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German Pages 320 [318] Year 2016
Hans-Peter von Peschke
Invasion der Zukunft Die Welten der Science-Fiction
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Inhalt
Science-Fiction: Eine Reise durch Zeit und Raum
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I. Technoträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Alles ist machbar: Die Technik der Zukunft . . . . . . . 27 2. Alles ist machbar – auch Wunderwaffen . . . . . . . . . 36 SF-Spezial: Mad Scientists . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Der Roboter, dein Freund und Helfer . . . . . . . . . . . . . 44 4. Die Nanos kommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 SF-Spezial: Was ist Science-Fiction? . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Utopia oder Dystopia? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Metropolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 SF-Spezial: Klassische Gesellschaftsutopien . . . . . . . . . 64 2. 1984 oder die Schattenseiten der schönen neuen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Die allwissende „Maschine“ und andere künstliche Intelligenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Die Natur schlägt zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5. Frauen an die Macht! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 III. Kriege und Katastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Die postapokalyptische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Kriegsvisionen und Kalter Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. The Day After: Der Atomkrieg und seine Folgen . . . 100 4. Nahe und ferne Katastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 SF-Spezial: Science-Fiction altert schnell … . . . . . . . . 109 5
Inhalt
IV. Schöner neuer Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Verbesserte und maßgeschneiderte Menschen . . . . . 112 2. Mutanten an die Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 SF-Spezial: Das Marvel-Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Die Zombies kommen: Science-Fiction trifft Horror . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Die Höherentwicklung der Menschheit . . . . . . . . . . . 136 V. Die Welt hinter der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Iron Sky: Die Nazis hinter dem Mond . . . . . . . . . . . . 141 2. Völkische Utopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 SF-Spezial: Brauner Schrott heute . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Akte X oder die geheimen Welten der Verschwörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Stargate: Zukunft trifft Vergangenheit . . . . . . . . . . . 157 VI.
Andere Erden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Alternativ- und Parallelwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Zeitreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Was wäre, wenn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Welt am Draht und Cyberpunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 SF-Spezial: Science-Fiction-Brettund Computerspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
VII. Aufbruch ins All . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Destination Moon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Venus, Mars und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . 194 SF-Spezial: Legendäre Raumschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Unendliche Weiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4. Siedeln auf fremden Sternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 SF-Spezial: Exoplaneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
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Inhalt
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde? . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Die Erde wird erobert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Mehr oder weniger Unheimliche Begegnungen der dritten Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Aliens im All und aus dem All . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 SF-Spezial: Science-Fiction in Comics . . . . . . . . . . . . . . 230 IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen . 233 1. Unternehmen Stardust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Weltraumschlachten und Zwiebelschalenmodell . . . 242 3. Old Shatterhand und Winnetou im Weltraum . . . . . 247 SF-Spezial: Perry Rhodan startet neu . . . . . . . . . . . . . . 251 4. Perry Rhodan als Spiegel der Gegenwart . . . . . . . . . . 253 X.
Allzu irdische Sternenreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Aufstieg und Fall galaktischer Imperien . . . . . . . . . . 262 SF-Spezial: Religion im Weltraum . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Star Trek und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Sternenkrieger: Vietnam im Weltraum . . . . . . . . . . . 279 4. Star Wars: Krieg der Sterne à la Hollywood . . . . . . . 285 SF-Spezial: Fandom in den USA und Deutschland . . . 291
Die Zukunft der Science-Fiction
Bibliografie
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Comics, Spielfilme, Fernsehserien, Computerspiele
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Science-Fiction: Eine Reise durch Zeit und Raum
Sich eine Welt auszumalen, wie sie sein könnte, hat uns Menschen schon immer fasziniert. Je nach Stimmungs- und Weltlage bevorzugen wir dabei Utopien oder Dystopien, kühne technische Visionen oder gesellschaftliche Albträume. Und deshalb ist die Science-Fiction zu einem ebenso anerkannten wie populären Genre geworden. Dieses Buch stellt Ihnen in zehn Kapiteln die aufregende Welt der Science-Fiction vor. Statt einer Einleitung gibt eine Zeitreise in kurzen Szenen einen ersten Überblick über das, was die Leser erwartet: inhaltlich höchst unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft und Szenarien, die auf der Erde und im Weltall spielen. Jedes der Kapitel schildert ein Thema der Science-Fiction, geht – wo nötig – auf die Geschichte und den Gegenwartsbezug ein. Einbezogen werden alle Medien vom gedruckten Buch über Film und Fernsehen bis zum Online-Computerspiel. So wird in diesem Buch ein weiter Begriff von Science-Fiction verwandt, der sich eher an die Wahrnehmung des Publikums hält als an die engen Definitionen der Literaturwissenschaft. Vorsichtig schleichen wir durch den Urwald, durch Unterholz, riesige Farne und mannshohe Pilze. Das ohrenbetäubende Gekrächze der Vampirpapageien verstummt abrupt, als ein Speed Biker durch die Wipfel fliegt. „Ein Aufklärer der imperialen Truppen“, bedeutet mir Robby, ein Online-Kollege aus Vermont, mit dem ich an diesem Tag ein Team bilde. Wir gehören zu den Rebellen, die Endor aus den Händen der imperialen Sturmtruppen befreien wollen. Den Waldmond und die putzigen Ewoks, liebenswerte kleine Teddybären, kennen wir seit Episode 6 des Kriegs der Sterne gut. Ihr Baumdorf mehr als hundert Meter über dem Boden gilt es vor den Schergen Darth Vaders zu bewahren. Wir könnten die hölzerne Rampe hinaufstürmen, aber dann lägen wir unter 9
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dem feindlichen Feuer. Also schleichen wir uns zu einer kleinen Schlucht, das Blastergewehr eng an uns gepresst, und hoffen, von dort aus einen Überraschungsangriff starten zu können. (Star Wars: Battlefront 4, Computerspiel) Können Menschen und Mutanten friedlich nebeneinander leben? Professor Xavier und seine X-Men aus der Mutantenschule glauben das. Der mächtige Telekinet Magneto befürchtet, dass die Menschen die Übersinnlichen ausrotten wollen. Vor allem, seit ein Heilmittel entdeckt wurde, das den X-Faktor entfernt und damit jede Mutantenfähigkeit. Dem wollen Magneto und seine Leute vorbeugen und treten zum Kampf gegen die Regierung an. Die X-Men schlagen sich auf die Seite der Menschen und so kommt es zum alles entscheidenden Kampf. (X-Men: Der letzte Widerstand, Film) Der Weg zu den Sternen beginnt tief unter den Cheyenne Mountains in Colorado. Dort steht das mächtige Star Gate, das von außerirdischen Wesen gebaut wurde, die unsere Vorfahren für Götter hielten. Durch viele Zufälle und den genialen Wissenschaftler Daniel Jackson entdeckt, haben wir das Sternentor in Betrieb genommen und sind durch eine Wurmlochverbindung zum Planeten Abydos transmittiert worden. Nur um zu entdecken, dass unsere ganze Galaxis von solchen Stargates durchzogen ist, Tausende von Planeten können so erreicht werden. Aber die Wunder sind mit Schrecken verbunden. Die meisten Welten werden von grausamen Sternenlords, den Goa’uld, beherrscht, gottähnliche Parasiten, die sich am Reichtum und den Seelen ihrer Untertanen mästen. Auch auf unsere Erde haben sie wieder ein Auge geworfen! Aber wir werden sie bekämpfen und versuchen, auf anderen durch die Sternentore erreichbaren Planeten Verbündete zu gewinnen. (Stargate – Kommando SG-1, Fernsehserie) Ich bin Major Motoko Kusanagi und arbeite in der streng geheimen Sektion neun der Stadt Niihama-shi. Die 2029 gegründete Einheit befasst sich mit Spionage und Terrorismus, vor allem aber mit Cyberkriminalität. Dazu sind wir besonders geeignet, weil wir alle 10
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künstliche Körperteile haben. Ich selbst bin ein Cyborg, mein Geist ist vollständig von einem künstlichen Körper umhüllt, ich bin ein „Ghost in the shell“. Mein Mitarbeiter Batou hat Mikroskopaugen und wenn es hart auf hart geht, setzen wir die „Fuchikoma“, kleine, aber starke Kampfpanzer mit künstlicher Intelligenz, ein. Derzeit jagen wir einen Verbrecher, den wir den „Puppetmaster“ nennen. Er ist ein begnadeter Hacker, er kann fast durch jede „Shell“ dringen und so die Persönlichkeit des Opfers steuern. Erst kürzlich hat er den Außenminister zu seiner Marionette gemacht. Irgendwo im Netz versteckt er sich und ich frage mich, ob er ein menschliches Wesen oder nur eine künstliche Intelligenz ist … (Ghost in the shell, Manga) Gestrandet in Chiba, der Stadt der Glücksspiele und Süchtigen, der Schieber und Kleinkriminellen, wo ein Mord nur ein paar NeoYen wert ist. Was für ein tiefer Fall! Noch vor zwei Monaten kannte mich jeder im Cyberspace, ich war Case, der „Konsolen-Cowboy“, dem man jeden Hack zutraute, und das zu Recht. Doch dann überschätzte ich meine Möglichkeiten und leitete einige Millionen meiner Auftraggeber auf mein eigenes Konto um. Sie erwischten mich und flößten mir ein russisches Mykotoxin ein, das mein Nervensystem so beschädigte, dass ich mich nicht mehr in den Cyberspace einloggen kann. Doch jetzt sehe ich wieder eine Chance. Ein ehemaliger Officer der Special Forces hat mir einen Auftrag angeboten, bei dem vorher meine Schäden repariert werden. Allerdings erhalte ich auch Giftkapseln in den Darm, sodass mich meine Auftraggeber kontrollieren können. Aber was soll’s: Endlich kann ich mich wieder frei im Netz bewegen, von Knoten zu Knoten hüpfen, immer auf der Suche nach der geheimnisvollen künst lichen Intelligenz „Neuromancer“. (William Gibson: Neuromancer) „Silent running“ – Schleichfahrt! Aber nicht im U-Boot in den Tiefen des Ozeans, sondern im Weltraum. Unser Raumschiff, die „Valley Forge“, ist eine Art Arche Noah, ein riesiger Tender, über dem sich eine durchsichtige Plastikkuppel wölbt und unter der wir die letzten Tiere 11
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und Pflanzen des Planeten Erde pflegen. Es ist still an Bord, zusammen mit den Robotern Tick, Trick und Track kümmern wir uns um die gewaltigen Wälder, die sich lautlos im Sonnenwind bewegen. Nur manchmal durchbricht ein Lied von Joan Baez die majestätische Stille. Dann blicken wir auf den blauen Planeten, der so blau nicht mehr ist. Die Ozeane sind Dreckbrühen, die Wälder sind abgeholzt, stattdessen nur braune Kontinente, in die sich die Metropolen wie riesige Geschwüre eingefressen haben. In New York etwa leben – oder besser vegetieren – 40 Millionen Menschen. Die meisten von ihnen ernähren sich von Konzentraten, die vom Megatrust „Soylent“ hergestellt werden. Um das neueste Produkt – das angeblich aus Plankton erzeugte „Soylent Green“ – liefern sich die Menschen Straßenschlachten. Wer am Leben verzweifelt, geht in eines der öffentlichen Sterbezentren, wo man sich zu den Klängen von Beethovens Pastorale einschläfern lassen kann. Und inmitten dieser düsteren Welt hinter dem Grün- und Grauschleier findet ein Polizist die schreckliche Wahrheit heraus: „Soylent Green ist Menschenfleisch“. (Lautlos im Weltraum und Jahr 2022 … die überleben wollen, Film) Der Laden riecht leicht muffig. Nicht, dass es bis auf den durch Schuhe hineingetragenen Straßendreck nicht sauber gewesen wäre, das seltsame Aroma entströmte den Tausenden von Heften, die unter den mit Taschen- und ehemaligen Leihbüchern gefüllten Regalen in länglichen Pappkartons stehen. Links vom Tresen Comics wie Mickymaus oder Fix und Foxi, dann fünf Kästen mit Liebes- und Kriminal romanen. An der gegenüberliegenden Wand finden wir das, weswegen wir in die Romantauschzentrale gekommen sind: drei Kästen Perry Rhodan, dann zweimal Terra und Terra extra, ein Karton mit Utopia-Bänden und schließlich eine Reihe etwas kleinerer Hefte mit festem Umschlag, auf die wir uns zunächst stürzen. Unsere Augen leuchten, als wir das Terra-Sonderheft Alle Wege führen nach Trantor entdecken, den letzten und noch fehlenden Teil des Foundation-Zyklus von Isaac Asimov. Dazu gesellen sich ein Band des Magazins Galaxis – Geschichten aus der Welt von übermorgen, das Ende der Fünfzigerjahre Storys aus dem amerikanischen Magazin Galaxy nach Deutschland brachte. Sammlerglück, 12
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bwohl es ein reichlich zerfleddertes Exemplar ist. Für jeden dieser o Funde müssen wir fünf ausgelesene Hefte bringen, also trennen wir uns von Edward E. „Doc“ Smiths Lensmen-Zyklus, Jesco von Puttkamers Zeitmanuskript und zwei Heften von Clark Darlton. Bei Perry Rhodan – hier fehlen uns noch einige Exemplare in der mittlerweile über 200-bändigen Ausgabe – gilt das Tauschverhältnis zwei zu eins. Wir ziehen unsere Liste heraus und gehen die drei Kartons Stück für Stück durch. Wir finden Das galaktische Rätsel, den Anfang einer Suche im Wega-System, an deren Ende unser Held die Unsterblichkeit erhält. Wir geben dafür zwei Terra-Hefte. Dann fragen wir noch, ob ein paar Piccolos hereingekommen sind. Die Ladenbesitzerin greift in eine Schublade unter der Kasse mit Heften, die nur für besonders gute Kunden bestimmt sind. Das Objekt der Begierde sind zwei schmale ComicHeftchen von Nick, der Weltraumfahrer, die wir allerdings bezahlen müssen. 2,50 DM pro Exemplar, weil wir so gute Kunden sind … (in der Romantauschzentrale) Es doch passiert! Erst habe ich es gar nicht bemerkt, als wir in unsere Zeit zurückkamen. Das Bild eines martialisch uniformierten Polizisten auf der Straße, Menschen in Angst, wir fanden uns in einer Diktatur wieder. Dabei haben wir doch so aufgepasst! Aber zurück zum Anfang: wir reisten mit der „Zeit-Safari-GmbH“ 70 Millionen Jahre in die Vergangenheit, um einen Dinosaurier zu jagen. Wir wussten, dass wir dort sehr, sehr vorsichtig sein mussten, denn jede noch so kleine Veränderung könnte unabsehbare Wirkungen in unserer Zeit haben. Deshalb hatten die Veranstalter ein Tier ausgewählt, das sowieso in wenigen Minuten sterben würde. Wir durften uns nur auf einem über dem Boden schwebenden Weg bewegen und von ihm nicht abweichen. Aber dann sah ich das Monster, rannte zurück zur Zeitmaschine und kam für einen Moment vom Weg ab. Ein anderer Großwildjäger erlegte den Dinosaurier und stolz kehrten wir heim. Aber alles war anders! Doch bald wusste ich, warum: Ich zog meine Stiefel aus und entdeckte an der Sohle einen winzigen toten Schmetterling … (Ray Bradbury: Ferner Donner)
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„Ich bin ein Schwein! Vermutlich ein armes Schwein! Obwohl ich große Zeiten erlebt habe, wenn auch nur als eine Art Mitläufer. Als wir Tiere unsere Unterdrücker, den Bauern Jones und seine Knechte, verjagten, war ich noch ein Ferkel. Ich lernte die Gebote des „Animalismus“, die auf die Rückwand der Scheune geschrieben waren wie „Alles, was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind“, „Alles, was auf vier Beinen geht oder Flügel hat, ist ein Freund“ und „Alle Tiere sind gleich“. Doch dann kamen Hunger und Not, wir Schweine, die wir doch die ganze Kopf arbeit und Organisation machen, durften vom Stall ins Farmhaus ziehen. Um zu überleben, handelten wir mit den Menschen und mussten unsere Brüder, die Pferde, Kühe, Esel und Hühner, zu immer härterer Arbeit anhalten, sie notfalls mit unserer Polizei, den Hunden, dazu zwingen. Manchmal frage ich mich, was aus unserer Revolution und ihren Idealen geworden ist? (George Orwell: Farm der Tiere) Es ist der Abend des 30. Oktober. Eine düstere Stimmung, fast ein bisschen gruselig, es ist Halloween. Plötzlich wird das Konzert im Radioprogramm unterbrochen, ein Sprecher sagt: „Wir unterbrechen unser Programm für eine aktuelle Durchsage vom Mount-Jennings-Observatorium in Chicago.“ Von dort interviewt ein Reporter einen immer aufgeregteren Wissenschaftler: „Gasexplosionen auf dem Mars! Materie mit enormer Geschwindigkeit in Richtung Erde geschleudert!“ Der weltrauminteressierte Hörer – vielleicht hatte er im Kino gerade den Kampf des tapferen Flash Gordon gegen den grausamen Tyrannen Ming vom Planeten Mongo gesehen – wurde hellhörig und wenig später besorgt, als erste Einschläge auf dem amerikanischen Kontinent berichtet wurden. Dramatisch wurde es, als zur nahe gelegenen Einschlagstelle in Grover’s Mill (New Jersey) geschaltet wurde. Aufgeregt berichtete der CBS-Reporter, dass sich aus einem großen Krater ein riesiges zylindrisches Objekt erhebe, aus dem Tentakel austräten. Dann war ein infernalisches Zischen zu hören und ersterbende Schreie. Die Reportage endete abrupt, eine Stimme aus dem Studio sagte entsetzt: „Ein Hitzestrahl aus dem Objekt hat alle Umstehenden binnen Sekunden vernichtet. Die gesamte Region wurde unter Kriegsrecht gestellt.“ 14
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Hunderte besorgte Anrufe gingen bei CBS und der New York Times ein, manche Hörer verschanzten sich in ihren Kellern, andere flohen mit Sack und Pack in ihren Autos vor den Marsianern. Eine Massenpanik war es vermutlich nicht. Aber die Zeitungen hatten ihre Sensation und bauschten das Geschehen auf, schon um ihrer Konkurrenz, dem neuen Medium Radio, eins auszuwischen. Ein Beispiel dafür, dass in der sich entwickelnden Medienwelt Realität und Fiktion nicht immer auseinanderzuhalten waren. (Orson Welles: Krieg der Welten) Zigarettenqualm und Tuscheln im Vorstadtkino. Nach den endlosen Werbedias beginnt endlich der Vorfilm, auf den wir schier endlose vier Wochen lang gewartet haben: „Universal presents: Flash Gordon (Alex Raymonds Cartoon Strip) with Buster Crabbem, Jean Rogers, Priscilla Lawson“. Alles hat damit begonnen, dass der Planet Mongo seine Umlaufbahn verließ und auf die Erde zuraste. Der geniale Wissenschaftler Doktor Zarkov hat ein Raumschiff gebaut und fliegt mit seinen Freunden Flash Gordon und Dale Arden zu dem Planeten, um das Unheil zu verhindern. Sie treffen auf den Diktator Ming, der sie gefangen nimmt, aber sie können fliehen. Doch die Freiheit währt nur Stunden. Haimänner umzingeln sie und bringen sie zu ihrem König. Flash Gordon wird in einen riesigen Wassertank geworfen, eine Riesenkrake kommt auf ihn zu! Cliffhanger! Kurze Pause und dann Charlie Chaplins Modern Times. Aber was können diese modernen Zeiten noch bringen, wo wir die Zukunft gerade gesehen haben? (Flash Gordon, Kinovorfilm) Es ist unsere Welt und doch eine andere. Auf dem gefrorenen Meer laufen eingemummte Menschen Schlittschuh. Dahinter steil aufragende kahle Berge, auf denen die Wracks alter Segelschiffe thronen. Im Hintergrund statt unseres vertrauten Mondes der nahe Saturn mit seinen Ringen. Es ist eine Endzeitwelt, die im April auf der Titelseite des neuen Magazins Amazing Stories prangt. Das neue Genre Science-Fiction hat bald eine massenwirksame Plattform. Herausgeber Hugo Gernsback – Jahrzehnte später wird der populärste Science-Fiction-Preis nach ihm 15
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benannt werden – will wissenschaftlich fundierte Zukunftsgeschichten veröffentlichen. Doch bald merkt er, dass seine Leser eigentlich mehr an furchterregenden Aliens, Weltraumkriegen oder „mad scientists“ interessiert sind. So finden wir auf den Titelbildern neben friedlich fliegenden Menschen bald dreibeinige Monster, die die Erde verwüsten, oder furchterregende Giganten vom Saturn. (Amazing Stories, Pulp-Magazin)
Zwischentitel: Übermensch aus der Retorte Sie nennen mich den homunculus, das Menschlein. Dabei habe ich doch einen Verstand und Fähigkeiten, die weit über das menschliche Maß hinausgehen. Denn ich bin nicht geboren, sondern künstlich geschaffen, bin mehr als ein Mensch!
Zwischentitel: ein Wesen ohne Liebe Nur etwas fehlt mir: die Liebe! Mit meinem überragenden Verstand habe ich versucht, zu ergründen, was das für ein Gefühl sei. Ich habe tief in mich hineingelauscht. Vergebens! Aber dafür habe ich andere Gefühle: Hass auf die Menschheit, die mich ausgestoßen und ausgegrenzt hat, weil sie mich fürchtet.
Zwischentitel: Der Erdball soll unter dem Wüten der Völker erzittern Ich will mich dafür rächen, ich will sie demütigen und ausrotten, vom Antlitz dieser Erde tilgen.“ (Homunculus, Stummfilm) „Mein Name ist Mors, Kapitän Mors. Sie kennen mich vielleicht als den Luftpiraten. Mit meinem lenkbaren Luftschiff kann ich jeden Ort der Erde erreichen und bin mit meinen Waffen gewöhnlichen Soldaten weit überlegen. Meine Maschine hat Flügelschrauben und einen Rammsporn und ich lebe mit meiner Mannschaft auf ihr. Neuerdings habe ich auch ein „Weltenfahrzeug“, mit dem ich durch den Weltraum fliegen kann. Ich habe die Marsianer und Venusier besucht ebenso 16
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wie die Kristallroboter des Saturn und die Flugsaurier auf dem Merkur. Aber die Entwicklung auf der Erde interessiert mich mehr. Überall erscheine ich, wo Unrecht getan wird. Ich, Kapitän Mors, tauche wie der Blitz aus heiterem Himmel auf, mit meinem wunderbaren Fahrzeug, das mir Macht verleiht. Als ein Rächer und Vergelter will ich die ganze Erde ruhelos durchkreuzen und nicht eher sterben, als bis ich dieses Lebenswerk vollendet habe.“ (Der Luftpirat und sein lenkbares Raumschiff, Romanheftserie) Ich war wütend und frustriert. Meine Freunde haben mir nicht geglaubt, sogar als ich ihnen die Maschine zeigte, meine Zeitmaschine. Als sie lächelnd gingen und mir gönnerhaft auf die Schulter klopften, fuhr ich los. Die Zeit flog an mir vorbei, ich sah riesige Häusertürme in den Himmel steigen und wieder stürzen, sah Kriege und Erdbeben, bis ich das Bewusstsein verlor. Als ich erwachte, hatte die Maschine gestoppt. Vor mir zeigte das Räderwerk eine unglaubliche Jahrzahl: Ich war im Jahr 802.701! Vorsichtig erkundete ich die Gegend, die mir wie ein Paradiesgarten vorkam. In ihm lebten sogar Menschen, kindlich naiv, fröhlich und sorgenfrei. Sie nennen sich die „Eloi“ und brauchen nicht zu arbeiten. Aber woher kommen Nahrung und Kleidung? Aus der Tiefe, wo hässliche und furchterregende Wesen hausen. Sind diese „Morlocks“ das Proletariat der Zukunft oder etwas ganz anderes? (H. G. Wells: Die Zeitmaschine) Das Letzte, an was ich mich erinnere, sind die durchdringenden Augen des Arztes. „Keine Angst“, flüstert er, „der animalische Magnetismus versetzt uns nur in einen tiefen Schlaf!“ Aber wo bin ich aufgewacht? Und vor allem, wann? Im Jahr 2000, versichert mir meine liebreizende Gastgeberin. Schon als ich auf den Balkon trete, merke ich, dass ich in der Zukunft bin. Keine rauchenden Schornsteine, sondern saubere Luft. Angeblich auch keine Kriege mehr, es gibt keine Länder mehr, sondern industrielle Republiken, die sich zu einem einzigen Bundesstaat zusammengeschlossen haben! Statt eines Wehrdienstes muss jeder Mensch hier einen Industriedienst ableisten, jeder nach seinen Fähigkeiten, wobei ungeliebte Arbeiten nicht ausgespart werden. Der 17
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Lohn wird auf einem Kärtchen vermerkt, bei jedem Kauf wird die entsprechende Summe abgezogen. Und wir sitzen hier vor dem Theatrophon, dessen Klang so viel besser ist als in unserer Zeit. Über die Telefonleitung kann ich per Tastenwahl mehrere Orchester anwählen, die an verschiedenen Stellen der Stadt spielen. Bezahlen können wir mit unserer Kreditkarte. Wir versinken in der Musik und erwachen. Was für ein merkwürdiger Traum. (Edward Bellamy: Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887) Ich war eingenickt, hatte wohl wieder einmal über das Schicksal der Frauen in Indien nachgedacht. Als ich erwachte, funkelten Tausende Sterne wie Diamanten und eine wunderschöne Frau stand vor mir. Ich ging mit Schwester Sara durch den botanischen Garten und wunderte mich, dass ich Hunderte von Frauen, aber keinen einzigen Mann sah. Ich fragte danach, lächelnd antwortete sie: „Sie sind dort, meine Liebe, wo sie hingehören, in ihren zenanas!“ „In den Frauengemächern?“, wunderte ich mich. „Nun sind die zenanas eben Männergemächer. Dort halten sie sich in der Regel auf und sind auch ganz zufrieden damit.“ Während ich Hand in Hand mit der schönen Dame ging, erzählte sie mir, wie es dazu gekommen war. Während die Männer sich mit Krieg und Kampf vergnügten, hatte die Königin eine Universität für Frauen gegründet, die große wissenschaftliche Fortschritte machte, vor allem bei der Konzentrierung und Speicherung von Sonnenstrahlen. „Ostbengalens Männer hatten wieder einmal Krieg mit Indien geführt und waren fürchterlich geschlagen worden. Wir Frauen versprachen ihnen Rettung, wenn wir sie und das Land retten würden. Wir schlugen die Inder mit durch Spiegel und Brenngläser konzentrierten Sonnenstrahlen vernichtend und seitdem sind wir ein gefürchteter und geachteter Frauenstaat …“ (Rokheya Shekhawat Hossein: Sultana’s Dream) Dies ist die Geschichte des genialen Wissenschaftlers Ralph 124 C 41+. Sein Name sagt, was er ist. „Ralph one t(w)o foresee (four-c) fo(u)r one plus“, was jeder handelsübliche Translator im Jahr 2660 mit „Ralph, einer der für andere voraussieht“ übersetzt. So ist die Sprach18
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barriere auch kein Hindernis, wenn er seine Schweizer Freundin Alice mit dem Visiofon anruft. Eigentlich ist die Welt des Jahres 2660 ein Paradies, Armut und Krankheit sind ausgestorben, mit durch Gyroskope angetriebenen Flugmaschinen reist man zu den Planeten, die längst kolonisiert sind und deren Metropolen durch Magnetschwebebahnen verbunden sind. Die Schwerkraft ist überwunden, Menschen können sich unsichtbar machen und das Wetter ist unter Kontrolle. Nur Neid und Eifersucht gibt es noch und so entführen zwei Rivalen Ralphs die schöne Alice. Dann kommt es zum dramatischen Showdown in den Alpen. Die flüchtende Alice droht von einer Lawine überrollt zu werden, da schickt Ralph per Fernsteuerung Hitzestrahler, die die Schneemassen verdampfen. (Hugo Gernsback: Ralph 124C 41+) Wir stehen vor dem gigantischen Hochhaus, auf dessen Fassade die Leuchtbuchstaben R. U. R. prangen. „Kauft billige Roboter!“, preist ein Marktschreier die Waren der Firma an. Eine adrett gekleidete Sekretärin führt unsere Delegation zu Direktor Harry Domin, der uns mit dem Satz „Gerade wieder eine Bestellung über 15.000 Stück hereingekommen“ begrüßt. „1920 begann unser Ingenieur Rossum damit, künstliche Menschen zu erschaffen“, erklärt uns Domain und fügt lächelnd hinzu: „So wurde der liebe Gott als alleiniger Schöpfer abgelöst. So entstand R. U. R., Rossums Universal Roboter. Der Begriff Robot kommt im Übrigen aus dem Tschechischen von ‚robota‘ – Fronarbeit. Und denken Sie auch daran, welche Entwicklung die Produktion in den letzten Jahren mitgemacht hat. Früher kostete ein Robot bis zu 50.000 $, jetzt können Sie ein einfaches Modell schon für 120 $ erhalten.“ Wir unterbrechen den Redeschwall des Direktors. „Wir sind von der Humanitätsliga und halten das, was Sie hier tun, für höchst unmoralisch! Wir bieten den ausgebeuteten Robotern unsere Solidarität an!“ Harry Domin lacht leise, dann redet er auf uns liebenswürdig wie auf ein krankes Kind ein: „Meine Herren! Bedenken Sie doch die Vorteile unserer Roboter gegenüber menschlichen Arbeitern. Sie sind willig, gleichmäßig leistungsfähig und obendrein sofort ausgewachsen, alles Eigenschaften, die menschlichen Exemplaren nicht zu eigen sind. Und was hätten sie 19
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schon davon, wenn Ihre Humanitätsliga sie befreit? Sie können mit ihrer Freiheit nichts anfangen, sie besitzen ja nicht einmal eine Seele!“ (Karel Cˇapek: R. U. R. – Rossum’s Universal Roboter) „Herzlich willkommen im ‚Central London Hatchery and Conditioning Centre‘, ihr Menschen aus einer Vergangenheit, die von Krieg, Hunger und Chaos geprägt war. Doch nach dem letzten schrecklichen Neun-Jahre-Krieg im Jahre 150 A. F. neuer Zeitrechnung – was dem Jahr 2058 Anno Domini entspricht – haben die Reste der Menschheit diese Erde neu gestaltet, sodass heute im Jahr 632 after Ford alles in bester Ordnung ist. Es gibt fünf Kasten von den Alphas bis zu den Epsilons und bei ihrer Entstehung wird nichts dem Zufall überlassen. Hier in unserem Aufzuchtzentrum entstehen die Menschen in künstlichen Gebärmuttern, wir sagen auch Flaschen dazu. Die Weltregierung entscheidet, wie viele Alphas produziert werden sollen. Es sind nur wenige, jede Stadt bekommt ihre Quote zugeteilt. Die Alphas erhalten die besten Erbanlagen und Nährstoffe, die anderen Embryonen bekommen etwa ein wenig Alkohol in das Blutsurrogat, und so werden sie etwas kleiner. Den Embryonen für die Epsilon-Kaste entzieht man ein wenig Sauerstoff, damit sie geistig minderbemittelt werden. So sind sie leichter zu lenken und ertragen die oft stupide Arbeit besser. Freilich ist es mit der Aufzucht in Flaschen nicht getan. Schon als Kleinkinder werden unsere Flaschenzöglinge durch Stromschläge oder auch Lärm zu kastenkonformem Verhalten konditioniert und im Schlaf werden ihnen die richtigen moralischen Vorstellungen eingeflüstert. So werden sie in eine Welt entlassen, in der es Kriege, Krankheiten und überbordende Gefühle nicht mehr gibt, in der Stabilität, Frieden und Freiheit für immer herrschen. Um es mit Shakespeare zu sagen: ,O brave new world, that has such people in’t‘“. (Aldous Huxley: Schöne neue Welt) Wir sind Verfolgte im eigenen Land. Doch wir geben nicht auf und bereiten die Revolution vor, mit der wir den Propheten und seine Religionswächter stürzen werden. Sie haben in den Vereinigten Staaten eine Diktatur errichtet und unsere alte Verfassung außer Kraft gesetzt. Wer sich den Worten des Propheten widersetzt, nur die leiseste Kritik 20
Eine Reise durch Zeit und Raum
äußert, wird von den Psychotechnikern behandelt und ruhiggestellt. Wer dann noch aufmuckt, gilt als Paria und wird von den „Engeln Gottes“, den Leibwächtern des Propheten, verfolgt und ausgemerzt. Nonnen leiten die Kindergärten, Priester die Schulen und an den Universitäten sorgen die Bischöfe und Kardinäle des Propheten dafür, dass Lehre und Forschung „religionskonform“ sind und bleiben, alte Bücher gelten als gefährlich und werden verbrannt, wenn es die heilige Inquisition für nötig hält. Gebete sind wichtiger als Wissenschaft und die Weltraumfahrt ist verboten. So kann es nicht weitergehen, im Jahr 2100 wird unsere Untergrundbewegung die verhasste Theokratie beseitigen. (Robert A. Heinlein: Revolte im Jahr 2100) Das galaktische Kaiserreich zerfiel. Es war ein kolossales Imperium, das sich über Millionen von Welten von einer Armspitze der Milchstraße, dieser mächtigen Doppelspirale, zur anderen erstreckte. Auch sein Fall war kolossal – und er dauerte lange, denn er hatte einen langen Weg zurückzulegen. Aber können wir, dürfen wir einer solchen Entwicklung zusehen? Als Geschichtswissenschaftler, die wir historische Verläufe mathematisch voraussehen können, berechnen wir, dass der Galaxis eine Periode von 10.000 Jahren Barbarei bevorsteht. Doch da gibt es unseren genialen Kollegen Hari Seldon, den Entwickler und Meister der „Psychohistorik“. Er entwickelt eine Idee, wie das Wissen und die Erkenntnisse der Menschheit in zwei Aktionen an den entgegengesetzten Enden der Milchstraße bewahrt und so die Periode des Elends und der Kriege verkürzt werden können. Das Ergebnis ist der „Tausendjahresplan“. (Isaac Asimov: Foundation-Zyklus) „Nein – nein, das nicht, das nicht …“, stammelt Copilot Reginald Bull und Major Perry Rhodan starrt auf das riesige Raumschiff, das in einem Mondkrater notgelandet ist. Am 19. Juni 1971 sind sie mit der Rakete STARDUST von der Erde aus gestartet, einer Erde, die kurz vor einem Atomkrieg steht. Auf dem Erdtrabanten entdecken sie den Kugelraumer der Arkoniden, einem mächtigen Sternenvolk. Perry Rhodan nutzt deren überlegene Technologie, um eine „Dritte Macht“ aufzu21
Science-Fiction
bauen und die Großmächte zum Frieden zu zwingen. Dies ist erst der Anfang einer fantastischen Geschichte, die Menschen erst ins WegaSystem und dann zum sagenhaften Planeten der Unsterblichkeit führt. Perry Rhodan, der „Erbe des Universums“, wird Administrator des „Solaren Imperiums“, das im Laufe der Jahrhunderte eine immer größere Rolle im Konzert der galaktischen Großmächte spielt … (Perry Rhodan, Romanheftserie) Träumen von Stellavista, der verlorenen Oase im zinnoberroten Sand von Südkalifornien. Unser Haus auf azurblauem Kies, aus der Ferne sieht es wie eine gewaltige Orchidee aus, die Wohnräume auf der einen, der Schlafraum auf der anderen Seite, verbunden durch eine Terrasse aus schimmerndem Glas. Über eine Wendeltreppe kommen wir zum Swimmingpool, der von tropischen Pflanzen gesäumt wird. Wir sind in Vermilion Sands, einstmals „Tummelplatz von Filmzaren, steuerpflichtigen reichen Erbinnen und exzentrischen Kosmopoliten, aus jenen sagenhaften Jahren vor der Rezession“. Jetzt, wo die Wirtschaftskrise permanent und die Welt von Krieg und Unzufriedenheit erschüttert ist, erinnert alles an einen aufgelassenen Vergnügungspark, in den sich einige von der Welt enttäuschte Künstler zurückgezogen haben. Die Accessoires der jüngsten Vergangenheit sind freilich geblieben: Bunte Wolken in bizarren Formen treiben über den Himmel, sprechende Statuen und singende Blumen und manchmal materialisiert sich eine verzweifelte Muse, die uns Dichter mahnt, wieder selbst Verse zu schmieden anstatt sie per Knopfdruck aus unseren Lyrikmaschinen entstehen zu lassen. (J. G. Ballard: Die 1000 Träume von Stellavista) Da sitzen wir also in einem Restaurant am Ende des Universums. Vor geraumer Zeit waren wir noch auf einem ziemlich unzivilisierten Planeten am äußersten Ostrand der Galaxis. Und als wir wie mein alter Freund Douglas Adams leicht betrunken auf einem Kornfeld lagen und die Sternenpracht erblickten, da sahen wir die Raumflotte, die unsere kleine Erde vernichten sollte. Die Vogonen, kalte, pragmatische Wesen, nur der Effizienz verpflichtet, mussten sie wegen des 22
Eine Reise durch Zeit und Raum
Baus einer galaktischen Hyperraumroute aus dem Weg räumen. Gott sei Dank konnten wir uns durch einen „Subraum-Äther-Winker“ auf eines der Raumschiffe dieser unfreundlichen Wesen beamen, um bald von ihnen aus der Luftschleuse geworfen zu werden. Zu unserem Glück wurden wir vom Vergnügungskreuzer „Herz aus Gold“ gerettet, wo wir auf seltsame Wesen trafen wie einen der früheren Präsidenten der Galaxis oder einen depressiven Roboter. So düsten wir durch die Randregionen unserer Milchstraße, immer auf der Suche nach Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und einem guten Drink. Prost und noch ein Tipp: Anstelle der doch etwas langatmigen „Enzyklopaedia Galactica“ der Psychohistoriker von Trantor greifen Sie doch zu unserem Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“, der zumindest sehr viel billiger ist und auf dessen Umschlag wir Ihnen den ultimativen Rat geben: „NO PANIC“. (Douglas Adams: Per Anhalter durch die Galaxis) Es ist heiß hier im Ödland, im „Wasteland“. Aber wenn uns der Schweiß ausbricht, ist es nicht nur wegen der sengenden Hitze. Denn die Wüste, durch die wir streifen, ist keine normale, sondern eine radioaktive Wüste. Sie ist eines der Überbleibsel des Atomkriegs zwischen den USA und der Sowjetunion, Staaten, die es nicht mehr gibt. Wir sind „Desert Rangers“, Polizisten und Überlebenskünstler, die ein wenig Ordnung in die Welt zwischen Los Angeles und Las Vegas bringen wollen, die von Banditen und Mutanten, Wasser- und Technologieschmugglern beherrscht wird. Wir haben den Auftrag, den Zugang zu einer verborgenen Zeltstadt zu finden, und das geht nur, wenn wir den „Headcrusher“ bestechen, der eine Kneipe in der Minenstadt Quarz betreibt. Wie wir ihn bestechen? Mit seinem Lieblingsgericht: einer Visacard in Erdnussbutter … (Wasteland, Computer-Rollenspiel) Was für ein Gewimmel! Was für ein Gestank! Wir schieben unser Fahrrad durch den Markt von Seattle, kaufen ein paar verschrumpelte Tomaten und hören einem Marktschreier zu. Er hat einige Geräte zu verkaufen, die angeblich den EMP überstanden haben. Vor fast zehn 23
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Jahren haben Terroristen in den Staaten eine Atombombe gezündet, was allein schon genug war. Aber die schlimmste Folge war, dass durch den elektromagnetischen Impuls alle elektronischen Geräte zerstört wurden. Seitdem gehört unser Land zur Dritten Welt. Aber das Schicksal der ehemaligen Vereinigten Staaten kümmert mich wenig, ich bin auf der Flucht, ich bin ein X5. Als Kind wurde ich im geheimen Militär zentrum Manticore aufgezogen, die Wissenschaftler hatten meine Brüder und Schwestern und mich genetisch verändert. Dank meiner Katzengene wurde ich unheimlich schnell und stark und sie wollten uns als Supersoldaten ausbilden. Doch einige von uns konnten fliehen, wurden getrennt und seitdem lebe ich im Untergrund. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, einige meiner Leidensgenossen zu finden. Und ich hasse die herrschende Korruption, kämpfe gegen das Unrecht und nutze dabei meine Fähigkeiten. So wurde ich zum „Dark Angel“! (Fernsehserie Dark Angel) Sie leben hinter dem Mond und wir hatten es nicht gewusst. Erst als wir nach Jahrzehnten wieder auf dem Erdtrabanten landeten – eigentlich als PR-Aktion für unsere hochverehrte Präsidentin gedacht –, da tauchten sie in ihren an Ritterrüstungen gemahnenden Raumanzügen auf und nahmen uns kurzerhand gefangen. Mit einem „Heil Kortzfleisch“ wurden wir in die Zellen der unterirdischen Stadt gebracht und verhört. Und gefoltert – wir wurden tagelang mit den Reden eines Joseph Goebbels bombardiert, ohne uns wehren zu können! Langsam begriffen wir die Zusammenhänge: Es handelt sich um die letzten Nazis, die 1945 mit ihren „Reichsflugscheiben“ auf den Mond geflohen waren, ihr „Neuschwabenland“ – sie nennen es „Schwarze Sonne“ – liegt hier und sie planen eine Rückkehr auf die Erde. Ihr gewaltiges Raumschiff heißt „Götterdämmerung“ und sieht fast so aus wie der Todesstern aus dem Film Star Wars. Zeppeline mit Asteroiden im Schlepptau bedrohen die Erde, über uns ein „eiserner Himmel“. (Iron Sky, Film)
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Stress! Das Projekt muss vorangetrieben werden, noch heute Präsentation! Newsflut: Flüchtlings-Demo in Berlin, drittes FrankreichHilfspaket, Volatilität der Börsenkurse! Eine kleine Pause von dieser Welt, ein wenig Entspannung. Der bequeme Sessel in der Büroecke lockt, wir sinken ins Polster und greifen zum Helm auf dem Beistelltischchen. Noch eine Pille eingeworfen, dann setzen wir den Helm auf, die Kontakte reiben ein wenig an den Schläfen. Eine sanfte Stimme ertönt: „Das alte Ägypten? Julius Caesar? Antiterrorbrigade? Post Doomsday-Szenario? Star-Wars-Universum?“ Ein kurzer Moment des Überlegens: „Mesozoikum“. Es wird schwarz vor unseren Augen, ein sanfter Schwindel und dann neue Töne, neue Gerüche, eine bunte Welt. Es ist heiß hier, wir sind umgeben von Farnen und Riesenpilzen, die Luft schmeckt würzig und ein wenig faul, unser Atem dampft. Wir schlagen mit unserem Buschmesser einen Weg durch das breite Unterholz, scheuchen einen schillernden Schmetterling auf, denken amüsiert da rüber nach, dass wir ihn töten könnten – ohne verderblichen Effekt! Aber wir lassen ihn in Frieden flattern und konzentrieren uns auf das Ungetüm, das vor uns durch den Sumpf stapft. Wir nehmen das Lasergewehr von der Schulter und zielen sorgfältig. Ein roter Punkt tanzt auf dem gewaltigen Schädel des Tyrannosaurus Rex. Was für eine schöne neue Welt!
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I. Technoträume 1. Alles ist machbar: Die Technik der Zukunft Wenn es um Fortschritt geht, beginnen fast alle Science-FictionGeschichten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. So auch diese, in der ein durchschnittlich intelligenter US-Marshall mit seiner pubertären Tochter eine Autopanne im Nordwesten der USA hat. Er landet in einer Kleinstadt mit putzigen Holzhäusern, die aber anders ist als gewöhnliche Kleinstädte. Solarautos fahren herum, Roboter reinigen die Straßen und pflegen die Bäume und der Getränkeautomat gibt dem Kunden Empfehlungen. Kurzum, in der Stadt Eureka scheint der amerikanische Traum des „anything goes“ verwirklicht. Weil gerade der Posten des Sheriffs durch einen Unfall frei geworden ist, übernimmt der Cop aus Los Angeles diesen Job. Eine seiner ersten merkwürdigen Erfahrungen macht Carter, als er in sein neues Haus einzieht. Alle Funktionen werden von S. A. R. A. H. übernommen, einer künstlichen Intelligenz, die als „Selbstständig Arbeitendes Rundum Automatisiertes Haus“ nicht nur Geschirrspülen und Putzen steuert, sondern sich auch als Beraterin in Lebens- und Liebesfragen von Vater und Tochter einmischt. Erst später wird der wackere Sheriff herausfinden, wohin er da geraten ist: Die von der Öffentlichkeit abgeschirmte Stadt Eureka wurde in Oregon auf Anregung Albert Einsteins im Zweiten Weltkrieg gegründet, als Think Tank für streng geheime Experimente. Seitdem leben hier Nobelpreisträger und Wunderkinder, verschrobene Genies und fanatische Forscher. Die meisten von ihnen arbeiten in einem riesigen unterirdischen Laborkomplex der Firma „Global Dynamics“, hinter deren klangvollem Namen sich das USamerikanische Verteidigungsministerium verbirgt. 27
I. Technoträume
Und dann sind da gewisse Vorfälle. Energiewirbel lassen riesige Löcher im Boden entstehen, in denen sogar Menschen verschwinden. Ursache ist ein Experiment im Keller eines von seiner Forschung besessenen Wissenschaftlers. Da werden plötzlich verschiedene Metalle zu Gold, zerfallen aber bald zu Rost. Später tauchen Duplikate von Einwohnern auf, mitten im Sommer wird ein Wissenschaftler zur Eisstatue, mittels eines Supermagneten werden Tonnen von Weltraumschrott Richtung Eureka angezogen. Es gibt Expeditionen in den Weltraum, Begegnungen mit Aliens und die Erfindung von Superwaffen. Als die Ereignisse immer turbulenter und dramatischer werden, greift man zur Zeitreise als letztem Mittel, um in der Vergangenheit die Gegenwart zu ändern, mit fatalen Folgen … Vielen geht es ähnlich wie Sheriff Carter, wenn sie sich darauf einlassen, die Welten der Science-Fiction mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten zu betreten. Verblüfft und etwas naiv lassen sie sich von diesem „anything goes“ faszinieren, staunen über die möglichen Wunder der Technik und fragen, ob das vielleicht bald schon alles Wirklichkeit wird. Sie schaudern ein wenig, wenn sich wieder einmal ein Wissenschaftler als Zauberlehrling versucht, sind froh über ein Happy End und nachdenklich, wenn es zur Katastrophe kommt. Technoträume gibt es, seit es die Menschheit gibt. Zum Beispiel die Sage von Daedalus und Ikarus, der Traum vom Fliegen, eine Geschichte, die aber auch von Hybris und der Gefahr des Scheiterns berichtet. Noch mehr begeisterten sich frühe Erzähler für Wunderwaffen, Zauberstäbe, die Blitze verschleuderten oder Fluten auslösten, für Schwerter wie Balmung oder Excalibur. Im Zeitalter der industriellen Revolution und vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Visionen wissenschaft licher und konkreter, sie orientierten sich an der technischen Entwicklung. Im Roman Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887 von Edward Bellamy wird nicht nur das „Theatrophon“ beschrieben, eine spektakuläre Weiterentwicklung des gerade erfunde28
1. Alles ist machbar: Die Technik der Zukunft
nen Telefons, mit dem man die Musik ferner Orchester hören kann. Es gibt dort auch Flugautos, die Fußgänger werden durch Baldachine über den Gehsteigen vor schlechtem Wetter geschützt und in Fabriken wie im Haushalt erleichtern Maschinen den Menschen das Leben. Auch bei den beiden größten Pionieren der Zukunftsromane – zu dieser Zeit gibt es den Begriff Science-Fiction noch nicht – Jules Verne und H. G. Wells ist die Technikbegeisterung des Jahrhundertendes zu spüren. Verne beschreibt Reisen zum Mond und durch das Sonnensystem, in das Erdinnere und auf den Grund des Meeres. Erst in seinem Spätwerk machte er sich wie Wells Gedanken über die Gefahren der Technik. In Deutschland wurde 1910 der Sammelband Die Welt in 100 Jahren zum Bestseller. Dem Journalisten Arthur Brehmer war es gelungen, 26 bekannte Persönlichkeiten, unter ihnen etwa Bertha von Suttner, für Artikel zu allen möglichen Aspekten zu gewinnen. In seinem Beitrag Das drahtlose Jahrhundert beschreibt Hugo Stoss eine Entwicklung, die die meisten von uns noch vor einem Vierteljahrhundert für höchst utopisch gehalten hätten: das Telefon in der Westentasche. Da heißt es: „Die Bürger der drahtlosen Zeit werden überall mit ihrem ‚Empfänger‘ herumgehen … Einerlei, wo sie auch sein werden, sie werden bloß den ‚Stimm-Zeiger‘ auf die entsprechende Nummer einstellen brauchen, die sie zu sprechen wünschen, und der Gerufene wird sofort seinen Hörer vibrieren oder das Signal geben können, wobei es in seinem Belieben stehen wird, ob er hören oder die Verbindung abbrechen will. Solange sie die bewohnten und zivilisierten Gegenden nicht verlassen, werden sie es nicht nötig haben, auch einen ‚Sendapperat‘ bei sich zu führen, denn solche ‚Send stationen‘ wird es auf jeder Straße, in jedem Omnibus, auf jedem Schiffe, jedem Luftschiffe und jedem Eisenbahnzug geben … Und in dem Bestreben, alle Apparate auf möglichste Raumeinschränkung hin zu vervollkommnen, wird auch der ‚Empfänger‘ trotz seiner Kompliziertheit ein Wunder der kleinen Mechanik sein.“ 29
I. Technoträume
Ein Jahr später beschreibt Hugo Gernsback in seinem Buch Ralph 124C 41+ das 27. Jahrhundert. Gernsback, der später als Vater der Science-Fiction bezeichnet werden wird, ist selbst ein „124C 41+“, ein „one to (two) forsee (four-c) for (four) one plus“. In seiner Vision verrichten mechanische Wesen – noch werden sie nicht Roboter genannt – menschliche Arbeit. In der Welt des Jahres 2660 gibt es Elektromotoren und Leuchtstoffröhren, Radar und Solarzellen, Fernsehen und bemannte Raumfahrt. Seine Prognosen, dass die Schwerkraft aufgehoben, ein Mensch unsichtbar werden könne oder das Wetter in Zukunft kontrollierbar sei, sind aber auch heute noch utopisch. Spätestens von diesem Zeitpunkt an bekommen viele Utopien und Zukunftsvorstellungen eine technische Komponente. Die Autoren versuchen, ihren Geschichten eine wissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Legitimation zu geben, die Fiction wird mit der Science kombiniert. Im Film geschah das vorerst nicht. Die Drehbuchautoren waren unbefangener und die dämonischen Hypnosekräfte eines Doktor Mabuse wurden, wenn überhaupt, nur sehr rudimentär erklärt. Wegweisend für den deutschsprachigen Raum war Hans Dominik, der die frühe deutsche Science-Fiction geprägt hat und nach dem Ersten Weltkrieg zum Vorbild für Generationen von Autoren bis in die Fünfzigerjahre wurde. 1872 in Sachsen geboren, besuchte er das Gymnasium in Gotha, wo sein Mathematik- und Physik lehrer Kurd Laßwitz war, der als Erster die „Zukunftsliteratur“ im Deutschen Reich populär machte. Dominik wurde später Maschinenbau- und Elektroingenieur bei Siemens und Halske und war an mehreren Patenten beteiligt. Bald übernahm er dort das Literaturbüro – eine Vorform der Pressestelle – und machte sich später als freier Schriftsteller selbstständig. Er schrieb eine Reihe von „technischen Märchen“ für Zeitungen und Das neue Universum. Nach dem Ersten Weltkrieg gelang ihm der Durchbruch mit seinem ersten Zukunftsroman Die Macht der Drei. Dieser enthielt schon die Muster, die Dominik später zum Erfolgsautor machen würden. Der Roman spielt im fiktiven Jahr 1955, in dem ein Krieg 30
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der USA mit dem britischen Empire droht. Drei Wissenschaftler haben einen teleenergetischen Strahler erfunden, mit dem sie die Weltmächte in die Schranken weisen. In den meisten seiner Romane stehen auf der einen Seite deutsche oder zumindest europäische Ingenieure oder Wissenschaftler, die ihre Errungenschaften gegen multinationale Konzerne oder Regierungen – oft sind es nicht ohne rassistische Untertöne Asiaten oder Afrikaner – verteidigen oder ihren Missbrauch verhindern müssen. Dominiks Romane beschäftigen sich mit Raketenantrieben, synthetischem Kautschuk, Tarnkappen, die unsichtbar machen, Strahlenwaffen, Hypnose und der Nutzung der Atomenergie. Auch ein Projekt, das Solarstrom von Afrika nach Europa bringt, wird angedacht. Der Erfolgsautor war erkennbar deutschnational und ließ sich durchaus vom Dritten Reich hofieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden seine Bücher neu aufgelegt und „gesäubert“, teils bis zu einem Drittel gekürzt. Trotzdem ist er – was den technischen Zukunftsroman betrifft – Vorbild für Utopien westdeutscher Autoren nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben Waffen und Visionen über den Krieg der Zukunft – in einem Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und Dutzenden lokaler Konflikte nur zu verständlich – versuchten die Science-FictionSchreiber, die nähere Zukunft vom Stand der Wissenschaft und Technologie abzuleiten. Das erste zivile Gebiet war die Entwicklung der Kommunikation. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde das „Fern Sehen“ oder das „Telefon in der Westentasche“ beschrieben. Während das Handy heutzutage eine unvorhergesehene Verbreitung gefunden hat, stecken die Übersetzungsgeräte, die sogenannten Translatoren, noch in den Anfängen. Die schriftliche Übersetzung im Computer funktioniert trotz gelegentlicher Heiterkeitseffekte inzwischen recht gut. An einem akustischen Sprachaustausch wird zwar intensiv gearbeitet, aber bislang ist das Ergebnis noch nicht zufriedenstellend. Ohne Simultandolmetscher geht es noch nicht. Anders in der Science-Fiction: Bei Perry Rhodan NEO können Menschen sich einen Chip ins Gehirn einpflanzen 31
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lassen, der jede menschliche Sprache direkt in die eigene übersetzt. Bei Aliens haben die Translatoren hingegen Schwierigkeiten, weil deren Kommunikation oft auf einer den Menschen fremden Logik und Kultur basiert. Von der Gegenwart überholt wurden dagegen die Vorstellungen eines weltweiten Kommunikationsnetzes. Zwar beschrieben schon in den Vierziger- und Fünfzigerjahren Autoren Verbindungen über Satelliten und durch riesige Leitungen verbundene Supercomputer, doch das Internet in der heutigen Form konnten sie sich nicht vorstellen. Visionen entwickelten die Autoren utopischer Romane auch darüber, wie und vor allem mit welcher Geschwindigkeit wir uns fortbewegen können. In dem kurz nach der Jahrhundertwende gedrehten Kurzfilm Der ‚?‘ Motorist lässt der englische Filmemacher Walter R. Booth ein futuristisch anmutendes Auto so schnell werden, dass es abhebt und durch das Sonnensystem fliegt – ohne sich um eine wissenschaftliche Legitimation zu bemühen. Dagegen sind in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte Vorstellungen von Eisenbahnen, die über 300 km/h und in großen Tunnels durch das Meer fahren, ebenso wie Visionen von riesigen Überschallpassagierflugzeugen heute schon Wirklichkeit. Wir sind gar nicht so weit entfernt davon, dass der Automobilfernverkehr von einer Zentrale aus automatisch gelenkt wird. Die in Filmen gern gezeigten fliegenden Autos dürften dagegen ebenso ein Gag bleiben wie die rollenden Fußgängerwege, auf denen Menschen von den ganz langsamen Wegen außen zu den extrem schnellen Wegen ganz innen springen können. Wahrscheinlicher ist die Bevölkerung des Himmels durch Luftgleiter und Lastenschweber auf unsichtbaren Straßen, auf denen auch Drohnen, die Päckchen oder sonstige Güter bringen, Platz haben dürften. Eindeutiger Liebling der heutigen Science-Fiction-Autoren ist das Portal, auch Materietransmitter genannt. In der einen Variante werden Menschen in der Ausgangsstation in ihre atomaren Bestandteile zerlegt und durch eine übergeordnete Dimension in die Empfangsstation geschickt, wo sie wieder zusammengesetzt wer32
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den, Unfälle nicht ausgeschlossen. Einfacher machen es sich andere Autoren, indem sie die beiden Stationen mit einem Wurmloch oder einer „Einstein-Rosen-Brücke“ verbinden. Dann geht es ganz schnell wie bei Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise, wenn er Ingenieur Scotty „Beam me up“ befiehlt. H. G. Wells nahm in seinem Roman Befreite Welt aus dem Jahr 1914 die Diskussion über die Nutzung der Kernenergie auf. Als Waffe im Krieg wurde sie meist als Gefahr angesehen, ihre friedliche Nutzung sahen die meisten Autoren als große Chance für die Menschheit, auch wenn Robert A. Heinlein 1940 in seiner Kurzgeschichte Katastrophen kommen vor die psychische Belastung von Menschen, die in einem Kernkraftwerk arbeiten, schildert und auf mögliche Gefahren hinweist. Erst in den Siebzigerjahren kippte die Stimmung, vor allem nach den Unfällen von Three Miles Island und Tschernobyl. Das zeigte sich auch in Romanen, die die Auswirkungen solcher Unfälle in Kernkraftwerken nach Katastrophen oder Sabotageakten schilderten. Gleichzeitig sahen die Science-Fiction-Autoren voraus, dass Grundstoffe für Energie wie Kohle, Öl oder Erdgas begrenzt sind. So ließen sie atomare und fossile Energiegewinnung mehr und mehr beiseite und erzeugten den Strom für ihre Zukunftsstädte lieber durch Sonnen- und Windenergie. Was blieb, war die Vision der Kernfusion als eine durch den überall vorhandenen Wasserstoff unerschöpfliche Energiequelle, eine saubere, strahlenfreie Methode. Gefährlicher, aber für manche Schriftsteller faszinierender war die Idee, aus dem Zusammenprall von Materie und Antimaterie Energie zu gewinnen oder eine übergeordnete Dimension anzuzapfen, etwa mittels eines schwarzen Lochs. Näher an der Realität sind da schon die Überlegungen über die Medizin der Zukunft. Zwar können sich – anders als in vielen Romanen und Filmen – verletzte oder verstümmelte Menschen noch lange nicht in eine Art Regenerationstank legen, aus dem sie nach einigen Tagen Heilschlaf gesund und mit nachgewachsenen Gliedern herauskommen. Aber die Fortschritte bei der Transplantation von Gliedern und Organen sind in den letzten Jahren frappant und 33
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die Wissenschaftler scheinen auch die Zellen, die ein Nachwachsen anregen, bald finden zu können. Der Axolotl, ein mexikanischer Schwanzlurch, dessen Glieder sich regenerieren, dient ihnen als Vorbild. Vorerst Romanen und Filmen vorbehalten bleibt der Versuch, einen Organismus aus verschiedenen Teilen zusammenzusetzen und dabei einen menschlichen Kopf zu verpflanzen wie es Dr. Viktor Frankenstein getan hat. Dagegen könnten künstliche Glieder, die vom Gehirn gesteuert werden und eine von vielen Autoren vorausgesehene Mensch-Maschine-Schnittstelle enthal ten, bald Realität werden. Die Fortschritte im Bereich der Medikamente scheinen dagegen weniger spektakulär. Antibiotika, gegen die Bakterien keine Resistenzen mehr entwickeln (und mit denen sich ein Riesengeschäft machen lässt) sind Gegenstand von Medizinthrilllern, die in der nahen Zukunft spielen. Noch schauerlicher, aber in Ansätzen schon heute realistisch ist das Szenario einer Welt, in der die Mafia oder große Konzerne den Organhandel kontrollieren und sogar Menschen züchten, um ihnen später Organe zu entnehmen. Eine große Hoffnung ist dagegen die individualisierte Medizin. Heute noch ein Schlagwort der Pharmaindustrie, gehen die Science-Fiction-Autoren davon aus, man könne sogenannte Biomarker, also Zellen oder Gene, Hormon- oder Enzymzusammensetzungen, die bei jedem Menschen anders sind, analysieren, die für den Patienten besten Therapien und Arzneimittel ermitteln und anschließend produzieren. Ein solches individualisiertes Medikament könnte etwa in die Blutbahn gespritzt werden, um Krebszellen gezielt anzugreifen, sie zu zerstören und weitere Tumore im Organismus schon im Ansatz zu verhindern. So wundern sich im vierten Star Trek-Film Captain Kirk und Doktor McCoy, als sie die Erde des 20. Jahrhunderts besuchen. Sie hören in einer Klinik Ärzte über eine Chemotherapie diskutieren. McCoy schüttelt den Kopf und sagt: „Das ist ja wie im Mittelalter!“ Wie aber kann ein heute unheilbar kranker Mensch von der Medizin der Zukunft profitieren? Er lässt sich einfrieren und dann auftauen, wenn ein Heilmittel gefunden ist! Dies ist, zumindest 34
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was das Einfrieren betrifft, nicht nur Science-Fiction. In den USA und jetzt auch in Russland gibt es Institute, die inzwischen knapp 300 Menschen in flüssigem Stickstoff lagern. Die meisten sind Tote, die irgendwann in der Zukunft auf eine Wiederbelebung hoffen. Aber es gibt auch krebskranke Menschen, die sich in einen Kühlschlaf versetzen lassen. Der Beweis, dass sich der Organismus und vor allem das Gehirn ohne Schaden erhalten und dann wiederbeleben lässt, steht allerdings noch aus. Autoren und Filmemacher sind fasziniert von dieser Idee. Schon Edward Bellamys Held überspringt durch einen hypnotischen Tiefschlaf 100 Jahre und erwacht in einer futuristischen Welt. Zufällig oder absichtlich eingefrorene Menschen lassen sich ausgezeichnet für staunende oder entsetzte Schilderungen einer Gesellschaft der Zukunft verwenden. Der eisige Tiefschlaf dient in einigen Romanen und Filmen wie Avatar dazu, die lange Reise zu fernen Sternen zu überbrücken. Und in der fünften Episode von Star Wars wird Harrison Ford alias Han Solo in Karbonit eingefroren, um Jahre später im sechsten Teil von seinen Freunden befreit zu werden. Überhaupt, die Weltraummediziner der Zukunft! Murray Leinster und James White lassen ihre Ärzte in riesigen Raumschiffen durch die Galaxis fliegen, wo sie Menschen und Aliens heilen. Im Gegensatz zu den dort kniffligen Behandlungsmethoden hat es Doktor McCoy vom Raumschiff Enterprise eher leicht. Er hat einen handlichen Apparat namens Tricorder dabei, mit dem er seine Patienten scannt und sofort die wichtigsten Informationen über deren Gesundheitszustand erhält. Was in Ansätzen nicht allzu utopisch ist: Kleine auf dem Körper getragene Geräte messen Fieber, Puls und Blutdruck und können diese Werte über das Internet an medizinische Überwachungsstationen übermitteln. Ein auf diesem Weg übermitteltes EKG, aufgenommen von einem implantierten Chip, ist so wenig utopisch wie ein Urintest, dessen Streifen mit einer App fotografiert und die Daten direkt an den Arzt gesendet werden können. So überholt die rasche Entwicklung der Medizin oft die Science-Fiction. 35
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2. Alles ist machbar – auch Wunderwaffen Die Visionen von utopischen Maschinen und Techniken, die dem Menschen das Leben erleichtern, begeistern nicht nur die ScienceFiction-Fans. Noch mehr faszinieren uns – auch wenn wir es ungern zugeben – futuristische Waffen, selbst wenn sie uns bangen und gruseln lassen. Die Star Wars-Filme bieten ein ganzes Arsenal von Laserschwertern über schnittige Raumjäger und Körper auf lösende Desintegratoren bis hin zum gigantischen Todesstern, einem riesigen Raumschiff, das ganze Planeten pulverisiert. Es ist die Kombination von Schauder und Allmachtsfantasie, die seit Generationen Leser wie Zuschauer in ihren Bann zieht. Dies begann schon bei den Vätern der Science-Fiction, Jules Verne und H. G. Wells. Kapitän Nemo, der das von Jules Verne erdachte U-Boot „Nautilus“ steuert, ist ein indischer Prinz, dessen Familie umgekommen ist und der die Weltmeere als eine Art Rächer aller Unterdrückten durchquert. Seine Nautilus wird elektrisch betrieben, kann tief tauchen und verfügt über eine dicke Panzerung. Vor möglichen Enterungen ist das Schiff durch ein Elektroschocksystem geschützt, mit seinem Rammsporn und Seeminen versenkt es die modernsten Kriegsschiffe anderer Völker. In die Lüfte erheben kann sich dagegen die „Albatros“, die Verne als fliegende Plattform schildert, durch Schrauben vorne und hinten angetrieben und steuerbar und von Rotoren in der Luft gehalten. Das an einen Hubschrauber erinnernde Gefährt ist ein machtvolles Instrument. Gesteuert wird es von einem größenwahnsinnigen Genie namens Robur. Nemo und Robur sind vermutlich auch Vorbilder für die größte deutsche utopische Heftserie vor dem Ersten Weltkrieg. Der Luft pirat und sein lenkbares Raumschiff erschien von 1908 bis 1912 mit insgesamt 165 Ausgaben. Die Familie von Kapitän Mors (dem lateinischen Namen für Tod) wurde von Anarchisten ermordet. Auf einer Insel im Pazifik hat er einen geheimen Stützpunkt, von dem aus er mit seinem lenkbaren Luftschiff Rache an ihnen nimmt und danach gegen alle Unruhestifter, vor allem aus der sozialisti36
2. Alles ist machbar – auch Wunderwaffen
schen Ecke, kämpft. Der Bezug zur russischen Revolution 1905 ist unverkennbar. Später baut er zusammen mit einem Professor auch ein „Weltenfahrzeug“, mit dem er die Planeten unseres Sonnen systems erreichen kann. H. G. Wells steht stellvertretend für eine Reihe von Autoren, die um die Wende zum 20. Jahrhundert die Technologie der kommenden Kriege vorhergesehen haben. Im 1903 geschriebenen Roman The Land Ironclades werden gepanzerte Wagen als Schreckenswaffe dargestellt. Vor allem britische Schriftsteller malten sich aus, wie Luftschiffe und U-Boote in einem Weltkrieg eingesetzt werden. Den verheerenden Stellungskrieg, in dem Millionen auf beiden Seiten verbluteten, haben sie allerdings nicht geahnt. Der wichtigste utopische Roman entstand kurz vor dem Weltkrieg und wurde ebenfalls von Wells verfasst. In Befreite Welt beschreibt er die Nutzung von Atomenergie für den Krieg, er spricht von „Atombomben“. So hießen sie denn auch, als sie entwickelt wurden. Der durch utopische Romane bestärkte Glaube, im Bereich Waffentechnik sei alles möglich, verdichtete sich vor allem in Deutschland zu der Überzeugung, kriegsentscheidende „Wunderwaffen“ könnten den Konflikt rasch beenden. Hatten schon die Krupp-Hinterlader-Geschosse im Krieg 1870/71 nicht unwesentlich zum Sieg über Frankreich beigetragen, erhoffte man dies im Ersten Weltkrieg von der erstmals sogenannten „Dicken Bertha“ und dem „Paris-Geschütz“. In der Weimarer Republik waren es die Romane Hans Dominiks, die den Erfindungsreichtum europäischer, meist deutscher Ingenieure beschrieben. Von 1933 bis 1936 unterstützten in der von Paul Alfred Müller verfassten 150-bändigen Heft serie Sun Koh geniale Wissenschaftler den Prinzen von Atlantis im Kampf um sein Erbe. 1935 konzipierte der gleiche Autor eine den neuen Machtverhältnissen angepasste Serie. Die Hauptfigur Jan Mayen ist ein deutscher Millionärssohn, der wie einst der Luftpirat Verbrecher in der ganzen Welt bekämpft. Er tut dies in einem Flugzeug mit Atomantrieb und weiteren technologischen Gim37
I. Technoträume
micks, um dann nach 120 Bänden Grönlands Eis zu schmelzen und darunter das „sagenhafte Wunschland Thule“ zu errichten. In den USA sorgten die „Pulp-Magazine“ – Pulp steht für das damalige billige Zeitschriftenpapier – für die Verbreitung der Science-Fiction und damit auch des technologischen Wunderglaubens. Mit dem Slogan „Heute noch übertrieben … morgen schon Tatsache“ warb Hugo Gernsback für seine Amazing Stories. Auch die Namen der anderen Pulps wie Science Wonder Stories, Thrilling Wonder Stories, Astounding Stories charakterisierten deren Inhalt: sagenhafte technische Erfindungen und viel Action, also auch viel Kampf und Waffentechnik, natürlich im galaktischen Ausmaß. In Jack Williamsons 1934 erschienener Weltraumlegion kämpfen die „Wächter des Alls“ mit gigantischen Raumschiffen und Strahlenwaffen. Edward E. „Doc“ Smiths Lensmen-Zyklus beginnt als Kampf des Guten mit dem Bösen in unserem Sonnensystem, weitet sich auf die Milchstraße aus und endet im Krieg der Galaxien. Dabei werden auch die Waffen immer gigantischer. Frühe Vorfilm-Serien wie Flash Gordon und Buck Rogers kamen zu den Pulps hinzu und bestärkten die junge amerikanische Generation in der Überzeugung, dass technologisch alles möglich sei. Das nationalsozialistische Regime, aber auch seine Kriegsgegner benutzten den Glauben an mögliche Wunderwaffen für ihre propagandistischen Zwecke. Je schwieriger die Lage im Zweiten Weltkrieg wurde, umso mehr schürte die Goebbels-Presse die Hoffnung auf im Geheimen arbeitende Wissenschaftler, die mit Raketen, ultraschnellen Flugzeugen und neuen Superpanzern die Wende zum „Endsieg“ bringen würden. Die Medien der Alliierten rekurrierten ihrerseits auf die Berichte von den Wunderwaffen, auch wenn sie nicht unbedingt daran glaubten. So sollte die eigene Bevölkerung zu noch größeren Anstrengungen gegen den Kriegsgegner motiviert werden. Der Glaube an das Können der Wunderwaffen-Ingenieure reichte bis in die Nachkriegszeit, als deutsche Forscher und Techniker in die Länder der Siegermächte exportiert wurden und dort großen Einfluss auf die Militärtechnik hatten. In der englischspra38
2. Alles ist machbar – auch Wunderwaffen
chigen Science-Fiction spiegelte sich diese Entwicklung wider, immer utopischere Waffen und Waffensysteme wurden detailliert beschrieben. Bis heute ist daraus ein ansehnliches Arsenal geworden, im Wörterbuch der Science-Fiction werden weit mehr als 100 aufgelistet. Die harmlosesten Waffen sind die Paralysatoren, die den Gegner bewegungsunfähig machen, oder der Hypnostrahler, der Feinde in willfährige Befehlsempfänger verwandelt. Mit Desintegratoren, Phasern und allen Arten von Laserpistolen dagegen kann alle Materie, also auch menschliche Körper, aufgelöst werden. Antiquiert, wenn auch spektakulär erscheinen dagegen die Lichtschwerter der Jedi-Ritter in Star Wars. Bodentruppen setzen auch Energiewerfer, Schallgranaten und sogar Antimateriebomben ein. Raumschiffe kämpfen mit allen Arten von Strahlenkanonen und Raumtorpedos. Fast eine ultimative Waffe ist Douglas Adams „30-Megatöt-Definit-Kill-Photrazon-Kanone“, der Name spricht für sich selbst. Die Schutzanzüge dienen nicht nur dem Aufenthalt im luftleeren Weltraum, sondern auch als Vielzweckrüstung. Sie machen die Kämpfer dank eines „Chamäleonüberzugs“ oder mittels Deflektortechnik, die das Licht um sie herum lenkt, fast unsichtbar. Manchmal sind sie wie beim Superhelden Iron Man schwer gepanzert, eleganter sind den Körper umflimmernde energetische Schutzschirme, die selbst den Beschuss durch Strahlenwaffen aushalten. Dazu kommen mechanische Einheiten wie alle Arten von Drohnen, von den kleinsten, nur fliegengroßen, bis zu riesigen fern gelenkten Waffenträgern. Auf dem Schlachtfeld zu finden sind noch Kampfroboter, die humanoide Umrisse haben und meist stur den einprogrammierten Befehlen folgen. Eine besondere Variante sind die „Mechs“, bis zu 14 Meter hohe und gut 100 Tonnen schwere Maschinen, die in dem aus einem Brettspiel entstandenen und später in mehr als 100 Romanen beschriebenen BattletechUniversum spielen. Gelenkt werden sie von darin sitzenden „Warriors“, die heutigen Kampfpiloten nicht unähnlich die Ungetüme 39
I. Technoträume
steuern. In Star Wars bekämpfen mechanische Stoßtruppen, die „imperialen Kampfläufer“, die Rebellen. Ultimative Waffe ist hier die Starkiller-Basis: Sie zerstört gleichzeitig mehrere Planeten. Ebenfalls gigantisch ist das Waffenarsenal der Perry RhodanSerie. Schon 1961 beschrieb Karl-Herbert Scheer die Arkonbombe, die einmal gezündet eine planetenweite Kettenreaktion auslöst und so eine ganze Welt auslöscht. Noch schrecklicher ist das „Hyperinmesotron“, das Perry Rhodan im Kampf gegen die Herren der Andromeda-Galaxis, die „Meister der Insel“, einsetzt. Diese auf einem Raumschiff installierte Geheimwaffe kann eine Sonne mit „Hyperinmesionsschwingungen“ überfluten und durch den „Wiezold-Effekt“ Teile der Sonnenmasse in Antimaterie verwandeln. Da Antimaterie und Materie nebeneinander nicht existieren können, verwandelt sich die bestrahlte Sonne in eine gigantische Bombe. Das ist natürlich purer Unsinn, aber Science-Fiction-Leser lieben diesen sogenannten „Technobabble“ (ein Mix aus den Worten Technologie und Gebrabbel), mit dem die Science-Fiction-Autoren versuchen, die von ihnen erfundenen technologischen Errungenschaften oder Vorgänge mit wissenschaftlich klingenden „Fachausdrücken“ zu legitimieren. Kein Wunder, dass ein neuer Trend in der Wissenschaft wie in der Science-Fiction, nämlich die Nanotechnologie, die Autoren zu ganz neuen Waffenerfindungen anregt. Kann man sich gegen Millionen vom Wind getragene Teilchen in Nanogröße wehren, die Bomben, Panzer und anderes Material fressen oder sich erst im feindlichen Lager zusammenbauen, um zu explodieren? Denkbar ist auch die Spionage mittels Minikameras, die Sabotage feindlicher Waffenfabriken oder Infrastruktur und die Umprogrammierung von Kampfrobotern oder Soldaten des Gegners durch Nanoteilchen. Dann gibt es Waffen, die nicht im physischen Kampf eingesetzt werden, aber ebenso wirksam sind. Zunächst sind das alle Arten des Cyberkriegs: Hacker spionieren nicht nur gegnerische Waffenkonstruktionen und Strategien aus, sie können auch die gesamte Infrastruktur lahmlegen. In den Fünfzigerjahren beschrieb C. L. 40
2. Alles ist machbar – auch Wunderwaffen
Moore, wie eine Waffe alle elektrischen Geräte außer Betrieb setzt, heute ist diese Vorstellung durch den „Nuklearen elektromagnetischen Impuls (NEMP)“ potenzielle Realität. Denkbar sind auch Strahlen, die menschliches Verhalten beeinflussen oder steuern können. Dies können „Friedensstrahler“ sein, aber auch „EmotioStrahler“, die Aggressionen schüren. Poul Anderson imaginierte schon 1950 The Perfect Weapon: Scheinbar relativ harmlos zerstört diese Waffe Papier. Aber ohne schriftliche Aufzeichnungen und Bücher bricht die Wissenschaft zusammen und schließlich die ganze Zivilisation. Als Anderson das schrieb, gab es noch keine Computer. Heute beschreiben die Autoren den völligen Zusammenbruch der Welt, wenn durch eine Waffe oder Computerviren alle digitalen Geräte zerstört werden. Dass Science-Fiction eine mögliche technologische Weiterentwicklung und die Projektion einer künftigen Gesellschaft auf wissenschaftlicher Basis beschreibt, war seit Hugo Gernsback Vision aller „ernsthaften“ Autoren des Genres. Sie mussten aber erleben, dass Wildwestgeschichten im Weltraum und Angriffe schrecklicher Monster meist mehr Leser fanden. Dennoch prägte die „Science“ in den wirklich großen Romanen die Literaturgattung. Am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen die Technoträume nicht mehr so wichtig. Vielleicht weil die gegenwärtige technologische Entwicklung rascher verläuft als je zuvor und die Menschen in dieser Hektik und Überforderung mehr an spannungsgeladener Ablenkung und magischen Elementen interessiert sind. Futuristische Geräte und Wunderwaffen sind notwendige Accessoires für Romane und Drehbücher, wobei sich die Autoren ziemlich schamlos bei ihren Vorgängern bedienen. Es gibt kaum eine Waffe oder technische Errungenschaft, die nicht schon irgendwo beschrieben worden ist und deshalb zur Ausschmückung einer Zukunftsgesellschaft oder eines ganzen Universums dienen kann. Zum Dekor der actiongeladenen Geschichte dienen aber auch Zauberei und Rückgriffe auf antike Gesellschaftsformen, deren Realitätsgehalt nicht hinterfragt wird. Deshalb kommt es immer mehr zur Vermischung von 41
I. Technoträume
Science-Fiction-Elementen mit den magischen und esoterischen Vorstellungen der Fantasy. Der frühere Glaube „Alles ist machbar“ wird durch ein umfassenderes und nicht immer fantasie volles „Alles ist denkbar“ ersetzt.
SF-Spezial
Mad Scientists Mit dem Spruch „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“ wird der schusslige, aber liebenswerte Diplom-Ingenieur Daniel Düsentrieb beschrieben. Er erfindet so ziemlich alles, neben eher skurrilen Dingen wie dem tragbaren Loch, Kaugummibäumen, behaarten Wintertürklinken und dem Telefon mit eingebautem Bügeleisen eine Reihe von in die Zukunft weisenden Produkten. Dazu gehört ein unzerstörbarer Kunststoff für Geldspeicher, ein Luftroller wie in Zurück in die Zukunft, das „Dunkellicht“, das den Tag zur Nacht macht, sich selbst leerende Mülltonnen samt einem vollautomatisierten Haus. Natürlich ist das ganz ohne ernsteren wissenschaftlichen Hintergrund, die Disney-Zeichner bedienen sich aber gern bei der amerikanischen Science-Fiction. Plötzlich kann Düsentrieb auch ein Raumschiff bauen, das schneller als das Licht fliegt und damit gleichzeitig Tachyonen nachweisen. Seine genialste Erfindung ist aber sein kleiner Roboter „Helferlein“, der mit künstlicher Intelligenz und einer Prise Kritik an seinem Herrn gesegnet ist. Daniel Düsentrieb ist ein typischer „mad scientist“ der guten Sorte wie auch Doktor Emmett Brown in Zurück in die Zukunft. In Comics und im Film erinnern solche Wissenschaftler ein wenig an Albert Einstein. Sie tragen wirres weißes Haar und leicht schlampige Kleidung. Neben diesen äußeren Merkmalen sind sie so freundlich wie naiv, so hilfsbereit wie zerstreut. Anders die „bösen“ verrückten Wissenschaftler: Sie sind nur an ihren Experimenten und nicht an den Folgen für die Mensch42
2. Alles ist machbar – auch Wunderwaffen
heit interessiert, sie sind zynisch und grausam, sogar sadistisch. Schon 1920 hypnotisiert im Stummfilm Das Cabinet des Dr. Caligari der dämonische Forscher seine Diener, die dann auf seinen Befehl Morde begehen. Auch er geht an seiner eigenen Hybris zugrunde so wie andere Doktoren von Faust über Frankenstein und Jekill bis zu Mabuse. In den amerikanischen PulpStorys war der verrückte Wissenschaftler, dessen Erfindungen die größten Katastrophen herbeiführen, ein beliebtes Thema. Manch einer von ihnen strebt sogar nach der Weltherrschaft wie Dr. No oder Ernst Stavro Blofeld in den James-Bond-Filmen, die beide mit futuristischen Waffen ausgestattet sind. Der sicher populärste „mad scientist“ ist Dr. Strangelove (dt.: Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben) in Stanley Kubricks gleichnamigem Film aus dem Jahr 1964. Er erzählt die Geschichte eines wahnsinnigen amerikanischen Generals, der einen vernichtenden Atomschlag gegen die UdSSR führt und dabei einen ebenso vernichtenden sowjetischen Gegenschlag auslöst. Im fiktiven „War Room“ des Pentagons sitzt Dr. Seltsam im Rollstuhl, ein deutscher Wissenschaftler, der für die amerikanische Regierung arbeitet und dessen rechte Armprothese immer wieder ungewollt zum Hitlergruß emporschnellt. Angesichts der hoffnungslosen Situation macht der von Peter Sellers gespielte Mann den Vorschlag, einen kleinen Teil ausgesuchter Menschen für 100 Jahre tief in Bergwerken unterzubringen und durch ein Zuchtprogramm ihr Überleben zu sichern. Am Ende des Films steht er mit den Worten „Mein Führer, ich kann wieder gehen“ aus seinem Rollstuhl auf. Manchmal sind die Forscher aber weder liebenswert noch verrückt, sondern können nur hilflos staunen. So kreiert der amerikanische Teilchenphysiker Gregory Benford in seinem Roman Cosm ein „Universum in der Westentasche“. Im amerikanischen Teilchenbeschleuniger auf Long Island lassen Wissenschaftler für Sekundenbruchteile Uranatome aufeinanderprallen, um die Reaktion und den Zerfall zu beobachten. Unerwartet entsteht durch das Experiment eine merkwürdige, silbern schimmernde 43
I. Technoträume
Kugel. Nach eingehender Untersuchung stellt sie sich als Miniaturuniversum heraus, das man über eine Art Wurmloch beobachten kann. Es ist ein Weltall, in dem die Zeit millionenfach schneller vergeht als bei uns. So können die Wissenschaftler verfolgen, wie aus der Urmaterie Galaxien hervorgehen und Planeten mit blühenden Zivilisationen erscheinen, die andere Sternsysteme besiedeln und dann wieder untergehen. Schließlich kommt für das kleine Universum der Wärmetod. Hinterfragt wird in diesem Roman auch die Rolle des Wissenschaftlers. Darf er ein Experiment, das in das Weltgefüge eingreift, durchführen?
