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German Pages 338 Year 2021
Charlotte Schubert Isonomia
Beiträge zur Altertumskunde
Herausgegeben von Susanne Daub, Michael Erler, Dorothee Gall, Ludwig Koenen und Clemens Zintzen
Band 392
Charlotte Schubert
Isonomia
Entwicklung und Geschichte
Dieser Band wurde fertiggestellt während eines Forschungssemesters (2019/20), bewilligt und gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
ISBN 978-3-11-071796-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-072366-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-072376-2 ISSN 1616-0452 Library of Congress Cataloging in Publication Control Number: 2020952194 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbib liografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Vorwort
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A: Isonomia: Semantische Befunde und Ordnungsvorstellungen
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte 19 19 I. Politisches Denken im 6. Jahrhundert v. Chr. I. Das Politische und politische Tätigkeit im 6. Jahrhundert 19 v. Chr. I. Solon: Eunomie für die Polis 25 I. Solon und Anaximander: Gerechtigkeit und Ausgleich – regulatorisch-distributive vs. ausgleichende Gerechtigkeit 37 I. Xenophanes von Kolophon: Politisches Denken im archaischen 43 Griechenland II. Isonomia in Ionien 62 II. Thales’ und Bias’ Ratschläge an das ionische Koinon 65 72 . Koina der Ionier: Teos, Phokaia . Chios 80 82 II. Die Entwicklung der ionischen Isonomien . Isonomien von Samos bis Lade bei Herodot 82 . Heraklits Xynon und die Isonomie 89 97 . Ionisches Scheitern und athenischer Erfolg bei Herodot III. Isonomia in Athen 102 102 III. Voraussetzungen: Hipparchs Reformen . Hipparchs Kulturprogramm 102 . Hipparchs Wegeprogramm 106 III. Der Tyrannensturz und die Isonomie: Harmodios und Aristogeiton 110 als Initiatoren der attischen Isonomie? III. Die Phylenreform des Kleisthenes: Verwirklichung der 128 Isonomie 142 IV. Isonomia in der Magna Graecia IV. Pythagoras in Samos und Kroton 142 IV. Die pythagoreische Lebensführung: Gesundheit und 149 Gleichgewicht IV. Alkmaion: Isonomie im Kreis der Pythagoreer 152 . Alkmaion im Kreis der Pythagoreer 152 . Alkmaions Isonomia und Maßverfehlung 159 . Alkmaions Isonomia: Gleichgewicht und Symmetrie 168
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Inhalt
IV. Das Koinon in Kroton und Sybaris 174 V. Isonomia und Demokratia 180 180 V. Isonomia – ein leeres Schlagwort? 193 V. Isonomia in arithmetischer und geometrischer Gleichheit . Isonomia im Menexenos und Siebenten Brief Platons 194 202 . Isonomia vs. geometrische Gleichheit 206 . Politeia ohne Isomomia V. Isonomia in der griechischen Myth-Historie 208 208 . Isokrates: Vergangene Isonomie – eine Utopie? . Eine messenische Isonomia? 212 V. Isonomia als Charakteristikum einer demokratischen 216 Verfassung . Isonomia und Demokratia im politischen Diskurs 216 . Isonomia und Demokratia in Smyrna und Magnesia am 219 Sipylos V. Isonomia in Rom – ein diskreditiertes Argument 223 223 . Isonomia und Verfassungsentwicklung . Isonomia und Mischverfassung: Maß und Mitte 233 VI. Isonomia in Kosmos und Polis 246 246 . Isonomia in der Philosophie 251 . Isonomia in den Selbstbetrachtungen des Mark Aurel 254 . Ausblick: Isonomia und christlicher Glaube VII. Schlußbetrachtung 258 261 C: Anhang VIII. Appendix 1: Die Überlieferung des Alkmaion-Lemmas „Περὶ ὑγείας καὶ νόσου …“ 261 269 VIII. Appendix 2: Die Methode des Alkmaion IX. Literaturverzeichnis 271 271 IX. Textausgaben und Kommentare IX. Sekundärliteratur 276 IX. Abkürzungen 301 307 IX. Abbildungsverzeichnis X. Indices
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Vorwort Isonomie wird heute meist als Charakteristikum der Demokratie angesehen. Obwohl diese Subsumierung höchstens einen Teilaspekt des Begriffs abdeckt und sie auch nur für eine bestimmte Phase der griechischen Geschichte gilt, hat sich diese Sichtweise praktisch als communis opinio etabliert. Dieses Verständnis von Isonomie ist auch nicht ungerechtfertigt, denn der Bezug auf das Politische, auf die Gemeinschaft der Bürger und ihre Teilhaberechte bleibt dem Begriff erhalten, wie auch an der Formel δημοκρατία καὶ ἰσονομία abzulesen ist. Sie wurde als eine spezifische Ausprägung der Demokratie eingesetzt, in der die Isonomie die Gesamtheit der Rechtsregeln einer demokratisch institutionalisierten Ordnung bedeutete. In der Historiographie verliert Isonomie den spezifischen Bezug auf die Demokratie jedoch im Laufe der Zeit. Der Begriff wurde auch in ganz anderen, an sich unpolitischen Zusammenhängen verwendet wie etwa in der Medizin und der Philosophie. In den christlichen Schriften wiederum erhält der Begriff schließlich eine metaphysische Aufladung, die ihm einen ganz anderen Sinn gibt. Isonomie wird ein theologisch imprägnierter Begriff, dessen säkulare und politische Bedeutung völlig in den Hintergrund tritt, und diese Wendung markiert einen Einschnitt, der für die Antike das Ende des politischen Gehaltes der Isonomie bedeutet. Das vorliegende Buch geht der Entwicklung des politischen Begriffs nach, d. h. von seinem Ursprung im 6. Jahrhundert v.Chr. bis in die römische Kaiserzeit. Die Anfänge der Isonomie liegen in einer Epoche, mit der ich mich in verschiedenen älteren und neueren Aufsätzen beschäftigt habe, die in dieses Buch in aktualisierter und zum Teil gekürzter Form eingegangen sind. In Vorträgen und vielen Gesprächen mit Kolleginnen, Kollegen und Freunden konnte ich das Thema vertiefen.Vorab-Versionen ihrer Forschungsergebnisse haben mir Verena Gassner zu Elea, Stavros Kouloumentas zu Alkmaion und Denis Rousset zu einer Inschrift aus dem Asklepieion in Daphnous freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Hellmut Flashar, Peter Funke, Verena Gassner, Roxana Kath, Foteini Kolovou, Hartmut Leppin, Friedrich Meins, Ulrike Muss, Dietrich Raue, Michaela Rücker, Reinhold Scholl, Kurt Sier und Luigi Vecchio haben mir wichtige Hinweise gegeben. Sylvia Kurowsky hat das Manuskript Korrektur gelesen und die Indices erstellt. Ein Forschungssemester, das mir die DFG für das Wintersemester 2019/20 bewilligt hat, ermöglichte schließlich auch die Fertigstellung des Buchs. Allen gebührt mein Dank, und natürlich sind die Fehler, die sich bei einem so weit ausgreifenden Thema kaum vermeiden lassen, nur mir anzulasten. Leipzig, im Sommer 2020 C.S. https://doi.org/10.1515/9783110723663-001
„Was auch immer an vorsprachlichen Voraussetzungen in die Geschichte eingeht oder in sie eingegangen ist, die Realität der vergangenen Geschichten ist nur in ihren sprachlichen Gestaltungen präsent.“¹
A: Isonomia: Semantische Befunde und Ordnungsvorstellungen Isonomie als Teil des begrifflichen Instrumentariums der politischen Entwicklung wird in der Regel als ‚Gleichheit vor dem Gesetz‘ übersetzt; begrifflich und historisch stand und steht Isonomie im Schatten der Demokratie. Interessanterweise zerfällt die Forschung zur antiken Isonomie in zwei recht klar voneinander getrennte Bereiche: Zum einen wird Isonomie als Teil eines historischen Prozesses – der politischen Entwicklung, insbesondere derjenigen Athens – behandelt, zum anderen im Rahmen der antiken Philosophiegeschichte, insbesondere aufgrund der Überlieferung zu Alkmaion als Teil der sog. Placita-Überlieferung.² Eine zusammenfassende, beide Stränge der antiken Vorstellungen einbeziehende Darstellung, die nach Verbindungen, Abhängigkeiten oder Differenzen zwischen diesen Strängen fragt, fehlt bisher. Neben diesem grundsätzlichen Desiderat sind weitere Leerstellen zu konstatieren: Einerseits ist die Geschichte der Isonomie in Ionien, aber auch im Athen der Peisistratidenzeit sowie in Unteritalien (Kroton) in der Forschung seit langem fast völlig in den Hintergrund getreten. In den philosophiehistorischen Untersuchungen wird andererseits zwar die komplexe Überlieferungssituation der wichtigsten Textpassagen sehr wohl beachtet, jedoch der historische Kontext der jeweiligen Autoren selten oder gar nicht einbezogen und so jeglicher Handlungszusammenhang aufgelöst. Auch die spätere Verwendung des Begriffs, in der politische Kontexte immer seltener werden, jedoch die ordnungstheoretischen sichtbar bleiben, wirft bisher kaum behandelte Fragen auf. Dem Befund, daß Isonomie etwa in der historiographischen Literatur des Prinzipats und der Kaiserzeit zur Bezeichnung und zur Charakterisierung einer
Koselleck 2010, 54. Mansfeld/Runia 1997, 2009, 2010, 2018, 2020; Mele 2009, 49 f.; Mansfeld 2013; Kouloumentas 2014 geht auf den historischen Kontext zu Alkmaion ein und berücksichtigt auch die Situation in der Magna Graecia; zu Alkmaion: Diskussion und Literatur in Kap. IV.3 sowie in den Appendices 1 und 2. Auch die Verwendung des Isonomie-Begriffs bei Epikur wird ausschließlich unter philosophiehistorischen Gesichtspunkten untersucht: Freymuth 1954; McKay 1964; Isnardi Parente 1977; Kleve 1979. https://doi.org/10.1515/9783110723663-002
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monarchischen Ordnung verwendet wird, ist bisher praktisch keine Aufmerksamkeit gewidmet worden. In den auf das Politische ausgerichteten Betrachtungen über die Isonomie spielt die Entwicklung der Poleis auf dem griechischen Festland, insbesondere natürlich in Athen, als Motor für die Entstehung der Demokratie eine zentrale Rolle.³ Zwar hat sich auch in Athen die Demokratie schrittweise entwickelt, doch gelten der Sturz der peisistratidischen Tyrannis und die anschließende Reform, die Kleisthenes durchführte, als Initialmoment.⁴ Von dieser Phase der attischen Geschichte aus, von manchen Althistorikern auch als ‚athenische Revolution‘ bezeichnet,⁵ wird die Entwicklung der Demokratie her definiert. Dabei wird selbstverständlich berücksichtigt, daß diese Entwicklung sich nicht innerhalb weniger Jahre vollzog und daß die Etablierung der repräsentativen Struktur, ihre Einübung und Akzeptanz im Rahmen alltäglicher Praxis einige Zeit benötigt haben wird. Trotzdem betrachtet man diese Entwicklung als konzeptionelle Einheit. Die Formalisierung und Institutionalisierung von politischen Entscheidungsprozessen und Verantwortlichkeiten lassen sich seit dem Ende des 7. Jahrhunderts v.Chr. punktuell,⁶ seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. deutlicher in verschiedenen Regionen der griechischen Welt beobachten.⁷ Im Kontext dieser Entwicklung ist – so die heute zumeist vertretene Ansicht (ein Ergebnis, zu dem auch die vorliegende Untersuchung kommt) – die Vorstellung von Isonomie geprägt worden.⁸
Vgl. insb. Raaflaub 2017; Raaflaub et al. 2007; Rausch 1999. Raaflaub 2017, 103 – 128 und ders. 2007, 145 f. in Raaflaub et al. 2007; Meier 1980, 88 ff.; Cartledge 2009, 70. Neuere Überlegungen zum Begriff ‚Isonomie‘ finden sich bei Dmitriev 2015, 53 – 83; Kouloumentas 2014, 867– 887; Lombardini 2013, 393 – 420; Karatani 2017. Zu Karatani vgl. die Rez. von Lombardini in: The Review of Politics, Volume 81, Issue 1, 2019, 171– 73, der dem Buch einen eklatanten Mangel an Berücksichtigung des historischen und literarischen Kontexts attestiert. Eder 1988; Flaig 2004; insb. Ober in Raaflaub et al. 2007, 83 – 104 und z. B. auch Rausch 1999, wobei letzterer auf den Begriff und seine Bedeutung für das politische Geschehen nicht eingeht. Vgl. die Inschrift aus Dreros (Koerner Nr. 91 = ML 2). Zu der Inschrift aus Chios (Koerner Nr. 61 = ML 8) vgl. Kap. II.1.2. Eine dies ablehnende Position, die den Begriff als unbedeutend im Kontext der politischen Entwicklung einordnet, hat Hansen eingenommen: Hansen 1989, 23 und 1995, 84. Hansen, einer der besten Kenner der antiken Polis und ihrer Entwicklungen, schreibt a. a.O. 1989, 23: „Similarly, modern historians tend to emphasize isonomia as the central aspect of democratic equality: ‘If any one term is to be singled out as the „banner“ of the ultimately victorious democracy, it is the word isonomia, which has two distinct connotations. The dominant one is „equality through the law“, virtually a synonym for „democracy“, and therefore regularly employed in the context of political rights.’ But the term isonomia is poorly attested in classical Athens.“ Gegenargument gegen die Annahme, Isonomia sei ein wichtiger und bedeutungsvoller Begriff, ist seiner Ansicht nach, daß Isonomia nie personifiziert und kultisch verehrt wurde. Hansen 1989, 3 und 21 sieht
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Die Untersuchung der mit der Begriffsbildung einhergehenden, in den Termini der Isonomie und Demokratie bzw. ihren adjektivischen und verbalen Formen zu erkennenden historischen Kontexte ist in der Regel auf Athen konzentriert.⁹ Meier hat in seinem Werk ‚Die Entstehung des Politischen bei den Griechen‘ bereits betont, daß diese Entwicklung wohl kaum auf Athen beschränkt gesehen werden und daß Athen ‚zunächst nicht führend gewesen‘ sein kann.¹⁰ Er vertrat die Ansicht, daß die Nachrichten über frühe isonome Ordnungen auf ‚breitere Oligarchien‘ verweisen. Erst mit Kleisthenes sei in Athen die entscheidende Veränderung eingetreten und habe die Vorstellung von Isonomie ihre spezifische Richtung auf die Demokratie hin erhalten. Diesen Prozeß bezeichnet Meier als eine autonom-prozessuale Entwicklung,¹¹ in der jedoch dem politischen Denken eine besondere und maßgebliche Rolle im Politischen zukam und die, ohne daß die Beteiligten es bewußt herbeigeführt hätten, auf die Demokratie zulief.¹² Demgegenüber hält Hansen Isonomia für ein lediglich schwach bezeugtes Schlagwort und keineswegs für einen Grundwert der athenischen Demokratie, wie dies etwa Finley noch gesehen hatte.¹³ Sehr weit geht Robinson,¹⁴ der auf der Grundlage von Aristoteles (pol. 1297b22 – 28) eine Entwicklung postuliert, die von Anfang an durch zunehmende Kontrolle des δῆμος über die „staatlichen“ Strukturen geprägt sei. In der Machtfülle der Volksversammlung, in Losung bzw. Wahl von Beamten, der allgemeinen Wählbarkeit ohne größere Zensusreglementierungen, den kurzen Amtszeiten der Magistrate, in Kontrolle bzw. Rechenschaftspflicht der Beamten etc. sieht er schon sehr früh nachweisbare Demokratien. Allerdings dürfte es sich bei den von Robinson zusammengetragenen Fällen doch, wenn überhaupt, bestenfalls um Proto-Demokratien gehandelt haben.¹⁵
Isonomie zwar auch als Attribut des demokratischen Ideals formuliert, konstatiert aber (a. a.O. 23): „Thus I conclude from all the evidence we have that isonomia was not the banner of democracy.“ Eine völlig andere Position nimmt Mansfeld ein, der den Begriff für sehr viel später (im 5. Jh. v.Chr. und unter maßgeblichem Einfluß von Herodot) entstanden hält, dazu i.E. Kap. IV.3 und unten Anm. 585, sowie Appendix 2. Raaflaub 2007, 113 in Raaflaub et al. 2007. Vgl. auch Anm. 30. Meier 1980, 86, 88. Rosivach 1988, 49 ff. lehnt sowohl die Ansicht ab, daß Kleisthenes’ Regime demokratisch war oder daß er Isonomie als Begriff für seine Reform verwendete. Meier 1978, 221 ff. Meier 1978, 245. Hansen 1995, 84 und vgl. oben Anm. 8. Finley 1983, 139, vgl. Bleicken 1985, 32, 191 u. ö. Robinson 2011 und Robinson 1997. Robinson 1997, 80 und 88 nennt dazu folgende Beispiele: Ambrakia (um 580 v.Chr., Aristot. pol. 1304a31– 33) und Chalcis (Aristot. pol. 1304a29 – 31). So Raaflaub 2007, 43.
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Hierbei lassen sich, – als allgemeine Linien, in eher groben Strichen gezeichnet –, für die Isonomie grundsätzlich zwei Perspektiven unterscheiden: eine mehr auf die Akteure gerichtete und demgegenüber eine stärker auf allgemeine Ordnungsvorstellungen gerichtete.¹⁶ Für die Richtung, die der antiken, insbesondere der historiographischen Überlieferung folgt, stehen vor allem die Akteure im Vordergrund. Bereits Ehrenberg und Vlastos haben diese Blickrichtung in ihren Arbeiten in gewisser Weise vorgegeben. Ehrenberg legt den Fokus auf die Tyrannentöter und den Alkmeoniden Kleisthenes:¹⁷ Demnach habe sich Kleisthenes, da er sich mit seinen elitären Standesgenossen entzweit hatte, den Nimbus der Tyrannentöter zunutze gemacht und selbst Harmodios und Aristogeiton als Heroen der neuen Ordnung etabliert. Die Diskussion um das Verdienst oder den Machtmißbrauch der Alkmeoniden gehöre in eine viel spätere Zeit, in der die Aktualität sowohl des Tyrannenmordes wie auch der Auseinandersetzungen von 510/508 v.Chr. längst nicht mehr präsent waren und daher die Abläufe anders dargestellt werden konnten.¹⁸ Auch Lévêque und Vidal-Naquet¹⁹ führen die Isonomie auf den Kontext der historischen Ereignisse am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. zurück. Sie sehen in ihr den Gleichheitsgedanken, der aus der anthropologischen Struktur der griechischen Polis entstanden sei und der – mit Bezug auf Jean-Pierre Vernant²⁰ – die Keimzelle der archaischen griechischen Polis wurde, als deren Ausdruck sie vor allem die Hoplitenphalanx sehen; die Isonomie hat demnach, im Unterschied zur Eunomie Solons, keine moralische Konnotation, ist auch nicht auf eine ökonomische und/oder soziale Gleichstellung ausgerichtet, sondern ist die rein politische Gleichheit aller Bürger (Vernant), ohne Ansehen ihres gesellschaftlichen oder ethischen Werts. An Stelle eines Schlichters oder Gesetzgebers, wie es Solon war und dem die Macht und Entscheidung über die Konfliktlösung in die Hand
Vgl. Macé 2014, 659 ff. zu den beiden Aspekten des Koinons und Azoulay 2014, 691 ff. zu dem ‚Politischen‘. Ehrenberg 1950, 531 ff.: „In a song sung by nobles in honour of the tyrannicides it could not have meant democracy: It must have expressed the ideal aims of the liberators, and we shall not be much off the mark if we define it as the balanced equality of a society which previously had been oppressed by the rule of a tyrant. It meant the equality of ‘peers’, not of the people. […] At the same time, it remains something of a puzzle how the aristocratic ἰσονομία could so quickly become the watchword of democracy.“ Vgl. auch Ehrenbergs Artikel in RE Suppl. 7 s.v. Isonomia. Hierfür spricht auch Thukydides’ Kritik an der fehlgeleiteten Erinnerung seiner Athener Mitbürger zum Tyrannenmord, dazu i.E. in Kap. III.2. Lévêque/Vidal-Naquet 1964, 25 ff. und insb. 29 f. Grundlegend dazu Vernant 1962 (1991) und unten S. 10.
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gegeben wurde, ist es nun die Bürgerschaft selbst, die sich ihre Polis-Ordnung, ihren Nomos, konstituiert.²¹ Eine ebenso akteurszentrierte, wenn auch im Hinblick auf die Zuordnung zu Statusgruppen anders ansetzende Blickrichtung läßt sich in der auf die Bedeutung der elitären Ansprüche gerichteten Perspektive ausmachen. Christian Meier,²² der mit Blick auf Athen von einem Gleichgewicht zwischen Demos und Elite ausgeht, vertritt die Ansicht, daß im ausgehenden 6. Jahrhundert v.Chr. in Athen nicht mit einer Frontstellung zwischen Elite und Nicht-Elite zu rechnen sei und es daher für Kleisthenes möglich war, unter dem Banner der Isonomie eine breite Anhängerschaft für sein Reformprogramm zu gewinnen. Im Detail hat insbesondere Kurt Raaflaub mehrfach betont, daß viel auf Isonomia als ursprünglich aristokratisches Gleichheitsideal hinweise, diese aber im 5. Jh. v.Chr. praktisch äquivalent zu Demokratie wurde.²³ Maßgeblich dafür sind seiner Ansicht nach Textpassagen aus Herodot, die als eine Gleichsetzung von Isonomie und Demokratie zu verstehen sind.²⁴ Von Ostwald bis Luraghi reicht die Meinung,²⁵ daß etwa Otanes’ Plädoyer für die Isonomie in Herodots Verfassungsdebatte tatsächlich eine Demokratie meint und mit Isonomie auch Demokratie gemeint sei.²⁶
Mit ähnlicher Zielrichtung argumentieren Triebel-Schubert 1984; Costa 2004; anders Dmitriev 2015 (s.u. Anm. 26). Meier 1989, 70 – 100, hier: 91 mit Anm. 16; vgl. Meier 1980, Kap. 8. Ehrenberg 1950, 533: „It was, however, something very different to accept the claims made for Harmodius and Aristogeiton, who after all had been members of the nobility, and to see in their action the foundation of democracy. That can only have been done by somebody who had fallen out with the rest of the nobility and wanted a symbol for his own democratic policy. It must have been the doing of Cleisthenes. The opposite claim that the Alcmaeonids, and not the tyrannicides, were the true liberators of Athens, could be raised by a later pro-Alcmaeonid tradition when the part played by the Alcmaeonids throughout the years had become a matter of serious political dispute.“ Raaflaub 1995, 1– 54, 451– 52; neuerdings auch Dmitriev 2015. Z. B.: Hdt. 3,80,6 (Isonomie in der Rede des Otanes in der Verfassungsdebatte); 4,137,2 (δημοκρατέεσθαι in der Rede des Miltiades an der Donaubrücke) und 6,43,3 (δημοκρατέεσθαι und δημοκρατίας für die Maßnahmen des Mardonios nach der Niederschlagung des Ionischen Aufstandes), vgl. dazu Kap. II.1 und II.2. Ostwald 1969, 109, 179; Luraghi in Luraghi 2001, 142– 143; Dmitriev 2015, 82. Dmitriev 2015 ist der Ansicht, daß Herodot Isonomien als Demokratien uminterpretiert hat (zu Hdt. 4,137,2; 6,43,3), indem er rückblickend die politischen Realitäten seiner Zeit auf die Ereignisse des 6. Jahrhunderts v.Chr. projizierte. In der Beschreibung des Untergangs der Tyrannis in verschiedenen griechischen Städten und der Verfassungsdebatte am persischen Hof habe er verschiedene Phasen der politischen Entwicklung Griechenlands verwechselt, weil er alte Konzepte (die er mit späteren Definitionen versehen hat) verwendete und rückwirkend neu geprägte Konzepte anwandte (die angepaßt werden mußten, um sie in einen fremden Kontext einzufügen). Die Verfassungsdebatte gehe von den Realitäten des 5. Jahrhunderts v.Chr. aus, indem sie drei spezifische, politische Formen von Verfassungen einander gegenüberstelle.
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Gleichwohl nimmt eine akteurszentrierte Perspektive nicht nur die auf Macht und Einfluß ausgerichtete Handlungsebene in den Blick, sondern auch allgemeine Ordnungsvorstellungen, in deren Kontext sich die Handlungen und deren Begründungen verorten. Vlastos setzt die isonome Ordnung praktisch einer Demokratie gleich²⁷ – oder doch zumindest einer Proto-Demokratie.²⁸ Daraus folgt die These, daß Isonomie von den Demokraten ‘vereinnahmt’ und so ein Synonym für Demokratie wurde bzw., nachdem Kleisthenes sie in Athen etabliert hatte,²⁹ von den Späteren als Demokratie verstanden wurde, wofür Aristoteles als Zeuge aufgerufen wird:³⁰ Aristot. pol. 1310a28 – 33: δύο γάρ ἐστιν οἷς ἡ δημοκρατία δοκεῖ ὡρίσθαι, τῷ τὸ πλεῖον εἶναι κύριον καὶ τῇ ἐλευθερίᾳ· τὸ μὲν γὰρ ἴσον δίκαιον δοκεῖ εἶναι, ἴσον δ’ ὅ τι ἂν δόξῃ τῷ πλήθει, τοῦτ’ εἶναι κύριον, ἐλεύθερον δὲ [καὶ ἴσον] τὸ ὅ τι ἂν βούληταί τις ποιεῖν· […]. „Denn es sind zwei Prinzipien, durch die nach allgemeiner Auffassung die Demokratie bestimmt ist, einmal dadurch, daß die Mehrheit den Souverän bildet, dann durch Freiheit. Denn der gleiche Anteil scheint gerecht zu sein, gleich ist aber, daß, was der Menge richtig scheint, dieses rechtskräftig ist, frei [und gleich] sein aber, daß jeder tut, was er will.“³¹
Martin Ostwald hat die Entwicklung der politischen Bedeutung von Nomos in Abgrenzung zu Themis untersucht, dabei jedoch auch die Rolle des Kleisthenes und deren Verbindung zum Gebrauch der Isonomie einbezogen. Auch für ihn steht das Erscheinen des Begriffs ‚Isonomie‘ in Verbindung mit den Anfängen der athenischen Demokratie in der Zeit des Kleisthenes.³² Im Unterschied zu Vlastos
Vlastos 1964, 1 u.ö; Raaflaub 1985, 117. Vlastos s. o. Anm. 27; Frei 1981, 207, 209, 219; Raaflaub 2007, 15. Ostwald 1969, 155, 157; Rausch 1999, 369; Cartledge 2009, 15; Asheri et al. 2007, 474. Zur Diskussion darüber, ob die kleisthenische Reform als eine Proto-Demokratie angesehen werden kann, und ob der Begriff ‚Isonomie‘ lediglich ein Schlagwort war oder für einen politischen Anspruch stand, vgl. Frei 1981, 218; Pleket 1972, 80 – 81; Lévȇque/Vidal-Naquet 1964, 25 – 32; Raaflaub 2007, 14– 15. ÜS Schütrumpf, modifiziert. Ostwald 1969, 96 f. und 137 betont, daß Demokratia erst im 5. Jahrhundert v.Chr. nachzuweisen sei. Allerdings führt er als Beleg Aischylos’ Hiketiden an, die er noch in die Zeit vor Marathon datiert; Ehrenberg betont vor allem das Verhältnis von δῆμος und κράτος, das Aischylos den König Pelasgos in den Hiketiden (a. a.O. 1950, 518) präsentieren läßt: „In anything concerning the whole community (τὸ κοινόν 366) he has first to consult ‘all the citizens’ (369); he cannot act without the demos (398), although he is the ruler.“ Vgl. dazu Raaflaub 1995, 47 mit Anm. 130; auch der Bezug auf Tyrtaios 3aD = 4W, Z. 9 wird in der Diskussion angeführt, da dort Pelasgos zweimal einen ägyptischen Nomos erwähnt, den die Söhne von Aegyptus anrufen könnten, um die Macht über die Töchter von Danaus zu gewinnen (Raaflaub a. a.O. 43). Der
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ist für ihn Isonomie jedoch nicht auf die politische Ordnung der Demokratie beschränkt, sondern steht ganz allgemein für den Grundsatz der politischen Gleichheit, der zwar natürlich enger mit der Demokratie verbunden ist als mit anderen politischen Ordnungen, aber nicht unbedingt auf sie beschränkt ist.³³ Begriffsgeschichtlich ansetzende Untersuchungen betrachten das Verhältnis zwischen Isonomie und Demokratie nicht nur im Rahmen der politischen Entwicklung und der mit der Isonomie verbundenen Vorstellung von politischer Gleichheit. Gleichheit als prägender Inhalt beider Begriffe ist unstrittig, jedoch wird das Verhältnis zwischen Isonomie und Demokratie sowohl im Hinblick auf die Abfolge der Entwicklung wie auch im Hinblick auf die inhaltlichen Überschneidungen bzw. Differenzen durchaus unterschiedlich gesehen. Je nachdem, ob man den Ursprung der Isonomie auf das Nomen νόμος zurückführt oder auf das Verb νέμειν, ergibt sich ein anderer Bezug: entweder auf eine allgemeine Ordnung des Ganzen oder auf eine Zuteilung bzw. Verteilung von Anteilen nach dem Prinzip der Gleichheit. Hirzel hat in einer großangelegten Untersuchung zu Themis das ἴσα νέμειν als das ursprünglich von den Göttern Gegebene herausgearbeitet, durch das die Götter jedem gleiche Macht verleihen und jedem das Gleiche zuteilen.³⁴ Eduard Fraenkel hat demgegenüber einen großen Teil der iso-Komposita gesammelt, um die Bildung dieser Komposita mit einem substantivischen Partnerwort zu belegen, während Victor Ehrenberg in den Belegen für ἴσα νέμειν – ausgehend von Theognis’ ἴσος δασμός –,³⁵ den Bezug auf die gleiche Verteilung in der Bedeutung von Isonomie gestützt sieht.³⁶ Emmanuel Laroche wiederum hat, ausgehend von der indo-europäischen Wurzel nem- und Ansicht von Ostwald hat sich, insb. im Hinblick auf Herodot, auch Lateiner 1989, 273 angeschlossen; Hornblower, Komm. 1997, 455 f. hat dem widersprochen. So auch schon Gomme, HCT zu Thuk. 4,78,3. Hirzel 1907, 243 f. mit Bezug auf Hdt. 6,11 und Thuk. 6,39, wo er die ἰσότης im νέμειν als Ausdruck für die Demokratie charakterisiert sieht, wie es sonst durch die ἰσονομία geschehen sei. Zu Theognis I 678 (δασμὸς … ἴσος): Die Theognidea sind nicht sicher zu datieren und in keinem Fall ohne Zweifel für die frühe Zeit als Beleg anzuführen. Vgl. Costa 2004, 40, der noch Hes. erg. 225 – 237 hinzunimmt, um die frühe Genealogie der Isonomie zu belegen. Fraenkel 1950, 680 – 682 zu den iso-Komposita bei Homer, Solon, Ibykus, Pindar, Aischylos, Sophokles, Euripides, Thukydides, Herodot; Ehrenberg, RE Suppl. 7, s.v. Isonomia, 293 – 301, hier 293. Zu der Kontroverse, ob das Substantiv νόμος ursprünglich in passiver Bedeutung – als das „Zugeteilte“ – oder als nomen actionis – als das „Verteilte“ – auftritt: Baudy 1983, 131– 74, hier 157 f. Anders: Heinimann 1945 (= 1980), 59 ff. Frei 1981, 206 f. kommt in seiner Untersuchung der Traditionslinie, die von ἴσα νέμειν zur Isonomie führen soll, zu dem Ergebnis, daß er Isonomie für eine Neuschöpfung analog zu Eunomie hält. Wie Vlastos (dazu s. o.) meint Frei, daß es darum gegangen sei, die Forderung nach Gleichheit des Besitzes, wie sie in der Isomoiria oder ἴσον ἔχειν zum Ausdruck gebracht worden war, zu vermeiden.
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dem griechischen νέμω, gezeigt, daß νέμειν im homerischen Kontext immer ‚verteilen‘ bedeutet.³⁷ Etwas anders ist Borecký vorgegangen,³⁸ der νέμω im Kontext von Ausdrücken wie ἴσον (πλέον, ἔλασσον) ἔχω (νέμω, δίδωμι) und von ähnlichen Redewendungen untersucht hat, die Gleichheit ausdrücken. In dem frühen Gebrauch von λαγχάνω, δατέομαι und verwandter Begriffe sind nach Borecký Reste der Vorstellungen aus alten Bräuchen der Stammesgesellschaften erhalten und anhand der homerischen Epen veranschaulicht er die Praxis des Teilens und Verteilens von Anteilen an Nahrung, Plünderung, Land und anderem gemeinsamen Eigentum von Mitgliedern der Gruppe. Diesen Untersuchungen von Borecký liegt die Ansicht zugrunde, daß solche Bräuche auf ein ursprüngliches Kollektiveigentum alter Stammesgesellschaften zurückzuführen seien. Auch McInerney geht von dem Verteilungsaspekt der Isonomie aus. Er setzt die Entstehung der Isonomie sehr früh im Rahmen der kolonialen Städtegründungen als diesen zugrundeliegendes Planungselement an.³⁹ McInerney vertritt die Auffassung, daß es die Aufteilung des ländlichen Raums in regelmäßige Parzellen in der Zeit der frühen Koloniegründungen war, die die ersten Vorstellungen von Gleichheit belegen. Am Beispiel von Syrakus, Megara Hyblaia und Metapont will er dies verdeutlichen. Teilweise wird dabei, z.T. im Anschluß an Borecký, auf die alte, allerdings längst widerlegte, Theorie zur Landverteilung nach gleichen Teilen bei Koloniegründungen Bezug genommen.⁴⁰ So kommt McInerney zu dem Ergebnis, daß bereits lange bevor Isonomia in Athen politisch virulent wurde und man Harmodios und Aristogeiton für die Ermordung des Hipparch rühmte, eine Isonomia die Grundlage der Landverteilung zu gleichen Teilen seit dem späten 8. Jahrhundert v.Chr. war. Diese habe sich in neuen, als egalitäre Kolonialgemeinschaften geplanten, Poleis in Unteritalien verwirklicht. Das Argument basiert auf der Interpretation der Stadtplanung in den Poleis der Magna Graecia, in denen eine geometrische Raumaufteilung nachgewiesen wurde. McInerney führt diese auf eine (angeblich) egalitäre Verteilung von Kleroi zurück und sieht in ihr eine ‚demokratische‘ Struktur abgebildet, die nicht durch Laroche 1949, 8. Vgl. Azoulay 2014, 401. Borecký 1963 und 1965. Allerdings zeigt sich gerade bei Homer deutlich, daß nicht alle gleich sind und daher gleiche Anteile erhalten, sondern es ist der Anführer, der aufgrund seiner regulatorischen Kompetenz verteilen darf. Wie der Streit zwischen Agamemnon und Achill ersichtlich macht, so führt er dies mehr und weniger gerecht durch. Agamemnon betont in der Ilias Hierarchie und Ungleichheit in der Verteilungskompetenz: Il. 1,184– 187! Achill moniert dies im Kontext der Bittgesandtschaft: Il. 9,318 – 9: ἴση μοῖρα μένοντι καὶ εἰ μάλα τις πολεμίζοι / ἐν δὲ ἰῇ τιμῇ ἠμὲν κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός („Gleiches Los wird dem säumigen Mann und dem Krieger / Gleicher Ehre genießt der Feigling wie der Beherzte“, ÜS Voß). McInerney 2004, 23 ff. Asheri 1966; vgl. Schubert 1996 (2010).
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das Muster ererbter aristokratischer Autorität eingeschränkt gewesen sei. Die Ansicht, daß die geometrische Raumaufteilung auf eine egalitäre Organisation hinweise, kann heute als überholt gelten.⁴¹ Im Hinblick auf die begriffs- und wortgeschichtlichen Untersuchungen zeigen sich vergleichbare Differenzen. Sehr detailliert hat Frei gezeigt, daß ἰσονομία in keine der möglichen Wortbildungskategorien paßt, vielmehr in Analogie und Wortbildungsform nach einem sowohl formal wie semantisch nahestehenden Wort geprägt worden sein muß und daß dieses Wort vermutlich die εὐνομία gewesen ist.⁴² Εὐνομία ist der dafür sprachlich und inhaltlich naheliegende VorbildBegriff, da er sowohl in der Odyssee (17,487) wie auch bei Hesiod in der Theogonie (v. 902) schon auf das Leben und den Zustand der Gemeinschaft bezogen ist.⁴³
McInerney 2004, 26. Vgl. dazu die Rezension von Bertelli in BMCR 2006.01.12. Die alte These, daß Landverteilung in den ‚Kolonien‘ eine Aufteilung zu gleichgroßen Parzellen vorsah, ist archäologisch nicht haltbar, vgl. dazu Schubert 1996 (2010). Die von McInerney angeführten Beispiele Metapont und Tarent zeigen trotz eines bei den Transversalen feststellbaren Rasters keine gleichmäßige Aufteilung des Landes, da die großen Achsen nicht in gleichen Abständen zueinander verlaufen. Hierdurch wurde das Raster der Einteilung so verändert, daß in jedem Fall ungleich große Parzellen entstanden sind. Entweder sollten so verschiedene Bodenqualitäten ausgeglichen werden oder es sollten damit von Anfang an größere und kleinere Einheiten entsprechend den unterschiedlichen Statusgruppen geschaffen werden. Die Besiedlungsspuren sind nicht dem Plan des Rasters zuzuordnen: Die bisher ausgegrabenen Bauernhöfe befinden sich nicht auf den einzelnen Kleroi, sondern folgen geographischen Bedingungen wie dem Verlauf der Plateaus in einiger Entfernung von der Stadt (dazu Adamesteanu/Vatin 1976, 117). Für Tarent scheint hingegen eine genauere chronologische Zuordnung der Aufteilungsphasen möglich zu sein (zu der Identifizierung der limites: Greco 1990, 112 ff.): Eine Verlagerung der Nekropolen führte zur Ausdehnung des Raumes von 16 auf 530 ha und der ursprüngliche Platz der Nekropolen wurde damit zu Bauland. Umschichtungen und Neuaufteilungen der Kleroi sind damit sicher verbunden gewesen (Greco 1990, 114). Diese Transformation der archaischen Stadt zur neuen, deutlich orthogonalen Anlage, die zu groß war, als daß eine ursprüngliche Einteilung der Besitzverhältnisse hätte bewahrt werden können, wird von Greco allerdings in das 5. Jahrhundert v.Chr. datiert (Greco 1990, 115 ff.). Vor allem das mit den älteren, viel zu stark schematisch ausgerichteten Vorstellungen von der Anlage der Städte in der Magna Graecia verbundene Bild der ‚Kolonialisierung‘ ist durch die archäologischen Befunde als längst überholt erwiesen worden: Vgl. dazu die zahlreichen Publikationen von (u. a.) Lombardo, Mele, Moggi, Greco. Eine Übersicht zu diesem Paradigmenwechsel in Greco 2018 sowie ders. 2013, 73 – 80 und 2011, 233 – 242. Frei 1981, 216, der allerdings die von ihm sehr plausibel dargelegte Neubildungsthese wiederum ausschließlich mit Kleisthenes in Verbindung bringt (a. a.O. 218). Frei 1981, 217 kommt dann zu dem Schluß, daß ἰσονομία aus einer Kontamination von εὐνομία und ἰσομοιρία hervorgegangen sei: Er begründet dies damit, daß die von Solon abgelehnte ἰσομοιρία – die Forderung nach Neuaufteilung des Landes – aus den sozialen Kämpfen am Anfang des 6. Jahrhunderts v.Chr. die Neubildung von ἰσονομία beeinflußt habe (wobei er den entscheidenden Unterschied zwischen ἰσονομία und ἰσομοιρία ignoriert (dazu s.u. S. 13 f.).
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Die Untersuchungen zur Wortentstehung haben unterschiedliche Befürworter und Ausdeutungen gefunden. Christian Meier geht von den Wortbestandteilen ἴσος und νόμος aus und übersetzt Isonomia als „Gleichverteiltheit“.⁴⁴ Ostwald hingegen betont den Ordnungsgedanken in Isonomia, der von Gleichgewicht und Ausgleich geprägt ist, und knüpft damit an Vlastos an.⁴⁵ Besonders prägend ist der Einfluß von Vernant und Detienne geworden, die diese Ausrichtungen von Teilen, Zuteilen und Verteilen im Hinblick auf ein Ganzes zu einem Erklärungsmodell verbunden haben, das geometrische Zentralität und politische Gemeinschaft zusammengefügt hat. Für Vernant ist die Mitte als zentraler Punkt des Kreises in ihrem gleichmäßigen Abstand zur Peripherie das Modell für die Kosmos-Theorien des 6. Jahrhunderts v.Chr. (insbesondere des Anaximander) und dieses Modell findet seinen Ausdruck in dem Begriff der Isonomie.⁴⁶ Der Einfluß von Vernant und Detienne hat die Ansichten zur Vorgeschichte des Begriffs ‚Isonomie‘ ebenso geprägt wie die älteren begriffsgeschichtlichen Untersuchungen zu ἴσος und νέμω.⁴⁷ Insbesondere hat die Gemeinschaftsbezo-
Zur Analogiebildung von ἰσονομία nach εὐνομία: Aalders 1968, 9 ff., bes. 11; Meier 1968, 6; ders. 1980, 116 f., bes. 117 Anm. 68. Meier 1977, 7– 41, hier: 20: „Die Gleichheit, die sich dann in ἰσονομία sowie den verwandten Begriffen ἰσοκρατία und ἰσηγορία kristallisierte, bezog sich wesentlich auf das, was den Bürgern zugeteilt wurde: den Anteil am Gemeinwesen und den politischen Rechten (der grundsätzlich gleich sein konnte wie die Anteile an einer Beute). Es war eine Gleichheit in politicis und nur in politicis.“ Vlastos 1953, 347 ff.; Ostwald op.cit. Auch Raaflaub hat, wie Vernant, mehrfach auf Anaximander DK 12 B1 verwiesen (u. a. Raaflaub 1988, 246 und 1995, 50); vgl. dazu schon Vlastos 1953, 361 f., insb. 363: „The equal distribution of power among its members und just such a notion is designated by Isonomia in Alcmaeon’s fragment. The equalitarian order which is normative for Anaximander’s universe is now applied to the kosmos of health within the human organism.“ Vgl. Vernant 1962 (1991); Lévêque/Vidal-Naquet gehen noch weiter und sehen einen direkten Einfluß des Pythagoras auf Kleisthenes (s. dazu unten Kap. IV). Macé 2014, 664 hat darauf hingewiesen, daß die wegweisenden Publikationen in einem engen Zeitfenster in den 1960er Jahren erschienen sind: Jean-Pierre Vernant, Les origines de la pensée grecque, 1962, 119 – 29; Vernant, Géométrie et astronomie sphérique dans la première cosmologie grecque, 1963, wiederabgedruckt in: Mythe et pensée 1965, 197– 212, besonders 206 – 7 mit der Gleichsetzung des ‚In-die-Mitte-Legens‘ im öffentlichen, politischen und konzeptionellen Bereich. Lévêque/Vidal-Naquets Buch, in dem das geometrische Modell des Politischen auf die Kleisthenischen Reformen übertragen wurde, erschien 1964, worauf sich Vernant 1965 in demselben Band der Annales ESC 20,3, 1965, 576 – 595 in seiner Besprechung von Lévêque/Vidal-Naquet bezieht (a. a.O. 576). Der Aufsatz von Detienne „En Grèce archaïque: géométrie, politique et société“ ist in demselben Band der Annales erschienen: ESC 20,3, 1965, 425 – 41, bes. 431 Anm. 2. In Les Maîtres de vérité dans la Grèce archaïque, 1967, hat Detienne diesen Gedanken weitergeführt, auf den sich Vernant schon in Mythe et pensée, 1965, 216 – 237
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genheit mit der Gleichsetzung von ἐς μέσον, ἐν μέσῳ und ἐς κοινόν, ἐν κοινῷ, die Vernant formuliert hat,⁴⁸ die Frage in den Vordergrund gerückt, welche Relationen zwischen der Gemeinschaft und dem Einzelnen der Entwicklung des Isonomie-Begriffes zugrundeliegen. In neueren Arbeiten wird Isonomie weniger als Ordnungsbegriff und Teil einer strukturellen Entwicklung der griechischen Polis gesehen,⁴⁹ sondern eher als Ausdruck von „increasingly egalitarian (ʻisonomicʼ) constitutions“ oder aber auch im Zusammenhang elitärer Vorstellungen der archaischen Zeit betrachtet.⁵⁰ Insbesondere die gemeinschaftsbildende Funktion politischen Denkens und Handelns wird heute stärker in den Vordergrund gerückt, so daß Gemeinwohl im Verhältnis zu Gemeinsinn und Gemeinschaft als Bezugspunkte angesehen werden und dabei der Begriff des Koinons in diesen Kontext rückt.⁵¹ Der Ursprung dieses gemeinschaftsbezogenen Denkens ist in egalitären Elementen zu erkennen, die bereits in den homerischen Epen sowohl individuelles
bezog (bes. 216 mit Anm. 2) und in der Formulierung zuspitzte: „les expressions ἐς μέσον, ἐν μέσῳ sont exactement synonymes de ἐς κοινόν, ἐν κοινῷ. Le meson, le milieu, définit donc, par opposition à ce qui est privé, particulier, le domaine du commun, du public, le xunon“. Vgl. auch Vernant, Structure géométrique et notions politiques dans la cosmologie d’Anaximandre (1968). S.o. Anm. 47. Lengauer 1987, 84– 86. Auch die strukturanthropologischen Perspektiven, die Vernant, VidalNaquet und Detienne entwickelt haben, gehen in diese Richtung. Vgl. dazu oben S. 4 ff. So Raaflaub 2017, 114. Vgl. auch Raaflaub 2007, 15 und Robinson 1997. Die wichtigsten neueren Arbeiten zum Isonomie-Begriff: Lévy 2005, Raaflaub 2007, 145 f. in Raaflaub et al. 2007; Cartledge 2009, insb. 70; Mansfeld 2013; Dmitriev 2015, 53 – 83; Kouloumentas 2014, 867– 887; Lombardini 2013, 393 – 420; vgl. Triebel-Schubert 1984 (mit der älteren Literatur zu Isonomie), Schubert 1995, 2003 (2011), 2010, 2017. Zu Isonomie als Teil elitärer Vorstellungen: Simonton 2019, 77 mit Anm. 11. Details in Kap. I und II. Zu Isonomie und Koinon: Vernant 1965, 217 (vgl. dazu Anm. 47). Grundlegend zu dem Verhältnis von Gemeinwohl, Gemeinsinn und Gemeinschaft: Münkler/ Bluhm 2001, 2002, 2002a und Münkler/Fischer 2002; Kirner 2001 für Athen vom 6. – 4. Jh. v.Chr. (dazu unten in Kap. I und II; Kirner beschränkt seine Ausführungen auf den Bereich der politischen Philosophie und teilweise der politischen Rhetorik, allerdings ohne dies eigens zu begründen: a. a.O. 32 mit Anm. 4 und Anm. 5) und für Rom Jehne/Lundgreen 2013. Jehne/Lundgreen entwickeln a. a.O. 12 ff. ein auf die antiken Verhältnisse anwendbares Modell, das die gemeinschaftsbezogenen Regeln und Vorstellungen zu Gemeinsinn unter den damaligen Konstruktions- und Diskursbedingtheiten differenziert. Sie betonen vor allem, daß Gemeinwohl als Orientierungspunkt für Gemeinsinn auf eine jeweils spezifische Bezugsgruppe gerichtet ist und insbesondere in der politischen Auseinandersetzung einen Stellenwert ähnlich der Letztbegründung einnimmt. Vgl. Münkler 2001, 16 f. und Kirner 2001, 32 f. zur grundsätzlichen Bedeutung der Gemeinwohlsemantik.
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wie kollektives Verhalten kennzeichnen.⁵² Welche Rolle dieses gemeinschaftsbezogene Denken für die Entwicklung des Politischen gespielt hat, wird, je nach Ausgangsposition, sehr unterschiedlich gesehen und auch in Bezug auf die homerischen Epen gibt es dazu wenig Konsens. Dabei reichen die Positionen von der Ansicht, daß es eine Differenz zwischen dem Einzelnen und der Gemeinchaft überhaupt nicht gegeben habe, bis zu der entgegengesetzten, daß das „richtige und erfolgreiche ethisch-politische Handeln“ für das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft als ausschlaggebend dargestellt sei.⁵³ Der Emotionsforschung wiederum gilt das Politische seit der homerischen Zeit als von einer ‘civic virtue’ in dem die Polis tragenden Ethos der Bürgergemeinschaft geprägt.⁵⁴ Die Formen der Gemeinschaftsbildung der archaischen Zeit als konstitutives Element in der Entwicklung der griechischen Polis sind mittlerweile in vielfältiger Hinsicht untersucht worden: von der Archäologie, von der Polisforschung des Kopenhagener Polis Centre und insbesondere von den kulturwissenschaftlich inspirierten Forschungen zu Ritualen, Praktiken der Medien und Kommunikationsformen.⁵⁵ Itgenshorst sieht in der Gemeinschaftbezogenheit im Denken von Philosophen, Dichtern und Denkern sogar den Ursprung des Politischen in Griechenland.⁵⁶ Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist immer die Auseinandersetzung zwischen Agamemnon und Achill in der Ilias. Aus der Weigerung des Agamemnon, Chryseis ihrem Vater, dem Apollo-Priester Chryses, zurückzugeben, folgt – nachdem Apollo das griechische Heer für diesen Frevel gestraft hat – die Forderung des Agamemnon, daß ihm als Ausgleich für den Verlust seines γέρας, der ihm durch die Rückgabe der Chryseis entstehen würde, ein anderer Anteil zustehe – nämlich die Briseis des Achill. Dies wiederum lehnt Achill mit den bekannten Konsequenzen ab. Das Gemeinsame, die gesamte Gemeinschaft wird durch diesen Streit gefährdet und am Anfang dieser fundamentalen Auseinandersetzung stehen Fragen von Verteilung und Zuteilung.⁵⁷ Auf diese zugrunde-
Ausführlich vor allem von Raaflaub hervorgehoben: Raaflaub 2007, 45 f. zur egalitaristischen Entwicklung; ähnl. Morris 1996 und 2000: Kap. 4– 5 für die 2. H. d. 6. Jh. v.Chr. Fraenkel 1962, 83 ff.; vgl. Adkins 1960 und 1972, 1– 19; ausf. dazu Schmitt 2000, 27. Schmitt selbst vertritt a. a.O. 35 die entgegengesetzte Meinung. Balot 2013, 56 ff., bes. 58 f.; Hedrick 2013, 616 ff.; vgl. Balot 2014. Macé 2014 und im Anschluß daran Ma 2016, 641 sehen das gemeinschaftsbezogene Denken der archaischen Zeit als Teil einer Richtung, die die Entwicklung der griechischen Polis als „communautaire-étatique“ beschreibt im Gegensatz zu einer Einordnung dieser Entwicklung als „élitiste-entrepreneurial“. Itgenshorst 2014, 28 ff. Ganz anders setzt Nebelin 2016 an, die aus dieser Entwicklung im archaischen Griechenland eine Autonomisierung des intellektuellen Feldes der Philosophie ableitet. Vgl. dazu Hammer 2002, 27 ff.
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liegende Gesamtheit wird mit dem Begriff des Xynon Bezug genommen:⁵⁸ Hier stellt sich Frage, ob das Xynon etwas ist, das unabhängig von dem Verteilungsprozeß existiert, d. h. unabhängig von den Ansprüchen, die die Einzelnen an eine gerechte und angemessene Verteilung haben.⁵⁹ Von diesem Gedanken ausgehend hat Macé zwei verschiedene Konzepte des Gemeinsamen als einer Gesamtheit unterschieden: ein Xynon bzw. Koinon, das inklusiv ist, und eines, das exklusiv ist. Daraus ergibt sich, daß das Meson, die Mitte, zum einen die Mitte ist, die separiert ist als ein Zentrum mit gleichem Abstand von den peripheren Teilen und zum anderen eine Mitte, die als etwas Gemeinsames allen anteilig gehören kann. Übertragen auf die politische Entwicklung in der archaischen Zeit, wird daraus abgeleitet, daß das Koinon zunehmend eingegrenzt, d. h. auch gegenüber individuellen Ansprüchen abgegrenzt wird, während sich andererseits der Anspruch auf die Partizipation am Koinon für alle verstärkt.⁶⁰ Dem ist zum einen entgegenzuhalten, daß der Streit zwischen Agamemnon und Achill bei Homer nicht nur zeigt, daß diese Verteilungen gerade nicht gemeinschaftsorientiert ablaufen, sondern von Konkurrenz und Hierarchie getrieben sind, und die Ambivalenz der Auswirkungen auf die Gemeinschaft thematisiert wird.⁶¹ Zum anderen – und dies dürfte für das Verständnis des Gemeinsamen in der Ilias entscheidend sein –, sind diese Verteilungsprozesse immer materiell ausgerichtet, da es um Anteile an Essen, Beute, Land und Erbe geht und auch die damit verbundene Ehre sich entsprechend materiell bemißt. Die in der Rückführung der Isonomie auf die frühen Zeiten immer in den Erklärungen mitschwingende Gleichsetzung mit Isomoiria läßt den Unterschied zwischen der Isonomie, so wie sie seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. im Rahmen von politischen Diskursen auftritt, und dem älteren ἴσον ἔχειν bzw. τὰ ἴσα νέμειν erkennen. Isomoiria ist vom Einzelnen her gedacht und bezieht sich auf je ein Stück Land, Fleisch oder Beute, Isonomia hingegen ist – wie im Folgenden gezeigt werden soll – von der Gesamtheit her gedacht und bedeutet, daß die Bürger alle Anteil an der Ordnung haben. Insofern wird ihnen nicht etwas zugeteilt oder er Xynon wird in der Ilias an zwei Stellen im Kontext des Teilens verwendet: Il. 1,124– 26 und 15,187– 93. Macé 2014, 660 ff. und Azoulay 2014, 397 ff. Vgl. Azoulay 2014, 397 f., 402. Zu einer trennscharfen Begriffsanalyse von Partizipation Jehne 2014, 103 – 144, der für die Römische Republik zeigt, welches Instrumentarium dieser Begriff birgt, wenn man die Gruppen- und Individualrechte, Partizipationsmöglichkeiten und -bereitschaften einbezieht; allerdings ist dies auf die griechische Isonomie nicht übertragbar, da sie immer auf die Ordnung insgesamt bezogen ist. Zu dem Zusammenhang von Konkurrenz und der Entwicklung von Institutionalisierung vgl. die Ergebnisse des DFG-Netzwerkes ‚Konkurrenz und Institutionalisierung in der griechischen Archaik‘: Meister/Seelentag 2020.
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halten sie etwas, sondern sie sind selbst Bestandteil einer überpersönlichen Instanz. Deren Voraussetzung ist natürlich bei der Isonomie die Gleichheit, jedoch ohne damit schon Verteilungsgleichheit zu implizieren. Verteilungsgleichheit in der Isonomie würde bedeuten, daß das, was aus der Ordnung folgt, wie z. B. die Institutionen und Ämter, anteilig gleich – also ohne jegliche Zugangsbeschränkung durch Zensus – verteilt wird. Dies wurde selbst in der attischen Demokratie erst spät und auch nie vollständig realisiert. Der Unterschied zwischen Isomoiria und Isonomia erklärt nicht nur, warum statt der Isomoiria die Isonomia der politisch virulente Begriff wurde, sondern er weist auch auf einen weiteren Unterschied hin: So wie die Isomoiria dinglich und konkret auf die Einzelperson und deren Anteil bezogen ist, ist Isonomia eine abstrakte Gesamtheit, eine Ordnung, die nicht personal definiert ist; die Begründung für die in der Isonomia zum Ausdruck kommende Gleichheit liegt demnach nicht in einer konkreten, personalen Teilhabe wie bei der Isomoiria, sondern umgekehrt in der von der Gesamtheit der Ordnung her gedachten Voraussetzung der Gleichheit.⁶² Die in der Isonomie liegende Abstraktion, die von der Ordnung, dem Koinon, her gedacht wird, ist somit eine deutlich andere als das Xynon in der Ilias. Vielmehr ist Isonomie als Begriff eine im 6. Jahrhundert v.Chr. entstandene, neue Schöpfung, die für eine andere Vorstellung von Koinon als Ordnung steht.⁶³ Die divergierenden Übersetzungen – die deutschen Äquivalente reichen von „Gleichverteiltheit“ über „Gleichheit vor dem Gesetz“ und „gleicher Anteil an der Ordnung“ bis hin zu einer Gleichsetzung mit Demokratie – spiegeln einerseits deutlich die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der einzelnen Positionen, aber andererseits ist ihnen grundsätzlich gemeinsam, daß Isonomie immer den Anspruch auf Gleichheit oder auch Gleichberechtigung, einschließlich vor allem der politischen Gleichberechtigung – jedoch ohne den Anspruch auf eine Gleichheit im Sozialen – beinhaltet. Die von Christian Meier hervorgehobene Rolle der bürgerlichen Gegenwärtigkeit, die durch die kleisthenischen Reformen in Athen begründet wurde und die später in Athen im 5. Jahrhundert v.Chr. als eine spezifische politische Identität zum Tragen kam, ist jedoch eine Weiterentwicklung des Grundgedankens, der so für das 6. Jahrhundert v.Chr. noch nicht nachzuweisen ist.⁶⁴
Vgl. dazu ausf. Kap. I und II. Frei 1981, 205 – 219. Meier 1980; eine etwas andere Richtung hat Ober für diesen Prozeß angenommen mit seinem Modell der „politics of consensus“: Ober 2009, 295 ff. Ganz anders setzt Flaig an, der, basierend auf einem weit ausgreifenden, interkulturell ansetzenden Vergleich (Flaig 2013, 197 ff.) das Auftauchen des Prinzips der Mehrheitsentscheidung (die nicht unbedingt auf Konsens ruhen muß) in den Vordergrund stellt, das er auf die agonale Kultur in Griechenland zurückführt. Zu
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In den jüngsten Publikationen finden sich wiederum noch weitere und wesentlich von dem hier bisher Skizzierten abweichende Auffassungen wie etwa die von Mansfeld,⁶⁵ der Isonomie als rein metaphorischen Begriff auffaßt, und die von Dmitriev, der Isonomie aus dem ‘main type of social conflict in Greece’ zwischen Isonomia und Dynasteia entstanden sieht.⁶⁶ Obwohl beide Auffassungen sehr grundsätzlich auseinandergehen, stellen sie in das Zentrum ihrer Ausführungen die Verfassungsdebatte Herodots und nehmen die davor liegende Entwicklung nicht in den Blick.⁶⁷Aber wie schon Asheri betont hat,⁶⁸ so geht es Herodot ausdrücklich darum zu zeigen, daß die von ihm beschriebene Entwicklung, in deren Zentrum der Begriff ‚Isonomie‘ steht, keine nur auf Athen oder auf innergriechische Verhältnisse konzentrierte Debatte oder rein griechische Erfindung war. Insofern bleibt als Desiderat aus diesen Überlegungen, aber auch aus fast allen anderen, die sich bisher mit der Isonomie befaßt haben und die fast immer auf Athen zentriert sind oder dort münden, indem sie die Isonomie auf die spezielle, dortige Entwicklung beziehen und Ionien sowie Unteritalien als Regionen mit eigener Geschichte und entsprechender Prägung kaum berühren, sowohl die Rückbindung an die jeweiligen sozialen Wirklichkeiten als auch die Nachverfolgung des Wandels, den der Gebrauch des Begriffs in der Antike durchschritt.⁶⁹ Ebenso ist bisher völlig vernachlässigt worden, daß Isonomie sowohl in der griechischen Geschichtsschreibung Roms als auch in der Entwicklung der Verfassungsdebatten nach Herodot eine Rolle spielt. Die Rolle, die der Isonomie in den Vorstellungen von kosmischem Gleichgewicht zukommt, ist lediglich ansatzweise⁷⁰ und nie im Verhältnis zu den politischen und historiographischen Traditionen untersucht worden. Trotz der Unterschiede lassen sich zwei Aspekte der Isonomie als Gemeinsamkeit der meisten Positionen festhalten: Es geht immer um die Anteiligkeit in
den Fragen der Konsensbildung s. unten Kap. II. Die Thematik der Mehrheitsentscheidung berührt sich nicht mit der Isonomie, da Isonomie als Ordnungsbegriff, der für eine Gesamtheit steht, auf eine ganz andere Ebene des Politischen bezogen ist. Mansfeld 2013, 78 – 95. Dmitriev 2015, 53 – 83. Hdt. 3,80 – 82. Ganz anders setzt Mele 2009 an, der zwar einerseits (a. a.O. 48) die politische Isonomie ebenso wie die oben zitierten Arbeiten auf Herodot und Athen fokussiert, andererseits aber (a. a.O. 49) den Isonomie-Begriff, den Alkmaion (DK 24 B4) verwendet, davon strikt trennt und als Synonym zu der pythagoreischen Harmonia ansieht. Dazu i. E. s.u. Kap. IV.3. Asheri et al. 2007, 473. So bspw. Itgenshorst 2014 zum Verhältnis von Denker und Gemeinschaft in archaischer Zeit, jedoch ohne Bezugnahme auf die Isonomie. Theiler in Mau 1971, 89 – 110; Mansfeld 2013, op. cit.
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einer auf Gleichheit ausgerichteten Relation und der Ursprung aus dem politischen Diskurs zur Gemeinschaftsbezogenheit bleibt sichtbar. Nur eine vergleichend und diachron vorgehende Analyse kann erklären, warum Vorstellungen von Isonomie an verschiedenen Orten (Ionien, Athen, Kroton) zwar nicht ganz gleichzeitig, aber doch in zeitlichem Kontext und trotz verschiedener lebensweltlicher Bedingungen propagiert wurden. Der Begriff selbst begegnet in ganz unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen: in medizinischer Theorie, Politik und politischer Theorie, in der Historiographie, als politisches Argument, in Verfassungsdebatten, in Inschriften mit offiziellen Vertragstexten, in philosophisch-paganem wie auch christlich-philosophischem Kontext. Die jeweiligen Verwendungszusammenhänge sind je nach Autor, Genre, Epoche und Region zu unterscheiden, ebenso die unterschiedlichen Wortarten mit den darin ausgedrückten Zuordnungen.⁷¹ Als Orientierungslinie für die Untersuchung dient die Verwendung des Begriffs ‚Isonomie‘, anhand dessen wie mit einer Lupe einzelne Stationen herausgearbeitet werden können, in denen sich bestimmte Vorstellungen von Ordnung grundsätzlicher Art zeigen, gleichzeitig auch die Bedeutung in konkreten politischen Situationen, in historischen Kontexten und schließlich auch die darin sichtbar werdende Bedeutungsveränderung. Allerdings bleibt der Begriff immer ein griechischer Begriff und der einzige Versuch, ihn in die lateinisch-römische Sprachwelt zu übertragen, ist bei Cicero zu beobachten. Die bei Cicero verwendeten Äquivalente aequabilis tributio und aequilibritas für Isonomie sind jedoch in der lateinischen Literatur äußerst selten und nie Gegenstand eines erkennbaren, politischen Diskurses geworden.⁷² Die vieldiskutierte Frage, ob, seit wann und wie der textuelle Befund und die gesellschaftlich-historische Entwicklung zusammenhängen,⁷³ läßt sich im vorliegenden Fall aus den ersten Verwendungen des Isonomie-Begriffs beantworten: Chronologisch relativ gesichert ist der Begriff für die Zeit um 500 v.Chr., als er
So zeigt etwa die Suche im TLG Online (mit der Suche nach ισονομ*: insg. 152 Belege, abgerufen am 3. 8. 2020), daß in fast zwei Drittel der Belegstellen das Substantiv ἰσονομία, davon in der Mehrzahl (48) im Akkusativ (ἰσονομίαν) verwendet wird. Die Verwendung in der attributiven oder verbalen Form ist eher selten und muß im jeweiligen Quellenkontext betrachtet werden. Cic. nat. deor. 1,109. Vgl. Cic. nat. deor. 1,50: id est aequabilem tributionem und dazu unten ausf. S. 248 f. Gumbrecht 2006 diskutiert ausgehend von den „Pyramiden“ des Historischen Wörterbuchs der Philosophie (hrsg. v. J. Ritter) und der Geschichtlichen Grundbegriffe (Koselleck), eine „konstitutive Unentschiedenheit zwischen dem Anspruch auf Weltreferenz und seinem Aufgeben“ (Zitat a. a.O. 35) als Charakteristikum der begriffsgeschichtlichen Bewegung in Deutschland.
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erstmals in einem attischen Trinklied auftritt, das die Ermordung des peisistratidischen Tyrannen Hipparch durch Harmodios und Aristogeiton feiert, und relativ zeitgleich in einem Text des Arztes und Naturforschers Alkmaion zu finden ist, der Mitglied der krotoniatischen Gruppe um Pythagoras war. Daß dies eine Zeitperiode war, in der politische Umwälzungen besonders massiv waren (Kriege in der Magna Graecia und der erwähnte Tyrannensturz in Athen, der Ionische Aufstand mit der anschließenden ersten Expedition der Perser nach Griechenland), muß nicht direkt mit dem Begriff der Isonomie zusammenhängen, obwohl dies allgemein so gesehen wird. In den zeitgenössischen und zeitnahen Quellen werden weder die kleisthenische Reform in Athen, die unmittelbar auf den Tyrannensturz folgte, und auch schon in der Antike als Beginn einer neuen politischen Entwicklung in Athen betrachtet wurde, noch die Unruhen und Kriege, die im Zusammenhang der Pythagoreerdominanz in Kroton stehen, jemals explizit mit einer der Wortformen der Isonomie in Verbindung genannt. Andererseits ist es eindeutig, daß in dem Werk Herodots genau diese Zeit im Zeichen der Isonomie dargestellt wird: Beginnend mit der Unterwerfung des griechischen Ioniens durch die Perser und endend mit der endgültigen Niederlage der Ionier in der Seeschlacht bei Lade (494 v.Chr.) thematisiert Herodot mehrfach die Isonomie bis hin zu der berühmten Verfassungsdebatte – interessanterweise weder in Athen noch in Ionien lokalisiert, sondern am Perserhof als Debatte unter Persern –, in der die Isonomie als die Ordnung mit dem schönsten Namen bezeichnet wird. Dies zeigt, ungeachtet der Kontextualisierung im Einzelnen, die bei Herodot oft in komplexe, größere Zusammenhänge eingebettet ist, daß der Begriff in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. zu politischen Diskursen gehört, die mit dem Anspruch auf Verwirklichung verbunden waren und die, wie andere Diskurse dieser Zeit, einen normativen Zug haben. Hinter den von Herodot beschriebenen Situationen stehen politische Aushandlungsprozesse über die Ordnung des Ganzen und über die Rolle des Gemeinwohls, in denen die Isonomie als Begriff und konnotiert mit politischen Forderungen nach Rechten verwendet wurde. Gleichheit, Gerechtigkeit, wie auch der Sinn für das Ganze des Politischen wurden grundsätzlich und gleichzeitig auch mit dem reellen Bezug auf politische Teilhabe thematisiert und spielten eine nicht zu unterschätzende Rolle in den Jahrzehnten um und vor 500 v.Chr.⁷⁴ Aus diesen Gründen ist es legitim, die Entstehung und Verwendung des Begriffs mit den politischen Ereignissen in Verbindung zu bringen, die in Ionien, Athen und der Magna Graecia vermutlich seit der Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. begannen. Der Begriff selbst wird auch später weiterverwendet, die Verwen-
Meier 1980, Teil C.
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dungszusammenhänge ändern sich teilweise jedoch gravierend. In den ersten Verwendungszusammenhängen tritt das gemeinwohlorientierte Denken deutlich hervor, ebenso wie der Bezug auf das Koinon den Rahmen der Gemeinwohlorientierung der politischen Ansprüche auf Gleichheit vorgibt.⁷⁵ Damit in enger Verbindung stehen Institutionalisierungen, von denen die Kleisthenische Phylenreform sicher die bekannteste, aber durchaus nicht die einzige ist. Isonomie ist der Anspruch auf Teilhabe am Ganzen einer Gemeinschaft, der zu einer partizipativen Politik führte und die Teilhabe an einer gemeinsamen Ordnung regulatorisch und distributiv für alle zu verwirklichen versprach.⁷⁶ Dieser Bezug auf das Politische, auf die Gemeinschaft der Bürger und ihre Teilhaberechte bleibt dem Begriff erhalten, so daß offenbar die Formel δημοκρατία καὶ ἰσονομία als eine spezifische Ausprägung der Demokratie eingesetzt werden konnte,⁷⁷ in der die Isonomie die Gesamtheit der Rechtsregeln einer demokratisch institutionalisierten Ordnung bedeutet. In den christlichen Schriften erhält der Begriff dann eine Aufladung, die ihm einen ganz anderen Sinn gibt. Isonomie wird ein theologisch imprägnierter Begriff, dessen säkulare und politische Bedeutung völlig in den Hintergrund tritt. Diese Wendung markiert einen Einschnitt, der für die Antike das Ende des politischen Gehaltes der Isonomie bedeutet. Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, welche diskursive Integrationskraft dem Begriff am Anfang dieser Entwicklung zukam und ob bzw. wie sich dies im Verlauf der Zeit geändert hat und wie zunehmend auch andere, viel allgemeinere Bedeutungen hinzutreten, die immer mehr von der konkreten politischen Situation abstrahieren, bis der Begriff schließlich fast nur noch im philosophischen Kontext eines kosmischen Gleichgewichts auftritt.
Die Bedeutung des Koinons als Bezugsrahmen betont Raaflaub 2007, 29 und 1997, 624– 648; zu den frühen Formen der Koina als politische Zusammenschlüsse bzw. der Vorformen der späteren politischen Bundesorganisationen: Beck/Funke 2015 und Kap. I und Kap. IV. Vgl. zu den grundsätzlichen Konsequenzen dieses Anspruchs auf Teilhabe aller Ober 2017, 48 ff. Isokr. Panath. 178 und StV III 492 = OGIS 229, vgl. dazu unten Kap. V.3 und Kap. V.4.2.
B: Isonomia: Entstehung und Geschichte I. Politisches Denken im 6. Jahrhundert v. Chr. I.1 Das Politische und politische Tätigkeit im 6. Jahrhundert v. Chr. Auch wenn als Motor für das politische Denken der archaischen Zeit in Griechenland entweder ein „autonomer Prozeß“⁷⁸ oder ein spezifischer „griechischer Geist“⁷⁹ bzw. eine spezifische Gemeinschaftsbezogenheit angenommen wird, so werden doch immer die Beziehungen zwischen Denkern, ihren jeweiligen Gemeinschaften und deren historisch-politischem Kontext betrachtet. Angesichts der nicht so seltenen Erwähnungen politischer Aktivität, die mit den prominenten Namen der frühen griechischen Wissenswelt verbunden sind, ist es wenig erstaunlich, wenn man zu dem Schluß kommt, daß Dichtung, Philosophie und wissenschaftliche Forschungen auf gesellschaftliche Probleme und soziale Konstellationen reagieren.⁸⁰ Den antiken, ganz unterschiedlichen, teilweise aufeinander bezogenen, sich jedoch meist untereinander widersprechenden Positionen ist eines ganz sicher zu attestieren: Sie sind kritisch in dem Sinn, daß sie keine abschließenden Definitionen akzeptieren, sondern in Konkurrenz zueinander treten und diese somit offen halten. Bei aller Verschiedenheit ist zu erkennen, daß sich die Reflexion des menschlichen Verhaltens und des menschlichen Handlungs- und Kommunikationsraums auf die Polis bezieht. Aber sind die aus der literarischen Tradition herauszulesenden Denkbewegungen nun so auch bereits als philosophische Reflexionen des Politischen anzusehen? Wenn Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlstand der Polis thematisiert werden, diese mit moralischen Normen wie ‚nützlich‘, ‚gut‘ oder ‚schädlich‘ und ‚schlecht‘ in Beziehung gesetzt werden, wenn Tyrannis, Gewalt oder Unrecht kritisiert und verurteilt werden, dann ist dies politisch – nicht Politik, deren Institutionen und Hierarchien, nicht politische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse, sondern eben das Politische als le politique oder the political im Unterschied zu la politique und politics.⁸¹ Meier 1995. Vgl. zu einem neueren Ansatz Itgenshorst 2014, die den Aspekt der Gemeinschaftsbezogenheit des politischen Denkens für die archaische Zeit ausführlich untersucht hat. Snell 2009. Vernant 1962 (1991). Ricoeur (1957, wiederabgedruckt in Ricoeur 2001), später dann von Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe am Centre de recherches philosophiques sur le politique aufgenommen und von vielen anderen weitergeführt; dazu Marchart 2010, 12 und 32 ff. Vgl. Azoulay 2014, 605 – 626 und 689 – 719, a. a.O. 701 mit Bezug auf Castoriadis 2004, 57. Vgl. auch Castoriadis 1990, https://doi.org/10.1515/9783110723663-003
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
Politische Entwicklungsprozesse sind zu vielschichtig, als daß die terminologische Repräsentation und deren Erschließung sie erfassen könnten. Insbesondere die institutionelle Dimension, d. h. die Entwicklungsgeschichte einzelner Institutionen ist meist historisch später und steht nicht in eindeutiger Beziehung zu anderen Bereichen wie etwa der inhaltlichen Dimension, in der sich Werte wie Gemeinschaftsbildung und -formung herausbilden und verhandelt werden. Aber auch die prozessuale Dimension, die den historischen Verlauf, die Stadien und den Vergleich einer Entwicklung in den Blick nimmt, kann allein nicht genügen. Diese Trennung in verschiedene Dimensionen ist an sich rein schematisch und läßt sich in dieser Schärfe kaum für die Antike nutzbar machen, verweist aber darauf, daß das Verhältnis der kosmologisch-ontologischen Verankerung der ethisch-politischen Phänomene und der institutionellen Dimension komplexer sein kann und eine Sichtweise, die nur auf die Prozessualität des Institutionellen – bspw. auf die Entwicklung der Rolle der Volksversammlungen oder der Partizipationsrechte und -möglichkeiten – gerichtet ist, Wichtiges außer Acht läßt.⁸² Dies beleuchtet auch der schon genannte Konflikt zwischen Agamemnon und Achill in der Ilias,⁸³ die mit dem Streit zwischen den beiden beginnt, in dem Agamemnon zwei gravierende Fehler macht. So mißachtet er den Priester des
25 f.: „On assiste aujourd’hui à une tentative inverse, qui prétend dilater le sens du terme [politique] jusqu’à lui faire résorber l’institution d’ensemble de la société. La distinction du politique à l’égard d’autres «phénomènes sociaux » relèverait, semble-t-il, du positivisme (bien entendu, ce dont il s’agit ce ne sont pas des «phénomènes», mais des dimensions inéliminables de l’institution sociale: langage, travail, reproduction sexuée, élevage des nouvelles générations, religion, moeurs, «culture» au sens étroit, etc.). Ce serait ainsi le politique qui porterait la charge de générer les rapports des humains entre eux et avec le monde, la représentation de la nature et du temps, ou le rapport du pouvoir et de la religion. […] À part les goûts personnels, on ne voit pas ce que l’on gagne à appeler le politique l’institution catholou de la société, et l’on voit clairement ce qu’on y perd.“ In Deutschland ist diese Richtung maßgeblich durch Christian Meiers Arbeiten sowohl zur griechischen wie auch römischen Geschichte geprägt worden (Meier 1980 und 1966). Vgl. Raaflaub 2001, 74 zu dem Politischen bei Homer: „To such objections I offer two responses. One, theoretical – by accepting a suggestion by Dean Hammer – that ‘the political’ need not be tied to a developed political sphere with fully established institutions and decisionmaking procedures; ‘the political’ can also express itself through relationships and forms of interaction that are essential to a community’s well being.“ Vgl. ders. 1997, 642 ff. und ders. 2007, 32: „In Homer, despite elite claims to the contrary, the demos’ role is significant on the battlefield, in the assembly, and in society. Although equality is not yet formalized or confirmed by law or ideology, basic forms of egalitarianism are reflected in the weakness of aristocratic authority and social hierarchies, including class vocabulary.“ Raaflaub 2001, 80.
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Apollo und ruft damit den Zorn des Gottes hervor, womit er den Tod vieler Griechen verursacht (Il. 1,8 – 52). Und er beleidigt Achill, der sich daraufhin aus den Kriegshandlungen zurückzieht (Il. 1,53 – 305). In beiden Fällen handelt Agamemnon gegen die Meinung der Heeresversammlung und führt durch sein gegenüber dem Gott und den Menschen verantwortungsloses Handeln die Gemeinschaft an den Rand des Untergangs. Der Dichter der Ilias demonstriert damit eindrücklich, zu welchen Konsequenzen es führt, wenn die Interessen des Anführers und der Gesamtheit auseinanderfallen, statt gemeinsam für das Ganze einzustehen. Damit untrennbar verbunden sind, wie Raaflaub in vielen Untersuchungen betont und analysiert hat,⁸⁴ grundlegende politische Fragen wie die, was einen guten Anführer ausmacht, wie die Interessen der Gemeinschaft geschützt und durchgesetzt werden können, ohne daß die für die Gemeinschaft notwendige Stärke eines Anführers geschwächt wird. Aber auch die Rolle der Versammlung – in der Ilias die Heeresversammlung als Polis –, die Fragen von Gerechtigkeit und Recht und insbesondere die Verantwortlichkeit des Einzelnen für sich und für das Ganze angesichts göttlicher Interventionen sind darin angesprochen. Ebenso wie bei Homer werden diese grundlegenden Fragen auch bei Hesiod thematisiert, der in seiner Kritik der schiefen und ungerechten Urteile deren schädliche Konsequenzen für die Gesamtheit der Gemeinschaft deutlich macht.⁸⁵ Im Unterschied zu diesen einerseits individuellen, andererseits kollektiven Widerständen gegen Ungerechtigkeit und mangelnde Verantwortung für die Allgemeinheit ist bei Solon zum ersten Mal eine Zusammenführung von institutioneller und inhaltlicher Dimension zu erkennen, die das Politische sichtbar werden läßt.⁸⁶ Solon steht nicht allein mit seiner Betonung der Notwendigkeit einer auf das Wohl der Gemeinschaft ausgerichteten Politik, aber seine Gedichte zusammen mit seinen Reformen sind die ersten Zeugnisse für eine gezielt auf das Gemeinwohl einer Polis ausgerichteten, institutionell abgesicherten Politik. Forderungen nach und Überlegungen zu kooperativ ausgerichteter Politik und deren Institutionalisierung lassen sich im 6. Jahrhundert v.Chr. in verschiedenen Regionen, in denen Griechen gesiedelt haben, nachweisen. Der Begriff des κοινόν, mit seiner großen Spannweite von Verein oder Volksversammlung bis hin zu Föderation, ist dafür ein Schlüsselbegriff.⁸⁷ Ohne gleich die Formen der späteren griechischen Bundesstaaten zu unterstellen, ist doch ganz offensichtlich, daß die Raaflaub 2001, 86 und a. a.O. 1997 und 2007. Raaflaub 2001, 88. Raaflaub 2001, 89 – 93. Zu κοινόν, das ebenso wie δῆμος als Bezeichnung für die Volksversammlung eingesetzt werden konnte: Rzepka 2017, 18 ff.
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Vorstellungen von Gemeinwohl und dessen Umsetzung zu einem zentralen politischen Thema geworden sind.⁸⁸ Vorformen der späteren κοινά als Föderationen sind vermutlich ebenfalls im Verlauf des 6. Jahrhunderts v.Chr. entstanden,⁸⁹ wenngleich die voll entwickelte und institutionalisierte Form politischer Kooperationen als κοινά nach der heutigen communis opinio sicher und eindeutig erst seit dem 4. Jahrhundert v.Chr. nachweisbar ist.⁹⁰ Bei einer generellen Betrachtung der älteren Generation der ionischen Philosophen, deren Lebensdaten oder Akme in das 6. Jahrhundert v.Chr. gehören, ist erkennbar, daß durchaus für einige politische Tätigkeit im Sinne von ‚Politik‘ überliefert ist, d. h. eine Tätigkeit, die in Verbindung mit oder im Auftrag einer politischen Institution entstand: So soll Anaximander als Anführer eine Gruppe Kolonisten von Milet nach Apollonia geführt haben – eine Tätigkeit, die in der Regel durch einen offiziellen Volksbeschluß unterlegt wurde.⁹¹ Pherekydes von Syros hat im Konflikt zwischen Ephesos und Magnesia vermittelt – auch hierfür wurde man üblicherweise durch einen institutionellen Beschluß bestellt oder berufen.⁹² Heraklit hat sich während des Ionischen Aufstandes in seiner Hei-
Vgl. dazu oben Anm. 51 und Lehmann 2001, 21, Anm. 20 mit der sehr berechtigten Kritik an der in modernen rechts- und politikwissenschaftlichen Handbü chern dominierenden Auffassung, daß die parlamentarisch-repräsentative Ordnung eine Erfindung der Moderne gewesen sei, und vor allem daran, daß das Phänomen der bundesstaatlich-föderativen politischen Organisationsformen der Antike von der Neuzeit-Forschung weitestgehend ignoriert worden sei. Vgl. dazu insb. Mackil 2019, die allerdings sehr vorsichtig ist im Hinblick auf die frühen Formen bzw. Vorformen der föderativ organisierten Koina. 519 v.Chr. wurden die Plataier laut Herodot ‚von den Thebanern unter Druck gesetzt‘ (πιεζεύμενοι ὑπὸ Θηβαίων οἱ Πλαταιέες), waren aber nicht willens ἐς Βοιωτοὺς τελέειν (Hdt. 6,108,2– 5). Die genaue Bedeutung dieses Satzes ist schwer zu verstehen. Mackil weist daraufhin, daß der Satz gewöhnlich mit ‚Mitglied der Boiotischen Liga werden‘ übersetzt werde. Jedoch gebe es ihrer Ansicht nach zu diesem frühen Zeitpunkt keinen unabhängigen Beweis für ein entwickeltes boiotisches Koinon. Sie schlägt vor, τελέειν hier in lediglich fiskalischer Bedeutung zu verstehen. Auch wenn die Thebaner die Plataier lediglich baten, einen Beitrag zu einem gemeinsamen Fonds zu leisten, mit dem sie gegen gemeinsame Feinde Krieg führen könnten, und sie nicht drängten, sich einem Koinon mit noch nicht formalisierten Institutionen anzuschließen, so drängten sie im Namen der Boiotier, und brachten damit implizit ein ethnisches Argument vor – eines, das die Plataier von vornherein ablehnten, indem sie sich als Bittsteller an athenische Altäre begaben und den Schutz ihres engsten nicht-boiotischen Nachbarn reklamierten, um ihre Autonomie zu wahren. Rzepka 2017, 51, der aber auch darauf hinweist, daß κοινόν in einer allgemeinen Bedeutung natürlich schon früher auftritt. Vgl. unten Kap. II.1 zu dem ionischen Koinon und den Münzkooperationen S. 65 ff. und 72 ff. Von Aelian unter die politisch tätigen Philosophen gezählt (= Wöhrle, Anaximander Ar78), Herda 2019. Diog. Laert. 1,117; vgl. seinen ebf. bei Diog. Laert. 1,117 überlieferten Rat an die Spartaner, vom Gebrauch von Gold und Silber Abstand zu nehmen.
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matstadt Ephesos als Gesetzgeber betätigt.⁹³ Schließlich soll auch Pythagoras in Kroton eine Verfassung eingerichtet haben.⁹⁴ Auch für Philosophen im 5. Jahrhundert v.Chr. lassen sich vergleichbare Nachrichten finden: Parmenides wird eine Tätigkeit als Gesetzgeber in Elea zugeschrieben,⁹⁵ Zenon soll ebenfalls in Elea als Politiker gewirkt haben,⁹⁶ Melissos war der führende Stratege der Samier im Krieg gegen Athen,⁹⁷ Anaxagoras soll der politische Lehrer des Perikles gewesen sein, Empedokles soll, so Diodor, in Agrigent eine demokratische Verfassung eingerichtet und Protagoras ebenso für Thurioi eine solche entworfen haben.⁹⁸ Allerdings ist bei weitem nicht für alle der Denker, Dichter, Philosophen und Naturforscher des 6., aber auch des 5. Jahrhunderts v.Chr. in gleicher Weise eine aktive Tätigkeit in der Politik überliefert. Nicht zu ignorieren ist auch, daß gerade für die erste Generation dieser Denker die Tätigkeiten in der Politik in den späten und z.T. sogar nur pseudepigraphischen Texten berichtet werden. Der Athener Solon ragt als Dichter und Vermittler in einer schweren politischen Krise seiner Polis heraus und seine politische Tätigkeit ist, im Unterschied zu den vielen Nachrichten anderer, deren Lebenszeit in das 6. Jahrhundert v.Chr. gehört, sowohl gesichert als auch in seiner reflexiven Verankerung durch die erhaltenen Gedichte nachvollziehbar. Wenn es jedoch um Verbindungen, Einflüsse, aber auch Traditionsbildungen geht, die Regionen und Zeiträume prägen, dann überwiegt meist Skepsis im Hinblick auf die Nachrichten, die als Belege für eine überregionale Wirkung von Ideen und Konzepten angeführt werden. Dies läßt sich an den ersten und frühen Belegen für den Begriff der Isonomie in dem Fragment des Alkmaion (DK 24 B4) und der Verwendung des entsprechenden Adjektivs in dem Trinklied, das die attischen Tyrannentöter Harmodios und Aristogeiton rühmt, deutlich zeigen. Einerseits wird die Isonomie aufgrund der tyrannenfeindlichen Tendenz des Trinkliedes und dem damit verbundenen Tyrannenmord sowie der monumentalen Erinnerungspraxis der Athener für die beiden Tyrannentöter als Inbegriff und Schlagwort für die Kleisthenische Phy-
Diog. Laert. 9,1. Iambl. VP 35,248 – 258; ausf. dazu v. Fritz 1940 = 1977. Mele 2009, 49 f., der die pythagoreische Harmonia untersucht und in diesem Kontext auch den Isonomie-Begriff, den Alkmaion in seine Konzeption von Gesundheit und Krankheit überträgt, aus der pythagoreischen Philosophie herleitet. Diog. Laert. 9,23. Diog. Laert. 9,25 – 27. Vgl. dazu Vecchio 2005, 241– 262. Plut. Perikles 8 (Anaxagoras); Perikles 26 (Melissos) und Diog. Laert. 9,24 (Melissos). Diog. Laert. 8,64– 66 (Empedokles) und 9,50 (Protagoras). Zu Empedokles als δημοτικὸς ἀνήρ vgl. Horky 2016, 37– 71.
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lenreform angesehen. Andererseits wird eine Verankerung der für Alkmaion überlieferten Verwendung des Isonomie-Begriffes in einer solchen, überregional ausgerichteten Entwicklung mit äußerster Zurückhaltung betrachtet.⁹⁹ Diese Skepsis ist nicht ganz unberechtigt: Was Alkmaion – ein in Kroton lebender Mediziner und Pythagoreer – mit der Kleisthenischen Phylenreform zu tun haben sollte, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Man könnte lediglich auf einer sehr allgemeinen Ebene, davon ausgehend, daß es damals eine Art intellektueller Koine gegeben hat, in der Ideen und Konzepte breit fluktuierten, die Frage stellen, ob und wie die Dinge zusammengehören.¹⁰⁰ Ein gutes Beispiel für intensive Verbindungen mit überregionaler Wirkung ist Demokedes, ein krotoniatischer Arzt und Pythagoreer: Dareios in Persien weiß von diesem Arzt in Kroton und läßt ihn an seinen Hof kommen. Doch Demokedes kehrt auch wieder nach Kroton zurück (wohl nicht, ohne daß dem Hindernisse entgegenstanden).¹⁰¹ Nun war Demokedes aber nicht nur Mediziner, sondern wie Iamblich berichtet, auch politisch tätig.¹⁰² In dieser Biographie zeigt sich eine Überschneidung von Medizin und Politik in der Einzelperson, womit natürlich noch nicht belegt ist, daß dies auch mit einer überregional geführten Diskussion politischer Ideen verbunden war und solche politischen Begriffe wie Isonomie eine Ausstrahlung in andere Bereiche gehabt hätten. Nun berichtet Herodot aber ausführlich von der Diskussion über Isonomien in Ionien, vor allem über deren Scheitern im zeitlichen Kontext der persischen Eroberung Ioniens seit 540 v.Chr.¹⁰³ In dieser Zeit kommt es zu diversen Tyrannenstürzen und in einigen der großen ionischen Poleis zum Exodus nach Unteritalien. Pythagoras und seine Bewegung in Unteritalien sind eine Folge dieser Ereignisse in Ionien, ebenso die Gründung von Elea und die Beteiligung des Xenophanes daran. Mit Pythagoras und Xenophanes sind zwei der bekanntesten Philosophen der damaligen Zeit aus Ionien in die Magna Graecia gekommen, die beide einen lange nachwirkenden Einfluß ausgeübt haben. In dieses Einflußfeld gehört die Isonomie des Alkmaion, der zu den älteren Pythagoreern zu rechnen ist
Vollständig ablehnend: Mansfeld 2013, 78: „The use of these metaphors has generally been explained as the result of direct influence upon Alcmaeon’s thought of the terminology connected with the democratic reforms of Cleisthenes at Athens, in 508/7 BC, and/or his reception of the notion of cosmic equilibrium attributed to Anaximander.“ Ebenso Mansfeld 2013, 84 (vgl. dazu unten Anm. 585). Anders Triebel-Schubert 1984 und Kouloumentas 2014, 2018, 2019. Zu Alkmaion s.u. Kap. IV.3; zu Harmodios und Aristogeiton s.u. Kap. III.2. Hdt. 3,129 – 137. Iambl. VP 35,257; 35,261. Vgl. dazu Kap. II; damit erledigt sich auch der Einwand von Mansfeld 2013, 80: „The problem is that there is no good pre-Herodotean evidence for isonomia even in its literal sense“.
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bzw. zumindest mit ihnen in Verbindung stand.¹⁰⁴ Damit ist zwar keine direkte Verbindung zu den Ereignissen in Athen zu begründen, wo ebenfalls ein Tyrann gestürzt wurde und wo man die folgende Neuordnung als ‚isonomisch‘ bezeichnete. Doch der Tyrannensturz, die politische Konzeption und die Übertragung des politischen Begriffs auf eine medizinische Theorie gehören zweifellos in ein und denselben historisch-chronologischen Kontext. Sieht man nicht nur die einzelnen Individuen, sondern – wie schon Herodot¹⁰⁵ – sowohl ein Panorama der Ideen und politischen Auseinandersetzungen jenseits der Einzelhandlungen, Kriegsaktivitäten oder anekdotischen Geschichten, dann wird deutlich, wie sich im Verlauf des 6. Jahrhunderts v.Chr. ein gemeinschaftsbezogenes Denken entwickelt hat, das zwar in nuce schon bei Homer nachzuweisen ist, jedoch in den spezifischen politischen Konstellationen des 6. Jahrhunderts v.Chr. überregional auftritt und immer auf das Ziel der Gesamtheit der Polis-Ordnung ausgerichtet ist, und dessen Fokus die Vorstellung von Isonomie wird.¹⁰⁶ Gemeinschaftsdenken, Gesamtheit und Gemeinsinn sind der Kontext, in den die Entstehung der Vorstellung von Isonomie gehört.
I.2 Solon: Eunomie für die Polis Solons Eunomia-Elegie ist der längste Text, der uns politische Aussagen aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. überliefert.¹⁰⁷ Solon war nach der biographischen Tradition, die uns zu seiner Person bekannt ist, in Athen sehr angesehen und wurde daher als ‚Versöhner und Archon‘ berufen.¹⁰⁸ Nach der aristotelischen Athenaion Politeia wählte man Solon zum Versöhner (Diallaktes), weil man seine Elegie kannte, in der er für beide Seiten der in Athen streitenden Parteien plädierte und auch gleichzeitig gegen sie, indem er ihnen einen Spiegel ihres Verhaltens vorhielt.¹⁰⁹ Athen befand sich in den Jahrzehnten vor Solons Reform in den Wirren der Auseinandersetzungen um Schuldknechtschaft und Okkupation von Land. Zusätzlich lastete der Fluch einer Blutschuld auf der Stadt,¹¹⁰ die der durch seinen
Zhmud 1997, 71 und Kouloumentas 2019, 49 – 67. Lateiner 1989, 163 ff., hier 186. Meier 2009, 260 ff.; Raaflaub 2009, 564– 584. Zu Solon als einem politischen Denker: Nebelin 2016, 112 ff.; Itgenshorst 2014, 171 ff.; Raaflaub 2009, 571 f.; Blaise 2006, 114 f. Übersicht zur Literatur bis 2012: Schubert 2012. AP 5,2– 3; vgl. Plut. Solon 1. Plut. Solon 3. Für den historischen Kontext s. Schubert 2012. Plut. Solon 12.
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Sieg bei den Olympischen Spielen berühmt gewordene Athener Kylon in seinem Versuch, sich zum Tyrannen aufzuschwingen, mitverursacht hatte. Die Athenaion Politeia beschreibt Solons Stellung als eine institutionelle Übertragung von umfassenden Kompetenzen durch die Athener: So sei er ‚Herr über die öffentlichen Angelegenheiten‘ geworden.¹¹¹ In späterer Zeit, insbesondere seit dem 4. Jahrhundert v.Chr.,¹¹² ging man ganz selbstverständlich davon aus, daß er eine neue πολιτεία begründet habe. In der Athenaion Politeia – aus ihrer institutionellen Perspektive heraus – heißt es, er habe die πολιτεία etabliert und andere Gesetze gegeben.¹¹³ Das Jahr, in dem Solon nach den Quellen zum Archon, also zu einem der neun höchsten Amtsträger in Athen, berufen wurde, soll das Jahr 594/93 v.Chr. gewesen sein.¹¹⁴ Als eine seiner letzten politischen Aktionen wird der öffentliche Widerstand Solons gegen die Etablierung einer Tyrannis in Athen durch Peisistratos (seit 561/0 v.Chr.) überliefert,¹¹⁵ so daß der Zeitraum seiner politischen Tätigkeit fast die gesamte erste Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. umfassen würde.¹¹⁶ Der Grundtenor seines Werkes ist aus den erhaltenen Gesetzestexten und vor allem aus Solons eigenen Worten gut zu erschließen: Nämlich, daß Solon in einer krisenhaft zugespitzten Situation in Athen zu einem Schlichter und Krisenbewältiger berufen wurde und daß er diese Situation durch Gesetze und politische Maßnahmen zumindest für einige Zeit beruhigte. Die Besonderheit seiner Stellung und die Bedeutung des politischen Neuansatzes, die ihm in den Quellen zugeschrieben wird, weisen darauf hin, daß er seine Reformen als ‚Mediator‘ – griechisch Diallaktes – durchgeführt hat, und diese so nicht mit den Kompetenzen eines der regulären Ämter in Athen verbunden gewesen sind. Er scheint kein idealtypischer Gesetzgeber gewesen zu sein, der eine umfassende Gesetzeskodifikation durchgeführt, dieses Regelwerk
AP 6,1. Ruschenbusch, 1958, 398 – 424. AP 7,1: Πολιτείαν δὲ κατέστησε καὶ νόμους ἔθηκεν ἄλλους. Zu der Vieldeutigkeit des Begriffs πολιτεία s. Dmitriev 2018, 95 – 167. Zu den chronologischen Problemen: Chambers 1990, 161– 163. Diese Angaben finden sich in den antiken Quellen nicht als Jahresangabe im modernen Zeitsystem, sondern ergeben sich nur aus der Reihenfolge der antiken Namensliste für die Inhaber des jeweils höchsten Amtes, d. h. desjenigen Archonten, nach dem das Jahr benannt wurde. Viele dieser Namen der athenischen Amtsträger sind auch heute noch bekannt, wenngleich die antike Überlieferung nicht immer stimmig ist. Die sog. Archontenlisten, nach denen die antiken Historiographen arbeiteten, sind später, möglicherweise erst seit dem Ende des 5. Jahrhunderts v.Chr. angefertigte Namenslisten, die mit diversen Konstruktionen behaftet sind. AP 14,2; vgl. Plut. Solon 30 – 31. Allerdings ist die Chronologie ganz unsicher: Vgl. dazu Chambers 1990, 161 f.
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als gesetzte Norm veröffentlicht und damit eine neue, dauerhafte Ordnung gestiftet hat. Solon gehört in die Reihe anderer Schiedsrichter und Versöhner, die als ‚Mittler‘ zwischen einander feindlich gegenüberstehenden Gruppierungen einer Polis berufen wurden.¹¹⁷ In vielen Fällen wurden sie sogar von außen gerufen, teils auf den Rat des delphischen Heiligtums hin. Diese Schlichter waren nie reguläre Funktionsträger, sondern sie standen außerhalb und eigentlich sogar über der jeweiligen Ordnung der Polis, woraus sich ein Teil ihrer außerordentlichen Autorität erklärt. Teilweise wurden sie mit ‚gewählten Tyrannen‘ verglichen (vgl. S. 76), da ihre Berufung in Krisenzeiten und ihre Macht durchaus mit jenen zu vergleichen ist. Ihre Aufgabe bestand nicht nur in der Lösung und Befriedung der Konflikte, sondern auch in der Stabilisierung auf Dauer. Gerade daraus erklärt sich, daß diese Schlichter und Versöhner später mit Gesetzgebern (Nomotheten) identifiziert wurden, da die Stiftung von Regeln, Normen und Gesetzen ein wesentlicher Teil dieser Aufgaben darstellte. Allerdings sind diese Schlichtungen, wie mittlerweile gezeigt wurde,¹¹⁸ nicht gleichzusetzen mit umfassenden Gesetzeskodifikationen, Etablierung von Codes etc., sondern bleiben dezidiert in pragmatischsituativen, auf die jeweils individuellen Konstellationen der Poleis zugeschnittenen Lösungen verhaftet. Daher wird man der Darstellung insbesondere aus der Athenaion Politeia, daß Solon als Archon ein Gesetzeswerk und eine neue Verfassung in Athen etablierte, so nicht folgen können. Nach Plutarch hat Solon: Plut. Solon 18,1– 4: […] τὰς μὲν ἀρχὰς ἁπάσας ὥσπερ ἦσαν τοῖς εὐπόροις ἀπολιπεῖν […], τὴν δ’ ἄλλην μεῖξαι πολιτείαν, ἧς ὁ δῆμος οὐ μετεῖχεν, ἔλαβε τὰ τιμήματα τῶν πολιτῶν, καὶ τοὺς μὲν ἐν ξηροῖς ὁμοῦ καὶ ὑγροῖς μέτρα πεντακόσια ποιοῦντας πρώτους ἔταξε καὶ πεντακοσιομεδίμνους προσηγόρευσε· δευτέρους δὲ τοὺς ἵππον τρέφειν δυναμένους ἢ μέτρα ποιεῖν τριακόσια, καὶ τούτους ἱππάδα τελοῦντας ἐκάλουν· ζευγῖται δ’ οἱ τοῦ τρίτου τιμήματος ὠνομάσθησαν, ὃ μέτρων ἦν συναμφοτέρων διακοσίων. οἱ δὲ λοιποὶ πάντες ἐκαλοῦντο θῆτες, οἷς οὐδεμίαν ἄρχειν ἔδωκεν ἀρχήν, ἀλλὰ τῷ συνεκκλησιάζειν καὶ δικάζειν μόνον μετεῖχον τῆς πολιτείας. ὃ κατ’ ἀρχὰς μὲν οὐδέν, ὕστερον δὲ παμμέγεθες ἐφάνη· τὰ γὰρ πλεῖστα τῶν διαφόρων ἐνέπιπτεν εἰς τοὺς δικαστάς· καὶ γὰρ ὅσα ταῖς ἀρχαῖς ἔταξε κρίνειν, ὁμοίως καὶ περὶ ἐκείνων εἰς τὸ δικαστήριον ἐφέσεις ἔδωκε τοῖς βουλομένοις. λέγεται δὲ καὶ τοὺς νόμους ἀσαφέστερον γράψας καὶ πολλὰς ἀντιλήψεις ἔχοντας αὐξῆσαι τὴν τῶν δικαστηρίων ἰσχύν. μὴ δυναμένους γὰρ ὑπὸ τῶν νόμων διαλυθῆναι περὶ ὧν διεφέροντο, συνέβαινεν ἀεὶ δεῖσθαι δικαστῶν καὶ πᾶν ἄγειν ἀμφισβήτημα πρὸς ἐκείνους, τρόπον τινὰ τῶν νόμων κυρίους ὄντας. „[…] alle obrigkeitlichen Ämter wie bisher den Begüterten überlassen […], im übrigen aber am politischen Leben dem Volk, das daran noch gar keinen Anteil hatte, einen solchen zu gewähren. Er nahm daher eine Einteilung der Bürger nach dem Vermögen vor und machte diejenigen, die an trockenen und flüssigen Früchten einen Jahresertrag von fünfhundert Maß erzielten, zur ersten Klasse, die er Pentakosiomedimnen (= Fünfhundertscheffler) nannte.
Hölkeskamp 2005, 280 – 93. Hölkeskamp 1999, 11– 27.
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Die zweite Klasse bildeten diejenigen, die ein Pferd halten konnten oder dreihundert Maß ernteten; man nannte sie den Ritterstand. Zeugiten (= Gespannbesitzer) hießen die Angehörigen der dritten Schätzungsklasse, die zweihundert Maß von beiderlei Früchten bedingte. Alle übrigen wurden Handarbeiter (Theten) genannt. Sie hatten zu keinem Amt Zutritt und nur insoweit am Staat Anteil, daß sie an der Volksversammlung teilnehmen und Richter sein konnten. Das hatte anfänglich keine, später aber eine sehr große Bedeutung, weil die meisten Streitigkeiten vor die Richter kamen. Denn auch in den Sachen, über die er die Entscheidung den Behörden gegeben hatte, gestattete er dem, der das wollte, die Berufung an das Volksgericht. Man sagt auch, daß er durch unscharfe und vielfach zweierlei Deutung zulassende Abfassung der Gesetze die Macht der Gerichte verstärkt habe. Denn da man die Streitfragen nicht mit Hilfe der Gesetze entscheiden konnte, so ergab es sich stets, daß man Richter brauchte und jeden Streitpunkt vor sie brachte, die so gewissermaßen Herren über die Gesetze wurden.“¹¹⁹
Obwohl gerade dieses Bild von Solon in den Quellen seit dem 4. Jahrhundert v.Chr. zu finden ist, entspricht es nicht dem, was wir über die Situation im 6. Jahrhundert v.Chr. wissen. Solons Gesetze betreffen viele Bereiche, aber keineswegs alle und vor allem sind manche Regeln sehr detailliert, andere jedoch allgemein gefaßt. Für seine politischen Reformen gilt, daß er teilweise Vorgefundenes verändert hat, anderes wiederum unverändert ließ wie z. B. das Blutrecht¹²⁰ oder die Einkommensgruppen der Hippeis, Zeugiten und Theten, aber manches auch neu eingerichtet hat wie etwa die Einkommensgruppe der Pentakosiomedimnoi und wahrscheinlich auch den Areopag.¹²¹ Jedoch ist die eigentliche politische Neuausrichtung darin zu sehen, daß Solon dem Demos, der bis dahin von der politischen Teilhabe offenbar völlig ausgeschlossen war, eine solche nun einrichtete (Plut. Solon 18,1: τὴν δ’ ἄλλην μεῖξαι πολιτείαν, ἧς ὁ δῆμος οὐ μετεῖχεν, ἔλαβε τὰ τιμήματα τῶν πολιτῶν). Die Einrichtung der solonischen τελή – wobei nur die Pentakosiomedimnoi eine neue Gruppe waren – umfaßt die Regelung des Zugangs zu Ämtern und damit auch die Regelung des Prinzips, wie die damit verbundene Macht verteilt werden sollte. In seinen Elegien nennt oder begründet Solon keine dieser Maßnahmen, die in den späteren Quellen wie der Athenaion Politeia und Plutarchs Solon-Vita einen so breiten Raum einnehmen. Vielmehr beschreibt er eine Situation, in der die einen sich gegen das Gesetz bereichern und im Luxus schwelgen, während die anderen in die Ferne verkauft und in Fesseln gebunden werden. Scharf kritisiert er
ÜS Ziegler. IG I3 104 = ML 86. Zu den Z. 13 – 14; 16 – 20: Demosth. or. 43,57; Z. 26 – 29: Demosth. or. 23,27; Z. 30 – 31: Demosth. or. 23,28; Z. 33 – 34: Plat. leg. 869c; Z. 36 – 38: Demosth. or. 23,60, vgl. Koerner Nr. 11; Boegehold 1995, 146 f. und Wallace 1989. Zum Areopag: Plut. Solon 19,2 und Wallace 1989, Schubert 2000, 103 – 132 und Schmitz 2011, 23 – 51.
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die Maßlosigkeit, die persönliche Gier und den daraus entstehenden Schaden für die Polis. Diese Mißstände sind auch von anderen vor Solon – wie etwa Hesiod – bereits kritisiert worden.¹²² Unrecht, das von den Führern des Volkes aus ihrer rechtlosen Gesinnung heraus begangen wird, trägt den Zwist in die gesamte Gemeinschaft der Bürger und führt zu Dysnomie, einem schlechten und regellosen Zustand. In diesem Kontext verwendet Solon in der berühmten Eunomia-Elegie als erster die Formulierung ἡμετέρη δὲ πόλις (‚unsere Stadt‘)¹²³ – eine Formulierung der integrativ-inklusiven Art, mit der er seine Mitbürger direkt anspricht. In der Gegenüberstellung von ἡμετέρη δὲ πόλις (‚unsere Stadt‘) und den αὐτοὶ δέ (‚sie aber‘) weist er auf die Polis-Gemeinschaft aller Bürger hin und die widerstreitenden Interessen der Gruppe der Führer, die diese Gemeinschaft gefährden.¹²⁴ Dem setzt Solon ein Verständnis der Polis entgegen, das er mit dem Begriff der Eunomie, der Wohlordnung oder guten Ordnung,verbindet. Dieser Begriff, der von Solon als Gegenbegriff zur Dysnomie verwandt wird, kann sowohl eine Eigenschaft bzw. einen Zustand beschreiben – die Ordnung der Polis ist eine gute –, kann jedoch auch das Verhalten der Gemeinschaft der Bürger insgesamt bedeuten, demnach meinen, daß die Bürger sich an die Regeln halten. Diejenigen, die sich in ihrer individuellen Anwendung der Bräuche und Normen mäßigen, müssen jedoch auch mit den Anforderungen der Dike im Einklang stehen. Die Eunomie repräsentiert für Solon den guten Zustand der Gemeinschaft als Ausdruck einer göttlichen Macht. Es geht ihm darum, daß in einer Eunomie durch die Beachtung der Regeln der Gier ein Ende bereitet wird und aus ‚krummen Rechtssprüchen‘ solche werden, die ‚gerade‘ sind. Die bürgerkriegsähnliche Zwietracht werde so beseitigt, wobei er sich selbst implizit eine maßgebende Rolle zuschreibt.¹²⁵ Solon spricht in dieser berühmten Elegie nicht davon, daß und wie er eine neue Ordnung in Athen unter einem Konzept der Eunomie begründen wolle. Es ist hier – im Gegensatz zu dem, was später die aristotelische Athenaion Politeia
Hes. erg. 224– 32 zu den Folgen des Fehlverhaltens für die Polis; erg. 219 ff. zu den ‚gabenfressenden Männern‘. Vgl. Itgenshorst 2014, 170: Obwohl Hesiod klare politische Botschaften formuliert, wendet er sich hier mit seinen Botschaften doch noch nicht an die Gemeinschaft der Bürger. Aus Demosth. or. 19,255 = 3 G.-P.2 = 4 W; zu δέ: Noussia-Fantuzzi 2010, 220 f. hält es für inzeptiv, daher ist es nicht zwingend anzunehmen, daß der Anfang fehlt. ἡμετέρη: West, ἡμετέρα: Noussia-Fantuzzi 2010, 217 ff.; Mülke 2002, 87 ff. Etwas anders: Mülke ad loc. Noussia-Fantuzzi ad loc. Noussia-Fantuzzi 2010, 218; vgl. Mülke 2002, 155, der in den Versen 32– 39 und ü berhaupt mit Frg. 4, der Eunomia-Elegie (s.u.), ebf. eine Art Ankündigung Solons fü r seine eigenen Reformen sieht. Vgl. Morris 1996, 31; Osborne 1996, 219. Ehrenberg 1930, 24 und Ostwald 1969, 64 ff. dazu, daß er sich hier selbst als Lösung der Probleme präsentiert.
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schreibt – weder von einer neuen Verfassung die Rede noch von konkreten Maßnahmen eines politischen Reformprogramms und ein solches ist aus seinen Gedichten auch nicht herauszulesen. Andererseits lassen sich viele seiner Maßnahmen rekonstruieren, so daß durchaus eine Verbindung zwischen den Grundgedanken der Eunomia-Elegie und den Reformen, die er durchführte, sichtbar wird.¹²⁶ All dies steht im eindeutigen Kontext der Furcht vor Tyrannis oder tyrannischem Machtstreben: Solon Frg. 3 G.-Pr.2 = 4 W, vv. 17– 20:¹²⁷ τοῦτ᾽ ἤδη πάσηι πόλει ἔρχεται ἕλκος ἄφυκτον, ἐς δὲ κακὴν ταχέως ἤλυθε δουλοσύνην, ἣ στάσιν ἔμφυλον πόλεμόν θ’ εὕδοντ’ ἐπεγείρει, ὃς πολλῶν ἐρατὴν ὤλεσεν ἡλικίην· „Dies kommt nunmehr über die ganze Stadt als eine Wunde, eine unausweichliche, und schnell gerät sie da in schlimme Knechtschaft, die Zwist in der Gemeinschaft und Krieg, den Schlafenden aufweckt, der dann die liebliche Jugend vieler vernichtet.“¹²⁸
Der hier zum ersten Mal belegte Begriff der Stasis verweist auf die im 6. Jahrhundert v.Chr. immer latente Gefahr der aus Konflikten innerhalb der Oberschicht entstehenden Tyrannis hin (vgl. auch Solon Frg. 9 W = 12 G.-Pr.2). Gegen die diesem Phänomen zugrundeliegende Hybris der Reichen begründet Solon eine klare Gegenposition mit dem Ideal des Maßes und des Maßhaltens: Solon Frg. 4c W = 5 G.-Pr.2: ὑμεῖς δ’ ἡσυχάσαντες ἐνὶ φρεσὶ καρτερὸν ἦτορ, οἳ πολλῶν ἀγαθῶν ἐς κόρον [ἠ]λ̣ άσατε, ἐν μετρίοισι τίθεσθε μέγαν νόον· οὔτε γὰρ ἡμεῖς πεισόμεθ’, οὔθ’ ὑμῖν ἄρτια τα[ῦ]τ̣ ’ ἔσεται. „Doch ihr: Bringt im Innern das harte Herz zur Ruhe, die ihr zur Sättigung an vielen Gütern getrieben seid, und verlegt euer großes Planen auf’s Maßvolle! Denn weder werden wir euch zu Willen sein, noch wird euch dies passend geordnet sein.“¹²⁹
So in Schubert 2012, 18 ff. Ausf. bei Mülke 2002 ad loc.: Kontext und Parallelen schließen hier aus, daß mit πόλεμος Krieg gegen äußere Feinde gemeint ist, sondern vielmehr ist es der Einzelne, der sich mit seinen φίλοι zum Tyrannen aufschwingt und so die δουλοσύνη herbeiführt. ÜS Mülke. ÜS Mülke.
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In der Gegenüberstellung von ὑμεῖς/ὑμῖν (ihr/euch) und ἡμεῖς (wir) wird eine etwas andere Gruppenkonstellation als in den Anfangsversen aufgerufen: Nicht die Gesamtheit der Polis steht hier gegen die korrupten Führer, sondern in dem „wir“ wird die Gruppe der Vernünftigen und Einsichtigen gegen diejenigen gestellt, die sich gegen die Regeln und die Ordnung stellen. Mit ἐν μετρίοισι drückt Solon die Aufforderung zum angemessenen und maßvollen Verhalten aus, das für beide Seiten der streitenden Parteien in Athen der Maßstab sein soll.¹³⁰ Neben dem Bezug zu dem μηδὲν ἄγαν und den darin liegenden moralischen Vorstellungen von Mäßigung, ist es aber vor allem auch ein politischer Bezug, den Solon zum Ausdruck bringt: Als Gegenkonzept zur Tyrannis nennt Solon die ἰσομοιρίη,¹³¹ eine politische Konzeption, die von ihm jedoch genauso abgelehnt wird wie die Tyrannis! Für ihn ist in dem Kampf gegen die Tyrannis die Vorstellung vom gleichen Anteil aller, ungeachtet ihrer Person, ein Irrweg, denn die gute Ordnung entsteht durch die Angemessenheit, d. h. die nach gerechtem Maß bestimmte Anteiligkeit an der Ordnung.¹³² Offenbar sind für Solon die Isomoiria und die Tyrannis die beiden Extreme, die gleichermaßen zum Schaden der Gesamtheit der Polis wirken. Maßgedanke und ausgewogene Verteilung entsprechen Forderungen aus einem politischen Kontext, wie sie im 6. Jahrhundert v.Chr. in vielfältigen Situationen und fast immer gegenüber der Tyrannis geäußert wurden: In diesen historischen Kontext gehören sowohl der Sturz des Regimes in Megara durch den dann als Tyrannen agierenden Theagenes, die Usurpation des Kypselos in Korinth, der den Besitz der bis dahin dort herrschenden Bakchiaden konfiszierte sowie der Sturz der Geomoren in Samos nach 600 v.Chr. und ähnliche Kämpfe auf Schubert 2010a, 54. Vgl. dazu oben S. 13 f. Vgl. Mülke 2002, 359 ad loc. mit den verschiedenen, bisher diskutierten Interpretationen. Vgl. Welwei 1992, 159 f., der die Isomoiria bei Solon als bloßes politisches Schlagwort wertet; Meier 1983, 293 – 98 sieht in dem Begriff den Ersatz für das metrisch unmögliche ἴσην μοῖραν; vgl. auch Meier 1970, 36 – 44; allerdings kann Welwei a. a.O. für seine Interpretation darauf verweisen, daß es im 7. und 6. Jahrhundert v.Chr. vergleichbare Situationen wie diejenige in Athen gegeben hat und die Forderungen nach Isomoiria ebenfalls in diesem Zeitraum andernorts erhoben wurde: Aristot. pol. 1306b36 ff. Der Bezug der Isomoiria auf die Landverteilung wäre nach Mülke a. a.O. eher die Perspektive des 4. Jahrhunderts v.Chr., während entsprechend der solonischen Reformen der τελή in der Isomoiria seiner Ansicht nach ein Bezug auf die agrarische Grundlage der Machtverteilung liegt und die Mitwirkung an der politischen Macht von dem Ertrag bestimmt wird, der sich aus der Bewirtschaftung des Bodens ergibt. Möglicherweise ist das zeitlich nicht allzu fernliegende – in jedem Fall jedoch früher anzusetzende – EunomiaGedicht des Tyrtaios (Aristot. pol. 1306b36 ff.), das von Aristoteles in den Zusammenhang einer Neuaufteilung des Landes gesetzt wird, ein deutlicher Hinweis darauf, daß die von Solon abgelehnte Isomoiria sich tatsächlich auf die Anteile an Land bezogen hat. Vgl. dazu Anm. 41.
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Lesbos.¹³³ Auch die Sprüche der Weisen mit ihren Empfehlungen zum Einhalten des rechten Maßes erhalten so aus der Kritik an der Tyrannis und der ihr inhärenten Hybris einen historischen Kontext und eine politische Dimension. Das bei Solon zum Ausdruck kommende Verständnis seiner μέτρον- und δίκη-Vorstellungen steht im Zusammenhang mit der Weisheit. Clemens und Theodoret überliefern als Aussprüche Solons (Frg. 20 G.-Pr.2 = 16 W): γνωμοσύνης δ’ ἀφανὲς χαλεπώτατόν ἐστι νοῆσαι μέτρον, ὃ δὴ πάντων πείρατα μοῦνον ἔχει.¹³⁴ und (Frg. 21 G.-Pr.2 = 17 W): πάντηι δ’ ἀθανάτων ἀφανὴς νόος ἀνθρώποισιν.¹³⁵ Die γνωμοσύνη ist die σοφία, aber noch gebunden durch göttliche Einweihung. Der Anspruch auf Wahrheitserkenntnis, der bei Solon sichtbar wird, ist einerseits eng verbunden mit der Ordnung der Welt, andererseits aber auch mit dem öffentlichen Wirken, für das er selbst steht und dessen Wahrheit durch die Zeit enthüllt werden wird.¹³⁶ Die Öffentlichkeit dieser Wahrheit ist dann ἐς μέσον.¹³⁷ Dieser Begriff, der seit Homer schon die Öffentlichkeit als Mitte beschreibt,¹³⁸ rückt nun die Wahrheit, für deren Erkenntnis die Weisheit steht, ebenso in die Mitte der Gemeinschaft wie das politische Geschehen dort seinen Platz gefunden hatte oder zumindest finden sollte.¹³⁹ Dies gehört zu dem breiteren Prozeß der Gemeinschaftsbildung, in dem sich eine polisbezogene Ethik herausbildete.¹⁴⁰ In Athen ist diese Entwicklung Teil einer Krise, die geprägt war von Auseinandersetzungen über das Schuldrecht, Landbesitz und die Verteilung politischer Rechte,¹⁴¹ doch ob und wie sich dies in den anderen Poleis, insbesondere in den ionischen, abspielte, ist schwierig zu beurteilen. Immerhin deutet eine Megara/Korinth: Hdt. 5,92e2; Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 F57,7; Samos: Plut. Aet. Rom. et Gr. 303e – 304c; vgl. Berve 1967, I 91 ff.; Welwei 1992, 159. Clem. Al. strom. 5,81,1; Theod. Graec. affect. curat. 1,73 = p. 123 Canivet: „Sehr schwierig ist es, das fü r die Urteilskraft unsichtbare Maß zu erkennen, das allein die Grenzen von allem bestimmt“ (ÜS Scholten, Theod. Graec. affect. curat. S. 175). Clem. Al. strom. 5,129,5 – 6: „Durchaus ist der Unsterblichen Denken verborgen den Menschen“ (ÜS Stählin). Solon Frg. 14 G.-Pr.2 = 10 W: δείξει δὴ μανίην μὲν ἐμὴν βαιὸς χρόνος ἀστοῖς, δείξει ἀληθείης ἐς μέσον ἐρχομένης. („Offenbaren wird ja, wie verrückt ich bin, ein bißchen Zeit nur den Bürgern, offenbaren, wenn die Wahrheit in die Mitte tritt.“ [ÜS Mülke]). Zu Solon als einem Weisen Müller 2010, 13 – 24. Vgl. Solon Frg. 14 G.-Pr.2 = 10 W (= Diog. Laert. 1,49). Hom. Il. 1,124 und 125; 19,242 ff.; Hom. Od. 2,28 ff.; Hes. theog. 678 ff. Vgl. dazu oben S. 13 f. Vernant 1962 (1991), 85. Vgl. Detienne 1996, 91 ff. Meier 1995, 83: „Weisheit und Gerechtigkeit konnten als die wichtigsten Tugenden erscheinen. Und das korrespondierte der Forderung breiter Schichten nach Recht (dike).“ Eine gute Übersicht zum Stand der Diskussion zu Solon bei Blok/Lardinois 2006.
