so . . . innen, und wir müssen lernen, wie es nach außen kommt. Und das geht nur, wenn wir leben (Martin Jäggle, 58f). 3. Gleich in den ersten Seiten machen die Herausgeber/innen klar, dass es in diesem Buch um Fragen gehen wird, die nie aufhören, und dass auf solche Glaubensfragen im Gegensatz zu Wissensfragen jeder Mensch seine eigene Antwort finden muss. Die Botschaft an die Kinder lautet: »Nur du kannst entscheiden, ob eine Antwort für dich richtig ist« (Petra Freudenberger-Lötz, 13). Erleichtert werden auch Eltern feststellen, dass sie nicht nach der einzig richtigen Antwort gefragt sind; vielmehr geht es um einen gemeinsamen Suchprozess und einen authentischen Austausch von begründeten Meinungen. 4. Immer wieder ist zu lesen, dass auch die Autor/innen für manche Frage keine Antwort haben – höchstens eine Hoffnung. »Doch vielleicht sind es gerade diese Hoffnungen und Sehnsüchte, in denen sich der göttliche Funke in uns äußert?« (Albert Biesinger, 70). Wie Gott das Leid zulassen kann, darauf hat bisher kein Mensch eine wirklich gute Antwort

gefunden. Aber die Bibel spricht davon, dass Gott auch dann bei uns ist, wenn es uns schlecht geht (Friedrich Schweitzer, 54). Wie es im Himmel tatsächlich ist, weiß keiner. Dennoch dürfen wir glauben, dass es dort schön ist, weil wir bei Gott sind (Simone Hiller, 42). Wie es nach dem Tod sein wird, ob meine Katze in den Himmel kommt, viele ungeklärte Fragen können wir Gott überlassen. »Ihm traue ich zu, dass er andere und mehr Möglichkeiten im Blick hat als wir Menschen, und wären wir auch noch so gescheit (Sabine Pemsel-Maier, 80). Wie Theolog/innen dürfen auch Eltern so manche Frage einfach auf diese Weise offen lassen – das kommt den suchenden Kindern mehr entgegen, als das Gespräch darüber zu meiden. 5. Kinder suchen im Fragen letztlich nach dem Sinn des Lebens. Sie dabei zu unterstützen ist lebensförderlich. Hilfreich auch für manche gestresste Eltern: innehalten und mit dem Kind den 13 möglichen Antwortangeboten zum Sinn des Lebens nachzugehen oder mit dem Kind eine 14. zu entdecken (Rainer Oberthür, 31–32). Ein Ausspruch Wittgensteins (S. 32) zur Nähe zwischen Gottesfrage und Sinnfrage könnte auf der Erwachsenebene zum Philosophieren und Theologisieren einladen. 6. Weitere Gottesbilder, die den Eltern für ihr gemeinsames Nachdenken mit den Kindern in den Texten angeboten werden, möchte ich zuletzt in eigenen Worten einfangen: Was immer du getan hast, du darfst dich auf Gott verlassen, du bist sein geliebtes Kind (Ottmar Fuchs, 98). Derjenige, mit dem ich gerade Streit habe, wird von Gott genau so geliebt wie ich (Helga Kohler-Spiegel, 114).

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Auch ungetaufte Kinder sind Gottes geliebte Kinder (Klaus, Simon und Ruben Kießling, 123). Dass Gott den Menschen Krankheit schickt, kann ich nicht glauben, denn ein solcher Gott verdiente es nicht, Gott zu sein (Magnus Striet, 130). Wir Menschen sind großartige Wesen, Wunderwerke. Darauf dürfen wir stolz

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sein! Wer so etwas erschaffen kann, muss größer als alle sein! (Vreni Merz, 84–85) Ich werde dieses Buch an viele junge Eltern weiter schenken! Es ist im Übrigen ein Nachfolgeband zum Buch: Gibt’s Gott und bezaubert wiederum mit den Illustrationen von Mascha Greune. Elisabeth E. Schwarz

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Die Autorinnen und Autoren

Die Autorinnen und Autoren

Dr. Katrin Bederna ist Professorin für Katholische Theologie / Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Rainer Oberthür ist stellvertretender Leiter des Katechetischen Instituts des Bistums Aachen, Dozent für Religionspädagogik und Grundschullehrer.

Dr. Anton A. Bucher ist Professor für Religionspädagogik an der Universität Salzburg.

Dr. Jantine Nierop ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Praktisch-Theologischen Seminar der Universität Heidelberg.

Dr. Gerhard Büttner ist em. Professor für Evangelische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Dortmund. Dr. Claudia Gärtner ist Professorin für Praktische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Technischen Universität Dortmund. Dr. Silvia Habringer-Hagleitner lehrt am Institut für Religionspädagogik und Pädagogik an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität in Linz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind religiöse Bildung, spirituelle Begleitung und Wertebildung in der frühen Kindheit. Sylvia Inou ist Katholische Religionspädagogin an der AHS Theodor Kramerstraße in Wien und am Evangelischen Realgymnasium Donaustadt sowie an der Pädagogischen Hochschule Baden. Angela Kunze-Beiküfner ist Pfarrerin und Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Institut in Drübeck (Sachsen-Anhalt) sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am MartinLuther-Institut der Universität Erfurt.

Dr. Sabine Pemsel-Maier ist Professorin für Katholische Theologie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Bernadette Pisarski ist Lehramtsanwärterin. Dr. Hanna Roose ist Professorin für Bibelwissenschaften und Religionspädagogik an der Universität Lüneburg. Oberkirchenrätin Birgit Sendler-Koschel ist Bildungsreferentin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Dr. Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Tübingen. Dr. Martin Steinhäuser ist Professor für Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Moritzburg / Sachsen und Godly Play-Fortbildner. Dr. Mirjam Zimmermann ist Professorin für Religionspädagogik an der Universität Siegen.