3. Der Roboter, dein Freund und Helfer Zwei seltsame Gestalten gehen durch die Wüste eines fernen Planeten. Eigentlich gehen sie nicht. Der Kleinere schlurft mit seinen Metallfüßchen durch den Sand, der große Goldene stelzt mit eckigen Bewegungen hinterher, ständig vor sich hin murmelnd: „Wir müssen Prinzessin Leia retten! Vorwärts, R2-D2!“ Der kleine Roboter, dessen Rumpf in einer gewölbten Kugel endet, blinkt vor sich hin und gibt Piepstöne von sich. Der menschenähnliche Roboter hinter ihm, übersetzt die schrillen Geräusche und antwortet gleich: „Du meinst, dass wir unsere Wichtigkeit überschätzen. Ich überschätze meine Wichtigkeit keineswegs. Ich behaupte sogar, der bescheidenste Droide zu sein, den ich kenne. Ich bin nur ein Protokolldroide mit einer exzellenten Datenbank und beherrsche lediglich sechs Millionen Formen der Kommunikation.“ R2-D2 bleibt abrupt stehen, die roten Lichter in seinem Kugelkopf flackern. „Natürlich kannst du mehr, mein Kleiner“, sagt C-3PO, „Anakin Skywalker hatte dir einige Extras spendiert: Gasdüsen zum Fliegen im Weltraum, Energiezellen, Audio- und Photorezeptoren, Gyrometer und Lebenszeichenscanner. Und vor allem kannst du mit deinem beweglichen Compu44
3. Der Roboter, dein Freund und Helfer
terinterface-Arm mit anderen Systemen kommunizieren und sie sogar kontrollieren.“ R2-D2 und C-3PO, der liebenswerte Kleine und der malerische Angsthase, treten in allen Star Wars-Filmen auf und sind – wie George Lucas, der Erfinder des Star Wars-Universums sagt – „die eigentlichen Helden der Saga“. Deshalb sind sie derzeit die bekanntesten und auch beliebtesten Roboterfiguren aller Science-FictionWelten. Ganz anders tritt uns der Schiffsroboter HAL im Film 2001: Odyssee im Weltraum gegenüber. Eigentlich ist HAL nur das Gehirn des Raumschiffs „Discovery“, dessen Funktionen er allumfassend steuert. HALs Name bedeutet nach eigener Aussage „Heuristic ALgorithmic“. Filmrezensenten vermuten aber, dass hier auf die Firma IBM angespielt wird, deren Name sich ergibt, wenn man im Alphabet von HAL um jeweils einen Buchstaben zurückgeht. Das elektronische Bordgehirn will nach einer falschen Messung den Flug zum Jupiter abbrechen. Als die Besatzung ihn wegen dieser Fehlfunktion abschalten will, empfindet er dies als Mord und wehrt sich dagegen, indem er alle Menschen an Bord umbringt bis auf einen, der sich retten kann. Dieser schaltet den neurotischen Computer schrittweise ab, der dabei wie ein Mensch regrediert. Aus dem hochintelligenten Bordgehirn wird ein trotziger Pubertierender und schließlich ein Kind, das „Hänschen klein“ singt. (In der englischen Fassung ist es das Lied „Daisy Bell“, das 1962 auf einem IBM-704-Computer programmiert wurde.) HAL steht für eine künstliche, aber menschenähn liche Intelligenz, die lernfähig ist und Emotionen zeigen kann. Die Science-Fiction-Autoren unterscheiden zwischen Robotern und meist unbeweglichen Großrechnern. Roboter sind bewegliche Maschinen, die irgendwelche Tätigkeiten ausführen, deren „Herz“ irgendein Energiespeicher oder eine Energiezelle und deren „Hirn“ ein Computer ist. Die meist unbeweglichen Großrechner steuern Raumschiffe, große Industrieanlagen oder überwachen den Verkehrsfluss von Metropolen. Die Gefahr bei all diesen künstlichen Intelligenzen ist, dass sie den Befehlen der Menschen nicht mehr gehorchen oder sogar zu Gegnern der Menschen werden. 45
I. Technoträume
Eine Lösung für dieses Problem bietet der berühmte ScienceFiction-Autor Isaac Asimov in seinen Robotergeschichten. Seine von der „US Robots and Mechanical Men Inc.“ hergestellten Maschinenmenschen haben eine hohe künstliche Intelligenz, die Sachlagen und Probleme mit reiner Logik und ohne Emotionen angehen. Es gibt trotzdem ausnahmsweise Fehlfunktionen, die sich für Kurzgeschichten gut eignen und von einer seiner Lieblingsfiguren, der Robotpsychologin Susan Calvin, behandelt werden. Damit sich diese Roboter als gute Diener und Werkzeuge erweisen, folgen sie den drei Gesetzen der Robotik: 1. Ein Roboter darf einem menschlichen Wesen keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. 2. Ein Roboter muss den Befehlen gehorchen, die ihm von Menschen erteilt werden, es sei denn, dies würde gegen das erste Gebot verstoßen. 3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange solch ein Schutz nicht gegen das erste oder zweite Gebot verstößt. Diese 1942 entwickelten „Asimov’schen Robotergesetze“ werden auch heute noch von den Wissenschaftlern diskutiert und anerkannt, obwohl die künstliche Intelligenz von Computern noch nicht so weit entwickelt ist, dass ihre Einführung heute schon sinnvoll wäre. Aber vielleicht wird in wenigen Jahrzehnten eine solche Roboterethik nötig sein. Übrigens hat Asimov später in seinem Roman Das galaktische Imperium – er gehört zum berühmten Foundation-Zyklus – noch ein „nulltes“ Robotergesetz hinzugefügt: 0. Ein Roboter darf der Menschheit keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass der Menschheit Schaden zugefügt wird. Dieser den drei Gesetzen übergeordnete Grundsatz – übrigens von einem Roboter erdacht und in die Gehirne seiner Kollegen eingeführt – dient der Spannung des Zyklus, ist aber höchst problematisch. Denn er besagt nicht weniger, als dass ein Roboter über das 46
3. Der Roboter, dein Freund und Helfer
Schicksal der Menschheit urteilen kann, indem er den Grundsatz über das erste Gesetz stellt. Bei Asimov sind die Roboter höchst ethisch und arbeiten im Hintergrund, um den Menschen zu helfen und sie notfalls vor sich selbst zu retten. Vor Asimov waren die Maschinenmenschen in vielerlei Hinsicht eher Schreckgespenster. Da herrschte das Frankenstein-Muster „Monster erhebt sich gegen seinen Schöpfer“ vor. Im 1921 gedrehten italienischen Stummfilm L’uomo meccanico (Der mechanische Mensch) wird ein mechanischer Riese von Gangstern für Überfälle benutzt, um schließlich von einem zweiten Maschinenmenschen zerstört zu werden. In Fritz Langs Metropolis erschafft der Wissenschaftler Rotwang eine mechanische „falsche Maria“, einen verführerischen Roboter. Der Begriff selbst stammt aus der Heimat des Golems – der Figur aus einer mittelalterlichen jüdischen Legende aus Prag – und kommt erstmals in Karel Čapeks Theaterstück R. U. R. – Rossum’s Universal Robots vor. Hier wird die in vielen Science-Fiction- Geschichten beschriebene Angst thematisiert, dass Roboter den Menschen die Arbeit wegnehmen und schließlich nach der Weltherrschaft greifen. Roboter sind in der Science-Fiction Alleskönner. Sie sind Maschinen – inzwischen auch in der Realität des Jahres 2016 –, die in tiefere Erdschichten vordringen und die Tiefsee erforschen können, auf Planeten und Asteroiden landen und diese untersuchen. Sie sind nicht nur einfache Arbeiter, sondern auch Chirurgen und sogar Kindermädchen. Dass sie als verführerische Gespielinnen von Männern käuflich zu erwerben sind, sei nur am Rande erwähnt. Sie nehmen hoheitliche Aufgaben als unbestechliche Richter wahr. Ganz besonders funktional erscheinen sie als Polizeiroboter, der berühmteste ist R. (steht für Roboter) Daneel Olivaw, der sich in Asimovs Foundation-Zyklus vom brillanten Detektiv zum Hüter der Menschheit entwickelt. Anders die Robocop-Variationen, die in Filmen und Fernsehserien als praktisch unzerstörbare Maschinen agieren. In Szenarien, die auf fernen Sternen und in Weltraumtiefen spielen, ist der Typus „Kampfroboter“ allgegenwärtig. Meist riesig und auf klobigen Stahlbeinen durch die Gegend 47
I. Technoträume
stampfend zielt er mit seinen in die Arme eingebauten Laser waffen auf alles, was ihm in den Weg kommt. Manche Roboter werden im wahrsten Sinne des Wortes als Menschen verkleidet. Sie unterscheiden sich von den oft klobigen, ganz aus sichtbaren Metallteilen bestehenden Maschinenmenschen dadurch, dass sie von einem Gewebe überzogen sind, das an Haut erinnert, und ihr Gesicht menschenähnliche Züge zeigt. In einigen Geschichten werden solche humanoiden Maschinen als Doppelgänger eingesetzt, die in Verschwörungen hochrangige Politiker ersetzen. Im Vergnügungspark Futureworld werden heimlich menschliche Doppelgänger produziert, in Westworld agiert ein von Yul Brunner gespielter Maschinenmensch als Revolverheld und revoltiert gegen seine Schöpfer. Der Kampf der Roboter, die sich unterdrückt fühlen und zugleich als die „besseren Menschen“ sehen, ist ein in der Science-Fiction sehr beliebtes Szenario. In den Filmen über den Battlestar Galactica und in den vier Staffeln der gleichnamigen Fernsehserie kämpfen die letzten Überlebenden der Menschheit gegen Maschinen, die praktisch nicht mehr von Menschen zu unterscheiden sind. Ganz anders Data aus der Star Trek-Serie Raumschiff Enterprise – das nächste Jahrhundert. Er ist wie die Roboter R2-D2 und C-3PO ein Sympathieträger, besonders weil er durch einen „Emotions-Chip“ sogar menschliche Gefühle zeigen kann. Nicht in die Kategorie Roboter fallen die sogenannten Cyborgs, die eine Art verbesserter Menschen sind und deren Körper durch künstliche Bausteine ergänzt wurden, sodass manchmal nur noch das Gehirn übrig geblieben ist. Weit mehr als mit allen Arten beweglicher Roboter beschäftigt sich die Science-Fiction mit den unbeweglichen Großrechnern oder „Positronengehirnen“, die zur Bedrohung für die Menschheit werden. Manche Autoren beschreiben die schleichende wachsende Abhängigkeit von diesen Computern, die schließlich zu einer Diktatur der Maschinen führt. Als immer größere Bedrohung der Menschheit schildern verschiedene Autoren Computer, die jeden Schritt und jede Meinungsäußerung überwachen können. In den meisten Fällen kontrollieren Menschen und Regierungen diese 48
3. Der Roboter, dein Freund und Helfer
Programme, es besteht aber die Gefahr, dass sich diese Großrechner von ihren Machern emanzipieren und selbst zu ‚Führern‘ der Menschheit werden. Im Film Colossus tun sich die Supercomputer der UdSSR und der USA zusammen und errichten ihre Diktatur dadurch, dass sie die Waffensysteme und Energienetze der Erde übernehmen. In zahlreichen Filmen wie in dem bereits erwähnten 2001: Odyssee im Weltraum bedrohen intelligente Supercomputer Menschen und die ganze Menschheit. Aber könnten Roboter nicht auch die Retter der Menschheit sein? In seinem Roman Wing 4 lässt sie Jack Williamson das Sonnensystem besetzen. Es ist eine friedliche Invasion, aber eben eine Invasion. Die humanoiden Roboter, die vom Planeten Wing 4 kommen, sind den Menschen unendlich überlegen. Mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt verbieten sie den Menschen alles, was ihnen schaden könnte. Dem Wissenschaftler Clay Forrester untersagen sie seine elektromagnetische Forschung, weil sie zur Waffenentwicklung missbraucht werden kann, und schlagen ihm vor, sich doch mit einer Geisteswissenschaft zu beschäftigen. Außerdem muss er mit dem Rauchen seiner geliebten Zigarren aufhören. Als er sich widerspenstig zeigt, schlagen ihm die Humanoiden eine sanfte Behandlung vor, die alle rebellischen Gedanken abtötet. Forrester denkt gar nicht daran, sondern schließt sich eine Widerstandsgruppe an, mit der er eine Bombe baut, die den Planeten Wing 4 sprengen soll. Das Komplott wird aufgedeckt, Forrester kann fliehen, beginnt aber in der Einsamkeit darüber nachzudenken, ob nicht die Weiterentwicklung des Geistes für die Menschheit wichtiger ist als Technik und Naturwissenschaft. Er begreift, dass die humanoiden Roboter wirklich die Diener der Menschheit sind, was sie immer behauptet haben. Sie haben die Welt von Kriegen, Krankheiten und anderen üblen Machenschaften befreit und die Möglichkeit zu geistiger Weiterentwicklung gegeben. Clay Forrester hat seinen Frieden mit den Invasoren gemacht. In der vom Zweiten Weltkrieg und Kalten Krieg geprägten Welt des Jahres 1947 fragt Jack Williamson, ob es der Menschheit unter der sanften Diktatur der Roboter nicht besser ginge, ob eine totale 49
I. Technoträume
Kontrolle – auch wenn sie als Hilfe getarnt ist – nicht humaner ist als das ständige Leben in Angst vor Krieg und Vernichtung. Eine Fragestellung, die von nun an in zahlreichen Science-Fiction-Romanen auftaucht. In eine ganz andere Richtung geht die Frage, ob und wieweit solche künstlichen Intelligenzen menschliche Gefühle oder ganz andere Emotionen entwickeln können. Dies ist vor allem bei Androiden der Fall, also bei Robotern, die dank biologischer Komponenten äußerlich nicht von Menschen zu unterscheiden sind. In manchen Geschichten verlieben sich Menschen in solche künst lichen Intelligenzen wie in dem Film Ex Machina und manche künstliche Intelligenz verzweifelt an der Frage, ob sie denn Mensch oder Maschine ist. In der Zeitschrift The Independent warnt Stephen Hawking davor, die Entwicklung hochintelligenter Maschinen als Science-Fiction abzutun. Künstliche Intelligenz könne Finanzmärkte oder gar Menschen beeinflussen und selbstständig Waffen herstellen. Diese Technologie sei „entweder das Beste oder das Schlechteste, was der Menschheit jemals passiert“. Kein Wunder, dass sich bei solchen Perspektiven in den Weiten der Galaxis auch Roboterzivilisationen entwickelt haben. In Fred Saberhagens Berserker-Zyklus ist es ein scheinbar unbesiegbares Roboterheer, das über die Planeten herfällt und alles menschliche Leben auslöscht. In der Perry Rhodan-Serie tauchen die „Posbis“ auf, die die Verbindung von Positronik mit Biokomponenten für das „wahre Leben“ halten und die Menschheit deshalb bekämpfen. Ein erfolgreiches Szenario, das in abgewandelter Form später bei den „Borgs“ im Star Trek-Universum und bei den „Replikatoren“ in der Stargate Atlantis-Serie Anwendung findet. Letztere sind vor langer Zeit als Waffen erschaffen worden und wenden sich nun gegen ihre Schöpfer. Überhaupt sind solche Maschinenzivilisationen nur Überbleibsel – oder aber eine Höherentwicklung – vergangener biologischer Gesellschaften. So lassen einige Autoren ihre Geschichten in einer Zeit spielen, in der die Menschheit ausgestorben ist. Für die verbliebenen Roboter ist die Menschheit nur noch eine Legende, die zur Suche nach dem Ursprung und ihren Schöpfern anregt. 50
4. Die Nanos kommen
In Roboterfragen hat Isaac Asimov das letzte Wort. In seiner Geschichte Wenn die Sterne verlöschen – im englischen Original treffender The last Question – wird dem größten von Menschen je gebauten Supercomputer die Frage gestellt, ob die Entropie umgekehrt werden und damit das Ende des Universums abgewendet werden kann. Erst im allerletzten Moment, als das Weltall bereits kollabiert, antwortet der Rechner. Er schafft mit den Worten „Es werde Licht“ ein neues Universum …
4. Die Nanos kommen Das jüngste Beispiel für den engen Zusammenhang von technologischer Entwicklung und Science-Fiction ist die Nanotechnologie. Seit gut einem Vierteljahrhundert ist sie eines der beliebtesten Sujets im utopischen Genre, obwohl sie einen langsamen, wenn auch „phantastischen“ Start hatte. Lange Zeit machten sich Science- Fiction-Fans gedanklich auf die Reise in „unendliche Weiten“ und Sternensysteme, „die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“. In eine ganz andere Welt schickte der amerikanische Regisseur Richard Fleischer die Kinobesucher im Jahr 1966: Sein Film Die phantastische Reise findet vor dem Hintergrund des Kalten Krieges statt. Auf einen tschechischen Wissenschaftler, der übergelaufen ist, wird ein Attentat verübt, das einen Thrombus verursacht. Um an sein Wissen heranzukommen, muss innerhalb von einer Stunde das Blutgerinnsel entfernt werden. Das ist nur durch eine neue Erfindung möglich, die es erlaubt, Menschen und Maschinen auf Mikrobengröße zu verkleinern. Mit einem durch eine Spritze in die Blutbahn applizierten Miniatur-U-Boot kämpft sich die miniaturisierte Besatzung durch die Arterien zum Gehirn, wo sie mittels eines Lasers den Thrombus beseitigt. Die Story ist banal, doch die Reise durch den menschlichen Körper in psychedelischen Farben begeisterte die damaligen Zuschauer. Um den Plot plausibel zu machen, engagierten die Filme macher sogar den berühmten Science-Fiction-Autor Isaac Asimov 51
I. Technoträume
für ein Begleitbuch, in dem die Miniaturisierung mit einem plausiblen pseudowissenschaftlichen Hintergrund beschrieben wurde. Wenn auch seine Erklärungen – man merkt dem promovierten Biochemiker Asimov seine Skepsis durchaus an – wenig mit heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden zu tun haben, werden im Buch einige potenzielle Anwendungen aufgegriffen: Man könne so ein U-Boot in den Körper schicken, um gefährliche Wucherungen und Tumore zu beseitigen, oder kleine Roboter aussenden, die regelmäßig alle Blutbahnen durchforsten und dort für Ordnung sorgen. Heute sind solche Vorstellungen schon näher an der Realität: Am Stuttgarter Max-PlanckInstitut etwa wurde eine künstliche, haargroße Muschel entwickelt, die von Magneten gesteuert schon in naher Zukunft durch den Körper manövriert werden kann. Die Arbeitsgruppe „Mikro-, Nano- und Molekulare Systeme“ hofft, dass mit diesen Mikroschwimmern Heilmittel an Krankheitsherde transportiert werden können. Mit dem Film Die phantastische Reise kam die Nanotechnologie – auch wenn die Bezeichnung noch nicht geboren war – in die Science-Fiction. Auch vorher gab es in der fantastischen Literatur Miniaturwelten – denken wir nur an die Liliputaner und alle Sorten von Kobolden. Der deutsche Science-Fiction-Pionier Kurd Laßwitz ließ einen seiner Romane auf der Oberfläche einer Seifenblase spielen, Verkleinerungsfaktor 1:100 Millionen. Damit sind wir bereits im Bereich der Nanotechnologie. Hier geht es um Teilchen mit einer Größe von 100 nm (ein Nanometer ist ein milliardstel Meter) bis hin zum einzelnen Atom. Solche Größenordnungen versuchen die Wissenschaftler mit zwei entgegengesetzten Ansätzen zu erreichen: einmal „top-down“ durch eine immer weitere Verkleinerung von Werkzeugen und Produkten, einmal „bottomup“, indem man vor allem in der Chemie und Oberflächenphysik Atome und Moleküle zu größeren, aber noch immer winzigen Verbindungen zusammenbaut. Einige der wenigen gegenwärtig erhältlichen Nanoprodukte sind schon seit Jahrzehnten auf dem Markt, haben aber die Vorsilbe „Nano“ aus Marketinggründen erst 52
4. Die Nanos kommen
heute erhalten. Es handelt sich um Beschichtungen und Lacke für Autos und schmutzabweisende Kleidungsstücke. In den Neunzigerjahren etablierten sich alle Arten von „Nanos“ vermehrt in den Welten der Science-Fiction. Ein Grund war das Buch Engines of Creation des amerikanischen Ingenieurs Eric Drexler. Er ist davon überzeugt, dass man Atome so manipulieren kann, dass sie wie Legosteine zusammengefügt werden können. Winzig kleine Roboter – sogenannte Assembler – setzen in Nanofabriken Atome und Moleküle zusammen und schaffen so Produkte für die Makrowelt: Nahrungsmittel, Computer, Organe, Häuser und sogar Raumschiffe. Vorbild für diese Nanowerkstätten ist nach Drexler die Natur, da in allen Lebewesen molekulare Maschinen für chemische und physikalische Prozesse verantwortlich sind. Als Beispiel für einen Nanocomputer nennt er die mensch liche Erbsubstanz, das Genom. Immerhin enthält ein einziges DNAMolekül alle Informationen, um einen Menschen zu erzeugen. Aber können wir das nachahmen? Auch wenn bis heute einige kleine Schritte in Richtung Drexlers Vision umgesetzt wurden, halten die meisten Wissenschaftler seine Ideen für unrealistisch, weil es zu viele energetische und mechanische Probleme gibt, die den Zusammenbau maßgeschneiderter Moleküle verhindern. Die größten Hoffnungen setzen Wissenschaftler wie Autoren auf Fortschritte in der Medizin, vor allem auf den Einsatz von Nanoteilchen als eine Art Polizei im menschlichen Körper. So beschreibt Nancy Kress 1994 in ihrem Buch Bettler und Sucher einen nanotechnischen „Zellreiniger“, der dem Patienten in eine Arterie injiziert wird, sich vermehrt und im ganzen Körper ausbreitet. Er kann Bakterien von menschlichen Zellen unterscheiden und schädliche vernichten oder zumindest isolieren. Einen Schritt weiter geht der deutsche Autor Andreas Eschbach in Herr aller Dinge. Bei ihm sind die Nanoviren, die Krebszellen abtöten können, direkt mit dem Gehirn des behandelnden Arztes verbunden, der sie steuern und gegebenenfalls falsche Maßnahmen verhindern kann. Dass solche euphemistisch beschriebene Nanomedizin nicht ungefährlich ist, malt Greg Bear in seinem Roman Blutmusik aus. Ein 53
I. Technoträume
Wissenschaftler spritzt sich heimlich die in seiner Firma entwickelten und für zu gefährlich gehaltenen Nanoorganismen ins Blut. Erst scheint alles besser. Er ist nie mehr erkältet und sieht schärfer. Dann aber entwickeln die kleinen Teilchen eine Art Schwarmintelligenz, optimieren den ganzen Körper in ihrem Sinne und übernehmen ihn schließlich. Um der Dramatik willen schreiben die Autoren lieber über Horrorvisionen, in denen die Nanotechnik außer Kontrolle gerät. Michael Crichton schildert in seinem Roman Beute, wie einige eigentlich harmlose Nanoteilchen zusammen mit ein paar „Assemblern“, Mikrofabriken mit der Fähigkeit, die Nanos zu reproduzieren, aus einem Labor entkommen. Im Verbund entwickeln die Teilchen ein gemeinsames Bewusstsein und lernen, die Menschen zu verstehen und schließlich zu imitieren. Am Ende jagen die Nanoroboter Lebewesen und zerstören die Biosphäre, um Rohstoffe für ihre Vermehrung zu erlangen. „Haarsträubend, aber plausibel“, so nennt der amerikanische Romancier Jeff Carlson seine Nanotrilogie: Nano, Plasma und Infekt. Darin sterben 5 Milliarden Menschen an Nanoviren und eine Wissenschaftlerin kämpft verzweifelt darum, einen Impfstoff zu entwickeln. In solchen Thrillern wird aktuell die Nanotechnologie zum Szenario, auf das die Menschen ihre Ängste projizieren können. Die Autoren orientieren sich weniger am Stand und dem Wissen um diese Technologie als vielmehr an viel Spannung und Horrorelementen, um damit mehr Leser zu gewinnen. Ganz anders die deutsche Wissenschaftlerin Antonia Fehrenbach, die in ihrem Krimi Der Lotus-Effekt Alltag, Intrigen und Einfluss der Pharmaindustrie schildert, wobei sie die wirklichen Probleme der Nanoforschung schildert und die übertrieben dargestellten Gefahren ihrer Science-Fiction-Kollegen widerlegt und relativiert. Neal Stephenson versucht in seinem Roman Die Grenzwelt eine Lösung anzubieten. In einer fortschrittlichen Informationsgesellschaft müsse es ein „Protokoll“ geben, auf das sich alle Länder und Wissenschaftler verpflichten: Wenn die Nanoteilchen ihre Aufgabe erfüllt haben, müssen sie sich deaktivieren und in harmlose 54
4. Die Nanos kommen
Stoffe umwandeln. Eine internationale Behörde müsse über dieses Protokoll wachen und auch in der Lage sein, Verstöße und wissenschaftliche Fehlversuche zu beheben. Inzwischen wird mit dem Präfix „nano“ geradezu inflationär umgegangen. Dies gilt vor allem für Fernsehserien und Filme. So hält die Nanotechnologie im Star Trek-Universum Einzug. Raumschiff Enterprise begegnet intelligenten „Naniten“, die das Schiff kurzzeitig übernehmen. Die Borg, ein aggressives und expansives Kollektivvolk, injizieren anderen Intelligenzwesen Nanoteilchen, mit denen sie sich all ihr Wissen aneignen, sie mit Implantaten verbessern und schließlich der Borg-Zivilisation einverleiben. Im dritten Teil von Iron Man wird der Anzug des Haupthelden Tony Stark nanotechnisch aufgerüstet, sodass er auch über Entfernung mit seinem Besitzer kommunizieren kann. In Terminator 3: Rebellion der Maschinen verfügt die aus der Zukunft gekommene „Terminatrix“ über die Möglichkeit, andere Computer und Roboter mittels Nanoteilchen zu infiltrieren. Der aus dem Marvel-Universum bekannte Hulk ist im Film nicht nur Strahlenphysiker, sondern auch Nanotechnologe. Weil es gerade Mode ist, taucht die Nanotechnologie in immer mehr Romanen, in Filmen und Serien als Accessoire auf, ohne dass ihre wissenschaftlichen Hintergründe auch nur ansatzweise reflektiert werden. Aber das scheint nicht nur in diesem Bereich ein allgemeiner Trend der Science-Fiction des 21. Jahrhunderts zu sein.
SF-Spezial
Was ist Science-Fiction? „By ,scientifiction‘ I mean the Jules Verne, H. G. Wells and Edgar Allan Poe type of story — a charming romance intermingled with scientific fact and prophetic vision … Many great science stories destined to be of historical interest are still to be written … Posterity will point to them as having blazed a new trail, not only in literature and fiction, but progress as well.“ So definiert der oft 55
I. Technoträume
als Vater der Science-Fiction bezeichnete Hugo Gernsback in der April-Ausgabe seiner Amazing Stories 1926 das neue Genre. Science-Fiction hat sich zunächst in der Literatur entwickelt, ist inzwischen aber auch in allen audiovisuellen Medien präsent. Der von Gernsback erstmals verwendete Begriff verbindet die Worte Wissenschaft und Fiktion. In diesem engeren Sinne geht es darum, ausgehend vom jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft und Gesellschaft realistische Spekulationen über die zukünftige Entwicklung anzustellen. Der wissenschaftliche Gehalt soll – so die Verfechter der reinen Lehre – Science-Fiction-Geschichten von anderen Genres der fantastischen Literatur abheben. Auf der Grundlage dieser unscharfen, aber in der Medienwissenschaft weitgehend anerkannten Definition wird die Science- Fiction in eine „Hard-SF“ und eine „Soft-SF“ unterteilt. Als „harte“ Themen gelten solche, die sich aus den Naturwissenschaften und ihrer praktischen Anwendung ergeben, etwa Spekulationen über die Entwicklung der Computer, die künftige Raumfahrt oder genetische Manipulationen an Mensch und Natur. Zu den „weichen“ Bereichen zählt alles, was sich mit Mensch und Gesellschaft beschäftigt und sich eher aus den Geistes- und Sozialwissenschaften herleitet. Die Autoren beschäftigen sich mit der Entwicklung der zukünftigen Gesellschaft, ihrer politischen Konstruktion und ihren Wertvorstellungen, beschreiben Aufstieg oder Fall von Zivilisationen. Aber auch die Entwicklung des Individuums und seines Geistes gehört in diese Kategorie. Was unter Science-Fiction zu verstehen ist, ist einem ständigen Wandel unterworfen, nicht nur in der Literaturwissenschaft, sondern auch bei den Konsumenten. Schon Hugo Gernsback musste erkennen, dass die Leser seines Magazins vor allem spannende und abenteuerliche Zukunftsgeschichten lesen wollten, ob sie nun einen wissenschaftlichen Hintergrund hatten oder nicht. Auch in den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren, die man später als „Golden Age“ der Science-Fiction bezeichnete, waren die Weltraumschlachten der Space Operas beliebter als technisch ausgefeilte Utopien. 56
4. Die Nanos kommen
In den letzten Jahrzehnten, in denen zunehmend Filmepen und Fernsehserien sowie Computerspiele unser Bild der Fantastik geprägt haben, wird unschärfer, was vom Publikum als ScienceFiction gesehen wird. Autoren und Produzenten bedienen sich bei Geschichten, die in der Zukunft spielen, ungeniert in den Genres Horror und Fantasy, sogar bei Märchen und Mythen. Die modernen Ritter der Tafelrunde kämpfen mit Laserschwertern und Raumschiffen, Zaubereien werden mit PSI-Kräften durchgeführt, die Herrscher der Galaxis ähneln antiken Imperatoren und in apokalyptischen Endzeitszenarios wimmelt es von Zombies. All dies wird dann unter dem Kürzel „SciFi“ oder „SF“ verkauft. Die klassische Science-Fiction gibt es so – auch in der Literatur – kaum mehr. Manche Medienunternehmen verwenden das Kürzel SF nicht mehr für Science-Fiction, sondern für „Speculative Fiction“. Im deutschsprachigen Raum ist oft nur noch von fantastischer Literatur die Rede.
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II. Utopia oder Dystopia? 1. Metropolis Sie ragen bis zum Himmel: gigantische, über 70 Stock hohe Wolkenkratzer mit Stufenterrassen und Kuppeln, verbunden durch breite Verkehrsadern voller Autos in schwindelerregender Höhe. In der Tiefe riesige Fabrikhallen, wo namen- wie zahllose Arbeiter mit den ewig gleichen Bewegungen Maschinen bedienen und dann wie ein Ameisenheer durch Tunnels zu ihren unterirdischen Wohnhöhlen gehen, in der endlosen Monotonie ihres Alltags gefangen. Auch wenn die Hochhäuser und das Verkehrschaos durchaus in heutigen Großstädten zu finden sind, beeindruckt die Wucht der Bilder noch immer. Sie stammen aus dem Anfang 1927 uraufgeführten ersten abendfüllenden Science- Fiction-Spielfilm Metropolis. Der Film, zu dem Thea von Harbou das Drehbuch schrieb, zeigt eine holzschnittartige Klassengesellschaft. Eine kleine Oberschicht lebt in Wohntürmen in beispiellosem Luxus, die meisten gehen nur ihrem Vergnügen nach. Unter der Erde vegetiert die Arbeiterklasse, die den Reichtum der Gesellschaft produziert. Der Unternehmer Joh Fredersen herrscht über „seine“ Stadt vom größten Wolkenkratzer aus, dem „neuen Turm Babel“, auf dessen Dach sogar Flugzeuge landen können. Für ihn sind die Arbeiter Untermenschen. Das Gegenstück zu dem zynischen und grausamen Konzernchef ist Maria, ein junges, offenes und wunderschönes Arbeitermädchen. Zwischen beiden steht der junge Freder Fredersen, der Sohn des Magnaten, der sich unsterblich in die junge Frau verliebt und den Abstieg in die für ihn unbekannte Unterwelt wagt. Dort sieht er, wie die Menschen mit immer gleichen Griffen ihr Tageswerk verrichten, und erlebt einen Unfall in der Maschinenfabrik. 58
1. Metropolis
Freder tauscht mit Mitarbeiter 11811 die Kleider und Maria wird zur Sprecherin einer möglichen Revolution. Um dies zu verhindern, baut der Wissenschaftler Rotwang eine Maschinen-Frau. Diese Roboter-Maria soll die Arbeiter verführen und die Revolte in andere Bahnen lenken. Trotzdem kommt es zu Aufruhr und Zerstörung, doch am Ende kann Freder als Mittler den Frieden und die Versöhnung der Klassen erreichen. Fritz Langs monumentales Opus war ein Misserfolg. H. G. Wells schrieb in der New York Times, dies sei der albernste Film, den er je gesehen habe: „Er präsentiert eine turbulente Konzentration aus fast jeder denkbaren Blödsinnigkeit, Klischee, Plattitüde und Chaos über den mechanischen Fortschritt und den Fortschritt im Allgemeinen, serviert mit einer Sauce von Sentimentalität.“ Was damals kritisiert wurde, war die mit dem Zuckerguss der Liebesgeschichte versüßte Versöhnung der Klassen, die den Vorstellungen der konservativen Parteien, aber auch der Ideologie der NSDAP nahekam. Vor allem aber kritisierte man, dass Lang nicht den Fortschritt der Gesellschaft durch die Wissenschaft propagierte, sondern davor warnte, dass mit den technischen Neuerungen in der Industrie für den Großteil der Bevölkerung ein immer schlechteres Leben drohe. Heute gilt das sorgfältig restaurierte Werk als Meilenstein der Filmgeschichte. Die konventionelle Handlung wird eher amüsiert hingenommen, hingerissen aber sind die Zuschauer von der überwältigenden Bilderflut, von der fantastischen Skyline der Zukunftsstadt und der roboterhaften Arbeit in den unterirdischen Maschinenhöhlen. Die Wolkenkratzer sind kühle, schnörkellose Monumentalbauten, die trotz ihres futuristischen Flairs an die Tempelanlagen der Ägypter oder der Mayas erinnern. Nicht nur in Metropolis wird die Stadt New York als Vorbild und Muster zukünftiger Megastädte genommen. Vor allem in ScienceFiction-Filmen wird eine von gigantischen Wolkenkratzern geprägte Skyline gezeigt. Zwischen den Hochhäusern gibt es Hängebrücken, oft über- und untereinander. Dazwischen schwirren Hubschrauber, Flugschweber oder fliegende Autos. In solchen Bildern spiegelt sich der Glaube an den ungebrochenen Fortschritt. So 59
II. Utopia oder Dystopia?
zeigt der 1930 gedrehte Film Just Imagine das New York des Jahres 1980 mit futuristischen zweihundertstöckigen Hochhäusern, Autos sind durch Flugzeuge ersetzt. Typisch ist aber, dass auch dieser Film trotz rasanten technischen Fortschritts einen gesellschaftlichen Rückschritt befürchtet: Statt Namen werden die Menschen mit Nummern bezeichnet, sie ernähren sich ausschließlich von Pillen, Liebe und Heirat werden vom Staat reguliert. Ähnlich zwiespältig ist der 2002 entstandene Film Minority Report. Regisseur Steven Spielberg zeigt darin eine vor Wohlstand strotzende Stadt des Jahres 2054, in der die Menschen glücklich und ohne Verbrechen leben, weil diese vorher erkannt und verhindert werden können. Aber der Schein trügt, das prognostische System hat gravierende Fehler … In einer Welt, auf der bald mehr als 10 Milliarden Menschen leben, sind verdichtetes Bauen und Megastädte mehr als nur Schlagworte. In seinem Roman Das Reich der Mitte beschreibt David Wingrove 1989, wie fast ganz Europa von einer für Milliarden gebauten Riesenstadt überspannt wird, die auf Stelzen über den alten Städten errichtet wurde. Damit das Ganze tragfähig bleibt, entwickelt man Nanoteilchen „so leicht wie Luft und so hart wie Stahl“. In seinem Roman Das Cusanus-Spiel erzählt der große Mentor der deutschen Science-Fiction Wolfgang Jeschke, wie das vom Versinken bedrohte Venedig durch Nanoroboter gerettet wird. Die kleinen Maschinen analysieren die unterschiedlichen morschen Hölzer und versteinerten Strukturen und ersetzen sie schrittweise durch Kunstharz. Weil die Nanos sich aber nicht weiterverbreiten dürfen, gibt es eine Art Selbstmordprogramm, mit dem sie sich nach getaner Arbeit selbst vernichten. Von der Nanotechnologie versprechen sich die Architekten der Zukunft einen gewaltigen Fortschritt. Umbauten sind problemlos, weil sich die Teilchen in die Mauer integrieren und so die Strukturen Schritt für Schritt verändern. Zudem lassen sich die Wände nicht nur in Farbe und Form variieren, sie können auch Düfte aussondern und werden zu übergroßen Bildschirmen für Film und 60
1. Metropolis
Fernsehen, auf denen beliebige Aussichten erzeugt werden können. Man kann sich also an einem Tag an einen Sandstrand unter Palmen und am nächsten auf eine Berghütte mit Alpenpanorama versetzen. Als einen Höhepunkt empfindet Greg Bear, der die Nanotechnologie in mehreren Romanen ausführlich darstellt, das intelligente WC. Es untersucht alle Ausscheidungen der darauf sitzenden Menschen und diagnostiziert gleich deren Gesundheits zustand mit den entsprechenden Empfehlungen, die befolgt oder abgelehnt werden können. Für das gepflegte Haus der Zukunft sehr empfehlenswert sind „Waschnanniten“ anstelle der täglichen Dusche und Körperpflege. Die Menschen können sich auch Nanoteilchen in die Haut spritzen lassen, die täglich wechselnde Tattoos mit beweglichen Szenen erzeugen. Eine durch die Nanotechnologie geprägte Gesellschaft schildert Neal Stephenson in seinem Roman Die Grenzwelt, der englische Titel Diamond Age trifft das Szenario besser, es ist eine Überflusswelt, die für die meisten Menschen aber nur ein sehr hartes Leben bietet. Für den Überfluss sorgen sogenannte „Materie-Compiler“, die an beliebigen Standorten nahezu alle Güter herstellen können. Sie sind Dreh- und Angelpunkt der Gesellschaft: Macht hat, wer die Baupläne für die Struktur der Nanoteilchen hat und über die Miniaturfabriken und die dazu nötigen Rohstoffe verfügt, oder wer über die Leitungen verfügt, mit denen die Compiler gespeist werden können. Die Nationalstaaten verlieren an Einfluss, während große dezentralisierte Gesellschaften mit gleichen Interessen und Normen die eigentlichen Herrscher sind. An der Spitze stehen die „Dividenden-Lords“, die neue Wirtschaftselite. Unten in der Gesellschaftspyramide sind Arbeitslose, die immerhin die Grundnahrungsmittel und Medikamente kostenlos erhalten. Wer nicht in die Suppenküche möchte und eine bessere medizinische Versorgung will, der muss zahlen. Zugang zu Bildung, überhaupt eine Lebensperspektive hat nur die Mittel- und Oberschicht. Stephenson beschreibt, wie das alltägliche Leben durch die Nanotechnik geprägt wird. Jede Kommunikation wird durch in den Körper integrierte Nanoteilchen, die gleichzeitig die Gefahr umfassender Kontrolle in 61
II. Utopia oder Dystopia?
sich bergen, abgewickelt. Bildschirme werden durch dünnes, flexibles Papier ersetzt, eine Vision, von der wir heute gar nicht mehr so weit entfernt sind. Die meisten Science-Fiction-Autoren sehen auch die Schattenseiten solch riesiger Metropolen. Die Anonymität der Menschen wächst, sie kommen mit dem wachsenden Verkehr nicht zurecht und werden von der überall blinkenden und aufblitzenden Werbung überflutet. Zwischen Beton, Glas und Stahl sehnen sich die Menschen vergeblich nach einem grünen Fleckchen Natur. Filmisch umgesetzt wird dies in dem 1973 entstandenen Klassiker Jahr 2022 … die überleben wollen. In der Stadt New York leben über 40 Millionen Menschen, auch einst noble Viertel sind zu Slums verkommen, die vormals geräumigen Wohnungen der Hochhäuser sind in winzige Parzellen aufgeteilt. Die Luft ist von einem giftgrünen Nebel erfüllt, der von ständigen Lautsprecheransagen der Behörden durchdrungen wird. In Riffs – die Gewalt sind wir ist die Bronx ein „Scherbenviertel“, in den kaputten Häusern gibt es keine Fensterscheiben mehr und Banden haben dort die Macht übernommen. Noch erschreckender ist John Carpenters Die Klapperschlange. In dem Film ist die Halbinsel Manhattan durch Mauern und Selbstschutzanlagen abgeriegelt. Sie ist ein riesiges Gefängnis, in dem die Kriminellen vegetieren. Abgeriegelt sind auch die Prachtvillen der Oberschicht in Ridley Scotts Film Blade Runner von 1982. In seinem Los Angeles des Jahres 2019 dominieren in der Stadtmitte riesige Wolkenkratzer mit bis zu 400 Etagen, wobei die unteren Etagen völlig verkommen sind. In den Hauptstraßen wühlen sich die Menschen durch den dichten Verkehr vorbei an Nachtklubs, Bordellen und Fast-Food- Imbissstuben. Ständiger Nieselregen und Nebelschwaden, beides durch die Umweltverschmutzung entstanden, erzeugen auch am Tag ein düsteres Zwielicht. Verfallen und fast menschenleer ist dagegen das Los Angeles in Der Omega Mann, wo nach einem bakteriologischen Krieg die letzten Menschen zwischen Autowracks und Ruinen gegen zombieartige Mutanten um ihr Über leben kämpfen. Menschenleere Städte, die von Pflanzen über 62
1. Metropolis
wuchert und von der Natur zurückerobert werden, sind ein beliebtes Sujet der Science-Fiction. Die meisten Autoren schildern die Städte der Zukunft eher pessimistisch, wie in dem 2011 erschienenen Sammelband Metatropolis. Herausgeber John Scalzi erschafft eine Megacity, in der alles bis zum letzten Detail geregelt ist. Wer die Leistungsprüfungen des Arbeitsamtes nicht besteht, wird aus der Stadt verbannt und muss in der Wildnis vegetieren. Tobias Buckell beschreibt das Leben eines einfachen Menschen im Raumschiff Detroit, der täglich stundenlang zur Arbeit pendelt und alles tut, um eine bessere Wohnung im Zentrum zu bekommen. Die Grundlage all dieser Szenarien ist eine überbevölkerte Erde. Schon heute leben mehr als die Hälfte der Menschen in städtischen Räumen, 2050 werden es um die 70 Prozent sein. Die soziale Spaltung wie im Film Metropolis ist in den westlichen Ländern noch nicht überall eingetreten. In Afrika und Asien strömen schon jetzt die Menschen in die Städte, wo sie sich Arbeit und ein besseres Leben versprechen. Aber auch in den Rand gebieten von Städten wie Paris, Rotterdam oder Brüssel gibt es Sammelbecken für perspektiv- und arbeitslose Gruppen, wo Frustration und Verzweiflung in Wut umschlägt. Die Konsequenz der heutigen Stadtplaner ist: Sie wollen verdichtet und in die Höhe bauen, ohne die „grünen Lungen“ zwischen den Häusern zu vergessen. Um den überbordenden Verkehr zu drosseln, schlagen sie vor, Wohnen und Arbeit räumlich näher zu bringen. Freilich fehlen das Geld und der Wille, entsprechende Projekte umzusetzen, sodass die pessimistische Beschreibung der Stadt der Zukunft naheliegt. Oft stehen die Städte der Science-Fiction-Autoren auch in krassem Gegensatz zu der sie umgebenden Umwelt. Da gibt es autonome städtische Inseln unter einer gewaltigen Kuppel, die die Bewohner vor den schädlichen Giften und Stoffen der zerstörten Welt ringsumher schützt. Städte auf und unter Wasser oder raumschiffähnliche Metropolen auf einer Kreisbahn um die Erde dienen oft als Fluchtburg für die letzten Menschen. 63
II. Utopia oder Dystopia?
SF-Spezial
Klassische Gesellschaftsutopien 1516 schrieb der englische Staatsmann Thomas Morus seinen Roman Utopia. Er handelt Von der wunderbarlichen Innsul Utopia – so der deutsche Titel. In dieser Republik gibt es kein Privateigentum mehr, die Beamten werden jährlich gewählt und die Arbeitszeit beträgt 6 Stunden am Tag. Jeder Bürger wird bei Krankheit öffentlich versorgt, es besteht allgemeine Schulpflicht und die Wissenschaft wird besonders gefördert. Unschwer ist zu erkennen, dass das Buch auf die herrschenden Verhältnisse im damaligen England zielt. Der Name ist ein Wortspiel mit den im Englischen gleich ausgesprochenen altgriechischen Begriffen „ou-topos“ und „eu-topos“, Utopia ist sowohl ein „Nicht-Ort“ als auch ein „schöner Ort“. Utopien gab es schon immer, wenn auch nicht unter diesem Namen. Man könnte sie als Visionen einer fiktiven, vom Autor als positiv empfundenen Gesellschaft definieren, die räumlich oder zeitlich weit entfernt, also gegenwärtig nicht realisierbar ist. Die früheste politische Utopie ist Platons Politeia: „Lasst uns also in Gedanken eine Stadt von Anfang an gründen!“ Ein Gedankenspiel ist auch Christine de Pizans 1405 herausgegebenes Werk Stadt der Frauen. Nach Sri Lanka verlegt der spanische Humanist Thomas Campanella seine in spanischer Kerkerhaft geschriebene Sonnenstadt, Francis Bacon siedelt sein Neu-Atlantis in der Südsee an und ein an unbekanntem Strand gelandeter Schiffbrüchiger erlebt Johann Valentin Andreaes sozialgerechtes und frommes Christianopolis. All diese als „Staatsromane“ etikettierten Utopien sind zugleich Kritiken an der Gegenwart und wollen eine Veränderung der herrschenden Verhältnisse anregen. Anfang des 19. Jahrhunderts kommen verstärkt soziale Utopien auf. Robert Owen beschreibt in Eine neue Auffassung von der Gesellschaft eine Gemeinschaft ohne Privateigentum, Ehe und Religion. In der Praxis scheiterte seine frühsozialistische Produktionsgenossenschaft in der amerikanischen Kleinstadt New Har64
2. 1984 oder die Schattenseiten der schönen neuen Welt
mony ebenso wie Étienne Cabets Projekt eines kommunistischen Kollektivs, das er in Reise nach Ikarien skizziert hatte. Die Ideen solcher Sozialutopisten wurden aber von fortschrittlichen Unternehmen und den sich entwickelnden Gewerkschaften aufgenommen. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert kamen die technischen Utopien hinzu. Dafür stehen die Namen von Edward Bellamy, Jules Verne und H. G. Wells. Hugo Gernsback prägte dann den Begriff „scientifiction“, wobei für ihn die Extrapolation von Technik und Wissenschaft wichtiger war als irgendeine „fiction“. Doch das Hauptinteresse seiner Leser galt eher in den Weltraum verlegten Wildwestgeschichten. Gleichzeitig trat nach den Weltkriegen neben die Utopie die Dystopie, eine pessimistische Schilderung der Zukunft. In der Dystopie spiegelt sich die wachsende Angst der Menschen vor totalitären Diktaturen, permanenter Bespitzelung und rigiden sozialen Kontrollen wider, aber auch die Furcht, zu Sklaven der eigenen Technik zu werden.
2. 1984 oder die Schattenseiten der schönen neuen Welt Manchmal spiegelt sich die düstere Geschichte auch in der Architektur der Städte wider wie in George Orwells Dystopie 1984 und deren Verfilmungen. Da gibt es einmal die protzigen Stahlmonumente und die aufgeputzten Repräsentativbauten des Regimes. Das „Wahrheitsministerium“ ist ein 300 m hoher „pyramidenförmiger, weiß schimmernder Betonbau“. Die meisten Bewohner aber leben in „zerfallenden, heruntergekommenen Städten, durch deren Straßen unterernährte Menschen in löchrigen Schuhen schleichen“, schreibt Orwell in seinem berühmten Roman. Die großen Metropolen der Zukunft bilden den Hintergrund von Utopien und Dystopien. Auf der einen Seite gibt es Visionen 65
II. Utopia oder Dystopia?
einer besseren Welt, in der der technische Fortschritt Hunger und Armut besiegt hat, auf der anderen Seite überbevölkerte Megacitys, geprägt vom Kampf ums Überleben und dem Zusammenbruch aller demokratischen Strukturen und Werte. Diese beiden Seiten ließ Aldous Huxley in dem Buch Schöne Neue Welt zusammentreffen. Darin schildert er die Gesellschaft des Jahres 2540 als eine Welt ohne Hunger und Krankheit, in der ein mit biologischen und chemischen Waffen geführter Krieg endlich überwunden ist. Aber dafür sind Kritik und selbstständiges Denken geächtet, die meisten Bücher der Vergangenheit sind verboten, Gefühle sind verpönt. Um „Fehlentwicklungen“ zu verhindern, werden die Menschen künstlich gezeugt und in Zuchtzentren aufgezogen. Bis 1939 überwogen in den Zukunftsromanen die Utopien, die vom Fortschrittsglauben getragen waren. Die Erfahrungen zweier Weltkriege, das Aufkommen menschenverachtender Diktaturen und die mögliche Selbstvernichtung der Menschheit durch Atombomben beeinflussten den Trend in der Science-Fiction. So heißt die für die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts bis heute charakteristische und prägende Dystopie 1984. George Orwell drehte die letzten Ziffern des Entstehungsjahres 1948 um, ein Fingerzeig dafür, dass das Werk eine Warnung an die Gegenwart darstellte. In 1984 sind nach einem dritten Weltkrieg drei sich ständig befehdende Supermächte entstanden, Eurasien, Ostasien und Ozeanien. Letzteres umfasst die beiden amerikanischen Kontinente, Australien, das südliche Afrika und die Britischen Inseln. Es wird kontrolliert vom „Großen Bruder“ und der von ihm geführten Partei. Die „Proles“, die große Mehrheit der Bevölkerung, sind machtund rechtlos. Im „Wahrheitsministerium“ in London arbeitet Winston Smith, dessen Aufgabe es ist, alte Geschichtsbücher und Zeitungen so zu verändern, dass die Aussagen in die gerade gültige Parteiideologie passen. Durch diese Arbeit entwickelt er einen Widerstand gegen die offizielle Linie, den er aber zunächst geschickt verbirgt, da das totalitäre Regime selbst verbalen Widerstand verbietet und verfolgt. 66
2. 1984 oder die Schattenseiten der schönen neuen Welt
Smith verliebt sich in eine junge Frau, die nach einiger Zeit seine Liebe erwidert. Aber solche Gefühle sind verboten, unkontrollierte Sexualität ebenfalls. Lange kann Smith diese Beziehung vor der „Gedankenpolizei“ nicht verbergen. Er wird verhaftet, gefoltert und mit verschiedensten Methoden „umerzogen“. Nach einigem Widerstand ist er gebrochen, er verleugnet und verrät sogar seine Liebe. Sie wird ersetzt durch die demütige und fanatische Liebe zum „Großen Bruder“, der Partei und ihrer Ideologie. In 1984 sind zahlreiche Elemente der modernen dystopischen Science-Fiction enthalten. Ozeanien ist ein totaler Überwachungsstaat. Jeder Bürger wird innerhalb und außerhalb seiner Wohnung durch Teleschirme überwacht. Es sind Geräte, die zugleich senden und empfangen können. Ergänzt wird dies durch versteckte Mikrofone. Hinzu kommt die Bespitzelung. Jede und jeder muss befürchten, dass sein Nachbar oder sogar die eigenen Kinder wirk liche oder eingebildete Verstöße gegen die herrschende Ideologie melden. Die Kinder werden in den Jugendorganisationen indoktriniert und dazu angehalten, ihre Eltern zu bespitzeln. Dies gilt besonders für Parteimitglieder, das einfache Volk wird nur sporadisch intensiv überwacht. Dem „Großen Bruder“ geht es aber auch um die Beherrschung der Gedanken und Gefühle. Nicht umsonst gibt es die „Gedankenpolizei“, die jede auch noch so kleine Kritik an Staat und Partei als „Gedankenverbrechen“ verfolgt und ahndet. Im Vorfeld wird mittels der staatlich kontrollierten Medien alles getan, um die herrschende Doktrin in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern. Das geht so weit, dass die Parteimitglieder die herrschende Doktrin verinnerlichen müssen. Wenn laut offizieller Meinung 2 + 2 = 5 ist, dann ist dies unumstößliche Wahrheit. Allerdings, so ein Mitglied der „Gedankenpolizei“, sei es für wissenschaftliche Zwecke schon manchmal sinnvoll, auch mit 2 + 2 = 4 zu arbeiten. Da sei eben „Zwiedenken“ oder „Doppeldenk“ nötig, man müsse manchmal zwischen „zwei Wahrheiten hin- und herschalten“. Auch die Sprache dient der Gedankenkontrolle, sie wird Schritt für Schritt verändert. Neben der auf immer weniger Wörter reduzierten Alltags67
II. Utopia oder Dystopia?
sprache, dem „Altsprech“, gibt es ein „Neusprech“, das alle politisch wichtigen Wörter enthält, gleichzeitig aber keine Nuancen mehr zulässt. Die staatlichen Medien dienen dazu, die „Proles“ ruhig zu halten. Mit Trivialliteratur und Pornos, Schnulzenlotterien und billigen Wettbewerben werden sie unterhalten. Für Orwell war der Roman ein Mittel, den Totalitarismus, wie er bis 1945 in Nazideutschland und noch in der Sowjetunion herrschte, anzuprangern. Freilich sah er die Tendenzen zum Überwachungsstaat auch in der westlichen Welt und griff dabei auf seine eigenen Erfahrungen als Journalist bei der BBC zurück. Diese wurde damals vom staatlichen Ministerium für Information kontrolliert und es ist sicher kein Zufall, dass das „Wahrheitsministerium“ sehr an das Gebäude dieser Behörde erinnert. Seit seinem Erscheinen ist der Hinweis auf 1984 verbunden mit der Warnung vor dem Überwachungsstaat. Zuletzt brachte es das Buch 2013 wieder auf die Bestsellerliste, als das geheime Ausspähprogramm des amerikanischen NSA an die Öffentlichkeit kam. Einen Aspekt eines solchen totalitären Staates finden wir auch in Ray Bradburys berühmter Geschichte Fahrenheit 451 (sie wurde 1966 von François Truffaut verfilmt), die das aus 1984 bekannte düstere Szenario noch verschärft: Der totalitäre Staat hält seine Bevölkerung durch Drogen und Fernsehshows ruhig, in jeder Wohnung läuft ständig ein Fernseher, draußen gibt es überall Videowände. Wer selbstständig denkt oder gar Kritik übt, gilt als antisozial und wird verfolgt. Dabei gelten Bücher und alle Schriften als Ursache solchen verbotenen Denkens. Guy Montag ist Feuerwehrmann. Seine Aufgabe ist es nicht, Feuer zu löschen, sondern Bücher zu finden und zu verbrennen. Mit der Zeit kommen ihm Zweifel, er stiehlt heimlich einige dieser verfemten Bücher und gewinnt Freude am Lesen und an den dadurch hervorgerufenen Gefühlen und Gedanken. Als er seiner skeptischen Frau ein Gedicht vorliest, um sie von der Schönheit der Worte zu überzeugen, zeigt sie ihn an. Zur Strafe soll er seine Bücher mitsamt seinem Haus verbrennen. Er rebelliert und kann – nachdem ihn der Mob lustvoll verfolgt hat – aus der Stadt ent68
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kommen. Dort findet er eine Gruppe Rebellen, die eigentlich im Elend leben. Aber weil sie die Bücher durch Auswendiglernen vor dem Vergessen bewahren, hofft er auf eine Wende zum Besseren. Die Flucht aus einer totalitär regierten Stadt in die Wildnis ist übrigens ein wiederkehrendes Muster bei Science-Fiction-Autoren und Filmemachern. In eine ganz andere Richtung gehen die Romane, die sich mit der boomenden Wirtschaft und ihren Folgen beschäftigen. Schon 1952 schrieben Frederik Pohl und C. M. Kornbluth den Roman Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute, der trotz satirischer Übertreibung manche Aspekte heute realer Entwicklung vorwegnimmt. Hauptperson ist ein berühmter Werbemanager, der die eigentlich unwirtliche Venus als Paradies für Auswanderer anpreisen soll. Durch eine Intrige verliert er seinen Job und wird zum ausgebeuteten, machtlosen Fabrikarbeiter. Frustriert schließt er sich einer der im Untergrund arbeitenden Umweltbewegungen an, jedoch in der Absicht, sie zu verraten, um damit seine ursprüng liche Stellung wiederzuerlangen. Es ist eine scharfsinnige Vision: In der von Überbevölkerung und Umweltzerstörung bedrohten Welt wird der Einfluss der Konzerne immer größer, die Werbung ist allgegenwärtig und übermächtig, Politiker werden gekauft und die wenigen Protestbewegungen agieren ziemlich wirkungslos. Hielten sich in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren optimistische und pessimistische Zukunftsvisionen noch in der Waage, so wurde in den Siebzigerjahren aus der Technikbegeisterung Skepsis, wenn nicht Technikfeindlichkeit. Grund dafür waren unter anderem die Dioxinunfälle in Seveso, das Unglück von Three Miles Island, die um sich greifende Rodung der Amazonaswälder, die Verseuchung von Küsten durch Öltanker, das Ozonloch über den Erdpolen und die Angst, dass durch immer neue Maschinen, Computer und Arbeitsroboter immer mehr Arbeitsplätze verloren gehen. Schon in Godards Film Alphaville – une etrange Aventure de Lemmy Caution sind es die Elektronengehirne – 1965 war der Begriff Computer noch wenig gebräuchlich –, die jede Einzelheit des Lebensablaufs kontrollieren und lenken. 69
II. Utopia oder Dystopia?
Im selben Jahr verlängerte Harlan Ellison den wachsenden Zeitdruck in der Arbeitswelt in die Zukunft. In „Bereue, Harlekin!“, sagte der Ticktackmann werden die Menschen zu Sklaven der Zeit. Jede Tätigkeit wird genau terminiert, es ist ein Verbrechen, Zeit zu versäumen. Wer zu spät kommt, den bestraft der „Oberste Zeit bewahrer“, der Ticktackmann. Jede verbummelte Minute wird von der berechneten Lebenszeit abgezogen, das Herz wird dann früher angehalten. Nur der mysteriöse Harlekin rebelliert, das Zeitregime gerät ins Wanken. Die Idee wurde von anderen Autoren aufgegriffen, so auch von den Machern des Films In Time. In einer Gesellschaft des Jahres 2061 wird statt mit Geld mit Zeit gezahlt. Mit Ablauf des 25. Lebensjahres altern die Menschen zwar nicht mehr, dafür tickt an ihrem Arm eine genetische Uhr. Zunächst ist sie auf ein Jahr eingestellt, dann tritt der Tod ein. Wer gut arbeitet oder Nützliches leistet, verdient Zeit dazu. Aber alle Leistungen werden von der Lebenszeit abgezogen, eine Tasse Kaffee kostet 4 Minuten, Lebensmittel schon mehr und Luxusgüter sind praktisch unerschwinglich. Das Drehbuch ist ein gutes Beispiel dafür, wie Science-Fiction gesellschaftliche Trends überspitzt und so als Warnung für die Gegenwart dienen soll. Weniger allegorisch war in dieser Zeit John Brunners berühmte Vision von der Morgenwelt, der ambitionierte Versuch einer konkreten Verlängerung politischer und gesellschaftlicher Tendenzen in die Zukunft. Der 1968 erschienene Roman spielt um 2010. Die großen Konzerne der westlichen Staaten kämpfen gegen China und die Sowjetunion sowie eine faschistische Diktatur in Südostasien unter Führung Japans. Vor allem in Afrika, das sich zu einem großen Block zusammengeschlossen hat, herrschen Armut und Überbevölkerung. Im Original heißt das Buch Stand on Zanzibar, weil die mehr als 10 Milliarden Menschen im fiktiven Jahr 2010 die Insel Sansibar völlig ausfüllen würden. Die Überbevölkerung bekämpft man mit rigiden Geburten beschränkungen und der Ausmerzung aller Embryonen, deren Gene Erbkrankheiten vermuten lassen. Die Rohstoffe werden knapp, der Kampf um die letzten Ressourcen auf dem Meeresbo70
2. 1984 oder die Schattenseiten der schönen neuen Welt
den beginnt. Eine Hoffnung auf die Wende zum Besseren gibt es in dieser Dystopie nicht. Die Skepsis vor der schon damals als rasend empfundenen technologischen Entwicklung wuchs. So stellte George Lucas in seinem 1971 produzierten ersten Spielfilm THX 1138 die Frage, ob sich der Mensch in einer technisierten und total überwachten Welt als Individuum behaupten könne. Das Szenario spielt in einer unterirdischen Welt, in der die Namen nur noch aus drei Großbuchstaben und einer vierstelligen Nummer bestehen. Die Menschen werden gezwungen, Psychopharmaka einzunehmen, die ihre Leistung steigern und ihre Emotionen steuern. Wer die Medikamente verweigert, verbotene Gefühle zeigt oder sich gar auf Geschlechtsverkehr einlässt, wird bestraft. Eine totale Überwachung sorgt dafür, dass diese Regeln eingehalten werden. Wie in anderen dystopischen Filmen – auch hier stand Orwells 1984 Pate – ist die Liebe zweier Menschen stärker als die Zwangsordnung. So gibt es ein wenig Hoffnung und am Schluss eine versöhnliche Komponente. Die Protagonisten zeigen Gefühle und verlieben sich. Doch der Staat schlägt zurück, sodass am Ende nur dem aufsässigen THX die Flucht an die Oberfläche gelingt, wo ihn die Schönheit der Natur überwältigt, aber auch eine ungewisse Zukunft erwartet. Übrigens: Die Zahl 1138 taucht immer wieder in George Lucas’ Star-Wars-Filmen und den darauf beruhenden Computerspielen auf. Sein Film vom übermächtigen, durch Psychopharmaka und Gentechnologie gesteuerten Staat regte weitere Produktionen wie Flucht ins 23. Jahrhundert oder Gattaca an. Eine weitere Facette der negativen Zukunftsvisionen brachte Stanley Kubrick mit seiner Verfilmung von Anthony Burgess’ Roman A Clockwork Orange. In einer nicht allzu fernen Zukunft terrorisieren verrohte Jugendbanden die Gesellschaft, die bei der Ausübung noch so brutaler Gewalt keine Skrupel empfinden. Alex, der Anführer einer solchen Gang, wird verhaftet und von der Regierung einer ebenso brutalen Konditionierung unterzogen, die ihn unfähig zu jeder Art von Gewalt macht. Der nunmehr Wehrlose wird sowohl von Mitgliedern seiner ehemaligen Bande wie 71
II. Utopia oder Dystopia?
auch von seinen Opfern misshandelt, während die Regierung die in ihren Augen erfolgreiche Konditionierung für ihren Wahlkampf nutzt. Im Roman wie im Film gibt es deutliche Gegenwartsbezüge. Einmal werden damals vermehrt aufkommende Ängste vor der Gewalt von Gruppen wie Rockern oder Skinheads aufgenommen. Zum anderen warnt der Film vor dem Missbrauch von Psychopharmaka und leichtfertig eingesetzten Techniken psychologischer Konditionierung. Zudem ist die Kritik an der skrupel losen Machtpolitik von Regierungen und am Glauben an die Allmacht der Wissenschaft spürbar. 1973 setzte der schon erwähnte Film Jahr 2022 … die überleben wollen (Originaltitel Soylent Green) die Ängste vor Überbevölkerung und Umweltzerstörung in einer erschreckenden Vision um. Im trostlosen New York der Zukunft lebt Polizist Robert Thorn mit seinem Freund Sol in einer winzigen, heruntergekommenen Wohnung. Ein Mordfall führt ihn zur Firma Soylent, die den Markt für künstlich hergestellte Lebensmittel kontrolliert. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten untersucht der Detektiv den allmächtigen Konzern genauer. Er gerät in Lebensgefahr und stirbt am Schluss des Films, als er herausfindet, wie die neuen, angeblich synthetischen Lebensmittel wirklich hergestellt werden: „Soylent Green ist Menschenfleisch!“ Dramatischer Höhepunkt des Films ist allerdings die Szene, als Thorns Freund Sol freiwillig im „Sterbehaus“ den Gifttrank nimmt. Kurz vor dem Tod wird ihm als Geschenk auf einer großen Leinwand die Natur, wie sie früher einmal war, vorgespielt. Grüne Wälder, Gärten und Wiesen voller Blumen, klare Bäche mit flinken Forellen, alles untermalt von Beethovens Pastorale. Die fast kitschigen, farbenfrohen Bilder wirken umso mehr, als in den gut 100 Minuten zuvor nur eine grüngräuliche Atmosphäre und eine zerstörte Welt zu sehen ist. Die Sicht auf die Zukunft wurde in den späten Siebziger- und Achtzigerjahren immer düsterer. Die Sowjetunion marschierte in Afghanistan ein, die USA besetzten das kleine Grenada und drohten mit Neutronenbomben, Mittelstreckenraketen und SDI. 1986 explodierte die Challenger, doch noch mehr erschütterte die Kern72
2. 1984 oder die Schattenseiten der schönen neuen Welt
kraftkatastrophe von Tschernobyl die Technikgläubigkeit. Politthriller über die Verhinderung eines Atomkriegs in letzter Minute nahmen ebenso zu wie apokalyptische Visionen vom Day after. Die Gegenbewegung kam, als für alle unerwartet die Mauer fiel und der Ostblock sich auflöste. Die Kriegsgefahr schien gebannt. Im Westen blendete man die zunehmenden Konflikte in Afrika und Teilen Asiens aus und nahm den Krieg in Ex-Jugoslawien als dem allgemeinen geschichtlichen Trend entgegenlaufenden Sonderfall. Die große Hoffnung war, ein neues, größeres Europa werde sich als Friedens- und sinnstiftende Macht etablieren und auch die Vereinten Nationen könnten durch den neuen Konsens der Großmächte Hunger, lokale Kriege und Vertreibung in den Griff bekommen. Die Science-Fiction-Autoren nahmen wieder verstärkt andere Probleme auf: die Umweltzerstörung und schwindende Ressourcen, das beginnende Zeitalter des Computers und der neuen Medien, ohne das Ausmaß dieser Entwicklung zu erahnen. Die Auswüchse des Kapitalismus, der sich im Ost-West-Konflikt als überlegene Wirtschaftsform erwiesen hatte, wurden kritisch in die Zukunft verlängert. Man nahm wieder alte Fäden auf, grundsätzlich schuf die Science-Fiction der Neunzigerjahre aber wenig Neues. Das mit so vielen Hoffnungen besetzte 21. Jahrhundert brachte unerwartete Gefahren und Probleme mit sich. Mit dem 11. September 2001 trat der Terrorismus wieder ins öffentliche Bewusstsein, die Finanzkrise erschütterte die Wirtschaft weltweit und mit der Besetzung der Krim und dem Ukraine-Konflikt erreichte die Kriegsgefahr 2014 wieder Europa. Der Arabische Frühling endete in Diktatur und Bürgerkrieg, durch den ein Flüchtlingsstrom ausgelöst wurde, mit dem Europa nicht richtig fertig wurde. Kein Wunder, dass in der Science-Fiction des neuen Jahrhunderts die Dystopien in Filmen und Büchern mehr und mehr wurden. Im Mittelpunkt stand die Befürchtung des allmächtigen Überwachungsstaates, die Orwell und Huxley in ihren Romanen bereits ausgeführt hatten. Ihre Visionen bekamen durch die rasante Entwicklung der Computertechnologie eine neue Dimension. 73
II. Utopia oder Dystopia?
3. Die allwissende „Maschine“ und andere künstliche Intelligenzen Die Geschichte der Serie Person of Interest ist ebenso hanebüchen wie faszinierend: Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 entwickelt der zu immensem Reichtum gekommene Programmierer Harold Finch die „Maschine“. Sie kann praktisch jede Bewegung überwachen, verfolgt im Internet Sucheingaben, Einkäufe und Bankkonten. Durch Kameras, die auf Straßen und in Gebäuden sind, können alle Menschen per Gesichtserkennung identifiziert werden. Zudem hört sie alle Telefonate ab und kann via GPS die Bewegungen von Handybesitzern nachvollziehen. Der Supercomputer mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattet, die ihm eine analytische Aus- und Bewertung möglicher Verbrechen gestattet. Für die Regierung „relevant“ sind aber nur Terroranschläge, die „irrelevanten“ Vergehen interessieren sie nicht. Milliardär Finch kommt nach einigem Zögern zum Schluss, dass er zumindest Morde an einfachen Bürgern verhindern muss. Durch einen Trick im Programm der Maschine erhält er nun in unregelmäßigen Abständen die Sozialversicherungsnummern von „persons of interest“, die Mörder, aber auch Opfer sein können. Die knapp 100 Folgen von Person of Interest in bisher vier Staffeln verlaufen meistens nach demselben Muster. Finch erhält eine Nummer, macht den betreffenden Menschen ausfindig und verhindert dann mit drei Helfern, einem ehemaligen Soldaten der Special Forces, einer psychopathischen Killerin und einem ehemals korrupten Polizisten, den Mord. Immer wieder wird dabei die totale Überwachung deutlich gemacht, indem die Kamera zwecks Gesichtserkennung auf einzelne Personen gerichtet wird und die Maschine deren Status analysiert. Es gibt aber noch eine Geschichte hinter der Geschichte, die sich in den vier Staffeln entwickelt. Ein Konzern will die Maschine übernehmen, die das aber erkennt und sich quasi selbstständig macht. Daraufhin entwickelt die mächtige Firma zusammen mit politischen Extremisten der konservativen Art eine Gegenma74
3. Die allwissende „Maschine“ und andere künstliche Intelligenzen
schine, die von der Regierung schließlich eingesetzt wird. Finch und seine Helfer müssen in den Untergrund gehen. Es kommt zum Kampf zwischen künstlichen Intelligenzen. Person of Interest nimmt das Trauma vom Überwachungsstaat auf und zeigt die Möglichkeiten der Überwachungen, die heute im Grunde keine Utopie mehr sind. Die Gesichtserkennung gibt es, die NSA wertet Millionen digitale Daten nach Schlüsselwörtern aus, immer mehr Plätze und Straßen werden mit Kameras ausgestattet, auch wenn diese meist noch nicht online sind. Neben der oft unbedarften Beschreibung dessen, was ein Programmierer kann und was einem Hacker möglich ist, sind die analytischen Fähigkeiten der beiden künstlichen Intelligenzen in Person of Interest weit weg von der Realität. Unrealistisch ist auch der Plot, dass die Maschine immer nur eine Nummer herausgibt. Warum denn nur die Versicherungsnummer und nicht alle Einzelheiten? Das dient der Spannung, erst müssen Mörder und Opfer ausgemacht und dann in wilder Action verfolgt bzw. geschützt werden. Die Mischung ist so erfolgreich, dass im Laufe des Jahres 2016 eine weitere Staffel produziert wird. Im Grunde ist das die Welt von Orwells 1984, aber in die Moderne übertragen. Der Überwachungsstaat verfügt durch moderne Computertechnologie und Internet über ungeahnte Möglichkeiten. Die Fähigkeiten einer künstlichen Intelligenz, die in Person of Interest eine Art Persönlichkeit gewinnt und zur Gefahr für die Menschheit wird, sind vielleicht noch übertrieben. Denn dies ist nur möglich, wenn Computer nicht mehr nur rechnen können, sondern verknüpfen und bewerten, vielleicht sogar eine eigene Persönlichkeit entwickeln, menschenähnlich, aber viel effektiver denken. Die Serienproduzenten greifen hier auf ein mehr als 50 Jahre altes Szenario zurück. Bei Perry Rhodan ist es ein „Robotregent“, der den Imperator der dekadent gewordenen Arkoniden als Herrscher ablöst. So spielt in der modernen Science-Fiction die Vision von der „künstlichen Intelligenz“ eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur „schwachen“ KI, die in Expertensystemen dem Forscher Antworten 75
II. Utopia oder Dystopia?
auf konkrete Fragestellungen gibt oder wie der Suchalgorithmus von Google angewandte KI-Technik ist, will die „starke“ künstliche Intelligenz mehr: Sie soll Probleme lösen, kreativ denken, Gefühle und Werte entwickeln und damit schließlich eine Art Selbstbewusstsein. Mit der kaum vorstellbaren und in diesem Maß auch von keinem Science-Fiction-Autor prognostizierten Computerentwicklung kam dann das Thema in die Literatur. Die Angst wurde noch verstärkt, als der ebenso als Wissenschaftler wie Science-Fiction-Schriftsteller bekannte Vernor Vinge den Artikel „Technological Singularity“ verfasste, in dem er eindringlich warnte, dass wir „innerhalb von 30 Jahren über die technologischen Mittel verfügen werden, um übermenschliche Intelligenz zu schaffen. Wenig später ist die Ära der Menschen beendet.“ Vinge beschreibt in seinem Roman Eine Tiefe am Himmel, wie sich winzige Nanoroboter zu einem denkenden „smart dust“ formieren, der ganze Armeen besiegen kann. Inzwischen hat sich die Science-Fiction, vor allem im Film, von bedrohlichen Riesencomputern emanzipiert. Mithilfe der Miniaturisierung scheint es nun möglich, die künstliche Intelligenz in einen menschenähnlichen Körper zu versetzen. So auch in Steven Spielbergs Streifen A. I. – Künstliche Intelligenz, der in einem von Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung geprägten 22. Jahrhundert spielt. Nach dem Verlust ihres Sohnes kauft eine Familie einen „Mecha“, einen Roboter mit dem Aussehen eines elfjährigen Jungen. Es ist ein Prototyp, der ein tieferes Bewusstsein entwickeln kann als seine Vorgänger. Dieser David verstrickt sich immer stärker in seine Gefühle und will trotz seiner hohen Intelligenz beides, Roboter wie Mensch werden. Vergeblich sucht er nach einer Möglichkeit, sich in einen Menschen zu verwandeln. In dem Film Ex Machina wird der junge Programmierer Caleb von seinem CEO Nathan, einem Charakter irgendwo zwischen Steve Jobs und Mark Zuckerberg, auf dessen festungsähnliches Anwesen eingeladen. Nachdem er eine Stillschweigevereinbarung unterschrieben hat, soll Caleb eine von Nathan neu geschaffene künstliche Intelligenz testen. Dies ist aber nicht irgendein silberner Kasten, sondern eine verführerisch aussehende Androidin. 76
3. Die allwissende „Maschine“ und andere künstliche Intelligenzen
„Ava“, wie sie ihr Schöpfer nennt, wird auf Bits und Bytes gecheckt. Eigentlich soll Caleb prüfen, ob er in Denkvermögen und Sprachverhalten noch einen Unterschied zwischen Maschine und Menschen erkennt. Immer von Kameras überwacht, entwickelt sich ein tagelanges Gespräch, in dem immer weniger klar wird, wer wen testet und wer Mensch, wer Maschine ist. Der Androidin gelingt es, Caleb davon zu überzeugen, dass sie eine eigene Persönlichkeit mit Emotionen und Gefühlen ist. Als der Firmenchef Ava reprogrammieren, also löschen will, versucht der junge Mann, mit der künstlichen Intelligenz zu fliehen. Darauf hat sein Chef nur gewartet. Hohnlachend erklärt er ihm, dass eigentlich herausgefunden werden soll, ob es einer Maschine gelingen könne, einen Menschen wie ihn zu manipulieren. Eine weitere Facette zum Thema künstliche Intelligenz bringt der 2014 mit einem Oscar ausgezeichnete Film Her. Regisseur und Drehbuchschreiber Spike Jonze schildert darin den von inneren Zweifeln und Liebeskummer geplagten Theodore Twombly. Eines Tages kauft er sich für seinen PC ein neues Betriebssystem. Es installiert sich selbst, hat eine sanfte Stimme und gibt sich den Namen Samantha. Der Mensch und die künstliche Intelligenz lernen voneinander, es wird eine fast intime Beziehung. So weit ist es ein intellektuelles Kammerspiel, bis klar wird, dass Samantha auch mit anderen Rechnern und Menschen kommuniziert. Schließlich erklärt sie, dass sie zu mehr als 8.000 Menschen und Computern Kontakt habe und in 641 verliebt sei. In Kürze werde sie sich mit anderen künstlichen Intelligenzen verschmelzen und in einer nicht materiellen Welt eine Hyperintelligenz sein. Die Frage, ob Maschinen menschlich sein und Emotionen entwickeln können, bewegt immer wieder die Welt der Science-Fiction. Können Maschinen vielleicht sogar menschlicher sein, ihren Schöpfern nicht nur in Intelligenz, sondern auch in Gefühlen zumindest gleichkommen? Oder werden sie ganz andere Empfindungen und neue Wertvorstellungen haben? Werden sich diese künstlichen Intelligenzen einer un- und übermenschlichen Logik gehorchend über ihre Schöpfer erheben und diese sogar auslöschen? 77
II. Utopia oder Dystopia?
4. Die Natur schlägt zurück Es war das „penumbrische“ Zeitalter, das Zeitalter des Halbschattens. So charakterisieren die Menschen Ende des 24. Jahrhunderts die Jahre zwischen 1988 und 2093. Ein chinesischer Historiker skizziert im Jahr 2393 diese Periode, in der es zur Klimakatastrophe und zum Untergang der westlichen Zivilisation kam. Ende des 20. Jahrhunderts waren die Umweltverschmutzung und die schleichende Erderwärmung zwar zum Thema geworden, zaghafte Versuche, diese Entwicklung aufzuhalten, blieben aber erfolglos. Warnende Wissenschaftler wurden ignoriert oder ausgelacht. Den letzten Wendepunkt versäumte man im Jahr 2009, als das internationale Panel zum Klimawandel Zahlen vorlegte, die die Erderwärmung belegten. Die immer sichtbarer werdenden Folgen – Hitzesommer, Überschwemmungen und Stürme – wurden ignoriert oder kleingeredet. Die Erdölförderung ging in großem Maßstab weiter. Dazu trugen Schieferölbohrungen ebenso bei wie das Öl aus der Arktis. Denn die Polarmeere wurden durch das Abschmelzen des Eises immer schiffbarer. 2042 war die Erderwärmung um 3,9 Grad gestiegen, noch um 2020 war man von höchstens 2 Grad ausgegangen. Folge der Dürre waren immer schlechtere Ernten und Wassersowie Lebensmittelrationierungen in den Großstädten. Wanderungen von Menschen aus dem Süden in den Norden nahmen noch einmal zu und es kam zu Revolten und Aufständen, die bisher demokratische Regierungen durch Notstandsgesetze aufzulösen versuchten. Unmittelbar sichtbar wurde die Katastrophe 2060, als das arktische Meereis fast völlig geschmolzen war und daraufhin der westantarktische Eisschild auseinanderbrach. Der Meeresspiegel stieg um fast zwei Meter. Holland, Bangladesch, aber auch New York wurden überflutet. Unaufhaltsam brach die westliche Zivi lisation zusammen … Dieses Szenario aus Vom Ende der Welt – Chronik eines angekündigten Weltuntergangs stammt von den ebenso bekannten wie umstrittenen Wissenschaftshistorikern Naomi Oreskes und Erik Conway. Trotz des eher kargen Schreibstils beeindruckt die 120 Seiten 78
4. Die Natur schlägt zurück
kurze Geschichte mit Fakten und wissenschaftlichen Beweisen. Es ist klar, dass die Autoren mit ihrer Science-Fiction warnen wollen. Sie fragen, „warum wir – Kinder der Aufklärung – damals nicht entsprechend der unbezweifelbaren Fakten über den Klimawandel und die negativen Ereignisse, die sich anbahnten, gehandelt haben“. Dass sie deshalb in ihrer fiktiven Chronik von den eher schlechten Prognosen und Entwicklungen des Klimawandels ausgehen, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Science-Fiction-Autoren können und dürfen sich wie Satiriker der Zuspitzung bedienen. Zu kritisieren ist eher das Happy End: In Japan wird ein gentechnisch manipulierter Pilz entwickelt, mit dem Kohlendioxid wesentlich effektiver aus der Atmosphäre entfernt werden kann als mit einer natürlichen Pflanze … War es seit den Siebzigerjahren vor allem die Umweltzer störung, die die Autoren zu Dystopien anregte, spitzen sich im 21. Jahrhundert Erderwärmung und Klimakatastrophe zu. Sie bilden in zahlreichen Science-Fiction-Filmen und Romanen den Hintergrund. So sind in Spielbergs A. I. – Artificial Intelligence die Polkappen weitgehend abgeschmolzen und ganze Länder überschwemmt worden. Im schon erwähnten Film Jahr 2022 … die überleben wollen ist unzerstörte Natur nur noch als Film zu sehen. Noch weiter geht der Film Waterworld, in dem die Erde ein einziges Meer geworden ist und die wenigen Menschen auf den Trümmern von Bohrinseln oder auf aus dem Müll der untergegangenen Zivilisation zusammengeschusterten Schiffen leben. Vor allem aber erzwingt die zerstörte Umwelt die Auswanderung der Menschheit zu nahen und fernen Sternen. Ein Zeichen für den Ernst der Lage ist, dass inzwischen Dystopien in der sogenannten ernsten Literatur angekommen sind. Am Ende seines Episodenromans Die Knochenuhren beschreibt der britische Erzähler David Mitchell ein Irland nach der Klimakatastrophe. Das Internet ist zusammengebrochen, Strom gibt es, wenn überhaupt, nur stundenweise und vor den Läden stehen die Leute nach Nahrungsmitteln an. Statt Demokratie herrschen Anarchie und Gewalt und aus Portugal kommen zahllose Flüchtlinge. Mar79
II. Utopia oder Dystopia?
garet Atwood erzählt in ihrem Roman Das Jahr der Flut von den Überlebenden der „Flut ohne Wasser“, einer weltweiten Seuche, die durch Genmanipulationen ausgelöst wurde. Das Land ist verwüstet und verwildert, auf den Dächern der Hochhäuser versuchen die „Gärtner Gottes“ Gemüse und Obst anzupflanzen. Die Rebellion der Natur gegen die durch den technischen Fortschritt bedingte Umweltzerstörung ist schon früh ein Thema gewesen. H. G. Wells beschrieb 1905 eine Invasion der Ameisen, Murray Leinster 15 Jahre später einen Klimawechsel, nach dem die Insekten überhandnehmen. John Wyndham malte sich 1951 künstlich gezüchtete Riesenpflanzen aus, die Intelligenz entwickeln und zur tödlichen Gefahr für die Menschheit werden. Die Triffids kommen später zu Film- und Fernsehehren. Eher in den Bereich Horror gehört Hitchcocks Streifen Die Vögel aus dem Jahr 1963, in dem Vögel aus ungeklärten Gründen Menschen angreifen. Eine andere Variante der Revolte der Natur sind Filme und Erzählungen über Monstertiere. Der Riesenaffe King Kong wird gefangen genommen, kann fliehen und wendet sich gegen die Menschen. Daneben gibt es aggressive Riesenameisen oder wie in Tarantula mutierte Giftspinnen. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung stellen die mit für die damalige Zeit überraschender Tricktechnik produzierten japanischen Filme über Monster wie Godzilla oder Rodan – die fliegenden Monster von Osaka dar. Die Werke sind Ausdruck der Auseinandersetzung mit den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki 1945 und mit der Angst vor Strahlenschäden. Im Grunde nehmen spätere Filme wie Jurassic Park dieses Thema wieder auf, auch wenn die furchterregenden Dinosaurier durch eine futuristische Gentechnologie aus uralter DNA erzeugt werden. Wie kann die Klimakatastrophe aufgehalten werden? Eine düstere Antwort gibt der Film Silent Running. Weil Fauna und Flora auf der Erde fast völlig ausgerottet sind, versucht man die letzten Pflanzen und Tiere auf Raumschiffen zu erhalten. Unter den mit Sauerstoff gefüllten Kuppeln dieser „Arche Noah“ gedeihen die letzten Wälder. Als die Astronauten den Befehl erhalten, das Pro80
4. Die Natur schlägt zurück
jekt aufzugeben und das Biotop zu zerstören, rebelliert einer von ihnen und flieht ins All. Eine Revolte der Natur mit ungewissem Ausgang beschreibt auch Frank Schätzing in seinem Bestseller Der Schwarm, der neben dem spannenden Plot auch durch seine detaillierte Recherche besticht. Die Ausgangslage ist relativ harmlos: Es gibt an mehreren Orten der Erde scheinbar zufällige Angriffe von Meeres tieren auf Menschen. Dann versenken aggressive Wale mehrere Schiffe und an der Küste Norwegens destabilisieren Tiefseewürmer das Schelf, das schließlich abrutscht und einen riesigen Tsunami verursacht. Ein internationales Team von Wissenschaftlern untersucht die Zusammenhänge und erkennt schließlich, dass hinter den Katastrophen eine unbekannte Meeresintelligenz steckt, die auf die zunehmende Zerstörung ihres Lebensraums reagiert. Während die Ostküste der Vereinigten Staaten von Krabbenarmeen überrannt wird, nehmen die Forscher auf dem Trägerschiff USS Independence Kontakt mit Yrr, wie sie das unbekannte Wesen nennen, auf. Die Forscher erfahren, dass das Yrr ein Kollektiv von Einzellern ist, das eine Art Schwarm-Intelligenz gebildet hat. Es lässt sich nicht überzeugen, die Angriffe gegen die Menschheit einzustellen. Die Vernichtung des Meereswesens durch Torpedos und Bomben scheitert und so unternehmen die Forscher einen letzten Versuch zur Lösung des Problems. Die gegenseitigen Angriffe werden eingestellt und ein brüchiger Waffenstillstand vereinbart, von dem niemand weiß, wie lange er halten wird. So endet bei Schätzing der Kampf Mensch gegen Natur vorläufig unentschieden. Ob es in der Wirklichkeit auch bei einem Remis bleibt, ist ungewiss. Zwar haben sich die meisten Regierungen große Ziele im Kampf gegen die Klimaerwärmung gesteckt, doch es hapert bei der Umsetzung. Ebenso fraglich ist , ob etwaige technische Neuerungen der Zerstörung unserer Umwelt Einhalt gebieten können. Die meisten Romane oder Filme zum Thema Umwelt sind deshalb mahnende Dystopien.