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Inschrift aus Chios daraufhin, daß man auch in Ionien bereits in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. begann, politische Partizipation zu institutionalisieren.¹⁴² Die weit verteilt über den gesamten östlichen und westlichen Mittelmeerraum liegenden Herkunfts- und Wirkungsorte der namentlich bekannten Weisen zeigen, daß das Phänomen der in die Öffentlichkeit gerückten Weisheit weder lokal begrenzt war, noch sich an eine bestimmte soziale Entwicklung binden läßt.¹⁴³ Die wesentliche Rolle, die das Heraustreten an die Öffentlichkeit in dieser Veränderung der Weisheitsvorstellung gespielt hat, kann jedoch kaum ohne den weiteren Kontext des griechischen Polisbildungsprozesses erklärt werden. Die Rolle der griechischen Volksversammlungen und die immer deutlicher zutage tretenden Wurzeln der egalitären Vorstellungen in Griechenland weisen darauf hin, daß es sich um einen Prozeß gehandelt hat, in dem die Verantwortung für die Ordnung in ein gemeinsames nomologisches Wissen integriert wurde.¹⁴⁴ Für die Weisen ist jedoch charakteristisch, daß sie nicht speziell der Ordnung einer einzigen Polis verpflichtet waren, sondern von der Position des ‚Dritten‘ her als Ratgeber oder Schlichter etc. wirkten. So ist die Weisheit und damit auch das darin liegende Wissen, für das sie stehen, noch als Teil einer umfassenden Ordnung und Weltsicht zu verstehen. Lediglich für Solon ist aufgrund seiner Gedichte und Politik genauer zu beschreiben, wie er sich in diesem Kontext die konkrete Umsetzung gedacht hat. Dazu lassen sich dann die weniger ausführlich erhaltenen Äußerungen anderer Denker wie vor allem diejenigen Anaximanders konzeptionell in einen Bezug setzen. Die Elegie, in der Solons zentrale Gedanken zum Ausdruck kommen, ist die hier schon genannte ‚Eunomia‘-Elegie, deren Verse Demosthenes in seiner Parapresbeia-Rede zitiert.¹⁴⁵ In der Elegie hat Solon zu einem Zeitpunkt, der wahr-
Vgl. etwa zu Chios (ML 8): Schubert 2011, 20 ff. Zur Herkunft der Inschrift aus Erythrai Koerner Nr. 61, 224 mit Anm. 1. Vgl. die grundsätzliche Kritik von Meier 1989, 73 ff. an den Ansätzen von S. Humphreys, G.E.R. Lloyd und J.-P. Vernant, die verschiedene Modelle für die Entstehung des griechischen Denkens und damit auch für die Vorgeschichte der Demokratie erwogen haben. Vgl. dazu auch Osborne, Introduction, in Goldhill/Osborne 2006, 1– 9 und ders. a. a.O. zu der Frage „When was the Athenian democratic Revolution?“ 10 – 28. Vgl. Meier 1989, 89 zu Solon. Kritik an Meiers Kategorie des nomologischen Wissens als nicht empirisch abgesichert: Itgenshorst 2014, 78 mit Anm. 117. Demosth. or. 19,254– 6. Demosthenes führt die Verse Solons als Argument für den Schutz der Götter an, den die Stadt gegen die korrupten Machenschaften seines Gegners Aischines benötigt.
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scheinlich vor seiner Beauftragung als Versöhner durch die Athener lag, die Probleme der Stadt angesprochen. Die Kernaussagen sind: ‒ Für das Unglück Athens sind niemals die Götter verantwortlich (vv. 1– 4). ‒ Angehörige der reichen Elite in der Polis haben schweres Unrecht begangen, dies führt zur Strafe Dikes an der gesamten Polis, die wie ein unausweichliches Geschwür über die Stadt kommt (vv. 5 – 16). ‒ Die Strafen sind Knechtschaft, Schuldknechtschaft und Stasis (vv. 17– 29). ‒ Das Ziel von Solons Darstellung ist es, dies den Athenern als Dysnomia vor Augen zu führen (vv. 30 – 31). ‒ Das Gegenbild ist die Eunomia, durch die alle der aufgezählten Übel beseitigt und die Polis in eine gute Ordnung geführt werden kann (vv. 32– 39). Aus dieser Elegie lassen sich Solons Vorstellungen über die Eunomia erkennen, wenngleich die moderne Forschung sich in vielem nicht einig ist.¹⁴⁶ Eunomie ist als Zustand der wohlgeordneten Bürgergemeinde verstanden worden, oder als Mechanismus der politischen Ordnung, aber auch als Personifizierung der göttlichen Wohlordnung wie etwa von Werner Jaeger,¹⁴⁷ der deren Gegenteil, die Dysnomia, durch menschliches Fehlverhalten verursacht ansah. Christian Meier versteht unter Eunomia eine Konzeption für die Ordnung der Polis und Fabienne Blaise sogar ein logisch deduziertes Handlungsprinzip, wonach Eunomia aus der Beobachtung der Dysnomia resultiere. Dike, Eunomia und Dysnomia seien nicht als personifizierte Gottheiten aufzufassen, sondern als Mechanismen/Prozesse in der politischen Ordnung. Kurt Raaflaub hingegen hat hervorgehoben, daß der Begriff der Eunomie von den Historikern des 5. Jahrhunderts v.Chr. auf die spartanische Gesellschaftsordnung angewandt wurde und daher Eunomia das Ideal einer Gesellschaft bedeute, in der Besitz und Klassenunterschiede akzeptiert werden sowie das Volk vor Willkü rherrschaft geschü tzt werde, Mitspracherechte besitze und daß dies auf die Große Rhetra zutreffe.¹⁴⁸ Nebelin wiederum verbindet Solons Eunomia mit der Vorstellung einer selbstregulativen Gerechtigkeit.¹⁴⁹
Nicht einmal in der Frage, ob die Elegie vollständig ist oder nicht, herrscht Einigkeit; vgl. oben Anm. 123. Meier 1995 (1980), 279 zur Eunomia als Zustand der wohlgeordneten Bürgergemeinde als „von den Göttern gesetzte rechte Ordnung“; göttliche Wohlordnung bei Jaeger 1926, 69 – 85; nicht ganz unähnlich L’Homme-Wéry, 1996, 145 – 54. Als Mechanismus der politischen Ordnung sieht die Eunomie Blaise 2005, 3 – 40. Barta 2006, 409 – 444 setzt Eunomie mit Isonomie und Freiheit gleich. Raaflaub 2006, 390 – 428. Nebelin 2016, 114.
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Nun ist Eunomia zur Zeit Solons kein neuer Terminus, bereits bei Homer (Od. 17,487) und Hesiod (erg. 249 – 255; theog. 902) ist er zu finden, wie möglicherweise auch die Verse des Tyrtaios, in denen die Große Rhetra beschrieben wird, ebenfalls als Eunomia-Elegie bezeichnet worden sind.¹⁵⁰ In der Odyssee (17,487) ist Eunomia noch der Gegenbegriff zu Hybris und beschreibt das Verhalten der Menschen untereinander:¹⁵¹ Die Befolgung von Regeln und Gebräuchen, d. h. der Nomoi, verweisen hier aber auch auf die enge Anbindung der von den Göttern zu prüfenden Eunomia an den νόμος.¹⁵² Eunomia und Hybris stehen für entgegengesetzte soziale Verhaltensweisen,¹⁵³ während Hesiod eine genealogische Konstruktion verwendet, nach der Eunomia, Dike und Eirene als Horen die Töchter von Zeus und Themis sind (theog. 901 ff.).¹⁵⁴ Der Fokus bei Solon liegt – anders als bei Hesiod – viel stärker auf dem menschlichen Verhalten: Für die Dysnomia schildert er in den Versen 5 – 29 der Elegie das falsche Verhalten von Menschen und, welche furchtbaren Schäden der Gemeinschaft durch die Gier nach Reichtum entstehen, wie dann eben etwa Stasis und Polemos.¹⁵⁵ Auch die Eunomia hat konkrete Auswirkungen, indem sie Streit schlichtet, Rechtssprüche richtet und durch sie alles wieder eine Ordnung gewinnt: ἔστι δ’ ὑπ’ αὐτῆς πάντα κατ’ ἀνθρώπους ἄρτια καὶ πινυτά (vv. 38 – 39: es ist aber durch sie alles unter den Menschen angemessen und klug). Durch sie wird die Gemeinschaft geordnet und die menschlichen Erga, d. h. die Aktivitäten der Bürger in der Polis, macht sie εὔκοσμα καὶ ἄρτια (v. 32: gut geordnet und angemessen). Diese gute Ordnung ist weniger abstrakt, als daß sie konkret auf das Handeln der Menschen ausgerichtet ist, das sich in ihnen zeigt. Das Bild der ‚heilig-erhabenen Grundsteine der Dike‘ steht für die geltenden Regeln, die die Polisgemeinschaft bestimmen und der Bezug der Eunomia auf diese Dike, die einerseits schweigend dem Unrecht zusieht, aber doch irgendwann
Noussia-Fantuzzi 2010, 259 verweist darauf, daß Aristot. pol. 1307a1 und Strab. 8,4,10 (362) angeben, ‚Eunomia‘ sei der Titel des Gedichtes gewesen, in dem Tyrtaios die spartanische Ordnung besungen und in Verbindung mit der lykurgischen Rhetra als besonders stabil gepriesen habe. Vgl. dazu auch Raaflaub 2006, 393 – 398. Mülke 2002, 151; vgl. Noussia-Fantuzzi 2010, 258 f. Vgl. zu der Entwicklung des Nomos-Gedankens Ostwald 1969, 20 – 54. Noussia-Fantuzzi 2010, 258 f. Andere Varianten: Alkman PMG F64 – Tyche ist die Schwester von Eunomia und Peitho, sowie die Tochter der Promethia, Dysnomia ist die Schwester der Ate und Tochter der Eris. Vgl. theog. 226 – 230. Ausf. dazu Noussia-Fantuzzi 2010, 258 f. Mülke 2002, 154 sieht bei Solon die Genealogie Hesiods im Hintergrund stehen, weil das menschliche Fehlverhalten Schaden verursacht, wie es auch Eris in der Theogonie macht (theog. 226 – 31) bzw. sieht er in den heiligen Grundsteinen der Dike (v. 12: σεμνὰ Δίκης θέμεθλα) den Bezug auf die Dike als Tochter des Zeus. Anders Noussia-Fantuzzi 2010, 260.
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strafen wird, belegt recht eindeutig, daß Eunomia für Solon noch einen metaphysischen Bezug hat.¹⁵⁶ Andererseits liegt in dem Aufruf an die Bürger, dem Anspruch Solons, sie aufzuklären und sie wieder auf den rechten Weg zu führen, indem er sie belehrt (v. 30: ταῦτα διδάξαι θυμὸς ᾿Aθηναίους με κελεύει, das zu lehren die Athener drängt mich der Thymos), auch die Erkenntnis, daß jeder einzelne fähig ist, Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen.¹⁵⁷ Darin liegt, anders als in dem Verständnis von Eunomia als abstraktem Konzept eine durchaus lebensweltlich-praktische Handlungsanweisung, die nicht nur ihn selbst erfaßt hat, sondern nach der auch jeder einzelne seiner Mitbürger leben und handeln soll. Solon gibt in der Elegie keine konkreten, positiv formulierten Leitlinien für die Umsetzung der Eunomie, sie lassen sich jedoch aus der Negativfolie der Situationsbeschreibung vom Anfang der Elegie her erschließen: Er nennt die rechtlose Gesinnung, die Hybris, die Pleonexia der Hegemones und vor allem: οὐ γὰρ ἐπίστανται κατέχειν κόρον οὐδὲ παρούσας εὐφροσύνας κοσμεῖν δαιτὸς ἐν ἡσυχίηι (vv. 9 – 10: denn sie wissen niemals dem Überdruß zu widerstehen, noch in der Muße des Mahls die vorhandenen Festesfreuden zu ordnen). Die Parallele zwischen dem Symposium mit der dabei praktizierten Art von Teilung nach bestimmten sozial geregelten Relationen und der Polis, in der die Bürger ebenfalls nach bestimmten Relationen an der Gemeinschaft teilhaben, ist offensichtlich.¹⁵⁸ Wenn es gelingt, Extreme wie das Verhalten der Hegemones zu beseitigen und richtig zu verteilen, d. h. jedem die richtige δαίς zukommen zu lassen, dann entspricht das einer Eunomia. Eine δαίς, die dem richtigen Maß folgt, gewährleistet eine Angemessenheit der Verteilung. Mit Bezug auf die Dike als eine noch in der göttlichen Relation verankerte Norm gibt Solon seine Gesetze und will einen gerechten Ausgleich zwischen den Bürgern schaffen, indem jedem die angemessene δαίς zukommt. Die Eunomie repräsentiert diesen Ausgleich (Solon Frg. 3 G.-Pr.2 = 4 W, v. 32/33).¹⁵⁹ Das Ziel ist
Für Mülke 2002, 152 ist die Eunomia die „Manifestation einer göttlichen Macht“ und auch daraus leitet er dann die Orientierung der solonischen Eunomia-Vorstellung an Hesiod ab. Raaflaub 1993, 73, beruhend auf Jaeger 1926, 319. Noussia-Fantuzzi 2010, 259 geht noch weiter und sieht Solons Eunomia nur als Personifikation: „the eunomia of Solon’s text, as well as of Tyrtaeus’ poem, is more comprehensible as the personification of the abstract idea of a well ordered community than as the autonomous goddess of Hesiod“. So auch Noussia-Fantuzzi 2010, 233; zu der sakralen Fleischverteilung als Ursprung für gesellschaftliche Partizipation: Saïd 1979, 14– 23 (zu δαίς im Hinblick auf die Redistribution); Nagy 1990, 269 – 275, der die Verse des Solon mit Philochorus, FGrHist 328 F216 zu dem spartanischen Brauch der Fleischverteilung (die der Herstellung von soziale Gleichheit diene) und mit Tyrtaios’ Eunomia verbindet. Ausf. in Schubert 2012.
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die Einigung der Stadt und der verschiedenen Gruppierungen, wie er es auch in seinen politischen Maßnahmen zu realisieren versucht, sei es durch die Aufhebung der Schuldknechtschaft, sei es durch die Einführung neuer Gesetze. Das Anliegen ist ein primär politisches, orientiert sich jedoch an moralischen Überlegungen.¹⁶⁰ Luxus und Anmaßung der Reichen, die Hybris und Anomie müssen durch Dike zurückgedrängt und deren Auswüchse beschränkt werden (Solon Frg. 3 G.-Pr.2 = 4 W, vv. 9 – 17).¹⁶¹
I.3 Solon und Anaximander: Gerechtigkeit und Ausgleich – regulatorisch-distributive vs. ausgleichende Gerechtigkeit Nicht selten wird die Meinung vertreten, daß politische Fragen in den erhaltenen Textpassagen des Anaximander, wie etwa auch des Anaximenes oder sogar auch des Thales, keine Rolle spielen,¹⁶² und daher Solon eine singuläre Position in der Entwicklung des politischen Denkens der archaischen Zeit einnehme. Angesichts der krisengeschüttelten Situation Milets ist es jedoch schlechterdings unvorstellbar, daß die politischen Umwälzungen mit Gewalt, Rache, Rechtsbrüchen, Verwüstung, gegenseitigem blutigem Abschlachten keine Spur im Denken eines in dieser Stadt lebenden Denkers und Forschers hinterlassen haben sollten.¹⁶³ Krieg, Unterwerfung und Bürgerkrieg sind für jede Polis destabilisierend und der weitere Verlauf der Ereignisse gerade in Ionien, so wie er bei Herodot beschrieben ist (s.u.), zeigt sehr deutlich, daß man Lösungen suchte, die sich nicht in abstrakten Kosmosmodellen erschöpften, sondern die gezielt in die politische Diskussion getragen wurden. Sowohl Solon als auch Anaximander beschreiben Prozesse, in denen es um Gerechtigkeit und Ausgleich geht. Allerdings wirkt bei Solon Zeus über die Dike
Zu Solon Mülke 2002, 32– 37; West, Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar 2002, 88 ff. ad loc.; Vernant 1962 (1991), 81. Vernant 1962 (1991), 74 ff. versteht die Ausdrücke des mystischen Strebens, vor allem repräsentiert in kathartischen Ritualen (die von Epimenides durchgeführte Reinigung Athens von der Blutschuld des kylonischen Frevels), neuentstehendem Asketismus (a. a.O. 81) etc. als eine Form, die Ordnungswiederherstellung zu erreichen. Man könnte sich dazu auf die Aussage des Simplikios in seinem Kommentar zu Aristot. cael. über die ersten Philosophen stützen: οἱ γὰρ πρῶτον περὶ τῆς ἀληθείας φιλοσοφήσαντες θεωρητικῶς, ἀλλ’ οὐ πρακτικῶς καὶ πολιτικῶς περὶ τὰ αἱρετὰ καὶ φευκτὰ διατρίψαντες […] (Simpl. In De cael. 555,24‒26). Vgl. Nebelin 2016, 110 ff., die allerdings zu einem anderen Schluß kommt (s.o. Anm. 56), da sie politisches und philosophisches Denken in ihren jeweiligen Lösungsversuchen als unterschiedlich vorgehend annimmt. Vgl. ähnlich Itgenshorst 2014, 206 f.
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regulatorisch auf das Geschehen ein: Wie er in v. 17 der Eunomia-Elegie sagt, so kommt Unheil in die Stadt, und dieses Unheil ist die Strafe, die Dike bewirkt.¹⁶⁴ Dike ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem göttlichen Recht, sondern allgemeiner aufzufassen: Denn die Strafe, die sie der Stadt auferlegen wird, kommt in der Zukunft, und ist nicht unmittelbar ad hoc die Folge des menschlichen Fehlverhaltens. Gleichwohl wird diese Strafe, die Zeus über die Dike der Stadt zuteilt, irgendwann in der Zukunft kommen.¹⁶⁵ Die Rolle der Götter in Solons Vorstellungen wird, wie die Eunomia, ausgesprochen kontrovers beurteilt – das Spektrum reicht von der Ansicht, daß die Götter überhaupt keine Rolle spielen, wenn es darum geht, daß die Bürger der Polis eine Situation der Gerechtigkeit wiederherstellen, sie also keinen Einfluß auf das menschliche Geschehen nehmen bis hin zu der Position, daß die Götter die entscheidende Rolle dafür spielen, ob es den Bürgern gelingt, Gerechtigkeit zu erreichen, oder ob sie sie verfehlen.¹⁶⁶ In der Eunomia-Elegie beschreibt Solon Zeus als denjenigen, der den Bürgern ihre αἶσα zuteilt (Solon Frg. 3 G.-Pr.2 = 4 W, vv. 1– 2):¹⁶⁷ ἡμετέρη δὲ πόλις κατὰ μὲν Διὸς οὔποτ’ ὀλεῖται αἶσαν καὶ μακάρων θν φρένας ἀθανάτων·
So schon Jaeger 1926, der τοῦτ᾽ kausalmechanisch versteht, vgl. dazu Manuwald 1989, 5 ff. Manuwald weist darauf hin, daß dann die Dike auch für das ἕλκος ἄφυκτον in v. 17 verantwortlich wäre und dies einen Widerspruch darstelle. Insofern wäre es plausibler, mit Gagarin 1974 die Dike als göttliches Gesetz, das Ruin in die Polis bringt, zu verstehen. Manuwald ist der Ansicht, daß man das Fehlverhalten der Bürger und die Strafe der Dike auseinanderhalten müsse. Die Strafe werde kommen, aber dies sei nicht gleichzusetzen mit den unmittelbaren Auswirkungen des menschlichen Fehlverhaltens; insofern beschreibt Solon das Geschehen und seine Ursachen auf zwei Ebenen, der göttlichen einerseits, auf der Zeus und die anderen Götter Strafen und Gerechtigkeit veranlassen, und derjenigen, auf der die Dike wirkt. Raaflaub 1993, 72 f. (vgl. dazu auch ders. 2009, 577 und Sassi 2006, 15) vertritt die Ansicht, daß bei Solon den Göttern noch die entscheidende Rolle zukommt, demgegenüber sieht Nebelin 2016, 114 f. in Solons Worten einen selbstregulativen Prozeß; Itgenshorsts Interpretation (2014, 179 f.) sieht die Rolle der Götter als nicht ausschlaggebend entscheidend an, betont aber, daß eben nicht allein das menschliche Handeln ausreicht, um die Situation zu wenden. ÜS Mülke; zu αἶσα Noussia-Fantuzzi 2010, 222: bei Hom. Il. 9,608 und 17,321 wird αἶσα durch Zeus und nie durch einen anderen Gott zugeteilt; Mülke 2002, 103 sieht in v. 1– 2 die regulatorische Gerechtigkeit; μέν bereite den Gegensatz „Fügung des Zeus/Wille der Götter – Menschen“ vor und Zeus wird als dem obersten Gott – erhöht gegenüber den anderen Göttern einschließlich Athenes – die außerordentliche Macht der αἶσα zugesprochen. Zu v. 5 αὐτοὶ δέ Siegmann 1975, 272; anders: Melissano 1994, 51: αἶσα – ursprünglich in der Bedeutung „Anteil, Portion“, erst sekundär mit der Bedeutung „Schicksal“ – heiße hier der Anteil, den jemand an dem erhält, was die Welt anbietet. Wird dieser Anteil mit dem Namen einer Gottheit oder einer höheren Macht in Verbindung mit dem Genitiv ausgedrückt, so ist der Anteil eine Zuteilung. Ein Widerspruch zwischen göttlichem Willen und Determinismus entstehe demnach nicht.
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„Unsere Stadt wird niemals untergehen nach des Zeus Fügung und der glückseligen Götter Willen, der unsterblichen.“
Dies entspricht einer distributiv-regulatorischen Gerechtigkeitsvorstellung, nach der durch göttliche Fügung die Bürger Athens ihr Schicksal als Anteil (αἶσα) von Zeus und den Göttern zugewiesen wird. Wie Solon weiterhin ausführt, so ist damit die Möglichkeit des eigenverantwortlichen menschlichen Handelns nicht ausgeschlossen, denn darin sieht er auch seine eigene Rolle in dieser Situation: ταῦτα διδάξαι θυμὸς ᾿Aθηναίους με κελεύει (Frg. 3 G.-Pr.2 = 4 W, v. 30: das die Athener zu lehren drängt mich der Thymos).¹⁶⁸ Aber auf der allgemeinen Ebene des Prozesses muß der Ausgleich doch immer stattfinden, insofern ist die menschliche Autonomie durch die Einbindung in die göttlich bestimmten Regeln begrenzt.¹⁶⁹ Die Ähnlichkeit zwischen Solon und Anaximander liegt auf der Hand: Solons Beschreibung der Dike, auch wenn sie als eine göttliche Personifizierung zu verstehen ist, verweist doch zweifellos schon auf ein abstraktes Prinzip von Gerechtigkeit, durch das für Ausgleich der Übel und der Schlechtigkeit gesorgt wird. Einerseits legt das von Anaximander (DK 12 B1) in der von Simplicius im Kommentar zur aristotelischen Physik zitierten Textpassage beschriebene Verhältnis von Dike und Tisis einen Vergleich mit Solon nahe,¹⁷⁰ andererseits ist die historisch-politische Situation im ionischen Milet in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. eine völlig andere als die im durch soziale Spannungen geprägten Athen, in dem Solon seine Reformen durchführte. In Athen stand die Furcht vor einer Tyrannis im Raum und die Stadt war offenbar im Inneren von einem Krisengefühl angesichts der sozialen Spannungen beherrscht. Milet stand in dieser Zeit erst unter der Tyrannenherrschaft des Thrasybul¹⁷¹ und die Stadt mußte sich in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr., wie andere ionische Poleis auch, vor allem gegen die Expansion der Lyder unter Alyattes verteidigen.¹⁷² In dieser Zeit hatte schon Thales seine Landsleute einmal davon überzeugen können, sich nicht mit dem Lyderkönig Alyattes auf eine Symmachie einzulassen.¹⁷³ In der Folge scheint die Auseinandersetzung mit den Lydern die Stadt geprägt zu haben. Das Lyderreich unter Alyattes expan-
Vgl. auch in Frg. 30 G.-Pr.2 = 36 W v. 1– 2: ἐγὼ δὲ τῶν μὲν οὕνεκα ξυνήγαγον δῆμον (Ich jedoch – wozu ich den Demos versammelte). Anders Nebelin 2016, 116. Noussia-Fantuzzi 2010, 244 mit Bezug auf Werner Jaeger. Hdt. 5,92 f.; Aristot. pol. 1284a; 1311a. Hdt. 1,17– 19. Berve 1967, I 101 f.; Itgenshorst 2014, 205.
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dierte, Smyrna wurde von ihm erobert (Hdt. 1,16) und jährliche Feldzüge gegen Milet unternommen (Hdt. 1,18), um immer wieder Tribut einzufordern. Immerhin spricht Herodot von jährlichen Belagerungen Milets durch die Lyder über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren. Die Mauern von Milet haben offenbar lange standgehalten, so daß dies zwar einerseits zur Sonderstellung Milets führte, das in dieser Zeit einen Außenhandelshafen (vgl. Hdt. 1,141) bekam, es muß aber gleichzeitig die inneren Spannungen in politischer Hinsicht verschärft haben, wie die Nachrichten über die inneren Wirren und mehrere Tyrannenaspiranten (Thoas und Damasenor mit ihrer Hetairie) zeigen.¹⁷⁴ Die Auseinandersetzungen sollen ein halbes Jahrhundert angedauert haben, in dem die Ploutis (die Reichen) und die Cheiromacha (Partei der Fäuste) gegeneinander kämpften. Letztere ließen nach ihrem Sieg die Unterlegenen auf einer Tenne von Ochsen zertrampeln. Nachdem wiederum die Cheiromacha die Oberhand gewinnen konnten, sollen sie alle Erwachsenen und Kinder der gegnerischen Partei mit Pech bestrichen und verbrannt haben. Im Unterschied zu Anaximander spricht Solon seine Mitbürger direkt an und will ein gemeinschaftliches Handeln initiieren. Eine Ansprache dieserart ist für Anaximander nicht belegt. Die überlieferte Nachricht, daß er als Oikistes eine Kolonie nach Apollonia geführt hat,¹⁷⁵ deutet jedoch darauf hin, daß auch er politisch aktiv gewesen sein muß. Inwiefern und ob diese Gründung und seine Beteiligung als Oikist, die durchaus Teil eines kollektiven Handelns mit politischem und praktischem Bezug war,¹⁷⁶ jedoch mit dem überlieferten kosmologischen Modell in Verbindung steht,¹⁷⁷ ist nicht ersichtlich. Die berühmte Textpassage des von ihm erhaltenen Satzes ist bei Simplicius überliefert und gilt als wörtliches Zitat aus seinem Werk:¹⁷⁸ Simpl. In phys. 24,18 – 20 (= DK 12 A9): […] ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών. διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν […]. „Und was den seienden Dingen die Quelle des Entstehens ist, dahin erfolgt auch ihr Vergehen, gemäß der Notwendigkeit; denn sie strafen und vergelten sich gegenseitig ihr Unrecht nach der Ordnung der Zeit, […].“
Hdt. 1,22; 1,141. Berve a. a.O. Herda 2019. Dies gegen Nebelin 2016, 110 ff. und auch gegen Itgenshorst 2014, 206 f. Anaximander DK 12 B1 und dazu ausführlich Vernant 1962 (1991), Kirk/Raven/Schofield 2001, 115 ff., Graham 2010, Bd.1, 66 f. und Woehrle 2012, 13 ff. ÜS KRS 118; vgl. Hippolyt. Ref. 1,6,1– 7 (= DK 12 A11) und Ps.-Plut. strom. 2 (= DK 12 A10); ausf. bei Kirk/Raven/Schofield 129 ff.
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Die Passage ist vielfach und kontrovers kommentiert worden. Die Begriffe, die den Anschluß an die solonische Eunomia-Elegie darstellen, sind Dike und Tisis. Bei Anaximander werden nicht die menschlichen Handlungen angesprochen, sondern das prozeßhafte Geschehen in sehr allgemeiner Hinsicht mit der ausgleichenden Gesetzmäßigkeit von Strafe und Buße. Wie sich die seienden Dinge zueinander verhalten, wird mit ἀλλήλοις verdeutlicht:¹⁷⁹ Sie leisten einander Strafe und Buße, wobei es offen ist, wieviel solcher Größen, die jeweils in einer solchen Beziehung zueinander stehen und die aus dem Apeiron, dem Unbegrenzten kommen, es geben kann oder muß. Auch wird nichts darüber ausgesagt, in welchem Größenverhältnis die seienden Dinge zueinander stehen, ob sie symmetrisch zueinander sind oder gleichgroß oder wie sie überhaupt aufeinander bezogen sind. Bei Solon hingegen stehen sich innerhalb eines begrenzten Ganzen, nämlich der Polis, konkret zwei Parteien gegenüber, die von Hybris befallenen Hegemones und die Armen, und der Ausgleich – d. h. die Beseitigung des Unrechts – erfolgt durch die Eunomie, die Gerechtigkeit einführt und das Unrecht beendet (v. 37– 38: παύει δ’ ἔργα διχοστασίης, παύει δ’ ἀργαλέης ἔριδος χόλον). Auf der allgemeinen Ebene dirigieren Zeus und Dike die Gerechtigkeit, aber auf der menschlichen Ebene sind es die Bürger, die sich für die Eunomie engagieren und sie bewerkstelligen können, wenn sie die grundsätzlichen Werte und Verhaltensweisen akzeptieren, die Solon ihnen vermitteln will. Die Eunomie selbst wird von Solon als ein Zustand in der Polis charakterisiert, der offenbar statisch gedacht wird und innerhalb dessen es auch keine Verhandlungen oder eine wie immer geartete Dynamik von Ausgleich der kontroversen Standpunkte geben kann. Eunomie ist oder ist nicht, ebenso wie Dysnomie. Demgegenüber beschreibt Anaximander eine Form der Gerechtigkeit, die sich mit Ungerechtigkeit abwechselt. Ein Ausgleich entsteht eben nicht durch die
Dazu ausf. Friedrich Meins in Bräckel et al. 2019: In der ältesten Edition des Textes, der Aldina von Franziskus Asulanus aus dem Jahre 1526, fehlt das Wort ἀλλήλοις. Meins hält dazu fest, dies sei eine sprachlich immerhin mögliche Variante, da sowohl δίκην als auch τίσιν διδόναι als feste Redewendungen kein entferntes Objekt benötigen und in diesem Fall einfach soviel wie „bestraft werden“ bedeuten. In diesem Fall fiele der Ausgleich zwischen den Dingen weg, der oftmals als ein wesentlicher Aspekt der Interpretation des Fragmentes angesehen wird, und an seiner Stelle stünde ein Hendiadyoin, das lediglich die Bestrafung für das Unrecht mit undeutlichem Bezug und keine Adressaten der zu entrichtenden Buße erwähnt, wofür man immerhin ähnliche Formulierungen bei Hippolyt. Ref. 1,6,1– 7 (DK 12 A11, B2) und Theophrast (Theophr. Phys. op. frg. 2 DK 12 A9, B1) anführen könnte. Zwar hat diese Variante keine bekannte handschriftliche Grundlage, schon Diels allerdings hat sie nicht den „levissim[i] errores“ der Schriftsetzer zugeschrieben, sondern als eine bewußte Konjektur durch den Editor angesehen, wofür wohl auch die Vertauschung der beiden Substantive spricht.
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Beseitigung des Unrechts, sondern durch Dike und Tisis (Buße), die sich gegenseitig vergelten in einem nach der Ordnung der Zeit geregelten Wechsel von Werden und Vergehen. Hier entsteht das Bild einer Reziprozität, die völlig anders gedacht ist als der Prozeß der Unrechtsbeseitigung bei Solon: nämlich als ein Prozeß des Ausgleichs und der Balance zwischen Gleichen.¹⁸⁰ Die beiden Gegensätze, das Recht und das Unrecht, stehen in einer Abfolge zueinander, die sich ausgleicht, ohne daß damit etwas über die Größenverhältnisse gesagt wäre.¹⁸¹ Die Allgemeingültigkeit dieser Abfolge führt dazu, daß jede Aktion, jedes Geschehen dieser Gesetzmäßigkeit unterliegen muß. Ins Politische gewendet,¹⁸² bedeutet es, daß eine jede politische Ordnung mit Unrecht einhergehen muß und entsprechend der Ordnung der Zeit von einer anderen abgelöst werden wird, die dieses Unrecht vergelten und ihrerseits wiederum ein neues Unrecht mit sich bringen wird, so daß erst in einem steten Wechsel von Recht und Unrecht der Ausgleich hin zur Gerechtigkeit entsteht. Bei Anaximander ist diese Dike Teil eines dynamischen und selbstregulativen Prozesses,¹⁸³ bei Solon hingegen ist sie eine Art ‚immanenter Gerechtigkeit‘,¹⁸⁴ die sich zwar ohne direktes Eingreifen der Götter realisiert – indem sich in der ungerechten Polis Unfrieden und Unrecht ausbreitet –, aber in ihrer Realisierung doch immer der göttlichen Zuweisung folgt und als ein Dauerzustand erstrebt wird bzw. auch als möglich erscheint. Der bei Anaximander formulierte selbstregulative Prozeß hingegen – auch wenn er bei Anaximander nicht mit politischen Prozessen oder Ereignissen verbunden wird – legt ein erstes Fundament für die
Vlastos 1947, 169: Balance und Gleichgewicht bei Anaximander entsprechen Aristot. phys. 204b24– 29; hier liege eine seit Homer nachweisbare Tradition vor (Beispiele bei Vlastos 1947, 169), die auf einem Denken in Symmetrie und Ausgleich der Gegensätze basiere; jedenfalls könne keiner der beiden jeweiligen Gegensätze grenzenlos sein. Bei Xenophanes (DK 21 B28, Aristot. cael. 294a22 paraphrasiere Xenophanes) sei dies anders. Die beiden hier skizzierten Arten der Gerechtigkeit (regulatorisch und ausgleichend) werden später bei Aristoteles systematisch beschrieben: eth. Nic. 1132b25 f.: τὸ νεμητικὸν δίκαιον … τὸ διορθωτικόν. Vlastos 173, Anm. 158: meint dazu, „to ‘get justice’“ entspreche dem „get (back) the equal“, dies sei das ἶσα ἔσσεται (Od. 2,203) und „give justice“ (δίκην διδόναι) entspreche „to pay the equal“ (ἴσην ἔτισεν [Soph. O.R. 810]). Das zugrundeliegende Prinzip sei der Austausch, wonach der gleiche Wert sowohl dem Geben wie dem Nehmen zugrunde liegen müsse. Hirzel 1907, 243 vergleicht das ἴσα νέμειν – das Gleiche zuteilen – mit Hdt. 6,11. Daraus ergebe sich die Bedeutung, daß die Götter den Menschen etwas zuteilen. Die Bedeutung „Zuteilen des Gleichen“ im Rechtsund politischen Leben der Griechen entspreche der Isomoiria, und in der Folge sei aus ἴσον ἔχειν ebenso wie aus ἴσα νέμεσθαι die Isonomie entstanden. Vgl. dazu Anm. 36 oben S. 7. Meier 2009, 276. Dies sieht Nebelin 2016 (vgl. dazu oben) bereits bei Solon gegeben. Solmsen 1949, 114 erkennt in Solons Vorstellungen eine „natural causality“, die den Platz der göttlichen Intervention einnimmt. Anders Manuwald a. a.O., der Solon eng bei Hesiod sieht.
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später erfolgende Weiterentwicklung der Gerechtigkeitskonzeptionen, die dann mit anderen weiteren Dynamiken verbunden werden sollten.
I.4 Xenophanes von Kolophon: Politisches Denken im archaischen Griechenland Bei Xenophanes läßt sich beobachten, wie das Politische selbst der oder zumindest zu einem Bezugsrahmen der frühen Denker geworden ist. Xenophanes wird für seine religions- und erkenntniskritischen Äußerungen in der antiken Überlieferung zitiert, eine genuin politische Tätigkeit als Gesetz- oder Ratgeber ist für ihn nicht bekannt. Gleichwohl hat er aufgrund des nach eigenem Wortlaut hohen Alters von über 90 Jahren, das er erreicht haben muß (DK 21 B8 = Diog. Laert. 9,19), vermutlich nicht nur die lydische Einflußnahme in Ionien erlebt, sondern auch die persische Eroberung. Möglicherweise ist er auch, wie Pythagoras, aufgrund politischer Auseinandersetzungen nach Unteritalien gegangen.¹⁸⁵ Zwar kann allein die Angabe, er habe die Gründung der Kolonie Elea besungen (Diog. Laert. 9,20) – deren Gründungsjahr um 540 v.Chr. war¹⁸⁶ – dies noch nicht zweifelsfrei belegen. Der historische Kontext der Gründung von Elea durch eine Gruppe phokäischer Griechen, die vor den persischen Invasoren in Ionien geflohen waren (s. ausführlich unten Kap. II.1.1), legt nahe, daß Xenophanes, ähnlich wie einige Zeit später Pythagoras sich nicht der Tyrannenherrschaft des Polykrates in Samos beugen wollte, sowie lydische und persische Herrschaft als Unterdrückung ablehnte.¹⁸⁷ Xenophanes selbst gibt zu seinen Lebensumständen Folgendes an:¹⁸⁸ Diog. Laert. 9,19: ἤδη δ’ ἑπτά τ’ ἔασι καὶ ἑξήκοντ’ ἐνιαυτοὶ βληστρίζοντες ἐμὴν φροντίδ’ ἀν’ Ἑλλάδα γῆν·
Clem. Al. strom. 1,64,2, wonach Timaios geschrieben habe, daß Xenophanes zur Zeit des Hieron von Syrakus und des Dichters Epicharm gelebt habe. Dieses Kapitel ist eine überarbeitete Version der englischen Fassung von Schubert 2020a. Hdt. 1,163 – 167; Antiochos FGrHist 555 F8. Dazu Vecchio 2017, 30 und 78 zu der Überlieferung, die als weiteres Zeugnis für die Präsenz des Xenophanes in Elea gelten kann: Aristot. rhet. 1400b5. Vgl. aber Plut. superst. 171e; Is. 379b und am. 763d. Vgl. dazu jetzt Vecchio 2017, 80, der – mit Bezug auf Lombardo 2000, 189 – 224 – in Xenophanes’ Auswanderung einen „fuoriuscitismo individuale“ sieht. Diog. Laert. 9,18 – 19 = DK 21 B8 = KRS 161, ÜS DK, wo es heißt, daß er ein sehr hohes Alter erreicht habe, wie er selbst irgendwo gesagt habe (μακροβιώτατός τε γέγονεν, ὥς που καὶ αὐτός φησιν), und dann die obenstehenden Verse zitiert werden.
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ἐκ γενετῆς δὲ τότ’ ἦσαν ἐείκοσι πέντε τε πρὸς τοῖς, εἴπερ ἐγὼ περὶ τῶνδ’ οἶδα λέγειν ἐτύμως. „Siebenundsechzig Jahre aber sind es bereits, die meine Sorge durch das Hellenische Land auf und ab treiben. Von meiner Geburt gerechnet aber waren es damals fünfundzwanzig, wenn ich denn hierüber der Wahrheit gemäß zu berichten weiß.“
Vermutlich hat Xenophanes seine Heimatpolis Kolophon verlassen, als Ionien der persischen Invasion durch Kyros¹⁸⁹ in den 50er Jahren des 6. Jahrhunderts v.Chr. anheimfiel,¹⁹⁰ so daß er sowohl die lydischen Einflüsse (s.u. zu DK 21 B3) als auch die persische Macht miterlebt hat. Die weiteren Stationen seines von ihm selbst so bezeichneten Wanderlebens können durchaus auch diejenigen gewesen sein, in denen die Einwohner von Teos versuchten, seßhaft zu werden (s. dazu ausf. Kap. II.1.1). Ihr Weg führte sie von einem vergeblichen Verhandlungsversuch mit den Chiern nach Korsika, Rhegion und schließlich nach Elea. Xenophanes soll in Sizilien gewesen sein, Diogenes Laertius nennt Katane und Zankle.¹⁹¹ Es ist nicht ganz unwahrscheinlich daß er – ἐνιαυτοὶ βληστρίζοντες ἐμὴν φροντίδ’ ἀν’ Ἑλλάδα γῆν – sorgenbeschwert das wechselhafte Schicksal der Teer zumindest zum Teil miterlebt hat und sich schließlich am Ende mit ihnen gemeinsam in Elea niederließ. Nach Elea hatte die Teier eine Weissagung aus Poseidonia geführt, dessen Gründung dann Xenophanes, ebenso wie seine Geburtsstadt Kolophon, in einem zweitausend Verse umfassenden Gedicht besungen hat.¹⁹² Xenophanes bietet sich für die Untersuchung vor allem deshalb an, weil von ihm mehrere, längere – wohl sogar vollständige – Elegien im Wortlaut erhalten sind, die nicht nur eine hinlängliche Grundlage für eine Interpretation seiner Ansichten bieten, sondern es auch erlauben, ihn mit den anderen Dichtern und Denkern des 6. Jahrhunderts v.Chr. zu vergleichen. Zwar benutzt auch er, wie Solon, nicht den Begriff der Isonomie, aber den der Eunomie im Hinblick auf die
Nach Diodor 9,21 (vgl. Eus. Pr. ev. 10,10) wurde Kyros Anfang der 55. Olympiade (um 560 v.Chr.) König. Zu den Angaben und Lesarten der Nabonid-Chronik: Rollinger 2008, 56 ff. Diog. Laert. 9,18. Dazu Vecchio 2017, 77 ff. mit Übersicht der älteren Literatur. Zu Elea Greco 2012, 1017– 1075. Diog. Laert. 9,20: Aus dem Text geht nicht eindeutig hervor, ob jedes der beiden Gedichte 2000 Verse hatte oder beide zusammen. Letzteres würde darauf hindeuten, daß Xenophanes die Gründungen von Kolophon und Elea in einem Gedicht besungen hätte (so Jacoby, FGrHist 3b, Kommentar, 296; anders: Stronk, Jan. P., „Xenophanes of Kolophon (450)“, in: Brill’s New Jacoby: http://dx.doi.org/10.1163/1873 – 5363_bnj_a450 (eingesehen am 28.7. 2019). Zu der Entscheidung der Platzwahl für Elea aus Poseidonia s. Pugliese Carratelli 1966, 162.
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Thematik des Gemeinschaftsbezugs, so daß seine Elegien in den Kontext der Entwicklung des politischen Denkens des 6. Jahrhunderts v.Chr. gehören. Xenophanes selbst erwähnt in einigen Textpassagen, die in den späteren Quellen erhalten sind, sowohl Pythagoras (Diog. Laert. 8,36) als auch Thales, Epimenides und Simonides (DK 21 B21). Heraklit kannte ihn offensichtlich auch (Diog. Laert. 9,1 = DK 22 A1), so daß sich genügend Anhaltspunkte dafür ergeben, einen Diskurs anzunehmen, in dem man sich aufeinander bezog und sich aber auch gegeneinander abgrenzte. Politische und militärische Umwälzungen prägen die Lebensumstände des Xenophanes in dieser Zeit ebenso wie die Solons, dem einzigen anderen aus dem Kreis der Denker des 6. Jahrhunderts v.Chr., von dem ähnlich gestaltete, längere Texte im gesicherten originalen Wortlaut erhalten sind. Denn die längeren Passagen, die bei Athenaios im Gelehrtenmahl überliefert sind und die in diesen Büchern 10 und 11 vermutlich vollständige (oder fast vollständige) Elegien des Xenophanes wiedergeben, deuten wie bei Solon auf eine Wahrnehmung und Reflexion des Politischen hin, die sich mit zeitgenössischhistorischen Umständen in Verbindung bringen lassen:¹⁹³ Xenophanes Frg. 2 G.-Pr.2 = 2 W = DK 21 B2 (Athen. 10,6,413f [Kaibel]) = Strobel/Wöhrle Xen Nr. 152: ταῦτ’ εἴληφεν ὁ Εὐριπίδης ἐκ τῶν τοῦ Κολοφωνίου ἐλεγείων Ξενοφάνους οὕτως εἰρηκότος· ἀλλ’ εἰ μὲν ταχυτῆτι ποδῶν νίκην τις ἄροιτο ἢ πενταθλεύων, ἔνθα Διὸς τέμενος πὰρ Πίσαο ῥοῆις ἐν Ὀλυμπίηι, εἴτε παλαίων ἢ καὶ πυκτοσύνην ἀλγινόεσσαν ἔχων εἴτε τὸ δεινὸν ἄεθλον ὃ παγκράτιον καλέουσιν, ἀστοῖσίν κ’ εἴη κυδρότερος προσορᾶν, καί κε προεδρίην φανερὴν ἐν ἀγῶσιν ἄροιτο, καί κεν σῖτ’ εἴη δημοσίων κτεάνων ἐκ πόλεως, καὶ δῶρον ὅ οἱ κειμήλιον εἴη – εἴτε καὶ ἵπποισιν· ταῦτά κε πάντα λάχοι, οὐκ ἐὼν ἄξιος ὥσπερ ἐγώ· ῥώμης γὰρ ἀμείνων ἀνδρῶν ἠδ’ ἵππων ἡμετέρη σοφίη. ἀλλ’ εἰκῆι μάλα τοῦτο νομίζεται, οὐδὲ δίκαιον προκρίνειν ῥώμην τῆς ἀγαθῆς σοφίης· οὔτε γὰρ εἰ πύκτης ἀγαθὸς λαοῖσι μετείη οὔτ’ εἰ πενταθλεῖν οὔτε παλαισμοσύνην,
Vgl. auch die Aufsätze von Kattel 1997 und Drechsler/Kattel 2004, die jedoch Xenophanes im Hinblick auf das Verhältnis von Politischem und Nutzen für die Polis die noch traditionell stark metaphysisch geprägte Auffassung zuschreiben. Hieraus erklärt sich dann auch, daß Xenophanes bisher praktisch nie im Kontext einer nicht-metaphysischen Entwicklung des Politischen betrachtet wurde.
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οὐδὲ μὲν εἰ ταχυτῆτι ποδῶν, τόπερ ἐστὶ πρότιμον, ῥώμης ὅσσ’ ἀνδρῶν ἔργʼ ἐν ἀγῶνι πέλει, τούνεκεν ἂν δὴ μᾶλλον ἐν εὐνομίηι πόλις εἴη· σμικρὸν δʼ ἄν τι πόλει χάρμα γένοιτʼ ἐπὶ τῶι, εἴ τις ἀεθλεύων νικῶι Πίσαο παρʼ ὄχθας· οὐ γὰρ πιαίνει ταῦτα μυχοὺς πόλεως. „Dies entnahm Euripides aus den Elegien des Kolophoniers Xenophanes, der so formulierte: ‚Aber, wenn einer mit der Schnelligkeit der Füße den Sieg gewönne oder im Fünfkampf, dort wo des Zeus heilige Flur ist am Pisaquell in Olympia, oder im Ringen oder auch weil er die Kunst des schmerzensreichen Faustkampfs besitzt oder eine gewisse schreckliche Kampfart, die sie Allkampf (Pankration) benennen, so wäre er zwar für die Bürger glorreicher anzuschauen als zuvor, er erwürbe den weithin sichtbaren Ehrensitz bei den Kampfspielen, und Speisung gäbe es auf öffentliche Kosten von der Stadt und eine Gabe, die ihm ein Kleinod wäre; und auch wenn er mit seinen Rossen (den Sieg gewönne), so erhielte er alle diese Ehren; und doch wäre er nicht (= keiner) so würdig wie ich. Denn besser als Männer- und Rossekraft ist doch unser Wissen. Vielmehr ist das eine gar grundlose Sitte, und es ist nicht gerecht die Stärke dem tüchtigen Wissen vorzuziehen. Denn wenn auch ein tüchtiger Faustkämpfer unter den Bürgern wäre oder wer im Fünfkampf oder in der Ringkunst hervorragte, oder auch in der Schnelligkeit der Füße, was ja den Vorrang hat unter allen Kraftstücken, die sich im Wettkampfe der Männer zeigen, so wäre doch um dessentwillen die Stadt nicht in besserer Ordnung. Nur geringen Genuss hätte die Stadt davon, wenn einer an Pisas Ufern den Wettsieg gewönne; denn das macht die Kammern der Stadt nicht fett.‘“¹⁹⁴
Bei Athenaios steht die Elegie in einem Kontext, der Milon und Pythagoras, aber auch viele andere, die deutlich später lebten, für das Thema des Athletismus aufzählt. Die bei Athenaios (Athen. 10,6,413f) erhaltene Elegie des Xenophanes ist später von Euripides im Autolykos als die heute oft mit Athleteninvektive bezeichnete Passage aufgenommen worden: Euripides Frg. 282 Kannicht:
κακῶν γὰρ ὄντων μυρίων καθ’ Ἑλλάδα οὐδὲν κάκιόν ἐστιν ἀθλητῶν γένους· οἳ πρῶτον ὀικεῖν οὔτε μανθάνουσιν εὖ οὔτ’ ἂν δύναιντο· πῶς γὰρ ὅστις ἔστ’ ἀνὴρ γνάθου τε δοῦλος νηδύος θ’ ἡσσημένος κτήσαιτ’ ἂν ὄλβον εἰς ὑπερβολὴν πατρός; οὐδ’ αὖ πένεσθαι κἀξυπηρετεῖν τύχαις οἷοί τ’· ἔθη γὰρ οὐκ ἐθισθέντες καλὰ σκληρῶς μεταλλάσσουσιν εἰς τἀμήχανον. λαμπροὶ δ’ ἐν ἥβῃ καὶ πόλεως ἀγάλματα φοιτῶς’· ὅταν δὲ προσπέσῃ γῆρας πικρόν,
ÜS DK.
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τρίβωνες ἐκβαλόντες οἴχονται κρόκας. ἐμεμψάμην δὲ καὶ τὸν Ἑλλήνων νόμον, οἳ τῶνδ’ ἕκατι σύλλογον ποιούμενοι τιμῶς’ ἀχρείους ἡδονὰς δαιτὸς χάριν. τίς γὰρ παλαίσας εὖ, τίς ὠκύπους ἀνὴρ ἢ δίσκον ἄρας ἢ γνάθον παίσας καλῶς πόλει πατρῴᾳ στέφανον ἤρκεσεν λαβών; πότερα μαχοῦνται πολεμίοισιν ἐν χεροῖν δίσκους ἔχοντες ἢ δι’ ἀσπίδων χερὶ θείνοντες ἐκβαλοῦσι πολεμίους πάτρας; οὐδεὶς σιδήρου ταῦτα μωραίνει πέλας †στάς. ἄνδρας χρὴ σοφούς τε κἀγαθοὺς φύλλοις στέφεσθαι, χὥστις ἡγεῖται πόλει κάλλιστα σώφρων καὶ δίκαιος ὢν ἀνήρ, ὅστις τε μύθοις ἔργ’ ἀπαλλάσσει κακά μάχας τ’ ἀφαιρῶν καὶ στάσεις· τοιαῦτα γὰρ πόλει τε πάσῃ πᾶσί θ’ Ἕλλησιν καλά.
„Denn es gibt zahllose Übel in Hellas, doch keins ist schlimmer als das Geschlecht der Athleten: Zuerst einmal haben sie nicht gelernt ihr Haus gut zu verwalten und könnten es auch nicht; denn wie soll ein Mann, der ganz seinen Kauwerkzeugen dient und Sklave seines Magens ist, den Besitz des Vaters vermehren? Und sie sind auch nicht imstande, in Armut zu leben und sich mit den Wechselfällen des Lebens abzufinden; denn da sie es nicht gewohnt sind, innere Haltung zu zeigen, stellen sie sich schwer auf eine Notlage ein. Sie glänzen in der Jugend und stolzieren einher als staatliche Ausstellungsstücke; wenn aber das Alter mit seinen Unannehmlichkeiten kommt, dann ist es vorbei mit ihnen und sie sind wie abgetragene Kleider, die die Fäden verlieren. Ich halte auch nichts von dem Brauch der Hellenen, ihretwegen zusammen zu kommen und nutzlose Fresslust zu ehren. Denn welcher gute Ringer, welcher Läufer oder Diskuswerfer oder tüchtige Kinnhakenausteiler half seiner Stadt wirklich durch den Kranz, den er bekam? Sollen sie gegen den Feind mit dem Diskus in der Hand kämpfen oder mit der Faust Schilde zerhauen und Wunden schlagen und so den Feind aus ihrer Heimat vertreiben? Keiner begeht solch eine Dummheit, wenn er das Eisen vor sich sieht. Kluge und tüchtige Leute soll man mit Laub bekränzen, verständige und gerechte Männer, die die Polis gut regieren, und Männer, deren Wort böses Tun verhindert und Streit und Aufruhr abwendet; denn so etwas ist von Wert für jede einzelne Stadt und für alle Hellenen zusammen.“¹⁹⁵
Aus dem Vergleich beider Texte läßt sich sehr deutlich erkennen, wie trotz der Ähnlichkeiten ganz unterschiedliche Akzente gesetzt werden und vor allem wie Xenophanes diese Thematik gesehen hat: Denn Euripides’ Verse beginnen mit der Kritik daran, daß Athleten in gewisser Weise lebensuntüchtig sind, daß die Feste und Athletensiege der Stadt nicht nützen; man solle vielmehr den σώφρων καὶ
ÜS Seeck, modifiziert.
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δίκαιος ἀνήρ ehren, weil Männer wie dieser die Stasis sowie viele Übel verhindern und so für ihre Polis und ganz Hellas Gutes bringen. Xenophanes preist demgegenüber zuerst die Athleten, die so zwar Ehren von ihren Poleis für ihre Siege erhalten, jedoch sei die Dichter-Persona würdiger aufgrund ihrer σοφίη (Frg. 2,12 West), die für die Stadt nützlicher sei als Körperstärke. Die Siege der Athleten füllen keine Kornkammern und können auch nicht für die Eunomie der Polis einstehen. Die gegensätzliche Schwerpunktsetzung der beiden Passagen ist deutlich.¹⁹⁶ Während Xenophanes seine Kritik an den Athleten auf die Polis bezieht, dreht sich bei Euripides alles um die Persönlichkeit des Athleten. Man hat in der σοφία bei Euripides eine Anspielung auf die Sophisten gesehen, da diese σοφοί τε κἀγαθοί mit μύθοι die κακά, μάχαι und στάσεις abwenden. Mit Bezug auf Aischylos ist hier ein Kontext rekonstruiert worden,¹⁹⁷ in dem in Athen um Erziehung und Werte diskutiert wurde und in der die Sophisten sich gegen herkömmliche Traditionen wandten, zu denen das Athletentum gehörte. Die μύθοι setzen bei Euripides einen ambivalenten Akzent.¹⁹⁸ Vergleichbar kritisiert Platon im Menon (94b1 f.) an den attischen Politikern Miltiades, Themistokles, Kimon und Perikles, daß sie ihre Kinder in Sport und Gymnastik unterrichtet hätten, aber nicht in Weisheit, und im Gorgias (502d10 – 503d4; 515e5 – 7) heißt es,¹⁹⁹ daß – jedenfalls Perikles – die Bürger mit Worten und Reden nicht etwa besser, sondern sie zu einem faulen, feigen, geschwätzigen und goldgierigen Volk gemacht habe. Die Dichter-Persona bei Euripides sagt, daß die weisen und guten Männer im Gegensatz zu den Athleten, die ihrer Stadt keinen Nutzen bringen, Gutes für ihre Polis bewirken können. Die Abwendung der Staseis und der Nutzen für die Polis sind Themen, die Xenophanes in seiner Elegie ebenso hervorhebt und die – trotz der gegensätzlichen Schwerpunktsetzung – zeigen, daß Euripides mit der Konnotation des Weisen, der mit seiner Weisheit der Polis mehr nü tzt als Athleten, sich einerseits auf Xenophanes bezieht, andererseits aber auch die zeitgenössische Diskussion – die in sophistischer Rhetorik geschulten Politiker, die ihre Bü rger manipulieren – umso deutlicher hervortreten läßt. Für die Kontextualisierung der Elegie des Xenophanes ist allerdings entscheidend, wie sicher die Frage zu beantworten ist, ob wir den originalen Wortlaut
Egli 2011, 127. Egli 2011, 128 mit Bezug auf Pechstein 2014, 82 ff. und Dover 1993, 22 verweisen auf Aristoph. Ran. 1069 – 71 und 1083 – 88 mit dem Vorwurf des Aischylos bez. Euripides’ lalia: nur noch Schwätzer seien an der Macht und die Sportlichkeit ginge verloren; vgl. Aristoph. Nub. 1053 f., wo ebenfalls gesagt wird, „die lalia leere die Palästren“. Vgl. Fowler 2011, 62 mit Anm. 69. Anders bei Xenophanes, s.u. Lesher 1992 ad loc. verweist auf Plat. rep. 465d6 – 8 zu den olympischen Siegern.
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bei Athenaios überliefert haben. Die gut erkennbaren Stilmittel wie z. B. die Ringkomposition, die mit Πίσαο παρ’ ὄχθας am Ende das πὰρ Πίσαο ῥοῆις vom Anfang wiederaufnimmt, und die Wiederholungen von ῥώμη (v. 11,14,18) und πόλις (v. 9,19,20,22) zeigen nicht nur,²⁰⁰ daß diese Passage der Elegie hier vermutlich vollständig wiedergegeben wird, sondern betonen auch den Gegensatz von physischer Stärke einerseits und dem, was für die Polis von Nutzen ist: Eunomie und Wohlstand. Denn wenn es heißt οὐ γὰρ πιαίνει ταῦτα μυχοὺς πόλεως mit Bezug auf die Nutzlosigkeit der Athleten, dann ist es demgegenüber die Dichter-Persona (οὐκ ἐὼν ἄξιος ὥσπερ ἐγώ. ῥώμης γὰρ ἀμείνων ἀνδρῶν ἠδ’ ἵππων ἡμετέρη σοφίη), die mit ihrer Weisheit genau dies für die Polis bewirken kann. Die Verbindung der ἡμετέρη σοφίη mit Gerechtigkeit und Eunomie läßt an Solons Eunomia-Elegie denken, deren erhaltener Teil mit ἡμετέρη δὲ πόλις beginnt und in der ein νόος zum Nutzen der Polis wirken will; Solons διδάξαι ist auf die Eunomie der Polis gerichtet und mit dem Auftakt ἡμετέρη wird die Einheit des weisen Dichters (Solon) und seiner Zuhörer als Gesamtheit der Polis beschworen. In gleicher Weise steht die ἡμετέρη σοφίη – durch die Xenophanes das vorangegangene ἐγώ ausweitet – für ein Wissen und die Weisheit entweder einer Gemeinschaft derjenigen, die über das Wissen verfügen oder sie steht für das Wissen der gesamten Gemeinschaft der Bürger einer Polis. Da Xenophanes hier die allgemeine Überlegung anschließt, daß die Bevorzugung der Stärke anscheinend auf einer fälschlichen Einschätzung beruhe und so wohl die allgemein verbreitete Meinung ansprechen will, spricht er für seine Gruppe, also diejenigen, die über das Wissen verfügen. Der damit verbundene Anspruch, daß sie auch diejenigen sind, die der Stadt Eunomie und Wohlstand bringen können, geht deutlich über Solons Eunomia-Elegie hinaus. Solon weist die Verantwortung für das Unglück der Polis den Bürgern selbst zu, aber immer noch verbunden mit einem metaphysischen Rahmen.²⁰¹ In dem erhaltenen Text des Xenophanes ist von göttlicher oder überhaupt metaphysisch gebundener Manifestation im Politischen nicht die Rede. Schließlich ergänzt Athenaios (10,6,414c): πολλὰ δὲ καὶ ἄλλα ὁ Ξενοφάνης κατὰ τὴν ἑαυτοῦ σοφίαν ἐπαγωνίζεται, διαβάλλων ὡς ἄχρηστον καὶ ἀλυσιτελὲς τὸ τῆς ἀθλήσεως εἶδος (Auch viel Anderes macht Xenophanes für seine Weisheit im Wettstreit geltend, indem er die Gattung des athletischen Wettkampfes als unbrauchbar und unnütz denunziert). Also hat auch Athenaios die Verse des Xenophanes in diesem Sinn verstanden. Aus der anderen, ebenfalls im Ganzen oder zumindest für die erhaltene Passage in sich vollständig bei Athenaios wiedergegebenen Elegie (DK 21 B1 =
Zur Analyse der Stilmittel ausführlich Marcovich 1978, 1– 26. Mülke 2002, 93 f. mit Literaturübersicht.
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Athen. 11,7,462c),²⁰² läßt sich eine ähnliche Ausrichtung herausarbeiten. Die bei Athenaios im elften Buch zitierte Elegie gibt aus dem Werk des Xenophanes die Beschreibung eines Symposiums wieder, gefolgt von Elegien des Anakreon und des Ion von Chios sowie weiterer Szenen aus dem symposiastischen Kontext: Xenophanes Frg. 1 G.-Pr.2 = 1 W = DK 21 B1 (Athen. 11,7,462c) = Strobel/Wöhrle Xen Nr. 153 und Nr. 292:
νῦν γὰρ δὴ ζάπεδον καθαρὸν καὶ χεῖρες ἁπάντων καὶ κύλικες· πλεκτοὺς δ’ ἀμφιτιθεῖ στεφάνους, ἄλλος δ’ εὐῶδες μύρον ἐν φιάληι παρατείνει· κρητὴρ δ’ ἕστηκεν μεστὸς ἐυφροσύνης, ἄλλος δ’ οἶνος ἕτοιμος, ὃς οὔποτέ φησι προδώσειν, μείλιχος ἐν κεράμοις, ἄνθεος ὀζόμενος· ἐν δὲ μέσοις ἁγνὴν ὀδμὴν λιβανωτὸς ἵησιν, ψυχρὸν δ’ ἔστιν ὕδωρ καὶ γλυκὺ καὶ καθαρόν· παρκέαται δ’ ἄρτοι ξανθοὶ γεραρή τε τράπεζα τυροῦ καὶ μέλιτος πίονος ἀχθομένη· βωμὸς δ’ ἄνθεσιν ἀν τὸ μέσον πάντηι πεπύκασται, μολπὴ δ’ ἀμφὶς ἔχει δώματα καὶ θαλίη. χρὴ δὲ πρῶτον μὲν θεὸν ὑμνεῖν εὔφρονας ἄνδρας εὐφήμοις μύθοις καὶ καθαροῖσι λόγοις, σπείσαντας δὲ καὶ εὐξαμένους τὰ δίκαια δύνασθαι, πρήσσειν· ταῦτα γὰρ ὦν ἐστι προχειρότερον, οὐχ ὕβρεις· πίνειν δ’ ὁπόσον κεν ἔχων ἀφίκοιο οἴκαδ’ ἄνευ προπόλου μὴ πάνυ γηραλέος. ἀνδρῶν δ’ αἰνεῖν τοῦτον ὃς ἐσθλὰ πιὼν ἀναφαίνει, ὥς ἦι μνημοσύνη καὶ τόνος ἀμφ’ ἀρετῆς, οὔ τι μάχας διέπειν Τιτήνων οὐδὲ Γιγάντων οὐδέ < > Κενταύρων, πλάσμα τῶν προτέρων, ἢ στάσιας σφεδανάς· τοῖς οὐδὲν χρηστὸν ἔνεστιν· θεῶν²⁰³ προμηθείην αἰὲν ἔχειν ἀγαθήν.²⁰⁴
Übersicht der verschiedenen Interpretationen bei Lesher 1992 ad loc. Frg. 1; Marcovich 1978 und Ziegler 1965 halten sie für vollständig, Fraenkel 1962, 374 dagegen nicht. Fraenkel 1962: χρεὼν ; Eisenstadt τῶνδε. Im Hinblick auf die letzte Zeile hat Fraenkel zurecht darauf hingewiesen (1962, 373, Anm. 3), daß Vers 24 eigentlich so übersetzt werden müßte: „Man soll vorsorglich auf das Wohlergehen der Götter bedacht sein“. Als Anschluß an die vorangehende Empfehlung, Menschen in der richtigen Weise zu rühmen, ist die von Fraenkel vorgeschlagene Konjektur, hier statt θεῶν besser χρεὼν zu lesen, plausibler und sein Übersetzungsvorschlag (dem ich hier folge) in dem Sinn, daß man immer einen guten Zweck im Auge haben soll, passender: „Was man auch tue, es sei zweckvoll auf Gutes gestellt“. Die von Strobel/ Wöhrle 2018 („sondern den Göttern ist allzeit gute Achtung zu erweisen“) oder Marcovich gegebene Übersetzung: „Finally, it is meet always to keep a good regard for the gods“ basiert auf θεῶν.
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„Denn nun ist ja der Fußboden rein und aller Hände und Becher. Gewundene Kränze legt uns einer ums Haupt, und ein anderer reicht duftende Salbe in einer Schale dar. Der Mischkrug steht da angefü llt mit Frohsinn, auch noch anderer Wein ist bereit in den Krü gen, der nimmer zu versagen verspricht, ein milder, blumenduftender. In unserer Mitte sendet heiligen Duft der Weihrauch empor, kaltes Wasser ist da, sü ßes, lauteres. Bereit liegen rötlich-blonde Brote, und der wü rdige Tisch beugt sich unter der Last des Käses und fetten Honigs. Der Altar steht in der Mitte ganz mit Blumen geschmü ckt, Gesang umfängt das Haus und Festesfreude. Da ziemt’s zuerst wohlgesinnten Männern dem Gotte lobzusingen mit frommen Geschichten und reinen Worten. Nach der Spende aber und nach dem Gebet, uns Kraft zu verleihen das Rechte zu tun – denn dies zu erbitten, ist ja das Gemäßere (das uns näher Angehende) –, ist’s kein Übermut so viel zu trinken, dass sich ungeleitet nach Hause finden kann, wer nicht ganz altersschwach ist.Von den Männern aber ist der zu loben, der nach dem Trunke Edles ans Licht bringt, so wie es ihm um das Gedächtnis bestellt ist, und der, der um Tugend [bemü ht ist]. Nicht Kämpfe der Titanen sind durchzugehen oder der Giganten oder auch der Kentauren – Erfindungen der Vorzeit – oder tobender Bü rgerzwist, denn darin ist nichts Nü tzliches; sondern was man auch tue, es sei zweckvoll auf Gutes gestellt (oder: den Göttern ist allzeit gute Achtung zu erweisen).“
Die 24 erhaltenen Verse umfassen zwei Teile mit je sechs Distichen (v. 1– 12 und 13 – 24). Der erste Teil beschreibt die Atmosphäre vor dem eigentlichen Symposium, der zweite Teil die ethischen und politischen Anforderungen an die Symposiasten. In der Mitte befindet sich ein Altar, der mit Blumen geschmückt ist, Kränze, Duftschalen und Weinkrüge sowie ein gedeckter Tisch stehen bereit. Die Richtung der Beschreibung führt vom Fußboden (v. 1) über den Altar (v. 7 und 11) zum Haus insgesamt und die dabei vermittelte Atmosphäre ist eine der Reinheit, des Gesangs und der frommen Fröhlichkeit.²⁰⁵ In Teil zwei wird diese Richtung wiederholt, indem das Singen, Trinken und Beten beschrieben wird. Die Rahmung von Teil zwei von χρὴ δὲ … bis ἀγαθόν/ἀγαθήν weist auf den ethischen Anspruch hin, für den Xenophanes drei Beispiele nennt, die sich auf die Lieder und Reden beim Symposium beziehen: Vermeidung der Trunkenheit, keine Erwähnung der mythischen Kampfschilderungen (da dies alles Erfindungen seien) und auch keine Schilderungen von tobendem Bürgerzwist. Mit χρὴ δέ beginnt also ein ethisch ausgerichteter Part und es folgt mit ὑμνεῖν, πίνειν, αἰνεῖν, διέπειν und ἔχειν eine Reihe von Infinitiven, die imperativisch auf Von Gentili/Prato 1988 mit Bezug auf Herter als Vergleich herangezogen: Iambl. VP 21,100 (dies würde θεῶν stützen); Marcovich 1978: ἀγαθόν (so auch Diels). ÜS Strobel/Wöhrle, modifiziert, Hervorhebungen von mir, C.S. Ausf. Interpretation mit stilistischer Analyse bei Marcovich 1978, 4 ff.: Er hebt vor allem die visualisierende Strukturierung hervor, die durch jeweils dreimalige Wiederholung der Schlüsselwörter erreicht wird: z. B. die Bezüge auf Reinheit (v. 1: καθαρὸν v. 8: καθαρόν v. 12: καθαροῖσι), auf Blumen (v. 2: στεφάνους v. 6: ἄνθεος v. 11: ἄνθεσιν), auf den Duft (v. 3: εὐῶδες v. 6: ὀζόμενος v. 7: ὀδμὴν), auf Heiligkeit und Frömmigkeit (v. 7: λιβανωτὸς Z. 9: γεραρή v. 11: βωμὸς).
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das Edle und Gute hinsteuern.²⁰⁶ Die paränetische Aufforderung in der letzten Zeile steigert die Richtung dieser Tätigkeiten und verweist auf die Beziehung zwischen Menschen und Göttern.²⁰⁷ Die Menschen, die hier als Subjekte angesprochen werden (εὔφρονας ἄνδρας), sollen den Gott mit εὔφημοι μῦθοι und die λόγοι καθαροί preisen. Das Gebet verleiht ihnen die Kraft, das Gerechte zu tun, und daraus folgen dann die μύθοι, die Edles ans Licht bringen, und diese haben sich an der Tugend auszurichten. Die Formulierung τὰ δίκαια δύνασθαι – für Marcovich the „most original idea of the prayer“ und für Ziegler „die innere Kraft zum sittlichen Handeln“²⁰⁸ – und ihr Gegensatz, die πλάσματα τῶν προτέρων und die tobenden Staseis – man denke an Hesiods Hungersnot, Seuche, Niederlagen im Kampf in Erga 238 – 47 – beschreiben die Gefahr. Was diese Gefahr bedeutet, hat Solon deutlich gesagt: Solon Frg. 3 G.-Pr.2 = 4 W, v. 17– 20: τοῦτ’ ἤδη πάσηι πόλει ἔρχεται ἕλκος ἄφυκτον, ἐς δὲ κακὴν ταχέως ἤλυθε δουλοσύνην, ἣ στάσιν ἔμφυλον πόλεμόν θ’ εὕδοντ’ ἐπεγείρει, ὃς πολλῶν ἐρατὴν ὤλεσεν ἡλικίην· „dies kommt nunmehr ü ber die ganze Stadt als eine Wunde, eine unausweichliche, und schnell gerät sie da in schlimme Knechtschaft, die Zwist in der Gemeinschaft und Krieg, den schlafenden, aufweckt, der dann die liebliche Jugend vieler vernichtet;“²⁰⁹
Aber Xenophanes geht offensichtlich noch ein ganzes Stück weiter als Solon, da er die „Lügen“ über die Götter – die πλάσματα von Homer und Hesiod – als unwürdig und nutzlos für die Polis und so letztlich auch als Gefahr für die Gemeinschaft ansieht. Das ist die Kritik, die auch in DK 21 B11 (vgl. DK 21 B12) – ein Zitat aus Xenophanes bei Sextus Empiricus – in aller Schärfe geäußert wird:
West 1974, 189; Ziegler 1965, 295; anders Marcovich 1978, 7. Marcovich a. a.O. verweist für die Bedeutung von προμηθεῖσθαι als „showing consideration or regard for“ auf Hdt. 2,172 und 9,108. θεῶν vs. θεὸν in Vers 13 ist widersprüchlich, man würde in Vers 13 analog zu θεῶν eher θεούς erwarten; zu den Vorschlägen für v. 24 s. o. Anm. 203. Marcovich 1978, 8: „Xenophanes radically differs from the authors of traditional prayers“; vgl. Ziegler 1965, 72, 289 – 302, hier 293. Lesher 1992 ad loc. zu v. 19 – 22 vergleicht mit Plat. rep. 607a: „Stories of divine enmities are contrary to the well-being of a state not so much because they incite violence but because they tend to legitimize it (cf. Republic 378b and Euthyphro 6a), and undercut a society’s efforts to inculcate right conduct, especially in children (Republic 378c–e).“ ÜS Mülke.
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Sext. Emp. Adv. math. 9,193 (ed. Mutschmann) = DK 21 B11 = Xen 87 Strobel/ Wöhrle: πάντα θεοῖς ἀνέθηκαν Ὅμηρός θ’ Ἡσίοδός τε ὅσσα παρ’ ἀνθρώποισιν ὀνείδεα καὶ ψόγος ἐστίν, κλέπτειν μοιχεύειν τε καὶ ἀλλήλους ἀπατεύειν. „Alles haben den Göttern Homer und Hesiod angehängt, was bei den Menschen Schimpf und Tadel ist: Stehlen und Ehebrechen und einander Betrü gen.“²¹⁰
Da Xenophanes gleichzeitig der Gemeinschaft des Symposiums – in den εὔφρονας ἄνδρας – die Befähigung des gerechten Tuns zum Nutzen für die Polis zuspricht, schreibt er der menschlichen Einsichtsfähigkeit ein ähnliches Potential wie Solon dem ‚Kosmos von Worten‘ (κόσμον ἐπέων Frg. 1,1– 2 G.-Pr.2 = 1 W) zu,²¹¹ gibt ihr aber mit dem προμηθείην αἰὲν ἔχειν ἀγαθήν²¹² einen kollektiven Bezugspunkt, der die Verwirklichung dieses Nutzens der Gemeinschaft und nicht nur dem individuellen Weisen wie noch in DK 21 B2 zuschreibt. Das im Hinblick auf das Politische sowohl in der Antike wie in der heutigen Diskussion am häufigsten behandelte Fragment des Xenophanes ist bei Athenaios im 12. Buch im Kontext einer Aufzählung von Entartungen erhalten, zu denen übermäßiger Luxus führt:²¹³ Xenophanes Frg. 3 G.-Pr.2 = 3 W = DK 21 B3 (Athen. 12,31,526a [Kaibel]):
ÜS DK. Mülke 2002, 79; vgl. a. a.O. 115: Euphrosyne beim Symposium. ἀγαθὴν (nach West 1992) paßt auch besser zu dem Reim der beiden Pentameterhälften (so Ziegler 1965, 295, Anm. 6). Athen. 12,31,526c (Kaibel) führt direkt im Anschluß ein Zitat aus Theopomp (FGrHist 115 F117) an: Θεόπομπος δ᾽ ἐν πεντεκαιδεκάτῃ ῾Ιστοριῶν χιλίους φησὶν ἄνδρας αὐτῶν ἁλουργεῖς φοροῦντας στολὰς ἀστυπολεῖν· ὃ δὴ καὶ βασιλεῦσιν σπάνιον τότ᾽ ἦν καὶ περισπούδαστον. ἰσοστάσιος γὰρ ἦν ἡ πορφύρα πρὸς ἄργυρον ἐξεταζομένη. τοιγαροῦν διὰ τὴν τοιαύτην ἀγωγὴν ἐν τυραννίδι καὶ στάσεσι γενόμενοι αὐτῃ πατρίδι διεφθάρησαν. ταὐτὰ εἴρηκεν περὶ αὐτῶν καὶ Διογένης ὁ Βαβυλώνιος ἐν τῷ πρώτῳ τῶν Νόμων. „Th. sagt im fünfzehnten Buch der Historien, tausend ihrer Männer (sc. der Kolophonier) gingen in Purpurgewändern in der Stadt umher; dies war damals sogar bei Königen selten und sehr begehrt. Denn Purpur wurde mit Silber aufgewogen. Wegen einer solchen Lebensführung nun gerieten sie in Gewaltherrschaft und Aufstände und gingen unter wie auch ihr Vaterland. Dasselbe über sie steht auch bei Diogenes aus Babylon im 1. Buch der Nomoi.“ (ÜS Gauger/ Gauger). Zur zeitlichen Abfolge bei Xenophanes: Aristot. pol. 1290b16. Vgl. dazu unten S. 56 f.
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Ἡρακλείδης δ’ ὁ Ποντικὸς ἐν τῷ περὶ Ἡδονῆς Σαμίους φησὶ καθ’ ὑπερβολὴν τρυφήσαντας διὰ τὴν πρὸς ἀλλήλους μικρολογίαν ὥσπερ Συβαρίτας τὴν πόλιν ἀπολέσαι. Κολοφώνιοι δ’, ὥς φησι Φύλαρχος, τὴν ἀρχὴν ὄντες σκληροὶ ἐν ταῖς ἀγωγαῖς, ἐπεὶ εἰς τρυφὴν ἐξώκειλαν πρὸς Λυδοὺς φιλίαν καὶ συμμαχίαν ποιησάμενοι, προῄεσαν διησκημένοι τὰς κόμας χρυσῷ κόσμῳ, ὡς καὶ Ξενοφάνης φησίν· ἁβροσύνας δὲ μαθόντες ἀνωφελέας παρὰ Λυδῶν, ὄφρα τυραννίης ἦσαν ἄνευ στυγερῆς, ἤιεσαν εἰς ἀγορὴν παναλουργέα φάρε’ ἔχοντες, οὐ μείους ὥσπερ χείλιοι εἰς ἐπίπαν, αὐχαλέοι, χαίτηισιν †ἀγαλλομεν εὐπρεπέεσσιν, ἀσκητοῖς ὀδμὴν χρίμασι δευόμενοι. „Herakleides Pontikos (Frg. 41 Schütrumpf) sagt in der Schrift Über die Lust, dass die Samier im Überfluss geschwelgt und wie die Sybariten infolge ihrer gegenseitigen Kleinigkeitskrämerei ihre Stadt zugrunde gerichtet hätten. Die Kolophonier aber, wie Phylarchos sagt (FGrHist 2a 81 F66), hatten anfangs eine karge Lebensführung. Nachdem sie mit den Lydern Freundschaft und ein Bündnis geschlossen hatten und so in den Luxus abglitten, schritten sie mit goldgeschmückten Haaren einher, wie auch Xenophanes sagt: Weichlichen Prunk, nutzlosen, erlernten sie von den Lydern und, solange sie noch frei waren von der verhassten Zwingherrschaft, schritten sie zur Versammlung mit ganz purpurnen Gewändern nicht weniger denn tausend zumal, vornehm tuend, prahlend mit ihren wohlgezierten Locken, triefend von Duft durch künstlich bereitete Salben.“²¹⁴
Das Zitat steht in einer langen Aufzählung von Luxusexzessen, die mit den Poleis der Magna Graecia beginnt (u. a. Sybaris, Kroton, Syrakus und Tarent), dann einige ionische Poleis anführt und, nachdem auch entsprechende Phänomene in griechischen, syrischen und lykischen Regionen beschrieben werden, vor allem die Entartungen von Herrschern wie z. B. diejenigen Alexanders des Großen aufzählt. Für alle genannten Beispiele, die aus ganz unterschiedlichen Quellen stammen, ist das Gemeinsame, daß die genannten Poleis und Herrscher ein unglückliches und meist katastrophales Ende genommen haben. Die Luxusexzesse, insbesondere in Kleidung, Wein und Festivitäten führen zu Verweichlichung, Dekadenz und Krankheit, sind also auch ursächlich für den politischen Untergang ganzer Poleis bzw. den Sturz oder Tod entsprechend entarteter Herrscher. Hier läßt sich ein historischer Kontext rekonstruieren: Die Perioden, die Xenophanes anspricht, sind die Zeit einer kargen Lebensführung vor dem lydischen Einfluß und einem dann folgenden Bündnis, auf das wiederum eine Tyrannenherrschaft in Kolophon folgte. Diese drei Phasen lassen sich in etwa zuordnen: Zur Zeit des Gyges ist Kolophon von den Lydern angegriffen worden, wenngleich die Zitadelle nicht erobert wurde (Hdt. 1,14,4). Möglicherweise ist
ÜS Strobel/DK.
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hiermit auch die Zerstörungsschicht in Verbindung zu bringen, in der bei den Ausgrabungen Keramik des 7. und frü hen 6. Jahrhunderts v.Chr. gefunden wurde. Archäologischerseits gesehen wird aus dem Befund eine Zerstörung der ältesten Besiedlung Kolophons vor der Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. abgeleitet.²¹⁵ Die zeitliche Nähe zu den Zerstörungen in Phokaia und Teos legt einen Zusammenhang mit der persischen Eroberung Ioniens nahe. Nach Polyän (Polyain. 7,2,2) ist aus der Feindschaft zur Zeit des Gyges und Alyattes ein Bündnis geworden. Mit diesem Bündnis verbindet Polyän eine vermutlich lediglich anekdotenhafte Geschichte, nach der Alyattes die in seinem Heer als Reiter dienenden Kolophonier ermorden ließ, um deren Pferde für seine eigene Reiterei einsetzen zu können.²¹⁶ Jedenfalls sind die Regierungszeiten des Gyges und des Alyattes in der zweiten Hälfte des 7. und der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. der historisch-chronologische Rahmen, in dem sich die Veränderung in der Lebensführung der Kolophonier abgespielt haben müßte. Eine Verflechtung der Kulturen, wie sie Herodot (Hdt. 1,94) in seiner Bemerkung andeutet, daß Griechen und Lyder ähnliche Sitten hätten (die hier auch erwähnte Prostitution von lydischen Frauen und Kindern sei jedoch – so Herodot – eine Ausnahme), deutet sich auch aus dem archäologischen Befund an. Die sog. Ephesische Ware, eine Keramik, die sich in der zweiten Hälfte des 7. und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. insbesondere am Artemision nachweisen läßt, ist ebenso in Kolophon gefunden worden.²¹⁷ Zu dieser sog. Ephesischen Ware, die sowohl lydische wie auch ionische Elemente aufweist, gehören weibliche und männliche Figuren in langen Gewändern, die Elemente der anatolischen Tradition sind. Funde dieserart sind jüngst für Kolophon nachgewiesen worden und stammen bereits aus dem 7. Jahrhundert v.Chr.²¹⁸ Sie belegen nicht nur den Kontakt, sondern zeigen auch auf, daß die kulturelle Verflechtung zwischen Ioniern und Lydern bereits vor den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Mermnadenkönigen eingesetzt haben muß. Veränderungen der politischen Verfassung Kolophons werden gleichfalls für diese Zeit diskutiert. Ausgehend von der Passage aus Xenophanes und ihrer
Bruns-Özgan et al. 2011, 219 mit der älteren Literatur. Vgl. Michels 2012 zu den Unsicherheiten und der sehr fraglichen Zuverlässigkeit der literarischen Überlieferung. Muss 2019, 100 vermutet, daß Scherben, die Holland 1944 erwähnt, zu dieser lydischephesischen bzw. ephesischen Ware gehören könnten. Die Funde aus dieser Grabung sind 1922 verloren gegangen. Muss 2019 mit Abb. 18 – 21. Aus einer in 2000 durchgeführten Rettungsgrabung auf dem Halil Aga-Hügel sind jedoch frühe Funde erhalten, die sich heute in Izmir befinden und von Muss bearbeitet wurden.
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weiteren Überlieferung (s.o. S. 54 zu Xenophanes Frg. B3) läßt sich rekonstruieren, daß es eine Gruppe von ca. 1000 Kolophoniern gab, die ἤιεσαν εἰς ἀγορήν. Ob damit eine politische Verfassung von ‚1000‘ Vollbürgern gemeint ist,²¹⁹ die entweder eine Regierung oder eine beschließende Versammlung bildeten, ist umstritten.²²⁰ Die Formulierung οὐ μείους ὥσπερ χείλιοι legt eine gewisse Offenheit der Zahl nahe und der Vergleich mit späteren Zahlen der kolophonischen Vollbürger, die auf Inschriften und Dekreten genannt werden, bestätigt die Vermutung, daß es sich um annähernd die Zahl der Vollbürger in Kolophon gehandelt haben muß.²²¹ Duplouy vermutet, daß die Zahl 1000 für eine „totalité symbolique“ steht. Eine Zusammenstellung vergleichbarer Zahlen aus den Poleis der archaischen Zeit zeigt, daß die heute oft verwendete Bezeichnung als Quorum, die auf eine Bestimmung der 1000 als elitär-oligarchisches Regime hinausläuft, irreführend ist.²²² Vielmehr sollte in dieser und vergleichbaren Zahlen die Gesamtheit der Bürgerschaft repräsentiert werden und diese Gesamtheit der Bürgerschaft spricht Xenophanes in den Versen mit seiner Kritik an. Die Zahl 1000 war wahrscheinlich die offizielle Bezeichnung der Bürgerschaft und bildete die Vollbürger in ihrer Gesamtheit ab, wie dies von anderen Poleis bekannt ist.²²³ Die von Aristoteles (pol. 1290b15 – 17) beschriebene Situation in Kolophon widerspricht dem nicht: Aristoteles nennt Kolophon als einen der ‚untypischen‘
Schütrumpf/Gehrke 1996, 261 kommen in ihrem Kommentar zu Aristoteles’ Politik zu dem Schluß: „Die Zahl 1000 geht offenbar, wie auch sonst des öfteren, auf die Vollbü rger“. Bowra 1941, 122: Der Text von οὐ μείους ὥσπερ χείλιοι sei sicher und εἰς ἐπίπαν verstärke dies noch, denn der Vergleich mit Herodot (Hdt. 2,68,5; 4,86,1; 6,46,3) zeige, daß er damit in der Regel „gewöhnlich“ oder „durchschnittlich“ meine (Diels übersetzt mit „zumal“). So Schütrumpf/Gehrke ad loc. Duplouy 2013, 156 und 163 f. Etwas anders Bernhardt 2003, 28: Damit sei „keine Staatsform“ gemeint. Neuerdings Duplouy 2018, 255 und Giangiulio 2018, 278 ff. und 280, der auch darauf hinweist, daß nach den Berechnungen auf der Grundlage der Tributlisten die Bürgerzahl Kolophons im 5. Jh. v.Chr. nicht wesentlich größer als 1000 oder 1200 gewesen sein kann. Gauthier 1990, 73 – 99 hat die inschriftlich erhaltenen Fälle von sog. Quoren in den griechischen Poleis zusammengestellt und gezeigt, daß sie einerseits durchaus mit demokratischen Verfassungen zusammengehen und andererseits auch als Ausdruck von bürgerschaftlicher Aktivität verstanden werden können. Er zeigt, daß diese Zahlen keinesfalls so zu verstehen sind, daß damit eine Gruppe von Bürgern beschrieben wurde, die sich – etwa als regierende Elite o. ä. – von einer anderen Gruppe abgegrenzt (so jedoch z. B. bei Horky 2016, 60 f. zu Agrigent und Empedokles) und diese von den bürgerlichen Aktivitäten ausgeschlossen hätte, sondern vielmehr als Sinnbild der gesamten Bürgerschaft. Zu dem vergleichbaren Fall Kroton s.u. Die Beispiele solcher Zahlbezeichnungen für die Bürgerschaft aus archaischer Zeit hat Giangiulio 2018, 278 ff. zusammengestellt: Kolophon und Kyme, Kroton, Massalia, Lokroi, die opuntischen Lokrer. Vgl. dazu unten (S. 175) zu den anderen Poleis mit institutionalisierten 1000er Strukturen.
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Fälle, die sich nicht so ohne weiteres in die Schemata von Demokratie und Oligarchie einordnen ließen.²²⁴ Die Mehrheit der Kolophonier war offenbar sehr begütert, insofern sieht Aristoteles hier keine Demokratie, aber eben auch keine Oligarchie, da die Reichen die Mehrheit der Bevölkerung stellen und dies nach seinem konstitutionellen Denken nicht dem Schema einer kleinen, regierenden Elite entspricht. Durch den Krieg mit den Lydern haben nach Aristoteles die Kolophonier ihren Reichtum nicht verloren – dies ist die Ausgangslage für Xenophanes –, vielmehr hat sich eine Symbiose der Lebensformen entwickelt. Ist hier schon deutlich ein Bezug auf politische Umstände zu erkennen, so wird dies noch klarer, wenn man das Schlüsselwort des Xenophanes-Zitates bei Athenaios sowie dessen Kontextualisierung betrachtet: die ἁβροσύνη. Ἁβροσύνη und ἁβρότης sind seit dem ausgehenden 7. Jahrhundert v.Chr. in der griechischen Literatur bekannt, werden in vielerlei Wortschöpfungen verwendet und beziehen sich auf einen besonderen Luxus, der speziell mit den Lydern in Verbindung gebracht wurde.²²⁵ Während jedoch bis ins 5. Jahrhundert v.Chr., d. h. bis zur Eskalation der Auseinandersetzungen mit den Persern meist eine positive Konnotation von ἁβρός und entsprechenden Komposita vorliegt,²²⁶ fällt bei Xenophanes eine klare und eindeutig negative Sichtweise auf. Da ἁβρός sehr viel mehr bedeutet als nur Luxus und sich auf Eigenschaften von Göttern, Menschen und Dingen beziehen kann,²²⁷ spricht einiges dafür, daß Xenophanes nicht nur die Übernahme des lydischen Luxus meinte, sondern bei ihm, wie der Kontext des Phylarch, der sich hierfür auf Xenophanes bezieht, erkennen läßt, eine Lebensweise und Haltung gemeint sind. Hierfür ist aufschlußreich, wie sich sowohl Phylarch als auch Theopomp auf die Verse des Xenophanes beziehen. Athenaios beginnt Phylarchs Bezug mit der Aussage τὴν ἀρχὴν ὄντες σκληροὶ ἐν ταῖς ἀγωγαῖς und schließt dann an, daß die Kolophonier diese Lebensweise durch den Kontakt mit den Lydern zugunsten eines Luxuslebens aufgegeben hätten. Theopomp wiederum wird bei Athenaios ohne den Bezug auf die vorherige Lebensweise zitiert, jedoch mit der Aussage, Ausf. diskutiert bei Schütrumpf im Kommentar zu Aristot. pol. 1290b15 f., a. a.O. 260 – 263. Bei Homer, Hesiod, Kallinus, Tyrtaios, Archilochus und Alkman begegnet das Wortfeld nicht. Für die Späteren und v. a. die Verbindung mit den Lydern: Hdt. 1,55,2; Bakchylides 3,48 (Maehler); Sappho Frg. 98a LP = Frg. 98a Voigt; besonders: Anakreon PLG4 III Nr. 155 (aus Athen. 15,690bc), der ἡδυπαθής zu λυδοπαθής umformulierte. Dazu Bernhardt 2003, 19; vgl. SteinHölkeskamp 1989, 107 und Hammer 2014. Z. B. Pind. Ol. 1,1 f.; 2,58; 3,42; 6,1; Pyth. 2,56; 3,110 f.; 4,53 f.; 5,1– 4; 6,45 – 47; 10,17 f.; Nem. 1,31 f.; 5,19 f.; 11,13 – 16; dazu Bernhardt 2003, 20 mit Anm. 12; anders Kurke 1992, 112: Pindar soll aristokratischen Luxus und bürgerliches Wohl verbunden haben. Bernhard 2003, 20 verweist auf: Sappho Frg. 128 LP = Frg. 128 Voigt; Frg. 140 LP = Frg. 140 Voigt und Frg. 44,7 LP = Frg. 44,7 Voigt; Anakreon Frg. 28 Diehl; Eur. Or. 349.
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daß die durch die Übernahme des lydischen Luxus bedingte Veränderung ursächlich für die Etablierung einer Tyrannis und den dann folgenden Untergang gewesen sei.²²⁸ Es war also die Verweichlichung durch ἁβροσύνη, die zum Niedergang der Kolophonier geführt hat, und nicht die Tyrannis oder eine institutionelle Veränderung der politischen Umstände. Die Verse des Xenophanes stehen demnach nicht vorrangig im Kontext von Luxuskritik oder Gesetzes- bzw. Verfassungsänderungen, sondern in einem größeren Zusammenhang, der sehr grundsätzlich auf die ursächliche Verbindung der Lebensweise mit dem Politischen zielt.²²⁹ Die ethische Komponente hebt Xenophanes insofern hervor, als er die ἁβροσύνη als nutzlos (ἀνωφελής) bezeichnet.²³⁰ Die starke Betonung der Nutzlosigkeit der ἁβροσύνη für die Polis schließt konsequent an die in den beiden Elegien des Xenophanes (DK 21 B1, B2) erhaltenen Positionen an, die die Verbindung von Nutzen und Lebensführung als Teil des Politischen hervorheben. Der Unterschied zu Solon wird ganz deutlich:²³¹ Eine gleichartige Herausstellung von konkurrenzierenden Lebensweisen unter Hervorhebung des ethisch
S.o. S. 54 zu Xenophanes DK 21 B3. Für die weitverzweigte Diskussion um die Einordnung dieser Verse des Xenophanes vgl. u. a.: Mazzarino 1947, 193: Luxusbeschränkung durch ein Tyrannengesetz sei typisch für die archaische Tyrannis gewesen; Berve 1967, II 529 bezieht den Kontext auf Periander; anders de Libero 1996, 156 ff. Donlan 1985 und 1997: Luxuskritik auf Seiten der Bauernschaft und gegen den Adel; Stein-Hölkeskamp 1989: Luxusdemonstration zur Aufrechterhaltung der Exklusivität des Adels vs. Luxuskritik als Polemik gegen individualistische Einstellungen; Bernhardt 2003, 51: Kritik an aristokratischen Wertvorstellungen; Kurke 1992 sieht hier eine anti-elitistische Ausrichtung der ἁβροσύνη; vgl. dagegen wiederum Hammer 2014, 479 – 512 (s. dazu unten Anm. 231). Bernhardt 2003, 27 meint, es sei nicht klar, ob man Phylarch hier so verstehen könne, daß das Abgleiten in den Luxus dem Bündnis mit den Lydern vorausgegangen sei oder aber umgekehrt das Bündnis mit den Lydern zu dem Abgleiten in den Luxus geführt habe. Weiterhin hält er eine „moralphilosophische Vorstellung“ hier für anachronistisch, da diese erst im ausgehenden 5. Jahrhundert v.Chr. bei Kritias vorliege. Dagegen spricht aber, daß Phylarch die Verse des Xenophanes mit wörtlichen Anklängen wiedergegeben hat (so nimmt προῄεσαν das ἤιεσαν auf und διησκημένοι sicher ἀσκητοῖς). Dies deutet darauf hin, daß er auch die Ansicht, die Kolophonier hätten das Luxusleben von den Lydern übernommen und vorher anders gelebt, aus Xenophanes übernommen hat (was Bernhardt wiederum zugesteht). Bernhardt 2003, 33 ff. weist daraufhin, daß es spätere Nachrichten sind (Diod. 9,1,4), die Solon mit einer Anti-Luxuspolitik in Verbindung bringen. Solon habe sich vielmehr gegen Habgier gewandt, nicht gegen Luxus; andererseits sind für Solon durchaus gesetzliche Beschränkungen von öffentlich zur Schau gestelltem Aufwand gut überliefert: Ruschenbusch 2010, F71– 74c; allerdings läßt sich z. B. das Verbot der Parfümherstellung und des Parfümhandels sehr plausibel mit ökonomischen Rahmenbedingungen erklären: Ruschenbusch a. a.O. 142 f.
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legitimierenden Nutzens im Sinne der Polis findet sich bei Solon nicht. Erst später, im 5. Jahrhundert v.Chr., läßt sich eine vergleichbare Gegenüberstellung von ἁβροσύνη als nutzlos für die Polis und karger Lebensweise als begründend für eine Polis in der medizintheoretischen Schrift „Über die Umwelt“ und in ähnlicher Ausführung auch bei Herodot erkennen.²³² Insbesondere die dem Corpus Hippocraticum zugerechnete Schrift De aeribus mit dem Gegensatz der verweichlichten und der abgehärteten Menschen in Abhängigkeit von den klimatischen Bedingungen weist auf Parallelen. Der Autor legt im zweiten Teil seiner Schrift (Aer. 12– 24) eine auf ethnographischen Überlegungen basierende Gegenüberstellung Asiens und Europas dar, worin er mit dem jeweiligen Weltenteil ganz spezielle äußere und innere, charakterliche und politische Prägungen verbindet.²³³ Er folgt hierbei einer vor allem aus der politischen Konstellation der Auseinandersetzung zwischen den Griechen und Persern entwickelten Vorstellung vom Gegensatz dieser beiden Völker (Aer. 16,1– 5): Der Autor ist der Ansicht, daß Umgebung und Klima den Charakter der Bewohner einer Region prägen. Genauso ermöglichen aber politische Strukturen, wie etwa die hier mit Autonomie beschriebene, trotz der regionalen Prägung eine Haltung und eine Lebensweise, die sich durch Tapferkeit und Kampfesmut auszeichnet. Diese kann es in Asien ebenso geben wie in Europa und umgekehrt gibt es in Europa auch große Unterschiede (Aer. 23,1). Herodot deutet den Zusammenhang bereits in dem Abschnitt an, der von der Eroberung Ioniens durch den persischen Feldherren Harpagos berichtet:²³⁴ Nur die Einwohner von Phokaia und Teos, als bemerkenswerte Ausnahme, haben die Freiheit der Knechtschaft vorgezogen und dafür ihr gutes Leben in der Heimat aufgegeben. Alle anderen ionischen Poleis haben sich der Knechtschaft ergeben. Am Ende seines Werkes beschreibt Herodot (Hdt. 9,122) in einer interessanten Parallele einen Ratschlag, den Artayktes den Persern gegeben habe und den sie aber auf den Rat des Kyros hin nicht befolgten: Hdt. 9,122,3 – 4: Κῦρος δέ, ταῦτα ἀκούσας καὶ οὐ θωμάσας τὸν λόγον, ἐκέλευε ποιέειν ταῦτα, οὕτω δὲ αὐτοῖσι παραίνεε κελεύων παρασκευάζεσθαι ὡς οὐκέτι ἄρξοντας ἀλλ’ ἀρξομένους·
Ganz anders argumentiert Kurke 1992, 91– 120. A. a.O. 93 ff.: Sie betont den gravierenden Unterschied im Hinblick auf die ἁβϱοσύνη zwischen Xenophanes und Semonides auf der einen Seite und Sappho, Alkaios und Anakreon auf der anderen. Kurke sieht darin den Unterschied zwischen „bourgeoisen“ and „aristokratischen“ Dichtern realisiert. Hammer 2004, 496 kritisiert dies scharf und meint, daß Kurke Luxus politisiere, indem sie diesen als antagonistisch zur bürgerlichen Ideologie der Gleichheit stilisiere. Ausführlich dazu: Schubert 2010a, 117 ff. Ausführlich dazu Schubert/Leschhorn 2006, 310 ff., 379 ff. Hdt. 1,169,1.
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φιλέειν γὰρ ἐκ τῶν μαλακῶν χώρων μαλακοὺς ἄνδρας γίνεσθαι· οὐ γάρ τι τῆς αὐτῆς γῆς εἶναι καρπόν τε θωμαστὸν φύειν καὶ ἄνδρας ἀγαθοὺς τὰ πολέμια. (4) ὥστε συγγνόντες Πέρσαι οἴχοντο ἀποστάντες, ἑσσωθέντες τῇ γνώμῃ πρὸς Κύρου, ἄρχειν τε εἵλοντο λυπρὴν οἰκέοντες μᾶλλον ἢ πεδιάδα σπείροντες ἄλλοισι δουλεύειν. „Als Kyros das hörte, wunderte er sich nicht über diesen Vorschlag und meinte, sie sollten das nur machen, riet ihnen aber, sich darauf gefasst zu machen, aus Herrschenden zu Beherrschten zu werden. Denn weichliche Länder pflegten auch weichliche Männer hervorzubringen; es könnte nicht dasselbe Land zugleich herrliche Früchte und tapfere Krieger hervorbringen. Die Perser sahen das ein; sie nahmen von ihrem Plan Abstand und gingen heim, denn Kyros hatte sie überzeugt. Sie wollten lieber in einem mageren Land herrschen als auf fruchtbarer Ebene säend anderen Sklaven zu sein.“²³⁵
Denn der Kern des Anliegens, mit dem die Perser zu Kyros kommen, ist die Auswanderung in ein fruchtbareres und reicheres Gebiet außerhalb von Asien. Kyros kann sein Volk davon überzeugen, dieses Vorhaben aufzugeben. Er legt seinen Landsleuten dar, daß die klimatisch-geographischen Bedingungen einer Region und die psychisch-mentale Konstitution derart zusammenhängen, daß ein karges Land tapfere und freie Menschen hervorbringe, während fruchtbare, reiche Regionen zur Verweichlichung und Schwäche führen, d. h. aus stolzen Persern würden in einer anderen Region Sklaven. Der Autor der medizinischen Schrift über die Umwelt und Herodot präsentieren die gleiche Gedankenführung wie Xenophanes: Umwelt und Nomoi prägen die Lebensweise in einer Polis, und eine verweichlichende Lebensweise bewirkt Schwäche und politischen Niedergang. Xenophanes läßt – wie sich in den hier betrachteten Fragmenten zeigt – eine Wahrnehmung und Reflexion des Politischen erkennen, die den Nutzen für die Polis als ethisch normativ ansetzt. Die Wohlordnung der Polis wird an Prinzipien einer moralkonformen Lebensfü hrung gebunden. Der Vergleich mit Solon zeigt, daß es Xenophanes – anders als Solon – nicht um Entscheidungen oder konkrete politische Handlungen und deren Begründung geht, oder um Rechte und Ansprüche bzw. um die Lösung von politischen Konflikten, sondern um eine moralisch gerechtfertigte Lebensweise. Ob und wie diese zu verwirklichen sei, entscheidet sich nicht unmittelbar, denn Xenophanes plädiert für neue Erfahrungen, neue Kenntnisse, ein bewußtes Suchen: Xenophanes Frg. 20 G.-Pr.2 = DK 21 B18 (= Stob. Anthol. 3,29,41):
Schubert 2010a, 117 f.
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οὔ τοι ἀπ’ ἀρχῆς πάντα θεοὶ θνητοῖσ’ ὑπέδειξαν, ἀλλὰ χρόνωι ζητοῦντες ἐφευρίσκουσιν ἄμεινον. „Wahrlich nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles enthü llt, sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.“²³⁶
Das Suchen ist so gesehen eine „systematische Vermehrung von Erfahrung; mehr und neue Erfahrung aber bedeutet mehr und neue Kenntnisse.“²³⁷ Menschen haben es selbst in der Hand, auf der Erfahrung aufbauend ihre Erkenntnisse zu erweitern. Das Bewertungskriterium soll jedoch immer der Nutzen für die Polis sein, und wenn dieser nicht gegeben ist, dann ist die Lebensführung eine nutzlose. Diesen Nutzengedanken verbindet Xenophanes mit der Gruppenbezeichnung der 1000. Darin läßt sich ein ordnungstheoretisches Konzept erkennen, das bei Xenophanes nicht weiter ausgeführt ist, jedoch in archaischer Zeit in mehreren Poleis praktiziert wurde und insbesondere in Athen charakteristisch für die politische Entwicklung werden sollte: die Verwendung von Zahlen als Namen für Gruppen.²³⁸ Quantitative Gruppenbezeichnungen nach numerischem Prinzip bezeichnen weder Funktionen noch Personen, sondern definieren über die Zahl eine neue Einheit:²³⁹ Die Zahl, die für die Gesamtheit steht, ist gleichgültig gegen Qualifikationen, vielmehr wird die Gemeinschaft abstrakt als Zahl definiert. Xenophanes greift die Zahl in seiner Kritik an Lebensstil seiner Mitbürger auf und macht so die Lebensführung der politischen Gemeinschaft verantwortlich für den Niedergang der Polis.²⁴⁰
ÜS Strobel. Heitsch 1966, 221. Vgl. Lesher 2013, 77– 90, bes. 89. So in Chios (ML 8, dazu i.E. s.u. II.1.2). Vgl. auch die von Giangiulio 2018 zusammengestellten Beispiele (s.o. Anm. 223). Simmel 1908. Vgl. Giangiulio 2018, 293, der in diesen Zahlen („archaic numbered political bodies“) korporative Einheiten sieht, die sich selbst als die Polis definierten und damit zu Entwicklung und Verständnis politischer Gemeinschaften in archaischer Zeit beigetragen haben. Dies, so Giangiulio, gehöre nicht in die Geschichte der oligarchischen Regimes, sondern sei als ein Teil des Prozesses zu verstehen, in dem sich das Konzept von Bürgerschaft entfaltet habe.
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II. Isonomia in Ionien Die Veränderung, die sich im 6. Jahrhundert v.Chr. im Politischen zeigt, spielt sich im Bereich des gemeinschaftsbezogenen Denkens ab:²⁴¹ Die Themen sind eine gute Ordnung für die Polis, Nutzen für die Polis im Ganzen, eine darauf ausgerichtete Lebensweise der Bürger, die moralische Grundsätze an dem Wohl der Polis orientiert. Darin läßt sich eine Entwicklung erkennen, die von Solons Eunomie am Anfang des 6. Jahrhunderts v.Chr. bis hin zur Isonomie am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. reicht. Für dieses gemeinschaftsbezogene Denken werden verschiedene Begriffe und Beschreibungen verwendet, immer mit dem Nomos und der Polis verbunden, oder mit der Handlung etwas ‚in die Mitte zu legen‘. Zentrale Begriffe sind das Koinon oder Xynon, die sowohl in den frühen Inschriften²⁴² begegnen wie auch bei Herodot und Heraklit im Kontext des Politischen verwendet werden. Vor allem aber setzt Herodot in der Verfassungsdebatte, einem zentralen Text für die Geschichte der Isonomie, Koinon und Isonomie in einen Bezug zueinander.²⁴³ Insofern ist es sinnvoll, den Zusammenhang dieser beiden Begriffe sowohl in ihrem realgeschichtlichen Bezug der politisch konkreten Umsetzung wie auch in Bezug auf die Reflexe der diskursiven Praxis zu untersuchen, die sich im 6. Jahrhundert v.Chr. erst entwickelt hat und deren Spuren sich sowohl bei Herodot wie auch Heraklit erhalten haben.
Gekürzte Fassung von Schubert 2020b (i.E.). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt, auf einem etwas anderen Weg, jüngst Hübner 2019, 156 – 175. Koinon in Inschriften: Koerner Nr. 31, Tiryns (7. Jh. v.Chr.), Frg. 7; Nr. 23 Sikyon (um 500 v.Chr.), Nr. 88 Lyttos (um 500 v.Chr.), Nr. 78 (= ML 30) und 79 (Teos, 5. Jh. v.Chr. – zu diesen beiden Inschriften aus Teos und ihrem Bezug auf Ereignisse des 6. Jhs. v.Chr. s.u. Kap. II.1.1). Zu der Perspektivenänderung in der Forschung im Hinblick auf die Koina: Funke 2018, 116 ff. und die Übersicht von Peter Funke und Hans Beck in Beck/Funke 2015, 1– 29. Zu Beispielen für ein Koinon als föderative Form vgl. die Beiträge in Beck/Funke 2015 und insb. McInerney, Polis und Koinon in Beck, Ancient Government 2013, 466 ff., die zeigen, daß die ältere Gegenüberstellung von Polis und Ethnos, wie sie noch von Larsen 1968 vertreten wurde und wie sie z. B. bei Snodgrass (1980, 42) zum Ausdruck gebracht wird („In its purest form the ethnos was no more than a survival of the tribal system into historical times: a population scattered thinly over a territory without urban centres, united politically and in customs and religion, normally governed by means of some periodical assembly at a single centre, and worshipping a tribal deity at a common religious centre“), nicht mehr vertreten werden kann. Diese Sicht ist heute von einer die Vielfalt und Differenziertheit der Verbundformen betonenden Perspektive abgelöst worden und insbesondere die unter Leitung von M.H. Hansen aus dem Copenhagen Polis Centre hervorgegangenen Untersuchungen haben maßgeblich zu dieser geänderten Sichtweise beigetragen (v. a. die im von M.H. Hansen und Th.H. Nielsen herausgegebenen Inventory of Archaic and Classical Poleis 2004 zusammengestellten Daten bieten heute eine ganz andere Grundlage).
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Herodots Geschichtswerk setzt bekanntlich mit den Anfängen und Ursachen der Auseinandersetzung zwischen Griechen und Persern ein, in denen er mythische, sagenhafte und anekdotische Elemente mit historisch-narrativen kombiniert und daher sind seine Berichte über die Isonomien des 6. Jahrhundert v.Chr. oft als wenig zuverlässig oder gar Rückprojektionen angesehen worden.²⁴⁴ Rückprojektionen bewußter Art sind Bestandteil der historiographischen Arbeit, da sie zu Erklärungen und Analysen beitragen, und sind als solche markiert.²⁴⁵ Rückprojektionen unbewußter Art sind weniger deutlich erkennbar, jedoch meist durch ihre Begriffe und vor allem durch Kontextualisierung und Vergleich erschließbar. In diesem Feld muß sich die Untersuchung der von Herodot berichteten Isonomien des 6. Jahrhunderts v.Chr. bewegen. Herodot bietet eine historisch ausführliche und ausgefeilte Darstellung, wann und wo in Ionien über Isonomien verhandelt wurde. Sieht man den großen Spannungsbogen der ersten 6 Bücher insgesamt,²⁴⁶ so ist die Isonomie in Ionien einer der Hauptzüge seiner Darstellung, die mit den Ratschlägen des Thales und Bias (Hdt. 1,170) beginnt und nach dem Sturz des Polykrates mit den Aktionen des Maiandrios in Samos (Hdt. 3,142) sowie dem Beinahe-Verrat der Ionier an der Donaubrücke während des Skythenfeldzuges des Dareios (Hdt. 4,137) weitergeführt wird. Beginn und Ende des Ionischen Aufstands (Hdt. 5,37; 6,43) sind der Schlußpunkt. Durch die gesamten 50 Jahre der Geschichte Ioniens bis zur Reorganisation durch Mardonios nach der Niederlage bei Lade 494 v.Chr. läßt sich das Thema von Isonomie als Teil ionischer Politik verfolgen.²⁴⁷ Herodot verwendet dabei auch den später entstandenen Begriff der Demokratie, so daß schnell der Eindruck entstehen könnte und auch entstanden ist, daß er die beiden Begriffe deckungsgleich verwendet hat. Auch die Frage, ob es sich bei Isonomie um ein Vorläuferkonzept zur Demokratie handeln könne, ist in diesem Zusammenhang behandelt worden.²⁴⁸ Die Schwierigkeit liegt nicht nur darin, daß die Bedeutung des Begriffes ‚Isonomie‘ im Hinblick auf seine Tragweite unterschätzt worden ist, weil man
Vgl. zu Einschätzungen der bei Herodot berichteten Abläufe und Diskussionen als historisierende Fiktion Raaflaub 1987, 225 f. und ders. 1980, 139 ff. Vgl. dazu grundsätzlich Schubert/Sier 2012, 297– 329 und Schubert 2014, 930 – 952. Priestley 2014, 31 f.: Herodot wurde in der Antike als der ‘prytanis (‘lord’) of Ionian ancient historia’ angesehen! Ausf. dazu Schubert 2017a, 131– 152. Vgl. dazu Dmitriev 2015.
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immer die Entwicklung in Athen vor Augen hatte und hat,²⁴⁹ sondern ist wohl auch darin begründet, daß meist zu wenig zwischen politischen Ordnungsvorstellungen und institutionellen Strukturen unterschieden wird.²⁵⁰ Wenn an den Orten und zu den Gelegenheiten, die Herodot beschreibt, über Isonomie gesprochen wurde und der Begriff im Kontext von politischen Auseinandersetzungen eine Rolle spielte, so liegt es nahe, die Verteilung von Herrschaftsausübung, politischen Ressourcen und Organisationsformen damit in Verbindung zu sehen. Jedoch bedeutet dies, abgesehen von der Frage nach der konkreten politischen Realisierung, noch nicht, daß Isonomie gleichbedeutend mit den in diesen Kontexten diskutierten Organisations- und Herrschaftsformen sein muß. Schließlich sind die weitreichenden Konsequenzen miteinzubeziehen, wenn es um die Änderung und Neuverteilung von Herrschaft und Macht sowie ihrer Verwirklichung in der politischen Praxis ging: Eine Vergrößerung der Gruppe, die Zugang zu politischer Macht haben sollte, bedingte Änderungen oder die Neueinführung in der Etablierung des Abstimmungsrechts, und dies setzte immer die Neueinteilung der Bürgerschaft in Untergruppierungen zur Realisierung dieses Stimmrechtes voraus, ebenso Veränderungen der Ämterstruktur und eine Reform des Rates hin zu einer repräsentativen Zusammensetzung. Dies sind allesamt Infrastrukturen einer politischen Organisationsform, wie man sie in dieser Detailtiefe nur aus Athen mit und seit den kleisthenischen Reformen kennt. Eine solche Infrastruktur ist aber nicht gleichzusetzen mit Isonomie, sie wäre eher die Konsequenz der Isonomie, wenn die gleiche Teilhabe, die der Begriff dem Wort und dem Sinn nach beinhaltet, auch praktisch verwirklicht werden soll. Schon Martin Ostwald hat dies für den Begriff ‚Nomos‘ untersucht und in dem Zusammenhang für Isonomie konstatiert: „Its connotations, as we shall see, are from its first appearance until at least the end of the fourth century B.C. purely political, and the context in which it is first attested associates it closely with the reforms of Cleisthenes.“²⁵¹ Dem ersten Teil des Zitats ist vorbehaltlos zuzustimmen, dem zweiten allerdings nicht, wie im Folgenden gezeigt werden soll. In jedem Fall zeigt hier sich aber, daß unter ‚Isonomie‘ etwas anderes zu verstehen ist als unter ‚Demokratie‘: Isonomie gehört in die Bereiche, die gemeinschaftsbildende Prozesse thematisieren und auf das Ganze einer Ordnung
Vgl. Nakategawa 1988, 257– 275, der allerdings zu anderen Ergebnissen kommt, da er seinen Fokus einseitig auf Athen legt. Demgegenüber geht Dmitriev 2015, 53 – 83 zwar auf diese Passagen ein, bleibt jedoch bei den bürgerrechtlichen Aspekten stehen. So z. B. auch Dmitriev a. a.O. 66, der Isonomie aber nicht als politischen Begriff verstehen will. Zu Isonomie als einer Art „Mischverfassung“: Rhodes, s.v. Isonomia, DNP 1143 und OCD s.v. p. 748 sowie Lévy 2005, 132. Ostwald 1969, 96.
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ausgerichtet sind im Unterschied zu den „klassischen“ Verfassungsbegriffen, die für Herrschaftsformen mit ihren Abstufungen der institutionellen Bereiche stehen. Das schließt nicht aus, daß in einer Diskussion über die Einführung der Isonomie in einer beliebigen Polis auch die Infrastrukturen für Beschlußorgane und Repräsentation eingeführt wurden oder zumindest beabsichtigt oder diskutiert wurde, sie in der jeweiligen Polis einzuführen.²⁵²
II.1 Thales’ und Bias’ Ratschläge an das ionische Koinon Herodot beschreibt die Geschichte von der ersten persischen Unterwerfung Ioniens durch Kyros bis zur Niederlage nach dem Ionischen Aufstand. Eine wesentliche Rolle spielen in seiner Darstellung das Verhalten der Ionier als Mitglieder des ionischen Koinons und die vergeblichen Bestrebungen, eine Isonomie zu etablieren. Die Ionier haben sich bereits früh zu einem Koinon zusammengeschlossen.²⁵³ Von den Strukturmerkmalen, die die Gemeinsamkeit der meisten Koina prägen (ethnische Affiliation, religiöses Zentrum, gemeinsames Beratungszentrum und Heer, militärische Befehlshaber und Magistrate, Rechtsorgane, Münzprägung, Anknüpfung an die homerischen Epen) hat das ionische Koinon zwar nicht alle aufzuweisen, aber zumindest die wesentlichen: Nach Herodot haben sich die Ionier auf die Abstammung von den Achäern berufen (Hdt. 1,142 und 146),²⁵⁴
Nakategawa 1988, 279 kommt – mit Bezug auf die Niederlegung der Tyrannis durch Aristagoras und die Einführung der Isonomie in Milet – zu dem entgegengesetzten Schluß: „[…] that isonomia demands the establishment of laws or institutions but does not necessarily guarantee enforcement and operation of them; that its outward appearance of institution and legislation cannot always create the real things.“ Hdt. 1,145 – 6, dazu McInerney 2013, 466 ff. und Hall 2015, 40 und Raaflaub 2015, 441 zu dem ionischen Koinon und dessen Initiativen während des Ionischen Aufstands (Hdt. 5,109,3). Die frühen Koina sind bisher wenig untersucht worden. Larsen 1968, XVI nennt bspw. das ionische Koinon einen „incipient federal state“, womit auch der eher ‚untechnische‘ Gebrauch bei Herodot am besten charakterisiert werden kann. Herodot verwendet den Begriff ‚Koinon‘ generell für größere Verbundstrukturen, d. h. Poleis, die sich entweder über einen Synoikismos zusammengeschlossen hatten oder eine proto-föderale Struktur hatten: Hdt. 1,67,5 (Sparta); 5,85,1 (Athen); 5,109,3 (Ionier, in einigen Hss: κοινὰ statt κοινὸν); 6,14,3 (Samos); 8,135,2 (Böotien); 9,117 (Athen). Da er beide Formen nicht begrifflich trennt, jedoch verschiedene Ausprägungen kennt, wie seine Informationen über das ionische Koinon zeigen und auch die Unterschiede aus den beiden Vorschlägen des Bias und Thales deutlich werden lassen sowie die anderen Stellen, an denen er den Begriff verwendet, ist die von Larsen vorgeschlagene Definition plausibel. Nach Hdt. 1,145 – 6; Strab. 8,7,4; Paus. 7,6,1 sind die Ionier ursprünglich von den Achäern aus der Peloponnes vertrieben worden. Vgl. dazu Larsen 1968, 80 f.