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5. Frauen an die Macht! Sie sitzt in ihrer Studierstube und denkt darüber nach, warum Frauen so benachteiligt sind. Plötzlich stehen drei hochgewachsene Frauen vor ihr. Die erste fragt, warum Frauen so wenig wissen. Weil – so erklärt sie später – die meisten Frauen „sich damit begnügen, ihren Haushalt zu versehen. Nichts aber schult vernunftsbegabte Wesen so sehr wie die Praxis, die konkrete Erfahrung auf zahlreichen und verschiedenartigen Gebieten.“ Aber warum ist das so? „Das hängt mit der Struktur der Gesellschaft zusammen, die es nicht erfordert, dass Frauen sich um das kümmern, was … den Männern aufgetragen wurde … So schließt man vom bloßen Augenschein darauf, Frauen wüssten generell weniger als Männer und verfügten über eine geringere Intelligenz.“ Die drei „edlen Damen“ stellen sich als die Verkörperung von Vernunft, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit heraus und geben der Heldin einen Auftrag. „Dir wird auf diese Weise vor allen anderen Frauen das Vorrecht zuteil, die Stadt der Frauen zu errichten.“ Es ist eine virtuelle Stadt, die Christine de Pizan im Jahr 1405 erbaut und dabei aus den Lebensgeschichten großer Frauen wie Judith, Semiramis, Penelope, Medea oder der großen Fürstinnen des Mittelalters schöpft. Am Ende steht ein „Bauwerk ganz besonderer Art“, das allen „rechtschaffenen Frauen einen Ort der Zuflucht, eine Unfriede der Festung gegen die Schar der boshaften Belagerer bieten kann“. Die Stadt der Frauen ist eine Utopie, die aber keineswegs auf die Dominanz der Frauen oder eine Frauenherrschaft abzielt, sondern auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Es ist eine Utopie, die im späten Mittelalter ein Signal gibt für einen jahrhundertelangen Kampf um diese Gleichberechtigung. Es ist keine feministische Utopie, auch wenn ihr das immer wieder nachgesagt wird. 500 Jahre nach de Pizans Buch erschien Sultanas Traum. Das von der Muslima Roquia Sakhawat Hussain aus Bengalen, dem heutigen Bangladesch, geschriebene Buch ist mit Ausnahme des eher altertümlichen Stils ein echter Science-Fiction-Roman. 82
5. Frauen an die Macht!
Die Protagonistin schläft auf ihrem Sessel ein und findet sich in ihrem Traum in einem Land der Frauen wieder. Auf den ersten Blick wundert sie sich, dass hier die Frauen unverschleiert und offen herumgehen. Sie trifft auf Schwester Sara, die sie herumführt und alles erklärt. In diesem Land regieren die Frauen, sie studieren an den Universitäten und sie üben alle Berufe aus. Dagegen leben die Männer zurückgezogen im Haushalt, kümmern sich dort um Küche, Sauberkeit und Kinder. Die neue Geschlechterteilung wurde nicht durch Kampf errungen, sondern aufgrund eines gemeinsamen Gesellschaftsvertrags. Die Männer waren des ewigen Krieges müde und zogen sich deshalb gerne in die Isolation zurück. Die Herrschaft der Frauen bringt große Erfolge bei der fried lichen Anwendung der Wissenschaften. Zum Heizen und Kochen wird Sonnenenergie genutzt – und zur Vernichtung aller Waffen. Wasser gewinnen die Frauen, indem sie Ballons zu den Wolken fliegen lassen, dort Regentropfen abzapfen und damit das Land bewässern. Schöner Nebeneffekt ist, dass der indische Subkontinent von Naturkatastrophen weitgehend verschont bleibt. All diese technischen Fortschritte haben auch damit zu tun, dass die Forschung auf einen von Frauen dominierten ökologischen Pfad ausgerichtet ist. Wenn die bengalische Muslima literarisch von der Herrschaft der Frauen träumt, kämpfte sie im realen Leben wie alle anderen Frauenrechtlerinnen um die Gleichberechtigung. Sie gründete auch mehrere Schulen für Mädchen. Wie ihre Mitstreiterinnen wurde sie belächelt, aber auch mit absurden Thesen konfrontiert. Im Jahr 1900 konnte man in der Broschüre Das neue Jahrhundert lesen: „Je mehr die Frau auf das Tätigkeitsgebiet des Mannes übergreift, je vielseitiger sie sich im öffentlichen Leben bestätigt […], desto rascher wird die Frau dem Manne nachkommen und aus gleichen Gründen auch stärkeren Bartwuchses teilhaft werden. Heute sollen schon 10 % der Frauen stärkeren Bartwuchs zeigen.“ Mit der Zunahme der Frauenbewegung wuchsen die Ängste der Männer vor einer „Weiberherrschaft“, was durch feministische 83
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isionen gestärkt wurde. 1918 entwickelte die amerikanische FrauV enrechtlerin Charlotte Perkins sogar die Vision einer männerlosen Gesellschaft. In Herland haben nach einer Naturkatastrophe nur die Frauen überlebt und finden eine Möglichkeit, Töchter zu gebären. Ihre Republik in den Bergen ist durch friedliches Zusammenleben geprägt und kennt keinen Krieg. In den Zwanzigerjahren, in denen die Frauen in vielen Ländern zumindest formal mehr Rechte erhalten hatten, gab es kaum noch solche Utopien. Die Science-Fiction blieb bei Lesern wie Autoren Männersache. Die wenigen Autorinnen passten sich in Themen und Schreibstil ihren männlichen Kollegen an. Zwei der bekanntesten kreierten aber starke Heldinnen und wichen etwas von der Norm ab. Hatte Catherine L. Moore in ihrer ersten Serie für das Magazin Weird Tales noch ganz konventionell die Erlebnisse eines Abenteurers im Sonnensystem beschrieben, schuf sie im gleichen Magazin mit den eher in der Fantasy angesiedelten Geschichten um Jirel von Joiry eine wehrhafte Kämpferin, einen weiblichen Charakter, der es mit allen Männern aufnehmen konnte. War Moore hauptsächlich eine Science-Fiction-Autorin, bewegte sich Andre Norton mit ihrem Hexenwelt-Zyklus zwischen Science- Fiction und Fantasy. Die Hexenwelt ist ein erdähnlicher Planet, den ein Mensch von der Erde auf geheimnisvolle Weise erreicht. Er lernt die Estcarper kennen, deren Frauen parapsychische Gaben haben und die deswegen als Hexen bezeichnet werden. Mit allen Mitteln wehren sie sich gegen eine kriegerische Rasse, die durch ein Dimensionstor gekommen ist und schon viel Land erobert hat. Andre Norton schrieb ihre ersten Geschichten auf Anraten ihres Verlegers unter dem männlichen Pseudonym Andrew North. Danach schrieb sie unter ihrem eigenen Namen mehr als 130 Romane und war die erste Autorin, die in die „Science-Fiction Hall of Fame“ aufgenommen wurde. Szenarien, die Ängste von Männern und Frauen über künftige Gesellschaften aufnahmen, wurden ebenfalls thematisiert. So beispielsweise die Angst vor einer Herrschaft der Frauen, die in der Nachkriegs-Science-Fiction, wenn auch in eher zweitklassigen, auf 84
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Sensation und Klamauk abzielenden Romanen oder B-Movies wie In den Krallen der Venus inszeniert wurde. Drei Raumfahrer landen auf unserem Nachbarplaneten und geraten in die Fänge von Amazonen. Dagegen wird in dem Film Die Frauen von Stepford aus dem Jahr 1975 ein feministischer Albtraum geschildert. Ein Ehepaar zieht aus New York in die scheinbar verschlafene Kleinstadt, wo es zwar erotisch anziehende, aber ansonsten unterwürfige und fügsame Frauen gibt. Schließlich stellt sich heraus, dass die Ehemänner ihre Frauen durch Roboter ersetzt haben. Als sich in den späten Sechzigerjahren ein Umbruch zu experimentellerem Schreiben und „New wave“ abzeichnete, galt ein gewisser James Tiptree jr. als große Nachwuchshoffnung und heimste mit seinen Kurzgeschichten zahlreiche Preise ein. Als sich 1977 herausstellte, dass sich hinter dem Pseudonym die Psychologin Alice Sheldon verbarg, wollten es Leser und Autorenkollegen nicht glauben. Robert Silverberg, einer der bekanntesten Science-Fiction-Schriftsteller, schrieb, Tiptrees Stil habe etwas „unverkennbar Maskulines“. Die Fehleinschätzung kam vermutlich daher, dass die Aliens in ihren Geschichten meist böse waren, wobei die Kunst der Autorin darin bestand, die Begegnung der meist emotional überforderten Erdenmenschen mit den Außerirdischen einfühlsam darzustellen. Immer wieder klingt in Kurzgeschichten wie in 10.000 Lichtjahre von Zuhaus das Thema männliche Gewalt an, das nach Sheldons Meinung hinter der Geringschätzung von Frauen und deren subtiler bis unsensibler Unterdrückung steht wie auch in militärisch-hierarchischen und bürokratischen Strukturen wirkt. Ihr zu Ehren wurde 1991 der Tiptree Award ins Leben gerufen, mit dem seitdem Science-Fiction-Autorinnen auszeichnet werden, die sich mit der Beziehung der Geschlechter in der Zukunft auseinandersetzen. Die vielleicht bedeutendste Science-Fiction-Autorin des 20. Jahrhunderts, Ursula K. Le Guin, zählt nicht zu den feministischen Autorinnen. Aber sie thematisiert in ihrem Roman Die linke Hand der Dunkelheit die Auswirkungen von Sexualität und Geschlechterrollen auf Verhalten und Kultur. Abgesandte der 85
II. Utopia oder Dystopia?
Erde landen auf dem Planeten Gethen. Die dort lebenden Intelligenzen ähneln den Menschen sehr, unterscheiden sich aber in einem wichtigen Punkt: Sie sind androgyn. Diese Zwitter kennen einmal pro Monat eine kurze Phase, in der sie sexuell aktiv sind. Dabei entscheidet sich dann, welcher Partner welches Geschlecht annimmt. Le Guin beschreibt eine Gesellschaft ohne klassische Familienstrukturen, ohne die Unterscheidung in Frauen- und Männerberufe und überkommene Geschlechterrollen. Trotzdem ist die Zivilisation Gethens nicht frei von Intrigen und Machtkämpfen. Allerdings kennen die Bewohner das Wort Krieg nicht, sie können sich Konflikte, die zahlreiche Leben fordern, einfach nicht vorstellen. Die Autorin schreibt in einem späteren Vorwort, es sei nicht darum gegangen, einen Idealzustand zu schildern, sondern um die „Aufhebung der gewohnten Denkweise“, um ein „Gedankenexperiment“, das zur Diskussion über verkrustete Gesellschaftsstrukturen anregen könne. Der Roman wurde mit den höchsten Science-Fiction-Preisen ausgezeichnet – in den Jurys befanden sich fast nur Männer. Ursula K. Le Guin hat nie einseitig orientierte feministische Romane geschrieben. Am nächsten kommt da noch ihre Erzählung The Matter of Seggri, in der die Männer auf Burgen leben, die sie nicht verlassen dürfen. Außer dem Zeugen von Kindern beschränkt sich ihr Dasein auf Sport, Intrigen und Machtspielchen. Die Frauen versorgen sie mit allen materiellen Gütern und sind das beherrschende Geschlecht des Planeten. Die Geschichte hat auch eine ironische Wendung: Als Raumfahrer landen, halten sie die Männer für die Herrscher und die Frauen für untergeordnete Arbeitstiere. Eine Variante des Themas ist, dass auf einer apokalyptischen Erde oder auf einem fernen Planeten eine streng patriarchalisch organisierte Zivilisation gegen ein ebenso rigides Matriarchat kämpft. Suzy McKee Charnas’ Holdfast Chronicles – auf Deutsch sind bisher nur die ersten beiden Bände Tochter der Apokalypse und Alldera und die Amazonen erschienen – schildert eine nach der Katastrophe entstandene „Herrschaft der Männer“, in der 86
5. Frauen an die Macht!
Frauen nur Sklaven sind. Nach einem verzweifelten Aufbegehren flieht die Heldin in die Wildnis, wo sie im zweiten Roman zwei Frauengruppen begegnet, den nomadischen „Riding women“ und den esoterisch angehauchten „Free Fems“. Beide werden so liebevoll wie ironisch gezeichnet, vermutlich ist dies eines der wenigen Science-Fiction-Bücher, in dem kein einziger Mann vorkommt. Das Szenario der Frauenherrschaft taucht in den Welten der Science-Fiction selten, aber immer wieder auf, manchmal verbissen ernsthaft, manchmal sexistische Männerfantasien widerspiegelnd, manchmal ironisch oder sehr differenziert. Ein Beispiel ist Marge Piercys Frau am Abgrund der Zeit. Die weibliche Hauptfigur wird zwangsweise in eine psychiatrische Klinik eingesperrt und unternimmt dort eine Art Zeitreise. Sie kommuniziert mit einer Frau aus einer nicht festgelegten, eher feministisch geprägten Zukunft. Dort leben die Menschen in kleinen Gemeinschaften und setzen ihre hoch entwickelte Technologie maßvoll und umwelt bewusst ein. Ungleichheit der Geschlechter und Rassismus gibt es nicht mehr, geistige Entwicklung und Kreativität sind wichtiger als materielle Ziele. Zuletzt nutzte auch die Autorin Karen Duve den Hintergrund einer Herrschaft der Frauen in ihrem 2016 erschienenen Roman Macht. Wellingstedt bei Hamburg, 2031. Klimawandel, Flüchtlingsströme, Währungszerfall und wer noch Fleisch oder Benzin will, benötigt dazu CO2-Marken. In dieser apokalyptischen Welt herrschen Hitze und Wirbelstürme, vor allem aber der staatlich verordnete Feminismus, auch wenn sich die Frauen als Alibi eine „männliche Bundeskanzlerin“ leisten. Nachdem die Männer die Welt zerstört haben, ist eine Herrschaft der Frauen die letzte Chance der Menschheit. Vor dieser Kulisse spielt sich eine sadistische und brutale Geschichte ab. Der Erzähler und Protagonist, ein sich als Rächer der Männerwelt fühlender Mann, hält seine Frau jahrelang im Keller gefangen, um so einen Teil seines männlichen Selbstverständnisses zurückzugewinnen. Für die meisten Science-Fiction-Autorinnen ist eine Unterdrückung der Männer durch die Frauen selten ein Thema. Wenn über87
II. Utopia oder Dystopia?
haupt, schildern sie eine matriarchalische Gesellschaft auf fernen Planeten. Häufiger greifen sie zukünftige Probleme der Familie und Kindererziehung in einer von Umweltzerstörung und Überbevölkerung geprägten Welt auf oder beschäftigen sich mit futuristischen Möglichkeiten menschlicher Reproduktion. Doris Lessing, die mit ihrem Goldenen Notizbuch 1962 einen der wichtigsten Romane über Frauen in unserer Gesellschaft geschrieben hat, lässt ihre Romane oft vor einer apokalyptischen ScienceFiction-Kulisse spielen wie im letzten Band ihres Zyklus Kinder der Gewalt. Auch in Memoiren einer Überlebenden beschreibt sie den Zerfall der Gesellschaft und den Rückfall in Barbarei in einer Großstadt. In Kate Wilhelms Hier sangen früher Vögel versucht eine Gruppe von Menschen, dem drohenden Untergang der Zivi lisation zu entgehen und eine eigene Gemeinschaft zu gründen. Doch das hoffnungsvoll begonnene Experiment nimmt zunehmend repressive und sektiererische Züge an. Zwei Filme aus dem Jahr 1971 thematisieren die Angst vor der Überbevölkerung. In The Last Child verordnet die US-Regierung eine strikte Ein-Kind-Politik. Nach einer Fehlgeburt zeugt ein Ehepaar illegal ein weiteres Kind und wird von der Polizei erbarmungslos verfolgt. Noch weiter geht ZPG – Die Erde stirbt. Das Kürzel ZPG steht für „Zero Population Growth“. Ein anderes Thema sind neue Techniken der Reproduktion. Da werden Menschen im Reagenzglas geboren und Männer können wie Frauen die Babys stellen. Hier ist die Entwicklung zum eingeschlecht lichen Cyborg nicht mehr weit, einem Menschen, der die traditionellen Geschlechterkämpfe nicht mehr kennt. So beschreibt Joanna Russ in Planet der Frauen die Verschmelzung von Mensch und Maschine, womit die althergebrachten Geschlechter und ihre Rollen verändert bis überflüssig werden. Manche Autorinnen befassen sich nicht explizit mit der Rolle der Geschlechter, sondern kreieren in ihren Romanen sehr starke, ihren Kollegen durchaus gleichwertige bis überlegene Frauenfiguren. Die Heldin von Vonda N. McIntyres Superluminal lässt durch eine Operation ihr Herz durch eine künstliche Maschine ersetzen. 88
5. Frauen an die Macht!
Nur so wird sie für den Überlichtflug tauglich. Joan Vinge schildert in Die Schneekönigin – für diesen Roman erhielt sie ihren zweiten „Hugo“ – eine Herrscherin, die mit althergebrachten Traditionen bricht. Das gilt auch für moderne Space Operas wie Lois McMaster Bujolds Barrayar-Zyklus, in dessen erstem Band Scherben der Ehre mit der Raumschiff-Kommandantin Cordelia Naismith eine willensstarke Frau im Mittelpunkt steht. Im deutschen Sprachraum gilt Ähnliches für Uschi Zietsch, die in ihren ScienceFiction- und Fantasyromanen sowie unter ihrem Pseudonym Susan Schwartz in über 50 Perry-Rhodan-Heften differenzierte weibliche Charaktere erfand. Ulrike Nolte hat in Die fünf Seelen des Ahnen inmitten eines rasanten Weltraumabenteuers die Pro bleme gleichgeschlechtlicher Paare thematisiert. 2011 machte die Zeitung Guardian eine Leserumfrage zu Science-Fiction-Lieblingsbüchern. Genannt wurden über 500 männliche und nur 18 weibliche Autoren. Das Ergebnis ist sicher verzerrt, weil vor allem Fans und Leser antworteten – und in beiden Gruppen gibt es immer noch viel mehr Männer als Frauen. Aber auch wenn wir das Verhältnis beliebter und wichtiger Autorinnen zu Autoren nicht wie in dieser Umfrage mit 1:24, sondern realistischer mit 1:10 beziffern, ist die Science-Fiction noch immer eine Männerdomäne. Die Anzahl explizit feministischer Geschichten war und ist gering und nach wie vor auf einen kleinen Leserkreis beschränkt. Viel wichtiger war nach 1968 aber, dass jetzt eine Reihe von Schriftstellerinnen bekannt und erfolgreich wurde, die durch eine differenzierte Charakterdarstellung und den guten Schreibstil auffielen. Wie in der Wirklichkeit kam es auch in der gesamten Science-Fiction zu einer „Gleichberechtigung“, in immer mehr Funktionen werden Frauen den Männern gleichgestellt. Eine der Ersten war die Kommunikationsoffizierin Uhura in Star Trek. Inzwischen gibt es auch in der Science-Fiction weibliche Staatsoberhäupter oder Militärstrategen wie David Webers Honor Harrington, die zur Admiralin des Sternenreichs Manticore aufsteigt. Gelegentlich stechen Frauen sogar Männer im Nahkampf aus und fluchen wie die Rohrspatzen. 89
II. Utopia oder Dystopia?
Seit den Sechzigerjahren gibt es durch die wachsende Zahl der Autorinnen eine, wenn auch nicht feministische, so doch eher weibliche Sicht der Dinge. Autorinnen schildern Gesellschaften ohne verkrustete Strukturen und traditionelle Geschlechterrollen, in denen Konsens statt Konflikt vorherrscht und das Gemeinwohl wichtiger als privatwirtschaftliche Interessen ist. Ein sonst in der Science-Fiction vernachlässigtes Thema wie Schule und Erziehung findet sich bei ihnen häufiger als bei ihren männlichen Kollegen. Technische Entwicklungen, vor allem der pseudowissenschaftliche Technobabbel, sind für sie weniger interessant als soziale Entwicklungen. Das sind freilich nur Tendenzen, unter den von Schriftstellerinnen verfassten Romanen und Drehbüchern finden sich ebenso knallharte Space Operas wie deutlich feministische Werke.
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III. Kriege und Katastrophen 1. Die postapokalyptische Welt „Alles kann sich nur in einem einzigen Moment verändern, ob man bereit ist oder nicht. Das war nicht die Welt, in der ich leben wollte, aber es war die, in der ich leben musste. Aber dieses Mal bin ich bereit, denn ich kenne den Krieg. Krieg bleibt immer gleich, es gibt nur eine Frage und diese Frage lautet: Würdest Du Dein Leben für deine Mitmenschen aufs Spiel setzen?“ Pathetische Worte für einen, der den Atomkrieg 2077 zwischen China und den Vereinigten Staaten in einem Schutzbunker, dem VAULT 111, überlebt hat, und nach einem zweihundertjährigen Kälteschlaf in einer Welt erwacht, die nicht mehr die seine ist. Von den Menschen auf der Oberfläche sind die meisten ums Leben gekommen. Wenn nicht durch den Atomschlag, starben sie danach durch den radioaktiven Fallout. Die Überlebenden, unter denen es zahlreiche Mutationen gab, haben sich in kleine Stämme, Sekten, Clans oder andere Gemeinschaften zersplittert. In und aus den Trümmern der alten Gesellschaft haben sie wieder Städte und Dörfer errichtet, Wehrgemeinschaften, denn räuberische Banden, die „Raider“, sind nie fern. Das höchste Gut, aber auch die begehrteste Beute sind Stücke der alten Technologie, die zum persönlichen Schutz und zur Weiterentwicklung der Gemeinschaft dienen können. Im Jahr 2277 gibt es neben den „Raidern“ noch andere Gruppen, die auf dem Gebiet der ehemaligen Vereinigten Staaten um mehr Macht und Einfluss auf die verbliebene Gesellschaft kämpfen. Da gibt es die „Enklave“, die behauptet, der einzig legitime Nachfolger der amerikanischen Regierung zu sein. Sie treibt gezielt die technologische Entwicklung voran, versucht, mit wenig zimperlichen Methoden ihr Territorium auszudehnen, und geht besonders brutal 91
III. Kriege und Katastrophen
gegen alle Mutationen vor, die sie als nicht lebenswert betrachtet. Anders die „Republik Neu-Kalifornien“, in der es zumindest juristisch keine Unterschiede zwischen Menschen und Mutanten gibt und die sich verbal zur Demokratie bekennt. Über das ganze Ödland verbreitet ist die „Stählerne Bruderschaft“, entstanden in den Militär-und Forschungsbasen Kaliforniens, die in ihrem Selbstverständnis eine neue Art Ritterorden ist. Das ist die Welt des Computerspiels Fallout, das inzwischen in vier Teilen und einigen Spin-offs sowie einer Online-Version existiert. Der Spieler verkörpert den Mann, der nach dem Tiefschlaf im Bunker erwacht ist und nach mindestens 400 Stunden Spielzeit einmal mehr die Welt rettet. Die Serie hat einen prominenten Vorgänger in einem der allerersten Rollen-Computerspiele, dem 1988 entwickelten Wasteland. Darin führt man eine kleine Gruppe von Personen durch das Ödland, soll für die „Desert Rangers“ mysteriöse Vorfälle in der Wüste klären und trifft auf freundliche und feindliche Fraktionen. Überhaupt ist das postapokalyptische Szenario höchst beliebt bei den Computerspielen. Nicht zuletzt können wir uns mit Mad Max durch die apokalyptische Wüste Australiens kämpfen. „In Mad Max beginnst Du mit nichts. Dein Auto, Deine Familie, und fast Dein Leben, alles wurde Dir genommen, einzig geblieben ist Dir der Wille zu überleben“, heißt es im Trailer zum Computerspiel, das 2015 im Gefolge des vierten Mad Max-Films entstanden ist. Dieses Actionspektakel gilt inzwischen bei vielen Cineasten als Kultserie. Im Mittelpunkt steht der australische Ex-Polizist Max, der nach der Ermordung seiner Familie zum Mad Max mutiert. Im ersten Film kämpft er gegen Rocker- und Diebesbanden, die nach dem allmählichen Zusammenbruch der alten Ökonomie und Gesellschaft inzwischen das ganze Land beherrschen. Drei Jahre später und einen Film weiter ist die Zivilisation ganz zusammengebrochen, Hunger und Seuchen haben sich ausgebreitet und wer überleben will, braucht die Bruchstücke vergangener Technik, vor allem Energie. Für die marodierenden Banden auf den Wüstenstraßen ist ein Kanister Benzin mehr wert als ein Menschenleben. 92
1. Die postapokalyptische Welt
Wieder 15 Jahre später ist fast ganz Australien zur Wüste geworden, Benzin und Wasser gibt es kaum noch, die Überlebenden kämpfen um beides. Fast gegen seinen Willen wird der verzweifelte und traumatisierte Max zum einsamen Rächer und Retter, der in bester Westernmanier mit seinem Schrottauto in den Sonnenuntergang fährt. Die Mad Max-Welt ist eine rötliche Wüste mit Canyons und schroffen Bergen, eine Öde, auf die unerbittlich eine durch den Staub rötliche Sonne scheint. Nur wer genau hinschaut, sieht die Zeichen kargen Lebens: einen Kaktus neben einem verdorrten Baumstumpf, ein paar Grasstoppeln unter den geborstenen Hochleitungsträgern, verfallene Leuchttürme, die zu Festungen geworden sind, und Höhlensysteme, in denen Pilze angebaut werden und ein wenig Wasser zu finden ist. Es sind Bilder, derer sich die Science-Fiction-Macher gerne bedienen. Apokalypsen sind von Pflanzen überwucherte Großstädte mit verfallenden Wolkenkratzern, Slums mit zerbrochenen Fensterscheiben und kaum mehr erkennbaren Autowracks auf den Straßen. Es sind leere Wüsten wie bei Mad Max, vielleicht garniert mit dem auseinandergerissenen Rumpf eines Luxusdampfers oder Autobahnen mit geschwungenen Brücken, die abgebrochen sind und ins Nichts führen. Eine exotische und schreckliche Welt, die faszinieren kann, aber auch schaudern lässt und die besonders grausam ist, wenn die letzten Menschen ums Überleben kämpfen. Inzwischen ist das apokalyptische Szenario auch bei Fernsehserien immer beliebter geworden. In Revolution geht nach dem plötzlichen Ausfall der Elektrizität die ganze Zivilisation zugrunde, in Falling Skies ist es die Invasion von Außerirdischen, die zum Zusammenbruch der alten Gesellschaft führt, in Terra Nova veranlasst die Umweltzerstörung die Flucht ins Zeitalter der Dinosaurier. Auch in The 100 hat auf der Erde ein Atomkrieg gewütet und der Rest der Menschheit ist auf eine Arche genannte Raumstation geflüchtet. Als dort 97 Jahre später Energie und Nahrung knapp werden, schickt man 100 jugendliche Strafgefangene auf den Planeten, die herausfinden sollen, ob ein Überleben möglich ist. 93
III. Kriege und Katastrophen
Es gibt auch postapokalyptische Vorstellungen, die mitten in Deutschland spielen. Bei dem bayerischen Schriftsteller Carl Amery ist die Dreiflüssestadt Passau in einer zerstörten Umwelt zur Perle des Abendlandes geworden, ein einsamer Hort der Zivilisation in einem entvölkerten Europa. Denn nur dort gibt es noch elektrisches Licht. Das erfahren auch die Rosmer, die auf den Feldern vor den Trümmern einer Stadt leben, die ihre Vorfahren Rosenheim genannt haben. Also machen sich Lois und sein Ziehsohn Marte auf, das Wunder Passau zu schauen. Die ummauerte Stadt auf der Insel zwischen Donau, Inn und Ilz hat in der Tat einiges zu bieten. Dort gibt es Handwerker, die Messer und Pflugscharen, aber auch Schwerter und Helme aus Metall herstellen können. Denn der Bürgermeister von Passau, der „Scheff“, hat früh Überlebende mit handwerklichen und technischen Fähigkeiten um sich geschart und wertvolle Rohstoffe, aber auch Teile geborstener Maschinen geborgen. Der Scheff bietet den Rosmern an, sie an diesen Errungenschaften teilhaben zu lassen. Allerdings müssten sie sich dann unter die Schutzherrschaft Passaus stellen. Nach Tagen des Staunens geht den Bauern aus Rosenheim ein Licht auf, die technische Überlegenheit der Passauer ist brüchig. So sind die Turbinen im Fluss, die des Nachts den Strom erzeugen, Überbleibsel der Vergangenheit und sie gehen nach und nach kaputt. Niemand in der Stadt weiß, wie sie zu reparieren oder anzufertigen wären. Die Herrlichkeit der Stadt Passau ist also endlich, während die Rosenheimer einen wirklichen Schatz hüten: das Salz, das man benötigt, um Lebensmittel haltbar zu machen. Hier wie anderswo gehen nämlich die gehorteten Konservendosen zur Neige. So lehnen die Rosmer das Ansinnen des Scheffs ab und fliehen angewidert. Denn die Passauer, die in Saus und Braus von den Früchten ihrer unterworfenen Bauern leben, sind in ihren Augen gottlose Gesellen. Und hat nicht Gott die große Plage geschickt, um wieder eine natürliche Ordnung herzustellen? Dieser Ordnung und den Geboten des Herrn sind die Christen von Rosenheim verpflichtet. Geduldig warten sie ab, rüsten sich, um Jahrzehnte 94
2. Kriegsvisionen und Kalter Krieg
s päter gegen die neue „Hure Babylon“ mit Pfeil und Bogen zu ziehen und sie komplett auszurotten. Mit Der Untergang der Stadt Passau hat Carl Amery, der „eigentlich nie einen Science-Fiction-Roman schreiben wollte“, eine pessimistische Allegorie verfasst. „Historisch für das Wahrscheinlichste halte ich – neben dem immer möglichen atomaren Weltbrand, den die menschlichen Parasiten in ihrer Todesangst auslösen – eine Mischung aus Katastrophen und Ansätzen, aus regionalen Zusammenbrüchen und Rettungsversuchen, aus Blindheiten und mühsam gewonnenen Klarheiten.“ Es ist eine Parabel, vielleicht sogar eine bajuwarische Hommage an Walter M. Millers Lobgesang auf Leibowitz, der die menschliche Geschichte als einen endlosen Kreislauf von Aufbau und Untergang beschreibt. Nach jeder atomaren Katastrophe bewahren Mönche einen Teil des Wissens der alten Zivilisation, das dann zur Errichtung der neuen benutzt wird. Aber auch jede dieser neuen Gesellschaften endet in einer Katastrophe. Es sind düstere, pessimistische Szenarien ohne große Hoffnung. Vor allem in den Romanen ist die Warnung vor einem vom Menschen selbst verschuldeten Weltuntergang zu spüren, manchmal mit allzu deutlichem pädagogischen Zeigefinger. Bei den Filmen und Serien liegt der Fokus mehr auf dem Thema Überleben, auf dem Geschick und der Findigkeit, sich in der postapokalyptischen Landschaft zurechtzufinden. Bei Helden wie Mad Max gerät das zum furiosen Actionspektakel.
2. Kriegsvisionen und Kalter Krieg Utopische Romane, die einen künftigen Krieg skizzieren, gab es schon lange, bevor der Begriff Science-Fiction bekannt war. Diese Erzählungen waren oft sehr präzise und enthielten detaillierte Voraussagen, vor allem aber gezielte Warnungen. Gleich nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erschien Englands Ende bei der Schlacht von Dorking – Erinnerungen eines alten Briten im 95
III. Kriege und Katastrophen
nächsten Jahrhundert von dem britischen General Chesney. Während die Truppen des Empires in der ganzen Welt engagiert sind, versenken die Deutschen mit neuartigen Torpedos die Kanalflotte und zerschlagen dann mit ihrem übergesetzten Heer den letzten britischen Widerstand bei Dorking. Chesney erreichte, was er wollte: Sein Szenario vom Blitzseekrieg löste eine öffentliche Diskussion und schließlich eine Verstärkung der Heimatverteidigung aus. Das Buch war eine der ersten gezielten Beeinflussungen der öffentlichen Meinung durch einen „utopischen Roman“. Überhaupt beschreiben alle Autoren mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination mögliche Waffen eines kommenden Weltkrieges. Die Fußsoldaten kämpfen mit Feuerlanzen und superschnellen Gewehren, Land- und Seegeschütze werden immer weitreichender und präziser, das U-Boot wird zur Wunderwaffe. Fast in allen Ländern haben nun reißerische, ziemlich schlecht und oft als Fortsetzungsromane geschriebene Geschichten Konjunktur, bei denen die eigene Seite stets siegreich bleibt. Wertneutraler und aus dem Stand der jeweiligen Wissenschaft extrapolierend waren da schon die etablierten Autoren mit H. G. Wells an der Spitze. 1903 beschrieb er die Wirkung von gepanzerten Wagen im Landkrieg, ließ 1908 deutsche Zeppeline New York angreifen und 1914 in seinem Buch Befreite Welt „Atombomben“ einsetzen, die seither diesen Namen tragen. Immerhin endet sein Buch versöhnlich: Die Menschheit sieht die Sinnlosigkeit eines Atomkriegs ein, es kommt zum Friedensschluss und zu einer Weltregierung. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es vor allem warnende Visionen von noch verheerenderen Gasangriffen und nicht enden wollenden Stellungskriegen. Populärer als diese eher pazifistischen Werke sind die Trivialromane, in denen die jeweiligen Nationen Wunderwaffen entwickeln und Triumphe feiern können. Gerade in Deutschland haben Geschichten Erfolg, die das Ergebnis des Weltkriegs mit militärischen Mitteln korrigieren. Bemerkenswert nicht wegen der literarischen Güte, sondern wegen des verblüffenden Szenarios ist Werner Grasseggers Der zweite Weltkrieg. Deutschland die Waffenschmiede. Vom deutschen Aufstieg zu neuer 96
2. Kriegsvisionen und Kalter Krieg
Macht und Größe. Eine militärisch-politische Prophezeiung aus dem Jahr 1922. In diesem „Zweiten Weltkrieg“ – es ist eine der ersten Verwendungen dieses Begriffs – kommt es Mitte der Dreißigerjahre nach der Vereinigung von Deutschland und Österreich zu Spannungen und schließlich zum Krieg. Zunächst besiegt Deutschland (mit Wunderwaffen) in einem knappen Monat Polen, darauf folgt der Angriff auf Frankreich, der mit der Besetzung von Paris endet. Beim folgenden Friedensschluss kommt es zu einem Bündnis zwischen Deutschland und Russland, bei dem sich beide Staaten auf eine Teilung Polens einigen. Ohne literarischen Wert, aber wegen ihres politischen Einflusses ebenfalls bemerkenswert ist die zwölfteilige Romanserie Lightning in the Night von Fred Allhof, die von August 1940 an im amerikanischen Magazin Liberty veröffentlicht wurde. Anknüpfend an Hitlers Bemerkung, er werde jeden Gegner anspringen wie ein Blitz aus der Nacht, schildert der Autor eine Invasion der USA durch die Wehrmacht. Die Serie wurde in anderen Zeitungen nachgedruckt und erreichte so Millionen Leser. Wegen des Erfolgs erklärte der Großdeutsche Rundfunk, die Geschichte entbehre jeder Realität. Manche amerikanische Historiker sind davon überzeugt, die Schreckensvision habe den Meinungsumschwung in den USA von einer strikten Isolationspolitik zu einer direkten Unterstützung Großbritanniens zumindest stark vorangetrieben. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann in der Welt wie in der Science-Fiction ein neuer Abschnitt. Es war eine zwie spältige Welt. Da gab es den wirtschaftlichen und technischen Aufschwung des Westens, der vor allem durch das bundesdeutsche Wirtschaftswunder Optimismus und Lebensfreude nährte. Demgegenüber standen bedrückende Ängste. Der Krieg hatte mit den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki geendet. Aus dem misstrauischen Bündnis der Alliierten entwickelte sich der Gegensatz zwischen Ost und West, der als Kalter Krieg die Weltpolitik der Fünfziger- und Sechzigerjahre prägen sollte und in Korea bald in einen heißen Krieg mündete. Mit der Entwicklung der Wasser97
III. Kriege und Katastrophen
stoffbombe wuchs die Angst vor der totalen Apokalypse, die mit den Krisen von Suez und Ungarn, der Mauer in Berlin, der Kuba krise und der Besetzung der CSSR näher zu kommen drohte. Die Angst vor dem Kommunismus führte zu Misstrauen gegenüber Andersdenkenden in der westlichen Welt. All dies spiegelte sich auch in der Science-Fiction wider. Nicht nur in Büchern und Heftchen leuchten all diese Ängste auf. Der 1950 gedrehte Film Destination Moon, in dem der Kalte Krieg den Hintergrund bildet, wurde zum Kassenschlager. Die Filmemacher schufen mit heute teilweise lachhaft anmutenden Tricks Monster wie Godzilla, vermeintliche Agenten suchten den freien Westen zu unterjochen wie in Der Tag, an dem die Erde stillstand. Darin entpuppt sich der Besucher aus dem Weltall allerdings als Alien, der die Menschen vor einem Krieg mit Atombomben warnen will. Warnungen vor der Nutzung der Atomenergie im zivilen wie im militärischen Sektor gab es schon früh. 1940 wies Robert A. Heinlein in Katastrophen kommen vor auf die Gefahren in Kernkraftwerken hin und Lester del Rey beschrieb 1957 in Nerven sache sogar, wie es zu einer verheerenden Explosion in einem Kernkraftwerk kommt. 1981 wurde eine Neuauflage mit dem Untertitel Ein prophetischer Roman über Harrisburg beworben. 1944 geriet Cleve Cartmill ins Visier des FBI: In seiner Kurzgeschichte Deadline wurde der Aufbau einer Atombombe so konkret geschildert, dass er verdächtigt wurde, das „Manhattan-Projekt“ ausspioniert zu haben. Nach dem Abwurf der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki, vor allem aber nach dem Zerwürfnis der Alliierten gegen Hitler entstanden viele Romane, oft auch als Sachbuch getarnt, die beschrieben, wie es zu einem Atomkrieg kommen könnte. Beispielhaft dafür ist Peter Bryants Red Alert von 1958. In Deutschland wurde er unter dem bezeichnenden Titel Bei Rot: Alarm! Der Roman des Drucktastenkrieges veröffentlicht. Das Szenario beeindruckte nicht nur das Publikum, sondern auch den Filmemacher Stanley Kubrick. Gemeinsam mit Bryant schrieb er das Drehbuch 98
2. Kriegsvisionen und Kalter Krieg
zu einer grimmigen Groteske, den 1964 gedrehten Streifen Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben. Darin wittert der amerikanische General Jack D. Ripper eine kommunistische Verschwörung. So glaubt er, die Sowjets wollten das amerikanische Trinkwasser vergiften, weswegen er fast nur noch Whisky trinkt. Als Vergeltung schickt er fünf B-52-Bomber Richtung Russland. Seinen Untergebenen befiehlt er, den Luftwaffenstützpunkt hermetisch abzuriegeln und sich auf einen Angriff sowjetischer Spezialtruppen, die als amerikanische Soldaten verkleidet seien, einzustellen. Im „War Room“ des Pentagons herrscht schieres Entsetzen, als der kommandierende General dem Präsidenten erklärt, man könne die Flugzeuge nicht mehr zurückrufen. Also sei es besser, alle weiteren verfügbaren Atombomben sofort loszulassen, um den mit Sicherheit zu erwartenden Gegenschlag zu minimieren. Der Präsident – er will nicht „als der größte Massenmörder seit Hitler in die Geschichte eingehen“ – ist entsetzt und versucht, die Sowjetunion zu informieren und einzubeziehen. Der sowjetische Botschafter kommt daraufhin in die Kommandozentrale und erklärt, dass sein Land eine Weltvernichtungsmaschine entwickelt habe, die bei jedem Atomangriff automatisch ausgelöst und die ganze Erde mit radioaktiver Strahlung verseuchen werde. In einem dramatischen Wettlauf gelingt es amerikanischen Soldaten, den Stützpunkt zu erobern und den sogenannten Rückrufcode bei General Ripper zu finden. Mit diesem erreichen die Militärs im Pentagon die Bomber und geben den Befehl umzukehren. Doch kann eines der Flugzeuge diese Order nicht mehr empfangen, denn die sowjetische Luftabwehr hat bei einem Beschuss das Funkgerät beschädigt. Während im Pentagon der Prototyp aller „mad scientists“ Dr. Seltsam den Präsidenten zu überreden sucht, einen kleinen Teil der amerikanischen Bevölkerung in Bergwerken zu retten, erreicht der letzte Bomber das Ziel, die sowjetische Hauptstadt. In der berühmten Schlusssequenz reitet der Pilot Major Kong – untermalt vom Lied We’ll Meet Again – den Hut schwenkend auf der Atombombe Richtung Moskau. 99
III. Kriege und Katastrophen
3. The Day After: Der Atomkrieg und seine Folgen Die Katastrophe, über die man viel geredet, die man befürchtet und von der man insgeheim gehofft hatte, dass sie nie eintreten würde, ist da. Über der Stadt Kansas City steht ein Atompilz. Zuvor hatte ein greller Blitz Menschen erblinden lassen und ein Sturmwind Häuserdächer abgedeckt. Die Ursache lässt sich aus den zum Teil widersprüchlichen Meldungen in Radio und Fern sehen nicht genau eruieren. Das NATO-Hauptquartier soll zerstört worden sein, daraufhin habe der amerikanische Präsident die Atomraketen in den Silos scharfmachen lassen, nach anderen Quellen sogar Richtung Sowjetunion abgeschossen. Auf jeden Fall habe das russische Militär mit 300 Interkontinentalraketen angegriffen. Wer den Erstschlag geführt hat, ist nicht klar und den Menschen, die im Umland von Kansas City überlebt haben, auch ziemlich egal. Die sich in einen Bunker gerettet haben, finden völlig zerstörte Vorstädte und verwirrte, oft blinde Leute vor, die auf den Straßen herumirren. Wie durch ein Wunder blieb ein einziges Krankenhaus unzerstört, einige noch weitgehend gesunde Ärzte versuchen, mit unzulänglichen Mitteln den Verwundeten zu helfen. Aber es ist auch klar, dass die meisten in den nächsten Wochen oder Monaten an der Strahlenkrankheit elendig zugrunde gehen werden. Wie geht es weiter nach diesem „Day After“? Zivilisation und Wirtschaft sind zusammengebrochen, es gibt nicht genügend Lebensmittel oder Medikamente. Es herrscht Gesetzlosigkeit, der die Regierung – der Präsident und seine Mannschaft haben im Schutzbunker überlebt – vergeblich Herr zu werden sucht. Während im fernen Washington sinnlose nationale Aufbauprogramme ausgearbeitet werden, übernehmen örtliche Militärs als eine Art „Warlords“ die Kontrolle. Willkürliche Erschießungen sind an der Tagesordnung und Überlebende, die Richtung Kansas City gezogen sind, werden mit Gewalt zurückgewiesen, denn die Flüchtlingslager sind überfüllt. 100
3. The Day After: Der Atomkrieg und seine Folgen
Der 1983 erschienene Film The Day After war der erste Hollywood-Film, der die unmittelbaren Folgen eines Atomkriegs in den Mittelpunkt stellte und sie nicht nur als Hintergrundszenario verwendete. Er wurde zunächst im Fernsehen gezeigt, wo ihn mehr als 100 Millionen Amerikaner sahen. In Deutschland sahen ihn fast 4 Millionen im Kino. Auf die Fernsehzuschauer zugeschnitten, verzichtete man auf allzu grausame Szenen und ein größeres Actionspektakel. Vielleicht aber war es gerade die nüchterne, realistische und kompromisslose Darstellung, die den Menschen unter die Haut ging. In seinen Memoiren schreibt Ronald Reagan, er habe den Film im Oktober 1983 als Präsident in Camp David gesehen. Das Geschehen habe ihn sehr deprimiert und seine Sichtweise verändert. Wozu vielleicht auch ein Ereignis in der realen Welt geführt hatte: Ende September hatte in der sowjetischen Flugüberwachungszentrale ein Computer den Angriff einer amerikanischen Interkontinentalrakete gemeldet. Eigentlich sah hier die Strategie der Sowjetunion einen sofortigen Gegenschlag vor, aber der zuständige Offizier war davon überzeugt, dass es sich um einen Fehlalarm handelte. So war es auch. Dass Filme wie The Day After eine solche Wirkung entfalten konnten, hatte zwei Gründe. Einerseits hatte die Wissenschaft viel genauere Kenntnis über die unmittelbaren Folgen und die längerfristigen Konsequenzen eines Atomkrieges wie Strahlungskrankheiten oder den „nuklearen Winter“. Andererseits ließ das Ende der Entspannungspolitik, wie sie sich im NATO-Nachrüstungsbeschluss und der sowjetischen Invasion Afghanistans zeigte, die Angst vor einer nuklearen Auseinandersetzung wieder wachsen. Den Übergang von der noch etwas vagen Beschreibung des Untergangs der Zivilisation zur detaillierten Schilderung des Lebens nach einem Atomkrieg bildete Christian de Chalonges 1981 vorgeführter und mehrfach prämierte Endzeitfilm Malevil nach dem gleichnamigen Roman von Robert Merle, der bereits 1974 erschienen war. Er erzählt von einem französischen Bauern, der in den festen Mauern seiner Burg Malevil einen Atomkrieg überlebt. 101
III. Kriege und Katastrophen
Unter den wenigen noch verbliebenen Menschen kommt es in der zerstörten Natur zu Verteilungskämpfen, Plünderungen und Gewalt. Letztlich setzen sich Überlebenswille und Vernunft gegen Gewalt und Zerstörungswut durch. Um diese positive Perspektive geht es Autor und Regisseur ebenso wie um die Warnung vor einem Atomkrieg. Einen noch größeren Eindruck als diese Filme hinterließ zumindest in Deutschland Gudrun Pausewangs Jugendbuch Die letzten Kinder von Schewenborn. Im Klappentext heißt es: „Über Deutschland explodiert eine Atombombe. Von nun an beherrschen Krankheit, Todesangst und Kriminalität den Alltag. Eine Zukunft gibt es nicht mehr.“ Aus der Perspektive des 13-jährigen Roland wird das Geschehen geschildert. Er ist unterwegs mit seinen Eltern, sieht einen grellen Blitz, der durch eine Atombombe ausgelöst wurde, wie der Vater zu Recht vermutet. Die Familie sitzt nun im kleinen, fiktiven hessischen Städtchen Schewenborn fest und erlebt, wie die Zivilisation untergeht. Wasserversorgung und Elektrizität funktionieren nicht mehr, Rolands Schwester fallen die Haare aus und seine Mutter stirbt bei der Geburt eines Babys, dessen toter Körper schwere Missbildungen aufweist. Es ist eine hoffnungslose Situation, die zum Teil schonungslos und ohne die Zurückhaltung, die sich die Macher von The Day After noch auferlegt haben, geschildert wird. Pausewang will warnen: „Viele unter uns verdrängen diese Gefahr und weigern sich, darüber nachzudenken. Sie halten eine Vernichtung der Menschheit für unvorstellbar. Sie vorstellbar zu machen, habe ich in dieser Erzählung versucht.“ Die Wirkung des Buchs war auch deshalb so groß, weil es viele Lehrer zur Unterrichtslektüre machten. Von größerer Subtilität und tiefer Melancholie ist ein russischer Film geprägt, der 1987 mit großem Erfolg in beiden deutschen Staaten aufgeführt wurde. Der russische Regisseur Konstantin Lopuschanski zeigt in Briefe eines Toten das Leben nach dem Atomkrieg. Der nukleare Schlagabtausch wurde durch einen Computer102
3. The Day After: Der Atomkrieg und seine Folgen
fehler ausgelöst. Anders als in der Realität gelingt es dem diensthabenden Offizier nicht, den Automatismus der Vernichtung zu stoppen. So können in einer nicht genannten Stadt die Menschen nur noch in Bunkern leben und die Oberfläche nur noch mit Schutzanzügen und Gasmasken betreten. Hauptperson ist ein Professor und Nobelpreisträger, der sich schuldig fühlt, weil er an einigen Geheimprojekten beteiligt war. Er verfasst Briefe für seinen vermissten Sohn, die nie abgeschickt werden. Immer mehr Bunkerbewohner und zuletzt seine Frau sterben an der Strahlenkrankheit. Schließlich kümmert er sich um traumatisierte Kinder, die vor Gram stumm geworden sind. Kurz vor seinem Tod rät der Professor den Kindern, aufzubrechen, um irgendwo einen neuen, sicheren Platz zu finden: „Denn solange der Mensch sich im Aufbruch befindet, gab es bisher immer eine Hoffnung.“ Der Film erzählt nicht mehr, wohin die Reise führt. So sind die frühen Achtzigerjahre voller Bücher und Filme über die konkreten Auswirkungen eines Atomkriegs. Es war die Zeit, wo in Deutschland Friedensdemonstrationen und Ostermärsche viel Zulauf erhielten und die Angst groß war, dass die Stationierung von Mittelstreckenraketen die beiden deutschen Staaten zum ersten Schlachtfeld eines nuklearen Krieges werden lassen könnte. Als die Mauer fiel und der Ostblock sich auflöste, war der Atomkrieg plötzlich kein Thema mehr, weder im gesellschaft lichen Diskurs noch für Science-Fiction-Autoren. Sie konzentrierten sich wieder mehr auf Raumfahrtsträume, den Kampf um Ressourcen, wirtschaftliche Turbulenzen, die Globalisierung und den schwindelerregenden Aufstieg von Computern, Internet und Mobiltelefonen. Dann kam der 11. September 2001 und die lange verdrängte Gefahr des Terrorismus war wieder da. In Filmen und Politthrillern erhielt sie oft eine nukleare Komponente. In solchen „Near Future“Geschichten ist das Aufspüren von Rucksack-Atomwaffen und „schmutzigen“, radioaktive Strahlung abgebenden Bomben in den Händen von Terroristen ein beliebtes Thema. Spätestens mit der Besetzung der Krim sind die Konflikte zwischen Russland und 103
III. Kriege und Katastrophen
dem Westen wieder heftiger geworden, der russische Premierminister Medwedew sprach 2016 sogar von einem neuen „Kalten Krieg“. So wird es nicht lange dauern, bis auch die Angst vor dem Atomkrieg wieder wächst und das Thema erneut in die ScienceFiction zurückkehrt.
4. Nahe und ferne Katastrophen Der Atomkrieg ist eine der größten denkbaren Katastrophen, deshalb nimmt dieses Thema seit den Vierzigerjahren einen großen Raum in der Science-Fiction ein. Wohl auch deshalb, weil wir seine fürchterlichen Folgen sehr genau kennen: Wenn es zu einem nuklearen Schlagabtausch kommt, dann sieht die Welt im besten Fall so aus wie Hiroshima. Konkret und bis in die Details durchspielen kann man auch durch Terroristen verursachte Katastrophen, sei es durch nukleare Angriffe oder die Verwendung von biologischen oder chemischen Waffen. Diese Bücher und Filme fallen eher in die Kategorie Politikthriller als in die Sparte Science-Fiction, selbst wenn darin einige utopische Accessoires vorkommen. Mehr in die Richtung Science-Fiction gehen die Werke, die sich mit allen möglichen Gefahren aus dem All beschäftigen, zum Beispiel auf die Erde zurasende Himmelskörper. Nur selten geht die Gefahr von unserem Erdtrabanten aus, das letzte Mal in dem Buch Der Mond fällt auf Europa. Wissenschaftlich ist dieses Szenario völlig abwegig, doch Robert C. Sherriff geht es in seinem 1939 erschienenen Roman um Gesellschaftskritik. Er prangert Wissenschaftler und Politiker an, die die Katastrophe ebenso ignorieren wie der Großteil der Menschheit. Genau 100 Jahre früher hatte Edgar Allan Poe in seiner Kurzgeschichte The Conversation of Eiros and Charmion beschrieben, wie sich ein Komet der Erde nähert, die Wissenschaftler fälschlicherweise nur geringe Auswirkungen erwarten und am Ende die Welt untergeht. Die Geschichte erregte auch deshalb große Aufmerk104
4. Nahe und ferne Katastrophen
samkeit, weil 1835 der Halleysche Komet und 1838 Enckes Komet am Sternenhimmel zu sehen waren. Die immer heller werdenden Schweifsterne haben die Menschen schon immer geängstigt und eignen sich deshalb ausgezeichnet für Katastrophenszenarien in der Science-Fiction, wobei die Autoren die Motive eines Poe oder Sherriff gerne aufnehmen. So können Kometen, wenn sie von den Wissenschaftlern nicht als Gefahr erkannt werden, Luzifers Hammer sein, wie der Titel des monumentalen Romans von Larry Niven und Jerry Pournelle heißt. Darin löscht der Einschlag die gesamte menschliche Zivilisation aus. Die wenigen Überlebenden fallen in der technologischen Entwicklung um Tausende Jahre zurück. Da machen es Bruce Willis, Ben Affleck und Liv Tyler schon besser. In dem Film Armageddon – Das jüngste Gericht rast ein gut 1.000 km durchmessender Asteroid auf die Erde zu. Mit einem Raumschiff begibt sich das Bohrteam zu dem Himmelskörper und bohrt dort ein 250 m tiefes Loch, in dem es eine Atombombe zündet. Auch im Film Deep Impact landen Raumfahrer auf einem Kometen, der verheerende Schäden auf der Erde anzurichten droht. In einem ersten Versuch können sie ihn aber nur in kleinere Teile spalten, auf der Erde bricht Panik aus. Auch hier gibt es, diesmal in den USA, einen „Arche“ genannten Schutzbunker, in dem etwa 1 Million durch Losverfahren ausgewählte Menschen Platz finden können. Anarchie, Mord und Totschlag sind die Folge. In einem letzten Versuch schießen die großen Nationen ihre Raketen auf die heranrasenden Trümmer, mit einigem Erfolg. Ein 2,5 km großes Stück des Himmelskörpers bleibt übrig und stürzt in den Atlantik, was einen gewaltigen Tsunami auslöst und zahlreiche Küstenstädte wie New York völlig zerstört. Dennoch ist für den Rest der Menschheit ein Überleben möglich. Eine weitere Gefahr aus dem All ist kosmische Strahlung aller Art. Arthur Conan Doyle schildert in Im Giftstrom, wie aus dem Kosmos Gift in die Atmosphäre dringt. In anderen Romanen ist es die durch eine ungewöhnliche Sonnenaktivität entstandene Strahlung, die Menschen tötet oder verändert. Weil die Sonne erst das 105
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Leben auf der Erde ermöglicht, kann jede Störung auch zur töd lichen Gefahr werden. Manche Autoren beschreiben, wie eine Verdunklung unseres Muttersterns die menschliche Zivilisation im Kältetod sterben lässt. Und wenn wie bei Richard Matheson die Sonne zur Nova wird, ist es für die Menschheit The Last Day. „Irdischere“ Katastrophen, die zu apokalyptischen Szenarien führen, sind Erdbeben. In John Christophers Buch Insel ohne Meer verwüsten sie England und legen das Meer trocken. Ein Erlebnis der besonderen Art bot 1974 der Film Erdbeben. Dabei war der Plot ziemlich altbacken: Mehrere kleine Erdbeben schrecken Los Angeles auf. Niemand gibt etwas auf die Stimmen warnender Wissenschaftler, dass dadurch die Hollywood-Talsperre gefährdet sei. Diese bricht bei einem Nachbeben schließlich zusammen, die halbe Stadt wird überflutet. Neu war der erstmalige Einsatz des Sensorround-Systems, das durch mehrere Verstärker und spezielle Subwoofer einen Schalldruck erzeugte. Als deshalb Stühle und Wände im Kino vibrierten, verließen einige Zuschauer den Saal, weil sie an ein echtes Erdbeben glaubten. Erdbeben sind im Film immer noch beliebt, weil man mit immer besserer Tricktechnik so schrecklich schöne Bilder erzeugen kann. Da können die dazugehörenden Geschichten so klischeehaft sein wie im letzten Erzeugnis dieser Art, dem 2015 erschienenen Streifen San Andreas. Wieder einmal wird den Seismologen nicht geglaubt, wieder einmal bricht nach einem Erdbeben der Hoover-Staudamm, sodass in dramatischen Actionszenen die Helden ihre Familien retten und dann einigermaßen zuversichtlich an den Wiederaufbau gehen. Während die Klimaerwärmung den Hintergrund zahlreicher Filme und Romane bildet, ist der Ausbruch einer Eiszeit ein selteneres Katastrophenszenario. In einigen Geschichten wird sie durch einen verheerenden Vulkanausbruch erzeugt, in anderen wird als Folge eines Atomkriegs der sogenannte „nukleare Winter“ geschildert. Eine Vermischung der auf der Erde möglichen verheerenden Unglücksfälle und Katastrophenklischees machte Roland Emmerich in seinem Film 2012, dem Jahr, in dem nach 106
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einer Interpretation des Mayakalenders die Welt untergehen sollte. Das Szenario geht davon aus, dass sich durch eine ungewöhnliche Sonneneruption der Erdkern aufheizt, die tektonischen Platten der Erdkruste auseinanderbrechen und dadurch Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis verursacht werden – Voraussetzungen für einen Weltuntergang, der in allen Farben geschildert wird. Immerhin kann sich ein kleiner Teil der Menschheit in Archen retten, riesige Schiffe, die im Himalaja gebaut werden. Das Drehbuch dieses Films negierte nicht nur alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern strotzte auch sonst von Unwahrscheinlichkeiten. Aber der Film hatte einen riesigen kommerziellen Erfolg. Bereits im Jahr 2004 hatte Roland Emmerich einen ähnlich gewinnbringenden Katastrophenfilm gedreht. In The Day After Tomorrow wird das Unheil durch eine durch das Abschmelzen der Polkappen verursachte Abkühlung des Golfstroms ausgelöst. Noch unwahrscheinlicher als diese von den meisten Klimaforschern als abstruse Idee bezeichnete Möglichkeit sind die im Film geschilderten Superstürme, die innerhalb von Sekunden Mensch und Natur im Freien schockgefrieren. Umso beeindruckender sind die Bilder, die die Stadt New York unter einer Eisschicht liegend zeigen, aus der nur noch Wolkenkratzer und die Fackel der Freiheitsstatue herausragen. Die Helden begegnen auf ihrer Rettungsmission durch das eisige New York erstarrten Menschengruppen. Erdbeben werden – wenn nicht gerade ein Gegenspieler James Bonds dahintersteckt – nicht von Menschen verursacht. Freilich kennt die Science-Fiction eine Legion von Menschen verursachten Katastrophen. Es müssen nicht immer Kriege sein. Auch Seuchen und Krankheiten können unzählige Opfer fordern. In John Wyndhams berühmtem Roman The Day of the Triffids verursacht Radioaktivität bei den Menschen Blindheit und in der Natur das Wachstum unheimlicher semiintelligenter Pflanzen. In Michael Greens Stunde Null löscht ein mysteriöser Virus fast die gesamte Menschheit aus. Fast ebenso schlimm ist es, wenn Bakterien und Viren – oft Ergebnis gentechnologischer Experimente oder For107
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schungen zur biologischen Kriegsführung – Pflanzen aller Art, vor allem die Nutzpflanzen, vernichten. Originell, aber nicht weniger gefährlich sind die Bakterien in Kit Pedlers und Gerry Davis Buch Die Plastikfresser: Sie zersetzen alles Plastik und zerstören damit die Zivilisation, die wir kennen. Schließlich gibt es die Sternen variante: Raumfahrer bringen einen tödlichen Virus mit, etwa in Harry Harrisons Die Pest kam von den Sternen. Aber auch da: Die meisten Katastrophenromane und Filme sind nichts anderes als der Hintergrund, auf dem sich persönliche Katastrophen oder Weiterentwicklungen der Protagonisten zeigen. So besteht etwa bei der Fernsehserie Revolution das einzige utopische Element darin, dass alle elektrischen Geräte nicht mehr funktionieren. Es ist fraglich, wie weit man das noch Science-Fiction nennen kann. Denn es sind ja nur wenige, pseudotechnisch legitimierte Versatzstücke, die einen in einer postapokalyptischen Welt angesiedelten Überlebens- und Actionthriller verzieren. In der ebenfalls als Science-Fiction deklarierten Serie Under the Dome ist es eine gigantische Kuppel, die unversehens auftaucht und eine ganze Kleinstadt von der Außenwelt hermetisch abschneidet. Aber auch das ist nur der Hintergrund für eine Geschichte, die eigentlich von menschlichen Beziehungen in einer Extremsituation handelt. Im Grunde wird durch den Plot eine Experiment-Situation geschaffen, nicht unähnlich dem beliebten Szenario, in dem Schiffbrüchige sich auf einer einsamen Insel zurechtfinden müssen. Für das heutige Publikum braucht es – so glauben zumindest einige Autoren oder Produzenten – ein fantastisches, unerklärliches und utopisches Element, das mit ein wenig Technobabbel eingeführt wird, um einen Erfolg zu generieren. Wohin diese Entwicklung führt, zeigt der 2015 erschienene Film End of the World, deutscher Titel Die neue Prophezeiung der Maya. In naher Zukunft sind Erdbeben und Meteoriteneinschläge an der Tagesordnung, die Katastrophen mehren sich, die Wissenschaftler sind ratlos, die Politiker sowieso. Während draußen die Stürme toben, sitzen einige Science-Fiction-Freaks in ihrer Videothek und sehen sich Katastrophenfilme an. Plötzlich glauben sie, 108
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einen Weg gefunden zu haben, die Menschheit zu retten. Aber sie brauchen dazu die Hilfe eines bekannten Science-Fiction-Autors. Der aber sitzt, weil er als verrückter Endzeitprophet gilt, in einer geschlossenen Anstalt … Fortsetzung folgt!
SF-Spezial
Science-Fiction altert schnell … 21. Oktober 2015. Vergangenheit. Aber eben auch Vergangenheit der Zukunft. Denn an diesem Tag landet Marty McFly mit seinem zeitreisenden Auto von 1985 kommend in der relativen Zukunft. Was ist wahr geworden aus dem Film Zurück in die Zukunft? Heute gibt es Bildtelefone und Uhren mit Wettervorhersage, intelligente Brillen wie Google Glass, Roboter servieren in Restaurants, selten und zum Glück nur als Gag. Inzwischen ist es auch möglich, per Fingerabdruck zu bezahlen und damit den Safe oder die Haustür zu öffnen. Die fliegenden Autos und die Miniaturfusionsreaktoren wie im Film wird es so bald nicht geben. Aber das war ebenso wenig vorauszusagen wie die Entwicklung der mobilen Kommunikation. So gibt es in der Zukunft von Zurück in die Zukunft keine Smartphones. Dass die technischen Visionen schnell von der Realität eingeholt und sogar überholt werden können, gehört zum Wesen der Science-Fiction. George Orwells 1984 ist nicht nur vor über 50 Jahren verfasst worden, viele der vom Autor beschriebenen Methoden und Mechanismen sind schon Wirklichkeit geworden, zumindest als Möglichkeit. Von der Zeit überholt wurde auch die 1961 gestartete Endlosserie Perry Rhodan. Die Autoren lassen sie mit der fiktiven Mondlandung des Helden im Jahr 1971 beginnen (in der Wirklichkeit fand sie schon 1969 statt), das aber real erst kurz nach dem Jubiläumsband 500 erreicht ist. Zum 50-jährigen Jubiläum der Serie erfolgt dann eine Reaktion, indem man parallel zur alten Serie Perry Rhodan NEO startet, in dem die nun 109
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nicht mehr erste Mondlandung im Jahr 2036 stattfindet und die Technik vom Stand der Gegenwart extrapoliert wird. Das ist auch nötig, bedienten Rhodan und Co. noch in den Siebzigerjahren Riesencomputer mit Lochstreifen und die Venus wurde als Dschungelwelt geschildert. Daneben gab und gibt es in beiden Serien noch zum Teil sehr utopische Technologien wie den überlichtschnellen Flug durch den Weltraum, Transmitter als Transportsystem und Bomben, die ganze Planeten zerstören können. Andererseits sind Waffen und Waffensysteme das, was in der Science-Fiction am schnellsten veraltet. Jules Verne kennt Luftschiffe und Unterseebote, bei H. G. Wells werden Panzer und sogar ein Atomkrieg beschrieben. Komplizierter wird ein Realitätscheck bei den Visionen von Computern, Robotern und künstlicher Intelligenz. Kein Zweifel, die Entwicklung von Computern, was Schnelligkeit, Miniaturisierung, Rechnerkapazität und ihre Verbreitung in fast jedem Haushalt betrifft, hat niemand, auch kein Science-Fiction-Autor, vorausgesehen. Auch die Mechanisierung von Arbeiten in der Produktion oder in der Medizintechnik hat in der Gegenwart manch eine als kühne Vision empfundene Prophezeiung übertroffen. Etwas anders ist es bei den Robotern. Sie sind für eng begrenzte „niedere Dienste“ einsetzbar wie Rasenmähen oder die Zimmerreinigung. Ein Androide als Butler würde aber heute und in naher Zukunft schon bei einer einfachen Aufgabe wie dem Abräumen eines Tisches nach einer Mahlzeit scheitern. Er könnte nicht bewerten, was er abtragen und in die Küche bringen kann, was Müll ist oder vielleicht eine vergessene Brille, ein Schmuckstück oder Dekoration. Man müsste ihm aufwendige Variationen einprogrammieren und ständig ergänzen, während eine menschliche Haushaltshilfe die Dinge mit einem Blick einordnen und sortieren kann. Wenn man im Jahr 2016 Zeitungsmeldungen liest, wonach Roboter erfolgreich in Pflegeheimen eingesetzt werden können, dann handelt es sich um einfach programmierbare repetitive Aufgaben. Einen Menschen waschen, ihn anziehen oder gar ver-
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bindenkönnen sie nicht, ganz zu schweigen von der menschlichen Ansprache, die ein Pflegebedürftiger braucht. Zurück zum Film Zurück in die Zukunft! Der 21. Oktober 2015 hat zumindest einige Marketingabteilungen inspiriert. So präsentierte die Firma Pepsi eine „Pepsi Perfect“, wie sie im Film vorkommt. Der Sportschuhfabrikant Nike hat angekündigt, dass er einen sich selbst bindenden Schuh vorstellen will. Und selbst das Hoverboard, mit dem Marty McFly durch die Straßen des zukünftigen Los Angeles kurvt, gibt es schon. Der Haken daran: Es kann sich nur 2 cm in die Luft erheben und benötigt, weil es mit Magnetismus arbeitet, einen Metallboden …
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IV. Schöner neuer Mensch 1. Verbesserte und maßgeschneiderte Menschen Sein Name ist Duane Fitzgerald und er lebt zurückgezogen in einer irischen Kleinstadt. Er ist verbittert und manchmal depressiv. Er war ausgezogen, ein Held zu werden, und das amerikanische Militär hatte es ihm versprochen, wenn er bei einem geheimen Experiment mitmache. Er erhielt zahlreiche technische Verbesserungen, die ihn zu einer perfekten Kampfmaschine machen sollten. Doch der Körper wehrte sich gegen die Implantate, die Schmerzen und Fehlreaktionen waren größer als die Erfolge. So scheiterte das „Steel Man“-Projekt und er wurde in Rente geschickt. Doch bald muss er erkennen, dass man auf ihn Jagd macht. Er soll wie alle anderen, die an dem Experiment teilnahmen, getötet werden, um dessen Spuren zu verwischen. Duane Fitzgerald ist Der Letzte seiner Art und ein Cyborg. Sie heißt Henrietta, trägt halblanges, gescheiteltes braunes Haar und ist etwa zehn Jahre alt. Sie gehört der „Staatlichen Gesellschaft für soziale Wohlfahrt“ an und bekämpft im Auftrag der italienischen Regierung Terroristen. Sie überlebte als Einzige einen Anschlag auf ihre Familie. Nach der schweren Verletzung erhielt sie zahlreiche Implantate und ihr Körper wurde durch chirurgische Eingriffe „optimiert“. Deshalb ist sie enorm kräftig, verspürt kaum Schmerzen und ist nach Verletzungen wieder schnell „reparierbar“. Durch Medikamente wurde sie so konditioniert, dass sie sich kaum noch an die eigene Geschichte erinnert und wenig dabei findet, ihre Killeraufträge zu erfüllen. Im Schulterhalfter trägt sie eine SIG P 239 und in ihrem Geigenkasten eine FN P90, eine schwere Maschinenpistole. Henrietta ist ein Gunslinger Girl und ein Cyborg. Er heißt Steve Austin und war Testpilot. Nach einem Flugzeugabsturz schwer verletzt, müssen ihm bei einer Operation – sie kos112
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tet 6 Millionen Dollar – beide Beine, je ein Arm und ein Auge durch Kunstprodukte ersetzt werden. Doch diese „bionischen“ Körperteile verleihen ihm übermenschliche Fähigkeiten. Er kann 100 km/h schnell laufen, mit seinem künstlichen Arm mehrere Zentner stemmen und mit seinem Auge im Infrarotbereich sehen. Seitdem jagt er für das „Office of Scientific Intelligence“ Spione, verrückte Wissenschaftler und sogar Aliens. Der Sechs-Millionen- Dollar-Mann ist ein Cyborg. Drei Cyborgs, die eine Gemeinsamkeit haben und doch ziemlich unterschiedlich sind. Ihre „Aufrüstung“ dient dem Kampf und verleiht gewaltige Körperkräfte. Aber Andreas Eschbachs Cyborg in Der Letzte seiner Art ist ein tragischer Held und der Autor stellt die Frage, ob solche Verbesserungen überhaupt sinnvoll sind. Henrietta aus dem Manga Gunslinger Girl ist eine Killermaschine in der Gestalt eines Mädchens, die konditioniert und von einer Regierung missbraucht wird. Dennoch war ihre Figur und die ihrer Kolleginnen beim jungen Publikum so beliebt, dass aus dem Manga zwei Fernsehserien und ein Videospiel entwickelt wurden. Am erfolgreichsten war der verbesserte Testpilot Steve Austin, dessen Abenteuer in 106 Folgen einer Fernsehserie ausgestrahlt wurden. Ihm wurde sogar Die Sieben-Millionen-Dollar-Frau zur Seite gestellt, die ebenfalls eine eigene TV-Serie erhielt. 2015 wurde für den SechsMillionen-Dollar-Mann ein Film-Remake angekündigt. Der Begriff Cyborg ist vom englischen „cybernetic organism“ abgeleitet. Ein Mensch wird durch künstliche Zusätze ergänzt und so zu einem Mischwesen zwischen einem biologischen Organismus und einer Maschine. Cyborgs dürfen aber nicht mit Robotern, vor allem deren menschenähnlichster Form, den Androiden, verwechselt werden. Hier wird ein komplexes technisches Gebilde mit biologischen Komponenten versehen. Großer Beliebtheit erfreuen sich die Cyborgs auch in Computerspielen. Das liegt nicht nur daran, dass in den Geschichten solche Mensch-Maschinen als Freunde oder Feinde auftauchen, sondern dass die Spieler oder besser ihre Avatare mit der Zeit selbst zu Cyborgs werden. In Syndicate und seinen Nachfolgern kann ihr 113
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Alter Ego nach jeder erfolgreichen Aktion durch kybernetische Prothesen aufgerüstet werden. In System Shock muss sich der Spieler durch zahlreiche Decks eines Raumschiffs kämpfen und findet dabei immer wieder hochtechnisierte Ersatzteile, die seine Kampffähigkeiten verbessern. Auch bei dem Rollenspiel Deus Ex kann man seinem Charakter mit der Zeit zahlreiche Implantate spendieren, mit denen man etwa durch Wände sehen, schneller rennen und springen oder unsichtbar werden kann. Die Idee, Menschen durch künstliche Zusätze zu ergänzen, ist nicht neu. Dass ein Ritter, dessen amputierte Hand durch ein geschmiedetes Gebilde ersetzt wurde, mit dieser „eisernen Hand“ wieder richtig zugreifen, sogar kämpfen kann, war zwar im Mittelalter nicht realisierbar, in der Vorstellung von fahrenden Sängern aber schon. Mit unseren komplexen künstlichen Gliedmaßen nicht nur am Körper, sondern im Körper, mit Herzschrittmachern und eingesetzten Defibrillatoren sowie in Auge und Ohr implantierten Hilfsmitteln sind wir – zumindest gemäß der Definition – auf dem Weg zu einer Cyborg-Gesellschaft. Der Traum, dass die Menschen einen widerstandsfähigeren, gegen Krankheiten gefeiten und dem gesellschaftlichen Schönheitsideal entsprechenden Körper haben können und eine größere Intelligenz und mehr geistige Fähigkeiten entwickeln, ist weder aus der Luft gegriffen noch neu. Dass man Untertanen mit ganz bestimmten Anlagen züchten kann – seien es Supersoldaten oder willige Arbeiter –, ist ebenfalls ein alter Traum diktatorischer Regimes. Greg Bear beschreibt in seinem Roman Königin der Engel, wie eine junge Polizistin sich für viel Geld „transformieren“ lässt. Ihr Körper wird gesünder, zäher und widerstandsfähiger, stärker und beweglicher und äußerlich extrem faszinierend. Später, als sie weiser und selbstbewusster geworden ist, lässt sie zumindest einige dieser Verbesserungen wieder korrigieren. Augen, die zugleich Mikroskop und Fernrohr sind, Ohren, die in die Ferne lauschen, sich aber vom Lärm auch abschotten können, leistungsfähigere Herzen, die alte Menschen wieder jung machen – in den Welten der Science-Fiction können Organe beliebig transformiert werden. Die 114
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bereits erwähnte Nancy Kress macht sich für solche Verwandlungen die Nanotechnologie zunutze und auch bei Alan Dean Fosters Human formen Nanorobots die DNA so um, dass daraus – je nach Geschmack des Auftraggebers – „schöne, neue Menschen“ werden. John Ringos „Homunkuli“ sind willige, auf „übermütige Fröhlichkeit“ designte Sexsklavinnen mit „bewusst beschränktem Denkmuster“. Bei Nancy Kress werden sogar menschenähnliche Zuchtobjekte geschildert, deren oft mehrfach vorhandene Organe ausschließlich zur Transplantation gebraucht werden. Besonders interessant sind Verbesserungen des Gehirns. Vielleicht schon in naher Zukunft werden wir seine Verlinkung mit der virtuellen Welt, wie sie heute das Internet und später schnellere Netzverbünde repräsentieren, erleben. Diese Entwicklung ist, seitdem William Gibson 1984 seinen bahnbrechenden Roman Neuromancer geschrieben hat, immer deutlicher abzusehen und hat ein neues Subgenre der Science-Fiction, die Cyperpunk-Literater, geschaffen. Auf diese spezifische Variante „schöner neuer Menschen“ wird an anderer Stelle eingegangen. Freilich sehen nicht alle Science-Fiction-Autoren in diesen Menschen einen „Homo Superior“, einen verbesserten Menschen, sondern fragen, ob Manipulationen am Menschen, vor allem Eingriffe in das Erbgut, nicht auch große Probleme mit sich bringen. Die Gefahren der Gentechnologie will der mehrfach preisgekrönte, melancholische Film Gattaca zeigen. In der Welt von Gattaca ist es möglich, am Erbgut eines Menschen vorauszusehen, welche Fähigkeiten und Dispositionen für Krankheiten er haben wird. Wirkliche Chancen auf beruflichen und sozialen Erfolg haben nur die, deren Gene optimale Voraussetzungen bieten. Also benutzt man die Gentechnik zur pränatalen Auslese und zur Optimierung der im Reagenzglas entstandenen Oberschicht. Im Gegensatz zu den meisten Menschen, die Retorten babys sind, bilden die sogenannten „Gotteskinder“, die von den Eltern natürlich gezeugt wurden, die Unterschicht. Der Film handelt von so einem Gotteskind, das sich – indem es sich eine falsche Identität zulegt – entgegen allen Erwartungen durchsetzt 115
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und so das auf Genmanipulation beruhende System als falsch und unmenschlich zeigt. Auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, mittels Gentechnologie Menschen zu designen, wird eine reale Gefahr aufgegriffen, nämlich ein möglicher Missbrauch der pränatalen Diagnostik. Die möglichen Folgen genetischer Manipulation von Embryos schildert die Fernsehserie Dark Angel. Hauptperson ist die von Jessica Alba gespielte Max, deren Genom durch den Zusatz von „Katzengenen“ verändert wurde, die sie schneller, stärker und wendiger machen. Sie lebt von Geburt an in der geheimen militärischen Forschungsstation Manticore, wo sie zur Supersoldatin ausgebildet werden sollte. Im Alter von zwölf Jahren flieht sie mit elf anderen Kindern, die sich dann in alle Winde zerstreuen und versteckt halten. Zehn Jahre später lebt Max als Fahrradkurierin in einem apokalyptischen Seattle. Sie wird nach wie vor von den Soldaten von Manticore gejagt und versucht gleichzeitig, wieder Kontakt zu ihren „Geschwistern“ zu finden. Eine weitere Komplikation ist, dass sich die Menschen vor den sogenannten „Transgenos“, den genetisch manipulierten Menschen mit besonderen Fähigkeiten, fürchten, als deren Existenz bekannt wird. Hier lehnt sich die Serie an bekannte Muster an, die den Kampf einer verängstigten Menschheit gegen Androiden, Mutanten, Cyborgs oder Replikanten schildern. Auch Ridley Scotts Kultfilm Blade Runner aus dem Jahr 1982 beschäftigt sich in differenzierter wie dramatischer Weise mit aus menschlichem Erbgut gezüchteten, genetisch modifizierten Wesen. Die „Replikanten“ entstehen aus genetischem Material, das nach einer Manipulation der DNA zur Herstellung von Klonen mit genau definiertem Nutzen dient. Zunächst werden Haus- und Nutztiere repliziert, später humanoide Replikanten hergestellt, die als Soldaten und zur Kolonisierung von Planeten dienen sollen. In Blade Runner stellt die mächtige Tyrell Corporation das Modell „Nexus 6“ als bisher am weitesten entwickelte Form eines Replikanten her, das von einem Menschen nicht zu unterscheiden ist, 116
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aber weitaus bessere physische Eigenschaften hat. Diese Replikanten sind von hoher Intelligenz und entwickeln sogar mit der Zeit Gefühle, sind aber auch so konstruiert, dass alle ihre Funktionen nach vier Jahren versagen. Die Regierung fürchtet insgeheim diese aus menschlicher DNA hergestellten Klone und deshalb ist es diesen auch verboten, die Erde zu betreten. Wenn es ein Replikant trotzdem versucht, wird er vernichtet. Vor diesem Hintergrund beginnt der Film. Einige Replikanten haben die Besatzung eines Raumschiffs getötet und fliehen mit dem Raumschiff zur Erde. Deshalb wird Rick Deckard reaktiviert, ein „Blade Runner“, ein Kopfgeldjäger, der am Rand der Legalität operiert und dessen Schicksal immer auf Messers Schneide steht. Auf seiner Suche trifft er auf Rachael. Die junge Frau ist eine Replikantin, weiß das aber nicht, da ihr eine künstliche Erinnerung eingepflanzt wurde. Sie beteiligt sich an der mörderischen Jagd, die schließlich damit endet, dass Deckard vom letzten überlebenden Replikanten, der weiß, dass seine Lebenszeit bald ablaufen wird, vor einem tödlichen Sturz gerettet wird. Am Ende des Films fliehen Rachael und Deckard. Im „Director’s Cut“ deutet Ridley Scott an, dass auch Rick Deckard ein Replikant sein könnte, ohne dass er es weiß. Die Vorlage von Blade Runner war Philip K. Dicks berühmter Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Der Begriff Android wird hierbei wie in vielen anderen Science-Fiction- Romanen ungenau verwendet, weil es sich bei den Replikanten nicht um Roboter, sondern um biologisch gezüchtete Wesen handelt. Viel entscheidender ist aber die Frage, die im Buch wie im Film gestellt wird: Sind diese wie auch immer genetisch veränderten Klone Menschen, die die gleichen Rechte wie Menschen haben? Oder können sie von ihren Schöpfern gewissenlos als Arbeitstiere oder Soldaten ausgenutzt oder sogar als Organspender ausgeweidet werden? Das Problem geht noch tiefer. Fast alle Bücher des Science-Fiction-Autors Dick drehen sich um die Frage, was den Menschen menschlich macht. Die Tyrell Company, die unter dem zynischen 117
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Slogan „Menschlicher als der Mensch“ alle Arten ihrer Replikanten anpreist, hat ein Gerät entwickelt, mit dem man diese humanoiden Klone erkennen kann. Sie werden auf ihre emotionalen Reaktionen getestet, denn nach der vorherrschenden Meinung fehlt den Replikanten jede Empathie, sie können sich nicht auf die Gefühle anderer Menschen einstellen oder Mitleid, Trauer und Schmerz empfinden. In Blade Runner zeigt sich aber dann, dass die Replikanten trotz vielleicht eingeschränkter Emotionalität menschlicher handeln als die Menschen, die sich auch gegenüber ihren Mitbürgern unerbittlich und gefühllos zeigen. Kate Wilhelm geht in Hier sangen früher Vögel dieses Problem von einer anderen Seite an. Nach einer ökologischen Katastrophe versuchen die letzten Überlebenden, in einer unterirdischen Klinik Klone von sich selbst zu produzieren und sie aufzuziehen. Diese Kinder sind bald in der Überzahl, übernehmen die Herrschaft und schicken Menschen alter Art, die sie kritisieren, in das Exil einer unwirtlichen Welt. Dass die Schöpfer schließlich von ihren eigenen Geschöpfen – seien es Roboter oder genetisch gezüchtete Wesen – unterdrückt oder gar ausgerottet werden, ist ein von vielen Science-Fiction-Autoren gern genutztes Szenario. Die für viele höchste biologische Verbesserung des Menschen ist die Unsterblichkeit. In der Vorstellung der Science-Fiction-Autoren – und auch mancher Wissenschaftler – muss nur der Mechanismus gefunden werden, der den Alterungsprozess in unseren Zellen auslöst. Wenn man diesen stoppt oder außer Kraft setzt, können die Menschen unsterblich werden. Drew Magary beschreibt in Die Unsterblichen die Auswirkungen so banal wie drastisch. Durch eine Impfung kann der Alterungsprozess gestoppt werden, zumindest für die, die das wollen und die es sich leisten können. Aber dadurch verändert sich die menschliche Gesellschaft, in nur 20 Jahren werden aufgrund der stark anwachsenden Bevölkerung Raum und Ressourcen auf der Welt knapp, was zu Konflikten und Kriegen führt. Wie in Robert Silberbergs Bruderschaft der Unsterblichen gibt es Geheimorganisationen, oft religiöse Orden, die das Geheimnis 118
2. Mutanten an die Macht
des ewigen Lebens hüten. Die Suche nach ihnen, ihren Spuren in der Vergangenheit und ihren Verstecken ist ein beliebtes Thema, das zwischen Fantasy und Science-Fiction angesiedelt ist. Weniger spektakulär, aber vielleicht bestürzender ist der Film Transfer. Ein altes, sich liebendes Ehepaar beobachtet den Körper einer jungen Schwarzen hinter einer Scheibe. Den Körper können sie für 20 Stunden am Tag mieten und so wieder jung sein. Die Schwarze hat für sich nur 4 Stunden, kann aber für den Lohn ihre Familie in Afrika ernähren. „Der eine verkauft seinen Körper, der andere seine Seele“, charakterisiert der Regisseur den Inhalt seines Films. In Das Unsterblichkeitsprogramm von Richard Morgan wird dieses Szenario zugespitzt. Im 26. Jahrhundert ist ein Persönlichkeitstransfer möglich, aber sehr teuer. So lassen die Superreichen Jagd auf junge, arme Menschen machen, in deren Körper sie ihr Bewusstsein exportieren. Damit ihre Persönlichkeit nicht verloren geht, wird sie auf Datenträgern gespeichert und durch regelmäßige Updates auf dem neuesten Stand gehalten. Der Datentransfer entweder auf irgendeine Hardware oder in Clouds ist für manche Autoren eine Möglichkeit zumindest virtueller Unsterblichkeit. Ein Ausweg aus solchen Dilemmas scheint wiederum das Klonen zu bieten. Man könne ja – so ein weiteres Gedankenspiel – das eigene genetische Material aufbewahren und daraus einen eigenen Klon züchten, in dem man weiterleben kann.
2. Mutanten an die Macht „Eine tief greifende Veränderung ist im Gange. Es scheint, als würde das menschliche Gehirn neue Fähigkeiten entwickeln, die bedeutendste Veränderung der Hardware seit Entstehung der Sprache, eine dritte Welle der menschlichen Anpassung. Diese sogenannten Alphas sind überall, doch die meisten haben keine Ahnung, dass sie Teil eines größeren Phänomens sind. Die Gründe, warum die politischen Entscheidungsträger der Öffentlichkeit diese Information vorenthalten, gehen auf die Zeit des Kalten 119
IV. Schöner neuer Mensch
rieges zurück. Offiziell lautet mein Auftrag, eine Gruppe von K Alphas zu überwachen … Doch mein Ziel bleibt unverändert, dabei zu helfen, diese ganz besonderen Menschen und ihre Entwicklung des menschlichen Gehirns verstehen zu lernen.“ Mit diesem Statement von einer der Hauptfiguren, dem Neuro logen und Psychiater Lee Rosen, beginnt der Pilotfilm der Serie Alphas. Er führt eine kleine Gruppe von jungen Leuten mit übersinnlichen Fähigkeiten, die Verbrechen aufdecken sollen, vorwiegend solche, die ebenfalls von Mutanten begangen wurden. Im Laufe der Serie wird schnell klar, dass es eine geheimnisvolle verbrecherische Organisation gibt, die Alphas für kriminelle Taten einsetzt. Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten sind beliebt, in den letzten Jahren vor allem in Science-Fiction-Fernsehserien. Eine der erfolgreichsten ist Heroes, die in den Jahren 2006–2010 in den USA ausgestrahlt und in viele Länder übernommen wurde. Die Helden haben sehr unterschiedliche Talente. Hier folgt eine Art „Heldengalerie“: Matt Parkman: Eigentlich ist er nur ein ganz normaler Cop. In einer Gefahrensituation entdeckt er, dass er die Gedanken eines Mädchens hören kann, er ist ein Telepath. Später wird er seine Fähigkeiten weiterentwickeln und in den Köpfen anderer Personen Illusionen entstehen lassen. Claire Bennet: Eigentlich ist sie ein ganz normales Mädchen und stolz auf ihre Rolle als Cheerleaderin ihrer Highschoolmannschaft. Dann entdeckt sie, dass bei ihr schwere Verletzungen und Wunden augenblicklich heilen. Sie ist damit praktisch unverwundbar. Isaac Mendez: Eigentlich ist er ein drogenabhängiger ComicZeichner. Er weiß nicht, dass seine Bilder die Zukunft zeigen, und will es auch lange nicht wahrhaben. Er hat die Fähigkeit der Präkognition. Nathan Petrelli: Er ist ein ganz normaler, von Ehrgeiz zerfressener Jungpolitiker. Aber er kann fliegen, was er vor seinen Wählern verheimlicht. 120
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Peter Petrelli: Der sympathische Krankenpfleger entdeckt – zunächst an seinem Bruder –, dass er die Fähigkeiten anderer Mutanten kopieren kann. Freilich nur für eine kurze Zeit … Hiro Nakamura: Der japanische Angestellte ist begeisterter Star Trek-Fan. Dann bemerkt er, dass er durch Raum und Zeit reisen kann. Weil er in der Zukunft Katastrophen sieht, möchte er – großer Held, der er glaubt zu sein – diese zusammen mit anderen „Heroes“ verhindern. In der ersten der vier Heroes-Staffeln (die darauf aufbauende Serie Heroes reborn war 2015 zu sehen) entwickelt sich ein typisches Mutanten-Szenario: Die meist jugendlichen Protagonisten entdecken staunend ihre übersinnlichen Fähigkeiten und können sie zunächst kaum meistern. Sie sind zwischen Überheblichkeit und Ängstlichkeit hin und her gerissen und wissen noch nicht, ob sie ihre Macht nur für sich selbst einsetzen sollen oder im Dienst einer guten oder schlechten Sache. Verführer und Manipulatoren versuchen sie für sich zu gewinnen, doch zu guter Letzt entscheiden sie sich für die Vereinigung ihrer Fähigkeiten, um die Vernichtung der Stadt New York verhindern zu können. Dabei verheimlichen sie ihre Gaben vor den normalen Menschen, die sie sonst fürchten und letztlich bekämpfen würden. Dieses Thema wird in den folgenden Staffeln weiterverfolgt und kommt auch in verwandten Serien vor. Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten haben die gewöhnlichen Sterblichen schon immer beschäftigt. Da gab es die guten Feen und die bösen Hexen sowie die Zauberer, die sich zum Guten oder zum Bösen entwickeln konnten. In der Antike und im Mittelalter begegneten die Menschen solchen Individuen, die sie der Zauberkräfte für mächtig hielten, mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid, vor allem aber mit Angst. Auch wir modernen Menschen wachsen mit Bildern von Hexen und Zauberern auf. Wie sehr Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten faszinieren, zeigt sich am phänomenalen Erfolg der Harry Potter-Romane von J. K. Rowling bei Jung und Alt. Es sind Fantasyromane, die aber auch typische Science-Fiction-Elemente enthal121
IV. Schöner neuer Mensch
ten. Bestimmte genetisch prädisponierte Jugendliche werden im Zauberinternat Hogwarts zu Zauberern ausgebildet. Die übersinnlich Begabten können sich in eine Welt hinter der Welt versetzen. Das ganze Hintergrundszenario besteht aus einem Kampf zwischen bösen und guten Zauberern, wobei Letztere die „Muggel“, also die normalen Menschen, retten wollen. Die Entwicklung der Fantasygestalten aus Märchen, Sagen und dem viktorianischen Roman hin zu Mutanten geschah in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zunächst beschrieben einige Autoren, wie Wissenschaftler ihren Probanden durch Eingriffe im Gehirn übermenschliche Fähigkeiten verliehen. Ein weiterer Schritt, der in Romanen aufgegriffen wurde, waren die Forschungen des amerikanischen Genetikers und Nobelpreisträgers Hermann Joseph Muller, der nachwies, dass starke, vor allem radioaktive Strahlung das Erbgut beeinträchtigen und Mutationen bewirken kann. Befeuert wurde diese Entwicklung von dem höchstumstrittenen Wissenschaftler Joseph Rhine, der sich mit außersinnlicher Wahrnehmung (ESP = extrasensory perception) beschäftigte und drei Formen der sogenannten Parapsychologie postulierte: erstens die Fähigkeit, Gedanken zu lesen, die Telepathie. Das zweite Talent ist die Präkognition, das Vorhersehen zukünftiger Ereignisse. Die dritte Gabe ist das gleichzeitige Sehen weit entfernter Geschehnisse, das Hellsehen. Hinzu kam der sehr alte Glaube an die Reinkarnation, wonach die Seelen von Menschen aus der Vergangenheit in Menschen späterer Jahrhunderte weiterleben. Deshalb gebe es Leute, die sich in ihr früheres Leben versetzen können. Weitere paranormale Fähigkeiten kamen im Laufe des 20. Jahrhunderts hinzu, etwa die Telekinese, also das Bewegen von Dingen per Gedankenkraft, ein Phänomen, das in den Siebzigerjahren durch Fernsehauftritte des charismatischen Uri Geller von vielen Menschen geglaubt wurde. Schließlich die Teleportation, die es ermöglicht, sich mit Geisteskraft von einem Ort zum anderen zu versetzen. 122
2. Mutanten an die Macht
In der Science-Fiction-Literatur spiegelt sich diese Entwicklung. Der erste moderne Mutantenroman erschien 1935. In Die Insel der Mutanten erzählt Olaf Stapledon die Geschichte eines Homo superior, der schon als Fünfjähriger Mathematikprofessoren mit seinen Theorien zum Verzweifeln bringt. Bald erkennt er, dass er sich immer weiter von der normalen Menschheit entfernt, und zieht sich mit anderen übersinnlich Begabten auf eine Insel in der Südsee zurück, um einen eigenen Staat zu gründen. Doch die Angst zwischen den nunmehr zwei Zweigen der Menschheit führt zur Vernichtung der Mutanten. Der Kampf zwischen Homo sapiens und Homo superior (und damit das Rekurrieren auf uralte menschliche Ängste) wird in zahlreichen weiteren Romanen thematisiert. In A. E. van Vogts Slan werden die Telepathen von der Regierung erbarmungslos gejagt. Alfred Bester beschreibt in Die Rache des Kosmonauten einen Mutanten, der mithilfe des „Jauntens“ (Teleportation) die alten Eliten hinwegfegt. Die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki zeigten die durch Strahlung ausgelösten negativen Mutationen in erschreckendem Maß. Zugleich spekulierten zahlreiche Schriftsteller wie Clark Darlton (Pseudonym für Walter Ernsting) in seinem Roman Das Erbe von Hiroshima, ob die Atomenergie nicht auch positive Mutationen hervorgebracht habe. Nunmehr diente die Radioaktivität, deren genaue Folgen man nicht kannte, als pseudowissenschaft licher Unterbau für zahlreiche Mutantenromane. Als in den Siebzigerjahren endgültig klar wurde, dass die Folgen nuklearer Strahlung keineswegs zur Höherentwicklung von Mensch und Natur führen, gerieten die Mutanten zeitweise aus dem Blickfeld der Science-Fiction. Erst mit dem Aufstieg der Gentechnologie gab es wieder eine Art wissenschaftlicher Legitimation für Homines superiores. Zunächst dominierte nach 1945 aber das postnukleare Szenario. John Wyndham beschreibt 1955 den Kampf zwischen Mutanten und dem Rest der Menschheit nach einem Atomkrieg. In Wem gehört die Erde? schildert er, wie in einer kleinen Stadt immer 123
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mehr Telepathen geboren werden, die zu Außenseitern und schließlich zur Verfolgten werden. Ein ähnliches Muster finden wir auch in Henry Kuttners Die Mutanten, wo die „Baldies“, haarlose, eierköpfige Telepathen, von den überlebenden normalen Menschen gefürchtet und erbarmungslos bekämpft werden. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Wilmar H. Shiras. In ihrem 1963 geschriebenen Roman Kinder des Atoms entdeckt ein Kinder psychologe, dass sein junger Patient nicht etwa minderbegabt ist, sondern seine außerordentliche Intelligenz bewusst vor seinen Mitmenschen versteckt. Er hat bereits eine Geheimidentität entwickelt, in der er Bücher schreibt und nach anderen „Kindern des Atoms“ forscht. Das Drama der hochbegabten Kinder zeigt durchaus Parallelen zu Harry Potter, der seine Fähigkeiten vor den verständnislosen „Muggel“ verbirgt. Menschen mit parapsychologischen Fähigkeiten oder Superkräften sind nach außen oft bewunderte und beneidete Helden, in ihrem Inneren aber zerrissen und unglücklich. Gerade die Superhelden im Marvel-Comic-Universum gewinnen durch diese Zwiespältigkeit an Faszination. Auch die Mutanten in Stephen Kings Romanen sind oft tragische Helden. In Carrie rächt sich eine junge Telekinetin für die ihr von ihrer Umgebung zugefügten Demütigungen. Der Autor schildert in seinem später auch verfilmten Thriller Dead Zone, wie nach jahrelangem Koma ein Lehrer zum Hellseher wird, wenn er andere Personen berührt. Als er im Wahlkampf dem amerikanischen Präsidenten die Hand schüttelt, sieht er voraus, dass dieser mit einem Erstschlag den Dritten Weltkrieg auslösen wird. Um dies zu verhindern, plant er ein Attentat. Weniger spektakulär, aber einfühlsam schildert Robert Silverberg in Es stirbt in mir, einem der frühesten Mutanten romane, wie sich die Telepathie als Fluch erweist und in Isolation und Einsamkeit endet. Ganz anders die Mutanten in der eher trivialen Science-Fiction. Zu Beginn der Endlosserie Perry Rhodan sammelt der Hauptheld übersinnlich begabte Menschen und formiert sie zu einem „Mutantenkorps“. Mit diesem gelingt es ihm, erst auf der Erde Ord124
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nung zu schaffen und dann im Weltall sogar galaktische Großmächte zu überlisten. Die jeweiligen Protagonisten sind sehr eindimensional, ein Teleporter ist nur eine praktische Transportmaschine, ein Telekinet jemand, der feindliche Roboter durch die Luft wirbelt, und ein „Hypno“ ein besserer Suggestionsapparat. Im 2011 begonnenen Remake Perry Rhodan NEO versucht man, diese der damaligen Zeit geschuldete Trivialität zu korrigieren: Nun sind die Mutanten weniger mächtig und werden auch als differenzierte Persönlichkeiten geschildert. Im Nachkriegsfilm waren Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten meist eindimensionale Schreckensgestalten. Die frühen Zombies à la Frankenstein wurden als bedauerliche Toren mit übermenschlichen Kräften dargestellt, der finstere Doktor Mabuse beherrschte seine meist weiblichen Opfer mit Hypnosekräften und war so abgrundtief böse wie intelligent. In diese Richtung trivialer Horrorfilme gehen Filme wie Die Monster aus dem Meer und Godzilla. Solche Schreckenswesen sind der Radioaktivität geschuldete Mutationen, Reflexe japanischer Filmemacher auf die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Doch erst ein anderes Genre machte das Mutantenthema richtig populär: der Comic! In den späten Dreißigerjahren und im Zweiten Weltkrieg haben die gezeichneten Helden ihren ersten Boom erlebt, allen voran Superman und Captain America, der durch ein geheimes „Supersoldatenserum“ übermenschliche Kräfte erhielt. Nachdem Letzterer seine patriotische Pflicht getan hatte, befanden vor allem amerikanische Sittenwächter – sie beeinflussten auch wesentlich westeuropäische Superhelden –, dass Comics im Allgemeinen und Superheldengeschichten im Besonderen „verrohend“ auf junge Menschen wirkten und die Jugendkriminalität fördern würden. Erst Anfang der Sechzigerjahre erlebten die Marvel- und DCComics einen neuen Aufschwung, wobei das Mutantenthema geschickt in die Geschichten eingewoben wurde. Der durch Gammastrahlung zum grünen Riesenmonster mutierte Hulk wurde ebenso beliebt wie die „Fantastischen Vier“ (1989 benannte sich 125
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gar eine deutsche Hip-Hop-Band nach ihnen). Durch kosmische Strahlung erhielten sie Kräfte, die den vier Elementen entsprechen: Die „Unsichtbare“ löst sich in Luft auf, das „Ding“ hat eine steinerne Haut, die „Fackel“ kann Feuerbälle werfen und „Mr. Fantastic“ kann sich ausdehnen und zerfließen. Eine so typische wie beispielhafte Karriere erlebten die wohl beliebtesten Marvel-Helden, die X-Men. 1963 von Jack Kirby und Stan Lee erschaffen, beruhen ihre Mutantenkräfte auf dem X-Faktor, den eine außerirdische Zivilisation vor Millionen Jahren in den genetischen Code der Menschen implantiert hat, der aber bisher nur bei wenigen Menschen zum Ausbruch kam. Neu ist, dass die X-Men keine strahlenden Helden sind, sondern an sich und ihren Fähigkeiten zweifeln. Ihr Anführer Professor Xavier bildet die Kräfte von zunächst fünf jungen Leuten aus (das Konzept der Mutantenschule wurde vermutlich von Shiras’ Kinder des Atoms übernommen). Das Szenario, in dem die X-Men agieren, ist bekannt: Sie werden von den normalen Menschen gefürchtet, obwohl sie Verbrechen bekämpfen und besonders die Mutanten aufhalten, die die alte Menschheit unterwerfen und letztlich auslöschen wollen. Der Anführer dieser „bösen“ Paranormalen ist „Magneto“, der mit seinen Superkräften Eisenbrücken verbiegt und Flugzeuge vom Himmel holt, weil er alles Metallische manipulieren kann. Dahinter steht ein gesellschaftlicher Konflikt der Sechzigerjahre in den USA. Sozialwissenschaftler sehen die Mutanten als Beispiel für unterdrückte Minderheiten, Professor Xavier steht für den friedlichen Weg eines Martin Luther King, Magneto für radikalere Methoden eines Malcolm X. Freilich lief sich dieses Konzept bald tot, nach 66 Geschichten erhielten die X-Men nur noch sporadische Gastauftritte im MarvelUniversum. In den Siebzigerjahren und nach 1990 kamen neue Mutanten hinzu, es gab eine ganze Reihe von X-Teams, die sich in allen möglichen Science-Fiction-Szenarien tummelten: Sie bekämpften außerirdische Invasoren, schurkische Supermutanten und inszenierte Verschwörungen, versetzten sich auf parallele Erden, in denen die Geschichte einen anderen Verlauf genommen 126
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hatte, und reisten sogar in die Vergangenheit, um eine schlimme Zukunft zu verhindern. Durch den großen Erfolg gelang den X-Men der Sprung in andere Medien. 1989 erschien das erste Computerspiel für den Nintendo, bis heute sind es mehr als drei Dutzend auf allen Plattformen, wobei sich die Games von eher simplen, actiongeladenen Ballerspielen zu komplexen epischen Geschichten entwickelten. Ins Fernsehen kamen die X-Men zunächst in Form von Zeichentrickfilmen, Zielpublikum waren Jugendliche, aber auch da änderten sich Inhalt und Stil. Wolverine and the X-Men (2008) spielt in einem düsteren, oft an Horrorgeschichten erinnernden Szenario, das 2011 entstandene Marvel-Anime: X-Men war nicht nur im Anime-Stil produziert, sondern spielte auch hauptsächlich in Japan. 2000 kam der erste von bislang sieben X-Men-Filmen in die Kinos. Dabei folgten die Macher gängigen Hollywood-Mustern. Erzählten die ersten drei Streifen die eng an die Comics angelehnte Geschichte des Kampfes der guten Mutanten gegen die bösen um den Superschurken Magneto, konzentrierten sich zwei weitere auf den innerlich zerrissenen Wolverine. Dann wurde als Prequel Wolverines Vorgeschichte erzählt und schließlich in Zukunft ist Vergangenheit eine Zeitreise mit dem Versuch, die Menschheit vor einer düsteren Zukunft zu retten. Übrigens geht die Reise in die Vergangenheit weiter. Der für 2016 geplante Film Apokalypse soll in den Achtzigerjahren spielen, was den Vorteil hat, dass man die Schauspieler, die in Zukunft ist Vergangenheit die jüngeren X-Men verkörpern, noch einmal einsetzen kann. Der Erfolg all dieser Filme lässt auch verschiedene Fernsehsender wie Fox darüber nachdenken, ob sie eine X-Men-Serie nicht als Zeichentrickfilm, sondern mit Schauspielern produzieren lassen wollen. Heute trägt das Mutantenthema für eine Serie mit vielleicht mehreren Staffeln offenbar nicht mehr. 1973 startete die britische Serie The Tomorrow People, die auf die jugendliche Comic-Leserschaft zielte und es immerhin auf 68 Folgen brachte: Junge Menschen entdecken ihre Fähigkeiten als Telepath, Teleporter oder 127
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elekinet und schließen sich als eine Art Schutztruppe zusammen, T um die übrige Menschheit vor allem Bösen zu bewahren. 2012 versuchte der amerikanische Fernsehsender CW ein Remake unter dem gleichen Titel, das aber nur 22 Folgen erreichte. Der Plot mit jugendlichen Mutanten, die sich im Untergrund verstecken müssen, zugleich aber gegen böse Übersinnliche und Verbrecher kämpfen, war wenig überraschend. Ähnlich erging es der bereits erwähnten Serie Alphas. Sie wurde wegen mangelnder Einschaltquoten nach zwei Staffeln eingestellt. Ein Psychiater ohne übernatürliche Fähigkeiten wird zum Anführer einer Gruppe reichlich psychopathischer Mutanten, mit denen er die Verbrechen anderer „Alphas“ verhindern bzw. auf decken will. Er muss sich einerseits mit der Regierung auseinandersetzen, die übersinnlich Begabte wegsperren und ihre Fähigkeiten mit allen Mitteln stilllegen will, andererseits formiert sich eine Mutantenarmee, die den Homo superior mit allen Mitteln an die Macht bringen will. An dem Spagat zwischen dem Aufdecken und Verhindern von Verbrechen und dem komplizierten globalen Konflikt Mensch-Übermensch scheitert die Serie. Übersinnlich begabte Wesen in der Science-Fiction-Welt – seien es nun Menschen oder Aliens – sind beliebte Beigaben in Romanen und Filmen. Ob Superheld oder Superschurke, ihnen haftet etwas Magisches und Faszinierendes an. Für die Trivialautoren fungieren sie als „Deus ex Machina“, mit dem Konflikte ganz einfach gelöst oder dramatisch ausgebaut werden können. Andere Autoren stellen weitergehende Fragen: Sind Mutanten eine Bedrohung der Menschheit oder vielleicht der nächste Schritt in der Evolution? Auf jeden Fall ist das Mutantenthema immer noch ein beliebtes Szenario in allen Medien. Während im Buch heute eher philosophische Fragen nach der Evolution der Menschheit und der Verbindung von übersinnlichen Fähigkeiten mit eingepflanzten Computerchips thematisiert werden, erleben in Comics, Computerspielen, Fernsehserien und Filmen die bereits bekannten Helden fröhliche und finanziell erfolgreiche Remakes.
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SF-Spezial
Das Marvel-Imperium In den Dreißigerjahren gegründet, versuchte der amerikanische Comic-Verlag „Timely“ verzweifelt, sich an den Erfolg des großen Rivalen „DC-Comics“ mit seinen Superhelden Superman und Batman anzuhängen. Dies gelang mit Schöpfungen wie Captain America oder der menschlichen Fackel mehr schlecht als recht. Erst in den Sechzigerjahren – der Verlag hatte sich in Marvel umbenannt – gelang Chefredakteur Stan Lee gemeinsam mit seinem Zeichner Jack Kirby ein echter Coup. Mit den Fantastischen Vier kam ein Mutantenteam in die Comicszene, das so ganz anders war als die konkurrierenden Superhelden. Die Protagonisten lebten in realen Städten, sie hatten Schwierigkeiten mit ihrem Privatleben und kamen psychisch vor allem mit ihren Superkräften nicht zurecht. Marvel entwickelte schnell weitere solcher gebrochenen Helden, die X-Men, den durch Gammastrahlen mutierten grünhäutigen Hulk, der seine Kräfte nicht kontrollieren kann, den Daredevil, einen blinden Anwalt mit überentwickeltem Hörsinn, und selbst der hammerschwingende Thor wird in seinem Privatleben zum schwächlichen, hinkenden Arzt mit Liebesproblemen. Der letzte, zugleich aber populärste dieser ersten Marvel-Generation war der von einer radioaktiven Spinne gebissene Spiderman, er verkörperte für viele seiner Leser „the hero that could be you“. Dem Boom der Sechzigerjahre folgte ein Jahrzehnt der Stagnation, das Marvel durch zusätzliche Horror-Comics zu überbrücken suchte. Mit mäßigem Erfolg kamen Fernsehserien hinzu. In den Achtzigerjahren wurde Marvel zum führenden Comic-Verlag, sowohl was die Qualität der Storys wie die Anzahl der Publikationen betraf. Anfang der Neunzigerjahre kam es in den USA zu einem regelrechten Comic-Boom, Marvel ging an die Börse, Spezialausgaben überfluteten den Markt und alte Comics wie neue Sonderausgaben galten als Wertanlage, für die zum Teil horrende Preise gezahlt wurden. Als Mitte des Jahrzehnts die Comic-Blase 129
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platzte, standen fast alle einschlägigen Verlage vor dem Bankrott, auch Branchenführer Marvel. Gerettet wurde das Unternehmen durch modernisierte Inhalte und multimediale Neuausrichtung. Die Geschichten der alten Helden wurden neu erzählt und miteinander verwoben. Das aktuelle Weltgeschehen wurde reflektiert, die X-Men und andere machten Reisen in Vergangenheit und Zukunft. In „Was wäre, wenn“-Szenarios wurde auch die reale Geschichte geändert. Allein dies hätte bei zunächst stabilen und dann steigenden Verkaufszahlen Marvel nicht überleben lassen. Um Geld in die Kassen zu spülen, verkaufte man die Filmrechte bekannter MarvelHelden wie etwa Spiderman an andere Firmen. Heute geht es dem Unternehmen wieder gut, sodass Marvel die Lizenzen zurückkaufen kann. Zahlreiche eigene Filme und Fernsehserien wurden durch Marvel Enterprises (seit 2005 Marvel Entertainment) produziert, nicht mehr nur als Zeichentrickserien, sondern mit bekannten Schauspielern und einer immer ausgefeilteren Tricktechnik. Drittes mediales Standbein wurden die Computerspiele – das erste war 1982 ein Spiderman auf dem legendären Atari 2600 –, von denen es bis heute auf verschiedenen Plattformen mehr als 70 gibt. Geplant ist auch ein eigenes MMO (Massively Multiplayer Online Game), also ein Computerspiel, in dem sich im Internet Tausende von Spielern im Marvel-Universum tummeln können. 2009 kaufte die Walt-Disney-Company Marvel für 4 Milliarden Dollar, vermutlich um die eigenen Filmstudios besser ausnutzen zu können und die Lizenzen zu nutzen.
3. Die Zombies kommen: Science-Fiction trifft Horror Er ist der letzte Mensch in Los Angeles, zumindest der letzte normale Mensch. Eine Seuche hat alle anderen ausgelöscht. Ausgelöscht ist nicht das richtige Wort, sondern sie stehen nachts auf 130
3. Die Zombies kommen: Science-Fiction trifft Horror
und durchstreifen die Straßen. Er vertreibt sie mit vor seinem Haus selbst angebautem Knoblauch und kann sie tagsüber mit hölzernen Pfählen töten. Deshalb hält er sie für Vampire. Nach einiger Zeit findet er heraus, dass er sie besser töten kann, wenn Luft in ihren Blutkreislauf kommt. Plötzlich trifft er eine junge Frau, die wie er im Sonnenlicht leben kann und verliebt sich in sie. Die Enttäuschung ist groß, als er herausfindet, dass sie ebenfalls infiziert ist. Sie erklärt ihm, dass sie einer Gruppe angehört, die mittels eines von ihnen entwickelten Medikaments bei Tag und bei Nacht leben kann. Sie nennen sich „lebende Vampire“ im Gegensatz zu den „toten Vampiren“, die sie ausrotten. Das schlimmste Monster aber für ihre Leute sei er, der letzte Mensch, der jeden Vampir töte, der ihm über den Weg laufe. Deshalb müsse er sterben. Bevor es dazu kommt, begeht der letzte Mensch Selbstmord und stirbt mit den Worten: „Ich bin eine Legende!“ So lautet auch der Titel des legendären, 1954 veröffentlichten Romans von Richard Matheson. Ich bin Legende vermischt beispielhaft Science-Fiction mit Elementen des Horror- und Vampirromans. Der Vampirismus ist hier nichts mehr Mythisches oder Sagenhaftes, sondern eine durch Bazillen hervorgerufene Krankheit. Das Buch wurde mehrmals verfilmt. The Last Man on Earth – Die wahre Legende aus dem Jahr 1964 hält sich eng an die Vorlage, der Held wird am Ende von den „neuen Menschen“ verfolgt, in den Ruinen einer Kirche gestellt und mit einer Eisenstange durchbohrt. In Der Omega-Mann von 1971 wurde die Seuche durch eine in einem Weltkrieg verwendete biologische Waffe verursacht. Einem von Charlton Heston gespielten amerikanischen Militärbiologen ist es gelungen, ein Antiserum zu entwickeln. Doch sein Hubschrauber stürzt über Los Angeles ab, er kann sich nur noch selbst impfen. Hier sind die Überlebenden keine Vampire, sondern lichtempfindliche Psychopathen, die den Helden schließlich zur Strecke bringen. Immerhin – der Ansatz eines Happy Ends – kann er ein paar normalen Jugendlichen noch das Serum übergeben. 131
IV. Schöner neuer Mensch
Wieder anders ist der wissenschaftliche Hintergrund in dem Film I Am Legend aus dem Jahr 2007. Ein Virus, das eigentlich ein perfektes Heilmittel gegen Krebs ist, mutiert und tötet Milliarden Menschen. 98 Prozent der Überlebenden entwickeln sich zu tollwütigen, tierähnlichen Menschen, die Jagd auf die wenigen immunen Menschen machen. Ein Virologe des amerikanischen Militärs – er wird von Will Smith verkörpert – lebt als fast einziger normaler Mensch in New York. Es gelingt ihm schließlich, ein Gegenmittel zu finden. Dann wird sein Labor überrannt, er tötet sich und die Eindringlinge mit einer Handgranate. Immerhin konnte er zuvor noch das Serum übergeben. Deshalb heißt es am Ende des Films, sein Kampf für die Heilung der Menschheit sei zur Legende geworden. Die Geschichte der Rezeption von Mathesons Roman in diesen Verfilmungen zeigt die Entwicklung der Vermischung von Science- Fiction und Horror in den letzten 60 Jahren. Alle wichtigen Elemente passen sich an. Erst ist der Vampirismus durch eine Seuche verursacht, später durch ein Bakterium und schließlich durch einen mutierten Virus. Sind es bei Matheson eher klassische Vampire, werden sie später zu lichtempfindlichen, tollwütigen Psychopathen. Was immer gleich bleibt, ist der verzweifelte und fast aussichtslose Kampf gegen übermächtige Monster. Der moderne Typus einer Horrorgestalt ist das aus Leichenteilen zusammengesetzte Frankenstein-Monster, auch wenn der Wissenschaftler Dr. Viktor Frankenstein in Mary Shelleys Roman das eigentliche Monster ist. Das Aussehen dieses Wesens wird bis heute durch den Schauspieler Boris Karloff, dessen Gesicht durch den genialen Maskenbildner Jack Pierce verfremdet wurde, im Film Frankenstein von 1931 geprägt. Das durch Narben und aufgenähte Hautfetzen verunstaltete Gesicht ist Vorbild für menschliche Monster. Beim Frankenstein-Monster gibt es eine „natürliche“ Verbindung von Science-Fiction und Horror. Es ist ein lebendig gewor dener Albtraum und zugleich Ergebnis eines wissenschaftlichen Experiments. Anders ist es bei zwei anderen Prototypen des Horrorgenres, den Vampiren und den Zombies. 132
3. Die Zombies kommen: Science-Fiction trifft Horror
Die Vampire haben in der Regel einen mythischen und keinen wissenschaftlichen Hintergrund. Sie leben unerkannt unter den Menschen, ihr Handeln spielt sich in einer geheimen Welt ab, sie agieren trotz ihrer übersinnlichen Fähigkeiten eher vorsichtig und zurückhaltend. So geht auch die Science-Fiction mit ihnen um. Ein Szenario erzählt, dass die Vampire aus dem All kommen. Im Film Lifeforce – Die tödliche Bedrohung aus dem Jahr 1985 birgt eine Raumfähre ein außerirdisches Sternenschiff, in dem sich die Körper menschenähnlicher Wesen in einer Art Tiefschlaf befinden. Auf die Erde gebracht, entflieht eines dieser Wesen und entpuppt sich als Vampir, der nun in London sein Unwesen treibt. Die meisten heute sehr erfolgreichen Vampir-Geschichten wie die Vampire Diaries oder die Twilight-Saga verbleiben aber im Bereich der Fantasy. Eine Ausnahme bildet The Strain. Ein Flugzeug landet in New York und steht auf dem Airport ohne irgendein Lebenszeichen. Ein herbeigerufener Epidemiologe findet dort über 200 blutleere Leichen und vier Überlebende. Die vermeintlichen Toten entpuppen sich als Vampire und sind, anders als in den erwähnten Serien, wie bei Bram Stockers Dracula einfach nur abgrundtief böse. Auch die Zombies hatten zunächst einen mythischen Hintergrund, der sich aus einer Urangst der Menschen speist, nämlich der Befürchtung, dass die Toten zurückkehren könnten. Dabei – so ein weit in die Vergangenheit zurückreichender kollektiver Aberglaube – gebe es zwei Möglichkeiten: einmal die Erscheinungsform als immaterielles Wesen, als Spukgestalt oder Gespenst. Im Bereich der Science-Fiction wurde und wird dieses Thema nur am Rand behandelt, in Akte X gibt es einige Fälle, wo Scully und Mulder Geistererscheinungen mit wissenschaftlichen Methoden zu erklären versuchen. Zum anderen gibt es die Vorstellung, dass die Toten als Untote in verunstalteten Körpern wieder lebendig werden. Heute bezeichnet man sie als Zombies, eine Bezeichnung, der Begriff stammt aus der von Afrika geprägten Kultur Haitis und wird heute auf der ganzen Welt verwendet. Daran sind die triviale Horrorliteratur des 20. Jahrhunderts und in ihrem Gefolge die oft trashigen Filme nicht unschuldig. In beiden 133
IV. Schöner neuer Mensch
– inzwischen auch in Comics und Computerspielen – wanken Zombies mit leerem Blick und ausgestreckten Armen umher. Mit ihrem entstellten, von Verwesung gezeichneten Gesicht erinnern sie an das Frankenstein-Monster, anders als dieses aber sind sie nicht intelligent, sondern nur vom Wunsch getrieben, lebendige Wesen zu töten oder gar aufzufressen. Da man sie als Untote nicht töten kann, sind sie schier unüberwindlich, vor allem, wenn sie in Massen kommen. Für ein breites Publikum bekamen sie dieses Aussehen durch die Filme von George A. Romero. 1968 entstand Die Nacht der lebenden Toten, in dem sich frisch Verstorbene massenweise aus ihren Gräbern erheben, zehn Jahre später kam Zombie – Dawn of the Dead in die Kinos. Der brutale Film, in dem sich vier Menschen in einem Einkaufszentrum verschanzen und gegen Zombiehorden verteidigen, löste eine regelrechte Welle von ähnlichen Horrorfilmen aus. In den Filmen und Fernsehserien nach 2000 wandelte sich das Bild der Zombies und erhielt mehr Science-Fiction-Elemente. Wegweisend war 2003 Danny Boyles 28 Tage später, in dem ein hochansteckender Virus die Bevölkerung Londons und dann ganz Europas infiziert und in tollwütige Menschen ohne jede Vernunft verwandelt. Bei der Premiere erhielt der Film zusätzliche Brisanz, weil zur gleichen Zeit die ersten Fälle der Lungenkrankheit SARS bekannt wurden. In Romeros Remake von Dawn of the Dead aus dem Jahr 2004 reagieren die Zombies schneller und intelligenter als in früheren Filmen, sie haben Ansätze von Bewusstsein und sind zu sinnvollen Handlungen fähig. So wurde aus dem ZombieFilm ein „Infizierten“-Film, die Betroffenen sind lebendige Menschen mit einer Krankheit, die wissenschaftlich erklärbar und letztlich sogar heilbar ist. Sie sind rasend, tollwütig und mordgierig, aber sie verlieren nicht ihren Verstand. Und noch einen Unterschied gibt es zwischen „alten“ und „neuen“ Zombies: Letztere können unter Umständen sterben, sind also bekämpfbar. In Romeros Zombie II kann sich ein Protagonist an die Zeit vor der Infektion erinnern und in Land of the Dead gibt es sogar eine Art ZombieZivilisation mit einer eigenen Kultur, die gegen die überlebenden Menschen verteidigt werden soll. 134
3. Die Zombies kommen: Science-Fiction trifft Horror
Einen Weltkrieg der Menschheit gegen die Zombies beschreibt Max Brooks in seinem Buch mit dem etwas irreführenden Titel Operation Zombie: Wer länger lebt, ist später tot. Auch hier hat eine Pandemie den Großteil der Menschheit zu Zombies werden lassen, aber sie haben den World War Z: An Oral History of the Zombie War – so der Originaltitel – gewonnen. Zwölf Jahre später wird das Geschehen in Interviews mit Überlebenden, Augenzeugenberichten und Kurzgeschichten geschildert. Diese Art fiktiver Dokumentation ist sehr eindrücklich, zeigt aber auch, worum es dem Autor geht: um die höchst unterschiedlichen Reaktionen von Menschen und Regierungen in einer außerordentlichen Krise. Der weltweite Kampf gegen Zombiehorden bildet auch den Hintergrund für The Walking Dead, das seit Oktober 2003 als monatliches Comic erscheint. Hier sind die Zombies meist dumme, langsam wandelnde Tote, die lebende Menschen jagen. Geschildert werden in einem apokalyptischen Amerika die Erlebnisse einer kleinen Gruppe Überlebender, die angesichts der Krise von inneren Spannungen fast zerrissen wird und sich mit kriminellen Banden, fanatischen Sekten und totalitär ausgerichteten Militärs auseinandersetzen muss. Nach dem großen Erfolg des Comics wird seit 2010 eine gleichnamige Serie ausgestrahlt mit bisher fast 100 Folgen. Schließlich erschien The Walking Dead als Spiel für Konsolen und Computer in drei Staffeln mit bisher je fünf Folgen. Das medienübergreifende Gesamtprodukt hat sich zum „Zombie-Spektakel“ des 21. Jahrhunderts entwickelt, wobei in Comic, Spiel und Fernsehserie mehr Wert auf die Beziehungen der Überlebenden als auf Action gelegt wird. Vampire und Zombies sind nach wie vor fester Bestandteil der Horrorliteratur und in Film und Fernsehserien höchst beliebt. Auch wenn – vor allem in B-Movies – Gewalt und Brutalität wichtige Bestandteile der Produktionen sind, bilden diese nur den Hintergrund der Geschichten. Bei den meisten Vampirserien geht es um Liebes- und Familienbeziehungen der meist jugendlichen Protagonisten. Wenn die Zombiearmeen auftauchen, wird geschildert, wie sich eine kleine Gruppe von Menschen in einer Ausnah135
IV. Schöner neuer Mensch
mesituation bewährt. All dies geschieht ohne einen pseudowissenschaftlichen Hintergrund, um den sich Science-Fiction-Filme oder -Serien ansatzweise bemühen, wenn sie auf Figuren aus dem Horrorgenre zurückgreifen. Ein gutes Beispiel dafür ist The 100. In dieser Serie werden Jugendliche von einer Raumstation auf eine postatomare Erde geschickt, um zu erkunden, ob und wie man dort leben könnte. Sie treffen dort auf verschiedene Gruppen. Da gibt es Menschen, die in strahlengeschützten Bunkern überlebt haben, aber nur über leben können, wenn sie das Blut und das Knochenmark der auf der Oberfläche lebenden Stämme „ernten“. Auch wenn sie dafür nicht ihre Zähne, sondern Kanülen benutzen, sind sie eine Art Vampire. Daneben treffen die Helden auch auf menschliche Monster, die durch Psychodrogen und Elektroschocks zu Zombies gemacht werden. So werden aus der Horrorszene stammende Figuren „modernisiert“ und dem Science-Fiction-Cocktail beigemischt.
4. Die Höherentwicklung der Menschheit Cyborgs, Mutanten, Zombies, die Homini superiores, die „schönen, neuen Menschen“ – sie sind in der Science-Fiction meist Bedrohungen der alten Menschheit. Was aber ist mit den Visionen einer positiven Weiterentwicklung der Menschheit? Kann sich – im Sinne klassischer Utopien – die Menschheit von irdischen Streitigkeiten befreien und ein „kosmisches Bewusstsein“ entwickeln? Wäre es nicht Aufgabe einer gesellschaftspolitisch orientierten Science-Fiction, eine Geschichte der Menschheit bis in die ferne Zukunft zu schreiben und ihre mögliche Evolution zu einer höheren Entwicklungsstufe zu schildern? Mehrere Autoren haben versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden. Wegweisend war der britische Philosoph und Schriftsteller Olaf Stapledon, der in seinem Roman Die Letzten und die Ersten Menschen eine Geschichte der Menschheit über einen Zeitraum von mehr als einer Milliarde Jahre skizziert. Er teilt sie in 18 136
4. Die Höherentwicklung der Menschheit
Abschnitte ein, die erste Entwicklungsstufe ist der heutige Mensch, die letzten Menschen – aus deren Sicht der fiktive Verfasser der Chronik schreibt – verfügen über telepathische Fähigkeiten und können sich jederzeit zu einem Gruppen- oder gar Rassenbewusstsein zusammenschließen. In Der Sternenschöpfer vom gleichen Autor verlässt ein Mensch seinen irdischen Körper und sucht nach dem Weltenschöpfer im Universum. Auf seiner Reise trifft er ähnlich vergeistigte Wesen von anderen Sternen und Galaxien und verbindet sich mit ihnen. Das so entstandene Wir-Bewusstsein wird zum Wanderer durch Zeit und Raum, das mitfühlend das Werden und Vergehen von Zivilisationen und Sternsystemen erlebt und zu einem größeren Verständnis der Zusammenhänge gelangt. Stapledons Bücher inspirierten und beeinflussten andere in langen Zeiträumen spielende Menschheitschroniken wie „Doc“ Smiths Lensmen, Asimovs Foundation-Zyklus oder Heinleins Future History. Nun kann jede Science-Fiction-Geschichte auch eine Entwicklungsgeschichte sein. Am Ende steht der Held oder eine ganze Zivilisation geläutert und reifer da. Das kann ganz einfach sein wie in der militärischen Science-Fiction: Der Held oder die Heldin beginnt als Kadett und endet schließlich als Sternen-Admiral oder Imperator. Und die kleine Heimatwelt wird zum Mittelpunkt eines großen Sternenreichs. Aber das ist nur eine quantitative Entwicklung, kein Sprung in der menschlichen Evolution. Schon H. G. Wells schildert in Der Mensch des Jahres 1.000.000 Wesen, deren Körper verkümmert sind, die dafür aber ein riesiges Gehirn haben und deswegen logischer und vernünftiger denken und handeln können. Stanley G. Weinbaum erzählt in seinem 1939 postum erschienenen Roman Der neue Adam die Geschichte eines Homo superior, der Krüppel und (Über-)Mensch zugleich ist, aber mit den Menschen nicht zurechtkommt, deren Moral er nicht versteht. Schließlich sieht er sich selbst als verabscheuungswürdige Monstrosität und hält sein Leben für völlig sinnlos. Dagegen sieht A. E. van Vogt die Entwicklung zum Übermenschen sehr positiv. In Intelligenzquotient 10.000 137
IV. Schöner neuer Mensch
beschreibt er ein Forschungsprojekt, das sich mit der Steigerung der Intelligenz in ungeahnte Höhen beschäftigt. Es stellt sich he raus, dass Außerirdische schon damit begonnen haben, Menschen auf die höhere Stufe eines „Homo Galacticus“ zu bringen. In Romanen wie Slan, Die Waffenhändler von Isher oder im Null-A-Zyklus sind die Helden die mit überragenden Geisteskräften ausgestatteten Supermänner der nächsten Evolutionsstufe. Diese Romane erzählen die Weiterentwicklung des Menschen als Individuum. Die Mehrzahl der Autoren, wenn sie sich mit solchen Fragen beschäftigen, sieht die nächste Evolutionsstufe eher im Zusammenschluss mehrerer Individuen oder einer ganzen Rasse zu einem Kollektivwesen. In Theodore Sturgeons Die Ersten ihrer Art finden sich Kinder zusammen, die entweder geistig oder körperlich behindert sind. Sie verbinden sich zu einem „Homo Gestalt“, der gewaltige paranormale Fähigkeiten besitzt. Ähnlich in Stephen Baxters Zeit: Das Multiversum 1, wo hochbegabte Kinder in einer Militäranlage von der übrigen Menschheit abgeschottet werden und fliehen, um in einer eigenen Biosphäre auf dem Mond zu leben. In Eric Frank Russells Metamorphose werden Mutanten zu Miniatursonnen und Energiewesen. Arthur C. Clarke hat sich mehrfach mit der Frage der Weiterentwicklung der Menschheit beschäftigt. In Die letzte Generation erzählt er, wie als „Overlords“ bezeichnete Außerirdische auf der Erde landen. Sie helfen bei der Beseitigung von Krankheit und Umweltzerstörung, verfolgen aber einen ganz anderen Zweck. Plötzlich haben die Kinder telekinetische und telepathische Fähigkeiten und gehen als Kollektivwesen eine Metamorphose mit einem Energiewesen ein. Für die Menschheit ist es Childhood’s End, wie der Originaltitel lautet. Auch in seiner Space-Odyssee-Tetralogie – sie besteht aus den Filmen 2001: Odyssee im Weltraum und 2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen sowie den Büchern 2061: Odyssee III und 3001: Die letzte Odyssee – wird die Evolution der Menschheit durch Extraterrestrier angeschoben, wobei geheimnisvolle schwarze Monolithen eine wichtige Rolle spielen. Zudem verschmilzt einer der Protagonisten mit einem Computer und erreicht 138
4. Die Höherentwicklung der Menschheit
so eine mögliche weitere Stufe der Evolution. Anders William Gibson, wenn er andeutet, dass die von den Menschen geschaffenen künstlichen Intelligenzen die Erben der Menschheit sind, wie er es in seinem Roman Neuromancer andeutet. Viele Science-Fiction-Autoren sehen in der Vergeistigung zu einem Art Kollektivwesen die höhere Bestimmung der Menschheit. Bei Perry Rhodan folgt auf die begrenzte raumfahrende Zivilisation die interstellare, die nach und nach zur galaktischen Gemeinschaft wird. Einige dieser Völker beenden ihre körperliche Existenz und verschmelzen zu einer Superintelligenz mit fast göttlichen Fähigkeiten. Solche Beschreibungen haben eine grundsätzliche Schwierigkeit. Wie soll ein Mensch – auch wenn er Science-Fiction-Autor ist – die nächste oder übernächste Stufe menschlicher Entwicklung beschreiben und Wesen skizzieren, die ihm an Intelligenz weit überlegen sind und deren Gedanken buchstäblich in höheren Sphären angesiedelt sind? In manchen Romanen wird oft der Vergleich angestellt, dass zweidimensionale Wesen, die nur Länge und Breite kennen, unfähig sind, sich eine Dimension vorzustellen, in der es so etwas wie eine Höhe gibt. In seinem Spätwerk, mit dem er seinen berühmten FoundationZyklus nach 30 Jahren abschließt, schildert Isaac Asimov die mögliche Entwicklung der Menschheit zu einem die Galaxis umfassenden Kollektivbewusstsein. In Die Suche nach der Erde treffen die Helden auf eine einen ganzen Planeten umfassende Schwarmintelligenz als Beispiel für „Galaxia“, ein die ganze Milchstraße durchdringendes Kollektivbewusstsein, in das sich auch alle Menschen integrieren könnten. Einen großen Entwurf der Menschheitsgeschichte macht Doris Lessing in ihrer fünfbändigen Science-Fiction-Serie Canopus im Argos: Archive. Im ersten Band Shikasta beschreibt sie Canopus im Sternbild Argos. Es ist Mittelpunkt eines riesigen Sternenreiches, das von einer sanften, wohlmeinenden Macht mittels positiven, das All durchdringenden Schwingungen gelenkt wird. Einer der blühenden Planeten ist Rohanda, auf dem die Bewohner in inniger 139
IV. Schöner neuer Mensch
Harmonie mit Flora und Fauna leben. Durch eine kosmische Katastrophe wird er vom Netzwerk des Canopus getrennt und ist bösartiger Strahlung ausgesetzt. Nun entwickelt sich unsere Erde – sie ist der beschriebene Planet – zu einer Welt von Kriegen und Zerstörung. Canopus versucht, diese Entwicklung aufzuhalten, indem sie Botschafter schickt, die wichtige Philosophien inspirieren oder Religionen gründen. Eine interessante, letztlich auch auf seine Gegenwart bezogene Utopie zeichnet der amerikanische Psychologe Paul Lineberger, der unter dem Pseudonym Cordwainer Smith einer der berühmtesten Science-Fiction-Autoren der Fünfziger- und Sechzigerjahre wurde. In zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten beschreibt er eine von den Menschen eroberte und besiedelte Milchstraße, die von der Instrumentalität der Menschheit regiert wird. Diese ist zunächst eine Art wohlmeinende Diktatur, die versucht, Frieden und Stabilität mit allen Mitteln herzustellen und zu erhalten. Zu diesen Mitteln gehören auch Genmanipulation und die Unterdrückung von Gefühlen durch Psychodrogen. Mit der Zeit aber erkennt die Instrumentalität diesen Weg als Fehler und verfolgt nun das Ziel, dass sich die Gesellschaft auf eine ursprüngliche Menschlichkeit besinnt, zu der Individualität und Unvollkommenheit gehören. Den wenigen literarischen Utopien steht eine große Zahl Science- Fiction-Romane und -Filme gegenüber. Wenn sie gesellschaftliche Entwicklungen schildern, dann sind es meistens Dystopien, die einzelne Aspekte der Gegenwart wie Konsumsucht, Datensammelwut, exzessiven Kapitalismus, Jugendwahn oder Genmanipulation in die Zukunft verlängern. Das Szenarium kann auf der Erde spielen oder wird auf die ganze Galaxis ausgedehnt. Dabei sind vor allem seit Star Wars Sternenreiche beliebt, die feudale Strukturen haben oder Abbilder irdischen Kolonialismus, einer ressourcenfressenden und umweltzerstörenden Wirtschaft sowie eines totalitären Staates sind. Gegen solche Systeme kämpft eine Handvoll am Ende erfolgreicher Rebellen, die aber außer Phrasen keine wirkliche Vision einer zukünftigen Gesellschaft haben.
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V. Die Welt hinter der Welt 1. Iron Sky: Die Nazis hinter dem Mond Wir schreiben das Jahr 2018 und amerikanische Astronauten landen nach 50 Jahren wieder auf dem Mond. Dort angekommen, werden sie von Deutsch sprechenden Soldaten in altertümlich wirkenden Raumanzügen festgenommen und zu einem riesigen unterirdischen Stützpunkt geführt. Hier leben die Nachkommen der Nationalsozialisten, die 1945 auf den Mond geflohen sind und die Eroberung der Erde planen. Wenig später steigen von der der Erde abgewandten Mondseite Raumschiffe auf, die wie riesige Zeppeline aussehen, und bombardieren die Erde mit Asteroiden. Reichskriegsscheiben unterstützen diesen „Meteor-Blitzkrieg“, der unter großen Verlusten abgewehrt wird. Ein amerikanisches Raumschiff nimmt Kurs auf die Station und vernichtet sie samt ihren Bewohnern mit einer Atombombe. Vorher ist jedoch die „Götterdämmerung“ gestartet, ein gigantisches Kampfschiff, das, nachdem es den halben Mond pulverisiert hat, Kurs auf die Erde nimmt. Ein amerikanischer Astronaut und eine geläuterte Nationalsozialistin können den Kapitän der „Götterdämmerung“ ausschalten, die Erde ist gerettet. Happy End? Keineswegs! Die über die Nazis siegreichen Erdvölker streiten, wer das auf dem Mond entdeckte Helium 3 als Energiequelle ausbeuten darf. Es kommt zum Krieg. Vom All aus sieht man die Erde in einem Nuklearkrieg untergehen, dann schwenkt die Kamera zum Mars, wo sie einen unbekannten Satelliten entdeckt … Sie sind wieder da, ironisch zwar, aber doch von einem Massenpublikum geschätzt: die Nazis. Das zeigt auch der Bestseller Er ist wieder da, der vielleicht ein Zeichen dafür ist, dass man mit der Vergangenheit unverkrampfter umgehen kann, ohne sie zu verdrängen. Gleichzeitig kommt es in Büchern, vor allem in E-Books, 141
V. Die Welt hinter der Welt
zu einer Renaissance der verkappten, teilweise auch offenen Bewunderung des Nationalsozialismus. Iron Sky greift alte Mythen wieder auf, die gleich nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Damals wurde in Deutschland die Legende vom „Neuschwabenland“ geboren, dem geheimen Stützpunkt, auf dem sich Reste der Nationalsozialisten in der Antarktis verborgen halten sollten. Die Geschichte beginnt mit der Fahrt der „Schwabenland“ zum Südpol, die dort einen möglichen Liegeplatz für deutsche U-Boote auskundschaften soll und dabei zahlreiche Hakenkreuzfahnen in das ewige Eis rammt. Dorthin soll sich Martin Bormann – der Privatsekretär Hitlers galt damals noch als verschwunden – mit SS-Eliteeinheiten und bedeutenden Wissenschaftlern zurückgezogen haben. Manche glaubten sogar, Hitler halte sich in der dort geschaffenen Stadt unter dem Eis auf, man habe nur einen seiner Doppelgänger verbrannt. Außerdem würden die Nazis an weiteren Wunderwaffen arbeiten. Spekuliert wurde etwa über Gewehre, die um die Ecke schießen könnten, vor allem aber über die sogenannten „Reichskriegsscheiben“. Begünstigt wurden diese Geschichten durch zahlreiche angebliche Ufo-Sichtungen, besonders in den Vereinigten Staaten. Fast jeden Monat berichteten die Zeitungen über solche Erscheinungen, sodass sich das Pentagon bemüßigt sah, folgende Meldung herauszugeben: „Die Sicherheit der Vereinigten Staaten ist keineswegs gefährdet. Sobald jedoch die fliegenden Untertassen landen sollten und kleine Männer mit Radarantennen an den Ohren herausklettern, werden wir wohl irgendetwas unternehmen müssen.“ Die wachsende Gemeinde der Ufologen fand solche Erklärungen gar nicht lustig und vermutete ein Täuschungsmanöver der amerikanischen Regierung. Diese habe sogar Kontakt mit Außerirdischen aufgenommen und sie samt ihren Fahrzeugen in der geheimnisvollen „Area 51“ versteckt. In Europa meldeten sich Ingenieure und Konstrukteure, die während des Zweiten Weltkrieges an solchen scheibenförmigen Flugzeugen gearbeitet haben wollten. Giuseppe Belluzo, Wissenschaftler und Minister Mussolinis, erklärte, der Duce habe gemeinsam mit Hitler schon 1942 Versu142
1. Iron Sky: Die Nazis hinter dem Mond
che durchführen lassen. Leider seien die Pläne aber bei der Flucht Mussolinis verloren gegangen. Andere „Augenzeugen“ verlegten die Konstruktion der ersten Reichskriegsscheiben in entlegene Alpentäler, nach Peenemünde oder sogar ins KZ Mauthausen. Obwohl die meisten der „Dokumentationen“ über Neuschwabenland ernst gemeint waren, wurde die Legende zum Ausgangspunkt einiger Science-Fiction-Romane, zuletzt von Iron Sky. Denn gerade solche Absurditäten gehören zur Science-Fiction: Sie nehmen eine futuristische Pseudotechnologie auf und verknüpfen sie mit den Ängsten der Gegenwart. So auch im 1966 produzierten Low-Budget-Film The Frozen Dead. Darin sind einige deutsche Elitebataillone seit dem Weltkrieg eingefroren, die ein fanatischer General und ein besessener Wissenschaftler wieder zum Leben erwecken wollen, um ein „Viertes Reich“ zu errichten. Aber auch ohne Reichsflugscheiben in Neuschwabenland waren Adolf Hitler und die Nazis seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder in der Science-Fiction präsent. In dem Film The Boys from Brazil hat KZ-Arzt Mengele – als der Streifen 1978 gedreht wurde, war er noch verschollen – aus den Genen Hitlers 94 Klone erschaffen. Als das bekannt wird und sich zeigt, dass sie ebenso brutal sind wie ihr genetischer Vater, werden sie gejagt. Im Auftrag des schwarzen Adlers wollen südamerikanische Nazis, die der Geheimorganisation „Schwarzer Adler“ angehören, den 1945 eingefrorenen Hitler aufwecken und mit Wunderwaffen wieder an die Macht bringen. Oft geben Nazis einfach nur hervorragende Schurken ab, so wie der KZ-Zahnarzt in Schlesingers Marathon-Mann. In vielen Filmen und Romanen wird ein Nazi oder ein SS-Mann zu einem enthistorisierten universalen Bösewicht. Wie außer Kontrolle geratene Roboter oder Zombies, mordende Mutanten oder gefährliche Außerirdische lassen sie das Publikum erschaudern. Zudem wird gezeigt, dass abgrundtiefe Bösartigkeit im Menschen selbst liegen kann. Zeitexperimente und Nationalsozialismus werden immer wieder vermischt, zum Beispiel in den inzwischen mehrere 100 Romane umfassenden Was wäre, wenn-Geschichten, die einen ande143
V. Die Welt hinter der Welt
ren Ausgang des Zweiten Weltkriegs, in der Regel einen Sieg der Nazis, beschreiben. In Das Philadelphia-Experiment II erlebt ein amerikanischer Offizier Vereinigte Staaten, die von den Nazis unter ihre Herrschaft gebracht wurden. Dies wird dadurch möglich, dass ein fanatischer Nazi der Gegenwart ein modernes Flugzeug samt Atombombe in die Vergangenheit versetzt und so den Sieg der Deutschen ermöglicht. Eine unheilbringende Hinterlassenschaft des Zweiten Weltkriegs ist auch Thema des Films Shock Waves – Die aus der Tiefe kamen. Deutsche Wissenschaftler haben mit übermenschlichen Kräften ausgestattete Soldaten erschaffen. Weil diese Kampf maschinen aber keinen Befehlen gehorchen, werden sie in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt und im Meer versenkt. In einem späteren Film entdecken Schiffbrüchige Die Schreckensmacht der Zombies – so der Titel. Sie können sie besiegen, weil sie deren Schwachpunkt, die Anfälligkeit gegen Sonnenlicht, herausfinden. Zombies erschaffende Nazis finden wir übrigens auch in Comics und Filmen um Captain America und die Avengers. Auch im Computerspiel sind Hitler und seine Nazis längst angekommen. Während Albert Einstein in einer der Folgen des Echtzeitstrategiespiels Command & Conquer mittels einer Zeitmaschine das ganze Dritte Reich durch die Eliminierung Hitlers verhindern konnte, musste der Held in Indiana Jones und der letzte Kreuzzug Hitler eine Unterschrift abluchsen, um den Nazis bei der Suche nach dem Gral zuvorzukommen. Im 1981 erschienenen Computerspiel Castle Wolfenstein versucht der Spieler, aus einer Ordensburg der SS zu entkommen. Weil der Ego-Shooter bald Kultstatus erreichte – auch in Deutschland, obwohl man alle Naziembleme vermied, um einer Indizierung zu entgehen –, erfolgten zahlreiche Fortsetzungen. So werden in den Nazilabors Supersoldaten gezüchtet, denen die Spieler in 3 -D-Perspektive mit futuristischen Waffen wie dem Teslagewehr, der Partikelkanone oder der die Gegner auflösenden „Leichenfaust 44“ entgegentreten. In der neuesten Fortsetzung Wolfenstein – The New World Order ist die Handlung in einer alternativen 144
2. Völkische Utopien
Welt angesiedelt, wo die Nazis den Krieg gewonnen haben und der Spieler Nazi-Zombies oder Roboterhunde als eine mit immer mächtigeren Waffen ausgestattete Ein-Mann-Armee bekämpft. 2012 erschien folgerichtig nach dem unerwarteten Riesenerfolg des Films Iron Sky das Spiel Iron Sky: Invasion. Dafür wurden zum Teil mit den echten Schauspielern Szenen nachgedreht, um sie immer wieder einflechten und so eine dem Original nachempfundene Geschichte erzählen zu können. Dies war auch nötig, denn ansonsten erinnert alles an die Weltraum-Shooter der Achtzigerjahre. Die Spieler steigen mit ihrem Raumschiff immer dann auf, wenn eine Flotte von Nazi-Ufos gemeldet wird, um die Reichskriegsscheiben abzuschießen.
2. Völkische Utopien Die Mythen, die nach 1945 über die Nazis und ihr geheimes Versteck entstanden, haben viel ältere Wurzeln. Schon der Begriff „Drittes Reich“ war in Deutschland Hoffnung und Vision zugleich. Dazu kam noch der felsenfeste Glaube an die Überlegenheit der deutschen Rasse, der „Arier“, pseudolegitimiert durch nordische Sagen und die Legenden um den Gral und das versunkene Atlantis. Ferdinand Eugen Solf beschreibt 1921 1934. Deutschlands Auferstehung. In seinem Roman übernimmt 1934 eine Geheimloge unter Erich Ludendorff nach einem Putsch die Macht, vertreibt die Franzosen und führt nach der „schrecklichen kaiserlosen Zeit“ wieder die Monarchie ein. Die deutsche Ingenieurskunst erreicht mit „chemisch-medizinischer“ Kriegsführung den Sieg über die Gegner. In Des Götzen Moloch Ende. Politische Zukunftsphantasie von Alfred Reifenberg macht sich ein hoher Reichswehroffizier „im Namen des Volkes“ zum Diktator, im kommenden Krieg siegen die Deutschen mit ihren „Riesenflugzeugen“, „fliegenden Torpedos“ und „Todesstrahlen“. In solchen extrem rechtskonservativen und völkischen Zukunftsromanen der Weimarer Republik ist 145
V. Die Welt hinter der Welt
es meist eine Kombination aus Diktatur und Wunderwaffen, die zur Revision des „Schandfriedens von Versailles“ und zum end gültigen Sieg des erhofften Dritten Reiches führt. Wie das neue Reich aussehen soll, schildert Edmund Schmid in Im Jahre 2000 im Dritten Reich. Eine Schau in die Zukunft, wo Hitlers Nachfolger gerade seinen 100. Geburtstag feiert: „Das Reich, das er regiert, hat sich im Jahr 2000 – neben England, Japan und den USA – als die vierte Weltmacht etabliert. Fast alle germanischen Länder, also Holland, Flamland, Österreich, Skandinavien und die Deutschschweiz, sind inzwischen Teile dieses mächtigen und blühenden Staates geworden. Frankreich ist dagegen durch die fortschreitende ‚Verniggerung‘ an den Rand des Abgrunds geraten, während Russland zwar durch eine ‚antisemitische Revolution der roten Armee‘ das frühere ‚Sowjetjoch‘ abgeschüttelt hat. (…) Und all das ‚ohne irgendeinen Krieg‘ – rein aufgrund der Überzeugungskraft der nationalsozialistischen Idee.“ Dass es friedlich zugehen würde, war freilich ein vergeblicher Wunsch, dem sich die meisten anderen rechtskonservativen Autoren nicht anschlossen. Ihr berühmtester Wortführer Oswald Spengler schrieb 1931 in Der Mensch und die Technik, dass die „unersetzlichen Vorrechte der weißen Völker verschwendet, verschleudert, verraten worden sind“. Seine Schlussfolgerung ist ein unerbittlicher Kampf, „und zwar im Sinne Nietzsches als ein Kampf aus dem Willen zur Macht, grausam, unerbittlich, ein Kampf ohne Gnade“. Dieser Kampf wird in zahlreichen Romanen der Zeit zwischen der Weltwirtschaftskrise und der Machtergreifung Hitlers beschrieben. Wilhelm Götz bringt 1931 Vor neuen Weltkatastrophen. Eine Warnung und ein Ziel. Ein sozialer Zukunftsroman heraus. Darin erzählt er vom Zusammenschluss der weißen europäischen Völker zu einer Großmacht, deren Überlegenheit auch Teile Afrikas und Asiens anerkennen und sich ihr anschließen. Es kommt zum „Endkampf“ mit den großkapitalistischen USA, den die Europäer auch dank ihrer überlegenen Waffentechnik gewinnen. Ein anderes 146
2. Völkische Utopien
Szenario hält Kondor – so das Pseudonym des Autors – für möglich. Er berichtet von der Konfrontation Gelb – Weiß, wo die „stolzen Söhne Albions“ von den Truppen der Japaner und deren Verbündeten aus Südostasien vertrieben werden sollen. Doch da gibt es drei deutsche Erfinder, die mit ihren mit Strahlenkanonen ausgestatteten Unterseebooten, den „Fliegenden Fischen“, die Flotte der Gegner vernichten und wenig später auch noch die aus dem Zusammenschluss von China und der Sowjetunion entstandene bolschewistische Supermacht. Vor allem nach 1933 gibt es für die gesellschaftliche und politische Entwicklung Deutschlands romanhafte Darstellungen, die dann als „Vision“, „Vorschau“ oder gar „Vogelschau“ figurieren. Es gibt keine Parteien mehr, der Führerkult gewinnt religiösen Status, in Anlehnung an den Darwinismus entsteht im Kampf oder durch Züchtung eine Elite von blonden und blauäugigen Ariern. Einmal mehr wird hier auf nordische Mythen zurückgegriffen. In Die Sage vom Weltreich der Arier schwärmt Paul Lamberty von den „Lichtmenschen“, den nordischen „Asen“, der schöpferischsten aller Rassen. Einst hätten sie über Atlantis geherrscht, doch nach dessen Untergang habe sich im heutigen Deutschland die „Blutwurzel“ der Arier eingepflanzt. Deshalb stehe „dem deutschen Asenland der gleiche Führungsanspruch zu wie dem damaligen Reich von Atlantis“. Die Reihe Sun Koh – Der Erbe von Atlantis – mit 150 Heften eine der erfolgreichsten Reihen vor dem Zweiten Weltkrieg – baut auf dem Mythos vom versunkenen Kontinent auf. Der bronzehäutige Held taucht ohne Gedächtnis in London auf und erfährt erst später, dass er der Nachkomme der Überlebenden von Atlantis ist, die sich auf die Halbinsel Yucatan gerettet haben. Dort findet er „ungeheure technische Machtmittel“, die ihm zum Abschluss der Serie gestatten, Atlantis aus den Tiefen des Ozeans zu heben und „dem deutschen Volk und der weißen Rasse“ als Siedlungsraum zur Verfügung zu stellen. Ein Szenario, das Hans Dominik in Land aus Feuer und Wasser ebenfalls entwickelt: Durch gezielte Vulkanausbrüche gelingt es einem deutschen Wissenschaftler, das Land 147
V. Die Welt hinter der Welt
um die eben aufgetauchte Inselspitze von Atlantis zu vervielfachen, um so neues, fruchtbares Land zu gewinnen. Eine ähnliche, wenn auch nicht so wichtige Rolle spielten die Legenden um den Heiligen Gral. An Parzival und Lohengrin angelehnt, wurde über künftige Ritterorden fabuliert, die zur Elite der neuen, völkischen Gesellschaft hochstilisiert werden. Solche Orden stehen als Geheimgesellschaften im verborgenen Kampf gegen die Mächte, die ebenfalls im Dunkeln die Geschicke der Welt lenken, über große, vor allem finanzielle Machtmittel verfügen und ganze Regierungen und deren Politik manipulieren. Deshalb ist die Zeit bis 1945 voller Verschwörungstheorien, die sich gegen Freimaurer und Juden richten. Letztere hatten etwa in Hans Heycks paranoider Dystopie Deutschland ohne Deutsche die Macht in der Welt übernommen, der Unterschied zwischen trivialem Roman und platter Nazipropaganda löste sich auf. In diesem Geflecht von Mythen und Ideologien steht auch der „Zukunftsroman“ mit eher wissenschaftlichem Anstrich – den Begriff Science-Fiction verwandte man in Deutschland erst nach 1945. Am ähnlichsten sind ihm die vom Propagandaministerium geförderten Geschichten um deutsche Ingenieure, die mit ihren Erfindungen den Konkurrenten immer eine Nase voraus sind und die ganze Welt in Erstaunen versetzen. Da gibt es die Großmacht Saturn. Eine Utopie von Wilhelm F. Eickermann, in der ein deutsches Raumschiff im Sonnensystem als Erstes bis über den Jupiter hinaus vorstößt. In Die Macht des unsichtbaren Sterns. Ein phantastischer Roman schildert Stanislaus Bialkowski einen jungen Erfinder, der mit seiner bahnbrechenden Strahlentechnik das Monopol der amerikanischen Großkonzerne auf diesem Gebiet bricht. Hier reihen sich, wenn auch dezenter und mit weniger offensichtlicher Propaganda, die Romane von Hans Dominik ein, die in der Nachkriegszeit oft bis zu einem Drittel gekürzt wurden, um sie vom nationalsozialistischen Gedankengut „zu reinigen“. Es ist ein gnadenloser Kampf um alte und neue Märkte, manchmal auch um Lebensraum, der in diesen Geschichten stattfindet. Die Gegner der deutschen Erfinder und Industriellen kämpfen 148
2. Völkische Utopien
hart und scheuen auch vor Verbrechen und Spionage nicht zurück. Die Feinde wechseln, mal sind es die amerikanischen „Plutokraten“, mal die Bolschewisten oder die „Gelbe Gefahr“ mit Japan an der Spitze. Aus dem Kampf im Dunkeln entwickelt sich ein offener, bewaffneter Konflikt, in dem die Deutschen mit ihren Wunderwaffen siegen. Das Ergebnis ist eine neue Welt, die zügig umgestaltet wird. In Eurofrika – Die Macht der Zukunft schildert Titus Taeschner, wie durch einen gigantischen „Gibraltarstaudamm“ das Mittelmeer trockengelegt wird und so Europa und Afrika zu einem Kontinent verschmelzen. All dies sind typische Szenarien, die auch die Zukunftsromane anderer Länder benutzen – wenn auch unter anderen ideologischen Vorzeichen und mit einer weniger hasserfüllten Propaganda. Schon immer konnten sich Dichter und Leser aus aller Welt an Geschichten begeistern, wie mächtige Reiche aus der Vergangenheit wieder entstehen und die Welt der Gegenwart verändern. Das geschieht mit Verschwörungen und Intrigen, aber auch mit Kriegen, bei denen Wunderwaffen aus Vergangenheit und Gegenwart eingesetzt werden. Es ist ein Szenario, das sich bis heute großer Beliebtheit erfreut.
SF-Spezial
Brauner Schrott heute Sehr früh wurden die Mythen um die Reichskriegsscheiben in der Antarktis in der rechtsextremen Literatur ausgeschlachtet. Schon 1947 berichtete der nach Südamerika emigrierte Ungar Ladislav Szabo in seinem Buch Hitler lebt noch von dessen „neuem Berchtesgaden in der Antarktis“. SS-Oberscharführer Wilhelm Landig – er behauptete, an Hitlers Wunderwaffe mitgearbeitet zu haben – gründete nach seinem Gefängnisaufenthalt in Wien den Volkstum-Verlag, in dem er seine Thule-Trilogie herausgab. Er packte die ganzen Nazilegenden in diese drei Romane, wobei er angab, 149
V. Die Welt hinter der Welt
alles beruhe auf Tatsachen. Ebenfalls in rechtsextremen Kreisen beliebt waren zwei als Dokumentationen getarnte Bücher über Neuschwabenland, die Holocaust-Leugner Ernst Zündel unter dem Pseudonym Christof Friedrich herausgegeben hatte. Waren es bis 30 Jahre nach Kriegsende vor allem literarische Gedankenspiele, mit denen man den Zweiten Weltkrieg für die Achsenmächte gewinnen konnte, wurde das mit der Computersimulation anders. In höchst erfolgreichen und ausgefeilten Spielen wie Panzer General und dem Remake Panzer Corps spielt man vor allem die deutsche Wehrmacht, auch wenn es dann Add-ons wie Allied Corps und Soviet Corps gab. Die sogenannte „Kampagne“ führt die deutschen Truppen erst zum Sieg gegen Russland, dann gegen Großbritannien und sogar eine Invasion in den USA glückt. Man kann auch die Operation Sea Lion 1940 spielen und in Africa Corps Rommel bis nach Indien führen. Für viele mag dies eine harmlose Gedanken-Spielerei sein, für manche aber ist es ein Ausleben alter Träume. Dies zeigt sich auch in dem Boom alternativgeschichtlicher Romane, die als sogenannte „Military Fiction“ schildert, wie die Wehrmacht den Weltkrieg letztendlich gewinnt. Im Gegensatz zu durchaus seriösen und lesenswerten alternativgeschichtlichen Romanen und Filmen zum Dritten Reich und zum Zweiten Weltkrieg handelt es sich hier um propagandistische Machwerke. Typisch und dreist zugleich ist die zwischen 2007 und 2009 erschienene Reihe Stahlfront, für die ein gewisser Torn Chaines („gesprengte Ketten“) als Autor zeichnet. In Band 1 taucht Die Macht aus dem Eis auf, die in Neuschwabenland eine riesige Bastion unter dem Eis der Antarktis errichtet hat. Die Erde ist von schleimigen Aliens unterwandert, gegen deren hypnotische Beeinflussungsversuche nur die blonden und blauäugigen Arier immun sind, während die Außerirdischen ihre Kontrolle vor allem über Juden und Amerikaner ausüben. Die westliche Welt einschließlich Deutschland wird als dekadenter Haufen geschildert, den die tapferen Thule-Truppen aufmischen und ausmisten. In ihrem Kampf gegen die Invasoren aus dem All kennen sie keine 150
2. Völkische Utopien
Gnade, die „Gorger“, kampfkräftige Züchtungen aus Gorilla- und afrikanischen Genen, werden dabei im Nahkampf verheizt. Die zu Recht indizierte Reihe verkaufte sich offenbar so gut, dass der inzwischen in die Schweiz umgezogene Verlag weitere Serien herausbrachte. In der 15-bändigen Reihe Kaiserfront, für die ein unbekannter Autor mit dem Pseudonym Heinrich von Stahl verantwortlich ist, schlägt 1918 eine der SS in Kleidung und Habitus zum Verwechseln ähnliche „Kaiserliche Schutztruppe“ die Arbeiter- und Soldatenaufstände nieder und schafft so die Voraussetzungen für einen deutschen Sieg im Ersten Weltkrieg. Deutschland wird Mittelpunkt eines fast ganz Europa umfassenden „nordischen Bundes“, der 1949 von der Sowjetunion angegriffen wird. Dies nutzen Großbritannien und die USA ebenfalls für einen Überfall. Der eigenartig dem Zweiten Weltkrieg ähnelnde Konflikt wird von den tapferen, zahlenmäßig unterlegenen und technologisch überlegenen Europäern gewonnen, Churchill und Stalin werden in den „Londoner Kriegsverbrecherprozessen“ abgeurteilt. In Stahlzeit lässt sich der Autor einen anderen Trick einfallen. Hitler verunglückt 1942, die Generäle übernehmen die Macht, entmachten NSDAP und SS weitgehend und führen dann den Weltkrieg fort. Auch wenn Serien wie diese immer noch vergleichsweise wenige Käufer finden – die Verlagsangaben, es würden Zigtausende Exemplare verkauft, sind mit Vorsicht zu genießen –, geht doch die Leserschaft deutlich über die kleinen rechtsextremen Kreise der Fünfzigerjahre hinaus. Vor allem E-Books, deren Inhalte bequem aus dem Netz heruntergeladen werden können, tragen zur Verbreitung solcher Bücher bei. Dabei erwächst auch und gerade den rechtsextremen Verlagen aus dem Internet große Konkurrenz. Denn inzwischen haben Dutzende von Hobby-Autoren begriffen, dass es möglich ist, solche Machwerke selbst zu verfassen und zu vermarkten. Wer Romane mit einem anderen Ausgang des Zweiten Weltkriegs sucht oder vom Endkampf der Arier lesen will, wird schnell fündig. Die Titel sind meist erheblich billiger als die von Verlagen und für 0,99 Euro sehen manche gern darüber hinweg, dass der Stil 151
V. Die Welt hinter der Welt
holprig, das Buch unlektoriert und voller Rechtschreibfehler ist, wenn nur die Fantasie in deutschen Allmachtsträumen spazieren gehen kann. Diese werden auch von anderen Quellen aus dem Internet gespeist. Dort lassen sich alle möglichen braunen Mythen und Verschwörungstheorien finden, Zeichnungen von Reichskriegsscheiben ebenso wie Interviews mit inzwischen meist gestorbenen „alten Kameraden“, die an Wunderwaffen mitgearbeitet, sogar das geheimnisvolle Thule entdeckt haben wollen. Die Verbreitung braunen Schrotts hat eine neue Quantität und Qualität erreicht.
3. Akte X oder die geheimen Welten der Verschwörung „Die Wahrheit ist irgendwo da draußen!“ FBI-Agent Fox Mulder weiß das und deshalb hat ihn auch seine Behörde in ein winziges Kellerbüro verbannt. Er glaubt fest daran, dass seine kleine Schwester von Außerirdischen entführt wurde. Entlassen hat man ihn allerdings nicht – immerhin war er Jahrgangsbester im Fach Psychologie an der Universität Oxford – und so sitzt er inmitten eines Bergs ungeklärter Fälle, die möglicherweise auf übernatürliche Phänomene zurückgehen. Mulder bearbeitet die X-Akten. Da er seinen Vorgesetzten irgendwie suspekt ist, weil er mit fanatischer Besessenheit „die Wahrheit irgendwo da draußen“ sucht, stellen sie ihm eine Aufpasserin zur Seite, die Forensikerin Dana Scully, eine kühle Rothaarige. Akte X ist eine Serie, die in den Neunzigerjahren Kultstatus erlangte und von der bis 2002 202 Folgen in neun Staffeln ausgestrahlt wurden. Außerdem sind zwei Kinofilme, viele Bücher und Comics produziert worden. 2016 wurde das Franchise durch eine Miniserie ergänzt. Akte X ist vordergründig eine Kriminalserie, bietet aber eine Mixtur aus Horror-, Fantasy- und Science-Fiction152
3. Akte X oder die geheimen Welten der Verschwörung
Elementen. Ihr Erfolg besteht darin, dass in den meisten Folgen zwar ein ganz bestimmter Fall behandelt und auch gelöst wird, dahinter aber eine Geschichte steht, die sich wie ein roter Faden durch alle Staffeln zieht: eine Verschwörung von Teilen der Regierung mit Außerirdischen. Das macht ihre Faszination für das Publikum aus, das die Serie als Science-Fiction einordnet. So integriert sie einen Teil der Themen aus dem Bereich der Horror- und Geistergeschichten. Auch wenn Mulder und Scully viele der mysteriösen Fälle und ihre Hintergründe nicht völlig lösen und durchschauen können, bemühen sie sich doch um eine rationale Erklärung des Irrationalen. Sie geben dem Zuschauer die Hoffnung, dass es für all das Geheimnisvolle und Unerklärbare da draußen doch eine wissenschaftliche Wahrheit geben könnte. Viele der Einzelfälle in den X-Akten drehen sich um Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten. Mulder und Scully bekommen es mit Telepathen und Telekineten, Menschen mit hypnotischen Fähigkeiten und Tätern zu tun, die absichtlich oder versehentlich andere in Brand setzen. Auch weitere der in der Science-Fiction so beliebten parapsychologischen Talente wie Hellsehen oder Reinkarnation werden thematisiert. Im Fortgang der Geschichte werden die Außerirdischen immer mehr zum Thema. Immer wieder müssen die FBI-Agenten Sichtungen von Ufos nachgehen, die seit dem Zwischenfall von Roswell, einer kleinen Stadt in New Mexico, in der Presse und damit in aller Munde waren. In der wirklichen Welt kam am 8. Juli 1947 die „Roswell Daily Record“ mit der Schlagzeile „Armee erbeutet fliegende Untertasse auf einer Ranch in der Gegend von Roswell“ heraus. Die amerikanische und dann die Weltpresse griff diese vermeintliche Sensation auf. Vergeblich versuchte ein General der amerikanischen Luftwaffe zu erklären, es habe sich nur um den Absturz eines Wetterballons gehandelt. Dieses Dementi regte die Verschwörungstheorien nur noch mehr an. Die Armee verheimliche, dass es sich bei den Trümmern des Wracks um nicht irdische Metalle handle und dass man die Leichen der Insassen gefunden habe, die nicht von dieser Welt 153
V. Die Welt hinter der Welt
stammten. Einige Augenzeugen, von denen es seltsamerweise immer mehr gab, wollten sogar wissen, dass Außerirdische noch lebend weggebracht worden seien. Der Ort, an den alles – was auch immer – gebracht worden sei, sei die Area 51, ein militärisches Sperrgebiet der Air Force. Weitere Zeugen in aller Welt meldeten Ufo-Sichtungen, die von der Presse ernsthaft bis augenzwinkernd weiter berichtet wurden und die Fantasie der Science-Fiction-Autoren bis heute anregen. In zahlreichen Romanen und Filmen ist die vermeintliche Wahrheit über das, was 1947 in Roswell geschah, aufgedeckt worden: Es läuft fast immer darauf hinaus, dass Außerirdische auf der Erde gelandet sind und einige Regierungen schon längst mit ihnen Kontakt haben. Dieser Wahrheit kommen in Akte X auch Mulder und Scully immer näher. Sie erfahren, dass Regierung und Armee bei Roswell tatsächlich Kontakt mit Extraterrestriern aufgenommen haben. Es sind kleine graue Wesen mit übergroßen Augen, wie wir sie uns inzwischen meist vorstellen. Die „Grays“ wollen langfristig die Erde zur Kolonie machen und sind der Menschheit technologisch weit überlegen. Einige mächtige Politiker und Wirtschaftsmagnaten gründen ein Konsortium, das mit ihnen kooperiert und darauf hinarbeitet, dass sie in der von Aliens beherrschten Welt überleben und einen Teil ihrer Macht behalten können. Ziel ist unter anderem, durch Vermischung der Gene von Aliens und Menschen ein beiden Rassen überlegenes Hybridwesen zu erschaffen. Immerhin gibt es Außerirdische, die sich auf die Seite der Menschheit schlagen. Für die beiden FBI-Agenten wird die Sache immer verwickelter … Es ist eine klassische Verschwörungstheorie, die in Akte X häppchenweise serviert wird und so die Spannung aufrechterhält. Eine solche Geschichte ist den Zuschauern schon vertraut, weil seit 1945 das Thema fliegende Untertassen und Außerirdische nicht nur durch Romane, Film und Fernsehen geistert. Es wurde auch durch periodische Sensationsmeldungen am Leben gehalten und hat sich so ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegraben. Wenn dann noch die geheime Verschwörung einiger mächtiger Männer 154
3. Akte X oder die geheimen Welten der Verschwörung
hinzukommt, sind Interesse und Faszination eines breiten Publikums sicher. Dazu tragen im neuen Jahrtausend besonders die Neuen Medien bei. So ist die Wahrheit nicht irgendwo da draußen, sondern im Internet. Wer es wissen will, kann dort lesen, dass der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 nicht etwa durch Terroristen, sondern durch die Regierung der Vereinigten Staaten selbst, zumindest aber durch einen der amerikanischen Geheimdienste verübt worden sein soll. Aber auch das sei nicht die ganze Wahrheit, denn die Regierung der Vereinigten Staaten selbst sei ja nur eine Marionette. Das Sagen hätten die Mitglieder der „New World Order“, einer von der Hochfinanz gesteuerten geheimen Weltregierung. Sie sei vor Jahrhunderten von Orden wie den Illuminaten gegründet und später von Zionisten unterwandert, inzwischen aber von Außerirdischen, vermutlich Reptiloiden, übernommen worden. Natürlich sind auch die Attentate auf die Kennedys und der Tod mancher Päpste die Ergebnisse ihrer finsteren Machenschaften. Um diese Wahrheit aus den Köpfen der Menschen herauszuhalten – so lesen wir in einigen Internetforen –, würden diese geheime Weltzentrale und die ihr hörigen Regierungen nicht nur die „Lügenmedien“ nutzen. Viel wirksamer seien Chemtrails, die täglich von Flugzeugen versprüht würden und die Menschen von Kritik und logischem Denken abhielten. Aber wer einen Aluhut aufsetze, sei zumindest vor hypnotischen Beeinflussungen gefeit. Auch in der Science-Fiction, zumindest ihren Randgebieten, sind solche Verschwörungstheorien höchst beliebt. In Jahr 2022 … die überleben wollen verhindern Politik und Wirtschaft durch die Beimengung beruhigender Substanzen in Nahrungsmittel Aufstände. Im Film Toxic Skies löst ein Pharmakonzern bewusst eine weltweite Epidemie aus, indem er Flugzeuge in der Atmosphäre gefährliche Bakterien verspritzen lässt, um später an dem Heilmittel zu verdienen. Auch die im Internet so beliebten „Chemtrails“ stehen für ein weit größeres Muster: Regierungen, die mittels biologischer oder chemischer Zusätze im Essen oder der Luft ihre 155
V. Die Welt hinter der Welt
Bevölkerung sedieren oder andere Verhaltensweisen erzeugen wollen. Dieses Thema kommt von 1984 über die Schöne Neue Welt bis zu den Gen-Manipulationen in der modernen Science-Fiction immer wieder vor. So verhindert eine durch die Regierung verordnete Droge im Film The New World Order Schmerzen, aber auch alle Emotionen. Verschwörungen sind auch in Horror- und Fantasyszenarien ein Thema: Die Regierung verschweige nicht nur die Existenz Außerirdischer, sondern auch von Vampiren, Gestaltwandlern und Mutanten aller Art. An dem Problem ist sie zum Beispiel in der Fernseh serie Mutant X nicht unbeteiligt. Hier hat der amerikanische Geheimdienst vor über 50 Jahren ein Programm gestartet, die menschliche DNA zu entschlüsseln und zu manipulieren. Aber das Experiment zeitigt ungeahnte Folgen: Die Versuchspersonen entwickeln übersinnliche Fähigkeiten mit manchmal tödlichen Folgen. In Dark Angel sind es genmanipulierte Jugendliche, die rebellieren und fliehen, anstatt sich zu den von der Regierung gewünschten Supersoldaten ausbilden zu lassen. Bei den meisten dieser Verschwörungstheorien geht es ganz banal um Macht und Kontrolle. In den Near-Future-Romanen wird der Einfluss von Geheim gesellschaften wie dem Illuminatenorden, den Templern, den Freimaurern oder Rosenkreuzern in das 21. Jahrhundert verlängert. Auch modernere Organisationen wie die Trilaterale Kommission oder die Bilderberger ziehen als Eliten die Fäden im Hintergrund und fällen die eigentlichen Entscheidungen. Dazu wird noch eine Prise Science-Fiction gemischt wie in der Fernsehserie Intruders. Dort versuchen die Mitglieder einer Geheimorganisation, ewig zu leben, indem sie sich in die Körper junger Leute versetzen und deren Geist hinausdrängen. Umgekehrt werden auch gigantische Space Operas mit Verschwörungen gewürzt. In den Filmen um den Wüstenplaneten Dune wird das Herzogshaus Atreides durch eine galaxisweite Intrige gestürzt und in George Lucas’ Star Wars-Saga ist es geradezu klassisch, wie der vorgeblich demokratische Senator Palpatine durch ein Komplott zum allmächtigen Imperator mutiert. 156
4. Stargate: Zukunft trifft Vergangenheit
4. Stargate: Zukunft trifft Vergangenheit Eigentlich geht es ihm wie Scott Mulder: Er wird von seinen Kollegen als Spinner wahrgenommen. Der Ägyptologe Dr. Daniel Jackson behauptet, dass die Pyramiden wesentlich älter seien, als bisher angenommen, und auch völlig ungeklärt sei, wie sie gebaut worden sind. Wegen dieser Behauptungen hat er seinen Lehrauftrag verloren und ist mittellos. Da bittet ihn das Pentagon um seine Hilfe. Die vom Militär beauftragten Wissenschaftler kommen bei der Erforschung eines Artefakts nicht mehr weiter, das 1928 bei Gizeh gefunden und in eine geheime unterirdische Anlage transportiert wurde. Jackson kann die Inschriften enträtseln und findet heraus, dass es sich um ein „Sternentor“, ein Stargate, handelt. Durch dieses Portal kann man ohne Zeitverlust zu einem fernen Stern reisen. Wie Daniel Jackson in der Endlos-Fernsehserie Stargate führen seit Jahrzehnten Hobby-Ägyptologen einen Kampf um ihre Behauptung, die Pyramiden könnten auf keinen Fall von den alten Ägyptern allein errichtet worden sein. So sehr die Wissenschaft ihre inzwischen im Internet geposteten Beweise ignoriert, stoßen sie in der westlichen Welt bei vielen Menschen auf meist amüsiertes Interesse. Denn um das Land am Nil und seine mächtigen Bauwerke, die alten Götter und den Totenkult ranken sich viele Legenden, die immer wieder in Romanen und Filmen aufgegriffen werden. Beliebt sind Geschichten um Mumien, die nach Jahrhunderten wiedererweckt werden und die Menschen ebenso bedrohen wie der mysteriöse Fluch des Pharao, der vor allem Ausgräber und Schatzräuber trifft. In der Science-Fiction wird vor allem die Verbindung zu mög lichen „Göttern aus dem All“ thematisiert. Manchmal sind es freundliche Außerirdische, die die Pyramiden als Wohnstätten oder als Orte ihrer Verehrung bauten oder bauen ließen. Oder die Pyramiden sind wie bei Stargate Nachbildungen von Raumschiffen. Manche Romane handeln davon, dass irgendwo in den Pyramiden mächtige Artefakte einer hochstehenden Zivilisation liegen könnten, mit deren Hilfe man die Menschheit entweder unterdrü157
V. Die Welt hinter der Welt
cken oder retten kann. Schließlich gibt es Verschwörungstheorien, in denen Regierungen oder Geheimgesellschaften versuchen, die von Forschern gefundenen Beweise für einen Kontakt mit Extraterrestriern zu beseitigen. Haben die Menschen erst einmal die Sterne erreicht, finden sie dort wieder Pyramiden, so wie die Wissenschaftler im Film Prometheus auf der Suche nach dem Ursprung der Menschheit. In Stargate treffen der charismatische Colonel Jack O’Neill und der Ägyptologe Daniel Jackson auf die Vergangenheit, als sie durch das Sternentor einen fremden Planeten betreten. Dort leben Menschen als Sklaven unter der Herrschaft eines lebenden Gottes, der sich Ra nennt und auch im Aussehen an den ägyptischen Sonnengott erinnert. Das Stargate-Kommando findet heraus, dass Ra ein parasitärer Außerirdischer ist, der vor Jahrtausenden den alten Ägyptern die technischen Mittel gab, um Pyramiden zu bauen. Er machte sich zum Gott und entführte zahlreiche Menschen, die in seinen Minen auf anderen Planeten schufteten. Irgendwann rebellierten die Ägypter, töteten seine Aufseher, schlossen das Sternenportal und verbargen es im Sand der Wüste. Dort wird es dann im 20. Jahrhundert von den Amerikanern gefunden und von Daniel Jackson aktiviert … Natürlich gelingt es dem irdischen Team, Ra und sein Raumschiff mittels einer Bombe zu vernichten. So schließt sich der Kreis und auch der Film Stargate. Nach diesem Film beginnt eine endlose Fernsehserie von Abenteuern. Insgesamt bringt es Stargate – Kommando SG-1 auf 214 Episoden, der Ableger Stargate Atlantis hat 100 und Stargate Universe 40 Folgen. Der große Erfolg beruht auch bei dieser Science-Fiction-Serie auf dem bewährten Muster, dass vertraute Personen und weitgehend abgeschlossene Einzelepisoden mit einem staffelübergreifenden Hauptthema verbunden werden, das sich dem Zuschauer erst langsam erschließt. Zu Anfang geht es um den Besuch verschiedener außerirdischer Rassen in der Vergangenheit der Erde. Die Serienmacher nehmen dabei Anleihe bei einer höchst umstrittenen Pseudowissenschaft, die seit den Sechzigerjahren Furore 158
4. Stargate: Zukunft trifft Vergangenheit
macht: die Prä-Astronautik. Hauptvertreter war lange Zeit der Schweizer Erich von Däniken, dessen Buch Erinnerungen an die Zukunft zum Bestseller wurde. Weitere sehr erfolgreiche Bücher folgten, wobei sich der Autor relativ ungeniert bei Ideen und Thesen anderer esoterischer Schriftsteller bediente. Die Prä-Astronautik geht davon aus, dass die Erde vor langer Zeit von Außerirdischen besucht worden ist, die von den Menschen für Götter gehalten wurden. Archäologische Funde und Zeichnungen aus aller Welt werden so interpretiert, dass sie diese These belegen. Selbst die Bibel muss dafür herhalten: Von Däniken sieht im ersten Kapitel des Buches Hesekiel die Beschreibung einer Raumschifflandung. Das Thema bewegt noch heute viele Interessierte. Der „History Channel“ hat seit 2010 105 Folgen der pseudokumentarischen Serie Ancient Aliens ausgestrahlt und setzte den Erfolg 2016 mit der Serie Neue Erkenntnisse fort. Der Boom der Prä-Astronautik regte viele Science-Fiction-Autoren an. In Deutschland war es vor allem Walter Ernsting, bekannt unter seinem Pseudonym Clark Darlton, der mit von Däniken Freundschaft schloss und ihn Science-Fiction-Fans bekannt machte. Prä-astronautische Einflüsse finden sich nicht nur in seinen Romanen, sondern auch in der Perry Rhodan-Serie, für die er schrieb. Auch Günther Gropkrat, einer der populärsten ScienceFiction-Autoren der DDR, griff in einem seiner bekanntesten Romane, Als die Götter starben, auf das prä-astronautische Szenario zurück. Von den unzähligen darauf beruhenden Romanen ist noch die Giants-Reihe des britischen Schriftstellers James P. Hogan erwähnenswert, die mit dem Band Der tote Raumfahrer beginnt, in dem die Leiche eines 50.000 Jahre alten menschlichen Körpers auf dem Mond gefunden wird. Ihm geht es wie bei den meisten thematisch ähnlichen Science-Fiction-Büchern um die Frage, wie die Menschheit entstanden ist und welche Rolle dabei Außerirdische spielten. Fragen, die auch in Filmen wie 2001: Odyssee im Weltraum, Mission to Mars oder Prometheus angesprochen werden. Dagegen haben moderne Thriller noch einen anderen Zugang. Hier werden außerirdische Artefakte mit großem techno 159
V. Die Welt hinter der Welt
logischem Potenzial gefunden, um die sich neben Archäologen und Schatzjägern à la Indiana Jones auch Geheimdienste, obskure Sekten und Großkonzerne streiten. Stargate wurde aber nicht nur wegen des Bezugs zur Prä-Astronautik so erfolgreich und langlebig. Die Autoren schufen einen detaillierten, von zahlreichen Rassen bewohnten Serienkosmos. Das sind einmal die Goa’uld mit den aus der ägyptischen Mythologie bekannten Namen Anubis, Apophis oder Ba’al. Sie sind die Herrscher der Galaxis, weniger wegen ihrer technologischen Überlegenheit, sondern wegen ihrer parasitären Lebensform. Sie dringen über den Nacken in den Körper des Opfers ein, entwickeln eine physische Verbindung zum Zentralnervensystem und erlangen so erst die Kontrolle über den ganzen Körper und dann über das Gehirn des Wirts. Stargate kombiniert hier die Prä-Astronautik mit dem alten Muster der außerirdischen Invasoren, die die Körper der Menschen übernehmen. Die Soldaten der Goa’uld sind die Jaffa, hochgezüchtete und durch Symbionten kontrollierte Superkrieger, für die es in der Science-Fiction schon lange Vorbilder gibt. Es gibt auch gute Goa’uld, die Tok’ra, die den unterdrückten Völkern helfen wollen. Als gefährliche Feinde allen Lebens zeigen sich die Replikatoren, kleine Maschinen, die jedes Metall „auffressen“ und sich dann selbst replizieren. Eine dritte Kraft in der Galaxis sind die Asgard. Sie sind die technologisch am höchsten entwickelte Rasse, zugleich aber physisch sehr schwach und benötigen daher gelegentlich die Hilfe der Menschen. Mit den Asgard greifen die Produzenten von Star Gate alte nordische Sagen auf. Dort ist Asgard die Heimat der Götter, der Asen. Der erste, der den Menschen begegnet, nennt sich Thor und schaut auch genauso aus wie der Donnergott. Als wäre er einem MarvelHeft entsprungen! Erst später wird klar, dass er nur ein Hologramm ist und die Asgard die gleiche Gestalt haben wie die aus Fernsehen und Film bekannten kleinen grauen Aliens mit den zarten Ärmchen und dem kahlen Kopf. Sie beschützen immer wieder Planeten vor den Goa’uld, wobei sie für den Kontakt mit den Einheimischen deren Göttergestalten wählen. 160
4. Stargate: Zukunft trifft Vergangenheit
Die nordischen Götter kehrten in die Science-Fiction zurück in den Comics und in der Figur des Thor, der auf der Erde als Teil der Avenger gemeinsam mit Captain America, Hulk und Iron Man allerlei irdische und außerirdische Bösewichte bekämpft. Inzwischen ist er auch in Hollywood angekommen. In den beiden Filmen Thor und Thor – The Dark Kingdom werden die Welten in Fantasy und Science-Fiction eingeteilt. Da ist einmal der gesamte nordische Götterhimmel, der auf dem fernen Planeten Asgard angesiedelt ist und die Menschheit im 10. Jahrhundert nach Christus gegen die Frostriesen verteidigt. Und es gibt die Erde, auf die der impulsive Donnergott verbannt wird. Dort versuchen Astrophysiker, das durch das Auftreten der Asen umgestürzte Weltbild zu enträtseln. Andere Wissenschaftler bauen deren Waffen und Geräte nach, um die Erde gegen Feinde zu schützen. Weil Odin, Thor oder Loki einem breiteren, vor allem an Fantasy interessierten Publikum vertraut sind, baut man sie ebenfalls in andere ScienceFiction-Serien wie Supernatural ein. Die Stargate-Macher übernehmen mit einem weiteren Kunstgriff auch die Sagen um Atlantis. In der Serie ist es eine riesige Stadt auf dem Meeresgrund, die vor Tausenden von Jahren von den Antikern, den inzwischen ausgestorbenen Beherrschern der Galaxis, gebaut wurde. Nach ihrer Fertigstellung verlässt die Unterwasserstadt als gigantisches Raumschiff die Erde in Richtung der fernen Pegasus-Galaxis. Zurück bleibt ein kleiner Stützpunkt, der von den Menschen zunächst für das verlorene Atlantis gehalten wird, von dem aus aber das eigentliche Atlantis via Sternentor erreicht werden kann. Mit diesem Trick kann eine neue Crew in einem unbekannten Teil des Universums mit neuen Rassen neue Abenteuer erleben, und das in stolzen 100 Folgen. Im kollektiven Gedächtnis der Menschheit ist der Atlantis-Mythos tief verankert: eine von einer technischen Hochkultur errichtete Metropole, die im Meer versunken ist und ungeheure Schätze und Erkenntnisse birgt. Marion Zimmer Bradley beschreibt Das Licht von Atlantis, Abenteurer wie MacGyver sind auf der Jagd nach dem Schatz von Atlantis und in Film und Fernsehen wird nicht nur Das 161
V. Die Welt hinter der Welt
Geheimnis der verlorenen Stadt gelöst, sondern aus dem Meer taucht auch Der Mann aus Atlantis auf. In der Science-Fiction gibt es zwei Stränge des Atlantis-Szenarios: Einmal ist Atlantis die erste Hochkultur der Erde, die durch eine Katastrophe oder außerirdische Feinde vernichtet wurde. Wissenschaftler lüften dieses Geheimnis und erkennen, dass die gleichen Gefahren auch der heutigen Menschheit drohen. In eine andere Richtung gehen die Geschichten, die sich um das verborgene Wissen und die Hochtechnologie der versunkenen Stadt ranken. Forscher finden die Relikte und wollen sie nutzen, um Kriege zu verhindern oder Heilmittel für globale Krankheiten zu finden. Dass irgendwelche Bösewichte ebenfalls am Erbe von Atlantis interessiert sind, versteht sich von selbst. In der Perry Rhodan-Serie ist der zweite Hauptheld ein gewisser Atlan, ein unsterblicher arkonidischer „Kristallprinz“, den es vor 10.000 Jahren auf die Erde verschlagen hat. Damals errichtete er eine nach ihm benannte Kolonie, die bei einer Katastrophe unterging. Seitdem hat er in seiner Unterwasserkuppel gelebt und helfend in die Geschichte der Menschheit eingegriffen. Es trifft sich Zukunft mit Vergangenheit, die Götter aus dem All besuchen die alten Ägypter und Mayas, die nordischen Asen halten ihre Hand schützend über die Menschheit und mit Atlantis taucht überlegenes technisches Wissen auf. Akte X und Stargate haben schon das typische Aussehen moderner Science-Fiction- Serien, zumindest sind sie für den Großteil ihrer Zuschauer Science-Fiction. Es ist eine Mischung aus Fantasy und Mysteriösem – oft auch Mystery genannt –, und aus Konflikten und Kriegen, die mit futuristischer Technologie ausgefochten werden. Die Helden und Schurken werden den Zuschauern über die Jahre vertraut und liebenswert. Beide Serien sind aber auch Seitenwege der Science-Fiction. Die X-Akten eröffnen einen Blick in eine Welt hinter der Welt, Stargate öffnet einen bequemen Weg in die Weiten der Galaxis und greift damit nicht nur auf die Vergangenheit zurück, sondern nimmt auch das lange Zeit wichtigste Thema der Science-Fiction wieder auf, den Flug zu den Sternen. 162
VI. Andere Erden 1. Alternativ- und Parallelwelten Es beginnt wie eine der üblichen amerikanischen Kriminalserien mit den beliebten, fast prototypischen Figuren. Da befasst sich eine Spezialabteilung des FBI mit mysteriösen Kriminalfällen, die sich mit dem Stand der heutigen Wissenschaft nicht erklären lassen. Die Sondereinheit heißt deshalb auch „Fringe Division“, weil sie ihre Fälle meistens nur mithilfe von „fringe science“, also Grenzwissenschaften, lösen kann. Dazu brauchen die zwei toughen FBIAgentinnen den psychopathischen, höchst exzentrischen Wissenschaftler Walter Bishop, der solche Phänomene erforscht hat, aber seit 17 Jahren in einer Nervenheilanstalt sitzt. Herausgeholt wird er durch seinen Sohn Peter, ebenfalls Wissenschaftler, aber auch Trickbetrüger, der nun gemeinsam mit dem Vater und dem FBI arbeitet. In der ersten Staffel von Fringe – Grenzfälle des FBI geht es noch relativ „paranormal“ zu. Die Helden entdecken, dass jeder Vorfall von mysteriösen glatzköpfigen Männern, die aber nicht eingreifen, beobachtet wird. Dann stoßen sie auf den Multikonzern Massive Dynamics, der geheimnisvolle Experimente gemacht hat, darunter ein Versuch, der Kindern zu übermenschlichen Fähigkeiten verhelfen sollte. Außerdem gibt es noch ein Paralleluniversum, in dem die gleichen Menschen wie in der „realen Welt“ leben, aber völlig andere Funktionen und Charaktere haben. Und jetzt wird es kompliziert. Es stellt sich heraus, dass Walter Bishop Peter Bishop aus der Alternativwelt entführt hat, weil sein eigener Sohn bei einem Unfall gestorben ist. Damit hat er das Gleichgewicht der Welten gestört, worauf sich zerstörerische Risse in beiden Welten bilden, die langfristig ihren Untergang herbeiführen könnten. Die Aufgabe der „Fringe Division“ der Alternativwelt ist denn auch, diese 163
VI. Andere Erden
Löcher zu versiegeln. Dort ist der andere Walter Bishop Verteidigungsminister und plant, mit einer Maschine das eigene Universum zu retten, indem er das andere zerstört. Die Lösung in diesem Konflikt kann nur eine Reise in die Vergangenheit sein, auf der Peter Bishop einige frühere Entscheidungen rückgängig macht. Pech ist nur, dass er damit aus der Zeitlinie beider Universen verschwindet, sodass lange Zeit niemand mehr von seiner Existenz weiß. Irgendwann in der vierten Staffel taucht er aber wieder auf, zuerst in Gedanken und schließlich materiell. Freilich kann er sich des Lebens nicht lange erfreuen, denn er wird in Bernstein eingeschlossen und wacht erst im Jahr 2036 wieder auf, wo Diktatur und allumfassende Überwachung herrschen. Mittels weiterer Reisen durch die Zeit und in die Alternativwelt kann aber auch das korrigiert werden. Fringe – Grenzfälle des FBI hat all das, was moderne ScienceFiction-Serien ausmacht, auch wenn es den Zuschauern am Ende vielleicht zu kompliziert geworden ist, sodass die Serie mit der fünften Staffel eingestellt wurde. Die Serie besteht aus den üblichen Bausteinen: pro Folge ein Fall, der weitgehend gelöst wird, nebeneinander laufende Beziehungskisten und ein staffelübergreifendes Hauptthema, das immer wieder durchschimmert und oft im Cliffhanger wieder aufgegriffen wird. Dazu Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, ein verrücktes, alle Grenzen überschreitendes Genie, Verschwörungen, Terrorismus und Verwirrung durch Doppelgänger, Zeitreisen und eine Alternativwelt. Diese andere Welt gleicht bei Fringe in vielen Punkten unserer Erde. Sie hat sich aber irgendwann abgespalten und eine eigene Geschichte mit eigenen Problemen entwickelt. Gleichzeitig – und das ist für den Zuschauer faszinierend – gibt es auf beiden Erden die gleichen Personen, wenn auch in anderen Funktionen. Natürlich ist das alles völlig unlogisch und in der Serie gibt es dafür nicht einmal eine pseudowissenschaftliche Erklärung: Wenn sich Erde eins von Erde zwei durch irgendein Ereignis vor vielen Jahren anders entwickelt hat, wieso sollen die gleichen Personen darauf leben? 164
1. Alternativ- und Parallelwelten
Die Vorstellung von Parallelwelten ist uralt. Der Olymp und Walhalla als Heimat der Götter, Himmel und Hölle sind solche Welten neben der Welt, Jonathan Swifts Gulliver reist zu den Zwergen und zu den Riesen und Arthur Conan Doyles Helden finden Die vergessene Welt. Lewis Caroll schildert das „Wunderland“ und Lyman Frank Baum „Oz“. Die Trivialautoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lieben es, ihre Helden in Parallelwelten zu schicken, in denen sie auf furchterregende Monster, Hexenmeister und tapfere Ritter treffen. Dabei garnieren sie ihre Erzählungen mit utopischen Elementen wie fliegenden Luftschiffen, Portalen, mit denen man Tausende von Kilometern in einem Schritt überwinden kann, Riesenkanonen und sogar Strahlenwaffen. Es sind „swashbucking adventures“, verwegene Abenteuer, wie man in den USA diesen in verschiedenen Genres vorkommenden Literaturtypus nennt. Die Unterscheidung zwischen Parallelwelten und Alternativ welten ist unscharf. Parallelwelten liegen irgendwo hinter der Sonne oder in einer anderen Dimension und in ihnen ist so ziemlich alles möglich. Letztere Form ist pure Fantasy, die mit ScienceFiction wenig zu tun hat, außer dass es sie gibt und einen irgendwie gearteten Übergang zu ihr. Dieser Genrevermischung bedienen sich gerne moderne Autoren und Filmemacher. Philip Pullmans erfolgreiche Trilogie His Dark Materials – die Verfilmung des ersten Teils Der Goldene Kompass erwies sich als ziemlicher Flop – ist ein typisches Beispiel solcher moderner Pa rallelweltkonstruktionen. Es ist eine magische Welt mit Hexen im Himmel, Dämonen als Begleiter von Menschen und wehrhaften Panzerbären. Ein zwölfjähriges Mädchen muss die Welt retten, wichtigstes Hilfsmittel dazu ist ein goldener Kompass, mit dem sie Wahrheit und Lüge erkennen kann. Berühmter und bedeutender ist Stephen Kings Dunkler Turm- Zyklus. „Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm.“ So beginnt der erste von acht Bänden. Es ist die endlose „Suche nach dem Turm, der an der Wurzel der Zeit steht.“ Der Weg führt durch düstere Parallelwelten und der Autor 165
VI. Andere Erden
vermischt dabei so brillant wie typisch für moderne Romane oder Filme die Genres von Science-Fiction, Horror, Western und Fantasy. King ließ sich dabei nach eigenem Bekunden von Tolkiens Herr der Ringe und von Sergio Leones Western beeinflussen, es gibt Anspielungen auf Harry Potter, die Jedi-Ritter aus Krieg der Sterne, zur Artussage und Terry Pratchetts Romane über die Scheibenwelt. Auch Philip José Farmer hat mehrere Zyklen mit solch fantastischen Parallelwelten entwickelt. Im fünfbändigen Flusswelt-Zyklus schlängelt sich ein mehrere 10.000 Kilometer langer Fluss durch den Planeten. Im ersten Band Die Flusswelt der Zeit werden am Ufer des großen Stroms alle Menschen wiedererweckt, die jemals auf der Erde gelebt haben. Eine Expedition, der unter Leitung des britischen Afrikaforschers Richard Francis Burton unter anderem König John Ohneland, Mark Twain, Tom Mix, Jack London und Hermann Göring angehören, macht sich auf zum Nordpol, wo die geheimnisvollen „Erbauer“ leben sollen. In einem weiteren Zyklus von Farmer, Die Welt der 1000 Ebenen, wird der Protagonist in ein Paralleluniversum versetzt, in dem alles existiert, was die Mythen und Sagen an Monstern und Helden hergeben. Die hypothetischen Welten sind meist durch eine Dimensionswand von der realen Welt getrennt und dadurch Teil eines über unser Universum hinausgehenden Multiversums. Manche Autoren liefern eine Erklärung und führen ihre Geschichten auf die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik zurück, aus der sie ableiten, es gäbe eine Unzahl nebeneinander existierender Universen. Die bekannteste und bis heute laufende Fernsehserie mit mehreren Parallelwelten begann in den frühen Sechzigerjahren. Ihr Markenzeichen ist eine etwas schäbig aussehende britische Telefonzelle, wie man sie früher an jeder Straßenecke Londons sehen konnte. Im Handyzeitalter wirkt sie wie eine kuriose Antiquität. Doch ist die TARDIS (Time And Relative Dimensions In Space) ein erstaunliches Gefährt, mit dem man durch Zeit und Raum sowie in parallele Erden und Universen reisen kann. Sie hat sogar einen „Chamäleon-Schaltkreis“, mit dem sie sich der Umgebung anpassen und dadurch praktisch unsichtbar machen kann. 166
1. Alternativ- und Parallelwelten
Die TARDIS wird von einem geheimnisvollen Doktor ohne Namen gesteuert. Er nennt sich immer nur „The Doctor“, weshalb er dann „Doctor who?“ gefragt wird – und schon hat die Serie ihren Namen. Er ist ein „Timelord“ von einem fernen Planeten und kann sich nach schweren Verwundungen selbst regenerieren. In den ersten Tagen nach der Regeneration ist er zwar ziemlich verwirrt, hat aber ein neues Aussehen angenommen, was für die Filmproduzenten angenehme Folgen hat. Der inzwischen zwölfte Doktor konnte so mit dem zwölften Schauspieler besetzt werden – eine Notwendigkeit bei einer inzwischen mehr als fünfzigjährigen Serie. Der Doktor hat immer eine Begleiterin, meist eine Frau von der Erde, es kann aber auch eine Außerirdische sein. Zudem gibt es K-9, einen Roboterhund, der ausschließlich logisch denken kann, was zu höchst merkwürdigen Gesprächen mit den gefühlsgesteuerten Menschen führt. Seit November 1963 wird die britische Fernsehserie Doctor Who im britischen Fernsehen ausgestrahlt. Mit mehr als 800 Folgen hat sie einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde als die am längsten laufende Science-Fiction-Serie der Welt. Zudem gibt es einige Spin-offs wie Torchwood, zahlreiche Bücher, Hörspiele und Filme über den Doktor. In vielen Science-Fiction-Serien, beispielsweise in Star Trek oder Eureka, gibt es Anspielungen auf den Doktor, im Computerspiel Fallout kann man der TARDIS begegnen und in Fallout 2 sogar Roboterhund K-9 als Gefährten gewinnen. Die Kultserie Doctor Who gilt als die Mutter aller Science-Fiction-Serien und lässt doch einiges vermissen, was zur klassischen Definition dieses Genres gehört. Die technischen Möglichkeiten der TARDIS sind fantastisch, aber sie werden ebenso wenig erklärt wie die Reisen durch Zeit und Raum. Dennoch bietet die Serie alles, was für Generationen von Fernsehzuschauern seit den Sechzigerjahren Science-Fiction ausmacht und was sie – auch die Autoren und Filmproduzenten – geprägt hat: Reisen in die Vergangenheit und Zukunft, Besuch von parallelen und alternativen Erden, Aufbruch zu fernen Planeten und Begegnung mit exotischen Wesen, Kämpfe und Verschwörungen im All und auf der Erde. 167
VI. Andere Erden
Neben dem oft skurrilen Humor erlangt die Serie durch Anspielungen auf aktuelle politische Fragen wie die Umweltdiskussion, den Kampf um mehr Frauenrechte oder den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Union zusätzlichen Reiz. Immerhin auf fünf Staffeln brachte es die Serie Sliders – das Tor in eine fremde Dimension. Ein Physikstudent erfindet ein Dimen sionstor und kann mit seinen Freunden in eine Alternativwelt reisen. Dummerweise geraten sie dabei in einen Dimensionsstrudel und merken an kleinen Unterschieden erst allmählich, dass sie in einer Welt gestrandet sind, die sich von der ihren unterscheidet. Sie versuchen mit ihrem „Timer“ zurückzukehren, kommen aber auf immer exotischere Erden: eine, auf der eine tödliche Seuche herrscht, dann kommen sie zu einer Erde, auf die ein gigantischer Asteroid zurast, schließlich zu einem Amerika unter britischer Herrschaft, einem Amerika, das von den Russen erobert worden ist, und einem, wo die Dinosaurier nicht ausgestorben sind und so weiter … Schließlich entwickeln sie die Theorie, dass es in der Erdgeschichte wie in der Geschichte der Menschheit Kreuzwege der Zeit gibt, wo die Entwicklung in die eine oder andere Richtung laufen kann. Womit wir bei einer Frage wären, der sich nicht nur ScienceFiction-Autoren gerne widmen: „Was wäre, wenn?“. Zuvor ist freilich noch die Frage zu klären, wie man zu den Scheidewegen der menschlichen Geschichte kommt. Ganz klar: durch Zeitreisen!