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hatten in dem Heiligtum des Poseidon Helikonios und dem Panionion ein gemeinsames Kultzentrum mit Festen und Beratungen (Hdt. 1,148),²⁵⁵ sowie, wie die Gesandtschaft mit dem Hilfsersuchen nach Sparta und Militäraktionen unter einem gemeinsamen Oberbefehl während des Ionischen Aufstandes zeigen, im militärischen und zivilen Bereich eine gemeinsame Organisation.²⁵⁶ Aber andererseits waren die einzelnen Poleis in der Lage, für sich etwa mit dem Lyderkönig oder dem persischen König zu verhandeln und Verträge oder Bündnisse abzuschließen.²⁵⁷ In dieser Form der Kooperation ist eine frühe Vorläuferstufe dessen zu sehen, was sich spätestens im 5. und besonders seit dem 4. Jahrhundert v.Chr. zu den im griechischen Bereich weit verbreiteten Föderationsformen entwickeln sollte.²⁵⁸ In der damaligen Zeit wurden in Ionien Diskussionen darüber geführt, wie die Freiheit der griechischen Städte in Ionien bewahrt werden könne. Während der persische Befehlshaber Harpagos seinen Eroberungszug fortsetzte, fand am Panionion eine Versammlung der Ionier statt, bei der Alternativen diskutiert wurden. Bias von Priene schlug vor (Hdt. 1,170,1– 2), wie es schon die Einwohner von Phokaia und Teos gemacht hatten, ganz Ionien zu evakuieren, so daß sich alle Ionier von der persischen Knechtschaft befreien könnten. Herodot läßt Bias von Larsen 1968, 28 verweist auf den Berg Helikon in Böotien, so daß man daraus entnehmen könnte, daß Böotien früher ionisch gewesen sein könnte. Vgl. Hdt. 1,145 – 46 und dazu Mackil 2013, 46 f. Das ionische Koinon konnte in seiner Versammlung Grundsatzbeschlüsse über die Kriegsführung fassen (Hdt. 5,108,2), gemeinsame Militäraktionen durchführen (Hdt. 5,109,3) und eine gemeinsame Heer- bzw. Flottenführung berufen (Hdt. 6,7). Mitchell 2015, 60 ist skeptisch im Hinblick auf die Frage, inwieweit das ionische Koinon formalisiert war, Rubinstein 2004, 1056 hingegen sieht hier die Existenz von politischen Institutionen gegeben. Vgl. z. B. Diog. Laert. 1,25. Auf diesen Punkt – die Kompetenz von Poleis eines Koinons zu autonomen außenpolitischen Aktionen – macht Walbank 1976/77, 36 f. und 44 f. in seiner Entgegnung auf Giovannini 1971 aufmerksam. Beck/Funke 2015, 3: „Federalism stands as the landmark in these forms of cooperation.“ Für die Entwicklungslinien, die sich unterscheiden lassen: Beck/Funke 2015, Introduction 2 ff.; insb. ebd. a. a.O. 4 zur Emanzipation des „federal paradigm“ gegenüber der „Polis“-zentrierten Perspektive in der Forschungsdiskussion. A. a.O. 5 ff. zu der Forschungsdiskussion, insb. von Freeman 1863 bis zu Larsen 1968. Das Vokabular, das sich aus den literarischen und epigraphischen Quellen herausarbeiten läßt, ist im Laufe der Jahrhunderte gewachsen, aber ganz sicher nicht systematisch und linear: Vgl. dazu Rzepka 2017. Mackil 2013, 21 ff. zeigt, daß auch das böotische Koinon schon am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. frühe Formen einer föderal organisierten Kooperationsstruktur hatte. Beck/Funke a. a.O. 11 f. betonen die Diversität der Formen (a. a.O. 13: „diversity of federal designs“), in denen Integration und Kooperation, föderale Formen und Synoikismoi regional und transregional organisiert wurden und demzufolge universelle Definitionen, insb. wenn sie sich an modernen Termini wie ‚Bundesstaat‘, ‚Staatenbund‘, ‚League‘ oder ‚fédération‘ orientieren, nicht möglich sind.
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Priene bei dieser Versammlung des ionischen Koinons den Ioniern den Vorschlag einer kompletten Auswanderung nach Sardinien mit dortiger Neuansiedlung nach Art einer Metoikesis machen und erwähnt,²⁵⁹ daß auch Thales schon früher einen guten Rat (χρηστὴ γνώμη) gegeben habe, nämlich eine Art Zusammenschluß aller Ionier nach Art eines Synoikismos.²⁶⁰ Herodot läßt hier Thales und Bias für zwei konträre und gleichermaßen extreme Pläne sprechen: Thales hatte den ionischen Poleis an dem Ort ihrer Bundversammlung, dem Panionion, vorgeschlagen, eine gemeinsame politische Organisationsstruktur mit einem zentralen, repräsentativen Rat einzurichten.²⁶¹ Eine Ratsversammlung solle am Mittelpunkt, lokalisiert in Teos, da es geographisch der Mittelpunkt Ioniens sei, eingerichtet und die Poleis zu Demen umgewandelt werden. Dieser Vorschlag kommt der Einführung eines strukturellen Synoikismos gleich, der in seinem kooperativen Verbundcharakter deutlich über das hinausgeht, was von dem ionischen Koinon bekannt ist. Hier stellt sich die Frage, ob Thales’ Rat auf einen Synoikismos als echten und realen Zusammenschluß abzielte oder ob er nicht vielmehr eine Art Metastruktur vorgeschlagen hat, die ein Koinon als den ionischen Poleis übergeordnete Institution bilden sollte. Für letzteres spricht, daß die ionischen Poleis alle ein größeres Umland hatten, in denen z.T. eine Vielzahl an abhängigen sog. „second order poleis“ existierten.²⁶² Für die ionische Dodekapolis ist von allen Poleis
Hdt. 1,170. Zu der Metoikesis Demand 1988, 416 – 423. Moggi 1976, Nr. 16, 95 ff.; vgl. Asheri et al. ad loc. und Moggi 2008, 38 – 46; Raaflaub 2015, 451. Asheri et al. ad loc. 191 sieht bei Herodot Elemente einer politischen Utopie aus intellektuellen Zirkeln Milets, die er chronologisch in die Zeit zwischen der persischen Eroberung und dem Ionischen Aufstand einordnet. Vgl. demgegenüber Raaflaub 2017, 116 f., der auch eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu den kleisthenischen Reformen sieht (mit Bezug auf Moggi 1976, Nr. 16). Macé 2014, 676 wiederum stuft diesen Rat des Thales als anachronistisch ein. Gleichwohl unterscheidet er diesen Vorschlag des Thales von dem des Bias: Für Macé handelt es sich nicht um einen strukturellen Synoikismos, sondern um die Konstruktion eines Zentrums als separierte Mitte. Zur Definition vgl. Hansen 2006, 63: Vor allem in den größeren Poleis lagen im Hinter- oder Umland Siedlungen (Demen oder Komen), die selten, aber durchaus noch nachweisbar eine Bevölkerungsgröße in vierstelliger Zahl hatten (z. B. Askra in Böotien, Piräus) und manche hatten sogar ein eigenes Theater (Hansen a. a.O.). Auch die Zahl dieser ‘second order poleis’ war unterschiedlich: Bekannt sind die 139 Demen in Attika, für Eretria mehr als 50 Demen (unter denen Dystos ein eigenes, urbanes Zentrum hatte). Hill 2019 schließt sich diesem Einteilungsmodell für Ionien an (er verwendet allerdings die Ausdrücke ‚Normalpolis‘ und ‚Großpolis‘, a. a.O. 111), s. dazu unten Anm. 263 und S. 71 mit Abb. 1.
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bekannt, daß sie solche ‘second order poleis’ in ihrem Umkreis hatten.²⁶³ Meist waren dies sicher nur kleinere Siedlungen, aber z.T. handelte es sich wie bei Atarneus, das zu Chios gehörte,²⁶⁴ um größere Ansiedlungen mit polisähnlicher Form. Dem Vorschlag des Thales folgend, hätten die Ionier daher ihre regional-lokal verankerten Polis-Identitäten zugunsten einer größeren Einheit aufgeben müssen.²⁶⁵ Aber es ist kaum vorstellbar, daß sich diese weiter auseinander liegenden Regionen mit unterschiedlichsten regionalen Gegebenheiten und z.T. beträchtlicher Bevölkerungszahl²⁶⁶ an einem Ort hätten zusammensiedeln können. Insofern ist dieser Synoikismos als theoretische Konzeption mit dem Zusammenschluß Attikas durch die Kleisthenische Phylenreform vergleichbar.²⁶⁷ Doch der Vorschlag, Teos zum Hauptsitz dieses neuen Gebildes zu machen, ist ungewöhnlich und überraschend. Denn bei Teos hätte es sich – zumindest wenn man
Rubinstein 2004, 1058 ff. führt für jede der Poleis, die zur Dodekapolis gehörten, die ‘second order poleis’ auf. Auf der Grundlage dieser Angaben hat Hill 2019, 109 die in seiner Abb. 10 (s.u. Abb. 1) enthaltenen Größenordnungen für die Territorien der Poleis der Dodekapolis berechnet. Hill (2019, 125) kommt zu dem Schluß, daß es letztlich keine zufriedenstellende Erklärung dafür gibt, warum sich in Ionien in archaischer Zeit größere und zentralisiertere Poleis entwickelten als in anderen griechischen Regionen. Daß und inwiefern das ionische Koinon hierbei eine wesentliche Rolle spielte, kann natürlich nur vermutet werden, könnte aber eine Richtung weisen. Die Entfernung zum Zentrum ist für Bintliff (1999 und 2006, 209 – 10) der entscheidende Faktor für die Entwicklung von Polisformen und Territorien. Hill stützt sich hierauf und belegt, daß sich ionische Poleis ausnahmslos in territorialer Komplexität, Größe und Ausdehnung von den äolischen und karischen unterscheiden, die allerdings auch eine Reihe von Zentralorten aufweisen (Hill 2019, 123). Mit der Gründung des Ionischen Bundes scheint die politische Landschaft in Ionien fixiert worden zu sein, da bis in den Hellenismus hinein mit sehr wenigen Ausnahmen keine großen Veränderungen an den Gebieten oder Grenzen vorgenommen wurden. Der Grund könnte möglicherweise in der Zwölfzahl der Mitgliedschaft liegen, die nicht nur als Zahl mit Symbolwert ausgestattet war, sondern auch eine gewisse Balance in der geopolitischen Struktur des Bundes bedingte. Hansen 2004, Nr. 1067. Mitchell 2015, 60 und Raaflaub 2015, 451. Für Chios und das von Chios kontrollierte Gebiet kann man aus den 100 Pentekonteren mit je 40 Hopliten an Bord, die Chios bei Lade stellte (Hdt. 6,15,1), auf eine sicher Athen gleichkommende Bevölkerungszahl schließen. Zu dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie in Chios vgl. Koerner 1993, Nr. 62, B 10 – 12, Rubinstein 2004, 1068; noch im 5. Jh. v.Chr. sieht man diese Unterschiede zwischen Land und Stadt (PEP Chios 76 [IG XII 7 Chios Nr. 76]: τὸς δὲ κήρυκας διαπέμψαντες ἐς τὰς χώρας κη[ρ]υσσόντων καὶ διὰ τῆς πόλεως ἀδηνέως γεγωνέοντες, ἀποδεκνύντες τὴν ἡμέρην, […]. (Indem sie Herolde aussenden in die ländlichen Gebiete, sollen sie bekanntmachen lassen, auch durch die Stadt, durch unmißverständlichen Aufruf, wobei sie den Tag anzeigen, […].). Vgl. dazu Moggi a. a.O.
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der Darstellung Herodots hier folgt –, anders als bei Athen nicht um den realen Zentralort gehandelt, der sich aufgrund von Größe und Heiligtümern als solcher ergibt, sondern um eine planerische Konstruktion, die sich einer geographischen Mittellage verdankt. Dieser Rat basiert auf einer Vorstellung von Mitte als Symmetriepunkt, wie man dies auch in den kosmologischen Modellen der Zeit erkennen kann, und weist gleichermaßen auf ein politisches Repräsentationskonzept hin, das Gleichheit aller Beteiligten ermöglicht.²⁶⁸ Der Vergleich mit dem Kosmos-Modell des Anaximander, in dessen Mitte die Erde ruht und um die herum ein geometrischer Raum gedacht ist, so daß die Erde zu allen Punkten der sie umgebenden kreisförmigen Ringe den gleichen Abstand hat, ist immer wieder betont worden, ebenso wie eine Linie zu der Kleisthenischen Phylenreform postuliert wurde.²⁶⁹ Als Bezugspunkt oder sogar als Vorbild für diesen Rat des Thales wird das sphärische Kosmos-Modell des Anaximander angenommen.²⁷⁰ Teos ist in dieser Zeit eine der bedeutendsten Poleis in Ionien gewesen. Keramikfunde, vielfältige Funde aus den Nekropolen wie auch die Architekturfragmente und Skulpturenfragmente belegen, daß Teos im 6. Jahrhundert v.Chr. eine Blü tezeit erlebte. Die wirtschaftliche Bedeutung ist der Hintergrund für den bei Herodot berichteten Rat des Thales, der nicht von dieser Blütezeit der Polis zu trennen ist.²⁷¹ Daher läßt sich dieser Rat tatsächlich mit dem später in Athen
Hdt. 1,170: κεκακωμένων δὲ Ἰώνων καὶ συλλεγομένων οὐδὲν ἧσσον ἐς τὸ Πανιώνιον, πυνθάνομαι γνώμην Βίαντα ἄνδρα Πριηνέα ἀποδέξασθαι Ἴωσι χρησιμωτάτην, τῇ εἰ ἐπείθοντο, παρεῖχε ἂν σφι εὐδαιμονέειν Ἑλλήνων μάλιστα· (2) ὃς ἐκέλευε κοινῷ στόλῳ Ἴωνας ἀερθέντας πλέειν ἐς Σαρδὼ καὶ ἔπειτα πόλιν μίαν κτίζειν πάντων Ἰώνων, καὶ οὕτω ἀπαλλαχθέντας σφέας δουλοσύνης εὐδαιμονήσειν, νήσων τε ἁπασέων μεγίστην νεμομένους καὶ ἄρχοντας ἄλλων· μένουσι δέ σφι ἐν τῇ Ἰωνίῃ οὐκ ἔφη ἐνορᾶν ἐλευθερίην ἔτι ἐσομένην. (3) αὕτη μὲν Βίαντος τοῦ Πριηνέος γνώμη ἐπὶ διεφθαρμένοισι Ἴωσι γενομένη, χρηστὴ δὲ καὶ πρὶν ἢ διαφθαρῆναι Ἰωνίην Θάλεω ἀνδρὸς Μιλησίου ἐγένετο, τὸ ἀνέκαθεν γένος ἐόντος Φοίνικος, ὃς ἐκέλευε ἓν βουλευτήριον Ἴωνας ἐκτῆσθαι, τὸ δὲ εἶναι ἐν Τέῳ (Τέων γὰρ μέσον εἶναι Ἰωνίης), τὰς δὲ ἄλλας πόλιας οἰκεομένας μηδὲν ἧσσον νομίζεσθαι κατά περ ἐς δῆμοι εἶεν. (Hervorhebungen von mir, C.S.). Der folgende Abschnitt ist eine gekürzte Fassung des Abschnitts über Herodots ionische Isonomien aus Schubert 2017a, 131– 152. So vor allem von Lévêque und Vidal-Naquet 1964, 123 ff. Vgl. oben A. Isonomie: Semantische Befunde und Ordnungsvorstellungen S. 4. Vernant 1985, 202 ff., 216 ff.; Kahn 1960, 76 ff.; Herda 2019, 45 mit Abb. 4. Zur wirtschaftlichen Bedeutung von Teos in der archaischen Zeit Kadıoğlu et al. 2015, 345 – 366, bes. 353: Teos ist neben Chios das bedeutendste Töpferzentrum der archaischen Zeit (8. – 6. Jh. v.Chr.) in Nordionien gewesen. Anhand der Vogelschalen-Werkstätten in Teos ist nachweisbar, daß Teos als eine der ersten Poleis im Ägäisraum eine standardisierte Massenproduktion von Feinkeramik entwickelt hat, die für den Export hergestellt wurde. Zu den neu-
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realisierten Zusammenschluß vergleichen, da in beiden Fällen ein faktisch physisches Zentrum zum Zentralort definiert wurde. Wenn allerdings die bei Herodot erhaltene Begründung authentisch ist, worauf die realen Gegebenheiten hindeuten, dann ist es vor allem die geographische Mittellage als physisch-geographische Mitte gewesen, die den Vorschlag begründet hat und somit in einem entscheidenden Aspekt von dem athenischen Modell abweicht. Diese Konzeption der geographischen Mitte ist nicht von der Hand zu weisen, wie die moderne, GISbasierte Rekonstruktion der Polis-Territorien der ionischen Dodekapolis zeigt, die Hill erstellt hat (s. Abb. 1 unten).²⁷² Der – chronologisch – zweite Vorschlag zur Abwendung der Vernichtung Ioniens durch die Perser, von dem Herodot berichtet, ist derjenige, den Bias von Priene gemacht hat. Auch er hat vor dem ionischen Koinon gesprochen, allerdings erfolgte Bias’ Vorschlag, im Unterschied zu dem früheren Rat des Thales, nach der Katastrophe, als schon alles für Ionien verloren war, und empfiehlt eine komplette Verlagerung der gesamten Bevölkerung Ioniens nach Sardinien.²⁷³ Diese Art der Umsiedlung, eine Metoikesis, ist nicht selten durchgeführt worden, wäre allerdings in diesem Fall von erheblichem und sehr ungewöhnlichem Ausmaß gewesen.²⁷⁴ Interessant ist, daß Herodot für den Vorschlag des Bias nicht nur im Unterschied zu demjenigen des Thales keine Einzelheiten der Umsetzung nennt, sondern auch, daß er ihn zu einem Zeitpunkt berichtet, als die Ionier bereits geschlagen und die Städte entweder erobert waren oder sich ergeben hatten (Hdt. 1,169), wodurch der Rat des Bias eigentlich sinnlos geworden war.²⁷⁵ Bias
gefundenen Architekturfragmenten: Kadıoğlu et al. 2015, 353 – 363. Vgl. auch Hill 2019, 115, der Teos als eine der Großpoleis charakterisiert. Insofern scheint nach der ersten Auswanderung und dann folgenden Rückkehr die Bevölkerungszahl in Teos keinen großen Einbruch erlitten zu haben. Teos stellte bei Lade 17 Schiffe (Hdt. 6,8,1) und die Bevölkerung wird auf ca. 2– 3000 (männliche, freie) Bürger geschätzt, so daß die Gesamtzahl 10.000 – 15.000 Bürger umfaßt haben könnte. Hill 2019, 109 mit Fig. 10, zugrundegelegt sind die Angaben aus Hansen/Nielsen 2004, die Daten des Pleiades Projektes (http://pleiades.stoa.org) sowie Detailinformationen zu den jeweiligen Ortslagen und Territorialbeziehungen (Hill 2019, 107 mit Anm. 34). Vgl. dazu Macé 2014, 676, der in dem Vorschlag des Bias eine andere Vorstellung von Koinon zugrundegelegt sieht als bei Thales: Bei Thales handele es sich um ein separiertes Zentrum, bei Bias jedoch um inklusives Koinon. Allerdings berichtet Herodot (Hdt. 9,106), daß die Spartaner nach dem Sieg über die Perser in der Konferenz auf Samos genau einen solchen Vorschlag zur kompletten Umsiedlung gemacht haben: Alle Poleis auf dem Festland, die mit den Persern paktiert hatten, sollten entvölkert und die Ionier dort angesiedelt werden. Nach Asheri et al. 2007, 191 zeigt Herodot (Hdt. 1,170,3) eine Präferenz für den Vorschlag des Thales (also die „athenische Lösung“): Der Vorschlag des Thales ist χρηστός, also nicht nur nützlich, sondern auch moralisch gut.
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Abb. 1: Geopolitische Karte Ioniens in der archaischen Zeit mit den Territorien der Ionischen Poleis (aus: Hill 2019, Fig. 10).
begründet seinen Vorschlag, so wie Herodot es darstellt, mit der etwas verzweifelt klingenden Aussicht, daß er nicht sähe, wie die Ionier andernfalls – wenn sie in
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Ionien blieben – noch einmal frei sein könnten (μένουσι δέ σφι ἐν τῇ Ἰωνίῃ οὐκ ἔφη ἐνορᾶν ἐλευθερίην ἔτι ἐσομένην).²⁷⁶ Welche Absicht Herodot mit diesen beiden Ratschlägen genau zu diesem Zeitpunkt in seiner Darstellung verbunden hat, erschließt sich aus der Anordnung: Fast die gesamte Darstellung der Eroberung Ioniens nimmt seine Beschreibung des Schicksals der Phokäer ein (Hdt. 1,163 – 167), die – wie auch die Bewohner von Teos (Hdt. 1,168) – genau das tun, was Bias allen Ioniern nach der Niederlage geraten hat: Die Bewohner dieser beiden Poleis haben ihre Städte aufgegeben und sie waren οὗτοὶ μέν νυν Ἰώνων μοῦνοι τὴν δουλοσύνην οὐκ ἀνεχόμενοι ἐξέλιπον τὰς πατρίδας (Hdt. 1,169,1) – die einzigen der Ionier, die die Versklavung durch die Perser nicht ertrugen und ihre Heimatstädte verließen. Im Fall von Phokaia ist dies besonders eindrücklich, da die Stadt ungewöhnlich hohe und massive Mauern hatte (s.u.). Es folgt danach bei Herodot nur noch eine kurze Zusammenfassung der Eroberung Ioniens durch den persischen Feldherren Harpagos (Hdt. 1,169). Die Aufgabe der beiden Poleis war nicht von langer Dauer, in beiden Städten haben sich wahrscheinlich recht bald wieder Rückkehrer angesiedelt (s.u.), aber das interessiert Herodot an dieser Stelle nicht, da er am Beispiel dieser beiden Poleis zeigen will, zu welcher Gemeinschaftsleistung die Bürger dieser Poleis im Stande waren, um ihre Freiheit zu bewahren. Auch wenn die Ähnlichkeit der Konzeption des Thales zu der späteren athenischen Realisierung bestechend ist, so zeigt der Kontext bei Herodot, daß für ihn der Vorschlag des Bias – bei allen Schwierigkeiten, wie es das Schicksal der Phokäer auch zeigt – viel eher die Freiheit Ioniens hätte bewahren können.²⁷⁷
1. Koina der Ionier: Teos, Phokaia Bei Herodot nehmen die ionischen Poleis Teos und Phokaia eine Sonderrolle ein. Er beschreibt die Umstände der Eroberung durch die Perser und wie Harpagos eine Stadt nach der anderen durch Belagerungsringe aus Erdaufschüttungen erst einschloß, dann einnahm.²⁷⁸ Als Harpagos Phokaia belagerte, gelang es den Phokaiern durch eine List die Bevölkerung zu evakuieren und nach diversen Fehlschlägen siedelten sie – auf Rat aus Delphi – in Elea. Phokaia war zu diesem Zeitpunkt eine der größten und mächtigsten Städte in Ionien, wie insbesondere
Ausführl. hierzu: Kapitel II.2. Vergleichbar ist die Evakuierung Attikas durch Themistokles: Hdt. 8,40. Hdt. 1,163 – 167: Belagerung von Phokaia und Flucht bzw. weiteres Schicksal der Phokaier, die sich aufteilten in eine Gruppe, die doch wieder nach Phokaia zurückkehrte, und eine Gruppe, die an verschiedenen Stationen (Korsika, Rhegion, dann Elea) ihr Glück versuchte (ausführlich s.u.).
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die für diese Epoche ungewöhnliche Ausdehnung und Befestigung zeigen.²⁷⁹ Insofern ist die Aufgabe der Stadt angesichts der persischen Belagerung bemerkenswert, da die Befestigungsanlagen von Phokaia zu den stärksten der damaligen Zeit gehörten und durchaus denen von Sardis vergleichbar waren.²⁸⁰ Wenn es Milet gelungen war, den lydischen Angriffen durch Alyattes über 14 Jahre hinweg standzuhalten (s.o.), dann zeigt die Räumung der Stadt, zu der sich die Phokäer offenbar gemeinschaftlich entschlossen, daß der persische Angriff mit einer unerhörten Wucht vorging und Widerstand – wie das Schicksal der anderen ionischen Poleis auch belegt – zurecht als aussichtslos angesehen wurde.²⁸¹ Allerdings dürfte das Bild, das Herodot von den Ereignissen zeichnet, in machen Aspekten zu stark vereinfacht sein. Man geht heute davon aus, daß die Auswanderung aus Phokaia in mehreren Wellen stattfand.²⁸² Wie Herodot beschreibt, so führte der Weg die Phokäer erst nach Chios, dann nach Korsika (Kyrnos), wo sie sich in ihrer schon früher gegründeten Kolonie Alalia niederließen.²⁸³ Dort konnten sie zwar den Angriff der Etrusker und Karthager abwehren (mit einem sog. kadmeischen Sieg ihrer Flotte),²⁸⁴ doch waren die Verluste so groß, daß sie aus Alalia wieder abzogen und nach Rhegion fuhren und schließlich von dort aus Elea gründeten,²⁸⁵ wo sich ihnen auch Xenophanes anschloß, wenn er nicht schon vorher an ihren Versuchen der Ansiedlung beteiligt war.
Die Stadtmauer muß mehr als 5 km umfaßt haben, wie die Ausgrabungen gezeigt haben: Özyigit 1994, 84. Vgl. dazu ausf. Greaves 2010, 160 f. und Özyigit 1994. Greaves 2010, 163: „Archaeological evidence from Phokaia shows that in the Persian siege of 546 bc, the gates were burnt and arrows and catapults were fired. One stone catapult recovered from the scene, which weighs 22 kg and is 29 cm in diameter, is the earliest example known to date and shows that the Persians had other tactics and technologies at their disposal that are not mentioned in texts.“ Gassner 2003, 242. Es muß auch noch weitere Niederlassungen der Phokaier aus dieser Zeit gegeben haben, so weist z. B. Thuk. 5,4,4 auf ein phokä isches Viertel in Leontinoi hin. Ausführlich zu diesen Siedlungsbewegungen der Phokaier Gassner 2003, 242 f. Hdt. 1,166: Nach dem Kampf zwischen Eteokles und Polyneikes, in dem beide zu Tode kamen, später als Pyrrhus-Sieg bezeichnet. Für diese Gründungsphase von Elea (ursprünglich Hyele, dazu Vecchio 2017, 72 f.) sind vor allem die Grabungen auf der Akropolis relevant, die gezeigt haben, daß die Siedlung der ersten beiden Generationen nach der Grü ndung der Stadt auf der Akropolis lag sowie auf dem im Osten anschließenden Hü gel und noch nicht von einer Stadtmauer umgeben war. Die Ausrichtung der Gebäudestrukturen zeigt von Beginn an eine planerische Konzeption, dazu Gassner 2015 (i. Druck). Greco (2012, 1017) schätzt die Größe der Phokaier-Gruppe, die sich dort niederließ, ausgehend von Herodots Angabe, daß nach der Schlacht bei Alalia und den hohen Verlusten der Phokaier (Hdt. 1,166 ff.) nur noch 20 Pentekonteren funktionstüchtig waren, auf ca. 4– 5000
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Auch die Einwohner von Teos haben ihre Stadt verlassen und sich in Abdera in Thrakien angesiedelt.²⁸⁶ An dieser Koloniegründung der geflohenen Einwohner aus Teos hat auch der Dichter Anakreon teilgenommen, der sich dann später erst nach Samos an den Hof des Tyrannen Polykrates begab und danach dem attischen Tyrannen Hipparch zuwandte (s.u. Kap. III.1). Herodot betont mehrfach, daß nur die Phokäer und die Einwohner von Teos Ionien verließen und daß nur diese die Versklavung durch die Perserherrschaft so sehr verabscheuten, daß sie ihre Heimat aufgaben.²⁸⁷ Der Gegensatz zwischen Freiheit und Knechtschaft in Verbindung mit der Selbstbestimmtheit und der Gemeinschaftsbezogenheit des Bürgerhandelns wird hier, wie etwa auch im weiteren Verlauf der ionischen Geschichte, schon deutlich und Herodot akzentuiert ihn später noch stärker. Aus dem Kontext des Schicksals der beiden Poleis Teos und Phokaia, deren Handeln von Herodot so hervorgehoben wird, sind Inschriften erhalten, die einerseits zeigen, daß ein Teil der Bevölkerung tatsächlich bald nach der spektakulären Auswanderungsaktion wieder in die Ursprungspolis zurückgekehrt sein muß (Hdt. 1,165,3) und beide Poleis jeweils eine bedeutende Stellung als Metropolis gegenüber den Koloniegründungen einnehmen konnten.²⁸⁸ Andererseits wurde gerade in diesen beiden Fällen eine besondere Beziehung zwischen Mutterstadt und Neugründung etabliert. Diese läßt Rückschlüsse darauf zu, wie das von Herodot beschriebene Gemeinschaftsdenken in beiden Poleis konkrete Regelungen der öffentlichen Praxis bestimmt hat. Es handelt sich um die Bestimmungen aus Teos (ML 30) sowie gemeinsame Festlegungen für Teos und das von Teos aus nach dem Auszug aus Ionien neugegründete Abdera (SEG 31,985).²⁸⁹ In der nur Teos betreffenden Inschrift werden verschiedene Bereiche geregelt bzw. unter Strafe und Verfluchung gestellt. Derjenige und seine Nachkommen, der sich folgender Handlungen schuldig macht, soll verflucht sein: Wer Gift oder Ähnliches gegen das Xynon einsetzt, wer eine Gefährdung der Getreideversorgung
Personen, Gassner 2003, 248 schätzt demgegenüber 9.600 – 12.800 Personen. In den Jahren zwischen 480 – 470 v.Chr. ist Elea tiefgreifend umgestaltet worden, die Wohnbebauung auf den Hügeln wird aufgegeben und diese Gebiete stattdessen zu Heiligtü mern umgestaltet. In der Unterstadt werden Lehmziegelhäuser in regelmäßiger Anordnung errichtet, dazu Gassner 2015 (i.Druck) und 2018 (i.Druck). Hdt. 1,168. Hdt. 1,164,2; 169,1; 169,2. Zu der wirtschaftlichen und kulturellen Situation in Teos Kadıoğlu et al. 2015. Koerner Nr. 78 (= ML 30) und Nr. 79. Koerner folgt in Nr. 79 den Lesarten und Ergänzungen von Herrmann 1981, 1– 30; vgl. Merkelbach 1982, 212– 213, der für Herrmanns Ergänzungsvorschlag zu B3 – 9 der jüngeren Inschrift eine andere Variante vorgeschlagen hat. Ältere Editionen: Dittenberger-Hiller, Sylloge3 37/8; Tod, GHI 23; Schwyzer 1923, 710; Buck 1998, Nr. 3; Solmsen/ Fraenkel 1930, 55.
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verursacht, wer einen Aisymneten einsetzt, wer Straßenraub und Seeräuberei betreibt, wer dem Xynon der Teier einen schlechten Rat gibt hinsichtlich der Griechen oder Barbaren, wer als Timuch diese Beschlüsse nicht bei der öffentlichen Versammlung bekannt gibt und schließlich wer die Buchstaben der Inschrift in irgendeiner Weise beschädigt. Eine zweite, sowohl Teos als auch Abdera betreffende Inschrift droht gleichlautende Verfluchungen für diejenigen an, die als Amtsinhaber betrügen. Es folgen, in Form eines Schwurs in der ersten Person formuliert, die Verpflichtungen, weder Aufstand noch Stasis zu entfachen, niemanden anzuklagen, des Vermögens zu berauben, festzusetzen oder zu töten, es sei denn in Teos habe dies ein Gremium von 200 Bürgern oder mehr beschlossen. Grundlage eines solchen Beschlusses solle in jedem Fall ein Gesetz sein. Für Abdera wird dasselbe gelobt, allerdings sollte das Gremium aus 500 oder mehr Mitgliedern bestehen.²⁹⁰ In einer weiteren Eidesbestimmung wird gelobt, keinen Aisymneten einzusetzen. In dem folgenden Passus, der nicht erhalten ist, aber offenbar nicht den Eid fortsetzt, sondern an die allgemeinen Festlegungen vom Anfang der Inschrift anschließt, werden einheitlich für beide Poleis und das Territorium von Teos Verbote mit Fluchandrohungen ausgesprochen. Es folgt der Zeitpunkt der regelmäßigen Verkündungen, wobei hier wörtlich die Passage aus der nur Teos betreffenden Inschrift wiederholt wird, jedoch ergänzt um die entsprechenden Angaben zu Abdera (hier ist die Fluchformel durch die Hinzufügung der Abderiten ergänzt: ἐκ Τέω καὶ ᾿Aβδήρων καὶ γῆς Τηίης nach dem ü blichen τοῦτον ἀπόλλυσθαι), so daß sich die Verfluchung auf die Städte Teos und Abdera sowie das Territorium von Teos erstrecken sollte.²⁹¹ Als zeitliche Einordnung ist aufgrund der paläographischen und sachlichen Aspekte (z. B. der Nennung von Ἕλληνες und βάρβαροι in Β, Z. 26 [Koerner Nr. 78 = ML 30], Gefahr durch Land- und Seeräuberei B, Z. 18 f. [Koerner Nr. 78 = ML 30]) ein Zeitpunkt vor der Gründung des Attischen Seebundes vorgeschlagen worden.²⁹² Dafür spricht auch, daß der ganze Tenor beider Inschriften derjenige einer intensiven Abwehr drohender Gefahren ist.²⁹³ Die mittlerweile gut belegte Blüte der Polis Teos im 6. Jahrhundert v.Chr. zeigt, daß sich die Stadt auch unter der
Gauthier 1990, 85 ff. zu Teos: 600 oder 200/500 in Abdera, die Zahlen sind jedoch nicht sicher. Herrmann 1981, 22. Kirchhoff 1867, 12 f.: Aufgrund der Buchstabenformen ist eine zeitliche Nähe zu IvOl 76 – 77 gegeben; Herrmann 1981, 25. Herrmann 1981 a. a.O.
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persischen Herrschaft positiv weiter entwickelt hat, so daß die Situation in Teos der Datierung der Inschrift nicht entgegenstehen würde.²⁹⁴ Auffällig ist in beiden Inschriften, daß die Polis Teos als ein Xynon der Teier bezeichnet wird (in Koerner Nr. 78 A, Z. 2– 3 und B, Z. 25 = ML 30 A, Z. 2– 3 und B, Z. 25), obwohl gleichzeitig auch die Bezeichnung als Polis verwendet wird (in Koerner Nr. 78 B, Z. 12/13 und in Koerner Nr. 79 A, Z. 19 (= Herrmann S. 7, Z. 19). Aber auch die Polis Abdera wird Xynon genannt (Koerner Nr. 79 C, Z. 1 = Herrmann S. 8, Z. 2).²⁹⁵ Die Inschriften geben keine direkte Auskunft darüber, ob und welche Verfassungsform in den beiden Poleis etabliert war. Mittelbar ist höchstens zu schließen, daß die Mehrheitsentscheidungen für die Festsetzung der Kapitalstrafen und des Vermögensentzugs einen Hinweis auf eine demokratische Verfassung sein könnten.²⁹⁶ Fü r Teos ist festgelegt, daß eine Verurteilung nur auf gesetzlicher Grundlage geschehen durfte: ἂμ μὴ ὐπ[ο] πόλεω[ς] : ν[ό]μο : καταλαφθέν[τ]α (siehe Koerner 79 A, Z. 9). Willkür und Lynchjustiz sollten so ausgeschlossen werden. Auch für das Verbot, einen Aisymneten einzusetzen, galt, daß offenbar eine Mehrheitsentscheidung für eine derartige Einführung ausgeschlossen werden sollte – dies kann als ein Hinweis auf zeitlich noch naheliegende Tyrannenherrschaften verstanden werden, und es könnte sich auf die von den Persern eingesetzten Tyrannen beziehen, obwohl für diese nicht bekannt ist, daß sie als Aisymneten bezeichnet worden wären. Die bekannten Fälle der Aisymnetie wie die des Pittakos von Mytilene, ev. auch eine solche des Solon und Peisistratos²⁹⁷ sind allerdings alle mit einem Element der Bestimmung durch das Volk verbunden, weshalb Aristoteles die Aisymnetie mit einer gewählten Tyrannis vergleicht.²⁹⁸ Da er die Aisymnetie unter den Formen der Königsherrschaft aufzählt, scheint auch Aristoteles dabei an eine ältere Form der Alleinherrschaft zu denken.²⁹⁹ Das strikte Verbot der Aisymnetie in Teos und Abdera, das explizit einen diesbezüglichen Volksbeschluß, selbst wenn er per Mehrheitsbeschluß zustande
Kadıoğlu et al. 2015, 345 – 366. Koerner 299 im Kommentar fand dies ebf. auffallend und hätte hier Polis erwartet. Er führte dies jedoch darauf zurück, „daß das Gemeinwesen (κοινόν) der Teier umfangreicher als eine πόλις war.“ So Herrmann 1981, 18, dagegen Koerner 306. Vgl. dazu Fadinger 2016, 47– 63. Herrmann 1981, 18 mit Verweis auf Aristoteles’ Bemerkungen zur Aisymnetie (αἱρετή τυραννίς) pol. 1285a31 und 1285b26. Hose 2002, Frg. 524 R3 (530, 1 + 2 Gigon): Über die Verfassung der Kymäer (aus der Hypothesis zu Soph. O.R.).
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kommt, ablehnt, ist, wie zurecht von Koerner betont wurde,³⁰⁰ nicht als Schutz einer demokratischen Ordnung zu verstehen. Da das Verb αἰσυμνᾶν ebenfalls für andere ionische Poleis wie Megara und Selinunt überliefert ist,³⁰¹ kann die Wahl zu dem ‚Amt‘ des Aisymneten an sich nicht der anstößige Aspekt sein, der zu diesem Verbot Anlaß gab. Das Verbot definiert hier in der Inschrift der Teier eine bestimmte Weise des Zusammenwirkens in der Gemeinschaft der Bürger: Da die mögliche Mehrheitsentscheidung eines Demos für einen Aisymneten vollständig ausgeschlossen wird,³⁰² liegt in dem Verbot eine Grenzziehung, die sich die Gemeinschaft selbst auferlegt hat. Die Mehrheitsentscheidung wird in diesem Fall durch das Xynon der Teier beschränkt und somit die Gesamtheit als Ganze über Mehrheitsentscheidungen gestellt. Wie schon die Nebeneinanderstellung von Xynon der Teier und Idion – d. h. der Gemeinschaft als Ganzer und ihrer Individuen – am Anfang der älteren Inschrift zeigt (die wahrscheinlich die älteste Passage der Inschrift überhaupt ist), wird nicht nur der Schaden für die Gemeinschaft als Ganze, sondern auch der Schaden, der einem Einzelnen in dieser Gemeinschaft zugefügt wird, als Angriff auf die Gesamtheit verstanden. Genauso wird die Machtstellung eines Einzelnen, wie auch immer sie möglicherweise legitimiert wäre, als Schaden für die Gemeinschaft betrachtet. Damit wird deutlicher, was Xynon in dieser Inschrift bedeutet: Das, was die Gemeinschaft ausmacht, ist mehr als die institutionelle Organisation eines politischen Prozesses, wie es eine Mehrheitsentscheidung durch Wahl zum Aisymneten wäre. Denn die Repräsentation über eine Wahl begründet eben noch nicht an sich eine Gemeinschaft im existenziellen Sinn, die das Ganze repräsentieren würde. Erst wenn die Verpflichtung aller auf den Nomos der Polis gemeinschaftlich hergestellt ist und nicht durch Mehrheitsentscheidung ausgehebelt werden kann, ist das Xynon geschützt. Möglicherweise ist diese Vorstellung, wie das Xynon gemeinschaftlich bewahrt werden soll, auch die Erklärung dafür, warum in der jüngeren Inschrift in diesem Teil zu einer Eidesformel in der ersten Person gewechselt wird: Es könnte sich um einen Amtseid gehandelt haben, der in beiden Poleis in identischer Form geschworen wurde und so die Kooperation zwischen den beiden Poleis noch verstärken sollte. Die Art und Weise, wie Teos und Abdera hier zusammenwirken, Mutterstadt und Kolonie, gilt eher als Ausnahmefall denn als Regel und es ist diskutiert worden, ob es sich bei dieser Verbindung um eine Sympolitie gehandelt haben Koerner 1993, 299 gegen Herrmann 1981, 24. Hose 2002 a. a.O. 182 mit Verweis auf Passow-Crönert s.v. αἴσυμνος Sp. 177. Als Verb versteht es hier in der Inschrift Merkelbach 1982, anders Herrmann 1981. Vgl. die Diskussion in Athen zum Beschluß über Mytilene und das von Thuk. 3,37– 48 dazu sehr grundsätzlich gestaltete Rededuell zwischen Kleon und Diodotos.
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kann, innerhalb derer beide Orte ein einheitliches Gemeinwesen bildeten.³⁰³ Indizien dafür wären der πόλεως νόμος (Koerner Nr. 79 A, Z. 19), der nur einmal fü r Teos genannt wird, aber wahrscheinlich für beide galt. Die kombinierte Fluchund Verbannungsklausel fü hrt neben Teos und Abdera nur die γῆ Τηΐη̣ς an (Koerner Nr. 79 B, Z. 9). Bei den Mehrheitsbeschlü ssen werden beide Orte angefü hrt (A, Z. 16 – 32 οἱ ἐν Τέωι – ἐν δὲ ᾿Aβδήροισιν). Herodot wiederum spricht von den „Teiern in Abdera“ (Hdt. 1,168: ὑπὸ Τηίων τῶν ἐν ᾿Aβδήροισι). Vermutlich sind in den beiden Inschriften, auch wenn sie sich eng aufeinander beziehen, zeitlich ganz unterschiedliche Perioden zusammengefaßt, wofür zuallerst das Nebeneinander von unterschiedlichen Bezeichnungen für die beiden Gemeinwesen (Xynon der Teioi, Polis) spricht, ebenso die deutliche Abgrenzung von einer Aisymnetenherrschaft und die Tatsache, daß für beide Poleis je eigene Volksversammlungen und Gerichte genannt werden.³⁰⁴ Diese Aspekte lassen sich nicht endgültig klären, zeigen jedoch zumindest, daß die Verbindung zwischen Teos und Abdera ein Koinon bildete,³⁰⁵ das von den beiden Poleis selbst als solches aufgefaßt und bezeichnet wurde. Ein Vergleich mit Phokaia, das von Herodot ebenfalls als ein Ausnahmefall unter den ionischen Poleis beschrieben wird, da auch die Einwohner von Phokaia ihre Stadt aufgegeben haben und ausgewandert sind, gibt hier weitere Anhaltspunkte. Wie Teos hat Phokaia im Gefolge der Flucht aus Ionien mit dem unteritalischen Elea eine Kolonie gegründet, mit der über sehr lange Zeit engste Verbindungen bestanden.³⁰⁶ Sowohl in Teos und Abdera wie auch in Phokaia und Elea setzt direkt nach den Neugründungen eine Münzprägung ein, die auf eine enge Kooperation zwischen Mutterstadt und Neugründung hinweist. In beiden Fällen ist jeweils für einen Teil der gleichzeitigen Münzprägungen, die aus der Frühzeit der Koloniegründungen stammen, das Hauptsymbol sowohl in der Mutterstadt wie auch der Kolonie verwendet worden: Auf dem Revers ist der Greif in Abdera nach links gewendet, in Teos nach rechts.³⁰⁷ Die Zirkulation dieser
Vgl. van Alfen 2014, der nicht ganz so skeptisch ist, wie es noch Herrmann 1981 war. Van Alfen 2014, 638 mit einer kurzen Übersicht der bisherigen Positionen, die die Frage diskutieren, ob Teos und Abdera eine Sympolitie begründet haben, wobei die Forschung dazu überwiegend eine ablehnende Position bezogen hat. Larsen 1968 behandelt diese frühen Fälle Teos/Abdera, aber auch Phokaia/Elea nicht. Zu der Finanzierung der Stadtmauer durch den König von Tartessos (Hdt. 1,163) sowie die bei Herodot beschriebenen, vergeblichen Versuche der Phokäer, sich anzusiedeln, s. o. Kap. II.1.1. Mackil/van Alfen 2006, 201 ff. zu den Formen von kooperativen Münzprägungen; ausführlich van Alfen 2014, 645 f., der zeigt, daß für Phokaia, obwohl genauere Belege fehlen, der fast gleichzeitige Gebrauch des Löwen-Typus aus Elea auf den phokäischen Münzen kein Zufall gewesen sein kann, sondern Beleg für die enge Verbindung ist.
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Münzen scheint auf die nordwestlichen Teile Kleinasiens beschränkt gewesen zu sein. Der Transaktionswert dieser Münzen war hoch und der Umlauf scheint eher auf eine externe als auf eine interne Nachfrage hin ausgerichtet gewesen zu sein, möglicherweise für den Handel in der Schwarzmeerregion und vielleicht auch nur für den Verkauf an Händler.³⁰⁸ Bezeichnenderweise waren jedoch die Gewichtsstandards beider Münzen nicht gleich. Dies spricht dafür, daß beide Poleis, trotz der engen administrativen und anderen Verbindungen, unterschiedliche und grundsätzlich unvereinbare monetäre Systeme benutzten, die mehr auf ihre lokalen Geldbedürfnisse als aufeinander abgestimmt waren. Van Alfen hat gezeigt, daß es auch bei den Münzen aus Phokaia und Elea, die vor 500 v.Chr. geprägt wurden, Übereinstimmungen in den Gewichten, der Denomination und auch bei den Motiven der Vorderseiten gibt, jedoch wiederum keine vollständige Identität. Im Unterschied zu den Münzen aus Teos und Abdera läßt sich aber für die phokäischen Drachmen zeigen, daß sie in demselben Wirtschaftsraum zirkulierten und dies eine bewußte Entscheidung gewesen sein muß, da die Prägungen sowohl administrativ als auch technisch aufeinander abgestimmt wurden.³⁰⁹ Einerseits ist dies von der politischen Symbolik her ein sehr starker Ausdruck der Gemeinschaft, andererseits zeigen aber die unterschiedlichen Gewichtsstandards der Münzen aus Phokaia und Elea ebenso wie diejenigen aus Teos und Abdera, daß die Münzen nicht für einen direkten Austausch gedacht waren.³¹⁰ Ob diese Münzprägung als symbolischer Ausdruck eines gemeinsamen, kulturellen Selbstverständnisses zu verstehen ist oder ob dahinter auch eine institutionell organisierte Struktur stand, läßt sich zwar nicht rekonstruieren,³¹¹ aber zumindest läßt sich für diese Zeit das Verhältnis zwischen Mutterstadt und Neugründung nicht mit dem stark hierarchischen Gefälle der üblichen Metropolis-Apoikia Beziehung vergleichen. Vielmehr läßt sich erkennen, daß Teos und Abdera wie auch Phokaia und Elea sich als Gleiche, als zwei Teile ein und derselben Gemeinschaft
Van Alfen 2018, 342. Zu den Münzen von Elea: Cantilena 2006, 423 – 460. Dies zeigt van Alfen 2014 anhand der Funde aus dem Münzhort in Tarent (IGCH 1874) mit phokäischen Drachmen und solchen aus Elea. Vgl. van Alfen 2018, 345 und Vecchio 2017, 85 f. Van Alfen 2014, 646. Van Alfen 2014, 647. Vgl. van Alfen a. a.O. 644: „Whether their post-relocation starting point was formalized as a type of sympoliteia, isopoliteia or something else we don’t know, but equality and integration must have been key components, however the relationship was structured.“ Und van Alfen 2018, 345 mit einer ähnlichen Mahnung zur Vorsicht im Hinblick auf die Schlußfolgerungen, die aus diesen Münzkooperationen zu ziehen sind.
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mit einer Identität ansahen, ohne daß von der Mutterstadt eine hegemoniale Kontrolle ausgeübt wurde.³¹² Ausgehend von Herodots Bericht, daß es nur diese beiden Poleis waren, die sich den Persern nicht ergeben wollten und daher sogar bereit waren, alles aufzugeben und ausgehend davon, daß nur diese beiden Poleis eine solche Art von Münzkooperation über das Mittelmeer hinweg mit ihren Neugründungen etablierten, ist zu vermuten, daß es gerade die besondere, kooperative Ausprägung ihres bürgerlichen Gemeinsinns gewesen ist, die einerseits zu dieser ungewöhnlichen Münzprägung, andererseits zur Hervorhebung der beiden Poleis bei Herodot geführt hat.
2. Chios Wie die Strukturen der beiden Poleis und die Organisation der Kooperation mit den Neugründungen im politischen Prozeß organisiert waren, ist nicht bekannt. Ein sehr frühes und in dieser Art singuläres Beispiel dafür, wie in Ionien eine solche auf die Partizipation der Gemeinschaft eines gesamten Demos hin ausgerichtete Infrastruktur organisiert worden war, ist Chios. Die aus Chios erhaltene Inschrift Koerner Nr. 61 = ML 8, in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. datiert,³¹³ gibt einen Einblick in eine komplexe, repräsentativ organisierte Struktur:³¹⁴
Van Alfen 2014, 644. Z.T. wird die Inschrift auch Erythrai zugeordnet: dazu Effenterre/Ruzé 1994, Nr. 62 und Meiggs/Lewis Nr. 8 in ihren Kommentaren; vgl. Koerner 224 Anm. 1. ML 8 Chios: Gesetz (575 – 550 v.Chr.); Effenterre/Ruzé 1994, 264– 66; Koerner Nr. 61 und Jeffery, LSAG 414, Pl. 65, Nr. 41. Übersetzung aus HGIÜ Nr. 10: „(A) [Betreffs dessen, das geweiht ist] der Hestia, soll des Volkes | Satzungen (der Beamte) beachte[n ——— | ———], das (dies) besagt (?). Wenn ein (amtierender) Dema|rchos oder Basileus sich beste[chen läßt (?), soll˚ er˚ ——— |5 ———] der Hestia zahlen als Demarchos. Eintreiben soll der [——— | ———] wenn der Demos einberufen ist. | (Bei) Verurteilungen durch Überführen (?) doppelte Buße [——— | ———] so hoch wie von [———] (B) ———] das Berufungsverfahren | [———] wenn er Unrecht erleidet, beim | Demarchos | Stater[e ———] (C) Berufung einlegen soll er vor | dem Rat des Vol|kes. Am dritten (Tag) | nach den Hebdomaia (= dem 7. jedes Monats) |5 soll der Rat sich versammel|n, der des Volkes, d|er Buße auferlegen darf {oder: (bei Nichtversammlung) Buße zahlen muß}, der auserlesen is|t aus fünfzig (Männern) vo|n (jeder) Phyle. Und das and|10ere soll verhandelt werden, was das Vo|lk betrifft, und Prozesse, so|weit sie Gegenstand einer Ber|ufung geworden sin|d im (jeweiligen) Monat, alle|15samt [——— | ——— | ———]
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A [–––]κ̣ ατ̣ ης∶ Ἱστίης δήμο ῥήτρας⋮ φυλάσσω[ν –––] [–––]ον∶ ηρει∶ ἢμ μὲν δημαρχῶν∶ ἢ βασιλεύων∶ δεκασ̣[θῆι? –––] [–––]ς Ἱστίης ἀποδότω δημαρχέων⋮ ἐξπρῆξαι∶ τὸν ἐ[ξεταστὴν? ––] [–––]εν δήμο κεκλημένο αλοιαι τιμὴ διπλησ[ίη –––] [–––]ν̣ ὅ̣ σ̣ η̣ν̣ π̣αρ̣αλ̣ οι̣ ω̣[․]
B [․c...]η̣ν̣ δ’ ἥκκλητος δ̣ ί̣ [κη ––] [–––,] ἢν δὲ ἀδικῆται∶ παρὰ δημάρχωι∶ στατῆρ̣[ας –––]
C ἐκκαλέσθω ἐς βολὴν τὴν δημοσίην· τῆι τρίτηι ἐξ Ἑβδομαίων βολὴ ἀγερέσθω ἡ δημοσίη ἐπιθώϊος λεκτὴ πεντήϙοντ’ ἀπὸ φυλῆς· τά τ’ ἄλ[λ]α πρησσέτω τὰ δήμο καὶ δίκα[ς ὁ][ϙό]σαι ἂν ἔκκλητοι γένων̣ [τ][αι] τὸ μηνὸς πάσας ἐπι[․․․] [.․c.․.]σ̣ε̣ ε̣ ρ̣[․c.․.] [––––]
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D [–––– ᾿A]ρ̣τ̣ εμισιῶνος [––––]ων ὅρκια ἐπιταμνέτω ϙὠ̣ [μνύτω? ––] [––– β]α̣σιλεῦσιν. vacat
Wie Carmine Ampolo gezeigt hat,³¹⁵ bedeutet βολὴ δημοσίη hier nicht „Rat des Volkes“ (ein solcher müßte als βολὴ δημοτική bezeichnet worden sein), sondern Gesamt-Rat des Volkes.³¹⁶ In Chios gab es also bereits in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. einen Rat, in dem das Volk in seiner Gesamtheit repräsentiert war, sowohl die Elite wie auch das einfache Volk. Insofern spricht viel dafür, daß es in Chios tatsächlich nur einen Rat gab und nicht deren zwei, die als ‚Volksrat‘ und ‚Adelsrat‘ fungierten. Dies muß für diese Zeit noch ungewöhnlich gewesen sein und könnte erklären, warum der Demos mehrfach hervorgehoben wird.³¹⁷ Die Inschrift zeigt eine politische Organisationsform mit der Volksversammlung und dem Rat als repräsentativ zusammengesetztem Organ aus den Untergruppierungen, d. h. genau den infrastrukturellen Elementen, die zur praktischen Verwirklichung von Isonomie erforderlich sind. Die Umlandge-
(D) [———] (im Monat) Artemision | [———] soll˚ Eidesopfer schlachten und sch[wören (?) — —— | ——— den B]asileis. Vacat.“ Effenterre/Ruzé 1994, Nr. 62, 264 halten D für den Anfang der Inschrift. Gegen die Übersetzung ‚Rat des Volkes‘ vgl. oben im Text mit Anm. 315 und 316. Ampolo 1983, 401– 16. Der Gegensatz zu βολὴ δημοσίη wäre βολὴ ἱδία oder βολὴ ἱερά, so Walter 1993, 93. So auch Walter a. a.O. Anders Simonton 2017, 13, der die Ansicht vertritt, daß hier dem Demos eine letztbeschließende Funktion (in welcher Struktureinheit auch immer) zukäme. Vgl. Hübner 2019, 174.
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meinden in Chios sind bekannt,³¹⁸ die Ausdehnung des ländlichen Gebietes und die Zahl dieser ‘second order poleis’ war beträchtlich. Auch wenn der Begriff ‚Isonomie‘ in dem Kontext der hier besprochenen Inschrift nicht verwendet wird, so ist doch der Gedanke der Teilhabe die Grundlage der in der Inschrift niedergelegten Organisationsform. Die Organisation des Rates aus den Phylen heraus deutet daraufhin, daß hier in Chios der erste bekannte Fall eines überregionalen Zusammenschlusses mit repräsentativer Organisation der öffentlichen Angelegenheiten vorliegt, wie er später im Fall der Kleisthenischen Phylenreform (s. dazu unten Kap. III.3) mit dem Begriff der Isonomie verbunden wird. In verschiedenen historischen Umständen werden auf das Ganze der Polis bezogene, politische Formen sichtbar, die die Vorstellung von einer Gemeinschaft als überregionale Kooperation erkennen lassen. Die hier zu erkennenden politischen Organisationsformen sind nicht hierarchisch und zeigen eben jene partizipativen Elemente, die deutlich machen, in welchen Kontext der Ratschlag des Thales gehört.
II.2 Die Entwicklung der ionischen Isonomien 1. Isonomien von Samos bis Lade bei Herodot Herodot hält ausdrücklich fest, daß die Ionier, im Gegensatz zu dem, was später in Athen passiert, die von Thales und Bias empfohlenen Wege nicht einschlagen, sondern sich den Persern unterwerfen. Die weitere Entwicklung der Isonomie in Ionien charakterisiert Herodot anschließend anhand mehrerer Stationen bis hin zum Ionischen Aufstand. Die erste Isonomie, die Herodot auch mit dem Begriff als solche bezeichnet, sollte in Samos etabliert werden. Nach dem Tod des samischen Tyrannen Polykrates hat sein Nachfolger Maiandrios 522 v.Chr. versucht, die Tyrannis freiwillig niederzulegen und in Samos eine Isonomie einzurichten. Zuerst ließ er einen Tempel für Zeus Eleutherios errichten und grenzte für diesen einen heiligen Bezirk ab, danach rief er die Stadtbürger von Samos zusammen und verkündete ihnen (Hdt. 3,142,3): ἐγὼ δὲ ἐς μέσον τὴν ἀρχὴν τιθεὶς ἰσονομίην ὑμῖν προαγορεύω.³¹⁹ Er
S.o. Anm. 266 zu den Beispielen für ‘second order poleis’, die Rubinstein für Ionien und auch Chios aufführt. Die zitierte Inschrift zu den Bekanntmachungen in den ländlichen Regionen von Chios zeigt, daß eine erstaunliche Ähnlichkeit zu der späteren Kleisthenischen Phylenreform vorliegt. Falls die Inschrift aus Erythrai stammt, so würde sich dadurch der Sachverhalt nicht ändern: Vgl. Rubinstein 2004, a.a.O zu den ‘second order poleis’ von Erythrai. Hdt. 3,142,3: Ich aber lege die Herrschaft in die Mitte und verkünde Euch die Isonomie.
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wollte dies auch mit einigen Privilegien für sich verbinden und forderte daher sechs Talente aus dem Vermögen von Polykrates und fü r seine Familie die ewige Priesterwü rde des neuen Kultes für Zeus Eleutherios. Dieses Vorhaben scheiterte,³²⁰ da es auf Mißtrauen und Ablehung unter seinen Mitbürgern stieß, und so nahm Maiandrios wieder Abstand von seiner noblen Idee und blieb Tyrann. Herodot kommentiert etwas bissig: „Offenbar wollten die Samier gar nicht frei sein.“ (Hdt. 3,143,2). Da Herodot eine Zeit auf Samos gelebt und das Heiligtum dort mit eigenen Augen gesehen hat (Hdt. 3,142,2), sind seine diesbezüglichen Angaben zuverlässig.³²¹ Raaflaub hält diesen Bericht des Herodot, ausgehend von der Entstehung und Geschichte des griechischen Freiheitsgedankens, im Hinblick auf Konzeptionalisierung und Terminologie für eine historisierende Fiktion, die nicht dem 6., sondern dem 5. Jahrhundert v.Chr. angehört und durch ihre Nähe zu der Verfassungsdebatte – wie diese möglicherweise auch – anachronistisch ist. Die Verwendung von Isonomie in der Rede des Otanes im Kontext der Verfassungsdebatte (Hdt. 3,80) – von der Erzählzeit her fast gleichzeitig mit den Ereignissen in Samos – hat, wie die ganze Kontextualisierung der Debatte am Perserhof, zu unendlichen Diskussionen geführt. Die Vorstellung, daß aus Anlaß des Todes von Kambyses und der Verschwörung des Kreises um Dareios gegen den falschen Smerdis am persischen Hof eine Debatte abgehalten wurde, in der verschiedene Verfassungsformen in ihren Vor- und Nachteilen diskutiert worden sind, erscheint tatsächlich wenig vertrauenerweckend. Auch daß der Text dieser Verfassungsdebatte in vielem auf die perikleische Zeit verweist, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein.³²² Allerdings erklärt dieser Bezug nicht die eigentümliche Positionierung der Debatte im Kontext der Machtergreifung des Dareios, des entscheidenden persischen Gegenspielers der Ionier und des Inbegriffs eines Tyrannen. Die Erwähnung der Isonomie steht in der Verfassungsdebatte am Ende der Otanes-Rede: Die Herrschaft der Menge ist dadurch charakterisiert, daß βουλεύματα δὲ πάντα ἐς τὸ κοινὸν ἀναφέρει (Hdt. 3,80,6) und ἐν γὰρ τῷ πολλῷ ἔνι τὰ πάντα (in dem Vielen das Ganze) liegt. Dies bezeichnet Herodot als Isonomie, wobei er hier gar nicht von speziellen politischen Verfassungsformen in dem Sinn
Hdt. 3,142– 146. Auch Raaflaub 2000, 253 hält die zugrundeliegende Tradition für zuverlässig, sämtliche Einzelheiten des herodoteischen Berichts jedoch für anachronistisch. Vgl. Raaflaub 1985, 139: „An dieser Geschichte ist das meiste zweifelhaft.“ Ausf. dazu Raaflaub 2007, 158 in Raaflaub et al. 2007, der allerdings der Meinung ist, daß Herodot hier den Begriff der Isonomie verwendet, weil mit ‚Demokratie‘ die Gefahr der negativen Konnotation verbunden gewesen wäre.
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einer Ämterstruktur oder bestimmter Wahlmodi, Zugangsqualifikationen etc. spricht, sondern von sehr grundsätzlichen Dingen wie eben der Vorstellung vom Ganzen. Dieses wird erst durch einen Sinn für das Allgemeine ermöglicht, in dem sich das einzelne entfaltet. Das politische Konzept von Isonomie ist hier das Zusammenwirken aller, ohne daß einer bzw. ein einzelnes Element herausragt. Das κοινόν entsteht aus diesem Zusammenwirken ebenso wie Gesundheit aus demjenigen der Qualitäten (s.u. IV.3). So entsteht Isonomie, indem die Vielen gemeinsam für das κοινόν einstehen. Herodot verstärkt dies noch durch den Schluß der Verfassungsdebatte in Hdt. 3,83,1 (ὁ Ὀτάνης Πέρσῃσι ἰσονομίην σπεύδων ποιῆσαι, ἔλεξε ἐς μέσον αὐτοῖσι τάδε): Otanes tritt ἐς μέσον – wie auch Maiandrios in Samos oder auch Sophanes in der Auseinandersetzung mit Miltiades (Plut. Kimon 8,1: Σωφάνης ὁ Δεκελεὺς ἐκ μέσου τῆς ἐκκλησίας ἀναστάς) – und verzichtet, um des Zusammenhaltes der Gemeinschaft willen, auf eine weitere Auseinandersetzung. Otanes selbst möchte nicht Teil der neuen Ordnung sein, da er sich als Privileg erbittet οὔτε γὰρ ἄρχειν οὔτε ἄρχεσθαι – in dem Bild des sich abwechselnden Herrschen und Beherrschtwerden ist hier, zumindest als Anspielung, das Prinzip des demokratischen Wechsels/Machtwechsels evoziert und noch einmal auf das Lob der Isonomie angespielt. Zwischen dem Isonomie-Angebot des Maiandrios und demjenigen des Otanes gibt es in der herodoteischen Darstellung einen entscheidenden Unterschied: Maiandrios präsentiert seinen Vorschlag öffentlich und für einen breit vorgetragenen Plan spricht auch der Zusammenhang mit der Einrichtung eines Kultes für Zeus Eleutherios in Samos. Otanes hingegen spricht in einem winzig kleinen Kreis von Verschwörern und ebenso ist der Vorschlag, den er ἐς μέσον darlegt und in dem es um seine persönliche Privilegierung geht, auch nur eine Rede vor dem Kreis der Verschwörer. Herodot spielt hier mit mehreren Widersprüchen. Es ist kaum vorstellbar, daß ein kleiner Kreis von Verschwörern seine naturgemäß hochgeheimen Erwägungen soweit in die Öffentlichkeit dringen läßt, daß ein Generationen später schreibender, griechischer Historiker davon erfahren konnte. Das wußten die griechischen Leser Herodots ebenso, wie es Herodot selbst bewußt war, daß seine Leser dies wissen würden, so daß er den Effekt als solchen in seiner Darstellung sicher einkalkuliert hat. Der Gegensatz zwischen der Beschreibung dieser Geheimabsprache und der öffentlichen Proklamation des Mainandrios ist ein Wink an die Leser, ebenso wie der, den Herodot nach dem Ionischen Aufstand noch einmal platziert (Hdt. 6,43,3: ἐνθαῦτα μέγιστον θῶμα ἐρέω τοῖσι μὴ ἀποδεκομένοισι Ἑλλήνων Περσέων τοῖσι ἑπτὰ Ὀτάνεα γνώμην
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ἀποδέξασθαι ὡς χρεὸν εἴη δημοκρατέεσθαι Πέρσας).³²³ An dieser Stelle wird er noch wesentlich deutlicher und spricht seine Leser direkt an. Es geht darum, daß die Ionier endlich einen Frieden bekommen, aber es ist ein Frieden von Gnaden des persischen Satrapen Artaphernes und des persischen Feldherren Mardonios, der später als Feldherr des Xerxes zum furchtbarsten Gegner der Griechen wird. Insbesondere Athen wird bekanntlich durch die zweimalige Besetzung und Zerstörung der Stadt unter Mardonios zu leiden haben, jedoch – auch das wissen die Leser Herodots natürlich – leisten sie Widerstand und siegen am Ende. Daß ihnen das alles gelingt, vor allem aber auch, daß den Athenern das Hauptverdienst an diesem Sieg zukommt und daß es ihr Freiheits- und Kampfesmut ist, ist eines der Hauptthemen in Herodots Darstellung der Perserkriege. Herodots Vorgehen ist eine indirekte Metalepse, indem er mit impliziten Hinweisen vom Ausgang der Geschichte her einzelne Elemente der davorliegenden Ereignisse so ausgestaltet, daß die Leser die von ihm gestaltete Verbindung dazwischen auch wahrnehmen können. Diese zweite Erwähnung fällt in die Zeit um 490 v.Chr., ist also erzählchronologisch später als die Otanes-Rede bei Herodot. In diesem Bezug auf die Verfassungsdebatte und die Absicht des Otanes wird sogar ausdrücklich der Plan zur möglichen Einrichtung einer demokratischen Herrschaft in Persien angesprochen (ὡς χρεὸν εἴη δημοκρατέεσθαι Πέρσας, Hdt. 6,43,3). In der Verwendung von δημοκρατέεσθαι liegt kein Widerspruch zu der Isonomie in der Verfassungsdebatte, sondern lediglich eine andere Perspektive. Denn die unter persischer Herrschaft stehenden ionischen Poleis, in denen Mardonios eine andere strukturelle Organisationsform eingeführt hat, können gar nicht als Isonomien bezeichnet werden, weil ihnen die wesentliche Voraussetzung dazu fehlt. Zwar haben sie offenbar eine Organisationsform erhalten, in der politische Macht verteilt und strukturiert wird, aber dies ist noch nicht die Verwirklichung des Gemeinsinns in der Form eines Gemeinwohls aller Bürger; denn dieses schließt Subsumierung einer Polis unter einen Alleinherrscher oder eine Gruppe mächtiger Aristokraten aus.³²⁴ Eine interessante Parallele berichtet Herodot aus dem Skythenfeldzug des Dareios. Während des einige Zeit später oder vielleicht auch kurz nach der Machtergreifung von Dareios begonnenen Skythenfeldzuges sollen die von den Persern gestützten oder eingesetzten ionischen Tyrannen die für den Rückweg des Perserheeres unabdingbare Brücke über den Istros bewachen. Miltiades, der Hdt. 6,43,3: [Als Mardonios nach Ionien kam…] da will ich etwas berichten, großartig und wunderbar fü r die Griechen, die es nicht glauben wollen, daß Otanes damals den persischen Sieben vorgeschlagen hat, die Perser demokratisch zu machen. Vgl. Plat. leg. 695c – d zu Dareios: i.E. s.u. S. 205.
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spätere Sieger von Marathon und zu dieser Zeit noch Tyrann auf der thrakischen Chersones, schlägt vor, von den Persern abzufallen und Ionien zu befreien. Histiaios, der Tyrann von Milet, entgegnet dem, daß dann keiner der Tyrannen sich mehr in Ionien werde halten können, weil jede Polis eine Demokratie zu haben (δημοκρατέεσθαι) der Tyrannis vorziehen werde.³²⁵ Das überzeugt alle und die nächste Chance für Ionien ist vertan; allerdings geht bekanntlich Miltiades 20 Jahre später nach Athen zurück und wird dort ein sehr erfolgreicher, demokratisch legitimierter Stratege. Der Sieg bei Marathon als identitätsstiftende Leistung der Athener unter der Führung des Miltiades hat Athen als nicht nur Sparta ebenbü rtige Macht etabliert. Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, daß es Herodot hier um einen Querbezug zwischen der Brückendiskussion und der späteren Leistung des Miltiades im demokratischen Athen geht. Herodot impliziert dies mit voller Absicht in der Argumentation des Miltiades und verweist so auf einen ganz anderen Kontext, als er ihn in der Verfassungsdebatte beschreibt.³²⁶ Der nächste Tyrann, der eine Isonomie initiiert, ist Aristagoras von Milet. Geschwächt durch eine mißlungene Militäraktion gegen Naxos berät er mit einer Gruppe Gleichgesinnter, ob man vom Perserkönig abfallen sollte. Ähnlich wie bei der Beratung des ionischen Koinons werden auch hier von Herodot kluge Ratschläge berichtet, die u. a. auch Hekataios gegeben haben soll (Hdt. 5,36). Er empfahl, sich die Flotte und finanzielle Ressourcen zu sichern. Einen Teil der Ratschläge befolgte Aristagoras und dann, so Herodot (Hdt. 5,37), habe er seine Tyrannis niedergelegt und in Milet (Hdt. 5,37) eine Isonomie proklamiert. Nun betont Herodot, daß Aristagoras die Tyrannis λόγῳ niedergelegt habe (Hdt. 5,37,2). Wer denkt bei dieser Formulierung nicht sofort an Thukydides’ Nachruf auf Perikles (Thuk. 2,65,10), wonach Athen λόγῳ μὲν δημοκρατία, ἔργῳ δὲ ὑπὸ τοῦ πρώτου ἀνδρὸς ἀρχή war? Als Motiv des Aristagoras gibt Herodot (Hdt. 5,37,2) an, ὡς ἂν ἑκόντες αὐτῷ οἱ Μιλήσιοι συναπισταίατο (damit die Milesier aus eigenem Willen mit ihm zusammen abfielen). Hier war aber ganz offensichtlich nicht eine Aufgabe des Oberbefehls seitens des Aristagoras oder eine Einführung von repräsentativen oder überhaupt die Partizipation in irgendeiner Weise gewährleistenden Institutionen
Hdt. 4,137,2: βουλήσεσθαι γὰρ ἑκάστην τῶν πολίων δημοκρατέεσθαι μᾶλλον ἢ τυραννεύεσθαι. Miltiades ist bei Herodot eine ambivalente Figur: Durch seine Initiative bei Marathon kommt ihm ein großer Verdienst an dem Sieg zu, andererseits war er auch ein Tyrann und wurde immerhin in Athen deswegen angeklagt (Hdt. 6,104,2), und nach Marathon zeigt er in der ParosExpedition typisch tyrannische Züge (Verschweigen des eigentlichen Ziels der Expedition, frevelhaftes Verhalten, Hdt. 6,132– 136).
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gemeint. So wie Herodot den weiteren Verlauf schildert, bleibt Aristagoras der nach wie vor bestimmende Politiker in Milet. Hier wird, genauso wie in der Argumentation der Tyrannen an der Brücke über die Donau, ganz deutlich, daß die Isonomie für das gemeinschaftliche Streben im Sinne der gesamten Polis steht, das der Polis als Ganzer einen Nutzen bringen soll, jedoch nicht notwendigerweise mit institutionellen Strukturen unterlegt sein muß. Herodot sagt aber auch deutlich, daß es lediglich λόγῳ eine Isonomie war. Das kann bedeuten, daß es das Fehlen dieser institutionellen Grundlagen war, die Herodot kritisiert, oder es kann sich auf die allgemeinere Linie seiner Darstellung beziehen, die den Ioniern eine gescheiterte Aktion nach der anderen attestiert.³²⁷ Hierzu passen dann die erfolglose Mahnung des Dionysios von Phokaia vor der Schlacht bei Lade (Hdt. 6,11) und das Verhalten der Ionier in der Schlacht (Hdt. 6,13 – 15). Herodot zeigt, daß es das Fehlen eines Sinns für das Gemeinsame bei den Ioniern war, das zu der militärischen Niederlage in der Schlacht gegen die Perser führte. Denn das Ertragen der Mühsal und der Strapazen, die den Mannschaften der Schiffe wie Sklaverei vorkam, wäre nur mit dem Sinn für das Allgemeinwohl als höherem Ziel zu ertragen gewesen – aber genau dazu sind die Ionier nicht in der Lage.³²⁸ Herodot läßt den Phokaier Dionysios eine Rede an die Ionier halten, in der dieser die Alternativen auf den Punkt bringt: Hdt. 6,11: μετὰ δὲ τῶν Ἰώνων συλλεχθέντων ἐς τὴν Λάδην ἐγίνοντο ἀγοραί, καὶ δή κού σφι καὶ ἄλλοι ἠγορόωντο, ἐν δὲ δὴ καὶ ὁ Φωκαεὺς στρατηγὸς Διονύσιος λέγων τάδε· (2) Ἐπὶ ξυροῦ γὰρ ἀκμῆς ἔχεται ἡμῖν τὰ πρήγματα, ἄνδρες Ἴωνες, ἢ εἶναι ἐλευθέροισι ἢ δούλοισι, καὶ τούτοισι ὡς δρηπέτῃσι· νῦν ὦν ὑμεῖς ἢν μὲν βούλησθε ταλαιπωρίας ἐνδέκεσθαι, τὸ παραχρῆμα μὲν πόνος ὑμῖν ἔσται, οἷοί τε δὲ ἔσεσθε ὑπερβαλόμενοι τοὺς ἐναντίους εἶναι ἐλεύθεροι· εἰ δὲ μαλακίῃ τε καὶ ἀταξίῃ διαχρήσησθε, οὐδεμίαν ὑμέων ἔχω ἐλπίδα μὴ οὐ δώσειν ὑμέας δίκην βασιλέι τῆς ἀποστάσιος. (3) ἀλλ᾽ ἐμοί τε πείθεσθε καὶ ἐμοὶ {ὑμέας} αὐτοὺς ἐπιτρέψατε· καὶ ὑμῖν ἐγώ, θεῶν τὰ ἴσα νεμόντων, ὑποδέκομαι ἢ οὐ συμμίξειν τοὺς πολεμίους ἢ συμμίσγοντας πολλὸν ἐλασσωθήσεσθαι. Anschließend, nachdem die Ionier sich bei Lade versammelt hatten, kam es zu Versammlungen, und da sprachen natürlich auch andere, unter ihnen aber eben auch der Stratege aus Phokaia, Dionysios, der folgendes sagte: Auf des Messers Schneide, Ionier, steht unser Schicksal, ob wir frei werden oder entlaufene Sklaven sein werden. Wenn ihr bereit seid,
Cartledge 2009, 8 kommt daher mit seiner Argumentation: „for what in practice was to count as an ‘equal’ sharing of power, and who were the ‘people’ entitled to share it?“ auch genau zu dieser Schlußfolgerung: „Iso-nomia stood for the most general and unspecific principle of political equality“. Wichtig ist, daß man im 5. Jahrhundert v.Chr. ganz offenbar die Entstehung dieser Konzepte fest im 6. Jahrhundert v.Chr. verortete.
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Mühsal und Entbehrung auf euch zu nehmen, so werdet ihr zwar im Augenblick schwer daran tragen, es wird euch aber gelingen, die Gegner zu besiegen und frei zu sein. Wenn ihr aber in Schwäche und Unordnung verharrt, sehe ich keine Hoffnung fü r euch, euch der Strafe des Königs fü r den Abfall zu entziehen. Gehorcht mir also und vertraut euch mir an! So verspreche ich euch, daß dann die Feinde, wenn die Götter gleiches Recht geben, sich gar nicht erst mit uns einlassen oder, wenn sie sich mit uns einlassen, bei weitem unterlegen sein werden.
Die Wendung τὰ ἴσα νεμόντων, die Herodot hier mit συμμιγνύω kombiniert, knüpft in der Wortwahl an den der Isonomie zugrundeliegenden Gedanken an und nicht mehr an die distributiv-regulatorischen Gerechtigkeitsvorstellung, nach der durch göttliche Fügung das Schicksal der Menschen beeinflußt wird.Vielmehr wird ein ausgeglichener Zustand beschrieben, in dem der Prozeß zwischen Gleichen balanciert wird. Entscheidend in diesem Prozeß ist, welche Seite das größere Engagement für die gemeinsame Sache aufbringt (νῦν ὦν ὑμεῖς ἢν μὲν βούλησθε ταλαιπωρίας ἐνδέκεσθαι). Da die Ionier dazu nicht bereit sind, wie Herodot in den Reaktionen der Mannschaften auf das Verlangen nach hartem Training anschaulich beschreibt, versagen sie wieder einmal. Auch hier im Ionischen Aufstand scheint die Einführung der Isonomien für Herodot doch wieder nur eine der verpaßten Chancen der Ionier gewesen zu sein.³²⁹ Wie wichtig Herodot diese Verbindung von Gemeinsinn und dem Politischen als Grundlage des Gemeinwohls ist, zeigt er auch an einer anderen Stelle in seinem Werk, in der es um eine grundsätzliche Gegenüberstellung zwischen Griechen und Persern geht. Herodot setzt das Argument von Ausgleich und Balance ein, um deutlich zu machen, daß die Griechen aufgrund ihrer Lebensbedingungen abgehärtet und von unbändigem Freiheitswillen erfüllt sind. Als Xerxes seine Flotte für den Krieg gegen die Griechen inspiziert, läßt er den Spartaner Demaratos zu sich kommen, der sein Exil bei ihm verbrachte und Xerxes als besonderer Kenner der griechischen Verhältnisse beraten sollte. Demaratos warnt Xerxes vor dem Widerstandswillen der Spartaner, die sich nicht von der schieren Überzahl des persischen Heeres würden beeindrucken lassen, weil sie für ihren Nomos kämpfen und dieser die Grundlage für ihre gemeinschaftliche Stärke sei. Herodot läßt Xerxes die Warnung verlachen und legt ihm das Argument in den
Letztlich läuft die Ansicht Raaflaubs, daß Herodot vor allem aus der Sicht seiner Zeit und mit Bezug auf die Diskussion in Athen über die ionischen Isonomien geschrieben habe, genau darauf hinaus. Eine solche Skepsis ist nicht überraschend angesichts des bis vor wenigen Jahren verbreiteten Mißtrauens gegenüber Herodots Methode: Zu der Skepsis gegenüber Herodots Methode haben die Arbeiten von Fehling 1971 und Pritchett 1993 maßgeblich beigetragen. Vgl. demgegenüber Lateiner 1989. Zu dem komplexen Verständnis von Fiktion in der Arbeit des Historiographen Schubert/Sier 2012.
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Mund, daß er nicht einmal glaube, die Griechen – er überträgt Demaratos’ Aussage gleich auf alle Griechen – würden gegen sein Heer antreten, wenn die Heeresgröße ausgewogen wäre (Hdt. 7,103,4: δοκέω δὲ ἔγωγε καὶ ἀνισωθέντας πλήθεϊ χαλεπῶς ἂν Ἕλληνας Πέρσῃσι μούνοισι μάχεσθαι). Herodot verwendet hier mit ἀνισωθῆναι das distributive (ἀνά) und das auf Zahlengleichheit ausgerichtete Kompositum von ἰσόω. Da es allerdings am Ende genauso kommt, wie es Demaratos vorhergesagt hat, zeigt Herodot hier seinen Lesern wiederum, daß es eben nicht die Zahlengleichheit ist, die ausschlaggebend ist, sondern der Freiheitswille und die Bereitschaft, mit und für die Gemeinschaft zu kämpfen.
2. Heraklits Xynon und die Isonomie³³⁰ Ebenso wie Herodot hat sich auch Heraklit mit den politischen Umwälzungen seiner Zeit in Ionien befaßt. Nach Diogenes Laertius war das Werk Heraklits in drei Logoi geteilt gewesen (Diog. Laert. 9,5):³³¹ einen über das Ganze, einen weiteren über das Politische und schließlich einen Logos über die Theologie. Diese Nachricht weist darauf hin, daß Heraklit ein Interesse am Politischen gehabt haben muß. In welche Richtung dieses Interesse weist, ob und wie man es in einen zeitgenössischen Kontext einordnen kann, scheint durch verschiedene seiner eigenen Äußerungen deutlich zu werden: εἷς ἐμοὶ μύριοι, ἐὰν ἄριστος ἦι (DK 22 B49) wird als elitäre Verachtung der Menge verstanden, ebenso wie sein Ausspruch anläßlich der Exilierung seines Freundes Hermodorus, daß sich die Ephesier doch alle aufhängen sollten.³³² In diesen Fragmenten scheint eine deutliche Kritik an der Masse, dem Volk und dessen Unverstand zum Ausdruck zu kommen.³³³ Heraklits Kritik wird als Ausdruck eines elitären Denkens angesehen, das auf Distanz zur Mehrheit geht. Daher ist er als Gegner partizipativer Politikformen oder auch als apolitischer Philosoph betrachtet worden.³³⁴
Gekürzte und überarbeitete Version von Schubert 2017a, 131– 152. Diog. Laert. 9,5: Τὸ δὲ φερόμενον αὐτοῦ βιβλίον ἐστὶ μὲν ἀπὸ τοῦ συνέχοντος Περὶ φύσεως, διῄρηται δ’ εἰς τρεῖς λόγους, εἴς τε τὸν περὶ τοῦ παντὸς καὶ πολιτικὸν καὶ θεολογικόν. DK 22 B121 = Marcovich 105 (= Strab. 14,1,25 = Diog. Laert. 9,2): ἄξιον Ἐφεσίοις ἡβηδὸν ἀπάγξασθαι πᾶσι καὶ τοῖς ἀνήβοις τὴν πόλιν καταλιπεῖν, οἵτινες Ἑρμόδωρον ἑωυτῶν ὀνήιστον ἐξέβαλον φάντες· ἡμέων μηδὲ εἷς ὀνήιστος ἔστω, εἰ δὲ μή, ἄλλη τε καὶ μετ’ ἄλλων. Long 1964 und Diels a. a.O. konjizieren ἄνδρα nach Strabon in dem Text von Diogenes. Die Versionen bei Diogenes Laertius und Strabon unterscheiden sich deutlich. Vgl. DK 22 B17, 29, 104. Vgl. aber dagegen Sier 2012: „Indes wäre es einseitig, bei Heraklit nur das Ausschließende, ,Esoterische‘ und Elitäre zu registrieren. Das hieße ü bersehen, daß seine Philosophie zugleich ein großes Plädoyer fü r eine intersubjektiv-gemeinschaftliche Weltansicht darstellt.“ Ältere Positionen bei Guthrie 1969 („indifferent to politics“), 408 – 410; Kahn 1979, 3; McKirahan 1994,
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Gleichwohl haben ihn, so heißt es bei Diogenes Laertius, seine Mitbürger gebeten, der Stadt Ephesos Gesetze zu geben. Das erinnert an Solon,³³⁵ auch an andere der Sieben Weisen und könnte in einen allgemeinen Kontext zur Überlieferung herausragender Philosophen gehören. Allerdings widerspricht einer solchen Einordnung in eine allgemeine Traditionsbildung, daß etwa das Hermodorus-Fragment, das eine die Masse ablehnende Haltung zeigt, doch auf eine sehr spezifische, politische Situation hinweist und keinen Anlaß dazu gibt, an dem Bezug auf konkrete, historische Umstände zu zweifeln. Vermutet wurde bisher, daß diese Umstände mit dem Ionischen Aufstand zusammenhängen. Die Exilierung des Hermodorus sollen die Ephesier so begründet haben: „Von uns soll keiner der wertvollste sein oder, wenn schon, dann anderswo und bei anderen.“ (DK 22 B 121, ÜS DK).³³⁶ Das deutet auf ein dem Ostrakismos ähnliches Verfahren in Ephesos hin.³³⁷ Für die chronologische Einordnung gibt eine weitere Nachricht einen Hinweis, die Clemens Alexandrinus in seinen Stromateis überliefert:³³⁸ Clem. Al. strom. 1,14,65,4 = DK 22 A3: Ἡράκλειτος γὰρ ὁ Βλύσωνος Μελαγκόμαν τὸν τύραννον ἔπεισεν ἀποθέσθαι τὴν ἀρχήν. οὗτος βασιλέα Δαρεῖον παρακαλοῦντα ἥκειν εἰς Πέρσας ὑπερεῖδεν.
Clemens geht es in diesem Abschnitt dezidiert um Datierungen (u. a. des Thales, Solon, Xenophanes und Pythagoras) und er zählt der Reihe nach einiges auf, was
148; Naddaf 2005, 126 hält Heraklit sogar für einen Tyrannen: „However, it is tempting to see him as an enlightened tyrant who was interested in the rule of law, for the anecdote presents Hermodorus leaving for Rome to assist in composing their law […]“. Kahn 1979, 3: „Heraclitus will himself have had small sympathy for democracy understood in the Greek sense as rule by the greater number, […]“. Vgl. Vlastos 1947, 166: „[…] the philosopher’s contempt for the folly of the crowd […]“. Ein Überblick zu den Positionen im Hinblick auf Heraklits politische Einstellung bei Naddaf 2009, 125 – 128. S.o. Anm. 334. Graham 1, 2010, 194. Kirk/Raven/Schofield (KRS), 199 halten einen Bezug auf die Zeit nach 478 v.Chr. für unwahrscheinlich, allerdings nur aus dem Grund, daß die Lebenszeit des Heraklit nicht so weit ausgedehnt werden könne. Die Überlieferung bei Strab. 14,1,25 und Plin. NH 34,21 (= DK 22 A3a) bringt Hermodorus mit dem Zwölftafelgesetz in Verbindung. Chronologisch läßt sich dies durchaus lösen, ohne daß man komplett von der herkömmlichen Chronologie für Heraklit (Akme um 500 v.Chr.) abweicht, indem man eine sehr lange Lebensspanne für Heraklit annimmt und die Äußerungen zu Hermodorus sehr weit an das Ende eines langen Lebens setzt. Clem. Al. strom. 1,14,65,4 = DK 22 A3: „Heraklit aber, der Sohn des Blyson, überredete den Tyrannen Melankomas, seine Herrschaft niederzulegen. Dieser schlug die Einladung des Königs Dareios, nach Persien zu kommen, aus.“
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er u. a. auch aus Herodot recherchiert hat.³³⁹ Die chronologischen Informationen und der historische Kontext sind hier eindeutig: Eine Niederlegung der Tyrannenherrschaften in Ionien gab es nur zu Beginn des Ionischen Aufstandes im Jahr 499 v.Chr.³⁴⁰ Lediglich in Mytilene wurde der Tyrann Koës hingerichtet, die meisten dieser Tyrannen begaben sich an den Hof des Dareios, der sie aufnahm und später für Vermittlungsversuche in den Auseinandersetzungen mit den Ioniern einsetzte.³⁴¹ In Ephesos scheint es demnach zu dieser Zeit einen Tyrannen namens Melankomas gegeben zu haben, offenbar wie in anderen ionischen Städten ein Machthaber von Dareios’ Gnaden.³⁴² Die Nachricht bei Clemens verweist also nicht nur auf einen eindeutigen historischen Kontext, sondern sie sagt
Clem. Al. strom. 1,14,65 (Stählin): καὶ περὶ μὲν Ξενοφάνους εἴρηται, ὃς τῆς Ἐλεατικῆς ἦρξε φιλοσοφίας, Θαλῆν δὲ Εὔδημος ἐν ταῖς ᾿Aστρολογικαῖς ἱστορίαις τὴν γενομένην ἔκλειψιν τοῦ ἡλίου προειπεῖν φησι καθ’ οὓς χρόνους συνῆψαν μάχην πρὸς ἀλλήλους Μῆδοί τε καὶ Λυδοὶ βασιλεύοντος Κυαξάρους μὲν τοῦ ᾿Aστυάγους πατρὸς Μήδων, ᾿Aλυάττου δὲ τοῦ Κροίσου Λυδῶν. συνᾴδει δὲ αὐτῷ καὶ Ἡρόδοτος ἐν τῇ πρώτῃ. εἰσὶ δὲ οἱ χρόνοι ἀμφὶ τὴν πεντηκοστὴν ὀλυμπιάδα. Πυθαγόρας δὲ κατὰ Πολυκράτη τὸν τύραννον περὶ τὴν ἑξηκοστὴν δευτέραν ὀλυμπιάδα εὑρίσκεται. Σόλωνος δὲ ζηλωτὴς Μνησίφιλος ἀναγράφεται, ᾧ Θεμιστοκλῆς συνδιέτριψεν. ἤκμασεν οὖν ὁ Σόλων κατὰ τὴν τεσσαρακοστὴν ἕκτην ὀλυμπιάδα. Ἡράκλειτος γὰρ ὁ Βλύσωνος Μελαγκόμαν τὸν τύραννον ἔπεισεν ἀποθέσθαι τὴν ἀρχήν. οὗτος βασιλέα Δαρεῖον παρακαλοῦντα ἥκειν εἰς Πέρσας ὑπερεῖδεν. „Nun ist über Xenophanes, den Begründer der Eleatischen Philosophie, bereits gesprochen; was aber Thales betrifft, so sagte er, wie Eudemos in seiner Geschichte der Astrologie berichtet, jene Sonnenfinsternis voraus, die zu der Zeit eintrat, als die Meder unter dem König Kyaxares, dem Vater des Astyages, und die Lyder unter dem König Alyattes, dem Vater des Kroisos, in einer Schlacht miteinander handgemein wurden. Mit Eudemos stimmt auch Herodotos in seinem ersten Buch überein. Es war dies aber um die Zeit der 50. Olympiade. Bei Pythagoras aber steht fest, daß er zur Zeit des Tyrannen Polykrates um die 62. Olympiade lebte. Als ein Schüler Solons wird Mnesiphilos genannt, in dessen Schule Themistokles ging. Demnach fällt die Blütezeit Solons in die 46. Olympiade. Heraklit aber, der Sohn des Blyson, überredete den Tyrannen Melankomas, seine Herrschaft niederzulegen. Dieser schlug die Einladung des Königs Dareios, nach Persien zu kommen, aus.“ (ÜS Stählin, modifiziert) Kienast 2002, 9 f. gegen Berve 1967, I 104 und de Libero 1996, 362: Die „Niederlegung“ war nicht überall freiwillig oder ein ‚unbehelligtes Ziehenlassen der Tyrannen‘, sondern mit Verbannungsakten verbunden, aber eben, wie der Fall des Aristagoras in Milet zeigt (Hdt. 5,37 ff.), nicht immer und überall. Hdt. 5,38,2; 6,9,2. Dazu Georges 2000, 24; Kienast 2002, 10. Vermittlungsversuche vor der Schlacht bei Lade: Hdt. 6,9,2– 10. Vgl. Georges 2000; Kienast 2002; Wiesehöfer 2009 zu den Neuerungen, die nach Dareios’ Machtergreifung in der persischen Herrschaft über Ionien eingeführt wurden: Dazu gehörte nicht nur die finanzielle Reorganisation des Tributes, sondern offenbar auch eine andere, sehr viel striktere Etablierung von Dareios’ Günstlingen als Tyrannen. Georges 2000, 19 – 23 und Wiesehöfer 2009, 173 haben betont, daß insbesondere diese stärkere Eingliederung in persische Reichsstrukturen zunehmend zu Unzufriedenheit in Ionien geführt hat.
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viel über die Stellung Heraklits in Ephesos zur Zeit des Ionischen Aufstands aus.³⁴³ Sie zeigt nämlich nicht nur, daß Heraklit politisch außerordentlich einflußreich war, sondern auch, daß er, wie im Fall der Bitte, den Ephesiern Gesetze zu geben, als politisch wirkungsmächtige Autorität in der Öffentlichkeit angesehen wurde, und zwar sicher von der Mehrheit der Einwohner in Ephesos. Die Situation in Ephesos, in der Heraklit ganz offensichtlich aktiv in das politische Geschehen eingegriffen hat, muß die Zeit gewesen sein, in der in Ionien nach dem Sturz der Tyrannen zuerst in Milet und dann in ganz Ionien Isonomien eingerichtet wurden, wie dies von Herodot berichtet wird. Nicht nur Aristagoras legte seine Tyrannis in Milet nieder und richtete eine Isonomie ein, sondern dies geschah auch in den anderen Poleis Ioniens. Hdt. 5,37,2: καὶ πρῶτα μὲν λόγῳ μετεὶς τὴν τυραννίδα ἰσονομίην ἐποίεε τῇ Μιλήτῳ, ὡς ἂν ἑκόντες αὐτῷ οἱ Μιλήσιοι συναπισταίατο, μετὰ δὲ καὶ ἐν τῇ ἄλλῃ Ἰωνίῃ τὠυτὸ τοῦτο ἐποίεε, […].³⁴⁴
Selbst wenn man nun hieraus nicht ableiten kann, daß Heraklit in diesen Jahren direkt und persönlich in die Etablierung einer Isonomie in Ephesos involviert war, so ist vor diesem Hintergrund aber doch zu prüfen, ob die mit der Isonomie in Ionien zusammenhängenden Entwicklungen einen Niederschlag in Heraklits Werk gefunden haben. Der historisch-politische Kontext für eine politische Aktivität Heraklits in diesen Jahren muß von den entscheidenden Momenten des Ionischen Aufstands geprägt gewesen sein. Trotz seiner Äußerungen, die ihn als elitäreren Denker charakterisieren, enthält sein Werk doch viele Hinweise auf Gemeinschaftsstiftung und deren Bedeutung für die Polis.³⁴⁵ Diese werden jedoch meist nicht im Naddaf 2009, 127 ordnet hier auch DK 22 A3b ein; ausf. bei Gildemeister/Bücheler 1872, 438 – 462: Aus einem syrischen Text des Themistius ist zu entnehmen, daß die Ephesier während der Belagerung durch die Perser durch einen gewissen Heraklit überzeugt wurden, sich von Gerstenbrei zu ernähren; vgl. Plut. garr. 17,511b. „Und zuerst aber legte er (sc. Aristagoras) die Tyrannenherrschaft dem Namen nach nieder und errichtete für Milet die Isonomie, um die Milesier zur Teilnahme an der Revolte zu bewegen. Danach tat er im übrigen Ionien dasselbe, […]“. Wilson ergänzt vor λόγῳ; zur Begründung gibt er in seinen Herodotea (Wilson 2015, 98) an, daß λόγῳ auf eine Täuschung hinweise, Aristagoras hier aber eine Volksversammlung einberufen habe und insofern nicht ersichtlich sei, worin die Täuschung bestanden haben sollte. Dem ist entgegenzuhalten, daß Herodot sehr wohl in dem Verhalten des Aristagoras eine Art von Täuschung gesehen haben kann, da er dessen Verschlagenheit und Gier nach Herrschaft (Hdt. 5,30,3) als einen wesentlichen Faktor dafür ansieht, daß die κακά über Ionien kamen (Hdt. 5,30,1). Vgl. dazu Sier 2012 a. a.O.; Kahn und Graham zum Xynon s.u. Anm. 351 und 352; zum Verhältnis von Xynon zu Nomos: Ostwald 1969, 27 f. und unten Anm. 353.
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Zusammenhang mit der politischen Entwicklung Ioniens betrachtet und auch die vorherrschende Sicht, daß der attischen Isonomie, insbesondere durch und mit den kleisthenischen Reformen in Athen etabliert, Priorität zukomme, steht einem Interpretationsversuch, der Heraklit mit den ionischen Isonomien in Verbindung bringt, entgegen.³⁴⁶ Es ist allerdings wirklich auffällig, daß gerade einer der wichtigsten Begriffe der Heraklitischen Fragmente, das Xynon, eine politische Dimension und auch bemerkenswerte Verbindungslinien zu den ionischen Isonomien hat, wie Herodot sie beschreibt. DK 22 B114 (= Stob. Anthol. 3,1,179): ξὺν νόωι λέγοντας ἰσχυρίζεσθαι χρὴ τῶι ξυνῶι πάντων, ὅκωσπερ νόμωι πόλις, καὶ πολὺ ἰσχυροτέρως. τρέφονται γὰρ πάντες οἱ ἀνθρώπειοι νόμοι ὑπὸ ἑνὸς τοῦ θείου· κρατεῖ γὰρ τοσοῦτον ὁκόσον ἐθέλει καὶ ἐξαρκεῖ πᾶσι καὶ περιγίνεται. „Wenn man mit Verstand reden will, muß man sich stark machen mit dem allen Gemeinsamen (d. h. dem Verstand) wie eine Stadt mit dem Gesetz und noch viel stärker. Nähren sich doch alle menschlichen Gesetze von dem einen, göttlichen; denn dieses gebietet, soweit es nur will, und reicht aus für alle (und alles) und ist sogar noch darüber.“³⁴⁷ DK 22 B33 (= Clem. Al. strom. 5,14,115,2): νόμος καὶ βουλῆι πείθεσθαι ἑνός. Das Gesetz ist auch, dem Willen eines einzigen zu folgen. DK 22 B2 (= Sext. Emp. Adv. math. 7,133): διὸ δεῖ ἕπεσθαι τῶι κοινῶι· ξυνὸς γὰρ ὁ κοινός. τοῦ λόγου δ’ ἐόντος ξυνοῦ ζώουσιν οἱ πολλοὶ ὡς ἰδίαν ἔχοντες φρόνησιν. „Deshalb muß man dem Gemeinsamen folgen, d. h. dem Gemeinschaftlichen (denn „gemeinsam“ ist dasselbe wie gemeinschaftlich“). Obwohl aber der Logos gemeinsam ist, leben die vielen, als ob sie eine eigene Einsicht hätten.“³⁴⁸
So ganz explizit Ostwald 1969, 167. Anders Kahn 1979, 15, der Heraklit als den ersten politischen Philosophen betrachtet: „I note that Heraclitus’ restatement of this traditional view marks the birth of political philosophy proper and the beginnings of the theory of natural law, which will receive its classic statement by the Stoics working under his inspiration. Heraclitus’ own formulation is novel in three respects. He generalizes the notion of Justice to apply to every manifestation of cosmic order, including the rule of the jungle by which birds and beasts eat one another (LXXXII, D. 80). Secondly, human law is conceived as the unifying principle of the political community, and thus as grounded in the rational order of nature which unifies the cosmos. Finally, the unique status of human nomos and the political order is interpreted as a consequence of the common human possession of speech (logos) and understanding (noos), that is, as a consequence of the rational capacity to communicate one’s thoughts and come to an agreement (homologein in XXXVI, D. 50, echoing xyn legontas in XXX, D. 114).“ Trotzdem kommt Ostwald 1969, 27 f. zu dem Schluß, daß das Xynon nicht politisch aufzufassen, sondern auf einen göttlichen Nomos bezogen sei; Graham im Kommentar zu F98 (= DK 22 B121) äußert sich nicht ganz unähnlich. ÜS DK. ÜS Gemelli Marciano.
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DK 22 B44 (= Diog. Laert. 9,2,2): μάχεσθαι χρὴ τὸν δῆμον ὑπὲρ τοῦ νόμου ὅκωσπερ τείχεος. „Kämpfen soll die Bürgerschaft für ihr Gesetz wie für die Mauer.“³⁴⁹
Heraklit unterscheidet hier zwei verschiedene Konzepte von Nomos: den Nomos der Polis, der für die Ordnung der Polis steht (ὅκωσπερ νόμωι πόλις) und die menschlichen Nomoi (οἱ ἀνθρώπειοι νόμοι), die letztlich auf einen göttlichen Nomos zurückgehen.³⁵⁰ Dieser drückt sich im Logos aus, der eine allgemeingültige Norm für die Polis vorgibt.³⁵¹ Heraklit hat, so die Interpretation von Kahn, im Nomos das die bürgerliche Gemeinschaft der Polis Verbindende gesehen.³⁵² Insbesondere das γάρ in DK 22 B114 läßt erkennen, daß Heraklit diese beiden Arten von Nomoi (die menschlichen und die Nomoi der Polis) für identisch hält. Das ὅκωσπερ wiederum zeigt an, daß die Nomoi der Polis und das ξυνὸν πάντων analog gedacht sind.³⁵³ Hier ist der Nomos das, was auch den Gemeinsinn (Xynon) begründet. Das Xynon ist der Gemeinsinn, die gemeinschaftliche Praxis der Bürger in einer Polis, um das Gemeinwohl des Ganzen (das Koinon) in Kooperation zu verwirklichen.³⁵⁴
ÜS DK, nach νόμου steht in BP1F: ὑπὲρ τοῦ γινομένου. Ausführliche Diskussion zur Bedeutung von Nomos in DK 22 B114 bei Ostwald, 1969, 27 ff.: Bedeutung von Nomos als positives Gesetz erst später im 5. Jh. v.Chr. Für Marcovich 2001, 93 ad 23 (= DK 22 B2 = Sext. Emp. Adv. math. 7,133) zeigt sich hier, daß Heraklit „might have based his new Logos doctrine on the generally approved tradition and on common sense.“ Graham 1, 2010, 193 im Kommentar zu F93 – 94 = DK 22 B114: Heraklit scheint „to prefigure natural law theory, and certainly to believe in principles of law that transcend the city-state. The divine law must be, or be closely connected with the Logos, which itself is the structural principle of order.“ Kahn 1979, 3: „So Heraclitus, who discovered in what is shared or common to all (to xynon) the essential principle of order in the universe, recognized within the city the unifying role of the nomos, the structure of civic law and moral custom which protects the demos as the city wall protects all the inhabitants of the city (LXV, D. 44).“ Ostwald 1969, 27: „The identity of these human Nomoi with the Nomoi of the city, mentioned in the preceding sentence, is made abundantly clear not only by the context but especially by the gar which introduces the second sentence. Their all-inclusiveness makes it impossible to confine their meaning to any specific customs or political regulations, which thrive in the various citystates, and they must be taken in a wider sense as referring to the way of life or mores of a city as a whole. That this interpretation is correct is confirmed by Heraclitus’ analogy (ὅκωσπερ) of the nomos of the city with the Xynon panton, that is, with ʻwhat is common to all thingsʼ, and that is the logos.“ Diesen engen Zusammenhang von Nomos und Polis scheint auch Bias von Priene vertreten zu haben: Plut. Sept. sap. conv. 154d: ὁ Βίας ἔφησε κρατίστην εἶναι δημοκρατίαν ἐν ᾗ πάντες ὡς τύραννον φοβοῦνται τὸν νόμον. Plutarch läßt die Weisen an dieser Stelle explizit περὶ πολιτείας ἰσονόμου diskutieren, vgl. dazu unten S. 242 f.
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Das daraus abgeleitete Xynon steht über allem anderen, so daß bspw. eine Feuersbrunst, an sich ebenfalls die Polis gefährdend, weniger gefährlich erscheint als eine Überhebung/Hybris, in der sich der Einzelne von dem Streben nach dem Gemeinwohl verabschiedet zugunsten eigener Interessen, d. h. damit auch die Orientierung am Gemeinsinn aufgegeben hat:³⁵⁵ DK 22 B43 (= Diog. Laert. 9,2,1): ὕβριν χρὴ σβεννύναι μᾶλλον ἢ πυρκαϊήν.³⁵⁶
Dieses Konzept des Xynon ist etwas Spezifisches bei Heraklit, das in dieser Form bei den anderen Vorsokratikern nicht zu finden ist. Vlastos hatte es als „perfectly compatible with democratic politics“ bezeichnet,³⁵⁷ doch diese einfache Gleichsetzung mit demokratischer Politik geht zu weit. Gleichwohl hat das Xynon aber eine politische Dimension, die insb. in B2 mit der Gleichsetzung von Xynon und Koinon zum Ausdruck kommt. DK 22 B2 (= Sext. Emp. Adv. math. 7,133): διὸ δεῖ ἕπεσθαι τῶι κοινῶι· ξυνὸς γὰρ ὁ κοινός. τοῦ λόγου δ’ ἐόντος ξυνοῦ ζώουσιν οἱ πολλοὶ ὡς ἰδίαν ἔχοντες φρόνησιν.³⁵⁸
Diese Gleichsetzung ist nun sehr interessant, da sie einerseits zeigt, daß Koinon und Xynon das Gleiche meinen, jedoch nicht dasselbe sind. Der Begriff des Koinons, wie die bereits besprochenen Passagen aus Herodot zu dem Rat des Thales an die Ionier (Hdt. 1,170) und der Charakterisierung der Isonomie in der Verfassungsdebatte (Hdt. 3,80,6) zeigen, begegnet bei Herodot ebenfalls prominent und beschreibt wie bei Heraklit sowohl das Gemeinwohl als auch den dafür als Voraussetzung notwendigen Gemeinsinn, das Xynon.
Vlastos 1947, 175: „Thus Heracleitus in his own way remains within the general framework of equalitarian physics.“ Vlastos 1947, 166 zu DK 22 B114: „Here the law is clearly the „common“ thing in the polis, and as such the source of its strength. Hence „the demos must fight on behalf of the law as for the city-walls“ (Frg. B44), i. e., as for the supreme condition of its common freedom. Similarly, in Frag. B43, „hybris must be extinguished even more than a conflagration,“ the reference is again to a common peril.“ „Überhebung soll man löschen mehr noch als Feuersbrunst.“ (ÜS DK). Vlastos 1947, 166: „What is peculiar to Heracleitus is, rather, the doctrine of the ‚common‘: truth is the ‚common‘; the world is ‚common‘ and in the state, law is the ‚common.‘ This concept of the state as a community, united by a common stake in a common justice, is perfectly compatible with democratic politics.“ Marcovich 2001, ad 102 (= DK 22 B43): „[…] the whole saying follows an old political common place: ‘Social outbreak is as dangerous as a city-fire.’“ S.o. S. 93.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
Herodot und Heraklit zeigen, daß Stiftung von Gemeinsinn mehr ist als die institutionelle Organisation politischer Prozesse: Repräsentation im existenziellen Sinn, nicht nur im organisatorisch-institutionellen Bereich, sondern weit darüber hinausgehend, das Ganze, das Allgemeine umfassend. Der Nomos nimmt die Stelle ein (DK 22 B 33), an der die eigentliche Identifikationsfigur der Polis zu verorten ist; die Identifikation mit dem Nomos der Polis erst schafft ein Koinon, das Gemeinsame, und der Zusammenhalt der Polis, der sich dabei erweist, ist das Xynon, der Gemeinsinn.³⁵⁹ Wenn sich der Einzelne jedoch von dem Streben nach dem Gemeinwohl verabschiedet zugunsten eigener Interessen, dann ist damit die Orientierung am Gemeinsinn aufgegeben und das Ganze gefährdet.³⁶⁰ Wenn Hybris für die Polis gefährlicher ist als eine Feuersbrunst, dann verweist dies in aller Deutlichkeit auf die existenzielle Bedeutung für das Gemeinsame.³⁶¹ Das ξυνόν hat bei Heraklit demnach eine politische Dimension, die auch in dem Fragment DK 22 B2 mit der Gleichsetzung von ξυνόν und κοινόν zum Ausdruck kommt (s.o. S. 95). Die Ausrichtung auf das Gemeinsame muß sich am richtigen Umgang mit dem Nomos messen lassen. Demgegenüber steht der Machtmißbrauch, dessen Nutzen nur dem einzelnen (ἴδιον) und seiner Hybris zugute kommt, jedoch die Polis zerstört wie ein Feuer. In diesem Sinn ist gemeinwohlorientiertes Handeln auch politisches Handeln und findet seinen Ausdruck in der Isonomie als dem schönsten Namen dafür. Dieser Zusammenhang zeigt, daß die Vorstellung von Gemeinwohl vom Ergebnis her gedacht ist, d. h. vom Wohl des Gemeinsamen für das Volk. Im Unterschied dazu setzen die späteren, genauestens bekannten Reformen wie diejenige des Kleisthenes, auch wenn ihr Ziel die breite Partizipation ist, im institutionellen Gefüge von Verfahren und Strukturen (Wahlen, Einteilung der Wahlbezirke, Zugangsmodi, Abstimmungsregeln etc.) an, denken also vom Volk ausgehend. Solche Reformen, oben als Infrastruktur bezeichnet, können durchaus auch Teil der Gemeinwohlvorstellung sein, müssen aber nicht zwangsläufig damit einhergehen. Dies scheint bei Heraklit und Herodot sehr gut vergleichbar, wobei allerdings der Philosoph Heraklit in seinen Äußerungen zeigt, daß er den dazu notwendigen
Vgl. zu dem Zusammenhang von Gemeinsinn und Identität Hellmann in Münkler 2002, 77– 110. Ausführlich dazu auch die von H. Münkler herausgegebenen Bände zu Gemeinwohl und Gemeinsinn 2001, 2002a und 2002b. Kirner in Münkler 2001, 31– 63 behandelt die Thematik für die antike Polis am Beispiel Athens, Jehne/Lundgreen 2013 für Rom. Vlastos 1947, 166 zu DK 22 B114, vgl. oben Anm. 355. Vgl. zu DK 22 B44: „the supreme condition of its common freedom“ und zu DK 22 B43: „hybris must be extinguished even more than a conflagration.“ S.o. S. 95 mit Anm. 356. DK 22 B43 (= Diog. Laert. 9,2,1): ὕβριν χρὴ σβεννύναι μᾶλλον ἢ πυρκαϊήν. „Überhebung soll man löschen mehr noch als Feuersbrunst.“
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Gemeinsinn (das Xynon) bei seinen Mitbürgern und anscheinend generell bei den Menschen schmerzlich vermißt. Der Historiker Herodot wiederum zeigt, daß die Ionier trotz eines langen Vorlaufs an Diskussion am Mangel dieses Gemeinsinns politisch und militärisch scheitern, während es den Athenern gelingt, mit Hilfe des Gemeinsinns im Interesse des Gesamtwohls ihrer Polis erfolgreich zu kämpfen. Beide legen dieselbe Vorstellung von Ordnung zugrunde, die – auch wenn Heraklit das Wort nicht verwendet – tatsächlich unschwer als Isonomie erkennbar ist: Der Nomos steht im Zentrum der Polis, alle Bürger haben gleichermaßen an ihm Anteil, indem sie sich an dem Ganzen orientieren und dafür kooperieren, und insofern gewährleistet der Nomos das Gemeinwohl.³⁶² Heraklit und Herodot legen beredt Zeugnis dafür ab, daß das Gemeinwohl ein schwer zu erreichendes Ziel ist: Herodot, indem er das Scheitern der ionischen Isonomien beschreibt, Heraklit, indem er die Schwäche und den Eigennutz der Menschen herausstellt.
3. Ionisches Scheitern und athenischer Erfolg bei Herodot Vergleicht man diese herodoteische Schilderung der Entwicklung in Ionien mit der kleisthenischen Reform, dann fällt auf, welche Gemeinsamkeiten der Ratschlag des Thales und der Kern der kleisthenischen Maßnahmen trotz der Unterschiede haben: In Athen hat Kleisthenes durch einen Zusammenschluß der Bevölkerung Attikas – vergleichbar einem Synoikismos – eine neue politische Organisationsstruktur eingerichtet, Thales hat dies den Ioniern vorgeschlagen, ohne daß er allerdings auf eine vergleichbare Offenheit wie Kleisthenes in Athen gestoßen wäre. Natürlich kann man die Formulierung, die Herodot dem Rat des Thales gibt, als Rückprojektion Herodots auffassen,³⁶³ paßt er doch zu gut als Ausgangspunkt all der gescheiterten ionischen Isonomien: Während es den Athenern gelungen ist, die Gemeinsamkeit zur politischen Willensbildung erfolgreich, eben auch militärisch erfolgreich gegenüber den Persern zu realisieren, so scheitern die Ionier genau an diesem Punkt! Zweifellos ist es für Herodots Darstellungsabsicht
Diesen Unterschied kann man bei Heraklit durchaus erkennen in DK 22 B114: ξὺν νόωι λέγοντας ἰσχυρίζεσθαι χρὴ τῶι ξυνῶι πάντων, ὅκωσπερ νόμωι πόλις, καὶ πολὺ ἰσχυροτέρως und DK 22 B2 (vgl. dazu oben S. 93). Die Verschränkung von ξὺν νόωι und τῶι ξυνῶι in DK 22 B114 ist sicher nicht unabsichtlich. ξυνῶι auch in DK 22 B2 (= Marcovich 23) hat Marcovich 2001, 88 ff. veranlaßt, DK 22 B2 als Anschluß von DK 22 B114 zu sehen; Marcovich betont aber selbst a. a.O. 92, daß sich ξυνός in DK 22 B114 auf eine sozial-gesellschaftliche Sphäre bezieht, während ξυνός in DK 22 B2 eine universell-logische (‚allgemeingültig‘) Bedeutung hat. Vgl. dazu Graham 1, 2010, 193. Kienast 2002, 15 mit Anm. 55.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
kennzeichnend, immer wieder den Gegensatz zwischen Athen und den Ioniern zu verdeutlichen, doch rechtfertigt dies allein nicht, dem Vorschlag des Thales die historische Relevanz abzusprechen. Für Herodot geht es in seiner Darstellung nicht nur um Verlauf und Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Persern, sondern genauso um Ursachen und Hintergründe sowie deren Einordnung in eine übergeordnete Perspektive. Daher stellt Herodot dann nach den militärischen Erfolgen Athens 504 v.Chr. über Spartaner, Böoter und Chalkidier fest: Die Isegorie für alle habe Athen erfolgreich und stark gemacht, weil sie erkannten, daß der Einsatz für die Gemeinschaft die Entfaltung von Eigeninteresse im Sinne des Ganzen ermöglichte. Eigeninteresse und Gesamtheit bedingen sich, doch der Identifikationsprozeß mit der neuen Ordnung der Polis ist die Voraussetzung und ermöglicht erst den militärischen Gesamterfolg.³⁶⁴ Zur Erklärung des athenischen Sieges schreibt er: Hdt. 5,78: ᾿Aθηναῖοι μέν νυν ηὔξηντο. δηλοῖ δὲ οὐ κατ’ ἓν μοῦνον ἀλλὰ πανταχῇ ἡ ἰσηγορίη ὡς ἐστὶ χρῆμα σπουδαῖον, εἰ καὶ ᾿Aθηναῖοι τυραννευόμενοι μὲν οὐδαμῶν τῶν σφέας περιοικεόντων ἦσαν τὰ πολέμια ἀμείνονες, ἀπαλλαχθέντες δὲ τυράννων μακρῷ πρῶτοι ἐγένοντο. δηλοῖ ὦν ταῦτα ὅτι κατεχόμενοι μὲν ἐθελοκάκεον ὡς δεσπότῃ ἐργαζόμενοι, ἐλευθερωθέντων δὲ αὐτὸς ἕκαστος ἑωυτῷ προεθυμέετο κατεργάζεσθαι. Die Athener waren also stark geworden. Das zeigt, daß die Gleichheit (Isegoria) nicht nur in einer, sondern in jeder Hinsicht eine erstrebenswerte Sache ist. Solange die Athener noch von Tyrannen beherrscht waren, waren sie keinen ihrer Nachbarn in Kriegsdingen überlegen. Doch kaum hatten sie sich von den Tyrannen befreit, wurden sie bei weitem die ersten. Und dies beweist eben, daß sie als Unterdrückte im Dienst eines Herren absichtlich feige waren, während sie jetzt als Freigewordene gern bereit waren jeder zum eigenen Nutzen zu arbeiten.
Das νυν (also) zu Beginn setzt den Sieg der Athener über die Böotier, Chalkidier und Spartaner, ein fast unglaublicher Erfolg der bis dahin militärisch kaum in Griechenland hervorgetretenen Athener, in Bezug zu den politischen Veränderungen in Athen.³⁶⁵ Isegoria wird an dieser Stelle meist gleichbedeutend mit Isonomie verstanden.³⁶⁶ Isegoria ist vermutlich eine Zusammensetzung aus ἴσος und ἀγορᾶσθαι, d. h. es geht um das Recht in gleicher Weise auf der Agora zu reden; ἀγορὰς
Es scheint fast, daß Herodot es peinlichst zu vermeiden sucht, im Kontext der athenischen Entwicklung den Ausdruck ‚Isonomie‘ zu verwenden. Vgl. die Überlegung von Ostwald 1969, 109, Anm. 2, der genau diesen Zusammenhang hinterfragt. Lewis 1971, 129 – 140. Zu Hdt. 5,78 a. a.O. 130: „But it is also possible that here he took over ἰσονομία from his source even though the word δημοκρατία was known to him.“
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ἀγόρευον kennen wir bereits aus der Ilias (2,788) als das Halten von Reden in einer Versammlung, aber hier nun ist die Teilhabe aller Bürger als Anspruch und verbürgtes Recht gemeint.³⁶⁷ Die Existenz von Isegoria als politisch relevantes Konzept in Athen vor der perikleischen Zeit schien Lewis ganz unwahrscheinlich zu sein. Damit hätte Herodot sich dann hier tatsächlich eines gravierenden Anachronismus schuldig gemacht und die Rückprojektionshypothese gewänne Plausibilität.³⁶⁸ Doch dem läßt sich entgegenhalten, daß Herodot genügend weitere Beispiele öffentlicher Diskussionen, vermutlich in Volksversammlungen, nennt, in denen grundsätzliche Entscheidungen von höchster Tragweite für das Schicksal von Poleis getroffen wurden, u. a. die berühmte Diskussion in Athen über die Auslegung der delphischen ‚hölzernen Mauer‘ im Kontext des persischen Angriffs auf Griechenland.³⁶⁹ Daraus ist zu entnehmen, daß der öffentlichen Diskussion, der Isegoria, und dem verbürgten Recht darauf ein wesentlicher Anteil an der Herausbildung des Gemeinsinns zukommt. Herodot verweist hier in Hdt. 5,78 mit dem nur an dieser einzigen Stelle in seinem Werk verwendeten Terminus der Isegoria explizit darauf, daß es ihm um eine grundsätzliche Feststellung geht: δηλοῖ δὲ οὐ κατ᾽ ἓν μοῦνον ἀλλὰ πανταχῇ und Isegoria sind ein χρῆμα σπουδαῖον wie auch die Isonomie ein οὔνομα πάντων κάλλιστον (Hdt. 3,80,6) ist. Herodot betont nicht nur hier, sondern auch im weiteren Verlauf den die gesamte Gemeinschaft umfassenden Charakter dieser Veränderung in der inneren Einstellung, die zu einer Stärkung im Selbstbewußtsein der Athener geführt hat.³⁷⁰ Herodot setzt die Einrichtung der zehn Phylen mit der Demokratie gleich (Hdt. 5,69), aber durch die Verwendung von Isegorie in Hdt. 5,78 statt Demokratia oder Isonomia wird deutlich gemacht, daß es sich dabei um mehr gehandelt hat als nur die Umbenennung und numerische Erweiterung der bisherigen Organisationsstruktur. Das Gemeinwohl, d. h. das Wohl des Ganzen, des κοινόν, ist das übergeordnete Ziel, dem sich der Nutzen für den Einzelnen nicht unterordnet, sondern in das er sich einordnet, da durch das gemeinsame Eintreten sowohl der
Frisk s.v. ἴσος und Lewis (1971) 129; Vgl. Plat. Gorg. 461e und Eupolis aus Prisc. metr. Ter. 26: Frg. 291 Kock = Frg. 316 Storey (LCL) ἔδει πρῶτον μὲν ὑπάρχειν πάντων ἰσηγορίαν. Zuerst soll für alle Isegoria existieren. Lewis 1971, 131– 133. Hdt. 7,142; vgl. Hdt. 5,79 (Volksversammlung der Thebaner mit der Diskussion über die Auslegung eines delphischen Spruches) und 6,37 (öffentliche Diskussion der Lampsakener über eine Drohung des Kroisos). Hdt. 5,66,1 und 5,91,1.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
Nutzen für den Einzelnen als auch das Wohl des Ganzen befördert wird.³⁷¹ Unterstrichen wird diese Bedeutung, die Herodot der Ausrichtung des Gemeinsinns aller Bürger auf das Koinon beimißt, durch seine in die Darstellung eingebettete Gegenüberstellung von öffentlichem und zum Gelingen geführten Gemeinsinn der Athener und den entweder öffentlichen und gescheiterten oder heimlichen und nicht verwirklichten Isonomien in Ionien und Persien (s.o. S. 97 f.). Die politische Aussage dieser Texte ist eindeutig: Isonomie und Gemeinwohl sind die Voraussetzungen eines Koinon. Koinon ist hierbei als Ausdruck einer politischen Ordnung zu verstehen, und nicht als Organisationsform von Herrschaftsrelationen oder von Macht und auch ganz sicher nicht als expliziter Verfassungsbegriff wie Demokratie oder Oligarchie.³⁷² Der Begriff des κοινόν zielt darauf ab, daß das Ganze – durchaus im Sinn des Gemeinwohls – auf der Voraussetzung des Gemeinsinns ruht, der erst die Verwirklichung der Kooperation der Bürger – z. B. durch Isegoria – in einer politischen Organisationsform ermöglicht wird bzw. eine Grundlage dafür bietet. Dies ist den Athenern gelungen, den Ioniern nach Ansicht Herodots nicht. Insofern zeigt sich das Narrativ Herodots als stringent und plausibel, hat diverse, historisch eindeutig identifizierbare Stationen von der Eroberung Ioniens durch Kyros über die Episoden in Samos und während des Skythenfeldzuges bis hin zum Ionischen Aufstand. Allerdings zeigt die Entwicklung, die sich für Teos und Abdera einerseits, Phokaia und Elea andererseits aus den verstreuten Zeugnissen rekonstruieren läßt, daß das Bild, das Herodot zeichnet, möglicherweise einseitig das ionische Scheitern, und darin vor allem das militärische Scheitern, betont. Gerade die Entwicklung der Polis Teos, wie sie sich aus den archäologischen, epigraphischen und numismatischen Befunden zeigt, bietet Anhaltspunkte dafür, daß ein auf Gemeinsinn basierendes, politisches Handeln in Ionien auch unter der Perserherrschaft möglich war und sogar weitausgreifend überregional praktiziert wurde. Insgesamt betrachtet weist die Darstellung Herodots deutlich daraufhin, daß die Stiftung von Gemeinsinn mehr ist als die institutionelle Organisation politischer Prozesse: Repräsentation im existenziellen Sinn, nicht nur im organisatorisch-politischen Bereich, sondern weit darüber hinausgehend, eben das Ganze,
Dieses Verhältnis zwischen Gemeinwohl und Nutzen für den Einzelnen in der Antike behandelt Kirner 2001, 31– 64, hier 41. Im Epitaphios und der Trostrede des Perikles (Thuk. 2,60 – 64) sieht er in der inneren Disposition der Bü rger die Grundvoraussetzung eines gemeinwohlorientierten Handelns formuliert, allerdings zieht er – insbesondere für die Trostrede – eine deutliche Grenze zwischen Eigennutz und Gemeinwohl. Grundsätzlich zum Verhältnis von Gemeinwohl und Gemeinsinn: Münkler/Bluhm, Einleitung: Gemeinwohl und Gemeinsinn als politisch-soziale Leitbegriffe in Münkler 2001, 9 ff. sowie Münkler 2002, 2002a, 2002b. Zu Thuk. 4,78,2– 3 und der isonomen Oligarchie s.u. Kap. V.1.