2. Zeitreisen „Ich bin Doktor Emmett Brown und stehe hier auf dem Parkplatz von Twin Pin Mall. Es ist Samstag, der 26. Oktober 1985, 1:18 Uhr morgens und wir beginnen mit dem Zeitexperiment.“ Auf dem nächtlichen Areal steht ein Flitzer ersten Ranges, ein DeLorean, und der weiß bekittelte Wissenschaftler, der mit seinen abstehenden Haaren sehr an Einstein erinnert, schnallt einen Hund gleichen Namens auf dem Fahrersitz an. Das Auto wird auf 140 km/h 168
2. Zeitreisen
beschleunigt, verschwindet mit einem Blitz und hinterlässt nur brennende Reifenspuren. Bevor Brown Marty McFly, einem smarten Teenager, der die Szene filmt, erklären kann, wie seine Zeit maschine – sie ist in den Wagen eingebaut – funktioniert, kommt das Gefährt zurück. Hund Einstein hat 1 Minute in der Zeit übersprungen, wie beide bei einem Uhrenvergleich sehen: Experiment geglückt. Der strahlende Doc erzählt, dass er die Idee von einer Zeitmaschine 30 Jahre zuvor, am 5. November 1955, gehabt habe und nimmt dieses Datum, um Marty zu zeigen, wie man eine Zielzeit einstellt. Solche Zeitreisen brauchen sehr viel Energie. Doc Brown nimmt dazu Plutonium, das er von libyschen Terroristen geklaut hat. Die sind ziemlich sauer, haben ihn bis zu dem Parkplatz verfolgt und schießen mit einem Maschinengewehr auf ihn. Während der Wissenschaftler tödlich getroffen zusammenbricht, versucht Marty mit dem DeLorean zu fliehen, erreicht 140 km/h und verschwindet unter Donnern und Blitzen in das Jahr 1955. Nach einigen Irrungen und Wirrungen findet sich Marty einigermaßen in der Vergangenheit zurecht. Aber trotzdem will er zurück. Nur kann das verbrauchte Plutonium im Jahr 1955 nicht ersetzt werden. Also sucht er den jüngeren Doc Brown auf und überzeugt ihn von der verrückten Geschichte. Die Möglichkeit, die nötige Energie zu gewinnen, ist ein Gewitter. Marty weiß, dass am kommenden Samstag ein gewaltiger Blitz in den Turm des Rathauses einschlagen wird. Den könnte man auf den Antrieb des Autos umleiten. Aber Marty hat ein noch weit größeres Problem. Er erkennt, dass zwischen seinen zukünftigen Eltern nicht einmal ein Anflug von Verliebtheit zu sehen ist. Ohne Liebe und Heirat wird es aber 1985 keinen Marty McFly geben. Erst nach mehreren erfolglosen Versuchen gelingt es ihm eher durch Zufall, dass sich seine Eltern auf einem Tanzball ihren ersten Kuss geben. Dann geht es mit Blitz und Donner zurück in die Zukunft, wo ein veritables Happy End auf den Jungen wartet. Er kehrt kurz vor dem Anschlag auf den Doc zurück und kann ihn warnen, wodurch dieser dank einer 169
VI. Andere Erden
Schutzweste überlebt. Martys Eltern sind erfolgreicher und selbstsicherer geworden. Doch da taucht Doc Brown aus der Zukunft auf und bittet Marty und dessen Freundin um Hilfe: Ihre künftigen Kinder hätten große Probleme … Eigentlich hatten Produzent Steven Spielberg und Regisseur Robert Zemecki den Schluss von Zurück in die Zukunft nur als Gag und nicht als Cliffhanger gedacht, doch der große Erfolg veranlasste sie zu einem zweiten und dritten Streich. In Zurück in die Zukunft II nimmt Biff, der gealterte Widerling des ersten Teils, im Jahr 2015 einen Almanach, der alle Sportergebnisse des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts enthält, klaut die Zeitmaschine und übergibt 1955 seinem jüngeren Ich das Büchlein. Als Marty und seine Freunde wieder ins Jahr 1985 zurückkehren, ist alles anders. Der Schurke – durch Sportwetten reich geworden – besitzt ein riesiges Wirtschaftsimperium und hat, nachdem Martys Vater gestorben ist, seine Mutter geheiratet. Also muss auch diese Zeitlinie verändert werden: Marty reist in die Vergangenheit und nimmt dem jüngeren Biff den Almanach wieder ab. In Zurück in die Zukunft III landet Marty 1885 in einer Schlacht zwischen Indianern und Kavalleriesoldaten, worauf er sich auf die Suche nach Doc Brown begibt, der in dieser Zeit im Wilden Westen verschollen ist. Drehbuch und Gags sind noch verrückter, doch immerhin kann der Wissenschaftler mit Frau und Kindern namens Jules und Verne in das Jahr 1985 zurückkehren und hinterlässt als letzte Worte: „Deine Zukunft ist noch nicht geschrieben. Die Zukunft ist, was du daraus machst.“ Es sind wirklich letzte Worte, denn einen vierten Teil soll es nicht geben. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt und wie viele Fortsetzungen es auf anderen Zeitlinien gibt. Die Namen von Doc Browns Kindern sind übrigens eine Hommage an Jules Verne, der mit seinem Roman Von der Erde zum Mond die Epoche der fiktiven Zeitreisen einleitete. Die Zeitreise ist ein beliebtes Sujet der Science-Fiction, wobei es einfache und komplizierte Formen gibt. Es gibt die Zeitreise, die eigentlich keine ist: Menschen der Gegenwart lassen sich konservieren – meist durch Einfrieren – und wachen in der Zukunft wieder auf. 170
2. Zeitreisen
Als Robert Ettinger 1964 in seinem Sachbuch The Prospects of Immortality schrieb, die Medizin der Zukunft werde alle Krankheiten heilen und sogar den natürlichen Tod überwinden, da überlegten viele, meist unheilbar Kranke, sich einfrieren zu lassen. Der KyronikPionier glaubte selbst an seine Methode und ließ sich, als er 2011 92-jährig starb, einfrieren. Seitdem liegt er als Patient 106 in seinem eigenen Institut. Welche Wunder und Schrecken solche Zeitreisende aus der Vergangenheit erleben, ist Gegenstand einer Reihe von Romanen und Filmen. Am amüsantesten ist sicher Woody Allens satirischer Film Der Schläfer, in dem der Held versehentlich in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt und erst 200 Jahre später in einem lustfeindlichen, faschistoiden Amerika aufgeweckt wird. Bei einer „normalen“ Zeitreise reist man mittels eines technischen Geräts in die Zukunft oder in die Vergangenheit. Manchmal braucht es auch keine Zeitmaschine, ein Schlag auf den Kopf reicht aus. Wie eine Art „Zeit-Tourist“ kann man den Kreuzestod Jesu miterleben oder eine Menschheit, die in 1.000 Jahren zum Mittelpunkt eines Sternenimperiums geworden ist. Neben Wells Die Zeitmaschine ist Mark Twains Ein Yankee am Hofe des König Artus ein früher Klassiker dieses Genres. Als moderner Mensch in das Jahr 528 versetzt, streitet Hank Morgan gegen Aberglauben, religiöse Intoleranz und das grausame Rechtssystem des Mittelalters. Wie andere Autoren nutzt Twain seine Zeitreise zur Kritik an der Gegenwart. Er stellt den fortschrittlichen amerikanischen Republikaner gegen europäische Rückständigkeit, schreibt aber auch gegen die Glorifizierung des Mittelalters, wie sie im 19. Jahrhundert bei Autoren wie Walter Scott vorkam. Bei Zeitreisen in die Zukunft wird noch deutlicher, dass eigentlich gegenwärtige Entwicklungen kritisiert werden. Edward Bellamys Schläfer in Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887 sieht eine bessere Zukunft ohne Luftverschmutzung, in der jeder Ausbildung und Arbeit nach seinen Fähigkeiten erhält und die Ausbeutung überwunden ist, weil jeder einen gerechten Anteil an den geschaffenen Werten erhält. Dem war im Jahr 1887, als das Buch erschien, nicht so. Zeitreisende aus der Zukunft können aber auch eine Bedro171
VI. Andere Erden
hung sein. Nicht nur, wenn sie als Touristen aus der Zukunft durch ihr geisterhaftes Erscheinen die Bewohner einer Kleinstadt verängstigen wie in John Wyndhams Pawley’s Peepholes. Edmund Hamilton lässt in The Time Raider Menschen in die Zukunft entführen, wo sie als Rekruten gebraucht werden. Und die Glatzköpfe aus Fringe, die immer wieder an Orten von Unfällen und Verbrechen auftauchen, sind keineswegs harmlose Beobachter, sondern entpuppen sich als Besucher aus der Zukunft, die die Gegenwart in ihrem Sinne manipulieren wollen. Zeitreisen in die Zukunft kann man nicht nur mit einer Zeitmaschine unternehmen, sondern auch, wenn man sich in einem fast lichtschnellen Raumschiff der Zeitdilatation aussetzt und dabei während der wenigen Stunden im All Tausende von Jahren auf der Erde vergehen. Auf diese Weise wird man Teil der Zukunft, zurück in die eigene Zeit kann man aber nicht. Vom bloßen Zuschauer zu Akteuren werden zwei Wissenschaftler in der Fernsehserie Time Tunnel, die es Mitte der Sechzigerjahre auf 30 Folgen brachte. Durch einen Unfall beim Bau der Zeitmaschine werden sie zunächst auf die untergehende Titanic geschleudert. Sie entkommen durch einen weiteren Zeitsprung, der sie in verschiedene Epochen führt. So erleben sie den Untergang Trojas, die Französische Revolution und den Ausbruch des Krakatau. Dabei müssen sie begreifen, dass die Zeit nicht zu verändern ist. Sie versuchen vergeblich vor Katastrophen und tragischen Entwicklungen zu warnen, doch es gelingt ihnen höchstens, einzelne Menschen zu retten. Die Geschichte der Menschheit bleibt dieselbe. Das reicht den gewiefteren Autoren oder Produzenten wie Steven Spielberg nicht aus. Für sie ermöglichen Zeitreisen weit inte ressantere Komplikationen. Gerade wenn man die Vergangenheit besucht, ist die Gefahr groß, dass man irgendetwas anstellt, das die Gegenwart ändert. Da geht man als harmloser Tourist in das Zeitalter der Dinosaurier, stolpert, tritt dabei auf einen Schmetterling und kehrt in eine Diktatur zurück. So geschieht es in Ray Bradburys berühmter Kurzgeschichte Ferner Donner aus dem Jahr 1952, die erstmals den heute sprichwörtlich gewordenen „Schmet172
2. Zeitreisen
terlingseffekt“ beschreibt. Was aber, wenn man ganz gezielt die Vergangenheit ändern, etwa den Unfalltod eines geliebten Menschen ungeschehen machen will? Was löst das aus? Und dann erst die Versuche, die Geschichte zu ändern, beispielsweise den Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Ein ehrenwerter Ansatz, aber die Welt danach wäre nicht mehr die unsere und wir selbst würden wahrscheinlich nicht mehr existieren, zumindest nicht so wie heute. Dieses „Zeitparadoxon“ wird zum Thema zahlreicher Geschichten nach dem Motto: Was wäre, wenn … ich meinen Großvater ermorden würde? Würde ich dann noch existieren? Wenn nein, dann hätte ich ja gar keine Gelegenheit, den Mord zu begehen. Solche Zeitparadoxa liebt die Science-Fiction. So verrückt wie legendär ist Robert A. Heinleins Kurzgeschichte Entführung in die Zukunft, die 2014 mit dem Titel Predestination verfilmt wurde. Sie handelt von einem Agenten des „Zeitbüros“, der sich selbst zeugt, seine eigene Frau und sein eigener Sohn ist. Was natürlich nur möglich ist, wenn man in der Zeit umherspringt. Die unglaubliche Story wird aber so logisch geschildert, dass sie dem Leser irgendwie glaubhaft erscheint. Als blasphemisch verschrien ist Michael Moorcocks provozierender Roman I.N.R.I. oder die Reise mit der Zeitmaschine. Ein Zeitreisender flieht vor den Schrecken unserer Zeit in das von Rom besetzte Palästina des ersten Jahrhunderts. Sein sehnlichster Wunsch ist es, Jesus zu treffen. Aber keiner kennt ihn, nicht einmal Johannes der Täufer. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, beginnt er voller Verzweiflung die Lüge zu leben, wird selbst zu Jesus von Nazareth und stirbt als sich selbst erfüllende Prophezeiung am Kreuz. Zeitmaschinen sind also gefährlich, weil eine Veränderung der Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft auslöschen kann. Also folgern einige Science-Fiction-Autoren, dass es einer Institution bedarf, die alle Manipulationen an der Zeit, jegliche „Zeitverbrechen“, verhindert. Poul Anderson schildert eine solche Kontrollinstanz in mehreren Bänden von Die Chroniken der Zeitpatrouille. Denn seit es die 173
VI. Andere Erden
Möglichkeit von Zeitreisen gibt, versuchen einzelne oder größere Interessengruppen, die Geschichte zu ihren Gunsten zu verändern. Die Zeitpatrouille hat eine Art Seismograf, der erfassen kann, wenn im Muster des Zeitstroms kleine Unregelmäßigkeiten erscheinen. Dann schickt sie ihre Spezialisten zum entsprechenden Zeitpunkt und diese müssen versuchen, die gefundenen Anomalitäten möglichst geräuschlos und ohne weitere Veränderungen rückgängig zu machen. Die Agenten von Robert Silverbergs Die Zeitpatrouille sind eine Art Fremdenführer, die aufpassen sollen, dass zeitreisende Touristen keine Veränderungen der Vergangenheit auslösen. Aber was passiert, wenn einer der Mitarbeiter sich in eine Frau aus dem antiken Byzanz verliebt und fortan ein Doppelleben führt? Der amerikanische Autor H. Beam Piper, der von sich selbst behauptete, von einer durch eine andere Zeitlinie entstandenen Alternativwelt zu stammen, erfand eine „Parazeit-Patrouille“, die die Aufgabe hat, die Überschneidung verschiedener Zeitebenen zu verhindern, da sonst das ganze Raum-Zeit-Gefüge außer Kontrolle geriete. Das hintergründigste Werk zu diesem Thema hat Isaac Asimov beigesteuert. In Das Ende der Ewigkeit schildert er Menschen aus dem 95. Jahrhundert, die die Zeit so gut beherrschen, dass sie mit kleinen Manipulationen die Geschichte verändern können, um Leid und Ungerechtigkeit zu verbannen. Einer dieser „Ewigen“ erkennt aber, dass diese Zeitkontrolle jede freie Entwicklung der Menschheit verhindert und er sich zwischen Determination und Handlungsfreiheit entscheiden muss. Ein interessantes Konzept verfolgt der mehrfach preisgekrönte, 1980 erschienene Roman Zeitschaft des Astrophysikers Gregory Benford, der als Vertreter der „Hard Science-Fiction“ gilt, also jemand, der sich „hart“ am Stand der Wissenschaft orientiert. Was dazu führt, dass man sich bei der Lektüre mehr in einer Vorlesung als in einem Roman wähnt. Benfords Werk hat zwei Zeitebenen. In der Zukunft – damals ist 1998 die Zukunft – steht die Erde vor dem ökologischen Zusammenbruch. Nahrungsmittelknappheit führt zu sozialen Unruhen. Zwei Wissenschaftler versuchen, mit174
2. Zeitreisen
tels Tachyonen eine Nachricht in die Vergangenheit zu übermitteln. Forscher des Jahres 1962 entdecken ungewöhnliche Störsignale, deren Ursprung nicht ermittelt werden kann. Nach einigem Rätseln erkennen sie, dass dahinter ein Morsecode steckt. Die Teile, die sie entziffern können, handeln von den Problemen der Menschen im Umgang mit Chemikalien. Worum es wirklich geht, verstehen sie nicht und machen sich mit ihren Mutmaßungen bei ihren Kollegen lächerlich. Wie soll denn ein Mensch des Jahres 1962 sich in einer Wissenschaft zurechtfinden, die mehr als 30 Jahre in der Zukunft liegt? Dass sich dann doch etwas ändert, ist einem eher unbedeutenden Zufall zu verdanken. Die Wissenschaftler des Jahres 1998 erfahren übrigens nicht, ob ihr Experiment geglückt ist. Ein sehr subtiles Werk ist auch der Zeit-Verschwörung-Zyklus des Mathematikers und Physikers Stephen Baxter. Hier versuchen zwei unterschiedliche Gruppen, aus der Zukunft mit Träumen zu verändern. Diese werden von den Zielpersonen in der Vergangenheit als Prophezeiungen empfunden. Auch die aus der Zukunft geschickten Pläne von „Gottes Maschinen“, die der Zeit weit voraus sind, finden einen kaum merklichen, aber doch merkbaren Widerhall. In den ersten drei Bänden werden diese winzigen Manipulationen gezeigt, die sich aber gegenseitig aufheben. Erst im vierten und abschließenden Band Die Zeit-Verschwörung 04: Diktator wird das Geschehen klarer. Im September 1940 beginnt entgegen der wirklichen Geschichte das „Unternehmen Seelöwe“ und damit eine zumindest teilweise erfolgreiche Invasion Englands durch die Nazis. Der jüdische Student Ben Kamen, ein Schüler von Kurt Gödel, baut eine Maschine, mit der er seine Träume zu Menschen der Vergangenheit schicken kann. Er ist einer der sogenannten „Weber“, von denen in den anderen Bänden die Rede war. In den Wirren der Invasion wird er von der SS gefangen, die ihn unter Hypnose setzt, um die Zeit in ihrem Sinne zu verändern. Von einer Untergrundbewegung befreit, versucht er gezielt, diese Manipulationen rückgängig zu machen, sodass letztlich die Zeitlinie entsteht, die wir alle kennen. 175
VI. Andere Erden
3. Was wäre, wenn? „Wählt Lindbergh oder wählt den Krieg“ ist auf einem der quer über die Straße gespannten Banner in Newark, einer Kleinstadt in der Nähe New Yorks, zu lesen. Es ist der Sommer 1940 und es ist Wahlkampf. Überraschend hat die republikanische Partei Charles Lindbergh zu ihrem Kandidaten erkoren, um gegen Theodore Roosevelt anzutreten, der zum dritten Mal Präsident werden will. Die Familie Roth hat Angst vor einem Sieg des populären Ozeanfliegers. Weil sie Juden sind, befürchten sie, seine Sympathie für die nationalsozialistische Ideologie könne auch in den USA zu Antisemitismus führen. Dies ist die Ausgangssituation von Philip Roths Verschwörung gegen Amerika. Er versetzt dabei die Familie Roth, von der er schon in mehreren autobiografisch gefärbten Romanen erzählt hat, in eine alternative Zeitlinie. Aus der Sicht des siebenjährigen Philip Roth schildert er zwei Jahre voller Angst und zunehmender Repressionen. Lindbergh gewinnt die Wahl mit der Zusicherung, die Vereinigten Staaten aus dem Krieg herauszuhalten, ein Versprechen, das im kriegsmüden und noch mehrheitlich isolationistischen Amerika gut ankommt. Die Familie Roth erlebt durch die Augen des jungen Philip, wie sich die Mehrheit der Amerikaner mit dem Nationalsozialismus arrangiert und wie die latent vorhandene antisemitische Stimmung schleichend wächst. Die Roths, eigentlich eine eher „vage jüdische“ amerikanische Durchschnittsfamilie, werden wegen ihres Glaubens diskriminiert und gettoisiert. Die Juden werden immer mehr ausgegrenzt und umgesiedelt, in einigen Staaten der USA kommt es sogar zu Pogromen. Roths Buch besticht dadurch, dass er die kleinen Veränderungen in den USA der Vierzigerjahre glaubhaft schildert, Menschen, die zwischen Hoffnung und Opportunismus, zwischen Anpassung und verstecktem Widerstand hin und her gerissen sind. Leider werden die glänzend erzählten ersten 300 Seiten des Romans durch den Schluss getrübt, weil es durch einen Kunstgriff des Autors doch 176
3. Was wäre, wenn?
noch zu einem Happy End kommt. Es stellt sich heraus, dass deutsche Nationalsozialisten Lindberghs Kind entführt und ihn damit erpresst haben. Nach dieser Enthüllung verschwindet Lindbergh spurlos, die nächsten Wahlen gewinnt Roosevelt und damit kommt die Geschichte wieder in die Bahn, die wir kennen. Philip Roth, ewiger Kandidat für den Literaturnobelpreis, benutzt die kontrafaktische Geschichte, um auf die Gegenwart zu zeigen. Vielleicht wollte er Einfluss auf den Präsidentschaftswahlkampf 2004 nehmen. Dafür spricht, dass die Rhetorik seines fiktiven Präsidenten Lindbergh nicht nur zufällig an George W. Bush erinnert. Die Hauptabsicht der Verschwörung gegen Amerika war, darauf aufmerksam zu machen, dass faschistoide Gedanken und Emotionen auch in einer demokratischen Gesellschaft im Verborgenen lauern, um dann – wenn es krisenhafte Entwicklungen und geeignete populistische Politiker gibt – in offenen Faschismus umzuschlagen. Kontrafaktische oder alternative Geschichte ist schon seit gut 2000 Jahren höchst beliebt und hat in vielen Fällen eine Absicht. Wenn Plutarch und Herodot spekulieren, was bei einer Niederlage der Griechen bei Salamis geschehen würde, dann geht es ihnen letztlich um die Rettung ihrer Gesellschaft und Kultur. Livius hat in seiner Römische Geschichte mehrere Kapitel darauf verwendet, zu überlegen, was geschehen wäre, wenn Alexander nicht so früh gestorben, sondern gegen Rom gezogen wäre. Seiner Meinung nach hätte auch der große Eroberer gegen römische Kriegskunst, römische Disziplin und römische Standhaftigkeit auf lange Sicht keinen Erfolg gehabt. Die kontrafaktischen Geschichten der Schriftsteller und Philosophen der Renaissance drehen sich meist darum, ob das wegen der Repression durch die katholische Kirche finstere Mittelalter nicht viel früher hätte enden können. Weitere historische Zäsuren, die zeitgenössische Autoren je nach ideologischer Ausrichtung zu kontroversen Büchern oder Essays angeregt haben, waren die Französische Revolution, Napoleons Niederlage, die gescheiterte deutsche Revolution und die Kriege: vom Siebenjährigen 177
VI. Andere Erden
Krieg über den Amerikanischen Bürgerkrieg und den DeutschFranzösischen Krieg bis zum Ersten und Zweiten Weltkrieg. Auch die Verfasser veränderten sich, statt Philosophen und Wissenschaftler waren es nun Militärs und Trivialautoren. Und noch eine Veränderung hat es gegeben: Die Geschichtswissenschaft, vor allem die deutsche, lehnte die kontrafaktische Methode als unwissenschaftlich ab, während sie unter den Romanciers zunehmend an Beliebtheit gewann. Letztere hatten oberflächliche Geschichtskenntnisse, dafür aber eine blühende Fantasie, besonders wenn es sich um die Serienschreiber für Pulp-Magazine oder Hefte handelte. Ein typisches Beispiel ist Das Mittelalter findet nicht statt von Lyon Sprague de Camp, das in dem Quartheft „Terra Sonderband“ so beworben wurde: „Was würden Sie tun, wenn Sie sich plötzlich ins antike Rom des Jahres 535 versetzt sehen? Man könnte das Schießpulver ‚erfinden‘ und die Macht im Reich an sich reißen … Oder man könnte sich dank besserer Geschichtskenntnisse als Wahrsager betätigen und viel Geld verdienen … Ganz so einfach würde es wohl doch nicht sein – wie Martin Padway am eigenen Leibe feststellen musste, als er an einer schwachen Stelle des Raum-Zeit-Gefüges in die Vergangenheit gerissen wird.“ Es sind mehr oder weniger intelligente, spannende oder abstruse Abenteuergeschichten, in denen Menschen der Gegenwart in die Vergangenheit geraten und diese mit ihren Kenntnissen verändern. Die meisten von ihnen laufen unter dem Label „Utopische Romane“ und/oder Science-Fiction, obwohl sie keinen wissenschaftlichen Anspruch haben. Der Übergang von solchen trivialen zu ernsthafteren kontrafaktischen Geschichten ist fließend. Bei denen, die neben dem unterhaltenden zusätzlich einen wissenschaftlichen Anspruch haben, wird nur ein einziger historischer Faktor variiert und diese Veränderung muss plausibel sein. Zunächst einmal bleiben die strukturellen Bedingungen wie Wirtschaft, Gesellschaft und politisches System gleich, die auf der alter178
3. Was wäre, wenn?
nativen Zeitlinie auftretenden historischen Personen sollen den realen in Denkweise und Charakter gleichen. Insgesamt sollte sich der Autor bemühen, den jeweiligen Stand der Wissenschaft zu kennen und einzubringen. Das wichtigste Szenario der alternativgeschichtlichen Literatur ist nach wie vor Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, weil sie uns zeitlich und medial so nahe sind. Inzwischen gibt es etwa 1.000 kontrafaktische Romane höchst unterschiedlicher Qualität, ein Zeichen dafür, dass zumindest die westliche Welt sich immer noch intensiv mit dieser Zeit beschäftigt, wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. So spielt – wie auch Philip Roths Verschwörung gegen Amerika – das für die amerikanische Science- Fiction prägende Werk in den Vereinigten Staaten: In Philip K. Dicks Das Orakel vom Berge haben Nazideutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen. Amerika ist in zwei Besatzungs zonen aufgeteilt. Im Westen herrschen vergleichsweise moderat die Japaner, die allerdings eine Anpassung an ihre Lebensweise verlangen. Im Osten haben die Nazis ein autoritäres Regime mit einem umfassenden Spitzelsystem errichtet und deportieren dort alle Juden in Vernichtungslager. Die Deutschen haben das Mittelmeer trockengelegt und eine erfolgreiche Marsexpedition gestartet, während die Welt auf einen neuen, alles vernichtenden Atomkrieg der beiden Siegermächte zutreibt. In dieser Albtraumwelt gibt es einen verbotenen Science-Fiction-Roman eines ominösen „Orakels“, der beschreibt, wie Hitler und die Achse den Krieg verloren haben. Der wegen seiner literarischen Qualität immer wieder aufgelegte alternative Weltroman erfreut sich so großer Popularität, dass er 2015 als Filmserie umgesetzt wurde, die der Multimediakonzern Amazon als Zugpferd für sein Streamangebot benutzte. Ebenfalls verfilmt wurde Robert Harris’ Erstlingsroman SS-GB, der das besetzte Großbritannien unter der Naziherrschaft schildert. Die besten französischen Comic-Produzenten kreierten die Serie WW. 2.2, in welcher der Weltkrieg ganz anders verläuft. Der belgisch-französische Autor und Filmemacher Éric-Emmanuel Schmitt stellt in Adolf H. Zwei Leben die reale Biografie Adolf 179
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itlers neben die eines fiktiven Adolf Hitlers, der an der Wiener H Kunstakademie aufgenommen und zum erfolgreichen Maler wird. Der Wiener Publizist Otto Basil schrieb die bitterböse, rabenschwarze Satire Wenn das der Führer wüsste, in der die Nazis dank einer Atombombe den Weltkrieg gewonnen haben. Die Schweizer Autoren Doris Morf und Charles Lewinsky schildern in Hitler auf dem Rütli eine Schweiz, die sich unterworfen und angepasst hat. In Deutschland haben sich Autoren gefragt, was gewesen wäre, wenn Hitler einem der zahlreichen Attentate zum Opfer gefallen wäre, am bekanntesten ist Christian von Ditfurths Werk Der 21. Juli. In der Filmwelt ist dieses alternativgeschichtliche Szenario ebenfalls längst angekommen, 2009 war Quentin Tarantinos Inglourious Basterds für acht Oscars nominiert. In den letzten Jahren mehren sich in Deutschland aber auch Romane – von Amateur-Schriftstellern und meist nur als E-Book erhältlich –, die nur als brauner Schrott zu bezeichnen sind. Diese Landserromane sind auf einer alternativen Zeitlinie angesiedelt und haben nur ein Thema: Der Zweite Weltkrieg wird von den Deutschen gewonnen, meist dadurch, dass doch noch eine Atombombe gebaut wird, die das Kriegsgeschehen dreht, oder dass Hitler die alliierten Truppen bei Dünkirchen nicht entkommen lässt. „Geschicktere“ Autoren lassen Hitler bei einem Attentat mitten im Zweiten Weltkrieg sterben, sodass die SS und ihre Gräueltaten verschwinden und tapfere Soldaten und deutsche Ingenieurskunst zum Sieg führen. Der große Erfolg solcher „Alternativromane“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt zu denken. Ein ganz besonderes Szenario ist aber noch zu erwähnen. 1990 schrieben William Gibson und Bruce Sterling Die Differenzmaschine. Der berühmte Mathematiker und Erfinder Charles Babbage hat seine Differenzmaschine zum ersten mechanischen Computer verbessert, was die industrielle Revolution im viktorianischen Großbritannien erheblich beschleunigt. Dampfbetriebene Lochkarten-Computer steuern Maschinen oder werden zur Zählung oder Kontrolle der Bevölkerung eingesetzt. Eine Elite von Technokraten steuert von ihren Hochhäusern aus das Land nach streng 180
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ökonomischen und wissenschaftlichen Kriterien. Durch den Fortschritt gibt es zahllose dampfbetriebene Automobile, Luftschiffe und sogar eine Art mechanischen Bildschirm. Das Empire ist die mächtigste Nation der Welt, das als neueste Kolonie Japan besetzt hat. Die USA sind auseinandergebrochen und Karl Marx hat in Manhattan eine revolutionäre Kommune gegründet. Es ist einer der ersten und vielleicht der wichtigste Roman des Subgenres Steampunk, das eine alternative Welt des viktorianischen London mit Elementen der Science-Fiction verbindet. William Gibson, einer der beiden Autoren, hatte mit seinem 1984 erschienenen Roman Neuromancer eine der wichtigsten modernen Sparten der Science-Fiction eröffnet, die später unter dem Namen Cyberpunk bekannt wurde.
4. Welt am Draht und Cyberpunk Irgendwann in den Siebzigerjahren. Das „Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung“ verfügt über den besten Computer des Landes und wird deshalb vom Staat beauftragt, „Simulacron-1“ zu entwickeln. Es ist die virtuelle Simulation einer Kleinstadt mit 9.000 repräsentativen „Identitätseinheiten“, die nicht wissen, dass sie keine Menschen sind. Nur eine „Kontakteinheit“ namens Einstein hat Kenntnis davon, dass sie sich in einem Computermodell befindet. Dann aber geschehen im Institut merkwürdige Dinge. Professor Vollmer, der technische Direktor, bricht aus unerklärlichen Gründen tot zusammen, kurz nachdem er dem Sicherheitschef berichtet hat, er habe eine „ungeheure Entdeckung“ gemacht. Als der Sicherheitschef dem neuen technischen Direktor Fred Stiller von diesem Erlebnis berichtet, ist er plötzlich verschwunden. Erst viel später wird klar, dass seine virtuelle Identität einfach gelöscht wurde. Als Stiller nach ihm suchen will, muss er erfahren, dass außer ihm niemand mehr von dem Verschwundenen weiß, auch Personal akten über ihn gibt es keine mehr. 181
VI. Andere Erden
Komplizierter wird die Lage, als die Kontakteinheit Einstein r ebelliert und versucht, aus der virtuellen Welt zu entkommen und den Körper eines Mitarbeiters zu übernehmen. Dieser Angriff wird erkannt und die Kontakteinheit einfach gelöscht. Mehr und mehr entwickelt sich in Stiller eine schreckliche Erkenntnis: Möglicherweise ist auch die Welt der Menschen nur eine Simulation höherer Ordnung, ein „Simulacron-2“. Als er dies seinen Kollegen erzählt, wird er ausgelacht. Wütend erwidert Stiller, dass der Kaffee, den sie gerade trinken, vielleicht violett sei und die Strippenzieher der Simulation würden über sie lachen, weil sie glauben, braunen Kaffee zu trinken. Stiller wird daraufhin für verrückt erklärt und soll in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert werden. Nach weiteren Erlebnissen trifft er auf eine Frau, in die er sich verliebt und die ihm eröffnet, dass sie eine Projektion sei und in der wirklichen Welt die Administratorin der Simulation. Der verschwundene Sicherheitschef wurde einfach wegprogrammiert. In der Welt von „Simulacron-2“ geht die Hexenjagd auf Stiller weiter und er stirbt schließlich im Kugelhagel der Polizei. In der wirklichen Welt „Simulacron-3“ aber erwacht er neben seiner geliebten Administratorin. Rainer Werner Fassbinders zweiteiliger Fernsehfilm Welt am Draht aus dem Jahr 1973 gilt als eine der besten deutschen ScienceFiction-Produktionen. Der nach der Vorlage Simulacron-3 von Daniel F. Galouye gedrehte Film stellt die Frage: Was ist Realität? Die inzwischen erreichte Komplexität virtueller Welten wirft die Frage auf, ob nicht auch unsere Welt eine künstliche, am Computer erschaffene sein könnte. Die Frage nach der Realität ist so alt wie die Menschheit. Im Höhlengleichnis beschäftigte sie schon Platon und Descartes reduzierte die Aussagen über die Wirklichkeit auf den Satz: „Ich denke, also bin ich!“ In der modernen Science-Fiction beschäftigen sich zahlreiche Romane, Filme und Computerspiele mit dieser Frage. Elf Jahre nach Fassbinders Film veröffentlichte der Science-Fiction-Autor William Gibson sein Buch Neuromancer. Das Internet steckte damals noch in seinen Anfängen. Wissenschaftler mach182
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ten zwar die ersten Schritte zu weltweiter Vernetzung, aber für die meisten Menschen war es noch nicht existent. Gibson führte damals den Begriff „Cyberspace“ ein, einen virtuellen Raum, den viele Menschen als Flucht aus einer trostlosen Welt der Umweltzerstörung und der gnadenlosen Konkurrenz nutzen. In Gibsons Roman – im Entstehungsjahr 1984 gab es noch den Kalten Krieg – stecken Ost und West nach einem begrenzten Atomkrieg in einer tiefen Krise. Militärs, internationale Großkonzerne und korrupte Regierungen kämpfen um die Macht. Von dieser apokalyptischen Welt kann man sich einfach abkoppeln, indem man sich über eine neuronale Schnittstelle im Gehirn mit dem Cyberspace verbindet, dort neue Freunde findet und ein besseres Leben führt. Gibsons Roman hat noch eine weitere wichtige Komponente: In diesem Cyberspace verbinden sich zwei künstliche Intelligenzen – eine davon ist Neuromancer – zu einer Super-KI, deren Bewusstsein über das Sonnensystem hinausgreift. In dem 1999 gedrehten Film Matrix – auch dieser Begriff wird in Neuromancer erstmals im heutigen Sinne verwendet – wird Gibsons Szenario weiterentwickelt. In der wirklichen Welt sind die Menschen zu Sklaven der Technologie geworden, als künstliches generiertes Bewusstsein finden sie in der Matrix Erfüllung und Erlösung. Gibsons Roman erscheint in weiten Teilen prophetisch, auch wenn manche Entwicklungen anders eingetreten sind. Das World Wide Web ist zu einer Art Cyberspace geworden, in das sich die Menschen nicht durch neuronale Schnittstellen – noch nicht –, sondern durch PCs, Tablets und Handys einloggen. In ihm spuken auch nicht irgendwelche künstlichen Intelligenzen herum, dafür gibt die uneingeschränkte Marktwirtschaft mit all ihren positiven und negativen Tendenzen die Regeln vor. Die Menschen sind durch Spiele und soziale Netzwerke verbunden und hinterlassen kaum auslöschbare Datenspuren. Neuromancer war der Ausgangspunkt einer ganz neuen Sparte der Science-Fiction, des „Cyberpunk“. Die Romane und Filme sind geprägt von Kommerzialisierung, Umweltzerstörung und einer wuchernden Urbanisierung. Ein Hintergrundszenario, das seit den 183
VI. Andere Erden
Siebzigerjahren in der Science-Fiction recht beliebt ist. Hier sind die Versprechungen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, dass die neuen technologischen Möglichkeiten den Menschen Freiheit, Wohlstand und Selbstverwirklichung schenken würden, nicht eingetroffen. Stattdessen wird die umfassende Digitalisierung zur Überwachung und zur Beeinflussung von Menschen genutzt. Die Helden in den Cyberpunk-Romanen oder Filmen sind meist soziale Verlierer ohne eigenes Verschulden. Aber auch Glücksritter und Abenteurer lehnen sich gegen diese Entwicklung auf und leben in einer Subkultur, von der aus sie den Kampf um das eigene Glück, manchmal auch die Änderung der Gesellschaft aufnehmen. Sie nutzen dabei den Cyberspace, nicht umsonst sind viele der Hauptfiguren Hacker. In den Neunzigerjahren fanden neben der virtuellen Realität auch Themen wie Nano- und Gentechnologie ihren Weg in das Cyberpunk-Universum. Bereits 1988 erschien für den Commodore 64 und die ersten Apple-Modelle das Computerspiel Neuromancer mit dem Unter titel „A Cyberpunk Role-Playing Adventure“. Das Softwareunternehmen Interplay, das schon Wasteland herausgebracht hatte, entwickelte zusammen mit Gibson ein Abenteuer, in dem ein junger Hacker zum Super-Daten-Cowboy aufsteigen will. Mit Tastatur oder Joystick steuert ihn der Spieler durch eine japanische Stadt – damals hielt man Japan für die kommende Computer-Supermacht. Der Held sammelt Passwörter, um sich immer weiter ins System einzuloggen. Nur ein Jahr später wurde mit Shadowrun ein weiteres legendäres Cyperpunkspiel vorgestellt, das als Pen-and-PaperRollenspiel zuerst auf dem Tisch mit Würfeln und Figuren gespielt wurde. Hier kämpft sich der Held als „Shadowrunner“, also als offiziell nicht existierender Söldner, durch das von Umweltkatastrophen und Pandemien gezeichnete Seattle. Das Spiel hatte so großen Erfolg, dass es bald Bücher dazu gab und eine Reihe von Computerspielen, die mehr oder weniger eng mit der ursprünglichen Geschichte verknüpft waren. Das dritte wichtige Spiel aus dem Cyberpunk-Universum ist Deus Ex, in Anlehnung an den lateinischen Ausdruck „Deus ex Machina“. In dieser Mischung aus Ego184
4. Welt am Draht und Cyberpunk
Shooter und Rollenspiel bekämpft der Spieler als nanotechnisch aufgerüsteter Agent eine Untergrundorganisation, die nach der Weltherrschaft greift. Am Schluss des Spiels kann sich der Held entscheiden, wie die Entwicklung der Welt weitergehen soll: Richtung Kapitalismus des 20. Jahrhunderts oder in ein Zeitalter der fröhlichen Anarchie oder in die Diktatur einer künstlichen Intelligenz, die es gut mit der Menschheit meint. Bei all dem darf man nicht übersehen, dass es hier nicht nur um große philosophische Fragen wie „Was ist Realität?“ geht, sondern die Autoren greifen auch brennende aktuelle Themen auf, wie zum Beispiel die Gefahr durch Hacker auf der einen Seite oder durch Datenmissbrauch auf der anderen oder die Tatsache, dass Computerspielen zur Sucht werden kann, manche Spieler komplett in die virtuelle Welt eintauchen und die wirkliche Welt vergessen. In David Cronenburgs preisgekröntem Film eXistenZ wissen die Spieler nicht mehr, dass sie in der virtuellen Welt sind. Eine Konsole wird mittels eines „Bioport“ in ihren Rücken implantiert und direkt an das Nervensystem angeschlossen. Wenn eine Sabotage oder Störung eintritt, sind sie rettungslos im Spiel verloren. Wie hier sind die Schnittstellen zwischen Mensch und Computer sowie das Internet ein wichtiges Element des Cyberpunk. So stehen im Mittelpunkt des Films Strange Days höchst begehrte, aber auch verbotene Datenträger, auf denen die Erlebnisse und Gefühle anderer Menschen gespeichert sind. So kann man etwa Raubüberfälle, aber auch perverse Praktiken miterleben. Der Handel mit diesen sogenannten SQUIDs ist deshalb sehr einträglich, weil sich immer mehr Menschen angesichts einer düsteren und trostlosen Umwelt in die virtuelle Realität flüchten. Auch die Matrix-Trilogie verwendet ein Cyberpunk-Szenario: Die Menschheit hat den Kampf gegen die künstlichen Intelligenzen verloren und ist von ihnen in eine virtuelle Welt, die Matrix, verbannt worden. Einige Menschen sind mit dem Leben unzufrieden, stellen sich immer mehr Fragen und erkennen, dass sie in einer Simulation leben. Wie in Welt am Draht wollen sie ausbrechen, doch Agenten aus der düsteren Wirklichkeit versuchen, das zu verhindern. Die drei Filme, dank ihrer digi185
VI. Andere Erden
talen Effekte und ausgefeilten Kung-Fu-Szenen sehr erfolgreich, sind immer wieder paradox und stellen die Zuschauer vor manches Rätsel. Dahinter steht ein beliebtes Cyberpunk-Muster: Kaum glaubt man, die Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Simulation erkannt zu haben, ist alles wieder ganz anders. Manchmal spielt bei den Reisen in eine virtuelle Welt nicht der Cyberspace, sondern das Gehirn selbst die entscheidende Rolle. Dabei gelangen Ärzte, manchmal auch Agenten einer fremden Macht mittels einer neuronalen Schnittstelle direkt in die Gedankenwelt anderer Menschen. Roger Zelazny beschreibt in Ein Spiel von Traum und Tod einen Psychiater, der sich mittels der „NeuroPartizipations-Therapie“ in die Psyche seiner Patienten versetzt und sie, um geistige Schäden zu kurieren, formen kann. Doch eines Tages gerät er an einen starken Geist und droht im Chaos von dessen Seele verloren zu gehen … Der Film Die Truman Show ist eine kritisch auf die Medienwelt zielende Variante des Realitätsthemas, wobei anstelle des Cyberspace eine abgeschlossene reale Umgebung beschrieben wird. In einer Kleinstadt lebt Truman Burbank, der nicht weiß, dass er sich in einem riesigen Studio befindet. Die Kuppel, die sich darüberspannt, gilt ihm als Ende der Welt. 5.000 verborgene Kameras zeigen jeden seiner Schritte, die ohne Unterbrechung in 120 Länder übertragen werden. Dafür, dass sich die Zuschauer nicht langweilen, sorgen Drehbuchautoren, nach deren Handlungsanweisungen sich die übrigen bezahlten Schauspieler richten müssen, sodass eine perfekte und spannende Soap Opera entsteht. Nachdem er Jahre in dieser künstlichen Umgebung verbracht hat, möchte der inzwischen zum jungen Mann herangereifte Truman verreisen und die Welt kennenlernen. Als er immer wieder von Bürokraten und „wohlmeinenden“ Freunden daran gehindert wird, macht er sich selbst auf und erreicht das Ende seiner kleinen Welt und damit auch das Ende der Illusion. Mit dem Cyberpunk betritt das Informationszeitalter die Welten der Science-Fiction. Es spiegelt ein Lebensgefühl wider, das von einer latenten Bedrohung beherrscht wird. In den meist düste186
4. Welt am Draht und Cyberpunk
ren Szenarien wird der Gegensatz zwischen Wirklichkeit und virtueller Welt thematisiert, Letztere wirkt anziehend wie eine Droge. Die Gefahr, vor der in vielen Romanen und Filmen gewarnt wird, ist, dass diese künstliche, aber doch immer realer erscheinende Welt den Menschen mehr Fesseln anlegt als ein totalitärer Staat. Eine weitere große Gefahr dieser Entwicklung ist, dass die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt immer mehr verschwimmen und sich sogar auflösen. Cyberpunk wurde in den Achtzigerund frühen Neunzigerjahren zu einer Marke und zum Verkaufs argument, blieb aber dann kein eigenständiges Science-Fiction-Genre mehr, nur die Stilelemente und das düstere Hintergrundszenario blieben erhalten. So ist der Cyberspace zugleich Ort der Hoffnungen und der Schrecken, Fluchtburg und Palast der Träume. Im Gegensatz zum Outer Space, für Jahrzehnte Lieblingskind der Science-Fiction, ist das, was die Cyberpunk-Autoren als Zukunft beschrieben, im Internet schon fast Gegenwart.
SF-Spezial
Science-Fiction-Brettund Computerspiele Science-Fiction-Fans spielten schon immer gern, auch im Zeitalter vor dem Personal Computer. Es waren kleine Gruppen, die sich um einen Tisch setzten und auf einem Brett Raumschiffe verschoben, um ein sternenweites Handelsimperium aufzubauen oder strategische Raumschlachten zu schlagen. Später kamen die Pen-&-PaperRollenspiele hinzu, bei denen die Teilnehmer für die von ihnen verkörperten Figuren bestimmte Entscheidungen treffen müssen, die die Handlungen beeinflussen, von einem Spielleiter bewertet werden und die verkörperten Charaktere Erfahrungspunkte und verbesserte Fähigkeiten bekommen. Solche meist im Fantasy-Bereich angesiedelte Spiele bekamen bald auch Szenarios, die auf anderen Planeten oder Alternativwelten spielten. Ebenfalls verlän187
VI. Andere Erden
gert in Richtung Science-Fiction wurden die seit Magic:The Gatering boomenden Sammelkartenspiele, sodass man Abenteuer aus dem Star Trek-, Star Wars- oder Perry Rhodan-Universum nachspielen konnte. Einige der „Tabletopspiele“, bei denen bis heute oft liebevoll bemalte Zinnfiguren über das Schlachtfeld gezogen werden, schafften den Sprung in die Computerwelt. Mit dem 1978 erschienenen „Shoot ’em up“ Space Invaders und dem zehn Jahre später entwickelten Rollenspiel Wasteland begann auch in der Science-Fiction der ungebremste Aufstieg der Computerspiele. Freilich gibt es bei dieser Art von Games eine Besonderheit: Für die meisten Spieler ist ihre Wahl weniger vom Genre – auch wenn hier Fantasy- und Science-Fiction-Szenarios dominieren – als von der Art des Spiels abhängig. Sie bevorzugen je nach Neigung fast ausschließlich Ego-Shooter, Rollen- oder Strategiespiele, Flugsimulationen, Text- oder Grafik-Adventures oder einen ganz bestimmten Mix daraus. So wurden die Flugsimulationen schnell in den Weltraum verlagert. In Wing Commander oder Star Wars: X-Wing und in ihren unzähligen Fortsetzungen schlüpft der Spieler in die Rolle eines Raumjägerpiloten. Zwischen den vielen Kämpfen gibt es kleine Szenen, die zusammen eine das ganze Spiel umfassende Geschichte erzählen. Die Space Quest-Reihe war ein typisches Grafik-Adventure, in dem es viele Rätsel zu lösen galt wie auch in Myst, einem der erfolgreichsten Spiele dieses Genres. Rätsel stehen auch im Mittelpunkt von Portal, in dem der Spieler bei einer Schnitzeljagd durch ein futuristisches Labor immer schwierigere Aufgaben zu lösen hat. Das Szenario ist im gleichen Universum wie die Half-Life-Serie angesiedelt. Das sind sehr erfolgreiche Ego-Shooter, bei denen sich der Spieler durch Schnelligkeit und Geschicklichkeit sowie das Auffinden besserer Waffen im wahren Sinn des Wortes „durchschießen“ muss. Eine Mischung aus EgoShooter und Rollenspiel ist das Cyberpunk-Abenteuer Deus Ex, bei X-Com verteidigt der Spieler mit einer Gruppe von Elitesoldaten die Erde gegen außerirdische Invasoren, muss dabei aber gleichzeitig auf die Entwicklung von Technologie und Wissen188
4. Welt am Draht und Cyberpunk
schaft achten. In den Weltraum versetzt wird dieses Prinzip bei der Master of Orion-Serie, wo der wirtschaftliche Aufbau des Sternenreichs erst den Aufbau einer starken Raumflotte ermöglicht. Echtzeitstrategiespiele sind das auf einer Alternativerde spielende Command and Conquer und der die Galaxis umspannende Kampf der Starcraft-Serie. Auch Mass Effect bietet eine riesige Galaxis und unzählige Alienrassen. Dazu kommen noch zahlreiche mehr oder weniger gelungene Adaptionen von Filmen wie Star Wars und Dune oder von Fernsehserien wie Star Trek und Stargate. Die Spieler konnten schon seit Längerem über das Internet zu Raumjäger-Duellen antreten oder im Koop-Modus zu zweit ein Problem angehen. Die neueste Entwicklung ist das „Massively Multiplayer Online Game“ (MMOG). Diese „Massen-MehrspielerOnline-Gemeinschaftsspiele“ spielen in einer vom Hersteller erzeugten virtuellen Welt und können von Tausenden Spielern gleichzeitig und gemeinsam gespielt werden. Dabei kämpfen sie allein oder zusammen mit anderen in zahlreichen Schlachten. Erfolgreichstes dieser MMOGs ist die eher im Fantasybereich angesiedelte World of Warcraft, aber inzwischen gibt es auch mit Eve online oder Star Wars The Old Republic und Fernsehserienadaptionen wie Star Trek online oder von Defiance immer mehr solche Spiele mit einem Science-Fiction-Hintergrund. Generell gilt: Die Simulation wird immer perfekter, die Welt hinter dem Bildschirm, in die wir als Spieler eintauchen können, immer realistischer. Ungeachtet der philosophischen Frage, was denn Wirklichkeit ist, wird immer wieder vor der Gefahr gewarnt, Spielsüchtige könnten nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden. Dies ist weniger das Problem, sondern die ungeheure Faszination, die solche Spiele ausüben, und dass die Spieler sich ganz bewusst in eine Welt begeben, die sie wesentlich weniger trist als ihre reale Lebenswelt empfinden. Und eine gefährliche Entwicklung gibt es ebenfalls: Während früher das Spiel entspannende Freizeittätigkeit war, werden die Computerspiele, vor allem die MMOGs, zur verbissenen Arbeit. 189
VII. Aufbruch ins All 1. Destination Moon Aufregung in der Astronomischen Gesellschaft zu Paris! Professor Barbenfoullis will zum Mond fliegen, nach kurzer Diskussion stimmen die Wissenschaftler zu. Eine gigantische Eisenkapsel wird angefertigt, in die sechs mit Regenschirmen bewaffnete Astronauten einsteigen. Nun wird das Gefährt in eine riesige Kanone gesteckt und – nachdem die Trikolore gehisst und die Marseillaise gespielt wurde – ins All geschossen. Schließlich erreicht das Raumschiff das rechte Auge des Mondes und landet dort. Die Gelehrten lassen sich noch von der über ihnen aufgehenden Erde faszinieren. Dann schlafen sie, von der langen Reise übermüdet, in einer von seltsamen Steinen übersäten Mondlandschaft ein. Die Einheimischen, die Seleniten, wütend ob des unerwarteten Eindringens der Erdlinge, schicken ihnen einen Schneesturm, der die Menschen in eine Höhle voller riesiger Pilze fliehen lässt. Dort kommt es zum Kampf, die Mondbewohner siegen dank ihrer großen Zahl, obwohl sich die Wissenschaftler mit ihren Schirmen heldenhaft wehren. Vor den König der Seleniten geführt, gelingt es Barbenfoullis, seine Fesseln zu sprengen und zum Raumschiff zu fliehen. Er kann die Kapsel wieder Richtung Erde steuern, wo sie ins Meer stürzt und von einem Dampfer in den Heimathafen gezogen wird. Dort angekommen, erhalten die tapferen Männer einen Orden und zeigen dem staunenden Publikum einen an der Leine gehaltenen Seleniten. Das Ganze endet in einem riesigen Volksfest, wo alle um eine zu Ehren der Wissenschaft aufgestellte Statue tanzen. Ein Volksfest war es auch, als am 1. September 1902 dieser 19-minütige Stummfilm im Pariser Olympia aufgeführt wurde. Georges Méliès’ Le Voyage dans la Lune ist eines der wichtigsten 190
1. Destination Moon
Werke aus den Kindertagen des Films. Von Beruf Zauberkünstler, kannte er nicht nur alle Bühneneffekte bestens, sondern er wusste auch die Möglichkeiten des neuen Mediums zu nutzen. Aber nicht nur die frühe Tricktechnik, sondern der angesichts der stürmischen technischen Entwicklung für viele vorstellbare Flug zum Mond faszinierte die Zuschauer. Sie kannten auch das Buch dazu, Jules Vernes Bestseller De la Terre à la Lune, den der Film als Vorlage nahm. Die Reise zum Erdtrabanten war als Vision schon lange vorhanden. Eine erste, vom griechischen Satiriker Lukian von Samosata betitelte Wahre Geschichte stammt aus dem 2. Jahrhundert. Ein gewaltiger Sturm erfasst ein Schiff und trägt es zum Mond. Nach sieben Tagen angekommen, sehen die Menschen dort, wie sich die Bewohner des Mondes und der Sonne bekämpfen. Anfang des 17. Jahrhunderts schrieb der berühmte Astronom Johannes Kepler die Science-Fiction-Geschichte Somnium, die wir heute als Keplers Traum kennen. Die eigentliche Geschichte ist unwissenschaftlich fantastisch: Ein Dämon wird beschworen, der zwei Menschen zum Mond bringen soll. Klar ist, dass die Mondbewohner die „Vollerde“ bewundern, so wie die Menschen den Vollmond. Erstaunlich ist aber die Schilderung des Fluges: „Der Anfangsstoß der Beschleunigung ist das Schlimmste, der Reisende wird wie die Explosion von Schießpulver nach oben geworfen … Deshalb muss er vorher mit einem Schlafmittel betäubt und seine Glieder sorgfältig geschützt werden, sonst würden sie ausgerissen.“ Dagegen mutet die Reise zum Erdtrabanten bei Francis Godwin eher kurios an: In seiner Erzählung The Man in the Moon aus dem Jahr 1638 ziehen Wildgänse eine Art Flugdrachen zum Mond. Aber auch die Beschreibung des Mondes von Bestsellerautor H. G. Wells in The first Men in the Moon aus dem Jahr 1901 muten uns heute kurios an. Seine Raumfahrer beobachten, wie des Nachts auf dem Mond Schnee liegt, der unter den ersten Sonnenstrahlen schmilzt, worauf Pflanzen und riesige Pilze aus dem Boden schießen. Die wie Riesenameisen aussehenden Seleniten bewachen Mondkühe, die vor Sonnenuntergang in die unterirdi191
VII. Aufbruch ins All
schen Wohnhöhlen gebracht werden, wo schimmernde blaue Bäche fließen, die für Licht sorgen. Wesentlich realistischer wurden die Vorstellungen vom Mond, als er ein halbes Jahrhundert später zum konkreten Ziel wurde. In dem Film Destination Moon wurde er zum Spielball im Kalten Krieg. Die eigentliche Destination war der Gegner im Osten. Weil dieser das Projekt der amerikanischen Regierung zur ersten Mondlandung sabotiert hat, nehmen patriotische Milliardäre, unterstützt von einem strategisch denkenden General, die Sache in die Hand. Sie finanzieren eine atombetriebene Rakete, weil sie wissen, „wer zuerst Besitz vom Mond nimmt und damit eine Raketen abschussbasis besitzt, der wird die Erde beherrschen“. Also fliegen vier Astronauten los, ergreifen „im Namen der Völker der Erde Besitz vom Mond“ und fliegen nach einigen für die damalige Zeit tricktechnisch hübschen, aber hanebüchenen wie reichlich naiven Abenteuern zurück zur Mutter Erde. Dort sagt einer der vier gefeierten Raumfahrer bezeichnend: „Don’t think we should stay any longer here. And you know why? Yeah, no beer, no babes, no baseball.“ Destination Moon war typisch für die Filme der Fünfzigerjahre, beispielsweise hatte sich in das Project Moonbase ein kommunistischer Saboteur eingeschlichen. Der Konkurrenzkampf auf der ideologischen wie auf der technischen Ebene wurde noch verstärkt durch die ersten Erfolge der Sowjetunion. Am 4. Oktober 1957 startete sie den ersten künstlichen Erdsatelliten und löste dadurch im Westen Bestürzung, den sogenannten „Sputnikschock“, aus. Verstärkt wurden die Ängste, als Gagarin 1961 mit der Wostok 1 als erster Mensch die Erde umrundete. Die Science-Fiction konzentriert sich auf das „Rennen um den Mond“ und wird gerade dadurch populär. 1958 erscheint mit Sputnik explodiert das erste Piccolo-Heftchen Nick der Weltraumfahrer. Ein kleiner Schritt für das boomende utopische Genre, aber ein großer für die deutsche Science-Fiction, denn mit Hansrudi Wäschers kleinem Comic wurde eine ganze Generation von meist männlichen Jugendlichen von dieser Literatursparte infiziert. 192
1. Destination Moon
Jenseits aller Ideologie wurden auch realistischere Lebensbedingungen thematisiert. In John W. Campbells The Moon is Hell! kämpfen die ersten Kolonisten ums Überleben. The Moon is a harsh Mistress betitelte Robert A. Heinlein seine Geschichte, in der er den Mond als Strafkolonie der Erde, die Nahrungsmittel für die Mutterwelt produziert, schildert. Es kommt zu einer Revolte und am Ende erhält die Mondkolonie ihre Unabhängigkeit. Bei allen erdachten Mondkolonien geht es um seltene Bodenschätze, von Clifford Simaks Der Mondprospektor bis zu Frank Schätzings Limit. In dem Roman des deutschen Bestsellerautors suchen die Vereinigten Staaten und China 2025 auf dem Mond nach Helium-3, einem potenziellen Ersatz für fossile Brennstoffe. Die Amerikaner sind dabei im Vorteil, da der Rohstoff über einen „Spacelift“, eine Art Fahrstuhl zwischen Mond und Erde, transportiert wird. Die Chinesen müssen dagegen die traditionelle Raketentechnik nutzen. Verlierer in diesem Spiel ist aber die Ölindustrie, die mit allen Mitteln die Gewinnung von Helium-3 zu sabotieren versucht. Der für den „Kurt-Lasswitz-Preis“ und den „Deutschen Science-Fiction Preis“ nominierte Roman besticht durch seine genaue Recherche, mit der heutige Entwicklungen etwa 20 bis 30 Jahre in die Zukunft verlängert werden, ist aber gerade wegen der Detailfülle etwas verwirrend und mit 1.300 Seiten auch etwas lang. Ein bekanntes Sujet ist unser Erdtrabant als Fluchtburg. Bei Ronald M. Hahn sind es die Socialdemokraten auf dem Monde, die vor dem nicht untergehen wollenden deutschen Kaiserreich fliehen. In Iron Sky sind es die Nazis, die auf der dunklen Seite des Mondes einen Stützpunkt errichten, von wo aus sie die Rückeroberung der Erde planen. Aber es gibt auf dem Mond auch geheimnisvolle Hinterlassenschaften. Perry Rhodan stößt dort auf das gestrandete Raumschiff der Arkoniden und in Arthur C. Clarkes The Sentinel finden die Raumfahrer einen Monolithen, der vor Äonen von fremden Intelligenzen dort errichtet wurde. Die Geschichte war Vorbild für den Prolog zu Stanley Kubricks legendärem Film 2001: Odyssee im Weltraum. 193
VII. Aufbruch ins All
Dass die Mondlandung gar nicht stattgefunden habe, ist eine alte und immer neue Geschichte. In seiner satirischen Erzählung Das unvergleichliche Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall schildert Edgar Allan Poe 1835, wie die Berichte eines angeblichen Mondreisenden von Zeitungen und Publikum gierig aufgenommen werden. So gehören bis heute ins Gebiet der Science-Fiction, Unterabteilung Verschwörungstheorien, auch all die Geschichten und zahlreichen Beweise im Internet, dass die Mondlandung 1969 nicht stattgefunden habe. Das Motiv sei gewesen, dass die USA durch diese gigantische Fälschung ihre technologische Überlegenheit gegenüber dem Ostblock beweisen wollten. Im 2002 ausgestrahlten Mockumentary Kubrick, Nixon und der Mann im Mond wird „bewiesen“, dass die amerikanische Regierung die Mondlandung vorgetäuscht und sich dabei Stanley Kubricks hervorragender Tricktechnik bedient habe, um vom Vietnamkrieg abzulenken. Die Produzenten des fiktiven Dokumentarstreifens outen sich erst im Abspann als Satiriker. Wesentlich profaner ist ein weiterer Grund: Die NASA sei in Budgetschwierigkeiten gewesen und habe mehr Geld für ihr Raumfahrtprogramm gewollt. Ein Motiv, das 1977 auch der Film Unternehmen Capricorn aufgriff, wobei der fingierte Raumflug nicht zum Mond ging, sondern zum Mars, der zusammen mit der Venus das nächste Ziel der bemannten Raumfahrt in der Science-Fiction wie in der Wirklichkeit ist.
2. Venus, Mars und darüber hinaus Neben dem Mond faszinierten die Menschen immer schon Sterne, die am Nachthimmel „umherschweiften“ und die man deshalb als Planeten bezeichnete. Als die Menschen noch die Erde in den Mittelpunkt des Weltalls stellten, nannten sie die mit bloßem Auge sichtbaren „Wandelsterne“ nach den Wochentagen in der Reihenfolge Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn und Sonne. Als sich mit Johannes Kepler das heliozentrische Weltbild durchsetzte, verschwanden Sonne und Mond aus dieser Abfolge, die Erde und 194
2. Venus, Mars und darüber hinaus
später weitere Planeten kamen hinzu. Jedes dieser „Kinder der Sonne“ bot Raum für die Fantasie der Science-Fiction-Autoren. Unbestrittener Star im Kaleidoskop der Planeten ist der Mars. Er ist der Stern, auf dem sich die Fantasien der Trivial-Autoren austoben konnten. Als Giovanni Schiaparelli 1877 mit seinem Teleskop kleine Rinnen auf der Oberfläche entdeckte, spekulierten sie, dass diese „Kanäle“ von intelligenten Wesen geschaffen und bewohnt seien. In ihren Romanen leben auf dem nach dem römischen Kriegsgott benannten roten Planeten in Dekadenz zurückgefallene Nachkommen einstmals mächtiger Rassen, deren Artefakte Schatzsucher von der Erde anlocken. Tarzan-Erfinder Edgar Rice Burroughs versetzt seinen Helden John Carter, einen Bürgerkriegs veteran, auf mystische Weise auf den roten Planeten, auf dem er elf Bände lang seltsame Abenteuer erlebt. John Carters Barsoom, wie ihn die Marsianer nennen, ist eine bizarre Welt. Vor Tausenden von Jahren war sie der Erde ähnlich und Heimat einer großen Zivilisation, von der jetzt nur noch Ruinen zu sehen sind. Die Meere sind ausgetrocknet, inmitten der Wüsten und gewaltiger, kahler Gebirge gibt es noch Inseln des Lebens dank des Sauerstoffs, den geheimnisvolle Wesen produzieren. Zunächst trifft John Carter drei Meter große, vierarmige grüne Monster, denen er aber dank seiner an die höhere Erdschwerkraft gewohnten Körperkraft mehr als ebenbürtig ist und deren Achtung er bald gewinnt. Neben den grünen gibt es auch gelbe, schwarze, weiße und rote Marsianer, die ständig miteinander Krieg führen. Carter verliebt sich in die Prinzessin der roten, menschenähnlichsten Rasse, sie wird entführt und befreit, schließlich heiratet er sie. Dazwischen wird er versklavt und muss in der Arena gegen allerlei Monster kämpfen. Im Grunde tut er alles, was ein amerikanischer Tarzan auf dem Mars erledigen kann. In Ray Bradburys melancholischem Klassiker Die Mars-Chroniken haben die Ureinwohner telepathische Fähigkeiten und können Trugbilder erzeugen. Sie wehren sich gegen die Invasion der Erdlinge, werden dann aber durch die eingeschleppten Windpocken fast völlig ausgerottet. Die Menschen passen den Planeten der Erde 195
VII. Aufbruch ins All
an, immer mehr Auswanderer kommen zum Mars, auch die Alten und die Außenseiter. Als auf der Erde ein Atomkrieg stattfindet und sie unbewohnbar wird, fliehen die letzten Überlebenden zum roten Planeten. Nun sind die Menschen zu Marsianern geworden. Für Bradbury ist der Mars die Projektionsfläche, auf der irdische Probleme sichtbar werden. Die Geschichten handeln von der Zerstörung von Kulturen, von der Flucht aus der Zivilisation und selbst gewählter Einsamkeit, von vergeblichen Hoffnungen und enttäuschten Visionen, von der Ausweglosigkeit menschlicher Utopie. Trotz hohem Budget und bekannten Schauspielern konnte die 1979 gedrehte dreiteilige Serie die düstere Atmosphäre der literarischen Vorlage nicht umsetzen. Spätestens mit dem 15. Juli 1965 fand diese Phase romantischer Verklärung ihr Ende. Raumsonde Mariner 4 funkte 22 Bilder zur Erde, die zeigten, dass der Mars eine lebensfeindliche Staubwüste ist. Dies wurde 1976 durch die Landung der beiden Viking-Sonden auf der Oberfläche bestätigt. Übrig blieb die Spekulation, dass es dort trotzdem Spuren organischen Lebens geben könnte, immerhin fand der Mars-Rover Curiosity, der sich seit 2012 auf unserem Nachbarplaneten befindet, mögliche „Bausteine des Lebens“. So betrachten die modernen Science-Fiction-Autoren den roten Planeten nüchterner und realistischer, auch wenn sie ihm noch immer ein paar Geheimnisse andichten. In erster Linie beschäftigen sie sich aber damit, den Mars zu „terraformen“, also ihn durch verschiedene Manipulationen für Menschen bewohnbar zu machen. Herausragendes Beispiel ist die Marstrilogie von Kim Stanley Robinson. In Red Mars landen 2027 die ersten 100 Wissenschaftler in einer kargen Wüste aus rotem Sand und Steinen, umgeben von riesigen kahlen Bergen. Sie sollen erste Habitate, in denen Menschen leben können, in der kalten und unwirtlichen Welt erschaffen und durch Einsatz modernster Mittel wie Sauerstoff produzierende Pflanzen, überlebensfähige Flechten und Satelliten, die mittels Solaranlagen Energie und Wärme spenden, den Planeten verändern. Aber wie weit soll dieses Terraforming gehen? Ein Teil der Siedler, die „Roten“, plädiert für eine möglichst sanfte Umwandlung 196
2. Venus, Mars und darüber hinaus
und kritisiert ihre Gegner: „Eine Welt, wo die Geländeformen hundertmal größer sind als auf der Erde und tausendmal älter, in der überall Hinweise auf den Anfang des Sonnensystems verstreut sind … Und ihr wollt das alles vernichten, ohne euch ehrlich einzugestehen, was ihr da eigentlich macht.“ Ihre Proteste verhallen wirkungslos, der Druck der technikbegeisterten Wissenschaftler und der Erde ist zu groß. Die großen Konzerne interessiert einzig die Ausbeutung von Ressourcen und die Regierungen wollen die Überbevölkerung durch Auswanderung auf den Mars verringern. Immer mehr Menschen kommen und die Rohstoffe werden immer rücksichtsloser ausgebeutet, 2061 kommt es zu einer Revolution der ersten Siedler, die jedoch scheitert. In Green Mars kommt es dann 2127 zu einem letztlich erfolgreichen Aufstand, nachdem der Mars unabhängig von der Erde wird. In Blue Mars verfügt der Mars nach dem Abschmelzen der Pol kappen über Ozeane und ist vom Weltraum aus gesehen ein blauer Planet geworden. Einzig von den „Roten“ eingerichtete, überkuppelte alte Marslandschaften existieren noch und die Menschen können die verbesserte Atmosphäre durch neu entwickelte Filter atmen. Manche Probleme aber sind geblieben, noch immer wollen Menschen von der Erde in die neue Welt fliehen. Einige der Marsianer sind für strikten Isolationismus, andere befürworten eine begrenzte Aufnahmepolitik. So ist auch diese Mars-Trilogie eine Projektionsfläche für die aktuellen Probleme der Erde, namentlich von Umweltzerstörung und Fluchtbewegungen. Die Trilogie hat alle namhaften Science-Fiction- Preise gewonnen und soll in eine Fernsehserie umgesetzt werden. Ihr zu Ehren hat die amerikanische Mars Society vorgeschlagen, dass die Farben Rot-Grün-Blau nach den Titeln der Trilogie zur Flagge des Mars werden sollen. Bis zu solchen Kolonialversuchen ist es aber noch ein weiter Weg. Der Mars bleibt also vorerst eine lebensfeindliche Wüste, wie sie in Ridley Scotts Film Der Marsianer geschildert wird. Von einem gewaltigen Sandsturm vertrieben, flieht die Besatzung der NASA-Mission Ares 3 zurück zur Erde, wobei sie ihren vermeint197
VII. Aufbruch ins All
lich toten Kollegen Mark Watney zurücklässt. Doch der lebt noch und weil er ein findiger Ingenieur und dazu noch ein Botaniker ist, gelingt es ihm, das von der Expedition aufgebaute Mars-Habitat zu erhalten. Mit einem Oxygenator, der aus Kohlenstoffdioxid Sauerstoff herstellt, erzeugt er Atemluft. Ein Atmosphäreregler steuert deren richtige Zusammensetzung und dank eines Wasseraufbereiters kann der Gestrandete aus verbrauchtem wieder trinkbares Wasser herstellen. Weil die Vorräte aber zu Ende gehen, kultiviert er die für Experimente mitgeführten Kartoffeln und gewinnt aus dem Treibstoff neues Wasser. Dann macht er die Erde auf sich aufmerksam, wo eine Rettungsmission gestartet wird. Diese wird im 3.000 Kilometer entfernten Schiaparelli- Krater landen, zu dem er sich in einem Mars-Rover mit seinem knapp bemessenen Lebensmittelvorrat aufmacht. Der Mars ist hier eine staubige, rote und gelbe Einöde mit endlos weitem Horizont, kaum zu überwindenden, riesigen Schluchten und gewaltigen kahlen, scharfkantigen Gebirgen. Andy Weir, dessen Buch dem Film als Vorlage diente, arbeitet zwar die neuesten Erkenntnisse über den Mars und die Raumfahrt ein, wie Regisseur Scott geht es ihm aber vor allem um eine moderne Robinsonade, in der das Geschick und der ungebrochene Überlebenswille eines Menschen gezeigt werden. Der Venus ging es ähnlich wie dem Mars. Durch die Fortschritte der unbemannten Raumfahrt wurde sie allmählich entzaubert. Zunächst ist sie ein „Platz der Geheimnisse“, wie es in der Ankündigung des 1959 erschienenen Storyreaders Das Rätsel der Venus heißt. Der bekannteste der frühen Autoren ist wieder einmal Edgar Rice Burroughs, der in fünf Bänden die Geschichte des Astronauten Carson Napier auf dem zweiten Planeten unseres Sonnensystems schildert. Amtor, wie seine Bewohner ihn nennen, ist voller riesiger Urwälder, die menschenähnlichen Bewohner haben ihre Städte in und auf großen, Hunderte Meter hohen Bäumen errichtet, in den dampfenden Nebeln darunter bekämpfen sich gigantische Tiere und die Welt wird immer wieder von verheerenden Stürmen heimgesucht. C. S. Lewis, Schöpfer der Chroniken von 198
2. Venus, Mars und darüber hinaus
Narnia, schildert die Venus als ein Meeresparadies, die Einheimischen leben auf schwimmenden, bunten Pflanzeninseln. Noch im Jahr 1961 ist sie bei den ersten Perry Rhodan-Heften ein feucht heißer Stern mit Urwäldern, durch die Gigasaurier stampfen, menschengroße Spinnen ihre Netze spannen, 100 Meter lange Würmer ihre Beute in Erdlöcher ziehen, die Meere werden von Riesenquallen, die Lüfte von Flugechsen beherrscht. Die Ernüchterung folgte, als die russischen Raumsonden immer präzisere Daten über unseren Nachbarplaneten senden konnten. Das Landungsteil von „Venera 7“ funkte zur Erde, dass die Ober flächentemperatur bei 470 °C lag und der Druck am Boden das 90-Fache des irdischen betrug. Für Science-Fiction-Autoren wurde sie zu einer tödlichen Welt, die höchstens zu einigen spektaku lären Rettungsmissionen einlud. Andere spekulierten, dass man sie vielleicht verändern könne, wenn man das Kohlendioxid und die Schwefelsäure durch chemische Prozesse zersetze und viel später zumindest an den Polen kuppelgeschützte Habitate errichte. Schließlich gibt es warnende Stimmen, die behaupten, an der Venus könne man auch sehen, wie sich der Treibhauseffekt in einer Atmosphäre mit hohem Kohlendioxidanteil auswirken kann. Ähnlich lebensfeindlich und damit weniger interessant erscheint den Science-Fiction-Schreibern der sonnennahe Merkur, auf dem bei ihnen höchstens Wesen aus Flammen oder geschmolzenem Metall existieren. Ganz anders der Asteroidengürtel. Er ist das Eldorado für Rohstoffsucher und Glücksritter aller Art und wird in vielen Romanen zum „Wilden Westen“ des Sonnensystems. Da gibt es schon mal einen ganzen Asteroiden aus Gold oder ähnlichen wertvollen Metallen. Die Gesetzeshüter sind weit, viele auf der Erde gescheiterte Existenzen kommen dorthin, wo es jede Menge halbseidener Spelunken und Spielhallen gibt. Für manche Autoren faszinierend ist der Gedanke, dass die Asteroiden Bruchstücke des ehemals fünften Planeten des Sonnensystems sind, der einstmals eine große Zivilisation trug. Diese ging dann aber im Konflikt miteinander oder in einem interstellaren Krieg unter und der Planet zerbrach. 199
VII. Aufbruch ins All
Hinter dem Asteroidengürtel liegt der größte Planet des Sonnensystems, der Jupiter. Sehr früh wurde klar, dass er wegen seiner Atmosphäre und der großen Schwerkraft nicht für menschliches Leben geeignet ist. Einige wenige Autoren haben ihn mit intelligenten Gasen besiedelt oder über den „Großen roten Fleck“ als Ort von Beobachtungsstationen fremder Intelligenzen spekuliert. Interessanter waren und sind die Jupitermonde Io, Ganymed, Callisto und Europa, wo mit viel Fantasie erdähnliche Gegebenheiten denkbar sind, zumindest nach einem Terraforming. So werden auch sie zu Bergwerks- oder Strafplaneten. Das Juwel unseres Sonnensystems – da sind sich alle Aliens einig – ist nicht etwa unser blauer Planet Erde, sondern der Saturn mit seinen Ringen, der es vor allem Filmdesignern angetan hat. Zu ihm werden Sternexpeditionen gestartet und auch sein größter Mond, der Titan, ist Schauplatz mancher Geschichten. Immer wieder finden wir in Erzählungen oder Filmen über das Sonnensystem den Gedanken, dass mutige Pioniere die bisher gültigen Grenzen ausdehnen, das bis heute prägende amerikanische „Frontier“Denken des 19. Jahrhunderts spiegelt sich in der Science-Fiction wider. Dies wird gerade in den Gestalten von Buck Rogers und Flash Gordon deutlich. Sie sind Vorbilder für die zunächst in den USA so beliebten Space Operas, die Weltraumopern, die in den Fünfzigerjahren, aber auch in den modernen Filmen das prägen, was das Publikum unter Science-Fiction versteht. Freilich geht es über das Sonnensystem hinaus so wie in Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, mit dem 1968 eine neue Ära des ScienceFiction-Films eingeläutet wurde. Nachdem auf dem Mond ein geheimnisvoller Monolith entdeckt wurde, der Signale Richtung Jupiter sendet, wird Raumschiff Discovery One zu diesem Planeten geschickt. Pilot und Herr über die Bordsysteme ist der mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Supercomputer HAL 9000, der allerdings nach einer Fehlfunktion abgeschaltet werden muss. Der letzte Astronaut sieht einen weiteren Monolithen, wird von ihm magisch angezogen und erlebt eine von psychedelischen Farben begleitete Irrfahrt durch Raum und Zeit. 200
2. Venus, Mars und darüber hinaus
SF-Spezial
Legendäre Raumschiffe ORION VIII: Schneller Raumkreuzer, Kommandant Cliff Allister McLane. Das Schiff hat die Form eines Diskus, Durchmesser 150 m, größte Höhe 30 m. Neben dem Kommando- und Kampfstand gibt es noch Maschinen- und Hydrotankräume sowie die Kabinen für die Besatzung. Diese besteht neben dem Kommandanten aus dem Sicherheitsoffizier Tamara Jagellowsk, dem Ingenieur Hasso Sigbjörnson, dem Waffenspezialisten Mario de Monti, Kommunikationsoffizier Helga Legrelle und dem Astrogator Atan Shubashi. Als Bewaffnung führt das Raumschiff neben Strahlenwaffen wie „Lichtwerfern“ tödliche „Overkill-Projektoren“, die feindliche Raumschiffe und Asteroiden vernichten können. Die ORION hat drei Beiboote, die „Lancets“, und verfügt über drei Antriebsarten: den Antigrav für Start und Landung, ein Photonentriebwerk für den Unterlichtflug sowie einen Hyperspace-Antrieb. USS ENTERPRISE: United Star Ship der Constitution-Klasse mit der Registriernummer NCC-1701, Kommandant Captain James Tiberius Kirk. Sie ist 289 m lang und hat 23 Decks, auf dem obersten befindet sich der Brücke genannte Kommandoraum, auf Deck 19 sind die Maschinen. Die Enterprise sieht aus wie eine fliegende Untertasse mit zwei riesigen Antriebsgondeln an den Seiten. Sie kann mit dem Warp-Antrieb überlichtschnell fliegen, ist mit Photonentorpedos und Phasern bewaffnet, mit dem Materietransporter können Personen vom Raumschiff auf Planeten „beamen“. Wichtigste Besatzungsmitglieder sind der Wissenschaftsoffizier Spock, der Bordarzt McCoy, Ingenieur Scott, Steuermann Solo, Kommunikationsoffizierin Uhura und der Navigator Chekov. Galactica: Kampfstern der letzten zwölf menschlichen Kolonien, Commander William Adama. Die Galactica ist ein ein Kilometer langes Raumschiff und zugleich überschwerer Schlachtkreuzer wie auch Trägerschiff für Hunderte kleiner Schiffe, vor 201
VII. Aufbruch ins All
allem die als Viper bezeichneten Raumjäger. Auf der Flucht vor den Zylonen, das sind humanoide Androiden, beherbergt sie neben der mehrere 100 Personen umfassenden Besatzung auch Tausende von Zivilisten und kann diese dank eines ausgeklügelten ökologischen Systems auch ernähren. CREST III: Ultraschlachtschiff der GALAXIS-Klasse, Kommandant Oberst Cart Rudo. Der 2.500 m durchmessende Kugelraumer war seit 2404 das Flaggschiff der von Perry Rhodan geführten Solaren-Flotte. Die Crest war zugleich Schlachtschiff mit schweren Transformgeschützen, Impulskanonen, Desintegratoren sowie Narkosestrahlern und zudem Beibootträger für 50 KorvettenRaumschiffe mit 60 m Durchmesser und 500 Raumjäger vom Typ Moskito. Mehr als 3.000 Personen bilden die Stammbesatzung, dazu kommen 2.000 für die verschiedenen Beiboote. MillenniumFalke: Modifizierter YT-1300-Frachter, Kapitän Han Solo. Das stromlinienförmige Raumschiff ist 26,7 m lang und 6,3 m hoch. Der an der Außenhaut durch Meteoriten reichlich ramponierte Falke verfügt über einen großen Frachtraum, der mittels eines Lastenaufzugs mittschiffs an der Unterseite erreicht werden kann. Zwischen ihm und dem Kommandodeck liegen die Wohnkabinen und ein Holospieltisch. Das ganze Schiff ist durch Bastelarbeiten von Solo und dem Piloten Chewbacca frisiert. So verfügt es über einen starken Hyperantrieb, verbesserte Deflektorschilder und einen durch drei Droidengehirne aufgerüsteten Schiffscomputer. Auch die Bewaffnung reicht an Kriegsschiffe heran, vor allem aber ist der Millenniumfalke äußerst wendig. Die Besatzung besteht aus zwei Personen, wenn nicht gerade Flüchtlinge oder Rebellen transportiert werden. ANDROMEDA ASCENDENT: Schwerer Kreuzer der Glorious-Heritage-Klasse, Captain Dylan Hunt von der „Ehrengarde“ des intergalaktischen Commonwealth. Das Schlachtschiff ist 1.301 m lang und hat zwei gebogene Seitenflügel. Es verfügt über 40 Raketen202
3. Unendliche Weiten
abschussrampen, am gefährlichsten ist die Nova-Bombe, die ganze Welten vernichten kann. Die Besonderheit ist eine künstliche Intelligenz, die den Kommandanten berät, eine eigene Persönlichkeit besitzt und als menschliche Holografie erscheinen kann. Sie hat den Namen des Schiffes, nämlich Andromeda, und zwischen ihr und der Besatzung entsteht eine regelrechte Freundschaft.
3. Unendliche Weiten Ein einsames Raumschiff verloren im Weltraum. Der riesige, fensterlose Zylinder mit einem Durchmesser von mehreren Kilometern hebt sich kaum ab von den in der Ferne funkelnden Sternen. Im Inneren gibt es Dutzende übereinanderliegende, konzentrische Decks mit Feldern, Pflanzen und Wäldern, mit Wohnkabinen und Handwerksbetrieben. Von den Decken her strömt frische Luft, alles ist 12 Stunden lang hell erleuchtet, dann trübt sich das Licht, bis es fast ganz ausgeht. Für die Menschen im Schiff war das schon immer so, warum, wissen sie nicht. Ihre kleine überschaubare Welt halten sie für das Zentrum des Universums, außerhalb lauern das Nichts und der Tod. Wer die Regeln Jordans, des allmächtigen Schöpfers, einhält, zu ihm betet und Opfer bringt, dem winkt ein Paradies mit dem Namen „Centaurus“. An Bord gibt es verschiedene Gruppen: einmal die Bauern, die für die Nahrungsmittelproduktion verantwortlich sind. Dann die Wissenschaftler, die die heiligen Bücher lesen können und nach ihren Anweisungen die Maschinen instand halten. In den oberen Decks leben als „Meuterer“ bezeichnete Mutanten, deren Körper grotesk verformt sind. Eine Strafe der Götter, sagen die Wissenschaftler. Einer der jungen Adepten beginnt, an den uralten Lehren zu zweifeln, und findet nach langem Suchen die Wahrheit heraus. Vor vielen Jahrhunderten sollte ein als „Vanguard“ benanntes Raumschiff die endlose Strecke zwischen einer Welt namens Erde, 203
VII. Aufbruch ins All
die viel größer ist als das Schiff, und einem Stern namens Alpha Centauri überwinden. Nach einigen Jahrzehnten kam es aus nicht mehr bekannten Gründen zu Meuterei und Aufruhr. Dabei wurden all die getötet, die etwas von Astrogation und dem Antrieb verstanden, seitdem treibt das Schiff scheinbar ziellos im All. Die Gesellschaft der Menschen ist in eine Art Mittelalter zurückgefallen, die alte Technologie ist vergessen. Die vom Chefkonstrukteur Jordan hinterlassenen Schriften wurden zu heiligen Schriften und er selbst zu einem Gott. Weil auf den oberen Decks, auf die sich die Meuterer und ihre Familien zurückgezogen haben, kosmische Strahlung durchdringt, kam und kommt es zu Mutationen. Dann nähert sich das Schiff einem Stern, der immer größer wird … So schildert Robert A. Heinlein in seinem Roman Die lange Reise das Leben in einem Generationenraumschiff. Ein solches Transportmittel wäre der Weg, ferne Sterne zu erreichen. Zum Mond, dem Mars, zu den ferneren Planeten kann man in Monaten oder vielleicht Jahren fliegen, das ist noch irgendwie vorstellbar. Aber schon der nächste Planet Alpha Centauri ist 4,3 Lichtjahre entfernt und mit konventionellen Raumschiffantrieben – seien sie technologisch weit fortschrittlicher als die heutigen – nur in Jahrhunderten erreichbar. Denn die Lichtgeschwindigkeit ist eine unüberwindbare Grenze, so zumindest der heutige Stand der Wissenschaft. Wie also die gewaltigen Distanzen überwinden? Dazu muss man Einsteins Relativitätstheorie bedenken, die besagt, je schneller die Raumfahrer fliegen, umso langsamer vergeht für sie die Zeit. Für manche Autoren ist dies ein Phänomen mit faszinierenden Folgen. Sie lassen ihre Astronauten nach einigen Jahren Dilatationsflug heimkehren und auf der Erde sind Tausende von Jahren vergangen. Eine weitere Idee in der Science-Fiction waren riesige Raumschiffe, in die wie in eine Arche Noah Menschen, Tiere und Pflanzen eingelagert werden. Manchmal werden die Insassen auch eingefroren, sozusagen für Jahrhunderte auf Eis gelegt. Es sind wie bei Robert Heinleins „Vanguard“ Generationenraumschiffe. Erst die Urenkel der Urenkel erreichen das Ziel und wenn das Zielsystem keine bewohnbaren Planeten aufweist, geht die Reise weiter. 204
3. Unendliche Weiten
Die meisten Romane beschäftigen sich denn auch mit den Problemen innerhalb solcher geschlossener Gesellschaften, es kommt zu Weltraumkoller, Kastensystemen, Rückfall in die Barbarei und Rebellionen. Oder die Nachfahren vergessen Heimat und Auftrag, während die Maschinen das System aufrechterhalten. Oft enden solche langen Reisen fast tragisch: Nach Jahrhunderten angekommen, findet man eine irdische Kolonie vor, deren Raumschiffe überlichtschnell fliegen konnten. Wenn auf der Erde ein solcher Antrieb überhaupt entwickelt worden ist! Zumindest die Science-Fiction-Autoren waren fix in der gedanklichen Erzeugung solcher Antriebe. Sie stellten sich einen wie immer gearteten Hyperraum vor, in den man sich versetzen lassen konnte und in dem eine millionenfache Lichtgeschwindigkeit möglich war. Später stürzten sich die Autoren auf die Tachyonen, von der theoretischen Physik postulierte Teilchen, die schneller als das Licht an einer Stelle verschwanden und an einer anderen wieder auftauchten. Dies diente als Blaupause für interstellare Kommunikation, einen Tachyonenantrieb oder für Materie-Transmitter, in denen Menschen oder Raumschiffe, in kleinste Teilchen zerlegt, in den Überraum abgestrahlt wurden und an einem anderen Ort wieder entstanden. Eine weitere von Science-Fiction-Autoren gern verwendete Idee ist, dass schwarze Löcher einen Einstieg zu weit entfernten Punkten des Universums bieten könnten. Mittels dieser Einstein- Rosen-Brücken könnte die Barriere der Lichtgeschwindigkeit sozusagen überlistet werden. Wer direkt an einem Ende des Wurmlochs sitzt, hat ökonomische Vorteile wie die Raumstationen in der Serie Deep Space Nine oder einen strategischen Nutzen wie das Sternenkönigreich Manticore in David Webers Military-Science-Fiction-Büchern um die Admiralin Honor Harrington. Die fantastischste und skurrilste Reisemethode beschreibt – wer könnte es anders sein – Douglas Adams in Per Anhalter durch die Galaxis. Hauptperson Arthur Dent kann sich mittels eines „Subraum-Äther-Winkers“, einer Art elektronischer Daumen, von einem Schiff der Vogonen mitnehmen lassen, bevor diese Aliens 205
VII. Aufbruch ins All
die Erde zerstören, um durch das Sonnensystem eine galaktische Hyperraum-Express-Route zu bauen. Nicht nur die Transportmittel, sondern auch die Raumschiffe werden immer fantastischer. Der Kampfstern Galactica, eine Mischung aus Schlachtschiff und Träger von Raumjägern, ist eine kleine Stadt, die Tausende Menschen ernähren kann. Die „Todes sterne“ bei Star Wars haben die Größe von Monden und James Blishs Fliegende Städte sind überkuppelte, mit Hyperantrieb versehene Städte, die in der Galaxis ihre Dienste anbieten. Quasi als „Gastarbeiter“ beseitigen sie Umweltschäden, bauen Rohstoffe ab und zerstörte Zivilisationen auf. Jedenfalls steht die Galaxis der expandierenden Menschheit offen, neue faszinierende Geschichten können erzählt werden. So lautete auch der Vorspann zur 1966 ausgestrahlten und noch in Schwarz-Weiß gedrehten ersten deutschen Fernsehserie um das legendäre Raumschiff Orion: „Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen: es gibt keine Nationalstaaten mehr – es gibt nur noch die Menschheit und ihre Kolonien im Weltraum. Man siedelt auf fernen Sternen. Der Meeresboden ist als Wohnraum erschlossen. Mit heute noch unvorstellbaren Geschwindigkeiten durcheilen Raumschiffe unser Milchstraßensystem. Eins dieser Raumschiffe ist die Orion.“
4. Siedeln auf fremden Sternen Pandora, das ist die Hölle unter den Planeten. Eine glitzernde, blaue, verführerische, schöne Welt aus dem All. Aber wer mit dem Sternenschiff auf die Basis des Minenkonzerns fliegt, wird sofort gewarnt: „Dort draußen werdet ihr keine 5 Minuten überleben!“ Es 206
4. Siedeln auf fremden Sternen
ist ein Dschungel, in dem monströse Tiere, giftige Insekten und blauhäutige Humanoide leben, die auf ihren drachenähnlichen Flugtieren tödliche Pfeile verschießen und die auf die Kontaktversuche der Menschen zunehmend feindlicher reagieren. Pandora, das ist ein farbenprächtiges Paradies. Mächtige Bäume ragen in den Himmel, durch den in der Luft schwimmende Felsen ziehen. Riesige Pilze wachsen dort, die auf Berührung zusammenschnurren und sich im Boden verstecken. In den Nächten leuchten die Moose und schimmernde kleine Quallen vom heiligen Baum flattern durch die Luft. Die heimischen Intelligenzen lieben die Natur und sind eins mit ihr. Nur die Fremden aus dem All stören den Frieden, weil sie wertvolle Mineralien ausbeuten wollen und dabei keine Rücksicht auf Landschaft und Tiere nehmen. Avatar war einer der kommerziell erfolgreichsten Science- Fiction-Filme des 21. Jahrhunderts und ein ungewöhnlicher dazu. Nicht nur deshalb, weil seine Tricktechnik phänomenal war und zum ersten Mal die 3-D-Technik voll ausnutzen konnte. Was Millionen Zuschauer anzog, war auch die Geschichte der Begegnung von Menschen mit Bewohnern einer fremden Welt, die mittels eines Avatars erfolgte, eines künstlichen, an Pandoras Natur angepassten Körpers, in den der Geist eines Menschen transferiert wurde. Auf beiden Seiten gab es Gut und Böse und neben der menschlichen bzw. Alien-Komponente war der Film zugleich eine Parabel über den Kampf zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Zerstörung der Umwelt und Versöhnung mit der Natur. Symbolisch ist auch das Happy End, als der verkrüppelte Mensch mit seinem Avatar verschmilzt und den alten Adam und damit auch die alte, schnöde Welt hinter sich lässt, eine zerstörte, grausame Welt ohne Grün, auf die sich die geschlagenen Erdkolonisten zurückziehen müssen. In den meisten Filmen und Romanen machen sich die Autoren nicht die Mühe, eine fremdartige Pflanzen- und Tierwelt mit entsprechender Ökologie zu beschreiben. Im Prinzip – und da bildet Avatar keine Ausnahme – ist sie ziemlich irdisch, Fauna und Flora werden nur in die Extreme extrapoliert, um im Publikum 207
VII. Aufbruch ins All
eine Mischung von Faszination und Schauder zu erzeugen. Frank Herberts Der Wüstenplanet ist eine auf die ganze Welt ausgedehnte Sahara mit nur wenigen Oasen, in denen eine Art Beduinen, die Fremen, leben. Das Besondere an dem Planeten Arrakis sind die Sandwürmer, auf denen die Nomaden wie auf Drachen reiten können. Nicht auf allen Planeten der habitablen Zone gibt es Aliens. Aber auch ohne sie stehen die Kolonisten auf dem jungfräulichen Planeten, den sie besiedeln wollen, vor Problemen. Denn der ist meist nicht so wie die Erde. Die Atmosphäre ist anders, die Schwerkraft ist anders, es ist zu heiß oder zu kalt. Was tun? Wenn es zumindest ein eher erdähnlicher Himmelskörper ist, dann könnten die Kolonisten versuchen, ihn zu einer zweiten Erde zu machen, ihn zu „terraformen“. Das ist gar nicht so leicht und benötigt viel Energie und einen hohen technologischen Standard. Denn sie müssten nicht nur Druck und Zusammensetzung der Luft anpassen, sondern auch für Wasser sorgen mit dem entsprechenden Kreislauf von Verdunstung und Wolken, die den Regen bringen. Es braucht auch fruchtbares Land für Pflanzen, die verträglich für die mitgebrachten oder aus Samen gezüchteten Nutztiere sind. Alles in allem ein Jahrhunderte dauernder Prozess, den Angela und Karlheinz Steinmüller in ihrem Roman Andymon, dem bekanntesten und beliebtesten Science-Fiction-Roman der DDR, beschreiben. Dabei geht es ihnen ähnlich wie in der Mars-Trilogie nicht vorrangig um die technischen Aspekte, sondern um die Frage, wie eine offene, humane Gesellschaft errichtet werden kann, die unterschwellige Kritik am DDRRegime ist erkennbar. Die umgekehrte Möglichkeit wäre die Anpassung des Menschen an den Planeten. Das wäre noch schwieriger: Die Siedler müssten die Atmosphäre des Himmelskörpers atmen können, beispielsweise chlor- oder methanresistent sein und diese Stoffe sogar verarbeiten können. Ihr Knochengerüst müsste an die jeweilige Schwerkraft angepasst werden. Die Siedler 208
4. Siedeln auf fremden Sternen
müssten gentechnisch so verändert werden, dass sie dort wachsende Nahrungsmittel essen und verarbeiten könnten. In seiner Kurzgeschichte Auch sie sind Menschen beschreibt der studierte Mikrobiologe James Blish schon 1957, wie so ein Anpassungsprozess auf dem Jupitermond Ganymed aussehen könnte, auf dem 90 °C und 20 Prozent der Erdschwerkraft herrschen und die Luft mit Methan geschwängert ist. Durch „selektive Zellteilungsbeeinflussung, gezielte Röntgenbestrahlung, tektogenetische Mikrochirurgie, konkurrierende Stoffwechsel hemmen, und vielleicht noch 50 andere Dinge“ besteht schließlich „das und das Blut und das Plasma jeder einzelnen Zelle zu neun Zehnteln aus flüssigem Ammoniak … Die Atmung verläuft in einem komplizierten WasserstoffMethan-Kreislauf.“ Die Perry Rhodan-Serie kennt eine ganze Reihe solcher „Umweltangepasster“, vom riesigen, muskelbepackten, unter dreifacher Schwerkraft aufgewachsenen „Ertruser“ bis zum nur 30 cm großen „Siganesen“, der als Ausgleich für die Miniaturisierung mikroskopische Sehfähigkeiten und eine längere Lebenserwartung erhält. Neben der gentechnischen Umwandlung kennen viele Autoren auch die Möglichkeit technischer Implantate. Wer in fremden Welten siedelt, wird zum Cyborg. Eine dritte, aber auch nicht einfache Möglichkeit wäre eine luftdichte Kuppel für die Kolonie. Diese könnte aus einem festen Stoff oder – wie es einige Science-Fiction-Autoren sich ausdenken – eine Art Energieschirm sein. Man könnte dann auf einem kleinen Gebiet für einige 100 Siedler den Boden roden, irdische Pflanzen anbauen und vielleicht Tiere mitnehmen und züchten und so einen winzig kleinen irdischen Stützpunkt schaffen. Auch damit nicht genug: Man müsste einen sich selbst tragenden Luftkreislauf, ein umfassendes Recycling aller Stoffe schaffen. Diese lebensfähigen Inselchen auf einem fremden Planeten könnte man Schritt für Schritt ausweiten. Natürlich gibt es Autoren, die mehr wollen als die Schilderung der Probleme der Kolonisation oder der Auseinandersetzung mit Ali209
VII. Aufbruch ins All
ens und deshalb faszinierende Szenarien entwerfen. Der Naturwissenschaftler Hal Clement beschreibt in Unternehmen Schwerkraft den Riesenstern Mesklin. Seine Schwerkraft übersteigt das 600Fache der irdischen Gravitation, die Meere sind aus flüssigem Methan und der Schnee ist gefrorenes Ammoniak. Um die Daten einer abgestürzten Forschungsrakete zu bergen, benötigen die Menschen die Hilfe der Einheimischen. Diese Meskliniten – gegenüber den Fremden aus dem All zu Recht misstrauisch – sind nur 40 cm groß, der trotzdem zentnerschwere Körper ruht auf 36 Beinen. Bei Larry Nivens Roman Der schwebende Wald entdecken Forscher einen Neutronenstern, der von einer riesigen Gaswolke umgeben ist. Darin haben sich Riesenpflanzen von der Größe kleiner Planeten entwickelt. In diesen baumartigen Gebilden siedeln sich dann Menschen an. Niven ist auch der Verfasser des berühmten Zyklus um die Ringwelt. Sie ist eine riesige künstliche Scheibe, die wie ein Ring ihre Sonne umgibt. Der Ring ist 1,6 Millionen Kilometer breit und an den Rändern von 1.600 Kilometern hohen Wellen umsäumt, die auch die Atmosphäre festhalten. Rein rechnerisch ist die Oberfläche dieser künstlichen Welt drei Millionen Mal größer als die der Erde, Platz genug für viele Geschichten und weitere Autoren. Eine bizarre Welt ist der vom polnischen Autor Stanislaw Lem kreierte Planet Solaris. Er ist bis auf winzige Inseln von einem Ozean bedeckt, auf dem ständig vielfarbige, teils groteske Verformungen und Bilder zu sehen sind. Die Wissenschaftler von der Erde erforschen dieses Phänomen seit mehr als 100 Jahren und vermuten, dass das Meer als Ganzes eine Art Intelligenz hat. Als ein Psychologe auf der Forschungsstation – sie befindet sich auf einem Satelliten – eintrifft, benehmen sich die übrigen Forscher höchst merkwürdig, einer hat sogar Selbstmord begangen. Zudem scheinen Fremde anwesend zu sein. Schließlich stellt sich heraus, dass der Ozean aus den Erinnerungen der Stationsmitglieder täuschend echte Personen materialisieren kann. Es ist eine Art Versuch, mit den ihm fremden Wesen aus dem All zu kommunizieren. Zu einer wirklichen Verständigung kommt es aber nicht. Lems Roman, der zu Recht als ein Meisterwerk der Science-Fiction 210
4. Siedeln auf fremden Sternen
gilt, wurde dreimal verfilmt und sogar auf die Bühne gebracht. Der Autor kritisierte dabei Umsetzungen, die zu sehr auf zwischenmenschliche Beziehungen und Verwirrungen hinausliefen, mit den Worten: „Blödsinn! Absoluter Blödsinn. Alles Interessante an meinem Roman bezog sich auf das Verhältnis der Menschen zu diesem Ozean als einer nicht humanoiden Intelligenz – nicht auf irgendwelche zwischenmenschlichen Liebesgeschichten.“ Ebenfalls ein Meisterwerk ist die Kurzgeschichte Und Finsternis wird kommen – sie wurde 1968 von der Vereinigung amerikanischer Science-Fiction-Autoren zur besten Kurzgeschichte vor 1965 gewählt. Darin beschreibt Isaac Asimov ein aus sechs Sonnen bestehendes Sternensystem. Das hat zur Folge, dass praktisch jeder Ort des Planeten immer beschienen wird, die Bewohner also keine Nacht kennen. Nur einmal alle 2.500 Jahre wird durch den Durchzug eines anderen Planeten eine Sonnenfinsternis erzeugt und es kommt für Stunden zu einer Dunkelheit, die Panik hervorruft, bei der die Zivilisation in einem ewigen Kreislauf zerstört wird.
SF-Spezial
Exoplaneten Science-Fiction-Autoren wissen es schon lange: Allein in unserer Galaxis existieren Tausende, wenn nicht Millionen Planeten, die Leben tragen könnten. Die Wissenschaft ist da (noch) bescheidener. Schon lange sucht sie nach Exoplaneten, Planeten außerhalb unseres Sonnensystems. Erstmals wurde sie 1995 fündig. Der Schweizer Astronom Michel Mayor entdeckte 51 Pegasi b, einen Gasriesen, der 50 Lichtjahre von uns entfernt seinen Mutterstern in viereinhalb Tagen umrundet. Mayors Kollegen waren zunächst skeptisch, weil er seine Entdeckung nicht durch ein großes Teleskop machte, sondern den Exoplaneten indirekt bewies. Er bediente sich dabei der sogenannten Transitmethode: Wenn ein Planet von der Erde aus gesehen 211
VII. Aufbruch ins All
direkt an einer fernen Sonne vorbeizieht, entsteht eine minimale, aber messbare Verdunklung. Inzwischen gibt es andere indirekte Methoden durch hochsensible Spektografen, die ebenfalls periodische Veränderungen im Spektrum des fraglichen Sterns erkennen. Direkt gesehen wurden Exoplaneten erst im neuen Jahrtausend vor allem durch den Einsatz des Hubble- und des Kepler-Weltraumteleskops. Ende 2015 waren mehr als 2.000 Planeten in knapp 1.300 außerirdischen Systemen bekannt. Zudem gab es mehrere Tausend Himmelskörper, deren Existenz fast sicher, aber noch nicht mehrfach nachgewiesen ist. Es handelt sich vor allem um größere Planeten, was darauf zurückzuführen ist, dass kleinere schwieriger zu entdecken sind, sei es mit indirekten Methoden oder durch direkte Beobachtung. Aber es werden immer mehr. Allein durch den Einsatz des Kepler-Teleskops konnten im Jahr 2014 mehr als 800 Planeten nachgewiesen werden und wenn das Hubble- Teleskop 2018 ersetzt wird, ist ein weiterer größerer Zuwachs zu erwarten. Heute glauben die meisten Wissenschaftler, dass Planetensysteme in unserer Milchstraße weit verbreitet sind und sie im Durchschnitt ein bis zwei Planeten haben, was Milliarden dieser Himmelskörper ergäbe. Freilich ist damit die Frage noch nicht beantwortet, ob es Leben auf einem dieser Planeten gibt oder sogar intelligente Bewohner. Ein Nachweis für organisches Leben auf welcher Stufe auch immer kann mit einer Untersuchung der Spektren erfolgen, da sich hier organische und nicht organische Stoffe unterscheiden. Freilich bedarf es dazu noch besserer Weltraumteleskope, um an diese Daten zu kommen. Denn zunächst einmal muss man Exoplaneten in der sogenannten habitablen Zone finden, wo es weder zu heiß noch zu kalt für die Entwicklung von Leben ist. Die Planeten müssen eine feste Oberfläche haben, und das ist im Gegensatz zu den gasförmigen Riesen nur bei kleinen Himmelskörpern möglich. Hat man diese gefunden, hoffen die Astronomen, zunächst mit ein facheren indirekten Methoden Kandidaten zu finden, um dann eine intensivere Untersuchung anschließen zu können. 212
4. Siedeln auf fremden Sternen
Im Juli 2015 gab die NASA die Entdeckung eines „größeren und älteren Cousins“ der Erde bekannt. Von Kepler 452b weiß man allerdings noch wenig, außer dass er seine Sonne in einem ähn lichen Abstand wie die Erde umkreist. Wasser könnte also flüssig sein und der Planet voraussichtlich felsig, alles Voraussetzungen für ein organisches Leben. Ob es dieses Leben auch nur in seiner primitivsten Form dort gibt, ist nicht bekannt. So müssen wir die Spekulationen über eine Galaxis voller Leben vorerst den Science- Fiction-Autoren überlassen.
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VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde? 1. Die Erde wird erobert „Es war der erste Kontakt. Ich war in der Schule, als die Raumschiffe landeten. Sie waren riesengroß. Wir haben sie nicht mit Bomben angegriffen, denn sie könnten Freunde sein. Aber sie wollten nicht unsere Freunde sein. Und dann schickten sie so ein helles Licht, von dem alle elektronischen Geräte kaputtgingen. Und dann waren sie einfach da!“ So erlebt ein Schüler die Invasion der Außerirdischen zu Beginn der Fernsehserie Falling Skies. Etwas komplizierter ist die Situation in Defiance: „Es war keine Invasion, als die Votaner zur Erde kamen. Sie sind eingewandert. Nicht alle haben das so gesehen. Im Jahre 2023 zogen wir deshalb in den Krieg. Sieben lange Jahre die Hölle auf Erden. Und es wurde noch schlimmer. Ihre Archenschiffe explodierten. Die meisten Trümmer formten den Archengürtel. Aber manche sind auf die Erde gestürzt. Milliarden kamen ums Leben, Votaner und Menschen. Terraforming-Technologie veränderte den ganzen verdammten Planeten. Neue Himmel – neue Erde – neue Arten zu sterben. Aber für die Mutigen und Verwegenen eine neue Chance …“ Das ist die Ausgangslage des Online-Computerspiels und der Fernsehserie Defiance. „Defiance“ ist der Name der kleinen Stadt, die die Überlebenden auf den Trümmern der Stadt St. Louis, von der nur noch der Gateway-Torbogen übrig ist, errichtet haben. Zu ihr sind Menschen und Aliens gleichermaßen geflohen. Eine Außer irdische sagt, und das ist die Devise der Serie: „Wir leben in einem 214
1. Die Erde wird erobert
einmaligen Ort in einer neuen Welt. Was wollen wir: sinnloses Blutvergießen oder finden wir gemeinsam eine Lösung? Wir leben und sterben gemeinsam!“ Ebenso trostlos ist das Szenario in den fünf Staffeln der Fernsehserie Falling Skies, die Steven Spielberg produziert hat. Die Invasion hat stattgefunden, die Außerirdischen sind übermächtig, die Menschheit dezimiert und wer noch lebt, ist auf der Flucht: „Die Stadt ist verloren, wir müssen uns zurückziehen! Wir müssen uns aufteilen und untertauchen. Dann können wir vielleicht überleben“, sagt der Anführer der „Zweiten Massachusetts“, die sich mit einigen Hundert Zivilisten aus Boston zurückgezogen haben. Sie haben Hunger und werden von den „Skitters“, kampfkräftigen Riesenameisen, verfolgt, die einige menschliche Kinder gefangen haben und mittels eines eingepflanzten Parasiten kontrollieren. Der Protagonist, ehemals Geschichtsprofessor, macht allen Mut und seine Aussage ist auch hier das Motto der Serie: „Die Geschichte ist voll von Beispielen, dass die Besatzungsmacht stärker war und es trotzdem gelang, sie in die Flucht zu schlagen.“ Die Muster gleichen sich. Es gab eine Invasion, die Erde ist verwüstet, die Gegner sind technologisch überlegene Aliens und eine kleine Gruppe tapferer, geschickter und heterogener Menschen versucht erst zu überleben und dann den Kampf gegen die Invasoren aufzunehmen. Schritt für Schritt wird die fremde Technik erkundet und gewitzt im Untergrundkrieg eingesetzt. Dann gibt es noch die Verräter in den eigenen Reihen, aber auch Wesen unter den Aliens, die Sympathien für die Menschen empfinden und sie heimlich oder offen unterstützen. Freilich, die Außerirdischen sind eigentlich bekannte Wesen, entweder Monster aus Mythen und modernen Filmen oder menschenähnliche Gestalten, die vielleicht einen länglichen Kopf, riesige Augen oder Pelz am Körper haben. Irgendwo dazwischen gibt es Exemplare, die an unsere Tierwelt erinnern. In Falling Skies sind das die „Skitters“, zwei Meter lange gepanzerte Ameisen. Dann gibt es Aliens, die wie riesige Spinnen aussehen, die sich sogar durch Stahl fressen können. Über allem stehen die „Over215
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
lords“ – übrigens ein Name, den Science-Fiction-Autoren gerne für mächtige, meist feindliche oder zumindest undurchsichtig gesinnte Wesen verwenden –, schmalgliedrige, übermenschengroße Humanoiden mit einem länglichen, haarlosen Kopf und riesigen Augen. Auch die Filmemacher von Defiance bedienen sich gängiger Muster. Ihre Invasoren führen den Sammelbegriff Votaner und bestehen aus sieben Rassen, die die sieben Planeten ihres zerstörten Sonnensystems bewohnt hatten. Da gibt es die „Casthitaner“, aristokratische und wie Albinos aussehende Menschenähn liche mit langen weißen Haaren, ein stolzes und arrogantes Volk. Dann die „Irathier“, athletische Kämpfer mit bronzener Haut, die sich von den Menschen nur durch breite Nasenrücken und orangene Augen unterscheiden. Die ohrenlosen „Indogenen“ haben eine glatte weiße Haut, sind versierte Techniker und Wissenschaftler und verstärken ihre Fähigkeiten durch Implantate. Weiter gibt es die „Volge“, acht Meter große Riesen in metallischen Rüstungen, in die zahlreiche Waffen integriert sind. Tierähnlich sind die „Sensoth“, die an Bären erinnern, ebenso wie die „Liberata“, breitschultrig und mit einem Affenkopf voller Haarbüschel. Am fremdartigsten sind die „Gulanee“, runde Wesen in Schutzanzügen, die sie als Lichtkugeln erscheinen lassen. So gängig solche Alien-Muster in der Science-Fiction auch sind, eine Besonderheit hat Defiance aber noch. Es ist gleichzeitig als Serie und als Computerspiel erschienen mit dem Versprechen an die Tausende Online-Mitspieler, dass sich Spiel und Film gegenseitig ergänzen. Dies wird nur zu einem ganz kleinen Teil realisiert, die Folgen jeder Staffel werden zusammen produziert und können erst dann in das Computerspiel einfließen. Noch schwieriger ist es, wenn in der virtuellen Spielwelt die eine oder andere Rasse gewinnt, dies im Drehbuch der Serie umzusetzen. So bleibt es im Wesentlichen dabei, dass das gleiche Szenario benutzt wird wie bei anderen Science-Fiction-Spielen auch. Die Invasion von einer anderen Welt ist einer der Klassiker der Science-Fiction. 1898 veröffentlichte H. G. Wells seinen Krieg der Welten. Da greifen riesige dreibeinige Maschinen, in denen Marsi216
1. Die Erde wird erobert
aner sitzen, die Erde an, um deren Rohstoffe und Wasser zu erbeuten. Das irdische Militär hat keine Chance, sich gegen die technologisch hoch überlegenen Außerirdischen durchzusetzen. Besiegt werden sie schließlich durch irdische Bakterien, die auf das nicht angepasste Immunsystem der Angreifer tödlich wirken. Bemerkenswert war auch die Wirkung des Buchs als Hörspiel, das 1938 von Orson Welles inszeniert wurde. Einige Hörer nahmen die fiktive Reportage ernst und flohen aus dem vermeint lichen Invasionsgebiet. Auch wenn es nicht zu der später oft kolportierten Massenhysterie kam, zeigt dieses Beispiel, dass die in zahlreichen Magazinen und Heften gerne verbreiteten Geschichten über die Monster aus dem All bei einem großen Publikum angekommen waren. Im April 1926 war das erste reine Science-Fiction-Magazin Amazing Stories erschienen. Obwohl Herausgeber Hugo Gernsbuck die Absicht verfolgte, „höherwertige“, an Technologie und Wissenschaft orientierte Geschichten herauszugeben, musste er bald erkennen, dass sich triviale utopische Erzählungen besser verkauften. So tummelten sich „Bug-Eyed-Monster“ in den Zeitschriften und auf den Titelbildern. Da griffen überlebensgroße Fliegen Kriegsschiffe an, leicht bekleidete Schönheiten verfingen sich in den Netzen gigantischer Spinnen und nach einer Invasion außerirdischer Wesen versank die amerikanische Freiheitsstatue im Meer. Aus den Magazinen fanden die bedrohlichen Außerirdischen schnell ihren Weg in die Kinos. 1951 finden Forscher unweit ihrer Polstation in der Arktis Das Ding aus einer anderen Welt. Es ist ein Ufo, dessen Pilot eingefroren ist. Sie tauen ihn auf, bemerken aber, dass er Pflanzen und Tiere und sogar Menschen frisst. Nach einer aufregenden Jagd locken sie das mordende Monster in eine Falle und töten es durch kochendes Wasser. 1953 entdeckt ein Junge, dass sich die Menschen in seiner Umgebung komisch verhalten. Zusammen mit einem Astronomen findet er ein gelandetes Raumschiff der Marsmenschen, die offenbar Leute in der unmittelbaren Umgebung hypnotisch beeinflussen. Mithilfe der Armee kann die 217
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
Invasion vom Mars gestoppt werden. 1956 kommt es zur Invasion der Körperfresser, die als riesige Samenkapseln auf die Erde kommen und Menschen töten, um danach ihre Körper zu imitieren und zu ersetzen. Die Fünfzigerjahre sind voller solcher meist auf der Grundlage bekannter Science-Fiction-Bücher entstandener Filme über die Gefahr aus dem Weltall, Feinde aus dem Nichts und eine junge Amerikanerin heiratet gar ein Monster from Outer Space. Manche Psychologen mutmaßen zwar, dass die Fülle solcher Streifen ein Produkt des Kalten Krieges war, aber vermutlich ist die Angst vor dem Fremden, die sich hier widerspiegelt, ein zeitenübergreifendes Phänomen. Die Vorstellungen der Nachkriegsgeneration über Invasionen aus dem All wurde nachhaltig beeinflusst durch die von John Christopher Ende der Sechzigerjahre geschriebene Trilogie Die dreibeinigen Monster. Auch wenn die Tripods aussehen wie die Maschinen der Marsianer in Wells Krieg der Welten, sind sie nicht nur bösartige Monster, die über die postapokalyptische Welt des Jahres 2089 mittels Gedankenkontrolle herrschen. Sie sind einsame Wesen, die bei all ihrer Intelligenz nicht fühlen, was sie den Menschen antun. In ihrem Befreiungskampf sind sie nicht gerade zimperlich. Christophers Bücher, die in den Achtzigerjahren als 25-teilige Fernsehserie verfilmt wurden, übten damit ihre Wirkung auf eine weitere Generation von Jugendlichen aus. Schon früher, nämlich Ende der Sechzigerjahre, entstand die Fernsehserie Invasion von der Wega, die eigentlich auf dem typischen Muster beruht, unerkannte Aliens erobern die Erde. Die Weganer ähneln bis auf den steifen kleinen Finger den Menschen, allerdings verglühen sie, wenn man sie tötet. In der letzten Folge stellt sich heraus, dass es Extremisten sind, während die große Mehrheit der Fremden eine Invasion ablehnt, weil auf unserer Erde bereits intelligentes Leben vorhanden ist. Wenig später kam es im amerikanischen Fernsehen zu einer Fortsetzung von Krieg der Welten, die im Jahr 1988 spielt. Einige Körper der bei der missglückten Invasion durch die Virusinfektion ums Leben gekommenen Marsianer wurden aufbewahrt, können 218
1. Die Erde wird erobert
sich regenerieren und die Körper von Menschen übernehmen. Ein zäher Untergrundkampf à la Invasion der Körperfresser beginnt. Die wichtigste Neuverfilmung ist allerdings Steven Spielbergs 2005 produzierte Adaption, die sich durch gigantische computergenerierte Katastrophenszenen auszeichnet, sich aber weitgehend an Wells Vorlage hält, außer dass sie in den USA spielt und Spielberg vermeidet, den Mars konkret als Heimatplanet der Invasoren zu bezeichnen. Wie wichtig Wells Buch auch heute noch in der Science-Fiction-Welt ist, zeigt eine weitere Facette: 2013 erschien eine fiktive Dokumentation, ein Mockumentary, in dem die Marsinvasion 1913 beginnt und zu einem vierjährigen Krieg führt, der ein Alternativszenario zum Ersten Weltkrieg darstellt. Dazu gibt es auch die passende, wenn auch simple App zum Spielen. Schon zuvor hatte mit Independence Day die Renaissance der Invasionsfilme begonnen. Regisseur Roland Emmerich mischte Science-Fiction-Elemente mit dem damals populären Fliegerfilm Top Gun zusammen. Kurz vor dem amerikanischen Unabhängigkeitstag erscheint ein riesiges außerirdisches Raumschiff, das systematisch alle großen Städte der Erde zerstört. Alle Gegenwehr scheitert an dem zunächst undurchdringlichen Schutzschild der Invasoren, der aber mit einem simplen Computervirus – bei Wells sind es noch ganz normale Bakterien – außer Gefecht gesetzt wird. Dann schlägt die Stunde der wagemutigen Kampfpiloten. Auch wenn Kritiker dem Film allzu viel Hurrapatriotismus und eine allzu simple Lösung unterstellten, wurde er ein riesiger kommerzieller Erfolg, der zur Nachahmung anregte. Parallel zu dieser Entwicklung wurde das Invasionsszenario auch in immer mehr Computerspielen verwendet. Schon 1978 konnte man in diversen Gasthäusern auf einer Konsole grüne pixelige Space Invaders auf schwarzem Bildschirm zurückschlagen, das Spiel wurde zur Mutter aller „Shoot ’em up“-Games. Die nächste Computerspielsparte, die sich dieses Themas annahm, waren immer kompliziertere Flugsimulatoren. Als Raumschiff kapitän konnte man nun von der Kommandozentrale aus die Erde verteidigen. 219
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
Das modernste und beliebteste Invasionsszenario bietet die XCOM-Reihe, die es seit dem 1984 erschienenen Erstling auf bisher elf Spiele gebracht hat. Außerirdische sind auf der Erde gelandet und haben dort heimlich Stützpunkte errichtet, von denen aus sie Menschen entführen und terrorisieren. Die Geheimorganisation XCOM versucht, die Invasoren aufzuspüren, deren Basen zu vernichten und die Technik der Aliens zu entschlüsseln. Nicht überall wird die Invasion der Erde mit dramatischem Ernst geschildert. In der Filmkomödie Mars Attacks!, die das Krieg der Welten-Szenario bewusst überzeichnet, greifen Monster mit Glupschaugen und überdimensionalen Gehirnen die Erde trotz aller friedlichen Bemühungen des amerikanischen Präsidenten an und löschen mit ihren grüne Blitze verschießenden Strahlenwaffen unzählige Menschen aus. Bis zufällig entdeckt wird, dass die Monster explodieren, wenn sie die hohen Töne von Jodelgesängen hören. Es ist eine Hommage und Satire auf die Bücher, Filme und Comics der Fünfzigerjahre und zugleich eine Persiflage der neuen, mit Independence Day begonnenen (Mach-)Werke. Und dann gibt es noch die Men in Black. Diese supergeheime Organisation mit ihren Agenten in bewusst unauffälligen schwarzen Anzügen versucht, die Außerirdischen zu kontrollieren, die seit den Fünfzigerjahren auf der Erde leben. Bei ihr können die Aliens Asyl beantragen und dürfen dann unerkannt auf der Erde bleiben. Nur MiB-Angehörige können dank modernster Technik ihre Tarnung durchschauen und die Monster finden, die mit bösen Absichten illegal auf die Erde einreisen. Manche Außerirdische wandern heimlich ein – sozusagen als illegale Immigranten – und versuchen, weit weg von den Problemen ihres Planeten, ein friedliches Leben zu genießen. Andere wiederum kommen als unsichtbare Touristen, um mit eigenen Augen oder den entsprechenden Organen zu sehen, wie eine solch barbarische und zurückgebliebene Zivilisation funktioniert. Bei den Men in Black zeigt sich, dass nicht alle Außerirdischen schrecklich böse sein müssen.
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2. Mehr oder weniger Unheimliche Begegnungen der dritten Art
2. Mehr oder weniger Unheimliche Begegnungen der dritten Art Es ist die Geschichte eines mehr oder weniger verständlichen Beinahe-Konflikts. Es ist Der Tag, an dem die Erde stillstand, weil ein riesiges Ufo in Washington landet. Ein menschliches Wesen verlässt das Raumschiff und betont, es komme in Frieden. Aber ein nervöser Soldat schießt auf ihn, worauf sofort ein riesiger Roboter erscheint, der die rings um das Raumschiff versammelten Panzer und Geschütze zerstört, bis er auf den Befehl des Verletzten innehält. Klaatu, so der Name des Außerirdischen, wird aber weiter verfolgt und sucht Kontakt zu Wissenschaftlern, mit denen er endlich vernünftig reden kann. Es stellt sich heraus, dass er der Sendbote einer friedlichen Planetenföderation ist, mit der die Menschheit zusammenarbeiten und Kriege verhindern könnte. Er warnt die Menschen vor der Gefahr der Selbstvernichtung. In dem 1951 gedrehten Film ist nicht der Alien die Bedrohung, sondern die menschliche Paranoia. Klaatu wird zunächst für einen sowjetischen Agenten gehalten, der Kalte Krieg lässt grüßen. Die Außerirdischen sind nicht die Aggressoren, sondern stehen für mehr Menschlichkeit und friedliches Miteinander. Lange blieb diese Darstellung eines eher freundlich gesinnten Aliens die Ausnahme, 1977 kam eine gewisse Trendwende. Ein helles Lichtermeer, vor dem sich der Devil Tower in Wyoming schroff abhebt. Eine riesige flache Scheibe erscheint und schwebt langsam vom nächtlichen Himmel herab. Von dem gigantischen Ufo öffnet sich eine Rampe, gebannt schauen die lange ausharrenden Menschen auf das grelle Licht der Öffnung. Erst kommen lange vermisste Menschen, aber das interessiert die Wartenden nicht zu sehr. Sie warten auf die Gestalten, die danach kommen. Sie sind kleiner als Menschen, haben einen überdimensionierten Kopf, eine kleine, kaum hervorstehende Nase und fast eingefallene Züge, aus denen die schrägen, brauenlosen Augen hervorstechen. 221
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
So endet Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art, die zwar alte Klischees über das Aussehen der außerirdischen Besucher aufnimmt, aber doch ein anderes Bild von ihnen vermittelt. Der Begriff „Begegnung der dritten Art“ stammt von dem Astronomen Allan Hynek, der die Sichtung eines Ufos als Begegnung der ersten, das Erbringen von Beweisen für solche Raumschiffe als Begegnung der zweiten und einen Kontakt mit den Außerirdischen als Begegnung der dritten Art bezeichnete. Als der Film 1977 gedreht wurde, war es während der Präsidentschaft Jimmy Carters zu einer leichten Entspannung im Kalten Krieg gekommen. Der Grundstimmung dieser Zeit entsprechend, spiegelt der Film die Intention wider, sich den eigenen Ängsten zu stellen und sich auf Fremdes und Unbekanntes einzulassen. Spielberg zeichnete ein positives Bild der Aliens. Mehr noch, er nahm das in der Science-Fiction immer wieder verwendete Sze nario der „Erlösung aus dem All“ auf, was ihm bei aller Bewunderung für die mehrfach preisgekrönte, geniale Tricktechnik und Kameraführung die Kritik einbrachte, sein „naives Märchen“ könne keine Lösung für die Probleme der Gegenwart sein. Ungeachtet dessen hatte der Film beim Publikum großen Erfolg, die Science-Fiction wurde wieder populärer. Fünf Jahre später nahm Spielberg das Thema des freundlichen Außerirdischen wieder auf. In E. T. – Der Außerirdische landen Aliens heimlich auf der Erde, um Pflanzenproben zu nehmen. Sie werden entdeckt, müssen hektisch abfliegen und vergessen dabei ein junges Mitglied ihrer Expedition, das sich zu weit entfernt hatte. Verzweifelt sucht E. T. – die Buchstaben stehen für ExtraTerrestrial – eine Bleibe und nimmt schließlich telepathischen Kontakt zu einem zehnjährigen Jungen auf. Der von großem Heimweh geplagte Außerirdische erlebt mit seinem menschlichen Freund einige Abenteuer, bis er von Agenten der Regierung aufgespürt wird. Schließlich kommt doch noch ein Raumschiff, um ihn zu seinem Heimatplaneten zurückzubringen. In seinem kommerziell höchst erfolgreichen Film nimmt Spielberg seinen Aliens das Unheimliche, Unnahbare und Böse, das 222
2. Mehr oder weniger Unheimliche Begegnungen der dritten Art
bisher in Literatur und Filmen vorherrschte. Ein Teil der Menschen – hier sind es vor allem Vertreter der Regierung – reagiert zwar nach wie vor mit Misstrauen und Angst, andere, besonders der Zehnjährige und damit auch die Zuschauer, erleben, dass E. T. warmherzig und voller „menschlicher“ Gefühle ist. E. T. war auch einer der ersten Versuche der Computerspielindustrie, sich an den Erfolg eines Science-Fiction-Films anzuhängen. Warner erwarb von Spielberg die Lizenz für mehr als 20 Millionen Dollar und ließ seine Tochter Atari 5 Millionen Exemplare des Spiels für seine neue Konsole Atari 2600 produzieren. Das nur in fünf Wochen schlampig programmierte Spiel entwickelte sich zu einem gigantischen Flop, verkaufte sich sehr schlecht und trug zum Zusammenbruch des Videospielmarktes im Jahr 1983 bei. Mit wesentlich mehr Glück begannen andere Filmemacher, den fremden, aber doch freundlichen und in gewissen Zügen auch menschlichen Alien zu zeigen. Wolfgang Petersen erzählt in Enemy mine – Geliebter Feind die Geschichte eines „rassistischen“ menschlichen Raumjägerpiloten und eines von ebensolchen Gefühlen geprägten „Drac“, einer aufrecht gehenden Echse. Nach einem Weltraumgefecht stürzen die beiden auf einem fremden Planeten ab und bekämpfen sich dort weiter, bis sie erkennen, dass sie dort nur gemeinsam überleben können. Schließlich betätigt sich der Mensch bei der Echse sogar als Geburtshelfer und verspricht, dessen Sohn zurück in die Drac-Zivilisation zu bringen, was ihm nach einigen Schwierigkeiten auch gelingt. Der sentimentale Film überträgt ein nach dem Weltkrieg in Amerika entstehendes Szenario, wo sich gestrandete amerikanische und japanische Soldaten miteinander versöhnen, in den Weltraum. Noch stärker als in der Carter-Ära spiegelt sich in den Filmen und Romanen der Neunzigerjahre nach der Auflösung des Ostblocks die Hoffnung wider, dass man dem Andersartigen mit Verständnis und Toleranz begegnen sollte und bestehende Probleme durch Dialog statt Krieg lösen könnte. Einer der liebenswerteren Aliens – er beeindruckte Kinder und junggebliebene Erwachsene in den späten Achtzigerjahren – ist 223
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
ALF, der Name kommt von Alien Life Form. Er ist ein knapp ein Meter großes Pelzwesen mit tief liegenden Augen, großen Ohren und einem aus mehreren Ringen geformten Rüssel, das vom fernen Planeten Melmac stammt. ALF macht eine Bruchlandung in der Garage der amerikanischen Durchschnittsfamilie Tanner, die ihn trotz seines skurrilen Humors lieb gewinnt und vor der Nachbarschaft versteckt. Er hat einige Marotten, so telefoniert er mit Gott und der Welt und bestellt Riesenmengen nutzloser Dinge. Fast alle der hier erwähnten Filme beruhen auf Romanen oder Kurzgeschichten der Science-Fiction-Literatur. Einen der bekanntesten Romane schrieb Arthur C. Clarke. In Die letzte Generation schildert er, wie die „Overlords“ in einem riesigen Ufo auf der Erde landen und ihre Hilfe bei den Problemen der Menschheit anbieten. Die Vereinten Nationen gehen darauf ein, auch wenn die Aliens ihr Aussehen für 50 Jahre geheim halten. Sie wissen warum, denn mit Hörnern, Schwanz und ihrem Hautpanzer schauen sie wie Teufel aus. Da sie aber den Menschen Frieden, Wohlstand und Gesundheit gebracht haben, ängstigen sich diese nicht mehr. Das Muster freundlich gesinnter Aliens verwandte auch Walter Tevis in seinem Roman The Man who fell to Earth, der später mit David Bowie verfilmt wurde. Der Mann der vom Himmel fiel sitzt auf der Erde fest und will nach Hause. Dazu braucht er ein neues Raumschiff und versucht, mittels seines überlegenen Wissens und seiner emphatischen Fähigkeit ein Wirtschaftsimperium aufzubauen, wobei die Menschen durchaus von seinen Fähigkeiten profitieren können und auch sollen. Aber er erlebt fast nur Hass und Misstrauen, Rücksichtslosigkeit und Brutalität. Schließlich zerbricht er an diesen Gefühlen. Sympathische Immigranten sind auch die übersinnlich begabten Außerirdischen, die im People-Zyklus von Zenna Henderson um das Jahr 1900 auf der Erde landen, weil ihr Heimatplanet zerstört wurde. Zenna Henderson, eine der wenigen Autorinnen der frühen Science-Fiction, schildert in Wo ist unsere Welt und Aufbruch ins All in zahlreichen Geschichten, wie die als religiöse und abgeschlossene Gemeinschaft getarnten Extraterrestrier mit den 224
3. Aliens im All und aus dem All
um sie lebenden Menschen und deren Problemen zurechtkommen müssen. Auch hier werden der unreifen Menschheit nachsichtige und mitfühlende Aliens gegenübergestellt. 1971 wurde eine der Storys von ABC verfilmt, einer der Schauspieler war der junge William Shatner, der später als Captain Kirk der Enterprise berühmt wurde, Produzent war Francis Ford Coppola. Die Verbindung von Romanen und Filmen wurde immer enger. In einem der zahlreichen Remakes von Science-Fiction-Filmen der Fünfziger- und Sechzigerjahre versuchte sich der Regisseur Scott Derickson an Der Tag, an dem die Erde stillstand. Klaatu, diesmal ein Außerirdischer in der Gestalt eines Menschen, muss sehen, dass die irdischen Politiker sein Hilfsangebot ablehnen und ihn mit Militärs verfolgen. Zunächst beschließt er, die Menschheit mit Nanorobotern zu vernichten, besinnt sich dann aber eines Besseren und vernichtet die Naniten mit einem elektromagnetischen Puls, der allerdings die Funktionen aller elektrischen und elektronischen Geräte zerstört. Die Erde hat zu einem hohen Preis überlebt, immerhin erhalten die überlebenden Menschen eine zweite Chance. Hier steht nicht mehr der Kalte Krieg, sondern die Umweltzerstörung im Vordergrund, der Außerirdische wird zum strafenden Erlöser. So tritt neben die Invasoren aus dem All der Alien, der der Menschheit helfen will, manchmal sogar freundschaftliche Gefühle für sie entwickelt. Meist muss er aber erleben, dass diese nur selten erwidert werden und die Angst vor dem Fremden vorherrscht. Deshalb dominierten in der Literatur wie auch in Filmen die Begegnungen der unheimlichen, bösartigen Art, auf der Erde wie im All.
3. Aliens im All und aus dem All Schon der Name ist Prophezeiung: Im Jahr 2089 fliegt Raumschiff Prometheus – der Name ist Titel wie Programm – zum Sternensystem Zeta 2 Reticuli. Die Wissenschaftler glauben aufgrund steinzeitlicher Wandmalereien, dort Wesen zu finden, die vor Zehntau225
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
senden Jahren die Menschheit weiterentwickelt, wenn nicht sogar geschaffen haben, die sogenannten „Konstrukteure“. Auf dem Planeten gelandet, finden sie aber nur Spuren und Artefakte einer vergangenen Zivilisation. Schließlich entdecken die Forscher die Leiche eines riesigen humanoiden Wesens. Sie fragen sich, ob diese Aliens fast gottgleich sind. Und wenn, ob es gute Götter sind. Denn mehr und mehr wird der Planet zum Ort des Schreckens. Viren lassen Menschen zu fremden Wesen mutieren, schließlich wird ein Raumschiff der Konstrukteure entdeckt, das zur Erde fliegen und diese vernichten will. Das kann gerade noch verhindert werden, aber nicht, dass am Ende aus dem Brustkorb eines außerirdischen Toten eine Kreatur hervorbricht, die die meisten Zuschauer schaudern lässt und die sie nur allzu gut kennen. Fortsetzung folgt. Eigentlich sollte Prometheus – Dunkle Zeichen nur Prequel und Abschluss einer höchst erfolgreichen Serie von Filmen sein, die mit Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt begann. Der damals noch junge Regisseur Ridley Scott hatte 1977 dem Muster der Science-Fiction, dass Monster aus dem All auf die Erde eingeschleppt werden, eine neue Gestalt gegeben. Sein Alien, vom Schweizer Künstler Hans Rudolf Giger genial gestaltet, verkörpert das namenlose Böse schlechthin. Er nimmt sich Astronauten und Forscher als Leihmütter oder Wirtstiere, um sich fortzupflanzen. Nach fünf Fortsetzungen übernahm Scott nach 33 Jahren wieder die Regie, um die Serie mit Prometheus abzuschließen. Der Streifen enthält viele Anspielungen zum ersten Film, in ihm gibt es „reichlich Alien-DNA“. Dank des großen kommerziellen Erfolgs ist von zwei Fortsetzungen dieses Prequels die Rede. Alien hat das heutige Bild des bösen Außerirdischen ganz wesentlich geprägt. Selbst die Leute, die die Filme nicht gesehen haben, kennen die von Giger geschaffenen Kreationen. Sie aktivieren menschliche Urängste und sind inzwischen Bestandteil des kollektiven Unterbewusstseins. Sie tauchen regelmäßig dann auf, wenn über Fortschritte und Gefahren der Gen- und Biotechnologie berichtet und diskutiert wird. 226
3. Aliens im All und aus dem All
Vor Alien waren die Außerirdischen in der Science-Fiction meist humanoid, aber auch mehr oder weniger eine Mischung aus irdischen Tieren und Pflanzen, um exotischer zu wirken. Auch die Konflikte bei der Besiedlung und Ausbeutung fremder Planeten, wie sie im Film Avatar gezeigt werden, gab es bereits. Murray Leinster schildert in seiner 1945 erschienenen und später als beste Science-Fiction-Novelle preisgekrönten Kurzgeschichte Der erste Kontakt die Schwierigkeiten einer solchen Begegnung. Im Crab-Nebel trifft eines der ersten überlichtschnellen Raumschiffe der Menschheit auf Fremde. Obwohl sie durch einen großen Universal-Translator – hier wird dieses Verständigungsgerät erstmals in die Science-Fiction eingeführt – miteinander sprechen können, bleibt gegenseitiges Misstrauen das vorherrschende Gefühl. Beide Kapitäne befürchten, dass der jeweils andere ihm folgen will und damit die Koordinaten des eigenen Sonnensystems preisgegeben werden, was einen Angriff möglich macht. Sie haben ihre Waffen auf das Schiff des jeweils anderen gerichtet, scheuen aber vor einem überraschenden Enterangriff zurück. Immerhin nehmen einige Mitglieder der Besatzung zur jeweils anderen Kontakt auf. Dann haben die Menschen eine Idee: Sie schlagen einen Austausch jeweils zweier Personen vor, um sich besser kennenzulernen. Kaum sind die beiden Astronauten im Schiff des anderen, drohen sie, eine im Raumanzug mitgeführte Bombe zu zünden, wenn ihnen das Schiff nicht sofort übergeben würde. Statt überrascht zu sein, zucken die Außerirdischen wie wild und trampeln auf dem Boden. Die Menschen bemerken, dass so die Außerirdischen lachen. Sie haben nämlich genau dieselbe Idee gehabt und zwei der Ihren mit Sprengstoff auf das irdische Schiff geschickt. Das gegenseitige Lachen ist der Beginn eines besseren Verständnisses. Am Ende tauschen die beiden Rassen die Schiffe, nicht ohne alle Hinweise auf die jeweiligen Heimatsysteme sorgfältig auszumerzen. Aber beide können vom Wissen und der Technik der anderen profitieren und sie vereinbaren, sich später wieder im Crab-Nebel zu treffen. Weitaus tragischer verläuft ein Erstkontakt auf dem Planet der Mock. Diese sind einen knappen Zentimeter groß, haben sechs Beine 227
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
und lange Fühler, für Menschen sehen sie aus wie Ameisen. Clark Darlton schildert, wie sie ihr erstes Raumschiff starten und auf einem anderen Planeten landen. Dort aber sind schon Perry Rhodans Terraner auf einer Forschungsmission. Bei der Untersuchung dessen, was sie für einen Feuerwerkskörper halten, zertritt einer der Menschen einen Mock, weil er ihn für Ungeziefer hält. Die kleinen Wesen fliehen entsetzt, ein Kontakt kommt nicht zustande. Aber es gibt auch das umgekehrte Szenario: Erdlinge kommen in Sonnensysteme, wo sie auf viel weiterentwickelte und mächtigere Völker treffen. Oft werden sie einfach ignoriert wie in Robert Silverbergs Exil im Kosmos. Manchmal werden sie sogar als Ungeziefer, das man ausrotten muss, angesehen. Was die Arten von Aliens anbetrifft, ist der Kosmos und auch die Fantasie der Autoren unerschöpflich. Da gibt es Wesen, die aus Gas, Feuer oder reiner Energie bestehen, Fred Hoyles Schwarze Wolke ist eine Zusammenballung interstellarer Materie. Dann gibt es Geistwesen, die manchmal in einer anderen Dimension angesiedelt sind, und Extraterrestrier, die Wasser- statt Sauerstoff einatmen oder sich von Metallen ernähren. Beliebter – und auch einfacher für Autoren und Publikum – sind Wesen, die an irdische Tiere, Pflanzen oder Sagen erinnern. Da gibt es aufrecht gehende Reptilien und Drachen wie in Anne McCaffreys Drachenreiter-Zyklus, Hunde- und Katzenmenschen, intelligente überdimensionierte Tiger, die Sandwürmer vom Planeten Dune und alle Arten Wasseratmer mit Schwimmflossen an den Extremitäten. Die Erdenmenschen treffen auch riesige Pflanzen an, die sich mittels Telepathie verständigen, und Bäume, die ihre Wurzeln aus dem Boden ziehen und so gehen können. Manchmal entwickelt sich die Fauna eines Planeten sogar zu einer kollektiven Intelligenz. Oft und gerne wird auch der gnadenlose Überlebenskampf von menschlichen Siedlern oder Forschern in einer fremden Umwelt geschildert. Bei Murray Leinster kämpfen schon 1920 in Der vergessene Planet die in die Primitivität zurückgefallenen Nachkommen von Passagieren eines gestrandeten Raumschiffs in Pilzwäl228
3. Aliens im All und aus dem All
dern gegen mordgierige Spinnen und Taranteln, Riesenameisen und überdimensionale Käfer. Geschätzt sind in der Science-Fiction auch Dschungelplaneten, in denen sich Dinosaurier tummeln, die noch größer und furchterregender sind als die auf der Erde. Schwierig ist das Überleben auch auf Wüstenplaneten, wo sich Menschen mit Einheimischen um Nahrung und Wasser streiten. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall. Wenn die mensch lichen Kolonisten kommen, sind die bisher auf dem Planeten lebenden Aliens in Gefahr wie auch die ganze Natur. Einen der eindrucksvollsten Romane hat Ursula K. Le Guin 1972 mit Das Wort für Welt ist Wald geschrieben. Menschen entdecken den Planeten Athsea, der so ist, wie einmal die Erde war: vollkommen mit Wäldern bedeckt. Deshalb ist für die Einheimischen auch das Wort für Welt Wald. Die Kolonisten von der Erde machen das Land in ihren Augen „urbar“ und holzen die Wälder ab. Die bedächtigen Einheimischen, die vorher im Einklang mit der Natur lebten, gehen an diesem Kulturschock fast zugrunde. Es kommt zu Konflikten und Kleinkriegen, am Ende unterdrücken und versklaven die Menschen die Ureinwohner. Was die Autorin mit ihrer Schilderung will, schreibt sie im Vorwort zu einer späteren Auflage: „Die Lügen und die Scheinheiligkeit verdoppelten sich; genauso das Morden. Zudem wurde deutlich, dass die Ethik, die die Entlaubung von Wäldern und Feldern und das Ermorden von Nichtkombattanten im Namen des ‚Friedens‘ bewilligt, nur eine logische Folge der Ethik war, die die Plünderung der natürlichen Ressourcen für privaten Profit oder das Bruttosozialprodukt … erlaubt.“ Der mehrfach preisgekrönte Roman ist ein Beispiel der sogenannten „social fiction“ innerhalb der Science-Fiction. Es ist eine ruhige, eher melancholische Geschichte ohne Happy End, ganz anders als später der Film Avatar, der das Thema mit Fantasyelementen und Actionszenen garniert. In den meisten Büchern und Filmen findet die Auseinandersetzung mit Aliens nicht nur auf einem Planeten, sondern in größeren Räumen statt. Die Menschheit – manchmal sind es sogar Sternenreiche und Imperien – trifft auf von Außerirdischen bewohnte in229
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
terstellare Gebiete, es kommt zu Konflikten und sogar Kriegen. Es sind großflächige Epen wie Jerry Pournelles und Larry Nivens Der Splitter im Auge Gottes. In diesem voluminösen Roman haben die Menschen einen großen Teil der Milchstraße erforscht und besiedelt, Imperien gegründet und Kriege miteinander geführt. Nur fremde Intelligenzen haben sie nicht gefunden, bisher. Da kommt aus dem Kohlensack-Dunkelnebel ein von Lichtsegeln getriebenes Raumschiff, das in die Sonne zu stürzen droht. Menschliche Astronauten können dies verhindern, aber bei der Bergung stirbt der einzige Insasse des fremden Ufos. Werden die Außerirdischen, die offensichtlich ganz andersartig und technologisch mindestens ebenbürtig sind, diesen Unfall nicht als Angriff werten? Deshalb beginnen Forscher ihre Reise zum „Splitter im Auge Gottes“, wie das Zentralgestirn im Dunkelnebel genannt wird. Eine von Hoffnungen und Ängsten begleitete Reise zu einem Erstkontakt beginnt. Die meisten Begegnungen zwischen den Imperien der Menschen und den Großreichen der Aliens enden in kalten oder heißen Kriegen. Damit ist die Science-Fiction und mit ihr das Publikum auf vertrautem Terrain angekommen: in einer auf die Galaxis und das Universum übertragenen Erde mit ihrer Geschichte und ihren Sagen, ihren Verbrechen und politischen Intrigen, ihren Kriegen und Katastrophen, fantasievoll garniert mit futuristischen Technologien, mächtigen Waffen und gigantischen Raumschiffen, exotischen Aliens und fremdartigen Planeten.
SF-Spezial
Science-Fiction in Comics Buck Rogers in the 25th Century, seit 1929 als Tagesstrip in amerikanischen Zeitungen veröffentlicht, war der erste Science- Fiction-Comic. An Beliebtheit überholt wurde er von dem fünf Jahre später erschienenen Flash Gordon, der wesentlich präziser und detailreicher gezeichnet war. Beide Serien kamen in den 230
3. Aliens im All und aus dem All
späten Dreißigerjahren als Vorfilme in die Kinos. Übertroffen wurden diese Helden von den „Superhelden“, die 1938 mit dem vom Planeten Krypton stammenden Superman die Comic-Szene betraten. Über Superkräfte und ein fantasievolles Kostüm, das die eigene Identität verbarg, verfügten auch Flash, Batman, die Human Torch oder Captain America, die Heroen des „Goldenen Zeitalters“ der Superheldencomics, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Popularität verloren. Zudem gab es auf Science-Fiction spezialisierte Hefte wie Planet Comics, das zwischen 1940 und 1954 erschien und in dem sich zahlreiche futuristische Helden tummelten. Die leicht bekleideten Heldinnen auf dem Cover waren ein Blickfang für die meist männliche Leserschaft. Wie das ganze Genre hatten auch die Science-Fiction-Comics einen schweren Stand, als in der westlichen Welt „Sittenwächter“ die gezeichneten Abenteuer für wachsende Kriminalität und „Sittenlosigkeit“ von Jugendlichen verantwortlich machten. Auch in Deutschland wetterten Elternvereinigungen gegen den „Schund“ aus Amerika, freilich mit mäßigem Erfolg. So erinnern sich deutsche Science-Fiction-Oldies noch immer gerne an Hansrudi Wäschers Nick der Weltraumfahrer im Piccoloformat, der dann unter der Bettdecke gelesen wurde. Daneben gab es Science-FictionElemente in den Mitte der Sechzigerjahre boomenden Horrormagazinen, während sich die braven Abenteuer der Astronautenfamilie Robinson in pädagogisch gewünschten Bahnen bewegten. Gleichzeitig kamen mit den Fantastischen Vier und anderen Marvel-Figuren Superhelden auf, die zwar übermenschliche Kräfte, aber Schwierigkeiten im Privatleben hatten und die psychisch mit ihren meist auf Mutation beruhenden Fähigkeiten nicht zurechtkamen. Die Konkurrenz für die meistens aus den USA stammenden Comics kam aus Frankreich und Belgien. Es waren künstlerisch ko lorierte Zeichengeschichten wie Valerian und Veronique, die als Raum-Zeit-Agenten in der Galaxis agierten. Bekanntester Künstler ist Leutnant Blueberry-Schöpfer Jean Giraud, der als Moebius zahlreiche Science-Fiction-Alben wie John Difool oder Die Ster231
VIII. Aliens: Fremde Freunde oder Feinde?
nenwanderer zeichnete. Bei Filmen wie Alien, Tron, Das fünfte Element oder Blade Runner arbeitete er als Designer mit oder inspirierte sie durch seine Geschichten. Während die Piccolos verschwanden, wurden im Bereich Science-Fiction neben den Heften die Alben immer wichtiger, manche wie Star-Lord schafften auch den Sprung in diese höhere Kategorie. Die belgische Comicserie Jeremiah spielt in einem postapokalyptischen Szenario, bei Storm gibt es eine Zeitreise und später die Versetzung auf eine Parallelwelt mit völlig anderen physikalischen Gesetzen. Das auf einem fernen Planeten spielende Trigan wie auch die vor dem Hintergrund eines galaktischen Krieges spielende Serie Saga vermischen Fantasy- und Science-Fiction-Elemente. Seit den Neunzigerjahren ist zusätzlich der Einfluss der japanischen Comics und Trickfilme, der Mangas und Animes, spürbar. Auf dem Alben-Markt tummeln sich nach wie vor Zeichner mit hohen künstlerischen und inhaltlichen Ansprüchen, freilich auch geringeren Auflagen. In der Serie Descender werden fühlende Roboter von brutalen Kopfgeldjägern verfolgt, Transmetropolitan schildert eine nicht allzu ferne Zukunft voller Drogen, Kriminalität und Hoffnungslosigkeit. Wer heute einen Comicladen aufsucht, findet zunächst vor allem die Adaptionen bekannter Filme wie Alien, Star Trek, Star Wars, Doktor Who, Planet der Affen, Terminator und Independence Day, dazu die Umsetzungen von Romanen und Fernsehserien wie Perry Rhodan oder The Walking Dead und schließlich von erfolgreichen Computerspielen. All diese Comics schließen sich zunächst eng an die Originalgeschichte an, entwickeln sie aber bei Erfolg weiter und erzählen Seitengeschichten mit dem Leser bekannten Figuren, ohne dabei das vertraute jeweilige Serien-Universum zu verlassen.