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das Allgemeine – das κοινόν – umfassend. Das Gemeinwohl ist die eigentliche Identifikationsfigur der Polis und auf das Gemeinwohl gerichteter Gemeinsinn begründet erst den Zusammenhalt der Polis.³⁷³ Daher ist ein auf Gemeinsinn gegründetes, gemeinwohlorientiertes Handeln auch politisches Handeln und deshalb findet dies seinen Ausdruck in der Isonomie als dem schönsten Namen! Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß mindestens seit Thales in Ionien ein Konzept von Isonomie als neuer Ordnungsvorstellung diskutiert wurde, die auf einer politischen Ausrichtung von Gemeinwohl und Gemeinsinn basierte.³⁷⁴ Betrachtet man dies nun auch zusammen mit der Inschrift aus Chios, die uns einen Einblick in die organisatorische Infrastruktur als Basis einer politischen Ordnung im 2. Viertel oder um die Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. in Ionien gibt, dann läßt sich daraus folgern, daß das politische Konzept, das seinen Ausdruck in dem Begriff der Isonomie findet, im 6. Jahrhundert v.Chr. in Ionien entstanden ist. Bedeutend ist dies insofern, als Isonomie nur durch den gemeinsam auf das Ganze gerichteten Sinn für das Gemeinwohl erreicht werden kann und nicht nur eine allgemeine Richtlinie für individuelles Handeln darstellt, sondern zu einer politischen Norm für die gesellschaftliche Ordnung wird. Der eindeutigste Beleg hierfür ist die Verfassungsdebatte in Herodots Werk, die die Bezüge herausstellt, die sich auf die Gesamtheit der Gemeinschaft der Bürger, ihre Einstellungen und ihr Verhalten beziehen. Wie politische Machtverteilung und -ausübung auf dieser Grundlage organisiert wird, muß nicht zwingend auf die Verfassungsform der Demokratie führen. Allerdings hat die Entstehung der Demokratie in Athen die Isonomie und die sie prägende Diskussion ganz offensichtlich überlagert, so daß sogar die Annahme einer Deckungsgleichheit der beiden entstehen konnte.
Vgl. zu dem Zusammenhang von Gemeinsinn und Identität Hellmann in Münkler 2002. Kirner (wie Anm. 51) 31– 64 in Münkler 2001 hat diesen Zusammenhang nicht behandelt, er übergeht diese Zusammenhänge ganz und schließt interessanterweise direkt an die solonischen Eunomie die Ausführungen zu Thukydides an.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
III. Isonomia in Athen III.1 Voraussetzungen: Hipparchs Reformen 1. Hipparchs Kulturprogramm Seit etwa Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. hatte in Athen Peisistratos mehrfach versucht, eine Tyrannis zu errichten.³⁷⁵ Zwar ist die Chronologie der Ereignisse schwierig,³⁷⁶ aber die Zeitphasen seiner Versuche und letztlich erfolgreichen Etablierung der Herrschaft selbst lassen sich rekonstruieren, ebenso wie der Übergang der Herrschaft an seine Söhne. Der Charakter seiner Herrschaft und die genaue Bezeichnung sind jedoch unklar. Ebenso wie Solon teilweise als Aisymnet und Nomothet bezeichnet wurde und ihm somit ein Amt und eine gesetzgeberische Funktion zugeschrieben wurden,³⁷⁷ ist auch Peisistratos’ Herrschaft einerseits als Tyrannis, andererseits als gut geordnete und am Gesetz orientierte Zeit beschrieben worden.³⁷⁸ Seine Söhne Hippias und Hipparch folgten ihm in der Herrschaft und auch für sie heißt es, daß sie die Art dieser Herrschaftsweise fortsetzten.³⁷⁹ Aus der Regierungszeit der Söhne des Peisistratos ist es vor allem Hipparch, der in der letzten Phase der peisistratidischen Herrschaft in Athen für die Geschichte der Isonomie eine Rolle spielte. Seit den Arbeiten von Lavelle³⁸⁰ und der harschen Kritik, mit der die Rezensenten dessen These von einer die Demokratie vorbereitenden Phase durch die Peisistratiden bedacht haben, ist diesem Ansatz praktisch kaum noch Aufmerksamkeit zuteil geworden. Insbesondere die Rolle des Hipparch ist – unter dem Einfluß der massiven Tyrannenkritik im demokratischen Athen – völlig untergegangen. Hipparch wird in einem pseudo-platonischen Dialog, der im Kontext des platonischen Werkes überliefert ist, ein regelrechtes Kulturprogramm zugeschrieben:³⁸¹ Er habe die Epen Homers nach Athen gebracht hat, deren Gesamtaufführung bei den Panathenäen eingeführt, sowie die Dichter Anakreon von Teos und Simonides von Keos nach Athen gelockt. Anakreon ist vermutlich nach
Hdt. 1,59 – 64; AP 13 – 15. Chambers 1990, 200 – 205. AP 22,3 – 4; Androtion FGrHist 324 F6 Hdt. 1,59,6; AP 14,3; 16,1 und 16,7– 8. AP 17,3. Zu der in der Antike umstrittenen Frage (dazu ausf. Thuk. 6,54– 59), welcher der Söhne der Älteste war und welcher dem Peisistratos als Tyrann folgte Chambers 1990, 212 f. Lavelle 1983; ders. 1985, 411– 20 und 1986, 318 – 331; v. a. Lavelle 1993 und 2005 als Antwort auf die Kritik von Anderson 2003. Ausführlich Schubert 2018a, Appendix 2, 125 ff.
III. Isonomia in Athen
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dem Tod des Polykrates von Samos (522 v.Chr.) nach Athen gekommen, vielleicht aber auch schon früher. Wie bei Simonides ist jedoch in den erhaltenen Fragmenten bis auf die eine Charakterisierung des Peisistratos als Silen bei beiden keine Erwähnung der Peisistratiden, oder etwa des Hipparch, erhalten. Zwar hat Simonides wohl noch nach 490 v.Chr. ein Epigramm auf die Tochter des Hippias gedichtet,³⁸² doch gilt er gleichermaßen auch als Dichter des Epigramms auf dem Monument für die Tyrannentöter, das nach 480 v.Chr. als Ersatz für die von den Persern verschleppte erste Gruppe errichtet wurde. Onomakritos und Lasos von Hermione, ein weiterer Dichter und ein Orakeldeuter, standen ebenso mit Hipparch in Verbindung.³⁸³ Onomakritos hatte im Auftrag der Peisistratiden die Orakelsprüche des Musaios gesammelt, dabei anscheinend eigene Texte eingeschmuggelt, und dies war durch Lasos von Hermione aufgedeckt worden. Hipparch hat Onomakritos daraufhin aus Athen vertrieben, später wurde dieser jedoch von den verbannten Peisistratiden wieder aufgenommen und leistete ihnen am persischen Hof gute Dienste, als Xerxes von der Sinnhaftigkeit eines erneuten Zuges nach Griechenland überzeugt werden mußte. Hipparch sah sich offenbar in Konkurrenz zu Delphi. Er habe, so der pseudoplatonische Dialog, selbst Epigramme verfaßt: Plat. Hipparch. 228e1: […] ἵνα πρῶτον μὲν τὰ ἐν Δελφοῖς γράμματα τὰ σοφὰ ταῦτα μὴ θαυμάζοιεν οἱ πολῖται αὐτοῦ, τό τε „Γνῶθι σαυτόν“ καὶ τὸ „Μηδὲν ἄγαν“ καὶ τἆλλα τὰ τοιαῦτα, ἀλλὰ τὰ Ἱππάρχου ῥήματα μᾶλλον σοφὰ ἡγοῖντο, […]. […] damit die Bürger erstens nicht jene weisen Sprüche in Delphi bewunderten, das „Erkenne dich selbst“ und das „Nichts im Übermaß“ und anderes dieser Art, sondern die Sprüche des Hipparch für weiser hielten.
Platon berichtet in seinem Dialog Protagoras,³⁸⁴ daß die Sprüche der Sieben Weisen am Apollo-Tempel in Delphi angebracht gewesen seien. Da dieser Tempelbau ein Prestigeprojekt der Alkmeoniden war, die offenbar einige Zeit nach dem Archontat des Kleisthenes 525/4 v.Chr. ins Exil gegangen waren,³⁸⁵ scheinen sowohl die Sprüche des Hipparch als auch seine Selbststilisierung als Weiser aus der Konkurrenz mit den Alkmeoniden entstanden zu sein.³⁸⁶ Diese Konkurrenz Von Thukydides (Thuk. 6,59,3) ohne Verfasserangabe zitiert; erst Aristoteles (rhet. 1,9,1367b20 – 21) nennt Simonides als Verfasser, als er den dritten Vers des Epigramms zitiert. Hdt. 7,6,3. Plat. Prot. 343a8 – b1. IG I3 1031, dazu Meritt 1939, 59 – 65, Nr. 21 mit einem Foto des Fragmentes der sog. Archontenliste. Man vermutet, daß die Alkmeoniden in den Jahren danach, ca. um 520 v.Chr., ins Exil gingen. Ausf. dazu Schubert 2018a, Appendix 2, 125 ff.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
zwischen Peisistratiden und Alkmeoniden im Hinblick auf die Politik ist gut belegt, und die Bautätigkeit Hipparchs läßt erkennen, daß die Konkurrenz sich auf mehreren Gebieten abspielte. Die Überlieferung zeigt einen Hipparch, der zwar als Tyrann in Athen herrschte, aber in seinem Anspruch als Planer und Weiser der Stadt einen Stempel aufgedrückt hat, der trotz seiner Ermordung und der Vertreibung der Peisistratiden erhalten blieb. Für Hipparch ist anhand der Hermenepigramme die Einführung eines Wegweiserprogramms in Attika zu rekonstruieren, das überraschende strukturelle Ähnlichkeiten mit dem oben skizzierten Ratschlag des Thales aufweist.³⁸⁷ Hipparch veranlaßte die Aufstellung von Hermen an Straßen und Wegen jeweils zur Markierung der Entfernungsmitte zwischen der Stadt Athen und den einzelnen Demen. So hat er vermutlich – wenn er wirklich ganz Attika so markiert hat – insgesamt ca. 130 bis 150 Hermen im ganzen Land errichten lassen. Auf den Hermen ließ er selbstverfaßte Gedichte und Sprü che (ποιήματα und ῥήματα) anbringen. Überliefert ist uns dies aus dem pseudo-platonischen Dialog Hipparch, aber auch aus dem Fund einer dieser Hermen bei Koropi, die sich fast vollständig erhalten hat.³⁸⁸ Die Form, die die Herme aus Koropi hat, war in der antiken Literatur als eine typisch athenische bekannt. In der späteren Literatur werden auch Ἱππάρχιοι Ἑρμαῖ (Hipparchische Hermen) genannt. Thukydides schreibt aus Anlaß des Hermenfrevels in 415 v.Chr.: Thuk. 6,27,1: Ἐν δὲ τούτῳ, ὅσοι Ἑρμαῖ ἦσαν λίθινοι ἐν τῇ πόλει τῇ ᾿Aθηναίων (εἰσὶ δὲ κατὰ τὸ ἐπιχώριον, ἡ τετράγωνος ἐργασία, πολλοὶ καὶ ἐν ἰδίοις προθύροις καὶ ἐν ἱεροῖς), μιᾷ νυκτὶ οἱ πλεῖστοι περιεκόπησαν τὰ πρόσωπα. Währenddessen wurden die steinernen Hermen, die in der Polis Athen standen – sie sind in der landestypischen Weise – die bekannte viereckige Machart – zahlreich vorhanden, sowohl an den Eingängen der Wohnhäuser wie bei den Tempeln in einer Nacht zum größten Teil an den Gesichtern verstümmelt.
Und Pausanias erläutert als typisch athenische Landessitte: Paus. 4,33,3: ἰόντι δὲ τὴν ἐπ’ ᾿Aρκαδίας ἐς Μεγάλην πόλιν ἐστὶν ἐν ταῖς πύλαις Ἑρμῆς τέχνης τῆς · ᾿Aθηναίων γὰρ τὸ σχῆμα τὸ τετράγωνόν ἐστιν ἐπὶ τοῖς Ἑρμαῖς, καὶ παρὰ τούτων μεμαθήκασιν οἱ ἄλλοι.
Müller 2006, 270 ff.; Flashar/Schubert 2018, 19 – 38; Schubert 2018, 125 ff. IG I³ 1023, s. SEG X 345, XV 53, XXX 1859, XXXV 28, XXXVI 42 und CEG 304. Abbildungen bei Kirchner, Imagines Inscriptionum Atticarum 21948, Abb. XX 5,11.
III. Isonomia in Athen
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Auf dem Weg nach Megalopolis in Arkadien steht an den Toren eine Herme nach attischer Herstellungsart; denn die vierseitige Form für die Hermen gehört den Athenern und von ihnen haben die anderen sie übernommen.
Der spätantike Lexikograph Hesych erläutert zu den Hermen des Hipparch, daß es sich dabei um die Stelen gehandelt habe, auf denen Hipparch seine Elegien eingravieren und sie aufstellen ließ, um selbst durch sie Ruhm zu erlangen. Da nun Harpokration noch ergänzt, daß sich Belege hierfür in der Alten Komödie und bei Platon in seinem Werk Hipparch finden ließen (Harpocrat. s.v. ἀναθέσθαι [= Dindorf 31,4]: Πλάτων ἐν Ἱππάρχῳ ἢ φιλοκερδεῖ), entsteht der Eindruck, daß die in dem Dialog beschriebene Tradition der hipparchischen Hermen ihren Ursprung in der Alten Komödie hat. Dem ist der archäologische Befund entgegenzuhalten, der die Hermen des Hipparch lange vor der Abfassungszeit des platonischen Dialogs belegt, woraus sich wiederum nur schließen läßt, daß den Lexikographen die eigentlichen Objekte und deren Entstehungsgeschichte weniger gut bekannt waren als die literarische Tradition. Ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung des Hipparch als Initiator eines speziellen Hermenprogramms gibt Artemidor in seinem Traumdeutungsbuch. Er erläutert die verschiedenen mantischen Interpretationen von Traumerscheinungen eines Hermes, wobei ein spezieller Hermes, als vierseitig bezeichnet, für Folgendes stehe: Artem. Onirocr. 2,37: Ἑρμῆς ὁ τετράγωνος σφηνοπώγων φιλολόγοις μόνοις συμφέρει, ὁ δὲ τετράγωνος καὶ ἀγένειος οὐδὲ τούτοις συμφέρει· τὸ γὰρ περικεκομμένον αὐτοῦ τῶν περὶ τὸν ἰδόντα πάντων ὄλεθρον μαντεύεται. Hermes, der vierseitig ist und keilbärtig, bringt lediglich den Gelehrten Glück. Vierseitig und ohne Bart ist er auch für diese nicht gut, da sein gestutzter Bart Unheil für alle Angehörigen bedeutet.
Der Hermes Tetragonos ist nach der äußeren Form der hipparchische Hermentypus und verweist mit dem Attribut τετράγωνος auf angemessenes und ethisch einwandfreies Verhalten. Bei Platon, Aristoteles und anderen Autoren wird aus einem Gedicht des Simonides von Keos zitiert, in dem ein guter Mann als τετράγωνος ἄνευ ψόγου bezeichnet wird. Diese Formel scheint sprichwörtlich geworden zu sein.³⁸⁹ Ein pythagoreischer Kontext in Verbindung mit der Tetraktys Simonides PMG F542; Plat. Prot. 339b2 (von Manuwald 1999, 311 übersetzt als „(vollkommen) wie ein Quadrat“); Aristot. rhet. 1411b26 f.; eth. Nic. 1100b21 f.; vgl. Dion. Hal. Isaios 19; Aspasius In ethica Nicomachea commentaria (CAG 19,1) 29,29 (Heylbut) und Anonymi in Aristotelis Ethica Nicomachea (CAG 19,2) 20,25 (Heylbut); Julian Συμπόσιον ἢ Κρόνια sive Caesares 34,11 (Lacombrade); Epiphanius Panarion (= Adversus haereses) 2,491,9 (Holl); Suda τ 386 s.v.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
ist erwogen, jedoch auch wieder verworfen worden.³⁹⁰ Die Zahl vier und die damit verbundene geometrisch-vierseitige Form, insbesondere das Quadrat, galten – so Aristoteles in der Nikomachischen Ethik unter Verwendung der simonideischen Formulierung – als Idealbild für die Werte der Gerechtigkeit und Gleichheit.³⁹¹ Später vergleichen Philo Judaeus und Clemens Alexandrinus die Gerechtigkeit mit einer tetragonischen Figur (hier wohl ein Quadrat), da sie nach allen Seiten hin gleich und eine und dieselbe sei, in Wort und Tat, im Vermeiden von Schlechtem und im Tun von Gutem. Vielleicht war der Peisistratide Hipparch der Schöpfer dieser Idee – allerdings ist dies kaum belegbar. Vermutlich kam die Vorstellung von der Idealität der Zahl vier in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. auf. Auch die medizinische Viersäftelehre und die Vierelementenlehre müssen in den Jahrzehnten um 500 v.Chr. und der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v.Chr. entstanden sein. Der Zusammenhang zwischen Zahlenrelationen, geometrischen Figuren und deren Übertragung in die verschiedensten Bereiche von Philosophie, Kunst und Politik ist in dieser Zeit vermutlich ubiquitär gewesen.
2. Hipparchs Wegeprogramm Die Bedeutung dieses Wegweiserprogramms als Infrastrukturprogramm wie auch als Teil der intellektuellen Entwicklung im Bereich des Politischen, in die sich Hipparchs diverse Maßnahmen und Tätigkeiten einordnen lassen, ist kaum zu überschätzen: Es setzt die Erfassung eines Straßen- und Wegesystems voraus, ebenso wie eine Vermessung aller Straßen und Wege. Hierfür müssen zumindest die Demen in ihrer Lage und Größe in Attika bekannt gewesen und in ein Verzeichnis aufgenommen worden sein. Die Ausrichtung der Hermenaufstellung auf Athen zeigt eine Konzeption von Athen als Zentrum und von Attika als Peripherie. Darin ist Athen erstmals sicher nachweisbar als Zentrum einer planerischen Gesamtkonzeption erkennbar. Dies läßt sich mit dem Vorschlag des Thales vergleichen, den Herodot berichtet (Hdt. 1,170) und der mit der Forderung, ein politisches Zentrum in der geographischen Mitte einer Region zu lokalisieren, ebenfalls eine solche planerische Konstruktion präsentiert hatte. Weiterhin ist hier auch, wenngleich nur indirekt, die Grundlage dessen beschrieben, was Kleisthenes schließlich in so ü berraschend kurzer Zeit die Durchfü hrung seiner Phylenreform ermöglichte. Beide, das τετράγωνος (nach Damascius); Eustathius Commentarii ad Homeri Iliadem I 753,11 (van der Valk). Ausf. Manuwald 2010. Ohne τετράγωνος: Diog. Laert. 1,76. Burkert 1962, 392– 397. Aristot. eth. Nic. 1100b21.
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Hipparchische Wegweiserprogramm und die Kleisthenische Phylenreform zeigen dieselbe Ausrichtung auf Zentralität und Mitte der Polis und ihres Umlands. Diese Verbindung ist bisher – trotz des Fundes der Herme bei Koropi – nicht immer akzeptiert worden.³⁹² Natürlich läßt sich aus dem Fund einer einzigen, erhaltenen Herme nicht sicher feststellen, welches Ausmaß das Programm des Hipparch wirklich hatte, ob es vollständig realisiert wurde oder nur in Teilen Attikas.³⁹³ Allerdings finden sich noch in den spätantiken und byzantinschen Lexika wiederholt Erwähnungen seines Programms,³⁹⁴ die zeigen, daß dieses Vorhaben immerhin so umfassend und bedeutend gewesen sein muß, daß es einen festen Platz in der Tradition erhalten hat. Der entscheidende Kern dieses Wegeprogramms war, die Entfernungsangaben zwischen der Stadt und den ländlichen Demen nach einem festen System durch die Aufstellung der Hermen zu markieren. Der Fundort der Herme von Koropi entspricht auch tatsächlich einer Halbstrecke zwischen Athen und Kephale.³⁹⁵ Ein weiteres Indiz, das die zugrundeliegende Systematik dieses Programmes bestätigt, ist die Errichtung des 12Götter-Altares. Dieser wurde nach Thukydides in Athen durch den jüngeren Peisistratos, einen Sohn des Hippias, im Jahr des Archontats dieses jüngeren Peisistratos gestiftet (522/21 v.Chr.).³⁹⁶ Offensichtlich fungierte dieser 12-Götter-Altar
Hesych schreibt in seinem Lexikon unter dem Eintrag ‚Herme des Hipparch‘, daß die Hermen des Hipparch Stelen gewesen seien, auf denen Hipparch Distichen habe eingravieren lassen, um jene, die sie läsen, besser zu machen; Lavelle 1985, 416 hält die Interpretation der hipparchischen Hermen als Wegeprogramm fü r ein Mißverständnis. So auch die Einschätzung von Tomlinson 2002, 33 – 43, hier 41 zu den Straßen und Wegen in Attika als Kommunikationsmedium. In den Lexika, angefangen von Harpokration über Photius bis hin zur Suda heißt es zu dieser speziellen Form der Herme (Suda ε 3029): : Μενεκλῆς ἢ Καλλικράτης ἐν τῷ Περὶ ᾿Aθηναίων γράφει ταυτί· „ἀπὸ γὰρ τῆς Ποικίλης καὶ τῆς τοῦ βασιλέως στοᾶς εἰσὶν οἱ Ἑρμαῖ καλούμενοι· ἐκαλοῦντο δέ τινες καὶ Ἱππάρχιοι Ἑρμαῖ ἀπὸ Ἱππάρχου τοῦ Πεισιστράτου.“ Hermen: Menekles oder Kallistrates in dem Werk ‚Über die Athener‘ schreibt folgendes: „Von der Stoa Poikile aus und der Stoa Basileos gibt es die sogenannten ‚Hermen‘. Manche heißen auch Hipparchische Hermen nach Hipparch, dem Sohn des Peisistratos.“ Der Fundort Koropi kann auch vom ursprü nglichen Aufstellungsort nicht weit entfernt sein: Kephale – heute Keratea – ist 14 km vom Fundort Koropi entfernt und Koropi wiederum in gerader Linie 16 km von der Agora. Tomlinson 2002, 35 und Lohmann 2002a, 109 – 147, hier 116, zeigen, daß der antike Weg von Kephale nach Athen offenbar direkt ü ber den Hymettos gefü hrt hat. Thuk. 6,54. Der Vergleich mit der Buchstabenform der Inschrift am Altar fü r Apollon Pythios (IG I3 948/Lewis Nr. 118 ad loc.) spricht gegen die älteren Argumente fü r die Datierung der Inschrift des 12-Götter-Altars in die 90er Jahre des 5. Jahrhunderts v.Chr.; vgl. fü r eine neuere Analyse der Datierungsproblematik Krumeich 1997, 65 – 68; Petrovic 2007, 260 ff.; zum 12-Götter-
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auf der Athener Agora wie ein als „Kilometer 0“ gedachter Mittelpunkt Attikas. Von ihm aus wurden alle Wegstrecken gemessen, wodurch er zum zentralen Vermessungs- und Referenzpunkt des attischen Straßensystems avancierte. Es ist sicher nicht zu weitgehend, hier ein Konzept zu vermuten, das Athen zum geographischen und politischen Mittelpunkt Attikas erhob und mit dem System der Wegemessung auch den ländlichen Raum sowohl erschloß wie auch an das Zentrum Athen anbinden sollte.³⁹⁷ Mit diesem Wegeprogramm ist ein wesentlicher Eckpfeiler dafür geschaffen worden, daß Kleisthenes schließlich in kürzester Zeit seine Phylenreform durchführen konnte.³⁹⁸ Denn die organisatorische Infrastruktur der Kleisthenischen Phylenreform – mit ihrer Realisierung von politisch-geographischer Zentralität durch ein Repräsentativsystem – wäre ohne das Hipparchische Wegeprogramm kaum denkbar. Erst das Wegeprogramm mit der zugrundeliegenden Landesaufnahme hat die nötigen Grundlagen dafür gelegt, daß man die Polis Athen und das Land Attika in einer einheitlichen Organisationsstruktur verbinden konnte. Die politische Bedeutung, mit der die Vorstellung von Mitte und Zentralität aufgeladen war, läßt sich ebenso auch in dem Vorschlag des Maiandrios zur Einrichtung einer Isonomie in Samos erkennen, wenn er erklärt, die Herrschaft in die Mitte (ἐς μέσον) legen zu wollen. Zwar können wir hier letztlich nur Bruchstücke einer Entwicklung identifizieren, allerdings bilden sie zusammengenommen ein Bild von politischer Geographie der Mitte und Organisation von Partizipation in einem Konzept, das die Teilhabe in die Mitte als dem Zentrum der Macht legt. Doch geht die Konzeption des Kleisthenes deutlich weiter als der Vorschlag des Thales und vermutlich auch die anderen ionischen Isonomien, von denen Herodot berichtet (s.o. Kap. II.1 und II.2.3). Die Phylenreform des Kleisthenes mit der Neugliederung Attikas in drei Regionen und jeweils drei Anteilen pro Phyle
Altar als „the zero milestone“ siehe Shapiro 1989, 126; Thompson/Wycherley 1972, 129 – 136. Vgl. auch Hdt. 2,7,1 f. Das System mit der Ausrichtung auf die zentralörtliche Stellung Athens ist noch fü r das 5. Jahrhundert v.Chr. nachweisbar, wenngleich in dieser Zeit natürlich die Polis Athen als aufstellende Instanz auftritt: IG I3 1092bis = IG II 22640 = CEG I 442; IG I3 1092bis: http://pom.bbaw. de/ig/; IG I³ 1092bis; die Datierung wird in IG I3 von Lewis mit ‚um 440 – 430 v.Chr.‘ angegeben, so auch Crosby 1949, 82– 103, hier 101 mit Anm. 55 aufgrund der Schreibweise von μεταχσὺ (χσ statt ξ); Kaibel hatte noch eine Datierung ins 4. Jahrhundert v.Chr. vorgeschlagen. Aloni 2000 spricht sich fü r eine Datierung der Inschriften von IG I3 1023 auf der Herme aus Koropi, IG I3 948 (Weihung des jü ngeren Peisistratos fü r Apollon Pythios), IG I3 1470 (Weihung des Hipparch am Ptoion) und IG I3 1014 (Hermenepigramm des Kalliteles, vgl. PA 6,138 mit der Zuweisung an Anakreon) in einen gemeinsamen zeitlichen Kontext aus. Vgl. ähnlich schon Lohmann 2002a, 109 – 147, hier 116. Vgl. ders. 2002b, 73 – 91 Taf. 20 – 30.
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aus den Regionen hat ein Repräsentativsystem geschaffen, in dem die Stadt als politisches Zentrum zur politisch-geographischen Mitte wurde. In der Stadt Athen selbst wird die Agora das Zentrum und hier ist mit dem Bouleuterion für den Rat der 500, der Stoa Basileios für die Archonten, später auch der Tholos, der Ort entstanden, an dem sich alle zentralen politischen Funktionen konzentrierten, die mit der Kleisthenischen Phylenreform geschaffen worden waren. Eine Grundlage dieser Reform, als Teil der geographisch-organisatorischen Infrastruktur, war das Hipparchische Wegeprogramm, das radial auf die Mitte, d. h. die Polis Athen, ausgerichtet war. In diesem Repräsentativsystem sind die Organisation von Partizipation und Teilhabe, die Struktur der politischen Geographie als deren Grundlage, aber auch die politische Motivation, die mit der Isonomie in Athen verbunden wurde, vollständig zu erkennen. Die Mitte, die sich aus den Distanzbestimmungen der Hermenaufstellungen ergibt, läßt eine Vorstellung sichtbar werden, die auf Radialität hin ausgerichtet ist und die darin durchaus mit dem sphärischen Kosmos-Modell des Anaximander verglichen werden kann. Jedoch können die Strecken, die für die Entfernungen der Demen von Athen gemessen worden sind, kaum Athen als geometrische Mitte konstruiert haben, da sie entsprechend der Lage der Demen höchst unterschiedlich gewesen sein müssen. Insofern war Athen in diesem Wegeprogramm nicht der Symmetriepunkt, der real in gleichem Abstand von allen Punkten der Peripherie lag,³⁹⁹ aber symbolisch betrachtet jedoch ein konstruiertes Zentrum. Das Wegeprogramm des Hipparch und die mit der Isonomie beginnende Demokratie in Athen liegen daher näher beieinander, als man vermuten würde, wenn man in Hipparch nur den peisistratidischen Tyrannen sieht. Natürlich waren die konkreten politischen Zielsetzungen des Peisistratiden und des Alkmeoniden Kleisthenes gegensätzlich, aber die zugrundeliegende Überlegung, daß durch eine solche organisatorische Infrastruktur der Zusammenhalt eines Gemeinwesens herbeigeführt und gestärkt wird, ist dieselbe. Daß dem Peisistratiden, ebenso wie etwa Aristagoras in Milet oder Maiandrios in Samos jedwede Orientierung an einem auf Partizipation beruhenden Gemeinwohl fehlte, dürfte unterstellt werden. Daraus ist in aller Deutlichkeit zu ersehen, daß die organisatorische Infrastruktur für Isonomien eine notwendige Voraussetzung der Realisierung war, jedoch keine hinreichende.⁴⁰⁰ In jedem Fall bleibt, daß Hipparch mit seinen Hermen nicht nur das Stadtbild Athens und vermutlich auch die Wege, die vom Land in die Stadt führten, Vernant 1985, 202 ff., 216 ff.; Kahn 1960, 76 ff; vgl. Flashar/Schubert 2018, 19 – 38. Vgl. Tomlinson 2002, 40 in Goette 2002: Tomlinson geht sogar noch weiter, wenn er in dem Wegeprogramm ganz generell den Beleg für eine peisistratidische Politik zur Vereinigung Attikas sehen will.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
nachhaltig geprägt hat, sondern daß seine Tätigkeit auch mit zeitgenössischen Konzepten in Verbindung gebracht werden kann.
III.2 Der Tyrannensturz und die Isonomie: Harmodios und Aristogeiton als Initiatoren der attischen Isonomie? Harmodios und Aristogeiton, zwei vornehme Athener in einer für die damalige Zeit üblichen Liebesbeziehung, galten nicht nur in der attischen Öffentlichkeit als diejenigen, die mit der Ermordung des Peisistratiden Hipparch 514 v.Chr. die Tyrannenherrschaft in Athen beseitigt hatten, sondern sie wurden aufgrund dieser Zuschreibung auch wie Nationalhelden verehrt. Eine berühmte Statuengruppe der beiden Tyrannentöter auf der Agora rief dies den Athener Bürgern täglich ins Gedächtnis und ein in der Antike weit bekanntes Trinklied feierte die beiden Männer als diejenigen, die Athen isonom gemacht haben. Das Trinklied, in dem die Isonomie in ihrer adjektivischen Form als Eigenschaft charakterisiert wird, gilt als einer der frühesten, wenn nicht sogar der früheste Beleg für die Isonomie als Teil einer politischen Aktion in Athen. Umstände und Vorgeschichte der Ereignisse, die zum Sturz der attischen Tyrannis und damit der Herrschaft der Peisistratiden führten, sind literarisch gut überliefert, wenngleich die Meinungen der jeweiligen Autoren über Ursache und Wirkung der Ereignisse deutlich auseinandergehen.⁴⁰¹ Der Ablauf der Ereignisse, hier nur als kurzer Abriß rekapituliert, ist in seinen Fakten gut rekonstruierbar: Unbestritten ist, daß unter den exilierten Familien die Alkmeoniden die führende Rolle innehatten, aber sie waren nicht die alleinigen Akteure. Der ältere Alkibiades wird ebenfalls genannt und später werden sogar 700 Familien in Athen als Mitstreiter zusammen mit Kleisthenes aus Athen verbannt.⁴⁰² Aus eigener Kraft waren die Alkmeoniden mit ihren Umsturzversuchen gescheitert. Zwei Versuche, die Peisistratiden durch bewaffnete Invasionen zu stürzen, blieben erfolglos. Herodot berichtet von einem ersten Einmarschversuch in Attika, den Hippias zurückschlagen konnte. Bei ihrem
Im Folgenden greife ich im Hinblick auf die Charakterisierung des historischen Kontextes auf die in den Jahren 2003 (2011), 2012 und 2018 vorgelegten Publikationen zurück. Als ausführlichste Besprechung der Quellen ist immer noch zu verweisen auf Hirsch 1926. Eine knappe, die Quellen außerordentlich prägnant gruppierende Darstellung bei Zahrnt 1989, 297– 307; weitere Arbeiten zu dem Thema: Scholte 1937, 69 – 75; Lavelle 1986; Schlange-Schöningen 1996, 15 – 37. Zu den Differenzen in der literarischen Überlieferung des Attentats vgl. Schubert 2018a, Appendix 1. Vgl. dazu unten und Kap. III.3.
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zweiten Versuch (513 v.Chr.) hatten die Alkmeoniden die Festung Leipsydrion im Norden Attikas befestigt und wollten von dort aus losschlagen, wurden aber schon wenig später von den Peisistratiden vertrieben.⁴⁰³ Erst die Unterstützung der Spartaner brachte die Wende. Um diese zu gewinnen, setzten die Alkmeoniden offenbar größere Geldmittel ein. Sie übernahmen im Auftrag der delphischen Amphiktyonie den Bau des Apollontempels in Delphi und verwendeten dazu nicht nur die ihnen zur Verfügung gestellten Geldmittel, sondern auch beträchtliche Beträge aus eigenen Ressourcen, um etwa die Vorderseite in parischem Marmor statt wie vorgesehen nur aus Poros zu gestalten.⁴⁰⁴ Nach einer in Athen umlaufenden Version, die Herodot zitiert, bestachen sie auch die Pythia, um alle Spartaner, die – gleich in welcher Angelegenheit – nach Delphi kamen, zur Befreiung Athens aufzufordern.⁴⁰⁵ Mit Hilfe der Interventionen der Spartaner gelang es, den Sturz des Tyrannen Hippias herbeizuführen.⁴⁰⁶ Viermal fielen die Spartaner in Attika ein, worüber Herodot und die Athenaion Politeia ausführlich berichten.⁴⁰⁷ Eine erste Expedition entsandte Sparta 511, vielleicht auch erst im Frühjahr 510 v.Chr., auf dem Seeweg nach Athen. Bei der Landung in der Ebene von Phaleron wurde dieses Expeditionskorps durch die Soldaten des Hippias mit Unterstützung thessalischer Reiter zu großen Teilen vernichtet. Ein zweites, größeres Heer unter der Führung des spartanischen Königs Kleomenes kam auf dem Landweg nach Attika, schlug die thessalische Reiterei in die Flucht und schloß den Tyrannen und seinen Anhang auf der Akropolis ein. Da die Spartaner ebensowenig wie die Athener auf eine Belagerung eingestellt waren, hätten die Peisistratiden sich wahrscheinlich erfolgreich halten können, wenn es nicht gelungen wäre, die Kinder der Peisistratidenfamilie, die heimlich außer Landes gebracht werden sollten, gefangen zu nehmen. So waren die Peisistratiden, insbesondere Hippias, gezwungen, einen Vertrag mit den Belagerern zu schließen, um die Gefangenen zu retten: Sie übergaben die Akropolis den Athenern und verließen innerhalb von fünf Tagen Attika.⁴⁰⁸ Im Anschluß daran kam es in Athen zu einem erbitterten Machtkampf. Der Alkmeonide Kleisthenes und sein Gegenspieler Isagoras rangen um die Vor-
Hdt. 5,62,2– 3 und AP 19,3. Vgl. Hdt. 5,62,3. Herodot 5,62,3 scheint hier skeptisch zu sein, und ebenso der Verfasser der Athenaion Politeia (AP 19,4– 6; dazu Chambers 1990, 218). Nach AP 19,4 haben die Alkmeoniden durch die Übernahme des Baues genügend Mittel bekommen, um die Spartaner für die Einfälle in Attika bezahlen zu können. Vgl. Thuk. 6,59,4; Hdt. 5,63,2 ff.; 5,91,2– 3; AP 19. Hdt. 5,62– 64; 70 – 77; AP 19 – 20. Vgl. Hdt. 5,65; AP 19,6.
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herrschaft. Letzterer rief wiederum die Spartaner zu Hilfe, verschanzte sich mit ihnen auf der Akropolis, verwies 700 Familien, darunter auch die Alkmeoniden, des Landes und wollte offenbar wieder ein Tyrannenregime einführen. Die Athener Bürgerschaft belagerte jedoch die Akropolis, zwang die Spartaner zum Abzug und Isagoras zur Aufgabe. Dies war der Moment der Befreiung von der Tyrannis, jedoch keineswegs schon der Beginn der Demokratie,⁴⁰⁹ sondern der Anfang eines Reformprozesses. Erst nach der Vertreibung der Spartaner wurde der Alkmeonide Kleisthenes zurückgerufen und konnte die Verwirklichung seines großen Reformprojektes, der Phylenreform, fortsetzen. Darin sieht Herodot den Höhe- und Wendepunkt einer Entwicklung, da die Phylenreform den Athenern mit der Isegoria, dem Recht zur gleichberechtigten Rede im Politischen die Isonomie, d. h. den gleichen Anteil aller Bürger an politischen Rechten, brachte. Der Anspruch auf politische Teilhabe aller Bürger entwickelte sich von da an in Athen bis hin zur vollständig ausgeprägten Demokratie.⁴¹⁰ Thukydides (Thuk. 6,54– 59) fügt in seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges einen Exkurs über diese Ereignisse ein, den er zu einer geharnischten Kritik an der seiner Ansicht völlig falschen öffentlichen Meinung über die Abläufe nutzt, die zum Sturz der Peisistratiden in Athen führten: Aus Anlaß des Hermenund Mysterienfrevels, der sich während des Peloponnesischen Krieges im Kontext der Sizilienexpedition 415 v.Chr. ereignete, griff in Athen die Angst vor einer neuen Tyrannis um sich (Thuk. 6,53,3). Man erinnerte sich in Athen daran, daß die Tyrannis der Peisistratiden gegen Ende drückend geworden war, aber nicht etwa von den Athenern selbst und Harmodios gestürzt wurde, sondern – wie Thukydides als geläufiges Wissen der Athener suggeriert – von den Spartanern. Thukydides attestiert den Athenern stetes Mißtrauen und permanente Angst vor der Wiederkehr der Tyrannis, offenbar gespeist aus der Erinnerung an die eigene frühere Schwäche. Gleichwohl begründet er die Notwendigkeit, das von Harmodios und Aristogeiton begangene Attentat ausführlich zu diskutieren, damit, daß die Athener und ‚die anderen‘ (damit meinte er wahrscheinlich Herodot, s. dazu unten) sich des tatsächlichen Hergangs nicht bewußt seien. Nach dem Tod des Peisistratos sei Hippias als ältester Sohn dessen Nachfolger geworden (Thuk. 6,54,2). Zur Zeit des Thukydides scheint die Mehrzahl der Athener der Meinung gewesen zu sein, daß Hipparch der Nachfolger des Peisi Vgl. Hdt. 5,66,1; AP 20,1. Vgl. Hdt. 5,78. Herodot verwendet an dieser Stelle nicht den Begriff der Demokratie, jedoch Hdt. 6,131,3 wird Kleisthenes als derjenige bezeichnet, der die Phylen und die Demokratie in Athen etablierte. Zur Verwendung von Isonomie, Isegorie und Demokratie bei Herodot s. o. S. 63 ff.
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stratos gewesen sei. Diese Ansicht ist verständlich, wenn man sie im Kontext des oben beschriebenen Kultur- und Infrastrukturprogramms des Hipparch sieht. Möglicherweise waren auch – wenn Hipparch sein Wegeprogramm tatsächlich in ganz Attika durchführt hat – die Hermen allgegenwärtig mit ihren Sprüchen und der Grund dafür, daß Hipparch im Bewußtsein der späteren Generationen präsenter war als Hippias. Thukydides führt gegen die Meinung, Hipparch sei der eigentliche Herrscher gewesen, einiges an Argumenten an. So schreibt er, daß er sich nicht denken könne, daß Hippias nach der Ermordung des Hipparch so leicht die Tyrannis hätte gewinnen können, wenn Hipparch als der herrschende Tyrann getötet worden sei und Hippias erst zu diesem Zeitpunkt an die Macht gekommen wäre. Hier argumentiert Thukydides etwas verkürzt, denn eine Samtherrschaft der Söhne des Peisistratos ist viel wahrscheinlicher als eine Sukzession nach dem Alter. Für eine Samtherrschaft sprechen auch die diversen Steuererhebungen und Bautätigkeiten, die für beide überliefert sind.⁴¹¹ Da die herodoteische Darstellung Hipparch so klar in den Vordergrund stellt und Herodot in seiner Charakterisierung dieser Phase der peisistratidischen Tyrannis immer οἱ Πεισιστρατίδαι schreibt (Hdt. 5,62– 63), scheint sich Thukydides mit seinen Argumenten insbesondere gegen die Darstellung Herodots zu wenden. Trotzdem tritt im folgenden Bericht des Thukydides Hipparch nicht nur als einziger Akteur aus der Herrscherfamilie auf, sondern er wird sogar von Thukydides dezidiert als Herrscher bezeichnet (Thuk. 6,54,5: οὐδὲ γὰρ τὴν ἄλλην ἀρχὴν ἐπαχθὴς ἦν ἐς τοὺς πολλούς, ἀλλʼ ἀνεπιφθόνως κατεστήσατο – Überhaupt vermied er in seiner Herrschaft das Volk zu bedrücken, sondern regierte untadelig.). Im nächsten Abschnitt (Thuk. 6,55) greift er dann aber wieder seine vorher geäußerte Meinung auf, wonach Hippias der eigentliche Herrscher gewesen sei, und versucht, dafür Argumente zusammenzutragen. Er nimmt dazu mehrfach in eigener Person Stellung (Thuk. 6,55,3: οὐ μὴν οὐδ’ ἂν κατασχεῖν μοι δοκεῖ ποτὲ Ἱππίας τὸ παραχρῆμα ῥᾳδίως τὴν τυραννίδα – Meiner Meinung nach wäre es Hippias auch nicht so leicht gefallen, die Tyrannis an sich zu reißen.). Daß Hipparch überhaupt als Tyrann bezeichnet wurde, verdankt sich nach Meinung des Thukydides nur dem Attentat, das ihm einen solchen Nachruhm eingetragen habe. Am Anfang der Geschichte standen Kränkung und verletzter Stolz: Aristogeiton fürchtete um seinen Geliebten, Harmodios, weil Hipparch ein Auge auf den jungen Mann geworfen hatte, der ihn aber nicht erhörte. Die Schwester des Harmodios wurde daraufhin durch den verärgerten Hipparch von der ihr zustehenden Ehrenaufgabe des Korbtragens bei dem Fest der Panathenäen
Vgl. dazu Schubert 2018a, 132 ff.
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ausgeschlossen.⁴¹² Harmodios und Aristogeiton verschworen sich in der Folge mit Gleichgesinnten, die Tyrannen – wahrscheinlich sowohl Hippias als auch Hipparch – während des Panathenäenfestes, zu dem damals offenbar noch Waffen getragen wurden, zu ermorden. Man fühlte sich verraten, schlug zu früh los und das Attentat scheiterte. Es gelang jedoch noch, wenigstens Hipparch zu töten, aber Harmodios und andere vornehme Athener kamen dabei um. Aristogeiton wurde von Hippias gefoltert und hat dabei noch eine ganze Reihe anderer mit in den Tod gerissen. Der überlebende Hippias verschärfte danach die Herrschaft und verbannte verschiedene Familien, insbesondere die mit den Peisistratiden konkurrierende Familie der Alkmeoniden.⁴¹³ Ausgehend von dieser Attentatshistorie werden Harmodios und Aristogeiton in der antiken wie der modernen Historiographie mit Legenden und Diskursen verbunden, die zu einem großen Teil die Geschichte eines Liebespaares sind. Bedeutung und Nachwirkung bekamen die beiden, da ihnen als den Mördern des Hipparch nicht nur das Hauptverdienst an der Vertreibung der Tyrannen aus Athen zugeschrieben wurde, sondern weil sie zu Vorbildern des demokratischen Bürgers idealisiert wurden (s.u.).⁴¹⁴ Die bei Herodot, Thukydides und in der aristotelischen Athenaion Politeia erhaltenen Darstellungen über die Ereignisse von der Ermordung des attischen Tyrannen Hipparch bis zur Etablierung der Kleisthenischen Phylenreform, die bereits von Herodot sowohl als Grundlage der Isonomie wie auch der Demokratie bezeichnet wurde, stimmen in den Einzelheiten nicht überein.⁴¹⁵ Auffällig ist vor allem, daß z. B. Herodot das Attentat selbst überhaupt nicht beschreibt, stattdessen in seiner Darstellung an der erzählchronologischen Stelle des Attentats einen Traum des Peisistratiden Hipparch einfügt, in dem diesem das Ende seiner Herrschaft angezeigt wird. Allerdings hat Hipparch nach Herodot diesen Traum falsch interpretiert und ihn nicht als Warnung aufgefaßt.⁴¹⁶ Die Zahl der Stimmen in der antiken Überlieferung, die Harmodios und Aristogeiton als die entscheidenden Akteure sehen, ist gegenüber der von Herodot und Thukydides vertretenen Auffassung beeindruckend.⁴¹⁷ Das Deutungsangebot
Vgl. AP 18,2. Vgl. AP 19,1; Hdt. 5,62,2; Thuk. 6,59,4. Ausführlich Schubert 2010b, 143. Anders Flaig 2004, 35 – 61; Ober 2002; Eder 1988, 465 – 475. Ausführlich Schubert 2018a. Den Traum des Hipparch berichtet Hdt. 5,55 ff.; dazu Schubert 2011, 1– 19. Hdt. 5,62 ff. Neben den in der Regel als Hauptquellen behandelten Schilderungen bei Hdt. 5,55 – 78; Thuk. 1,20; 6,53 – 59; AP 18 – 21; Plat. Hipparch. 228b – 229d und Diod. 10,17 finden sich Erwähnungen, Anspielungen und Zitate an zahlreichen Stellen der antiken Überlieferung: Andok.
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eines Liebespaars, das dem Tyrannen gegenüber den Aufstand probt, hat sich in seiner einfachen Konstellation zum volkstümlichen Mythos entwickelt und damit den Athenern mehr an Plausibilität geliefert, als es die komplexen, teilweise widersprüchlichen Darstellungen der Historiker, die mehr oder weniger verdeckten Aktionen der Alkmeoniden und die militärischen Aktionen der Spartaner je konnten.⁴¹⁸ Das Trinklied, das die Tat der beiden Attentäter rühmte, wurde zum Bestandteil der antiken literarischen Tradition. Die vier einschlägigen Strophen in der bei Athenaios überlieferten Fassung lauten: Athen. 15,50,695ab = 893 – 96 PMG:
ἐν μύρτου κλαδὶ τὸ ξίφος φορήσω, ὥσπερ Ἁρμόδιος καὶ ᾿Aριστογείτων, ὅτε τὸν τύραννον κτανέτην ἰσονόμους τ᾽ ᾿Aθήνας ἐποιησάτην.
φίλταθ’ Ἁρμόδι’, οὔ τί πω τέθνηκας· νήσοις δ᾽ ἐν μακάρων σέ φασιν εἶναι, ἵνα περ ποδώκης ᾿Aχιλεύς, Τυδείδην τέ φασι τὸν ἐσθλόν [Διομήδεα].
ἐν μύρτου κλαδὶ τὸ ξίφος φορήσω, ὥσπερ Ἁρμόδιος καὶ ᾿Aριστογείτων, ὅτ’ ᾿Aθηναίης ἐν θυσίαις ἄνδρα τύραννον Ἵππαρχον ἐκαινέτην.
αἰεὶ σφῷν κλέος ἔσσεται κατ᾽ αἶαν, φίλταθ’ Ἁρμόδιε καὶ ᾿Aριστόγειτον, ὅτι τὸν τύραννον κτανέτην ἰσονόμους τ᾽ ᾿Aθήνας ἐποιησάτην.
„Im Myrtenzweige tragen will ich mein Schwert, so wie Harmodios und Aristogeiton, da den Tyrannen sie erschlugen, Isonomie den Athenern schufen.
O Harmodios, Liebster, noch nicht bist du gestorben: Auf der Seligen Insel, heißt es, weilst du
Myst. 1,98; Plat. symp. 182c; Aristot. rhet. 1411b; Pomp. Trog. 1,9; Sen. De ira 2,23: für eine detaillierte Diskussion s. Hirsch 1926. Raaflaub 2003, 65. Vgl. Bowra 1967, 373 – 397. Vgl. auch das Marmor Parium, dessen Angaben sich sogar im Sinne des von Flaig 2004, 95 – 61, postulierten ‚verlorenen Gründungsmythos‘ erklären ließen: IG XII 5,444,45: ἀφ’ οὗ Ἁρμόδιος καὶ [᾿Aριστογε]ίτων ἀπέκτε[ιναν Ἵππα]ρχον Πεισιστράτου [διά]δ[οχ]ον καὶ ᾿Aθηναῖοι [ἐξανέστ]ησαν τοὺς Πεισιστρατίδας […].
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
bei Achilleus, schnell von Füßen, und dem tapferen Tydeussohn Diomedes.
Im Myrtenzweige tragen will ich mein Schwert, so wie Harmodios und Aristogeiton, da sie bei Athenes Opfer den Tyrannen Hipparch erschlugen.
Ewig wird euer Ruhm auf Erden leben, liebster Harmodios und Aristogeiton, da den Tyrannen ihr erschluget, Isonomie den Athenern schufet.“⁴¹⁹
Die hier wiedergegebene Übersetzung bildet zwar Reim und Rhythmus des Trinkliedes nach, überdeckt jedoch in den beiden Versen, in denen es um Isonomie geht, den entscheidenden Aspekt: Nicht die Athener, d. h. die Gesamtheit aller derjenigen, die zur Bürgerschaft zählten, sondern die Stadt Athen ist das Objekt, das durch die Tat der Tyrannenmörder verändert wird, daher ist hier sinngemäß gemeint und zu übersetzen: „ihr habt Athen (zu einer Stadt) mit gleichem Nomos gemacht“.⁴²⁰ Diese Strophen gehören in eine Sammlung von Trinkliedern,⁴²¹ in der man, wie Bowra gezeigt hat, inhaltliche und zeitliche Stufen unterscheiden kann. Als erster chronologischer Anhaltspunkt ist der Hinweis auf die Zeit des Peisistratos und seiner Söhne zu erkennen,⁴²² als zweiter Hinweis der auf die Opposition einer Gruppe aus der Oberschicht gegen die Tyrannis,⁴²³ als dritter die Zeit von Mara-
Übers. nach Treu 1985. Vgl. Raaflaub 2000, 274 mit Anm. 52 und Hübner 2020, 162 ff. Dies hat Frei 1981, 205 ff. als wörtliche Übersetzung zwar vorgeschlagen, allerdings mit der Einschränkung a. a.O. 212 versehen: „Es ist klar, dass das im Kontext keinen Sinn ergibt“. Vgl. auch PMG Nr. 893 und 896; Fornara (1983) Nr. 29 übersetzt: „I shall bear my sword in a branch of myrtle / like Harmodios and Aristogeiton / when they killed the tyrant / and made Athens a place of isonomia (893: isonomous t’Athenas epoiesaten)“; „Your fame shall be throughout the world forever, / dearest Harmodios and Aristogeiton, / because you killed the tyrant / and made Athens a place of isonomia“ (896: same)“. Athenaios 15,49 – 50,694e – 695f, 889 – 907 PMG. Ausf. dazu Bowra 1967, 373 f. Eine ganz andere Position als Bowra vertritt Van der Valk 1974, 1 ff. In der Literatur wird immer wieder auf ein Scholion (Hesychius a7317 Latte) hingewiesen, in dem erwähnt wird, daß Kallistratos ein Trinklied auf Harmodios und Aristogeiton gedichtet habe: Van der Valk 1974, 8; Giorgini 2019, 97. Dieses Scholion ist allerdings nicht bekannt, ebensowenig wie der in dem Scholion genannte Kallistratos. PMG 889 = 6D., PMG 892 = 9D., PMG 897– 901 = 14– 18D., PMG 902 = 19D., PMG 903 = 20D., PMG 904 = 21D., PMG 905 = 22D. PMG 893 – 896 = 10 – 13D., PMG 906 = 23D., PMG 907 = 24D.
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thon und Salamis.⁴²⁴ Ein Terminus post quem fü r das Harmodioslied ergibt sich aus der Strophe 11, in der der Tod des Harmodios erwähnt wird, und aus der Strophe 12 mit der Nennung des Tyrannenmordes an Hipparch. Die Strophen 23 und 24 (906 und 907 PMG) beziehen sich auf zwei gescheiterte Umsturzversuche aus dem Kreis der Elite, die einerseits ein gewisser Kedon, andererseits die Alkmeoniden mit der Befestigung des Ortes Leipsydrion unternommen hatten (s.o. S. 111).⁴²⁵ Derjenige des Kedon ging der Ermordung des Hipparchos durch Harmodios und Aristogeiton voraus,⁴²⁶ während Leipsydrion in die Zeit zwischen dem Archontat des Kleisthenes (525 v.Chr.) und der Vertreibung des Hippias (510 v.Chr.) fällt.⁴²⁷ Da die Strophen 23 und 24 über die vergeblichen Umsturzversuche wohl in nicht allzu langer Zeit nach den Ereignissen entstanden sein dürften und mit den vier Strophen über Harmodios und Aristogeiton inhaltlich eine Einheit bilden, die einerseits die Opposition der alten Familien gegen die Tyrannis der Peisistratossöhne, andererseits die Ermordung des Hipparch ansprechen, ist ihre Entstehung nach 510 v.Chr., dem Jahr der Vertreibung des Hippias, anzunehmen.⁴²⁸ Fü r einzelne Strophen des Liedes läßt sich nichts ü ber das hier Beschriebene hinaus feststellen und vor allem läßt sich nicht entscheiden, ob das Entstehungsdatum des ganzen Liedes bzw. einzelner Strophen vor oder nach 507/ 506 anzusetzen ist. Wie Bowra jedoch ausfü hrlich begrü ndet hat,⁴²⁹ läßt sich der Tenor der Strophen sehr gut beschreiben. Die elitären Ideale, die in ihnen besungen werden, verweisen eher auf den Umkreis der Peisistratiden-Zeit als auf die Zeit während oder nach den Reformen des Kleisthenes. Bowra hat betont, daß Natur und Brauch der Skolia eng mit den elitären Sitten der Oberschicht zu verbunden sind,⁴³⁰ und der Beginn der Strophen 10 und 12 erkennbar als Anspielung
PMG 884– 888 = 1– 5D. Leipsydrion: AP 19,3 mit der Strophe 907 PMG = 23D. Der Umsturzversuch des Kedon hat nach AP 20,5 noch vor denjenigen der Alkmeoniden gelegen. Leipsydrion: Hdt. 5,62,2– 3; AP 19,3 mit der Strophe PMG 907 = 23D. Aus dem Kontext bei Herodot und der Athenaion Politeia ergibt sich, daß diese Versuche der Alkmeoniden, die Peisistratiden zu stürzen, zeitlich vor der Übernahme der Baufinanzierung des Apollo-Tempels in Delphi gelegen haben müssen. Ehrenberg 1956, 60 ff.; Ostwald 1969, 125 f.; Rausch 1999, 53. Bowra 1967, 373 f. Bowra 1967, 394 f.: Nr. 6 (Freundschaft), Nr. 9 (Ehrenhaftigkeit), Nr. 19 (freundschaftliche Verbundenheit in der Liebe und bei Gelagen den Hetairoi gegenü ber), Nr. 25 (Loyalität); dagegen neuerdings Jones 2014, 229 – 262, der die Ansicht vertritt, daß das Genre vor allem mit öffentlichen und nicht-elitären Festen und Veranstaltungen assoziiert war. Demnach wären die Skolia ursprünglich komponiert, gesungen und überliefert worden durch sog. middling citizens bei diesen öffentlichen Festivitäten, wären also ein seltenes Beispiel von sog. popular poetry, die die
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auf den Brauch zu verstehen ist, während eines Trinkgelages einen Myrtenzweig weiterzureichen, wobei der Empfänger des Zweiges mit einem Lied antworten mußte. Insgesamt spricht der Zusammenhang dafü r, daß nicht nur der Widerstand gegen die Tyrannis, wie er sich im Trinklied äußert, sondern auch die Verbindung mit der Isonomie bei den Athenern sowohl in der Zeit vor dem Sturz des Hippias als auch im Umkreis dieses Widerstandes entstanden ist. Der monumentale und rituelle Erinnerungskult um die Tyrannentöter hat bereits bald nach der Tat eingesetzt. Das erste Denkmal zu Ehren der Tyrannentöter, von dem Bildhauer Antenor um 500 v.Chr. geschaffen,⁴³¹ ist allerdings von den Persern 480 v.Chr. verschleppt worden. Die zweite Statuengruppe wurde von Kritios und Nesiotes geschaffen und nach dem Sieg über die Perser als Ersatz für das erste Monument 479 v.Chr. auf der Agora aufgestellt (s. Abb. 2). Sie muß sich zu einem Gedenkort entwickelt haben, wie verschiedene Erwähnungen zeigen: Ehrungen für die Familien von Harmodios und Aristogeiton sind z. B. bekannt durch Bestimmungen über die Sitesis (kostenlose Speisung für die Nachkommen der Tyrannentöter im Prytaneion).⁴³² Auch die Privilegien der Prohedria und Atelia für die ältesten, männlichen Nachkommen von Harmodios und Aristogeiton werden im 4. Jahrhundert v.Chr. erwähnt.⁴³³ Das von Pausanias beschriebene Grab der Tyrannenmörder als öffentliches Denkmal gehört eben-
Stimme derjenigen repräsentiere, die nicht zur Elite gehörten. Isonomia sieht er als Teil dieser Quellengattung. Die Datierungen in der Forschung schwanken zwischen 510 und nach 490 v.Chr.: Plin. NH 34,17: Aufstellung 510/9 v.Chr.; NH 34,70: Praxiteles als Bildhauer der ersten Gruppe statt Antenor; zur Antenor-Gruppe vgl. Arr. an. 3,16,7– 8; 7,19,2; Val. Max. 2,10, ext. 1; Paus. 1,8,5. Zur Gruppe des Kritios und Nesiotes: Paus. 1,8,5; Lukian Philopseudes 18; IG XII 5,444 = FGrHist 239 A54, Z. 70 – 71. Zur Geschichte der Statuengruppe: Taylor, 1991; Brunnsåker 1971; Pulte 1999, 371– 72 und neuerdings Azoulay 2017 (2014). Da sich die Zeitangaben widersprechen, wird heute – auch aus stilistischen und historischen – Gründen eine Entstehung der ersten Statuengruppe in den Jahren nach Marathon und nur kurz vor der zweiten Statuengruppe für möglich gehalten: Raubitschek 1940, 53 – 59 und Lavelle 1993, 42 ff.; Gafforini 1990, 37– 45, hier 39. Die motivische Einordnung der römischen Kopien der Statuengruppe der Tyrannentöter deutet auf lediglich ein Vorbild hin bzw. auf eine starke Ähnlichkeit der beiden Gruppen zueinander. Vgl. Landwehr 1985, 28 f. Anders hingegen Rumpf 1964, 150 f., der darauf hinweist, daß Pausanias für die Statuen, die er Antenor zuschreibt, die Beschreibung ἀδριάντας ἀρχαίους verwendet und damit zweifellos archaische Statuen meint. IG I3 131 (440 – 430 v.Chr.?). Hier wird nur die Sitesis erwähnt, die Prohedria und die Ateleia bei Isaios 5,47, and Deinarch. c. Demosth. 1,101 und AP 58,1. Dazu Osborne 1981, 153 – 170; Schmitt Pantel 1992, 147– 155, Azoulay 2017, 47. Isaios 5,47; Demosth. or. 20,18,127– 130; Demosth. or. 21,170 erwähnt die Stele mit der Veröffentlichung dieser Privilegien, vgl. IG I3 131.
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Abb. 2: Gruppe der Tyrannentöter nach den Abgüssen im Museo della Civiltà Romana (mit freundl. Genehmigung des DAI, Rom).
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falls in diesen Kontext,⁴³⁴ und Demosthenes sagt, daß den beiden Tyrannentötern wie für die Heroen und Götter geopfert wurde.⁴³⁵ Wie man hieran gut erkennen kann, so wurde mit der Tat der beiden Tyrannentöter durch Gedenken und Ehrung eine politische Botschaft vermittelt.⁴³⁶ Insbesondere die Statuengruppe vermittelte diesen Sinn, den sowohl Xerxes erfaßt hat wie auch später Alexander der Große, als er diese Gruppe, die Xerxes als Kriegsbeute verschleppt hatte, den Athenern aus Susa zurücksandte. Auf der Agora ist ein Bruchstück der Basisinschrift gefunden worden (IG I3 502), die sehr wahrscheinlich zu der jüngeren Gruppe gehörte, die Kritios und Nesiotes geschaffen haben:⁴³⁷ [… … … … … … … … … … … … … …]h ΑΡΜΟΔΙΟΣ [… … … … … … … … … … . ΠΑ ] ΤΡΙΔΑ ΓΕΝ ΕΘΕΤΕΝ .
Abb. 3: IG I3 131, aus: Andreas Rumpf, Zu den Tyrannenmördern, in: Ernst Homann-Wedeking (Hrsg.), Festschrift Eugen v. Mercklin, Waldsassen 1964, 136.
Die Inschrift war sehr wahrscheinlich Teil eines Epigramms, das für diese Gruppe der Tyrannentöter verfaßt wurde: Meritt identifizierte aufgrund des Namens Harmodios am Ende des Pentameters die Zugehörigkeit zu einem Epigramm des Simonides.⁴³⁸ In den literarischen Quellen begegnet das Epigramm auf Harmodios zuerst bei Hephaistion, einem alexandrinischen Grammatiker des 2. Jahr Zur Speisung: Prytaneion-Dekret: IG I3 131; Erwähnung des Grabmals bei Paus. 1,29,5. Demosth. or. 19,280. Hölscher 1973, 85 f. und ders. 1998, 85. Zu der Agora-Inschrift mit dem Epigramm, das auf der Statuengruppe angebracht war: CEG I 430 mit Komm. und Bibl.; SEG 10,320; vgl. PMG 893 und 894; Meritt 1936; Raubitschek 1940, 58; Lewis zu IG I3 502: 477/6 v.Chr. Vgl. Rausch 1999, 42 ff., der nachdrücklich für eine Datierung der älteren Statuengruppe noch vor 500 v.Chr. eintritt. Raaflaub 2000, 249 – 275, insb. 261 zu der Rekonstruktion des Distichons aus Heph. Ench. 4,6 (vgl. Eustath. Il. 984,8). Rumpf 1964, 141 zu der Buchstabenform des Theta mit kleinem Kreis in der Mitte: Im Vergleich zu anderen Inschriften, die vor 480 v.Chr. zu datieren sind, hält er dieses Theta für eine kleine und manierierte Spielerei und verweist darauf, daß Raubitschek dazu nur fünf weitere Vergleichsfälle gefunden habe. Landwehr 1985, 47 zeigt, daß die Basis, an der die Inschrift angebracht war, nicht die ältere Statuengruppe getragen haben kann. Meritt 1936, 355 ff.
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Abb. 4: I3 131 Athens, Agora Museum, I 3872. Aus: Meritt 1936, 355.
hunderts n.Chr., und wird explizit Simonides zugeschrieben; dies wird später von Eustathius aus Hephaistion zitiert.⁴³⁹ Allerdings wird sowohl bei Hephaistion wie auch Eustathius nur ein Distichon aus diesem Epigramm zitiert: ἦ μέγ’ ᾿Aθηναίοισι φόως γένετ’ ἡνίκ’ ᾿Aριστογείτων Ἵππαρχον κτεῖνε καὶ Ἁρμόδιος
Ergänzt um das auf Stein erhaltene Bruchstück, ergibt sich: ἦ μέγ’ ᾿Aθηναίοισι φόως γένετ’ ἡνίκ’ ᾿Aριστογείτων Ἵππαρχον κτεῖνε καὶ Ἁρμόδιος […………………………………………] [………………. πα]τρίδα γῆν ἐθέτεν. „Ja, ein großes Licht erstrahlte fü r die Athener, als Aristogeiton und Harmodios den Hipparchos töteten. …………………………………………………. …. haben dem Vaterland … gebracht.“⁴⁴⁰
Die Frage, wie das zweite Distichon zu ergänzen ist bzw. worauf sich ἐθέτεν bezieht und was die Tyrannentöter nach Athen gebracht haben, hat zu kontroversen
CEG I 430: Heph. Ench. 4,6 (S. 14– 5 ed. Consbruch); Eustath. Il. ad Ξ 261– 6 (S. 636 Bd. III ed. van der Valk). Ausf. dazu Petrovic 2007, 127 f. Modifizierte Übersetzung nach Petrovic 2007, 113.
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Vorschlägen geführt. Peek hat die Ergänzung ἰσόνομον πατρίδα γῆν ἐθέτεν, Friedländer ἐν ἐλευθερίᾳ πατρίδα γῆν ἐθέτεν vorgeschlagen.⁴⁴¹ Die späteren inschriftlichen Reminiszenzen aus Olbia und Chios, die auf Harmodios und Aristogeiton als die Tyrannentöter Bezug nehmen, geben keine Anhaltspunkte, die als Argument für die Ergänzung des zweiten Distichons dienen könnten.⁴⁴² Die Verwendung der Lichtmetapher, die auch Aischylos benutzt – ἐλευθερίας φῶς (das Licht der Freiheit) – gilt als Beleg dafür, daß das Epigramm diesen Gegensatz zwischen Freiheit und Tyrannis anspricht und daher das, was Harmodios und Aristogeiton als das große Licht den Athenern bringen, die Freiheit ist.⁴⁴³ Andererseits ist das Trinklied ein Beleg dafür, daß die Tyrannentöter und ihre Tat mit der Isonomie in Verbindung gebracht wurden und dies nicht nur zu ihrer Zeit, sondern auch später noch, wie das Zitat bei Athenaios zeigt. Insbesondere ist der Begriff für die Zeit, in der die Memorierung und Ehrung der beiden begann – und hierfür ist es nicht entscheidend, ob die erste Statuengruppe direkt nach dem Sturz der Tyrannis in Auftrag gegeben wurde oder erst um oder sogar nach 500 v.Chr. – kein neuer oder ungewöhnlicher Begriff gewesen. Die Beschreibung der ionischen Isonomien bei Herodot zeigt eindrücklich, daß der Begriff um diese Zeit in der Diskussion über politische Teilhabe und Abschüttelung der Tyrannenherrschaften geläufig gewesen ist. Eine spätere Formulierung, die zwar die Isonomie nicht wörtlich zitiert, doch inhaltlich genau umschreibt, findet sich wiederum bei Aischylos in den Hiketiden: Aischyl. Hik. 678 – 703: φυλάσσοι τ’ ἀτρεμαῖα τιμὰς [στρ. δ.] τὸ δάμιον, τὸ πτόλιν κρατύνει, προμαθὶς εὐκοινόμητις ἀρχά·
Peek, in SEG X Nr. 320; ausf. dazu Raaflaub 2000, 261 ff. und Petrovic 2007, 113 ff. Inschrift aus Chios (3./2. Jh. v.Chr.): Erstpublikation durch Trypanis 1960, 69 – 74. Vgl. SEG 16,497,11– 14; SEG 17,392; Inschrift aus Olbia: SEG 31,702; CEG 2,884 und dazu Lebedev 1996, 263 – 268. In der Inschrift aus Olbia ist ἐλευθερίην von Vinogradov ergänzt; s. dazu Lebedev mit der Ansicht, daß mit ἐλεύθερος καὶ αὐτόνομος in der Inschrift aus Olbia die im 5. Jahrhundert v.Chr. geläufige Formel aufgegriffen worden sei und dies wiederum auf ein Epigramm zurückginge, das am δημόσιον σῆμα für die Tyrannentöter auf dem Kerameikos angebracht worden sei. Nach Raaflaub 2000, 264 wäre ἐλευθερία als Ergänzung in diesen späteren Inschriften nur dann plausibel, wenn der Bezug auf ein Vorbild aus der Zeit nach 479 v.Chr., als der Begriff geläufig wurde, sicher belegt werden könnte. Die Ergänzung ἐλευθερία für die frühere Basis-Inschrift der Antenor-Gruppe lehnt Raaflaub ab. Die Kombination von ἐλεύθερος und αὐτόνομος als Charakteristikum dessen, was die Tyrannentöter ihrem Vaterland gegeben haben, entspricht seiner Ansicht nach nicht dem athenischen Sprach- und Formulargebrauch des 5. Jahrhunderts v.Chr. Aischyl. Choeph. 809 und 863, vgl. 1046; Raaflaub 2003, 64; Petrovic 2007, 123 f.
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„Und furchtlos wahre seine Stellung Der Bü rger Rat, der im Staat die Macht hat Als klug aufs Volkswohl bedachte Herrschaft!“⁴⁴⁴
Hier geht es natürlich zuerst einmal um Argos, aber die Nähe zu Athen und die allgemeine Beziehung zur Demokratie Athens ist aufgrund der Aufführungssituation naheliegend.⁴⁴⁵ Christian Meier hat in den Versen die „prinzipielle Problematik politischer Entscheidung“ gesehen und darauf hingewiesen, daß es darum geht, daß die Betroffenen entscheiden sollen,⁴⁴⁶ während Bowra die Verse explizit in den Kontext der Entwicklung des Isonomie-Begriffs gerückt hat.⁴⁴⁷ Εὐκοινόμητις in der Verbindung des guten Beratens mit dem Interesse der Gesamtheit macht dies als Kontext plausibel. In komischer Umkehrung wird die herausragende Ehrenstellung der Tyrannentöter bei Aristophanes mehrfach aufgegriffen: So heißt es in der Lysistrate (Aristoph. Lys. 619 – 625) – an den Lenäen 411 v.Chr. im Kontext des oligarchischen Umsturzes der 400 aufgeführt⁴⁴⁸ – in Reaktion der alten Männer auf die alten Frauen, daß die Aktion der Frauen nach Tyrannis rieche, und dies wird mit derjenigen des Hippias verglichen. Und es drohe noch Schlimmeres: Die Spartaner hätten sich wohl im Haus des Kleisthenes getroffen, um die aufsässigen Frauen noch anzustacheln! Aber gegen diese tyrannischen Absichten beruft sich der Chorführer des Altmännerchores auf Harmodios und Aristogeiton, und wie diese werde er sein ‚Schwert in Zukunft im Myrtenzweig tragen‘ (Lys. 632: φορήσω τὸ ξίφος τὸ λοιπὸν ἐν μύρτου κλαδί) und in Waffen auf den Markt zur Statue des Aristogeiton, des Tyrannenmörders, gehen!⁴⁴⁹ Um die Rolle der Spartaner bei der Befreiung der Athener aus der Tyrannis ins Lächerliche zu ziehen, insbesondere die des spartanischen Königs Kleomenes, legt Aristophanes dem Chorführer der alten Männer eine den König verhöhnende und der Lächerlichkeit preisgebende Beschreibung in den Mund: Hungrig, schmutzig und unrasiert habe dieser die Akropolis verlassen müssen (Lys. 273 – 280)! Lysistrate hingegen, die Anführerin
ÜS Werner 1959. Meier 1988, 110 sah in den Versen „eine Anspielung auf die Agitation des Ephialtes“. Ausf. dazu mit Übersicht der verschiedenen Positionen Grethlein 2003, 100 f. Meier 1988, 106. So Bowra, Greek Lyric Poetry, Oxford 1936, 419. Dieser Bezug findet sich in der überarbeiteten Auflage von 1967 nicht mehr. Sommerstein 1977, 112– 126. Aristophanes erwähnt die Tyrannentöter in mehreren Komödien: in Ach. 978 – 80 und in Vesp. 1224– 26 Harmodios und das Trinklied, in Eccl. 681– 83 die Statue des Harmodios auf der Agora, an der das demokratische Losverfahren wie ein Symposium durchgeführt werde.
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der Frauen, erinnert daran, daß es gerade die Spartaner waren, die die Athener aus der Sklaverei der Peisistratiden befreiten. Abgesehen davon, daß sowohl Lysistrates Einwand wie auch der Spott des Chorführers über Kleomenes recht deutlich zeigt, daß den Athenern entgegen der Behauptung des Thukydides (s.o.) der Ablauf der Ereignisse von 510 v.Chr. und die Rolle der Spartaner sehr wohl bekannt war, geben die karrikierenden Verse noch weitere Hinweise. Auch wenn der Spott vom Genre her bedingt und daher keinesfalls wörtlich zu nehmen ist, – bspw. ist die Vorstellung, daß ein alter, gebrechlicher Mann kämpfen werde wie die beiden Tyrannentöter, eher lächerlich –, so leben Karrikaturen und Witze von der leichten Verständlichkeit, die auf einem dem Publikum gemeinsamen Wissen basieren. In der Lysistrate des Aristophanes beansprucht der Chorführer, in seiner Jugend nicht nur bei Leipsydrion (Lys. 665), sondern auch an der Vertreibung der Spartaner aus Athen 510 v.Chr. beteiligt gewesen zu sein (Lys. 272– 277) und präsentiert sich mit seiner Angleichung an und Berufung auf Harmodios und Aristogeiton als ein aufrechter Demokrat.⁴⁵⁰ Der Name des Kleisthenes, auch die Art seiner Reform war also ca. 100 Jahre später nicht ganz unbekannt, aber im Unterschied zu Harmodios und Aristogeiton kein Bestandteil mehr des couranten Wissens in Athen. Der Kleisthenes, den Aristophanes demgegenüber in der Lysistrate als einen Verbündeten der Spartaner (Lys. 621– 22) anführt und in dessen Haus sie sich in der Komödie auch versammeln, ist ein effeminierter Athener, den Aristophanes öfter in seinen Komödien verspottet.⁴⁵¹ Es ist durchaus möglich, daß Aristophanes hier zusätzlich auch auf den Reformer Kleisthenes anspielt, der sich ebenfalls mit den Spartanern zusammengetan hatte. In den Ekklesiazusen (Eccl. 681– 83) sollen die Dikasterien und die Stoai zu Orten umgewandelt werden, in denen alle Athener gemeinsam speisen können. Die Statue des Harmodios ist der Ort, an dem die Kleroteria aufgestellt werden und von dort aus sollen alle Bürger per Auslosung wie zu einem „demokratischen“, d. h. also demokratisierten Symposium verteilt werden. Für Aristophanes sind die Statuengruppe ebenso wie das Trinklied Embleme für die attische Demokratie, und das Trinklied wird als so allgemein bekannt vorausgesetzt, daß Anspielungen reichen, um für die Zuschauer den Kontext zu vergegenwärtigen. Gerade die Harmodios und Aristogeiton betreffenden Strophen müssen zum allgemein geläufigen Umgangswissen der Athener gehört haben, wenn schon die erste Zeile der Strophe ἐν μύρτου κλαδὶ τὸ ξίφος φορήσω als Zitat ausreichte. Da die Athenaion Politeia berichtet, daß es zu den jährlichen Aufgaben
Vgl. Azoulay 2017 (= 2014), 59. Aristoph. Av. 831.
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des Archon Polemarchos gehörte, die ἐναγίσματα für die Tyrannentöter durchzuführen,⁴⁵² läßt sich auch erkennen, woher den Athenern diese Strophen so bekannt waren: AP 58,1: Ὁ δὲ θύει μὲν θυσίας τῇ τε ᾿Aρτέμιδι τῇ ἀγροτέρᾳ καὶ τῷ Ἐνυαλίῳ, διατίθησι δ’ ἀγῶνα τὸν ἐπιτάφιον, καὶ τοῖς τετελευτηκόσιν ἐν τῷ πολέμῳ καὶ Ἁρμοδίῳ καὶ ᾿Aριστογείτονι ἐναγίσματα ποιεῖ. „Der Polemarchos bringt der Artemis Agrotera und Enyalios die Opfer dar. Er leitet auch die Leichenspiele zu Ehren der im Krieg Gefallenen und bringt zum Andenken von Harmodios und Aristogeiton die Totenopfer dar.“⁴⁵³
Philostratos gibt in seiner Vita des Apollonius von Tyana einen Hinweis darauf,⁴⁵⁴ in welchem Kontext diese ἐναγίσματα für Harmodios und Aristogeiton standen: Philostr. Ap. 7,4,30 – 35:⁴⁵⁵ διῄει δὲ αὐτοῖς καὶ τὰ Παναθήναια τὰ ᾿Aττικά, ἐφ’ οἷς Ἁρμόδιός τε καὶ ᾿Aριστογείτων ᾄδονται, καὶ τὸ ἀπὸ Φυλῆς ἔργον, ὃ καὶ τριάκοντα ὁμοῦ τυράννους εἷλε, καὶ τὰ Ῥωμαίων δὲ αὐτῶν διῄει πάτρια, ὡς κἀκεῖνοι δῆμος τὸ ἀρχαῖον ὄντες τὰς τυραννίδας ἐώθουν ὅπλοις. Er berichtete ihnen von den attischen Panathenäen, bei denen Harmodios und Aristogeiton gefeiert wurden, und pries die Tat von Phyle, welche dreißig Tyrannen auf einmal gestürzt hatte. Auch auf die alte Geschichte Roms ging er ein und bewies auf diesem Wege, daß auch die Römer zur Zeit der Volksherrschaft die Tyrannei mit Waffengewalt besiegt hätten.
Da der Polemarch diese Zeremonie jährlich durchführte, gab es ganz offensichtlich sowohl an den kleinen wie auch den großen Panathenäen Gesänge zu Ehren der Tyrannentöter. Als Datum ist der 28. Hekatombaion und als Ort die Tyrannentötergruppe vorgeschlagen worden.⁴⁵⁶ Insofern ist aufgrund der bei Aristophanes sichtbaren Bekanntheit die Vermutung plausibel, daß die Strophen, die Harmodios’ und Aristogeitons Tat rühmten, den Tyrannen ermordet und die Athen isonom gemacht haben, Bestandteil dieses jährlichen Rituals waren. Wie sehr die Tyrannentöter im rituellen Bereich der attischen Demokratie verankert waren, zeigt der Eid des Demophantos. Im Frühjahr 410 v.Chr., nach dem Sturz der Oligarchen und der Wiederbegründung der Demokratie, wurde auf Vgl. Pollux 8,91 und Heliod. 1,17,5. ÜS Chambers. Shear 2012, 107– 119; vgl. Rausch 1999, 60 f., der die These vertritt, daß daraus abzuleiten sei, daß dies im Zusammenhang mit einer militärischen Bedeutung stehe und die Rolle der Tyrannentöter die der Vorbilder „im bewaffneten Kampf um die Freiheit und um die staatliche Unabhängigkeit Athens“ (a. a.O. 60) sei. Vgl. Philostr. Ap. 5,34; 8,16 und Demosth. or. 19,280; Cic. Mil. 80. Zu Philostr. s.u. Kap. V.5.1. Shear a. a.O.
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Antrag des Demophantos ein Volksbeschluß verabschiedet, der alle Athener zu einem Eid verpflichtete, in dem sie auf den Schutz der Demokratie eingeschworen wurden,⁴⁵⁷ und jeder, der sich auch nur des Versuchs einer Handlung gegen die Demokratie oder der Errichtung einer Tyrannis schuldig machte, konnte auf der Stelle, ohne jedes Gerichtsverfahren oder die Möglichkeit zur Berufung, getötet werden.⁴⁵⁸ Wer also einen Tyrannenaspiranten tötete, sollte rein von jeder Blutschuld sein: ὅσιος ἔστω καὶ εὐαγής. Die attische Bürgerschaft konstituierte sich so hierbei neu in einem Schwurverband, der speziell auf die demokratische Verfassung ausgerichtet war.⁴⁵⁹ Schließlich folgt – als Bestandteil des Eides – der Bezug auf Harmodios und Aristogeiton: Andok. Myst. 1,98: ἐὰν δέ τις κτείνων τινὰ τούτων ἀποθάνῃ ἢ ἐπιχειρῶν, εὖ ποιήσω αὐτόν τε καὶ τοὺς παῖδας τοὺς ἐκείνου καθάπερ Ἁρμόδιόν τε καὶ ᾿Aριστογείτονα καὶ τοὺς ἀπογόνους αὐτῶν. Immer wenn aber jemand sein Leben verliert, wenn er irgendeinen von diesen tötet oder versucht zu töten, so will ich ihm und seinen Kindern das gleiche Wohlwollen zeigen wie gegenüber Harmodios und Aristogeiton und deren Nachkommen.
Harmodios und Aristogeiton sind die Vorbilder des demokratischen Bürgers in Athen geworden und die Kritik, die Thukydides und – implizit – auch Herodot daran äußerten, scheint in Athen niemanden beeindruckt zu haben.⁴⁶⁰ Daß aber Kleisthenes die eigentliche Reform durchgeführt hat, die das gesamte politische Leben der attischen Bürger prägen sollte und doch mit seinem Namen kein Mythos, kein Narrativ und keine uns bekannte Memorialpraxis verbunden wurde, dafür mit einem Liebespaar namens Harmodios und Aristogeiton, ist vielleicht weniger auffällig oder erklärungsbedürftig, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Alkmeoniden waren eine berühmte, reiche und einflußreiche Familie in Athen, aber mit ihrem Namen verbanden sich auch Freveltaten wie der Kylonische Frevel, den die Spartaner noch zu Beginn des Peloponnesischen Krieges aufrufen konnten, ebenso wie Kleomenes, als er zur Unterstützung des Isagoras in den Jahren kurz nach dem Sturz des Hippias in Athen einmarschierte.⁴⁶¹ Die Haltung der Alkmeoniden gegenüber den Tyrannen war ambivalent: Megakles hatte mit
Andok. Myst. 1,96 – 98. Vgl. dazu Schubert 1993, 63 f. Lehmann 1997, 46 mit Anm. 53 weist daraufhin, daß dies auch dazu diente, die Bürgerlisten nach der Oligarchie wiederherzustellen. Azoulay 2014 (= 2017), 20 f.; für Ober 2005, 219 sind dies „models of ‘democratically correct’ behavior“. Hdt. 5,70,2 und Thuk. 1,126.
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Peisistratos paktiert⁴⁶² und Kleisthenes war – ganz bestimmt nicht ohne die Zustimmung der Peisistratiden – 525 v.Chr. Archon in Athen gewesen. Warum sich Alkmeoniden und Peisistratiden danach wieder entzweiten, ist nicht bekannt. Der historische Kontext seiner Aktionen gegen die Peisistratiden zeigt jedoch, daß diese erst erfolgreich wurden, als die Spartaner eingriffen – und das auch eigentlich nicht zugunsten der Alkmeoniden, sondern um ihren eigenen, hegemonialen Anspruch zu wahren.⁴⁶³ Kleisthenes scheint der typische Alkmeonide gewesen zu sein: So vermögend, daß er den Apollo-Tempel in Delphi mit einer Marmorfassade auf eigene Kosten schmücken konnte, so einflußreich, daß, als Kleomenes ihn aus Athen entfernen wollte, gleichermaßen 700 weitere Familien ins Exil geschickt wurden, so manipulativ, daß es ihm gelang, in Delphi die Priester dahin zu bewegen, daß die Pythia den Spartanern Jahr für Jahr die Ermahnung gab, die Tyrannen in Athen zu stürzen. Er scheint auch unter seinen Mitbürgern in Athen keine große Begeisterung geweckt zu haben, denn als er für das Archontat kandidierte, unterlag er – trotz seines Einsatzes für die Befreiung von den Tyrannen – seinem Gegenkandidaten Isagoras, von dem bekannt ist, daß er zusammen mit dem Spartanerkönig Kleomenes versuchte, in Athen ein oligarchisches Regime einzurichten.⁴⁶⁴ Demgegenüber war ein Liebespaar, das nicht seit Jahrzehnten in eine Rivalität mit den Peisistratiden verstrickt war, wesentlich attraktiver. Jedoch ist angesichts der tiefgreifenden Reform, die Kleisthenes durchführte und die fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens der Bürgerschaft erfaßte, kaum vorstellbar, daß die Glorifizierung der beiden Tyrannentöter völlig losgelöst von der Politik des Kleisthenes geschah. Die Gemeinschaft, die der ältliche Chorführer in der Lysistrate seinen Zuhörern im Bühnengeschehen vermittelt, die die Kämpfer bei Leipsydrion – die von den Alkmeoniden angeführt wurden – ebenso umfaßte wie die Athener, die Kleomenes zum Aufgeben zwangen, ist zwar anachronistisch, doch ist eine Gemeinschaft der Exilierten, die alle – vielleicht auch unterschiedlichen – Interessen zusammenband und in der die Freunde und Angehörigen von Harmodios und Aristogeiton auf der Seite der Alkmeoniden kämpften, nicht unwahrscheinlich. Die zentrale Stellung, die die Tyrannentöter in der rituellen Praxis der demokratischen Selbstvergewisserung bekamen, war auch für das große Reformwerk des Kleisthenes von Vorteil und hat seine Neuerungen sicher eher gestützt, als daß hier ein Gegensatz anzunehmen wäre. Hdt. 1,60; AP 14,4. Hippias versuchte, seinen Einfluß durch Allianzen auszudehnen, und kam mit seiner Verbindung nach Argos den Spartanern gefährlich nahe: AP 19,4. AP 20.
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III.3 Die Phylenreform des Kleisthenes: Verwirklichung der Isonomie Die Phylenreform des Kleisthenes wird in der zeitgenössischen oder in etwa noch zeitnahen Überlieferung nie als Isonomie bezeichnet. Doch die Bekanntheit des Trinkliedes und die Glorifizierung der Tyrannentöter als Urheber des Tyrannensturzes sollten nicht in einen Gegensatz zu Kleisthenes und seinen Reformen gestellt werden. Da das Lied – wenn die Vermutung stimmt, daß es an den Panathenäen gesungen wurde – Bestandteil der attischen Memorialkultur war und der Anfangsvers aus dem Trinklied, das die Tat von Harmodios und Aristogeiton dafür rühmte, daß sie Athen isonom gemacht haben, zu dem Sprichwortschatz der Antike gehörte,⁴⁶⁵ ist auch die Identifizierung der Reform mit dieser politischen Botschaft nicht abwegig. Kleisthenes und die Tyrannentöter standen in der Erinnerung der Athener wohl eher – wie oben schon vermutet – nicht für Gegensätze: Beide haben sie im Kerameikos ein öffentliches Ehrengrab erhalten, und für beide gilt, daß nicht nur das Grabmal für die Tyrannentöter, sondern auch das für Kleisthenes nach der Zerstörung Athens durch die Perser wiederaufgebaut worden ist.⁴⁶⁶ Da Pausanias das Grab des Kleisthenes mehr als 600 Jahre nach den Ereignissen des Tyrannensturzes in Athen sah und beschrieb, ist unstrittig, daß man in Athen sein Andenken auch später noch ehrte. In der rhetorischen und historiographischen Tradition wird Kleisthenes in einem Atemzug mit Solon genannt. Isokrates bezeichnet ihn im Areopagitikos (c. 20) als jemanden, der sich noch nicht der später praktizierten Umwertung der herkömmlichen, politischen Begriffe schuldig gemacht hatte, sondern für den Demokratie, Freiheit und Isonomie noch für ihre traditionelle Bedeutung standen.⁴⁶⁷ Insgesamt scheint man aber bereits am Ende des 5. Jahrhunderts v.Chr. nicht mehr viel über Kleisthenes’ Reform gewußt zu haben. Die Athenaion Politeia berichtet, daß im Zusammenhang des ersten der beiden oligarchischen Umstürze während des peloponnesischen Krieges (411 v.Chr.) ein gewisser Kleitophon einen Zusatzantrag in der Volksversammlung einbrachte: Man solle auch „die altüberkommenen Gesetze, die Kleisthenes erlassen hatte, als er die Demokratie be-
Aristoph. Lys. 632; dazu Scholia in Aristophanem, (scholia vetera) (Dübner) ad 632; Aelius Herodianus Περὶ παθῶν 3,2,205,4; Eustath. Od. (Ed. Stallbaum) 1,33,7; Suda ε 1384; φ 592; Athen. 685ab = 15,50,61 Kaibel und Athen. (epitome, Ed. Peppink) 2,2,159,8; Appendix proverbiorum (Ed. von Leutsch/Schneidewin) 2,64,1. Vgl. oben Kap. III.2. Paus. 1,29,6: αὖθις δέ ἐστιν ᾿Aθηναίων μνήματα Κλεισθένους, ᾧ τὰ ἐς τὰς φυλὰς αἳ νῦν καθεστᾶσιν εὑρέθη. Zu der Lage des Grabmals für Kleisthenes: Judeich 1905, 359. Vgl. dazu Schefold 1946, 59 – 93, hier 69 und Engels 1978, 101 sowie Rausch 1999, 55 ff. Ausf. dazu unten Kapitel V.3. In Areopag. 16 nennt Isokrates Kleisthenes als den, der die Tyrannen vertrieben hätte. Vgl. Antidos. 232.
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gründete, mit heranziehen“. Der Verfasser der Athenaion Politeia kommentiert dies, mit einem leicht spöttischen Unterton, so: „Er [Kleitophon] ging also davon aus, daß die Verfassung des Kleisthenes gar nicht demokratisch, sondern der des Solon ähnlich gewesen sei.“⁴⁶⁸ Plutarch weiß dieses Unwissen in seiner KimonBiographie sogar noch früher in der Geschichte Athens anzusetzen: Im Zusammenhang der Ereignisse, die zur Verbannung Kimons auf Betreiben des Ephialtes und dessen Agitationen gegen den Areopag gehörten (461 v.Chr.), berichtet Plutarch, daß Kimon empört über die Herabsetzung des Areopags durch Ephialtes gewesen sei und versucht habe, die Aristokratie aus der Zeit des Kleisthenes wiederherzustellen.⁴⁶⁹ Eine explizite Bezeichnung der Kleisthenischen Phylenreform als Isonomie findet sich erst bei Dionysios von Halikarnaß.⁴⁷⁰ Die Verfassungsdiskussion, die Dionysios nach dem Sturz der Könige in Rom in seiner Darstellung stattfinden läßt, und die sich um die Einführung einer Isonomie in Rom dreht, wird von ihm zeitlich parallel zum Tyrannensturz in Athen angesetzt. Mit der Charakterisierung als Isonomie ist auch ein Zeugnis dafür gewonnen, daß nicht nur die Tyrannentöter als Bringer der Isonomie angesehen wurden, sondern auch die neue politische Ordnung, die Kleisthenes in Athen etablierte, als Isonomie galt. Plutarch hingegen verwendet den Begriff ‚Isonomie‘ in dem Zusammenhang, in dem er Kleisthenes würdigt, nicht:⁴⁷¹ Plut. Perikles 3: […], ὃς [sc. Κλεισθένης] ἐξήλασε Πεισιστρατίδας καὶ κατέλυσε τὴν τυραννίδα γενναίως καὶ νόμους ἔθετο καὶ πολιτείαν ἄριστα κεκραμένην πρὸς ὁμόνοιαν καὶ σωτηρίαν κατέστησεν.
AP 29,3: Κλειτοφῶν δὲ τὰ μὲν ἄλλα καθάπερ Πυθόδωρος εἶπεν, προσαναζητῆσαι δὲ τοὺς αἱρεθέντας ἔγραψεν καὶ τοὺς πατρίους νόμους, οὓς Κλεισθένης ἔθηκεν ὅτε καθίστη τὴν δημοκρατίαν, ὅπως ἀκούσαντες καὶ τούτων βουλεύσωνται τὸ ἄριστον, ὡς οὐ δημοτικὴν ἀλλὰ παραπλησίαν οὖσαν τὴν Κλεισθένους πολιτείαν τῇ Σόλωνος. („Kleitophon unterstü tzte den Antrag des Pythodoros, beantragte jedoch einen Zusatz: die Gewählten sollten auch die altü berkommenen Gesetze, die Kleisthenes erlassen hatte, als er die Demokratie begrü ndete, mit heranziehen, um nach Anhörung auch dieser (Gesetze) die besten Ratschläge erteilen zu können. Er ging also davon aus, daß die Verfassung des Kleisthenes gar nicht demokratisch, sondern der des Solon ähnlich gewesen sei.“ ÜS Chambers). Noch dunklere Vergangenheitsassoziationen hat der pseudo-platonische Axiochos 365d8, der Kleisthenes zusammen mit Drakon in eine Vorzeit setzt, in der schlimme Dinge passiert seien (ähnlich Theod. Graec. affect. curat. 9,12,8). Plut. Kimon 15. Dion. Hal. ant. 4,72,3, ausf. dazu unten Kap. V.5. Vgl. Plut. Aristeides 2,1; Stoic. rep. 1033 f. und Kimon 15,3: hier bezeichnet er die kleisthenische Politeia als eine Aristokratie.
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„Dieser Kleisthenes hatte die Söhne des Peisistratos vertrieben, mit entschlossenem Mute die Tyrannis beseitigt, Gesetze gegeben und eine Verfassung geschaffen, die in ihrer trefflichen Mischung aller Elemente Eintracht und Wohlfahrt des Staates verbü rgte.“⁴⁷²
Die Neuordnung führte Kleisthenes in einer historischen Phase durch, in der Athen mehrfach von spartanischen Invasionen heimgesucht wurde, andererseits in Athen selbst die Rivalitäten aufbrachen.⁴⁷³ Zwischen 508/7 v.Chr., als die Reform – möglicherweise erst als Plan – beschlossen wurde, und 501/0 v.Chr., als das erste Mal die zehn Strategen gewählt wurden, ist das politische Institutionengefü ge Athens neugestaltet worden. Herodot und die Athenaion Politeia beschreiben die kleisthenische Reform im Wesentlichen als eine Neueinrichtung von zehn Phylen, während der Areopag und das Archontat unverändert blieben.⁴⁷⁴ Die vier alten ionischen Phylen – benannt nach den vier Söhnen des Ion – bleiben weiterhin bestehen. Die neuen Phylen sollten je 50 Mitglieder fü r den Rat, die Boule, stellen, der seit Kleisthenes ein Rat der 500 war, statt des älteren Rates der 400, der – wenn er denn tatsächlich existiert haben sollte – 400 Mitglieder hatte, die aus den vier ionischen Phylen entsandt wurden. Die Basis dieser Ordnung ist die Zahl 10, so daß hier eine durchgängig dekadische Struktur sichtbar wird. Das eigentlich politische Element in dieser Organisation ist die breite Verankerung des Prinzips der kollektiven Verantwortung.⁴⁷⁵ Durch die strenge Proportionalität des Repräsentationssystems mit den Teilen der Phylen, Trittyen, Demen und der Boule wurde die Paritzipation sowohl individuell wie regional gesichert: Die Regionen werden durch das Trittyen-System gleich gewichtet und erhalten so in der Boule ihren Anteil an der politischen Mitwirkung. Die einzelnen Bürger in den Demen sind wiederum durch das Repräsentativ- und Rotationssystem über die Phylen sowohl an den Ämtern wie auch den kultisch-religiösen Riten beteiligt. Fü r 501/0 v.Chr. ist erstmals der Schwur eines Eides ü berliefert, den die Boule alljährlich zu ihrem Amtsantritt abzulegen hatte und der als symbolischer Akt des abgeschlossenen Konstituierungsprozesses zu betrachten ist.⁴⁷⁶ Damit wurde das Gremium in die rituelle Ordnung der Polis integriert. Da in diesem Jahr die erste Wahl der Strategen stattfand, ist mit einer, diesem Zeitpunkt vorausgehenden, längeren Phase zu rechnen, in der die neue politische Ordnung in Athen admi-
ÜS Ziegler. Hierzu Schubert 2010b, 146 f. AP 21, s.u. i.E. Von Raaflaub 1995, 52 jedoch als lediglich ‚protodemokratisch‘ bezeichnet. Rekonstruktion des Eides bei Rhodes 1972, 210. Hierzu ausf. Schubert 2003, 13 ff., der dieser Abschnitt folgt.
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nistriert und organisiert wurde sowie schließlich mit der Strategenwahl ihre endgü ltige, feste Form erhielt. Diese Einzelelemente der Reform sind keineswegs grundsätzliche Neuerungen. Vor allem ist die Anzahl der Einheiten im Vergleich zu den vorhergehenden Strukturen erheblich vergrößert und neu benannt worden. Aus vier Phylen wurden zehn, aus zwölf Trittyen 30, aus 400 Ratsherren dann 500. Die bürgerliche Abstammung wurde neu definiert über die Einrichtung einer erblichen und territorialen Zugehörigkeit zu einem Demos, denn die Demen wurden zu den Grundeinheiten der neuen Ordnung: AP 21,4: διένειμε δὲ καὶ τὴν χώραν κατὰ δήμους τριάκοντα μέρη, δέκα μὲν τῶν περὶ τὸ ἄστυ, δέκα δὲ τῆς παραλίας, δέκα δὲ τῆς μεσογείου, καὶ ταύτας ἐπονομάσας τριττῦς, ἐκλήρωσεν τρεῖς εἰς τὴν φυλὴν ἑκάστην, ὅπως ἑκάστη μετέχῃ πάντων τῶν τόπων. καὶ δημότας ἐποίησεν ἀλλήλων τοὺς οἰκοῦντας ἐν ἑκάστῳ τῶν δήμων, ἵνα μὴ πατρόθεν προσαγορεύοντες ἐξελέγχωσιν τοὺς νεοπολίτας, ἀλλὰ τῶν δήμων ἀναγορεύωσιν. καὶ καλοῦσιν ᾿Aθηναῖοι σφᾶς αὐτοὺς τῶν δήμων. „Außerdem teilte er das Land nach Gemeinden (Demen) in 30 Teile auf, nämlich zehn aus der Umgebung der Stadt, zehn von der Küste und zehn aus dem Binnenland; diese nannte er Trittyen und loste drei für jede Phyle aus, damit jede (Phyle) Anteil an allen Gegenden habe. Er faßte auch diejenigen, die jeweils in einer Gemeinde wohnten, zu Gemeindemitgliedern (Demoten) zusammen, damit man (Leute) nicht mit Vatersnamen anredete und dadurch die neuen Bürger entlarvte, sondern mit Gemeindenamen; und deshalb nennen sich die Athener selbst nach ihren Gemeinden.“⁴⁷⁷
Gerade die Einfü hrung der erblichen Zugehörigkeit zu den Demen, dem Grundbaustein der neuen Ordnung, belegt die Absicht, die neuen Einrichtungen des Rates der 500 und der zehn Phylen mit der zugrundeliegenden politischen Geographie Attikas zu verbinden. Diese knü pft jedoch so deutlich an die alte Ordnungsstruktur an, daß darin, ebenso wie in der Beibehaltung der Relation zwischen Trittyen und Phylen, kein Zufall gesehen werden kann. Auch die Schaffung der Demen baut auf vorhandenen Strukturen auf, da sie teilweise ihre alten Namen behielten und damit die alten Traditionen. Nichtsdestoweniger bilden aber gerade die Demen ein ganz wesentliches, wenn nicht das entscheidende Element der Reform: Die Mischung alter mit neugeschaffenen Demen, die Erweiterung des Funktionsbereiches und die Koppelung der Einschreibung in die Demenlisten mit dem Bü rgerrecht bilden das Fundament der neugeordneten politischen Geographie Attikas.⁴⁷⁸ Diese Reform war zweifellos tiefgreifend – aber wie schnell und
ÜS Chambers. Vgl. dazu auch Dmitriev 2018, 169 ff. der als political community diejenigen definiert, die politische Rechte in Athen besaßen und im Zuge der kleisthenischen Reformen dieselben po-
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wie effizient ist sie umgesetzt worden? Wie lange hat es gedauert, bis sie sich im Bewußtsein der Athener Bü rger fest etabliert hatte, so daß die komplizierten Abstimmungsprozeduren zur Routine wurden und die Selbstverständlichkeit eines partizipatorischen Handelns das politische Geschehen in Boule und Volksversammlung bestimmten? Herodot beschreibt die Maßnahmen des Kleisthenes nur äußerst knapp.⁴⁷⁹ Die Phylenreform vergleicht er mit der Phylenreform des Tyrannen Kleisthenes von Sikyon, der mütterlicherseits Großvater des Kleisthenes war, und meint dazu, daß Kleisthenes in seinem Machtkampf mit Isagoras diesen Großvater nachgeahmt habe: Hdt. 5,66,2: οὗτοι οἱ ἄνδρες ἐστασίασαν περὶ δυνάμιος, ἑσσούμενος δὲ ὁ Κλεισθένης τὸν δῆμον προσεταιρίζεται. Μετὰ δὲ τετραφύλους ἐόντας ᾿Aθηναίους δεκαφύλους ἐποίησε, τῶν Ἴωνος παίδων Γελέοντος καὶ Αἰγικόρεος καὶ ᾿Aργάδεω καὶ Ὅπλητος ἀπαλλάξας τὰς ἐπωνυμίας, ἐξευρὼν δὲ ἑτέρων ἡρώων ἐπωνυμίας ἐπιχωρίων, […]. „Diese beiden Männer kämpften um die Macht; als Kleisthenes unterlag, machte er sich den Demos zum Freund. Anschließend teilte er die Athener, die (zuvor) in vier Phylen gegliedert waren, (nun) in zehn Phylen ein, wobei er die (bisherigen) Benennungen nach den vier Söhnen des Ion – Geleon, Aigikores, Argades, Hoples – abschaffte und Benennungen nach anderen einheimischen Heroen erfand […].“⁴⁸⁰
Allerdings wird aus dieser und der noch knapperen Bemerkung im Kontext des sog. Alkmeoniden-Exkurses, daß Kleisthenes eine Phyleneinteilung und die Demokratie geschaffen habe (Hdt. 6,131,1), in keiner Weise deutlich, wieso im Fall Athens durch die neue Phylenordnung eine Stärkung des Volkes, im andern Fall eine Stabilisierung der Tyrannis erfolgte. Daß der Kern der kleisthenischen Maßnahmen die Einrichtung der zehn Phylen war, bestätigt auch Aristoteles, der aber sowohl in der Athenaion Politeia wie auch in der Politik – im Unterschied zu Herodot – deutlich macht, inwiefern dies mit der Stärkung des Volkes zusammenhängt. Zu Kleisthenes’ Reform heißt es in der Athenaion Politeia:
litischen Rechte erhielten, während Solon diese nur der Gruppe der Astoi zugebilligt habe. Das Problem dieses Ansatzes ist allerdings, daß Dmitriev von einem speziellen Abstammungskonzept ausgeht, wonach die Astoi eine exklusive Gruppe waren, die sich durch eine gemeinsame Abstammung definierte. Diese Verbindung von politischer Teilhabe und aufgrund von Abstammung exkludierenden Zugehörigkeiten findet sich in den Texten Solons nicht, und auch nicht bei Herodot. Sie basiert vielmehr auf einer Absolutsetzung des solonischen Familienrechtes (insb. der Enktesis und der Engye) als Abgrenzungsmechanismus gegenüber anderen. Vgl. Hdt. 6,131,1, wo er über Kleisthenes sagt τε ὁ τὰς φυλὰς καὶ τὴν δημοκρατίην ᾿Aθηναίοισι καταστήσας. ÜS Nesselrath, modifiziert.
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AP 21,1– 2: τότε δὲ τοῦ πλήθους προεστηκώς, ἔτει τετάρτῳ μετὰ τὴν τῶν τυράννων κατάλυσιν, ἐπὶ Ἰσαγόρου ἄρχοντος, πρῶτον μὲν συνένειμε πάντας εἰς δέκα φυλὰς ἀντὶ τῶν τεττάρων, ἀναμεῖξαι βουλόμενος, ὅπως μετάσχωσι πλείους τῆς πολιτείας· […]. „So war er also Anführer des Volkes und teilte im vierten Jahre nach der Vertreibung der Tyrannen unter dem Archonten Isagoras zunächst alle (Bürger) in zehn statt der (früheren) vier Phylen ein, da er sie untereinander vermischen wollte, damit mehr Leute am Bürgerrecht teilhaben sollten.“⁴⁸¹
Und ausführlicher in der Politik: Aristot. pol. 1275b34– 39: ἀλλ’ ἴσως ἐκεῖνο μᾶλλον ἔχει ἀπορίαν, ὅσοι μετέσχον μεταβολῆς γενομένης πολιτείας, οἷον ᾿Aθήνησιν ἐποίησε Κλεισθένης μετὰ τὴν τῶν τυράννων ἐκβολήν· πολλοὺς γὰρ ἐφυλέτευσε ξένους καὶ δούλους μετοίκους. τὸ δ’ ἀμφισβήτημα πρὸς τούτους ἐστὶν οὐ τίς πολίτης, ἀλλὰ πότερονἀδίκως ἢ δικαίως. „Aber vielleicht liegt eher in folgendem ein ungelöstes Problem, (ich meine) wenn einige nach einem Verfassungswechsel Bürgerrechte erhielten, wie sie Kleisthenes in Athen nach der Vertreibung der Tyrannen verlieh; denn er nahm viele Metöken fremder und unfreier Herkunft in die Phylen auf. Bei diesen ist die Frage nicht, wer Bürger ist, sondern ob er es zu Unrecht oder zu Recht ist.“⁴⁸²
Ganz deutlich wird Aristoteles dann im 6. Buch der Politik: Aristot. pol. 1319b19 – 27: ἔτι δὲ καὶ τὰ τοιαῦτα κατασκευάσματα χρήσιμα πρὸς τὴν δημοκρατίαν τὴν τοιαύτην, οἷς Κλεισθένης τε ᾿Aθήνησιν ἐχρήσατο βουλόμενος αὐξῆσαι τὴν δημοκρατίαν, καὶ περὶ Κυρήνην οἱ τὸν δῆμον καθιστάντες. φυλαί τε γὰρ ἕτεραι ποιητέαι πλείους καὶ φατρίαι, καὶ τὰ τῶν ἰδίων ἱερῶν συνακτέον εἰς ὀλίγα καὶ κοινά, καὶ πάντα σοφιστέον ὅπως ἂν ὅτι μάλιστα ἀναμειχθῶσι πάντες ἀλλήλοις, αἱ δὲ συνήθειαι διαζευχθῶσιν αἱ πρότερον. „Außerdem sind für diesen Typ von Demokratie Maßnahmen von Nutzen, wie sie Kleisthenes in Athen ergriff, als er die Demokratie stärken wollte, und wie in Kyrene diejenigen, die die Demokratie einrichten wollten: man muß neue Phylen und Phratrien in größerer Zahl bilden und die (Vielzahl) privater Kulte auf wenige reduzieren, zu denen die Allgemeinheit Zugang hat. Überhaupt muß man sich alle erdenklichen Mittel aussinnen, die soweit wie möglich zu einer Verschmelzung aller Bürger miteinander führen, während früher zwischen ihnen bestehende Verbindungen zerrissen werden.“⁴⁸³
ÜS Chambers. ÜS Schütrumpf. ÜS Schütrumpf. Vgl. AP 21,6: Kleisthenes hat die Phratrien unverändert gelassen; insofern sollte Aristoteles hier so verstanden werden, daß sich die Bemerkung über die Phratrien auf Kyrene bezieht; Komm. Schütrumpf/Gehrke 1996 ad loc. 639.
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Dies sind keineswegs triviale Eingriffe, die für alle Bürger leicht zu akzeptieren gewesen sind. Zwar wird, wie Aristoteles hier ausführt, einerseits der Demos gestärkt, indem eine breite Lagerung der Macht eingeführt wird. Andererseits ist eine Vermischung innerhalb der Bürgerschaft bezweckt: Neubürger und Altbürger sollen verschmelzen und bisherige Verbindungen – die natürlich auch politisch wirksam waren – sollen gelöst werden. Diese Art von Mischung ist es offenbar auch, die Gelon in Sizilien praktizierte, indem er 10.000 Söldner aus Kamarina, Gela und den anderen sizilischen Städten umsiedelte. Diodor beschreibt, zu welchen Verwerfungen und Instabilitäten dies führte und vor allem, wie gewalttätig solche Mischungsaktionen ablaufen konnten.⁴⁸⁴ Aus Athen hingegen ist nicht bekannt, daß es zu vergleichbaren Verwerfungen gekommen wäre. Bis zu der kleisthenischen Reform war der Nachweis über die Mitgliedschaft in einer Phratrie das einzige Mittel eines in Attika Lebenden, seine Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der Athener zu beweisen. Jedoch war auch mit einem solchen Nachweis kein Rechtsschutz gegen Willkür oder ein Anspruch auf politische Mitwirkung gegeben.⁴⁸⁵ Die Regelungen Solons, die das Recht zur Teilnahme an der Volkversammlung, der Ekklesia, und wohl auch zur Berufung (Ephesis) an das Volksgericht, die Heliaia, umfaßten, also die institutionellen Voraussetzungen einrichteten, scheinen jedoch keine entsprechende politische Realität geschaffen zu haben. Hierauf deuten Grabinschriften aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. hin, die zwischen den Bewohnern der Stadt unterscheiden und denjenigen vom Lande, die als Fremde (Xenoi) bezeichnet werden.⁴⁸⁶ Die Bezeichnung als Fremder (Xenos) bedeutet in diesem Zusammenhang, daß derjenige sich weder als Bürger derselben Polis noch als Teilhabender an derselben Rechtsordnung betrachten konnte bzw. betrachtet wurde. Auch die durch regionale Unterschiede bedingten Auseinandersetzungen der nachsolonischen Zeit zwischen den Bewohnern der Küstenregion im Süd-Osten Attikas (Paralioi),
Dmitriev 2018, 174 weist daraufhin, daß die ‚Kolonisten‘, die Hieron in Katane angesiedelt hat und auf die Thrasybul sich stützte (Diod. 11,67,7; vgl. 11,49,1– 2 und 11,76,3) offenbar den Status von Neubürgern mit dem Recht Land zu besitzen und zu erwerben hatten, wie es in Athen mit dem Recht der Enktesis auch üblich war. In jedem Fall zeigen die Beispiele, daß das Bürgerrecht mit dem Recht, in der jeweiligen Polis Land zu besitzen, engstens verbunden war: Vgl. auch Gelon, der das Bürgerrecht an 10.000 Söldner und andere gab, die er in Kamarina, Gela und anderen sizilischen Städten ansiedelte. Nach Diodor (11,76,5) sind Katane, Rhegion und viele andere Poleis ihren vorherigen Bürgern (τοῖς ἀρχαίοις πολίταις) nach dem Sturz des Thrasybul zurückgegeben worden und es wurde ihnen auch ihr Land wieder zugeteilt. Die Söldner mußten abziehen, konnten aber ihren beweglichen Besitz mitnehmen und wurden in Messina angesiedelt (κατοικεῖν). AP 12,4 zum Verkauf von Athenern in die Sklaverei; dazu Frost 1994, 49 f. IG I2 976 = IG I³ 1194bis; Jeffery 1962, 133, Nr. 34; dazu mit weiteren Belegen: Frost 1994, 51.
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denjenigen der Ebene um die Stadt (Pediakoi) und denjenigen der Bergregion in Ost-Attika (Hyperakrioi), die sich Peisistratos für seine Machtergreifung zunutze gemacht hatte, zeigen den geringen bzw. gar nicht vorhandenen inneren Zusammenhalt Attikas.⁴⁸⁷ Die lange Friedenszeit unter den Peisistratiden, die durch Peisistratos geförderte Binnenkolonisation der attischen Chora und die Auswirkungen der Realteilung haben zu einer breitflächigeren Verteilung des Landbesitzes geführt.⁴⁸⁸ Damit einher ging auch eine stärkere soziale Stratifikation und vor allem dürfte das Wegeprogramm Hipparchs viel dazu beigetragen haben, der Binnenkommunikation und dem Kontakt innerhalb Attikas sowohl auf administrativer wie auch gesellschaftlicher Ebene den Weg zu bereiten. Der eigentliche Einschnitt in dieser Entwicklung ist in dieser kleisthenischen Bestimmung zu sehen:⁴⁸⁹ Die Einschreibung aller freien Einwohner Attikas in die neu geschaffenen Demen war das wirkungsvollste und schnellste Mittel, für alle das Bürgerrecht zu sichern. Kleisthenes hat nach Aristoteles einer größeren Anzahl von in Attika lebenden Fremden (Xenoi) und Sklaven durch die Eingliederung in die Phylen das Bürgerrecht gegeben.⁴⁹⁰ In der Existenz dieser Bevölkerungsgruppe spiegelt sich etwas von der komplizierten Sozialgeschichte Attikas seit der solonischen Zeit. Es ist nach wie vor völlig unklar, wie sich beispielsweise die Besitzverhältnisse an Land im Bereich der Binnenkolonisation Attikas entwickelt haben, ob die Pächter von Land auch das Bürgerrecht hatten oder wie der bürgerliche Status der von Solon nach Athen Zurückgeführten war, die vor dieser Rückführung als Sklaven verkauft worden waren. Daraus ist abzuleiten, daß die wirtschaftliche Entwicklung der archaischen Zeit zur Existenz einer Gruppe geführt hatte, deren bürgerlicher Status seit Solon unklar war. Ob für diese Gruppe im Zusammenhang der Phylenordnung auch die Einschreibung in einer Phratrie festgelegt wurde, ist nicht sicher.⁴⁹¹ Die gleichzeitige Festlegung durch Kleisthenes, daß die Einschreibung in die Demen erblich sein sollte, hat jedoch eine feste Ordnung und unumkehrbare Entwicklung begründet, die alte und familiäre Bindungen durch die neue territoriale Gliederung überdeckte, aber nicht beseitigte, und gleichzeitig die neue, breitere Lagerung der politischen Ordnung und
AP 13,4; dazu Chambers 1990, 196 f.; vgl. Connor 1987, 40 – 50 und Connor 1994, 38 ff. zu den auch im 5. Jh. v.Chr. noch vorhandenen regionalen Interessen. AP 16,3; dazu Rhodes 1993, 214 f.; Link 1991, 13 ff. Hdt. 5,66; AP 20,1. Aristot. pol. 1275b37; vgl. dazu Chambers 1991, 225. AP 21,6: Kleisthenes beließ Gene, Phratrien und Priestertümer in der bestehenden Form; Aristot. pol. 1319b: Kleisthenes erhöhte die Zahl der Phratrien für die Neubürger. Vgl. dazu Hedrick 1991, 251 und unten ausf. 136 f.