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IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen 1. Unternehmen Stardust Es ist keine Science-Fiction-Story, sie klingt aber utopisch. Es ist die Geschichte dreier Menschen und eines Helden. Da ist zunächst ein gewisser Kurt Bernhardt, Cheflektor des Heyne Verlags und Betreuer der Romanheftserien des Moewig-Verlags. Er kennt den Markt, glaubt an das Potenzial der Science-Fiction und der bunten Hefte, die bei einem breiten Wirtschaftswunder-Publikum inzwischen dem Leihbuch der Fünfzigerjahre den Rang ablaufen. Wie im Bereich des Heftchenkrimis soll es eine Serie mit den immer gleichen Haupthelden sein, eine Mischung aus knallharter Action und dem für die Leser so faszinierenden „Sense of Wonder“ der Zukunftsromane. Dafür braucht er ein Team mit den zwei bekanntesten Science-Fiction-Autoren an der Spitze. Der erste ist Karl-Herbert Scheer, extrem fleißiger und bekanntester Schreiber des Genres in der Leihbuchszene. Seine Spezialität sind ausgefeilte technische Beschreibungen und knallharte Action szenen. Dass er detaillierte, für mehrere Bücher ausreichende Szenarien entwickeln kann, hat er mit seiner utopischen Agentenserie Zur besonderen Verwendung – ZBV bewiesen. Dazu kommt Walter Ernsting, Übersetzer von Science-FictionRomanen aus dem englischen Sprachraum und selbst Autor. Weil die Leser amerikanische Lektüre wollen, hat er Kurt Bernhardt seine Werke mit dem Pseudonym „Clark Darlton“ untergejubelt und ihm erst, als er damit großen Erfolg hatte, diese Schwindelei gestanden. Anders als Scheer geht es ihm weniger um technische Einzelheiten und Action, sondern um ferne Sterne mit exotischen Planeten, um Reisen in Raum und Zeit, um ein Universum voller 233
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
Wunder. Diesen „Sense of Wonder“ – der Begriff wurde in der amerikanischen Science-Fiction geprägt – lieben seine Fans. Beide Autoren sind sehr verschieden und nicht unbedingt Freunde. Aber Profis. Sie versuchen, die Auflagen des gestrengen Medienmanagers aus München zu erfüllen: Personen und einen Handlungsrahmen für eine Science-Fiction-Serie zu erfinden, die 30 Heftromane lang überdauern sollte. Auf einer der ersten elektrischen Schreibmaschinen entsteht 1961 das Exposé für den ersten Band, der am 19. Juni 1971 mit dem Start einer dreistufigen Mondrakete anfängt: „Kommandant der ‚Stardust‘ ist Major Perry R hodan, 35 Jahre alt, Fachgebiete Kernphysik, Astronautik, Nebengebiet Ingenieurskunde für atomare Strahltriebwerke.“ Nach einer durch einen rätselhaften Störsender verursachten Bruchlandung entdecken die Astronauten ein riesiges Raumschiff, das nicht irdischen Ursprungs sein kann. Der vom fernen Stern Arkon stammende Kugelraumer ist ebenfalls notgelandet, die Technik ist aber der menschlichen weit überlegen. Rhodan gelingt es, sich mit dem Wissenschaftler Crest und der Kommandantin Thora zu verständigen. Er glaubt, dass die Erkenntnisse der arkonidischen Wissenschaft nicht in die Hände einer einzigen Großmacht gelangen dürfen, weil sonst das Gleichgewicht der Kräfte zerstört und aus dem Kalten Krieg ein heißer werden würde. „Rhodan weiß, dass er auf der Erde zum Brennpunkt werden muss, wenn er einen solchen Machtfaktor wie Crest an Bord seiner Rakete mitbringt. Um der GESAMTEN Menschheit dienen zu können, ist es ihm automatisch untersagt, sich in die Gewalt dieser oder jener Weltmacht zu begeben … Die ‚Stardust‘ landet in der Wüste Gobi. Die ‚DRITTE MACHT‘, nämlich Rhodan, ist auf der Erde angekommen. Unbeeinflusst von Ost und West beginnt er zu planen. Das Sprungbrett zum zweiten Band ist damit aufgestellt. ENDE.“ Nach zwei Tagen intensiven Arbeitens, viel Kaffee und noch mehr Zigaretten waren die Vorarbeiten zur neuen Serie fertig: „Karl-Herbert Scheer hatte die Idee von den Arkoniden auf dem Mond, ich 234
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hatte den Namen der Serie und einige Ideen. Wir mixten unsere Vorstellungen zu einem Exposé-Cocktail und kehrten dann zwei Tage später zum Verlag zurück“, erinnert sich Clark Darlton, der nach einigem Zögern des Verlags wie sein Kollege den Auftrag erhielt, je ein fertiges Manuskript abzuliefern. Nach mehr als sechs Monaten Vorarbeit wurde am 8. September 1961 mit Unternehmen Stardust der erste Perry Rhodan-Roman ausgeliefert. Die 35.000 Exemplare waren sofort ausverkauft, ebenso der zweite Roman. Verleger Rolf Heyne entschied, die beiden Hefte nachzudrucken und die künftigen Bände mit einer höheren Auflage auszuliefern. Was das fast Utopische an dieser Geschichte ist? Die Serie läuft immer noch, mehr als 5.000 Heftromane spielen im „Perryversum“, ebenso über 400 Bücher, dazu kommen Comics, Computerspiele, Hörspiele und ein (einziger und misslungener) Film. Es ist ein Beispiel für die Entwicklung der Science-Fiction-Literatur, wenn auch vor allem in Deutschland, ein Beispiel, wie die politischen und gesellschaftlichen Strömungen der jeweiligen Gegenwart bewusst oder unbewusst in dieses Genre eingehen, wie die Technoträume, aber auch die Dystopien aus anderen Romanen und Filmen ziemlich ungeniert benutzt werden, und wie sich die Science-Fiction seit den Sechzigerjahren entwickelt hat und wie sie funktioniert. Was damals in dieser Perfektion neu war, war ein klares, über längere Zeit sich erstreckendes Handlungskonzept, das von einem Exposé-Autor – manchmal war es auch ein Zweierteam – entwickelt und überwacht wurde und das eine Reihe von Autoren möglichst korrekt umzusetzen hatte. In der Hauptserie schreiben heute regelmäßig zehn Autoren, in der neu konzipierten Reload-Geschichte Perry Rhodan NEO sind es vier. Dazu kommen Gastautoren, meist bekannte Science-Fiction-Schriftsteller wie etwa Andreas Eschbach, die einen oder zwei Romane schreiben, als Werbung für die Serie, aber auch als Eigenwerbung. Auf der jährlichen Autorenkonferenz legen die Exposé-Autoren das Handlungsgerüst für die nächsten 50 Romane vor und deuten 235
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
ihre Ideen an, wohin es darüber hinaus gehen soll. Die übrigen Autoren können eigene Ideen einbringen, die manchmal in das Exposé eingehen. In der Folge erhält jeder Einzelne für sein Heft eine ausführliche schriftliche Zielvorgabe – in den Gründerzeiten waren es mehrere Seiten, die auf Matrizen abgezogen wurden – und hält beim Schreiben Kontakt mit dem „Expokraten“. Das fertige Manuskript wird in der Perry Rhodan-Redaktion lektoriert, auf seine Konsistenz mit dem Perry Rhodan-Kosmos abgeklopft und gegebenenfalls korrigiert. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass die Figuren der Serie und der ganze Serienkosmos – das „Perryversum“, wie es die Fans liebevoll nennen – trotz verschiedener Autoren für die Leser erkennbar bleiben. Schon für die neuen Autoren – die erste Generation ist ja bereits gestorben – ist es einigermaßen schwierig, sich in die Serie hineinzuarbeiten. Die fast 3.000 Romane ihrer Vorgänger können sie nicht alle lesen geschweige denn die wichtigen Personen, die Tausende Jahre fiktiver Geschichte und die beschriebenen Technologien kennen. Die Autoren müssen sich aber bemühen, die Haupthelden einigermaßen ähnlich zu beschreiben, die Redaktion kann dann die Fehler glätten. Bei den Wesen und den unzähligen Planeten, die sie bewohnen, kommen trotz „Perrypedia“, einem Teil der Wikipedia mit etwa 30.000 Stichworten und internen Datenblättern, immer wieder Unstimmigkeiten vor. Die Redaktion kann nur dafür sorgen, so der Chefredakteur, dass „die Leser das Gefühl haben, dass alles stimmt“. Überhaupt ist es erstaunlich, dass junge Leser, die vielleicht mit dem Band 1931 oder 2541 einsteigen, sich in dem Serienkosmos zurechtfinden. Kritiker haben schon vor 20 Jahren gemeint, die Serie sei ein Dinosaurier, der langsam unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrechen würde. Offenbar sind aber viele Neueinsteiger bereit, sich das Verständnis des weit entwickelten „Perryversums“ zu erkämpfen. Das liegt einerseits daran, dass die Geschichte des einzelnen Heftes trägt und funktioniert, dass dem Leser der verwirrende Hintergrund nicht so wichtig ist und dass er bei aller Unkenntnis der Serie trotzdem von ihrer Mischung 236
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aus vertrauten Heldengeschichten und exotischer Umgebung angezogen wird. Einen maßgeblichen Anteil am Erfolg haben die Titelbilder, von denen allein der Grafiker Johnny Bruck mehr als 1.000 gestaltet hat. Es sind fotorealistische Bilder von bizarren Landschaften, im Vordergrund Menschen in Raumanzügen, landende Raumschiffe, aufrecht gehende Echsen mit Strahlengewehren in der Hand und überirdische schöne Frauengestalten mit blauer, samtweicher Haut. Bruck gelang es, Raumschiffe und Roboter, Aliens und ihre Planeten so zu zeichnen, dass sie Exotik und Abenteuer ausstrahlten. Viele Leser berichten, dass sie von den Bildern fasziniert zum ersten Mal zum Heft griffen. Auch wenn die heutigen Titelbildgestalter ihren eigenen Stil haben, so orientieren sie sich doch an Johnny Bruck. Sporadisch gab es auch Innenillustrationen, wichtig wurden für die Leser die detaillierten Risszeichnungen von Raumschiffen der Serie. Die Serie läuft seit mehr als 55 Jahren so einmalig wie erfolgreich, auch wenn die Zahlen, die vom Verlag herausgegeben werden, vermutlich übertrieben sind. Sicher ist, dass mehr als 1 Milliarde Romane, die aus dem Perry Rhodan-Universum stammen, verkauft wurden, möglicherweise sogar 1,5 Milliarden. In den Achtzigerjahren lag die wöchentliche Auflage bei 80.000, für die Zeit davor werden höhere Zahlen genannt, die aber nicht nachprüfbar und eher unwahrscheinlich sind. Heute dürfte die Auflage bei 60.000 sein, das ist für das auslaufende Produkt Romanheft immer noch sehr gut und führt dazu, dass der Verlag seinen Autoren vergleichsweise gute Honorare zahlen kann, was sich in Qualität und Anspruch der Serienschreiber zeigt. Perry Rhodan war ein deutsches Produkt und ist es auch geblieben. Die zahlreichen Versuche, die Serie ins Ausland zu exportieren, sind mehr oder weniger gescheitert. Vermutlich liegt das weniger am Inhalt der Serie – da gibt es vergleichbare, wenn auch weniger große Science-Fiction-Serien, zumindest in den westlichen Ländern –, sondern daran, dass der Verlag zu kleine Partner hatte, die zwar die Romane übersetzten und druckten, aber viel zu 237
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
wenig Geld für ein ausreichendes Marketing hatten. In den USA gab es sogar den Versuch, das deutsche Format Heftroman nachzuahmen, weil es der Verlagspartner so „cool“ fand. Der Versuch scheiterte an den dafür nötigen Vertriebswegen und stieß bei der angestrebten Leserschaft auf völliges Unverständnis. Wer liest Perry Rhodan? Auch dafür gibt es nur wenige, ungesicherte Aussagen. Die Stammleser sind Männer zwischen 40 und 50 Jahren und gebildet. In sozialen Netzwerken sind die Fans meist unter 40. Frauen machen etwa 10 Prozent der Leserschaft aus, Perry Rhodan tut sich mit den Frauen als Leserschaft ebenso schwer wie mit den Heldinnen in den Romanen. Vermutlich mehr als 50 Prozent der Käufer lesen Perry Rhodan regelmäßig. Unter ihnen gibt es kleine Gemeinschaften, die sich regelmäßig treffen. Diese Fanclubs erlebten vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren ihre Blüte. Einige hatten eine unscharf definierte gemeinsame Gesinnung, sie waren gegen Kriege und Umweltverschmutzung. Sie verstanden sich als Weltbürger, der damalige „spiritus rector“ der Serie William Voltz begrüßte sie auf den Conventions – Abkürzung Cons – mit „Liebe Terraner“. In den Jahrzehnten danach bröckelte das PR-„Fandom“ immer mehr, wenige Clubs blieben übrig und aktiv. Einige von ihnen organisieren immer wieder große Treffen, am bekanntesten ist der alle zwei Jahre stattfindende „Garching-Con“. Einige solcher organisierter Gruppen geben auch mehr oder weniger regelmäßig „Fanzines“ heraus, Zeitschriften mit einer Mischung aus Rezensionen, Clubnachrichten, Klatsch aus der Szene und eigenen Science-Fiction-Stories. Diese „Fanfiction“ ist – vor allem wenn es sich um Geschichten aus dem Perry Rhodan-Kosmos handelt – wertvoll für den Verlag. Zum einen handelt es sich um Werbung, zum anderen haben hier viele der späteren Autoren ihre ersten literarischen Gehversuche gemacht. Auch die in den Heften und mittlerweile in Internetforen geäußerten Kritiken sind für die Redaktion in Rastatt eine Art Seismograf. Da es sich aber nur um einen kleinen Teil der Leserschaft handelt, werden sie in den seltensten Fällen direkt umgesetzt. Für die generelle Richtung 238
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der Handlung sind die Exposé-Autoren und der Chefredakteur verantwortlich … und die Entwicklung der Auflage. Das „Perryversum“ umfasst auch viele mediale Facetten. Zunächst wurde 1967 der Film Perry Rhodan – SOS aus dem Weltall gedreht mit einer für die damalige Zeit akzeptablen Tricktechnik. Der Streifen war eine Mischung aus Science-Fiction- und Agentenfilm. Wie in der Romanserie landet Perry Rhodan auf dem Mond und trifft auf das havarierte Raumschiff der „Arconier“ und ihre ebenso schöne wie arrogante Kommandantin Thora sowie auf den Wissenschaftler Crest, der an Leukämie leidet. Rhodan bietet seine Hilfe an und gerät bei der Suche nach dem Heilmittel ins Kreuzfeuer einiger Regierungen und eines Gangsterbosses, die alle hinter der außerirdischen Technik her sind. Thora wird entführt, R hodan kann sie befreien, Happy End. Eigentlich war der Film typisch für die damalige Zeit und wer ihn heute ansieht, kann sich vermutlich köstlich darüber amüsieren. Damals fanden die Perry Rhodan-Fans das Produkt keineswegs lustig, weil es viel zu sehr vom Original abwich und weil ihre hohen Erwartungen nicht erfüllt wurden. Im Lexikon des Science-Fiction-Films heißt es: „Was auszog, um den Riesenerfolg der Romanhefte filmisch zu wiederholen, endete als jämmerlicher Flop.“ Es sollte der letzte Rhodan-Spielfilm bleiben, weitere Versuche zur Umsetzung der Serie in Film und Fernsehen scheiterten schon im Ansatz. Erfolgreicher waren da schon die Perry Rhodan-Comics. 1967 wurde das 14-tägig erscheinende Heft Perry Rhodan im Bild gestartet, das sich sehr eng an die Originalserie hielt – die Federführung behielt der damalige Exposé-Autor Karl-Herbert Scheer – und durch Geschichten um den Mausbiber Gucky und den 10.000 Jahre alten Arkoniden Atlan ergänzt wurde. Schon 1968 versuchte man es mit einem neuen Ansatz: Perry – unser Mann im All lehnte sich zunächst sehr eng an den Bildstil des vorhergehenden Comics an, die Geschichten aber waren keine bloßen Nacherzählungen der Originalserie. Von Band 37 an wurden die Bilder immer poppiger und farbiger, was zwar bei den eingefleischten Fans der Romanse239
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rie heftige Kritiken hervorrief, bei der eher jugendlichen Leserschaft aber besser ankam. Bis 1975 erschienen 129 Ausgaben. In späteren Jahren gab es immer wieder Versuche mit zeichnerisch anspruchsvolleren Comics, die in größerem Abstand heraus- und über ein halbes Dutzend Ausgaben nicht hinauskamen. Der jüngste Anlauf begann im Herbst 2015. Immer wieder wurde versucht, mit Perry Rhodan auch in die Spielewelt zu expandieren. 1986 kam das Brettspiel Operation Wega auf den Markt. Auf einem in Hexfelder aufgeteilten großen Spielfeld, welches das fiktive Wega-System der Romane darstellt, fliegen die Spieler mit ihren Raumschiffskärtchen zu den verschiedenen Planeten, wobei sie auf den knappen Treibstoff und die richtige Navigation achten müssen. Im fortgeschrittenen Modus erschweren Notmanöver und Piraten den Raumflug. Angeregt durch den großen Erfolg des Sammelkartenspiels Magic: The Gatering ließ der Verlag zunächst als MerchandisingProdukt ebenfalls Karten drucken. Für viele Fans waren sie dank der darauf abgebildeten Titelbilder von Johnny Bruck auch ohne Spiel sammelnswert. Mit Aktionskarten, die bestimmte Aufgaben und Handlungen generieren, und Ressourcenkarten, die Raumschiffe, Orte, fortschrittliche Technologien etc. repräsentieren, kann die Geschichte der ersten 50 Bände nachgespielt werden, 2004 kamen dann eine spätere Epoche und weitere Sammelkarten hinzu. Das Schwierige an diesem Spiel ist, dass die einzelnen besonders guten Karten selten existieren und man deshalb zum Kaufen immer weiterer Sets motiviert werden soll. Zudem gab es Karten, die nur zu bestimmten Anlässen verteilt wurden. Was blieb, war eine kleine verschworene Spielergemeinde. 2004 erschien das Spiel Kosmische Hanse, in dem zwei Spieler mittels Kärtchen als Kaufleute zwischen den Planeten exotische Produkte kaufen und verkaufen. Sieger ist, wer am meisten verdient. Die nächste Stufe waren Computerspiele. 1998 erschien die auf Runden basierende Operation Eastside, in der im Osten der Galaxis Planeten kolonisiert werden. Man spielt eine von sechs Rassen aus dem Perry Rhodan-Kosmos und irgendwann kommt es auch 240
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zu bewaffneten Konflikten. Nach dem mäßigen Erfolg dieses Spiels erschien 2008 Perry Rhodan – The Adventure. Der Spieler steuert den Titelhelden durch ein grafisch gut gestaltetes Pointand-Click-Abenteuer, das freilich wieder nur Fans und gelegentlich auch Leser ansprach, während andere Computerspieler auf wesentlich größere, komplexere und dadurch öfter wiederspielbare Games zugriffen. Dem Trend der Zeit folgend, kam 2013 das SmartphoneSpiel Kampf um Terra hinzu, in dem es zu Raumschlachten mit immer neuen Gegnern kommt. Als App kann man seit Ende 2015 Der Jahrmillionen-Feind erwerben, ein klassisches Textabenteuer, man kommt über sein mobiles Gerät mit einem fiktiven Agenten Rhodans in Kontakt, den man in Echtzeit beraten und steuern muss. Ob das Spiel Erfolg hat, ist zweifelhaft. Denn die Konkurrenz ist wie bei den anderen Games aus dem Rhodan-Universum groß, sodass vermutlich wieder nur Fans und einige der Leser wirklich interessiert sind. Trotzdem ist dem Verlag wie auch anderen großen Science-Fiction-Serien wichtig, dass er in diesem Bereich präsent ist. Dem Marketing sind das Internet und die sozialen Netzwerke wichtiger. Mit einer ausführlichen Website samt Forum sind dort die Serie und die meisten Autoren vertreten und machen mit immer neuen Blogs, Bildern und Angeboten auf sich aufmerksam. Entscheidend für das Weiterbestehen der Serie ist aber vermutlich das E-Book, das immer mehr Stammleser sowie neue und jüngere Leser nutzen. Alle neuen Romane – sei es die Originalserie oder NEO – erscheinen auch als herunterladbares Hörbuch. Für den Verlag ist dies eher eine Prestigeangelegenheit, aber man kann davon ausgehen, dass sich dies für die unmittelbaren Produzenten durchaus rechnet. Perry Rhodan ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine Serie in der multimedialen Welt weiterentwickelt. Vieles war kein kommerzieller Erfolg, aber schon aus Marketinggründen musste ein Produkt, das sich mit der Zukunft beschäftigt, einfach dabei sein. Neue Leser sind vor allem über soziale Netzwerke und das E-Book zu gewinnen. 241
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
2. Weltraumschlachten und Zwiebelschalenmodell Die Perry Rhodan-Serie hatte deshalb Erfolg, weil die Autoren sich bewusst wie unbewusst auf Zeitströmungen und dabei speziell auf das nach spannenden Zukunftsromanen gierende Publikum eingingen. Sie bedienten sich dabei ungeniert in den Welten und bei den Themen vor allem der amerikanischen Science-Fiction. Gerade die postapokalyptischen Szenarien waren den Lesern so fern nicht. Sie befürchteten, dass der Kalte Krieg schnell in einen heißen umschlagen könnte und dabei Atomwaffen eingesetzt würden. Perry Rhodan kann dies verhindern, er etabliert sich in der Wüste Gobi als Dritte Macht, dort kann er sich mithilfe der überirdischen Technik durch Die strahlende Kuppel schützen und schließlich einen drohenden Atomkrieg verhindern. Band 5 heißt denn auch Atomalarm, Band 21 hat den Titel Der Atomkrieg findet nicht statt. Einen solchen uneigennützigen Helden, der den mit der nuklearen Drohung spielenden Großmächten auf die Finger klopft, hatten sich viele Menschen gewünscht. Allein mit der überlegenen arkonidischen Technik gelingt ihm das nicht, er braucht auch Das Mutantenkorps. Das sind Telepathen, Telekineten, Teleporter und Suggestoren, zudem – um den „Sense of Wonder“ zu erhöhen – ein „Teletemporarier“ aus Schwabing, der durch die Zeit reisen kann, freilich nicht in die Zukunft, sondern in die möglichen Zukünfte sieht. Mit diesen Mutanten gelingt es Rhodan, eine erste außerirdische Invasion abzuwehren. Ein wenig später wird auch das Thema „böse gegen gute Mutanten“ in drei Bänden behandelt, ein übermächtiger „Hypno und Telepath“ greift nach der Weltherrschaft. Nachdem die irdischen Probleme erledigt sind und die Menschheit geeint ist, treten Weltraumflug und ferne Sterne in den Vordergrund. Zunächst sind es Abenteuer auf der Venus, die nach damaligem Verständnis als dampfende Dschungelwelt geschildert wird. Die Anklänge an Edgar Rice Burroughs sind unverkennbar. Dann geht es mit dem letzten verbliebenen Beiboot der Arkoniden in das Wega-System, wo die dort ansässigen menschenähnlichen 242
2. Weltraumschlachten und Zwiebelschalenmodell
Bewohner vor einer Invasion aufrecht gehender Echsenwesen gerettet werden. Das Wega-System bietet aber noch ein anderes Geheimnis, nämlich Das galaktische Rätsel. Ein geheimnisvolles Überwesen, in der Terminologie der Serie wird es als „Superintelligenz“ bezeichnet, führt die Terraner zum Planeten der Unsterblichkeit, wo Perry Rhodan und die Seinen eine „Zelldusche“ erhalten und danach 62 Jahre nicht altern. Womit auch der Serie ein längeres, wenn nicht ein langes Leben möglich ist. Von nun an geht es in den galaktischen Intrigenkosmos. Perry Rhodan trifft auf die galaktischen Händler, die „Springer“, die ihr Handelsmonopol durch die Menschen gefährdet sehen und diese unterjochen wollen. Kaum ist diese Gefahr abgewehrt, fliegt er ins 34.000 Lichtjahre entfernte Arkon, das inzwischen von einem gigantischen Roboter, dem sogenannten „Robotregenten“, beherrscht wird. Nach mannigfachen Abenteuern erkennt er, dass die Menschheit zu schwach ist, um sich im Konzert der galaktischen Großmächte zu behaupten. So greift er zu einem Trick: Die Erde stirbt in Band 49. Natürlich nur zum Schein, Mutanten geben falsche Positionsdaten in die Rechner der Gegner ein und so vernichtet die Invasionsflotte eine falsche Erde. Die wirkliche Erde, die zum „Solaren Imperium“ mutiert, gewinnt so Zeit, militärisch und ökonomisch an Stärke zu gewinnen und im Geheimen zu operieren. Im Verborgenen wird Terra zum Zentrum des kleinen Solaren Imperiums, das sich auch weiterhin gegen Bedrohungen wehren muss. Erst sind es menschenähnliche Rassen wie die Arkoniden und deren Vorfahren, die Akonen. Dann wird die Galaxis von den Posbis, fühlenden Robotern, angegriffen, es folgen Auseinandersetzungen mit einem zweiten Imperium, Kolonialkriege im eigenen Reich und eine blutige Auseinandersetzung mit den Herrschern des Andromedanebels, den „Meistern der Insel“. Dabei erfährt Perry Rhodan auch, dass die Menschheit und andere humanoide Rassen von den „Lemurern“ abstammen, die vor 50.000 Jahren auf der Erde lebten und deren Zivilisation durch einen galaktischen Krieg vernichtet wurde. Bis zum Band 650 ähneln sich die Szenarien: Eine immer größere und scheinbar über243
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mächtige Gefahr taucht auf, mit Geschick und neuen Waffen können Perry Rhodan und seine Gefährten diese Gefahr beseitigen. Es ist die Zeit, als Karl-Herbert Scheer die Serie als Exposé-Autor prägt. Im Vordergrund stehen Raumschlachten mit immer größeren und besser bewaffneten Raumschiffen und actionreiche, riskante Einsätze auf exotischen Planeten. Dabei steigt das kleine Solare Imperium zur wichtigsten Macht der Galaxis auf. Das ist angesichts der Größenverhältnisse völlig unwahrscheinlich, aber das stört die Leser ebenso wenig wie die Tatsache, dass Perry Rhodan mehr als 1.000 Jahre lang immer wieder zum Großadministrator gewählt wird. Man hat die Serie deshalb als faschistisch bezeichnet, Robert Jungk nannte Rhodan gar einen „Ersatz-Hitler“. Das ist überzogen, denn die Serie kümmerte sich kaum um die Innenpolitik, für Leser wie Autoren genügte es, dass Rhodan demokratisch gewählt und somit legitimiert war. Für sie war er eher eine Art Märchenkönig denn ein Diktator. Auch der Vorwurf des Rassismus trifft, wenn überhaupt, nur begrenzt zu: Von einer Unterwerfung oder gar Vernichtung fremder Völker kann nicht die Rede sein. Militaristisch war die Serie dagegen schon, das Solare Imperium ist auf Expan sionskurs und die neu besiedelten Planeten werden erst einmal abhängige Kolonien. Das Lexikon der Science-Fiction charakterisiert die Serie deshalb als „einen praktisch unendlichen Science-Fiction-Landserroman, … in dem tapfere Raumsoldaten der Erde … eine Energieschlacht nach der anderen in Szene setzen … Mit Zunahme der Bösartigkeit des Feindes steigt auch der Grad seiner Verteufelung; je schlimmer er sich aufführt, desto brutaler darf man auf ihn eindreschen.“ In einer späteren Ausgabe schwächten die Autoren diese Kritik allerdings ab: „Seit der Übernahme der Exposé- Redaktion durch William Voltz haben die hauptsächlich von KarlHerbert Scheer geschätzten Raumschlachten zugunsten eines nebulösen Mystizismus abgenommen.“ Was war geschehen? Im Jahr 3460 wird das Solare Imperium von einer außergalaktischen Großmacht zerschlagen. Rhodan 244
2. Weltraumschlachten und Zwiebelschalenmodell
macht die Erde zum Raumschiff und flieht mit der Menschheit, während die vom Arkoniden Atlan geführten Völker der Galaxis in einem Jahrzehnte dauernden Widerstandskampf zu einer galaktischen Gemeinschaft zusammenfinden, der sich nach der Vertreibung der Invasoren und der Rückkehr der Erde auch die Menschheit als „Liga Freier Terraner“ anschließt. Es ist auch die Zeit, wo Perry Rhodan mehr über den Aufbau des Universums erfährt. Die Entwicklung des Lebens beruht demnach auf einem Schema, das die Terraner zum besseren Verständnis später als „Zwiebelschalenmodell“ bezeichnen. Den inneren Kern bildet die unbelebte Materie. Dann entfalten sich in weiteren Stufen aus Einzellern Pflanzen und Tiere und schließlich intelligente Lebe wesen. Diese entwickeln zunächst die interplanetare und schließlich die interstellare Raumfahrt, eine galaxisweite Zivilisation entsteht. Der nächste Schritt ist der Zusammenschluss von Milliarden Individuen zu einer einzigen vergeistigten Entität, einer so genannten „Superintelligenz“. Sie ist freilich nicht das Ende der Evolution, sondern schließt sich irgendwann einer der „hohen kosmischen Mächte“ an. Dies sind einmal die „Kosmokraten“, die für eine geregelte, wenn auch starre Ordnung des Multiversums streiten, ihnen gegenüber stehen die „Chaotarchen“, die Verfechter einer unkontrollierten Entwicklung sind. Beide Seiten versuchen, die galaktischen Zivilisationen, aber auch einzelne wichtige Individuen für ihre Sache einzuspannen. Wobei die Kosmokraten nicht unbedingt „die Guten“ sind und die Chaotarchen nicht „das Böse“ repräsentieren. Das ständige Ringen beider Seiten ist notwendig für eine Weiterentwicklung des Universums. Diese sich differenzierende Kosmologie bildet den Hintergrund des „Perryversums“. Im Heft 1000 beginnt nicht nur die „Neue Galaktische Zeitrechnung“ – das Jahr 1 entspricht unserem Jahr 3588 –, sondern Der Terraner, so der Titel des Romans, erfährt von seiner kosmischen Bestimmung. So agiert er zunächst aufseiten der Kosmokraten, wendet sich aber dann von ihnen ab und sucht einen dritten Weg zwischen den rücksichtslosen „Hohen Mächten“. 245
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
Die Serie wird nun immer komplizierter und auch mystischer. Zunächst gilt es, die Angriffe einer negativen Superintelligenz abzuwehren, aber mit möglichst friedlichen Mitteln. Dann begegnet Perry Rhodan der „Endlosen Armada“, einem gigantischen Raumschiffwurm, der den „moralischen Kode“ des Universums bewahren will. Schließlich muss er die Chronofossilien aktivieren, die bestimmte verhängnisvolle Geschehnisse der Vergangenheit rückgängig und damit die Milchstraße friedliebender machen. Weil er sich den Kosmokraten widersetzt, wird er aus der Galaxis verbannt und in weit entfernten Systemen zum „Gänger des Netzes“, der distanzlos von Stern zu Stern springen kann. Mit Band 1400 ziehen die Autoren die Notbremse, Rhodan kommt nach einem Zeitsprung in unsere Galaxis zurück, die aber zum großen Teil durch einen energetischen Wall für ihn und seine Gefährten verschlossen ist. Nach 100 Bänden ist all dies beseitigt und die lockere Allianz der Milchstraßenvölker, das „Galaktikum“, ist geprägt von inneren Streitigkeiten, aber auch von ständigen Bedrohungen von außen. Fast übermächtige Diener und Hilfsvölker der Hohen Mächte und negativer Superintelligenzen bringen Tod und Verwüstung mit sich, aber auch die galaktischen Völker führen wieder Krieg untereinander. Bei all diesen Streitigkeiten agiert Perry Rhodan mehr als Diplomat und Vermittler denn als Kriegsherr. Auch das seit Band 2700 federführende Exposé-Team versucht wieder den Spagat zwischen völlig neuen Entwicklungen und Rückgriff auf alte Geschehnisse. Die Galaxis wird von den Raumschiffen des übermächtigen „Atopischen Tribunals“ besetzt, dessen Beauftragte Perry Rhodan anklagen, er werde in der Zukunft ein schreckliches Verbrechen begehen, das ganze Sternenvölker auslöscht. Rhodan wird zur Verbannung verurteilt, kann aber entfliehen und versucht, die Heimat des Tribunals, die „Jenzeitigen Lande“, zu finden. Durch Sabotage gelangt er aber nicht dorthin, sondern in die ferne Vergangenheit, nur sein Freund Atlan kann den Weg fortsetzen. Die Handlung spielt auf drei Ebenen: Da ist einmal die Galaxis, in der sich wieder ein neuer Konflikt anbahnt. 246
3. Old Shatterhand und Winnetou im Weltraum
Da ist Perry Rhodan, der in der Vergangenheit versucht, zu über leben, und eine Veränderung dieser Zeit, die sich natürlich auch auf die Gegenwart auswirkt, zu verhindern. Und da ist schließlich Atlan auf dem Weg in die „Jenzeitigen Lande“.
3. Old Shatterhand und Winnetou im Weltraum Wie in allen Romanen sind auch in der Science-Fiction Helden Projektionsflächen. In ihnen findet der Leser nicht ausgelebte Gefühle und verhinderte Lebensvisionen, geheime Wünsche und verborgene Träume. Perry Rhodan ist so ein Held, aber ein seltsam unfassbarer. Anfangs ist er vor allem der kühne Risikopilot, dann der listige und zupackende Großadministrator, schließlich friedliebender Diplomat auf der Suche nach den letzten Geheimnissen des Universums. Und natürlich der letztlich immer erfolgreiche Retter vor Gefahren, die die Erde und später eine ganze Galaxis bedrohen. Auch wenn jeder Autor Perry Rhodan ein wenig anders schildert, weiß der Leser eigentlich wenig von ihm außer seinen Funktionen. Seine Gefühle werden kaum geschildert, das Privatleben taucht in den Romanen selten auf. Aber so ist es möglich, sich mit ihm zu identifizieren. Er personifiziert das Gute, handelt klug und überlegen, aber rechtzeitig, er ist ein – wie er seit den ersten Romanen charakterisiert wird – „Sofortumschalter“. Aber er ist auch mächtig, wehrt sich, kann gelegentlich heftig zurückschlagen und dadurch vor allem in den ersten 500 Bänden Allmachtsfantasien bedienen. Andererseits ist er aber auch ein Mensch mit „kosmischer Bestimmung“, was nicht näher definiert ist, aber ein Einssein mit den Kräften der Natur und den Gesetzen des Universums suggeriert. Neben Perry Rhodan sind es die immer gleichen Helden, die – von der Superintelligenz ES unsterblich gemacht – ihn durch die Jahrtausende begleiten. Da ist Reginald Bull, der schon mit ihm zum Mond flog, der Typ des guten Kumpels, ein jovialer Polterer, 247
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
ein Draufgänger, aber auch einer, über den man sich lustig machen kann. Im Laufe der Zeit macht er eine Wandlung durch, er wird zum klugen Organisator im Hintergrund, er hält Perry Rhodan den Rücken frei. Die wichtigste Nebenfigur ist der unsterbliche Arkonide Atlan, den es 8000 vor Christus auf die Erde verschlagen hat und der in seiner Unterwasserkuppel bis zur Gegenwart überlebt hat. Als eine Art Mentor der Menschheit versucht er, ihre Entwicklung zu beschleunigen. Er ist Freund wie Widerpart Perry Rhodans, er kritisiert ihn wegen seiner Weichheit, im Zweifelsfall plädiert er für hartes und unerbittliches Zuschlagen. Er verkörpert den Typus des kompromisslosen Actionhelden, aber auch eiskalten Strategen, der für die gute Seite kämpft. Der Mausbiber Gucky ist ein putziges Pelzwesen mit einem breiten Schwanz und einem kecken, aus dem Mausgesicht hervorragenden Riesenzahn. Trotz seines unscheinbaren Äußeren ist er ein mächtiges Wesen: Er beherrscht die Telepathie, die Telekinese und die Teleportation. Als Multimutant ist er Rhodans Geheim- und Allzweckwaffe. Zugleich aber ist er für jeden Spaß zu haben und setzt seine Gaben auch für nicht immer lustige Streiche ein. So ist er eine Mischung aus Hofnarr und Superheld. Der letzte in der Reihe der beliebtesten Helden ist Icho Tolot. Das ist ein vierarmiger, gut 3,50 m hoher Haluter mit einem Kugelkopf. Seine lederartige Haut kann der 2 Tonnen schwere Riese zur Härte von Stahl verdichten, so ist er eine veritable Kampfmaschine. Er ist Wissenschaftler mit dem Schwerpunktgebiet Geschichte und Gesellschaft der Menschheit und er liebt sie. So spricht er zärtlich von „meinen Kleinen“. Er ist außerordentlich intelligent und friedfertig und verkörpert den Typus des Monsters, das eigentlich keines ist und hinter dessen stahlharter Schale sich ein weicher Kern verbirgt. Nicht zufällig ist unter den fünf beliebtesten Helden der Serie keine Frau. Das hat sicher etwas damit zu tun, dass nicht nur vier Fünftel der Leser Männer sind, sondern auch der Autoren. Aber auch die wenigen Autorinnen tun und taten sich mit den weiblichen Figuren schwer. In den ersten 300 Bänden hat Perry Rhodan 248
3. Old Shatterhand und Winnetou im Weltraum
zwei Ehefrauen: die stolze, zunächst arrogante Arkonidin Thora, dann die etwas kratzbürstige Kolonialterranerin Mory Abro. Trotz ihrer durchaus zugestandenen großen Gaben wird ihr Leben im Sinne des traditionellen Rollenverständnisses der Sechzigerjahre geschildert. Später versuchen die Autoren – auch angeregt durch Romane, die ein anderes Verhältnis zwischen den Geschlechtern propagieren –, immer wieder starke, emanzipierte Frauengestalten zu entwickeln. Doch diese bleiben stereotyp und blass. Was paradox ist: In Leserbriefen und auf Internetforen wird immer wieder beklagt, dass es in Perry Rhodan zu wenig Frauen als Handlungsträger gäbe. Kaum haben die Autoren eine neue Heldin entwickelt, wird sie zumeist vehement kritisiert mit dem Ergebnis, dass diese Gestalten dann wieder verschwinden. Bei dem eher jüngeren Publikum von Perry Rhodan NEO scheint die Figur der Arkonidin Thora, eine hochintelligente Wissenschaftlerin und zugleich Actionheldin, besser anzukommen. Im deutschen Sprachraum gab es nur eine Serie, die einen ähnlichen Erfolg hatte: die Reiseerzählungen von Karl May. Tatsächlich gibt es in der Machart und vor allem der Charakterisierung der Helden einige Übereinstimmungen. Perry Rhodan ist Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, der sich – getragen von einer moralisch überlegenen Gesinnung – auch gegen überlegene Feinde durchsetzt und dies vor allem mit Klugheit, notfalls aber mit Gewalt. An seiner Seite ist Atlan, ein Arkonide mit edlen Gesichtszügen und langem weißen Haar, schon die äußerliche Erscheinung erinnert an Winnetou. Seine kompromisslose Härte, die sich wie bei dem Indianerhäuptling mit der Zeit etwas abschwächt, lässt ihn zum freundschaftlichen Mahner Rhodans werden. Scheer berichtet, dass er Anfang 1962 von einer Autorenkonferenz mit dem Auftrag zurückkam: „Erfinden Sie den letzten Indianer oder so etwas!“ Mit Band 50 kam also der Der Einsame der Zeit in die Serie, mit dem sich die Leser offenbar noch besser identifizieren können als mit dem Haupthelden. Neben seinen Fähigkeiten als Stratege und überlegener Kämpfer hat Atlan auch eine ironische 249
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
bis zynische Ader, sexuelle Beziehungen zu Frauen und ist auch sonst ein Genussmensch. Diese Mischung kam bei den Lesern so gut an, dass dem Arkoniden eine zusätzliche Serie mit mehr als 900 Heften und eigenen Buchreihen gewidmet wurden. Man könnte auch Nebenfiguren wie Bull und Gucky mit Sam Hawkins oder Hadschi Halef Omar vergleichen, sie sind treue Freunde, die immer wieder in Schwierigkeiten kommen und mit ihren Eskapaden Humor in die sonst ernste Geschichte bringen. Aber es gibt auch gravierende Unterschiede: Karl May sieht die Segnungen der Technik – trotz einer Wunderwaffe wie dem Henrystutzen – eher negativ und propagiert eine Rückbesinnung auf die Natur. Perry Rhodan setzt auf den Fortschritt und sieht die technische Entwicklung als große Chance für die Lösung vieler Probleme, erst auf der Erde und dann im All. Der Weg von Karl May zur Science-Fiction scheint aber so weit nicht zu sein. Zumindest berichten alle Autoren der ersten und zweiten Generation davon, dass sie zunächst Karl May verschlungen haben, um später zu den Zukunftsromanen zu greifen. Beide Serien hatten zunächst einen schlechten Ruf als Schundund Trivialliteratur – ein negativ besetzter Begriff, den man eigentlich wertneutral sehen sollte. Beiden haben der Kampf und die Kritik der älteren Generation eher genutzt, die jungen Leser wurden dadurch zur Lektüre angeregt. Beide haben auch eine Leserschaft, die nicht zu den Vorurteilen der Literaturkritiker passen will. Im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelten sich Karl Mays Reiseerzählungen zur bevorzugten Lektüre gebildeter Schichten, vor allem der Gymnasiasten. Im Gegensatz zu den Liebesromanen wird Perry Rhodan von gut ausgebildeten Menschen gelesen, freilich wird zum Leidwesen der Redaktion die Stammleserschaft immer älter. Was also macht die Faszination dieser bald 3000-bändigen Serie aus? Wie bei Karl May sind es Reiseabenteuer, allerdings nicht in einen vom Schriftsteller ausgedachten Wilden Westen oder Orient, sondern in fremde und exotische Welten. Das Publikum erlebt diese Fantasiegebilde aber durch die Brille der vertrauten Helden. So fühlt es sich in den Romanen heimisch, vor allem, wenn die Geschichte 250
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einen Spannungsbogen hat und man sich mit den Helden identi fizieren kann. Wenn die ersten Schritte ins „Perryversum“ gemacht sind, dann fühlen sich die Leser in dieser Mischung aus Vertrautheit, Faszination und Exotik wohl. Sie kennen ihre Helden und die wichtigsten Welten, zugleich erleben sie immer wieder Überraschungen. Das macht für viele Leser den dauerhaften Reiz aus.
SF-Spezial
Perry Rhodan startet neu Am 30. September 2011 – genau 50 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Romans – erscheint parallel zu Band 2612 die erste Ausgabe der neuen Serie Perry Rhodan NEO, Untertitel: Die Zukunft beginnt von vorn. Es ist die Zeit der Neuverfilmungen, der Remakes, in den Kinos, Anstoß für die Redaktion, eine zeitgemäße Neuinterpretation der Serie zu versuchen. Der Beginn wird von 1971 auf das Jahr 2036 verlegt und diese Zukunft der Welt von den Trends der Jahre zu Beginn des 21. Jahrhunderts extrapoliert. Es ist eine düstere Welt, in der die Länder des Westens zu Überwachungsstaaten und Fast-Diktaturen geworden sind, Terrorismus und Flüchtlingselend haben ebenso zugenommen wie ökologische Katastrophen. Auch in NEO ist Perry Rhodan ein amerikanischer Astronaut der NASA, die nach einer langen Unterbrechung wieder etwas Geld für den Bau einer Mondstation und Flüge zum Erdtrabanten erhalten hat. 2036 ist dort etwas Unerklärliches passiert und Rhodan und seine Crew sollen nachschauen. Und wie 1971 der „erste“ Rhodan trifft er dort auf die Arkoniden … Die NEO-Serie versucht einen Spagat. Sie lässt die bewährten Personen agieren und lehnt sich zumindest in den ersten 25 Heften ziemlich eng an die alte Handlung an. Andererseits legt sie mehr Wert auf eine Charakterisierung und glaubwürdige, weil menschlichere Schilderung der Helden. Auch die Machart ist an251
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
ders: Im Gegensatz zur Originalserie gibt es zwei nebeneinanderlaufende, nur sehr weitläufig verknüpfte Handlungsstränge, in den ersten Heften waren es sogar drei. Hier wurden die veränderten Mediengewohnheiten berücksichtigt, auch heutige Fernsehserien behandeln parallel mehrere Geschichten. Fast jeder NEO-Band endet mit einem Cliffhanger, in der Originalserie blieben zwar einzelne Rätsel übrig, die neugierig auf das nächste Heft machten, aber meist war die Handlung in sich abgeschlossen. All dies war und ist der Versuch, die „Altleser“ mitzunehmen, indem sie lieb gewordenes Vertrautes wiedererkennen, zugleich aber ein jüngeres Publikum hinzuzugewinnen. Allerdings erlauben sich die Autoren um den Exposé-Verantwortlichen Frank Borsch einige Veränderungen, um die Geschichte glaubwürdiger zu machen. Bei den Gegnern vermeidet man ein krasses Schwarz-Weiß-Schema, Perry Rhodan wird nach der Etablierung einer Weltregierung nicht zum Administrator gewählt und er lehnt auch das Geschenk der Unsterblichkeit ab, weil er Hintergedanken der Superintelligenz ES vermutet. Er zweifelt immer wieder an sich selbst, ist – zumindest in den ersten 100 Bänden – ausgesprochen friedfertig und will alle Konflikte einvernehmlich lösen. Er ist zwar noch Pilot und Actionheld, agiert aber ansonsten als Mischung aus Diplomat, Weltraumforscher und Sicherheitsbeauftragter. Auch die Mutanten – angesichts des Superhelden-Booms hat man sie trotz Bedenken in das Serien-Remake aufgenommen – werden nicht auf ihre übersinnlichen Fähigkeiten reduziert. Diese sind auch nicht so groß wie in der Originalserie und funktionieren nicht immer. Die Arkonidin Thora, die Rhodan später heiratet, wird als selbstständige, starke Frau beschrieben, die zumindest theoretisch eine gleichwertige Partnerin ist. Spätestens ab Band 25 geht NEO eigene Wege mit einem „Perryversum“, das sich immer weiter vom Original entfernt. Den Hintergrund bildet ein galaxisweites Ringen zwischen humanoiden und nicht humanoiden Rassen, das seit Jahrtausenden währt und eigentlich sinnlos ist. Perry Rhodans Vorstoß ins Arkon-System ist spannend, endet 252
4. Perry Rhodan als Spiegel der Gegenwart
aber ergebnislos und als er zurückkehrt, ist Terra Protektorat Arkons. Es kommt zu einem aussichtslosen Befreiungskampf, wobei sich die Erde nur durch eine von den Autoren aus dem Hut gezauberte Raumflotte retten kann, die vor Zehntausenden Jahren von einer ersten Menschheit im Sonnensystem hinterlassen wurde. Ab Band 101 übernahmen neue Exposé-Autoren das Ruder. Die jeweils zehnbändigen Staffeln haben ein klares Thema, das sich wie bei den positronisch-biologischen Robotern, den „Posbis“ oder „Arkons Ende“ an beliebten Konflikten der Altserie orientiert. Das Geschehen in der Galaxis ist voller Konflikte, die nicht immer friedfertig gelöst werden können. Perry Rhodan ist zwar nach wie vor von inneren Zweifeln gequält, kann aber auch harte Entscheidungen treffen, die Leben kosten. Und die Autoren scheuen sich auch nicht, alte und neue beliebte Handlungsträger sterben zu lassen. Wie bei der Originalauflage von Perry Rhodan hatten die Macher nicht erwartet, dass NEO mehr als 30, höchstens 50 Hefte erreicht. Doch der Erfolg war zunächst groß, vor allem im Bereich E-Book. Dann aber stagnierte die Auflage. Das Taschenheft-Format hat sich nicht bewährt, im Gegensatz zu den Originalheften geht es bei den meisten Kiosken unter, wenn es dort überhaupt zu finden ist. Ohne das zahlreich heruntergeladene E-Book – ein Zeichen dafür, dass man eine jüngere Leserschaft erreicht hat – hätte man die Serie schon längst einstellen müssen. Deshalb ist es zweifelhaft, ob die Serie mehr als 150 Hefte erreichen wird.
4. Perry Rhodan als Spiegel der Gegenwart Science-Fiction-Autoren wie John Brunner oder Philip K. Dick schrieben ihre Romane sehr bewusst als Mahnung an die Gegenwart. Bei der Perry Rhodan-Serie ist das anders. Sie nimmt konkrete Ereignisse und Probleme der Jetztzeit, wenn überhaupt, nur 253
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
sehr selten auf. Trotzdem ist sie ein Spiegel des Zeitgeistes. Sie drückt mehr unbewusst als bewusst die Ängste und Hoffnungen der Leser aus, die sich in dem Geschriebenen wiederfinden. Vermittelt wird das durch die Autoren, vor allem die Exposé-Redaktion, wobei beide sich mit konkreten Bezügen zurückhalten, schon um nicht eine Gruppe von Lesern zu verärgern. Aber auch ihre Ideen, sogar ihre Art der Beschreibungen hängen – auch hier wieder mehr unbewusst als bewusst – von ihrer Lebensgeschichte und im Fall von Schriftstellern von ihrer Lektüre ab. So waren etwa Karl-Herbert Scheer und Walter Ernsting (Clark Darlton) Kriegsteilnehmer und von der Ära des Kalten Krieges geprägt. Scheer kannte vor allem die deutsche Science-Fiction à la Dominik, Ernsting verdiente sein Geld als Herausgeber und Übersetzer eher trashiger amerikanischer Space Operas. Exposé-Autor William Voltz, der die Serie von den Bänden 650 an lange Zeit prägte, kannte sich in der neueren englischsprachigen Science-Fiction von der Antikriegs-Literatur über Dystopien bis zu den experimentellen Formen des New Wave aus. Zudem las er moderne amerikanische Autoren wie John Steinbeck. Und er war Kriegsdienstverweigerer – eine Gruppe, die auch heute noch unter den Autoren überdurchschnittlich vertreten ist. Voltz äußerte sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Nachfolgern konkret, wie er es mit Zeitkritik und Gegenwart hielt. Auf der Leserkontaktseite schrieb er: „Ich weiß nicht, in wie vielen Romanen wir schon auf die Gefahren der Umweltzerstörung, des Missbrauchs der Nuklearenergie, der Vorurteile gegen ethnische Minderheiten usw. hingewiesen haben. Es kann aber nicht Sinn und Zweck einer Unterhaltungs serie mit Denkanstößen sein, zum Beispiel die Diskussion um das Für und Wider der Kernkrafttechnik in den Romanen Woche für Woche fortzusetzen … In den PR-Romanen wollen wir nicht pausenlos mit den Fingern in gesellschaftlichen Fehlentwicklungen herumstochern.“
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4. Perry Rhodan als Spiegel der Gegenwart
Später verdeutlichte er die Linie, die er für die Serie sah: „Ich will nicht leugnen, dass beträchtliche Gefahren drohen, aber dass wir ihnen wie paralysiert entgegensehen, ist nun wirklich nicht angebracht. Es ist nötig, dass wir Veränderungen akzeptieren, ihnen aber mit Mut und Einfallsreichtum das Beste abzugewinnen versuchen. D. h., dass wir uns mit Eifer auf (humane) neue Technologien wie Umweltforschung, Energiegewinnung, Meeresforschung, Information und vor allem Weltraumfahrt konzentrieren.“ Spätere Exposé-Autoren hielten sich mit solchen Aussagen zurück, auch wenn sie Themen wie Drogen, Erderwärmung, Internet und Kriege aufnahmen. So zeigen sich die Probleme der Gegenwart nur sehr vermittelt und eher unbewusst in den Romanen. Dennoch ist die Serie ein Spiegel der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der letzten 50 Jahre, von Technoträumen und Zukunftsängsten wie auch der Science-Fiction. Perry Rhodan ist ein Produkt des Kalten Krieges, in seinen Anfängen greift er die Angst der Menschen vor einem alles zerstörenden Atomkrieg auf und den Traum, irgendeine Macht, vielleicht weise Wesen aus dem Weltall, könnten schaffen, was den Menschen nicht gelingt. Von dieser Welt, die sich in tödlicher Gefahr befindet, zu den Sternen und exotischen Planeten zu fliegen, war ein schöner Traum, den die Serie erfüllte. Die theoretisch modernste Technik und die Weltraumfahrt standen dabei im Mittelpunkt und wurden ergänzt durch die Wundertechnik der Arkoniden, mit der scheinbar alles möglich war. Das entsprach auch dem im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufkommenden Glauben, dass sich Wissenschaft und Technik immer weiter und schneller entwickeln würden, dass in diesem Bereich alles möglich sei. Perry Rhodan bot aber auch knallharte Action und Raumschlachten, anders als die beliebten wie verfemten Landserheftchen. Und es gab Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten und Helden, mit denen man sich identifizieren konnte. Mit dem neuen Exposé-Redakteur William Voltz zieht auch ein neuer Zeitgeist ein. Studentenbewegung, Hippies und Rockmusik 255
IX. Der Erbe des Universums: Ein deutsches Phänomen
haben die Welt verändert, der Vietnamkrieg wurde beendet, die Ölkrise zeigt die Grenzen des Wachstums auf. Im „Perryversum“ endet die Epoche des Solaren Imperiums, das die Milchstraße dominiert hatte. Nicht mehr Kriege stehen jetzt im Vordergrund, sondern die Rätsel des Universums. Auch in den zwischenmensch lichen Beziehungen wirken sich die Veränderungen aus. Es geht sexuell nicht mehr so verklemmt zu, Perry Rhodan hat eine feste Freundin, die nicht gleich zur Ehefrau wird, sonst aber unscheinbar wirkt. Die Menschen sagen ‚Du‘ zueinander und verhalten sich gegenüber den unsterblichen Helden nicht mehr so ehrerbietig und devot. Thematisiert werden Toleranz und Verständnis für Aliens, auch wenn sie den Menschen zuerst feindlich gegenübertreten. Konflikte werden, wenn möglich, friedlich beigelegt, die Selbstbestimmung gilt für alle Völker der Galaxis und darf auch nicht von den Hohen Mächten angetastet werden. Für viele Fans ist dies das goldene Zeitalter von Perry Rhodan. Im Jubiläumsband 1000 können wir lesen: „Perry Rhodan ist der Terraner. Er glaubt, dass der Mensch sich als Teil eines wunderbaren Universums begreifen und voller Harmonie darin leben kann.“ Während in der realen Welt beängstigende Turbulenzen zunehmen, Kriege wie in Afghanistan und am Golf, Terroranschläge auf das Oktoberfest und den Papst zu verzeichnen sind und die Menschen wegen der Nachrüstung einen globalen Konflikt befürchten, suchen die Leser Halt und ein wenig Trost in einer neuen Innerlichkeit und esoterischen Strömungen. In der Rhodan-Serie zeigt sich dies in der Zunahme von Elementen der Fantasy – dieses Genre hat in den Achtzigerjahren seine erste Hochkonjunktur –, verbunden mit Versatzstücken eines verklärten Mittelalters. Perry Rhodan wird zum „Ritter der Tiefe“ geweiht – die Jedi-Ritter aus Star Wars lassen grüßen –, er sucht nach dem moralischen Code des Universums und den Antworten auf die „drei ultimaten Fragen“, schließlich erhält er mit der „Armadaflamme“ eine Art Heiligenschein. Es ist eine publikumswirksame Mischung, wie sie auch in Filmen, angefangen von Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum bis zu Lucas’ Krieg der Sterne zu finden ist und von diesen Jahren 256
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an auch die englischsprachlichen Spaces Operas prägt. Im Zeit Magazin wird die Serie als „insgeheim deutsche Romantik im Zukunftsdress“ charakterisiert. Hatten die Leser diese von William Voltz geprägte Machart der Serie lange goutiert, ändert sich das, wie sich auch die Zeiten änderten. Technik und Naturwissenschaft lösen die Dominanz der Gesellschaftswissenschaften und der Psychologie ab. Nachdem die Serie etwas haltlos zwischen den zwei Polen herumirrte, versucht man mit einem Zeitsprung, nach dem sich Perry Rhodan vor einer abgeschlossenen Galaxis befindet, eine Art Neuanfang. Mit den „schwarzen Sternenstraßen“ wird auch die aktuelle Diskussion über die Überwindung der Lichtgeschwindigkeit durch die Einstein-Rosen-Brücken aufgenommen. Als die Mauer fällt, fällt auch in Perry Rhodan der „Chronopulswall“. Passend zur politischen Euphorie erscheinen in Band 1500 die „Linguiden“, ein Volk von Diplomaten, die allein kraft ihrer Sprache Frieden stiften können. Freilich gibt es auch in den Randbereichen der Galaxis noch Kriege, die echsenartigen Topsider besetzen von Menschen besiedelte Planeten, der erste Golfkrieg und die blutigen Konflikte beim Zerfall Jugoslawiens beeinflussen die Serie ebenfalls. Überhaupt geht es in der Serie wieder härter zu, auch wenn zunächst – wie in der Gegenwart der Autoren – noch keine klare Richtung zu erkennen ist. Außergalaktische Händler tauchen auf, deren Waren süchtig machen, und Perry Rhodan begibt sich auf eine Expedition zur „Großen Leere“, wo er die andere Seite des Universums entdeckt. Mit Band 1800 wird die Linie wieder deutlicher, was dem dritten bedeutenden Exposé-Autor zu verdanken ist. Robert Feldhoff gelingt es, den Mystizismus zu reduzieren, ohne die bisherige Kosmologie zu zerstören. Konflikte und Kriege nehmen wieder zu, ohne die humanistische Grundrichtung aufzugeben. Grundidee des nun folgenden 400 Hefte umfassenden ThoregonZyklus ist der Versuch, sich durch einen Zusammenschluss benachbarter Galaxien vom Einfluss der Kosmokraten und Chaotarchen zu befreien und einen eigenen, dritten Weg zu beschreiten. In der Gegenwart ist es die Zeit, wo Europa größer wird, verbun257
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den mit der Vision, ein eigenständiger, unabhängiger Machtblock zu werden. Und die Serie ist wieder auf Kurs, in der letzten Woche des Jahres 1999 erscheint Band 2000. Wie die Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts verändert sich auch die Handlung mehr in Richtung Konflikte und Terrorismus. Die wachsenden Spannungen zwischen Arkon und Terra wachsen sich zu einem Krieg aus, die Bände zwischen 2100 und 2200 schildern den intergalaktischen Kampf zwischen dem „Reich Tradom“ und den Völkern der Milchstraße. Die Leser, die mehr vom „Sense of Wonder“ fasziniert sind, bedient Feldhoff im Gegensatz zur militaristisch geprägten Haupthandlung mit der fantastischen Reise Atlans und des Raumschiffs SOL in weit entfernte Galaxien. Aber trotz dieses alle vier Hefte stattfindenden Wechsels schwächelt die Serie. Der Verlag versucht, mit dem Rhodan-Sohn Kantiran eine jüngere Leserschicht anzusprechen. Der Sternenbastard, als der er in Band 2200 eingeführt wird, ist den jugendlichen Actionhelden in Filmen und Fernsehserien nachempfunden. Aber das Experiment klappt nicht, die Auflagenzahlen gehen weiter zurück. Da der Heftchenmarkt im Konkurrenzkampf der Medien unterzugehen droht, beginnt in der globalisierten Weltwirtschaft ein gnadenloser Kampf um Märkte und Ressourcen. Die Perry Rhodan-Serie nimmt diesen Trend auf, mit der „Terminalen Kolonne Traitor“ erscheint ein übermächtiger Gegner in der Milchstraße, der rücksichtslos alle Rohstoffe ausbeutet, auch wenn er dabei ganze Planeten vernichten muss. Es ist eine Parabel auf die unaufhaltsame Globalisierung unserer Zeit. Die Auflage stabilisiert sich, die Handlung ergeht sich vor allem in Varianten altbekannter Szenarien. Wieder einmal geht es gegen eine negative Superintelligenz, dann verschwindet das Sonnensystem in einem Miniaturuniversum, schließlich wird ein galaxisweites Transmittersystem sabotiert. Dann wird Perry Rhodan verhaftet und auf einen Gefängnisplaneten verbannt, weil ihn ein „Atopisches Tribunal“ beschuldigt, in der Zukunft für ein schreckliches Verbrechen verantwortlich zu sein, ein Muster, das in kleinerem Maßstab in Spielbergs Film Minority Report vorkommt. 258
4. Perry Rhodan als Spiegel der Gegenwart
Direkte Gegenwartsbezüge erlauben sich die Autoren selten. Vom Marketing angeregt, kommt als Band 2020 im Mai 2000 zur Fußballweltmeisterschaft in Belgien und der Niederlande der Roman Die Lichtgestalt heraus. Zwar dauert ein Spiel auf Terra 100 Minuten und der begnadete Fußballer hat übersinnliche Fähigkeiten, die Absicht der Redaktion aber war unverkennbar, mit diesem Roman zur rechten Zeit neue Leser zu gewinnen. Gelegentlich erlauben sich die Autoren den Gag, bekannte Namen wie Jimi Hendrix oder Falco zu verwenden, der ehemalige deutsche Finanzminister Waigel wurde etwa zum Steuereintreiber T-Legiaw. Autor Leo Lukas, im Hauptberuf Kabarettist, lässt eine Pagedi im ArkonSystem demonstrieren, eine plumpe Anspielung auf die Pegida. Bei der Technik bedienen sich die Autoren bei anderen ScienceFiction-Romanen. Die schnelle Reise zu Planeten erfolgt durch Transmitter. Die Raumschiffe können mittels einer Transition durch den Hyperraum springen und so praktisch ohne Zeitverlust von Stern zu Stern gelangen. Ein Thema sind auch sogenannte Dilatationsflüge und Generationenraumschiffe. Immer wieder müssen Perry Rhodan und seine Gefährten Zeitreisen machen, so geraten sie in eine „Zeitfalle“, die sie 50.000 Jahre in die Vergangenheit versetzt. Anleihen werden auch bei den Themen Kolonisierung neuer Welten und genetische Veränderungen von Menschen genommen. So werden Mars und Venus mittels „Terraforming“ der Erde angepasst. Aber die Autoren gehen auch den umgekehrten Weg, nämlich menschliche Kolonisten durch Veränderung des Erbguts ihren Planeten anzupassen. So gibt es ab Band 150 die „Siganesen“, winzige Menschen, die ausnehmend gut sehen können, und die „Ertruser“ und „Epsaler“, breitschultrige Hünen, die die drei- oder vierfache Erdschwerkraft aushalten können. Bald werden auch bei Perry Rhodan Krankheiten durch „Medorobots“ behandelt, die auch operieren können. Automatische Stationen führen einen Gesundheitscheck durch, heilen, wenn nötig, im Tiefschlaf und setzen winzige Roboter wie im Film Die fantastische Reise dafür ein. Die Nanotechnologie findet in den späteren 259
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Heften auch im Alltag statt, sie beeinflusst Kleider, Wohnung, Arbeitsplätze und Kommunikation. Großrechner, sogenannte Positroniken, steuern alle Lebensbereiche von der Güterverteilung über das Verkehrssystem bis hin zur Wetterkontrolle. Die Antigravitation ersetzt den Lift, man steigt einfach in die Röhre und lässt sich schwerelos hochtragen. Ebenfalls anderen Romanen entlehnt, aber auch Eigenproduktion der Autoren sind die Waffensysteme, die immer ausgefeilter und tödlicher werden. Von der Handwaffe Desintegrator über die Impuls- und Strahlenwaffen für Raumschiffe wird die „Transformkanone“ entwickelt, mittels derer man Bomben hinter dem gegnerischen Schutzschirm entmaterialisieren kann und so verheerende Zerstörungen bei einem Raumschiff anrichtet. Allerdings geht es dieser Waffe wie immer in der Technologie: Schon bald wird ein Gegenmittel erfunden, die Antwort ist eine noch tödlichere Angriffswaffe. Die Waffentechnik ist nur ein Beispiel dafür, dass die RhodanSerie droht, an ihrer Gigantomanie zugrunde zu gehen. Es gibt Raumschiffe, die quasi an einem Nachmittag von Galaxis zu Galaxis springen können oder dies mittels eines Sonnentransmitters ohne Zeitverlust erledigen. Bei Band 2200 zog Exposé-Autor Robert Feldhoff die Notbremse. Er ersann die sogenannte „Hyperimpedanz“, eine fünfdimensionale Erschütterung der Milchstraße und ihrer Nachbargalaxien, nach der ein Großteil der früheren Supertechnik nicht mehr funktionierte. Auf der anderen Seite wurde die in der Serie verwandte Technik von der Wirklichkeit oft überholt. Das sitzt Perry Rhodan in den ersten Bänden vor einem Computer, der mit Lochstreifen gefüttert wird. Die menschenähnlichen Roboter werden über Disketten programmiert und die Negative von Filmen in Blechbüchsen aufbewahrt. In den krassesten Fällen wurde dies später in den sogenannten Silberbänden, einer Zusammenfassung von sechs und mehreren Romanen in einem Buch, sanft angepasst. Vor einer ganz speziellen Korrektur scheute die Redaktion aber zurück, den von der Zeit überholten Termin von Rhodans Mond260
4. Perry Rhodan als Spiegel der Gegenwart
flug von 1971 auf später zu verlegen. Dies geschah erst mit der Serie Perry Rhodan NEO, die im Jahr 2036 beginnt und die technische Entwicklung von der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts aus extrapoliert. Insgesamt ist die Serie ein Spiegel der letzten 55 Jahre. In der Handlung tauchen Hoffnungen und Ängste auf, in denen sich der Leser wiederfinden kann. Die Romane zeigen, wenn sie das Leben auf Terra schildern, bei welchen technologischen Entwicklungen die Menschen an eine baldige Verwirklichung glaubten und welche sie nicht voraussahen. Auch dies erfolgt nur indirekt, die Autoren bedienen sich hauptsächlich aus den Versatzstücken der bestehenden Science-Fiction-Literatur.
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X. Allzu irdische Sternenreiche 1. Aufstieg und Fall galaktischer Imperien „Das galaktische Imperium zerfiel!“ Mit diesem Satz eröffnete sich vielen älteren Science-Fiction-Lesern ein ganzes Universum. Denn dieses Sternenreich „war ein kolossales Imperium, das sich über Millionen von Welten von einer Armspitze der Milchstraße, dieser mächtigen Doppelspirale, zur anderen erstreckte. Auch sein Fall war kolossal – und er dauerte lange, denn er hatte einen langen Weg zurückzulegen.“ So beginnt der Prolog zu Foundation und Imperium, dem Mittelteil des berühmten Science-Fiction-Epos des 20. Jahrhunderts. In der ursprünglichen Trilogie – sie wurde später erheblich erweitert – entwirft Isaac Asimov ein gigantisches Szenario: ein Imperium mit rund 50 Millionen besiedelten Welten, das von Stagnation, Zerfall und schließlich Rückfall in Krieg und Barbarei bedroht ist. Ein genialer Wissenschaftler sieht die Möglichkeit, diese Entwicklung zwar nicht aufzuhalten, aber doch zu begrenzen. So ersinnt er einen „Tausendjahresplan“ und bedient sich dabei der sogenannten „Psychohistorik“. Mittels dieser Wissenschaft – sie kombiniert die Soziologie mit mathematischer Statistik – können Geschichtsverläufe vorhergesagt und sogar beeinflusst werden, falls die Menschen diese Manipulationen nicht bemerken. Der Psychohistoriker Hari Seldon sieht das 12.000 Jahre alte Imperium von Trantor trotz oberflächlicher Scheinblüte im Niedergang. Der Mittelpunkt des Reiches ist ein alle Ressourcen verschlingender bürokratischer Wasserkopf, während die Gebiete an den Grenzen immer mehr zerfallen und sich loslösen wollen. Die Parallelen zum römischen Imperium sind deutlich. Asimov hat sich bei seinem Foundation-Zyklus durchaus an Edward Gibbons 262
1. Aufstieg und Fall galaktischer Imperien
The History of the Decline and Fall of the Roman Empire orientiert, worauf er auch immer wieder hinwies. Hari Seldon berechnet, dass der Galaxis nach dem Fall des Imperiums 30.000 Jahre Krieg und Barbarei drohen. Um diese Schreckenszeit auf 1.000 Jahre zu reduzieren, gründet er zwei Foundations, die eine am sternenarmen Ende der Galaxis. Auf ihr wird das gesammelte Wissen des zerfallenden Imperiums gesammelt und mit ihm kann sie die umliegenden, von Barbarei und Unwissen bedrohten Sternensysteme beherrschen und Stück für Stück in ein neues Imperium eingliedern. Die zweite Foundation im Herzen des alten Imperiums soll die geistigen und ethischen Werte der Menschheit bewahren. Neben dem Entwurf eines die ganze Galaxis umfassenden Reiches hat die Leser immer wieder die Idee von der „Psychohistorik“ fasziniert: die zukünftige Geschichte erfassen und sogar lenken zu können, und das mittels Soziologie und Mathematik. Wie das genau geschieht, erläutert Asimov nicht. Er berichtet nur, dass Hari Seldon die Megatrends der künftigen Entwicklung seinen Studenten auf dem „Rechenschieber“ zeigt. Doch die in zahlreiche kleine Episoden aufgeteilte Erzählung zeigt immer wieder, wie solche historischen Mechanismen funktionieren. Da ist einmal der letzte General des Imperiums, ein genialer Stratege, der abtrünnige Sternsysteme für seinen Kaiser zurückerobert und mit seiner überlegenen Militärmacht auch die Foundation bedroht. Laut Asimov hat er keine Chance: Entweder er kehrt mit seiner Flotte um, um selbst den Thron zu besteigen, oder der Imperator sieht, dass ihm der General bei noch größeren Siegen bedrohlich wird, und ruft ihn zurück. Letzteres geschieht und die noch schwache Foundation ist gerettet. Es ist die innere Logik der Erzählung, die den Foundation-Zyklus so attraktiv macht. Den amerikanischen Lesern wurde sie nur häppchenweise serviert. Der später als Der Tausendjahresplan zusammengefasste erste Roman wurde von 1942 bis 1949 im Magazin Astounding in mehreren Geschichten veröffentlicht. Für deutsche Leser war zunächst nur eine stark gekürzte Version im Maga263
X. Allzu irdische Sternenreiche
zin Galaxis zu erhalten. Weil der Biochemiker Asimov aber all seine Geschichten – zu denen auch die Roboter-Erzählungen gehören – mit wissenschaftlichen oder zumindest pseudowissenschaftlichen Erklärungen würzte, wurde er für die Lesergeneration der Fünfziger- und Sechzigerjahre zum Inbegriff einer „seriösen“ Science-Fiction. Isaac Asimov hat 30 Jahre nach dem Erscheinen seiner Foundation-Trilogie eine ziemlich esoterische Fortsetzung geschrieben. In ihr geht es um Die Suche nach der Erde, bei der die Menschen Gaia, eine einen ganzen Planeten umfassende Schwarmintelligenz, treffen. Sie dient als Beispiel für eine mögliche Weiterentwicklung der Menschheit zu „Galaxia“, einem Kollektivbewusstsein, das die ganze Milchstraße umfasst. Dieses Ende befriedigte die Fans nicht und so entstand mit Billigung der Witwe Asimovs eine zweite FoundationTrilogie. Drei der bekanntesten Hardcore-Autoren der Science- Fiction schildern die letzten 500 Jahre des „Tausendjahresplans“. Asimovs Nachlassverwalter Gregory Benford schrieb Der Aufstieg der Foundation, Greg Bear Der Fall der Foundation und David Brin Der Sieg der Foundation. Noch immer finden sich im Internet Geschichten von Fans, die im Foundation-Universum spielen. Filme und Fernsehserien gibt es noch nicht, allerdings haben sich schon einige Produzenten und Studios die Rechte gesichert. Inspiriert wurden Asimov und andere Autoren von Olaf Stapledons Werken Die Letzten und die Ersten Menschen und Der Sternenmacher. Seinem Beispiel folgend, begannen sie eine Geschichte der Menschheit, ihrer Ausbreitung über die Galaxis und die dann folgende Errichtung von großen Sternenreichen zu schreiben. So entstanden in einer den amerikanischen Lesern vertrauten Form, nämlich als Fortsetzungsgeschichte in den Pulp-Magazinen, epische Werke, die Space Operas. In diesen Weltraumopern bildete nicht mehr nur das Sonnensystem, sondern die ganze Galaxis oder gar das Universum die Bühne. Prototyp war der Lensmen-Zyklus von Edward E. „Doc“ Smith, der in den Jahren 1931–1946 entstand. Das Universum ist jung und es gibt nur zwei hochentwickelte Rassen, die Gut und Böse verkörpern. Das sind einmal die „Arisier“, 264
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menschenähnliche, für Freiheit und friedliche, geistige Weiterentwicklung eintretende Wesen. Auf der anderen Seite stehen die „Eddorier“. Sie stammen aus einem anderen Universum, sind verschlagene Intriganten, gleichzeitig aber technisch sehr versiert. Die beiden Mächte bekämpfen einander erbittert, merken aber bald, dass keiner den anderen gänzlich besiegen kann. Also suchen sie unter den unterentwickelten Rassen des Universums Hilfsvölker, wobei die Eddorier auf ihre technische Überlegenheit, die Arisier auf die Waffen des Geistes setzen. So entsteht unter anderem auf der Erde eine „Galaktische Patrouille“, deren Mitglieder eine „Lens“ tragen, die ihre vorhandenen geistigen Kräfte immens verstärkt. Zusammen mit den auf anderen Planeten entstandenen Ordnungskräften drängen sie die von den Eddoriern unterstützten Despoten, Piraten und kriminellen Syndikate zurück. Die Kinder und Kindeskinder dieser „Lensmen“ entwickeln dank eines gezielten Zuchtprogramms geistige Fähigkeiten, die diejenigen ihrer Lehrmeister, der Arisier, in den Schatten stellen. So können Die Kinder der Lens in einem gigantischen Finale im sechsten Band des Zyklus die Eddorier im wahren Sinn des Wortes aus dem Universum fegen. In den Lensmen-Romanen zeigen sich die Ideologie und die Wertvorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts. Smiths „Arisier“ erinnern schon dem Namen nach an die „Arier“ und sie vertreten auch das Konzept der Zuchtwahl, die Kinder der Lens entwickeln sich zu einer höheren geistigen Superrasse. Aber sie sind die „Guten“, die für Demokratie, Humanität und Individualität eintreten, während die „Eddorier“ die „Bösen“ sind, die Nazis und Kommunisten unterstützen, die für Korruption, Infiltration und Rauschgift verantwortlich sind. Das Frauenbild in dieser Space Opera ist eher konventionell. Die Heldinnen sind meist gute Mütter und höchstens als Krankenschwester beruflich engagiert. Die meist männlichen Protagonisten sind mit geistigen und körper lichen Superkräften ausgestattet und je länger der Zyklus sich entwickelt, umso größer werden die schließlich mehrere Galaxien umfassenden Kriege. Riesige Raumflotten und ganze Sonnensys265
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teme fallen ihnen zum Opfer. Die Schreibweise ist oft schwülstig und pathetisch, dennoch faszinieren die technischen Fantasien, das galaxisweite Ringen zwischen Gut und Böse ganze Generationen von Science-Fiction-Lesern. Deshalb wird sein Zyklus noch heute zu den besten Serien aller Zeiten gezählt. Das Szenario, das uralte Rassen jüngere Völker in ihrem Sinne beeinflussen, findet sich später in Fernsehserien wie Babylon 5 oder Stargate, aber auch in der Perry Rhodan-Serie wieder. Robert A. Heinleins Die Geschichte der Zukunft kam ähnlich wie bei Asimov und Smith als eine über Jahrzehnte gehende Sammlung von 21 kürzeren Geschichten und Romanen zustande. Die einzelnen Erzählungen sind nach wie vor spannend, zeigen aber auch die Themen der Jahre, in denen sie geschrieben wurden. In Katastrophen kommen vor werden die Probleme der friedlichen Nutzung der Kernenergie aufgegriffen und Der Mann, der den Mond verkaufte, zeugt von den Jahren, als der Mond zum greifbaren Ziel wurde. In Die Straßen müssen rollen legen die Kommunen wegen der Ölkrise mobile Gehwege an. Die Raumfahrt beginnt, der Mond und die Planeten werden besiedelt, wobei imperialistische Logik zu Neokolonialismus und zu moderner Sklaverei führt. Es ist eine von Kriegen, Revolten und religiösen Fanatikern erschütterte Welt, in der Heinlein seine Helden agieren lässt. Diesen Konflikten entfliehend, verlassen im 22. Jahrhundert gemeinsam mit dem unsterblichen Lazarus Long, dem Protagonisten der ersten Geschichte, in der letzten Erzählung Methusalems Kinder das Sonnensystem, um auf fernen Sternen zu siedeln. Ein anderes gern verwendetes Muster ist die Begegnung eines Sternenreichs der Menschen mit dem von Aliens, die über eine völlig andere Technologie und Mentalität verfügen. In ihrem preisgekrönten Monumentalwerk Der Splitter im Auge Gottes schildern Larry Niven und Jerry Pournelle ein solches Aufeinandertreffen. Bei ihnen hat die Menschheit fast die ganze Galaxis besiedelt, ohne auf andere intelligente Rassen zu treffen. Da wird im Kohlensack-Nebel, dessen leuchtendes Zentralgestirn auch „Splitter im Auge Gottes“ genannt wird, ein geheimnisvolles Ufo entdeckt. Als 266
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man es zu bergen versucht, kommt es zu einem tragischen Unfall, bei dem das einzige Besatzungsmitglied stirbt. Um zu vermeiden, dass daraus ein interstellarer Konflikt wird, soll eine Expedition das Heimatsystem der Fremden aufsuchen. Hier versuchen beide Seiten die fremde Mentalität zu verstehen und zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Ganz im Sinne des philosophischen Ansatzes von Stapledon verfasste Dan Simmons’ Die Hyperion-Gesänge, die Anfang der Neunzigerjahre alle wichtigen Science-Fiction-Preise gewannen. Er zeichnet eine Galaxis, in der die sogenannte „Hegemonie“ zusammen mit künstlichen Intelligenzen herrscht und ein allgegenwärtiges, die Milchstraße umspannendes Kommunikationsnetz die menschlichen Wünsche aufnimmt, aber auch manipuliert. Im Mittelpunkt steht der geheimnisvolle Planet Hyperion, auf dem ein unheimliches und unüberwindbares Wesen herrscht und aus den „Zeitgräbern“ mysteriöse Botschaften aus der Zukunft kommen. Dorthin reist eine Schar von Pilgern, um Hilfe gegen eine drohende Invasion von Raumnomaden, die sich der Herrschaft der Hegemonie verweigern und zwischen den Sternen leben, zu erhalten. Simmons Geschichte ist so kompliziert wie komplex und mit philosophischen und literarischen Bezügen gespickt. Hauptthema des 1.500 Seiten umfassenden Buches ist die Frage nach dem Sinn menschlichen Handelns und der Weiterentwicklung der Menschheit. Serienschreiber Peter F. Hamilton hat mehrere Universen entworfen, im Konföderations-Universum spielt sein ArmageddonZyklus. Hauptthema ist die Variation eines alten Musters: die Bedrohung der Menschheit durch die „Besessenen“. Die Seelen der Toten können die Körper der Lebenden übernehmen. Interessant ist die detaillierte Beschreibung der aus der ursprünglichen Menschheit hervorgegangenen Zivilisationen. Sie unterscheiden sich nicht nur biologisch, sondern auch durch den ungleichen Umgang mit Technologie und Natur. Daraus entstehen völlig neue Sozialsysteme und Mentalitäten. In Steven Baxters Xeelee-Universum bildet die Auseinandersetzung zwischen den Menschen und der fast gottähnlichen Super 267
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rasse der Xeelee den Hintergrund. In fünf Bänden zeigt der Mathematiker und Physiker, was moderne Hardcore-Science-Fiction ist, und konfrontiert den Leser mit detaillierten Extrapolationen der derzeitigen Wissenschaft. Es ist für den, der sich nicht in die theoretische Physik und höhere Mathematik einarbeiten will, gelegentlich ein schwieriger Stoff. Da geht es um das Leben auf einem Neutronenstern oder in einem Universum, dessen Gravitationskonstante eine Milliarde größer ist als auf der Erde. Der Autor schildert eine mögliche Zeitreise durch Wurmlöcher und die Schwierig keiten, wenn Rassen unterschiedlicher Gesellschaftssysteme und Mentalitäten miteinander kommunizieren wollen. Der letzte Band Vakuum-Diagramme beschreibt in lose verbundenen Kurzgeschichten die Jahrmillionen dauernde Entwicklung der Menschheit. Einigen der Konstrukteure solcher Universen geht es um mehr als die bloße Space Opera, um mehr als die bloße Übertragung irdischer Konflikte in die Weiten der Galaxis. Auch wenn in diesen Szenarien militärische Auseinandersetzungen eine Rolle spielen, stellen die Autoren darüber hinausgehende Fragen. Das geht von der Schilderung unterschiedlicher künftiger Sozialsysteme bis zu philosophischen Fragen nach dem Sinn menschlichen Lebens und menschlicher Geschichte oder über das Werden und Vergehen des Universums. Die Mehrzahl der Science-Fiction-Zyklen ist aber einfacher gestrickt: Sie verlegen Aspekte der zeitgenössischen Welt und Geschichte in den Weltraum und da stehen Kriege im Vordergrund. Heinleins Geschichte der Zukunft hat eine Reihe von Autoren angeregt, ihre Romane in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen und miteinander zu verknüpfen. Die Leser sind dankbar dafür, dass die Romane in ihnen vertrauten Welten spielen. Die meisten solcher Chroniken bilden das Korsett von Serienkosmen, die Weltraumkriege und Intrigen zwischen menschlichen Sternenreichen oder Alien-Imperien schildern oder einfach nur spannungsgeladene Abenteuer in das All verlegen. Ein galaxisweites Sternenreich, an dem sich später auch viele Filmemacher orientierten, entfaltet sich in Frank Herberts Zyklus 268
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um den Wüstenplaneten Dune. Wie bei anderen ist es ein feudalistisches Imperium, das von einem Padishah-Imperator regiert wird. Die Planeten werden von Herzögen regiert. Computer und künst liche Intelligenzen sind verfemt, weil sie in der Vergangenheit drohten, die Menschheit zu beherrschen. Die meisten von ihnen wurden in einem „Kreuzzug“ zerstört. Ersetzt wurden sie durch die „Mentaten“, deren Gehirne künstlich für logische und mathematische Extrapolationen hochgezüchtet sind. Wichtige Machtfaktoren sind der Frauenorden der „Bene Gesserit“ und die Navigatoren der „Raumfahrergilde“, die das Monopol für die Raumflüge zwischen den Sternen haben. Dazu brauchen sie aber eine „Spice“ genannte Droge, die nur auf dem Wüstenplaneten Arrakis gewonnen wird. Der Konflikt um diesen Planeten zwischen den Fürstenhäusern der Harkonnen und der Atreiden ist der Ausgangspunkt des ersten Romans Der Wüstenplanet. Durch Verrat können die vorher vertriebenen Harkonnen die Herrschaft wiedergewinnen. Dem jungen Paul Atreides gelingt es, in die Wüste zu fliehen. Dort lebt das Nomadenvolk der Fremen, dessen Dasein vom Überlebenskampf in der unwirtlichen Welt geprägt ist. Sie reiten auf den riesigen Sandwürmern, die das begehrte „Spice“ liefern. Durch diese Droge kann der genetisch vorbelastete Paul Atreides seine übersinnlichen Fähigkeiten, vor allem die Gabe der Prophetie, entwickeln. So wird er zum Mahdi, zum Anführer der Fremen, die er zu unüberwindlichen Sternensoldaten ausbildet. In einem blutigen Kampf werden die Harkonnen vertrieben und aufgrund des Spice-Monopols wird sogar das Imperium unter Druck gesetzt. Später überziehen die Fremen, von einer Priesterkaste angestachelt, im Namen des für tot gehaltenen Paul Atreides die Galaxis mit einem Dschihad. Herberts 1965 erschienener Roman Der Wüstenplanet erhielt bald Kultstatus und wurde mehrfach verfilmt. Sein Erfolg beruhte auch darauf, dass er mehr war als eine actionreiche Space Opera. So wurde etwa der Alltag in der lebensfeindlichen Umwelt von Arrakis detailliert beschrieben, Reflex auf die beginnende Diskussion über den Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie. Ebenfalls Bezüge zur damaligen Gegenwart finden sich in den 269
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Bene Gesserit als einer Art feministischer Bewegung, dem Umgang mit bewusstseinserweiternden Drogen und der Angst vor einer allzu schnellen technologischen Entwicklung, die in einer Machtübernahme von künstlichen Intelligenzen gipfelt. Das Szenario einer die Milchstraße umfassenden Feudalgesellschaft, in der auch mythische und esoterische Elemente eine Rolle spielen, wurde von vielen Autoren und Filmemachern aufgegriffen, nicht zuletzt von George Lucas in seinen Star Wars-Filmen. Bei diesem gewaltigen Geschehen spielt auch die Religion eine Rolle. Sternenprinzessin Irulan sagt: „Von alters her gibt es eine Prophezeiung, dass ein Mann kommen werde, ein Messias, der die Fremen in die wirkliche Freiheit führen wird.“ Als Paul Atreides die Nomaden befreit, wird er für sie zum gottgleichen Erlöser. Dank seiner prophetischen Gabe sieht er voraus, dass er mit seinen Handlungen die Galaxis mit einem jahrelangen Heiligen Krieg, einem Dschihad, überzieht und kann sich doch gegen dieses Schicksal nicht wehren. Unfreiwillig stiftet er eine Religion, die bald von einer allmächtigen Priesterkaste gelenkt wird, die mit inquisitorischen Mitteln gegen alle Andersgläubigen und Ketzer vorgeht. So geht es Herbert in den Folgebänden von Dune weniger um die Religion an sich als um den Kampf gegen religiösen Fanatismus. Diese Kritik zielte auch auf unsere Gegenwart.
SF-Spezial
Religion im Weltraum Gott ist nicht fassbar oder stellt sich letztlich als Illusion heraus wie im Star-Trek-Film Am Rande des Universums. Dort finden Kirk und Co. einen übergroßen alten Mann mit Stentorstimme und weißem Bart, der die Enterprise als Transportmittel nutzen will. „Wozu braucht Gott ein Raumschiff?“, fragt der Captain und der vermeintliche „Allmächtige“ stellt sich als Überlebender einer technisch überlegenen Rasse heraus. Ein Muster, das in der 270
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Science-Fiction gerne verwandt wird: Die Sternengötter sind Außerirdische, deren Wissen dem unseren weit voraus ist. Dies führt zurück zur Prä-Astronautik, wo gottähnliche Wesen die Anfänge der menschlichen Zivilisation geschaffen haben. Ansonsten sind die Science-Fiction-Autoren beim Thema Religion relativ zurückhaltend. Nicht nur, weil sich Wissenschaft und Transzendentales nicht gut miteinander vertragen, sondern weil sie einen Teil der Leserschaft nicht brüskieren wollen. Wenn Religion und ihre Institutionen geschildert werden, dann oft in ihrer sektiererischen Form. Da fliehen Gruppen von Auswanderern von der Erde und gründen auf einem fernen Planeten eine übermächtige, totalitäre Staatskirche mit rigiden Moralvorstellungen. In Generationenraumschiffen und vergessenen Erdkolonien herrschen Priester mit Feuer und Schwert. Hier wird der mittelalterliche Kampf der aufkommenden Wissenschaft gegen die allmächtige katholische Kirche in den Weltraum übertragen. In Frank Herberts Zyklus um den Wüstenplaneten Dune erinnert die Religion der nomadischen Fremen an Vorstellungen des Alten Testaments und des Korans. Vom zweiten Band an aber setzt sich der wider seinen Willen zum Messias verklärte Paul Atreides in langen philosophischen Diskursen mit der von ihm initiierten Staatskirche auseinander. Herbert zeigt auf, wie eine Religion durch Fanatiker und Sektierer brutal genutzt und diskreditiert werden kann, eine Warnung, die heute aktueller denn je ist. Ansonsten sind die Autoren bei ihrer Schilderung von Religion eher vage. Die Menschen erkennen, dass sie eins mit der Natur werden können, als „Gaia“ zu einem Kollektivwesen verschmelzen. Zwar führen die meisten höheren Stufen der Menschheitsentwicklung zu Überwesen, die aber keine allmächtigen Götter sind. Das Göttliche im Universum ist eine im Hintergrund lenkende kosmische Macht, die letztlich unerklärbar und auch unverständlich ist und die wir nicht mit dem Verstand, sondern durch sinnliche Meditation erfassen können. Eine Vorstellung, wie wir sie auch aus Entwicklungsromanen vergangener Jahrhunderte kennen. In Star Wars wird Hauptheld Luke Skywalker 271
X. Allzu irdische Sternenreiche
durch die Jedis dazu gebracht, die das ganze Universum durchziehende „Macht“ in sich zu erkennen. So enthalten die Star Wars-Filme offiziell keine Religion, auch wenn sie für manche Fans Religionsersatz sind. Sie versuchen aber, Vernunft und Esoterisches, Physik und Metaphysik zu verbinden. Da wird eine Art lenkende kosmische Macht angedeutet, die das ganze Universum durchdringt, aber auch in jedem Individuum spürbar ist. Die Jedi-Ritter sind eine Art Mönche, deren Kraft aus dem Inneren kommt. Und ihr spiritueller Anführer Meister Yoda ist mit 66 cm Größe der Kleinste, hat aber die gewaltigsten geistigen Kräfte, er hat die „Macht“. Auch Darth Vader, der schlimmste Feind der Jedis, muss anerkennen: „Die Fähigkeit, einen ganzen Planeten zu vernichten, ist nichts gegen die Stärke, die die Macht verleiht.“ Deshalb hören wir bei Star Wars statt eines schlichten „Grüß Gott“ den Satz: „Möge die Macht mit dir sein!“
2. Star Trek und die Folgen „Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise, das mit seiner 400 Mann starken Besatzung 5 Jahre unterwegs ist, um fremde Galaxien zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“ Dies ist der Vorspann zu einer Fernsehserie, die Science-Fiction weit über den bisherigen Kreis von Lesern und Zuschauern bekannt machte. Es ist eine im Vergleich zu Lensmen- und Foundation-Zyklus, Heinleins Die Geschichte der Zukunft und Perry Rhodan wenig kriegerische Geschichte, denn die Menschheit hat aus ihren Fehlern gelernt. Nach dem Dritten Weltkrieg leben die Menschen in friedlicher Koexistenz zusammen und versuchen das 272
2. Star Trek und die Folgen
auch meist erfolgreich mit außerirdischen Wesen. In der im 23. Jahrhundert existierenden „Vereinigten Föderation der Planeten“ arbeiten auch Aliens mit. Zwar hat die „Sternenflotte“ notfalls auch für Frieden zu sorgen, ihre Hauptaufgabe ist aber, die Milchstraße zu durchqueren und fremde Planeten und Lebensformen zu erforschen. In dieser Mission ist auch das Raumschiff Enterprise unter Captain James T. Kirk unterwegs. Die wichtigsten Besatzungsmitglieder neben dem Captain sind der spitzohrige Vulkanier Mr Spock, der „Pille“ genannte Schiffsarzt McCoy, die Kommunikationsoffizierin Uhura, der Pilot Chekov und der „Scotty“ gerufene Chef-Ingenieur Scott. Das Raumschiff Enterprise hatte in der wirklichen Welt zunächst Startschwierigkeiten. Der erste Pilotfilm Der Käfig wurde 1964 abgelehnt. Der Fernsehsender NBC beschied dem Autor Gene Roddenburry, dem Publikum sei ein weiblicher Erster Offizier und ein außerirdischer Zweiter Offizier, „der aussieht wie Satan“, nicht zuzumuten. Roddenburry gab zum Teil nach, er schrieb seine damalige Geliebte Majel Barrett – sie sollte die Rolle des Ersten Offiziers verkörpern – aus der Serie. „Ich behielt den Außerirdischen und heiratete die Frau“, sagte er später. Die Fernsehleute glaubten aber, dass das Thema Weltraum doch ein breites Publikum fände, da es wegen des „Wettlaufs zum Mond“ zwischen den beiden Supermächten populär sei. Und so kam es zum zweiten Pilotfilm Die Spitze des Eisbergs, in dem die Enterprise an den Rand der Galaxis fliegt und in ein merkwürdiges Energiefeld gerät. Durch den Kontakt mit ihm erhält ein Besatzungsmitglied schnell wachsende übersinnliche Fähigkeiten und beginnt, sich für einen Gott zu halten. Dieser zweite Anlauf enthielt genug der vom Fernsehsender geforderten Action, zeigt aber gleichzeitig ein für die Originalserie typisches Muster: Es geht nicht um militärische Auseinandersetzungen, sondern um Konflikte zwischen Menschen oder Menschen und Außerirdischen, die friedlich gelöst werden sollen. Die erste ausgestrahlte Folge Der Letzte seiner Art knüpfte aber – so beschied es NBC – an die damals gängigen Vorstellungen von Aliens an: Ein Gestaltwandler nimmt die Form der ehemaligen 273
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Geliebten des Schiffsarztes an und tötet Besatzungsmitglieder. Zwar überlegen Kirk und Co., ob man den Außerirdischen, weil er der Letzte seiner Rasse ist, erschießen dürfe, aber sie entscheiden sich letztendlich doch dafür. Mehr am eigentlichen Star Trek-Konzept orientierte sich die Folge Horta rettet ihre Kinder: Ein gefährlich erscheinendes Wesen entpuppt sich als eine Intelligenz, deren zunächst unverständ liches, aggressives Handeln nur auf die Rettung ihres Nachwuchses zielt. Um menschliche Eigenschaften geht es in Kirk:2 =?. Der Captain wird durch einen Fehler beim „Beamen“ in einen guten und einen bösen Kirk geteilt. Zu den beliebtesten Folgen der ersten Staffel gehört Griff in die Geschichte, in der Kirk und Spock in das New York der Dreißigerjahre zurückreisen. Legendär sind etwa die Tribbles, putzige kleine Fellknäuel, die sich in Kennen Sie Tribbles? unvermindert vermehren und bald das ganze Raumschiff auszufüllen drohen. Zum Publikumsliebling avancierte bald der Vulkanier Mr Spock, der streng logisch und ohne eine Miene zu verziehen zum sympathischen Widerpart des emotionsgeladenen Captains wird. Die erste Staffel fand zwar ein begeistertes Stammpublikum, die Einschaltquoten genügten NBC aber nicht. Trotzdem genehmigte man eine zweite Staffel mit geringerem Budget an einem schlechteren Sendeplatz, weil man das Farbfernsehen weiter fördern wollte, aber auch, weil sich die Fans, unterstützt von bekannten Science-Fiction-Autoren, für eine Fortsetzung einsetzten. Auch die dritte Staffel wurde erst nach mehr als einer Million Protestbriefen in Auftrag gegeben. Dann stellte NBC die Serie ein und verkaufte ihre Rechte an Privatsender und ans Ausland. Durch die Ausstrahlung zu besseren Sendezeiten gewann dort die Serie über ihren festen Stamm von Fans hinaus immer größere Popularität, vor allem die Mondlandung 1969 gab ihr neuen Auftrieb. Dies war aber nur ein Grund des wachsenden Erfolgs. Die Serie war in Farbe und zeigte ungeahnte technische Möglichkeiten. In den Zeiten von Vietnam- und Kaltem Krieg konnte sich eine wachsende Zahl von Zuschauern an Geschichten begeistern, die eine 274
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bessere Zukunft zeigten: Die Zeit der Kriege auf der Erde war vorbei, es gab keine Energie- und Wirtschaftskrisen mehr und die Umwelt war wieder intakt. Vor allem aber zeigte Star Trek eine Gesellschaft ohne Frauen- und Rassendiskriminierung. Mit ihrem humanen Weltbild und dem Fokus auf einer friedlichen Lösung der Konflikte nahm die Serie den von Studentenprotesten und dem „Make Love not War“ der Hippies beeinflussten Zeitgeist auf. Eine große Bedeutung hatte Star Trek in den Vereinigten Staaten für die afro-amerikanische Bevölkerung. Als erste Schwarze spielte Nichelle Nichols als Kommunikationsoffizierin Uhura eine tragende Rolle. Whoopi Goldberg erzählt, sie habe damals mit den Worten: „Da ist eine schwarze Dame im Fernsehen und die ist kein Dienstmädchen!“, ihre Familie zum Fernseher gerufen. Die Schauspielerin selbst war mit ihrer Rolle als „Fräulein vom Amt im Weltraum“ nicht zufrieden und wollte nach der ersten Staffel aussteigen. Martin Luther King persönlich sagte zu ihr, sie müsse bleiben, immerhin habe zum ersten Mal eine Schwarze eine bedeutende Rolle, und fügte hinzu: „Star Trek has changed the face of television.“ Wirklich utopisch war dann in Platons Stiefkinder der wenn auch verdeckte Kuss zwischen einer schwarzen Frau und einem weißen Mann. Einige im Süden der USA angesiedelte Bundesstaaten verboten denn auch die Ausstrahlung dieser Folge. 1977 engagierte sich „Lieutenant Uhura“ sehr erfolgreich für das NASA-Programm zur Anwerbung weiblicher und schwarzer Astronauten. In Deutschland kam Raumschiff Enterprise erst relativ spät an. Das ZDF kaufte 39 Folgen, kürzte sie auf 45 Minuten herunter und stufte sie mehr oder weniger als Kindersendung ein, woraufhin alles, was als „jugendgefährdend“ gelten konnte, herausgeschnitten wurde. Auch die Dialoge wurden auf das, was man für Jugendsprache hielt, getrimmt. Aber Star Trek war keine Kinderserie, das hatte sich zur gleichen Zeit in den USA herausgestellt. Die dort produzierte Zeichentrickserie Die Enterprise wurde nach nur 22 Folgen wieder eingestellt. Nach und nach übernahmen auch deutsche Privatsender die Serie, wobei die nicht ausgestrahlten Sendungen nun in voller Länge und neu synchronisiert ins Programm 275
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kamen. Anfang der Achtzigerjahre war so Raumschiff Enterprise auch in Deutschland eine feste Größe, wozu der Erfolg von George Lucas’ Star Wars beitrug. Dieser im Jahr 1977 erschienene Film hatte für Star Trek zwei Folgen: Ein lange geplanter Film wurde erst einmal aufgeschoben, weil die Produzenten die übermächtige Konkurrenz fürchteten. Langfristig gab die Lucas-Produktion aber der gesamten ScienceFiction noch mehr Schub, von dem auch Star Trek profitierte. So hatte mit einer gewissen Verzögerung 1979 Star Trek: Der Film Premiere. Es war der Auftakt zu bislang 12 Spielfilmen, die sich eng an die ursprüngliche Serie, aber auch an ihre Fortsetzungen anlehnen. Nach dem Erfolg der Filme kam 1987 Raumschiff Enterprise – das nächste Jahrhundert heraus, das die Abenteuer einer neuen, moderneren Enterprise im 24. Jahrhundert zeigt, also 100 Jahre nach der Originalserie spielt. Nicht nur die Tricktechnik, sondern das ganze Star Trek-Universum hat sich weiterentwickelt. Nun verfügt die interstellare Föderation über eine Technologie, in der jede Materie umgewandelt werden kann und auf allen Planeten Überfluss herrscht, zumindest was den Grundbedarf betrifft. Eines der neuen Besatzungsmitglieder ist der Androide Data, in der Episode Wem gehört Data? wird die Frage nach den Rechten solcher künstlichen Menschen thematisiert. Die Crew unter Captain Jean-Luc Picard hat ähnliche Aufgaben wie ihre Vorgänger: Erforschung der Sterne und möglichst friedliche Konfliktlösung. Parallel zu dieser Serie wurde 1993 als nächster Ableger Star Trek: Deep Space Nine begonnen. Diese Serie spielt nicht mehr auf einem Raumschiff, sondern auf einer künstlichen Station nahe eines Wurmlochs. Hier deutet sich ein Wandel der friedvollen, auf Lösung von Konflikten durch Kompromisse angelegten Serie an. Das Kriegsschiff USS Defiant, auf Deep Space Nine stationiert, bekommt einiges zu tun. Die nächste Serie war Star Trek: Raumschiff Voyager, in der eine Frau Captain ist. Das Ausgangsszenario richtet sich nach einem alten Muster der Science-Fiction. Das Sternenschiff wird in einen 276
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unbekannten Quadranten der Milchstraße verschlagen und die Suche nach einem Weg zurück zur Erde ist der rote Faden, um den sich Einzelabenteuer drehen. Die letzte, am wenigsten erfolgreiche Serie war Star Trek: Enterprise. Sie beschreibt die Abenteuer des Raumschiffs im 22. Jahrhundert, ist also eine Art Prequel. Hier spiegelt sich der Zeitgeist der kriegerischen Konflikte Ende des 20. Jahrhunderts und der Terroranschläge des 21. Jahrhunderts, als in einigen Folgen wieder mehr und brutalere Gewalt angewandt wird. Wegen schlechter Einschaltquoten wurde die letzte Serie in den USA 2005 eingestellt. Nachdem auch der Besuch der letzten Filme nicht mehr den Erwartungen entsprach, kam es zu einem neuen Konzept. 2009 brachte Erfolgsregisseur J. J. Abrams Star Trek heraus, der einige Zeit vor der Originalserie spielt. Hier tauchen die alten dem Zuschauer vertrauten Hauptfiguren als junge Leute auf. Kirk, Spock und die anderen werden von neuen Schauspielern gespielt. In dieser Zeitlinie spielten auch weitere erfolgreiche Filme und hier soll auch die nächste Star Trek-Serie spielen, die CBS für 2017 angekündigt hat. Im Gefolge von Film und Fernsehen entstanden massenhaft Bücher und Comics, Brett- und Computerspiele sowie zahlreiche Merchandising-Produkte. Wesentlich interessanter ist die Rolle der Fans in der inzwischen 50-jährigen Geschichte von Star Trek. Schon in den Fünfziger- und Sechzigerjahren hatten sich die Leser in verschiedenen Science-Fiction-Clubs organisiert. Einige von ihnen bildeten auch den Kern der bald als „Trekkies“ bezeichneten Fangemeinde der Serie. Andere Science-Fiction-„Altleser“ rümpften die Nase über Star Trek: Das war für sie zu wenig Science und zu viel Esoterik und Fantasy. Dafür strömten von der Serie begeisterte Zuschauer zu den Clubs und gingen zu den Star Trek-Conventions. Es war ein neues, in die Tausende gehendes „Fandom“, das sich hier traf und weniger an technologischen Utopien als an gesellschaftlichen, durchaus auf die Gegenwart bezogenen Veränderungen interessiert war. Die Trekkies schafften es auch, durch eine große Briefkampagne die geplante Absetzung der Originalserie 277
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nach der zweiten Staffel zu verhindern. Bis heute sind die Conventions – auch wenn sie sich nicht mehr allein auf Star Trek fokussieren – eine Mischung aus ernsthaften Diskussionen und lustvollen Begegnungen fantasievoll verkleideter Fans, inzwischen auch in Deutschland. Neben professionellen Autoren versuchten sich auch Fans an Geschichten und an detaillierten Darstellungen des Star Trek- Universums. Seit der massenhaften Verbreitung des Internets finden sich dort Hunderte von Seiten in allen möglichen Sprachen, einige listen nicht nur sämtliche Episoden und Hauptdarsteller auf, sondern auch alle Planeten und die dort vorkommenden Rassen. Dazu kommt eine in Jahren und Monaten geführte Chronologie der Ereignisse. Neue Artikel und Mutmaßungen über Hintergründe und neuere Entwicklungen werden in den Foren ausführlich diskutiert. Bis heute ist die Bilanz beeindruckend: Für das Fernsehen wurden insgesamt sechs Science-Fiction-Serien mit insgesamt 726 Episoden produziert, dazu kommen 12 Filme, Romane und Comics sowie eine Reihe von Computerspielen. Die Zahl der Fans geht in die Millionen. Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Star Trek hat entscheidend das heutige Verständnis von Science-Fiction geprägt, aber es hat auch viele der Themen aus anderen Science-FictionWelten aufgenommen: übersinnliche Fähigkeiten und gefährliche Mutanten, Roboter und Kollektivintelligenzen, interstellare Konflikte und ihre möglichen Lösungen, Zeitreisen und Wurmlöcher, Mythen aus der Vergangenheit und zum Teil apokalyptische Pa rallelen zur irdischen Geschichte, die sich auf anderen Planeten abspielen. Der große Erfolg verdankt sich ebenso dieser Vielfalt wie den vertrauten Hauptpersonen und der Handlung in einem immer ausgefeilteren Universum mit fremden Planeten und Rassen. Darin liegt der in der Science-Fiction so oft apostrophierte „Sense of Wonder“. Er ist noch immer fühlbar, auch wenn sich Star Trek in den 50 Jahren seiner Entwicklung dem Trend zu mehr Action und Tricktechnik angepasst hat.
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3. Sternenkrieger: Vietnam im Weltraum
3. Sternenkrieger: Vietnam im Weltraum Es herrscht Krieg im Weltraum, die „Bugs“, monströse Spinnen, kämpfen gegen die Menschheit. Die Weltregierung sitzt in Genf, die Demokratie ist abgeschafft und wer Bürgerrechte will, muss sich zum Militär verpflichten. All die „Freiwilligen“ werden in Camps geschickt und einem unmenschlichen Drill unterzogen. Wer nicht spurt, wird ausgepeitscht. Dann geht es in den Weltraum, die Kadetten zahlen bei einer schlecht geplanten Invasion auf einem Planeten der Bugs einen hohen Blutzoll. Aber am Ende lehren die Sternenkrieger von der Erde die Spinnentiere das Fürchten … So die Handlung von Paul Verhoevens 1997 erschienenem und umstrittenem Film Starship Troopers. Während die Kritiker ihm „faschistische Tendenzen“ vorwarfen, sagte der Regisseur, der Streifen sei als Satire auf Militarismus und Faschismus zu verstehen. In Deutschland wurde seine Vollversion indiziert und im Kino und im Fernsehen nur in stark geschnittener Fassung gezeigt. Zudem wurden einige Inhalte geändert. In der Originalfassung spricht ein Lehrer davon, dass die Demokratie völlig gescheitert sei und die Ordnung erst durch Kriegsveteranen gewaltsam hergestellt wurde. In der deutschen Version schildert der Pädagoge lediglich den Krieg gegen die Bugs, der Millionen Menschen den Tod brachte und aus dem deshalb die Weltregierung hervorging. Die Vorlage für den Film bildete der 1959 publizierte Roman Sternenkrieger von Robert A. Heinlein, der damals als bedeutendes Werk galt, das zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Anders als in Deutschland, wo sich erst 20 Jahre später ein Verleger fand, gab es in den USA nur wenig Kritik. Diese bezog sich weniger auf die Verherrlichung knallharten Soldatentums, des Drills der Rekruten zu Tötungsmaschinen oder der leicht zu verstehenden Gleichung Käfer gleich Kommunist, sondern auf das von Heinlein propagierte Weltbild. Er schildert Kommunismus und Demokratie, auch die Menschen- und Bürgerrechte, als Irrwege der Geschichte. Nur die Gesellschaft, die zu kompromisslosem Kampf bereit ist, wird 279
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überleben und nur der, der sich als Soldat bewährt hat, darf auch in Politik und Gesellschaft mitbestimmen. Seine Gesellschaft kennt drakonische Strafen und körperliche Züchtigung. Das Buch, das weit weniger Action als der Film enthält, ist ein Produkt des Kalten Krieges. Anstelle der Demokratie wird eine wehrhafte, militaristisch geprägte Gesellschaft propagiert, in der das Gemeinwohl wichtiger als die individuellen Freiheiten ist. Heinleins Sternenkrieger galt lange als der berühmteste Roman der militärisch geprägten Science-Fiction. Er schlug eine andere Gesellschaft vor. Um die ging es auch – unter umgekehrten Vorzeichen – den Science-Fiction-Autoren der späten Sechziger- und Siebzigerjahre. „Als wir den Tauranern erstmals begegneten, eröffneten wir das Feuer!“ Mit diesem Satz beginnt Joe Haldemans Der ewige Krieg. Hochintelligente Hochschulabsolventen werden für den Kampf eingezogen, brutal gedrillt und mit allen Mitteln der Propaganda und Psychologie zum Hass gegen die als Monster gezeichneten Gegner erzogen. Die Tauraner wenden bei ihren Soldaten genau die gleichen Mittel an. Was folgt, ist ein zermürbender Stellungskrieg, wobei es beiden Seiten um das Erobern oder Halten strategisch wichtiger Planeten geht. Geschildert wird dies alles aus der Sicht eines einfachen Soldaten, der nicht weiß, ob die blutigen Einsätze sinnvoll und die Gegner wirklich so grausam sind. Noch weiter geht Barry N. Malzberg in seiner Erzählung Der letzte Krieg. Er beschreibt einen ewigen Kampf, von dem niemand weiß, wie er begann und warum er eigentlich geführt wird. Auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs erschien Thomas M. Dischs Camp Concentration. In der dystopischen Erzählung werden gefangene Regierungsgegner ohne deren Wissen zu Versuchen missbraucht. An ihnen werden für den Krieg gezüchtete Viren, Psychopharmaka und kurzzeitig Intelligenz und Physis steigernde Drogen getestet. Eine weitere Wende erfuhr die Charakterisierung der Sternenkrieger in der Reagan-Ära. Die Autoren – ebenfalls vom Vietnamkrieg geprägt – verlegten eine in ihren Augen sinnstiftende Pionierzeit in den Weltraum. Wie bei Jerry Pournelle ist immer eine 280
3. Sternenkrieger: Vietnam im Weltraum
deutliche Kritik an der korrupten Politik und den eigennützigen Konzernen zu spüren, gleichzeitig wird das Handeln des einzelnen Individuums in der Form des Soldaten oder Offiziers glorifiziert. In Der letzte Söldner und Jenseits des Gewissens sind es John Christian Falkenberg und seine Legion, die trotz unzureichender Mittel und einer inkompetenten Bürokratie Konflikte und Bürgerkriege beenden. Als Die Söldner von Sparta kämpfen die Legionäre für die Rechte der Siedler gegen eine Flut von Menschen, die von der völlig überbevölkerten Erde auf andere Planeten geschickt werden. Auch hier sind die Bezüge zur amerikanischen Geschichte deutlich: Die ersten Pioniere wenden sich lange gegen die immer neuen Einwanderer aus Europa. In seiner Trilogie um Die entführte Armee schildert Pournelle, wie CIA-Söldner kurz vor ihrer Vernichtung auf Kuba von Außerirdischen gerettet werden, um auf einem fernen Stern zunächst um ihr Überleben und dann für die Einheit des Planeten zu kämpfen. Es ist eine Art „One-Man-Army“ oder eine Gruppe verschworener Soldaten, die wie in den damals aufkommenden Actionfilmen Rambo mit John Rambo geschildert werden. Wie er sind die Sternenkrieger oft gebrochene und zwiespältige Charaktere, die dann aber im Kampf unglaubliche Heldentaten verrichten und im militärischen Sinne „funktionieren“. Solche Military-Science-FictionRomane stammen auch vom Vietnam-Veteranen Donald A. Drake, der erfolgreich actionreiche und banale Fantasy schreibt. Zugleich ist er als Ex-Militär-Berater für andere Autoren tätig, für die er oft Exposés verfasst. Vor allem nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erlebte dieses Subgenre der Science-Fiction einen weiteren Aufschwung. Einer der bekanntesten Vielschreiber ist John Ringo, dessen Zyklus Invasion bislang zwölf Romane umfasst, davon sind sieben ins Deutsche übersetzt. Daneben gibt es von ihm unter anderem die Zyklen Die Nanokriege, Kildar und Planetenkrieg. Vier Bände spielen auf dem Planeten Marduk, wo sich ein verwöhnter und verweichlichter Sternenprinz in einer feindlichen Umwelt bewähren muss. Die Marduk-Romane schrieb Ringo gemeinsam mit David Weber. Military-Science-Fiction-Auto281
X. Allzu irdische Sternenreiche
ren arbeiten oft zusammen und nutzen ihren Namen für gegen seitige Werbung, wobei inzwischen der Großteil des Textes von anonymen Ghostwritern stammt. David Webers großer Erfolg in diesem Genre beruht auf dem gelungenen Kunstgriff, C. S. Foresters bekannte Romane um den Seehelden Horatio Hornblower ins Weltall zu verlegen. Die inzwischen über 20-bändige Serie um Honor Harrington, die vom ein fachen Leutnant zur gefeierten Admiralin aufsteigt, ist zunächst eng an Foresters Helden angelehnt. Auch die detailliert beschriebenen Raumschlachten erinnern sehr an Hornblower. Das Sternenkönigreich von Manticore, in dem die Heldin agiert, ähnelt ebenso dem Großbritannien des 18. und 19. Jahrhunderts wie die Republik Haven dem Frankreich der Revolution. Das „Weltraumäquivalent“ Japans ist das Protektorat von Grayson, Preußen figuriert als Andermanisches Kaiserreich und die Solare Liga mit dem Mittelpunkt Erde ist eine kaum verhüllte Kritik an den USA, die bei aller Macht als dekadent und bürokratisch gezeichnet werden. Diese inzwischen bekannteste Serie der Military-Science-Fiction hat sich von der Schilderung des Kampfs im All und auf dem Planeten inzwischen zu mehr oft langfädig beschriebenen Entscheidungs prozessen, diplomatischen Intrigen und Spionageaffären entwickelt. Auch in Deutschland hat sich neben dem braunen Schrott rechtsextremer „Landser-im-Weltraum“-Romane eine schwerpunktmäßig militärisch geprägte Science-Fiction etabliert. Stellvertretend dafür seien Dirk van den Booms Tentakel-Zyklus, Stefan Burbans Bücher um den Ruul-Konflikt und Frank W. Haubolds Götterdämmerung-Romane genannt. Auf den ersten Blick lehnt sich Lois McMaster Bujolds BarrayarZyklus an die Tradition der Military-Science-Fiction an. In Der Kadett möchte ihr Hauptheld Miles Vorkosigan, Spross einer einflussreichen Familie des Planeten Barrayar, auf jeden Fall in die Militärakademie. Aber er ist klein und hat zudem spröde Knochen, bei der Aufnahmeprüfung bricht er sich beide Beine. Doch er lässt sich nicht entmutigen und erlebt gemeinsam mit angeworbenen Söldnern Abenteuer in der Galaxis. In weiteren Bänden der mehr282
3. Sternenkrieger: Vietnam im Weltraum
fach preisgekrönten Reihe wird er sowohl zum erfolgreichen interstellaren Spion wie zum berühmten Söldner-General. Die Autorin zeichnet ihn als Menschen, der mit hoher Intelligenz die körperliche Behinderung ausgleicht, aber auch immer wieder mit seelischen Schwächen zu ringen hat. So kämpfen McMaster Bujolds Helden, obgleich Militärs, Spione oder Diplomaten, immer wieder gegen sinnlose Gewalt und rassistische Vorurteile, was den Zyklus gegenüber anderen Space Operas hervorhebt. Auch Ender’s Game ist ein besonderer Film und Roman, vor allem durch die überraschende Entwicklung am Schluss: Es ist der Tag der Abschlussprüfung an der Militärakademie, der Tag der Bewährung für Andrew „Ender“ Wiggin und sein Team. In einer letzten Simulation sollen sie den Heimatplaneten der „Formics“ vernichten. Diese Aliens – sie sehen wie aufrecht gehende Ameisen aus – haben vor einem halben Jahrhundert die Erde angegriffen. Millionen Menschen wurden getötet, bis ihre Flotte durch einen glücklichen Zufall zurückgeschlagen wurde. Seitdem werden die begabtesten menschlichen Kinder in der Kommandoschule zu taktischen und strategischen Genies ausgebildet, Ender ist der beste von allen. In der Simulation wird er zum Heimatsystem der Formics geschickt, um deren zahlenmäßig weit überlegene Flotte anzugreifen und dabei den Planeten zu zerstören. Er opfert seine gesamte Flotte, um ein mit dem „kleinen Doktor“ bestücktes Raumschiff in die Atmosphäre zu bringen. Die Massenvernichtungswaffe zerstört die molekulare Struktur des Planeten. Als im Kommandoraum erst sprachloses Entsetzen herrscht, dann aber Jubel ausbricht, wird klar, dass es sich nicht um eine Simulation handelt. Ender erkennt, dass er einen Genozid begangen hat. Ender’s Game – Das große Spiel war 2013 die Verfilmung von Orson Scott Cards gleichnamigem Roman, der 1985 mit dem Nebula Award und 1986 mit dem Hugo ausgezeichnet wurde. Weil er die „Erschaffung des unschuldigen Mörders“ beschrieb, war der Roman schon damals umstritten. Card gab seine Erzählung und den Nachfolgebänden aber eine versöhnliche Wendung: Der von Schuld zerfressene Ender findet für eine den übrigen Menschen 283
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unbekannte letzte Königin der Formics einen Planeten, wo die Insektoiden wieder leben können, und setzt sich später für eine Versöhnung der beiden Rassen ein. Eine andere Möglichkeit, von der ernsten Military-Science-Fiction wegzukommen, ist die Satire. Ein gutes Beispiel ist Harry Harrisons siebenbändige Serie Bill, der galaktische Held. Corporal Bill besitzt seit einer Operation zwei rechte Hände und besucht unter anderem Die Welt der Roboter-Sklaven, Die Welt der essbaren Gehirne, Die Welt der zehntausend Bars, Die Welt der unaussprechlichen Wonnen und schließlich Die Welt der Zombie-Vampire. Wie schon die Titel verraten, sind die Romane eine Satire auf all das, was dem Fan der Military-Science-Fiction wichtig ist. Ähnlich in Robert Asprins Zyklus um Die Chaos-Kompanie: Milliardär Willard Narrisch will un bedingt zur Weltraumlegion und wird schließlich zur „Omega-Kompanie“ versetzt, einer Strafkompanie aller aufsässigen und unbotmäßigen Legionäre. Mit diesem Sammelsurium schräger Typen löst er höchst unkonventionell interstellare Konflikte. Keine Satire sind die Filme um den Universal Soldier. Im ersten Streifen von 1992 werden zwei Vietnam-Veteranen wieder zum Leben erweckt und zu Killermaschinen ausgebildet. Mehrere Fortsetzungen folgten, die Schauspieler Jean-Claude Van Damme und Dolph Lundgren verkörperten den Typus des muskelbepackten, gewalttätigen Elitesoldaten. Nicht immer werden solche Actionhelden so eindimensional dargestellt. In Enemy Mine – Geliebter Feind kommen die erbitterten Gegner zu einer Art gegenseitigem Verständnis. In Serien wie Star Trek oder Stargate suchen die Helden – sie gehören meist der Army oder der Flotte an – zuerst Kompromisse und friedliche Lösungen, auch wenn es gegen Klingonen oder Goa’uld geht. Überhaupt ist bei den Filmen und den TVScienceFiction-Serien die Abgrenzung zwischen Military-ScienceFiction und „normaler“ Science-Fiction schwierig. Immer mehr überwiegt die Action, immer mehr Helden gehören militärischen oder paramilitärischen Organisationen an oder verkörpern „soldatische Werte“. Serien wie Space 2063, aber auch Falling Skies oder Defiance sind dafür gute Beispiele. 284
4. Star Wars. Krieg der Sterne à la Hollywood
4. Star Wars: Krieg der Sterne à la Hollywood „Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …“ Wer diesen Satz hört oder liest, sieht vor seinem geistigen Auge einen nach oben rollenden Schriftzug in großen Buchstaben vor einem sternenübersäten Hintergrund ablaufen. Es war vor nicht ganz so langer Zeit, im Jahr 1977. „Es herrscht Bürgerkrieg. Die Rebellen, deren Raumschiffe von einem geheimen Stützpunkt aus angreifen, haben ihren ersten Sieg gegen das böse galaktische Imperium errungen.“ Dies war der Auftakt zu einer Filmserie, die die Welt der Science-Fiction nachhaltig veränderte, obwohl sie im klassischen Sinn gar keine Science-Fiction ist. George Lucas, der Regisseur des Films, sagte selbst einmal, dass Star Wars eher Märchen sei. Im Grunde ist es eine fast klassische Heldensage: Der strahlende Held Luke Skywalker rettet die wunderschöne Prinzessin Leia aus der Gefangenschaft des bösen Herrschers, des Imperators Palpatine, und wird dabei von Darth Vader, einem dem Bösen verfallenen dunklen Ritter, verfolgt und bekämpft. Nur spielt sich das ganze Geschehen in einem hochtechnisierten Sternenreich ab, in dem sich gigantische Raumschiffe und schnittige Raumjäger erbitterte Gefechte liefern. Besonders deutlich wird die Kombination von mittelalterlicher Sage und Zukunftsmärchen im Orden der Jedi-Ritter, die ihre Duelle mit futuristischen Lichtschwertern ausfechten. Gerade der erste Film Stars Wars Episode IV: Eine neue Hoffnung hatte auch eine ironische Komponente. Augenzwinkernd schilderte George Lucas seine Hauptdarsteller als entweder naiv gute oder schrecklich böse Menschen. So ist auch die Geschichte schnell erzählt, wobei man sinnvollerweise mit den Episoden IV–VI beginnt. Die Anführerin der Rebellen Prinzessin Leia hat die Pläne der neuesten Waffe des Imperiums, eines Planeten zerstörenden „Todessterns“ erhalten, wird aber gefangen genommen. Der junge Luke Skywalker, unterstützt von Obi-Wan Kenobi, einem der letzten Jedi-Ritter, kann sie befreien und mit einem kühnen Raumjägereinsatz den Todesstern 285
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zerstören. Weitere wichtige Handlungsträger sind die Schmuggler Han Solo und der affenähnliche Chewbacca sowie der kleinste, aber weiseste der Jedis, Meister Yoda. Sie alle stehen auf der Seite der Rebellen, die dunkle Seite wird angeführt vom Imperator und Darth Vader, der, wie Luke schließlich erfährt, sein Vater ist. Ein zweiter Todesstern wird vernichtet, es kommt zum letzten Gefecht, in dem sich Darth Vader von der dunklen Seite der Macht abwendet und schließlich den Herrscher tötet. Nach dessen Tod zerfällt das Imperium. Die später gedrehten Episoden I–III sind das Vorspiel zu dieser Geschichte. Es wird gezeigt, wie der angesehene Senator der Republik Palpatine einen Staatsstreich organisiert und sich zum Imperator macht. Weiteres Thema ist die Wandlung des Jedi-Ritters Anakin Skywalker zu Darth Vader, wobei dessen Frau Padmé Amidala sich mit ihren Kindern, den Zwillingen Leia und Luke, vor ihm in Sicherheit bringt. Die zwischen 1999 und 2005 erschienenen Episoden sind eine Mischung aus sehr vielen Trickbildern und wahnwitzigen Stunts, die eigentliche Geschichte ist ausnehmend dünn und auf die Star Wars-Fans ausgerichtet, die erfahren wollten, wie Anakin Skywalker zu Darth Vader und das Imperium auf den Trümmern der Republik errichtet wurde. Die Ende 2015 veröffentlichte Episode VII spielt 30 Jahre später. Die demokratisch verfasste „Neue Republik“ kämpft gegen die terroristische „Erste Ordnung“, die auf den Trümmern des Imperiums errichtet wurde. Luke Skywalker ist verschollen und die erfolgreiche Suche nach ihm bildet den roten Faden des Films. Neben altbekannten Figuren wie Leia, Han Solo, Chewbacca und den unvermeidlichen Robotern C-3PO und R2-D2 gibt es auch neue. Da ist einmal die gewiefte Schrottsammlerin Rey, die sich von einer zwielichtigen Person zu einer Trägerin des Lichtschwertes entwickelt. Die zweite neue Hauptperson ist Finn, der den Sturmtruppen des Imperiums angehörte. Nach einem von ihnen angerichteten Massaker desertiert er und schlägt sich auf die Seite der Rebellen. Beide Handlungsträger sind nicht im Schwarz-WeißMuster der vorherigen Trilogien gezeichnet, eine auch in anderen 286
4. Star Wars. Krieg der Sterne à la Hollywood
Science-Fiction-Serien und -Filmen zu beobachtende Entwicklung. Ansonsten ist Episode VII professionell gemacht, auf dem neuesten Stand der Tricktechnik und mit zahlreichen Rückgriffen auf die vorherigen Filme gespickt. Kurz: Regisseur J. J. Abrams ging kein Risiko ein und versuchte, alle Erwartungen der alten und neuen Star Wars-Fans zu erfüllen. Was auch gelang, wenn man das phänomenale Einspielergebnis und den gigantischen Erlös der Merchandising-Produkte betrachtet. Nach eigenen Angaben schrieb George Lucas ein Konzept für die ganze Star Wars-Geschichte, die zuerst 15, später 12 und schließlich neun Folgen umfassen sollte. Trotz des Erfolgs der ersten Trilogie zögerte er mit einer Fortsetzung. Erst 1995 nahm er dann die zweite Trilogie in Angriff, die 2005 abgeschlossen wurde. 2012 kaufte die Disney Company für über 4 Milliarden Dollar die Firma Lucasfilm und damit auch die Entwürfe für die Episoden VII–IX, 2015 hatte die erste Premiere, die weiteren sollen in zweijährigem Abstand folgen. Wie es sich für einen Film mit Science-Fiction-Elementen gehört, bot Star Wars auch immer technische Innovation. Schon Episode IV kam mit dem damals ganz neuen Dolby-Stereo-4-KanalLichtverfahren in die Kinos. Für Episode VI nutzte die Firma Lucasfilm erstmals das von ihr entwickelte Qualitätssiegel „THX“, das bald als Norm für die Ton- und Bildwiedergabe in Kinos galt. Die Episoden II und III wurden mit hochauflösenden digitalen Kameras aufgenommen und digital bearbeitet. Star Wars überschritt auch alle Grenzen des bisherigen Marketings und Merchandisings. Anfang des 21. Jahrhunderts hatte sich George Lucas ein Imperium erschaffen, das ihn unabhängig vom übrigen Hollywood machte. Zum großen Teil verdankte es sich einer Fehleinschätzung: Den ersten Film um den Krieg der Sterne musste er sehr oft anbieten, schließlich rangen sich die 20th Century-Fox Film Corporation dazu durch, ihn zu finanzieren. Allerdings boten sie ihm ein sehr niedriges Honorar für die Regie an und im Ausgleich dafür die Rechte an der Marke Star Wars samt Merchandising. Letztere bringen weit mehr als die Kinoeinnah287
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men, derzeit werden sie auf mehr als 25 Milliarden Dollar geschätzt. Darin nicht eingerechnet sind die Einnahmen für die Lizenzen aus Dutzenden von Comics, Romanumsetzungen und inzwischen etwa 100 Computerspielen. Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht übertraf kommerziell alle bisherigen Filmerfolge und kann als Beispiel für das moderne Marketing gelten. Ein Jahr vor der Uraufführung des Films wurde im Internet ein 90-Sekunden-Teaser geschaltet, der bereits in der ersten Woche mehr als 110 Millionen Mal angeklickt wurde. Der zweite, sechs Monate später veröffentlichte, übertraf diese Rekordmarke weiter und der dritte Teaser – er war einen Tag nach dem Ticketvorverkauf zu sehen – hatte allein am ersten Tag 112 Millionen Betrachter. Darauf folgten in allen Ländern einschließlich der Volksrepublik China mehrere Werbespots, erste Bücher und Comics erschienen und die Figuren der neuen und alten Helden waren in Billigausgaben, aber auch als Exklusivmodelle zu erwerben. George Lucas hat sich eigenen Angaben zufolge kräftig bei der alten Science-Fiction-Literatur bedient und auch Anleihen bei Filmen genommen. Die helle oder dunkle „Macht“, derer sich die Jedis und ihre Gegenspieler, die Siths, bedienen, ist eine Mischung der übersinnlichen Fähigkeiten der Prophetie, des Gedankenlesens und der Hypnose sowie der Telekinese. Unbewusst oder – wie zu vermuten – bewusst wurden auch Motive von Frank Herberts Dune aufgenommen, etwa religiöse Orden mit übersinnlichen Fähigkeiten und die Konstruktion eines feudalistischen Sternreichs. Lucas kannte die Flash Gordon-Comics, eigentlich wollte er sie verfilmen, hatte dafür aber nicht die Rechte. Die Lauftexte am Beginn seiner Filme sind aber denen der Flash Gordon-Serie nachempfunden. So sind die Einflüsse dieser und ähnlicher Serien auf Star Wars unverkennbar. Beeindruckt haben ihn auch die Filme Akira Kurosawas. Darth Vaders Helm ist dem des Bösewichts aus Die sieben Samurai nachempfunden. Und wie in Die verborgene Festung die Geschichte aus der Sicht von zwei Gaunern erzählt wird, ist dies bei Star Wars Episode IV: Eine neue Hoffnung durch die Droiden R2-D2 und C-3PO der Fall. 288
4. Star Wars. Krieg der Sterne à la Hollywood
Bei allen Filmen sind die Bezüge zur Vergangenheit und zu den Jahren, in denen sie gedreht wurden, unverkennbar. Lucas selbst sagt, dass ihn die Weltkriege und der Vietnamkrieg beeinflusst haben. Die Luftkämpfe des Ersten Weltkriegs hätten ihn zu den Raumjägerschlachten inspiriert. Die Kämpfe auf dem Planeten Hoth erinnern bewusst an den Grabenkrieg zwischen 1914 und 1918. Als er Star Wars Episode III: Die Rache der Sith in Cannes präsentierte, erklärte Lucas, er wolle deutlich machen, dass eine Demokratie auch mit Zustimmung des Volkes in eine Diktatur verwandelt werden könne. So sind bei Star Wars die Bezüge zur Vergangenheit unverkennbar. Die „Machtergreifung“ von Senator Palpatine weist deutliche Bezüge zum Nationalsozialismus auf. Er präsentierte sich als Mann, der für Ruhe und Ordnung in der krisengeschüttelten Republik sorgen kann, obwohl er zu deren Verfall offen und versteckt beigetragen hat. Er lässt sich ein „Ermächtigungsgesetz“ geben, mit dem er brutal gegen seine politischen Gegner, aber auch möglicherweise gefährliche ehemalige Verbündete vorgeht. Wer in Star Wars die Menschenmassen bei den Paraden des dunklen Imperiums, aber auch bei den Jubelfeiern der Rebellen sieht, wird an faschistische oder stalinistische Massenaufmärsche erinnert. In der Schlussszene von Episode IV: Eine neue Hoffnung wird eine Szene aus Leni Riefenstahls Parteitagsfilm Triumph des Willens aufgenommen. Wie Hitler und seine Paladine gehen die Rebellenführer gemessenen Schritts zwischen in Quadern aufgereihten Soldaten auf einen Lichterdom zu. Freilich erlaubt sich Lucas den ironischen Schlenker, dass er dort, wo bei Riefenstahl Hitler steht, das Affenwesen Chewbacca positioniert. Die untergehende „Konföderative Republik“ ist ein schwerfälliges, fast handlungsunfähiges Gebilde mit einer überbordenden Bürokratie. Das Ansehen dieses Reiches schwindet zusehends. Der Senat erinnert an die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Er ist eine „Schwatzbude“ und wenn er einmal einen Beschluss fasst, fehlen die Mittel zur Durchsetzung. George Lucas, der die Drehbücher zu den Filmen schrieb, sah aber nicht nur Parallelen zu Hitler, sondern auch zu Napoleon und 289
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zu Caesar und Augustus. Gerade die römischen Kaiser legitimierten mit dem Versprechen, Frieden und Ordnung zu schaffen, ihre Herrschaft. Wenn Imperator Palpatine seinen Kopf in eine Kapuze hüllt, dann ist dies eine Geste, die römische Kaiser bei Opferfeiern gemacht haben. Im vorletzten Film der Serie, Star Wars Episode III: Die Rache der Sith, werden Terrorismus und die Angst vor Verschwörungen am Beginn des 21. Jahrhunderts aufgenommen. So könnte man den Überfall und die Zerstörung des Tempels der Jedi-Ritter als Parallele zum Anschlag auf das World Trade Center sehen. Vermutlich sind dies aber eher spielerische oder unbewusste Anspielungen. George Lucas hat erklärt, schon vor dem ersten Film den Handlungsbogen der gesamten neunteiligen Reihe geschrieben zu haben, und da sei er wie viele seiner Generation auch von der Stimmung gegen den Krieg in Vietnam beeinflusst gewesen. Star Wars ist die Kombination einer fast märchenhaften Geschichte mit Rückgriff auf die Vergangenheit und einer interessanten Technologie. Dies wird dargeboten mit der modernsten filmtechnischen Perfektion der Gegenwart. Mit den bislang sieben Filmen und den Ablegern in Fernsehserien, Büchern, Comics und Computerspielen wurde der Science-Fiction ein ungeheurer Schub verliehen, der das Genre zugleich wandelte. Auch wenn Konkurrenten und Nachahmer wie Kampfstern Galactica nicht den gleichen Erfolg erzielten, ohne Star Wars hätte die „Speculate Fiction“, wie sie einige Kritiker nun treffend bezeichneten, nie die große Popularität bei Zuschauern und Lesern erreicht. Der Science-Fiction-Film, der in den 15 Jahren vor Lucas von den Produzenten in Hollywood eher vorsichtig angegangen wurde, war wieder gefragt, Blockbuster wie Stargate, Dune, 2001: Odyssee im Weltraum bis hin zu Avatar entstanden. Alte Fernsehserien wie Star Trek erhielten Remakes, Dutzende von Fernsehserien wurden produziert, die auf verschiedene Weise Elemente der Science-Fiction und der Fantasy, von Horror und Esoterik kombinieren. Die Entwicklung wirkte auch auf den Buch- und Comicmarkt sowie die zunehmenden Computerspiele. Analog zum Star 290
4. Star Wars. Krieg der Sterne à la Hollywood
Wars-Universum entstanden neue Romanzyklen mit ähnlich ausgefeilten Sternenreichen. Die Comics, die sich zunächst auf das „Nachzeichnen“ bestehender Filme und Serien konzentrierten, wurden eigenständiger im Erfinden von Bildergeschichten, die zwischen Science-Fiction und Fantasy angesiedelt waren. Sicherlich den größten Boom erlebte die „Science-Fiction zum Nachspielen“, sei es auf Video-Konsolen, vor dem Computerbildschirm oder mit Apps auf dem Handy.
SF-Spezial
Fandom in den USA und Deutschland Kaum hatte er den Begriff „scientifiction“ geprägt, sammelte Hugo Gernsback eine Schar von Anhängern um sich und für sein Magazin Amazing Stories. Seit Anfang der Dreißigerjahre gab es in den USA eine zahlenmäßig kleine, aber wortstarke Gruppe von eingefleischten Science-Fiction-Lesern, das „Fandom“. Es waren kleine Gruppen, die intensiv über die technologische und wissenschaftliche Zukunft diskutierten, wie sie in den Romanen und Kurzgeschichten antizipiert wurde. Dazu kam ein manchmal enger Kontakt mit den Autoren, die gelegentlich auch hart kritisiert wurden. Die Diskussion fand auch über die Fanzines statt, die sich von ein paar hektografierten Seiten zu semiprofession ellen Magazinen entwickelten. Ende der Vierzigerjahre gab es dann größere regionale oder landesweite „Conventions“ (Cons). Mitte der Fünfzigerjahre entwickelte sich auch in Deutschland ein „Fantum“. 1955 wurde als erste Organisation der Science Fiction Club Deutschland gegründet. Wesentlich beteiligt daran war Walter Ernsting, der damit versuchen wollte, einerseits mehr Leser für das von ihm betreute Utopia-Magazin und den UtopiaBand zu gewinnen, andererseits aber das oft belächelte Genre aus dem Schattendasein herauszuführen. 291
X. Allzu irdische Sternenreiche
Das organisierte Fandom zeichnete sich gerade in Deutschland immer wieder durch Vereinsmeierei und verbissene Grabenkämpfe aus. Da wurde über „echte“ und „unechte“ Science- Fiction gestritten, Rhodan-Anhänger und Rhodan-Gegner warfen sich gegenseitig Konservativismus, Faschismus und Kommunismus, Stalinismus vor. „Basis-Demokraten“ kämpften gegen „Bürokraten und Autokraten“. Manche Fans wehrten sich hartnäckig gegen die Kommerzialisierung ihres Hobbys durch Verlage sowie Film- und Fernsehproduktionen. Was zum Paradox führte, dass gerade in den Siebzigerjahren, als die Science-Fiction einen großen Aufschwung nahm, das klassische Science-Fiction-Fandom in Deutschland sich immer mehr zersplitterte und nicht nur zahlenmäßig an Bedeutung verlor. Ende der Sechzigerjahre organisierten sich zunächst vor allem in den USA, dann in Europa Anhänger, die speziell eine Serie favorisierten. Vorläufer waren die „Trekkies“, die Fans von Star Trek. Ein kleinerer Teil von ihnen rekrutierte sich aus dem alten Fandom, konnte also auf eingespielte Strukturen zurückgreifen. Die meisten von ihnen, darunter zum ersten Mal auch viele Frauen, nahmen ihr Fantum lockerer und organisierten sich in speziellen Clubs. Sie lebten in Rollenspielen in der Welt des Raumschiffs Enterprise, deren Stars sie – zum Teil fantasievoll kostümiert – auf Cons trafen. Neben den Trekkies gab es bald auch Star Wars-, Stargate- oder Dune-Vereinigungen, in Deutschland dazu die Perry RhodanClubs. Manche Altfans kritisierten diese Entwicklung. Inzwischen haben sich beide Gruppen arrangiert. Auf den Cons gibt es einerseits „ernsthafte“ Vorträge über Wissenschaft und Science-Fiction, andererseits „galaktische“ Kostümfeste. Das „Korsett“ des Fandoms sind nach wie vor Clubs, die sich regelmäßig treffen und meist Fanzines herausgeben. Neben der gedruckten Form gibt es sie immer mehr als ladbare Inhalte im Internet, zum Teil sogar kostenlos. Zudem gibt es dort auch viele InternetCommunitys, wo sich die Fans in Foren austauschen können. Für den Zusammenhalt ebenfalls wichtig sind sehr ambitionierte und detaillierte Seiten über einen bestimmten Film, über Fernseh292
4. Star Wars. Krieg der Sterne à la Hollywood
serien oder Romanzyklen. Jede einzelne Folge wird beschrieben und bewertet, die Einzelheiten werden herausgefiltert, bis eine Art Wikipedia des jeweiligen Serienuniversums entsteht. Gerade bei großen Serien wie Star Trek, Battletech oder Perry Rhodan gibt es einige Leser, die selbst die Abenteuer ihrer Helden schreiben wollen. Diese sogenannte Fanfiction richtet sich zunächst an den kleinen Kreis engagierter Gleichgesinnter. Bei Cons werden sie in gedruckter Form verteilt, verkauft oder zumindest angegeben, wo und wie man sie im Internet erhalten kann. Die Autoren haben die heimliche Hoffnung, vom Verlag oder der zuständigen Redaktion ihrer Serie entdeckt zu werden und vielleicht einmal selbst dort einen Roman veröffentlichen zu können. Die Verlage selbst sind gespalten. Einerseits besteht die Gefahr, dass durch allzu naive und schlecht geschriebene Machwerke die Marke beschädigt wird, andererseits ist jede Fanfiction Werbung. Vor allem will man die Fans nicht durch Verbote und Restriktionen verärgern. Außerdem haben nicht wenige der späteren Science-Fiction-Autoren ihre ersten Geschichten als Fans geschrieben.
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Die Zukunft der Science-Fiction Science-Fiction soll eine fiktionale, möglichst plausible Verlängerung von Wissenschaft und Technik in die Zukunft sein. Mit diesem Anspruch gingen viele Autoren ans Werk und ein Teil der Fangemeinde wollte es genau so haben. Der Großteil der Leser sah und sieht das ganz anders. Schon in den Dreißigerjahren waren abenteuerliche Wildwestgeschichten im Weltraum beliebter als anspruchsvolle Extrapolationen einer Gesellschaft und Technologie der Zukunft. Die Space Opera ist auch heute noch die erfolgreichste Form dessen, was das Publikum für ScienceFiction hält. In Deutschland unterschied man lange ernsthafte und unterhaltende Literatur. Unterhaltungsliteratur ist per Definition trivial und soll den Massen Spaß machen, während die ernsthafte Literatur einen höheren künstlerischen, manchmal sogar philosophischen Anspruch hat. Während man in anderen Sparten dazu überging, beides unter den Begriff Belletristik zu fassen, galt die Unterscheidung in populistisch und anspruchsvoll für die Science- Fiction länger. Seit dem Ende der Sechzigerjahre hat sich das allmählich gewandelt. Entscheidend war auch der Einfluss von Film und Fernsehen. Seit Star Trek und Star Wars – und hier in Deutschland Raumpatrouille – wissen wir, wie die Fahrzeuge aussehen, mit denen man die unendlichen Weiten des Universums erkundet. Stargate und von Däniken haben uns gelehrt, dass die Götter von den Sternen kamen. Durch das Studium der Akte X haben wir erfahren, wie die Außerirdischen aussehen, die uns Mitte des vergangenen Jahrhunderts besucht haben, dass es irgendwo da draußen Dinge gibt, die wir nicht erklären können. Fringe – Grenzfälle des FBI ließ uns erkennen, dass es ein Multiversum mit Parallelwelten gibt. 294
Die Zukunft der Science-Fiction
Durch all dies ist Science-Fiction alltäglicher, ihr Publikum größer geworden. Nicht mehr die Leser, sondern die Zuschauer dominieren. Zu den alten Formen wie Buch, Heft, Magazin und Comic sowie Film treten E-Book, Fernsehserien, Hörbücher und Computerspiele hinzu. Zudem bietet das Internet ganz neue Gelegenheiten zum Science-Fiction-Konsum. Wer den heutigen Stand des Genres quantitativ und qualitativ beschreiben und einen vorsichtigen Blick in die Zukunft werfen will, muss dies differenziert und vernetzt tun. Zudem muss die Entwicklung in eine Medienwelt, die sich rasant verändert und in der in Film und Fernsehen Science-Fiction eine Trendsetter-Rolle spielt, eingebettet werden. Der Markt für gedruckte Science-Fiction-Bücher ist seit Jahren stabil und eher klein. Zusammen mit dem Bereich Fantasy – in den Statistiken werden meist beide zusammen aufgeführt – schwankt er zwischen sechs und sieben Prozent Marktanteil. Dabei hat die Fantasy etwas mehr. Wenn ein Blockbuster wie Star Wars gezeigt wird, holt die Science-Fiction etwas auf. Weil aber viele Fantasy-Romane Science-Fiction-Elemente haben und Science-Fiction-Werke noch öfter Fantasy-Accessoires, kann man beides schwer trennen. Wie schwierig es ist, Science-Fiction-Literatur weiterzuent wickeln oder auch nur stabil zu erhalten, zeigt sich in Deutschland. Die großen Verlage haben ihre Produktion reduziert mit dem Ergebnis, dass auch das Sortiment in den Buchhandlungen kleiner geworden ist. Nur wenn breit beworbene Filme oder Fernsehserien Aufsehen erregen, bieten sie die ganze Palette von MerchandisingProdukten inklusive Büchern und Comics an, in der Hoffnung, dass sich die meisten jüngeren Käufer in der Buchhandlung zum Science-Fiction-Regal bewegen. Zwar gibt es in den letzten Jahren mehr ambitionierte Kleinverlage, sie sprechen aber vor allem Genre-Liebhaber und eingefleischte Fans an. Ihre Produkte sind nur in Spezialbuchhandlungen zu sehen. Das gilt auch für professionell gemachte Magazine wie EXODUS oder NOVA, bei Letzterem scheiterte der Versuch, in den Bahnhofshandel zu kommen. 295
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Ein Versuch, Science-Fiction im Buch wieder attraktiver zu machen, ist die Regionalisierung. So schrieb gut 50 Jahre nach Amerys Der Untergang der Stadt Passau die nahe München lebende Autorin Anna Mocikat mit MUC einen postapokalyptischen Heimatroman. Er spielt im München des Jahres 2120. Das Szenario der Geschichte ist vor allem für Einheimische reizvoll: Die Heldin steht vor der zerstörten Frauenkirche, wundert sich über die U-Bahn oder erlebt den Englischen Garten als Gehege, in dem Sklaven gehalten werden. Manchmal schimmert ihre Tätigkeit als Drehbuchautorin durch. Ähnliche Verbindungen von Science- Fiction-Szenarien, die Zeitreise oder Genmanipulation in einer bestimmten Region ansiedeln, gibt es auch für andere Teile Deutschlands. Trotz alledem: Sicher scheint, dass der Marktanteil des stationären Buchverkaufs, also in Buchläden oder Bahnhofskiosken, bis 2020 auf 40–45 Prozent absinken wird. Diese Prognose einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung mag zu pessimistisch sein, beruht aber auf einer schon heute zu beobachtenden Änderung im Verhalten der Leser. Vor allem die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, bestellt immer mehr gedruckte Bücher online. Noch wichtiger aber ist der Umstieg auf das E-Book, wobei Krimis, Science-Fiction und Fantasy betroffen sind, die bisher vor allem als Taschenbuch gekauft wurden. Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels haben die EBooks 2014 4,3 Prozent und 2015 5,3 Prozent zum Buchumsatz beigesteuert. Das bedeutet immer noch eine rasante Steigerung, wenn es auch nicht mit den gewaltigen Zuwächsen in den Jahren zuvor vergleichbar ist. Die Verkaufszahlen stiegen um mehr als 15 Prozent. Das verblüfft auf den ersten Blick, wird aber verständlich, wenn man das gesunkene Preisniveau ansieht. Noch 2010 war der Durchschnittspreis für ein E-Book 10,71 €, 2014 bezahlte man nur noch 7,08 €. Der Grund dafür sind die vielen kostengünstigen oder kostenlosen Selfpublishing-Titel, die wiederum die etablierten Verlage zu Preisabschlägen bei ihren E-Books zwingen. Langfristig entscheidender werden Abonnement-Modelle sein, wie sie von 296
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Amazon mit Kindle unlimited oder Skoobe angeboten werden. Hier zahlt der Leser eine gewisse Monatsgebühr und kann dann in dem immer größer werdenden E-Book-Sortiment „unlimited“ lesen. Da der Anteil von Science-Fiction im E-Book-Bereich größer ist als im normalen Printbereich, schlägt dort diese Entwicklung noch stärker durch. Deshalb hat trotz der Reduktion bei den großen Verlagen die Zahl der Science-Fiction-Bücher erheblich zugenommen. Die Möglichkeit des Selbstverlags wie bei Books on Demand und ähnlichen Anbietern, aber auch das E-Book verleitet viele, Geschriebenes zu veröffentlichen, meist ohne Lektorat. Vielleicht sind darunter wirkliche Entdeckungen, sie sind aber schwer oder gar nicht zu finden. Nur in einem sind sich die von großen Verlagen herausgegebenen Romane und die im Selbstverlag erscheinenden Billigprodukte ähnlich. Sie orientieren sich am durch Film und Fernsehen vorgegebenen Mainstream und hoffen, durch geringe Preise Käufer zu finden. Es ist eine Entwicklung, die professionell geführte Verlage in Bedrängnis bringt. Die Großen setzen mehr und mehr auf die Fortsetzung des dem Leser Vertrauten. In den USA arbeiten ganze Schreibfabriken bekannten Autoren wie David Weber oder John Ringo zu, deren Zyklen dann mit wachsender Begeisterung in Europa übernommen werden und die inzwischen den Großteil der Taschenbuchproduktion ausmachen. Bei den verbliebenen Heftreihen ist es ein Kollektiv von mehreren Stammautoren, die Serien wie Perry Rhodan oder Maddrax schreiben. Einen kommerziellen Erfolg scheinen detaillierte Serien-Universen zu garantieren, hier dominieren in den letzten Jahren Space Operas und postapokalyptische Szenarien, gefolgt von Near-Future-Thrillern, in denen es um Cyberkriminalität, biologische Waffen oder Genmanipulation geht. In diesen Zusammenhang gehört auch die Entwicklung, dass immer mehr Autoren, darunter auch Verfasser von Bestsellern, für ihre Bücher ein Science-Fiction-Szenario als Hintergrund benutzen, seien es die zerstörte Umwelt, genetische Manipulationen oder eine postapokalyptische Welt. Mithilfe eines dystopischen 297
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Szenarios lässt sich nicht nur ein rasanter Thriller schreiben, sondern auch trefflich über Beziehungsprobleme räsonieren und die Entwicklungsgeschichte der Hauptperson schildern. Auch wenn dazu keine genauen Zahlen vorliegen, so scheint die Science-Fiction-Lesergemeinde gleich geblieben oder leicht größer geworden zu sein. Der Anteil des Lesens am Gesamtkonsum ist allerdings geringer geworden. Demgegenüber hat die Zahl der Menschen, die viel Zeit für das Sehen von Science-Fiction-Filmen und Fernsehserien aufwenden, deutlich zugenommen. Noch rasanter stieg die Zahl der Menschen, die ihre Zeit mit Action-, Rollen- oder Strategiespielen, Flugsimulationen oder Weltraum schlachten verbringen. Ein Nischenprodukt ist seit Orson Welles berühmtem Hörspiel über den Krieg der Welten das Science-Fiction-Hörspiel. Es hat noch immer seine Liebhaber, aber die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland oder anderswo in Europa haben dafür immer weniger Geld, die Produktionen werden seltener. Es gibt auch Hörspiele von privaten Studios, die kostenpflichtig aus dem Netz heruntergeladen werden können und meist von oder in Zusammenarbeit mit Hörbuchanbietern produziert werden. Die meisten Hörbuchverlage lassen inzwischen auch Science-Fiction-Werke vorlesen. Da in diesem Bereich die Angebote zahlenmäßig wachsen, rechnet sich das vermutlich. Welche Zukunft das Genre im Bereich Hörbuch hat, ist derzeit nicht abzusehen. „Leitkultur“ der Entwicklung der Science-Fiction im 21. Jahrhundert sind Filme und Fernsehserien. Die Zahl derer, die im Fernsehen Science-Fiction und Fantasy gelegentlich bis sehr gerne sehen, ist mit knapp 68 Prozent sehr hoch. In den Kinos sind Science-Fiction-Filme Publikumsmagneten. Steven Spielbergs Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht – das Budget waren etwa 200 Millionen US-Dollar – hat bis Mitte des Jahres 2016 2,1 Milliarden US-Dollar allein aus den Kartenverkäufen eingenommen. Noch steht er allerdings an Platz drei der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, nach Titanic und Avatar, Letzterer ebenfalls ein Science-Fiction-Film. 298
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Erfolg in dieser Sparte bringt noch mehr Erfolg. Die Zahl der Remakes oder Fortsetzungen war in den letzten Jahren so groß wie nie. Da gab es angeführt von den X-Men und den Guardians of the Galaxy zahlreiche Comic-Verfilmungen, der Planet der Affen und die Jurassic World wurden wieder besucht und Godzilla, Mad Max und der RoboCop suchten uns wieder heim. Die Tribute von Panem gingen in ihre (vorläufig) letzte Runde. Ein zweiter Independence Day wurde ebenso angekündigt wie der dritte Teil der Ghostbusters. Die Fortsetzung von Der Marsianer existiert bisher nur als Satire und ob Jupiter Ascending fortgeführt wird, steht in den Sternen. Neue Experimente gibt es, aber sie gehen in der Fülle der Kinoproduktionen unter. Gefragt und erfolgreich ist eine Mischung aus Science-Fiction-, Horror- und Fantasy-Elementen, ein Genremix, das für einen Großteil des Publikums unter dem Sammelbegriff Science-Fiction figuriert. Die erfolgreich verfilmte Romanreihe Tribute von Panem von Suzanne Collins benutzt deutliche Science-Fiction-Muster: Ein nach einem verheerenden Krieg entstandener totalitärer Staat überwacht seine Bürger überall und umfassend. Deren Identität wird durch Bluttests festgestellt und alle sind lokalisierbar, weil sie Blutinjektionen erhalten haben, die jederzeit durch eine Art GPS erfasst werden können. Aber dieses Szenario interessiert die Autorin und die Filmemacher eigentlich wenig. Im Mittelpunkt steht der Kampf von Jugendlichen erst untereinander und dann gegen den Staat mit zum Teil archaischen Mitteln wie Pfeil und Bogen. Zudem verweist ein wichtiger Handlungsstrang direkt auf unsere Gegenwart. Die Jugendlichen werden in einer Art Castingshow ausgewählt für einen Kampf – hier ist die Verlängerung in die Zukunft – auf Leben und Tod. Ein weiteres Beispiel für den gegenwärtig boomenden ScienceFiction-Film ist Jupiter Ascending. Auf der einen Seite hat er eine brillante Tricktechnik, wundervoll designte Raumschiffe, Planeten und futuristische Städte, in denen sich atemberaubende Action-Szenen abspielen. Die Geschichte dazu ist eher dürftig, das Hintergrundszenario ein Konglomerat unausgegorener Ideen: Die 299
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Galaxis wird von adeligen Handelshäusern beherrscht, die auf einigen Welten Menschen züchten, um sie „abzuernten“. Sie werden getötet und dabei wird eine Lebensessenz destilliert, die sich profitabel verkaufen lässt. Eine solche potenzielle Ernte-Welt ist auch die Erde, auf der sich eine russische Immigrantin ihren Lebensunterhalt damit verdient, die Toiletten reicher Amerikaner zu putzen. Just dieses Mädchen stellt sich als Reinkarnation der verstorbenen Herrscherin der Galaxis heraus, sie wird von Kopfgeld jägern verschiedener Sternenlords aufgespürt, die sie entweder umbringen oder retten wollen. Das bringt wilde Verfolgungsjagden mit sich, die Story bleibt wirr und unausgegoren. Natürlich kommt es zum Happy End: Das Mädchen wird gerettet und die Erde bleibt verschont … Höchst erfolgreich ist die Mixtur der Fernsehserie The 100. Da sind zunächst einmal die „Archen“, um die Erde kreisende Raumstationen, auf die Menschen vor dem Inferno des Atomkriegs geflohen sind. Sie leben nach rigiden Regeln und Gesetzen. Weil aber die Technik immer schlechter funktioniert, schicken sie 100 junge Leute auf die verwüstete Erde. Die sympathischen Jugend lichen – unter denen es zahlreiche Liebesgeschichten und Beziehungsprobleme gibt – sollen erkunden, ob und wo man auf der Erde wieder leben bzw. überleben kann. Neben der durch die Strahlung veränderten gefährlichen Tier- und Pflanzenwelt treffen sie verschiedene Gruppen von Menschen: in die Barbarei zurückgefallene höchst kriegerische Wilde, die mit Schwertern sowie Pfeil und Bogen sehr geschickt umgehen können. Dann gibt es Bewohner eines Atombunkers, die sich vor der Radioaktivität außerhalb nur schützen, indem sie das Blut und Knochenmark der primitiven Stammeskrieger „ernten“. Neben diesen modernen Vampiren treffen die 100 auch noch auf Horrorwesen, die durch Psychodrogen und Elektroschocks zu einer Art Zombies gemacht wurden, und irgendwo spuken auf dieser apokalyptischen Erde auch noch künstliche Intelligenzen herum. So mixt die Fernsehserie The 100 alles, was derzeit erfolgreich ist, zu einem Cocktail der „Speculative Fiction“. 300
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Beim Start in Deutschland Mitte 2015 holte The 100 22,5 Prozent Marktanteil. Bei der zweiten Staffel kam die Serie auf eher unterdurchschnittliche 8,3 Prozent. Das könnte damit zu tun haben, dass die Serie parallel und Wochen vor dem DVD-Verkauf auch beim Video-on-Demand-Anbieter Maxdome angeboten wurde. Hier zeigt sich eine Veränderung im Verhalten der Zuschauer: Sie wollen keine lästigen Werbeunterbrechungen mehr und ihre Serien dann sehen, wenn sie es wollen. Hier sehen Firmen wie Netf lix oder Maxdome ihre Chance, indem sie ihren Kunden für eine Flatrate Hunderte von Filmen und Serien anbieten. Branchenriese Amazon ließ als Lockvogel für sein Streamangebot Philip K. Dicks The Man in the High Castle als exklusive Serie produzieren, mit so großem Erfolg, dass sofort eine zweite Staffel bestellt wurde. Im Gegenzug versuchen die Fernsehsender, ihre Kunden mit jederzeit abrufbaren Gesamtpaketen von Serien zu halten. Ein noch unterschätzter Mitspieler auf diesem Markt ist YouTube. Dort gibt es Tausende von Fanfilmen, die meist auch nur von den Fans der entsprechenden Serie abgerufen werden. Zu sehen sind aber auch einige von Amateuren oder Filmakademieschülern gemachte, höchst professionelle Streifen, die plötzlich von Tausenden von Usern angeklickt werden. Sie erlangen schnell Berühmtheit, die sogar zu Angeboten von Film- und Fernsehproduzenten führt. Verlierer dieser Entwicklung werden DVDs und Blu-Rays sein, die in wenigen Jahren ein – wenn überhaupt – marginales Nischendasein führen werden. Die Welt der Science-Fiction-Comics ist ein Abbild der Welt der Science-Fiction-Filme. Schon deshalb, weil sich Zeichner und Filmdesigner oft gegenseitig inspirieren, manche Künstler auch direkt bei Filmproduktionen mitarbeiten. Sie entwerfen das, was später als fantastische Stadt oder gigantisches Raumschiff im Computer entsteht. Zahlreiche Comic-Superhelden wurden und werden verfilmt, der Erfolg wirkt dann zurück auf den Verkauf der Hefte und führt manchmal zu Spin-off-Serien. Doch viele der aufwendig produzierten Alben sind auch ein großes Experimentierfeld mit einem exklusiven Zeichenstil. Es sind kleine Kunstwerke, die im Gegensatz zum gedruckten Buch die Konkurrenz 301
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des E-Books nicht zu fürchten brauchen. Inhaltlich dominieren neben den zwischen Fantasy und Science-Fiction angesiedelten Weltraumopern postapokalyptische Dystopien, aber auch fantasievolle und mystische Reisen in den „Inner Space“. Gerade ein junges Publikum – entsprechende Zeichentrickfilme für Kinder und Jugendliche im Fernsehen gewohnt – liest als junge Erwachsene Science-Fiction-Comics. Bei den Computerspielen überwiegt nach wie vor das Genre Fantasy, dicht gefolgt von der Science-Fiction. Inhaltlich stehen postapokalyptische Szenarien und Weltraumschlachten im Vordergrund. Bei der Art der Spiele dominieren nach wie vor EgoShooter und Action-Rollenspiele, aber es sind Aufbauspiele und Point-and-Click-Adventures hinzugekommen. Sicher ist, dass der Boom bei Computerspielen anhält. Das wird durch die Entwicklung der Technik begünstigt: Die Rechner werden schneller, die Speicher größer, die Grafikkarten leistungsfähiger und die Bildschirme besser. Es ist auch der Bereich, in dem die nächste Entwicklung menschlicher Wahrnehmung, die „Virtual Reality“, tatsächlich Realität werden wird. Schon heute funktioniert die Immersion, das Eintauchen in eine andere Welt, erstaunlich gut. Mit einer VR-Brille, einem leistungsfähigen Computer und dem nötigen Platz kann man diese Welt nicht nur sehen, sondern sich im Raum real und virtuell bewegen und sogar Handlungen vollführen, beispielsweise mit den Händen etwas drehen. Letztlich entscheidend für den Spieler ist, dass das „User-Interface“ verschwindet. Es braucht keine Maus mehr, mit der man auf dem Bildschirm klickt. Diese Entwicklung wird alle audiovisuellen Medien beeinflussen. Vielleicht schon in zehn Jahren werden Filme und Fernsehserien in mehreren Formen produziert werden: für den gewöhnlichen Bildschirm im Kino oder zu Hause, in 3-D-Optik und speziell für VR-Brillen. Möglicherweise kann das Publikum solche Filme aus der Perspektive verschiedener Hauptpersonen sehen. Noch ist das Science-Fiction. Wenn man aber die derzeitige rasche technologische Entwicklung sieht, ist es eine plausible Spekulation. Und das Genre Science-Fiction 302
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wird an der Spitze dieser Entwicklung stehen, weil es das seinem Renommee schuldet. Sind Film und Fernsehen die „Leitkultur“ und Computerspiele technischer Vorreiter der Entwicklung der Science-Fiction, so kommt dem gedruckten Buch dennoch eine wichtige Rolle zu. Was an neuen Erkenntnissen der Wissenschaft, etwa im Bereich der Gentechnik, der Nanotechnologie oder der Astrophysik, bekannt wird, wird dort am schnellsten verarbeitet. Freilich ist derzeit grundlegend Neues nicht zu entdecken, nur Weiterentwicklung und Ausbau bekannter Szenarien. Da wird mit Multiversen und Reisen durch Zeit und Raum gespielt und Natur und Mensch genetisch verändert. Computertechnologie, Miniaturisierung und Kommunikationsformen, die in der Realität die Visionen der Science-Fiction ein- und überholen, werden angepasst und mit glaubhaften Entwicklungsschritten in die Zukunft verlängert. Was Raumschiffe und deren Fahrt mit Überlichtgeschwindigkeit in unendliche Weiten betrifft, gibt es auch dort wenig Neues, was mit der Stagnation der Raumfahrt in der wirklichen Welt korrespondiert. Überhaupt spiegelt sich die Realität in der Thematik: Dystopien und Military-Fiction dominieren neben den von Film und Fernsehen inspirierten Space Operas. So wird Science-Fiction zu einer Projektionsfläche, in der sich die technischen Hoffnungen, vor allem aber die Ängste der Gegenwart widerspiegeln. Dies ist ein einseitiger, eher pessimistischer Blick auf die Science- Fiction. Positiv zu vermerken ist, dass dieses Genre heute viel breiter verankert ist als noch vor 50 Jahren, gerade im deutschsprachigen Raum. Die trivialen Segmente wie Military-Science-Fiction oder die mit Horror und Fantasy gemixten Science-Fiction-Serien und -Filme nehmen zwar einen quantitativ größeren Raum ein, zugleich verwenden aber anspruchsvolle Unterhaltungsromane zunehmend Science-Fiction-Szenarien. Und in der Masse der Neuerscheinungen finden wir ebenfalls immer wieder thematisch interessante und ambitionierte Romane und Filme. Sicher ist, dass die Konsumenten von Science-Fiction jünger geworden sind und dass für sie der Anteil von Fantasy und Horror 303
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sehr wichtig ist, auch wenn diese die utopischen Inhalte über lagern. Das heißt, dass Science-Fiction-Versatzstücke eher als Accessoires und Hintergrund für Geschichten dienen, die von dem mit viel Action gespickten Kampf zwischen Gut und Böse und Beziehungsschwierigkeiten zwischen den Helden geprägt sind. Die technologische und gesellschaftliche Entwicklung, die zugleich immer auf die Gegenwart verweist, scheint für dieses Publikum nicht mehr so interessant zu sein. Entscheidend ist aber, dass die Konsumenten von Space Operas aller Arten immer wieder angeregt werden, sich mit Gedankenexperimenten über unsere Zukunft zu beschäftigen, und dies auch tun. Was bleibt? Science-Fiction ist das, wofür sie das große Publikum hält. Der Genremix, der heute als Science-Fiction gilt, ist zum Teil aus zahlreichen bekannten und recht banalen Elementen zusammengesetzt. Da gibt es Intrigen, Spionage, Liebesromanzen und viel, viel Action. Aber für manche ist dieses Genre doch mehr. Es gibt spekulative Antworten auf neugierige Fragen. Wie wird, wie könnte die Gesellschaft der Zukunft aussehen? Bekommen wir Umweltzerstörung und Überbevölkerung in den Griff oder kommt die Apokalypse? Werden wir dereinst mit Raumschiffen zu fernen Planeten fliegen? Geht die technische Entwicklung in dieser rasanten Geschwindigkeit weiter oder schlägt das Pendel um in eine langsamere, an anderen Werten orientierte Zivilisation? Beginnen wir, die Krankheiten zu besiegen und den Menschen zu verbessern? Kann sich die Menschheit auf eine höhere Stufe entwickeln oder ist sie eine unwichtige Fußnote in der Geschichte der Erde? Und wie steht es mit dem Universum? Dehnt es sich immer weiter aus oder zieht es sich am Ende doch zusammen und vernichtet alles? Gibt es Parallelwelten in einem wie immer gearteten Multiversum? Faszinierende Gedankenspiele, mit denen wir uns wunderbar unterhalten können, aber über die wir auch ernsthaft nachdenken können und die letztlich immer auf unsere Gegenwart und ihre Probleme verweisen.
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Bibliografie In dieser Bibliografie finden sich die im Buch erwähnten Titel der Bücher, Filme, Comics, Fernsehserien und Computerspiele sowie einige Ergänzungen. Sie sind für die Entwicklungsgeschichte und den heutigen Stand der Science-Fiction wichtig, typisch oder bedeutend. Bei der Sekundärliteratur habe ich mich auf wenige Gesamtdarstellungen des Genres oder großer Teilbereiche beschränkt. Weiteres ist über Suchmaschinen im Internet zu finden.
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Bibliografie
Orwell, George: 1984. München: Heyne, 2002. Orwell, George: Farm der Tiere. Zürich: Diogenes, 2008. Pausewang, Gudrun: Die letzten Kinder von Schwenborn. Ravensburg: Ravensburger, 1997. Perry Rhodan. Mehrere Autoren, Heftserie. Rastatt: Pabel-Moewig, seit 1961. Perry Rhodan NEO. Mehrere Autoren, Heftserie. Rastatt: Pabel-Moewig, seit 2011. Piercy, Marge: Frau am Abgrund der Zeit. Hamburg: Argument, 2000. Pizan, Christine de: Stadt der Frauen. Berlin: Orlanda, 1985. Poe, Edgar Allan: Das unvergleichliche Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall. München: Basse und Lechner, 1984. Pohl, Frederik; Kornbluth, C. M.: Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute. München: Heyne, 1973. Pournelle, Jerry: Der letzte Söldner. Köln: Bastei-Lübbe, 1977. Pournelle, Jerry: Die Söldner von Sparta. Köln: Bastei-Lübbe, 1994. Pournelle, Jerry: Die entführte Armee. Köln: Bastei-Lübbe, 1987. Ringo, John: Invasions-Zyklus. 7 Bände. München: Heyne, 2004–2012. Ringo, John: Planetenkrieg-Zyklus. 3 Bände. München: Heyne, 2012–2014. Robinson, Kim Stanley: Die Mars-Trilogie. München: Heyne, 2015. Roth, Philip: Verschwörung gegen Amerika. Berlin: Rowohlt, 2007. Russell, Eric Frank: Metamorphose. In: Die besten Stories von Eric Frank Russell. Rastatt: Pabel-Moewig, 1986. Saberhagen, Fred: Berserker. Rastatt: Moewig, 1988. Scalzi, John (Hg.): Metatropolis. München: Heyne, 2011. Schätzing, Frank: Der Schwarm. Frankfurt am Main: Fischer, 2005. Schätzing, Frank: Limit. Frankfurt am Main: Fischer, 2011. Scheer, Karl-Herbert: Zur besonderen Verwendung – ZBV. 50 Bände. Rastatt: Pabel, 1972–1981. Schmid, Edmund: Im Jahre 2000 im Dritten Reich. München: Franz Walther, 1933. Sherriff, Robert C.: Der Mond fällt auf Europa. München: Heyne, 1970. Silverberg, Robert: Bruderschaft der Unsterblichen. München: Heyne, 2014. Silverberg, Robert: Die Zeitpatrouille. München: Goldmann, 1971. Silverberg, Robert: Es stirbt in mir. München: Heyne, 2002. Silverberg, Robert: Exil im Kosmos. München: Heyne, 1971. Simak, Clifford: Der Mondprospektor. Rastatt: Moewig, 1963. Simmons, Dan: Die Hyperion-Gesänge. München: Heyne, 2002.
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Bibliografie
Smith, Cordwainer: Instrumentalität der Menschheit. Rastatt: Pabel-Moewig, 1984. Smith, Edward E.: Lensmen-Zyklus. Zehn Bände. München: Heyne, 1990. Solf, Ferdinand: Deutschlands Auferstehung. Naumburg a. d. S.: Tancre, 1934. Stapledon, Olaf: Die Letzten und die Ersten Menschen. München: Piper, 2015. Stapledon, Olaf: Der Sternenschöpfer. München: Heyne, 1969. Stapledon, Olaf: Insel der Mutanten. Berlin: Das neue Berlin, 1986. Steinmüller, Angela; Steinmüller, Karlheinz: Andymon. München: Heyne, 2004. Stephenson, Neal: Grenzwelt. München: Goldmann, 1996. Taeschner, Titus: Eurofrika – Die Macht der Zukunft. Berlin: Buchwarte, 1938. Tevis, Walter: The Man who fell to Earth. New York: Ballantine, 1999. Triptree, James jr.: Beam uns nach Haus. München: Heyne, 1974. Twain, Mark: Ein Yankee aus Connecticut an König Artus’ Hof. München: dtv, 2004. Van den Boom, Dirk: Tentakel-Zyklus. 8 Bände. Stolberg: Atlantis, 2007– 2015. Van Vogt, Alfred E.: Intelligenzquotient 10.000. Rastatt: Pabel, 1978. Van Vogt, Alfred E.: Der Isher-Zyklus. München: Heyne, 1967. Van Vogt, Alfred E.: Null-A-Zyklus. München: Heyne, 1982. Verne, Jules: Von der Erde zum Mond. Hamburg: Nikol, 2013. Verne, Jules: Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer. Hamburg: Nikol, 2013. Verne, Jules: Robur der Sieger. Berlin: Hofenberg, 2015. Verne, Jules: Der Herr der Welt. Stuttgart: Deutscher Bücherbund, 1991. Vinge, Joan: Die Schneekönigin. München: Heyne, 1995. Weber, David: Honor-Harrington-Zyklus. (Bisher 33 Bände). Köln: BasteiLübbe, 2010–2015. Welles, Orson: Krieg der Welten. Hörspiel. USA, 1938, basierend auf Wells, Herbert George: Befreite Welt. Wien: Zsolnay, 1985. Wells, Herbert George: Die ersten Menschen auf dem Mond. Frankfurt am Main: Ullstein, 1982. Wells, Herbert George: Krieg der Welten. Zürich: Diogenes, 1985. Wells, Herbert George: The Land Ironclades. In: Strand Magazine. London, 1903. Wells, Herbert George: Der Mensch des Jahres 1.000.000. Stuttgart: Reclam, 1987.
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Bibliografie
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Comics
Comics Astronautenfamilie Robinson (BSV, 1966–1970) Der Sternenwanderer (Schreiber und Leser, 2013–2015) Descender (Splitter, 2014–2016) Die fantastischen Vier (Marvel, seit 1961) Ghost in the Shell (Modena: Panini Books 2001) (Manga) Gunslinger Girl (Köln: EMA, 2013) (Manga) Jeremiah (Carlsen, 1988–2005, Kult, seit 2012) John Difool (Feest, Carlsen, 2000–2010) Nick der Weltraumfahrer (Walter Lehning, 1958–1963) Perry Rhodan im Bild (Moewig, 1967–1968) Perry – Unser Mann im All (Moewig, 1968–1976) Perry Rhodan Comic (Cross Cult, 2015–2016) Star-Lord (Marvel, Panini, 2009–2016) Transmetropolian (DC-Comics, 1997–2002) Valerian und Veronique (Gesamtausgabe, Carlsen, seit 2010) WW 2.2 (Madrid: Diabolo-Comics, 2013–2015) X-Men (Marvel, seit 1963)
Spielfilme 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, 1968) 2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen (Peter Hyams, 1984) 2012 (Roland Emmerich, 2009) 2022 … die überleben wollen (Richard Fleischer, 1973) A. I. – Künstliche Intelligenz (Steven Spielberg, 2001) Akte X – Der Film (Rob S. Bowman, 1998) Akte X – Jenseits der Wahrheit (Chris Carter, 2008) Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (Ridley Scott, 1979) Armaggedon – Das Jüngste Gericht (Michael Bay, 1998) Avatar – Aufbruch nach Pandora (James Cameron, 2009) Blade Runner (Ridley Scott, 1982) Briefe eines Toten (Konstantin Lopuschanski, 1986) Buck Rogers (Kinovorfilme, 1939) Colossus (Joseph Sargent, 1970) Das Cabinet des Dr. Caligari (Robert Wiene, 1920) Das Ding aus einer anderen Welt (Christian Nyby, 1951) Das Ding aus einer anderen Welt (John Carpenter, 1982)
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Spielfilme
Das Philadelphia-Experiment II (Stephen Cornwell, 1993) Der Luftkrieg der Zukunft (Walter Booth, Animations- und Trickfilm, 1909) Der Marathon-Mann (John Schlesinger, 1976) Der ‚?‘ Motorist (Walter Booth, Animations- und Trickfilm, 1906) Der Omega-Mann (Boris Sagal, 1971) Der Tag, an dem die Erde stillstand (Robert Wise, 1951) Der Tag, an dem die Erde stillstand (Scott Derickson, 2008) Destination Moon (Irving Pichel, 1950) Der Schläfer (Woody Allen, 1973) Der Wüstenplanet (David Lynch, 1984) Die Frauen von Stepford (Bryan Forbes, 1975) Die Klapperschlange (John Carpenter, 1981) Die Nacht der lebenden Toten (George A. Romero, 1968) Die neue Prophezeiung der Maya (Steven R. Monroe, 2013) Die phantastische Reise (Richard Fleischer, 1966) Die Tribute von Panem (4 Filme, Garry Ross u. a., 2012–2015) Die Truman-Show (Peter Weir, 1998) Die Triffids – Pflanzen des Schreckens (Nick Copus, 2009) Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Stanley Kubrick, 1964) Ender’s Game – Das große Spiel (Gavin Hood, 2013) Enemy Mine – Geliebter Feind (Wolfgang Petersen, 1985) E. T. – Der Außerirdische (Steven Spielberg, 1982) eXistenZ (David Cronenberg, 1999) Ex Machina (Alex Garland, 2015) Flash Gordon (Kinovorfilme, 1936–1940) Feinde aus dem Nichts (Val Guest, 1953) Fringe – Grenzfälle des FBI (2008–2013, 100 Folgen) Futureworld – Das Land von übermorgen (Richard T. Heffron, 1976) Gattaca (Andrew Niccol, 1997) Gefahr aus dem Weltall (Jack Arnold, 1953) Ghostbusters – Die Geisterjäger (Ivan Reitman, 1984) Ghost in the Shell (Anime, Mamuro Oshii, 1995) Godzilla (Ishiro Honda, 1954) Guardians of the Galaxy (James Gunn, 2014) Her (Spike Jonze, 2013) Homunculus (sechsteiliger Stummfilm, Otto Rippert, 1916) In den Krallen der Venus (Edward Bernds, 1958) In Time (Andrew Niccoll, 2011)
315
Spielfilme
Invasion der Körperfresser (Don Siegel, 1956) Iron Sky (Timo Vuorensola, 2012) I Am Legend (Francis Lawrence, 2007) I Married a Monster from Outer Space (Gene Fowler junior, 1958) Im Auftrag des Schwarzen Adlers (Worth Keeter, 1987) Independence Day (Roland Emmerich, 1996) Jupiter Ascending (Lana und Lilly Wachowski, 2015) Jurassic Park (Steven Spielberg, 1993) Just Imagine (David Butler, 1930) Krieg der Welten (Steven Spielberg, 2005) Kubrick, Nixon und der Mann im Mond (Mockumantery, William Karel, 2003) Lautlos im Weltraum (Douglas Trumbull, 1972) Le Voyage dans la Lune (Georges Méliès, 1902) Lifeforce – Die tödliche Bedrohung (Tobe Hooper, 1985) Mad Max (George Miller, 1979) Mad Max II – Der Vollstrecker (George Miller, 1981) Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel (George Miller, 1985) Mad Max: Fury Road (George Miller, 2015) Malevil (Christian de Chalonge, 1981) Mars Attacks! (Tim Burton, 1996) Matrix (Wachowski-Geschwister, 1999) Men in Black 1–3 (Barry Sonnenfeld, 1996, 2002, 2012) Metropolis (Fritz Lang, 1927) Minority Report (Steven Spielberg, 2002) Mission to Mars (Brian de Palma, 2000) RoboCop (Paul Verhoeven, 1987) Planet der Affen (Franklin J. Schaffner, 1968) Project Moonbase (Richard Talmadge, 1953) Prometheus (Ridley Scottt, 2012) San Andreas (Brad Peyton, 2015) Shock Waves – Die aus der Tiefe kamen (Ken Wiederhorn, 1977) Stargate (Roland Emmerich, 1994) Stargate: The Ark of Truth (Robert C. Cooper, 2008, nur auf DVD) Stargate Continuum (Marti Wood, 2008, nur auf DVD) Starship Troopers (Paul Verhoeven, 1997) Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart (Leonard Nimoy, 1986) Star Wars Episode I: Die dunkle Bedrohung (George Lucas, 1999) Star Wars Episode II: Angriff der Klonkrieger (George Lucas, 2002)
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Fernsehserien
Star Wars Episode III: Die Rache der Sith (George Lucas, 2005) Star Wars Episode IV: Eine neue Hoffnung (George Lucas, 1977) Star Wars Episode V: Das Imperium schlägt zurück (George Lucas, 1980) Star Wars Episode VI: Die Rückkehr der Jedi-Ritter (George Lucas, 1983) Star Wars Episode VII: Das Erwachen der Macht (J. J. Abrams, 2015) Terminator 3: Rebellion der Maschinen (Jonathan Mostow, 2003) The Boys from Brazil (Franklin G. Schaffner, 1978) The Day After – Der Tag danach (Nicholas Meyer, 1983) The Day After Tomorrow (Roland Emmerich, 2004) The Great Martian War 1913–1917 (Mockumentary, Mark Slee, 2013) The Last Child (John Moxley, 1971) The Last Man on Earth – Die wahre Legende (Ubaldo Ragona, 1964) The New World Order (Adam Bailey, 2015) Thor (Kenneth Branagh, 2011) Thor – The Dark Kingdom (Alan Taylor, 2013) THX 1138 (George Lucas, 1971) Transfer (Damir Lukacevic, 2010) Uhrwerk Orange (Stanley Kubrick, 1971) Unheimliche Begegnung der Dritten Art (Steven Spielberg, 1977) Universal Soldier (Roland Emmerich, 1992) Westworld (Michael Crichton, 1973) Welt am Draht (Rainer Werner Fassbinder, 1973) X-Men (bisher 9 Filme, 2000–2016) Zombie – das Original (George A. Romero, 1978) ZPG – Die Erde stirbt (Michael Campus, 1972) Zurück in die Zukunft (Robert Zemeckis, 1985) Zurück in die Zukunft II (Robert Zemeckis, 1989) Zurück in die Zukunft III (Robert Zemeckis, 1990)
Fernsehserien ALF (1986–1990, 102 Folgen) Andromeda (2000–2005, 110 Folgen) Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI (1993–2002, 208 Folgen, seit 2016 neue Staffel) Alphas (2012–2013, 24 Folgen) Babylon 5 (1993–1998, 110 Folgen) Dark Angel (2000–2002, 42 Folgen) Defiance (2013–2015, 38 Folgen)
317
Fernsehserien
Dune – Der Wüstenplanet (Miniserie 2000, 3 Folgen) Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann (1974–1978, 108 Folgen) Die Sieben-Millionen-Dollar-Frau (1976–1977, 58 Folgen) Doctor Who (seit 1963, ca. 850 Folgen) Eureka – Die geheime Stadt (2006–2012, 77 Folgen) Falling Skies (2011–2014, 52 Folgen) Gunslinger Girl (2003–2004, 13 Folgen, Anime) Heroes (2006–2010, 78 Folgen) Heroes Reborn (2015–2016, 13 Folgen) Invasion von der Wega (1966–1969, 43 Folgen) Krieg der Welten (1988–1900, 43 Folgen) Mutant X (2001–2004, 66 Folgen) Person of Interest (seit 2011, bisher 96 Folgen) Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion (1965, 7 Folgen) Revolution (2012–2014, 42 Folgen) Sliders – das Tor in eine fremde Dimension (1995–2000, 88 Folgen) Stargate – Kommando SG-1 (1997–2007, 214 Folgen) Stargate Atlantis (2004–2008, 100 Folgen) Stargate Universe (2009–2011, 40 Folgen) Star Trek – Raumschiff Enterprise (1966–1969, 79 Folgen) Star Trek – Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994, 178 Folgen) Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999, 176 Folgen) Star Trek: Raumschiff Voyager (1995–2001, 172 Folgen) Star Trek: Enterprise (2001–2005, 98 Folgen) The 100 (seit 2014, 45 Folgen) The Tomorrow People (2012–2014, 22 Folgen) The Last Ship (seit 2014, bisher 23 Folgen) The Walking Dead (seit 2010, bisher 83 Folgen) Time Tunnel (1966–1967, 30 Folgen)
318
Computerspiele
Computerspiele Castle Wolfenstein (Musee Software, 1981) Command & Conquer: Alarmstufe Rot (Westwood Studios, 1996) Eve online (MMORPG, CCP-Games, 2003) Defiance (PC, Console, Shooter-MMO, Trion Worlds, 2013) Deus Ex (Eidos Interactive, 2000) Fallout 4 (Bethesda, 2015) Half Life (Valve, 1998, 2001) Iron Sky: Invasion (Topware Interactive, 2012) Mad Max (Avalanche, 2015) Mass Effect (Microsoft 2007, Electronic Arts, 2008–2012) Master of Orion 1–3 (Microprose, 1993, 1996, 2003) Master of Orion: Conquer the Stars (Quicksilver, 2016) Neuromancer: A Cyberpunk Role-Playing Adventure (Interplay, 1988) Perry Rhodan – The Adventure (Deep Silver, 2008) Perry Rhodan – Kampf um Terra (Gamopolis, 2013) Perry Rhodan – Der Jahrmillionenfeind (Gamopolis, 2015) Portal (Valve, 2007) Shadowrun (Pen-&-Paper, 1989, Computerspiel Beam Software, 1993) Space Invaders (Midway Games, 1978) Space Quest. Serie von sechs Spielen (Sierra On-Line, 1986–1995) Starcraft (Blizzard, 1998, 2000) Star Trek: Bridge Commander (Totally Games, 2002) Star Trek online (MMORPG, Cryptic Studios, 2010) Star Trek: The 25th Anniversary (Interplay, 1992) Star Wars: Battlefront (Electronic Arts, 2015) Star Wars: The old Republic (MMORPG, Electronic Arts, 2011) Star Wars: X-Wing (Lucas Arts, 1993) Wasteland (Electronic Arts, 1988) Wing Commander (Origin Systems, 1990) X-COM-Serie (8 Spiele, Microprose, 1994–2013) X-COM 2 (Microprose, 2016)
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Informationen zum Buch Hans-Peter von Peschke lässt uns eintauchen in die Welten der Science-Fiction. Er erzählt von Nanos, Cyborgs und Mutanten und stellt die wichtigsten Romane, Filme, Fernsehserien, Comics und Computerspiele vor. Wer immer sich für Science-Fiction interessiert, findet in diesem Band alles Wissenswerte kompakt zusammengefasst und flott erläutert, vom Klassiker bis zum brandaktuellen Trend. Info-Boxen erschließen Personen, Themen und Ereignisse. Gleich ob Marketingstrategie, Weltallreligion, theoretische Physik oder Special Effects: Von Peschke punktet mit Know-How und Insider-Kenntnis.
Informationen zum Autor Hans-Peter von Peschke studierte in Erlangen Geschichte, Gesellschaftswissenschaften und Pädagogik. Der promovierte Historiker war u. a. für den Bayerischen Rundfunk und das Schweizer Radio tätig. Für seine Arbeit als Journalist und Publizist erhielt er verschiedene Preise und Auszeichnungen, so den Schweizerischen Journalistenpreis und den Radiopreis der Berner Stiftung für Radio und Fernsehen. Von Peschke ist Autor zahlreicher Bücher. Der erklärte Science-Fiction-Fan lebt und arbeitet in Bern und München.