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Teilhabe absicherte.⁴⁹² Das kleisthenische Konzept von Bürgerrecht und diese territoriale Gliederung bringen damit in gewisser Weise die Entwicklung der archaischen Zeit zum Abschluß.⁴⁹³ Die von rechtlichen und ökonomischen Unterschieden ganz unabhängige Definition der Zugehörigkeit zu einem Demos und damit auch zu einer der zehn Phylen als des einzigen und einheitlichen Kriteriums des Bürgerseins begründete darüberhinaus auch einen neuen Ausgangspunkt für die soziale und religiöse Identität eines Atheners, die weit mehr umfaßte als nur die Teilnahme an der politischen Ordnung.⁴⁹⁴ Wie bereits oben dargestellt, so war das Wegeprogramm des Hipparch sicher eine notwendige, infrastrukturelle Voraussetzung dafür, daß diese Reform überhaupt auf den Weg gebracht werden konnte. Hinweise darauf, daß parallel zur Umsetzung der Kleisthenischen Phylenreform versucht wurde, die Neuordnung rituell, kultisch und visuell in das Leben der Athener zu integrieren, lassen sich zur Genüge finden:⁴⁹⁵ Es setzte eine rege Bautätigkeit in der Stadt ein, Feste wurden erweitert, neue kultische Formen fü r die Einbindung der neuen Institutionen gefunden. Kleisthenes hat die zehn von ihm geschaffenen Phylen nach verschiedenen Heroen benannt, deren zehn Namen aus einer Auswahl von 100 durch die Pythia in Delphi bestimmt worden sind.⁴⁹⁶ Diese Heroen waren als Eponyme der jewei-
Zu dem Konzept der breiten Lagerung der Macht vgl. Meier 1980/1995, 91 ff. Connor 1994, 6 f.; Frost 1994, 48 f. Grundsätzlich dazu Scafuro 1993, 4 ff. Hierzu ausf. Schubert 2010b, 147 f. Hdt. 5,66; AP 21,5; Pollux 8,110; vgl. Paus. 10,10,1. Zur Bedeutung der Erhöhung der Phylenzahl auf zehn gibt es keinen aus den Quellen belegbaren Hinweis. Flaig 2013, 202 weist daraufhin, daß auch eine Erhöhung der Phylenzahl auf fünf ausgereicht hätte, wenn es nur um die reine Erhöhung der Phylenzahl zum Zweck der Mischung gegangen wäre. Er nimmt an, daß diese massive Erhöhung der Zahl auf zehn Phylen pragmatisch begründet war, um die Abstimmungsvorgänge durch die Verkleinerung der Abstimmungskörper zu erleichtern. Eine andere Erklärung, gleichermaßen spekulativ, könnte darin liegen, daß die Einteilung nach dem dekadischen Prinzip (zehn Phylen, je 50 Ratsherren pro Phyle, 30 Trittyen etc.) der wenig literarisierten Landbevölkerung einfach zu vermitteln war. So könnte man auch Herodots Bemerkung über die Aufteilung der Demen auf die neuen Phylen (Hdt. 5,69: **δέκα τε δὴ φυλάρχους ἀντὶ τεσσέρων ἐποίησε, δέκαχα δὲ καὶ τοὺς δήμους κατένειμε ἐς τὰς φυλάς**, vgl. app. crit. Wilson 2015, Hornblower 2013, 207) erklären: 10 x 10 ist in der Öffentlichkeit und der Landbevölkerung mit Sicherheit besser zu vermitteln als die Aufteilung von 139 Demen auf zehn Phylen. Da die Zahl 139 auf der Rekonstruktion der Demennamen und Bouleutenlisten des 4. Jahrhunderts v.Chr. beruht (Traill 1986) und dabei auch Demen mitgezählt werden, die nachweislich um 500 v.Chr. noch gar nicht existierten (wie etwa Atene), ist diese Zahl ebenso unsicher wie der Text Herodots.
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ligen Phyle auch die mythischen Ahnherren und Archegeten (Anführer) aller Phylenmitglieder, unter deren besonderem Schutz die jeweiligen Phylen standen. Ebenso wie die Mitgliedschaft in den Demen und Phylen, somit die politische Zugehörigkeit, war auch diejenige zu der jeweiligen neuen Kult- und Abstammungsgemeinschaft erblich.⁴⁹⁷ Die besondere Rolle gemeinsamer Rituale und Zeremonien, durch die gesellschaftliche, soziale und politische Segmente in ein religiöses Raster eingebettet werden, ist für die griechische Polis unstrittig.⁴⁹⁸ Durch die Einführung neuer Kulte, die jedoch in die altbekannte religiöse Symbolik eingebunden werden und an schon immer vorhandene Rituale anknüpfen, wird die neuartig breit gelagerte Bürgeridentität in den allgemeinverbindlichen Kontext des kulturellen Systems eingefügt.⁴⁹⁹ Die Selbstvergewisserung des Neuen im Alten gewinnt so eine Verstärkung durch die Verankerung des Politischen in einer Gesamtordnung. Die Einführung neuer Kulte und Feste, die in einem organisatorischen Zusammenhang zu der politischen Reform stehen, antwortet nicht nur auf ein möglicherweise stärker gewordenes Bedürfnis nach Selbstvergewisserung, sie zeigt auch eine zunehmende Verlagerung der bis dahin vorrangig in lokalen Zentren angesiedelten Kulte hin zum Zentrum der Stadt. Eine besonders deutliche Verschränkung zwischen Kulten und bürgerlicher Ordnung ist in dem Bemühen zu erkennen, für die Neuordnung der Bürgerschaft auch den Schutz der Götter und Heroen zu erwirken. Das Fest, das die Einwohner Attikas zu Ehren ihrer Göttin jährlich in kleinem Rahmen, jedoch alle vier Jahre in einem großen Fest feierten, waren die Panathenäen. Gerade dieses Fest hat sich im Laufe der Entwicklung der athenischen Polis immer wieder verändert. Kern des Festes ist die feierliche Prozession von jugendlichen Reitern, vornehmen älteren Bürgern, Mädchen mit verschiedenen Opfergerätschaften und Opfertieren vom Westeingang der Stadt, dem Dipylon-Tor, über die Agora hinauf zur Akropolis. Ziel des Zuges ist die Überreichung des Gewandes (Peplos) an die Göttin Athena. Prozessionen dieser Art symbolisieren nicht nur den Einfluß, das Ansehen und den Status des einzelnen Teilnehmers, sondern insgesamt auch die bürgerliche und militärische Ordnung einer Gesellschaft.⁵⁰⁰ 566 v.Chr. ist das Fest durch Peisistratos wenn auch vielleicht nicht völlig neu begründet, so doch fest institutionalisiert worden.⁵⁰¹ Sein Sohn Hipparch führte später die Rhapsoden-Wettbewerbe in die Zeremonien des Festes ein (s.o.
Kron 1976, 28; vgl. allg. dazu Scheer 1993, 47. Davies 1992, 369 ff.; Burkert 1990, 53. Dazu Geertz 1994, 77 ff. Goldhill 1987, 41 f. Ausf. dazu Schubert 2003, 23 ff.
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S. 102 ff.). Nach der Vertreibung der Peisistratiden sind die Panathenäen im Zusammenhang der Neuorganisation der Bürgerschaft um ganz wesentliche Elemente erweitert worden.⁵⁰² Zu den bis dahin charakteristischen athletischen und musischen Einzelwettbewerben, zu denen auch Nicht-Athener zugelassen waren, traten mit der Einführung der zehn neuen Phylen die Gruppenwettkämpfe, in denen die attischen Phylen gegeneinander antraten: der Wettkampf in der Pyrrhike, die Euandria und das Fackelrennen.⁵⁰³ Ein anderes, ebenso bedeutsames öffentliches Fest aller Athener, die Großen Dionysien, geht in seiner überlieferten Form unmittelbar auf die kleisthenische Neuordnung zurück.⁵⁰⁴ Seit 502/1 v.Chr. werden die Großen Dionysien als öffentliches von der gesamten Bürgerschaft finanziertes Fest gefeiert. Ebenso wie bei den Panathenäen gehörten Wettkämpfe der Phylen untereinander zu dem Fest, in diesem Fall die dithyrambischen Chorwettkämpfe. Fünf Phylen stellten jeweils einen Männerchor, die anderen fünf Knabenchöre, und für beide Gruppen gab es je einen Siegespreis. Dichter wurden mit der Abfassung der Dithyramben beauftragt, und die Auftritte der Chöre erfolgten kostümiert.⁵⁰⁵ Sicher seit Beginn des 5. Jahrhunderts v.Chr. wurden an drei Tagen des Festes je drei Tragödien eines Dichters, gefolgt immer von einem Satyrspiel, aufgeführt, wobei einer der drei am Ende von einer ausgelosten Jury zum Sieger gekürt wurde. Am vierten Tag der Dramenaufführung zeigte man dann Komödien. Die besondere Verbindung mit der Neuordnung zeigt sich in dem Opfer, das die zehn Strategen gemeinsam vor dem Beginn der Aufführungen vor der versammelten Bürgerschaft darbrachten. Die zehn Juroren, die über die Preisvergabe zu entscheiden hatten, wurden aus den zehn Phylen ausgelost. Die enge Verschränkung zwischen der militärischen, bürgerlichen und kultischen Ordnung sollte sich im Verlauf des 5. Jahrhunderts v.Chr. noch verstärken: Nicht nur wurden öffentliche Ehrungen für einzelne, die sich besonders um die Polis verdient gemacht hatten, bei diesem Fest ausgesprochen, auch die Kriegswaisen, auf öffentliche Kosten erzogen und mit einer Hoplitenausrüstung ausgestattet, wurden präsentiert. Den Höhepunkt bildete sicher seit der Mitte des 5. Jahrhunderts v.Chr. die alljährliche Präsentation und Abzählung der Gelder, die
Kyle 1992, 95 ff.; Neils 1994, 151 ff.; Shapiro 1994, 123 ff.; ders. 1989, 40 ff. IG II2 2311; 3019; 3025. Capps 1943, 1 ff.; vgl. dazu Davies 1992, 374. Die Nachricht von den Aufführungen des Thespis 534 v.Chr. werden oft als der Beginn der Dionysien interpretiert; vgl. dagegen jedoch Davies a. a.O. Möglicherweise ist das Fest der Großen – städtischen – Dionysien eine Neueinführung von 502/1 v.Chr., und die vorausgegangenen Feste waren lokale, dezentrale Ereignisse: Connor 1990, 8 ff. Burkert 1987, 32.
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aus dem Seebundstribut eingegangen waren und die ebenso wie die genannten rituellen Zeremonien sowie Aufführungen des Festes, insbesondere die Komödien und Tragödien, der Öffentlichkeit im Dionysos-Theater dargeboten wurden.⁵⁰⁶ In diesen Riten wird einerseits der göttliche Schutz für eine Ordnung erbeten und andererseits auch Dank abgestattet; aber ist dies, da doch in den griechischen Poleis immer wieder Kulte und religiöse Praktiken neu eingerichtet bzw. verändert wurden, auch als Hinweis auf ein neues Selbstverständnis, eine neue Bürgeridentität zu verstehen? Die viel stärkere Visualisierung und Verschränkung der kultischen Rituale, althergebrachter wie neueingeführter, mit den bürgerlichen Aktivitäten, ist charakteristisch für die Jahre nach der kleisthenischen Reform und verstärkt sich im Verlauf des 5. Jahrhunderts v.Chr. in einem Maß, das im Vergleich zu anderen griechischen Poleis tatsächlich ungewöhnlich war.⁵⁰⁷ Insofern ist es sicher nicht ungerechtfertigt, hierin den Ausdruck eines für Athen spezifischen Bewußtseins zu sehen, wie dies Herodot auch eindrücklich formuliert hat (Hdt. 5,78). Dies kann jedoch nicht mit der „Erfindung der Demokratie“ oder überhaupt der Entwicklung auf eine bestimmte Verfassungsform hin gleichgesetzt werden.⁵⁰⁸ Denn bei aller Ähnlichkeit, die die Kleisthenische Phylenreform in ihrer Struktur mit dem Vorschlag des Thales hat, so ist doch das Entscheidende und Besondere der kleisthenischen Reform die Einbindung der neuen Phylenordnung in ein kultisches und religiös verankertes System, durch das es Kleisthenes gelang, die Mischung von Alt- und Neubürgern, die in Sizilien so furchtbar mißlang und die in Ionien auch nicht annähernd zur Realisierung kam, durch Feste und Riten zu einem echten Koinon werden zu lassen. Auch dieses Koinon hat eine Mitte, die natürlich in Athen liegt und als symbolisch-ritueller Mittelpunkt in den Festen wie in der politischen Praxis mit Leben erfüllt wurde. Die Mitte der politischen Geographie, die durch die Reform des Kleisthenes begründet wurde, ist durch die Äquivalenzbeziehungen des Repräsentationssystems definiert: Alle Bürger, auch die der weit entfernt liegenden Demen, stehen durch die Konstruktion der Trittyen und Phylen in der gleichen Relation zum politischen Zentrum, der Boule. Es handelt sich bei dieser Mitte jedoch nicht um einen geometrischen Mittelpunkt, auch nicht um ein über Distanzen definiertes Zentrum wie im Wegeprogramm des Hipparch, sondern um eine abstrakt konstruierte Mitte.Wie abstrakt diese Zentralität der Kleisthenischen
Goldhill 1987, 58 ff.; Boersma 1970, 209; Dinsmoor 1950, 120; ders. 1951, 309 ff. Osborne 1994, 7 ff. Für einen Beginn der Demokratie mit Kleisthenes: Lotze 1985, 52 ff.; Fornara/Samons 1991, 39 f.; Hansen 1995, 33 ff.
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Phylenreform tatsächlich war, wird deutlich, wenn man sie im Vergleich zu Platons Polis der Magneten in den Nomoi betrachtet. Diese Polis wird in der Mitte (ἐν μέσῳ) des Landes gegründet, in ihr soll eine Akropolis, die von einer Ringmauer umschlossen wird, angelegt und von diesem zentralen Ort aus das gesamte Land in zwölf Teile aufgegliedert werden.⁵⁰⁹ Diese zwölf Teile, wiederum in 5040 Landlose zu je zwei Grundstücken pro Bürger geordnet, ermöglichen nicht nur den Ausgleich von unterschiedlichen Bodenqualitäten, sondern durch die Harmonisierung von Nähe zum und Ferne vom Zentrum, daß alle regionalen Anteile gleichgestellt werden.⁵¹⁰ Denn aus dieser Konstruktion von Nähe und Ferne der Landstücke folgt, daß jeder Besitz im Mittel gleich weit vom Zentrum der Polis entfernt ist, das seinerseits auch wieder in zwölf Teile unterteilt ist. So werden Zentrum und Peripherie in einer kreisförmigen Figur zu einem geometrischen Raum zusammengefügt. Diese Zentralposition der Polis ist eine reale, geographische Mitte im Gegensatz zu der Position der Stadt Athen, deren Zentralität eine politische ist und die sich in der Boule, der Volksversammlung sowie den Festen und Aufführungen manifestierte. Athen ist ganz real die Mitte einer politischen Ordnung, an der die Peripherie gemeinsam Anteil im politischen Geschehen hat, und gleichzeitig ist doch diese Zentralität auch eine symbolische Konstruktion. Interessanterweise gilt Kleisthenes in der späteren Überlieferung als jemand, der zwar die Tyrannen vertrieben und eine neue politische Ordnung etabliert hat, doch die Einordnung und begriffliche Zuschreibung als Demokratie oder Aristokratie, als gut oder schlecht schwankt je nach Standpunkt des entsprechenden Autors und seiner zeitgenössischen Perspektive.⁵¹¹ Eine wie auch immer geartete Verbindung zu theoretischen Überlegungen oder Anknüpfungen an philosophische Diskurse ist für ihn nicht überliefert. Moderne Versuche, ihn etwa in die Nähe der pythagoreischen Philosophie zu rücken, haben – trotz der beeindruckenden Konstruktion seiner Reform – keine Grundlage in den Quellen.⁵¹² Auch wenn der Begriff ‚Isonomie‘ in den Quellen mit dieser Reform erst spät und indirekt verbunden wird, so ist doch offensichtlich, daß es Kleisthenes gelungen ist, die Gemeinschaft der Athener Bürgerschaft unter Beibehaltung der
Plat. leg. 745b – e. Plat. leg. 737c. Isokr. Areopag. 16 und Antidos. 232; Ps.-Plat. Ax. 365d8 und Theod. Graec. affect. curat. 9,12,8; Plut. Aristeides 2,1; Kimon 15, dagegen aber Perikles 3; Stoic. rep. 1033 f. Das ist sicher der Haupteinwand gegen das 1964 erschienene Buch von Lévêque/VidalNaquet über Kleisthenes als Reformer, die „Clisthe`ne Pythagoricien?“ ein ganzes Kapitel widmen und insbesondere die Nähe des dekadischen Systems der Phylenreform zur pythagoreischen Zahlenlehre betonen. Eine sehr dezente Kritik an dieser These findet sich auch in Vernants Besprechung (hier zitiert nach der erw. Auflage Paris 1985) 254.
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solonischen Tele für die Ämterbesetzung auf ein neues Fundament zu stellen, das die gleiche Anteilnahme am Politischen (Partizipation) für alle Bürger (neue wie alte) im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum ermöglichte. Gerade von Herodot, der die institutionellen Seiten der Reform so wenig beachtet hat, ist dies später sehr genau erkannt und beschrieben worden.⁵¹³ Kleisthenes ist etwas Außerordentliches gelungen: Durch die kultisch-religiöse Verankerung seiner Reform in den zentralen Riten der Polis Athen ist die abstrakte, politische Konzeption vom Gleichgewicht der Teile einer Gemeinschaft in einer proportional aufgebauten Repräsentationsarchitektur nicht nur institutionell eingerichtet worden, sondern auch im Bewußtsein und Selbstverständnis der Athener dauerhaft gesichert und bewahrt worden.
Vgl. oben S. 98 f. zu Hdt. 5,78.
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IV. Isonomia in der Magna Graecia IV.1 Pythagoras in Samos und Kroton Aus dem Umfeld des Pythagoras stammt der neben dem attischen Trinklied auf Harmodios und Aristogeiton einzige Beleg, der sowohl zeitnah zu den von Herodot beschriebenen ionischen Isonomien ist, als auch weiteren Aufschluß über die Entwicklung des politischen Denkens geben kann. Die von dem Arzt und Naturforscher Alkmaion (s.u. Kap. IV.3) sowohl bei (Pseudo‐)Plutarch wie auch in der Anthologie des Stobaios zitierte Gesundheitslehre gestattet einen Einblick in den Transfer eines politischen Konzeptes nicht nur in die Medizin, sondern auch in die zugrundeliegenden Ordnungsvorstellungen.⁵¹⁴ Die Nähe des Alkmaion zu Pythagoras und seine Zughörigkeit zu der krotoniatischen Ärzteschule, die wiederum unter dem Einfluß des Pythagoras stand oder sich zumindest in seinem Gefolge entwickelte,⁵¹⁵ verweisen auf eine enge Verbindung.⁵¹⁶ Pythagoras selbst war ein Zeitgenosse von Xenophanes und Heraklit, man kannte und kritisierte ihn.⁵¹⁷ Von den Einzelheiten und Ausschmückungen seiner Biographie, die bei Porphyrios und Iamblich sowie auch Diogenes Laertius überliefert sind, läßt sich wenig verifizieren, aber die historischen Lebensumstände einer unter ihren Zeitgenossen berühmten, in der breiten Öffentlichkeit auch bekannten Persönlichkeit lassen sich durchaus rekonstruieren und so daraus eine Einordnung der Isonomie im Rahmen der pythagoreischen Ordnungsvorstellungen gewinnen. Pythagoras kann wohl nicht als ‚Schüler‘ oder Anhänger der Milesier Thales und Anaximander gelten,⁵¹⁸ doch gibt es in der pythagoreischen Kosmogonie genügend Elemente, die eine gewisse Nähe zu den ionischen Philosophen erkennen lassen wie Unbegrenztes (ἄπειρον) und Grenze (πέρας), das Umgebende
Zu der Interpretation der Isonomie in dem Alkmaion-Fragment vgl. jetzt die Diskussion bei Kouloumentas 2014 und unten Kap. IV.3. Zhmud 1997, 228 ff. Vgl. auch die Übersicht zur Entwicklung der kontroversen Meinungen über Pythogoras in der Forschung in ders. 2010/11, 311– 327. Nach Vlastos 1947, 344 war er kein Pythagoreer; Ostwald 1969, 98 hat sich dem angeschlossen. Xenophanes (DK 21 B7), Heraklit (DK 22 B40, 81, 129), Empedokles (DK 31 B129), Ion aus Chios (DK 36 B2, 4), Herodot (2,81; 4,95 – 96), Demokrit (DK 68 A33), Glaukos aus Rhegion (DK 68 A1, 38), Hellanikos (FGrHist 4 F73), Antisthenes (SSR V A187), Alkidamas (Aristot. rhet. 1398b9 – 14; Diog. Laert. 8,56) und Isokrates (Bus. 28 – 29); Anaximander d. J. aus Milet (DK 58 C6) und Dissoi logoi (DK 90,6). Iambl. VP 2,11; Porph. VP 11 nennt nur Anaximander. Diog. Laert. 8,2 nennt ihn einen Schüler des Pherekydes von Syros.
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(τὸ περιέχον), die Luft (πνεῦμα und ἀήρ).⁵¹⁹ Iamblich (nach Porphyrios) berichtet in seinem Werk über die pythagoreische Lebensform, daß Pythagoras, als er nach seinen diversen Reisen wieder in Samos war, in der Stadt eine Schule habe bauen lassen, die auch noch zur Zeit des Iamblich als Hemikyklion des Pythagoras bekannt war und in der – ebenfalls noch offenbar zur Zeit des Iamblich – die Samier περὶ τῶν κοινῶν beraten würden, denn:⁵²⁰ Iambl. VP 5,26: […], νομίζοντες δεῖν περὶ τῶν καλῶν καὶ τῶν δικαίων καὶ τῶν συμφερόντων ἐν τούτῳ τῷ τόπῳ ποιεῖσθαι τὴν ζήτησιν, ὃν κατεσκεύασεν ὁ πάντων τούτων ποιησάμενος τὴν ἐπιμέλειαν. „[…] glauben sie doch, was edel, gerecht und nützlich ist, müsse man an der Stätte suchen, deren Gründer dies alles zu seiner Aufgabe machte.“
Dies steht nun sowohl bei Iamblich wie auch bei Porphyrios in einem Kontext mit der sagenhaften Höhle des Pythagoras, in die er sich auf der Suche nach Einsamkeit zurückzog. Iamblich begründet den Entschluß des Pythagoras nach Italien auszuwandern mit dem Wunsch, sich dem politischen Geschehen auf Samos ganz zu entziehen, hingegen schreibt dies Porphyrios wohl richtiger der Ablehnung des Tyrannenregimes von Polykrates zu.⁵²¹ Da Porphyrios hierfür und auch im Hinblick auf die Zeit des Pythagoras in Kroton die von ihm herangezogenen Quellen nennt, wie u. a. Dikaiarch und Nikomachos,⁵²² dürften diese Nachrichten relativ abgesichert sein. Vermutlich um 530 v.Chr. kam Pythagoras nach Kroton.⁵²³ Iamblich verbindet seine Ankunft mit langen Reden, die Pythagoras vor den Mitgliedern einer Gerousia, danach vor den jungen, angehenden Männern (ἡβῶντες) und den Knaben (παῖδες) sowie schließlich auch den Frauen der Krotoniaten gehalten haben soll. Die Benennung der Altersklassen deutet auf eine alte Einteilung hin, wie sie auch bei den Olympischen Spielen praktiziert wurde, jedoch nicht auf die viel stärker ausdifferenzierten Altersklassen, wie sie in Sparta später existierten.⁵²⁴ Die Reden,
Zhmud 2013, 391: DK 12 A11, A14; DK 13 A5 – 7, B2. Iambl. VP 5,26. Porph. VP 9; ÜS M.v.Albrecht. Rowett 2014, 112 Anm. 4 hält diese Nachricht für eine Spekulation, die aus der zeitgenössischen Geographie abgeleitet sei. Iambl. VP 5,27– 6,28. Porph. VP 9 und 16. Vgl. Hdt. 3,44– 46. Porph. VP 18 und 20. Iambl. VP 7,35 = Aristoxenos Frg. 16 Wehrli: Apollodor hat aufgrund der Angaben, die er bei Aristoxenos fand, das erste Jahr der 62. Olympiade (532/31 v.Chr.) als das Jahr errechnet, in dem Pythagoras Samos verlassen habe. Um diese Berechnung herum wird dann die Lebenszeit des Pythagoras berechnet: 571/70 – 497/96 v.Chr. Zur späteren Ausdifferenzierung der Altersklassen, wie sie etwa in der Lakedaimonion Politeia des Xenophon beschrieben werden, vgl. Schmitz 2005, 105 – 126; zu den Olympischen
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die ihm in dieser Ankunftssituation zugeschrieben werden, sind kaum authentisch. Doch das Muster der darin enthaltenen Themen und Argumente, das sowohl Porphyrios wie auch Iamblich beschreiben, ist ein durchaus für die Zeit des Pythagoras bekanntes: Die Ablehnung der Tyrannis (bzw. einer als tyrannisch und einschränkend empfundenen Herrschaft) und der Freiheitsdrang führen zur Auswanderung und Neubegründung der Existenz.⁵²⁵ Porphyrios beschreibt den weiteren Verlauf seines Wirkens knapp und es läuft darauf hinaus, daß Pythagoras über seine Schüler und Anhänger den Geist des Freiheitsstrebens und neue Gesetze in zahlreichen Städten der Magna Graecia initiiert haben soll.⁵²⁶ Die historischen Umstände, die für die damalige Lage in Kroton prägend waren, lassen sich vor allem aufgrund des Berichts bei Iustin in Umrissen erkennen, wenngleich sie schwerlich chronologisch exakt zuzuordnen sind. Im Zentrum der historiographischen und literarischen Überlieferung steht die Person des Pythagoras, aber darüberhinaus bieten die Nachrichten zu den einzelnen Poleis in der Magna Graecia und die archäologischen Befunde Anhaltspunkte, die zumindest eine skizzenhafte Rekonstruktion erlauben.⁵²⁷ Insbesondere die Untersuchungen der Chorai der achäischen Kolonien in Unteritalien haben gezeigt, daß ein komplexes Miteinander mit der einheimischen Bevölkerung zu differenzierten Entwicklungen der einzelnen Poleis führte.⁵²⁸ Im Unterschied zu Ionien und Griechenland scheinen sich in der Magna Graecia erst am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. Tyrannenherrschaften etabliert zu haben.⁵²⁹ Welche politischen Herrschaftsformen vor diesen Tyrannenherrschaften existierten und ob es tat-
Spielen Mann 2008, 28. Es ist auch keine Verbindung zu der bei Diog. Laert. 8,10 beschriebenen Altersklasseneinteilung des Pythagoras zu erkennen. Rowett 2014, 114 und 119 f. sieht zwischen den Altersklassen des Pythagoras und Plat. rep. 541a eine Verbindung. Vgl. zu Teos und Phokaia oben S. 72 ff. Porph. VP 21: […], φρονήματος ἐλευθερίου πλήσας διὰ τῶν ἐφ’ ἑκάστης ἀκουστῶν αὐτοῦ ἠλευθέρωσε, Κρότωνα καὶ Σύβαριν καὶ Κατάνην καὶ Ῥήγιον καὶ Ἱμέραν καὶ ᾿Aκράγαντα καὶ Ταυρομένιον καὶ ἄλλας τινάς, αἷς καὶ νόμους ἔθετο διὰ Χαρώνδα τε τοῦ Καταναίου καὶ Ζαλεύκου τοῦ Λοκροῦ, δι’ ὧν ἀξιοζήλωτοι τοῖς περιοίκοις ἄχρι πολλοῦ γεγόνασιν. Vgl. die ausgeschmückte Version bei Iambl. VP 7,33 – 34. Sehr kurz auch bei Diog. Laert. 8,3. Die bei Porphyrios angeschlossene Passage über einen Tyrannen namens Simichos in Kentoripa auf Sizilien, der unter dem Eindruck eines Vortrags des Pythagoras seine Tyrannis niedergelegt und den Besitz mit seiner Schwester und Bürgern geteilt habe, gehört sicher in den Bereich der mythischen Ausschmückung. Pugliese Carratelli 1983; Greco 1992; Ridgway 1992; De Juliis 1996; Mertens 2006; eine Übersicht nach den Angaben Strabons: Fagugli 2014; speziell zu Kroton: Giangiulio 1989, zu Metapont: Mele 2010, 173 – 206. Vgl. dazu die Diskussion in Greco/Lombardo 2012, 37– 60. Vgl. dazu Berve 1967, I 160 ff. In Kyme: Aristodemos, in Rhegion: Anaxilaos, in Sybaris: Telys, in Kroton (nach Pythagoras): Kylon.
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sächlich immer, wie meist angenommen,⁵³⁰ elitär-oligarchische Regimes waren, läßt sich nicht sicher sagen. Dionysios von Halikarnaß widmet der Vorgeschichte der späteren Tyrannis des Aristodemos von Kyme (505/4– 491/0 v.Chr.) einen ausführlichen Bericht.⁵³¹ Diese Vorgeschichte und den Aufstieg des Aristodemos ordnet Dionysios in eine Periode ein, die 20 Jahre vor der eigentlichen Tyrannis des Aristodemos begann und ihren Höhepunkt in dem unter seiner Führung errungenen Sieg über die Etrusker, Umbrer und Daunier (524 v.Chr.) hatte.⁵³² Dionysios charakterisiert ihn als προστάτης τοῦ δήμου (Dion. Hal. ant. 7,4,5), der nach seinem militärischen Erfolg die Volksmenge verführt habe und schließlich, nach seinem nächsten großen Sieg bei Aricia (um 504 v.Chr.) seine Tyrannenherrschaft begründet habe.⁵³³ Dieses Bild kann wohl auf die späteren Vorstellungen davon zurückgeführt werden, wie eine Tyrannenherrschaft aus einer quasi-legalen Position heraus erreicht wurde.⁵³⁴ Doch Dionysios berichtet auch, daß nach dem ersten Sieg des Aristodemos die πρεσβύτεροι beabsichtigten, τὰς ἴσας λαβεῖν τιμὰς ἑκάτερον τῶν ἀνδρῶν (Dion. Hal. ant. 7,4,4), und in der Folge erst wurde Aristodemos zum προστάτης τοῦ δήμου. Diese Art der politischen Öffnung muß nicht gleichbedeutend mit der Einführung einer Isonomie sein, deutet aber daraufhin, daß Dionysios davon wußte, daß alternative politische Konzepte im Umlauf waren. Ein weiteres Indiz dafür, daß in Kyme vor der Machtergreifung des Aristodemos nicht nur politische Veränderungen, sondern daß auch ein Austausch über die Ereignisse in Ionien stattgefunden haben könnte, ist in den Nachrichten über die Gründung von Dikaiarcheia bei Kyme durch samische Auswanderer zu sehen.⁵³⁵ Die Namensgebung dieser Siedlung ist ausgesprochen ungewöhnlich und kann eigentlich nur als symbolischer Ausdruck eines politischen Strebens nach Gerechtigkeit angesehen werden, das den Vorstellungen der Auswanderer aus Samos, die die Tyrannis des Polykrates ablehnten, entsprach. Dies muß zwar
Berve a. a.O.; de Libero 1996, 394 ff. Dion. Hal. ant. 7,4– 7. Dion. Hal. ant. 7,5,1. Dion. Hal. ant. 7,8,1: Aristodemos soll, als er dann die entscheidenden Schritte zur Machtergreifung unternommen hat, eine Neuverteilung des Landes und eine Streichung der Schulden versprochen haben. Dion. Hal. ant. 7,6 – 8 zu der Etablierung der Tyrannenherrschaft des Aristodemos. Aristodemos hatte sich – so Dion. Hal. ant. 7,8,1 – zum Strategos autokrator ernennen lassen. Steph. Byz. 533,19 Billerbeck; zu Dikaiarcheia als ‘secondary settlement’ von Kyme: FischerHansen/Nielsen/Ampolo 2004, 256. Zu Dikaiarcheia: Adolfini 1972 und 1977, 7– 26.
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nicht zwingend mit den bei Dionysios berichteten Änderungsplänen in Kyme zusammenhängen, doch zumindest zeitlich gehört beides zusammen.⁵³⁶ Pythagoras’ Ankunft in Unteritalien war sicher eine Folge dieser Abwanderungsbewegung aus Samos im Kontext der tyrannischen Herrschaft des Polykrates. Sie fiel zusammen mit einer Phase der Schwäche Krotons, bedingt durch die schwere Niederlage gegen Lokroi am Fluß Sagra.⁵³⁷ Es ist schwierig, die Historizität dieser Schlacht zu begründen, da die Geschichte genügend legendäre Ausschmückungen aufweist. Die Krotoniaten hätten die Lokrer bestrafen wollen, weil diese Siris zu Hilfe gekommen waren, das wiederum durch die Krotoniaten eingenommen wurde. Jedenfalls kamen an der Sagra dann auch noch die Dioskuren den Lokrern zu Hilfe! Die niedergeschlagenen Krotoniaten seien jedoch durch die Ankunft des Pythagoras davor bewahrt worden, sich aufgrund dieser Niederlage von allen kriegerischen Aktivitäten abzuwenden und dem Luxusleben hinzugeben.⁵³⁸ Da die Schlacht meistens eher um die Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. datiert wird,⁵³⁹ ist der Zusammenhang mit Pythagoras unklar und möglicherweise war eine Abkehr vom Luxusleben unter dem Eindruck einer verheerenden Niederlage gerade der Grund dafür, daß Pythagoras sich Kroton als Standort wählte.⁵⁴⁰ In jedem Fall deutet nichts in der Überlieferung dieser Ankunft und in dem nachfolgenden Geschehen darauf, daß durch Pythagoras und sein Wirken in Kroton eine konfliktive Situation entstanden wäre. Es ist daher unwahrscheinlich, daß Pythagoras als Gesetzgeber oder Reformer der bestehenden Institutionen aktiv geworden ist.⁵⁴¹ Jedoch ist, insbesondere, wenn man den weiteren Verlauf der Ereignisse betrachtet, in dem das Schicksal der Pythagoreer in Kroton von allen antiken Quellen übereinstimmend mit einem gewaltsamen Ende verbunden
Datierung der Gründung: 531– 528 v.Chr. Fischer-Hansen/Nielsen/Ampolo 2004, 256 mit Bezug auf De Franciscis 1971; vgl. Adolfini 1972. Iust. 20,2,10 – 3,9; Strab. 261, 263; Diskussion bei: Rowett 2014, 117; zur Geschichte Krotons ausf. Giangiulio 1989, hier: 238 ff. Iust. 20,4,1, der sich auf Timaios von Tauromenion stützt. Zur Datierung Giangiulio 1989, 246 ff. Giangiulio 1989, 251 ff. So die Überlegung von Bernhardt 2004, 55, der darauf hinweist, daß es schon vor der Ankunft des Pythagoras in Kroton eine Tendenz zur Selbstdisziplinierung und Ablehnung des Luxus gegeben haben müsse. Rowett 2014, 118 f. vermutet, daß durch die Niederlage an der Sagra in Kroton eine ganze Generation von kampfesfähigen Männern ausgelöscht worden sei, wodurch nicht nur der Niedergang erklärt werden könne, sondern auch die Gruppen, vor denen Pythagoras in Kroton gesprochen haben soll und in denen die Generation der wehrfähigen Bürger offensichtlich fehlt (so auch aus Strab. 6,1,10 p. 261 und 6,1,12 p. 263/4 zu entnehmen). Rowett 2014, 120 sieht hier einen „non-violent change“.
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wird, kaum anzunehmen, daß Pythagoras’ Tätigkeit ohne Einfluß auf das öffentliche Leben geblieben ist.⁵⁴² Der zeitlich parallel zu der Ankunft und dem Wirken des Pythagoras einsetzende, auffällig kontinuierliche Erfolg krotoniatischer Athleten könnte durchaus mit dem Einfluß des Pythagoras zusammenhängen, wobei sich vermutlich die Auswirkungen der Lehren aus der krotoniatischen Ärzteschule und der pythagoreischen Lehre ergänzt haben (s.u. S. 149 ff.).⁵⁴³ Pythagoras war jedenfalls ganz offensichtlich eine charismatische Persönlichkeit, die mit großer Ausstrahlungskraft Schüler anzog.⁵⁴⁴ Über die politische Ausrichtung der von Pythagoras initiierten Bewegung ist man sich heute weniger einig denn je: Das Spektrum der vertretenen Positionen reicht von der Bewertung des Pythagoras als einem unpolitischen Schamanen, Sektenführer, Philosophen über einen Vertreter oligarchischer Politik bis hin zu einem politischen Theoretiker.⁵⁴⁵ Lloyd hält es für ausgeschlossen, den historischen Pythagoras zu rekonstruieren, Zhmud sieht in ihm einen bedeutenden Mathematiker und Wissenschaftler, Rowett hingegen, ausgehend von Platon, leitet aus dem egalitären Ideal einer Gemeinschaft ohne Privilegien, der Ablehnung des Privateigentums, der Betonung von Freundschaft und Tugend ab, daß Platon die pythagoreischen Vorstellungen einer Lebensweise kannte, und diese eine Alternative zu den politischen Ordnungen herkömmlicher Art und vor allem ein Ideal darstellte.⁵⁴⁶ Die Auseinandersetzungen zwischen Kroton und Sybaris, die mit großer Wahrscheinlichkeit genau in die Wirkungszeit des Pythagoras in Kroton fallen, und das Ende der Pythagoreerzeit – beides von allen Quellen mit der Schilderung von heftigen Gewaltexzessen verbunden –, zeigen, auch wenn sich die Einzelheiten kaum genau rekonstruieren lassen, doch immerhin, daß es sich um tief-
Zhmud 1997, 29. Mann 2001, 164 mit einer Liste. Isokr. Bus. 29; Plat. rep. 600a – b. Dazu Zhmud 2013, 382. Übersicht bei Zhmud 2013, 276; vgl. Zhmud 1997; als Philosophen und Wissenschaftler sehen ihn Guthrie 1962, von Fritz 1977, de Vogel 1967, van der Waerden 1979, der – im Gegensatz zur pythagoreischen Philosophie – nur die pythagoreische Mathematik, Astronomie und Harmonielehre für bedeutende Errungenschaften hält, und Kahn 2001. Weitere Meinungen zu Pythagoras in der Forschung: Für einen Oligarchen hielt ihn Minar 1942, V – VII, dazu Diog. Laert. 8,3 zu der Angabe über die 300 Schüler des Pythagoras als einem aristokratischen Regierungsorgan. Walter Burkert sah in ihm einen Schamanen (Burkert 1962; vgl. Giangiulio 2000), Christoph Riedweg (Riedweg 2002) hält ihn für einen Charismatiker und Gemelli Marciano 2014 für einen Religionsführer; eine Übersicht der verschiedenen Positionen bei Huffman 2014. Rowett 2014, 115 und 120. Vgl. Plat. rep. 541a und Iambl. VP 7,33 – 34, insb. 27,131 mit dem expliziten Verweis auf Platons Politeia.
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greifende politische Krisen gehandelt haben muß:⁵⁴⁷ Die Krotoniaten sollen einer Gruppe von 500 reichen Sybariten, die sich vor dem sybaritischen Demagogen Telys in Sicherheit bringen wollten, Schutz zugesagt und sich gegen die Rückführungsforderung aus Sybaris verwahrt haben.⁵⁴⁸ In dem anschließenden Krieg haben die Krotoniaten die Sybariten niedergemetzelt und die Stadt samt Einwohnerschaft nicht nur geflutet, sondern praktisch ausgelöscht. Pythagoras war nach Diodor insofern an dem Geschehen beteiligt, als er sich für den Schutz der Geflüchteten einsetzte. Iamblich gibt exakt das Gegenteil an, nämlich daß Pythagoras sich von den Gefüchteten distanziert habe. Allerdings war der Heerführer der Krotoniaten, der berühmte Olympiasieger Milon, der sich mit einer symbolträchtigen Heraklesangleichung in die Schlacht gegen Sybaris begab, nicht nur ein Anhänger des Pythagoras, sondern gilt auch als dessen Schwiegersohn.⁵⁴⁹ Darüber hinaus war sein Haus eine Versammlungsstätte der Pythagoreer.⁵⁵⁰ Iamblich läßt die brutale Niederschlagung der Sybariten in seiner Darstellung aus, ebenso wie den ganzen Kontext, aus dem heraus dieser Konflikt entstanden ist. Er sagt nichts darüber, warum die Sybariten überhaupt in Kroton um Schutz nachgesucht haben und wie das weitere Schicksal der Stadt Sybaris war. Es ist gut möglich, daß der häßliche Krieg nicht das harmonische Bild seiner Pythagoraslegende stören sollte und er ihn daher bewußt ignoriert hat. In gleicher Weise stellt Iamblich, ebenso wie auch Porphyrios, das Ende der Zeit des Pythagoras in Kroton so dar, daß Pythagoras nicht an den politischen Unruhen beteiligt gewesen wäre, weil er sich gerade zu dieser Zeit bei Pherekydes in Delos aufgehalten habe.⁵⁵¹ Ein weiteres Element dieser Überlieferung, das den politischen Kontext von Pythagoras’ Wirken in Kroton beleuchtet, sind die Umstände des Aufstandes, der schließlich dazu führte, daß Pythagoras Kroton verlassen haben soll. Ein gewisser Kylon, aber auch andere Mitstreiter, machten sich die Unzufriedenheit der Krotoniaten zunutze und schürten eine offenbar schon latent vorhandene Ablehnung Zu dem Sieg Krotons über Sybaris: Hdt. 5,44; Diod. 12,9 – 10; Strab. 6,1,13; Athen. 12,521e – f (ohne einen Bezug zu Pythagoras); Iamblich streift die Ereignisse nur sehr kurz: VP 27,133 und 30,177; Iustin und Porphyrios erwähnen nichts davon. So Diod. 11,9,2– 3; Iamblich, der das anschließende Massaker an den Sybariten nicht erwähnt, schiebt jedoch zweimal eine Passage ein (VP 27,133 und 30,177), in der Pythagoras, ganz anders als bei Diodor, gegen die Schutzzusage für die geflüchteten Sybariten gewesen sei, da er unter diesen mindestens einen Mörder erkannt habe. Strab. 6,1,12; Iambl. VP 23,104 und 36,267. Diog. Laert. 8,1; Porph. VP 55. Porph. VP 55; Iambl. VP 35,255; in 35,251 erwähnt Iamblich, daß auch Nikomachos die Abwesenheit des Pythagoras berichtet habe.
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gegenüber den Pythagoreern. Iamblich bezeichnet Kylon als einen Exarchos der Sybariten.⁵⁵² Diese Amtsbezeichnung läßt darauf schließen, daß er der Kommandant einer krotoniatischen Garnison oder zumindest mit administrativen Aufgaben in Sybaris betraut war. Iamblich gibt an, daß nach der Vertreibung der Pythagoreer aus Kroton nicht nur die Verfassung geändert, sondern auch der Fall der Geflüchteten – anscheinend der aus Sybaris – wieder aufgerollt wurde. Da es viel Streit in Kroton gab, setzte man sogar ein Schiedsgericht mit Vertretern aus Tarent, Metapont und Kaulonia ein. Im Ergebnis wurden viele verbannt, Schulden aufgehoben und Land verteilt.⁵⁵³ Insbesondere die Forderung nach Landverteilung war offenbar schon direkt nach der Eroberung von Sybaris erhoben und, wie Iamblich betont, von den Pythagoreern abgelehnt worden. Diese Ablehnung der Forderung war anscheinend die Ursache für die Abkehr der Krotoniaten von den Pythagoreern gewesen.⁵⁵⁴ Die chronologische Einordnung bleibt schwierig und die Einzelheiten sind sicher von der späteren Tradition ausgeschmückt worden. Doch die Abfolge der Ereignisse ist klar zu erkennen.⁵⁵⁵ Man kann Aristoxenos und Dikaiarch, so wie sie bei Iamblich referiert werden, darin folgen, daß Pythagoras um 500 v.Chr. oder in den 490er Jahren in Metapont gestorben ist und daß der Aufstand des Kylon kurz nach der Eroberung von Sybaris stattgefunden haben muß.⁵⁵⁶
IV.2 Die pythagoreische Lebensführung: Gesundheit und Gleichgewicht Das intellektuelle Umfeld, das mit Pythagoras in Kroton zu verbinden ist, kann nicht als eine Schule oder als Begründung eines einheitlichen Kreises von Philosophen angesehen werden, da für jeden der frühen Pythagoreer eigene Theoriegebäude, Thesen und sehr verschiedene Vorstellungen überliefert sind.⁵⁵⁷ Gleichwohl gehörten die älteren unter ihnen zu einem κοινὸν τῶν φίλων, das sich von anderen Bürgern in Kroton abgrenzte und Gegnerschaften hervorrief, die zu politischen Auseinandersetzungen führten. Obwohl man sich heute darin einig ist, daß Pythagoras kein schriftliches Werk hinterlassen hat, so werden doch die
Iambl. VP 17,74; Zhmud 2013, 384; Hansen/Nielsen 2004, 267. Iambl. VP 35,262. Iambl. VP 35,255. Polyb. 2,39. Lombardo 2002, 43 – 67. Zhmud 2014, 88. Ähnlich Rowett 2014, 112– 130; Riedweg, 2002, 84 ff., der Pythagoras unter der bezeichnenden Überschrift ‚Guru‘ untersucht. Auch Zhmud 2013, 384 geht davon aus, daß Pythagoras kein schriftliches Werk hinterlassen hat.
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Πυθαγορικαὶ ἀποφάσεις, wie sie bei Iamblich zitiert werden, als das Element betrachtet, das – aus Aristoxenos stammend⁵⁵⁸ – den Rahmen für die pythagoreische Lebensweise überliefert.⁵⁵⁹ Diese ethisch-moralischen Regeln beziehen sich auf allgemeine Verhaltensvorschriften der Freundschaft, Rücksichtnahme und Vertrauensbildung.⁵⁶⁰ Dazu gehört der konkrete politische Übertrag in die Institutionen einer politischen Ordnung mit Gesetzen (πολιτείαν καὶ νόμους), die auf Gerechtigkeit und Recht basierten.⁵⁶¹ Wie diese Vorstellungen von Ordnung realisiert wurden, läßt sich am Beispiel der Athletik und Diätetik zeigen.⁵⁶² Übungen im Gymnasium waren ein wesentlicher Bestandteil der pythagoreischen Lebensführung – nach Iamblich soll der gesamte späte Vormittag den sportlichen Übungen gewidmet gewesen sein.⁵⁶³ Körperbau und Körperbewegung werden von Iamblich im Rahmen der Kriterien genannt, die Pythagoras bei der Auswahl seiner Schüler anlegte!⁵⁶⁴ Doch mit Ernährung und Diät zur Leistungssteigerung hat sich nicht nur Pythagoras selbst beschäftigt (wenngleich die Angaben zumindest zum Vegetarismus widersprüchlich sind),⁵⁶⁵ sondern wie die Liste der krotoniatischen Olympioniken zeigt, ist insbesondere der außergewöhnliche Erfolg Milons, eines Pythagoreers, ein Indiz dafür, daß der Zusammenhang zwischen Lebensweise und Diätetik ebenso zum Kreis des Pythagoras gehörte wie Studien zur Philoso-
Zu Aristoxenos jetzt: Huffman 2019. Aristoxenos Frg. 33 – 41 Wehrli; Huffman 2014, 293: Einige der bei Stobaios überlieferten Aussprüche des Pythagoras aus der Sammlung des Aristoxenos sind wörtlich identisch mit ihren Pendants bei Iamblich, so daß Huffman 2008, 104– 120 beide Überlieferungen zurecht als sich ergänzend betrachtet. Zhmud 2013, 379 und ders. 2014, 383 ist demgegenüber skeptisch. Iambl. VP 22,101– 102. Iambl. VP 30,174 = Aristoxenos Frg. 33 Wehrli. Ausf. dazu Mann 2001, 175 f.; Giangiulio 1989, 103. Sehr plausibel zu der Herkunft des Milon Mann a. a.O. mit Bezug auf Hdt. 3,131. Zu Milon s.o. 148 f. Eine sehr pointierte Auffassung hat dazu Miller 2000, 277– 296, vertreten, der die Entwicklung eines starken Gleichheitsgrundsatzes aus der Athletik erklärt, insbesondere aus den panhellenischen Gymnastik-Agonen, die im Gegensatz zu Reiter-Agonen als typisch für die archaische Elite betrachtet werden. In diesem Kontext verortet er auch die Isonomie. Dagegen Mann 2001, der am Beispiel Krotons zeigt, daß der Prozeß wesentlich komplexer gewesen sein muß: Er sieht als Grund für den agonistischen Aufstieg Krotons die Verbindung von „Pythagoreismus, Medizin und Athletismus“ (a. a.O. 171– 91) an, da die Pythagoreer athletische Übungen gefördert hätten (186), und vor allem verweist er darauf, wieviele der krotoniatischen Athleten dem Kreis der Pythagoreer zuzurechnen sind. Iambl. VP 19,94. Iambl. VP 5,21 ff. Dazu Mann a. a.O. 179. Porph. VP 15; Diog. Laert. 8,12; Paus. 6,7,10. Dazu Mann a. a.O. 178.
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phie, Musik, Mathematik und Astronomie.⁵⁶⁶ Der Athletismus in Kroton ist in der Antike sprichwörtlich geworden.⁵⁶⁷ Dies ordnet sich ein in eine sehr weit ausgreifende Vorstellung davon, wie die Lebensführung grundsätzlich zu gestalten sein soll. Iamblich ü berliefert nicht nur Regeln zur gesunden Lebensführung durch eine strenge Diätetik, sondern sehr viel mehr: Iambl. VP 17,72: ἐν δὴ τῷ χρόνῳ τούτῳ τὰ μὲν ἑκάστου ὑπάρχοντα, τουτέστιν αἱ οὐσίαι, ἐκοινοῦντο, διδόμενα τοῖς ἀποδεδειγμένοις εἰς τοῦτο γνωρίμοις, οἵπερ ἐκαλοῦντο πολιτικοί, καὶ οἰκονομικοί τινες καὶ νομοθετικοὶ ὄντες. „Zu dieser Zeit wurde auch das Besitztum jedes einzelnen – seine Gü ter – der Gemeinschaft übereignet und den dazu bestimmten Mitgliedern anvertraut, die Politiker (politikoi) hießen und teils Verwalter (oikonomikoi), teils Gesetzgeber (nomothetikoi) waren.“⁵⁶⁸
Und weiter berichtet er: Iambl. VP 17,74: κοινὰ γὰρ αὐτοῖς καὶ ταῦτα [sc. χρυσοῦ τε καὶ ἀργύρου πλῆθος] ἀπέκειτο, ὑπό τινων εἰς τοῦτο ἐπιτηδείων κοινῇ διοικονομούμενα, οὓς προσηγόρευον οἰκονομικοὺς ἀπὸ τοῦ τέλους […]. „Auch das Geld bewahrten sie ja gemeinsam auf und ließen es von hierfü r geeigneten Leuten verwalten, die man nach ihrem Amt Verwalter (oikonomikoi) nannte.“⁵⁶⁹
Die Angabe Iamblichs, daß die Pythagoreer versuchten, „Anzeichen zu erkennen, um das rechte Gleichgewicht zwischen Arbeit, Nahrungsaufnahme und Ruhe zu finden“ (Iambl. VP 29,163 und 34,244), läßt sich sehr gut mit der Lehre des Alkmaion verbinden, in der einereits eine komplexe Konzeption davon erhalten ist, wie Gesundheit und Krankheit entstehen, und andererseits auch durch die Übertragung der politischen Begriffe von Isonomie und Monarchie eine politische Konnotation zu erkennen ist. Die politischen Umstände in Kroton sind von den gleichen Umwälzungen und tiefgreifenden Konflikten geprägt wie die zeitgleiche Situation in Ionien. Insofern verweist die Verwendung des Isonomie-Begriffs in der Gesundheitskonzeption des Alkmaion darauf, daß nicht nur in Ionien und Athen, sondern gleichzeitig
Zu den letzteren Aspekten der pythagoreischen Studien Zhmud 1997, 17 ff. Athen. 12,518d, wo ein ‚gesundes Kroton‘ einem ‚verweichlichten Sybaris‘ gegenübergestellt wird. ÜS v. Albrecht, modif. ÜS v. Albrecht, modif.
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auch in der Magna Graecia im Umkreis des Pythagoras mit politischen Diskussionen über Gemeinschaft und Verteilung von Macht zu rechnen ist.⁵⁷⁰
IV.3 Alkmaion: Isonomie im Kreis der Pythagoreer 1. Alkmaion im Kreis der Pythagoreer Der Pythagoreer und Arzt Alkmaion von Kroton formuliert um 500 v.Chr. die These,⁵⁷¹ daß Gesundheit als Isonomie sowie Krankheit als Monarchie unter den Kräften des Körpers und den Umweltfaktoren zu beschreiben seien (Alkmaion DK 24 B4 = Aëtius v 30 1 [D. 442]).⁵⁷² Für die Verwendung des Begriffs der Isonomie ist der Text eines der frühesten Zeugnisse. Der pythagoreische Kontext, in den Alkmaion zweifellos gehört, gibt Anlaß, die Frage zu diskutieren, ob die Isonomie als politischer Begriff in dem Kreis der Pythagoreer eine wesentliche Rolle spielte. In einem kurzen Text, der vielleicht als eine Zusammenfassung seines Werks verfaßt wurde, wird Alkmaions Gesundheitskonzeption skizziert. Gesundheit und Krankheit werden als Konzepte dargestellt, die auf Gleichheit und Maß bzw. den Gegensätzen Ungleichheit und Übermaß beruhen. Gesundheit (Isonomie) und Krankheit (Monarchie) werden mit Symmetrie (Gesundheit) und Maßverfehlung (Krankheit) erklärt. Die Knappheit und Dichte der Textpassage, die die Grundsätze von Alkmaions Auffassung wiedergibt, lassen trotz ihrer Kürze erkennen, welche Überlegungen zu Norm, Normverfehlung, Symmetrie und Gleichgewicht mit Isonomie verbunden werden. Vergleiche zwischen dem menschlichen Körper und der Polis finden sich schon in den frühesten Texten. Bereits Solon greift in seiner Zustandsbeschreibung Athens auf medizinische Metaphern zurück.⁵⁷³ Innere Zwietracht (στάσις), Aufruhr und Mißachtung der rechtlichen Grundlagen prägen die Lage und die Führer des Volkes bereichern sich an öffentlichem und heiligem Gut und dies vergleicht Solon mit einer Wunde der Polis (ἕλκος ἄφυκτον), der man nicht entrinnen kann (vgl. dazu oben S. 30 ff.). Die Zwietracht zwischen den Gruppen in-
Daß dies bisher in den Untersuchungen zur Isonomie so wenig in Betracht gezogen wurde, mag möglicherweise durch das apodiktische Urteil von Vlastos 1953, 337– 366, hier insb. 364, bedingt sein. Hier und im Folgenden wird die ionische Form Alkmaion verwendet und nicht die attische Form Alkmeon. Vgl. Vlastos 1953; Pleket 1972; Triebel-Schubert 1984, 40 ff.; Lengauer 1987; Rausch 1999; Lévy 2005; Lombardini 2013; Mansfeld 2013; Dmitriev 2015 sowie Kouloumentas 2014, 2018 und 2019 und jüngst Mansfeld/Runia 2020, IV 2043 ff. Solon Frg. 4 W = 3 G.-Pr.2 17.
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nerhalb der Polis wird wie eine unheilbare Krankheit der Stadt beschrieben.⁵⁷⁴ Später wird den Politikern zur Rettung der Polis oft empfohlen, ‚Heilmittel‘ zu verwenden, die die Polis wieder gesunden lassen.⁵⁷⁵ Aber es werden nun nicht nur der Arzt mit dem Politiker bzw. Gesetzgeber und der Zustand der Polis mit demjenigen des menschlichen Körpers verglichen, sondern es werden auch Krankheit und Gesundheit als Konzepte mit bestimmten Vorstellungen von politischer Verfassung gleichgesetzt: Dies ist zum ersten Mal bei Alkmaion von Kroton zu sehen, der die für Gesundheit und Krankheit eines Körpers konstitutiven Faktoren mit politischen Begriffen belegt, die sonst nur für eine griechische Polis und ihre Verfassungen, d. h. politische Ordnungen, gebraucht werden. Der Gedanke, daß eine Gewaltherrschaft, eine Tyrannis, errichtet wird, die damit eine Störung des Ganzen bewirkt, ist bereits früh in der griechischen Überlieferung zu sehen.⁵⁷⁶ Übertragen auf die Medizin wie bei Alkmaion bedeutet das Übergewicht eines Faktors im Körper die Gefährdung von dessen Gleichgewicht und damit auch dessen Gesundheit. Das Neue bei Alkmaion ist, daß er das Verhältnis derjenigen Kräfte im Körper, die den jeweiligen Zustand bestimmen, konzeptionalisiert, indem er medizinisch-physiologische Vorgänge mit politischen Begriffen beschreibt.⁵⁷⁷ Im Kontext der historischen Bedeutung, die man dem Begriff ‚Isonomie‘ als einem politischen Begriff zugeschrieben hat, ist dem Text des Alkmaion einiges an Aufmerksamkeit gewidmet worden.⁵⁷⁸ Die schwierigen Datierungsfragen sind unterschiedlich angegangen worden: durch Kontextualisierung in der Politik Athens oder durch Einordnung in die medizinphilosophische und philosophische Entwicklung, aber auch durch sprachliche Analysen.⁵⁷⁹ Ohne die Differenzen der Kudlien 1967, 51 f.; Vgl. Demandt 1978, 1 ff. Aristot. pol. 1267b ff. Der Dichter Archilochos spricht im 7. Jahrhundert v.Chr. davon, daß es ihn ebensowenig nach dem Reichtum des Gyges verlange wie nach der großen Tyrannis: Frg. 19 West; vgl. Alkaios Frg. 348 PMG über die Tyrannis des Pittakos. Zuletzt Kouloumentas 2014; Mansfeld 2013 und Mansfeld/Runia 2020, IV 2048 ff. Die neueren Arbeiten, die auf das Fragment des Alkmaion eingehen, sind Kouloumentas 2014; Dmitriev 2015; Mansfeld 2013 und Mansfeld/Runia 2020, IV 2043 ff. (Edition) sowie IV 2048 ff. (inhaltlicher Kommentar). Mansfeld 2013 will den zeitlichen Zusammenhang zwischen Alkmaion, den Pythagoreern und den politischen Entwicklungen um 500 v.Chr. ganz eliminieren und stattdessen in dem Gebrauch des Isonomie-Begriffs in der vorliegenden Textpassage eine erst von Herodot und seiner Verfassungsdebatte ausgehende Reaktion sehen (so auch in Mansfeld/Runia 2020, IV 2050 mit Bezug auf Mansfeld 2013). Mansfeld 2013 begründet dies vor allem damit, daß Isonomie in dem Text des Alkmaion metaphorisch gebraucht werde. Wie Kouloumentas a. a.O. bin ich der Ansicht, daß Isonomie ein authentischer Begriff des Alkmaion gewesen sein muß. Vgl. i. E. unten Anm. 585 und Appendix 2. S.o. Kap. A: Isonomia: Semantische Befunde und Ordnungsvorstellungen.
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verschiedenen Arbeiten im Einzelnen überdecken zu wollen, so kann doch als Gemeinsamkeit der meisten festgehalten werden, daß die Verwendung des Begriffs ‚Isonomie‘ bei Alkmaion mit einem sehr frühen Stadium in der Entwicklung des Arsenals politischer Begriffe erklärt wird. Die bei Diels/Kranz als Alkmaion DK 24 B4 aufgenommene und seit Diels auf einen sog. Aëtius zurückgeführte Textpassage⁵⁸⁰ gehört – neben der Verfassungsdebatte Herodots und dem Trinklied auf die Tyrannentöter Harmodios und Aristogeiton – in jedem Fall zu den wichtigen und frühen Texten,⁵⁸¹ in denen eine Wortform der Isonomie auftritt. Alkmaion DK 24 B4 = Aëtius v 30,1:⁵⁸² ᾿A. τῆς μὲν ὑγιείας εἶναι συνεκτικὴν τὴν ἰ σ ο ν ο μ ί α ν τῶν δυνάμεων, ὑγροῦ, ξηροῦ, ψυχροῦ, θερμοῦ, πικροῦ, γλυκέος καὶ τῶν λοιπῶν, τὴν δ’ ἐν αὐτοῖς μ ο ν α ρ χ ί α ν νόσου ποιητικήν· φθοροποιὸν γὰρ ἑκατέρου μοναρχίαν. καὶ νόσον συμπίπτειν ὡς μὲν ὑφ’ οὗ ὑπερβολῆι θερμότητος ἢ ψυχρότητος, ὡς δὲ ἐξ οὗ διὰ πλῆθος
Ausführliche Diskussion der Überlieferung in der Appendix 1. Das Lemma ist überliefert bei Ps.-Plut. Plac. phil. 5,30 (= 911a – c; Stob. Anthol. 4,29 – 31 [Wachsmuth/Hense]); Michael Psellos, Επιλύσεις διαφόρων ἐρωτημάτων (Boissonade) und Psellos De omnifaria doctrina 117: Περὶ ὑγείας καὶ νόσου καὶ γήρως (Westerink) sowie in einer arabischen Parallelüberlieferung bei Qusṭā Ibn-Lūqā V 30 (= Daiber 1980, 247), die als Übersetzung aus den pseudo-plutarchischen Placita gilt (vgl. dazu ausf. Appendix 1). Von Hermann Diels wird das Lemma „Aëtius“ zugeschrieben. Vgl. Mansfeld/Runia, Aëtiana I – V zu der Aëtius-Diskussion. Die ebenso geniale wie spekulative Konstruktion von „Aëtius“ durch Hermann Diels hat alle Überlegungen zu den Parallelen zwischen der Anthologie des Johannes Stobaios, einer philosophiehistorischen Schrift des Pseudo-Galen und einer Epitome aus den Placita philosophorum dieses heute meist als Pseudo-Plutarch bezeichneten Verfassers der Placita, die Bestandteil des Konvoluts an Schriften der plutarchischen Moralia sind, beherrscht. Die Placita philosophorum sind nach Diels nur die Epitome aus einem größeren Werk (vgl. dazu H. Diels, Doxographi Graeci, Berlin 1879), das er „Aëtius“ zuschrieb, weswegen er die Placita philosophorum Plutarch ab- und einem Pseudo-Plutarch zusprach. Heute pflegt man einen eher kritisch-vorsichtigen Umgang mit der Diels’schen Konstruktion und spricht im Hinblick auf das Verhältnis der bei Plutarch, PseudoGalen und Stobaios erhaltenen Texte lediglich von einer Placita-Literatur bzw. -Tradition. Es lassen sich durchaus Indizien dafür beibringen, die gegen den sog. Aëtius und für Plutarch als denjenigen sprechen, der diese Textpassagen aus Alkmaion zitiert hat. Vgl. Schubert 2017b, 43 – 57, dagegen Mansfeld/Runia 2020, I 217 und IV 1617. DK 24 B4; Hdt. 3,80; Athen. 15,50,695a (Kaibel). Text aus DK 24 B4 = Aëtius Placita V 30,1; vgl. Diels 1879, 442 f.; Runia 1999, 248; bei Stob. Anthol. 4,36,29 (Wachsmuth/Hense) ist die Textpassage teilweise anders überliefert: ὑπερβολὴν θερμότητος ἢ ξηρότητος, während die Handschriften der Placita philosophorum alle ὑπερβολῆι θερμότητος ἢ ψυχρότητος haben, ebenso Psellos (s.o. Anm. 580); im Detail dazu Mansfeld/ Runia 2020, IV 2043 ff., vgl. ausf. dazu unten in Appendix 1; Kouloumentas 2014, 878 verweist zusätzlich noch auf Anon. Lond. XX, 35 – 6 zu Philistion von Lokroi. Mansfeld/Runia 2020, IV 2043 und 2049 f. schreiben den zweiten Teil der Textpassage Herophilos zu (dazu ausf. unten die Appendix 1).
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τροφῆς ἢ ἔνδειαν, ὡς δ’ ἐν οἷς ἢ * αἷμα ἢ μυελὸν ἢ ἐγκέφαλον. ἐγγίνεσθαι δὲ τούτοις ποτὲ κἀκ τῶν ἔξωθεν αἰτιῶν, ὑδάτων ποιῶν (?) ἢ χώρας ἢ κόπων ἢ ἀνάγκης ἢ τῶν τούτοις παραπλησίων. τὴν δὲ ὑγείαν τὴν σύμμετρον τῶν ποιῶν κρᾶσιν. „Alkmaion sagt, für die Gesundheit sei die Isonomie der Kräfte bestimmend, des Feuchten, Trockenen, Kalten, Warmen, Bitteren, Süßen und der übrigen; aber eine Monarchie unter ihnen bewirke Krankheit. Denn die Monarchie unter ihnen (oder: von einem der beiden)⁵⁸³ sei verderblich. Krankheit tritt der Ursache nach durch das Übergewicht an Warmheit oder Kaltheit auf, dem Anlass nach infolge der Fülle an Nahrung oder Mangel, dem Ort nach im Blut, Knochenmark oder Gehirn. Befallen würden diese manchmal auch aus äußeren Ursachen, infolge der Eigenschaft von Wasser, Land, Mühen, Zwang oder dergleichen. Gesundheit aber beruhe auf der symmetrischen Mischung der Beschaffenheiten.“⁵⁸⁴
Wenn sich die Gleichsetzung von Gesundheit mit Isonomie, d. h. hier mit einem bestimmten Konzept von Gleichheit, für Alkmaion von Kroton und dessen Zugehörigkeit zu der Gruppe der älteren Pythagoreer plausibel machen läßt, dann ist damit für die Vorstellung von Isonomie, auch in ihrem Gebrauch als Substantiv, ein entscheidendes Stadium in der Verwendung und Entwicklung des Begriffs zu sichern.⁵⁸⁵ Denn eine Übertragung in den medizinischen Bereich ist keine Selbstverständlichkeit und ergibt sich auch nicht aus phänomenologischen Beobachtungen von Umwelt und Natur, sondern ist ein konzeptionell begründeter
Zu der Frage, wie ἑκατέρου hier zu verstehen ist, weiter unten ausf. Anm. 610. Die Übersetzung orientiert sich an derjenigen von Diels/Kranz, ist jedoch im Hinblick auf die zentralen Begriffe modifiziert. Auf die korrekte Übertragung von θερμότης und ψυχρότης als „Warmheit“ oder „Kaltheit“ sowie die Bedeutung von ποιῶν als Beschaffenheiten hat Plamböck 1964, 65 und 80 hingewiesen. Mansfeld 2013 will für alle Kernbegriffe der Textpassage nachweisen, daß sie aus einem späteren Sprachgebrauch stammen. Insbesondere in der Verwendung von Isonomie erkennt er einen metaphorischen Gebrauch, den er für spät hält. Er vermutet, daß der Text keinesfalls vor, sondern nur nach und unter dem Einfluß der Verfassungsdebatte Herodots geschrieben wurde, d. h. nach 430/410 v.Chr. Dieses Ergebnis hat verschiedene Konsequenzen: Wenn man den Text chronologisch von der Person des Alkmaion trennt, der nach Aristoteles einer der frühen Pythagoreer gewesen ist, löst man damit den Zusammenhang zwischen diesem Text und den anderen, die mit Alkmaions Namen verbunden werden. Durch diese Trennung ist es auch möglich, nicht nur die für Alkmaion mehrfach überlieferte Methode der Erkenntnisgewinnung von der Textpassage DK 24 B4 zu abzulösen, sondern insgesamt Argumente dafür zu finden, den Gebrauch des Wortes Isonomie für die Zeit um 500 v.Chr. als anachronistisch einzustufen. Die Bedeutung von Isonomie wird von Mansfeld 2013 an den herodoteischen Text und seinen Kontext geknüpft und damit aus dem bisherigen früheren, historischen Kontext der politischen Entwicklung gelöst, die zur Entstehung der attischen Demokratie führte. Die Synchronisierung der Lebenszeit des Alkmaion mit der des Pythagoras ergibt sich aus Aristot. metaph. 986a27, Diog. Laert. 5,25 und Iambl. VP 23,104. Im einzelnen dazu jetzt jüngst Kouloumentas 2019, 49 – 67 (vgl. unten Anm. 593).
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Schritt und die darin zum Ausdruck kommende Privilegierung der Gleichheit erfordert eine Begründung, für die aus dem Text des Alkmaion eine Grundlage abzuleiten ist. Diese Begründung muß sich einerseits auf die Gesundheitskonzeption des Alkmaion stützen. Andererseits kann sich aus der Übertragung selbst zeigen, daß aus dem politischen Ursprung des Begriffs, der erst die Grundlage für die Übertragung geboten hat, Rückschlüsse auf politische Vorstellungen möglich sind. Daher macht der Gebrauch dieses Begriffs den primär medizinischen Text so ungewöhnlich und deshalb ist er einerseits häufig als wichtiger Beleg für die Interpretation früher naturphilosophischer Modelle und andererseits ebenso als Indiz für politische Entwicklungen der damaligen Zeit verwendet worden. Die ungewöhnliche Verwendung erklärt auch, warum gerade dieser Begriff die zeitstabilste Tradition in der Alkmaion betreffenden Überlieferung dieser Textpassage aufweist.⁵⁸⁶ Die Überlieferung zu Alkmaion⁵⁸⁷ zeigt ihn als einen Naturforscher, der sich mit Biologie, Anatomie, Physiologie und vor allem auch mit der Sinnesphysiologie beschäftigt hat, aber nicht mit Mathematik, Zahlenphilosophie und Kosmologie.⁵⁸⁸ Aus diesem Grund ist er oft nicht zur Gruppe der Pythagoreer gerechnet worden.⁵⁸⁹ Aristoteles hat ihn nicht ausdrücklich als Pythagoreer bezeichnet (metaph. 986a28), allerdings hat Aristoteles, wie Zhmud gezeigt hat, tatsächlich niemanden explizit Pythagoreer genannt. Aristoteles erläutert seine Zuordnung immerhin soweit,⁵⁹⁰ daß er Alkmaion einen jüngeren Zeitgenossen des Pythagoras nennt.⁵⁹¹ Er erwähnt auch, daß sich Alkmaion in ähnlicher Weise
Ausf. dazu in Appendix 1 und Kouloumentas 2014, 881 ff. Zhmud 1997, 71. Zu der Biologie des Alkmaion: Lebedev 1993 und 2017. Vgl. unten Appendix 2. Zhmud 1997, 71 hat sehr plausibel belegt, daß Alkmaion als Pythagoreer gesehen werden muß. Insgesamt sind mehr Ärzte und Naturwissenschaftler als Mathematiker unter den namentlich bekannten Pythagoreern bekannt. Anders Vlastos 1953, 344 ff.; Longrigg 1963, 167 ff; Pazzini 1963, 9; Lloyd 1975, 125 ff. Zurückhaltend hingegen Kouloumentas a. a.O. Primavesi 2012, 447 f. (Introduction zu Aristot. metaph. A5 986a28 – 31): Primavesi hält den Satz über das Altersverhältnis zwischen Pythagoras und Alkmaion für eine Interpolation; dagegen Laks/Most 2016, 740; Golitsis 2016, 463 mit Anm. 14. Kouloumentas 2019, 49 – 67 zu Aristot. metaph. A5 986a22 – b4 = DK 24 A3; in dem entscheidenden Satz καὶ γὰρ [ἐγένετο τὴν ἡλικίαν] ᾿Aλκμαίων [ ἐπὶ γέροντι Πυθαγόρᾳ,] ἀπεφήνατο [δὲ] παραπλησίως τούτοις ist νέος eine Konjektur von Diels. Kouloumentas versteht ἐγένετο τὴν ἡλικίαν in dem Sinn, daß Alkmaion volljährig wurde, als Pythagoras alt war, und verweist auf Aristot. AP 42,1: πρῶτον μὲν εἰ δοκοῦσι γεγονέναι τὴν ἡλικίαν τὴν ἐκ τοῦ νόμου – in die Demenlisten wurden die jungen Athener eingeschrieben mit der Vollendung des 18. Lebensjahres und im Rahmen dieser Prozedur wurde als erstes geprüft, ob sie das gesetzlich vorgeschriebene Alter erreicht haben. Mit der Bedeutung von ἡλικία im Sinne der Volljährigkeit, so Kouloumentas a. a.O., ist natürlich das von Diels konjizierte νέος überflüssig. Kouloumentas
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ausgesprochen habe wie die Pythagoreer. Vermutlich rechnete Aristoteles ihn zu der Schülergeneration des Pythagoras. Damit ist nicht gesagt, daß er inhaltlich die Vorstellungen von Pythagoras übernahm, denn Aristoteles läßt es offen, ob Alkmaion die Ansicht über die Gegensätze von den Pythagoreern übernommen hat oder ob es umgekehrt war.⁵⁹² Der bei Diogenes Laertius zitierte erste Satz aus Alkmaions Werk – ein wörtliches Zitat – und die von Diogenes daran angeschlossene Bemerkung, daß Alkmaion mit dieser Schrift drei Pythagoreer – Brotinos, Leon und Bathyllos –, direkt angesprochen habe, liefert einen plausiblen Beleg für die Zuordnung des Alkmaion zu der Gruppe der Pythagoreer: DK 24 B1 = Diog. Laert. 8,83: ἦν δὲ Πειρίθου υἱός, ὡς αὐτὸς ἐναρχόμενος τοῦ συγγράμματός φησιν· „᾿Aλκμαίων Κροτωνιήτης τάδε ἔ λεξε Πειρίθου υἱὸς Βροτίνῳ καὶ Λέοντι καὶ Βαθύλλῳ περὶ τῶν ἀφανέων περὶ τῶν θνητῶν σαφήνειαν μὲν θεοὶ ἔ χοντι, ὡς δὲ ἀνθρώποις τεκμαίρεσθαι“ καὶ τὰ ἑξῆς.⁵⁹³ Alkmaion aus Kroton, Sohn des Peirithoos, sagte folgendes zu Brotinos, Leon und Bathyllos: „Von den unsichtbaren Dingen wie von den irdischen haben nur die Götter genaue Kenntnis, den Menschen aber ist das Schließen auf der Grundlage von Beweisen gegeben.“ usw.
Unter den bei Diogenes genannten drei Personen, die auch in dem sog. Pythagoreer-Katalog des Iamblich (VP 23,104) aufgezählt werden, ist vor allem Brotinos prominent. Er soll mit der berühmten Theano verheiratet gewesen sein, in einer anderen Version gilt Theano als Tochter des Brotinos und Ehefrau des Pythagoras.⁵⁹⁴ Ungeachtet der Differenzen in der Überlieferung ist sein Name so eng mit den älteren Pythagoreern in Kroton verbunden, daß die Ansprache die zeitgenössische Verbindung Alkmaions mit dieser Gruppe plausibel macht. Sie zeigt darüber hinaus, daß es einen Diskurs unter diesen Forschern im Umkreis des Pythagoras gegeben hat, in dem man sich über vielfältige Fragen der Naturforschung ausgetauscht hat – und sicher nicht immer einer Meinung war.⁵⁹⁵
meint, daß der Satz von späteren Autoren, insb. den Neupythagoreern, falsch verstanden worden sei und sie daraus abgeleitet hätten, Alkmaion habe bei Pythagoras studiert (so Diog. Laert. 8,83). Primavesi 2012, 447. Dieses Zitat, hier im Text ohne Interpunktionen, hat sicher einige Phasen in der Überlieferung durchlaufen: ἔχοντι (dorisch), Κροτωνιήτης … Πειρίθου … ἀφανέων (ionisch), σαφήνειαν statt ionisch σαφηνείην oder dorisch σαφανείαν; dazu Kouloumentas 2018, 7, der a. a.O. 9 die verschiedenen Interpunktionsmöglichkeiten (von Reiske 1889 [= Diels 1889] bis Dorandi 2013) auflistet. Diels setzt ein Komma nach ἀφανέων. Diog. Laert. 8,42– 3; Suda α 3872; θ 83, 84; π 3120. Vgl. dazu ausf. Kouloumentas 2018, 7 ff. Zhmud 1997, 42 f. zu DK 17 A4. Zu Brotinos auch Iambl. VP 36,267, dazu Burkert 1962, 114.
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Wie weit der Diskurs reichte, ist der Erwähnung eines etwas jüngeren Pythagoreers in einer der Komödien des Kratinos zu entnehmen.⁵⁹⁶ Der Pythagoreer Hippon wird in der Komödie Panoptai im Kontext der Athener Asebie-Debatte der 30er Jahre genannt.⁵⁹⁷ Die Nennung eines Pythagoreers im Kontext der aktuellen Politik Athens, die in diesen Jahren von scharfen inneren Auseinandersetzungen geprägt war und die zusammen mit den Asebie-Anklagen zum Sturz des Perikles führte, zeigt, daß die Pythagoreer – trotz der Krise in Kroton und trotz des Todes ihres Meisters – nicht nur weiterhin in Kroton aktiv waren, sondern auch in Athen als bekannte Persönlichkeiten wahrgenommen wurden. Der Anonymus Londinensis nennt diesen Pythagoreer Hippon von Kroton und beschreibt ihn als einen Vertreter derjenigen, die als Ursache der Krankheiten das Gegenüber zweier je spezifischer Extreme bezeichnet haben.⁵⁹⁸ Es ist durchaus vorstellbar, daß der Anonymus Londinensis sich hier auf eine typische Meinung bezog, die für die krotoniatische Ärztegruppe, zu der Alkmaion genauso zählte wie Hippon, charakteristisch war. Aufgrund des an dieser Stelle nur lückenhaft erhaltenen Textes muß offenbleiben, ob hier auch ein Bezug auf Alkmaion zu ergänzen ist oder ob es hier um die gesamte krotoniatische Ärztegruppe ging. Neben diesen Zeugnissen zur Person läßt sich auch die Auffassung zur Entstehung von Krankheit und Gesundheit, wie sie Alkmaion in der antiken Überlieferung zugeschrieben wurde, über Vergleiche mit den frühen Schriften des Corpus Hippocraticum einordnen.⁵⁹⁹ Ausgehend von der hippokratischen Schrift De vetere medicina kann Alkmaions Gesundheitskonzeption einer älteren Tradition zugeordnet werden, die – ausgehend von der Lebenszeit des Pythagoras – in den Ausgang des 6. Jahrhunderts v.Chr. gehören muß. Denn die Ansicht, die in dem Text des Alkmaion zu finden ist, nämlich daß immer die stärkste Ausprägung einer δύναμις das eigentlich Schädliche sei, das zur Krankheit führe, bezeichnet der Verfasser der Schrift De vetere medicina als die herausragende Entdeckung der „Alten“, die damit die Entwicklung der Medizin als einer eigenständigen Techne begründet hätten. Dies ist deckungsgleich mit der Ursachenbezeichnung für die Krankheitsentstehung bei Alkmaion DK 24 B4 (νόσον συμπίπτειν ὡς μὲν ὑφ’ οὗ ὑπερβολῆι θερμότητος ἢ ψυχρότητος). De vetere medicina gehört in die zweite
DK 38 A2. Die Panoptai sind zwischen 435 und 431 v.Chr. in Athen aufgeführt worden; Hippon wäre dann nach Zhmud 1997, 73 etwa 40 Jahre alt gewesen. Zhmud a. a.O. 73. verweist darauf, daß Hippon zwar auch in der Überlieferung als Hippon von Samos geführt wird, jedoch eindeutig in der Region von Kroton, Metapont bzw. Rhegion tätig war. Anon. Lond. (Ricciardetto) 8 f., 34– 43. Vgl. dazu Kouloumentas 2014, 867– 887.
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Hälfte des 5. Jahrhunderts v.Chr., vielleicht auch ans Ende des 5. Jahrhunderts v.Chr., und bezieht sich mit dem Rekurs auf die ‚Alten‘ demnach auf Ansichten, die eine oder zwei Generationen zuvor im Umlauf gewesen waren. Das Vorgehen des Alkmaion hat ihn für die späteren Autoren offenbar besonders interessant gemacht. Er prägte Analogien, die prägnant und eingängig waren und daher auch Bestandteil der Überlieferungstradition geworden sind.⁶⁰⁰ Insbesondere seine Isonomie-Analogie ist in der späteren Überlieferung mehrfach zitiert worden und immer erkennbar auf die analogische Verwendung bezogen, die er in diesen Kontext von Krankheit und Gesundheit eingeführt hat. Isonomie ist und bleibt in diesem Kontext jedoch ein politischer Begriff und die Bedeutung als Ausdruck eines Gleichgewichts innerhalb einer Ordnung ist die Grundlage der Analogie. Diese die Analogie begründende Bedeutung von Isonomie in der Konzeption von Gesundheit und Krankheit hat sich bis in die byzantinische Zeit gehalten und verweist damit auf eine für so ungewöhnlich und bedeutend gehaltene Überlegung, daß man ihren Sinn offensichtlich nur durch die Weiterverwendung des originalen Wortlautes erhalten konnte.⁶⁰¹
2. Alkmaions Isonomia und Maßverfehlung Für eine frühe Datierung des Alkmaion-Textes spricht auch, daß Alkmaion relativ allgemein von δυνάμεις spricht, jedoch nicht von Elementen oder gar von Säften, und daß er die Qualitäten als Attribute dieser allgemeinen Kräfte ansieht. Weiterhin bezieht er ganz unterschiedliche Ebenen in seine Definition mit ein wie als Ursachen Wärme und Kälte („Warmheit“ und „Kaltheit“),⁶⁰² als Anlaß Fülle und Mangel, als Orte im Körper Blut, Knochenmark und Gehirn und dazu noch Situationen der Umwelt. Zu letzterer zugehörig rechnet Alkmaion auch solche wie Mühe und Zwang, die in den kulturellen und sozialen Bereich gehören. Dies alles und nicht nur die Qualitäten, τὰ ποιά, sondern alle Kräfte (δυνάμεις), die auf den Körper und die Psyche einwirken, müssen zu der κρᾶσις beitragen, die Gesundheit begründet. Wie dieses Beitragen gedacht ist, läßt sich aus zwei Aspekten ableiten: zum einen aus der in Isonomie liegenden Gleichheitsvorstellung und zum anderen aus dem für die Krankheiten ursächlichen Übermaß, der ὑπερβολή. Das ἴσον in der Isonomie verweist auf die arithmetische Gleichheit und setzt damit bspw. nicht
Ausf. dazu in Appendix 2: Die Methode des Alkmaion. Ausf. dazu in Appendix 2. Vgl. Plamböck 1964, 80.
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nur völlig anders an als der Terminus ‚Demokratie‘,⁶⁰³ sondern verweist auf ein anderes Konzept als das auch für die Medizin geläufige ὅμοιον-ὁμοίῳ-Prinzip.⁶⁰⁴ Anders als ὅμοιον – im Sinne von Gleichartigkeit und Gestaltgleichheit⁶⁰⁵ – verweist ἴσον nicht nur auf die quantitative Gleichheit,⁶⁰⁶ sondern übertragen auf die δυνάμεις bei Alkmaion heißt dies auch, daß das Feuchte, das Trockene, das Kalte, das Warme, das Bittere, das Süße und offenbar zahlreiche andere Qualitäten als Eigenschaften zu einer bestimmten Form quantitativer Gleichheit der δυνάμεις beitragen müssen. Wenn eine der δυνάμεις ein Übermaß erreicht, entsteht Krankheit. Unter diesen δυνάμεις werden nun zwei priorisiert:⁶⁰⁷ Die ὑπερβολῇ θερμότητος ἢ ψυχρότητος – das Übermaß des wärmsten bzw. kältesten aus der Menge der δυνάμεις wird als besonders wirkmächtige Ursache für die Krankheitsentstehung angesehen und die anderen δυνάμεις sind diesen beiden offenbar nachgeordnet. Aber es müssen noch weitere, ganz unterschiedliche Dinge hinzukommen, die Alkmaion nennt und die die Umweltbedingungen und physiologischen Konstitutionen betreffen. Von diesen ist aus der kurzen Zusammenfassung nicht erkennbar, ob sie alle nach dem Prinzip der Gegensätzlichkeit strukturiert sind. Denn für die Orte im Körper (die Organe) und die äußeren Ursachen kann man diese Gegensätzlichkeit wohl ausschließen.Wie die Isonomie der δυνάμεις sich zu den anderen Faktoren verhält, läßt sich aus dem Text nicht im Detail ableiten. Es läßt sich lediglich allgemein sagen, daß, wenn Gesundheit bedeutet, daß die Gegensätze der δυνάμεις durch Isonomie aufgehoben oder ausgeglichen sein müssen, zwar einerseits die Isonomie nur für die δυνάμεις gilt, jedoch andererseits diese auch in einem Verhältnis zu den anderen Faktoren stehen muß. Wie Aristoteles in seiner Metaphysik richtig erkannt hat, so unterscheidet sich Alkmaion hier ganz deutlich von den anderen Pythagoreern und aus dem Kommentar des Alexander von Aphrodisias zur Stelle könnte man durchaus ableiten, daß Alkmaion zwar auch alles nach dem Gegensatzprinzip strukturiert gedacht hat, jedoch nicht präzise auf eine limitierte Zahl bzw. Art an Gegensätzen beschränkt
Dazu immer noch grundlegend Meier 1970 zu der Unterscheidung der kratistischen und nomistischen Auffassung von Verfassungsordnung. v.Fritz 1959, 46 ff. Galen De placitis Hippocratis et Platonis 7,6,10; Plat. Parm. 132d7 ff.; Lys. 215e2: λέγων ὡς ἄρα παντὸς δέοι τὸ ὅμοιον τῷ ὁμοίῳ φίλον εἶναι, u.v. a. m. – [Hippokr.] De flatibus 1: Ἑνὶ δὲ συντόμῳ λόγῳ, τὰ ἐναντία τῶν ἐναντίων ἐστὶν ἰήματα ist kein Gegensatz dazu, sondern entspringt demselben Grundgedanken. Dazu Müller 1965a und 1965b, 225 – 249, hier: 227. Vgl. dazu unten S. 172 f. Kouloumentas 2014, 878.
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wie die anderen Pythagoreer.⁶⁰⁸ Insofern – dies allerdings nur als Spekulation – wäre die Beziehung zwischen den δυνάμεις im Körper und der äußeren Umwelt bei Alkmaion nach Alexander von Aphrodisias auch durch das Gegensatzprinzip geprägt, wenngleich es nicht recht einleuchtet, wie dies auf Organe und ihre Beziehung zur Umwelt im Hinblick auf die δυνάμεις vorzustellen wäre oder wie damit die verschiedenen Ursachen, Anlässe und Orte einbezogen werden können. Die Isonomie der δυνάμεις ist distributiv und dies dürfte auch das tertium comparationis für die ungewöhnliche Analogie in dem Text des Alkmaion gewesen sein.Wie die Isonomie unter den Bürgern in der Polis, so hat jede der δυνάμεις Anteil am Körper und so ist die Gesundheit gewährleistet. Krankheit kommt dagegen ganz anders zustande. Es ist jeweils in den einzelnen δυνάμεις das stärkste,⁶⁰⁹ eine Ausprägung, die durch die Verwendung des Superlativs ausgedrückt wird und die zum Übergewicht führt. Diese Ausprägung macht sich in Form einer Extremität als Eigenschaft deutlich. Wenn hier – wie verschiedentlich angenommen wurde – φθοροποιὸν γὰρ ἑκατέρου μοναρχίαν bedeuten würde, daß immer jeweils im Gegensatz zwischen nur zwei δυνάμεις ein Ungleichgewicht zur Krankheit führt und nicht der Gegensatz zwischen dem Einen und allen anderen, wäre der bei Alkmaion anschließende Gedanke nicht zu erklären: Denn im Hinblick auf die Ursache (ὑφ’ οὗ) ist es nicht die Gegensätzlichkeit an sich, sondern die Übermacht der kältesten Kaltheit oder der wärmsten Warmheit unter allen δυνάμεις, die zur Übermacht einer der δυνάμεις führt.⁶¹⁰
Aristot. metaphys. A5 985a34– 986b1 (= Primavesi 484) οὗτος μὲν οὖν ἀδιορίστως ἀπέρριψε περὶ τῶν λοιπῶν, οἱ δὲ Πυθαγόρειοι καὶ πόσαι καὶ τίνες αἱ ἐναντιώσεις ἀπεφήναντο; vgl. Alex. v. Aphrod. Kommentar ad loc. (= 41,24 Hayduck): ὁ δὲ τὴν τυχοῦσαν ἐναντίωσιν ἀρχὴν ἔλεγεν ἀδιορίστως; Alkmaion wird hier so charakterisiert, daß er zwar auch zu denjenigen gerechnet wird, die das Gegensatzprinzip vertraten, aber offenbar keine Paare festgelegt hat und daher seine Aufzählungen der beteiligten Faktoren ganz offen war. So auch Jouanna 1990, 182. Plamböck 1964, 75 ff.; Miller 1952 und 1966, insb. 1952, 186; vgl. Schiefsky 2005, 229 ff. Dies wird in der Literatur meist anders gesehen, u. a. von Ostwald 1969, 102 und Mansfeld 2013; auch Kouloumentas 2014, 878 ff., der die verschiedenen Möglichkeiten diskutiert, folgt der communis opinio; allerdings hat auch Grmek 1991, 367 f. die Meinung vertreten, daß es bei Alkmaion nicht um die Gegensätze innerhalb je eines Paares geht (ἑκατέρου in der Bedeutung je eins von beiden in einem Gegensatzpaar bekommt die Oberhand und bewirkt ein Ungleichgewicht, das Krankheit verursacht), zwischen denen jeweils die Isonomie sein soll, sondern um ein Gleichgewicht aller beteiligten Faktoren (ἑκατέρου in der Bedeutung unter ihnen, d. h. unter ihnen allen, womit es um die Isonomie sowohl innerhalb der Gegensatzpaare als auch zwischen den Gegensatzpaaren und den Umweltbedingungen etc. geht, vgl. LSJ s.v. ἑκάτερος: each of two, each singly). Der Vergleich mit [Hippokr.] Vet. med. 14 ist sowohl von Miller 1952, Mansfeld 2013 wie auch Kouloumentas 2014 und Plamböck 1964 herangezogen worden, die sich aber bei der Frage, welche Art der Gegensätze in dem Text gemeint sind, dafür entschieden haben, die Gegensätzlichkeit innerhalb eines Gegensatzpaares zu sehen. Hier ist bisher zu wenig beachtet
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Die Auffassung, die der Autor der dem Corpus Hippocraticum zugeordneten Schrift De vetere medicina vertritt,⁶¹¹ kommt dem erstaunlich nahe und wird zudem als die Entdeckung der ‚Alten‘ bezeichnet. Dies bezieht sich daher, wie bereits festgestellt (vgl. dazu oben S. 158 f.), auf eine Gruppe, die mindestens eine Generation älter sein muß als diejenige, der der Autor von De vetere medicina sich zugehörig fühlt. Die zeitliche Einordnung paßt gut zu derjenigen, die sich auch bei Aristoteles in der Metaphysik findet und nach der Alkmaion jung in der Zeit des alten Pythagoras war.⁶¹² Diese aus einer älteren, vergangenen Epoche stammende Ansicht beschreibt der Autor von De vetere medicina so: Vet. med. 14,3 – 4: Οὐ γὰρ τὸ ξηρὸν οὐδὲ τὸ ὑγρὸν οὐδὲ τὸ θερμὸν οὐδὲ τὸ ψυχρὸν οὐδὲ ἄλλο τούτων οὐδὲν ἡγησάμενοι οὔτε λυμαίνεσθαι οὔτε προσδεῖσθαι οὐδενὸς τούτων τὸν ἄνθρωπον ἀλλὰ τὸ ἰσχυρὸν ἑκάστου καὶ τὸ κρέσσον τῆς φύσιος τῆς ἀνθρωπίνης, οὗ μὴ ἠδύνατο κρατεῖν, τοῦτο βλάπτειν ἡγήσαντο καὶ τοῦτο ἐζήτησαν ἀφελεῖν. Ἰσχυρότατον δ᾽ ἐστὶ τοῦ μὲν γλυκέος τὸ γλυκύτατον, τοῦ δὲ πικροῦ τὸ πικρότατον, τοῦ δὲ ὀξέος τὸ ὀξύτατον, ἑκάστου δὲ πάντων τῶν ἐόντων ἡ ἀκμή· ταῦτα γὰρ ἑώρων καὶ ἐν τῷ ἀνθρώπῳ ἐνεόντα καὶ λυμαινόμενα τὸν ἄνθρωπον. Ἔνι γὰρ ἐν ἀνθρώπῳ καὶ ἁλμυρὸν καὶ πικρὸν καὶ γλυκὺ καὶ ὀξὺ καὶ στρυφνὸν καὶ πλαδαρὸν καὶ ἄλλα μυρία, παντοίας δυνάμιας ἔχοντα, πλῆθός τε καὶ ἰσχύν. Ταῦτα μὲν μεμιγμένα καὶ κεκρημένα ἀλλήλοισιν οὔτε φανερά ἐστιν οὔτε λυπεῖ τὸν ἄνθρωπον· ὅταν δέ τι τούτων ἀποκριθῇ καὶ αὐτὸ ἐφ’ ἑωυτοῦ γένηται, τότε καὶ φανερόν ἐστι καὶ λυπεῖ τὸν ἄνθρωπον. „Sie glaubten nämlich nicht, daß es das Trockene oder das Feuchte, das Warme oder das Kalte oder etwas anderes dieser Art sei, was dem Menschen schade – oder was der Mensch brauche –, sondern das Kräftige in jeder Nahrung und das, was der menschlichen Natur
worden, daß Alkmaion von δυνάμεις spricht, nicht von Säften, und daß er ganz unterschiedliche Ebenen in seine Definition miteinbezieht (Ursache, Anlaß, Ort im Körper und Situation der Umwelt, unter letzterer auch solche wie Mühe und Zwang), sowie dies alles – nicht nur die Qualitäten (δυνάμεις), sondern alle Kräfte, die auf den Körper und die Psyche einwirken, – zu der Krasis beitragen läßt. Vgl. De morbo sacro 7,13 – 15: (13) Ταῦτα δὲ πάσχει πάντα, ὁπόταν τὸ φλέγμα παραῤῥυῇ ψυχρὸν ἐς τὸ αἷμα θερμὸν ἐόν· ᾿Aποψύχει γὰρ καὶ ἵστησι τὸ αἷμα· (14) Κἢν μὲν πουλὺ τὸ ῥεῦμα ᾖ καὶ παχὺ, αὐτίκα ἀποκτείνει· Κρατεῖ γὰρ τοῦ αἵματος τῷ ψύχρῷ καὶ πήγνυσιν· (15) Ἢν δὲ ἔλασσον ᾖ, τὸ μὲν παραυτίκα κρατεῖ ἀποφράξαν τὴν ἀναπνοήν, ἔπειτα τῷ χρόνῳ ὁκόταν σκεδασθῇ κατὰ τὰς φλέβας καὶ μιγῇ τῷ αἵματι πολλῷ ἐόντι καὶ θερμῷ. ἢν κρατηθῇ οὕτως, ἐδέξαντο τὸν ἠέρα αἱ φλέβες, καὶ ἐφρόνησαν. „(13) Dies alles erleidet er, wenn das kalte Phlegma in das warme Blut eindringt; denn es kühlt das Blut ab und bringt es zum Stillstand. (14) Wenn der Fluß umfangreich und dick ist, bringt er sofort den Tod. Denn er überwältigt mit seiner Kälte das Blut und läßt es erstarren. (15) Wenn der Fluß geringer ist, ist er zwar vorerst der Stärkere, indem er die Atmung versperrt; dann aber mit der Zeit, wenn er sich durch die Adern verteilt und mit dem vielen warmen Blut vermischt hat und so überwältigt wurde, nehmen die Adern die Luft wieder auf, und der Kranke kommt wieder zu Bewußtsein.“ ÜS Schubert/Leschhorn. Vgl. dazu oben Anm. 591.
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überlegen ist; dasjenige also, worüber sie nicht die Oberhand gewinnen konnten, das hielten sie für schädlich und suchten es zu beseitigen. Das Kräftigste im Süßen ist das Süßeste, im Bitteren das Bitterste, im Sauren das Sauerste, bei jeder aller von allen vorhandenen Substanzen die höchste Steigerung. Denn sie sahen, daß diese Substanzen auch im Menschen vorhanden sind und ihm schaden. Im Menschen ist tatsächlich Salziges und Bitteres, Süßes und Saures, Herbes und Fades und tausend anderes mehr, was vielerlei Wirkung hinsichtlich Menge und Kraft hat. Diese Substanzen sind, solange sie miteinander vermischt und vermengt sind, weder bemerkbar, noch verursachen sie beim Menschen Beschwerden. Wenn sich aber eine von ihnen absondert und verselbständigt, dann wird sie augenfällig und verursacht beim Menschen Beschwerden.“⁶¹³
Die Bedeutung der Extremität, der ὑπερβολὴ θερμότητος ἢ ψυχρότητος bei Alkmaion läßt sich mit De vetere medicina und dem Anonymus Londinensis 11,22 ff. vergleichen: In allen drei Texten geht es nicht um die Substanz, einen Stoff als Trägerstoff, der Krankheit auslöst, sondern um Eigenschaften dieser Trägerstoffe, d. h. eine Kraft, eine δύναμις und ihre Quantität. Das bei Alkmaion folgende, die Erläuterung von Ursache, Anlaß, Ort und Umwelt, zeigt deutlich, daß es um viele Faktoren und einen komplexen Zusammenhang geht, keineswegs um die einfachen Zweierkonstellationen der Gegensatzpaare. Die Krankheitsentstehung wird also ausgelöst durch eine allgemeine Eigenschaft (Kalt-„heit“, Warm-„heit“),⁶¹⁴ d. h. deren Extremität, die im Deutschen nur schwer wiederzugeben ist, als das kälteste der Kalt-„heit“.⁶¹⁵ Eine Bestätigung dafür, daß auch Alkmaion sich die Entstehung der Krankheit so vorstellt, findet sich dann am Ende seines kurzen Textes:⁶¹⁶ Die Symmetrie der κρᾶσις τῶν ποιῶν, die die Gesundheit bewirkt, schließt die Hyperbole aus, hier ist kein Superlativ möglich, da alle beteiligten Faktoren, die hier als Wirkkräfte beschrieben werden, ausgeglichen sein müssen. Krankheit wird nicht durch die Dynamik der Gegensätze bewirkt, indem etwa innerhalb eines Gegen-
Text und Übersetzung aus Schubert/Leschhorn, Hippokrates, Ausgewählte Schriften 2006. Maucolin 2009, 97 und Plamböck 1964, 75 f. und 80. Maucolin a. a.O. weist auf die Unstimmigkeiten in Vet. med. hin, wo die Erklärungen des Autors schwanken zwischen der Gleichsetzung von δύναμις mit den Trägersubstanzen und ihrer Unterscheidung von diesen als Eigenschaften/Wirkkräfte. Plamböck 1964, 80 – 81 unterscheidet zwischen Grundqualitäten (z. B. τὸ ψυχρόν) und abstrakten Wirkkräften (z. B. ψυχρότης), was m. E. auch korrekt ist, von Maucolin a. a.O. jedoch kritisiert wird. Wenn der Autor von Vet. med. in seiner Argumentation nicht konsistent ist, so mag dies mit den zu dieser Zeit noch nicht gefestigten Konzeptionen und Theorien zusammenhängen. Kouloumentas 2014, 879 hält diesen letzten Satz für eine doxographische Ergänzung und verweist auf Aristot. top. Z6, 147b7– 11, phys. H3, 246b4– 6 und Chrysipp (SVF III.471).
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satzpaares eine Dynamis die Übermacht gewinnt,⁶¹⁷ sondern durch die Hyperbole einer der Dynameis, die sich gegenüber allen anderen durch ihr Hervortreten durchsetzt. Die Vorgänge, die zu Krankheit und Gesundheit führen, sind daher von ganz unterschiedlicher Dynamik: Die Isonomie als Gesundheit erfordert den Ausgleich, die Monarchie als Krankheit entsteht durch die Extremität einer Dynamis. Alkmaion kombiniert diesen Dynamis-Begriff nicht nur mit demjenigen der Hyperbole einerseits und mit dem der Symmetrie andererseits als einem übergreifenden Konzept (zur Symmetrie s.u.). Die Hyperbole ist auch die Maßverfehlung, weil sie zu einer Störung der Mischung nach dem Maß führt – und das Maß wird mit Isonomia versinnbildlicht. Exemplarisch werden dafür Wärme und Kälte als Ursache genannt, Fülle und Mangel als Anlaß, aber auch andere Umstände können eine Rolle spielen wie die betroffenen Organe, die Umwelt und psycho-soziale Bedingungen. Weiterhin spielen die Verhältnisse innerhalb und außerhalb des Menschen eine Rolle. Die Symmetrie der „Beschaffenheiten“, ποιά, muß ein gemeinsames Maß haben, wenn Gesundheit vorhanden sein soll. Der Begriff der Symmetrie zeigt hier, wie Alkmaion sich das Verhältnis des Menschen in sich und zu seiner Umwelt als eine Ordnung von Kräften innerhalb eines Ganzen vorstellt. Der Maßstab, der die Symmetrie ermöglicht, wird mit Isonomia beschrieben. Diese Isonomie wird nicht direkt auf die Faktoren wie Umwelt und psycho-soziale Bedingungen bezogen, aber diese wirken auf Ursachen, Anlässe und Orte im Körper ein. Das impliziert, daß die Isonomie der δυνάμεις auch in einer Beziehung zu diesen Faktoren gesehen werden muß. Die Einzelfaktoren wie Örtlichkeit, Nahrung, Konstitution des einzelnen Organs oder der einzelnen Qualität, sind bestimmt durch das Verhältnis zum Ganzen, also die symmetrische Anpassung an das Ganze. Diese Beziehung kann gar nicht anders als dynamisch verstanden werden, und, wenn daraus die Isonomie der Kräfte als bestimmend für die Gesundheit folgt bzw. wenn die Isonomie nicht Vgl. dazu auch Vet. med. 16,1: Ψυχρότητα δ’ ἔγωγε καὶ θερμότητα πασέων ἥκιστα τῶν δυναμίων νομίζω δυναστεύειν ἐν τῷ σώματι διὰ τάσδε τὰς προφάσιας· ὃν μὲν ἂν δήπου χρόνον μεμιγμένα αὐτὰ ἑωυτοῖσιν ἅμα τὸ ψυχρόν τε καὶ θερμὸν ἐνῇ, οὐ λυπεῖ· κρῆσις γὰρ καὶ μετριότης τῷ μὲν ψυχρῷ γίνεται ἀπὸ τοῦ θερμοῦ, τῷ δὲ θερμῷ ἀπὸ τοῦ ψυχροῦ· ὅταν δὲ ἀποκριθῇ χωρὶς ἑκάτερον, τότε λυπεῖ·[…]. „16. (1) Ich meinerseits glaube, daß das Kalte und das Warme von allen Kräften im Körper am wenigsten auszurichten vermögen, aus folgenden Gründen: Solange zweifellos das Kalte und Warme zusammen und miteinander vermischt im Körper sind, schaden sie nicht. Denn das Kalte erhält durch das Warme die (richtige) Mischung und das richtige Maß, und das Warme durch das Kalte. Wenn sich aber eines davon absondert und für sich allein bleibt, dann schadet es.“ Übersetzung aus Schubert/Leschhorn 2006. Vgl. dazu Triebel-Schubert 1984, 42.
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vorhanden ist, dies zur Krankheit führt, dann ist damit auch eine moralische Wertung verbunden. Hier werden Interessenerwägungen aus dem politischen Bereich und Maßvorstellungen deutlich mit ethischen Bewertungen verknüpft, denn Krankheit ist ein der Ordnung widersprechendes, also unrechtmäßiges Maß, das als eine die Ordnung überschreitende Herrschaft im Körper entsteht. Neben diesen allgemeinen Vorstellungen zeigt sich bei Alkmaion in der Anwendung des Maßgedankens ein Element, das in der weiteren Entwicklung des medizinischen Denkens eine besondere Rolle spielen sollte: Es ist die Frage, wie die Veränderung, die den Übergang von Gesundheit zu Krankheit markiert, vor sich geht und wie der Vorgang zu bewerten ist. Für Alkmaion ist die Veränderung von Gesundheit zu Krankheit ein Wandel, der durch Maßüberschreitung zustandekommt, wobei das aktive Element in der Krankheit liegt. Sprachlich zeigt sich dies darin, daß die Krankheit durch eine ποίησις zustande kommt, die Monarchie/Alleinherrschaft ist das Wirkende: ποιητικήν – φθοροποιόν (hervorbringend – verderbend). Hier ist also ein Bereich des Handelns beschrieben.⁶¹⁸ Durch die krankheitsbewirkende Aktion kommt eine Unordnung, eine Normüberschreitung, zustande. Da dagegen die Gesundheit als symmetrische Krasis der Kräfte definiert ist, entspricht sie einem dauerhaften Zustand. Die Gegenüberstellung von ποιητικήν – συνεκτικήν (hervorbringend – bewahrend) drückt dies deutlich aus.Wenn auch in dem Gedanken der Beziehung zwischen Isonomie und Umwelt eine gewisse Dynamik für die Situation innerhalb des Körpers liegt, so betrifft dies nicht die Wirkung nach außen. Denn die Gesundheit bringt keinen neuen Zustand hervor, sondern bewahrt und verlängert den gegenwärtigen, der durch die Bewertung der Gesundheit als des guten und richtigen Zustandes ausgezeichnet und durch den Gedanken des Gleichgewichts geprägt ist.⁶¹⁹ Der Vorstellung von Gesundheit als einem Zustand steht also derjenige von Krankheit als einem Bereich des Handelns gegenüber. Durch die Wiederherbeiführung der Gesundheit und die Überwindung der Normüberschreitung ist das eingreifende und verändernde Element dieses Bereiches charakterisiert. Das Verhalten des krankheitsbewirkenden Elementes zeigt solch eine Ambivalenz: Einerseits verbunden mit der negativen Charakterisierung (durch das Herbeiführen eines von der Gesundheit abweichenden Zustandes), andererseits als
Dieses Begriffspaar wird im Allgemeinen als stoischer Einschlag in der Textpassage betrachtet, da die Begriffe in der Literatur erst später bei auftreten. Mansfeld 2013, 79 weist daraufhin, daß συνεκτικὴ αἰτία originär stoisch sei (Galen De causis continentibus 1,1– 2,4; Def. med. 19,393,5 – 10 K. u. ö.) und φθοροποιός findet sich häufig bei Philo Judaeus. Allerdings verändert dies die argumentative Konstruktion des Gedankens bei Alkmaion nicht. Zu dem Zusammenhang von Gleichgewicht und αἰτία bei Herodot vgl. Immerwahr 1956, 241– 280.
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Übergang zu einer neuen Normalität, wobei allerdings die Vorstellung, daß die wieder herbeigeführte Gesundheit einem neuen Zustand entspricht, hier noch nicht vorhanden ist. Gerade dies weist auf einen wichtigen Punkt hin: Die zeitliche Einordnung der Konstruktion, die sich bei Alkmaion niedergeschlagen hat. Denn vergleicht man die verschiedenen Beispiele, dann zeigt sich, neben der allgemeinen bekannten Bewertung von Gesundheit als gut und Krankheit als schlecht, daß der dahinter stehende Gedanke der Maßverfehlung am Anfang des 5. Jahrhunderts v.Chr. mit einem statischen Gesundheitskonzept verbunden und die eigentliche Dynamik im Bereich der Krankheit lokalisiert wird.⁶²⁰ Diese klare Unterscheidung von Krankheit und Gesundheit verändert sich in späterer Zeit: Der Gedanke der Maßverfehlung wird variiert, Gesundheit wird nicht mehr als ein Zustand betrachtet, sondern hat eine eigene Dynamik wie Krankheit auch. Die wichtigste Veränderung jedoch ist in der Vorstellung von Maß zu sehen. Das Maß für Gesundheit und Krankheit wird individualisiert, nach Situation und Augenblick definiert. Für die Frage nach damit verbundenen Werturteilen, also dem moralischen Kontext, ergibt sich aus dem Vergleich der Einschätzung bei Alkmaion mit den später im 5. Jahrhundert v.Chr. schreibenden, medizinischen Autoren eine erkennbare Entwicklungslinie. Bei Alkmaion stehen sich Norm und Normüberschreitung deutlich gegenüber: Nur Krankheit ist das Normüberschreitende. In den Epidemienbüchern und in De natura hominis finden wir dagegen die Vorstellung, daß auch das Normüberschreitende gut sein kann, und in De vetere medicina ist das Maß, das den Unterschied zwischen Krankheit und Gesundheit definiert und damit eine Maßverfehlung bzw. Normüberschreitung anzeigt, ganz in die Abhängigkeit von der individuellen Situation gelegt.⁶²¹ Ein weiterer Unterschied zu den älteren Vorstellungen ist deutlich zu erkennen: Die Norm, d. h. die Gesundheit hat keinerlei metaphysischen Bezug, sie ist ganz im Bereich der Natur, hier der menschlichen Physis, verankert. Auch der politische Aspekt der Isonomie bei Alkmaion läßt einen vergleichbaren Unterschied zu späteren Autoren erkennen. Die Vorstellung von der Tyrannis als der normüberschreitenden Handlung und der Isonomie als dem normbewahrenden Zustand bei Alkmaion zeigt, daß die Isonomie nicht unter dem Gesichtspunkt der Herbeiführung einer neuen Ordnung gesehen wird, sondern im Gegenteil als Zustandsbeschreibung. Sie wird als Wiederherstellung eines der Alleinherrschaft vorhergehenden Zustandes aufgefaßt, der die Normabweichung der Tyrannis beseitigt. Daraus wird ersichtlich, daß man zu diesem Zeitpunkt in
Zur Ethik in den medizinischen Schriften des 5. Jhs. v.Chr.: Schubert 1997, 121– 155. Epid. 1,11; Nat. hom. 4; Vet. med. 3 mit Vet. med. 16 – 17.
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der Medizin die Normabweichung erkannt hat, jedoch im Unterschied zu der Kleisthenischen Phylenreform oder dem Thales-Vorschlag die Veränderung nicht als Einleitung zu einer politischen und gesellschaftlichen Neubegründung verstanden hat, sondern als die Wiederherstellung eines bereits vorher bestehenden Zustandes. Im Politischen ist die Einschätzung, die sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v.Chr., als die Diskussion um die neuen Werte der Demokratie einsetzt, im Bewußtsein vieler festsetzte, eine andere: Die Demokratie, d. h. ihr handelndes Subjekt, der attische Demos, ist es, der die Normen überschreitet, der sich als Alleinherrscher über alle anderen Teile der Polis erhebt.⁶²² Bei Pindar findet sich aus den 70er Jahren des 5. Jahrhunderts v.Chr. das folgende nebeneinander: Pind. Pyth. 2,86 – 88: ἐν πάντα δὲ νόμον εὐθύγλωσσος ἀνὴρ προφέρει, παρὰ τυραννίδι, χὠπόταν ὁ λάβρος στρατός, χὤταν πόλιν οἱ σοφοὶ τηρέωντι. „In jeder Ordnung hat der geradzüngige Mann einen Vorsprung, bei der Tyrannis, und wenn die freche Menge, und wenn die Weisen die Stadt behüten.“⁶²³
Pindar stellt hier die Tyrannis in eine Reihe mit der Herrschaft der Weisen und derjenigen eines stürmischen stratos, des Heeres, womit hier das Volk in seiner Menge gemeint ist.⁶²⁴ Damit ist noch nicht, wie später in der Verfassungsdebatte Herodots (Hdt. 3,80 – 82) die Dreiteilung der politischen Verfassungen in Monarchie, Aristokratie und Demokratie gemeint. Pindar beschreibt vielmehr die Tyrannenherrschaft, diejenige der Weisen, womit die Schlichter und Ratgeber, also die Figuren der guten ‚Herrscher‘ wie Solon, aber wohl auch Pittakos, gemeint sind, und auch eine negativ konnotierte Volksherrschaft. In der Bewertung ähnelt diese Einteilung viel eher dem, was bereits Solon formuliert hatte (s.o. S. 28 ff.): Die Kritik an denjenigen, deren Streben maßlos ist, richtet sich sowohl gegen die Hybris einzelner, reicher Herren als auch gegen die Ansprüche des Demos. Dazwischen, in der Mitte und um Ausgleich bemüht, um die Balance in der Polis wiederherzustellen, hat Solon sich selbst als den Weisen gesehen, der die nötige Einsicht hat, um zwischen den widerstreitenden Interessen zu vermitteln.
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So in aller Deutlichkeit Ps.-Xen. AP 1,4– 9. Allerdings ist die Datierung dieser Schrift in die Jahre des 5. Jh. v.Chr. nicht über jeden Zweifel erhaben. ÜS Bremer. Dazu Touloumakos 1985; Meier 1980, 235.
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Bei Herodot läßt sich ebenfalls beobachten, daß er die Tyrannis in einer besonderen Weise abgrenzt: Er unterscheidet deutlich zwischen βασιλεύς und τύραννος,⁶²⁵ so daß der Tyrann in seiner despotischen Herrschaft bereits durch die Wortwahl charakterisiert wird.⁶²⁶ Die herodoteische Tyrannisvorstellung spiegelt die historische Entwicklung, wie sie seit dem Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr., dem Ionischen Aufstand und vor allem seit den Invasionen der Perser in Griechenland propagiert wurde.⁶²⁷ Seither war der Tyrann nicht nur jeder beliebige Machthaber, sondern wurde Tyrannis zum Synonym für die entartete Herrschaft und die Befreiung von der Perserherrschaft auch als Befreiung von Tyrannis definiert. Wie oben schon gezeigt, ist auch bei Alkmaion diese Gegenüberstellung zu erkennen. Die Monarchie ist die Überschreitung, die Störung der Ordnung und der Isonomie. Diese muß wiederhergestellt werden, wobei man darüber, wie dies zu geschehen hat, in dem kurzen Text keine Details erfährt. Es ergibt sich aber aus der Abfolge eine Intention: Daß die Isonomie hier mit der Wiederherstellung – also dem Gegensatz zu dem Krankheitsprozeß – verbunden ist, zeigt, daß die bei Alkmaion zugrundeliegenden Vorstellungen von Dynamik und Prozeßhaftigkeit deutlich älter sind als die im Verlauf des 5. Jahrhunderts v.Chr. entwickelten politischen Vorstellungen.
3. Alkmaions Isonomia: Gleichgewicht und Symmetrie Vorstellungen von Gleichgewicht begegnen in vielen antiken Texten seit der archaischen Zeit, in denjenigen mit politischer und historischer Perspektive allerdings erst später.⁶²⁸ Wie Polarität, Analogie und Mischung ist Gleichgewicht ein gedankliches Modell, das mit einer spezifischen, ordnungstheoretischen Kom-
Ferrill 1978, 385 – 398 hat gezeigt, daß sich von den 860 Belegen für βασιλεύς lediglich acht auf Tyrannen beziehen und im Unterschied dazu die 128 τύραννος-Stellen ausschließlich die orientalischen Herrscher meinen. Barceló 1993, 181 f. hat darauf hingewiesen, daß das eigentliche historische Material der archaischen Tyrannenherrschaften (Kypselos, Peisistratos, Polykrates) bei Herodot die pejorative Bewertung der Tyrannis kaum rechtfertigt. Daher liegt es, wie Barceló schreibt, durchaus nahe, bei Herodot eine Addition persönlicher Erfahrungen mit der Tyrannis in Halikarnassos sowie zeitbedingter Sichtweisen des 5. Jahrhunderts v.Chr. zu sehen. Anders in der Bewertung: de Libero 1996, 413; Shapiro 2000, 89 – 118, hier 15, die die Begriffe bei Herodot für austauschbar hält. Forsdyke 2001, 329 – 358 sieht im Ionischen Aufstand den entscheidenden Wendepunkt, von dem aus sich die Polarität zwischen tyrannischem Perserreich und griechischer Demokratie entwickelt habe. Schubert 1995, 225 – 235.
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ponente verbunden ist. An der Verwendung des ansonsten in der antiken Literatur äußerst selten begegnenden Ausdrucks ἀντισήκωσις bei Herodot läßt sich gut verdeutlichen,⁶²⁹ welche Vorstellung von Balance als Gleichgewicht und vor allem, welche Vorstellung von der Herstellung bzw. Wiederherstellung eines Gleichgewichts im 5. Jahrhundert v.Chr. verwendet wurde. Herodot etwa definiert die Balance des Wassergehalts der Donau im Ausgleich der Extreme zwischen Winter und Sommer: Hdt. 4,50,4: ὅσῳ δὲ πλέον ἐπ’ ἑωυτὸν ὕδωρ ὁ ἥλιος ἐπέλκεται ἐν τῷ θέρεϊ ἢ ἐν τῷ χειμῶνι, τοσούτῳ τὰ συμμισγόμενα τῷ Ἴστρῳ πολλαπλήσιά ἐστι τοῦ θέρεος ἤ περ τοῦ χειμῶνος· ἀντιτιθέμενα δὲ ταῦτα ἀντισήκωσις γίνεται, ὥστε ἴσον μιν αἰεὶ φαίνεσθαι ἐόντα. „Um wieviel mehr Wasser die Sonne im Sommer an sich zieht als im Winter, um soviel größer sind die Wassermengen, die sich mit dem Istros vereinigen, im Sommer als im Winter; wenn man diese Wassermengen gegenüberstellt, ergibt sich ein Ausgleich, so daß der Fluß immer den gleichen Stand zu haben scheint.“⁶³⁰
Die in dem Wort ἀντισήκωσις bei Herodot zum Ausdruck kommende Vorstellung ist diejenige von Gewicht und Gegengewicht, die einen Ausgleich bewirken, wie dies etwa auch das Auftreten des Ausdrucks in der knochenchirurgischen Schrift De articulis zeigt: De artic. 6,1: ᾿Aτὰρ καὶ ἡ διὰ τοῦ κλιμακίου ἑτέρη τις τοιαύτη, καὶ ἔτι βελτίων, ὅτι ἀσφαλεστέρως ἂν τὸ σῶμα, τὸ μὲν τῇ, τὸ δὲ τῇ, ἀντισηκωθείη μετεωρισθέν· […]. Aber auch die Einrenkung mit der Leiter ist eine andere, und zwar noch bessere, weil der Körper so sicherer mit Hilfe des Gegengewichts, sowohl auf dieser wie auf jener Seite ins Gleichgewicht erhoben werden kann.
Hier ist ein mechanisches Prinzip des Ausgleichs zwischen zwei Elementen angesprochen, das in dem Gewicht und dem Gegengewicht liegt und sich deutlich unterscheidet von den dynamischen, zyklischen und vor allem mit der Ansicht der Steuerbarkeit verbundenen Gleichgewichtsvorstellungen der späteren Autoren. Insbesondere die in den medizinischen Konzepten auftretenden Mischungskonzepte verweisen auf eine Weiterentwicklung solcher Gleichgewichtskonzeptionen, die aus mehreren Elementen, Faktoren und Einflüssen sowohl
Auf die Bedeutung des Begriffs für Herodot hat m.W.n. bisher lediglich Lateiner 1986, 1– 20 hingewiesen. Allerdings hat er nicht das Auftreten bei den medizinischen Autoren berücksichtigt. Der Ausdruck begegnet bei Hdt. 4,50,17 und ansonsten in Aischyl. Pers. 437; Eur. Hec. 57; bei medizinischen Autoren: De acut. 33 (Joly); De artic. 6,3 (Withington). Vgl. ἀνασηκῶσαι in De acut. 29 und Galen In Hippocratis de victu acutorum commentaria IV, CMG 5.9.1 = XV 556,9 K. ÜS Nesselrath, modifiziert.
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innerer wie äußerer Art physische und auch psychische Konstellationen ableiten.⁶³¹ Demgegenüber ist bei Herodot der alte, dem archaischen Denken noch deutlich verpflichtete Gedanke der Zweierkonstellation zu erkennen: Ein Element oder ein Faktor (eine Person oder ein Naturphänomen) und ihr Antipode konstellieren sich in einem Ausgleichsverhältnis, das weder über ein Gleichgewicht noch über gleiche Größe definiert werden muß. Durch tisis kann ein gestörtes Gleichgewicht wiederhergestellt werden, wie es auch schon Anaximander (DK 12 B1) formuliert hatte.⁶³² Die starke Hervorhebung solcher ‘equalizing actions’ bei Herodot,⁶³³ sowohl in ihrer Beziehung zum politischen Geschehen als auch zu den natürlichen Phänomenen zeigt, in welchem Kontext er seine Darstellung ansiedelt: Ursache und Wirkung, τίσις und ἀντισήκωσις sind Garanten der Ordnung.⁶³⁴ Hier liegt eine Art von antagonistischer Gegenüberstellung vor, die sich ebenso in den Konstellationen der pseudo-xenophontischen Athenaion Politeia erkennen läßt. Die Gegenüberstellung spiegelt nicht nur die als strikte Zweiteilung konzipierte Konfrontation, sondern versieht sie auch mit einer eindeutigen Wertung: Nämlich derjenigen zwischen den Guten, den δεξιώτατοι und ἄριστοι, und den Schlechten, den πονηροί,⁶³⁵ die aber, da sie eben die Vielen, das Volk sind, im eigenen Interesse die anderen, die Wenigen, majorisieren: Ps.-Xen. AP 1,4: οἱ μὲν γὰρ πένητες καὶ οἱ δημόται καὶ οἱ χείρους εὖ πράττοντες καὶ πολλοὶ οἱ τοιοῦτοι γιγνόμενοι τὴν δημοκρατίαν αὔξουσιν· […]. Wenn es aber den Armen und den Mitgliedern des Demos und den Schlechteren gut geht und diese die Mehrheit werden, werden sie die Demokratie stärker machen.
Diese Art der Majorisierung ist als Ausschluß der politischen Interessen der anderen gedacht, der zum einen mit dem Charakter der Kausalität versehen wird, wenn der Autor der pseudo-xenophontischen Athenaion Politeia schreibt: ἔστι δὲ πάσῃ γῇ τὸ βέλτιστον ἐναντίον τῇ δημοκρατίᾳ (1,5). Zum anderen geht es auch um die konkrete Vorstellung von der Zusammensetzung und Rolle, die für Boule und Volksversammlung angenommen wird:
Lateiner 1986, 225 – 235. Vgl. Hdt. 4,1,1; 6,101,3; 7,8a2, b2; 11,4; 133; 134,2; 136,2. Lateiner 1986, 225 – 235 zu Hdt. 5,106,1; 6,87; 8,102,2; 9,94,1. Zu der Verwendung von ἰσηγορίη und ἰσονομίη in Hdt. 5,78, 92a1; 3,80,6, 83,1, 142,3; 5,37,2 s. o. 98 ff. Zu dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit: Hdt. 6,72,1; 8,105,1; τίσις aufgrund göttlichen Neides: Hdt. 1,32,1. Menschliches Schicksal als Kreislauf: Hdt. 1,207,2. Vgl. Hdt. 2,120,5; 6,11,3, 109,5. Ps.-Xen. AP 1,7: οἱ δὲ γιγνώσκουσιν ὅτι ἡ τούτου ἀμαθία καὶ πονηρία καὶ εὔνοια μᾶλλον λυσιτελεῖ ἢ ἡ τοῦ χρηστοῦ ἀρετὴ καὶ σοφία καὶ κακόνοια.
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Ps.-Xen. AP 1,9: ἔπειτα κολάσουσιν οἱ χρηστοὶ τοὺς πονηροὺς καὶ βουλεύσουσιν οἱ χρηστοὶ περὶ τῆς πόλεως καὶ οὐκ ἐάσουσι μαινομένους ἀνθρώπους βουλεύειν οὐδὲ λέγειν οὐδὲ ἐκκλησιάζειν. Dann werden die Guten die Schlechten bestrafen und über die Polis beraten und nicht zulassen, daß Verrückte in der Boule auftreten oder einen Antrag stellen oder eine Volksversammlung abhalten.
Ausgangspunkt ist hier, daß ein Mangel in einem Zustand durch einen Überfluß am Ende zu dem Gleichgewichtszustand führt.⁶³⁶ Bei Alkmaion ist diese Gegenüberstellung der Gegensätze nicht nur durch seine Vorstellung von der ὑπερβολή charakterisiert, der man das Gleichgewicht der Isonomie von δυνάμεις gegenüberstellen kann, sondern dieses Gleichgewicht wird auch noch spezifiziert: Umwelt und psycho-soziale Faktoren, die eher unbestimmt sind, spielen ebenfalls für den Gleichgewichszustand eine Rolle. Dies zeigt schon, daß das Gleichgewicht hier anders definiert ist als nur aus dem Gegensatz zwischen zwei gegensätzlichen Faktoren. Noch deutlicher wird dies in dem letzten zusammenfassenden Satz mit der Charakterisierung der Gesundheit als Symmetrie in der Mischung der Beschaffenheiten, der ποιά. Symmetrie ist ein mathematischer Begriff und tritt nicht so häufig auf wie andere zentrale Worte des vorsokratischen Vokabulars, fü hrt jedoch ebenso wie ähnliche Begriffe (z. B.: ἀναλογία, δύναμις, μεσότης, λόγος, φύσις) auf grundsätzliche Vorstellungen. Vom modernen Verständnis unterscheidet sich der antike Symmetriebegriff insofern, als er ursprü nglich nicht Spiegelgleichheit (Axialsymmetrie), sondern ein Maßverhältnis bedeutete. Er ist Teil der allgemeinen Proportionslehre und nach der Definition Euklids repräsentiert er die Verhältnismäßigkeit von Größen und Zahlen.⁶³⁷ Ist somit die Vergleichbarkeit von Verhältnissen aufgrund eines gemeinsamen Maßes gegeben, sind solche Verhältnisse – mit dem lateinischen Wort – kommensurabel. Bei Alkmaion sowie den medizinischen Texten De vetere medicina, De natura hominis und De victu acutorum im Corpus Hippocraticum wird, zum Teil sehr ausfü hrlich, die Frage angesprochen, ob und wie ein gemeinsames Maß fü r Gesundheit und Krankheit zu finden sein könnte.⁶³⁸ Im Zusammenhang mit der Entdeckung der lnkommensurabilität durch die Mathematiker ist auch in den Vgl. zu Herodot L’Homme-Wéry 2002, 211– 223. Euklid Elementa 10, Def. 1. [Hippokr.] Nat. hom. 3,1 (Jouanna 170, Z. 8 – 14; S. 172, Z. 1 f.); 4,2 (Jouanna 172,15; 174,l f.); De acut. 1,2,3 (Joly 124,17– 26); 1,32,4 (Joly 148,27– 34); 2,66,8 (Joly 190,24– 30; 192,1– 3); 3,67,1– 3 (Joly 194,1– 16); 3,81,3 (Joly 212,35; 214,1– 4); 3,82,3 (Joly 214,25 – 30); 3,83,1 (Joly 216,3 – 7); 4,88,3 (Joly 220, 10 – 17); 4,89,13 (Joly 224,16 – 24); Vet. med. 9 (Heiberg 41,19 – 22); De acut. 1,2,3 – 4 (Joly 124, 17– 29).
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medizinischen Texten die Unterscheidung zwischen einem arithmetisch bestimmbaren gemeinsamen Maß (einem gemeinsamen Maß der Zahl nach) und einem qualitativ bestimmbaren Maß zu erkennen, das einen gemeinsamen λόγος für als inkommensurabel erkannte Größen definiert.⁶³⁹ Diese Differenzierung ist bei Alkmaion noch nicht erkennbar, da die mathematischen Konsequenzen, die sich aus der Entdeckung der Inkommensurabilität ergaben,⁶⁴⁰ unter den Pythagoreern der Überlieferung nach geheim gehalten werden sollten und das Wissen sich offenbar erst langsam verbreitete.⁶⁴¹ Zumindest kann bei Alkmaion angenommen werden, daß er für das Verhältnis, in dem die „Beschaffenheiten“ zueinander stehen sollen, um Gesundheit zu gewährleisten, ein gemeinsames Maß postuliert hat, das – wie das ἴσον in Isonomie zeigt –, auf arithmetisch definierbarer Gleichheit beruhen sollte. Dies ist nun eine andere Vorstellung von Symmetrie, als sie in dem sphärischen Modell des Anaximander zugrundegelegt wird, in dem das Verhältnis der einzelnen Teile zueinander als Sukzession vorgestellt ist. Gleichheit als Balance zwischen Gegensätzen kann grundsätzlich auf verschiedene Weisen erreicht werden: Ein Ausgleich zwischen den Gegensätzen ist möglich, wobei als Ergebnis ein Ausgleich entsteht, der aus der Aufhebung des Gegensatzes zweier Extreme gebildet wird; hierbei ist der Ausgleich höherrangig, d. h. es wird eine Hierarchie aus einem gegensätzlichen Paar und einem dritten Element, dem Ausgleich, konstituiert. Das Gleichgewicht kann jedoch auch aus zwei oder drei gleichstarken und gleichwertigen Teilen gebildet werden, wobei dann keine Hierarchie zwischen den Teilen konstituiert wird, sondern im Gegenteil das Gleichgewicht auf deren Ausgewogenheit basiert. Schließlich ist auch als Variante dieser zweiten Möglichkeit denkbar, daß ein Gleichgewicht aus zwei oder mehreren ungleichen Teilen gebildet wird, die in ihrer Gesamtheit jedoch zu einem ausgewogenen Ganzen führen. Dabei ist innerhalb der Teile durchaus eine Hierarchie möglich, aber nicht notwendig. Schließlich ist ein Gleichgewicht auch so herstellbar, daß zwei oder mehrere (drei, vier, beliebig viele und eventuell auch unterschiedlich große) Teile ver- oder gemischt werden, so daß eine ganz neue Einheit entsteht, deren Voraussetzung bzw. Entstehung aus verschiedenen Ele-
[Hippokr.] Vet. med. 9 (Heiberg 41,19 – 22); De acut. 1,2,3 – 4 (Joly 124,17– 29; 126,1– 4); 3,67,1– 3 (Joly 194,1– 16). Vgl. dazu Mirrone 2017, 137 ff. zu Galen, der aber – im Unterschied zu Alkmaion – von den στοιχεῖα ausgeht. Burkert 1962, 424 ff.; Zhmud 1997, 173 f. Iambl. VP 18,88 = De comm. math. sc. 77 berichtet von dem Pythagoreer Hippasos, er habe die Entdeckung der Inkommensurabilität für sich beansprucht, obwohl sie auf Pythagoras zurückgehe; als Frevler sei Hippasos durch Ertrinken im Meer bestraft worden. Vgl. Iambl. VP 34,247; anders Clem. Al. strom. 5,9,57.
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menten nur durch theoretische bzw. experimentelle Rekonstruktion zu erkennen ist. Die letzte Variante der Mischung aller beteiligter Elemente zu einer ganz neuen Einheit scheint dem von Alkmaion formulierten Konzept sehr nahe zu kommen, denn Gesundheit wird bei ihm aus der Isonomie der δυνάμεις konstituiert, doch diese heterogenen Faktoren stehen in einer Beziehung zu den Qualitäten der Kräfte, den Umweltbedingungen etc. Sie ist von dem Gedanken eines Ausgleichs geprägt, der zwar aus einem quantitativ ausgewogenen Verhältnis entsteht, doch jede δύναμις muß gleichmäßig in den Qualitäten, in Übermaß und Mangel und in einem bestimmten Verhältnis zu allen anderen stehen. Erst diese Proportion, die von Alkmaion als symmetrische Mischung der „Beschaffenheiten“ bezeichnet wird, ist gleichbedeutend mit Gesundheit. Kennzeichnend für sie ist, daß in der Mischung eine neue Einheit entstanden ist (Gesundheit), deren Einzelfaktoren und einzelnen Bereiche wie Ursachen, Anlässe, Orte und deren Beziehungen zur äußeren Umwelt nur durch die theoretische Analyse rekonstruiert werden können, die jedoch nicht als getrennte, einzelne Faktoren vorliegen. Die Isonomie der beteiligten Faktoren entsteht bei Alkmaion aus einem proportionalen Verhältnis (Symmetria) und nicht aus einer Durchmischung. Diese Sicherung von Ausgewogenheit durch die Einführung von proportionalen Verhältnissen und dem Gleichgewicht der Teile ist auch das Prinzip der kleisthenischen Phylenordnung gewesen (s.o. III.3, S. 130 ff.). Die Isonomie des Alkmaion ist ein politischer Begriff, ebenso wie die Monarchie. Die politischen Konstellationen von Macht und Teilhabe bzw. Machtmißbrauch und Tyrannis, die in die Gesundheitskonzeption hineingetragen werden,⁶⁴² sollen physiologische und pathologische Vorgänge erklären, ohne daß darin eine direkte Beziehung zu den athenischen Reformen impliziert wäre. Doch für beide Bereiche, Gesundheit wie politische Ordnung, verweist der Begriff der Isonomie auf den Anspruch, den gleichen Anteil an der Gesamtheit des Politischen wie auch der menschlichen Gesundheit zu haben.⁶⁴³ Im Politischen liegt dies zuerst in dem Anspruch, ein echtes Koinon zu bilden, in dem in der gesamten politischen Ordnung diese Anteile realisiert sind. Die Interessen der einzelnen Bürger stehen gleichberechtigt nebeneinander und sind z. B. in der gleichen Behandlung vor dem Recht und dem gleichen Zugang zu den politischen Organisationsformen verwirklicht, ohne daß Gesichtspunkte wie Abstammung, Reichtum etc. ins Gewicht fallen. Die Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten erfolgt unabhängig von Aspekten, die nicht in der politi-
Vgl. hierzu Schubert 1997, 121 ff., dem dieser Abschnitt im Wesentlichen folgt. Zu ἴσος und νόμος: s. S. 7 ff.
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schen Ordnung verankert sind – eben isonom, nur auf den Nomos als die Gesamtordnung bezogen. In der Gesundheitskonzeption des Alkmaion sind dies die δυνάμεις, die im Körper wirken, und deren Eigenschaften in gleichem Anteil, ohne daß das Hervortreten einer Kraft zu einer Monarchie führt, die Gesundheit des Körpers sichern.
IV.4 Das Koinon in Kroton und Sybaris Ein Bezug der Isonomie, wie sie in den physiologischen und pathologischen Konzeptionen des Alkmaion eingegangen ist, zu der politischen Situation in Kroton und der Magna Graecia ist in den Quellen nicht explizit angesprochen. Einige Indizien lassen sich jedoch zusammentragen, die die Verbindungslinien zwischen Alkmaions Konzeption und den Pythagoreern zeigen. Alkmaion, als jüngeres Mitglied der älteren Gruppe der Pythagoreer muß die Veränderungen miterlebt haben, die durch den Krieg zwischen Kroton und Sybaris verursacht wurden. Von einem anderen Mediziner, der ebenfalls zu dieser pythagoreischen Gruppe gerechnet werden muß, dem berühmten Arzt Demokedes, berichtet Iamblich, daß er sich zusammen mit weiteren Pythagoreern während des Umsturzes gegen die Abschaffung der πάτριος πολιτεία wehrte, jedoch seinen Gegnern unterlag und fliehen mußte. Iamblich betont in seiner Darstellung vor allem die Differenzen zwischen den ihm vorliegenden Berichten von Aristoxenos, Nikomachos und Apollonius von Tyana im Hinblick auf das weitere Schicksal der vertriebenen Pythagoreer.⁶⁴⁴ In einem ausführlichen Referat aus Apollonius bezieht sich Iamblich auf den Vorwurf der Tyrannis gegenüber den Pythagoreern, und eine Anklage gegen Demokedes soll auf Anstiftung der Jugend zum Streben nach Tyrannis gelautet haben.⁶⁴⁵ Die politische Ausrichtung des Pythagoras und der Pythagoreer ist daraus schwerlich abzuleiten,⁶⁴⁶ wenngleich die communis opinio heute dazu tendiert, sowohl die Pythagoreer als auch die institutionelle Ausrichtung Krotons als Oligarchie zu bezeichnen.⁶⁴⁷ Möglicherweise war die pythagoreische Gemeinschaft wirklich eine elitäre Gruppe, zu der man nur über den charismatischen
Iambl. VP 34,241– 35,251: Aristoxenos, 35,252– 253: Nikomachos, 35,254– 264: Apollonios. Iambl. VP 35,261. Grundsätzlich dazu Giangiulio 1989, 108 – 121, der die ‚Autotutela‘ und ‚Eunomia‘ der Elite in Kroton als Ausweis von Zurückhaltung im Gegensatz zu der ‚Dynasteia‘ und ‚Tyrannis‘ der Sybariten bezeichnet. Vgl. ders. 2016. Z. B. Bernhardt 2003, 57.
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Weisen Pythagoras persönlich Zutritt erlangte,⁶⁴⁸ und vielleicht wurden die Pythagoreer tatsächlich im Gefolge der Spannungen, die sich nach der Eroberung von Sybaris einstellten, aus diesem Grund zu willkommenen Sündenböcken. Bei Iamblich wird ein ἀρχεῖον τῶν χιλίων in Kroton als politische Organisationseinheit genannt. Dies hat zu einer weitverzweigten Debatte darüber geführt,⁶⁴⁹ ob diese 1000 eine Art Gremium in der Art einer Regierungsinstitution waren, so daß man hier von einer regierenden Elite bzw. einer institutionalisierten Oligarchie sprechen könnte. Die von Maurizio Giangiulio herangezogenen Fälle, für die in den Quellen eine Tausendschaft oder eine Gruppe in vergleichbarer Größe als politisch relevante Einheit aus der archaischen Zeit genannt werden (Kolophon, Lokroi, die opuntischen Lokrer und die 600 in Massalia), zeigen vor allem eines:⁶⁵⁰ Die simple Gegenüberstellung von Oligarchie und Demokratie überdeckt die Vielfalt und v. a. die Nuancen in den Partizipationsstrukturen, die regional unterschiedlich waren.⁶⁵¹ Die ‚1000‘ sind in Kroton ebensowenig ein Rat wie in Kolophon, für das Aristoteles diese ‚1000‘ als die Mehrheit in der Bürgerschaft bezeichnet (pol. 1290a30 – b21, dazu s.o. S. 56 f.). In Lokroi ebenso wie in Opous und Kroton ist es vielmehr die Versammlung der Bürger und besonders deutlich wird dies für Opous durch die Bestimmung über die Mehrheitsbeschlüsse im Hinblick auf eine Verfassungsänderung.⁶⁵² Diodor berichtet im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Sybaris, als die geflohenen Sybariten in Kroton um Schutz nachsuchten, daß die Volksversammlung und der Rat darüber berieten.⁶⁵³ Auch dies spricht dafür, die Nennung der ‚1000‘ als Formel für eine Ge-
So beschreibt es Iamblich VP 34,248 ff. Vgl. dazu Giangiulio 2015, 97 ff. Iambl. VP 27,126; Mele 1984, 49 ff.; Giangiulio 1989, 174; dazu Hansen/Nielsen 2004, 268; Duplouy 2013; Fronda 2014, 688 und insb. Giangiulio, 2018, 275 – 294, hier 278 ff. und dazu oben mit Bezug auf die 1000 in Kolophon S. 56 f. Zu den 1000 in Kolophon: s.o. S. 56 f.; zu Lokroi: Polyb. 12,16; in dem Vertrag der opuntischen Lokrer mit Naupaktos (IG IX I2 3,718; Syll.3 47; ML 20 = Koerner Nr. 49) heißt es in der 9. Bestimmung: ⋮ Θ ⋮ ℎόσστις ⋮ κα τὰ ϝεϝαδεϙότα ⋮ διαφθείρει ⋮ τέχναι καὶ μαχανᾶι ⋮ καὶ μιᾶι, ⋮ ℎότι κα μὲ ἀνφοτάροις ⋮ δοκέει ℎοποντίον ⋮ τε χιλίον ⋮ πλέθαι καὶ Ναϝπακτίον(!) ⋮ το͂ν ἐπιϝοίϙον ⋮ πλέθαι, ⋮ ἄτιμον εἶμεν […]. „Wer diese Beschlüsse mit irgendeiner List oder Tücke zerstört, sofern dies nicht durch beide beschlossen ist, durch die Mehrheit der Tausend Opuntier und die Mehrheit der naupaktischen Siedler, der soll bürgerlich rechtlos sein […].“ (ÜS Koerner). Im Gegensatz zu den Bestimmungen von Teos und Abdera wird hier der Mehrheitsentscheid eingesetzt, dazu s. o. 76 f. Das ist auch das Ergebnis der Synopse von Gauthier 1990, 73 – 99; dazu s. o. in Kap. I.2. Giangiulio 2018, 289, der auch Rhegion, Massalia und Kyme zum weiteren Vergleich heranzieht und a. a.O. auch den Hinweis, daß bei den Thermopylen 1000 Ost-Lokrer mitkämpfen, also offenbar die gesamte kampffähige Bürgerschaft. Diod. 12,9,4 zu den Angaben der Ethne und Poleis in Sybaris.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
samtheit zu verstehen, die vermutlich die Volksversammlung war. Diese Versammlung der Bürger verstand sich als die korporative, politische Einheit der Polis und die Zahl 1000 bildet die Repräsentanz einer kollektiven Identität ab – in Opous ebenso wie in Kroton und anderen Poleis, die sich über die ‚1000‘ definierten. Daran schließt sich die Frage an, ob es zur Zeit des Pythagoras bereits ein sog. achäisches Koinon gegeben hat. Einen wichtigen Hinweis darauf liefert das von den Krotoniaten zerstörte Sybaris: Bei Strabon heißt es (Strab. 6,1,13), daß die Polis Sybaris in ihren glücklichen Zeiten, also vor der Zerstörung durch Kroton, ein Herrschaftsgebiet von 4 ἔθνη und 25 πόλεις als ὑπήκοοι umfaßte.⁶⁵⁴ In welcher Form Sybaris diese Gebiete und Poleis an sich band, ist schwer zu sagen. Als die Stadt zerstört worden war, hatten sich die überlebenden Sybariten in Laos und Skidros angesiedelt, und von dort aus waren sie immerhin in der Lage, ihre Version von dem Krieg gegen Kroton so zu verbreiten, daß Herodot diese ausführlich beschreiben konnte.⁶⁵⁵ Vor allem die Darstellung Herodots zeigt, daß es den Sybariten gelang, ihre Version – nämlich, daß die Krotoniaten ihren Sieg nur mit Hilfe der Spartaner unter Dorieus errungen hätten – noch mehrere Generationen nach dieser Katastrophe präsent zu halten.⁶⁵⁶ Und Diodor weiß zu berichten, daß die Sybariten bei dem ersten Versuch, die Stadt wieder neu zu gründen, sich immer noch so sehr als Einheit empfanden, daß sie sich nicht nur von den anderen, die an dieser Neugründung beteiligt waren, absonderten, sondern auch ihre Familienverbände intakt erhalten hatten.⁶⁵⁷ Ein Vertrag, den die Sybariten mit
Dazu Lombardo 2008, 223 f.; in der Inschrift (IGASMG IV 3; StV II 120; ML 10; dazu unten Anm. 658) heißt es: οἰ Συβαρῖται κ’ οἰ σύνμαχοι κ’ οἰ Σερδαῖοι. Dies kann als Ausdruck für eine hegemoniale Symmachie stehen, die Symmachoi mit unterschiedlichem Status im Hinblick auf die Relation zum Hegemon umfaßt. ML 10 datieren die Inschrift auf das Ende des 6. Jhs. v.Chr. oder den Anfang des 5. Jhs. v.Chr. Die Frage ist, ob die Inschrift aus der Zeit vor oder nach dem Fall von Sybaris stammt. Lombardo 2002 und 2008, 219 – 232 (ähnlich auch Greco 2013) tendieren zu einer Datierung nach dem Fall von Sybaris. Vgl. auch Mattingly 1969, 210 – 211, der aufgrund des Vergleichs der Buchstabenformen mit den Münzlegenden eine deutlich spätere Datierung als Jeffery 1961, 251 und 375 f. vorschlägt. Giangiulio 1989, 171 ff.; Hdt. 5,44– 45. Hdt. 6,21 und 5,44– 47: Nach der Version der Sybariten hätten die Krotoniaten nicht aus eigener Kraft den Sieg errungen bzw. sei der Sieg nur durch tatkräftige Unterstützung aus Sparta gewesen. Die krotoniatische Version berichtet Herodot auch, wonach die Krotoniaten dies heftig abstritten und nur die Hilfe eines aus Sybaris geflohenen Sehers namens Kallias aus Elis gehabt hätten. Diod. 12,9 – 11 berichtet, daß die Sybariten sich bei der Ämterverteilung sowie der Zuweisung der Landlose privilegierten, und daß die Frauen der Sybariten gegenüber den jüngeren, genauer den Nachgeborenen (καὶ τὰς γυναῖκας ἐπιθύειν τοῖς θεοῖς ᾤοντο δεῖν πρώτας μὲν τὰς
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den Serdaioi geschlossen haben und der in Olympia am Schatzhaus der Sybariten gefunden wurde, könnte in die Zeit nach 510 v.Chr. gehören: IGASMG IV 3: ἁρμόχθεν οἱ Συβαρῖται κοἱ σύνμαχοι κ’ οἱ Σερδαῖοι ἐπὶ φιλότατι πιστᾶι κ’ ἀδόλοι ἀείδιον· πρόξενοι ὁ Ζεὺς κ’ Ὀπόλον κὄλλοι θεοὶ καὶ πόλις Ποσειδανία.⁶⁵⁸
Nach der Interpretation von Lombardo⁶⁵⁹ bietet diese Inschrift einen zeitgenössischen Hinweis darauf, daß es Sybaris gelungen ist, auch nach der Zerstörung eine überregional konzipierte politische Gemeinschaft aufrecht zu erhalten. Jedoch selbst wenn der Vertrag in die Zeit vor der Zerstörung von Sybaris gehört, so zeigt die Semantik von ἁρμόζω und φιλότης ein Streben nach Verbundenheit und Freundschaft,⁶⁶⁰ das weniger auf Hegemonie ausgerichtet ist als auf eine Verbindung unter Gleichen. Neben diesen Indizien können Münz-Allianzen, die ebenfalls in diese Zeit gehören, hier herangezogen werden: Die Münzen, die Kroton in der inkusen Technik nach achäischem Münzfuß seit ca 530 v.Chr. prägte,⁶⁶¹ zeigen kombi-
πολίτιδας, ὑστέρας δὲ τὰς μεταγενεστέρας) den Vorrang bei den Opferkulten beanspruchten (Diod. 12,11,1). Vgl. Lombardo 2008, 222 ff., bes. 231. IGASMG IV 3 und StV II 120: „Es haben sich verbunden die Sybariten und die Bundesgenossen und die Serdaier in treuer unverbrüchlicher Freundschaft auf ewige Zeiten. Bürgen: Zeus, Apollon und die anderen Götter und die Stadt Poseidania.“ Text und Übersetzung aus Siewert/ Taeuber 2013, Nr. 6, 35. Vgl. Giangiulio 1992, 31– 44 zur Bedeutung von φιλότης und ἁρμόζω. Lombardo 2008, 222 ff. ist der Ansicht, daß die Sybariten weiterhin politisch aktiv blieben, worauf vor allem die Münzprägungen hindeuten, da sie nach wie vor das Ethnikon der Sybariten trugen. Unter der Voraussetzung, daß die Inschrift zu dem Abkommen mit den Serdaioi in die Zeit nach dem Fall von Sybaris gehört, zeigt sie, daß die Sybariten außerdem noch in der Lage waren, diplomatisch und rechtlich als Vertragspartner aufzutreten. Auch die Tatsache, daß das Schatzhaus der Sybariten in Olympia immer als das der Sybariten galt (Paus. 5,23) und eine Bauphase an diesem Platz („Gebäude VI“) auf den Beginn des 5. Jhs. v.Chr. datiert werden kann, ist ein starkes Indiz für diese These. Giangiulio a. a.O. 1992, 37 weist bezeichnenderweise auf Hom. h. Herm. 524– 528 hin. Zur Verbindung unter Gleichen: Giangiulio a. a.O. 1992, 39. Rutter HN 2001, 167; Kraay 1976, 618; Attaniese 1992, 277; insb. Mackil/van Alfen 2006.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
nierte Symbole von Vorder- und Rückseite,⁶⁶² und belegen eine gemeinsame Münzprägung für Kroton, Sybaris, Temesa, Pandosia, Kaulonia und Laos.⁶⁶³ Diese Münzprägung läßt weniger auf eine hegemoniale Stellung Krotons schließen als auf ein Bestreben, sich ökonomisch effizient ein Risiko zu teilen. Doch auch eine ökonomische Interdependenz ist nicht ohne einen gemeinsamen politischen Willen und eine entsprechende Partnerschaft zu denken, selbst wenn dies nicht durch gemeinsame Institutionen abgesichert war.⁶⁶⁴ Sowohl Sybaris als auch Kroton hatten erhebliche Einflußbereiche aufgebaut, deren Ausdehnung in etwa bekannt ist; so wird für das von Sybaris aus kontrollierte Gebiet eine Ausdehnung in der Größe von ca. 6.500 km2 angenommen, während sich der Einflußbereich von Kroton über den Isthmus bis Terina und im Süden bis Skylletion und Kaulonia erstreckte.⁶⁶⁵ Polybios war der Ansicht, daß das italische Koinon nach dem Vorbild des achäischen Koinons eingerichtet wurde, und nennt als Gründungsmitglieder Kroton, Sybaris und Kaulonia.⁶⁶⁶ Dieses Koinon errichtete als gemeinsames
Mackil/van Alfen 2006 und van Alfen 2014. Mackil/van Alfen 2006, 202 verweisen darauf, daß heute für die Zeit gegen Ende des 6. Jhs. v.Chr. mehrere Münz-Allianzen identifiziert worden sind: zwischen den großen Poleis Lesbos, Mytilene und Phokaia, Lampsakos und Chios, Lampsakos und einer unbekannten Polis, Chalkis und Boiotien, verschiedenen makedonischen Ethne, den hier behandelten Poleis in der Magna Graecia und weiteren Poleis in Ionien. Daß nicht für alle diese Münz-Allianzen gemeinsame Institutionen nachweisbar sind, ist offensichtlich. In den Fällen, in denen erhebliche Entfernungen zwischen den Poleis liegen, die sich zu gemeinsamen bzw. verbundenen Münzprägungen zusammengefunden hatten, ist es jedoch kaum anders vorstellbar. Vgl. Giangiulio 2010, 121– 136. Vgl. zu dem νόμισμα κοινόν Plat. leg. 741e – 742d, der fordert, daß der freie Münzverkehr für Privatleute außerhalb der Grenzen der jeweiligen Polis einzuschränken sei: Wenn ein Privatmann außerhalb der eigenen Polis mit den Münzen tätig werden wolle, so müsse er erst ausdrücklich bei den Archonten um Erlaubnis nachfragen und ggf. erhaltene Überschüsse an Münzgeld nach der Rückkehr wieder abgeben. Im Grunde sei Geldverkehr (mit Gold- und Silbermünzen) und Gelderwerb dem Glück und Wohlergehen der Bürger abträglich (Plat. leg. 742cd). Fronda 2015, 388. Polyb. 2,39,5 – 6: […], ἀλλὰ καὶ μετά τινας χρόνους ὁλοσχερῶς ὥρμησαν ἐπὶ τὸ μιμηταὶ γενέσθαι τῆς πολιτείας αὐτῶν. παρακαλέσαντες γὰρ σφᾶς καὶ συμφρονήσαντες Κροτωνιᾶται, Συβαρῖται, Καυλωνιᾶται, πρῶτον μὲν ἀπέδειξαν Διὸς Ὁμαρίου κοινὸν ἱερὸν καὶ τόπον, ἐν ᾧ τάς τε συνόδους καὶ τὰ διαβούλια συνετέλουν, δεύτερον τοὺς ἐθισμοὺς καὶ νόμους ἐκλαβόντες τοὺς τῶν ᾿Aχαιῶν ἐπεβάλοντο χρῆσθαι καὶ διοικεῖν κατὰ τούτους τὴν πολιτείαν. Kurze Zeit später entschlossen sie sich, ihr eigenes Koinon nach dem Vorbild des achäischen Koinon zu gestalten. Die Krotoniaten, Sybariten und Kaulonier beriefen ein Treffen ein, beschlossen ein Koinon: Zuerst etablierten sie ein gemeinsames Heiligtum für Zeus Homarios,
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Kultzentrum einen Tempel für Zeus Homarios, der auch als Versammlungs- und Beratungszentrum des Koinons diente.⁶⁶⁷ Die Nennung von Sybaris in dieser Konstellation ist schwierig zu erklären, und vielleicht hat Polybios auch Sybaris mit Thurioi verwechselt.⁶⁶⁸ In jedem Fall, auch unter Berücksichtigung aller Unsicherheiten, zeigt sich in diesen Entwicklungen in der Magna Graecia, daß es mehrere Versuche gab, PolisGemeinschaften zu begründen, die als Zentrum eine größere Polis mit kleineren abhängigen Ortschaften in ihrem Gebiet hatten. Eine Realisierung, die dem späteren italischen Koinon oder auch dem späteren achäischen Koinon gleichkam, dürfte jedoch, wenn überhaupt, angesichts der politischen und sozialen Spannungen nur kurzfristig möglich gewesen sein. Das Beispiel von Sybaris zeigt allerdings eindrücklich, daß man versuchte, die Identität über Krisen, Zerstörung und Wiederbegründungen mehrfacher Art hinweg zu bewahren und sich überregional so zu organisieren, daß die Zerstörung des städtischen Mittelpunktes die Identität der Bürgergemeinschaft nicht aufgehoben hat, sondern man bestrebt war, diese auf Gemeinsinn gegründete Ordnung zu bewahren. Die Allianz-Münzen Krotons belegen, daß man durchaus in der Lage war, sich trotz der politischen und militärischen Auseinandersetzungen überregional abzustimmen. Gerade diese Art von Abstimmung erfordert ein hohes Maß an Partizipation und gemeinsamem politischen Willen. Obwohl der Befund mit einigen chronologischen Unsicherheiten verbunden ist, verweist er darauf, daß in der Magna Graecia genauso wie in Ionien seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. eine Politik begann, die einerseits konkrete Schritte zur Etablierung politischer Gemeinschaft in einem größeren Verbund unternahm, anderseits die konzeptionellen Überlegungen ebenso wie in Ionien und Athen im Umlauf waren.
um ihre Treffen und Beratungen abzuhalten und dann beschlossen sie, die Bräuche und Gesetze der Achäer zu übernehmen, um ihre eigene Ordnung danach zu gestalten. Eventuell ist dieser Tempel mit einen dorischen Tempel-Komplex im heutigen Monasterace, in der Nähe des antiken Kaulonia zu identifizieren. Die Architektur verweist auf einen Bau aus der Zeit um 425 v.Chr. hin, also in etwa gleichzeitig mit der Gründung des Italiotischen Bundes. Dazu Fronda 2015, 392. Eine andere Möglichkeit als die hier vermutete, nämlich daß Polybios Sybaris und Thurioi verwechselt hat, wäre ein Bezug auf Sybaris am Traïs: dazu Fronda 2015, 395. Vgl. Walbank, Kommentar I, 225 – 226 ad loc.
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V. Isonomia und Demokratia V.1 Isonomia – ein leeres Schlagwort? Seit dem 5. Jahrhundert v.Chr. werden ‚Isonomie‘ und ‚Demokratie‘ in vielen Texten nebeneinander verwendet, so daß immer wieder mit Bezug auf die Zeitspanne erwogen wurde, beide Begriffe als deckungsgleich bzw. die Isonomie als die ältere und vorangehende Version der Demokratie anzusehen.⁶⁶⁹ Andererseits stehen dem Verwendungen wie bei Thukydides: ἡμῖν μὲν γὰρ ἡ πόλις τότε ἐτύγχανεν οὔτε κατ’ ὀλιγαρχίαν ἰσόνομον πολιτεύουσα οὔτε κατὰ δημοκρατίαν (Thuk. 3,62,3) entgegen.⁶⁷⁰ In der Diskussion über das Verständnis der thukydideischen Formulierung κατ’ ὀλιγαρχίαν ἰσόνομον πολιτεύουσα ist bis jetzt zu wenig berücksichtigt worden, daß die Isonomie – wie bei Herodot und Alkmaion gezeigt – in konkrete historische Situationen eingebettet ist. Dies gilt auch für die enge Verbindung mit der Vorstellung von Gemeinwohl und Gemeinschaft, die nicht nur in abstrakter Theorie oder in der allgemeinen Gegenüberstellung von Isonomie und Dynasteia als Beschreibung einer tyrannischen Herrschaft, sondern ebenfalls mit Bezug auf konkrete Ereignisse und Konstellationen hervortritt. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Thukydides, der die Isonomie im Kontext der Auseinandersetzung um Plataiai (427 v.Chr.), der Stasis in Korkyra (427 v.Chr.), des Brasidas-Zuges durch Thessalien (424 v.Chr.) und in der Rede des Athenagoras in Syrakus (415 v.Chr.) erwähnt. In der Auseinandersetzung um Plataiai 427 v.Chr. während der ersten Phase des Peloponnesischen Krieges läßt Thukydides Plataier und Thebaner mit der Geschichte ihrer Auseinandersetzungen gegeneinander antreten und zwar unter dem leitenden Gesichtspunkt, welche politische Gesamtverantwortung jeweils in den Poleis dominierte. Die Plataier betonen, daß die Thebaner während des
Vretska 1966, 111; vgl. Gomme 1948, 10 sowie HCT ad loc. zu Thuk. 2,37,1; Oliver 1955, 39 und Hornblower, Komm. ad loc. zu Thuk. 2,37,1, der Isonomie als „related concept“ beschreibt. Andererseits z. B. Asheri 2007, 475 im Kommentar zu Hdt. 3,80, der das Ziel der Verfassungsdebatte darin sieht, daß Herodot seinen Lesern mit der Lokalisierung der Isonomie in einer Debatte in Susa deutlich machen wollte, wie politische Vorstellungen dieserart auch andernorts diskutiert wurden und daher keine spezifisch griechische Erfindung gewesen sind. Allerdings subsumiert auch Asheri hier Isonomie der Demokratie, insb. mit Bezug auf Thuk. 3,62,3. „Unsere Stadt hatte damals weder eine auf Isonomie gegründete oligarchische noch demokratische Verfassung.“ (ÜS Horneffer); „Theben hatte damals weder eine gesetzliche Adelsherrschaft noch eine des Volkes.“ (ÜS Landmann) und „In unserer Stadt gab es damals keine gesetzlich geordnete Verfassung, weder nach dem Prinzip der Oligarchie noch nach dem der Demokratie“ (ÜS Weißenberger).
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Perserkriegs nichts für die Gesamtheit leisteten, während sie selbst alles für die Freiheit der Hellenen taten.⁶⁷¹ Dagegen nehmen die Thebaner für sich in Anspruch, Plataiai gegründet zu haben, doch die entsprechenden Verpflichtungen seien von den Plataiern entgegen der Abkommen verletzt worden: Thuk. 3,61,2: […], οὐκ ἠξίουν οὗτοι, ὥσπερ ἐτάχθη τὸ πρῶτον, ἡγεμονεύεσθαι ὑφ’ ἡμῶν, ἔξω δὲ τῶν ἄλλων Βοιωτῶν παραβαίνοντες τὰ πάτρια, ἐπειδὴ προσηναγκάζοντο, προσεχώρησαν πρὸς ᾿Aθηναίους καὶ μετ’ αὐτῶν πολλὰ ἡμᾶς ἔβλαπτον, ἀνθ’ ὧν καὶ ἀντέπασχον. „[…] meinten sie, es nicht nötig zu haben, sich, wie es von Anfang an festgesetzt worden war, unserer Fü hrung unterzuordnen, und anders als alle anderen Boioter brachen sie, als sie zur Ordnung gezwungen werden sollten, mit den altehrwü rdigen Satzungen, indem sie den Anschluss an die Athener suchten und uns im Bunde mit ihnen viel Schaden zufü gten, wofü r sie selbst im Gegenzug auch einiges hinzunehmen hatten.“⁶⁷²
Hier steht also der Vorwurf im Raum, daß die Plataier sich gegen das Koinon gewendet haben.⁶⁷³ Der chronologische Bezug ist sehr wahrscheinlich das Jahr 519 v.Chr.⁶⁷⁴ Plataiai gehörte zu dem böotischen Koinon, von dem wir aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. kaum etwas wissen.⁶⁷⁵ Zumindest Umrisse der Entwicklung lassen sich jedoch skizzieren:⁶⁷⁶ Die Böoter haben sich – als Böoter insgesamt und nicht als Thebaner o. ä. – zusammen mit den Chalkidiern an der Aktion des Kleomenes 506 v.Chr. gegen Athen beteiligt. Bei diesem Zug hatten die Thebaner die militärische Führung und in der Darstellung bei Herodot und Thukydides werden die Thebaner wie selbstverständlich mit den Böotern gleichgesetzt. Das in Athen nach dem Sieg über Böoter und Chalkidier errichtete Siegesmonument,
Thuk. 3,54,2– 4. ÜS Weißenberger. Zu dem böotischen Koinon: Ducat 1973, 59 – 73; Schachter 2004, 55 f.; Mackil 2013 und insb. 2014, 487– 502; Beck/Ganter 2015, 132 ff. Vgl. Thuk. 3,55,1 und Hdt. 6,108,1– 3; Isokr. Panath. 12,94 und Demosth. or. 59,103 – 4; zu einer alternativen Interpretation: Hornblower, Komm. I, 450. Ausführlich dazu Mackil 2013 passim, die die böotische, achäische and ätolische Föderation im Vergleich untersucht. Die Netzwerkstruktur der föderativen Kultorganisationen im böotischen Koinon untersucht Schachter 2016. Er zeigt, daß sich die Vielfalt dieser Entwicklungen in den Regionen, die zu gemeinschaftlicher Politik führte, in ganz unterschiedlichen Ausprägungen niederschlug. Man kann sicher sagen, daß die religiösen Interaktionen in Böotien, wie in gewissem Maße auch in Achaia, dazu beitrugen, den Gemeinschaftssinn über die eigentlichen Polisgrenzen hinaus zu entwickeln. Insbesondere Schachter 2016, 53 weist auf verschiedene Inschriften aus dem thebanischen Heraklion hin, die zeigen, daß das System der Böotarchen schon im frühen 5. Jahrhundert v.Chr. existent gewesen ist (Aravantinos 2001, 2004, 2010: ‘A - - - βοιοταρχίοντος’). Dies ist auch aus Hdt. 9,15,1 zu entnehmen.
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dessen Basis noch erhalten ist,⁶⁷⁷ benennt jedoch die Böoter als Einheit und nicht einzelne Poleis. Daß die Thebaner als führende Polis dieser Einheit zu sehen sind, ist nicht nur aus den literarischen, sondern ebenfalls auch aus den kultischen Praktiken zu erschließen: Inschriften, die ans Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. datiert werden können, betreffen Weihungen anderer böotischer Poleis an Apollon Hismenios, der der Hauptgott Thebens war – ein Indiz dafür, daß man in den Poleis Böotiens Theben als Hegemon betrachtete.⁶⁷⁸ Auch Weihungen am Ptoion, die in das frühe 5. Jahrhundert v.Chr. datiert werden und die „Böoter“ als Weihende nennen, werden als Hinweis darauf gewertet, daß mit einer gemeinschaftlichen Instanz zu rechnen ist,⁶⁷⁹ die für die Gesamtheit der Böoter sprechen und handeln konnte. Im Hinblick auf die Organisation dieses Koinons erfahren wir aus Thukydides, daß es vier βουλαί der Böoter gegeben habe (Thuk. 5,38,2– 3) mit elf Böotarchen (Thuk. 2,2,1; 4,91,1). Herodot schreibt von den Böotarchen, daß sie während des Xerxes-Zuges die Führer für die Perser zur Verfügung stellten (Hdt. 9,15,1). Zusammen mit dem epigraphischen Befund sind diese Nachrichten bei Herodot plausibel und belegen, daß es mindestens um 500 v.Chr. bereits eine institutionelle Struktur des böotischen Koinons gegeben hat, wenngleich dies – wie die Geschichte der Plataier zeigt – ein eher fragiles Gebilde gewesen ist.⁶⁸⁰ Vermutlich kannte Thukydides die verschiedenen politischen Strukturen genau, allerdings geht es ihm nicht um institutionelle Differenzierungen, sondern um grundsätzliche Dinge: Die Plataier haben die Interessen des böotischen Koinons verletzt und dies nicht nur schon vor 100 Jahren, sondern auch aktuell 427 v.Chr. Denn der zweite Vorwurf der Thebaner bezieht sich auf die unmittelbare Gegenwart, den Anlaß der spartanischen Intervention. Die besten und edelsten der Plataier haben die Thebaner gerufen und sie, die Thebaner, hätten sich dabei nur nach dem Herkommen des böotischen Koinons gerichtet (ἐς δὲ τὰ κοινὰ τῶν πάντων Βοιωτῶν πάτρια καταστῆσαι, Thuk. 3,65,2). Die Plataier versuchen, dies mit dem Medismos der Thebaner zu entkräften, mit deren Verletzung der religiösen Festtagsruhe sowie auch der – aus ihrer Sicht – drohenden Schändung des Andenkens der bei Plataiai Gefallenen. Vor allem argumentieren sie mit ihrem Einsatz im höheren Interesse der Hellenen: Sie hätten während des Perserkrieges für alle gekämpft, für Athen wie auch für Sparta! Dies scheint wohl die eigentliche Ebene zu sein, auf der die Auseinan ML 15. Der fragmentarisch erhaltene Text kann aus Hdt. 5,77 (Herodot hat die Basisinschrift gesehen und für sein Werk notiert) ergänzt werden. Schachter 2016, 53 und 55. Beck/Ganter 2015, 136 und Schachter a. a.O. Schachter 2016, 53, 62 f.
V. Isonomia und Demokratia
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dersetzung, so wie Thukydides sie schildert, geführt wird: Welche Bindungen geben den Ausschlag und welche Verletzungen der Normen sind die wesentlichen? Demgegenüber versuchen die Thebaner ihren Medismos damit zu entschuldigen, daß die Polis in dieser Zeit nicht Herrin ihrer selbst gewesen sei (Thuk. 3,62,3) – eine Formulierung, die die so charakterisierte Dynasteia einer Clique der ‚isonomen Oligarchie‘ und der Demokratie gegenüberstellt.⁶⁸¹ Die Bürger der Stadt hätten gar keine Möglichkeit gehabt, sich zu wehren – was Herodot definitiv anders darstellt (Hdt. 9,86 – 88). Nach seinem Bericht haben sich die Thebaner nach dem Abzug der Perser nämlich geweigert, die führenden Männer – zwei, Timagenides und Attagines, werden namentlich von Herodot genannt – auszuliefern. Beide hatten angeboten, sich freiwillig in die Hände der Sieger zu geben, wollten aber, daß das für sie geforderte Lösegeld aus der öffentlichen Kasse genommen werden sollte: χρήματά σφι δῶμεν ἐκ τοῦ κοινοῦ σὺν γὰρ τῷ κοινῷ καὶ ἐμηδίσαμεν οὐδὲ μοῦνοι ἡμεῖς (Hdt. 9,87,2).⁶⁸² Sowohl dies – eine Ansprache an die Bürger Thebens – wie auch das Einverständnis der Bürger, die öffentliche Kasse zu belasten, machen es plausibel, daß Herodot hier von einem Volksbeschluß, gefaßt in einer Volksversammlung, spricht. Ein solcher Beschluß der Thebaner widersprach aber wohl doch der allgemeinen Ansicht darüber, wie mit öffentlichen Geldern des Koinons der Böoter umzugehen ist. Diese Bewertung der Aktivitäten der thebanischen Anführer als illegitime Aktion spricht auch aus den späteren Rechtfertigungsversuchen der Thebaner. Die Auseinandersetzung, die Thukydides in den Reden des Jahres 427 v.Chr. schildert, dreht sich zwar um die Entwicklung in Böotien, aber da das Institutionelle für Thukydides offenbar keine Rolle spielte, können wir nur vermuten,⁶⁸³ daß das böotische Koinon wie das Koinon des Ionischen Bundes und das Bündnis der Hellenen von 481 v.Chr., aber auch der Seebund der Athener bereits ‘forerunners’ der überregional organsierten Föderationen waren.⁶⁸⁴ Doch wie die
Mit κατ’ ὀλιγαρχίαν ἰσόνομον ist eindeutig die isonome Oligarchie von der Demokratie unterschieden (so auch Hornblower, Komm. I, 455 und Gomme, HCT II, 347 f.) und nicht, wie z. B. in der Übersetzung von Horneffer, ἰσόνομον als Adjektiv auf Oligarchie und Demokratie bezogen. Die gesamte von Herodot geschilderte Szenerie erinnert sehr stark an die öffentliche Rede des Maiandrios (Hdt. 3,142) in Samos und die Niederlegung der Tyrannis zugunsten einer Isonomie in Milet (Hdt. 5,37). Leppin 1999, 73. Unter diesem Titel beschreibt Raaflaub 2014, 434– 451 die Entwicklung von den bei Homer erkennbaren Formen der Zusammenschlüsse bis zum Ende des 5. Jahrhunderts v.Chr.; Mackil 2012 legt den Fokus auf die unterschiedlichen Formen und Anlässe, aus denen heraus solche
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Kasse des böotischen Koinons wirklich verwaltet wurde und ob es eine solche tatsächlich schon im 6. Jahrhundert v.Chr. gab, ist aus den wenigen Indizien nicht sicher zu erschließen. Erst der Autor der Hellenika Oxyrhynchia (19,2– 4 Chambers) überliefert uns genaue Informationen mit Details der föderalen Struktur des böotischen Koinons. Die Isonomie des böotischen Koinons, die Thukydides meint, kann ganz allgemein darin gesehen werden, daß sie sich aus den regulären Funktionen des Koinons ergab, und daß für Thukydides die innere Ordnung der verschiedenen Poleis in Böotien sowohl je nach Standpunkt und Polis als Oligarchie oder Demokratie angesehen werden konnte. Im Kontext des Brasidas-Zuges durch Thessalien erwähnt Thukydides erneut eine Isonomie (Thuk. 4,78,3). Es geht darum, wie es Brasidas gelingen konnte, seine Truppen – immerhin 1700 Hopliten (Thuk. 4,78,1) – ohne Durchzugserlaubnis und bei in Thessalien anhaltender Sympathie des πλῆθος τῶν Θεσσαλῶν für Athen ohne Widerstand und in größter Geschwindigkeit zur Chalkidike zu führen. Thukydides hat dafür eine Erklärung parat: In Thessalien herrschte eine Dynasteia und keine Isonomie.⁶⁸⁵ Die Athenfreunde traten Brasidas entgegen und Koina entstanden sind. Vgl. auch Moggi 1991, 46 – 62 (hier 58 – 62) und v. a. Fronda 2014, 388 zu dem Koinon in Kroton. Dionysios von Halikarnaß kritisiert, im Kontext seiner Ausführungen zu Thukydides’ Stil und Wortwahl, diesen Satz (4,78,3) in der Epistula ad Ammaeum 2,9 (De Thucydidis idiomatibus): Παρὰ δὲ τὰς τῶν ἑνικῶν τε καὶ πληθυντικῶν διαφοράς, ὅταν ἐναλλάττῃ τὴν ἑκατέρου τούτων τάξιν, ἑνικὰ μὲν ἀντὶ πληθυντικῶν οὕτως ἐκφέρει· […]. (Er entfernt sich von den Regeln des Numerus und setzt den Singular statt des Plurals, daher sagt er: […].) Dionysios nennt in der Epistula ad Ammaeum 2,10 verschiedene Beispiele, u. a. auch den Satz aus Thuk. 4,78,3: ᾿Aρρενικῶν δὲ καὶ θηλυκῶν καὶ οὐδετέρων ἀντιμετατάξεις ἐκβεβηκυῖαι τῶν συνήθων σχημάτων αἱ τοιαίδε εἰσίν, ὅταν τὴν μὲν ταραχὴν τάραχον καλῇ τὸ θηλυκὸν ἐκφέρων ἀρρενικῶς καὶ τὴν ὄχλησιν ὄχλον, τὴν δὲ βούλησιν καὶ τὴν δύναμιν τὸ βουλόμενον λέγῃ καὶ τὸ δυνάμενον· ὡς ἐπὶ τῶν ᾿Aθηναίων τέθηκεν, ὅτε τὴν εἰς Σικελίαν ἀπέστελλον στρατιάν· ‘οἱ δὲ ᾿Aθηναῖοι τὸ μὲν βουλόμενον οὐκ ἀφῃρέθησαν ὑπὸ τοῦ ὀχλώδους τῆς παρασκευῆς’, καὶ ἐν οἷς περὶ τῶν Θεσσαλῶν εἴρηκεν· ‘ὥστε εἰ μὴ δυναστείᾳ μᾶλλον ἢ ἰσονομίᾳ ἐχρῶντο τῷ ἐπιχωρίῳ οἱ Θεσσαλοί’· καὶ γὰρ ἐνταῦθα οὐδέτερον πεποίηκεν τὸ θηλυκόν· ἦν δὲ τὸ σημαινόμενον ὑπὸ τῆς λέξεως τοιόνδε· ‘ὥστε εἰ μὴ δυναστείᾳ μᾶλλον ἢ ἰσονομίᾳ ἐχρῶντο τῇ ἐπιχωρίῳ οἱ Θεσσαλοί.’ Er verwechselt alle Genres, und vergißt die Regeln der gewöhnlichen Sprache, er stellt sie eins für das andere. So sagt er τάραχον (Maskulinum) für ταραχήν (Femininum), ὄχλον anstatt ὄχλησιν, βουλόμενον und δυνάμενον (Neutrum) statt βούλησιν und δύναμιν (Femininum), wie wir in dieser Passage über die Athenische Expedition nach Sizilien sehen: ‘οἱ δὲ ᾿Aθηναῖοι τὸ μὲν βουλόμενον οὐκ ἀφῃρέθησαν ὑπὸ τοῦ ὀχλώδους τῆς παρασκευῆς’ („Die Athener waren weit davon entfernt, sich von der Unermeßlichkeit dieser Vorbereitungen in ihrem Eifer dämpfen zu lassen.“). Ebenso, wenn er sagt, wenn er von den Thessaliern spricht: ‘ὥστε εἰ μὴ δυναστείᾳ μᾶλλον ἢ ἰσονομίᾳ ἐχρῶντο τῷ ἐπιχωρίῳ οἱ Θεσσαλοί’. („Wenn in Thessalien statt der Dynasteia eine Isonomie geherrscht hätte“), und hier macht er das Femininum zum Neutrum, stattdessen
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wollten ihn am Fluß Enipeus aufhalten mit der Begründung, dies sei Unrecht, denn es läge keine Zustimmung des thessalischen Koinons für den Durchzug vor (καὶ ἀδικεῖν ἔφασαν ἄνευ τοῦ πάντων κοινοῦ πορευόμενον). Brasidas konnte dieses Argument offenbar entkräften oder zumindest die Athenfreunde beschwichtigen, so daß sich ihm aufgrund seiner Geschwindigkeit niemand so schnell in den Weg stellen konnte (Thuk. 4,78,3 – 6). Hieraus ist lediglich zu erkennen, daß die Thessaler in einem Koinon zusammengeschlossen waren, bzw. in der von Thukydides berichteten Situation eine Versammlung des Koinons einen förmlichen Beschluß für die Durchzugserlaubnis hätte herbeiführen müssen. Die Erklärung von Gomme,⁶⁸⁶ wie es gelingen konnte, daß Brasidas trotzdem mit seinem Heer ohne Widerstand durch Thessalien ziehen konnte, ist, daß dies entgegen der Zuständigkeit des Koinons aufgrund der Intervention einer Clique geschehen konnte: Brasidas hätte demnach zugesichert, sich an das Gesetz zu halten, d. h. einen Beschluß des thessalischen Koinons abzuwarten (Thuk. 4,78,5), und daraufhin seien die Thessaler abgezogen. Die Führer des Brasidas, also wohl diejenigen, die sich in Thessalien als Vertreter einer Dynasteia sahen, hätten dann zu einem schnellen Durchmarsch geraten, wodurch Brasidas den zu erwartenden Beschluß des thessalischen Koinons erfolgreich umgehen konnte. Die Formulierung des Thukydides (Thuk. 4,78,3) ὥστε εἰ μὴ δυναστείᾳ μᾶλλον ἢ ἰσονομίᾳ ἐχρῶντο τὸ ἐγχώριον οἱ Θεσσαλοί ist dann so zu verstehen, daß es eigentlich entsprechend der Isonomie der Gepflogenheit des Landes entsprochen hätte, den Beschluß des Koinons abzuwarten, sich jedoch stattdessen die Clique einiger Spartafreunde wie in einer Dynasteia durchgesetzt hatte.⁶⁸⁷ Demnach wäre in Thessalien eine Isonomie mit einem Koinon als Beschlußgremium aller Mitglieder zwar existent, aber nicht durchsetzungsfähig gewesen – gar nicht unähnlich der Situation in Böotien.⁶⁸⁸
wäre richtig: ‘ὥστε εἰ μὴ δυναστείᾳ μᾶλλον ἢ ἰσονομίᾳ ἐχρῶντο τῇ ἐπιχωρίῳ οἱ Θεσσαλοί.’ („Wenn in Thessalien statt der Dynasteia eine Isonomie geherrscht hätte“). Gomme, HCT III, 543 und 623 ad loc. Von Hornblower, Komm. II, 260 ad loc. wird dies zurückgewiesen. Zu Gommes Lösung wendet Hornblower ein, für die Einberufung einer thessalischen Volksversammlung sei keine Zeit gewesen. Gomme, HCT III, 543 zu τὸ ἐγχώριον: „‘if they had not been governed by a small clique in their native manner’ (as Busolt-Swoboda, i 358.2) is surely not the meaning: the tone of this would be more like Aristophanes (Ach. 523).“ Vgl. Vlastos 1973, 183: Isonomie „here denotes democracy in a very straightforward way.“ Vgl. IG II2 112 (362/361 v.Chr.): […] ἐὰν δέ τις ἴηι ἐπὶ τὴν ᾿Aττι] / [κὴ]ν ἢ τὸν δῆμον [καταλύηι τὸν ᾿Aθηναίων ἢ τύραννον] / [κα]θιστῆι ἢ ὀλι[γαρχίαν (wenn jemand gegen Attika vorgeht oder den attischen Demos [d. h. die attische Volksherrschaft] stürzt oder einen Tyrannen installiert
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
In der Rede des Athenagoras in Syrakus,⁶⁸⁹ die Thukydides in den Kontext des Sizilienfeldzuges der Athener setzt, wird Thukydides deutlicher im Hinblick darauf, wie er Isonomie versteht. Athenagoras tritt mit der Überlegung vor das Volk in Syrakus, daß die Athener es nicht wagen würden, Syrakus anzugreifen, weil sie gleichzeitig noch auf der Peloponnes kämpften und weil die Streitkräfte der Syrakusaner ihnen überlegen seien.⁶⁹⁰ In der bei Thukydides präsentierten Rede des Athenagoras greift dieser die νεώτεροι an (Thuk. 6,38,5), nennt sie in einem Atemzug mit den Anhängern der Oligarchie, deren κακουργία er verhindern will (Thuk. 6,38,4). Er, Athenagoras, habe sich die Frage gestellt, was die jungen Leute eigentlich wollten. Wenn sie Ämter bekleiden wollten, so wäre das aber gegen das Gesetz. Ein solches Gesetz sei nicht zum Nachteil der Jungen gegeben worden, und auch nicht, um sie zu entehren, sondern weil sie aufgrund ihrer Jugend noch nicht in der Lage seien, diese Ämter auszufüllen. Die zweite Frage, die er rhetorisch stellt, ist, ob sie etwa nicht isonom mit den πολλοί sein wollten? Es wäre, so Athenagoras’ Antwort, nicht gerecht, wenn Bürger derselben Stadt nicht auch gleich viel wert seien (Thuk. 6,38,5: καὶ πῶς δίκαιον τοὺς αὐτοὺς μὴ τῶν αὐτῶν ἀξιοῦσθαι). Gerechtigkeit bedeute, daß jeder Bürger die gleichen Rechte und den gleichen Anteil am Ganzen habe. Das Hauptargument der Kritiker dieser Position, die Demokratie sei weder vernünftig noch gleich (Thuk. 6,39,1),⁶⁹¹ will Athenagoras mit einer Typologie nach den drei Bereichen Verwaltung, Beratung, Entscheidung entkräften. Diese würden von den Reichen, den Klugen und den Vielen in der Demokratie am besten wahrgenommen werden.⁶⁹² Für die Charakterisierung nach Funktionsbereichen legt Thukydides seinem Redner Athenagoras den Satz ἐγὼ δέ φημι πρῶτα μὲν δῆμον ξύμπαν ὠνομάσθαι, ὀλιγαρχίαν δὲ μέρος (Thuk. 6,39,1: Ich dagegen sage, daß man unter dem Demos das Ganze, unter Oligarchie nur einen Teil versteht) in den Mund. Damit sagt er, daß die funktionalen Bereiche der
oder eine Oligarchie). Ähnliche Befürchtungen der Thessaler in IG II2 116 (361/360 v.Chr.): ἐάν τι[ς] ἴηι ἐπὶ τὸ κοινὸν τὸ Θετταλῶν ἐπὶ πολ- / [έμ]ωι ἢ τὸν ἄρχοντα καταλύει, ὃν εἵλοντο Θετταλοί, ἢ / [τ]ύραννον καθ[ι]στῆι ἐν Θετταλίαι (wenn jemand gegen das Koinon der Thessaler Krieg führt oder den Archon stürzt, den die Thessaler eingesetzt haben, oder einen Tyrannen in Thessalien einsetzt). Zu Athenagoras in Syrakus vgl. Robinson 1997, 59 f., der dessen Position mit Aristot. pol. 1281b und 1286a26 – 28 vergleicht. Hornblower, Komm. III, 405 ff. betont mit Bezug auf LGPN III A, daß es sich bei Athenagoras, der als προστάτης δήμου eingeführt wird (Thuk. 6,35,2), um eine historische Person gehandelt hat. Scardino 2007, 546 ff. zu den sprachlichen und stilistischen Merkmalen. Hornblower, Komm. III, 413 mit dem Verweis auf den Epitaphios (Thuk. 2,37,1) für Perikles als Verteidiger der Demokratie gegen diese ‘standard objections to democracy’. Dover, HCT IV, 305 ad loc.; zustimmend Hornblower, Komm. ad loc. III, 413.
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Demokratie die Gesamtheit der Polis am besten abbilden, da allen Gruppen so eine ihnen gemäße Teilhabe zukomme. Andererseits kommt die Letztentscheidung den Vielen zu, die damit von den Reichen und Klugen unterschieden und ihnen gegenüber herausgehoben werden. Hier zeigt sich sein Verständnis von Isonomie und Demokratie, das die Teilhabe aller nach gleichem Recht als Herrschaft des Volkes operationalisiert sieht. Die Querbezüge zwischen Thukydides und Herodot sind hier offensichtlich: Thukydides läßt in Thuk. 6,39,1 die Rede des Otanes aus Herodots Verfassungsdebatte anklingen.⁶⁹³ Das Argument des Athenagoras, daß in einer Oligarchie die Vielen zwar an den Gefahren teilhaben, aber die Wenigen den Gewinn für sich behalten, hat auch Herodot verarbeitet: In Hdt. 5,78 erklärt Herodot, diesmal in auktorialer Stellungnahme, daß der Grund für den Erfolg Athens gegenüber der Koalition aus Spartanern, Böotiern und Chalkidieren darin begründet gewesen sei, daß die Bürger für die Gesamtheit und somit auch für jeden Einzelnen gekämpft haben und nicht für einen Monarchen oder einige Oligoi (s.o. S. 98 f.). Beide Autoren stellen demnach die Forderung, alles auf das Gemeinwohl auszurichten, als Leitlinie ihrer Redner auf,⁶⁹⁴ aber sie rahmen es sehr unterschiedlich ein. Herodot läßt seine Redner in der Verfassungsdebatte gegeneinander antreten und die Argumente für die Alternativen zu der je eigenen Position (Isonomie, Aristokratie, Monarchie) aufzählen und nennt sehr konkret Handlungsfelder der jeweiligen Verfassung. Dagegen legt Thukydides in der Aufforderung des Athenagoras, das Gemeinwohl zu mehren, die Betonung darauf, daß die Gruppe der Demokratiegegner umdenken solle, und verwendet keine Pro- und Contra-Argumentation, sondern läßt den Redner die anderen als die ‚Unbelehrbarsten der Hellenen‘ (Thuk. 6,39,2) titulieren. Diese Differenz ist nicht unbedingt als Widerspruch zu verstehen,⁶⁹⁵ sondern eher dahingehend, daß Thukydides und Herodot die Dinge aus zwei ganz verschiedenen Perspektiven gesehen haben. Herodot läßt in der Verfassungsdebatte drei Konzeptionen von seinen Akteuren – vordergründig ergebnisoffen – beraten. Thukydides hingegen will eine diskursive Polemik charakterisieren und zeigen, wie in der Öffentlichkeit bestimmte politische Aktionen dargestellt und legitimiert wurden. Das Wohl der jeweiligen Bürgerschaft spielt darin eine Rolle, aber eben nicht, welche konkreten und operativen Maßnahmen dazu eingesetzt wurden. Es wäre ihm sicher ein leichtes gewesen, an dieser Stelle aufzuzählen, wer wann Hornblower, Komm. III, 413 ad loc. und Andrewes, HCT IV, 304. Thuk. 6,40,1: […] τῆς πόλεως ξύμπασι κοινὸν αὔξετε (mehret das Wohl des Ganzen der Stadt). Anders argumentiert Hornblower, Komm. I, 460 ad loc., der hier oligarchische Gedanken und Argumentationsweise sieht.
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welche Beschlüsse gefaßt hat, welche Verträge wann abgeschlossen worden waren und welche Einzelbestimmungen durch wen und wie verletzt worden sind. Stattdessen stellt er, wie in Thuk. 6,39,1: καὶ ταῦτα ὁμοίως καὶ κατὰ μέρη καὶ ξύμπαντα ἐν δημοκρατίᾳ ἰσομοιρεῖν (so wird dies in der Demokratie gemäß der Teile und des Ganzen in gleicher Weise verteilt) die Grundlagen in den Vordergrund. Hier handelt es sich keineswegs um eine phrasenhafte Zusammenstellung, die das Ganze und seine Teile widersprüchlich verbindet,⁶⁹⁶ vielmehr wird deutlich gemacht, was der Widerspruch in dieser öffentlichen Darstellung unter dem Dach der Isonomie ist: Die Reichen, die Klugen und die Vielen sind jeweils Gruppen mit unterschiedlichen Interessen, die zwar dem Anspruch der Demokratie nach isonom sein sollen, d. h. jeder Teil soll ἴσον εἶναι und so alle für das Ganze einstehen, aber in der Realität fallen die Ansprüche der einzelnen Gruppen auseinander. Das zeigen die aggressiven Angriffe auf die Gruppe der νεώτεροι: Thuk. 6,39,2: ᾿Aλλ’ ἔτι καὶ νῦν, ὦ πάντων ἀξυνετώτατοι, εἰ μὴ μανθάνετε κακὰ σπεύδοντες, ἢ ἀμαθέστατοί ἐστε ὧν ἐγὼ οἶδα Ἑλλήνων, ἢ ἀδικώτατοι, εἰ εἰδότες τολμᾶτε. „Nein, ihr allergrößten Toren, die ich kenne in ganz Hellas, falls ihr nicht schleunigst begreift, daß ihr ein unrechtes Unternehmen betreibt, oder ihr allergrößten Verbrecher, falls ihr es kennt und trotzdem auf Abenteuer ausgeht, […].“⁶⁹⁷
Gerade mit der Heftigkeit und der Unversöhnlichkeit, die aus diesem Angriff auf den politischen Gegner sprechen, widerlegt Thukydides die zuvor von Athenagoras angesprochene Forderung nach Harmonie im Zusammenwirken der Teile zu einem wohlgeordneten Ganzen. Wenn man ein wohlgeordnetes politisches Miteinander im Auge hat, in dem alle gemeinsam für das Wohl des Ganzen einstehen, dann trägt ein Angriff mit Beschimpfungen dieserart wenig dazu bei. In der Beschreibung der Stasis in Korkyra wird deutlicher, daß Thukydides mit der Isonomie nicht nur etwas anderes meint als eine Verfassungsform oder eine Organisation der politischen Abläufe nach Mehrheit und Repräsentation, sondern daß er die in dem politischen Diskurs propagierte Isonomie für ein leeres Schlagwort hält. Seine in diesem Fall auktoriale Äußerung läßt es erkennen:⁶⁹⁸
Dover, HCT IV 306 ad loc.: „It is difficult to see how a policy of separate development per se could do justice or injustice to a group but not to a member of the group, or vice versa.“ Hornblower, Komm. III, 414: „See Dover’s long n.; this is hard to give much sense to, and may be just politician’s verbiage.“ ÜS Horneffer. Dionysios von Halikarnaß kritisiert diesen Abschnitt in De Thucydide 33,9 als manieriert, geht aber nicht auf den Inhalt ein: Οὗτος ὁ χαρακτὴρ τῆς ἀσαφοῦς καὶ πεπλεγμένης λέξεως, ἐν ᾗ πλείων ἔνεστι τῆς θέλξεως ἡ σκοτίζουσα τὴν διάνοιαν ὄχλησις, ἕως ἑκατὸν ἐκμηκύνεται στίχων.
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Thuk. 3,82,8: οἱ γὰρ ἐν ταῖς πόλεσι προστάντες μετὰ ὀνόματος ἑκάτεροι εὐπρεποῦς, πλήθους τε ἰσονομίας πολιτικῆς καὶ ἀριστοκρατίας σώφρονος προτιμήσει, τὰ μὲν κοινὰ λόγῳ θεραπεύοντες ἆθλα ἐποιοῦντο, παντὶ δὲ τρόπῳ ἀγωνιζόμενοι ἀλλήλων περιγίγνεσθαι ἐτόλμησάν τε τὰ δεινότατα ἐπεξῇσάν τε τὰς τιμωρίας ἔτι μείζους, οὐ μέχρι τοῦ δικαίου καὶ τῇ πόλει ξυμφόρου προτιθέντες, ἐς δὲ τὸ ἑκατέροις που αἰεὶ ἡδονὴν ἔχον ὁρίζοντες, καὶ ἢ μετὰ ψήφου ἀδίκου καταγνώσεως ἢ χειρὶ κτώμενοι τὸ κρατεῖν ἑτοῖμοι ἦσαν τὴν αὐτίκα φιλονικίαν ἐκπιμπλάναι. „Denn wer in den Städten in fü hrende Positionen gekommen war, pflegte in beiden politischen Lagern mit klangvollen Parolen – sowohl ‚politische Gleichberechtigung der breiten Masse‘ wie auch ‚Herrschaft der Edlen nach klugem Verdienst‘ – das, was allen zugutekommen sollte und dem man angeblich diente, zu Siegespreisen ihres Konkurrenzkampfes zu machen; in ihrem mit allen Mitteln ausgetragenen Ringen um die Vormacht schreckten sie vor keiner Schandtat zurü ck und versuchten bei der Rache jeweils noch weiter zu gehen, wobei die Grenzen keineswegs vom Gebot der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls gesetzt, sondern so weit ausgedehnt wurden, wie es beiden Lagern jeweils gerade Vergnü gen bereitete; und ob sie nun durch rechtswidrige Abstimmung oder durch nackte Gewalt sich die Vorherrschaft zu sichern versuchten, sie ließen dabei kein Mittel aus, ihre augenblickliche Gier nach dem Sieg zu befriedigen.“⁶⁹⁹
In der Rede des Athenagoras in Syrakus klingt dies ganz anders, und wird das ‚isonom Sein‘ als die Grundlage der syrakusanischen Demokratie dargestellt. Thukydides legt Athenagoras damit eine ganz andere Position in den Mund als diejenige, die er Perikles im Epitaphios als Inbegriff der athenischen Demokratie vertreten läßt:⁷⁰⁰ Thuk. 2,37,1: καὶ ὄνομα μὲν διὰ τὸ μὴ ἐς ὀλίγους ἀλλ’ ἐς πλείονας οἰκεῖν δημοκρατία κέκληται· μέτεστι δὲ κατὰ μὲν τοὺς νόμους πρὸς τὰ ἴδια διάφορα πᾶσι τὸ ἴσον, κατὰ δὲ τὴν ἀξίωσιν, ὡς ἕκαστος ἔν τῳ εὐδοκιμεῖ, οὐκ ἀπὸ μέρους τὸ πλέον ἐς τὰ κοινὰ ἢ ἀπ’ ἀρετῆς προτιμᾶται, οὐδ’ αὖ κατὰ πενίαν, ἔχων γέ τι ἀγαθὸν δρᾶσαι τὴν πόλιν, ἀξιώματος ἀφανείᾳ κεκώλυται. „Und mit Namen wird sie, weil alles nicht mit Blick auf wenige, sondern auf Mehrheiten organisiert ist, Demokratie genannt; es steht gemäß den Gesetzen allen bei der Verfolgung ihrer privaten Interessen das Gleiche zu, was aber das gesellschaftliche Ansehen betrifft, wie jeder sich auf irgendeinem Feld Respekt verschafft, so folgt hier der Vorzug im Gemeinweisen nicht so sehr nach gleichem Anteil, sondern nach dem Vorzug aus Ehre, und andererseits ist keiner im Hinblick auf Begrenztheit seiner Mittel, wenn er nur etwas Gutes fü r die Stadt beizutragen hat, durch Mangel an Wert ausgeschlossen.“⁷⁰¹
(Das ist das Merkmal seines dunklen, gekünstelten Stils, der weniger reizvoll als den Geist verwirrend ist, und das geht so über 100 Zeilen hintereinander). ÜS nach Weißenberger, modifiziert nach Graham/Forsythe 1984, 29 Vgl. Hornblower, Komm. I, 300. Vgl. so auch schon bei Harvey 1965, 102. ÜS nach Weißenberger, modifiziert nach Kakridis 1961, 26 und Gomme HCT ad loc.
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Wenn Athenagoras erklärt, daß allen Bürgern derselben Polis der gleiche Anteil an der öffentlichen Wertschätzung zukommt, dann läßt Thukydides ihn das Gegenteil von dem sagen, was er seinem Helden Perikles in den Mund gelegt hat, nämlich daß die Art der Teilhabe am Politischen in Athen abhängig von der ἀρετή sei. Dieser offenkundige Widerspruch und die Zuordnung zu den beiden Rednern Perikles und Athenagoras zeigt, wie Thukydides selbst diesen Anspruch auf gleiche Wertschätzung – die in einer Polis mit der Teilhabe an Ämtern, Beratungen und Entscheidungen verbunden war – gesehen hat. Im Epitaphios läßt er durch mehrere, parallel konstruierte Gegensätze erkennen, wie die Partizipation der Bürger als Teilhabe in dem Sinn zu verstehen ist, daß alle Bürger Anteil an der öffentlichen Sache haben: καὶ ὄνομα μὲν […] κέκληται steht gegen μέτεστι δὲ […] προτιμᾶται, κατὰ μὲν τοὺς […] ἴσον gegen κατὰ δὲ τὴν ἀξίωσιν, πρὸς τὰ ἴδια διάφορα gegen ἐς τὰ κοινὰ, πᾶσι gegen ἕκαστος und ἀπὸ μέρους gegen ἀπ’ ἀρετῆς.⁷⁰² Προτίμησις und ἀπὸ μέρους vs. ἀπ’ ἀρετῆς sind zwei völlig entgegengesetzte Prinzipien für die Teilhabe: ἀπ’ ἀρετῆς προτιμᾶται drückt die Zuweisung von Teilhabe nach Leistung und Ehre aus, ἀπὸ μέρους die Zuweisung der Teilhabe nach der Anteiligkeit über das demokratische Rotationsprinzip. In ἀπὸ μέρους liegt das Prinzip der Gleichheit nach dem Gesetz für alle, in ἀπ’ ἀρετῆς προτιμᾶται der Vorrang für die Tätigkeit in öffentlichen Ämtern, der sich individuell nach ἀρετή begründet. Die Formulierung μετὰ ὀνόματος ἑκάτεροι εὐπρεποῦς, πλήθους τε ἰσονομίας πολιτικῆς καὶ ἀριστοκρατίας σώφρονος προτιμήσει, τὰ μὲν κοινὰ λόγῳ θεραπεύοντες ἆθλα ἐποιοῦντο, die Thukydides 3,82,8 verwendet, gibt einen Hinweis auf seine eigene Meinung: Sie erinnert, wie bereits betont (s.o. S. 187), so deutlich an den Satz Herodots in der Rede des Otanes (Hdt. 3,80,6): πλῆθος δὲ ἄρχον πρῶτα μὲν οὔνομα πάντων κάλλιστον ἔχει, ἰσονομίην,⁷⁰³ daß es schwerfällt, hierin keine direkte Bezugnahme zu sehen. Da Thukydides vergleichbare Formulierungen auch im perikleischen Epitaphios (Thuk. 2,37,1) und in der Rede des Syrakusaners Athenagoras (Thuk. 6,39,1) verwendet, gefolgt von Hinweisen oder Erläuterungen, wie die jeweils angesprochene Ordnung die Arten der Teilhabe realisiert, liegt es nahe, daß die Isonomie für ihn nicht der ‚schönste Name‘ ist, sondern zu den politischen Auseinandersetzungen zwischen Demokraten und Oligarchen gehört, die mit aggressiven Anwürfen und – wie er im Kontext der Stasis in Korkyra
Dazu ausführlich Graham/Forsythe 1984, 25 – 45. Zur Datierung der Verfassungsdebatte: insb. Asheri et al. 2007, 473 ff. mit Literatur. Für die Datierung der Abfassungszeit des herodoteischen Werkes, das traditionell als das gegenüber dem thukydideischen Werk ältere angesehen wird, wählt neuerdings Irwin 2013, 7– 93 einen späteren Ansatz, nach dem Thukydides und Herodot praktisch gleichzeitig geschrieben haben könnten.
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schreibt – mit leeren Schlagworten operieren. Insofern ist die Abwertung der Isonomie als Schlagwort nicht nur ein deutlicher Seitenhieb auf Herodots ‚schönsten Namen‘.⁷⁰⁴ Liest man nämlich beide Passagen zusammen, den Epitaphios und die Beschreibung der Stasis in Korkyra, so ist zwar auf den ersten Blick die Isonomie abgewertet, aber das Lob der Demokratie ist ebenfalls nicht ohne Einschränkung: Es steht zwar allen in Bezug auf die Gesetze das Gleiche zu, wenn es um die ἴδια διάφορα geht, doch in Bezug auf die öffentliche Wertschätzung (κατὰ δὲ τὴν ἀξίωσιν) – und das heißt auch im Einfluß in politicis –, richtet sich der Vorrang an der Leistung für die Stadt aus. Namen für das Ganze einer politischen Ordnung sind Thukydides zu wenig, es kommt ihm vielmehr auf Grundsätzliches an. Thukydides’ Hauptinteresse war es nicht – weder in der Passage über die Stasis in Korkyra noch in der Athenagoras-Rede, und schon gar nicht im Epitaphios,⁷⁰⁵ – eine Verfassungstypologie zu geben oder zu kommentieren. Die einschlägigen Passagen sind dafür viel zu allgemein formuliert und gehen auch viel zu intensiv auf anthropologisch zeitstabile Verhaltensweisen in Krisen bzw. im Grundsätzlichen ein. Thukydides beabsichtigt – anders als Herodot in der Verfassungsdebatte – keine Gegenüberstellung von Demokratie und Aristokratie oder Oligarchie.⁷⁰⁶ Denn sowohl die Athenagoras-Rede wie auch der perikleische Epitaphios in Athen werden Vertretern einer demokratischen Politik in den Mund gelegt. Thukydides läßt Athenagoras die Oligarchie kritisieren und deren Intentionen als gegen das gemeinsame Wohl der Polis ausgerichtet darstellen, doch dem folgt nicht – wie bei Herodot – eine ebenso lange wie detailreiche Antwort. Denn der nach Athenagoras redende Stratege (den Thukydides nicht einmal mit Namen nennt) beendet die Debatte kurzerhand mit der Bemerkung, daß es nicht klug sei, gegenseitig böswillige Anschuldigungen vorzubringen und ebensowenig sinnvoll, diese anzuhören (Thuk. 6,41,2). Dies kommt direkt im Anschluß an die Rede des Athenagoras und läßt deren Wirkung in Syrakus ins Leere laufen. Daher dürften auch die Argumente des Athenagoras für die isonome Ordnung ebenso wie die der Führer in Korkyra für Thukydides zu den klangvollen Parolen gehören, die nichts zum Gemeinwohl beitragen, sondern in ihrer Rhetorik das Gemeinwohl nur noch zum Zweck der Diskreditierung des Gegners im innenpolitischen Kampf aufrufen.
Zum zeitlichen Verhältnis zwischen Thuk. und Hdt.: Dion. Hal. De Thucydide 5: ὁ δ᾿ Ἁλικαρνασεὺς Ἡρόδοτος, γενόμενος ὀλίγῳ πρότερον τῶν Περσικῶν, παρεκτείνας δὲ μέχρι τῶν Πελοποννησιακῶν, […]. Vgl. dazu Irwin 2013. Hornblower, Komm. III, 413 nennt diese Äußerung des Thukydies zu Korkyra einen „cynical authorial comment“. Vgl. Leppin 1999, 77 ff., der die Entlarvung der ‚politischen Schlagworte‘ durch Thukydides hervorhebt.
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Die Position, mit der sich Thukydides selbst identifiziert hat, dürfte daher vermutlich die sein, die er Perikles im Epitaphios vertreten läßt. In seiner betonten Hervorhebung des Perikles scheint auch eine Präferierung autoritärer Politik durch. Diese ist nicht nur in den großen Reden, durch die er Perikles als Ausnahme unter den attischen Politikern charakterisiert, sondern vor allem in dem sog. Nachruf (Thuk. 2,65,9) zu erkennen: ἐγίγνετό τε λόγῳ μὲν δημοκρατία, ἔργῳ δὲ ὑπὸ τοῦ πρώτου ἀνδρὸς ἀρχή.Vor diesem Hintergrund ist im Erzählablauf nicht die Rede des Athenagoras bedeutend, sondern die Reaktion des namentlich nicht genannten Strategen, der die Debatte in Syrakus kurzerhand beendet und zur Tat aufruft. Cassius Dio hat dies später auch so verstanden, als er in seiner Verfassungsdebatte, die zwar nach dem Muster Herodots aufgebaut ist, jedoch die Formulierung des Perikles aus Thukydides aufgreift und Leistung nicht nur über die Gleichheit stellt, sondern die aus der Gleichheit folgenden Rechte zugunsten des ersten Mannes diesem allein zuspricht.⁷⁰⁷ Das Wissen post eventum, das dem Epitaphios zugrundeliegt,⁷⁰⁸ prägt die Spannung zwischen Realität und Utopie, die sowohl der Epitaphios wie auch die Kriegsplanrede des Perikles erkennen läßt bzw. wie es Hellmut Flashar formuliert hat: „Die entscheidende Frage ist nun die, was es bedeutet, wenn Thukydides nach der völligen Zerstörung der Macht Athens eben diese Macht den Perikles so ü beraus stolz preisen läßt, indem er die Schilderung der athenischen Wesensart in einem prächtigen Bild von der gewaltigen ü berallhin reichenden Macht Athens geradezu gipfeln läßt (II 41).“⁷⁰⁹ Thukydides präsentiert damit eine der frühesten, wenn nicht sogar die früheste Formulierung des Gegensatzes von arithmetischer (κατὰ τὸν ἴσον) und geometrischer (ἀπ’ ἀρετῆς) Gleichheit, die später von Platon und Aristoteles als die zwei Arten der Gleichheit ausbuchstabiert worden sind und die den gesamten Diskurs von Gerechtigkeit und Gleichheit so maßgeblich prägen sollten (s.u. Kap. V.2). Die von Thukydides seinem Helden Perikles in den Mund gelegte Vorstellung von geometrischer Gleichheit als dem der attischen Demokratie zugrundeliegenden Prinzip in einem retrospektiv verklärten Bild Athens erhellt, wie es wohl eben gerade nicht in Athen zuging und was in Athen nicht für die Teilhabe am Politischen galt. Hier liegt ein Widerspruch vor zwischen dem hohen Ton des Epitaphios, der darin propagierten politischen Konzeption und dem sowohl für die Zeitgenossen wie auch den Lesern sehr wohl bekannten Credo der attischen Demokratie der Gleichheit κατὰ τὸν ἴσον, die einen Vorrang Ein-
Vgl. dazu unten S. 240 ff. Flashar 1989, 437. Flashar 1989, 437 f.
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zelner – wie auch immer begründet – ausschloß.⁷¹⁰ Erklärbar ist dies nur, wenn für Thukydides die Isonomie und ihre Gleichheitskonzeption nichts weiter als eine Parole waren, die bei inneren Auseinandersetzungen gern eingesetzt wurde. Da sie aber offenbar auch eine eigene Wirkmächtigkeit hatte – sonst wären weder die Positionen des Athenagoras noch die der Thebaner und Thessaler zu erklären –, dürfte sie, trotz der Verachtung des Thukydides, bei denjenigen, die damit angesprochen wurden, doch glaubhaft für Teilhabe und Partizipation nach gleichem Recht für alle gestanden haben.
V.2 Isonomia in arithmetischer und geometrischer Gleichheit Das Thema der Isonomie, in der Verwendung des Begriffs ausgedrückt, scheint vordergründig im 4. Jahrhundert v.Chr. praktisch keine Rolle mehr gespielt zu haben. Daher meinte Ostwald feststellen zu müssen: „There is no need to pursue our analysis of ἰσονομία into the fourth century. ἰσονομία always retains a purely political character.“⁷¹¹ Entscheidend dafür sei gewesen, daß der Begriff ‚Isonomie‘ immer mehr mit demjenigen der Demokratie verbunden gewesen sei als mit irgendeiner anderen Form der Verfassung,⁷¹² und vor allem, daß in dem Begriff keine moralischen Bezüge gelegen hätten.⁷¹³ Die seltene Verwendung von Isonomie in den erhaltenen Texten des 4. Jahrhunderts v.Chr. ist tatsächlich auffällig, denn außer bei Platon begegnet Isonomie nur zweimal bei Isokrates und bei Aristoteles überhaupt nicht.⁷¹⁴ Platon verwendet den Begriff allerdings in einer sehr differenzierten Weise, die einerseits – im Menexenos und im 7. Brief – deutlich an die ihm bekannte Tradition anknüpft, aber andererseits – in der Politeia – die Isonomie erstmals in einen Bereich überträgt, in dem er bis dahin nicht begegnet. Darin zeigt sich eine Entwicklung, die man als Verlagerung des politischen Diskurses in die Theorie beschreiben kann. Die theoretischen Ausführungen konzentrieren sich auf Gerechtigkeit und Gleichheit, wobei weniger die Verfassungen und deren Organisationsformen in den Blick genommen werden als die Gesichtspunkte von Stabilität, Ausgleich und
Auch wenn bei Wahlen zum Strategenamt in der Praxis sicher keine arithmetische Gleichheit verwirklicht wurde, so galt doch dem Anspruch der attischen Demokratie nach auch auf dieser Ebene die Gleichheit κατὰ τὸν ἴσον. Ostwald 1969, 119. Ostwald 1969, 181. Ostwald 1969, 119. Platon hat den Begriff insgesamt sechsmal, Isokrates zweimal und Ephorus lediglich einmal (FGrHist 70 F116, aus Strab. 8,4,7) verwendet. Im Einzelnen s.u. 194 ff.
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Angemessenheit. Regulatorische Modelle werden präferiert, wie der kurze Abriß zeigt, den Aristoteles zur Entwicklung der Verfassungsentwürfe gibt:⁷¹⁵ Phaleas von Chalkedon, der nach der Ansicht des Aristoteles einer der ersten war, der ein theoretisches Modell der Verfassung entwickelte, hat sich offenbar intensiv mit dem Ausgleich zwischen regulatorischen und distributiven Elementen für eine Polisorganisation beschäftigt. Die Isonomie wird allerdings, im Unterschied zur Demokratie, in diesem Diskurs des 4. Jahrhunderts v.Chr. selten thematisiert. Die wenigen Belege, die uns erhalten sind, zeigen jedoch, wie sich das Verständnis des Begriffs verändert hat.
1. Isonomia im Menexenos und Siebenten Brief Platons Im Menexenos und im Siebenten Brief steht die Verwendung von Isonomie in historischen Kontexten, während Platon in der Politeia einen allgemeinen, demokratischen Menschentypus beschreibt, der von Begierde und Maßlosigkeit geprägt ist, keine Ordnung und keine Moral in seinem Leben hat und eben nach der Isonomie lebt. Sowohl die Intention als auch die Adressaten dieser Texte Platons sind unterschiedlich, einmal geht es konkret um die Beziehung zu Orten und historischen Ereignissen, demgegenüber sind in der Politeia die prinzipiellen Möglichkeiten zu erkennen, die durch die menschliche Natur bedingt sind. Der Menexenos ist als eine fiktive Grabrede gestaltet und der 7. Brief ist wie ein öffentliches Schreiben an eine Gruppe von Politikern in Syrakus gerichtet. Beide beziehen sich dezidiert auf einen öffentlich-politischen Raum.⁷¹⁶ Von daher ergibt sich, daß diese Passagen völlig anders ausgerichtet sind als die Passagen in der Politeia, in der es um eine Idealpolis – Kallipolis – geht. Diese ideale Polis ist ein paradeigma, das zwar verwirklicht werden könnte (rep. 472c – d), doch „im Himmel aufgestellt ist“ (rep. 592b).⁷¹⁷ Im Menexenos wird Aspasia als Verfasserin eines Epitaphios auf die Gefallenen des Korinthischen Krieges (Mx. 245e ff.) eingeführt. Sokrates referiert diese Rede mit dem Ziel, dem Menexenos zu zeigen, wie leicht es ist, eine solche Rede zusammenzustellen. Daraus ergibt sich schlüssig, daß die Rede als auf die Erwartungen der Hörer hin konzipiert dargestellt wird und daher Themen wie Autochthonie, die Siege in den Perserkriegen etc. in ihr angesprochen werden, die üblicherweise aus solchen Anlässen zu präsentieren waren. Allerdings sind auch Aristot. pol. 1266a – 1269a. Zu den Echtheitsdiskussionen um den Menexenos s. Erler 2007, 162, der für die Echtheit plädiert; für den 7. Brief s. Erler 2007, 314– 17, und ders. 2007, 35: „Der Brief bleibt aber auch dann ein wichtiges Dokument, wenn er sich unecht erweisen sollte.“ Erler 2006, 178.
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die Ironie-Signale in dieser Rede nicht zu übersehen,⁷¹⁸ die insbesondere die Charakterisierung der attischen Verfassung betreffen, denn gerade die athenische Verfassung als Aristokratie zu bezeichnen, wäre in einer öffentlich vorgetragenen Grabrede kaum denkbar:⁷¹⁹ Plat. Mx. 238c–239a: ἡ γὰρ αὐτὴ πολιτεία καὶ τότε ἦν καὶ νῦν, ἀριστοκρατία, ἐν ᾗ νῦν τε πολιτευόμεθα καὶ τὸν ἀεὶ χρόνον ἐξ ἐκείνου ὡς τὰ πολλά. καλεῖ δὲ ὁ μὲν αὐτὴν δημοκρατίαν, ὁ δὲ ἄλλο, ᾧ ἂν χαίρῃ, ἔστι δὲ τῇ ἀληθείᾳ μετ’ εὐδοξίας πλήθους ἀριστοκρατία. βασιλῆς μὲν γὰρ ἀεὶ ἡμῖν εἰσιν· οὗτοι δὲ τοτὲ μὲν ἐκ γένους, τοτὲ δὲ αἱρετοί· ἐγκρατὲς δὲ τῆς πόλεως τὰ πολλὰ τὸ πλῆθος, τὰς δὲ ἀρχὰς δίδωσι καὶ κράτος τοῖς ἀεὶ δόξασιν ἀρίστοις εἶναι, καὶ οὔτε ἀσθενείᾳ οὔτε πενίᾳ οὔτ’ ἀγνωσίᾳ πατέρων ἀπελήλαται οὐδεὶς οὐδὲ τοῖς ἐναντίοις τετίμηται, ὥσπερ ἐν ἄλλαις πόλεσιν, ἀλλὰ εἷς ὅρος, ὁ δόξας σοφὸς ἢ ἀγαθὸς εἶναι κρατεῖ καὶ ἄρχει. αἰτία δὲ ἡμῖν τῆς πολιτείας ταύτης ἡ ἐξ ἴσου γένεσις. αἱ μὲν γὰρ ἄλλαι πόλεις ἐκ παντοδαπῶν κατεσκευασμέναι ἀνθρώπων εἰσὶ καὶ ἀνωμάλων, ὥστε αὐτῶν ἀνώμαλοι καὶ αἱ πολιτεῖαι, τυραννίδες τε καὶ ὀλιγαρχίαι· οἰκοῦσιν οὖν ἔνιοι μὲν δούλους, οἱ δὲ δεσπότας ἀλλήλους νομίζοντες· ἡμεῖς δὲ καὶ οἱ ἡμέτεροι, μιᾶς μητρὸς πάντες ἀδελφοὶ φύντες, οὐκ ἀξιοῦμεν δοῦλοι οὐδὲ δεσπόται ἀλλήλων εἶναι, ἀλλ’ ἡ ἰσογονία ἡμᾶς ἡ κατὰ φύσιν ἰσονομίαν ἀναγκάζει ζητεῖν κατὰ νόμον, καὶ μηδενὶ ἄλλῳ ὑπείκειν ἀλλήλοις ἢ ἀρετῆς δόξῃ καὶ φρονήσεως. „Denn die Verfassung war dieselbe damals wie jetzt, aristokratisch, auf welche Weise wir uns jetzt regieren und auch die ganze Zeit von damals an größtenteils; es nennt sie aber der eine Volksherrschaft, der andere anders, wie es jedem beliebt, in Wahrheit aber ist sie eine Herrschaft der Besseren mit dem guten Willen des Volks. Denn Könige haben wir ja immer, nur bald erbliche, bald gewählte, das meiste hängt aber ab in der Stadt von dem Volke, welches immer und Gewalt denen gibt, die ihm jedesmal dü nken, die Besten zu sein, und weder durch Schwächlichkeit noch durch Armut noch durch der Väter Unberü hmtheit ist irgendeiner ausgeschlossen noch auch begü nstigt durch das Gegenteil wie in anderen Staaten, sondern nur die eine Bestimmung gibt es: Wer im Rufe steht, weise und tü chtig zu sein, der hat den Vorzug und regiert. Ihren Grund aber hat bei uns diese Verfassung in der Gleichheit der Geburt. Denn andere Staaten sind aus vielerlei und ungleichen Menschen gebildet, daher auch ihre Verfassungen die Ungleichheit darstellen in willkü rlicher Herrschaft eines einzelnen oder weniger. Sie sind daher so eingerichtet, daß einige die anderen fü r Knechte und diese jene fü r Herren halten.Wir aber und die unsrigen, von einer Mutter alle als Brü der entsprossen, begehren nicht, Knechte oder Herren einer des anderen zu sein, sondern Gleichbü rtigkeit von Natur zwingt uns, auch Rechtsgleichheit [isonomian] im
Erler 2007, 162. Tsitsiridis Kommentar 1998, 220 ff., zur Isonomia a. a.O. 236 f. Vlastos 1973, 188 ff. (= Isonomia Politike 1953, 361): „The use of Isonomia at Menex. 239 A is less instructive for our purpose.“ Ostwald 1969, 181 sieht in der Isonomie des Menexenos das Prinzip angesprochen, das zur Ernennung der Weisesten und Besten führt, d. h. auf der geometrischen Gleichheit beruht bzw. auf Verdienst und Leistung, und vergleicht dies mit Gorg. 508a und v. a. leg. 756e – 758a. Vgl. auch Kahn 1963, 225 f. zum Menexenos. Zur arithmetischen und geometrischen Gleichheit bei Aristot. eth. Nic. 1131b12– 16 und 1131b32– 1132a2 s.u. 206 ff.
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Hinblick auf das Gesetz anzustreben und um nichts anderen willen uns einander unterzuordnen als wegen des Rufes der Tugend und Einsicht.“⁷²⁰
Die Ähnlichkeit mit dem perikleischen Epitaphios, so wie Thukydides ihn halten läßt, aber auch mit dem Nachruf auf Perikles und der berühmten Charakterisierung des Perikles (ἐγίγνετό τε λόγῳ μὲν δημοκρατία, ἔργῳ δὲ ὑπὸ τοῦ πρώτου ἀνδρὸς ἀρχή, Thuk. 2,65,9) ist augenfällig.⁷²¹ Die Bezeichnung der attischen Demokratie als eine Herrschaft der Besseren der führenden Politiker als gewählte Könige könnte man vielleicht als Spott ansehen; andererseits ist diese Perspektive im Menexenos eine Verdeutlichung und Ausbuchstabierung dessen, was Thukydides im Epitaphios (Thuk. 2,37,1, s.o. S. 189 f.) Perikles über die attische Demokratie sagen läßt. Allerdings macht es die Ineinssetzung von Demokratie, Aristokratie, Monarchie und Isonomie schwierig, aus dem Menexenos etwas für Platons Sichtweise der Isonomie zu gewinnen, und die ἰσογονία als eine Voraussetzung, die dazu zwingt, Isonomie anzustreben, klingt eigentümlich zurückhaltend. Weitere Hinweise finden sich in der späteren Überlieferung, die Platon ein nicht nur philosophisches und erkenntnisbasiertes Interesse an der Isonomie zuschreibt. Sowohl Aelian als auch Diogenes Laertius berichten davon, daß Platon von den Arkadern und Thebanern gebeten worden sei, für die Neugründung von Megalopolis als Gesetzgeber tätig zu werden.⁷²² Nach Aelian wollte er eigentlich der Einladung folgen, und fragte die Boten, wie man zur Isonomie stehe. Als die Antwort eine negative war, soll Platon die Einladung abgelehnt haben.⁷²³ Diogenes Laertius ist etwas knapper, berichtet jedoch auch den Ablauf des Gesprächs zwischen Platon und den Abgesandten. Er verwendet dabei nicht den Begriff ‚Isonomie‘, sondern läßt Platon danach fragen, wie man zu dem ἴσον ἔχειν stehe.⁷²⁴
Hervorhebg. von mir, C.S., ÜS Schleiermacher, modifiziert. Loewenclau 1961, 34 und Kahn 1963, 220 – 34, hier 244; anders Tsitsiridis 1998, 224: „Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß in diesen Worten eine konkrete Anspielung, etwa auf Th. ΙΙ 37, 1 steckt. Die Verfassung, die im folgenden geschildert wird, ist mit keiner der existierenden identisch. lnsofern ist die Unterscheidung νοn der Demokratie notwendig.“ Trampedach 1994, 37, 39 mit Anm. 113: Diese Datierung der Grü ndung von Megalopolis muß Diod. 15,72,4 folgen und somit auf das Jahr 368/67 v.Chr. gesetzt werden; vgl. Moggi 1976, 307 ff. und Lanzilotta 1975, 25 ff. Paus. 7,27,8 setzt die Grü ndung ins Jahr 371/0 v.Chr., das Marmor Parium (FGrHist 239 = Tod, GHI II Nr. 205, A § 73) zwischen 371/0 und 368/7 v.Chr. Ail. var. 2,42 (Hercher). Diog. Laert. 3,23. Zu den Besitzverhältnissen in Megalopolis: Trampedach 1994, 40; Gehrke 1986, 112.
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Nun berichtet auch Plutarch davon, daß Platon eine ganze Reihe seiner Schüler dazu inspirierte, im Sinne dessen, was Platon in seinen Schriften περὶ νόμων καὶ πολιτείας niedergelegt hatte, in ihren Heimatstädten auf eine Änderung der politischen Umstände hinzuwirken.⁷²⁵ Ob und in welchem Ausmaß die Aktivitäten von Dion, Pytho, Herakleides, Chabrias und Phokion wirklich unter dem Einfluß der Schule Platons geplant und durchgeführt wurden, ist umstritten.⁷²⁶ Allerdings schreibt Plutarch explizit, daß Platon einen gewissen Aristonymos nach Arkadien, Phormio zu den Eleern und Menedem nach Pyrrha gesandt habe διακοσμήσοντα τὴν πολιτείαν (Adv. Col. 1126c). Obwohl die Authentizität dieser Überlieferung schwierig festzustellen ist,⁷²⁷ lassen doch weitere Passagen aus dem platonischen Korpus zumindest eine Einordnung dieser Überlieferung zu. Der Siebente Brief aus dem platonischen Briefkorpus bietet, selbst wenn seine Echtheit nicht zweifelsfrei erwiesen ist, einen für die Biographie Platons gesicherten Rahmen, denn sowohl die Sizilienreisen als auch die Beziehung zu dem Syrakusaner Dion sind nicht strittig.⁷²⁸ Dieser Brief ist insofern interessant, als Platon sich sowohl zum politischen Programm Dions äußert wie auch in diesem Kontext den Begriff ‚Isonomie‘ verwendet.⁷²⁹ Platon – oder eben der Autor des Briefs – beschreibt die damalige Lebensweise in Sizilien als geprägt von der Maßlosigkeit im Essen, Trinken und in der Liebe. Diese Lebensweise stand nach Aussage des Briefs unmittelbar im Zusammenhang mit der damaligen Politik. Unter solchen Bedingungen seien ständige Verfassungswechsel nämlich unvermeidlich: Plut. Adv. Col. 1126c – d. Trampedach ist der Ansicht, daß es Aktivitäten gegeben habe, diese aber nicht nachweisbar ‚platonisch‘ gewesen seien. Trampedach 1994, 38: Trampedach hält die Thematisierung der Isonomie hier für „merkwü rdig“ und meint, daß die Verwendung des Wortes „Isonomia auf das Konto der Ahnungslosigkeit Ailians oder seiner Quelle (Pamphile?)“ zurückzuführen sei. Bearzot 1981, 73 führt die Einladung auf philosophische Ansichten des Epaminondas zurück. Dieser sei Mitglied eines pythagoreischen Kreises in Theben gewesen und habe über deren Mitglieder indirekte Beziehungen zu Platon gehabt. Allerdings ist lediglich bekannt, daß Epaminondas von dem Pythagoreer Lysis unterrichtet wurde. Die Thebaner Simmias und Kebes werden Phaid. 51e erwähnt und auch Philolaos soll sich in Theben aufgehalten haben. Erler 2007, 310 datiert dies auf Ende der 50er Jahre. Auch im Kontext der Isonomie-Debatte wird der 7. Brief unterschiedlich bewertet: Vlastos 1973, 202 hält ihn für unecht, ganz anders als Ostwald 1969, 181– 2; heute tendiert man überwiegend dazu, ihn für echt zu halten oder doch zumindest den Inhalt für die historische Bewertung zu verwenden, so z. B. Trampedach 1994, 259: „Der Brief zeigt daher mindestens, wie das Werk des Meisters verstanden und benutzt werden konnte“. Plat. epist. 7,326d5 und 336d4. Erler 2007, 31 zu 326d und 336d5.
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Plat. epist. 326d: ἀναγκαῖον δὲ εἶναι ταύτας τὰς πόλεις τυραννίδας τε καὶ ὀλιγαρχίας καὶ δημοκρατίας μεταβαλλούσας μηδέποτε λήγειν, δικαίου δὲ καὶ ἰσονόμου πολιτείας τοὺς ἐν αὐταῖς δυναστεύοντας μηδ’ ὄνομα ἀκούοντας ἀνέχεσθαι. ταῦτα δὴ πρὸς τοῖς πρόσθε διανοούμενος, εἰς Συρακούσας διεπορεύθην, […]. „Es ist eine Notwendigkeit, daß diese Städte ohne Ende im Wechsel von Tyrannen, Oligarchen und Demokraten beherrscht werden und daß die jeweiligen Machthaber in ihnen noch nicht einmal ertragen, daß eine gerechte und isonome Verfassung vor ihren Ohren angesprochen wird. Mit diesen Auffassungen also zusätzlich zu den vorher genannten reiste ich nach Syrakus, […].“⁷³⁰
Um diese Situation zu ändern, wäre nach Platon eine vollständige Umstellung der Lebensweise nötig, wobei er die Polis mit einem Kranken vergleicht, der durch einen Arzt (wie einen Politiker) zu heilen wäre (epist. 330c – e). Seine Empfehlung an die Politiker als Gesetzgeber, um Stasis und Zwist durch eine neue Ordnung dauerhaft zu verhindern, ist: Plat. epist. 337c4– 5: […], μήτε νικήσασιν μήτε νικηθεῖσιν νέμειν πλέον, τὸ δὲ ἴσον καὶ κοινὸν πάσῃ τῇ πόλει. […], weder den Siegern noch den Besiegten mehr zuteilen, sondern das Gleiche und das Gemeinsame der Stadt als Ganzes zuteilen.
Die Beziehung zwischen Platon, Dion und den beiden Dionysios (I und II) zieht sich über Jahrzehnte und drei Reisen Platons nach Sizilien hin. Was nun sein Schüler und Protegée Dion im Einzelnen in Syrakus gemacht hat, nachdem er – schließlich aus der Verbannung zurückkehrend und im Bunde mit Herakleides – den Tyrannen Dionysios II. gestürzt hatte,⁷³¹ wird in dem Brief nicht im Detail ausgeführt. Allerdings betont Platon, daß Dion beabsichtigt habe, ganz in seinem – Platons – Sinne zu handeln. Diese Verbindung von Macht und Philosophie, die eine Erziehung der Bürger zur entsprechend notwendigen Änderung der Lebensweise zum Ziel hatte, ist aufgrund der Ermordung Dions nicht zustande gekommen (epist. 335d). Wenn Dion die Chance bekommen hätte, so wären Freiheit und beste Gesetze realisiert worden (epist. 336a). Nun rät Platon den Anhängern Dions, sich dessen Lebensweise zum Vorbild zu nehmen. An konkreten Maßnahmen empfiehlt er den Aufbau der zerstörten Städte, die Beziehungen zu Karthago aufleben zu lassen, und die Einführung einer Isonomie (epist. 336d). Eine gesetzgebende Versammlung aus 50 angesehenen Ratgebern aus der Peloponnes und auch aus Athen sollte eingesetzt werden, die alle schwören sollten,
ÜS Schleiermacher, modifiziert. Zu Dion und Herakleides Lehmann 1970, 410 – 406 und Orth 1979, 51– 64.
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weder der siegreichen noch der unterlegenen Partei mehr zuzuteilen, sondern vielmehr allen das Gleiche und Gemeinsame zu geben.⁷³² Dieser zweifellos sehr positiven Sichtweise des Dion widerspricht Plutarch in seiner Dion-Vita nicht (Dion 37). So ist es bei Plutarch der mit Dion verbündete Herakleides, der, da er für die Flucht des Tyrannen Dionysios II. verantwortlich gemacht wurde, versuchte, den Demos in Syrakus durch ein radikales politisches Programm davon abzulenken und auf seine Seite zu ziehen: Plut. Dion 37,5: ὁ δὲ κακῶς ἀκούων καὶ θορυβούμενος ὑπὸ τῶν πολιτῶν, Ἵππωνά τινα τῶν δημαγωγῶν καθίησι προκαλεῖσθαι τὸν δῆμον ἐπὶ γῆς ἀναδασμόν, ὡς ἐλευθερίας ἀρχὴν οὖσαν τὴν ἰσότητα, δουλείας δὲ τὴν πενίαν τοῖς ἀκτήμοσι. „Als dieser (sc. Herakleides) darauf in üblen Ruf kam und von den Bürgern scharf angegriffen wurde, stiftete er einen der Demagogen, Hippon, dazu an, bei dem Volk eine neue Verteilung des Landes zu beantragen, weil die Gleichheit der Beginn der Freiheit und die Armut für die Besitzlosen der Beginn der Versklavung sei.“⁷³³
Dem stellte sich nach Plutarch Dion aber offensichtlich entgegen (καὶ τὸν Δίωνα καταστασιάζων ἐναντιούμενον) und zog sich den Haß des syrakusanischen Demos zu, weil er wie ein Arzt die Stadt zu einer richtigen und vernünftigen Lebensweise führen wollte: Plut. Dion 37,7: οἱ δ’ ὥσπερ ἐκ μακρᾶς ἀρρωστίας τῆς τυραννίδος εὐθὺς ἐπιχειροῦντες ἐξανίστασθαι καὶ πράττειν τὰ τῶν αὐτονομουμένων παρὰ καιρόν, ἐσφάλλοντο μὲν αὐτοὶ ταῖς πράξεσιν, ἐμίσουν δὲ τὸν Δίωνα, βουλόμενον ὥσπερ ἰατρὸν ἐν ἀκριβεῖ καὶ σωφρονούσῃ διαίτῃ κατέχειν τὴν πόλιν. „So kam es, daß die Syrakusier bei dem Versuch, wie nach einer langwierigen Krankheit – der Tyrannenherrschaft – sofort aufzustehen und noch zur Unzeit wie fest auf eigenen Füßen Stehende zu handeln, selbst bei diesem Handeln zu Fall kamen und einen Haß auf Dion warfen, der wie ein Arzt die Stadt bei einer strengen und vernünftigen Diät halten wollte.“⁷³⁴
Plat. epist. 7,337c4– 5; Ostwald (1969, 181), der hier den Wortbestandteil ‚Nomos‘ in Isonomie betont, ist der Ansicht, daß κατὰ νόμον geschriebene Gesetze bedeutet, und vergleicht dies mit dem 7. Brief, da es darin auch um die Einrichtung von Statuten (als geschriebene Gesetze) gehe; v. a. aus epist. 336d gehe hervor, daß die Freunde Dions andere, eben die „Besten“, als Berater aus Sizilien, der Peloponnes und Athen einladen sollten, damit sowohl die Interessen der Sieger als auch der Besiegten gewährleistet werden. Zu Dion als Politiker und Philosoph: Sprute 1972, 294– 313 und insb. Pelling 2014, 151 f., der in der Darstellung Plutarchs eine gewisse Distanzierung gegenüber Dion als Vertreter platonischer Vorstellungen sehen möchte. ÜS Ziegler, modifiziert. ÜS Ziegler.
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Als Gegenmaßnahme, um diese Beschlüsse zu revidieren und seinen Konflikt mit Herakleides zu beenden, hat Dion dann seinen Gegner Herakleides ermorden lassen. Das wird im 7. Brief von Platon nicht angesprochen, dafür von Plutarch in allen Einzelheiten überliefert.⁷³⁵ Trotzdem verhält sich Dion für Plutarch wie ein echter Schüler Platons und er läßt keine Gelegenheit aus, diese Orientierung an Platon deutlich zu machen: Plut. Dion 52,2– 3: ἑαυτὸν δὲ λιτῶς καὶ σωφρόνως ἐκ τῶν τυχόντων διῴκει, θαυμαζόμενος ὅτι μὴ μόνον Σικελίας τε καὶ Καρχηδόνος, ἀλλὰ καὶ τῆς Ἑλλάδος ὅλης ἀποβλεπούσης πρὸς αὐτὸν εὐημεροῦντα, καὶ μηδὲν οὕτω μέγα τῶν τότε νομιζόντων, μηδ’ ἐπιφανεστέρας περὶ ἄλλον ἡγεμόνα τόλμης καὶ τύχης γεγονέναι δοκούσης, οὕτω παρεῖχεν ἑαυτὸν ἐσθῆτι καὶ θεραπείᾳ καὶ τραπέζῃ μέτριον, ὥσπερ ἐν ᾿Aκαδημείᾳ συσσιτῶν μετὰ Πλάτωνος, οὐκ ἐν ξεναγοῖς καὶ μισθοφόροις διαιτώμενος, οἷς αἱ καθ’ ἑκάστην ἡμέραν πλησμοναὶ καὶ ἀπολαύσεις παραμυθία τῶν πόνων καὶ τῶν κινδύνων εἰσίν. „Er selbst lebte stets einfach und vernünftig, je nach dem Maße dessen, was zur Verfügung stand, und erntete die allgemeine Bewunderung, daß er, da nicht nur Sizilien und Karthago, sondern ganz Griechenland auf ihn in seinem Glück schaute, und die Menschen keinen der damals Lebenden für so groß hielten und keines anderen Feldherrn Wagemut und Glück so glänzend schien wie das seine, sich trotzdem in Kleidung, Bedienung und Tafel so bescheiden zeigte, als ob er mit Platon in der Akademie speiste, nicht unter Berufssoldaten und ihren Führern lebte, denen jeden Tag eine reichbesetzte Tafel und sonstiger Lebensgenuß als Ausgleich für ihre Strapazen und Gefahren dienen müssen.“⁷³⁶
Ganz anders stellt Cornelius Nepos den Ablauf dar, indem er betont, daß es Dion von Anfang an um eine Alleinherrschaft gegangen sei, und nicht um die Etablierung einer demokratischen Volksherrschaft.⁷³⁷ Sein Auftreten sei in Syrakus als Tyrannis angesehen worden und nach der Ermordung des Herakleides seien auch Finanzschwierigkeiten hinzugekommen. Dann habe Dion nach dem Tod des Herakleides in typischer Tyrannenmanier das Vermögen seiner Gegner eingezogen und unter die Soldaten verteilt, um sich deren Rückhalt zu sichern.⁷³⁸ Auch nach Plutarch lehnte Dion eine ἄκρατον δημοκρατίαν (Dion 53,4) ab und wollte stattdessen – so jedenfalls in der Sichtweise Plutarchs – in Syrakus eine Art Mischverfassung einrichten: Plut. Dion 53,4: ἐπενόει δὲ τὴν μὲν ἄκρατον δημοκρατίαν, ὡς οὐ πολιτείαν ἀλλὰ παντοπώλιον οὖσαν πολιτειῶν κατὰ τὸν Πλάτωνα, καταλύειν, Λακωνικὸν δέ τι καὶ Κρητικὸν σχῆμα μει-
Plut. Dion 47– 49 und 53,5. ÜS Ziegler. Nep. Dion 6,4: non posse bene geri rem publicam multorum imperiis (die res publica kann durch eine Herrschaft der Vielen nicht gut geführt werden). Nep. Dion 6 – 7.
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ξάμενος ἐκ δήμου καὶ βασιλείας, ἀριστοκρατίαν ἔχον τὴν ἐπιστατοῦσαν καὶ βραβεύουσαν τὰ μέγιστα, καθιστάναι καὶ κοσμεῖν, ὁρῶν καὶ τοὺς Κορινθίους ὀλιγαρχικώτερόν τε πολιτευομένους καὶ μὴ πολλὰ τῶν κοινῶν ἐν τῷ δήμῳ πράττοντας. „Er hatte aber im Sinne, die uneingeschränkte Demokratie, die er mit Platon nicht für eine Staatsform, sondern für einen Kramladen von Staatsformen ansah, zu beseitigen und nach lakonischem und kretischem Muster eine aus Volksgewalt und Königtum gemischte Verfassung zu schaffen und einzuführen, in der eine Aristokratie die Leitung haben sollte und die wichtigsten Angelegenheiten behandeln sollte; und er sah, daß auch die Korinther eine mehr oligarchische Verfassung hatten und nicht viele der öffentlichen Angelegenheiten durch das Volk entscheiden ließen.“⁷³⁹
Zumindest die an Platon orientierte Überlieferung läßt sich dafür anführen, daß Dion in Syrakus eine Verfassung einführen wollte, die er unter dem Schlagwort ‚Isonomie‘ propagierte. Was er darunter verstanden hat, ist, folgt man diesem Zweig der Überlieferung, an Platons Vorstellungen ausgerichtet gewesen, während die Überlieferung, die bei Nepos sichtbar ist, ihn als lupenreinen Machtpolitiker darstellt, der mit Härte und Gewalt alles unter seine Kontrolle bringen (Nep. Dion 6,4: omnia in sua potestate esse velle) und der lieber gefürchtet als geliebt sein wollte (Nep. Dion 6,5: qui se metui quam amari malunt). Dies alles wird im 7. Brief ausgeblendet, denn daß Dion tatsächlich ein Vorbild in seiner Sorge fü r Syrakus und seiner besonnenen Gestaltung des täglichen Lebens gewesen ist, kann nur behauptet werden, wenn man die Ermordung des Herakleides und die Vermögensumverteilung nach seinem Tod ignoriert. Andernfalls wäre hier der Anspruch auf den Primat der Erziehung zum Philosophen nicht weiter aufrecht zu erhalten gewesen.⁷⁴⁰ Einen Hinweis darauf, was genau nach dem 7. Brief mit Isonomie gemeint sein könnte, gibt lediglich das in epist. 337c4– 5 erwähnte Vorgehen: μήτε νικήσασιν μήτε νικηθεῖσιν νέμειν πλέον, τὸ δὲ ἴσον καὶ κοινὸν πάσῃ τῇ πόλει (s.o. S. 198). Diese Art von Ausgleich zwischen den Gegensätzen betont die regulatorische Aktion in dem ἴσα νέμειν, das Zuteilen des Gleichen, allerdings ohne weitere Merkmale. Sieht man dies im Kontext der Umstände, die von Dions Ablehnung der in Syrakus geforderten ἰσότης durch eine Neuverteilung des Landbesitzes sowie seiner Selbstdarstellung als Philosophenschüler Platons geprägt waren, und vor allem auch im Kontext der Empfehlung an die Freunde Dions, die Gesetzgebung
ÜS Ziegler. Plat. epist. 7,328c: Die Erziehbarkeit und philosophische Lebenshaltung eines Machthabers sind die notwendigen Voraussetzungen: πείσας γὰρ ἕνα μόνον ἱκανῶς πάντα ἐξειργασμένος ἐσοίμην ἀγαθά (Denn wenn ich nur einen einzigen Mann hinreichend überzeugen sollte, hätte ich damit schon alles zu einem guten Ende gebracht.). In epist. 335b wird dann behauptet, Dion habe sich unter dem Einfluß Platons freudig einem Leben in ἀρετή gewidmet.
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durch ἀνθρώποι διαφέροντες πρὸς ἀρετήν gestalten zu lassen, so kommt diese Isonomie der Demokratie sehr nahe, die Thukydides im Epitaphios beschreibt (vgl. oben S. 189 f. zu Thuk. 2,37,1), in dem er das Lob der Demokratie mit einer eingeschränkten Gleichheit verbindet: Allen steht das Gleiche zu, wenn es um die ἴδια geht, aber wenn es um den Einfluß in politicis geht, dann richtet sich dies κατὰ δὲ τὴν ἀξίωσιν aus. Das legt die Vermutung nahe, daß die Isonomie des 7. Briefs eine ist, deren Gleichheit auf einer bestimmten Art von Leistung, d. h. ἀρετή, basiert. Dies ist immer als Gegensatz zum achten Buch der Politeia und der Beschreibung des demokratischen Menschentyps (ἰσονομικοῦ τινος ἀνδρός, rep. 561e) gesehen worden. Dort werden ἰσονομία καὶ ἐλευθερία scharf kritisiert (rep. 563b), weil sie Gleichheit für Gleiche und Ungleiche gleichermaßen verlangen. Die Passagen im 7. Brief konvergieren jedoch durchaus mit denjenigen in der Politeia und vor allem auch mit den in den Nomoi präsentierten Überlegungen. Die Isonomie, die im 7. Brief für Syrakus empfohlen wird, ist keineswegs diejenige, die für die Vertreter von radikalen Positionen typisch ist, die meist die Neuverteilung des Landes forderten, sondern entspricht vielmehr der Meinung, die Thukydides Perikles im Epitaphios vertreten läßt: Die politische Gleichheit ist nach ἀρετή zu bemessen.
2. Isonomia vs. geometrische Gleichheit Wie verhalten sich nun hier ἀρετή und Gleichheitsprinzip zueinander? In der Politeia, im Kontext der Kritik verschiedener Verfassungen und der ihnen entsprechenden Menschentypen, beschreibt Platon, wie die Demokratie entsteht: Plat. rep. 557a: Δημοκρατία δὴ οἶμαι γίγνεται ὅταν οἱ πένητες νικήσαντες τοὺς μὲν ἀποκτείνωσι τῶν ἑτέρων, τοὺς δὲ ἐκβάλωσι, τοῖς δὲ λοιποῖς ἐξ ἴσου μεταδῶσι πολιτείας τε καὶ ἀρχῶν, καὶ ὡς τὸ πολὺ ἀπὸ κλήρων αἱ ἀρχαὶ ἐν αὐτῇ γίγνονται. „So entsteht daher, denke ich, die Demokratie, wenn die Armen den Sieg davontragen, dann von dem anderen Teil einige hinrichten, andere vertreiben, den ü brigen aber gleichen Teil geben am Bü rgerrecht und an der Verwaltung, so daß die Obrigkeiten im Staat großenteils durchs Los bestimmt werden.“⁷⁴¹
Sokrates sagt dazu, daß ein einzelner Mensch wie auch der Staat drei Grundformen in seiner Seele haben soll (rep. 433a ff.) und daß Übereinstimmung dahingehend bestehe, daß
ÜS Schleiermacher.
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Plat. rep. 441c5 – 6: […] τὰ αὐτὰ μὲν ἐν πόλει, τὰ αὐτὰ δ’ ἐν ἑνὸς ἑκάστου τῇ ψυχῇ γένη ἐνεῖναι καὶ ἴσα τὸν ἀριθμόν. „[…] die nämlichen Elemente, die sich im Staat finden, auch der Seele jedes Einzelnen innewohnen, und in der gleichen Zahl.“⁷⁴²
Darauf basiert die Bestimmung der Gerechtigkeit und der politischen Ordnungen. Bei der guten Demokratie (rep. 557b) ist die Ordnung voll von Freiheit und Redefreiheit, so daß diese sogar zur Besten der Verfassungen werden könnte (rep. 557c), doch die Gefahr und die Fehlerhaftigkeit liegen in der Vielfalt und Buntheit (rep. 558c), die dazu führen, daß ἰσότητά τινα ὁμοίως ἴσοις τε καὶ ἀνίσοις διανέμουσα (gleichmäßig Gleichen wie Ungleichen eine gewisse Gleichheit ausgeteilt wird). Hier bringt Platon (rep. 558c) ein wohlbekanntes Argument (γνώριμα λέγεις) vor, das sehr ähnlich den Worten des Syrakusaners Athenagoras über die Neoteroi ist (s.o. 186 ff.): Gleichstellung ohne Ansehen des Verdienstes läuft unter dem Schlagwort der Isonomie. Der Grund der Fehlerhaftigkeit liegt also darin, daß die Isotes allen nach dem Prinzip der arithmetischen Gleichheit und eben ohne eine regulatorische Einwirkung zukommt. Wie genau dieser Prozeß abläuft, wird anhand der Analogie der Seele eines Jünglings und der Polisentwicklung beschrieben.⁷⁴³ Diese Dynamik führt zu einer Umkehrung der Werte, wie sie Thukydides auch für die Auswirkungen der Stasis in Korkyra beschrieben hat: Scham wird als Dummheit bezeichnet, Besonnenheit als Unmännlichkeit, Mäßigung und häusliche Ordnung als bäurisches und ärmliches Wesen (rep. 560d). Ausdruck der Unbeständigkeit/ Buntheit, getrieben von Gier in der Seele (rep. 561e) führt dazu, daß alle gleich sind, nämlich Herren und Sklaven, Männer und Frauen, und sogar Menschen und Tiere. Plat. rep. 563b: Τὸ δέ γε, ἦν δ’ ἐγώ, ἔσχατον, ὦ φίλε, τῆς ἐλευθερίας τοῦ πλήθους, ὅσον γίγνεται ἐν τῇ τοιαύτῃ πόλει, ὅταν δὴ οἱ ἐωνημένοι καὶ αἱ ἐωνημέναι μηδὲν ἧττον ἐλεύθεροι ὦσι τῶν πριαμένων. ἐν γυναιξὶ δὲ πρὸς ἄνδρας καὶ ἀνδράσι πρὸς γυναῖκας ὅση ἡ ἰσονομία καὶ ἐλευθερία γίγνεται, ὀλίγου ἐπελαθόμεθ’ εἰπεῖν.
ÜS Apelt. Die Seele des Jünglings und die Polisentwicklung sind rep. 559e nach dem Prinzip des ὁμοίον ὁμοίῳ ins Verhältnis gesetzt: Ἆρ’ οὖν, ὥσπερ ἡ πόλις μετέβαλλε βοηθησάσης τῷ ἑτέρῳ μέρει συμμαχίας ἔξωθεν, ὁμοίας ὁμοίῳ, οὕτω καὶ ὁ νεανίας μεταβάλλει βοηθοῦντος αὖ εἴδους ἐπιθυμιῶν ἔξωθεν τῷ ἑτέρῳ τῶν παρ’ ἐκείνῳ, συγγενοῦς τε καὶ ὁμοίου; („Und wie der Staat sich verwandelte, wenn dem einen Teil ein Bü ndnis von außen, ähnliches dem ähnlichen, zu Hilfe kam, so verwandelt sich auch der Jü ngling, wenn der einen Gattung Begierden bei ihm die verwandten und ähnlichen von außen zu Hilfe kommen.“ [ÜS Schleiermacher]).
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„Das Äußerste aber, o Freund, was an Freiheit der Menge in einer solchen Polis zum Vorschein kommt, ist wohl dieses, wenn die gekauften Männer und Frauen nicht weniger frei sind als ihre Käufer. Wie groß aber zwischen Frauen und Männern und Männern und Frauen die Isonomie und Freiheit wird, das hatten wir beinahe vergessen zu erwähnen.“⁷⁴⁴
Diese zweifellos negativ konnotierte Isonomie⁷⁴⁵ bezieht sich ausschließlich auf eine Verfassung, in der alle ohne Unterschied zu Gleichen und Freien erklärt werden, d. h. gute und schlechte Menschen, verdienstvolle Bürger und solche ohne Verdienste und schließlich nicht-menschliche Wesen wie Tiere, die denselben Status erhalten. Diese Art der Gleichheit entleert die Isonomie ihres eigentlichen politischen Gehaltes, nämlich des Anspruchs an die Bürger einer Polis, ihr jeweils Bestes für diese Polis und ihr Koinon zu geben, und macht sie zu einem leeren Schlagwort. Die in der negativ konnotierten Isonomie liegende Maßlosigkeit ist eine Hyperbole, die nicht nur in ihren Auswirkungen beschrieben (Buntheit, Sittenverfall), sondern sogar mit einer Krankheit verglichen wird. Diese Maßlosigkeit führt nun nicht nur in der Demokratie, sondern gleichermaßen in der Oligarchie zum Umschlag in die jeweils schlechte Form: Plat. rep. 563e – 564a: Ταὐτόν, ἦν δ’ ἐγώ, ὅπερ ἐν τῇ ὀλιγαρχίᾳ νόσημα ἐγγενόμενον ἀπώλεσεν αὐτήν, τοῦτο καὶ ἐν ταύτῃ πλέον τε καὶ ἰσχυρότερον ἐκ τῆς ἐξουσίας ἐγγενόμενον καταδουλοῦται δημοκρατίαν. καὶ τῷ ὄντι τὸ ἄγαν τι ποιεῖν μεγάλην φιλεῖ εἰς τοὐναντίον μεταβολὴν ἀνταποδιδόναι, ἐν ὥραις τε καὶ ἐν φυτοῖς καὶ ἐν σώμασιν, καὶ δὴ καὶ ἐν πολιτείαις οὐχ ἥκιστα. „Dieselbe Krankheit, sprach ich, an welcher die Oligarchie, wenn sie davon betroffen wird, zugrunde geht, diese, wenn sie sich auch hier einstellt, wo sie, weil jedem alles freisteht, noch weit häufiger und heftiger wird, versklavt die Demokratie. Und in der Tat, das Äußerste zu tun in irgend etwas, pflegt immer eine große Hinneigung zum Gegenteil zu bewirken bei der Witterung, bei den Gewächsen, bei den lebendigen Körpern und ebenso auch nicht weniger bei den Staaten.“⁷⁴⁶
Für die Demokratie liegt die Ursache der ‚Krankheit‘ in der arithmetischen Gleichheitsvorstellung, die die Ämter und Funktionen nicht an die Leistung, basierend auf Einsicht und Klugheit, bindet, sondern an die Besetzung durch das Losverfahren, dessen Legitimität ausschließlich auf dem Konzept der arithmetischen Gleichheit beruht.⁷⁴⁷ Im Gegensatz dazu ergibt sich hier, daß in einer De-
ÜS Schleiermacher, modifiziert. Vgl. zu Plat. rep. 561c7 ff. Lombardini 2013, 407 f. ÜS Schleiermacher, modifiziert. Vgl. oben S. 189 ff. zum Epitaphios und der aus dem Text zu entnehmenden Definition von Gleichheit im Verhältnis zu Leistung (Thuk. 2,37,1). Dort ist zum ersten Mal in der griechischen
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mokratie, wäre sie auf das Prinzip der geometrischen Gleichheit gegründet, die negativen Auswüchse der ungezügelten Freiheit nicht entstehen würden. In den Nomoi wird der Begriff ‚Isonomie‘ nicht erwähnt. Die historischen Beispiele einerseits (insbesondere im Hinblick auf Athen), und die Empfehlungen zur Kombination von arithmetischer und geometrischer Gleichheit weisen auch in eine andere Richtung als die Sicht in der Politeia. Die Bedingungen für eine ausgewogene Verfassung werden deutlicher ausgeführt und vor allem nennt Platon Beispiele zur Erläuterung. In Persien habe Dareios bis zu einem gewissen Grad die ἰσότητα κοινήν eingeführt.⁷⁴⁸ Jedoch artete diese Verfassung zum Despotismus aus, da die Freiheit des Volkes zu stark beschränkt wird, wodurch Eintracht (τὸ φίλον) und Gemeinsinn (τὸ κοινόν) zerstört werden.⁷⁴⁹ Dasselbe Ergebnis tritt bei übersteigerter Freiheit in der Demokratie ein (leg. 701b f.). Nur eine Mischverfassung, die die Macht der Regierenden beschränkt und die guten Seiten der Monarchie und der demokratischen Freiheit miteinander verbindet, führt zu einer guten Ordnung (leg. 701e). Um dies zu erreichen, ist das richtige Maß zu finden, wie Platon anhand der zwei Arten der Gleichheit ausführt (leg. 757a ff.): Die Gleichheit der Zahl nach, die sog. arithmetische Gleichheit, sei leicht zu etablieren, die wahrste und beste Gleichheit hingegen sei nicht so leicht erkennbar. Diese realisiert die Teilhabe entsprechend der Begabung durch die Natur nach ἀρετή. In dieser Art von Gleichheit liegt das δίκαιον. Wenn nun ein Gesetzgeber eine neue Ordnung begründen will, so solle er seine Gesetze im Hinblick auf Ämter, Ehren etc. nach diesem Prinzip ἀρετή einrichten, aber auch die arithmetische Gleichheit ist zu berücksichtigen, um nicht die Unzufriedenheit der Menge der Bürger hervorzurufen.⁷⁵⁰ Und sogar von dem Losverfahren, eigentlich weder gut noch gerecht, muß im Interesse der ganzen Polis, um Aufruhr zu vermeiden, ab und zu Gebrauch gemacht werden. Hierin ist möglicherweise auch eine Erklärung dafür zu finden, warum Platon in den Nomoi die Isonomie nicht mehr erwähnt: Die Entwicklung, auf die Thukydides schon hingewiesen hatte und die Isonomie durch ihre enge Verbindung mit der ungezügelten Demokratie zu einem Schlagwort der innenpolitischen Auseinandersetzungen hat werden lassen, in der sie nur noch als leere Parole
Literatur sichtbar, daß geometrische Gleichheit in der politischen Diskussion als Argument eingesetzt wird. Plat. leg. 695d1: Schöpsdau im Kommentar zu leg. 695c10 – d1 vermutet in ἰσότητα κοινήν die Isonomie wie in Hdt. 3,80,6. Plat. leg. 698c. Zur distributiven Gerechtigkeit bei Platon in der Politeia und den Nomoi vgl. Knoll 2010, 3 – 30.
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verwendet wurde, stand einer differenzierten Erkenntnis der ‚wahren und besten Gleichheit‘ in einer gemischten Verfassung entgegen.⁷⁵¹ Dieser ‚schlechten‘ Isonomie im Gefolge der diskreditierten Demokratie könnte man eine auf geometrischer Gleichheit basierende Isonomie gegenüberstellen, die dann eine ‚gute‘ Isonomie wäre. Allerdings findet sich der Begriff so nicht in den Nomoi und daher muß die Annahme einer impliziten guten Isonomie hier eine Vermutung bleiben.
3. Politeia ohne Isomomia Ähnlich wie Platon setzt sich bekanntlich auch Aristoteles mit den hier angesprochenen Fragen auseinander, wenngleich es auffällt, daß er den Begriff der Isonomie oder vergleichbare Wortbildungen nicht verwendet. Er beschreibt in seiner Politik ausführlich,⁷⁵² wie Verfassungswechsel durch einen Umschlag in ihr Gegenteil entstehen und vor allem, welche Beweggründe die Armen, die Guten, die Aristoi und die Demokraten dabei motivieren. Er betont (pol. 1307a), daß dies vor allem das ‚Umgehen des Gerechten‘ (τοῦ δικαίου παρέκβασις) sei, das in Politien und Aristokratien die angemessene Form der Beteiligung verletze.⁷⁵³ In einer Aristokratie wird Gleichheit und Ungleichheit zwar nach dem Wert differenziert, während dies in der Demokratie beim μετέχειν τῆς πολιτείας eben nicht geschieht. Aristoteles hält in der Beschreibung der besten Demokratie in Politik VI 4 eindeutig fest, daß deren gute Ordnung darin begründet liege, daß die Bü rgerschaft aus Bauern bestehe, die nicht viel Vermögen besitzen (pol. 1318b9 ff.) und die Oligoi die Ämter innehaben, d. h. die Ämter immer von den Besten werden besetzt werden, während der Demos dies willig hinnimmt und keinen Neid gegen die Besseren empfindet.⁷⁵⁴ Auch wenn das mehr über Aristoteles’ eigene Vorstellungen von einer idealen Verwirklichung der Gleichheit aussagt, so kennt er doch die Realität von Machtverhältnissen und setzt sich damit auseinander. Die Antwort auf die Frage, wie
Zu der Verfassungsmischung Schöpsdau 2013, 85: Der Menexenos bietet für die Mischform (Mx. 238d1– 2) die (auf das alte Athen als Ideal gemü nzte) Formulierung μετ’ εὐδοξίας πλήθους ἀριστοκρατία: „Herrschaft der Besten mit dem guten Willen des Volkes“. Zwischen den Positionen der Bücher 4– 6 und den anderen Teilen der Politik gibt es offensichtliche Widersprüche im Hinblick auf die Bewertung von Oligarchie und Demokratie (pol. 1280a vs. 1309a), so daß Schütrumpf die Bücher 4– 6 als eine eigene Einheit betrachtet. Schütrumpf hat sich ausführlich mit der sog. unitarischen Interpretation der aristotelischen Politik (wie sie z. B. bei Knoll 2009 vertreten wird) auseinandergesetzt und seine entgegengesetzte Position, die er vor allem in seinem großen Kommentarwerk niedergelegt hat, in zwei grundsätzlichen Stellungnahmen (Schütrumpf 2011 und 2019) begründet. Schütrumpf 2019, 270. Schütrumpf/Gehrke 1996, 256.
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stabil eine Verfassung ist und ob sie leicht gestü rzt werden kann,⁷⁵⁵ liegt weder darin, daß die Aristokratie mit ihrem leitenden Prinzip der Teilhabe nach Wert richtig ist, noch darin, daß die Demokratie ihr Prinzip der arithmetischen Gleichheit durchsetzt, sondern in einer Kombination dieser beiden Prinzipien:⁷⁵⁶ Aristot. pol. 1308b38 f.: μοναχῶς δὲ καὶ ἐνδέχεται ἅμα εἶναι δημοκρατίαν καὶ ἀριστοκρατίαν, εἰ τοῦτο κατασκευάσειέ τις. „Nur auf eine Weise, nämlich wenn jemand die eben genannte (Empfehlung) verwirklicht, läßt sich außerdem erreichen, daß zugleich eine Demokratie und Aristokratie in Kraft sind; […].“⁷⁵⁷ Aristot. pol. 1309a14– 32: δεῖ δ᾽ ἐν μὲν ταῖς δημοκρατίαις τῶν εὐπόρων φείδεσθαι, μὴ μόνον τῷ τὰς κτήσεις μὴ ποιεῖν ἀναδάστους, ἀλλὰ μηδὲ τοὺς καρπούς, ὃ ἐν ἐνίαις τῶν πολιτειῶν λανθάνει γιγνόμενον, βέλτιον δὲ καὶ βουλομένους κωλύειν λειτουργεῖν τὰς δαπανηρὰς μὲν μὴ χρησίμους δὲ λειτουργίας, οἷον χορηγίας καὶ λαμπαδαρχίας καὶ ὅσαι ἄλλαι τοιαῦται: ἐν δ᾽ ὀλιγαρχίᾳ τῶν ἀπόρων ἐπιμέλειαν ποιεῖσθαι πολλήν, καὶ τὰς ἀρχὰς ἀφ᾽ ὧν λήμματα τούτοις ἀπονέμειν, κἄν τις ὑβρίσῃ τῶν εὐπόρων εἰς τούτους, μείζω τὰ ἐπιτίμια εἶναι ἢ ἂν σφῶν αὐτῶν, καὶ τὰς κληρονομίας μὴ κατὰ δόσιν εἶναι ἀλλὰ κατὰ γένος, μηδὲ πλειόνων ἢ μιᾶς τὸν αὐτὸν κληρονομεῖν. οὕτω γὰρ ἂν ὁμαλώτεραι αἱ οὐσίαι εἶεν καὶ τῶν ἀπόρων εἰς εὐπορίαν ἂν καθίσταιντο πλείους. συμφέρει δὲ καὶ ἐν δημοκρατίᾳ καὶ ἐν ὀλιγαρχίᾳ τῶν ἄλλων ἢ ἰσότητα ἢ προεδρίαν νέμειν τοῖς ἧττον κοινωνοῦσι τῆς πολιτείας, ἐν μὲν δήμῳ τοῖς εὐπόροις, ἐν δ᾽ ὀλιγαρχίᾳ τοῖς ἀπόροις, πλὴν ὅσαι ἀρχαὶ κύριαι τῆς πολιτείας, ταύτας δὲ τοῖς ἐκ τῆς πολιτείας ἐγχειρίζειν μόνοις ἢ πλείοσιν. „In demokratischen Verfassungen muß man die Reichen schonen, nicht nur, indem man ihren Besitz nicht neu verteilt, sondern auch nicht dessen Erträge, wie das in einigen Verfassungen unbemerkt geschieht. Noch besser ist aber, (die Reichen), selbst wenn sie dies wü nschen, daran zu hindern, öffentliche Leistungen zu ü bernehmen, die zwar aufwendig, aber (fü r die Gemeinschaft) nicht von Nutzen sind, wie die Ausstattung von Chören und von Fackelläufen und andere Leistungen dieser Art. In der Oligarchie muß man sich besonders um das Wohl der Armen kü mmern und ihnen die Ämter, die Einkü nfte bringen, ü berlassen; und falls einer der Vermögenden gegen sie Unrecht begeht, um sie zu erniedrigen, dann soll dafü r eine höhere Strafe vorgesehen sein, als wenn sie so gegen einen ihresgleichen handeln. Erbgü ter sollen nicht frei nach dem Wunsch des Erblassers weitergegeben werden, sondern so, daß die Familie (Vorrang hat), und eine Person soll nicht mehr als ein Erbe antreten. Auf diese Weise dü rften die Vermögen in ein ausgeglicheneres Verhältnis gebracht werden und eine größere Zahl von Armen reich werden. Während man in einer Demokratie und Oligarchie die Ämter, die souveräne Macht in der Verfassung haben, allein den Vollmitgliedern der Bü rgerschaft oder doch der Mehrheit von ihnen ü bertragen soll, ist es vorteilhaft, in anderen Angelegenheiten denen, die zu ei-
Schütrumpf/Gehrke 1996, 168 f. Aristot. pol. 1309a. ÜS Schütrumpf.
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nem geringeren Grade an der Verfassung teilhaben, den gleichen Rang oder gar den Vorsitz einzuräumen, in einer Demokratie den Reichen, in der Oligarchie den Armen.“⁷⁵⁸
Im Unterschied zu Platon ist Aristoteles der Ansicht, daß, um eine dauerhafte Stabilität zu erreichen (pol. 1302a4 f.), nicht die Arete der Führenden oder einer Elite ausschlaggebend ist, sondern die zwei sich im Grunde ausschließenden Prinzipien so verbunden werden müssen, daß die Teilhabe der beiden Gruppen integriert wird. Die Verwirklichung dieser Art von Gleichberechtigung ist keine Gleichheit, sondern eine Absicherung der unterschiedlichen Interessen auf unterschiedlichen Ebenen der Teilhabe: Die einen haben die Ämter, an denen die anderen keinen Anteil haben, dafür verzichten die anderen, die Elite, auf wirtschaftliche Bereicherung und sichern den ärmeren Bürgern die Existenz, ggf. auch den vorhandenen Wohlstand. Aristoteles geht davon aus, daß dieser wirtschaftliche Ausgleich das Hauptanliegen der ärmeren Bevölkerungsgruppe sei und nicht die gleiche Teilhabe am Politischen. Diese Art von Interessensausgleich sichere die Stabilität der Gesamtheit einer Polis insofern, daß die Ansprüche jeder Gruppe zur Geltung kommen.⁷⁵⁹ Da diese aristotelische Vorstellung von Mischverfassung so völlig anders ist als die in dem Begriff der Isonomie liegende Konzeption von Teilhabe nach gleichem Recht in politicis, dürfte darin auch die Erklärung dafür liegen, daß Aristoteles für den Begriff der Isonomie keine Verwendung gesehen hat.
V.3 Isonomia in der griechischen Myth-Historie 1. Isokrates: Vergangene Isonomie – eine Utopie? Isokrates verwendet den Begriff ‚Isonomie‘ in zwei seiner großen Reden im Kontext von Ausführungen über die athenische wie auch die spartanische Verfassung.⁷⁶⁰ In beiden Fällen spricht er über eine weit zurückliegende Vergangenheit, in die er diverse Details zurückprojiziert.⁷⁶¹ Der Areopagitikos ist eine fiktive Rede vor der athenischen Volksversammlung, vermutlich im Zusammenhang mit dem Bundesgenossenkrieg (357– 355 v.Chr.) geschrieben und veröffentlicht. Der Redner ist ein Ratgeber für die Öffentlichkeit Athens, der die zeitgenössischen Zustände heftig kritisiert und dem ÜS Schütrumpf. Schütrumpf 2019, 263. Isokr. Areopag. 20: Athen; Panath. 178: Sparta. Atack 2018b, 171– 194; dies. in Cartledge 2018, 157– 184; Blank 2014, 15 ff.; Pratt 2006; Orth 2003; Eucken 1983; Bringmann 1965, 85 ff.
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gegenüber die frühere Demokratie in leuchtenden Farben malt. In dieser Rede beschreibt er ein Idealbild für die athenische Politeia, das eine Rückkehr zu der früheren Demokratie sein solle, wie sie erst in Athen von Solon eingerichtet und dann von Kleisthenes wiederum restituiert worden war (Areopag. 7,16). Dagegen sei die jetzige Politik eine Quelle des Übels (Areopag. 7,18 – 19). Er will seine Mitbürger zu einer Wahl zwischen der damaligen Politeia und der heutigen motivieren, wobei er die auch von Thukydides und Platon bereits verwendete Umwertungsargumentation einsetzt:⁷⁶² Denn Solon und Kleisthenes hätten keine Politeia eingerichtet, die nur dem Namen nach gemeinwohlorientiert und mild gewesen sei, während in Wirklichkeit die Zügellosigkeit als Demokratie gegolten hätte, Gesetzlosigkeit als Freiheit, Redefreiheit als Isonomie und die Möglichkeit zu tun, was immer man wolle, als Glück. Stattdessen hätten Solon und Kleisthenes ein solches Verhalten verachtet und unter Strafe gestellt und so die Bürger besser und vernünftiger gemacht (Areopag. 7,20). Zeitgenössisch jedoch herrsche Demagogie und Rhetorik und er stellt, wie auch Thukydides (Thuk. 3,82, s.o. S. 190), Gegensatzpaare auf, die dies belegen sollen: Die Zügellosigkeit werde als Demokratie, die Gesetzlosigkeit als Freiheit und die Redefreiheit als Isonomie bezeichnet. Der positiven Reihe Demokratie, Freiheit, Isonomie und Eudaimonia entspricht die negative von Zügellosigkeit, Gesetzlosigkeit, Redefreiheit und Regellosigkeit im Tun der Bürger (Areopag. 7,20). In dieser Reihe der Gegensätze werden zwei völlig unterschiedliche Sphären einander gegenübergestellt:⁷⁶³ In der einen Sphäre geht es um das Tun der Bürger als Individuen, das moralisch völlig zügel- und regellos ist, und in der anderen Sphäre werden Ordnungsbegriffe aufgerufen, die für die Gesamtheit einer Polis gelten. Die Gegenüberstellung zeigt, daß Isokrates jede Ordnung der Polis, sei es die Verfassungskonstitution mit ihren Institutionen als Demokratie oder sei es die Isonomie als Ordnung der Teilhabe, in Abhängigkeit von dem Tun und Lassen der Individuen begründet sieht. So wie die Zügellosigkeit die Institutionen gefährdet, untergraben das gesetzlose Verhalten die Freiheit, die Redefreiheit die Isonomie und das völlig regellose Verhalten den Wohlstand einer Polis. Insbesondere der Gegensatz von Parrhesie und Isonomie zeigt, wie Isokrates sich das Verhältnis zwischen individuellem Verhalten und allgemeiner Ordnung vorstellt: Den Vorrang hat die Ordnung, die für die einzelnen Bürger Regeln und Verhaltensweisen gibt, und wenn dieses Verhältnis gestört wird, etwa durch individuelle Zügellosigkeit, dann gefährdet dies die Ordnung, d. h. die Gesamtheit an sich.
Thuk. 3,82,4 und Plat. rep. 560 – 561. An dieser Stelle möchte ich Hartmut Leppin sehr herzlich für Hinweise auf den Unterschied zwischen Parrhesie und Isonomie danken.
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Isokrates schließt an, daß am meisten zur Vorzüglichkeit in der damaligen Polis beigetragen habe, daß die zwei Arten der Gleichheit beachtet worden seien: Isokr. Aeropag. 7,21– 22: Μέγιστον δ’ αὐτοῖς συνεβάλετο πρὸς τὸ καλῶς οἰκεῖν τὴν πόλιν, ὅτι δυοῖν ἰσοτήτοιν νομιζομέναιν εἶναι, καὶ τῆς μὲν ταὐτὸν ἅπασιν ἀπονεμούσης, τῆς δὲ τὸ προσῆκον ἑκάστοις οὐκ ἠγνόουν τὴν χρησιμωτέραν, ἀλλὰ τὴν μὲν τῶν αὐτῶν ἀξιοῦσαν τοὺς χρηστοὺς καὶ τοὺς πονηροὺς ἀπεδοκίμαζον ὡς οὐ δικαίαν οὖσαν, τὴν δὲ κατὰ τὴν ἀξίαν ἕκαστον τιμῶσαν καὶ κολάζουσαν προῃροῦντο καὶ διὰ ταύτης ᾤκουν τὴν πόλιν, οὐκ ἐξ ἁπάντων τὰς ἀρχὰς κληροῦντες, ἀλλὰ τοὺς βελτίστους καὶ τοὺς ἱκανωτάτους ἐφ’ ἕκαστον τῶν ἔργων προκρίνοντες. Am meisten aber half ihnen, die Stadt gut zu verwalten, dass, obwohl man ein doppeltes Gleichsein annahm, wobei das eine Allen dasselbe zuteilte, das andere aber jedem das Gebührende zuwies, sie das bessere nicht mißachteten, sondern das, welches die Guten und die Armen gleich würdigt, verwarfen, weil es nicht gerecht sei, das aber, welches jeden nach Wert ehrt und straft, vorzogen und durch das die Polis verwalteten, indem sie nicht unter allen die Ämter verlosten, sondern die Besten und Tüchtigsten unter ihnen für die Tätigkeiten vorauswählten.
Damals sei als ungerecht betrachtet worden, die Tüchtigen und die Armen in gleicher Weise für die Ämter heranzuziehen und daher habe es kein Auslosen der Ämter gegeben, sondern die Besten und Fähigsten seien dafür vorausgewählt worden.⁷⁶⁴ Als Grund nennt Isokrates, daß man dieses Verfahren für demokratischer als das reine Losverfahren gehalten habe, da durch dieses – bedingt durch den Zufall – auch Vertreter der Oligarchie in die Ämter kommen können. Durch die Wahl an sich sei das Volk der Herr der Politeia, sei zufrieden, fleißig und bescheiden gewesen und habe nicht auf Kosten der öffentlichen Kassen die eigenen Bedürfnisse befriedigt. So habe das Volk ὥσπερ τύραννον καθιστάναι τὰς ἀρχὰς καὶ κολάζειν τοὺς ἐξαμαρτάνοντας καὶ κρίνειν περὶ τῶν ἀμφισβητουμένων (Areopag. 7,26: wie ein Tyrann die Ämter besetzt, die Fehltritte geahndet und in Zweifelsfällen Recht gesprochen). Das alles habe so gut funktioniert, weil eine Erziehung zu Rechtschaffenheit und Tugend praktiziert wurde (v. a. Areopag. 7,45) und vor allem weil der Areopag als der Sittenwächter die Oberaufsicht über eine Polis innehatte, die nicht nur auf dem geschriebenen Gesetz basierte (Areopag. 7,40), sondern auch auf den Gepflogenheiten des täglichen Umgangs. Diese ideale Situation der attischen Politeia war wesentlich dem Areopag zu verdanken, jedoch – und das betont Isokrates deutlich – ist die gegenwärtige Situation, d. h. die zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Rede gegenwärtige, eine völlig andere Mit der Gegenüberstellung ἐξ ἁπάντων τὰς ἀρχὰς κληροῦντες und προκρίνοντες (Areopag. 7,22) vereinfacht Isokrates zwar die historische Entwicklung von Wahl, Vorwahl und Los und reinem Losverfahren sehr stark, allerdings entspricht diese Abfolge in etwa ganz grob dem, was auch die Athenaion Politeia beschreibt.
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und er fordert zur Rückkehr auf, zu ἰσότης und ὁμοιότης, weil οἷς αἱ μὲν ὀλιγαρχίαι πολεμοῦσιν, οἱ δὲ καλῶς δημοκρατούμενοι χρώμενοι διατελοῦσιν (Areopag. 7,61).⁷⁶⁵ Der Argumentationsgang führt den Leser zu einem Demokratiebegriff, der es ihm – durch die Rückprojektion in die Vergangenheit – erlaubt, eine auf der geometrischen Gerechtigkeit basierende Politeia als ideale Demokratie zu empfehlen. Isokrates verwendet wie Platon und Aristoteles die Modelle der beiden Gleichheiten, der arithmetischen und geometrischen, aber er geht durch die Rückprojektion in eine mythische Vergangenheit einen ganz anderen Weg, um sein Idealbild zu schaffen. Die Isonomie spielt hierbei keine Rolle, sie wird lediglich im Kontext des umwertenden Einsatzes von Schlagworten in der ‚schlechten‘ Demokratie erwähnt und nicht etwa als Bezeichnung für die ursprüngliche Demokratie verwendet.⁷⁶⁶ Im Panathenaikos,⁷⁶⁷ dem vermutlich spätesten Werk des Isokrates, einer Lobrede auf Athen bei gleichzeitiger Kritik an Sparta, schreibt Isokrates Athen nun sogar den Mythos einer Demokratie zu, die bereits seit 1000 Jahren bestehe (Panath. 12,148).⁷⁶⁸ Hier geht Isokrates auch auf die mythische Vorzeit Spartas ein und beschreibt, wie die Spartaner, nachdem sie in die Peloponnes eingefallen waren, Isonomie und Demokratie eingerichtet haben (Panath. 12,178). Diese sei von Lykurg in Sparta nach dem Vorbild der Athener konzipiert worden. Jedoch sei der Demos auf Periökenstatus reduziert worden und damit mehr oder weniger in den Sklavenstand herabgesunken (Panath. 12,178). Isokrates rechtfertigt damit einerseits, wie schon im Areopagitkos (Areopag. 7,60 – 61), daß auch die Spartaner in einer Demokratie leben, die ganz vorbildlich organisiert sei, aber andererseits
Blank 2014, 410: Blank arbeitet heraus, wie Isokrates demokratische Begriffe verwendet, ihnen aber ‚aristokratische Inhalte‘ unterlegt: Aristokratische Gleichheitsvorstellungen sollen als demokratisch gelten und somit Spartas Art der Gleichheit, die in der Wahl der Amtsinhaber und den spartanischen Einrichtungen zum Ausdruck kommt, für eine ideale demokratische Gleichheit stehen. Ostwald 1969, 181– 2 zu Isonomia in Isokr. Areopag. 20: „a thoroughly respectable principle of political equality, of which freedom of speech was one of the main characteristics in the fourth century“. Vgl. dazu oben Kap. V.2. Blank 2014, 497 ff., insb. 559. Blank 2014, 147: Isokrates stellt seinen eigenen Mythos des alten Athens, eines Ur-Athens dem Mythos des platonischen Ur-Athens gegenüber. Demgegenüber ist Sparta nur ein Schatten, nur eine Nachahmung einer idealen Vorlage, die in dem Idealstaat des Theseus zu sehen ist. Blank a. a.O. 146 weist auch auf die Analogie zwischen Platons Timaios (Plat. Tim. 21e1– 26d5) und dem Busiris des Isokrates hin, wonach der ägyptische Staat eine Kopie des urathenischen aus dem Timaios sei (24a2– d6).
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hält er fest, dies gelte nur für den Kreis der Spartiaten, nicht jedoch für die Masse des Demos.⁷⁶⁹ Wie im Areopagitikos projiziert Isokrates auch hier die gute Demokratie in die Vergangenheit, diesmal sogar in eine mythische, lang zurückliegende Zeit, in der die Isonomie als real eingerichtete und gute Verfassung vorgestellt wird. Dies geht noch weiter als die Patrios Politeia, die mit Solon und Kleisthenes in einer noch als historisch verifizierbaren Periode der attischen Geschichte lokalisiert wird. Da die spartanische Einrichtung als Nachahmung der attischen deklariert und diese als seit 1000 Jahren existierend bezeichnet wird, verbindet Isokrates dies zu einer Myth-Historie,⁷⁷⁰ in der die Isonomie tatsächlich den Platz einer idealen Verfassung einnimmt.⁷⁷¹ Die Isonomie erhält im Panathenaikos durch diese Platzierung in der Myth-Historie Athens nicht nur die Zuschreibung eines Verfassungsideals, das sie mit der guten Demokratie gleichsetzt, sondern in Verbindung mit der Rückprojizierung auch einen utopischen Zug.
2. Eine messenische Isonomia? Ephoros, der wahrscheinlich ein Schüler des Isokrates war,⁷⁷² erwähnt im Kontext der Begründung der spartanischen Herrschaft in Messenien eine Isonomie. Da das Werk des Ephoros nur in den Bruchstücken anderer Historien erhalten ist und Isokrates in seinem Archidamos auch auf das bei Ephoros behandelte Verhältnis zwischen Doriern und Messenieren eingeht, bietet sich der Archidamos des Isokrates als zeitgenössische Folie zur besseren Einordnung des Ephoros an. Die Rede Archidamos ist unter den Reden des Isokrates eine besondere, da Isokrates hier einen Spartaner als Redner auftreten läßt, und vor allem auch, da er hier im Gegensatz zu seinen anderen Reden Sparta lobt.⁷⁷³ Aus der Perspektive der Spartaner trägt Archidamos, der Sohn des Königs Agesilaos und selbst zukünftiger König Spartas, sein Lob auf die spartanischen Einrichtungen vor. Der erzählchronologische Zeitpunkt dieser Rede liegt nach der Befreiung Messeniens
Blank 2014, 559. Vgl. Ostwald 1969, 181: Im Panathenaikos 178 werden Isonomia and Demokratia, die die Spartaner für sich selbst praktizieren, mit der oligarchischen Herrschaft über die Periöken kontrastiert. Darin ist durchaus auch eine moralische Kritik an den Spartanern impliziert, da sie die Prinzipien der Gleichheit den Periöken vorenthalten. Vgl. zu einer anderen Myth-Historie Eucken 95 ff. zu der Theseus-Figur in der Helena-Rede bei Isokrates. Atack 2018a, 157– 184. Ephoros als Schüler des Isokrates: Strab. 13,3,6; Cic. de orat. 2,57; Diod. 4,1,3; Sen. De tranq. an. 7,2 u.v.a.m.; dazu Gauger/Gauger 2015, T1– 8. Blank 2014, 287 und 288 ff. zum historischen Kontext.
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durch die Thebaner und der Rückrufung der exilierten Messenier um 366 v.Chr. Die Thebaner forderten als Bestandteil eines Friedensabkommens die Anerkennung der Unabhängigkeit Messenes, doch der junge Archidamos tritt dafür ein, daß die Spartaner keinesfalls Messene aufgeben sollten. Außenpolitisch war Sparta in einer schwierigen Lage: Korinth, Phleious und Epidauros schlossen 366 v.Chr. mit Theben einen Frieden und waren damit nicht mehr im Peloponnesischen Bund.⁷⁷⁴ Sparta lehnte diesen zwischen seinen ehemaligen Bundesgenossen und Theben geschlossenen Frieden ab, mußte sich aber, nachdem Epaminondas 362 v.Chr. erneut auf der Peloponnes einmarschierte und die Spartaner bei Mantineia schlug, endgültig geschlagen geben. Archidamos beginnt seine Rede mit dem mythischen Abstammungsargument, indem er die Geschichte Messeniens von Herakles bis Kresphontes kurz beschreibt.Vor allem betont er, daß die Messenier Schuld auf sich geladen haben, indem sie das Unrecht begingen, ihren König Kresphontes zu erschlagen,⁷⁷⁵ der doch der Gründer ihrer Polis war. Seine Kinder flohen nach Sparta, baten dort um Hilfe und boten ihr Land im Gegenzug den Spartanern an. Es ist nicht auszuschließen, daß Isokrates die Rede tatsächlich für Archidamos geschrieben hat, aber wahrscheinlicher ist es, daß die Rede auf ein attisches Publikum zielte, wofür auch spricht, daß gerade der Athener Tatenkatalog (Amazonen, Perserkriege etc.) angeführt wird und vor allem, daß das Verlassen des Landes Attika während des Xerxes-Zuges als nachahmenswertes Beispiel für die Spartaner empfohlen wird,⁷⁷⁶ – ein in Sparta und für Spartaner kaum denkbarer Vorschlag. Wenn dies aber nun für attische Hörer und Leser gedacht war, dann stellt sich die Frage, welcher Stellenwert der Rechtfertigung spartanischer Herrschaft in Messene zukommt (Archid. 16 – 33): Hier ist ganz entscheidend, was Isokrates Archidamos in der Rede nicht sagen läßt – nämlich daß es der Betrug des Kresphontes war, der durch eine Präparierung des Lostopfes seine Brüder betrogen hat, und so in den Besitz Messeniens gekommen ist.⁷⁷⁷ Diese Auslassung
Xen. Hell. 7,4,4– 10. Isokr. Archid. 22. Isokr. Archid. 73 ff. Paus. 2,18,6; 4,3,3; 4,31,9; 5,3,5; Apollod. 2,8,4. Vgl. Luraghi 2008, 55: „What justifies the Spartan conquest is the murder of Kresphontes by his subjects and the alleged flight of his children to Sparta (Archid. 22– 3).“ Blank 2014, 325 betont dagegen, daß Isokrates hier durch Auslassung auf den Herakles-Mythos anspielt: Diod. 4,31 und Apollod. 2,129 – 130; vgl. auch Hes. cat. F 14– 16 (Rzach), Pind. Ol. 9,29 – 41, Ov. Met. 12,536 – 576, Hyg. Fab. 10 sowie den herakleischen Tatenkatalog auf der Tabula Albani (FGrHist 40 = IG XIV 1293); vgl. Blank 2014, 325, der auf folgendes hinweist: Die Behandlung der athenischen Frü hzeit im Panegyrikos hebt die Legitimität der athenischen Hegemonie in Griechenland im Gegensatz zu den Spartanern hervor, da sie niemanden vertrieben hätten, sondern autochthon seien. In der anderen Version dieses
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ist entscheidend für die Bewertung des Anspruchs, den Archidamos äußert: Wenn nämlich ein Betrug am Anfang der Herrschaft des Kresphontes stand, dann war auch die Übergabe Messeniens durch die Söhne des Kresphontes an die Spartaner keineswegs unanfechtbar legitim, und so ist die Klage des Archidamos über die Ermordung des Kresphontes durch die Messenier eine eher unglaubwürdige Heuchelei.⁷⁷⁸ Es liegt also durchaus kein Widerspruch zu den Positionen des Isokrates vor, die er im Panathenaikos mit der Gegenüberstellung von Athen und Sparta zu einem grundsätzlichen Angriff auf den ‚Mythos Sparta‘ zugespitzt hat. Auch im Archidamos geht es um die Entlarvung Spartas, nämlich um den Anspruch, die Herrschaft über Messenien aus der mythischen Historie zu rechtfertigen. Um die myth-historische Begründung für die spartanische Herrschaft in Messenien ging es auch Ephorus, aber zum einen hat er darüber ausführlicher geschrieben, als es Isokrates aus dem genannten Grund im Archidamos angebracht erschien, zum anderen hat er offenbar auch das Verhältnis zwischen Kresphontes, den Doriern und den Messenieren deutlicher gemacht: Ephorus FGrHist 70 F116 = BNJ Nr. 70 F116 = Strab. 8,4,7: ῎Εφορος δὲ τὸν Κρεσφόντην, ἐπειδὴ εἷλε Μεσσήνην, διελεῖν φησὶν εἰς πέντε πόλεις αὐτήν, ὥστε Στενύκλαρον μὲν ἐν τῶι μέσωι τῆς χώρα κειμένην ἀποδεῖξαι βασίλειον αὑτῶι, βασιλέας πέμψαι, Πύλον καὶ ῾Ρίον κ ῾Υαμεῖτιν, ποιήσαντα ἰσονόμους πάντας τοῖς Δωριεῦσι τοὺς Μεσσηνίους· ἀγανακτούντων δὲ τῶν Δωριέων μεταγνόντα μόνον τὸν Στενύκλαρον νομίσαι πόλιν, εἰς τοῦτον δὲ καὶ τοὺς Δωριέας συναγαγεῖν πάντας. „Ephoros sagt, Kresphontes habe, nachdem er Messene eingenommen habe, es in fü nf Städte geteilt und das in der Mitte Landes gelegene Stenyklaros zu seinem Königssitz erklärt, aber, nämlich Pylos, Rhion, Hyameitis Könige gesandt und alle Messenier mit den Doriern isonom gestellt; als die Dorier aber (darü ber) ungehalten gewesen seien, habe er seinen Entschluss geändert und ausschließlich Stenyklaros zu einer Stadt erklärt und in ihr auch alle Dorier zusammengefü hrt.“⁷⁷⁹
Mythos zu Kresphontes bei Apollod. 2,180; Paus. 4,3,7– 8; 4,5; 4,12,6; Hyg. Fab. 137 ist es nicht die messenische Bevölkerung, die Kresphontes ermordet, sondern der eigene Bruder Polyphontes. Von drei Söhnen des Kresphontes fallen zwei ebenfalls dem Anschlag zum Opfer, dazu ausf. Blank 2014, 330. Euripides’ Tragödie Kresphontes hat eine Version, die der des Apollodoros nahe steht und aus der keinerlei Besitzansprü che Spartas auf Messenien abzuleiten sind. Luraghi 2008, 61– 63 hat auf die spartafeindliche Tendenz in der Tragödie des Euripides hingewiesen und vermutet, daß Euripides den Mythos abgeändert hat. Isokrates vertritt anscheinend eine ältere und spartanische Version des Mythos. Dazu Blank 2014, 331. ÜS Gauger/Gauger, modifiziert.
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Diese Isonomie von Doriern und Messeniern hat große Ähnlichkeit mit dem, was Thales (Hdt. 1,170) den Ioniern vorgeschlagen hatte. Im Zentrum liegt ein Regierungssitz, die Teile des Ganzen, einzelne Poleis, haben den gleichen Anteil an der politischen Organisation. Nikolaos von Damaskus führt dies noch genauer aus und weist auf die Teilung zu gleich großen Teilen hin: Nachdem Kresphontes das Land in die besagten fünf Teile geteilt hatte,⁷⁸⁰ brach ein Streit um die Gleichstellung zwischen Doriern und Messeniern aus, weil Kresphontes das Land zu gleichen Teilen geteilt hatte (ἐξ ἴσου διελόντι). Kresphontes habe eingesehen, daß das nicht gerecht sei (ὅτι οὐ δίκαιον εἴη τῶν ἴσων μετέχειν τοὺς ἐγχωρίους τοῖς Δωριεῦσι). So hatte er dann die Dorier gegen sich, weil sie die Landverteilung zu gleichen Teilen (τὸ ἰσόμοιρον) ebenso ablehnten wie die Gleichstellung (ταῦτα τῶν ἴσων), und diese hätten ihn auch umgebracht.⁷⁸¹ Interessant ist nicht nur der Gegensatz zu Isokrates, nämlich daß es die Dorier selbst waren, die Kresphontes umgebracht haben, sondern vor allem, daß Ephoros auch für Lakonien in der Anfangszeit eine auf Gleichheit der Rechte und Partizipation zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausgerichtete Politeia angenommen hat: Ephorus FGrHist 70 F117 = BNJ Nr. 70 F117 = Strab. 8,5,4:⁷⁸² […] ὑπακούοντας δ᾽ ἅπαντας τοὺς περιοίκους Σπαρτιατῶν ὅμως ἰσονόμους εἶναι, μετέχοντας καὶ πολιτείας καὶ ἀρχείων· […]. […] Alle Umwohnenden aber seien Untertanen der Spartiaten gewesen, gleichermaßen isonom, weil sie sowohl am Bü rgerrecht wie an den Ämtern teilhatten […].
Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 F31= BNJ Nr. 90 F31 = Konstantinos VII Porphyrogennetos Excerpta de insidiis 10, p. 9,28 de Boor. Pausanias 4,3,6 stimmt damit im Wesentlichen überein, allerdings schreibt er nichts davon, daß Kresphontes seine Politik bedauert habe. Umgebracht worden sei er dann von οἱ τὰ χρήματα ἔχοντες. BNJ Ephoros 70 F116 (Parker): Ephoros und Nikolaos erklären dies als ethnischen Konflikt zwischen Messeniern und Doriern, der sich im Kampf um politische Rechte niederschlug. Pausanias 4,3,7 hingegen sieht darin einen sozio-ökonomischen Konflikt, in dem sich das Volk und die Besitzenden gegenüberstanden. Hier nach der Teubner-Ausgabe von A. Meineke, Leipzig 1877 (Repr. 1969) zitiert, der auch Jacoby gefolgt ist. In der Ausgabe von R. Baladié (Paris 1978) steht: Ὑπακούοντας δ᾽ ἅπαντας τοὺς περιοίκους Σπαρτιατῶν ὅμως ἰσοτίμους εἶναι, μετέχοντας καὶ πολιτείας καὶ ἀρχείων […] mit Verweis au Π (codd. Vat. gr. 2306 et 2061); ἰσονόμους im Cod. Parisinus gr. 1397 und im Prototypus codicum B C E s v W a et cod. Plethonis deperditi, und vor allem bei Plethon (Excerpta Gemisti Plethonis ad libros I, II, V – X spectantia in cod. Marciano gr. 379 autographo seruata, a. fere 1445); S.L. Radt, Strabons Geographika V – VIII, Göttingen 2007, 474 (mit dem allg. Verweis auf ceteri) und BNJ (ohne Erläuterung, obwohl als Textgrundlage Jacoby angegeben ist) haben ἰσοτίμους.
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Ephorus verwendet in dieser Darstellung nun nicht, wie Isokrates, auf Athen bezogene Exempla der mythischen Zeit, um eine Argumentation zu unterlegen, sondern legt seinem Geschichtswerk ein chronologisches System zugrunde, das mit der Rückkehr der Herakliden auf die Peloponnes beginnt.⁷⁸³ In dieser ersten Phase gab es also sowohl in Messenien wie in Sparta eine Isonomie.⁷⁸⁴ Das Werk des Ephoros ist zu bruchstückhaft erhalten, um daraus auf die Vorstellung einer evolutionären Entwicklung schließen zu können, die etwa in dieser myth-historischen Phase eine von Gleichheit geprägte Verfassungsform postuliert hätte. Gleicher Anteil an Ämtern und vor allem Besitzgleichheit im Hinblick auf den Landbesitz waren jedoch Teil eines Programms, das keine Realisierungschance hatte: In Syrakus hatte Hippo auf Veranlassung des Herakleides propagiert, daß die Gleichheit die Grundvoraussetzung für Freiheit sei, Armut jedoch für die Besitzlosen der Grund für Versklavung. Doch alle bisher untersuchten Fälle aus dem Bereich der Koloniegründungen und der griechischen Poleis zeigen, daß es keinen Hinweis auf die Realisierung, d. h. Umsetzung, von Besitzgleichheit als Voraussetzung für politische Gleichheit gibt.⁷⁸⁵ Somit gehört die bei Ephorus für die griechische Frühzeit beschriebene Situation nicht nur in das Reich der Myth-Historie, sondern erweist sich auch als Teil einer Konstruktion der mythischen Vergangenheit.
V.4 Isonomia als Charakteristikum einer demokratischen Verfassung 1. Isonomia und Demokratia im politischen Diskurs Die bei Platon im 7. Brief zu erkennende Tendenz deutet an, wie die Isonomie als übergreifende Charakterisierung von Verfassungen verwendet werden kann. Zeitgleich ist bei Isokrates eine Historisierung der Isonomie zu beobachten. Beides weist auf die weitere Entwicklung des Isonomie-Begriffs voraus, in der er rein akzessorisch wird. Dazu ist noch einmal auf Isokrates zurückzukommen. Im Areopagitikos (c.20) stellt er für die Zeit von Solon und Kleisthenes Charakteristika paarweise zusammen. Die politische Ordnung habe damals die Bürger nicht nur dem Namen nach zu einem besseren und weiseren Verhalten geführt. Denn man
Ephorus F223 und F217, Kommentar BNJ zur Chronologie und dem vermutlich als Beginn zu setzenden Jahr 1069 (zu F223). Marincola 2007, 173: Indem Ephorus mit der Rückkehr der Herakliden beginnt, übergeht er die gesamte Frühgeschichte Griechenlands, obwohl er bei Gelegenheit durch Einschübe darauf Bezug nimmt (FF 31– 34), dies allerdings dann in bewährter, rationalisierender Manier. Vgl. dazu Schepens 1970, 163 – 82; Atack 2018b, 171– 194. Schubert 2010a, 23 ff., vgl. oben S. 8 f.
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habe sich noch nicht der späteren Praxis bedient, ἀκολασία als Demokratie, Gesetzlosigkeit als Freiheit, Redefreiheit als Isonomie und die Möglichkeit zu tun, was man wolle, als Wohl der Bürger anzusehen.⁷⁸⁶ In dieser Gegenüberstellung im Areopagitikos (c.20) stellt Isokrates die Akolasia als Gegensatz zur Demokratia, die Paranomia als solchen zur Eleutheria und die Parrhesia zur Isonomia dar, und schließlich die ἐξουσία τοῦ πάντα ποιεῖν als Gegensatz zur εὐδαιμονία. Die negative Reihe weist auf eine völlige Entgrenzung hin: Der Akolasia als die völlig ungebundene Zügellosigkeit folgt die Gesetzlosigkeit (Paranomia) und dieser die Parrhesia, die hier als die alle Normen verletzende und jede Grenze mißachtende Grenzüberschreitung zu verstehen ist. Demgegenüber ist die Isonomie ein Ordnungsbegriff, dessen Verwirklichung – wie auch die der drei anderen – der Vergangenheit angehört. Ganz anders findet sich dies bei Polybios: Seine Darstellung der Verfassung des Achäischen Bundes (Polyb. 2,38) kommt hinsichtlich der Frage, warum die Arkader und Spartaner sich dem Achäischen Bund anschlossen, obwohl von geringerer Größe und eine kleinere Zahl an Poleis umfassend, zu dem Ergebnis: Polyb. 2,38,6: ἰσηγορίας καὶ παρρησίας καὶ καθόλου δημοκρατίας ἀληθινῆς σύστημα καὶ προαίρεσιν εἰλικρινεστέραν οὐκ ἂν εὕροι τις τῆς παρὰ τοῖς ᾿Aχαιοῖς ὑπαρχούσης. Eine Vereinigung von Redefreit/politischer Gleichheit und Freimut und mit einem Wort einer wahren Demokratie und eine unverdorbenere Regierungsform dürfte einer nicht finden als die bei den Achaiern vorherrschende.⁷⁸⁷
Das ist sicher in der konkreten Praxis eine andere Demokratie als diejenige Athens im 5. Jahrhundert v.Chr.⁷⁸⁸ oder noch im 4. Jahrhundert v.Chr.,⁷⁸⁹ allerdings zeigt
S.o. S. 208 f. Walbank, Kommentar ad loc. versteht unter δημοκρατίας ἀληθινῆς σύστημα καὶ προαίρεσιν: „constitution and principles of true democracy“ mit Verweis auf Strachan-Davidson und verweist darauf, daß Polybios dies mehrfach wiederholt: 2,42,3; 2,44,6; 4,1,5; 22,8,6; 23,12,8 (vgl. 4,31,4). Walbank ad loc.: „Nevertheless, P.’s words here are quite precise; and the explanation seems to be rather that in the second century, though the distinctions were still maintained in theoretical and philosophical discussion (such as that in book vi), there was a tendency to use the word ‘democratic’ loosely, without any implied contrast to ’oligarchic’ and almost in the sense ‘self-governing’.“ Walbank, Kommentar ad loc. I, 222 kommentiert das so: „In that sense Achaea was a democracy; but it is perhaps not without significance that Syll. 665, 1. 19 refers to εὐνομία rather than to the more democratic ἰσονομία. In practice the democratic principle was modified by a high minimum age (30 years) for access to assemblies; the absence of payment for attendance at assemblies limited these to the richer class; and officeholding, as at Rome, was often expensive.“ Und zu II 38,8: „ἰσότητι καὶ φιλανθρωπίᾳ: ‘equality and humanity’. ἰσοτης (cf. vi. 8.4) is equivalent to ἰσηγορία (§6); and both are associated with παρρησία (42.3). In the jargon of the
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die Verwendung des politischen Vokabulars immer noch eine Orientierung an Grenzen und Normen, die der institutionellen Form der demokratischen Verfassung entsprach:⁷⁹⁰ Im achäischen Koinon, Polybios’ wahrer Demokratie, wurden die Bundesbeamten jährlich von den stimmberechtigten Mitgliedern gewählt. Sie waren zur Rechenschaft ü ber ihre Amtsfü hrung verpflichtet und jeder Bü rger des Koinons konnte als Beamter gewählt werden oder an der Wahl teilnehmen, dies auch unabhängig von Herkunft und Vermögen. Der Bundesstratege, für ein Jahr gewählt und ohne Möglichkeit der Wiederwahl, hatte die höchsten zivilen und militärischen Kompetenzen inne. Aber das allein machte für Polybios noch nicht die wahre Demokratie aus, denn: Polyb. 6,4,3 – 5: οὐδὲ μὴν πᾶσαν ὀλιγαρχίαν ἀριστοκρατίαν νομιστέον, ἀλλὰ ταύτην, ἥτις ἂν κατ’ ἐκλογὴν ὑπὸ τῶν δικαιοτάτων καὶ φρονιμωτάτων ἀνδρῶν βραβεύηται. παραπλησίως οὐδὲ δημοκρατίαν, ἐν ᾗ πᾶν πλῆθος κύριόν ἐστι ποιεῖν ὅ, τι ποτ’ ἂν αὐτὸ βουληθῇ καὶ πρόθηται παρὰ δ’ ᾧ πάτριόν ἐστι καὶ σύνηθες θεοὺς σέβεσθαι, γονεῖς θεραπεύειν, πρεσβυτέρους αἰδεῖσθαι, νόμοις πείθεσθαι, παρὰ τοῖς τοιούτοις συστήμασιν ὅταν τὸ τοῖς πλείοσι δόξαν νικᾷ, τοῦτο καλεῖν (δεῖ) δημοκρατίαν. „Auch darf nicht jede Oligarchie als Aristokratie gelten, sondern nur die, welche von einem ausgewählten Kreis der gerechtesten und weisesten Männer gelenkt wird. Ebenso auch nicht als Demokratie ein Staat, in dem eine beliebige Masse Herr ist, zu tun, was ihr beliebt. Wo man jedoch nach Vätersitte die Götter fü rchtet, Vater und Mutter ehrt, vor einem Älteren Respekt hat, den Gesetzen gehorcht, wenn sich in einem solchen Gebilde durchsetzt, was der Mehrheit richtig scheint, dort wird die Bezeichnung Demokratie zu Recht vergeben.“⁷⁹¹
Diese Vorstellung von Demokratie bei Polybios läßt sich mit den positiv-negativen Gegensatzpaaren aus Isokrates vergleichen: Polyb. 6,4,8 – 10: μεταβαλλούσης δὲ ταύτης εἰς τὰ συμφυῆ κακά, λέγω δ’ εἰς τυραννίδ’, αὖθις ἐκ τῆς τούτων καταλύσεως ἀριστοκρατία φύεται. καὶ μὴν ταύτης εἰς ὀλιγαρχίαν ἐκτραπείσης κατὰ φύσιν, τοῦ δὲ πλήθους ὀργῇ μετελθόντος τὰς τῶν προεστώτων ἀδικίας, γεννᾶται δῆμος. ἐκ δὲ τῆς τούτου πάλιν ὕβρεως καὶ παρανομίας ἀποπληροῦται σὺν χρόνοις ὀχλοκρατία. „Wenn dieses (sc. das Königtum, C.S.) in die ihm von Natur naheliegenden Fehler verfällt, das heißt zur Tyrannis entartet, entsteht wiederum aus ihrem Sturz eine Aristokratie. Wenn diese, wie es in ihrer Natur liegt, zur Oligarchie abgleitet und das aufgebrachte Volk fü r die
Hellenistic chancelleries φιλανθρωπία implies the bestowal of benefits upon the citizens of a state.“ Ausf. dazu Dreyer 2001, 27– 66. Scholz 2012, 35. Übers. nach Drexler. Zur Stelle: Walbank, Kommentar I, 642 und Scholz 2012, 29; vgl. Polyb. 6,4,9 – 10.
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Untaten der leitenden Männer Rache nimmt, kommt es zur Demokratie. Der Übermut und die Zü gellosigkeit des Volks wiederum fü hrt mit der Zeit zur Ochlokratie.“⁷⁹²
Isokrates hat in seiner Liste noch nicht den Kreislaufgedanken, den Polybios in seinem 6. Buch ausarbeitet, aber der Grundgedanke ist, wie schon bei Herodot in der Verfassungsdebatte, daß Verfassungen durch Entgrenzungen ‚entarten‘ können. Um dies zu verhindern, ist nach Polybios der Bezug auf den Gemeinschaftssinn mit entsprechend ethischer Orientierung nötig (Polyb. 6,5,10: τότε πρώτως ἔννοια γίνεται τοῦ καλοῦ καὶ δικαίου τοῖς ἀνθρώποις). Hierbei ist allerdings die Isonomia nur noch ein Attribut unter vielen oder – wie bei Polybios – sie wird gar nicht mehr genannt.
2. Isonomia und Demokratia in Smyrna und Magnesia am Sipylos⁷⁹³ Eine Subsumierung der Isonomia als Attribut unter die Demokratie begegnet im Bereich der offiziell-rechtlichen Dokumente nur singulär. Es sind lediglich zwei Inschriften mit entsprechenden Beschlüssen erhalten und die literarische Überlieferung eines dritten Dokuments, das Isonomie und Demokratie miteinander verbindet.⁷⁹⁴ Dies gibt immerhin einen partiellen Eindruck davon, mit welchem Verständnis Isonomie in diesen offiziellen Bereichen verwendet wurde.⁷⁹⁵
ÜS Drexler. Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Text in StV III 492 und folgen dem Kommentar von H.H. Schmitt a. a.O. 170 – 173. StV III 492 = OGIS 229 (Smyrna und Magnesia am Sipylos); die Inschrift aus Daphnous in Ost-Lokris, in der immerhin eine Art Kollegium oder Institution als ἰσόνομον bezeichnet wird, ist bisher nicht ediert und auch nur so bruchstückhaft erhalten, daß jeder Versuch einer Interpretation spekulativ bleiben muß. Vgl. dazu demnächst: D. Rousset, Une inscription inédite de Daphnous, les Locriens de l’Est et l’histoire de la Grèce Centrale vers le début de l’époque hellénistique, Comptes rendus de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, 2020, 10 und REA 2020-II. Das in der Inschrift gut lesbare Adjektiv ἰσόνομον mit dem vorhergehenden Wort, das sicherlich mit ΩΝ̣ endete, könnte sich auf πολιτείαν beziehen. Rousset verweist darauf, daß die Ortsansässigen, insbesondere diejenigen aus Opous, dafür bekannt waren, daß sie εὐθύνομοι waren und sie ihre εὐνομία sowie ihre νόμοι betonten (Rousset verweist dazu auf Pind. Ol. 9,15; Strab. 9,4,2c425; IG IX I 1911 und 2018 sowie auf D. Knoepfler, CRAI 2006, 1305 – 1306). Aus der Inschrift ist allerdings nicht zu entnehmen, ob die adjektivische Bestimmung als ‚isonomisch‘ politisch war oder weiter gefaßt werden sollte. Die Bemerkungen bei Flav. Ioseph. Ant. Iud. 16,160 zu Kyrene und vor allem auch Strab. 8,4,7 (Ephoros, s. dazu oben S. 214) wären allerdings Indizien dafür, daß auch hier auf eine politische Gleichstellung Bezug genommen wird. Daß die Isonomie in Bezug auf die Demokratie durchaus auch als rechtliche Gleichstellung verstanden werden konnte, zeigt auch ein Scholion zu Demosth. or. 22,30: Scholia in Demost-
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Seit den ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts v.Chr. werden die Zusammenschlüsse der Poleis mit dem Ziel verbunden, Autonomie und Freiheit zu stärken.⁷⁹⁶ Zwischenstaatliche Vereinbarungen treten in vielfältigen Formen auf, insbesondere als Sympolitia oder Isopolitia,⁷⁹⁷ so daß solche Zusammenschlüsse als charakteristisch für das Verhältnis der hellenistischen Poleis untereinander angesehen werden können.⁷⁹⁸ Mit Alexander wird das politische Vokabular in den griechischen Poleis neu ausgerichtet,⁷⁹⁹ wobei Demokratie, Freiheit und Autonomie als Begriffe im Vokabular der griechischen Poleis verbleiben.⁸⁰⁰ Die einzige bisher bekannte Inschrift, in der die Isonomie überhaupt noch erwähnt wird, stammt aus der Zeit um kurz nach 243 v.Chr. und umfaßt drei Dokumente (StV III 492 = OGIS 229: Smyrna und Magnesia am Sipylos): einen Beschluß der Polis Smyrna über einen Vertrag mit verschiedenen Gruppen in Magnesia am Sipylos, den Inhalt des Vertrags selbst mit den Rechten und Pflichten für die Neubürger und schließlich noch ein drittes Dokument, in dem das Bürgerrecht Smyrnas an die Einwohner von Palaimagnesia verliehen wird. Smyrna hatte im 3. Syrischen Krieg zu dem Seleukidenhaus gehalten und so wurde nun der Polis αὐτονομία καὶ δημοκρατία zugesichert sowie die Asylie (StV III 492, Z. 10 ff.).⁸⁰¹ In Magnesia hingegen, das zu Ptolemaios III. gewechselt war, gab es Katöken, Soldaten im Lager und Bewohner von Palaimagnesia,⁸⁰² die wiederum aus verschiedenen Untergruppen bestanden: Neben den Veteranen
henem (scholia vetera) (fort. auctore Ulpiano), Ed. Dilts, 91b): ἐν δημοκρατίᾳ ἰσονομία καὶ ἰσοτιμία: in der Demokratie ist Isonomie und Isotimie. Die Ansicht von Dmitriev 2005, 82, daß Timai und Archai immer in den Texten der antiken Autoren unterschieden würden, halte ich für überspitzt. Doukellis 2005, 43 – 79, hier 58 f. Giovannini 2007, 244 ff. Gawantka 1975; Walbank 1976/77, 37– 51. Doukellis a. a.O. Funke 2018, 108 ff. Zu Alexanders Freiheitsdeklaration für alle griechischen Poleis in Asia Minor: Vgl. Diod. 19,105,1: τοὺς δὲ Ἕλληνας αὐτονόμους εἶναι; dazu Funke 2007, 78 – 98. Zu dem Vokabular, insb. zu den Begriffen δημοκρατία, ἐλευθερία, αὐτονομία s. die Arbeiten von Carlsson 2005 und Grieb 2008; ebd. zu der demokratischen Praxis und dem Selbstverständnis der Bürger in den hellenistischen Poleis. Vergleichbare Zusicherungen erhielt Kyme: Ed. pr. Manganaro 2004 = SEG 54,1229 und Hamon 2008 = SEG 59,1407, der Manganaros Dekret mit einer früheren Inschrift aus Kyme kombiniert (SEG 47,1660). Mylasa: Ed. pr. Isager/Karlsson 2008 = SEG 58,1220 und zu einer neuen Inschrift aus Olympichus s. Carless Unwin/Henry 2016. Vgl. dazu Simonton 2017, 275. Diese Gruppe bestand nicht aus Söldnern oder Besatzung im eigentlichen Sinn. Sie verfügten über Landbesitz, dessen Besitz ihnen in diesem Dokument garantiert wurde (StV III 492, Z. 99 ff.). Die Klaroi waren ihnen von Antiochos I. bereits gewährt worden (StV III 492, Z. 100 ff.) und damit schon seit fast 20 Jahren im Besitz der Genannten.
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werden Timon und die unter dessen Kommando stehenden ehemaligen Phalangisten sowie Omanes und die unter seinem Kommando stehenden Perser genannt, auch schließlich noch eine Gruppe Smyrnäer unter Menekles, die sich ebenfalls in Palaimagnesia befanden. Allesamt sollten sie nun offenbar von Smyrna mit Genehmigung des Königs eingemeindet werden. Smyrna und die Gruppen aus Magnesia schwören sich gegenseitig Eide: Die Neubürger aus Magnesia (StV III 492, Z. 59 – 69) sollen schwören, die Autonomie und Demokratie Smyrnas zu bewahren: StV III 492 = OGIS 229, Z. 67/68: […] καὶ ἐάν τινα αἰσθάνωμαι ἐπιβουλεύο[ντα] τῆι πόλει ἢ τοῖς χωρίοις τοῖς τῆς πόλεως, ἢ τὴν δημοκρατίαν ἢ τὴν ἰσονομίαν καταλύοντα, μηνύσω τῶι δήμωι τῶι Σμυρναίων […]. […] und immer wenn ich bemerke, daß jemand sich gegen die Polis oder ihr Territorium verschwört oder die Auflösung der Demokratie oder der Isonomie beabsichtigt, werde ich dies dem Demos der Smyrnäer melden […].
Der Eid, den die Smyrnäer den Neubürgern gegenüber zu leisten haben, umfaßt die Zusicherung, das Bürgerrecht der Neubürger zu respektieren, ebenso die Zulosung zu den Phylen wie auch den Zugang zu den Ämtern. Eine Verschwörung gegen Demokratie und Isonomie wird nicht genannt, jedoch: StV III 492 = OGIS 229, Z. 76/77: […] καὶ ἐάν τινα αἰσθάνωμαι ἐπιβουλεύοντα αὐτοῖς ἢ τοῖς ἐκγό[νοις] αὐτῶν ἢ τοῖς ὑπάρχουσιν αὐτῶν, μηνύσω ὡς ἂν τάχιστα δύνωμαι, […]. […] und immer wenn ich bemerke, daß jemand sich gegen sie (sc. die Neubürger) oder ihre Nachkommen oder ihr Eigentum verschwört, werde ich dies melden so schnell ich kann […].
Daß die Isonomie neben der Demokratie nur in dem Eid der Neubürger genannt wird, deutet darauf hin, daß die Isonomie als zugehörig zur demokratischen Verfassung angesehen wird, zu der die Neubürger nun erstmals den Zutritt erhalten.⁸⁰³ Auffallend ist, daß die verschiedenen Gruppen aus Magnesia und Palaimagnesia, obwohl alle das Bürgerrecht erhalten, deutlich unterschieden werden:⁸⁰⁴ – Der Vertrag mit den κάτοικοι, den ὕπαιθροι und der Zivilbevölkerung Magnesias enthält die Bedingung, daß dies gelte, soweit diejenigen frei und griechischer Herkunft seien (StV III 492, Z. 43 – 45; vgl. 73 f.). Dafür wird explizit festgehalten, daß sie das Bürgerrecht ἐφ᾽ ἴσηι καὶ ὁμοίαι (StV III 492, Z. 44 und 75)
So schon Schmitt im Kommentar zu StV III 492, 171. Vgl. dazu auch Hamon/Fröhlich 2013.
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erhalten,⁸⁰⁵ und daß sie per Los auf die Phylen Smyrnas verteilt werden und ihnen entsprechend der Zugang zu den Ämtern ermöglicht wird. – In dem Beschluß über die Bürgerrechtsverleihung an die Bewohner von Palaimagnesia wird nichts dergleichen festgelegt. Es heißt lediglich in Z. 99 f. […] δεδόχθαι πολίτας τε αὐτοὺς εἶν[αι] καὶ ὑπάρχειν αὐτοῖς τὰ αὐτὰ ὅσα καὶ τοῖς ἄλλοις πολίταις ὑπάρχει ([…] wird beschlossen, daß sie Bürger sein sollen und ihnen dasselbe zukommen solle, wie es den anderen zusteht).Von einer Zulosung zu den Phylen, Zugang zu den Ämtern bzw. der Generalklausel, das Bürgerrecht ἐφ᾽ ἴσηι καὶ ὁμοίαι zu erhalten, ist nicht die Rede. Nur die Neubürger aus Magnesia, aber offenbar nicht die aus Palaimagnesia werden auf die Bewahrung der Demokratie und Isonomie verpflichtet. Die anderen Rechte, die den Neubürgern aus Magnesia verliehen werden, sind zusätzliche Rechte, die sie als Neubürger erhalten. Sie sind als die konkrete Realisierungen von ἐφ᾽ ἴσηι καὶ ὁμοίαι in einer Demokratie und Isonomie zu verstehen. Isonomie ist hier als Rechtsordnung innerhalb der demokratischen Verfassung zu verstehen, die Gleichheit/gleiche Möglichkeit der Anteilnahme an der inneren Ordnung der Polis gewährleistet. Die Besonderheit dieser Dokumente liegt in der – in diesen offiziellen Dokumenten sehr seltenen, fast schon singulär zu nennenden – Verwendung des Begriffs ‚Isonomie‘. Eine mögliche Erklärung dafür könnte darin liegen, daß es hier um eine komplexe Integration von Gruppen mit sehr unterschiedlichem Status ging, für die eine genaue Differenzierung von Status, politischen Rechten der Partizipation und Eigentumssicherung notwendig war. Der einzige vergleichbare Text, in dem Isonomie und Demokratie in einem ähnlichen, offiziellen Zusammenhang auftritt, ist ein bei Flavius Josephus überliefertes Schreiben einer Gesandtschaft der Juden in Kyrene und in Asien an Augustus mit Klagen über die Griechen.⁸⁰⁶ Darin heißt es, daß den in Asien und im kyrenaeischen Libyen wohnenden Juden die Tempelgelder geraubt und sie auch in ihrem Privatbesitz geschädigt worden seien, während die früheren Könige ihnen ἰσονομία gewährt hätten. Josephus berichtet weiter, Caesar habe sie wieder in ihre Rechte eingesetzt: ὁ δ’ αὐτοῖς τὴν αὐτὴν ἰσοτέλειαν ἔδωκεν (Ant. Iud. 16,161) – hier wird also unter der früher gewährten Isonomie die Isotelie verstanden.⁸⁰⁷
Vgl. dazu auch IG IX 1,32 (Ph); Syll.3 647: Sympolitie der Stirier und Medonier in Phokis. Flav. Ioseph. Ant. Iud. 16,160. Caesars Beschluß umfaßte das Recht der Juden, nach ihren Sitten und Gebräuchen zu leben und auch über ihre Tempelsteuer frei verfügen zu können. Vgl. SEG 19,698 (Editio princeps: Meritt 1935, 358 – 397) zu der Mauerbau-Inschrift aus Kolophon, aus den Jahren zwischen 311– 306 v.Chr., in der ein Beschluß veröffentlicht ist, verschiedene Bereiche der Stadt, der alten Siedlung und weiterer Örtlichkeiten durch eine zu errichtende Mauer zu schützen. Dieser Be-
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Diese – zugegeben nur äußerst bruchstückhaft zu greifende – Entwicklung ordnet sich in die heute immer deutlicher werdende Sicht zur inneren Verfaßtheit hellenistischer Städte ein, die im Rahmen einer grundsätzlichen Diskussion über Formen demokratischer Ordnungen im Hellenismus steht und die die Frage nach der Kontinuität der Demokratie über die Epochengrenze Klassik/Hellenismus hinaus stellt.⁸⁰⁸ Eine Verallgemeinerung verbietet sich angesichts der vielfältigen Entwicklungen im Hellenismus, einer Epoche, in der die Demokratie in verschiedenartigen politischen Strukturen auftritt,⁸⁰⁹ mit einer Bürgerschaft, die sich sehr exakt abzugrenzen wußte, aber – wenn Smyrna pars pro toto gelten kann – auch durchaus klug auszuweiten verstand. Doch insgesamt zeigt diese singuläre Erwähnung der Isonomie hier, daß der Begriff keine politische Integrationskraft mehr hatte, so daß er weder für die Eliten im aktuellen, praktischen Diskurs noch für die Frage, von welcher Art die Demokratie in der jeweiligen Polis sein sollte, attraktiv war. Die darin zu erkennende Abschwächung des Begriffs spiegelt deutlich eine Entwicklung, die sich von dem existenziellen Begründungszusammenhang des ausgehenden 6. und beginnenden 5. Jahrhunderts v.Chr. hin zur Akzessorität bewegt.
V.5 Isonomia in Rom – ein diskreditiertes Argument 1. Isonomia und Verfassungsentwicklung „Greek historical traditions also played a crucial role in framing and writing early Rome’s past.“ ist fast schon ein Allgemeinplatz, ebenso wie „Rome changed
fund, in dem Bezirke abgegrenzt werden, läßt sich vergleichen mit den Unterscheidungen nach Teilen in StV III 492 = OGIS 229 und dem, was im Text zu Smyrna und Magnesia im Hinblick auf die Differenzierung verschiedener Bevölkerungsgruppen in Magnesia und Palaimagnesia (mit sehr unterschiedlichem Status und Besitzverhältnissen an Land) steht, die dann über die Sympolitia mit unterschiedlichem Status eingegliedert werden. Die Literatur zur Entwicklung der Polis in hellenistischer Zeit ist unüberschaubar vielfältig, daher hier nur pars pro toto L. Robert, „La cité grecque n’est pas morte après Chéronée, ni sous Alexandre, ni dans le cours de toute l’époque hellénistique“ in: CRAI 1969, 42; Gauthier 1984, 82– 107; vgl. Gauthier 1985 und 1987– 1989, 187– 202; sowie 1993, 211– 231. Zu der neueren Diskussion vgl. Carlsson 2005, Grieb 2008, Dmitriev 2005 und 2018, Mann/Scholz 2012. Eine kurze Übersicht zum Forschungstand, der sich seit 2005 intensiv entwickelt hat, gibt Mann 2012, der auch die politische Vitalität in den hellenistischen Poleis gegenüber dem Paradigma von der Dominanz von Honoratiorenherrschaften herausstellt. Vgl. dazu die Rez. von Ma 2013 zu Mann/Scholz 2012.
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everything, including the way history would be written“.⁸¹⁰ So sind – natürlich – die griechische Historiographie und die Geschichte der griechischen Poleis die Folie für die Geschichtsschreibung der griechischen Historiker Roms, aber genauso selbstverständlich ist, daß der atemberaubende Aufstieg Roms in weniger als 53 Jahren zur alleinig herrschenden Macht über den Mittelmeerraum, wie es Polybios formuliert hat (Polyb. 1,1,5), praktisch zu anderen Erklärungen herausforderte. Ob dabei das ‚Griechisch-Sein‘ („Greekness“) immer eine Außensicht bedingte⁸¹¹ oder ob nicht vielmehr die Muster der griechischen Geschichtsschreibung, sei es als Vor- oder als Gegenbild, prägender waren, ist im Einzelfall sehr unterschiedlich und aufgrund der teilweise nur unvollständig erhaltenen Werke nicht in jedem Fall sicher zu sagen. Die Frage der Mischverfassung, der Vergleich verschiedener Verfassungen und die Abwägung nach Vor- und Nachteilen im Hinblick auf Stabilität und Verfassungswandel, aber ebenso das Wohl des Koinons sind in der griechischen Historiographie Roms ein beliebtes Thema, das zur Strukturierung des Geschichtsmodells verwendet wird. Dionysios von Halikarnaß, Plutarch, Appian, Philostratos und Cassius Dio verwenden den Begriff ‚Isonomie‘ im Kontext der römischen Verfassungsentwicklung. Polybios verwendet ihn nicht, jedoch ist seine Sicht der Entwicklung Roms und vor allem sein Erklärungsmodell von besonderer Wirksamkeit gewesen. Damit soll nicht behauptet werden, daß die späteren Autoren sein Erklärungsmodell übernommen hätten. Sein Ansatz jedoch, die Verfassungsentwicklung in Verbindung mit dem historischen Ablauf methodisch zu analysieren und sie bestimmten Stadien zuzuordnen, ist von der Wirkmächtigkeit her kaum zu unterschätzen. Polybios ist einerseits deutlich von der griechischen Historiographie beeinflußt, andererseits entwickelt er aber eine Sicht der römischen Verfassung, die von der republikanischen Zeit Roms her geprägt ist und die „Mischverfassung“ Roms, wie er sie definiert, als vorbildhaft darstellt.⁸¹² Darin unterscheidet er sich grundsätzlich von Dionysios von Halikarnaß, Plutarch, Aelius Aristeides und auch Appian. Letzerer präferiert z. B. die Dichotomie Monarchie – Demokratie/ Aristokratie, während Philostratos (Vita Apollonii 5,33 – 36) und Cassius Dio
Trundle 2017, 21– 32 und Pelling 2007, 244 ff. Pelling a. a.O.; Wiater 2011, 174 belegt sehr deutlich, daß z. B. bei Dionysios Romulus’ Vorstellung von römischer Identität durch und durch griechisch ist, und daß er die Darstellung der Gesetze, Bräuche und Institutionen nach griechischen Vorbildern formt. Hose 1994, 257 zu der ‚vollendeten Demokratie‘ bei Appian und Cassius Dio; bei Polybios (2,38,6) ist das achäische Koinon die wahre Demokratie (vgl. oben S. 217): ἰσηγορίας καὶ παρρησίας καὶ καθόλου δημοκρατίας ἀληθινῆς σύστημα καὶ προαίρεσιν εἰλικρινεστέραν οὐκ ἂν εὕροι τις τῆς παρὰ τοῖς ᾿Aχαιοῖς ὑπαρχούσης. (Hervorhebung v. mir, C.S.).
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(52,2– 40) die Monarchie und Demokratie einander gegenüberstellen und den Prinzipat als ideale Verfassung und Vollendung ansehen. Bei Dionysios von Halikarnaß und Appian steht der Gebrauch von Isonomie im zum Teil engeren Kontext eines Verfassungsvergleichs oder erhält implizit durch den geschilderten Geschehenszusammenhang einen vergleichenden Charakter. Polybios definiert zwei Verfassungen – einerseits die römische Mischverfassung und andererseits die „wahre Demokratie“ des achäischen Koinons mit seiner vorbildlichen Bundesorganisation – als gute Verfassungen. Die Römer haben sich im Krieg gegen Hannibal bewiesen, die Achäer unter ihren Strategen Arat, Philopoimen und Lykortas. Eine δημοκρατία ἀληθίνη – wie Polybios den Achäischen Bund nennt –, bedeutet, daß es in der Verfassung des achäischen Koinons keine monarchische Machtstellung eines Einzelnen gab.⁸¹³ Die Leitung des Koinons ist in freier Wahl der Stimmberechtigten für ein Jahr zu bestimmen und diese Leitung muß über ihre Amtsführung Rechenschaft ablegen. Es besteht für Polybios kein Zweifel daran, daß die großen Erfolge der Achäer auf ihre ausgezeichnete Verfassung und die ihr zugrundeliegenden, hervorragenden politischen Prinzipien, ihre Isegoria und Parrhesia sowie ihre Isotes gegründet sind.⁸¹⁴ Im Gegensatz zu dem Achäischen Bund haben aber die Römer eine spezielle Form entwickelt, die Ausgleich und Stabilität ermöglichte. Polybios verdeutlicht die beispiellosen Leistungen und Erfolge, die die Römer mit ihren Prinzipien und politischen Institutionen erreicht haben und begründet sie sowohl mit einer besonderen Einstellung wie auch mit der römischen Verfassung. Polybios unterscheidet im 6. Buch zwischen Basileia, Aristokratia und Demokratia und deren negativen Formen (Polyb. 6,3,5 ff.) und beschreibt das Besondere an der römischen Verfassung, das in der – modern gesprochen – Mischverfassung liegt. Er charakterisiert die römische Verfassung explizit als eine zusammengesetzte Verfassung, deren einzelne Teile durch ein spezifisches Miteinander, d. h. durch ein in spezifischer Weise konstruiertes Verhältnis gekennzeichnet sind. Seine Analyse der römischen Verfassung als Mischverfassung stützt sich einerseits auf die Nach Polyb. 2,42,3 haben die Achäer für diese Ideale – Isegoria und Parrhesia – gekämpft. Dazu Welwei 1966, 284 ff.: Die Achäer sahen ihr Koinon als Demokratie an, da die Freiheit von der monarchischen Herrschaft entscheidend war. Welwei hielt es für verfehlt, im Achäischen Bund eine Oligarchie zu sehen, und da das Wahlrecht nicht an Zensusbestimmungen gebunden gewesen sei, sei die Verfassung des Bundes als vollentwickelte Demokratie zu betrachten. Welwei 1966, 282– 301, hier 283 zu der Diskussion darüber, wie das Verhältnis von Isotes einerseits und Isegoria/Parrhesia andererseits bei Polybios ist. Isotes sei bei Polybios synonym mit Isegoria und Polybios sei es vor allem darum gegangen, den scharfen Gegensatz von Isegoria und Parrhesia als Ausdruck demokratischer Freiheit und Gleichheit gegenüber der monarchischen Gewaltherrschaft aufzuzeigen (Polyb. 2,42,3). .
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Dreiteilung der römischen Politeia in Konsulat, Senat und Volk und andererseits auf einen Vergleich mit der lykurgischen Verfassung Spartas. Als das Beherrschende in der römischen Politeia nennt er τρία μέρη (Polyb. 6,11,11), durch die alles gleich und angemessen der Reihe nach geregelt war. ἴσως καὶ πρεπόντως verweisen hier auf eine Bestimmung der Teile, wobei es nicht um die Gesamtheit geht, sondern die Teile jeweils für sich κατὰ μέρος ἴσως καὶ πρεπόντως sind. Das Zusammenwirken beschreibt Polybios (6,15 – 18) so, daß die Teile einander zwar schaden können, doch der Zusammenhalt viel stärker ist, so daß jeder Versuch eines Teils, sich selbständig zu verhalten oder eigene Absichten zu entwickeln, verhindert wird. Kein Teil kann unabhängig (αὐτοτελής) von den anderen existieren (Polyb. 6,18,7), denn diese wirken solchen Bestrebungen sofort aktiv entgegen. Daher ist der moderne Ausdruck ‚Mischungverfassung‘ eher irreführend. Im Vordergrund steht der Aspekt der Gleichheit aller Beteiligten, und das Verhältnis der Teile zueinander ist ein qualitativ bestimmtes Gleichgewicht. Am Ende seiner Analyse kommt Polybios auf diesen Punkt noch einmal zurück (Polyb. 6,57,2) und beschreibt, wie dieses Gleichgewicht durch innere und äußere Faktoren geprägt wird – mit dem entscheidenden Unterschied, daß die inneren Faktoren einer festen Regel folgen (κατὰ μέρος ἴσως καὶ πρεπόντως), die äußeren jedoch nicht. Die drei Verfassungsformen werden bei ihm deutlich voneinander abgegrenzt, die Differenz ist bei Polybios konstitutiver Bestandteil und er erhebt ausdrücklich den Anspruch, die Realität einer historischen Entwicklung damit zu erklären (Polyb. 1,1,5) – seine Ausführungen sind also weder im Hinblick auf den Achäischen Bund noch im Hinblick auf Rom eine theoretische Auseinandersetzung, sondern auf praktische Politik ausgerichtet.⁸¹⁵ In der weiteren griechischen Historiographie Roms wird der Blick stärker auf die römische Frühzeit verlagert: Dionysios von Halikarnaß, der sich bekanntlich an Polybios, aber auch Cicero orientiert hat (obwohl er letzeren nicht erwähnt),⁸¹⁶ ordnet die Entstehung der römischen Mischverfassung als bereits seit Romulus So auch Welwei 1966, 288 mit Bezug auf Walbank, Kommentar I, 222; 639; vgl. auch v. Fritz 1954, 7 zu Polyb. 4,31,1– 4: Hier wird deutlich, daß Polybios zwischen Oligarchie und Demokratie einen sehr klaren Gegensatz angenommen hat. Dazu Meins 2018, 136 f. mit einer Übersicht zum Forschungsstand. Zu dem Verhältnis von Dionysios und Cicero s. Wiater 2011, 184: Das Vorgehen des Dionysios, dessen Romulus griechische Vorbilder adapiert und verbessert, entspricht Ciceros Haltung gegenüber den griechischen Vorbildern. Allerdings blende Dionysius die römischen Leistungen und alles das aus, was bei Cicero die Grundlagen dieser Leistungen ausmacht und die Römer auch von den Griechen unterscheidet. Dionysios’ Romulus wird so zu einem Gesetzgeber, wie ihn Polybius und Scipio/ Cicero gerade nicht sehen wollten: Wie Polybios’ Lykurg konzipiert und plant er die zukünftige Entwicklung Roms auf der Grundlage seines Wissens über die Geschichte.
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aufgrund von Wissen und Einsicht existierend ein und betont die griechische Tradition, in der die Römer stehen.⁸¹⁷ In diesem Kontext beschreibt er in seiner Geschichte Roms verschiedene Stadien, in denen die Einrichtung der Isonomie als politische Forderung in Rom erhoben wurde. Romulus ist bei Dionysios ein bewußt planender Gründer, der in Rom bereits alle wesentlichen Institutionen im Grundsatz einrichtet, die jedoch ganz eindeutig nach griechischem Vorbild gestaltet werden.⁸¹⁸ Romulus habe das Land zu gleichen Teilen verteilt – eine alte, aber nie real verwirklichte Forderung aus der griechischen, politischen Theorie (s.o. S. 8 f.) – und so insgesamt τὴν κοινὴν καὶ μεγιστὴν ἰσότητα verwirklicht.⁸¹⁹ Die ideale Ausgewogenheit der romuleischen Verfassung wird von den folgenden Königen weiterentwickelt und vor allem hebt Dionysios die Maßnahmen des Servius Tullius hervor. Dieser habe in Rom Isegoria eingeführt, um in Rom so das Verhältnis zwischen Starken und Schwachen zu einem gleichen zu machen (ἐξ ἴσου).⁸²⁰ Dionysios verwendet Isonomie in verschiedenen Verfassungsdebatten im Unterschied zu Polybios, der, wie bereits hervorgehoben, den Isonomie-Begriff nicht gebraucht: Der Begriff spielt eine Rolle sowohl in der Situation nach der Vertreibung des letzten Tarquiniers und der Frage, welche politische Ordnung in Rom von da ab etabliert werden sollte,⁸²¹ wie auch mehrfach im 10. Buch seiner Römischen Geschichte im Zuge der langjährigen Unruhen, die zur Errichtung des Dezemvirats führten.⁸²² Dionysios beschreibt verschiedene Vorstöße der Volkstribunen, die immer wieder auf eine rechtliche Gleichstellung der Plebeier und die Forderung nach
Zur griechischen Tradition Roms Meins 2018, 136 ff. und Schultze 2000, 9 f., die die Bezüge auf, aber auch die Abgrenzung von Polybios bei Dionysios analysieren. Besonders deutlich wird die römische Mischverfassung bei Dion. Hal. ant. 2,14 in der Beschreibung der romuleischen Verfassung mit den Elementen Königtum, Senat, Volk, die Dionysios selbst mit Sparta vergleicht. Die Ähnlichkeit zu Polyb. 6,3,8 ist hier deutlich, jedoch auch der Unterschied. Polybios sieht als den entscheidenden, stabilisierenden Faktor für die Mischverfassung die Furcht der jeweils einen Vertreter eines institutionellen Elements vor den anderen an (Polyb. 6,10,8), dagegen betont Dionysios, daß in Rom die Einsicht und Klugheit von Anfang an bestimmend für die Mischverfassung gewesen seien. Gerade dies zeichnete die romuleische Verfassung aus, so daß damals auch kein Volkstribunat nötig war (Dion. Hal. ant. 2,14,4). Wiater 2011, 180. Dion. Hal. ant. 2,7,1– 4. Dion. Hal. ant. 4,9,9. Dion. Hal. ant. 4,72,3. Vgl. dazu Wiater 2018, 174 mit einer kurzen Literaturübersicht und zum Verhältnis dieser ersten Verfassungsdebatte zu derjenigen bei Herodot 3,80 – 82. Dion. Hal. ant. 10,1,2; 15,7; 35,5. In De Thucydide 33 zitiert Dionysios das Kapitel 3,82 aus Thukydides, allerdings ohne Kommentar und inhaltliche Erläuterung (vgl. dazu oben S. 188).
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Landverteilung in Form von Ackergesetzen pochten. Im Jahr 461 v.Chr.⁸²³ kam es zu Unruhen, die auf die Volkstribunen zurückgingen, und Dionysios kommentiert dies mit: οὔπω γὰρ τότε ἦν οὔτ᾽ ἰσονομία παρὰ Ῥωμαίοις οὔτ᾽ ἰσηγορία, οὐδ᾽ ἐν γραφαῖς ἅπαντα τὰ δίκαια τεταγμένα (denn es gab weder Isonomie in Rom, noch Isegorie, noch waren alle die Rechtsdinge betreffenden Grundsätze aufgeschrieben). Im Folgejahr wird die Forderung der Volkstribunen wiederholt und die Auseinandersetzung schärfer, der Konsul Valerius verspricht der Plebs, wenn sich die Lage beruhigt habe, werde er den Volkstribunen erlauben, das Gesetz über die Einführung der Isonomie einzubringen (ant. 10,15,7). 456 v.Chr. kam es dann zur Verabschiedung der Lex Icilia de Aventino publicando. ⁸²⁴ Nach Dionysios ging der Streit weiter, die Volkstribunen wollen die Konsuln zu einer Geldstrafe verurteilen (ant. 10,35). Allerdings machen die Volkstribunen einen Rückzieher und begnügen sich damit, wiederum ein Ackergesetz und ein Gesetz zur Einführung der Isonomie zu fordern (ant. 10,35,5). Dionysios stellt dies so dar, daß das Nachgeben der Volkstribunen die Römische Republik in diesem Moment vor dem Untergang gerettet habe, denn andernfalls wäre es zu einem Bürgerkrieg gekommen. So mäßigen sich die Volkstribunen nicht nur selbst, sondern auch das Volk. Allerdings setzt sich der Streit fort, schließlich wird eine Gesandtschaft zu den Griechenstädten in Unteritalien und nach Griechenland beschlossen (ant. 10,51,5), die sich deren beste und für die Römer geeigneten Gesetze aneignen und nach Rom bringen soll (454 v.Chr.). Aus dieser Aktion und dem fortgesetzten Streit um die Isonomie folgt letztlich die Einrichtung des Dezemvirats. Appius Claudius hätte – nach Dionysios – die Rolle gehabt, die Forderungen nach Isonomie in die Praxis umzusetzen: εἰσῆλθε γάρ τις τὸν Ἄππιον ἐπιθυμία ξένην ἀρχὴν περιβαλέσθαι καὶ νόμους καταστήσασθαι τῇ πατρίδι ὁμονοίας τε καὶ εἰρήνης καὶ τοῦ μίαν ἅπαντας ἡγεῖσθαι τὴν πόλιν ἄρξαι τοῖς συμπολιτευομένοις,⁸²⁵ stattdessen etablierte sich in Rom eine Oligarchie.⁸²⁶ Nach dem Sturz des Dezemvirates beschreibt Dionysios die Leges Valeriae Horatiae und kommentiert dies damit, daß die Plebeier damit den gleichen Anteil an der Polis erhalten haben und wie die Patrizier auch Gesetze
Dion. Hal. ant. 10,1,1: im Konsulat des P. Volumnius und Servius Sulpicius Camerinus, nach Dionysios in Ol. 80,1, dem Jahr des Archontats des Kallias in Athen. Zu den chronologischen Berechnungen des Dionysios und dem Verhältnis seiner Chronologie zur Varronischen s. Werner 1963, 134 ff. und Schultze 1995, 192– 214. Liv. 3,31,1 und 32,7; 3,44,2 und 46,2; Dion. Hal. ant. 10,31,1– 32,5; zum Namen Dion. Hal. ant. 10,33,1. Dion. Hal. ant. 10,54,7: Appius aber überkam das Bedürfnis, sich eines fremdartigen Amtes zu bemächtigen und dem Vaterland Gesetze zu geben und voranzugehen zu Eintracht, Frieden und Anerkennung der Polis als einer Einheit durch alle. Dion. Hal. ant. 11,1,5.
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für die ganze Polis beschließen konnten (κοινὰ τῆς πόλεως ἁπάσης δόγματα).⁸²⁷ In den Auseinandersetzungen, die der Einrichtung des Dezemvirats und den Leges Valeriae Horatiae vorangingen, geht Dionysios ausführlich auf die Forderungen der Plebeier und vor allem der Volkstribunen ein, die immer wieder die Isegoria gefordert hatten.⁸²⁸ Diese Isegoria ist und bleibt aber eine Forderung der Plebeier danach, sich Gehör im Prozeß des Politischen zu verschaffen, und ist nicht, wie die Isonomia, als das Ganze des Politischen zu verstehen. Dies ist daran ersichtlich, daß in den erhaltenen Textpassagen aus Buch 11 und den Fragmenten der späteren Bücher die Forderung nach Isonomie keine Rolle mehr spielt. Denn die rechtliche Gleichstellung aller Bürger durch Veröffentlichung der Gesetze und die nach dem Sturz der Dezemvirn beschlossenen Leges Valeriae Horatiae haben nach Dionysios’ Ansicht den alten Konflikt beigelegt: οὗτος ὁ νόμος ἐξέβαλε τὰς ἀμφισβητήσεις τῶν πατρικίων (ant. 11,45,2), so daß die Schlußfolgerung naheliegt, daß die Zwölf-Tafel-Gesetze in der Sicht des Dionysios die Isonomie im Wesentlichen realisiert hatten.⁸²⁹ Diese Ansicht, die der Isonomie in der Frühgeschichte Roms einen strukturell bedeutsamen Platz angewiesen hat, ist in der späteren Sichtweise der griechischen Historiker Roms nicht mehr zu finden.⁸³⁰ Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der Prinzipat einen völlig anderen historischen Bezug für die Diskussion von Verfassungen, insbesondere der Mischverfassung vorgibt, da sie in der Kaiserzeit als gesellschaftliche Realität propagiert wurde. Bereits in der Rede des Tribunen M. Valerius (ant. 7,55) aus Anlaß der Anklage gegen Coriolan (491/90 v.Chr.) kommt Dionysios auf die Mischverfassung zu sprechen (ant. 7,55,2: ἀλλὰ τὴν μικτὴν ἐξ ἁπασῶν τούτων κατάστασιν, τοῦτο ὑπὲρ ἅπαντα ἡμᾶς ὠφελήσει), weil nur diese zum Wohl für alle sei. Sie könne gewährleisten, daß alles an seinem angestammten Ort bleiben würde und keiner der drei Teile heraustreten und das Gleichgewicht stören könne.⁸³¹ Bei Plutarch wird in der Comparatio Lycurgi et Numae, die Numa gegenüber Lykurg als Mensch und als Gesetzgeber hervorhebt, lediglich ganz lapidar festge-
Dion. Hal. ant. 11,45,2. Forderungen der Volkstribunen und Plebeier nach Isegoria Dion. Hal. ant. 10,1,2; 10,3,2; 10,15,4; 10,19,1; 10,26,4; 10,29,4. Vgl. Meins 2018, 136 f., der zeigt, wie für Dionysios die Entwicklung der Mischverfassung in Stadien verläuft, wobei jeweils das folgende Stadium die vorangegangenen auf eine höhere Entwicklungsstufe hebt. Vgl. oben S. 222 zu Flavius Josephus. Er berichtet von einem Brief an Augustus, in dem eine rechtliche Gleichstellung der Juden in Kyrene gefordert wird, wie sie die früheren Könige ihnen als Isonomie gewährt hatten: Flav. Ioseph. Ant. Iud. 16,160,1. Dazu Meins 2018, 134 f.
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halten, daß für die Zeit des Numa manche folgendes meinen: ἔνιοι δὲ τοῦτο ὑπόμνημα τῆς Κρονικῆς ἐκείνης ἰσονομίας ἀποσώζεσθαι μυθολογοῦσιν, ὡς μηδενὸς δούλου μηδὲ δεσπότου, πάντων δὲ συγγενῶν καὶ ἰσοτίμων νομιζομένων.⁸³² Der Verweis auf die Zeit des Kronos verleiht dieser Bewertung für die römische Königszeit einen utopischen Charakter, der der von Isokrates praktizierten Verlagerung der Isonomie in die myth-historische Frühzeit gleicht.⁸³³ Appian wiederum sieht in seiner Römischen Geschichte die Königszeit als ein erstes Stadium in der Entwicklung Roms, das, gefolgt (Praef. 6) von einer aristokratischen Phase, die mit Caesar endete, die Monarchie (wenngleich noch unter dem Namen πολιτεία) etablierte. Aus Appians Römischer Geschichte ist für die Frühzeit zu wenig erhalten, um Kontexte zu erschließen, die mit der Darstellung des Dionysios vergleichbar wären. Im Bellum civile, in dem Appian die Isonomie an zwei Stellen einsetzt, verwendet Appian im Gegensatz zu der Praefatio seiner Römischen Geschichte für die dort beschriebene Zeit der Republik die Bezeichnung Demokratie,⁸³⁴ während er in den erhaltenen Büchern der Römischen Geschichte den Begriff für Rom nicht benutzt. Appian beginnt seine Geschichte des Bürgerkriegs mit einigen grundsätzlichen, auktorialen Bemerkungen über das Verhältnis zwischen Senat und Volk in Rom, das geprägt gewesen sei vom Streit über Gesetze, Schulden, Landverteilungen und Ämter. Er gibt einen kursorischen Überblick der Entwicklung bis hin zu Augustus, mit dessen Herrschaft aus dem Bürgerkrieg nun Einheit und Monarchie entstanden seien (civ., Praef. 6). Anläßlich des Todes von Brutus und Cassius erläutert Appian die außerordentliche Wertschätzung, die beiden durch den Senat erwiesen wurde, und vor allem aber, in welch ungewöhnlicher Loyalität die Truppen beiden noch über den Tod hinaus verbunden waren (civ. 4,17,133). Appian begründet dies damit, daß die Soldaten erst unter Pompeius, dann unter den beiden Cäsarmördern nicht für sich selbst, sondern für die Demokratie gekämpft hätten. Appian kommentiert dies so: ὀνόματος εὐειδοῦς μέν, ἀλυσιτελοῦς δὲ αἰεί, ein schöner, aber unnützer Name! Die Isonomie wird von Appian im Bellum civile in zwei ganz entscheidenden Momenten der römischen Geschichte eingesetzt. Sie ist der Antrieb der Anhänger des Tiberius Gracchus und auch Pompeius, in einer Rede vor Senatoren, Rittern und Soldaten, kann mit dem Gegenbild von Isonomie und sklavischer Unter-
Plut. Comp. Lyc. et Num. 1,5: Einige sind allerdings der Ansicht, daß dies eine Erinnerung an die Isonomie war, die das berühmte Zeitalter des Kronos charakterisierte, als es weder Sklaven noch Herren gab und alle als verwandt und gleichwertig galten. Zu Italien und Rom in der Zeit des Kronos vgl. auch Dion. Hal. ant. 1,36 – 38. App. civ. 1,4,33; 1,11,99; 2,16,107; 2,17,122; 2,18,129; 2,19,138; 3,1,4; 3,1,6; 4,6,36; 4,9,69; 4,9,70; 4,12,94; 4,17,133; 4,17,138; 5,2,12; 5,5,39. Vgl. Hose 1994, 256, der auf die Ausnahme im Proömium der Römischen Geschichte § 23 und civ. 5,179 hinweist.
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drückung arbeiten: Die Unterstützer Cäsars wollten lieber Sklaven Cäsars sein als ihm isonom, also mit ihm gleichgestellt.⁸³⁵ Wenn Pompeius den Anhängern und Verbündeten Cäsars sklavische Gesinnung unterstellt (App. civ. 2,8,50), dann ist demgegenüber das Isonom-Sein mit Cäsar auch nur ein vergiftetes Argument, da Cäsar von Pompeius als übler Feind und Vaterlandsverräter beschrieben wurde und zum hostis rei publicae erklärt worden war. Die Motivation der Anhänger und Unterstützer des Tiberius Gracchus (App. civ. 1,2,15) wird von Appian ganz ähnlich beschrieben: Die Anhänger des Tiberius, als Arme bezeichnet, hätten Angst gehabt, nicht mehr durch eine Isonomie regiert, sondern zu Sklaven unter der Herrschaft der Reichen reduziert zu werden. Für beide Situationen verwendet Appian den Gegensatz Isonomie und Sklaverei, rückt aber diejenigen, für die er die Forderung nach Isonomie aufruft, in das Licht einer Aufrührerschaft mit Umsturzabsichten. Auch wenn er die Absichten, Reaktionen und vor allem auch die Gefühle der Aufrührer beschreibt (z. B. die Trauer in Rom nach der Ermordung des Tiberius Gracchus civ. 1,2,17 und vergleichbar die Gesinnung der Cäsarmörder civ. 4,17,133), läßt er seine Leser doch nicht im Unklaren darüber, wie diese Isonomie und die daraus entstandene Krisensituation im Zusammenhang des Ackergesetzes einzuschätzen ist. Er stellt die Frage, warum der Senat nicht zum Mittel der Diktatur gegriffen habe, denn schon oft sei in Gefahrensituationen die Republik durch eine Alleinherrschaft gerettet worden (civ. 1,2,16). Im Umkehrschluß ist daraus abzuleiten, daß sich damals der römische Demos in einer Isonomie sah. Jedoch habe gerade dies ermöglicht, daß die Situation in Rom so eskalierte und die Bürgerkriegszeit begann. Insofern ist der Gebrauch des Begriffes ‚Isonomie‘ genau für diesen Moment, in dem die große Krise des letzten Jahrhunderts der Republik beginnt, ein zwar fast singulärer, aber nichtsdestoweniger sehr aussagekräftiger Hinweis auf die negative Sicht der Isonomie in Appians Geschichtsbild. Denn Appian schreibt, es sei die Angst vor dem Verlust der Isonomie gewesen, die den römischen Demos zur Unterstützung der – aus Sicht Appians – verhängnisvollen Politik des Tiberius Graccus motiviert habe. Wieder ist es eine Schwelle, an der sich die römische Geschichte wendet und die Isonomie eine Rolle spielt. Appians negative Einstellung gegenüber der Demokratie erklärt sich vermutlich aus der rückschauenden Sicht der Kaiserzeit. Er setzt für die Monarchie des Prinzipats den Princeps und Imperator in eine Traditionslinie mit dem Rex der Königszeit,⁸³⁶ und in dieser Linie stehen das Volkstribunat des Tiberius Gracchus,
App. civ. 1,2,15 und 2,8,50. Hose 1994, 255 f.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
die Bürgerkriege und die plakativen Forderungen nach Rechten und Teilhabe breiter Schichten konträr zu der die Ordnung sichernden Monarchie. Ganz anders geht Cassius Dio in seinem, ebenso wie bei Dionysios von Halikarnaß erstaunlich häufigen Gebrauch der Isonomie vor. Die Zeitpunkte und die historischen Umstände, in denen er für Rom eine Isonomie erwähnt, entsprechen zwar in keinem Fall denjenigen des Dionysios oder Appian, aber auch Cassius Dio führt die Isonomie an Wendepunkten der römischen Geschichte ein. Im Zusammenhang des Jahres 494 v.Chr. schreibt er, daß die Plebeier sich als isonom betrachteten und daher den Patriziern gegenüber Widerstand leisteten.⁸³⁷ Ob und wie sich dies in einen kohärenten Zusammenhang seiner Geschichtsdarstellung der Königszeit und der Republik bringen läßt, ist aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes der Bücher 1– 35 nicht zu beurteilen. Es fällt allerdings auf, daß für die Jahre 48 – 29 v.Chr., also eine noch republikanische Phase, die Isonomie allein an vier markanten Punkten begegnet. Cassius Dio bemerkt zu den Maßnahmen Cäsars, daß dieser sie zwar unter dem Namen der Isonomie eingeführt habe, dies aber in Wirklichkeit eine Dynasteia, also eine Tyrannenherrschaft, gewesen sei.⁸³⁸ Genauso vernichtend bewertet er die Cäsarmörder Cassius und Brutus, die unter dem Namen der Demokratie für alle Isonomie versprochen, in Wirklichkeit jedoch nur für sich selbst gekämpft hätten. Und er geht noch weiter: καὶ τοὐναντίον ἡ μοναρχία δυσχερὲς μὲν ἀκοῦσαι, χρησιμώτατον δὲ ἐμπολιτεύσασθαι ἐστί.⁸³⁹ Damit hat er seine Position der Isonomie gegenüber deutlich formuliert und die folgenden Passagen, in denen er die Isonomie auftreten läßt, sind Verfassungsdebatten, in denen wiederum die Isonomie gegenüber der Monarchie entweder abgewertet oder zumindest als wesentlich weniger effizient für eine politische Ordnung charakterisiert wird.⁸⁴⁰ Für Dionysios läßt es sich nur vermuten, aber bei Cassius Dio und Appian ist die Isonomie der Anspruch auf rechtliche Gleichstellung, wie er vor allem mit der Demokratie in Verbindung gebracht wurde. Cassius Dio und Appian verwenden die Isonomie in historischen Argumentationen, die nicht im Myth-Historischen oder in den von Konstruktionen so stark geprägten Darstellungen der römischen Frühgeschichte angesiedelt sind, sondern in den historisch gut überlieferten und bekannten Abschnitten der römischen Geschichte. Beide Autoren bringen die altbekannte Formel von der Isonomie als einem besonderen Namen für politische Verhältnisse. Isonomie ist nun nicht der schönste Name, sondern sie wird rela eine
Cass. Dio 4,17,1. Cass. Dio 41,17,3. Cass. Dio 44,2,1: Im Gegensatz dazu hat die Monarchie einen schlechten Klang, sie ist aber sehr geeignete politische Ordnung, um darunter zu leben. Cass. Dio 47,42,4 und 52,4,1. Dazu s.u.
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tiviert: Denn im Hinblick auf die praktische Umsetzung und Ausgestaltung der Isonomie führt sie zur Demokratie und somit zu einer höchst problematischen Ausprägung des Politischen.
2. Isonomia und Mischverfassung: Maß und Mitte Wie eng demgegenüber die Orientierung an Mustern der griechischen Historiographie ist, zeigt sich sehr deutlich an einem klassischen Fall: der griechischen Debattenkultur. Sowohl Dionysios von Halikarnaß als auch Plutarch und Cassius Dio verwenden dieses Muster in ihren Werken. Wenn der Begriff der Isonomie als Teil solcher Debatten begegnet, dann im Kontext von Verfassungsdebatten, die teilweise sehr deutlich auf das berühmte Vorbild bei Herodot anspielen. Dionysios läßt seine Protagonisten am Übergang zur Republik nach dem Sturz des Tarquinius Superbus (508/7 v.Chr.) eine solche Debatte führen,⁸⁴¹ Cassius Dio nutzt sogar zweimal die Gelegenheit, seine Akteure in einer solchen auftreten zu lassen: vor Philippi (42 v.Chr.) und im Zuge der Konsolidierung der augusteischen Alleinherrschaft (29 v.Chr.). Auch Plutarch verwendet die Isonomie in einer Verfassungsdebatte. Er integriert sie in sein Gastmahl der Sieben Weisen, in dem alle Weisen ihre Meinung περὶ πολιτείας ἰσονόμου darlegen sollen, jedoch im einzelnen höchst unterschiedliche Positionen einnehmen.⁸⁴² Dionysios, der sein Werk dezidiert auf die ältere römische Geschichte konzentriert, nennt seine Vorläufer in aller Kürze,⁸⁴³ begegnet ihnen aber durchaus auch kritisch.⁸⁴⁴ Er will eine Lücke füllen, die alle anderen ausgespart haben, weil sie ihnen zu schwierig war. Dazu verwendet er in seiner Darstellung eine Kombination aus politischen Logoi, philosophischer Theorie und Unterhaltsamkeit.⁸⁴⁵ Reden, die diesen Anspruch erfüllen, fügt er etwa anläßlich der Vertreibung des Tarquinius Superbus ein:⁸⁴⁶ Brutus stellt die Frage, welche politische Ordnung nun nach dem Ende der Tyrannis gelten solle. Viele Reden werden vorgetragen,
Dion. Hal. ant. 4,72,1– 3; Cass. Dio 44,2,1; 52,4,1. Zu einem neueren Ansatz, wie das Dickicht der antiken und modernen myth-historischen Konstruktionen der römischen Königszeit durchdrungen und geordnet werden kann, s. Walter 2016, 6. Plut. Sept. sap. conv. 154d5. Dion. Hal. ant. 1,6,1 und 1,7,3 zu den römischen Quellen. Dazu Pelling 2007, 252. Dion. Hal. ant. 1,32,1– 2,74,3 zu Polybios. Dion. Hal. ant. 1,8,3. Dion. Hal. ant. 4,72,1– 3. Vgl. Liv. 2,8,1 f.; Val. Max. 4,1,1; Plut. Poplicola 10,1– 12,6. Pelling, 2019, 211 betont die Eigenart der Situation, in der Brutus an dem Leichnam der Lucretia steht, der blutige Dolch gerade herumgegangen ist und nun erst einmal eine Menge Reden gehalten werden. Pelling hebt a. a.O. 212 ebf. ‘wordiness’ und ‘speechifying’ in der Darstellungsweise des Dionysios hervor.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
einige Redner plädieren für eine Monarchie wie bisher, da die vorherigen Könige viel Gutes bewirkt hätten. Andere möchten, mit Verweis auf die Verbrechen des Tarquinius, eine breitere Basis für die politische Ordnung schaffen und dies soll über einen regierenden Rat, d. h. den römischen Senat, realisiert werden. Die dritte Gruppe möchte eine Demokratie wie in Athen einführen, da nur die Isonomie für eine freie Polis die sicherste und angemessenste von allen politischen Ordnungen sei (ant. 4,72,3: ἐλευθέρᾳ τε πόλει τὴν ἰσονομίαν ἀποφαίνοντες ἀσφαλεστάτην οὖσαν καὶ πρεπωδεστάτην τῶν πολιτειῶν). Die Ähnlichkeiten mit der Verfassungsdebatte Herodots (Hdt. 3,80 – 82) sind unübersehbar,⁸⁴⁷ wenngleich Dionysios die Argumente pro und contra viel stärker zusammenfaßt und die Reihenfolge, in der für die einzelnen Verfassungen plädiert wird, in Monarchie, Aristokratie und Demokratie/Isonomie ändert.Vor allem die Verwendung des Begriffs ‚Isonomie‘ zeigt hier an, daß Dionysios, auch wenn er möglicherweise neben Herodot noch Polybios’ 6. Buch vor Augen hatte, auf etwas anderes hinauswill. Die Umkehrung der Reihenfolge im Vergleich zu Herodots Reihe von Isonomie, Aristokratie und Monarchie geht einher mit einer völlig anderen Akzentuierung: Am Ende empfiehlt Brutus nämlich keine Änderung der Verfassung, sondern lediglich eine Namensänderung und eine Zweistelligkeit mit zeitlicher Begrenzung für die Führungsposition mit höchster Gewalt und zur Begründung läßt ihn Dionysios auf das Vorbild der Spartaner Bezug nehmen, die so die wohlgeordnete und beste Verfassung der Griechen eingerichtet hätten.⁸⁴⁸ Dionysios bringt solche Debatten über einen Verfassungswechsel an verschiedenen Stellen seines Werkes: Zu Beginn der Regierungen des Numa, des Tullus Hostilius, des Tarquinius Priscus und als Servius Tullius diesem Brauch nicht nachkommt, wird dies als irregulär charakterisiert.⁸⁴⁹ Die Isonomie erwähnt Dionysios allerdings nur dieses eine Mal im Zusammenhang einer Verfassungsdiskussion und es ist kaum zufällig, daß er sie in zeitlicher Synchronizität zu den Ereignissen in Athen mit dem Archontat des Isagoras und der Kleisthenischen Phylenreform einführt.⁸⁵⁰
Fromentin 2006, 229 ff. weist auf die strukturellen Ähnlichkeiten der Situationen hin wie die Verschwörung gegen augenblickliche Machthaber, die Geheimhaltung, die soziale Herkunft der Verschwörer aus der herrschenden Elite etc. Fromentin hält allerdings hier bei Dionysios Isonomie für synonym mit Demokratie. Dion. Hal. ant. 4,73,4: διὰ τοῦτο τὸ σχῆμα τοῦ πολιτεύματος ἁπάντων μάλιστα τῶν Ἑλλήνων εὐνομεῖσθαί τε καὶ εὐδαιμονεῖν· […]. Dion. Hal. ant. 2,57,3 – 4; 3,1,1 und 46,1. Zu Servius Tullius: Dion. Hal. ant. 4,8,10; dazu Pelling a. a.O. 212. Dion. Hal. ant. 5,1,1; dazu Luraghi 2003, 268, 278. Vgl. dazu oben Kap. III.3.
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Dionysios geht es jedoch nicht nur um Synchronisierung. Den in der Diskussion besprochenen drei Verfassungen der Monarchie, des Senatsregimes und der Demokratie stellt er eine spezifisch römische Lösung gegenüber. Der weitere Gang der Diskussion über die Verfassung nach dem Sturz des Tarquinius zeigt, daß Dionysios sie zu einem anderen Ergebnis als der Verwirklichung einer der drei diskutierten Formen führt. Dies entspricht seiner Auffassung, daß die Art der Debatten zwar mit harten Auseinandersetzungen verbunden sein kann, aber zumindest in dieser Phase der römischen Geschichte noch immer zu Einigungen führte.⁸⁵¹ Er läßt Brutus feststellen, es habe in Rom nie eine bessere Verfassung gegeben als diejenige, die Romulus und seine Nachfolger eingeführt haben. Daher wird nun für das Königsamt nur der Name geändert, dieses zu einem Jahresamt umgestaltet und die Zweistelligkeit eingeführt – nach dem Vorbild Spartas.⁸⁵² Dies ist die auch schon von Polybios für Rom charakterisierte Mischverfassung,⁸⁵³ wenngleich ohne die bei Polybios damit verbundene Verlaufsdynamik.⁸⁵⁴ Denn die Rolle des Senates wird von Dionysios ebenso als konstitutiv herausgestellt wie die der Volksversammlung: Ohne die Beschlüsse des Senates und die Bestätigung durch die Volksversammlung wären die Neuerungen, die Brutus empfohlen hatte, nicht zu realisieren gewesen.⁸⁵⁵ Welche Bedeutung kommt hier der Isonomie zu? Vor dem Hintergrund des Verlaufs, den Dionysios von Halikarnaß seiner Verfassungsdebatte von 509 v.Chr. gibt, zeigt sich, daß zumindest die Demokratie in ihrer Reinform für Dionysios nicht als beste politische Ordnung gilt und daß er einen Unterschied zwischen Demokratie und Isonomie macht. Der Begriff der Isonomie und ihre Verwendung bei Thukydides ist ihm geläufig gewesen, denn sowohl in der Schrift De Thucydide wie auch in De Thucydidis idiomatibus (Ep. ad Ammaeum 2) zitiert er wörtlich die Passagen über die Stasis in Korkyra und über die Isonomie der Thessaler, in denen Thukydides den Begriff verwendet.⁸⁵⁶ Die Isonomie ist bei Dionysios ist zwar eine demokratische Verfassung im Sinne der Rechtsgleichheit, die er auch in den weiteren Passagen seines Werkes so einsetzt, in denen er Isonomie als Teil der plebeischen Forderungen während der
Pelling a. a.O. sieht das „speechifying“ sogar als konstitutiv für Dionysios’ Rom-Bild an. Aber mit den Gracchen ändere sich dies für Dionysios (ant. 2,11,2– 3). Dion. Hal. ant. 4,73,4. Vgl. Gabba 1991, 207 f. Vgl. dazu Schubert 1995, 225 – 235. Dion. Hal. ant. 4,82,3 und vor allem 4,84,1– 5. De Thucydide 33,9 = Thuk. 3,82,8; De Thucydidis idiomatibus 10,10 = Thuk. 4,78,3 und De Thucydidis idiomatibus 10,14 = Thuk. 4,78,3 (= Ep. ad Amm. 2,9 – 10, vgl. dazu oben S. 184).
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
folgenden Auseinandersetzungen erwähnt (s.o. S. 227 f.),⁸⁵⁷ aber sie hat einen sehr spezifischen Platz in der römischen Entwicklung. Dionysios bewegt sich sehr eng an der von Cicero in De re publica (und vermutlich ebenso in der älteren römischen Geschichtsschreibung) propagierten Sichtweise römischer Geschichte, die mit den Leges Valeriae Horatiae von 449 v.Chr. nach dem Sturz des Dezemvirats einen oder sogar den Höhepunkt des Ausgleichs der gemischten Verfassung erreicht sah.⁸⁵⁸ Die etablierte Isonomie ist für Dionysios mit seiner griechischen Perspektive der Ausweis einer gelungenen Mischung und somit auch konstitutiv, da sie nicht wie die Demokratie ein eigener Verfassungstypus ist, sondern für die Gemeinschaftsbezogenheit auch der demokratischen Forderungen (Isegoria, Isotimia) steht. Diese Sichtweise auf das Jahr 449 v.Chr. ist vergleichbar mit derjenigen Ciceros in De re publica und derjenigen des Livius, obwohl die Bewertungen jeweils andere sind und auch die Ausführlichkeit bzw. Knappheit der Darstellungen sich deutlich unterscheiden.⁸⁵⁹ Während Dionysios in der Königszeit eine präfigurierte Res publica sieht mit Romulus als dem vorausschauend planenden Gründer (s.o. S. 226 f.),⁸⁶⁰ ist für Livius die Königszeit eine Vorbereitung der Republik, jedoch mit einem scharfen Einschnitt nach dem Sturz des Tarquinius Superbus.⁸⁶¹ Cicero sieht in seiner Skizze der Königszeit in den einzelnen Königen die Weisheit verkörpert, die eine Entwicklung der Res publica ermöglicht hat.⁸⁶² Darin ist auch das Bemühen zu erkennen, die Eigenständigkeit der römischen Entwicklung zu begründen, während Dionysios die griechische Prägung der römischen Entwicklung im Auge hat.
Dion. Hal. ant. 10,1,2; 10,15,7; 10,35,5. Ungern-Sternberg 1990, 94 ff., bes. 95. Die Parallelen in der Darstellung des Dezemvirats, insbesondere zwischen Dionysios und Livius hat zu unterschiedlichen Bewertungen geführt: Ungern-Sternberg 2005, 75 – 97, insb. 85 führt sie auf eine gemeinsame Quelle zurück; anders dagegen Pelling 2019, 209 f. Schon Fabius Pictor hat das 12-Tafel-Gesetz als Endpunkt in der Geschichte der römischen Ktisis gesehen, Walter 2016, 7. Timpe 1972, 938 mit Bezug auf Polyb. 11,1: 30 Jahre nach dem Übergang des Xerxes nach Hellas, d. h. mit dem Dezemvirat, habe die römische Verfassung ihre volle Ausbildung erhalten (κάλλιστον καὶ τέλειον). Zum Peripetie- und Dekadenzdiskurs in der Historiographie Roms, in der diverse Konzepte nachweisbar sind: Walter 2004, 321 ff., der hervorhebt, daß Polybios für das Jahr 168 v.Chr. den Höhepunkt der römischen Entwicklung annimmt, jedoch z. B. Poseidonios im Jahr 146 v.Chr. einen Wendepunkt gesehen habe. Pelling 2019, 218. Pelling 2019, 209 f., der noch weitere Unterschiede herausarbeitet und damit die Annahme einer gemeinsamen Vorlage entkräftet. Cic. rep. 2,2. Cicero sieht allerdings diese Entwicklung nicht planmäßig verlaufen, sondern geprägt von Krisenbewältigung durch kluge Staatsmänner.
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Die Isonomie läßt diesen Unterschied deutlich hervortreten: Zwar sehen sowohl Cicero wie auch Livius und Dionysios nach dem Sturz des Dezemvirats und der Verabschiedung der Leges Valeriae Horatiae ein Optimum in der Res publica erreicht, doch die Zuordnung zu Normen und Begriffen ist jeweils völlig anders. Ebenso wie Dionysios beschreibt Livius die Leges Valeriae Horatiae als Einführung von Gleichheit, die insbesondere durch Rechtsgleichheit verwirklicht worden sei.⁸⁶³ In den Diskussionen nach dem Sturz der Dezemvirn heißt es dann in der Rede des Legaten zur Abwendung des Todesurteils für die Dezemvirn: Liv, 3,53,9: satis superque humili est, qui iure aequo in ciuitate uiuit, nec inferendo iniuriam nec patiendo. Es ist genug und mehr als genug für einen geringen Mann, wenn er unter gleichem Recht in der Bürgerschaft lebt und weder Unrecht tut noch erleiden muß.
Dieses Ius aequum ist die Wiedereinrichtung des Volkstribunats und der Provocatio als Erfüllung der Forderung des Volkes, die – wie Livius schreibt (Liv. 3,54,15) – vom Concilium plebis auf den Prata Flaminia aufgrund einer Rogatio des M. Duilius beschlossen wurde. Das Ziel dieser Maßnahmen war die allgemeine Libertas plebis (Liv. 3,55,1– 5), als deren Kernbestand wie ein Praesidium libertatis das Provokationsrecht angesehen wurde.⁸⁶⁴ Auch Cicero geht in seinem kurzen Abriß zu den verschiedenen Leges de provocatione in De republica auf diesen Zusammenhang ein,⁸⁶⁵ als er die Leges Valeriae Horatiae von 449 v.Chr. eine weise Maßnahme im Interesse der Concordia nennt. Zuvor schon hat Cicero seinen Scipio für die zuerst so positiv charakterisierte Königsherrschaft die Einschränkung machen lassen,⁸⁶⁶ daß trotz Gerechtigkeit und umfassender Weisheit (iustitia uniusque sapientia) die Libertas des Volkes gefehlt habe – dies ist schon ein deutlicher Hinweis auf die später dem Volk als Ausgleich zugebilligte Libertas. ⁸⁶⁷ Das Provokationsrecht als „Quintessenz der Freiheit und des Bürgerstatus“⁸⁶⁸ ist das unbedingte Recht des römischen Bürgers auf Schutz vor magistratischer Willkür. Jedoch ist und bleibt es ein Individualrecht und macht als solches deutlich, wie unterschiedlich das Verständnis dieses Kernbestandes von Gleichheitsvorstellungen gewesen sein muß. Nach römischer Auffassung sind Libertas Dion. Hal. ant. 11,45,1 und Liv. 3,34,3: […] omnibus, summis infimisque, iura aequasse […]. Vgl. Liv. 2,1,1 zum ersten Jahr der Republik; dazu Jehne 2002, 67 f., der den Konstruktionscharakter der Geschichte des Provokationsrechts herausgearbeitet hat. Cic. rep. 2,54; dazu Jehne 2002, 69. Cic. rep. 2,43. Cic. rep. 2,54. Vgl. Arena 2012, 55. Jehne 2002, 66.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
und Rechtsgleichheit durch den dem Individuum zukommenden Schutz in dem Provokationsrecht gesichert, nach der griechischen Vorstellung von der Isonomia ist die Teilhabe am Ganzen einer Ordnung die Verbürgung von Gleichheit.⁸⁶⁹ Interessanterweise setzt auch Cassius Dio an zwei weiteren entscheidenden Einschnitten der römischen Geschichte eine Verfassungsdebatte ein. Vor der Schlacht bei Philippi (42 v.Chr.) läßt er die jeweiligen Feldherren Ansprachen an ihre Soldaten halten. Die Offiziere des Brutus versprechen ihren Soldaten Freiheit und Demokratie als ein Leben ohne Tyrannen und Herren, wie es sich aus dem Nutzen der Isonomie ergäbe im Gegensatz zur Monarchie.⁸⁷⁰ Dies hätten sie auch im einzelnen ausgeführt, jedoch gibt Cassius Dio seinen Lesern dazu keine Details. Die gegnerischen Anführer hätten dagegen ihre Soldaten mit dem Bedürfnis nach Rache, Besitz und Geld motiviert. Das Ende der Cäsarmörder, nachdem sowohl Brutus als auch Cassius tot sind, kommentiert Cassius Dio als ein δίκαιον (Cass. Dio 48,1,2). Sehr viel ausführlicher legt er die Argumente pro und contra in der Debatte zwischen Agrippa und Maecenas unter dem Jahr 29 v.Chr. dar, in der die beiden Oktavian im Hinblick auf sein weiteres Vorgehen beraten. Dieses Rededuell, das Dio an den Anfang seiner Darstellung der Herrschaft des Augustus setzt,⁸⁷¹ ist erkennbar wiederum nach dem Muster der herodoteischen Verfassungsdebatte gestaltet. Agrippa (Cass. Dio 52,2– 13) plädiert für eine Demokratie – hier ist die Wiederherstellung der republikanischen Ordnung gemeint – und Maecenas (Cass. Dio 52,14– 40) für die Einrichtung einer Monarchie. Die Rede Agrippas schließt in der Wort- und Themenwahl deutlich an das Bild der attischen Demokratie an, das der thukydideische Perikles im Epitaphios präsentiert. Die Begründung Agrippas entspricht wörtlich der Betonung der ἀρετή in Thuk. 2,37,1: Genau diese ἀρετή ist die Grundlage einer isonomen Demokratie (Cass. Dio 52,4,1– 2). Es folgen die Achtung vor dem Gesetz, die Bereitschaft für das Gemeinsame zu kämpfen – Parallelen, die bekannt sind und die in der Regel mit der Passage über die Herrschaft des Augustus gemeinhin als eindeutiges Urteil Arena 2012, 66 mit Verweis auf Cic. leg. 3,44; off. 1,124; 2,85. Wirszubski 1968, 9 ff. vergleicht Libertas aequa mit der Isonomia, die er als „democratic equalitiy“ und als „equality of rights and parity of standing interpreted in terms of extreme democracy“ (a. a.O. 13) beschreibt. Er sieht Libertas und auch Libertas aequa als „a sum of rights“ und als identisch mit Ius aequum an (a. a.O. 11); diese Form der Libertas bezieht sich seiner Ansicht nach auf die gesamte Plebs und nicht auf Individuen. Fantham 1973, 286 f. diskutiert den bei Cicero verwendeten Begriff der aequabilitas in Cic. rep. 1,43 und 1,53 (zu der von Cicero gewählten Übersetzung von Isonomia als aequilibritas in nat. deor. 1,109 s. unten S. 248 f.) als mit Isonomia und Isegoria gleichbedeutend. Cass. Dio 47,42,4. Im Folgenden gekürzt und leicht modifiziert aus Schubert 2018b, 79 – 92.
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Dios zugunsten der augusteischen Monarchie gedeutet werden, wie er es nach der Totenrede auf Augustus selbst zur Begründung der Trauer, die das römische Volk nach dem Tod des Augustus empfand, kommentiert: Cass. Dio. 56,43,4: Διά τε οὖν ταῦτα, καὶ ὅτι τὴν μοναρχίαν τῇ δημοκρατίᾳ μίξας τό τε ἐλεύθερόν σφισιν ἐτήρησε καὶ τὸ κόσμιον τό τε ἀσφαλὲς προσπαρεσκεύασεν, ὥστ’ ἔξω μὲν τοῦ δημοκρατικοῦ θράσους ἔξω δὲ καὶ τῶν τυραννικῶν ὕβρεων ὄντας ἔν τε ἐλευθερίᾳ σώφρονι καὶ ἐν μοναρχίᾳ ἀδεεῖ ζῆν, βασιλευομένους τε ἄνευ δουλείας καὶ δημοκρατουμένους ἄνευ διχοστασίας, δεινῶς αὐτὸν ἐπόθουν. „[…], sondern auch deshalb, weil er Monarchie mit Demokratie verband und ihnen so die Freiheit erhielt und sogleich auch Ordnung und Sicherheit schuf. Auf diese Weise blieben sie von aller demokratischen Zuchtlosigkeit wie von tyrannischen Gewaltakten verschont und konnten zugleich in maßvoller Freiheit und unter einer Monarchie ohne Schrecken leben. Untertanen einer Königsherrschaft, waren sie doch keine Sklaven, und Mitglieder einer Demokratie, brauchten sie keine Parteiungen zu fürchten.“⁸⁷²
Die Argumentation, daß ein aufgeklärter, guter Monarch die Gefahren der Monarchie vermeiden und gleichzeitig Freiheit und Sicherheit für das Volk gewährleisten kann, wird von Cassius Dio im Kontext der erst später, also nicht direkt nach dem Tod des Augustus, im Volk einsetzenden Trauer über den Verlust eingeführt. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß Cassius Dio die Stimmung in Rom charakterisiert und sich nicht auktorial äußert. Insofern sollte die Passage nicht überbewertet, sondern eher als Einschätzung der unter den Römern nach Augustus’ Tod umlaufenden Meinungsäußerungen eingeordnet werden. Am Beispiel der Verwendung von δημοκρατία bei Dio ist gezeigt worden,⁸⁷³ daß er die Formulierungen und Begriffe zu den institutionell-politischen Veränderungen und Zusammenhängen sehr bewußt differenziert, und auf das einschlägige Vorbild – die Otanes-Rede bei Herodot – verweist. Agrippa plädiert in dieser Rede für eine demokratische Verfassung und spielt dabei auf die attische Demokratie an. Diese „Verfassungsdebatte“ wird nun ebenso kontrovers beurteilt wie die Totenrede, die Cassius Dio den Tiberius halten läßt und die ebenfalls auf die Gegenüberstellung von Demokratie und Monarchie eingeht. Im Hinblick auf die Frage, welche Position Cassius Dio selbst in der Verfassungsdebatte zwischen Agrippa und Maecenas zum Ausdruck bringen will, stimmen die heutigen Analysen lediglich darin überein, daß es auffällig sei, wie er die demokratisch-repu-
ÜS Veh. Diese Ansicht des Cassius Dio über den augusteischen Prinzipat ist oft behandelt worden: Hose 1994, 390 ff. und Manuwald 1979, 77 ff. mit einer Übersicht der älteren Literatur; dazu ausführlich Schubert 2018b, 79 ff. Ausf. dazu Schubert 2018b, 79 ff.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
blikanische Ordnung herausstellt, und daß hier eine persönliche Bewertung des Autors zum Ausdruck käme. Für die eigene Meinung Dios lassen sich aus dem Werk genügend Hinweise entnehmen, die jedoch zeigen, daß er nicht nur in dem Programm der MaecenasRede eine wichtige Botschaft für seine Leser übermitteln will, sondern auch in dem meist als eher nachrangig betrachteten Agrippa-Teil. Denn Cassius Dio äußert sich selbst sehr dezidiert und klar zur Demokratie: Cass. Dio 44,2,1– 2: δημοκρατία γὰρ ὄνομα μὲν εὔσχημον ἔχει καί τινα καὶ ἰσομοιρίαν πᾶσιν ἐκ τῆς ἰσονομίας φέρειν δοκεῖ, ἐν δὲ δὴ τοῖς ἔργοις ἐλέγχεται μηδὲν ὁμολογοῦσα τῷ προσρήματι· καὶ τοὐναντίον ἡ μοναρχία δυσχερὲς μὲν ἀκοῦσαι, χρησιμώτατον δὲ ἐμπολιτεύσασθαι ἐστί. ῥᾷόν τε γὰρ ἕνα τινὰ χρηστὸν ἢ πολλοὺς εὑρεῖν· ἄν τε καὶ τοῦτο χαλεπόν τισιν εἶναι δοκῇ, πᾶσα ἀνάγκη ἐκεῖνό γε ἀδύνατον ὁμολογηθῆναι εἶναι· οὐ γὰρ προσήκει τοῖς πολλοῖς ἀρετὴν κτᾶσθαι. „Demokratie hat ja zwar einen schönklingenden Namen und erweckt den Eindruck, als bringe sie allen durch Isonomia (gleichen Anteil an der Ordnung) auch Gleichheit, in ihren Ergebnissen aber zeigt sich, daß sie mit ihrem Namen nichts zu tun hat. Im Gegensatz dazu hat Alleinherrschaft einen schlechten Klang, sie ist aber eine sehr geeignete Staatsform, um darunter zu leben. Denn es ist leichter, einen einzigen tüchtigen Mann als deren viele zu finden, und wenn selbst dies einigen als schwieriges Unternehmen erscheint, so muß doch unbedingt die andere Möglichkeit einmütig für ausgeschlossen betrachtet werden; denn es ist der Mehrzahl der Menschen nicht gegeben, Tugend zu erwerben.“⁸⁷⁴
Der Anlaß dieser Stellungnahme ist ein kurzer Ausblick auf das Ende Caesars, den Cassius Dio zu Beginn des Buches 44 als Einleitung den eigentlichen Ereignissen vorschaltet. Die kurze Phase der Einigkeit, die nach Cäsars Machtergreifung in Rom begonnen hatte, macht der der menschlichen Natur innewohnende φθόνος zunichte, und obwohl die Caesarmörder vorgeben, als Befreier des Volkes gehandelt zu haben, führen sie in Wirklichkeit erneut eine Stasis herbei. Dem folgen die Bücher 44– 56, die den Aufstieg Oktavians und die Periode des augusteischen Prinzipats enthalten. Am Ende dieses Zeitabschnittes, in der Totenrede des Tiberius für Augustus, nimmt Dio das Thema vom Beginn des Buches 44 wieder auf, jedoch in einer ganz anderen Weise. Er läßt Tiberius sagen, nicht Augustus habe sich entschieden, die Herrschaft zu ergreifen, sondern das Volk habe ihn ‚erwählt‘, ja sogar ‚vorgezogen‘ (προκρίναντες). Damit habe das römische Volk gezeigt, daß es zwischen dem Schein der Autonomie (hier für die selbstbestimmte, demokratische Herrschaftsform stehend) und der Wirklichkeit einer Stasis, die für Dio als Konsequenz der menschlichen Natur zwangsläufig aus der Demokratie folgt, genau zu unterscheiden wußte.
ÜS Veh, modifiziert.
V. Isonomia und Demokratia
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Betrachtet man die Isonomie-Passage in der Agrippa-Rede vor diesem Hintergrund, dann sind die Anklänge an die Otanes-Rede bei Herodot deutlich: Cass. Dio 52,4,1– 2: ἡ μὲν τοίνυν ἰσονομία τό τε πρόσρημα εὐώνυμον καὶ τὸ ἔργον δικαιότατον ἔχει. τήν τε γὰρ φύσιν τὴν αὐτήν τινας εἰληχότας καὶ ὁμοφύλους ἀλλήλοις ὄντας, ἔν τε τοῖς αὐτοῖς ἤθεσι τεθραμμένους καὶ ἐν τοῖς ὁμοίοις νόμοις πεπαιδευμένους, καὶ κοινὴν καὶ τὴν τῶν σωμάτων καὶ τὴν τῶν ψυχῶν χρῆσιν τῇ πατρίδι παρέχοντας, πῶς μὲν οὐ δίκαιον καὶ τἆλλα πάντα κοινοῦσθαι, πῶς δ’ οὐκ ἄριστον ἐν μηδενὶ πλὴν ἀπ’ ἀρετῆς προτιμᾶσθαι; Isonomia besitzt einen glückverheißenden Namen und bewirkt das gerechteste Handeln. Denn wenn Menschen, die die gleiche Natur besitzen und miteinander stammverwandt sind, in denselben Sitten erzogen worden sind und in den gleichen Gesetzen unterrichtet wurden, außerdem gleichermaßen den Dienst sowohl ihrer Körper als auch ihrer Herzen dem Vaterland darbieten, wäre es da nicht recht und billig, daß sie auch all die anderen Dinge gemeinsam besitzen? Wäre es nicht das Beste, wenn es keine andere Bevorzugung gäbe als durch Arete?
Die Isonomia ist ein πρόσρημα εὐώνυμον und die Wirkung, die sie hat, δικαιότατον.⁸⁷⁵ Sie steht für ein Koinon und dafür, daß den Bürgern auch der Nutzen ihres Einsatzes zugute kommt.⁸⁷⁶ Cassius Dio kombiniert hier nicht nur Elemente aus der Otanes-Rede, sondern ganz offensichtlich auch aus dem thukydideischen Epitaphios, indem die Tätigkeit in öffentlichen Ämtern in Abhängigkeit von der individuellen ἀρετή begründet wird. In der Rede des Maecenas präsentiert Cassius Dio dann seine eigene Meinung, wenn er ihn für die δημοκρατία ἀληθής (Cass. Dio 52,14,4) eintreten läßt, womit bei Cassius Dio die Monarchie des Prinzipats gemeint ist.⁸⁷⁷ Denn nur diese Art der Ordnung ist es, αὕτη δὲ τό τε σῶφρον πανταχοῦ προτιμῶσα καὶ τὸ ἴσον ἅπασι κατὰ τὴν ἀξίαν ἀπονέμουσα πάντας ὁμοίως εὐδαίμονας τοὺς χρωμένους αὐτῇ ποιεῖ (Cass. Dio 52,14,5). Hier nimmt Cassius Dio die Formulierung des Thukydides aus dem perikleischen Epitaphios auf (Thuk. 2,37,1, dazu oben S. 189 f.). Für Cassius Dio kann nur die Monarchie die Verteilung und Partizipation τὸ ἴσον ἅπασι κατὰ τὴν ἀξίαν gewährleisten und das schließt ein Losverfahren ebenso aus wie die Wahl der Beamten! Öffentlichkeit und Koinon stehen einer guten Regierung entgegen (Cass. Dio 52,15,4), aber der Herrscher in dieser wahren Demokratie kann alle Gruppen nach ihrer jeweiligen Leistung auswählen (Cass. Dio 52,19,5) und sie für die Ämter vorsehen. Doch um das Volk nicht ganz auszuschließen, soll es die Prätoren und Konsuln wählen dürfen. Daher schließt
Cass. Dio 52,4,1. Vgl. Cass. Dio 52,4,6 – 7 und Hdt. 5,78. Mit καὶ τὴν δημοκρατίαν τὴν ἀληθῆ τήν τε ἐλευθερίαν werden hier die Demokratie, insofern sie wahr ist, und die Freiheit als Gewährsträger der Sicherheit erläutert.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
Cassius Dio dieses Rededuell auch mit der Wiederaufnahme der Eingangsformulierung des Agrippa zur Isonomie ab: Cass. Dio 52,40,2: εἰ δ’ οὖν καὶ ἄλλων τινῶν ἐπικλήσεων προσδέῃ, δώσουσι μέν σοι τὴν τοῦ αὐτοκράτορος, ὥσπερ καὶ τῷ πατρί σου ἔδωκαν, σεβιοῦσι δέ σε καὶ ἑτέρᾳ τινὶ προσρήσει, ὥστε σε πᾶν τὸ τῆς βασιλείας ἔργον ἄνευ τοῦ τῆς ἐπωνυμίας αὐτῆς ἐπιφθόνου καρποῦσθαι. „Verlangst du aber noch nach weiteren Beinamen, dann wird dir das Volk den eines Imperators verleihen, wie es ihn bereits deinem Vater gegeben hat; es wird dir aber auch noch mit einer anderen Titulierung seine Verehrung zum Ausdruck bringen, so daß du Nutznießer des Amtes der Königsherrschaft sein kannst, ohne den Haß (Neid) dieses Beinamens.“⁸⁷⁸
Die Forderung nach Verwirklichung einer Isonomie wird in dem historischen Werk des Cassius Dio im Kontext seiner Darstellung zur römischen Verfassungsentwicklung nicht negativ dargestellt, sondern sie erhält eine durchaus positive Konnotation. In der Verfassungsdebatte wird sie als theoretisch möglich beschrieben, doch ist sie praktisch nicht realisierbar. Und die wirkliche, echte und gute Demokratie mit der Freiheit, die Sicherheit und stabile Ordnung garantieren, ist nicht die auf Isonomie gegründete Demokratie, sondern die δημοκρατία ἀληθής (Cass. Dio 52,14,4) des Prinzipats. Plutarch verwendet im Gastmahl der Sieben Weisen eine andere Perspektive für die Isonomie, die jedoch in der Aufzählung der Argumente im Hinblick auf Verfassungsdebatten viele Parallelen hat. Er führt diese Debatte unter den Weisen damit ein, daß jeder περὶ πολιτείας ἰσονόμου sprechen solle. Damit sind die folgenden Meinungsäußerungen der Weisen in den Kontext des theoretischen Diskurses περὶ πολιτείας gerückt.⁸⁷⁹ Der Reihe nach äußern sich die Weisen und strukturieren ihr jeweiliges Argument immer so, daß das Charakteristikum, das sie für die Isonomie hervorheben, in der Mitte zwischen zwei Extremen steht: Die meisten der Redner äußern sich zu der Rolle der Gesetze, Solon jedoch zur Demokratie als der Mitte zwischen Recht und Unrecht, Thales zu reich und arm, Anacharsis zu Tugend und Verbrechen. Periander beschließt die Debatte mit der Feststellung, daß doch alle offenbar eine Demokratie vor Augen hätten, die einer Aristokratie ähnlich sei (Sept. sap. conv. 154f).⁸⁸⁰ Als Hinweis auf den Stellenwert der Isonomie im theoretischen Diskurs περὶ πολιτείας ergibt sich aus diesen Argumenten eine Vorstellung, die, wie die Be-
ÜS Veh, modifiziert. Diod. 9,26 – 27 und Iambl. VP 18,83 haben vergleichbare Frage/Antwort-Szenarien überliefert, in denen speziell die Weisen befragt werden; bei beiden wird jedoch das Thema von Verfassungen nicht angesprochen. Vgl. Plut. un. in rep. 826f.
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tonung von Mitte als Maß zeigt, stark an der Diskussion von arithmetischer und geometrischer Gleichheit ausgerichtet ist und hier interessanterweise die Demokratie sowohl in der Mitte platziert und wie auch der Aristokratie annähert. Dies ist nicht gleichbedeutend mit einer Auffassung von Demokratie als Mischverfassung, zeigt jedoch, wie sich der Bezugsrahmen verändert hat und welchen Stellenwert die Isonomie in den Verfassungsdebatten immer noch hatte. Auch in der Verfassungsdebatte, die Philostratos in seiner Vita des Apollonius von Tyana platziert, wird das Maß der Mitte verwendet. Philostratos beschreibt eine Szene, in der Apollonius von Vespasian, zu dieser Zeit noch Prätendent,⁸⁸¹ im Serapistempel angesprochen und um Rat im Hinblick auf die Herrschaft gebeten wird. Im Anschluß kommt es zu einer Verfassungsdiskussion nach dem bekannten Muster, in der sich neben Apollonius auch die Stoiker Dion von Prusa und Euphrates von Tyros mit der Frage des Vespasian befassen, wie nach den Eskalationen durch Nero das Ansehen der Monarchie wiederhergestellt werden könne. Euphrates plädiert für die Rückkehr zur Verfassung des republikanischen Roms, die er als Demokratie stilisiert. Dion von Prusa wiederum stellt verschiedene Formen der Aristokratie, Demokratie, Monarchie und Oligarchie nebeneinander und empfiehlt, den Bürgern des Römischen Reiches die Wahl zu lassen zwischen Monarchie und Demokratie.⁸⁸² Apollonius löst die Differenzen auf, indem er darlegt, wie die Demokratie durch die Tugend eines Mannes die Monarchie zum gemeinsamen Wohl aller und somit auch als Demokratie formen könne.⁸⁸³ Dies ist das Konzept der Mischverfassung, das für die Geschichte Roms von der Gründung bis in den Prinzipat schon seit Dionysios verwendet wird. Der Hintergrund dieser Position des Apollonius ist von Philostratos bereits vorab, in einer ersten Begegnung zwischen Vespasian und Apollonius, deutlich gemacht worden, und gibt der Debatte einen anderen, sehr viel weniger auf das Institutionelle gerichteten Rahmen. Vespasian hatte Apollonius nämlich schon am Tag vor der Debatte getroffen und gefragt, was er von Nero hielte, worauf Apollonius mit einem Vergleich von Kithara und Herrschaft antwortet.⁸⁸⁴ Die anschließende Frage, ob die Herrschaft eine symmetrische sein, also ein gemeinsames Maß haben solle, beantwortet Apollonius so:
Philostr. Ap. 5,32– 36. Ausf. dazu Vielberg 2016, 233 – 256; vgl. Nesselrath/Bäbler 2016, 10 f. Vielberg 2016, 249 ff., der in seiner Analyse den maßgeblichen Einfluß von Cicero belegt. Philostr. Ap. 5,35,15. Philostr. Ap. 5,28,1: κιθάραν μὲν ἴσως ᾔδει ἁρμόττεσθαι, τὴν δὲ ἀρχὴν ᾔσχυνεν ἀνέσει καὶ ἐπιτάσει (die Kithara wußte er gleichmäßig zu stimmen, aber die Herrschaft verdarb er durch Lockerung und Anspannung).
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Philostr. Ap. 5,28,2: „ξύμμετρον οὖν“ εἶπε „κελεύεις εἶναι τὸν ἄρχοντα;“ „οὐκ ἐγώ,“ εἶπε „θεὸς δὲ τὴν ἰσότητα μεσότητα ὁρισάμενος.“ (Hervorhebung v. mir, C.S.) „Verlangst Du also vom Herrscher Gleichmaß?“, sagte er [Vespasian]. „Nicht ich“, sagte er [Apollonius], „sondern der Gott hat die Mitte als Gleichheit gesetzt.“
Das In-die-Mitte-Setzen der Gleichheit schafft die Kommensurabilität zwischen Herrscher und Beherrschten. Doch dieses Maß für den guten Herrscher und damit für den Charakter der politischen Ordnung, die er verkörpert, ist spirituell-göttlich gegeben, also in einer transzendenten Ebene verankert. Vergleichbar äußert sich Aelius Aristeides in seiner Rom-Rede.⁸⁸⁵ Auch er stellt den Prinzipat als ‚Mischverfassung‘ aus den drei Staatsformen dar, der sowohl eine Demokratie sei, weil das Volk bekäme, was es wolle, als auch eine Monarchie mit dem Kaiser an der Spitze und den ὀλίγοι, die ebenfalls eine Machtstellung erlangen können, wenn sie dies wollen. Aelius Aristeides verbindet dies nun nicht mehr mit konkreten institutionellen oder rechtlich-politischen Funktionen, die in einem austarierten Gleichgewicht zu einer Mischverfassung konstruiert werden,⁸⁸⁶ sondern setzt stattdessen Wünsche, Möglichkeiten und Gewährungen für verschiedene Gruppen ein. Nicht mehr Freiheit, Gerechtigkeit, Isonomie oder andere politische Ordnungsvorstellungen sollen durch die Mischverfassung erreicht oder gesichert werden, sondern Wünsche und Möglichkeiten, Glück und Wohlstand. Damit wird die Verfassungsdiskussion in einen ganz anderen Bereich gerückt: Nicht mehr das Gemeinwohl und der diesem zugrundeliegende Gemeinsinn, sondern ethisch-moralische Werte, die in der individuellen und subjektiven Wahrnehmung liegen, prägen diese Vorstellung von politischer Ordnung. In den hier betrachteten Werken der griechischen Historiographie und Rhetorik wird die Isonomie nicht mehr als eigenständige Form einer politischen Ordnung gesehen, sondern ist entweder Teil der Demokratieentwicklung oder sie wird als Attribut des Strebens nach Gleichheit angesehen, und spielt daher auch eine Rolle im Rahmen von Geschichtskonzeptionen, die die Entwicklung Roms betrachten. Die historischen Szenarien, in denen das Gleichheitsstreben und die Isonomie kontextualisiert werden, sind allerdings ganz unterschiedlich. Wenn die nach Polybios schreibenden griechischen Autoren wie Plutarch und Philostratos das Thema Mischverfassung aufgreifen, zeigt sich, wie sich das Bild der Mischverfassung in der Kaiserzeit verändert hat. Aus der rückschauenden Perspektive der beginnenden Prinzipatszeit bei Dionysios von Halikarnaß kommt
Aristeid. or. 26,90 – 91. Bleicken 1966, 253.
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dabei der Isonomie eine durchaus konstituierende Rolle zu. Bei den Autoren der hohen Kaiserzeit, deren Perspektive schon in ganz anderer Weise von der monarchischen Herrschaft und ihrer Dauer geprägt ist, findet sie zwar noch in den theoretischen Diskursen ihren Platz, jedoch nicht mehr als echte Alternative, der eine Chance auf Realisierung zugebilligt würde. Letzteres ist nicht erstaunlich, da der politische Begründungszusammenhang für die Isonomie in der Kaiserzeit obsolet geworden war. Damit geht auch eine Verschiebung einher: Die Frage, welches Maß anzulegen ist, um Gerechtigkeit und Qualität einer politischen Ordnung zu charakterisieren, wird in den spirituellen und allgemein moralischen Bereich verlagert. Wie bei Philostratos Apollonius für den guten Herrscher, dessen Herrschaft die Gleichheit realisiert, die Mitte als Maßstab aufruft, so erklären Plutarchs Sieben Weise die Mitte als Maßstab, um die Art und Ausprägung einer politischen Ordnung zu charakterisieren. Philostratos und die Debatte bei Plutarch zeigen, daß der Diskurs περὶ πολιτείας ἰσονόμου in der Kaiserzeit sich von den institutionellen und politisch-rechtlichen Fragen gelöst hat.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
VI. Isonomia in Kosmos und Polis 1. Isonomia in der Philosophie Die Verwendung der Isonomie in philosophischen Texten wird meist in einer bei Anaximander beginnenden Tradition gesehen,⁸⁸⁷ die über die Annahme eines kosmischen Gleichgewichts handelt und die in sehr verstreuten Schriften überliefert ist. Auch eine Traditionslinie von Alkmaion bis hin zu den christlichen Autoren wird konstruiert. Ein – nur kursorischer – Durchgang durch einige der wenigen Belege, die aus der philosphischen Tradition erhalten sind und die den Begriff ‚Isonomie‘ verwenden, zeigt jedoch, wie wenig diese Verwendungen mit dem politischen Begriff der Isonomie zusammenhängen. Vielmehr ist die Isonomie in den explizit philosophischen Texten auf eine Tradition zurückzuführen, die sich von Timaios von Lokroi bis zu Plutarch als Nachwirkung der platonischen Ideenlehre in Vorstellungen von Ordnung, wirklichem Wissen und rationaler Erklärung der Wirklichkeit zeigt. Bei Timaios von Lokroi, Cicero mit Bezug auf Epikur, Philon und Plutarch finden sich einige, singuläre Erwähnungen der Isonomie, in denen es um Gegensätze und Gleichgewicht in Natur und Kosmos geht. Diese Isonomie wurde immer wieder mit der Textpassage (DK 24 B4) aus Alkmaion verglichen.⁸⁸⁸ Die Verwendung des Isonomie-Begriffes ist, wie oben (S. 159 f.) gezeigt, ein Teil des für Alkmaion charakteristischen analogischen Verfahrens, das auf der politischen Bedeutung von Isonomie basiert. Der Unterschied zu dem politischen Begriff der Isonomie zeigt sich deutlich, wenn man Alkmaions Auffassung von Gleichgewicht mit der unter dem Namen des Timaios von Lokroi erhaltenen Schrift Über die Natur des Kosmos und der Seele vergleicht, die in Inhalt und Aufbau die Rede des Timaios im platonischen Dialog (Plat. Tim. 27d – Ende) wiedergibt.⁸⁸⁹ Aufgrund der Archaismen, der Wortwahl und einzelner Pythagoreismen sowie der inhaltlichen Übereinstimmungen mit Platons Dialog ist geschlossen worden, daß diese Schrift bei den Lesern den Eindruck erwecken soll, die Vorlage Platons gewesen zu sein.⁸⁹⁰ Dies spielt auf Plagiatsvorwürfe gegen Platon an, der angeblich ein Buch des Philolaos gekauft
Vlastos 1953, 361; Mugler 1968, 519. Dagegen Mansfeld 2013, 92, der die Annahme dieser Verbindung nicht nur ablehnt, sondern insgesamt einen zeitgenössischen Kontext des Alkmaion-Lemmas für die Zeit um 500 v.Chr. dekonstruiert. Vgl. dagegen neuerdings Kouloumentas 2019, 49 – 67 und im einzelnen dazu die Appendices 1 und 2. Mansfeld 2013, 78 – 95; Vgl. dazu Appendices 1 und 2. Thesleff 1965; Marg 1972; Baltes 1972. Baltes 1976, 1 f.
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und auf dieser Basis den Dialog verfaßt haben soll.⁸⁹¹ Allerdings hat der Verfasser von Über die Natur des Kosmos und der Seele dem platonischen Text einiges hinzugefügt. Bei Timaios heißt es:⁸⁹² Tim. De natura mundi et animae 39 – 41: (39) Τούτοις δὲ ποτιχρεόμενος ὁ θεὸς τόνδε τὸν κόσμον κατεσκεύαξεν, ἁπτὸν μὲν διὰ τὰν γᾶν, ὁρατὸν δὲ διὰ τὸ πῦρ, ἅπερ δύο ἄκρα ἐντί. δι’ ἀέρος δὲ καὶ ὕδατος συνεδήσατο δεσμῷ κρατίστῳ, ἀναλογίᾳ, ἃ καὶ αὑτὰν καὶ τὰ δι’ αὐτᾶς κρατεόμενα συνέχεν δύναται. (40) εἰ μὲν ὦν ἐπίπεδον εἴη τὸ συνδεόμενον, μία μεσότας ἱκανά ἐστιν· εἰ δέ κα στερεόν, δύο χρῄσει. δυσὶ δὴ μέσοις δύο ἄκρα ξυναρμόξατο, ὅκως εἴη ὡς πῦρ ποτ’ ἀέρα ἀὴρ ποτὶ ὕδωρ, ὡς δέ κ’ ἀὴρ ποτὶ ὕδωρ καὶ ὕδωρ ποτὶ γᾶν, αὶ κατ’ ἐναλλαγάν, ὡς πῦρ ποτὶ ὕδωρ ἀὴρ ποτὶ γᾶν, καὶ ἀνάπαλιν, ὡς γᾶ ποτὶ ὕδωρ ὕδωρ ποτ’ ἀέρα καὶ ἀὴρ ποτὶ πῦρ, καὶ κατ’ ἐναλλαγάν, ὡς γᾶ ποτ’ ἀέρα ὕδωρ ποτὶ πῦρ. (41) καὶ ἐπεὶ δυνάμει ἴσα ἐντὶ πάντα, τοὶ λόγοι αὐτῶν ἐν ἰσονομίᾳ ἐντί. εἷς μὲν ὦν ὅδε ὁ κόσμος δαιμονίῳ δεσμῷ τῷ ἀνὰ λόγον ἐστίν. „39 Dieses benutzte der Gott, als er diese Welt einrichtete, die tastbar wegen der Erde, sichtbar wegen des Feuers ist, welches die beiden Endglieder sind. Durch Luft und Wasser aber band er sie mit dem stärksten Band, der Entsprechung, die sich selber und das durch sie Beherrschte zusammenzuhalten vermag. 40 Wenn nun das Gebundene flächenhaft ist, genü gt ein Mittelglied, wenn aber raumhaft, braucht es zwei. Mit zwei Mittelgliedern fü gte er also zwei Endglieder zusammen, damit sich verhalte wie Feuer zu Luft Luft zu Wasser, wie Luft zu Wasser aber auch Wasser zu Erde, und in Vertauschung der Glieder Feuer zu Wasser wie Luft zu Erde und in Umkehr der Proportion Erde zu Wasser wie Wasser zu Luft und Luft zu Feuer, und in Vertauschung (dieser Glieder) Erde zu Luft wie Wasser zu Feuer. 41 Und da alles in der Macht gleich ist, sind ihre Verhältnisse in Rechtsgleichheit. Eins ist also dieser Kosmos durch ein göttliches Band, die Entsprechung.“⁸⁹³
Timaios beschreibt hierbei ein kosmisches Gleichgewicht, das – auf einer sehr allgemeinen Ebene betrachtet – an die Vorstellung von Gleichgewicht bei Alkmaion erinnert, wenngleich Timaios nicht wie Alkmaion ein Gleichgewicht der Kräfte benennt, sondern von Logoi spricht.⁸⁹⁴ Er bezieht das Gleichgewicht in der Ausgewogenheit der Kräfte also auf Verhältnisse wie Platon im Timaios (Plat. Tim. 32c1 f.).⁸⁹⁵ Bei Alkmaion handelt es sich demgegenüber jedoch nicht um Paarungen von jeweils zwei Größen, die als einander gegenüberstehend angesehen werden. Alkmaion ging von konkreten Dingen wie Kräften im Körper aus,
Diog. Laert. 8,55; dazu Burkert 1962, 210 f. Tim. De natura mundi et animae 39 – 41 Marg; Timaeus, Fragmenta et titulus p. 217, Z. 3 – 17 Thesleff. Hervorhebg. v. mir, C.S., ÜS Marg. Vgl. Mansfeld 2013 passim. Baltes 1972, 61 bezieht Isonomie hier – wie auch die Übersetzung von Marg – auf das Rechtsdenken, ausgehend davon, daß Nomos im Entstehungsprozeß des Begriffs von Anfang an dominant war und schon frü h zur Deutung des Kosmos (und des Mikrokosmos für den Mensch in der Medizin) verwandt wurde.
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denen Qualitäten zugeordnet sind, und unter diesen kann eine Monarchie entstehen, wenn eine der Kräfte herausragt, oder eben eine Isonomie, wenn die Kräfte nach gleichem Maß austariert sind. Ob bei Timaios von Lokroi das Rechtsdenken im Hintergrund steht (so die Annahme von Baltes und die Übersetzung von Marg) oder ob es nicht vielmehr der allgemeine ethische Grundsatz der Ausgewogenheit als Gerechtigkeit ist, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Deutlich wird jedoch, daß es, im Unterschied zu der Textpassage aus Alkmaion, um ein metaphysisch begründetes Gleichgewicht geht.⁸⁹⁶ Eine weitere Spur findet sich dann bei Cicero,⁸⁹⁷ der Isonomia in De natura deorum an zwei Stellen als ein Prinzip der epikureischen Philosophie nennt und den Begriff seinem Epikureer Velleius in den Mund legt, um die Unsterblichkeit der Götter zu beweisen (Cic. nat. deor. 1,50), bzw. dem Skeptiker Cotta, der für das Gegenteil eintritt (Cic. nat. deor. 1,109). Velleius nimmt als Ausgangspunkt das Konzept der Unbegrenztheit an, wonach „notwendigerweise in der Natur allem alles und Gleichem Gleiches“ entspräche. Dies ist auf die gleichmäßige Regelhaftigkeit im Fall der Atome bezogen und analog dazu ist die gleichmäßige Seelenverfassung. Dafür habe Epikur den Begriff ‚Isonomie‘ verwendet, der auf lateinisch mit id est aequabilem tributionem wiederzugeben sei. Es folge daraus, wenn es eine unendliche Zahl der Sterblichen gebe, könne die Zahl der Unsterblichen nicht kleiner sein, und wenn die zerstörerischen Kräfte unbegrenzt seien, dann müsse dies auch für die bewahrenden Kräfte gelten. Cotta kritisiert dies (Cic. nat. deor. 1,109) mit der entgegengesetzen Argumentation, indem er die Isonomia als Ausflucht und keineswegs als Beweis eben jener Unbegrenztheit ansieht und bestreitet, daß sich daraus begründen ließe, daß es, ebenso wie es eine sterbliche Natur gebe, eine unsterbliche geben müsse bzw. aus der Existenz der sterblichen Menschen die unsterblichen begründet werden könnten und den zerstörenden Kräften die bewahrenden gegenüberstehen müßten.
Diese Auffassung von Isonomie wird von Mugler 1956 und 1968 sowie Luria in Mau/ Schmidt 1971, 45 f. im Zusammenhang mit Demokrits οὔ-μᾶλλον-Satz im Kontext der Vorstellung, daß viele Welten parallel existieren, diskutiert. Mugler führt den Gedanken auf Demokrit zurück und Luria hat sich dem angeschlossen. Dies alles wird aus Cic. nat. deor. 1,50 und 109 abgeleitet, obwohl Cicero sich dabei ausdrücklich auf Epikur bezieht. In ac. 2,55 und 125 diskutiert Cicero die Theorie der vielen Parallelwelten aus Demokrit, allerdings ist an diesen Stellen nicht ersichtlich, wo der Zusammenhang mit der Isonomie liegen könnte. Muglers Hauptargument ist, daß der Begriff der Isonomie zur Zeit Epikurs veraltet gewesen sei (a. a.O. 250), daher bei Epikur nicht aus dem zeitgenössischen Diskurs stammen könne, sondern aus einer älteren Tradition – Mugler nimmt dafür Demokrit an – stammen müsse. Mugler 1968 verwendet den IsonomieBegriff ganz losgelöst von seinem Auftreten in den Texten. Cic. nat. deor. 1,50 und 1,109. Dazu auch De Lacy in Mau/Schmidt 1971, 70 f.
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Die Wiedergabe von Isonomia als tributio aequabilis (Cic. nat. deor. 1,50) steht nicht in Verbindung mit den staatstheoretischen Überlegungen aus De re publica, wo die aequabilis compensatio iuris et officii et muneris die Relation der Funktionen und Rechte beschreibt (Cic. rep. 1,57). Die zweite Übertragung mit aequilibritas (Cic. nat. deor. 1,109), die Cotta in den Mund gelegt wird, macht deutlich, daß der philosophische Kontext für Cicero nicht mit dem bekannten Gleichheitsund Gleichgewichtsvokabular auszudrücken war und er daher einen neuen Begriff geprägt hat.⁸⁹⁸ Dieser singuläre Gebrauch von Isonomia bei Cicero zeigt, daß ihm der Unterschied zwischen der griechischen Isonomia und den römischen Begriffen für Gleichheit und politische Teilhabe bewußt war (vgl. S. 237 f.). Wie Ciceros Argumentation gegen die Götterlehre Epikurs gerichtet ist – und man in diesem Kontext auch auf Lukrez verwiesen hat⁸⁹⁹ – so findet sich eine vergleichbare Kritik bei Plutarch in seiner Schrift Gegen Kolotes, in der er die erkenntnistheoretische Lehre Epikurs angreift. Jedoch verwendet er hier im Kontext der epikureischen Philosophie nicht den Begriff der Isonomie, sondern vielmehr in der Schrift De defectu oraculorum, einem Dialog über den Bedeutungsverlust der Orakel. In dieser Schrift über den Bedeutungsverlust der Orakel wird der Rückgang der Orakelstätten thematisiert, der in Plutarchs Heimat Böotien offenbar besonders stark war. Die Diskussion in dieser Schrift beschäftigt sich mit einem Dilemma: Wenn dieser Rückgang auf das Göttliche selbst zurückzuführen ist, dann wären die Götter auch die Ursache des Niedergangs. Im anderen Fall aber – wenn die Götter selbst nichts mit dem Rückgang zu tun hätten –, wäre der Ursprung der Orakel als Ausfluß der göttlichen Wirkungskraft negiert. Eine dritte Überlegung wird durch den Spartaner Kleombrotos eingeführt: Verantwortlich für den Rückgang seien die Daimones, die Seelen der Toten, da sie die Orakel sprechen ließen.⁹⁰⁰ Die Fähigkeit der Daimones, die Zukunft vorherzusagen, ist auch schon zu Lebzeiten der Menschen vorhanden. Sie wird jedoch durch die Verbindung von Körper und Seele unterdrückt und lediglich im Zustand des Enthousiasmos, wenn die Seele von allen Fesseln befreit ist oder diese Befreiung durch Einatmen bestimmter Dämpfe hervorgerufen wird, hat die menschliche Seele auch zu Lebzeiten eines Menschen die richtige Mischung, um diese Fähigkeit zur Geltung zu bringen. Plutarch läßt den Redner Lamprias, seinen eigenen Bruder, in diesem Abschnitt explizit auf die platonische Seelenlehre zurückgreifen (Plut. defect. or. 428c) und in diesem Kontext der Mischung von Seelenfähigkeiten sagen: Sallmann 1962, 222. Kleve 1979, 27– 35; McKay 1964, 124– 135; Freymuth 1954, 110 – 115. Vgl. schon Rusch 1886, 777– 781, der gezeigt hat, daß die Vorstellung von Isonomia für Lukrez nicht anzunehmen ist. Plut. defect. or. 418d–439f. (Kap. 16 – 37).
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Plut. defect. or. 428e: εἴπερ οὖν ἡ φύσις ἀπαιτεῖ τὴν ἰσονομίαν ἐν πᾶσι. καὶ κόσμους εἰκός ἐστι μήτε πλείους γεγονέναι μήτ’ ἐλάττους τῶν παραδειγμάτων, ὅπως ἕκαστον ἐν ἑκάστῳ τάξιν ἡγεμονικὴν ἔχῃ καὶ δύναμιν, ὥσπερ ἐν ταῖς συστάσεσι τῶν σωμάτων ἔσχηκεν. „Wenn nun die Natur in allem die Isonomie verlangt, so kann es auch nicht mehr und nicht weniger Welten geben, als Musterbilder vorhanden sind, damit ein jedes seine besondere Stelle und Kraft habe, wie es bei den Zusammensetzungen der Körper der Fall war.“⁹⁰¹
Entstehung und Veränderung in der Natur erfordern Isonomie. Nach diesem Prinzip muß jede Mischung von allem in der Natur als Nachahmung der Ideen gestaltet sein. Auch Philon setzt den Isonomie-Begriff mehrfach ein. In seiner Schrift De specialibus legibus (1,208) – hier geht es um die Erklärung der Schriften Moses – spricht er von der Isonomie der vier Elemente, die der Dynasteia eines einzelnen Elementes gegenübergestellt wird.⁹⁰² In De specialibus legibus 1,53 legt er hingegen am Beispiel der Zerlegung eines Tieres dar, wie die Ordnung des Kosmos aus der Isonomie der vier Elemente entsteht. Über die Isonomie des Kosmos schreibt Philon in De aeternitate mundi: Zuerst, um wieder das Gleichgewicht der vier Kräfte zu charakterisieren, die sich nach den Regeln der Isonomie abwechseln (aet. 108), dann jedoch um Heraklit zu erklären, und er fährt fort: Phil. aet. 111– 112: […], θάνατον οὐ τὴν εἰς ἅπαν ἀναίρεσιν ὀνομάζων, ἀλλὰ τὴν εἰς ἕτερον στοιχεῖον μεταβολήν. ἀπαραβάτου δὴ καὶ συνεχοῦς τῆς αὐτοκρατοῦς ἰσονομίας ταύτης ἀεὶ φυλαττομένης, ὥσπερ οὐκ εἰκὸς μόνον ἀλλὰ καὶ ἀναγκαῖον, ἐπεὶ τὸ μὲν ἄνισον ἄδικον, τὸ δ’ ἄδικον κακίας ἔγγονον, κακία δ’ ἐξ οἴκου τῆς ἀθανασίας πεφυγάδευται, θεῖον δέ τι μέγεθος ὁ κόσμος καὶ οἶκος θεῶν αἰσθητῶν ἀποδέδεικται, τὸ δὴ φάσκειν ὅτι φθείρεται μὴ συνορώντων ἐστὶ φύσεως εἱρμὸν καὶ πραγμάτων συνηρτημένην ἀκολουθίαν. „Tod aber nennt er nicht die völlige Beseitigung, sondern die Umwandlung in ein anderes Element. Dieses absolute Gleichgewicht aber wird immer unveränderlich und beständig gewahrt, wie es nicht nur natü rlich, sondern auch notwendig ist. Ungleichheit nämlich ist Unrecht, Unrecht aber entstammt der Schlechtigkeit, Schlechtigkeit jedoch hat keinen Platz in der Wohnung der Unsterblichkeit, die Welt aber ist göttlich wegen ihrer Größe und erwiesenermaßen die Wohnung sinnlich wahrnehmbarer Götter. Deshalb zeigt die Behauptung, die Welt sei vergänglich, daß man das Band der Natur und die ununterbrochene Folge der Dinge nicht kennt.“⁹⁰³
Diese Isonomia αὐτοκρατής, eine Isonomie, die ihrer selbst mächtig und als Personalisierung auf Gott zurückzuführen ist, trennt nun von den aus der paga-
ÜS Weise, modifiziert. Vgl. Plut. defect. or. 34 (428e): εἴπερ οὖν ἡ φύσις παιτεῖ τὴν ἰσονομίαν ἐν πᾶσι und dazu Mansfeld 2013, 90. Hervorhebg. v. mir, C.S., ÜS Cohn et al., Berlin 2011 (= 1964).
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nen philosophischen Tradition stammenden Vorstellungen mehr, als daß hier Parallelen oder Gemeinsamkeiten zu erkennen wären.⁹⁰⁴ Phil. Spec. 208 Cohn: ἡ δὲ εἰς μέλη τοῦ ζῴου διανομὴ δηλοῖ, ἤτοι ὡς ἓν τὰ πάντα ἢ ὅτι ἐξ ἑνός τε καὶ εἰς ἕν· ὅπερ οἱ μὲν κόρον καὶ χρησμοσύνην ἐκάλεσαν, οἱ δ’ ἐκπύρωσιν καὶ διακόσμησιν· ἐκπύρωσιν μὲν κατὰ τὴν τοῦ θερμοῦ δυναστείαν τῶν ἄλλων ἐπικρατήσαντος, διακόσμησιν δὲ κατὰ τὴν τῶν τεττάρων στοιχείων ἰσονομίαν, ἣν ἀντιδιδόασιν ἀλλήλοις. „Die Zerlegung des Tieres in seine Teile aber lehrt, entweder dass alle Dinge eine Einheit bilden, oder dass sie aus der Einheit stammen und wieder zur Einheit werden, was die einen als „Ueberfluss“ und „Mangel“ bezeichnet haben, die anderen als „Weltbrand“ und „Weltordnung“, nämlich Weltbrand, wenn die Macht des warmen Elements über die anderen die Oberhand gewinnt, Weltordnung, wenn die vier Elemente einander Isonomia gewähren.“
Sowohl in der epikureischen wie auch der stoischen Tradition begegnet der Begriff ‚Isonomie‘ als Ausdruck von Gleichgewicht, sei es ein solches im Kosmos, sei es unter den vier Grundelementen oder im Verhältnis von Körper und Seele. Gemeinsam ist dieser Verwendung der Isonomie der metaphysische Bezug, dessen erster Beleg, wie oben gezeigt, die platonische Seelenlehre ist. Insofern ist es nicht unstatthaft, bei allen Unterschieden der philosophischen Richtungen, die sich nach Platon entwickelt haben, doch in seinem Werk den Ausgangspunkt dieser Ausprägung des Begriffs zu sehen.
2. Isonomia in den Selbstbetrachtungen des Mark Aurel Bei dem römischen Kaiser Mark Aurel findet sich die Isonomie sowohl im kosmischen Zusammenhang wie auch als Teil seiner Vorstellungen der Polis. Als Ziel aller und von allen in einer Gemeinschaft anzustrebendes, höchstes Gut nennt Mark Aurel in den Selbstbetrachtungen, die er während des Krieges gegen die Markomannen und Quaden – die seit dem Jahr 167/68 n.Chr. oder vielleicht schon frü her unter Belomars Fü hrung in Italien einfielen – verfaßt hat, folgendes: Aur. Ad se ipsum 11,21: ὥσπερ γὰρ οὐχ ἡ πάντων τῶν ὁπωσοῦν τοῖς πλείοσι δοκούντων γαθῶν ὑπόληψις ὁμοία ἐστίν, ἀλλ’ ἡ τῶν τοιῶνδέ τινων, τουτέστι τῶν κοινῶν, οὕτω καὶ τὸν σκοπὸν δεῖ τὸν κοινωνικὸν καὶ πολιτικὸν ὑποστήσασθαι. „Denn wie die Auffassung ü ber alle Dinge, die einer Mehrheit irgendwie als Gü ter erscheinen, nicht einheitlich ist, sondern nur die Auffassung ü ber ganz bestimmte, d. h. allen ge-
ÜS Cohn et al., Mansfeld 2018, 276: „These late accounts of a perpetual cosmic balance very much resemble the cyclical and stable equilibrium of elemental forces in an indestructible cosmos attributed by a majority of scholars to Anaximander […].“
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meinsame Dinge, (einheitlich ist,) so muß man sich auch nur die Förderung der gemeinsamen Dinge, d. h. der Gemeinschaft und des Staates, als Ziel setzen.“⁹⁰⁵
Mark Aurel gibt im ersten Buch seiner Selbstbetrachtungen auch eine Auflistung von Tugenden, die ihm seine Angehörigen und Lehrer vermittelt haben: Aur. Ad se ipsum 1,14: Παρὰ Σευήρου τὸ φιλοίκειον καὶ φιλάληθες καὶ φιλοδίκαιον· καὶ τὸ δι’ αὐτὸν γνῶναι Θρασέαν, Ἑλβίδιον, Κάτωνα, Δίωνα, Βροῦτον· καὶ φαντασίαν λαβεῖν πολιτείας ἰσονόμου, κατ’ ἰσότητα καὶ ἰσηγορίαν διοικουμένης, καὶ βασιλείας τιμώσης πάντων μάλιστα τὴν ἐλευθερίαν τῶν ἀρχομένων· καὶ ἔτι παρ’ αὐτοῦ τὸ ὁμαλὲς καὶ εὔτονον ἐν τῇ τιμῇ τῆς φιλοσοφίας· καὶ τὸ εὐποιητικὸν καὶ τὸ εὐμετάδοτον ἐκτενῶς καὶ τὸ εὔελπι· καὶ τὸ πιστευτικὸν περὶ τοῦ ὑπὸ τῶν φίλων φιλεῖσθαι, καὶ τὸ ἀνεπίκρυπτον πρὸς τοὺς καταγνώσεως ὑπ’ αὐτοῦ τυγχάνοντας, καὶ τὸ μὴ δεῖσθαι στοχασμοῦ τοὺς φίλους αὐτοῦ περὶ τοῦ τί θέλει ἢ τί οὐ θέλει, ἀλλὰ δῆλον εἶναι. „Severus war mir ein Beispiel in der Liebe zu unseren Verwandten wie auch in der Wahrheitsund Gerechtigkeitsliebe. Durch ihn wurde ich auf Thraseas, Helvidius, Cato, Dion und Brutus hingewiesen, durch ihn bekam ich einen Begriff, was zu einer isonomen Politeia gehört, wo vollkommene Gleichheit und Isegoria existieren, und nichts höher geachtet wird als die Freiheit der Bürger. Von ihm habe ich gelernt, immer dieselbe sich nie verleugnende Hochachtung für die Philosophie zu bewahren, wohltätig und freigebig zu sein, von meinen Freunden das Beste zu hoffen und auf ihre Liebe zu vertrauen; wenn sie Veranlassung zur Unzufriedenheit gegeben, dies nicht zu verhehlen, so daß sie nicht zu erraten haben, was man will oder nicht will, sondern es ihnen deutlich zu machen.“⁹⁰⁶
Hier bringt Mark Aurel sein politisches Ideal zum Ausdruck in der Vorstellung einer isonomen Politeia, in der alle in Gleichheit und Redefreiheit unter einer monarchischen Herrschaft leben, die die Freiheit der Bürger respektiert.⁹⁰⁷ Im achten Buch spitzt er seine Vorstellung von Isonomie noch einmal zu: Isonomie ist ein allgemeines Wirkprinzip, das menschliche Handlungen charakterisieren soll, so daß sie den einzelnen Menschen als der Gemeinschaft und eines dem Gott isonomen Wesens würdig erweisen (Ad se ipsum 8,2,1). Aur. Ad se ipsum 8,2: Καθ’ ἑκάστην πρᾶξιν ἐρώτα σεαυτόν· πῶς μοι αὕτη ἔχει; μὴ μετανοήσω ἐπ’ αὐτῇ; μικρὸν καὶ τέθνηκα καὶ πάντ’ ἐκ μέσου· τί πλέον ἐπιζητῶ, εἰ τὸ παρὸν ἔργον ζῴου νοεροῦ καὶ κοινωνικοῦ καὶ ἰσονόμου θεῷ; „Bei jeder Tätigkeit frage dich: Was bedeutet sie fü r mich? Ist zu befü rchten, daß ich sie bereuen muß? Nur noch kurze Zeit, und ich bin tot, und alles ist verschwunden. Was suche
ÜS Nickel. Hervorhebg. v. mir, C.S., ÜS Nickel, modifiziert. Van Ackeren 2011, 83 f.
VI. Isonomia in Kosmos und Polis
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ich noch mehr, wenn mein gegenwärtiges Wirken eines denkenden, solidarisch handelnden und eines der Gottheit gleichgestellten Wesens wü rdig ist?“⁹⁰⁸
Mark Aurel vergleicht sich mit Diogenes, Heraklit und Sokrates, die er als Vorbilder sieht und denen er Alexander, Gaius und Pompeius gegenüberstellt als Beispiele für Unwissenheit und Knechtschaft. Er selbst sieht seine Rolle als die eines vernünftigen und gemeinschaftsbezogenen Wesens ganz im Sinne der φύσις τῶν ὅλων, der Natur des Weltganzen, die auf die κοινωνικὰ ἔργα ausgerichtet ist (Ad se ipsum 8,6 – 7). Die Natur des vernünftigen und gemeinschaftsbezogenen Lebewesens wiederum wird durch die Seele geprägt, die vernünftig und politisch ist.⁹⁰⁹ Diese ideale Vorstellung hat wenig mit der realen Politik seiner Zeit und seiner Herrschaft zu tun, denn über machtpolitische, militärische, rechtliche Konsequenzen schreibt Mark Aurel nichts in seinen Selbstbetrachtungen. Vielmehr verbindet der Kaiser in diesem Werk stoische und epikureische Gedanken in seinem Ziel, für die Gemeinschaft den größten Nutzen zu definieren.⁹¹⁰ Indem er dies aber als allen Menschen gemeinsames Bedürfnis nennt und nicht als von Natur aus gegeben annimmt,⁹¹¹ schließt er sich der stoischen Position an, nach der der Weise dem Gemeinwohl den Vorzug vor dem eigenen Wohl gibt.⁹¹² Der Isonomie-Begriff, den Mark Aurel verwendet, steht, vergleichbar der Verwendung in anderen auf philosophisch-kosmische Kontexte ausgerichteten Werken, auch bei ihm für ein kosmisches Gleichgewicht. Doch Mark Aurel geht darüber hinaus. In seiner Anthropologie ist der Mensch, der diesem vernünftigen und gemeinschaftsbezogenen Ideal entspricht, durch Denken, Gemeinschaftsbezogenheit (als Orientierung am Gemeinwohl) und Isonomie ein dem Göttlichen gleichgestelltes Wesen. Das bedeutet, daß beide zusammenwirken, und an anderer Stelle sagt er dies auch deutlich: Aur. Ad se ipsum 4,4: Εἰ τὸ νοερὸν ἡμῖν κοινόν, καὶ ὁ λόγος, καθ’ ὃν λογικοί ἐσμεν, κοινός· εἰ τοῦτο, καὶ ὁ προστακτικὸς τῶν ποιητέων ἢ μὴ λόγος κοινός· εἰ τοῦτο, καὶ ὁ νόμος κοινός· εἰ τοῦτο, πολῖταί ἐσμεν· εἰ τοῦτο, πολιτεύματός τινος μετέχομεν· εἰ τοῦτο, ὁ κόσμος ὡσανεὶ πόλις ἐστί· τίνος γὰρ ἄλλου φήσει τις τὸ τῶν ἀνθρώπων πᾶν γένος κοινοῦ πολιτεύματος μετέχειν; ἐκεῖθεν δέ, ἐκ τῆς κοινῆς ταύτης πόλεως, καὶ αὐτὸ τὸ νοερὸν καὶ λογικὸν καὶ νομικὸν ἡμῖν ἢ πόθεν;
ÜS Nickel. Van Ackeren 2011, 502. Epik. Ratae sententiae 31– 37; hier und für das Folgende ausf. Hahmann 2017, 201 f. Zu den epikureischen Positionen: Cic. leg. 1,6,18. Cic. fin. 3,64.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
„Wenn uns das Denkvermögen gemeinsam ist, dann ist uns auch die Vernunft, durch die wir vernü nftig sind, gemeinsam. Wenn dies zutrifft, dann ist auch die Vernunft, die bestimmt, was zu tun ist oder nicht, uns allen gemeinsam. Trifft dies zu, so ist auch das Gesetz uns allen gemeinsam.Wenn dies richtig ist, dann sind wir alle Bü rger. In diesem Falle haben wir teil an einer Art von Staatswesen. Wenn dies zutrifft, dann ist der Kosmos gewissermaßen ein Staat. Denn zu welchem gemeinsamen Staatswesen, so könnte jemand fragen, sollte das gesamte Menschengeschlecht sonst gehören? Von dort aber, d. h. aus diesem gemeinsamen Staat, haben wir unser Denkvermögen, unser vernü nftiges Wesen und unser Bedü rfnis nach dem Gesetz.“⁹¹³
Der römische Kaiser bezieht in seiner Gleichsetzung von Kosmos und Polis die stoische Theorie vom Kosmos als Polis auf das römische Imperium: Aur. Ad se ipsum 6,44: Πόλις καὶ πατρὶς ὡς μὲν ᾿Aντωνίνῳ μοι ἡ Ῥώμη, ὡς δὲ ἀνθρώπῳ ὁ κόσμος. τὰ ταῖς πόλεσιν οὖν ταύταις ὠφέλιμα μόνα ἐστί μοι ἀγαθά. „Die Polis und das Vaterland ist fü r mich als Antoninus Rom, fü r mich als Menschen der Kosmos. Was diesen Poleis nü tzlich ist, das allein ist fü r mich gut.“⁹¹⁴
Das eingangs in den Selbstbetrachtungen des Kaisers formulierte Ideal der isonomen Polis ist also sowohl ethisch-philosophisch begründet als auch konkret auf das römische Imperium bezogen.⁹¹⁵ Mark Aurel führt die kosmische Isonomie, die ein Gleichgewicht im anthropologischen wie auch metaphysischen Bereich ausdrücken kann, mit der idealisierten Vorstellung einer überhöhten Polis Rom zusammen.
3. Ausblick: Isonomia und christlicher Glaube Der antike Gebrauch des Begriffs ‚Isonomie‘ mit den damit verbundenen Gleichheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen bleibt nicht auf die pagane Literatur beschränkt. In der christlichen Literatur findet sich der Begriff bei den Kirchenvätern, vor allem bei Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomos.⁹¹⁶ Diese Entwicklung ist eine andere als die des politischen Begriffs der
ÜS Nickel. ÜS Nickel, modifiziert. Anders van Ackeren 2011, 515: „Es ist nicht sicher zu entscheiden, ob Marc Aurel hier von der kosmischen Polis spricht oder von der römischen politischen Gemeinschaft.“ Er sieht eine Gemeinsamkeit in der Teilhabe beider an der kosmischen Vernunft. Greg. Nyss. De mortuis non esse dolendum Vol. 9 p. 37; Epistulae 1,14; De oratione dominica, Orationes V. p. 268; Orationes viii de beatitudinibus, Vol. 44 p. 1253 – Gregorii Nysseni de beatitudinibus, in: Gregorii Nysseni de oratione dominica; de beatitudinibus, ed. J.F. Callahan [= GNO 712], Leiden/New York/Köln 1992, 75 – 170; Greg. Naz. Epistulae 249,14; De pauperum amore (orat.
VI. Isonomia in Kosmos und Polis
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Isonomie, da der Begriff vollständig in ein Glaubensgebäude integriert wird. Insofern ist dieser Gebrauch nicht mehr Thema der vorliegenden Untersuchung, soll jedoch am Beispiel zweier Textpassagen der Kirchenväter (Gregor von Nyssa und Johannes Chrysostomos) als kurzer Ausblick bis ins 5. Jahrhundert n.Chr. zumindest angerissen werden. Bei Gregor von Nyssa heißt es in der 8. Rede der Seligpreisungen: Greg. Nyss. De beat. Vol. 44 p. 1253 MPG: Εἰ γὰρ πᾶσι καθ’ ὑπόθεσιν ἡ τοιαύτη τῆς ψυχῆς ἐγγένοιτο πρὸς τὸ ἐλαττούμενον σχέσις, οὐκέτ’ ἂν εἴη τὸ ὑπερέχον, καὶ ἐλαττούμενον· οὐκέτι πρὸς τὰ ἐναντία τῶν ὀνομάτων ὁ βίος διενεχθήσεται· οὐκ ἀνιάσει πενία τὸν ἄνθρωπον· οὐ ταπεινώσει δουλεία· οὐ λυπήσει ἀτιμία· πάντα γὰρ ἔσται πᾶσι κοινά· καὶ ἰσονομία καὶ ἰσηγορία τῷ βίῳ τῶν ἀνθρώπων ἐμπολιτεύεται· ἑκουσίως τοῦ πολιτεύοντος πρὸς τὸ λεῖπον ἐξισουμένου. „Sobald nämlich eine solche Gesinnung gegen die Geringeren der Seele eingepflanzt wird, gibt es kein Zu-Viel und auch kein Zu-Wenig; nicht mehr wird das Leben in Gegensätze gespalten: keine Armut wird den Menschen plagen, keine Knechtschaft ihn erniedrigen, kein Mangel an Ansehen ihn betrüben. Denn allen wird alles gemeinsam sein; Isonomie und Isegorie bürgern sich im Leben der Menschen ein, da der Mitbürger freiwillig den Rückstand der Geringeren ausgleicht.“⁹¹⁷
Die christliche Anthropologie transformiert die Isonomie im Rahmen der Gottesebenbildlichkeit zu einem Band, das über die Seele das Leben der Menschen prägt. So kann sich der Mensch Gottes würdig erweisen und erfährt die Barmherzigkeit Gottes.⁹¹⁸ Durch die Isonomie und Isegorie werden die Ungleichheiten unter den Menschen überwunden, jedoch basiert sie in diesem Rahmen nicht mehr nur auf der Tugend, sondern auf dem Glauben und der Tugend.⁹¹⁹ Insofern gehört auch die Isonomie in diesen Kontext der christlichen Glaubenslehre. Johannes Chrysostomos, ein Kirchenvater, dem „angewandte Staatsphilosophie“ attestiert worden ist,⁹²⁰ ist der antike Autor, der Isonomie – nach Dionysius
14) Vol. 35 p. 892; Ioh. Chrys. In illud: Ne timueritis cum dives factus fuerit homo (homiliae 1– 2) Vol. 55 p. 514 und 518; In Matthaeum (homiliae 1– 90) Vol. 58 p. 653 f.; Fragmenta in Job (in catenis), Vol. 64 p. 516; In sanctum pascha (sermo 6) [Sp.] 42,1; Ad Eudoxiam (epist. 1– 7) [Sp.] p. 503; sowie in der Kommentarliteratur: Asterius v. Amasea Commentarii in Psalmos (homiliae 31) Hom. 29,15; Julianus Commentarius in Job, p. 37. (alle Belege nach MPG). ÜS Pustet, modifiziert. Böhm 2004, 246 ff. mit Literatur. Böhm 2004, 247 ff. Anders: Hülsewiesche 2002, 109 stellt zur Isegoria a. a.O. fest, daß der Gebrauch lediglich eine lexikographische und chronikalische Bewahrung zeige. Kessler 2004, 257. Vgl. zu Johannes Chrysostomos Tiersch 2002.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
von Halikarnaß – tatsächlich am häufigsten verwendet.⁹²¹ Auf seine Zeit als kirchlicher Amtsträger gehen Maßnahmen der Konsolidierung des Kirchenbesitzes, der Ausdehnung seines episkopalen Jurisdiktionsbezirks sowie die Stabilisierung der Patriarchatsstrukturen von Konstantinopel zurück, die vor allem im byzantinischen Bereich bis in die Moderne prägend geblieben sind.⁹²² Johannes Chrysostomos beschreibt die Rolle der Isonomie in der berühmten Osterpredigt:⁹²³ Ioh. Chrys. In sanctum pascha (sermo 6) 42 Nautin: Ν ό μ ο ς ε ἷ ς ἔ σ τ α ι τῷ ἐλευθέρῳ καὶ π ρ ο σ η λ ύ τ ῳ · ὅπου Χριστός, ἐλευθερία, πάντων ἰσηγορία, ἰσονομία, ἰσοτιμία· τ ι μ ί ῳ πάντες ἠγοράσθησαν α ἵ μ α τ ι . Er wird nur ein Gesetz sein für den Freien und Proselyten, denn da, wo Christus ist, ist die Freiheit und für alle die Isegoria, die Isonomia und die Isotimia. Alle wurden durch sein teures Blut gekauft.
Die Predigt basiert auf der Vorstellung einer Einheit des Geistes Christi und Gottes und in diesem Kontext ist die Isonomie, wie die Isegorie und die Isotimie, gleichbedeutend mit der Freiheit. Im Kommentar zum Matthäus-Evangelium (69. Homilie, c. XXII, V.4, 58, p. 653 MPG), zieht Chrysostomos einen Vergleich zwischen den Mönchen und den anderen Menschen:⁹²⁴ Ioh. Chrys. In Matthaeum (homiliae 1– 90), 58 col. 654,13 – 17: Ἐκείνοις μὲν γὰρ ἡ φύσις οὕτως ἔδωκε τρέφεσθαι· ἡμᾶς δὲ λόγῳ καὶ ἰσονομίᾳ τετίμηκεν ὁ Θεὸς, καὶ τῶν θηρίων γεγόναμεν χείρους. Καὶ ἡμεῖς μὲν τῶν ἀλόγων χείρους, ἐκεῖνοι δὲ τῶν ἀγγέλων ἴσοι, ξένοι καὶ παρεπίδημοι τῶν ἐνταῦθα ὄντες·[…]. „Sie folgen ja nur dem Triebe der Natur, während wir von Gott mit Verstand und Isonomie ausgezeichnet wurden, trotzdem sind wir schlimmer als die wilden Tiere. Während aber wir schlechter sind als die vernunftlosen Geschöpfe, sind die Mönche den Engeln gleich, sind Fremdlinge und Pilger hier auf Erden.“⁹²⁵
Ioh. Chrys. In illud: Ne timueritis cum dives factus fuerit homo (homiliae 1– 2), 55 p. 514,47; p. 518,4; In Matthaeum (homiliae 1– 90), 58 col. 654,14; Fragmenta in Job (in catenis) 64 p. 516,30; In sanctum pascha (sermo 6) [Sp.] c. 42,1,2; Ad Eudoxiam (epist. 1– 7) [Sp.] p. 503,5. Kessler 2004, 258. Die Homilie In sanctum pascha (sermo 6) wird entweder Johannes Chrysostomus oder Hippolytos zugeschrieben. Vgl. dazu Nautin 47 f., der die Predigt in seiner Edition in die 2. Hälfte des 4. /Anfang des 5. Jahrhunderts n.Chr. datiert: „Je ne crôis pas que cela puisse nous conduire bien loin après le IVè siècle. Les bons connaisseurs du Vè siècle sauront mieux nous dire si l’on peut encore trouver une théologie semblable à cette époque, et nous fixeront, s’il y a lieu, un date plus précise.“ Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt Huber 2012, 116: Die Predigt habe einen monarchianischen Verfasser und sei in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n.Chr. wahrscheinlich in Rom entstanden. In Matthaeum (homiliae 1– 90), 58 col. 654, 13 – 17. ÜS Baur, modifiziert.
VI. Isonomia in Kosmos und Polis
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Auch hier zeigt sich der christliche Gleichheitsgedanke, der die Gleichheit aber weder an soziale oder politische Bedingungen bindet, sondern an das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen, dabei allerdings Abstufungen kennt, die jedoch immer in Vernunft und vor allem Glauben verankert sind.
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
VII. Schlußbetrachtung⁹²⁶ Beginnend in Ionien ist eine Entwicklung zu beobachten, die sich später auch in Athen und der Magna Graecia etablierte und die in Politik, Philosophie und Medizin mit dem Begriff der Isonomia verbunden wurde. In der Überlieferung lassen sich verschiedene Positionen erkennen, die vom Koinon als der Gemeinschaft der Polis ausgehen und die Frage thematisieren, wie den Bürgern ein Anteil an der politischen Ordnung gewährt oder gesichert werden kann (Kap. I.1– 4). Dem Koinon kam von Anfang an im Denken und Handeln in der griechischen Polis eine zentrale Rolle zu (A.). Vom homerischen Xynon über die Eunomia Solons (Kap. I.2) bis hin zu Xenophanes (Kap. I.4) und Heraklit (Kap. II.2.2) läßt sich zeigen, daß im Zentrum des politischen Denkens (und auch immer stärker des politischen Handelns) die Gegensätzlichkeit von Gemeinwohl und Interesse der Gesamtheit im Verhältnis zu Eigeninteresse steht. Die Spannung zwischen Eigenund Gemeininteresse wird ganz unterschiedlich gesehen und im Verlauf des 6. Jahrhunderts v.Chr. tritt vor allem die Vorstellung einer regulatorischen Einwirkung göttlicher Kräfte, die in Solons Eunomie noch erkennbar ist, völlig zurück. Stattdessen werden organisatorische und kosmologische Modelle entwickelt, die mit Relationen arbeiten (Kap. I.3): Solche Relationen bestimmen das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie im Kosmos genauso wie im Bereich der Gemeinschaftsfunktionen einer Polis. Ohne die göttliche Regulation wird die Gemeinschaft immer mehr unter dem Gesichtspunkt der Anteiligkeit gesehen: Das Funktionieren der Gemeinschaft beruht auf Relationen, die je nach vertretener Ansicht den beteiligten Gruppen ihre Anteile zuordnen. Diese distributiv gedachte Ordnung der Polis wird am Maß von Gerechtigkeit und Nutzen für das Gemeinwohl der Polis als ganzer gemessen. In diese sehr abstrakten Vorstellungen des Politischen gehört die Isonomie als Begriff für eine Gesamtordnung der Polis (A.). Der Begriff selbst steht für ein Modell, das die Relation der Anteile aller Bürger an ihrer Gemeinschaft strikt nach dem Maß der Gleichheit bestimmt, d. h. nach dem gleichen Anteil der Partizipation am Ganzen. In der Beschreibung der ionischen Isonomien in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v.Chr. bei Herodot (Kap. II.2.3), aber auch in den Entwicklungen in der Magna Graecia (Kap. IV.1– 4) sind gemeinschaftsbildende Prozesse zu erkennen, die nicht nur zeigen, wie man die Erfahrungen aus den zahlreichen Niederlagen gegen Lyder und Perser politisch umgesetzt hat, sondern auch sichtbar machen, wie diese Erfahrungen ‚begriffen‘ wurden. Dieser Begriff der Isonomie wird prominent, wie seine Verbindung mit den Tyrannentötern
Verweise auf die einzelnen Kapitel sind der besseren Übersicht halber eingefügt.
VII. Schlußbetrachtung
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Harmodios und Aristogeiton zeigt (Kap. III.2). In der an den Tyrannenmord anschließenden Kleisthenischen Phylenreform (Kap. III.3) findet das der Isonomie zugrundeliegende Modell der gleichen Anteile an der Partizipation in politicis seine konkrete, politische Verwirklichung. Diese Reform ist jedoch keineswegs aus dem Nichts konzipiert worden, sondern hatte eine längere Vorgeschichte unter den Peisistratiden mit den Maßnahmen des Hipparch und den Ereignissen in Ionien (Kap. III.1). In der Kleisthenischen Phylenreform wird ein Gleichgewicht vieler verschiedener Teile (Regionen) durch Proportionen realisiert, deren Maß die gleiche Anteiligkeit am politischen Geschehen ist. Der grundlegende Gedanke ist der, der in den Modellen zu erkennen ist, die für Thales (Kap. II.1) und auch von dem Pythagoreer Alkmaion von Kroton (Kap. IV.3) überliefert sind: Die arithmetische Gleichheit, die der Begriff ‚Isonomie‘ mit seinem Anspruch der gleichen Anteile an der gemeinschaftlichen Ordnung ausdrückt, basiert auf einem Gleichgewicht aller Teile. In dem Modell des Alkmaion von Kroton ist dies die Gesundheit, die sich aus dem Gleichgewicht aller Faktoren wie Säfte, Organe, Psyche und Umwelt ergibt, und in der Kleisthenischen Phylenreform ist es das Gleichgewicht der auf die Trittyen und Phylen verteilten Bürger aus den Demen, die so ihren gleichen Anteil an der politischen Ordnung der Polis haben. Begriff und Sachverhalt entsprechen sich in dieser kurzen Zeitspanne und daraus ist auch zu erklären, daß ‚Isonomie‘ eine demokratische Wertigkeit erhält. Ob und wie an dem kleisthenischen Modell Kritik von den Zeitgenossen geäußert wurde, läßt sich nicht rekonstruieren. Aber bereits bei Thukydides und Platon wird Isonomie anders verstanden. Isonomie ist bei Thukydides (Kap. V.1) wie auch bei Platon Teil des demokratischen Begriffsarsenals. Für Thukydides ist Isonomie ein Schlagwort, das als Teil des tagespolitischen Diskurses zum rhetorischen Etikett in Auseinandersetzungen wird. Die arithmetische Gleichheitskonzeption lehnt er ab, stattdessen präferiert er eine auf Werte wie Leistung und Tugend gegründete Teilhabe für die Bürger einer Polis. Er setzt dem Modell des Gleichgewichts, das auf arithmetischer Gleichheit in den Relationen der Teile beruht, eine andere Gleichheitskonzeption entgegen. Die später bei Platon (Kap. V.2) ausführlich begründete Gegenüberstellung von arithmetischer und geometrischer Gleichheit ist von Thukydides ausgehend weiter in den philosophischen und moralphilosophischen Diskursen als Teil der Gerechtigkeitslehre und der kosmischen Wirkkräfte entwickelt worden. Der Begriff der Isonomie wird noch für Vorstellungen von Gleichgewicht verwendet, jedoch ohne Bezug auf den politischen Gehalt des Begriffs. Erstmals bei Platon (Kap. V.2) erhält die Isonomie einen metaphysischen Bezug, indem er sie im Kontext der Diskussion über die Unterschiede der guten und schlechten Lebensweisen, wie andere politische Ordnungsbegriffe auch, in
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B: Isonomia: Entstehung und Geschichte
seine Seelenlehre integriert, die unterschiedliche Menschentypen und Staatsformen charakterisiert. Eine weitere Bedeutungsverschiebung läßt sich im Gebrauch des Begriffs in den griechischen Geschichtsmodellen beobachten. Schon Isokrates und Ephoros (Kap. V.3) setzen Isonomie als Teil einer Myth-Historie der griechischen Historiographie ein. In der griechisch schreibenden Historiographie wird der Begriff zur Markierung besonderer Krisen der römischen Geschichte eingesetzt (Kap.V.5). Dionysios von Halikarnaß und Plutarch verwenden Isonomie, um Wendepunkte der römischen Frühzeit zu charakterisieren, Appian hingegen, um entscheidende Momente der Bürgerkriegszeit (die Auseinandersetzungen um das Ackergesetz des Tiberius Graccus und die Kriege vor und nach dem Tod Cäsars) herauszustellen. Damit einher gehen die Verfassungsdebatten nach dem Modell Herodots, die Dionysios von Halikarnaß (er setzt sie zwischen dem Sturz des Tarquinius Superbus und dem Beginn der Republik ein) und Cassius Dio (für das Jahr 27 v.Chr.) zur Strukturierung historischer Abläufe verwenden (Kap. V.5.2). Bei Plutarch ist Isonomie sogar ein Kernbegriff zur Charakterisierung einer besten Politeia, den er für seine Debatte περὶ πολιτείας unter den Sieben Weisen verwendet. Isonomie wird zunehmend mit moralischen Konnotationen aufgeladen und damit auch der Boden bereitet für den christlichen Gleichheitsgedanken, der das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen als isonom betrachtet (Kap. VI). Diese Verschiebungen und Umschreibungen charakterisieren die Geschichte des Isonomie-Begriffes. Sie zeigen, wie die Veränderung der Kontexte die Begründungszusammenhänge löst sowie die Plausibilität eines Begriffs umformt und damit auch den historischen Erfahrungswandel über die Jahrhunderte sichtbar werden läßt.
C: Anhang VIII.1 Appendix 1: Die Überlieferung des Alkmaion-Lemmas „Περὶ ὑγείας καὶ νόσου …“ Das mit dem Namen des Alkmaion von Kroton versehene Lemma, mit der Überschrift Περὶ ὑγείας καὶ νόσου … versehen, ist wesentlicher Bestandteil der Überlieferungsgeschichte des Isonomie-Begriffs. Dieses Lemma bietet eine Zusammenfassung dessen, was Alkmaion über seine Vorstellung von Gesundheit und Krankheit geschrieben hatte, und es finden sich dazu in der antiken Überlieferung unter dem Lemma Περὶ ὑγείας καὶ νόσου καὶ γήρως diverse Parallelpassagen in den Placita des Pseudo-Plutarch, in der Anthologie des Stobaios sowie einem wörtlich identischen Zitat bei Michael Psellos (Επιλύσεις διαφόρων ἐρωτημάτων⁹²⁷) und schließlich in einer ebenfalls bei Michael Psellos erhaltenen – aber eher paraphrasierenden – Textpassage in dessen Schrift De omnifaria doctrina. ⁹²⁸
Boissonade 1964, 63 – 69; ausführlich Mansfeld/Runia 1997– 2020; Zu Psellos: Moore 2005. Ps.-Plut. Plac. phil. 5,30 (= 911a – c); Stob. Anthol. 4,29 – 31 (Wachsmuth/Hense); Michael Psellos De omnifaria doctrina 117: Περὶ ὑγείας καὶ νόσου καὶ γήρως (Westerink); eine arabische Parallelüberlieferung, die als Übersetzung aus den pseudo-plutarchischen Placita gilt, findet sich bei Qusṭā Ibn-Lūqā V 30 (= Daiber 1980, 247). Der Autor benutzt für Isonomia das Wort musāwāt, das Gleichheit/Gleichwertigkeit/Gleichkommen heißt. Das Wort ist kein Lehnwort o. ä., sondern aus der arabischen Wurzel von sawiya = ‚gleich/-wertig sein‘ abgeleitet (freundl. Hinweis von V. Klemm/Leipzig). Bei Qusṭā Ibn-Lūqā folgt auf das mit Alkmaions Namen gekennzeichnete Lemma eines aus Herophilos, an das erst sich die Notiz zu Diokles anschließt, die in allen anderen Texten direkt auf das Alkmaion-Lemma folgt. Damit unterscheidet sich dieser Traditionsstrang m. E. ganz entscheidend von demjenigen, der mit Pseudo-Plutarch und Stobaios verbunden wird. Mansfeld/Runia 2020, IV 2049 geben eine Übersicht zu den Differenzen in dem Satzanfang dieses zweiten Teils der Textpassage zwischen Pseudo-Plutarch, Qusṭā Ibn-Lūqā, Psellos und Stobaios. Sie konzedieren, daß die Vermutung von Daiber ad loc. (bei der Nennung des Herophilos könne es sich um die Randnotiz eines Schreibers handeln) durchaus berechtigt ist. Ausführlich zu der gesamten Placita-Überlieferung Mansfeld/Runia in den Aëtiana I – V, 1997– 2020 und Bottler 2014, 15 ff. Die Bezeichnung ἐπιτομή findet sich allerdings nach der handschriftlichen Überlieferung nur in den Überschriften der Bücher II, III und V im sog. Lamprias-Katalog (Treu): Nr. 61 (Περὶ τῶν ἀρεσκόντων φιλοσόφοις φυσικῆς ἐπιτομῆς βίβλια ε’). Andere Kandidaten im Lamprias-Katalog (Treu) unter der Nr. 196: Φυσικῶν ἀρεσκόντων, unter Nr. 183: Φυσικὴ ἐπιτομή und unter Nr. 218: Αἰτίαι φυσικαί. Insgesamt dazu Mansfeld/Runia, Aëtiana I – V; vgl. die sehr kritische Übersicht von Zhmud 2001, 219 – 243, der ebd. 221 befürchtet, daß aus der zunehmenden Kritik an Diels, wie es sich bei allem Respekt doch auch in dem https://doi.org/10.1515/9783110723663-004
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C: Anhang
Von Diels in seiner Rekonstruktion des Aëtius ist daraus ein Fragment des Alkmaion zusammengestellt worden (vgl. dazu Abb. 6), das er in seiner Ausgabe der Vorsokratiker als Fragment B4 – aus dem Werk des Aëtius stammend – eingeführt hat und das seither fast ausschließlich auf dieser von Diels konstruierten Grundlage zitiert wird.⁹²⁹ Die unbestreitbaren Parallelen zwischen der Anthologie des Johannes Stobaios, der philosophiehistorischen Schrift, die heute einem pseudo-galenischen Autor zugeschrieben wird, und der Epitome aus den Placita philosophorum des Pseudo-Plutarch gehen für Diels auf eine Epitome zurück, die aus einem größeren Werk stammt, das er einem Autor namens „Aëtius“ zuschrieb.⁹³⁰ Diese diversen Textkonvolute, mit und ohne Zuschreibung an Aëtius, werden heute auch als Teil der antiken Placita-Literatur bzw. -Tradition betrachtet, die in ganz unterschiedlichen Editionen der pseudo-plutarchischen Placita, des Stobaios sowie Ausgaben des Psellos behandelt werden.⁹³¹
Vorgehen von Mansfeld und Runia zeige, ein „flourishing business with such selfdestructive results“ entstehe. Eine neue Edition der Fragmente des Alkmaion wird von S. Kouloumentas (im Druck) vorbereitet, der mir freundlicherweise seine Fassung von Alkmaion B4 vorab zur Verfügung gestellt hat. Mansfeld/Runia 2020, IV 2043 haben in ihrer neuen Edition der Placita die Textpassage ab συμπίπτειν ὡς μὲν ὑφ’ οὗ Herophilos zugeordnet und mit Ἡρόφιλος τὰς νόσους eingeleitet. Diese Zuordnung erscheint jedoch vor dem Hintergrund des hier beschriebenen historischen Kontexts in Ionien, Athen und Unteritalien wenig plausibel. Mansfeld/Runia stützen ihre Zuordnung zu Herophilos fast ausschließlich auf Qusṭā Ibn-Lūqā V 30 (= Daiber 1980, 247) und verschiedene Konjekturen, die insgesamt das Ziel haben, die Widersprüche, die sich aus den verschiedenen Versionen, den diversen Verschreibungen und unverständlichen Satzkonstruktionen ergeben, zu vereinheitlichen. Vgl. die Visualisierung der Differenzen in den neuesten Editionen von Kouloumentas (im Druck) und Mansfeld/Runia 2020, IV 2043 in Abb. 5. Mansfeld/Runia, I (Sources) 1997, 107; zu Aëtius als Autor: a. a.O. 84– 87 und 333 und die kritische Übersicht von Zhmud 2001, 219 – 243. Vgl. dazu neuerdings Jas 2018, 28 f., die sich Mansfeld/Runia anschließt. Für die Placita philosophorum: J. Mau, Plutarchi Moralia Bd. V, Fasc. 2, Pars 1, Leipzig 1971 und G. Lachenaud, Plutarque, Oeuvres Morales. Opinions des Philosophes, Bd. XII2, Paris 1993, für Pseudo-Galen De historia philosopha: Diels, Doxographi Graeci 233 – 258, 595 – 648, und jetzt: Jas, Nicolaus Rheginus als Übersetzer der pseudo-galenischen Schrift De historia philosopha 2018; für Stobaios die Ausgabe von Wachsmuth/Hense, Berlin 1884– 1912 (Repr. 1958). Psellos: Boissonade, Michael Psellus De operatione daemonum, 1838/1964, 63 – 69; L.G. Westerink, Michael Psellus De omnifaria doctrina, Nijmwegen 1948. Vgl. zur Epilysis des Psellos Kolovou 2006, 76 – 77 und zu den Manuskripten des Psellos Moore 2005. Die Anordnung, in der die Qualitäten in dieser Textpassage genannt werden, ist erstaunlich unterschiedlich. So unterscheidet sich die Anordnung der Qualitäten innerhalb der handschriftlichen Überlieferung der pseudo-plutarchischen Placita wie auch zwischen dieser im Cod.Mosq. 352 und Psellus: So heißt es in den Hss. der Moralia in den Codd.Laur.Plut. 80,21
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Aus der pseudo-galenischen Historia Philosopha, die ein Lemma Περὶ νόσων hat, edierte Diels Teile in seiner Dissertation (1871) und dann in den Doxographi Graeci (1879) den gesamten Text. Kürzlich hat Jas auf der Grundlage von weiteren griechischen Manuskripten, die Diels unbekannt waren, die lateinische Übersetzung des Niccolò di Reggio ediert und auf der Basis von gemeinsamen Lesarten der Historia philosopha, der arabischen Übersetzung und Lesarten der erhaltenen byzantinischen Manuskripte einen neuen Überlieferungszweig rekonstruiert, der sich in mehreren Punkten von dem Diels’schen Stemma unterscheidet.⁹³² Zusätzlich kann noch eine Textpassage bei Gregor von Nyssa, die bisher nie in diesem Kontext herangezogen wurde, als weitere Parallele zu dem AlkmaionLemma angeführt werden, da sie nicht nur auf eine vergleichbare Vorstellung von Krankheit und Gesundheit bezogen ist, sondern auch den ansonsten nie in die-
f.163r, 80,22 f.295v und Cod.Paris.gr.1182 f.68v (Psellus Epilysis, vgl. Kolovou 2006, 76 f.) ὑγροῦ˙ ξηροῦ˙ ψυχροῦ˙ θερμοῦ˙ πικροῦ˙ γλυκέος˙ (feucht, trocken, kalt, warm, bitter, süß, bei Boissonade [1838]: ὑγροῦ, ξηροῦ, ψυχροῦ, θερμοῦ, πικροῦ, γλυκέος), dagegen in den Hss. der Moralia in den Codd. Laur.Plutt. 80,30 f.56v und Paris.gr.2423 f.51r, 1671 II, f.128v, 1672 f.659 (ὑγροῦ˙ θερμοῦ˙ ξηροῦ˙ ψυχροῦ˙ πικροῦ˙ γλυκέος˙) und in der Moskauer Handschrift der Placita (Cod.Mosq. 352 f.40, früher Nr. 339): ὑγροῦ θερμοῦ˙ ξηροῦ ψυχροῦ˙ πικροῦ˙ γλυκέος (feucht-warm/ trocken-kalt/ bitter/süß). Letzteres könnte auf eine Proportion hindeuten, wie Alkmaion sie in seiner analogischen Methode (s. Appendix 2) auch wirklich verwendet hat. Ein Problem sind die Akkusative αἷμα ἢ μυελὸν ἢ ἐγκέφαλον aus der Texttradition des Stobaios, die, wenn man – wie Diels (von Mau in der Teubner-Edition der Placita nicht übernommen) – die Stobaios-Lesart καὶ νόσον συμπίπτειν aufnimmt, im Folgenden eine Korruptel erzeugen, da die Akkusative αἷμα ἢ μυελὸν ἢ ἐγκέφαλον so nicht konstruierbar sind, sich dann aber auch nicht in einen ebensowenig konstruierbaren Nominativ ändern lassen. Diels hat hier ein περὶ ergänzt. Der Text aus Ps.-Plutarch καὶ νόσων αἰτία ist einleuchtender als das καὶ νόσον συμπίπτειν von Stobaios. Je nachdem ergeben sich daraus auch wieder verschiedene Möglichkeiten der Satzgliederung für die folgenden Passagen. Entscheidet man sich für Ps.-Plutarch, ist αἰτία Subjekt, und das Folgende macht die Anwendung von μοναρχία auf die Aitiologie der Krankheiten deutlich. Anders – jedoch ohne Bezug auf diese Unterschiede und Unstimmigkeiten – argumentieren Mansfeld/Runia 2020, IV 248 – 253. Diese Unterschiede zwischen den Texttraditionen zeigen, daß die Überlieferung noch wesentlich komplizierter ist, als sie in den neueren Editionen dargestellt wird. Der Text, den Diels in den Vorsokratikern gibt, ist selbst bereits hochgradig konstruiert (vgl. dazu Abb. 6, die diese Konstruktion zumindest teilweise visualisiert) und die neuesten Editionen (Mansfeld/Runia 2020 und Kouloumentas [im Druck]) bilden diese Komplexität im Vergleich zu dem Diels’schen Text in den Vorsokratikern durchaus ab (vgl. dazu die Visualisierung in Abb. 5). Die Probleme, die hier exemplarisch aus der handschriftlichen Überlieferung genannt sind, werden in den heutigen Editonen nicht mehr disktutiert. Meinen Leipziger Kollegen und Kolleginnen, insbesondere Foteini Kolovou und Kurt Sier, möchte ich daher an dieser Stelle für ihr Interesse und ihre Unterstützung in den Diskussionen über die Auslegungsmöglichkeiten und die Texttraditionen des Alkmaion-Textes sehr herzlich danken. Jas 2018 mit der Besprechung Dorandi 2019.
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sem Kontext – außer in den hier zitierten Texten der Überlieferung des AlkmaionLemmas – verwendeten Begriff der Isonomie hat.⁹³³ In der Passage bezieht sich Gregor darauf, daß er von einem Arzt gehört habe, der über die Voraussetzungen von Krankheit und Gesundheit gesprochen habe. Dieser habe die Meinung vertreten, daß jede Krankheit durch ein Ungleichgewicht verursacht werde und die Wiederherstellung der Gesundheit durch die Wiederherstellung des Gleichgewichtes der ursprünglichen Ordnung der Kräfte bewirkt werden könne. Gregor betrachtet diese Vorstellung als auch auf die Zustände der Seele anwendbar: Greg. Nyss. De oratione dominica 4,266 – 268 (Boudignon): Ἤκουσά τινος ἰατρικοῦ τεχνικῶς περὶ τῆς κατὰ τὴν ὑγείαν ἕξεως φυσιολογοῦντος· ἴσως δ’ ἂν γένοιτο ἡμῖν καὶ πρὸς τὴν τῆς ψυχῆς εὐεξίαν οὐκ ἀπὸ σκοποῦ τὸ λεγόμενον. Τὴν γὰρ ἐκ τοῦ μετρίου παρατροπὴν τῶν ἐν ἡμῖν στοιχείων τινὸς ἀρχὴν καὶ αἰτίαν τῆς κατὰ τὸ πάθος συστά σεως διωρίζετο, καὶ ἐκ τοῦ ἐναντίου πάλιν τὴν ἐπὶ τὸ οἰκεῖόν τε καὶ κατὰ φύσιν τῶν πλημμελῶς παρακινηθέντων ἀποκατάστασιν θεραπείαν ἔφασκεν τῆς νοσώδους αἰτίας εἶναι. Καὶ διὰ τοῦτο σκοπεῖν ᾤετο δεῖν τί μάλιστα τῶν ἐν ἡμῖν ἐν ἀταξίᾳ κινουμένων διὰ τῆς ἰδίας ἐπικρατήσεως ἄτονον ποιεῖ τοῦ ἀντιστοιχοῦντος τὴν πρὸς τὴν ὑγείαν συνεισφοράν· ὡς εἰ μὲν τὸ θερμὸν ἐπικρατοίη, συμμαχίαν τῷ δυναστευομένῳ παρέχειν καὶ ὑπονοτίζειν τὸ ξηραινόμενον, μή που τῆς ὕλης ἐπιλιπούσης μαρανθείη τελείως καὶ ἀποσβεσθείη ἐν ἑαυτῷ τὸ θερμὸν, αὐτὸ περὶ ἑαυτὸ δαπανώμενον, ὡσαύτως καὶ, εἴ τι τῶν ἄλλων τῶν κατὰ τὸ ἐναντίον ἐν ἡμῖν θεωρουμένων ἐκβαίνοι τὸν ὄρον, πρὸς τὸ πλεονάζον ἵστασθαι τῷ ἐλαττουμένῳ τὴν ἀπὸ τῆς τέχνης συμμαχίαν ἐπάγοντας, τούτων δὲ γενομένων, καὶ μηδενὸς τῇ τῶν στοιχείων ἰσονομίᾳ ἐμποδίζοντος, ἐπανάγεσθαι τὴν ὑγείαν τῷ σώματι, μηκέτι τῆς φύσεως κατὰ τὴν κρᾶσιν ἀνωμαλούσης. „Einen Arzt hörte ich einmal auf Grund seiner medizinischen Kenntnisse über die natürlichen Voraussetzungen der Gesundheit sprechen.Vielleicht leisten seine Ausführungen einen nützlichen Beitrag zur Gesunderhaltung der Seele. Nach ihm läßt sich nämlich jede Krankheit auf eine Verrückung des richtigen Verhältnisses zurückführen, in welchem die verschiedenen Bestandteile unseres Körpers zueinander stehen sollen; und umgekehrt besteht die Heilung der Krankheit in der Zurückversetzung der zu Unrecht verschobenen Teile in die ihnen zukommende naturgemäße Ordnung. Daraus folgerte er, man solle zuerst untersuchen, welches von den Elementen, die in uns in Unordnung gerieten, am meisten den Einfluß des gerade entgegengesetzten Grundstoffes schwächt, der zur Gesundung mitzuwirken berufen ist. Wenn daher z. B. die Hitze überhand nimmt, so müsse man allen davon betroffenen Teilen zu Hilfe kommen und ihnen, bevor sie austrocknen, Feuchtigkeit zuführen, damit nicht etwa durch Vernichtung des Stoffes die Wärme völlig verzehrt werde und in sich selbst erlösche. Desgleichen solle man auch, wenn eine der anderen körperlichen Kräfte, die nach dem Prinzip des Gegensatzes in Betracht kommen, ihre Grenze überschreitet, dem übermächtig gewordenen Teile entgegentreten und dem geschwächten die Hilfe der ärztlichen Kunst angedeihen lassen. Wenn dies geschieht und nichts mehr die
Greg. Nyss. De oratione dominica 4,266 – 268 (Boudignon).
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Isonomia der Elemente stört, ist die Gesundheit wiederhergestellt, weil die Unordnung aufgehoben ist.“⁹³⁴
Vergleicht man die verschiedenen Versionen des Alkmaion-Lemmas, so zeigt sich, daß die Passage, die Psellos in der Epilysis und in De omnifaria doctrina gibt, deutlich kürzer ist als die, die Pseudo-Galen bietet, und auch einen eher gerafften Eindruck macht.⁹³⁵ Wichtig ist nun, daß die verschiedenen Versionen durchaus unterschiedliche Begrifflichkeiten zur Beschreibung von Alkmaions Konzept verwenden. Stobaios und Psellos benutzen das stoische Wortpaar συνεκτικήν/ ποιητικήν nicht und auch die Gegensatz-Paarung Isonomie/Monarchie wird nur in der Placita-Literatur bei Pseudo-Plutarch und Stobaios genannt, Michael Psellos zitiert dagegen in der Epilysis die Passage wortgetreu mit dem Gegensatz Isonomie und Monarchie und weist diese Position dem Alkmaion zu. In der abgekürzt paraphrasierten Version in De omnifaria doctrina 117 hat er καταδυναστεύειν als Gegensatz zur Isonomie, diesmal ohne namentliche Zuweisung, und zeigt damit sehr deutlich, daß ihm die politische Konnotation völlig klar war. Gregor wiederum verwendet verschiedene Umschreibungen im Wortfeld κρατεῖν/ κράτος. Damit ist der in dem Wort ‚Monarchie‘ liegende Aspekt einer gewaltsamen, unrechtmäßigen Herrschaft ebenso deutlich benannt wie später bei Psellos. Jaap Mansfeld hat jüngst eine detaillierte Analyse zum Gebrauch und zum Kontext der als Alkmaion DK 24 B4 gekennzeichneten Textpassage durchgeführt und dabei nicht nur für das Paar συνεκτικήν/ποιητικήν, sondern auch für andere, zentrale Begriffe des Textes die erstmalige und charakteristische Verwendung im stoischen Kontext betont.⁹³⁶ Da es sich bei den in den Placita-Überlieferung erhaltenen Texten um Zusammenfassungen handelt, ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß ein späterer Wortgebrauch in den Text eingetreten ist und sich mit älterem gemischt hat. Betrachtet man jedoch alle diese Texte zusammen, so fällt sofort auf, daß nicht nur in der Placita-Überlieferung, sondern auch bei Gregor von Nyssa und Michael Psellos immer nur ein Kernbegriff als spezifisch für die Konzeption des
ÜS Weiß, modifiziert. Wie Psellos (Epilysis, Cod.Paris.gr.1182 f.68v) mit seiner Vorlage umgegangen ist, zeigt auch φθοροποιὸν γὰρ ἑκάτερον˙ μοναρχίαν καὶ νόσον συμπίπτειν (Boissonade: φθοροποιὸν γὰρ ἑκάτερον, μοναρχίαν καὶ νόσον συμπίπτειν˙). Der Sinn des Satzes wird so ein ganz anderer: Es geht nun nicht mehr um die μοναρχία unter den Qualitäten, sondern um das begriffliche Zusammenfallen von μοναρχία und νόσος, wobei … νόσον συμπίπτειν statt νόσων αἰτία mit dem – allerdings anders gemeinten – τὰς νόσους συμπίπτειν bei Stobaios durchaus zusammengehen könnte. Mansfeld 2013, 79 ff.
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Alkmaion zu Gesundheit und Krankheit verwendet wird: Isonomie. Bei Qusṭā IbnLūqā wird Isonomie ersetzt durch ‚Gleichheit/Gleichwertigkeit‘. Das Wortpaar, Isonomie/Monarchie, dagegen hat nicht die gleiche Stabilität und Wirkmächtigkeit gehabt wie der Terminus ‚Isonomie‘ allein, woraus sich doch ein starkes Indiz dafür ergibt, daß lediglich der Begriff ‚Isonomie‘ tatsächlich dem authentischen Wortlaut bei Alkmaion entsprach und aufgrund seiner Besonderheit auch in der späteren Tradition beibehalten wurde.⁹³⁷
Kouloumentas 2014, 872 weist darauf hin, daß die Begrifflichkeit in der Textpassage des Alkmaion eine Ausnahme darstellt. Zwar werden in den medizinischen Texten z. B. Isomoiria (Aer. 12), δυναστεύειν (Vet. med. 16) oder auch ἐπικρατεῖν (morb. sacr. 7) u.v.a.m. verwendet, doch zeigt gerade der Unterschied zwischen Isonomia und Isomoiria, daß tatsächlich nur Isonomia den rein politischen Charakter behalten hat. Isomoiria in politischer Bedeutung zielt auf die Verteilung von Besitz oder Rechten zu gleichen Teilen ab. Die Verwendung von Isomoiria in Aer. 12 ist allerdings eine ganz andere, wie der Vergleich mit Aer. 16 zeigt: Denn obwohl die Umweltbedingungen in Asien ausgeglichen sind, also von der Isomoiria geprägt (Aer. 12) werden, ist sowohl die physische als auch politische Prägung der Menschen in Europa aufgrund der Wechselhaftigkeit und Härte der Umweltbedingungen – die also genau das Gegenteil von ausgeglichen sind – stärker und besser im Gegensatz zu dem schönen und weichen Menschentypus in Asien (Aer. 16 und 24).
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Abb. :⁹³⁸ Alkmaion Περὶ ὑγείας καὶ νόσου καὶ γήρως: Textvergleich mit eComparatio (http://www.ecomparatio.net/) der Editionen von Diels/Kranz, Vorsokratiker (Referenztext, dem gegenüber die Differenzen in den anderen Editionen farblich markiert hervorgehoben werden), Kouloumentas (im Druck) und Mansfeld/Runia .
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Zu eComparatio: Software und How-to bei https://github.com/ecomp-shONgit/ecomparatio (abgerufen 25.8. 2020) sowie bei Bräckel et al. 2019, 221– 231. Abkürzungen in Abb. 5 und Abb. 6: G: ganzer Unterschied; D: Unterschied der diakritischen Zeichen; I: Unterschied der Interpunktion; K: Klammerung unterschiedlich; M: Mehr als im anderen Text; MIAT: Mehr im Referenztext; DIST: wenige Buchstaben anders; E: einzelner Buchstabe; get: erster/zweiter Teil einer Trennung; ¿: Lücken.
Abb. : Synopse von Alkmaion Περὶ ὑγείας καὶ νόσου καὶ γήρως: Textvergleich mit eComparatio (http://www.ecomparatio.net/) der Editionen aus Diels/ Kranz, Fragmente der Vorsokratiker. (Referenztext, dem gegenüber die Differenzen in den anderen Editionen farblich markiert hervorgehoben werden), H. Diels, Doxographi Graeci und J.F. Boissonade, Psellus, Epilysis.
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VIII.2 Appendix 2: Die Methode des Alkmaion Alkmaion werden in der antiken Überlieferung eine ganze Reihe von Erkenntnissen zugeschrieben, die zeigen, daß er einer der bedeutendsten Forscher der Krotoniatischen Schule gewesen sein muß. Die von Diogenes Laertius genannte, allerdings nicht erhaltene Schrift des Aristoteles gegen Alkmaion zeigt, daß Aristoteles sich mit den Erkenntnissen des Alkmaion besonders intensiv auseinandergesetzt hat.⁹³⁹ Auf Alkmaion werden immer wieder Analogien zur Erklärung physiologischer Phänomene und medizinischer Sachverhalte zurückgeführt.⁹⁴⁰ Ein Charakteristikum für Alkmaion war offenbar, daß er mit mehrgliedrigen Gegenüberstellungen gearbeitet hat, die aus je zwei Sätzen mit je zwei Teilen bestanden. Aristoteles führt in der Historia animalium eine solche viergliedrige Gegenüberstellung der Schamhaare des jungen Mannes mit den Blättern der Pflanze an,⁹⁴¹ und auch in den Problemata (selbst wenn sie nicht von Aristoteles sind, dann gehören sie doch in diese Zeit und sind immerhin näher an Alkmaion als andere Teile der Überlieferung) heißt es: εἴ τις ὡς τύπῳ φράζοντος αὐτοῦ ἀποδέχοιτο καὶ μὴ διακριβοῦν ἐθέλοι τὸ λεχθέν.⁹⁴² In den pseudo-plutarchischen Placita wird die Ernährung des Embryos aus dem ganzen Körper mit dem Verhältnis von Schwamm und Wasser verdeutlicht,⁹⁴³ und der Kopf des Embryos als erstes Körperteil mit dem Haupt als Herrscher des Körpers bezeichnet.⁹⁴⁴ Der bei Dio-
Diog. Laert. 5,25: Πρὸς τὰ ᾿Aλκμαίωνος αʹ. Mansfeld 2013, 78 – 95 begründet seine Spätdatierung der Verwendung des Isonomie-Begriffs in der Alkmaion-Textpassage vor allem mit dem Argument, daß Isonomie hier metaphorisch gebraucht werde und dies erst viel später, in jedem Fall nach der herodoteischen Verfassungsdebatte, einzuordnen sei. Aristot. hist. an. 581a16 f. Zu Alkmaions Forschungen an Pflanzen: vgl. Lebedev 1993, 456 – 460. [Aristot.] probl. 916a35 – 37. Hier erwähnt der Autor, daß Alkmaion das menschliche Leben von Geburt bis Tod mit einem Kreis verglichen habe. Auch diese Analogie hat vier Teile: Die ewig sich wiederholende Bewegung (1) des Kreises (2) ist wie Geburt und Tod (3) des Menschen (4) – beides ist ohne Anfang und Ende. Ps-Plut. Plac. phil. 16,907e4. Ps.-Plut. Plac. phil. 17,907e10; vgl. Stob. Anthol. 1,54,1. Zu den sinnesphysiologischen Forschungen des Alkmaion: Censorinus De die natali 5,2, der von einem Gegensatz zwischen Hippon und Alkmaion berichtet, wonach für Hippon der Samen seinen Ursprung im Rückenmark habe, während Alkmaion bekanntlich das Gehirn als dessen Ursprung ansah. Alkmaion dürfte wohl auch bereits Sektionen vorgenommen haben: Chalc. In Tim., p. 279. Zhmud 1997, 251 f. schließt aus der Nachricht über Alkmaions Annahme, Ziegen würden durch die Ohren atmen (DK 24 A7), daß er bei der Öffnung der Gehörorgane auf die Eustachische Röhre (Kanal zwischen Innenohr und Nasenrachenraum) gestoßen ist.
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genes Laertius zitierte Anfangssatz seines Buches über die Natur zeigt ebenfalls diese viergliedrige Struktur: Den ersten beiden Gliedern des Asyndeton περὶ τῶν ἀφανέων und περὶ τῶν θνητῶν stehen die Gewißheit der Götter für das NichtSichtbare (σαφήνειαν μὲν θεοὶ ἔχοντι) und die Fähigkeit der Menschen zum Erschließen gegenüber (ὡς δὲ ἀνθρώποις τεκμαίρεσθαι).⁹⁴⁵ Diese Art des Vergleichens ist typisch für eine auf der Begründung durch Analogie beruhende, konzeptionelle Methode, die ihre Anschauungsbeispiele aus ganz verschiedenen Bereichen nimmt und mit Hilfe der Analogie eine Relation herstellt zu medizinisch-physiologischen Vorstellungen.⁹⁴⁶ Das gleiche Vorgehen ist in der Verwendung des Begriffs ‚Isonomie‘ zu erkennen: Gesundheit und Krankheit der δυνάμεις verhalten sich zueinander wie Isonomie und Monarchie der Bürger in einer Polis. Zwar ist unbestritten, daß Metaphern die Analogie voraussetzen, da die metaphorische Bedeutung sich auf eine Gemeinsamkeit des Inhaltes zweier Bereiche bezieht.⁹⁴⁷ Doch das bei Alkmaion festgestellte Vorgehen verwendet immer vier Positionen und ist daher, wie die hier zitierten Beispiele belegen, ein analogisches Vorgehen. Der Verwendung des Begriffs ‚Isonomie‘ ist demnach nicht auf einen metaphorischen Gebrauch zurückzuführen, wie Mansfeld meinte und als Anlaß nahm, um die Verwendung des Begriffs in der auf Alkmaion bezogenen Textpassage als spät einzuordnen. Vielmehr ist er Teil des für Alkmaion als charakteristisch angesehenen, analogischen Vorgehens, das sich auch in den anderen erhaltenen Fragmenten findet.⁹⁴⁸
Kouloumentas 2018, 7 ff. untersucht das Incipit des Alkmaion ausführlich und ordnet es im Vergleich zu den erhaltenen Incipits der Autoren des 6. und 5. Jahrhunderts v.Chr. ein. Zur Analogie, dem Verhältnis zwischen Analogie und Metapher vgl. Coenen 2002, 97 ff. Coenen wendet sich a. a.O. 207 ff. explizit gegen die Metapherntheorie von George Lakoff (Lakoff/Johnson 1980/2003), eine Kritik, die m.A.n. überzogen ist. Insbesondere die von Lakoff und Johnson aufgezeigten Wege, über die Metapher ein verdecktes Stadium der Vorbegrifflichkeit zu erschließen, sind sehr hilfreich. Coenen 2002, 97. Anders Mansfeld 2013, 78 und öfter.
IX. Literaturverzeichnis
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IX. Literaturverzeichnis IX.1 Textausgaben und Kommentare Apelt 1921: Apelt, O., Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 2. Bde., Leipzig 1921. Apelt 1989: Apelt, O./Bormann, K.: Platon, Der Staat, Über das Gerechte, Hamburg 111989. Albrecht 2002: Albrecht, M.v. et al., Jamblich, Pythagoras, Legende – Lehre – Lebensgestaltung, Darmstadt 2002. Allen 1931: Allen, T.W., Homeri Ilias, Vols. 2 – 3, Oxford 1931. Asheri et al. 2007: Asheri, D./Lloyd, A./Corcella, A./Murray, O./Graziosi, B., A Commentary on Herodotus Books I – IV, Oxford 2007. Baltes 1972: Baltes, M., Timaios Lokros. Über die Natur des Kosmos und der Seele, Leiden 1972. Baur 1915: Baur, C., „Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (In Matthaeum homiliae I – XC)“, in: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus, München 1915. Baladié 1978: Baladié, R., Strabon, Géographie, Paris 1978. Bengston 1975 (= StV II): Bengtson, H., Die Staatsverträge des Altertums, Band 2, Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 700 bis 338 v. Chr., München 21975. Billerbeck 2006 – 2017: Billerbeck, M., Stephani Byzantii Ethnica, Berlin 2006 – 2017. Boissevain 1955: Boissevain, U.P., Cassii Dionis Cocceiani historiarum Romanarum quae supersunt, 3 Vols., Berlin 1:1895; 2:1898; 3:1901 (repr. 1955). Boissonade 1838: Boissonade, J.F., Michael Psellus, De operatione daemonum cum notis Gaulmini, accedunt inedita opuscula Pselli (Ἐπιλύσεις ποικίλων ἐρωτημάτων), Nürnberg 1838. Boudignon et al. 2018: Boudignon, C./Cassin, M./Seguin, J., Grégoire de Nysse. Homélies sur le Notre Père, Paris 2018. Bremer 2003: Bremer, D., Pindar, Siegeslieder, Düsseldorf 2003. Brodersen et al. 1992 – 99 (= HGIÜ): Brodersen, K./Günther, W./Schmitt, H.H., Historische griechische Inschriften in Übersetzung, 3 Bde. (= Texte zur Forschung. 59/68/71), Darmstadt 1992 – 99. Bütter-Wobst 1962 – 67: Büttner-Wobst, T., Polybii historiae, Vols. 1 – 4, Leipzig 1:1905; 2:1889; 3:1893; 4:1904 (repr. 1:1962; 2 – 3:1965; 4:1967). Burnet 1967a: Burnet, J., Platonis opera, vol. 2, Oxford 1901 (repr. 1967). Burnet 1967b: Burnet, J., Platonis opera, vol. 5, Oxford 1907 (repr. 1967). Burnet 1968: Burnet, J., Platonis opera, vol. 3, Oxford 1903 (repr. 1968). Callahan 1992 (MPG): Callahan, J.F., Gregorii Nysseni de oratione dominica, de beatitudinibus, [= GNO 712], Leiden/New York/Köln 1992. Chambers 1990: Chambers, M., Aristoteles, Staat der Athener, Berlin 1990. Chambers: Chambers, M., Hellenica Oxyrhynchia, Stuttgart-Leipzig 1993. Cohn et al. 2011: Cohn, L./Heinemann, I./Adler, M./Theiler, W., Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 7, Berlin 2011. Cohn/Reiter 1962: Cohn, L./Reiter, S., Philonis Alexandrini opera quae supersunt, Vol. 6, Berlin 1915 (repr. Berlin 1962). Consbruch 1971: Consbruch, M., Hephaestionis Enchiridion, Stuttgart 1971 (= Leipzig 1906).
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